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UNIVERSITY OF TORONTO PRESS

JAHRESBERICHT

über

die Fortschritte der classischen

Altertumswissenschaft

bcf^ründet von

Conrad Biirsian

herausgegeben

von

r^. Griu-litt luia ^W^. Ki-oll,

Hundertundsechzehnter Band.

Einunddreissigster Jahrgang 1903.

Erste Abteilung.

GRIECHISCHE KLASSIKER.

LEIPZIG 1904.

O. R. R E I S L A X D.

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Inhalts -Verzeichnis

des hundertundsechzehnten Bandes.

Seite

Bericht über die iiriechischen Philosophen vor Sokratcs für die Jahre 1876— ]<S1)7. Von Fianz Lortzing in Wilmersdorf l)ei Berlin 1 15s

Bericht über die Literatur zur griechischen Komödie aus den Jahren 1892—1901. Von Carl v. Holzinger in Prag 159—328

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates für die Jahre 1876—1897.

Von Prof. Dr. Franz Lortzing

in Wilnieradort bei Berlin.

Fortsetzung und Schlul.'. von Bd. CXll (1902 I) S. 132—322.

Pfleiderers Werk ist sehr verschieden beurteilt worden. Während sich H. V. Arnim D. .L.-Z. 1887, 410 ff. ziemlich anerkennend aus- spricht und in seinen Untersuchungen einen Fortschritt im Verständnis H.s gegenüber den früheren Darstellungen erblickt, giebt Natorp Xo. 317, 88 ff. zwar die Richtigkeit mancher Ausführungen zu, be- mängelt aber die Neigung zu einer radikalen und doch im Grunde nutzlosen Umordnung der heraklitischen Hauptgedanken und hält die Ableitung aus der Mysterienidee für verfehlt. Einen entschieden ab- lehnenden Standpunkt nimmt Diels Arch. I 105 ff. ein. Fa' bezeichnet das Buch als völlig wertlos, spricht dem Verf. jedes sichere philologische und historische Wissen ab und vermißt insbesondere bei ihm die für eine so schwierige Untersuchung notwendige Kenntnis der Religions- geschichte, speziell der Mysterienlehre. Cron Ph. Anz. 1887, 388 ff", fällt über die Hauptsache, die Hypothese von der Mysterienidee, kein bestimmtes Urteil. Die Besprechungen von Thilo Zschr. f. exakte Philos. 18 (1890), 107 ff., von A. Croiset Rev. crit. 1888, 45, von P. K. im Korresp.-Bl. f. d. württemb. Seh. 23, 509 ff", und die im L. C.-Bl, 1887, 963 f. habe ich nicht gelesen. Was zunächst die Mysterienidee als Quellpunkt der heraklitischen Philosophie betrifft, so kann sie nach dem, was Diels, Natorp und besonders Zeller 741 ft\ darüber bemerkt haben, nur als völlig mißglückt bezeichnet werden. Sie tritt bei Pf. wie ein feststehendes Axiom auf, das gar nicht erst bewiesen zu werden braucht. Nirgends wird versucht, sie aus der glaubwürdigen Über- Jabresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. 1.) 1

2 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortziug )

lieferung der beraklitischen Lehre zu begrüoden. Verf. hätte mit einem solchen Versuche auch einen schweren Stand gehabt gegenüber der Thatsache, daß sich H. au mehreren Stellen (Fr. 124, 125, 127) gegen die ausschweifenden Gebräuche bei den Mysterien aufs entschiedenste erklärt. Vor allem aber hat Pf. eine Vorbedingung nicht erfüllt, ohne die jene ganze Parallele unfruchtbar bleiben mußte. Er mußte eine gründliche religionsgeschichtliche Untersuchung darüber anstellen, worin denn eigentlich die H, vorschwebende „Mysterieuidee" bestehe und wie sie mit der Orphik, dem Kathartentum und verwandten Erscheinungen des G. Jahrhunderts zusammenhänge. Aber davon findet sich keine Spur. Nirgends in dem ganzen Buche wird, wenn ich mich recht erinnere, eines Lobeck oder anderer Forscher auf dem Gebiete des Mysterienwesens Erwähnung gethan. Pf. stellt vielmehr ohne jeden Beweis „die Lehre von der TJnzerstorbarkeit des Lebens noch im Tode* als den innersten Kern des Mysterienglaubens hin, eine Voraussetzung, deren Unbeweisbarkeit und Unwahrscheinlichkeit Zeller darthut. Übrigens hat H., wie Zeller gleichfalls treffend bemerkt, gar nicht die Unzerstör- barkeit des Lebens überhaupt, sondern nur des göttliclien, im Feuer sich darstellenden Lebens behauptet. So zerfließt die ganze „Mysterien- idee" bei H. in nichts bis auf einen bescheidenen Rest, die Wahrschein- lichkeit nämlich, daß H. seine Unsterblichkeitslehre mittelbar oder un- mittelbar den griechischen Mj^sterien entlehnt habe. Dies erkannt zu haben ist aber nicht Pfleiderers Verdienst; andere haben es längst vor ihm ausgesprochen. Ebenso ungründlich und unzulänglich ist die Art, wie Verf. über den Zusammenhang H.s mit seinen philosophischen Vor- gängern urteilt. Mit Unrecht leugnet er jede Abhängigkeit des Ephesiers von den Früheren, insbesondere von Anaximander, dem jener in seiner Grundlehre viel näher steht als den Mysterien; vgl. Natorp a. a. O. Derselbe bemängelt auch mit vollem Rechte die Ordnung, in der sich nach Pf. im Geiste H.s die Hauptgedanken seines Systems gestaltet haben. Die Annahme, daß aus dem nebelhaften Mysteriengedanken zuerst die Lehre von der unsichtbaren Harmonie, dann die von den Gegensätzen und zuletzt die Flußlehre hervorgegangen sei, ist in der That zu künstlich und der umgekehrte Gang viel natürlicher. Wenn Natorp andererseits Pf. darin beipflichtet, daß er den optimistischen Zug in H.s Weltanschauung hervorhebt, so liegt ja darin ohne Zweifel ein richtiger und gesunder Gedanke; aber neu ist auch dieser Gedanke nicht. Auch wird er, wie bereits bemerkt, durch die grundlose und übertriebene Betonung des pessimistischen Elementes in H.s Jenseitslehre wieder in Frage gestellt. Das richtige Verhältnis zwischen Pessimis- mus und Optimismus bei H. hat Zeller 733, 1 kurz, aber treffend be- zeichnet. — In der AuffV.-snng und Entwickelung der einzelnen Teil»

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 3

des Systems findet sich vieles Richtige und Beachtenswerte, aber in der Kegel doch nur da, wo sich Pf. im wesentliclien an Zeller anlehnt, während er in den Punkten, wo er Teichmüllers Lockungen gefolgt ist, meistens in die Irre geht. Eine der schwächsten Seiten des Buches ist die philologisch -grammatische. Der Erklärung einiger weniger Fragmeute haben wir Bd. CXII S. SlGflf. beistimmen können, gegen die verfehlte Art dagegen, in der viele andere behandelt worden sind, Einspruch erheben müssen. Hier mögen noch ein paar Beispiele unkritischer und sprachwidriger Interpretation folgen. Fr. 40: ,,Es (Pf. denkt sich willkürlich das Wasser als Subjekt hinzu) verteilt sich (oxiöv^jai!) und drängt zusammen, es ist da (itpojeiai!) und es ist weg (a-£iai!)." Fr. 58: „Man zahlt (!) auch die Ärzte noch hoch genug dafür, daß (!) sie die Kranken schneiden , einfach weil sie durch die Schädigung ja doch Gutes thun (Pf. liest, wie übrigens schon vor ihm Sauppe, xau-ra statt rauxa) d, h. durch Verletzen oder Krankmachen (voaou;) heilen." Fr. 123: ,,Dort seiend treten sie auf (sTraviaTaaöai!) und werden, erwacht (iiepxt!), Hüter der Lebenden und Toten."

Was wir in Pfleiderers und teilweise auch in Teichmüllers Ar- beiten vermißten, gründliches und sicheres philologisches Verständnis und Urteil, das finden wir in glücklicher Mischung mit philosophischem Tiefblick in Gomperz' Abhandlung. Vgl. die Besprechungen von Diels Arch. I 99 flf., im L. C.-Bl. 1887, 315 f., von H. in der D. L.-Z. 1887, 1070 f., Natorp No. 317, 98 ff. und Cr eiset Rev. crit. 1888, 405. Der erste, größere Teil enthält eine Anzahl wertvoller Beitiäge zur Kritik und Erklärung schwieriger Fragmente H.s, die überall, auch da, wo sie dem Zweifel oder Widerspruche Raum lassen, Zeugnis ab- legen von der umfassenden Gelehrsamkeit und der geistvollen Auffassung ihres Urhebers. 1. In Fr. 15 sieht G. mit Bergk Opusc. II 22 (vgl, Poet. lyr. Gr. II ^ 402) und unter Zustimmung von Diels (s. jetzt auch dessen Bemerkung zu seiner Ausg. Fr. 5) und Natorp eine versteckte Polemik gegen Archilocbos Fr. 70, der gesagt hatte: „Ihr (der Menschen) Sinn gleicht ihren zufälligen Erfahrungen." Ihnen antwortet H. : „Nein! Nicht einmal ihre zufällige Erfahrung ist das Maß ihrer Einsicht; denn selbst das, worauf sie gleichsam mit der Nase gestoßen werden, wissen «ie nicht richtig auszulegen, selbst wenn sie darüber belehrt worden Bind." Den Anfang liest G. , zum Teil im Anschluß an Bergk: üu <ppov£ou3i Tosaüxa <oi> (oder TOjaüx' oi) ttoXXoI oxojoic e^xopsoud'.. Soweit diese Lesung von der Bergkscheu (xoiaüxa oxoioi;) abweicht, enthält sie eine allzu gekünstelte Anspielung auf Archil. , die auch den Zeitgenossen unklar bleiben mußte ; mit Recht ziehen daher Natorp und Diels Bergks Fassung vor. 2. In Fr. 7 setzt G. das Komma,

4 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing )

nicht nacli UX-nr^at., sondern nach aveÄTriatov und erklärt, indem er zu E^eupT^aet, wofür besser mit II. Stephauus e^supy^cje-:' (ebenso sXjr/jabe) zu lesen sei [s. jedoch Diels] to aacpe« oder etwas Ahnliches als Objekt er- giinzt, den Sinn so: „Wenn ihr nicht Unerwartetes erwartet, so werdet ihr die Wahrheit nicht finden, welche schwer erspähbar und schwer zu- ^;änglich ist". Aber die Ergänzung- ist doch sehr unsicher; es empfiehlt sich daher, mit Diels (Fr. 18) bei der herkömmlichen Interpunktion zu bleiben, die keine so schülerhaft stammelnde Rede ergiebt, wie Gr. meint, 'Ave^euprjxov und aTropov übersetzt Diels (vgl. auch Natorp) richtiger mit „unerforschlich" und „unzugänglich". 3. Fr. 116 ist nach G. mit Fr. 10 zu kombinieren: cpu^tj -/purTcjöai (piXel öcTturiy; a.-;a{}f^ amTziy] 7ap 6iacpu77avet p-r] ~iqvwGY.ea\\m. ^Die Unglaublichkeit der Natur ist eine gute; sie macht, daß sie der Erkenntnis entschlüpft." Das Un- glaubliche ist also diesmal nicht ein Unglaubhaftes, sondern es handelt sich um unwahrscheinliche Wahrheiten. Diese Erklärung will mir, weil zu gezwungen, nicht recht einleuchten. Eine andere bietet jetzt Diels zu Fr. 86. Die Verbindung der beiden Fragmente ist geistvoll ersonnen; aber ob in Fr. 116 cpustc als Subjekt zu ergänzen sei, ist doch recht zweifel- haft, da bei Plut. vit. Cor. 38, wo das Fr. offenbar in ursprünglicherer Fassung als bei Clem. vorliegt, die Worte tcüv jjiv {kt'ojv xa TtoXXa auf einen anderen Zusammenhang hinweisen. Die Worte bei Clem. xa xf^c -ivcuasoj; [id^ri betrachtet G. mit By water (Academy II 26) als unheraklitisch; so auch Zeller 632, 1 und Diels. 4. In Fr. 17 faßt G. icuuxoü ao'fir^\ als Prä- dikat, und -oXuiJ-aOiriv /.ay.oxsyviriv als Objekt (vgl. Bergk Opusc. II 375) ; schwerlich richtig. Den Ausdruck xaxoxeyvi'y] erläutert er aus dem von ihm ans Licht gezogenen Bruchstück xotciöcuv apyr^•(6i (vgl. zu Bd. CXII S. 302 f.) und bezieht ihn auf Pythagoras" Beredsamkeit. Über die Streichung der Worte exXeCaiJLevos xauxac xa? auYTP«?«»» *lie nach G. jedes Anhalts im Voraussehenden entbehren und als Zuthat des Laert. zu be- trachten sind, vgl. Bd. CXII S. 189 f. In der Anm. S. 1030 ff. bezeichnet G. die von Zeller für seine Lenguung der ägyptischen Reise des Pythag. angeführten Gründe (s. Bd. CXII S. 189) als nicht stichhaltig. 5. Fr. 19 und 65 verbindet G. zu einem: sv oocpov [xouvov SKijxaa&a i 7V(u(xt)v r^ xuf'iepvaxai Travxa öta Tiavxcov. ki'iZ'7\)oLi oux iösXei xat ei^eXei Zrjvoc oüvo|xa und erläutert den Schlußsatz, als dessen Subjekt er yvcuixyj denkt, so: „Das welt- lenkende Prinzip, das vej'nuuttbegabte Feuer will nichtZeusgenanutwerden, weil es kein individuell persönliches Wesen ist; es darf aber den Namen des Zeus tragen, weil es das höchste Wesen, und zumal, weil es Quelle des allgemeinen Lebens ist"; also einerseits Abwehr jeder anthropo- morphen Beimengung, andererseits etymologisierende Brücke zwischen Volksglauben und Weltweisheit. Diese Deutung, mit der auch Diels zu Fr. 32 seiner Ausg. im wesentlichen übereinstimmt, scheint mir vor

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 5

allen sonstig^en <Ien Vorzug zu verdienen , nud auch die Zusamnieii- f/ehörigkeit der beiden Fr. hat, wenn sie auch keineswegs sicher ist, doch viel für sich. Weun dagegen G. in Fr. 18 die ersten Worte H.s nur bis zu 7ivu)ax£iv oder bis zu aocpov reichen lassen will, so hat er damit ebensowenig das Rechte getroffen wie Berna3'S mit seiner Athetese des ganzen Fr. (s. Bd. CXII S. 300). Daß grade in den sestrichenen Worteti aocpov ETTi zavTcuv y.£-/(upi3u.Evov eine der grundlegenden Lehren H.s ent- halten ist, hat Diels zu seinem Fr. 108 bemerkt. Vgl. Zeller 629, 1. Ck Die Erklärung von Fr. 20: „Diese eine Ordnung aller Dinge (^ Welt) ward nicht geschaffen von einem der Götter, so wenig als von einem ]\[enschen (vgl. Gomperz Apol. d. Heilk. 136 f.), sondern sie war von Ewigkeit her, sie ist und wird sein ewig lebendes Feuer u. s. w." giebt in ihrem ersten Teile den Gedanken ähnlich wie Zeller 645, 1 wieder; nur dal.1 man zweifeln kann, ob 7.-avTa>v mit G. als Neutrum oder mit Zeller (und jetzt auch Diels Fr. 30) als Masculinum (für alle Wesen, Götter sowohl als Menschen) zu fassen sei. Wenn G. jedoch im zweiten Satze nach sjtai interpungiert und in den Worten ^v, eati, tj-oLi den „expliciten Ausdruck der Ewigkeit" sieht, so setzt er auch hier, wie wir dies bereits in seiner Erklärung anderer Fragmente gesehen haben, an die Stelle der einfachsten und natürlichen Deutung eine allzu künstliche und pointierte. G. knüpft hieran die sehr un- sichere Vermutung, daß bei Proklos ad. Plat. remp. 74, 11 Scholl ein lückenhaft überlieferter heraklitischer Brocken: o-josv -/ap avapyov l\ t(u xoajjLtp TÜiv rr'ivTwv vorliege. 7. In Fr. 44 schließt G. aus dem bei Hippolytos überlieferten Zusatz: -/.al to'jc ftsoui sosi^e xtX., daß H. vom Kriege als vom Vater aller Dinge nicht nur im bildlichen, sondern auch im eigentlichen Sinne gesprochen hat. Das Spiel gegenseitig sich be- rührender Kräfte und Eigenschaften, das im Reiche der Natur als ein Gesetz waltet, wird von H. auf das Gebiet des Menschenlebens, der Götterwelt und der Gesellschaftsordnung übertragen, zunächst im Siniie des wirklichen Krieges (Gegensatz der Freien und Sklaven d. i. der Kriegsgefangenen), dann aber auch im höheren Sinne als schöpferisches, ordnendes und erhaltendes Prinzip, das auch das Verhältnis zwischen Göttern und Menschen beherrscht. H. glaubte an das Dasein von Göttern und Heroen, vielleicht auch von Dämonen (vgl. besonders Fr. 126), er nahm eine auf- und absteigende Bewegung an, vermöge deren Menschen- seelen zu Göttern erhoben werden, Götter in das Erdenleben herab- sinken. Diesen Glauben an göttliche Wesen, die die KJiuft zwischen dem einen Urwesen und den Menschen auszufüllen bestimmt sind, teilte H. mit Anaximenes, Xenophanes (nach Freudenthal, an den sich G. hier völlig anschließt), Empedokles. Es giebt nach H. eine Stufenleiter von Wesen, verschieden an Rang, Wert und Tüchtigkeit. Das Ziel

6 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

dieser ganzen Gedankenreihe ist die Einsicht, daß der Widerstreit eine Grundbedingung aller Erhaltung, Steigerimg und fortschreitenden Ver- vollkommnung menschlicher Kraft ist. Daraus fließt unmittelbar die Erkenntnis der Berechtigung des Übels. Der Absolutismus des Guten läuft dem Geiste heraklitischer Weisheit schnurstracks zuwider [scharfer Gegensatz zu Pfleiderer!]. Ein direktes Zeugnis für diese Auffassung erblickt G. in einem von Thedinga de Numenio philos. piaton. Bonn 1875 und vorher schon von M. Heinze Lehre vom Logos 15, 6 richtig ausgelegten Fr. des Chalcidius im Tim. § 295: H. werde von Numenios gelobt, weil er den Homer getadelt habe, „qui optaverit interitum ac vastitatem raalis vitae". Dieser Tadel bezieht sich nach Thedinga auf Od. v 45 f. und war wahrscheinlich eng verbunden, aber darum nicht identisch mit dem andern (Er. 43), gegen II. 2 107 her- richteten. Daß H. sich der Rolle bewußt gewesen ist, die der Krieg als Rechtsbildner, Staatengründer und Gesittungsverbreiter in der Ge- schichte gespielt hat, ergiebt sich auch aus Er. 62, wo $ov6v auf eine die menschliche und staatliche Gemeinschaft schaffende Kraft hin- weist (epiv nach oixtjv will G. nicht mit Diels Jenaer L.-Z. 1877, 394 gestrichen wissen; am Schluß des Fr. vermutet er zweifelnd für das verderbte ypetuixsva: lppcü(i,£va und verwirft das von Diels a. a. 0. [und ebenso von Wilamowitz Her. II 68] vorgeschlagene ypswv. Hierher gehört auch Fr. 91, dessen erster Satz ^uvov lati wäoi xo cppoveeiv von den folgenden Worten als besonderes Bruchstück zu trennen ist [so jetzt auch Diels Fr. 113 und 114]. Diese Worte verlieren so das erkenntnistheoretische Gepräge, das man ihnen hat geben wollen, und beziehen sich auf die in Natur- und Menschenleben waltende Ordnung. Diese tief in das Wesen der heraklitischen Gedankenwelt eindringende Erörterung gehört zu den Glanzpunkten der Abh. Die von Zeller 656 f. dagegen erhobenen Einwendungen scheinen mir nicht sehr belangreich zu sein. Nur darin ist ihm beizustimmen, daß sich die Stelle bei Chalcidius schwerlich auf v 45 beziehen kann, da hier Odysseus nur den Phäaken wünscht, daß sie von Übeln verschont bleiben mögen, nicht aber von den Übeln des Lebens im allgemeinen spricht. Aber wenn damit auch dieses Zeugnis für die Notwendigkeit des Übels aus- scheidet, so wird doch die Auffassung H.s von der Berechtigung des Bösen in der Welt, durch andere Fragmente, besonders durch die Gleich- setzung von oi'xY) und l'pi? in Fr. 62, von a-^abo^ und xaxov Fr. 57 und durch Fr. 60, wenn man hier, wie ich es für wahrscheinlich halte, Taüxa auf die Ungerechtigkeiten zu beziehen hat, hinreichend bewiesen. 8. Fr. 72 ist zu tilgen; Numenios, bei dem es sich findet, hat dabei nur Er. 68, wo uYpT^ai dem uocup vorzuziehen ist [s. jedoch Zeller 648, 1], im Sinne gehabt. Die von G. hierfür angeführten Gründe werden

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzinp.) 7

von Zeller 711 als nicht überzeugend zurückgewiesen. 9. Fr. 104 sind die Worte rfih xal «J-j-aDov als ein Glossem zu betrachten, durch das vermutlich ein Wort „lieb, wert, begehrt" verdrängt worden ist; also etwa: vouao; uysiVjv <7:oi)eivTiv > iTzoir^it. Die Verderbnis ist jetzt auf einfachere Weise durch die in einer Randbenierknnp: zu einem Exemplar von Bywaters Heraklit (s. Natorp „Die Ethika des Demokrit" S. 91, 5) enthaltene Konjektur von E. Heitz: f^ou, xaxov «YaOov geheilt worden, die Dicls Fr. 111 in den Text gesetzt hat.

Der zweite Teil der Abh. enthält eine kurze Darlegung der „inneren Verkettung von H.s Grundlehreu". Diese sind: 1. Die Lehre vom Fluß der Dinge, eine wunderbare Anticipation moderner Naturerkeuntnis; sie beruht auf einem aus der Erfahrung, besonders aus den Vorgängen des organischen Stoffwechsels gezogenen Analogieschluß, wobei H. durch falsche Analogie zu dem Irrtum geführt wurde, das AVeltgauze als lebendig zu betrachten, einem Irrtum, der aber gerade jeuer großen Verallgemeinerung Flügel und Schwungkraft verlieh. 2. DasUrfeuer. Der brennende, „allverbreitete" Äther des Hiramels- ranmes. das lodernde, verzehrende Feuer, das sich auch in der Lebens- wärme organischer Wesen wirksam zeigte, schien H. dem Flusse der Dinge besser zu entsprechen als Anaximauders färb- und formloses ä-eipov und Anaximen6s' Luft, die bisweilen den Schein der Ruhe oder der nur leisen Bewegung verrät. 3. Das Weltgesetz als das einzige Beharren im Strome des Geschehens. In ihm faßte H. die sein ganzes Zeitalter (Anaximander, Anaximenes, Xenophanes, Pythagoras) be- wegenden Tendenzen zusammen. Hier off"enbart sich am glänzendsten sein „Sinn für Identität", d. 1. die geniale Fähigkeit, das Gleichartigste unter den fremdartigsten Umhüllungen herauszuerkennen. 4. und 5. Re- lativität der Eigenschaften und Koexistenz der Gegensätze, beide eng zusammenhängend. Der unablässige Stoffwechsel erzeugt un- ablässigen Qualitätswechsel. Indem die Erkenntnis des Qualitätswechsels im Nacheinander den Blick auch auf sein Widerspiel im Nebeneinander lenkt, ergiebt sich die Relativität der Eigenschaften und dann in weiterer Folgerung die Koexistenz der Gegensätze in der Einheit desselben Gegenstandes. Auch hier führte die Neuheit der Entdeckung das un- geübte Denken zu Übertreibungen. H. schwelgt förmlich in Sätzen, die allen Menschenverstand aaf den Kopf stellen. Aber diese Paradoxiea waren mehr nutz- als schadenbringend. Wie in seiner Lehre, so zeigt H. auch in seiner geschichtlichen Wirkung auf die Fol;?ezeit ein Doppelantlitz. Er wurde Urquell religiös-konservativer (Stoiker, Hegel) ■wie auch skeptisch-revolutionärer Richtungen (Skeptiker, Junghegelianer, Proudhon). Diese fein- und scharfsinnige Auseinanderlegung der ver- schiedenen Bestandteile des heraklitischen Systems, die im wesentlichen

8 Bericht über die griecliisohen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

auch in die , Griechischen Denker" desselben Verfassers (s. Bericht I 262) übergegang-en ist, ist sicher besser begründet als die vielfach unsicheren und willkürlichen Konstruktionen Teiclnnüllers und Pfleiderers. Sie hat vor diesen auch den Vorzug, dali sie nicht den Anspruch erhebt, die wirkliche Entstehung der einzelnen Lehren im Geiste des Philosophen wiederzugeben. Ob die Lehre von der Relativität der Eigenschaften in Wahrheit schon dem Ephesier beigelegt werden darf, muß aller- dings zweifelhaft erscheinen. Zeller 662 f. bestreitet es; H. sei bei dem allgemeinen Gedanken stehen geblieben, daß alles entgegengesetzte Eigen- schaften an sich habe; die Frage, unter welchen Bedingungen und in welchem Sinn das Zusammensein des Entgegengesetzten möglich sei, habe er noch nicht aufgeworfen und sie daher auch nicht mit der Unterscheidung dessen beantworten können, was einem Dinge an sich selbst und was ihm nur im Verhältnis zu andern zukomme. Der Gegen- satz, der hier zwischen beiden Forschern auf den ersten Blick obzuwalten scheint, verliert jedoch bei näherem Zusehen viel von seiner Schärfe und schrumpft fast zu einem bloßen Wortstreit zusammen. G. sagt nirgends und ist auch schwerlich der Meinung, daß H. die ßelativitäts- lehre ausdrücklich und mit Bewußtsein formuliert habe. Daß sie aber der Sache nach seiner Gegensatzlehre zu gründe liegt und bald nacliher als eine bewußt oder unbewußt aus ihr gezogene Konsequenz in der Wahrnehmungs- und Erkenntnislehre der Atomiker und der Sophisten deutlich hervortritt, wird auch Zeller nicht leugnen. Vgl. seine Aus- führungen S. 1 100 über den Relativismus des Protagoras. Schließlich sei auf die treffenden Ausführungen (S. 1022) über H.s Stil (G. rechnet ihn zu den großen, aber nicht zu den größten Schriftstellern, dazu sei er zu manieriert) sowie auf die sehr beachtenswerte Beurteilung der heraklitisierenden Tendenzen Änesidems (S. 1048 f.) hingewiesen.

Die Abhandlung von Cron bedeutet keinen sonderlichen Gewinn für die Heraklitforschung. Der Verf. bekämpft mehrfach die Auffassung einzelner Fragmente bei Pfleiderer und bei Patin, bisweilen zutreffend, wie z. B. in der Verteidigung des überlieferten oc;(XüjvTai Fr. 38 gegen Pfleiderers ojioüvtai (s. Bd. CXII S. 321 f.), oft aber in recht unbestimmter und unklarer Weise. Die eigenen Ansichten, die er aufstellt, sind fast durchweg verfehlt oder mangelhaft begründet. So will er H.s System nicht mit Pfleiderer als Panzoismus, sondern als „Kosmologie" bezeichnet wissen, ohne zu bedenken, daß damit doch nur die Richtung der vorsokratischen Philosophie im allgemeinen, nicht aber die besondere Art H.s angegeben wird. Mit Recht verhält er sich gegen Pfleiderers Ableitung des He- laklitismus ans dem Mysterienglauben ablehnend; wenn er aber selbst in dem grundsätzlichen Gegensatz gegen Xenophanes den Ausgangspunkt des Systems sieht und Anspielungen auf den Kolophonier in einer

Bericht über die griecbiscben Pbilosoplien vor Sokrates. (Lortzing.) 1<

gröiJereii Zahl von Bruchstücken wittert, in denen eine unbefan},'ene Interpretation (lerg:leichen nicht zu entdecken vermag:, so ist dieses Verfahren um kein Haar breit besser als Pfleiderers Jagd auf die ilysterienidee. InFr. 16 wird jaXen. neben anderen wegen seiner noXuixaf^-'r, getadelt; aber Crons Meinung, die Feindscliaft gegen ihn sei auf den Oeeensaiz des seL'haften Aristokraten zu dem unsteten Wanderer und des Prosaikers zu dem Versemacher zurückzutühren, ist doch höchst willkürlich und wird nicht glaubhafter durch die Berufung auf Fr. 111, wo C. unter den o^itot (er behält das von Bywater gestrichene ÖT^ixaiv vor aoiooij'. bei; so auch Diels und Zeller 632, 6) die verschiedenen Ge- meinden, bei denen Xen. herumreiste, verstehen will. Daß sich H. mir seiner Bewegungslehre (Fr. 41 und 81) und mit seiner beständigen Ver- wandlung des Einen in Vieles und des Vielen in Eines gegen Xenophanes' , einen und unbew'eglich ruhenden Gott" gewandt habe, wie auch Sclnister und Teichmüller annehmen, ist möglich, wenn auch nicht sicher (s. Zeller 736, 1). Aber auf der andern Seite schließt er sich wieder mit seinem Einen, allein "Weisen, das von allem unterschieden ist, an Xen. an. C. freilich bringt es fertig. Fr. 65, indem er das in den älteren Ausgaben des Clemens stehende, von allen Neueren verworfene Komma vor xal o-jx ef^eXsi wieder einsetzt und mit Prieiderer s'v als Prädikat faßt, so zu übersetzen: „Eins will das weise Wesen allein nicht genannt werden, es will auch den Naraefu Lebensquell (Zifjvrjc!)" nnd so in den ersten Teil eine Polemik gegen Xenophanes' iv slvai tov flsov (A)istot.) hineinzulegen. Aber diese Er- klärung des Fr. ist inhaltlich und sprachlich unmöglich; schon die S^tellung von xa-', die C. vergeblich verteidigt, verbietet eine solche Deutung (vgl. Zeller 670, 3). Ebenso sprachwidrig wird in Fr. 1 Iv TiavTa eivai SO gedeutet: „Das Eine (ev also Subjekt!) ist (= wird) alles." Mullach, auf den sich C. hierbei beruft, giebt zwar dieselbe verfehlte Erklärung, mutet uns aber doch wenigstens nicht zu, slvat im Sinne von 7ivs(jftat zu fassen, sondern setzt letztere Form einfach in den Text. Auffällig ist, daß C. bei der Besprechung von Fr. 79 Teichraüllers Deutung, an die sich doch Pfleiderer lediglich anschließt, gar nicht er- wähnt, wie er denn überhaupt Teichmüller nirgends nennt oder auch nur stillschweigend berücksichtigt; ebensowenig Gomperz. Sollte er die Arbeiten dieser beiden nicht gekannt haben? Das wäre doch ein starkes Stück. Vgl, die Besprechung von Diels Archiv II 659.

Patin mustert in No. 320 zunächst die Fragmente in bezug auf ihre Echtheit und die Zuverlässigkeit der Überlieferung des Textes. Er geht von dem Grundsatze aus, daß die Echtheit jeder Stelle an sich zweifelhaft ist, ganz wenige ausgenommen, die aus durchaus sicherei' Quelle geflossen sind, wie die aus Aristot. und in gewissem Sinne aucli

10 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

die aus Hippolyt. stammenden, oder durch mehrere von einander un- beeinflußte Zeugen verbürgt werden. Er stellt dann als Merkmale der Sprache Hs., die für die Bestimmung der Echtheit in den meisten Fällen ausschlaggebend sind, folgende auf: 1. eine eigentümliche Präg- nanz des Ausdrucks; 2. eine fast unglaubliche Fülle von Spielen mit ähnlichen oder einander verwandten Wörtern, mit ihren Bestandteilen und den scheinbar in ihnen versteckten Bedeutungen. So beweist das Wortspiel airtaToi oux ej:t(jTcx'|xevot Fr. 6, daß amaxoi mit Unrecht von den Erklärern dem Clemens überlassen worden ist, und das prägnant gebrauchte p-aptupec entscheidet für die Echtheit von Fr. 15. Ver« fäjschungen von Fragmenten konnten aber durch die Absicht entstehen, in der ein Autor ein Citat schrieb, durch die Meinung, die er von seinem Inlialt äußert, durch die Deutung, die er ihm giebt. So führt Hippolyt. die Worte evOa öeovxt xtÄ. (Fr. 123) an, als enthielten sie die eigene Lehre Hs. und nicht vielmehr die von H. kritisierte Über- zeugoDg anderer. Schon die oblique Form beweist hier, daß ein re- gierendes Verbum in der 3. Person unterschlagen ist. Noch deutlicher spricht der Inhalt des Fr.: H. leugnet P'r. 21 ausdrücklich das Eingreifen von Dämonen in die Geschicke der Lebenden, und für die vexpot, die doch wohl gleich den vexusc Fr. 85 sind, wird er schwerlich solche Wächter bestellt haben. Nach den Erläuterungen Hippolyts muß in Fr. 123 der f^eoc erwähnt gewesen sein. Es ist daher im An- fang zu lesen: evf)a Oeov xtva eTravtJTaaöai und davor ein regierendes Verbum, etwa ooxsoujt, zu ergänzen. H. kämpft somit hier gegen die Hoffnungen der Mysten wie in Fr. 122 (vgl. 101). [Eine iu mancher Hinsicht angreifbare Beweisführung. Die indirekte E,ede läßt nicht mit Sicherheit erkennen, daß H. nicht im eigenen Namen spricht. In Fr. 121 kann ich keine Leugnung der Existenz von Dämonen finden, und die vexpoi in Fr. 123 im Sinne von Leichnamen zu fassen, scheint mir widersinnig. Fr. 122 läßt sich ebensogut, ja mit größerer Wahr- scheinlichkeit im Sinne eschatologischer Mysterienweisheit deuten. Fr. 101 kann überhaupt nicht anders als von einem Fortleben der einzelnen Seelen verstanden werden, und da es in direkter Rede überliefert ist, kann man hier nicht füglich an die Zurückweisung einer gegnerischen Ansicht denken. Der Fall ist typisch für das kritische Verfahren Patins, wie es uns auch sonst noch häufig in seinen Abhandlungen entgegentritt. P. ist der Überzeugung, daß H. an ein individuelles Fortleben nicht habe glauben können, und darum müssen alle Äußerungen, die eine solche Auffassung zu enthalten scheinen, beseitigt oder umgedeutet werden. Über Fr. 123 vgl. jetzt Diels' Ausg. Fr, 63.] Viel häufiger als eine beabsichtigte ist eine unfreiwillige Täuschung der Citiei-enden, die um so leichter möglich war, als manche Schriftsteller ihre Citate

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) H

gar nicht der Schrift H.s selbst entnahmen. Aus diesem Zustande der 1 berlieferung sind bei christlichen wie bei heidnischen Autoreu Irrtümer und Mißverständnisse erwachsen, die sich durch die Jahrtausende bis auf den heutigen Tag erhalten haben. So ist Fr. 37 von allen Er- klärern falsch aufgefaßt worden, weil sie sich durch Aristot. haben verleiten lassen, den Worten eine physiologische Bedeutung zu geben; in Wahrheit enthalten sie einen harten Spott gegen die Überzeugung der Menschen von der Vielheit des Lebens und von der Untrüglichkeit der Sinne (vgl. Fr. 4), die nur die einzelnen Dinge unterscheiden, das C'jvüv aber nicht erkennen. H. schalt die Menschen, daß sie den Augen mehr glaubten als dem Verstände, und fuhr dann fort: «Und käme es ja einmal so weit, daß die Augen versagten, wenn nämlich alles Rauch würde, so würden sie noch in der gleichartigen Masse des Rauches mit den Nasen unterscheiden." Der Nachdruck ruht also auf oia^voTev. Wie die Neueren, so ist auch schon Plutarch durch den Zusammenhang des Fr. bei Aristot. getäuscht worden und schreibt daher H. die Lehre von den „riechenden Seelen im Hades" zu. Fr. 38 ist demnach zu streichen. [Ein zweites bezeichnendes Beispiel Patinscher Interpretatious- kunst und Kritik. Fr. 37 wird in Widerspruch zu Aristot., unserm zuverlässigsten Zeugen, seiner physiologischen Bedeutung entkleidet und zugleich ein ganz unerweisbarer neuer Zusammenhang ersonnen, der auf der aus Fr. 4 durchaus nicht zu erschließenden Voraussetzung beruht, daß H. jedes Zeugnis der Augen ebenso wie das der übrigen Sinne verdächtigt habe (vgl. dagegen Fr. 13). Und auf Grund dieser will- kürlichen Deutung wird dann leichten Herzens Fr. 38 gestrichen, um so ,wieder ein Zeugnis für die Fortdauer der Seelen nach dem Tode in der Versenkung verschwinden zu lassen.] Mit Unrecht hat dagegen By water das von Laert. 9, 7 und im Flor. Monac. überlieferte Fr. 132: Ti^v TS oir](si\ tepav •^o^jo'j eXs^e xai tyjv opastv (j^suSsailai für unecht erklärt, wahrscheinlich weil in dem genannten Florilegium Epikurs Name vorhergeht, ohne zu bedenken, daß in unmittelbarster Nähe (No. 199 bei Meineke Stob. Flor, IV S. 283) H.s Name an der Spitze eines ebenfalls die oi'rjou betreffenden Satzes steht und daß nur H. die oi'Y)<ji<, ein sich aus etymologischen Gründen (olo?!) empfehlendes Synonymen der löi'a 'fpovTjau, als eine heilige d. h. gottverhängte Krankheit bezeichnet haben kann; denn nach seiner Lehre erzeugt das Einzelwesen die falsche Vorstellung des Todes. [Ob die Sentenz wirklich dem H. gehört, ist doch sehr zweifelhaft (die Schlußworte ty-jv opajiv «j^euSeaöai sind sicher nicht heraklitisch); die Lemmata haben sich in den Apophthegmen- sammlungen aus einer solchen hat Laert. geschöpft oft genug verschoben und verwirrt. Auf No. 199 des Flor. Mon. durfte sich P. jedenfalls nicht berufen; die stoische Terminologie (■npoY.or.-q und ^7x010^)

12 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

weist auf späteren Ursprnng-, und bei Laert. 4, 50 und in etwas ver- änderter Form bei Stob. Flor. 4, 87 wird der Ausspruch denn auch dem Bion beigelegt, Ist überhaupt das Wort oiVjai; dem H. zuzutrauen? Bei den Stoikern war es ein beliebter Ausdruck; vgl. Zenon b. Laert.

7, 23. Übrigens gehört Fr. 132, auch wenn es echt sein sollte, als Apophthegma gar nicht unter die Fragmente.] Von Späteren wird H. oft gerade das Gegenteil dessen zugeschrieben, \vas seine Lehre war. So steht Fr. 49: ypr, e6 jxaXa 7:oX).(7)v Tjtopa; cptXojo'^ouc 7vopac £iv7.'. im Widerspruch mit dem Verdammuugsurteil II. s über die Vielwisserei des Pythagoras, und da überdies der Ausdruck 'fiXojo'fou; verdächtig ist, so ist das Fr. zu streichen. [Was P. hierbei über die Beschaffenheit von Fr. 17 ausführt, ist, wie er selbst am Schlüsse von No. 324 zu- gesteht, durch eine inzwischen erschienene Abb. von Diels (s. Bd. CXII

8. 190) hinfällig geworden. Ein gewisser Widerspruch zwischen Fr. 49 und 17 läßt sich allerdings nicht bestreiten, und auch wenn mau mit Diels Fr, 17 für unecht hält, was nicht sehr wahrscheinlich ist (s. Bd. CXII S. 189 f.), so ist doch das unzweifelhaft echte Fr. 16, in dem die -oXuixa«}ir, getadelt wird, kaum mit dem Inhalt von Fr. 49, in Einklang zu bringen. Dieses Fr. ist daher in der That verdächtig. Wenn Diels (zu Fr. 31) in dem Umstände, daß auch von Porphyrios d. abst. II 49 und zwar offenbar unabhängig von Clemens in der Form 'iVtwp 7ap TroXXöiv o ovTu)? ©iXosocpo? angeführt wird, eine Bestätigung für die Echtheit des Fr. und insbesondere auch des Ausdrucks 91X63070; sieht, so scheint mir im Gegenteil die Fassung bei Porph,, der H. nicht nennt, auf neu- pythagoreischen Ursprung hinzuweisen, (PtXo^o^oc wenigstens dürfte kaum heraklitisch sein, und ich möchte, daher, wenn das Bruchstück durchaus für H. gerettet werden soll, mit Wilamowitz Phil. Unters. I 225 nur die Worte su |xaXa ttoaXöSv Tsxopa? als authentisch gelten lassen, die in dem uns unbekannten Zusammenhange, in dem sie bei H. standen, keinen Widerspruch gegen dessen sonstiges Urteil über die Vielwisserei zu enthalten brauchten]. Am einfachsten ist die Heilung von Fragmenten, deren ursprünglicher Sinn in sein Gegenteil verkehrt worden ist, da, wo zur Wiederherstellung dieses Sinnes nur die Negation wiedereingesetzt zu werden braucht. So ist schon längst Fr. 84 auf diese Weise geheilt worden. Auf demselben Wege ist Fr. 31 zu verbessern, das in der überlieferten Form eine dem H. nicht zuzu- trauende Trivialität enthält, H. hat geschrieben: s'j'fpovr) <oux> av fjv: „Ohne Sonne keine Nacht." Denn aus den Dünsten der verlöschenden Sonne entwickeln sich nach H. die feuchten, schwarzen Nebel der Nacht. [Aber der an zwei Stellen, bei Plut, d. fort, und bei Clera., vor sucppov/] überlieferte, wahrscheinlich auch von Theophrast gelesene (s, die Er- läuterung in der auf diesen zurückgehenden Doxographie bei Laert. 9, 10)

Beliebt über die griechischen Philosopbeu vor Sokrates. (Lortzing.) 13

und daher mit Recht von Diels (Fr. 99) in den Text aufgenommenen Zusatz svsxa Tüiv aXXtov acjTptuv spricht gegen die Einfügung der Negation.) Über die Wesensgleichheit von Tag und Nacht vgl. Fr. 36, das freilich niclit konstruktiver, sondern polemischer Art und gegen die Vielgötterei gerichtet ist. [P. denkt 6 Ueo; als Subjekt auch zu oujxiJLqT) und will daher zwischen diesem Worte und r^ucufj-ast kein neues Subjekt eiganzt wissen. In der 2. Hälfte der ,,heraklit. Beispiele" 8. 81, 38 und in der Abh. No. 324 gesteht er jedoch zu, daß Davidson mit seiner Konjektur oxw; rüp statt ^rep (besser Diels oxtuguep <iTup>; s. Bd. CXII S. 305) das Richtige getroffen habe. Dies ändere aber niclits an der Thatsache, dal.', in dem Fr. der Irrtum der Vielgötterei bekämpft werde. Die verschiedenen Benennungen des Feuers seien demnach ein Bild für die verschiedenen Götternamen, die auch nach Willkür im Gebrauche sind. Die ,,Eiuheitslehre" S. 33 gegebene Sammlung gleichgesetzter Götternamen (Zeus-Hades-Dionysos, Zeus- Ares, Apollon-Dionysos) sei zu vermehren durch Ai'xtjv "'Epiv Fr. 62. Diese Hineintragung von Götter- namen in die beiden Fragmente beruht auf unsicherer Vermutung. Trefflich dagegen hat P. an der zweiten der angeführten Stelleu den wahren Zusammenhang von Fr. 36 durch Streichung des Kolons vor Z^iO\idlt-ai hergestellt (s. Diels Fr. 67)]. Um Tag und Nacht des Charakters entgegengesetzter Wesenheiten zu entkleiden und sie in einen stetigen Prozeß zu verwandeln, mußte die tagbringende Sonne selbst in jenen Pro- zess hineingezogen werden ; die Sonnenbahn muß sich zu gleichen Teilen auf die zwei Seiten jenes Prozesses verteilen und ihr Gegenstück in der Nacht haben. Wirklich werden so die Grenzen von Tag und Nacht in Fr. 30 verwischt. Dieses Fr. erklärt P. abweichend von allen bisherigen Doutungsversuchen so, daß er zwei sich ähnliche Bogenlinien des Tages und der Nacht annimmt, die in Wahrheit nur eine sind: der Halbkreislinie des Tages entspricht die „rückläufig gewandelte" der Nacht, und beide decken sich; demnach giebt es auch nicht zwei Grenzpunkte, sondern nur einen gemeinsamen (apxto; = oupoi ai&pioo Aioc; oupo; entweder „Berg* oder „Grenze'* oder „Wächter des Zeus" [?]); der Höhepunkt des Tages und der Nacht ist derselbe (vgl. d. diaet. I 5). Dadurch wird die vulgäre Trennung von Tag und Nacht als handgreiflicher Irrtum hingestellt. [Diese Deutung, auf die P. „Her. Beisp." 2. H. S. 89, 101 noch einmal zurückkommt, ist sprachlich unstatthaft: die Worte xat dvTt'ov TT,; apxTou oupoc xtX. widersprechen ihr.] In diesem Sinne ist auch der Tadel Hesiods in Fr. 35 aufzufassen, wo die Worte eau 7äp ev nicht mehr zum Citat, sondern zu den folgenden Worten bei Hippolyt. xal a-j'abov xat xaxov gehören (?); dagegen ist wahrscheinlich eine Bemerkung im Sinne Senecas (Fr. 120: unus dies par omni est), etwa: „ist doch ein Tag wie der andere", ausgefallen. [Aber es handelt

14 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

sich ja in Fr. 35 tun die falsche Unterscheidung von Tag- und Nacht» nicht um die der einzelnen Tage.] Auch Fr. 118 glaubt P. durch Ein- schiebniig der Negation heilen zu können; er verbessert <ou> -(auiuy.ti «puXaaaEiv (doch mit Vorbehalt; vielleicht sei auch -(ivwaxeiv 9pudcTTei oder besser (ppuaTTsxat zu lesen): „Der Wähnenden erster (eigentlich Best- gewähuter) versteht nicht zu wachen, und so wird ihn freilicli auch die Gerechtigkeit überraschend ergreifen (xaTaXT^ij^sTai prägnant wie Fr. 26)." Vgl. „Her. Beisp." 2. H. S. 77, 29. [Die Lesunj.^ wie die Erklärung sind falsch, da das Objekt des zweiten Satzes: <j;eu8uiv xexTovaf xal [i-ap- T'jpa;, das P. in der Übersetzung nicht übergehen durfte, mit dem »pu- Xoftjjetv des ersten Satzes nicht im Einklang steht und dieses (puXdcjastv absolut gebraucht unverständlich bleibt. Dadurch, daß P. vermutet, dem Fr. 118 sei Fr. 123 vorangegangen, wird zwar ein Objekt für (puXdsaetv gewonneu, aber ein besserer Zusammenhang zwischen den beiden Teilen von Fr. 118 nicht hergestellt.] In manchen Fragmenten sind auch die ersten Worte H.s mit der Paraphrase des Erklärers zusammengeflossen. So genügt es in Fr. 62 nicht, mit Diels (Jen. L.-Z. 1877; eptv nach öuTjv zu streichen; auch die folgenden Worte: xal 7ivo|xeva Ttavxa xax' epiv xal ypewfxeva (P. vermutet, daß in der Vorlage des Origenes X«>pT)jo[i.£va [?] gestanden habe) müssen, obwohl sie der Lehre H.s ent- sprechen, gestrichen werden, weil sie die Konstruktion des Satzes zer- stören und inhaltlich mit dem ersten Satze nichts zu thun haben [beide Gründe treffen nicht zu].

Im zweiten Teile der Abh. sucht P. aus den vorhandenen Frag- menten die Anfänge des heraklitischen Buches, die nach seiner Über- zeugung die Fundamentallehre des Ephesiers enthalten haben müssen, nach ihrer ursprünglichen Anordnung zu ermitteln. Wir können diesem geistvollen und scharfsinnigen Rekonstruktionsversuche hier nicht im einzelnen nachgehen. P. stellt mit Bywater Fr. 1 an die Spitze (eiSevo^i, niclit eivat die richtige Lesart), fügt daran aus Fr. 19, das er für eine Umschreibung von Fr. 1 hält, die Worte: o xe xußepv^jai (so liest er statt -Q xußspvaxat bei Bywater; s. jedoch jetzt Diels zu Fr. 41 über die handschriftliche Überlieferung) Tiavxa oio. iiavxwv, läßt dann folgen: Fr. 2, Fr. 93 (unter Beibehaltung von Xo-^o)), mit dem die Fortsetzung bei Marc. Ant. (s. Bywater zu Fr. 5): xal (ot;) xai>' rjiJLepav (i-jv.opiouoi, xaüxa auxois ^eva <paivexai; das Eingeklammerte Paraphrase) ohne Inter- punktion verbunden wird (vgl. Diels Fr. 72), Fr. 3, Fr. 111 bis ifOL^oi (die zweite Hälfte, die, als Fortsetzung der ersten gedacht, dieser wider- sprechen würde, trennt P, von ihr als ein besonderes Fragment; ebenso Diels). Hinter d^aöoi nimmt er dann eine Lücke an und schließt die Reihe mit Fr. 91, dem er die von Bywater ausgelassenen, von Diels (Fr. 2) jetzt wieder aufgenommenen Worte öto oei iireabai xw ^uvuj an-

Beliebt über die griecLischea Philosophen vor Sokrates. (LortziQg.) 15

schließt, und Fr. 92. Aus dieser Fragrmentenreihe gewinnen wii-, wie P. ausführt, zwei grundlegende Lehrsätze des Systems: den voiu allwissenden Einen und den von der Allgemeinsamkeit der Vernunft. Die Allvernunft uud mit ihr die Allgerechtigkeit kommt objektiv zur Erscheinung im Werden, in der Bewegung, in dem einheitlichen Leben der Gesamtheit. Eine Vergleichung des zweiten Satzes mit der nega- tiven Wendung in Fr. 18: 'zo':^ri-i ei-ri Trav-wv y.£yü)pi7|i.£vov zeigt, dali dieselbe Vielheit, die als solche keinerlei Vernunft, sondern lauter un- vernünftige Einzelwesen aufweist, zusammengefaßt und, als Feinheit be- trachtet, sofort ihres ganzen negativen Charakters entkleidet wird. Auck die Menschen, diese an sich höchst verkehrten und unglückseligen Wesen, sind als unselbständige Teile des Allguts vernünftig uud befriedigt. Alles Traurige, Gräßliche, Böse hat nur subjektive Bedeutung; vom höchsten Standpunkt ist alles gut und schön (Fr. Gl; Kleanthes b. Stob. 1 p. 26, 4 ff. Wachsm.). Die Lehre von der Allgemeinheit der Ver- nunft in lauter unvernünftigen Einzelwesen ist aber nur möglich nach Zerstörung ihres Charakters als Einzelwesen durch Leugnuug der Indi- viduation. H. mußte demnach beweisen, daß trotz des Scheins der Viel- heit eine Einheit existiert. Diesem Nachweise hat er in der That einen stattlichen Teil seines Buches gewidmet, indem er in zahllosen Beispielen die Einheit der Gegensätze darlegte. Zn dieser Darlegung leitet Fr. 65 über, dem der dritte Platz neben jenen ersten beiden Gedanken zu gebühren scheint: „Eines, das allein Weise, will und will doch nicht genannt werden mit dem Namen des lebendigen Gottes (Ztjvoj).'' Unpassend ist der Name deshalb, weil das mit ihm genannte Wesen ebensogut Hades ist, vielleicht auch, weil das Eine zwar göttlich, aber kein Gott ist, sondern nur ein gesetzmäßig sich verändernder, nach zwei Richtungen sich bewegender Stoff. So genannt werden aber will es, weil nach der Volksmeiuuug das erste Attribut des höchsten Gottes der Blitz war uud dieser ein Ausfluß oder richtiger ein Symbol jener Kraft ist, die das All weiter und zurück bewegt zum Urfeuer (Fr. 28). Die zweite durch Fr. 65 angekündigte Auf- gabe H.s war der konkrete Nachweis, wie in der thatsächlichen Ein- heit der Schein (den Ausdruck brauchte H. nicht, aber die Vor- stellung hatte er; vgl. Fr. 81: £I[jl£v te xai my. elfj-sv) die Vielheit entstehen kann. Dies ist der Ausgangspunkt der Physik H.s. Farmen, mit seiner Lehre vom „unzerstörbaren gesetzlichen Schein'' neben einer darüber erhabenen Seinslehre bezeichnet den nächsten Schritt in der Entwickelung des philosophischen Gedankens. Mit der Leugnung de» Prinzipes der Individuation bekämpft H. auch das Ich- oder Selbstbe- wußtsein, die lot'a 9povr,c7ic als Gegensatz der Gemeinempfindung (vgl. das Bild von den Kohlen, die sich mit einem größeren Feuer zu einem

l(i Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

nnunterschiedeiien Brande mischen, bei Sext. math. 7, 130 uud d. diaet. I 29). Auf der Suche nach dem Ich als einem Seienden (Plotin bei Byw. zu Fr. 80: (uc iv xcov ovxoiv) fand H., daß es überhaupt kein dauei'ndes Ich giebt, daß auch die menschliche Seele dem allgemeinen Prozeß als ein unselbständiger Teil des einen Vernünftigen augehört (vgl. Fr. 1 oux £}X£Ü, aX).a toü Xo^ou).

Diese Arbeit Patins verbindet mit gründlicher und umfassender Qaelleukenntnis großen Scharfsinn und eindringendes, tiefes Verständnis lür den Kern der heraklitischen Philosophie. Sie ist daher mit vollem Rechte von Di eis in seiner Rezension (Arch. I 102 ff.) neben der fast gleichzeitig erschienenen Abhandlung von Gomperz, mit der sie sich in manchen wesentlichen Punkien berührt, als „ein eindringender und be- achtenswerter Beitrag zur Heraklitlitteratur" bezeichnet worden. Aber diesen Vorzügen stehen erhebliche Mängel gegenüber. Der Scharfsinn Patins artet nicht selten in Spitzfindigkeit und ein Übermaß von Spür- sinn aus. Dies zeigt sich besonders in der Interpretation und Textkritik der einzelnen Fragmente, die zwar oft mit glücklichem Blicke das Richtige trifft, noch öfter aber ihr Ziel verfehlt. Zu den oben einge- schalteten Bemerkungen über solche Mißgriffe füge ich noch zwei weitere hinzu. Das auf Bias bezügliche Fr. 112 soll nach.P. dem Fr. 18 voraufgegangen sein: er sieht in ou tiXeiojv X070; (112) eine spielende Beziehung zu fjy.6<j(ii-j X070U; (18) und zugleich in dem Worte X670C an der ersten Stelle einen beabsichtigten Doppelsinn (,die Rede, die von Bias geht" und „die Vernunft in seiner Rede"). Das ist ein bezeichnendes Beispiel von der Sucht des Verf., bei dem „Dunkeln" gekünstelte und frostige Wortspiele aufzuspüren, wie sie uns noch häutiger in den „Her. Beisp." als in der vorliegenden Schrift entgegen- treten wird. Die gleiche Sucht hat ihn auch in der Erklärung von Fr. 3 irre geleitet, wo nach ihm «pattc nicht, wie Beruays mit Recht angenommen hat, „Sprichwort", sondern den „Ausdruck selbst", nämlich das voraufgehende (J^uvetoi bezeichnet, indem dieses das Beisammensein mit dem Gemeinschaftlichen (= ^uveto?) in sich tragen und doch eine Trennung davon bedeuten soll. Eine zweite Quelle fehlerhafter Be- urteilung der Bruchstücke ist die Voreingenommenheit Patins für ge- wisse von ihm vorausgesetzte, aber nicht bewiesene Lehren H.s, die ihn nicht nur, wie wir gleichfalls oben wiederholt gesehen, zu falschen Erklärungen und Athetesen einzelner Fragmente verleitet, sondern auch seine ganze Auffassung vom Wesen der heraklitischen Philosophie sowie die damit zusammenhängende Anordnung der nach seiner Meinung den Anfang der Schrift H.s bildenden Bruchstücke in verhängnisvoller Weise beeinflußt hat. Was zunächst diese Anordnung betrifft, so ergiebt sie. von der Lücke nach a^aöoi in Fr. 111 abgesehen, einen wohlgefügten.

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 17

in sich abgerundeten Gedankenkoraplex. Aber daß H. wirklich sein Buch so begonnen habe, ist damit nicht bewiesen, da wir nicht wissen, wie er seinen Stoff eingeteilt und geordnet und ob er bestimmte Haupt- sätze seines Systems an den Anfang gestellt hat. Ebensowenig läßt sich behaupten, daß zwei Fragmente, die ihrem Inhalte nach verwandt sind und ihrer Form nach sich bequem aneinanderfügen, auch im Original bei einander gestanden habeu müssen. Es erheben sich aber gegen die Richtigkeit der Patinschen Rekonstruktion zwei gewichti^'e positive Be- denken. Erstens ist durch Sextus und Aristot. Fr. 2 und nicht Fr. 1 als Buchanfang bezeugt, und es ist unmethodisch, diese gewichtigen Zeugen beiseite zu schieben. Daß das 6s am Anfang' von Fr. 2 kein Hindernis für die Annahme bildet, H. habe so begonnen, zeigt Zeller 630, 1 (vgl. Diels zu Fr. 1). Zweitens ist es nach der Bemerkung, mit der Sextus 7, 133 von Fr. 2 zu Fr. 92 überleitet, wenig wahr- scheinlich, daß dieses von jenem durch eine mit Hinzurechnung der von P. angenommenen Lücke doch verhältnismäßig lange Ausein- andersetzung getrennt war. Ich vermute daher, daß zwischen beiden nur Fr. 91 stand, dessen engen Zusammenhang mit Fr. 92 P. richtig erkannt hat. Die sonst von P. dazwischen geschobenen Bruchstücke mochten an anderen Stellen des Werkes ebenso gut, ja vielleicht besser am Platze sein; denn liier variieren sie doch eigentlich nur den in Fr. 2 ausgedrückten Gedanken und rufen daher den Eindruck einer mit der lapidaren Kürze H.s nicht recht verträglichen Breite der Ge- daukenentwickelung hervor. Nun glaubt freilich P. zwischen diesen Fragmenten eine Kette von Beziehungen, die auf den verschiedenartigsten Wortspielen beruhen, entdeckt zu haben und sieht darin eine Gewähr tür die Richtigkeit seiner Anordnung. Aber gerade diese Fülle etymo- logischer Künsteleien, die wir, wie bereits bemerkt, bei H. nicht suchen dürfen, scheint eher gegen als für Patins Reihenfolge zu sprechen. Für die Ansetzung einer Lücke vor Fr. 91 endlich liegt kein zwingen- der Grund vor, da die Lehre von der gemeinsamen Vernunft, wie auch Sextus erkannt hat, schon in Fr. 2 deutlich genug entlialten ist. In der Auffassung der Lehre H.s hat P. weit schärfer, als dies vor ihm geschehen w'ar, die Einheit und Harmonie der Gegensätze in dem „all- weisen" Einen als einen Hauptbestandteil des Systems hervorgehoben und sich dadurch um die tiefere Erkenntnis dieses Systems ein unleugbares Verdienst erworben. Aber auch hier schießt er über das Ziel hinaus, indem er von der Weisheit des Einen das Einzelne und Individuelle völlig scheidet und das Weise in der Vielheit der Dinge überhaupt nicht zum Ausdruck kommen läßt. Er kann sich hierfür nur auf Fr. 18: oo'fov esTt TtavTcov x£yiüptp3|x£vov berufen. Aber diese Getrenntheit des Absoluten von jeder Sonderexistenz darf bei H. noch nicht im Sinne Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (lOCö. I.) 2

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Diese Arbeit Patins verbindet mit gründlicher und umfassender Quelleukenntnis großen Scharfsinn ui rindringendes, tiefes Verständnis lür den Kern der heraklitischen Phisui.hie. Sie ist daher mit vollem Rechte von Diels in seiner Rezensii (Arch. I 102 ff.) neben der fast gleichzeitig erschienenen Abhandluuf.von Gomperz, mit der sie sich in manchen wesentlichen Punkten berüK. als ^eiu eindringender und be- achtenswerter Beitrag zur Heraklitlieratar" bezeichnet worden. Aber diesen Vorzügen stehen erhebliche Jin!,'el geeenüber. Der Scharfsinn Patins artet nicht selten in Spitztiu.gkcit und ein Übermaß von Spür- sinn aus. Dies zeigt sich besondere.! der Interpretation und Textkritik der einzelnen Fragmente, die zw;i ott mit glücklichem Blicke das Richtige trifft, noch öltor aber ihr it 1 verfehlt. Zu den oben einge- schalteten Bemerkungen über solo* MiCgrifTe füge ich noch zwei weitere hinzu. Das auf Bias beztliche Fr. 112 soll nach P. dem Fr. 18 voraufgegangen sein: er sbt ia ou rXeuüv h/^oz (112) eine spielende Beziehung zu oxoacuv ao-.oi i 18) und zugleich in dem Worte X670; an der ersten Stelle einen b.-j^i' btigtcn Doppelsinn (,die Rede, die von Bias geht" luitl „die Veruiit in seiner Rede"). Das ist ein bezeichnendes Beispiel von der Siut des Verf., bei dem .Dunkeln* gekünstelte und frostige Wortspir :\ufzaspüreu, wie sie uns noch häufiger in den „Her, Heisp." als iiiier vorliegenden Schrift entgegen- treten wird. Die gleiche Sucht \t ihu auch iu der Erklärung von Fr. 3 irre geleitet, wo nach ihm .-■: nicht, wie Bernays mit Recht angenommen hat, „Sprichwort", sonn n den .Ausdruck selbst", nämlich das voraufgehende dSüveroi bezeichn«, indem dieses das Beisammensein mit dem Gemeinschaftlichen {^ ;uv-6;) in sich tragen und doch eine Trennung davon bedeuten soll, hie zweite (Quelle fehlerhafter urteilung der Bruchstücke ist die Voreingenommenheit Patins ' wisse von ihm vorausgesetzte, abei nicht bewiesene Lehren ihn nicht nur, wie wir gleichfalls <en wiederholt gesehen. Erklärungen und Athetesen einztlnt Fragmente verleitet, seine ganze Auffassung vom Wesen ler heraklitischen P' die damit zusammenhängende Anomung der nach sei' Anfang der Schrift H.s bildenden tuchstücke ii beeinflußt hat. Was zunächst dies« Anordnung von der Lücke nach a^aöoi in Fr. 1 1 ab|E

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ifür nur auf .lese Getrenntheit des jgpHli^JTcht im Sinne (1903. I.) 2

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den anaxagoreischen vou; als eine von Anfang an gegebene und dauernde Absonderung gefaßt werden; sie ist vielmehr auf den einen Moment der Weltvcrbrennung und des Weltgerichts zu beschränken, in dem alles Einzelleben aufgehoben und vernichtet erscheint. Vgl. Fr. 26 und Diels zu Fr. 06 und 108 seiner Sammlung. In der gegenwärtigen Welt dagegen mit ihrem Wege nacli oben und nach unten herrscht das rastlose Hervorgehen aller aus dem Einen und ihre Rückwandlung in das Eine: ex ticxvtojv Iv xal e^ evos Tidvia (Fr. 59). So ist auch allein Iv Travxa elvai: „alles ist eins" in Fr. 1 zu verstehen. P. hält hier mit Unrecht an der überlieferten Lesart eioevat fest, die durch die vor- aufgehende Paraphrase des Hippel.: <tv> iravta elvai xo -av wider- legt wird. Indem Verf. jenes absolute Verschwinden aller Gegensätze in dem alles verzehrenden Einen am Ende der Welt in einen schon in der Welteutwickelung sich beständig wiederholenden Prozeß ver- wandelt, hebt er im Grunde die doch auch von ihm nachdrücklich be- tonte Gegensatz- und Flußlehre auf und setzt den unablässigen Wechsel der Dinge, der nach H. das Allerrealste ist, zu einem bloßen Schein herab. Damit wird der scharfe Gegensatz zwischen H. und Parm. verflüchtigt und jener zum Vorläufer, ja fast zum Begründer der elea- tischen Lehre gemacht. Dann bleibt es aber ganz unerklärlich, wie ihn Parm. so scharf und so rücksichtslos bekämpfen konnte. Die An- näherung zwischen den beiden Antipoden wird dadurch noch größer, daß P. den Eleaten seiner Lehre vom Schein in gewissem Sinne eine innere Berechtigung beilegen läßt, wie er es in seiner 1899 erschienenen Schrift „Parm. im Kampfe gegen H." des Näheren dargelegt hat. Vgl. darüber vorläufig meine Rezension dieser Schrift in der Berl. Ph. W.-Schr. 1900, 1283 ff.

In der ersten Hälfte von No. 320 schließt P. aus einer Bemerkung des Diodotos bei Laert. 9,15, das Physikalische bei H. erscheine nur in der Form des Beispiels [P. beachtet nicht, daß der Hauptgegensatz hier in den Worten ou irspl cpuasu)? elvat a6-^-;pa.\i\ia, öcXXa uspl TroXtieia? ent- halten ist], und aus einer Stelle bei Philon in Gen. III 5 (II 178 Aucher), daß das Physikalisch-Dogmatische bei H. nur einen sehr ge- ringen Umfang hatte und der weitaus größere Teil der Lehre von den Gegensätzen und ihrer Harmonie diente, zu deren Begründung er ein „ungeheures" Material zusammengebracht habe. Deutliche Spuren solcher heraklitischen Beispiele findet er zunächst in der angegebenen Stelle Philons, in weit größerem Umfange aber in einer zweiten Stelle desselben Autors (Qu. rer. div. haer. 43), aus deren Analyse er eine vollständige Tafel heraklitischer Gegensätze in fünf großen, scharf um- grenzten Abschnitten gewinnt. Dem Thema des dritten Teils dieser Tafel: „Die Harmonie der Gegensätze in den nachahmenden Künsten

Bericht über die giiechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 1<J

des Menschen" dient auch die ausführliche Beispielsammlung in tc. ötotttT]; I c. 11 24. P. unterzieht die einzelnen Abschnitte dieser Sammlung einer sehr scharfsinnigen, aber äußerst breiten und verschlungenen Untersuchung-. Während Bernays vornehmlich auf die Ähnlichkeiten zwischen dem Diätetiker und H. sein Augenmerk richtete, sucht er nach Widersprüchen, nach einer spröden Masse auf dem Grunde, die sich der i:berarbeitung nicht gefügt hat, und findet auf diesem Wege eine Anzahl von Beispielen, die ihrer gegenwärtigen Bestimmung nur widerwillig dienen und dadurch einen anderen Ursprung erkennen lassen. So schält er aus der krausen Umhüllung einen Kern echter heraklitischer Beispiele heraus. Zu diesen gehören besonders alle die, in denen als Vorbild der menschlichen Kunst die Xatur im allgemeinen geschildert, und nicht an ihre Stelle im Sinne des Diätetikers die menschliche Natur gesetzt wird. Das Thema aller dieser Beispiele H.s ist: ,Die Menschen, diese unselbständigen Teile des einheitlichen Alls, unterliegen wie die Dinge dem weisen Walten der Einheit, stehen unter ihrer all- mächtigen Leitung. Ohne es zu wissen oder nur zu ahnen , gehorchen sie deshalb in ihren Künsten den Gesetzen des werdenden Alls und wenden sie nachahmend zu ihren Zwecken an." Diesen Grundgedanken hat H. in einer Fülle von Doppelbeispielen veranschaulicht, die den einzelneu Gesetzen seiner Kosmogonie P. zählt deren 8 entsprechen. Ihr Endergebnis ist: „Auch der Mensch verschwimmt in dem allgemeinen Flusse der Bewegung. Seine Individualität, sein Ichbewußtsein zerstört: das ist die Idee, der sich H. gerühmt, als seines einzigen originellen Be- sitzes." — Erwiesen hat P. durch diese Analyse nur, daß dem Diätetiker eine reiche Sammlung von Beispielen vorlag, durch die die heraklitische Gegensatzlehre im Thun und Treiben der Menschen , vornehmlich iu ihren Handwerksbräuchen und Künsten als unbewußt wirkend und nach- geahmt aufgezeigt werden sollte, und daß er die seiner Vorlage ent- lehnten Beispiele vielfach iu handgreiflich ungeschickter und gewaltsamer Weise für seine abgeschmackte Vergleichung der menschlichen Gewerbe und Künste mit den physiologischen Vorgängen im menschlichen Körper verwandt hat. Aber eine solche Zusammenstellung auf H. selbst zurück- zuführen haben wir kein Recht. Unter den erhaltenen Fragmenten ge- hört diesem Kreise nur das von den Walkern (50) und allenfalls das von den Ärzten (58) an, und gerade hier lehrt der Vergleich mit d. diaet. c. 14 und 15, daß die in dieser Schrift benutzte Vorlage von der heraklitischen Fassung nicht unbedeutend abgewichen sein muß. Um so weniger ist es zulässig, auch die übrigen Beispiele des Diätetikers, von denen keiner durch irgend ein bestimmtes Zeugnis H. beigelegt wird, bei diesem zu suchen und gar aus ihnen durch allerlei künstliche Kombinationen (vgl. z. B. die Ausführungen über Lyrik und Mautik

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20 Hcriclit über die griechiecheii Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

S. 34 ff. sowie die über Schreibkunst S. 84 ff.) eine geordnete Reihe au einander sich anschließender üoppelbeispiele (solcher Doppelbeispiele linden sich unter den Fragmenten keine außer dem gerade in d. diaet. nicht vorkommenden vom Bogen und der Leier) herzustellen. Manche Sätze in d. diaet. klingen ja allerdings stark heraklitisch, und einzelne von ihnen wie z. B. in c. 11: o', avi^prouoi ex xuiv cpavepöiv xa d'pavea axen-ecjilai oux ejiioTavxai mögen wirklich von H. herrühren, wenn sich auch Sicheres darüber nicht ausmachen läßt. Aber eine so spezialisierte und systematische Aneinanderreihung von Beispielen zur Veranschau- lichung einer Folge von Lehrsätzen scheint der altertümlichen und knappen Weise des Ephesiers nicht zu entsprechen, sondern auf eine spätere Zeit, etwa die der Sophistik, hinzuweisen. In dieser Zeit also mag die Vor- lage des Diätetikers von einem Herakliteer verfaßt worden sein, der vielleicht einzelne seiner Beispiele bei H. vorgefunden und mehr oder minder wörtlich übernommen, andere aber und wohl die meisten nach dem Vorbilde des Meisters erfunden hat.

In der zweiten Hälfte von No. 320 bemerkt P., daß des hera- klitische „Beispiel" Schule gemacht habe; so, außer bei dem. Diätetiker, bei Demokrit, Aristipp, Protagoras, Melissos, Anaxagoras, besonders aber in der älteren Skepsis. Am häufigsten findet es sich bei Sextus. Die ganze Beispielflut zur Erläuterung des 1. Tropus (hyp. I 42 ff.) ist der Hauptsache nach auf H. zurückzuführen. Schwer freilich ist es, das Heraklitische aus Sextus herauszuschälen, da andere Philosophen zu dem überkommenen Stoff immer neuen hinzugefügt haben. Aber an einer unverkennbar heraklitischen Stelle läßt sich eine geschlossene Kette heraklitischer Beispiele nachweisen, ähnlich der, die sich aus Vergleichung von Fr. 51 mit 8 und dem von By water (s. Bd. CXII S. 298) entdeckten Fr. (4 Diels) ergiebt (Menschen Rinder Esel, Gold Kehricht), wenn mau die dort von Sextus beigebrachten Beispiele mit Fr. 52, 53 und der von Byw. zu 54 angeführten Stelle bei Clemens von den Schweinen, die sich im Kote lieber als im reinen Wasser wälzen (P. ergänzt hier zu cp/jaiv: 'HpaxÄeixo? und sieht in den Worten ein echtes Bruchstück), zusammeusiellt. Aber auch sonst finden sich im 1. Buche des Sext. zahlreiche Beispiele heraklitischer Form, die zum Teil bei Lukrez IV 322 466 wiederkehren. Dieser hat hier und au anderen Stellen seines Gedichtes Derartiges aus Epikur geschöpft, der wiederum durch Demokrits Vermittelung viel unverfälscht Hera- klitisches aufgenommen und weitergegeben hat. Indem so eine Fülle von Beispielen in den Bestand der Epikureer, Stoiker, Akademiker und ganz besonders der Stoiker übergegangen ist, nimmt H. nicht bloß durch seine Gegensatzlehre überhaupt, sondern auch durch sein induk- tives Beweismaterial eine beherrschende Stellung ein. Auch hier ist

Bericht übor die griechischen Philosophen vor Sokratos, (Lortzing.) 21

gef,en Patins Verfahren dasselbe Bedenken 7.i\ erheben wie gegen seine Bereicherung des heraklitischen Besitzstandes aus dem Buche d. diaer^ Manches einzelne mag in der That auf H. zurückj^elien; aber jene streng- geschlossenen, raanniüfacli verschlungenen Ketten von Beispielen sind künstliche Gebilde, deren heraklitischer Ursprung von P, nicht er- wiesen und an sich wenig wahrscheinlich ist. Nach einem Exkurse über „Aeuesidem und die Einheitslehre % der sich mit beachtens- werten Gründen gegen Pappenheim wendet, geht Verf. zur Besprechung der bei Byw. ausgelassenen Scholienstelle zu Nikanders Alexiph. 172 177 Abel-Vari über und sucht nachzuweisen, dalj sich hier 1. die Gegensatzlehre (Feuer Meer, zugleich Herr Knecht) verbunden mit der heraklitischen Anordnung der Elemente wiederfindet, und 2. aus dem Sturmvogel und dem Meeresschaum ein zweites Beispiel gewinnen läßt. Nebenbei die bereits unter No. 285 erwähnten Hera- klitspuren bei Herodot. In einem 2. Exkurs: «Vom weinenden Philo- sophen» legt P. treffend das Verfehlte in der Auffassung Teichmüllers und Pfleiderers (s. Bd. CXII S. 318 if.) vom biettspielenden Kinde (Fr. 79) dar. Hierbei tadelt er besonders, daß Ptleiderer ans Piaton legg. X 903 D, wo unter offenbarer Anspielung auf H.s Trsjjsutüv der Weltordner mit einem ize^jzux-q^ verglichen wird, der dem besseren Stein die bessere Stelle anweist, auf die Vorstellung einer göttlichen Fürsorge auch bei H. zurückschloß. Piaton hat vielmehr in jenem Abschnitte des 10. Buches seiner Gesetze, in dem sich überhaupt starke Anklänge an H. finden, die heraklitische Einheitslehre und so aucli den „brettspielenden Gott" nur zur Widerlegung von Einwänden gegen seine im übrigen sich von H.s Weltanschauung wesentlich unterscheidende Theodizee benutzt. P. kann auch in Fr. 79 nur eine Bestätigung seiner Auffassung des heraklitischen Grundgedankens sehen: „Mensch und Tier und was du sonst i'm dich erblickst, galt für H. nicht mehr als das Stäubchen im Meer, die Welle im Strom, der Spielstein in der Schachtel," Im weiteren hebt P. noch die Fragmente hervor, die bisher in ihrem Charakter als Beispiele für die Harmonie der Gegen- sätze nicht erkannt worden sind. Zu diesen rechnet er vor allem die, welche man bisher dem theologischen Teil zugewiesen hat, so Fr. 97. 98. 99 (Hippias' Beispiel vom Thonfigürchen und dem lebendigen Mädchen ist hier als unheraklitisch auszuscheiden; Fr, 130 mit seinen von Neumaun und Buresch (s. Bd. CXII S. 303 f.) gefundenen Fort- setzungen; Fr. 67 verbunden mit 44; Fr. 73 (vgl. 104 und 86); 105: 102 und 101; 122, 123 und 118; 125, 128 und 124; 127 (der Sinn ist nach P.: „Schamlos wäre, wer Schamloses nicht thäte im Dionysosdienste; dieser geliebte Gott der Lust ist aber derselbe, der als Tod [Hades] gefürchtet wird"). In Fr. 67 knüpft H. zwar an den Volksglauben

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an, erhebt sich aber zugleich hoch über ihn: seine Unsterblichen stehen nicht außerhalb seines Flusses; sie gehören nicht der "Welt des Friedens, sondern der des Krieges an, dessen Geschöpfe sie sind so gut wie die Sterblichen. So verbindet H. mit dem Worte Oeoi einen von seinem göttlichen Einen sehr verschiedenen Begriff. Es giebt nur eine Seele, die alles umschließende; wohin du auch wandeln magst, du findest nicht ihre Grenze; keine Ferne, keine Tiefe, wohin ihre Vernunft nicht dränge (die Worte ou-w ßaöuv Xo-^o^ e/st Fr. 71 sind echt; so auch Diels Fr. 45). Von der großen Seele getrennte Seelenteile, von dem göttlichen Einen geschiedene Flammen brennen im Menschen, durch den Körper gewissermaßen losgerissen, durch die Sinnenthürchen ver- .bunden. Diese können entweder herabbrenneu, erlöschen oder zur gemein- samen himmlischen Glut hinaufschlagen. Einer von diesen Prozessen spielt auch bei dem, was die Menschen Tod nennen. Die Seelen derer, die selbst- los für die Gemeinschaft gefallen sind, wandeln den stolzen Weg auf- wärts, indes die Genußmenschen in Feuchtigkeit erlöschen. So gelang es H., aus seinem Lehrgebäude etwas abzuleiten, was beinahe einer Unsterblichkeit der Guten, einer Vergänglichkeit der Schlechten glich; aber für ihn war das keine persönliche Fortdauer, sondern nur der Anschluß und Umsatz ins Ev/ig-Eine. Die Dauer des Individuums ist und bleibt für ihn die greuelvollste Vorstellung. Diese Ausführungen über H.s Eschatologie (vgl. auch Patin „Neues und Altes" S. 338 ff.) haben etwas ungemein Verführerisches; die Anschauung von der Seele und ihrer Fortdauer, von dem Verhältnis der Götter zu den Menschen erscheint hier im vollsten und schönsten Einklänge mit H.s ganzer Welt- auffassung. Ob wir es hier aber nicht- bloß mit einer idealen Kon- struktion des Verf. zu thun haben und ob H. in Wirklichkeit die vollen Konsequenzen aus seinem System auch für seine Eschatologie gezogen hat, muß doch im Hinblick auf die gewaltsame Art Patins, mit be- stimmten, seiner Auffassung anscheinend widersprechenden Bruchstücken umzugehen, bezweifelt werden. Indes will ich nicht leugnen, daß eine gründliche und nüchterne Betrachtung der Fragmente und Zeugnisse, auf die es hierbei ankommt, ihm doch vielleicht recht geben könnte. Zu Gunsten seiner Ansicht spricht jedenfalls der Umstand, daß Rohde (PsA'che 442 ff.), ohne Patin gelesen zu haben, in der Zurückweisung des Glaubens an die Unsterblichkeit der Einzelseelen mit ihm zusammen- trifft (s. Bd. CXII S. 134). Sehr unwahrscheinlich dagegen ist eine andere Annahme, die P. aus dvaraueaf^at in Fr. 86 (Zeller 714, 1 will hier mit Pflciderer die Worte ^allo^ o'avaTtauea&ai gestrichen wissen) und aus dvaTraujiv in Fr. 104 ableitet, daß H. die auf alle folgenden Untersuchungen über das höchste Gut fortwirkende Entdeckung ge- macht habe, die Lust sei nichts Positives, sondern nur die Befriedigung

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eines Verlangens, die Stillung eines Schmerzes. Solche wissenschaftlich- ethischen Gesichtspunkte liegen H. fern; sie begegnen uns zuerst bei Doniokrit und auch bei diesem noch in unvoükonimoner Gestalt. Wenn P. in Piatons Philebos eine Anzahl versteckter Bezieluuigen auf H. ver- mutet und in den öeivo; dcvr^p diesen selbst, in den [xaXa oetvol -za Trepl <puotv ihn und zugleich seine Naclifolg-er, Leukipp (?) und Demokrit, zu er- kennen glaubt (Hirzel hat nur Demokrit im Auge gehabt, freilich gleich- falls, wie sich später zeigen wird, mit Unrecht), so hat er hierfür nicht die Spur eines zwingenden Beweises erbracht und bewegt sich in einem Zirkelschluß. Ebenso willkürlich ist die Behauptung, daß Theaet. 255 E f. mit den xo[j.<|;6t£(io'. Leute wie der Diätetiker gemeint seien. Den SchluT) bildet ein Exkurs „vom Kreislauf des Stoffes". Mit Recht betont er gegen Zeller (S. 698 und 700), daß die Weltzerstörung (ix- TTuptüjt?) so wenig wie die Welteutfaltung (oiaxo^ixYiJi?) als ein länger dauernder Zustand zu betrachten ist, sondern beide nur die Endpunkte zweier Prozesse, zwei entgegengesetzte Pole sind. Ebenso ist ihm zu- zustimmen, wenn er behauptet, daß in Fr. 21 keine Stoffe oder Ele- mente, sondei'n nur Elemeotarstufen gemeint sind. Es handelt sich nicht um die Elemente Wasser und Erde, sondern um das Meer als Weltteil, um das Urmeer, von dem unser Meer nur ein Überbleibsel ist, und ebenso nicht um unser Land, sondern um die Grundfeste. Es ist ein alter Irrtum der Neuplatoniker, daß der Weg abwärts mit der Weltbildung, der Weg aufwärts mit Weltzerstörung identisch sei. Der große Weltprozeß vollzieht sich in einem Kreisläufe ; aber es ist wider- sinnig, neben diesem großen Umlauf einen zweiten täglichen anzunehmen, gewissermaßen einen Kreislauf im Kreislauf. In der entfalteten Welt, wie sie in der Mitte jener Kreisbewegung erscheint (die drei Schichten des Feuers, des Meeres und der Erde unter einander) herrscht der Polemos, d°r durch ein Getümmel, einen wilden Wirbel der in einander flutenden Streitmassen die Vielheit hervorbringt (vgl. das Bild vom xuxscov, dem kosmologische Bedeutung nicht abgesprochen werden darf). In dieser Darstellung ist die Scheidung der täglichen ooo? «voj xal xa-w von dem großen Weltkreislaufe zutreffend; aber wie P. dazu kommt, aus jener, die in Wahrheit als ein Halbkreis aufzufassen ist, wie ihn die Sonne täglich beschreibt, ein „wildes Getümmel" zu machen, das er als eine unmittelbare Vorstufe der atomistischen Lehre bezeichnet (?), ist mir unverständlich: in der Überlieferung findet sich davon nicht die geringste Andeutung. Daß sich übrigens der Kreislauf der Elementar- stufe'i so völlig gleichmäßig vor- und rückwärts vollzieht, wie P. an- nimmt, ist nicht ausgemacht. Fr. 21, wonach das Meer zur Hälfte Erde, zur Hälfte Glutwind ist, und ebenso die beiden Arten der ava- öufitajic, die trockene und die feuchte, scheinen auf eine andere

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Anordnung hinzudeuten. Hier ist noch ein dunkler Punkt in H.s Lehre.

So viel auch im vorstehenden au der Methode und den Ergeb- nissen der Untersuchungen Patins auszusetzen war, so muß doch zum Schluß noch einmal ausdrücklich anerkannt u'erden, daß seine Schriften zu dem Bedeutendsten gehören, was in den letzten Jahrzehnten über H. erschienen ist. Das kurz und ohne jede Begründung ablehnende Urteil Wellmanns (Arch. VIII 295 f.) über die „Beispiele" ist daher ebenso- wenig gerechtfertigt, wie das völlige Schweigen Zelleis in der 5. Aufl. über die „Einheitslehre". Daß P. durcli dieses Schweigen, das er nicht ohne Grund für beabsichtigt hält, erbittert worden ist, läßt sich be- greifen, und man muß ihm deshalb die Ausfälle gegen Zeller am Schluß der „Beispiele" bis zu einem gewissen Grade zu gute halten, wenn auch die maßlose Heftigkeit dieser Ausfälle nicht zu billigen ist. Ein um so wärmerer Bewunderer ist ihm in F. ßoU (No. 321) er- standen, der freilich mit seiner uneingeschränkten Zustimmung zu allen wichtigen Resultaten der Untersuchungen Patins in das andere Extrem verfallen ist.

Die beiden Abhandlungen von Aall (No. 322 und 323) fassen wir in unserem Berichte zusammen, da die erste ihrem Hauptbestand- teile nach in die umfassendere zweite aufgenommen ist. A. bespricht zunächst die ersten Anfänge der Logosidee bei Thaies, Xenophanes und Parmenides, ohne etwas Neues beizubringen. Auffallend ist, daß ihm die auf stoischer Deutung beruhenden Worte bei Stob. I 1, 29 b: öaX^v vouv Tou Y.6a\xoo xov lleov als authentisch gelten, und daß er Parm. für den Vorgänger H.s hält. Der Abschnitt über Heraklit (= No. 322^) beginnt mit der Frage, wie H. dazu gekommen sei, das Feuer zum Weltprinzip zu machen. A. weiß keine andere Antwort als : Nachdem

') Hier hatte Verf. den ganzen Stoff in folgende drei Abschnitte ge- teilt: 1. genetiscb-phänomenologische Untersuchung; 2. real-inhaltliche Be- stimmung der Logosidee H.s; 3. spezielle, formale Grenzbestimmungen dieser Idee. Dem Inhalte nach hat er "in No. 323 diese Dreiteilung beibehalten, aber den ersten Abschnitt in verständlicherer Sprache als „die Hauptlinien der Philosophie H.s" bezeichnet. Auch hatte er in der früheren Abb. schärfer den trotz des alles durchdringenden Keuerstoftes doch immateriellen Charakter der Lehre H.s betont. Mehr in den Vordergrund war endlich in No. 322 die Kategorie des Ästhetischen (im weiteren, Kantischen Sinne) getreten, und er hatte diese heraklitische Ästhetik dann in eine religiöse, mechanische und ethische gegliedert. Daß er solche abstrakte moderne Bezeichnungen und Unterscheidungen, die uns in einer Darstellung des beraklitiscben Systems höchst fremdartig anmuten, später beseitigt oder doch nur, wie den Begriff des Ästhetischen, gelegentlich verwendet hat, ist nur zu billi'zen.

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Lnft, Wasser und das Unbegrenzte von älteren Denkern anfgestelit worden waren, ist mit H. das Feuer an tue Reihe izekomnien [also bloll der Abwechselung halber? Und doch thut er sich, wie A. gleich darauf sagt, in seiner Feuertheorie als „spekulativ- schöpferischer Philosoph antiken Stils" kund!]. An die schöpferische Spekulation des Physikers schließt sich die originelle Produktivität des scharfen, intuitiven Bo- obachters, die besonders in der Bewegungslehre zum Ausdruck kommt, einer Idee, die er vom Gebiete des Ästhetischen (!) aus ins Spekulative überführt, ohne jedoch das seiner Natur nach mechanische Bewegunas- problem systematiscli zu behandeln. Im n6Xe|xo; liegt nur die veran- schanlichte Modalität des gegensätzlichen Wirkens-, er ist nicht der Urheber des vorhandenen Was, sondern des dramatischon Wie der Welt. Mit H.s Thätigkeit als Physiker, spekulativer und intuitiver Denker steht seine Wirksamkeit als „Kritiker und Ethiker" nur in losem Zn-ammenliang. Obwohl er die Welt spontan erklärt und Gott aus seiner Weltauffassung ausgeschlossen erscheint, will er doch auf dieser Erde den Göttern einen Platz einräumen; die Welt wimmelt ihm von göttlichen Wesen [so nach Fr. 131, das aber unecht ist!]. Mit der Gottesidee ist aber schon der Übergang zur Logosidee gegeben: wo Gott ist, ist Geist und damit zugleich Vernunft, Gesetzmäßigkeit und Zweck (Pantheismus). ' H. hat das Universalgesetz mit dem Namen Gottes in Verbindung gebracht, aber die Verknüpfung ist lose, und in Fr. 65 schreibt er der Weisheitsmonade (so!) eine gewisse Selbständigkeit ZU; der Name des Allvaters ordnet sich dieser Idee unter; die Weisheit soll rein für sich erkannt werden können, nicht „theomorphisiert" wei'den. Ein Hauptstück der Philosophie H.s ist das Dogma von der Einheit und Harmonie aller Erscheinungen [die scharfe Hervor- kehrung dieses Lehrsatzes, die sich in der früheren Abb. noch nicht findet, ist wohl hauptsächlich auf Patins EinfluU zuiückzuführen]. Dieses Gesetz der Harmonie greift auch ins Ethische hinüber (Gut und Böse eins, das Maß, das xoivov). A. wendet sich darauf der speziellen Lehre vom Logos zu. An die Spitze stellt er eine Tafel der heraklitischen Logossprüche, in der die zweite Hälfte von Fr. 2 ihren Platz vor der ersten erhalten hat (?). In den daran sich knüpfenden Erläuterungen weist er die Bedeutung- „Rede" für X670? zurück und will iu den ent- scheidenden Fragmenten nur die Bedeutung ,, Vernunft" gelten lassen. [Richtiger ist wohl, mit Patin „Neues und Altes" anzunehmen, H. habe dem griechischen Sprachgebrauch folgend beide Seiten des 'k6-;o;, di« innere wie die äußere, in dem einen Begriffe zusammengedacht.] 1 i Fr. 23 setzt Heinze mit Unrecht Xo-jo; mit itüp gleich: es ist eine ab- surde Vorstellung, daß sich das Meer in Logos verwandele; ei; xov a'jTov X070V ist vielmehr gleichbedeutend mit xaxa x. otu. X. „eandem in

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rationera, qnalis" [s. jedoch Patin „Neues und Altes", wo zutreffend die räumliche Bedeutung von etc veiteidig-t wird; der Xo-p; gewinnt erst Gestalt durch die Bewegung des [xsTpleailat, diese verläuft in ihn]. In den Logossprüchen wird der X670? erstens als für die Menschen erfaßbar und zweitens als universell vorgestellt. Es giebt nach H. im System des Kosmos eine objektiv bezeugte Vernunft; nach dieser eingerichtet und von ihr intellektuell beherrscht, entfaltet sich uns die Welt sichtlich. Uunnterbrochen drängt sich jene Vernunft dem menschlichen Bewußtsein dermaßen auf, daß der Mensch nur irrtümlicherweise eine von ihr ab- weichende, gesonderte Quasivernunft zu besitzen wähnt. H. ist über- zeugt, daß den von ihm geoffenbarten Vernunft Wahrheiten die Unver- ständigen auf die Länge sich nicht verschließen können [dies liest A. wunderlicherweise aus den Worten in Fr. 2: «^uvetoi -/tvovxai avilpcuTtoi . . . dxoujavTE? TipcÜTov heraus, indem er als Gegensatz hinzudenkt: „aber nachher w^erden sie vernünftig", mit Ausnahme jedoch der dem Vieh ähnlichen Masse (Fr. 111); eine völlig verfehlte Erklärung, die durch die unmögliche Unterscheidung der „Masse" von den „Unverständigen" geradezu sinnlos wird]. In allen diesen Sprüchen erscheint IL als der ethisch entrüstete Kritiker. Die praktisch reformatorische Idee hat über das Interesse an der Einführung eines neuen Philosophems das Übeigewicht gewonnen. Schließlich geht G. auf die Greuzbestimmungen des Begriffes ein. Der Logos ist nicht, wie man glaubt, mit dem Feuer identisch ; diese Verschmelzung trat erst bei den Stoikern ein. (Ebenso- wenig fallen ij^uy»] und avaöujjLia^i? mit dem l6'(o? zusammen. 'Ava&u[/.iac;'.c ist als heraklitischer Terminus überhaupt verdächtig trotz Aristot. d. an. 405 a 26; sie scheint vielmehr spezifisch stoisch [aber bei Aristot. wenigstens kommt sie doch schon vor und zwar als heraklitisch]. Die Doktrin von der avaöuixtaat? konnte sich ja auch erst nach der zuerst bei den Atoniikern und bei Diogenes auftretenden Lehre von der dvaitvoy] ausbilden). Weder kommt 7:üp in irgend einem der Sprüche H.s vor, die einen eüiisch-kritischen Charakter tragen, noch ist umgekehrt dem Xo-j-o; irgendwo ein Element physischer Ursächlichkeit beigelegt. Ver- kehrterweise beruft man sich dafür, daß Phj'sisches und Psychisches (Teichmüller), l6'io<; und Ttup (Heinze) bei H. identisch seien, auf Sext. math. 7, 127 ff., der H. atomistisch-stoische Anschauungen unterschiebt [s. dagegen Patin „Neues und Altes", wo dargelegt wird, daß Sextus im Grunde mit der aus H.s eigenen Worten nachweisbaren Einheitslehre übereinstimmt, wenn er auch diese Lehre etwas deutelt und dreht, um H. mit anderen Philosophen unter einen Hut zu bringen]. Ebenso falsch ist es, wenn man den X6-^oc mit der ewigen Bewegung, mit dem Streit und dem Krieg oder mit der eifj,ocp[ji,£VY) [es ist fraglich, ob der Ausdruck, EiixapjxevY] bei H. vorkam. Das bei Stob, überlieferte, übrigens

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von Diels als unecht bezeichnete Fr. zixi yxp ei|xapix£va -avTtoc . . . , das A. ganz verkehrt übersetzt, bietet nur die Pluralform des Neutrums] und dem otxaiov gleichsetzt. Das Ergebnis fallt A. S. 43 ff. so zu- sammen: X070C ist bei H. kein „Paragraph in seinem Lehrsystem", sondern „eine ästhetische J^ormel für seine auf das Leben gehende ethische Intuition". X070; und -üp bilden bei iiim zwei verschiedene Centren. Dies ist sicher kein größerer "Widerspruch, als wenn H. die Seele mit dem Tode erlöschen läßt und anderwärts doch, wie man nach Fr. 122, 102 und 101 trotz Patin annehmen muß, eine individuelle Unsterblich- keit lehrt [vgl. dagegen, was Patin „Neues und Altes" zur Recht- fertigung seiner Auffassung bemerkt]. Der Xo-|Oc ist die intellektuelle Basis der Welt und zugleich „der Wahrheit zuverlässigstes und klarstes Ideal". Während dieser Begriff seinem Umfange nach sehr bedeutend ist, indem er das ganze Universum umfaßt, ist sein Inhalt bald erschöpft. Er erscheint so bei H. noch sehr unentwickelt; es haftet ihm noch nichts Teleologisches und Systematisches an. Im folgenden bespricht A. die Weiterentvvickelung des Logos bei Anaxagoras. Dieser hat freilich den Impuls für seine Lehre vom voü; schwerlich aus H.s Logos- sprüchen erhalten, sondern er knüpft an die eleatische und atomistische Lehre an. Der Fortschritt von H. zu Anaxag. besteht darin, daß, während jener in seinem Logos eine Norm der Vernunftmäßigkeit ge- funden hat, dieser in seinem Nus auf die wirksame Zweckmäßigkeit selbst hinw^eist. So hat die anaxagoreische Philosophie auch die Ent- wickeluug des Logosbegriffes gefördert. Eine gewisse Beachtung ver- dient auch Emped. mit seinen beiden Bewegungsfaktoren und seiner Perzeptionstheorie. Piaton hat zwar durch seine Nuslehre und vor allem durch seine Ideenlehre auf die spätere Logostheorie in hervor- ragendem Maße eingewirkt, aber das Wort X070? im metaphj'sischen Sinne kommt bei ihm nicht vor [übrigens auch bei Anaxag. nicht], ebensowenig bei Aristot. und in der Epinomis (die Worte 986 c: ov £Ta$ö XoYoc 0 TzavTcov öoioxaxo? hält A. für ein späteres Einschiebsel). Erst in der Stoa wird der Xo-co? zu einem einheitlichen Prinzip, das diese Welt gestaltet. Die nun folgenden Ausführungen über die Stoiker, die alexandrinische Philosophie, besonders Philon, und die Neuplatoniker liegen außerhalb dieses Berichtes. Die Untersuchung Aalls hat in den Besprechungen von Döring Litt. C.-Bl. 1897, 1029 ff., P. Wend- land Theol. L.-Z. 1897 No. 15, E. Wellmann D. L.-Z. 1897, 930 ff. und Patin „Neues und Altes" (vgl. aul.'erdem Ossip-Louvie ßev. philos. 1897, 312 und Adam Mind VI 428) eine vorwiegend ungünstige und besoudeis in Bezug auf H. ablehnende Beurteilung erfahren. Ich kann mich dieser Beurteilung nur anschließen. Philologisch betrachtet, ist die Arbeit durchaus minderweitig. Verf. versteht zu wenig Griechisch.

28 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

Zum Beweise dafür mögen außer den bereits angeführten noch folg-cnde Proben seiner Behandhing der Frag-mente dienen, In die Worte d. diaeta c. 11: «puiiv ol Trav-e? (so liest er, offenbar nach der Kühnschen Ausgabe, statt des jetzt handschriftlich gesicherten TiavTwv) rjtExoajjLrjaav ■KxX.^ die er unter fälschlicher Berufung auf Patin für echt heraklitisch hält, legt er den 8inn hinein, dad sich an der Ausstattung (?) der Natur alle Götter beteiligt haben, alle göttlichen Hände (?) mit ihrer Ausschmückung (?) beschäftigt waren, und daß sich die Götter dieser Arbeit ehrenvoll entledigt haben (so übersetzt er ozo^a 6s ftsol Sieftsaav opOöi? £/£t!). Fr. 91 wird q'jv v6(p X£-fovT7.s so wiedergegeben: „die, welche glauben, etwas Anständiges sagen zu können (!!). Das Stärkste in dieser Hinsiclit bietet die Erklärung von Fr. 48: „Lasset ans nicht, wenn wir uns über die großen Sachen verständigen wollen, Verfängliches (dy.r^l) beibringen (jup-ßaXojiJLEfla!)." Soll man da noch an Druckfehler glauben, wenn man „Pythagoräer" und „pythagoräisch" liest, um von den zahlreichen Fehlern in griechischen Citaten zu schweigen (fast durchweg z B. Sttoi/oi!)? Auch von Quellenkritik ist keine Rede. Nirgends prüft Verf., ob die von ilim als Belegstellen angeführten Fragmente, wie z. B. Fr. 131, 133, 106 und 107, als echt anzusehen sind. Aber nicht bloß in der rein philologischen Behahdlung der Bruchstücke, sondern auch in der Erfassung des philosophischen Gehaltes der heraklitischen Lehre vermißt man die gesunde historische Methode. Gerade was er nach der Ankündigung im Anfang der 1. Abh. anderen vorwirft und seihst zu vermeiden verspricht, das Hineintragen späterer Anschauungen in die Gedanken H.s, findet sich bei ihm iu reichlicherem Maße als bei den meisten seiner Vorgänger. Was in dem anschaulichen Denken des Ephesiers noch ungeschiedeu liegt, Sinnliches und Geistiges, Natürliches und Göttliches, Physisches und Ethisches, scheidet er und stellt er zu einander in Gegensatz. Glaubt er doch im Ernste, daß die Gegenüberstellung von vorixov cp'lj? und aiJÖYjxov ffuic in den "Worten, mit denen Clemens Fr. 27 einleitet, wenn nicht wörtlich, so doch dem Sinne nach, auf H. zurückgehen. Kein Wunder, daß er auf diesem Wege zu dem grundfalschen Ergebnisse gelaugt, X670C und Tiup seien völlig verschieden, jener habe ausschließlich eine ethische, dieses lediglich eine physikalische Bedeutung. Hätte er es der Mühe für wert gehalten, auf H.s Psychologie und Eschatologie ein wenig ein- 'zugehen, so hätte ihm nicht verborgen bleiben können, daß das Feuer in der Seelenlehre H.s und in seinen Vorstellungen vom Jenseits eine wesentliche Rolle spielt. Daß umgekehrt dem X670C eine kosmische Bedeutung zukommt, hat er zwar erkannt und au mehreren Stellen ausgesprochen, setzt sich aber damit nur in Widerspruch mit seiner Hauptthese, wie denn überhaupt die Entwickelung der Gedanken bei

Beriebt über die griechischen Philosophen vor Sokrates, (Lortzing.) 29

ilim vielt'uch an bedenklicher Unklarheit leidet, ein Maugel, der doch nur zum geringeren Teile auf seine ungeschickte Handhabung der deutscheu Sprache (A. ist Schwede) zuiückzuführen ist. Für H. ist das Prinzip der Dinge etwas ewig Bewegliches und Lebendiges, das ihm bald als Stoff angeschaut, Feuer, bald, als vernünftiges, in allen Wand- lungen des Stoffes herrschendes Gesetz X670;, dann wiederum als Ur- sache des ewigen Auseinauderstrebens und Ineinanderzuiückkehrens der Gegensätze Krieg und Harmonie heißt u. s. w. Alle die verschiedeneu Benennungen, die A. streng vom X070C geschieden wissen will, sind in Wahrheit nur die verschiedenen Seiten des einen, alles vernünftig lenken- den Feuers. Bei einer solchen Anschauung lassen sich auch Ethisches und Physisches nicht trennen; sie sind vielmehr durch eine innige Wesensgemeiuschaft verbunden. Daß A. dieses Verhältnis verkannt hat, ist ein Anachronismus. Er hätte es aus den Darstellungen von Heinze, Zeller, Gomperz und Patin ersehen können, mit denen verglichen seine Arbeit einen entschiedenen Rückschritt bedeutet. Aus Patius kurzer Abh. (No. 324), die zur Verteidigung seiner Ansichten anderen, be- sonders Aall gegenüber geschrieben ist, haben wir alles Wichtige ge- legentlich schon erwähnt.

Mariupolsky unterscheidet in der Entwickehuig der Evolutions- theorie zwei Phasen: in der ersten handelt es ich um das Wie, in der zweiten um das Warum in der Entstehung der Dinge; die eine hat die Entfaltung, die andere die Entwickelung der Natur zum Gegen- stande. Von diesem Gesichtspunkte aus bespricht er in 4 Abschnitten: 1. H. S. 1—14; 2. die Stoa; 3. Telesius und Bruno; 4. Hobbes. Für uns kommt nur der erste Abschnitt in betracht, und auch dieser nur insoweit, als er eine rein geschichtliche Darstellung der Lehre H.s giebt oder geben will; auf die von den ganz modernen Begriffen der Entfaltung and Entwickelung ausgehende Kritik am Schlüsse des Ab- schnittes können wir uns hier nicht einlassen. Gewiß hat eine solche Kritik ihre volle Berechtigung, aber sie kann leicht den, der sie übt, dazu verleiten, den antiken Denkern moderne Anschauungen und Begriffe unterzuschieben. Zwar hat sich M. vor dieser Klippe im allgemeinen geliütet(s. jedoch die unleidlich modernisierende Übersetzung von Fr. 78); aber eine andere Gefahr hat er nicht in gleichem Maße vermieden. Sie besteht in der Schwierigkeit, von der Darstellung der ältesten Sy- steme nicht nur rein moderne und nicht nur platonische, aristotelische oder stoische Vcistellungen fernzuhalten, sondern auch solche, die erst auf späteren Entwickelungsstufen der vorsokratischen Philosophie zur Ent- faltung gekommen sind. Wenn es S. 3 heißt: „Das Prinzip des „Werdens" als etwas für H. Unzeitgemäßes, Verfrühtes hiuzustelien, können [lies: hinstellen können] wir schon darum nicht, weil das ent-

30 Beriebt über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

fiegengesetzte Prinzip des ,Seins', was niemand bestreiten wird, schon bei Parni. zu finden ist", so ist dagegen zunächst einzuwenden, daß der ,,BegTiif des Werdens" bei H. uocli keine selbständige Ausprägung er- lialten hat: eine solche begegnet uns erst im sopliistischen Zeitalter bei den Neuherakliteern und Protagoreern (s. Piatons Theaet.), während H., nach den erhaltenen Bruchstücken wenigstens, nur den Gegensatz und die Harmonie von Sein und Nichtsein kennt (eT[ji.ev xe xal oux eljxsv Fr. 81). Unausgesprochen liegt ja allerdings der Lehre von dem Aus- einandergehen der Gegensätze die Anschauung des Werdens zu gründe, und dies ist auch den auf H. folgenden Philosophen nicht verborgen geblieben, die im Gegensatze zu jenem einmütig die Möglichkeit einer qualitativen Veränderung bestreiten. Der erste unter den Gegnern H.s aber ist Parm. ; denn es ist, wie wir wiederholt bemerkt haben, ein Irrtum, anzunehmen, H. habe nach Parm. geschrieben und sich gegen diesen (M. meint sogar, auch gegen dessen Schüler Zenon!) gewendet. Im allgemeinen hat H. die Hauptpunkte der Lehre H.s ziemlich zutreffend hervorgehoben und einige beachtenswerte Betrachtungen daran geknüpft, wie die, daß H. von einer allmählichen Vervollkommnung der Natur nichts weiß und die Weltentfaltung bei ihm kein Progreß, sondern ein Regreß ist. Nicht ungeiiigt aber darf bleiben, daß die von M., übrigens nur in deutscher Übersetzung und ohne Quellenangabe, seiner Darstellung eingeflochtenen Fragmente zum nicht geringen Teile gar nicht zu den wirklichen Fragmenten gehören, sondern teils der Schrift d. diaeta, teils den an die Citate sich anschließenden Zusätzen der Quellenschriftsteller entnommen sind. Warum M. die übrigen vorsokratischen Philosophen, von der ganz gelegentlichen Erwähnung der ältesten lonier abgesehen, von seiner Darstellung ausgeschlossen hat, ist unverständlich. Eine Weltentfaltung findet sich doch nicht bloß bei H,, sondern in den Sy- stemen fast aller Philosophen von Auaximander bis auf Anaxagoras und Demokrit, die Eleaten ausgenommen (vgl. jedoch auch hier die A6$a des Parm.). Besonders zu verwundern ist es, daß er die Ansätze zu einer Art von Descendenzlehre bei Anaximander und Emped. gar nicht beachtet hat.

Zu G. Mayer (No. 328) verweise ich auf die kurze Inhalts- angabe bei Diels Arch. I 102 sowie auf die Besprechungen von Thilo Zschr. f. exakte Philos. 15, 412 ff. und von Köber Zschr. f. Philos. 90, 2 S. 315 f.

Zur Kritik des Textes der Fragmente ist fast alles Wichtige bereits in den vorstehenden Besprechungen bei- gebracht worden. Hinzuzufügen wären noch etwa folgende Vermutungen. In Fr. 12 hält Rohde Psyche 356, 3 die Worte -/iXtujv steojv l^ixvaexaL

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 31

TT, <fwv^ ota xov i)£ov für einen Zusatz Plutarchs, wiihreud Schleier- macher und Diels (Fr. 92) ota tov Oeo'v als echt ansehen. Fr. 39 vermotet Diels doxogr. 163,2 zweifelnd <>u-/p6v statt xa <\i'r/pd. In dem von Byvv. in der Anm. zu Fr. 4G angeführten, von Diels wieder in den Text (Fr. 124) gesetzten Citat aus Theophr. Metuph. 15 schreibt Diels Jeu. L.-Z. 1877, 393 flf. und in seiner Ausg. adpixoL für aapf. Fr. 62 für ypewixsva Diels Jen. L.-Z. 1877, 394 uud Wilamowitz Herakl. II 68: ypetov (ebenso Zeller 655,3). Fr. 91 Weil rev. de philo], II 85 f. vooi für vo|xot. Am Schluß dieses Fr. Patin ,,Quellenst. zu Her." I^apxssi <TravTa> tcöcji. Den bei Stob. flor. I 180a den folgenden Sokratessprüchen zugewieseuen, von Ilense abgetrennten Satz: <l'y/r^i ejti X070; eau-öv a'j;o)v hat nach Diels (zu Fr. 115 seiner Ausg.) 11. Sehen kl [wo?] mit Recht für H. in Anspruch geuommen.

F. Empedokles.

1. Zur Kritik uud Erklärung der Fragmeute.

*328. S. Reinach, Le texte d'Empedocle. L'Iustr. publ. 1876 S. 165—167. 183—184. 247—249. 277—279.

329. H. Diels, Studia Empedoclea. Hermes 15 (1880) S. 161 -179.

330. F. Blaß, Zu E. Jahrb. f. kl. Ph. 127 (1883) S. 19 ff.

331. Th. Bergk, Kleine philologische Schriften, herausgegeben von Peppmüller. II. Halle 1886. A. Empedoclea. S. 3—66.

332. F. Knatz, Empedoclea. Schedae pliilol. H. Usener . . . oblatae. Bonnae 1891, S. 1—9.

333. H. Diels, Pseudonaevianum. Rh. Mus. 49 (1894) S. 478.

334. Th. Gomperz, Zu E. Hermes 31 (1896) S. 469—471.

335. A. Platt, Notes on E. Journ. of Philol. 24 (1896) S. 246 f.

336. H. Diels, Über ein Fragment des E. Sitz.-B. d. Berl. Akad. d. Wiss. 1897 (49) S. 1062—1073.

*337. A. S. Ward, Erapedocles. Chancellor's Latin verse. Oxford 1897, 16 S.

*338. E. Radioff, Empedokles. (Paissische Übersetzung in Versen.) Journal des Kaiserl. russ. Min. d. Volksaufkl. 1889, Febr.— Mai.

339. Sphaeram Empedoclis quae dicitur rec. et dissertationem adi. F. Wieck. Dissert. Gryphiswald. Lipsiae 1897.

Der Inhalt von No. 328, einer Jugendarbeit Reiuachs, ist nach einer brieflichen Mitteilung des Verf. folgender. Claudiun Panegyr.

o2 Bericht über die griecbiscljen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

Älallii Tbeodori beweist, dalJ die Werke des E. noch am Anfange des 5. Jahrhunderts erhalten waren und zwar in Mailand. Aurispa hat xaUapfxou? 'E\i.r.tooY.Xi(joi (so nach Martene, der richtig gelesen zu haben scheint; Morellis Lesung xai -iva 'Eixtt. iu einem lateinischen Briefe ist unwahrscheinlich) von Griechenland nach Italien gebracht. Die Arbeit bespricht dann die älteicn Ausgaben des E. sowie eine wenig bekannte Arbeit von Dezeimeris (im Moniteur vom 4., 8. und 9. Juni 1846), in der drei Werke der Hippokratischen Sammlung aut E., Demokrit und Diogenes Apoll, zurückgeführt worden sind (!).

Diels bietet in No. 329 folgende Konjektui-eu [vgl. Diels' soeben erschienene Ausgabe der Poetarum philosophorum fragmeuta, Berlin, Weidmann, 1901]. V. 48 f. Stein: ex xe ^ap (ex xoü -^ap Philon, ex xe oder ex xoü Ps.-Arist. ; der Artikel nach den von E. streng beobachteteu Gesetzen des alten Epos zu beseitigen; so auch v. 143, wo D. zu lesen vorschlägt: '/tupU l'äp ßapu [xo ßapu Plut.] Tiav xal /tupl? xoücpov [i6 X. Plut.] <ei)Y)xe> [Gomperz No. 334 ergänzt aT:ejxrJ; s. jedoch Burnet early gr. ph. 218 ff., der den Vers mit Rücksicht auf Aristot. d. cael. 309a 19 streicht; ebenso jetzt Diels zu Fr. 27 seiner x^usg.) ouSa[JL' eovxoc (ouoaix^ ovxo? Philou) afj.rjyav6v e3xi Yevej&at xai x' eöv e^aTcoXeaöai (so Philon cod. V.) avr^vuaxov xal «Truaxov (so nach Mangey; vgl. Parmen. 8, 21). V. 109: xocrov oia xpaaic (Simi)l. xo^ov SiaxptJts oder ötaxpacis; jetzt schreibt D. xpr^at?, Sturz fälschlich aus Sinipl. zu v. 38 oiairxu^i?) ä\iti^zi. V. 118: eijoxev e? ev (ei^oxev av Simpl. Aid.) die guten Hss eijox' ev oder ov; jetzt hat D. eb- o'xev £v in den Text gesetzt und vergleicht dazu v. 79). Im folgenden ist xo Tiäv vielleicht nicht adverbial zu fassen, sondern mit x6 ev zu verbinden (= Universum, der Sphairos). Es handelt sich iu der Stelle um die Vereinigung der Elemente zum Sphairos, durch die nach E. der Untergang jener eben80 wie durch ihre tägliche Trennung herbeigeführt wird. V. 162 schlägt D. cvepil' eöeos (sub nostra sede) vor [in der Ausg. behält er jetzt das überlieferte ouöeo? (mit Sj^nizcse zu lesen) bei? vgl. Bidez No. 345 S. 110,4]. V. 166 zieht D. das von Karsten vermutete pmaT? statt des bei Aristot. überlieferten pi'Caic vor [jetzt verwirft er piKaT? ebenso wie Scaligers poi^oi? und behält pi'Cai? bei]. V. 168: apüjxia [jl£v ^ap eaaiv exuxuiv uavxa [jLe'peaaiv [jetzt xaüxa eauxüiv (Simpl. eauxa oder aüxot eautojv) tt. jx.]. V. 188: ojcr^ cpt'X' statt des nach Form und Sinn zu verwerfenden tpiv [jetzt cpiv beibeh jhJ. V. 191: e-/{lpa <öc> [jetzt h/ßpa <o'a>] TrXeiaxov a-' dXXr,A(üv oie-/ouai ixaXttJxa. 192: 7evvv) mit Simpl. (Karsten -^evva). 193: das Komma nach Xu^pa zu tilgen. 194: Neixeo? ewecjiYjjiv (so nach Panzerbieter; Simpl. veixeo7evv£(jxr]aiv) oxi acpt'at 7evvav eop-fev (op-joc Simpl.). 197, wo Karsten aus den Worten 7:upt yiip au^ei xo

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing) 33

-~jp, mit denen Aristot. v. 198 einleitet, den Versschluß: rupl ö' au;av£- xai -üp hergestellt hat, ergänzt D. aas Lucrez II 1114 f. so: Zdixi jxev -j'ap uoiup, Tiupl 6' aü;£TC(t (U7U710V -öp [jetzt glaubt er, daß sich aus den Worten des Aristot. kein Vers gewinnen lasse, wenn man auch aus ihnen und aus Lucrez schließen könne, daß E. hier außer der Erde und der Luft auch die beiden anderen Elemente erwähnt habe]. 200 schreibt D. mit Steinhart tw 660 (twv 5 Hss des Aristot.; sonst xa; und ~a. überliefert); der Artikel nicht zu entbehren. 234 ver- mutet D. xaXyöJv statt val {jlt^v mit dem Bemerken, daß E. in der Aufzählung von 3 Substantiven, von denen in der Regel nur das dritte mit einem Beiworte versehen war, einen homeiischen Gehrauch befolgt (vgl. V. 106. 125. 204. 384) [jetzt behält er vat [xr^v bei]. 247:

TOÜTO |Xev £V (Sirapl. phyS. 1124, 12 TOÜTOV |J.£V a'v) ßpO-£U)V [xeXeüjv

dpio£ix6Tov 07x0) (Simpl. oyxov) [jetzt: xoüto |X£v av . . . 07x07: ,,certa- men (Concordiae et Discordiae) manifestum est per mortalium membro- rum molem"]. 251: ■Kctpä (statt Tiepl) pr^/ixiv. (jetzt mit Simpl. A. ::£pippT)7[jLrvt]. 260: axetpoic Statt axtEpoic (Aelian) [jetzt verwirft D. diese Vermutung sowie die in Melanges Weil 1898 S, 129 ver- öftentlichte axipoi; und verteidigt axispoTj]. 269: oux' Ivotctjv oio'v t' (oia x' Simpl. E.). 276: ev 7otp {);p|i.ox£ptij xoxa? app£voc ettXexo 7aaxr(P (xo xax' appEva etiXexo 7aiV,? Galen). Die Überlieferte Lesart ist zu verwerfen, weil E. in der Zulassung des Hiatus strenger war als die Epiker und ihn selbst am Schlüsse des vierten Fußes vermieden hat; daher v. 294 und 311 sx-veei statt ex-vei zu schreiben. Dagegen v. 404 vExpa Ei'osa beizubehalten, da der Hiatus hier durch Digamma entschuldigt wird. In der von Galen kommentierten Stelle Hippokr. Epidem. VI 2, 25 sind die Worte sv &£p|i.ox£poi; und xal [XEXavE; oia xoöxo aus den an den Eand geschriebenen Versen 276 ff. des E. in den Text geraten. Ebendort ist statt e^u) ai ^Xe^e; jxaXXov (ebenfalls Glosse aus E.) zu schreiben: (j.eCu> [doch wohl [jleCove? oder [xe^oo;?] at 9X. xal yoXcuÖETCEpov (i-c. xo £|xßpuov). 277 vielleicht ivwosjxEpoi statt dvopw- oEaxEpoi zu schreiben [letzteres jetzt beibehalten mit dem Bemerken : iioli annominationem Empedocli demere]. 318 ist das Komma hinter dvEjxtüv zu tilgen und d[j-op7o6? nicht d[xop7ivouc (linteos) zu fassen, sondern vo)i d[j,£p7Eiv -^^ ofjLop'/vuvai abzuleiten. Ilavxoiojv dvEtxcov Xa[x--r,- pa; dfiopfouc heißt: „lucernas, quae laminis corneis circumdatae vento- rum vira illisam velut detergent neque intra permeare sinunt". 344 enthält die Vulgata: -EXdaaci)' 000 ocpi)aXji.oT3iv einen metrischen Fehler, da E. nur die u£v^Tf)[xi|jLEpT^; ohne die i'■f>^hl\x.^\^.^pr^i oder die bukolische Cäsur verwendet; es ist daher nach Clemens tie Xdaaaaai^at EV zu lesen. Eine Ausnahme von dieser in 130 Versen beobachteten Eegel bildet nur v. 367. [Eine zweifelnd vorgeschlagene Umgestaltung Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 3

34- Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

dieses Verses hat D. jetzt dadurch überflüssig gemacht, daC er mit einer ganz leichten Änderung liest: o'j; I7W i^epetu [xaXa 0' ap7aXsYj (Synizese) <^> 7s Te'-cuxxat. 431: 01 oe ^opeuvTai (statt -opeüv-ai); vgl. Parm. 6, 6. Vor v. 430 mag ein Beispiel von der Mutter voraut- gegangen sein (vgl. 434), oder es ist v. 430 zu schreiben: (JXXa^avxe und 9iX(u uiu) [jetzt liest D. mit Bergk 01 6' liropsuvtat (vgl. ^F 212): ,,at illi instant" (sc. pueri)] 432 Xiaaofxevoi beizubehalten [für das darauf folgende duovTsc (Buovto; G. Hermann) liest D. jetzt mit Wila- raowitz Ouov-o;]. Zu 442 f. bemerkt D., aus Aristot. poet. 1457b 13 (vgl. Vahlens Ausg. III, 220, der die Anspielung auf E. zuerst erkannt hat) ergebe sich, daß xaixovxa oder ein andrer Kasus für dvtiJ,ü)VTa zu schreiben ist, das auch bei Theon ursprünglich stand. Zu der Identi- fizierung von Ta|i.£rv und apujai wurde Aristot. vielleicht durch E 292 verleitet; bei Laert. 8, 87 nennt er E. 'üixr)piy.6v. E. mochte etwa geschrieben haben: xprjvatov auo Trlvre Ta|j,a)v [jetzt xajJLOvt'] <£v> dxetpei (Theons Hs dxYjpei) yaXxto | -/sipa? dTroppu^j^at [die beiden letzten Worte läßt D. jetzt weg]. Gomperz No. 334 will lesen: Ta[xu)v <ji6|j.'> dxeipEi. 'Atto ttsvxe xprjvatuv weist auf fünfmal wiederholte Lustration, wie sie E. denen befahl, die sich des Tieressens schuldig gemacht hatten. Das zweite Citat bei Aristot. a. a. 0.: yaXxo) duo (J^u/Tjv dpucjotc ist gleichfalls von Vahlen richtig als ein Vers ans den xaOapixoi erkannt worden [jetzt von D. als Er. 138 aufgenommen]. 153: u>; au7fi xu']>aja (js?;rjvair)c xuxXov eupuv kann man aus Philon d. provid. II 70 Aucher S. 92, wo der armenische Text ungenau den Mond statt des ursprünglichen Himmelslichtes zum Olymp zurückkehren läßt (vgl. V. 181), griechisch so ergänzen: xal [j-r/av auxiV dv^XOe, öeouj' (i); oupavov Txot. Aus Plut. d. fac. 943 B hat Usener richtig erkannt, daß E. den Mond als 7Xaux(üTric augeredet hat. Es ergiebt sich also das neue Fragment: 'ilauy.ü>m SeXrjvirj [in der Ausg. (zu Fr. 42) schließt sich D. an Wilamowitz an, der in dem Fragment des Euripides bei Nonnus (1009 Nauck) für EuptTriör)?: 'E[j,ir£ooxXrj; liest und so folgende Form des Bruchstücks gewinnt: 7Xauxü)mf axpecpsxai [J-ir^wj], 312 schreibt D. mit Ph. Buttmann x£p[j.axa statt Y.i\).\iaxa oder xspjxaxa bei Plut. Ein mit diesem Verse in Zusammenhang stehendes Fragment haben Usener und Nauck bei Ps.- Alexander problem. III 102 erkannt. D. er- gänzt in engem Anschluß an Plutarch: <ev 6pi(p> oaa (so IT. und N. für 0? oder w») draXeiTre ttoScüv diraXT) Trspiuvoia (so N. statt dir.

Trepiirota) [jetzt schreibt D oju' dueXeiTre TioSüiv aTraXv] Tispl iioia,

zweifelt aber, ob der Vers eine Fortsetzung von 312 bildet]. Schließ- lich weist D. nach, daß die von Stein Philol. 15, 143 aus Cramers Anecd. Oxon. III 184 seiner Ausgabe hinzugefügten Verse aus dem Briefe eines unbekannten Byzantiners des 12. Jahrhunderts unecht sind.

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrafes, (Lortzing.) 35

Blaß bespricht folgende Fragmente. 127 schlägt er vor: outw fiTj (j'dTraTYj cppeva xaivuTü) (xai vj tcj [oder xtot, tcuJ Simpl. ; vgl. Hesych. xaivuTo). vixccTü>) aXXoöev elvai [von Diels in seine Ausg. aufgenommen].

152 ist cpXo$ IXaetpa nicht auf den Mond zu beziehen noch ^atrjc zu beseitigen (Stein au-^^j, Karsten ahr^z), sondern nach der Erklärung des Simpl, : xa fxopia xcSv ^üjwv ist ^Xo$ hier das Element des Feuers, das mit etwas Erde, Wasser u. s. w. einen bestimmten Teil des menschlichen Körpers, wahrscheinlich die Augen, bildet. Zu [xtvuv8aStT)c vgl. X 54.

320 fügt B. die im cod. P des Aristot. hinter 9(0; (B. liest mit cod. E TTÜp) ö"e;cü geratenen und verstümmelten Worte hinter v. 323 in folgender Gestalt ein: <ai> yoav-irjji oi'avxa xetp/^axo i}eaireai7]jiv [so auch jetzt Diels]. AI os v. 324 geht nun auf die yoavai, die trichter- förmigen Öffnungen oder Poren in der Haut des Auges, die özcjKSJiai d. i. unendlich klein oder unendlich zahlreich heißen, falls nicht nach V. 202 ÖTjjjreaiVjöev zu schreiben ist. Ai'avxa, sonst unbelegt, 8ioi[ir.zpi;. V. 325 ist mit cod. P statt otaöpöiaxov zu lesen: otisjxov [so auch Diels]. Auf V. 385 spielt Sext. math. 11, 96 an (vgl. Lucr. V 226). Bergk und Stein haben fälschlich die Worte des Clemens mit denen des Hierokles kombiniert und aus letzteren dxspxcea yüipov statt des bei Clem. überlieferten und durch Sext. bestätigten äjuvriöea -/. gesetzt [so auch Diels, der v. 320 f. von 385 als besonderes Fr. trennt und letzterem axep-ea ycupov voraufschickt (vgl. Fr. 118 und 121 D.)

Peppmüller hat in die von ihm wieder abgedruckten Bergkscben Empedoclea (I. De locis quibusdam Empedoclis, II. Commentatio de Empedoclis pvooemio, III. Aus: Commentat. crit. spec. II, IV. Rezen- sion des Karstenschen Emp.) eine Anzahl nachgelassener Notizen Bergks eingefügt. S. 36 zu v. 337: -Y^ovxai xai aaüivxat statt aviüivxai [Diels nach Karsten: ^oovx' rfi'' aviöivxai]. S. 48 zu v. 177 f.: d|xüypu)j oder döaixßecot (statt a[X£[j,cp£co?) | uäv i^sjxrixev tcw (statt ttu) [Diels xwv] Trav e$ejxT)xev). S. 49 zu v. 181: Yj-iocppojv (I)iX6xy]? a^-z\i^i(Oi (statt «PiXoTTjxoc d|jLS|JL(peo?, wofür Bergk früher d[xe[x'f£ü>; vermutet hatte; so auch Simpl. phys. F, vgl. Diels' Ausg. S. 122) a}ji.;^jpoxoc opfj.*]. No. V bei Peppmüller ist eine ans den N. Jahrb. f. Phil, 1883 S. 59—66 ab- gedruckte Rezension des Steinscheu Emp. B. verwirft die auf einem Mißverständnis der bekannten aristotelischen Stelle beruhende Ansicht Steins, E. habe seine Ouciixa in jungen Jahren geschrieben die $u(jixd mögen etwa Ol. 84 (Blüte dos E. nach Laert,), die KaSapiioi Ol. 86 (Blüte nach Euseb.) geschrieben sein , und bespricht dann hauptsächlich v. 222 ff. und 338 ff. Auch in der einen Bestandteil der Sammlung bildenden Schrift de Aristotelis libello de X. Z. G. hat Peppmüller zwei Konjekturen zu Emp. aus Bergkschen Randnotizen

3fi Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.

hinzugefügt: v. 108 auta ^ap eaxiv xaura (statt Taüxa) und v. 109 oia- Ot^ic [Diels ?'ia xp^atc, s. o. zu No. 329].

Knatz bespricht im ersten Abschnitt seiner Abhandlung die Namen der Elemente bei E. 33—35. Er entscheidet sich für die Deutung der Hera als Erde, für die am besten das Beiwort 9epEc;ßio; paßt; dieses Beiwort mit Schneidewin auf das folgende 'Aiowveu; zu beziehen, ist sprachlich (wegen der Stellung von rjoe) und sachlich (?) unmöglich. Aidoneus als Gott der Unterwelt bezeichnet wahrscheinlich das Feuer, da nach E. (vgl. besonders die Stelle Plut. d. prim. frig. c. 19, 4 S. 953, aus der Usener ein Fr. des E. hergestellt hat) unterhalb der Erde sich weder Luft noch Erde, sondern Feuer befindet. Damit stimmt, daß V. 201 das Feuer "H^aiaxo? heißt (vgl. auch die Beiwörter di3r)Xov und (u'/u-yiov). Wenn es mehrmals auch yjXtoc (auch yjXexTcüp und Ttxav) genannt wird, so ist dies daraus zu erklären, daß nach E. die Sonne aus Feuer entstanden ist. Den Zeus haben von den Alten nur Athe- nagoras und Probus für das Feuer erklärt; die übrigen haben sich weniger klar ausgesprochen. Die Erklärung ty)v Zim^ xai tov aidepa bei Aet. und Stob, weist deutlich auf das heraklitisch- stoische Feuer hin, das sich aber als agens principium von der materia patiens des E. weit unterscheidet. Dagegen wird Zeus von den Griechen stets dem Himmel gleichgesetzt, der nach E. aus dem Äther hervorgegangen ist (v. 187 oupavo'c geradezu für ai&iQp); unter ait^i^p aber versteht E. sowohl die himmlische als die irdische Luft (av^p bei E. nur v. 132). Dieser Äther wird von ihm treffend Zeu; (Jp^iQC genannt. Also ist Zeus die Luft und Hera die Erde, und es findet zwischen ihnen dasselbe Conubium statt wie in der griechischen Mythologie (vgl. v. 166). Diese Argumen- tation erregt in mehr als einer Hinsicht schwere Bedenken. Zunächst spricht die bessere Überlieferung (bei Aet.) für die Deutung der Hera als Luft und des Hades als Erde (s. Diels dox. 88 ff. und unsern Be- richt I 159); doch kann sich hier Verf. für seine Auffassung immerhin auf mehrere Zeugnisse der Alten berufen. Dagegen wird Aidoneus als Feuer nirgends bezeugt, und vollends die Gleichstellung des Zeus mit der Luft steht im Widerspruch mit der einstimmigen Tradition der alten Berichterstatter, die ihn stets als Feuer gedeutet haben; Hippolyt be- zeichnet ihn geradezu als uüp, was K. übersehen hat, und auch Aet. und Stob, wollen mit ihren stoisierenden Ausdrücken nichts anderes sagen. Schon hiernach muß die Knatzsche Hypothese, auch abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit, daß E. unter dem Gotte der Unterwelt das Feuer verstanden haben soll, als hinfällig bezeichnet werden. Den zweiten Abschnitt der Abhandlung bilden einige „aniraadversiones criticae". V. 372 hält K. für unecht: ein Abschreiber, dem die Ähn- lichkeit der folgenden Verse mit der Stelle bei Hesiod Th. 780 806

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokratea. (Lortzing.) 37

auffiel, habe den Vers (--= Hesiod 793) aus dem Gedächtnis au den Rand geschrieben, wobei er -/.ev in xat, drcoXei'^ac in «ixap-n^aa; verwandelte und Tr,v wegließ [schwerlich zutreffend; Diels zu Fr. 115, 4 seiner Ausg. iaßt afjLaptr;aa; im Sinne von ojjLaptrjCjac ; derselbe ergänzt Mel. Weil 125 die Lücke im Anfange des Verses so: <Nexei i)'> 0; x(e) ETTiopxov xtX.]. 58 f. K. verbessert die Plutarchische Stelle so: iva |i.Y) TO 'EjjL-eooxXeiov eireiv 66$(u „xopu<paj exspac STspTjji upocaTiTcüv | |x69(üv jjLY) TcXesiv (statt ixrj~e Xe'-fetv) dxpauov [xi'av" [von Diels aufge- nommen]. — 85: ixerd deoTaiv (Sj'uizese) statt des überlieferten [izx' ojotJiv (oder ixet' oajotdtv) [von Diels verworfen, der mit Brandis [xs-ä Toiaiv schreibt]. 387 ist nach der von Theon Smyru. p. 149, 6 hinzu- gefügten Erklärung, wonach es sich um ^^veat? und cpöopa handelt, zu schreiben: toxoc te cpovoc te (Theon xo'xos xe <p. xe, die sonstige Über- lieferung cpo'vo; XE xo'xo? xe) [die Konjektur mit Recht von Diels ver- worfen].

Der zuletzt erwähnte Vers findet sich, wie Diels (No. 333) ent- deckt hat, in lateinischer Übertragung (aus dem griechischen Originale des Adrast, das auch Theon exzerpiert hat), bei Chalcidius Plat. Tim. 76 S. 143, 17 Wr., wo er in der Wiener Hs fälschlich dem Naevius beigelegt wird. Nevii. ist eine korrupte Variante für nex ubi. Das Citat lautet: ut est in vetere versu: „nex ubivis, rabies, furiarum examina multa".

Gomperz schlägt folgende Verbesserungen vor. V. 20 verwirft er das überlieferte tiisxei, da das Verbum -laxeiv eine Unform sei, und liest, teilweise im Anschluß an Karsten, der jedoch seine Vermutung selbst wieder verworfen hat: jj-r^xs xiv (j<^ei (oder o<]^i) Titaxiv ttXe'ov t] xax' dxouTjV [Diels, der mit Sext. cod. ß xi und tiXe'ov liest, behält üiaxEt bei und verbindet es als Dativ mit l'/cov (vgl. B 33)]. 131: xd (lonisraus) .■jv eaopcüjjiEv d'-avxa statt saoptoixEva Tzdvxa [von Diels auf- genommen]. — 183 ist nach Aristot. poet. 1461 a 25 unter Verwandlung von Ctud in Ctup« und Einfügung von d' zu lesen: Cwpa ö' S Trplv xExpvjxo und so zu verstehen: ^(upd xe Icpu [vielmehr Ecpuovxo aus v. 182] S zplv xExpr^xo. Den eine Verbindung eingehenden und dadurch in die Ver- gänglichkeit herabsinkenden Stoffen stehen andere, aus eben jener Ver- bindung verdrängte und zu ihrer Selbständigkeit und Lauterkeit zurück- kehrende Stoffe gegenüber. Schwerlich geht die Lesart bei Simpl. und Athen.: xd zplv dxprjxa auf Theophrast zurück, der dann Cojpo'v durch sein Gegenteil erklärt hätte. Wahrscheinlich hat Theophrast in dem homerischen ^copo'xEpov öi xspaips (I 203) den Komparativ im Sinne einer umgekehrten Steigerung {= mäßig rein) erklärt, und bei Athen, ist vermutlich zu lesen: sTvai x6 <}XExptojc> xsxpaixsvov. Wenn bei diesem dann völlig unvermittelt das Citat aus E. folgt, wo der Positiv Ctupo;

38 Bericht über die griechisclicn Pliilosophen vor Solcrates. (Lortzing.)

statt des Komparativs auftritt, so scheint er einiges Dazwischenliegende bei Theophr. außer acht gelassen zu haben [anders Diels, der zu Fr. 35, 15 vorschlägt: ^wpa xe xa rpiv. v/.pr^To (wie ejcXtjto gebildet)]. Die Konjekturen zu v. 143 und 443 sind bereits unter No. 329 erwähnt worden.

Platts Konjekturen sind teils wertlos, teils schon von andern, wie Panzerbieter und Stein, gemacht worden. P. hat offenbar nur die Karstensche Ausgabe vor Augen gehabt und die Steinsche gar nicht gekannt, ebensowenig die Dielssche Ausgabe von Simpl. phys. "Wenn er V. 363 statt eruöovto y.Xuetv: IßoXovxo x. vorschlägt, weil er die Verbindung von 7:uv9ave3&ott mit dem Infinitiv in der Bedeutung „wünschen" für unzulässig hält, so ist dagegen zu bemerken, daß xXusiv gar nicht als objektive Ergänzung zu iTiuöov-o gefaßt zu werden braucht. Konstruiere: £7iu9ovto (sie befragten mich) (wcxs) xXueiv (um von mir zu hören^. Überflüssig war auch die Bemerkung-, daß bei Piaton Gorg. 493 A nicht E. gemeint sein könne, weil sonst PI. nur xo[i,']>o; avrjp SixsXoc gesagt und nicht t] 'IxaXtxo'i hinzugefügt haben würde ; die Worte SixsXof v.oix<\trji avrjp seien sprichwörtlich gewesen. Die richtige Deutung der Stelle, wonach Philolaos oder ein anderer Pj'thagoreer ge- meint ist, hat schon Hlrzel (s. zu No. 219) gegeben.

Diels (No. 336) hat aus der Herkulanischen Rolle No. 1012 col. 18 (coli. alt. VII fol. 15 und Bodleian. Facsim. t. III f. 13 n. 565) ein neues Bruchstück des E. herzustellen gesucht. Der Epikureer (vielleicht Philodemos) erläutert dort die Figur dtTtö xoivoü und zwar diejenige der beiden Arten, in der das Verbum im ersten Gliede steht, und im zweiten zu ergänzen ist, zuerst an einem Distichon des KaUi- machos (7, 3 f. Wil.) und dann an zwei Versen des F., von denen der erste fast vollständig, der zweite sehr verstümmelt und unsicher über- liefert ist. Diesen schwachen Spuren nachgehend, vermutet D., daß das Fr. etwa so gelautet habe: xov o ooV ap xe Aio; xe^eoi o6[xot ai- 7<i6-/_oio> I x£<p7tov> a<v> ouo(£) <ai9Tjp t) xXau>axo-j'6<vou tteoov arTf)f>. E. zeigt sich auch hier als Homernachahmer. Zu dtoc x. 6. vgl. Z 248, zu der Verbindung oux ap ts vgl. E 89. Dieselbe Ver- bindung kehrt noch einmal bei E. v. 89 wieder, wo mit geringer Änderung der Überlieferung bei Simpl. DE (apxi e-qqvexat) so zu lesen ist: xat TTpoc xo^c oux' ap xe xt 7qv£xai ouo' aTioXrjEt. Der Gegensatz von 7iv£cj9at und krfievj auch v. 71 f. Zur Entsprechung oux' ap xi o'joI vgl. 135 f. [In seiner Ausg. hat D. im Text die überlieferte Fassung beibehalten und schlägt zweifelnd neben der obigen folgende Verbesse- rung vor: oux' ap xt £TTau?£xai (vgl. Lucrez II 296 adaugescit) oux'.] Was den Inhalt betrifft, so hat nach D. das Fragment in der Ph3'sik des E. keinen Raum, da man nicht wüßte, worauf sich xov oi beziehen

Bericht über die griechischen Philosophen vor Soliratos. (Lortzing.) ;jO

sollte, wohl aber in den Katharmen. Wir dürfen annehmen, daß als Oegensatz zum Palaste des Zeus die Erde als der „Anger des Unheils" genannt war, der für die mit -ov oe bezeichnete Person als Aufenthalts- 01 1 gedacht war. Vielleicht sprach E. von dem Schicksal des frevelnden (ieistes, der weder im Feuer noch in der Luft noch auf Erden zur seligen Ruhe komme, wenn er nicht durch Buße und Läuterung seine Sünden abschwöre. [In der Ausg. Fr. 142 lautet jetzt unter Berück- sichtigung einer neuen Abschrift des Textes von Crönert der zweite

Vers so: -ip~o<. av ooos u w xe-co; Uu , und zum Inhalt

bemerkt D., es sei zweifelhaft, ob die Reiche des Zeus und der Hekate oder die vier fc^lemente einander entgegengesetzt werden.] In demselben Traktat finden sich noch zwei Citate ans E.: f. 22 col. 29 =^ v. 2, wo der Epikureer -rsTavtat (aus v. 289j statt xeyuvtai schreibt, und f. 25 col. 35 ^ = v. 288 f., wo die herkulanensischen Lesarten durchweg schlechter sind als unsere sonstige Überlieferung.

Die Abhandlung von Wieck bezieht sich auf eine dem E. fälschlich beigelegte Schrift. Vgl. E. Maaß comm. in Arati reliquias 154 tf.

In der unter No. 308 angeführten Schrift von Wendland S. 64 f. wird bemerkt, daß sich Tiberius Alexander bei Philon d. prov. § 59 ff. auf die Kosmologie des E. beruft, deren einzelne Phasen sich noch deutlich erkennen lassen. Aus einer gleichen Berufung auf E. für die Ansicht, dal] der Mond sein Licht von der Sonne wie ein Spiegel auf- nimmt (Philon § 70, vgl. Diels Herrn. XV 175 o. No. 329), sucht W. S. 68, 5 durch V^erbindung der beiden Verse 153 und 151 folgendes Original herzustellen: 8>c 007-/) i6<^ol(jol oeXirjvaiVjC xuxXov eupuv | av-auvei rpo; "OXuixTTov d-apßrjTO'.at irposw-otc Gegen diese Verbindung erklärt sich Diels zu Fr. 43.

Aus Burnets Bemerkungen zu seiner Übersetzung der Fragmente (Early gr. ph. 216 ff.) führe ich folgendes an. Für v. 91 f will B. nach dem Lips. des Ps.-Arist. de M. X. G. 976 b 23 lesen: xoü Travxo; ö'oijoev xeveo'v iro'bev ouv xi x' s-e'XOoi; und setzt diesen Vers nach 134. 97 liest B. XiuoEuXoj statt Xiko';uXov und mit der Hs des Simpl. }iop(pT^ statt H-op'fÜ (Aid.); s, jedoch Diels zu Fr. 21, 2. 353 liest B. dv' axpa KoXeu; <x>. 384 ist IXXotto; nicht =- stumm, sondern --TCoixiXoc: „a glittering fish." 409 vermutet er [xaxxoi; (statt 7paT:xoT;) ^cuoiat [s. jedoch Diels zu Fr. 128, 5J. 415 ff. be- zweifelt er die Beziehung auf Pythagoras; er glaubt, E. spreche hier noch von dem goldenen Zeitalter, und vermutet, dal] sich die Verse auf Orpheus beziehen. S. jedoch Rohde Psyche IV 417 und Diels zu Fr. 129.

40 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

2. Zur Lehre und zum Leben des Empedokles.

340. R. Schlag- er, Empedocles Agrigentiiins qiiatenus Hera- clituni Ephesium in philosophia secutus sit. Gyran.-Pr. Eisenach 1878. 24 S. 4.

341. E. ßaltzer, Empedocles. Eine Studie zur Philosophie der Griechen. Leipzig 1879. 163 S. 8.

342. H. Diels, Gorgias und Empedokles. S.-B. d. Berl. Ak. d. Wiss. 1884 (19). S. 343-368.

*343. S. Ferrari, Empedocle. Riv. di filos. VI (1891) H. 1 u. 2.

344. A. Döring, Das Weltsystem des E. Zschr. f. Philos. 105 (1894) S. 1—17.

345. J. Bidez, La biographie d 'Empedocle (Recueil de travaux publies par la faculte de philos. et lettres). Gaud 1894. XII, 176 S. gr. 8.

346. J. Bidez, Observations sur quelques fragmenis d'E. et de Parmenide. Arch. f. G. d. Ph. IX (1896) S. 190— 207 u. S. 298 —309.

*347. M. Rapisardi, Opere Ordinate e corrette da esso. Vol. V. Le odi di Orazio. L'Empedocle. IlPrometeo di Shelley. Milane 1897.

348. G. Thiele, Zu den Elementen des E. Herrn. 32 (1897) S. 68-78.

Schläger bestreitet mit Recht, daß E. in seiner Physik von den Pythagoreern abhängig sei, denn wenn er auch mit seinen vier pi^üjfxocTa auf die Tsxpaxxuj in dem Eide der Pythagoreer angespielt haben mag [aber auch dies ist kaum anzunehmen, da jener Eid wahrscheinlich jüngeren Ursprungs ist; s. Zeller 825, 1], so zeigt doch seine Natur- erklärung keinerlei Spuren pythagoreischen Einflusses, und seine apixovia, die ihm ungefähr dasselbe wie die ^iXottj? bedeutet, ist wesentlich verschieden von der der Pythagoreer. Zu weit geht Seh. dagegen, wenn er auch in der Seelenwauderungslehre jede nähere Ver- wandtschaft des E. mit den Pythagoreern leugnet. Daß E. die pytha- goreische Metempsychose verändert und erweitert hat, ist richtig; aber diese Abweichungen schließen eine Anlehnung an Pythagoras nicht aus, für die alle historische Wahrscheinlichkeit spricht (s. Zeller 824). Unter der Voraussetzung einer solchen Abhängigkeit von dem zu seiner Zeit in Italien und Sizilien verbreiteten Seeleuglauben erklärt sich auch am leichtesten, wie E. eine seiner physischen Grundauffassung so wider- sprechende Lehre aufnehmen konnte. Daß hier ein offenbarer Wider- spruch vorliegt, erkennt auch Verf. an, und mit triftigen Gründen

Bericht über die griechiscliCD Pliilosoplien vor Sokrates. (Lortzing ) 41

widerlegt er die haltlose Behauptung Ryks (s. I3er. I S. 254), E. habe das Dogma der Pythagoreer so umgeformt, daß es mit seiner Natur- lehre im Einklang stehe, sowie die weitere, ebenso willkürliche Annahme desselben Schriftstellers, daß die Liebe des E. mit der Weltseele, aus der die Eiuzelseelen hervorgehen, identisch sei und im Feuer zur Er- scheinung komme (vgl. Zelier 773, 6). Auf der andern Seite vermag er jedoch der Ansicht Zellers nicht beizupflichten, daß E. jenen Wider- spruch nicht bemerkt und daher auch nicht zu beseitigen versucht habe, sondern glaubt in den Worten v. 382: vei'xet |i.aivoix£vtp irijuvo; die An- deutung zu sehen, daß die Seelenwanderur.g durch den Streit, also die eine der beiden die Welt bewegenden Kräfte, entstehe. Dies ist ein offenbarer Irrtum, der daraus zu erklären ist, daß Seh. mit MuUac'.i die augeführte Stelle dem Werke iz. cpüaewc zuweist, während sie in Wahrheit den Ka&ap|xoi entnommen und daher vsTxoc hier gar nicht im physischen Sinne zu fassen ist (s. Zeller 810, 1). [Das Verhältnis zwischen den religiösen und den physikalischen Anschauungen des E. ist auch sonst in der Berichtszeit mehrfach besprochen worden. Gomperz Gr. D. 198 ff. will den Widerspruch zwischen beiden zwar nicht leugnen, entschuldigt ihn aber damit, daß auch andere Philosophen, wie Farmen, und Philolaos, nicht frei von ihm sind, und sucht ihn durch Zurück- tUhrung auf eine uralte Zweiseelentheorie zu erklären (s. Ber. I 264). Dieser Zwiespalt erstreckt sich übrigens, wie G. S. 202 ff. ausführt, nicht auf die eigentliche Götterlehre; hier ist es E. vielmehr gelungen, die zwei Hälften seines Gedankensystems zu nahezu ungetrübter Har- monie zu verschmelzen. Burnet early Gr. ph. 269 ff. äußert sich in btzug auf diesen letzten Punkt in ähnlichem Sinne und hebt scharf den Unterschied zwischen Empedoklos' Theologie und Religion hervor. Da- gegen hält er die Widersprüche zwischen den Katharmen und dem physischen Gedichte nicht für ganz so unüberwindlich wie Zeller. Eine individuelle, persönliche Seele vertrage sich allerdings nicht mit der physikalischen Theorie des E.; aber er rede überhaupt nirgends von ,, Seelen"; man könne sehr wohl an ein Wiedererscheineu derselben körperlichen Elemente in verschiedenen Kombinationen denken und dies scheine in der That v. 395 (offenbar falsch citiert; meint B. etwa v. 366?) angedeutet zu sein. Aber mit solchen sehr zweifelhaften Erklärungs- versuchen wild die Thatsache nicht aus der Welt geschafft, daß E. eine Fortdauer der Einzelseelen nach dem leiblichen Tode und ihre sich in bestimmten Perioden wiederholende Einkörperung annahm. Schließlich werden wir uns in dieser Fiage doch wohl mit Rohde Psyche^ 475 Ü. (s. Bd. CXII S. 136 f.) dahin entscheiden müssen, daß es nicht gestattet ist, durch begütigende Auslegung eine Einstimmigkeit des Philosophen mit sich selbst herstellen zu wollen, wo doch deutlich zwei Stimmen

42 Beriebt über die griechiscben Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

laut werden, mag auch im Sinne des E. kein Widerspruieh ihrer Aus- sagen besteben, weil diese sich auf ganz verschiedene Gegenstände be- zieben.] — Scb. versucht dann den Nachweis zu führen, daß sich E. in seiner Lehre vornehmlich an Heraklit angeschlossen habe. Er gebt dabei von Piaton Soph. 242D und Aristot. d. cael. 279b 16 aus, ohne zu bedenken, daß solche Stellen, in denen mehrere Philosophen unter bestimmten Gesichtspunkten, wie hier als Vertreter der Lehre vom Wechsel und den Gegensätzen in der Weltentfaltung, zusammengefaßt werden, für den Erweis der Abhängigkeit des einen vom andern un- brauchbar sind, ganz abgesehen davon, daß wenigstens Piaton neben der Ähnlichkeit auch die Vei'schiedenheit beider Philosophen deutlich hervorhebt. Indem Verf. nun die beiderseitigen Lehren vergleicht, findet er eine Anzahl fundamentaler Übereinstimmungen. Dabei gesteht er zu, daß diesen Ähnlichkeiten auch bedeutsame Unterschiede gegen- überstehen. So ist Heraklit überzeugt, daß sein Xo-^o; nur von denen, die an ihm teilhaben, verstanden werden kann, und daß er selbst die gesamte Natur erkannt hat; die dva-i-xY] des E. dagegen ist nicht er- kennbar, und dieser glaubt daher das Wesen des Alls nicht durchschaut zu haben. Dieses Gegensatzes war sich E. bewußt, und die Verse 2 ff. sind direkt gegen Heraklit gerichtet. Auch v. 81 ff, scheint er seine Lehre von der Liebe als des Schöpfers aller einzelnen Dinge der des Heraklit von der Zwietracht als des Vaters der Dinge entgegengesetzt zu haben. [Einen Gegensatz und gar eine bewußte Polemik gegen H. vermag ich in diesen Stellen nicht zu erkennen; an der zweiten kann E. seine Liebe schon deshalb nicht dem Kriege des Ephesiers entgegen- gestellt haben, weil nach ihm nicht nur die «pdoxr]?, sondern auch das vaixoc bei der Entstehung der Einzelerscheinungen wirksam ist.] Spuren der Übereinstimmung glaubt Verf. hinwiederum auch in der Seelen- wanderungslehre des E. zu erkennen. Wie Her. in Wahrheit an keine Fortdauer der Einzelseelen glaubt (dies nimmt Seh. mit Teichmüller an), sondern von einem Hinauf- und Herabsteigen der Seelen nur in bildlichem Sinne redet, so hat E., auch hierin dem Herakl. folgend, seine Seelenwanderungslehre nur als Hülle benutzt, in die er seine Ge- danken kleidete; daß er sich in dieser Hinsicht auch falschen Meinungen der Menschen accoramodierte, spricht er selbst v. 40 ff. aus. Diesen Ausführungen kann man insoweit zustimmen, als die physikalische Welt- erklärung des E in ihren Grundprinzipien wirklich eine unverkennbare Verwandtschaft mit der heraklitischen zeigt, worauf übrigens vor Seh. bereits andere wie Zeller 833 ff. hingewiesen haben. Aber Verf. be- trachtet das empedokleische System von einem allzu beschränkten und einseitigen Standpunkte aus, indem er es ausschließlich mit dem Heraklits vergleicht, als ob er keinen andern Vorgänger gehabt hätte, an den er

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.") 43

sich anschließen oder auch von ihm abweichen konnte. Es berührt doch eigentümlich, daß in der ganzen Abhandlung des Parmenides nirgends gedacht wird, während doch kein Zweifel daran bestehen kann, daß E. von der eleatischen Lehre seinen Ausgangspunkt genommen hat (s. Zeller 827 ff.). Ganz verfehlt endlich ist der Versuch, die Seelenwanderungslehre des E. an die heraklitische Eschatologie zu knüpfen. Ob man nun dem Heraklit den Glauben an eine individuelle Unsterblichkeit beilegt oder abspricht (über die Schwierigkeiten dieser Frage haben wir oben gesprochen), von der Metempsychose im empe- dokleisch-pythagoreischen Sinne, wonach die Seele zur Strafe durch verschiedene Leiber wandern muß, ist jedenfalls bei Heraklit keine Spur zu finden. Nicht einmal die rein formale Übereinstimmung, auf die diese ganze Vergleichung der beiderseitigen Jenseitslehre hinaus- läuft, daß beide sich hierin nur gewissen religiösen Strömungen ange- paßt hätten, kann man gelten lassen. Bei E. ist sicherlich an eine solche rein äußerliche Anbequemung nicht zu denken (die Berufung des Verf. auf v. 44 vo[jiip 0' E-t'fr,[jLi xal auTo; ist völlig hinfällig, da an dieser Stelle die Seelenwanderungslehre gar nicht in Frage kommt, und es sich überdies nur um eine Accommodation an die Ausdrucksweise [7i7vstj9at xal 'fOeipeji^at], nicht an die Auffassung der Menge handelt, die E. gerade aufs entschiedenste bekämpft); die Überreste aus seinen Ka9ap|xoi machen vielmehr den Eindruck, daß es ihm mit dem mystischen Glauben an den Sündenfall und die Wanderung der Seelen voller Ernst vi^ar.

Die Schrift Baltzers, des Apostels der Vegetarier, ist, vom jthilologischen wie vom philosophischen Standpunkt betrachtet, so wert- los und verfehlt, daß es sich nicht verlohnt, auf ihren Inhalt einzugehen. Vgl. Litt. C.-Bl. 1879, 1482 f. und M. Curtze Fortschr. Bd. 40 S. 12.

Über die Abhandlung von Di eis erscheint es zweckmäßig, bereits an dieser Stelle und zwar vollständig zu berichten, da sie zur richtigen Würdigung des E. neue und wichtige Beiträge liefert und eine Trennung der auf E. bezüglichen Ausführungen von dem über Gorgias Gesagten kaum augänglich wäre. D. hatte bereits in dem später zu besprechenden Vortrage über „Leukipp und Demokrit" (1880) S. 104 f. die Über- zeugung ausgesprochen, ,,daß der Begriff des Elementes und die eigen- tümliche Porenlehre, die E. mit der Atomistik gemein hat, . . . nicht auf dem Boden des unselbständigen und flachen empedokleischen Systems (vgl. Timon Fr. SSW. dvopaituv XvjxrjTY); i-swv), sondern aus der tiefsten Wurzel des leukippischen Materialismus herausgewachsen ist"; selbst die Bezeichnung vauxa, die Leukipp den Atomen gab, scheine mit der Lehre in das Gedicht des E. übertragen worden zu sein. Zum Beweise dessen hatte er darauf hingewiesen, daß Leukipp der Urheber

44 Bericht über die griechischen Philosophen vor Solirates. (Lortzing.;

der offenbar mit der seinigeu eng verwandten Porenlehre des E. (die Worte a-oppoai und Tiopoi kommen bei Demokrit wie bei E. vor) sein müsse, weil auf diese Theorie niemand ohne die Annahme des Leereu kommen konnte, das ja E. nach Parmenides geleugnet hatte (über die Widersprüche, in die er dadurch mit Annahme der Porenlehre geriet, vgl. Arist. d. gen. 326 b 8 und Theophrast d. sens. § 13). Dieser Auffassung entsprechend bezeichnet D. im Eingange der vorliegenden Abb. das System des E. als Eklekticismus. Während sich E. anfangs (v. 2. 8. 11 f.) sehr skeptisch gegen die sinnliche Wahrnehmung ver- hält, gewinnt im Verlaufe seiner Darstellung der Dogmatismus die Überhand (v. 55. 86. 129). Als daher die Erklärung des naturwissen- schaftlichen Details mehr und mehr hinter die erkenntuistheoretischeu Fragen zurücktrat, mußte sein Schüler Gorgias mit dem fortgeschritteneu Zeitgeist in Konflikt geraten. Daß E. auf G. einen bestimmenden Einfluß ausgeübt hat, ergiebt sich w^eniger aus dem unzuverlässigen Berichte des Satyros bei Laert. 8, 58, G. habe nach seiner eigenen Angabe an der Geisterbeschwörung des E. teilgenommen (vielleicht stammt diese Notiz aus dem <I>uatxoc des Alkidamas, worin G. als Führer des Gesprächs auftrat), als aus dem, was von Gorgias' physikalischen Ansichten über- liefert wird. So beruht die in Piatons Menon 76 C ff. auf G. zurück- geführte Definition der Farbe auf der Theorie des E. von den abge- lösten feinsten Teilchen der Elemente, die in die trichterförmigen Porea des Auges eindringen. Nur ein symmetrisches Verhältnis der Poren kann den Kontakt und damit die Wahrnehmung herbeiführen. Der technische Ausdruck für dieses Ineinanderpassen der Ausflüsse und der Poren ist bei E. 336 apixoxTsiv (vgl. Theophrast d. sens. § 15, der an andern Stellen auch von der Symmetrie der Poren spricht). Mit dieser Erklärung des E. stimmt die Definition der Farbe bei Piaton: l'jnv /po'a aTiopporj cyY][xat(üv ot|/si auiJ-jj-expo? xal aiaörjxo; (vgl. Theophr. 7 und von diesem abhängig Aet. I 15, 3) vollkommen übereiu. Wenn Sokrates diese Definition eine xpa-ftxr) drtoxptfft'; nennt, so kann sich dieses ironische Lob nur auf die Vermischung des prosaischen und poetischen Stils bei G. beziehen. In der That sind denn auch solche Pemininformen von Verbal adjektiven wie aia9r)x6c nicht nur bei Piaton ohne Parallele, sondern kommen überhaupt, von einer Stelle bei Aristot. und von späteren Autoren abgesehen, nur bei den Tragikern, hier aber in großem Umfange vor. Auch der Ausdruck «TcoppoY], obwohl ein von E. eingeführter Terminus, klingt poetisch und ist vor Piaton sonst nur bei einem Tragiker, Eurip. Hei. (nicht Hec, wie D. citiert) 1587, nach- weisbar; auch bei Piaton finden sich djioppoiQ und duopperv nur in poetisch gehaltenen Abschnitten wie Phaedr. 251 fi"., wo die ganze Darstellung^ von erapedokleischer Auffassung beeinflußt wird, und Tim. 68 C, wa

Bericl)t über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 45

Piaton die Farbe ganz enipcdokleisch definiert. Aus der zweiten Stelle ergiebt sich auch, daß in der Menonstelle (jyr,|xaTüiv , das auch aus andern Gründen verworfen werden muß, falsch ist; das Richtii,'e ist wahrscheinlich nicht tü>v ö'vtcov (vgl. Emp. 281) noch das farblose aoJjjLaTtuv der Tinnäosstelle, sondern das am Rande des Ven. T stehende ypTf)[j.aTcov (ypTjfjLaTa in der älteren Physik, bei Anaxag., Protaix. und Demokrit, ^ ta ovra). Diese drei Abweichungen von der gewöhnlichen Sprache beweisen, daß in der Menonstelle der poetische Stil des G. persifliert werden soll. Aber es kam Piaton nicht bloß auf die Persiflage ann. Nach dem ganzen Zusammenhange muß er die Definition irgendwo in dieser Form von G. ausgesprochen gefunden haben. Auch sonst ist G. gerade auf dem optischen Gebiete als Schüler des E. und Fortführer seiner Phj-sik nachzuweisen. Die Theorie des G. über den Brennspiegel, auf die bei Theophrast d. igne 73 angespielt wird, läßt sich nur aus der optischen Anschauung des E. erklären. Dieser bringt die Physiologie des Auges, die Erscheinungen der Katoptrik und die optischen Probleme der Meteorologie auf Anregung des in seiner Ao^i stark pythagorisierenden Parmen. in einen phantastischen Zusammenhang, Ahnlich wie bei Parm. bestehen auch bei ihm die Himmclssphären und Gestinikörper aus Feuer und zusammengepreßtem Duft (ar,p). Die aus diesem dem Hagel oder Eise gleichenden Duft gebildete Sonne gewinnt so vermöge ihrer Durchsichtigkeit die Fähigkeit, das Licht der die Eide umgebenden Feuerhemisphäre zu sammeln und auf die Erde uieder- zustrahlen; ähnlich Philolaos und Ion von Chics (Aet. II 25, 11). Bei E. kommt zu dem Pythagoreischen hinzu, daß der Sonnenkrystall nicht bloß kondensierten Duft, sondern auch Feuerteilchen enthält, weil er sonst nach dem Grundsatze von der Attraktion des Gleichartigen nicht das himmlische Feuer in seinen Poren ansammeln könnte. Ganz ähnlich hat sich E. die Einrichtung des menschlichen Auges gedacht, auch hier nach pythagoreischem Vorgange. Der dem pythagoreischen Kreise ver- wandte Alkmaion nahm an, das Sehorgan bestehe aus dem funken- gebenden Feuer und dem durchsichtigen Wasser. E. hat zv.-ar die -opoi des Alkm. auf grund seiner Lehre von den aTioppoai umgedeutet, aber die beiden Gegensätze, Wassser und Feuer, beibehalten. Er war der Meinung, daß, wie das Licht in der Laterne vor dem Winde, so das Feuer in der Pupille durcli dünne Membrane vor dem umgebenden Wasser des Augapfels geschützt und getrennt sei, aber durch trichterförmige Poren mit der Außenwelt in Verbindung stehe, so daß das Liclit (Feuer) der Augen hinaus und ebenso das draußen Befindliche ins Innere dringen könne (v. 314 fif.; vgl. die Erklärung von Blaß o. S. 35). So wird das Leuchtende vermittelst der Fenerporen des ,, sonnenhaften" Auges wahrgenommen, ebenso das Dunkle durch die gröber konstruierten

4G Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

Wasserporen. Dieselbe Analogie gilt auch für die Theorie der Spiegel- reflexe. Ein Spiegelbild entsteht dadurch, daß die dünnen Ausflüsse der Objekte auf der Überfläche des Spiegels sich sammeln und dort von dem aus den Poren des Spiegels hervorbrechenden Feuer verdichtet werden, wodurch auch die davorliegende Luftschicht in rückwärtsgehende Bewegung gesetzt und die Reflexbilder mit in diese Bewegung hinein- gerissen werden. Die Bemerkung Tlieophrasts über Gorgias' Theorie der Entzündung des Brennspiegels ist demnach so zu verstehen, daß das Sonnenlicht in die Poren des Brennspiegels eindringt, angelockt durch die Wahlverwandtschaft des darin verborgenen Feuers, und daß es dann hierdurch veistärkt wieder hervorbricht und nun imstande ist, eine Entzündung hervorzurufen. In der nihilistischen Schrift des G. war für eine solche Lehre kein Platz, und sie fand sich auch schwerlich in einer seiner epideiktischen Reden, in denen er sich nie als Vielwisser aufspielt wie Hippias. Man könnte annehmen, daß einer seiner Schüler jene im Unterricht von ihm gehörte Ansicht in einer physischen Schrift erwähnt habe, wie Polos oder Alki- damas oder auch Antiphon im Buche tt. aXri&eiac oder endlich Kritias. Aber alle "Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß G. in einer eigenen physikalischen Schrift besonders die Optik behandelte. Daß uns von dieser Schrift keine Spur erhalten ist, will nicht viel be- sagen, da selbst seine berühmte nihilistische Schrift von Piaton und Aristot. nicht erwähnt wird. Eine schwache Hinweisung auf eine solche Schrift kann man bei Suidas: a\jvz-jpd<\ioizo noWd und bei Dionys. Hai. Isokr. 1 finden. Aber wie verträgt sich diese Bearbeitung wissen- schaftlicher Probleme mit seinem nihilistischen Standpunkt? Das nichtigste ist, die drei verschiedenen Gestalten, in denen G. erscheint, als Physiker, Eristiker und Rhetor, nicht als ein Nebeneinander, sondern als ein Nacheinander seiner geistigen Entwickelung aufzufassen, die mit der Umwälzung der gesamten Denkweise in der Sophistenzeit parallel geht. Anfangs wandelte er noch ganz in den Bahnen des E. und behandelte im Anschluß an ihn physikalische Probleme. Aber dem heftigen Angriff der juugeleatischen Schule (Zenou in der IStqytjjic 'EfjiTreooxXeous, die D. im Gegensatze zu Zeller für echt und zwar für keinen Kommentar, sondern für eine kritische Besprechung hält; vgl. die ähnlichen Titel von Schriften des Herakleides Pont, bei Laert. 5, 88 [s. jedoch Zeller 587 Anm.]) gegenüber mußte er die Waffen strecken. Nun erschien ihm die hergebrachte Naturerklärung schal und hohl. So entstand die Schrift von der Natur und dem Nichtsein, worin er die Waffen des Zenon und Melissos gegen die ältere Pliysik, ebenso aber auch gegen den Eleatismus selbst schwingt. Aber bei diesem dürren Nihilismus konnte er nicht verharren. Was theoretisch verloren war.

iJeiicht über die griechischea Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 47

suchte er in der Praxis wiedereinzubring;eu. So wurde er zum Kedner, der sich anheischig machte, das Scheinende in der Überzeugung seiner Zuhörer zur Wirklichkeit zu gestalten, und erkannte gerade darin das Wesen dieser Kunst. Über die dreifache Gliederung der Geisteswissen- schaften in jxeTetupoXo7ü)v X0701, ota Xo'/ojv d'ccüvec und cpiXojo9ü>v hy(oi als drei Künste der -£u')cu äußert er sich selbst Hei. § 13. Der mittleren von diesen, der Rhetorik, wandte er sich in der letzten Zeit seines Lebens fast ausschließlich zu und nannte sich daher nicht einen Sophisten, sondern einen Rhetor (Fiat. Gorg. 449 A). Aber auch in der Rhetorik muß er Vorgänger gehabt haben. Von den ältesten Vertretern der Rhetorik, die Aristot. nennt, Emped., Korax und Tisias, können die beiden letzten nicht in betracht kommen, da ihre ~iyyt] eine handwerks- mäßige Einübung für die Gerichtsreden war, ohne Rücksicht auf die stilistische Ausbildung [aber in der von D. angeführten Stelle Plat. Phädr. 267 A werden Tisias und Gorgias als Vertreter der gleichen Richtung genannt]. Dagegen weist alles auf E. hin, den Aristot. als tisten Anreger der Rhetorik erwähnt hat. Sein Wanderpredigen, von dem er selbst in den Katharmen redet, erinnert sehr an die eigentlichen Sophisten wie G. und Hippias, daher hier wie dort der Stil des Pomp- haften, Gesuchten und Spielenden. Aber es finden sich noch viel nähere l^bereinstimmungen. Aristot. (Laert. 8, 87) hob an E. besonders die Kunst der „Phrasierung'' hervor, die er auf den häutigen Gebrauch der ]\Ietapher und der sonstigen „Treffer" des poetischen Stils zurückführte. In den erhaltenen Fragmenten setzt uns diese Kühnheit der Metapher in Erstaunen. Auch in Gorgias' rhetorischer Prosa fand man diesen Dithyrambenschwulst wieder, den Aristot. Rhet. 1406 b 9 rügt. Der- selbe tadelt 1405 b 37 an G. die Komposition der Epitheta. Auch E. übertreibt hierin mit wunderlichen Bildungen (v. 257 ü.). Dahin gehört auch das Streben nach Personifikation bei G. wie bei E. (vgl. v. 69. 177. 181 und überhaupt die Einführung der Elemente und Prinzipien unter Götternamen, sowie den kleinlich wirkenden Katalog v. 393 if.j, ferner die Paronomasie und der umgekehrte Gleichklang, die Wieder- holung derselben Wörter in verschiedenen Kasus (öi-XaaioXo^ta bei Plat. Phädr. 267 c). Zu dem von Piaton Sympos. 198A zur Verhöhnung von Agathons -/opyia^siv angeführten parononiatischen Oxymoron döss; oEo; vgl. Palam. 20 aßicüto? ßio; und E. v. 4 ^ui7^; d[:5iou. Auch für die künstlichen Periodeubildungen mit ihren Autitheta, Parisa und Paromoia, durch die G. die ungebundene Rede zur gebundenen steigerte, fand er bei E. sein Vorbild; vgl. z. B. v. 78 ff. 98 ff. (v. 99 schreibt D. 033' oder ü>; i'oei ts; löo« in der späteren P^rm eloo; auch v. 266 erhalten, wo bei Sinipl. sKso; steht, und ioeo; zu lesen ist, nicht mit Sturz und Stein o'JoEo;). So war E. dem jungen G. als Physiker Gewährsmann,

48 Bericlit über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

wies ihn dann vielleicht, als er sich unbefriedigt abwandle, auf die Eleaten und konnte ihm endlich für seinen Beruf als Rhetor wirksame Anleitung- geben. Chronologisch läßt sich etwa folgendes fixieren: Gorg. , 483 geboren, verfaßt seine optische Schrift etwa zwischen 460 und 450, seine Schrift Tiepl 9U3£o)c um die Mitte des Jahrhunderts und wendet sich um den Anfang des peloponnesischen Krieges der Epideiktik und Unterweisung der Jugend in der rhetorischen Technik zu. Dabei muß er gelegentlich noch auf seine alten physikalischen Probleme im Unterricht zurückgekommen sein , sie jedoch nicht mehr als Wahrheit, sondern als 66^a gelehrt haben. Diese Ausführungen verdienen, so- weit sie sich auf E. beziehen, unsere volle Zustimmung. Die Methode seiner physikalischen Forschung mit ihrem eigentümlichen Gemisch von empirischer Beobachtung und phantastischer Spekulation tritt uns au einem hervorragenden Beispiel deutlich vor Augen, und die rheto- rische Kunst des agrigentinischen Propheten mit ihren „Verzierungen und Verschnörkelungen" wird, obwohl sie jeder aufmerksan)e Leser längst aus seinen Gedichten hätte herausholen können, hier zum ersten Male ausführlich und überzeugend nachgewiesen. Auch die Abhängig- keit des G. von E. sowohl in der Aufstellung physikalischer Ansichten wie im Schmuck der Rede hat D. einleuchtend gemacht. Aber- damit ist nicht ausgeschlossen, daß G. in beiden Beziehungen noch andere Einflüsse erfahren hat, in der Rhetorik z. B. die des Tisias (vgl. die oben angeführte Phädrosstelle), in der Physik die des Parmen. Es scheint mir überhaupt fraglich, ob G. wirklich je als dogmatischer Philo- soph und speziell als überzeugter Anhänger des empedokleischen Systems aufgetreten ist. Wenn er sich in seiner Jugend einer bestimmten Lehre angeschlossen hat, so halte ich es für wahrscheinlicher, daß er von Parmen. ausgegangen ist und ähnlich wie dieser die Ansichten anderer Philosophen wie die des E. nur als oo^a, nicht als d^y^Oeia angeführt hat, sei es im mündlichen Vortrage, sei es in einer besonderen phj^si- kalischen Schrift (daß er eine solche verfaßt hat, ist möglich, aber nicht mit zwingenden Gründen von D. erwiesen). Er würde dann später mit jeder Dogmatik auch die eleatische über Bord geworfen und die Möglich- keit alles Erkennens überhaupt geleugnet haben. Das sind freilich un- sichere, durch kein Zeugnis gestützte Vermutungen. Aber auch die Dielssche Konstruktion dreier Phasen der Gorgianischen Geistesentwicke- luug ist doch nur eine sehr zweifelhafte Hypothese. Die nihilistische Schrift wird ja wohl der rhetorischen Periode voraufgegangen sein, aber da sie sich nur auf die wissenschaftliche Erkenntnis bezog, mit der es die Rhetorik überhaupt nicht zu thun hat, so braucht sie nicht in einem inneren prinzipiellen Gegensatze zu seiner rhetorischen Wirksam- keit gestanden zu haben. Vielleicht ist es G., wie später in der Rhetorik

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(s. Piatons Groi-g). so auch in seinen früheren physikalischen Studien und in seiner philosophischen Streitschrift nur auf die Erregung des Scheins, nicht auf die Erforschung der Wahrheit angekommen; in der Stelle der Helena 13) wenigstens, auf die sich D. beruft, werden die drei Künste lediglich unter diesem Gesichtspunkt betrachtet.

Über Ferraris Abhandlung verweise ich auf A. Chiappellis I3esprechung im Arch. VII (1894), 557 ff., wonach der Verf. nichts Neues bringen, sondern nur eine suniniarische, aber vollständige Dar- legung der Lehre des E geben wollte. Der erste Teil enthält eine nach dem Urteile des Berichterstatters ziemlich elegante Übersetzung der Fragmente in italienischen Hendekasyllaben.

Döring unterzieht die doxographische Überlieferung über die Weltentstehung bei E. einer kritischen Untersuchung. Nach Aet. II 6. 3 werden aus dem Sphairos zuerst der Äther (— Luft als Element, unter- schieden von der empirischen Luft), dann das Feuer und zuletzt die Erde ausgeschieden. Der letzte Ausdruck ist ungenau; es handelt sich um das nach den beiden ersten Ausscheidungen verbleibende, aus Erde und Wasser bestehende Residuum. Aus diesem wird durch die Wucht des Umschwungs (p'j|X7) x^? Trepicpopa? -= Centrifugalkraft) das Wasser ausgetrieben. Aus dem Wasser entspiingt durch Verdunstung die empirische Luft. Aus- dem Äther entsteht der Himmel, aus dem Feuer die Sonne. Der Himmel ist eine krystallartige Hohlkugel aus der durch Feuer verhärteten Luft. In den Worten 7i:iXr)f>rjvai ex töjv aXXcuv ra -cpqeia bezeichnet zh. irepiYeta die centrale Sphäre der Weltkugel, -a aXXa die nach Ausscheidung des Äthers und Feuers verbleibenden Stoffe: Erde, Wasser und die elementare Luft. Für die Ausscheidung des Meeres ans der Erde werden Aet. III 16, 3 zwei Ursachen genannt, <lie mit einander nicht zu stimmen scheinen [D. hat hier die von Diels in den Addenda zu den Doxogr. angeführte Konjektur von Bernardakis Tp^3iv statt Tri'Xrjjiv nicht beachtet], E. wird ähnlich wie Anaximander das Meer als Rest einer die Erde umgebenden Wasserhülle gedacht haben [aber nach der angeführten Stelle des Aet. ist es eine durch das Feuer hervorgerufene Ausschwitzung der Erde]. Die sehr dunkle und lückenhafte Stelle Plutarch ström. 582, 5 ff. Dox., die Näheres über die beiden ersten Ausscheidungen enthält, ergänzt D. so: durch den Kontakt des Feuers mit der Luft entsteht erst das Firmament, und dann findet die peripherische Ausbreitung des Feuers oberhalb der Luft an dieser festen Hülle ihre Grenze. Sehr unklar wird die Entstehung der beiden Hemisphären, hohler Schalen, die um die Erde kreisen, ge- schildert. Die Einsprengungen in die Nachthemisphäre sind offenbar die Sterne. Diese sind nach Aet. II 13, 2 aus der ursprünglich aus- geschiedenen, noch mit Feuerteilen erfüllten Luft herausgedrängt worden. Jahreabericht (ür Altertumswissensc haft. Bd. CXVI. (1903. I.) -t

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Da die Fixsterne am Firmament festgeheftet sind, so muß dieses an dem Umschwung der beiden Hemisphären teilnehmen. Am schwierigsten ist es, über die Beschaffenheit der Sonne bei E. zur Klarheit zu kommen. Aet. II 20, 13 enthält mehrere Dunkelheiten und Widersprüche in sich selbst und mit A(^t. IT 6, 3. Besonders unklar ist das Verhältnis zwischen der archetypischen und der krystallartigen Sonne. D. glaubt durch die Annahme, daß an der ersten dieser beiden Stellen in den Worten &k tov rjXtov xov xpusxaXXoeio?] statt f^Xiov: oupavov zu lesen sei (vgl. Aet. II II, 2), und durch Berufung auf Plut. ström. 582, 11, Galen bist. phil. 626, 7 und Emp. v. 242, wo als Subjekt zu avTa-j-.'Y^ die archetypischc Sonne zu denken ist, die Sonne als Krystallspiegel aus dem Weltbilde des E. entfernen zu können. Die Worte ä-J> y.uxXoTspoüc T-?jC -/rjC, die il)m einen vollen Unsinn zu ergeben scheinen, möchte er beseitigt wissen; der Sinn wäre dann: die scheinbare Sonne ist der durch Zurückwerfung der Strahlen entstehende Widerschein der archetypisclien Sonne in der Lufthemisphäre gegen den gestirnten Himmel. Aber auch damit gewinnen wir eine durchaus widerspruchs- volle und unbegreifliche Gesamtanschauung, so daß das Endergebnis ein non liquet ist. Zum Schluß bemerkt Verf., E. sei zwar durch das Weltbild des Farmen, beeinflußt worden, aber nur in der Annahme-einer festen Hülle der Welt, die bei Farm, eine feststehende Thatsache, bei E. kosmogonisch abgeleitet ist, vielleicht auch in der Lehre von der Kugelgestalt der Erde (doch ist in diesem Funkte über Empedokles' Auffassung nichts Sicheres überliefert) ; im übrigen sei seine Konzeption durchaus selbständig. Die treibende Kraft der Weltbildung ist nicht wie bei Farm, das nach Analogie der geschlechtlichen Zeugung gedachte Zusammenwirken zweier entgegengesetzter Fotenzen, sondern die unter dem Einflüsse des veTxo? durch einen Wirbel bewirkte Ausscheidung der Elemente aus dem Sphairos. Mit dem pythagoreischen Weltbilde (Sphäienharmonie) hat E. nur die für sein System untergeordnete Unter- scheidung der Planeten von den Fixsternen gemein. Von der pytha- goreischen Dreiteilung der Welt in Olymp, Kosmos und Uranos findet sich bei ihm keine Spur. Aber E. hat seinerseits auf die dekadische Konzeption des Philolaos befruchtend gewirkt, besonders durch den kühnen Gedanken, daß unsere Sonne der Widerschein eines für uns un- sichtbaren Feuers sei. So ist er ein Mittelglied in den Wandlungen der kosmischen Theorie der Fythagoreer.

Bidez (No. 345) hat sich die Aufgabe gestellt, auf grund einer sorgfältigen Sichtung und Beurteilung der Überlieferung ein möglichst wahrheitsgetieues Bild von dem Leben und Wirken des E. zu entwerfen. Er geht hierbei mit Recht von einer Analyse der im 8. Buche des Lacrt. enthaltenen Biographie des E. aus (Etüde preliminaire S. 1—20).

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Hier wie im Fortgange der Untersuchung tritt uns überall eine genaue Bekanntschaft mit der einschlägigen Litteratur, insbesondere der deutschen, entgegen. Zu bedauern ist, daß dem Verf. die in unserm Bericht I No. 20 und 21 besprochenen Abhandlungen von W. Volkmann un- bekannt geblieben sind, die ihm namentlich für die Auffassung des Verhältnisses zwischen Suidas, Hesychios und Laertios gute Dienste geleistet haben würden. Durch eine sorgfältige und methodische Zer- gliederung der Laertianischen Vita gelaugt B. zu dem Ergebnis, daß diese Vita ihrem Hauptinhalte nach aus der ava-^pa^Tj töjv cpiXojocpojv des nach seiner Annahme am Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. lebenden Hippobotos stamme, zu der Laert. außer seinen zwei Epigrammen nur einige Auszüge aus Favorinus hinzugefügt habe. Diesem Ergebnisse ist insoweit zuzustimmen, als es B. gelungen ist, eine im Veigleiche zu der sonstigen Beschaffenheit der Sammlung des Laert. auffallend plan- volle Gliederung in unserer Vita nachzuweisen, deren Hauptbestandteile daher vermutlich demselben Autor angehören. Daß dies aber Hippobotos gewesen sei, ist eine auf den ersten Blick zwar bestechende Hypothese, die jedoch bei näherer Prüfung in zweifelhaftem Lichte erscheint, wie ich in meiner Besprechung des Buches Berl. Ph W.-Schr. 1895, 833 flf. des näheren dargelegt habe. Ich habe dort namentlich gezeigt, daß Verf. mit Unrecht aus der Vergleichung des Überganges von der Vita des Pythagoras zu der des E. 53) mit der in der ersteren 43) unter Berufung auf Hippobotos gemachten Bemerkung, nach einigen sei E. ein Schüler des Pythagoras gewesen, schließen zu dürfen glaubt, Laert. oder seine Vorlage habe die im Proömiura § 15 an- gekündigte Ordnung, nach der auf Pythagoras sofort hätte Xenophanes folgen müssen, unterbrochen, um 1. die namhaften Pythagoreer und 2. Heraklit einzuschieben; dazu aber sei er veranlaßt worden durcli eben den, dessen Darstellung er für E. benuzt habe. Die Voraussetzung, daß jene Stelle des Proömiums von der Anordnung im 8. Buche ab- weiche, ist falsch; die Auslassung des E. im Proöminm hat ihren triftigen Grund darin, daß dort nur die Schulhäupter, die man in der alexandrinischen Zeit auch für die vorsokratische Periode in regelrechter Succession aufeinander folgen ließ, angefühlt, alle übrigen aber bei- seite gelassen wurden. So hat Verf. im besten Falle nur die Mög- lichkeit dargethan, daß Hippobotos der Urheber des ganzen Be- richtes sei. Hierauf folgt im 1. Teil der Abh. (Histoire de la tra- dition S. 21—104) eine sehr eingehende Besprechung aller Autoren, die nach der Überlieferung irgend einen Beitrag zum Leben des E. gegeben haben, von den Zeitgenossen des Philosophen an bis auf Suidas. Mit großer Sorgfalt sucht B. den Anteil jedes einzelnen an der Lebens- geschichte des Agrigentiners und das Maß der Zuverlässigkeit ihrer

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Mitteilungen festzustellen. Wenn er hierbei auch, wie er selbst wieder- holt zugiebt, in vielen Punkten über unsichere Vermutungen nicht hinauskommt, so führen seine Erörterungen doch bei den Schriftstellern, über die wir etwas genauer unterrichtet sind, zu großenteils annehm- baren Eigebnissen und gewähren uns einen Einblick in die verschiedenen Stadien, die die biographische Überlieferung allmählich durchgemacht hat. Diese hat ihren Ursprung einerseits in volkstümlichen Legenden, die sich zum Teil schon zu Lebzeiten des E. gebildet hatten und von Herakleides Pont, und seinen pythagorisierenden Nachfolgern romanhaft ausgeschmückt wurden, und knüpft andererseits an Notizen politischer und litterarischer Geschichtschreiber an, unter denen sich Timaios durch verhältnismäßige Zuverlässigkeit seiner Nachrichten und verständige Kritik der Erzählungen des Herakleides hervorthut. Zu einem bio- :graphischen Ganzen wurde die bis dahin zerstreut vorliegende Tradition zusammengefaßt durch Neanthes, Hermippos, Satyros, Herakleides Lenibos und endlich kodifiziert durch Hippobotos (?). In der nach- christlichen Zeit trat das vorher lebendige Interesse an dem Staats- mann und Philosophen E. völlig in den Hintergrund, und man gefiel sich in der geflissentlichen Hervorhebung und Ausschmückung des Wunderbaren und Übernatürlichen. Besonders sei noch hingewies<;n auf 4ie treffenden Auseinandersetzungen über die Art, wie Herakleid. Pont. die Geschichte von der scheintoten Frau behandelt hat, und auf den Abschnitt über Timaios, der offenbar die Werke des E. selbst zu Rate gezogen hat. Nur ist nicht abzusehen, wie B. zu der Behauptung kommt, Tim. habe in E. besonders den uneigennützigen Volksmann be- wundert. Von einer solchen Bewunderung findet sich bei Laert. keine Andeutung; im Gegenteil läßt die Darstellung in § 66 vermuten, Tim, habe ihn für einen Heuchler erklärt, der in seinem politischen Verhalten den Volksfreund spielte, in seinen Schriften dagegen ganz entgegengesetzte Anschauungen aussprach. Auch scheint der Übergang o 76 xoi Tifiaio? darauf hinzuweisen, daß nicht die ganze vorhergehende Darstellung von § 64 an auf Tim. zurückgeht. Überhaupt muß man sich bei Laert. hüten, einen längeren zusammenhängenden Abschnitt, an dessen Spitze ein bestimmter Autor genannt wird, ohne weiteres seinem ganzen Um- fange nach eben diesem Autor zuzuweisen. So ist es z. B. sehr fraglich, ob die Mitteilung § 57 f. über gewisse Dichtungen des E., besonders über seine angeblichen Tragödien, wirklich dem kurz vorher genannten Aristot. angehört (s. Zeller 754). [In der am Schlüsse dieses Passus bei Laert. stehenden Nachricht: NedEvÖTj? oe veov ovxa i'e-ypacpevai xa; xpa7:; oiac xal auxof sireixa auxau xexu^crjxe'vat sucht B. vergebens mit dem offenbar verderbten eTteixa einen verständigen Sinn zu verbinden; Diels Hermes 24 S. 320 f. scheint das Richtige getroffen zu haben, indem er

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ETTTct für eTTEixa voi schlägt und das schlecht verbürgte a-jxai; streicht.] Durch diese Untersuchnugen hat sich Verf. den Boden geebnet, für die Darstellung der Lebensgeschichte des E., die den zweiten Teil der Schritt bildet (S. 105 I7G). Nach einer lebendigen Schilderung Agri- gents und seiner Bewohner bespricht er die Beziehungen des E. zu Pindur, Farmen., den Pytliagoreern und anderen älteren und gleichzeitigen Philosophen, ohne freilich bei dem Mangel aller näheren Nachrichteu über die Grenze des bloß Möglichen hinauszukommen. Bisweilen über- schreitet er hierbei in der Textauslcgung das Maß des Erlaubten; so, wenn er bei Ilerodot II 115 unter den Vertretern der ägyptischen Seelenwanderungslehre, deren Namen verschwiegen werden, mit Bestimmt- heit E. und vielleicht auch Pherekydes, den er als Zeitgenossen des E. (!) bezeichnet, zu erkennen glaubt. B. führt uns dann E. der Keihe nach als Apostel und Wunderthäter, als Zauberer und Arzt sowie als Begründer der Rhetorik vor, behandelt die letzten Reisen und die V^er- bannung, die Redaktion des physikalischen Lehrgedichtes und schließlich den Tod des Philosophen. Seine Erörterungen beruhen auch hier überall auf gründlicher Belesenheit und zeugen von einem nicht gewöhnlichen kombinatorischen Scharfsinne. Besondere Anerkennung verdient das Be- streben, die Fragmente des E. für die Feststellung der Daten seines Lebens und schriftstellerischen Wirkens zu verwerten, wobei neben einzelnen gewaltsamen Deutungs- und Änderuugsversuchen (s. z. B. die sehr gekünstelte Konstruktion, die B. S. 165, 2 für v. 8—10 vorschlägt, wo er den Punkt hinter izepilriTzxi streicht, hinter -eujeai ein Kolon setzt, statt 6' ouv: -foüv schreibt und die bei Sext. überlieferte Lesart o'j TtXeiov 7s beibehält [Stein und Diels nach der Paraphrase bei Sext. ou TrXe'ov f^e']; ferner S. 169 die willkürliche Interpretation der Worte V. 9 euel üio eXtaaöri;: „puisque tu t'es retire ici avec moi, puisque tu m'as suivi dans mon exil") auch manche bisher unbeachtet gebliebene Beziehung aufgedeckt wird. Aber Verf. geht in seinen Kombinationen oft zu weit: er sucht aus dem dürftigen Material zu viel herauszupressen und läßt in der Ausfüllung der Lücken der Überlieferung seiner Phantasie allzusehr die Zügel schießen. Auf diesem Wege bringt er es zu stände, die verschiedenen Phasen in der politischen und litterarischen Laufbahn des E. mit einer solchen Genauigkeit auch in der Fixierung des Chro- nologischen zu zeichnen und uns so tiefe Blicke in seine innersten Beweggründe bei der Abfassung seiner Hauptwerke thun zu lassen, als ob wir einen modernen Philosophen oder Dichter vor uns hätten. Eiu solches Verfahren steht mit den Forderungen besonnener historischer Forschung nicht im Einklaiig. Vergeblich bemüht sich B., die persön- lichen Empfindungen und Stimmungen des Philosophen aus den meist zusammenhangslosen Bruchstücken seiner beiden Gedichte herauszulesen,

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um so nachzuweisen, daß die Oustxa nach den Ka9ap[xoi entstanden seien und in seine letzten Lebensjahre fallen. Man lese, was S. 173 flf. zur Verteidigung dieser Datierung über die fragwürdige 'E;Tr]|V]at; tcLv 'E|iiTeSox>iou; des Zenon von Elea und ihr Verhältnis zu den Lehren des E. gefabelt wird, und man wird zugestehen, daß das nichts als luftige Hypothesen sind. Aber trotz dieser Mängel liefert die Abh. einen wertvollen Beitrag zur Quellenforschung und unterrichtet uns genauer als irgend eine frühere Darstellung über die Persönlichkeit und das Wirken des E, Vgl. außer meiner bereits angeführten Be- sprechung die Rezensionen in der Rev. de l'instr. publ. 1895, 248 ff. und von Döring im L. C.-Bl. 1895, 1860.

In No. 346 behandelt Bidez den erkenntnistheoretischen Staud- punkt des E. Man muß hierbei zweierlei unterscheiden: Die Frage der Methode und die des UrspruLgs und der Gestaltung unserer Erkenntnis Die Beantwortung der zweiten Frage hing von dem kosmologischen System ab, das jeder Philosoph gewählt hatte, die der ersten konute dieser Wahl vorangehen und sich an den Nachweis der Unzulänglich- keit der früheren Lehren knüpfen. Xenophanes hatte erklärt, daß der Zweifel sich auf alles erstrecken und daß man nicht über eine. provi- sorische Wahrscheinlichkeit hinausgelangen könne (?). Dieser Ge- danke bestimmte seine Methode (?). Die Affirmationen, die er neben seiner Skepsis bewahrt hat, gleichen, im ganzen genommen, mehr einer Reihe von Negationen als einem positiven Glauben [auch das ouXoc opa u. s. w. und das voou (ppevl Tiavta xpaSaivst?] . Heraklit und Parmenides waren dann bemüht, eine Vorstellung der Wahrheit zu gewinnen, die ihnen gestattete, in diesem Schiffbruch der Gewißheit ein Prinzip zu retten. Her. fand das universelle Gesetz der Veränderung [aber zugleich doch das der Einheit und Harmonie der Gegensätze]. Parm. wandte auf den nega- tiven Teil des Systems seines Lehrers Xenoph., der allein etwas Ge- wisses enthielt, die mathematische Methode (?) an, um so ein unan- tastbares Lehrgebäude errichten zu können. E. protestierte im Namen der empirischen Wissenschaft gegen die Sj^steme, die sich auf Allge- meinheiten ohne praktische Anwendung beschränken, und stützte sich dabei auf Alkmaion. Allerdings war das Band zwischen seinem Programm und seinem System nur schwach , weil er, wie alle Vor- sokratiker, nicht erkannt hatte, daß die Methode von der Erklärung der Erkenntnis abgeleitet werden muß. Zur Zeit, wo E. seine $ujixa ver- faßte, herrschte ein heftiger Kampf zwischen den philosophischen Schulen; die Stellung, die er in diesem Kampfe einnahm, wird besonders durch drei Bruchstücke gekennzeichnet: 1. v. 2-23; 2. v. 24—32; 3. v. 222 231. An der ersten Stelle bezeichnet E. nicht bloß, wie man nach der Erläuterung beiSext. angenommen hat, die Mängel der sinnlichen Erkennt-

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nis, sondern auch die der Verstandserkenntnis: der Mensch kann auf keine Weise das voUkommeue Wissen ei reichen. Doch betont er melir die Unzulänglichkeit als die völlige Unfähigkeit unserer Erkenntnis: wir müssen uns mit einem fragmentarischen Wissen begnügen. Aus v. 19 23 ergiebt sich, daß mau nach E. in der Spekulation seinen Standpunkt nicht auf einer Höhe nehmen darf, von wo man nur die großen Umrisse der Dinge bemerkt, sondern alle seine Aufmerksamkeit dem Studium der Einzelheiten zuwenden muß. Die zweite Stelle lehrt, daß sich E. nicht bloß auf die Erfordernisse der von ihm empfohlenen Methode gestützt, sundern auch ihre P'ruchtbarkeit gerühmt hat. Man kann in der Stelle alleidings eine Anpreisung der magischen und medizinischen Kunst- giiffe des E. sehen (s. Eohde Psyche^ 466); aber man kann darin auch eine Aufklärung über die nützlichen Wirkungen suchen, die E. seiner Untersuchungsmethode beilegt [dagegen ist einzuwenden, daß sich die Zusicherung übernatürlicher Kraftentfaltung und magischer Zaubermacht, wie sie E. dort dem Pausanias giebt, mit dem Grundsatze rein empirischer Beobachtung nicht verträgt. Hier liegt ein nicht hinwegzudeutender innerer Widerspruch vor, wie er uns allenthalben zwischen den kathar- tischen und thaumaturgischen Phantasien des E. und seinem nüchtern empirischen Standpunkte in der wissenschaftlichen Erklärung der Natur- erscheinungen entgegentritt]. An der dritten Stelle, die Stein mit Un- recht unter Berufung auf Sext. math. VHI 286 ans Ende des von den Pflanzen handelnden Abschnittes gestellt hat, will E. dem Pausanias zeigen, wenn er sich den Sinn für uneigennützige Forschung bewahre, so würden seine Kenntnisse und seine daraus hervorgehende Macht wachsen. In der Aufstellung dieses Programmes zeigt sich eine enge Verwandtschaft mit Alkmaion, der sich, wie es scheint, mit den Zweifeln des Xenophanes hat abfinden wollen. Seine von E. wieder aufgenommene Methode ist vielleicht dieselbe, die in den medizinischen Schulen des griechischen Westens herrschte. Indem E. ein Programm von Einzel- forschungen aufstellte, die sichere Ergebnisse liefern würden, hoffte er dem 3oxo? des Xenophanes zu entgehen. Die allen diesen Gruppen ge- meinsame Methode ist die der geduldigen und verständigen Beobachtung. E. hat sich zuweilen von dem Zwange dieser Methode befreit, aber der größte Teil seines Werkes steht unter ihrem Einfluß. Niemand vor Aristot. scheint so wie er alle Phänomene des Pflanzen- und Tierlebens verzeichnet zu haben [aber Demokrit hat ihn darin doch weit über- troffen]. Man findet bei ihm nicht die subtilen Wortkombinationen wie bei Parraen.; er beruft sich auf die Erfahrung, so v. 98 ff , 119 ff., 80 ff., wo die universale Wirksamkeit der Liebe auf eine Beobachtung des täglichen Lebens zui'ückgeführt wird (v. 85 liest B. mit Preller TTjv o'jTt; 7' ö'jsotJiv und erklärt die Stelle abweichend von Zeller 804, 4,

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aber schwerlich richtig), 316 ff., 287 ff. Die von ihm für falsch ge- haltene Beweisführung bezeichnet er durch das charakteristische Bei- wort XiKo'SuXot V. 97 und 210. Die Polemik in der ersten Stelle be- zieht sich auf Heraklit und Farmen., vornehmlich aber auf den letzteren. Dieser zählte nicht nur die Attribute des Seins auf, sondern behauptete auch die Summe alle übrigen Kenntnisse zu besitzen, die er in das Gebiet des trügerischen Scheins verwies, und legte sich somit eine Art von Allwissenheit bei. Dagegen wendet sich E. v. 2 10. Daß diese Stelle auf Her. zielt, ist nicht wahrscheinlich, da diesen bereits Farm, widerlegt hatte und E. daran lag, Heraklits System zum Teil wieder zur Geltung zu bringen. Dagegen mußte er in Farm, den gefährlichsten Vertreter der von ihm bekämpften Richtung sehen. Noch deutlicher ist die offenbar ironische Anspielung v. 13 18 auf Farm. 1, 1 ff. Er bekämpft hier den sterilen Wissensstandpunkt des Farm, um so leb- hafter, je häufiger er im Detail seines Systems Theorien wieder auf- nahm, die jener schon vorgetragen hatte. So schließt er sich darin an Farm, au, daß er für eine seiner kosmischen Ferioden die Idee eines kugelförmigen Seins beibehält und daß er ganz analog der parmeni- deischen Unterscheidung von dlr^^Bia und öo$a auf die eine Seite, die der Wahrheit, die vier unveränderlichen, stets und überall sich gleichenden Elemente, auf die andere, die der trügerischen Vorstellungen und Aus- drücke, die vulgäre Auffassung vom Entstehen und Vergehen stellt. Aber er läßt die von Farm, ausgeschlossene Bewegung zu, v/obei er freilich weniger die Erscheinungen um Rat fragt als den Faradoxien Heraklits folgt; ja er versucht selbst in dieser Bewegung der Lehre des Eleaten von der Uubeweglichkeit einen Flatz anzuweisen (v. 69 73). Daneben hält er jedoch an dem Studium der Einzelheiten und an der Beobachtung der sinnlichen Erscheinungen fest und wendet sich ent- schieden gegen die Forderung das Farm., daß man von der sinnlichen Wahrnehmung keinen Gebrauch machen dürfe. Aus alle dem ergiebt sich, daß E. nicht das System des Farm, aufgeben, sondern erweitern wollte, indem er seiner Metaphysik die Erfahrungswissenschaft hinzu- fügte und zugleich das parmenideische Frinzip der Unveränderlichkeit des Seins durch das heraklitische des allgemeinen Wechsels ergänzte und sie so miteinander verknüpfte, daß er jedes einer der beiden sich beständig abwechselnden Perioden zuwies [aber in beiden Ferioden herrschen doch Bewegung und Wechsel, Mischung und Entmischung]. Er begnügt sich nicht mit dem einen Wege des Farm., sondern ver- bindet damit den anderen (v. 55 ff. 230 f.), ein E kiekt icismus, der freilich niemand befriedigen konnte. In Übereinstimmung mit dieser eklektischen Richtung spricht E. in der Regel nicht wie Farm, von dem Irrtum der Menschen, sondern nur von den Lücken eines unvoll-

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kommenen Wissens. Wo er die Erkenntnis preist, stellt er den Geist als bereichert, nicht als von trügerischen Vorstellungen befreit dar. Auf den erkenntnistheoretischen Unterschied von Irrtum und Wahrheit hat er seine Aufmerksamkeit noch nicht gerichtet. Die Vorsokratiker unterschieden überhaupt noch nicht scharf zwischen sinnlicher und ver- nünftiger Erkenntnis. Parm. zwar war nahe daran gewesen: aber E. scheint dies nicht wahr geworden zu sein. Bei ihm bilden alle Er- kenntnismittel eine Gruppe. Die vernünftige Erkenntnis spielt zwar bei ihm eine große Rolle, ja er stellt sie in Gegensatz zu der grob- sinnlichen Aufnahme der Eindrücke der Außenwelt (v. 81). Aber nach seiner Auffassung stammten die abstrakten Ideen des Hör. und Parm. ebenso wie seine eigenen Konzeptionen des Hasses und der Täebe aus keiner anderen Quelle als die der vier Elemente. Einen Sensualisteu darf man ihn trotzdem nicht nennen; dieser Begriif hat erst für eine spätere Zeit (Demokrit, Protagoras) Geltung. Zum Schluß erörtert B, die Frage, ob E. den Widerspruch zwischen seiner experimentellen Methode und seinen rein intellektuellen metaphysischen Vorstellungen erkannt und wie er sich etwa eine Ausgleichung dieses Widerspruchs gedacht hat, kommt aber dabei, wie nicht anders zu erwarten war, über die Aufstellung verschiedener Möglichkeiten nicht hinaus, zwischen denen es schwer sei eine Wahl zu treffen. B. ist in dieser Abh. zurückhaltender und vorsichtiger als in No. 395. Er beansprucht nicht wie dort in das Geheimnis der geistigen Entwickelung des E. einge- drungen zu sein und erklärt S. 159 ff. ausdrücklich, es wäre gefährlich, die in seinem früheren Werke aus den religiösen Skrupeln des E. (v. 13 ff.) gezogene Folgerung, daß die KaOap|xoi den <&u(jtxa vorange- gangen seien, zur Stütze für eine Rekonstruktion seiner Lehre zu machen. An unsicheren Hypothesen freilich fehlt es auch in dieser Abh. nicht. Es ist dem Verf. nicht gelungen, eine bestimmte und klare Auffassung von der erkenntnistheoretischen Methode aus den Bruchstücken des E. zu gewinnen; eine Aufgabe, die allerdings auch wohl kaum lösbar ist, weil E. keinen festen Standpunkt in dieser Frage einnimmt und zwischen Dogmatismus und Skepticismus unklar schwankt. Eine Vorliebe für empirische Erforschung der Einzelerscheinungen tritt ja unverkennbar bei ihm hervor, und er stellt sich damit in einen zum Teil bewußten und ausgesprochenen Gegensatz zu Parm. wie zu Her. Eine solche po- lemische Absicht hat B. mit richtigem Blicke in einer Anzahl von Frag- menten erkannt. Treffend, obwohl nicht neu, ist auch der Nachweis, wie E. die Grundlehren des Parm. und Her. mit einander verschmolzen hat, weniger glücklich dagegen, wie schon oben angedeutet, der Versuch, die beiden Weltperioden des Streites und der Liebe auf den parmeni- deischen Gegensatz von oo;a und (iÄr,8eia zurückzuführen.

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Thiele sieht in auffallender ÜbereiDstimmung' mit Knatz (s. o. No. 332), dessen Abhandlung er jedoch, da er ihn niemals nennt, nicht gelesen zu haben scheint, in dem Zeus bei E. die Luft, in der Hera die Erde und in dem Aidoneus das Feuer. Mit dieser Bezeichnung des Feuers appelliert E. an eine religiöse Vorstellung seiner Lands- leute, da die Agrigentiner gewiß in dem Feuerberge Siziliens auch den Herrn der Unterwelt vermuteten, wie schon die Legende vom Tode des E. beweist. Knüpft er doch auch mit dem Namen N^aitc für das Wasser au den Lokalkultus einer Nymphe (vgl. Photios s. v. Nt^sty); und den Komiker Alexis Fr. 22 K. und dazu Kaibel S. 69, 2). Frei- lich hat das unendliche, gestaltlos im Weltenraume gedachte Element, dessen Abflüsse oder Niederschläge (oaxpua) jeden lebendigen Quell speisen (T£77et xpouvojjxa ßpoxeiov), mit einer bescheidenen Wassernymphe nichts als den Namen gemein. Dies Spielen des E. mit Götternameu artet zur ironischen, tendenziösen Nachahmung aus (v. 393 ff.). Die Verteilung der vier Götternamen auf die Elemente des E., so daß Luft und Feuer männlichen, Erde und Wasser weiblichen Gottheiten zu- fallen, hat eine gewisse Analogie auf einigen bildlichen Darstellungen, vor allem auf einer Federzeichnung des Pergamentkodex 2600 der Wiener Hofbibliothek. Th. sieht in dieser S. 71 reproduzierten Dar- stellung, wo die vier Elemente in eigentümlichen allegorischen Gestalten erscheinen, ebenso wie in einer Münchener Miniatur, in der Giebelgruppe des kapitolinischen Juppiter (s. E. Schnitze, Arch. Z. 1873, 1 ff.), einem kapitolinischen Saikophage (hier vermutet er in zwei Figuren ""Epo)? und Neixos) und anderen Darstellungen antike Tradition, giebt jedoch zu, daß sich eine direkte Beziehung auf E. nicht nachweisen läßt. Die Bedenken, die oben gegen Knatz' Deutung der Götter- namen geäußert worden sind, werden durch solche Analogien selbst- verständlich nicht beseitigt.

Ein wichtiger Punkt der Lehre des E. ist während der Berichts- zeit in mehreren der im allgemeinen Teile unseres Berichtes besprochenen Arbeiten erörtert worden. Es handelt sich um die Frage, ob sich die uns erhaltenen Fragmente und Zeugnisse über die Entstehung einer Welt, insbesondere organischer Wesen, nur auf die Weltperiode der Liebe oder zum Teil auch auf die des Streites beziehen. Dümmler, Akad. 217 ff. glaubt im Gegensatze zu Zeller sichere Spuren einer Be- schreibung der unter der Herrschaft des Streites sich vollziehenden Entwickelung gefunden zu haben und sieht besonders in dem dritten der vier von E. geschilderten Stadien der Entwickelung lebender Wesen v. 262 ff. deutliche Merkmale der NeTxo?-Periode, der dann auch das vierte Stadium zufallen muß, während die beiden ersten anerkannter- maßen der OiMa-Periode zuzuweisen sind. Dem entsprechend vermutet

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D., daß E. auch den Urzustand des Menschengeschlechtes (vgl. darüber Norden No. 86 Ber. I 238) zwiefach dargestellt hat. Das Menschen- geschlecht der <l>iXoTr,c habe er sein Dasein in ungetrübter Glückselig- keit beginnen lassen, wogegen das Zeitalter des Neixo» mit a/lr^lo<fa-('.% begonnen habe. Diese Auffassung weist Zeller P 795, 1 zurück und beruft sich dafür, daß E. die vier Schöpfungsakte demselben Zeitalter zugeteilt hat, auf Theophrast bei Aet. V 19, 5. Dagegen unterscheidet ßurnet earl. gr. ph. 260 ff. ähnlich wie Dümmler zwei Schöpfungs- perioden; in der ersten seien die getrennten Körperteile durch das An- wachsen der Liebe vereinigt, in der anderen die „whole-natured forms* (ouXocpuei; v. 265) durch das Überwiegen des Hasses differenziert worden und so der jetzige Zustand der Dinge mit seiner Verschiedenheit von Art und Geschlecht eingetreten. Im Zusammenhange hiermit sucht B. aus mehreren Stellen des Aristot , besonders 344 a 5, darzuthun, daß nicht, wie Karsten, Zeller und Tannery annehmen, die Periode des Eindringens der Liebe, sondern die der Scheidung der im Sphairos vereinigten Elemente durch den Streit die sei, in der wir leben. Be- merkenswert ist auch, daß B. einen scharfen Unterschied macht zwischen der Liebe, die von außen in die getrennten Stoffmassen eindringt und eine Anziehung des Ungleichen bewirkt, und jener „Anziehung des Gleichen durch das Gleiche", die auf der eigentümlichen Natur jedes Elementes zu beruhen scheint und nur wirksam werden kann, wenn der Streit den Sphairos trennt (?). Auf Dümmlers Seite stellt sich auch Gomperz Gr. D. 448 f., der Aet. V 19, 5 die Konjektur oXotpuöiv statt dXXTjXoipuuiv für unsicher hält und statt ex tcüv ofiotiuv: ly, tcüv 6|i.o5-oi- 7 (UV Termutet.

Schließlich erwähne ich noch, daß Gomperz Gr. D. 447 f. die Lengnung des Leeren E. abzusprechen sucht: er will v, 91 den Genetiv Tou -avTo; von xevsov abhängen lassen. Dieser Deutung gegenüber ver- weist Diels zu Fr. 13 seiner Ausg. auf Pannen. 8, 22, 45 ff.

Zum Text der Fragmente

ist im Obigen fast alles Wichtige bereits erwähnt worden. Hinzuzufügen wären etwa noch folgende Konjekturen: V. 110 r^ ylp statt r,v 7. oder et 7. Nauck lambl. S. 236 [von Diels aufgenommen]. 277 dpöpcooeaxöpoi St. dvopojoesTcpoi Nauck stud. Eurip. I 32. 315 hatte Diels Dox. 501 ddpxivov 0 3-oüv für j. o^ov vermutet; Gorg. und Emp. 362 dagegen ver- wirft er diese Konjektur und verteidigt die überlieferte Lesart (vgl. seine Ausg. zu Fr. 99). 369 hat Bernays dvd-f/rj? pr,[jLa statt d. ypr^[Lai (s. 0. Kern, Arch. I 505, 1 nach einer Mitteilung von Diels), Weil (nach Diels zu Fr. 115 seiner Ausg.) xpT|j.a vorgeschlagen [Diels behält ypTjixa

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bei und erklärt es mit effatum, vaticinium, xo xexpTQiJ-evov]. Zu den beiden Epigrammen des E. (Stein p. 9), deren Echtheit Di eis Gorg. und Emp. 3G2, 1 verteidigt hatte, während er sie jetzt in seiner Ausg. unter die gefälschten setzt (Fr. 156. 157), vgl. Bergks P. L. Gr. II ed. 4, Hiller- Crusius, Anthol. lyr. S. 128 und XXXVI und zu dem ersten Preger Inscr. metricae Leipzig 1891 S. 40f. , der unter der Voraussetzung, daß E. der Verfasser ist, durchweg die dorischen Formen hergestellt hat, da E. in einer öffentlichen Urkunde schwerlich ionisch geschrieben haben würde. Einen neuen Vers hat Di eis Doxogr. 613 Anm. bei Stob. ecl. I 15, 2a erkannt. Er ist dort ohne Lemma überliefert (die Notiz Heerens, daß im cod. Vat. das Lemma napfxevtoou beigeschrieben sei, auf grund deren Brandis den Vers dem Parm. beigelegt hatte, ist unglaubwürdig; vgl. Wachsmuth z. d. St.); aber da ihm unmittelbar ein Vers des E. (v. 138) folgt, mit dem er sich aufs beste zusammenfügt, so hat Diels mit Recht beide Verse, zu einem Fragment verbunden, in seine Ausg. aufgenommen (Fr. 28). Der Vers lautet bei Diels: dXX' o 7s Travxo&sv Ijoc <£riv> [<iojv> Wachs- muth nach Grotius] xal T:a|X7rav direipcüv. Zeller 780, 3 bemerkt richtig, daß ötTTEipojv hier nur die Bedeutung „rund" haben kann.

G. Anaxagoras. 1. Znm Leben nnd zur Lehre des Anaxagoras.

*349. Canton, The death of A. Contemporary Review. Jan. 1880.

*350. Th. H. Martin, Sur Anaxagore. Acad. d. Inscr. et Belles-Lettres. 13. Okt. 1876. Vgl. Rev. crit. 1876, 271.

=^=351. P. Tannery, La theorie de la matiere d'A. Rev. philosoph. 1886 No. 9. Vgl. Science hellene 275 ff.

352. A; Kothe, Zu A, von Klazomenai. N. Jahrb. f. Phil. 133 (1886) S. 767—771.

*353. S. Fimiani, Alcune osservazioni su la relazione tra il vüüj e la 4iuyy^ nella dottrina di Anaxagora (estratto) Roma 1889. 140 S. 8.

354. M. Heinz e. Über den vou; des A. Ber. d. sächs. Ges. d. Wiss. Phil.-hist. Kl. 42 (1891) S. 1-45.

355. E. Arleth, Die Lehre des A. vom Geist und von der Seele. Arch. f. Gesch. d. Philos. VII (1894/95) S. 59—85 und S. 190-205.

356. E. Zeller, Zu A. Ebenda S. 151 f.

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357. E. Arleth, Zu A. Ebenda S. 461—465. *358. E. Dentler, Die Grundprinzipien der Philosophie des A. Dissert. München 1897. 35 S.

359. P. Decharnie, Euripide et A. Rev. d. etudes grecques II (Paris 1889). S. 234—244.

360. L. Parmentier, Euripide et A. Paris 1893. 115 S. 8.

361. F. Polle, Ovidius und A. N. Jahrb. f. kl. Phil. 145 (1892) S. 53-59.

Kothes Abhandlung enthält drei Beiträge zu A., von denen sich die ersten beiden auf die Lehre, der dritte auf das Leben des Philo- sophsn beziehen: 1. Sextus hyp. I 33 läßt A. auf die Schwärze des Schnees aus der des "Wassers schließen. Ein so kindischer Schluß darf dem scharfsinnigen Physiker nicht zugetraut werden; er kann unmöglich das Schwarze für die natürliche Farbe des Wassers gehalten haben. Jene Behauptung vom Schnee bildet vielmehr einen Teil seiner erkenntnis- theoretischen Erörterungen. Vgl Cic. Acad. II 100, wonach er über- haupt die weiße Farbe des Schnees geleugnet zu haben scheint (?). Die Farbe ist ihm nichts Objektives, sondern nur die Wirkung des Lichtes; ohne Licht giebt es keine Farbe. So ist auch der Schnee nicht an sich weiß, bei völliger Dunkelheit ist auch er schwarz. Aber bei Cic. liegt ganz deutlich derselbe Schluß wie bei Sextus zu gründe. Aus beiden Stellen ergiebt sich, daß nach A. der Schnee ursprünglich schwarz ist wie das Wasser, aus dem er durch Verdichtung entstanden ist („unde illa concreta esset" Cic.) und daß er dem, der dies weiß, gar nicht mehr schwarz erscheint. Dies darf aber nicht mit K. so verstanden werden, als ob A. die zuerst von den Atomikern ausgesprochene Sub- jektivität der Sinneswahrnehmungen gelehrt hätte, was nirgends bezeugt wird und sich auch mit seiner Lehre von der ursprünglichen Mischung kleinster qualitativ bestimmter Stoffteilchen nicht vertragen würde, sondern nur in dem Sinne, daß die Wahrnehmung unsicher ist und uns über das Wesen der Dinge täuschen kann. Eine solche Annahme steht auch im Einklänge mit der Ansicht des A., daß das Wesen der Dinge nicht durch die schwachen Sinne, sondern nur durch den reinen und unvermischten Geist erkannt werden kann (s. Zeller 1075 ff.). Ein merkwürdiges Paradoxon freilich bleibt der Ausspruch auch so, innerhalb des auaxa- goreischen Systems, wenn man bedenkt, daß A. sonst überall die unsern Sinnen sich darbietenden Besonderheiten der Einzeldinge aus dem Über- wiegen bestimmte^- Stoffteile in den aus einem Gemenge der verschieden- artigsten „Samen" gemischten Gebilden erklärt. Eine geistvolle Ver- mutung über die Genesis dieses Paradoxons wagt Gomperz Gr. D. S 172 und 445, durch die er den grellen Widerspruch, der seiner Meinung nach

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sonst zwischen dem felsenfesten Glauben des Ä. an die qualitative Wahr- haftigkeit der Sinneseindiücke (?) und der Behauptung bestände, daß uns das Gesicht in diesem Falle täuscht, beseitigt zu haben glaubt. Hiernach hätte A. auf die im Sonnenglanz strahlende weiße Winter- decke beharrlich geschaut, bis schließlich sein geblendetes Gesicht schwarz zu sehen begann, und so in der optischen Täuschung eine Be- stätigung seiner vorgefaßten Meinung erblickt. Diese Deutung stimmt allerdings, wie G. bemerkt, zu dem Wortlaut der angeführten Mitteilung Ciceros; aber der objektive Widerspruch, der durch das Wort vom Schnee in die Lehre des A. hineingetragen zu werden scheint, wird durch eine solche subjektive Erklärung nicht aus der Welt geschafft. 2. Bei Laert. II 11 will K. statt (ju-f^pacp^c schreiben: ouv YpacpT; „mit einer Zeichnung", indem er sich auf Clem. ström. 416 D: öia Ypa'pTi; beruft, und glaubt auf grund dieser Konjektur das Vorkommen von illustrierten Handschriften, das nach der bisherigen Ansicht erst mit oder kurz vor Aristoteles begann (s. Bergk Gr. Litt.-G. I 236), um ein Jahrhundert früher ansetzen zu dürfen. Ich kann diese Vermutung trotz der Zu- stimmung von Gomperz (Gr. D. 445) nur für verfehlt halten. Viel- leicht ist bei Laert. axif]vo7pa9iVj? zu lesen; vgl. die von K. angeführte Stelle bei Vitruv VII praef, 11, wonach A. eine dxTivoypacptr] geschrieben haben soll. 3. Die verschiedenen, zum Teil entgegengesetzten An- gaben über den Prozeß des A. (Laert. II 1 2 ff.) machen es wahrschein- lich, daß es zu einer formellen Anklage überhaupt nicht kam, sondern daß Perikles den A. vorher aus der Stadt entfernte (Flut. Per. 32), Hätte der Prozeß einen bestimmten Ausgang gehabt, so würden solche Widersprüche nicht möglich sein (?). Die merkwürdige Angabe des Satyros, A. sei nicht bloß aaeßeia?, sondern auch [j.ri8ic7|j,o!j angeklagt worden, scheint auf Rechnung des Stesimbrotos gesetzt werden zu müssen, der A. zum Lehrer des Themistokles machte und ihn auch in den Sturz seines Schülers verwickelt dachte. Diese Annahme hat manches für sich; sie ließe sich auch sehr gut gegen Ungers willkür- liche chronologische Ansätze (s. ßer. I 200) verwerten.

Fimiani nimmt nach dem Bericht Chiappellis Arch, V 425 ff. im Gegensätze zu Trendelenburg und Zeller an, daß Aristot. mit Un- recht dem A. die Gleichsetzung von voüc und <]>o-/t^ beilege.

Heinze wendet sich gegen die Auffassung von F. Kern und Windel- band (s. Bd. I 219), die den voü? des A. als etwas Stoffliches und Aus- gedehntes ansehen. Er geht davon aus, daß vou; bei Homer (und ähn- lich bei den älteren Dichtern und Prosaikern, z. B. bei Herodot) immer etwas Seelisches bezeichnet und nie von einem körperlichen Organ ge- braucht wird wie cppsvs;. Bei Xenophaues finden sich ^Co(: (Fr. 3 K. voou cppsvi --- votp 9pevoj, von Kern treffend „mit denkendem Geist"

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzlng.) C3

übersetzt) uud seine Derivata voeiv und vor,|j.a nur vom Denken und deu Gedanken der Gottheit gebraucht. [Wunderlicii ist die Frage lleinzes, ob nicht in Fr. 2 voeTv vielleicht ,wahrnehmeu'' bedeute, da es zwischen opäv und axoueiv stehe; es kann hier ebenso wie in dem be- kannten Verse Epicharnis, auf den H. verweist, nur etwas von der sinnlichen Wahrnehmung Verschiedenes bezeichnen; Epicharm will ja gerade sagen, daß der Verstand hört und sieht, nicht die Sinnesorgane selbst. Für die Mittelstellung des voetv zwischen dem Sehen und dem Hören bei Xenoph. vgl. Soph. Oed. R. 371]. Xenopli. hat zwar das Denken seines Gottes sehr bestimmt ausgesprochen, aber ohne es zu h ypostasieren ; das Denken ist die eine Seite seines Prinzips, die andere ist die Ausdehnung und Körperlichkeit. So ist er in höherem Grade Yoigänger Spinozas als Farmen., der gerade die Geistigkeit des Seienden nicht betont uud bei dem sich voo^, vorip-a und voeTv stets nur auf den Menschen bezieht (Farm. 16, 4 D.: -rö -/ap ttXIov esrl voTiixa faßt Windel- band Gesch. d. alten Fh. 2 S. 41 ttXeov fälschlich im Sinne des „Vollen"; es bedeutet vielmehr nach Theophrast d. sens. § 3 f. das GnepßaXXov, das überwiegend vorlierrschende Element in der Mischung des Menschen und hat in keinem Falle einen kosmologischeu Sinn). Bei Heraklit liegt der Naclidruck nicht wie bei Parm. auf dem subjektiven Moment des menschlichen Denkens, sondern auf dem göttlichen, vernünftigen ProzeC in der Welt; daher nennt er seinen Stoff nicht vou;, das auch bei ihm nur vom menschlichen Verstände gebraucht wird, sondern Xö-^o^. A. stellte sich vielleicht in bewußten Gegensatz zu Heraklit, indem er die Ordnung in der Welt nicht wie dieser aus dem Stoffe selbst her- leitete, sondern aus einem außerhalb des Stoffes stehenden denkenden und ordnenden Prinzip. Die Prädikate aixqy];, draOrj; und auXoü;, die Aristot. d. an. 405a 13 dem voü; des A. beilegt, mögen von Aristot, selbst und nicht von A. herrühren; aber sie ergeben sich unmittelbar aus seineu Bestimmungen in Fr. 6 Schorn. Wenn A. an derselben Stelle den voü? auch als aizetpov bezeichnet, so kann damit nicht die unendliche Ausdehnung, die A. oft von dem Stoffe aussagt, sondern im Gegenteil nur etwas, für das es überhaupt keine Grenze giebt, also die Negation der Ausdehnung gemeint sein; Zellers Deutung „die un- begrenzte Macht des Geistes^ paiit nicht in deu Zusammenhang [Zelle r verwirft mit Recht (P 992, 1) die Heinzesche Erklärung, giebt aber zu, dal.) das aTieipov einen auffallenden Gegensatz zu dem Travxoj p-oipav [xe-rr/siv der andern Dinge bildet, und hält daher jetzt aTisipov, obgleich es bereits in der Handschrift des Simpl. gestanden haben muß, für verderbt; es sei dafür ä|xoipov {^ ouSevoc [xoTpav eyov) oder besser noch nach Aristot. a. a. 0. a-Xo'ov zu lesen. Den zweiten Vorschlag, der ohne Zweifel den Vorzug vor dem ersten verdient, begründet Zeller Miscell. (s.

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Ber. 1276) S. 441 ff. näher, wobei er auf Aristot. Metaph. 989b 17: TouTo 7ap airXouv xat «(xqej verweist. Ebenda deutet er auch die Worte fjLEfxtxxai ouöevl ypr][xaTt richtig' so: „es ist ihm nichts beigemischt, er ist mit nichts vermischt; vgl. Fr. 5]. Im Widerspruche mit diesen die rein geistige Natur des vou? hervorhebenden Prädikaten scheint nun freilich das XeTiToxaTov te ttocvtiuv yprjixaxwv xal xaftapcuxa-ov in dem- selben Fr. zu stehen. Aber die ypr^ixaTa sind hier nicht im engeren Sinne, wie sonst bei A., als materiell zu fassen, sondern im weiteren Sinne wie unser „Ding" (ähnlich auch in dem bekannten Satze des Pro- tagoras). Auch Xettto; wird keineswegs bloß materiellen Gegenständen beigelegt; vgl. XeTitYj }jl^tic bei Homer. Ebensowenig zwingt uns der Superlativ, den voü? zu dem Stofflichen zu rechnen, wie das beistehende xaöapwxaxov beweist, das A. statt des völlig hiureiclienden xaf>apov ge- braucht, um die Unvermischtheit des voüc noch stärker auszudrücken. Ans den widerspruchsvollen Berichten über Archelaos läßt sich kein Rückschluß auf A. machen, wie Kern thut, ebensowenig aus den Frag- menten des Diogenes, der zwar einiges von A. übernommen hat, aber in andern Punkten ihm gegenübertritt. Dagegen erscheint bei Piaton und bestimmter noch bei Aristot. (und ebenso bei Theophrast) der voü; des A. der stofflichen Welt diametral entgegengesetzt. Hiernach ist A. der erste bewußte Vertreter des Dualismus von Geist und Stoff. Sein vouc ist nicht bloß Intelligenz, sondern auch thätige Kraft; er be- sitzt allumfassendes Wissen und Macht. Daß sein Wirken ein zweck- volles ist, ergiebt sich ans Fr. 6 und wird durch Aristot. bestätigt. A. hat demnach seinem voü? Bewußtsein, ja Selbstbewußtsein, also das, was wir Persönlichkeit nennen, verliehen. Wenn auch in den Frag- meuten der voü; nirgends als Gottheit bezeichnet wird, so ist doch thatsächlich A. als philosophischer Theist zu betrachten. Eine ins Spezielle gehende Teleologie hat er allerdings nicht gelehrt und noch weniger als Zweck der "Welt den Menschen angesehen. Die von Dümmler Akad. 103 ff. für die Annahme einer solchen Zwecktheorie benutzten Stelleu Aet. II 8, 1 und Plut. d. fort. c. 3 lassen sich in diesem Sinne nicht verwerten. Daß A. aber den voü; nicht von jeder weitereu Einwirkung fern gehalten hat, beweist die Bemerkung des Aristot. (Met. 988 a 18): A. habe den voü?, wenn er in Verlegenheit Avar, herangezogen [s. jedoch Zeller 998 f., .]; sehr häufig freilich kann dies nach den Klagen Piatons nicht gesc ')en sein. Diese Aua- lührungeu haben gegenüber dem Bestreben, U'>u voüc des A. als etwas vom Stoffe nicht wesentlich Verschiedenes hinzustellen , ihre volle Be- rechtigung. Auf der andern Seite aber geht Verf. zu weit, wenn er das Geistige des vouc bis zur selbstbewußten Persönlichkeit steigert vind sein Wirken als ein durch Zwecke bestimmtes bezeichnet. Die

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Begriffe des Selbstbewußtseins wie des Zweckes waren überhaupt in der vorsokratischen Philosophie noch nicht ausgebildet und konnten von A. nur dunkel vorgeahnt, aber nicht klar erfaßt werden. Ä. er- hebt sich mit seinem Gedanken eines "Weltbewegers und Weltordners über den Standpunkt des natur-philosophischcn Realismus seiner Zeit, steht aber doch noch mit einem Fuüe auf dem Boden dieses Realismus (s. Zeller 1001). Daraus mußten sich, zumal die philosophische Sprache damals noch wenig ausgebildet war, Unklailieiteii und Widersprüche in der Bestimmung der Eigenschaften des voöj ergeben, die H. ver- geblich im Sinne seiner Autfassung umzudeuten sucht. Ich werde hierauf bei Besprechung der in gleicher Richtung sich bewegenden Arbeit Arleths näher eingehen. Auch gegen einzelne Bemerkungen des Veif, wie z. B. gegen die wunderliclie Erklärung der Worte &<s-zt Ticpf/tupYJjai TT)v apyrjv in Fr. 6 wäre Widerspruch zu erheben. Ich be- schränke mich hier jedoch auf folgenden Punkt. H. hält es im Gegen- satze zu Schleierraacher, Breier und Zedier für wahrscheinlich, daß A. selbst den Ausdruck 6ixoto}X£peiai oder wenigstens 6(xoto|X£pyj gebraucht hat. Die Gründe, die er für diese Meinung ausführt, sind nicht ge- eignet, das Gewicht der Beweisführung Breiers (Philos. des A. 1 ff.) irgendwie zu erschüttern. Vgl. auch Zeller 981 if. Entscheidend ist die Thatsache, daß A. da, wo man den Ausdruck Homöomerie erwarten sollte, oTrepfiara oder -/pr^ixaTa gebraucht, und daß auch Simpl. d. cael. 268b 37 ausdrücklich bezeugt, A. habe die 6|xoio[i.ep^ oTre'pjxaTa ge- nannt. Diesen Zeugnissen gegenüber will es wenig besagen, daß Aristot. den, wie es scheint, zuerst von ihm geprägten Ausdruck 6}xoto(jL6pT) (Piaton hat ihn noch nicht, obwohl ihm der Begriff bekannt ist; vgl. Piotag. 329 D) auf die Stoffteilchen des A. anwendet, und noch weniger, daß die Späteren mit Vorliebe von den oixoiofxe'peiat des A. sprechen und gelegentlich auch, wie Simpl. und Aet., dieses Wort als von A. selbst herrührend bezeichnen (vgl. Schaubach Anaxag. Fragm. S. 89). Wie Gomperz Gr. D. 446 diesen späten Zeugnissen eine ent- scheidende Bedeutung beilegen kann, ist mir unverständlich. Wenn derselbe Gelehrte nach dem Vorgänge von Munro Lucret. ed. III (1873) 390 f. aus Lucr. 1834, wo es von A. heißt; rerum cum dixit homoeomeriam, und aus einer Stelle bei Epikur ti. «puaetu; lib. 28 Fr. 6 (s. Gomperz Zschr. f. d. Österreich. Gymn. 18, 212) auf den Gebrauch des Wortes bei A. schließt, weil Epikur und nach ihm Lucrez nicht den mindesten Grund gehabt hätten, aristotelische Kunstausdrücke zu verwenden, so ist dagegen zu bemerken, daß Lucrez, wie Woltjer Lucr. philosophia cum fontibus comparata 1877 S. 27 ff. darthut. A. so wellig wie Heraklit gelesen hat, Epikur aber an jeuer Stelle A. über- haupt nicht nennt und das Wort auch ia ganz anderem Sinne als A. Jahrefbericht fOr Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. a008. T.) ^

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seine anspixaTa gebraucht (s. Woltjer S. 30, 1). Noch haltloser ist die Vermutung Dümmlers Akad. 224, der unter Berufung auf Aet. ¥26,4, wo TToXuixe'peia und 6[jLoio(jL£peia in einer Darstellung der Lehre des Emped. von der Entstehung der organischen Wesen vorkommen, es für wahr- scheinlich hält, daß Lucrez das Wort entweder direkt oder durch Ver- mittelung der Empedoclea Sallusts von Emped. entlehnt habe (s. Zeller 983, 1). Eine kurze Besprechung der Abhandlung Heinzes findet sich bei E. Wellmann Arch. V 95 f.

Arleth (No. 355) beginnt in Abschn. I mit einer Prüfung der Gründe für die Körperlichkeit des vou;. Er schließt sich im wesent- lichen an die Beweiführung Heinzes an. AeTiTOTarov und xai)apiu-aTov sind keine physischen Bestimmungen, auch nicht inadäquate Bezeichnungen, sondern metaphorische Ausdrücke. Für den Gebrauch von Xetttoc im Sinne von „scharfsinnig" führt er außer der homerischen |x^Ttc XeTrtyj noch Beispiele aus Euripides (Xentoc vouc und Xtizx^ ?PtO «nd Ari- stophanes (avops Xetttcu Xo^kjtoc) an. Bei Piaton Krat. 413 C bedeutet 6ta TrdEvTtuv lo'vxa nicht, daß der Nus in allen körperlichen Dingen gegen- wärtig sei; im Gegenteil, die Verbindung mit dem „Unvermischten" beweist, daß PI. nicht an eine körperliche Gegenwart gedacht haben kann. In Fr. 6: wo^ koEj ojjloioc Isti xal 6 }j.e'!^ü)v xai 6 eXaa'jcov spricht A. nicht, wie Windel band, Zeller und Heinze wollen, von Teilen des voü;, die sich ihrer Größe nach unterscheiden, sondern von Unterschieden der Begabung. Es wäre überhaupt unverständlich, wenn A. neben der unvernünftigen Materie noch eine vernünftige angenommen hätte; dann hätte er ruhig bei dem die Weltintelligenz in sich enthaltenden materiellen Prinzip des Anaximander, Anaximenes und Heraklit bleiben können. Aach würde dann Aristot. sicherlich den in einer solchen Hypothese liegenden Widerspruch so gut wie bei Melissos gerügt haben, den er jj.ixpov d-fpotxoTspo; nannte, weil er behauptete, das ov sei sowohl un- körperlich als räumlich ausgedehnt. Diese Begründung läßt die Haltlosigkeit der Heinzeschen Auffassung nur noch schärfer hervor- treten. Eine metaphorische Bedeutung kann Itniö; doch nur in Ver- bindung mit bestimmten Substantiven haben; den wenigen Stellen, die Arl. anführt, ließen sich zahllose andere entgegenstellen, wo das Wort in einem rein stofflichen Sinne gebraucht wird. Und wie verkehrt wäre der Gedanke, der nach Arl. dem A. aufgebürdet werden müßte: „Der Nus ist das scharfsinnigste und reinste aller Dinge"! Danach müßte A. auch der Materie ein gewisses Maß von Vernüaftigkeit beigelegt und sich damit gerade des Widersinns schuldig gemacht haben, den Verf. für undenkbar erklärt. Übrigens hat; bereits i. .1. 1840 Breier „Die Phil d. A." S. 63 ff. vortrefflich dargethan, daß an eiiie ethische oder geistige Bedeutung von Xs-xo; und xaf>apoj in dem Satze des A. nicht

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sukrates. (Lortring.) 67

zu denken ist. Die Kratylosstelle ferner trägt zur Entscheidung der Frage nichts bei, da sich aus ihr nicht entnehmen läßt, in welchem Sinne das oid irofvxiuv levai zu verstehen ist. Das Schweigen des Aristot. endlich hat in diesem Falle so wenig wie in manchen anderen irgend welche Beweiskraft. Daß sich übrigens der gegen Melissos ausgesprochene Tadel des Aristot. auf den vom Verf. bezeichneten Widerspruch beziehe, ist eine willkürliche Annahme (s. darüber Bd. CXII S. 277). II. Nach dieser Zurückweisung der gegnerischen Gründe sucht Arl. durch eine Prüfung der Quellen die reine Geistigkeit des anaxagoreischen Nus darzuthun. Mit Unrecht hat Zeller 994, 5 aus Fr. 5 geschlossen, der Nus sei allerdings gewissen Eiuzeldingen beigemischt, insofern Teile von ihm in ihnen enthalten sind; dann müßte es nicht t:Xtjv Iv vo'o), sondern itXtjv voou heißen. A. will vielmehr sagen: es ist weder irgend einer der Grundstoffe dem Nus beigemischt, noch geht dieser in irgend eine der stofflichen Mischungen als Bestandteil ein; er ist den Dingen gegen- . über transcendent; vgl. den Schluß von Fr. 6 und den zweimal in dem- selben Fr. vorkommenden Satz: [xoüvo; au-o; i'f ewuiou ejxiv. "Wie das xpatestv in Fr. 6 zu verstehen ist, ergiebt sich aus Aristot. Phys. 203 a 31 verglichen mit 256b 27 und 14. Danach sind die bewegende Thätigkeit des Nus und sein Erkennen untrennbar miteinander verknüpft, ja das Bewegen erfolgt durch das Denken, und buchstäblich in diesem ist die Herrschaft über die Welt der Dinge begründet. Es ist daher der Ge- danke einer mechanischen Einwirkung des Nus auf die Materie aus- geschlossen; seine Wirksamkeit (y.paxeiv) ist vielmehr ein wirkendes Denken oder ein verständiges Wirken. Damit stimmt die Stelle in Fr. 6, wo dem Nus Allwissenheit und Allmacht, sowie ein voraus- blickendes Bestimmen und Ordnen des Weltlaufs, d. h. nach unserer Ausdrucksweise ein zweckmäßiges Handeln, beigelegt wird (vgl. Aristot. 404 b 1, 984 b 20, 1075 b 8). Der Nus übt seine Herrschaft vermittelst seines alles durchdringenden (ota ttocvtcüv le'vcxi im Krat.), wirkenden Denkens, d. li. vermöge seiner Allwissenheit und Allmacht aus. In welcher Beziehung das xpa-ceiv des Geistes zu seiner [Jnvermischtheit steht, erfahren wir aus Aristot. d. an. 429a 20: „Wäre der voüc mit etwas vermischt, so würde der fremdartige Bestandteil, wenn er neben dem eigentlichen Gegenstande der Erkenntnis ins Bewußtsein träte, diesem gewissermaßen den Platz versperren und insofern dessen Er- kenntnis verhindern." Aristot. hat hier nicht die Ansicht des A. ein- fach zu seinem Zweck umgedeutet, wie Trendelenburg d. an.^ S. 385 annimmt, sondern es besteht eine gewisse Verwandtschaft zwischen beiden, nur daß Aristot. an die „intentionale", A. an die reale Gegen- wart eines Objektes im Nus denkt. Aus der Lehre des A., daß Un- gleiches nur durch Ungleiches erkannt wird, folgt, daß die mit Hülfe

5"

68 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

der Sinneswerkzeuge vollzogene Wahrnehmung minder vollkommen ist als die reine Verstandeserkenntnis. Je vollkommener die Erkenntnis ist. je mehr werden sich erkennendes Subjekt und erkennendes Objekt von einander unterscheiden, und der weltlenkende Nus wird gar nichts mit den von ihm erkannten Dingen gemein haben, d. h. er wird un- vermischt sein. Der menschliche Verstand dagegen ist mit dem Leibe vermischt; denn sonst könnte er nicht Subjekt der Sinneswahr- nehmung sein. Das Apophthegma des A. bei Aristot. Met. 1009 b 25: oTi ToiaÜT auToi? e'jxai xa ovxa oia av uTtaXaßtujiv kann sich nicht auf das eigentliche Denken, sondern uur auf die sinnliche Erkenntnis beliehen : das Verhältnis der Ähnlichkeit zwischen Sinnesorgan und Objekt ist in bezug auf dasselbe Objekt bei verschiedenen Menschen wegen der individuell verschiedenen Zusammensetzung der betreffenden Sinnes- organe verschieden; also muß auch die Wahrnehmung für jeden Menschen verschieden sein. [Aber dieser vereinzelten, gesprächsweise gefallenen und vielleicht nicht einmal authentisch überlieferten Äußerung des A. darf eine so weittragende Bedeutung nicht beigelegt werden (vgl. Bonitz zu d. St. S. 202 und Zeller 1016, 3). Daß A. oder überhaupt irgend ein Vorsokratiker so scharf und prinzipiell zwischen aiadTjaic und vorjui; unterschieden habe, ist wenig wahrscheinlich.] Wenn ferner A. den Nus unbedingt (auxoxpaxec, vgl. auxoxpaxwp im Krat.) nennt, so liegt diese Eigenschaft in dem Fürsichsein ([j,oüvo? I9' ewuxou) eingeschlossen. Auch in dem Sinne ist der Nus unbedingt, daß er durch nichts anderes hervorgebracht, also ewig ist. A. scheint anzunehmen, daß der Nus mit Freiheit sich selbst bestimmend den Anfang zur Weltbildung mache (Indeterminismus). Nach Aristot. ist der Nus ferner einfach, aTrXoüv, und nach Zellers glücklicher Vermutung (s. 0. zu No. 354) ist der- selbe Ausdruck für aTietpov in Fr. 6 einzusetzen. Diese Einfachheit ist aber nicht die des chemisch reinen Körpers; A. leugnet damit nicht nur die Zusammensetzung des Nus aus verschiedenartigen Teilen, sondern aus Teilen überhaupt, d. h. seine Körperlichkeit. So hat auch Aristot. 989 a 30 ff. und 429b 22 den A. verstanden. Der Nus ist demnach ein unbedingtes Wesen, das, ohne selbst räumliche Ausdehnung zu besitzen und sich mit den räumlich ausgedehnten Dingen irgendwie zu ver- mischen oder in sie einzugehen , dennoch mit seinem Denken das All in seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beherrscht und alles darin in zweckmäßiger Weise ordnet. III. Arl. erörtert hierauf die Frage, ob der Nus als Persönlichkeit aufzufassen ist, d. h. ob er Selbstbewußtsein hat. Mit Heinze nimmt er an, daß aus der Allwissen- heit mit Notwendigkeit das Selbstbewußtsein folgt. Außerdem hat aber auch die Allmacht, die A. lehrt, zur Voraussetzung eben dieses Selbst bewnßtspin. Wrr dem Nus dieses abspricht, entzieht ihm einen wichtigen

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Teil seiner Machtspbäre, ja er vernichtet seiue Macht vollständig. Selbst das geringste Maß von Beherrschung des Gedaukenlaufs ist ohne das Bewußtsein von diesem Gedankenlaut' unmöglich. Die Vorstellung eines unbewußten göttlichen Geistes hat ferner ein Mißverhältnis zwischen göttlichem und menschlichem Verstände zur Folge und mutet dem A. eine Schärfe der psychologischen Analyse zu, die vor Aristot. niemand besaß. [Aber eine solche Analyse mutet ihm gerade der Verf. zu, indem er bei ihm den schwierigen und von den Griechen nie in voller Reinheit erfaßten Begriff der Persönlichkeit voraussetzt. Übrigens ist Bewußt- sein von den Dingen nicht dasselbe wie Selbstbewußtsein , und jenes kann sehr \\ohl ohne dieses bestehen. Ein allumfassendes Wissen hat A. seinem voü? ebenso wie Heraklit seinem Xo^o; zugeschrieben; aber zu der höheren und abstrakteren Vorstellung des Selbstbewußtseins ist keiner von beiden vorgeschritten.] Wir werden also daran festhalten dürfen (?), daß A. den göttlichen Nus ebenso wie den menschlichen, nach dessen Analogie er die Vorstellung des erstereu bildete, als persönlich gefaßt habe. IV. Die Frage, obA. zwischen Seele und Geist unterschieden habe, und ob er eine Mehrheit von Geistern oder nur einen einzigen angenommen habe, bietet bei der Dürftigkeit unserer Quellen besondere Schwierigkeiten. Nach der herrschenden Ansicht giebt es bei A. nur einen Geist, der als Weltbeweger Nus, als immanentes Prinzip Seele heißt. Dagegen spricht zunächst, daß überall, wo der göttliche Nus als Prinzip der Bewegung erwähnt wird, er als eine transcendeute, nicht als immanente Ursache erscheint. Die Gründe, die man für eine Beseelung des Lebendigen durch den göttlichen Nus beibringt, verwandeln sich bei genauerer Betrachtung in Gründe für das Gegenteil. In den Schlußworten von Fr. 5: earxtv oiai 8k xai voo; e'vi sind mit vooc nicht Teile des göttlichen Nus gemeint, sondern die Gattung v6o?: ,,Es giebt auch solches, in dem Geist ent- halten ist" (?}. In dem Satze (Fr. 6;: oaa <\>oy-i]^ e/ei 5^«' [iH^ui xal xa eXaacjü), Travxwv ^ooi; xpaxe'ei wird zwischen der Seele und dem weit- beherrschenden Geiste deutlich unterschieden. Kpaxeeiv bedeutet nicht die Immanenz des Nus in den Lebewesen, sondern, wie auch an andern Stellen, daß der Nus eine Herrschaft ausübe und zwar, wie hier be- sonders hervorgehoben wird, auch über das Beseelte. Wenn man sich für die Identität von Geist und Seele auch auf den Schluß von Fr. 6: vooc 6e uac o|j.ot6c eaxi, xal 6 [iHimw xal 6 iXaaaojv beruft, SO nimmt man offenbar o'ixoio; im Sinne von 6 auxoj; aber aus dem Folgenden geht hervor, daß o|jLoio; auch hier „gleichartig" bedeutet. Bei dem Satze, das Wesen eines Körpers bestehe in dem in der Mischung überwiegenden Element, denkt er nur an das, was für die Sinneswahrnehmuug am deutlichsten hervortritt [damit widerspricht sich Arl. selbst; denn nach S. 198

70 Beriebt über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

Anm. 130 soll in den Worten xaüxa i^oi\k6x'xxa ev sxaaxov iaxi xal yjv das ^v an das aristotelische xo xi r^^ eTvai erinnern, also das Wesen des Dinges bezeichnen; in diesem Sinne scheine dieses Imperfekt bereits von A. verwendet worden zu sein, wenn auch die Formel xo xi ^v etvai (doch wohl nur xi ^v?) sich nicht weiter als bis zu Antisthenes und Stilpon verfolgen lasse. Ob freilich A. mit seinem ^v wirklich das Wesen im Unterschiede von der Erscheinung bezeichnen wollte, ist sehr zu be- zweifeln. Andere wie Sehern S. 33 fassen es rein zeitlich auf]; wenn er dagegen sagt, kein Körper sei dem andern gleichartig, so hat er das für die Wahrnehmung verborgene quantitative Verhältnis im Auge, das für jeden einzelnen Körper ein besonderes ist. Was die Dinge ab- solut ungleichartig macht, ist ihre qualitativ verschiedene Zusammen- setzung aus den gleichen Elementen-, was Gleichartigkeit der Geister (V) begründet, wird ihre Einfachheit sein, der Mangel an jeglicher Zu- sammensetzung [wie stimmt zu dieser unbedingten Einfachheit die Unterscheidung von [xe^wv und eXasdojv v6o?? Auch hier liegt offenbar ein Widerspruch in der Auffassung des A. vor]. Auch die Superlative Xcirxoxaxov xal xaöapwxaxov sprechen für die Vielheit der Geister [aber der voof wird doch von A. mit diesen Prädikaten im Vergleiche zu allen Dingen, nicht zu andern Geistern bezeichnet]. Die Auffassung, daß A. mit dieser Vielheit die verschiedenen Außerungsformen des einen voüc gemeint habe, würde dazu führen, daß er zwei Kieselsteine für ungleichartig, dagegen die Leistungen des göttlichen Denkens und des Denkens der Tiere für gleichartig gebalten hätte. Die Annahme einer Vielheit von Geistern vermeidet alle Schwierigkeiten und erklärt den Schluß von Fr. 6 befriedigend [durchaus nicht; dadurch häufen sich vielmehr die Schwierigkeiten]. Auch aus den Darlegungen des Aristot. läßt sich keineswegs die Identität des weltenlenkenden Nus mit einem beseelenden Prinzip erschließen. Nach A. giebt es viele Geister, die für die Lebewesen Prinzip der Erkenntnis und Bewegung sind, ihrem Wesen nach sind sie alle gleichartig, weil einfach; ihrer er- kennenden Thätigkeit nach unterscheiden sie sich graduell (?). Mit dem göttlichen Nus können sie nicht identisch sein, weil dieser ein un- bewegter Beweger ist, sie aber sich selbst bewegende Ursachen der Be- wegung sind. Will man dennoch dabei beharren, daß A. die Immanenz des göttlichen Nus gelehrt habe, so muß man annehmen, Aristot. habe alle daraus fließenden Widersprüche übersehen oder unberührt gelassen an einer Stelle (d. an. 404a 25 ff.), wo er auf die Nuslehre kritisierend eingeht, ja er habe sich selbst widersprochen, da er den Nus hier als etwas sich selbst Bewegendes darstellen würde, den er Phj-^s. 256 b 26 als unbewegt schildert. Daß diese Lehre des A. manche Schwächen und Unklarheiten aufweise, leugnet Verf. nicht. Zum Schluß zieht er

Bericht über die gricchiflchen Philosophen vor Sokratcs. (Lortzing ) 71

eiue Parallele zwischen A. und Newton und bezeichnet jenen als den ersten theistiscben Denker des Altertums. Die ganze Beweisführung des Verf. leidet an großer Unklarheit und verfehlt ihr Ziel. Um die Widersprüche in der Lehre des A. zu beseitigen, die aber nach des Verfassers eigenem Zugeständnis trotz aller seiner Bemühungen doch zum Teil bestehen bleiben, scheut er vor den bedenklichsten Interpre- tationsversucheii nicht zuiück und stellt eine völlig in der Luft schwebende Hypothese auf, die an der Überlieferung nicht den gering- sten Anhalt hat. In der Überlieferung findet sich weder von einer Unterscheidung zwischen veischiedeneu Arten des Nus noch von der Annahme vieler Geister irgend eine Spur; der Plural voot kommt über- haupt nicht vor. Auch Aristot. weiß hiervon nichts. Die höchst un- klaren und schwankenden Erörterungen Arleths über die Hauptstelle 404 a 25 ff. (er macht u. a. auch den Vorschlag, 404 a 25 b 7 nacli 404 a 16 zu stellen) führen zu keinem Ergebnis und ändern nichts an der Thatsache, daß Arist. voüc und 'J^u/tq bei A. gleichsetzt und auch in Bezug auf die Art ihrer Bewegung keinen Unterschied macht: beide sind Prinzip der Bewegung und bewegen zugleich sich selbst (s. 404 a 24 ota TC)'|ir,6£v opav xtvoüv o |jltj xai auTO xtveixat). Auch ist es nicht richtig, daß Aristot. Schwächen und Widersprüche in der Anschauung des A. vom voü; nicht bemeikt habe (s. 404 b 1 y)ttov oiasa'fsi repl a'jxüiv xxX.).

Gegen die verfehlte Deutung eines Fr. bei Arleth wendet sich Zell er (No. 356). Es ist dies Fr. 5: ev Travxl -avxo; [xoTpa svean TrXrjv voü, eju otai 6e xat vou; l'vt. Arl. schi'eibt A. das Gegenteil von dem zu, was er gesagt hat. Die erste Hälfte heißt, wie der Beisatz lehrt, uiclit: „in allen Dingen, mit Ausnahme des voü;, sind Teile von allem", sondern: „in allem sind Teile von allen außer von dem voü;". An Teile des Nus und an ein mehr oder minder vollständiges, also teil- weises Innewohnen des Nus in den Lebewesen denkt A. sowohl in diesem Fr. wie in Fr. 8 : voü? [xsi^cov xal e^^axtcuv. Arleths Ansicht, der Nus sei den Dingen transcendent, stützt sich nicht auf die eigenen Worte des A., sondern auf Erwägungen, von denen erst bewiesen worden mußte, daß sie A. angestellt hat.

In No. 357 macht Arleth einige nachträgliche Bemerkungen zu seiner früheren Arbeit. L Der Einwand, XEKToxatov und xaöapcuratov könnten nicht als Prädikate eines geistigen Wesens aufgefaßt werden, da sie A. offenbar auch auf Körper anwende, ist gerade so zutreffend, als wenn jemand dem Anselm von Canterbury wegen seiner Äußerung, Gott sei id quo niaius cogitari nequit, die Ansicht zuschreiben wollte, Gott sei ein körperliches Wesen, Wie verfehlt diese Vergleichung des anaxagoreischen Satzes mit dem ganz anders gearteten Ausspruch des Anselm ist, liegt auf der Hand. 2. Gegen Zellers Angriff sucht

72 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

Arl. seine Deutung' von Fr. 5 als logisch berechtigt zu erweisen, aber vergeblich; ein richtiger Gegensatz der beiden Hälften kommt nur bei Zellers Auffassung heraus. Zum Schluß bemüht sich Arl., seine Hypo- these von der völligen Immaterialität und Transcendenz des voü« noch dadurch zu stützen, daß er auf gewisse Inkonsequenzen hinweist, die sich aus der gegnerischen Ansicht von der Teilbarkeit des Nus für die Lehre des A. ergeben würden. Nach seiner Darstellung erscheine diese Lehre als ein konsequentes System, und dies spreche für ihre Richtig- keit. Es tritt uns hier dieselbe petitio priucipii entgegen wie in No. 355. Daß A. sich keiner Inkonsequenz schuldig gemacht haben könne, ist eine völlig unerwiesene Voraussetzung des Verf. Konsequenz ist eine große Tugend; aber sie wird, wie im Leben, so auch in der Wissen- schaft und namentlich in der Philosophie leider oft genug auch von den bedeutendsten Geistern nicht geübt, und A. gehört eben nicht zu den wenigen Bevorzugten, wenn es überhaupt solche giebt, die ein wider- spruchsloses System aufgestellt haben; dies geht für jeden Unbefangenen aus den Überresten seiner Lehre hervor. Vgl. die trefflichen Dar- legungen bei Zeller 990 ff.

Die mir bisher nicht zugegangene Dissertation von Dentl er- hoffe ich für den nächsten Jahresbericht einsehen zu können und werde sie dann im Zusammenhange mit einer zweiten Arbeit desselben Verf. „Der vouc nach A." (Philos. Jahrb. 1898) besprechen.

Wertvolle Beiträge zur Lehre des A. liefern auch mehrere der Werke, über die bereits im \. Teile berichtet worden ist. Auf die wichtigsten der dort nicht erwähnten oder nur kurz angedeuteten Punkte will ich hier noch etwas näher eingehen.

Für die Bestimmung der Zeit, in der A. sein Werk abgefaßt hat (daß es nach dem unter dem Archon Lysistratos [bei Laert. II 12 ist sicherlich Au3<t(jTpaTou> zu ergänzen, s. Gomperz Gr. D. 445] i. J. 467 eingetretenen Meteorfall zu setzen ist, kann wohl als feststehend be- trachtet werden), läßt sich vielleicht der Umstand verwerten, daß seine Theorie von der Nilschwelle nicht nur dem Herodot (II 22), sondern auch dem Aischylos (Fr. 293 und Hiketid, 539) bekannt war. Freilich ist die Zeit, in der die Hiketiden entstanden sind, sehr bestritten. S. darüber Diels „Seneca und Lucan" (vgl. zu No. 172) S. 8, 1.

Aus Diels' Doxographi ist folgendes anzuführen. S. 165 f.: Der Anfang des Buches tt. «puaetof bei Laert. II 6 scheint zuerst von Theo- phrast, vielleicht nach dem Vorgange des Aristot. (256 b 24), in die dort citierte kurze Formel gebracht worden zu sein. Vgl. auch Dümmler Akad. 102, 1, wo über die ursprüngliche Fassung der Vorlage des Laert. eine wenig wahrscheinliche Vermutung aufgestellt wird. S. 171 f. (vgl. 94 f.) weist D. darauf hin, daß die (Quelle der absonderlichen

Beliebt über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 73

Mitteilung des Ireuaeus c. haer. II 14: „facta auimalia decidentibus e caelo in terram seminibus" in der bei späteren Berichterstattern wie Aetios und Herakleitos (vjil. Vitruv VIII praef. § 1) üblichen Verbin- dung des euripideischen Fr. 836 N. ^ mit anaxai^üreischcr Lehre zu suchen sei. Die wahre Ansicht des A. über die Entstehung der lebenden Wesen ergiebt sich aus Hippolj't, I 8, 12 und Laert. II 9 (vgl. Cen- sorin. d. d. nat. (5, 2). Mit Unrecht, wie mir scheint, bleibt Zeller P 1012, 5 bei seiner früher ausgesprocheuen Meinung, daß die Mitteilung des Irenaeus glaubwürdig sei und sich mit der sonstigen Überlieferung wohl vertrage.

Über Wesen und Bedeutung der Stofflehre des A. haben Tan- nery, Gomperz und Burnet eingehend gehandelt und dabei eigentüm- liche, zum Teil einander eutgegeugesetzte Ansichten entwickelt. Nach Tannery sc. h. 280 flf. hat A. zum ersten Male den Begriff des Un- endlichen iu seinem streng mathematischen Sinuc erfaßt. Auch seine Antwort auf die Frage, wie das Wesen der Dinge zugleich eines und vieles sein könne, ist die des Geometers: die Materie ist teilbar bis ins Unendliche; aber die iu ihren großen Teilen sich zeigende Mischung ist gleicherweise auch iu den kleinen und kleinsten vorhauden. Die Teilung wird nie die äußersten Elemente erreichen, und die Materie ist überall und immer zugleich einheitlich und zusammengesetzt. Diese Anschauung der Materie, die mit der Kants Verwandtschaft zeigt, hat vielleicht noch eine wissenschaftliche Zukunft, da die Hypothese von den Atomen und dem Leeren nicht die einzig denkbare ist. Die gewöhnliche Auffassung, nacii der die Materie aus Homöoraerien besteht, beruht auf einem Miß- verständnisse des Aristot.(?). Die Keime oder Samen des A. sind nicht materielle Elemente, sie sind ebenso wie alle Körper leicht zerlegbar und stellen wie jene, nur in verschiedenen Graden, eine Vereiniguug von warm und kalt, feucht und trockeu u. s, w. dar. A. spricht in bezug auf die Bestandteile der Dinge immer nur von Qualitäten, nicht von materiellen Urstoffen. Fleisch, Knochen u. s. w, hat erst Aristot. in seine Lehre hineingebracht (?). Wenn A. auch noch nicht klar zwischen Qualitäten und Substanz unterscheidet, so hat er doch den ersten Schritt auf diesem Wege gethan. Zeller nimmt fälschlich an, die erste Wirkung der Bewegung sei die gewesen, daß die ur- sprüngliche Mischung der Dinge in zwei Massen geteilt wurde, die A. Luit und Äther nennt. Fr. 1 zeigt vielmehr, daß A. Äther und Luft als die ursprünglichen Erscheinungsformen der Dinge betrachtete, die vor jeder Thätigkeit des Nus vorhanden waren, und Fr. 2 steht damit nicht in Widerspruch [aber hier heißt es doch ausdiücklich : xal -/ap 6 aTjp y,ai 6 aii):^p (iTioxpivETai aT:6 toü Tiepie/ovroc]. Die Stoff lehre des A. bildet die Grundlage der platonischen Ideenlehre [aber Piaton spricht

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nirgends von der Stoff lehre des A., sondern stets nur von dem Nus, seiner Bedeutung und seinen Mängeln], so sehr sie auch in dieser um- gestaltet und durch andere, besonders pythagoreische Einflüsse modi- fiziert erscheint. Die Annahme ursprünglicher Qualitäten, die T. an die Stelle der kleinsten Stoffteile setzt, hat zwar mehrfach Zustimmung gefunden, so bei Burnet (s. u.) , widerstreitet aber, wie Zeller 680. 1 bemerkt, den Fragmenten, die T. nur durch gewaltsame und sprach- widrige Deutungen mit seiner Auffassung in Einklang zu setzen ver- mag (Fr. 4 werden z. B. das ötepov, ^rjpov u. s. w. ausdrücklich als ypY^jxaTa bezeichnet) wie auch allen sonstigen Zeugnissen und ist auch au sich unwahrscheinlich, da sie in der gesamten vorsokratischen Phi- losophie ohne jede Analogie wäre. Ebensowenig ist es T. gelungen, nachzuweisen, daß A. die Scheidung der Mischung in Äther und Luft der TTspr/tupYiJtj vorangehen, nicht als erste Wirkung aus ihr hervorgehen ließ. Für eine solche Annahme könnten allerdings die Worte in Fr. 1: iiavxa 7ap ar^p xe xal at&Yip xaTstyev zu sprechen scheinen; aber der Zu- sammenhang mit dem Vorhergehenden, besonders dem 6[xoy uocvta ypr]- {j-axa fjv, schließt Tannerys Deutung aus; s. Zeller 1002, 2 und Schau- bach S. 74 f. Damit ist der ganzen Auffassung der anaxagoreischen Physik bei T. die Grundlage entzogen.

Wesentlich verschieden von dieser Auffassung ist die Beurteilung der anaxagoreischen Stofflehre bei Gomperz Gr. D. 169 ff. Wenn A. auch die von Parmen. geäußerten Zweifel an der Geltung des Sinnen- zeugnisses und an der Vielheit der Dinge unbeachtet gelassen hat, steht er dennoch nicht nur in betreff des alten Postulats der quantitativen Konsistenz, sondern auch des der qualitativen Konsistenz des Stoffes auf demselben Boden wie jener. Seine mit eisei-ner Folgerichtigkeit durchgeführte Stofflehre steht im vollen Gegensatz zu dem, was uns die Wissenschaft über den Stoff und seine Zusammensetzung gelehrt hat. Die höchst komplizierten organischen Verbindungen gelten ihm als Elemente, die ungleich einfacheren Stoffe wie Wasser und Luft als die am meisten zusammengesetzten Verbindungen. Wenn so der Inhalt seiner Lehre mit den thatsächlichen Ergebnissen der modernen Natur- wissenschaft in Widerspruch steht, herrscht doch zwischen der Methode beider auffällige Übereinstimmung. Die chemischen und selbst die organischen Prozesse führt er auf mechanische zurück. Seine Stoff- lehre ist ein freilich roher und vorzeitiger Versuch, alle materiellen Geschehnisse als Folgen von Bewegungen zu begreifen. Da er statt des einen TJrstoffes bei Anaximander ein Gemenge zahlloser Urstoffe annahm, bedurfte es keiner dynamischen, sondern einer mechanischen Trennung. Den physikalischen Vorgang hierbei dachte sich A. ganz entsprechend dem scheinbaren täglichen Umschwung des Himmels-

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gebäudes. Den ersten Anstoß führte er auf den Nus zurück. Daß dieser nicht unstofflich zu fassen ist, beweist der Ausdruck „mehr oder minder" sowie, daß er als teilbar und „den lebenden "Wesen innewohnend" bezeichnet wird. Das Zwcckproblera, das A. zu der Annahme des Nus trieb, barg eine ernste Gefahr für den Fortschritt der Naturerkenntnis; aber glücklicherweise war A. diesmal nicht konsequent; er vermied den Abweg, die Absichten eines weltleitenden Wesens zu erraten. Seine Kosmogonie berührt sich sehr nahe mit den Grundsätzen der neueren Astronomie. Der Schwerkraft setzte er die Centrifugalkraft entgegen, deren Ursprung er ebenso wie die Neueren die Tangentialkraft auf einen Anstoß zurückführte. Aus den zwei Prämissen: „ein Wandel der Dinge hat nicht statf und: „die Dinge besitzen in Wahrheit die Eigen- schaften, die uns die Sinne offenbaren" ergab sich für ihn der Schluß: »jeder Unterschied sinnlicher Eigenschaften ist fundamental, ursprünglich und unverlierbar". Es bleibt also nur die Unterscheidung zwischen gleichartigen Ansammlungen (Homöomericn) und ungleichteiligen Ge- mengen übrig, die zwischen ursprünglichen und abgeleiteten Stoffformen kommt in Wegfall. Die Behandlung des Stoffproblems war dadurch in eine Sackgasse geraten. Gomperz' Behandlung der Lehre des A. steht, mag sich auch gegen einzelne seiner Ausführungen manches ein- wenden lassen, doch auf einer ungleich festeren Grundlage als die Tannerys. Nur ein Mangel ist beiden gemeinsam: die ideelle Be- deutung des Nus und seine grundsätzliche Scheidung von der Materie kommt bei ihnen nicht zu ihrem Rechte; denn auch T. sieht in dem Nus eine von der Materie zwar getrennte, aber doch nicht wesentlich anders geartete Ursache der Bewegung.

In dieser einseitigen Auffassung des Nus stimmt mit beiden Burnet überein. In der Erklärung der stofflichen Prinzipien (early gr. ph. 286 ff.) schließt er sich an Tannery an und zieht mit großem Scharf- sinn die aus dessen These sich ergebenden Konsequenzen. Indem er mit T. die entgegengesetzten Qualitäten der Dinge für das Ursprüngliche hält, vermag er in den sonst allgemein als die Urstoffe angesehenen .Samen" oder „Keimen" nur verschiedenartige Kombinationen dieser „Dinge" oder Qualitäten zu erblicken. Jeder „Same" enthält alle „Dinge", aber jeder zeigt am deutlichsten die Qualität, die in ihm vorherrscht (Fr. 6 fin,). Die Samen des Feuers enthalten Teile des Kalten, aber die des Heißen überwiegen, so daß wir es heiß nennen. Im Beginn waren diese verschiedenen Samen in unendlich kleinen Teilen miteinander gemischt, so daß sie den Anschein einer der bis dahin als ursprünglich betrachteten Substanzen, vor allem der „Luft" und des „Äthers", boten; denn die zu diesen gehörenden Qualitäten überwiegen der Quantität nach alle andern Dinge im Universum (Fr. 1). Die ur-

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sprüDgliche Masse war eine Mischung von uueudlicber Luft und unend- lichem Feuer (= Äther), wobei jedoch die Samen des Feuers auch «Dinge", die in der Luft vorherrschten, enthielten und umgekehrt. Danach hätten wir also bei A. einen dreifachen Aufbau der Bestandteile alles Körperlichen anzunehmen. Aus den ursprünglichen Qualitäten setzen sich die , Samen" zusammen und aus diesen wieder die bestehenden sichtbaren Stoflfe wie Fleisch, Knochen u. s. w., die Aristot. nach seiner Terminologie im Gegensatze zu den Organen des Körpers mit dem für A., so meint der Verf., völlig unzutreffenden Namen 6|xoto|j.ep9j bezeichnet (bei Aristot. Metaph. 984a 11 ff. möchte B. am liebsten die Worte xaöaTzep uötup fj Tiüp als eine übrigens ganz angemessene Glosse angesehen wissen). Zu den letzteren gehören auch die sogen. Elemente Wasser, Feuer, Luft. Aber diese Dreiteilung, zu der sich Verf. durch die An- nahme der Tanneryschen Qualitätenhypothese gedrängt sieht, läCt sich ebensowenig wie diese aus den Fragmenten oder den Mitteilungen der Berichterstatter erschließen. A. nennt die Urbestandteile der Körper bald -/pr^ixara , bald aK^pixata (Fr. 1. 3. 4), ohne einen Unterschied zwischen dieseu beiden Bezeichnungen zu machen. Es wäre . unerlaubt, etwa die Worte airepp-axa TiavTwv ypYHJLaxuiv (Fr. 2) in Burnels Sinne zu deuten: ypTQixaxa ist hier in der weiteren Bedeutung körperlicher Dinge überhaupt, nicht in der engeren ihrer Urbestandteile gebraucht. Ein solcher Doppelsinn kann bei der unentwickelten Terminologie des A. nicht wunder nehmen: wendet er doch in Fr. 6 ypTqfjLaxa sogar in dem noch umfassenderen Sinne aller Dinge ohne Aus- nahme, den Nus eingeschlossen, an. Auch Aristot. bezeichnet an vielen Stellen die von ihm 6|Aoio[i.epr] genannten aTrepixata klar und deutlich als axoiyßa d. h. als Urstoflfe. Die „Qualitäten" müssen daher aus der Mischung der Körper als fremde Eindringlinge ausgeschlossen werden; die anEpixaTa oder ypr^iia-za sind und bleiben die kleinsten Stoffteilchen; sie sind einfach und nicht zusammen- gesetzt.

Auch in mehreren andern Punkten vermag ich Burnet nicht zu- zustimmen. In dem von Aristot. belachten experimentellen Beweis für das Nichtvorhandensein des Leeren, der darauf hinausläuft, daß die Luft etwas Körperliches sei, glaubt er immerhin einen be- deutenden Fortschritt über die älteren Philosophen hinaus zu sehen, die die Luft dem leeren Raum gleichgesetzt hatten. Darauf ist zu erwidern, daß schon dem Anaximenes die Luft, da er sie zum Prinzip erhoben hatte, unmöglich als ein Leeres gegolten haben kann und ebensowenig dem Parmenid6s, er hätte denn ihre Existenz überhaupt leugnen müssen. Es bleiben also nur die ältesten Pythagoreer übrig, die vielleicht die den Kosmos umgebende Luft mit dem leeren Baum identifizierten; daß

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aber A. diese kindliche Anschauung überwunden hatte, kann ihm nicht als ein besonderes Verdienst angerechnet werden. Daß A. eine Vielheit von "Welten angenommen habe, schließt B., wie schon vor ihm Schaubach S. 119 f., aus Fr. 10. Aber die Gründe, die Zeller 1006 f. gegen diese Ansicht anführt, hat er nicht widerlegt. In Fr. 13 ist nicht von einer nnter mehreren Welten die Rede, wie B., offenbar unter Zugrundelegung der falschen Lesunr^ bei Schaubach sv evl xoa[j.ü) statt der überlieferten h Tto h\ x6(j|xtu (s. Simpl. phys. 176, 29 D.) annimmt; richtig gelesen ist die Stelle vielmehr ein Beweis für die Annahme einer einzigen einheitlichen Welt. Zuzugeben ist freilich, daß Zellers Beziehung von Fr. 10 auf den Mond schwere Bedenken gejren sich hat, da A. doch nicht gut sagen konnte, der Mond habe eine Sonne und einen Mond wie unsere Erde. Es liegt hier eine noch ungelöste Schwierigkeit vor, die uns aber nicht berechtigt, dem A. eine kosmologische Auffassung zuzuschreiben, die mit seiner ganzen sonstigen Anschauung nicht im Einklänge stehen würde.

In ihren Untersuchungen über das Verhältnis des Euripides zu A. gelangen Decharme (No. 359) und Parmentier (No. 360) zu ent- gegengesetzten Ergebnissen. Decharme ist mit Wilamowitz Anal. Eurip. 163 f. (vgl. auch Herakles I^ 25 ff.; s. Bericht I 274 f.) und Bergk Griech. Litt.-G. 469 ff. der Ansicht, daß in fast allen Stellen des Eurip., die man seit Valckenaer diatr. in Eurip. perd. dram. rel. c. 4 f. auf A. bezogen hat, eine Abhängigkeit von diesem nicht zu er- weisen sei. Das Lob des Weisen Fr. 902 N.* kann auf A. gehen, braucht aber nicht auf ihn bezogen zu werden. Noch weniger darf man in den kosmogonischen Fragmenten aus der Melanippe (488) und aus dem Chrysippos (836), mit Ausnahme der Schlußverse des letzteren (s. u.) einen Anklang an A. suchen, da die hier entwickelte Lehre von der des A und überdies auch von der sonst bei Eurip. vorgetragenen Auffassung gänzlich abweicht. Ebensowenig kann sich der Spott über die Meteorologen Fr. 905 auf A. beziehen-, denn damit würde Eur. den A. sowohl wie sich selbst verurteilen. Er kann au allen diesen Stellen seinen Personen nur eine Ansicht in den Mund gelegt haben, die er selbst nicht teilt. Auch die Übereinstimmung in der Erklärung der Nilüberschweramnngen durch das Schmelzen des Schnees in Äthiopien tHel. 1 ff. und Fr. 230) beweist nichts, da diese Erülüruug älter ist als A. und schon (?) vor Aischylos erwähnt wird [aber au der Urheber- schaft des A. darf nach Diodor I 38, 4 nicht wohl gezweifelt werden. Über das Verhältnis zu Aischylos s. o. S. 72]. In der Stelle Orest 982 ff. ist nicht an die Sonne zu denken , sondern an den, nach einer von der homerischen abweichenden Sage (vgl. Orest 6 f.), mitten zwischen Erde und Himmel in den Lüften umhergeschleuderten und über seinem

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Haupte von elueiu gewaltigen Felsen bedrohten Tantalus; dieser Fels kann nicht die Sonne des A. sein, da er mit einer goldenen Kette an dem Olymp befestigt und ein Raub der Stürme ist; auch ist er weder bei Eur. noch bei Pindar, der ihn zweimal erwähnt, ein glühender Körper wie die Sonne des A., die überdies als Xii>o;, nicht wie jener als ßüiXoc bezeichnet wird. Wenn nach Laert. II 10 Eur. im Phaethon die Sonne /pojea ßüiXoj genannt haben soll, so ist es auffällig, dalJ er dies gerade in einer Tragödie gethan haben sollte , in der der Sonnen- gott als Person auftrat. Vielleicht hat sich Laert. in der Angabe des Dramas geirrt und die angeführte Stelle des Orest im Auge gehabt [so schon Matthiae, s. Nauck^ zu Fr. 777], indem er aus der goldenen Kette des Tantalus einen goldenen Klumpen machte [Wecklein in seiner kurzen Besprechung der Abh. Fortschr. Bd. 71 (1892) S. 242 und Berl. Ph. W.-Schr. 1894, 1473 ff. giebt Decharme darin recht, daß die ßüiXo; im Orest nichts mit der Sonne des A. zu thun hat; den Ursprung der Notiz bei Laert. aber sieht er nicht in der Oreststelie, sondern in dem Phaethonfragment 771, wo Laert. /puaea ßcuXw ^li-^zi statt xpuaea ßaXÄst cpXofi gelesen habej. Vor allem aber spricht gegen eine enge Beziehung des Eur. zu A. der Umstand, daß er nirgends die Nuslehre berührt. An den beiden einzigen Stellen, wo vouc im philo- sophischen Sinne gebraucht wird, Fr. 1007 und Troad. 884 ff., ist jede Anspielung auf A. ausgeschlossen. Nicht Eurip., sondern Kritias im Peirithoos (= Eur. Fr. 596; vgl. Wilamowitz Anal. Eurip. 162) hat in jener Zeit die wahre Lehre vom Nus des A. poetisch wiedergegeben. Die einzige Stelle bei Eur., die auf das System des A. zurückgeht, ist Chrysipp. Fr. 836, 12 ff.: „Die Körper gehen nicht unter, sondern lösen sich nur auf und bilden sich um* (Siaxpivssöai wie bei A. gebraucht). In den wichtigsten Punkten dagegen stimmen sie nicht überein.

Parmentier giebt zwar zu, daß man bei Eur. keine treue Wiedergabe der Lehre des A. erwarten darf und daß große Vorsicht in der Annahme von Übereinstimmungen geboten sei; aber ebenso ver- fehlt scheint es ihm, mit Decharme und dessen Vorläufern seine Auf- merksamkeit vor den mehr oder minder deutlich erkennbaren Spuren einer intellektuellen Abhängigkeit des Eur. von A. zu verschließen. Er hält es von vornherein für unwahrscheinlich, daß Eur. die Lehren des A. nicht gekannt haben sollte. Um die näheren Beziehungen zu diesem festzustellen, muß man fragen , ob sich nicht statt ganz allge- meiner Ähnlichkeiten besondere und persönliche Anspielungen auf A. selbst, seine Gewohnheiten und Lebensschicksale sowie auf einzelne hervorstechende Punkte seiner Lehre finden. Derartige Hinweisungen auf zeitgenössische Dinge in Form von Betrachtungen, die sich öfter in die Situation oder den Charakter der Personen nicht einfügen, sind bei

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Eur. ungemein zahlreicli, und mit Unreclit bat man in solcheu Fällen Interpolationen angenommen. Es giebt kein Drama des Eur., in dem nicht politische, litterarische, -philosophische Anspielungen vorkommen. Im allgemeinen kann man diese Fassung des Problems für die Auf- suchung von Beziehungen des Eur. zu Personen und Ereignissen seiner Zeit als zutreffend gelten lassen; aber in unserm besonderen Fall bedarf sie noch einer näheren Bestimmung und Einschränkung. Das dem Kur. die Lehre des A. unbekannt geblieben sei, ist allerdings unwahr- scheinlich, und vermutlich wird er auch während der langen Zeit, die A. in Athen zugebracht hat, in irgend eine persönliche Berührung mit ilim gekommen sein. Aber daraus folgt noch keineswegs, daß er in einem besonders engen und nahen Verhältnis zu dem Philosophen ge- standen und in seinen Dramen häufig und mit Vorliebe auf seine Lehre hingewiesen hat. Hier thut die größte Vorsicht not, und es ist in jedem einzelnen Falle sorgfältig zu prüfen, ob zwingende Gründe vor- liegen, die Worte des Dichters gerade auf A. und keinen andern zu beziehen. An dieser Vorsicht aber hat es der Verf., wie sich sogleich zeigen wird, vielfach fehlen lassen. Was zunächst die Persönlichkeit und die Schicksale des A. betrifft, so liegt die Vermutung nahe, daß Eur. den Prozeß und die Flucht des Philosophen, die nicht geiiuges Aufsehen in Athen erregt haben müssen, irgendwie berührt habe. In der That glaubt P. deutliche Spuren einer Erwähnung dieses Ereignisses an drei Stellen zu erkennen, von denen zwei der kurz nach dem Prozesse im Jahre 431 aufgeführten Medea und die dritte dem in dasselbe Jahr fallenden Philoktet augehören: L Medea 292 ff. ist mit dem lästigen (Äuirpo;) „Philosophen" (?) unverkennbar A., nicht Heraklit (Wecklein) oder Sokrates (Weil) gemeint; 2. Medea 214 ff. enthält eine, wie P. bemerkt, bisher noch nicht beachtete Anspielung auf das zurückgezogene Leben und die Verachtung der Yolksmeinung, durch die sich A. die Mißgunst des athenischen Volkes zugezogen hatte; 3. daß auch im Philoktet auf die Anklage hingewiesen wurde, lehrt die, wie es scheint, sehr treue Paraphrase des Dramas bei Dio Chiysost. or. 59, wo Üdysseus zu Philoktet sagt 10): zZ h^i oti iirl üav-a; tou; ixst'vou (d. i. riaXa(j.Yjou?) 'ft'Xou; fjXiJs to xaxov xal TtavTej äjioXuJXaotv, octtc [xv) ou-.'siv i]doYffif]. Die beiden ersten Stellen scheinen mir wenig beweis- kräftig zu sein. In ihnen ist von >olchen Bürgern (oder Fremden) die Rede, die sich, sei es durch ein zurückgezogenes Leben, sei es durch offen zur Schau getragenen Stolz oder durch den Euf höherer Weis- heit, in den Augen der großen Menge verhaßt machen; daß dies aber zünftige Philosophen seien, wird nirgends augedeutet; man kann ebenso- gut au Staatsmänner denken, z. B. an Perikles, der sich nur selten öffentlich zeigte. Dazu kommt, daß in der zweiten Stelle die Worte,

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auf die P. besonderes Gewicht legt: tou; [xev of^ixariüv octto, einer sehr verschiedenen Deutung: fähig sind, je nachdem man in den folgenden Worten Tou; 6'ev ilupaiotj das o mit Wecklein u. a. streicht oder mit dem Verf. stehen läßt (vgl. Wecklein in seiner Rezension der Schrift Berl. Ph. W.-Schr. 1894, 1473 flf., der sich gegen Parmentiers Deutung: les uns (en se tenant) loin des regards, les autres (eu se produisant) ua dehors erklärt und es für richtiger hält, djjLfxaTwv octto wie nachher ärf f,3ijyou Ttoöoj als Ausgangspunkt des ungünstigen Urteils zu fassen). Außer- dem ist es eine unerwiesene Voraussetzung des Verf., daß sich A. durch seine stolze Zurückgezogenheit bei den Athenern mißliebig ge- macht habe. Man verfolgte ihn nur deshalb, weil er ein Freund des den Demagogen verhaßten Perikles war , wobei man zum Vorwande jene Stelle seiner Schrift nahm, in der er die Sonne als einen [xuopo; oiaTTupo; (Laert. II 12) oder als einen Xtfto; (Plat. Apol. 26 D) be- zeichnete. Dieses Motiv der Anklage kommt in der Philoktetstello zum Ausdruck, und wenn hier wirklich eine Anspielung auf Perikles und seine Freunde vorliegt, was aus chronologischen Gründen wahr- scheinlich ist, so wird man bei den Worten oaru |x^ (pu-feiv tjöuvtj&t] allerdings an A. denken dürfen. Trefflich paßt auch, wie P. richtig bemerkt, das Lob des fern vom Weltgetriebe nur der Erforschung des Weltalls lebenden Philosophen. (Fr. 902) auf das überlieferte Bild des A., viel besser jedenfalls als auf einen der eitlen, rühm- und geld- gierigen Sophisten. Nicht übel ist auch die Vermutung, daß in der zur Verherrlichung des Oscupr^Tixoc ßio? geschriebenen Antiope sich hinter der Maske des Amphion unser A. verberge. Wenn aber P. überall da, wo bei Eur. weltbürgerliche Ansichten entwickelt oder Verachtung des Reichtums oder ruhige Ergebung in das Unglück gepredigt werden, eine Anspielung auf A. erblickt, so geht er viel zu weit. Daß A. solche Anschauungen ausgesprochen habe, ist späte und unsichere Über- lieferung. Es handelt sich hier um Anekdoten und Apophthegmen, die meist in gleicher oder ähnlicher Form auch von anderen Philosophen berichtet wurden. A. selbst hat sich in seiner Schrift, wie auch P. zugiebt, auf die Physik beschränkt und keine ethischen Untersuchungen angestellt. Ob er im mündlichen Verkehr mit seinen Schülern derartige Aussprüche gethan hat, wissen wir nicht. -— Im weiteren Verlaufe seiner Untersuchung durchmustert P. die Dramen und Fragmente des Eur., um die Frage zu beantworten, ob sich bei dem Dichter Anklänge an wissenschaftliche Untersuchungen «les Philosophen finden, und ge- langt zu dem Ergebnis , daß sich eine stattliche Anzahl solcher An- spielungen bei ihm nachweisen läßt. An einigen Stellen ist in der That die Übereinstimmung so auffallend, daß man kaum umhin kann, an eine Abhängigkeit von A. zu glauben. So scheint eine Beziehung

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auf die dem A., freilich nicht ihm allein, von Aristot. 763b 32 (vgl. Aet. V 7, 4, wo neben A. Farmen, erwähnt wird) zugeschriebene Theorie von der Zeuguue: an nicht weniger als fünf Stellen vorzuliegen. Die Nilschwelle wird Hei. 1 flf. und Fr. 230 ganz im Sinne des A. gedeutet, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, daß dieselbe Deutung sich auch schon bei Aischylos (s. o. S. 72) und bei Sophokles fand, also damals in Athen sehr populär gewesen sein muß. Au die Erklärung der oictTTovxe; bei A. (Aet. III 2, 9) erinnert stark Fr. 961, an die Lehre von den -rpo-at TjXi'ou Aet. II 23, 2 (P. giebt hier eine beachtenswerte, aber im einzelnen mir nicht ganz klare Deutung der Tpoizai der Sonne und des Mondes [s. Hippolyt. I 8, 9], die von der gewöhnlichen Auffassung der xpoTtai TQÜ TjXi'ou als Solstitien abweicht) Elektr. 726 ff. und vielleicht auch Fl-. 779. überhaupt zeigt Eur. eine ganz besondere Vorliebe für Astronomisches, die v. Wilamowitz Herakl. I 33 mit Unrecht be- sUitten hat (vgl. Hekabe 1100 und Jon 1146 ff.); im Phaethou und in der Audiomeda hat ei- astronomische Stoffe behandelt, und er ist der einzige Tragikei', der den Orion mehrmals erwähnt. In dieser Neigung zeigt sich unzweifelhaft eine gewisse Geistesverwandtschaft mit A. An anderen Stellen dagegen ist P. in der Entdeckung von Überein- stimmungen zu voreilig. Die angeblich im Phaethon vorkommende Be- zeichnung der Sonne als -/poasa ßuiXo; hätte er beiseite lassen sollen (s. 0. S. 78). Daß unter dem „Steine des Tautalos" (s. ebd.) einer der zwischen Erde, Mond und Sonne befindlichen, uns unsichtbaren Körper, denen A. die Verfinsteiung des Mondes zuschrieb, oder vielleicht auch ein Meteorstein zu verstehen sei, ist eine zwar ansprechende, aber sehr unsichere Vermutung. "Wenn Eur. sich gelegentlich, z. B. Hippol. 1059, gegen Zeichendeuterei ausspriclit, so braucht man die sich darin ausdrückende Geistesfreiheit wahrlich nicht auf den Einfluß des A. zurückzuführen. Dasselbe gilt von der Berufung der lokaste (Phoen. Ö41 tf.) auf die Analogie der Weltordnung zum Beweise, daß die Gleich- heit ein Naturgesetz sei. Solche Anschauungen und Gesinnungen konnte Eur., sow'eit überhaupt an eine philosophische Quelle zu denken ist, ebensogut aus anderen Philosophen wie aus A. schöpfen. Daß er die Schriften der verschiedensten Philosophen gekannt und benutzt hat, gesteht auch P. zu. Er nennt besonders Xenophanes, Empedokles, die Orphiker und Heraklit als seine Quelle und leugnet auch nicht völlig solche Beziehungen zu Sokrates und den Sophisten, insbesondere zu Protagoras, weniger zu Hippias und Piodikos [umgekehrt Düramler, Akad. 257, 1]. Wenn er vor Überschätzung des Einflusses der letzteren warnt und es für verfehlt erklärt, überall, wo sich eine gewisse Ähn- lichkeit der Gedanken findet, gleich den Dichter für den Nachahmer zu halten, während es sich oft nur um damals allgemein herrschende Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.j 6

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Tendenzen handle, so trifft dieser Vorwurf auch sein eigenes Ter- fahren, allerorten anaxagoreische Einflüsse bei Eur. zu wittern. Einen engeren Anschluß des Dichters an das System des A. würden wir nur dann anzunehmen bei'echtigt sein, wenn jener nicht bloß gelegentlich einzelne mehr nebensächliche Punkte, sondern grundlegende und unter- scheidende Lehrsätze dieses Systems mit Vorliebe in seine Dichtungen aufgenommen hätte. Nun glaubt P. allerdings eine der wichtigsten Lehren des A., die vom Nus, in einer größeren Anzahl von Stellen wiederzuerkennen. Aber die Beweise, die er hierfür beibringt, sind nicht stichhaltig. In der Hauptstelle (Troad. 884 ff.) schwankt Eur., wie P. selbst bemerkt, in den Worten: Zeu; eiV dva^xr^ i^ujeo» eire vou? ßporüiv zwischen zwei verschiedenen Auffassungen des höchsten Gottes, von denen die eine nach P. an Heraklit, wahrscheinlicher aber nach Diels, Rhein Mus. 42, 12 an Demokrit erinnert; ob die zweite auf A. zurückzuführen sei, wie Verf. meint, ist sehr fraglich; man kann bei dem voüc ßpoTÜiv auch an Diogenes denken, und man wird dazu um so eher geneigt sein, als das 7% tf'yjrjjjia in diesem Fr. offen- bar auf die Lufttheorie dieses Philosophen hinweist (s. Diels a. a. O. und ,,tJber Leukipp und Demokrit" S. 108, 4). Auch an anderen Stellen, wo vom menschlichen voüc im philosophischen Sinne die' Rede ist, darf man mindestens mit demselben Rechte eine Beziehung auf Diogenes, dessen Philosophie damals in Athen weit verbreitet gewesen zu sein scheint, wie auf A. annehmen, so z. B. Fr. 1007, wo P. selbst Diogenes bei Theophr. d. sens. 511, 12 D. anführt, oder Fr. 901, 6 und Hei. 122, wenn man hier nicht mit Wilamowitz (s. Ber. I 275) eine Anspielung auf einen bekannten Ausspruch Epicharms sehen will. Daß Eur. den Diogenes gekannt hat, leugnet auch P. nicht. Um sa verwunderlicher ist seine Annahme, Eur. und Diog. seien gleichzeitig auf den Gedanken gekommen, die Eigenschaften des anaxagoreischen Nus dem Äther als dem feinsten Elemente beizulegen. Eur. war doch kein Forscher, dem man eine selbständige Fortbildung eines Systems zutrauen kann. Wenn er daher in einer bestimmten Lehre, wie hier in der von der vernunftbegabten Luft, mit Diog. auffallend übereinstimmt, ist es von voinherein viel glaublicher, daß er sich an diesen angeschlossen, als daß er durch eigenes Nachdenken aus A. dieselbe Lehre wie jener entwickelt hat. Noch verfehlter ist es, an gewissen Stellen, wo eine philosophische Bedeutung des Wortes voü; überhaupt nicht vorliegt, eine Abhängigkeit von A. zu behaupten, wie dies P. Medea 529: qo\ o'hzi [1.EV voüc XsTTtoj thut, als ob Eur. nicht, auch ohne ein Fragment des A. vor Augen zu haben, einer seiner Personen hätte einen ,, feinen \' erstand" zuschieiben können. Wenn Verf. schließlich die Kosmologie i:i Fr. 83ß und 488, wo -.aia und albrfi oder oypavoj an den Anfang

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der Dinge gestellt und als Erzeuger aller organischen Wesen besungen werden, oder das Emporsteigen der vom Leibe getrennten Seele in den Äther, von dem Eur. Fr. 836 und Hei. 1016 spricht, auf A. zurückführt, so schiebt er diesem eine Lehre unter, die, wie Decharme (s. 0. S. 77) erkannt hat, nach der besten Überlieferung diesem fremd ist. Der positive Ertrag seiner Arbeit ist somit kein sehr erheblicher; aber das Verdienst bleibt ihm, gezeigt zu haben, daß Eur. der Person und Lehre des A. doch nicht so fremd gegenüberstand, wie Decharme an- genommen hatte, und seine Untersuchung hat vor der seines Vorgängers jedenfalls den Vorzug, daß in ihr alles für eine Vergleichung des Eiir. mit A. irgendwie in betracht kommende Material aufs sorgfältigste zu- sammengetragen und nach methodischen Gesichtspunkten bearbeitet ist. Vgl. außer der angeführten Besprechung Weckleins die von J. Bidez, Kev. de l'instr. publ. 37 S. 45 ff.

Polle sucht die mehrfachen Übereinstimmungen, die sich scinei- Meinung nach zwischen der Kosmogonie bei Diodor prooem. c. 7. und der entsprechenden Darstellung bei Ovid im 1., teilweise anch im 15. Buche der Metamorphosen finden, durch die Annahme zu erklären, daß beide aus einer gemeinsamen Quelle, wahrscheinlich der Schrift des A., ge- schöpft haben. Näheres s. in der Rezension von R. Ehwald Fortschr. 80 (1895) S. 44 f., dessen Beurteilung der Polleschen Hypothese im wesentlichen das Richtige zu treffen scheint. Die Verwandtschaft zwischen Diodor und Ovid ist, wie Ehwald darthut, teils sehr entfernt, teils nur scheinbar. Den Ähnlichkeiten stehen ferner mindestens ebenso viele Unter- schiede gegenüber. Aber auch die von P. behaupteten Übereinstimmungen sowohl Diodors wie Ovids mit A. sind zum Teil sehr zweifelhafter Art. Wenn P. z. B. die cognati semina (^^ oi^epixaTa bei A.) caeli I 81 mit der Darstellung bei Irenaeus II 14,2 und den deus et melior natura I 21 sowie den opifex rerum I 79 und muudi fabricator 157 mit dem Nus des A. zusammenstellt, so fehlt in den Worten I 80 f.: tellus . . . retinebat semina caeli gerade der charakteristische Zug der decidentia semina bei Iren., und Ovid giebt überdies diese Ansicht nur als eine Variante (sive-sive), die eine von der Hauptquelle abweichende Auf- fassung enthält. Diese der Darstellung Polles gegenüber völlig zu- treffende Bemerkung Ehwalds läßt nur außer betracht, daß die Mit- teilung bei Iren., in der P. eine getreue Wiedergabe der anaxagoreischeu Lehre von der Entstehung der Lebewesen erblickt, keinen Glauben verdient (s. 0. S. 73). Vielleicht ist gerade in der Ovidischen Fassung, nach der die Erde die vor ihrer Trennung von dem Himmel empfangenen Samen des Äthers bewahrt, die wahre Ansicht des A. erhalten (vgl. Censorin. d. d. nat. 6, 2: aetherium inesse calorem). Auch sonst lassen sich einzelne Übereinstimmungen zwischen Ovid und A. nicht leugnen

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84 Bericht über die griechischen Piiiloeopben vor Sokrates. (Lortzing.)

(nur hätte H. Magnus in seiner kurzen Besprechung der Abhandlunp, Jahresber. d. philologischen Vereins in Zschr. f. d. Gymn. W. 1896 S. 78 nicht auf die auffallende Ähnlichkeit des Citates aus Eurip. [Fr. 488] bei Diodor mit Ovid I 6 und andern Ovidstellen Wert legen sollen, da jenes Fr., wie wiederholt bemerkt, schwerlich auf A. zurück- weist). Aber ganz unglaublich ist, daß ein Dichter wie Ovid die Schrilt des A. selbst und noch dazu, wie man annehmen müßte, neben einer Anzahl anderer Originalquellen durchstudiert haben sollte; er wird vielmehr, wie Ehwald glaubt, eine doxographische Quelle benutzt haben, die haupt- sächlich stoische Veise enthielt, aber die Meinungen anderer Philosophen kurz berühite [etwa Poseidonios?]; auf eine solche führen auch die un- leugbaren Übereinstimmungen mit Heraklit und Seneca; vgl. H. Magnus Jahrb. f. kl. Ph. 37 (1891) S. 698 ff.

2. Znm Texte der Fragmente.

Die uns erhaltenen Fragmente stehen in ihrer ursprünglichen Gestalt fast ausschließlich bei Simpl. ad phys. In der Dielsschen Aus- gabe, auf die ich hier verweise (s. das Verzeichnis im 2. Bande der Ausg. S. 1439 f.), haben wir natürlich einen viel zuverlässigeren Text, als ihn Schaubach und Schorn, von MuUach zu schweigen , iii ihren *Saramlungen bieten konnten. Ein neues Fr. hat Diels Atacta Herrn. 13 S. 1. ff. (s. ßer. I 276) bei Gregor Naz. ed. Migne t. 36 S. 911 entdeckt: neu? 7ap av ex p.7) tpr/o? YevTjxai (1. 7evoiTo) Opt$ xat aapE ix fxY) aapxo;; es ist an die Stelle des 16. Fr. bei Schaubach zu setzen, das nichts als eine Umschreibung der aristotel. Worte phys. 203 a 24 ff. durch Simpl. 416, 25 ff. enthält; vgl. Aet. I 3, 5 S. 279 a 9 und dazu die Anmerkung von Diels. Ein zweites von den Herausgebern über- sehenes Bruchstück findet sich bei Simpl. d. cael. 608, 26 (s. Zeller 986, 1): cuaxe Ttüv a7:oxptvo[JL£V(DV p,-?) eiSevai xo ti:X^9oc [at^xe X67t}> ixTf]xe ep7i|>. Auf ein gleichfalls bisher übersehenes Wort des Philosophen bei Plut. d. foit. 3 S. 98 F über die kluge Verwertung der Vorzüge der Tiere durch den Menschen weist Gomperz Gr. D. 445 hin. Von Verbesserungsvorschlägeu sind außer Zellers dnXöov (Fr. 6) , das bereits S. 63 t. angeführt worden ist, noch folgende zu erwähnen. Gomperz Beitr. IV S. 21, 1 will in Fr. 6: iszb xoü ffjxixpoü rjpEaxo uepf/tupeiv unter Berufung auf Herodot I 58 (dzc» aixtxpou xeu xTjv ap'/Y)v opixujjxevov) aTto xtu lesen; nicht von ,,dem Kleinen", sondern von „einem kleinen Punkte" aus habe A. den vom Nus erteilten Bewegungsanstoß sich verbreiten lassen; Diels S. 156. 23 hat diese, wie mir scheint, sehr beachtenswerte Konjektur unerwähnt gelassen. Fr. 15 (Simpl. 164, 18); ^otp iov oux laxi xo [xt) oux eivat hat Zeller bereits in der 4. Aufl. der Ph. d. Gr. (s. I 5 989, 2) treffend xo|x.^

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 85

oux eTvai vermutet: „es ist unmöglich, daß das Seiende durch unendliche Teilung zu nichte werde"; von Schulteß und Wellmann bei Ritter und Preller ^ 121 aufgenommen. Verfehlt ist der Vorschlag Toich Hers N. Stud. II 29 Anm.: t6 [xr; ov eivai Aus der Übersetzung der Fragmente bei Burnet earl. gr. ph. 282 ff. und dem beigefügten Kommentar sei folgendes angeführt. Fr. 3 ergänzt B. willkürlich ev T.äsi ToTc ouYxpivofievotc <xoa}ji.oi;> (vgl. über die verkehrte Hypothese von einer Vielheit der Welten bei A. o. S. 77). Fr. 10 verbindet B. mit Fr. 3, wie dies Simpl. an drei Stellen thut, und setzt mit demselben Simpl. (S. 35, 14) Fr. 11 unmittelbar [aber Simpl. sagt |j.6t' 6X170 v 97)71] hinter Fr. 10. Der Schluß von Fr. 10: Taüxa ouv jxtjv XEXexxai Trepi ttj? oTToxpiato; (so DE, aTToxpiseu); a F) xtX, den Schorn dem Simpl. zuschrieb, gehört nach B. dem A. selbst, wie die ionische Form beweist; auch Diels S. 35, 8 zieht ihn mit zu den Worten des A. Fr. 4 streicht B. die Worte 77JC TioXXf^c ivouarj? als eine Glosse zu der wahrscheinlich dui'ch sie verdrängten ursprünglichen Lesung dtpaioü xal tiuxvoü (vgl. Fr. 6). Fr. 12 schließt er sich au die von Diels zu S. 157, 7 vorge- schlagenen Verbesserungen an; nur im Anfange will er nicht mit D. 6 8e voüc, «uc dtei tote, xotpra, sondern 6 8. v. ^jwv x'esxi xpoTeet lesen; falsch, da beim Nominativ die Assimilation des Relativums aus- geschlossen ist.

3. Zu Archelaos.

Wenn auch in der Berichtszeit keine Monographie über Archelaos erschienen ist, so sind doch in verschiedenen Schriften einzelne Beiträge zu seiner Philosophie geliefert worden.

Zu der Notiz bei Euseb. pr. ev. X 14, 8, daß Arch. zuerst in Lampsakos die Schule des Anaxagoras übernommen und erst später von dort nach Athen übergesiedelt sei, vermutet Zell er 1031, 1, wohl mit Recht, dies sei nur aus seinem Diadocbenverhältnis zu Anaxag. gefolgert worden. Wenn Zeller aber ebenda die Bemerkung bei Laert. II 16: ouToc TcpcÜTOc ex xfjC 'Iiüvi'ac tt/j <puaixY)v 9iXopocpiav ixern^-fa^ev 'A&TQva^e im Widerspruch zu W. Volkmann Quaest. d. Diog. L. c. I (s. Bericht I 185) nicht als eine auf Anaxag. bezügliche Randbemerkung gelten lassen will, sondern nach wie vor auf Arch. bezieht, so kann ich ihm darin nicht beistimmen.

Zu dem Abriß der Lehre des Arch. bei Hippolyt. I 9 hat Diels in den Doxogr. 563 f. mehrere Verbessernn^svorschläge gemacht, von denen einer (S. 564, 8) ypr^aöat (statt yprjjsaöai oder ypTQjajÖaO ^ap exGKJTov xal tcüv I^iüuj^ t(u viG (statt a(ü[xaTu)v oata) von Zeller 1036,2 gebilligt wird. Dagegen schlägt dieser 1034, 16 statt elvai 0' äp/ac TT); xivr^aeuj; dTTOxpivetJilai (S. 563, 16) vor: ev 6' ap-/aT; Sta x^c

36 Bericht über die griechischen Philo-sophen vor Sokrates. (Lortzing.

XIV. oder i. 8. d. x^; xiv. vor, während Diels unter Berufung auf Laert. II 16 (6uo amac slvai -^sveascü;) vermutet hatte: elvai 6e <ouo> dp^a«. T. X., <ac> dzoxptvcOat. Die verderbte Stelle bei Laert. II 17 in. hat Byk. d. vorsokr. Phil. I 247 f. durch eine Umstellung heilen wollen, die Zeller 1035, 2 mit Recht zurückweist; er selbst hatte schon in einer frühereu Auflage statt -eptppeT vorgeschlagen uupl tepippeixat sowie statt des im Zusammenhange sinnlosen xaöö jxev ei? xo irupGSec auviaxaxai: TnrjXöioe«;; Reiske in den von Diels veröffentlichen Aniraadv, in Laert. Diog. (s. Bericht I 188) S. 307 hatte, wie später Ritter I 342, xuptüSe« vermutet; Diels selbst denkt an xpo^üiSec und ver- gleicht Äet. III 9, 5.

Über die Physik des Arch. handelt Dümmler an zwei Stellen der Akadem. S. 106 weist er zutreffend darauf hin, daß in der Lehre von der e^x^tot; oder eTrixXtai? xou x6a|jLou Arch. sich zwar im ganzen an Anaxagoras und Diogenes anschließt, in einem Puukte aber von ihnen abweicht. Während jene beiden die Neigung des Kosmos erst nach der Erzeugung der lebenden Wesen eintreten ließen, nahm Arch. an, daß die Erde, die er sich wie eine hohle Schale dachte, vor der Ittixäij'.; dunkel und schlammig war, da die am Horizonte kreisende Sonne wegen der erhöhten Ränder der Erde diese nicht bescheinen konnte; nath der eTiixXtJi; sei dann die Erde trocken geworden, und nun erst hätten sich auf ihr Menschen und Tiere gebildet, die sich vom Schlamme ernährten und kurzlebig waren, bis sie sich später unter einander fortpflanzten. Diese Abweichung aber ist, wie D. hinzufügt, von keiner wesentlichen Bedeutung für die dem Arch mit den beiden anderen Philosophen ge- meinsame teleologische Auffassung, nach der die eTiixXiJi; um der leben- den Wesen willen eingetreten ist. S. 232 ff. findet D. Anklänge an die Ansicht des Arch., daß sich die ersten Menschen vom Erdschlamm ernährt hätten, in der 12. Rede des Dion Chrysost., die gewöhnlich auf eine stoische Quelle zurückgeführt wird (s. Wendland Arch. I 209); Dion habe zwar schwerlich unmittelbar aus Arch. geschöpft, aber einen der ältesten Kyniker benutzt, der sich eng an die ionischen Physio- logen wie Diogenes und Arch. angeschlossen habe. Mit Recht erklärt Zeller 1036, 4 diese Vermutung für unsicher, wenn sie auch möglicher- weise das Richtige treffe. Eine kurze, aber treffende Darstellung der Naturphilosophie des Arch. giebt Gomperz Gr. D. 304, an deren Schluß er bemerkt, daß Arch. bei dem Versuche einer Umbildung oder besser Rückbildung der auaxagoreischen Lehre nicht nur durch Anaxi- menes, sondern auch durch Parraenides, vielleicht auch durch Anaxi- mander beeinflußt worden sei.

Über die Frage, ob Arch. neben der Physik auch ethische Untersuchungen angestellt habe, sind die Meinungen geteilt. Während

Bericht über die gricchiscben Philosopheo vor Sokrates. ^Lortzin(,'.) 87

sie Dümmler Ak. 257 (vgl. 122) entschieden bejaht, indem er Arcii. durch die sophistische Staatstheorie (Hippias) beeinflußt sein läßt, und Goraperz 323 ihn als den ersten schriftstellerischen Vertreter der Unterscheidung zwischen Natur und Satzung auf dem Gebiete der staat- lichen und gesellschaftlichen Erscheinungen bezeichnet, beharrt Zeller auch in der 5. Aufl. (1037 f. mit Anm. 5) bei der Meinung, daß eine nähere Beschäftigung mit ethischen Fragen, wie sie Sext. math. VII 14 und Laert, II 16 ihm beilegen, im höchsten Grade unwahrscheinlich sei. Seine Beweisgründe indes scheinen mir nicht durchschlagend. Er be- ruft sich zunäclist auf das völlige Schweigen des Piaton und AristoL, von denen letzterer die Hinwendung zur Ethik von Sokrates, nicht von Ärch. ableitete. Dieses argumentum ex silentio ist sehr be- denklich; hat doch Aristot. weder Demokrits Ethik noch Aristipp als Philosophen mit einem Worte berührt. Wenn Z. hinzufügt, daß auch Hippolyt. keinen ethischen Satz von Arch. berichtet, so ist da- gegen zu bemerken, daß doch aus seiner Darstellung hervorgeht, daß Arch., nachdem er die Entstehung der Lebewesen behandelt hatte, auf die Anfänge staatlicher und gesellschaftlicher Ordnung bei den Menschen eingegangen sein muß. Hierbei lag es für ihn nahe, die Frage des Unterschiedes zwischen dem natürlichen Rechte und den menschlichen Satzungen zu erörtern, wie dieä ja nachweislich der doch wohl nicht viel jüngere Hippias gethan hat. Wir haben daher keinen hinreichenden Grund, zu bestreiten, daß die Bemerkung des Laert., Arch. habe be- hauptet To Sixaiov elvat xal to aia/pov oii (pujei, dXXd v6|xcii , nicht auf alter Überlieferung beruhe (vgl. Diels Arch. I 250). Z. nimmt daran Anstoß, daß danach bereits Arch. ausgesprochen haben müßte, was wir nicht allein bei den ältesten Sophisten, sondern auch bei Hippias in dieser Allgemeinheit noch nicht finden. Aber wenn wir wirklich dem Arch. eine so scharfe und umfassende Bestimmung des Gegensatzes von tpusi; und vojjloj nicht zutrauen dürfen, so hindert uns nichts, anzu- nehmen, daß die hierauf bezüglichen Betrachtungen des Arch. noch nicht von diesem selbst, sondern erst in der späteren doxographischen Überlieferung jene kurze und scharfe wissenschaftliche Formulierung erhalten haben.

H. Die Atomiker

1. LeokippoSt

362. E. ßohde. Das Verhältnis der beiden Begiünder des ato- mistischen Materialismus, der griechischen Philosophen Leucipp und Democrit. Verb. d. 34. Philologenvers, zu Trier 1879. Leipzig 1880. S. 64—90.

88 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

363. H. Di eis, Über Leukipp und Demokrit. Verh. d. 35. Phi- lolo^envers. zu Stettin. Leipzig-, Teubner 1887. S. 96-112.

364. E. Rohde, Nochmals Leukippos und Deinokritos. N. Jahib. f. Philol. 123 (1881) S. 741— 748.

365. P. Natorp, Diogenes von Apollonia. Rh. Mus. 41 (1886) S. 349-363.

366. H. Diels, Leukippos und Diogenes v. Apollonia. Rh. Mus. 42 (1887) S. 1—14.

367. P, Natorp, Nochmals Diogenes und Leukippos. Rh. Mus. 42 (1887) S. 374—385.

Die Person und Bedeutung Leukipps, sein Verhältnis zu De- mokrit und Diogenes sind während der Berichtszeit Gegenstand einer lebhaften Erörterung gewesen, zu der Rohde (No. 362) durch die Leugnung der Existenz dieses Philosophen den Anstoß gegeben hat. Er sucht zunächst den leukippischen Anteil an der atomistischen Lehre von dem demokritischen in einer freilich keineswegs erschöpfenden Untersuchung zu sondern und gelangt zu dem Resultat, daß für Demo- krit fast nichts als Kleinigkeiten übrig bleiben. Diese aus der aristote- lischen Darstellung der Lehre beider Philosophen sich ergebende Kon- sequenz scheint ihm aber mit der thatsächlichen Bedeutung, die in der gesamten Überlieferung- des Altertums außerhalb des aristotelisch-theo- phrastischen Kreises den beiden Männern beigemessen wird, in einem solchen Widerspruch zu stehen, daß er, um ihr zu entgehen, kein Be- denken trägt, Aristot. und Theophr. eines fundamentalen Irrtums in bezug auf die Person des Leukipp zu bezichtigen und diesen für ein Phantom zu erklären; in Wirklichkeit habs es vor Dem. keine Ato- mistik gegeben ; alles, was von L. berichtet werde, sei Demokrits Eigen- tum, der dieses System völlig selbständig erfunden und durchgeführt habe. Ihre hauptsächlichen Stützpunkte hat diese Auffassung in den Worten Epikurs bei Laert. X 13: aXX' ouSe Aeuxtimov Ttva 7c7evrj(ji)ai ydodotpov , d. h. es habe kein Philosoph L. existiert. Zu einer an- scheinend so paradoxen Behauptung konnte sich, so meint R., Epikur nur berechtigt glauben, weil von Leukipps leiblichem Dasein und seiner Thätigkeit keine sichere Spur vorhanden war (bei Dem. wurde er ohne Zweifel nicht erwähnt), und weil der [xe^ac öiaxoj|i.oc nur von Theophr. ausdrücklich dem L. zugeschrieben wurde, während er in der sonstigen Überlieferung fast durchweg als demokritisch galt. Auch der Verfasser der Schrift d. X. M. G. 980 a 7 spricht mit den Worten Iv toTc Asu- xiTTTToo xaXoo}xevoic X^Yotc seinen Zweifel an dem leukippischen Ursprünge der Schrift aus. Diese Gründe hält R. für gewichtig genug, um sich in der zwischen Epikur und Theophrast herrschenden Kontroverse ent-

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schieden auf die Seite jenes zu stellen. L. hat seinen Platz in der Geschichte der Philosophie nnr dadurch behauptet, dali er bei der später übliohen, wahrscheinlicii auf Sotion (in diesem glaubt R das Bindeglied zwischen Hippolytos und Laertios zu sehen) zurückgehenden Zweiteilung der Philosophie in eine ionische und italische Reihe zur mechanischen Verknüpfung der Demokriteer mit den Eleaten notwendig war. Aber diese Annahme eines L. war keineswegs allgemein. Apollodor hat in seinen Chronika schwerlich zwischen Zenon (464) und Demokrit (420) L. eingeschoben, da bei ihm der Unterschied zwischen Meister und Jünger i-e^elmäßig 40 Jahre betrug; vielmehr war nach ihm Dem. wahi'scheinlich ein Schüler des Anaxagoras (den Altersunterschied von 40 Jahren zwischen beiden hat ApoUodor nicht bei Dem. vorgefunden, bei dem er nur las: veo; xaxa Tipsj^'jTTjv 'Ava^a-yopav ^v, sondern nur durch Berechnung gefolgert). Nicht bloß Lnkrez, sondern auch Sext. Emp. nennt den L, nie (am auffälligsten ist sein Schweigen math. IX 363), und Cicero de nat deor. IT 66 spricht zweifelnd von ihm: Democriti sive etiam ante Leucippi [R. beachtet nicht, daß diese Worte innerhalb einer gegen einen Epikureer gerichteten Ausführung stehen und daher offenbar mit besonderer Vorsicht gewählt sind (s. Zeller 837, 1); in der auf Tlieophr. zurückgehenden Stelle Luc. 118 dagegen nennt Cic, den L. ohne Hinzufügnng irgend eines Zweifels und reilit ihm Dem. als seinen in den Prinzipien mit ihm durchaus über- einstimmenden Nachfolger an; vgl. Diels Dox. 120 f.]. Gerade der \i.i'('x; 3iaxo3(xo;, der wahrscheinlich das Weltgauze darstellte, während der [xixpoc öiaxosjxoc die Welt des Menschen behandelte, gilt in der nachtheophrastischen Zeit allgemein als demokritisch. Von einer Berück- bichtiguDg der Atomistik vor Dem., etwa bei Anaxagoras oder Melissos, kann R. keine Spur entdecken.

Gege:< diese Ausführungen wendet sich mit einigen kurzen Be- merkungen F. Kern in einem Nachtrage zu seiner später zu besprechen- den Abh. über Demokrits Ethik (Zschr. f. Philos., Ergänzungsh. 1880) S. 23 26. Die Äußerung Epikurs vermag er nicht mit Rohde so auf- zulassen, als ob ein Philosoph L. überhaupt nicht existiert habe, <ftX6ao<pov könne nur prädikativ genommen werden (?). Auch handle es sich nach dem Zusammenhange nur um die Leugnung des Lehrer- verhältnisses, nicht um die der Existenz der beiden Philosophen Nausiphanes (?) oder L. Mit dieser grammatisch und sachlich unhalt- baren Deutung der Stelle (auf den Zusammenhang ist an vielen Stellen des Laert. nach der Art, wie sein "Werk zu stände gekommen ist [s. Ber. I 188 und 185ff.J, kein Wert zu legen) läßt sich Rohdes Hypo- these nicht beseitigen. Überzeugend dagegen sind die Argumente, mit denen D.iels (No. 363) diese Hypothese bekämpft.

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D. erklärt sich zunächst mit Rohdes Auffassuntr der Äußerung Epikurs über L. einverstanden; xiva bezeichne nicht, wie Zeller früher annahm, „ein uainhafter" , sondern habe einen polemischeu Charakter, wie unser „ein gewisser", und cpiXoaocpov sei nur hinzugefügt, weil es möglicherweise homonyme Männer anderen Standes gebe. Auch darin giebt er Rohde recht, daß die Lehre des L. uns nur in den von Aristot. und Theophr. gegebenen Berichten voi liege, was aber auch für andere Philosophen wie Anaximander, Archelaos und so ziemlich auch für Xenophanes gelte, sowie darin, daß nach diesen Berichten Leukipps System mit dem Demokrits in allem Wesentlichen vollständig überein- stimme (eine der nebensächlichen Differenzen ist die leukippische Er- kläiiing des Donners aus dem eingeschlossenen Feuer [Aet. III 3, lOj, die sich an Anaximander anlehnt, während Dem. [ebd. § II] mit seinem a'JYxptixa avcu|xaXov offenbar durch Anaxagoras [ebd. § 4, vgl. II 30, 2J beeinflußt ist. Rohdes Behauptung dagegen, daß die Lehre von der Subjektivität der Empfindungsqualitäten dem Dem., aber nirgends dem L. zugeschrieben werde, ist falsch (vgl. Aet. IV 9, 8); der Satz: ete-^ aTO|xa xat xsvov, td 81 äXXa Travta doidCzTOLi mag den Worten nach Dem. gehören, aber unzweifelhaft ist dieses dem eleatischeu Programm direkt nachgebildete Schibboleth des Materialismus ebenso gut leukippisch). Ebenso ist gegen den Schluß, den R. daraus zieht, daß dann also Dem. dem L. nicht selbständiger als etwa Theophr. dem Aristot. gegenüber- stände, nichts einzuwenden. Dagegen befindet sich E. in einem schweren Irrtum, wenn er, durch die vorgefaßte Idee von Demokrits Originalität verführt, die Existenz des L. zu leugnen und damit Aristot. und Theophr., die Grund- und Ecksteine unserer Kenntnis der vorsokratischen Philo- sophie, als betrogene Betrüger hinstellt und zwar in einer Frage, in der es sich nicht um die Kritik und Auffassung fremder Systeme, sondern um die durch Aristot. wohlverbüigte historische Existenz eines gewaltigen Denkers handelt. Freilich wissen weder Geschichte noch Sage etwas von Leukipps Lebensumständen zu berichten, abgesehen von der doppelten Angabe über seine Vaterstadt bei Theophr., die nicht bloß aus Leukipps Schriften geschöpft sein kann, sondern auf anderweitige Überlieferung de,utet. Aber dieses Schweigen beweist nur, daß seine Persönlichkeit sich auf die innere Thätigkeit der Schule beschränkte und darum bei den Zeitgenossen rasch in Vergessenheit geriet. Wenn Aristot. zuerst mit Dem. den L. nennt, so hat er dies sicherlich nicht auf ein unbestimmtes Gerücht oder auf bloße Büchertitel hin, sondern auf grund einer genauen Tradition über die Geschichte der Atomistik gethan. Daß die vulgäre Überlieferung später L. ganz vergessen konnte, erklärt sich daraus, daß Leukipps Schriften nur unter Demokrits Namen umgingen. Dies konnte um so leichter geschehen, als keine von

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing). 91

den philosophischen Schriften den 5. Jahrhunderts einen prägnanten, vom Schriftsteller selbst gewählten Titel gehabt zu haben scheint; sie werden unter der stereotypen Aufschrift rspl ^üjstü;, bisweilen auch Trepi Toü ovToc mit Recht oder Unrecht zusaramengefaßt. Und wie der Titel, 80 fehlte auch der Name [aber er stand in den Prosaschriften des 5. Jahrhunderts gewöhnlich am Anfange der Schrift selbst; s. Ber. 1275 und wasDiels selbst später zu Fr. 1 seiner Heraklitausg. bemerkt hat]. So blieb der Name des Meisters mehr in der Tradition als in den Exem- plaren erhalten. Das demokritische Korpus ist daher wahrscheinlich als das Archiv der atomistischen Schule aufzufassen, in dem Älteres und Jüngeres sich an das Hauptwerk angeschlossen hat. In der That stehen dann auch im thrasyllschen Kataloge der demokritischen Schriften die beiden von Theophr. dem L. zugeschriebenen Bücher ixe^ac (3iay.oa|i,o; und rept voü. Das Verhältnis des (xixpoc zum ^.£7«; 6iaxoa|xof ist nicht das des Makrokosmos zum Mikrokosmos, sondern ist nach Analogie von fxtxpa 'IXiac und 'iTiniac |j.etCa>v u. s. w. zu beurteilen. Auch konnte der kleine Diakosmos nicht gut die Anthropologie enthalten, da Dem. daun dasselbe Thema in dem Werke Tiepl dvOpcoKou cpucjto? bebandelt habeo müßte. Das einfachste ist, im großen Diakosmos die Urschrift des Meisters zu erblicken, die sein Schüler im kleinen Diakosmos in eiu kürzeres System brachte. Gegen Rohdes Annahme, daß die zweite Schrift des L., Trepi voü, auf einfacher Verwechselung mit Dero, beruhe, da L. so gut wie ausschließlich von den kosmologischen Grundsätzen der Atomistik gehandelt habe, bemerkt D. treffend, daß die wichtige, in der peripatetischeu Quelle dem L. zugeschriebe Lehre von den Bildern, auf denen die atomistische Psychologie aufgebaut ist, nur in der leukippischen Schrift r.i^\ voü stehen konnte. Die bei Aet. 1 25, 4 aus dieser Schrift augeführten Worte fügen sich ungezwungen in den mutmaßlichen Gedankeninhalt der Schrift; denn der konsequente Materialismus mußte auch die Geistesthätigkcit auf die £i}j,ap(X£vr,, ins Physikalische übersetzt, auf die Schwerkraft, zuiückführen. Der Titel :i£pl voü erklärt sich daraus, daß den Atomikern «{>u'/y) und voü; dasselbe war und L. die aiaÖYjji? und die vorjat; auf gleiche Weise aus den tiduiXt entstehen ließ. Daraus endlich, daß Epikur in den Schriften Demokrits den Namen des L. nicht erwähnt gefunden hat, dürfen wir nicht mit ihm den Schluß ziehen, L. habe nicht existiert. Dem. brauchte nach antiker Sitte den Namen seines Lehrers so wenig zu nennen wie Theophr. und Eudemos den des Aristot., zumal mau nur dann Namen von Autoren zu bringen pflegte, wenn man von ihnen abwich Wenn die traditionellen Exemplare die Schrift des L. unter Demokrits Namen führten, so war für die alexandrinischen Bibliothekare die Sache entschieden, und sie glaubten genug gethan zu haben, wenn sie die abweichende Ansicht

92 Bericht üher die griechischen Philosophen vor Sokrates, (Lortzing.)

Theopbrasts erwähnt hatten. Nach dieser Zurückweisung der Rohdeschen Argumente bringt D. nun auch noch einen positiven Nach- weis für die Existenz des L. Dem. wirkte und schrieb um d. J. 420, jedenfalls vor Anaxagoras. Wenn sich also bei einem der früheren Philosophen sichere Spuren von einer Einwirkung der Atomistik wahr- nehmen lassen, so kann nur L. der Urheber des Systems sein. D. will ganz davon absehen, daß Zeller 1026 f. und 983 f. mit großer Wahrscheinlichkeit eine Abhängigkeit des Anaxagoras und Melissos von der Atomistik behauptet und daß Empedokles (s. o. S. 43 f.) in wichtigen Punkten seiner Lehre an dasselbe System anknüpft (wenn Rohde um- gekehrt den Namen des Emp. in einer angeblich leukippischen Schrift gefunden haben will, so beruht dies auf einem Mißverständnis von Aristot. de. gen. 325b 5. Ebenso mißverstanden hat R. Ps.-Arist. de X. M. G. 980 a 7, wo Iv xoic Aeuxitruou xaXouixe'voic Xo7otc sicher nicht ein Gorglas entlehntes Citat ist, sondern auf iVristot. 325 a 11 zurück- geht; in xaXouixe'vot; liegt kein Zweifel an L., sondern es deutet das Ungewöhnliche des Ausdruckes Xo7ot an). Aber von Dioge nes bezeugt Theophr. Phys. op. Fr. 2 mit deutlichen Worten, er habe sein System eklektisch aus Anaxagoras und L. zusammengestellt. Rohde mag recht haben, daß dies nichts weiter bedeute, als daß Diogenes dem [xe-i-ac 6iaxo(j[j.o; manches entlehnt habe. Aber Diogenes schrieb nach Anaxagoras, den er benutzte, und vor den aristophanischen Wolken, die ihn parodierten. Viele physikalische Scherze in diesem Stücke passen wenig auf Sokrates, vortrefflich aber auf Diogenes, dessen Theorie entweder durch ihre Wunderlichkeit oder durch die Anklage, die ihm nach Laert. IX 57 [s. jedoch Volkmann d. Diog. Laert. I S. 6, der nachgewiesen hat, daß hier ein auf Anaxagoras bezügliches Einschiebsel vorliegt; vgl. Zeller 259, 1] seine Freigeisterei zugezogen zu haben Fcheint, die Aufmerksamkeit der Athener erregt haben muß. Vor allem entspricht Wolken 227- 233 genau der Lehre, ja der Terminologie des Diog. (vgl. besonders das für Diog. typische ix|xac), wie bereits Petersen Hippocr. scripta ad terap. rat. dispos. Hamburg 1839 nachgewiesen hat. Nur die ebenso eigentümliche wie lächerliche Lufttheorie des Diog. kann hier verspottet sein, nicht etwa, wie R. meint, die ähnliche Meinung Heraklits, die dem athenischen Publikum viel zu fern lag und schwer verständlich war. Wenn v. 264 Sokrates und sein Schüler zu dem Herrscher 'Atqp beten, so thun sie es genau im Sinne des Diog. (Philodem d. piet. I 6b und Diog. Fr. 3). Man wird es jetzt nicht mehr auffällig finden, daß die formenwechselnde Luft auch bei Aristoph. bald als leuchtender Äther, bald als unermeßliches Chaos, das an mehreren Stellen nicht die Leere, sondern die Luft bedeutet, bald als Nebel göttlicher Verehrung gewürdigt wird, noch, daß das nach Diog.

Bericht übei- dio griechischen Philosophen vor Sokrates. iLorlzing.) 9-»

mit dem Denken identische Atemholen (avairvoT])! als Göttin augerufen wird (v. 627). So erst versteht man den Titel und die ganze Anlage des Stückes, den Chor der Wolken als weiblichen Vertretern des 'Ai^p. (Eine Anspielung auf Diog. findet D. auch bei Demokr. fr. var. arg. 5 Mull., wo unter den Xo-fiot avdpuiirot dieser Philosoph zu verstebeu sei; vgl. Diog. Fr. 3 und 6. Letzteres schwebte auch bei Eurip.Troad. 884 vor [S. 0. S. 82].) Da hiernach Diog. seine Physik vor 423 veröffentliclro haben muß, da er ferner den großen Diakosmos benutzt hat und eine genauere Zwischenzeit anzunehmen ist, in der das atomistische System dem Apolloniaten und dessen Philosophie wieder dem athenischen Publikum bekannt werden konnte, so kann nicht Dem., sondern nur L. der Verfasser des ixe^a; Siaxo^jxoj sein, den wir uns 30 40 Jahre älter als Dem. denken werden. L. ist und bleibt also der geniale Erfinder der Atomistik, Dem. aber ihr beredtester Apostel, der wegen seines wahrhaft aristote- lischen Forschertriebes, der großartigen Vielseitigkeit seiner Studien und der Formvollendung seiner Schriften neben L. mit Ehren genannt zu werden verdient. Er ist auch der Altmeister der Philologie, der, wie das Verzeichnis Thrasylls lehrt (das (jvoixajtixo'v ist vermutlich keine demokritische Schrift, sondern das nach antiker Sitte [vgl. Hippokrates] dazu gehörige Wörterbuch), an Homer anknüpfend zuerst in umfassender Weise die Gesetze der Musik, der Poesie und der Sprache überhaupt festzustellen unternommen hat.

Dem schweren Geschütze dieser Gründe hat das lockere Gefüge der Rohdeschen Hypothesen nicht standhalten können. Mit vollem Rechte schließt sich Zell er 838 f. (vgl. 274 f.) den Hauptergebnissen der Dielsschen Beweisführung an und bemerkt, daß R. durch ihn er- schöpfend widerlegt worden sei. An diesem Ergebnis wird auch durch den in No. 364 unternommenen Versuch Rolides, seine Hypothese zu verteidigen, nichts irgendwie Wesentliches geändert. R. erklärt Diels' Voraussetzung, die traditionellen Exemplare hätten die Leukippschen Schriften unter Demokrits Namen geführt, erst Aristot. und Theophr. hätten sie, auf der internen Überlieferung der atomistischen Schule Jußend, dem L. zugesprochen, und der Tradition zuliebe hätten sie dann die Alexandriner wieder an Demokrits Namen geknüpft, haupt- sächlich aus folgenden Gründen für unwahrscheiulich: 1. Jene Schul- traditiou mußte doch dem Epikur, der Schüler des Nausiphanes war, mindestens ebenso zugänglich gewesen sein wie dem Aristot.; zu Epikurs Zeiten aber wußte man so wenig von L. , daß jener es wagen konnte, seine Existenz zu leugnen. Man darf doch dem Epikur nicht eine Flunkerei so auf gut Glück zutrauen, zumal er in diesem Falle nicht das geringste Interesse an der Entstellung der Wahrheit hatte. Für das gelehrte Altertum war die Existenz des L. so gut wie ausgelöscht,

94 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

[aber in der doxog-raphischen und biographischen Litteratur lebte er doch fort; s. Aet. und Laert.], und die Schrift oder die Schriften, die nach Theophr. dem L. gehörten (R. giebt jetzt zu, daß Th. auch die Schrift TT. vou möglicherweise auf L. zurückführte), teilte man dem Dem. zu. 2. Diels schlägt die kritische Befähigung des Kallimachos und der alexandrinischen Bibliothekare überhaupt zu gering an. Selbst Thrasyll schloß die dtJuvTaxxa aus dem Bestände der deraokritischen Schriften aus. Daß gerade in diesen Schriften, für die Kallimachos nachweislich eine besondei-e Vorliebe hatte, scharfe Kritik geübt worden ist, beweist die von Diels übergangene Notiz bei Suidas s. v. AirjixoxpiToc, echt seien nur der [XE^a? oiaxoajxo; und Tcepl cpuaetu? xoafxou. Die Alexandriner werden also ihre Gründe gehabt haben, von der ihnen wohlbekannten Ansicht des Aristot. und Theophr. abzuweichen. Aus diesen und ähn- lichen Gründen verwirft R. die Dielssche Auffassung und beharrt bei der seinigen, nach welcher der ehedem fälschlich unter Leukipps Namen verbreitete und als eine Schrift dieses Philosophen von Aristot. benutzte \j.i-{(xi öiaxo3|xoc späterhin dem L. abgesprochen und dem Dem. zuge- sprochen wurde. Die Annahme, daß auch Aristot. durch eine unrich- tige Überschrift getäuscht sein könne, hält er für kein Sakrileg; habe doch z. B. Theophr. in der Zuteilung der Nixtou d7ioXo7ta an Lysias geirrt. Diese Ausführungen beweisen nur, daß sich in einer so kom- plizierten Frage leicht allerlei Schwierigkeiten herausfinden lassen, die in einwandsfreier Weise zu beseitigen bei der Dürftigkeit unserer Über- lieferung oft unmöglich ist. Aber den Kern der Sache trifft Rohdes Argumentation nicht; sie ist vielmehr so recht dazu angethan, ihn zu verhüllen. Die Hauptfrage, der gegenüber hier alles andere als neben- sächliches Beiwerk erscheint, lautet so: sollen wir in diesem Streite über einen der wichtigsten Punkte der Philosophiegeschichte dem klaren Zeugnis der besten und zuverlässigsten Kenner der vorsokratischen Systeme oder dem gelegentlich hingeworfenen Paradoxon eines Epikur folgen? Die Antwort kann für den unbefangenen Beurteiler nicht zweifelhaft sein. Vgl. die außerhalb unserer Berichtszeit liegenden „Demokritstudien" Dyroffs § 1 und dazu meine Rezension Berl. Philol. W.-Schr. 1900, 1538 f. Es liegt hiernach für uns keine Veranlassung- vor, auf die einzelnen Argumente Rohdes einzugehen. Bemerken will ich nur, daß es sonderbar anmutet, wenn ein so gründlicher Quellen- forscher wie R. sich auf jene absonderliche Notiz bei Suid. über die beiden einzigen echten Schriften Demokrits beruft, eine Notiz, die sich ßchon durch den sonst nirgends überlieferten Titel tc. cpuasu)? xocjfxou verdächtig macht und, mag sie stammen, woher sie wolle, sicher nicht auf Kallimachos zurückgeht. Beachtenswerter ist. was R. am Schlüsse gegen Diels' Versuch einwendet, die Unmöglichkeit, daß Dem. den

Bericht über die griechischen' Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

^.£7«; 5iaxoa|j.o; verfaßt habe, chronologisch darzuthun. Allerdings will er die früher vou ihm bezweifelte Thatsache, daß Diog. in den Wolken parodiert werde, nicht mehr in Abrede stellen. Aber indem Diels be- haupte, Dem. habe um 420 geschrieben, zeige er, daß er dem Zeugni'^ Apollodors zu große Bedeutung beilege, und setze sich dadurch mit seiner eigenen Ansicht über den absoluten Wert der chronologischen Ermittelungen Apollodors [s. Ber. I 195J in Widerspruch. Wenn dieser den Dem. gerade um 40 Jahre jünger sein ließ als Anaxagoras. für dessen Schüler er ihn gehalten zu haben scheint (?), so dürfe man dies doch nicht als historische Thatsache ansehen. Dem. könne ebensogut etwa 475 wie 460 geboren sein und bis 423 oder auch schon bis etwa 435 seinen |i.e7a; öiofxosixoc geschrieben haben. Aus solchen chronolo- gischen Erwägungen sei die Entscheidung der Streitfrage nicht zu ge- winnen. Dieser Einwand hat eine gewisse Berechtigung. Wenn der Nachweis, daß sich Diog. an L. angeschlossen habe, lediglich von der Zuverlässigkeit der Angabe über Demokrits Geburtsjahr (460) und seine d/.ixr, (420) abhinge, so würde er auf keiner allzu sicheien Grundlage ruhen (s. Zeller 839 ft.). Aber wie man auch über den Wert des apollodorischen Zeugnisses denken mag, es giebt andere, teils auf glaub- würdige Berichte, teils auf Dogmenvergleichung sich stützende Gründe, die es unwahrscheinlich machen, daß Dem. mit der Darstellung seines Systems erheblich früher als um 420 hervorgetreten sei. Empedokles, der frühestens 492 geboren w'urde (s. Ber. I 201), wird seine Ousixa kanm vor der Mitte des Jahrhunderts geschrieben haben. Ihm folgte nach der bekannten Äußerung des Aristot. , die in dem inneren Ver- hältnis der beidorseitigen Lehren ihre Bestätigung findet, als Schrift- steller Anaxagoras nach. Auch Melissos hatte den Emped. und, wie sich unschwer aus Fr. 17 nachweisen ließe, auch Anaxag. vor Augen. Nimmt man mm hinzu, daß Dem. nicht nur gegen Anaxag, sondern auch gegen Protag., dessen 'AXv^Oeia ohne Zweifel später als die Schriften der genannten Philosophen erschienen ist, polemisiert hat, und bedenkt man, daß die Produktion philosophischer Schriften ebenso wie ihre Wirkung in die Eerne in damaliger Zeit nicht sehr schnell vor sich gegangen sein kann, so wird man Demokrits Banptschrift mindestens sehr nahe an die erste Aufführung der Wolken (423) rücken müssen. "V.'ie soll da noch Raum bleiben für die Veröffentlichung der Lehre des Diog. und ihre allgemeine Verbreitung in weiten Kreisen des atheni- schen Volkes, wie sie die aristophanische Komödie voraussetzt? Weitere Gründe für eine spätere Ansetzung der schriftstellerischen Wirksamkeit Demokrits s. zu No. 366. Mag man aber auch alle diese chronologischen Berechraingen als ein zu unsicheres Fundament nicht gelten lassen, so bleibt doch das Zeugnis des Theophr. über die Abhängigkeit des Dem.

1)6 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

von L. , das wegen der Autorität seines Urhebers nicht verworfen werden kann und durch bestimmte noch uns erkennbare Überein- stimmungen in Einzelheiten der Lehre bekräftigt wird (s. Zeller 275, 4). Schiebt man hier mit B,. an Stelle des L. den Dem. unter, so ergiebt sich der Widersinn, daß Diog. gerade in solchen Lehren (vgl. das oben über die Erklärung des Donners Bemerkte) mit Dem. zusammentreffen würde, die von der sonst überlieferten Auffassung des Abderiten ab- weichen. Derartige Differenzen mit R. auf Widersprüche Demokrits mit sich selbst zurückführen hieße denn doch den Knoten zerhauen, nicht lösen. Es ist höchst auffällig, daß R. diesen wichtigsten der von Diels gegen ihn angeführten Gründe in der 2. Abh. völlig übergeht. Gesteht er damit nicht die Schwäche seiner Sache einV

Aus diesem Streite hat sich eine neue Fehde zwischen Natorp und Diels entsponnen, die sich hauptsächlich um das zuletzt besprochene Verhältnis des Diog. zu Leuk. und Dem. dreht. Natorp (No. 365) bestreitet die Bündigkeit der Dielsschen Schlußfolgerung, nach welcher der von Diog. kompilierte [xe^a; öiaxoafjioc nicht von Dem. herrühren kann. Wenn er sich hierbei zunächst in chronologischer Hinsicht gegen Diels' Ansätze und für ünger erklärt, der die Angaben Diodors (Dem. gest. 404, J. alt) wieder zu Ehren gebracht habe (?), und' demge- mäß Demokrits schriftstellerische Thätigkeit spätestens 440 beginnen läßt, so hat er sich durch diese Vertretung des chronologischen Systems (vgl. Ber. I 201) den nicht ganz unverdienten Vorwurf von Diels (No. 366) zugezogen, daß er in chronologischen Fragen ein Dilettant sei. Er leugnet ferner den Anschluß des Diog. an Anaxagoras und L. Die darauf bezüglichen Angaben bei Simplicius brauche man durchaus nicht, wie Diels in den Doxogr. 477, 5 flf. thut, mit zu den Exzerpten aus Theophr. zu rechnen. Aber auch aus der Lehre des Diog. selbst lasse sich eine Abhängigkeit von jenen beiden Philosophen nicht er- schließen. Mit L. wenigstens habe bisher noch niemand irgend eine Übereinstimmung nachweisen können. Wenn Diog. bei Aet. II 4, 6 mit Anaxag., L u. a. weg-en der Lehre von der Vergänglichkeit der Welt zusammengestellt werde, so sei dies ein Versehen, da anderwärts (bei Simpl. phys. 1121, 12) die Lehre des Diog. vom Weltuntergange mit der des Anaxiraenes und Heraklit zusammengefaßt und von der anders gearteten des Anaximaiider, Leuk., Dem. und Epikur getrennt werde [nach Zeller 251 vertragen sich beide Angaben wohl mit einander]. Noch unglaublicher sei die Angabe bei Laert. IX 57 : x6c7[jlou; (J^eipouc xai xevciv aueipov, da Diog. unmöglich zugleich die unendliche Luft und das unendliche Leere behaupten konnte [dies mag zutreffen; aber der- artige eine Reihe von Philosophen zusammenfassende Berichte sind über- haupt mit großer Vorsicht zu benutzen; viel wichtiger sind die ge-

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 97

sonderten Berichte über Demokrits Erklärung einzelner physikalischer Erscheinungen, und da ist es doch merkwürdig, daß N. die von Diels S. 97, 7 angeführte Ansicht des Dem. über die Entstehung des Donners, die die Lehren des Anaxagoras und des L. verknüpft und von der des Dem. sich deutlich unterscheidet, ganz unbeachtet läßt]. Zwischen Diog. und Anaxag. seien zwar Übereinstimmungen in Einzel- heiten erweislich, aber sie erlaubten keinen Schluß auf wesentliche Ab- hängigkeit jenes von diesem. Diog., so führt N. weiter aus, gehört, wie auch Schleiermacher und Krische annehmen, durchaus der alten Richtung der ionischen Naturphilosophie an und ist von der Atomistik, ebenso wie von Anaxagoras unberührt geblieben [wie stimmt das zu dem eben zugegebenen Zurückgreifen des Diog. auf Anaxag. in Einzelheiten?]. Dem anaxagoreischen Dualismus steht er ganz fern. Wenn er dem Ur- stoffe voTjai? beilegt, so hat das mit dem voü; des Anaxag. nichts zu thun ; denn dieser steht dem Stoffe gegenüber, während nach Diog. der Stoff die Vernunft selber ist und sie in sich trägt. In dieser Belebung des Stoffes kommt er mit Anaximander überein, und noch näher steht er dem Anaximenes, dem das seelenhafte 7repir/ov gleichfalls als göttlich gilt. Auch Heraklit war darin dem Diog. vorangegangen. An den Ephesier erinnert seine Lehre selbst in solchen Einzelheiten wie die, daß die trockenste Seele die beste ist. Die Widersprüche, die Zeller 272 f. in der Lehre des Diog. finden will, treffen diesen nicht oder doch nicht in höherem Maße als die ganze alte Physiologie. Wir müssen im Einklang mit Aristot.*) und vermutlich auch mit Theophr. (?) in seiner Lehre einen späten Ausläufer der altionischen Naturphilosophie sehen, der den wesentlichen Charakter dieser treu bewahrt hat. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß er gegen Anaxag. polemisiert und dabei von diesem wie von Emped. Einzelheiten übernommen hat. Daß sich De- mokrits Worte (fr. var. arg. 6) auf Diog. beziehen, ist möglich, aber nicht sicher. Bei Eurip. Troad. 884 dagegen möchte N. lieber eine Hinweisung auf Heraklit Er, 65 sehen [aber beide Stellen haben nichts mit einander gemein; bei Herakl. ist weder von der Luft noch vom voy; ßpoTüiv noch von der dva-^xT) cpojtoc die Rede].

*} Aristot. nennt nur einmal (984 a 5) Diog. mit Anaximenes zu- sammen als Vertreter der Luftlehre; in der Psychologie (407a 21) reiht er ihn an Dem., Anaxag. (!) und Thaies an und läßt ihm den Heraklit folgen; in der Lehre vom Atmen der Tiere endlich (470 b 30) stellt er zwischen ihm und Anaxag. (!) eine weitgehende Übereinstimmung und zugleich einen Gegensatz gegen Dem. (!) fest. An den wenigen Stellen, wo sonst noch Diog. erwähnt oder auf ihn hingedeutet wird, erscheint er isoliert (s. Bonitz im Index Aristot.). Wie kann sich N. bei diesem Thatbestande auf Aristot. berufen ?

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I ) 7

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In seiner Entgegnung auf Natorps Augriffe weist Diels (No. 366) nach Zurückweisung der Ungerschen Ansätze (s. o.) zunächst auf die chronologische Unwahrscheinlichkeit der Annahme hio , daß Dem. spätestens um 440 als Schriftsteller aufgetreten sei. Wenn Dem. den jj-e^a« oiaxoa[jio;, das klassische Buch der Atomistik, geschrieben hat» so würde man eher noch ein höheres Lebensalter als das 40. Jahr voraussetzen müssen, da die alten Philosophen iu einem früheren Lebens- alter keine selbständige Weltanschauung aufstellten. Die Reminiscenz an Anaxag. im (juxpo? oiaxoaixo? läßt sich viel leichter auf eiuen Ver- storbenen als auf einen Lebenden beziehen. Auch muß die Begegnung mit Anaxag. (Laert. IX 34) in die letzten Lebensjahre dieses Philo- sophen fallen, die er in Lampsakos zubrachte, etwa um 430. Dauaclr in seine Vaterstadt zurückgekehrt, muß Dem. seine systematischen Schriften angefangen haben und könnte daher den ixe^ac otay.oojxoc nicht, vor 420 verfaßt haben. Die Stelle Aristot. 642 a24 (vgl. 987 b 1 und 1078b 17), auf die sich N. berufen hatte, beweist nichts für eine An- setzung des Dem. vor Sokrates, da Aristot. dort jeder chronologischen Entscheidung aus dem Wege geht und man überdies nur an die letzte Zeit der sokratischen Schule denken kann. Die von Schleiermacher ausgesprochenen Bedenken gegen die Autorität des theophrastischen Zeugnisses sind jetzt hinfällig, nachdem der Ursprung der theophrasti- schen Exzerpte bei Simplic. aus den Oujty.al ö6$ai durch Diels dargethaa ist. Theophr. geht besonders darauf aus, die Priorität der einzelne» Gedanken festzustellen, die Eigentümlichkeiten jedes Philosophen zu betonen und wiederum die Stellen zu bezeichnen, wo er mit andern zusammentrifft (D, führt zum Erweise dessen eine große Anzahl voa Beispielen an). Auch in Theophrasts irepl aiJÖrjTÜiv ist viel von den tota und xotva der Philosophen die Rede. Danach erkennt man in dem Bericht über Diog. deutlich die Methode Theophrasts: in den Prinzipien folgt Diog. dem Anaximenes, in den meisten übrigen Dogmen eklektisch dem Anaxag. und L. Bei keinem andern Biographen oder Kommentator ließe sich die Tendenz einer solchen Dogmenvergleichung erklären, keiner würde die Fähigkeit besessen haben, über Entlehnungen des Diog. aus L. sich ein Urteil zu erlauben außer Theophr., nach dem, wie Rohde gezeigt hat, kein Mensch mehr eine selbständige Vorstellung von L. hatte. Außerdem kommt aü|XTCS(popr)[j,evtu; = eklektisch in der spätere» Litteratur nicht vor (Doxogr. 81, 4), wohl aber bei dem Zeitgenossea Tlieophrasts, Epikur, Der von N. vermißte Nachweis, daß Diog. den jj-e^a? StaxoGjxoj benutzt hat, ist von Diels No. 363 S. 97, 7 (s. o, S. 92). geführt worden. Solche Entlehnungen aus L. und Anaxag. beziehen sich hauptsächlich auf das Physikalische, nicht auf das Metaphysische und Er- kenntnistheoretische, obwohl es auch an Übereinstimmungen in wichtigeren.

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates, (Lortzing.) 99

Dingen nicht fehlt (vgl. Aet. IV 9, 8 nnd Diels a. a. 0. 98 g. E.). Wenn N. den Dielsschen Nachweis diogenischer Anklänge in Eurip. Troad. nicht gelten lassen und hier Heraklits Spur erkennen will, so ist es lächerlich, den Zeus, der die Erde hält und auf der Erde seinen Sitz hat, der heraklitischen Feuerseele gleichzusetzen. Auch die Verweisung auf einen der dunkelsten Aussprüche Heraklits ist wertlos [s. o.J. Am allerverkehrtesten aber ist das Argument, Eurip. werde doch lieber auf einen wahrhaft großen Philosophen als gerade auf Diog. angespielt haben, zumal da dieser bereits dem Spotte der Komödie verfallen gewesen sei. D. führt eine Stelle aus Ps.-Hippokr. de flat. c. 3 (VI 94 Littr.) an, die nach Inhalt und Terminologie den Einfluß des Diog. verrät (vgl. Ilberg stud. Pseudippocr. 21); der letzte Satz aXXa ixrjv xal tj 7^ toutou ßcxBpov ouTo? xe 77]c o/.^P-* ^^^ genau dieselbe Stelle vor Augen wie Eurip., nur daß der Sophist das technische ßadpov unverändert bei- behalten, der Dichter dagegen paraphrasiert hat.

Was Natorp diesen durchaus zutreffenden Ausführungen gegen- über in No. 367 vorbringt, will wenig besagen. Abgesehen von der Erklärung der Euripidesverse (N. giebt die Beziehung auf Heraklit preis, bleibt aber dabei, daß die Grundanschanung im wesentlichen heraklitisch sei), wiederholt er nur seine früheren Behauptungen, ohne auf die eigentlich entscheidenden Beweise seines Gegners einzugehen. Die wenigen neuen Gründe, die er für seine Auffassung anführt, sind nicht stichhaltig. Gegen den theophrastischen Ursprung der Mitteilung bei Simpl. soll der Umstand sprechen, daß Theophr. d. sens. Diog. in einer Reihe neben den bedeutendsten Philosophen behandelt, wobei er ihm durchaus nicht den Vorwurf der unselbständigen Kompilation macht, sondern ihn vielmehr beschuldigt, zu einseitig alles aus seinem Prinzip abzuleiten (Doxogr. 512, 11; 513, 7). Aber Theophr. behandelt hier die dem Diog. eigentümliche Lehre von der Luft als Ursache der Wahrnehmung und hat daher keiue Gelegenheit, auf seine Abhängig- keit von Anaxag. oder L. aufmerksam zu machen. Übrigens bespricht er diese Lehre mit unverkennbarer Geringschätzung und bezeichnet sie als widersinnig und einfältig. Eine spezielle Übereinstimmung des Diog. mit der atomistischen Lehre vermag N. auch jetzt noch nicht zu erkennen. In den beiden von Diels angeführten Fällen sei der Nach- weis dafür nicht erbracht. Aus einer Vergleichung von Aet. III 7 und 8 (in § 8 will N, ajisjsi uotoijvTOf statt ttoioüv lesen) ergebe sich, daß Diog. in der Erklärung dßs Blitzes und Donners fast völlig mit Em- pedokles, viel mehr jedenfalls als mit L. oder gar mit Anaxag. zu- sammentreffe, und Aet. IV 9, 8 sei die Überlieferung ganz unglaubwürdig; Diog. könne unmöglich die Subjektivität der Qualitäten behauptet haben, weil dies mit seinem Prinzip im schroffsten Widerspruch stehen würde.

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100 Bericht über die gri^^chisehen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

Gegen diese Behandlung der beiden Aetiosstellen bemerkt Diels in seinem Berichte über Natorps Abh. (Archiv I 241 f.): 1- Emped. selbst ist in der Erklärung des Gewitters von Leukipps Darstellung abhängig. Nach Natorps Auffassung müßte Diog. das von Emp. in Licht verwandelte Feuer des L. erst wieder in die ursprüngliche Bedeutung zurückver- wandelt haben, anstatt einfach die authentische Lehre des L. herüber- zunehmen. 2) Im absoluten Sinne hat allerdings Diog. die Subjektivität der Sinnesempfindungen nicht gelehrt, ebensowenig aber die Atomistik. Wenn also Diog. auch die Qualitäten als xpoTioi des einen Urstoffs real auffaßte, so konnte, ja mußte er die einzelnen ahbri-zd, wie die Atomisten, durch die verschiedenen xpoTioi der voYjaic individuell verschieden d. h. vofxü) apperzerpieren lassen (vgl. Fr. 2 cpaiverai, sowie Simpl. 152, 3 und die ganze Darstellung bei Theophr. d. seus. § 46 ff.). Auch Archelaos hat, der sophistischen Zeitströmmung folgend, Recht und Unrecht für konventionell (vojAtii) erklärt.

Nachdem aus diesem Doppelkampf um Leukipp und Diogenes Diels als Sieger hervorgegangen war, ruhte der Streit ein Jahrzehnt lang, bis am Schlüsse der Berichtszeit Tannery einen neuen Angriff auf die geschichtliche Existenz des L. machte. Es geschah das im ersten Teile derselben Abh. (Pseudonymes antiques), deren zweiten und" dritten wir bereits unter No. 226 (vgl. No. 227 und 228) besprochen haben. Wie die Nachläufer des Pythagoreismus, Hiketas und Ekphantos, so versucht T. auch den L. aus dem Gebiete der Geschichte in das der litterarischen Erfindung zu verdrängen. Nach seiner Auffassung, die er freilich vorsichtigerweise in eine hypothetische Form kleidet, hat Dem. die Grundzüge der atomistischen Lehre unter dem Pseudo- nym Leukippos veröffentlicht. Wie Aristot., wenn er Sokrates citiert, den platonischen meint, wie er von Piaton sprechend sehr oft nur an dessen mündliche Lehren denkt, wie er selbst mit Herakleides Pont, und Hestiaios solche Lehren in den X6701 Tiepl xd-za^oü redigiert hatte, und wie diese von Theophr. nachgeahmte Gewohnheit die Doxographen verleiten konnte, fingierte Personen für wirkliche zu halten, so ist es auch zweifelhaft, ob L. wirklich existiert hat. Wenn Epikur dies leugnete, so liegt darin das Zugeständnis, daß er in Abdera keinerlei Anekdoten über L. wie die über Protagoras gehört hatte, während er das von Aristot. und Theophr. als leukippisch bezeichnete Werk sicher gut kannte. Nehmen wir an. Dem. habe den fj-e-^a? Staxoaixoc redigiert und dabei etwa so begonnen: ,Das ist es, was ich den L. habe sagen hören, der mein Freund gewesen ist," so erklärt sich das Fehlen jeder biographischen Notiz über L. und ebenso die Art, wie sich Aristot. (?) und Epikur über ihn änßein, endlich auch die verschiedenen Bezeichnungen des Autors jener Schrift. Aus dieser Annahme würde folgen, daß die

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Atomistik erst nach Eniped. und Anaxag. dargestellt worden ist, was keine Schwierigkeit bietet (?j. Möglich wäre, dal.'. Dem. den L. nur tingiert hätte, vielleicht, um nicht unter seinem Namen Doktrinen zu veröffentlichen, die als gottlos betrachtet werden konnten. Diese Hypothese Tannerys beruht auf lauter unzutreffenden oder uncrwieseneu Voraussetzungen und ist noch viel unsicherer als die verwandte Ver- mutung über Hiketas und Ekphantos. T. wiederholt zum Teil die durch Diels entkräfteten Argumente Rohdes und fügt ihnen neue hinzu, die ebenso unzulänglich sind wie jene. Dies hat Dyroff .Deniokritstudien"* S. 4 flf. treffend nachgewiesen. Die streng wissenschaftliche Darstellung: Deniokrits ist nach allem, was wir von diesem Philosophen wissen, toto genere verschieden von den romanartigen Dialogen eines Herakleides Pont. Auch läßt sich das Auftreten Piatons unter der Maske des Sokrates, wie wir es gelegentlich bei Aristot. linden, nicht mit der Art vergleichen, wie der Stagirit regelmäßig den L., sei es allein, sei es mit Dem. zusammen, uns vorführt. Vgl. Zeller 838 und Dyroff S. 6. Es steht hiernach außer Zweifel, daß Aristot. über die Lehre des L. nach einer ihm vorliegenden Schrift dieses Philosophen berichtet. Keine einzige der Stellen, an denen L. bei ihm genannt wird, läßt die An- nahme zu, daß er diesen nur als eine fingierte Persönlichkeit bei Dem. vorgefunden habe. Die historische Existenz des L. kann hiernach als völlig gesichert betrachtet werden, und man muß sich wundern, daß ßrieger in einer kürzlich erschienenen Abh. über Dem. (Hermes 37) S. 56 es noch als zweifelhaft hinstellen kann, ob Dem. oder L. der Be- gründer der Atomistik gewesen sei.

Eine strenge Sonderung des leukippischen Gutes von dem demo- kritischen freilich ist mit großen Schwierigkeiten verknüpft und wird sich kaum bis in alle Einzelheiten durchführen lassen. Die wichtigsten der nachweisUch bereits von L. entwickelten Lehren hat Zeller schon in der 4. Aufl. 843, 1 zusammengestellt; in der 5. Aufl. 944, 4 fügt er noch die von der Subjektivität der Sinnesempfindungeu (vgl. 864. 1 u. Diels 0. S. 91) hinzu. Genauer läßt sich Zeller über diesen Punkt in den Miscellanea (ßer. I 276) aus. Er zeigt dort, daß für die Glaub- würdigkeit der Notiz bei Aet. IV 9, 8, Leuk., Dem. und Diog. hätten xd aiaOrjTa v6[i.aj angenommen, drei Gründe sprechen: L Die Ajigabe stammt unzweifelhaft aus Theophr., da kein Schriftsteller nach diesem Leukipps fxefaj oiaxo^ixoc unter dessen Namen benutzt hat. 2. Wenn Aet. dieselbe Lehre auch Diog. zuschreibt, so wird er dies ebenfalls aus Theophr. haben; Diog. aber kann derartiges nur dem L. , nicht dem Dem. entnommen haben. 3. Die von Aet. dem L. beigelegte Ansicht war diesem nicht allein durch den Vorgang seines Lehi'ers Parmen. nahegelegt, sondern ließ sich auch auf seinem Standpunkte kaum um-

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gehen. Daß auch die demokritische Theorie des Sehens bis in ihre Einzelheiten auf L. zurückgeht, hat Zeller in einer kürzlich erschienenen Abh. (Ärch. XV 137 fif.) nachgewiesen. Aus alledem ergiebt sich, daß sich Dem. nicht nur in den leitenden Gedanken der atoraistischen Physik, sondern auch zum großen Teile in ihrer Verwertung für das einzelne der Naturerklärung eng an L. angeschlossen hat. Windel- band, der in seiner Gesch. d. alten Philos.^ S. 56 flf. zum ersten Male den an sich wohl berechtigten, aber bei der Beschaifenheit unserer ITberlieferung gewagten Versuch gemacht hat, Leukipps Philosophie getrennt von der Demokrits zu behandeln, hat in der Sonderung leu- kippischen und demokritischeu Eigentums nicht überall das Rechte ge- troffen ; so, wenn er S. 58 jene Lehre von der Subjektivität der Sinnes- ■qualitäten dem L. abspricht und dem Dem. vorbehält, weil die Anwen- dung der Gegensätze «puaei v6[jlü> auf die aia&rjTdc erst unter sophistischem Einflüsse möglich gewesen sei. Die subtile Unterscheidung, die er dabei zwischen der Leugnung der Sinnesqualitäten bei L. und der Be- hauptung ihrer Subjektivität bei Dem. macht, verstehe ich nicht; diese folgt doch mit Notwendigkeit aus jener. Ob L. schon den Gegensatz zwischen der Subjektivität der Empfindungen und der Objektivität der Atome und des Leereu in eine so scharf zugespitzte Formel (vo'ixtp eaei^) gebracht hat wie Dem., mag man bezweifeln; aber inhaltlich muß er bei ihm ausgedrückt gewesen sein. Über Demokrits Verhältnis zu Protag. s. u. Ahnlich wie Windelband beschränkt auch Burnet early .greek philos. 350 ff. den Anteil Leukipps an der atoraistischen Lehre zu sehr, während Goraperz Gr. D. 254 ff. dem L., obwohl er ihn in ■seiner Darstellung mit Dem. zusammenfaßt, das ihm gebührende Ver- dienst, die wesentlichen Grundlagen des Systems geschaffen zu haben, ungeschmälert läßt. G. unterscheidet sich auch darin von Windelband, daß er sich in dem Streite zwischen Diels und ßohde entschieden auf die Seite des ersteren stellt, wogegen W. sich über diesen Punkt un- sicher und zweifelnd äußert (S. 58 f.). Nur darin stimmt G. Diels nicht zu (S. 455), daß L. dem Theophr. als Schüler des Parmen. gegolten habe; die Worte xoivujv^jac riapjxevior) x^c cpiXoaocpia? (Doxogr. 453, 12) brauche man so wenig wie die wörtlich übereinstimmende Äußerung über das Verhältnis des Anaxag. zur Lehre des Anaximeues (Dox. 478, 18) in diesem Sinne aufzufassen. Das trifft insofern zu, als an beiden Stellen Theophr. nicht von einem eigentlichen Schülerverhältnis redet, sondern nur von gewissen Übereinstimmungen der Lehre. Daß aber ein solcher Zusammenhang zwischen L. and den Eleaten bestand und zwar ein weit engerer als zwischen Anaxag. und Anaximeues, geht aus der Darstellung dieses Verhältnisses bei Aristot. d. gen. I 8, deren Riciitigkeit durch eine unbefangene Vergleichung der beiderseitigeu

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Systeme bestätigt wird (s. Zeller 952 ff.), zur Geniige hervor. Mit Un- recht leugnet G. 277 ff. jede direkte Beeinflussung des L. dnrch Farmen, und will die Urheber der ihnen gemeinsamen Prämisse: „ohne Leeres keine Bewegung" lieber in älteren namenlosen Denkern, wahrscheinlich Pythagoreern (vgl. G. 144), suchen, die beiden vorangegangen waren und nicht nur das Leere, sondern auch bereits etwas den Atomen Ana- loges ersonnen hatten (?). Einer anderen auf Leukipps Lehre bezüg- lichen Bemerkung bei G. 457 f. dagegen stimme ich rückhaltlos zu. Wenn Theophr. (Dox. 483, 17) den L. sagen läßt: xal tojv ev auToi; ayT,|xaTtuv äVceipov xo uX^öoc oia tu p-rjoev (xaXXov xotoytov fj toioütov sivai (G. faßt diesen Satz als Parenthese und ergänzt als Subjekt zu toioütov: To «jy.TJixa au-cöv), so darf diese Äußerung in der That nicht, wie es gewöhnlich geschieht (so auch Zeller 856, 2) mit der Demokrits bei Plutarch und Sextus: ou p.aX).ov xoiov r, xotov identifiziert werden. Der Ausspruch Demokrits geht nach dem Zusammenhange gar nicht auf die unendliche Zahl der Atomgestalten, sondern, wie auch Zeller 920, 2 zugiebt, „lediglich auf die sekundären sinnlichen Qualitäten"; die Zahl der subjektiven Variationen der Empfindung aber, die ein und dasselbe Objekt hervorruft, kann nie zu einer unendlichen werden und hat mit der unendlichen Menge der Atomgestalten nichts zu thun. Überdies ist das Vorhandensein dieser unendlichen Zahl und ihre Vereinigung in jedem einzelnen Sinnending zweierlei, wie denn auch Tlieophr. d. sens. 518, 20 (G. hält die Stelle für verderbt und sucht sie durch mehrere Ergänzungen zu heilen) nur von der Vereinigung vieler, nicht unendlich vieler Atomgestalten in jedem Sinneudinge spricht.

Andere dem L. eigentümlichen Lehren werden gelegentlich in dem folgenden Abschnitt Erwähnung finden, in dem unter dem Samrael- nanieu Demokrit auch solche Schriften, die sich auf die ältere Atomistik überhaupt beziehen, besprochen werden sollen. Hinweisen will ich hier nur auf die sehr lesenswerte Darstellung der Genesis des Atomismus bei Burnet a. a. 0., der L. an Zenon und Melissos anknüpfen läßt. Wir haben es hier freilich mit einer bloßen Möglichkeit, keiner Gewiß- heit zu thun; andere, wie Zeller und Diels, nehmen, wie wir gesehen haben, umgekehrt eine Beziehung des Melissos auf L. an, vielleicht mit größerem Rechte.

2. Demokrit.

a) Schriften zur Quellenkritik. 368. R. Hirzel, Untersuchungen zu Ciceros philosophischen Schriften. T. I: De natura deorum, Leipzig 1877. T. II: De fini- bus, de officiis. 2 Abteilungen. Ebd. 1882. T. III: Academica priora, Tusculanae disputationes. Ebd. 1883,

104 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

369. W. Kahl, Demokritstudlen. I: D. in Ciceros philoso- phischen Schriften. Progr. d. Gymn. zu Diedenhofen 1889. 28 S. 4.

370. P. Natorp, Demokritspuren bei Piaton. Arch. f. G. d. Ph. III (1890) S. 515—531.

371. H. Usener, Epikureische Schriften auf Stein. Rh. Mus. 47 (1892) S. 414—456.

372. S. Sudhaus, Nausiphanes. Rh. M. 48(1893)8.321-341.

373. R. Hirzel, Demokrits Schrift uepl eudu|xiri;. Herrn. 14 (1879) S. 354-407.

374. R. Heinze, Ariston von Chios bei Plutarch und Horaz. Rh. M. 45 (1890) S. 497—523.

375. 0. Hense, Ariston bei Plutarch. Ebd. S. 541—554.

376. 0. Hense, Seneca und Athenodorua. Univers. -Pr. (Fest- rede). Ereiburg i/ßr. 1893.

377. Gregorii Palaraae Archiepiscopi ThessalonicensisProsopo- poeia animae accusantis corpus et corporis se defendentis cum iudicio ed. A. Jahn. Halis 1884.

378. E. Maaß, Rezension der Schrift von *M. Heeger, De Theophrasti qui fertur uepi arjiJieitüv libro (Leipzig 1889). Gott. Gel. Anz. 1893 S. 624—642.

379. G. Kaibel, Aratea. Herrn. 29 (1894) S. 82—123.

380. H. Diels, Über Demokrits Dämonenglauben. Arch. VII (1894) S. 154—157.

381. M. Berthelot, Des origines de l'alchimie et des oeuvres attribuees ä Democrite d'Abdere. Journ. d. Savants 1884 S. 517 -527.

382. P. Tannery, £tudes sur les alchiraistes grecs. Synesius ä Dioscore. Rev. d. Etudes gr. III (1891) S. 282—288.

383. W. Gern oll, Untersuchungen über die Quellen des Ver- fassers und die Abfassungszeit der Geoponica. Berlin 1883.

384. E. Oder, Beiträge zur Geschichte der Landwirtschaft bei den Griechen. I. Rh. M. 45 (1890) S. 58—99 und 212—222.

Hirzel, dessen Untersuchungen ihrem Hauptinhalte nach nicht hierher gehören (s. die Besprechungen in den Jahresberichten über Ciceros philosophische Schriften und über die nacharistotelische Philo- sophie), giebt im 4. Abschnitte des 1. Bandes: „Differenzen in der epikureischen Schule' wichtige Beiträge za Erkenntnislehre und Ethik Demokrits. Epikur ist nach H. von D. ausgegangen, und zwar nicht bloß in seiner atoraistischen Naturlehre, sondern auch in den anderen Disciplinen, zunächst in der Kanonik. Bei D. ist die sinnliche Wahr- nehmung der Ausgangspunkt, aber nicht der Sitz unserer Erkenntnis,

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wie Aristot. ihn mißverstanden hat. Ü. war durchaus kein Skeptiker; er hielt nicht jede Sinueswahinehnuing für subjektiv, sondern nur eine f^ewisse Klasse dieser Wahrnehmung:en , die sich auf die sekundären Eigenschaften der Dinge bezieht. Wenn Aristot. Mtaaph. 1009 a 38 deu D. im Auge hat, so muß man entweder annehmen, daß dieser seinen Staudpunkt gewechselt und früher selbst den des Protag:., den er später bekämpft, eing^enommen habe, oder man muß in den Worten 1009 b II: ATifioxpiTo; 7e cprjjtv fjiot o6dk\ etvai aXifjöec t] fjfiiv 7' a'iJyjXov eine Folgerung' sehen, die D. nicht aus seiner eig:enen Lehre, sondern aus der des Prot. zog, um diesen ad absurdum zu lühren; dann hat ihn Aristot. (und ebenso Plut. adv. Col. 1108 Df.) mißverstanden und seine Meinung ,,ins Übertriebene entstellt". [Die erste Annahme ist sehr unwahrscheinlich; in der zweiten liegt etwas Richtiges. Gründlicher und zutreffender hat über deu scheinbaren Widerspruch zwischen sensualistischer und skep- tischer Autfassung in den uns erhaltenen Berichten über D. Natorp Forsch. 173 ft". gehandelt. Er sucht ihn dadurch zu lösen, daß D. vom erkenntuistheoretischen oder kritischen Standpunkt aus ähnlich wie schon die Eleaten zwischen Xo70i und ai.ji>riai;, zwischen der objektiven Wahrheit der Verstandesbegriff und der Scheiuwahrheit der Phänomene unterschied, dagegen über die psychologische Bedeutung dieses Gegen- satzes, d. h. über die Möglichkeit des Denkens und Wahruehmens noch nicht nachgedacht und daher als Physiker beide Thätigkeiten aus körper- lichen Veränderungen hergeleitet hat. Aristot. hat den Mangel einer psychologischen Erklärung der Erkenntnis bei D. aufgedeckt, aber mit Unrecht seine Kritik der Erkenntnis nach psychologischen Voraus- setzungen beurteilt und ihn zum Vertreter eines Sensualismus gemacht, der nach aristotelischer Auffassung in seineu Konsequenzen notwendig in Skepticismus umschlagen mußte. Vgl. Zeller 919, 1.] So wenig als D. ein abgesagter Feind, so wenig war Epikur nach H. ein parteiischer Freund der sinnlichen Wahrnehmung. Seine Auffassung unterscheidet sich nicht wesentlich von der des Abderiten. Auch die -poXTj^j^ij findet sich, wenn auch das Wort erst von Ep. stammt, doch der Sache nach bereits bei D. Dies beweist die Erklärung des Begriffes Mensch: 8 KttvTe? io|i,ev, die D. bei Sext. math. VII 265 giebt (vgl. Aristot. 640 b 29). Dieselbe nur durch den Zusatz [j-eta ejjnjyuyi'aj erweiterte Vorstellung des Menschen benutzte Ep. zur Verdeutlichung des Wesens der ■!zp6lr^<\iii. Auch in der bei Sext. VII 140 unter den drei demo- kritischen Kriterien der Erkenntnis aufgeführten ivvoia, d. i. der Vor- stellung, in der der Gegenstand der Untersuchung gegeben ist, steckt im Keime die itpoXirnpi? Epikurs. Wenn nach Aristot. D. einen Anlauf zum Definieren gemacht hat, so mögen seine Definitionen wohl Real- deünitiouen gewesen sein (vgl. die von Aristot. 1078 b 19 angeführte

106 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

des iSepjjLov und 4"J'/pov), wie sie auch Ep. zuließ. Wie sich ferner D. nach Sext. VIII 327 geaen die dnooEi^i; entschieden ausgesprochen hat, aber nur in gewisser Hinsicht (so erklärt H. das xa/a [?]), so kann auch Ep. die «Troöei^i; nicht g-änzlich verworfen haben. Die Bestreitung der dtiioSei^u stand hei D. in den xavovsc [diesen Plural bei Sext. bezieht H. auf die drei Kriterien, richtiger Natorp Forsch. 180, 1 unter Berufung auf Birt Buchwesen 450, 1 auf die verschiedenen Bücher, deren jedes xavcuv betitelt war]. Daß diese Schrift erkenntnistheore- tischen Inhalts war, beweist ihre Zusammenstellang mit den xpatuv-nr^pia und mit Trepl eiötuXtuv r^ Trspi TTpovoiif)? (^= Voraussehen der Zukunft, wie sie nach D. durch die eföwXa bewirkt wird) im thrasyllschen Verzeichnis (Laert. IX 47). [Was H. über den Titel und Inhalt dieser Schrift bemerkt, ist jetzt gegenstandslos geworden, nachdem wir durch Hertz belehrt worden sind, daß bei Gellius 4, 13 die handschriftliche Lücke vor xaviüv in den früheren Ausgaben aus Laert., wo die Überlieferung Tzept Xot[Xüiv xavwv bietet, willkürlich ergänzt worden ist. Überhaupt hat Hirzels Erörterung über die Titel der demokritischen Schriften wenig Wert, weil sie ohne Kenntnis der von Nietzsche ,,Beitr. zur Quellenkunde und Kritik des Diog. Laert." 1870 veröffentlichten ,Hand- schriftenkoUatiou geschrieben ist. Es handelt sich, wie schon Nietzsche erkannt hat, offenbar um zwei verschiedene Schriften: iztpl XoifAuiv, xavcuv, wobei freilich unerklärt bleibt, wie die medizinische Schrift im Kataloge des Laert. und ebenso bei Gellius mit den erkenntnistheoretischen zu- sammengestellt werden konnte. Eine ihm von Birt mitgeteilte Erklärung dafür giebt Natorp a. a. 0.]. Auch Ep. nannte sein erkenntnistheore- tisches Werk xavcüv und die ganze Disciplin xavovtxv^. Nach alle dem ist Ep. in seiner Erkenntnislehre von D. abhängig, nicht, wie Zeller annimmt, von Aristipp. Auf diesen geht nach Zeller auch die Ethik Epikurs zurück. Aber viel näher liegt auch hier die Annahme eines Anschlusses an D. Der Hedonismus ist auch dessen Prinzip. Wenn Ep. die Ursache unserer Glückseligkeit nicht in die sinnliche Lust, sondern in die (pp6vY)ai? setzt, so ist dies auch Demokrits Standpunkt. Gegen Leidenschaften und Aberglauben spricht sich D. wie Ep. aus (in der Schrift Trepl xwv ev "Atoou hat D. ohne Zweifel gegen die aber- gläubischen Vorstellungen über ein Fortleben nach dem Tode gekämpft). "Während nach Aristipp das Ziel unsers Strebens die einzelne Lust- empfindung ist, setzen es D. und Ep. in die Ruhe der Seele und die Freiheit von Schmerzen (dxapaEia auch bei D ). Anscheinend bestehen allerdings zwischen beiden wesentliche Differenzen. Nach Ep. liegen die Bedingungen der Glückseligkeit nicht bloß in der Seele, sondern auch im Körper, und um sie zu erreichen, moß zur dtapa^ta noch die ÄTiovia hinzukommen, während D. sie lediglich in der Ruhe der Seele

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 107

(£'jf)'j[i.ia u. ähnl. Ausdr.) erblickt. Aber auch diese Differenz ist nicht so groß, wie es den Anschein hat. Wenn Ep. mit Piaton fordert, daß jede positive Lust auf einem Bedürfnis, mithin auf einem Schmerz beruhe, der durch sie gehoben werden soll, so hat Piaton selbst diese Lehre von anderen Philosophen überkommen. Er berührt sie Rep. 583 ß ff. und Philebus 43 D ff. (vgl. 44 B f. und 51 A) und formuliert sie so: was gewöhnlich als tjöcvt^ bezeichnet wird, sei nur der Schein einer solchen, in Wahrheit aber nichts als die Befreiung vom Schmerze. Da bei Ep. dieselbe Lehre wiederkehrt, so werden wir in den platonischen Stellen von vornherein nicht mit Zeller an Antisthenes, sondern an D. zu denken haben, auf den auch das fiäXa ostvou; Xe^ofievou? xa itepi tpo^iv Phileb. 43 B (vgl. osivouc Soph. 246 B) viel besser paßt als auf An- tisthenes. Wenn die von Piaton wiedergegebene Lehre nur die sinnliche, nicht die reine Lust bekämpft, so stimmt damit Dem. Fr. 7 N. über- ein. In dem Phileb. 43 D mitgeteilten Satze ok tJoistov Trav-rojv ijüv aXu-(uc «staTeXerv xov ßi'ov anavta (Freiheit von jedem Schmerze, körper- lichem wie seelischem) läßt sich Demokrits £'j9u[i.it) nicht verkennen, und es ergiebt sich daraus, daß auch dieser mit der (i-apa^ta die dnovia verbunden dachte (?). Eine weitere Beziehung auf D. liegt in den T(I)v dcjyrjfxovüjv rjoovai Phileb. 46 A und D, womit Dem. Fr. 85 zu ver- gleichen ist. Piaton nennt die Vertreter jener Ansicht zwar ouayspeic wegen der Schroffheit, mit der sie alle Lust verdammten (Phileb. 44 C), aber er spricht doch von ihnen mit einer gewissen Achtung und leitet ihre ouayiptii aus ihrer „nicht unedlen Natur" ab; ja in der Republik nennt er den Urheber der Lehre geradezu einen oocpoc. Dies scheint der angeblichen Feindschaft Piatons gegen D. zu widersprechen, für die man sich mit K. F. Hermann auf Theaet. 155 E und Soph. 246 A berufen kann. Daß im Theaet. wirklich die Atomiker gemeint seien, wird weniger durch d-piE xoTv yspolv Xaßecrilai als durch die darauf folgenden Worte -pa^eic 61 xat Ysveaeic xal ^av to dopaxov oux diroöeyoixsvov £v oüaia; \iipz>. bewiesen, die die Konsequenz der atomistischeu Lehre enthalten. Diese Konsequenz aber hat keiner der alten Philosophen außer Ep. gezogen, der nur den Körpern ein substantielles Sein zuge- stand, also alle upd^stc u. s. w. davon ausschloß (Lucr. I 455 ff.). Allerdings erkannte Ep. auch die -pd?£i? u. s. w. in gewissem Sinne als seiend an, da er nur das Leere zum völlig Nichtseienden zählte. Aber auch die bei Piaton genannten Philosophen können nicht alle Handlungen und alles Werden für ein absolut Nichtseiendes erklärt haben, weil sie sonst zu Idealisten im Sinne der Eleaten würden. Also wird wohl PI. hier die oucia als ein „substantielles Sein" gefaßt nud mit -äv to dopaxov, das gegen die Atomiker zu sprechen scheint, vielleicht, freilich nur in seinem Sinne, nicht in dem der Atomiker, das, was

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Gegenstand nur der geistigen Anschauung und des Denkens ist, wie die Ideen und Begriffe, bezeichnet haben. Die Beziehung auf D, ist ferner durch die Worte axXirjpot xe /.al dvTiTUKoi gesichert, die nur eine Charakterisierung, nicht eine Verunglimpfung der atomistischen Lehre enthalten sollen, so wenig wie ixaX' tZ «[xoüsoi Theaet. 156A. Auch die Stelle im Soph. beweist nicht, daß PI. den D. gehaßt oder verachtet habe; denn die Hartnäckigkeit, mit der jene Philosophen sich fremden Ansichten verschließen (246 B) und bei ihrer eigenen Meinung verharren (248 C), und die Schroffheit, mit der sie eine Erörterung ihrer Ansichten ablehnen (246 D), stehen im besten Einklänge mit der oua-/ep£ta im Phileb., die doch PI. nicht gehindert hat, ebendort ihre a-.'evvrj? 9631? anzuerkennen. Daraus ergiebt sich für H. ein Doppeltes: 1. Piaton hat über den Differenzen zwischen seiner und der atomistischen Lehre das Überein- stimmende nicht übersehen und sogar den Einfluß Demokrits erfahren, indem er sich dessen Ansieht über das Wesen der Lust, wenn auch mit einer Beschränkung, aneignete; 2. Epikur stimmt mit D. in den Kardinalpunkten der Ethik überein; wenn er auch im einzelnen sowie in der Zurückführung aller geistigen Lust auf die sinnliche von ihm abwich. So knüpfte Ep. in allen drei Disciplinen an D. an. . Seine Philosophie ist nur eine vergröberte Nachbildung der demokritischen. Mit diesem Ergebnisse stimmt , daß sich Ep. lange Zeit hindurch als Deniokriteer bekannte. In seiner weitereu Entwickelung hat er sich allerdings von D. entfernt, wie seine und seiner Anhänger Polemik gegen diesen zeigt.

Durch diese Erörterungen hat H. den Anstoß dazu gegeben, die Beziehungen zwischen Ep. und D. nicht bloß auf dem Gebiete der Physik, wo sie klar zu Tage liegen, sondern auch auf dem der Er- kenntnistheorie und Ethik, wo man sie bis dahin ziemlich unbeachtet gelassen hatte, näher ins Auge zu fassen. Seiner Auffassung dieses Verhältnisses freilich wird man nur in beschränktem Maße zustimmen können. Daß Ep. auch in den genannten Zweigen seines Systems von D. nicht unberührt geblieben ist, hat H. richtig erkannt, und nament- lich für die Ethik ist dies, wie wir weiter unter sehen werden, durch die neuesten Forschungen immer mehr zur Gewißheit geworden. Aber er überspannt den Bogen, indem er Ep. nicht nur in Einzelheiten^ sondern auch in der ganzen Grundlage seiner Kanonik und Ethik als wesentlich durch D. beeinflußt hinstellt und ihn damit aus der Eeihe selbständig denkender Philosophen so gut w^e streicht. Er bringt dies dadurch fertig, daß er, ohne den zeitlichen Abstand beider Philosophen und die Einwirkung der platonisch-aristotelischen Philosophie auf die späteren Philosophen, der sich auch Ep. nicht entziehen konnte, genügend zu erwägen, Demokrits wie Epikurs Lehren so modelt und deutelt»

Beriebt über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 100

daß fast jeder Unterschied zwischen ihnen verschwindet. Was zunächst die Erkenntnistheorie betrifft, so sind den Spuren der irpoXirnJ^ij, die H. in der bei Sext. unter den Kriterien Deraokrits genannten Iwoia finden will, doch sehr unsicher, da jene Mitteilung über die drei Kriterien Deraokrits [über ihren Urheber s. u. zu No. 402] in ihrer Fassung und Terminologie (vgl. außer ewoia noch x^c xtöv a.o-qlio\ xrtTaXri^zioi, aipeueujc 8k xalcpu-/^; tkx&t)) nicht aus Deraokrits Kanon herrühren kann. Daß D. die iizo^ti^n nicht habe grundsätzlich bekämpfen können, zeigt Zeller 923 (vgl. Natorp Forsch. 159, 3). Auch aus der Thatsache, daß Ep. für sein erkenntnistheoretisches Werk denselben Titel wie D. gewählt hat, folgt noch nicht notwendig eine weitgehende innere Übereinstimmung. Eine solche leugnet Zeller III 2^ S. 473, 2 mit Recht. Vgl. auch Natorp S. 173 ff. und 209 ff., wo das Verhältnis beider so gefaßt wird: Ep. hielt das eine, wenigstens scheinbar sensua- listische Motiv der demokritischen Erkenntnislehre fest, daß der Xop; , die TTiati? der Sinne, von denen er selbst seine Beglaubigung empfange, nicht verletzen dürfe, verwarf aber die andere bestimmt antisensualistische Lehre, wonach die Sinne keine ,, Wahrheit" haben und nichts objektiv Vorhandenes darstellen. Diese grundsätzliche Verschiedenheit der Auf- fassung hat H. völlig verwischt. Noch weniger ist es ihm gelungen, eine prinzipielle Abhängigkeit der epikureischen Ethik von der des D. zu erweisen. Es ist zwar nicht zu leugnen, daß sich bei Ep. deutliche Anklänge an ethische Fragmente Demokrits finden; ja bei näherer Vergleichung hätte H., wie wir später sehen werden, noch eine be- deutend größere Zahl solcher Anklänge entdecken können; aber der grundsätzliche Gegensatz zwischen beiden Philosophen ist auf dem Ge- biete der Sittenlehre vielleicht noch größer als auf dem der Kanonik. Demokrits Ethik ist keine Lustlehre im Sinne Epikurs. Allerdings bilden Lust und Unlust auch bei ihm den Ausgangspunkt der ethischen Betrachtung; aber er erklärt die t]6ovy^ nicht im Gegensatze zu jeder anderen Bestimmung für den letzten Zweck unseres Handelns und unter- scheidet sich von allem darin von Ep., daß er die höhere Lust, die am Rechten und Wahren, hoch über die niedere, die Sinnenlust stellt (s. Zeller III 2 S. 473, 1). Hirzels Beweisführung beruht auch weniger auf einer direkten Vergleichung der uns überlieferten Lehren beider als auf der doppelten Annahme, daß Piaton an den SttUen des Phileb. und der Rep., wo er eine eigentümliche, von der vulgären Auffassung der Y)Sovy^ sich unterscheidende Lehre darstellt, D. im Auge habe, und daß Ep. sich eben diese Lehre angeeignet habe. Wäre diese doppelte Vosaussetzung richtig, so würde freilich bei der genauen Bekanntschaft Epikurs mit den Werken seines Meisters alle Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, daß er diese Lehre unmittelbar und nicht erst durch Piatons

110 Bericht über die griechischen Philosophea vor Sokrates. (Lortzing.)

Vermittelung aus D. geschöpft habe. Aber die erste der beiden Prä- missen Hirzels, mit der die zweite steht und fällt, muß trotz der Zu- stimmung Natorps Forsch. 290 ff. und Windelbands Gr. d. a. Ph.- 95 und 104, 4 nach der erschöpfenden Kritik Zellers II 1 * 308, 1 (vgl. III 2, 473) als unhaltbar bezeichnet werden; die von PI. wiedergegebene Lehre geht vielmehr wahrscheinlich auf Antisthenes zurück (auf die neuen Gründe, die Natorp in einer späteren Abh. gegen Zeller und für seine Auffassung beigebracht hat, werden wir unter No. 370 eingehen). Besser begründet ist die Annahme Hirzels, in der er mit Schleiermacher, Brandis und K. F. Hermann zusammentrifft, daß unter dem Vertreter einer einseitig materialistischen Lehre, wie sie Flaton im Tlieaet. und Soph. schildert, D. zu verstehen sei. Zwar hat Dum ml er Anisthenica 51 ff. , dem darin, was die Theätetstelle betrifft, schon Wiuckelmann und Blaß vorangegangen waren, nachzuweisen gesucht, daß auch hier PI. den Antisthenes und nicht den D. im Auge habe, und Natorp Forsch. 195 ff. sowie Zeller II 1* 297, I und 299, 2 pflichten ihm bei. Aber die von diesen angeführten Gründe scheinen mir keine zwingende Kraft zu haben. Ausdrücke wie axXyjpol xal avTixuicoi spielen doch, meine ich, ziemlich deutlich auf die Atomenlehre an (s. Hirzel S. 150). Allerdings ist zuzugeben, daß die von PI. beschriebene Lehre (Natorp 199 fügt zu den Stellen im Theaet. und Soph. noch Phaed. 79 A f. und 813 hinzu) in ihrem kraß sensualistischen Charakter sich nicht mit dem rationalistischen Materialismus Demokrits deckt. Will man daher PI. nicht zutrauen, daß er die seiner idealistischen "Weltansicht doch auch in ihrer echten Gestalt sicherlich widerstrebende Atomistik entstellt habe, so könnte man, wie dies neuerdings Susemihl gethan hat, an- nehmen, er beziehe sich auf einen aus dem demokritischen Atomismus hervorgegangenen vergröberten Materialismus, dessen Urheber wir nicht kennen. Daß dies Antisthenes war, ist von den Gegnern Hirzels nur aus der späteren stoischen Lehre erschlossen worden, während ihm sonst in unserer Überlieferung nirgends eine derartige Auffassung zu- geschrieben wird. Aus der Thatsache jedoch, daß die Stoiker auf anderen Gebieten an Antisthenes augeknüpft haben, ohne weiteres auch in der physikalischen Grundanschauung eine ebenso enge Verwandtschaft zu folgern halte ich für einen unzulässigen Analogieschluß. Aber selbst wenn sich bei Antisthenes eine ähnliche Doktrin nachweisen ließe, so dürfte doch an den bezeichneten Stellen bei Platou nicht an Antisthenes gedacht werden; denn, wie ich Berl. Ph. W.-Schr. 1886, 873 bemerkt habe, ist jede Beziehung auf diesen durch die Worte Soph. 251 D: xal Ttpos xouTOUc xal Tipoc Tou? aXAouj, osot? e[X7cpoji}sv ot£iXe7[j.eöa direkt aus- geschlossen; hier werden die zuletzt von PI. erwähnten Yspovxe;, unter denen ohne Zweifel Antisthenes zu verstehen ist, deutlich von den vorher

Bericht über die giiecLischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) Hl

bekämpften Materialisten geschieden. Daß übrigens Piaton im Timaios mehrmals physikalische Theorien Demokrits berücksichtigt hat, ist durch Zeller (s. Ber. I 189 und 276) wahrscheinlich gemacht worden. Wir haben im Vorbei gehenden die Vermutungen Hirzels über Epikurs und Piatons Verhältnis zu D. zum großen Teile zurückweisen oder bean- standen müssen. Aber das Verdienst bleibt ihm, daß er auf gewisse Anklänge Epikurs an die Lehre des Abderiten auf dem Gebiete der Ethik und Kanouik aufmerksam gemacht hat. Der Gedanke besonders, daß Ep. in den Anfängen seines Philosophierens sich enger an D. an» geschlossen habe, während er ihm später selbständiger gegenübergetreteu sei, hat, wie wir unten sehen werden, in neuester Zeit eine unerwartete Bestätigung gefunden.

Etwas ausführlicher beschäftigt sich H. wieder mit D. im 1. Ab- schnitt des III. Teiles, der von dem Ursprünge der pyrrhonischen Skepsis handelt. Diese knüpft nach ihm ebenso an D. wie die akademische Skepsis an Sokrates an. Was er indes zum Beweise dieser Anbahnung anführt, beschränkt sich darauf, daß die Ataraxie Pyrrhons schon bei D. eine gewisse Rolle spielt, daß das Mißtrauen Demokrits gegen die sinnliche Wahrnehmung, das bei seinem Schüler Metrodor noch stärker ausgeprägt war, der Skepsis einen Anknüpfungspunkt bieten konnte, und daß die Gegenüberstellung vo'jxip und aArjöeta bei den Skeptikern an das Demokritische vo|xw Ix&ri erinnert. Darin geht H. sicherlich auch hier wieder zu weit, daß er, um D. den Skeptikern möglichst an- zunähern, annimmt, jener müsse die Konsequenzen seines erkeuntnis- theoretischen Subjektivismus auch für das ethische Gebiet gezogen und ein scheinbares und wahres a^aöov unterschieden haben.

Kahl verschließt sich in seiner Untersuchung über Cic. als Quelle für D. nicht der Erkenntnis, daß Cic. gerade in philosophischen Fragen ein wenig kompetenter Beurteiler und daher nur mit großer Vorsicht zu benutzen ist. Er glaubt aber nachweisen zu können, daß die An- iührungen demokritischer Lehren bei diesem Autor größtenteils auf gute Quellen zurückgehen. Er berücksichtigt jedoch zu wenig die Düiltigkeit unserer Überlieferung über D. und gelangt da, wo er Neues vorträgt, durch vorschnelle Schlußfolgerungen zu sehr zweifelhaften Er- gebnissen. Dies zeigt sich recht deutlich gleich im Beginne der Abh. an der Behandlung der Stellen, in denen Cic. Demokrits Lebensver- hältnisse berührt. Daraus, daß sich Cic. d. fin. V 86 auf Theophr. be- ruft, nachdem er kurz zuvor dessen Buch t:. £'jöai|xovtac angeführt hat, folgert K., daß Cic. oder vielmehr sein Gewährsmann Antiochos „ohue Zweifel" die ganze Stelle V 86 f. dieser Schrift Theophrasts entnommen hat, und er findet diese Annahme bestätigt durch Allan v. h. IV 20, wo «ganz ähnliche Gedanken", ebenfalls unter Berufung auf Theophr.,

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entwickelt werden. Indessen stimmt Alian, wie ich in meiner Rezension B. Ph. W.-Schr. 1890, 1616 ff. gezeigt habe, nur darin mit Cic. überein, daß er D. sein väterliches Erbteil gering achten und weite Reisen unternehmen läßt, in bezug auf die näheren Einzelheiten aber von jenem erheblich abweicht. Daraus, daß Allan aus Theophr. den Ausspruch citiert, D. habe auf seinen Reisen bessere Schätze gesammelt als Menelaos und Odysseus, ergiebt sich keineswegs, daß auch der übrige Inhalt seines Berichtes auf Theophr. zurückgeht. Dasselbe gilt von der Stelle bei Cic, wo Theophr. nur zur Bekräftigung eines Satzes über den wahren Wert der Philosophie angeführt wird. Einzelne Bemer- kungen in beiden Stellen können sicher nicht aus Theophr. stammen, so die Erwähnung von Demokrits Selbstblendung bei Cic. und die Nach- richt von seiner Reise zu den indischen Weisen bei Allan; denn dies sind Erdichtungen einer späteren Zeit (s. Kahl selbst S. 7). Es bleibt also ganz ungewiß, ob Cic. und AI. oder ihre Gewährsmänner, abge- sehen von jenen beiden Citaten, irgend etwas oder wieviel und was sie etwa aus Theophr. geschöpft haben. Auch darin greift K. fehl, daß er die ursprüngliche Quelle unserer Kenntnis von Demokrits psrsön- lichen Verhältnissen in den eigenen Schriften dieses Philosophen zu er- kennen glaubt. ' Auf festerem Boden steht der Verf. im zweiten Teile, wo er sich mit den auf Demokrits Physik sich beziehenden Stellen be- schäftigt. Hier hat er durch genaue Vergleichung der Darstellung Ciceros und namentlich der einzelnen von ihm gebrauchten Ausdrücke mit unserer sonstigen Überlieferung wahrscheinlich gemacht, daß überall, wo physikalische Ansichten des D. erwähnt werden, Ciceros Gewährs- männer, Antiochos, Kleitomachos u. a. aus Theophr., wenn nicht direkt, so doch durch Vermittelung der sogen, vetusta placita geschöpft haben. Unsere Kenntnis der demokritischen Physik wird freilich nur unbe- deutend durch diese Beiträge gefördert. Vgl. auch die Rezensionen von A. Döring, W.-Schr. f. kl. Ph. 1890, 943 f. und von Diels, Arch. IV 117 f.

Natorp (No. 370) knüpft an eine von ihm Arch. III, 347 ff. über ^Aristipp in Piatons Theaetet" angestellte Untersuchung an. Er hatte dort eine zuerst von Schleiermacher ausgesprochene, dann von Dümmler, Antisthen. 56 ff. und Akadem. 173 ff. aufgenommene Vermutung durch neue Gründe gestützt, die auch Zeller veranlaßt haben, seinen noch II 1^, 350, 2 festgehaltenen gegnerischen Standpunkt aufzugeben (s. Zeiler I\ 1098 f.). Danach ist der Urheber der von Piaton Theaet. 156 A ff. wiedergegebenen, zu seiner eigenen Ansicht im schärfsten Gegensatze stehenden Wahrnehmungstheorie nicht Protagoras, sondern wahrschein- lich Aristipp. Ebendort hatte N. auf ein nahes Verhältnis zwischen dieser Lehre und Demokrits Auffassung von der Subjektivität der

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Qualitäten und der Qaalitätslosigkeit des Substrats, ein Verhältnis, das nur als Abhängigkeit Aristipps von D. gedeutet werden könne; auch den bei Piaton soust ungebräuchlichen Terminus roioTr,; liabe Aristipp vielleicht schon von D. übernoramen (?). Daraus hatte er dann den gewagten Schluß gezogen, wenn PI. sich mit einer von D. abstammenden Lehre schon im Theaet. auseinandergesetzt habe, so werde er schwer- lich unterlassen haben, D. selbst zu prüfen. Diesem Gedanken geht N. in der vorliegenden Abb. weiter nach. In jener eigentümlichen Sensationslehre, von der PI. im Theaet. ausgeht, entdeckt er einen latenten Widerspruch, der darin liegt, daß auf der einen Seite die Un- räumlicbkeit aller Empfindungen angenommen wird (es giebt kein ev au-b xaö' auxo, also auch kein xt, toüto, xoSe, Ixstvo, kein irgendwie Bestimmtes), während sich auf der andern Seite eine wenn auch un- gewisse Ahnung von der Bedeutung des Raumes als Grundlage der Bestimmung des Sinnlichen verrät. Eben dieser Widerspruch scheint dem Verf. deutlich auf die tiefere Quelle jener Lehre, auf D., zurück- zuweisen, der das Leere d. h. den Baum, für sich ein „Nichts", ein Unbestimmtes, trotzdem als real, als Grundlage der Bestimmung für das „Ichts" d. i. die Atome anerkennt. Ebenso wird auch im Theaet. im Widerspruch mit dem Prinzip der Baum und ein bewegliches Substrat im Raum als Voraussetzung zur Erklärung der Sinneswahrnehmungen festgehalten. Eine solche Inkonsequenz ist ohne Demokrits Einfluß nicht denkbai'. Dadurch wird Aristipp als Urheber jener Sensations- theorie noch wahrscheinlicher, da seine Lehre auch sonst Spuren demo- kritischen Einflusses zeigt. Auf die angebliche Verwandtschaft zwischen den Lehren dieser beiden Philosophen gehe ich hier nicht näher ein. Sie scheint mir keineswegs so sicher zu sein, wie N. annimmt. Aber auch wenn man gewisse Anklänge an D. bei Aristipp gelten lassen will, so ist damit noch lange nicht eine Beziehung der im Theaet. dar- gestellten Sensationslehre auf D. erwiesen. Nicht minder unsicher sind die Spuren direkter Anlehnung an Demokrits Ethik, die N. im weiteren Verlaufe seiner Untersuchung in Piatons Schriften zu finden glaubt. Zunächst verteidigt er die schon in den „Forschungen'' im Anschluß an Hirzel (s. o. S. 107) vorgetragene Beziehung der Stellen Phileb. 44B und Rep. 583 ff. auf D. gegen Dümmler und Zeller. Auf eine Prüfung der Gründe für und wider die Gleichsetzung der Gegner der Lustlehre mit Antisthenes kann ich hier um so mehr verzichten, als, selbst wenn diese Auffassung unmöglich wäre, daraus mit nichten die Notwendigkeit folgen würde, D. als den Urheber jener Lehre anzusehen. Dem widerspricht vielmehr alles, was wir über Demokrits ethische An- sichten wissen. So wenig D. ein ausgesprochener Hedoniker war und so unrecht auch die haben, die unter seiner e'j&ujxioc die rfiorq verstanden Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 8

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(s. Laert. IX 45), so weni^ darf man ihn zu den Verächtern jeder Lust rechnen, als die PI. die Vertreter jener Lehre kennzeichnet. Wenn N. darauf hinweist, daß auch in Piatons Berichten nicht jede Lust verworfen wird, sondern nur die größte und gewöhnlichste d. h. die körperliche, wahrend die des 9p6vi[jLoc ausdrücklich ausgenommen wird, und wenn er hiermit die Unterscheidung der höheren und niederen Lüste bei D. vergleicht, so hat er nicht beachtet, daß PI. in der Philebosstelle eine solche Unterscheidung gerade gegen jene oucyepeü geltend macht, keineswegs sie ihnen selbst beilegt. Daran wird auch durch die Deutung nichts geändert, dieN.dem Worte oüc/spetabeiPl. geben möchte, wonach es nicht „verächtliche Strenge" (Schleiermacher) oder „mürri- sches Wesen" (Zeller), sondern „die einer vornehmen Natur (oux «vevvoüf cpuaews) eigene, leicht übertriebene Feinfühligkeit*', das Widerstreben gegen das gemeine Lustverlangen bezeichnen soll. Ist schon die Be- ziehung der angeführten Stellen auf D. höchst unwahrscheinlich, so ist eine solche Beziehung vollends im Phaid. (69 B, 81 B, 84 A; vgl. 79 C) unerweislich. Es ist kühn, wenn sich N. auf grund solcher unsicherer Kombinationen berechtigt glaubt, zu behaupten, PI. habe frühzeitig den Einfluß DeiLokrits erfahren, und schon der Theaet. sei in voller Be- kanntschaft mit dessen Lehre geschrieben, obwohl sich deutlichere Hin- weise auf D. nur in jeuen ethischen Fragen fänden. Dieses Verhältnis Piatons zur demokritischen Ethik hat N. dann in seiner Ausgabe der Ethika S. 157 ff. durch eine noch genauere und umfassendere Ver- gleichung zwischen beiden Philosophen näher zu begründen versucht. Wenn man auch zugeben muß, daß an manchen Stellen die Anklänge an D. so auffallend sind, daß es nahe liegt, eine direkte Beziehung an- zunehmen, so ist doch in den meisten Fällen die Ableitung aus D. un- sicher oder ganz unwahrscheinlich. Und selbst wenn hier und dort wirklich ein Citat aus D. vorliegen sollte, so wäre es doch unstatthaft, mit N. Piaton seine Grundanschanungen aus der Philosophie des Abde- riten schöpfen zu lassen. Vgl. meine Besprechung der Ausgabe B. Ph. W.-Schr. 1894, 1000 ff. .

Von großer Wichtigkeit für die Erkenntnis der Einwirkung Demokrits auf Epikur ist die neuaufgefundene Steinschrift von Oinoanda, auf der um das J. 200 n. Chr. ein gewisser Diogenes, ein begeisterter Anhänger der Gartenphilosophie, neben seinen eigenen Darstellungen der epikureischen Lehre einige Urkunden des Meisters hat eingraben lassen. Die wertvollste unter diesen Urkunden ist ein Brief Epikurs an seine Mutter, ohne Zweifel eins der ältesten Denkmäler seiner Hinter- lassenschaft. Hier tritt uns in No. 9, 1, wie Usener (No. 371) bemerkt, das Wörtchen £uf}u[xta entgegen, das Schlagwort der Ethik Demokrits, von dem Ep. durch Vermittelung des Nausiphanes ausgegangen ist.

Bericht über die griecbischcn Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) Hf)

Aber wie er alle Beziehungen za seinem Lehrer Nansiphanes durch- schnitten hat, so hat er später auch jene demokritische e-jf^uixta fallen lassen; sie begegnet nirgends in seinen bisher bekannt gewordenen Schriften oder Fragmenten. Der Brief mnß daher in die Zeit seiner ersten Lehrthätigkeit zu Mytilene und Lampsakos oder spätestens in den Anfang der athenischen Wirksamkeit fallen. Damit haben wir ein urkundliches Zeugnis für die Annahme Hirzels, daß Ep. auch in seiner Ethik von D. abhängig sei. Beachtenswert ist auch ein auf der In- schrift stehender „Abriß der epikureischen Physik", der u. a. in No. 49 eine Polemik gegen Demokrits vo'fAw Y^yx'j u. s. w. enthält, sowie die Widei legung des Schicksaljjlaubens (No. 40), in der D. getadelt wini, daß er keine freie Bewegung der Atome zugelassen habe.

Neue Beweise für den Einfluß der Sitten- und Erkenntnislehre des D. auf Epikur gewinnt Sudhaus aus den in den herkulanensischen Rollen 1015 und 832 erhaltenen Teilen aus Pliilodems Rhetorik B. II, deren Text er zum ersten Male veröffentlicht und herzustellen versucht hat. Der erste Teil behandelt Ansichten und Lehren des in Demokrits Spuren wandelnden Nausiphanes. In col. 4 beantwortet Nausiph. die Frage, ob der Weise sich an der Gesetzgebung, an strategischer und staatswissenschaftlicher Thätigkeit beteiligen werde, mit ja. Er weicht also hierin wie auch sonst von dem eudämonistischen Quietismus Epikurs ab. „Von der euftuixta oder eueuTu» des D. zu der dxaTrXrj^i'a des Naus. und der epikureischen dxapa^ta ist ein langer Weg." Die paradox scheinende Behauptung, daß gerade die Physiologie der beste Ausgangspunkt für die rhetorische Ausbildung sei, begründet Naus. so: Der Weise und der Politiker unterscheiden sich keineswegs im Gedanken- inhalt und im Stoffe, sondern nur in der Ausdrucksweise. Wie sich der Philosoph des Syllogismus und der Induktion bedient, so der Poli- tiker des Enthymems und des Beispiels. Dabei erschien ihm als die wertvollste Schlußform die Berechnung des Künftigen und des Unklaren aus dem Gegenwärtigen und Klaren, die auch bei D. und Epikur eine wichtige Eolle spielt (s. Hirzel Unters. I 111). In Anlehnung au D. geht Naus. von der Wahrnehmung als der wirklichen und allgemeinen Gründlage der Erkenntnis aus. Er muß dann weiterhin die Gesetze der Natur, wie er selbst sie lehrte, sowie seine psychologische Kenntnis des Privatlebens auf den weiteren Kreis des staatlichen Lebens übertragen haben, Vielleicht die wichtigste Notiz des Papyrus steht col. 44, 19, wo es heißt: nicht auf klingenden Lohn komme es an, sondern auf xevwv 6o;wv arcaXXa-frjv. Hier trifft Naus. mit Ep. (vgl. auch Dem. bei Laert. IX 45) zusammen. Aber der Weg zur Glückseligkeit ist bei beiden verschieden. Ep. verweist den Philosophen auf sich selbst und auf ruhigen Genuß, Naus. aut die Gemeinschaft, auf politisches Wirken

b*

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und gemeinnützige Arbeit. Seine (JxaxaTrXy)Eta hat also weit mehr Ähn- lichkeit mit der der Stoa als mit der Epikurs. Es tritt uns iu diesem Bruohstücke Philodems ein offenbarer Einfluß Demokrits auf Naus. entgegen. „Die Angaben über die p]rkenntnistheorie des Naus. sind eine glänzende Bestätigung von Hirzels Unters. I 109 ff. Die Brücke, die er für die Kanonik von D. zu Ep, schlug, erhält jetzt gewisser- maßen durch Naus. eine Zwischenstufe." Allen dreien ist der Satz gemeinsam, daß man in der Kanonik von den aiJi^iQüei; auszugehen habe als dem untrüglichsten Kriterium der Erkenntnis, und daß mau, was die Methode angeht, vom Erscheinenden und Deutlichen zum Verborgenen vorschreiten müsse. Vgl. Frachter Fortschr. 1898 (Band 96) S. 50, der mit Sudhaus in den Mitteilungen Philodems über Naus. sowie in der oben angeführten Stelle aus der Inschrift von Oinoanda eine volle Bestätigung der Hirzelschen Auffassung erblickt. Aber ehe mau ein abschließendes Urteil fällt, bedürfte es erst einer genaueren Unter- suchung der einzelnen Punkte, die neben den Ähnlichkeiten auch die Unterschiede ins rechte Licht setzte; denn daß Ep. dem D. auf den verschiedenen Gebieten der Philosophie zwar vieles entlehnt hat, aber oft genug auch bewußt von ihm abgewichen ist, wird mehrfach bezeugt. Für die Ethik hat zu einer solchen Untersuchung neuerdings Natorp m seinen „Ethika des D." S. 127 ff. eine dankenswerte Vor- arbeit geliefert. Mir war bereits bei meinen früheren Studien über D. die Übereinstimmung einzelner Sentenzen Epikurs mit ethischen Bruch- stücken des D. aufgefallen, und ich hatte in meiner Abh. „über die ethischen Fragmente Demokrits* S. 25 f. darauf hingewiesen, daß Ep. sent. XVI das demokritische Fr. 30 vor Augen gehabt und nachgebildet hat (vgl. Usener Epic. S. 396). Einige andere Beziehungen Epikurs auf ethische Aussprüche des Abderiteu hatte dann Usener im Index S. 402 f. kenntlich gemacht. Natorp weist nun eine noch viel größere Zahl von epikurischen Aussprüchen nach, die sich im Inhalt und oft auch in der Form eng an D. anschließen. Aber nicht nur in einer Reihe spezieller Vorschriften, sondern auch in der Grundlage und Aus- gestaltung seiner Sittenlehre hat Ep., wie N. darthut, vielfach, selbst in den Punkten, wo er unter dem Einflüsse der kyrenaischen Ethik von ihm abweicht, an Ep. angeknüpft. Ob N. freilich das Verhältnis Epikurs zu D. und Aristipp, der nach seiner Meinung gleichfalls auf der Ethik des Abderiten fußt (s. Eth. 193 ff.), durchweg richtig bestimmt hat, ist mii* zweifelhaft. Darin besonders kann ich ihm nicht beistimmen, daß er dem xeXoj des D. absolute Bewegungslosigkeit beilegt. Eine genauere Betrachtung des 52. Fr. wird m.E. ergeben, daß D. eine gewisse mäßige Bewegung der Seele mit der wahren Lust und der euöujxia untrennbar ver- bunden gedacht hat. S. meine zu No. 385 anzuführende Besprechung der

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„Ethika" 999 f. Wie weit aber auch die tJ bereiiistimmuiig Epikurs mit D. in ethischen Fragen gehen mag, ein fundamentaler Unterschied, den Natorp nicht genügend beachtet hat, bleibt doch bestehen. Eine systematische Bearbeitung der Ethik ebenso wie der Kanuüik hat Ep. sicher nicht bei D. vorgefunden, und er konnte sich daher in diesen beiden Disziplinen von vornherein nicht entfernt so eng an seinen Meister anschließen wie in der Physik, die ihm bei diesem als ein in sich geschlossenes Ganzes entgegentrat.

In den Abhandlungen von Usener und Sudhaus ist ein Punkt nicht in Ervväguug gezogen worden, der für die Beurteilung der Be- ziehungen zwischen Epikur und der demokritischen Ethik von Wichtig- keit ist, die Frage nämlich, ob die ethischen Fragmente Demo- krlts in ihren Hauptbestandteilen als echt anzusehen sind. Diese Frage, die mit der Erforschung der Quellen jener Fragmente im engsten Zusammenhange steht, ist während der Berichtszeit mehrfach er- örtert worden. Ich hatte in m einer Abh. „über die ethischen Fragmente Demokrits" (Progr. desSophiengymn. Berlin 1873) dieEchtheit zu erweisen unternommen (vgl. die Besprechung von Susemihl Fortschr. I 5 [1875] S.532ff.). Ich glaubte mich bei dieser Untersuchung innerhalb der Grenzen einer vorsichtigen Kritik gehalten zu haben. Daß die Echtheit der Fragmente mit der Widerlegung einzelner gegnerischer Gründe noch nicht erwiesen sei und daß , solange sich keine Spur einer Kenntnis der demokritischeu Ethik vor den Zeiten Ciceros nachweisen ließ, die Zweifel der Echtheit nicht verstummen würden, verhehlte ich mir nicht. Ich war daher darauf gefaßt, daß mein Standpunkt in dieser Frage bestritten werden würde. Eines Angriffes freilich, wie er von ßohde gegen mich gerichtet wurde, versah ich mich nicht. Dieser hat in der ihrem Hauptinhalte nach unter No. 362 besprochenen Schritt S. 67 und 70 ff., ohne meinen Namen zu nennen, meine ganze Auffassung von der ethischen Schriftstellerei Demokrits als grund- verkehrt bezeichnet. Der „ganze Wust" (!) moralischer Sentenzen, der unter Demokrits Namen laufe, sei diesem abzusprechen. Es sei neuer- dings versucht worden, diese Überbleibsel zu unverdienter Ehre zu bringen. In der That aber sei es keine „Hyperkritik", wenn man aus dem wirren Haufen angeblich demokritischer Moralsprüche, in denen sich eine „Biedermannsmoral" mit spezifisch epikureischem Quietismus seltsam vermische (!), dem D. selbst so gut wie nichts zuzuschreiben wage. Ein eigentlicher Ethiker sei dieser überhaupt nicht gewesen. In den Versuchen zu einer Sonderung des Echten und Unechten sei keine philologische Methode zu erkennen. Ansätze zu ionischem Dialekt seien kein Indizium der Echtheit. Auch Seneca sei kein Prüfstein der Echtheit, da er z. B. dem D. die sonst dem Heraklit oder Anacharsis

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oder Antimachos zugeschriebene Sentenz: unus mihi pro populo et populus pro uno iu den Mund lege. Einer Wideriegung bedürfen diese unerwiesenen oder unzulänglich begründeten Behauptungen um so weniger, als ihre Unhaltbai'keit sich aus den unten zu besprechenden Untersuchungen Natorps und Birts von selbst ergiebt.

Unter den eben genannten Forschern entfernt sich von ßohdes Standpunkt am weitesten Hirzei (No. 373), der jedoch nach der anderen Richtung hin ins Uferlose treibt. Er sucht nachzuweisen, daß Seneca in seiner Schrift de tranquillitate vornehmlich Demokrits Werk tz. eui)u[xtT)? benutzt hat. Zu diesem Ende geht er der Reihe nach die einzelnen Kapitel der Schrift durch und findet hierbei eine solche Fülle von Übereinstimmungen und Beziehungen, daß ihm jede andere Annahme als die einer direkten Abhängigkeit ausgeschlossen erscheint. Fänden sich iu der That an allen diesen Stellen sichere Hinweisungen auf demokritische Aussprüche, so hätte Hirzels These eine gewisse Wahr- scheinlichkeit, obwohl auch dann Seneca nicht notwendig Demokrits Buch selbst vor Augen gehabt haben müßte. Nun erscheinen aber bei näherer Prüfung die angeblichen Übereinstimmungen vielfach in höchst zweifelhaftem Lichte. Von vornherein auszuscheiden sind die Fälle, in denen es sich um Gedanken handelt, welche H. nur auf unsichere Ver- mutung hin als demokritisch in Ansprucli nimmt. So setzt er die von ihm in seinen , Untersuchungen'' behauptete Beziehung einer Philebos- stelle auf D. ohne weiteres als erwiesen voraus und zieht daraus den mit jener Voraussetzung natürlich hinfälligen Schluß, daß das Wesen der Tjoovr, iu der Schrift n. eu&o|xiY]c eingehend erörtert worden sein muß. Besonders aber in dem hippokratischen Briefwechsel glaubt H. zahlreiche Spuren demokritischer Lehren entdeckt zu haben. Ich habe es (a. a. 0. S. 24) als eine vergebliche Mühe bezeichnet, aus der Hülle dieser Briefe, abgesehen von einem längeren Bruchstücke Tiepl cptSaio; avOpwTDou, das ten Brink dem Abderiten zugeschrieben hat (s. jedoch jetzt Diels Fr. d. Vorsokr. 469), irgend einen demokritischen Kern herauszu- schälen. Diese Ansicht kann ich auch Hirzels Ausführungen gegenüber im wesentlichen nur aufrecht erhalten. Daß der Verf. der Briefe verschie- dene Titel der demokritischen Schriften nennt, beweist noch nicht, daß er diese Schriften auch selbst gelesen und benutzt hat. Die Möglichkeit einer solchen gelegentlichen Benutzung läßt sich zwar nicht bestreiten, und manche Stellen, wie xai ooxeouai jjiev £v uoXefiu) xxX. S. 366 Littr. und aTapa^iY)? xal Tapayr^; \iizpoL fjtT) eiticjxoTre'jsiv ebd., haben in der That eine gewisse Ähnlichkeit mit Aussprüchen und Anschauungen Demokrits [vgl. auch J. F. Marcks symbola critica ad epistolographos graecos Bonn 1883, S. 39 ff., wo zu den von H. bemerkten noch manche neue Anklänge, namentlich au physikalische Ansichten Demokrits, angeführt werden].

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Aber im großen und gaüzeu siud doch die seichten und endlos aus- gesponneneu moralischen Betrachtuugen über die Tiiorheit der Menschen, die der Verf. der Briefe den D. zum besten geben läßt, von der gehaltvollen und knappen Art dieses Philosophen zu weit entfernt, als daß sie auf ihn zurückgeführt werden könnten. S. R. Heiuze in der anter No. 374 zu besprechenden Schrift (vgl. desselben Schrift de Ho- ratio Biouis imitatore Bonn 1889 S. 5), der im 17. Briefe ein Doku- ment der neukynischen Schule sieht und treliend bemerkt, der Cliarakter des Ganzen werde nicht dadurch geändert, daß hier und da, übrigens ungeschickt genug, demokritische Sätze verwertet werden. Am aller- wenigsten aber durfte H. aus der inhaltlichen Verwandtschaft mancher Abschnitte bei Seneca mit Äußerungen des Demokrit der Briefe folgern, daß der Verf. dieser die gleiche Schrift Demokrits benutzt haben müsse wie Seneca. Das wäre nur dann zulässig, wenn zuvor der strikte Beweis erbracht worden wäre, daß beide aus bestimmten Stellen Demo- krits geschöpft haben; einen solchen Beweis aber hat H. nirgends er- bracht. Die Ähnlichkeiten sind fast durchweg so allgemeiner Art und so wenig charakteristisch, daß sie sich auch ohne die Annahme einer Entlehnung aus D. erklären lassen. Etwas anders steht es mit der nicht geringen Zahl von Anklängen an bestimmte demokritische Frag- mente, die H. bei Seneca' bemerkt hat. Einige von ihnen sind allerdings von der Art, daß man au eine Entlehnung aus D. glauben könnte; vgl. z. B. Seu. c. 2, 11 fin. mit Fr. 49; c. 6,4 mit Fr, 163; c. 7, 6 mit Fr, 217 u. ä. In anderen Fällen aber liegt doch nur eine sehr entfernte (wie c. 10, 1 und Fr. 127 zwischen necessitas fortiter ferre docet und dv6pr,iV, Ta; äta; !j|i.txpaj epöst) oder allzu allgemeine Übereinstimmung vor. Über das Verhältnis zwischen den beiden ethischen Schriften Demo- krits stellt H. eine von der meinigen (s. d. eth. Fr. D.s S. 6 f.) abweichende Ansicht auf. Die Bezeichnung u7toi>Tjy.ai werde bei den älteren Schrift- stellern nur für Gedichte, nicht für Prosawerke gebraucht. Lege man aber die Definition der G;ro9r-xT] bei Aristot. Rhet. 1368 a 2 ff. zu gründe, so seien Fr. 7, 163 und viele andere, die sicher zu tt. euöuixi'tj; gehört haben, G-ot>r,xai. Da habe doch D. diesen Titel nicht einer ganz anderen Schrift geben dürfen, wenigstens nicht ohne Hinzufügung einer näheren Beschränkung. Wie nun in dem Verzeichnis aristotelischer Schriften bei Hesych. nach Heitz der Titel uepl tjDixcüv Nixo[xa/. unoO^xat auf einen Auszug aus dem betreffenden Werke zu beziehen sei, so könne auch von Demokrits Schrift tt. eui). ein Auszug veranstaltet worden sein. Dies scheine bestätigt zu werden durch Marc Aurel IV 24, der offenbar Fr. 163 in kürzerer Form wiedergebe. Diese Sentenz müsse dann nach Sen. c. 13, 1 den Anfang gebildet haben [aber hier ist die Lesung coepisse nicht sicher; die Handschriften haben cepisse, und

120 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

H. A. Koch schreibt, wie H. selbst angiebt, praecepisse, eine nach dem Urteile von M. Heinze Abb. d. sächs. Ges. d. W. 1883 S. 708, 1 an- nehmbare Konjektur, die ich bei Abfassung meiner Abh. übersehen hatte], während Dionys. AI. als Anfang Fr. 29 angebe. Dieser Wider- spruch löst sich nach H., wenn wir unter den G::o{}9)xat nicht einen Auszug aus der ganzen Schrift Demokrits verstehen, sondern nur aus ihrem positiven Teile, also ohne die polemische Einleitung, der wohl Fr. 93 98 sowie 33 und 60 angehören, welche alle mit dtvo/jfxovs? beginnen. Dann würden also die Worte bei Dionys. den Anfang des Hauptteiles der Schrift bezeichnen. Für widerlegt kann ich meine Auffassung der uTiod^xat als einer selbständigen Schrift neben der r. euö. durch diese Beweisführung nicht halten, die übrigens an einem auf- fallenden Widerspruche leidet. Nach H. müßte das oAqa izpr^aae bei M. Aurel in den Oizoöyjxat, also dem Auszuge, gestanden haben, während die ihm entsprechende längere Sentenz (Fr. 92) den, wie H. meint, von diesem Auszuge ausgeschlossenen Anfang der ganzen Schrift (tt. eui}.) gebildet hätte. Davon abgesehen aber, hat Hirzels Annahme manches für sich, und ich habe nichts dagegen, wenn man sie der meinigeu vorziehen will. Nachdem bereits von M. Heinze a. a. O. 708 f. gegen die Hirzelsche Hypothese Bedenken erhoben worden waren, hat R. Heinze (No. 374) auf die Uczulänglichkeit der Argumente Hirzels hingewiesen. H. habe nur gezeigt, daß für den von ihm ohne weiteres angenommenen Fall der Echtheit der ethischen Fr. Demokrits viele von diesem zuerst ausgesprochenen Sätze in der späteren Ethik fortgewirkt haben. Eine wörtliche Übereinstimmung trete fast nirgends hervor. Gegen eine un- mittelbare Abhängigkeit Senecas von D. spreche aber alle Wahrschein- lichkeit. Bei dieser Annahme wäre es schwer zu erklären, daß der so viel und gern citierende Sen. nur ein einziges Mal (d. ir. III 6, 3) einen ethischen Satz Demokrits anführt, und zwar eben den einzigen, für den er d. tranqu. 13, 1 die Autorschaft Demokrits bezeugt. Auch den schroffen Widerspruch gegen die stoische Lehre von den Affekten, die Hirzel in c. 8 und 9 zu finden glaubt, kann Heinze nicht aner- kennen. Aus allen diesen Gründen kommt er zu dem Ergebnis, daß die etwaigen Reminiscenzen an demokritische Sätze durch stoische Tradition zu Sen. gelangt sind. Übereinstimmungen zwischen Plutarch u. £u8u|i.ia; und Sen. brauchen daher nicht auf D. zurückgeführt zu werden, und wir dürfen nicht mit H. Plutarchs Schrift benutzen, um Aufschlüsse über den Gang der Untersuchung in Demokrits Schrift zu erlangen. Gegen die Annahme Hirzels, daß Panaitios ::. euöufjii'a?, den er vielleicht nicht mit Unrecht als eine Hauptquelle Plutarchs ansieht, den D. benutzt, aber dessen Grundsätze bekämpft habe, bemerkt Heinze, diese Polemik beschränke sich auf die Zurückweisung des verwerfenden Urteils über

ßericl)t über die griechischen Philosopheu vor Solirates. (Lortzing.) 121

die TcoXuT:pa7!JLQTJvir] c. 2; wenn im Schlußkapitel die Feste als überflüssig für den Weisen verworfen werden, so leite schon die Anknüpfung au Diogenes zu einer kynischen Quelle hin.

Hense (No. 375) macht Ariston von Chics auch für Plutarch TT. ■iioX'j7:pa7{jLOJuvr]; als eine Hauptquelle wahrscheinlich und findet ari- stonische Anklänge nicht nur mit Heiuze in t:. euSup-iV,?, sondern auch noch in andern Scliriften Plutarchs, so besonders in r. fj-^rj;. Der Frage nach der Quelle von Sen. de tranqu. tritt Hense näher in No. 376. Er thut dar, daß Sen. neben anderen Quellen, wie Panaitios, hauptsächlich den Stoiker Athenodoros benutzt habe. Ein Haupt- beweisgrund gegen Hirzels Hypothese ist die übereinstimmende Ver- kürzung von Fr. 163 bei Sen. und Plut. -. t<j\)., von denen letzterer sicher nicht direkt aus D. schöpft, sondern aus einer stoischen Quelle, nach Heinze aus Ariston.

Welchen Wert haben nun alle diese Untersuchungen für die Eot- scheidung über die Echtheit oder ünechtheit der ethischen Fragmente ? Daß die von Cicero, Seneca und Plutarch benutzten Autoren eine unter Deraokrits Namen gehende Schrift r. e'j8u[xtV,; gekannt haben, kann keinem Zweifel unterliegen. Aber auch Epikur .' Erwiesen sind freilich in den Resten seiner ethischen Schriftstellerei zahlreiche Anklänge au Demokrits Fragmente, und Natorp, dem das Hauptverdienst zufällt, diesen Nachweis geführt zu haben, ist überzeugt (Ethika 141), daß diese Übereinstimmungen an sich schon genügen, um jeden Gedanken an eine durchgängige oder auf größere Partien sich erstreckende Fälschung der Überlieferung über Demokrits Ethik auszuschließen; eine evidente Parallele bei Ep. könne im allgemeinen geradezu als Bestätigung für die Echtheit eines demokritischen Ausspruches gelten. Ein hart- näckiger Leugner der Echtheit köonte indes den Spieß umkehren und sagen: alle diese Parallelen beweisen gar nichts; sie lassen sich ebenso gut erklären, wenn man annimmt, daß erst nach Ep. unter Demokrits Namen eine Schrift entstand, in der neben anderen älteren Philosophen wie Piaton und Aiistot. in ausgiebigstem Maße Ep. geplündert wurde. So sind wir doch schließlich bei dem Maugel einer sicheren äußeren Beglaubigung auf die Betrachtung des Inhalts und des Stils der Frag- mente selbst hingewiesen. Dieser Weg ist denn auch in der That mit Erfolg von Natorp und Birt eingeschlagen worden, wie wir unten sehen werden.

Was das Verhältnis des Lucrez zu D. betrifft, so verweise ich aoch hier, wie bei Empedokles, auf die Briegerschen Jahresberichte.

Das von A. Jahn veröffentlichte Werk desGregoriusPalamas (No. 377), der um die Mitte des 14. Jahrhunderts lebte, enthält nach einer llpoöetüpia einen Streit zwischen Körper und Seele in der

122 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

Form einer gerichtlichen Verhandlung. Palamas knüpft damit an eine aus dem Altertum überlieferte Darstellung des Kampfes zwischen »Seele und Leib an, über die Jahn im Epiraetrum I S. öG f. handelt. Über- liefert ist uns die Ansicht Demokrits über den Verlauf und Ausgang dieses Kampfes und die davon abweichende des Theophrast bei Plut. praec. san. tuend. 135 E und noch genauer im Fr. d. an. I 2. Theophr. folgte dem Aristot., und dieser hat wiederum in Piaton seinen Vorgäoger gehabt. Derselben Ansicht schlössen sich die patres platonizantes, die Gnostiker und besonders die Manichäer an.

Sehr verdächtig, ja zum weitaus größten Teile sicher unecht ist, was uns bei nachchristlichen Autoren aus augeblichen astrologischen, alchimistischen und geoponischen Schriften Demokrits über- liefert wird. Dem Versuche von Maaß^) (No. 378), einer echten Schrift des Abderiten über Wetterzeichen auf die Spur zu kommen, ist die Widerlegung alsbald gefolgt. Heeger hatte in der unter Theophrasts Namen überlieferten Schrift tt. aT)[jLei(uv ein Exzerpt aus einem peri- patetischen Buche des ausgehenden 4. oder des anfangenden 3. Jahr- hunderts V, Chr., vielleicht einem echten Werke Theophrasts, vermutet, während Böhme „De Theophrasteis quae feruntur Ilepi ar^ixeituv excer- ptis" Halle 1884 an einen Auszug aus Eudoxos gedacht hatte. Beide hatten auch bereits erkannt, daß sich in der attisch geschriebenen Kom- pilation nicht wenige poetische und besonders ionische Worte und Wort- formen finden. Maaß ist diesen Spuren weiter nachgegangen (vgl. die Prolegomena zu seiner Aratausgabe S. XXVI). Er glaubt überall, wo Ps.-Theophr. sich mit Arat im Wortlaut berührt, die gemeinsame Quelle hindurchschimmern zu sehen. Auch die Disposition von Ps.-Theophr. weist nach M. auf eine solche Quelle hin. Diese ist aber nicht Eudoxos, sondern Dem., der in dem Buche Tiepl dxatpiuiv xal euxatpiüiv über „Wetterzeichen" gehandelt hat. Auch Clemens ström. VI 755 P. (= Plin. n. h. 18, 341) führt auf Wetterbeobachtungen Demokrits hin. Arat V. 391: aue? «fopuTw 'im ixapYaivousai (vgl. Ps.-Theophr. § 49 und Clem. Protr, 92) stimmt wörtlich mit Dem. fr. mor. 23 überein. Wenn man hier auch zunächst an die Schrift u. eüöu|ji.tT)c za denken hat, so muß man doch annehmen (?), daß D. das Vorzeichen von den tollenden Schweinen auch in tt. dxaipiüiv u. s. w. dargestellt habe. Zu den bei Ps.-Theophr. § 1 genannten nicht unberühraten Gewährsmännern gehört

*j Beiläufig sei hier erwähnt, daß Maaß in seinen Aratea (Philolog. Unters., 12. Beft, Berlin 1892) S. 123 ff. von den verschiedenen Bedeutungen des Wortes tcoXo; handelt. Er bemerkt hierbei, daß das Wort bei Anaxa- goras im Sinne der beiden Pole gebraucht wird (s. Hippolyt. Doxogr. 563, 4 und Laert. II 9,5: "öv cpavepöv iccDvov); auch in Demokrits -&>,o-cpatp'.rj sei von der Lage des Nordpols oder beider Pole die Rede gewesen.

Beriebt über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 123

uiithin außer Aristot. auch D. Eiu derartiges Buch Deniokrits paßt auch iu das atomistische System hinein: sofern wir nicht durch uns selber über das, was in der Natur bevorsteht, Bescheid wissen, können wir uns durch Beobachtung' der Einzelwesen über sich vorbereitende Phäuonieue Bescheid verschaffen. Auch Pliuius, der iu der n. h. B. XVIII zum Teil wörtlich mit Ps.-Theophr. übereinstimmt, und ebenso Alian (3. z. B, die Stelle von den Schweinen d. nat. an. VII 8, wo für <patv6- jjLsvoi fxaiv6|jL£vot [vgl. }jLap-,'aivou3ai? bei Dem,] zu lesen ist) müssen ein vielleicht mit einigen fremdartigen Zusätzen versehenes Exzerpt aus der echten Schiift Deinoliüls benutzt haben.

Zu wesentlich anderen Ergebnissen gelangt Kai bei (No. 379). Nachdem er für den ganzen rein astronomischen Teil der (I>aivo|xeva Arats ebenso wie für Vitruv IX 6 7,4 Eudoxos als Quelle nachge- wiesen hat, wendet er sich gegen Maaß' Hypothese über den zweiten Teil des Gedichtes {-. (;r,}xei(ov). Die von M. bei Ps.-Theophr. uach- g'ewiesenen lonismeu sind von der Art, wie sie seit Aristot. und Theophr. zahlreich in die attische Schriftsprache eingedrungen sind, und die „poetischen Wendungen", die er anführt, sind entweder keine solche, oder sie können von einem Prosaiker guter Zeit wie D. über- liaupt nicht geschrieben sein; so OotXajia oiooyjx xal axxai ßotüjat; hier haben wir vielmehr ein unverfälschtes Citat aus Arat (v. 909). Es ist also in dem Buche tc. or,jx£i(uv Arat benutzt worden (vgl. auch § 23 mit Arat V. 892). Daß bei Ps.-Theophr. auch Gredauken Deniokrits vor- kommen, der an Wetterzeicheu glaubte und manche von ihnen erwähnt Latte, ist nicht zu verwundern. Aber wenn Ps.-Theophr. das Zeichen von den Schweinen 49) ein ör,[x63iov nennt, so ist seine Quelle eben nicht Dem., sondern die mündliche Tradition. Auch daraus, daß sich der Gedanke in § 57 teilweise mit dem deckt, was Dem. bei Plin. 18, 23 (vgl. Geopon. I 5, 3) sagt, darf man nicht mit Maaß auf D. als Quelle schließen. Sicher kann diese Quelle nicht die Schrift Atxiai 1:. dxaipiöüv xal eiTixaipitüv sein, ein Titel, der für eine Bearbeitung der ''Ep^a xal r,[jL£pai, nicht aber für ein Buch gleich dem nepl ar,[jL£i(uv passen würde, in dem von „günstigen und ungünstigen Tagen" nirgends die ßede ist. Das Buch r.. a. ist überhaupt kein Exzerpt, sondern ein in seinen Hauptteilen gut geordnetes Original, mit schönem, wohldurchdachtem Vorwort; die Orduungslosigkeit innerhalb der Hauptteile ist zum großen Teil durch nachträgliche Einfügung von Citaten aus Arat entstanden. Arat kann also Ps.-Theophr. nicht benutzt haben und ebensowenig dessen angebliches Original.

Noch ohne Kenntnis der Kaibelschen Kritik hat Di eis die kleine Abb. No. 380 geschrieben. Im Anfang weist er auf einige Fragmente vorsokra tischer Philosophen hin, die wir dem Londoner medicinischen

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Papyru3 verdanken (s. Ber. I 176 ff.)- ""'i bemerkt dann, daß das an- gebliche Fragment des Farmen., welches Couvreur Rev. d. philol. 1893 S. 108 (s. unter No. 139) bei Proklos in Cratyl. entdeckt haben will, nach einer Erinnerung Zellers sich nicht auf den Eleatsn, sondern auf Piatons Parm. (142A) bezieht. Dagegen findet sich ein neues Demokrit- fragment, auf das D. durch F. Cumont hingewiesen worden ist, bei dem anonymen Verf. des Dialoges Hermippus S. 25, 7 Kroll -Viereck. Die von D. abgedruckte Stelle ist zwar kein wörtliches Citat, hat aber die atomistische Anschauung über die Einwirkung der in der Luft schwebenden Däraonenbilder auf die menschliche Seele treu bewahrt. Die Worte veypoic xai [xueXor? lY^ai)yi[i.evouc avs^eipstv xa'. dvaTrXcxTTSiv tÄ? <}^u"/aj rj|X(ö VEi; auxou; oia xs ipXeßäiv xat apTrjpiwv xai autoü xoü e7X£(paX.ou xal lj.£5(pi xaiv (jirXa7^v(üv ßir^xovxa? erinnern stark an das E'/xaxaß'jaaoüJÖai xa ei'StuXa 8ta xcüv Tiopcov eis xot aiüjxaxa Demokrits bei Plnt. qu. sympos. VIII 10, 2. Das neue Fr. ist eine genauere Ausführung zu Sext. math. IX 19 über Demokrits Dämonenglauben. D. scheint den Nacht- seiten der menschlichen Natur eine bei seinem Rationalismus auffallende Vorliebe zugewandt zu haben. E. Maaß hat, wie D. glaubt, bewiesen, daß Ps.-Theophr. ti. TrjjjLetwv und Arat auf ein ausführliches Wetterbuch Demokrits zurückgehen.

Berthelot ist geneigt, die Mitteilungen bei Seueca und Laert. über mehrere demokiitische Schriften, die von Steinen, Metallen u. s. w, handelten, sowie die Nachricht Olympiodors über eine aus 4 Büchern bestehende Schrift des D. de elementis auf alte und zum Teil echt demokritische Werke zu beziehen. Er beruft sich für diese Annahme auf die Nachrichten des Laert., Diodor und Clem. über weite Reisen Demokrits, die er für ebenso authentisch hält wie die Mitteilung, D. habe über die heiligen Schriften der Chaldäer und von Meroe geschrieben (!). Die Umwandlung des D. in einen Magiker sei nicht nur durch Plinius und die griechischen alchimistischen Schriften, sondern auch in dem magischen Ritual der ägyptischen Papyri von Leyden bezeugt; es habe also auch in Ägypten in den eisten christlichen Jahrhunderten eine solche Tradition geherrscht. Unter den verschiedenen alchimistischen Rezepten, die in dem von Pizzimenti Padua 1573 herausgegebenen Buche Democriti Abderitae de Arte magna (identisch mit den Mystica es Physica, nicht, wie Mullach Dem. fragm. S. 158 f. will, davon ver- schieden) vereinigt sind, ist nach B. die am Anfang stehende Anweisung, mit Purpur zu färben, ein altes Fragment, das vielleicht auf einige der von Laert., Petron. und Seneca augeführten Abhandlungen zurückgeht. Das dann folgende Stück über Demokrits Rückkehr aus der Unterwelt steht vielleicht im Zusammenhange mit seiner Lehre von den Götter- idolen und den Träumen. Das übrige zerfällt in drei Partien, von

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 125

denen die alchimistische apokryph und am jüngsten, aber doch älter als das 4. Jahrhundert n. Chr., die magische, ebenfalls apokryph, aber älter als Plinius ist, und die technische, vielleicht die älteste, an D. oder vieiraehr an seine Schule anknüpft. Über die 4 Bücher über Färben auf Gold, Silber, Steine und Purpur berichtet uns Synesius, der vor 389 schrieb, und Zosimns (etwa zur Zeit Konstantins oder Dio- kletians, vielleicht noch älter); für diese istPs.-Dem. schon eine Autorität. Die fälschlich dem D. beigelegten Betrachtungen über die Natur von dem Mendesicr Bolus: XeipoxfxiQTa d. h. „manipulationes" hält Plinius für authentisch; vielleicht hatte D. Abhandlungen dieser Art wirklich geschrieben ('?), mit denen man dann die seiner Nachahmer verbunden hat. Bolus, dem u. a. auch das pseudodemokritische Buch ti. ao|XT:a\>et(üv xat avTii:aBetuiv zugeschrieben wird, scheint kein absichtlicher Fälscher gewesen zu sein, sondern sich zur Schule des D. gerechnet zu haben (vgl. Steph. Byz. BtlSXo; 6 ilr,[j,oy,piTeio;) ; er lebte spätestens zur Zeit Christi. Auf ein ähnliches Werk gehen wohl auch die demokritischen Vorschriften in den Geopouica zurück [vgl. auch die mir nicht zuge- gangene Collection des ancieus alchimistes grecs par Berthelot et C. E. Ruelle B. I Paris 1888]. Diesem Versuche des französischen Chemikers , in dem Wüste der unter Demokrits Namen überlieferten alchimistischen und - magischen Werke gewisse Reste echt demo- kritischen Schrifttums zu entdecken, fehlt es an der rechten kritischen Methode.

Tannery giebt eine Reihe von Erklärungen zu dem pseudo- demokritischeu Traktat Pbysica et Mystica und bemerkt, daß Synesius vier alchimistische Bücher Demokiits anführt, von denen nur zwei, die über Gold und Silber, erhalten sind; dazu kommt noch ein von Synesius nicht gekanntes 5. Buch Demokrits, das dem Leukipp zugeeignet ist.

Viel besonnener als Berthelot verfährt Gern oll. Er geht (S. 107 i27) sämtliche Stellen der Geoponica durch, die dem D. bei- gelegt werden oder in denen er erwähnt wird, und legt dar, daß Mullachs (8. 150 &.) Beweise für den demokritiscben Ursprung von 13 Stellen auf sehr schwachen Füßen stehen. G. selbst nimmt mit Meyer Gesch. d. Botanik S. 17 ff. an, daß das -/eoip^ix^v ebenso wie die Schrift ir. (Jv-nraOÄv oder ir. oüixuaOeiuiv xat avTiTtai^eiüiv , aus der wohl ein Teil der Stellen in den Geop. stammt, ein Machwerk des Bolos sei, das wahrscheinlich einen Teil von dessen 67iO|xvT][xcxTa gebildet habe. Auch glaubt er, daß die Geop. nicht aus der Schrift des D. r. JU1X-. X. dvTiT:. , sondern aus der des Neptualius [s. jedoch zu No 384] TT. TüJv xat dvn'raöeiav xat aufiTtdöetav geschöpft haben. Da das pseudodemokritische -^ccop-ftxov nach Laert, nicht melir erwähnt wird, so ist es vermutlich in ein Geopouicorum corpus aufgenommen worden.

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wohl dasselbe wie das des Anatolius. Anf dieses würden dann sämtliche dem D. in den Geop, zugeschriebenen Stellen zurückgehen.

Zu einem nicht wesentlich verschiedenen p]rgebnis gelangt Oder in seiner trefflichen Untersuchung, obwohl er die Methode Gemolls für verfehlt erklärt. Unter den zahlreichen Qnellen- schriftstellern, die Anatolius, die nächste Quelle der Geop. (su anch Gemoll) benutzt hat (doch schöpft er seine Kenntnis Demokrits nicht unmittelbar aus diesem, sondern aus Apuleius und Africanus), wird D. im Texte am häufigsten angeführt und zwar in 21 Eklogen. In diesen sind dem Inhalte nach zu unterscheiden: a) Astrologisches;

b) mystisch-magische Mittel auf grund von Sympathie und Antipathie;

c) Veterinärkunde; d) Landwirtschaftliches. Gruppe b geht auf Ps.- Demokrits Buch tt. oufjnr. x. »vtitt. zurück. Ekl. XV 1 deckt sich mit den Bruchstücken zweier von Gemoll Striegau 1884 herausgegebenen Traktate über denselben Gegenstand. Der Verf. des ersten ist nach Haupts (Opusc. III 279) glänzender Emendation nicht Neptualius, sondern Neptunianus, wahrscheinlich ein Zeitgenosse Tatians, der des zweiten scheint ein Fälscher unter Demokrits Flagge zu sein, obwohl dem Traktate Demokrits Name auch nur als Vermutung eines Späteren hinzugefügt sein kann. Das Sympathiebuch wird dem D. bereits im Altertum einstimmig von allen Kritikern abgesprochen, und bei Thrasyll fehlt es gänzlich. Wenn dieser andere unzweifelhaft gefälschte Schriften vne die yetpoxpLYjTa -q TrpoßX%aTa in seinen Katalog aufgenommen hat (die ÖTrOfjLVTjfxaTa rjB^txot, zu denen die yeipoxfjLY)Ta gehörten, bestanden wohl nicht aus 9, sondern aus 10 Spezialschriften, da man zu den 9 von Thrasyll aufgezählten die u7ro[j.vrjfi,aTa noch als besonderes Buch hinzu- nehmen muß [?]), so erkannte doch auch er unechte Bücher Demokrits als solche an; vgl. die Schlußbemerkung des Verzeichnisses Laert. IX 49 wo in der Wendung xa oo^ioii 6|j.oXo-cou[x£vcuc ejtIv aXXorpta zu liegen scheint, daß er selbst angezweifelte Schriften seinem Kataloge eingereiht hat. Die Notiz bei Suidas , die dem D. nur den fxs-j-a; oiaxoa!J.oc und Tcepl cpujcio? xojjjlou als echt läßt, hätte Rhode nicht ernst nehmen sollen; es war dies ein arger Streich eines „Spaß- vogels". — 0. vermutet dann, daß es Kallimachos war, der den Bolos als Fälscher demokritischer Schriften ermittelt hat und zwar in den von Suidas erwähnten Tzi\ak xcSv AifjixoxpiTou -[■Xwaocuv xal ouvTa7}jLaTa)v. Die meisten Citate aus D. in den Eklogen können auf das von Thrasyll ange- führte Buch tt. 7£tup7tY]c t) 7e(üp7ixov zurückgehen, das aber ebensowenig echt war wie das über Sympathie und Antipathie. Höchstens könnte einiges Echte aus Demokrits Schriften darin gewesen sein, das dann nach Thrasylls Ausdruck ex xcüv auxou oiscxeucstaxai. Daß auch dieses Bach als ein Erzeugnis des Bolos angesehen wurde, scheint aus Colu-

Bericht über die griecbisclien Philosophen vor Sokrates, (Lortzing.) 127

mellii XI 3, 2 hervorznaehcn. Zu der üderschen Abh. bemerkt Diels Arch. IV 118, da Bolos auch als Pythag-oreer bezeichnet werde, dürfe man vielleicht auch bei der pythagoreischen Litteratnr, die unter Deniokrits Flagge segelte, au ihn denken. Vgl. auch den von Oder bearbeiteten 25. Abschnitt in Suseraihls Gesch. d. gr. Litt, in dor Alexandrinerzeit I (Leipzig 1891) S. 835 f.

h) Zu Demokrits Fragmenten.

385. P. Xatorp, Die f]thika des Deniokritos. Text und Unter- suchungen. Marburg, Ehvert 1893. VII, 198 S. 8.

386. Demokrits ethische Fragmente ins Deutsche übertragen von K. Vorländer. Ztschr. f. Philos. 107 (1896), S. 253—272.

387. A. Ammon, Der Philosoph Dem. als Stilist. Xenien, der 41. Philologenvers, dargeboten vom hist.-philol. Verein. München, Lindl, 1891. S. 3—11.

388. P. Thomas, Zu Demokrit Fr. 103 (Stob. fl. ed. Mein IV p. 160j. Rev. de l'instr. pnbl. en Belg. 31 (1888) S. 231.

389. H. Useuer, Variae lectionis specinien primum. Jahrb. f. kl. Ph. 139 (1889) S. 369—397.

390. S. Mekler, Lucubrationum criticarum capita quinque. Sep.- Abdr. aus dem Jahresb. d. Obergymnasiums im XIX. Bezirke Wiens. 1894/95. 18 S. gr. 8.

Natorps Ethika sind in doppelter Hinsicht für die Demokrit- forschuu^ von großer Bedeutung. Bis dahin hatte es sowohl an einer gründlichen Untersuchung der Ethik Demokrits vi^ie auch an einer den heutigen Anforderungen der Wissenschaft einigermaßen entsprechenden Ausgabe der ethischen Fragmente gefehlt. Diese Lücke ausgefüllt zu haben ist Natorps Verdienst. Der 1. Hauptabschnitt enthält: a) das Verzeichnis der ethischen Schriften bei Laert.; b) die Doxographie über das TtXoz des D. und seine Schule; c) die Sammlung der Fragmente. Die Neubearbeitung des Textes ist zwar nicht frei von Mängeln, aber sie läßt die MuUachsche weit hinter sich und ist sicherlich dazu an- gethan, einer künftigen abschließenden Rezension als Grundlage zu dienen. Für die in der psendodemokratischen Sammlung enthaltenen Brnchstücke hat N. den cod. Palat. 356 neu verglichen, ohne freilich daraus erheblichen Gewinn zu ziehen. Was die bei Stob, über- lieferten Fragmente anbetrifft, so bot N. für die sogen. Eklogeu Wachs- maths Ausgabe einen gereinigten Text, während er für das sogen. Florilegium auf die unzureichenden Ausgaben von Gaisford und Meineke angewiesen war. Leider ist Natorps Verfahren iu der Auswahl der

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kritischen Anmerkungen sehr ungleichmäßig; während bei manchen Fragmenten geringfügige Abweichungen unter dem Strich erwähnt werden, fehlt anderwärts, selbst bei erheblichen Änderungen, jede kritische Note. Neu hinzugekommen sind 7 bei Mull, fehlende Bruchstücke, von denen 5 mit Recht Aufnahme gefunden haben: 12 (aus Laert. 1X45'), 29 (s. meine Abh. S. 25), 37 a = fr. var. arg. 8 MuH., 120 (aus Seneca), das sich von 211 hinreichend unterscheidet, um als selbständiges Fragment zu gelten, und 184 = fr. spur. 5 Mull., das N. nach meinem Vorgange wieder in eein Recht eingesetzt hat. Sehr zweifelhaft da- gegen erscheinen mir Fr. 3, ein stark stoisch gefärbter Bericht des Diotimos über Demokrits ethisches Prinzip, und das auf grund einer unsicheren Vermutung Ritters und Useners (Epic. S. 118, 19) aufgenommene Fr. 86 a. Der Sammlung der Fragmente sind zwei Anhänge beigegeben. Der erste handelt über den Dialekt der Frag- mente und enthält eine ziemlich erschöpfende Zusammenstellung der Be- sonderheiten dieses Dialekts auf dem Gebiete der Laut- und Formen- lehre. N. hat mit dieser Übersicht einen guten Grund zu einer Darstellung des demokritischen Dialekts gelegt; aber es ist freilich nur ein Anfang. Nicht allein, daß manche Einzelheiten noch einer genaueren Feststellung bedürfen, es steht auch noch eine Untersuchung der lexi- kalischen und syntaktischen Eigentümlichkeiten Demokrits aus. Sehr wichtig, auch für die Frage der Echtheit, wäre eine Sammlung der, wie es scheint, ziemlich zahlreichen ai:a$ Xs-j'o'fjLsva oder selten vorkommen- den "Wörter und der D. eigentümlichen Wendungen. Eine treffliche Unterlage für solche Untersuchungen würde das den zweiten Anhang bildende Wortregister bieten, das mit großer Sorgfalt angelegt ist. Der zweite Hauptabschnitt bringt „Untersuchungen über die Ethik des D. und ihre Fortwirkung in der philosophischen Ethik der Griechen". Im 1. Kap.: „Die Überlieferung des D." wird zunächst auf die Gleichartig- keit der doxographischen und auf die Güte ihrer gemeinsamen Quelle hinge- wiesen. Die doxographische Tradition steht aber mit den überlieferten Fragmenten im Einklang und hat ihren Ursprung wahrscheinlich in den- selben ethischen Schriften des D., aus denen die ältere von Stob, und von Ps.-Dem. benutzte Spruchsammlung geflossen ist. Über die Zahl und Beschaffenheit dieser ethischen Schriften stimmt N. im wesentlichen meiner Auffassung bei. Sehr unsicher dagegen erscheint mir die Annahme Natorps, die uTToörjxat seien identisch mit der TpiT07£V£tTf) des Thrasyllschen Ver- zeichnisses, die nach den in den Iliasscholien zur Erklärung ihres Titels angeführten drei Kategorien: eu XoYiCsaSai, xaXüic Xe^st"^ und opOwc TcpatTstv geordnet gewesen sei. Das letztere könnte selbst dann nicht mit Sicherheit behauptet werden, wenn der Titel und die Deutung wirklich von D. herrührten (s. Zeller 930, 4). Was N. S. 59 f. über das Ver-

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hältnis der Gnomen des sog. Demokrates zu der Sammlang ex xwv JLT)|jLoxpt-ou 'IjoxpaTouc 'ErixTr^Tou (vgl. Sehen kl Sitz.-B. d. Wiener Ak. B. 105, 465 ff. und desselben Ausgabe des Epiktet) sowie über die Wertlosigkeit dieser Sammlung und der späteren Gnomologien tlber- hanpt, die alle aus einer gemeinsamen, am besten durch das Gnomol. Parisiuum repiäsentierten Quelle stammen, an der Hand von Mitteilungen Elters ausgeführt hat, ist durchaus zutreffend.') Am Schlüsse dieses Kap. bespricht X. das Verliältnis unserer Fragmente zu den älteren Elegikern und lambographen, Demokrits Vorgängern in der ethischen Reflexion. Hierbei stellen sich besonders zahlreiche Beziehungen zu Theognis heraus, aber auch zu Selon, Archilochos, Simonides v. Amor- gos u. a. Diese Beziehungen sind zum Teil polemischer Art; aber noch häufiger knüpft D. an seine Vorgänger direkt an, wie in den Be- trachtungen über Reichtum und Armut, über Erziehung, über die Not- wendigkeit des Maßes im Handeln. Mit Recht sieht X. in diesen Übereinstimmungen eine der Stützen für die Echtheit unserer Frag- mente. — Das 2. Kapitel: „Über die Form der Demokritgnomen" enthält einen wertvollen Beitrag zur Stilanalyse. Es werden zunächst die verschiedenen Formen, in denen sich die ethische Reflexion bewegt, besprochen, und es wird dargethan, daß sich die einfachen Grundformen der bloß thatsächlichen- Beobachtung, des Werturteils und, wenn auch viel seltener, der direkten Paränese im ganzen gleichmäßig wiederholen. Eine besondere Eigentümlichkeit des D. ist es, daß er seinen sittlichen Urteilen eine möglichst abstrakte Gestalt verleiht, während er anderer- seits wieder eine starke Neigung zeigt, das Abstrakte des Gedankens durch Personifikation oder sachliche Veranschaulichung konkret zu machen. Es schließen sich hieran einige weitere Beobachtungen, von denen wir nur die folgende erwähnen. Wenn sich auch bei D. genug Antithesen finden, so hält er sich doch von einem künstlichen Parallelismus fast durchweg frei , ja ia manchen Fragmenten ist die strenge Entsprechung der Glieder wie absichtlich vermieden worden, oder sie ist bloßer Schein. Eine Ergänzung dieser Beob- achtungen bieten die dem Buche als Anhang (S. 180 ff.) beigegebenen Untersuchungen Birts „über den Stil der Ethika". B. weist nach, daß D. die Kola mit Vorliebe rhythmisch gestaltet und dabei abweichend von der verfeinerten Rhetorik eines Isokrates und Demosthenes gerade die der gemeinen Metrik angehörenden Versfüße gehäuft hat. Besonders bevorzugt werden der Daktylus und Anapäst; fast gleich häufig treteu

*j Ein näheres Eingehf>n auf die Ergebnisse der inzwischen weiter- geführten umfassenden Untersuchungen Elters über die griechische Gnomologienütteratur behalten wir uns für d^n nächsten Jahresbericht vor. Jahrfisbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. T.) 9

130 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

iambischeund trochäische Kola auf, daneben auch nicht selten logaödische Kola und Cretici. Daß hier nicht Zufall, sondern Absicht herrscht» beweist die Häufigkeit der Belege sowie der Umstand, daß in einzelnen Fällen offenbar dem Rhythmus zuliebe die Wortstellung verschränkt worden ist. Demokrits Rede nähert sich dadurch oft der strophenlosen Lyrik und wird dithyrambisch. Eine Parallele hierzu bieten die von Piaton als gorgianisch gekennzeichnete Rede des Agathon im Symposion, der pseudolysianische Epitaphios und besonders die auch im Inhalt mehrfach an D. anklingende pseudoisokratische Schrift an Demonikos. Birts Verfahi-en unterscheidet sich von ähnlichen Versuchen, wie sie z. B. Blaß mit Demosthenes und mit Aristoteles' 'Aör^vattuv TroXtrsia an- gestellt hat, vorteilhaft dadurch, daß die rhythmischen Kola aus dem überlieferten Texte meist ungesucht und ohne jede Änderung gewonnen werden. Mag man im einzelnen gegen seine Konstruktion manches einwenden, so macht doch die Fülle der unverdächtigen Belege den Eindruck, daß es sich hier nicht um eine rein zufällige Erscheinung handelt. Bemerkenswert ist auch, daß sich bei Herodot, wie B. hervor- hebt, und bei Heraklit, wie ich auf grund genauer Prüfung hinzufügen kann, rhythmische Kola nur ganz vereinzelt herstellen lassen. Auf einen Widerspruch in der Beurteilung des demo kritischen Stils zwischen Natorp und Birt macht K. Vorländer in seiner Besprechung der „Ethika" (Ztschr. f. Philol. 106 [1895], 285 ff.) aufmerksam: N. betont S. 85 ff. die Naivetät des Schreibers, die Abneigung gegen alle Rhetoren- künste, während Birt S. 180 von einer gewissen Durchdachtheit redet (vgl. S. 187: „Staffel der gorgianischen Halbkunst"), Gregen Natorps Auffassung erklärt sich Di eis in seiner Rezension (D. L.-Z. 14 [1893], 1288 ff.): D. sei so wenig naiv, daß er vielmehr die ionische Kunst abschließe wie etwa Piaton die attische. Vgl. auch Ammon (No. 387). Zu dem von Birt S. 185 in Fr. 79 bemerkten Spiele mit Parono- masien weist Diels auf Heraklit Fr. 91 hin, das von D. nachgeahmt worden sei.

Im 3. Kap. „Grundzüge der Ethik des D. nach der Über- lieferung" wird zunächst das Prinzip der demokritischen Ethik be- handelt. D. geht von der Erscheinung der Lust und Unlust als dem Nächstgegebenen aus, gelaugt aber von dieser Grundlage aus nicht, wie die Kyrenaiker und Epikur, zum Hedouismus, sondern erhebt zum Prinzip die Euthymie, die nicht aus der Lust an sich, sondern aus der Begrenzung und Unterscheidung der Lüste entsteht. Nur die Lust am Guten erscheint ihm wahrhaft erstrebenswert, die sinnliche Lust da- gegen unwahr; ja in Fr. 6 wird geradezu das d^a^ov dem dXTjfte« ent- gegengesetzt und als das stets sich gleich bleibende dem je nach der Individualität der Menschen wechselnden rjö-j entgegengestellt. Diese

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Auffassung steht mit Demokrits erkenntuistheoretisclier Unterscheidung der 7V7]cjiTi und axo-iT) 7vcu|i.r) im besten Einklänge. Daher riiamt er auch den Gütern der Seele den eutschiedonen Vorzug vor denen des Leibes ein und macht die Seele für das Wohl des Leibes verantwort- lich. Das eigentliche Uuterscheidungsprinzip für unser Handeln aber ist nach D. die «ppo'vTjaic. In den Fragmenten erscheint daher mehrfach die Erkenntnis der "Weisheit als das höchste Gut und wird mit der a9a|xßiT) (= £'ji)u[xiT)) in engste Verbindung gesetzt. Ja in Fr. 36 wird geradezu als höchste Lust die Theorie gepriesen. Man sieht daraus, daß D. wie Piaton die Erkenntnis als die eigentümliche Kiaft der Seele gedacht hat. Bei dieser Höhe der sittlichen Auffassung ist es nicht zu verwundern, wenn er den Kern des Sittlichen nicht io äußerem Thun, sondern im Innern des Bewußtseins, in der Gesinnung sucht, und wenn sich bei ihm so reine und erhabene Aussprüche finden wie der, daß man der eigenen Seele zum Gesetze machen müsse, nichts Unrechtes zu thun (Fr. 43), und der andere: 6 dSixewv toü dotxouixevou xaxoSatpLo- veatepo; (Fr. 48), von denen der zweite ganz platonisch lautet. Negativ gefaßt bedeutet die demokritische Euthymie die Freiheit von der Un- ruhe der Begierden und Leidenschaften, die drapa^ty). Doch verfällt D. dabei nie in das Extrem der skeptischen Apathie oder Adiaphorie-, er fordert nicht Unterdrückung, sondern Beherrschung der sinnlichen Triebe und ihre UuterwerfuLg unter Norm und Gesetz, das ijov und {xerpiov im Gegensatz zur GirepßoXTQ und l'XXet^j^i«, die ap{j.oviT) und ^ujxjxs- Tpi'r). Er bekämpft daher entschieden jedes Unmaß und empfiehlt ein- dringlich Enthaltsamkeit und Selbstbeheiischung. Diese aus einem ein- heitlichen Grundgedanken hervorgegangene Ethik, die trotz ihrer idealen Zuspitzung doch mit dem Ganzen des Systems und zwar nicht nur mit der Erkenntnislehre, sondern auch mit der Physik zusammenstimmt, darf man nicht mit Zeller (935) nur als „eine Reihe vereinzelter Beob- achtungen und Vorschriften* betrachten, sie zeigt vielmehr ein ent- schieden systematisches Gepräge, wenn sie sich auch nicht in der Form eines strengen Beweiseanges bewegt. Auch im zweiten Teil der Frag- mente (von 99 an), der nach N. der Schritt Tpixo-feveiVj entstammt und demgemäß nach den drei S. 128 angegebenen Kategorien geordnet worden ist, fügen sich die einzelnen „Regeln der Lebenskunst", obwohl mit dem Prinzip nur in einem losen Zusammenhange stehend , in ein einfaches System, das einen bestimmten Kreis von Fiagen umspannt. Weitaus am zahlreichsten sind die das dpdw; TTpatTstv betreffenden Aussprüche; sie entiialteu außer einigen Sätzen allgemeinerer Art eine spezielle Pflichttnlehie, die mit den Pflichten des öffentlichen Lebens beginnt, und sich dann zu denen des Privatlebens wendend nach einander die Familie, die Erziehung, die Jugend, das Alter, die Freundschaft und

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die Unigangspflichten behandelt. Es ist N. gelungen, im großen und ganzen in den überlieferten Fragmenten einen einheitlichen Charakter und inneren Zusammenhang sowie eine trotz des materialistischen Prinzips unverkennbare Hoheit der sittlichen Anschauung nachzuweisen, die uns bei einem vorplatonischen Philosophen in Erstaunen setzen müssen. Es fragt sich aber, ob die von N. entworfene Zeichnung in allen ihren Zügen, ja ob sie auch nur in ihren Grundlinien völlig zutrifft. Zu- nächst scheint mir N. zu weit zu gehen, wenn er auf grund einzelner Fragmente, deren Zusammenhang uns unbekannt ist, die Ethik Demo- krits, wenigstens in ihrem Endergebnis, mit dem Idealismus Piatons fast völlig znsammenfallen läßt. Wo bleibt da die doch unleugbar hedoni- stische Giundlage, die in Fr. 1 und 2 so unzweideutig ausgesprochen wird? In der That kommt in den längeren, mehr argumentieren- den Bruchstücken die Begründung der sittlichen Vorschriften meist darauf hinaus, daß uns das rechte Handeln vor der Unlust und den Unannehmlichkeiten, die mit dem unrechten Handeln verbunden sind, bewahrt und uns größere Lust gewährt; vgl. Fr. 47, 52, 53, 130, 163, 203 und ganz besonders 178 und 180 182. Dies ist eine Auffassung des Sittlichen, die sich von der platonischen wesentlich unterscheidet. Auf der andern Seite ist nicht zu leugnen, daß D, das Übermaß der Lust bekänipft und der geistigen Lust vor den sinnlichen Lüsten den Vorzug giebt, ja manche von diesen, wie den LiebesgenuG, fast zu verwerfen scheint. Auch ist allem Anscheine nach diese Unterscheidung nicht erst das Schlußergebnis seiner ethischen Betrachtungen, sondern von vornherein schon in der Grundlegung der Lehre enthalten gewesen und hat auch in den von ihm für die Lustgefühle angewandten Bezeich- nungen ihren sprachlichen Ausdruck gefunden. Schon vor langer Zeit hat sich mir die Beobachtung aufgedrängt, daß bei D. -fjoovr^ (Gegen- satz XuTUTQ, ötr^oiVj), fjoaoöat, rß6 entweder die Lust im allgemeinen oder wie in Fr. 63, 157, 220 die niedere Lust im besonderen bedeutet, während der in den grundlegenden Frr. 1 und 2 gebrauchte Terminus T£ptj>ic (Gegensatz a-:zpru-t]) sowie -IpTrstv, Tcpitsjöai, rspjrvov, eTiiTcpriQ? (Gegensatz dxepTzr,?) fast nur da vorkommen, wo von der höheren Lust die Rede ist und nur zweimal (53 und 56) gleichbedeutend mit i^Bo^ri erscheinen. Hiernach wäre also T£p'|i? der technische Ausdruck für die geistige Lust, nicht, wie N. S. 98 annimmt, yapr^, das sich nur einmal (47, sonst nur noch yaipstv 61 und 220) findet. Durch die Darlegung der Grundzüge von Demokrits Ethik soll zugleich die Eeihenfolge der Fragmente in der Natorpschen Sammlung gerechtfertigt werden. Sicher- lich liegen diese bei X. in einer klaren und verständigen Anordnung vor, die sich von der wirren Zusammenstellung bei Mullach vorteilhaft ausnimmt. Ob indes in dieser neuen Gestalt die ursprüngliche Gliede-

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rung auch nur aunähernd wiedergegeben ist, bleibt sehr zn bezweifeln. Das oben ausgesprochene Bedenken gegen die Ansicht Natorps über die Dreiteilung der TptTOYeveiTj wird dadurch verstärkt, daß in der vorliegen- den Rekonstruktion die Kubrik suXoYiI^e^ftai sowie der Abschnitt, der das ^pBüi; rpaT-retv im allgemeinen behandelt, sehr dürftig bedacht sind. Diese Ausstellungen berühren jedoch das wesentliche Ergebnis der bisherigen Untersuchung nicht, wonach die ethischen Fragmente sprach- lich wie inhaltlich ein einheitliches und so eigentümliches Gepräge tragen, wie es ein Fälscher ihnen nie hätte verleihen können, und da- her als ursprüngliches Eigentum des Abderiten zu betrachten sind. Eine weitere starke Stütze erhält dieses Ergebnis durch die Vergleichung mit späteren Systemen, die die letzten fünf Kapitel ausfüllt. N. zeigt zunächst, daß die „Abderiten" des Clemens (Strom. II 21), Heka- taios, Nansiphanes, Diotimos und Apollodotos in ihren ethischen Prin- zipien sämtlich auf die Grundlehre des D. zurückgehen, und geht dann auf das Verhältnis Epikurs, Aristipps, der Skeptiker (Timon und Aine- sidemos) und schließlich Piatons zur demokritiscben Ethik ein. Wir haben bereits oben (S. 116 vgl. S. 112 ff.) das Wesentliche aus diesen Unter- suchungen angeführt und dem Verfasser darin zugestimmt, daß namentlich bei Epikur und zum Teil auch bei Aristipp eine stärkere Anlehnung an D. zu erkennen ist, als man bisher geglaubt hatte (bei den Skeptikern ist eine solche Abhängigkeit kaum bestritten worden); nur bei Piaton schienen uns die zahlreichen Anspielungen auf die Sittenlehre des Ab- deriten, die N. aufgefunden zn haben glaubt, unerweislich und eine innerliche Abhängigkeit von dieser Lehre vollends unwahrscheinlich. Nimmt man zu diesen schwerwiegenden Beweisen noch die neuerdings aufgefundene direkte Erwähnung der e'jttufxia bei Epikur hinzu (s.o. S. 114 f.), so erscheint uns ein etwaiger Zweifel an der Echtheit der uns über- lieferten Ethika Demokrits (s. S. 121) nunmehr völlig ausgeschlossen. Dies gilt natürlich nur von der Hauptmasse der Fragmente. Daß sich N. bei der Entscheidung über die Echtheit einzelner Fragmente skep- tischer hätte verhalten sollen, ist bereits S. 128 bemerkt worden. Wenn aber Di eis (a. a. 0.) behauptet, die abderitische Schule sei im 4. Jahr- hundert reich an ethischer Produktion gewesen, und die Art der Schul- überlieferung mache eine Scheidung der einzelnen Autoren aussichtslos, so soll die Möglichkeit, daß die Sammlung der ethischen Aussprüche Demokrits durch einzelne Zusätze seiner Schüler bereichert worden sei, nicht bestritten werden; aber die weitaus größte Zahl der Fragmente verrät doch einen so individuellen und einheitlichen Charakter, daß sie nur dem Geiste des einen D. entsprungen sein kann. Vergleiche außer den schon angeführten Besprechungen von Diels und Vorländer die von R. Ausfeld N. Philol. Rundsch. 1894 No. 22, G. v. Hertling Philos,

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Jahrb. der Görresgesellsch. 1896, 70 ff., E. Wellmann Arch. VIII 296 ff. sowie meine Rezension Berl. Ph. W.-Schr. 1894, 936 ff. und 993 ff. Vor länders Übersetzung, die sich mit geringen Ausnahmen an Natorps Text anschließt, ist mit großer Gewandtheit geschrieben und hält im allgemeinen die rechte Mitte zwischen Worttreue und einem guten, lesbaren Deutsch.

Ammon beginnt mit einer Anführung der Äußerungen der Alten, in denen die Meisterschaft des D. in der Sprache gerühmt wird. Ciceros Urteil, der ihm d. or. I 49 ornatus orationis zuschreibt und ihn or. 67 mit Piaton wegen seiner der Poesie verwandten Diktion zusammenstellt, wird durch Dionys. d. comp. verb. c. 24 S. 372 Seh. bestätigt, wo D. mit Piaton und Aristot. als Verti'eter der xotv^ dpjjLovia, der zwischen der aujxr-jpa und ^Xatpupoc in der Mitte stehenden Wortfügung, zusammen- gestellt wird. Auch in dem Abschnitt über die gegenseitige Annäherung der Poesie und Prosa bei Dionys. c. 25 S. 382 ist unter den aXXot xe ttoXXoi -wahrscheinlich auch D. zu verstehen. Es liegt am nächsten, als Quelle dieser übereinstimmenden Urteile Theophr. anzunehmen. Ein Beweis dafür, daß das musikalische Element in Demokrits Sprache nicht zu- fällig, sondern beabsichtigt war, ist die fünfte, die Moujtxa enthaltende Abteilung des Thrassyllschen Verzeichnisses seiner Schriften, in dem u. a. die Aussprache (opöoeTieiY)) und die Schönheit der Wörter (diese, nicht die Schönheit der Epen ist mit tt. xkXXogüvyi? ettsojv gemeint) be- handelt wird. Die beiden letzten Titel sind zu einem zusammenzu- fassen und so zu lesen: tc. pyjixaTüJV xai ovofxaxtuv oder ovofi.aTix(J5v (vulgo ir. p. ovo[xaaTix6v, cod. B ovoixaatixoiv). Auch die übrigen vier Titel lassen sich auf das Musikalische in der Sprache beziehen. Der ge- rühmte Wohlklang und Rhythmus in den Schriften Demokrits ist daher wohl als eine Frucht seiner Forschungen anzusehen. Auf eine ge- nauere stilistische Analyse der Fragmente läßt sich A. nicht ein; er begnügt sich mit einigen kurzen Bemerkungen über die zahlreichen Metaphern in fr. phys. 10, die bewegten Rhythmen in fr. ph. 1 und 2 und die kunstvolle Gliederung (Ttspt'oooc noXuxcuXoc) von fr. ph. 4. Vgl. den Bericht von E. Wellmann Arch. VI 271 f.

Thomas ergänzt Fr. 123 N.=103 M. bei Stob, so: nuXXol opuivTSS <ep7a> xa ala^^iaxa Xoi'ouc xouc ötpioxou; duxeouai. Usener verbessert S. 383 in dem auf Demokrits Erkenntnistheorie bezüglichen Passus bei Sext. math. VII 135 oxe }i.ev st. oxi [lev (Gegensatz ev 6e xoi? Kpaxuvxr]piotf § 136) und ebd. § 137 xpi'vsi st. xivei. Das demokritische Wort Ixe-^j stellt er in einer Stelle des Oenomaos bei Euseb. pr. ev. V 27, 3 für El 6e ^e oi her und vermutet dasselbe auch bei Farmen. 1,3: rj xaxa Tiavx'exsTJ (st. Tiravxa x^) (pepsi eiöoxa (pcüxa [so schon vor ihm ßergk Ges. Abh. II 68; s. Diels Parm. S. 48]. Meklers Abb.

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enthält mehrere kritische Beitrage zu den ethischen Fragmenten. Mehrere Verbesserungsvorschläge hat auch Goraperz Beitr. zur Kritik u. El kl. griech. Schril'tst. [s. Ber. I 276] gemacht. Im III. Beitrage S. 586 f. behandelt er eine Stelle in Fr. 167, wo er statt der ver- derbten Worte ouSevi fap aXXcu eoixev r^ eauxw xov auTov e'f' exe- poi3iv -cr/väiöai vorschlägt: t^tm tov aexov et:' epttetoiji fiveaftat und so erklärt: „Das Schicksal der rechtsprechenden Obrigkeit, die durch Volkswahl und Rechenschaftspflicht von eben den Übelthätern abhängig ist, deren Schlechtigkeit sie im Zaume halten soll, wird mit jenem des königlichen Adlers verglichen, der in die Gewalt des niedrigen Gewürmes gegeben wäre." Die Konjektur ist geistvoll, aber doch nicht so evident, daß sie Gomperz Gr. D. 297 wie eine sichere Emendation verwerten durfte. Willamowitz Herakles [s. Ber. I 275] I 91 schreibt in Fr. 25 euporoj; st. suro'ptu; und I 111 in Fr. 47 xa ypf, edvxa st. ypYieovxa (Nat. ypsovxa). Derselbe führt Her. U ^8, wie in der ersten Auflage, als Spruch Demokrits einen hippokratischen vofAo? an und bemerkt auf eine Anfrage von Gomperz, er habe den Spruch in seinem Handexemplar des Ilippokrates ebenso wie den bei Hippokr. vorhergehenden als demokritisch notiert, wahrscheinlich aus Plutarch, könne aber die Stelle nicht wiederfinden.

Diels Atacta [s. Ber. I 276] Herm. 13 S. 1 ff., No. 5 bemerkt daß die Mitteilung bei Aet. IV 4, 7 und 9, 20, D. habe auch den Toten noch eine gewisse sinnliche "Wahrnehmung zugeschrieben, trotz der Leugnuug Ciceros Tusc. I 82 durch folgende Stelle aus Tertullian d. an. c. 51 (nach Sorau) bestätigt werde: ad hoc et Dem. crementa unguium et comarum in sepulturis aliquanti temporls (wofür nach D. viel- leicht zu lesen ist: in sepultis aliquantura temporis) denotat.

c) Zur Lehre Demokrits.

391. K. Modritzki, Die atomistische Philosophie des Demokritos in ihrem Zusammenhange mit fiüheren philosophischen Systemen. Progr. d. Stadtgym. zu Stettin. 1891.

392. A. Brieger, Die Urbewegung der Atome und die Welt- entstehung bei Leucipp und Demokrit. Progr. d. Stadtgym. zu Halle a/S. 1884.

393. H. K. Liepmann, Die Mechanik der Leucipp-Demokritschen Atome unter Berücksichtigung der Frage nach dem Ursprung der- selben. Leipzig, G. Fock, 1886 (ursprünglich als Doktordiss. Berlin 1885 erschienen).

394. A. Goedekemeyer, Epikurs Verhältnis zu Demokrit in der Naturphilosophie. Strassburg, Trübner, 1897.

136 -Öericht über die griechischea Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

395. Löwenheim, Der Einfluß Demokiits auf Galilei. Arcb. f. G. d. Ph. VII (1894) S. 230—268.

396. G. Hart, Zur Seelen- und Erkeuntnislehre des D. Leipzig 1886.

397. P, Natorp, Über Demokrits yvtjjiy) Yviupiir). Arch. f. G. d. Ph. 1 (1888) S. 348-356.

398. V. Brochard, Protagoras et D6niocrite. Arch. f. G. d. Ph. II (1889) S. 368-378.

399. R. Bobba, La jeitatura secondo Democrito. ßiv. di filosofia scientifica VI (1887) S. 111 f.

400. F. Kern, Über D. von Abdera und die Anfänge der griechischen Moralphilosophie. Zschr. f. Philos. Ergänzungsheft 1880. S. 1-26.

*401. Schanz, Die Atomistik und die christliche Religions- philosophie. Theolog. Quartalsschr. Tübingen 1891. S. 412 454.

Modritzkis Arbeit nennt E. Wellmann im Arch. VI 272 mit Recht eine wertlose Kompilation. M. hat nur einige moderne Dar- stellungen benutzt, besonders die von Ritter, an dessen zum Teil ganz veraltete Auffassung er sich eng anschließt, und außerdem Zeller (in der 3. Aufl.!). Das Ganze enthält kaum ein eigenes "Wort, geschweige denn einen eigenen Gedanken des Verfassers.

Für die Kosmogouie der Atomiker sind wir, abgesehen von den leider nur sehr allgemein gehalteneu Bemerkungen des Aristot., auf die kurze Darstellung der leukippischen Kosmogonie bei Laert. angewiesen. Es war daher eine besonders schwierige Aufgabe, der sich Brieger iu der Abh. No 392 unterzog; um so mehr ist es anzuerkennen, daß es ihm gelungen ist, durch eine scharfsinnige Untersuchung über die richtige Auffassung der Bewegung der Atome ein neues Licht zu ver- breiten. B. unterscheidet scharf zwischen der vor- und außerwelt- lichen und der kosmogonischen Bewegung der Ürkörper. Jene findet gleichzeitig mit dieser statt. Die an Gesamtmasse und an Zahl unend- lichen Atome tummeln sich in dem weltenleeren Teile des unendlichen Raumes. Unter diesem Getümmel (oivouixeva; bei Laert IX 44) ist aber nicht eine dem welterzeugenden öivo? gleiche, einheitliche Wirbel- bewegung des gesamten Atomenheeres zu verstehen, sondern ein wirres Durcheiuanderfliegen nach verschiedenen Richtungen. Diese Bewegung steht im geraden Widerspruche zu der von Zeller angenommenen ur- sprünglich senkrechten Bewegung der Atome, deieu Ursache die Schwere ist, und aus der sich die Wirbelbewegung erst erzeugt. Allerdings leugnet auch B. im Hinblick auf die unzweideutigen Zeugnisse des Aristot. und

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 137

Theophr. nicht, daß die Atome Deniokrits Schwere besitzen, und zwar im Verhältnis zu ihrer (irülJe oder Stoffmasse. Dagegen bestreitet er, daß die Schwere der Atome die Ursache ihrer Bewegung im Unend- lichen sei. Er legt die Wertlosigkeit der Angaben des Simplic. dar, vermutet, daß die Polemik des Aristot. (Phys. IV 8) gegen die Möglichkeit ungleich schueller Bewegung im Leeren ebenso- wenig wie die ähnliche Beweisführuug bei Lucrez II 225 ff. gegen üemokrit gerichtet sei, und entkräftet das Zeugnis des Cicero (d. fat. 23) durch den Nachweis, daß Cic. sich selbst widerspreche. Hierzu kommen mehrere Stellen, die die Stoßbewegung und nicht den senkrechten Fall als die Urbeweguug erkennen lassen, die somit nur als Wirbelbewegung oder wirres Durcheinandertliegen gedeutet werden kann. Daß sich D. bei diesem Durcheinanderfliegen die horizontale Bewegung als vor- herrschend gedacht habe, vermutet B., ohne es beweisen zu können. Unser im wesentlichen zustimmendes Urteil über diese von der früher herrschenden Auffassung völlig abweichende Hypothese Briegers soll weiter unten im Anschluß an den Bericht über die Abb. Liepmanns näher begründet werden. I;i dem zw^'ten von der Kosmogonie baudeluden Teile giebt B. an der Hand des Berichtes über Leukipp bei Laert. , den er scharfsinnig erläutert, eine zwar in manchen Einzel- heiten bestreitbare, aber in den Hauptzügen vollständige und die bis- herige Auffassung vielfach bereichernde und berichtigende Darstellung der älteren atomischen Lehre von der Entstehung, Erhaltung und Zer- störung der Welten , wobei sich manche nicht ganz unerhebliche Ab- weichungen Demokrits von seinem Lehrer herausstellen. Auf die Einzel- heiten dieser Kosmogonie kann aber hier nicht eingegangen werden. Vgl. die Rezensionen von F. Susemi hl Wschr. f. kl. Ph. II 295 f. und von Lortzing Phil. Anz. XV (1886), 578 ff.

Liepmann entwickelt über die Uibewegung der Atome eine Ansicht, die sich mit der Briegers im großen und ganzen deckt. Es ist dies um so bemerkenswerter, als der Verf. seine Arbeit in ihren Grandzügen schon vor Erscheinen der Briegerscheu vollendet hatte und erst nachtiäglich auf diese Rücksicht nehmen konnte. Auih er schreibt den Atomen eine Art von Schwere zu, ohne in dieser die treibende Kraft und das Prinzip ihrer Bewegung zu sehen; auch er betrachtet ein wirres und regelloses Durcheinanderfliegen als den ursprünglichen Zustand und sieht in dieser Urbewegung die letzte begreifbare Ursache alles Geschehens, über die die Atomiker in ihrer Welterklärung nicht hinausgingen. Dagegen weicht er von Bi'ieger ab in der Funktion, die er der Schwerkraft zuteilt. Während jener annimmt, daß die Schwere, obwohl eine reale Eigenschaft der Atome, doch für ihre Bewegung gleichgültig sei und somit völlig latent bleibe, läßt L. neben dem rein

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mechanischen Stoß und dem von der geometrischen Gestalt der Atome abhängigen Sichzusammenfinden des Gleichartigen noch ein dynamisches Moment bei der Weltbildung mitwirken, ein ßolpo;, das jedoch von jenem Triebe nach unten, der in Epikurs Kosmogonie eine wichtige Rolle spielt, wohl zu unterscheiden ist und nichts weiter bedeutet als eine passive Widerstandskraft gegen das Bewegtwerden oder ,,die von dem pusixos abhängige Reaktionsweise gegen den Wirbel". Es läßt sich nicht leugnen, daß diese Auffassung eine größere Wahrscheinlichkeit hat als die Briegers. Nur ist nicht abzusehen, warum L. die Schwere der Atome als eine rein passive bezeichnet und dadurch zu einem in sich unklaren und wesenlosen Begriffe macht (s. Zeller 876, 4), während doch nichts uns hindert, anzunehmen, daß sie auch aktiv im Stoße und Gegenstoße der Atome zur Geltung komme. Es hängt dies, mit der, wie mir scheint, unbegründeten Voraussetzung des Verf. zusammen, daß D. gemäß der bei den Griechen vorherrschenden Auffassung unter dem ßcxpo; im eigentlichen Sinne die Fallbewegung verstanden habe und zu dem Zugeständnis jener „Pseudoschwere" (S. 29) nur gedrängt worden sei, um die Schwere der zusammengesetzten Körper schon irgend- wie in den einfachen vorzubereiten (S. 60). Da es für T>. im un- endlichen Leeren kein Oben und Unten gegeben haben kann, sc darf auch bei der vor- und außerweltlichen Bewegung der Atome weder an eine Fallbewegung noch an einen den Atomen wenn auch nur latent innewohnenden Zug nach unten gedacht werden. Es wird vielmehr anzunehmen sein, daß sich nach D. die außerkosmische Schwere der getrennten Atome genau wie die kosmische der zusammengesetzten Atomgebilde in einer der Größe der Atome proportionalen Kraft der Bewegung und des Stoßes äußere, nur mit dem Unterschiede, daß sich im außei weltlichen Räume die Atome nicht nach einem bestimmten Mittelpunkte, sondern nach den verschiedensten Richtungen hin, die einen schneller, die anderen langsamer bewegen, während durch die weltbildende Kreisbewegung des oivoc und dem aus dieser sich ergeben- den „Kampf um die Mitte" (Brieger S. 19) auch der Schwerkraft eine bestimmte Richtung gegeben wird, so daß die größeren und schwereren Atome und Atomverbindungen in die Mitte des Wirbels gerissen, die leichteren nach der Peripherie gedrängt werden. Zu einer solchen Annahme hat sich Verf. freilich von vornherein den Weg dadurch ver- sperrt, daß er den oho^, der doch nur modifizierend auf die Bewegung der von ihm ergriffenen Atomenmasse einwirkt und insofern die uner- läßliche Bedingung einer Weltbildung ist, den Atomen erst die Be- thätigung ihrer verschiedenen Beschaffenheit, also auch der Schwere entlocken läßt (S. 28 und 52). Auf diese Weise erhebt er ihn nach dem Vorgange mancher alten Erklärer der Atomistik, die er selbst

Bericht über die griechischen Pliilosriphen vor Sokrates. (Lortzing.) 139

deswegen S. 64 tadelt, zu einem schöpferischen Prinzip und verfällt damit in denselben Widerspruch, dessen er Brieger zeiht, indem er den einzelnen Atomen als solchen die Schw3re zwar beilegt, dieser Kraft aber jede BedcntiUig für die außerweltliclie Beweguni,' der Atome abspricht. Übrigens macht die ganze Erörterung über die Mechanik Deraokrits den Eindruck, als ob L. allzu systematisch verfahre und sich im Gegensätze zu der Selbstbeschränkung Briegers in seinen Re- konstiuktionsvHi suchen zu weit von dem durch die Quellen Gegebenen tDtferuen. Es gilf dies besonders von den Betrachtungen über den all- gemeinen Charaktei- der demokritischen Weltanschauung, die zunächst auf der festen Grundlage der vom Verf. freilich nicht erwähnten Aus- ♦-inandersetzuntr bei Aristot. d. gen. I 8 beruhen, weiterhin sich aber in die Höhen moderner Pnilo<ophie und Terminologie verlieren. So sucht er S. 55 die angeblichen Widersprüche zwischen Demokrits Grundan- schauung und ^einer Erkläi uiig mancher einzelner Naturerscheinungen, x. B. des Verharrens der Erde im Mittelpunkte unserer Welt, durch ■den, wie er meint, in der Peison des Abderiten hervortretenden Gegen- satz des Natniforsclieis und Philosophen zu beseitigen, eine Trennung, -die für die gesamte voisokratische Philosophie unstatthaft ist. Einen ziemlich breiten Raum nimmt die Qnellenunfersuchung ein, die einzelnes Wertvolle enthält, wie den eingehenden und die Begründung Briegers vervollständigenden Na<hweis der epikureischen Herkunft der Kosmo- ^onie bei Aer. I 3; im alL-emeinen aber leidet sie an erheblichen Mängeln. L. hätte sich nicht mit der übrigens unsicheren Scheidung der Zeugnisse in die überlieferten Kosmogonien als reinste und un- mittelbarste Quelle und iiie diesen nn^i anderen uns nicht zugänglichen ■Quellen entnommenen XJi teile der Alten begnügen sollen. Es mußten vielmehr, wie dies Biieiier thut, von vornherein die Quellen nach der Zuverlässigkeit ihrer Urheber gesichtet werden. Davon aber finden sich bei L. nur vereinzelte iSpuren. Auch in der Besprechung des Textes der einzelnen Stellen vermißt mau öfter die rechte Genauigkeit und Schärfe. Näheres darüber s. in meiner Rezension B. Ph. Wschr. 188G, 1365 ff.

Die Brieger-Liepmannsche Auffassung der Urbewegung hat die unbedingte Zustimmung von Gomperz Gr. D. 269 ff., von Windel- band G. d. a. Ph. - S. 57 nnd 100 und im großen und ganzen auch <lie von Goedekomeyer (s. zu No. 394) gefunden. Dagegen hält Zell er 872 ff. an der Annahme fest, daß die ursprüngliche Bewegung ■der Atome in dem senkrechten Fall besteht, und sucht die Haltlosigkeit ■der gegnerischen Hypothese ausführlich nachzuweisen. Richtig ist, daß ■ein wirres Durcheinanderfliegen der Atome im Leeren nirgends als Lehre des D. ausdrücklich bezeugt wird; aber ebensowenig findet sich

140 Beriebt über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.;

ein direktes Zeugnis für die Fallbewegung. Auch Zeller sieht sich daher, wie seine Gegner, auf ein indirektes Beweisverfahren angewiesen: er bestreitet die Möglichkeit der von jenen aufgestellten Hypothese und. schließt aus Äußerungen des Aristot. und anderer Berichterstatter so- wie aus dem Systeme Epikurs, daß Demokrits Auffassung keine andere gewesen sein könne als die von ihm angenommene. Die Entscheidung in dem Streite hängt, wie sich aus den obigen Berichten über Briegers und Liepmanns Arbeiten ergiebt, zum guten Teil von der Frage ab, welche Bedeutung die Schwere bei D. hat. Zeller behauptet, niemand im Altertum habe unter dem [-Japo; etwas anderes verstanden als die Eigenschaft der Körper, vermöge deren sie sich nach unten bewegen, und wenn diese Bewegung auch innerhalb eines kugelförmigen Kosmos durch eine dem Mittelpunkte zustrebende Bewegung ersetzt werde, so müßten doch die Atome vermöge der ihnen innewohnenden Schwere im außerkosmischen Leeren, in der sie nichts an der Bewegung nach unten hindere, diese notwendig ausführen. Zuzugeben ist, daß alle nachsokra- tischen Philosophen unter der Schwere den Zug nach unten verstanden haben, und auch bei den nicht atomistischcn Vorsokratikern wird man, soweit sie sich überhaupt darüber ausgesprochen haben, eine gleiche Vorstellung voraussetzen müssen. Aber daraus darf nicht ohne weiteres gefolgert werden, daß auch die Atomiker eine solche Auffassung teilten. Diese unterschieden sich von den anderen Vorsokratikern darin, daß sie eine ewige, anfangslose Bewegung setzten, während ein Eniped. und Anaxag., die in der Annahme eines weltbildenden Wirbels mit den Atomikern übereinstimmten, den Urzustand der Dinge als einen ruhen- den gedacht haben. Die Atomiker war^n daher auch die einzigen, die Veranlassung hatten, zwischen einer vor- und außerweltlichen und einer innerweltlichen Bewegung zu unterscheiden. Hatten sie aber so in ihrer Auffassung von der Bewegung einen völlig neuen Gedanken in die Philosophie eingeführt, so darf man doch die Möglichkeit nicht be- streiten, daß sie sich auch in der Bestimmung der Schwere von der herrschenden Anschauung lossagten; ja bei dem engen Zusammenhange beider Begriffe muß man es für wahrscheinlich halten, daß sie den scharfen Gegensatz der außerweltlichen und innerweltlichen Bewegung auch auf die verschiedenartige Bethätigung der Schwerkraft übertrugen. Dafür, daß sie bei dieser nicht an einen Zug nach unten denken und mithin in der ursprünglichen Bewegung der Atome nicht die Fallbe- wegung erblicken konnten, hat Brieger ausschlaggebende Gründe au- geführt. Wenn endlich Zeller der Meinung ist, Epikurs Lehre von der Deklination der senkrecht fallenden Atome lasse sich nur als eine Ab- weichung von einer älteren, nicht von ihm selbst erfundenen Lehre begreifen, und diese Lehre könne nicht von einem Unbekannten, dessen

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokratcs. (Lortzing.) 141

Name uns nirgends überliefert werde, sondern nur von D. herrühren, so ist darauf zu erwidern, daß Epikur, wie in andern Punkten, so auch in diesem durch die Einwendungen des Aristot., obwohl dessen Auf- fassung auf ganz anderen Voraussetzungen beruhte als die atomistische, zu einer Abweichung von seinem Meister verleitet worden sein kann. Auch Goedekemeyer bekämpft, z. T. mit ähnlichen Gründen, die Zellersche Beweistührung. In der Auffassung der Schwere freilich steht er auf einem etwas anderen Standpunkt (S. 14 ff.). Daß dem D. die Schwere nicht wie dem Platou und Aristot. grundsätzlich mit dem Zuge nach unten zusammengefallen sei, giebt auch er zu. Den Grund dafür findet er darin, daß D. noch nicht den Begriff der natürlichen Bewegung der Körper kannte und daher auch noch nicht wie die Späteren die Schwere mit diesem Begriffe in Verbindung bringen konnte. Wo aber ein solcher Begriff fehlt, da ist nach G. auch keine einheit- liche Auffassung der Schwere zu suchen. D. faßte diese teils als Zug nach unten, teils als Gewicht; die zweite Bedeutung galt ihm insbe- sondere lür die Atome. Weil ihm die natürliche Bewegung fehlte, ver- wickelte er sich, wie Aristot. 309b 7 zeigt, in einen Widerspruch, in- dem er das Leere für die Ursache des Aufsteigeus der Körper erklärte, ohne ihm jedoch an und für sich diese Bewegung zuzuschreiben. Durch diese Eröiterung wird der Begriff der Schwere bei D. eher verdunkelt als geklärt. Man muß vielmehr, wie dies oben geschehen ist, zwischen der Bedeutung, die bei D. die Schwere ebenso wie die Bewegung im außerkosmischen Räume, und die sie innerhalb des durch den Wirbel gestalteten Kosmos hat, scharf unterscheiden; dann verschwindet auch der scheinbare Widerspruch, den Aristot. von seinem Standpunkt aus bei den Abderiten findet. Auf festerem Boden bewegt sich G. in seinen Ausführungen über die Bewegung (S. 98 ff".). liier geht er von der durch Aristot. und zum Teil durch Cicero bezeugten Ewigkeit und ür- sachlosigkeit der Atomenbeweguug aus und zeigt, daß sich damit die Annahme Zellers (882 f.), die Schwere und das Leere seien die Ursache jener Bewegung, nicht vertrage; nicht Ursache der Bewegung sei dem D. das Leere, sondern nur condicio sine qua non. Nachdem er dann Zellers Annahme einer Fallbevvegung der Atome im Leeren ungefähr mit denselben Gründen wie die oben von mir beigebrachten zurückge- wiesen hat, geht er näher auf Theophr. d. sens. § 71 ein, eine Stelle, die Brieger und Zeller fälschlich auf die Bewegung der Atome bezogen haben, während nach dem Zusammenhange nur von den verschiedeneu Arten der Siunesenipfinduugen die Rede sein kann. Auch Aristot. Phys. IV 8 hat Zeller nach G. mißverstanden, wenn er daraus schließt, die Atomisten hätten die schweren Körper im Leeren schneller fallen lassen als die leichten. Aristot. behauptet nicht, daß im Leereu

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alle Körper gleich schnell fallen müßten, sondern er sagt: im Leeren können sich die Körper weder verschieden schnell noch gleich schnell, also überhaupt nicht bewegen. Daraus läßt sich nicht ableiten, die Atomiker hätten einen ungleich schnellen Fall aller Körper im Leeren angenommen. Mit dieser, wie es scheint, richtigen Deutung der aristo- telischen Argumentation ist in der That der Zellerschen Hypothese der Boden entzogen, da nur unter der Voraussetzung einer ungleichen Be- wegung das Fallen der Atome zu einem Zusammenstoße und somit zur Bildung eines Wirbels führen konnte, und es bleibt kaum noch etwas anderes übrig, als mit Brieger und Liepmann ein wirres Durcheinander- fliegen der Atome anzunehmen. G. stimmt dann auch der Auffassung- der beiden Forscher in der Hauptsache bei, wenn er auch nicht alle ihre Gründe gelten lassen kann und insbesondere die Bezeichnung der unordentlichen Bewegung der Atome als ,Urbewegung" in dem Sinti e, wie Zeller den Fall so bezeichnet oder wie Aristot. die natürliche Be- wegung der Atome bei D. vermißt, für unzutreffend hält; man könne, streng genommen, nur von einer dem weltbildeuden Wirbel voraus- gehenden Bewegung reden [richtiger doch wohl von einer vor- und außerkosmischen].

Wir kommen nunmehr zu den Ausführungen Goedekemeyers über andere Teile des demokritischen Systems. Es liegt in der ver- schiedenen Beschaffenheit unserer Überlieferung über D. und Epikur, daß der Versuch, zweifelhafte Punkte in ihren Lehren aufzuklären, bei D. auf größere Schwierigkeiten stößt als bei Epikur. Kein Wunder daher, daß die Ergebnisse der Untersuchung des Verfassers in bezug auf jenen weniger sicher erscheinen als in' bezug auf diesen. S. 32flf. : D. weist wie später Ep. in den Vorgängen des Entstehens und Ver- gehens, des Wachsens und Abnehmens, des Wirkens und Leidens die Pinalität zurück und sieht die einzige Ursache jener Vorgänge in der dva'-fXY] und TÖyri. Die dva^xT) faßt D. doppelt auf, als eine mechanische (durch Stoß und Abprall) und als ewige und ursachlose Notwendigkeit. Diesen Begriff der Notwendigkeit wendet er nur auf solche Thatsachen an , die man gewöhnlich als zweckmäßig bezeichnet, und zwar: 1. auf die, welche zu der nicht erstmaligen Entstehung und Entwickelung des Organismus und seiner Teile gehören; 2. auf die ewige Bewegung der Atome. Beide Erscheinungen will er nicht aus dem Zweck erklären, aber auch nicht lediglich aus der mechanischen Bewegung der Atome und greift deshalb zu der seltsamen Annahme einer ewigen, ursachloseu, gleichsam über der Bewegung der Atome schwebenden Notwendigkeit: „es war früher so und muß deshalb immer ?o sein" ; 3. auf den weltbildenden und später die Gestirne bewegenden Wirbel; eine solche St'vY) muß, wie der vous des Anaxag., ohne Zweifel

Bericht über die griechisclieu Philosophoa vor Sokrates. (Lortzing.) ]4;j

als zweckmäßig- betiachtet werden (?). Von diesen drei Bedentuugeu hat Ep. nun die erste, die man als „transeunt (so!)" bezeichnen kann, übernommen, während er an die Stelle der beiden anderen zwei immanente Ursachen setzt: die Schwere der Atome nnd das Naturgesetz. Noch bedeutender ist der Unterschied in der Auffassung der Tu-/ri bei beiden Pliilosopheu. Wenn man Aristo t. 196 a 24 auf D. beziehen darf, so hat dieser unzweifelhaft (?) den Ausdruck otuToixaxov selbst gebraucht. Das auto'fAaTov steht somit der absolut bedingenden und völlig ein- deutigen Ursache der Entstehung von Pflanzen und Tieren gegenüber. Aus der Bewegung der Atome im af}poi!j|j.6j folgt nicht mit derselben Notwendigkeit die 8ivt), sondern sie entsteht in ihr diio TotuToiAaxo'j ; ihre Entstehuntr ist nur möglich, nicht notwendig. Während die Ato- misten die objektive Existenz des Zufalls aufs entschiedenste verwarfen, gaben sie doch zu, daß es unsichere und zufällige Ursachen gebe, deren Wirkungen für den Menschen unberechenbar seien. D. gab damit dem .Zufallsbegriff eine subjektive Wendung. Anders Ep., der (Laert. X 133) gegen D. polemisiert (diese Vermutung Guy aus, La morale d' E'picure 72, 1, wird durch eine Polemik des Diogenes von Oinoanda gegen die eilxapixEVYj Demokrits bestätigt; s. Usener Rh. M. 47 S. 484) und dem Zufall Realität zuschreibt. Trotz dieser tiefgehenden Differenz wird die Anwendung des Zufallbegriffes bei beiden die gleiche gewesen sein, nämlich auf die Erzeugnisse unübersehbarer und kausal nicht ver- knüpfter Bewegungen. D. wendet ihn auf das Entstehen des döpotaixoj, der oivT), das Eintreten der Gestirne in unsern Kosmos und vielleicht auch auf das erstmalige Entstehen der Organismen nnd der übrigen Atomverbiudungen an. Bei Ep. dagegen fällt die ot'vr, weg; er benutzt aber den Zufall dazu, im Anschluß an Emped. auf materialistischem Wege die Zweckmäßigkeit zu erklären, ein Versuch, der dem D. nirgends beigelegt wird (bei Plut. adv. Col. 8, 4 darf man ihn nicht suchen). D. hat prinzipiell an dem naturwissenschaftlichen Ideal festgehalten und die Welt als ein von stiengen Gesetzen kausaler Notwendigkeit be- herrschtes System von Vorgängen aufgefaßt; der Begriff der xu/y) ist bei ihm nur ein Grenzbegriff des Erkennens. Ep. dagegen verzichtet auf diese strenge Weltbetrachtung; er stellt der ava-j-xT; nicht nur die objektive xu/t] zur Seite, sondern auch die Ttpoaipccji? und die Deklination der Atome. Damit wird der stolze Bau Demokrits von Grund ans zerstört. Diese scharfsinnigen Erörterungen lassen die Verschieden- heit in der Grundauffassung Epikurs und Demokrits deutlich hervor- treten; sie liaben aber das Bedenkliche, daß bei D. eine Schärfe der begrifflichen Distinktion vorausgesetzt wird, die wir bei ihm noch nicht suchen dürfen. Ich kann mich nicht dazu entschließen, zu glauben, daß D. so klar zwischen hd-iY.t] und xu/rj unterschieden hat, wie G. an-

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nimmt, bezweifle auch, daß er den Ausdruck auToixarov, der ja aller- dings in einem ethischen Fragmente (189) vorkommt, im streng tech- nischen Sinne gebraucht hat. Auch gegen die Zweckmäßigkeit, die er schwerlich begrifflich erfaßt, sicherlich nicht formuliert hatte, kann er nicht polemisiert haben. Die sonstigen Ausführiinuen des Verf. über das Verhältnis zwischen beiden Philosophen in der Lehre von den Elementen, von der Seele, von den Wahrnehmungen und ihrem Wahr- heitswerte sowie in der Kosmologie müssen wir hier bei Seite lassen, obwohl auch sie sehr beachtenswerte Beiträge zur Demokritischen Phi- losophie enthalten.

Löwenheim weist gegen Natorp, Philos. M.-H. 18 (1882) S. 213 räch, daß Galilei D. gekannt hat und wesentlich von ihm beeinflußt worden ist. Besonders durch die Lehre von der Schwere (L. nimmt iirtümlicherweise an, daß D. alle Körper [vielmehr Atome] im leeren Eaume gleich schnell [?] fallen ließ [s. S. 141 f.]) wurde er aus einem Schüler des Archimedes ein Schüler Demokrits. D. hat zuerst den Grundsatz aufgestellt, daß wir nicht für die Fortdauer, sondern nur für die Acderung eines bestehenden Zustandes eine Ursache zu suchen haben, und diesen Grundsatz auch auf die Bewegung angewandt. Er hat das Beharrungsgesetz nicht nur zuerst aufgestellt, sondern auch genau wie heute Kirchhoff und Helmholtz begründet im Gegensatze zu der Newton sehen Annahme von der Tiägheit der Materie. Der Unterschied zwischen D. und der heutigen Naturwissenschaft ist nur der, daß D. die Kreislinie für ebenso einfach hielt wie die gerade Linie und daher einen im Kreise sich bewegenden Körper, wenn er seine Richtung nicht ändert, fortwährend sich im Kreise bewegen läßt. Galilei hat eine Zeitlang dieser Auffassung Demokrits gehuldigt. Aber der Einfluß Demokrits auf Galilei beschränkt sich nicht auf die Mechanik, sondern erstreckt sich auch auf das astronomische Gebiet. Indem sich D. nach Hippolyt. 113 die meisten Welten bewohnt, also von unserer Welt gar nicht unterschieden dachte, hatte er den geozentrischen Standpunkt bereits überwunden, wenn er auch innerhalb unserer Welt die Erde in den Mittelpunkt stellte. In diesen Punkten wie auch in der Lehre von der Unendlichkeit des Weltalls und der Mehrheit der Welten steht G. auf Demokrits Standpunkt und im Gegensatze zu Aristot. Auch in der Theorie von der Subjektivität der Sinncsqualitäten (L. ist geneigt, diese Lehre erstD., nicht schon Leukipp beizulegen; s. jedoch o. S. 101 f.) erfährt er den Einfluß des D. In bezug auf die Wärme muß D. nach Aristot. 405a und Plut. qu. symp. VIII 10, 2 angenommen haben, daß die höhere Temperatur der warmblütigen Tiere dadurch hervorgerufen wurde, daß in ihrem Körper die Feueratome stärker vertreten sind und daß diese sich in lebhafterer Bewegung befinden, so daß die sich von

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den betroffenden Körpern ablösenden Bilder hier mit besonderer Energie iortgeschleudert werden. Also ist nach D. die Wärme eine lediglich subjektive Empfindung, und das ihr entsprechende Objektive sind Atome, die sich infolge ihrer Gestalt stets in lebhafter Bewegung befinden. Gegen diese nüchterne Wissenschaftlichkeit empörte sich Piaton, wie «Toethe gegen Newton, und mit ihm Aristot.; sie stellten seiner Sub- jektivität der Sinnesqualitäteu die objektive Idee des Warmen, des Weißen, des Tones gegenüber. Der erste unter den Neuereu, der wieder für die Subjektivität eintrat, war G., wahrscheinlich auch hier von D. abhängig. Demokrits Lehre von den Sinnesempfindungen, hat weiterhin zur Lehre von der Undulution des Schalles, des Lichtes und zur mechanischen Wärmetheorie, aber auch zur Entdeckung des Gesetzes von der spezifischen Energie der Sinnesorgane geführt. Auch die Kant- Laplacesclie Theorie, das Prinzip von der Erhaltung der Kraft und die Darwinsche Theorie gehen auf D. zurück.

Harts Abhandlung bezweckt, das ^povsiv und die ^vrjai/j ^vwiArj des D. näher zu bestimmen und die Bedingungen zu vermitteln, unter denen sich die wahre Erkenntnis vollzieht. Das Hauptergebnis der auf genauer Kenntnis des Materials fußenden und nicht ohne Scharfsinn geführten, aber wenig übersichtlichen Untersuchung ist, daß nach D. die echte Erkenntnis in einer Art von intuitiver Auffassung oder vei'- teinerter ai3i)Y;3t; bestehe, die durch das Eindringen feiner, der gewöhn- lichen Sinneswahrnehmung unzugänglicher siotuXa in unsern Körper hervorgerufen werde; während aber der großen Menge nur gelegentlich im Traume eine über die Sinnesetkenutuis hinausgehende Oftenbarung zu teil werde, besitze der Philosoph die Fähigkeit, jene t'idioXa. auch im wachen Zustande auf sich wirken zu lassen und mit ihrer Hülfe das Wesen der Dinge zu erkennen. Die Haltlosigkeit dieser Annahme, die sich hauptsächlich auf eine willkürliche Übertragung der übrigens schwerlich auf die Erkenntnis der Atome gerichteten e-ißoXf, <pav:a7Ttxrj Epikurs stützt, ist durch meine Besprechung (B. Ph. Wschr. 1888, 170 ff.), und noch ausführlicher durch Gödekemeyer nachgewiesen worden. Auch Di eis (Arch. I 250 f.) urteilt im gleichen Sinne und fügt hinzu, diese Theorie passe besser zum modernen Spiritismus als zur alten Atomistik.

Gegen Harts Gleichsetzung der 777)3171 7V(u|j,ri mit der «pavTajjxiy.Tj i-CioXr^ und seine XJnterschäizung des logischen Faktors in der Lehre Demokrits wendet sich auch Natorp (No. 397). Sext. log. II 56 ff. kann nach seiner Meinung nicht für D. verwertet werden, sondern läßt vielmehr auf eine Diiferenz zwischen Epikur und D. schließen. Auch der Umstand, daß D. auch das cppoveiv von der subjektiven oiaöscris ab- hängig macht, entscheidet nichts. Denn das cppovsiv, d. h. die normale Jahi-esbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 10

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Verfassung des Denkens fällt ebensowenig' wie die voTjai?, d. h. die Phantasievorstellung (?) oder Vorstellung? überhaupt mit der auvscjtc, d. i. der Erkenntnis des Wahren zusammen. Die Phänomene sind nach D. nicht das Wahre, wenn auch nicht zu leugnen ist, daß sie auch au der Wahrheit teilhaben, insofern sie in den augenorameuen Gründen ihre Erklärung finden; der Xo'yo? macht das 'faivofxsvov erst wahr. Ge- rade wenn D. «ypoveiv und aXXo^povetv an Wahrheitswert gleichstellte, so bedurfte er nach N. eines besonderen Kriteriums der Wahrheit, und dies ist bei ihm die logische Einstimmigkeit des wenngleich auf die Phänomene gerichteten Denkens. Über die Wahrheit entscheiden allein die wissenschaftlichen Gründe, dieselben, die Aristot. als „eigentümlich physikalische" bezeichnet, und die beweisen, daß, um das Reale gegen das vom mathematischen Standpunkt unwiderlegliche Argument von der Teilbarkeit in infinitum zu retten, die Annahme des physisch Un- teilbaren (axoixov) gewagt werden muß. Das e-' eXattov und ejit XercxoTspov bei Sext. VIII 139 = Fr. phys. 1 fin.) versteht N. sc: die echte Erkenntnis ist an die Schranke (modern ausgedrückt, Reizschwelle oder Unterschiedsschwelle) der Sinneswahrnehmung nicht gebunden. Der Begriff geht über die Sinneswahrnehmung hinaus, aber nicht etwa, um als ein sechster Sinn das Kleinste auf eine der Wahrnehmung ana- loge Art vorzustellen; denn wie sollten die qualitätslosen Atome und vollends das Leere wahrgenommen werden können? Das Wahre muß von dem Wechsel der öiaösai; nnberührt bleiben. Bei der gegenteiligen Auffassung ist nicht zu begreifen, warum D. zwischen echter und und echter Erkenntnis eine solche Kluft befestigte. Man darf daher De- mokrits axoxiY) 7V(ü|j,y) nicht mit „dunkler" Erkenntnis übersetzen, was einen schiefen Gegensatz gegen die -/v/jjt'ri ergeben würde: auch ist ge- rade das Wahre das Verborgene und Dunkle (a7roxexpu}x|xevr] nach De- mokrits eigenem Ausdruck). Die axonSj 7v. ist vielmehr als „unechte, untergeschobene" Erkenntnis zu fassen (vgl. cjxotioi r.alos;), die die ., echte" in den Hintergrund drängt. Mit dieser sprachlichen Erklärung hat N. unzweifelhaft das Richtige getroffen.

Brochard stellt eine Vergleichung zwischen der Erkenntnis- theorie Demokrits und der des Protagoras an. Natorp hat (im I. Ab- schnitt der Forsch.) zweifellos nachgewiesen, daß die bekannte Formel des Prot, relativistisch und skeptisch sei; aber er irrt, wenn er den Relativismus des Sophisten als rein subjektiv betrachtet, so daß es zwischen ihm und D. keinen Unterschied gäbe [dies ist eine willkür- liche Folgerung Brochards, die zu ziehen N. völlig fern gelegen hat], Prot, betrachtet die Dinge als wirklich außerhalb des menschlichen Geistes existierend, wenn auch nur als eine vorübergehende und flüch- tige, auf ein Minimum reduzierte Wirklichkeit. Er unterscheidet zwischen

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Wahrnehmuug und wahrgenommener Sache. Es giebt also Wahrheit im System des Prot, und er durfte sein Werk mit Recht 'AXirjöeta nennen. Wenn Aristot. sagt, Prot, hebe das Prinzip des Widerspruches auf, so mag jener diesen Ausdruck nicht gebraucht hüben, aber die thatsäch- liche Konsequenz seines Systems, nämlich die gleichzeitige objektive Realität der Gegensätze, konnte ihm nicht entgehen. Die Materie (?) vereinigt in sich die entgegengesetzten Bestimmungen; daher giebt es über jede Frage nach Prot, stets zwei Ansichten. Die Beweisführung des Sophisten beruht also auf dem allen vorplatonischen Philosophen gemeinsamen und selbst noch bei Plat. (s. Theaet. 160 A.) sich findenden Grundsatz: on ne pense (sent, se represente) pas ce qni n'est pas. Seine Doktrin ist ein objektiver oder realistischer Relati- vismus. D. dagegen war der erste subjektivistische Philo- soph. Ihm erschien die flüchtige, auf der Oberfläche der Dinge befind- liche Wahrheit des Prot, als ein leeres Wortspiel; er suchte die Wahr- ' heit in der Tiefe (ev ßuö(o). Das ist kein Zugeständnis des Skeptizis- mus, sondern des noch suchenden Dogmatismus. Um diese Wahrheit zu gewinnen, mußte er den Wahrnehmungen jeden objektiven Wert ab- sprechen. Sie sind ihm TiaÖr) ■zr^i aisOr^ascüc oder „des etats vides du sujet" (xEvo-aösiat Sext.- math, VIII 184). Zum ersten Male war damit das Band zwischen Sein und Denken, Vorstellung und Wirklichkeit zer- rissen. Das war eine große Kühnheit, ein logischer Skandal; das hieß behaupten: „on peut penser ce qui n'est pas" (?). D. verband mit der von Heraklit und Prot, erkannten Existenz der Bewegung als Prinzip des Bestehens die Atome und das Leere. Daher genügten die später sogenannten primären Eigenschaften, die den Atomen wesentlich anhaften, im Grunde rein mathematische Begriffe, die Größe und die Gestalt [und die Härte und Schwere, die doch nach D. auch objektive Existenz haben?], um alle objektiven Eigentümlichkeiten der wirklichen Objekte zu erklären. Diese scharfe Zuspitzung des Gegensatzes zwischen den beiden Abderiten hat etwas Blendendes, beruht aber im Grunde auf einer willkürlichen Konstruktion.

Bobba zieht zum Verständnis der Lehre Demokrits vom bösen Blick (Plut. qu. symp. V 7, 6) dessen Theorie des Erkennens und ins- besondere die Lehre von den Gesichtswahrnehmungen heran. Er weist dann auf die mit der demokritischen Erklärung der jettatura verwandte Annahme gewaltiger übermenschlicher Wesen in der Luft hin, die teils wohlwollend, teils übelwollend sind und namentlich im Schlafe auf uns einwirken.

Kern giebt eine Darstellung der demokritischen Ethik nach den überlieferten Bruchstücken, die sich teilweise mit der Natorps in der „Ethika" berührt und offenbar auf dessen Würdigung der sittlichen

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Vorschriften des Abderiten von Einfluß gewesen ist. Nachdem wir oben über Natorps Schrift ausführlich berichtet haben, können wir uns daher hier auf einige kurze Bemerkungen beschränken. K. verfährt in der Auslegung der Fragmente öfter sehr willkürlich. So ist es z. B. eine völlig leere Vermutung, wenn er meint, daß Fr. 174 verstümmelt über- liefert und in der zweiten Hälfte von den Vorzügen des Weibes in leidenschaftlicher Neigung auch zum Guten die Eede gewesen sei. In der Beurteilung des Wertes der demokritischen Sittenlehre überschätzt er ähnlich wie Natorp, aber noch stärker als dieser, die Bedeutung jenes ersten und trotz seiner hohen Bedeutung doch noch unvollkom- menen Versuches einer ausführlichen und selbständigen Behandlung ethischer Probleme. Mit solchen Bemerkungen wie, daß die Sittenlehre Demokrits reiner, besonnener und philosophisch besser begründet sei als die des Sokrates, daß D., wo er von diesem abweiche, im besseren Rechte sei so lehre er zwar auch, daß der Mensch aus Unkenntnis ' des Besseren handle, aber ohne die sokratische Übertreibung, daß das Wissen das Rechtthun verbürge , zeigt K., daß er für die völlig neue Grundlage, die Sokrates der Ethik durch seine Begriffsphilosophie gegeben hat, kein rechtes Verständnis besitzt. Wenn er D. gegen den Vorwurf der ungeschminkten Nützlichkeitsmoral dadurch verteidigt, daß auch Sokrates, Piaton, Aristot., Epikur (!) und die Stoa nicht über diesen Standpunkt hinausgekommen seien, so verkennt er den Unter- schied des Eudämonismus, der allerdings die ganze spätere Ethik be- herrscht, und des Hedonismus, der doch nicht erst bei Aristipp und Epikur, sondern schon bei D. den Ausgangspunkt der ethischen Be- trachtungen bildet (s. 0. S. 132). Bezeichnend für Kerns Auffassung ist, daß er Epikur ganz unbefangen mit den entschiedensten Bekämpfern der Lustlehre in eine Reihe stellt.

Über die Abh. von Schanz vgl. den kurzen Bericht von E. Well- mann Areh. VI 272.

Zum Texte der Fragmente.

Die in die Berichtszeit fallenden Textesänderungen und Vorschläge zu solchen hier aufzuzählen erscheint überflüssig. Sie sind zum größten Teile in den jedermann zugänglichen Ausgaben der ethischen Fragmente von Natorp, des Stob, von Wachsmuth und Hense (vgl. Ber. I 174) und anderer Quellenschriften wie derMoraliaPlutarchs vonBernardakis und des umfangreichen theophrastischen Bruchstückes de sens. in Diels' Doxogr. zu finden. Das. letztgenannte Bruchstück enthält zwar eine wertvolle Dar- stellung der demokritischen Lehre von den Sinneswahrnehmungeu, giebt aber schwerlich an irgend einer Stelle seine Quelle, auch wenn man

Bericht über die griecbischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 149

vom ionisches Dialekte absieht, wortgetreu wieder. ' ) Nur einzelne echt ilemokritische Aasdrücke/ scheint Theophr. beibehalten zu haben. Einig'e solche, über deren Ursprunfj kaum ein Zweifel herrschen kann, hat Diels durch Anluhruu'Tszeichen und gesperrten Druck hervorgehoben, so 6fjLoio37Yi|j,ov£iv S. 513 (vgl. Hippolyt. I 12 S. 56.5 , I tol ö[jLOiO(jy7^fxova), i}pu-T£ai)ai ebd., oiap-ijAvei, cixiovasilat, dXXo'i^povetv S. 515, |jL£-a-rz-:ov S. 517, jj-oipav syetv auvsaeojc S. 520, 7:po- xpo'aaaj S. 523 (vgl. die Anm. von Diels), die sämtlich bei Mallach im index vocum Democritearum sowie mit Ausnahme von aXXo'fpovsTv und ixsta-r-rov auch im iudex rerum et verborum memorabilium fehlen. Es hätten vielleicht noch einige andere Ausdrücke hinzugefügt werden können, wie (7xaXr)v^ S. 518, 11 und öfter, zapaXXaStv oder besser nach Brieger ;,die Urbeweguug" S. 15 e-aXXa^iv (vgl. e::aXXtxTTctv 523, 13), £uöpuz-ra (oder mit Schneider £u&uTpu:i:a?) 521, 5 u. 7 u. a. Sonstige Deraokritische Wortformen sind o£tvov Simpl. phys. 327, 24 (von Diels hergestellt), zspi-aXaasEafJai -- -epiTiXEXEÖat ebd. 1319, 1 von D. für 7:£pn:aXai(;£i)ai vorgeschlagen, und or)vatoTr)xo?, &Tr]vatotTr)-i Stob. flor. IV 75 (nach Bücheier = Hense).

d) Spätere Demokriteer,

402. R. Hirzel, Der Demoki-iteer Diotimos. Herrn. 17 (1882)

S. 326—328.

*

403. Th. Gomperz, Anaxarch und Kallisthenes. Corament. philol. in hon. Th. Mommseni. Berol. 1877 S. 471—480.

Während Hirzel früher (Unters, zu Cic. I 120, 2) angenommen hatte, daß der bei Sext. dogm. I 40 als Erklärer Demokrits erwähnte Diotimos mit dem Stoiker gleichen Namens, dem boshaften Ver- leumder Epikurs (Laert. X 3) identisch sei, giebt er in No. 402 diese Vermutung auf, nachdem Diels dox. 346 nachgewiesen hat, daß Diotimos aus Tyros bei Act. II 17, 3 ein Demokriteer war. H. findet nun diesen Demokriteer bei Clem. ström. II 179 Sylb. wieder, wo das ethische Prinzip des D. und seiner Nachfolger angegeben und außer Hekataios, Apollodotos und Nausiphanes auch Diot. genannt wird, der die TravtlXEta Ttöv d-.'aöüiv als TsXoc hinstellte und damit eine Erklärung der demo- kritischen £'j€5TU) geben wollte. Er ist derselbe wie der von Sext.

') Mullach hätte daher die betreffenden Abschnitte so wenig wie die zoologischen, astronomischen und peoponischen Bruchstücke nach der ganzen Anlage seiner Sammlung in diese aufnehmen dürfen; mit demselben Rechte hätten dann auch zahlreiche Stellen aus Aristot, Laert, Hippolyt,, Aet. u. a. zugelassen werden müssen.

150 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

math. VII 1401 angeführte. Dieser letzteren Annahme widerspricht Zeller 966, 5, der mit Natorp Forsch. 1901 es für wahrscheinlich hält, daß bei Sext. der Stoiker gemeint sei, da die Ausdrücke xpirrjoia, aTpssu und <pu7T] dem stoischen Sprachgebrauche entsprechen [S. jedoch jetzt Natorp Eth. 89, 2].

Gomperz verweist zum vollen Verständnis der in unverständlicher Fassung bei Laert. IX 60 ön. erhaltenen Anekdote über Anaxarch und Alexander, die auch durch Plut. qu. conv. 736 F noch nicht ge- nügend aufgehellt wird, auf Philodem -ep\ xay.iwv y.xX. Diese Geschichte zeige uns so recht die Gewandtheit und Geistesgegenwart, den Takt und die Selbstbeherrschung des Mannes. Sie biete ebenso wie die sonstige anekdotenhafte Überlieferung über A. keinen Anhalt für die im Altertum verbreitete Auffassung , daß A. ein Schmeichler und Schmarotzer gewesen sei. Das bei Stob. ü.. 34, 19 und Clem. ström. I 6, teilweise auch bei Athen. Mechan. erhaltene Fragment des A. über die 7toXu[jLaf)iVj (s. Bernays Ges. Abh. I 123 ff. und 128 f.) liegt jetzt in vielfach verbessertem , aber noch nicht gesichertem Texte bei Hense vor.

"Über Nausiphanes s. o. Sudhaus No. 372.

I. Diogenes von Apollonia.

1. Zur Lehre des Diogenes.

404. G. P. Weygoldt, Zum Verständnis einer pseudo-plutarchi- schen Nachricht über D. N. Jahrb. f. Ph. 123 (1S81) S. 508-510.

405. Derselbe, Zu D. von Apollonia. Arch. f. G. d. Ph. I (1888) S. 161-171.

406. G. Geil, Die schriftstellerische Thätigkeit des D. v. Ap. Philos. Mon.-H. 26 (1890) S. 257—270.

Das Verhältnis des D. zu früheren und gleichzeitigen Philosophen ist bereits oben unter Leukipp (No. 363, 365—367) besprochen worden. Wir haben gesehen, daß sich D. mit seinem Prinzip zwar zunächst an Anaximenes angeschlossen, aber gewisse nähere Bestimmungen dieses Prinzips sowie die Erklärung einzelner Naturerscheinungen dem Anaxa- goras und Leukipp entnommen hat. Wie durch diesen Eklektizismus widersprechende Elemente in seine Lehre gekommen sind, legt Zeller 272 ff. dar. Indem D. den weltbildenden vo-ic des Anaxagoras, den dieser von allem Stofflichen getrennt hatte, mit seinem ürstoffe ver- schmolz, sah er sich genötigt, diesen Urstoff als das Alldurchdriugende und Belebende für das Feinste und Dünnste zu erklären, während er andererseits die Dinge nicht allein durch Verdichtung, sondern auch

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 151

<Iurch Verdünnung aus ihm entstehen läßt; denn daß er nicht bloß die warme Luft oder die Seele, sondern die Luft überhaupt das Dünnste genannt hat, geht deutlich aus Aristot. 405 a 21 und aus Fr. ö Panz. hervor. Es hat sich uns ferner aus den unter Leukipp angeführten Untersuchungen ergeben, dall Diogenes' Luftlehre in den 20er Jahren des 5. Jahrhunderts in Athen allgemein bekannt war und ebenso auf der tragischen Bühne (Eurip.) wie auf der komischen (Aristoph.) Wider- hall fand. Aber auch auf die wissenschaftliche Litteratur der nach- folgenden Jahrzehnte muß seine Naturerklärung eine nicht unbedeutende Wirkung ausgeübt haben, da sich deutliche Spuren der Benutzung seiner Lehre in den pseudohippoUratischen Schriften erkennen lassen. Dies ist nach Petersen Hippocr. scripta u, s. w. S. 30 f. von Weygoldt in No. 405 nachgewiesen worden.

Berührt werden solche Beziehungen des D. zur medizinischen Litteratur auch schon in der früheren Abb. (No. 404) desselben Ge- lehrten, die im übrigen den Zweck hat, eine bis dahin meist dem Apolloniaten zugeschriebene o6;a diesem streitig zu machen. Es handelt sich nni die Mitteilung bei Aet. IV 5, 7, D. habe das rjeixovixov der Seele iv tt) ap-fjpiax^ xotXi'ot -f^c xapoia», v]tic etJ^l '!Z'/c.rj\j.az\.Y.T^, verlegt. Diese Ansicht ist von Zeller und Panzerbieter fälschlich auf D. bezogen worden. Nach Simpl. phys. 152, 11 ff. und Theophr. d. sens. 39 flF. lind 44 kann D. nur das Gehirn als Hauptträger der Vernunft ange- sehen haben, eine Annahme, die durch Ps.-Hippokr. t:. t% isp^c vojou |s. No. 405] bestätigt wird. Ihr Verfasser, der in bewußter Abhängig- keit ätiologische und pathologische Sätze des echten Hippokrates mit der Psychologie und Anatomie des D. verbindet, sagt (VI 390 Littr.): die Luft, die wir einatmen und die das denkende Prinzip ist, gelangt zuerst zum Gehirn und erst von hier aus zu den übrigen Teilen des Körpers; dabei läßt sie im Gehirn die dxfirj ihrer geistigen Kraft zurück; das Gehirn ist Sitz und Träger der wichtigsten Funktionen. Auch aus der Gefäßlehre des D. (Aristot. bist. an. III 2) folgt, daß das Herz für die mit dem Blute durch die Adern strömende Luft oder Vernunft keine hervorragende Bedeutung haben kann. Auch setzt die Aetiosstelle eine genauere Unterscheidung zwischen den Venen und Arterien sowie eine tiefere Einsicht in den Bau des menschlichen Körpers voraus; beides aber war zur Zeit des D. nicht möglich. Dem- nach kann dieser auch keine aptyjptaxrj xo-./ia des Herzens gekannt haben. Dagegen paßt die Stelle vortrefflich auf den Stoiker Dio- genes. Dieser Auffassung schließt sich jetzt Zeller I' 270, 2 an (vgl. auch Stein Psych, d. Stoa II 3).

In No. 405 zeigt W., daß die Lehre des D. in folgenden pseudo- hippokratischen Schriften benutzt worden ist: I. flspl cp'jjüiv (vor 380 ge-

152 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

schrieben). Der Verf. betrachtet die Luft als ioyr^ aller Dinge und verwerter die Nosologie des D., um alle Krankheiten auf die Luft zurückzuführen. Dies ergiebt sich aus 4 Stellen: 1. VI 94 Littr. '^- I 571m. 572i. Kühn, wo sich Satz für Satz aus Anaximander, Anaximeues und D. belegen läßt. Auf D. allein geht die Lehre vom Atmen der Fische und die Behauptung zurück, daß die Luft Izr^-öi und folglich Ursache der Bewegung sei. W. schließt daraus, daß auch die übrigen Gedanken aus D. geschöpft sind [kein zwingender Schluß]. 2. VI 96 L. = 1 572 573 m. K. , Es liegt in der Natur der Sache, daß D. sich gleichfalls und zwar in ähnlicher Weise über die Unent- behrlichkeit der Luft für das Leben verbreitet haben muß (?)." An diesen beiden aufeinanderfolgenden Stellen nimmt W. demnach eiv.n Kompilation aus D. an. 3. VI 96 ^ I 572 Z. 3 und 2 v. u. und 573 jxexa zoZ-o eigeXöt]. Vgl. Diog. bei Theophr. d. sens. 43. 4. VI 110 = I 583 m. 584 i. Wenn hier das Blut als Ursache des Denkens bezeichnet wird, so ist damit die «Luft im Blut" gemeint (vgl. die iinter 11 3 angeführte Stelle aus ~. kpr,; vorou) und daher nicht an Emped., sondern an D. zu denken; wie dieser bei Theophr. 44, bringt auch der Verf. der Schrift die Beispiele des Schlafes und des Eauscbes in der gleichen Reihenfolge-, er gebraucht ferner ^pov/jats für die in den Adern zirkulierende Vernunft und nennt, wie D., das Denken ein eOiafxa oder (vgl. Fr. 6 bei Simpl. phys. 152, 24 [s. jedoch, was über den Text dieser Stelle unten beigebracht wird]). II. Dspl tsp/]? vo'gou (ebenfalls vor 380): 1, VI 396 f. -= I 595 m. 597 s: Beschreibung des Adersystems. Der ausführlichere, aber ungenauere Auszug bei Aristot. b. an. III 3, 511b 30 if. beruht offenbar auf freier Wiedergabe, was besonders durch den Gebrauch gewisser technischer Ausdrücke wie oTrXrjvm? und ■qTzci.xim bewiesen wird, die D. so wenig wie der Jiltere Hippokrates kannte. 2. VI 367 = I 596 597 s. und 372 -= 599 601 m. Ygl. Aet. V 24, 3. Die Luft ist nach D. nicht an sich ver- nünftig, sondern nur, weil und solange sie bewegt ist. Daraus ergiebt sich, daß D. wie die Atomiker nicht den Urstoflf als solchen, sondern die Bewegung des Urstoffs als Ursache des Denkens betrachtet hat. Der Vorwurf au[jL7:£9op7]|i.£vu); xaxa Aeuxi--ov bei Theophr. war also be- rechtigt. 3. VI 390 f. ^I 612 613 i. Hiernach hat D. das t)7£|j.o- vi/dv nicht ins Herz, sondern in das Gehirn gelegt (s. No. 404). Er unterschied zwischen <ppo'vv)ai?, dem im ganzen Körper verbreiteten Denken, und ouvsai?, der nur im Gehirn möglichen klaren Er- kenntnis. Auch das Schlagwort des D. ixixas kehrt hier wieder. 4. VI 386 f. = 1 609 m.— 610 m. Vgl. Simpl. phys. 152, 25 ff., Aet. V 20, 5 und Theophr. 44. Wenn Aristophanes den Sokrates hoch über dem feuchten Boden in einem Korbe atmen läßt, so trifft er

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 153

damit den Standpunkt des D. aufs genaueste. Im Sinne des D. be- zeichnet der Verf. auch den trockenen und kühlen Boreas als den für das Denken günstigsten Wind. III. IIöpi 96310; Tiaioiou (xxm 350), Die Abhängigkeit von D., die Petersen bemerkt, aber nicht näher fest- gestellt hat, liegt nach W. in den Abschnitten vor, die die Bildung des Fötus und das Wurzeln der Pflanzen behandeln. Hierbei wird VI 49G =^ I 390 391 s. Anaxagoras zu Hülfe genommen, um die Frage zu beantworten, wie aus dem Weichen das Harte entsteht. Hierauf stützt sich vermutlich der Vorwurf Theophrasts, daß D. sich eklektisch an Anaxag. angelehnt habe [noch manche andere Beziehungen sind 0. unter I^eukipp erwähnt worden]. Aus alle dem ergeben sich folgende Lehr- sätze als diogenisch: 1. Die ötpyjQ ist die atmosphärische Lutt, kein Zvvischenwesen [vgl. Bd. CXII S. 179]. 2. Die Luft ist Prinzip der Bewe- fiuüg, weil sie dünn ist. 3. Sie ist Trägerin der Vernunft, weil und so- lange sie bewegt ist. 4. Unsere Seele ist gleichfalls atmosphärische Luft. 5. Nicht die warme, sondern die trockene Luft ist der beste Seelenstoff. G. Die Feuchtigkeit hemmt das Denken, w^eil sie die Beweglichkeit der Luft hemmt. 7. Wenn sich die Luft mit den Winden und Jahreszeiten ändert, so ändert sich auch unser Denken. 8. Weil sie kälter ist als der Samen und das Blut, bewirkt sie ein Zirkulieren dieser Stoffe; dadurch erregt und unterhält sie das Leben. 9. Das Wachstum beruht nicht auf Neubildung, sondern auf Gruppierung der im Blute und der Erdfeuchtigkeit gegebenen Homöomerien. 10. Der Vorwurf der An- lehnung an Anaxagoras und die Atomistik ist begründet.

Während Zeller 278, 3 diesen Darlegungen Weygoldts beistimmt, kann Dümmler Akad. 140, 1 den Versuch, unsere Kenntnis des D. aus den Medizinern zu bereichern, nicht in allen Punkten für gerecht- fertigt halten, da W, den eklektischen Charakter der Lehre zu wenig beachte. Entschieden falsch sei die Behauptung, daß der Seelenstoff wicht aus warmer Luft bestehe. Daß dies wirklich Diogenes' Ansicht war, folge schon allein aus seiner Bezeichnung der Seele als jxtxpov jjLopiov Tou Osou (Theophr. 42); er sage es aber auch ausdrücklich bei Simpl. phys. 153, 4. Verbinde man diese Stellen mit Aet. V 15, 4, so ergebe sich, daß das im Samen enthaltene -vsüfxa mit dem göttlichen „bei der Sonne-* identisch sei und sich erst durch den Atmungsprozeß abkühle. Allerdings liege darin, daß einerseits die heißeste Luft die göttlichste sei und andererseits zum C^ov -werden des Embryo eine ge- wisse Abkühlung notwendig sei, ein Widerspruch, den D. abei' nun ein- mal begangen, und den die Stoiker von ihm übernommen hätten. Die Schrift -. ispf,? vo'aou sei also für die Lehre des D. nur sehr bedingt zu verwerten. Aber gerade die von Dümmler angeführten Stellen ans Simpl. und Aet. beweisen, daß die die Seele bildende Luft an Wärme-

]54 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

g-ehalt iu der Mitte zwischen der Sounenluft und der uns umgebenden Atmosphäre steht und daß der Embryo erst durch das Einatmen der kühlen Außenluft beseelt wird. Dümmler selbst ist ja sogar geneigt (S. 139 f.), die etymologische Ableitung des Wortes 'jiu-/r] von der <|^u$'; in Piatons Kratylos und bei Chrysipp auf D. zurückzuführen. Weitere Anklänge an D. hat Dümmler S. 225 if. in der Schrift tt. aapxöäv (VIII 584 flf. Littr.) entdeckt. Hier findet sich in § 2 eine auffallende Übereinstimmung nicht bloß im Inhalt, sondern auch in der Ausdrucks- weise mit D. Fr. 6 und 3. Die sonstigen Beziehungen auf D., die Dümmler in der Schrift vermutet, sind unsicher und bedürfen einer ge- naueren Nachprüfung.

Geil widerspricht der von fast allen Forschern, auch von Zeller (159, 1) geteilten Ansicht Schleiermachers und Panzerbieters, Simpl. habe phys. 151, 24 ff. irrtümlicherweise eine Verweisung des D. auf frühere Abschnitte seiner Schrift t:. tpuaswc für einen Hinweis auf andere, vor dieser verfaßte Schriften gehalten. Die Worte des Simpl., die zu verdächtigen kein zwingender Grund vorliegt, nötigen uns zu der Annahme, daß D. in der That vor seinem Hauptwerke noch drei Bücher: lipo? cpuuioXo^ouc, MsTeujpoXoYia und Ospt avSptuTioy cpuaio? ge- schrieben habe. Unbegründet ist auch die Vermutung Krisches (Forsch. 166), dem Simpl. könne nur das 1. Buch r. cpuotoc vorgelegen haben, da das von Rufus bei Galen in Hippocr. VI epidem., XVIIa 1006 Kühn Berichtete, das dem 2. Buche entnommen sei, von ihm nicht er- wähnt werde. Was Simpl. mitteilt, berührt sich so nahe mit jenem Berichte des Rufus, daß ihm das Buch sehr wohl in derselben Gestalt vorgelegen haben kann wie jenem. Wenn D. in der Schrift ir. cpuatoc gegen die früheren Philosophen gekämpft hätte, so hätte er das doch im Anfange oder wenigstens im 1. Buche thun müssen [diese Notwendig- keit leuchtet nicht ein]; nun berichtet aber Simpl., daß er unmittelbar hinter seinem rpooiixiov die Darstellung seiner eigenen Lehre begonnen habe. Auch ist nicht abzusehen, wo D. alles das, was Weygoldt in drei medizinischen Schriften als diogeuiscli nachgewiesen hat, ausgeführt haben sollte. Sicher doch nicht in dem Simpl. bekannten Teile von ~. cpuato;. Schwerlich kann auch, was die Doxographen an verschieden- artigen oo^ai des D. bringen, in diesem Buche behandelt worden sein. So weist z. B. die ganze Wahrnehmungstheorie bei Theophr. auf eine Schrift u. dvDpcuTOu cpusioc hin. Diese Ausführungen Geils sind beachtenswert; aber zwingend sind seine Gründe ebensowenig wie die der Gegner. Vor allem ist Simpl. nicht so unfehlbar, wie er voraus- setzt; Irrtümer und Mißverständnisse sind bei ihm nicht selten. Vgl. den Bericht von E. Wellmann Arch. V 97.

Dümmler geht an verschiedeneu Stellen seiner Akad. auf die

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 155

Lehre des D. ein, für die er auch aui.ier der Schrift röpl aapy.tüv noch mehrere neue, bisher unbeachtet gebliebene Quellen gefunden zu haben glaubt. Wir haben die Düramlerschen Vermutungen schon Ber. I 273 kurz erwähnt. Hingewiesen sei hier schließlich auf die schöne und treffende Darstellung, die Gomperz Gr. D. 299 S. von dem Systeme des D., seiner Vielseitigkeit und seiner Einseitigkeit, giebt.

2. Zur Kritik des Textes der Fragmente.

Außer dem Anfange des Buches ti. (fuaioc (Fr. 1 Panz. bei Laert.) und der bei Aristot. , aber nicht dem Wortlaute nach erhaltenen Dar- stellung des Adersystems (Fr. 7) sind uns sämtliche Fragmente durch Simpl. phys. 151, 31 ff. aufbewahrt. Diese liegen uns jetzt in wesent- lich verbesserter Gestalt in der Ausgabe des Simpl. von Diels vor, auf die ich verweise. Hervorzuheben sind nur die folgenden beiden Stellen. Fr. 2 hat Diels mit Recht hinter -(r^ xal uoiup (Simpl. 152, 1) aus D E die in a F und ebenso von den Neueren ausgelassenen Worte xai drjp y.at -üp eingefügt (vgl. die an das Fr. sich anschließende Be- merkung des Simpl. 152, 9). Demnach hat sich D. ausdrücklich auf die Elementeulehre des Emped. bezogen und die Einheit seines Urstoff'es gegen ihn verteidigt (s.. Zeller 265 mit Anm. 2). In Fr. 6 ist «die verderbte Stelle ar.b '/ap jjloi toüto e»)oc dov.el sivai (Simpl. 152, 24) noch nicht mit Sicherheit hergestellt. Nachdem Panzerbieter aüxoü statt d-o und Mullach dro 7. |x. toutou voo; 0. sT, vermutet hatten, hat Usener auTo 7. [JL. T. Ö£Öc (oder 6 Oeo?) 0. el. vorgeschlagen. Obwohl Zeller 261, 6 diesen Vorschlag dem Mullachschen vorzieht und Burnct 561 sich ihm anschließt (auch Diels scheint ihn zu billigen, indem er auf Theophr. 42 sowie auf Cic. d. nat. deor. I 29 und die oben angeführte Stelle aus Philodem d. piet. [s. Doxogr. 536] hinweist, wo von dem Gotte des D. die Rede ist), erscheint sie mir nicht unbedenklich. Ob bei Theophr. die Worte [j-ixpov (ov jxopiov -oO Oeoü wirklich richtig über- liefert sind, ist zweifelhaft; Schneider vermutet f^u|xoü statt })eoü und Zeller 270, 7 o>.ou. Vielleicht hat hier einmal Mullach das Richtige getroffen oder ist ihm doch nahe gekommen (s. Gomperz S. 230 u. 459, wo er auf seine „Beitr. zur Kritik u. Erkl." 1 [1875] S. 39 verweist). Eine wahrscheinlich von D. selbst gebrauchte ionische Form: oia- cxi'ovajöat hat Theophr. d. sens. 45 erhalten (vgl. das demokritischc axiovajOai bei demselben § 55 und 56).

156 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

Nachtrag zu dem Abschnitte über die Quellenkritik (Bd. LXXXXVI [1898 I.]) S. 193.

28a. R. V. Scala, Zur philosophischen Bildung des Isokrates. N. Jahrb. f. Ph. 144 (1891) S. 445—448.

28b. A. Baumstark, ZrjT7^!J.ata ßapßapixa. Philolog.-hist. Bei- träge für Wachsmuth. Leipzig- 1897. S. 145—154.

Scala bespricht die Zusammenstellung von cpucrixal oo^ai Trepl (ipyöiv bei Isokrates iz. dvr. 265. Die Worte 6 t^ev a'-sipov to tiX-^^os scpyjaev etvai Tuiv ovxcuv bezieht er auf die Lehre Anaximauders vom dtirsipov [aber diese Lehre kann wegen des xo tiX-^öos tujv üvt(uv unmöglich auf Anaximander gedeutet werden, wohl dagegen auf Anaxag., an den Sc. selbst bei den ganz ähnlich lautenden Worten Isokr. 10, 3 denkt]. Die Lehre des Emped. tritt, wie Verf. bemerkt, wenn das iv auxoT; richtig ist, in der Form auf vvie bei Aristot. metaph. 985 a 31: werden vsTzoc und «ptXia als apyai aufgefaßt, so ergiebt sich jene von Aristot. angenommene Zweiteilung der Prinzipien. Die Lehre des Ion (ou -Xsiu) xpiuiv) ist sonst nur noch durch Philopon. zu Aristot. d. gen. 329a 1 und Harpokrat. s. v. "Iwv bezeugt. Zu Alkmaious Dualismus ist Aristot. 986*a 27 zu vergleichen, zu dem sv des Pannen, und Melissos Aristot. 187 a 1 und Ps.-Arist. 976a 5 sowie Plat. Parm. 128 A und Theaet. 180E. Den Schluß der Aufzählung bildet Gorgias' TuavxsXäi; ouosv. Es scheint hiernach schon um 353 eine Sammlung von 9ujixal oo^ai gegeben zu haben, aus der Isokr. schöpfte und die zum Teil ausführ- licher war als die spätere theophrastische. Eine derartige Zusammeu- stellang läßt sich auch aus den jüngeren Jahren des Isokr. nachweisen. Aus Hei. 2 f. erfahren wir, daß er, ehe er alle Philosophie wie in tt, dvx. zur Taschenspielerkunst rechnete, der Lehre des Anaxag. huldigte. Hei. 8 verhöhnt er, wie Dümmler Akad. 64 erkannt hat, die Lehre des Antisthenes, obwohl er von dem Kyniker gelernt und dessen irpo- xpeTtxtxos in der Nicoclea benutzt hat. Auch auf des Protagoras' x6v ^xxu) X670V xpei'xxü) Tioisiv spielt er ::. dvx. 15 an. Gleichfalls auf sophistisch- philosophischem Wege, nicht auf rhetorischem, vielleicht durch Hippias oder Antisthenes augeregt, ist er zu der Gegenüberstellung von ^uatc und v6[j.os (Paneg. 105) gekommen, wobei er das Naturrecht in ähnlicher Weise verwertet, wie Alkidamas im Msson^viaxoc und zwar früher als dieser, dessen Rede nur in 356—351 gesetzt werden kann. Auf eine andere sophistische Lehre, gegen die sich auch Plat. im 10. Buch der Gesetze wendet, spielt Is. Bus. 41 an. Am merkwürdigsten aber ist die Nachahmung des Xenophanes. In der Bekämpfung des Antbropo- morphismus Bus. 38 sind die berühmten W^orte des Kolophoniers

Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 157

(Fr. 7 K.): xXsTTTEiv |j.of/£U£'.v Xc y.'A bXt.r}jj\i^ azariusiv gonau SO ab- geändert wie später bei Varro (Augustin d. civ, dei YI 5, 1): ut dii turati sint, ut adulterati sint, ut servierint honiini [hier wie in den Wortpu des Is. xal uap' avOpiuTroti; t)y)T£iaf liegt offenbar eine falsche Lesart der Stelle des Xenoph. zu gründe, vielleicht avijpoj-ot; Oyjxeueiv]. Auch Paneg. If., wo der PanegjTikos des Gorg. mit seinem Lobe auf die Körperstärke bekämpft wird, ist wahrsclieinlich eine Nachahmung des Xenoph. anzunehmen; § 32 und 38 wird dessen Gedanke (Fr. 16) wiedergegeben, daß die Menschen erst sich selbst die Güter des Lebens im rastlosen Kampfe erwerben müssen.

Baumstark handelt auf S. 150 154 von der Bekanntschaft der arabischen Übersetzer mit den ältesten griechischen Philosophen. Die Namen dieser waren ihnen ebenso wie die der ältesten Geschichtschreiber bekannt. Solche Kenntnis schöpften sie teils aus griechischen Successions- darstellungeu, teils aus chronographischen Schriften. Auch des Paulus Orosius lateinisch geschriebenen adversus paganos historiae waren ins Arabische übersetzt. Am ausführlichsten werden die Vorsokratiker bei al-Sharastäni de religionum generibus sectisque philosophorum (ed. Bulaq, deutsch von Haarbrücker) behandelt. Hier fehlt nur Anaximander. Es scheinen aber die II 101 ß. (II 129f. H.) dem Plutarch beigelegten Lehren auf Anaximander zurückzugehen. Die Verwechselung wurde durch die an mehreren Stellen klar zu Tage liegende Benutzung von Ps.-Plut. plac. phil. veranlaßt. Al-Sharastäni ist vorsichtig zu be- nutzen, aber er war kein absichtlicher Fälscher, wie Nauck in seiner Ausgabe des Porphyrios annimmt.

Berichtigungen zu Bd. CXII (1902 1) S. 132 fi\: Zu S. 150 Z. 3: Oldenbergs Abh. ist 1895, nicht 1898 erschienen. S. 177 Z. 23 lies 6i:oxeiix£"^o^ und Z. 25 noch. S. 199 (No. 200) 1. scritta. S. 221 Z. 24 1. xaOoXoü. S. 223 Z. 421 u. 1. Er st. Fr. S. 231 Z. 19 ist hinter i%oü cpy^tv: 8v ausgefallen. S. 245 Z. 9 v. u. 1. zuver- lässigere. Zu S. 253 Z. 12 v. u. ist irrtümlich ouv lov bei Parm. 8, 46 als überlieferte La. bezeichnet worden; die Hss haben oute ö'v, oux eov (Aid.) beruht auf Konjektur; Diels' ouxeov steht also im Einklang mit der Überlieferung. S. 254 S. 12 1. 1897 st. 1889. S. 261 Z. 24 1. Sonnenbewegung. S. 262 Z. 1 v. u. 1. anzuweisen. S. 272 Z. 13 v. u. 1. herabgesetzt. S. 279 Z. 7 1. oben u. Z. 8 be- rührten. S. 294 Z. 15 1. zu dem Leblosen. S. 296 Z. 3 v. u. 1. Fr. 87—89 st. 47 u. 48 und im folgenden Satze Fr. 74 st. 47. S. 299

158 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)

Z. 18 V. u. 1. Fr. 87 st. 17. S. 303 Z. 10 1. oar^ixovos. S. 319 Z, 8 V. u. 1. repräsentierten. Oben 8. 96 Z. 22 ist hinter Systems einzufügen: Ungers.

Der letzte Abschnitt dieses Berichtes, der die Sophisten behandelt, ist aus redaktionellen Rücksichten zurückgestellt worden und wird zu- gleich mit dem Bericht über die Jahre 1898 1902 erscheinen.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie aus den Jahren 1892—1901.

Von

Carl V. Holzinger

in Prag.

In diesem Berichte beabsichtige ich alle jeue literarischen Er- scheinungen zu berücksichtigen, deren Titel in der Bibliütheca philologica classica vom 1. Quartale 1892 bis zum letzten Quartale 1901 unter den Schlagwörtern Comici graeci, Aristophanes, Menandros und unter den Namen anderer griechischer Komiker registriert sind. Natürlicli liel! sich diese Absicht nicht ohne alle Ausnahme verwirklichen. Eine aUerdings nur geringe Anzahl von Publikationen ist mir trotz wieder- liolter Bemühungen nicht erreichbar gewesen. Einige andere, die nicht in einer der Weltsprachen erschienen sind, waren mir aus diesem Grunde nicht zugänglich und sind, wenn nicht einmal ihre Titel ver- ständlich waren, überhaupt übergangen worden. Zum reichlichen Ersätze für diesen Ausfall habe ich manches Werk in diesen Bericht einbezogen, das sich in den oben bezeichneten Rubriken der Bibliotheca nicht ge- nannt findet. Sichere Grenzen lassen sich aber bei einem so großen Gebiete nicht ziehen. Den ganzen Strom von literarischen Erzeug- nissen eines Jahrzehnts, die für das Studium der griechischen Komödie von einem beliebigen Gesichtspunkte aus in Betracht kommen, in einen einzigen Bericht hineinzuleiten, ist um so weniger möglich, als auch die Fachreferenten für Literaturgeschichte, Mythologie und Religion, Alter- tümer, Grammatik, Metrik u. s. w. auf ihren Anteil an einem so reich- haltigen Autor wie Aristophanes nicht verzichten können. So bleibt denn nichts anderes übrig, als sich zu bescheiden und auf Vollständig- keit im wahren Sinne des Wortes zu verzichten.

Am nächsten wäre es nach dem verflossenen Jahrzehnt gelegen gewesen, bei einer Berichterstattung über die „griechische Komödie'' auch auf die Literatur der scenischen Altertümer, insbesondere der Bühnenfrage systematisch einzugehen. Auch diesen Plan habe ich aber schließlich aufgegeben, und so findet man selbst die bekanntesten Er- scheinungen dieses Gebietes in meinem Berichte nicht einmal genannt.

160 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

Mag es denn also bei einzelnen über diesen Geg'eustand gelegentlich eingestreuten Bemerkungeu sein Bewenden haben! Trotz dieser Ein- schränkung auf Schriften, die den Namen eines der griechischen Ko-, miker oder der Komödie selbst in ihrem Titel führen, war es nicht leicht, die Masse der Publikationen zu bewältigen.

Das hervorstechendste Ereignis in diesem ganzen Bereiche waren die Funde neuer Fragmente, unter denen einige Scenen des Menandri- schen Georgos und der Perikeiromeue den ersten Platz einnehmen. Auf dem Gebiete der Aristophanesliteratur hingegen gebührt die Palme einigen Kritikern und Exegeten einzelner Stellen. Zahlreiche Verse, die vor zwanzig Jahren als dunkel galten oder deren Verständnis ein Geheimnis weniger war, sind jetzt genügend aufgeklärt. Ein etwas geringerer Rang kommt wohl, wenn ich von einzelnen rühmlichen Aus- nahmen absehe, den in dem gleichen Zeiträume erschienenen Ausgaben zu, insofern sie nicht selten hinter den Ergebnissen der Einzelliteratur zurückbleiben. Bei der Fülle von Rezensionen, welche sich gerade mit diesen umfangreichen Veröffentlichungen beschäftigen, kann es niemand schwer fallen, sich mehrere fachmännische Urteile über sie zu ver- schaffen und sie miteinander zu vergleichen. Vielleicht nicht alle Leser dieses Jahresberichtes, aber doch gewiß sehr viele von ihnen Werden es mir daher wohl Dank wissen, daß ich in solchen Fällen nicht zu zehn Beurteilungen eines jetzt längst bekannten Buches noch post festum eine elfte hinzufüge, sondern daß ich es vorziehe, über die weit zer- streuten und dem einzelnen oft schwer erreichbaren kleineren Schriften und Aufsätze genauere Auskunft zu geben. Die Reihenfolge, in welcher ich die vorgeführten Erscheinungen behandle, ist, soweit sich überhaupt eine strenge Anordnung einhalten läßt, auf den Inhalt der Werke ge- gründet. Ein Urteil über den Wert derselben ist dadurch ebensowenig ausgedrückt, als etwa durch die größere oder geringere Ausführlichkeit der Berichterstattung. Schließlich diene zur Nachricht, daß ich über das Jahr 1892 nur in vereinzelten Ausnahmen zurückgegangen bin.

Übergangen wurden aus dem oben angeführten Grunde die in der Bibliotheca philologica classica genannten Arbeiten von Boros, Danka, Hahn, Hegedüs, Hornyansky und Konarski.

Die übrigen ca. 300 Publikationen sind in folgenden Abteilungen untergebracht :

I. Überblick über die oft rezeusierten und bereits als allgemein be- kannt vorausgesetzten Ausgaben, neue Auflagen und Fortsetzungen bewährter Schulausgaben.

IL Arbeiten von allgemeinerer Tendenz, die Komödie überhaupt oder einige Komödien des Aristophaues betreffend.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 161

III. Arbeiten von speziellerer Tendenz. Vorangehen die Arbeiten über eine der elf Komödien des Aristophanes, angeordnet nach der Chronologie der Stücke. Es folgen die Arbeiten über die Parepi- graphae und die Schollen zu Aristophanes, zuletzt die Arbeiten über die Fragmente der ältesten und der späteren griechischen Komiker in chronologischer Anordnung.

I.

Von Frid. H. M. Blaydes sind in den Jahren 1892—1901 folgende Werke dieses Gebietes erschienen:

Aristophanis Equites. (Vol. X.) Halle 1892.

Aristophanis Vespae. (Vol. XL) 1893.

Adversaria in com icorum Graecorum fragraenta, pars IL

1896. Adversaria in varios poetas graecos et latinos. 1898.

In diesem Bande führt die IL Abteilung den Sondertitel: Ana- lecta tragica et comica graeca. Hiervon sind S. 183 189 und einige Notizen auf S. 201 202 den Fragmenten der Komiker gewidmet.

Adversaria critica in Aristophanem. 1899.

Dazu erschien noch neuestens:

Spicilegium Aristophaneum. 1902.

Die Arbeitsweise des greisen, aber unermüdlichen Gelehrten ist in ganz Deutschland so sehr bekannt, daß es nicht notwendig ist, sie auch hier wieder zu charakteiisieren. Die ersten vier Bände der großen Aristophanesausgabe, besonders die Aves, habe ich in der Zeitschrift f. d. österr. Gymnasien (Jahrg. XXXIV, S.603 7) ausführlich besprochen. Desgleichen späterhin den im J. 1886 erschienenen Plutos. Trotz der oft gerügten, aber unverändert gebliebenen Mängel enthalten alle, auch die neueren Werke des ausgezeichneten Gräzisten so viel Brauchbares, daß sie von niemand, der auf diesem Gebiete mitarbeiten will, unbe- achtet gelassen werden können.

Gleichzeitig sind von J. vanLeeuwens Ausgabe, Leyden, Brill, folgende Bände erschienen:

Aristophanis Vespae. 1893.

Aristophanis Ranae. 1896.

Aristophanis Nubes. 1898.

Aristophanis Equites. 1900.

Aristophanis Acharnenses. 1901.

Aristophanis Aves. 1902. Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 1 1

162 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

Da van Lecnwen seinen Ausgaben Aufsätze in der Mnemosyne voranszusenden pflegt, in denen er viele Neuigkeiten, welche für die Ausgaben bestimmt sind, vorwegnimmt, finden sich gerade die wichtigsten Eigentümlichkeiten derselben in meinen Berichten über diese Abhand- lungen ausführlich besprochen. Bezüglich der Ausgaben selbst begnüge ich mich daher, auf die zahlreichen Rezensionen, die sie gefunden haben, hinzuweisen. Diese Rezensionen hier im einzelnen namhaft zu machen, wäre insofern ganz überflüssig, als sie in der Blbli(?theca philologica classica verzeichnet sind.

Allgemein bekannt sind wohl auch folgende Ausgaben: 'Apt(JT09avou; Elpq-rq cum scholiorum antiquorum excerptis passim emendatis. Recognovit et adnotavit Henricus van Her- w erden. Pars prior contiuens praefatiouem et fabulae textum cum scholiis metricis et adnotatione critica; pars altera continens commen- tarium exegeticum et indices. Leyden 1897.

Eine Besprechung der von Herwerden in der Mnemosyne behan- delten Stellen der Fax habe ich dem Berichte einverleibt.

Eine Gesamtausgabe des Textes mit einem Auszuge aus dem kri- tischen Apparate ist in der Scriptorara classicorum bibliotheca Oxoniensis 1900 in zwei Oktavbänden erschienen:

Aristophanis Comoediae. Recognoverunt brevique adnotatione critica instruxerunt F.W. Hall andW. M. Geldart. Tom. I. IL Oxonii. Der zweite Band bringt zum Schiasse die auf 969 Nummeru er- weiterte Sammlung der Fragmente, indem das in meinem Berichte be- handelte Stück aus den Oxyrhynchns Papyri II, CCXII. pp. 20— bereits Aufnahme fand. Die konservative Haltung, welche die Her- ausgeber gegenüber der Überlieferung einnehmen, kann ich von meinem Standpunkte nur billigen. Einige Einzelheiten habe ich in dem Berichte über J. B. Burys Aufsatz: ,Some observations on the Peace" behandelt. Der Theodor Bergkschen Ausgabe wird die neue Oxforder Edition starke Konkurrenz machen.

Eine fleißige und in mehrfacher Hinsicht treffliche Ausgabe der Wespen, wohl die beste Spezialausgabe dieses Stückes, ist Starkies Buch. Auf einzelne Bemerkungen Starkies komme ich in diesem Berichte mehrere Male zu sprechen. Hier kann ich mich also mit der Angabe des Titels begnügen: The Wasps of Aristophanes with introduction, metrical analysis, critical notes, and comraentary by M. Starkie. London 1897. Brauchbare Schulausgaben sind die neuen Bändchen von Green (Wasps, 1894), Graves(Clouds, 1898, Wasps, 1899), Merry (Peace, 1900).— Eine nach dem Tode des Verfassers erschienene und mit reich- lichen sprachlichen Bemerkungen ausgestattete Einzelausgabe der Ritter ist das Buch:

Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie, (Holzinger.) Jßg

The knigbts of Aristophanes. Edited by A. Neil, Cambridge 1901.

In der Bibliotheca philol. class. 1892, 4, S. 222 findet man den Titel notiert: Equites, with introduction and notes by A. Neil, Cambridge. l'ber das Verhältnis dieser zwei Titel zueinander gibt das Vorwort der im J. 1901 erschienen Ausgabe keine Auskunft. Die Ausgabe von 1892, falls sie existiert, war mir nicht erreichbar.

Ich beschließe diese Liste von Werken mit dem ersten Teile von G. Kaibels GGF., welcher der dorischen Komödie, den Mimen des Sophron und den Phlyaken gewidmet ist. Die Einleitung bilden die Commentaria vetera de Comoedia graeca, zu denen die Quellenstudien in den Abhandlungen der k. Ges. d. Wissenschaften zu Göttingen 1898 gesondert erschienen sind. Seinen Abschluß findet das unentbehrliche Werk in dem Glossarium Italioticum und den Indices poetarum, titu- lorum, fontium und vocabulorura. Die Titel beider Arbeiten lauten:

Comicorum graecorum fragmenta edidit G. Kaibel. Vol. I. Berlin 1899.

Die Prolegomena 7:epi xa)|xcü6ta?. Von G. Kaibel. Abhaudl. d. G. d. W. zu Göttingen. Philolog.-histor. Klasse. NF. Bd. 2. 1898.

Auch den neuen Auflagen von Ausgaben und Übersetzungen kann ich bei der Abfassung dieses Berichtes weder Zeit noch Raum widmen, sondern muß auf die Rezension der Fachblätter hinweisen. In diese Gruppe gehören folgende Titel:

Aristophanes Equites rec. A. v. Velsen. Editio altera quam curavit K. Zacher. Lipsiae 1897.

Der Text ist konservativer gestaltet, als dies in der ersten Ausgabe der Fall war. Über die Grundsätze, von denen sich der Herausgeber leiten ließ, hat er in den Aristophanesstndien (1898) und in den kritisch- grammatischen Parerga (1899) Rechenschaft gegeben. Über beide Schriften ist der Bericht zu vergleichen.

Von Kocks Ausgabe sind die Wolken 1894 in vierter, die Vögel 1894 in dritter, die Frösche 1898 in vierter Auflage er- schienen. Da die Kocksche Ausgabe für die Erklärung der vier Komödien, die sie umfaßt, seit Jahrzehnten das Standardwork bildet, wird sie in der Einzelliteratur dieser Stücke von den meisten Inter- preten — auch von solchen, die Kocks Namen nicht nennen benutzt und dementsprechend auch angegriffen. Man findet daher in den Be- richten über diese Literatur vieles, was zur Beurteilung der neueren Auflagen, in denen es Kock an gelegentlichen Fortschritten nicht fehlen ließ, beiträgt.

Von englischen Neuauflagen sind mir ausser W. Merry's Ausgaben folgende bekannt:

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164 Bericht über die Literatur der griechischeo Komödie. (Holzingcr.)

The comedies of Aristophanes. A new and literal translation by James Hickie. Vol. I. II. London 1900—1901.

Es ist dies bekanntlich eine der besten Aristophanesübersetzungen, mit vielen trefflichen Fußnoten ausgestattet. Die Franzosen besitzen keine Übersetzung des Komikers von gleichem Range.

Fragments of the greek comic poets With renderings in English verse by F. A. Paley. 2. ed. London 1892.

Hierher gehörte auch E. L. Hawkins' Übersetzung der Frösche, London 1894 u. A.

In Frankreich sind die Übersetzungen vonC. Poyard(Hachette 1892) und seine Morceauxchoisies, publiees avecdesnotices etc. (ibid. 1900)inneuer Auflage erschienen und zwar das erstgenannte Werk in neunter Auflage.

Im J. 1892 ist auch das Werk von E. Deschanel, liltudes sur Aristophane (Paris) und das fleißige Buch von A. Couat, Aristophane et l'ancienne comedie attique (Paris), ersteres in dritter, letzteres in zweiter Auflage herausgegeben worden.

II. Arbeiten von allgemeinerer Tendenz.

R. Hecht, Die Darstellung fremder Nationalitäten im 'Drama der Griechen. Progr. Königsberg 1892.

Der Verfasser zählt zunächst die griechischen Dramen auf, in denen Perser, Trojaner oder Phrygier, Ägypter, Thraker, Skythen, Kolcher, Phöniker, Mysier, Lydier, Karer, L3'kier und schließlich In- dividuen sagenhafter Völker, wie Aithiopen und Kyklopen, vorkommen. Bei der Aufzählung der Thraker vermisse ich die Odomanten aus den Acharnern. Nach dieser Vorführung seines Studienmaterials behandelt nun Hecht die Art und Weise, in welcher die griechischen Dramatiker die Barbarenrollen ausstatteten. Denkungsweise, Charakter, Landessitten, Sprache, Religion, Kostümierung, kurz alles, was bei den Trägern dieser Rollen auf geistigem und körperlichem Gebiete in Erscheinung tritt, wird gesammelt und zusammenfassend dargestellt. Etwas Neues tritt dabei wohl nicht zu Tage, aber alle Seiten, die das Thema darbietet, sind mit Fleiß bearbeitet, so daß die Abhandlung gelegentlich auch bei der Einzelerklärung von Dramen mit Vorteil benutzt werden kann. Zum überwiegenden Teile bezieht sich jedoch dieser Aufsatz, wie sich von selbst versteht, auf die Tragödie.

J. Zelle, De comoediarum Graecarum saeculo quinto ante Christum uatum actarumtemporibus defiuiendis. Halis Saxonum 1892.

Nach einigen Vorbemerkungen über die den Zeiten des pelo- ponnesischen Krieges voranliegende Entwicklung der attischen Komödie

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 165

sucht der Verfasser die Anfführnngsdaten der zwischen die Jahre 431 421 fallenden Komödien festzustellen. Seine Arbeit beruht hierbei im wesentlichen auf Ulricli von Wilamowitz-MöllendorfiFs Observ. crit. in com. Graec. sel.Berol 1870, indem er die dort begründeten clironolounschen Aufstellungen teils billigt, teils zu widerlegen sucht. In einem zweiten Teile der Arbeit S. 38 57 behandelt er die komischen Aufführungen der Jahre 4*20 405 und faßt schließlich die Resultate seiner Dissertation in einem Kataloge aller nach seiner Ansicht festgestellten Komödien- aufführungen für die ganze Zeit des peloponnesischen Krieges zusammen. Von den 162 Komödien, die während der 27 Jahre des Krieges aufge- führt wurden, glaubt Zelle 70 rücksichtlich der Zeit ihrer Aufführung mehr oder weniger genau bestimmen zu können. Sie verteilen sich auf 15 Dichter, von denen Kratinos mit 8, Eupolis mit 12, Aristophanes mit 22 Dramen an diesem Piuax beteiligt sind. Als Einzelheit er- wähne ich, daß Zelle die IIoXe!; des Eupolis auf 424 ansetzt und trotz- dem die Stellen über den Amynias in einem ähnlichen Zusammenhange bespricht, als Kaibel im J. 1895 (s. d.), der allerdings das Material um Heimipp. fr. 71 K. erweitert.

Alfred J. Church, Stories from the Greek Comoedians. London 1893.

Das schön ausgestattete mit 16 Illustrationen geschmückte Werk ist auf einen weilen Leserkreis berechnet, dem es zu schwer fällt, sich in die Leistungen der alten Komödie durch Übersetzungen geschweige denn durch die Originale einzulesen. Der Verfasser erzählt den Inhalt von 9 Komödien des Aristophanes und 6 Stücken des Philemon, Diphilos, Menander und ApoUodoros, indem er für die letzteren Plautus und Terenz eintiefen läßt. Die Erzählung wird durch eingeflochtene Seenen der Komödien selbst nach der Übeisetzuug von Hookhara Frere belebt, PO daß der Leser rasch einen Überblick über viele bekannte Erscheinungen der alten Literatur erhält, die ihm allerdings in einer modernisierten Umformung und mittelst einer Kontamination von Altem und Neuem ver- mittelt werden. So heißt z. B. der Dikaiopolis der Acharner Mr. Honesty und Lamachos erscheint als General Dobattle.

Carlo Borromeo, Le donne di tempi di Aristofane e dopo assi- stevano alle rappresentazioni della commedia. Verona 1893.

Ottomar Bachmann sagt in der Berl. phil. Wo. 1895 No. 12, Sp. 353 ff. über diesen Aufsatz, den ich selbst nicht gelesen habe, im wesentlichen folgendes: Einzelne Stellen, wie Lysistr. 456 460 faßt Borromeo in dem Sinne auf, als wären sie an Zuschauerinnen im Publikum i^erichtet. Entgegengesetzte Stellen, wie Av. 793 796, wo der Dichter stillschweigend voraussetzt, daß die Trauen zu Hause und

'iCQ Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.)

nicht im Theater sind, werden durch ebenso gewagte Interpretation be- seitigt. Neues Material aber zur Entscheidung der oft besprochenen Streitfrage findet man bei Borromeo nicht, so daß es bei der bisher, eingelebten Ansicht bleiben muß, daß zur Zeit der alten Komödie an- ständige Bürgersfrauen mit ihren Töchtern nicht als Zuschauerinnen zu denken sind. Ottomar Bachmann macht die richtige Bemerkung, daß man bei der Diskussion dieses Themas bisher den Kostenpunkt zu wenig berücksichtigte, da der Büiger das Hetoptxov nur für seine Person aus- bezahlt bekam. Man könnte vielleicht sogar auch auf den Mangel an Platz im Theater hinweisen, wenn es bei den Athenern jener Zeit üblich gewesen wäre, im Theater mit der Familie zu erscheinen. Vom Stand- punkte unseres Gefühles für Anständigkeit allein kann man allerdings bei derartigen Untersuchungen nicht ausgehen, da sich der Geschmack mit den Zeiten ändert. Übrigens behaupten böse Zungen, daß gerade im modernen Theater lascive Stücke und selbst Verhandlungen im Ge- richtssaale, die einige Pikanterie versprechen, von einem recht distin- guierten Damenflor besucht zu sein pflegen. Aber zwischen demjenigen, was bei uns bei offenen Türen geboten wird, und der Entfaltung grober Obscönitäten in der alten Komödie, ist denn doch noch ein Unterschied. Auch wird man nicht vergessen dürfen, daß sich die Frauen und Töchter des athenischen Mittelstandes an Freiheit der Bewegung auch in vielen anderen Beziehungen mit dem weiblichen Geschlechte unserer Tage nicht messen konnten.

W. Scher rans. De poetarum comicorum atticorum studiis Ho- mericis. Regimonti 1893,

Die Arbeit geht darauf aus zu zeigen, daß die Dichter der alten attischen Komödie noch stark unter dem Einflüsse Homers stehen. Für Aristophanes gelte dies insbesondere für die Ritter, Wolken, Wespen, den Frieden und die Vögel, während die letzten 5 Stücke davon freier seien als die Mittlere Komödie. In der Mittleren Komödie seien näm- lich zwar viele Homerische Stoffe benutzt, aber in ihrem Sprachschatze fände sich nur wenig Homerisches. In der Neuen Komödie finde man fast gar nichts davon. Zum Beispiele lese man in der Alten Komödie ziemlich viele heroische Hexameter, wenige in der Mittleren, keinen in der Neuen Komödie. Dieses Resultat der Abhandlung, welches ja wohl niemand unerwartet kommen dürfte, wird durch eine fleißige Sammlung aller auf Homer hinweisenden Komödientitel, Homerparodien, Homerischen Vokabeln und Vv^ortformen. sowie überhaupt Homerischer Anklänge jeder Art vorbereitet, so daß die allerdings selbstverständliche These ordentlich begründet erscheint. Daß der Verfasser die Behand- lung der Homerischen Anklänge auf die Meiuekesche Fragmentsammluug

Bericht über die Literatur der griecbischea Komödie. CHolziager.) I(j7

stützt, während er dieselben Fragmente dem Verzeichnisse der heroi- schen Hexameter nach Kock citiert, verursacht einem kontrollierenden Leser manchen unLütigen Zeitverlust. ('brigens vergleiche man mit dem Aufsatze von Scherrans die Abhandlung A. Olivieris in der Rivista di tilologia l'JOl, XXIX. (s. d.)

Orestes Nazari, Quo anno Aristophanes natus sit. Rivista di filologia XXII, 1894, p. 50—56.

Der Verf. erklärt mit Bergk-Peppmüller IV p. 73 Aum. 105 den Teil des schol. Nub. 510 für unglaubwürdig, in welchem es heißt: v6(xo? fjV 'Ai)r,vaioi; [xrjTTto xiva etcüv X' Ye^ovo-a [xtqte opa[i.a ava^ivcujxs'.v £v OsaTpio, ixTQTö oTjixTfiYopeiv. Ein Drama aufführen zu dürfen sei io Athen ein munus publicum gewesen und die Bekleidung einer solchen öffentlichen Stelluüg sei dem Athener erst bei vollendetem zwanzigsten Lebensjahre möglich gewesen. Aus der Parabase der Wolken vss. 528 533 ergebe sich, daß Aristophanes bei der Aufführung der Daitaleis durch Kallistratos Ol. 88. 1 = 427 v. Chr. das zwanzigste Lebensjahr noch nicht erreicht hatte. Hingegen lehren die Verse der Equ. 514 517 und 541 546, daß Aristophanes die Babylonier im J. 426 und die Acharner im J. 425 freiwillig nicht selbst auf die Bübne gebracht habe, während ihn die gesetzliche Altersgrenze daran nicht gehindert haben würde. Somit, sagt Näzari, sei Aristophanes im J. 446 v. Chr. geboren. Bei seiner Darlegung hätte er aber 447/446 sagen müssen, da er eine Einschränkung seines Ansatzes auf ein bestimmtes Halbjahr nicht be- gründet. — Es ist kaum notwendig hinzuzufügen, daß die Ausführungen des Verf. kein sicheres Geburtsdatum des Dichters verbürgen, weil die Verse der Nub. 528 b'd'i keine auf ein bestimmtes Lebensjahr hin- weisende Interpretation zulassen.

E. Lange, Athen im Spiegel der aristophanischen Komödie. 1894. Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge begründet von Virchow und Holtzendorff. NF. IX. Serie, Heft 206. Dem Titel seines Autsatzes entsprechend sucht der Verfasser ein Bild des Athens der blühendsten Zeit zu entwerfen, wie es sich in den Komödien des Aristophanes abspiegelt. Berücksichtigt werden die po- litischen und die wirtschaftlich-sozialen Verhältnisse, Erziehung und Bildung, Glaube und Sitte. Mit Vorliebe verweilt der Verfasser bei der Frage, inwieweit Aristophanes als historische Quelle zu verwerten ist. Utrum Aristophanes an Tiiucydides veriora de vita ac moribus Atheniensium praeceperit oratio latina praemio cancellari donata- auctore St. Robertson. O.KOuii 1896.

Das geschichtliche Zeugnis des Aristophanes und des Thukydidcs werden in dieser epideiktischen Rede gegeneinander abgewogen. Dabei

168 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

ist hauptsäclilich die Stelliuig berücksichtigt, welche beide Schriftsteller gegenüber den athenischen Frauen, gegenüber der Grausamkeit der Athener, ferner bei der Behandlung der Religion und der Götter und in der Charakteristik einzelner llänuer und ganzer Stände einnehmen. Vielfach werden beide Autoren wegen ihres ungerechten oder unrich- tigen Urteils getadelt. Nach S. 7 dürfte man wohl die Ansicht Robert- sons mit seinen eigenen Worten in den Satz zusammenfassen: Non igitur debemus Aristophaue reiecto Thucydidis scriptorura veritatem compro- bare. Wissenschaftlichen Wert kann ich dieser Deklamation nicht zu- gestehen. An Sonderbarkeiten nicht bloß der Latiuität fehlt es nicht. Wenn der Autor z. B. S. 7 über Sophokles sagt: Si quis sen- tentias Sophocleas ad rem vulgarem transtulerit, prope ridiculus evadat poeta, so waren die Athener, als sie der Dichter gerade wegen der Tüchtigkeit und Brauchbarkeit seiner Ansichten zum Strategen machten, jedenfalls anderer Meinung.

E. E,ieß, Superstitious and populär beliefs in Greek Coraedy. Americ. Journ. of Piniol. XVIII, 1897, p. 189—205.

Diese Abhandlung über Aberglaube und Volksglaube in der grie- chischen Komödie schließt sich an den Aufsatz an, den der Verf. über „Superstilion in Greek Tragedy" in den Transactions Americ. Philol. Assoc. (XXVI, XXVII) veröffentlichte. Rieß erklärt eine Anzahl griechischer Komikerstellen, indem er den Nachweis versucht, daß ihrem Inhalte ein Aberglaube zu Grunde lag. Damit ist natürlich nicht ge- sagt, daß die betreffenden Komiker den von ihnen berücksichtigten Volks- glauben auch teilten. Speziell Aristophanes und Menander werden als Männer aufgefaßt, die durch die Verurteilung abergläubischer Gebräuche den meisten ihrer Zeitgenossen weit voraneilten. Dasselbe wird wohl auch von den anderen Komikern gelten. Der Verf. behandelt folgende Fragmente: Men?.nd. Mtcjoyuvo; 326 (nach Kocks Zählung) (— ine. 601 Ko), Aristoph. "Hpwe? 306, TsX(jlij^; 530 und 532, Alk. ravu}Arjoy)c 4, Krates "Hptos? 10, Strattis Ooiviajat 46 = Ai'istoph. N^jot 389, Com. anon. 85 Ko und aus des Aristoph. Fröschen v. 298 ff. Daß Dionysos weder als Herakles, noch auch mit seinem wahren Namen angerufen sein will, hat nicht bloß den speziellen Grund, den die bisherigen Erklärungen voraus- setzten, sondern die Vorsicht des Dionysos ist r.nt einem weitverbreiteten Aberglauben in Zusammenhang zu bringen. Wer den Namen eines Dämons kennt, hat bereits Macht über ihn gewonnen. Kennt der Dämon den Namen des Menschen, dann steht dieser in seiner Macht. Empusa soü also den Namen des Dionj'sos nicht erfahren, sonst ist er verloren. Nicht anschließen kann ich mich der Ansicht des Verfassers, daß auch das Pseudonym Outt? des Odj'sseus bei Iiomer diesen Untergrund habe.

Bericht über die Literatur der griechischeo Komödie. (Holzinger.) 169

Hier ist m. E. nur der beabsichtigte Anklarg Outi; au 'Üoua-aeu; als Nebenelement zu berücksichtigen. Rieß beschließt seine interessanteu Ausführuugen mit einem Iudex, in welchem die griechischen Komikor- stellen, die über irgend einen Aberglauben Aufschluß geben, unter alpha- betisch geordneten Schlagworten gesammelt sind. [Wenn der Veif. S. 191 sagt: „At thc door the souls have oue of their habitual hannts, though I hardly recollect any reference to it from Greek soil", so darf mau vielleicht auf Eur. Alk. 100: T.q-(aio'j lo; vofxusrai /epviS' e-l 'fi>tT(Lv TT'jXatc hinweisen.]

J. L. Heiberg, Den garale attiske Komodies frisprog. Kopen- hagen 1899. = Studier fra Sprog- og Oldtidsforskning , No. 39, p. 1-38.

Dieser Aufsatz des geschätzten dänischen Gelehrten behandelt die Freiheit der Sprache in der alten attischen Komödie, zumeist, wie es scheint, den Aristophanes als den ungezogenen Liebliug der Grazien. Ich bedauere sehr, über diese Abhandlung nicht eingehender berichten zu können.

W. Rhys Roberts, On Aristophanes and Agathon. The Athe- naeum, Journal of Literature, Science etc., 1899, No, 3732, p. 567.

Der ungenannte Referent berichtet über eine in der Londoner Hellenic society am 27. April 1899 abgehaltene Vorlesung über Aristo- idianes und Agathon. Roberts verglich darin die Art, mit welcher Ari- stophanes den Agathon in den Thesmophoriazusen und in den „Fröschen" (v. 83) behandelt. Roberts spricht hierbei die Ansicht aus, daß Aristo- l)hanes im Laufe der Jahre allmählich zu einer halbwegs gerechten Würdigung des Tragikers vorwärts schritt und daß er ihn zuletzt schon mehr wie seinen Freund als wie einen Anhänger der Euripideischen Schule behandelte.

W. Rhys Roberts, Aristophanes and Agathon. The Journal of Hellenic Studies, vol. XX, 1900, p. 44—56.

Die Abhandlung Roberts beruht nur auf dem schon längst be- kannten und oft verwerteten Materiale über Agathon. Das rhetorische Element bei Agathon, die körperliche Schönheit und die Wohlhabenheit des Dichters, ferner sein Verhältnis zu Euripidcs werden in ansprechen- der Weise in das richtige Licht gerückt, ohne daß hierbei irgendwie etwas Neues zu Tage träte. Vgl. auch meinen Bericht über das im Atheuaeum (1899, No. 3732) enthaltene Referat über den Vortrag Roberts gleichen Inhaltes.

J. Völker, Berühmte Schauspieler im griechischen Altertum. Hamburg 1899. Sammlung gemeinverst. wissensch. Vorträge. Heft 327.

170 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

Dieser Vortrag beruht in seinem Materiale auf der Dissertation des Verfassers De Graecorum fabularum actoribus, Halle 1880 und be- rücksichtigt auch neuere Literatur. Besprochen werden die Schauspieler der Tragödie und der Komödie im 5. und 4. Jahrb. Für die Komödie des 5. Jahrh. werden Krates, Hermon, Apollodoros, für das 4. Jahrh. Philemon, Satyros aus Olynthos, Parmenon, Nausikrates, Ariston, Phor- raiou und Lykon genannt und mit einigen Notizen vorgeführt.

H. Richards, On the use of the words Tpa-zwooc and xojjxwoo;. The Ciassical lleview 1900, XIV, p. 201—214.

Mit einigen Worten soll auch auf diese eingehende und sorg- fältige Untersuchung über den Sprachgebrauch von Tpa-^cooo? und xwfxwooc hingewiesen werden. Der Verf. ist bemüht, die allmähliche Änderung des begrifflichen ümfanges dieser Termini chronologisch zu fixieren. Weder xpayoSoj und -/(ü[i.(u5o?, noch auch das analog gebildete rpu^wooc bezeichnen im guten Attischen des fünften und vierten Jahrh. irgendwo den Schauspieler oder den Dichter. In Stellen wie Vesp. 1537, Pax. 806, Av. 787 bedeuten diese Ausdrücke in der Verbindung mit yopoc oder auch der Dativ mit im, wie in Vesp. 650, bloß das Stück oder die Aufführung desselben, also einfach: Tragödie oder Komödie. Zu Ende dieses Zeitraumes zeigt sich außerhalb Attikas bereits die An- wendung dieser Wörter für den Schauspieler, aber noch nicht mit voller Sicherheit. Ein unzweifelhaftes Beispiel für diesen Sprachgebrauch ge- hört erst dem ersten christlichen Jahrhundert an. Dagegen findet sich die Verwendung dieser Ausdrücke für den Dichter der Stücke erst vom zweiten christlichen Jahrhundert abwärts,

ß. Hessen, Aristophanes und Haluptraann. Preußische Jahr- bücher, Bd. 102, 1900, S. 83—93.

Die Tendenz des Aufsatzes geht dahin, den ,, Biberpelz" Haupt- manns darum zu verurteilen, weil dieses Stück auf das Rechtsbewußtsein des Zuschauers beleidigt und demoralisierend wirkt. Bei der Entwick- lung dieser These kommt der Verfasser mehrmals auf Aristophanes, Euripides und auf die Forderungen der Aristotelischen Poetik zu sprechen. Die Bemerkungen über Aristophanes sind von der Anschauung getragen, daß seine Komödien darauf ausgehen, ethisch zu wirken. Der Erfolg dieser Richtung auf das Publikum sei allerdings Null gewesen. Manche Bemerkungen Hessens über die hier angedeuteten Stoffe wäre ich nicht in der Lage zu unterschreiben. So bezeichnet es z. B. Hessen als eine ,, innerlich unwahre" Behauptung, daß ,,die Athener sich ein Vergnügen daraus machten, gegen die Größen des Tages das Äußerste unbelästigt aussprechen zu lassen" und daß der Aristophanische Geist bei den mo- dernen deutschen Lustspieldichteru darum nicht zum Durchbruche komme,

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) ] 7 1

weil ihnen die unbeschränkte Freiheit fehle. Hessen weist dabei auf das Psephisma hin, das unter Archon Morychides die Theaterfreiheit ein- schränkte. Die Parallele, die Hessen zwischen dem ,,Anitsvorsteher Welirhahn" im „Biberpelz" und dem Sokrates in den „Wolken" zieht und die besagen soll, dall sich Hauptmann bei der ,, naturgetreuen" Dar- stellung dieses ,, Amtsvorsteheis" einer hinreichenden politischen Freiheit erfreute, scheint mir aus mehr als einem Grunde nicht zutreffend. Vor allem ist ,, Wehrhahn" für das Publikum nur ein Typus. Sokrates aber, der in einer großenteils ungerechten Weise als Typus des Sophisten hingestellt wird, war für das Publikum der „Wolken" auch eine leib- haftige Persönlichkeit, die unter ihiem wahren Namen und wahrschein- lich in vergröberter Maske depi Gelächter preisgegeben wurde. Man mag über Theaterzensur wie immer denken, aber die Tatsache, daß die Theaterfreiheit im Zeitalter des Aristophaues selbst während der wechseln- den Perioden ihrer Einschiänkung größer war als in unseren monarchi- schen Staaten, läßt sich wohl nicht bestreiten. Störend ist der Druck- fehler „Planeten" statt ,, Platanen" in der Übersetzung des Verses Ri. 528.

A. ßoemer, tiber den litterarisch-ästhetischen Bilduugsstand des attischen Theaterpublikums. Abhaiidl. d. k. bayer. Akad. I Cl. XXII, Bd. 1901.

Der Verfasser verteidigt die These, daß das attische Theater- publikum rasche Auffassung und Geschmack besaß, daß aber auf lite- rarische Bildung nur bei einem kleinen Kreise von Zuschauern zu rechneu war. In letzterer Hinsicht verfolgt also diese Abhandlung die Tendenz, vor einer Überschätzung der Athener der besten Zeit zu warnen. Der Verfasser führt seinen Beweis mit reicher Belesen heit durch und behandelt dabei viele in das Gebiet der Redner, der Tragiker und der Komiker einschlägige Fragen in überzeugender Weise. Auch die Aristotelische Poetik wird mehrfach in den Kreis der Betrachtung gezogen. Ich kann mich natürlich nicht allen Einzelheiten der Dar- stellung anschließen. Ich erwähne beispielsweise, daß ich bei der Behand- lung der Frage nach der Verbreitung des Lesens und Schreibens und des Gebietes seiner Anwendung, des Buchwesens und der angelesenen Bildung eine genauere Sonderung der Epochen für erforderlich halte. Zwischen den Zuschauern der Acharner und der Wolken, also jener Generation, welche eben die Schrecken der großen Seuche überdauert hatte, und dem Publikum der Frösche bestand rücksichtlich der literarischen Bildung wirklich ein größerer Unterschied, als Eoemer S. 61 62 anzunehmen scheint.

Andererseits erweist er den Athenern des ausgehenden sechsten .lahrhuuderts zu viel Ehre, wenn er (wegen der ojrpaxa, S. 43 ff.)

172 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

meint, daß wir „den Analphabeten wenigstens seit der Zeit des Kleisthenes glücklich los geworden sind". Sehr gelungen ist die Behaudlung von Ran. 1109 ff. : ßtßXi'ov x' l'ytov Ixajtoc [xavöavsi xa oegia, wo sich der Verf. auf 0. Kaehlers treffliche Ausführungen stützt (Berl. phil. Wo. 1898, Sp. 103). Auffallend ist dabei ßoemers Bemerkung: „Wären die Schollen des cod. Rav. durch den librarius nicht so schaudervoll zugerichtet worden, so würden wir heute zu v. 1113 eine Erklärung der Alten lesen, die uns alle befiiedigen würde. Jetzt ist dort nichts erhalten, als die wenigen aber vielsagenden Worte: h stptoveia und damit ist der JSagel auf den Kopf getroffen." Wie kommt aber hier der arme Cod. Rav. zu diesem Tadel, da gerade er mit einer interlinearen Be- merkung ,den Nagel auf den Kopf trifft''. Was soll mau denn vom Cod. Yenetus sagen, in welchem nach Dindorf selbst diese Bemerkung fehlt? Man kann doch schließlich nicht wissen, ob „die AUen-' irgend eine Veranlassung fanden, hier über den Text mehr zu sagen, als: Iv eiptüveia Ss^ia. In der Tat genügt dies vollkommen. Alles übrige er- gibt sich von selbst, mit Ausnahme der Erklärung von esxpaxsofxevot, welche der Scholiast wenigstens versucht, Roemer aber übergeht.

J. van Leeuwen, Quaestiones ad historiam scenicam perti- nentes. Mnemos. NS. XX, 1892, p. 202—223.

Dieser Aufsatz behandelt in zwei getrennten Abschnitten Neo- phrons Medea und Sophokles als Strategen und fällt demnach nicht in den Bereich dieses Berichtes.

J. Poppelreuter, De conioediae atticae primordiis. Berlinl893.

In dieser von Carl Robert beeinflußten Arbeit folgt Poppelreuter in glücklicher Weise dem durch Ferd. Dümmlers „Skenische Yasen- bilder" (Rh. Mus. 43, S. 355 ff.) gegebenen Beispiele, alte Yasenbilder zur Erhellung der dunklen ältesten Geschichte oder der Vorgeschichte der griechischen Komödie heranzuziehen. Eingehende Behandlung findet insbesondere, die Berliner Vase No. 1928. Nach einem Gedanken Carl Roberts erblickt Poppelreuter in der Darstellung dreier behelmter und bepanzerter Jünglinge, welche auf drei anderen gebückten Jünglingen sitzen, die mit Pferdekopf und Pferdeschweif maskiert sind und ihre Richtung gegen einen Flötenbläser nehmen, ein Muster, nach welchem man sich eine Scene der Ritter des Aristophanes (595 610) zu ver- gegenwärtigen und zu erklären habe. Sowohl diese Vase als auch einige andere, wie Berl. No. 1830 und 1697 behandelt Poppelreuter in dem Sinne, daß wir durch derartige Monumente über die Darstellung, v.elche Aristoteles in der Poetik über die Anfänge der Komödie gibt, hinausgelangen und die ersten Ansätze einer politischen und scenisch halbwegs entwickelten komischen Darstellung höher hinaufrückeu mü?sen.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzingor.) 173

Im II. Teile beschäftigt sich die lesenswerte Abhandlung mit dem Aufbau der aristophanischen Komödien in der Absicht, zu zeigen, daß die lose und gerade in den Schlußscenen sich oft sprungweise überstürzende Komposition derselben nicht ein persönlicher Fehler des einen Dichters, sondern eine in dem Wesen der Gattuu;,' begründete Manier sei und daß ein besonderer Vorzug des Aristophanes gegenüber seinen Vorgängern j^erade in der strafferen Führung der Handlung wenigstens in den Aufangspartien seiner besten Stücke zu erblicken sei. Neu ist dieser Gedanke nicht, aber in seiner Durchführung be- gegnet man mancher belehrenden Einzelheit. Ferdinand Dümmler hat diese Abhandlung Poppelreuters in der Berl. ph. Wo. 1894, No. 21, Sp. 644—646 rezensiert.

E. Capps, The dramatic synchoregia at Athens. The American Journal of Philology XVII, 1896, p. 319—328.

Der Verfasser nimmt in dieser Abhandlung seinen Ausgang von Aristoph. Ran. 404 und dem dazu gehörigen Scholion. Er bespricht sodann die Verhältnisse der Synchoregie für die Tragödie und die Komödie auf der Grundlage des bekannten inschriftlichen Materials und der daran sich knüpfenden neueren Literatur. Nach seiner Dar- stellung hätten sich die genannten Verhältnisse in folgender Weise ent- wickelt: Auf das Jahr 406 ist das Gesetz zu datieren, welches die Vereinigung zweier Bürger für die Leistung der tragischen und ebenso für die komische Choregie an den großen Dionysien anordnete. Zwischen den Jahren 399 und 394 und zwar näher au 394 als an 399 wurde diese Einrichtung für den tragischen Agon wieder aufgegeben. Dagegen für die Komödie wurde die Synchoregie beibehalten, und noch vor dem J. 388 wurde die Zahl der aufzuführenden Komödien von 3 auf 5 erhöht. Dieser Zustand dauerte bis zum J. 340, in welchem die alte Ordnung der Choregie wieder auflebte. Nur wurde wahr- scheinlich um dieselbe Zeit die Bestimmung der Choregen für die Komödie vom Archon auf die Phylen übertragen. Der Sieg aber galt anch weiterhin als Sieg des Choregen, insofern er den Chor und die Phyle repräsentierte. Der Aufsatz Capps verdient bei Unter- suchungen dieser Art aufmerksame Berücksichtigung.

E. Capps, The catalogues of Victors at the Dionysia and Lenaea, CIA. II 977. The American Journal of Philology XX, 1899, p. 388—405.

Die vier Kolumnen d, e, f, g, h der unter CIA. II 977 zusammen- gestellten Fragmente erklärt Capps gegenüber U. Köhler und Th. ßergk als die Siegerliste der Komödie an den Lenaeen und zwar den Lenaeen allein. Unter dieser Voraussetzung scheint ihm der Umstand begreiflich.

1 74 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

'laß die geringeren Komiker stärker hervortreten als die be'leuteudsten JJichter. Denn die großen Dionysien seien, seitdem einmal die Komödie einen Bestandteil ihres Agens bildete, das vornehmste Schlachtfeld nicht nur für die Tragödie, sondern auch für die Komödie gewesen und die Dionysien hätten demnach die stärksten Talente angezogen. Die Lenaeen iiingegeu seien der Tummelplatz der geringeren Kräfte geworden, und Meister ersten Ranges wie Aristophaues hätten daher ihre besten Stücke für die großen Dionysien eingereicht, andere Komödien aber, auf welche sie schwächere Hoffnungen setzten, für die Lenaeen. So könne man erst recht den grollen Schmerz begreifen, den Aristophanes durch seine Niederlage an den Dionysien des J. 423 erfuhr, weil er seine „Wolken" dieses höchsten Festtages für würdig gehalten hatte. Die Fragmente i und k derselben Inschrift weist Capps den großen Dionysien zu, nicht den Lenaeen. Daß sich auf diesem neuen Fundament bedeutende Ver- änderungen gegenüber den bisherigen Annahmen über die Wirksamkeit mancher griechischer Komiker ergeben, liegt auf der Hand. Diese J^inzelheiteu des wichtigen Aufsatzes mitzuteilen, ist mir nicht möglich. AVeiterhin (S. 399) wird CIA. II, 977c der Liste der Komiker zugeteilt, desgleichen 977 n und m. Daß sich diese Fragmente auf die Lenaeen bezögen, stellt Capps in Abrede. Außer den genannten Fragmenten rechnet Capps noch 977 1 zur Liste der Komiker (wegen der Nennung des Philemou), dagegen bestreitet er, daß irgend ein anderer Teil der unter No. 977 zusammengefaßten Partikelchen, mit Sicherheit der Liste der komischen Dichter zugerechnet werden dürfen, also auch nicht a', (i und r. Bezüglich der Liste der Tragiker und der Verzeichnisse der Schauspieler der Tragödie und Komödie weicht Capps nur in gering- fügigen Einzelheiten von Köhlers Ansätzen ab.

E, Capps, Chronological studies in the Greek tragic and comic poets. The American Journal of Philol. XXI, 1900, p. 38—61.

In diesem Artikel zieht Capps die Konsequenzen seiner Auffassung von CIA. II, 977 (vgl. Americ. Journ. of Philol. 1899, XX, p. 388 ff.) für verschiedene chronologische Angaben über einige griechische Tragiker und Komiker. Z. B. bezüglich Menandros knüpft Capps an Wilhelms Besprechung der neuen Fragmente des Marmor Pariura an (Athen. Mitteil. XXII, 1897, p. 200). Wilhelm macht dort darauf aufmerksam, daß Menandros in der Siegerliste (CIA. II, 977 g) vor dem Philemon steht. Capps erklärt diesen Umstand dahin, daß Menandros früher einen Sieg an den Lenaeen davontrug als Philemon. Dieser erste Sieg Menanders an den Lenaeen kann nun mit Rücksicht auf das Geburts- datum des Dichters (342/341) nicht vor 321 gesetzt werden, aber auch nicht viel später, weil dies die Chronologie des Philemon verbietet.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 175

Nach Capps war nun dieser erste Sieg Menanders nicht derjenige, den er mit der'Op-j-rj gewann, sondein die 'öpYr, setzt Capps in das Jahr 315, während Wilhelm sie dem J. 321 zuweist. In gleiclier Weise be- spricht Capps Daten über Theodektcs, die beiden Astydamas, die zwei oder gar drei Apollodoros, Kephisodotos nnd Kephisodoros, Ari^tomenes, Antiphanes itnd Alexis. Seine Polemik ist zum Teile gegen Kaibels einschlägige Artikel in der Encyklopädie von Pauly-Wissowa ge- richtet. —

Ettore Romagnoli. La „cnmmedia fiaba" in Atene. Atene e Roma I, 1898, p. 177—186.

Im wesentlichen ist dieser Aufsatz nur ein Referat über Zielinskis ,,Die Märchenkomödie in Athen", Petersburg 1S85. Der Verfasser an- erkennt, daß Zielinskis Arbeit anregend und lehrieicli sei, tritt aber den von ihm gewonnenen Ergebnissen entgegen, indem er die Existenz einer Märchenkomödie für Eupolis und Aristophanes in Abrede stellt.

G, Lettner, Bau, Wesen und Bedeutung des sogenannten .•\gons in den aristophanischen Komödien. Jahresbericlit des k. k. II. Ober- gymnasiums in Lemberg. 1894.

Diese Zusammenfassung der hauptsächlichsten Ergebnisse der in polnischer Sprache erschienenen Abhandlung des Verfassers macht in ihrer deutschen Gestaltung den Eindruck einer Kritik des Zielinskischen Buches (1885) über ,,Die Gliederung der altattischen Komödie", in welcher der sogenannte Agon besondere Berücksichtigung findet. Lettner gelangt zu manchen Anschauungen, die von den Ansichten Zielinskis erheblich abweichen, mitunter ihnen auch geradezu entgegengesetzt sind.

C. Haym, De puerorum in re scaenica Graecorum pavtibus. Dissertationes philologicae Halenses. XIII, 1897, p. 219—294.

Haym unterscheidet in dieser Abhandlung das Alter der in den griechischen Dramen dargestellten Kinder und den Grad ihrer Ver- wendung. Seine Untersuchung erstreckt sich auf die erhaltenen und die verlorenen Stücke der drei großen Tragiker und auf die erhaltenen Komödien des Aristophanes. Innerhalb dieser letzteren wird nur das Kind der Myrrhine in der Lysistrata (v. 879 ff.) als Puppe bezeichnet. Dagegen die in den Acharnern, Rittern, Wespen und im Frieden vor- kommenden Kinderrolleu werdeu auch von wirklichen Kindern und zwar des jedesmal der Rolle entsprechenden Alters und Geschlechtes ge- geben. So ist z. B. schon längst und zwar mit vollem Rechte anerkannt worden, daß die in den Acharnern (v. 781 ff.) vorgeführten Mädchen wirkliche Mädchen sind und daß dies das Salz der Stelle ausmacht, du

176 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.)

ja sonst die saftig-cn Spaße über yoTpoc unniöu'lich wären. Die Abhand- lung Haynis beschränkt sich jedoch keineswegs auf die fleißige Sammlung und Erörterung der einzelnen in Betracht kommenden Stellen, sondern gelangt auch zu eiuev interessanten Verarbeitung dieses Materials. Unter anderem sucht der Verfasser festzustellen, daß es Euripides war, der zuerst die Kinderrollen schuf und sich ihrer auch am meisten be- diente (eXesivov). Von der Alkesfis (438) angefangen bis /u den Hike- tiden (421?) bringt Euripides fast in jedem Stücke singende Kinder auf die Bühne, dann noch zweimal im Herakles und in den Troades stumme Kinderrolleu. Vom Jahre 415 abwärts scheint Euripides diese Rollen aufgegeben zu haben. Die Kinderrolleu bei Aristophanes erscheinen demnach im wesentlichen als Euripidesparodie. Aus der Zeit vor den Achainern ist eine derartige Kinderrolle für die Komödie nicht nach- weisbar. Aber auffallend ist, daß die häufigere Anwendung von Kinder- rollen in der Komödie gerade aus jenem Zeiträume zu belegen ist, in welchem sie auch in der Tragödie am meisten beliebt waren. Die Schlüsse des Verfassers, der in den Datierungen der Stücke (z. B. Antigene älter als Ajas: S. 220) den Ansätzen von Wilamowitz folgt, gehen manchmal weiter als das Material reicht, das doch ganz lückenhaft ist, und daher weiter, als ich folgen kann. Meines Erachtens liegt z. B. keine Nötigung vor, die Rolle des Eurysakes im Ajas für jünger zu halten als die Kinderrollen in der Alkestis.

A. Couat, Notes sur la division du choeur dans les comedies dAristophane. Melauges Henri Weil, p. 39 66.

Der seit dem Erscheinen des Werkes bereits verstorbene Ver- fasser beschäftigt sich in dieser Abhandlung mit der Frage, ob der Chor bei Aristophanes stets in Halbchöre geteilt war oder nicht. Von diesem Gesichtspunkte aus behandelt er die Chorgesänge der einzelnen Komödien und gelangt zu dem Resultate, daß durchgängige Antichorie nicht nur für die Parabase und die Parodos, sondern auch für alle Stasima nachweisbar sei. Hingegen bei der Exodos hätten sich die beiden Halb- chöre, die getrennt in die Orchestra eingezogen und während des ganzen Stückes getrennt geblieben waren, zu einem Vollchore zusammenge- schlossen. — Die Ausführung dieser These läßt m. E. manchmal die erforderliche Klarheit vermissen. Auch das Verhältnis Couats zu dem anregenden Buche Zielinslds bleibt unklar. Der Verfasser sagt z. B. S. 39: „Zielinski a soutenu que le choeur etait toujours divise en deux demi-choeurs." Wer nun das Buch von Zielinski nicht kennt, müßte glauben, daß das erwartete Neue in den Aufstellungen Couats die Exodos betreffe und daß somit Couat das Urteil Zielinskis ein- schränke.

Bericht über die Literatur d'^r griechischea Komödie. (Flolziager.) 177

Zielinski aber sagt zwar auf S. 277 seiner „Gliederung der alt- uttischen Komödie" (1885): ,,Ich suchte zu erweisen, daß der komische Chor nie oder so gut wie nie voUstiramig gesungen hat, sondern immer in Halbchöre gespalten war" aber die Exodos hatte Zielinski schon S. 276 ausdrücklich ausgenommen, indem er dort sagt: ,,Wir nehmen in der Exodos auch Vortrag durch den Gesamtchor an."

H. Dähn, Scenische Untersuchungen. Progr. Danzig 1892.

Diese Abhandlung befaßt sich vorzugsweise mit dem Königspalaste als Dekoration der tragischen Bühne. Für die Komödie kommt diese Arbeit nicht direkt in Betracht.

J. Pickard, The relative position of actors and chorus in the greek theatre of the V. Century B. C. The American Journal of Philology XIV, 1893, p. 68—89, p. 198—215, p. 273—304.

Der erste Teil dieser Abhandlung ist der Hauptsache nach iden- tisch mit John Pickard, der Standort der Schauspieler und des Chors im griech. Theater des V. Jahrhunderts. Diss. München 1892. Sein Inhalt ist durch den Spezialtitel ,,consi<leration of the extant theatres" umschrieben. Im zweiten Artikel werden die 14 Dramen des Aischylos und Sophokles mit Rücksicht auf die Bühnenfrage durchgesprochen. Im III. Teile p. 273— "287 behandelt der Verf. die Euripideischen Tra- gödien und p. 287 304 alle ei'haltenen Komödien des Aristophanes. Der Autor kämpft gegen die hohe Bühne und für die Vereinigung von Schauspielern und Chor auf der Orchestra. Auf die Einzelheiten dieser seinerzeit verdienstlichen Schrift einzugehen, ist nicht möglich, da sie durch die Ereignisse begreiflicherweise überholt wurde. Daß der Autor das Problem der liohen ,,Vitruvischen" Bühne der ,, Bühnenfrage" überhaupt gleichsetzte und nicht bemerkte, daß seit dem Bau von Pa- raskenien, welche die Orchestra nicht erreichten, ein außerhalb der Orchestra gelegener Spielplatz der Schauspieler Itz\ jxtjv^c von selbst gegeben war, kann man ihm nicht verargen. Die Wahrheit zu finden, war erst nach dem Erscheinen der genauen Angaben Dörpfelds möglich. Z. B. bei der Behandlung der ,, Vögel" sagt Pickard: This play could not be „set" on a „stage", and the actors have evidently entered by the parodos. Mit keinem Worte wird dies wirklich bewiesen. Da die Vögel, die sich auf der Orchestra tummeln, die beiden Athener lange Zeit hindurch nicht bemerken, obwohl der Epops ihre Anwesenheit ge- meldet hatte, können die beiden Schauspieler nur auf dem außerhalb der Orchestra lirl sxrjvrj; gelegenen Räume hinter einem Baume oder einem Felsen versteckt gewesen sein, versteckt vor den Vögeln, nicht vor den Zuschauern. Stellen wie ßX£({>ov xatoj und ^Xetts vüv avu> (v. 175) beweisen natürlich nichts für den Standort des Schauspielers. Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 12

178 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

K. Zacher, Die erhöhte Bühne bei A ristophanes. Philologus LV, 1896, p. 181—185.

Zacher behandelt folgende These: ,, Gegen die von Dörpfeld und seinen Anhängern verfochtene Ansicht, daß das Attische Theater des 5. Jahrhunderts keine erhöhte Bühne gehabt habe, sondern daß Schau- spieler und Chor auf demselben Niveau der kreisrunden Orchestra agiert hätten, erheben einige Stellen des Aristophanes den lautesten Wider- spruch, an denen die Worte (Jvaßaiveiv und xaraß^iveiv so gebraucht sind, daß jeder Unbefangene sie vom Besteigen der Bühne oder Herabsteigen von derselben auffassen muß. Es sind die folgenden: V^esp. 1514: -/.axa- ßaxeov |x' Itt' autou?. Equ. 148 ff,: otupo oeüp' w cptXxaTS, avaßatve aojTTjp ttJ TCfAst xai vwv (pavei'c Ach. 7.32: aiJ-Saxö -otrav [j.5ooav. Vesp. 1342: ävocßaive oeüpo 7pu30|xY)XoXov{}tov." Zacher bespricht diese Stellen und nimmt namentlich Equ. 14B ff., dann aber auch Ach. 732 und Vesp. 1342 für seine Ansicht in Anspruch. Das von Bodensteiner (S. 697 und 721) z. B. zn Eur. Herc. 119 ff. durchgeführte Gegen- argument, daß „alle Stellen, wo beim Auftreten von Schauspielern ein Ansteigen angedeutet ist, in gleicher Weise auf das Auftreten durch die Parodoi'' zu beziehen sind, läßt Zacher nicht gelten. Er findet viel- mehr für die drei ältesten erhaltenen Stücke des Aristophanes eine über die Orchestra erhöhte Bühne bezeugt. Daß diese Bühne höchstens ein paar Stufen höher gewesen sei als die Orchestra, habe schon G. Her- mann (Opusc. VI, 2, 153) angenommen. Die natürliche Entwickelung' der Bühne sei mutmaßlich die gewesen, „daß die ursprüngliche Thy- mele sich immer mehr erweiterte und immer mehr vom Mittelpunkt in den Hintergrund, auf die den Zuschauern abgewendete Seite der runden Orchestra verschob". Zacher glaubt demnach annehmen zu dürfen, ,,daß die gemauerte Orchestra selbst, wie für die Männer- und Knabeochöre, so auch für die tragischen und komischen den Tanzplatz bildete , nur daß für die Dramen jedesmal über einen Bruchteil der Orchestra, dessen Größe vielleicht je nach den Bedürfnissen der aufzuführenden Stücke wechselte, eine niedrige Bühne errichtet wurde, so daß der Chor sich auf den übrigbleibenden Teil der Orchestra beschränkt sah." Warum Zacher diese niedrige Bühne nicht gleich ganz aus der Orchestra bis an ihre Peripherie hinausschiebt und mit dem Räume Im oxriv?)? gleich- setzt, gibt er nicht an, und ich meinerseits halte dies für die schwache Seite dieses für die Bühnenfrage bei Aristophanes im übrigen lehr- reichen Aufsatzes.

Th. Papadimitracopoulos , Le poete Aristophane et les Partisans d'Erasme. 'EXU^ IV, 1892, p. 96—104, 145—169^ 227—202.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 179

Der Verfasser beruft sich vieltach auf seine im J. 1889 erschie- nene Schrift: Bofsavoc tüjv -spl xr^c 'EXX.7)viy.^C Trpofpopac epafffiixciv a-o- oti^etüv und auf den Aufsatz: Nouveaux documents epigraphiques demon- trant l'antiquite de la prononciation des Grecs modernes ('EXXots vol. II p. 247 279), deren Inhalt er zum Teil abermals vorträgt. In der vorliegenden Abhandlung sind die zu beweisenden Thesen nicht mit wünschenswerter Klarheit ausgesprochen. So will er z. B. p. 99 be- weisen, quon faisait grand usage dans TAttique du i au lien du tj. Man empfängt aus solchen Äußerungen die Anschauung, daß bei Ari- stophaiies nach der Ansicht des Verf. rj wie t geklungen haben sollte. Aber ?. B. p. 258 heißt es; i\ part la prononciation de Tt), de Tu et de l'oi, qui est differente de celle du t, aiusi que la diminution des voyelles longues en bröves, la prononciation moderne ne parait diflförer presque en rien de Tancienne. Noch verwirrter sind die Be- weise des Verfassers. Denn während er häufig von Aristophanes aus- geht, bringt er unermüdlich Stellen aus papyri und Inschriften der ver- scliiedensten Zeiten und Dialekte, sowie auch Stellen der mannigfaltigsten Autoren von Homer bis in die christlichen Jahrhunderte. Man fragt sich vergebens, wie auf diesem Wege ein Beweis für die Aussprache der Komödien des Aristophanes aufgebaut werden soll. Und selbst wo Papadimitracopoulos wirklich einmal bei der Sache bleibt, die er nach dem Titel seiner Arbeit vertreten soll, bringt or zwar reichliches Ma- terial vor, aber die Schlüsse, die er daraus zieht, sind nicht im min- desten überzeugend. Z. B. im Frieden v. 926 folgt aus dem Wortspiele ßot ßorjösiv in keiner Weise, daß Aristophanes ßorjOsiv so ausgesprochen habe, wie es die Neugriechen tun (p. 97 u. p. 253). Oder man sehe, was er p. 156 über Vesp. 316 sagt: „Aristophane teraoigne aussi qu'il prononcait le ai comme e long quand il fait bröve l'iiiterjection expri- mant la douleur al aT en l'ecrivant par le s bref : e e." Es ist doch im Gegenteile ganz klar, daß Aristophanes ai ai meint, wenn er al al sagt; will er aber e e sagen, dann schreibt er 'i z. Weder durch solche „Beweise", noch auch durch die daran geknüpften leidenschaftlichen Tiraden, die namentlich gegen den verdienstvollen Friedrich Blaß gerichtet sind, werden sich die Erasmianer widerlegt fühlen. Gerade ein Komiker übrigens sollte als Basis einer derartigen Untersuchung mit besonderer Vorsicht behandelt w'erden.

W. Uckermann, Über den Artikel bei Eigennamen in den Ko- mödien des Aristophanes. Progr. d. Sophien- Gymn. in Berlin, 1892.

Uckermann behandelt den Gebrauch des Artikels bei Völkernamen im Plural, bei Städtenamen und Ortsbezeichnungen, bei Länder- und Inselnamen, bei Gebirgs- und Vorgebirgsnamen und bei Flußnamen.

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180 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

Die Fortsetzung dieser Arbeit soll die Beobachtungen des Verfassers über die übrigen Eigennamen, die Götter- und die Personennamen um- fassen. Die vorliegende Abhandlung beruht auf sachi^eniäßer Benutzuncr der vorausliegenden Literatur, aus welcher außer Krüger und Kühner. Friedrich Blaß (Rh. Mus. 44 S. 1 ff.), Kallenberg (Philologus NF. III S. 515 ff. und im Progr. d. Fried. -Werderschen Gymu. Berlin 1891), sowie 0. Bachmanns Schrift Conj. observ. Aristoph. Spec. I. 1878 hervortreten. Das Ziel, das sich Uckermanu stellt, ist die Erkenntnis der Stellung, welche die gesprochene attische Volkssprache rücksichtlich der Artikelsetzung bei Eigennamen im Vergleiche zur geschriebenen Musterprosa einnimmt. Daher betont Uckermann vor allem den Ge- brauch des Artikels im jambischen Trimeter des Aristophanes und steuert bei der Vorführung des gesammelten Materiales und bei der Ab- wägung der einzelnen Fälle, welche der offenkundigen Regel wider- sprechen, dem Resultate zu, daß auch Aristophanes im Setzen des Artikels bei Eigennamen festen Gesetzen folge. Gerade bei der Unter- suchung dieser unfügsamen Stellen wird auch der Leser manchmal durch die für die Ausnahme gegebene Rechtfertigung nicht überzeugt sein. Ein Beispiel hierfür habe ich in der Besprechung des Aufsatzes van Her- werdens über einige Stellen der Friedenskomödie (Mnemos. N. S, XXV, 1897) gegeben.

J. Strachan, Koseformen in der Anrede. Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung, NF. XII, 1892, p. 596.

Strachan macht darauf aufmerksam, daß xavötuv im Vesp. 199 Koseform für xavör^Xio? sei, aber in Pac. 82 für xavöapo; und daß diese Koseform beide Male in der Anrede gebraucht sei. Diese Notiz schließt sich an eine Anmerkung W. Schulzes an, die H. Zimmer in den Keltischen Studien auf p. 195 desselben Bandes anführt.

W. Pecz, Die Tropen des Aristophanes verglichen mit den Tropen des Aischylos, Sophokles und Euripides. Ungarische Revue XIII, 1893, p. 198—205.

An der Hand der von ihm aufgestellten stofflichen Kategorien, welche den Gruppen der Tropen zu Gründe liegen, und unter der Vor- aussetzung, daß Si^ekdoche und Meton3'mie ein Ausfluß der Reflexion, dagegen die Proportionstropen (Metapher, Gleichnis, Allegorie) Ausflüsse der Phantasie sind, gelangt Pecz zu dem Resultate, daß die Synekdoche und die Metonymie bei Aristophanes nur etwa ein Achtel der Propor- tioDstropen bilden. Da er nun in einer früheren Arbeit (Berliner Stud. f. klass. Phil. u. Arch, 1886, HI, 3) erwiesen hatte, daß die Synek- doche und die Metonymie bei x'\ischylos beiläufig ein Sechstel, bei So- phokles ein Drittel, bei Euripides mehr als die Hälfte der Proportions-

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 181

trüi)en ausmachen, beweist nicht nur die Konzeption der Dramen, sondern auch das Zahlenverhältnis der verschiedenen Tropen, daß unter den vier großen Dramatikern die Phantasie des Aristophanes die größte, die Reflexion die kleinste ist. Ohne in der Lage zu sein, auch die übrigen Sätze vorzuführen, in denen Pocz die Tropen des Aristophanes in kulturgeschichtlicher Hinsicht verwertet, muß ich nur kurz be- merken, daß mir in der Aufstellung der stofflichen Kategorien, auf denen sich die Zählungen und Schlüsse des Verfassers aufbauen, manches willkürlich zu sein scheint. Z. B. die Kategorien der Metonymie sind bei Pecz: ,,Der Mensch, die Kochkunst, Speise und Trauk, der Krieg, das staatliche Leben, die Gärtnerei und der Ackerbau" (S. 200). Die Ungleichheit des begriiiflichcn Umfanges dieser Kategorien muß sich natürlich bei der Klassifizierung der einzelnen Beispiele geltend machen, Z. B. S. 204 sagt Pecz: „bei Eur. Hek. 129—131 xd ok Kasavopa; Xex-p' oüx ecparr,v r?,; 'AyiASta? Trpojfhv ör^jeiv roTS Xo'iyjii steht das Bett für das "Weib und die Lanzeuspitze für den Krieger, d. h. zwei Metonymien aus verschiedenen Kategorien, die eine aus der Kategorie des Menscheu, die andere aus derjenigen des Krieges, fließen in ein Bild zusammen." Zunächst steht hier nicht ,,Bett für das Weib", weil der Eigenname dies ver3iindp*'t. Und wenn Ka^avopti; Xexxpa in die „Kategorie des Menschen" fällt, so täjlt doch 'A-/iXX£iai X677T)? mit gleichem Rechte in diese Kategorie, und dann gehören also diese zwei Metonymien nur einer Kategorie an. Auch fließen diese zwei Metonymien nicht zu einem Bilde zusammen, sondern sie sind mittelst der Antithese scharf vonein- ander getrennt. Solche Bemerkungen aber lassen sich leicht vermehren. Auf 8. 205 heißt es: „Bei Eur. Phoen. 1380—1381: xaTipoi 6' ottw; dTQ7ovTec d-.'pt'av ^svuv | ?uv^t|;av wird der Kinnbacken für zwei verschieden- artige Tropen gesetzt, in erster Reihe als Synekdoche (für Zahn) und die synekdochische Bedeutung desselben als ein Glied des Gleichnisses." Keineswegs! Denn das letztere wäre nur dann der Fall, wenn nicht xa-pot dastände, sondern wenn die zwei Helden mit zwei Eberkinn- backen (-fsvuec xairpcuvj verglichen wären, was der Dichter wohlweislich zu tun unterlassen hat. Ebensowenig könnte ich zugeben, daß bei Aisch. Pers. 821 822 fle'po? für zwei verschiedene Tropen gesetzt sei, und zwar als Metonymien für Saat (richtig) und gleichzeitig als Me- tapher für Gram. Letzteres ist unrichtig, weil ja doch na7xXauTov im Text steht. -a-f/.Xautov öspo; heißt Ernte der Tränen, Tränensaat, aber niemals heißt Ospoc ,,Gram'\

C. L. Jungius, De vocabulis antiquae comoediae atticae, quae

apud solos comicos ant omnino inveniuntur aut peculiari notione prae-

djta occurrunt. Trajecti ad Rhenum 1897.

Der Inhalt dieses in zahlreichen Kritiken besprochenen Werkes

182 Bericht über die Literatur der grieciiischen Komödie, (llolzinger.)

ist durch den ausführlichen Titel zur Genüge umschrieben. Der Verf. gibt ein alphabetisch geordnetes Verzeichnis aller derjenigen Wörter, welche entweder nur bei den Dichtern der alten Komödie vorkommen oder doch wenigstens, falls sie sich auch bei anderen Schriftstellern finden, bei den Komikern eine besondere Bedeutung aufweisen. Ein Lexikon zu den Komikein ist dies also nicht, ein Index ebenfalls nicht. Aber als eine Vorarbeit zu einem Komikerlexikon kann das Werk wohl betrachtet werden. Warum der Index von Jacobi, der den Schluß der Meinekeschen Fragmentausgabe bildet, nicht einmal genannt wird, weiß ich nicht zu sagen. Daß er den gegenwärtigen Ansprüchen nicht mehr zu genüiieu vermag, scheint mir für diese völlige Ignorierung kein hin- reichender Grund zu sein. Die vorliegende Arbeit ersetzt nur jenen Teil der Artikel Jacobis, der sich auf die apyaia y.ui\).wo\.a erstreckt. In dieser Beziehung ist das Wortverzeichnis des Verfassers reichhal- tiger, weil es nicht nur die neueren Entdeckungen berücksichtigt, son- dern die Artikel über die einzelnen Wörter auch mit gelehrtem Appa- rate ausstattet. Ich verweise noch auf die Rezension Siegfried Reiters in der Zeitsch. f. d. österr. Gymn. 1899 p. 303.

Hilfswörterbuch zum Aristophanes von J. llirschberg. I. Teil. Leipzig 1898.

Der Geh. Med. -Rat und Professor Dr. J. Hirschberg in Berlin bietet in diesem Heftchen die Übersetzung der selteneren Vokabeln der Acharner, Ritter, Wolken, Wespen und des Friedens, indem er als ein Liebhaber des Aristophanes meint, anderen Liebhabern des Dichters das Lesen des Originaltextes erleichtern zu sollen. Als Arzt und Fach- mann spricht sich Hirschberg über einige wenige Stellen aus. Zu Equ. 376 bemerkt er, dai) die Finnenprobe nicht nach dem Schlachten des Schweines gemacht wurde, sondern an dem lebenden Tiere. Zu Equ. 909 sammelt er einige Stellen über die Häufigkeit der Augenent- zündungen bei den alten Griechen. Weniger beifälli.g kann ich Hirsch- bergs Anmerkung zu Equ. 755: x£/ir)v£v tojirsp £|x-oö''Cujv isyaöa? be- sprechen. Hirschberg schlägt evjTop-iCcuv vor, indem er meint, k\i.r.oo{.^tvj bedeute zwar nach einer Angabe „anbinden", „aufreihen", aber bei dieser Tätigkeit sperre man den Mund nicht auf. Man hat m. E. diese Stelle bisher darum nicht verstanden, weil man den zwischen dem xexrjvevai und dem efxTiootUiv ts/aoa; bestehenden Kausalnexus verkannte und verdrehte. Nicht darum sperrt der Greis den Mund auf, weil er Feigen zum Trocknen an Schnüren aufreiht; im Gegenteile, weil der Greis in seiner Greisenhaftigkeit und Gedankenlosigkeit stets mit offenem Munde dazusitzen pflegt, kann man ihn zu keiner Arbeit mehr ver- wenden, die größere Ansprüche au die Kräfte des Geistes und des

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 183

Körpers stellt als das Anreihen von Fcigfen an Schnüren. Wer mit diesem Gedanken an Equ. 755 herantritt, wird die Stelle sofort aufge- klärt finden und in p]qu. 1119 xeyTjva? y.-X. und Equ. 1262 Ks-/T)vaiwv passende Parallelstellen erblicken. Ob man die Bedeutung von eixTrooiJ^stv gerade darauf zurückführen solle, daß -ou; oder -oo-.ov den Frucht Stengel bezeichnen kann, an welchem sich die Feige festbinden läßt, will ich hier nicht entscheiden. Vgl. S. 208 das über Piccolominis Aufsatz Gesagte.

Bielecki, Les mots composees dans Eschyle et dans Aristophaue. Etnde litteraire et grammaticale. Lu.xembourg 1899, Beffort. (Mir unbekannt.)

E. liomagnoli, Ei;, [j-ia, sv. Studi ital. di tilol. class. VII, 1899, p. 175 180.

Der Verf. klassifiziert den Gebrauch von £1;, \i.'.x, sv bei Aristo- phaues. Er unterscheidet den rein numeralen Gebrauch, den Gebrauch als Ordnungszahl annähernd wie rpwro; (Ri. 131, Ach. 1162), den Gebrauch als unbestimmten Artikel (Av. 1292) und kommt schließlich auf die Bedeutung von v.; ^ [irr^o^ zu sprechen. Das Ziel des Aufsatzes geht dahin, zu erweisen, daß si; den Sinn von jxovoc nur durch den Zusammenhang erhalte und daß dies durch den Kontrast von eic gegen- über aWi oder anav-s; oder Tosaüxa oder gegenüber einer Grundzahl erreicht werde. Daher habe man an mehreren Aristophanesstellen, in denen solche Kriterien des Kontrastes fehlen, zU bisher unrichtig mit jxovo; gleichgestellt und habe es mit „einer allein" oder im Italienischen mit un solo übersetzt, während dem ei; an solchen Stelleu nur die Kraft eines articolo indeterminato zukomme. Als solche Stellen bezeichnet Romagnoli vielleicht mit Recht Av. 550 [iiav opviöwv tcoXiv, Av. 588 -('Xauxüiv Xoyo; zU, Av. 590 ä-iiXri [iia xi/Xiuiv, Ach. 1033 (jTaXa^jxov £ipr,vrjc £va , Ach. 1053 xuai%v EtpY]vTjc eva. Hingegen würde ich ihm bezüglich Av. 1639 f^ixei; izep' 7uvatx6; [xia; T:oXe|x-f,jo[xsv; nicht bei- stimmen. Hier ist fxtä« doch stärker als der unbestimmte Artikel des Deutschen oder des Italienischen. Auch ist der vom Verf. verlangte (^uautitätsgegensatz vorhanden, da unter fjfxei; keine geringeren Personen als Herakles und Poseidon zu verstehen sind. Noch weniger würde man bei Eccl. 594 ä)X sva -o:<L xoivov arra^iv ßiorov xal Toürov o[xotov mit dem unbestimmten Artikel ausreichen, was übrigens der Verf. selbst als zweifel- haft bezeichnet. Eine sichere Regel über st; -= |x6vo; wird man darum schwer ausfindig machen, weil es der Zusammenhang oft zweifelhaft läßt, ob ein Quantitätskoutrast angenommen werden solle. Aber gerade für die Entscheidung dieser Fälle wäre eine solche Regel recht erwünscht, wie z. B. für Ri. 37: iv 0' aO-o-Jc -apai-rjaop-eila.

184 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.)

M. Dufour, Etüde sur la Constitution rhythmique et metrique dn dranie grec. Travaux et menioires des facultes de Lille, tome III, 1893, No. 14, deuxicme serie: Aristophane. Les grenouilles. S. 35—70.

Der Verfasser teilt die Batrachoi in ihre Hauptpartien und diese wieder in ihre Unterabteilungen ein, druckt den ganzen Text aller lyrischen Partien nach Theodor Bergks Ausgabe ab und fügt die voll- ständigen metrischen Schemata hinzu, denen er auch die ihnen zu- kommenden Bezeichnungen und Namen beisetzt. Bezüglich der theoretischen Auffassungen, welche diesen Schemata zu Grunde liegen, verweist der Verfasser auf das Werk: Traite de Rhythmique et de Metrique grecques de 0. ßiemann et M. Dufour, Paris, Collin 1893. Dufour ist ein Schüler ßiemanns und Charge du cours de Philologie grecque et latine k la Faculte de lettres de Lille. Man darf daher wohl vermuten, daß diese Arbeit als Anleitung der dortigen Studieren- den gedacht ist. '

A, Couat, La parodos dans les comedies d' Aristophane, Revue des Universites du Midi. Nouvelle Serie, Tome I (Annee XVII), 1895, p. 363-385. ~

Couat behandelt in diesem Aufsatze die Parodoi aller Komödien des Aristophanes sowohl mit Rücksicht auf die Stellung, welche der Parodos in jeder dieser Komödien zukommt, als auch in Bezug auf scenische Fragen. Couat gelangt zu folgenden Resultaten: 1. In der größeren Zahl der Komödien und zwar von den Acharnern bis ein- schließlich zur Lysistrata ist die Parodos ein Haupistück der Komödie, enthält die Exposition, vervollständigt dadurch den Prolog und bereitet die Lösung des Konfliktes vor. Von den Thesmophoriazusen an ver- liert die Parodos diese Bedeutung mehr und mehr. 2. In der Aristo- phanischen Komödie und zwar von den Acharnern bis zu den , Vögeln"' nimmt der Chor in der Parodos einen wesentlichen Auteil an der Handlung und tritt auch in den Konflikt wie ein Schauspieler ein. Erst nach der Parodos verwandelt sich der Chor in einen Schiedsrichter zwischen zwei Parteien. In der Lysistrata zeigt die Parodos in diesem Punkte bereits eine große Verschiedenheit gegenüber den älteren Stücken. Mit den Thesmophoriazuseu beginnt die Parodos auf den Rang eines lyrischen Zwischenspieles lierabzusinken. In dieser Zusammenfassung seiner Resultate hat Couat die Lysistrata ungenau behandelt, da er S. 375 richtig angibt, daß ihre Parodos nicht mehr die Exposition des Stückes enthält. -- Die Resultate, welche Couat für die scenischen Fragen gewonnen zu haben glaubt, beruhen nicht auf sicheren Schlüssen. Den Dörpfeldschen Ansichten tritt er aller-

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (nolzinger.) 185

dings vollständig bei; aber mit Couats Methode ist nicht einmal der eine Satz Dörpfelds zu erweisen, daß Schauspieler uud Chor auf dem gleichen Niveau spielen, geschweige denn die andere Behauptung Dörpfelds, daß die Orchestra lür Schauspieler und Chor der gemein- same Standort sei. Die Stellen, die Couat im einzelnen anführt, um den innigen Kontakt zwischen den Schauspielern und dem Chore dar- zustellen, beweisen liöchsteus, daß der Niveauunterschied zwischen ]Uihne und Orchestra geringlügig war. Daß Bühne und Orchestra von- einander nicht zu trennen seien, beweisen sie nicht,

H. S teurer, De Aristophanis carmiuibus lyricis. Straßburg, 1896.

In dieser Arbeit werden die lyrischen Partien der aristoplianischen Komödien analysiert und charakterisiert und zwar zu dem Zwecke, um ■/M zeigen, -daß die älteren Stücke des Dichters in ihren lyrischen Teilen mehr durch Einfachheit, die späteren hingegen durch Freiheit und Künstlichkeit hervorstechen. Der ältere Stil zeige sich namentlich in den Acharnern und in der Lysistrata. Die Höhe seiner Kunst in musikalischer Hinsicht erreiche Aristophanes in den Thesmophoriazuscn und in den Fröschen. Dann komme der Verfall. Die "Wolken zeigen nach der Ansicht des Verf. in der genannten Beziehung mehr den Charakter der späteren Periode, als den der älteren Zeit. Steurer bringt diesen Umstand mit der Retraktation des Stückes in Ver- bindung. Auf mich hat diese Einzelheit, sowie auch manches andere nicht überzeugend gewirkt. Ich weise auch auf Otto Kaehlers Kezension (Berl. ph. Wo. 1898, Sp. 1221 1222) hin, wo man den Inhalt des Schriftchens nach Kapiteln angegeben findet.

C. 0. Zuretti, Analecta Aristophanea. Torino 1892.

Im ersten Abschnitte dieses fleißig gearbeiteten Werkes gibt der Verf. einen Bericht über die in Italien befindlichen Handschriften des Aristophanes. Er bespricht die Aiistophanescodices der Bibliotheca Ambrosiana, jNIarciaua, Laurenziana, Estensis, Vaticana, der biblioteca Nazionale di Napoli, der bibl. Univeisitaria di Ferrara, der ßiccar- diana , Marucelliana, der bibl. Corauuale di Perugia, der Barberiuiana, Valicclliana, des Archivio di S. Pietro, der bibl. Capitolare di Verona und Nazionale di Toriuo, Comunale di Cremona, Ciassense di ßavenna, TJniversitaria di Messina. Dann gibt er auf S. 33 ff. einen Überblick über die Aristophaueshandschriften anderer Länder. In einem zweiten Abschnitte behandelt der Verf. die handschriftliche Grundlage, auf der die Aldina beruht. Er bezeichnet die Aldina als eine wahre Edition und spricht ihr den Rang eines Codex ab. Ein mühevolles Kapitel ist der Personenbezeichnung in den Handschriften des Pluios

186 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

gewidmet, ein anderes dem Iudex fabularum des Cod. Yaticanus 918. Die letzte Abhandlung beschäftigt sich mit den Tzetzesscholiea zu Aristophanes, denen er eine grüliere Bedeutung beilegt, als dies früher geschah. Eine ausführliche Besprechung gibt Zacher in seinem Jahresberichte 1892, S. 26 ft'., (55 ft".

C. C. Zuretti, Su alcuni nomi di personaggi nelle comedie di Aristofane. Ilivista di filol. vol. II (= XXIV), 1896, S. 44-78.

Zuretti knüpft an Eduard Hillers bekannten Aufsatz an: „Über einige Personalbezeichnungen griechischer Dramen, Hermes 1874, Ylll, 442 ff., sucht ihn durchaus zu widerlegen und vertritt demnach die These, daß tür Rollen, wie die des Dieners des Euripides in den Acharncrn, für die Sklaven in den Rittern, den xTiSeaTY^; der Thesmophoriazusen, den Torwärter des Hades in den Fröschen u. dgl. durchweg schon in den ältesten für den Buchhandel bestimmten Exemplaren die Eigennamen Kephisophon, Nikias, Deraosthenes, Kleon, Mnesilochos, Aiakos u. s. w. eingetragen gewesen seien. Er stützt sich dabei auf die Analogie der Parepigraphae und meint überdies, daß dem Leser durch die Nennung der gemeinten historischen Personen noch immer lange nicht die gleiche Hilfe zum Verständnisse dargeboten war, als den Zuschauern etwa durch die Maske und durch die Vertrautheit mit den zpitgenössischea Ver- hältnissen und Personen. Diese Personenbezeichnungen seien in den indices personarum, den Hypotheseis, Schollen und Glossen allmählich von dem auf die Typenfiguren der neueren Komödie gerichteten Sinue der späteren Generationen durch allgemeine Bezeichnungen, wie rnxsrr)?, i)£pa-(i>v, xYjSeaxY]? u. dgl. verdrängt worden. Die Arbeit Zurettis geht tief in Einzelheiten ein und verdient jedenfalls die Berücksichtigung der Fachgenossen. Man vgl. auch eine Bemerkung Zachers, Aristo- phanesstudien 1898, S. 1—2.

W. Allen, On the composition of some Greek manuscripts. II. The Ravenna Aristophanes. The Journal of Philology, XXIV, 1896, p. 300-326.

W. Allen beschäftigt sich in diesem Aufsatze mit der Art der Anfertigung des Codex Ravennas durch die Schreiber, und zwar in der- selben Weise, in der er in derselben Zeitschrift 1894, No. 44, p. 157— 183 den Codex Laureutianus 32, 9 behandelt hatte. W. Allen gibt die Zahl der „Hefte" oder „Lagen", aus denen R besteht, mit 25 an und erklärt das Abweichen von den Angaben seiner Vorgänger. Er gibt weiterhin an, aus wie vielen Halbbogen jede Lage besteht und wie viele und welche Blätter als Einzelblätter eingeschoben sind. Er erörtert sodann die Frage, inwiefern das Leerbleiben einzelner Seiten oder einzelner Teile von Seiten mit dem Anfange der nächsten Komödie in

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 187

Zusammenhang zu bringen sei. Wichtig für die Benrteilnng des Zu- standekommens der Handschrift sind vor allem folgende Aufstellungen Aliens. Der Schreiber, der den ganzen Text schrieb (T), hatte das Be- streben, den Anfang einer Komödie auf den Anfang einer neuen Seite (page) zu bringen. Dagegen ist nicht anzunehmen, daß er beabsichtigte, in einer „Lage" gerade eine Komödie unterzubringen oder in einer Gruppe von Lagen eine Gruppe von Komödien wiederzugeben. Der Begriff des „Heftes" oder der „Lasre" (quire) hat also keine Bedeutung für die Geschichte dieses Textes. Der Schreiber hatte es mit einer Vorlage zu tun, die dem heutigeu Ravennas im Formate und, wie Allen mit Zacher übereinstimmend meint, auch im Alter sehr nahe stand. Daß dieser Schreiber T an drei Stellen Einzelblätter einfügte und zwar einmal drei, einmal eines und einmal zwei, erklärt W. Allen aus großen Hlattlücken, die T erst nachträglich bemerkte, wobei es W. Allen un- entschieden läßt, ob diese Blattlücken sich schon in der Vorlage be- fanden, oder ob T einzelne Blätter aus Unachtsamkeit übergangen hatte. Bezüglich der Scholienschreiber ist W. Allen der Meinung, daf.l es deren allerdings zwei gab, die er mit A und B bezeichnet, daß aber A nicht identisch sei mit der Texthand T. Durch die Erklärung des Vor- kommens von Einzelblättern und mit der Unterscheidung der Hände T und A hat mich "W. Allen nicht überzeugt. Als störend habe ich bei dem Studium dieses beachtenswerten Aufsatzes empfunden, daß auf S. 301 der Ausdruck page für „Blatt" gebraucht wird, da der Codex R aus ,191 pages" besteht, während derselbe Ausdruck page weiterhin „Seite" heißen muß, wenn dasjenige, was Allen über die Anfänge der Komödien feststellt, richtig sein soll (S. 301—311). T'nd den Ausdruck archetype gebraucht er S. 325 für die unmittelbare Vorlage des Schreibers.

H. van Her wer den, De codicum Aristophaneoram Ravennatis et Veneti lectionibus. Muemosyne NS. XXVI, 1898, p. 94—111.

Der Verfasser handelt nicht von den Scholien , sondern von dem Texte der codd. RV für alle Komödien des Aristophanes mit Ausnahme der Eipr^vr,, bezüglich deren Ttxtanlage er auf seine Ausgabe verw'eist. Man muß leider zugeben, daß Herwerden in dem kurzen Vorworte zu seiner Arbeit ganz mit Recht bemerkt, daß man bei dem Texte der Aristophanischen Komödien noch immer häufig genug im Zw^eifel darüber ist, welchej|Lesart die wichtigsten Handschriften darbieten. Herwerden gibt aus diesem Grunde zu 10 Komödien jene Lesarten des Cod. R an, welche Blaydes in seinem Apparate entweder überging oder unrichtig angab. In gleicher Weise behandelt er die Lesarten des Venetus nach Cobets Kollation, die in der Universitätsbibliothek zu Leyden aufbe- wahrt wird. Für die Stücke, welche in der von Velseu begründeten

188 Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

Ausgabe noch immer nicht erschienen sind, ist dies ohne Zweifel ein dankenswerter Behelf. Die Texlkollation des R hat Hervverden selbst „olim" angefertigt.

K. Zacher, Kritisch-grammatische Pareiga zu Aristophanes. Leipzig 1899 (SA. aus d. VII. Supplementbande d. Piiilologus).

Dieses Werk, dessen Behandlung man wegen seines mannigfaltigen Inhaltes in dem allgemeinen Teile dieses Berichtes erwarten durfte, habe ich in dem Abschnitte über die Parepigraphae und in dem Re- ferate über Rutherfords Ausgabe der ßavennasscholien besprochen.

Ganz kuiz kann ich mich über das Buch Ijzerens fassen:

De vitiis quibusdam principum codicum Aristophaneorum scripsit J. van Ijzeren. Amsterdam 1899.

Zacher hat dieses Werk in der Berl. phil. Wo. 1901 No. 4 ein- gehend besprochen. Ich hebe aus dieser Rezension nur hervor, daß Ijzeren gegen 200 Stellen des Aristophanes aus den sieben im Venetus erhaltenen Stücken behandelt und sie nach Kategorien der Felilerquellen anordnet. Die Schrift bietet also eine Sammlung von Beispielen zu einer Theorie der Textkritik, während man nach dem Titel erwartet, in diesem Buche Erörterungen über die Eigenart der Haupthandschriften des Aristophanes zu finden.

W. Headlam, Various conjectures IL Journal of Philology XXI, 1893, p. 75—100.

Auf S. 81 dieser Sammlung von Konjekturen wird Aristoph. Pac. V. 1144 behandelt: aXX' a^aus töjv cpa^r^Äuiv, w -juvai, xpEt; yoivixa?. Aus den in den Ausgaben angegebenen Schwankungen der Lesart zwischen a9aus, acpauae und a^eue glaubt Headlam schließen zu sollen, daß Aristo- phanes einen Infinitiv schrieb: acpau[y£iv, «(peusiv, a'faüjai oder dcpeusat und beruft sich hierfür auf Pac. v. 1153: wv hv{Y.' w r^ai ipC rj[xrv, Iv öe ööüvat ~iö Tcarpt. Man sieht aber auf den ersten Blick, daß dieses Beispiel anders geartet ist und daß ein Infinitiv statt a'fotus in v. 1144 sowohl wegen des unmittelbaren Anschlusses an dlXa, als auch wegen der im V. 1143 vorangehenden Konstruktion eixitisiv eij-oq' «pssxst durchaus nicht am Platze wäj-e. Man muß im Gegenteile a'faue lesen und 9pu?ov inter- pretieren, wie es die Scholien tun. Um gei'östete Bohnen handelt es sich, die zum Weine geknuspert werden sollen, nicht um abgebrühte (a-fsus) Schoten, die als Gemüse zu essen wären. Mit dem Praesens a^aue vgl. oTi-ua z. B. bei Antiphanes frg. 226, 227 v. 11 Kock.

H. van Herwerden, Studia Aristophanica. Mnemos. NS. XXIV, 1896, p. 266-310.

In diesem Aufsatze bringt Herwerden zahlreiche textkritische Bemerkungen zu allen Komödien des Aristophanes. Am reichlichsten

Bericht über die Literatur der griecbischen Komödie. (Holzioger.) 189

wird die Fiiedenskomödie mit Konjekturen bedacht, mit deren Heraus- gabe sich Herwerdeu gerade damals beschäftigte. Ich werde daher diesen Abschnitt genau besprechen. Es werden darin 56 Stellen der Pax behandelt und meistens neue Konjekturen vorgeführt. Von diesen halte ich nur folgende für beachtenswert: Für die Verse 2, 4 und 11 empfiehlt Herwerdeu den Beistrich vor der Apposition. In v. löO liest er -ro'j»ö" l'iM rovouc "ovöi, v. 163 fjixepicüv st. fjfxspiviöv, V. 197 stJtv, £-/9£C, V. 568 a'jTaic st. auTcüv, v. 816 ttqvo' £opTr,v, v. 1251 xoivSe st. TtovSc, 1310 err' St. £3x\ Zweifelhafter ist mir für v. 870 Herwerdens Schreibung -a'pa st. xal, weil man vielleicht doch aus dem Vorangehen- den xaXa £3Tiv zu ocTra^aKavTa ergänzen kann. Zweifelhaft ist auch die Versetzung des v. 961 hinter v. 957. Denn unter der Annahme, daß Trygaios von 2 Dienern bedient werde und nicht bloß von einem Diener, sind alle Veränderungen in der Stelle überflüssig. Zweifelhaft ist auch in v. 1114 der Ersatz von -o'.rj(j£t; durch x£v öeiV,?, weil man dem Dichter nicht die Wiederholung desselben komischen Elementes mehrere Male hintereinander zutrauen darf. Es genügt Tpr,yuv ^^Tvov zu wiederholen, womit sich ein bestimmter Zweck verbindet. Die übrigen Konjekturen Herwerdcns in diesem der Pax gewidmeten Ab- schnitte würde ich bestimmt ablehnen, z. B. in v. 418 «xe-a xaüi)' statt xa |j.£7aT. Herwerden -scheint den Scholiasten mißverstanden zu haben, als wolle er besagen, daß es damals kleine Panatbenaeen noch nicht ge- geben habe. Ich komme auf diese Vermutung, weil Herwerden im Kom- mentare seiner Ausgabe sich für die Existenz kleiner Panatbenaeen auf ]\[enander und auf ,,tituli" beruft. Kleine Panatbenaeen erwähnt z. B. Lysias XXI, 2 ausdrücklich für das Jahr des Diokles (408 v. Chr.), vgl. A. Mommsen, Feste der Stadt Athen p. 48. Der Scholiast erklärt die Stelle unrichtig, wenn er meint, Aristophanes habe (X£7dXa nur gesagt: au^ujv xTjv yapiv. Für V. 427 schlägt der Verf. ei' i6vx£c vor st. £iaiovx£; und bezieht sich für £la auf 7 Stelleu des Aristophanes. Aber gerade diese Stellen lehren, daß dXX' £ta nicht so weit voneinander getrennt werden kann, als dies Herwerdens Konjektur voraussetzt. Da in dem aWri gewissermaßen ein Anstoß zu etwas Neuem ausgedrückt ist und in £ia ebenfalls, ist es begreiflich, daß der Dichter a.)X £la ueben- einandersetzt, wenn er sich beider Wörter bedient. Die Konjektur ver- folgt natürlich nur den Zweck, das mißliebige £icnovx£c wegzuschaffen, weil man es nicht verstehen zu können behauptet. Aber gerade dieses £iaiovx£; ist für die richtige Vorstellung der Bühnenverhältnisse sehr wichtig. Die Choreuten müssen sich vom Tanzplatze des Chores auf den Standort der Schauspieler, also auf den Platz et:! ctxyiv^, der zwischen den Paraskenien liegt und mit einem Dache gedeckt ist, begeben und von dort in die Tür des Skenengebäudes eintreten. Es handelt sich

] 90 Beiiclit über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.)

darum, einen Koloß aufzurichten, der vom Schnürboden aus au Seileu j^elenkt wird. Die wirkliche Arbeit leistet eine Maschinerie. Die Choreuten arbeiten nur zum Scheine mit, markiren nur ihre Kraftan- strenguug- und sind dabei in der Nähe der Tür gruppiert, die meisten außerhalb, einige auch innerhalb. Eine so wichtiRe Stelle darf man weder durch schlechte Erklärung, noch durch eine Textveränderung wegräumen wollen. In den Versen 989 990 schreibt Herwerden: oV ooü 6(-/a xot'i rA-A Itt) | Tpuy6\).z^' rfiri statt des überlieferten: ol' aou TpuxoixsvT rfiri \ xpi'a y.al oix exT). Offenbar rechnet Aristophanes von den Dionysien 432 bis zu den Dionysien 421 zwölf ganze Jahre. Da nun an den Dionysien 421 der Friede noch nicht geschlossen war, rechnet er noch die nächste Zeit hinzu, also ein dreizehntes Jahr. Er kann gar nicht anders geschrieben haben als xpia xoti oe'-a l'xr). Hätte er z. B. ouo xai oe'z exr] gesetzt, würde niemand ouo absichtlich in xpia umgeändert haben. Bei einer genauea Vergleichung aller Einzelheiten dieser Abhandlung mit der Ausgabe und dem Kommentar zur EipiQVYj desselben Verfassers ergibt sich, daß Herwerden nui- wenige seiner Kon- jekturen in den Text setzte und manche ganz zurückzog. Jedenfalls wird man durch seine Vermutungen, auch wo sie nicht zutreffen, auf Schwierigkeiten aufmerksam, die der Text darbietet. Zu den , .Fröschen" teilt Herwerden 13 Konjekturen mit. Zwei davon muß ich billigen: die Athetese des v. 780 und die Schreibung: ttsivtjv os xo östTcvetv in V. 1478. Die Konjekturen zu den übrigen Stücken zu besprechen, ist mir leider durch den Mangel au Raum verwehrt.

T. H alber tsmae Adversaria critica, edidit van Her werden. Leidae 1896.

Ich habe diesen Band in der Wo. f. kl. Phil. 1896. No. 19, Sp, 505 508 ausführlich in seinem dem Homer und dem Hesiod ge- widmeten Teile gekennzeichnet. Für diesen Jahresbericht kämen p. 53 68 mit 54 Konjekturen zu Aristophanes' Ach., Equ., Vesp., Av., Lys., Thesm., Ran., Plut. und 10 Bemerkungen zu den frag. com. in Betracht. Indessen ist die Auslese dessen, was nach methodischer Kritik von diesen rasch hingeworfenen und zumeist nur kurz angedeuteten oder auch gar nicht begründeten Einfällen übrig bleibt, sehr unbedeutend. Der Herausgeber selbst hat in seinen Fußnoten ein böses Beispiel ge- geben, indem er dort nicht wenige der im Text gebrachten Vermutungen seines verstorbenen Freundes sachte ablehnt.

F. Corazzini, La Marina in Aristofane. Torino 1898.

Diese Abhandlung bildet Appendice I. in Corazzinis Storia della Marina railitare e commerciale tom. II, parte II, p. 291—332. Sie

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 191

enthält eine Sammlung von Stellen aus neun Komödien des Aristophanes (es entfielen die Wolken und die Ekklesiazasen), in denen irgend ein dem Seewesen entlehnter Ausdruck verwendet wird. Corazzini nimmt hierbei aber keine Rücksicht auf die gelehite Aristophanesliteratur des letzten Jahrhunderts außerhalb Italiens und begnügt sich auch gegen- über der Leistung seiner eigenen Landsleute damit, einzelne Übersetzer wegen gelegentlicher nicht ganz genauer Übertragungen derartiger ter- mini technici anzugreifen und wie Unwissende zu behandeln. In dieser Weise findet mau t^bersetzungen von Castellani, Alfieri, Franchetti und Capellina erwähnt und außer ilinen nur noch Brunck. Dieser Mangel an Apparat bringt es mit sich, daß auch dort, wo Corazzini gegenüber einem der genannten Übersetzer im Rechte ist, dennoch für die Wissen- schaft selbst nichts abfällt, da er nichts Neues bietet. Als Beispiel wähle ich die Behandlung von Kan. 180: wott, iiapaßaXou. „Aleuno (!) annota: oop! e la voce allora usata nelle barche a piü rematori per regolare 11 ritmo uniforme e concorde nel navigare (Keleusma)." Dieser „Alcuno" betrachtet also unrichtigerweise Cook als ein xeXeujjxa, welches verwendet werde, um die Gleichförmigkeit des Taktes im Rudern herbei- zuführen. Corazzini hat aber diesen „Alcuuo" nicht verstanden; denn er setzt ihm folgende Bemerkung entgegen: Non direi che questa voce fosse allora usata nelle barche a pih rematori a regolare il ritmo, ossia le canzoni, ossia il celeusma. Come poteva regolarsi una canzone con la voce oop? Als hätte der „Aleuno" vom Rhythmus des Gesanges gesprochen! Schließlich findet C, daß wo- „stop" heißt, was man schon längst weiß. Unberechtigt ist auch der Tadel gegenüber Fran- chettis Übersetzung von Raii. 1220: u'^soilat (xot ooxsi. „Ammaina". Gerade dieser italienische Terminus entspricht dem griechischen G'^Esöat viel genauer als Corazzinis serrare le vele. Zu Ran. v. 121 wird Castellani wegen der Bemerkung getadelt, daß dpavtoü nicht bloß den Schemel, sondern auch die Ruderbank bezeichnen könne. Corazzini meint, letzteres müßte f)pavos, aber niclit Opaviov heißen. „Sfuggi l'iota al bravo Castellani." Aber Passow, Pape u. s. w. geben PoUux I, 94 für öpaviov ^ Ruderbank an.

W. Passow, De Aristophane defendendo contra invasionem Euripideam, Pars prior: de terminis parodiae. Pars altera: de fide scholiornm. Hirschberg i. Schi. 1897, 1898.

In obigem nicht ohne weiteres verständlichen Titel verbirgt sich die Absicht des Verfassers, nachzuweisen, daß sowohl von den alten, als auch von neueren Erkläreru des Aristophanes ziemlich viele Verse des Dichters ohne genügenden Grund als Eigentum des Euripides und bei dem Komiker als Euripidesparodie aufgefaßt würden. Bei dieser

1 92 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.J

kritischen Prüfung- der von manchen neueren Gelehrten oder auch schon von den Scholiasten und ihren Quellen ansicnommenen Enripidesparodien ist Pas?;ow ohne Zweifel in vielen Einzelheiten im Rechte. So lehnt er z. B. Zielinskis verunglückten Einfall ab, daß Ar. Equ. 80: aXXot !Ty.6::ei, ortüj; av a:to»)av(Da£v avopr/.cuTata eine Parodie von Eur. Hei. 841 sei: TzZi ouv Oavou(i,e&' tusis xal oorav Xct^-ierv. Vgl. Zielinski, Gliederung d. a. K. S. 97 und Passow a. a. 0. I. S. 6. Neben anderem fällt auch auf Nauck der Vorwurf, in seiner Liste der frag, adesp. 42 63 (TGF. p. 847 if.) zu weit gegangen ^u sein. Bei dieser Verweisung vieler sog-. Parodien unter die Pseudoparodien sucht Passow auch die Grenzen beider Gattungen sowohl durch theoretische Erörterungen, als durch Beispiele, die der deutschen Literatur entnommen sind, möglichst genau zu bestimmen. So erklärt sich also auch der Titel: De terminis parodiae. In der zweiten Abhandluag, die mit der erstgenannten im engsten Zusammenhange steht, prüft Passow die Glaubwürdigkeit der Scholiasten bei ihren Angaben über das ■n'xpa-p'X'jiooth bei Aristophanes. Daß diese Prüfung nicht zu Gunsten der Scholiasten ausfallen werde, weiß der Leser schon nach der Lektüre des ersten Teiles der Abhand- lung. Auch in diesem zweiten Abschnitte der Aibeit findet man viel Richtiges. Nur sollte man nicht vergessen, daß wir trotz aller Skepsis, mit der wir die Behauptungen der Scholiasten stets zu prüfen haben, ihnen gleichwohl zu unauslöschlichem Danke verpflichtet sind. Im übrigen verweise ich auf 0. Kaehlers Rezension in der Berl. ph. Wo. 1900, No. 16, Sp. 481—485.

J. Vahleu, [QuaestionesAristophaueae]. Ind. lect.hib. Berol. 1898.

Vahlen geht in dieser Abhandlung zunächst S. 1 8 vom aristo- phanischen Spracligebrauche aus, um einige Athetesen im Piatontexte als ungerechtfertigt zu bezeichnen. So wie man Platou häuög auf einen knappereu Text zu reduzieren und mauche Weitschweifigkeit seines Stils zu beschneiden mit Unrecht unternommen hatte, so ist dies auch häufig genug dem Aristophanes ergangen. Indem nun Vahlen auf den Komiker übergeht, weist er in seiner sorgfältigen und zwingenden Art nach, daß folgende als Glosseme behandelte Stellen des Dichters heil und richtig sind: in Equ. v. 913: avaXicxovTa tcuv ac/.'jzoZ, Lj^sistr. 975: xai rpr,3Trjpi $u(jTp£(}^a? y.at, Thesmoph. 61: xal aujxps'^^a^, Ean. 204: «Tisipo?, wozu natürlich xoü iXauvöiv zu denken ist und nicht : -r^ i>aXa-r/);, schließlich in Ran. 1086: eiazaxcuvTwv xov ö'^ixov cxsi.

W. J. M. Starkie , Emendations. Hermathcna, vol. X, No. XXIV, 1898, S. 246—247.

Für Acharn. 1091 schlägt Starkie opvi'öcuv ^aXa vor, statt des überlieferten ai uopvat napa und für v. 1093: op-/TiaTpiöe? o cd „<&iXTa&'

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.) 193

'Ap(J.oote', '/.rt-Xii, statt; op-/r,3rpiO£;, zb. ^O.TOtf)' 'Ap[xootou xaXai. Schließ- lich wird türEqu. 816: [xsj-fjv rupJiv-eTriyeiXrj, empfohlen. Hier wäre wenigstens der Gedanke ansprechend, daß Themistokles durch die Be- gründung der athenischen Seemacht auch zur reichlichen Einfuhr von Getreide nach Athen die Veranlassung gab. Die schwächste dieser drei Vermutungen ist die zu Acharn. 1091 gegebene.

ß. Steiner, Aristophanes. Magazin für Literatur LXVIII, 1899, Sp. 127—129.

Steiner, der bekannte Herausgeber des genannten Blattes, knüpft in seinem Artikel über Aristophanes an die in Berlin veranstalteten ^Historisch-modernen Festspiele* an, die auch eine Aufführung der „Vögel- und des , Weiberstaates " brachten. Dei- Hauptsache nach be- schäftigt sich dieser Aufsatz mit der Tendenz der „Vögel". Peithetairos, der am Schlüsse der Aristophanischen Dichtung mit den Blitzen des Zeus auftrete, sei nicht ernsthaft zu nehmen. Aus dem Geiste des Aristophanes heraus könne dieser , Übermensch" nicht im Sinne Friedrich Nietzsches, sondern „nicht anders aufgefaßt werden wie der Frosch, der sich aufblasen will, bis er so groß wie ein Ochse ist. Ein Bild unwiderstehlicher Komik soll dieser Mensch sein, unglaublich lächerlich dadurch, daß er, der Knirps, mit den Attributen des großen (iottes vor uns stehf. „Aristophanes wollte wohl nur den kleineu Menschen zeichnen, der sich hinstellt und meint, ein Gott zu sein." Diesen Gedanken, der die Billigung der Philologen schweilich finden dürfte, sucht nun der Verfasser durch einen Hinweis auf die politischen Zeitverhältnisse des Stückes seinen Lesern etwas näher zu bringen. Die Brücke zwischen der Behandlung der Aves und einigen Bemerkungen über die Ekklesiazusen bildet der Satz: „das Geheimnis der Komik liegt darin, daß ein vollständiger Widerspi'uch als wirklich vor uns auftritt." So kann denn der Verfasser fortfalnen mit den Worten- „Nach dem- selben Rezept ist der Weiberstaat gearbeitet." Das Ideal des mensch- lichen Zusaminenlebens, von der Gütergemeinschaft bis zur freien Liebe, werde als wirklich vorgeführt und dadurch „soll es sich selbst lächerlich machen". Die Ekklesiazusen mit einigen Strichen als ein Thesenstück hinzustellen, kann allerdings nicht schwer fallen. Aber diese Komödie mit den „Vögeln* auf einen Leisten zu schlagen, geht denn doch nicht an, da es Tj'pen verschiedener Gattungen sind, deren Wesen besser durch die Hervorhebung der Unähnlichkeiten begriffen würde.

B. Lakou, KpiTiy.a y.al £p|j.r,v£UT'.y.a eJ; xou; "EX^rivac opaixa-txouj. 'AÖTiva, tom. XII, 1900, p. 385—446.

Der Aufsatz bescliäftigt sich vorwiegend mit Euripides. Nur zum Schlüsse bringt der Verf. 5 Vermutungen zu Aristophanes. Be- Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVl. (1903. I.) 13

194 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.

acbtecswert ist seine Behaudluue von Vesp. 1215: öpocf.v {^iazj.:. xps- xao-; 2OX?,; iSauaajov. Anch die nenereii Herausgeber van Leeuweu, Blaydes, Green. Starkie, Alerry wissen mit den xpsxao-' auXfjC nichts Eechtes auzuiaugen. Gegen eine beilere Darstellung von Vögeln in einem Speisezimmer, seien dieselben in einen Vorbang eingewebt oder nur aufgemalt, spricht m. E. vor allem das Wort /.oixao'.ov selbst, da doch der Vogel xoi- als rnglücksvogel galt. Lakou hat dies nicht hervorgehoben nnd scheint überhaupt nur Kontos und die Scholiasten zu berücksichtigen. Aber seine Konjektur xpoxaXi' äOat^? dürfte ein Treffer sein. Er erklärt xpo/.aX;a als 6^90'.. indem er hinzufügt: 3uvt,9£j x67}tT,u.a Tiüv ajXtüv T;jav 'yr,9tü-::c' -aparräiE'C. ojx 0X1711 [A^'/P'-» ^|iüiv rsptsiüösiaai. Eher würde ich an einen Mosaikboden aus Kieselsteinen denken. Znr Auempiebhmg der neuen Lesart in diesem Sinne weise ich auf Av. 175 hin, wo der Epops ebenfalls bald hinauf, bald hinab- blicken soll, oposr, und xpoxaX-.a stehen m. E. in einem örtlichen Gegen- sat2e. durch den die Stelle sehr gewinnt.

Mit Recht weist Lakon auch bei Vesp. 129: 6 0' üj-nspsl xoXo-.o? ajTtp -Ol— aXo-j^ j i'/sxpousv i? tov toi/ov, e-r' sir/.Xsto darauf hin, dali sich die Dohle nicht selbst die Pflöcke einschlägt, wie dies Philokleou tat. Daii sich die Erklärer mit £;riXX£-:o als Verbuni zu xoXoio; behelfeu, ist wirklich kaum zu billigen. Aber die Heilung, die Lakon vorschlägt, 6 0' S)z-to zl: xoXo'öv xtX. wird schwerlich Beifall finden. Die übrigen Bemerkungen sind abzulehnen. Ach. 255 256 gibt der Verf. in folgender Gestalt: . . 0 j i' orussi xdx 7:oir]j$-:ai 7aXfj? 1 as [t-r^oh f^-zov }oth, sniioav opÖpo^ 7^. Das ist ein Gedanke Bergks, der jedoch einsah, daß man dabei an dem ix scheitert. Was soll hier bei Lakon das vom Verbum abgetrennte xax? In Av. v. 62 schreibt L.: outiuc ~'. osivöv ojos xaXX'.ov X£7£'.c; offenbar ohne Brnnck als Vorgänger zu kennen, der wenigstens sinngemäßer interpimgierte. Für Thesm. 289 schlägt er vor: xal TOV ö'j7aTpoc yoipov ivopoc uo: r-r/th, ohne ZU beachten, daß b'jva-rpoc bei Arisioph. Vesp. 573 ein Tribrachys ist und da;J darum schon Scaliger, Küster, Bergler, Brunck, Bekker, Bothe, Weise nnd Dindorf tov 9'J7aT£po; yoloo' billigten, während B.eiske t^? i^j-ioLziort; ver- langte. Verf. scheint nicht einmal die Ausgabe von Blaydes benutzt zu haben, der dies alles und noch mehr angibt.

H. Piichardä. Aristophanica. Th»^ Classical Review XV, 1901, p. 352 355 und 385 391.

Es werden im ganzen etwa 40 Stellen verschiedener Komödien des Ai'istophanes besprochen, zumeist in kritischer Hinsicht. Bemerkens- wert erscheinen mir folgende Vorschläge: 1. Equ. 599: lies u>c 0" ox statt lo; Zz\ 2. Equ. 1386: 1. oj r.tow.-t'. St. orrsp v.zv., 3. Nub. 146;

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 195

). a/.o'-o si. 'I/./.otTo, wobei Richards die Konjektur Piccolominis Xaipe©ü>v -öv ^tuxpaTTiV anempfiehlt. Nebenbei bemerkt geben auch R und V vloiTo und hat Tenffel (1863) diese La. in seinen Text gesetzt und Blaydes schließt sich dieser Schreibung in der adnotatio an. 4. Vesp. 967: 1. aioo-j to'jc Ta^.aizojpoufisvoy; st. iXüi xtX. Mit Recht bezeichnet er i/Av. als Glossem, während Starkie, der die Äußerungen des Verf. in der Oxf. philol. Society vom J. 1894 nicht kannte, die Schrittzüge von eXesi aus aiooü ableiten will. 5. Pac. 479: 1. svr/ov-at tw S-JÄcp st. t'/rjy-ii TOJ ;'JXou, 6. Av. 753: 1. si Tic ujxtuv, (L btazii, ßo-jAETa». -rif r,[i.£paj I 0'.a-Xr/.£tv ^«Zv tjoeü); to Xoi-ov, u>; V}i5; itüj St. ei jxst" opviöiov -:-.; ufiüjv, w öeaxai, ßouXETü'. -/.tX. 7. Ran. 905: Richards erklärt eixova; als Gleichnisse, Yergleichungen (nicht: Metaphern) unter Hinweis auf Vesp. 1308 ff. 8. Ran. 950: 1. r^ otrrJJ-r^^ st. yCo oe^-ott^c. Die übrigen Verbesserungsvorschläge sind zum Teile sehr zweifelhaft, zum Teile sicher unrichtig. Ich will nur einige Proben anführen. Richards schreibt Ach. 318: urep £-i;r,voü '8£Xt,3ü> -ov rspl 'i''J'/7;; opaasiv (st. TTjV xssaXrjv lytov Xr/siv). Den Daktylus hat schon Wilamowitz (Isyll. p. 8) gegen Porson mit Recht verteidigt. Alb. ilüUers Ansicht, daß zwischen v. 317 und 318 eine Aposiopese stattfindet, die Richards nur aus van Leeuwens Ausgabe kennt, ist zu künstlich, um richtig zu sein. Es ist nichts zu. ändern. Ach. 410 Richards erklärt c/vaSaor^v durch „with the legs up". Dies hatte aber Blaydes schon im J. 1Ö45 in seiner ersten Ausgabe beantragt, und in der neueren Ausgabe führt er diese Auffassung schon auf den alten Frischlinns zurück. Daß diese Erklärung des avaßaor^v unrichtig ist, beweisen die Worte des Euripides: xa-oSaivEiv o" oO j/oXt,. Für Ran. 814—829 empfiehlt Richards eine neue Versfolge, zum Teile nach Dobree, nämlich 814 817, 822—825, 826—829, 818—821. Die überlieferte Versfolge schildert die abwechs- lungsreichen Phasen des hin und her wogenden Kampfes in prächtiger Weise und Uian sollte sie nicht verunstalten. Das Gleiche gilt von Eqn. 15—18. Der Verf. gibt 15 dem OIK. A und darauf 17, 18, 16 dem OIK. B. Schon diese rngleichheit der Verteilung spricht gegen sie.

Th. Zielinski, „Marginalien I." Philologus LX. 1901, S. 1—16.

Aus diesen vermischten Bemerkungen bezieht sich p. 5—6 auf Ran. 302 und Lysistr. 833 fi'. Mit A. Sonny (in der russ. philol. Rundsch. IV, 1, 190) erblickt Zielinski in den Worten Ran. 302: •.'&' -/■-ep spyT) osypo, ^süp', ^ dizno-a eine an die Empuse gerichtete Bann- formel. Hieraus fällt nach Zielinskis Ansicht ein helles Licht auf Ly- Sistrat. 833—34: w zoTvia Ky-pou xal K-j&V.oiüv xal Ha^ou | [ieösouj', •Tt' opöV v'-sp äpy.si rr^v 66ov. Der Scholiast bezog den zweiten Vers

196 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Hoizinger.)

auf Aphrodite. Man muß ihn jedoch mit Zieliuski als an Kiuesias ge- richtet betrachten. Lysistrata will den Kinesias „durch die Bauuformel als Ungeheuer kennzeichnen, wobei das eingeflochtene zweideutige (3p9r)v die Parodie markiert".

In ebendemselben Aufsatze S. 11 beschäftigt sich Zielinski mit Vesp. 578: T:aiou>v xot'vuv öoxtixaCofxe'vtov xatooia Trapesrt deaaöai. Er be- handelt die Frage, in welchem Falle gerade die Heliasten dazu berufen waren, eine Inspektion der aioota bei den Knaben vorzunehmen. Bei der Erörterung dieser Frage hatte sich schon van Leeuwen im Kom- mentar zur Stelle auf Aristot. de ßep. Ath. 42 bezogen. Ausführlicher erörtert Zielinski diesen Gegenstand. Bei der Eintragung der Knaben in die Bürgerrollen hatten die Demoten darüber abzustimmen, ei öoxoüji -fs^ovevai tyjv TjXixiav tyjv ex toü vojxou. Wenn nun die Demoten die Altersreife eines Knaben bezweifelten und seine Eintragung ablehnten, stand den Vertretern des Knaben die Appellation gegen dieses Urteil an die Heliaia frei. Dieser Punkt ist in dem jetzigen Texte der 'A^TQvatwv TCoXiTsi'a nicht ausgeführt. Daß aber hiervon bei Aristoteles die Rede war, erschließt Zielinski aus dem jjlev (av [ih a-o'|^.) im jetzigen cap. 42. In diese Lücke tritt nun nach Zielinskis Ausführungen die Stelle des Aristophanes ein. Insofern Zielinski hiermit eine Text- lücke in Aristot. Ath. polit. c. 42 andeutet, könnte ich nicht bei- stimmen. Man vgl. van Leeuwens Anmerkung im Kommentar zu Aristot. Ath. polit. 42. col. 21 1. 5 ff., vvo er sich auf Lipsius, Verh. der Sachs. Ges. 1891, p. 63 bezieht.

U. von "Wilamowitz-Moellendorff, Über die Aufführbarkeit der aristophanischen Komödie. Das literarische Echo. I. Jahrg. 1898— 1899, S. 538-540.

Anläßlich der Aufführung zweier Stücke des Aristophanes in Berlin am 29. Januar 1899 wurde v. Wilamowitz von der Redaktion des literarischen Echo befragt, wie er ,,über die Aufführbarkeit des Aristophanes auf der modernen Bühne dächte". Der Verfasser zeigt nun zunächst, daß es ,, unmöglich ist, die Komödie auch nur von fern so zur Darstellung und dementsprechend zur Wirkung zu bringen, wie es der Dichter getan hat". Gründe: 1. Das unanständige Kostüm und die Zote. 2. Unmöglichkeit, die Musik und den Tanz der Lieder nach- zubilden. 3. Auch inhaltlich können manche Lieder, z. B. der Para- base, die altbekannte Kultgesänge waren oder an solche erinnerten, auf das moderne Publikum nicht in gleicher Art wirken. 4. Politische und persönliche Anspielungen sind verblaßt. So weit wird man die vom Verf. vorgetragenen Ansichten gerne unterschreiben. Im zweiten Teile des Aufsatzes wird der Gedanke erörtert, daß es sich bei der

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.) 197

Übersetzung: und der dramatischen Aufführung eines alten Bühnen- werkes, sei es nun Tragödie oder Komödie, nicht um die „sogenannte Treue" und nicht um eine „antiquarische Lektion", sondern vielmehr um die , .Erneuerung" der antiken Dramen liandle. Man habe nicht ,,die Aufführung der Antigene vom Jahre so und so viel v. Chr. zu imitieren", sondern mau habe „die Antigone zu spielen". Diese Auf- fassung, die auf dem Gebiete der Tragödie bereits allgemein bekanut geworden ist, bringt v. Wilamowitz nun auch der ,, Erneuerung" der Aristoplianischen Komödie entgegen. Nur äulJert er sich bezüoflich der Durchführbarkeit dieses Gedankens nicht mit Entschiedenheit, weder ablehnend, noch auch eigentlich aufmunternd. Der zweite Teil des Aufsatzes bewegt sich, wie man sieht, auf dem Gebiete subjektiver An- schauungen, denen sich nicht jedermann anschließen wird. Hier hören natürlich auch die Beweisführungen de=! Verfassers auf, mag er auch einzelnes noch so kräftig versichern, wie z. B. in dem Satze: .,Aristo- phancs wiid durch die Einführung des doppelten Spielplatzes für Schau- spieler und Tänzer ganz unsinnig." Ausnahmen pflegen doch sonst nur die Regel zu bestätigen.

P. de Saint- Victor, Die beiden Masken, Tragödie-Komödie. Übers, von Carmen Sylva. 3 Bände. Berlin 1899—1900.

Das in Frankreich angesehene Werk Les deux Masques, Tragedie- Cora^die, 1880—1884, Paris, Calman L6vy, behandelt den Aristophanes im II. Bande S. 353 525. Zuerst bringt Saint-Victor einen Abschnitt „Origines de la Comedie", in welchem natürlich unter großem Auf- wände an Metaphern und anderen Geistesblitzen wenig wirkliches Wissen gelehrt wird. Dann werden sowohl der Dichter selbst als auch seine Stücke mit einzelnen Abschnitten bedacht und zwar in einer Abfolge, für die der Verfasser keine Erklärung gibt. Die Lysistrata kommt vor den Rittern, die Ekklesiazusen vor den Fröschen. Daß die «Vögel" zuletzt behandelt werden, hat wohl seinen Grund darin, daß dieser Komödie wegen des in ihr besonders hervortretenden phantastischen Zuges auch ein besonderer Platz eingeräumt werden soll. Hingegen wurden die „Wespen" keines Abschnittes gewürdigt. Die gekrönte Übersetzerin hat das Werk Saint- Victors sehr genau übertragen. Dabei liest sich aber die Übersetzung im ganzen leicht und flüssig, und nur selten stutzt man über eine sonderbare Wendung, zu deren Erklärung mau sich das Original herbeiwünscht. Nur um zu zeigen, was ich meine, führe ich z. B. aus dem Abschnitte über die Lysistrata S. 371 des IL Bandes den Ausdruck „schlechtgehobelte Phallophorie" an. Saint-Victor sagt II S. 393: la comedie . . a'etait encore, au temps d'Aristophane, qu'une phallophorie degrossie. An anderen Stellen, z. B.

198 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

S. 332. ,.Einzug der Komödie in die Städte. Athen hobelt und bildet sie" fällt der gleiche Ausdruck weniger auf. Der Übersetzung ist folgende Widmung voraufgeschickt: „Meinem Jugendfreunde Professor Dr. Heinrich Geizer gewidmet in Erinnerung an unsere Ferienwande- rungen im klassischen Altertum."

J. Bertheroy, Äristophane et Moliere. Paris 1897, Es ist dies nicht eine literargeschichtliche Parallele zwischen den beiden Meistern der Komödie, sondern ein „ä propos en un acte en vers, represente ä la Comedie Eiancaise le 15. janvier 1897" bei Ge- legenheit des 275. Gedenktages der Geburt Molieres. Die beiden großen Geister begegnen sich im Anblicke der Stadt Paris und tauschen ihre Meinungen über den Fortschritt der Menschheit aus. Aristophanes spricht als Pessimist, Moliere hat die angenehmere Rolle des Optimisten und erhält darum für seine freundlich klingenden Tiraden von der plötzlich in Mlle. Moreno personitiziert auftretenden Humanite einen Kuß auf die Stirne. Hierauf fällt der Vorhang. Der Umstand, daß Bertheroys Aristophanes bei seinem Auftreten den Montmartre für seinen heimatlichen Parnes hält, läßt vermuten, daß der Herr Verfasser sich in Paris besser auskennt als in Attika. Sonst hätte er wohl auch lieber den Schatten des Menandros aus der Unterwelt heraufbeschworen als den allzu unähnlichen Aristophanes. Aber der Name Menanders schlägt vielleicht in ein französisches Theaterpublikum zu wenig ein.

Aristophanes at Oxford. 0. W. by Y. T, 0. Oxford 1894. Das Büchlein enthält nicht, wie man nach dem Titel meinen könnte, einen kritischen Aufsatz über die Art und Weise, in welcher Aristophanes in den Oxforder Colleges behandelt wird, sondern eine als „aristophanisch" bezeichnete Posse, als deren „Dramatis personae" angegeben werden: The Hon. Algernon Amherst und William Robinson, Esq., of Maudlin College, Socrates, Thucydides, Aristotle, ancient phi- losophers, Oscar Wilde, a modern philosopher, The Proctor, Charon, Chorus of Ladies und Uudergraduates u. s. w. In dem Vorworte wird versichert, daß Oscar Wilde nur eine Schöpfung der Phantasie sei. Deutschfreundlich ist der anouyme Autor nicht gesinnt. Auf ein ein- gestreutes „potz Blitz-', „Dreitausend Teufel" läßt der Autor den So- krates antworten: I beg your pardon, sir, We have no knowledge of barbarJan tongues; so would you mind repeaiing your remarks in decent Attic or at least in Euglish? Also das Deutsche ist barbarisch, das Englische aber nicht. Dies ist wohl der beste Scherz in dem ganzen Büchlein

In der Sammlung von Sir John Lubbocks Hundert books ist als 69. Band eine Auswahl aus Aristophanes, Sophokles und Euripides in

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.) 199

englischer Übersetzung gegeben. London 1894, George Routledge and sons. 8vo. Von Aristophanes sind in diese Sammlung die Acharner, Ritter und Vögel in der Übersetzung von John Hookham Frere anfgenominen. Dieser Staatsmann, Diplomat und Dichter (1769 1846) ließ im J. 1820 in der Quarterlj' Review einen Aufsatz über Aristo- phanes erscheinen, der großes Aufsehen erregte. Die tJbersetzungen hat Hookham Frere selbst im J. 1839 in Malta drucken und im J. 1840 bei Pickering erscheinen lassen. In England genießen sie großes An- sehen. —

Ch. Zevort, Comedies de Aristophane. Traducüoa nouvelle avec une introductioü et des notes. Paris 1892.

Zevort ist mit seiner Prosaübersetzuiig des ganzen Aristophanes nicht vollständig zu Ende gelangt. J. Denis, Doyen de la Faculte des lettres de Caen, dem die fertiggestellten Druckbogen anvertraut wurden, hatte noch die l'bersetzung des Plutos und der zwei letzten Scenen der Ekklesiazusen hinzuzufügen. Auch die Einleitung zum Plutos ist von Denis. Die dem Werke vorangeschickte Abhandlung Zevorts über Ari- stophanes und seine Zeit bricht im fünften Kapitel ab. Im Eingange desselben macht er die Bemerkung, daß die Komödien des Aristophanes durchwegs Thesenstücke seien. In dem Streben, die These zu erweisen, liege die Einheit der im übrigen locker getugten .Scenen. Mit dem Ver- sprechen des Autors, diesen Gedanken au allen elf Komödien des Dichters durchzuführen, bricht sein Manuskript ab. Das Fehlende läßt sich aber nach diesem Plane leicht hinzudenken. Die Übersetzung selbst wirft wohl auf die vielen umstrittenen Stellen kein neues Licht, ist aber doch, wenngleich Willems (vgl. d. Bericht über Eugene Talbot) sie mit allen übrigen französischen Übersetzungen des Aristophanes weitaus schärfer verurteilt, als dies ein,, unhöflicher Deutscher'* jemals täte, meines Erachtens genauer gearbeitet als andere französische Lei- stungen ähnlicher Art. Man vergleiche das von mir über die illustrierte Einzelausgabe der Lysistrata (1898) Gesagte, deren Text samt An- merkungen ein wörtlicher Abdruck aus diesem Bande ist.

G. Ferte, Aristophane, pieces choisies avec une introduction, un index et des notes. Paris 1894.

Das Buch ist für die Vorbereitung zur Baccalaureatsprüfung be- stimmt und enthält Prosaübersetzungeu ausgewählter Partien aus 9 Stücken des Aristophanes. Diese übersetzten Scenen jedes Stückes sind durch Übersichten über die weggelassenen Partien ergänzt. Jedem einzelnen Stücke sind kurze einleitende Bemerkungen vorangestellt, und an der Spitze des Ganzen steht ein Aufsatz von 24 S., der vorzüglich auf Croiset und Couat beruht und über Aristophanes und seine Komödien

200 Bericht über die Literatur der griechischea Komödie. (Holzinger")

im allgemeinen Auskunft gibt. Ausgeschlossen wurden von dieser Aus- wahl die Lysistrata und die Thesmophoriazusen. Auch im übrigen ist Aristophanes so kunstgerecht kastriert, daß gegen seine Heili^jsprechung wohl nichts eingewendet werden könnte.

E. Talbot, Aristophane, traduction nouvelle. Preface de Sully- Prudhomme. Paris 1897, 2 vol.

A. Willems, Une traduction nouvelle d' Aristophane. Bulletins de TAcademie Royale de Belgique. 3. Serie, tom. XXXIV. 1897, p. 970—992.

In einer sehr ausführlichen und eingehenden Kritik bezeichnet Willems die neueste französische Übersetzung des ganzen Aristophanes von Talbot als durchaus unzureichend. Das Vorwort Sully-Prudhommes enthält eine geradezu dithyrambische Anpreisung der Vorzüge dieser Übersetzung, die SuUy-Prudhomme nach der Ansicht Willems' entweder nicht gelesen hat oder zu beurteilen nicht im stände war. Ebenso schlimm kommt Leconte de Lisle weg, der für das Erscheinen dieser Übersetzung einen Teil der Verantwortung trägt. Die Liste von Fehlern und Mißverständnissen, die Willems auf den S. 975—986 zu- sammenstellt, kann ich hier nicht wiederholen. Ich will daraus nur einige erwähnen, die etwas Erheiterndes an sich haben: Ach. 627: dXX' auoöu'^Tes Toi; dva-aiatot? i~.l^ü\).z^ wird übersetzt: ,,Chaugeons notre habit contre des anapestes." Ach. 843: ouö' £^o[j,op;£tat npe-i? tt)v supuTipcüxtiav 001, „Prepis n'essuiera pas devant toi son derriere": Eccl. 302: xaÖTJvto XaXoüvTs? £v TOI? ctT£cpava>ii.ac;iv: ,,Des gens qui restent ä babiller la tete ceinte de couronnes." Hier ist vielleicht Talbot durch Dindorfs Kommentar in Irrtum geraten, während die Scholieu eine deutliche Erklärung geben. Nur muß man im Schol. Eccl. 302 richtig lesen, nämlich or;taC£iv |jlti dEXovTcuv (Cod. E,.). Lys. 107: ouoe [xor/oü xa-aXlXetKtai cp£<];aXuE, ,,pas le moindre tisou de galant". Es ist kaum zu bezweifeln, daß Talbot von der Aristophanesliteratur vieler Jahrzehnte keine Kenntnis ge- nommen hat und sich auf den einfachsten und ihm am leichtesten zu- gänglichen Apparat einschränkte. Man wird dies dem alten Herrn, der, wenn ich nicht irre, im J. 1894 als Achtzigjähriger starb, auch nicht ernst- lich verargen können. Nur hätte man seine Übersetzung, die er vielleicht in ganz anderen Zeiten gearbeitet hat, nicht nach seinem Tode heraus- geben sollen. Das Urteil Willems' erstreckt sich auch über Talbot hinaus auf die übrigen französischen Übersetzer des Aristophanes.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (llolzinger.) 201

III. Arbeiten von speziellerer Tendenz.

A. Arbeiten über eine der elf Komödien des Aristophanes.

P. Petersen, Scener af Aiistopbanes „Acharnerne". Fest- skrift til J. L. Ussing pag. 193—209. Kopenhagen, 1900.

Diese Ehrengabe für Ussing besteht in einer Übersetzung von drei Scenen der Acharner, nämlich der vss. 1 133, 175 299, 471 530. Kommentar und Einleitung sind nicht beigegeben. Die Übersetzung gibt die Versmaße des Originals wieder, entzieht sich aber im übrigen, da sie in dänischer Sprache abgefaßt ist, meiner Beurteilung.

P. Ferrieri, Studi di storia e critica letteraria. I. GM Acarnesi di Aristofanc. Milano 1892, pag. 1 118.

Der Essay Ferrieris über Aristophanes' Acharner war bereits im J. 1881 in Palermo erschienen und ist nun vom Verfasser zusammen mit drei anderen literargeschichtlichen Arbeiten unter einem neuen Ge- samttitel Studi di storia etc. in verbesserter Gestalt ein zweites Mal herausgegeben worden. Der Aufsatz enthält eine Würdigung der Acbainer nach selir vielen Seiten hin. Ferrieri spricht über den Peloponnesischen Krieg, das Wesen der altattischen Komödie, die Auf- führungszeit der Stückes, persönliche Verhältnisse des Dichters, seine politische Parteistellung, seine Friedensliebe, über die Sophistik, über die Wahrheit und den Subjektivismus in der Kritik des Aristophanes, über den Text, den Inhalt und die Einteilung des Stückes, über die darin vorkommenden Metra, über die von Friedrich Leo (de pristino Ach. exordio, Bonnae 1877) vermutete Lücke am Anfange des Stückes, die Ferrieii nicht anerkennt, über die Parodie des Telephos, die Kritik des Euripides und noch vieles, vieles andere. Nur irgend etwas Neues darunter zu entdecken, ist mir nicht gelungen.

Das Urteil des Verfassers, dem auch deutsche Literatur zugäng- lich zu sein scheint, ist in vielen Punkten ein ganz richtisres, so daß sein Aufsatz als Einführung in die Lektüre der Acharner für italienische Studierende anempfohlen werden kann. Ein leicht zu verbessernder Schnitzer, der unter den Errata nicht angeführt ist, findet sich auf S. 27, wo -apa-/opY]7r,IxaTa statt TrpojcüireTa gesetzt ist: ,,L' uso delle maschere (-apayopyi-f/jiJLaTa) e la consuetudine di non far occupare raai la scena da un numero di personaggi maggiore di tre, rendeva possibile a cosi scarso numero di attori l' esecuzione dello spettacolo."

A. Couat, Sur la composition des Acharniens. Revue des Universites du Midi. Nouvelle S6rie, Tome I (Anneo XVII), 1895, p. 24—74.

202 Bericht über die Literatur der grieeliischcn Komödie. (Uolzinger.)

Der inhaltsreiche Aufsatz Couats erzählt zunächst die Handlung der Acharner (S. 24—27), untersucht sodann den Zusammenhang der Sceneu und findet denselben in der zu Grunde liegenden These, daß der Friede erstrebenswerter sei als der Krieg. Diese Scenen sind mehr- mals nur angereihte Bilder. Sich durch den Mangel an Einheit des Ortes und der Zeit und die dadurch entstehenden Unmöglichkeiten nicht stören zu lassen, setzt bei den Zuschauern viel guten Willen voraus. Au den Zusammenhang der Handlung dürfe man also nicht zu strenge Anforderungen stellen. Stelle man sich auf diesen Standpunkt der iJeurteilung, so seien nur die vss. 1186 1189 zu athetiereu, v. 203 sei vor 201 zu stellen und zwischen v. 393 und 394, ferner zwischen 619 620 seien kleine Lücken anzunehmen. Im übrigen aber seien die Acharner im ganzen so auf uns gelangt, wie sie im J. 425 gespielt wurden (S. 28—32). Der nächste Abschnitt (S. 33—39) beschäftigt sich speziell mit der Scene v. 566 625 und hat den Zweck, nachzu- weisen, daß Lamachos in v. 593 nicht als gewählter Stratege erscheine, da er für Sold diene (v. 597). Der v. 593 stehe daher nicht im Gegen- satze zu vss. 1073 1078. In diesem Abschnitt wird also das Material weggeräumt, auf welchem einige Schlüsse Müller- Strübings (Aristo- phanes u. d. h. K. p. 498 ff.) und Zieliuskis (Gliederung d. .a. K. p. 56 ft".) beruhen, und es soll dadurch sowie auch durch die Behandlung der Metra des Stückes (S. 40—52) der Weg frei gemacht werden für die Hauptabschnitte des Aufsatzes (S. 53 70 und 71 74), in denen die Komposition der Acharner im Gegensatze zu dem Werke Zielinskis behandelt wird. Für die Geschichte der altattischen Komödie gelangt der Verfasser (S. 70) zu folgenden über die Acharner hinausgreifendeu Sätzen: Die wesentlichen Teile der altattischeu Komödie hätten sich in folgender Reihe entwickelt, 1. das Choiikou, 2. Ode, Antode, Epirrhema und Antepirrhema der Parabase, 3. die Parodos, aufgebaut nach dem- selben Muster, 4. der anapaestische Teil der Parabase. Tetrameter, anapaestische, trochäische und jambische, und zwar namentlich die beiden ersteren Gattungen, seien im Dialoge von den ältesten Anfängen an gebraucht worden. Der Tetrameier wurde in den wichtigsten Teilen der Komödie beibehalten. Der jambische Trimeter gelangte namentlich im Prolog und in der Exodos zur Herrschaft. Auf mich haben die ersten drei Teile des Aufsatzes (S. 24—39) den günstigsten Eindruck gemacht.

K. Zacher, Uajaaxi, nicht -äcjjaxt. Zu Aristoph. Ach. 763. Philologus LI, 1892, p. 379-380.

Zacher hält die Lesart uaaaaxi und die Erklärung des Scholiasten ,,G~oxopiaTixüj? TCO TiajaaXm" für einen aus Didymos geschöpften und bis

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.) 203

in die Neuzeit fortgepflanzten Fehler. Er liest: raajaxi und erklärt es

als :rav säx ti ^mit allem Nachdruck, ganz und gar". Für die

Verkürzung der Lokativendung weist Zacher auf ii-'xv.-zK bei Soph. OC 1251 und -avor,[jLi bei Rufin. Auth. 5, 44 hin.

K. Wernicke, Miscellanea critica. Philologus LI, 1892, p. 486—487.

Von Aristophanes behandelt Wernicke Ach. 1082: ^I. ßouXet \id- ysjiKai rr,puovr) -etpaTz-iXa) ; Er vertritt die Ansicht, daß Dikaiopolis unter (leryones sich selbst meint und daß er sich von den vorhin umhergestreuten Federn (vgl. v. 990, nicht 1011, wie W. angibt) vier ausgewählte auf den Hut steckt. Die Ausgabe von Blaydes kann Wernicke wohl nicht benutzt haben, wenn er diese Erklärung für neu hielt.

D. Kellog. Puuning allusion to Euripides in Aristophanes' Achar- nians 666. Transactions of the American philological association XXIX, 1898, p. XIII— XIV.

In Acharn. v. 666 sieht der Verfasser in der Zusammenstellung der Weite oupta ptmSt ein Wortspiel mit dem Namen Euripides. Auch in v. 888 hebt Kellog oeüoo . . . pim'oa durch den Druck hervor, ob- wohl er hinzufügt: without trying to prove auother punning allusion in osüpo xal TTjV p'.rioa. Da aber Kellog auf die Parodie von Alkestis V. 367 in der darauf folgenden Stelle 892 894 hinweist und in dein ivts- TeuTXavtufxIvTjc (Ach. 894) eine Anspielung auf die Mutter des Euripides als Gemüsehändlerin finden zu dürfen glaubt, wird er wohl eigentlich auch bei osüpo . . . piirtoa au ein Wortspiel denken. Auch in der Ab- folge der beiden Wörter E-ipt-tOY), 'T:siör)-ep findet Kellog eine komische Absicht. Ich war stets der Meinung, daß mau in der Annahme von Wortspielen vorsichtig sein müsse, um dem Dichter nicht überflüssig viele schlechte Witze aufzubürden. Z. B. oup/a pnciöt möchte ich durch- aus nicht als Wortspiel mit dem Namen des Dichters anerkennen.

C. E. S. Headlam, Aristophanes, Acharnians, 709. Class. Kev. XII, 1898. p. 32.

Daß iii dem v. 709 die unverständliclie Überlieferung xrjv 'Ayaiav auf die Nennung der Demeter im v. 708 zurückzuführen ist, ist aller- dings wahrscheinlich. Aber daß Aristophanes Tf,v 'Avpaiav geschriebeu haben soll, wie Headlam vorschlägt, ist schwerer zu glauben.

C. Bonner, Note on Acharnians 947. Americ. Journ. of Philol. XXI, 1900, p. 433—437.

Der Verf. verweist bezüglich des bisher nicht völlig aufgeklärten: jxE/.Xco -Ol Osp-'oocv des Boiotischen Laudmannes (Ach. 947) auf eine

204 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

alte Erutesitte. Derjenige Schnitter, welcher die letzten Korngarben schnitt, wurde von den übrigen Schnittern zum Scherze überfallen, in die letzten Korngarben hineingebundcu und so auf dem Erntewagen mitgeführt. Der Boiotier sieht hier den Synkophanten in Stroh einge- packt und soll ihn wegtragen. Daher sagt er: „Ich gehe wie zu einem Erntefest." Die vielen Landleute und Gutsbesitzer unter den Zu- schauern machen diese Anspielung des Komikers begreiflich. Ich halte diesen Aufsatz Bonners für sehr beachtenswert. Auch in der neuesten Ausgabe des Stückes von J. van Leeuwen (1901) ist die Stelle noch nicht recht verständlich.

.1. van Leeuwen, Ad Aristoph. Acharn. v. 927. Mneraos. NS. XXVIII, 1900, p. 451.

In der Scene, in welcher der Sykophant eingewickelt und ein- gebunden werden soll, sagt Dikaiopolis nach der handschr. Überlieferung : 86i (JLot cpoputo'v, Tv' auTov evov^ua; cpspco. Da nicht Dikaiopolis den Sykophanten fortzutragen hat, sondern der Boiotier ihn wegschaffen soll, empfiehlt der Verf. nach einer kritischen Durchmusterung der vor- liegenden Konjekturen von Elmsley und W. Dindorf eine neue Schreibung: evÖT^aaj acpoopa. In den Text seiner seither erschienenen Ausgabe der Acharner hat Leeuwen diese Vermutung schon eingesetzt. Allzu rasch, wie ich glaube.

'Api7Tocpavo'Jc 'Itctt^c, adapted for Performance by the Oxford University Dramatic Society, with an Eoglish Version by L. E. B er- mann, Oxford 1897.

Das Buch enthält einen stark zusammengestrichenen Text der Kitter auf Grundlage der Merryschen Ausgabe. Beispielsweise bemerke ich, daß in der Partie von vss. 247 546 folgende Verse gestrichen sind: vss. 282— 283, 294-295,299—302, 311—334,342-306, 375— 386, 393—394, 397—401, 409—428, 430—437, 445—449, 461—474 479—481, 483—484, 527, 533 aUa -/sptuv 544 aurov iautw. Bei so starken Streichungen wird man hie und da den richtigen Zusammenhang vermissen. So sind meines Erachtens die vss. 544 xo'jxtov xtÄ. bis xwTtat; 546 nicht verständlich , wenn man 533 alloi bis 544 eauTw wegläßt. In der englischen Übeisetzung ist allerdings ein Zusammenhang her- gestellt worden. Denn die Übersetzung Bermanns, die aus hübsch ge- reimten Versen besteht und zumeist der Übersetzung von Hookham Frere (1892) entnommen ist, ist sehr frei und kommt daher aucli über bekannte und offenkundige Schwierigkeiten leicht hinweg. Die kurze Einleitung enthält nur eine summarische Übersicht über den Inhalt des Stückes.

Bericht über die Literatur der griecbischen Komödie. ^Jolzinger.) 205

J. van Lee u wen, Ad Aristophanem (zu Eq. v. 3). Mneraos. XX, 1892, p. 146.

Die vorgetragene Konjektur puparat; statt ßouXai? hat Leeuwen bereits selbst in der im J. 1900 erschienenen Ausgabe der Ritter zurück- gezogen. —

J. Hirschberg, Ma^eiptxuJi; in den Rittern des Äristophaues. Philologus LI, 1892, p. 377—378.

Hirschbeig wendet sich in dieser Miszelle gegen Kocks An- merkung zu Equ. 375—381 (1882). welche an die Notiz des Scholiasten : fjLsto t6 a-oT^d^a'. anknüpft, und weist nach (aus Aristot. bist, animal. VIII, 21 und Oribas. Collect, med. IV, 2), daß der aristophanischen Stelle ein Hinweis auf die au dem lebenden, nicht an dem geschlachteten Schweine vorgenommene Finnenprobe zu Grunde liegt. Vgl. S. 182.

E. Piccolomini, Osservazioni critiche ed esegetiche sopra i Cavalieri d' Aristofane. Studi italiani di filologia classica II, 1894, p. 571—592.

Die sorgfältige Abhandlung enthält einige beherzigenswerte Be- merkungen zu den Rittern. Zu diesen rechne ich folgende: 1. Nach V. 20 ist keine Verslücke anzunehmen (gegen Velsen). 2. Nach v. 21 ist (gegen Keck) der Gedankenstrich zu setzen. Sklave B hat die Absicht, dem Genossen das getährliche Wort fx6Xü)|xev vorzusprechen. Dieser kommt ihm rasch zuvor, um sein Verständnis zu beweisen. 3. Das tra^rische Pathos der V^erse 30 3 1 ist eine Parodie von Stellen wie Aisch. Sept. 95. 4. In der wiederholten Anwendung von xpea; in v. 421 und v. 457 liegt ein parodisches Gegenstück zu dem tragischen Gebrauche von oeixa?. 5. In v. 428 wird xpsa? mit obscöuem Doppel- sinn erklärt. Nur ist zu bemerken, daß dies schon früher bekannt war. Vahleu hat dies im Herm. XXVI S. .168 169 ausführlich aus- einandergesetzt nnd hat die Überlieferung auf dieser Grundlage ver- teidigt. — 6. Richtig wird in v. 555 ixtsöocpo'poi durch den Hinweis auf V. 1065 und 1366 erklärt. Die Bemerkung über die lohnende Be- schäftigung des gemeinen Mannes im Flottendienste ist jedenfalls auf die höchsten Sitzreihen des Theaters berechnet, schließt aber, wie schon Velsen (Rh. Mus. XVIII, 125) sagte, keinen Witz in sich. 7. In v. 814 vermutet Piccolomini v^axiv statt ixeaxfjV. Letzteres hält er mit Blaydes für ein Glossem zu k-iyzilr^. Jedenfalls empfiehlt sich vy;3-iv dadurch, daß es zu dem vom Dichter gewählten Bilde paßt. Ein Fehler konnte sich m. E. darum leicht einschleichen, weil hier nur das sichere Gefühl für die richtige Cäsur zur richtigen Wortverbindung anleitet. 8. Für V. 853 wird rrspiaTsr/Qujt statt Treptoi'/.oü(Jt vorgeschlagen. 9. Zu Schol. 859

206 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

gibt der Verf. die Verbesserung -apoExpousu pieTpou st. des oifenbar fehlerhaften rapaxp. [xeTpov. Gegen die übrigen exegetischen oder kritischen Voi schlage verhalte icli mich ablehnend. So gibt P. das }xoXtü}i.£v des V. 2G nocli dem OIK. B und setzt nach -'jxvov das Kolon, nach jjLoXtoiJLev (26) und nach au-o[xoXw[X£v den Gedankenstrich. Hier ist Kocks Personenverteihmg und Erklärung vorzuzielien. Zu iizdiw^^ TTUxvov ergänze ich, wie ich glaube, im Sinne Kocks: Xi-ß upöirov Tf> IJ.oXiü[jL£v, dxa o' auTO, während Piccolomini ixoXwjjlev allein als Objekt zu £~a7tuv -uxvov zu ziehen scheint. Nacli v. 62 vermutet P. den Aus- fall eines Verses, damit t£/v-/]v -s-oirjxai eine direkte Beziehung er- halte. — In V. 74 vv^ird eine Parodie des homerischen öc ttocvt ecpopä xtX. behauptet. Aber ein Vergleich des Kleon mit Helios wäre für Kl. allzu rühmlich. In v. 89 empfiehlt der Verf. xpouvoyutpoXYjpoc <ti?> el zu schreiben. Ich empfinde bei dem eingelebten xpouvo/u-rpoXi^paio; sl keinen Anstoß. Vielleicht zeigt sich darin nur die Macht der Ge- wohnheit. Im ganzen ist aber ein Adjektiv auf ato? wirklich zweck- entsprechend und ein solches von X-^pos abzuleiten isi; lange nicht des Dichters kühnste Tat. Nach v. 269 empfiehlt P. das Fragezeichen und für v. 270 die La. tjjx«? exxoßaXixs-jexai, die Dindorfs Oxforder Aus- gabe darbot. Hier ziehe ich xaxxoßaXtxsus-ai vor. Vgl. Dind. poet. sc. gr. In v. 272 setzt P. mit Bernhardy den Beistrich vor osupu Aber der Beistrich nach Ssupt ist durch die caesura media empfohlen. Nicht gelungen ist die Behauptung, man vermeide mit Bernhardys Interpunktion „die sonderbare Voraussetzung, daß der Paphlagonier bei seinen Gegnern Schutz suchen werde". Setzt man aber voraus, daß er nach einer anderen Seite entweichen werde, wo seine Gegner nicht stehen, dann wäre die Drohung 7:püs axsXo; xupT^ßaget unmöglich, die nur bei einem Nahkampfe zu verwirklichen ist. In v. 295 ist xo-po'f opr^su) nicht in ■/oTTpoipopu^cu zu ändern. Dagegen hat P. Velsens Ansatz einer Lücke nach v. 299 mit Recht abgelehnt und hat auch für die v. 298 300 die Personenverteilung der Codd. RV mit guten Gründen verteidigt. Zu V. 407 tritt P. für Deckers Vermutung 'IouXi7]Tr,v und für die Schreibung -upo-i-Yjv ein , indem er dadurch die Gewinnsucht des Dichters Siraonides charakterisiert findet. In diesem Sinne ist aber wohl jetzt Zachers Text vorzuziehen. Auch in v. 418 hat Zacher in der Lücke vor Xe-^cov Bernhardys av gegenüber P.'s tote mit Recht be- vorzugt. — Verfehlt ist der beabsichtigte Ersatz von psucac in v. 526 durch Tiveucrac, das die Einheit der Allegorie verletzt. In v. 821 liest P. ou vüv statt xotl vüv. In v. 1026 sucht P. die überl. La. 9upas zu rechtfertigen, indem er auf die Gewohnheit eingesperrter Hunde hin- weist, an der Türe zu nagen. Kleon habe ein echtes Orakel verschluckt und habe an dessen Stelle einen gefälschten Spruch (v. 1014 1020) vor-

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 207

gelesen. Daß die Überlieferung in v. 1336 a'fE<{^r,3ac. AV £701'; nicht richtig sein kann, wird schlagend erwiesen. P. empfiehlt Meinekes Schreibung und läßt den Agorakritos sagen, das Verjüngungsnüttel des Umkochens sei für ihn (wohl als Wursthändler?) ein sehr einfaches ge- wesen. Es muß aber m. E. der ganze Vers dem Demos gehören, nnd daher dürfte Bergks Schreibung (vgl. auch Kocks Ausgabe) die beste sein.

E. Piccolomini, 'EjittooiCsiv W/6.h7.i. Aristofane Cavalieri 752 755. 1894, Rendiconti della R. Accademia dei Lincei, Ser. V, vol. III, p. 8-18.

Der Verf. beschäftigt sich mit der bekannten C'liarakteristik des Demos in den Rittern, die schon den alten Erklärern große Schwierig- keiten bereitete: ot'fJLOt y.ocxoöat[X(üv, w; azoXtoX'. 6 -/ap -/epcüv | o'xoi ]xev avopn"iv sjTi 0£;iu)TaTOi, | oxav 0' £-1 xauiTjji xail^xat xrjs irexpai | x£/t)v£v üi3;t£p £[ji.irooi^u)v hya.oo.z. Piccolomini stützt sich auf den von Stefan Bergler aus einem Scholion gezogenen Gedanken, daß der Stelle ein Vergleich mit einem Kinderspiele zu Grunde liege. Piccolomini hat ein solches Spiel in Toscaua beobachtet. Es bindet jemand, der sich mit den Kindern einen Seherz machen will, eine Frucht oder ein Stück iNaschwerk au einen Eaden und läßt diese Lockspeise au den Köpfen der Kinder vorbeikreisen. Die Kinder schnappen nun mit offenen ge- näschigen ]\Iäulchen danach , bis endlich ein glücklicher Gewinner die süße Beute mit den Zähnen erhascht. Piccolomini meint nun , daß £|j.7:o6iCcov konativ aufzufassen sei, in dem Sinne von „danach trachten, die Feigen mit dem Munde festzuhalten", wie dies Kinder bei jenem Spiele tun; also werde der greise Demos als ganz kindisch geworden dargestellt, und hieraus ergebe sich eine schöne Antithese zu dem vor- anstehenden avöpcuv. Den Dichter sagen zu lassen, daß Demos sich wie ein Kind benehme, wäre an sich allerdings vollkommen passend. Hätte aber Arsitophanes eine solche Antithese hier beabsichtigt, dann dürfte ein darauf hinweisendes Wort, wie r.iXi, nicht fehlen. Aber auch dann wäre der Vergleich mit spielenden Kindern gewissermaßen bei den Haaren herbeigezogen, weil doch Demos gelangweilt dasitzt, während Kinder, die mit dem iMunde nach Süßigkeiten schnappen, in heftige Be- wegung geraten und sich königlich unterhalten. Also ist es nichts mit dieser Erklärung. Im wesentlichen richtig hat Eustathios opusc. p. 291, 54 den Sinn der Stelle verstanden, ferner Casaubonus, Brunck, Wilh. Dindorf und Bergk; vgl. Dindorfs und Kocks Ausgaben und den Thesaur. ?. v. six-oousiv. Zweifelhaft bleibt nur das eigentlich Lexi- kalische an £|x-oöi^tüv. Es bezeichnet irgend eine Tätigkeit beim Her- richten der schon getrockneten Feigen (ir/aoa?), zu der man Kraft,

208 Bericht über die Literatur der (griechischen Komödie. (Holzinger.)

Geist, Aufmerk>amkeit und Geschicklichkeit nicht heuütig-tc und zu welcher daher selbst g'anz alte Leute vcrw<^ndet wurden. Vielleicht be- zeichnet also £[j.T:o6i^eiv doch UXiSstv xoic tiojI rac b/aoac (Ilesj'ch). Appetitlicher wäre es freilich, an das Anreihen der Feigen auf Schnüren zu denken. Vgl. S. 182 das über Hirschbergs Hilfswörterbuch Gesagte.

Th. Hultzsch, Zu Aristophanes Rittern. Pleckeis. Jahrb. XLI, 1895, p. 669-672.

Hultzsch bespricht die für Ei. 526 .527 r.oXho ps'jja? ror e-aivtu | oia Tcüv dcpeXüiv tteoicüv eppei xtX. vorliegenden älteren Verbesserungs- vorschläge, verwirft sie sämtlich, ebenso wie auch die Überlieferung in peuTOc und in afpe/.cuv und gelangt schließlich zu der neuen Konjektur : uoXXcp Xaßpoc izQz' ETiaivo) | afppojiv oia xcuv t:£Oicuv s'ppsi. Man muß zu- geben, daß Xötßpoc eine wohl ausgedachte Vermutung ist, weil es in das Bild paßt und auch gleichzeitig die Übertragung auf das rhetorische Gebiet zuläßt, peuaac wäre dann als Glossem in den Text geraten. Ich meinerseits nun würde hier eine Konjektur, die auf einem Lesefehler aufgebaut wäre, vorziehen. Der zweiten Konjektur a/fpojv kommt ein geringerer Rang zu, nicht nur weil sie eine Umstellung bedingt, sondern auch weil sie dem Dichter eine Überladung der Stelle zumutet. Über- haupt ist nicht recht nachgewiesen, warum a^psXtov nicht vom Dichter herrühren sollte, während sich bei peuja; wegen des folgenden eppsi ohne Zweifel ein gewisser Anstand ergibt.

J. Vahleu, Quaestioues Aristophaueae. Index lect. aest. Berol. 1898.

Mit gewohnter Meisterschaft beiiandelt Vahleu mehrere kritische und exegetische Probleme der Ritter des Aristophanes. Bei der Be- sprechung der Personenverteilung in den vss. II 17 wird erwiesen, daß die Worte jxa t6v 'AroXXo) '710 i^iv ou (v. 14) dem Nikias gehören, wie es die mss. überliefern und daß dem Sinne nach nicht [xayoüjxai zu ergänzen ist. sondern Xe^w. Glücklich wird die überl. La. tcüv crrpaTTj^cuv uTroopaixovxcov h. OuXou in v. 742 verteidigt, desgleichen in v. 260: ojTic auTüjiv (oixo? eattv rl ttIttcüv t] |xy] ttettojv und zwar, weil hier nicht dreierlei, sondern nur zweierlei ausgedrückt wird. Denn nETCüjv ri [XY] TTETTOJv drückt lu dlesem Zusammenhange nur eines aus. Als Analogon zieht Vahleu Ear. Or. 441 bei: 9£U7£tv -oXiv tiqvo' vj t>av£tv -1^' p.r^ OavEiv. In v. 609 liest Vahlen [irio' ev ßuöw nach Brunck. Sodann tritt er für Bruncks durch Velsen durchgeführte Umstellung der vss. 261—263 hinter 265 ein. Scbließlich wird die überlieferte Folge der Verse 85 88 gegen Meinekes Umstellungsvorschlag: 85, 87, 86, 88, verteidigt.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 209

K. Zacher, Aristophanesstudien. Erstes Heft. Anmerkuugen zu Aristophaues' Rittern. Leipzig 1898.

Die Tendenz seiner Neubearbeitung der Ritter (1897) hat Konrad Zacher bereits in dem Buisiauschen Jahresberichte von 1892, Bd. LXXI, JS. 127 ff. und auch in der Praefatio seiner Ausgabe ausgesprochen. Das im J. 1898 erschienene Heft der Anmerkungen zu den Rittern verfolgt nun, wie Zacher im Vorworte hierzu auseinandersetzt, den Zweck, die Abweichungen seiner Textkonstitution von der Velsenschen zu recht- fertigen. Von Velsens subjektiver und nicht selten gewalttätiger Kritik unterscheidet sich Zachers Text bekanntlich durch eine konservativere Richtung. In den vorliegenden Anmerkungen werden nun sowohl die Unterschiede beider Auflagen eingehend erörtert, als auch viele Stellen bebandelt, in denen Zacher die Schreibung Velsens beibehielt und eine nachträgliche Motivierung der getroffeneu Entscheidung als ersprießlich erachtete. Ein bedeutender Teil dieser Ausführungen kommt der Er- klärung des Autors selbst zu gute und dies um so mehr , als Zacher natürlich eine ausgebreitete Kenntnis der einschlägigen Literatur besitzt. Ohne in der Lage zu sein, mich den Ansichten Zachers jedesmal an- zuschließen (vgl. z. B. den Bericht über Job. Vahlens Ind. lect. aest. und hib. 1898), muß ich es aussprechen, daß die zweite Auflage der Ritter gegenüber dem Texte Velsens gerade dort, wo Zacher wieder auf die Überlieferung zurückgreift, einen unzweifelhaften Fortschritt darstellt. Sollte Zacher, wie wir schon längst hoffen, endlich dazu ge- langen , auch die übrigen Bändchen der von Velsen geplanten Gesamt- <iusgabe fertigzustellen und die einzelnen Texte mit einer Fortsetzung der , .Aristophanesstudien" zu begleiten, so darf man wohl im Interesse vieler Benutzer einer so unentbehrlichen Ausgabe den Wunsch kund- geben, daß die Literaturnachweise ausführlicher gegeben werden möchten. Wenn z. B. in der Adnot. crit. die Umstellung der Verse 15 und 16 auf Sauppe ohne näheren Beisatz zurückgeführt oder Cobet zu v. 913 schlechthin genannt wird und auch die „Aristophanesstudien" keine nähere Auskunft geben, wird mancher nicht wissen, daß er die Ep. crit. ad. God. Herrn, oder gerade den I. Band der Mnemosyne nachzu- •^chlagen habe.

J. van Leeuwen, AEIBETAl-eAElBETAL Ad. Aristoph.Equit. v. 327. Mnemosyne NS. XXVII, 1899, p. 154—155.

Der Verf. sucht nachzuweisen, daß die überl. Worte: 6 o^Ihtto- öajxo'j XsißcTai öewfXEvo? sich nicht dazu eignen, den in der Stelle er- forderlichen Sinn auszudrücken. Auf Grundlage des TipwToc wv bezieht nämlich Leeuwen v. 327 auf die Proedrie Kleons und verweist dem- entsprechend auf vss. 575 und 702 ff. des Stückes. Daraus ergibt sich, Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 1-t

210 Bericht über die Literatur der grieebiscben Komödie. (Holzinger.)

dal.l aucli OEtijjj-Evo; vom Znscliaiiei) im Theater t;emeiut sei uud daß der Komilier über Archeptolemos gesagt habe: bXtJiiEtat detuixevo;. In der Ausgabe der Ritter hat Leeuwen seine Konjelitur und Bothes Qt!JL£p7£i; (st. d[j.£X7£t?) bereits in den Text aufgenommen. Die bisherige durch die Sciioliastenerl<lärung gestützte Auflassung ist niclit ohne Härte. Aber der Vorwurf Leeuwens, daß sich bei der Lesart und Interpretation keiu geeignetes Objekt zu i)£a»ii.£vo; ergebe, scheint mir nicht ganz gerechtfertigt. Der Scholiast, der von der -'aaTpifxapYia des Kleon und des Archeptolemos sprechen will, verhi:idet ebensowenig als Leeuwen östufj-svoc mit eiuera eigentliclien Objekte, sondern faf.]t es dem Sinne auf ,,hat das bloße Zusehen". Cber/.eugeiider ist Leeuwens Schreibung 0AE1BETAI in graphischer Hinsicht. Der alte Textfehler 'lz7:66a[xoj statt '\t-.oo'-j\).o<j, der auch die eine der jetzigen Scholien- fassungen beherrscht, läßt sich in sehr ansprechender Weise mit dem Anfangsbuchstaben von ^Xi^istai in Verbindung bringen.

A. Willems, Notes sur les Cavaliers d'Aristophane, i\ propos d'uue edition lecente. Bulletins de FAcademie Eoj^ale de Beigique (3. Serie, tom. 37. 2), 1899, p. 137—168.

Willems nimmt in die.ser Abhandlung seinen Ausgang von Zachers Ausgabe der Ritter. Willems anerkennt die Sorgfalt, die dem Apparate zu teil wird, zeigt sich aber als ein Gegner so moncher Textveränderungen und Zweifel gegenüber der Überlieferung. Bei dieser Kritik der Teubner- ausgabe ist Willeras nicht selten im Rechte. Andere Male hat sich Willems die Arbeit etwas zu leicht gemacht. Z. B. v. 21 . . |xo/.cu|x£v . . bedarf gewiß nicht eines eingeschobenen Verses zum besseren Verständ- nisse. Aber dies ist sdiou von anderen hervorgehoben worden, die mau bei dieser Gelegenheit nennen mußte. Bei v. 250 bemeikt die Ausgabe, daß TioXXaxt? r^; rjfxspac unverständlich sei. Willems belehrt den Breslauer Professor, daß dies „piusieurs fois le jour*' bedeute. Natürlich wußte dies Zacher auch schon früher und vermisste nur nicht ohne Grund etwas zum Verständnisse dieses Beisatzes. Oder sagt man vielleicht im Französischen: Monsieur! v.ons etes fourbe piusieurs fois le jour, ohne daß ein bestimmter Hintergrund dafür bestände? Im weitereu Vorlaufe des Aufsatzes behandelt Willems ein Dutzend Stellen der Equitcs in ausführlicher Weise. V. 428 y.peac 6 Ttpcüy.-ro; £7£v wird richtig erklärt, aber zu spät, da Vahien diese Aufgabe schon längst in glänzender Weise gelöst hat. Sehi- schön ist die Behandlung von v. 1204; 1-;^ 6'lxtv6uv£uj', wo Willems Reiskes Ix'j-^-q-^ixq'ja bekämpft. Schließlich wird in v. 1286 das Wort uirv^vr) als eine Bezeichnung des Schnurrbartes er- klärt und von Tcw'-ytov unterschieden.

H. van Herw'erden, Varia iV. Aristoph. Equit. v. 1399. Mnemos. NS. XXIX, 1901, p. 216.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 211

Xacli der Absicht des Allan topoles soll Kleon an seiner Stelle Wursthändler werden: xuvsta [xr.'v'j; toT? oveioi; Trpa'/ixaoiv. Diesen köstlichen Scherz verdirbt Herwerden dnrch seine Konjektur: actYi^astv. Er beruft sich dabei auf Leeuwen , der in seiner Ausgabe der Ritter sagt: „Vox -pa7(jLa3iv si sana est, pro y.peaaiv ioculariter nunc dietam esse statuanius necesse est; sed qualis tandeni hie sit iocus nie fugit." ]Ja Kleon als Politiker und Redner stets mit rpaYii-axa im höchsten Wortsinne zu tun hatte, zeigt sich seine Degradierung zum Wursthftndler vor allem darin, daß die 7rpa7|xaTa, mit denen er sich in Zukunft zu beschäftigen haben wird, xuvsia und oveia 7:pa7|jLaTa sein werden. Damit also, daß -pa7jxa3tv einfach Ttapa Kpocooztav statt xpsasiv gesagt wäre, wie selbst Brunck gemeint zu haben scheint, ist der Witz der Stelle nicht ausgeschöpft. Blaydes verweist wenigstens mit Recht auf V. 214: TotpatxE xal yopo&u' ojxoj xa -pa7|xaTa.

J. van Leeuwen. Ad. Aristophanis Equites observationes. Mnemos. NS. XX VIII, 1900, p. 201—225.

Der Verf. verteidigt zunächst die Überlieferung der v. 21, 295 y.o-pocpopr,3cu, das er richtig durch xonpov ss a-oppi<]>(o xo7:pocpopoc l'nü erklärt, dann v. 729, 808, 1204 exivöyvsus' und 1408. Gegen Kirchhoff wird mit Eecht behauptet, daß der Schluß des Stückes nicht verstümmelt sei. Möglicherweise fehle nur ein mit dem Sujet nicht zusammenhängen- des Schlußwort, wie z. B. das in den Wolken. Alle die.-e Rettungen muß man billigen. Es folgt ein Abschnitt mit neuen Erklärungen richtiger Lesarten p. 209—212. In v. 321 n£p7aT^jiv wird die Be- ziehung auf eine bestimmte Persönlichkeit abgelehnt. Gut wird in v. 849 -6pTra;i vom Riemen verstanden, an dem der Schild vom Halse des Spartiaten herabhing. Ob nicht z. B. schon Seeger (1845) eben das- selbe gemeint hat, lasse ich dahingestellt. Schön ist die Erklärung bei V. 1167 für (5Xä)v Tcüv ex II-jaoü durch den Hinweis auf die Notiz des Thuk. IV, 39, 2: xal r^v alxo? ev xv; vr^ato xal aX/.a [ipcujxaxa rf/.axsXr/fi^rj. Zweifelhaft ist mir die Auffassung von xyjv axa-ov (v. 762) als Name einer Segelstange, auf welcher osXcpivsc, schwere Bleimassen, aufgehängt waren, um sie von dort auf das Verdeck des feindlichen Schiffes fallen zu lassen. Es folgen p. 213—215 sechs Stellen, in denen die La. des R mit Unrecht den La. andere» mss. vorgezogen wurde. Dieser Tadel trifft in v. 61 6 oe, 177 ö'vxwc, 698 zl, 700 ei, 768 xaxax|xrj9£ir|V, während V oiaxjjLYjöeiVjV gibt, 936 eXdeiv st. eXöaiv. Auch hierin stimme ich bei. Hingegen kann ich mich mit den im vierten Abschnitte p. 216 225 vorgeschlagenen neuen Vermutungen van Leeuwens nicht be- freunden. Es sind deren im ganzen 16, die der Leser jetzt in der Ausgabe der Riiter van Leeuwens bei den v. 220, 260, 271. 325, 385,

14*

212 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

435, 504, 506, 580, 608, 707, 877, 1292, 1373, 1377 größtenteils schon in den Text aufgenommen findet. Für beachtenswert halte ich hiervon nur drei, nämlich in v. 435 Ttlvxe st. TtoXXa, v. 580 avsjTXsf.'uixEvoit in dem Sinne von arXe-y^iaiv eaTetpavwiisvot; „das Haupthaar mit Binden umwunden tragend" anstatt aTrearXen- Leeuwen macht darauf aufmerk- sam, daß in Athen doch nicht die Ritter allein (jTrecjTXsi^iaixEvot waren. Aber auch hier läßt sich leicht einwenden, daß es auch xoixÜivTec außer- halb der Ritterschaft gab. Möglicherweise richtig ist noch die Be- merkung zu 608, das Theoros nicht ein Phylarche oder gar Gesandter, sondern ein mit Kleon befreundeter Krebshändler war. Aber wer will es beweisen?

The Clouds of Aristophanes. Literally translated by T. J. Arnold. London 1892.

Dieses Heftchen gehört der Sammlung von Kellys Schlüsseln zu den Klassikern an. Es enthält eine Prosaübersetzung des Drama und in spärlichen Fußnoten, in denen namentlich Teuffels Kommentar und Papes Lexikon ausgenutzt sind, das Wichtigste zum Verständnisse des- selben.

Skyerne, Komedie af Aristofanes, oversat af Job. B. Koch. Kopenhagen 1896.

Es ist dies eine dänische Übersetzung der „Wolken" mit kurzer Einleitung und wenigen Anmerkungen.

R. Reitzen stein. Aus der Straßburger Papyrussammlung. Hermes XXXV, 1900, S. 602-604: Zu Aristophanes.

Reitzenstein berichtet über ein verstümmeltes Pergaraeutblättchen, das sich im Bestände der Straßburger Bibliothek unter No. 621 findet und auf den beiden Seiten die Reste von Nub. vss. 1371—1392 und von vss. 1407—1428 (Bgk) enthält. Bezüglich des Alters der etwas schräg liegenden Schrift, die auf der ersten Seite fast unleserlich ist, möchte Reitzenstein „über das 7. Jahrhundert nicht namhaft herunter, über das 5. sicher nicht heraufgehen ^ Der Verfasser gibt sonach eine soweit als möglich vollständige Abschrift dieses Fragments der ältesten Handschrift der Wolken und eine Auslese aus den Varianten. Ich beschränke mich hier darauf, die Folgerungen, welche Reitzenstein aus der Vergleichung des Straßburger Fragments mit anderen Codices zieht, mit seinen eigenen Worten herzusetzen: „Unsere Aristophanesüberlieferung ist nicht in der Art einheitlich, daß R und V als älteste Zeugen derselben etwa frühbyzantischen Rezension, von der auch die übrigen Handschriften abstammen, das meiste Vertrauen verdienen. Die verschiedenen Re- zensionen, welche es im Altertum gab, haben noch auf bisher kaum be-

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 213

achtete junge Handschriften weiter gewirkt. Ein Stemma der Über- lieferung zu geben, wird wohl niemals möglich sein."

B. Heidhues, Über die Wolken des Aristophanes. Progr. des k. Friedr.-Wilh.-Gymn. zu Köln. 1897.

H. behandelt die Streitfrage über die Diaskeue der Wolken und steht dabei auf der Seite Essers (1823). Sein erstes Ergebnis ist, daß Aristophanes selbst nirgends in diesem Stücke auch nicht in der Parabase, eine Überarbeitung der ersten Wolken andeute. Dann sucht er zu beweisen, daß auch das Stück selbst, so wie es vorliegt, weder durch Widersprüche, noch durch Wiederholungen den Eindruck der Überarbeitung hervorbringe. Er gelangt zu dem Resultate, daß eine Überarbeitung der Wolken nicht stattgefunden habe. Unsere ,, Wolken" seien natürlich abgesehen von der Parabase im engeren Sinne (v. 518 562) dasselbe Stück, das im J. 423 aufgeführt wurde und wegen der in ihm enthaltenen Übertreibungen und anderer Schwächen durch- fiel. Heidhues ist in die Einzelheiten der alten Streitfrage gründlich eingedrungen und hat ohne Zweifel manchen überflüssigen Vorwurf, der gegen das Stück in seiner jetzigen Gestalt erhoben wird, mit Glück beseitigt. Leeuwen ist in seiner Ausgabe der Wolken bereits in sein Ijager übergegangen. Hingegen hat Zacher in seiner Rezension dieser Abhandlung (Berl. phil Wo. 1900 No. 2—3) einen ins einzelne gehenden Gegenbeweis unternommen. Ich selbst war stets der Meinung, daß Aristophanes eine Überarbeitung der Wolken zwar unternommen, aber aus begreiflichen Gründen nicht fertig gebracht habe.

G. Schwandke, De Aristophanis Nubibus prioribus. Diss. phil, Halenses. vol. XIV, 1898.

Dieser Aufsatz berücksichtigt bereits die Arbeit von Beruh. Heidhues und steht bezüglich der Überarbeitung der „Wolken" auf dem entgegengesetzten Standpunkte. Schwandkes Untersuchung nimmt ihren Ausgang von der VI. Hypothesis und von den bei Kock GAE. I p. 490 492 gesammelten Citaten aus den Ns'fsXai Ttpoxspat. Er be- handelt das Stück nach einzelnen Partien, bei denen er die Bestand- teile der ,, ersten Wolken" von denen der Überarbeitung zu trennen sucht. Am Schlüsse der Arbeit vermißt man eine klare Gegenüber- stellung des von Schwandke angenommenen Versbestandes beider Rezen- sionen, so daß diese mißliche Arbeit dem Leser zufällt, der sich aber wohl nur in seltenen Fällen die Mühe nehmen wird, sich in die Arbeit Schwandkes so tief einzuleben. Eine bis ins einzelne gehende Be- sprechung der Dissertation hat Heidhues in der Neuen Phil. Rundschau 1899 No. 1 2 geliefert, auf welche auch die ebenfalls sehr ausführliche Rezension Konrad Zachers (Berl. ph. Wo. 1900 Sp. 68—73) hinweist.

214 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

A. Müller, Scenisclies zu Aristophanes' Wolken. Berl. pliil. Wo. XX, 1900, Sp. 923-925.

Es hatte Zacher gelegentlich einer Rezension in der Berl. phil. Wo. 1900, Sp. 69 70 die Ansicht aufgestellt, daß die Eingangsscene der Wolken im Hofe des Hauses des Strepsiades spiele und daß weiter- hin Strepsiades in den Hof des Hauses des Sokrates eintrete. Zacher meint, daß sich bei dieser Ansicht, die er des näheren auseinander- setzt, alle auscheiuenden Schwierigkeiten dieser Scene erklären. Diesen Ausführungen Zachers tritt nun Albert Müller a. a. 0. entgegen. Gegenüber der Neuerung, die Handlung in das lonere von zwei ver- schiedeneu Gebäuden zu verlegen, verteidigt Müller die bisher festge- haltene Regel, daß die griechischen Dramen vor den Häusern spielen.

In der Frage, wie die Öffnung der Wand bewirkt wurde, durch welche man nach v. 183 das Innere des Phrontisterions erblickte, zeigt sich Müller insofern entschieden, als er die Anwendung des Ekkj'^klema für diese Scene als unmöglich erklärt. Als möglich hingegen bezeichnet er es, daß die als Vorderwand dienende Leinwand aufgerollt wurde. Bezüglich dieses Gedankens verweist Müller auf Weißmann, Die scenische Aufführung der griechischen Dramen S. 9. Bei der Herrichtung des Spielhauses vor der Aufführung der Wolken müßte natürlich auf die Bedürfnisse der einzelnen Scenen Rücksicht genommen worden sein.

A. Dieterich, Über eine Scene der aristophanischen Wolken. Rh. Mus. XLVIII, 1893, p. 275—283.

Der Verfasser weist nach, daß die erste zwischen Sokrates und Strepsiades stattfindende Scene der Wolken, namentlich von v. 250 bis zu Ende des Gebetes v. 275 auf einer parodischen Nachbildung orphischer Weihen und orphischer Hymnen beruht. Wesentliche Punkte dieser Auffassung waren allerdings schon durch ältere Besprechungen der Stelle bekannt. Es ist aber ein unzweifelhaftes Verdienst Dieterichs, diesen Gegenstand in einem größeren Zusammenhange und mit derartiger Berücksichtigung von Einzelheiten dargestellt zu haben, daß auf einige Verse dieser Partie eine weitaus schärfere Beleuchtung fällt als früher. Kock hat den lehrreichen Aufsatz in seiner Ausgabe der Wolken von 1894, bereits berücksichtigt. Vgl. z. B. die Aum. zu v. 254.

Versibus Aristopbaneis suus locus restitntns. Scr. P. H. Damste. Sylloge quam Constantino Conto obtulerunt phil. Batavi. S. 9 10. Lugd. Bar. 1893.

Der Verfasser meint, daß die Verse der Wolken 486 490 durchaus einen Fehler enthalten müßten. Die Verse lauten:

486. 2a). Evsaxi o^xa goi Xe^siv ev ttt] cpusst;

487. 2t. Xe^siv [jiev o'jy. Ivejt' aTrosTepstv 5' Ivi.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 215

488. lu). ~Cj; oov o'jvrjjs'. [jiavf^avetv; ^r. ajxsXs!., xaXtüj. 4S9. 2(o. ays vuv otku?, orav ti 7:poßaXu)[xai so^pöv. 490. rspl Tüiv |i.$-£tup(i>v. euösoj? u'fapTrasst,

Hier ist es dem Komiker darum zu tun, bald auf die [X£-£cüpa zu kommen, wovon er sich großen Erfolg verspricht. Er läßt daher an den künftigen Sokratesschüler Strepsiades die F'ratre stellen, ob er Gedächtnis und Redefertigkeit besitze, worauf Strepsiades jedesmal in einer für die Athener unterhaltenden Weise antwortet: Ein gutes Gedächtnis habe ich nur, wenn mir jemand Geld schuldig ist, und: Eeden kann ich zwar nicht, aber betrügen kann ich.

Diese sehr gut zusammenhängende Stelle verdirbt nun Damste durch folgende Versumstellung: 488, 486, 487, 489, 490. Bei dieser Anordnung klafft zwischen den Versen 487 und 489 eine unerträgliche Lücke, die nur durch die rasche Wiedereinsetzung des v. 488 an seinen angestammten Platz ausgefüllt werden kann.

S. R. Winans, Notes on Aristoph. Clouds. Americ. Journ. of Philology XVI, 1895, p. 73-77.

Der Verf. beschäftigt sich mit der Erklärung von drei Stellen der Wolken. In v. 179 hält er an G. Hermanns Schreibung »}u[i.aT'.ov fest und glaubt einen Witz in der Amphibolie von u'fsiXsTo zu erblicken, ucaipeiv sei ein mathematical term, with good punning possibilities, ,,substract", „abstract". Thaies sei nämlich hier nicht als Weiser über- haupt genannt, sondern speziell als Geometer. Ich kann nach dieser Erklärung nicht einsehen, wie der noch ungelehrte Strepsiades diesen Terminus der Schule so lasch erfaßt und namentlich begriffen haben soll, wie das Stück Opfeifleisch in den Besitz des Sokrates kam. Ich w'enigsteus verstehe dies nicht; allerdings gibt die Stelle nach der her- gebrachten Exegese auch keinen befriedigenden Sinn. Mau vgl. jetzt J. van Leeuwens Ausgabe und den Aufsatz, in der Mnemos. XXVI, p. 422. Ebensowenig hat mich Winans davon überzeugt, daß in v. 73 nach Feitons Vorgänge bei l-üöc-o die Mutter des Pheidippides als Subjekt zu denken sei und nicht Pheidippides selbst, da auf Phei- dippides erst mit -rouToviin v. 77 zurückgekommen werde. Zu Pheidippides kehren die Worte des Sti'epsiades schon mit toütov xov uiov in v. 68 zurück. Sehr zweifelhaft, namentlich aus sceni^chen Gründen, ist mir auch das j^fittel, duich welches der von Dindorf, Meineke, Kock, Blaydes als unecht erklärte Vers 1474 für den Dichter gerettet werden soll. Winans sucht glaubhaft zu machen, daß Strepsiades vor seinem Hause an der Stelle des früheren Zeusbildes (vgl. v. 1234, 83, 1478) eine tönerne Statue des Dinos aufstellen ließ. Wann und wie dieser Wechsel der Scenerie vor sich gegangen sein soll, wird nicht angegeben.

216 Bericht über die Literatur der griecbischea Komödie. (Holzinger.)

Neu ist diese Erklärung übrigens keineswegs. Sie steht bei FritzscLe (1838) in der Ausgabe der Thesmoph. v. 748, bei Teuffei (1863) in der Ausgabe der Nubes. Vgl. Blaydes im Kommentar zur Stelle. Heidhues Neue phil. Rundschau 1898, p. 387 und Leeuwen Mnemos. XXVI, p. 220 und in der Ausgabe der Wolken beziehen das toutovI töv Srvov auf das von Strepsiades getragene Weingefäß. Diese Methode der Rettung des v. 1474 hat viel mehr für sich.

Ad. Römer, Zur Kritik und Exegese der Wolken des Aristo- phanes. Sitzgsber. d. bayer. Akad. 1896. S. 221—256.

Der Verfasser will zunächst durch einige Stellen der Wolken be- weisen, daß an dem Sokrates des Aristophanes doch etwas mehr „echt ist, als die Maske''. So leitet er aus vs. 144 ff. ab, daß Aristophanes die Manier des Philosophen kannte, den unscheinbarsten Gegenstand aufzugreifen und bedeutsame Erörterungen daran anzuknüpfen. Bei V. 234 habe man schon längst die Verspottung der Sokratischen Me- thode bemerkt, seine Behauptungen durch Beispiele aus dem täglichen Leben zu erläutern. Bei v. 704 ff. hebt Römer das Abspringen des Sokrates von einem Gegenstaude zum anderen, bei v. 736 die heuristische Methode (so auch Kock), bei £Ev]|xßXioxas in v. 137 die Maieutik des Sohnes der Phainarete, bei v. 741 ff. die Dialektik, das öiaipsiv des Platonischen und Xenophontischen Sokrates hervor. In dem y.aXot ts. xa7a{>oi des v. 101 sieht Römer die erste und älteste Charakteristik der Sokratiker. Der Verfasser bricht hierauf diesen gesponnenen Faden ab und behandelt auf S. 231—245 eine Reihe einzelner Stellen der Wolken. In v. 178 streicht Römer xa'[ji.'];a? oßsXiJxov und hält sich an das Citat des Demetrios irspl epixr|V£tac' 152 Sp.: xr^pov 6ta-cr^;a? sT-a ötaßY^TTjv Xaßcuv, ix x^? 7ia>.ai3Tpa? i[xaTiov ucpsOvexo. Römer lehnt es ab, dieses xr^pov ota-ry^^as des Demetrios für eine Verwechslung mit dem Anfange des v. 149 und für einen lapsus memoviae zu halten, sondern sucht einen neuen eigentümlichen Zusammenhang dieser nicht zusammen- gehörigen Worte und glaubt, „daß der Spaß mit dem Elohspruug erst später hinzugedichtet wurde". In ähnlicher Weise werden auch die vss. 996—999 als eine „nachträgliche Zutat von selten des Dichters" zu dem „abschließenden Gedanken" in vss. 994 995 erklärt. Ebenso- wenig haben mich andere Bemerkungen Römers in diesem Abschnitte überzeugt, wenn er z. B. in v. 556 r^ (sie) xo x^xo; 7)39isv lesen und x^xo; als Objekt nehmen will, indem er sich augenscheinlich auf eine unrichtige Angabe A. Martins über das Scholion in R. stützt. Ge- lungener als dieser Abschnitt des Aufsatzes ist sein Schluß. Dort wird der Mißerfolg der „ersten Wolken" auf die Wiederholung des Problems der Eiziehunc,' aus den Daitaleis zurücklief ührt. Die wei-

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.) 217

tereu BemerkuDgen sind dazu bestimmt, zu beweisen, daß in deu Komödien des Aristopöanes ein einheitlicher Grundzug der Haupt- charaktere nicht streng festgehalten wird.

J. van Leeuwen, Epistuhi critica de Aristophanis Nubibus. Mnemosyue NS. XXVI, 1898. p. 205—236.

Der Aufsatz befaßt sich mit der Erklärung und Textkritik ein- zelner Stellen der Wolken. Von den vorgetragenen Konjekturen halte ich folgende für beachtenswert : in v. 720 l-l st. sti, v. 721 «ppoupa; St. (ppo'jpac, V. 1102—1104. Die Worte des Dikaios irpo? rüiv öswv irpö; Gfxa; sind an die Sokratiker gerichtet. V. 761 i'XXe st. tlXXz, v. 377 Beistrich nach ofA^pou, nicht nach dvczYxrjV, v. 384 u-fpox/jxa (nach V), st. uuxvoTTjTa, Schol. Nub. 967 Düb. -= 964 Ddf.: ZTrjjiyopou st. 'fvjatv V., V. 974 d^ivvsc St. a-r,vEC, V. 1006 XsTiTii) st. Xeuxcp, v. 594 ^usTT^aexat st. Suvoiasxai. Aus der Zahl derjenigen Vermutungen, die ich nicht billige, erwähne ich folgende: Die vss. 412—419 weist Leeuwen dem Sokrates zu. Da er aber 427 428 dem Koryphaios belassen muf, bleibt nichts anderes übrig, als auch die Einleitung dieses Gespräches 412 419 dem Chor, resp. dem Koryphaios zuzuweisen. Ahnlich ver- hält es sich mit den Versen 457 461, 462 464, 467 475. Leeuwen gibt sie dem Sokrates, in der Meinung, daß der Chor seine Partie bei 436 beendet hat. DA er aber 476 477 dem Koryphaios beläßt, ist diese Argumentation hinfällig. Wer diese Verse spricht, spricht auch die vorhin bezeichneten Abschnitte. Mit Recht also hat Beutley dies alles gegen die mss. dem Chore zugewiesen. Für v. 730 i^ apvaxtßcuv leugnet Leeuwen das Wortspiel mit s^apveTsilai, während seine eigene Erklärung noch weniger witzig ist. Die vss. 1113 1114 gibt er mit Unrecht dem Pheidippides und hat dies auch späterhin in der Ausgabe zurückgezogen. Für v. 234 gibt L. die Bemerkung, daß der Ver- gleich mit der Brunnenkresse irgendwie direkt auf Worte des historischen Sokrates zurückgehe. Richtiger ist Kocks Auffassung, daß hier nur die Manier des Sokrates, Beispiele aus dem Alltagsleben zu geben, verspottet werden soll. Die Epistula critica ist an Leeuwens Freund und Mitarbeiter M. B. Mendes du Costa anläßlich des ihm von der Amsterdamer Universität verliehenen Ehrendoktorates gerichtet.

J. van Leeuwen, Ad Aristophanis Nubes observationes. Mnemosync NS. XXVI, 1898, p. 420—440.

Diese Abhandlung ist ihrem Charakter nach eine Fortsetzung des vorhergenannten Aufsatzes und bildet sowie dieser eine Grundlage der van Leeuwenscheu Ausgabe der Nubes. Von den vorgelegten Stellenerklärungen ist nur einiges neu und hiervon nur weniges richtig. Bei mehreren Stellen hat der Verf. nur die Schwierigkeiten hervor-

218 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.)

cehotcn, ohne eine Lösnng- zu bringen. Bemerkenswert ist die Kon- jektur zu V. 248: TW 0 a^opa^e"'; st. tw 7ap o|xvu-'; daß aber der V. 179 unecht sein und aus einer anderen Komödie stammen müsse, . kann ich nicht billigen. Man versteht ihn nicht recht. Das ist alles, was man gegen den Vers einwenden kann. Es ist doch aber gar nicht zu verwundern, wenn wir nicht alle Scherze des Komikers verstehen! In der Tat hat van Leeuwen in der Ausgabe die Athetese nicht aus- gesprochen. In V. 219 schreibt van Leeuwen u>, ^ojy.par/]?! st. di ScuxpaTsc, gewiß unrichtig. Strepsiades rief den Philosophen bescheiden an: «o 2u>xpar£c! und da dieser den Zuruf unbeachtet läßt, bittet Strepsiades den Schüler: dva[56r,(jov autov [j,oi [XE-ya. Nicht also wird jetzt Sokrates zum erstenmal angei'ufen, wie van Leeuwen meint, sondern ange- schrieen wird er zum erstenmal, während er früher nur angerufen worden war. Sonst hätte das [xe^a keinen Sinn. Unwahrscheinlich ist für v. 276 die Schreibung auaTjxov st. £ua7r,Tov, in v. 523 oluto? st. iipwTYjv, ebenda ist -^^iwaa vuv ava^eujai st. y]^ta>3' dva-i-eüsai unmetrisch, da es ganz einfach einen Fuß zu viel hat. Daß in v. 556: Opuvt/o? irdXai ~£-oir)y\ rjv xo xrfOQ vjcjvliev der Komiker Phrynichos gemeint sei, wird weitläufig auseinandergesetzt. Kock hat dies schon längst zu B,an. v. 13 bemerkt. Nur spricht .Kock richtig von der Andromeda, Leeuwen aber in der Mnemos. XXVI, p. 433 und in der Ausgabe p. 97 von der Andromache. Bei v. 676 wird Kleonymos als ein ehemaliger Apotheker ausgegeben.

A. Platt, Three conjectures on tlie Clouds of Aristophanes. Class. Eeview XIII, 1899, p. 428—429.

Verf. empfiehlt für Nub. 626 roüTriov (= to Xoitov) st. toü ßi'ou, für 744 7.-6Xu£ st. d7r£XÖ£ und für 1415 xXaEiv ooy.£r; öixaiov. Unter diesen dreiVer- mutungen ist jedenfalls die letzte die relativ beste. Sie schließt sich übrigens nahe an einen Gedanken J. van Leeuwens an.

*S. Scaevola, A propos des Nuees d'Aristophane. Deux mots sur les Paphlagoniens. Launoy, 1901.

Aristophanes, Vespae. A translation by F. G. Plaistowe. Lon- don 1893.

Aristophanes, Vespae, Translated into English by H. Haiist oue. Cambridge 1896. 2 sh.

Beide Bändchen enthalten bloß eine Prosaübersetzuug der Wespen, ohne Text und Anmerkungen. Plaistowe hat die von Holden ausge- lassenen Verse ebenfalls übergangen. Dafür finden sich am Schlüsse des Bändcheus Test papers über die Wespen. Bei Ilailstone schlug ich v. 604 nach und fand xrj? dpy?;; als lokalen Genetiv aufgefaßt, was unrichtig ist.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (Holzingcr.) 2I1>

The Wasps of Aristophanes. By C. E. Graves. Cambridge 1894.

Aristophanes, The Wasps. Wiih introductiou and uotes by W. \V. Merr}'. Second edition. Part I. Introductiou and text. Part II. Notes. Oxford 1898.

Beide Bändchen sind brauchbare Schulausgaben. Graves stützt sicli in seinen Anmerkuneren besonders auf Blayde:>, dessen Name auch in der aus{2;c\vählten Varia lectio in den Faßnoten unterhalb des ^-riechischen Textes häufig: begegnet, ferner auf van Leeuwen und am meisten auf Rogers" Ausgabe. Bezüglich seines Verhältnisses zu der ersten Auflage (1893) der Ausgabe Merrys sagt der Herausgeber: Dr. Merry's edition I have refrained from Consulting; though I knew how much I might profit by his wit and wisdom, and ripe scholarship. But I feit, as a friend once wrote of another book, that his notes are too recent to be the common prey of commeotators. Merrys Aus- gabe behandelt in der Einleitung die literarge&chichtliciien Verhältnisse des Stückes, seinen Inhalt und das Wichtigste über dm Richterstand in Athen. Der Kommentar zeugt von dem Bestreben des Verfassers, zur Erklärung schwieriger Stellen etwas Neues beizutragen. Nicht ganz einverstande)! bin ich- bei v. 604: -av-wc 7ctp -oi rauset r.oxi, xava- 9avTQce'. I -pcuxtoc Xou-poü -epr/iYvojjLEvoc t?,; '^•P/"^J ~^jC ~£pias|xvou. Hier folgt Merry der Erklärung Jul. Richteis, der -9;? i?'/r^i mit raujet und •izspqqvoijLcvoc verbindet. Merry sagt, dies sei ein Genetiv „of general reference". Die richtige Konstruktion gibt W. .1. M. Starkie (ed. 1897), indem er ap/rj; nur mit -£pi7r,'vo[j,£vo; verbindet. Denn dieses Verb ist äito xüivo-j gestellt. Starkie geht nur in der Ausmalung des Vergleiches zu weit. Die zweite Auflage der Ausgabe Merrys ist übrigens ein beinahe unveränderter Abdruck der ersten Auflage. Ein kurzer Zusatz am Schlu3.se der Noten S. 102 ist nicht von. Belaug.

Aristophanis Vespae. A literal trauslation by J. A. Prout. London 1894.

Dieses Bändchen gehört zu der Serie von Kelly's keys to the Classics. Die ia Prosa gegebene Übersetzung ist keineswegs wörtlich genau, sondern nur dem Sinne des Originals meistens angepaßt. Über schwierige Stellen, bei denen man durch die Übersetzung eine Erklärung der Konstruktion des griechischen Textes zu erhalten wünscht, kommt der Verfassei' natürlich sehr leicht hinweg. Hält sich der Leser z. B. bei v. 604 au den Wortlaut der Übersetzung, so muß er im Texte TTJc ap/^? von -pcü/.To'c abhängig machen, was ohne Zweifel fehler- haft wäre.

220 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger)

The „Wasps" at Cambridge. The Athenaeum, 1897, No. 3657, p. 757.

Der mit V. bezeichnete Referent berichtet über eine scenische Auf- führung der Wespen durch das Greek Play Committee ut Cambridge. Der Text war bedeutend gekürzt und in drei Akte zusammengezogen. Das Kostüm der Wespen wies nur die Farben Gelb und Schwarz auf. Die Musik stammte von Mr. Noble. Hervorgehoben werden in dem Berichte die schauspielerischen Leistungen der Vertreter der beiden Hauptrollen Philokieon und Bdelykleon, ferner die Lebhaftigkeit der Tänze des Chores. Die Aufführung unterhielt die Zuschauer auf das beste, hinterließ aber mehr den Eindruck einer „Burleske" als den einer Komödie. Trotz des "Wohlwollens, mit dem der ungenannte Kritiker die Aufführung begleitet, ist zu ersehen, daß sich diese Komödie wegen der politischen Grundlage, auf der sie aufgebaut ist, zur Wiederbelebung vor einem modernen Publikum weniger eignet als manche andere.

The Wasps of Aristophanes as performed at Cambridge No- vember 19 24, 1897. With the verse translation by Benjamin Bickley Rogers, Cambridge 1897.

Dieses Bändchen ist von C. E. Graves herausgegeben, dessen Text und Kommentar der Wespen 1894 in Cambridge erschienen war, Graves hat nun den Text zu Zwecken der scenischen Aufführung auf 1 149 Verse zusammengestrichen und hat dieser Auswahl die TTbersetzuug von Rogers beigefügt, welche in dessen bekannter Quartausgabe des Stückes (1875 London, George Bell and Sons) zu finden ist. Diese Übersetzung ist großenteils im Versmaße des Urtextes abgefaßt. Eine kurze Inhaltsangabe des Dramas hat Graves vorangestellt.

Aristophanes' Wespen, in Versen übersetzt von N. J. Korniloff, Kasan 1900. (Russisch.)

Diese Kasaner Universitätsschrift enthält eine Übersetzung der Wespen (S. 1 80)mit einem Anhange von kurzen Anmerkungen (S.81 95) von N. J. Korniloff unter der Redaktion und mit einer Einleitung (S. I X) von Mischtschenko. In der Einleitung wird auf mehrere be- kannte Werke hingewiesen. Die Anmerkungen beruhen auf den Schollen nach Bekkers Ausgabe, der tJbersetzung von Seeger, dem Kommentar von Julius Richter und einigen Handbüchern.

*6oißi&orouAoc r., 'AvaÄuoi? xtüv S^yjxtov toü 'Ap'.jxotpavou;. 1900. 'Apfxovt'a, 'ATipiXtoc, p. 207 221.

C. Robert, "Ovot -Y]Xtvot. E^rifxepU ap/aioXo/tx-rj III, 1892, Sp. 247—250.

Bericht über die Literatur der griechischea Komödie. (Holzinger.) 221

Auf Tafel XIII des bezeichneten Bandes ist die Abbildung des tönernen ovoc zu sehen, den Robert beschreibt und in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise erklärt. .Das Geräte hat die Gestalt eines an der einen Schmalseite mittelst einer 8tirnscheibe abgeschlossenen feinen Hohlziegels. Auch mit einer Wadenschiene, die mit einer Rundung das Knie deckt, ließe es sich vergleichen. Die Innenseite ist glatt, die Außenseite zeiyt auf dem Rücken ein Schuppenornameut, an den beiden Längsseiten Bildwerke , schwarzfigurige auf rotem Grunde oder rot- figurige auf schwarzem Grunde. Gewöhnlich sind Scenen aus dem Frauengemache dargestellt. Die Stirnfläche zeigt meistens einen weib- lichen Kopf, entweder in erhabener Arbeit oder eingeritzt. Die Funde reichen von der Mitte des sechsten bis zum Schlüsse des fünften Jahr- hunderts. Robert widerlegt schlagend die Deutungen seiner Vorgänger und weist nach, daß dieses Instrument ein sTcivTjxpov oder ovo? (Pollux X, 125) ist. Den näheren Gebrauch desselben liest Robert von einem Exemplar ab, auf welches ihn Th. Sophulis aufmerksam machte und das sich in dem Museum der "Ap/aioX. 'E-atpia unter No. 5899 befindet. Es zeigt auf der einen Längsseite eine Darstellung seiner Handhabung. Die Hausfrau sitzt mit der Zubereitung der Wolle beschäftigt in der Gynaikonitis unter ihren drei stehenden Dienerinnen. Den Hohlziegel hat sie auf den rechten -Oberschenkel gepreßt, so daß das Knie durch die Stirnscheibe des ovo? gedeckt ist. Nun wird jedenfalls die Wolle feiner gemacht. Auf die weiteren Einzelheiten der Tätigkeiten dieser vier abgebildeten Frauen und besonders auf die Reihenfolge derselben will ich mich hier nicht einlassen, zumal auf mich die Ausführungen Roberts nach dieser Seite hin nicht mit gleicher Überzeugungskraft gewirkt haben, als der übrige Teil des wichtigen Aufsatzes. Für iVristophanes kommt die Sache wegen Vesp. 616 in Betracht: xav olvov [xot [xr, '"f/jn? <ju meh, Tov ovov Tovo' ejy.£xo(j.t!Jii.ai. Man begnügte sich bisher mit der Scholiasten- notiz, daß es sich hier um ein a-^Ysiov ttotou handle. Nun lehrt Robert das einzig Richtige über diese Stelle. Philokieon wird, wenn er Richter- sold nach Hause bringt, von seiner Frau verhätschelt. Verweigert ihm etwa sein Sohn einen Trunk, so gibt ihm ganz einfach die Frau einen tüchtigen Schluck aus dem ovo? zu trinken, der zwar diesen Zweck nicht eigentlich hat, sich aber ausnahmsweise ganz gut dazu verwenden läßt. Ein gutes Stück der bisher dunklen Stelle wird damit jedenfalls erhellt, und es ist nicht rühmlich, daß die neuen Ausgaben der Wespen von Leeuwen, Green, Merry, Graves und selbst des fleißigen Starkie nichts davon wissen. Robert hält es übrigens für notwendig in v. 614 mit Meineke dXX' T]v (so schon Elrasley und Dobree) [xr^ [xo-. -cayu fta^T) zu lesen und hierauf eine Lücke anzunehmen. Letzteres wäre denn doch noch zu •überlegen.

222 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (llolzinger.)

H. van Her wer den, Ad Vespas Aristophaneas. Muemos. NS. XXI, 1893, p. 441— 4Ö4.

Unter Berücksichtigung der im gleichen Jahre erschienenen Aus gaben der Wespen von Blaydes und van Leeuwen bringt van Herwerdea 44 Bemerkungen zu diesem Stücke, von denen mir folgende sehr be- achtenswert zu sein scheinen: 1. In v. 10 liest H. au oat'ij-ovct st. SaßaCtov, 2. für V. 182 empfiehlt er Lentings Vermutung lotufj-sv st. iou)|xat. 3. In v. 365 erklärt er fj-s/a'-rtov richtitr dnroh meiliculnm statt durch apicula. 4. In v. 402 schreibt er TetatoEor) st. Ttuiaor). Man findet auch f'inige begründete Ablehnungen von Vermutungen der beiden damals neuesten Herausgeber. Die übrigen Bemerkungen halte ich teils für überflüssig, teils geradezu für verfehlt. Aus dieser Zahl kann ich hier aber nur einige wenige anfiihren. Bei v. 635: xaXüjc -(«p -qdzvj w? £7ta la'jxTj xpaTisTo? zl\).i. beklagt sich van Herwerden darüber, daß Leeuwen und ßlaydes seine bereits ältere Vermutung xaxüi? nicht zu kennen scheinen. Aber Starkie kennt diese Vermutung nnd gibt ihr dennoch keine Folge. Denn der Vers ist richtig überliefert; fjostv ist natürlich iritte Person und Philokieon sas;t, daß Bdelykleon sehr wohl wußte, "■eich großer Redner sein Vater sei. Nur habe Bdelj^kleon erwartet, Philokieon werde ihm den Sieg ohne Kampf überlassen. Vgl. meine Schrift de verborum lusu p. 23, welche Starkie hier richtig benutzt hat. Nicht hinreichend scheint mir von den Herausgebern bis jetzt noch das o'jy. in v. 634 erklärt zu sein. In v. 668 will der Verf. Trspi-scpÖEic durch ETtiTep^öei? oder durch 7:epif^aX(p9£ts ersetzen. Aber daß nichts zu ändern ist, ergibt sich aus Plutos v. 159 und aus andern Stellen, die Dindorf im Thes. anführt. Auch der v. 774 ist nicht funditus de- pravatus, wofür ihn auch Leeuwen ansieht. Vgl. meine Bemerkung zu Leeuwens Aufsatz ia d. Mnemos. NS. XXI, p. 106 über Vesp. v. 107. Bei v. 774 liegt der Sinn der Stelle auf der Hand. „Scheint draußen die Sonne (im Frühlinjr), wirst Du vor Deiner Tür in der Sonne Recht sprechen. Schneit es, bleibst Du beim warmen Ofen. Regnet es, so kommst Du in das Haus herein und hältst Gerichtsitzung in Deiner Stube. Schläfst Du einmal bis in den langen Nachmittag hinein, so kann Dir auch kein Thesmothet einen Possen spielen." Was soU iiieran fehlerhaft oder unverständlich sein? Unrichtig wird in v. 857 f|3l mit fj xwXyj erklärt, während Brunck ganz richtig tj d|xt? ergänzte. Als Anhang gibt H. noch eine unrichtige Konjektur (j^iXöiv st, xoi/.(uv zu Nub. 324. Es handelt sich nicht um den Gegensatz von ^il6^ und öaau», sondern um Hindernisse bei einem Vormarsche, Schluchten und Wälder.

J. van Leeuwen, Ad Aristophanis Vespas observationes criticae. Mnemos. NS. XXI, 1893, p. 105-116. -

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 22;)

Der Verl', teilt einige beachtenswerte VerbesseruiigsvorschlSg"e zu dem Texte der Wespen mit, zu v. 199: -iWzi statt wBet, zu v. 31S: oiov x' e^crTTSiv (st. 'josiv), ZU V. 571 572: „rrjC sufiuvyj; \i «iroXyaov £Xer,ca;." Nur kann der überliefej'te Infinitiv a-oXüaai erhalten bleiben und eXcTjsat; ist eine Vermutung Madwigs. Zu v. 795: xata-sT-eu st. HirschigS y.aTars'j^st; (xaftiilici; RU), ZU V. 1132: veocvi/üj; St. Tpijiduvtxo);, zu V. 1309 tl>p'j-,i St. Tpu-ft. Diese Vermutung hat aber bereits Th. Kock in den Verisimilia p. 200 vorweggenommen. Zu vss. 1301 ff. beliauptet Leeuwen mit Reclit gegen Müller-Strübing, daß es sich in dieser Stelle bei Phrynichos, Antiphon u. a. nicht um die Staatsmänner und Redner dieses Namens handelt, sondern um gleichnamige Schauspieler, Sänger uud Tänzer. Leeuwen schließt sich hierbei an Symmachos im Schol. zu V. 1302 an. Die übrigen Bemerkungen des Verf. sind mir sehr zweifelhaft. In v. 107 liest Leeuwen (ujirsp ixeXit-' J^ SofißuXiöc s^sp/sTai st. das überl. tUip/t-on. Aber die Präposition i? paßt nicht zu dem Vergleiche, da Bienen und Hummeln mit dem gewonnenen Wachse heim- wärts fliegen. Leichter würde ich mich für Useners xi; l'pysToci (Fleckeis. Jahrb. 1889 p. 375) entscheiden, wenn ich nicht die Überlieferung für ausreichend hielte. Es ist zwar richtig, daß s'uep/sailai nicht an sich domum reverti bedeutet. Es heißt aber auch nicht bloß „hinein- gehen", sondern auch' hereinkonnnen" , nnd da Philokieon vor seinem Hause spricht, bedeutet „hereinkommen" an dieser Stelle so viel als domum reverti, weil dies der Zusammenhang mit sich bringt.

Für V. 201 empfiehlt L. : /.al -r;v ooxöv 7rp6<;t)£; ' tov o^ij-ov xtX., für V. 726 : oux av oixasai (st. otxajau). Li den Text seiner Ausgabe hat L. diese zwei Vermutungen nicht gesetzt. In v. 570 ersetzt L. das wegen apvo; 'fu>vv^ unentbehrliche fiXr,-/aTat durch [ipuya-a».. Für v. 1251 schlägt L. ein ungefälliges Asyndeton vor: ohz ausxsua^s st. XpujE ausx. In v. 1440 schreibt er Xw'ova st. rzKtwrx, was auch Ilerwerden, Mnemos. XXI, p. 453 ablehnt.

A. Willems, Notes sur les Guepes d'Aristophane. Bulletins de TAcademie Royale de Belgique. 3. Serie. Tome XXVII. 1894. p. 403—421.

In diesem Aufsatze behandelt Willems 10 Stellen der Wespen. Richtig wird in v. 326 der Ausdruck (|j£uoot[xaiJLac'jv erklärt unter Bei- ziehung von Ri. 630: t]>euoaTpoc(pa;uoc izkia. Aischines, der Sohn des Sellos, wird mit einem verwilderten Weingarten verglichen. Bei Aischines schießt das Lügenunkraut überall hervor. Mit Recht verteidigt Willems in v. 774 die Überlieferung: oovtoj zhti. Zu beachten ist auch für V. 1495 die Erklärung von xo-uXv)6cüv als Schenkelknochen und für V. 1062 die Auffassung von [xot/i[j.u)-:a-Q'. in dem Sinne von kriegslustig,

224 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

nicht in dem Sinne von kriegstüchtig. Von d(ly.i[xoi ev [xa/ai; ist sodann \).a-/i\i.M-<xxoi weit verschieden. Mit den übrigen Bemerkungen bin ich nicht einverstanden. In der Verspartie 529 545 betrachtet Willems nicht nur v. 530 mit van lieenwen als unverständlich, sondern hält auch die Verse 529, 538, 539 und bei der jetzigen Interpunktion die vss. 531 536 bei der herkömmlichen Anordnung der Stelle für ebenso unbe- greiflich. Er beantragt die folgenden Umstellungen und Änderungen: XOP. 526 28 vüv 5y) ©aviQcj£t . . ., BA. 538 xal [xrjv -j-patl^opLat e^oj. 529 eve^xaTo) Tayiaroi. XOP. 531 536 |xy] xara aravTojv. Ei'jrep xpa-ojsat . . . OIA. 530 a-cap TrapaxeXEUir;: 539 ti '[dp, ■pai)' üij-eic, xpaTT^dT); XOP. 540 545. OuxETt xzK'jrp-q. Den Ausdruck x-'jtt) (529) scheint er, obwohl er es nicht ausdrücklich angibt, für die Bezeichnung des Behälters für die Schreibrequisiten zu halten, cpaf)' in v. 539 für den Imperativ, und dem v. 530 gibt Willems den unrichtigen Sinn: ,,Was bist Du für ein Mensch, wenn das die Art ist, mit der Du mich ermutigst". In der Stelle 758—759 sollen die Worte [xr, vöv et £70) iv Toi(ji oixajTai? | xXErxovxa KXs'tova Xotßoi[j.i den Sinn haben von: [xt] -/ap ouv Ctp^jv ETI (Eur. Or. 1147), Dem steht wohl v. 762 entgegen. Über V. 1172 6oOt^vi axopooov 7)[i(pie(T[j.evip sagt Willems nur, daß die Porunkel durch den Kontrast den Gedanken an den Knoblauch hervorrufts der ein anreizendes Mittel sei. Es war offenbar, wie noch heute, ein be- liebtes Hausmittel, Knoblauch oder Zwiebelscheiben oder Schalen auf ein Geschwür zu legen, um es rascher zur Zeitigung zu bringen. Unrichtig wird in v. 1370: w^zep aro T'jjxßou uejouv als -apa -poc6ox''av statt auo y.'j\x^ou gesagt betrachtet, weil air' ovou -ejcuv diesen Doppel- sinn habe. Ferner behauptet Willems, die xpExctoi' auÄTj? in v. 1215 seien les tapisseries du logis, was nicht neu ist. In v. 131 bedeute auXr]v nicht den Hof, sondern die ganze Wohnung. Vgl. S. 194 des Ber.

E. S. Thompson, Notes on the Wasps of Aristophanes. Classical Review IX, 1895, p. 306—307.

Die verderbte Stelle 341—344, innerhalb deren auch Leeuwen noch zwei Kreuze stehen ließ, will der Verf. in folgender Weise her- stellen: Taüx" EToXixTjj' 0 |xiapoc ya | veTv; 6 AyjpLoXo-jOxXE'iuv oto' j Ott Xe'^eic au Tt TtEpi TÜiv ve' I (üv aXYjOs'c, Kleon selbst werde durch den zusammen- gesetzten Eigennamen als das große Mundstück oder Sprachrohr des Volkes bezeichnet. Den Bdelykleon in dieser Weise zu benennen, habe keinen Sinn. Letzteres wird man gerne zugeben, ohne jedoch die Stelle bereits für geheilt zu erachten. Die v. 538, 539 gibt der Verf. beide dem Bdelykleon und verändert zu diesem Zwecke in v. 539 [xe in [xr) (!). Thompson beruft sich darauf, daß auch in der metrisch entsprechenden Partie die Antistrophe des Chores zweimal durch je zwei Verse des

Bericht über die Literalm- der griechischen Komödie. (Holzinger.) 225

PhilokleoD unterbrochen werde. Eine weiterreichende BemerkuDg widmet der Verf. den vss. 1037 flf. und 1284—1291. Es seien uicht bloß die Ritter und die Wespen, sondern auch die dazwischen fallenden Wolken gegen Kleon gerichtet gewesen, freilich indirekt. Sokrates und die Sophisten erscheinen als diejenigen, welche die jungen Sykophanten heranzögen, jene Anklägerbrut, welche die Partei Kleons bildeten und die athenischen Bürger durch zahlreiche Ypucpal ;£via; vor den Richter- stuhl des Polemarchen (v. 1042) brächten. Leider muß der Verf., um den Text diesem Gedanken anzupassen, in v. 1037 ixst ao-o-j st. (xst auTov schreiben. Meines Erachtens würde bei der Konstruktion [xeta Tivo; Tivi e-iy£'.pr,ja'. von zwei Angreifern gesprochen werden, die gemeinsame .Sache machen, nicht von zwei Angegriffeneu, die zusammengehören. SchlieiSlich beschäftigt sich Thompson mit den vss. 1050 und 1119. In 1050 sei s-tvoiav unerwarteterweise gesetzt für siri/votav, ein sonst unbekanntes Wort, das eine Bedeckung der Enden einer Wagenachse (yvoa) bedeute. In v. 1119 nimmt der Verf. Anstoß an dem dreifachen }j,r,Tc und dem doppelten Sinne von Xaßciv bei gleichem Objektskasus. Er schreibt also: \}■r^zl xciirr,; [i.r,TS Xo^yr,? \ir]ok cpXü/.Ta'.vav Aa|H(juv.

H. Jackson, Conjectures of the late Richard Shilleto on Ari- stophanes Wasps 903, 922. Proceedings of the Cambridge Philo- logical Society, 1897,- XLVI— XLVIIL S. 19.

Jackson teilte in der dritten Versammlung des J. 1897 in der Philological Society zu Cambridge eine Bemerkung Richard Shilletos mit, die dieser Gelehrte 35 Jahre vorher zu Wespen 903 und 922 ge- macht hatte. In diesen 2 Versen kommt ein aS vor, welches nicht ge- rade notwendig zu sein scheint. Shilleto wollte daher beide Male a^ gesetzt und dem zweiten Hunde zugeteilt wissen, damit auch dieser Labes das eine Mal seine Gegenwart, das andere Mal sein Mißvergnügen durch einen kräftigen Naturlaut bekunde, da ja auch der erste Hund (902) a'j au gebellt hatte. Ich würde diese Zerreißung der beiden Verse, obwohl sie etwas Komisches an sich hätte, dennoch nicht anempfehlen, da das Proanaphonema des ersten Hundes außerhalb des Trimeters steht.

W. Vollgraff, Note sur un vers d'Aristofane. Revue de Tuniversite de Bruxelles, IL annee, 1897, p. 713—715.

Der Verfasser, „Candida! en philosophie et lettres", behandelt Vesp. 81 82: NixosTparo; 6' ay '^rjatv o ^xa|x[i(ovi^r,? | sivai 9iXoi)uTr)v -ouTov Tj cpiXö;£vov. Nach der Erklärung der Schollen wird (piÄoi^u-r)? ge- wöhnlich in dem Sinne verstanden, als würde hier der Stratege Niko- stratos wegen Bigotterie oder Pietismus verspottet. Da aber unmittel- bar vorher Ämynias als cpiXoxußoj und Deikylos als 'fiXo-oTr,; lächerlich Jahresbericht für Altertumswissenschaft, Bd. CXVI. (1903. I.) 15

226 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

gemacht werden, schließt Vollc;raff mit Recht, daß es sich dem Niko- sti'atos bei den fleißig: dargebrachten Opfern in erster Reihe um die mit dem Opfer verbundene Schmauserei handelt. Also nicht als abergläu- biger Frömmler, sondern als weltlich denkender Schätzer dampfender Fleischschüsseln wird Nikostratos vom Komiker vorgestellt. Vollgraff verweist auf die Verbindung von Ooeiv -/.«l sOwysrji^ai bei Ps.-Xenoph. Respubl. Ath. IX; ferner auf Xenoph. Mem. II, 3, 11, Ph^rekrates frag. 153 Keck, Juv. Sat. XI, 85 und auf die Komödie OtXo'l'jxrp des Metagenes (Meineke I, p. 221, Kock CAF. I, 70.S). deren Titel er in dem gleichen Sinne wie Vesp. 82 deutet.

W. M. Ramsay, The slaves in the Wasps. The classical Review XII, 1898, p. 335—337.

Der Verf. spricht in diesem Artikel über Ve.sp. v. 433: w Mi'oa xal Opu^ ßoiQÖst Ssüpo xal Masuvtta. In überzeugender "Weise wird dar- gelegt, daß man den in diesem Stücke auftretenden Sklaven Sosias als Phry^er und den Xanthias als Lykier aufzufassen habe. Unsicher aber bleiben die weiteren Vermutungen des Verfassers. Er identifiziert den Xanthias mit dem im v. 433 genannten Masyntias und den Sosias mit dem Mi3a; 6 xal <I>pu;! Von letzterer Wendung sei in v. 4>33 der Vo- kativ gebraucht, wobei der Artikel wegfalle. Mit Midas und Phryx sei ein und derselbe Sklave bezeichnet, nämlich Sosias. In den Wespen kämen also nicht fünf Sklaven vor, sondern nur zwei, nämlich Sosias und Xanthias. Der vom Verf. beabsichtigte Beweis für diese These wird allerdings auf gelehrtem Apparate aufgebaut. Aber Ramsay gibt doch selbst zu, daß er ein Analogon zu Mtoa zocl Opu?, wenn darunter nur eine Person gemeint wird, nicht vorführen könne. In dem Namen Masyntias sieht der Verf. nicht eine Ableitung von [ji.7.cjaji)ai (Masucius^ Manducus, Maistov), sondern findet in dem zweiten Teile von Ma-auvxiac eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Namen Eav&i'a? und erinnert daran, daß wir nicht wissen, welchen lykischen Lokalnamen die Grieclien durch ihr Eavöo? wiedeigaben. Im v. 433 liege eine spöttische Umschreibung der beiden Sklavennamen Sosias und Xanthias und zwar „a mock-heroie invocation-'. Vor allem ist gegen Ramsay zu bemerken, daß die Situation, in welcher Bdelykleon seine Sklaven zu Hilfe ruft, eine Um- schreibung ihrer Namen durchaus nicht wahrscheinlich macht. Vielmehr ruft er so viele Sklaven als nur möglich herbei. Daher sind Midas,. Phryx und Masyntias drei von Sosias und Xanthias zu trennende Eigen- namen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß wirklich mehrere icposwiza xcucpa auf diesen Ruf herbeieilten. Aber durchaus notwendig ist diese An- nahme nicht. Für die Darstellung genügte es auch vollkommen, wenn auf den Ruf des Herrn, der gewissermaßen sein ganzes Gesinde auf- zählt, Sosias und Xanthias zu Hilfe kommen.

Bericht über die Literatur dor griechischen Komödie. (Holzinger.) 227

T. G. Tncker, Various Eniendations. Class. Review XIl, 1898, p. 23.

Ans Aristophaiies wird nur Vesp. 765 ft". behandelt. Es wird mit Recht hervorgehoben, daß in dem Verse Ta•J•cr^; i-t^oXrjV <\/r^(f^zl [xtav jxovrjv der Genetiv tciutt,; nicht leicht die Magd bezeichnen kann, von der im Vorhergehenden gesprochen wird. Auch sei eine Geldstrafe von einer Drachme für eine Sklavin keine Kleinigkeit. Tucker läßt, also den Philokleou nicht eine Geldstrafe, sondern nur einen Schlag mit dem Pantoffel diktieren: ßXauTTjc eTcißoXrjv *}>T)(p'eT [xiav [xovrjv. Zu bemerken ist, daü kein Grnnd zur Annahme vorliegt, Philokieon wolle eine milde Strafe aussprechen. Im Gegenteil! Vgl. v. 106.

E. White, Note on Aristoph. Wasps, 107 HO. Class. Rev.

XII, 1898, p. 209.

Die Verfasserin stellt die Frage, ob der Vergleich mit der Biene und der Hummel, welchen die vss. 107 und 108 enthalten, auch auf die vss. 109 110 auszudehnen sei. Sie bernft sich iiierbei anf Aristot, H. A. 9, 40, weil es dort heiße: otav o' a'v£|j.o; r) ^.£73;, <pspou7i XuHov ecp' eauToi? epixa -p6? to iiveü|j.a. Ferner wird auf Virg. Georg. IV, 194 und Aristoph. Av. 1137 und 1429 hingewiesen. Dies alles aber hat mit den Versen Vesp. 109—110 nichts zu schaffen. Die Stelle ist z. B. bei Leeuwen ganz gut erklärt.

A. Willems, Note sur un passage des Guepes. Bulletins de

l'Academie Royale de ßelgique. 3. Sörie; tom. XXXVII. 2, 1899,

p. 898—900.

Willems beantragt, den ganzen v. 565 zu streichen. -po^Ttöeautv betrachtet er als absolut gebraucht. Als gutes Beispiel für diesen Sprachgebrauch führt er Plat. Rep. I, 339 B an, o-j os Trpojxtf}/)?, wäh- rend sich gegen Dem. IV, 20 als Analogon und auch gegen Thuk. TU, 45 Einwendungen erheben lassen. Dieses -poa-:Si%aiw, meint Willems, wurde durch die Glosse xaxd -p6? xoT? oustv erklärt, und da diese Worte zu- fällig zu den anapästischen Tetrametern paßten, fügte ein Abschreiber ans Eigenem: swj av (ti?) ijcujy) xoisiv sixolaiv hinzu. Das dviüiv bietet „Notre meillenr manuscrit. le Ravennas" nicht, sondern Dindorf hat es aus dem Venetus in den Text gezogen. Ich habe den Eindruck, daß diese künstliche Methode, den Vers entstehen zu lassen, seiner Athetese nicht zur Empfehlung dient. Jedenfalls aber ist die Bemerkung von Willems zu beachten, daß Philokieon, der in den v. 548—558 die un- getrübte Glückseligkeit des Richterstandes preist, nun plötzlich auch bei ihm große Sorgen als selbstverständlich annimmt.

J. Vürtheim, De Heliaeis Atheniensibus. Mnemos. NS.

XXVIII, 1900, p. 228-236.

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228 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzingor.)

Die Abhandlung bescliäftigt sich mit der Auslosung der heliastischeu Gerichtshöfe, der Zuweisung der Sitzungslokale an dieselben und mit der Zahl, den Namen und der örtlichen Lage dieser Gebäude. Der Verf. gelangt zu folgender Aufzählung: xo Tpqcovov, IIapa|^u3Tov, Msaov, Barpa^ioüv, Ooivixtoüv, xo Mrjxiyou, 'ßtoeiov, 2xoa -oixiXt); dazu kommt noch die'HXiai'a und als zehntes Lokal dasjenige, dessen Namen Vürtheim bei Aristoph. Vesp. 1109 in den nach seiner Ansicht verderbten Worten irpö? xoic xstyioic verborgen glaubt. Mit welchem Rechte Ilerm. Hitzig zu Pausan. I, 28, 8: xo fisv ouv xaXouixevov Flapapuaxov im Kommentare bemerke: „Vielleicht geht darauf Ar. Vesp. 1109", behauptet der Verf. nicht zu verstehen. Hitzig gibt diese Bemerkung nur als eine Vermutung, indem er Vesp. 1109 1110, sowie Dindorf, ohne Beistrich nach xeiyioi; abdruckt: ot oe (Stxa'Couai) upo? xoi? xsiyiot; ;u|i.ße[-iua|xevoi uuxvov. Aus diesem Citate muß man schließen, daß Hitzig wegen des Ausdruckes ^uixßsßuafxevot das Lokale, welches bei Pausan. I, 28, 8 und bei Pollux Vin, 121 Hapaßusxov beißt, in den Worten des Aristophanes erwähnt glaubt. Dann müßte man also das Ilapaßucjxov mit dem irpoc -zoii xsiyioic genannten Lokale identifizieren. Und da Aristophanes dieses Lokale von dem in v. 1108 genannten Lokale der Eilfmänoer unterscheidet, müßte man an der Richtigkeit der Nachricht des Pollux a. a. 0. zweifeln, daß die Eilfmänner im Uapaßujxov richteten. Die Stelle des Pollux ist jedenfalls in weniger vertrauenswürdiger Weise überliefert, als das zwar bis jetzt nicht verstandene, aber in kritischer Hinsicht unanfechtbare Tipö? xo!? xeiyioic. Vürtheim hat sich nur durch die Aus- gabe von Leeuwen irreführen lassen, der zu Vesp. 1109 xstyiotc bemerkt: ,,hanc vocem non intellego, vereor autem, ut sit integra." Unrichtig ist auch die Ansicht Meiuekes, welcher Mauern der Häuser, wie iu Eccl. 497, verstand. Es sind ohne Zweifel Reste alter Befestigungen, die im Gegensatze zu den Maxpa 'cs.iyy] mit dem Deminutiv bezeichnet werden. Wo sie lagen, weiß ich leider nicht. In seinem ersten Teile beschäftigt sich der Aufsatz Vürtheims mit Schol. Aristoph. Plut. 277. Für einen Teil dieses Scholions wird in überzeugender Weise Aristot. Politeia c. 63 und col. XXXII Kenyon als Quelle nachgewiesen. Bei Dübner pag. 340 Z. 26 erklärt der Verf. die Worte: p-e/pt xoü x als imrichtigen Zusatz des Scholiasten. Ich weise darauf hin, daß dieser Teil des Scholions weder in ß noch iu V steht.

C. Robert, Die Scenerie des Aias, der Eirene und des Pro- metheus. Hermes XXXI, 1896, S. 530—577.

C. Robert, Zur Theat^-''rage. Hermes XXXII 1897 S. 421 —453.

C. Robert, Gott. Gel. Anz. 1897, S. 27 ff.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Llolzinger.) 229

In dem erstgenannten Aufsatze gibt Robert nicht bloß ein Bild von der Vorstellung, die er sich von der Seenerie der Eirene macht, sondern bespricht auch scenische Fragen, welche die Thesniophoiiazusen und die Frösche betreuen. Reichlich beschäftigt er sich mit dem Ekkyklema. Aus dem Bereiche der Acharner bespricht Robert das avaßaorjv in v. 399 (S. 537). Euripides habe auf dem Knie geschrieben. dvaßa'oTjv komme nur in der Bedeutung ,,mit hochgezogeneu, auf dem Sitzbrett gestellten Beinen vor". Robert beruft sich hierbei auf Blaß, dessen Auffassung er nur weiter ausführe. Der Artikel „Zur 'I'heater- frage" nimmt nur selten direkten Bezug auf die Komödie, konnte aber hier um so weniger ungenannt bleiben, als Robert auch in diesem Auf- satze gegen die neueren Bearbeitungen der Theaterfragen, insbesondere gegen Bethes Prolegomena Stellung nimmt, deren Widerlegung die Kritik im Gott. Gel. Anz. vorzugsweise gewidmet ist. Über die Seenerie der Vögel wird daselbst S. 36 gehandelt. Vgl. auch den Bericht über Bemerkungen Roberts zu Aristophancs Vögeln im Hermes, 1898, XXXllI, 4.

P. H. Damste, Emblemata apud Aristophanem, Xenophontem, Lucianum. Mnemos. NS. XX, 1892, p. 147 151. -

Aus Aristophanes behandelt der Verf. nur Pac. v. 1009 ff. xörTa MeXa'vötov | ^-/.etv ujxepov e; tt)v d^opav, | xac oi ueTipaaöai, tov o' OTOTU^eiv, I eixa {jlovw&eiv ex MTjoeiac, | (5Xo|xav oXoixav, dTTO^YjpwOel? | t5c ev -e'j-Xotat Xoy£UO|xevac | xou? ö' avöpwTiouf eirry^aipeiv. | Der Verf. bezeichnet es als den Gipfel der Geschmacklosigkeit, Verse aus einer ,,tragoedia omnibus notissima" parodierend anzuführen und vorher anzugeben, dies sei eine Monodie aus der Medeia. Nicht also Aristo- phanes könne dies hier verschuldet haben, sondern es handle sich in V. 1012 nur um ein in den Text geratenes Glossem, was sich auch durch das ungefügige slxa verrate.

Man würde dem Verf. vielleicht beistimmen, wenn die parodierten Verse nachweislich aus der Euripideischen Medeia herstammten. Aber bekanntlich ist dies nicht der Fall. Denn die Beziehung unserer Stelle auf Eur. Med. 96, die schon den Scholiasten beschäftigte, ist offenbar nicht zutreffend. Soll aber Melanthios als Tragiker verspottet werden, oder als Protagonist in der Medeia seines Bruders Morsimos, so ist die Nennung des Stückes vollkommen gerechtfertigt. Eine Beziehung auf die Euripideische Medeia läßt auch Nauck nicht zu, der unsere Stelle unter Melanthios und unter den Adespota (No. 6. Mn^öeta) be- handelt. TGF. p. 760 und 838. Nauck will mit Fritzsche den v. 1012 aus der Medeia des Morsimos entlehnt wissen und erkennt eine Medeia des Melanthios nicht an.

230 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.)

Herwerdeu, der sieb ebenfalls dieser von Volkmar Fdtzsche her- rührenden Ansicht anschließt, hat aus den Versen des Aristophanes die Textworte des Morsimos glücklich hergestellt. Vgl. das zu Herwerden Mnemos. XXIV p. 206 Gesa^'te.

J. van Leeuweu, Ad Aristophauis Pacis vers. 18. Mnemos. NS. XX, 1892, p. 300.

Der Sklave, der dem Kautharos sein übelriechendes Futter reichen soll, beklagt sich hierüber in v. 17 mit den Worten:

17. ou Yap IW oio; x eTja' urepeystv t^; dtvtXia?. Mit dem nächsten Verse rafft er sich zu einem Entschlüsse auf:

18. auTTjv ap' ohu) cju)tÄocß(\)v xfjV dvcXtav.

J. van Leeuweu tadelt hieran die Verbindung von dvxXia mit (juXXaßetv und die Wiederholung desselben Wortes in zwei aufeinander folgenden Trimeterschlüssen. Gestützt auf das Scholion im Codex Rav.: dvTi Toü TYjv axacpyjv xtX. empliehlt daher Leeuwen xapooTrov zu schreiben statt dvrXiav. Für mich ist diese Behandlung der Stelle nicht über- zeugend gewesen.

Herwerden hingegen ist in seiner Ausgabe bereit, seine in der Mnemos. NS. (1896) XXIV, p. 310 vorgelegte Vermutung x^c vauxia; für x% dvxXiac (v. 17) zu Gunsten van Leeuwens xa'pooTtov (st. dvxXiav V. 18) zurückzuziehen. Im Texte hat Herwerden nichts geändert, sondern begnügt sich damit, in beiden Versen Kreuze zu setzen, während doch im schlimmsten Falle nur der eine von ihnen verderbt sein kann.

H. van Herwerden, Eraendatur A^istoph. Pac. 451. Mnemos. NS. XXIII, 1895, p. 454. Die Stelle lautet:

450 Xo. xsi' Tt; ^xpar^^-Ciiv ßouX6[j,£voj [xy] ^uXXaJiot,

451 Tj ooZXo^ auxofjLoXsiv 7rap£ax4ua3(j.s'voc,

452 £711 xoü xpoyotj axpE^^Xoixo fiajxi70u{JL£voc.

Im V. 451 liest der Verf. t^ statt y), weil er es für einen Unsinn hält, daß der Chor den Sklaven si ad hostes transfugissent (!) mit schrecklicher Strafe drohe, da sich doch niemand darum kümmerte, utrum (servi) paci faverent au adversareutur. (!) Aber hier mit q einen Vergleich in die Stelle einzutuliren ist gewiß unpassend. Ich halte es demnach auch weiterhin mit dem Scholiasten, der in v. 451 eine persön- liche Anspielung sucht. Indessen ist zuzugestehen, daß zum vollen Ver- ständnisse der Überlieferung etwas zu fehlen scheint. Im XXIV. Bande der Mnemosyne 1896, p. 272 gibt auch Herwerden selbst zu, daß T] SoüXo; in dem Sinne von r^ «j; ooüXoc beibehalten werden könne.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.) 231

H. van Her werden, Ad Aristophanem eiusque scholiastas. Mnemos. NS. XXV, 1897, p. 200-208.

Herwerden tadelt bei Ar. Pac. 282: y.tX toi; Aay.soa'.(j.ovtoiJiv iXs- -ptSavo; den Artikel, weil Aristophanes Aacx£oai|xovioi im riural stets ohne Artikel gebrauche. Darum schreibt Herwerden: xautor? AaxeSat- uoviotstv. Aber diese Textänderiuig hat schon längst 0. Bachmann, CoDJect. obs. Aristoph. spec. 1 Göttingen 1878, p. 43 ff. vorgeschlagen und Uckermanu, Über den Artikel bei Eigennamen in den Koro. d. Ar. Berlin 1892, S. 8 hat sie gebilligt. Ich bin anderer IMeinung. Aaxe- oat|xovio'. ist ebenso sehr eine adjektivische Ableitung als oi Aaxiuvixo-', das den Artikel regelmäßig hat. Einen allgemeinen grammatischen Grund kann es also dafür nicht geben, daß Aristophanes im Plural ge- wöhnlich Aaxsoaifioviot setzt. Jener Grund ist vielmehr auf anderem Gebiete zu suchen. Verstärkt man einen Siebensilbner wie AaxeSatfxo- viot3tv noch um den Artikel, so ist ein übergroßer Teil des Trimeters damit ausgefüllt. Daium vermeiden dies natürlich die Komiker und dci- knappe, feinfühlige Lysias. Aber Thukydides schreibt toi? AaxeSat- jjLovi'o'.f (I, 72), To'jc A. (I, 72). Es ist daher ganz natürlich, daß auch Aristophanes einmal xol; Aax. schreibt, nämlich an einer Stelle, au welcher der Artikel sehr passend ist, um den Gegensatz zu v. 269: airoXtuA' ' At>r, vatotjtv aXeTpißavo; scharf hervorzuheben. In v. 282 ist es sehr zweckmäßig, daß neben dem langen AaxeoaifAoviotaiv für keinen weiteren Gedanken Platz sei, weil es nicht bloß die Silben, sondern auch den Sinn des Verses ausfüllt. Daß Aristophanes regelmäßig oi Actxcuvtxot mit dem Artikel schreibt, hat seinen Grund nicht allein in der adjektivischen Ableitung des "Wortes wie Uckermann S. 8 meint ; denn aus diesem Grunde müßte auch bei 'Aörivaiot regelmäßig der Artikel stehen. Vielmehr schreibt man so regelmäßig oi Aaxwvtxoi, weil der Rhythmus hier den Gebrauch des Artikels befördert. Die übrigen Bemerkungen van Herwerdeus enthalten Veibesserungsvorschläge zu den Schollen zu Pac. 143, 536, 607, 633, 835, 850, 1063, 1169, 1196, von denen einzelnes Beachtung verdient. Auch werden einige Lesarten aus Cobets Kollation des Codex Venetus mitgeteilt, die sich in der Leidner Bibliothek befindet.

R. Y. Tyrrell, Aristophanes, Pax, 741 747. Herraathena, vol. X, No. XXni, 1897, S. 100-101.

Der Verfasser beschäftigt sich in diesem Aufsatze mit der be- kannten Umstellung der Verse 742: tou; cpsu-,'ovTa; iTrtVrjos; und 743: £;rj/.a7' rapEA'jjsv. Tyrrell verteidigt die überlieferte Versfolge, schreibt aber ceu^ovtccc (= „crjing fz~j') statt 'fS'JYov-a;. In der Tat läßt sich cps'J^ovTa; mit 'HpaxXsa; leichter verbinden als 'föupv-a;.

232 Bericht über die Literatur der griecbischen Komödie. (Holsinger.)

Richtig scheint auch die Bemerkung', daß die nach vorgenommener Um- stellung: entstehende Verbindung: oouJ.ou; . . cpsuYovta; nicht ohne An- stand ist, weil davongelaufene Sklaven aTroopavte; zu heißen pflegen. In dem xXaovta; xal toutouc findet Tyrrell die Bestätigung seiner Ver- mutung, insofern diese Worte einen parallelen Ausdruck in dem Vorher- gehenden voraussetzen lassen.

A. Willems, Notes sur la Paix d'Aristophane. Bulletins de l'Äcademie Boyale de Belgique. 3. Sdrie, tom. XXXYII, 2, 1899, p. 861—898.

Willems bezeichnet die Friedenskomödie als dasjenige Stück des Aristophanes, welches durch die Überlieferung am meisten gelitten habe. Daher seien in dem Texte der Fax mehr Interpolationen anzunehmen als in anderen Komödien. Zv^^ar die vss. 87 89, 98, 273 seien nicht mit Sicherheit als interpoliert zu bezeichnen, noch weniger v. 850, den AVillems geradezu geistreich findet, wohl aber seien die vss. 420, 744, 1218 bestimmt zu athetieren. Nach dergleichen allgemeineren Be- merkungen behandelt Willeras 16 Stellen der Pax. Mit Glück verteidigt Willems die Überlieferung der vss. 47 48. -/.eTvoc ist nicht Kleon, sondern der Kantharos, u)c y.eivoc avaioewc wird durch ort outujc avaiöetu; erklärt. Ein Analogon bietet Plat. Phaid. 89. A. s&aujxaaa . . töüto» 10? TjOEw; -/tX. d. h. TouTo, oTi outtüc rji's'o)? y.xA. Gerechtfertigt wird auch jxeTewpoxoTTsT? in v. 92 und in v. 364 genügt es: ouxouv, tjv Xayto: als Fragesatz zu schreiben. In v. 507 bedeutet Tipo? ttjv öaXari-av, daß Aristophanes auch hier, wie sonst öfters, die Athener auffordert, sich auf die Seeherrschaft zu verlegen und für die Flotte keine Auslage zu scheuen, hingegen die Hegemonie zu Lande den Spartanern nicht durch den Landkrieg streitig zu machen. Für dieses politische Programm des Aristophanes verweist Willems auf Ach. 163, 646—651, Equ. 1366, Eccl. 197. Auch solle der Richtersold nicht die Einnahmen Athens auf- zehren: Ran. 1463—1466, Pac. 505. Die Verse 715—717 seien nicht obscön, sondern bezögen sich nur auf die P'reitafeln bei Festlichkeiten. Ausführlich sind seine Bemerkungen über die Hestiaseis und die Krea- noraien. Überzeugend ist die Atlietese des v. 896: ettI 7^; TiaXaisiv, xeTpaTTooTjoov iatavai, der nur aus Glossemen zu dem v. 897: 7rXa7iav xaxaßaXXsiv, e? -.'ovata xu[:io' saravat besteht. Dieser v. 897 ist nur durch Cod. R erhalten und es ist bxavat, nicht ijtavai zu schreiben. Diese Konjektur des Hotibius wird nach dem Wegfalle des v. 896 auch wirk- lich vollkommen plausibel, da die Theoria das Objekt ist, ebenso wie bei xaxaßaXXsiv. Schön ist die Erklärung des Sei'ou ou xiyiioz in v. 960 genau nach dem Scholiasten: Tipo? xo tspsiov Xe-jEt, da das Opfertier durch Nicken und Schütteln seine Zustimmung zur Tötung geben mußte. Das

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 233

Wasser wird durcli Eintauchen eines Feuerbrandes gereinigt und geweiht (v. 959) und zuerst reinigt Trygaios vor dem Opfer seine Hand, indem er die Finger in das Wasserbecken steckt, dann wendet er sich an das Opl'ertier, besprengt es mit Wasser, namentlich spritzt er ihm einige Tropfen in die Ohren (Schol. Apollon. Khod. I. v. 425), damit sich das £-iv£ueiv bald vollziehe. Dann betiehlt er dem Sklaven, ihm das Körb- chen mit der Opfergerste zu reichen, schüttet davon dem Schale einige Körner auf die Stirne und weist den Sklaven an, sich seinerseits die Hände zu reinigen. Deshalb übernimmt Trygaios zeitweilig das Wasser- gefäß (TK-jir^v V. 9G1). AVenn dann Trygaios und sein Sklave auch die Zuschauer mit Wasser besprengen (v. 971), so geschieht dies mittelst des TTsptppavTTjpiov, nicht mittelst des oaXi'ov (v. 959), wie Blaydes an- gibt. — Klar ist schließlich noch, daß in v. 1178 XivoTTTtufxevoc durch ein hinzugedachtes m; zu ergänzen ist. Ruhig und sicher, wie bei der Jagd, wird der Bauer auch in der Feldschlacht stehen. Nicht bei- stimmen kann ich den übrigen Resultaten des wertvollen Aufsatzes. V. 451 betrachtet Willems als interpoliert, in v. 568 schreibt er |j.f, y.aXöi; xtX., in v. 605 xoüö' uizr^pU •I'etoia;, bei v. 874 Stellt er in Ab- rede, daß iiratop-Ev einen unanständigen Doppelsinn habe. M. E. erzählt der Sklave prahlerisch, daß er auf dem ganzen Wege zu den Diouysien in Brauron seine Theoiia gut unterhalten habe. Ich finde daran nichts zu bemängeln. Auch in dei' Stelle 891 - 893 tou-toEviov Xaaava will Willems von obscöuem Doppelsinn nichts wissen, sondern beschränkt sich darauf, auseinanderzusetzen, daß die BouXy] ein Küchenlokal zur Herrichtung großer Schmausereien besaß. Diese Darstellung über die öftentlichen Bewirtungen ist sehr lesenswert, sie hindert aber nicht die Annahme eines lusus verborum, den die Stelle augenscheinlich enthält. In v. 1110 gibt Willems Szovor^ nicht dem Hierokles, sondern dem Sklaven und erklärt tou-i als aTrXa-f/va. Aber Hierokles drängt sich ungestüm als Teilnehmer am Opfer auf und darum erhält er sofort bei seinem Ausrufe S-ovotq (jAetd xf^s (jirovof^?) eine Maulschelle als seineu Anteil an dem Opfer. Hierokles verwindet dies, da seine Aufmerksam- keit ganz auf das Opferfleisch gerichtet ist. Bei dieser Erklärung hat man die mss. für sich. In v. 1168 streicht Willems esflitu xaTzi/jia und mit Cobet £x-£-pii|X£va in 1135. Auch den Beistrich nach oüpTjuo- jjiEva in v. 1266 und die Erklärung: Tva osüpo -poavotl^aXyiTai xa xcöv e-i- ■/XrjXtuv (ct3|xcxx(uv) axx' 'aaexcti kann ich nicht billigen.

J. B. Bury, Some observations on the Peace of Aristophanes. Herraathena, No. XXVI, 1900, p. 89—98.

Der Aufsatz Burys stellt im ganzen eine Kritik der Oxforder Ausgabe von Hall und Geldart (1900) dar. Zunächst wird der Stand-

234 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (Uolzinger.)

puukt gebilligt, den die Herausgeber auf p. 3 der Piacfatio und in ihrem Texte in gewissen metrischen Fragen einnehmen, ßury behandelt sodann einige Stellen verschiedener Komödien, z. B. in Eqn. 526 sei pT^$as Tzoz ETtaivii) zu schreiben. Für Equ. 814 vertritt Bury die Kon- jektur Starkies: [jlestyiv T^upüiv l-r/eilr^ und für Wesp. 1020 die Kon- jektur iü7t' statt eic desselben Gelehrten, Der Rest des Aufsat/es ist einer Anzahl Stellen der Friedenskomödie gewidmet. Mau eihält daraus den Eindruck, daß Bury den Oxforder Text mit den Ausgaben von Blaydes und van Herwerden (1897) verglich und nun solche Stellen be- handelt, in denen Hall und Geldart nach Burys Ansicht allzu konser- vativ verfahren. Bei einigen Interpunktionen, bei der Zuteilung des V. 350 an Trygaios und auch bei einer Anzahl von Lesarten dürfte Bury im Rechte sein, aber nicht bei allen, z. B. in Pac, 42 würde ich das vortreffliche und verhältnismäßig feine ilioc xaTatßaTou durchaus nicht nach dem Scholiasteu des Cod. R. in axaTatßo-rou ändern. Auch würde ich im v. 116 nicht mit Bury [xsToixv^cjtuv statt [xöt opviöcDv an- empfehlen. —

Gli Uccelli di Aristofane tradotti in versi italiani da Augusto Franchetti con introduzione e note di Domenico Comparetti. Cittä di Castello 1894.

Die Einleitung Comparettis gliedert sich in zehn Abschnitte. Behandelt werden die äußeren Daten über das Stück, Fabel, Charakter und Tendenz dieser Komödie, welche Comparetti wesentlich vom politischen Gesichtspunkte aus auffaßt. Daher sind die Abschuittt; 5—8 der Schilderung der politischen Lage und der Stimmung Athens zur Zeit des Stückes gewidmet. Zugleich kommt im 8. Abschnitte das symbolische Element in den Personen und Handlungen dieser Komödie zur besonderen Geltung, so daß ich diesen Abschnitt als den Kern der Darstellung Comparettis hervorheben würde. Im neunten Abschnitte wird die Stellung des Dichters zu religiösen Fragen und im letzten Kapitel die Rollenverteilung behandelt. Quellen werden in dieser Einleitung nicht genannt. Auch die ziemlich zahlreichen Fußnoten, die einen fortlaufenden Kommentar zur Übersetzung bilden, enthalten sich fast vollständig der Literaturangaben. Ihiem Inhalte nach sind sie allerdings auf das große Publikum berechnet, für welches das Büchlein insofern Bedeutung haben dürfte, als eine Übersetzung der Vögel in Italien seit Capellina, also seit dem J. 1852 nicht er- schienen ist. Die gereimte Übersetzung Franchettis schließt sich, wie er in seinem Vorworte selbst auseinandersetzt , genauer an den Text an, als dies bei der Übersetzung der Wolken und der Frösche der Fall war. .Franchetti folgt im allgemeinen dem Texte Theodor Kocks,

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (llolzinger.) 235

nennt auch Christian iluff bezüglich der Verteilung der Ij'rischeu Partien und den Kommentar von ßlaydes, während ich im übrigen nnr Italiener berücksichtigt sehe, darunter vorzugsweise Piccolomiui, aber auch Zuretti, Romagnoli, Franchi und für ornithologische F'rageu Gnelfo Cavanna. Die griechischen Trimeter werden in gleicher Anzahl durch endecasillabi sciolti, dagegen die trochäischen und anapästischen Tetrameter durch Octonare und Septenare wiedergegeben. In italienischen Strophen auch nur einen entfernten Begriff von der rhythmischen Be- wegung des Originals in den lyrischen Partien zu geben, bezeichnet Franchetti als eine dilticoltä quasi insuperabile. Größere Mühe würde es allerdings gemacht haben!

The Birds of Aristophanes in English rhyme for English readers translated from the Greek by S. Hodges, London 1896.

Der Herauggeber bemerkt in seinem Vorworte, daß er erst oach Vollendung seiner Übersetzung die Arbeit Kennedj^s kennen lernte, die doch aber schon 1874 erschienen war. Von der Aristophanesliteratur habe er nnr die Schulausgabe der Vögel von Parker und „Süverns Essay" benutzt. Das ist allerdings nicht viel literarisches Gepäck. Die gereimte Übersetzung liest sich leicht und augenehm. Es ist eine Paraphrase, welche Anmerkungen beinahe überflüssig machen will. Der Philologe, der nach der Erklärung schwieriger Stellen sucht, findet seine Rechnung nicht dabei. Ich weise z. B. auf v. 16 hin: Trjpsa, I Tov ssrocp', öc opvi? e-,'£VE-' sx xtüv opvstuv, wo Hodges übersetzt: Where Tereus lives, who changed into a bird, Frora flighty Athens, is the Hoopoo named. Unter opvsa als^o versteht Hodges „leichtsinnige Athener", konstruiert offenbar nach dem Muster von d-j'aöol e^ dYav^üiv, ^amltXi h. ^a^iXsuiv, daro? k^ aaxü)^ und bleibt uns die Erklärung des Artikels bei -rüiv opvEwv schuldig. Hierin liegt der Bew^eis für die Unrichtigkeit seiner Auffassung.

E. ßomaguoli, Versione poetica degli Uccelli d'Aristofane cou prefazione di A. Franchetti. Firenze 1899.

Dieses Bändchen ist E. Piccolomini gewidmet und wird von A. Franchetti mit empfehlenden "Wotteu eingeleitet. Franchetti hebt rühmend hervor, daß Romaguoli in dieser Übersetzung mit feinstem ästhetischem Geschraacke die „prosa poeiica" vermied, die er als ,,ibrido vecchiume che una moda, venuta d'oltr' Alpe tenta oggidi di ridorare a uuovo" bezeichnet. Sodann anerkennt er die Leistung seines Konkurrenten mit den Segenswünschen ,,dell Ettore omerico per Astianatte" als ein ,,capolavoro". Romaguoli seinerseits wieder ver- zichtet darauf, eine Einleitung zu den „Vögeln" zu geben, indem er auf die Einleitung Domeuico Comparettis zu Franchettis Übersetzung

236 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.)

hinweist. Die Übersetzung ist gereimt, beruht, wie der Autor selbst angibt, auf der vierten (sie!) Auflage der Theodor Kockschen Ausgabe, ist auf das große Publikum berechnet, liest sich leicht und ist auch durch einige Fußnoten erläutert.

E. Piccolomini, Nuove osservazioni sugli Uccelli d' Aristofane con la collazione del Codice "Vaticano-Urbinate 141. Studi italiani di filol. class. I, 1893, p. 443-448.

Der erste Teil der Abhandlung S. 443 460 enthält eine ge- naue Beschreibung und Inhaltsangabe des Cod. Vat. Urb. 141 und die Kollation der Vögel auf der Grundlage der Bergkschen Ausgabe. Nach Picc. ist Cod. U unabhängig von R und V und ist von R weiter ent- fernt als von der Gruppe VAM. Innerhalb dieser Gruppe steht U näher dem Parisinus (A) und dem Ambrosianus (M) als dem Venetus (V). Die Besprechung von 29 Textstellen der Aves und von 3 Schollen zu diesem Stücke (S. 460—484) sind eine Fortsetzung der Osservazioni sugli Uccelli, welche der Verf. im J. 1877 in der Riv. di filol. V, p.' 181 201 herausgab.

Ich teile hieraus zuerst eine Reihe von Bemerkungen mit, die mir sehr beachtenswert scheinen. 1. V. 59 wird nach dem Vorgange Vahlens beibehalten. 2. In v. 95 wird dem Ausdrucke oi oiuosxa Oeol der Sinn einer Freundesparole, etwa „Gut Freund!"* gegeben. 3. Bei der Wendung Ttasi vixav tois xpitaTj in v. 445 macht P. auf ihren sprichwörtlichen Charakter aufmerksam. 4. In v. 469 empfiehlt P. zur besseren Verbindung der Verse toüo", ei xal zu lesen, statt xouoi, xal. 5. In v. 525 wird vor xav xois ispoi; ein Kolon gesetzt. Der Ausdruck Ispov wird nach Thuk. IV, 90 (vgl. Classen) nicht auf den Tempel, sondern auf den geweihten Umkreis desselben bezogen. 6. In v. 531 v/ird die La. Etepov in dem Sinne von „auch" verteidigt; vgl. Av. 152 und 1139. 7. Nach Wieseler (Nov. Sched. p. 8) wird v. 642 als echt bezeichnet. P. erklärt xa Ttapovxa = a l[io\ Tiapsaxi als Ausdruck der Bescheidenheit des Gastgebers. 8. Für v. 1025 empfiehlt P. die Versteilung der mss. xi; fällt dadurch dem Peithetairos zu. 9. In v. 1361 setzt P. nach suvou; keinen Beistrich. Der Patraloias werde relativ so wohl- wollend behandelt, weil der junge Mann so schlagfertig sei. Den übrigen Bemerkungen Piccolominis könnte ich mich der Hauptsache nach nicht anschließen. 10. Bei v. 10 hält P. das Scholion des cod. Vat. Urb.: siptuveta für unangemessen. Meines Erachtens wäre ein solches Schol. zu V. 10 weniger unangemessen als vielmehr unzureichend. Da aber Cod. R: Ep(uxriiJ.axixü>c gibt, wird man in jenem eiptovEiot des Cod. Vat. Urb. wohl nur eine falsche Auflösung einer abgekürzten Schreibung seiner Vorlage zu sehen haben. 11. v. 41 wird als Eiaschub be-

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 237

zeichnet. Eine richtige Verteidigung des Verses findet man bei J. van Leeuwen, Mnemos. NF. XXIX, S. 444 ff. 12. In v. 65 er- klärt P. Atßux&v opvEov durch ein Wortspiel mit Xißa;, Xt'ßo;, Xzi^w. 'Tito- oeSttü; sei = oupT,Ttxo;! Ich für meinen Teil löse die in dem Verse liegende Schwierigkeit dadurch, dal.l ich iu 'ET:txc-/oSu>c den präpositio- neilen Bestandteil stark hervorhebe. 13. In v. 92 sei oXt]v nicht statt ftupav gesagt, sondern statt tcuXtiv. Durch den Anklang an den Singular 7:tiXr,v werde an die Sophokleische Diktion (des „Tereus", vgl. V. 100) erinnert. 14. In v. 321 habe -psjxvov Tipa-||j,a-o; zeXtupiou einen obscönen Nebensinn. 15. Im Schol. v. 189 sei iKt/tup^tjat st. u7:oytopr,3a'. ZU lesen. IG. In v. 199 wird allerdings ßapl^otpou; 'jvra? 7:p6 Toü mit Recht in dem Sinne von ßap^api^ovra; verstanden. Aber gegen Kock hätte P nicht hervorheben sollen, da(.i xt;v <p(uvf,v an unserer Stelle „il significato speciale di lingua" besitze, sondern daii es hier speziell den Sinn von , griechischer Sprache" hat, welche dem Athener als die einzige menschenwürdige Sprache erscheint. Gab es doch ehe- .mals auch Italiener, welche nur la lingua di Dante für eine wirkliche .„Sprache" erklärten, während sie andere Sprachen nur für einen susurro hielten. 17. In v. 265 soll yapaöpiov [xt|xou|ievo; eine harmlose und burleske Verhöhnung der Stimme des Schauspielers, der den Epops gab, enthalten. 18. In v. 270 gehöre o-j-oc noch zu den Worten des Euelpides. 19. In v. 293 findet P. den Sinn, daß die 4 Musiker (vgl. Hiller, N. J. f. Ph. 121, p. 178) auf einem erhöhten Platze Auf- stellung nehmen. P. versteht darunter die Stufen der Thymele. 20. In V. 317 liest P. XeirTtü oo^isTa (Vat. Urb.). 21. v. 492 gibt P. dem Euelpides und zwar mit der La. u-o8yijoc|jlcvoi. 22. In v. 553 liest P. rr,pu6va st. Keßpiova. 23. Im Schol. 553 bezieht P. die Worte ov £-/£'.pui3ato r) 'A'f poSitTj nicht auf Kebriones, sondern auf Por- pbyrion. 24. Das Schol. im Vat. Urb. zu v. 680: -aüxa irpö; iauTov Kv'^Bi fj 'Ap'.JTOcpavrjC, oxt ~i^ lapi sv aaxei teXouui xa Aiovuaia hält P. für besser als die bisher bekannten. Aber wahrscheinlich sind dies nur zwei bereits bekannte Scholien in unrichtiger Verbindung, nämlich ti» $oü&K^. xaÜTa o>c rpoc xtjv dvjöova Xs^ei 6 A. und YiptvoT?" Sxi xcui e'api Ev acjxEi xeXouji xo Aiovjjta. 25. Nach v. 888 vermißt P. die Ein- ladung an die Götter, an dem Opfer teilzunehmen. 26. In v. 1012 hält P. den Ausdruck ■KXrffcd auyval xax' asxu für eine Parodie von Aisch. Sept. 345 y.opy.opu-.'al 8' av aaxu. 27. In v. 1253 gibt P. xi; der Iris in dem Sinne von: ,,Was wirst Du mir dann antun?" 28. Bei 'fiX'jpivov Kivr)<jtav in v. 1375 hebt P. die Bemerkung des Euphronios hervor, daß die Dichtung des Kinesias als eine „leichte Ware" erscheine. 29. In den v. 1392 1394 besinge Kinesias, meint P., die Wolken als sein Element und vergleiche sie mit Vögeln. Daher

238 Berif'ht über die Literatur dor griechischen Komödie. (Holzinger.")

sei V, 1394 zu streichen als ungeschickte Übertragung aus v. 254. 30. In V. 1410 setzt P. nach olo' das Fragezeichen; nach TZTepoTroixtXoi den Punkt. Der Sykophant spreche mit sich selbst und beantworte selbst die von ihm gestellte halblaute Frage, v. 1411 sei ein Anruf des Frühlings, weil dieser die Armut erträglicher mache. 31. In den vss. 1561—1563 tritt P. für die Beibehaltung des überl. a7:r;),i)e ein, (las er dem homerisclien (Od. XI, 97) ava/as^ajAcvo; entsprechen läßt. In V. 1563 liest P. mit Blaydes aip.a (st. Äai[i.a}. Wieso Aristophanes «TTTJXils und avfjXöe fast nebeneinander gebrauchen konnte, wird nicht erklärt. 32. Im v. 1628 schreibt P. ooxsü; und gibt dem Triballer: coi xauvaxa ßaxTapl xpoüja.

E. Piccolomini, '■Y-i'iio'iz'k. Critica ed esegesi di un frammento di Ermippo e di un luogo degli Uccelli die Aristofane. Rendiconti della R. Acc. dei Lincei, 1893, Serie V, vol. II, p. 101—117.

Der Verf. beschäftigt sich in diesem Aufsatze mit Hermippos fr. 69 Kock I, p. 246 und mit Aristoph. Av. 1149-1151; avtu Ss tov U7ta7coi£a | ettetovt' syoujai xatoTriv SjTtsp ratöia | tov -yjXov ev tois aro- [j-aaiv ai -/eXiöovsc. | Piccolomini stützt sich auf Schol. 1150- zu ura^cu- 7euc" Ip-j'aXeiov oixoSo|jlix6v, tp dtJteuOuvoujt xa? ttXi'v&ou? Tipos dXXii^Xa; ujnd er- klärt uT:a7ü)7£u? als „archipendolo", d. i. Senkblei, (ojirep Tratoia erklärt er durch „wie Kinder sc. etwas hinter sich (xaTOTitv) nachschleppen, anstatt es zu tragen", avo) verbindet er offenbar mit stietovto und in dem Asyndeton findet er keinen Anstoß; denn er übersetzt p. 104: „e in alto svolazzavano le rondini con V ()izoi'{(o-jz6i dietro, come fanciulli, e col cemento nel becco."* Die Schwalben also betrachtet er als die eigentlichen Maurer bei dem Mauerbaue, und die Enten tragen ihnen die Ziegel herbei. Aber avcu mit eitExovTo zu verbinden, hat keinen Zweck, weil es sich hier nicht darum handelt, daß die Schwalben gute Flieger sind. Und der Schwanz der Schwalbe sieht meines Wissens keinem Gegenstande weniger ähnlich als einem Senkblei. (Valentin! Lexikon: Archipenzolo, Bleischnur, Bleiwage. Bleischnur: piombino, archipenzolo, scandaglio. Scandaglio, Senkblei.) Ein Senkblei hat auch der Scholiast nicht gemeint, sondern ein eisernes Werkzeug, mit dem der Maurer den zwischen den Ziegeln hervorquellenden Mörtel ab- streicht oder glatt streicht. Und der Vergleich mit Kindern, den Piccolomini meint, läßt sich nicht in dieser Weise abkürzen, wie es im griechischen Text geschieht. Und warum setzt Piccolomini in seiner ilbersetzung die kopulative Partikel (e) ein, wenn das Asyndeton eben- sogut paßt? Kurz, die Schwierigkeiten, welche die Überlieferung hier darbietet, sind geblieben und Piccolomini hat sie durch seine Erklärung nur vermehrt. Auch die Engländer Kennedy, Merry, Blaydes, Hickie

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.) 239

(1901) sind in ihren Ausgaben der Vögel über die von Meinekc und Theodor Kock nachgewiesenen Mängel derStelle uichthinweggekommen. Für mich steht fest, daß avw mit lyoujai verbunden werden muß; ferner, daß ()-'x-;o)-(z6i ein Werkzeug- ist, mittelst dessen der Maurer den Mörtel streicht und abstreicht (also cusxr^p). Daß das zuletzt stehende yeXi- öovs; als Subjekt für fast drei Verse ausi-eiche, ist hier in der Tat nn- wahrscheinlicli. Vgl. d. Ber. S 245.

Piü Fr an Chi de' Cavalifii, I^a Panoplia di Peitetero e di Euelv'ide. Studi italiani di tilologia classica. vol. I, 1893, S. 485-511.

Ausgehend von Av. v. 435, in welchem die Ausrüstung des Peithetairos und des Euelpides als ravo^Xta bezeichnet wird, sucht der Verfasser dieses mit sorgfältiger Benutzung- der Literatur geschriebeneu Aufsatzes die einzelnen Teile der komischen Ausrüstung genau zu be- stimmen. Das Wesentliche ist hierbei, daß die /utpa (v. 357, 358, 386) .nach Franchis Ansicht als Schild verwendet wird. Auf dem Haupte tragen die beiden Keisenden ihren Filzhut. Um die Augen zu schützen werden tcu -pu^Xito (v. 361, 387) vorgebunden. Kocks Ansicht, daß ein Schutzwall aus Töpfen irebildet werde, lehnt Franchi ab, ebenso Wieselers Deutung der xp-j^Xta als Schilde. Ich stimme bezüglich der xpußXia mit Franchi überein, ebenso in der Festhaltung der überlieferten La. -posöoü (v. 361). Hingegen bin ich der Meinung, daß Peithetairos bei V. 357 dem Euelpides und «ich selbst einen Kochtopf, den jeder bei sich führte (v. 43), als Helm auf den Kopf setzt. Diese einfache komische Wirkung konnte sich Aristophanes nicht entgehen lassen. Als Schild verwendeten sie den flachen Korb, in welchem sie den Koch- topf und die Speisenäpfchen samt den Myrtenzweigen (v. 43) getragen hatten. Weil sie diesen geflochtenen Schild bereits am Arme führen, wird im v, S57 nichts davon erwähnt, da die Sache für die Zuschauer augenfällig ist. So werden alle Schwierigkeiten beseitigt, welche nach Franchis Erklärung noch übrig bleiben. Ich kann dem Verf. auch bezüglich der beigezogenen Stelle Equ. 1171 nicht völlig beistimmen, weil er meint, in den Worten xal vöv 'j-zpiyzi jou yj-poiw ^wjxoü -Xsav sei das Wort /u-pav statt as-ioa gesagt, während es doch wegen des Anlautes mit y nur -apa rpoaooxiav statt yeipa gesetzt ist. Wichtig ist dies darum, weil von einer Ähnlichkeit einer yj-rpct mit einem Schilde keine Rede sein kann. Im übrigen wird die Behandlung einiger Gefäßnamen und der Statuen der 'AÖYjva OapOevo?, Opojjiayoc und IloXtac für manchen von Interesse sein.

R. Helm, De Aristophanis Avium versu 586. Neue Jahrb. f. Phil, und Pädag., 147. Bd., 1893, p. 399-400.

*240 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

Helm behandelt den Vers: f^ o' YjYwvcai ak iIeov sk ^^lov je 6s -|r)v ak Kpo- vov oe rioseioÄ, lind erklärt denselben als in dieser Schreibung: vollkommen richtig überliefert. Die bisherigen Emendationsversuche werden mit Recht abgelehnt.

J. van Leeuwen, Ad Aristoph. schol. Av. 100. Mnemos. NS. XXII, 1894, p. 45.

Zu den Textworten des Epops : Tota-jxa [xs^toi ^o'f oxXe r,? Xuixaivsxat i SV rate rpa^coöiataiv ejxe tov Tr,p£a gibt der Scholiast die Notiz, So- phokles habe den Tercus in dem gleichnamigen Stücke iu der Vogel- gestalt auf die Scene gebracht und fügt hinzu: ev w kyY.u}<\)t uoXXa xov Trjpe'a. Mit diesem Zusätze gibt der Scholiast, wie man sieht, das Xuixaivstat des Aristophanischen Textes wieder, indem er dabei den Ge- danken des Komikers wenigstens der Hauptsache nach ziemlich richtig auffaßt. Denn das Komische dieser Stelle liegt zum guten Teile darin, daü es gerade ein Tragiker wie Sophokles ist, der den Tereus vor aller Welt lächerlich gemacht haben soll. Somit ist das Scholion unangetastet zu lassen. Leeuwen aber legt in den Ausdruck zT/.ui'\ie des Scho- liasten zu viel hinein, erklärt es für unmöglich, daß ein Tragiker seinen Helden absichtlich lächerlich gemacht habe, schreibt daher £<p' (u i(jx(u'|>£ statt iv w 'i<JY.(o^B und nimmt hierzu Aristophanes als Subjekt. Leeuwen wiederholt diese seine Ansicht in der Mnemos. NS XXIV, p. 339.

E. ßomagnoli, L'azione scenica duraute la parodos degli Uccelli d'Aristofane. Studi ital. di fil. class. II, 1894, p. 155—160.

Der Verf. verfolgt in diesem Aufsatze das Bestreben, sich die sceuische Darstellung der Parodos der Vogelkoraödie genau zu ver- gegenwärtigen. Insbesondere beschäftigt er sich mit der Frage, in welchem Augenblicke und bei welchem Ve;'S3 der Vogelchor die beiden Athener wirklich erblickt, von deren Anweseulieit der Epops in den vss. 317 326 gesprochen hatte. Romagnoli will feststellen, daß erst die Worte xo-ts rpwxyjv tyjv i)upav iu v. 365 einen Beweis dafür liefern, daß die Vögel den Peithetairos und seinen Genossen gesehen haben, während ein solcher Beweis bis zum v. 354 nicht vorliege. Hingegen hätten Peithetairos und Euelpides die Vögel gleich bei ihrem Anrücken beobachtet (von v. 268 anj und hätten sich rechtzeitig hinter einem Baum oder einem Felsen, der zur Bühnenausstattung gehörte, den Blicken der Vögel entzogen. Ihre Entdeckung vollziehe sich während der Verse 354 357. So treffe also das yopsutac y]/ai}touc zapeaiavat der bekannten Acharnerstelle (Ach. v. 443) auf unsere Parodos nicht zu. ^— Ich stimme mit Romagnoli in der Hauptsache überein, bin aber der Ansicht, daß schon die Worte xtuo' oip,cu^£iv ajicptu v. 347 und das tiuo'

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (üolzinger.) 241

a^rocpufovTc [iz (v. 351) Voraussetzen lassen, daß die Vögel der beiden Männer ansichtig geworden waren. Dieser Fortschritt der Handlung hatte sich also vielleicht bei uY» lu> ( v. 343) vollzogen und war die Ver- anlassung der AntiStrophe, während für die Strophe (ea l'a v. 327 ff.) der Bericht des Epops als Grund der Aufregung des Vogelchores ausreicht.

L. Mlynek, Zu Aristophanes. Zeitschrift für die österreichi- schen Gymnasien. XLVI, 1895, p. 488—489.

Der Verfasser führt Av. 54 60 an (tw ^ixsXei bhs. ttiv iretpav. | Eu. <ju dk -^ y.s'f aXf, x-l.) und bezieht dieselbe unter Hinweis auf Karl Schenkls Auslühruugen in der Germania VI, 381 auf ein altes arisches Kinderspiel, dessen Reflex in der Gegend von Wieliczka in einem pol- nischen Kinderspiele noch heute zu Tage trete. Der Verfasser beschreibt dieses Kinderspiel sehr ausführlicli. Die Kinder verwandeln sich angeb- lich in Vögel, wählen sich einen König, und dieser gibt jedem mit- spielenden Kinde einen Vogelnamen. Ein bis dahin im Gebüsche ver- stecktes Kind tritt nun hervor bis zu einem weißen flachen Steine, der vor dem Könige liegt. An diesen Stein stößt das Kind dreimal mit dem Beine und ruft dabei: „Puk, puk, puk!" Auf die Frage des Königs: „Wer da?", antwortet das Kind: ,,Ein Engel vom Himmel". Auf die Frage: „Was ist Dein Begehr V", sagt es: ,, Vögel" und auf die Frage: ,, Welchen Vogel?" nennt es z. B. den Habicht. Der König hält nun Umfrage, ob der Habicht da ist. Ist er nicht da, so muß wohl der Suchende wieder abziehen, ist aber der Habicht da, so nimmt ihn der Engel mit sich hinter das Gebüsch und erscheint dann aber- mals, bis endlich alle Vögel abgeholt sind. Dies in Kürze der Her- gang des von Mlyuek erzählten Spieles, dessen Witz wohl auf das Er- raten eines Namens hinausläuft. Der Erklärung der Aristophanes- stelle, die, wenn ich so sagen darf, nur einige Bummelwitze (v. 54, 55, 57) anbringen will, würde ich eine so weithergeholte Beziehjung nicht zu Grunde legen.

B, Perrin, Notes on the v£y.uia of Peisandros, Aristoph. Av. 1553 1564. Transactions of the American philological association, vol. XXVII, p. XXXIV— XXXV der Proceedings for July, 1896. Peri'in behandelte in seinem Vortrage die bei Aristoph. Av. 1553 flf. vorhandene Parodie der Nekyia des Odysseus. Insbesondere sucht er die umstrittene Lesart dr^Xöe Av. 1561 zu rechtfertigen. Er nimmt zu diesem Zwecke an, daß der Homertext, dessen sich Aristophanes be- diente, bei X 38 eine Lesart enthielt, welche dem d-ov6'a<pi xpaiziabai bei X 528 entsprach. Ursprünglich sei nämlich die Stelle l 35 49 mit X 526 fl. wörtlich gleichlautend gewesen, und Aristophanes habe diesen Jahrd3bericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. f.) 1(J

242 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

Text entweder auf dem Wege mündlicher Überlieferung kennen gelernt, oder er habe ein Exemplar besessen, das die von den Alexandrinern notierte Interpolation einiger Verse noch nicht aufwies. Perrin beruft sich hierbei auf den Umstand, daß auch die Homercitate bei Piaton Unterschiede gegenüber der Vnlgata aufweisen. Au der Lesart «TT^XÖe halte auch ich fest, jedoch ohne die Schlüsse, die Perrin auf den Homertext des Aristophanes zog, für zwinuend zu halten. Denn der Komiker hat, als er jene Parodie hinwarf, sein Homerexeraplar gewiß nicht nachgesehen.

A. "Willems, Notes sur les Oiseaux d'Aristophane. Bnlletins de l'Academie Roj'ale des sciences. des lettres et des beaux-arts de Belgique. 3. Serie, tom. XXXII, 1896, p. 603-635.

A, Willems behandelt mehr als ein Dutzend Stellen der Aves zumeist in konservativem Sinne, indem er eine überlieferte Lesart durch eingehende Erklärung als richtig zu erweisen sucht. Für v. 76 tote fjLev weist Willems auf Plat. Phaidr. 261 D hin: to'ts \xh oivcatov, otav öe ßouXT]Tat aötxov. In v. 82 und 569 wird asp^o; (Wesp. 352) als ,,foarmi blanche'*, eine weiße, in Griechenland einheimische Termiten- art erklärt. Y. 293 Ird Xocpwv erklärt er durch ein Wortspiel. Vgl. meinen Jahresbericht 1880, S. 168. Zu v. 492: u-oor)c7ot[X£voi verweist er auf Aristoph. Eccl. v. 30 ff. Bei 769 ff. findet er nur den Schrei des Schwanes hervorzuheben, nicht aber den „Gesang des Schwanes" oder gar ein Lied eines Schwanenchores. In v. 823 verteidigt er xal IJ.SV ouv gegen Haupt durch den Hinweis auf Soph. Ant 31: xal dr^ jisv ouv Trapo'vta und Aisch. Pers. lOOO: xal ttXsov y] zar^ii fxsv ouv. Auch an XcojTo? will er festhalten. In 942 liest er: atpatäiv nach dem Pari- sinus A und beruft sich dabei auf Lübbert, Rh. Mus. 1886, p. 468. In v. 1221 wird xal vüv ia dem Sinne von ,,qnae quam ita siot" er- klärt. In v. 1392 setzt Willems nach as'p« den Schlußpunkt. Das fol- gende sKwXa xtX. gehört dann dem Dithyrambos des Kiuesias an. In V. 1395 liest er aXaopo[j.ov (-^ aXy^8po(xov) statt aXaopo[j,ov. Der über- wiegende Teil dieser Bemerkungen wird Beifall finden oder verdient wenigstens ernstliche Überlegung. Mißlungen hingegen scheint mir die Konjektur zo vsixoü|i.ai statt oix-qcsu) in v. 547 und xi'c o xoXoto; (st. xo- flopvo;) TTj? oooü in v. 994. Die ausführliche Behandlung der Stelle 267 304, in der die vier seltsamen Vögel auftreten, hätte wohl großen- teils entfallen müssen, wenn Willems die Literatur dieser Stelle (Hiller!) beachtet hätte. Das Gleiche läflt sich wohl auch von seiner Behandlung der Triballerscene behaupten, wo Willeras für v. 1681 st. si \i.}] jiaßa^si vorschlägt: si [ly] [iaot'Cst, indem er unrichtigerweise die Basileia zum Subjekt macht, wo es doch augenscheinlich der Triballer ist.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.) 243

E. Roniag-noli, Sulla esegesi dl alcuni Inoglii degli Uccelli d'Aristofane. .Studi italiani di filologia class. V, 1897, S. 337 —356.

Eomagnoli beschäftigt sich in dieser Abliandlniig mit 4 Stellen der Aves. In v. 434 will er nnter uh %<x\ au den Peithctairos und den Euelpides verstehen, nicht aber die Sklaven der beiden. Das ge- legentliche Hervortreten des Dnals. wie in v. 43, hat jedoch nicht die beweisende Kraft, die der Verfasser ihm zumutet. Während aber an dieser Stelle die Auffassung Romagnolis immerhin noch als möglich erscheint, könnte ich dies für v. 4G3 und G56 657 nicht zugeben, wo wir an erstercr Stelle auf den TraT;, au der letzteren auf Xanthias und Manodoros nicht verzichten können. Auch der Behandlung von v. 448 axousTs Xbio kann ich nicht zustimmen. Komagnoli läßt den Peithctairos diese Worte sprechen und scherzhaft an eine bh^ß fingierte Mannschaft richten. Das Richtige hat hier ohne Zweifel Tb. Kock gesehen , der diese Verspartie dem Epops gibt, worin ihm auch mehrere Erklärer, wie Kennedy (1874), Merry (1889) u. a. gefolgt sind. Von den Vögeln wareu eben viele bereit gewesen, als Hopliten gegen den eindringenden Feind zu kämpfen. Eben darum hatten sich die beiden Athener bis an die Augen bewaffnen müssen. Wichtiger scheinen mir die Bemer- kungen Romagnolis zu Av. 516: Apollon werde hier nicht in seinem Verhältnisse zu Zeus als &epa7:u)v bezeichnet, souderu mit Rücksicht auf populäre Mythen, die ihn als Diener des Admetos und des Lao- medon kennen. In Wirklichkeit sei den Statuen des Apollon der Sperber als Attribut gegeben worden, weil der ispa? als prophetischer Vogel (Wetterprophet) galt. Aristophanes gebe eine scherzhafte Ursache eigener Erfindung an. Da Apollon Diener gewesen sei, habe er als Attribut einen räuberischen Vogel, vgl. Av. 1112, 1453, Equ. 101, Plut. 26 ff., 1134 ff. Ein Teil der Darlegungen des Verfassers über diesen Vers ist gegen Wieseler gerichtet. Der Schluß des Aufsatzes ist dem Demoticon des Euelpides (v. 645 KpiiOsv) gewidmet. Romagnoli sieht in diesem Worte eine Anspielung auf zwei Eigenschaften, welche Euelpides mit einem xpto'c gemein habe, die Schwachköpfigkeit, die sich im ersten Teile des Stückes zeigt und seine Lascivität, vgl. v. 668 ff.

C. Robert, Aphoristische Bemerkungen zu Aristophanes Vögeln. Hermes, 33, 1898, S. 566—590.

Robert behandelt die vier exotischen Vögel, die der Parodos an- gehören (v. 268 ff.) und erklärt sie mit Wieseler und Hiller als Musi- kantenvögel. Zwischen v. 304 und 305 sei eine Parepigraphe: oiauXiov ausgefallen: denn das -t-7ii^ou3i in v. 306 beziehe sich nicht auf halb- artikulierte Laute der Ohoreuten, die im Texte nicht vorhanden sind,

IC*

244 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.)

sondern auf die Nachahmung des Vogelgeschreies durch die Musik. Auch die v. 209 222 beziehen sich auf Musik, nämlich auf ein Flöten- solo der Nachtigall. So weit geht man recht gerne mit dem Verfasser. Zweifelhafter ist schon die Annahme eines Wortspieles von oiauXo; und ötaüXiov in v. 292. Ebenso auch das Wortspiel, das Robert in das Wort Xocpwats V. 291 hineinlegt, indem er es in dem Sinne von Auf- stellung auf einem Erdhügel versteht. Sicher unannehmbar aber wenigstens für mich ist die Anschauung Roberts, daß sich dieser Erdhügel „in dem hinteren Teil der Orchestra oder wahrscheinlicher in deren Mitte (!) über der Mündung des unterirdischen Ganges befand". Denn das Stück wurde nach Roberts Ansicht „wie die älteren äschy- leischen ohne ay.rjvrj gespielt". Den Xo'cpoc identifiziert weiterhin Robert mit dem hohen Felsen (vgl. v, 1, 49, 54), an dem Euelpides sich die Beine anstoßen soll. Nach meiner Ansicht hat gerade das Bühneu- gebäude dazu gedient, durch manigfaltige Verkleidungen mit ange- strichener Leinwand die Illusion einer Felsgegend zu erleichtern. Ein verkleidetes Gerüst auf dem Räume Im axrjv^;, der zwischen den Para- skenien und außerhalb der Orchestra liegt, mochte als erhöhter Stand- platz für die Zwecke des Stückes leicht herzurichten gewesen sein. Ein ganzes Bühnengebäude aber, welches doch gewiß für andere tragische und komische Aufführungen derselben Dionysien notwendig war, ließ sich zwischen 2 Stücken wohl weder wegräumen, noch auch aufbauen und einrichten. Einzelne Bemerkungen Roberts über Schwierigkeiten dieser Scene bleiben trotzdem dankenswert. So hat er v. 54 richtig (gegen Mlynek; s. d.) verstanden, ebenso auch' die Verwendung zweier Sklaven (v. 656) zum Tragen des Gepäcks (gegen Romagnoli; s. d.) und anderes. Dann gelangt Robert zur Ei'klärung der Stelle über die Pauoplie (v. 434) und den Kampf. Er stimmt in v. 36] für npojdoü, nimmt ^uxpa (v. 391) als „Schüssel" und daher zugleich als ,, Schild", schreibt in v. 357 mit Blaß: tw yurpu) (Anm. S. 575). Robert trennt in v. 391 axpav von yurpav und schreibt [laxpav opcüv-a; £776?, indem er sich auf Menanders Monostich. 191 stützt: Z^Ot Ttpoc- syovTcu; w? [xaxpav e-ffu? ßXsTrtuv. Da aber Menaudros empfiehlt, man möge sich die ierue Zukunft möglichst nahe vergegenwärtigen, stehen bei ihm [j-axpav und 5776? im natürlichen Gegensatze und dies läßt sich in den v. 391 der Aves nicht hineinzwängen. Meine Ansichten über die ganze Partie habe ich bei der Besprechung der Aufsätze von Romagnoli und Franchi de' Cavalieri angedeutet. Bemerkenswert ist die Behandlung der vss. 1203 4 in der Irisscene. Robert schreibt: n. ovo{jLa aot xi; llapaXo; t) 2aXa|JLtvia; | I. 'Ipi? xayeia. 11 . iioxep« tiXoIov r^ xutuv; (st. xuv^). Robert bespricht dann mit wechselndem Glücke eine Reihe von Lücken im Texte der Vögel, in v. 886, vor 869, 565,

Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.) 245

593. hinter 1346, Ausfall von -j-aia; hinter k'ixoXov in v. 405 nnd kommt liierbei auch zur Schilderung des Mauerbaues. Robert erklärt uTra-fto^sa (1149) als Bezeichnung des Instruments ,um den einzeloen Luftziegel an seinen Nachbar Iieranzuschieben (Grct-'siv)"*. Eine Verslücke gibt er nicht zu, sondern streicht (mit Kuthcrford) «ujTTep -aiot'a, an dessen Stelle er versuchsweise gesetzt denkt: (op7Q(Cov »T aixo. Mehrere Stellen dieses Aufsatzes beziehen «ich auch auf die Personenverteilnng des Stückes. Schließlich gibt Robert die Vermutung zu 771 ft". : Tj|x|xq^ ßo^i voiJLOv I -T£pot3i xpExovTs; , tax/ov 'AtioXXio. ,,Mit Tönen wie diese .... jubelten die Schwäne dem Apollon zu, indem sie mit den Flügeln eine Weise schlugen, die sich mit ihrem Geschrei vermischte." „Der Flügelschlag vertritt die Begleitung auf dem Saiteninstrument." Ich würde sagen: ,,Mit den Flügeln schlagen sie den Takt zu ihrem Ge- sänge." Für diesen Sinn reicht wohl auch die Überlieferung aus!

A. Willems, Notes sur deux passages des Oiseaux. Bulletins de rAcademie Royale de ßelgique. 3. Serie, tom. XXXVIl, 2, 1899, p. 900- 90Ö.

Willems erklärt die -yTivata n-zod in Av. v. 798 als die Henkel einer aus Pflanzenfasern geflochtenen Flasche. Ich tinde, daß dies die- selbe Erklärung ist, die wir dem Euphronios in den Scholien zur Stelle verdanken, woher dann die Bemerkung von Ludolf Küster stammt: „Diitrephem plectendis vasis vimiueis divitem factum esse." Lehrreich und für mich wenigstens neu ist aber der von Willems betonte Um- stand, daß Le Vaillant derartige geflochtene Gefäße, die, ohne verpicht zu sein, Flüssigkeiten nicht durchlassen, in Afrika benutzte und daß dergleichen Industrieprodukte auch aus dem Kongolande nach Brüssel kommen. Willems hebt auch hervor, daß nicht etwa an tönerne oder gar gläserne und mit Flechtwerk umsponnene Gefäße zu denken sei. wie man sie häufig in Italien sieht. Im ganzen also erklärt Willems jetzt den v. 798 durch ein Wortspiel, indem Tcxepa doppelsinnig ist und Diitrephes dergleichen geflochtene Flaschen, die Willems nicht bouteille, sondern nach Littre ,,bire" nennt, fabrizierte. Die zweite Stelle der Aves, die Willems in diesem Artikel behandelt, ist v. 1744 ff., wo er aG-coü statt auToü liest. Für aGroü = l|xau-oü beruft er sich auf Av. 808, Aisch. Gh. 1014 und Soph. 0. C. 966. Willems verteidigt weiterhin die Echtheit von i/apyiv i^oaT; und beläßt gegen Bergk, Meineke nnd Kock die vss. 1743 1747 dem Peithetairos.

J. Vürtheim, Ad Aristoph, Av. vss. 354 sqq. Mnemos. NS. XXVII, 1899, p. 325—335.

Der Verf. geht bei der Erklärung dieser Stelle von A. Trendelen- burgs interessantem Winckelmannsfestvortrage aus, der in der Wo. f.

246 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.)

klass. Phil. Bd. XVI (1899) Sp. 134—142 mit Abbild, und Aum. wiedergegeben ist. Trendeleuburg bespricht die zuerst von Eugen Peterbeu (Athen. Mitteil. XIV, 1889, S. 233—239) ausführlicher be- handelten Schutzvorrichtungen gegen die Verunreinigung der Statuen durch Vögel und erörtert insbesondere den auf dem Statuenkopfe auf- gerichteten Metallstachel als „Vogelabwehr". Den ixYjvidxoi in Aristoph. Av. 1114 weist Tr. eine picheiförmige Gestalt zu und sucht bei der ausführlicheji Exegese von Av. 354 ff. unter anderem festzustellen, 1. daß die /uxpat als Helme dienen; 2. daß die rpußXia (die Tr. „Essig- näpfchen" nennt) in die Augenlöcher der Maske gesteckt werden (La. : 7:po;öoü V. 361, wie auch bei C. Robert, Herrn. 1898, XXXIII, S. 574), 3. daß die Körbe die Rolle von Schanzkörben spielen und 4., daß das in V. 360 überl. rpo; auxov nicht mit Bentley in T:po aocutoo, sondern nach Schol. Ven. 359 in rcpö; «utiqv (sc. xf,v /uxpav) zu ändern sei. Es hätten also 5. die beiden Athener ihre kleinen Bratspieße ,,iu den niederen Haarwulst über der Stirn gesteckt". Gegen mehrere dieser Aufstellungen Trendelenburgs polemisiert Vüitheim m. E. mit ent- schiedenem Glücke, indem er sich gleichzeitig gegen Kocks Kommentar und gegen andere Interpreten der Stelle wendet. Nach' Vürtheim werden allerdings die yurpai als Helme gebraucht, und auch T.po^x^oZ (v. 361) ist richtig überliefert, aber dieses irpo;{)oü kann nicht bedeuten, daß die xpiißXta irgendwo hineingesteckt werden, also auch nicht in die Augeulöcher der Masken. Und xaxa-r);ov sagt Vürtheim sehr richtig, heißt sonst in terra figere (vgl. Hom. II. VI 213), nicht aber „auf den Kopf hinaufsteckeu". Bezüglich einiger dieser speziellen Aut- fassungen stehe ich also mit Vürtheim auf dem gleichen Boden, da er auch Blaydes, Franchi und C. Robert in einigen Punkten richtig wider- legt. Die xava aber will \. wie Trendeleuburg als SchauzkÖrbe ver- wendet wissen und zwar als abschließende Türme zu beiden Seiten des aus den axpcufiaxa (v. 657) bestehenden Walles! So soll dann ta oitXa (v. 390) „castra, munimenta" im wirklichen Wortsinne bedeuten. Und auf diese Schanzen sollen die Spieße gesteckt werden 360. Davon steht nichts bei Aristophanes !

C. B. Gulick, Two notes on the „Birds" of Aristophanes. Harvard Studies X, 1899, p. 115—120.

Gulick beschäftigt sich mit zwei der zumeist behandelten kritischen Probleme in dem Texte der „Vögel*. In v. 16 erklärt er 8; opvt; s-^evex' Ix xtüv opvetov mit den Worten: „he proved himself a bird of birds". Hierbei soll e-^evexo doppelsinnig sein. Zuerst habe Euelpides sagen wollen: Tereus ward ein Vogel eS avi)pa»itou. Dann aber habe er aus Verdruß über die Menschen, an die er sich nicht einmal mehr er-

Bericht über die Literatur der griccliischen Komödie, (llolzinger.) 247

iiiuern wollte, den Satz im Munde umg-edreht: Er habe sich bewiesen als ein echter Vogel, als ein Vogel, der von anderen Vögeln abstammt. Dabei wird natürlich wieder auf (J-j'aiiol xcti e; «Yaftäiv (Plat. Phaidr. 274 A), auf y.ay.o; xay. y.axüiv (Soph. Oed. Tyr. 1397), a-^afloi e; a-^afhov (Andoc. de Myst. 109), cu^evr,; ir^ euyevou; (Eur. Or. 167G) hingewiesen und behauptet, daß der Artikel bei ix t<öv (Jpvswv, durch den sich doch diese Stelle von allen übrigen angeführten Beispielen unterscheidet, durch den Doppelsinn erfordert worden sei! Aber ein Doppclsinn liegt nicht in ix -(öv opvstuv, wor.n dies rap' Oiro'voiav gesetzt ist. Und soll der Doppelsinn in i-fi-ztzo liegen, so kann dies nicht den Artikel recht- fertigen. — Dann behandelt Gulick die Teleasstelle (v. 169), ohne sie zur vollen Evidenz zu bringen. Von der reichen polemischen Literatur über diese Stelle hat Gulick nur die allerdings leicht zu widerlegenden Konjekturen Theodor Kocks berücksichtigt.

J. van Leeuwen, Ad Aristoph. Av. v. 1247. Mnemosyne NS. XXVIir, 1900, ]). 391.

Der Verf. schlägt vor xotl a[x'j'.x''ovac oo|xo'j; zu lesen, da das über- lieferte xal oofjLoui'AiJL'ftovo; zwar, wie die Schollen angeben, aus Aischylos Niobe stammen soll, aber hier doch nicht leicht parodistisch verwendet sein kann.

J. van Leeuwen, Ad Aristoph. Aves. Mnemos. NS. XXIX, 1901, p. 444—460.

In dem ersten Abschnitte dieser Abhandlung verteidigt der Verf. mit Recht den vom Schreiber des Cod. Rav. übergangenen v. 41, ferner den schon von Vahlen für echt erklärten v. 59, empfiehlt für den v. 266 l-iu^e gegen die Schreibung eittutCe (Rav.) und hält im v. 1221 an aoixcic 8k xal vüv fest (gegen döixst; \is. Rav.). Im zweiten Kapitel lechtfertigt Leeuwen die Vulgata der Vogelkomödie gegen verfehlte Konjekturen. Er verteidigt im v. 290 iküc äv .gegen ttüJ; ap' (Blaydesj, v. 479 pu-f/o; gegen to pu-f/o? (Bl.), 555 «pifj gegen 'cpsiv (ßi), des- gleichen i'Oi in v. 648 gegen ßi., in v. 698 Xaei TTTspoevTi gegen G. Her- mann, v. 787 Tpa^tüocuv gegen Scaligers xpuYtoouiv. In v. 1002 sucht Leeuwen die in den mss. iiberlieferte Interpunktion nach xajXTiuXov zu halten, wodurch die Verbindung xov xavdva . . . xa|xi:'j)^ov entsteht. Die dem Meton in den Mund gelegten offenkundigen Torheiten würden da durch allerdings noch verschärft, vielleicht aber allzusehr vergröbeit. Im V. 1234 setzt Leeuwen nach roiouiv die Zeichen der Anführung und des Ausrufes, wo sich Kock wohl im gleichen Sinne und offenbar rich- tiger mit dem Fragezeichen begnügt. Im v. 1282 hält der Verf. das überliefe)te i-ctvcuv aufrecht gegen seine eigene ehemalige überflüssige Konjektur erivcov. Schließlich in v, 1616 gibt Leeuwen mit Beutley

248 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

die Worte opöic; s-aivEr oüto; dem Herakles und faßt in der ganzen Stelle bis zum v. 1678 das Kauderwelsch des Triballers in einem für Peithetairos durchaus ungünstigen Sinne auf; z. B. in v. 1678 setzt er ßaoiXivau einem BaciXsiav ou gleich. Schwächer sind die im dritten Abschnitte mitgeteilten Konjekturen des Verfassers; v. 66 soll nach V. 68 gestellt werden. Unnötiff. In v. 108 'Ett. -oool-m to -/evo;; Eu. o&ev at TpiTjpetc ai xaXai empfiehlt Leeuwen die Schreibung: o{}cv xpin^peic al xaXat. Hier sind alle bisherigen Anderungsvoiscliläge überflüssig, weil der Tribrachys zwischen den beiden Anapästen durch die Ver- teilung des Trimeters an zwei Personen erträglich wird. Ebenso über- flüssig ist es in v. 147 IioOsv in ixsT&sv zu ändern, weil eüj&sv in dem Sinne von „vor Tagesanbruch" dem Zusammenhange völlig entspricht. In den vss. 149—150 schreibt Leeuwen unwahrscheinlich: ohiCsxz \ IX- dovxes; OTiT) xoux lowv vtj too? öeouc.

W. White, Tzetzes notes on the Aves of Aristophaues in Codex TJrbinas 141. Harvard Studies XII, 1901, p. 69—108.

White gibt aus dem Urbinas 141, den Velsen bei der Herstellung des Textes der Panae und des Plutos benutzt hatte, eine Kollation der Schollen des Tzetzes zu den Aves. Die Grundsätze, nach denen. White bei der Umschreibung verfuhr, gibt er in einleitenden Bemerkungen p. 70 72 genau an. Die Accente und die Orthographie der Handschrift wurden beibehalten, hingegen die zahlreichen Kompendien für Wörter und Silben, welche das Lesen der Scholienminuskel des XIV. Jahr- hunderts erschweren, bat White aufgelöst. Da ein Faksimile von fol. 183 r beigegeben ist, war es mir möglich zu konstatieren, daß die Schollen zu den Versen Av. 795 858 sorgfältig gelesen und wiedergegeben sind. Hingegen fiel mir bei v. 306 die Angabe auf: xöiv y.o<\>v/(a\] xüiv •xoTCTovTcüv ota xYj!jp. (slc.) Da hier augenscheinlich der Ausdruck xo^iyta^ etymologisch erklärt wird, wird es wohl heißen müssen: twv xotttovkuv 6ia Toü p. (sc. PU770U?.) White hat die Bemerkungen des Tzetzes zu den Aves ganz ausgedruckt. Finden sich dieselben genau so im Codex R oder V vor, sind diese Siglen senkrecht (RV) beigedruckt; finden sie sich in diesen Handschriften in etwas veränderter Form, sind dieselben Siglen schief beigedruckt (JS, 7, Italics), was wohl sehr leicht zu Irr- tümern führt. Was sich von diesen Notizen in R oder V nicht findet, ist durch fetten Druck hervorgehoben. White zählt deren 393. Von Belang ist darunter natürlich nur sehr weniges. Interessant sind die Schlüsse, welche White über die Vorlage und die Arbeitsweise des Tzetzes zieht. Er meint, daß Tzetzes einen Scholieucodex besaß, der mehr und vollständigere Schollen enthielt, als Ravennas und Venetus zusammengenommen. Von dem Archetyp dieser Schollen stammen nach

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie (Holzinger.) 249

seiner Meinung alle scholia vetera ab, die wir zu Aristophanes besitzen. In die Hauptmasse haben sich die Codices R und V geteilt, manches davon ist in beiden Handschriften übergangen, vieles in beiden mss. aufgenommen worden. Tzetzes hat sich seinen Kommentar zu den Aves aus den ihm vorliegenden reichen .Scheuen selbst zusammengestellt. Vieles hat er unverändert abgeschrieben, anderes willkürlich verändert, zusammengezogen oder weggelassen. Im ganzen stimmen seine Schollen mehr mit Cod. Venetus als mit dem Ravennas überein.

R. de la Villeherv^, Lysistrate comedie d'Aristopliane. Paris 1896.

Die Lysistrate wurde in Paris zum erstenmal „ä la Comedie Pa- risienne par le Theutre des Poetes, Directeur Charles Leger" am 23. Dezember 1895 aufgeführt. Das vorliegende Bändchen enthält die gereimten Verse, welche den Text der antiken Komödie beiläufig wieder- geben. Bei der Vergleichung einiger Partien mit dem Texte fand ich, dal! vom Originale manches wegblieb, wälirend sich an anderen Stellen manches hinzugesetzt findet, wahrscheinlich aus Versnot. Auffallend waren mir auch einige Dunkelheiten, die das Publikum unmöglich ver- standen haben kann. Z. B. v. 231 : oO jTrj-JOfJLat Xeatv" im Tupoxv/^aTioo? wird übersetzt: et les lionnes des couteaux y sont en yain. Dieses vain muß sich nämlich reimen mit dem nächstfolgenden je boirai de ce vin. Villeherve entschuldigt sich in einer Schlußnote S. 98 wegen solcher Stelleu und nennt auch spezieil den angetühi'ten Vers seines Textes „in- intelligible". Geschmackvoll kann ich dies nicht finden. Sieht man von der Treue der Übersetzung „traduction" sagt Villeherve ab, so wird man anerkennen, daß sich viele Verse leicht und augenehm lesen.

Aristophane, Lysistrata. Traduction nouvelle avec une intro- duction 61 des notes par Ch. Zevort. .Edition ornee de plus de 100 gravares pav Notor. Paris 1898.

Das Bändchen enthält eine in Prosa gehaltene Übersetzung der Lysistrata mit kurzer Einleitung über das J. 412 v. Chr., in welchem das Stück aufgeführt worden sei. Vielmehr 411! In einem Anhange werden dem Leser die notwendigsten Anmerkungen an die Hand gegeben. Die .'Ausgabe macht durch die glänzende Ausstattung mit mehr als 100 zierlichen Nachbildungen von Vasenbildern, die irgend ein Wort oder eine Situation des Dramas zu erläutern geeignet sind, einen sehr eleganten Eindruck. Da aber die Auswahl des Stückes und der Vasen- bilder augenscheinlich mit der Absicht getroffen ist, Frauen als am meisten anziehend darzustellen, wenn sie am wenigsten anziehen, hat man zunächst den Eindruck, daß dieses Buch nicht sowohl der philo-

250 Bericht über die Literatur der giiechischcn Komödie. (Ilolzingcr.)

lüg-iscbeu Ausbildung der französischen Jugend, als vielmehr der An- regung älterer Knaben gewidmet sei. Ich trat darum an die Über- setzung mit geringen Erwartungen heran, fand aber bei einer geuauen Vergleichung der ersten Scenen mit dem griechischen Texte, daü dieser zwar vieltach unnötigerweise nur paraphrasicit , im ganzen aber doch hinreichend genau wiedergegeben ist. Denjenigen, die das Bändcheu ohne philologische Nebenabsichten geniel.leu wollen, wird es jedenfalls viel Vergnügen bereiten. Herrn Notor, der die Vaseubilder beisteuerte, halte ich übrigens bis auf weiteres für die leicht durchsichtige Maske eines sehr bekannten Vasenkeuners. Sollte ich damit im Unrechte sein, so wird mir Herr S. ß., den ich meine, wohl verzeihen. Einzelne Mängel, die ich an der Übersetzung bemerkte, übergehe ich.

R. Y. Tyrrell, Adnotatiunculae. Class. Rev. VI, 1892, p. 302.

Aus Aristoph. wird nur Lysistr. v. 111 116 behandelt. Kalonike sagt dort: i^tb os 7' av xav wjirEpsl <\iilzx7.'i öoxu» | ooüvai av £[j.au-^j rapa- TSfjLoüja Orjixiau. Im vorhergehenden hatte Myrrhiue um des lieben Friedens willen ein scheinbar großes Opfer auf sich zu nehmen ver- sprochen, dessen Leistung ihr aber in Wahrheit nicht schwer gefallen wäre. Das Gleiche muß wohl auch den bis jetzt noch nicht ganz er- klärten Worten der Kalonike zu Grunde liegen. Es handelt sich dabei namentlich um <];r^tTa, wie die Wiederholung des Wortes in v. 131 be- weist. Tyrrell geht nicht von diesen naheliegenden Überlegungen ans, sondern bezieht die v. 115—116 auf den Namen der Kalonike. Diesen will sie entzweischneiden lassen und die eine Hälfte, nämlich vixir], bei- steuern. — Ich wende dagegen ein, daß der Name KaXovtxTj dem Zu- schauer nur aus v. 6 bekannt war, und daß er daher für das Vei'ständnis eines derartigen Wortscherzes hätte besser vorbereitet sein müssen.

A. Ruppersberg, Der Bogenwettkampf in der Odyssee. Neue Jahrbücher für klass. Philologie. (Bl. 155.) 1897, p. 237.

Der Verfasser behandelt gelegentlich Ar. Thesmoph. 49 ff. . . . opuo'xou? TiOevai opaixaxoc ap/a';. Breusing, Nautik der Alten, Bremen 1886, p. 31 hatte hier opuo/oi als Schiffsrippen oder Spanten erklärt. Ihm gegenüber bezeichnet Ruppersberg die opuoyoi als Kielhalter oder Stapelblöcke. Mit Recht weist Ruppersberg darauf hin, daß das Auf- stellen der Kielstützen bei dem Zimmern eines Schiffes dem Einfügen der Schiffsrippen in den Kiel vorangehen muß und beruft sich dabei auch auf Apollon, Ehud. I, 723.

U. v.Wilamo Witz -Mollen dor ff, Lesefrüchte. Hermes XXXIII, 1898, p. 517.

Statt der bisher nicht genügend aufgehellten Aposiopese bei Ariötoph. Thesm. 536: et ixev ouv xij eixtv hatte bereits ßergk den

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolziugcr.) 251

Gedanken vermutet: si [xsv oüv l'jri xist;. Wiiamowitz stellt jetzt st. Ti; i'jTiv die Vermutung auf: TstJc^Oe -f.

lu einer Beilage zu „Aristot. und Atlicu" II, S. 343 ff. tritt von Wiiamowitz für die Autführung der Lysistr. und der Thosmoph. an den zwei Festen des J. 411 mit guten Gründen ein und gibt „als Fostille" die beiden wichtigsten Lieder der Thesmopli. in metrischer Abteilung und kurz erläutert, vss. 313 380 und 353 371.

C. 0. Zuretti, Osservazioni air Alcesti di Euripide ed alle Tesmo- foriazuse di Aristofane. Rivista di filologia XXIX. 1901, p. 529—566.

Der erste Teil dieser Arbeit bezieht sich auf die Alkestis des Euripides und fällt daher nicht in den Bereich dieses Berichtes. Der zweite Teil der Abhandlung p. 554 556 hängt nur äußerlich mit dem ersten Abschnitte zusammen und beschäftigt sich mit der kritischen Besprechung einzelner Stellen der Thesmophoriazusen. Der Verfasser behandelt 35 Textprobleme dieser Komödie uud stellt sich dabei auf einen streng konservativen Standpunkt. In den Versen 32, 38, 91, 96, 106, 150, 212, 284, 386. 715 nach Velseus Zählung, also in zehn Stellen wird mau den für die Beibehaltung der handschriftlichen Über- lieferung vorgebrachten Gründen kaum beistimmen können. Hingegen an 16 Stellen und zwar in den Versen 23, 74, 172, 242, 273, 283. 390, 391, 411. 575, 754, 851, 918. 1083—1085, 1179, 1218 wird die Les- art des Codex Ravennas in überzeugender Weise verteidigt. Au sechs Stellen schließt sich Zuretti den Konjekturen anderer Gelehrten au, nämlich in den Versen: 10, 18, 162, 294, 625, 761. Außerhalb dieser Kategorien führe ich drei Stellen au, bei deren Behandlung die Aus- führungen des Verfassers einen höheren Grad der Bedeutung erreichen. Für V. ö6 schlägt Zuretti die Fassung vor: vfj xov llojcioüi xal Aia, öixYjv av ::ai%i;. Bei 6ixt,v vermißt man die Bestätigung des wichtigen Unistaudes, daß die Bestrafung des Euripides durch die Frauen eine wohlverdiente sei, während /Iit. hinter llojaiow überflüssig ist. Ebensowenig bin ich mit der Behandlung des v. 134 einverstanden. Gegenüber der Lesart des Codex E,: vsavb/', ci' xi; et veilaugt Zuretti: vcaviV/' ^xi; ei, indem er meint, der Witz liege in der Anwendung des Femininums y;xi;, während veaviV/' als doppelsinnig, nämlich entweder als vtavaxs oder als vsavijxr) aufzufassen sei. Aber der Gedanke, dall Agathoii möglicherweise ein Mädchen sei, wird erst in den folgenden Versen erörtert, und ich würde daher das y von veaviV/' als eine bloße Verlesung aus x betrachten, so daß auf der Grundlage der Kavenna- tischen Schieibung vsavisx', ei'xts et als Vorbereitung tür das folgende her- zustellen wäre. Meinen Beifall hat dagegen die Behandlung des v. 258, wo Zuretti xes aX/j -epiOexo; licit uud tjoI ganz richtig durch (xirpa erklärt.

252 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. Cllolzinger.")

The Frogs of Aristophanes adapted for Performance by tlie Oxford University üraiiiatic Society 1892, with an p]ng:lish version partly adapted from that of J. Hookham Frere and partly written by G. Hogarth and D. Godley. Oxford.

Das Buch enthält den griechischen Text mit prosaischer tlber- setzung des Dialoges; hingegen sind die lyrischen Partien des Originals mit ähnlichen Rhythmen im Englischen wiedergegeben. Der Text beruht im ganzen auf Merrys Ausgabe der Frösche. Zu Zwecken der sceni- schen Aufführung wurden bedeutende Kürzungen vorgenommen, nament- lich an solchen Partien, auf deren Verständnis bei den Zuschauern nicht zu rechnen war. Die Übersetzung beruht so viel als möglich auf J. Hookham Freres Übertragung. Alle lyrischen Partien aber wurden neu übersetzt, um sie der schon im Drucke vorhandenen Musik von Dr. Parry anzupassen. Auch au den Dialogpartien Hookham Freres wurde geändert, weil seine Paraphrase den Text allzusehr verlängert. Manches hatte Hookham Frere übergangen. So z. B. die ganze Partie über das Xrjxui)tov. Dies hat Hogarth neu übersetzt und zwar sehr an- sprechend. Von ihm stammt auch die Übersetzung des Froschchores und der Parabase, während die Parodos Claxy' tu "lax/s) und die Schlußode des II. Aktes v. 680 ff. von D. Godley übersetzt sind. Eine kurze, aber beachtenswerte Einleitung zu dem Stücke hat Hogarth geliefert. In seiner Begeisterung für Aristophanes geht er so weit, ihn als deu größten Dichter Athens und als den größten Komiker aller Zeiten zu bezeichnen. Der tragische Thron hingegen «ei seit dem Streite des Aischylos und Euripides längst anderweitig vergeben worden. Wie englische Leser dieses Rätsel lösen, dürfte nicht zweifelhaft sein.

Aristophanes: ßauae edited by F. G. Plaistowe, London 1896.

Aristophanes: Ranae. A close translation with test papers by G. Plaistowe, London 1896.

Der griechische Text des ersten Bändchens beruht auf Bergks Ausgabe. Als Quellen für die kleinen Anmerkungen sind die Kommen- tare von Kock, Blaydes, Fritzsche, Merry, Green und Paley genannt. Die Einleitung enthält eine kurze Übersicht über die Geschichte der attischen Komödie mit besonderer Berücksichtigung des Aristophanes, schließlich eine Inhaltsangabe des Stückes. Auffallend war mir eine Bemerkung auf S. 11, nach welcher die jugendlichen Leser, auf welche diese Schulausgabe berechnet ist, die Einführung des Froschchores als eine originelle Idee des Aristophanes betrachten müssen, während doch der Dichter hierin den Magnes zum Vorgänger hatte.

Das zweite Bändchen enthält eine Übersetzung in Prosa. Die Test Papers, die der Titel ankündigt, füllen zum Schlüsse des Bändchens

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 2b6

3 Seiten, 46—48, uud sind Prüfungsfrageii über den Text uud den Stoff des Stückes.

J. van Leeuwen, Over de strekking en samenstelling der

Kikvorscheu van Aristophanes. A'erslagen en Mededeelingen der

Kon. Akad. van Wetenschapen. Amsterdam 1896. Afdeeliug Letterkunde XII, 3, p. 302—321.

Der Inlialt dieses Aufsatzes ist, wie van Leeuwen auf p. 1 der Prolegomena zu seiner in demselben Jahre erschienenen Ausgabe der Frösche angibt, „sine ullis fere mutationibus" in jene Einleitung über- gegangen. — Interessant wären wohl einige Bemerkungen über diesen Aufsatz, die in demselben Bande S. 299 301 leider ebenfalls in bolläudischer Sprache zu lesen sind. Daraus ist mir ein Urteil Nabe rs verständlich, daß zwar bei den Nubes Spuren einer Umarbeitung deut- lich seien; bei den Ranae aber seien sie nicht zu finden: Bij de Nubes zijn de sporen van een omwerkiug duidelijk; bij de Ranae zijn zij niet te vinden.

The Frogs of Aristophanes translated by E. W. Huntingford, London 1900.

Die in gereimten Versen abgefaßte Libersetzung ist oft nur eine Paraphrase. Z. B. für opa/[i.ac v. 176 wird Shillings gesetzt, für e; xopaxa; v. 187 Crimea. -Die Introduction S. 5 11 enthält nur eine Inhaltsangabe des Stückes. Gelegentliche Fußnoten unter der Über- setzung geben einige Scholienbemerkungen wieder.

H. F. Wilson, The „Frogs" of Aristophanes at Oxford. The Academy vol. XLI, 1892, No. 1035, pag. 237. London.

H. F. "Wilson berichtet in diesem Artikel über die Aufführung <ler „Frösche", welche in Oxford am 24. Februar 1892 in griechischer Sprache stattfand. Die Auffühiung w'ird von Wilson als so sehr ge- lungen geschildert, daß sie selbst diejenigen Zuschauer, die des Griechischen nicht mächtig waren, zu fortwährender Heiterkeit hinriß. Übrigens war das Textbuch, das man sich wohl in der Hand vieler Zuhörer zu denken hat, mit einer englischen Übersetzung ausgestattet, welche zum Teile der Übersetzung von J. Hookham Frere entlehnt, zum Teile von (i. Hogarth und D. Godley für die spezielle Gelegenheit neu bearbeitet war. Besonders erheiternd scheint in Oxford die Scene gewirkt zu haben, in der Charou den Dionysos in der Handhabung des Ruders unterweist uud die Prüfung des Dionysos und des Xanthias durch die ihnen aufgemessenen Prügel.

H. E,. Fairclough, An important side of Aristophanes' criticism of Euripides. Transactions of the American philological association XXVII, 1896, July, p. XIX-XX.

w54 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

Faireclough, Professor an der Leland Stanford Ir. TTniversity, ueht in seinem Vortrage, dessen Auszug die „Proceedings" bringen, genau auf die Kritik ein, welche Aristophanes namentlich in den „Fröschen" an Euripides übt. Außer den von den Kommentatoren be- tonten Hauptpunkten hebt Fairclough mit Recht hervor, daß Aristo- phanes auch auf einige intimere Züge der Euripideischen Kunst Rück- sicht nimmt, auf das Ausmalen sinnlicher Eindrücke für Aug und Ohr z. B. bei der Beschreibung des Meeres, spielender Delphiue, zwitschern- der Eisvögel, oder bei der Darstellung von Tag und Nacht. Hervor- gehoben wird die Farbenfreudigkeit des Euripides und der Reichtum seiner Sprache bei Beschreibungen. Gewußt haben dieses alles natür- lich schon die Alten, wovon der Bios Zeugnis ablegt, wenn er den Euripides sich mit Malerei beschäftigen läßt. Immerhin wird der Vor- trag Faircloughs, der sich als einen Teil des Werkes: The attitude of the Greek tragedians toward nature (published by Rowsell and Hut- chison, Toronto, Canada) ankündigt, für manchen Erklärer der .Frösche" nützlich zu lesen sein.

C. 0. Zuretti, Sofocle nelle ,,Rane" di Aristofaue. Atti della R. Accademia delle scienze di Toriuo XXXIII, 189.^, disp. 15a, pag. 1058—1066.

Zuretti bekämpft in dieser lesenswerten Abhandlung die Ansicht derjenigen, welche meinen, Aristophanes habe den Plan zu seineu ßatrachoi zu einer Zeit entworfen, als Sophokles noch lebte, habe aber seine Komödie vollendet und entsprechend adaptiert, als Sophokles noch vor uen Lenäen 405 starb. Zuretti vertritt demnach die Anschauung, daß der Plan des Stückes und der Antrieb zur Abfassung desselben auf dem nach seiner Ansicht in der zweiten Hälfte des J, 406 erfolgten Hinscheiden des greisen Sophokles beruhe. Das Drama sei, wie natür- lich, auf dem Gegensatze zwischen derAschyleischen und derEuripideischen Kunst aufgebaut, während Sophokles sowohl wegen der ausgeglichenen Milde seines Wesens (suxoXo;) und seiner eine glückliche Mitte ein- lialtenden Kunstrichtung als auch, weil er als politischer Charakter nicht hervorragte, als gegensätzliche Figur nicht wohl verwendbar war. Denn Aischylos trage in dieser Komödie namentlich infolge seiner tüchtigen politischen Gesinnung den Sieg davon. Auch der Umstand, daß dem Aristophanes nur drei Schauspieler zur Verfügung standen, habe übrigens dazu beigetragen, daß der Komiker den Sophokles überhaupt nicht auf der Bühne erscheinen lasse. Gleichwohl sei die Rolle, welche Sophokles in diesem Stücke spiele, wenn auch kurz, was die Zahl der ihn be- treffenden Verse anlangt, so doch in keiner Weise unbedeutend. Zuretti stützt sich auch auf die Erzählung, daß Sophokles seiner Trauer um den Tod des Euripides bei dem Proagon des J. 406 Ausdruck ver-

Bericbt über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 255

liehen habe und meint nnn, Aristophanes habe unmittelbar hierauf (Ümmcdiatamente S. 1060), als die pietätvolle Haltung des Sophokles pe^enüber Euripides noch in frischer Erinnerung- war, ihn nicht auf der ßüline in vollem Gegensätze zu Euripides vorführen können. Zu- dem könne eine Stelle, wie v. 868—869, wo es heißt, daß die tragische Kunst mit Euripides geetoiben sei, weder zu Lebzeiten des Sophokles gesclirieben, noch auch späterhin plötzlich eingeschoben worden sein, da sie mit der Handlunt; des Stückes, der beabsichtigten Abholung des Euripides ans der Unterwelt, zu enge verflochten sei. Und gerade diese Absicht des Dionysos verbinde die beiden Teile des Stückes zu einem Ganzen. Wenn nun aber der erste Teil des Stückes wegen der Be- ziehungen auf die Schlacht bei den Arginusen (v. 33. 191) erst im Herbste des J. 406 abgefaßt sein könne und eben dasselbe auch von dem zweiten Teile gelten müsse, weil er mit dem erstcren enge zu- sammenhänge und Übel dies auch noch den Alkibiades berücksichtige, so ergebe sich hieraus der Schluß, daß Aristophanes die ßatrachoi etwa in den letzten drei Monaten des J. 406 unmittelbar nach dem Tode des Sophokles begonnen und bei seiner großen Leistungsfähigkeit auch rechtzeitig vollendet habe, um die Aufführung an den nächsten Lenäen noch zu ermöglichen.

F. Allesre, Uue scöne des ..Grenouilles" d'Aristophane. ßibliotheque de la faculte des lettres de Lyon, tome V, 1888, Melange grecs. par Cucuel et AUögre, pag. 93 102.

Allegre meint, daß nach v. 238 /öti" aüxiV r/xu'}'«; £pei das folgende: ^pexsxexe; xoa; xoa; zwar den Fröschen zuzuweisen sei, aber gleichzeitig habe Dionysos die in v. 238 enthaltene Drohung erfüllt. Das Gleiche wiederhole sich bei v. 2öü. Dieser v. 250 [■ipexsxexs; xtX. (Zählung nach Dindorfs Oxf. Ausg.) gehöre aber dem Dionysos „se soulageant avec bruit tont en parlant". Und abermals verhalte es sich so mit v. 261 und dann noch einmal bei v. 267, Bei dem v. 250 habe eine Parepigraphe: oi-oTiEpööTat auf dieses jeu de scene aufmerksam gemacht. V. 251: tou-1 -ap' 'j[i.äJv Xot}x3avu) übersetzt Allegre durch: „En voiKi un que vons ne chanterez pi:s." Meines Erachtens ist dies eine ganz ungerechtfertigte und auch unmögliche Überladung dieser berühmten Scene mit Unflätigkeit. Für v. 239 kann man zugeben, daß Dionysos den Naturlaut der Frösche parodieit. Vielleicht imitierte der Schauspieler den Ton, indem er in die Hand blies. Aber nun bei V. 250 und 261 zweierlei gleichzeitig zu leisten und dazu vielleicht auch noch zu rudern, ist einfach eine physische Unmöglichkeit. Und die Worte: toutI t.i^ ufKÖv Xapißotvoj können dasjenige nicht bedeuten, was Allegre in sie hineinlegt. Allegre meint auch, otappa^T^jop-ai in V. 256 und sogar x£xp7;op.ai (v. 264) und Charous -aue, -aus (v. 269)

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256 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uoizioger.)

seien ebenso viele Aüempfehlungen seiner Ansicht. Denn x£xpace-ai sei dem epei in v. 238 gleichzusetzen, nur sei es ein stärkerer Aus- druck. Darum, daß Dionysos die quakenden Frösche durch Schreien zu übertönen suche, handle es sich in der ganzen Scene nicht. Daus cette scene les grenouilles et Dionysos ne luttent pas ä qui criera le plus fort. Les grenouilles coassent seulement. Dionysos coasse aussi, mais le brek^kekex qu'il repote n'est qu'un accompagnement, une ono- matopee du bruit malhonncte par lequel il repond u. s. w.

Explicatur locus in Aristophanis Ranis controversus. Scr. J. van Leen wen. Sylloge commentat. quam Constantino Conto obtulerunt philologi Batavi, S. 65—68. Lugd. Bat. E. J. Brill, 1893. Lex. 8.

J. van Lceuwen behandelt Ran. 1109 fF.: sjxpaxsuixEvoi ^ap £131, I ßi^Xiov z r/wv Ixaatoi [xavöavst ra 6e?ia | ai cp'Jieu t' aXXw; xpa- Tiatai, vüv ok xal rapYjy.ovr, vtai -/.tX. Nach Leeuwens Ansicht gehört die ganze Stelle 1109—1118 der zweiten Aufführung der Ranae au. In der ersten Auftührung au den Lenäen hätten die Batrachoi wegen der Parabase, der lyrischen Chorgesänge und wegen der Rolle des Dionysos in der Unterwelt den Preis erhalten. Auch der Wettstreit der beiden Tragiker habe sehr gefallen; aber viele hätten sich doch darüber beschwert, daß man sich nicht rasch genug in den aus dem Zusammenhange gerissenen Tragikerversen zurechtfinden könne. Auf diesen Teil des Publikums nehme nun Aristophanes bei der zweiten Aufführung der Frösche an den großen Dionysien desselben Jahres Be- zug. Die Batrachoi seien nach der ersten Aufführung in zahlreichen Exemplaren verkauft worden. Das Publikum habe sich also in der Zwischenzeit von zwei Monaten, die zwischen beiden Aufführungen lag, eingelesen. Leeuwen meint sogar, daß die Tragikerverse in diesen Exemplaren durch Citate näher bestimmt gewesen seien. Aristophanes sage nun an dieser Stelle, daß die Zuhörer das Exemplar der Frösche in der Hand hätten; daher seien sie im stände, auch dem schwierigen Teile des Stückes mit Leichtigkeit zu folgen. Oder wenigstens gebe Aristophanes vor, dergleichen anzunehmen. Das schlaue Lob der Auf- fassungskraft des athenischen Publikums diene natürlich dazu, die Tadler zu gewinnen und zu beschwichtigen. F. W. Hall, Class. Review, 1897, XI, p. 357 lehnt in der Kritik über Leeuwens Ausgabe der Ranae diese Erklärung der Stelle ab und sagt: „Everybody has bis book" was a phrase something like our „the schoolmaster is abroad". I give the Athenians credit for more humour. Jedenfalls ist Leeuwens Hypo- these nach mehreren Seiten hin bedenklich. Was konnte gerade dem naiven und unliterarischen Zuhörer, also der großen Masse, die an den Dionysien stark mit Fremden gemischt war, daran gelegen gewesen sein,

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger^) 257

za wissen, ob eiu Vers z. B. 1320 aus dei* Hypsipylc stammte, oder ans einem anderen Stücke des Euripidcs? Und der literarisch gebildete Leser bedurfte wieder gerade dieser Gattung von Nachhilfe nicht. Auch reichte die Zeit von zwei Monaten kaum hin, um eine Edition zn einem bestimmten Zwecke in einer wirksamen Anzahl von Exemplaren zu veranstalten und unter das Publikum zu bringen u. s. w. lo seiner 1896 erschienenen Ausgabe der Frösche hat Leeuwen seine An- sieht über diese Stelle abgeändert und behauptet nun dort p. VIII, es sei das Stück paucis diebus post primam commissionem ein zweites Mal gespielt worden und die Voraussetzung von Exemplaren in den Händen des Publikums sei nur ein Seherz des Dichters. Aber auch bei dieser neuen Annahme bleiben noch genug Schwierigkeiten übrig.

A. Sonny, Einige Bemerkungen zu Aristophanes' Fröschen (Russisch). Philologitscheskoje Obozrjenje (Russische philologische Rundschau) IV, 1893, S. 189—194.

Sonny behandelt 8 Stellen polemisch gegen Kock. 1. In v, 19 soll Tpa/T)Xoc in erweiterter Bedeutung auch die Kehle mitumfassen, so daß TC) oe 7eXoTov oux epei dadurch gerechtfertigt sei. Sonny stützt sich dabei auf Equ. 490, wo er toutioi als instrumentalen Dativ auffaßt und auf einen Schluck Wein (vgl. Equ. 101) bezieht, so daß auch dort TpdyriXoj die Kehle bedeute und mehrere Ausdrücke nur in scherzhafter "Weise an einen Ringkampf erinnern sollen, der doch nur durch Reden auszukämpfen sei. Wenn man schon tpay7]Xo; in erweiterter Bedeutung nimmt, um wegen des Parallelismus der Konstruktion (jxev 3e) die dritte Person epsi zu retten, so würde ich die Bedeutung des Tpa-/Tr)Xoj nicht nach vorne, sondern auf den Rücken, mit dem das Gepäck ge- tragen wird, und dann weiter nach abwärts sich erstrecken lassen, wo der Rücken seinen ehi liehen Namen verliert. Dann tritt Ipet mit 9Xiße-cai V. 20, v. 5, Trt£^o|xai v. 3 und aK0TrapöiQ50[jLat v. 10 in einen drastischen Zusammenhang. Vgl. v. 237 Tcptuxxo? ipsT. 2. Direkt ablehnen müßte ich, daß in v. 295 ßoXiuvov das durch Eselmist be- schmutzte Bein bedeuten solle, da doch der Eselmist ovt? heißt. Vgl. Pac. 4. 3. In v. 301 !,'&" T^rep l'pyei sieht Sonny eine an die Empusa gerichtete Beschwörungsformel (Philostrat. vit. Apoll. II. 4), welche Xanthias bei seiner lächerlichen Feigheit, die nicht geringer sei als die des Dionysos, erst aussprach, als sich das Gespenst ohnedies schon ent- fernt hatte. Dies ist nicht unmöglich, aber nicht notwendig anzunehmen. 4. In v. 347 liest Sonny o>|i,(uv statt etcüv, was ich ablehne. 5. Für T. 405 empfiehlt Sonny toos to (javoa)acjxov und versteht es von dem ge- flickten Schuh des Choreuten. Man vgl. Kocks Bemerkung in der 4. Auf- lage. 1898. 6. Au der Schreibung von 683—684 hält Sonny fest Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) H

258 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

indem er eine Parodie nach des Euripides Alkmene (vgl. Kock zu v. 93) vermutet. Nur ßo(p[>apov könne dem Tragiker nicht angehört haben, was ich nicht zageben kann. 7. In v. 914 bedeute epei'öctv „mit An- strengung vortragen", was sich durch Wo. 1375, Ri. 627 anempfiehlt. 8. Für V. 1001 vermutet Sonny apei? (vgl. Ran. 378) statt a^sic, schwer- lich in glücklicher Weise. Ich bemerke schließlich, daß ich für das rasche Verständnis dieser Arbeit Herrn Hofrat Alfred Ludwig in Prag zu großem Danke verpflichtet bin.

Freerne, Komedie af Aristofanes, oversat af P. Petersen. Kopen- hagen 1894.

Dies ist eine dänisclie Übersetzung der , Frösche" mit drei Seiten Einleitung und einigen Anmerkungen.

J. van Leeuwen, Ad S. A. Naberum diera quo ante a. XXV munus acad. iniit laete celebrantem de Aristoph. Ranis ep. crit. Mnemos. NS. XXIV, 1896, p. 99 113.

Der erste Abschnitt dieser Abhandlung umfaßt 8 textkritische Vorschläge, die ich nicht billigen kann. Leeuwen liest in v. 48: aT:oSTf)}j.erc, v. 305 306: yj ''E|XTCouja 'fpo'Jor|. xaxojxoaov [xot xov Ata | vyj -cöv Ar. aufti? 7.ar6|jLoaov. vy) tov Aioc. In der unmetrischen Über- lieferung des V. 324: 'laxy', w roXuTiixT^TOt; £v söpai» evöaös vaiuiv, ersetzt L. TroXuTi|ji,T(^Toic durch TroXuu'fAvoi;. Meines Erachtens hat man nur das überflüssige und als Glossem eingedrungene h wieder zu entfernen. Ich lese also: TroX'jTtixrj :oic sopai? evilaös vai'wv, was einige Handschriften und auch Theodor Bergks Ausgabe darbieten. Bezüglich des auaklastischeu Schemas dieser loniker ist auf v. 330 zu verweisen: arEtpavov ix'jpxwv, i^paasi ö' £7/.aTa/po'j(i>v und bezüglich der Responsion auf 327: o^iouc ej i^iaacoxas und v. 344: cpXs7£xai öyj 9X071 Xsifxtuv, Überdies vgl. W. Christ in der Metrik 8. 497. In Ran. 554 schreibt L. Ttavd' TjjxicußoXtaia» V. 674: £7:1 ßocpriocpov i^ofJLEvr) ttixuXov, v. 925: [xop|j,ov(uxa, 1038: xov- xüivov EjxeXX' iirioiQCJEiv und die v. 609 611 xaXXoxpta gibt L. dem Tor- wärter und [XTj aXX' uTrEO'puä dem Dionysos, v. 612 wird gestrichen. Gelungen ist in dem zweiten Abschnitte die Erklärung einiger Stellen^ bei denen die scenische Aufführung zu berücksichtigen ist. In v. Sft erledigt sich nach Leeuwen die Nachfrage über Pythangelos durch eine wegwerfende Handbewegung. Die dreimalige Begrüßung yaip' <u Xapmv in V. 184 erklärt Leeuwen durch die Schwerhörigkeit des Alten. Die drei Begrüßungen sind mit wachsenden Stimmmitteln vorzutragen. Ich möchte dabei auch auf das mürrische Wesen des Charon Gewicht legen,, weil sich nur so das zu dieser Stelle angemerkte Citat aus dem Satyr- drama des Achaios vollständig erklärt. Daß Aristoph. in diesem Scherze nur zufällig mit Achaios zusammentraf, möchte ich Leeuwen nicht zu-

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 259

geben. A.nch halte ich die von ihm vorgeschlagene Zuweisung des ersten Grußes an Dionysos, des zweiten an Xanthias und des dritten an beide zugleich nicht für notwendig. Sehr beachtenswert ist die Auffassung des v, 257: oifiw^E-' . ou -/ap jxot \xi\ti: in malam rem abite; uon enim eure, quid de vobis fiat. L. schließt sich bei dieser Erklärung an Hermann an und liilJt bei dem oijxwCe-e den Dionysos sehr passend zu einem Scillase mit dem Ruder ausholen, t'berzeugend ist auch die Zuteilung der Worte: -plv xat ■{vpwh'xi in v. 1185 an Dionysos und zwar in spöttischem Fragetone, als hätte -plv cpüvai nicht mit AttoXäiov I97] zusammengehangen, sondern mit aTtoxreveiv. Weniger befriedigt die Bemerkuug zu v. 36, daß das Hans des Herakles nicht in Athen zu suchen sei, sondern anderswo; aber man könne den Ort nicht be- stimmen. Auch bei v. 301 stimme ich nicht mit L. überein, wenn er die Worte iH' 7]itep ep/si dem Dionysos zuteilt und an den Xanthias ge- richtet sein läßt. Richards in der Class. Review, XV, p. 389 meinte, daß Xanthias mit diesen Worten das zurückweichende Gespenst Empasa anspreche. Beides ist unrichtig. Vielmehr gibt Xanthias seinem Herrn in rascher Abfolge einander widersprechende und darum lächerlich wirkende Ratschläge.

Im dritten Abschnitte erklärt Leeuweu 'i-/rpa\ivi in v. 216 nach

Kuhnken als gnomischen Aorist. Da zur Zeit der Leuäen im Gamelion

die Frösche noch nicht quaken, sei die Fiktion natürlich, daß sie sich

zu dieser Zeit noch in der Unterwelt befänden. Dort erinnern sie sich

daran, daß sie am Chytrenfeste , also im Authesterion, im Dionysos-

bezivke zu quaken pflegen (v. 218). Die Auffassung, daß es sich hier

um die Seelen abgestorbener Frösche in der Unterwelt handle, lehnt

Leeuwen ab. Gut ist auch die Bemerkung zu v. 362 über Thorykion.

Dieser Mann habe seine Stellung als Eikastologos mißbraucht, um

Kriegskonterbaude von Aigina nach Epidauros zu schwärzen, und hierbei

sei er aufgegriffen worden. Aus der Steile sei nicht mit Boeckh-Fraenkel

(I^ p. 396 und Anm. 537) zu folgern, daß Thorykion Zollpächter in

Aigina gewesen sei. Ablehnen muß ich die Erklärung von uTie/cupTj^ev

Toü T^povo'j in V. 790. Leeuwen verweist auf v. 767 rapaytopsTv und gibt

ihm die Bedeutung: in sellam recipere. Aischylos mache dem Sophokles

neben sich auf dem geräumigen Throne Platz. Der Behandlung, welche

Kock dieser Stelle in dem Anhange zu seiner neuesten Auflage (1898)

des Stückes gibt, schließe ich mich ebensowenig an. Der Aufsatz

van Leeuwens bildet mit seiner Fortsetzung (s. d.) eine Grunllage

seiner im J. 1896 erschienenen Ausgabe der Frösche.

J. van Leeuwen, Ad Aristophanis Ranae. Mnemos. NS. XXIV, 1896, p. 330—344.

17*

260 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

Dieser Aufsatz ist äußerlich eine Fortsetzung der Abhandlung? Leenwens in der Mnemos. NS. XXIV p. 99—113, bezieht sich aber zum weitaus überwiegenden Teile auf die Scholien , die der Codex Venetus zu den Fröschen darbietet. Zu dem Texte des Aristophanes selbst finden sich nur 4 Bemerkungen. In v. 376 wird die La. y]pic7-:r,Ta' durch den Hinweis auf den Umstand verteidigt, daü die Athener, die nach Eleusis zogen, vorher ihr Frühstück einnahmen. Meines Erachtens muß man die wichtige Notiz des Philochoros bei Athen. 464 F, auf welche Blaydes hinweist, dazunehmen. Abzulehnen ist die Schreibung von v. 1102: o o iiravaoxpocpYiv Trotr)Tat | xal ETrepeiOTjTai Topüi; und die Zuweisung des süSaijjLojv ap' ^v in v. 1196—1197 an Aischylos, wobei dann L. gezwungen ist, das folgende si xal in oux zu verwandeln. Auch die Erklärung von V. 1296 kann ich nicht billigen, h. Mapaötüvo; bezieht L. auf die Schlacht bei Marathon, bei welcher Aischylos sein barbarisches phlattothratt von den Persern gelernt habe. i[jLovio!jTp69ou [lUyi seien ein- tönige und langweilige Lieder, wie sie am Brunnen beim Wasser- schöpfen gesungen würden. Aber ifiovioaxpomoc kann nur ein Seiler sein, der ein Brunnenseil dreht, nicht ein Arbeiter (uoaxrj-j-oc), der das Seil am Brunnen aufzieht.

Von den 23 Bemerkungen, die Leeuweu den Venetusscholien widmet, ist die Hälfte gelungen. Ich eitlere Vers und Zeile nach Dübners Scholienausgabe. Mau schreibe mit Leeuwen schol. v. 354 Z. 19: zU H-spTQ Suo <xal Tov |xev xopucpaiov Xi'itiy Ta> dvaKaiaxa und weiterhin Z. 22: ixspfiepiatai. schol. 384 Z. 49: aXXu); wc to. schol. 487 Z. 43: oixsiov xo aitoKav. schol. 554 Z. 9: loiw? km xoö dv' f^|jLiu)ß6Xiov iiüjXou|xevou. schol. V. 645 Z. 51 : ouxoj ^dp xal xo „ou |Ad M' Aiofxeioic" ei; auxov eXsujsxa'.. xtve? [xsv oxi Eavöia?, d'xe or^ 'HpaxXrj? xloic ojVjXivE? oh oxi Atovujo;. schol. v. 756 Z. 45 : auvj^Ya-cc st. siuT^Ya-ys, zu schol. 891 Z. 27 28 wird mit Recht bemerkt, daß dieses Scholion zu v. 889 gehört und sich auf die Interpunktion nach £u^o[jLai d£ot; bezieht. schol. 970 Z. 30: 1. xoüxo ^dp st. xov -[dp. schol. V. 1212 Z. .34 35 L. setzt vor xadeifxevo; den Schlußpunkt und nimmt es als Erklärung zu xdi^aTixo?, hingegen das folgende x6 ok ixEpto; xxX. zu xadaTTxoj. schol. v. 1400 Z. 37: Trpocpspeiv vüv st. 7:pocp£p6[X£vov. schol. V. 1413 Z. 14: ^dp IxEpa st. ixaxEpw. Den übrigen Verbesseruugs- vorschlägen vermag ich mich nicht anzuschließen. Beispielsweise er- wähne ich, daß Leeuwen schol. 122 Z. 47 ßpoytp st. ypovo) empfiehlt. Aber ypovw ist dadurch gerechtfertigt, daß andere Todesarten als weitaus schnellere dargestellt werden. Bei schol. 479 Z. 17 19 wundert sich Leeuwen darüber, daß er diese Zeilen dXX(u; TCEirXajxai in Rutherfords Ausgabe der Scholien des Ravennas nicht finde. Aber sie stehen nicht im Cod. R, wie ich in meiner Kollation der Ravennasscholien (1882

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.) 261

Wiener Studien) genau angegeben habe. Nach i}£ov empfiehlt L. ein Fragezeichen. Aber dieser Interpunktion widersprechen die folgenden Worte des Scholiasten: toüto oe «jc ev xtujxtpoi'x zeTrXao-rai, sc. oti oux ^v Oeo; 0 ^tovuao;. Unrichtige Ansichten eines Scholiasten zu verbessern, ist nicht Sache der Textkritik, Die Scholien 579—582 Z. 42—46 gehören nicht so zusammen, wie L. sie zusammensetzt. Das Schol. 582 findet sicli nach Dübners Angabe nicht in V, wäiireud Schol. 57U darin steht.

Ein Beispiel für den mehrfach unberechtigten Tadel, den L. gegen den Cod. K erhebt, um die Vorzüge des Cod. V in das schönste Licht zu stellen, gibt die Bemerkung zu schol. 886, Z. 17—19. Hier wird Cod. E wegen des Ausfallens zweier Scholien getadelt, die doch nach Dindort und Dübuer aucli im Cod. V fehlen. Die drei verschiedenen Notizen, welche diese Scholien enthalten, haben schon Dindorf und Diibner richtig auseiniindergelegt. AVegcn des Fehlens des Scholions 1235 Z. 12 13 wird R insofern mit Unrecht getadelt, als eine ganz ähnliche Bemerkung schon zu v. 1227 beigesetzt war, nämlich: a>Xa>c ojv/jaEi (sie) xfjV Xr,xu9ov xai aroSoc avtt ttj; «TroXüjXui'a;. Daß R das schol. 1235 Z. 14 17 auslässt, ist nur als Vorzug der Handschrift zu buchen, weil dieses Scholion unsinniges Zeug enthält. Ob L. zu schol. 1235 Z. 15 mit Recht d-oXXu.xa-. vorschlägt, st. dKooiooxat, ist mir zweifelhaft. Leeuwens Erklärung des Verses 1235 (vgl. seine Ausgabe) ist jedenfalls verunglückt, wie Kocks Anm. beweist.

In schol. 1245 Z. 43 ist nicht -po^iqpfjLoCe st. TrpoaeOrjxö zu schreiben. Auch hat dieses Scholion durchaus keine Wichtigkeit. Sein Fehlen im Cod. K ist also kein Nachteil.

E. Graf, Zu Aristophanes Fröschen. Philologus LV, 1896, p. 307—317.

Graf behandelt in 7 Absätzen mehrere Stellen der Frösche. In V. 20 wird die La. ipei gegen Cobets und Meinekes ipw in Schutz ge- nommen. Zu der allgemeinen Bedeutung von TpdyrjXoc verweist Graf auf einen analogen Gebrauch von öeprj bei Aischyl. Ag. 329 Weil. Bei der Erörterung der Prügelprobe v. 643 ff. lehnt Graf es ab, mit Kock und Velsen eine Lücke anzusetzen oder mit Zielinski umzustellen. Graf sucht vielmehr zwei Rezensionen dieser Partie zu unterscheiden, indem er davon ausgeht, daß im jetzigen Texte 7 Hiebe beschrieben: werden, 3 für Xanthias und 4 lür Dionysos und zwar so, daß jetzt Dionysos zweimal hintereinander an die Reihe kommt. Die erste Re- zension soll aus den Versen 642 661, 668 673 bestanden haben; die zweite Rezension ging nach Grafs Ansicht auf Steigerungen und Ver- gröberungen aus und bestand aus den vss. 042 658, 662 673. Auch

262 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Hoizinger.)

die 3 Sklaven der vss. 608 609 gehören dieser Kezensiou an. Dieses Problem verdient jedenfalls Beachtung, mag man sich vielleicht auch anders entscheiden. Mit Sicherheit würde ich bei der Behandlung der Eingangscene den Gedanken ablehnen, daß der Dichter durch den Esel an Seilenos erinnern wolle, während Graf doch zugibt, daß zwischen Xanthias und Seilenos nicht die geringste Ähnlichkeit bestand. Ein Tragtier ist notwendig, um die beiden Reisenden als solche erkenn- bar zu machen, und daß der Komiker zu diesem Zwecke einen Esel dem edleren Rosse vorzieht, ist wohl leicht zu begreifen. Richtig ist Grafs Bemerkung, daß der Herr darum zu Euß geht, während der Sklave reitet, weil Dionysos die Rolle des Herakles spielt. Bei den vss. 26 29 vertritt Graf Hamakers Athetese. So auch Leeuwen. Ich be- trachte diese Verse mit Kock als erklärbar, halte aber an der Schreibung des Rav. ovo; (nicht: oovoj) fest, weil hierdurch ein auf einem Doppel- sinn beruhender megarischer Spaß gewonnen wird. Für den Refrain des Froschchores v 209 if. verlangt Graf die Schreibung ßpey.exy.exe^ und schafft dadurch allerdings mit Bentley jambische Dimeter, Er bezeichnet es als „hart", „wenn an diesen Stellen fortwährend trochäische und jambische Maße wechseln". Aber der Wechsel zwischen diesen Maßen ist hier so wenig hart, an andern Stellen der Dramatiker. Dazu kommt, daß man die treue Nachahmung des Naturlautes der Frösche nicht stören darf, der nun einmal keinen jambischen Tonfall hat. In der Scene V. 830 870, in welcher der Kampf zwischen Aischylos und Euripides festgesetzt wird, sucht Graf zwei Rezensionen und zwar ,,gauz ver- schiedener Tonart" nachzuweisen. ,,Eine spätere Zeit (!) wollte die vielen Kraftworte nicht mehr hören (!). Das grandiose Bild des erst schweigenden, dann wetternden, zuletzt würdig redenden Aischylos schwindet und die beiden Dichter treten uns mehr auf gleichem Niveau entgegen." In diesem Sinne hat Graf „die beiden Schichten" von- einander abgehoben und hat beide ,, Rezensionen" hintereinander abge- druckt, so daß man über seine Absicht nicht im Zweifel sein kann. Aber überzeugt haben mich hier Grafs Ausführungen um so weniger, als er einen bedeutenden Zeitraum zwischen beiden Rezensionen anzu- nehmen scheint.

F. Blaß, Zu Aristophanes' Fröschen und zu Aischylos' Choe- phoren. Hermes XXXII, 1897, p. 149—159.

Es ist mehr als ein Dutzend Stellen der Ranae, welche Blaß meines Erachtens mit wechselndem Glücke behandelt. Beachtenswert ist für V. 269 der Vorschlag: uapa|^aXoü xw xcomtu st. t({) xtunicü, interessant die Besprechung des Fragments aus den Myrmidonen, auf dem v. 932 beruht. Za v. 1235 erklärt er äi:68oc einfach als „gib zurück*', in

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzingor.) 2G3

V. 1163 wird die Überlieferung iXOeiv gegen Hirschigs ^xeiv in Schutz genommen. Der leitende Gedanke ist hier derselbe, der auch die Be- handlung der V. 1206, 1225, 1238 (1244) beherrscht, daß nämlich Aristophanes mit den Tragikercitaten gelegentlich sehr frei verfuhr. Die Citate v. 1291 uud 1294 betrachtet Blal.l als zusammengehörig und bezieht beide auf die unbestattete Leiche des Telamoniers. Die übrigen Bemerkungen werden wohl schwerlich Beifall finden. Blaß empfiehlt für Ran. 13 15: tov::£p <I)puvr/oi; | eitufte (oder ei'iofta) Troietv xal A'jy.iJt xa|X£i'|'i*-» | i^xsut) cpaptov exa-jroT' £v xojixujoia. Für V. 404 schlägt er vor: tj -(äp xarasyuajxsvov l~\ ^ümzi | xic' sureXsta -coSe to aavSaXiJxov xtä., wobei er auf Eur. Her. 201 f. opcüvra «op|jLia|X£vou; hin- weist. — In der Ode v. 680 mißt Blaß xovla; und fügt dafür ia v. 711 Ttc vor 6pT;xia ein. In v. 790: xdtxsTvoj uir£y(upr,3£v auru) toü öpci'vo'j er- klärt Blaß xax£rvo; als Aischylos und schreibt £r£/u»pYi7£v. Oder es sei der ganze Vers zu tilgen als Zusatz eines Verehrers des Sophokles. Weder die Textänderung, noch auch die Athetese halte ich für richtig. In V. 1227 wird airorpiü) als „kaufe ihm wieder-' erklärt. Schließ- lich verteidigt Blaß in v. 1384 das überlieferte ixeHöitc und schreibt in V. 1393: \ii.bs.'z, {xiÖEiTE.

A.Willems, Sur les Grenouilles d'Aristophane. Revue de l'in- struction publique en Belgique. tom. XL, 1897, p. 233 239.

Willems behandelt hier einige Stellen der Batrachoi. Er erklärt es für eine glückliche Eingebung van Leeuwens, daß er in v. 301 die Worte: iB' TQ-£p spyst und in v. 1185 das Tiplv xal ^Ei'ovfivat dem Dio- nysos zuwies. Auch stimmt er bei, daß uuEpEruppiaje in v. 308 mit Leeuwen nicht auf den Priester des Dionysos, sondern auf den xpoxwToj des Dionysos zu beziehen sei, der deutliche Spuren der Furcht auf- weise. Die Schreibung cptÄoTi[xoT£pa in v. 679 bezeichnet er als eine coirectio paluaris des holländischen Gelehrten. Hingegen an uE-aXov (V. 683) hält Willems fest. ettI [iapßapov eCoiaevt) TtetaXov sei eine Pa- rodie des Homerischen : 5£v6p£u)v iv r.exdXoiit. xa»)£Co(i£vyj 7:uxivo?(jiv, nur werde in der Odyssee (XIX, 520) von der Nachtigall gesprocl\en, Ari- stophanes aber handle von der Sprjxia /eXiowv und der als Barbar ver- spottete Kleophon habe ohne Zweifel eine stark entwickelte Unterlippe gehabt. Darum also -e-caXov, das nicht einfach ein Synonymura zu «puXXov sei. An rexaXov halte ich ebenfalls fest, ohne au die breite Unter- lippe Kleophons zu glauben. Au v. 655 i-d -portfi,«? 7' o-jösv; findet Willems mit Recht nichts auszusetzen; ebensowenig an v. 665, der dem Dionysos gehört und nicht dem Xanthias, in dessen Munde das Sophokles- citat unpassend ist. In v. 189 heißt: joü -f o'jvsxa „deinethalben" und ist als Grobheit Charons gemeint. Bei v. 730 ruppiai; billigt Willems

264 Bericht über die Literatur der griechiscLen Komödie. (Holzinger.)

die Erklärung des Scholiasten. In v. 839: «KepiXaXrj-o; sieht "Willems eine Bezeichnung für denjenigen, der der Überredung nicht zugänglicli ist. Ich halte das Wort für richtig überliefert, aber für unrichtig inter- pretiert. Zu den vss. 718 733 macht Willems unter Berufung auf Barclay, V. Head (bei den attischen Münzen p. XXVII) und auf Ba- belon in der Revue des Etudes grecques, 1889, II, 138 die Bemerkung, daß Aristophanes von der Emission der Goldmünzen des Jahres 407 und der Emission der Kupfermünzen des J. 406 spreche, nicht aber von gefälschten Goldmünzen. Schließlich hält Willems mit Recht den V. 1195 für gut überliefert und für leicht verständlich.

T; G. Tueker, Aristophanes, Frogs 1435 sqq. Class. Review XI, 1897, p. 302—303.

Tueker weist auf die zwei Auffühiuugen der Frösche hin und sieht in der Stelle 1435 1454 eine Kontamination zweier verschiedeneu Passungen. Beiden geraeinsam seien die Anfangsverse 1435 1436 und 1442 und der Schlußvers 1454 &. Dazwischen liegen 8 Verse der ersten Aufführung und 8 Verse der zweiten Rezension. Der einen gehören die vss. 1437 1441 und 1451 1453, hingegen der anderen die vss. 1443 1450. Für vs. 1438 empfiehlt der Verl, die Schreibung deptov apai statt ai'poiEv aupat, das doch offenbar eine Reminiszenz aus einer Tra gödie ist. Daß v. 1442 sich an v. 1436 anschließt, ist ohne weiteres klar, minder ist es die Folgerung betreffend die zwei Rezensionen. Tueker hat sich nicht entschieden, welche von beiden Rezensionen die erste und welche die zweite sein soll. Wenn die einen ernsten poli- tischen Wink enthaltenden Verse 1446 1450 der ersten Aufführung angehörten, wie durften sie bei der zweiten Aufführung wegfallen, da doch die eng anschließenden Worte des Aischylos 1455 1459 stehen blieben? Gehörten aber die vss. 1446 50 erst der zweiten Diaskeue an, wie paßten dann in den Ranae priores die vss. 1455 59 zu 1437 1441 und 1451 53? Bierauf gibt Tuckers Aufsatz keine Antwort. Kock hat dies alles schon vor mehr als einem Menschenalter in Er- wägang gezogen.

L. Radermacher, Zu den Fröschen des Aristophanes. Phi- lologus LVII, 1898, p. 220—230.

Richtig wird in v. 404 lizl -/sXwti erklärt. Bei karnevalistischen Festlichkeiten macht es immer vielen Leuten großen Spaß, wenn jemand recht abenteuerlich zerlumpt auftritt. Daß diese „Mode" in unsei'er Stelle „auf lakchos selbst zurückgeführt wird", sagt schon Kock, nur ist sein Ausdruck „Mode" unpassend. Daß ein solches Lumpenkostüm, nebenbei gesagt, auch billig zu stehen kommt, wird durch iz euxeÄöt'a ausgedrückt. Zu beachten ist auch bei dem Schwanken der mss. der

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 265

Vorschlag für v. 594 flf. : f,v dz 7:apaXT,p'ov aXwj r, \ xaxßaATjj xtX. , da der Scholiast zu 595 diese Foi-ra der hypothetischen Periode zu be- stätigen scheint. Gut ist auch die Bemerkung, daß es im v. 730 bei Tt'jppiai? vor allem darauf ankommt . daß nach alter Volksansicht die Rothaarigen einen schlechten Charakter besitzen. Nicht einverstanden bin ich hingegen mit der Behandlung der Parodos. In v. 340 streicht Radermacher 70p tjxsi xivotjjtov, setzt nach yepji einen Punkt und ein Kreuz. Mit rj-eips will er den Chor angeredet wissen, wlilirend "lax^' u) "laxys ein Ausruf sein soll wie in v. 325. Aber in v. 325 ist "Uxys kein Ausruf, sondern ein Anruf, der sich mit dem Imperativ eXHs ver- bindet. Den Parallelismus der Konstruktion, auf den sich Radermacher beruft, hat er also gegen sich. Zweifelhaft ist mir die neue Deutung der vss. 902 904. Aischylos, dessen Art schon vorher (v. 848) mit der eines Wirbelsturmes verglichen worden sei, falle (e[x-£j6vTa) über die Reden seines Gegners her, reiße sie mit Stumpf und Stiel (auTo- TzpejjLvou) aus der Erde (avaa-wvT") und fege (jujxsoäv!) die Bahn blunk (?). Für V. 929: pr^ixaft' i--oxpr,|xva empliehlt R. pufiiai)" i--oxpr,[xva. In den Versen 1195 llöti schreibt R.: euoat'iJLtov ap' ^v. | ^ xajrpa-r,- -,'rjaev 75 [xet 'Epajtvioou; bei der tTberlieferung (ä'p" rjv, si) vermißt Radermacher ,,filr die Bedingung die Form der Nichtwirklichkeit". Aber diese Form ist in der Überlieferung tatsächlich vorhanden, ohne daß es bei r,v nötig wäre, ap" in av umzuschreiben. In v. 775 bezieht Radermacher avtiX^Yitüv auf die Gregeureden einer kunstreichen Sticho- mythie nnd Xo^isfiol xal jtpo'fai auf den musikalischen Vortrag eines Chorstückes oder einer Monodie. Bei anderen Stellen der Schlußscene lasse sich ein Zusammenhang mit den Vorschriften alter Rhetoreu nach- weisen. So würden die Tautologie und die Einführung von Flick- wörtern bei Aristophanes als Fehler der Rede hingestellt. Die in v. 906 (ad-eia xal \i.r^-' sixo/a;) enthaltene Vorschlaft stimme mit demjenigen überein, was Aristot. rhet. 1406b und 1410b über sixwv und äjTsTov vorschreibe. Die vss. 978—979 -ws . . r.oZ . . zii enthalten nach Radermacher einen Rest älterer Topik und beweisen, daß auch in diesem Punkte Aristoteles (vgl. rhet. II, 23 ff.) nicht ohne Vorgänger gewesen sei. Ich beziehe in v. 906 sixov«; auf die attische Sitte (vgl. z. B. Aristoph. Av. 805—806), einen Gegner durch einen unfeinen Vergleich lächerlich zu machen, daher d~-tioL hier im Gegensätze zu sixo'va? steht. Diesen Ausführungen des Verfassers kann ich mich also ebenfalls nicht ganz anschließen.

J. A. Nairn, On the word -po-j^cXoufxsv (Aristoph. Ran. 730). Class. Rev. XII. 1898, p. 209.

Verf. erklärt die Form 7rpouaeXoü[j.£v als eine aus metrischen Gründen hervorgegangene Erfindung Porsons zu Aisch. Prom. 438 und

266 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (Holzinger.)

Ar. Ran. 730. Nairn verweist auf die Schreibung der Aristophanes- stelle bei Stob. 241, 37 (Mein. vol. 2, p. 84), wo 7:pouYeXoü|i.ev über- liefert ist. Da auch Hesych. die Glosse irpou^eXeiv ußpfCeiv hat, nimmt der Verf. dies zur Grundlage und konstruiert aus Tcpoo^sXoöfjLev für Aisch. und für Aristoph. die Schreibung upojiroSoüfxev. Nairn hat keineswegs übersehen, daß TrpoTnoooüfiev eine bisher noch unbelegte Wertform ist und daß die gleichartige Entstehung desselben Fehlers in den Texten beider Autoren certainly curious ist, aber abgeschreckt hat ihn dies, wie man sieht, nicht.

F. Blaß, Zu Aristophanes' Fröschen. Hermes XXXVI, 1901, p. 310—312.

Blaß bringt einige Vermutungen zur Erklärung und Textver- besserung der Frösche, die vielleicht keinen durchschlagenden Erfolg haben dürften. Er schreibt in v. 818 mit dem Vaticanus U (Urbinas 141, saec. XIV) u^'tXo'^ajv statt ti::roXocp(üv, in v. 819 a[LiXtu\i.aTozpyrj St. (j|xiXeu(JLaTa t spytuv (Rav.). In irapa^ovia, das er zu vei'xr) bezieht, sieht Blaß einen „gewissen Gegensatz zu G^'tXo'fwv" und sagt: „Hoch zu Roß stolzieren Aischylos' große Worte; Euripides' subtile, seine r/ivSaXafjLot, fliegen niedrig an der Erde herum, bei einem homerischen Wagenkampfe also an der Achse und den Rädern." In v. 826 be- trachtet er mit Kallistratos XiacpY] als Substantiv = Orjptotov Xstttov c^oSpa und schreibt infolgedessen mit dem Cod. Venetus: YXwaaav iXiajoixevirj ,d. h. die Zunge schwingend oder wirbeln lassend." Aus Anlaß des V. 1082: xal cpaaxouja; ou ^f,v xo ^^v behandelt Blaß auch das Fragm, Eur. 833 aus dem Phrixos (Nauck TGF^):

TIC 8'otSev ei C^v xoöö' 3 xexXrjxai davsiv, x6 C^v 6e OvTQdxeiv eaxi; uXvjv ofito? ßpoxiov vojoüaiv Ol pXeirovxsi;, oi ö'^XcoXoxec ouoev voaoüfftv oo6£ xexxYjvxat xaxa.

Sehr richtig sagt Blaß, daß die Verbindung beider Gedanken durch tcXy)v ofxtu; nur dem Scheine nach vorhanden ist. Blaß ersetzt ofjLcu; durch v6[X(j> und weist auf eine ähnliche Text Verderbnis bei Erapedokl. 345 f (43 f. Stein) hin. Sodann zerteilt Blaß das Fragment in zwei zweizeilige Fragmente, zwischen denen eine Überschrift, wie etwa toü auxou ausfiel.

* Michelangeli, L. A., Emendamento al teste d'Aristofane, Rane vss. 815—816. Bolletino di filol. class. VII, 1901, 12, p. 279—281.

Beriebt über die Literatur der griecbiscben Komödie. (Holzinger.) 267

V. Brugnola, Uno sguardo alla questione sociale ed al femminismo in Piatone ed Aristofane. Atene e Roma II, 1899, p, 164 175. Der Verf. gibt als seine Absicht an, er wolle die Leser der Zeitschrift darauf aufmerksam machen, daß die sozialen Probleme der Magenfrage und der Frauenfrage schon im griechischen Altertum und zwar in Piatons Staate und in des Aristophaues Ekklesiazusen behandelt worden seien. Auf die Philologen von Fach ist die populär gehaltene Abhandlung offenbar nicht berechnet. Nach dem Verf. wäre es Sokrates gewesen, der eine höhere Meinung über die Stellung der Frau zu fassen anfing. Durch die sokratische Schule sei dieser Gedanke verbreitet worden. Hiervon sei Euripides ein Beweis, der zuerst die Liebe als ein Hauptelement des Dramas verwertete. Piaton sei in seiner Politeia im Feminismus noch viel weiter gegangen. Seine diesbezüglichen Vor- schläge und ebenso auch seine kommunistischen Reformen habe er für durchführbar gehalten. Über Piatons Ansichten seien die Konservativen milWergnügt gewesen und der Ausdruck dieser Richtung seien die Ekklesiazusen des Aristophanes. Daten anzugeben vermeidet der Autor durchwegs. Bezieht sich seine Bemerkung über Euripides, wie man billigerweise annehmen muß, auf den im J. 428 aufgeführten Hippolytos, so hätte dem Verf. auffallen müssen, daß der damals mehr als fünfzigjährige Euripides in seinem Gedankenkreise doch wohl nicht von einer „Schule" des erst vierzigjährigen Sokrates beeinflußt sein konnte. Ebensowenig sicheren Boden haben die Bemerkungen Brugnolas über die Ekklesiazusen.

* Het vrouwenparlement, overgebr. door Hallerstadt. 1901.

K. Zacher, Tongefäße auf Gräbern. Philologus LIIl, 1894, p. 323—333.

Bei der Erörterung der attischen Sitte, ein tönernes Gefäß auf das Grab zn stellen, sieht sich Zacher veranlaßt, die keineswegs in allen Einzelheiten klare Stelle der Ekklesiazusen v. 1106 IUI ausführ- lich zu behandeln. Richtig wird m. E. v. 1107 st:' aurtö up (jrojiaTi xr,; sicßoX^; als grobe Obscönität gedeutet. Auch die Annahme, daß •/.aTaui-Tu)3avTac von der Schwarzfärbung gesagt sei , scheint besser als die bisherigen Erklärungen. Hingegen zweifelt Zacher mit Recht selbst daran, daß jAoXußooyoT^savTa; und dvTt Xr,x'j{)ou (v. 1110 Uli) genügend erklärt sei.

Auch V. 1101 ruft noch nach einem Interpreten. Gelegentlich wird (S. 331) bemerkt, daß in dem ebenfalls umstrittenen Worte y.pouvoyuTpoA.r,pa[o; in den Rittern v. 89 (Zacher schreibt . . . xpouvoyuTpoXrjpaiov) wegen des Bestandteiles /u-po ein verächtlicher Sinn liegt.

268 Bericht über die Literatur der griechisclien Komödie. (Holzinger.)

J. A. Nairn, Note on Aristoph. Eccles. 502. Class, Rev. Xn, 1898, p. 163. Verf. empfiehlt, in v. 502 h-tj &el statt p.ic7£t zu schreiben.

E. Poste, Jnror-Panels at Athens, Class. Review VII, 1893, S. 196 beschäftigt sich mit Aristoph. Ekkl. 682—691.

D. Comparetti, Intorno alle Ecclesiazuse di Aristofane. Atene e Roma III, 1900, p. 73—91.

Der Aufsatz Comparettis ist als literargeschichtliche Einleitung zu August Pranchettis Übersetzung der Ekklesiazusen („Donne a par- lamento", Cittä di Castello, Lapi.) geschrieben. Comparetti setzt die' Ekklesiazusen auf die Lenäen des J. 392 a», gibt eine Übersicht des wesentlichen Inhaltes des Stückes, teilt es in Scenen ab, kritisiert es als ein Frauenstück im Vergleiche mit der Lysistrata und den Thes- mophoriaznsen, dann vergleicht er es vom Gesichtspunkte der „mittleren Komödie" mit dem Plutos, vertritt die Selbständigkeit der Idee des Dichters gegenüber Piatons Politeia, der ei- eine um einige Jahre spätere Abfassungszeit zuweist, stellt überhaupt jede polemische Beziehung auf Piaton in Abrede und bezeichnet die Ekklesiazusen als das schwächste unter den erhaltenen Stücken des Aristophanes, wenngleich die utopistische Idee der Weiberherrschaft an Kühnheit der phantastischen Konzeption mit der Idee der „Vögel" wetteifere. Daß Aristophanes aus diesem der politischen Behandlung so zugänglichen Stoffe kein Stück nach dem Muster der altattischen Komödie geschaffen habe, zeige mehr als alles andere den Verfall der athenischen Verhältnisse und der poetischen Schaffenskraft des Dichters. Das Auseinanderklaffen der zwei Teile der Komödie, deren erster nur die Frauenherrschaft, der zweite hingegen den Kommunismus behandle, ferner das Zurücktreten der Praxagora in dem zweiten Teile wird eingehend besprochen. Als Einleitung zu einer Übersetzung der Ekklesiazusen ist diese Abhandlung jedenfalls am richtigen Platze.

T. Quinn, The Plutus of Aristophanes edited with introductiou and notes. London 1896.

T. Quinn. The Plutus of Aristophanes translated into English prose witli an introduction. Loodon 1896.

Die beiden Bändchen enthalten nicht bloß denselben Stoff wie Quinns bei B. Clive, London 1889 erschienene Ausgabe, sondern sind ein unveränderter Abdruck dai'aus. Nur ein kurzer Index der Anmer- kungen ist hinzugekommen. Der zu Schnlzwecken castigierte Text be- ruht auf der Ausgabe Theodor Bergks. In der Einleitung, die das Wissenswerteste über Aristophanes enthält, wäre manches zu ändern

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 269

gewesen. So liest man auf S. 6, daß alle Fragmente des Aristophanes kurz sind und des Interesses gäuzlich entbehren. Wenn es auf H. 10 heißt, daß man im Plutos mehr Anspielungen auf die großen geschicht- lichen Ereignisse der dem Drama vorangegangenen zwanzig Jahre er- wartet hätte, so ist dies eine Bemerkung, die aucli nicht jeder unter- schreiben wird. Geradezu auffallend ist der Irrtum Quinns (p. 17), Aristoteles lehne in der Poetik (c. 3) die Ableitung des Wortes x(u|i.(ü8ta von x(u}i.oi ab und halte es mit den Dorieru, die es mit y.u»[j.Ti in Ver- bindung brachten. Die in Prosa geschriebene Übersetzung ist leicht verständlich. Bei v. 809 fiel mir auf, daß der Übereetzer ra jxeudfpia mit „Utensils'- wiedergibt. Hickie (London, Henry G. Bohn, vol. II, S. 725) hatte schon im .1. 1852 richtiger übersetzt: „all our v esseis are füll of silver and gold".

N. Nie Olsen, The Plutus of Aristophanes. Boston 1898.

Nicolson reproduziert den Text von Velsens und gibt die Ein- teilung des Stückes in Akte und Scenen nach Hemsterhuys. Das nett ausgestattete Büchlein ist mit einigen Abbildungen nach bekannten unteritalischen Vasenbildern geschmückt, die jedoch, wie der Verfasser selbst angibt, mit dem Inhalte des Plutos in keinem unmittelbaren Zu- sammenhange stehen. Die kurzen Fußnoten stellen zumeist einen Auszue aus den Scholien dar, die bekanntlich zum Plutos besonders reichlich vorhanden sind.

A. Pranchetti, Le guarigioni. di Asclepio. Atene e Roma III, 1900, p. 144—149.

Unter diesem Titel ist ein Teil der Übersetzung des Plutos ab- gedruckt, welche A. Franchetti durch diesen „Ausschnitt" den Lesern des Blattes ankündigt. Der Abdruck umfaßt die Verse 627—770. Die beigegebenen Fußnoten stammen von D. Comparetti. Grundlage der Übersetzung ist Velsens Text.

Der Titel der Übersetzung lautet:

* Pluto tradotto da A. Franchetti con note di D. Comparetti. Cittä di Castello 1898.

R. Peppmüller, Zur vierten Hypothesis des Aristophanischen Plutos. Philologus L, 1891, p. 582.

Peppmüller behandelt die Stelle der vierten Hypothesis zum Plutos: [y-a'i] 'ov u'iov aüToü au3Trjaai 'Apapoxa [St' aux^c] xoli Oeaxai; ßouX6|xevo;, ta OT.oXoir.j. oüo 8t' exetvoti xa&^xs, KtuxaXov xat AtoXo5ixu>va. Die Interpunktion und die Klammern habe ich hier nach der zweiten Auflage der Dindorfschen Poetae scenici gr. (18) gegeben. Peppmüller sagt: „alles ist in der Ordnung, wenn man 8i' auxulv schreibt. Da

270 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holziager.)

Aristophanes diese Komödie den Plutos als letzte unter seinem eigenen Namen aufgeführt hatte und nun seinen Sohn Araros dadurch dem Theaterpublikum vorstellen (empfehlen) wollte, so ließ er seine beiden letzten Dramen, Kokalos und Aiolosikon, durch jenen iu Seene gehen." Daß diese Beziehung des Pronomens auttov auf ein folgendes Beziehungswort grammatisch möglich ist, läßt sich allerdings nicht bestreiten. Aber die Einfachheit der Darstellung in diesem Scbolion und der Umstand, daß der Scholiast zuerst das Femininum xtujitüöta anwendet, späterhin aber an das Wort opotjxaxa denkt, machen mir diese Behandlung der Stelle wenig wahrscheinlich.

D. Marzi, Di un frammento della parte di Carione nel Pluto d' Aristofane conservato in una pergamena del r. Archivio fiorentino. Fivenze 1898.

In dem Archivio di State fiorentino, Diplomatico, Badia tior. . . 14 . . findet sich eine Rolle sehr feinen Pergaments, links von der Länge von 0,945 m, rechts von der Länge von 0,920 m, von der Breite von 0,114 m. Auf 132 Zeilen, welche auf der Rückseite des Pergaments mit einem spitzigen Instrumente gezogen zu sein scheinen, enthält dieses Pergament die Verse des Karion aus der Verspartie 722 1107 des Plutos und zwar in schönen, nur hie und d^ durch starke Abnützung verblaßten Schriftzügen, welche nach dem Kataloge der zweiten Hälfte des XV. oder spätestens dem Anfange des XVI. Jahrhunderts angehören. Außer der Beschreibung dieses Teiles einer Plutoshandschrift bietet Marzi noch eine auf der Grundlage von Bergks erster Ausgabe (1861) gearbeitete Kollation, welche jedoch in etwas unklarer Weise angefertigt ist. Da Marzi keinen Versuch macht, die Verwandtschaft des gefundenen Textes mit einer der zahlreichen bekannten Plutoshandschriften festzustellen, wird man seiner Ver- picherung, daß der neue Text nicht ohne Bedeutung sei und einige Konjekturen Bergks bestätige, vorerst mit einiger Skepsis begegnen. Bezüglich des Zwecks der Pergamentrolle spricht Marzi die wahr- scheinliche und interessante Vermutung aus, daß sie auf eine Bübnen- aufführung des Plutos in der Zeit des Humanismus hinweise, für welche die Rolle des Karion mit den Stich worten, auf welche er antwortet, herausgeschrieben worden sei.

W. G. Rutherford, Aristo phanica. Class. Review X, 1896> p. 98—100.

Der Verf. behandelt 10 Stellen des Plutos, darunter einige m. E. mit glücklicher Hand. vss. 49 50 werden athetiert. Sie .scheinen aus Schollen zu v. 48 zusammengeflickt zu sein. v. 146 und V. 205 erweisen sich ebenfalls als unecht. In v. 205 beweist die Kon-

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 27 1

struktion von tU rr^w oixiav deutlich, daß dies eine Erklärung zu dem vorangehenden ei;6'j; ist. Bemerkenswert ist die Behandlung des v. 1083- <jtJj p.üpt'u)v eTtöv -je xal TpuytXituv. Trotz des bisher angenommenen Doppel- sinnes von ETÜiv liegt doch in dem Gtto eine Schwierigkeit. Rutherford schreibt daher: uzo yiXi'tuv -/e tcüvSe xal Tpic|j.uptcuv und gewinnt dadurch wieder eine Stelle, welche die Abschätzung des Fassunu:sraumes des Dionysostheaters bei Piaton Sympos. 175 E (und Philemon frag. 89 Kock Stob. flor. 2,27) bestätigt. Nicht überzeugt hat mich die Athetese der vss. 709 (wjTiep r/w) und 897 (ettei rpi^^cuviov), weil die Stellen durch die Streichung dieser Verse unverständlich werden. Auch den V. 848 ganz zu entfernen, scheint unnötig. Ich emiifinde nur das xal TaÜT7. als störend, weil schon die Worte des AlK. mit xal xaÜTa be- gonnen hatten. Auch die neue Personenverteilung in den vss. 61 66 und 367—370 hat nicht meinen Beifall. Rutherford gibt dem XP. nicht bloß v. 64, sondern auch das folgende zl ]xr] ^pajsi; vap, hierauf folgt: KAP. arJj a oXtu xaxov xaxtoc XP. tu xav DA. araXXay{h)Tov dx:' ep.oü. XP. -tu^iaXa. In der andern Stelle schreibt der Verf. v. 368: dXX' exriv £;:tor)Xov xi 7iej:avoup7Tiy'; XP, o xi; | 3U |i.£v xxX. Schließ- lich erwähne ich, daß Verf. in v. 531 xal xw xi TtXeov tiXo'jxciv euxat xouxtuv TTütvxiüv d-opoüvxt; liest. Durch das doppelte Fragewort wird dieser Vers m. E. allzu unruhig.

F. Allegre, Aristophane. Plutns, vers 521. Revue des ötudes grecques X, 1897, p. 10 13.

Die Penia sucht den Chreraylos davon zu überzeugen, daß, wenn alle Menschen in gleicher Weise reich wären, dies nicht ein beneidens- werther, sondern ein unglücklicher Zustand wäre, in welchem das Elend allgemein würde. Auf die einzelnen Sätze der Penia antwortet Chremylos mit Gegenargumenten, deren Nichtigkeit sofort in die Augen springt. Aber formell wenigstens suchen seine Antworten den Thesen der Penia zu entsprecnen. Auf die Frage der Penia, wieso man sich Sklaven verschaffen werde, antwortet Chremylos im v. 519, man werde sie kaufen. Auf die Frage, wer denn Sklaven verkaufen werde, wenn er reich genug sei und den Kaufpreis nicht benötige, antwortet Chremylos im V. 521: xspöaiveiv [-iouXoixevoc xtc | e'jXTropo; y*^"^'' ^^ ösxxaXiac T:apa rXei'axtuv dvopa::ooiax(uv. Allegre macht nun mit Recht darauf auf- merksam, daß in dem ttXsioxcuv, welches die Handschriften darbieten, kein Moment enthalten ist, welches als Replik auf die Worte der Penia aufgefaßt werden könnte. Er bespricht dann zutreffend die vor- liegenden Konjekturen und zeigt, daß z. B. die La. dTrtaxwv, welche schon der Scholiast gekannt zu haben scheint, nicht dem oben darge- legten Gesichtspunkte entspricht, indem die d-taxia der Thessalier zwar

27'J Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

sprichwörtlich gewesen sei, aber bei dem Gedankeiigauge des Ge- spräches nicht iu Betracht komme. Letztere Forderung findet er unter sämtlichen bisher vorgeschlagenen Textveränderungen nur durch Hemster- huys' Tap' dTrXr,aT(üv erfüllt. Wenn aucli ein Thessalier reich wäre, so würde er dennoch Sklaven verkaufen, weil die Thessalier, als Nicht- Hellenen, unersättlich habgierig wären. Die Auseinandersetzung Allegre's ist gewiß lesenswert. Velsens irapa -' aXXwv avopa-ootsKov entspricht zwar meines Erachteus vollkommen genug den Bedürfnissen des Zu- sammenhanges, aber au Leichtigkeit der Erklärung des entstandenen Fehlers kann e^; sich mit itap' aTiXr^jTcuv iiicht messen.

G. E. Marin diu, The date of the temple of Asklepios at Athens. The Classical Review XII, 1898, p. 208.

Der Verf. schließt aus schol. Plut. 621, Vesp. v. 121 ff., ferner aus CIA II, 1650. 1649, 1442 und aus Timokles frag. com. Kock II 454, daß der Tempel des Asklepios im Piräeus zwischen 422 und 388, hingegen das 'Aj/XYiTrisTov Iv aa-si erst einige Jahre nach 388 durch Telemachos aus Acharnai errichtet worden sei. Zwingend ist letzterer Schluß um so weniger, als sich der Verf. mit der neueren deutschen Literatur nicht auseinandersetzt. Vgl. Thraemers Artikel über Asklepios bei Pauly-Wissowa, II 1664. Bei Marindiu findet sich weder eine Bezugnahme auf den Paean des Sophokles, noch auf den Archonten Astyphilos, auf dessen Amtsjahr (420 v. Chr.) A. Körte (Athen. Mitth. 1893, XVIII, p. 249) die Errichtung des Asklepiosheiligtumes ev a^tei bestimmte. Daß im Plutos vss. 621 ff. das muuichische Heiligtum ge- meint sei, sagt Körte ibid. p. 250. Bei einiger Kenntnis der ein- schlägigen Literatur wüide Marindin auch wohl nicht blolj im allge- meinen behauptet haben, that the 'AtJxXYiTrtstov ev as-cst was built at some date after 388, sondern würde wohl speziell das Jahr 381 als Datum für die Errichtung des Heiligtumes ins Auge gefaßt haben, da

gerade auch für dieses Jahr ein Archontenname auf Xoc

(CIA II 1649 Z. 12), nämlich Demophilos, zur Verfügung steht. Es würde sich dann im Weiteren darum zu handeln haben, ob jener Telemachos aus Acharnai, von dem das Sprichwort TrjXcfxayou yuTpa ging (Athen. IX, 407), mit dem Begründer des Asklepioskultes ev a(jTei identisch war. Da Timokles in den Ikariern den Telemachos aus Acharnai gleichzeitig mit dem Redner Hypereides erwähnt, könnte sein Spott leicht gegen einen verarmten Nachkommen oder Verwandten (Enkel?) des wahrscheinlich wohlhabenden und angesehenen Begründers des Asklepioskultes ev aa-ret gerichtet sein.

U. V. Wilamowitz-Mölleudorff, Lesefrüchte. Hermes XXXIV, 1899, p. 224 (Zu Aristoph. Plut. 1028—1030).

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 273

J. Oeri, Zu Aristophanes' Plutos 1028— 1030. Hermes XXXIV, 1899, p. 640.

Die Frage, wohin das Scholion R: Ulzi-v. lyor,^ zu beziehen sei, welches oberhalb des v. Aristoph. Plut. 1030 interlinear vermerkt ist, hat schon manchen beschäftigt. Velsen war der Meinung, daß die

zweite Hälfte des v. 1030 ocxaioj £jt e/Eiv ehemals lautete:

jjl' (iotxoüvTa xovo' eyeiv. A. v. Bamberg (exerc. nov. in Plut. 19) wollte V. 1030 streichen. Ihm gegenüber verteidig't v. Wilamowitz die Echtheit von 1030 auf Kosten des v. 1028, den er für ,, falsch" er- klärt. V. 1028 sei ,,aus 1030 geflickt", und als er noch nicht existierte, gehörte das Scholion llltl-ti iyo^i'^ zu v. 1029. Zu 1030 wäre also dieses Scholion nur irrtümlicherweise geraten, v. Wilamowitz meint: „Das Scholion ist also älter als der Vers, der eben denselben Anstoß beseitigen sollte. Das ist für die Beurteilung unserer Überlieferung so wichtig, daß ich es hervorheben wollte." Einer der durch diese Ausführungen nicht Überzeugten ist Oeri. Er bezieht das Scholion ebenfalls zu dem v. 1029; nur meint er, daß man v. 1030 als weinerlich entrüstete Frage der alten Frau las und daß nach v. 1028 eine stärkere Interpunktion gesetzt war, „so daß der mittlere Vers (1029), auf den allein das Scholion gehen kann, gewissermaßen in der Luft stand." Ein |x' liest Oeri sowohl in v. 1029 vor avTsuroiöiv, als auch in v. 1030 vor d-^atlov.

III. B.

a. Über Parepigrapliae bei Aristophaues nnd in den Aristophanesscholien.

In meiner im Jahre 1883 erschienenen Schrift „Über die Parepi- graphae zu Aristophanes" sagte ich S. 19: „Parepigraphae sind alte Interlinearbemerkungen scenischen Inhaltes." Auf der Grundlage von Einzelheiten stellte ich nun einen Beweis dafür zusammen, daß schon in den attischen Exemplaren aristophanischer Komödien, also schon im vierten und fünften Jahrhundert zahlreiche derartige Parepigraphae vorhanden waren, so daß, was wir jetzt davon besitzen oder erschließen können, sich nur als ein geringer Rest darstellt. Die aristophanische Komödie war nämlich im Vergleiche zu einer Tragödie ungemein reich an Bühnenhandlung. Zudem trat dieselbe vielfach unerwartet ein, weil das Unerwartete zum Wesen des Komischen gehört. Dazu kommt, daß Aristophanes die Regie seiner Stücke häufig nicht selbst führte, während ältere Dramatiker ihre eigenen Regisseure waren. Aus solchen Gründen wäre es verständlich, wenn Aristophanes manche seiner Stücke sogar mit Regiebemerkungen ausgestattet hätte. Man vgl. S. 21, 25, 60 meiner Abhandlung. Eine Parepigraphe wie die zu Thesm. 130: oXoX'j^st wäre gut genug für Aristophanes selbst, weil sie etwas Neues lehrt, was der

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd CXYI. (1903. I.) 18

274 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.)

Text nicht an die Hand gibt. Aber viele andere dergleichen Interlinear- bemerkungen scenischen Inhaltes, für welciie ich den Ausdruck „Regie- benierkung" vermied, waren bloß Paraphrasen des vorhandenen Textes und konnten daher unmöglich von dem genialen Dichter selbst her- stammen. Darum sagte ich S. 24, daß die Parepigraphae in ihrer Masse und somit als Institution nicht auf Aristophanes selbst zurück- zuführen sind und daß sie von ihm weder für die Regie des nur ein- mal aufzuführenden Stückes, noch auch von ihm für einen Leserkreis angefertigt sein dürften. Da ich nun aber das hohe Alter einer An- zahl von Parepigraphae nachwies und sie nun doci) von einem genauen Kenner der Aufführung herrühren mußten, sprach ich S. 25 ihre Ab- fassung „einzelnen Verehrern der a)istophanischen Muse" zu. Während nun einige meiner Vorgänger, wie z. B. Dindorf, die Parepigraphae, selbst wo sie im Texte erhalten waren, aus dem Texte entfernten und schlecht behandelten, hat v. Wilamowitz im Herakles I., S. 125, das- jenige, was die Hauptsache in meiner Darlegung ausmacht, nämlich den Nachweis des hohen Alters der Gattung der Parepigraphae zu Aristo- phanes vou mir übernommen und es war daher nicht in der Ordnung, daß er meine ,, Erklärungsart" als ,, freilieh fast lächerlich" bezeichnete. Wenn v. Wilamowitz mir mit der Behauptung entgegentritt: ,,un- möglich würde sich eine Kegievorschrift in der nur ausnahmsweise wiederholten Komödie häufiger finden können als in der Tragödie", und weiterhin sagt, Aristophanes habe diese Parepigraphae selbst für seine Leser geschrieben, so wäre ich in besserem Hechte, eine solche ., Erklärungsart" als ,, freilich fast lächerlich" hinzustellen, weil ich eine solche „Erklärungsart" mit guten Gründen von vornherein widerlegt hatte. Wenn es z. B. bei Aristoph. Pac. 256 heißt: o'jToai aoi xov- ouXos, so wird Aristophanes natürlich nicht für die Regie zumal er sie gerade tür die Eipr^vYj selbst führte, die Bemerkung aufge- schrieben haben: ,,Er gibt ihm eine Ohrfeige" (Wilamowitz a. a. O. S. 125) Aber ebensowenig kann der geistreiche Dichter selbst mit einer so überflüssigen Notiz etwa für minderbegabte Leser gesorgt haben. Hingegen ein attischer Orammatist, der das Stück gesehen oder von der Aufführung gehört hatte, oder einer seiner Schüler, oder auch ein Schauspieler, kurz irgendwer anders als Aristophanes selbst, befand sich seinem Texte gegenüber in einem ganz anderen Falle. Einem Liebhaber konnte daran gelegen gewesen sein, sich die ehemalige Auf- führung mit der Feder in der Hand genau vorstellig zu machen. Auf Aristophanes selbst jedoch konnten nur einige besondere Einzelheiten dieser Art zurückzuführen sein, wenn er sich etwa während des Dichtens einen guten Einfall für eine komische Darstellung vielleicht unwillkür- lich zwischen den Zeilen notierte, etwa v/ie obiges oXoXu^si.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 275

V. Jernstedt, Über den Dekorationswechsel in den Thesrao- phoriazusen des Aristophanes. SA. aus: ^TS'pavo;. Sammlnng: von Auf- sätzen zu Ehren von Th. Sokoloff. 1895, S. 153—166. (Russisch.)

Jernstedt bespricht zunächst die Ansichten von Brunck, Geppert, Fritzsche, Enger, Droysen, Schönborn, J. W. Wliite (Harward Stud. 1891, p. 200) über den Dekorationswechsel in den Thesmophoriazusen; i'[(o 0 arsipii (v. 279) werde noch vor dem Hause des Agathon ge- sprochen, dagegen v. 280 vor dem Thesmophorion. Der Dekorations- wechsel linde also, wenn überhaupt, (J. leugnet es S. 159) nach ettou V. 279 statt. Die thrakische Magd sei nicht wirklich in Person an- wesend zu denken! Um so komischer sei das Spiel des Mnesilochos! Letzteres ist für mich durchaus unannehmbar. Jernstedt meint nun weiterhin, dal.l, wenn das Scholion 277 laute: rapcTrqpatpT^. exxuxXeixat £7:1 T'j £;a> to f)£j[xocpoptov, so habe man unter -apETrqpacprj den v. 277 selbst, nämlich: £XJ7:£U0£ Ta/Ew^* u>i to trjc £xxAr|3iac I jrjfxerov ev Tip 0£a|jLO9opeup cpaivstai zu verstehen, insofern dieser Vers (!) ein scenisches Ereignis ausdrücke. Das schol. 277 umschreibe diese Bühnenhandlung durch die Worte: £xxuxX£tTai iizl to zlio to Ö£0|xo96piov. Die zwischen den vss. 276 und 277 überlieferten Worte seien daher nicht eine Par- epigraphe, sondern Reste eines verderbten Trimeters. Diesen stellt Jernstedt in folgender Weise lier: ouok 6£-/o|xat tov opxov. ETP. a> 'rtÄiioxaTe. Aus diesen Worten sei durch Wegfall von Buchstaben, Ver- stümmelung, A'erlesung und Mißverständnis dasjenige entstanden, was jetzt zwischen den Zeilen überliefert sei: oXoXu^ouai t£' kpov wdeiTai. Denn der Abschreiber habe sich eingebildet, daß diese Worte eine alte Parepigraphe darstellen. Da nun die Behandlung dieser Stelle der Thesmophoriazusen vorzugsweise gegen meine Schrift „Parepigraphae" gerichtet ist, nimmt Jernstedt noch Veranlassung von schol. Plut. 8 zu sprechen, auf das ich S. 47 als auf eine schwierige Stelle aufmerksam machte. Jernstedt liest dort einfach 7rapa7pacpY^ statt TrapE-i-cpa'fK], in- dem er meint, daß es bei v. 8 zu xal tolZtol ]j.£v öt] xaü-a keine Ver- anlassung zu einer ^lapeirqpacpY^ gab.

Ich kann mich nun nach diesem Referate über die Abhandlung des kürzlich verstorbenen Jernstedt wohl damit begnügen zu sagen, daß es allerdings nicht schwer ist über die Parepigraphae zu einer anderen Anschauung zu gelangen als ich, wenn man das Material, auf dem meine Ansichten aufgebaut sind, so willkürlich ändert, wie dies Jernstedt tut. An den Resultaten meiner Arbeit würde sich indessen nichts ändern, auch wenn man von den 52 Stellen, die ich behandle, zwei oder auch mehrere wegzulassen hätte. Daß dies aber notwendig sei, hat Jernstedt nicht bewiesen. Zwischen den Versen Thesm. 276 und 277 fehlt im Zusammenhange der Stelle kein Vers. Also ist es unmethodisch, dort

18*

276 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie (Holzinger.)

einen Vers einzuflicken. Dann ist aber das verderbt überlieferte oXo- XuCouai T£' iepov (L&siTai jedenfalls eine Parepigraphe, mag auch ihre Form und ihr Inhalt strittig sein. Und was schließlich schol. Plut. 8 anlangt, so hat Jernstedt manches, was ich S. 48 darüber sage, ver- nachlässigt. Will man nicht zugeben, daß sich hier eiue Parepigraphe auf einen Gestus bezog und ich habe diese Möglichkeit S. 48 meiner Abhandlung angedeutet so ist es immerhin bei der Überladung der ersten Seiten des Cod. ßavennas mit Schollen denkbar, daß diese Notiz über eine Parepigraphe zu einem ganz anderen Verse gehörte und durch Mißverständnis an einen unrichtigen Platz geriet. Dazu kommt, daß in den Ravennasscholien Tza^a-ipa^q nirgends die „ar.oihan X670U" be- zeichnet, wie Jernstedt im Hinblicke auf schol. Nub. 176, 1075 meint. Kapa-j-pa^r^ ist vielmehr in den Aristophauesscholien eine ,,mutatae pcr- sonae nota", wie Dübner im Index zu den Schollen angibt, wobei auf schol. Rav. 1432 und schol. Nub. 653 (adnotatio) zu verweisen ist. Auch dürfte man wohl behaupten, daß itapsTiqpa^V^ als Schreibfehler statt irapa-^pacpr^ an sich weniger wahrscheinlich ist. als etwa der umgekehrte Fall wäre. Schließlich ist daran zu erinnern, daß auch bei Thesm. v. 130 ein oXoXuCet als 7rap£Trt7pa9TQ erhalten und im Scholion dazu als solche bezeichnet ist. So stützen beide Stellen einander in jenem Zu- sammenhange, in welchem ich sie auf S. 20-21 meiner Schrift be- handelt habe. Und daß beide -irapsirqpa^ai zu Thesm. 130 und 277 nicht etwa vom Schreiber des Cod. R oder sonst von einem späten Byzantiner herrühren, sondern alte und schwer lesbare Interlinearbe- merkungen waren, ist daran zu erkennen, daß beide durch Abschreibe- fehler verunstaltet sind. (130: dkolü'Cei:; -/Iptov R, cf. Velsen.) Für das sichere Verständnis dieser Arbeit bin ich Herrn Hofrat Alfred Ludwig in Prag zu Dank verpflichtet.

K. Weißmann, Die sceuischen Anweisungen in äen Scholien zu Aischylos, Sophokles, Euripides und Aristophanes und ihre Bedeutung für die Bühnenkunde. Progr. d. k. neuen Gymn. in Bamberg, 1896.

Der Verf. bespricht zahlreiche Schollen, welche über die handeln- den Personen, den Chor und über das Auf- und Abtreten derselben Angaben machen, ferner solche, welche über die Verteilung der Rollen und über die Art des Vortrags und des Spiels Auskunft geben, dann Andeutungen über die Handlung und die scenischen Vorgänge, schließ- lich über Bühneneinricbtung und Maschinerie. Nachdem der Verfasser dieses weitschichtige Material seinem Inhalte nach in fünf Abschnitten durchgesprochen hat, will er diese Scholiastenbemerkungen nach den Quellen, denen sie entstammen, in vier Klassen teilen. Er unterscheidet

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 277

derartige Notizeu, welche dem Texte oder der Situation entnommen sind, dann solche, welche von selbständigem Denken des Scholiasten zeugen. In einer dritten Klasse faßt Weißmann diejenigen Scholien- angaben zusammen, welche im Anschluß an spatere Aufführangen ge- macht sind und in einer vierten und letzten Klasse diejenigen, welche die „von den Dichtern oder Regisseuren zu dem Text augemerkten scenischen "Winke (-apsTiqpacpai)" enthalten.

Weißnianns Arbeit erstreckt sich auf die Scholien zu Aristophanes und zu den Tragikern. Sie zieht sowohl solche Scholienstellen heran, in denen das Wort -apt-q^a'^q vorkommt, als auch andere, in denen dieser Ausdruck nicht steht. Daß bei einer so umstrittenen Sache, w'ie es die Parepigraphae sind, auf diesem Wege der Untersuchung keine sichere Grundlage geschaffen wird, wird um so mehr klar sein, wenn ich hervorhebe, daß Weißmanu den Namen und das Alter des Codex, dem ein Scholion entnommen ist, nicht mitteilt. Den Namen irapeTitYpacpiQ erklärt der Verfasser dadurch, daß die scenischen Winke, weiche „ursprünglich alle im Text standen", von den Grammatikern ,,an den Rand" geschrieben wurden und daß sie ,.da auch erst den Namen -apsirqpa'fai" erhielten (S. 22). In analoger Weise vvird der Ausdruck rapsy-xux^ixa erklärt: ,,Die Anwendung des £xx6y.X7][xa ward zwischen dem Text durch den Namen der Maschine selbst angedeutet. Die Grammatiker setzten ihn au den Rand, wie die übrigen scenischen Bemerkungen, und so wurde daraus TrapsxxuxXrjjxot" (S, 27). Ebenso wird 7:apa-/oprj7rj[xa erklärt: Die „außergewöhnliche Leistung des Choregen" war ,.im Stücke selbst" bemerkt. „Erst die späteren Grammatiker haben solche, damals erst an den Rand gesetzte, Bemerkungen als rapot-/op757TrjlJ,aTa bezeichnet ... im Gedanken an den Ort, wo sie die Bemerkung fanden" (S. 31). Derartige Aufstellungen sind natürlich leicht zu entkräften, weil sie einfach sprachwidrig sind. Nicht so leicht sind manche andere BehaupiuDgeu des Verfassers zu widerlegen, denen gegenüber mau auf eiuem minder sicheren Boden steht. Wenn Weiß- mann z. B. glaubt, daß die Dramatiker den Namen der anzuwendenden Theatermaschine zwischen den Textzeilen angaben, also z, B. , ixxuxXrjixa " schrieben, so gibt es dagegen kaum einen förmlichen Gegenbeweis. Aber daraus folgt nicht, daß die Sache selbst sicher stehe. Wenigstens wird man die vom Verf. vorgeführten Stelleu, wie schol. Thesm. 277 (vgl. S. 24, 31, 53) nicht als Beweis für seine These gelten lassen dürfen. Und so bleibt die Sache unbewiesen und auch unglaubhaft, wie zuvor.

In der Abhandlung Weißmanns fehlt es übrigens nicht an an- sprechenden und ersprießlichen Bemerkungen. Manches davon darf ich den Berichterstattern über die Tragödie und über die scenischen Alter- tümer überlassen.

278 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

A. Müller, liap2vxuy.).r,[xa. Philologus LYI, 1897, p. 178—182. Der Verfasser hält an der Schreibung TcapsYxuxXrjixa fest, führt neuere Deutuugsversuche des Ausdruckes vor, schiebt die Ansichten Droysens und Weißmanns (1896) beiseite und geht in seinen eigenen Darlegungen von meiner Schrift ,,Über die Parepigraphae bei Aristo- pbanes", Wien 1883, S. 44 ff. aus. Dort hatte ich gelegentlich der Besprechung des schol. Nub. 18: Taüra Travta 7:ap£Yxuy.Xr,(xa-a xal irap- sTctYpatpai die Schreibung 7rap£y.xuxXv^|AaTa anempfohlen. Zugleich hatte ich eine für alle in Betracht kommenden Stellen gemeinsame Erklärung desWortes 7iap£xxuxXrj[xa samt einer Entwickelung seiner Bedeutunggegeben. Im Gegensatze zu meiner Deutung meint Alb. Müller, daß der Scholiast zu Nub. 18 unter x:ap£Yxux>.r,fi.a ,,eine von einer Handlung begleitete Einlage" verstand und daß üapa in dieser Zusammensetzung ,,das Zu- gesetzte, das über das Notwendige Hinausgehende" bedeute. Mich hat der Hinweis aufVesp. 699: £7x£xuxXY]C7a'., Vesp. 1475: £iax£x'j'x/.rix£v u. a. m. um so weniger überzeugt, als ja auch ich schon vor zwanzig Jahren den Gebrauch von xuxXsiv und seiner Composita, sowie den Ge- brauch von rapa nach allen Seiten hin erwogen und meinen Aus- führungen zu Grunde gelegt hatte. Meine Ansichten abermals vorzu- tragen, scheint mir hier nicht der Ort. Ein zweites Mal und zwar in etwas anderer Weise wird ebendieselbe Scholienstelle von

A. Müller in der Berliner phil. Wo. 1898, No. 45, Sp 1403 behandelt. Hier schlägt der Verf. vor, das Scholion zu Nub. 18 in zwei Sätze zu zerlegen und zu schreiben: -caüra iravTa T:ap£7xuxXy^|JLaTa" £ial xal ■Kapem-(p7.^'xi. Alb. Müller scheint hier die mich erfreuende Absicht zu haben, „die Übereinstimmung des Scholions" mit dem von mir ,, dargelegten Sachverhalt herzustellen". Ich gebe gern zu, daß diese Interpunktion verständlich wäre, halte aber die Änderung nicht für notwendig.

A. Müller, Zur Parepigraphe von Aristoph. Thesmoph. v. 277. Berl. phil. Wo. XVIII, 1898, Sp. 1403—1405.

A. Müller macht zunächst die richtige Bemerkung, daß viele neuere Bearbeiter dieser Stelle die ihnen voranliegende Literatur nicht ordentlich berücksichtigten. Er wiederholt dann sehr vieles aus meiner Schrift ,, Parepigraphae", begnügt sich aber nicht mit den wenigen aber sicheren Schlüssen, welche dort S. 21 aus dieser Stelle gefolgert werden. Nach seiner Ansicht lautete vielmehr die Parepigraphe ur- sprünglich: „oXolü'^ouGi To 3rj}x£rov (uBctrai" oder, wie er beifügt, „mit durchaus angemessener Beschränkung des Rufens auf Euripides und engeren Anschluß an die Überlieferung : oXoXu^st aYifjiEiov xt upov Cd^u- xai." „Diese Form wurde dann frühzeitig entstellt und dadurch das

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 279

Mißverständnis des Scholiasten hervorgerufen, welches dann wieder die irrtümliche Annahme einer durch nichts gebotenen Skenenverwandlung oder eines Ekkyklema veranlaßt hat." Meines Erachtens ist o>.o>,u- ^ouui von den das Fest feiernden Frauen zu verstehen, die man zwar bei V. 277 noch nicht sieht, aber plötzlich hüit. Die Frauen schrieen, weil das Zeichen gegeben worden war. Und weil sie schrieen, blickt Euripides nach dem Thesraophorion hin, das von Anfang an sichtbar war, aber bis dahin noch in völliger Ruhe lag. So erblickt er das a/jjjLöi'ov und nialint darum zur Eile. Der Scholiast zur Stelle be- schränkt sich auf die Anzeige, daß eine rapeTcqpacpn] dastand und gibt daraus, was er zu verstehen glaubte, nämlich eine Notiz über ein Ekky- klema. Das hat er aus den sicher überlieferten Worten Upov oiösitai herausgeschöpft, vor welche denn doch wohl Fiitzsches t6 gehören wird. Dal.", man dort mit Albert Müller 3r,jj.£iov lesen solle, kann ich nicht zugeben. Mich über das Ekkyklema selbst auszusprechen, hatte ich, als ich im J. 1883 die Parepigraphae behandelte, keinen zwingenden Grund. Auch jetzt gehe ich hier nicht darauf ein, obwohl die Aus- ' führungeu Bodeusteiners (Scenische Fragen S. 93). Roberts im Hermes, 1896, XXXI, S. 558 ff., und anderer genügende Veranlassung dazu gäben. Aber wenn ich die Literatur, die in zehn Jahren über die griechische Komödie aufläuft, in diesem Maßstabe behandeln wollte, würde ich mit diesem 'Berichte ebensowenig jemals fertig werden als andere Übrigens vgl. man das über Charles Exons Aufsatz CtC- sagte.

K Zacher, Kritisch - grammatische Parerga zu Aristophanes. Leipzig 1899, SA. aus dem VIL Supplementbande des Philologus.

Das Heft umfaßt fünf Abhandlungen. Die erste ist eine Er- widerung auf Kaibels Rezension der Zacherschen Ausgabe der Equites, vgl. Götting. gel. Anz. 1897, No. 11. Zacher spricht sich über die Grundsätze aus, denen er in seiner Ausgabe folgte, und so ist dieser Aufsatz noch zu den ,,Aristophanesstudien" Zachers hinzuzuuehmen. In der Mitteilung eines möglichst genauen und umfassenden Apparatus criticus wird sich Zacher hoffentlich durch Kaibels gegnerische Be- merkungen nicht irre machen lassen. Allerdings erwartet man nicht von jeder kritischen Ausgabe eines beliebigen alten Autors die Mit- teilung eines vollständigen Apparates. Aber zu jedem der großen klassischen Autoren, zumal wenn seine Handschriften bis ins XL Jahrh. hineinreichen, müssen wir endlich einen vollständigen Apparat erhalten, der für die verschiedenarticrsten Zwecke ausreicht, mit denen jemand an einen solchen Apparat herantreten kann. Die Herstellung des ur- sprünglichen Textes ist nur einer dieser Zwecke neben mehreren anderen,

280 Bericht über die Literatur der griechischea Komödie. (Holzinger.)

und darum bat mau bei der Beurteilung dieser Gattung vou grund- legenden Ausgaben das Hauptgewicht nicht gerade auf den Text zu legen, den der Herausgeber aus seinem Apparate gewinnt, sondern auf die Genauigkeit und Reichiialtigkeit seiner Angaben. Wer einen so gearteten Apparat nicht braucht und nicht wünscht, mag sich mit unvollständigeren Ausgaben begnügen. Es folgen in Zachers Parerga Aufsätze über das ny ephelkystikon bei Aristophanes, über die Endung der zweiten Pers. Sing. Indic. Med. und über einige Worterklärungen zu £7ri-aaTa, xXasTa^w, "/.oÄa?, xoX6/.u[xa, i-e-uoaptsa, -eptsxo'xy.aja. Über diesen Abschnitt findet man in den Rezensionen der Parerga genügende Aufklärung. Der fünfte und umfangreichste Teil des Heftes ist Rutherfords Scholia Aristophanica gewidmet. Icli komme hierauf bei der Besprechung dieses Werkes zurück. Hier will ich mich nur mit S. 506 = 70 des Sa. der „Parerga', auseinandersetzen, wo Zacher über die Parepigraphae handelt. Auf ihn machen die meisten parepigra- phischen Notizen „den Eindruck, als ob sie von den Grammatikern nur aus dem Zusammenhang erschlossene Erklärung enthielten". Gegen diesen Standpunkt, den Zacher in dieser Angelegenheit auch in Bnrsians Jahresber. LXXI (1892) S, 104 fif. einnimmt, will ich hier nicht weiter ankämpfen, da ich iiin in meiner Abhandlung als unrichtig er- wiesen habe. Denn gerade gegen diesen ,, Eindruck" ist meine ganze Ab- handlung gerichtet. Zugleich beruht meine Darlegung wesentlich auf der genauen Scheidung der Epochen, indem ich zwischen den byzan- tinischen und alexandrinischen Grammatikern und der Tradition der aristophanischen Komödien in Attika selbst genau unterscheide. Mit dem bloßen Ausdrucke ,, Grammatiker" fällt man wieder in die alte Unklar- heit zurück. Dabei hört natürlich auch das Polemisieren auf. Aber gegen einige greifbare Unrichtigkeiten der Zacherschen Darstellung über den Inhalt meiner Abliandlung muß ich mich dennoch verwahren. So mache ich z. B. nicht die ,.für den Buchhandel bestimmten Exem- plare" für die Setzung von Bühnenanweisungen verantwortlich, wie Zacher zu meinen scheint. Woher jene Leser, die ein so großes Inter- esse an den Texten nahmen, daß sie in ihre Exemplare parepigraphische und gewiß auch andere Notizen machten, eben diese Exemplare bezogen hatten, gab ich in jeuer Abhandlung nicht an, weil ich „Hypothesen" nach Möglichkeit zu vermeiden trachtete. Ich sagte damals (S. 24), daß „unmittelbar nach der Aufiühruug eijier Komödie nur eine ungemein beschränkte Anzahl von Exemplaren ins Publikum gelangte". Es ist nämlich klar, daß nur der wohlhabende Literaturfreund gelegentlich ein fertiges Exemplar kaufen mochte. Aber nur ausnahmsweise war gerade der Literaturfreund wohlhabend. Der lesedurstige Jüngling- z. B. der Platonische Phaidios, der Grammatist und sein Sohn, der

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (Uolzinger.) 281

künftige Grammatist, oder der kleine Schauspieler, der uDgehende Literat, Khetor und Dichter borgte sich n-itürlich ein Exemplar aus, wo er es fand, und schrieb es sich gelegentlich wohl auch ab. Vgl. ßan. 151: t] Mop3i|xou Tt; pr,aiv e;e7pa(|>a-:o. Auch ,,der Schüler schrieb sich seine Bücher selbst", wie v. ^Vilanlowitz Herakl. T, 120 richtig sagt. Unter solchen Leuten und nicht unter den behäbigen Bücherkäuferu suche ich diejenigen, die sich um die Einzelheiten der scenischen Auffüiirung, um die Masken und Namen unbenanuter Rollen (Chairephon, Aiakds, Xikias, Demosthenes u. s. w.) erkundigten und um das Verständnis schwieriger Ausdrücke und Stellen bemühten. Die Interlinearbemerkungen und Rand- notizen dieser eifrigen ,, Leser" scharrten dann späterhin die alexan- drinischen Gelehrten zusammen, als die Ptolemäer den ganzen Wust zerlesener Rollen aufgekauft hatten.

Bei einer interlinearen Bemerkung scenischen Inhaltes kann man daher den ersten Autor ebensowenig mit Namen nennen, als den eisten Autor einer interlinearen Glosse. So wie wir heute noch Handschriften z. B. zu Hesiod, Pindar, Theokrit besitzen, zwischen deren Zeilen un- zählige einzelne Glossen über den einzelnen Wörtern stehen, so muß es auch einstens Exemplare einiger berühmter, namentlich literarischer Komödien, wie z. B. der Wolken und der Frösche gegeben haben, in <ienen die interlinearen Bemerkungen scenischen Inhaltes überwucherten. Und diese Gattung kann in ihrer Gesamtheit ebensowenig auf Aristo - phanes selbst zurückzuführen sein, als etwa die Glossen von dem Dichter selbst herstammen. Dann sind sie aber auch nicht auf die „für den Buchhandel bestimmten Exemplare" bei-echnet.

Weiterhin sagt Zacher in den Parerga S. 506: ,,Eolziuger zählt 49 solcher Scholieu auf." Ich zähle S. 27 vielmehr 52 Scholieustellen auf, welche etwas über eine Parepigraphe enthalten, und S. 43 und 60 wird die Zahl 52 wiederholt. Zacher führt nun jene 49 Stellen aus meinen „Parepigraphae-' vor, übersieht aber dabei 3 Stellen, nämlich schol. Rav. 269, 1251 und schol. Thesm. 100, die ich auf S. 19, 20, 22, 53 ausführlich behandle.

Weiter sagt Zacher: „Von ihnen sind in R erhalten nur 12." Leider wieder falsch! Wenn man, wie dies Zach er tut, schol. Nub. 734 und schol. Pac. 1104 hinzurechnet, sind es gerade 13, weil er schol. Thesm. 100 übersah, das in R steht und sehr wichtig ist: «iiousi tivec 7pacpeiv |jLivupi(7[xo;^ w; -oXXa Totau-a -ap£~i7pacp£Tai

Weiterhin notiert Zacher zu schol. Pac. 1104: „Dies war Holzinger S. 53 f. unbekannt." Ich behandle dieses wichtige Scholion auf fünf Seiten: S. 55 58, 60. Nicht leicht wird ein Leser diese Bemerkung Zachers richtig verstehen. Er will nämlich nicht sagen, daii ich dieses Scholion nicht kenne. Er weii3 auch, daß dieses ganze Scholion, welches

282 Bericht über die Literatur der griecliischen Komödie. (Holzinger.)

ich behandle, im Cod. R nicht vorkommt, weil ja Cod. R bekanntlich seine Schollen zur Fax bei v. 1032 abschließt. Darum sagen dort Dindorf und Dübner: Hie desinunt scholia cod. Rav. Und Martin sagt: „Les folios 107, 108, 109, 110 n'ont pas de scolies." Und Rutherford sagt: „Folios 107, 108, 109 and 110 contain no scholia." Darum hört auch meine Kollation der ßavennasscholieu zur Pax bei schol. 1032, 29 auf. Aber richtig bemerkt Zacher, daß eine Textkollation die Existenz des einen Wortes TrapsTrqpa'fY] auch im Cod. R ergibt. Darum sagt, wie ich zu spät sehe, Invernizz Bd. 2, 8. 82 (1794): ,,Pone hunc (d.i. 1100: u>; ypr,cj[jLo?) scriptum est ex eadem manu in libro nostro 7:ap£;:t7p79iq." Ich hätte also diese Stelle nicht auf S. 55—60 meiner Abhandlung, sondern schon S. 33 flf. einreihen müssen. Wie leicht man sich aber in einer solchen Kleinigkeit irrt, kann nun seinerseits auch Zacher aus seiner eigenen Anm. S. 507 der Parerga lernen, wo er sagt. Cod. R habe nur an sechs Stellen die alte Parepigraphe selbst im Texte erhalten, nicht an 7 Stellen, nämlich „nicht Ran. 312, wie Holzinger fälschlich behauptet". Ganz im Gegenteile behauptet Zacher dies ,, fälschlich". Denn Bekker druckt diese Parepigraphe nach Ran. 311 im Texte: au?.£T ti? evöoftev und sagt im Apparate: evoo&ev R. Velsen sagt darüber S. 36 seiner Ausgabe: post v. 311 suo versu legitur aOXei Ti? £v6oi}£v R, wobei also auch der fehlerhafte Accent bei tt; hervor- tritt, nicht bloß die Lesart l'voo&sv. Ebenso fälschlich behauptet Zacher weiterhin: „nulzl xtc I'vooOev steht nur in 0Ald," Vielmehr steht in der Aldina (1498), wie ich in meinem eigenen Exemplare sehe: auXcT Tt? Evoov, wie ja z. B. auch Küster und Bergler druckten. Unglück- lich ist auch die Schlußbemerkung Zachers, daß es ,,kein Verdienst" des Cod. R sei, noch ,, sechs" (recte: sieben) Parepigraphae zwischen den Textzeilen zu führen. Wenn sich der librarius des cod. R jeden Schimpf gefallen lassen muß, wenn er etwas Wichtiges nicht mitteilt, so muß man es der Handschrift als „Verdienst" anrechnen, wenn sie etwas Wichtiges enthält. Das fordert die Gerechtigkeit. Nun hat aber natürlich keine andere Handschrift noch sieben Parepigraphae zwischen den Zeilen wie ß und es wäre bei einer Untersuchung über das Alter der Parepigraphae methodisch verfehlt gewesen, wenn ich mich statt auf R auf die späte Aldina berufen hätte, die übrigens nur fünf Parepigraphae wiedergibt, weil sie nur 9 Stücke umfaßt.

Ch. Ex 0 n , A new theory of the Ekkyklema. Hermathena, No.XXVI, 1900, S. 132—143.

Mit Aristoph. Thesm. 276 ff. beschäftigt sich auch dieser Aufsatz. Ausgehend von schol. Ach. 408 -sp'.3Tp£'fo[X£vov , schol. Nub. 184 urpacpEVToc to-j i'/xux^fj-axos und Schol. Aisch. Eum. 64 behauptet Exon,

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.) 283

daß die übliche Vorstellung, die sich mit dem Worte £7xuy.Xr,[xa ver- binde, durchaus unrichtig sei. Es handle sicii nicht um einen Apparat auf Elädern, sondern um die Umdrehung eines Teiles der hölzernen Bühnenwand um eine Achse. Ein Analogon sieht er in den repiaxtc.. Auf einer in beliebiger Höhe (Ach. 408. 409) angebrachten Plattform wurde das Innere des Gemaches vor die Augen der Zuschauer heraus- gedreht. — Ob sich diese Anschauung durchsetzen wird, kann mau ab- warten. Ich plaube, dal.'« es bei dieser ^rethodc der Erklärung noch viel schwieriger ist, den ganzen Eumenidenchor unterzubringen, oder gar den ganzen Chor der Thesmophoriazusen, wenn man v. 276 ff. mit dieser Auffassung interpretieren will. Allerdings ist dem Verfasser zuzuge- stehen, daß die roUeude Schublade für diesen letzteren Zweck auch nicht ausreicht. Glücklicherweise läßt sich Thesm. 276 ff. samt Par- epigraphe und Scholion m, E weitaus einfacher erklären.

b) Arbeiten über die Arlstophanesscholien.

Scholia Aristophanica being such comments adscript to the text of Aristophaues as have been preserved in the codex Ravennas arranged, emended, and translated by W. G. ßutherford. Vol. I. II. London 189Ö.

K. Zacher, kritisch-grammatische Pai'eiga zu Aristophaues. Leipzig 1899.

J. van Ijzeren, De variis lectionibus a Rutherfordio e scholiis Aristophaneis erutis. Mnemosyne XXVIII, 1900, S. 176—200, 298— 328.

Als ich im Herbste des J. 1881 die Schollen des Codex Ravennas kollationierte, tat ich dies in der Absicht, mich über den Bestand der scholia vetera zu vergewissern, um vielleicht ein Corpus der alten Scholienbestandteile aus dem Ravennas und dem Veuetus nach eigener Kollation und mit Hinzugabe mancher offenbar ebenfalls alter Schollen anderer Handschriften aus Diudorfs und Dübneis Ausgaben zu edieren. Da ich während der Arbeit das Scholiencorpus genau kennen lernte, sah ich bald ein, daß sich alte und minder alte Schollen wohl in vielen Eällen, aber im ganzen doch in zu geringer Anzahl sicher abgrenzen lassen. Ich gab also diesen Plan auf und beschränkte mich auf die Durchfühlung der unternommenen Korrektur der Dübnerscheu An- gaben über die Ravenuasscholien , die wieder auf Dindorfs Oxforder Ausgabe beruhen. Als eine solche Nachtragskollation zu Dindorfs und Dübners Scholien habe ich meine Arbeit unter dem Titel „Beiträge zur Kenntnis der Ravennasscholien" in den „Wiener Studien" 1882, Heft 1, veröffentlicht. Dem Charakter einer derartigen Revision der Dindorf-

284 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (öoizinger.)

Dübnerschen ADgabeu entsprechend, mulite meine Kollation zwar wesent- lich genauer als die von Dindorf benutzte Kollation, aber im ganzen nach denselben leitenden Gesichtspunkten abgefaßt sein. Die Dindorfsche Kollation, wie ich sie der Kürze halber nennen will, verfolgt, wie man während des Kollationierens bald bemerkt, die Absicht, nur dasjenige als Fehler des librarius zu notieren, was offenbar ein Fehler sein muß. Ebenso verfuhr nun auch ich gegenüber dem jeweiligen librarius des Cod. R und gegenüber Dindorfs Angaben. Da ferner Dindorf die Setzung des v ephelkystikon, des i subscriptum, der Initialen, der Lese- zeichen und Interpunktionen, die Abteilung der scriptio coutinua und die Anordnung der Schollen nach eigenem Sachverständnis durchführte und hierin die zahllosen Abweichungen von der Handschrift nur aus- nahmsweise berücksichtigte, ist es nur natürlich, daß meine Kollation sich durchaus nicht jedesmal mit der Kollation anderer decken kann, die vielleicht nach anderen Gesichtspunkten verfuhren. Was der Leser mit dem überflüssigen Ballaste einer Scholienkollatiou beginnen soll, ist eine andere Frage. Meines Erachtens hatte schon A. Martin, dessen Werk nach meiner Kollation erschien, demselben Stoffe, den ich auf 32 Seiten eines Aufsatzes bewältigte, auf 222 Seiten seines Buches eine unnötige Ausdehnung gegeben. Seine verdienstliche Beschreibung des Codex Ravenuas und die Geschichte seiner Schicksale hätte, vermehrt um eine Liste der fehlerhaften Angaben Dübuers, den Inhalt einer mäßigen Broschüre füllen dürfen, aber nicht mehr. Daß der wissens- werte Nachtrag zu Dindorfs und Dübners Leistungen nicht ausreicht, die Herausgabe eines Bandes iür einen einzigen Codex zu rechtfertigen, sieht doch wohl jedermann während der Arbeit ein, so wie dies bei mir selbst der Fall war. Zu diesem für den künftigen Scholienleser wit^sens- werten Nachtrage habe ich die Angabe der Verteilung der Scholien auf die vier Blattränder ebensowenig gerechnet, als Dindorf selbst. Un- billig ist der Vorwurf, den Zacher deswegen gegen mich in seinem Jahresberichte LXXI, 1892, S. 96 erhebt, wenn er sagt, ich hätte mich nicht darum gekümmert, wie die Scholien getrennt oder zusammen- geschrieben sind, und wie sie auf den Eaum des Blattes verteilt sind. Wer, wie ich, jedes Scholiou des Ravennas bei Dindorf und Dübner im Texte und in den Adnotationes, also an vier Stellen suchen mußte und ebenso wieder jede Angabe beider Ausgaben im Codex nachprüfte, mußte sich für jedes Blatt die ganze Scholieneinteilung in sein Exemplar der Dübnerschen Ausgabe notieren. Denn bei der Überprüfung meiner eigenen Kollation hätte ich andereufalles die gleiche Mühe des Suchens ein zweites Mal gehabt, wogegen die Mühe, anzugeben, ob ein Scholion oben oder unten, rechts oder links oder zwischen den Zeilen steht, ver- schwindend klein ist. Aber dies alles dann in den Druck der Kollation

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (Holzinger.) 285

Linüberzunehmen , halte ich auch heute noch für überflüssig: und wenigstens bei dem Cod. Venetus oft genug beinahe für undurchführbar. R. Scholl sagt in den Sitznngsber. des bayer. Ak. philos.-philoloo:. Kl. II, 1889, S. 39 über diese Punkte folgendes: «Die Verteilung der Schollen über die Ränder bezeichne ich. obgleich wenig darauf ankommt, dui'ch ein demScholion beigesetztes sup(erior).inf(erior),ext(erior), int(erior <l. i. niargo). Die Fehler der Handschrift habe ich unter Angabe des Über- lieferten verbessert, die Abkürzungen aufgelöst, die Interpunktion und die sehr häutig fehlenden Acccnte zugefügt, da ich keinen Nutzen darin sehe, die ohnehin nicht besonders verlockende Lektüre eines solchen Kommentars durch photO£;raphisch treue Wiedergabe hand- schriftlicher Zufälligkeiten und Freiheiten zu erschweren."

Genau so dachte ich bezüglich einiger dieser Punkte schon im J. 1881. Die Angabe der Verteilung der Schollen auf die vier Ränder befähigt niemand, der sich nicht vor der Handschrift selbst befindet, zu Schlüssen über die äußere Beschaffenheit der Vorlage, die der librarius des Cod. R vor sich liegen hatte. Wenn z. B. ein Extramarginul- scholion von der Rectoseite eines Blattes angegeben wird, so nutzt diese Ortsangabe dem Leser nichts, wenn ihm nicht auch noch wenigstens gemeldet wird, ob dort, wo man das Scholion vielleicht mit größerem Rechte gesucht haben würde, für dasselbe noch genügender Raum vor- handen gewesen wäre. Bei dem Codex selbst erkennt man einen solchen Umstand oft auf den ersten Blick. Da nun aber die Codices R und V weder das gleiche Format haben, noch die gleiche Scholien- menge umfassen, noch auch gleich enge Schriftzüge zeigen, so läCt sich auch durch den Vergleich solcher Angaben über beide Codices kein sicherer Schluß auf ihr nächstes gemeinsames Archetyp aus so dürftigen Angaben ziehen. Zu derartigen Schlüssen berechtigt doch nur das Studium der Handschriften selbst oder einer phototypischen Reproduktion der ganzen Codices. Darum gibt es auch im ganzen Bereiche von Scholienausgaben nicht eine einzige , welche den willkürlichen An- forderungen entspräche, die gerade an die Bearbeiter der Aristophanes- scholien von Seite nörgelnder Kritiker erhoben worden sind. Ich habe unmittelbar nach dem Cod. R auch den Venetus im Dezember 1881 und Januar 1882 in Angriff genommen und habe daraus eine Nachtrags- kollation zu den Schollen der Pax gegeben, gedruckt in den „Wiener Studien", 1883, I.Heft. Dort nun, wo ich diese Sache in berechtigtem Unmute stehen ließ, steht sie im wesentlichen noch heute.

Wir besitzen jetzt allerdings drei gegenseitig sich ergänzende Nachtragskollationen zu den Ravennasscholien. Wer aber das Scholien- corpus überhaupt zu einer Stelle des Aristophanes studiereu will, muß nach wie vor die Dübnersche Ausgabe zu Grunde legen, wie ich es für

286 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (llolzinger.)

die Leser meiner Kollation voraussetzte. Von einer neuen und er- weiterten Gesamtausgabe aller existierenden Schollen und auch von der Ausgabe einer Auswahl der „scholia vetera" ist man heute sc weit ent- fernt, wie vor zwanzig Jahren, Es ist derselbe Fall, der sich bei Velsens Textausgabe zeigt, die in 20 Jahren auch nicht um eine einzige Komödie vorwärts rückte.

Nach dem Gesagten kann ich mich über das Werk Rutherfords, zu dessen zwei Bauden noch ein dritter in Aussicht ijjestellt ist, kurz fassen. Rutherford gibt den Vorgang, den er bei seiner Kollation ein- hielt, Vol. I, Introd. p. VI, selbst an. In England schrieb Rutherford aas der Ausgabe Dübners die Ravennasscholien ganz ab, indem er hier- bei die Angaben Martins mitberücksichtigte und die abweichenden An- gaben meiner Kollation hinzunotierte. Dieses so hergestellte Manuskript wurde inRavenna mit dem Codex selbst durch Dr.Graeven verglichen, der die Interpunktion, die Accentuation, die Silbentrennung und die Ab- kürzungen, sowie abweichende Lesarten des Schollentextes aus dem Ra- vennas notierte. Um den Scholientext und den kritischen Apparat des Rutherfordschen Werkes fertigzustellen, wurde das Ganze noch einmal und große Teile davon wurden viermal (S. V) geschrieben .(!). Edlen Schweißes ist also um die zumeist ganz belanglosen Schreibfehler und Flüchtigkeiten der beiden librarii des Cod. R genug vergossen worden. Dabei ist es wohl nicht zu verwundern, daß sowohl mir als Herrn Albert Martin auf diesem Wege einige Übersehungen von Fehlern des iibrarius nachgewiesen werden konnten. Eine fertige Kollation zu über- prüfen ist denn doch leichter, als die erste Kollation selbst zu machen. Aber der Leser, der nun etwa meint, im Anschlüsse an Rutherfords Angaben über diesen Scholientext zweifellos sicherzugehen, wird sich trotzdem wieder manchmal im Irrtume befinden. Ich will hierfür ein einziges Beispiel bringen. Dindorf und Dübner geben weder im Scholien- text noch in der Adnotatio ein Interlinearscholion an, welches in R oberhalb Plut. v. 38 steht. Ich war der erste, der angab, daß oberhalb des Anfanges des Verses w? xw ßup toüt' aüxo vojAt^ct; aufj/fspsiv ge- schrieben stehe: xo wc avxl xou upoc xsTxa;. Martin hat dieses Inter- linearscholion ebenfalls bemerkt, las es aber falsch und überhaupt sinnlos : xo ßi'o; avxi xoü avi'^pcu-oc xsixat. Er hielt also eine Falte des Pergaments oder irgendwelchen zufälligen Kratzer für den Rest eines ß und verlas das m für to, ferner verwechselte er Tipoc offenbar mit der Abkürzung 'övö; für avöpwTroc. Augenscheinlich hat nun Ruther- ford Herrn Martin dieses : xo ßio? avxl xoü avBpcüi:o; xsixat einfach nach- geschrieben und Herr Dr. Graeven hat diesen Irrtum aus dem Codex selbst nicht berichtigt. Rutherford ist sogar von der Sicherheit der Martinschen Lesung so überzeugt, daß er in dem handgreiflichen Nonsens

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holziager.) 287

einen Sinn entdeckt. Daher schreibt er in seinem Kömmentare wörtlich: the Word ßio; is here iised for „maukind". Natürlich liegt die Sache ganz anders. In Plut. v. 32 steht w; xov ileov und dazu gibt der Ve- netus die Erklärung: av-l toü irpoc xov ösov. Dieselbe Notiz und zwar in der Form: xo «bc dvxl -oü -pö» xeTxai hatte nun der librarins R wieder- zugeben. Anstatt über das cb; im v. 32, wohin sie gehört, schrieb er diese Bemerkung irrtümlich über das <u; in v. 38, wo die Notiz keinen Sinn hat. Ich bin nun dem Zufalle dafür dankbar, daß Rudolf Scholl, der die Schollen des Plutos im Cod. R zu einer Zeit, als sein erstes Blatt noch ziemlich gut lesbar war, kollationierte, gerade diese Stelle notierte. Und so gibt denn Scholl in d. Sitzungsber. d. bayer. Ak. philos.-philol. Kl. II, 1889, S. 44 die Lesart: xo w; avxl xoü rpoc xsixai, indem er sie selbstverständlich ebenfalls auf v. 32 bezieht. Aus diesem Bei?piele kann man nicht nur ersehen, was es mit dem Cousensns zweier Kollationen gegen eine andere Kollation auf sich hat, sondern auch, daij die Rückschlüsse von der Stellung eines Scholions in einem Codex auf die Stellung desselben Scholions in der Vorlage der Handschritt durchaus nicht sicher sind. Mit mechanischen Angaben über die Ver- teilung der Schollen ist nur eine Gelegenheit zu neuen Irrtümern er- öffnet. Ganz anders freilich beurteile ich derai'tige Studien, wenn die »iaraus gefolgerten Schlüsse praesente codice gemacht werden. Ich knüpfe an das vorgeführte Beispiel noch die Bemerkung, daß die beiden librarii, welche die Schollen des Codex R schrieben, keineswegs so tief stehen, als sie jetzt von mehreren Aiistophauikern, besonders auch von Zacher gestellt werden. Zacher sagt z. B. in den Parerga S. 506, schol. Nub. 18 sei „für die gedankenlose Weise, wie Ray. die Schollen verstümmelt, recht charakteristisch. Es lautet: arxe -ai Xuyvov (xaüxa -a'vxa 7:ap£7xuxXr^ixaxa sbi xal Trap£Tri7patf)a). Öei 7ap xöv oixexTjV xo zpoaxayflsv -otf^jai xat a'|ai xov X'jyvov xal ooüvai xo ßtßXiov xxA. Das Eingeklammerte hat R weggelassen, schi-eibt aber doch ruhig hinter rjzl das 7ap, welches doch nur in Beziehung auf die weggelassenen Worte Sinn hatte". Auf S. 518 der Parerga wird nun aus derselben Stelle auch ein Vorwurf für Rutherford gedrechselt. Denn auch Ruther- tord ,läßt mit R das xaüxa iravxa . . TiapETiqpacpa weg und schreibt ruhig oeT 7«'?". Zacher hat eben nicht bemerkt, daß in schol. Nub. 18 jenes 7dp sich auch ohne das Wort 7rap£T:t7pa9r^ ganz gut an die zu er- klärenden Textworte anschließt. Denn es gehört zu dem gewöhnlichen Gebrauche des Scholiasten in R und anderer Scholiasten die Erklärung eines Wortes neben dem Lemma mit 7ap und nicht nur mit ok anzu- fügen: z. B. schol. Pac. 280 heißt es zu oi'ixoi : YJXöev 7ap ]i.r^ok^ a7o'|x£vo?, Ol' ö ir/dlXti. RV. In sprachlicher Hinsicht trifft also bei schol. Nub. 18 weder den librarius R noch Herrn Rutherford irgend ein Tadel.

288 Bericht über die Literatur 3er griechischea Komödie. (Holzinger.)

Die Scholieuschreiber dos Cod. E, sind zu einem gewissen Teile dadurch gegenüber den Scholiensclireibern des Cod. Verietus in den Nachteil geraten, daß die Leistungen der ersteren geradezu unter die Lupe genommen wurden, während den Schollen des Venetns diese genaue Prüfung wenigstens für die Schollen zu Plutos, Nubes, Equites, Aves und Vespae erst noch bevorsteht.

Was nun den Kommentar anlangt, den ßutherford den Ravennas- scholien beigibt, so fehlt es in demselben natürlich nicht an wertvollen Bemerkungen. Aber ein großer Teil der Erklärung ist meines Er- achtens so überflüssig, daß man oft nicht weiß, für welche Sorte von Anfängern eine paraphrasierende Notiz bestimmt sein soll. Ich greife aufs Geratewohl schol. Plut. 3 heraus: Xs^a; xuyrj avxl toü Xe^r). Hierzu lautet der Kommentar: Xs^aj tu-/y) : equivalent to Xe^tj. Oder man sehe schol. Nub. 734: . . otl yj.p auiov -/aös^EcjUai s/ovra to atSoiov. „Strepsiades ought to sit with his aedoeon in his band."

Ein Hauptzweck des in siebenjähriger Arbeit zusammengestellten Werkes Rutherfords besteht (vgl. Introd. p. XVIII) darin, aus den Schollen ältere Lesarten des Komödientextes zu gewinnen. Über dieses Bestreben der neuen Ausgabe hat Zacher in den Parerga S. 526 flf. ein auf viele Belege gestütztes Urteil abgegeben. Ich kann mich um so leichter damit begnügen, einfach hierauf zu verweisen, als' auch J. van Ijzeren seinen oben genannten Aufsatz vor allem diesen Stellen des Rutherfordschen Werkes gewidmet hat. So wird es dem Leser dieses Berichtes nicht schwer fallen, für die Beurteilung dieser Seite der Leistung sichere Führung zu gewinnen.

*Boutens, Exercitationes criticae in scholia ad Aristophanis Acharnenses, 1899. (Rec. J. van Ijzeren, Museum, 1899, No. 9.)

W. Meiners, Quaestiones ad scholia Aristoph. historica perti- nentes. - Diss. phil. Halenses XI, 1890, S. 217—403.

Ich verweise auf die Rezension dieser tüchtigen Arbeit in der Berl. ph. Wo. 1893, No. 41 (0. Bachraann), da sie ihres Datums wegen nicht in den Bereich dieses. Jahresberichtes fällt.

Scholia in Aristophanis Lysistratam edidit, prolegomena de fon- tibus scholiorum scripsit G. Stein. Göttingen 1891.

Diese Schrift, die ich nach dem Datum ihres Erscheinens hier zu nennen nicht bemüßigt war, hat durch Zacher in der Berl. phil. Wo. 1893 No. 51 und 52 eine ausführliche Besprechung erfahren, die über den Rahmen gewöhnlicher Rezensionen hinausgeht. Weiterhin hat sich Zacher veranlaßt gesehen, in der Berl. pliil. Wo. 1894 No. 11 und 12 einen Aufsatz zu veröffentlichen, der an G. Steins Schrift und an die eben genannte kritische Besprechung anknüpft und unter dem

Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 289

Titel: „Die Scbolien zu Aristophunes' Lysistrate im Codex Leidensis" eine genaue Besclireibung dieser IIs und die Kollation der Lysistrata enthält. Ich beschränke mich hiev darauf, auf die Wichtigkeit dieser Beiträge Zachers hinzuweisen, da sie iu der Berl. phil. Wo. ohnedies für jedermann leicht zugänglich sind.

C. B. Gulick, De scholiis Aristophaueis quaestiones mythicae. Harvard Studies V, 1894, p. 83 106.

Gulick trägt in dieser Abhandlung alles zusammen, was in dem Corpus der Schollen zu Aristophanes über die ältesten Göttergeschlechter, dann über die olympischen und die unterweltlichen Götter, über Herakles, über den attischen Mythenkreis und über einige Heroen, schließlich über Hekate und den Totenkult gesagt wird. Das Ziel seiner Arbeit war es. festzustellen, daß vor allem Didyraos die Quelle dieser mytho- logischen und mythographischen Scbolien war und daß Didymos außer dem Apollodoros, den Historikern und Atthidenschreibern, ferner dem Polemou, dem Antikleides, epischeu und namentlich tragischen Dichtern, vorzugsweise auch das Werk des Diouysios Skytobrachion ausschrieb. In diesem letztgenannten Punkte zeigt sich also Gulick, wie man sieht, von jener Richtung beinflußt, der Bethes Quaestiones Diodoreae an- gehören. Vielen wird dies als eine besondere Anempfehlung der Arbeit Gulicks erscheinen. Ich selbst stehe auf einem anderen Standpunkte und bin gewohnt, Männer wie Didymos, deren Fleiß und Gelehrsamkeit das Altertum anstaunte, möglichst wenig als lectores unius libri aufzu- fassen, namentlich wenn ihnen nachweislich die reichsten Bibliotheken zu Gebote standen. Daß Didymos auch das Werk jenes Diouysios ge- kannt und gelegentlich benutzt haben wird, wird man gern zugeben, so daß auch dieser als eine Quelle des Didymos aufgeführt werden darf. Auffallend ist mir auch, daß Gulick das Scholiencorpus viel zu sehr wie einen einheitlichen Autor behandelt, wenn er auch angibt, daß erst lauge nach den Zeiten des Didymos Partien aus Ps. -Apollo- doros und Coruutus in die Schollen hineingearbeitet worden sind.

J. van Leeuwen, De Phidiae morte. Mnemos. NS, XXI, 1893, p. 180—181.

Der Verfasser behandelt das Scholion zu Aristoph. Pac. 604. Er macht es wahrscheinlich, daß dieses Scholion nicht bloß eine Stelle, sondern zwei verschiedene Stellen des Philochoros enthalte, welche über die Schicksale des Pheidias handeln und von denen die eine nach der von Dindorf angenommenen Vermutung des Palmerius unter dem Archontate des Theodoros (438/437), die andere km llDÖootopo'j (432/431) zu lesen war. Dadurch, daß man bei der bis- herigen Verbindung beider Stelleu schrieb: Osi6''ac xxX. «inodaveiv Gnö Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 19

290 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.)

'HXeiwv ird n'ji>oott)pou, ö; ejtiv kko to-jto'j (nämlich dem Theodoros) ißSoiJLo; -/tX., entstand die nnrichti^e Notiz, daß Pheidias unter dem Arcliontate des Pytbodoros, also gleich bei dem Beginne des peloponne- sischen Krieges, gestorben sei. Leeuwen aber setzt nach HXetcuv den Punkt und die Anführungszeichen, mit denen er das erste Citat aus Philochoros abschließt. Das Todesjahr des Pheidias ist demnach nicht überliefert. Mit <xai> l-nX IIuf)o6wprj-j läßt Leeuwen den Scholiasten zu dem zweiten Philochoroscitate übergehen. Der Anfang dieser zweiten Stelle, dessen Konstruktion bisher verworren zn sein schien, wird durch dieses einfache Mittel klar.

J. van Leeuwen ad Öchol. Aristoph. Pac. 618. Mnenios. NS. XXI, 1893, p. 314.

Der Verf. empfiehlt eine doppelte Änderung in diesem Scholioa und schreibt: Ttpo? xov <I>£iot'av ouv (o? xaXa ^oava -otouvra. Das Scholion fehlt im Cod. Rav. Die Schreibung, welche der Cod. Ven. darbietet, 7] xaXa Eoava Troioüaa läßt sich in der Tat nicht rechtfertigen.

W. Headlam, Various conjectnres III. Scholia to Aristophanes. The Journal of Philology XXIII, 1895, p. 323.

Der Verfasser bringt anf dieser Seite Konjekturen zu den Sdholien der Acharner, Equites, Nubes, Vespae, Aves, Ranae, der Pax und des Plutos. Mehrere dieser Konjekturen gehen darauf aus, die grammatische Fügung nach dem Sprachgebrauche der besten Gräzität einzurichten, und einige Male hat der Verfasser ohne Zweifel das Richtige getroffen. Z. B. Ach. 1001 empfiehlt er bei ~po? adlr.vcio; V "inv^o-t den Accusativ. Durch die unrichtige Auflösung des Kompendiums der Endsilbe mag hier in der Tat ein Fehler in den Scholientext gekommen sein. Ich gebe dies auch für Schol. Equ. 56 und 59 zu, wo Headlam ::avoup7(u; und Tip ß. schreibt, statt -avoüpYo? und -o ^j. Aber überall darf man die schlechtere Gräzität nicht einfach durch die bessere ersetzen woUen. Z. B. im Schol. Nnb. 296, welches sowohl im Codex Ravennas, als im Venetus fehlt, heißt es: . , toü ös axcuTTTstv e-/o[X£v(ov. Headlam schlägt dafür vor: Tipo; to axcuTiTstv r/o[xev(uv, Headlam meint vielleicht, daß too c;x(u-- Tsiv r/scjflai nicht sicher genug bedeutet: „sich an den Spott halten", da es ja wohl auch bedeuten könnte „sich des Spottens enthalten", aber dies genügt m. E. nicht dazu, daß man diesen offenbar späten Text für verderbt halte. Auch bei Schol. Nub. 1466: Xemet to uil r) -ai, toüto 7ap s-r/pa^sTai. -p6^ -/otp xov uiov [xeTeß'/i, kann ich mich Headlams An- sicht nicht anschließen, der toüto Tiaps-r/pa'fSTat oder --ceYpaTXTat oder TrapeTTf/pacpr, vermutet. Denn eine Parepigraphe würde hier nicht uts oder -.Tai gelautet haben, sondern vielmehr: touto -poc tov uiov Xe'-^si.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Hohinger.) 291

H. van Herwerden, Eniendantur scholia graeca in Aristopbanis Pacem. Mnemosyne NS. XXIV, 1896, p. 199—209.

Herwerden bringt etwa 80 Verbesserungsvorschläge zu Dübners Texte der Schollen zu Aristophaues' Frieden. Neben zahh-eichen leichten Emendationen finden sich auch nicht wenige kunstvollere Verbesse- rungen, durch welche ein nicht gerade an der Oberfläche liegender Schaden geheilt wird. Vollständig sicher ist z. B. gleich die erste Konjektur, durcli welche in der ersten Hypothesis Z. 14 Dübner p. 169 a'fxa? aus v. 298 eingesetzt wird und zwar statt des überlieferten a'iia. Sehr bemerkenswert ist z. B. die Herstellung zweier Verse der Medeia des Morsimos. Die Verse 1013 1014 der Friedenskomüdie oXoixav oXo- jxav a-oyr^pajöst; ) xa; iv -reuxXoiJi Xo/£uoiA£vac | werden als eine Parodie der Klagen der Medeia nach der Ermordung ihrer Kinder bezeichnet. Die Vorlage wird demnach in folgender Weise restituiert- oXojxav oXo- }jLav ^'"oyrjfiiuösT;', | rl 39' ev xafiaTOiJi XoysujajxEva. | Allzuschuell wird bei dem Schol. zu v. 1204 der Vorwurf gegen Dübner erhoben, er habe nicht gewußt, daß die Worte: -0 •AE'npo^^ £7xaT£A£t:re toTc axpoo)- jj-Evot; einem bekannten Verse des Eupolis angehören. Dübner citiert die Stelle des Eupolis in der Adnotatio p. 477 genau am richtigen Orte unter 1204, 42. Auch Dindorf, dessen Oxforder Ausgabe die Grundlage der Didotächen bildete, gibt diese Verweisung, so daß sie Dübner zum mindesten daher kennen mußte. Dübner kannte die Verse aber auch aus den Schollen zu den Ach. 529, wo er die ganze Stelle des Eupolis abdruckte. Und was soll überhaupt ein solcher Vorwurf bezüglich eines Verses, den weitaus Geringere, als Friedrich Dübner war, ausw-endig hersagen können!

P. S. Photiadis, Niiuxspai xivs; c/va7vu)jei? et? xa ei? xov 'Apiaxo- cpavT) 'EXXT)vixd cr/oXia. - 'A.V« X, 1898, S. 94—96.

Der Verf. behandelt einige Stellen der Hypothesis zur Lysistrata. Bei Dübner p. 248 Z. 6 löst er das überlieferte sinnlose IEwki'ou? e|x- TiptXa; nicht mit Dübner in e^cu «7:1063^? £i? -axpi'oas auf, sondern in eStuxi-/a; o{jLrjpioot; und schreibt weiterhin xaxaX£tTr£t ornfftu. Der ziemlich genaue Anschluß an den Vers 244 der Lysistr. : xa?8l 0' öjxr^pou? xa- xaXi'f rjjjLiv evf)ao£ ist hier vielleicht wirklich anzuempfehlen. Die Fe- mininform 6|j.rjptc, die der Thesaur. Steph. nicht kennt, käme dabei auf die Rechnung der späten Gräzität des Scholiasten. Weniger über- zeugend ist mir die Bemerkung zu Dfibn. p. 248 Z. 26, wo das unver- ständliche xal xac -pox£pac y'jvzixcüc Steht. Dübner versteht dies wohl richtig als xa -epl xa; vuvaixas. Hingegen Photiadis hält xal xa xaxd xa? scpsxe'pa? -(uvaixa? für das Ursprüngliche. (Vgl. v. 999.) Im letzten

19*

292 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

Teile der Kypothesis schließen zwei Sätze mit dr.ojzillo'j'ji. Das zweite a-noTce'XXoucj'. ergibt keinen Sinn. Hier schreibt Photiadis nach v. 1042 mit Recht auateAXovxat. In der IJrklärung des Schreibfehlers kann ich ihm nicht folgen, da es sich um eine einfache Dittographie handelt.

C. Arbeiten über die Fragmente der griechischen Komiker.

a) Fragmente des Epicharnios, Kratinos, Aristophanes nnd anderer alter

Komiker.

Th. Gomperz, „Ein griechisches Komödienbruchstück in do- rischer Mundart". Mitteilungen aus der Sammlung der Papyrus Erzherzog: Rainer, Bd. V, 1889.

Die Entzifferung des Papyrus ist ein Verdienst Wesselys, der die Datierung der Schrift nicht über das Zeitalter des Kaisers Augustus hinabrücken zu dürfen glaubt. Die literargeschichtliche Bestimmung und kritisch- exegetische Behandlung des Fragmentes übernahm Theodor Gomperz. Das Fragment besteht aus 10 am Anfange und am Ende verstümmelten trochäischen Tetrametern, zwischen denen sich nach v. 6 eine größere Lücke befindet, so daß ein unmittelbarer Zusammenhang der zwei Verspartien 1—6 und 7—10 nicht behauptet werden kann. Außerdem sind einige Zeilen Schollen zur Stelle erhalten. In .über- zeugender Weise weist Gomperz das Fragment dem 'Oouacjsuc auxo'ixoXoc des Epicharmos zu. Wichtig zu wissen ist, daß dieses Bruchstück das erste und bis jetzt einzige durch direkte tjberlieferuug auf uns gelangte Epicharmosfragment ist, insofern es nicht als Citat eines Autors oder als Stück einer Anthologie, sondern als Blatt einer Epicharmosausgabe erhalten blieb. Daher ist sehr beachtenswert, daß der Dorismus dieser Verse ein schwererer ist als derjenige, der uns in den indirekt über- lieferten Bruchstücken des Dichters entgegentritt. Auch die Schollen sind interessant, insbesondere durch die Nennung des Aristoxenos, der sich augenscheinlich mit Epicharms Werken eingehend befaßt hatte. Von geringerer Bedeutung für die Epicharmosstudien ist das von Mahaffy in den Flinders-Petrie Papyri Tafel III, 1 herausge- gebene, bisher unbekannte Fragment, das durch die Überschrift zmyap^ou ausgezeichnet ist. Es umfaßt die Reste von 4 jambischen Trimetern, enthält eine Sentenz über das Elend des menschlichen Lebens und stammt augenscheinlich aus einer Anthologie. Mmmt man für die Da- tierung dieser Classical fragments das IIL vorchristliche Jahrhundert in Anspruch, so ergibt sich der Schluß, daß schon damals Sentenzen des Epicharmos, Euripides u. a. in Florilegien gesammelt waren. Nach dieser literargeschichtlichen Seite hin kommt also auch diesen sonst wenig interessanten Zeilen eine hohe Bedeutung zu.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.) 293

A. Papadopulos-Kerameus, Lexicon Sabbaiticum. Petropoli 1892.

Papadopulos hat dieses Lexikon im J. 1887 in Jerusalem in dem cod. Chart. CXXXVII bibliothecae Sabbaiticae entdeckt. Es bildet den Schluß der Handschrift auf fol. 162—169. Der Herausgeber schätzt die Handschrift auf das XIV. Jahrh. Theodor Kock behandelt diesen Fund eingehend in dem Aufsatze: „Komiker- Fragmente im Lexicon Sabbaiticum", 1893, Rhein. Mus. 579—591. Das Lexikon enthält etwa dreißig bisher unbekannte Bruchstücke von attischen Ko- mikern. Ich erwähne darunter Kratinos, Krates AajjLia, Pherekrates KpaüaraXotc, Eupolis Ta^tapyat^, Aristophanes 'AiJ/ftapato und ev Ni^aoi?, Piaton dii xaxou(xev(p, Archippos, Sti-attis. Von Menandros gibt es zwei neue Fragmente. Das eine hiutet in der Handschrift: vuvl os toij e^ ajisoc y.'jvr,-|£-at; | f,xo'jji -£pt7]7rj70[j.at tol; d/paöa;. Kock schreibt im ersten Verse: aursw?, im zweiten empfiehlt er op^aoa; (Bnschdickicht) statt dypaöac. Kock meint, man müßte bei xa? aypaoa; an die Verkaufsplätze der Holzbirnen auf dem Marktplatze denken, und dies habe in dem gegebenen Zusaranienhauge keinen Sinn. Aber tac aypao«; könnte doch auch eine Pflanzung oder einen Bestand von Bäumen bezeichnen, welche Holzbirnen tragen. Nur freilich macht die von Kock angeführte Stelle ans Xenoph. Kyneget. 10, 19: Ta-av-ai ai apxu? It:! . . . -ra a.'(1f.r^, xa xpr/sa, 7] si5,3oXai sisiv sie xot? op^aSa? xal xa eXt) xai xa uoaxa seine Vermutung sehr wahrscheinlich. Das zweite Fragment enthält die Glosse £[jL|^apoc und ist der 'PaT:uo[jL£v7) des Menandros entnommen. Auch eine Anzahl namenloser Bruchstücke attischer Komiker findet sich in dem Lexikon gesammelt, dessen Artikel bekanntlich nur von a-j^TjCTi; bis £;atpE3£(oc oixt] reichen und sonach bloß einen Ausschnitt aus einem Lexikon darstellen. Den Gedanken, daß dieses Lexikon in die Lücke des Lexikons des Photios, die von dStaxpixo? bis £7:iuvu|xoi reicht, hineingehöre, lehnt Kock ab.

H. Rabe, Lexicon Messanense de iota ascripto. Rhein. Mus. 47. 1892, S. 404-413.

Th. Kock, Zu den Fragmenten der attischen Komiker. Rhein. Mus. 48, 1893, S. 237—239.

In dem von H. Rabe veröffentlichten Brachstücke eines Lexikons (cod. mon. S. Salvatoris 118 membr. s. XIII in der Regia bibl. Messa- nensis) stehen mehr als zwanzig bisher unbekannte FragmenteJ^von Ko- mikern, darunter eines des Menandros: NrjpT); xic i-\ ozX'fho;. Die übrigen Komikercitate gehören alle der alten Komödie an. Auffallend ist für

294 Bericht über die Literatar der griechischen Komödie. (Uolzinger.)

Hermippos der neue Titel Af^ameninon, der auf eine Parodie hin- weist. Schön verbessert Kock das auf fol. 281 r 18 20 aus Kpa-rivoc Atovüaoij izegebene Oitat: vixto {xsv 6 ttjoe iroXsi Xe-^wv xo Xüjjtov (st. TTool li'((a Tov) und macht wegen des Gebrauches von Xwjtoc darauf aufmerksam, daß der Vers einem Chorliede angehört. Den bisher un- bekannten Titel Atovujot identifiziert Kock mit dem Titel .Aiovuja^iEav- Spoi. Bei dieser Annahme wäre auch die Möglichkeit ausgeschlossen, daß dieser Titel dem jüngeren Kratinos gehöre und auf Alexander den Großen anspiele. Vgl. Kock Com. Att. frag. I, p. 23. Ein Ver- zeichnis der in dem Lexicon Messanense enthaltenen Klassikerfragmente hat Rabe a. a. 0. S. 413 zusammengestellt. Ich kann mich also auf die Andeutung beschränken, daß sich darunter neue Bruchstücke aus Aristophaues rrjpac uud Arj[j.vtat, Eupolis 'Aa-rparsuToi und Xpujoüv -^svo;, Kratinos Atovujoi, DavoTCrai, HuTivr;, 'ßpai, Piatons Nixat, Havrat (Sotviptav Kock), <I)au)^> vorfinden. Th. Kocks Bemerkungen über dieses Verzeichnis a. a. 0. S. 237 sind sorgfältig zu berücksichtigen. Über das Lexicon Messanense vgl. jetzt ßeitzenstein, Gesch. der Etymologica p. 289,

H. Richards, Notes on Greek Comic fragments. The Classical Review XIII, 1899, p. 148-150 und p. 249—251.

Der Verf. bringt in dem ersten Teile dieses Aufsatzes 13 Kon- jekturen zu den Komikerfragmenten. Gelungen sind m. E. folgende: Die Sentenz des Epicharmos bei Lorenz p. 164 „e'fpa ata? ö-JYa-nrjp, i77ua oe C«iJ-ta?" bespricht R. besser als Lorenz und Ahrens. Er bietet uns einen Tetrameter eigener Schöpfung an : xsy.vov 177'ja [xsv arac, e-y^ua? 6e Ca[JLia. Ich halte das xh.wv für allzu unsicher und würde mich unter Verzichtleistuncr auf die Herstellung des Verses mit der Ver- besserung des offenkundigen Schreibfehlers begnügen : e^-pa axac Ou7axY]p, l77uac ÖS Cafxia. Gut ist die Verbesserung von Alexis fr. 149, Kock II, 351: ou/ apyixey.-(uv .... oXka. x-ix xuiv ypcDfJi.sviuv. Dann liest der Verf. bei Philemon fr. 71, Kock 11, p. 496: r, aurö xa-j-aDov st. v) xi d^adov, ferner bei Philemon fr. 90, Kock II, p. 505: r, vrj AI' aXXo; (st. aXXa)v) xaiv avaYxociwv -{i xi?, bei Menandros fr. 535, Kock III, p. 158: lipo? xat? Trlxpai? Ypa^oust xov npo[xr,9ea mit leichter Umstellung beider Wortkola, schließlich bei Men. fr. 539, Kock III, p. 162: u'ivnv. st. uYiaivei. Gegen die übrigen Vermutungen verhalte ich mich ablehnend. Richards liest bei Telekleides, Kock I, 220: xa ok rA-nrL (st. auxa) TraÄtv xaxaßaXXetv. Das Richtige ist noch nicht gefunden. Gerade weil unter xa U andere Mauern zu verstehen sind als unter dem voran- gehenden xa [X£v, darf nicht ravxa an die Stelle des fehlerhaften auxd treten. Bei Piaton com. Kock I, 605: xou-oi7'. xot-i Xs-xoT? j apayvioi? darf man nicht mit R. den Artikel xo?? noch ein zweites Mal vor

Beriebt über die Literatur d' r griecbiscben Komödie. (Holzinger.) 295

dipayviot; einsetzen. Besser ist Meinekes: apayviSiotj. Bei Piaton com. Kock I, 644: o-oTs 6' sittsiv oioi, \ oXqov' oXi'ov' eXe-|£v ist kein 2/ vor e'Xe^ev einzuschieben. Es bandelt sich hier um eine jodiei'te Aussprache des 7, welche auch die Quantität in eig-entümlicher Weise beeinflußt. Unnötif? sind auch die Änderungen bei Aristoph. fr. 388. Kock I, p. 493 {•Q St. r,v) nnd bei Pbilemon fr. 31, Kock II, 486 die Vertauschung von 7ap und [xev. Bei Men. fr. 247, Kock III, p. 71 ist die Überlieferung XoYiufxoü Tto o'.a»)£3tbi als ein instrumentaler Dativ der Konjektur XoYt3[x(p Toü Siaölsf)«'. vorzuziehen. Ebenso ist bei Diphilos fr. 43, Kock II, p. 553 T:apaßaXio besser als rapaXaHco. Der zv^eite Teil des Aufsatzes Class. Rev. XIII, p. 249 251 bringt 30 Konjekturen zu den Fvöiixat fxovosTr/oi nach dem Text Meinekes, von denen einzelne ebenfalls Be- achtung verdienen.

C. Pascal, Di Epicarmo e dei suoi rapporti cou Lucrezio. Atcne e Roma III. 1900, p. 275—282.

Es sind 5 Stellen des Epicharmos, welche Pascal bei Lucretius verwertet findet. Der Verf. citiert die Verse Epicharms nach den Fundstellen der Fragmente, was bekanntlich eines der modernen Mittelchen ist, mit denen man jenen, „die nicht alle werden", imponiert. Zur Bequemlichkeit des Lesers eitlere ich die Verse Epicharms nach Mullachs Ausgabe, iii welcher (Fr. philos. gr. p. 132) bereits Lucrez III. 359 ff. als Nachahmung Epicharms (v. 253) behandelt wird. Pascal trägt diese Gleichung wie eine neue Entdeckung vor. Der Inhalt der Schrift Pascals reduziert sich sodann auf den Nachweis folgender vier bei Mullach noch nicht berücksichtigter Entlehnungen: Lucrez I, 81 ff. ; I, 151 Epicharm v. 5 Mullach; Lucr. I, 149—150 = Epich. v. 180 ff. Mu.; Lucr. I, 251—265 -=-- Epich. v. 190 ff. Mu.; und Lucr. II, 999—1001 = Epich. v. 263 Mu. Die Zählung der Verse des Lucretius gebe ich nach Munros großer Ausgabe (1893). Als beachtenswert erwähne ich, daß Pascal auch bei Horaz zwei Entlehnungen aus Epicharmos anmerkt: Hör. Epist. I, 2, 62—63 = Epich. v. 271 ilu. und Hör. Epist. I, 19, 48—49 -= Epich. v. 258 Mu. Letzterem aus Aristot. de gen. anim. I, 18 geschöpften Fragmente hat Lorenz, Epich. p. 271 noch nicht die Form eines Verses gegeben. Pascal erwähnt auch gelegent- lich, daß Epicharm in seinen Komödien den Typus des Parasiten schuf, den die neuere Komödie übernahm. Eigentümlich berührt hierbei die Bemerkung, daß die Alten, nämlich Athenaeus VI, 235 e, dies schon notiert, die Neuereu aber wieder vergessen hätten „cosa che gli antichi gii\ notarouo e i moderni obliarono". Man traut seinen Augen nicht, wenn man als Beispiele hierfür Ribbeck und Leo citiert findet. Pascal weiß offenbar nicht, daß seine Entdeckung selbst schon in dem kurzer.

296 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

Bährschen Artikel über Epicharmos in der ersten Auflage voa Paulys Realencycl. vom J. 1844 als etwas Allbekanntes erwähnt wird. Es wäre sehr zu bedauern, wenn die jüngeren italienischen Philologen den arroganten, manirierten und theopneustischen Stil nachahmen sollten, der in Deutschland Mode zu werden droht. Die älteren Gelehrten, auf deren Forscliungen das jetzige Ansehen der italienischen Philologie be- ruht, haben die Leistungen der Vorgänger achtungsvoller behandelt.

W. G. Rutherford, Conjectnres in the text of the Comici Graeci. Class. Review XI, 1897, p. 16 17.

Der Aufsatz enthält 12 kritische Bemerkungen zu dem I. Bande von Kocks CAF. Für Chionides Uxw/oi frag. 6 wird -wo' eV olvov xoTTTexov vermutet, st. xcpoe xoivuv x. Daß man xapr/o? mit "Wein kochte, wird man nach Alexis Ko. fr. 186 (II. p. 366) gerne glauben; aber ßutherforl teilt leider nicht mit, wie man dann l~\ und -/.o-xsxov verstehen soll. Auch scheint xoivuv zur Verbindung der zwei Verse des Fragmentes geradezu notwendig zu sein, falls sie überhaupt zusammengehören. Wenn xo—siv hier „gierig essen" bedeuten sollte, paßt das Objekt olvov wieder aus diesem Grunde nicht. Neben olvov würde man eher xaiixsxov dulden können. Es fehlt hier an der kritischen Grundlage,, die zu so weitgehenden Änderungen berechtigte. Die Behandlung von Ekphant. fr, 2 beruht auf Kocks Bemerkung: quae interpretatio esse videtur verborum Ecphantidis. Nur hat ßutherford die Lemmata und die dazu gehörigen Schollen deutlich nebeneiuandergesetzt und Kocks Aus- führung vervollständigt. Ich würde noch weiter gehen als beide Ge- lehrte und auch opap-a Me7apix6v Tioieiv für eine bloße Erklärung de^ Vorangehenden halten. So bliebe für Ekphantides nur ein Vers übrig, der seinem Abscheu über Megarische Spaße Ausdruck gäbe. Die übrigen Vorschläge ßutherfords beziehen sich auf Kratinos. Für frag. 9 empfiehlt der Verf. ein metrum Cratineum: w[j.o/a'votc x6}X7]v dßpuvouj' axi|xiac tzUok. Für frag. 18 (Ko. CAF I, p. 18) schlägt er vor, bei Hesychios zu lesen: -up -üp 'ij/J^ ap^ac'Vevo? . . sie xtv' ip rjxai'psi. Für frag. 22 ai'ilpsi' a-j-tvoüvxas jxe'frj. Richtig scheint mir die Bemerkung zu fr. 26, daß -po? xriv 7yjv neben eppa^s als Glossem zu streichen sei. Es liegen noch Konjekturen vor zu Kratinos fr. 38 : ex' ouo' 0 |xoi cppaswv, zu fr. 49: xscoc evot-oTraxouvxa xoic Adxtüctv, fr. 57 58: v>' ov o'j ßpoxtJüv und TpixxT) (st. xpr/)^/]), fr. 97: epüi TioXXrj ayokf^, fr. 124: yp'jJiSt jtievoüjv, avaYpacpsü, xoi; ocpejt Ttieiv oi'^ou.

A. N. Jannaris, Kratinos and Aristophanes on the cry of the sheep. The Americ. Journ. of Philol. XVI, 1895, p. 46—51. Schon nach dem Titel errät der Leser sofort, daß es sich wieder einmal darum handelt, die Existenz des Itacismus schon ans möglichst

Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 297

alten Autoren nachzuweisen. Bei Untersuchungen dieser Art bildete der Vers des Kratinos fr. 43 Kock: 6 o' rjXi'öio; tus-ep zpoJiaTov ß^ ßr] Xe-fojv ^otot^et stets einen unangenehmen Stein des Anstoßes, weil über das Argument, daß die altattischen Schöpse nicht wi \vi, sondern bäh bäh geblökt haben dürften, nur mit mehr oder minder schlechten Spaßen, nicht aber im Eruste hinwegzukommen war. Man sehe nun, wie jetzt Jannaris mit dem Verse des Kratinos fertig wird. 1. Kratinos hat nicht BH BH geschrieben, sondern BE BE. Im Jahre des Eukleides war Kratinos schon tot. Aristophanes, der im Alter sehr konservativ war, erlernte das neue Alphabet nicht mehr. Auch Aristoph. schiieb BE oder BEE. 2. Die Schafe schreien überhaupt nicht bäh bäh, sondern nur bäh und nach längerem Intervall abermals bäh. 3. Hätte Kratinos beabsichtigt, den Maturlaut der Schafe wiederzugeben, müßten ß^ ßrj durch eine Cäsur getrennt sein und dürften nicht einem Versfüße an- gehören. 4. Also habe Kratinos hier die Kindersprache nachgeahmt, in welcher BE BE das Bäh- Schaf (ba-lamb) bedeute. Es handle sich um einen Alten, der sich, wie Strepsiades in den Wolken v. 1380 &., als ganz kindisch darstellen wolle. 5. Der Anapäst im vierten Fuße verstoße gegen Porsons Regel (Hec. praef. XLV). 6. -p6ßa-ov habe zu Kratinos" Zeit Kleinvieh bedeutet und sei daher zumeist im Plural verwendet worden. Also sei Coz-tp -poSa-ov als Glossem eines Lesers, der den Text mißverstanden hatte, zu streichen. Der Vers hätte also bei Kratinos: i o rjXtÖioc BEBE Xeywv ßaöi'Cei (!) u - gelautet. Vor allem ist gegen diese Bemerkungen einzuwenden, daß die Anord- nung des Eukleides bekanntlich nur den Schlußpunkt einer während eines ganzen Jahrhunderts vollzogenen Reform darstellte. Und wenn nun Kratinos wirklich BE BE geschrieben hätte und ß^ ßrj schon damals als wi wi aufgefaßt worden wäre, wie ist dann ß/j ßrj in unsere Texte hineingekommen? Auch andere Einwände ergeben sich von selbst, wie z. B. bezüglich des Glossems und der Versverstümmelung. Die Be- schreibung des H und E bei Eur. fr. 382 N' -wird übergangen, obwohl auf den Theseus in der Polemik gegen Blaß wegen der Kalliasfrage Rücksicht genommen wird.

J. van Wageningen, Ad Archilochum. Sylloge commenta- tionum quam Constantino Conto obt. philol. Batavi. Lugdnni 1893.

Diese kurze Abhandlung muß hier erwähnt werden, weil das Fragment des Archilochos (u Xizepvfjxs? ::oXr-ai, Td[i.a S-^ Euviexe {ithlol-:' nicht nur bei Kratinos frag. 198 Kock, sondern auch bei Aristoph. Pac. 603 teilweise wiederkehrt. Wie Hervverden, Mnemos. XXIV p. 203, halte auch ich die Erklärung des schon von Kallimachos mißverstandenen Ausdruckes tl) Xiz£pvr,T£c = Ji aXmepvf^xec für so schlagend, daß sie

298 Bericht über die Literatur der griechischen Komödi •. (Uülzioger,)

kt'iner weitereu Anempfehlung bedarf. Archilochos spricht seiue eigeneu Mitbürger an. Die Einwohner von Faros aber waren natürlich darauf angewiesen, ihre Erzeugnisse über das Meer («>.?) nach dem Festlande zu schaffen (TrepvTQfxi). Ich fü.£;e folgendes hinzu. Das Fragment des Kratinos gehört der Pj'tiue an, welche an den großen Dionysien des J. 423 gespielt wurde. AVenn nun Kock die Schreibung Co )a7i£pv^Ts; {Uaxal anempfiehlt, wofür man von nun an «oXiTrepvyj-sc Osatai setzen wird, so muß man wohl diesen Ausdruck des Kratinos nicht bloß auf die see- kundigen Athener, sondern vielleicht ebenso sehr auf die zu Schiffe herbeigeeilten Festgenossen beziehen.

H. van Her wer den, Ad fragmenta Comicorum. Mneraos. NS. XXI. 1893, p. 149-179.

Th. Kock, Epistula critica. Mneraos. NS. XXI, 1893, p. 3G1— 365.

H. van Herwerden behandelt eine große Anzahl von Fragmenten attischer Komiker auf der Grundlage von Kocks Ausgabe, namentlich in kritischer Beziehung, und erhebt gegen die Textvorschläge Kocks zahlreiche Einwände. Auf eine kleine Auswahl derselben antwortet Kock in der an Herwerdens Adresse gerichteten Epistula criiica. Er bespricht darin 6 Komikerfragmente: 1. Kratin, fi'. 211 = Herwevden Mnemos. XXI, p. 149. In seiner Ausgabe der Com. Att. Frag, hatte Kock StiXoZ (st. osivou) cpufjv fjisXavoupou vermutet. Bezüglich der Kon- struktion hatte er angegeben, daß das vorangehende ejöisiv, das den acc. xpi^XYjv regiert, nicht auch gleichzeitig den Genetiv bei sich haben könne und daß man demnach für den nächsten Vers eine Form wie •suaaaöai erwaiten müsse. Herwerdeu war also ganz in seinem Rechte, als er voraussetzte, daß Kock cpufjv mit osi/iou als Acc. der Beziehung verband. Kock ist nicht berechtigt zu antworten, er habe ejöietv cpuTjv verbunden, und Herwerden habe ihn mißverstanden. Übrigens ist die Fügung Ejöistv cpuTjv wegen des vorangehenden xp'j-fovo; unmöglich. Der Tadel Herwerdens bezog sich aber auf den Gebrauch von cp'j>^, das Kock allgemein gleich cpu3i; setzt, also Talent und Charakter in gleicher "Weise umfassen läßt. Herwerden hingegen läßt cpuv] nicht im Sinne von Charakter gelten, wenn er osdou (puyjv für ungriechisch erklärt. In dieser Beziehung ist m. E. Kock im Rechte. Allerdings die Stelle bei Piud. Ol. 2, 155 (86) aocpoc 6 tzoDA siook «pu?, die er in der Ant- wort citiert, spricht eher gegen ihn, als für ihn. Aber anders steht es bereits mit Piud. Nem. 1, 38 (25): [xapvajflai cpuöi. Bei der geringen Anzahl der verfügbaren Parallelstellen würde ich auch unbedenklich eucpuT^? und xa/ocpurjc beizieheu. Ersteres geht auf die geistige Begabung, aber xaxo^uY^; betrifft bei Plat. ßep. III, 410 den Charakter. Meines Erachtens hätte Pindar osiXo? «poi^v sagen dürfen. Kratinos also darf

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.) 299

es auch- sagen, wenn die Stelle eine lyrische Diktion oder aber eine literarische Anspielung verträgt. Nach der sonstigen Beschaffenheit des Fragments ist also die Konjektur Kocks unwahrscheinlicli. 2. Für das Frag-. Menand. Heniochi 202 v. 4 empfahl Kock ai-:ou|j.evou; st. iopu[xevou;, weil dieses part. perf. mediale Bcdeutun'j: liaben müßte. Herwerden Mnemos. XXI, p. 168 kSmpft dagegen mit einem Beispiele, das tSpuaasöai enthält, natürlich ganz vergebens. Im Rechte ist aber wieder Ilerwerden, wenn er behauptet, dal.! man nicht fav^en könne: TO'j; ftcO'j; aiTEiaiJoti st. aivEiv. Kocks Gegenbeispiele sind unwirksam, wie Xenoph. Inst. Cyr. I, 6, 5: aiTeiJöat -zi.fo.da irapa ttuv Heuiv. Da otiTsiaöat, wenn ich nicht irre, „etwas für sich verlangen" bedeutet, ist es begreiflich, daß es sich mit xa-j-oc&a -apa tcüv fJsiöv verbindet, aber ohne Beweisstelle nicht glaublich, daß man auch too; Ueoü; ahzii\)ai gesagt habe. 3. Bei Anaxandrid. fr. iuc. 54, v. 6: ypr, -/ap ei; cI/Xov (pepsiv I aravö' 6V ov ti? xaivo-r,-:' c"/£tv oov.f^ bemängelt Herwerden p. 158, daß Kock oTav -t; st. oj a'v -i; empfohlen habe; ooxeiv sei = voiii^stv und der Index Jacobii bringe dafür Beispiele. Mit Recht verwahrt sich Kock dagegen, daß er diesen Sprachgebrauch nicht gekannt haben sollte. Er habe vielmehr ebenfalls ooY.f^ ^ ''OfjLtl^O verstanden und habe aravU' als raasculinum genommen. Dann ist aber Herwerden im Rechte, wenu er die überlieferte La. vorzieht. 4. Fraij. com. ine. 405 stellte Kock aus Aristeid. I, 2 t)df. her: dvi^pwTrwv -ji toi | ocpÄsiv -^iXwTo. xpeiTrov T, fi£[jL'{/iv Ocüiv. Herwerden p 176 tadelt dieses Fragment, weil man zu j>agen pflege : av{)piu-o'.j -jEAtuTa ocpXeiv. Kock verteidigt sich mit der Be- merkuDg, daß man unterscheiden müsse, ob die Tadelnden anwesend j-eien oder nicht auwesend; ocpXEiv ix£[i.'];iv Usüiv stehe doch bei Aristeides. Kocks Rekonstruktion des Verses ist, sobald man von \).i[i'\iv/ ilsuiv aus- geht, folgerichtig. Man kann dem Dichter nicht zumuten, daß er innerhalb der gewollten Antithese zuerst avDpwrot; und dann ftsüiv schreibe. Zudem ist ävi)pa)-(ov gewissermaßen unpersönlicher gesagt als avöpcu-o'.c. Die Gleichmacherei kann uns iri solchen Fällen um manche unerwartete, aber feine Konstruktion bringen. Bedenkt man aber, daß die Antithese nicht mit Oswv begann, wobei der Genetiv minder seltsam klingt, sondern mit avOpconoc, so könnte der Vers doch auch gelautet haben: avHpw-o'.c ^s to». I o'fXsiv -(Ümvx /psiTrov fj ijle|x({*iv \)zoU. 5. Für Aristoph. fr. iuc. 640 hatte Kock von Nanck Philol. VI, 415 die Wortform sca/oiviy.ov übernommen, welche Herwerden, der Mnemos. VI, p. 62: i; yoivixwv geschrieben hatte, Mnemos. XXI, p. 155 ablehnt. Kocks Beispiele für analoge Bildungen scheinen seine La. hinreichend zu stützen. 6. Aristoph. fr. ine. 320 v. 15. Her- ■werden p. 154 behauptet, daß su-ett^; und E-j/sp/jC nicht der komischen Diktion angehören. Bezüglich Eu/sprjj ist Kock durch den Ind. Jacobii

300 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.)

gedeckt. Daß zur.tTTfi, das so vortrefflich in die lamben hineiDpaßt, sonst bei Komikern nicht zu lesen ist, muß doch von der Konjektur EÜTiETtoc abraten. Unter den zahlreichen kritischen Bemerkungen Herwerdeus, die Kock nicht bespricht, linden sich noch manche, welche die Beachtung künftiger Herausgeber verdienen.

E. Piccolomini, Di una reminiscenza Soloniaua presse Cratino e presso Aristofane, Kendiconti d. K. Acc. d. Lincei, Serie V, vol. IV, 1895, p. 69—85.

Der Verf. beschäftigt sich in diesem Aufsatze mit Solon fr. 11 Bgk. V, 5—8, mit Kratinos fr. 128 Kock und zuletzt mit Avistoph. Ri. 752 ff.

Kratinos knüpft bekanntlich mit seiner Mahnung an die Athener: Gjxolv El? [XEv exaGTos aXwTTTj^ otupoSoxeiTai (owpoSoxei ti Kock) au Solons Vorwürfe an: ü[J!.£ojv 6'ei? }jl£v exaato; aXujTTExo; lyvecti ^aivEi, | cju|x-a(Jiv ö"u|jlTv XOÜ90? Ive-jTi vooc. t £i; "/ap '[Xwjjav opaxE xai Et; e'-qc dioXov dvSpo;, 1 ei; £p7ov o'ouoev 7i7vo|X£vov [iXiT:tTB.. | Tür den Vers des Kratinos schlägt nun Piccolomini die Schreibung öwpoöoxEi oe vor und meint, daß Kratinos zwar mit Solons Gedanken anfänglich harmoniere, denn aber in dem owpoooxET os sich Trapd Tipocooxiav von dessen bekanntem Aus- spruche entferne. Bezüglich des öcupoooxEi oe verweist Piccolomini auf die einander entgegengesetzten Sprichwörter bei Suidas s. v. dAtuzT)^, Apostolios cent. II 17, Lex. Seguer. 5, Bkk Anecd. p. 218, 29 Zenobios I, 71, Diogeuian. II, 18, Gregor. Cyp. I, 26 hin. Dabei geht der Verf. stets von dem Gedanken aus, der Fuchs sei zwar schlau, lasse sich aber doch durch Lockspeisen fangen. Vielleicht wollte aber Kratinos gerade das Gegenteil sagen, daß sich die Schlauheit des Politikers in seiner Vorsicht bei Bestechungen zeige: TtapotiJ.ta. dXtoTnf)^ otupoSoxeTxai Im. Tuiv jjLTj potoi'w? ocupoic -Eiflop-Evojv Suid. Bernhardy? Meines Erachtens läßt sich dies nicht sicher entscheiden, weil der Vers des Kratinos ver- einzelt überliefert ist. Der Gegensatz zu tl; [xev Exaaxo; bei Kratinos war vielleicht ebenfalls ein cru[x-avT£s wie bei Solon! z. B. eic \ih sxajtoc ufj-ülv ou paotw; aXiV/siai, aujxTiavTa; oe pdar' dv ti; eXoi. Wer Vermag den fehlenden Zusammenhang zu erraten? Piccolomini behauptet ferner, daß auch die Verse des Aristophanes Ri. 752 ff. auf die Solonische Mahnung des fr. 11 zurückführen. Hierbei gibt er eine Ergänzung zu seiner in den Rendiconti HI, p, 8 18 ein Jahr vorher publizierten Er- klärung von E[x-ooiCu>v ij/doac: „Demos diventa un balordo, sta a bocca spalancata come per abboccare i fichi secchi." Die trockenen Feigen seien hier ihrer Süßigkeit wegen mit den süssen Reden der Volks- schmeichler in Vergleich gezogen. Daß hierdurch ein fremdartiges Element in den Sinn der Stelle hineingebi-acht wird, zeigt am besten

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 301

Jer diesmal auch von P. herbeigezogene Ausdruck Ks-/r,vaiv(uv -o>.'.;. dessen Erklärung mit der Auffassung von yiyr,v£v in Ri. v. 756 parallel laufen muß. Vgl. das von mir zu dem eben citierten Aufsatze Gesagte S. 207.

W. Headlam, Critical notes. The Classical Review XIII,

1899, p. 5-8.

Headlam bringt zu dem 1. Bande der Fragm. Comicorum Theodor Kocks etwa 40 Konjekturen, zu dem II. und dem 111. Bande je 45 Ver- mutungen. Sie werden größtenteils ohne Erläuterungen, ohne Belege und selbst ohne Angabe des Kockschen Textes , der verbessert werden soll, mitgeteilt, so dal.l ihre Beurteilung nur nach eingehendem Studium des von Kock dargeboteneu Materials erfolgen kanu. Ich beschränke mich auf die Vorführung zweier Stichproben.

Headlams Vermutung zu Chionides frag. 6: y.a--cTov statt xo-rsrov ist so naheliegend, dail man unvdllkürlich darauf verfällt. Vgl. meine Besprechung (S. 296) von ßutherfords Conjectures (Classical Review XI, p. 16). Aber es bleibt die Frage offen, ob man xaTrxeiv mit irv. t(u -Tapi/si konstruieren könne und Headlam gibt uns bei seiner Methode auf diese natürliche Frage keine Antwort.

Bei Kratinos frg. 85: 'Axearopa ^ap (/[xojc ei/oj XaJ^siv | -XYj-fa;, sav |jt.Ti (j'jjrps'Lr; to: -pa-jjjLaTa schreibt Headlam: 'Ax£3-op' arap o[xü)c x'^X. GeUiutige Verbindungen. sind bekanntlich aXX' ojjlu? und op-toc oi "Ver- einzelt findet sich auch dxap o\no^. Hingegen wird ^otp ojxtoj weniger leicht zu belegen sein. Dazu kommt dann noch der unangenehme Versiktus auf der Schlullsilbe von 'Axea-opa, worauf schon Meineke aufmerksam machte. Bergk vermutete: 'Axes-cop' ejii rap' o[xü); und Headlams Kon- jektur: aTap o[j,(o; hat also nicht unbeträchtliche Gründe für sich. Da- gegen steht aber die Tatsache, dal.l wir die Verbindung des Fragments mit dem Vorangehenden nicht kennen und daher nicht wissen, ob nicht der Name Akestor gerade durch das ^ap und den Versiktus gegenüber anderen Eigei.naraen in der Stelle hervorgehoben werden sollte. Und wenn mit dem 'Axs'crcop' das Satzkolon abschloß, warum läuft das Citat bei dem Scholiasten zu Aristoph. Av. 31 nicht so, daß es mit 'Axe'uTop' endet und das Verbum einschließt, von dem dieser Accusativ abhängen soUV Da Headlam seine Vermutung ohne alle Begründung hinstellt, vermag ich sie nicht für gesichert zu halten. Von genauer Lektüre der Komikerfragmente zeugen aber Headlams Konjekturen jedenfalls und ihr Studium wird daher für künftige Herausgeber von Nutzen sein.

H. Richards, Further emendations of the Greek Comic Fragments. Class. Ilev. XIII, 1899, p. 426—428.

In dieser Abteilung der Bemerkungen Richards' zu den Fragmenten dei" griechischen Komiker und zwar speziell zu Theodor Kocks Texte,

302 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzingt-r.)

würde icli doch wenigstens ein Dritteil als sehr tüchtige Bemerkungen bezeichnen müssen. Unsicher bleibt für Pherekrates fr. 95 die Ver- mutung e-f/apu[iotaat, da das bei Athen. XI, p. 485 D überlieferte exyapußötaai durch die Glosse des Hesychios l^syap-jl^öijf)/) geschützt wird. J3arum haben Kaibel und Meineke und Kock nichts geändert. Zu Antiphaues fr. 191 v. 18 ist richtig bemerkt, daß 6icp7.r)iJ.e'va als Aus- liruck für die der ersten Sceue einer Tragödie vorausliegende Fabel nicht festgehalten werden kann. Aber der Vorschlag' 6iax£i}j.eva be- friedigt auch niclit. Bei Alexis fr. 245 v. 6 setzt Richards den Hei- strich nach TiaXiv, während Kock ttocXiv zum nächsten Verse zieht. Bei Alexis fr. 245, v. 15 16, wo es sich um Eros handelt, schreibt der Verf.: oux oi8' 0 Ti eaTi'v, aXX' 0{xu>? s'/cu (st. e"/^') 7^' "^^ I '^oioZxoy, £776? t' £t|xl Toü voar^fjiaToc (statt Touvo[j,a-o;). So wird die Stelle wenigstens ver- ständlich. — Bei Tiniokles fr. 6, v. 6 schiebt er wegen der Redensart mit Tzpos ein äv ein: t wv.

Für Philemon fr. 213 v. 2 empfiehlt Richards asauTto st. Gsau-ov> und für Philemon fr. 89, v. 10 Meinekes xaiV hi tojo'jtouc. Die iibrigen 10 Bemerkungen scheinen mir verfehlt zu sein. Wenn Richards bei Piaton com. fr. 153 irirTovri (st. TriTTTr^ai) vorschlägt und sich auf Plat. Rep. 370 E: Jiv av auToü xpsta als Analogen für die Ellipse von v^ stützen will, so hat er nicht beachtet, daß doch ypeia ein Substantiv ist und der Fall ganz anders liegt als bei seiner Konjektur. Auch Piaton com. fr. 183 wird durch die Schreibung TravTayodev st. -avta/oü und durch die Wortumstellung noch nicht wirklich geheilt. Bei Aristomenes fr. 4: Itisio-?) tou? üpuxavsic TiposTQXOojxev ist der Mangel einer Präposition richtig hervorgehoben. Aber R. setzt si; vor tou;, wälxi-end die Fügung' eher eines T:p6c oder Ird bedarf, die doch das Metrum ausschließt. Unnötig ist bei Antiphanes fr. 191, v. 6 die Änderung ^-^ St. cpw, bei Philemon fr. 79, v. 5 oi|;ov st. oiov , bei Theophilos fr. 1, V. 3 -flöetv st. sloov. Bei Philemon fr. 79, v. 26 ist Porsons oxav jxovov der neuen Konjektur ovxa? orav vorzuziehen. Bei Kratinos jnn. fr. 10 liest R. : oux oloa [xev, utrovocj ö'r/eiv, bei Alexis fr. 240, v. 4: xatvö; 9^iveiv TT)v ETzioucjav au TiaXiv und bei Philemon fr. 4, v. 9 xotvouc und xaxEcjxsuaaixEvou; an Stelle der überlieferten Feminina.

F. Hultsch, Zu dem Komiker Krates. Neue Jahrb. 149. Bd. 1894, p. 165—178.

^Dieser metrolo^^ische Artikel befaßt sich mit dem Fragmente der Lamia des Krates: yjjxiextov e^Tt ypuaoü, [xav8av£i;, oxxu) 'ßoXoi. ^ Kock, Com. Att. Frag. I, p. 136, frag. 20. Hultsch verteidigt die über- lieferte Lesart und die schon von Böckh aufgestellte Ansicht, daß man unter fiixiexTov ypuaou „eine sehr leicht ausgemünzte oder stark mit

Bericht über die Literatur der griecbischen Komödie. (Uolzioger.) 30."^)

Silber legierte Goldmünze" zu verstehen habe. Hultsch ist der Meinung-, daß die Wertgleichung mit 8 attischen Obolen auf ein /jIai'extov von Phokaia oder Kyzikos hinweist. Der Aufsatz ist inbesoadere gegen Th. Reinach (Les origines du bimetallisme, vgl. Berl. phil. Wo. 1894, Sp. 297 fF.) gerichtet, der keine andere Deutung von fjiJ-iExtov als die eines Getreideniaßes für zulässig erklärt. Auch Herwerdeiis Schreibung Xpuj£ st. ypu-o'j wird abgelehnt.

0. Crusius, Eupolis fr. 27G Kock. Philologus LI, 1892, p. 6G3.

Um die Aufzählung verschiedener Personen, welche den Inhalt dieses Fragmentes des Xpuuoüv Fsvo; bildet, zu erläutern, zieht Crusius frag: Eupol. 28G Kock bei: apiflixsTv Usaxct; «j/ocji-fjiay.ocjtouc. Hiernach würden also vom Komiker einige Zuschauer aus der Älemie herausge- f?riffen und verspottet. Crusius weist dabei auf Aristoph. Vesp. 75 85 als auf einen ähnlichen Fall hin, wobei die Bemerkung einfließt, daß der Scholiast mit seiner Notiz zu Vesp. 75: tive; dt^ioi^^jotta. yotptsjTspov M X£7£abai atixa auvsyüij rpo; ivo; gegenüber den modernen Ausgaben das Richtige treffe.

0. Crusius. Sur un fragment poetique dans les papyrns Gren- fell. 1898. Mölauges Henri Weil, p. 81—90.

Crusius behandelt Brit. Mus. Pap. DCXCV a, publiziert von Greu- fell und Hunt in den New Classical Fragments and other Greek and Latin papyri, Oxford, 1897, pag. 24. Der Papyrus enthält in einer abgebrochenen Kolumne die Anfänge von 7 aufeinander folgenden Tri- metern und den Anfang eines auapästischeu Systems. Links davon stehen in 7 Zeilenresten die Schlußworte von Schollen. In der siebenten Textzeile hatte Mahaffy durch Konjektur xaxa ttjv McXavi~[T:rjV her- gestellt. Hierauf beruhte die bei Grenfell und Hunt gegebene Ver- mutung, daß das Fragment der Melanippe Desmotis des Enripides angehöre. Heinrich Weil bezweifelte in der Revue des Etudes grec- ques X, p. 8 die Abstammung der Verse aus einer Tragödie. Die Zugehörigkeit der Schollen zu dem Texte hatte Friedrich Blaß im Centralbl. 1897, p. 10 in Abrede gestellt. Crusius hat nun das Frag- ment einem eingehenden Studium unterzogen und beweist mit über- zeugenden Gründen, daß die Verse einem Komiker angehören und daß die Scholienbcmerkungcn sich an den überlieferten Text anschließen. Auch die weitergehenden Vermutungen, die Crusius über den Inhalt der Verse und über den Namen des Dichters und des Stückes aufstellt, sind beachtenswert. Es handelt sich, meint Crusius, um eine Scene in der Unterwelt, um eine komische Nekyia. Unter den Missetätern, welche für ihre Frevel büßen, wird auch Euripides gezeigt. Schwatzende

304 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzingcr.)

Frauen umstehen den Weibeihasser und räclieu sich au ihm. Crnsius weist diese Scene dem Ger3'^tades des Aristophanes zu und bringt sie mit anderen Fragmenten dieser Komödie in Zusammenhang.

H. Weil, Nouveaux fragments de Menaudre et d'autres classiques grecs. Journal des Savants 1900, Februarheft, p. 95 106.

G. Fraccaroli, Bricciole dai papiri di Ossirinco. Rivista di filol. XXVIII, 1901», p. 87-89

H. Her werden, Ad papyros graecos. Mnemos. NS. XXVIII, 1900, p. 122—125.

Fraccaroli behandelt das von Greufell und Hunt im II. Bande der Oxyrhynchos-Papyri p. 20—23 als No. CCXII herausgegebene und zumeist von Friedrich Blaß (ebenda) hergestellte Fragment eines Komikers, in welchem bereits die englischen Herausgeber den Aristo- phanes vermuteten. Auch ihre speziellere Vermutung, daß das Fragment den zweiten Thesmophoriazusen angehört, ist nicht nur mit großem Scharfsinn aufgestellt, sondern auch sehr wahrscheinlich. Das Nähere hierüber mag man bei ihnen selbst nachlesen. Von den drei zusammen- gehörenden Stücken des Fragmentes umfaßt das mit Col. EI bezeichnete 20 aufeinanderfolgende Verse, deren Inhalt von den Herausgebern p. 20 als dunkel bezeichnet wird.

Bei diesem Punkte setzt die Arbeit Fraccarolis ein, der in einer sehr einleuchtenden Weise einen Olisbos als Gegenstand des Gespräches zweier Frauen nachweist. Unter der Voraussetzung dieses Zusammen- hanges hat Fraccaroli auch eine Anzahl der am Ende verstümmelten Verse sinngemäß ergänzt. Das Alter der Schriftzüge schätzen die Herausgeber auf den Schluß des ersten christlichen Jahrhunderts und spätestens auf die Mitte des zweiten Jahrhunderts. van Herwerden behandelt dasselbe Fragment in eben demselben Sinne, der sich auch mir, wie gewiß auch vielen anderen Lesern gleich bei dem ersten Blicke aufgedrängt hatte. Ich finde nachträglich, daß auch von Wilamowitz, Götting. gel. Anz. 1900. p. 34 die gleiche Vermutung aussprach. Auch Herwerden teilt das ganze Fragment mit und ergänzt viele Verse in sinngemäßer Weise. Der Wortlaut der Ergänzungen Herwerdeus ist in einigen Fällen wahrscheinlicher und uäherliegeud als die Konjekturen des italienischen Gelehrten. Dieser hat dafür auch die Lücken der Verse 11 flf. auszufüllen gewagt, von denen Herwerden sagt: De corri- gendis et interpretandis vss. 11 sq. despeiare me confiteor. In der Tat kann wohl auch Fraccaroli mit seinem Schlüsse des 12. Verses xal rovou (sie) fe SiaTptßfj nicht das Richtige getroffen haben. Unrichtig ist bei Herwerden die Altersangabe des papyrus, wenn er sagt: „ex edi-

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzlager.) 305

torum seutentia medii seculi secimdi p. Chr. iion autiquiore". Die englischen Herausgeber sagen: The date of the MS. can hardly be later than the middle of the second Century, and it raay go back to the end of the first. Weil, dessen Aufsatz mir erst zuletzt zur Hand war, behandelt das Fragment über den Olisbos in dem gleichen Sinne als die vorgenannten Gelehrten.

A. Sonny, Ad. Strüttidis frg. 23 K. Philologische Rundschau (russische: Philologitscheskoje Obozrjenje) tom. V. 1893, Heft 1,S. 35.

Der Vers desStrattis: Xio; -apajxa; Kwov o'jx ii Xe-csiv ist nach Sonnys ansprechender Ansicht nicht das Sprichwort selbst, sondern eine tür einen besonderen Fall, in welchem ein Chier einen Koer nicht sprechen läßt, eingerichtete leichte Abbiegung des Sprichwortes. Während Sanppe (vgl. Kock zur Stelle) die choliambische Form des Sprichwortes in dem Wortlaute: Xio; rapaaxac Kipov ouvc li jiu^eiv wiederherzustellen glaubte, nimmt Sonny an diesem dw^^etv wohl mit Recht Anstoß. Wenn er aber hierfür sjcuxeiv vorschlägt, so hat man nach den Fundstellen für dieses Verbum bei Aischylos und Sophokles das Gefühl, dal.) dies für diesen Zweck ein allzu poetischer Ausdruck sei.

b) Arbeiten über Menander and die neue Komödie.

F. Studniczka,' Meuaudros. Berl. phil. W^o. 1895, Sp. 1627. F. Studniczka, Vortrag über die Bildnisse des Menandros, ge- halten in der 44. Versammlung deutscher Philol. und Schulmänner in Dresden 1897. Vgl. VVDPh. 44, p.*42.

Der Verf. vertritt die Ansicht, daß das bekannte Vatikanische Sitzbild, welches als ein Porträt des Menandros galt, zwar einen Komiker, aber nicht den Menandros darstelle. Als Porträt des Meisters der neuen attischen Komödie nimmt Studniczka den Kopf in Anspruch, der früher Pompejus genannt wurde. Eine ausführliche Publikation des ganzen in der Dresdener Versammlung vorgelegten Materiales ist seit langem in Aussicht gestellt.

Ä. Olivieri, A proposito degli studi fatti su Omero dai Comici greci. Rivista di filologia XXIX, 1901, p. 567—571.

Dieser Aufsatz schließt sich an W. Scherrans' Dissertation an: ,De poetarum comicorum atticorum studiis Homericis". Königsberg 1893.

Olivieri unterzieht die Bacchides des Plautus einer kurzen Be- trachtung, besondes don fünften Akt des Stückes, in welchem die Handlung desselben mit den bekanntesten Mythen über den Fall Trojas in Ver- gleich gesetzt wird. Auch werden die Personen der Komödie mit den Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 20

30G Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

heroischen Figuren Homers und des epischen Kyklos verglichen. Diese Parallelisierung ist bei Plautns allzu weit ausgesponunen und wirkt daher sehr ermüdend. Unter der Voraussetzunji-, daß der !lU £?a7:aT(ov Menan- ders dem Stücke des Pkiutus zu (irunde lag, zieht nun Olivieri den »Schluß, daß die Parodie homerischer Mythen auch ein Element der Menandrischen Komödie gewesen sei. Während aber Dichter der alten attischen Komödie, wie Kratinos und andere, jedesmal eine ganze Komödie der Parodie eines homerischen Mythos gewidmet hätten, habe Menandros dieses Element auf einzelne Scenen und einzelne Stellen eingeschränkt.

In einem zweiten Abschnitte seiner Abhandlung sucht der Ver- fasser zu erweisen, daß Plautns den Als s^azanov nicht einfach in seine Bacchides übertrug, sondern daß diese Komödie eine Konta- mination darstellt, deren übrige Bestandteile er aber nicht angibt. Es hat wenigstens nicht den Anschein, daß Olivieri seinen Hinweis auf die IlspixcipoixsvY) iu diesem Sinne aufgefaßt wissen wolle (p. 570). Ich finde, daß durch diese zweite Bemerkung das Resultat des ersten Absatzes wieder in Frage gestellt wird. Wenn sich nämlich auch Be- standteile anderer ungenannter Komödien iu den Bacchides verarbeitet finden, was natürlich kaum eines Beweises bedurft hätte, so ist es sehr zweifelhaft, ob es Olivieri gegenüber Scherrans gelungen ist 'nachzu- weisen, daß gerade die Verwertung Homers und des epischen Kyklos im fünften Akte der Bacchides auf den AI? i^araTor/ des Menandros zurück- zuführen sei. Zum mindesten wird es schwer fallen zu glauben, daß Menandros einen vielleicht in zwei Zeilen ganz wirksamen Vergleich der von ihm verwendeten Handlung mit einem Vorgange des epischeu Kyklos, z. B. dem Mythos vom hölzernen Pferde, in einer so plumpen und abgeschmackten Weise zu Tode gehetzt haben könnte.

W. Meyer, Die athenische Spruchrede des Meuander und Phi- listion. — Abhd. d. k. bayer. Ak. d. W. I. Kl. XIX. Bd. I. Abt. IHUL

Diese vortreffliche Abhandlung wird von A. Nauck in den Me- langes Greco-Romains, 1894, VI, 8. 131 berücksichtigt. Ich kann nur noch auf die ausführliche Besprechung K. Zachers in der Berl. ph. Wo. 1893, No. 35. Sp. 1093 ff. hinweisen, da sich mein Bericht auf das Jahr 1891 nicht erstreckt.

Leo Sternbach, Curae Menandreae. Cracoviae 1892. SA. aus Bd. XVII, Dissertationum philol. Acad. litt. Cracovieusis.

Diese für die künftigen Herausgeber der Fvcuixat p-ovoa-t/oi wichtige Schrift beruht auf einer neuen Vergleichung des cod. Vindob. philol. Gr. n. CLXV, aus welchem J. H. C. Schubart durch Theodor Bergks

Bericht über die Literatur der griecbischen Komödie. (Holzinger.) 307

Vermittelung das Supplenientum I (= Mouostich, 565—593) für [Meinekes Ausgabe (IV, p. 35G) geliefert hatte. .Sternbach gewinnt Hus dieser Handschrift fünf Monostichen, die bei Meineke fehlen: Toveü oi Tiixa xat YspovTa; aiay-jvou. J^ia -evi'av <5e Sternb.> {jirjösvoc xa-ra- opovci. 11 Xi';t ~i 3£iJ.vöv, £1 [xr,, aqrjv i'ye. '^ßv ^p^e -/aarr^p, to (fpovciv acpTjpeiJTr,. 12 '/^(P^; avi}pii»-o'.3'.v eüxTGtiov xaxov. Von der selben Sylloge verglich Steinbach ein zweites Exemplar, den Vaticanns Gr. n. 127, chartac. in 16°, saec. XV. Aus ihm gewinnt Sternbach 0 Monostichoi, die bei Meineke fehlen: 'Ev -/ap 7upuu <ev ap-ppuo Sternbach; ich würde iv -," dp7uptcu beibehalten haben, das dem Zu- sammenhange entsprechen konnte. > ixaXiota xptvsxat Tporoj. Zrjjov [jLcTpr^sa; tov ^i'ov -poc tov ypovov. Ni$ix'.^e -Xou-sTv. av cpi'Xou; -oXXooj r/T);. Eevou? vo|xi^e xohi apex^? ovxa? $evo'j;. llöipco [iXa^^vai [xaXXov fj oixr]v Xeyeiv. 'Pu-apos iuv <'j-apycov Sternbach> yprjsxov o'jy £;£tc cpiXov. Im übrigen beschäftigt sich Sternbach mit der Frage, ob Gregor von Nazianz als der Veranstalter dieser Sylloge zu betrachten sei. Auf diesen Namea weist der Cod. Vaticanns insofern hin, als dort diese Monostichoi unter den Gedichten Gregors stehen. Die Appendix zu dieser Schrift (S. 61 78) enthält ein Gnomologium des Photius, dessen Besprechung innerhalb dieser Jahresberichte einem anderen Be- richterstatter zufällt. Ich weise übrigens bei dieser Gelegenheit auch auf die Menandrea, 1891, Cracoviae, typ. univ. .Tageil. und auf die Analecta Laurentiana, Wien 1902 (Festschrift für Goraperz S. 393 400) desselben Verfassers hin, welche ich innerhalb der Grenzen dieses Berichtes (1892 1901) ebenfalls nicht unterbringen kann.

*F. Galanti, Satrgi di versioni da Menaudro (I, II, III). Venezia 1891 1894. Estratti dagli Atti del r. Istituto Veneto.

Diese Übersetzungsproben aus Menander und Philemon sind mir nur aus ihrer Benutzung durch Giovanni Setti (Una nuova pagina di Menandro S. 145) bekannt. Während Hermann Lübke seine Proben Menandrischer Dichtkunst in hübschen Versen wiedergibt, übersetzt Galanti die Spruchweisheit des Komikers in nüchternste Prosa. Das ist nun allerdings keine schwere Aufgabe !

H. Lübke, Menander und seine Kunst. Programm d. Lessiug- Gymn. zu Berlin 1892.

Der Verfasser bringt in zwei Kapiteln die Urteile der Nachwelt über Menander und die Berichte über seine persönlichen Verhältnisse und Eigenschaften. Zwei weitere Abschnitte sind den Stücken Menanders gewidmet. Besprochen werden die Stoffe derselben, ihre Stellung inner- halb der Entwicklung der griechischen Komödie, Pathos, Ethos und Sprache. Das Ganze ist eine ansprechende Würdigung Menanders, ab-

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308 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzioger.)

gefaßt noch vor den letzten bedenteuderen Funden. Zum Schlüsse gibt Lübke in einem fünften Kapitel eine Auswahl freier Nachdichtungen von Bruchstücken, bei denen mancher Leser, wie überhaupt in der ganzen Arbeit, genaue Citate vermissen wird. Aufgefallen ist mir auf S. 10 die Notiz: „Dardanos, der Sohn des Zeus, Vater des Priamos", da doch Priamos der Sohn des Laomedon war. Man vergleiche übrigens auch Kaehlers Anzeige in der Berl. phil. Wo. 1893, No. 6, Sp. 165.

C. Lindskog, Studien zum antiken Drama. I, II. Lund 1897. Da sich der erste Abschnitt dieses Werkes ausschließlich mit Euripides, der zweite mit den Tragödien des Seneca befaßt, fällt eine Besprechung desselben nicht in den Rahmen dieses Berichtes. Ich muß aber doch kurz erwähnen, daß sich auch 24 8. Miszellen darin finden, von denen ein Teil den Komödien des Menandros und zwar der Andria und Perinthia, dem Euvoüyo? und KoXa; und den 'AoeX'^oi unter haupt- sächlicher Berücksichtigung ihrer Benutzung durch Terentius gewidmet ist.

J. Geffcken, Studien zu Menander. Progr. d. Wilhelm Gymn. in Hamburg 1898.

Bekanntlich hat Ussing (Plautus II, p. 587) auf die Möglichkeit hingewiesen, daß ein Stück des Menander die Vorlage für die Aulularia abgegeben habe, und Goetz hat in der Praefatio zu dieser Komödie den Gedanken abgelehnt, daß der Euclio der Aulularia mit der Titel- rolle des Menandrischen Dyskolos zu identifizieren sei. Gefi"cken glaubt nun in seiner Abhandlung einen Beweis dafür zu erbringen, daß die Aulularia jedenfalls einem Menandrischen Stücke und zwar speziell dem Dyskolos nachgebildet sei. Genau besehen bleibt aber die Sache, wie sie zuvor war. Die Möglichkeit, daß man die Aulularia dem Vorbilde des Menander verdanke, bleibt bestehen, aber ebenso auch die Mög- lichkeit, daß man es mit einer anderen Vorlage zu tun habe, die in der Charakteristik Tüchtiges leistete. Und daß nun diese Vorlage gerade im Dyskolos gefunden werden müsse, läßt sich aus den spär- lichen Fragmenten des Stückes um so weniger erweisen, als die größeren Bruchstücke wenig Anhalt zu der beabsichtigten Folgerung bieten. Zum Schlüsse der Arbeit sucht der Verfasser die Fabel des Menan- drischen "Hpcoc zu rekonstruieren. ^

F. Ranke, Periplecomeuus sive de Epicuri, Peripateticorum, Aristippi placitorura apud poetas comicos vestigiis. Marpurgi 1900.

In dieser Abhandlung werden zahlreiche Fragmente der neueren Komödie mit Sätzen Epikurs und der Peripatetiker verglichen und von ihnen hergeleitet. Ein Schlußkapitel beschäftigt sich mit Mil. glor. 615

Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 309

765, wo der alte Peripleconienns auffallend weise Reden führt. Die Quelle derselben sucht der Verfasser in Aristippos. Die Abhandlung ist ein Gegenstück zu Hoelzers Aufsatz (s. d.) und zeigt dieselbe Schulraarke. Vgl. S. 325 des Berichtes.

Menanders Phasma.

*V. Jernstedt, „Porphyrius-Fragmente der attischen Komödie", Petersburg 1891 (russisch).

A. Nauck, „Bemerkungen zu Kock Com. Attic. Fragra." Peters- burg 1894, Melanges greco-romaius VI, S. ö3 180. Lu le 2. octobre 1891.

Anf diesen Aufsatz bezieht sich bereits;

Th. Kock, „Zu den Fragmenten der attischen Komiker". 1893. Rhein. Mus. 48, p. 208-239.

Nauck hatte seinen Aufsatz noch vor der Veröffentlichung von Melanges VI, 1 an Kock gesendet. Von diesen drei Schriften habe ich den Aufsatz Jernstedts nicht gelesen. Kocks Aufsatz enthält ein Referat über Naucks und Jernstedts Behandlung der oben bezeichneten Fragmente und wird daher meinem Berichte zu Grunde gelegt.

Die sog. Tischendorfschen Menanderfragraente wurden bekanntlich von Cobet in der Mnemos. NF. IV, 286 ff. veröffentlicht (-= com. adesp. 114 Kock, com. adesp. 105 Kock und Menand. 530 v. 1 18 Kock). Cobet kannte nur 3 Fragmente aus einer Abschrift, die ihm Tischendoif verschafft hatte. Sein Verdienst war es, Menandros erkannt zu haben. Cobet verband zwei dieser Fragmente (= Menand. 530 Kock und com. auesp. 114 Kock) und leitete sie aus dem Aet!ji6at}xuiv ab. Theodor Goraperz (Hermes XI, 1876, S. 512) gab dies zu, hingegen von Wilamowitz-Möllendorff (Herm. XI, 498 ff.) lehnte die Abstammung der Fragmente aus dem Aeiatoaijjnuv ab, behauptete die Zusammen- gehörigkeit aller drei Fragmente (Menand. 530 v. 1 18 und com. adesp. 114 und 105) und nahm sie für eine nicht näher nachzuweisende Komödie in Anspruch, die er als den Pessimisten des Menandres be- zeichnete. Diese Entdeckung behandelte Kock in seinem Aufsatze: »Menander und der Pseudo-Pessimist", Rhein. Mus. XXXII, 1877, p. 101 113 mit ätzender Schärfe, wies jede Verbindung zwischen den 3 Fragmenteil zurück und behandelte sie dementsprechend auch in seinem 188s erschienenen III. Bande der Com. Att. Fragm. an drei verschiedenen Stellen. Das zusammenhängende Bruchstück von 23 Versen (= 18 und 5 aus Cl. Alex. Strom. 7, 4, 27) beließ er dem Menandros als frag, incertum 530, während er die beiden kürzeren Fragmente unter den ioesTToxa xr,^ vea; xto[j.(o6ta; als No. 105 und 114 führt. Dies

310 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

war der Staud der Dinge, als Prof. Jernstedt durch seine oben ge- nannte Publikation ein neues Licht über diese Bruchstücke verbreitete.

Jernstedt fand die Originale der sog. Tischendorfsclien Ab- schriften in der kaiserlichen öffentlichen Bibliothek zu 8t. Petersburg' in einem Karton auf, dessen Deckel die Aufschrift trägt: „Griechisch«- Palaeographie 1) Exemplar einer Schrift von .\gypten" griecli. No. CCCLXXXVIII. Es sind drei Pergamentfetzen, die bei ihrer Einreihuner in die Bibliothek an ein Stück Papier geheftet wurden, das die Be- merkung trägt: „Probe einer Schrift vom vierten Jahrhundert". In die Petersburger Bibliothek war diese Handschrift im Jahre 1883 mit der Uspenskijschen Sammlung gekommen. Der wahre Finder war Bischof Porphyrius Uspenskij, welcher diese Pergamentfetzen im Jahre 1850 wahrscheinlich aus einem Kloster der heil. Katharina (in Ägypten oder auf dem Sinai?) nach Rußland brachte und sie im Jahre 1862 in St. Petersburg Tischendorf zeigte. Das Alter der Pergamentfetzeu bestimmt sich auf das 3. oder 4. christliche Jahrhundert. Der Inhalt der einzelnen Fetzen ist folgender: Ja frag. com. adesp. 114 Ko. (7 Verse) in unmittelbarem Zusammenhange mit frag. Menand. 530 (18 Verse; zusammen 25 Verse). Ib ein von Cobet nicht publiziertps, neues Bruchstück von 25 Versen. IIa Fragm. com. adesp. 105 Ko. (9 Verse). IIb. Ein zweites neues Fragment (13 Verse) und 'einige syrische Worte im rechten Winkel zu den griechischen. Unter einem Striche steht ein großes P. Illa: wenige griechische Reste, die von sechs Zeilen zweier nebeneinander stehender Kolurauen in der Weise herrühren , daß links vom Beschauer Endsilben von sechs Zeilen einer Kolumne und rechts Anfaiigssilben von sechs Zeilen der anderen Kolumne ersichtlich sind. III b. Bruchstücke syrischer Schrift. Die bedeu- tende Leistung Jernstedts besteht darin, daß er in dem bisher nicht veröffentlichten Fragmente Ib ein Stück aus dem Prologe des Phasma des Menandros erkannte. Kock läßt dieses Urteil nur für die Verse 9 25 dieses Fragments gelten, während er die Verse 1 8 des- selben Stückes als nicht hinzugehörig betrachtet. In Frag. III a und zwar in den Zeilenenden der linksstehenden Kolumne, welche die Buch- stabeufolge von rechts nach links haben und nur durch Abdruck an diese Stelle geraten zu sein scheinen, erkannte Jernstedt Menanders Fragment 581 Ko. Diese Entdeckung vervollständigt Kock durch die Beobachtung, daß sich die Zeilenanfäuge der rechtsstehenden Ko- lumne mit Menand. Frag. 254 decken.

Soviel ist von diesen erfreulichen Forschungen als gesichert zu betrachten. Zweifelhaft hingegen bleibt die Frage nach der Zusammen- gehörigkeit und dem Ursprünge der Fragmente. Jernstedt weist nicht nur die Verse 1 8 des Fragmentes Ib im Zusammenhange mit den

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 311

Versen 9—25 desselben Bruchstückes dem Prologe des Phasma zu, sondern behauptet auch die Zugehörigkeit des Frag. la == Menand. 530 Ko. zu derselben Komödie und zwar zu der ersten Scene des ersten Aktes des Phasma. Da auf der anderen Seite desselben Pergament- fctzens (Ib) ein Stück aus dem Prologe des Phasma steht, müLiten die Annahmen Jernstedts wohl auf den Ursprung dieses Pergamentfetzens aus einer Handschrift des Meuandrischen Phasma hinführen und wir hätten somit direkte Textüberlieferung vor uns. Nach Kock aber sind nicht nur die genannten Fragmente, sondern auch einzelne Teile der- selben, nämlich v. 1 8 und v. 9 25 von Ib und die Verse la, 1 7 :-r-- com. ade?p. 114 und la, 8—25 ^ Menand. 530 v. 1 18 jeder für 5fich gesondert zu betrachten, daher er denn folgerichtig die Provenienz dieser Bruchstücke aus einer Anthologie aus Menanders Komödien ab- leitet. Den Annahmen beider Gelehrten stellen noch grolle Schwierig- keiten entgegen. Daß die Fragmente eines eigentlichen Zusammen- hanges entbehren, läßt sich Kock geiienüber nicht abstreiten. Aber unsere Vorstellung von dem Gesichtspunkte, nach welchem eine Antho- logie angeordnet war, in die jene Prologverse des Phasma Aufnahme fanden, bleibt unklar. Die von Jernstedt veröflfentlichten Fragmente findet man auch bei Nauck a. a. 0. S. 154 157 abgedruckt und be- sproclien. Habe ich hiermit aus den drei genannten Schriften das- jenige hervorgehoben, was am meisten Interesse verdient, so genügt wohl ein Wort darüber, daß Nauck in seinem an Belehrung reichen Aufsatze eine ungemein grolle Anzahl von Komikerfragmenten behandelt nnd sein gewiegtes Urteil den Leistungen Kocks für diese Stellen entgegensetzt. In dieser Hinsicht ist Kocks Aufsatz eine Antikritik. Die Komikerfragmente selbst können bei einem derartigen Streite zweier berufener Kenner nur gewinnen. Mit Recht aber hebt Kock hervor, daß sich Nauck in dem Tone, in welchem er seine Polemik führt, nicht selten arg vergriffen hat. Die Fülle der beiderseits dar- gebotenen Einzelheiten auch nur anzudeuten, ist hier nicht möglich. Man vgl. übrigens auch Nauck in den Melanges Gröco-Romains V, 1». 219 ff. worauf er in dem späteren Aufsatze hinweist.

Menanders Kolax.

Ein stark verstümmeltes und seinem Inhalte nach unverständliches Komikerfragment veröffentlichte P. Mahaffy 1891 in den Flinders- Petrie Papyri, Tafel IV, 1 p. 16 17 der Trauscriptions. Das Fragment umfaßt Reste von 14 Trimctern, immer nur etwa die zweite Hälfte derselben. Mahaffy weist darauf hin, daß darin in v. 5 der Name Demeas vorkommt, der in Menanders 1\; i^arraTÖJv Frag. 123 Kock eine Rolle spielt. Mahaffy lehnt daher die Möglichkeit nicht

312 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

ab, daß dieses Fragment dem Meuandros angehöre. Noch reservierter spricht sich Mahaffy hierüber auf p. 13 der Einleitung- ans. Kock bespricht diesen Fund in seinem Aufsatze: ,Zu den Fragmenten der attischen Komiker", Eh. Mns. 1893, S. 221 und nimmt für das Bruchstück auch nur ,die Zugehörigkeit znr Komödie-' in Anspruch. Mit bewunderungswürdigem Scharfsinne hat Blaß dieses anscheinend hoffnungslose Fragment behandelt: .Ein Papyrusfragmeut aus Me- nandros Kolax-, Hermes 1898, 33. S. 654-656. Blaß macht darauf aufmerksam , daß das Faksimile in der oben genannten Ausgabe auch noch einige verstümmelte Zeilenaufänge der nächsten Kolumne aufweist. Die darin erscheinenden Silben £upoßia erklärt er als oeüpo Bta und da Bias der miles des Menandrischen Kolax ist, den Terenz als Thiaso in seinen Eunuchus übertrug, weist Blaß das Fragment, von dem sich nun auch einige Zeilen aufhellen lassen, dem KoXa; desMenandros zu. Unter der Annahme , daß dieser Papyrus , sowie die übrigen Classical texts dieser Edition, dem dritten Jahrhunderte v. Chr. an- gehöre, erklärt Blaß dieses Bruchstück für das älteste der jetzt in unserem Besitze befindlichen Menanderfragmente.

Menauders Georgos.

J. Nicole, Le Laboureur de Menandre. Fragments inedits sur papyrus d'Egypte, dechiffres, traduits et commentes. Bäle et Geneve 1898.

Auf der Grundlage der Nicoleschen Publikation beruhen zunächst folgende Schriften und Rezensionen : Henri Weil, Comptes rendus de l'acad. des inscriptions et belles-letires, 1897, tome XXV, p. 529 und 538. Die hier gegebene Notiz ist nur ein Voi'Iäufer des folgenden Aufsatzes :

H. Weil, Les uouveaux fragments de Menandre. Journal des Savants 1897 (Novembre), p. 675—692.

F. Blaß (Rez.), Literarisches Centralbl. 1897 (18. Dez.), Sp. 1648-^1650. -

V, Wilamowitz (Rez.), Deutsche Literaturz. 1897 Sp. 1734.

0. Crusius, .,Menanders Landmann in einem ägyptischen Papyrus*. Beilage zur AUgem. Zeitung, 1897 (29. Dez.).

R. Ellis und Arthur Platt, Notes on the Fragment of Menanders rswp-.'o?. Class. Ptcview XI, 1897, p. 417— 418.

F. G. Kenyon. „Nicoles Fragments of Menander", 1897. Dez. Class. Rev. XI, p. 453—455.

K, Schenkl, ,,Der Georgos des Menandros". Jahreshefte des österr. archäolog. Institutes in Wien I, 1898, p. 49 54.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 313

B. P. Grenfell and Arthur S. Hunt, Menaüders Fetupvo;, a re- vised Text of the Geneva Fragment with a trauslation and notes. Oxford 1898.

H. van Ilerwerdeu, ,,Zu den dnrcli Nicole herausgeg'ebenen Papyrusfraguienten von Meuanders retüp-fo;". Berl. phil. Wo. 1898 (8. Januar), Sp. 60.

*Th. Reinach, Sur les fragments du Labonrenr. Söance de rassociation ponr rencouragement des etudes grecques. Vgl. Bibl. phil. class. 1898, Heft 1.

J. Nicole erhielt von Geoig Dattari aus dessen Sammlung in Kairo jene Papyru-fragmente, deren schwer lesbaren Inhalt er mit an- erkennenswerter Geschicklichkeit als Reste des Menandrischen Georges erkannte. Nicole schloß seine Untersuchung am 1. Juli 1897 ab, worauf seine Publikation der Fragmente, ihrer Übersetzung und Erläuterung noch im Herbst 1897 erschien, so daß das Datum des Titelblattes als ein vorausgreifendes zu bezeichnen ist.

Von den angeführten Besprechungen des Fundes, die sich in rascher Folge ergaben, haben nur sehr wenige Ansprucli auf dauernde Beachtung. Weitaus der erste Rang kommt der Beurteilung der Nicoleschen Ausgabe von F. Blaß zu, weil dieser Gelehrte der einzige war, der mit glänzendem Scharfsinne die richtige Abfolge und Zu- sammentüguug der ursprünglich sechs Fragmente herausfand. Blaß teilte seine Entdeckung Herrn Nicole nach Genf mit, der nun die Papyrusstücke nach der Anweisung von Blaß zusammenstellte und ihm die Richtigkeit seiner Vermutung sofort bestätigte. Blaß legte die Fragmente, welche Nicole als Reste zweier Blätter betrachtet hatte, zu einem einzigen Blatte zusammen und da der Text der Rückseite die unmittelbare Fortsetzung des Textes der Vorderseite darstellt, erkannte Blaß auch sofort, daß dieses Blatt nicht einer PapyrusroUe, sondern nur einem Papyrusbuche entstammen könne, wofür er auf die Berliner Fragmente der Politeia als Beispiel hinweist. Von Wichtigkeit ist auch H. Weils Besprechung durch die lichtige Erklärung von Qnintil. XI, 3, 91 geworden. Nach der Ansicht Weils sagt dort Quintil., daß in dem Prologe des Menandrischen Georgos ein Jüngling der Sprecher war und daß dieser Worte einer Frau eizählte. Blaß, der sich dieser Interpretation anschließt, betrachtet den Anfang des er- haltenen Fragments als den Schluß des Prologes der Komödie und schätzt demnach den vor dem Erhaltenen fehlenden Teil des Stückes nur auf den Inhalt eines einzigen Blattes. Auch haben sich durch die Rezensionen gleich von Anfang an einige gute Verbesserungsvorschläge für den Text ergeben , während die versuchten Rekonstruktionen der

314 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (llolzinger.)

Fabel des Stückes, wie begreiflich, noch nicht auf der richtigen Grund- lage Stauden.

Diese wurde erst durch Grenfell und Hunt in der neuen Ausgabe der Genfer Fragmente geschaffen. Die beiden ausgezeichneten englischen Forscher nalimen auf ihrer Heimreise von Ägypten in Genf Aufenthalt und unterzogen daselbst, von Nicole freundlichst gefördert, den Papyrus einer erneuten genauen Untersuchung. Auf ihr, sowie auf den Leistungen von Nicole und Blaß und denen der übrigen Gelehrten, die sich bis dahin um den Georges des Menander verdient gemacht luitton, beruht ihr „Revised text of the Geneva Fragment". Die Aus- gabe enthält nach einer Einleitung über den Papyrus sowohl eine möglichst genaue Abschiift in der Unziale, als aucli eine emendierte und vervollständigte Umschrift in Minuskeln, fei-ner einen Apparatus oriticus, der die von anderen entlehnten Textverbesserungen darunter auch solche von Bury namhaft macht. Hierauf folgt eine Aufzählung und kritische Besprechung der in dem Fragmente vorausgesetzten Rollen, eine Übersetzung des ganzen Textes und schließlich ein kleiner Kommentar. Als Anhang ist der Abdruck der bisher schon bekannten Fragmente des Georges beigegeben. Ein phototypisches Faksimile sind uns leider auch die englischen Herausgeber schuldig geblieben. Ein Bericht über den Papyrus kann sich also nur an den von Grenfell und Hunt selbst in der Introduction gegebenen Wortlaut anschließen. Der Genfer Menander-Papyrus ist ein Blatt aus einem Buche und mißt 28 -5 X 15-7 centim. Das recto ist mit --, das verso mit ^ numeriert. Das recto enthält eine Kolumne von 44 Zeilen, das verso 43 Zeilen. Lücken sind zahlreich, aber ein ganzer Vers fehlt nirgends, auch nicht am Anfang oder Ende einer Kolumne. Der Papyrus ist in einer un- regelmäßigen Unziale mit brauner Tinte von einem einzigen Schreiber geschrieben. Auf dem recto ist die Schrift gut erhalten und deutlich, auf dem verso hat sie stark gelitten, ist häufig sehr verblaßt-, manchmal sind überhaupt kaum noch Spuren zu sehen. Der Papjaus ist sicher nicht vor 350 p. Chr. und schwerlich nach 500 p. Chr. geschrieben worden. Bezüglich der übrigen Einzelheiten verweise ich auf die Angaben der Einleitung selbst. Mit dem Erscheinen dieser sorg- fältigen und auf der Höhe der Zeit stehenden Au.sgabe begann eine neue Epoche in der Geschichte des Genfer Menander-Fragments. Eine neue Flut von Literatur ergoß sich über den biederen „Landmann", und mancher, der seine Stimme gleich nach dem Erscheinen des Nicoleschen Georgos erhoben hatte , sah sich durch die Textanordnung von Blaß und die den neuen Zusammenhang repräsentierende englische Ausgabe von neuem veranlaßt, zur Feder zu greifen.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (llolzinger.) 31 5

Es erschienen in rascher Abfolge und zum Teile fast gleichzeitig folgende Aufsätze und ausführlichere Rezensionen:

G. Kuibel, Menanders Georgos. Nachrichten v. d. k. Ges. d. Wi. zu Göttiugen, 1898, S. 146-166.

T. L..Agar. Menanders röwo-.o;. Glases. Kev. XII. 1898, p. 141.

F. Blaß (Rezension über Grenfell u. Hunt etc.). Ijit. Ceutralbl. 1898, Sp. 775—777.

C. Häberlin (Rez.), Berl. phil. Wo. 1898, 8p. 705— 712.

H. Weil, Le (.ampagnard de Menandre. Revue des ctudes Gr. XI, 1898, p. 121-137.

J. van Leeuwen, Ad. Meu, frag, uupcr repertum. Mnemos. NS. XXVI. 1898, 299—313.

N. Smith, Menanders Georgos. Class. Rev. XII. 1898, p. 301 304.

H. Richards, The frag, of Älen. Georgos. Class. Rev. XII, 1898. p. 433.

Weinberger (Rez.), X. ph. Rundsch. 1898, No. 24, p. 558— 559.

U. V. W.-j\I., Die Reste des Laudmannes von Menandros. Als Manuskript gedruckt. Berlin 1899.

Dieser Vorläufer des weiterhin zu nennenden großen Aufsatzes von U. V. Wilamowitz beruft sich bereits auf die Grenfell-IIuntsche Ausgabe und auf die Äußerungen von Blaß, Weil und Kaibel. Gegeben wird der ganze Text des Fragments, eine vollständige deutsche Über- setzung im Versmaße der Urschrift und die bereits bei Meineke ge- sammelten Bruchstücke des Georgos.

V. Wilamowitz, Der Landniann des Menandros. N. J. f. d. kl. Altert. 1899, p. 513-531. -

K. Dziatzko, Der Inhalt des Georgos vonMenander. Rh. Mus, 54, 497—526; 55, 104—111, 1899, 1900.

A. Olivieri, A proposito dei due fragmeuti del TstupYo; e della lispty.£ipopL£vr, di Menandro reccutemente scoperti. Riv. di filol. XXVIII, 1900, p. 447—454.

*V. Hahn, ITber Menanders Komödie Georgos (polnisch). Eos V, p. 118—133.

Nachdem die erste und wichtigste Aufgabe, einen beglaubigten und einigermaßen verständlichea Text herzustellen, im wesentlichen ge- löst war, konnte dem Gange der Handlung des Stückes mit gegründeter

310 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

Aussicht auf Erfolg nachgeforscht werden. Diesen Teil der Arbeit hat unter den vorhingenannten Schriften m. E. die Abhandlung Dziatzkos in vielseitigster Weise geleistet. Bei seiner genauen Erinnerung an die einzelnen Scenen der römischen Komödien ^'elang es dem Verf. am vollständigsten, die Möglichkeiten 7A\r Fortführung aller einzelnen in diesen Fragmenten vorkommenden Fäden einer Handlung zu entwickeln. Denn daß man hierbei über bloße Möglichkeiten nicht hinauskommt, wird jeder zugeben müssen, der die bisiierig'en Darstellungen des Ganges der Handlung durchliest und dabei findet, daß ihn auch nicht zwei Darsteller in gleicher Weise erzählen. Es hat schon Kenyon a. a. 0. bemerkt, daß die Komödie des Menander zwischen 1500 und 1700 Verse umfaßt haben dürfte, von denen wir nach Nicoles Zählung 115 (bei Grenfell und Hunt 87 -i- 21 = 108) besitzen, und daß es demnach sehr unwahrscheinlich ist, daß man hieraus den Gang des Stückes erraten könne. Selbst wenn ich mich daher im folgenden aut die Angabe des wesentlichsten Gerippes der Handlung einschränke und jede zweifelhaftere Ausführung vermeide, kann ich vielleicht doch noch immer von der einen oder anderen Seite Widersi3ruch erfahren. Die Titelrolle des Stückes ist die eines biederen, einfach klagen und dabei edelmütigen Landmannes, der durch sein Eingreifen und durch belehrende Zurede einen vermöglichen Stadtherrn schließlich dahin bringt,' daß dieser die Vermählung seines Sohnes mit seiner Geliebten gestattet und die geplante Konvenieuzhoirat dieses Sohnes mit seiner Halbschwester fallen läßt. Mindestens eine dvavvwpt^i; spielt dabei eine wichtige Rolle. Es wird aber auch die Halbschwester, deren Hochzeit schon zugerüstet war, gut versorgt, indem sie einen braven Jüngling heiratet, der den Landmann bei einer argen Verletzung seines Fußes liebevoll gepflegt hatte. Letzteren Punkt hat namentlich Weil (Revue XI p. 137) gut herausgearbeitet, indem er in jovialer Weise den Philologen nah,e- le^'t, das schöne Stadtfräulein doch nicht mit dem zwar braven, aber alten und hinkenden Landbauern zu verheiraten, wozu v. 74 Anlaß zu geben schien. Handelnde Personen sind nach dem erhaltenen Fragmente mindestens zehn anzunehmen,, fünf Paare, von denen vielleicht jedes auf dem Prinzip des Kontrastes beruhte; zwei Männer in reifen Jahren, der eine ein berechnender Stadtherr, der andere ein Gemütsmensch vom Laude; zwei Frauen, Myrrhine und Philinna, die erstere weich und schwach, Philinna hingegen, vielleicht Myrrhiues ehemalige Wärterin, lieftig und energisch; zwei Jünglinge, der eine reich, leichtsinnig und unschlüssig, der andere arm und tatkräftig; zwei Sklaven, Daos keck und unternehmend, Syros ist in dem Fragmente nicht charakterisiert; ebenso ist der Charakter der beiden Mädchen in dem erhaltenen Teile der Komödie nicht differenziert. Die Liste der handelnden Personen

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.) 317

ist hiermit vielleicht noch nicht erschöpft, da im v. 11 auch noch auf die Frau des Stadtherrn hingewiesen wird. Ob ihr eine Rolle in dem

Stücke znfiel und welche, steht dahin. Die erhaltenen Verse, 87

21 ^ 108 Trimeter enthalten außer zwei irouisch-scherzhaften Bemer- kungen des Sklaven Daos nichts Komisches, hinsjegen tritt die Zeichnung der Charaktere hervor. Möglicheiweise darf mau nach diesem Fragmente des Georgos, welches, wie Crusius a. a. O. wahrheitsgemäß sagt, eot- täuschenrl wirkt, das ganze Stück und nach der einen Komödie den ganzen Meuauder beurteilen. Ulrich v. Wilamowifz-ilöllendorff setzt dies als sicher voraus und zeichnet in seiner Abhandlung (in den Neuen Jahrbüchern f. d. kl. A. III. Dd.) auf diesem neugewonnenen Unter- gründe ein Bild von der Meuandrischen und der neuen attischen Komödie überhaupt. In dieser literargeschichtlichen Würdigung des Genfer Fragments hat v. Wilamowitz ohne Zweifel die übrigen gleichzeitigen Darsteller desselben Stoffes weit übertroffen. Schätzenswert und auch von Wilhelm Cröuert in dem Archiv für Papyrusforschung, 1900, I, p. 113 mit Recht hervorgehoben ist die auf Anth. Pal. Xll 233 (bei Kock Com. Att. Frag. III, p. 28) beruhende Bemerkung von Wilamo- witz, dal.) der r£üJp7oc nebst <I>a3|xa, Ilsp'.y.sipoixevr,, 9r,3aupo;, Micjo'jixevo; und (nach Anth. Pal. V, 218) auch AujxoXo; zu der Auswahl Menan- drischer Stücke gehörte, die bis in späte byzantinische Zeit einen Teil der Schullektüre bildete. I)er r£«opYoc war das erste Stück der Auswahl und war in sittlicher Beziehung als Lesestoff für die Jugend sehr geeignet. Die Funde aus Phasraa, Georges und nepiy.etpofxEvirj machen es, wie v. Wilamowitz sagt, wahrscheinlich, daß auch die Menanderfnnde der nächsten Zukunft diesem Kreise der weitverbreiteten Schullektüre an- gehören werden. Eine tröstliche einschlägige Bemerkung macht auch Kenyon a. a. 0. Er sagt, daß, wenn etwa ein Einfluß der christlichen Kirche auf den Untergang des Menander, Philemon, Mimnermos und der Sappho zugegeben werden müßte, dieser Einfluß doch nicht vor dem vierten Jahrhundert eingeräumt werden dürfte. Was damals schon unter der ägyptischen Erde geborgen war, wäre vor dieser christlichen Verfolgung schon in Sicherheit gewesen. Über den Bericht des Petrus Halcyonius (de Exilio I, p. 69), der sich auf Chalkondylas dafür beruft, daß byzantinische Kaiser dem Klerus die Verbrennung der oben genannten Klassiker gestattet hätten, um die Gedichte des Gregor von Nazianz von dieser lästigen Konkurrenz zu befreien, macht E. Picco- lomini 1900, Atene e Roma III, p. 42 eine ablehnende Bemerkung. Zur Charakteristik der übrigen angeführten Schritten über das Genfer Fragment teile ichnoch mit, daß EUis, Platt, Herwerden, Agar, van Leeuwen, Smith und Richards nur für die Herstellung des Textes in Beü'acht kommen. Einen vollständigen Text bieten die Abhandlungen

318 Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie, (llolzinger.)

vonKiiibel, Weil (Revue des etudes XI), Leeuvven und Dziatzko, eine Übersetzung Weil (Revue XI) und v. Wilaraowitz (N Jahrb.). Mit der scenisclien Ausstattung des Stückes beschäftigt sich Oli vieri. Er hält es für möglich (Rivista XXVIII, \). 448), daß außer den zwei Stadthäusern, die Grenfell und Hunt annehmen, auch das Haus des Landmannes zu sehen gewesen sei. Ich halte dies nach der Art, wie das baldige Erscheinen des Landniannes in v. 76 (Zählung nach Grenfell- Hunt) angekündip:t wird, für ausgeschlossen. Eine wichtige Text- verbesserung hat II. Weil (Revue des etudes XI, p. 133) für die Verse 79—80 durch Beiziehung von Men. frg. 928 gewonnen, und eine ebenso wichtige Ergänzung hierzu (für v. 77—80) gibt Blaß (Hermes 33, p. 656) durch die Einbeziehung von frg. com. adesp. 183 Kock. Der Auf- satz Häberlins bespricht in seinem ersten Teile den Georgos in der Ausgabe Nicoles. Der zweite Teil behandelt denselben Stoff nach der Ausgabe von Grenfell und Hunt. Beide Teile sind zu verschiedenen Zeiten abgefaßt, gleich nach dem Erscheinen beider Ausgaben. Daher finden sich mehrere Behauptungen des ersten Teiles durch die bloß äußerlich angeschlossene Kritik über die englische Ausgabe widerlegt. Zum Schlüsse hat Häberlin ancli eine Anzahl eigener Textvorschläge bei- gegeben. —

M e n an d er s fl e p i x e i p o [j. I v rj.

B. P. Grenfell and A. S. Hunt, The Oxyrhynchus Papyri, part. II. 1899, S. 11—20. Mit Faksimile.

Fr. Blaß besorgte gleich für die Originalausgabe den größten Teil des Textes S. 15—16.

U. v. Wilamowitz-Möllendorff, Götting. gel. Anz., 1900, S. 29 33. Besprechung der Oxyrhynchos Papyri part. IL

G. Setti, Una nuova pagina di Menandro. Estratto d' Atti e Meraorie della R. Accademia a Padova, vol. XVI, 1900, S. 143—170. (Rez.: O. Zuretti, Bolletino di filologia VI, p. 258—259.)

E. Boisacq, Menandre et le fragment d'Oxyrhynchus. Messager de Bruxelles vom 10. Dezembre 1899 und abermals im V. Jahrg. der Revue de Funiversite de Bruxelles 1900, p. 351 358.

E. Piccolomini, Un frammento nuovo di Menandro. Atene o Homa III, 1900, 41—54; 91—92.

A. Olivieri, A proposito dei due frammenti del rsojp'/o? e della lleptxetpo|xevr) di Menandro recentemente scoperti. Rivista di filologia XXVIII, 1900, p. 447—454.

H. Weil, Nouveaux fragments de Menandre et d'autres classiques grecs. Journal des Savants 1900, Januarheft, S. 48—54.

Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.) 310

H. van Her wer den, Ad papj'ros graecos. Mnenios. NS. XXVIII. 1900, p. 118 if.

K. Dziatzko, Das neue Fragment der IlEpixEipojXEVT) des i^Ienandei'. Fesischritt für C. F. W. Müller. Lcipzij? 1900. 8. 122-1:34.

*V. Hahn, Ein neuentdecktes Frao:ment des Menander (polnisch). - Eos VII, 1901, p. 84- 9G.

Das Frag-ment der Ilspixs'.pojxlvr, besteht aus öl Trimetern einer einzigen Kolumne. Den oberen Teil derselben bis inklusive v. 33 gibt das von Grenfell und Hunt herausgegebene Faksimile wieder. Ijinks oben bei dem Abbruche des Papyrus zeigen sich Zeilenreste der vor- angehenden Kolumne. Die Schrift ist eine runde Unziale und wird von den Herausgebern auf den Schluß des ersten oder den Anfang des zweiten christlichen Jahrliunderts datiert. Der Hand eines vielleicht gleichaltrigen Korrektors verdankt man die Einsetzung von Inter- punktionen, Textkorrekturen, Lesarten, Änderungen der Bezeichnungen für den Personenwechsel, Einschaltung des Namens des Sprechers und einige Bühnenanweisungen. Es ist ein ziemlich soigfältig revidierter Text, die Schrift ist verhältnismäßig gut lesbar, das Ganze leidlich gut erhalten. Übereinstimmend mit dieser Beschreibung der Herausgeber, die sich bei der Ergänzung der Umschrift der Hilfe von Friedrich Blaß bedient hatten, sagt v. Wilamowitz a. a. 0. p. 33: „Die Hand- schrift war ein schönes, sauberes Exemplar plutarcbischer Zeit." Der Inhalt des gefundenen Textes gehört der Schlußscene der Komödie an, so daß vom Ende des ganzen Stückes nicht viel fehlt. Die erhaltenen Verse verteilen sich auf vier Sprecher. Nachweisbai- aber sind aus dem Fragmente selbst sieben Personen: der Soldat Polemon, dessen Geliebte und spätere Gemahlin Glykera, deren Bruder, ihr Vater Pataikos, Doris, die Sklavin des Polemon, dann Philinos und dessen Tochter. Unmittelbar aus den erhaltenen Zeilen wird folgende Hand- lung ersichtlich. Die Kriegsgefangene Glykeru lebt mit Polemon. Dieser überrascht die Glykera im Gespräche mit einem jungen Mann, hält lieseu für einen Geliebten der Glykera, während er ihr Bruder ist, und vergreift sicli daher an dem Mädchen , indem er der Glykera das lantre Haar abschneidet. Daher der Titel des Stückes: ll£pr/.£'.po;j.£vTi. Glykera entflieht den Händen des Wütenden , sucht Schutz in dem Hause des Nachbars Pataikos. Während nun Pataikos erkennt, daß (tlykeia seine Tochter ist, wird Polemon über seinen Irrtum in betreff lies jungen Mannes aufgeklärt. Polemon schickt daher das schlaue Kammerkätzchen Doris, um mit der Glykera wegen ihrer Rückkehr zu Polemon diplomatisch zu verhandeln. Polemon läßt einen Opferschmaus herrichten. Pataikos und Glykera begeben sich zu Polemon. Pataikos

o20 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.)

teilt ihn» mit, daß Glj^kera seine Tochter ist, und bietet sie ihm mit großer Mitgift als Gemahlin an. Poleraon, der seine Raschheit durch Selbstvorwürfe und Verzweiflung schon abgebüßt hat, söhnt sich nun mit Gl3'kera völlig aus und das Fragment schließt mit der Andeutung, daß Pataikos noch eine zweite Hochzeit zu stiften liabe. Er will nämlich seinen Sohn mit der Tochter des Philinos vermählen, womit augenscheinlich eine zweite Handlung des Stückes ihr Ende erreicht. Näheres über die Rekonstruktion der ganzen Komödie ist besonders in dem Aufsatze Dziatzkos zu finden, der die verschiedenen Möglichkeiten, die vorhandenen Fäden der Handlung weiterzuspinnen, sorgfältig erwägt. Natürlich ist hierbei nur zu bloßen Möglichkeiten zu gelangen, auf die ich hier nicht weiter eingehen kann. Übrigens bringt Dziatzko auch einen vollständigen Text des Fragments, zum Teil mit eigenen Er- gänzungen. — Voi züglich das Scenische berücksichtigt der Aufsatz von Oli Vieri. Er nimmt (wegen v. 43j an, daß sich vor dem Hause des Polemon ein Altar des Apollon Agyieus befand. Zu diesem Schlüsse reicht aber das Material nicht aus. Richtig hingegen ist die Bemerkung, daß an der Scenenwand drei Wohnhäuser zu sehen waren. Dies setzt natürlich auch Dziatzko ausführlich auseinander. Es liegt in der Tat die Annahme sehr nahe, daß nicht nur die Häuser des Polemon und des Pataikos, sondern auch das Haus des Philinos in die sichtbare Bühuenhandlung einbezogen war. Hingegen ist der Ort der Handlung nicht mit Sicherheit festzustellen. Eine vollständige Übersetzung des Fragments mit übersichtlicher Einleitung enthalten die Aufsätze von Piccolomini und von ßoisacq. Der erste, der in einer italienischen Publikation den neuen und interessanten Fund besprach, war Setti. Er geht von einer Darstellung Menauders auf die neueren Funde über- haupt ein, bespricht also auch den Georgos, und gelangt zuletzt zu dem neuen Fragmente, zu dem er eine Inhaltsangabe und Übersetzung ab- faßt. — Weil gibt bei der Besprechung der Oxyrhj^nchus Papyri Part. II auch den Text des Fragm. der riepusipoixevY), dazu einen app. crit., eine Übersetzung und einige eigene erläuternde Bemerkungen. van Her wer den erzählt den Inhalt des Stückes, gibt den ganzen Text zum Teil mit eigenen Verbesserungsvorschlägen und kritischen Bemerkungen. von Wilamowitz weist besonders darauf hin, daß einige Personen des Stückes nicht geborene Hellenen sind, und legt, wie in dem Aufsatze über den Georgos, den Nachdruck auf die Charakterzeichnung.

Zur Vervollständigung der Berichte über die Papyrusfunde sind beizuziehen:

C. Haeberliu, Griechische PapjTi. Sonderabdruck aus dem „Centralblatt für Bibliothekswesen", 1897.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.) 321

Paul Viereck, Bericlit über die ältere Papyrusliteratur, Jahres- bericht f. Altertumsw. XXVI. Bd. 96-99. 1898, S. 135 ff., vgl. Berl. phil. Wo. 1899, Sp. 259.

Wilhelm Crünert, Literarische Texte mit Ausschluß der christ- lichen Archiv für Papyrusforschung I. 1900, S. 104 ff.

E. Hauler, Ein Bruchstück des Menander und des Sotades. Eranos Vindobouensis 1893, p. 334 344.

In der Pariser Xationalbibliothek entdeckte Hauler im Cod. Graec. No. 454 (cod. bombyc. geschr. vom Priester Basilius im J. 1448) und zwar innerhalb eines Hiobkonimeutares des Ps. -Origenes auf fol. 126 a ein bisher unbekanntes Citat aus Menandros. Es sind 11 Trimeter, die jedoch nicht alle neu sind. Der Inhalt ist ein paränetischer. Gott ist gut. Das Gute im menschlichen Leben ist auf ihn zurückzuführen. Der Mensch trägt selbst die Schuld an den Übeln, die ihn betreffen. Hauler weist auf Piatons Rep. II, p. 379 C als auf eine Quelle für den Gedanken hin und vermutet, daß die Verse dem 'V-o|^oXtixaio; f, A-.poiy.oc entlehnt seien, weil Menand. frag. 482 und 483 wie eine direkte Ent- gegnung auf den oben angeführten philosophischen Gedanken anmuten. Der Scholiast beschließt das Citat aus Menandros mit dei- Bemerkung: o'jxoüv xax' a-jtov ouoevoc v.ny.oZ airio; 6 Usoc und bringt gleich darauf ein Citat aus dem xu>[i.i)cc(^ l'ojTaor,; [Xapivot; fügt Hauler ex conj. hinzu statt des überl. /«piv wj]. Das Citat lautet nach einigen Textänderungen, an denen sich auch Theodor Goraperz beteiligte: zl [xsTa -o ixaftetv | o'jy. Tjv Tra&eiv, a oei izaSeiv, oei 7ap fiaösiv ' | si osT -aftsTv |j.£, xav [xaOto, Ti oei p-aösiv; | ou öei ixa&siv ap' S oei -aDstv osi -(äp TraOöiv. | Der ge- nannte Sotades ist nicht der Alexandriner, 6 -rtöv 'Ituvixüiv ajfiattuv ttoitj- TT,; 0 .Vlapwvitr,; (Athen. VII, 293 A), sondern der weniger oft genannte Athener, einer der letzten Dichter der mittleren Komödie. Vgl. Mein, bist. erit. I 426 und Kock GAE II, p. 447. Durch die Schreibung Xaptvoii hätte Hauler einen neuen Komödientitel für diesen Sotades ge- wonnen, worüber er sich ausführlich ausspricht.

Über die in dem Lexicon Messanense und dem Sabbaiticum ent- haltenen Menanderfragmente ist in diesem Berichte an anderer Stelle gehandelt. Vgl. S. 293.

J. Raeder, Ad Menandrum. Nordisk Tidsskrift for Filologi 1896, S. 54-56.

Für- Menand. 109 Kock schlägt der Verfasser folgenden wesent- lich umgestalteten Text vor: 'AYctööv ti 7ivo'.t", u) -oXo-ijxrjToi öeot. | u-o- oouftevo; ^ap l|xßaöoc xf,? 6s$t5; [ xov ijxavTa oieppT)^' und für die nächste Zeile (TjjLtxpoXoi'o; an Stelle von [XüxpoXoYo;. Daß uoXu-i|j.t)toi, was auch Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 21

322 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

Clem. Alex. Strom. VII, 4, 24 p. 842 P gibt, wieder iu sein Recht eingesetzt wird, muß man wohl billigen; ebenso sind die Gründe zu beachten, auf welche Raeder die Ausmerzung des in die erste Zeile eingedrungenen p-oi zu stützen weiß.

H. van Herwerden, Ad fragmenta Comicorum graecorum. Mnemos. NS. XXIV, 1896, p. 397—404.

Der Aufsatz enthält mehr als ein Dutzend neuer, zumeist kritische- Bemerkungen zu den Com. Att. Frag. Gelungen scheinen mir die fol- genden: Bei Alexis fr. 266 v. 7 schreibt Herwerden: ouy. la-c' exsivoc e'j)(epT]f ouTüJc dvTQp. Bei Henioch. fr. 5 v. 17: ovo|x' eaxi xotvö' dpt- atoxpaiia {}aT£pa. Bei Timokl. fr. 6: x:apa{jLUÖia? st. des unmetrischen TTapa'j;u-/af. Bei Menand. fr. 570: 5. Xavl^aveiv xij Po'jXet aXXov eloevai St. ßouXexai xaux siSevat. Bei Menand. fr. 687 ist nach suseßr^c das Fragezeichen zu setzen. Bei [Menand.] fr. 693 schreibt Herwerden l7iicp9ovü)Tepov st. euToviuTspov. Die übrigen Bemerkungen würde ich ablehnen. Z. B. schreibt Herwerden bei Aristoph. fr, 106 Aaxyjxa xal Me^axXea xal Aajxayov, während Aristophanes das mittlere a von Me- gakles an allen Stellen, an denen er den Namen bringt, kurz mißt. Bei Anaxandrid. fr, 34 v. 10 11 erklärt Herwerden apva und xptov in obscönem Sinne, was gewiß nicht richtig ist, mag sich unter dem xatvöc OsaTpoTtotoc des v. 9 was immer für ein noch ungelöstes Rätsel ver- bergen.

F, Blaß, Verse von Komikern bei Clemens Alexandrinus, Hermes XXXV, 1900, p. 340—342.

Blaß gewinnt iu diesem Aufsatze aus dem Paedagogus des Clemens 3 Komikerfragraente, zusammen 7 Verse sentenzenhaften Charakters, die er mit großer Wahrscheinlichkeit dem Menandros zuspricht. Dazu kommen dann einige vereinzelte Zeilen eben derselben Schrift, in denen der Charakter des Komikerverses zwar etwas weniger deutlich, aber immerhin noch klar genug hervortritt.

G. Kaibel, Sententiarum liber sextus. Hermes XXVIII, 1893, p. 48.

Th, Kock, Kom. Apollodoros fragm. i3 K., Rh. Mus, 49, 1894, p. 162—163,

Kaibel greift in einer etwas unhöflichen Weise einige Konjekturen Theodor Kocks zu Apollodor in Com. Att. Frag. III, p. 291 293 an. Hiergegen verteitigt sich Kock im genannten Aufsatze auch nicht ohne Schärfe. Man muß Kock hierbei einigemal Recht geben, | In den Versen: öei Tov dcxpoaxTjv xal auvexöv ovtoj; xpiTYjv | irpo xoü Xe^ofAevou xov ßtov S'.aaxoTcetv, wäre allerdings, wie Kaibel meint, Xo-you dem XsYGfxevou weitaus

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 323

vorzuziehen. Aber da Kaibel des Metrums weiien tou ^6700 \ih schreiben muß, findet Kock mit Recht, daC dieses \ih hier ein sehr unangenehmes Flickwort ist. Leichter als jenes fxev nach X670U nimmt man noch das XeYOfxevou in den Kauf. Vers 14 druckt Kock in folfjender Gestalt: ou roXiv, oXtjV cp uXt)v 8k [xaXaxo; dvaxpeTrei. Im Kommentar hierzu empfiehlt er die Vermutung: tioXiv 6|xoü cpi'Xotc 6 fxaXaxoc dvarpensi; indem er <puXTiv als ineptum bezeichnet. Kaibel verstand den Kockschen Vers in dem Sinne, daß der Lüstline: durch die Mithilfe seiner Genossen den Umsturz des Staates herbeiführe. Kaibel tadelt diese Anwendung von 61X0Ü -- auv in der alltäglichen Sprache. Allein Kock wollte den Apollodoros sagen lassen, daß der Lüstling nicht nur seine Freunde zu Grunde richtet, sondern den ganzen Staat. Und daß 6|xou auv ganz alltäglich sei, weist er durch schlagende Beispiele aus den Komikern nach: Aristoph. Eccl. 404: !Jx6poo" ojxoy xpi^iavt druo. Dann zieht Kock gegen Kaibels Konjektur zu Felde: ou -oXiv, oXrjv 'puaiv 0' 0 [xaXaxoc dvatpETiet. Im Unrecht sind, wie man sieht, beide. Kaibels Vers ist dem Sinne nach unmöglich. Der Gedanke aber, den Kock in seine Fassung des Verses hineinlegen wollte, müßte in sprachlicher Hinsicht umgemodelt werden. So sind denn also auch, wenn man will, beide im Kechr.

G. Kaibel, Senteatiarum über septimus. Hermes XXX, 1895, p. 429—446.

Dieses Buch beschäftigt sich fast ausschließlich mit der alt- attischen Komödie und zwar vorzugsweise mit Fragmenten. Sehr un- angenehm für den Leser ist es, daß Kaibel diese Fragmente fast durchweg nur nach den Fundstellen bezeichnet und nur in seltenen Fällen die Zählung der Kockschen Fragmentsammlung angibt. Da aber die Polemik Kaibels, wie natürlich, gegen seine Vorgänger gerichtet ist und zum guten Teile auf ihrem Apparate fußt, hat der Leser stets nur dann einen Einblick in die Tragweite und den Grad der Originalität der gegnerischen Behauptungen, wenn er sich die Fragmente, um die es sich handelt, mit großem Zeitverluste bei Kock nachgeschlagen hat. Um meinen Lesern die gleiche Mühe zu ersparen, eitlere ich im folgenden alle Fragmente nach Kocks Ausgabe, ohne dadurch dem Urteile, ob man jedesmal mit Kocks Text einverstanden sein müsse, irgendwie vorzugreifen. In Aristoph. fr. 50G und 480 wird Kocks Text gebilligt. Hier bringt Kaibel nichts Neues. Neu aber überaus zweifelhaft ist Kaibels Behauptung, daß man in Kratin. fr. 234 xuXixo; streichen müsse. In Aristoph. fr. 629 ist weder Kocks Text, noch auch Kaibels p-eXotvo -/XüitTa, TTiTta BpexTi'a Trap^v überzeugend. Das Gleiche gilt von Aristoph. fr. 544, wo Kaibel 6 X13-6-U70C dpa xxX. anempfiehlt. Für

21*

3.?4 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

unerwiesen halte ich auch Kaibels dirMiU st. azooCz bei Kratin. fr. 219 und Kaibels ^8e onrooia bei Kratin. fr. 162. Weiteihin vergleicht Kaibel Eupol. fr. ine. 352 mit Aristoph. fr. 490 und behauptet, daß Eupolis fr. 352 nicht dem Eupolis. sondern dem Aristophanes gehöre. Der erste Vers dieses Fragments sei zu schreiben : xi orj-c' e-yw-y' exeivovt Tov TTTcoyöv aooXsr/Yjv. Bezütrlich der Provenienz dieser Verse gibt Kaibel nur noch an, daß sie nicht aus den Wolken stammen. Die Be- weisführung ist recht unsicher. Verdienstlich sind hingegen folgende Bemerkungen Kaibels. Bei Eupol. fr. 308 lese man -pwTov und nicht TcpwTco? oder TTpüJTo^. In Kratin. fr. 129 ist die IJberliefernng uapaXs- ^aixsvoj beizubehalten. Ganz richtig bezieht Kaibel den Vers auf die Zubereitung eines Fisches. In Kratin. fr. 364 schreibe man mit Kaibel: mjjoxwviav "Apr^v. Das beste an diesem Aufsatze und des Namens Kaibels würdig ist die Behandlung von Eupolis fr. 70 und 71. Kaibel beweist, daß fr. 71 nicht von Herakleia handelt, sondern von Amynias. Dabei fällt ein Licht auf die im Zusammenhange vorge- tragenen Stellen über Amynias bei Aristoph. Nnb. 685 ff., Vesp. 463 ff., 1268 ff. Amynias kam, nach Kaibels wahrscheinlicher Ansicht, als Ge- sandter Athens und zwar vielleicht als Stratege, nach Thessalien (Phar- salos), um durchzusetzeu, daß dem Durchmarsche des Brasidas Schwierig- keiten in den Weg gelegt würden. Amynias werde nun von den Ko- mikern einer TtapaTipsaßsia geziehen, als habe er heimlich die Interessen der Lakedaimonier gefördert. Die Seriphier des Kratinos (vgl. schol. Aristoph. Nub. 687 (691) = Kratin. fr. 212), in denen Amj^nias eben- falls verspottet wurde, setzt Kaibel in denselben Zeitraum als die ttoXsi? des Eupolis, die er mit Brandes Observ. crit. p. 6 auf die Dionysien des J. 422 fixiert. Vgl. hierzu die Diss. von Je. Zelle, 1892, S. 34. Verunglückt ist hingegen die Behandlung von Hermipp. fr. 69, wo das Wort U7ra7ü)7su? den Anstoß bildet, wie in Arist. Av. 1150. Kaibel nimmt uTLa^wYsüjt „sensu translato'' als „uormam vel regulam vel ca- nonera = upo;a7(u7iov''. Aber irpo^a-cuj-yiov ist etwas anderes als G-a-^w- 7s6?. Darum heißt es auch anders, d-a-no-ivj; ist eine Kelle, und kein Richtscheit oder Lineal. Die fehlerhafte Überlieferung c'jvs^rt 7ap of, oea|xiüi |X£v ouoevi, xoTsi o UTraYw-'SÜJi "oi? aü-oü xpoTCOt; verwandelt Kaibel folgendermaßen: ^uvesxi 7ap oq ozikoiti |x£v ouosvi,

ypYjSTOiai o' u;ra7a)7£ÜJi totj auxoü tponoi;. Kaibel spricht also von jemand, für den nur sein eigener guter Charakter die Richtschnur abgibt. Hermippos hingegen scheint von zwei Personen zu reden, deren eine mit der anderen durch kein anderes Band verbunden ist, als durch ihre guten Eigenschaften, also z. B, nicht durch Verwandtschaft, Alter, Ehe, Vorteile, geschlechtliche Liebe u. dgl.

Bericht übf-r die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger) 325

Es freut mich zu sehen, daß auch Carl Robert (Hermes 33. S. 586) für die Überlieferung osTfinp und geg'en Kaibel Stellung nimmt.

W. Headlam, Various conjectures III. (Ad) C^onücoruni grae- corum fi-agmenta. The Journal of Philology. XXIII, 18!»5, i^. 27y -286.

Headlam behandelt hier gegen '60 Fragmente griechischer Komiker, darunter einige vuii Kratiuos, Phcrekrates, ilermippos, Eupolis, Anti- phanes, Philemon, Menander. Einige Exegesen müssen als ganz ge- lungen bezeichnet werden. Z. B. wird Phorekr. 150 Kock: 'i^zizv^ ä'xfov iSsüpo repo'.y.o; toottov durch das Sprichwort erklärt: IJEpot; ooo'jjov «vtI TOü Tayetuc il^i. Zu Menand. 745 i-'i oi \ -j-uvr] Xi-jr^zt y^r^sW ursp- ßaXXtov 961^0; hat Kock die Bemerkung: ,,(^uid sibi velit cpo^o^ non exputo." Richtig erklärt Headlam durch den Hinweis auf Menand. 652: TOTE Tai 7uvarxotc Öeoieva'. fj.a/aiT'Z Sei, ot7.v rt rspizXaxTcoj'. toij ypYjdTors Xd-ioii. Daß 'fo-ioc hier nur den Gegenstand der Furcht bezeichnen kann und daß die Sentenz des Menandros für Damen wenig schmeichel- haft ist, ist doch wohl ganz klar. Mau muli sich nur wundern, daß es rotwendig ist, dergleichen hervorzuheben.

Auch in den Konjekturen ist Headlam einige Male glücklich. Z. B. Hermippos frag. 1, das Kock in der Gestalt: o Zs-j; „öiowixt llaXXac" rjji ,TO'jvo[jLa." wiedergibt, erhält durch Headlam bei engstem Anschlüsse an die verderbte Überlieferung folgende Form: 6 Ze-j; 8' lOüjv viv „IlaXXac'" r;3'' ^.TO'jvojAa."

Gut scheint mir auch die Einführung eines zweiten Sprechers in der berühmten Stelle des Eupolis (frag. 94, v. 4 Kock) über Perikles: K. tayuv Xe-fSic |xev. A. -poj 6e -{ auroü tw taysi | tteiOüi tic E~£xa»)t^£v xtX, Bei mancher anderen Vermutung könnte ich allerdings nicht mittun, Z. B. bei Kratinos frag. 26 halte ich es für vorsichtiger, mit Kock zu sagen: quid sit sppal^c rpöc Tf,v -jrjv nescio als mit Headlam (p. 295) das ^ einfach in S zu verwandeln und zu behaupten, daß die Worte bedeuten „warf ihn zur Erde". Denn -ol^ t/jv -j^v sieht neben sppaCe einem Glossem ähnlich. Vgl. S. 296 d. Ber. Auch bei Antiphancs frag. 227 : Ttj ^ip rß.ri TjfjLüiv To [xeXXov, oa -aBsTv -/.tX. ist Meinekes y.atoio' (statt 010') noch immer ein leichteres Mittel zur Herstellung der Jamben, als Headlams geschraubte Wortfügung: -i'c ^ap [xeXXov otSsv Tjfxoiv y.tX.

V. Hoelzer, De poesi amatoria a comicis Atticis exculta, ab elegiacis imitatione expressa. Pars prior. Marpurgi 1899.

Der Verf. beabsichtigt zu erweisen, daß viele Gedanken über die Liebe, dann Stoffe, die diesem Gebiete entlehnt sind, ja sogar einzelne Figuren, wie der ausgesperrte Liebhaber, die verschmitzte Kupplerin, der piablerische Soldat, die von den römischen Elegikern verarbeitet

326 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

sind, eine nahe Verwandtschaft mit der Behandlung: dieser Gedanken, Stoffe nnd Figuren in der neuen attischen Komödie verraten. Hoelzer geht nun darauf aus, zu zeigen, daß diese Abhängigkeit des TibuUus, Propertius, Ovidius von der griechischen Komödie nicht auf dem We?e durch Plautus und Terentius zu stände kam. sondern durch die alexan- drinischen Elegien auf Menandros und seine Knnstgenossen zurückführt. Manches hiervon verfolgt der Verfasser auch bis in die alte Tragödie zurück.

A. W. Pickard-Cambridge, Select fragraents of the greek Comic poets. Oxfoid 1900.

In diesem Bändchen hat mau es mit einer Auswahl von Komiker- fragmenten für Studierende zu tun. Mit Recht sagt der Verfasser in dem Vorworte, daß die Fragmeute darum wenig gelesen werden , weil die Sammlungen von Meineke und Keck nicht jedermann zugänglich und für Anfänger schwer zu handhaben sind. Ob man aber die Druck- legung der Auswahl nicht hätte dem Verleger der Kockscheu Gesamt- ausgabe überlassen müssen, ist für mich wenigstens eine andere Fi-age. Pickard hat Aristophanes verhältnismäßig wenig berücksichtigt, weil dieser Meister auch den Studierenden durch einige ganze Dramen be- kannt sind. Bei der Auswahl aus den übrigen Komikern findet mau ein Hauptgewicht auf längere zusammenhängende Bruchstücke ' gelegt. In der Gestaltung des Textes verfährt der Verfasser konservativer als Kock, was sich natürlich bei einer Auswahl auch leichter durchführen läßt. Ein Inhaltsverzeichnis der Fragmente ist als eine nach Stoffen angeordnete Übersicht derselben (table of subjects) vorausgeschickt. In einem Anhange S. 173 203 sind einige erklärende Anmerkungen zusammengestellt. Daß das Büchlein nach der praktischen Seite hin gute Dienste leisten kann, wird man wohl kaum in Abrede stellen dürfen,

0. Crusius, Com. adesp. 410 p. 485 Kock. Philologus LIX, 1900, p. 315—316.

In dieser Miszelle verweist Crusius auf seine Besprechung von Kocks fragmenta incerta in d. Gott. gel. Anz. 1889, 5, 169 ff. (1890, 17, 689^) und zeigt, daß Kocks frag. ine. 410 (III, p. 485) kein Dichter- fragment ist, sondern Plutarchs vit. Lyc. c. 10 angehört, woher es Porphyr. De abstin. 4, 4 entlehnte.

Anmerkung. Die Titel einiger Werke, die mir nicht zugänglich waren, sind mit einem Sternchen bezeichnet. Einige Erscheinungen, die ursprünglich in den Bericht aufgenommen waren, wurden wegen ihrer ge- ringen Bedeutung schliesslich wieder ausgeschaltet.

Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Hoizinger.) 327

Verzeichnis

der Namen der in diesem ßerichte behandelten Autoren.

A^ar 315.

AUeiE^re 255, 271.

Allen 186.

Anonymus 169, 220.

Arnold 212.

0. Bachmann 165. 180,

231, 288. Bermann 204. liertheroy 198. Bcthe 229, 289. ßielecki 183. F. Blass 179, 229, 262,

•266. 303, 304, 312,

315. 318, 322. Blaydes 161. Bodensteiner 178, 279.. Boisacq 318. Bonner 203. Boros 160. Eorromeo 165. Boiitens 288. Breusinir 250. Biognola 267. Buiy 162, 233, 314. Capps 173, 174. Oluirch 16Ö. Comparetti 234, 268. Corazzini 190. Couatl64. 176,184,201. Crönert 317, 321. Cnisius 303, 312, 326. Daehn 177. Damste 214, 229. Danka 160. Decker 206. Dönis 199. Deschanel 164. DJeterich 214. Dörpfeld 177, 178, 185. F. Dümmler 172, 173. Dufoui- 184.

Dziatzko 315, 318, 319.

Ellis 312.

Exon 279, 282.

Fairclough 253.

Ferrieri 201.

Ferte 199.

Fraccaroli 304.

Franchetti 234, 268,269.

Franchi 239.

Frere 165. 199,204.252.

Galanti 307.

Geflfcken 308.

Geldart 162, 233.

Godley 252, 253.

Gomperz 292, 309, 321.

Graeven 286.

Graf 261.

Graves 162, 219, 220.

Green 162.

Grenfell 303, 313, 318.

Gulick 246, 289.

Haeberlin315, 318, 320.

V. Hahn 160, 315, 319.

Hailstone 218.

Halbertsma 190.

F.W.Hall 162, 233,256.

Hallerstadt 267.

Hauler 321.

Hawkiiis 164.

Haym 175.

Headlam 188. 203, 290, 301, 325.

Hecht 164.

Hegedüs 160.

Heiberfj 169.

Heidhues 213, 216.

Helm 239.

Herwerden 1 62,180, 187, 188, 210, 222, 230, 231, 291, 297, 298, 304, 313, 319, 322.

Hessen 170. Hickie 164, 269. Hirschberg 182. 205. Hodffes 235. Hoelzer 309. 325. Hogarth 252, 253. Hoizinger 161,190, 222,

260, 273, 275, 278,

280, 283, 285. Hornyansky 160. F. Hnltsch 302. Th. Hultzsch 208. Hunt 303, 313. 318. Huntingford 253. Jackson 225. Jannaris 296. Jernstedt 275, 309. Ijzeren 188, 283, 288. Jungius 181. Kaehler 172. 185, 192,

308. Kaibel 163, 165, 175,

279, 315, 322, 323. Kellogg 203. Kenyon 312, 317. J. B. Koch 212. Th. Kock 163. 293,

298. 309, 312, 322. Konarski 160. Kornilofif 220. Lakon 193. E. Lange 167. Leenwen 161, 172, 204,

205, 209, 211, 216,

217, 222, 230, 237,

240, 247, 253, 256,

258, 259, 260, 263,

289, 290, 315. Lettner 175. Lindskog 308. H. Lübke 307.

,'i28 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)

Mabaffy 292, 311.

Poyard 164.

Marindill 272.

Prout 219.

A.Martin 216, 282

284.

Qninn 268.

Marzi 270.

Rabe 293.

Meiner.s 288.

Kadermacher 264.

Merry 162, 163, 219.

Raeder 321.

W. Meyer 306.

Ranisay 226.

Mifhelaiigeli 266.

F. Rauke 308.

Mischtschenko 220

Th. Rein ach 313.

Mlynek 241. 244.

8. Reiter 182.

Albert Müller 195,

214.

Reitzensteiii 212,

293,

278.

294.

Naber 253.

H. Richards 170,

194,

Nairn 265, 268.

259, 294, 301,

315.

Nazari 167.

Riess 168.

A. Nanck 306, 309,

311.

Carl Robertl 72,220.228,

Neil 163.

229, 243. 279,

325.

Nicole 312.

W. R. Roberts 169.

Nicolson 269.

Robertson 167.

Y. T. 0. 198.

Roemer 171, 216.

Oeri 273.

Rogers 220,

Olivieri 167, 305,

315,

Romagnoli 175,

183,

318.

235, 240, 243,

244.

F. A. Paley 164.

Ruppcrsberg 250.

Papadimitrakopiüos 178.

Rntherford 245,

260,

Papadopulos Keraraeus

270, 280, 282,

283,

293.

296, 301.

Pascal 295.

Saint Victor 197.

Passow 191.

S. Scaevola 218.

Pecz 180.

Carl Schenkl 312.

Peppmüller 269.

Scherrans 166, 305.

Pen in 241.

Rudolf Scholl 285,

287.

E. Petersen 246.

Schwandke 213.

P. Petersen 201, 258.

Setti 307, 318.'

Photiadis 291.

Shilleto 225.

Piccolomini 205,

207,

N. Smith 315.

236. 238, 300,

317,

Sonny 195, 257, 305.

318.

Starkie 162, 192,

219,

J. Pickard .177.

222.

A. W. Pickard -

Cam-

G. Stein 288.

bridge 326.

R. Steiner 193.

Plaisfowe 218, 252. |

Sternbach 306.

A. Platt 218, 312.

Steurer 185.

Poppelreuter 172.

Strachan 180.

Poste 268.

Studniczka 305.

Carmen Sylva 197. Talbot 200. Thoibidopulos 220. E. S. Thompson 224. Treudelenburg 246. Tacker 227, 264. Tyrrell 231, 250. ückermann 179, 231. Vahlen 192, 205. 208,

209. 210. 236, 247. Velseii 205. 209. Viereck 321. Villehervfc 249. Voelker 169.

W. Vollgraff 225. Vürtheiin 227, 245. Wageningen 297. H. Weil 303, 304, 305,

312. 315, 318. Weinberger 315. Weissmann 214.276,278. K. Wernicke 203. K. Wessely 292. .T. W. White 248, 275. R. E. White 227. Winans 215. ' Wilamowitz 195, 196,

250, 251, 272, 274,

281, 304, 309, 312,

315. 318. A. Wilhelm 174. A. Willems 199. 200,

210, 223, 227, 232, 242, 245, 263.

H. F. Wilson 253.

Zacher 163, 178, 186, 188. 202, 209, 210, 213, 214, 267, 279, 283, 288, 289, 306.

Zelle 164, 324.

Zevort 199, 249.

Zielinski 175, 177, 192, 195.

^uretti 185, 186, 251, 254, 318.

JAHRESBERICHT

über

die Fortschritte der klassischen

Altertumswissenschaft

begründet

von

Conrad Bursiau

herausgegeben

von

T^. Ciiirlitt itiici TV. Ki'oll.

Hundertundsiebzelmter Band.

Einunddreissigster Jahrgang 1903.

Zweite Abteilung.

Griechische und lateinische Autoren.

LEIPZIG 1904.

O. R. R E 1 S L A N D.

Inhalts- Verzeichnis

des hundertiindsiebzehnten Bandes.

Söite

Bericlil iil)or dio lionierischen Realien 189(1—1902 von

A. Gomoll in Striegau 1— 4()

Bericht über die Xeuophon betreffenden Schriften aus den

Jaiiren 1899—1902. Von Ernst Ri(-liter in Berlin 47 78

Bericht über Horodot 1898-1901 von J. Sitzler in

Tauberbischofsheim 74-101»

Berieht über Piudar 1901 1902 von L. Bornemann

in Hamburg 110—137

Bericht über die Literatur zu den rhetorischen Schriften Ciceros aus den Jahren 1900 1902. Von Georg Ammon in München 1;j8 154

Bericht über die Arbeiten zu den römischen Rednern (im weiteren Sinne, mit Ausscliiuss von Cicero, Corni- licius, Seneca. Quintilian. Calpurnius Flaccus, Apu- leius, Ausonius und der christlichen Schriftsteller) aus den Jahren 1897—1902 von Karl Burkhard in Wien 155- 180

Bericht über die homerischen Realien 1896 - 1902

von A. G e m 0 1 1

in Striegau.

I. Allgemeines.

W. C. Lawton, Art and humanity in Homer. New York 1896.

Das kleine Buch ist eine Sammlung- von Essays, die ursprünglich in der Zeitschrift Atlantic Montiily erschienen sind. Die Sammlung soll den Zwecken des höheren Unterrichts dienen, speziell den Zwecken der American society for the Extension of University Teaching. Sie ent- hält 7 Essays: 1. Die Ilias als Kunstwerk, 2. die Frauen der Ilias, 3. der Schluß der Ilias, 4. der Plan der Odyssee, 5. die homerische Unterwelt, 6. Odysseus und Nausikaa, 7. nachhomerische Anwüchse an die trojanische Sage. Den Schluß bildet eine kurze Inhaltsübersicht mit daran schließenden Themen für ein eingehenderes Studium der akade- mischen Jugend.

C. Haeberliu, Drei Paradoxen, in Wocheuschr. für kl. Phil. 13. Jahrg. 1896 Nr. 36.

Hierher gehört das erste Paradoxon. Der Dichter der alten hom. Epen war eih Thessaler, welcher nicht Houieros hieß. Dieser war der blinde Sänger, der in dem h. Apoll, von sich selber zeugt. Beweis: das gleichzeitige Zusammentreffen von Vau und Heta. Die lonier hatten kein Vau, die Aoler keine Aspiration.

J. Weck, Homerische Probleme. Progr. Metz 1896.

Seinen Beiträgen zur Erklärung hom. Personennamen Metz 1 883, seinem Aufsatz l'Tiea -Tspoevta (N. Jahrbb. 1884 S. 433), seiner ersten Sammlung hom. Probleme (Metz 1890) läßt der Verf. eine zweite hier folgen (Nr. 17 31), die auch für die Realien von Interesse ist.

Nr. 17. 9pev£;, 9pr,v heißt trotz t 299 und 11 481 nicht das Zwerchfell, sondern ist = *cpaprjv s. v. a. Schacht, Brustschacht. Man mag über diese Etymologie denken, wie man will, jedenfalls ist auch Jahresbericht für AltertumswisBenschaft. Bd. CXVU. (1903. II.) 1

2

Bericht über die homeriscüen Realien 189G— 1902. (Gemo.)

mir die Bedeutung „Zwerchfell" zweifelhaft. Nr. 19 das skäiäie Tor ist nicht das linke Tor, sondern das Schildtor. axaiT) ^eip ist di Schild- hand (jaxatY^). Es müßte doch erst nachgewiesen werden, daß cxio; hier nicht „links" bedeuten kann. 20. uroopa i5u>v I. drJj 8pa' (= *Ö£pa) i6(ov unter den Hals blickend (!). Das wird wohl niemand lauben. 25. iJLtuvuysc Tttitoi sind nicht „einhufige Rosse'', sondern vomR,iemen (*at}xac cz= tjxct? in der Form *<7i|xo-) gestoßene (voatjco).

Ya|jn};cuvu| wiederum hat nichts mit -/vajxTrxu) und xotfAKozu tun, sondern heißt: Kinnbacken (Yaix^vjXai) nackt (vu$ =■ nackt unoXacht). oi7U7rt6s ist nicht der Lämmergeier, den es in Homers Bereji nicht gibt, sondern vultur cinereus, der graue Geier, eigtl. Adlergeiex aiexo?- 7ü4')- Die sachliche Aufklärung ist dankenswert.

28. •rjvta (jqaXoevxa sind nicht schimmernde Zügel, sond/fn sehr (oi aus iro(jt, <\>i) bequeme ('(alr^^^t], Adj. fem. v. -j-aXoc, 70X0?). 29 a-^ipw- joz heißt freibeutend («vpir], dc7pojjaü)). Homer bat für die Feide nur tadelnde Beiwörter. 30. /aXxij-xufiivot?. yaXxi; heißt Schmiedin ^.Specht, xofjLivöi? Ky-Pfeiffer mit Hinweis auf Brehra, Tierl.^ Vögel I ^ 604 f. 31. Nachlese, xstpec aaTrxat nicht unnahbare, sondern untadlig Hände, an die man nicht rühren darf. Ich linde hier keinen Unteriüied in der Etymologie.

G. Zutt, Homerische Untersuchungen. Progr. Baden*Bada 1896.

Von den 3 Untersuchungen, die das Programm enthält, ehören 2 und 3 hierher. Die erstere handelt von dem Ölbaum im "ialamos des Odysseus. Verf. bringt aus der Wölsungen-Sage (c. 2) als arallele die Eiche, die im Saal des Wölsung wächst, deren Zweige un Blätter über das Dach hinausragen, den Baum der Heldenjungfrau Liod enannt. Er vindiziert dieser Eiche religiöse Bedeutung, sowie der Hocstud in den allemannischen Bauernhäusern. Nach Rochholz, Deutsche (jlaube und Brauch II 141 ist sogar öfter ein auf der Baustelle gewchsener Nußbaum zur Stud zugestutzt. Nach diesen Beispielen hält sii Verf. für berechtigt, in dem Ölbaum des 0d3'sseus eine Stele zu sncen und in der Bauart uralten indogermanischen Brauch zu sehen. Im ^tzteren Abschnitt behandelt Zutt die Phäaken, indem er in ihnen bwohner des Seelenlandes, Elysion, sucht, also eine Fortbildung der Weicerschen Ansicht. Derartige Entwickelungen haben immer sehr wenig Zragendes.

S. Butler, the authoress of the Odyssee, where and iien she wrote, who she was, the use she made of the Iliad aud howiie poem grew under her hands. London 1897.

Krichenbauer hat einen Nachfolger gefunden, der ihn wit über- trifft. Butler hat in der Odyssee die sichersten Spuren gefunen, daß sie nicht von einem Manne, sondern von einem jungen Mädche verfaßt

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Bericht über die homerischen Realien 1896—1902. (Gemoll.) 3

t. Dafür spricht u. a., daß nicht mehr Iris, sondern Hermes die otendienste der Götter verrichten muß, vor allen Dingen die Schilde- ing der Zustände in Ithaka. Da ist nicht alles so glatt zugegangen, jnst hätte Antikleia nicht in der Unterwelt das Treiben der Freier 3rschwiegen. Auch Odysseus ist nicht der Tugendspiegel, der er sein '11, sonst hätte er wohl schon längst der Kalypso Axt und Bohrer und einwand ausgeführt, um sich ein Floß zu bauen. So schreibt nur ein

eib und zwar ein junges.

Im weiteren wird dann nachgewiesen, daß diese Schriftstellerin le ganzen Örtlichkeiten der Odyssee nach ihrer nächsten Kachbarschaft rapani unter dem Eryx geschildert hat. Trapani ist zunächst Scheria. enn Trapani hat einen doppelten Hafen, davor eine Insel, die einst- mals ein Schiff, wenn auch nur ein türkisches Piratenschiff war. Tra- ani ist aber auch Ithaka. Das Neritongebirge ist der Eryx mit dem jch heute sogenannten Rabenfels, und auch die Grotten finden sich estlich vom Eryx sogar mit Bienen. Allerdings die Insel Ithaka ist vapani nicht, sondern das ist Maritima, die westlichste der Ägatischen iseln. Die anderen bieten sich bequem dar, Levanzo und Favignaua .r Same und Zakynthos, Dulichion aber ist heute Isola grande. Hier 'gt Ithaka nördlich TiavuireptaTT) etv aXi, wenn man nämlich auf dem ryx steht. Favignana aber ist zugleich die Ziegeninsel und der Eryx t das Kyklopenland. Überhaupt bestehen die ganzen Abenteuer des dysseus eigentlich aus einer Umsegelung Siziliens. Ustica ist die Insel is Aolus, Cefalu die Lästrygonenstadt, Tauromenium der Weideplatz

s Helios, Pantellaria die Insel der Kalypso. Unbegreiflich ist es gentlich, daß Stolberg, Mure, Freeman, Schliemann, Layard hier waren id das nicht sahen, was der Verf. gesehen hat (S. 263), aber sie waren Jen in Vorurteilen befangen.

H. Brjinnhofer, Homerische Rätsel. Die homerischen Epitheta ornantia etymologisch und historisch-geographisch gedeutet. Leipzig 1898.

Ein wunderlicher und dabei nicht einmal richtiger Titel. Die rbeit enthält 169 Etymologien durchaus nicht bloß von schmückenden eiwörtern, sondern auch von sehr wichtigen Apellativen. Das Verdienst r Arbeit besteht nicht in der zweifellosen Herleitung homerischer örter, denn dann würde die Ernte sehr dürftig sein. Ich möchte weit wie ich die Sache verstehe etwa 15 Etymologien als sicher zeichnen, davon gehören aber acht nicht dem Verfasser, d-j-poc (Verf. hreibt a7pos) = Weidetrifft (nach Jheving, Weber), ä'fAa^a gemeinschaft- he Wohnung, apxo; ^ das heilige Korn (nach Geigei), dsn^p der rahlenschießende (nach Weber), dafpoösXo? = pers. isfuut, die heilige

1*

2 Bericht über die homeriscüen Realien 189G— 1902. (Gemoll.)

mir die Bedeutung „Zwerchfell" zweifelhaft. Nr. 19 das skäische Tor ist nicht das linke Tor, sondern das Schildtor. axaiv] yeip ist die Schild- hand ((jaxaiY^). Es müßte doch erst nachgewiesen werden, daß axaio; hier nicht „links" bedeuten kann. 20. uTtoopa iSwv 1. utio 5pa' (— *o£pa) tSwv unter den Hals blickend (I). Das wird wohl niemand glauben. 25. fxtuvu-/E; Tttttoi sind nicht „einhufige Rosse'', sondern vom Riemen (* ot}xac = ifxac in der Form *(jt|xo-) gestoßene (vuaoio).

■/■«[jnj^tovu^ wiederum hat nichts mit -j^dp-Tziia und xv'fxTcuj zu tun, sondern heißt: Kinnbacken (-j-aixcpyjXaQ nackt (vu$ = nackt und Nacht). oiYUTTto? ist nicht der Lämmergeier, den es in Homers Bereich nicht gibt, sondern vultur cinereus, der graue Geier, eigtl. Adlergeier (aieroi;- 7ü(|*). Die sachliche Aufklärung ist dankenswert.

28. rjvia aqaXot^xa sind nicht schimmernde Zügel, sondern sehr (et aus i:oat, '\)i) bequeme (vaXv^vTj, Adj. fem. v. -/aXo?, ^aXa?). 29. a-^ipio- joc heißt freibeutend (a-i-pr), «-/ptuaaw). Homer hat für die Feinde nur tadelnde Beiwörter. 30. '/^aiXxii;--K6iii^8i«;. yalv-k heißt Schmiedin = Specht, xofjLivöi? Ky-Pfeiffer mit Hinweis auf Brehm, Tierl.^ Vögel I S. 604 f. 31. Nachlese. '/sTpec aaTürai nicht unnahbare, sondern untadlige Hände, an die man nicht rühren darf. Ich finde hier keinen Unterschied in der Etymologie.

G. Zutt, Homerische Untersuchungen. Progr. Baden-Baden 1896.

Von den 3 Untersuchungen, die das Programm enthält, gehören 2 und 3 hierher. Die erstere handelt von dem Ölbaum im Thalamus des Odysseus. Verf. bringt aus der Wölsungen-Sage (c. 2) als Parallele die Eiche, die im Saal des Wölsung wächst, deren Zweige und Blätter über das Dach hinausragen, den Baum der Heldenjungfrau Liod genannt. Er vindiziert dieser Eiche religiöse Bedeutung, sowie der Hochstud in den allemannischen Bauernhäusern. Nach Rochholz, Deutscher Glaube und Brauch 11 141 ist sogar öfter ein auf der Baustelle gewachsener Nußbaum zur Stud zugestutzt. Nach diesen Beispielen hält sich Verf. für berechtigt, in dem Ölbaum des Odysseus eine Stele zu suchen und in der Bauart uralten indogermanischen Brauch zu sehen. Im letzteren Abschnitt behandelt Zutt die Phäaken, indem er in ihnen Bewohner des Seelenlandes, Elysion, sucht, also eine Fortbildung der Welckerschen Ansicht. Derartige Entwickelungen haben immer sehr wenig Zwingendes.

S. Butler, the authoress of the Odyssee, where and when she wrote, who she was, the use she made of the Iliad and how the poem grew under her hands. London 1897.

Krichenbauer hat einen Nachfolger gefunden, der ihn weit über- trifft. Butler hat in der Odyssee die sichersten Spuren gefunden, daß sie nicht von einem Manne, sondern von einem jungen Mädchen verfaßt

Bericht über die homerischen Realien 1S9G— 1902. (Gemoll.) 3

ist. Dafür spricht u. a., daß nicht mehr Iris, sondern Hermes die Botendienste der Götter verrichten maß, vor allen Dingen die Schilde- rung der Zustände in Ithaka. Da ist nicht alles so glatt zugegangen, sonst liätte Autikleia nicht in der Unterwelt das Treiben der Freier verschwiegen. Audi Odysseus ist nicht der Tugendspiegel, der er sein soll, sonst hätte er wohl schon längst der Kalypso Axt und Bohrer und Leinwand ausgeführt, um sich ein Floß zu bauen. So schreibt nur ein Weib und zwar ein junges.

Im weiteren wird dann nachgewiesen, daß diese Schriftstellerin die ganzen Örtlichkeiten der Odyssee nach ihrer nächsten Nachbarschaft Trapani unter dem Eryx geschildert hat. Trapani ist zunächst Scheria. Denn Trapani hat einen doppelten Hafen, davor eine Insel, die einst- mals ein Schiff, wenn auch nur ein türkisches Piratenschiff war. Tra- pani ist aber auch Ithaka. Das Ntritongebirge ist der Eryx mit dem noch heute sogenannten Rabenfels, und auch die Grotten finden sich westlich vom Eryx sogar mit Bienen. Allerdings die Insel Ithaka ist Trapani nicht, sondern das ist Maritima, die westlichste der Agatischen Inseln. Die anderen bieten sich bequem dar, Levanzo und Favignana für Same und Zakynthos, Dulichion aber ist heute Isola grande. Hier liegt Ithaka nördlich Travuireptärr) eiv aXi, wenn mau nämlich auf dem Eryx steht. Favignana aber ist zugleich die Ziegeninsel und der Eryx ist das Kyklopenland.- T^berhaupt bestehen die ganzen Abenteuer des Odysseus eigentlich aus einer Umsegelung Siziliens. Ustica ist die Insel des Aolus, Cefalu die Lästrygonenstadt, Tauromenium der Weideplatz des Helios, Pantellaria die Insel der Kalypso. Unbegreiflich ist es eigentlich, daß Stolberg, Mure, Freeman, Schliemann, Layard hier waren und das nicht sahen, was der Verf. gesehen hat (S. 263), aber sie waren eben in Vorurteilen befangen.

H. Brnnnhofer, Homerische Rätsel. Die homerischen Epitheta ornantia etymologisch und historisch-geographisch gedeutet. Leipzig 1898.

Ein wunderlicher und dabei nicht einmal richtiger Titel. Die Arbeit enthält 169 Etymologien durchaus nicht bloß von schmückenden Beiwörtern, sondern auch von sehr wichtigen Apellativen. Das Verdienst der Arbeit besteht nicht in der zweifellosen Herleituug homerischer Wörter, denn dann würde die Ernte sehr dürftig sein. Ich möchte soweit wie ich die Sache verstehe etwa 15 Etymologien als sicher bezeichnen, davon gehören aber acht nicht dem Verfasser, d-^por (Verf. schreibt d'^po?) -^ Weidetrifft (nach Jhering, Weber), «VaEa gemeinschaft- liche Wohnung, d'p-o; das heilige Korn (nach Geigei), dsTTQp = der strahlenschießende (nach Weber), do^oosXoc = pers. isfant, die heilige

1*

4 Bericht über die homerischen Realien 1896—1002. (Gemoll.)

Raute, ßaXavoc die eßbare, des^l. 7aXa --=-- trank v. W. gal., ßpoToXot^oc = ßpoToXoiyoc blutleckend, 7pa(p(o ritzen (schon alt), oarsoov --= dänpäda Hausflur, 66|xo? das Gebundene (Zelt) nach Weber, evuo) die Schlägerin von van (nach Ludwig), xaaot-cepo? von ind. ka^itara glänzend, -/.spauvoc perannos (nach J, Grimm), olvoc von viere flechten, ranken (nach Hehn, Sclirader), aior^po? -=^ Metall von Sioiqvt] in Karien wie XaXu'f von Chalybes, ypuaot ^ Sonnenglanz von ghransä (mit Aufrecht). Alles übrige halte ich für recht unsicher, manches für direkt verkehrt, so ßajiXsii? = Rinderhirt, Jjxeavoc ^ *vakvana rollend, wogend, ewojqaio; wie 90 Rinder brüllend, vsfxsaic die Weidegerechtigkeit, TranraXoet? pappel- reich, uoXuSi'l'io? reich.

Immerhin aber müssen auch diese Versuche ernsthaft genommen werden, zumal der Verf. die orientalistische Literatur nach Kräften herangezogen hat. Und das ist das Hauptverdienst der Arbeit.

H. d'Arbois de Jubainville, cours de litterature Celtique, T. VL La civilisation des Geltes et celle de Tepopöe Homerique. Paris 1899.

Dieser Teil des großangelegten Werkes darf hier nicht über- gangen werden. Wenn auch die Kenntnisse des Verfassers nicht gerade auf der Höhe der jetzigen Forschung stehen, so liefert doch die Ver- gleichung der keltischen und der griechischen Verhältnisse maucherlei interessante Parallelen für Homer, so namentlich im 5. Kapitel. Verf. zeigt eine enorme Literaturkenntnis für den keltischen Teil. Für den homerischen Teil ist das weniger der Fall. Man wird daher seine Auf- stellungen über die homerischen Realien etwas vorsichtig benutzen müssen. Ob das bei dem keltischen Teile auch nötig ist, entzieht sich meiner Beurteilung, aber das ist bei dem Rufe des Verfassers kaum anzunehmen. Jedenfalls bietet das Buch eine überaus lesenswerte Studie dar, welche man nach den verschiedensten Seiten mit Nutzen gebrauchen kann. Vielleicht hätte der Stoff etwas mehr zusammengedrängt werden können, aber der Verf. muß ja das Publikum kenneu, für das er schreibt.

G. Per rot et Ch. Chipiez, histoire de l'art dans l'antiquite Tome VII. La Grece de l'epopee, la Grece archaique (temple), Paris 1899.

Die Überschrift „la Grece de l'epopee" veranlaßt mich, des be- rühmten Werkes auch hier zu gedenken, und zwar nur dieses einen Ab- schnitts. Verf. verrät uns S. 291, daß er das Griechenland zwischen den Jahren 1000 und 700 „faute de trouver un terrae, qui la d^finirait plus exactement", eben „la Grece de l'epopee" genannt habe. Ich möchte behaupten, daß der Titel irreführend ist. Die Zeit des Epcs

Bericht über die homerischen Realien 1S96— 1902. (Gemoll.) 5

ist die Zeit der mykenischen und troischen Köiiigsburg. Freilich die Zeit der homerischen Säuger reicht tiefer hinab, liineiii in die Zeit des geometrischen Kunststils; aber darf nmu nun deshalb die Zeit der alt- attischen Vasen mit all ihrer künstlerischen Roheit zusammenfassen mit den Schilderungen der homerischen C4edichte? Verf. erwähnt selbst (p. 288) den Übelstaud, daß die Denkmäler dieses Abschnittes aus Attika. die Ge- dichte aber in Asien entstanden sind. So kann es kein Wunder nehmen, daß zwischen den Schilderungen des Epos und den attischen Kuust- leistnngen überall eine klaffende Lücke gähnt. Es wäre meines Er- achtens besser gewesen, diese altattischen Kunstprodukte und die home- rischen Schilderungen getrennt zu halten. Sie haben auch tatsächlich nichts miteinander gemein. Im Epos herrscht das Königtum in patriarchalischer Weise, von Glanz und Pracht umgeben. In Attika ist das Königtum gestürzt, die dürftigen Reste dieser Zeit machen einen ärmlichen Eindruck, ohne daß man hier die Dorer als die Vernichter der alten Kultur hinstellen kann. Der Dichter beschreibt in dem Schilde des Achill ein herrliches, göttliches Kunstwerk. Der Verf. lehnt mit Recht uen Gedanken ab, daß der Dichter einen solchen Schild etwa als Überreste aus mykenischer Zeit gesehen habe. Der Schild sei eine freie Erfindung des Dichters, aber toute celte description n'aurait pas reussi ä interesser, si les hommes, auxquels s'adressait le chanteur epique, n'avaient rieu connu, qui . . ressemblät au bouclier d'Achille. Und doch hat Verf. nicht das geriugste derartige nachzuweisen ver- mocht. An anderer Stelle bemerkt Verf. (S. 138), daß die ßilderwahl im Schilde Achills sehr gut zur mykenischen Kultur passen würde. In bezug auf das homerische Haus betont Verf. (S. 97 f.), daß die Fürsten Wohnung Homers von der mykenischen abstamme. Das sind doch so gewichtige Zugeständnisse, daß man sich wundern muß, die homerische Kultui- in Keih' und Glied mit der frühattischen gestellt zu sehen, mit der sie nicht das geringste gemein hat als vielleicht die Lebenszeit der letzten homerischen Säuger. Man wird schon daraus er- sehen können, daß die homerischen Gedichte denn doch von älterem und festerem Bau sind, als man gewöhnlich annimmt.

Das ist eine grundsätzliche Verschiedenheit der Ansichten , die aber nicht hindert, die reiche Belehrung anzuerkennen, die man für die homerischen Eealien aus diesem Buche schöpfen kann. Ich er- wähne z. B. die treffliche Auseinandersetzung über den Altar auf S. 86, die Erklärung der (Jp-etßovTs; ^" 710 auf S. 97 und so weiter.

V. Terret, Homere 6tnde historique et critique. Paris 1899.

Der hauptsächliste Inhalt des Buches muß im Bericht über höhere Kritik besprochen werden. Einzelnes in dem Buche gehört aber auch hier-

6 Bericht über die homerischen Realien 1806— IDOL'. (Gcmoll.)

her. So das letzte Kapitel l'art dans riliade et Odyssee, das sich wie ein fortlaufender Hymnus liest. Die Kunst der Charakteristik in den Figuren der Helden und Heldenfraueu, die heitere Welt der Götter, das tiefe Natur- gefiihl des Dichters, die Wahrheit und Frische seiner Schilderungen von . Kriegs- und Friedensszenen, der überaus plastische Ausdruck, der melodische Vers, alles das wird dargestellt und mit passenden Bei- spielen belegt.

Im einzelnen wäre ja manches zu tadeln. Davon sehe ich ab und erwähne nur noch, daß der Verf. durch allerlei Beigaben eine ge- wisse Anschaulichkeit zu erreichen sucht. Er bringt (S. 21) eine Ab- bildung des Niobesteins, wie es scheint nach Weber, le Sipylos et ses monuments Smyrna 1880. In der Anmerkung verwechselt er ihn gleich mit dem Bilde der Göttermutter. Cf. Peppmüller , Berl. philol. Wochenschr. 1887 Sp. 704. Von Ithaka gibt er mehrere Abbildungen, von Troja keine. Das Buch Dörpfelds über Troja erwähnt er gar nicht. Schuchardt erwähnt er zwar, benutzt ihn aber nicht.

Lediglich mnemotechnischen Wert haben die Karten über den Schiffskatalog und die 3. große Schlacht. Beides sollten sich unsere Homerlehrer einmal ansehen. Auch das homerische Haus stellt er (S. 453 f.) kurz dar, allerdings sehr ungenügend. Beim Freiermorde sind sämtliche Türen geschlossen mit Ausnahme der opaoOupT) (rechte Wand) und den pöÜYe?, die er als Saalfenster der Hinterwand in der Höhe des Oberstockes zum Ausguck für die Frauen auf den Männer- saal faßt. Im ganzen und großen bleibt es doch ein erfreuliches Werk.

J. Schreiner, Homers Odyssee ein mysteriöses Epos. Elementar- Skizzen der drei wichtigsten Örtlichkeiten "070717], S/EptVi 'I9ay.y) auf historisch-geographischer Basis entworfen, Braunschweig und Leipzig 1901.

Ein durch und durch unwissenschaftliches Buch, nach welchem die homerischen Helden eigentlich Juden (I) waren. Troja ist Jericho, Odysseas Josua, Ogygia Gilgal, Ithaka Sichem, Scheria Suptr) IlaXaistivr). Jedes weitere Wort wäre Überfluß.

C. Kühn, Zur Erklärung homerischer Beiwörter (aoivo?, a-pu7e-oc). Königsberg Pr. 1901.

Eine recht dürftige Gabe. Verf. entscheidet sich dafür, aoivo; von -aorjv satis abzuleiten und erklärt „in genügender Menge, Stärke, Heftigkeit". axpuYSTo? leitet er mit Prellwitz von trego „anbauen" ab und erklärt mit ihm „unbebaut, unfruchtbar".

C. Robert, Studien zur Ilias. Berlin 1901.

In seinem Buche „Über homerische Waffen" hatte Eeichel vor 8 Jahren nachweisen wollen, daß die Bewaffnung der homerischen

Bericht über die homerischen Realien 1890 11)02. (Gemoll.) 7

Helden die „mykenische" sei und daß nur einzelne Spuren einer späteren Bewaffnung sich fänden. Demgegenüber führt Robert in schlagender Weise aus, wie sehr die von ihm sogenannte , .ionische" Bewaffnung im Homer verbreitet sei. Mit Recht hebt er das Beiwort TCavToj' £t3Y] als nur zum Metallschild passend hervor, wie ich das schon 1895 in meinem Bericht über die bom. Realien S. 261 getan habe. In bezug auf die Handhabung des Schildes kehrt Robert zu Heibig zurück, auch er faßt die xavove; als Handhaben; er hebt S. 11 hervor, daß auch der Bügelschild -sXaixtüvs; haben könne. Beim Panzer reserviert er das Wort öwpiQjTSJöai mit Recht dem Metallpanzer, ebenso dem Worte dcüp7]$ seine spezifische Bedeutung; auch er findet, daß yaX/.o/ircuv nur vom Metallpanzer passe, wie ich das in Kürze a. a. O. schon angedeutet hatte. Vorzüglich ist die Erledigung von fit-cpr, und C(ü3-n]p. Vorsichtig äußert er sich über die Identifizierung eines mykenischen /nrcuv ^ Oa»pT)$. In bezug auf die Beinschienen konstatiert er überall da, wo von ihnen die Rede ist, ionische Bewaffnung. .Ja, die Beinschienen könnten sogar aus mykenischer Zeit sein, wie der Fund einer bronzenen Beinschiene ergebe (p. 47). In bezug auf den Helm konstatiert er Leder- und Metallhelme im Homer, die Formel osivöv 6e Xo'fo; xa&u-ep8ev Iveuev reklamiert er für den korinthischen Helm.

Dies sind alles so wertvolle Nachweise, daß man sich wundert, daß der Verf. trotzdem, den Versuch gemacht hat, nach den mykenischen und ionischen Waffen jüngere und ältere Partien der Hias zu scheiden. Dem Archäologen Robert braucht es nicht gesagt zu werden, daß die Grenzen zwischen „Mykenisch" und , .Ionisch" sich noch immer ver- schieben. So gut wie in Kypros in einem mykenischen Grabe eine bronzene Beinschiene gefunden wurde, kann auch ein Metallpanzersiück gefunden werden. Xach Roberts eigenen Ausführungen gehören Bein- schiene und Metallpauzer zusammen. Es dürfte also äußerste Vorsicht am Platze sein. Wenn man nun sieht, wie die Worte, die für my- kenische Be.vaffnung sprechen sollen, doch auch bei der ionischen stehen, dann stutzt man und ergibt sich nicht mehr willig. Verf. nimmt in solchen Fällen allerdings eine Erstarrung alter Formeln an; aber damit ist seiner Beweisführung nicht gedient. Was soll man dazu sagen, daß dfjLcpißpoTY) A 32 Y 281 so erstarrt wäre, sonst nicht? oder, daß oltz wfxujv TEu/c' "ilo'^zo an 2 Stellen mykenisch, an 5 Stellen ionisch wäre? Oder daß die Formel oo6~T^it\ rA -sjuiv, apd^ti^s öe xsu/s' et:' ay-io doch 6 mal auch ionisch sein kann, oder daß die erste Hälfte des Verses 4mal mykenisch, 8 mal ionisch wäre? Ich kann nach meiner Kenntnis des Homer nur annehmen, daß mindestens dieselben Phrasen auch überall in dem- selben Sinne gebraucht sein müssen, und wenn ich auf den Untergrund des Robertschen Buchs komme, die Reicheische Hypothese, so behaupte

8 Bericht über die homerischen Realien 1890 1902. (GemoU.)

ich, daß sie auf gerade so schwaclieu Füßen steht wie seine Thron- hypothese. Es ist weder das Vorkommen des mykenischen Kuppel- schildes noch das Fehlen des Panzers bei Homer zu erweisen. Eine Nichterwähnunt? des Panzers will gar nichts sagen, tatsächlich führt ja auch Robert zum mindesten einen mykenischen -/tTwv als Panzer ein. Und was den Schild anbelangt, so hing doch auch der Metallschild an einem Telamon am Halse, wie Robert S. 11 ebenfalls nachweist. Man braucht also den mykenischen Schild gar nicht. Einen gewissen Spielraum in der Form muß man selbstverständlich annehmen. Man vergleiche doch nur die Abbildung bei Reichel S. 62 (Nr. 26), wo die verschiedenen Schildformen vorkommen.

Ich hoffe daher, daß die Zeit nicht fern sein wird, wo sich ein Nachfolger Roberts findet, der den letzten Rest der Reicheischen Hypothese hinwegfegt, so wie Robert es in überaus dankenswerter Weise mit einem Teil derselben gemacht hat.^)

V. Berard, Les Pheniciens et l'Odyssee. T. I. Paris 1902.

Ein herrlich ausgestatteter Band, dessen Inhalt den Lesern der Revue archeologique nicht fremd ist. Denn die dort seit 1900 gelieferten Aufsätze finden sich hier vereinigt und erweitert, und noch dazu mit einer Fülle von Plänen und Ansichten ausgestattet, wieder, bis auf den letzten Abschnitt Nausikaa, der neu hinzugekommen ist. Wir liaben es hier mit einem Buche ernstester Forschung zu tun. Verf. bat sich sogar ein eigenes Wort für seine Forschungen geschaffen. Sie erschienen ursprünglich unter dem Titel topologie et toponymie ancienne. Was Hirschfeld unter Typen griechischer Niederlassungen verstand, das faßt Berard unter dem Namen Topologie glücklich zusammen, und gerade dieser Teil seines Buches wird von bleibendem Werte sein, wenn mich nicht alles täuscht. Die Toponymie dagegen wandelt auf den Spuren Kieperts und übertreibt das Prinzip des Semitismus auf eine Weise, die nicht gebilligt werden kann. Verf. ist als Geograph ganz ent- schieden glücklicher, als als Orientalist. Was an seinen Etymologien richtig ist, ist meist nicht mehr neu. Jedenfalls ist das Buch ernstester Aufmerksamkeit wert.

Weiter hinten wird man den ersten Abschnitt desselben, der das homerische Pylos behandelt, eingehend besprochen finden.

R. Petersdorff, Germanen und Griechen. Übereinstimmungen in ihrer ältesten Kultur im Anschluß an die Germania des Tacitus und Homer. Wiesbaden 1902.

Hervorgegangen aus einer Programmarbeit (Strehlen 1897) bietet

'■) Vgl. Cauers Bericht Bd. CXII S. 20 ff.

Bericht über die homerisciien Realien 18',i(; 1902. (Gemoll.) 9

die vorliegende Schrift im Interesse der Lektüre in den höheren Schulen eine Zusammenstellung, die auch für die wissenschaftliche Interpretation des Homer und der Germania vorteilhaft sein kann, da sie auf gründ- licher Gelehrsamkeit beruht und die Literatur in ausgiebigster Weise heranzieht. Es handelt sich um eine Zusammenstellung einzelner Kapitel der Realien, die in aller Kürze abgehandelt werden, aber auf klare Begriffsbestimmung der Worte hinausgehen. Ich verweise auf die beiden Exkurse: 2. Was war der axtuv für eine Waffe bei Homer? 4. Die Seher bei Homer.

II. Naturkunde.

St. Fellner, Naturgeschichtliche Bemerkungen zu Homer B 395 ff. (Das Opfer in Aulis.) Ztschr. f. österr. Gymnas. 1896. S. 588—590.

Der atpoüHoc ist vielleicht ein Uaumläufer (gesprenkelt, legt 8 10 Eier, die Jungen verlassen das Nest), der öpaxtuv ist die Streifen- natter (olaphys quaterradiatus (die größte europäische Schlange, üücken rot). Ich bin übrigens der Ansicht, daß die Jungen das Nest noch nicht verlasseu hatten, sondern eben im Neste gefressen werden, wie das unsere Katzen oft genug besorgen. Ich glaube, daß, wenn die Jungen auf dem Aste gesessen hätten, dann doch wohl vor Schreck die Mehrzahl herabgefallen wäre.

St. Fellner, Die homerische Flora. Wien 1897.

Das Büchlein kann man mit großem Vergnügen lesen und Schülern der obersten Gymnasialklasse gern in die Hände geben. Für wissen- schaftliche Zwecke erweist es sich beim Mangel an Quellenangaben als weniger brauchbar.

H. Küentzle, Über die Siernsagen der Griechen. I. Diss. Heidelberg 1897.

Dieser erste Teil enthält eine Nachprüfung der neuerdings von Robert Maaß und anderen geäußerten Ansichten über die bei Homer erwähnten Sternbilder und die darin genannten Personen. Die Disser- tation ist mit gesundem Urteil in guter Methode geschrieben. Verf. meint, bei Homer sei die Beziehung der benannten Sternbilder zu den mythologischen Personen erst im Beginne. Der eigentliche Katasterismus Orions sei Homer fremd (p. 15), aber schon Hesiod bekannt. Bei den Hyaden fehle im Homer jede mythologische Bedeutung (p. 21), aber nicht bei Hesiod. Bei der Bärin ist nach Homer altes Sagengut herangezc)gen wie bei den Hyaden (p. 25). Im Anhange I wird nochmals eingehend ausgeführt, daß der Sagenheid Orion nicht-astronomischen Charakter bei Homer hat (sie). „Er ist ein irdischer, sterblicher Held und Gegen-

10 Bericht über die homerischen Realien 1896—1902. (Gemoll.)

stand von Sagen, die /.. T. von dem Sternbild nicht abgeleitet werden können." In dei' nachhoraerischen Sage ist ihm Artemis nicht mehr feind. Im Anhang II wird siegreich gegen Maaß (de Erat. Erig. 124) die Identifizierung der Maira mit dem Hundsstern abgewiesen.

Bethe, Das Alter der griechischen Sternbilder. Rh. Mus. 55 (1900) S. 414—434.)

Der Aufsatz zerfällt in 2 Teile: I. Die Figuren und ihr Alter. II. Die Sternenuameu. Zu I. Die Sternbilder sind weit "älter, als man gewöhnlich annimmt. Schon Homer kennt Sternbilder, die Bärin oder Wagen, den [Bärenhüter oder] Ochsentreiber, Orion mit dem Hunde, Hyaden und Plejadeu. Schon der Dichter der Hoplopöie habe ein Himmelsbild mit eingezeichneten Figuren gekan nt (p. 422). Dagegen spricht m. E. der doppelte Name der Bärin sowie das Fehleu des Namens Arkturos. Denn der Bootes paßt zur Bärin nicht. Außerdem erwähnt Verf., daß die Vasenbildei-, auf denen Atlas vorkommt, keine Sternbilder zeigen.

Zu II. DieSternnaraen beziehen sich ursprünglich auf einzelne Sterne (p. 429). In der Hoplopöie (8. Jahrhdt.) herrscht ein anderesPrinzip. Auch die Mythologisierung hat schon begonnen. Der böotische Held Orion er- scheint noch in der Nekyia X 573 als Person. Durch ihn verwandeln sich die Tauben der Plejadeu in Mädchen (p. 433), so wenigstehs er- scheinen sie bei Hesiod 0. 619. Auch in diesem Teil ist mancherlei Problematisches. Daß in den Hyaden und Plejadeu die einzelneu Sterne als Einzelwesen aufzufassen sind, will mir nicht einleuchten. Ich finde, daß wieder, wie so oft, ein unbegründeter Unterschied gesucht wird in Dingen, die sich unserer Kenntnis fast entziehen.

H. Ilsen er. Beiläufige Bemerkungen im Rh. Mus. 55. (1900) S. 286 f.

Usener konstatiert 11 567 und P 263 f. bei Sarpedons und Pa- troklos' Tode eine Sonnenfinsternis und bringt diese Vorstellung in interessanten Zusammenhang mit der Erzählung von der Kreuzigung Christi.

A. Pischinger, Der Vogelgesang bei den griech. Dichtern des klass. Altertums. Progr. Eichstätt 1901.

Eine vorzügliche Gabe, die auch hier erwähnt werden muß wegen des bei Homer erwähnten Gesanges von Nachtigall (9 19, 519) Eisvogel (I 561) und Schwalbe ('f 411). Mit Recht wird die Kenntnis des Schwanengesanges aus B 459 nicht gefolgert.

Th. Zell. Polyphem ein Gorilla. Eine naturwissenschaftliche und staatsrechtliche Untersuchung von Homers Odyssee Buch IX, 105 ff., Berlin 1901.

Bericht über die homerischen Realien ISIIG 1902. (Gemoll.) ]1

Verf. wandelt auf den Spureu Krichenbaueis und das ungefähr mit dem gleichem Erfolge. Er will allen Ernstes Poh-phera wenn auch nicht gerade direkt (cf. S. 167) zum Gorilla, so doch zu einem dem Gorilla ähnlichen Menschenwesen machen. Die Beschreibung Homers paßt natürlich vorzüglich. Mau sehe nur die Übersicht auf S. 170 an. Weiteres mitzuteilen ist sicherlich nicht nötig.

IIJ. Geographie und Topographie.

H. Kluge, Die topographischen Angaben der llias und die Er- gebnisse der Ausgrabungen auf Hissarlik. Fleckeisens Jahrbb. 1896 S. 17—32.

Nach Schliemann und seinem Interpreten Schuchardt müht sich der Verf. ab, in die Ruinen der von Schliemann aufgedeckten 6. Stadt die Angaben des Dichters gewissermaßen einzutragen. Daß Schliemann das Ilioa der griech. Sage gefunden hat, habe ich bereits vor 21 Jahren in meiner Einleitung zu den hom. Gedd. anerkannt, also zu einer Zeit, wo das Urteil der gelehrten Welt noch recht schwankend war. Aber mehr kann ich auch heute noch nicht zugeben. Man scheint ganz und gar zu vergessen, daß die homerischen Sänger diese 6. Stadt nicht mehr gesehen haben. Es ist wirklich verlorene Mühe, mehr als eine allge- meine Übereinstimmung zwischen den Angaben der Dichtung und den Ausgrabungsresultaten herstellen zu wollen. Das skäische Tor würde man nach der Dichtung im Westen suchen oder im Nordwesten. In Schliemanns Ilios hat das Haupttor wohl im Osten gelegen. (Allerdings fehlt von der Nordseite der Mauer jede Spur.) Dazwischen gibt es doch keine Vermittelung. Die unbestimmte Angabe -pö -'jXawv :iap8a- vficov heißt vor den Toren Trojas. Nach dem Verf. ist hier das Südtor geraeint. Dazu kommen Widersprüche in den topographischen Angaben, die eine laentitizierung ausschließen. So liegt H 346 der Palast des Priamos in der Oberstadt; nach Z 242, verglichen mit 297 muß er tiefer liegen als die Oberstadt. Und die Ausgrabungen? Sie zeigen von dem Palaste keine Spur mehr, wenigstens nicht auf der Höhe, die in römischer Zeit eingeebnet worden ist.

In bezug auf die Hügel um die Stadt verhält sich Verf. skep- tischer. Warum nicht von vornherein? Auch Noack in Illbergs N. Jahrbb. 1898 S. 575 hält Kluges Versuch, eine Übereinstimmung zwischen Troja VI und Homers Ilios zu erzwingen, für verfehlt.

A. Ludwig, Über das Schwanken der lokalen Darstellungen in der llias. Sitzungsber. der Kgl. böhm. Gesellschaft der Wissen- schaften 1898. 20 S. 8.

12 Bericht über dio homerißchen Realien 1890 1902. (Gemoll.)

Die Abhandlunix gehört in die höhere Ki-itik, Hier soll nur erwähnt werden , daß die völlige Zerstörung Trojas nach der Über- lieleruiig anzunehmen sei, während das Ilion Schliemauns seit urältester Zeit bewohnt war. Nun stammte Priamos in der 2. Generation von lies, dem Epouymen von Ilios. Somit könne Homer nicht gemeint haben, daß Ilios eine alte Stadt sei. H 333 ff. deute darauf hin, daß der Dichter gewußt habe, daß die Hügel keine Gebeine enthielten. Das ist doch aber noch gar nicht ausgemacht. Eine neue Ausgrabung kann hier ein anderes Resultat ergeben. H 443 464 und M 2 35 zeigten, daß der Dichter das Nichtvorhandensein des Dammes an- deuten wolle. Ich muß sagen, daß dies Argument eines Eindruckes nicht ermangelt. Ob man aber deshalb dem Verf. auch in dem übrigen folgen wird, ist mir zweifelhaft.

H. Stier, Der Schauplatz der Ilias. Progr. Magdeburg 1899.

Der Verf. hat Hissarlik gesehen und findet eine erstaunliche Übereinstimmung mit den Angaben des Dichters. Allerdings dürfe man nicht zu peinliche Anforderungen stellen, da der Dichter das Troja Homers nicht mehr gesehen habe. Möglicherweise gehe mancher Zug in der Schilderung der Stadt auf die älteste Sage zurück. Verf. findet auch die Überreste eines Tempels, obgleich der höchste Punkt der Stadt abgetragen in römischer Zeit ist. Er findet auch das skäische Tor wieder, obgleich es im Südosten liegt, von wo man das griechische Lager nicht sehen konnte. Auch die Ural auf barkeit der Stadt ist ihm denkbar (S. Hercher). Sogar der Skamander deckt sich mit dem heutigen Mendereh; alle Angaben des Dichters passen vorzüglich, wenn man su aputspa von der westlichen Seite nimmt. Der Verf. glaubte vermutlich mit dieser Bestimmung von l-n' aptatepa etwas Neues zu sagen. Aber schon 1867 meinte Hasper (Progr. Brandenburg S. 21): Der Ska- mander liege zur Linken und ett' apicxspa bedeute im Westen. Die Alten haben anders geurteilt. Schol. V. zu A 498 sagt: Der Ska- mander sei apicTspoc xoö vauaxa&fxoü. Siehe das grundl. Progr. von Ribbeck Homer. Miscellen, Berl. 1888. Mit diesen und anderen Vor- gängern mußte sich Verf. doch abfinden, mindestens aber doch alle An- gaben des Dichters benutzen. Höchstens konnte das 10. und 24. Buch der Ilias unberücksichtigt bleiben. Der wissenschaftliche Wert der Arbeit ist daher nur gering.

G. B. Grundy, An investigation of the topography of the regions of Sphakteria and Pylos. Journal of Hellenic studies Bd. 16 1896 S. 1—54.

Gegenüber den Ausgrabungen in Palaeo- Castro verficht Grundy aus topographischen Gründen die Meinung, das Pylos Nestors sei das jetzige Hagio Nicolo nördlich von Palaeo-Castro gewesen.

Bericht über die homerischen Realien 180(^ 1002. (Gemoll.) 13

V. Berard, la Pylos Hom6rique. Revue arch^oloj^ique Bd. 36 (1900) S. 345—391.

Dieser Aufsatz ist jetzt in dem oben erwähnten Buche des Ver- fassers (Les Pheniciens et TÜdyssee) S. 61 143 zu lesen. Meine Citate werden sich auf die Buchausgabe beziehen.

Verf. verwirft nach dem Vorgange Strabons das messenische Pylos zugunsten des triphylischen, nur mit dem Unterschiede, dal.» Strabon dies verschollene Pylos bei Lepreon, ca. 30 Stadien vom Meere sucht, während Berard es in den kyklopischen Mauern des Samikon (j. Kaiapha) sieht. Er hat auch schon Zustimmung gefunden (cf. Michael, Das ho- merische und das heutige Ithaka Progr. Jauer 1902 S. 16), aber mit welchem Rechte? Schon Strabon (VIII 351) meinte, die Fahrt nach dem messenischen Pylos sei zu lang für eine Nacht, und das ist auch das Hauptargument Berards (S. 88). Das mag ja wohl unter gewöhn- lichen Verhältnissen richtig sein, hier aber handelt es sich um eine von der Göttin begüüstigte Fahrt 420). Auch die Unmöglichkeit einer Wagenfahrt über den Taygetos (p. 84) wird stark hervorgehoben. Lächerlich werden die Gelehrten hingestellt, die dort einen Wagenweg finden, während „nos increnieurs cherchent encore le moyen d'ouvrir une routc daus cette passe." Sollte das wirklich so schlimm sein? Cf. Hermann, Privatalt. ^ 479 f. Hercher allerdings urteilte wie Berard über den Weg, ohne deshalb das messenische Pylos zu verwerfen. Daß ferner Schliemann dort nichts gefunden hat (p. 64) ist noch kein Beweis. Ob er wohl an der richtigen Stelle gesucht hat? Und übrigens, was hat er denn in Ithaka gefunden? Daß der Hafen von Navarin un- geeignet sei für homerische Schiffahrt, will ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls findet der Dichter überall einen Landeplatz, wo er landen will. Scheinbar und frappierend ist es ja, daß Diokles, der Besitzer von Pherä, zum Enkel des Alpheios gemacht wird; aber es ist ja nicht der Sohn, also doch schon eine entferntere Verwandtschaft. Daß Pherä von dem mykenischen Agamemnon nicht verschenkt werden könne, gebe ich zu, aber Agamemnon ist mit Sparta doch sehr innig verbunden.

Nun aber zum triphylischen Pylos. Selbst zugegeben, daß dies das homerische wäre, wofür gar nichts spricht, so sind wir da- durch noch lange nicht aus allen Zweifeln heraus. Erstens ist der Weg vom Samikon nach Sparta sehr lang. Der Verf. berechnet selbst 125 km. Dann ist dort vor allem kein Pherä zu finden. Um dazu zu gelangen, gebraucht Verf. ein halsbrecherisches Kunststück (S. 111). Das Pherae des Diokles wird identifiziert mit Oeia (H 135), weil Di- dymos statt des unbekannten Oeiofc angeblich «I'r^pr]? schreiben wollte. Daß die Notiz sehr verdächtig ist, darüber s. Ludwich, Aristarchs hom

14 Bericht über die homerischen Realien ISHG— 1902. (Gemoll.)

Textkritik Bd. I S. 276. Und dies so erschlossene Pherae wird dann wieder mit Haliphera am Alpheios gleichgesetzt. So fährt denn Tele- mach zuerst von Pylos bis Haliphera (20 25 km), um dann am 2. Tage ca. 100 km zu fahren. Das ist denn doch des Guten zu viel. An diesen beiden Punkten scheitert die ganze Hypothese, ganz ab- gesehen davon , daß das triphylische überhaupt erst noch erwiesen werden soll. Es verdankt meines Erachtens seinen Ursprung nur der Hypothese.

Brinckmeier, Heinrich Schliemann und die Ausgrabungen auf Hissarlik. Progr. Burg 1901. S. 9—32.

Eine zusammenfassende Darstellung, wie es deren mehrere in Pro- grammen gibt, nicht besser, vor allen Dingen nicht im Zusammenhange mit den Ausgrabungen der letzten Jahre. Wissenschaftlichen Wert hat die Arbeit nicht, doch kann sie Nichtfachleute orientieren.

E. Reisch, Ithaka. Serta Harteliana. Wien 1896, S 145—159.

Gegenüber Herchers bekanntem Aufsatz „Homer und das Ithaka der Wirklichkeit" (Hermes I 263 ff.) betont der Verf., gestützt auf J. Partsch, Kephallenia und Ithaka, daß an der wirklichen Kenntnis Ithakas seitens der Odysseedichter nicht zu zweifeln sei. Zwar die Sänger der Heimfahrt hätten nur eine allgemeine Kunde, schärfe'r aber sei das Bild in der Telemachie und der zweiten Hälfte der Odyssee» Die Ortsangaben dort (Neriton, Phorkyshafen, Koraxfelsen und Arethusa- quelle) brauchten nicht erfmiden zu sein. Die Variante Neion läßt Verf. dahingestellt sein. Die Stadt des Odysseus sei in Polis zu suchen, das Kastell auf dem Aito sei jüngeren Datums (VII. Jahrb.). Von dem Haus des Odysseus, das sehr unbestimmt geschildert werde, hätte man damals vielleicht noch Trümmer gehabt. Möglicherweise könne man die Arethusaquelle noch finden, die Stalaktitengrotte bei dem Molohafen sei wohl das Vorbild der in v geschilderten. Das der Inhalt der Abhand- lung, die immerhin lesenswert ist.

H. Michael, Das homerische und das heutige Ithaka. Wissen- schaftl. Beilage zum Progr. des Kgl. Gymn. zu Jauer. 1902.

Ich stehe nicht an, das Schriftchen als ausgezeichnet zu bezeichnen. Veranlaßt ist es durch Dörpfelds Hypothese, wonach das Ithaka des Odysseus das heutige Leukas sein soll. Michael nimmt sich in warmer und überzeugender Weise des bisherigen Ithakas an. Es ist freilich mißlich, einen Gegner zu bekämpfen, der sich eigentlich noch gar nicht definitiv geäußert hat. Wir werden daher abwarten müssen, wie Dörp- feld seine Hypothese eingehend begründen wird. Michaels Progranmi wird ihm dabei ein vortrefflicher Wegweiser sein. Aber auch Michaels

Bericht über die homerischen Realien l^iM',— I'.jUl'. (Gcmoll.) 15

Aasführungen haben ihren schwachen Punkt. Die Angaben über die Lage Ithakas v 21 27 werden vom Verf. in scharfsinniger Weise be- sprochen. Er gibt sich große Mühe. 7rp6; Co'fov mit „nach Norden* zn erklären, aber umsonst. Da? -/i)a[j.aXT] bringt keine Interpretation fort; und so streicht er schließlich vs 25 26 als Interpolation. Das ist an nnd für sich schon bedenklich, hier ganz besonders, da Vers 27 dann vollständig den Zusammenhang verliert. Dieser Anfang des 9. Buches ist eine späte Arbeit, zur Einleitung und Einfügung der d-oXo7oi ge- macht, da darf uns eine Weitschweifigkeit mehr durchaus nicht wundern. Man verfällt bei solchen Untersuchungen leicht in den Fehler, zu viel beweisen zu wollen und schadet sich dadurch. Es genügt, wenn im allgemeinen die Überzeugung entsteht, das homerische Ithaka sei das heutige Teaki. Damit kann mau zufrieden sein. Den doppelten Hafen hat nun einmal Deskalio-Asteris nicht, auch die Nympbengrotte ist nicht aufzufinden. Topographische Genauigkeit kann man bei einem Dichter überhaupt nicht erwarten.

Ich kann übrigens den direkten Beweis liefern, daß Homer sich wirklich Ithaka westlich von Elis denkt, [i 421 gibt Athene dem Telemach einen Westwind mit, um nach Pylos zu gelangen. Damit stimmt doch die westliche Lage v 25 vollständig überein. Es ist auch mir, trotz Michael, sehr zweifelhaft, ob die Dichter der Odyssee Ithaka wirklich gesehen haben, ebensowenig natürlich Leukas.

IV. Der Mensch allein und in Gemeinschaft.

J. W. G. van Oordt, de nuptiis heroum. Mnemosyne N. S. Bd. 26 (1898) S. 287—298.

Die Arbeit gewährt geringe Ausbeute. In a 277 f., ß 196 f., wo l'eova scheinbar von der Mitgift gebraucht wird, will Verf dadurch helfen (S. 293), daß er sagt, das Bereiten der Hochzeit und Znrüsten der eeova beziehe sich hier auf beide Teile, eine Lösung, die niemand annehmen wird. Ich wiederhole, daß nur die Freier gemeint sind, die eeöva bringen sollen, „wie sie bei einer geliebten Tochter bräuchlich Bind", ß 132 versteht Verf. (p. 296) ^Tro-iveiv vom Zurückzahlen der Mitgift. Doch heißt -6XX' diroTiveiv hier weiter nichts als „schwer büßen", die Erklärung folgt 134: ex -/ap xoü iratpoc m-m -£iJOfj.at. a 292 und ß 222 werden getilgt, weil, wenn die Heirat gescliähe, Rache nicht mehr nötig wäre.

C. Hentze, Zur Darstellung des Landlebens auf dem Achilleus- schilde. Philol. N. F. Bd. XIV S. 502—509.

Ein interessanter und lehrreicher Beitrag des hochverdienten Homerinterpreten. Er betont mit Christ und andern, daß es sich in den

l(i Bericht über die homerischen Realien 189ß 1902. (Gemoll.)

Verseil 54! 572 um einen Besitz eines Gtoßgrundbesitzers (paciXeoc) handle; das ßild der Weinernte f,'chöre zu den Bildern vom Ackerbau notwendig- liinzu. Der Ernteschniaus ist ihm ein einheitlicher, aus Braten und Brei bestehend, nicht wie Düntzer wollte, ein doppelter, a) für die Familie, b) für die Arbeiter. Die Schnitter (551) sind ihm (nach Büchner, Arbeit und Rhythmus S. 198) Bittarbeiter, die Jünglinge und Jungfrauen in Vers 567 sind nicht die cpopvjoc von 5G6, sondern "Winzer, etwa Pächter.

Man sieht aus dieser kurzen Übersicht, daß die Auffassung Hentzes auch ihre schwachen Seiten hat. Man fragt sich sofort, wie der Groß- grundbesitzer zu Bittarbeitern kommt. Was Bentze in dieser Beziehung anführt, ist Verlegenheitsnotbehelf. Es liegt aber noch ein viel wichtigerer Grund vor, der verbietet, diese 3 Bilder zusammenzufassen. Pflügen und Ernten sind durchaus als Gegenstände gedacht und geben an, was man auf dem Schilde sieht: die Pflüger und ihre Belohnung, die Schnitter und ihre Belohnung. Die Weinlese aber ist gar nicht auf dem Schilde. Der Dichter gibt das Bild eines Weinbergs und schildert, wie er zur Zeit der Weinlese aussah (oxs Tpu76ti)£v dXcpy^v. Diese Schilderung ist so auffällig, daß ich sie für einen späteren Zusatz halte. Aber mag man darüber denken, wie man will, jedenfalls sind die (pop^e; und die Tiapdevtxai y.al rjiOsot nicht ZU trennen; das «pspov in 568 meist deutlich auf cpopyjec zurück. Außerdem würde das doch ein merkwürdiger Aus- druck für Pächter sein: Jungfern und zärtliche Junggesellen, denn zärtlich heißt axaXa (ppovstuv. Unter l'ptiloi 550 verstehe ich den all- gemeinen Ausdruck „Genossen", der hier speziell auf die Schnitter an- gewandt ist, also SchnittergenoKsen. Daß gerade für Schnitter der Ausdruck paßt, ist klar, denn von ihnen stammt ja der Ausdruck „mit- einander Strich halten."

C. Hentze, Die Arbeitsgesänge in den homerischen Gedichten. Philol. Bd. 60 S. 374—380.

Auf Anregung des bekannten Buches von Bücher „Arbeit und Rhythmus" untersucht Hentze die Homerstellen, die vom Gesang bei der Arbeit handeln in, wie mir wenigstens scheint, wenig glücklicher Weise. Das Linoslied 1 570 sei kein Arbeitslied, wie Bergk Gr. L. G. I 323 wollte, sondern ein Erntefestlied. Dasselbe stehe in Parallele zu den vorangegangenen Bildern. Dazu bemerke ich, daß die Verse 567 572 große Anstöße für das Verständnis bieten. Erstens bleibt das Ver- hältnis der uapdevixai und f^tOeot zu den cpopf^s; 567 durchaus unklar, Hentze glaubt (S. 505) in den ersteren die Familie der Herrschaft sehen zu müssen. Das ist eine willkürliche Annahme. Sie können auch als Spezialisierung der cpop-^e? aufgefaßt werden. Immerhin lassen sich

Bericht über die homerischen Realien 1S9G— 1902. (Gemoll.) 17

die Verse auf dem Schilde noch verstehen. Aber die Verse 569-572 fallen aus der Schildbeschreibung völlig heraus. Feine Stimme, Stampfen im Takte, Hüpfen und Jauchzen kann man nicht abbilden. Die Verse sind also eine spätere Erweiterung. Auch der Gesang; der Kalypso und Kirke scheint mir falsch behandelt zu sein. Die Stellen weisen offenbar aufeinander hin, aber in x haben wir eine bewußte Nach- ahmuntr oder FortbiMung der einfachen Sccne in z. (Jerade der Um- stand, daß sorgfältig in x betont wird, daß sie Kirke singen hören beim Weben, spricht für jüngeres Alter. In z wird keine Beobachtung des Hermes mitgeteilt, sondern episodisch vom Dichter erzählt, wie es bei Kalypson aussah. Auch glaube ich nicht an einen Arbeitsgesang zum Rhj'thmus des Schiagens mit dem Kamme, sondern au den Gesang, mit dem sich ein einsames Wesen die Zeit vertreibt, vielleicht ein Lied der Sehnsucht, der günstigste Boden für den ankommenden Odysseus.

Haberkorn, Medizinische Bildung im Zeitalter Homers. Berlin 1900.

Nach Friedreich, Frölich (Die MilitUrniediziu Homers 1879) wieder ein Arzt (Oberstabsarzt), der sich von seinem medizinischen Standpunkt aus mit Homer beschäftigt. Es ist aber nur ein kleines, sehr allge- mein gehaltenes Schriftchen geworden, offenbar aus mehreren Zeitungs- artikeln zusammengesetzt. Wissenschaftlichen Wert besitzt es nicht, es sind aber Bemerkungen darin, die eine sorgfältige Prüfung verdienen. Podaleirios und Machaon sind j;ar keine Arzte, sondern in der Wund- beliandlung besonders geschickte Krieger, wie der Oberst Spohr (S. 6). Ein energisches ßeiuigungsfest, eine Geuerallagerdesinfektion muß das Volk nach der Pest entsühnen (S. 8). Homer war, wie Sophokles, nicht nur Dichter, sondern auch Kriegsmaun (S. 9) (Frölich wollte ihn partout zum Militärarzt machen). Die Waffen sind sehr mannigfaltig und von bedeutender Leistungsfähigkeit (S. 10). usw.

C. Hentze, Die Formen der Begrüßung in den homerischen Ge- dichten. Philol. N. F. Band 15 (1902) S. 321-355.

Eine sehr dankenswerte Zusammenstellung, die allen Heraus- gebern des Homer sehr zu statten kommen wird. Leider ist die Grund- bedeutung der in Frage kommenden Worte noch durchaus unsicher. Eine Entscheidung wird daher immer anfechtbar sein. Gleich djTraCesöat kann ein „Ergreiten" der Hand nicht bedeuten, sondern höchstens ein Winken. Das lehrt 7 34 ff. 01 ö'ü>? ouv ^sivouj i'oov, a&poöt rjXöov aravTEC, yspciv t' rprA^o^-zo xal eopidaaHat dvuj^ov Trptüxoc NsaTopiOTji; IleisiaTpaToc e^Y^'^'"' eXdwv djxcpoTeptuv l'f-z yetpa xxX, also Peisistratos ist der erste, der ihnen nahe kommt, die übrigen grüßen schon von weitem. K 542 -: 415 y 498 hat das Wort die allg. Bedeutung „grüßen" Jahresbericht für Altertumswissenscbaft. Bd. CXVII. (1903. IL) 2

18 Bericht über die homerischen Realien 189()— 1902. (Gemoil.)

angenommeu. Unsicher ist Verf. selbst bei oetöiaxedöai. Mir ist es nicht zweifelhaft, daß das Wort überall „begrüßen" bedeutet, sei es mit dem Becher, sei es mit Worten oder mit der Hand. Ein „Zu- trinken"' finde ich an keiner Stelle bei der Überreichung ausgesprochen. Besonders interessant ist aber der Abschnitt über die Gebärden des Grußes, wenn auch die Hauptsachen, daß man sich bei Hoiner nicht auf den Mund küßt und daß ein gewisser Unterschied in dem Kuß der Familienglieder und der Fremden vorhanden ist, schon von den Alten beobachtet wurde.

V. Wohnung, Kleidung und Hausgerät.

A. Meitzeu, Das nordische und das altgriechische Haus. S.-A. aus Wanderungen, Anbau und Agrarrecht der Völker Europas. Abt. I Band III 464—520.

Wenn ich diese Schritt hier erwähne, so geschieht das nicht der neuen Resultate wegen (der Verf. macht gar kein Hehl daraus, daß die Parallele zwischen dem griechischen und dem ostgermanischen Haus nicht von ihm stammt) sondern einiger Abbildungen wegen. In Fitrur XIV gibt er das fensterlose ,,Ildhaus-' mit einem Herde, den Reichel Stufenaltar nennen würde, mit einem Sessel daneben, der sicherlich kein Götterthron ist. Ferner verweise ich auf Fig. XXVIII und XXIX, die schwedische Giäber mit dem Giundriß des Hauses wiedergeben. Dann dürfte Figur XXXIV b eine gute Parallele für das homerische Haus abgeben. Wir haben da den Herd in der Mitte, von 4 Säulen umgeben, wie in Troja, dann diese Säulen mit der Längswand ver- bunden durch einen Querbalken , die homerischen [xetjoöixat. Allerdings ist das Bild eine Rekonstruktion von Gudmundson.

L. Rouch, Une demeure royale ä Fepoque hom^rique: Le palais d' Ulysse ä Ithaque. S.-A. aus Revue des etudes auciennes. T. I Nr. 2. Bordeaux 18V<9.

Die vorliegende Arbeit macht in ihrer sorgfältigen Erörterung der in Betracht kommenden Fragen über das Haus des Odysseus den Eindruck einer guten wissenschaftlichen Schulung des Verfassers. Für uns Deutsche bietet das Buch Josephs: Die Paläste des homerischen Epos, Besseres, so daß wir der französischen Arbeit im ganzen entraten könnten, zumal Verf. sich sehr oft mit einem non liquet entscheidet. Den heiß umstrittenen Ausdruck ava ptüYac benutzt er für die dpjo&'jprj überhaupt nicht und S. 33 A. 3 lehnt er Perrots Erklärung ab, ohne etwas Eignes zu bringen. Eichtig aber hat er (S. 32) nachgewiesen.

Bericht über die homerischen Realien 1896—1902. (GemoU.) 19

daß zwischen Mäniieisaal und Frauengemach mindestens ein Gang be- stehen müsse, den er denn auch S. 4 in seinem Plan angibt. Eurykleia nämlich öffuet die Tür (y 399) und geht eist ein Stück, bis sie Odysseus zu sehen bekommt. Das ist eigentlich das wichtigste Resultat der Schrift. Denn wenn er eifrig dafür kämpft, daß das Haus des Odysseus ein Komplex mehrerer Gebäude sein müsse, so will ich das nicht gerade in Abrede stellen, aber beweisen läßt es sich aus dem Dichter nicht, namentlich nicht für jemand, der sich an die Worte hält: e; £T£püJv ersp' ejti. Auch dürfte der Grundriß des Verf. nach meiner unmaßgeblichen Meinaug wohl unter einem Dache ^^u ver- einigen sein.

Verf. behandelt am Schlüsse noch die Frage nach dem Ver- hältnis der homerischen zur mykeni-chen Kultur. Auch er möchte das Problem der Inferiorität der erstereii erklärt wissen. In Griechenland selbst gibt er, wie heute alle Welt, den bösen Doriern die Schuld. Aber wie war es möglich, daß die auswandernden Achäer mit mykenischer Kultur nun in Kleinusieu die niykenische Kultur ruinierten und schließlich zu demselben Resultat wie in Griechenland kamen? Verf. erklärt sich das durch die langen Kriege. Ähnlich urteilt Heibig Sitzungsber. Münchn. Akad. 1900 S. 204, Das ist nicht unmöglich. Wir Deutsche wissen ja, welch ein Kultur- rückschritt durch den- 30jährigen Krieg veranlaßt ist. Aber woher wissen wir denn, daß die auswandernden Achäer mykenische Kultur hatten? Das ist sicherlich nicht der Fall gewesen. Verf. zeigt sich in dieser Frage weniger unterrichtet, sonst würde er ägäische und mykenische Kultur (S. 4) nicht gleichgesetzt haben.

F. Noack, Die dpjo&upy) des Odysseus. Strena Heibig. S.215— 220.

Nach W. Reichel (Arch. Epigr. Mitt. 1895 S. 6 If.) versucht sich Verf. an dem undankbaren Problem. Während Reichel die Ver- hältnisse von Tiryns zu Grunde legte (Schliemaun Tiryns Tafel II), stützt sich Noack auf den Plan von Arne im Kapaissee (Bull. d. Corr. Hell. 1894 pl. XI. Verf. nimmt (p. 220) einen doppelten Korridor an a) die XatSpT] vom {xe-^apov durch die op3o»}upY) zu erreichen und b) auf der andern Seite den Gang zur Waffenhalle. Das ist bloße Konjektur, die sich über die Angaben des Epos 127 (axpotatov 8s -ap' ouoov) und 143 (dvd pui^a? i}aXd[jLOio) leichten Herzeus hinweg- setzt. Xach dieser Probe dürften wir von seiner Neubearbeitung des Helbigschen „Homerisches Epos" kaum ein günstiges Resultat erhoffen.

R. Münsterberg, Der homerische Thalamos. Jahreshefte des österr.-archäol. Instituts. Bd. 3 (1900) S. 137—142.

2*

20 Bericht über die homerischen Realien 1896—100-2. (Gemoll.)

Verf. weist richtig- nach, daß die Waffenkammer des Odysseus der Saal war. Er vermutet aus 7 139, daß Odysseus überhaupt keine andern Waffen als die im Saale hatte. Das ist doch sehr uug'ewiß. Noch Ungewisser freilich ist die baugeschichtliche Entwickelung-, die Verf. vom Palast des Alkinoos bis zu dem des Odysseus gibt. Das wird niemand glauben, daß Alkinoos und Arete im Männersaal geschlafen haben (S, 140). Gerade die Redensart ec [au/ov eS ouoou zeigt, daß das Innere des Hauses erst hinter dem Männersaal anfing.

J. van Leeuwen, Homerica XXI. De Ulixis aedibus. Mne- mosyne N. S. 29 (1901) S. 221—243.

Verf. fragt, ob das Haus des Odysseus ein oder mehrere [i-e-^apa gehabt habe. Der Herd war nach dem Verf. im Männersaal, auch Penelope webte im Männersaal vor den Augen der Freier (p. 226). Das letztere ist sicher falsch. Penelope trifft jedesmal besondere An- stalten, wenn sie vor den Freiern erscheint, auch würden letztere den Stillstand der Webearbeit haben merken müssen, wenn sie unter ihren Augen gewebt hätte. In x 62 wird Te7et st. ixsYofptp vorgeschlagen, aber 53 soll [xe^apw stehen bleiben. Das ist doch unglaublich, daß Kirke die Leiche Iv [i.v(dpw belassen hat. Penelope ist, durch die Freier aus dem Megaron veischeucht, ins Obergemach geflüchtet, es kann alsjo kein anderes Frauengemach (fxrcapov) da sein. Es werden noch Schatz- und Schlafkammer erwähnt, aber ihre Lage ist ungewiß, Homer saug nicht für Architekten.

Jüngere Dichter verbannen die Penelope in die -/uvaiy.wviTtc. Be- sonders soll das a 185 ff. beweisen, doch 0 198 zeigt gerade das Gegen- teil, a 315 f. ist [xe-fapov irgend ein Frauensaal. Auch 9 236 == 382 ff. wird dazu herangeholt.

Eine Tür brauchen also die älteren Partien nicht, wohl aber die jüngeren. Die opaodupr) ist jung (239). Wo die Treppe vom Ober- gemach zum Männersaal war, ist nicht auszumachen. Die Schatzkammer lag in dem. älteren Gedicht tiefer als der Männersaal, in dem jüngeren hoch (7 182). Das ist doch sehr zweifelhaft. Ob Melanthios die Waffen oben fand oder wieder hinabkletterte, ist nicht gesagt.

Wolle man zeichnen, meint Verf., so müsse man zwei verschiedene Zeichnungen des Palastes in Ithaka geben.

Die Arbeit enthält viel richtige Gedanken, aber der Grundge- danke, daß eine doppelte Vorstellung des ithakesischen Königshauses im Homer vorliegt, scheint mir zwar behauptet , aber durchaus nicht bewiesen.

P. Perdrizet, Sur la mitre homerique. Bull, de corr. Hell. 21 (1897) S. 169-183.

Bericht über die homerisclien Realien 189G— 1902. (GemoU.) 21

Eiue 1895 in Delphi unter Scherben korinthischen Stils gefundene Jünglingsstatuette von Bronze ans dem Ü. Jahrhundert (p. 182) gibt dem Verf. Veranlassung zu dieser lehrreichen Studie. Er bespricht zuerst die Haartracht, dann aber den Gürtel, den die Statuette auf dem bloßen Leibe trägt. Aus den olympischen und delphischen Funden werden Paralellen beigebracht und schließlich der (TÜrtel mit der homerischen [xi-rpr, identifiziert. Nach den Denkmälern scheint ihm die {iixpif) zu sein une garniture metallique tixee au cuir de la ceinture, also genau so wie ich sie bereits in meinen homerischen Blättern (Progr. Striegau 1885 S. 8 f.) bestimmt habe. Es ist dem Verf. mit Recht auffällig (p. 181), daß die mykeuischen Gräber nicht Beispiele der \>.i'p-r] in Fülle bieten, er schließt daraus, daß die ixixpr) gewöhnlich ganz von Leder war. Das ist sehr wahrscheinlich. In seiner aus- führlichen Auseinandersetzung über die fAttpr) (homerische Studien S. 34 41) hat Robert dieser auf bloßem Leibe getragenen ixirpYi nur beiläufig erwähnt (S. 41); er faßt die |xi-pr) als identisch mit ^cüjtiqp und oberhalb des Leudeuschurzes, des !ü)fxa, befindlich.

C. Robert, Die Fußwaschung des Odysseus auf zwei Reliefs des 5. Jahrhunderts. Athen. Mitt. 25 (1900) S. 325—338.

Der vorstehende Aufsatz gehört hierher wegen der Darstellung desWebens auf dem Thessalischen Relief. Verf. vermutet, daß Pene- lope das Gewebe gera^le auflöst, was in Anbetracht der schlechten Er- haltung des Stückes doch immer sehr ungewiß bleibt. In der An- merkung bespricht Verf. W 760 ff", in dankenswerter Weise. Danach ist xaviov das Webeschiff, jx-'-roj der Kettenfaden und -rjviov der Einschlags- faden.

E. Thraemer, Die Form des hesiodischen Wagens. Festschrift der TJniv. Straßburg für die 46. Philologenversammlung. 1901. S. 299 —308.

Wichtig auch für die homerischen Realien. Verf. vindiziert Homer wieder die Scheibenräder und stellt für die übrigen aus den Denkmälern vier Speichen als die gewöhnliche Zahl fest.

VI. Kunst und Kunstwerke.

W. Heibig, sur la question mycenienne. Extrait des memoires de Facademie des inscr. et belies lettres. t. XXXII, partie.

Gegenüber der antiphönikischen Richtung in der Auffassung der mykenischen Kultur nimmt Heibig im Anschluß an Pottier kräftig die Sache der Phöniker in die Hand. Die mykenischen Funde bezeichnen eine hohe Kulturstufe, sie sind da ohne Vorstufen, sie verschwinden

22 Bericht über die homerischen Realien 1896—1902. (Gemoll.)

gegenüber dem Dipylonstil. Der Dipylonstil folgt auch in Attika dem mykenischen, folglich ist er nicht dorisch (p. 10). Die Intarsiaarbeit, die Glasfabrikate sind verschwunden, die wenigen Fayencenfunde gelten als ungriechisch. Die bekannten Siegelringe und Inselsteine kommen nicht mehr vor. Leider ist der Boden Phöniziens noch nicht genügend durchforscht; aber das wenige Gefundene bietet unzweifelhafte Analogien mit mykenischen Funden (Kriegerfigürchen). Sie zeigen dieselbe Tracht, Schurz mit Gurt oder [ikpi] (p. 22), je nachdem friedliche oder kriege- rische Tracht bezeichnet werden soll (p. 25=^^313), langherabhängende Haare (auch Fig. 7?) und Sandalen mit Verschuürung, den spitzen Hut. Unsicher ist die Frauentracht. Den Purpur haben sie jedenfalls erfunden (p. 33). Die tirynthischen Festungswerke erinnern an die karthagischen usw. (p 37). Die phönik. Kunst ist gesunken, je weiter sie ihre Ware verbreiteten (S. 49).

Das sind die Resultate des 1. Teils der Schrift, dem Leser des homerischen Zeitalters im ganzen bekannt, im einzelneu sorgfältig ge- prüft und emendiert. Es folgt nun die Einordnung der homerischen Angaben (p. 49 ff). Sie passen nur zur mykenischen Kultur. Das goldreiche Mykene, das Fehlen des Reitens, des Schreibens, des ge- kochten Fleisches, der Fischgerichte, der eisernen Waffen. Doch fehlt es nicht an Spuren neuerer Zeit. Der eiserne Diskus W 826, die. Äxte (W 850) trotz W 803 xa[X£ai-/poa ya)^xov sXovts. Was vom Eisen ange- geben wird, zwingt zu der Annahme, daß auch die Waffen nicht mehr von Bronze waren (S. 53). sondern nur traditionell so bezeichnet wurden. Mentes (a 184) handelt mit Eisen und trägt eine eherne Lanze (a 104 121). Ahnlich in der Odyssee im Bogen- schuß. Phönikien ist das Land der Kunst bei Homer, die Sidonier Künstler. Tyrus wird nicht erwähnt, das paßt zu dem mykenischen Stil der Gedichte, den alle Sänger, auch die jüngsten, respektieren (57). Stammten die Angaben über die Phöuiker aus dem 8. Jahrhdt., wie Beloch will, so müßten die Tyrier da stehen. Im 8. Jahrhdt. hätte man die Kunstwerke der Phöniker nicht mehr gepriesen wie 6 615, da hatten die Griechen bereits die protokorinthische Kunst, die sich von der phönikischen nicht unterschied. Die mykeuische Kultur zeigt ihre Spuren um das ganze Mittelmeer (p. 64), auch im westlichen Griechen- land (S. 64). Die Kultur war uniform, daher ist die Bewaffnung der Troer und Griechen gleich (aber auch ihre Sprache!) Das Epos schweigt von griechischer Ausfuhr, aber nicht von phönikischer Einfuhr. Somitkann die mykenische Kultur nicht griechisch sein(p. 69). Das Epos kennt das westliche Becken des Mittelmeeres nicht, sonst würde man davon hören.

Bericht über die homerischen Realien IS96— 1902. (GemoU.) 23

Den Phönikern verdankt man viel, anch den Weinbau. Das letztere ist allerdings ganz unsicher, eher dürfte der Wein* nach Phönikien eingeführt sein.

Das Ganze ist eioe nach allen Seiten wohl überlegte und ge- schlossene Beweisführung, die des Eindrucks nicht ermangelt. Die voll- ständige Durcliforschung der etruskischen Gräber, die Heibig in Aussicht stellt, kann aber andere Resultate ergeben, ebenso die Erschließung des Bodens von Spanien und Phünizien, die wir sehr zu wünschen haben.

W. Hei big. Eiserne Gegenstände an drei Stellen des homerischen Epos C^ J23, 485, 1 34). Hermes 32, S. 86—91.

Heibig sucht alle drei Stelleu als unecht zu erweisen, ohne recht durchschlagende Gründe zu linden, denn daß :i 123 und 124 in Zenodots Handschrift umgestellt waren, macht 124 noch nicht unecht. 139 kann -/aXxo; ruhig stehen bleiben als allgemeine Bezeichnung, übrigens hat Naber schon Vers 123 gestrichen. Außerdem hat Beloch selbst, dem Heibig folgt, sich nachträglich im Rhein. Mus. 45 S. 587 geäußert. 2 34 wird mit Erhardt als störend gestrichen, doch ist das /Etpa; e/uiv dann nicht motiviert. Das ist kein Ausdruck der Teilnahme, wenigstens bei Homer nicht. Ich linde den Vers ganz passend. A 482 487 wird das gauze Gleichnis entfernt. Die stilistischen Anstöße bleiben aber, auch wenn man die Stellen als Interpolation betrachtet (doppelte |i-ev ohne 8i 485. 487, doppelte Ortsangabe ev siafievT) Ikto^ und Tzox'x\x.oio 7:ap' oyOac). Ich würde daher vielleicht innerhalb des Gleichnisses Athe- tesen voruehmen.

Hubert Schmidt, Zur kunstgeschichtlichen Bedeutung des homerischen Schildes. Satura Viadrina S. 95 108. Breslau 1896.

Gegenüber Reicheis Rekonstruktion betont Verf. nachdrücklich: Jeder Rekonstruktionsversuch sei abzulehnen, weil uns das Gedicht über Zahl und Ausdehnung der einzelnen Scenen keine Auskunft gebe. Der Dichter will uns ein großartiges Weltbild vorführen und schildert nach der Wirklichkeit. Im einzelnen: 1 590 606 wird nicht der Tanz- platz nach Art des Labyrinths geschildert, sondern ein Reigen; auch das Kunstwerk des Dädalus ist ein Reigen, wie sie die Denkmäler in Olympia und K3'pros geben. Er vergleicht aber besonders eine Dipylon- vase (Mon. IX 39, 2, Annal. 72 S. 142 Nr. 39) (Jünglinge mit kurzen Schwertern und Jungfrauen, die Chorführer tragen bogenförmige Musik- instrumente?) — In der Gerichtsscene (497—508) gehört das Geld (oütu xaXavTa) der obsiegenden Partei (so Maaß D. L. Z. 1895 Nr. 51 Sp. 1617), nicht dem Richter. In den Kriegsscenen 490-540 sind wirklich Ares und Athene, und nicht, wie Reichel wollte, die Anführer

24 Bericht über die homerischen Realien 1S9C 1902. (GemoU.)

zu sehen. Die Städtebilder, die friedlichen und die kriegerischen, sind nicht ' mit Reichel zu verbinden. Die beiden Heere der belagerten Stadt sind das der Städter und das der Belagerer. Im Hinterhalt liegen die Feinde (p. 102), die Herden gehören den Städtern. Verf. findet, daß alles klar ist. Im ganzen gebe ich Schmidt recht, auch darin, daß er (p. 104) das Ausscheiden der Panzer aus dem schon ab- geschlossenen Epos verwirft, mit Scheiudler, Ztschr. f. östr. Gymn. 1895 S. 398. Mit den mykeuischen Funden passen Helm und Beinschienen, aber von Leder, nicht jedoch der Panzer, der erst im 7. Jahrhdt. auf den Monumenten erscheint. Auf dem Schild ist alles von Metall, ein Zeichen, daß die Schildbeschreibung sehr jung ist. Für die Belagerung gibt Schmidt außer dem mykenischen zwei schwarzfigurige Beweisstücke griechischer Herkunft.

Man sieht, die Schmidtsche Ausführung ist in der Hauptsache eine erfolgreiche Kritik Reicheis und bezeichnet die Rückkehr zu dem früheren Standpunkt von Friederichs, Petersen und Heibig.

J. L. Ussing, Achilles' Skjold, in Nordisk Tidskrift for Filologi Bd. 9 (1900—1901) 8. 16-28.

Der vorstehende Aufsatz ist bemerkenswert durch das. klare, ge- sunde Urteil, das aus ihm spricht. Neues wird man aus ihm nicht er- fahren. Man wird gern Kenntnis davon nehmen, daß Verf. in Vers 499 die Erklärung verwirft: „Der eine gelobte alles zu bezahlen" (p 16), daß 507 f. die 2 Talente den Parteien gegeben werden, wofür auch die Pa- rodie Lucians im Fischer § 41 spreche, aber man wird bezweifeln, ob St'xaCov vs. 506 „sie führten ihre Sache" und ob 501 ett' ia-copt abstrakt „vor Gericht* (ved Dom) heißen kann. Auch wird man bedenklich finden, daß der Verf. den Einwand (von Clemens, was er wohl hinzu- setzen konnte), daß löuvtata (Superlat.j von zwei Parteien nicht passe, nicht widerlegen kann (S. 18 A). In bezug auf den Reigentanz sucht Verf. die Erfindung des Dädalus in dem Muster des Platzes von der Form des Labyrinths. Endlich S. 28 polemisiert er gegen Reicheis Auffassung, daß 516 f. Anführer und nicht Götter dargestellt seien. Seineu Gründen möchte ich hinzufügen, daß ein Zweifel kaum erlaubt ist, wenn der Dichter 520 sagt afAcpk apiCrjXw!

A. Moret, Quelques scenes du bouclier d'Achille et les tableaux des tombes figyptiennes. Revue Archeologique 38 (1901) S. 198—212.

„Murray (History of greek sculpture 2 de ed. 1890 S. 42 ff.), griff in seiner Rekonstruktion des Schildes unterschiedslos in die assy- rischen, phönikischen, ägyptischen und altgriechischen Denkmäler hinein. In dem Überfall der Herde durch Löwen ist die Herde assyrisch, die Löwen phönikisch, die Hunde sind ägyptisch". Dem gegenüber sucht

B ericht über die homerischen Realien 1896—1902. (GemoU.) 25

Verf. die Ackerbauscenen, sowie den Überfall der Herde durch ägyp- tische Grabgemälde zu erläutern. Er ist der Meinung, daß die home- rischen Rhapsoden diese ägyptischen Denkmäler gesehen haben können, jedenfalls aber durch sie direkt oder indirekt beeinflußt sind. Dagegen spricht der Umstand, daß die homerischen Bilder ganz sichtlich nach Metallvorlage gearbeitet sind, wie das schon Heibig erwiesen hat Außerdem finde ich die Ähnlichkeit in den Scenen gar nicht so besonders groß, daß man auf irgend eine Abhängigkeit schließen müßte.

Paolo Orsi, "Epixaia Tpr/Xyiva [xopocvra. Strena Heibig. S. 223 —227.

Aus den Ausgrabungen von Megara Hyblaea werden zur Bestätigung von Helbigs Erklärung der apixocxa xpqXrjva [xoposvTa Abbildungen von silbernen Ohringen gegeben, die einen gewissen Fortschritt zeigen vom Einfacheren zum Kunstvolleren, und vom 7. bis zum Ende des 5. Jahr- hunderts reichen, zum großen Teil aus Kindergräbern.

VII. Krieg und Waffen.

A. Swoboda, Die Stadtbelagerung auf dem homerischen Schilde Achills. Z. f. d. öst. Gymn. 1900, S. 1—8.

Eine bei aller Kürze sehr gehaltvolle und beachtenswerte Ab- handlung. Wenn ich mich nicht täusche, so wird Verf. aber noch nicht das letzte Wort gesprochen haben. Ich fasse nicht 509 öTaxo und 531 xa&rj|x£voi parallel. Ebensowenig kann ich mich überzeugen, daß 511 SirxTCpaÖEciv von den Belagerern gesagt sei; ich beziehe es auf die Städter, wie auf a^iav^ 509. Ich finde auch 530 keine Beratung zweier feindlicher Heere, sondern nur den Hinterhalt der Städter. Der Verf. scheint, wie die meisten Erklärer, den Lochos gar nicht verstanden zu haben, dafür schiebt er dem Dichter das Mißverständnis zu. Die Scene ist: eine von zwei Heeren umgebene Stadt, ein Belagerungs- und ein Entsatzheer. Das letztere ist ein Erzeugnis der Verzweiflung. Bis jetzt sind nur zwei Ansichten ausgesprochen worden, entweder die Stadt zerstören zu lassen oder den Feinden einen Preis anzubieten (avöi/a aiavTa Sasauiiat). Da wird noch eine List ersonnen. Das Heer muß sich heimlich in den Hinterhalt legen, offen aber wird das Vieh weggetrieben, damit es die Feinde überfallen sollen. Und dann sollen die versteckten Krieger aus dem Hinterhalt hervorbrechen. Im wesent- lichen also ist meine Erklärung die Philostrats (Iraag. 10). Davon, daß der Dichter hier ein Mißverständnis begangen habe, kann gar keine Rede sein.

26 Bericht über die homerischen Realien 1890—1902. (GemoU.)

A. Ruppersberg, Der Bogenwettkampf in der Odyssee. Neue Jahrbb. 1897, S. 225—242.

In eindringender und gründlicher Weise behandelt der Verf. die neueren Erklärungsversuche des alten Problems. Man kann dem Verf. in der Polemik fast überall beistimmen. Aber seine eigene Lösung wird schwerlich Beifall linden. Verf. denkt sich die Beile vom ersten bis zum letzten immer tiefer in die Erde gesteckt, so daß der Schuß zuletzt in die Erde fuhr. Ich halte die Ausführung einfach für un- möglich. Verf. hat auf S. 237 eine Zeiclmunc gegeben, auf welcher die Beile schräg gestellt sind. Sonst ist die Ausführung überhaupt nicht möglich. Aber mit welcher Genauigkeit mußte dabei verfahren werden! Und mindestens mußte man die Sache doch vorher ausprobieren. Teleraach setzt die Beile zum ersten Male! Bei der Ziehung des Grabens wird jeder Leser den Eindruck haben, daß nur eine einfache gerade Linie gezogen wird, auf eine allmähliche Vertiefung führt keine Spur. Drittens stehen bei Ruppersberg die Beile mit den Schneiden aneinander, das ließe sich noch hören, aber die ersten Beile sind so oberflächlich eingesteckt, daß sie kaum feststehen können. Kurz, das Problem ist auch hier nicht gelöst.

A. T. C. Cree, The axe test (Hom. Od. 19, 572; 21, 120, 421). Classical Review 16 Heft 4, Mai 1902.

Wieder ein Versuch, den Schuß durch die Äxte zu erklären. Verf. weist Monros Erklärung, die sich mit der landläufigen deckt, ab, da die Stiele dabei unberücksichtigt bleiben. Auch Seatons Erklärung (Class. E.ev. X 168), der Sptio/oi nach Procop b. Goth. 4, 22 als Schiffs- rippen nimmt, führt er eigentlich nur an, um gleich dahinter eine neue zu bringen: Spuoyoi sind gekreuzte Stützen (ßöcke). Die Beile wurden mit den Stielen so in die Erde gestoßen, daß immer zwei ein- ander kreuzten, die oben einander zugekehrten Schneiden bildeten den Abschluß eines Dreiecks, durch den man schießen konnte.

Gegen diese Theorie ist einzuwenden, daß die Beile doch sehr unsicher standen, daß das Dreieck für die Flugbahn des Pfeils auch noch kein genügendes Feld bietet, und daß endlich die Ausführung des Schusses immer noch unklar ist. Wie zielte Odysseus? Jedenfalls ist auch diese Lösung keine gelungene.

A. de Ridder, le disque Homerique. R,evue des et. grecques 10 (1897) S. 255—263.

Verf. nimmt die alte Frage nach der Beschaffenheit des home- rischen Diskos wieder auf. Die auf den Denkmälern erhaltenen Abbil- dungen reichen nur bis in das VI. vorchristliche Jahrhundert, sie stellen den Diskos als mehr oder weniger flache Vollscheibe dar. Nach

Bericht über die homerischen Realien 1896—1002. (GemoU.) 27

den Scholien zu Homer aber sollen sie in der Mitte ein Loch g'ehabt und mit einem Riemen geschleudert worden sein. Verf. bemerkt, daß der homerische Text dazu keine Veranlassung gibt. Eratosthenes aber in den Olj'mpioniken hat sich auf T:spt3-p£<{<a; f> 198 berufen, de ßidder meint, rspurpscpeiv verstehe sich auch vom Hin- und Ilerschwingen : das ist unmöglich. Ebensowenig glaube ich, dal.! Oilysseus keinen Diskos, sondern une simple pierre brüte, un galet gigantesque ergriffen habe. 0 186 ist der Diskos als solcher bezeichnet, de Ridder läßt den durch- lochten Diskos für die nach homerische Zeit einführen und dann wieder abschaffen, was doch auch recht unwahrscheinlich ist. Verf. bringt zur Bestätigung einen ßronzetund des Natioualmuseums zu Athen bei. Eine Abbildung gibt er nicht, aber die Beschreibung (p. 2(51) läßt kaum auf einen Diskus schließen (rebord saillant meuage sur les deux faces; les faces inegales, le dessou du disque est plan, Tavers est concave, darin un omphalos traverse par un conduit median; la mortaise sensiblement carree); ebensowenig die Größe (Durchmesser 11,5 cm). Ein Rad frei- lich scheint es auch nicht zu sein (fehlende Speichen, viereckige Axe), aber deshalb ist es noch kein Diskos. Vorderhand möchte ich bei Eratosthenes bleiben, obgleich dessen Annahme heute überall aufge- geben scheint.

W. Reiche], Das Joch des homerischen Wagens. Jahreshefte des österr. Instituts Bd. 2 S. 137—150.

Eine Gabe, der man sich uneingeschränkt freuen kann. Im An- schluß an il 268 274 wird die so oft behandelte Bespannung des homerischen Wagens noch einmal besprochen. Verf. übersetzt die Stelle folgendermaßen: ,Vom Pflocke nahmen sie das genabelte Maultier joch aus Buchsbanm herab, das mit Handhaben wohl versehen war, und zugleich mit dem Joche trugen sie den neun Ellen langen Jochriemen heraus. Dieses (Joch) legten sie sorgfältig auf die wohlgetilättete Deichsel, aa deren vorderste Spitze, und warfen den Ring über den Spannagel. Dreimal jederseits banden sie den Riemen auf den Nabel, dann aber schnürten sie ihn in parallelen Windungen (eEei'r,;) hinab (längs der Deichsel abwärts) und steckten das Spitzende unter," Dazu gibt er außer einer Modellskizze noch eine Abbildung einer etruskischen Deichsel, wo allerdings e'üTmp und xpixoc fehlen, desgl. ein Sardonj^ aus Vaphio, der die Deichsel in der ganzen Länge verschnürt zeigt, xpi'xoc und saxtup konnten dem leichten Kriegswagen fehlen, meint Reichel, das glaube ich aber nicht. Leafs Irrtum (J. H. St. 1884 S. 185 f.) betreffs Ijtwp und xptxo; stellt Reichel aufjHelbigs Spuren völlig richtig. Der angebliche i'jjrtup ist das Jochende, der xptxo? vielmehr das Jochkissen, die Jochenden waren vielleicht eingezapft. Indessen in der

28 Bericht über die homerischen Realien 189ß— 1902. (Genioll.)

schönen Abbildung- (Fig. 67) aus dei- Frangoisvase ergibt sich eine ganz natürliche Rundung^. Ich glaube, für diesen Nachweis können wir Keichel besonders dankbar sein. Es folgt die Besprechung der Ceu'/AT) in P 440 T 405, wie ich meine, nicht glücklich. Ich will nicht gerade abstreiten, daß die Haare aus dem assyrischen oder ägyptischen Geschirr , das höher saß als das hellenische, herausfallen konnten, doch bezeichnet ex Ceu7XY)? wohl nur die Richtung und ist so ganz gut zu verstehen. Von dem Riemenzeug wird bei Homer nur der Xeiraöva Erwähnung getan, des }jLa(3);aXcoTT)p nicht. Den Schluß macht die Anschirrung der Bei- pferde (li 80-88 11 152, 467—475). Wie Heibig, meint Verf., daß sie einen Zugriemen nichL hatten, nach den Denkmälern. Neu ist die Ver- mutung, daß ein Aufrennen des Beipferdes auf das Jochpferd durch Stacheln verhütet wurde. So etwas soll Fig. 80 enthalten (Wiener Vor- legebl. 1889 II 1^^), aber von Stacheln sehe ich da nichts, höchstens ein Schmuckzeichen.

VIII. Nautisches.

A. Engelbrecht, Das homerische Floß des Odysseus. Wiener Studien 20 (1898) S. 150—156.

Eine verständige Arbeit, deren Verdienst darin besteht, daß sie den Dichter so nimmt, wie er überliefert ist, und ihn zu verstehen sucht. Das Floß des Odysseus ist weder von Anfang an, wie Breusing wollte, ein Schiff, noch später zu einem Schiff interpoliert, sondern wirklich nur ein Floß mit Mastbaumgerüst, zu dem die axa]xhe^ und sTrTjYxevioec gehören, ebenso wie das Weideugeflecht. Nur der eine Punkt will mir nicht einleuchten, daß die uXtq 257 aufgesteckte Baumzweige sein sollen. Da gefällt mir Leeuweus Erklärung doch besser, eine Schütte Laub zum Lager oder Sitz.

J. van Leeuwen, de equo Troiano. Mnemosyne 29 (1901) S. 121 140.

Die vorstehende Abhandlung ist zuerst holländisch veröffentlicht in Verslagen en Meded. d. K. Ac. v. Wet. Febr. 1901 und wird hier in lateinischer Übersetzung gegeben. Das hölzerne Pferd ist bei der Zerstörung Trojas eigentlich überflüssig; Sinons List genügt. Es gehört auch dort nicht hinein. Es ist vielmehr ein Schiff, und zwar das Schiff des Achilles, das nach Troja kam. Er war allein, erst allmählich fanden sich die anderen Helden ein. Beweis: das Pferd heißt öoupaTeoc Tttitoc Balkenpferd ", das ist eben ein Schiff. Schon Baumeister (Denkm. I 741) hat diese Meinung ausgesprochen, was van Leeuwen am Schlüsse erwähnt.

Bericht über die homerischen Realien ISOH— 1902. (Gemoll.) 29

IX. Religion und Götter.

W. Keichel, Über vorhelleiiische Gotterkulte. Wien 1897.

Da das 3. Kapitel dieser Schrift den Titel: „Mykenische und homerische Götter" führt, so haben wir uns hier mit iiir auseinander- zusetzen. Reichel ist der Meinung-, dal.l die Zeit der liomerischen Ge- dichte sich die Götter anthropomorphisch, aber von riesiger Größe dachte, daß Kultbilder im Homer nicht erwähnt seien, auch Z 87 flf. nicht, daß vielmehr der Peplos zwar dem Wortlaut nach 'AByjvaiY); I-kI fo'jvaaiv (Z 92), in der Tat aber auf den leeren Thronsessel g-elegt wurde. Andere Bilder gab es, wenn auch nicht ^ 516—519, wo nach seiner Meinung zwei Anführer, nicht zwei Götter auf dem Schilde standen.

Wenn die homerische Zeit keine Kultbilder hatte, so die myke- niscbe erst recht nicht (S. 55). Viele bisher dafür ausgegebene Götter- darstellungen sind im Grunde gar keine; die sogenannten „Idole" sind Privaterzeugnisse. Ausgenommen werden die nackten Astartebilder, die als Amulette zum Schutz gegen das Festhalten in der Unterwelt mit- gegeben wurden. Aber sie konnten auch Weihgeschenke werden, und schließlich wurden aus Bemerkenswertem ihrer Art wohl auch Kult- bilder.

Auch Tempel kennt Homer nicht, die (sechs) erwähnten kommen nur an jüngeren Stellen vor, die Götter begnügten sich mit einem Altar und einen Thron davor, Tempel war das Herrenhaus selbst. Dem widerspricht nun die Darstellung in Z 89 vollständig. Dort geht man zum vTjo; der Athene, der vom Herrenhause entfernt liegt. Und das sollte man glauben, daß der Teppich auf den leeren Stuhl der Athene gelegt wird, wo es ausdrücklich heißt: auf ihre KnieV

Noch drei Jahre früher (hom. Waffen S. 45) erkannte Reichel den Tempel in Z 88 ff. an. Jetzt streicht er ihn seiner „Thronhypo- these" zuliebe. Mit dieser ist es ebenso schlecht bestellt. Die Beseiti- gung der Idole bleibt, wie wir sahen, in der Mitte stecken. Die soge- nannten Justizmasken, die Astarte-Idole müssen anerkannt werden als Götterbilder, wenn auch nur als private, die aber doch schließlich zu Kultbildern werden können! Wozu da erst die ganze Thronhypothese, die nebenbei auch von allen Seiten Widerspruch erfährt? Abbildung 1 kann, wie v. Fritze sah, nach der Analogie von Fig. 16 wohl ein Stufen- altar sein (Strena Helbigiana S. 87)! Auch diese denkt sich Reichel als Thronsitze. Dann müßten die anwesenden Götter die Füße direkt im Feuer gehabt haben. Ob das bei der anthropomorphen Anschauung denkbar ist? Ich glaube, nein.

30 Bericht über die homerischen Realien 1896—1902. (GemoU.)

Der Thronhypothese " fällt auch das Tempelchen Fig. 4 zum Opfe)-, das Verf. noch bis vor kurzem anerkannt hatte (S. 9). Zu diesem Bilde bemerke ich, daß ich in dem Bogen unter den Säuleu Pflanzenblätter erblicke, zu denen die Säule der Stengel ist. Ich ver- weise auf den mykenischen Goldriiig Fig. 27. Die nahe Beziehung, die Verf. zwischen der mykenischen und der homerischen Welt annimmt, müßte doch erst gerechtfertigt werden. Wer die mykenische Kultur als phönizisch faßt wie Heibig, kann den Sprung Eeichels nicht mit- machen .

Immerhin hat die Arbeit das Verdienst, die Aufmerksamkeit wieder auf die Felsenthrone und den Thronkultus gelenkt zu haben. Aber woher stammen sie? Und welche Rolle spielten sie im Kultus? Das sind zwei Fragen, die noch ihrer Erlediguug harren. Jedenfalls hat sie Reichel nicht erledigt. Er hat den Tempel und das Götterbild aus dem alten griechischen Gottesdienst nicht beseitigen können, ein Bei- spiel für den Throndienst bei Homer nachzuweisen, ist ihm mißlungen. Wir sind also genau so weit wie vorher!

0. Seeck, Die Bildung der griechischen Religion. Neue Jahrbb. 1899 S. 225. 305. 492.

Der Aufsatz ist ein Bruchstück aus dem 2. Bande der Geschichte des Unteigangs der antiken Weit und gibt eine Entwickelung der griechischen Religion vom Animismus (Seelenkult) über den „Sonnen- glauben" zur Religion Homers hin. Im Grunde ist das Ganze nur eine Überarbeitung von Rohdes Psyche. Der Unterschied ist nur der, daß man sich bei Rohde immer auf sicherem Boden fühlt, während hier die Spekulation doch sehr zum Schaden der Beweiskraft überwiegt.

Heinr. Bulle, Odysseus und die Sirenen. Strena Hoibigiana S. 31—37.

Ein Aryballos, athenischen Ursprungs in München (?). Odysseus, von Kirkes Haus (?), das man sieht, weggefahren, angebunden au dem Mast des Schiffes. Zehn Ruderer an der Arbeit, zwei mächtige Vögel über dem Schiffe schwebend (glaube ich). Vor Odysseus zwei Sirenen mit umge- bogenen Flügeln, offenem (singendem) Munde und dünnen Vogel- beinen, die aber durch eine Brüstung dem ansegelnden Odysseus ver- deckt sind (so ich). Hinter den Sirenen eine weibliche sitzende (Bulle kauernde) Figur, die ihm die Chthon bedeutet, die die vampyrartigen Sirenen aus der Unterwelt schickt. Das ist sehr problematisch.

F. Dümmler, Der Zorn der Hera in Dichtung, Sage und Kunst. Kl. Schriften. Leipzig 1901. II S. 1—17.

Eine unvollendet und bisher unveröffentlicht gebliebene Antritts- vorlesung aus dem J. 1890. Der darin niedergelegte Grundgedauke

Bericht über die liomerischen Realien 189G 1902. (Geinoll.) 31

ist folgender: Hera ist eigentlich chthüiiische Gottheit und ihr Zoi'q Zustand der Erde vor dem tspo; yl^xo; mit Zeus, die unfruchtbare Jahres- zeit. Dieser Gedanke empfiehlt sich durch Einfachheit und ist einer ausführlicheren Bearbeitung wert.

F. Dümmler, Atheua. Kl. Schriften. II 18—124.

Wiederabdruck des Artikels Athena aus Pauly-Wissowa, Real- Encyklopädie II 1941 2020. Hierher gehört der erste Abschnitt: Athena im homerischen Epos und in der Heldensage. Es wird nach- gewiesen, daß Athenas Geburt von Zeus Homer bekannt ist. Die Agis ist doch ursprünglich Ziegenfell, wenn ancli nicht mehr bei Homer (Stengel). Voihomerisch ist auch das Schutzverhältnis zu gew^issen Helden, namentlich Diomedes; in der Odyssee ist sie aus der Sohlachten- jungfrau Göttin der Klugheit geworden, ja schon in der Ilias als Schützerin der städtischen Kultur voi auszusetzen. II. VI 287 ist ein Sitzbild, das Palladion aber ein stehendes Bild, dalier die ganze Scene VI 287 jüngeren Ursprungs.

P. Stengel, Der Kult der Winde. Hermes 35 (1900) S. 627 —635.

Wenn auch Homer einen Kult der Winde nicht kennt, so unter- scheidet er doch av£|jLoi.und öusXXai, für die er auch °A piruia'- setzt (u 63, 66, 67). Diese sind schon nach Rohde (E.h. Mus. 50, 5) Dämonen geworden wie die Keren auch. Ihr Aufenthaltsort ist die Unterwelt (Rohde a. 0.). So erklärt sich der merkwürdige Kult der Winde, von dem Stengel in seiner trefflichen Weise handelt.

G. I w an 0 witsch, Opiuiones Homeri et tragicorum Graecorum de iuferis. Berl. Studien für klass. Philol. 16 (1896).

Die Abhandlung kann füglich ungelesen bleiben. Denn erstens geht sie von einem iipöixov i];£Üöos aus, daß nämlich Homer wie die Tragiker die religiösen Anschauungen ihrer Zeit wiedergegeben hätten . Man vergl darüber Rohde Psyche S. 35. Zweitens beruht der Wert der Abhandluug nur in der Zusammenstellung dessen, was für die einzelnen Schriftsteller früher geleistet ist. Drittens ist sie unvoll- ständig. Der fünfte, interessanteste Punkt über die Bestattung und den Totenkult fehlt. Viertens konstruiert Verf. einen Gegensatz in den An- schauungen Homers und der Tragiker, der gar nicht existiert. Kammer, dessen Autorität ihm sonst maßgebend ist, hätte ihn (ästhet. Komment, zur Ilias S. 84) belehren können, daß die homerischen Menschen genau dieselben Klagen über das Menschenleben ausstoßen wie die Helden der Tragödie. Fünftens. Wunderbar ist das Verhalten des Verf. bei schwierigen Stelleu wie Theog. 767, 310, wo er den Höllenhund gern

32 Bericht über die homerischen Realien 1S96 1902. (GemoU.)

eliminieren möchte, aber es doch nicht recht wagt. Ebenso T 278, wo er (statt xatxovTocc) eovxa; vorschläg't , als wenn dadurch das geringste gebessert würde.

X. Sakralaltertümer.

H. V. Fritze, Die Rauchopfer bei den Griechen. Berlin 1894.

Das unter den Augen C. Roberts entstandene Schriftchen be- handelt eine wichtige Frage der griechischen Sakralaltertümer. Für Homer erfahren wir nichts Neues, wenn öusiv als Räuchern erklärt wird, und zwar Räuchern mit einheimischen Pflanzen, Verf. weist nur nach, dal.S der aiabische Weihrauch erst im 7. Jahrhundert nach Griechen- land gekommen ist und zwar im Gefolge des Aphrodite- und Helios- kultus. Soweit gut. Aber Roberts Einwurf, daß doch Aphrodite bei Homer schon ganz als griechische Gottheit erscheine, bereitet ihm un- lösbare Schwierigkeiten. Denn, wenn er meint, daß die alten Kultus- formen die Einführung erleichtert hätten, so ist das keine Antwort. Am besten war es, die beiden Fragen nach dem Weihrauch und der Aphrodite gar nicht miteinander zu verbinden.

H. V. Fritze, ouXai. Hermes 32, S. 235—250.

Im Anschluß au Stengel (Hermes 29, S. 627) wird der Gebrauch der ouAat ausführlich besprochen. Von der Stellung der ouXat im Opfer- ritual ausgehend, weist v. Fritze überzeugend nach, daß die oüXai nicht auf das Haupt des Opfertiers, sondern auf den Altar geworfen wurden. Ferner sucht er darzutun, daß die ouXai geröstete, ganze Gersten- körner waren. Ich halte diesen Beweis nicht für völlig gelungen. Dagegen stimme ich seinen Ausführungen in betreif der ouÄoyutai und rpoyuTat völlig bei. Alles in allem ist die Abhandlung von gründlich- ster Gelehrsamkeit getragen und bietet weite Perspektiven in die Vor- geschichte des Opferrituals.

Otto Kern, Zum altgriecbischen Kultus. Strena Helbigiana S. 155—159.

1. Kern verwirft (p. 156j den Reicheischen Thronkultus zu Z 92, 303 und erklärt das 1. Bild bei Reichel, Vorhell. Götterkulte, zwar für einen Thron (nicht für Tempel oder Altar) aber für den eines Verstorbenen, der (in der Kuppelhalle) mit Zweigen geschmückt wird. Unwahrscheinlich und kaum Gegenstand eines Siegelringes. 2. Die Erdhügel im östlichen Thessalien sind Erdmale des Wegegottes Hermes im Hinblick auf E. Mengers und C. Roberts Erklärung des Namens (Gott vom Steinhaufen) die zueist von Preller aufgestellt ist

Bericht über die liomerischen Realien 1S% 1002. (Gemoll.) 33

r. Stengel, e-ap$aaöat oeTraeasiv. Hermes 34 (1899), S. 469-478. Eine inhaltreiclie Abliaudlung. Verf. setzt sich zunächst mit den früheren Darstellungen auseinander, besonders mit Beruhardi (Progr, Lpz, 1885 S. 18), dem gegenüber er mit Recht behauptet, das Spenden habe nicht den Dienern überlassen sein können. Doch mul') ich an diesem Abschnitt tadeln, daß Verf. nicht auf die Schollen zurückge- gangen ist. Cod. Yen. A bietet zu A 471 zwei Erklärungen: 1. ir.ao- SajjLevot = £-iy£av-£i, 2. £7:ap;a|j.evoi = aitap$a[xevo' j7:ovör|V. Im ersten Falle ist ös-assjiv Dativ, im 2. Instrumentalis. Wenn nun in diesem zweiten Falle sTrapSscjöat wirklich spenden hieße, so wüßte ich nicht, wer anders als die Diener die Spender hätten sein können. Indes £-ap;aai}at heißt gar nicht spenden, sondern den Anfang dazu machen, die Spende vorbereiten. Das geschieht durch Verteilung des Weins, A 471 beißt es vcüji-r^jav o'a'pa Tiasiv £-ap^a|x£voi öeKciessiv sie teilten (vom Weine) allen zu £-ap;a|j.£voi ozzdtaiiy. Die Spender sind die Opfernden oder Schmausenden, wie aus 7 340 ff., r^ 183 ff., besonders aber aus cj 48 f. und -f 263 deutlich hervorgeht. In dieser Beziehung bin ich mit Stengel einig. Auch wenn er dann gegen Nitzsch, Naegels- bach u. a. konstatiert, daß der Wein auch mit den Bechern aus dem Mischkrug geschöpft wurde, muß man wegen F 295, T 219 11 230 bei- stimmen. Ebenso erkenne icli an, daß nicht zu jeder Libation neu ge- mischt wurde, wegen 7 40 ff. Aus 7 63 geht hervor, daß der Becher bei der zweiten Spende nicht mehr voll war. Weniger will mir ein- leuchten, daß die Spende nicht immer geübt wurde. Das argumentum ex silentio ist immer trügerisch, so auch hier. Wenn a 147 das Spenden nicht erwähnt wird, so ist noch nicht gesagt, daß es nicht ge- schehen ist. Auch A 471 ist nur das s-apcaaOai der xoüpoi erwähnt. Darauf folgt aber das Spenden, wie die oben angeführten Stellen ergeben. Was heißt aber £-ap;aj(lai.^ Daß es nicht „spenden" heißt, ist schon erwähnt. Stengel erklärt es nach dem Vorgange Buttmanns mit heraufuehmen oder -heben. Damit wird er keinen Beifall finden. Wer apy£cji)a' mit wegnehmen übersetzt, wie Buttmanu, der übersetzt ungenau, und auf ungenaue rbei'setzungen kann man keine Etymologien gründen. Ich habe früher (z. h. Apoll. 125) iTiap/öiflat mit „die Schlußspende beginnen" erklärt.

Ich sehe auch heute noch nichts, was sich gegen diese Er- klärung sagen ließe. Wie ewpoo'^ der Nach- oder Sehlußgesang, wie eirioei-vov der Nachtisch, so ist srap/oixa-. der Anfang des Schlusses. Man vergegenwärtige z. B. sich die Situation in A. Ein feierliches Opfer, dazu eine Spende (A 463), dann folgt das Opfermahl. Es ist unvermeidlich, daß es dabei lebhafter zugeht. Nachdem alles gesättigt ist, folgt der Schluß. Die gottesdienstliche Ordnung wird wiederker- Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVII. (VX)3. II.) 3

34 Bericht über die homerischen Realien 1896—1902. (Gemoll.)

gestellt wie am Anfaug. Es wird feierliche Stille geboten I 172 und dann die Scblußspende gegossen und vom Päan begleitet (A 472). Der Anfang dazu ist die Aufforderung, „den letzten Becher" zu füllen. Un- zweifelhaft ist das der Anfang des Schlusses / 332 und a 418. Der Schlußpäan in A 472 scheint ziemlich lange gedauert zu haben (r.awr^- }xepiot). Stengel wehrt sich gegen diese Erklärung sehr mit Unrecht. Auch die übrigen Stellen stimmen sehr wohl mit ihr. 9 263 ist die Aufforderung zum Schluß ergangen, der Schluß 273 gemacht, da bringt Odysseus durch seine Bitte um den Bogen ein neues Moment herein, es beginnt eine neue Scene. Auch r^ 137 f. ist die letzte Spende (an Hermes) schon gemacht, da ruft die Ankunft des Odysseus ein neues Interesse wach. Der Gast muß bewirtet werden (vs 177), so wird auch eine neue Spende nötig. Daß aber ein ganzer Mischkrug gemischt und nach dem e-ap^aaSai noch mehrmals gespendet wird (184, 228), das zeigt, daß der Schluß sich auch lange ausdehnen konnte, wenn eine außerordentliche Gelegenheit vorhanden war. Ebenso steht es mit I 172 f. Die nächtliche Beratung beginnt mit einem Abendbrot (vs 66, 90), sie endet mit feierlichem Schluß. Erst nach demselben machen sich Odysseus und Nestor auf den Weg.

Mit h. Apoll. 125 hat es eine andere Bewandtnis. Themis füttert den neugeborenen Gott, aber in ehrfurchtsvoller Weise, wie die Meüschea die Götter verehren und laben bei der Spende, also Themis spendet Nektar und Ambrosia dem mächtigen Gotte. I7:ap-/ej8a( ist hier ge- braucht wie (i-ap/saöat l 422 oder apysa&at ^ 428 oder xa-otpysj&ai 7 445.

P. Stengel, Zu den griechischen Sakralaltertümeru. Die Speise- opfer bei Homer, Hermes 36 (1901) S. 321—335.

Eine verdienstvolle Arbeit. Verf. -weist nach, daß Mahlzeit und Opfer gar nicht so untrennbar voneinander sind, als man gewöhnlich glaubt. Wir haben also eine Fortsetzung der Abhandlung Hermes 34 S. 474 ff. über die Libationen.

XI. Sittlichkeit und Bildung.

K. Troost, Das sittliche Bewußtsein des homerischen Zeitalters. Pi'ogr. Frankenstein in Schi. 1896.

Die Abhandlung behandelt drei Punkte. I. Das Gute und Böse. II. Die Triebfedern des siltlichen Handelns. III. Ausblick auf die moderne Ethik und Pädagogik. Der letzte Teil hat mit Homer nichts zu tun und .scheidet daher hier aus. Dafür ist die Behandlung der beiden andern Punkte um so dankenswerter. In dem I. Abschnitt bestimmt Veif. die Begriffe gut und böse. „Hat Zeus die armen Menschenkinder auch nicht geschaffen, so ist er es doch, der jedem

Bericht über die homerischen Realien 1S9G-1902. (Gemoll.) 35

derselben sein eigentümliches Los bereitet, ihm seine Moira, seinen Auteil (aisa) an dem allen gemeinsamen Erdendaseiu verleiht." Hyper- moron (a 33) bezeichnet eine gewisse Willensfreiheit. [xoTpa und ai3a sind der Anteil, die Rücksichtnahme auf die audern. «So liegt ein wirkungsvolles suum cuique in der häufigen Wiederholung dieser Begriffe. Und es erweist sich als Kernpunkt der homerischen Sittenlehre: die Lebenslage (p-oTpa, aljct) deines Nächsten sei dir ein Gegenstand heilige?' Scheu. Sie zu schonen ist Tugend und Edelsinn, sie zu ver- letzen ist Frevel und verderblicher Hochmut." Mit dieser Be- schränkung der homerischen Sittlichkeit bin ich nicht einverstanden. Da gefällt mir Schuchter besser, der p. 11 (die gcgens. Abhängigkeit der rel. und eth. Vorstellangen in den Epen Homers) die Pietät als das Zentrum der homerischen Ethik in Anspruch nimmt, als Kindes-, fleimats-. Vaterlandsliebe usw. In Troosts Def. fehlt nämlich das Einsetzen der eignen Persönlichkeit für andre, die doch erst die höchste Tugend und Sittlichkeit bedingt. Gegen den menschlichen Ursprung der öefxtoTs; führt Verf. selbst I 97 als Instanz an, ohne sie zu berücksichtigen. Sixrj fai.it er als öffentliche Meinuug, Volkssitte. Die Tugend steht im geraden Verhältnis zur Einsicht des Menschen. 9pev£(; ursprünglich körperlich, bezeichnet doch die höhere Intelligenz, d. h. ßücksicht auf den Nächsten, Ouixo; und |j.evo; ein niedres Begehreu. Zu II. Als Triebfedern des sittlichen Handelns werden äußere Mittel, Nemesis, Tisis, Furcht vor Rachedämonen (Erinnyeu), der Ruhm bei Mit- uud Nachwelt aufgezählt. Als innere Triebfeder legt er das Growissen dar in mindestens einer Stelle ^ 406, Scham und Reue, Lust und Unlust. In beiden Teilen ist doch manches Bemerkenswerte.

F. J. Engel, Zum Rechte der Scbutzflehenden bei Homer. Progr. Passan 1899.

Die ganze Abhandlung dreht sich um das Piratenabenteuer 5 199. Die Kreter haben danach einen räuberischen Einfall in Ägypten ge- macht, Weiber und Kinder fortgeschleppt, Äcker verwüstet, Männer getötet. Dann aber werden sie angegriffen und vernichtet. Der Führer aber besitzt die Unverfrorenheit, den König des Landes um Gnade zu bitten. Und der nimmt ihn in seinen Schutz, Aioc S'wTraCsto fx^viv Eetvi'ou. Auteurieth in der h. Theol. ^ 272 hat hier von einer Ver- pflichtung zum Schutze gesprochen, die beginne, sobald der Bittende die Knie des Königs berührt habe, also damit ein Schutzrecht kon- struiert, das denn auch in - 421 ff (Eupeithes) walten soll. Diesen Grundgedanken Autenrieths hat Verf. aufgenommen und genauer zu präzisieren gesucht. Nach ihm tritt die Verpflichtung znm Schutz erst ein mit irgend einer Tat der Hilfesuchenden, einer Art Überrumpelung

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36 Bericht über die horaerischen Realien isnfi— 1902. (Gera oll.")

(S. 35). Die Verpflichtung ist aber nicht mehr vorhanden, sobald der andre Teil eine feindliche Handlung hat vorhergehen lassen (p. 27). Das ist ein ganz spitzfindiger Unterschied, der in die homerischen Gedichte erst mit vieler Arbeit hineingeheimnißt werden muß. Ich sehe die Sache wesentlich anders an. Die Religion hat eine Schutzpflicht des [■/.i-zr^z ausgebildet. Diese aber hängt am Hause, genauer am Herde. Eine An- zahl Beispiele der Ilias zeigen, daß auch der Mörder nicht vergebens den Schutz des Hauses anruft. Um diesen Schutz zu finden, setzt sich Odysseus in die Asche des Herdes. Darum findet auch Eupeithes (tc 421 ff.) Schutz, als er in das Haus des Odysseus flüchtet. Man vergleiche noch die schöne Erzählung von Themistokles beim Molosser- könige. Wenn der Kreter auf dem Wagen des Königs Schutz findet, so ist damit der Wagen für ihn iu ähnlicher Weise eine Freistatt, wie sonst der Herd des Hauses. Nachdem er den Odj'sseus auf den Wägen genommen, betrachtet er ihn als Gast, der unter dem Schutze des Zeus ?£''vto? steht. Gerade die Erwähnung des Zeus Xenios zeigt, daß von einer andern Auffassung hier keine Rede sein kann.

Es fragt sich, wie weit der Schutz reicht. Von vornherein ist klar, daß es im Kriege ein Schutzrecht überhaupt nicht geben kann. Nach dem Verfasser würde der sonderbare Fall eintreten können, daß der Feind dem Gegner den grössteu Schaden tun, dann aber, in Gefahr geraten , durch irgend eine Überrumpelung sich Schutz und womöglich noch gastliche Bewirtung sichern könnte. Im Kriege gibt es keine xETat. Nur das kann das Scholion B zu <!> 75 sagen wollen. Auch Lykaon kann sich darauf nicht berufen; wenn er es dennoch versucht, Schonung zu erlangen, weil er das Brot des Odysseus gegessen hat, so sagt er wohlweislich: dvxi toi sifx' ixExao. Auch aus dieser Stelle geht hervor, daß man den Schutz als ixst/jc durch die gastliche Be- wirtung, also am Herd des Hauses erwirbt.

Wäre Lykaon nach der Schlacht bittend in das Zelt des Achill gekommen , so würde er wie Priamos auf Schonung haben rechnen können. Das Schutzrecht ist ein Teil des Gastrechts, das unter Umständen auch dem Feinde gewährt wird. Daher der Gebrauch, erst den Gast zu bewirten, ehe man ihn nach Nam' und Art fragt. Die Menschlichkeit bricht sich bei dem Griechenvolke überall Bahn Hätte Verf. seine Beispiele daraufhin angesehen , so würde er bemerkt haben, daß das Versagen der Bitte um Schonung überall motiviert wird. So Z 58, so O 100, so y 64. Die Parallele aus dem Beduinen- leben, die Verf. gleich zu Anfang hätte bringen sollen, spricht nicht für ihn. sondern für mich. Dem Feinde steht der Schutz des Hauses nicht zu (S. 40). Doch kann er gewährt' werden iu ähnlicher Ait, wie ihn der Ägypterkönig gewährt (Ö. 39)'. Die Gewährung oder Ver-

Bericht über die homerischen Realien 1S1I6 iy02. (Gemoll.) 37

saguug bleibt eine Sache des religiösen Gefühls oder der Gemüts- veranlagung.

Sehr seltsam ist der letzteTeil der Schrift „Geographisch-historischer Untergrund". Verf. ist der Meinung, daß die Episode i 199 ft". zweifellos aus dem Leben gegriffen sei(S. 71). Er vergleicht schol. Harl. zu ; 278. Der dort genannte Sethos ist nach Mallet Ramses 11, nach Lauth viel- mehr Setinecht. Das ist dem Verf. zu hoch (p. (30). Er setzt die Telemachie mit Christ nach 750 an, und zu diesem Zeitpunkt paßt ihm die Pirateu-Episode. Der Dichter hat sie möglicherweise selber mit- gemacht (S. 63). So hätten wir nach dem Militärarzt Homer nun auch noch einen Seeräuber Homer! Indessen ersclieiut es bei reif- licher Überlegung dem Verf. wahrscheinlicher, daU die realen Vorgänge des Piratenabenteuers von der homerischen Zeit zu trennen und in die mykenische hinaufzurücken sind. Denn in der Zeit vor 750 wia- Ägypten den Griechen verschlossen, aus der mykenischen Zeit aber haben wir die Nachricht von den räuberischen Akaivasch (S. 66). Das können Kreter gewesen sein, Griechen. Da sind wir denn glücklich ■wieder bei Mallet angekommen.

F. J. Engel, Vom Begriff ix£-r,c bei Homer. Blätter für das bayerische Gymn.-Wesen 36 (1900) S. 513—524.

Ein Nachtrag odor, wenn man will, eine teilweise Palinodie der vorangehenden Schrift. Verf. sucht zwar Cauer ("Wochenschr. für klass. Phil. B. 17 [1900J Sp. 7) gegenüber seine Theorie zu retten. Dieselbe gipfelt in dem Satze (S. 51 7j: ohne Anspruch auf Erhörung wagt sich auch der Hilfsbedürftigste nie ixexrj; zu nennen; wer sich aber wirklich diesen Namen beileert, nicht bloß vergleichsweise, will damit immer „ein Anrecht auf Schutz und Gastfreundschaft be- gründen." Verf. bemüht sich noch einmal zu beweisen, daß der ägyptische König den Piraten (? 280) schützen mußte, aber umsonst. Er mußte es nicht, nachdem er es einmal getan hatte aus Mitleid oder Überrumpelung erfüllte er allerdings eine Pflicht, wenn er ilui auch vor den übrigen schützte. Wenn Verf. am Schlüsse (S. 523) des Schol. A zu - 422 preisgibt, so war das gar nicht einmal nötig. Richtiger wäre es gewesen, die Freiwilligkeit der Annahme in gewissen Lebenslagen zuzulassen . vor allen Dinaen aber nicht von der Person, sondern vom Hause auszugehen.

IV. Tod und Begräbnis.

W. Heibig, Zu den homerischen Bestattungsgebräuchen. Sitzuugs- bcr. der Münchener Akademie 1900 S. 199—279.

38 Bericht über die homerischen Realien 1896—1902. (GemoII.)

Die homerischen Bestattungsgebräuche bilden in Helbigs Buch „Das hom. Epos ans den Denkmälern erläutert" eine nebensächlich be- handelte Partie. Im Anschluß an Schliemanns Mykenä werden un- zweifelhafte Anklänge an die in der mykenischen Periode allein übliche Sitte des Begrabens bei Homer aufgezeigt, während Homer sonst nur das Verbrennen kennt. Diese Beschränkung lag offenbar in der Mangel- haftigkeit des archäologischen Materials vor 15 Jahren. Seitdem hat namentlicl\ der Boden Attikas ungeahnte Aufschlüsse gegeben, so daß wir die Bestattungsweise bis in die hell -historische Zeit hinein verfolgen können. Es hat sich dabei herausgestellt, daß die ältesten attischen Gräber sog. Brandgräber sind (S. 199), da es auch dort eine raykenische Periode des Begrabens gibt (S. 200), daß aber dann das Begraben all- mählich dem Verbrennen weicht. Die mykenischen Grräber werden mit reichen Beigaben ausgestattet, die Leichen zum Teil einbalsamiert (S. 200. 219). Noch im 6. Jahrhundert begräbt man allgemein in Klazomenä (S. 238), teilweise in Velonideza (266) in Attika. Es folgen der mykenischen Periode die Ostotheken frühgeometriscben Stils (S. 271), die Braudgräber in Assarlik (S. 207) die Dipylonperiode (S. 276 ff.) bis zu den Funden von Vurva (S. 263) und Velonideza (S. 267) (6. Jahrhdt.). In dieser langen Zeit zeigen die eigentlichen Brandgräber allerlei Beigaben, diejenigen aber, deren Brandstätte außer- halb des Grabes war, zeigen keinerlei Spuren von Beigaben. Das ist das Problem, das Helbigs Scharfsinn zu der vorliegenden Arbeit anregte, das er daher auch klar und rund von vornherein hätte hinstellen sollen, während man sich jetzt durch den sehr verworrenen Gang der Untersuchung mühsam durcharbeiten muR, wie wohl schon die obige Zusammenstellung zeigt.

Verf. glaubt die Lösung desselben im Homer zu finden. Er geht von Rohdes Bemerkung aus, daß nach dem Glauben der klein- asiatischen Griechen mit der V^erbrennung die Seele ein für allemal in den Schatten gebannt bleibe , während beim Begraben eine Rückkehr der Seele in die alte Hülle möglich sei. Ich halte diese Ansicht Rohdes, d. h, den Grnnd seines ganzen Buches, für verfehlt und wundere mich, daß Heibig auf dieselbe ein solches Gebäude aufrichten mochte, zumal er selbst der Ansicht ist, daß die Griechen, als sie in das Gebiet des Mittelmeeres einwanderten, ihre Toten verbrannten. Also auf das Verbrennen, nicht auf das Begraben soll man Hypothesen über griechische Religionsanschauungen aufbauen In seiner Abhandlung sur la question myceuienne kämpft Heibig eifrig und erfolgreich für fremden Ursprung der mykenischen Kultur; warum soll da das Begraben ausgeschlossen sein? Ägypten, Babylon (S. 222) mögen auch die Heimat dieses Ge- brauches sein. Freilich begruben die Griechen noch bis ins 6. Jahrhdt.,

Bcriclit über die homerischen Realien 1896—1002. (GeraoD.) 30

ja noch später, aber das ist doch wohl der tn^errest einer Sitte, die sich bei den Herrengeschlechtern Griechenlands während der mykenischea * Zeit eingebürgert hatte.

Ich bestreite daher mit aller Bestimmtheit, daß die Griechen jemals des Glaubens gewesen sind, daß verbrannte Tote keiner weiteren rücksichtsvollen Ehrung bedurften, d. h. daß es jemals eine Zeit ohne Toteukultus gegeben hat. Vert. nimmt selbst die Zeit vom Tode bis znr Verbrennung aus (S. 205). Ferner zeigen die Brandgräber in Assarlik (S. 207), die Ostotheken bei Athen (S. 271) wertvolle Bei- gaben; das sollen dann unlogische Inkonsequenzen aus der (un- griechischen) Periode des Begrabens sein. Auch die jahrhundertelang geübten Totenopfer in Menidi, bei verbrannten Leichen in Marathon (S. 249), in Vurva (S. 265) sprechen durchaus gegen Helbigs Ansicht. Endlich Homer läßt ihn vollends im Stich. Gewiß, bei Homer werden die Toten nur veibrannt. Auch Beigaben von Rüstungen und Trinkgetäßen finden sich weder in W bei Patroklos' noch in Ü bei Hektors Bestattung erwähnt, ebensowenig bei der des Achilleus (w 80). Aber sind sie deshalb nicht dagewesen? Das ist doch sehr fraglich. Achill verspricht (Q 596) dem Patroklos einen Anteil an dem Lösungspreis für Hektors Leiche. Das soll dann freilich wieder ein Rückschlag alter Sitte (S. 239 If.) aus der Zeit des Begrabens sein. Im übrigen rühre das Buch il von- eiuem ionischen Dichter her, der nur das Ver- brennen kenne, dagegen das Buch W von einem äolischen Dichter, der noch allerlei Altertümliches bewahrt habe, dem die iFeuerbestattung noch etwas Neues war. Er habe jedenfalls Patroklos wirklich als Geist dargestellt, die Verse 99 107, in der er nur siotoXov ist, seien also von dem ionischen Bearbeiter. So wird mit unendlicher Mühe jede Gegeninstanz beseitigt. Leider aber wirken sie für den , der sie alle zusammen erwägt, nicht zugunsten der Helbigschen Hypothese.

Außerdem ist ein Loch in Helbigs Beweisführung. Er hat ans nicht erklärt, warum einzelne Brandgräber Beigaben haben, andere nicht (S. 260 und 275). Die Erklärung anderer, daß es sich um Arme handelt, wenn Beigaben fehlen (S. 268), läßt er nicht gelten ; die Mög- lichkeit, daß Sklaven ohne Beigaben bestattet sein könnten, gibt er zu (276), verspricht aber noch eine eingehende Untersuchung (268). Für diese gebe ich, was Homer anbelangt, noch folgendes zur Er- wägung. Andromaches Vater wird (Z 414) durch Achills Großmut Be- stattung in der Rüstung zuteil. Dasselbe wünscht sich Elpenor l 66 f. Wenn nun Hektor, Patroklos und Sarpedon (FI 663) ohne Rüstung begraben werden, so darf man daraus nicht ohne weiteres auf irgend einen altertümlichen Brauch schließen: Allen dreien sind die Rüstungen beim Tode vom Feinde abgezogen. Das hat Heibig

40 Bericht über die homerischen Realien 1^J)G— 1902. (Gemoll.)

unberücksichtigt gelassen. Es ist docli wohl selbstverständlich, dal! einem toten Helden seine Rüstung mitgegeben wird, wenn er sie hat. Wozu sollen ihm Beigaben fremder Waffeustücke dienen?

Ferner. Die Beigabe von Krügen mit Honig und Fett für Patroklos erklärt Heibig (S. 223 f.) nur sehr mungelliaft. Der Honig soll kein Nahrungsmittel, sondern ein Leichenpräservativmittel sein, das Fett aber Mittel zur Fieschleunigung der A^erbrennung. Ich kann nicht glauben, daß man dem Toten Krüge voll Honig (zur Selbstmumifizierimg?) mitgab und linde immer noch die Meinung, daß es als Genußmittel dienen solle, als die wahrscheinlichste.

Im ganzen befürchte ich, daß es Heibig bei einer späteren Arbeit über den Gegenstand ebenso gehen wird wie mit seiner Darstellung der AVaffen nach Studniczka.

A. Engelbrecht, Studie über homerische Bestattungsscenen. Festschrift für Gomperz. Wien 1902 S. 150—155.

Angeregt durch die Abhandlung W. Helbigs gibt A. Engel- brecht einige nicht gerade bedeutende, immerhin aber erwähnenswerte Kachträge. 1. In 2 352 werde gerade eine Einhüllung zum Zweck der Verbrennung bezeichnet, nicht zur Mumifizieruug. Verf. weist auf ^1" 168 f hin. In der Sache gebe ich Engelbrecht recht, die Parallel- stelle ist aber nicht gerade zwingend. 2. Das Verbrennen mit der Rüstung Z 416 und }j. 13 erklärt Verf. als Zeichen eines besonderen Seelenglaubens, der weiter nicht zu verwundern sei, da auch sonst die betreffenden Partien (Z und die erste Nekyia) eine Sonderstellung ein- nähmen. Ich ziehe mir dagegen doch meine Erklärung vor (s. oben) 3. Daß die Troer ß 784 neun Tage zum Holzheranschaffen brauchen, erklärt Verf. als ein Mißverständnis des Verfassers der Stelle. Nicht zum Holzheranschaffen, sondern zur 7rp68sat; nebst Totenklage brauche man die neun Tage. Es sei auch noch ein anderer Widerspruch da, ß 802 geschehe das TrspiOsiTrvov nach dem Begräbnis, 665 dagegen vor der Beisetzung. Engelbrecht bringt hier durchaus nichts Neues vor. Düntzer hat bereits 662 f. streichen wollen. Man sehe aber darüber Peppmüller Komm, zu Ilios Q S. 311 ff. Peppmüller bemerkt sehr richtig, daß es sich hier um zwei verschiedene Mahlzeiten handle, von denen bei der Ausführung nur eine erwähnt werde. Dasselbe ist aber auch mit dem Holzholen der Fall. Neun Tage wird die Leiche aus- gestellt und beklagt und daneben das Holz geholt zum Scheiterhaufen. Nur das letztere wird bei der Ausführung erwähnt.

XIII. Die Heldensage,

R. Wagner, der Entwickelungsgang der griech. Heldensage. Progr. Dresden 1896.

Bericht über die homerisclien Realien IbfiG 19U2. (Gemoli.) 41

Hierher gehört der erste Abschnitt: Homer und Hesiod, dieser immerhin beraerlienswerten Abhandlung. Danach geht durch die Sage der Ilias ein geschichtlicher Zug, der Dichter durfte nicht schrankenlos seiner Erfindung die Zügel schießen lassen, er mußte sich im Einklänge mit den Anschauungen seiner Zeit halten.

In der Odyssee beruhen die Ereignisse in Ithaka auf Lokalsagen, auch die Abenteuer auf dem Meere sind nicht freie Erfindung, sondern Schiffersagen aus phönikischer, italischer oder griechischer (Quelle.

Becker, Die Vorgeschichte zur Haupthandlung der Ilias. Progr. Neu-Strelitz 1898. Forts. Ebda. 1902.

Eine sehr nützliche und zuverlässige Zusammenstellung, gemacht, um gegenüber der in Schwabs schönsten Sagen des kl. Altertums ein- geführten Vorgeschichte, aus Homer selbst die Vorgeschichte oder, wie man vielleicht besser sagen würde, die Vorfabel der Ilias zu zeigen. Wenn Verfasser am Schluß unternimmt, die Auslassungen Homers zu motivieren, so wäre das wohl besser unterblieben, da hierzu eine eigene Abhandlung nötig ist.

E. Bethe, Homer und die Heldensage. Die Sage vom trojanischen Kriege. Nene Jahrbb. 1901 S. 657-676.

Der Inhalt der Abhandlung ist den Teilnehmern an der Straß- burger Philologen-Versammlung bereits bekannt. Verf. geht der Frage, was an der troischen Sage Wahrheit, was Dichtung sei, gründlicher auf den Leib, als es sonst wohl geschieht. Nach dem Vorgänge Otfr. Müllers verfolgt er die geographischen Spuren der Heldensage und sucht sich durch Ausscheiden des Unwichtigen und Zusammenschließen des Örtlichnahen in dem Labyrinth zurechtzufinden. Doch fürchte ich, daß seine Ausführungen keinen allgemeinen Beifall finden werden. Sein Hauptgrundsatz ist, daß die Helden, in eine neue Heimat gebracht, d^ort differenziert worden sind. So wird der Argiver Diomedes in Abdera zum Menschenmörder! Als wenn es nicht natürlicher wäre, daß der Zufall zwei verschiedenen Personen denselben Namen gegeben. Cf. Friedländer: Zwei hom. Wörterverzeichnisse. Wenn Verf. dann im folgenden, diesem Vorspiel entsprechend, zwei Sagenkreise kon- struiert, den äolischen, um Achill, der aber aus Thessalien stammt, und den lakedämonischen, die sich beide in Lesbos vereinigt hätten, so ist das nicht neu. Cf. Meyers Gresch. des Altertums. Neu ist nur, daß Menelaus in der Menis des Achill fremd ist, daß Hektor und Paris Dubletten sind, obwohl schon Dümmler an eine Ilias ohne Hektor ge- dacht hat.

Die Abhandlung läuft also schließlich in eine höhere Kritik der hom. Ilias aus. Nachdem Digamma, Wagen, Schilde etc. haben her-

42 Bericht über die homerischen Realien 1896 1902. (Gemoll.)

halten müssen, warum nicht aucli die geographischen Beziehungen? Ich finde das ganze Gebäude zwar sehr künstlich, aber trotzdem sehr luftig konstruiert. Eine der allerwichtigsten Fragen, wenn es sich um geogr. Beziehungen handelt, die Pelasgerfrage, hat sich Verf. entgehen lassen. Wie kommt es, daß die Pelasger, die in Thessalien heimisch sind, zu den Bundesgenossen der Troer gehören?

XIV. Vortrag, Würdigung der Gedichte. Abbildungen.

H. Magnus, Die antiken Büsten des Homer. Eine augenärztlich- ästhetische Studie. Breslau 1896.^)

Der in der medizinischen Welt wohlbekannte Verf. hat 1876 das Auge in seinen ästhetischen und kulturhistorischen Beziehungen, 1893 die Darstellung des Auges ia der antiken Plastik behandelt und kommt in der vorliegenden Schrift nun zu einer Spezial- Studie über die antiken Ilomerbüsten. In sorgfältiger Weise werden die dem Verf. bekannten Büsten aufgezählt, der einheitliche Tj'pus iu ihnen hervorgehoben (insbesondere der verkleinerte Glaskörper, die herabgezogenen Augenbrauen), und auf die verschiedene Haltung des Kopfes (geradeaus emporgewandt), hingewiesen. Dann werden die verschiedenen Arten der Blindheit bespiochen und überzeugend darge- tan, daß die Homerbüsten in der Verkleinerung des Augapfels und der herabgezogenen Brauen auf eine Erkrankung der Hornhaut, resp. der vorderen Augapfelhälfte deuten, daß aber die erhobene Haltung des Kopfes dazu nicht passe, sondern durch inneres geistiges Leben ver- anlaßt worden sei. Ob Homer, d. h. das Urmodell aller unserer Homer- büsten, blind geboren oder später blind geworden sei, lasse sich ärztlich nicht entscheiden. Der Dichter der hom. Gesänge aber könne nach den lebendigen Schilderungen seiner Gedichte nicht blind geboren sein. Die Arbeit erwirbt sich schon durch diese ruhigen, eleganten Darlegungen ein nicht geringes Verdienst. Verf. hat sich aber durch die Identifizierung der in seiueni Buche abgebildeten vorzüglichen Büste der galeria Doria Pamphili, ein bleibendes Andenken gesichert.

E. Gillierou, Galvanoplastische Nachbildungen mykeuischer Altertümer. Hergestellt und zu beziehen von der galvanoplastischea Kunstanstalt Geislingen -Steige (Württemberg).

Zuerst hat Beiger in der Berl. phil. Wochenschrift auf diese Nachbildungen aufmerksam gemacht, die, auf Grund genauer Ab-

') Vgl. Cauer Bd. CXII S. 5. Bernoulli, Die Bildnisse des Homer. Arch. Jahrb. 1896, S. 160—167.

Bericht über die homorischen Realien 189fi-1902. (Gemoll.) 43

fonnangen galvanoplastisch hcrp;estellt, die Formen ebenso treu wieder- geben, wie Farbe und Glanz der Metalle. Die "Werke sind dabei nicht in ihrem augenblicklichen Zustande, verbogen, zerdrückt und zum Teil auch zerbrochen gelassen, sondern wieder in die ehemalige Form gebracht, die sich überall mit Sicherheit erkennen läßt. Sie sind auf diese Weise zu einem hervorragenden Anschauuiigs- und Bildungsmittel geworden, von dem sich jede höhere Lehranstalt das eine oder das andere Stück leisten sollte. Der Preis ist ja allerdings ziemlich hoch. Die köstlichen Vaphio-Becher je 75 Mark, der sogenannte Nestor-Becher 60 Mark, der bekannte Dolch mit Löwenjagd und Gazellen 100 Mark. Vielleicht lassen sich, in Aussicht auf größeren Absatz, die Preise auch niedriger stellen, was ich Herrn Gillieion zu bedenken geben möchte,

J. Tolkiehn, de Homeri auctoritate in cotidiana liomanorum Vita. 23. Supplemcntband der Neuen Jahrbb. S. 223—289.

„Homers Autorität im Leben der Römer." Das ist ein ganz interessantes Thema, doch stelle ich mir die Ausführung ganz anders •vor, als sie der Verf. versucht hat. Der Verfasser spricht von der Be- handlung der homerischen Gedichte, a) in den Elementarschulen, b) in den ßhetorenschulen. Was dabei vorgebracht wird, ist keineswegs neu. Es folgt dann der eigentliche Hauptteil: Zitate Homers a) im Munde der Römer, b) im Munde der Griechen bei Römern. Das meiste aus diesem Kapitel stammt aus Teufer de Homero in apophthegmatis usur- pato, Lips. 1890. Kap. IV enthält die sprichwörtlich gebrauchten Homerverse hauptsächlich nach A. Otto (Die Sprichwörter der Römer, Leipz. 1890) und Szelinski (Nachträge und Ergänzungen zu Otto, Jena 1892). Der Begriff Sprichwort ist dabei sehr weit gefaßt. Als Anhang folgen die sprichwörtlich gebrauchten Personennamen Homers. Fanden sich schon hier V/iederholungen aus IV, so erst recht im nächsten Ab- schnitt: „Homerzitate in Briefen". Diese Wiederholungen zeigen am besten, daß die Arbeit nicht richtig angefangen ist. Ganz ablehnen muß ich in Abschnitt VI das auf Plutarch Bezügliche, da ich nicht finden kann, daß Plutarchs Zitate tür das Thema irgend welche Be- deutung haben. Auch das Verzeichnis homerischer Namen (VII) lohnt die darauf verwandte große Mühe nicht. Es handelt sich doch meist nur um Freigelassene, die von den Namen der vornehmen Römer wie der Aurelii streng zu scheiden gewesen wären. Verf. beweist im Grunde nur das, was man jchou längst wußte, daß Homer in den Schulen der Römer Eingang gefunden hat und infolgedessen auch zitiert und ange- wandt worden ist. Die Hauptsache aber ist er uns schuldig geblieben.

L. Adam, Homer, der Erzieher der Griechen. Paderborn 1897.

Ein kurioses Buch. Lauer hat in seiner Geschichte der epischen

44 Bericht über die homerischen Realien Ls'Jfi— 1902. (Gemoll.)

Poesie in geordneter und eingehender Weise nachgewiesen, welche mächtige Wirkung die homerischen Gedichte auf den Unterriclit, den geselligen Verkehr, die Religion, die Moral, das öffentliche Leben, die Poesie, die Beredsamkeit, die bildende Kunst, die Wissenschaften Griechenlands ausgeübt haben. Bernhardy in seiner L. Gesch. II I* (1877) gibt eine gedrängte Übersicht, wünscht aber eine neue „bündige"' Behandlung dieses wichtigen Themas. Liegt diese in dem Adamschen Buche vor?

Nein. So hohes Ziel hat sich Adam nicht gesteckt. Er will nur einen Beitrag zur Einführung in das Verständnis des erziehlichen Wertes der homerischen Gedichte geben. Das würde ich mir so denken, daß man den Inhalt der homerischen Gedichte unter be- stimmten Gesichtspunkten, Erziehung zur Religion, zur Sittlichkeit, zur Kunst, zur Vaterlandsliebe, zur Entwickelung des Forschungstriebes usw. gäbe. Das müßte dann natürlich geschehen unter Benutzung der Alten, die gerade auf diesen Punkt viel Mühe und Fleiß verwandt haben. Das wäre dann zwar keine hoch wissenschaftliche aber doch eine recht nützliche Arbeit, die man gern entgegennehmen wäirde, schon weil gerade dabei die Arbeit der Scholiasten auch dem Nichtphilologen, also sagen wir einem Primaner, klar würde. Es wäre alte Schulmeister- weisheit über Homer.

Adam bietet auch das nicht. In der Einleitung S. 1 40 finden wir ein buntes Durcheinander von Urteilen alter Schriftsteller über den Einfluß Homers, die weder vollständig, noch chronologisch geordnet sind. Es folgt dann eine Inhaltsangabe der Odyssee und der Ilias, welche beide nach dem Verf. die gleiche Tendenz haben, nämlich das Walten göttlicher Gerechtigkeit oder von Schuld und Sühue nachzu- Vveisen. In der Ilias ist der Versuch völlig mißglückt. Weiterhin folgt in Kap. 7 eine Nachweisung über die Erziehung Junggriechenlands nach den Anschauungen des Athenäus, Dio Chrysostomus und Plutarch, und in Kap, 8 die Erziehung Junggriechenlauds nach den Schollen und Eustathios. . Das soll aber heißen: eine Nachweisnng, wie Athenäus und die anderen Genannten die homerischen Gedichte für moralische Lehren benutzt haben. Davon ist nur der allerletzte Teil (Schol. Eustath) einigermaßen eingehend und geordnet ausgeführt, er allein verrät eigene Arbeit. Alles übrige sind ganz oberflächliche Exzerpte, ohne allen Wert. Die Zitate nachzuschlagen, macht unendliche Arbeit, da sie oft genug falsch sind. Hauptquelle für den Verf. war Limbourg- Brouwer, histoire de la civilisation morale et religieuse des Grecs. t. V.

P. Caucr, Homer als Charakteristiker. N. Jahrbb. 1900 S. 597 —610.

Bericht über die homerischen Realien 1S96— 1902. (Gemoll.) 45

Der Aufsatz ist die geuaue Ausführung eines Vortrags, den Verf. auf einer Versammlung rheinischer Schulmänner gehalten hat. Was er bietet, ist nicht neu; denn er bewegt sich in den Bahnen Kammers. Aber trotzdem ist der Aufsatz lesenswert. Es kann leider nicht ott genug gesagt werden, daß wir in den homerischen Gedichten nicht bloß Sprachdenkmale, sondern vor allen Dingen Kunstwerke höchsten Ranges besitzen, auch in ihrem gegenwärtigen Zusammenhang. Cauer hat erat kürzlich (Einleitung zur Ilias-Ausg.) bekannt, »wie sehr es ihn über- rascht hat, soviel an durchdachter Anlage und planmäßigem Aufbau in der Ilias zu finden.- Noch mehr ist dies in der Odj'ssee der Fall. Welche Sorgfalt wendet der Dichter nicht von Anfang au auf, um den Mord der Freier gerecht und verdient erscheinen zu lassen. Im ein- zelnen ist der Verf. öfters zu feinhörig. So kann ich nicht finden, dall Ktesippos u 288 als Protz oder Parvenü charakterisiert wird. Ebensowenig glaube ich, daß aus o 78 f. irgend welche Kunst der Charakteristik abgeleitet werden kann. Mau vergl. Faesi z. St.

Im großen und ganzen aber unterschreibe ich den Vortrag.

P. Welzel, Betrachtungen über Homers Odyssee als Kunstwerk. Progr. Breslau, Matthias G., 1901.

Eine feinsinnige Besprechung des Inhalts der ersten 7 Bücher <]er Odyssee mit dem Zwecke, das Epos als ein wohlgeordnetes Kunst- werk darzulegen. Es wird anerkannt, daß fremde Einschiebungen in dem Gedichte vorhanden sind, namentlich im 4. Buche, das sich schon durch seine Länge auszeichne, aber eine Ausscheidung wird nicht ver- sucht. Dem Verf. gliedert sich die Odyssee harmonisch in 2 Teile. A. Buch I— XII (Odysseus in der Fremde), B. Buch XIII— XXIV (Odysseus in der Heimat). Jeder Teil zerfällt in 3 X 4 Bücher. A 1 die Telemachie (I IV) , A 2 Odysseus' Reise zu den Phäaken (V VIII), A o Odysseus' Erzählung seiner Abenteuer (IX— XII). B 1. Odysseus' Heimkehr und Plan zur Reise (XIII XVI),, B 2, Vorbereitungen zur Reise (XVII— XX), ß 3 Rache und Sühne (XXI -XXIV).

A. Römer, Homerische Gestalten und Gestaltungen. S. A. aus der Festschrift der Univ. Erlangen zum 80. Geburtstage Sr. Kgl. Hoheit des Prinz-Regenten. Leipzig 1901.

Römer will uns iu die Werkstatt Homers führen. Er findet den dichterischen Genius ('füju) in Stellen wie ^110 ff., ■/ 5 ff., desgleichen in der einheitlichen Konzeption beider Gedichte, ebenso in der Charakte- ristik wie \ 29 ff. und A 296 ff. Es folgen jetzt „Gestaltungen" im Einzelliede. Vortrefflich wird die Beschreibung des Scepters A 233 motiviert mit der Rücksicht auf den Vortrag. Der Rest der Schrift

46 Bericht über die homerischen Realien 1896 1902. (Gemoll.)

will nachweisen, daß Homer im Interesse der Komposition sich über kleine Bedenken hinwegsetzt. Hierbei hat der Verf. wenig Glück. bei Besprechung von A 53 ff. Die Berufung des Heeres ist nicht Prärogative Agamemnons, man vgl. nur schol. Townl. zu A 54. Außer- dem wird ja die Einberufung durch einen Eat der Hera motiviert. Ein solches Motivieren kann man doch nicht „Sichhinwegsetzen über kleine Bedenken" nennen. Ich finde gerade im Kyklopenabenteuer eine Kunst der Motivierung, wie sie sonst im ganzen Homer sich nicht wieder zeigt. Auch aus der Bemerkung $ 329 und x 299 (ri dixcpaoov tje xpu- fTjäo'v) sehe ich das Bemühen, die Freunde des Odysseus zu ermutigen, ohne zu deutlich zu werden. "Wozu da noch die Annahme einer anderen Odyssee, mit der gerade genug Unfug getrieben worden ist? Anhangs- weise werden dann Beiträge zur homerischen Frage aus dem Altertum besprochen, ohne gründlich auf die Sache einzugehen. Daß Aristarch das K zwar für homerisch, aber nicht zur Ilias gehörig betrachtet hat, sollte man nach Ludwich, Die homerische Textkritik II 394 nicht mehr so schlankweg behaupten. In einem 2. Anhang streicht dann Römer A 366 392 als unhomerisch von selten der Konzeption. Dann wird noch darauf hingewiesen, daß A 55 Heras Einführung recht kurzsichtig ist, aber der Dichter brauchte keine kritische Prüfung zu erwarten. Schließlich werden recht ansprechend die Worte A 528 ff. als Brenn- punkt der ganzen Ilias bezeichnet. Man sieht: Anregungen in Menge» aber wenig Ausgereiftes auf den 20 Seiten.

Bericht über die Xenophon betreffenden Schriften aus den Jahren 1899—1902.

Voa Ernst Richter

in Berlin.

Über die Grundsätze, nach denen der vorliegende Beriebt ange- fertigt ist, vgl. die einleitenden Bemerkungen zu meinem vorhergehen- den Bericht im 100. Band (1899) dieser Jahrbb. Namentlich bitte ich zu beachten, was dort über die ausländischen und über die lediglich Schulzwecken dienenden Arbeiten gesagt ist. Auch die größereu dar- stellenden Werke besonders aus dem Bereich der Geschichte (Jul. Beloch, Griechische Geschichte,' Straßburg, Bd. 2 1897, Ed. Meyer,*) Geschichte des Altertums Bd. IV 1901 u. ä), in denen naturgemäß auch über Xenophons Leben und Schriften mehr oder weniger ausführlich gehandelt wird, sind, als für unsere Zwecke nicht in Betracht kommend, unberück- sichtigt geblieben.

Anderw'citige zusammenhängende Berichte über die xenophontische Literatur sind mir nicht bekannt geworden. Doch findet man eine An- zahl hierhergehöriger Werke zusammengestellt und beurteilt in den einzelnen Bänden des Archivs für Gesch. der Philosophie, wo bis 1900 Ed. Zeller, von 1901 an 0. Apelt, von 1902 H. Gomperz die deutsche Literatur über die soki atische, platonische und aristotelische Philosophie aus diesen Jahren bespricht. Besonders beachtenswert erscheinen hier Zellers ausführliche Kritiken von Hirzel, Dialog etc. 1898, Bruns, liter. Porträt 1899 und Pfleiderer, Sokrates und Plato 1900.

Mein Bestreben ist es gewesen, möglichst vollständig zu sein. Wenn trotzdem eine oder die andere Abhandlung übersehen sein sollte, so wird man das begreifen und entschuldigen. So habe ich im vorigen

*) Doch möchte ich inkonsequenterweise an dieser Stelle wenigsteua die Bemerkung nicht unterdrücken, daß mir Meyers Ansichten über die Memorab. (pag. 438 f.) irrig erscheinen.

4,S Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1 890 1 902. (Richter.)

Bericht einige Abhandlimgen übersehen, ich trage sie jetzt an ihren betr. Stellen nach. Vor allem aber wolle man berücksichtigen, daß es sich hier lediglich um solche Arbeiten handelt, durch welche ein Fort- schritt in der Wissenschaft von Xenophon. wenn auch noch so geringer Art, herbeigeführt zu sein scheint.

I. Allgemeines. Leben und Schriften.

Friedr. Klett, Zn Xenophons Leben. Gymn.-Progr. Schwerin 1900.

Mit den meisten Neuereu, die er übrigens nicht alle zu kennen scheint, setzt K., gestützt hauptsächlich auf die bekannten Stellen der Anabasis, das Geburtsjahr Xenophons in 430. Und zwar glaubt er aus den Worten zoiav rjXtxiav £[xauTcu EAi^eiv dvajxevu) folgern zu müssen, daß Xen. zur Zeit als er dieses schrieb, eben dicht vor der Vollendung des 30. Lebensjahres stand, das nach Memor. A 2, 35 die volle fjXtxia be- dinge; sonst wäre es eben töricht, „zu warten". „Ich darf nicht lange warten, die kurze Spanne Zeit, die mir noch fehlt, ist bei unserer jetzigen Gefahr kein Hindernis." Die vielfach angezweifelte Notiz bei Phi- lostratus vit. soph. I 12, Xen. sei erst in Böotien gefangen gewesen und habe nach Stellung eines Bürgen dort den Prodikos gehört, hält K. für glaubwürdig und meint nun, nach Vorgang von Krüger, dies Ereignis sei eingetreten, als er zum erstenmal als Neunzehnjähriger Kriegsdienste tat und zur Besatzung von Oropos gehörte. Diese wnrde (nach Thucyd. 8, 60) 412 von den Böotiern überrumpelt, und Xen. kam so mit andern Athenern in die Gefangenschaft nach Theben. Hier mag er dann den Proxenos kennen gelernt und mit ihm Freundschaft geschlossen liaben. Der vertrauliche Ton des Einladungsbriefes des Prox. zeigt, daß schon seit längerer Zeit enge Freundschaft beide ver- bunden habe; in ihrer Kindheit sei aber infolge des Krieges kaum für sie Gelegenheit gewesen, sich kennen zu lernen. Des weiteren nimmt K. mit Schwartz au, Xen. habe sich am Feldzug des Thrasyllos (409) beteiligt und sowohl unter den 30 wie unter den 10 Reiterdienste getan. Dagegen w'eist er die Ansicht von Hartmann und nuch von Schwartz, die Xen. für jünger halten, zurück. Als Datum der Verbannung Xeu.s nimmt K. 399 an. Seine Verbindung mit Seuthes hatte offenbar dazu beigetragen, die Verdachtsgründe gegen ihn zu mehren; man hegte den Argwohn, daß er, unvermutet an die Spitze der „Kyreer" zurückgekehrt, in jenen Küstengegenden selbstsüchtige Zwecke verfolge. Über die Niederlassung in Skillus urteilt K., daß sich Xen. gleich nach seiner Heimkehr aus Asien und wohl noch im

Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1800—1902 (Richter.) 49

Jalire 394 dort seine neue Heimstätte gründete; und zwar habe er sein Haus keineswegs von den Spartanern erhalten (die Worte uro tüiv Aaxeoaifxoviwv oixiaftevxo? rapa tTjV 'OXup.Kiav tilgt K. mit Hug, E,ehdautz und Vollbrecbt als interpoliert), sondern aus eigenen Mitteln sich ein Anwesen erworben. Später wurde er, der Bürger von Skillus, von den Spartanern zu ihrem Proxenos gemacht, SchlielSlich aus Sk. vertrieben, lief, er sich in Korintli nieder.

C. Wachsiuuth,*) Einleitung in das Studium der alten Geschichte. Leipzig 1895.

W. spricht in diesem Werke auf S. 529 f. über Xenophons Anabasis und Hellenika. Um ein Verständnis dieser Schriften (wie auch seiner übrigen) zu gewinnen, ist es nach W. notwendig, sich seine per- sönlichen Erlebnisse gegenwärtig zu halten. Daher schickt W. seiner Besprechung eine kurze Übersicht über Xeu.s Leben voraus (im wesent- lichen nach E. Schwartz, Rh. Mus. 44). Die Anabasis, nach 369 verfaßt, will nichts anderes sein, als ein Meraoireuwerk, das gar nichts weiter beansprucht, als Selbsterlebtes mit allem Detail zu schildern. Es ist offenbar zunächst geschrieben, um die Verdienste des Verf., die in einer ande)n Monographie, wahrscheinlich der des Sophainetos, über- gangen waren, in ein helles Licht zu setzen, ist daher als Teudcnzschrift nur mit einem gewissen Mißtrauen zu benutzen. Größeren Anspruch erheben die Hellenika, die als ein eigentliches Geschichtswerk auftreten. Wenn auch ebenfalls nur mit Vorsicht zu benutzen, so sind sie doch von großer Wichtigkeit, da Xen. die ganze darin geschilderte Zeit mit erlebt hat und gerade in der Darstelluug von Selbsterlebtem sich durch Frische und Lebendigkeit auszeichnet. Sie zerfallen in die bekannten 3 Teile, sind aber jedenfalls von Xen. selbst als ein zusammenhängendes Ganze veröfteutlicht. Zu einer großen historischen Gesamtanschauung der Entwickeluug der Zeit ist Xen. aber nirgends vorgedrungen; im Vordergrund stehen ihm die einzelnen Individuen, zu deren Charakteristik auch in der Hauptsache die eingefügten Reden dienen.

E. Norden. Die antike Kunstprosa. Leipzig 1898, bespricht auf S. 101/2 auch die Darstellungsform Xen.s, wenn auch» dem Zweck seines Werkes gemäß (Vorwort p. IX) nur ganz kurz. Er findet mit Schacht (Bonn 1890) im Gegensatz zu Blaß, daß auch Xen. im Bann der sophistischen Kunstprosa seiner Zeit steht, daß bei Xen. die natürliche Schlichtheit des einzelnen Ausdrucks wie des Salz- baus stark und absichtlich beeinflußt ist durch Anwendung aller Mittel der zeitgenössischen Rhetorik; nur ist bei Xen. die Natur nicht durch die Kunst verdrängt, sondern beide sind bei ihm zu einem harmonischen

*) Nachtrag zum vorigen Bericht, vgl. die Einleitung. Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVII. (1903. II).

50 Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1899—1902. (Richter.)

Ganzen verbunden. Zum Beweis dafür führt N. eine Anzahl von Stellen aus der respubl. Laced. an.

ßömpler, Studien über die Darstellung der Persönlichkeit in den

Geschichtswerken des Thukydides und Xenophon. DisB. Erlangen 1898. Diese sehr lesenswerte Abhandlung wendet sich besonders gegen Bruns (liter. Porträt), dessen z. T. recht gesuchte Stilgesetze, nach denen Thuk. und Xen. in ihren Charakteristiken gearbeitet haben sollen, R. als irrig zu erweisen sucht. Nach R. ist Xen. keineswegs in dem Sinne und dem Grade von Thuk. (und Isokrates) abhängig, als Bruns annimmt, 0. Seeck, Die Entwickelung der antiken Geschichtschreibung

und andere populäre Schriften . Berlin 1898, gibt S. 89 f. auch eine kurze Charakteristik der schriftstellerischen Eigenart Xenophons. Stilistisch bringt er ihn in eine gewisse Parallele mit Lysias, Xen. sucht wie dieser die Einfachheit. In einer Zeit, wo die Memoirenliteratur blühte, ist es Xen.s Verdienst, die Aufzeichnung rein persönlicher Erinnerungen zuerst zur Würde der Geschichtschreibnng erhoben zu haben. In der anabasis hat Xeu. das höchste Muster der Memoirenliteratur geschaffen, das selbst Cäsar nachahmte, ohne es übertreffen zu können. Die Memorab. gehören schon in das. Gebiet der Tendenzgeschichte Xen. w^ill den Sokrates von den Anklagen reinigen , und ihr, der Tendenz, dienen auch, mit einziger Ausnahme der anab., alle übrigen Schriften Xen.s mehr oder weniger. Die früheren Historiker hatten alle ohne jeden Hintergedanken geschrieben, bei Xen. tritt ein Umschwung ein, in erster Linie wohl begründet durch die sokratische Philosophie. So weiß Xen. sehr geschickt bald zu verhüllen, bald ins rechte Licht zu setzen, wie es ihm für seine Zwecke gerade paßt usw. S. hält übrigens die Memor. für ein Jugendwerk Xenophons.

Von Arbeiten, die die Sprache resp. die Grammatik der gesamten xenoph. Schriften zum Gegenstand haben, führe ich folgende, z. T. nachträglich, an.

A. Dyroff, Geschichte des Pronomen reflexivupa (Beiträge zur

historischeu Syntax der griech. Sprache, hrsg. v. M. Schanz.

III Heft 3/4. Würzburg 1892/3) behandelt in Heft 4 S. 97 f. Xenophon.

P. Meinhardt, de forma et usu iuramentorum, quae inveniuntur

in comicorum Graecorum et Piatonis Xenophontis Luciaui sermoue.

Inaug.-Diss. Jena 1892, handelt über die Form der Eide (Vokativ w Zsü etc., Ttpoc c, gen., vJ), vat, [xa c. accus.), über die Götter und Göttinnen, die angerufen werden, über gewisse Regeln, die bei der Anwendung von Eidschwüreu beobachtet werden (ob alle w 9eot oder nur einzelne vielfach sind

Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1899—1902. (Richter.) 51

eB drei Götter, und welche in eiuzelneu Fällen angerufen werden) über den Schwur bei Tieren und Sachen vf, tov xuva, Trjv -Xdtavov usw. J. J^drzejowski, de anticipationis quae vocatur apud Xeno- phontem usu. Eos. Leopoli (Lwow) 1900 Bd. VI S. 190 f.

Eine wie es scheint sorfjfältige und nützliche, leider schwer zugäng- liche Zusaranieustellung der bei Xen. vorkommenden Fälle von auticipaiio (eS7]77eiXe toi; 'fi'Xot; t:^v xptJiv w; e^evexo u. ä.). Eine iNachprüfnnt,' betr. die Vollständigkeit habe ich nicht vornehmen können. In der Erklärung dieser Darstellungsweise schließt sich J^dr. im allgemeinen an Job. Classeu an. (Beobachtungen über den homerischen Sprachge- brauch. Frankflirt 1867, Anhang S. 189. Über eine hervorstechende Eigentümlichkeit des griechischen Sprachgebrauchs.)

0. Immisch, Die Apologie Xenophons. Neue Jahrbb. f. kl. Alt. 1900 S. 406 f.

Dieser inhaltvolle Aufsatz, der später noch einmal erwähnt werden wird, enthält auch wertvolle Bemerkungen über die Sprache Xen.s überhaupt und über seine Nachahmung durch Dion, Arrian u. a.

Die Homerzitate bei Xenophon werden zusammengestellt und in ihrer Bedeutung für den homerischen Text gewürdigt von

A. Lud wich, Die Homervnlgata als voralexandrinisch erwiesen. Leipzig 1898.

Auf Papyrus sind erhalten (vgl. den vorigen Jahresbericht S. 41)

1. Hellen. III 1, 3 7 (aber lückenhaft), abgedruckt in The Oxyrhynchus Papyi'i ed by Grenfell and Hunt. P. I, London 1898, S. 57.

2. Hellen. VI 5, 7—9 abgedruckt ebenda P. II S. 119.

Die Varianten beider Stellen von Kellers Text sind un- erheblich.

3. Oekonom. 8, 17—9, 2 abgedruckt ebenda P. II S. 120 (bei- nahe IV2 Seiten der Tauchuitz-Ausgabe [Sauppej mit nicht un- bedeutenden Abweichungen). Ich will einige davon anführen:

§ 17 ojAOitu; s'jptaxouji Pap. il öi£tpr)|jiev(uv für öt7]p || eupsTov für sueupsTov ,j § 18 u>? hinter Deivai om. Pap. J -0 -avtcov für 8 TiavTwv II

4. Vectigal. 1, 5 6 aus dem 2. saec. p. Chr. Abgedruckt in Wilckcn, Zu den Papyri der Müncheuer Bibliothek. Archiv für Papyrusforschuug , Leipzig, I 1901 S. 468 f. „Neben manchen Ungeiiauigkeiten bietet das Stück eine alte Korruptel, oüv für av (oaip oüv xive; TrXeTov d-eytuatv), aber auch eine gute Lesart, o?xeia8at für ^x^aSat oder wxiu&at (Zurborg), im Sinne von gelegen sein, wie in anab. 14. 1."

52 Bericht üb. d. Xeaophon betreffenden Schriften, 1899—1902. (Richter.)

Vgl. über diese Papyri noch

W. Crönert, Literarische Texte mit Ausschluß der christlichen. Archiv f. Papyrusforschung- I S. 104 f. und 502 f., wo auch die übrige Literatur hierüber angegeben wird, namentlich zwei Kritiken von U. V. Wilamowitz in den Göttinger Gel. Anz. von 1898 S. 673 f. und von 1900 S. 28 f.

Anabasis.

Hippolyte Taiue, Studien zur Kritik und Geschichte. Übers, von P. Kühn und Anathon Aall. Paris, Leipzig, München 1898, enthält auf S. 24 f. (Xeuophon. Die Anabasis) eine zwar schon in den 50er Jahren entstandene, aber auch jetzt noch höchst lesenswerte Be- ti'achtung besonders über die Kunst der Darstellung in der Anab. T. schildert den Schriftsteller mit großer Wärme und Liebe, er stellt seine Kunst sehr hoch, rühmt namentlich die Klarheit und Einfachheit seiner Sprache, gibt auch einige Übersetzungsproben, findet die Lektüre der Anab. in hohem Grade anziehend und genußreich.

G. Sorot, Nomos und Physis in Xenophons Anabasis. Hermes 1899 S. 568 f.

S. behandelt die beiden Charakteristiken des Proxenos und Menon in anab. II 6, 16 f. Er findet, daß Xen. in diesen beiden, offenbar als Gegensätze gedachten Charakteren zugleich zwei typische Vertreter des die damalige Zeit beherrschenden Gegensatzes von Nomos und Physis, Natur und Herkommen, hat geben und so auch seinerseits in den Kampf der Meinungen hat eintreten wollen. Xen. hat zu seiner Schilderung vielfach die beiden platonischen Dialoge Menon und Gorgias, wahr- scheinlich auch den Thukydides (III 82 83) benutzt, daneben aber noch eine fragmentarisch erhaltene Tendenzschrift aus der Zeit des .archidami.scheu Krieges, (hrsg. und dem Sophisten Antiphon zuge- schrieben von Blaß, Kieler Programm 1889), die ihrerseits wieder auch dem Plato und Thukyd. Anregung und Stoff für ihre Schilderungen gegeben hat. Von einer Abhängigkeit dieser beiden Charakteristiken vom Euagoras des Isokrates, wie sie Bruns (liter, Porträt) zu erweisen suchte, kann nach S. somit keine Rede sein.

A. Zucker, Xenophon und die Opfermantik in der Anabasis. Beilage zum Jahresbericht des Kgl. neuen Gymn, in Nürnberg. 1900. (Festschrift tür I. v. Müller.)

Z. gibt hier einen sehr schätzenswerten Beitrag zu der Charakteristik Xenophons. Es ist eine Art Rettung Xen.s gegen die nach seiner Meinung ganz irrige Joeische Auffassung der Stellung Xen.s zur Mantik, wonach Xen. sich, in der Anabasis wenigstens, als pedantischen, ja fanatischen

Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1S99— 1902. (Richter.) 53

Freund der Mantik zei^e. Z. stellt sämtliche Stellen der auab., wo von Opfer und Opfermantik die Rede ist, zusammen und kommt zu dem Ergebnis, daß in der auab. keineswegs der }j.avTi; über dem orpaTTj^oc steht und daß tatsächlich für Xen.s EutschlieÜungeu und sein Handeln überall die Lage und die daraus sich ergebenden Vernuuft- gründe im Vordergrund stehen, „überall rationelle Aktivität". Daneben hat freilich die Älantik als religiöser Faktor die immerhin nicht un- wichtige Aufgabe, den Zusammenhang mit den höheren Mächten auf- rechtzuerhalten und dem vernunftgemäßen auf sorgfältiger Prüfung beruhenden Handeln die Gewißheit der göttlichen Unterstützung zu vermitteln. In Xen.s Darstellung erscheint das mautische Element aller- dings immer im Vordergrund, aber nur deshalb, weil er nach seiner religiösen t^berzeu^ung den Göttern die Ehre geben zu müssen glaubt und weil er sich keiner ußpt; schuldig machen will: tatsächlich sind seine Befragungen nur Bitten um Bestätigung und um Zuwendung der göttlichen Huld. Hätte z. B. in einem Fall das Opferergebnis nicht in seinem Sinn verwendet werden können, so würde sich Xen. zweifellos auf dem Wege der „Wiederholung" die Bestätigung seines durch die Vernunft geforderten Entschlusses erholt haben.

A. Zucker, Beobachtungen über den Gebrauch des Artikels bei Personennamen in Xenophons Anabasis. Gymn. - Progr. Nürn- berg 1899.

Nach Zurückweisung der landläufigen „Regeln" über diesen Gebranch, die, wie Z. mit Recht sagt, schon jedem Leser des ersten Kap. der anab. als unhaltbar erscheinen müssen, stellt er folgende Ansichten auf. Der Artikel wird bei Personennamen (in der anab.) nur dann gesetzt, wenn die Person als Subjekt Träger einer Handlung ist, die für den Schriftsteller ein aktuelles Interesse bean- sprucht. — Der Artikel weist nicht in äußerlich mechanischer Weise auf den Namen hin der bekannte, der schon genannte usw. , sondern ist als elastisches, lebensvolles, stilistisches Element nur aus dem Inhalt heraus und aus der Stellung, welche der Name in seiner Umgebung einnimmt, zu beurteilen. Der Artikel fehlt (in der anab.) immer, mit verschwindenden Ausnahmen, in denjenigen Partien, welche Rede, direkte oder indirekte, aufweisen, sowie in den bekannten Charakteristiken I 9 und 11 6. Z. hat zur Vergleichung noch heran- gezogen Lysias gegen Eratosthenes und stellt fest, daß in dieser Rede (ca. 20 Seiten der Teubnerschen Textausgabe) der Artikel sich nur an 2 Stelleu findet. Auch in den olynthischen Reden des Demosthenes (auch ca. 20 Seiten) findet sich der Artikel nur 6 mal. Der eigent- liche Boden für den Artikel bei Personennamen scheint demnach die

54 Bericht üb. d, Xenophon betreffenden Schriften, 1899—1902. (Richter.)

künstlerisch gestaltete Erzählung zn sein, und zwar vielleicht weil gerade du das Moment poetischer Anschaulichkeit eine j,'anz andere Rolle spielt als in der logisch beweisenden Rede.

F. G. Sorof, Zur Texteskritik der Anabasis Xenophons. Woch, f. klass. Phil. 1900 Nr. 26, 27, 29, 30, 31.

S. gibt hier eine Zusammenstellung und Rechtfertigung der Ab- weichungen des Textes seiner neuen Schülerausgabe (Leipzig 1900, Teubner) von dem Gemollscheu. Auch S. legt seiner Ausgabe die Pariser Hs C zugrunde und ist in der Beachtung der Lesarten von C vielfach noch konservativer als selbst Gemoll. An einer Reihe von Stellen, an denen es sich um einzelne Wortformen handelt, sucht er den cod. C gegen Änderungen Gemolls oder gegen abweichende Les- arten der minderwertigen Hss in Schutz zu nehmen, ebenso verteidigt er eine Anzahl von Stellen gegen den Verdacht der Interpolation. Doch ist auch S. der Meinung, daß wegen der großen Flüchtigkeit, mit welcher der cod. niedergeschrieben ist, derselbe nicht ohne Vorsicht und nicht ohne Zuhilfenahme der codd. deteriores ausgenutzt werden darf. Besonders häufig sind Formen des Artikels, Präpositionen, Kon- junktionen und andere kleinere Wörter ausgelassen; nach einer „ober- flächlichen" Zählung finden sich in 0 in den ersten fünf Büchern der anab. wenigstens 24 fehlerhafte Auslassungen des Artikels. Genauer auf die Arbeit einzugehen müssen wir uns hier versagen; jedenfalls wird man gern einräumen, daß es S. ;,immer nur um die Sache zu tun gewesen ist", und seine Anregung zu erneuter Prüfung der betreffenden Stellen mit Dank annehmen. Zu bedauern ist nur, daß die hervor- ragende Kenntnis des xenophontischen Sprachgebrauchs, die Sorof aus- zeichnet, nicht der gesamten Anabasis,' sondern nur einer in höchst überflüssiger Weise kastrierten sogenannten Schülerausgabe zugute ge- kommen ist.

F. Reuß, Kritische Bemerkungen zu Xenophons Anabasis. IV. Gymn.-Programm. Saarbrücken 1900.

Die „Bemerkungen" erstrecken sich auf sämtliche Bücher der Anab., sie sind, wie R. angibt, z. T. schon in verschiedenen Bänden der Wochenschr. für klass. Phil. bekannt gegeben in ausführlichen Besprechungen der auf Xen. bezüglichen Arbeiten GemoUs u. a. R. bezeichnet seine Arbeit als eine Nachrevision der Gemollscheu Re- vision des Xenophontextes und stellt sich vielfach in Gegensatz zu G. An seinen schon früher ausgesprochenen Ansichten betr. die Inter- polationen der Anab. (vgl. den vorigen Jahresbericht) hält R. fest und tilgt daher im Gegensatz zu G. eine große Anzahl von Stellen als Glosseme etc. Einzelnes wieder sucht er gegen G. zu retten, pag. 23

Bericht üb. d. Xenophoa betreffenden Schriften, 1899— 1902. (Richter.) 55

kommt ß. auf die Tendenz und die Abfassungszeit der Anab. zu sprechen. Allerdings verfolgt Xen. mit der anab. apologetische Zwecke, er wendet sich aber nicht an die Athener speziell. Seine Absicht ist, sich gegen sehr verschiedene Verdächtigungen und Vorwürfe zu verteidigen (so z. B., dal) sein früheres S^erhalten gegen Sparta unfreundlich gewesen, daß er sich auf Kosten der Soldaten bereichert habe, gegen die Soldaten noch während des Rückzuges brutal gewesen sei u. a. m.). Die Anab. ist erst nach dem Frieden des Antalkidas in Angrifi' genommen, aber um das Jahr 380 veröffentlicht. Einzelne Stellen besprechen

M. Fickelscheerer, Die Königsstandarte bei den Persern. Neue Jahrbb. f. kl. Alt. 1898 S. 480.

F. wendet sich gegen die allgemein verbreitete Deutung des Wortes TTeXxyi (anab. I 10, 12) als Speer. Es bedeutet vielmehr ein schildartig umiaudetes, daher einem kleinen Schild (izil-y]) nicht ua- ähnliches Brett, auf welchem der Adler mit ausgebreiteten Flügeln an- . gebracht war. Dieses Brett war an einem langen Speer dicht unterhalb der Spitze befestigt. Eine Vorstellung davon gewähre das berühmte Alexandermosaik in Pompei, wo eine solche Standarte abgebildet sei.

K. Lincke, Miscellanea. Phil. 59 1900 S. 189 will anab. I 7, 11 als Glossem tilgen.

C. Hude, Nord. Tidsskr. VIIT 1900 S. 186 schlägt in einer Besprechung von Geraolls Anab.-Ausgabe vor, anab. III 1, 21 a-opia zu lesen statt o7:o<^ia.

L. Radermacher, analecta, Rh. Mus. 1900 S. 150 stützt anab. V 3, 4 die Lesart xal IXaßov.

Die Quellenfrage der anab. wird in folgenden z. T. schon früher verfaßten Arbeiten berührt:

0. Neuhans, Die Quellen des Pompeius Trogus in der persischen Geschichte. 5. Teil. Königsberg i. P. Progr. des Kgl. Friedrichs- Kollegiums. 1896.

Gegenstand dieser Untersuchung ist Justinus V 11, wo der Bruderkrieg zwischen Artaxerxes und Kyros erzählt wird. Die für Xen. in Betracht kommenden Eigebnisse, durch die sowohl die Selb- ständigkeit wie die Glaubwürdigkeit Xen.s stark in Zweifel gezogen werden, sind folgende. Anab. I 1 4 sind ein knapper und ziemlich nachlässiger, z. T. wörtlicher Auszug aus des Ktesias Persika. Als Xen. mehr als 30 Jahre nach der Schlacht bei Kunaxa die Anabasis verfaßte, war er für das hier Erzählte, da er es selbst als Augenzeuge nicht miterlebt hatte , auf eine literarische Quelle angewiesen. Des

56 Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1899-1902. (Richter.,

Ktesias Bericht sagte ihm um so mehr zu, als derselbe seiner eigenen Parteistellung zu den Spartanern wie zu dem bewunderten Kyros ent- gegenkam. Diese Benutzung des Ktesias zeigt sich auch in den Lobes- erhebungen des Kyros I 9, 29 und sonst. Auch die Verschleierung des Bündnisses zwischen Sparta und Kyros in der anab. zeigt, daß die Rücksicht auf den Vorteil Spartas nicht ohne Einfluß auf Xen.s Darstellung gewesen ist. Xen.s Bericht erscheint dabei noch weit parteiischer für Kyros, da er wußte, daß Ktesias infolge seiner Vor- eingenommenheit für Kyros selbst vor groben Fälschungen der Ge- schichte nicht zurückgeschreckt war.

Ich füge hier gleich an die folgende Abhandlung desselben Ge- lehrten

0. Neu haus, Die Überlieferung über Aspasia von Phokaia. Rh. Mus. 1901 S. 272.

Hier zeigt N., daß die uns erhalteneu, im ganzen völlig konformen Nachrichten über den ersten Lebensabschnit der Aspasia sämtlich auf Ktesias zurückgeführt werden müssen, also auch die kurze Notiz bei Xen. anab. I 10, 2.

Daß Ktesias von Xenophon benutzt sei, auch an Stellen, wo es Xen. nicht angibt, behauptet auch

F. Krumbholz, De Ctesia aliisque auctoribns in Plutarchi Artaxerxis vita adhibitis. Gyran.-Progr. Eisenach 1889. (S. 19 22.)

Kyrupädie.

K. Lincke, Xenophons persische Politie. Phil. 1901 S. 541.

L. geht mit Konsequenz und Energie dem überlieferten corpus der xenophontischen Werke zu Leibe (vgl. meinen letzten Jahresbericht). In der vorliegenden Arbeit behandelt er hauptsächlich die Kyrupädie; daneben spricht er aber auch von der Anabasis, den Hellen., dem Ökonom, und Agesilaos, besonders noch von dem Kjmegetikos (vgl. unten). Überall findet er Spuren ergänzender oder erklärender Tätig- keit eines der Söhne Xen. 's oder des gleichnamigen Enkels. „Ansässig in Skillus und später in Korinth hat Xen. als Lehrer schlecht und recht gewirkt. Er unterhielt wahrscheinlich in Skillus eine Schule. Es war die bescheidene literarische Werkstatt eines wackeren Meisters, neben dem der Sohn Gryllos heranwuchs als fleißiger Geselle. Die Früchte ihrer Arbeit fielen dem klugen Lehrling, dem Enkel, zu, und der hat sie in Athen bestens zu verwerten gewußt" etc. In der Kyrupädie nun geht der Grundstock des ganzen Werkes, die Schilde- rung der idealen persischen Politie der Vergangenheit, auf Xen. selbst

Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1899—1802. (Richter.) 57

zurück. Zu diesem Werk hat sich ein fleißiger Leser, sc. der Sohn Gryllos, eine Anzahl kleinerer und größerer Zusätze gemacht, zunächst zn seiner eigenen Belehrung. Es sind das die Stellen, in welchen die bestehende persische Politie als der Musterstaat der Gegenwart hin- gestellt wird, meist zu erkennen an den Worten eti xal vüv. L. stellt sie zusammen auf S. 553. Gerade die entgegengesetzte Ansicht wie Gryllos hat nun der Bearbeiter und Herausgeber des Ganzen, der Enkel Xenophon, der in dem Anhang (VIII 8) seiner Meinung kräftigen Ausdruck gibt.

Fr. Beyschlag, Ein literarischer Rückzug Xenophons. Blätter für das bayer. Gymn.-Schulwesen 1901 S. 49.

B. behandelt die Stelle Kyrup. III 1, 38-40. Er ist von den engen persönlichen Beziehungen zwischen Sokrates und Xenophon über- zeugt, im Gegensatz zu der „modernen Hyperkritik" , verti-eten durch den Namen E. Richter. Eine erwünschte Bestätigung seiner Ansicht findet er in der bekannten, oft zitierten, oben angeführten Stelle der Kyrup., wo die Verhandlung des Kyros mit Tigranes und seinem Vater, betr. die Tötung des weisen Lehrers des Tigranes, geschildert wird. Denn hier wird in Form einer Allegorie das persönliche Verhältnis zwischen Sokrates (Sophist) und Xenophon (Tigranes) dargestellt. Die ganze Auseinandersetzung aber hat, wie die entschuldigende Schluß- wendung des Kyi'os zeigt (juY-fqvw'Jxs "^w ~«~pi ) den Zweck, den Urteilsspruch der Athener gegen Sokrates, wenn auch nicht zu be- schönigen, so doch zn entschuldigen, mit anderen Worten, einen Rück- zug anzudeuten gegenüber dem offensiven Vorstoß, den die zwei ersten Kapp, der Memor. gegen das Urteil eröffnet hatten. Dieser Um- schwung in der Stimmung ist notwendigerweise das Ergebnis einer längeren Entwickelung gewesen. Die Kyrup. ist daher auch nach 370 anzusetzen. Die sog. xenoph. Apologie ist unecht, da sie sich mit diesem Rücl^zug nicht verträgt,

C. F. Lehmann, Gobryas und Belsazar bei Xenophon. Beiträge zur alten Geschichte. Leipzig 1902. S. 341.

L. ist der Meinung, „daß Xen. in die Kyrupädie historische Nach- richten iu weit größerem Umfange verflochten hat, als man anzunehmen ge- wohnt ist, und daß diese Nachrichten großenteils logographischeii, vor- herodotischen Quellen entnommen sind." In der vorliegenden, kurzen Abhandlung sucht er wahrscheinlich zu macheu, daß die Erzählungen über Kampf und Verträge zwischen Chaldäern und Armeniern sowie die über des Kyros Vorgehen gegen Babylon und Sardes auf eine solche ältere Quelle zurückgehen, vermutlich auf die Persika des Dio- nysios von Milet.

58 Beriebt üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, lSl>:)-]002. (Richter.)

Hellenika.

F. Po lau d, Das Theater in Olympia. Commentationes Fleck- cisenianae. Leipz., Tcubner, 1890. S. 249 f. (zu Hellen. VII 4, 31).

Es ist bekannt, daß es sich bei den olj'mpischen Spielen nicht um musische gebandelt hat. Auch wird nirgends von einem Schrift- steller des Altertums ein Theater in Olympia eiwäbnt; die einzige Ausnahme bildet die oben angeiührte Stelle ans Xon. Hell. P. zeigt nun, daß von einem eigentlichen Theater auch hier nicht die Rede sein kann. Schon die Worte selbst: [j-s-aEu xoü ßouXeuxrjpt'ou y.ai toü xJjc 'Eaxi'ac tepou xai xou Tipoc xaüxa zpojrjXovToc Osatpou lassen eine klare Vorstellung nicht aufkommen. Auch der Gebrauch von ji-exaSü mit 3 Genetiven ist nach P. unxeuophontisch. P. schreibt nun Tipo; xouto statt TTpo; xauxa, faßt den Hestiatempel und das Theatei' als zusammen- gehörig — an der Nordwestecke der Altis , denen das pouXeuxrjpiov südlich von der Altis gegenübersteht, und übersetzt Oeaxpov mit Schaugerüst oder Zuschauerraum und zwar für ein Gymnasium , das dort schon damals bestand und an den Hfstiatempel stieß, und zwar eben an der Stelle, wo später das Gymnasium und das Prytaneura mit dem Hestiaaltar errichtet wurde, deren Reste bei den Ausgrabungen zutage getreten sind. Zwischen diesen beiden so bestimmten Punkten, im NW, und im Süden, ist dann der Einbruch der Eleer erfolgt.

C. Robert, Die Ordnung der olympischen Spiele und die Sieger der 75—83. Olympiade. Hermes 1900 S. 141.

Ausgehend von jenem Fragment einer olympischen Siegerliste der 011. 75 83, das in den Oxyrh. Pap. Bd. II p. 88 von Grenfell und Hunt herausgegeben ist, sucht R. u. a. die Reihenfolge der Agone in Olympia zu bestimmen. 1. Tag: Die drei Agone im Lauf. 2. Tag: Pentathlon. 3. Tag: Ringkampf, Faustkampf, Paukration. 4. Tag: Die Wettkämpfe der Knaben und dej- Waffenlauf. 5. Tag: Die hippi- schen Agone. Im Widerspruch mit diesen Aufstellungen findet R. nur die Stelle Xen. Hellen. VII 4, 29 xai xfjv [xev iTtTioopoixiav yjSr) iKeizoi- rjxeaav xal xa Spop-ixa xoü TrevTaflÄou ' oi o' et? TraXyjv «cptxofxevoi ouxext ev Tcö opo[JL(p, aXXa |JLexa$u xoü opo'ixou xai xoü p(u|xoü £T:aXaiov. Danach müßten die hippischen Agone vor dem Faustkampf stattgefunden haben. Da dies nun aber eben nach obigem nicht der Fall gewesen sein könne, so „ist vielleicht die Annahme nicht zu gewagt, daß hier Xen. statt ooXv/oi; den Ausdruck iiriTo6po|i.ia gebraucht habe. Noch einfacher wäre es, mit Blaß iTUTrioopojxi'av zu schreiben".

Gegen diese Vermutungen Roberts sowie gegen seine Deutung der xenophoutischen Stelle wendet sich

Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1S99— 1902. (Richter.) 59

F. Mi e, Die Festordnuug der olympischen Spiele. Phil. 1901 S. 161 f.

Th. Lenschau, Die Zeitfolge der Ereignisse von Ende Sommer 411 bis zur Arginusenschlacht. Philol. Suppl. Bd. VIU 1901 S. 301 f.

L. gibt eine Chronologie dieser Jahre, die „nahezu ausschließlich auf die zeitgenössische Darstellung Xenophons gegründet" ist, der vieles aus eigener Anschauung heraus geschrieben, hinreichend glaubwürdig ist und der Aufgabe, die er sich gestellt, eine kurze Geschichte der letzten Kriegsjahre vorwiegend vom militärischen Standpunkt zu liefern, völlig gewachsen war. Die Hellen, sind im Anfang verstümmelt, und da man nicht wissen kann, wie viel verloren gegangen ist, so ist es „offenbar unniethodisch, bei ihren Zeitangaben vom Ende des Thuky- dides aus zu rechnen".

H. Stein, Zur Quellenkritik des Thukydides. Rh. Mus. 1900 S. 531 f.

S. sucht nachzuweisen, daß Thukydides unter anderem eine gegen Ende des pelopounesischen Krieges oder bald hernach entstandene, auf Rechtfertigung und Verherrlichung des Hermokrates als sizilischen Staatsmannes, Redners und Patrioten angelegte Biographie desselben, besonders in den drei letzten Büchern, benutzt hat. Ein Exzerpt aus derselben Quelle ist auch die Stelle Xen. Hellen. I 1, 26 31. Diese Hypothese Steins von der Existenz einer solchen Hermokrates-ßiographie und ihre Benutzung durch Thuk. und Xen. sucht als wenig wahrschein- lich zu erweisen

J. Steup, Thukydides, Antiochos und die angebliche Biographic

des Hermokrates. Rh. Mus. 1901 S. 443 f.

Handschriftliches behandeln folgende zwei italienische Arbeiten: L. de Stefani, Collazioue di un codice delle elleniche di Seno-

fonte (n -- Laur. di S. Marco 330). Stud. ital. di fil. class. VI 1898

S. 229.

Nach der ed. maior Kellers. Die Hs war bisher nur bekannt durch die vv. IL, die P. Victorius an den Rand einer Aldina notiert und Dindorf in seiner Ausgabe der Hellen. Oxford 1853 (und Leipzig 1824) publiziert hatte, vgl. den vorigen Jahresbericht S. 59. Die Hs bietet manches Eigentümliche und gehört jedenfalls zu der „besseren'' Handschriftenklasse der Hellen.

L. de Stefani, I codici Vaticani delle Elleniche di Senofonte. Stud. ital. 1901 S. 237.

Es sind 4. Vat. Pal. gr. 140 saec. 14=--p, Vat. Urb. gr. 117 saec. 14 oder 15 = u, Vat. gr. 988 saec. 15 = w, Vat. gr. 1293 saec. 15 =^ W. Davon gehört p der besseren, die 3 andern der schlechteren

60 Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1899-1902. (Richter.)

Handschriften klasse an. Ihr Verhältni'* zu den übrigen Handschriften der Hellen, wird dann noch genauer bestimmt. W ist wahrscheinlich eine Abschrift von w.

Einzelne Stellen besprechen teils kritisch, teils exegetisch

T. G. Tucker, Varia. Class. Review, London 1898, S. 26 und 27.

T. vermutet I 7, 8 «pparepei; für -aTEpsc, III 2, 18 oyx eiroXejjn^- oeiev (als Desiderativ.) für oux eßo'jXsTo ]xdys.aba.i und VI 4, 24 sTravadecj- ftai für e-iXa9ea9ai.

A. Solari, Senofonte Hellenica I 6, 29. Riv. di stör. ant. Messina IV 1899 S. 466 ist exegetischen Inhalts.

L. de Stefani, Ramenta. Stud. ital. 1900 S. 489 (zu III 3, 2) verwirft Kellers Vermutung tu für toi und schlägt vor ti'f' ou vap toi ecpuaev ae etc.

K. Lincke, Miscellanea. Phil. 59 1900 S. 190

will V 3, 8 tujTrep 'A7T]atXaou ik -rjV 'Aciiav als Interpolation streichen (entstanden aus einer Reminiszenz an Hell. HI 4, 2).

H. Richards, The Hellenics. Class. Rev. 1901 S. 197 enthält sprachliche Beobachtungen zu den beiden ersten Büchern und kritische Bemerkungen zu allen sieben.

A. Solari, ad Xen. Hellen. 14, 7. Boll. di fil. class. VIII 1901 S. 112 sucht die Zeit des Erscheinens der athenischen Gesandten näher zu bestimmen .

*J. Prammer, varia. Wiener Studien 23 1901 bespricht I 7, 24.

Aporanemoneumata und Apologia. Ich führe die für uns in Betracht kommenden Arbeiten nach der Zeitfolge ihres Entstehens an.

F. Schurr, Xenophon quo consilio commentariorum Socraticorum prioribus libris tribus adiecerit quartum et qua ratione ipsius libri quarti argumentorum ordinem exeogitaverit Diss. Erlangen 1897.

Eine ziemlich dürftige und mit nicht genügender Kenntnis der einschlägigen Literatur verfaßte Abhandlung. Das 4. Euch, zu welchem ursprünglich weder das 4. noch das 8. Kapitel gehören, ist nicht gleich- zeitig mit den 3 ersten entstanden, sondern später, aus einem nicht mit Sicherheit festzustellenden Grunde von Xen. hinzugefügt; vielleicht mit Rücksicht auf andere Sokratiker, die ebenfalls über Sokr. geschrieben hatten, oder weil er das in den 3 ersten Büchern gegebene Bild des Soki*.

Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1S99- 1902. (Richter.) 61

vervollstaüdigen wollte, Sokr. als Lehrer. Vgl. über die Diss. von Kimmich im vorigen Jahresbericht. Im übrigen ist Schurr ein Gegner der Interpolationstheorie und hält die Mem. im wesentlichen für intakt. Zum Schluß gibt er eine Disposition des 4. Buches.

C. Hude, Nord. Tidsskr. VI 1898 S. 155 zu Mem. 11 3, 17 handelt über die Konstruktion und Deutung der Worte ti 7ap i'XXo f. xivouvc'Jdiic e7:t6£i;at cjo (asv ypr,Tr6; . . . eivai . . .

E. Roseuberg, Xeuophous Memorabilien cap. 1 und II in ihren Beziehungen zur Gegenwart. Neue Jahrbb. f. kl. Alt. 1899 S. 94 104.

Ein zunächst zwar nur für Zwecke des Unterrichts geschriebener, aber doch auch hier zu erwähnender inhaltsvoller und lesenswerter Aufsatz.

Ähnliches gilt von der folgenden Arbeit

P. Dörwald, Gliederung von Xenophons Memorabilien I 1 und 2. Lehrproben und Lehrgänge aus der Praxis der Gymnasien etc. Halle 1899. Heft 58 S. 86 f.

Eine bis ins einzelnste gehende „Analyse" dieser Kapitel (ohne Eingehen auf irgendwelche kritischen Streitfragen).

M. Wetze], Haben die Ankläger des Sokrates wirklich behauptet, daß er neue Gottheiten einführe? Gynin.-Progr. Braunsberg 1899.

W. sucht nachzuweisen, daß das Wort oaifioviov in der Anklage- schrift nicht substantivisch, sondern adjektivisch zu verstehen sei, die Anklage also gelautet habe, Sokr. habe neue göttliche Dinge, eine neue Art der Mautik eingeführt. In diesem adjektivischen Sinne sei das Wort auch von Plato überall, wo er von dem sokratischen Dämouium spreche, gebraucht. Die jetzt meist herrschende Auffassung des Wortes oaifiovtov ais Gottheit gehe zurück auf ein Mißverständnis Xenophons. Sokrates selbst sage in seiner Verteidigungsrede, die im wesentlichen in der sog. xenophontischen Apologie enthalten sei (W. hält also diese für echt), § 12: er nenne das, was ihm Zeichen gäbe, göttlich (für etwas Göttliches). Eben diese Stelle habe nun Xen. mißverstanden und, wie aus Memor. A 1, 3 ersichtlich, oat|j.oviov als „Gottheit" aufgefaßt und sei hierin, wenn auch zunächst seine Deutung nicht überall durch- gedrungen sei, dennoch für die Folgezeit maßgebend gewesen, besonders seitdem Plutarch die xenophontische Deutung sich zu eigen gemacht und das oaijxoviov für einen „Schutzgeist" erklärt habe. Erst Schleier- macher habe die adjektivische Bedeutung wieder zu Ehren gebracht, habe damit aber nicht überall Anklang gefunden.

62 Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1899—1902. (Richter.)

M. Wetzel, Die Apologie des Xenophon. Neue Jahrbb. f. kl. Alt. 1900 S. 389 f.

W. sucht die Einwendungen von Kaibel und vor allem von U. V. Wilamowitz zu widerlegen und spricht sich für die Echtheit der Schrift aus, die die Hauptgedanken der wirklichen Verteidigungsrede des Sokrates in schlichter Weise wiedergebe, im wesentlichen nach dem Bericht des Hermogenes. Später entstand die rein tlktive platonische Apologie. Als Xenophon diese kennen gelernt und noch andere ähn- liche Schriften gelesen, entschloß er sich, selbst eine Rechtfertigung des Sokr. zu schreiben, wofür er nun u. a, seine eigene sog. Apologie benutzte. So entstanden die Memorab. und zwar zuerst A 1 und 2, 1 8. 62—64. A 8, später sah er sich veranlaßt, mehrfach Ein- schiebungen vorzunehmen. Ich habe mich früher ebenfalls für die Echtheit der „Apologie" und für die von W. angegebene Reihenfolge der genannten xeuophontischen Schriften ausgesprochen; warum aber mit der Echtheit die Glaubwürdigkeit zusammenhängen soll, sehe ich vorläufig noch nicht ein. Ich halte die Apologie in demselben Grade für fiktiv wie die platonische.

0. Im misch. Die Apologie des Xenophon. Ebda. S. 405 sucht durch Hervorhebung gewisser sprachlicher und stilistischer Eigen- tümlichkeiten (lonismen), die nur dem Xen. zugeschrieben w-erden könnten , die Echtheit der Schrift zu erweisen. „Man müßte sonst ein Raffinement der Stilnachahmung annehmen, das für so frühe Zeit wenig wahrscheinlich ist." Als eigentlich „historischer" Bericht freilich sei damit dieser Bericht des Hermogenes-Xenophon noch keineswegs er- wiesen.

Fr. Beyschlag, Die Anklage d«s Sokrates. GjMuu.-Progr. Neustadt a. d. H. 1900.

B. sucht die Darlegungen von Schanz in seinem Kommentar zur platonischen Apologie als irrig zu erweisen. Der Wortlaut der Anklage liegt nach B. authentisch in den Memor. vor und wird bestätigt durch die als echt in Anspruch genommene Urkunde bei Favorinus. Sie weist deutlich zwei gesonderte Auklagepunkte auf Glaube und Lehre, djeßsta und politische Umtriebe , was auch in der im übrigen wahrscheinlicli unechten, jedenfalls später als die Memor. verfaßten sog. xenophontischen Apologie hervortritt. Der Hintergrund der An- klage ist im letzten Grunde ein politischer, die religiöse Außenseite dient ihr nur als Deckmantel. Plato hat den in der Klage mit unter- laufenden politischen Charakter des Vorgehens gegen Sokr. absichtlich seinem Inhalt nach unterdrückt und gibt ihm nur indirekt Ausdruck; indem er das Thema der zu widerlegenden politischen Punkte inhalt-

Bericht üb. d. Xeuuplion betreffenden Sciiriften, 1899-1902. (Richter.) 63

lieh allenthalbeu, uach seiner formalen Seite an manchen Stellen fallen läßt, vereinfacht er sich den historischen Kern der Klage, um sich damit ihre Widerlegung zu erleichtern.

A. Körner, Zu Xen. Mem. I 2, 1. Blätter f. d. bayerische öymn.- Schnlwesen 19U0 S. 412.

Ba'j[JtaaTov 'f'xi/zxT.i jxoi xai xo TistJil^vai xivac, «o; ü(uxp'iT/); to'j; veou; ot£cpilx'.(i£v. U streicht -ivac, weil Xen. hier die Gesamtheit der Athener im Auge habe und nicht eine Minderheit (wie schon I 1, 1 'AÖYivaiou;). Als Subjekt zu -stj&r^vat ist zu denken 'ASlrjvaioy;, das aus dem kurz vorhergehenden 'AÖTjvaioi leicht zu entnehmen ist.

A. Kömer, ebenda S. 640, Zu Xen. Mem. I 2, 58.

Nach einer Klage über die Rückständigkeit der Exegese der Mem. verteidigt K. Xen. gegen den ihm neuerdings gemachten Vor- wurf der Willkür im Zitieren. Die an der genannten Stelle von Xen. angeführten Homerverse (B 188 f.) hat Sokr. selbst ausgewählt, weil er für seinen Zweck eben nur sie brauchen konnte; Xen. jedenfalls hat nichts davon „weggeschnitten*. Weiter sucht R. zu zeigen, daß Xen. in dem ganzen Kap. 2 9 ff.) von Polykrates unabhängig ist; sein xa-cTj-^opoc bringt ganz andere Dinge vor als Polykr. (vgl. fragm. 221 bei Sauppe orat. att.).

K. Lincke, Miscell. Phil. 59 1900 S. 190

empfiehlt von neuem seine Konjektur zu I 1,2 «5' äp oj; 'paiY) für ■/dp (L? cpaiY] und streicht ib. § 7 als Interpolation die Worte xal xou? jjiiXXovtaf TtpoaSeiadai.

0. Siesbye, Nord. Tidsskr. VIII 1900 S. 100

teilt aus einem Briefwechsel mit Christensen Schmidt aus den Jahren 1872 93 eine Besprechung der Stelle Mem. III 6, 4 av tots axoTtüiv mit. Es handelt sich darum, ob tote bedeuten kann „damals zuerst" vgl. Mem. III 6, 11 Anab. VII 7, 14 u. a. , oder ob mit Hartmann zu schreiben ist (Lj upüJTov tote axoTCoiv.

Ch. M. Gloth and M. Fr. Kellogg, Index in Xenophontis Memo- rabilia. Ithaca. New York 1900.

Eine tieißige und für statistische Zwecke recht brauchbare, aber rein äußerliche alphabetische Zusammenstellung sämtlicher in den Mem. vorkommenden Worte und Wortformen, ohne irgendwelchen verbindenden Text. Zugrunde gelegt ist die Ausgabe von W. Gilbert (1895), doch sind die variae lectiones mit berücksichtigt.

K. Joel, Der echte und der xenophontische Sokrates. 2. (Schluß-) Band in 2 Hälften. Berlin 1901.

64 Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1899—1902. (Richter.)

Der erste Band von Joels Werk, der 1893 erschien, erregte großes Aufsehen und im ganzen weit mehr Widerspruch als Zustimmung. Handelte es sich doch für die meisten Leser darum, mit altgewohnten, liebgewordenen Anschauungen über Sokrates und seinen treuen Schüler Xeuophon zu brechen. (Vgl. den letzten Jahresber. S. 73 f.) Die in diesem ersten Baude in Angriff genommene Neuauffassuug Piatos und Xenophons ernstlich zu begründen, die Auffassuug der Sokratik umzu- schalten aus einer historischeu in eine literarische, ist die Hauptaufgabe des vorliegenden Scblußbaudes. (Eitil. S. VI.) Es gibt, beißt es dort weiter, „kein Verstehen Piatos und Xenophons ohne Antisthenes. Denn Plato (in vielen Schriften) ohne Antisthenes verstehen, heißt einen Kämpfer, einen Gesprächspartner ohne den andern verstehen, und Xenophon ohne Antisthenes begreifen, heißt zumeist die Kopie ohne das Original begreifen." Bei dem außerordentlichen Umfang, den das Werk gewonnen (1136 Seiten), und bei der ungeheuren Fülle des in ihm verarbeiteten Materials ist es, noch mehr wie bei Bd. I, ausge- schlossen, hier auf geringem Raum darüber in adäquater Weise zu be- richten oder gar zu kritisieren. Ich muß mich daher begnügen, zur all- gemeinsten Orientierung einige Ergebnisse des Joelscheu Buches hervor- zuheben, die für Xenophon von Wichtigkeit sind. (Joel' selbst legt auf den Ertrag für Plato das gleiche Gewicht wie auf den für. Xeuo- phon.) — Danach erscheint nun Xenophon philosophisch im ganzen wie im einzelnen fast völlig abhängig vom Kynisnius; aus fast allen seinen Werken klingt das Echo ky nischer Schriften, aus den Memor. nicht minder wie aus der Kyrup., aus dem Symposion wie aus dem Agesilaos u. s. f. Kynisch sind die Idealbilder Altpersiens und Altspartas bei Xcn., kynisch sind die Lehren, in denen Xen. eich selbst und sein Ideal wiedererkannte, kj^nisch die Tugenden, welche er preist und empfiehlt, kynisch die Helden, die in seinen Schriften gefeiert werden, Kyros, Agesilaos, vor allem Sokrates. Auf den Kyniker geht die Heraklesfabel (Mem. B 1) zurück, Antisthenes ist es, nicht Antiphon, dessen Protreptikos lamblichos für seinen Protr. herangezogen (und den somit Xen. in seinen Charakteristiken anab. II 6, 16 benutzt hat. VgL oben Sorof, Nomos und Physis in Xen.s Anabasis). Spät erst hat Xen. zur Feder gegriffen, lange nach des Sokrates Tode, als Sokrates selbst schon eine fast mythische Person geworden war. Dieser Sokrates ist es, nicht der historische, sondern der literarisch -fiktive, und zwar wie ihn die kynisch-antisthenische Literatur herausgebildet hat, den wir in Xen s Werken kennen lernen. Nun „rückt auch die Bedeutung der Memor. in ein ganz anderes Licht. Man braucht sich nicht mehr dagegen zu sträuben, daß sie, die doch verteidigen, fiktive Dialoge geben sollen". Ja, die Mem. sind eine Apologie, aber sie verteidigen den

Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1S99— 1902. (Richter.) 6,5

kynischen Sokrates, auf den auch Polykrates mit seiner Anklageschrift gezielt hat.

Man wird aus dem Angeführten wenigstens soviel entnehmen können, daß das Joeische Werk, sei es durch Erregung des Wider- spruches, sei es durch Erweckung des Verlangens, iu dieser Richtung weiter zu arbeiten, ungemein anregend und befruchtend auf das Studium der Sokratik und der sokratischen Schriftsteller wirken kann, und darin liegt jedenfalls ein besonderer Wert des Buches, wenn auch viele seiner Behauptungen sich als zweifelhaft oder völlig irrig erweisen sollten. Das Buch ist nicht leicht zu lesen, und es sind mir auch in deutscher Sprache nur zwei Rezensionen bekannt geworden, eine von A. Döring, Woch. f. klass. Phil. 1901 S. 617 f., und die andere von 0. Apelt, Berl. phil. Woch. 1901 S. 865 f., die sich allerdings beide ablehnend verhalten.

T. Sinko. Sokrates i Ksenofout. Eos (Leopoli) 1901 S. 145—153.

Eine polnische Abhdlg. Da ich der Sprache nicht mächtig bin, kann ich darüber nicht berichten..

H. Richards, On the Memor. of Xeu. Class. Rev. 1902 S. 270.

Kritische Bemerkungen zu 24 Stellen. Am Schluß sucht R. in etwas ausführlicherer Darlegung zu erweisen, daß das Symp. und der Ökon. nicht abgesonderte Teile der Memor.. sondern selbständige Werke seien, daß die Mem. im allgemeinen keine bedeutenden Interpolationen erlitten und im ganzen Xen. selbst für den jetzigen Zustand der Schrift verantwortlich sei und daß drittens der Vokabelschatz in den einzelnen Teilen der Mem. im wesentlichen überall derselbe ist. Auch die Form der Darstellung in ß 1 (Herkules am Scheidewege) geht auf Xen. zu- rück, nicht auf Prodikos oder einen andern.

*A. Menzel, Untersuchungen zum Sokrates-Prozesse. Wien 1902. Sitzungsber. d. k. Akad. zu Wien. Ist mir noch nicht zu Gesicht ge- kommen. Eine längere Besprechung der Arbeit findet sich im Lit. Ctrlbl. 1902 S. 333 von Thumser.

Oikouomikos.

M. Hodermann, Xenophous Wirtschaftslehre unter dem Ge- sichtspunkte sozialer Tagesfragen betrachtet. Gymn.-Progr. Wernige- rode 1899.

Die Arbeit verfolgt zwar in erster Linie den Zweck, nachzu- weisen, „daß Xenophons Ökonomikos sehr wohl geeignet ist, der Schule Material zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Belehrungen an die Hand zu geben," verdient aber wegen ihres sorgfältigen Ein- Jahresbericht für Altertumewissenschaft. Bd. CXVII. (1903. II.) 0

i\Q Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Scbriften, 1899—1902. (Richter.)

gehens auf einige Hauptthemata des Ökon. (Xenophcns Urteil über den Beruf des Landwirts, Aufgaben nud Stellung der Frau, Verhältnis der Herrschaft zum Gesinde) auch hier eine Erwähnung.

Derselbe Gelehrte hat auch eine Übersetzung der Schrift in der EeklamschenUniversalbibliothek erscheinen lassen, vgl. darüber 0. Weißen- fels, Berl. phil. Woch. 1900 p. 134.

Symposion.

A. Graf, Ist Piatons oder Xenophous Symposion das frühere? Gym.-Progr. Aschaffenburg 1898.

G. entscheidet sich mit Recht für die Priorität des platonischen Symposions. Die Gründe freilich, die er anführt, werden schwerlich jemand überzeugen, der nicht schon aus anderen Gründen dieser An- sicht ist. Die Arbeit, im wesentlichen eine Polemik gegen Hug, ist ohne Bedeutung, zumal dem Verf. beinahe die gesarate xenophontische Literatur der letzten 20 Jahre unbekannt ist.

G. Fahuberg, de Xenophonte Piatonis iraitatore. Progr. der Hansaschule zu Bergedorf bei Hamburg 1900.

F. untersucht unter diesem verheißungsvollen Titel das Verhält- nis der beiden Symposien, wie Graf ohne Kenntnis fast der gesamten Xen. Literatur der letzten Dezennien. Das Ergebnis ist, daß das xenophontische eine Nachahmung des platonischen ist, stellenweise eine Kritik enthaltend.

J. Bruns, Attische Liebestheorien und die zeitliche Folge des platonischen Phaidros sowie der beiden Symposien. Neue Jahrbb. 1900 S. 17.

"Wir wissen nunmehr, schreibt B. p. 29, dal] Xen. die erotischen Schriften Piatons (Lysias, Cbarmides, Phaidros) bis zum Symposion ein- schließlich nicht nur kannte, sondern auch literarisch auf das stärkste von ihnen beeinflußt ist. Anknüpfungspunkte zu einer polemischen Aussprache bot ihm, wenn auch nicht der Phaidros, so doch das Symp. Und zwar glaubte Xen. gegen die Reden des Phaidros und Pausanias im Symp. polemisieren zu sollen, und es ist „schwer begreiflich, daß das Verhältnis je anders aufgefaßt werden konnte". Gegen diese Reden isf das 8. Kap. in Xen.s Gastmahl geschrieben. Xen. führt die Liebe auf ethische Wertschätzung zurück, was Plato unbedingt leugnete. Xen. konstjuiert einen Eros ohne jede Beimischung sinnlicher Emp- findungen, den Plato ebenso strikt in Abrede stellt usw. Es sind Kardinalfragen, in denen beide aufeinander stoßen. Nur aus den z. T. sehr komplizierten Rückbeziehuugen auf die platonischen Liebesschriften ist ein volles Verständnis für sein Gastmahl zu gewinnen. Er hat seine

Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, ls;ni— 1902. (Richter.) (J7

Theorie dort in der Sokratesrede des 8. Kap. niedergelegt. Xen. denkt anders wie Plato.

L. Parmentier, Xen. Bauqnet VI 7. ßevue de linstruction publique en Belgique 1900 S. 244

verteidigt die überlieferte Lesart i'vwUsv [xe-; 76 ovte; gegen die von den meisten Neueren angenommene Konjektur -(t uovtec

J. Jessen, quaestiuncnlae criticae et exegeticae. Diss. Kiel 1901. Zu Xen. Symp. IV 29—32.

J. handelt über die gegenseitige Entsprechung der Satzglieder iu diesen §§ und stellt aus Gründen der Korrespondenz in § 31 die Worte IOC eXsudepti) s7:iÖY)|jLerv hinter 7£-jf£VT][ia[.

*P. Cesareo, i due simposi in rapporto all' arte moderna. Palermo 1901

kenne ich nnr aus der ausführlichen Kritik von O. Weißenfels, Berl. phil. Woch. 1902 S. 387. Danach ist es eine höchst interessante, mit umfassender Kenntnis der einschlägigen Literatur verfaßte Arbeit, die aber an Xen.s Symposion kein gutes Haar läßt. Es ist auch gar nicht von Xen., sondern stammt ans der 1. Hälfte des 3. Jahrh. v. Chr.. und zwar aus den Reihen der Feinde des Sokrates, die sein Bild zu verfälschen suchteu. Die echten Schriften Piatos und Xenophons sind darin von dem Fälscher nachgeahmt.

H. Richards, Notes on the Sj'mp". of Xen. Class. Rev. 1902 S. 293

kritische und exegetische Bemerkungen zu 4, 37. 45; 8, 1.

Hieron.

K. Lincke, Xenophons Hieron und Demetrios von Phaleroa, Phil. 189S S. 244.

L. hält den Hiero nach Inhalt und Form für unecht. Der Dialog erklärt sich unschwer mit Rücksicht auf die politischen Ver- hältnisse und die Kulturgeschichte der Stadt Athen zur Zeit seines Verfassers. Der Verf. hat die Tendenz, den freien und auf ihre Freiheit eifersüchtigen Athenern zu beweisen, daß sie wohl daran taten, sich einem einzigen Lenker des Staates in die Arme zu werfen und ihm ihre Frei- heit zu opfern. Dieser eine ist aber kein anderer als der Phalereer Demetrios, der im Jahr 317 im Auftrag Kassanders die Regierung Athens übernahm. Damit wäre denn auch die Abfassungszeit bestimmt; in der Form verrät der Dialog Übereinstimmung mit dem gleichfalls unechten Kap. Meraor. I 4.

5*

68 Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 189!>— 1902 (Richter.)

Vgl. Linckes obenerwähnten Aufsatz über die Kyi'upädie. Ich nniC gestehen, daß ich mich trotz der interessanten und lebendigen Beweisführung Linckes nicht von der Richtigkeit seiner Aufstellungei; überzeugen kann. Durch so einschneidende Maßnahmen entstehen m. E. nur neue und größere Schwierigkeiten.

Joh. Eudt, Die Quellen des Aristoteles in der Beschreibung des Tyrannen. Wiener Studien. Wien. 1902 S. 1 f. spricht auch über die Quellen, die Xen. für den Hiero benutzt zu haben scheint. Vgl. den Schluß dieses Berichtes. S. 73.

De vectigalibus.

Aem. Pintschovius, Xenophon de vectigalibus V 9 und die Überlieferung vom Anfang des phokischen Krieges bei Diodor. Gymn.- Progr. Hadersleben 1900.

P. hält die Schrift für echt, im Sommer 355, nach Beendigung des Bundesgeuossenkrieges und vor der Beraubung der delphischen Tempelschätze, von dem damals etwa 80jährigen Xen. verfaßt. Zu dieser Zeit erschienen oder waren zu erwarten Gesandte des Philomelos in Athen, und gerade die Stelle V 9 klingt wie „ein Rat an die Athener hinsichtlich der Antwort au diese Gesandte, jedenfalls bez. des Verhaltens in dieser Angelegenheit". Die Thebaner sind es, von denen alles Unheil kommt, sie haben selbst Absichten auf Delphi. (P. schreibt mit ausführlicher Begründung oTxtvej . . . y.aTaXafi.ßavsiv 3v Tis'ptuvio.) Die vorgeschlagene Aktion ist direkt gegen die Thebaner gerichtet. Freilich zeigt sich Xen. mit seinem Rat nicht gerade als einen bedeutenden Staatsmann. Auf den übrigen Inhalt der Abhandlung können wir hier nicht näher eingehen; vgl. die sehr anerkennende Rez, von Hock, Woch. f. klass. Phil. 1900 S. 869.

Agesilaos.

S. A. Naber, observationes miscellaneae ad Plutarchi vitas parallelas. Mneraos. 1899.

lu diesen obsprv. kommt N. gelegentlich auch auf Xenophon zu sprechen, so besonders bei Agesilaos (pag 305). N. sucht nachzuweisen, daß Plutarch einen vollständigeren Text des xenophontischen Agesil. vor sich gehabt und benutzt habe, als uns jetzt vorliegt; der erhaltene Aj,'esilaos des Xen. also nur ein Auszug ist.

Stockmair, Ist die Schrift Agosilaos ein Werk Xenophons? Gymn.-Progr. von Görz. 1900

kommt zu dem Ergebnis, daß der Ages. „aller Wahrscheinlichkeit nach" nicht ein Werk des Xenoph. ist.

Bericfatüb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1899-1902. (Richter.) 69

Hippurchikos und de re e<iue8tri.

Von beiden Schriften liegen nene kritische Ausgaben vor.

Xenophontis Hippavchicus sive de magistri equitum officio reo. Pins Cerocchi. Berlin, Weidmann, MCMI. (Die praefatio ist datiert Kom Septbr. 1899.) enthält Text, kritischen Apparat, einen appendix variaruni lectionum et coniecturaruni und einen index verborum.

Als Vorarbeiten hierzu

P, Cerocchi, Prolegomena ad Xen. Hipparchicum. Stud. ital. VI 1898 S. 471 sq.

P. Cerocchi, Animadversiones criticae ad Xen. Hipp. ibid. VIII 1900 S. 73 sq.

In den Prell., deren Endergebnis kurz in der praefatio der Aus- gabe angeführt ist, handelt C. von der handschriftlichen Grundlage der Schrift. Die beste der 19 in Betracht kommenden Handschriften, die C sämtlich neu verglichen hat, ist der Vat. 989 saec. XIV - 15. Nach diesem ist der Text konstituiert. Die übrigen, die alle aus einem ver- lorenen, lückenhaften und vielfach verderbten Archetypus herstammen, sind nur herangezogen, wenn in B. offenbare Fehler vorlagen. Die Zeugnisse der alten Schriftsteller (Pollux u. a.) bieten keine Hilfsmittel. In der Annahme von Konjekturen ist C. vorsichtig. Für die genauere Kenntnis des Vat. 989 verweist er auf Pierleoni Stud. ital. V p. 26 sq. und Rühl (Fleck. Jahrb. 1891 p. 53), dessen Ansichten über die Hss im übrigen als irrig zurückgewiesen werden (vgl. den letzten .Jahres- bericht pag. 84). Die animadv. enthalten Bemerkungen zu 11 Stellen, Vorschläge resp. Verbesserungen, die in der kritischen Ausgabe ver- wendet werden. Es handelt sich meist um Hinzufügung kleiner Worte (av. T£, ov, r^).

Vgl. TVoch. f. klass. Phil. 1901 p. 1278 (Gemoll, der allerlei an der neuen Ausgabe auszusetzen hat) und Berl. phil. Woch. 1902 p. 353 (Nitsche, der den Fleiß und die richtige Methode anerkennt).

Xenophontis de re equestri libellus rec. Vincentius Tommasini. Berlin, Weidmann, 1902, eingerichtet wie der Hipp, von Cerocchi, mit der Vorarbeit

Tomraasini, Prolegomena ad Xen. libellum de re equ. Stud. ital. X 1902.

Der Text beruht im wesentlichen auf den beiden Hss A (= Viudobon. IV 37 saec. 16) und B (Vat. graec. 989 saec. 14), die übrigen 18 Hss, die ebenso wie die zum Hipparch. in 4 Familien zerfallen, sind nur aushilfsweise verwendet worden.

70 Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1890—1002. (Richter.)

Nachzutragen sind hier vor allem hoch die von mir in meinem letzten Bericht auf eine unbegreifliche Weise übersehenen äußerst interessanten und fruchtbaren Untersuchungen E. Oders

De Hippiatricorura codice Cantabrigiensi. Rh. Mus. ol 1896 S. 52 mit einem

addendum ad Simonis Atheniensis fragmentum ib. S. 311 und

Anecdota Cantabrigiensia ed. et comm. E. Oder. Progr. des Friedrichs-Werderschen Gymn. in Berlin 1896.

In seiner Schrift de re eq. beruft sich bekanntlich Xen. wieder- holt auf einen gewissen Simon, der über denselben Gegenstand ge- schrieben habe. Von dieser Simonischen Schrift hat sich ein nicht un- bedeutendes Fragment in dem obengenannten Codex erhalten und ist zwar bisher nicht ganz unbeachtet gewesen (hrsg. z. B. von Blaß in einem wenig zugänglichen Buche „Über miscellaneus ed. a societate philologica Bonnensi. Bonn 1864), hat aber doch bei weitem nicht die verdiente Beachtung gefunden. Dieses Fragment nun hat Oder in der erstgenannten Abhandlung nach eigener Kollation der Hs neu herausgegeben und zeigt in der zweiten, wie Xen. in seiner Schrift von Simon abhängt, ferner daß diese Schilderung eines guten Pferdes' durch Simon und Xenophon durch das ganze Altertum festgehalten wird und von deu Spätem (Varro, Vergil, Columella, Nemesian, Oppian usw.) ausgeschrieben ist.

Kynegetikos.

E. Norden, Die antike Kuustprosa. Leipzig 1898. S. 431.

„DasProömium des pseudoxenophontischen Kynegetikos." N. ist überzeugt, daß der Kyn. nicht von Xen. selbst herrührt, aber doch aus der Zeit Xen.s stammt und schon als xenophontisch in die alexan- drinischen Kataloge eingetragen ist. Das Proömium, dem N. eine aus- führliche Besprechung widmet, ist, wie der asianische*) Stil, in dem es verfaßt ist, beweist, ein Produkt der zweiten Sophistik, d. h. zur Zeit des Kaisers Commodus entstanden. Arrian hat es wahrscheinlich schon gelesen.

Dagegen vermutet

K. Lincke, Xenophons persische Politie. Phil. 1901 S. 565 f. (vgl. oben S. 56),

"') Daß die Einleitung zu Xen.s Kyn. von einem Rhetor der asianischen Schule herstamme, hatte schon H. Usener behauptet. Götternamen. Bonn 1896 S. 158.

Beriebt üb d. Xenopbon betreffenden Schriften, 1899— 1902. (Richter.) 71

welcher ebenfalls in dem Proöinium Spuren asianischen Stiles erkennt, da(.l es in die Zeit des Anfacgs dieser Entwickelang gehört, daß es eine zeitgenössische Nachahmung des Phalereers Demetrius ist. Denn der Asianismus habe seine Wurzeln in dem Athen des Demet. von Phaleron (p. 566). Das Jagdbuch selbst ist wohl eine in Xen.s Schule in Skillns entstandene Aibeit seines Sohnes Gryllos, das Proömium , sowie überhaupt die Herausgabe des ganzen Kyn. ist dem Enkel Xenophon zuzuschreiben.

G. Pierleoni, De fontibus, quibus utimur in Xcnophontis Cyne- getico recensendo. Studi ital. di til. class. VI 1898 S. G5 f.

Handelt von den Autoren, die den Cyneg. nennen resp. exzerpieren (Arrian, PoUux etc.); von den Handschriften, von denen P. selbst 7 zum erstenmal kollationiert hat, und von den Ausgaben, die am Rande vv. 11. aus Hss Laben. Darauf wird das Verhältnis dieser Codices zuein- ander festgestellt. P. unterscheidet 2 Klassen ; die eine hat V 30 eine Lücke, die andere ergänzt sie (aTsvYiv-Trepicpcpr)), a und [1 ß zerfällt in 2 Gruppen etc. Die beste Hs ist \V (Vindob. IV 37, ol. 70, saec. 16)

Id. ibid. p. 407, Xenophontis Cynegetici capita II— III rec. G. Pierleoni.

Eine Art Probe-Rezension nach den oben angegebenen Psinzipieu. Enthält Text, kritischen Apparat, testimonia scriptorum und einen ap- pendix variarum lectioiium.

J. V. Leeuwen, Ad Xenophontis de venatione VIII 1. Mnemos. 1900 S. 435 schlägt vor, zu schreiben: e'jxt 6e, o-av [xsv e-tvitpr^ xal tq ßo'peiov etc.

H. Jackson, Xen. Cyneg. XII 6. Journ. of Phil. 55 1902 S. 136 schlägt vor, statt der Worte o-.a -co |xt)6£v in einem Wort zu schreiben 6taTO[XTjoov und übersetzt they nevertheless made it their practice to allow hunters to cross the Standing crops in pursuit of garae.

Kurz vor Abschluß des Berichtes geht mir noch die vollständige Ausgabe des Kyneg. von Pierleoni zu, eingerichtet in derselben Weise und in demselben Verlage erschienen wie die beiden hippischen Werke Xen.s von Cerocchi und Tommasini:

Xenophontis Cynegeticus rec. G. Pierleoni. Berlin 1902.

Der Text beruht auf den beiden Hss Vindob, IV 37 und Vatic. graec. 989, welche mire inter se consentientes auf einen Arche- typus zurückgehen. Die übrigen Hss, sämtlich vielfach verderbt und interpoliert, sind wertlos und kommen nicht in Betracht. Eine Ver- gleichung mit dem Text bei Sauppe (Tauchnitz, Leipzig 1866, ein an- derer stand mir nicht zu Gebote), zeigt denn allerdings einen bedeuten-

72 Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1891» - li>02. (Richter.)

den Unterschied. Zu bedauern ist m. E. der hohe Preis der neuen Ausgabe (3 M.), der ihre Benutzung vielen Jüngern unserer Wissen- schaft recht schwer machen wird.

Arbeiten über die resp. Laced. und resp. Athen, liegen nicht vor, so bleibt hier nur noch zu erwähnen

H. Richards, The minor works of Xenophon. Class. Review 1896—99.

R. hat unter diesem Titel an genanntem Ort eine Reihe von Auf- sätzen über sämtliche soj?. kleineren Schriften Xen.s veröffentlicht (vgl. den letzten Jahresbericht), die neben kritisch-exegetischen Bemerkungen besonders Beobachtungen über die Sprache, namentlich den Wortschatz, enthalten. In Bd. 13 1899 S. 342 führt er diese Untersuchungen zum Abschluß und stellt das Ererebnis derselben zusammen. Danach ergibt gicli worauf ich selbst schon in meinen Studien mit Nachdruck hin- gewiesen hatte , daß die Sprache, der Stil, vor allem der Wortschatz in allen diesen Schriften mit Ausnahme der resp. Ath. derselbe, dem Xenophon eigentümliche ist, auch in dem Schlußkapitel der Kyrup. und der Einleitung zum Kyneget.; nichts ist in ihnen allen, was Xen. nicht geschrieben haben könnte. Von diesem Gesichtspunkt aus sind sie daher alle für echt zu halten. Die gegen ihre Authentie geltend gemachten Gründe sind nicht stichhaltig, die Annahme irgend welcher Unterschiebungen unterliegt den größten Bedenken. Von dem Enkel Xen. will R. ebensowenig wissen, wie der Verf. dieses Berichtes. Ich halte die sprachlichen Beobachtungen von R. für recht beachtens- wert und bedauere nur, daß sie nicht in etwas bequemerer Art, etwa als Broschüre, zugänglich sind.

Den Schluß mögen wieder diejenigen Arbeiten machen, die das Verhältnis späterer Schriftsteller zu Xen. zum Gegenstand haben.

P. Krumbholz, De Ctesia aliisque auctoribus in Plutarchi Artaxerxis vita adhibitis. Gymn.-Progr. Eisenach 1889.

K. spricht auf S. 19 22 „de Xenophonte Plutarchi auctore" und zeigt, daß Plutarch die Anabasis für die genannte vita benutzt hat, vgl. oben S. 56.

Th. Büttner- Wobst, Die Abhängigkeit des Geschichtsschreibers

Zonaras von den erhaltenen Quellen. Commentationes Fleckeisenianae.

Leipzig 1890, Teubner. S. 136

Bucht u. a. eine Benutzung der Kyrupädie durch Zonaras zu erweisen.

R. Dippel, Quae ratio intercedat inter Xenophontis historiara

graecara et Plutarchi vitas quaeritur. Diss. Gießen 1898

kommt schließlich zu dem Ergebnis, daß Plutarch hauptsächlich in

Bericht üb. d. Xenophoa betreffenden Schriften, Ib'jy— 19Ui'. (Richter.) 73

seinem Leben des Alkibiades und Agesilaos die Hellenicu Xenophons unmittelbar benutzt hat; duneben freilich auch den Theoponip und Ephorus, die ihrerseits selbst wieder von Xen. abhängig sind.

Vgl. die ausführliche Rez. von M. Pohlenz, 13erl. phil. WocIl 1899 S. 579.

U. Imniisch, Die ^Apologie Xenophons. Neue Jahrbb. 1900 S. 406. Vgl. oben S. 51 und 62.

Joh. Endt, Die Quellen des Aristoteles in der Beschreibung des Tyrannen. Wiener Studien. Wien 1902. S. 1 f.

Aristoteles hat, wie E. zeigt, in der Darstellung über die Ty- raunis die ihm vorliegende Literatur benutzt. In dem Teile, wo er über die Erhaltung der Gewaltherrschaft spricht, konnte er Plato zwar nicht benutzen doch hatte er auch auf diesem Gebiete Führer, dies beweist der Hiero des Xenophon sowie Stellen aus Euripides und Isokrates usw. Endt weist die zahlreichen Beziehungen der aristotelischen Politik zu der genannten xenophontischen Schrift, aber auch zu anderen, nament- lich der Kyrupädie, nach und läßt nur zweifelhaft, ob der Stagirite Xe- nophon selbst oder etwa eine gemeinsame Quelle benutzt hat. Mir scheint der Annahme, daß Aristoteles die xenophontischen Schriften ge- lesen, nichts entgegenzustehen. Allerdings bleibt dabei die Tatsache, daß er Xenophon nicht iieunt, in ihrer ganzen Bedeutsamkeit bestehen. Für uns ist die interessante und jedenfalls noch recht erweiterungsfähige Abhandluu<]j noch besonders aus dem Grunde von Bedeutung, weil Endt darin auch vielfache Beziehungen zwischen dem Hiero und Isokrates aufdeckt und damit der Quellenfrage für Xenophon nahetritt. Vgl. meine Xenophonstudien S. 145 f.

Jahresbericht über Herodot 1898—1901

J. Sitzler

in Tauberbischofsheim.

1. Handschriften und Ausgaben»

Die Papyrusfunde der letzten Jahre waren auch für Herodot nicht ganz ohne Ertrag.

B. P. Grenfell and A. S. Hunt, The Oxyrhynchos Papyri. With eight plates. London 1898 bringen als Nr. 3 der 3. Abteilung Fragmeute aus Herodot I 105 flg. und I 76: jedoch sind dieselben nur gering und für die Textkritik ohne Belang.

"Wichtiger ist der folgende Band:

B. P. Grenfell and A. S. Hunt, The Amherst Papyri. Part II. London 1901.

Das 12. Fragment trägt die Unterschrift: Aptotapyou [tk 1:0] HpoooTou a Giiojxvrjixa. Von dieser Schrift des berühmten Grammatikers wußte man bis jetzt nichts. Das erhaltene Stück stammt aus dem 3. Jahrh. n. Chr. und ist offenbar nur ein recht dürftiger Auszug aus dem ursprünglichen Werke; denn von 1194: ovoj Cu>? es^iv (sie) springt es über auf 215: ä'viTrnot. Übrigens sind diese beiden Stellen bemerkens- wert; Ctu» ist die Lesart von R, und die Bemerkung zu 215 lautet oviTC7:[oi oujyi, [aXJXa afxiTiTcoi, eine andere Lesart, wie Bekk. anecd. p. 205 zeigt, worauf die Hrsg. verweisen. Nach dieser Probe zu schließen, kann man den Verlust des aristarchischen Kommentars nur bedauern.

An neuen Auflagen ist zu erwähnen:

Herodotos erklärt von H. Stein. I. Band. 1. Heft. Buch 1, 6. Auflage. Berlin 1901.

Die Einleitung über Herodots Leben und Werk ist vielfach be- richtigt und vervollständigt; besonders ist ein neuer Abschnitt (31)

JaLresbeiicht über Herodot ISO.S- 1901. (Sitzler.) 75

über die in die Erzählung oingelegten Reden und Gespräche hinzu- gekommen. Die Darlegungen über den Dialekt des Geschichtsschreibers sind vollständig umgearbeitet. Auf diese werde ich in dem Abschnitt über Grammatik zurückkommen; hier will ich nur noch einige Ver- besserungen hervorbeben, die der Text des 1. Buches durch die wieder- liolte Bearbeitung des tüchtigen Herodotkenners erfahren hat.

Kap. 49, 2: 7.ara os rr)v 'A[X(p'.ap£ti> [toü fi.avrr,iou] u:i:oxp!3iv, der sonstigen Gewohnheit des Herodot entsprechend. 65, 24 flg.: [\iezk

oi euTTiae Auxoüp7o;] , offenbar späterer Zusatz, der nach dem

vorhergehenden Satze stört 67, 12: s-efi-ov aZ-zn ff)v i; <^tXrfO'Ji Tov> i^söv e-£tp7)jofjL£vouc, wie es scheint, in Anlehnung an VII 148, wo aber ~r^•^ fehlt-, richtiger wird man ttjv I; dsov als unnötigen Zusatz ausscheiden. 82, 39: xoixav <£vo(xiaav>; besser Y.o\t.(ösi st. xojxäv; jedenfalls richtig, daß xo|jl5v nicht von vo^lov sQevto abhängen kann. 93, 1: f; A'joiT) st. 7^ AuSiY), das Schäfer in ^rj y) Auoi'y] änderte; Herodot hat nnr Auoiy) oder fj AuotVj. 144, 3: ^üXadüovca; aivw? fx.r,oa}j.o'jc Ejoscaabat st. cpuXaTJovxai «uv; leichter ist cpuXaajovTai <oc fx.., wie ich unter Verweisung auf Xenoph. Anab. VII 6, 22 vorschlug. 150, 9: TTonf]3avTcüv oi taüia [üfxupvatujv], wozu bemerkt wird; üfiupvaicov ist eine alte Kandergänzung zu -a zK'-.la. 153, 19: i-elys. [t£]; richtiger i-Ktiyt tote. 194, 10: aXXa aanioo; Tpojrov xuxXoTEpEa tto'.y^- (javTEs xai xaXa[XTf)c TrXrjdavTE? [ttäv to zAgIov touto] (Jirisrii xara töv rotaixov ^spEjftai, «popTituv -XyjjavTE», was wegen der beiden -Xrjiavre; weniger genügt. Ich vermute -Xy^aav-E? -av t6 xoIXov oyttu (mit Gom- perz) airtEiJi .... cpoptituv £;:ivr,3!zvT£; ; ZU cpoptiuiv sTTtv^sai vgl. Aristoph. eccles. 838. Im übrigen vgl. meine Anzeige in der N. Philol. Rund- schau 1902 S. 265 flg.

II. Kritische und exegetische Beiträge.

1. Text. Mit der Erklärung und Verbesserung des Textes beschäftigen sich:

1. M. L. Earle, Encore Herodote I 86. Rev. phil. 1898 S. 182 flg.

2. J. Keelhoff, Encore Herodote 186. Rev. phil. 1898 S. 304 Üg.

3. T. G. Tucker, Herod. II 8, 1. 22, 2. 25, 1. 39, 3. 78, l. 111, 3. 116, 1. I 33. Class. Rev. 1898 S. 28 flg.

4. H. Richards, Herod. IX 122. Class. Rev. 1898 S. 29.

5. G. Selchau, Zu Herodot (VII 144. VIII 11. IX 103). Nord. Tidsskr. f. Filol. VII S. 122 flg.

6. 0. Siesbye, Textkritische und exegetische Bemerkungen zu Homer, Herodot usw. Nord. Tidsskr. f. Filol. VIII S. 89 flg.

76 Jahresbericht über Herodot 1898—1901. (Sitzler.)

7. C. Hu de, In Herodotum V 72. Nord. Tidsskr. f. Philol. IX S. 112. (IX 98. 101. Ebenda 1897 S. 125.)

8. P.Petersen, Ad Herodotunn^VI 52. VII 145. 1X14). Nord. Tidsskr. f. Filol. IX S. 138 flg.

9. K. Liucke, Miscellanea (Herod. I 138. VII 104), Philol. .J9 S. 186 flg.

10. E. Nestle, Zu Herodots Erklärung der Namen Darius und Xerxes (VI 98). Berl. phil. Wochenschr. 1901 S. 1115 flg.

11. U. V. Wilamowitz, Herod. VII 178. Nachr. d. kgl. Gesellscb. der Wissensch. zu Göttingen 1897 S. 325 Anm. 1.

12. E. Schwartz, Herod. VIII 73. Hermes 1899 S. 445. Von den geraachten Vorschlägen sind folgende erwähnenswert.

Die vielbehandelte Stelle II 22, 1 : -/.(üc uiv or^-ua (tioi av a-o yiovoc öltzo Twv B£p[JLOTaTü)v p£(uv I? toL tj>u/poT£pa Tüiv Tri zoXX« £3X1 av8pi ^E Xo'^i^sffOai ToiouTcüv T:£pt o(m EovTt, u)? ouSs oixoc xtX. wlJl Tucker durch die Schreibung: «j^u/poTspa; xtuv t' «tto o^Xa esti heilen. Die Anastrophe bei duo kommt bei Herodot nur II 6 vor, und x' paßt nicht. Früher schlug ich 7vcup.axa st. xöiv xa vor; jetzt glaube ich, daß aujxßoXaia (vgl. V 92, 7) hinter tcoXXoc ausgefallen ist, und lese i{>u-/poxcpa; xü>v xai TToXXot <iTup,p6Xaia> sjxi .... eovti, cuc <te>- ouoe xxX. II 39 verlangt derselbe xoivt^ st. y.s.vrq; recht ansprechend, aber vgl. zu xecpaX?) xEi'vr] Kap. 40: xotXir,v xeivt)-/. II 78 weist Tucker Sitctj/'jv, das die Hs- Klasse a, offenbar als Verschreibung infolge des vorher- gehenden 7:/j-/uavov bietet, mit Recht zurück; er korrigiert ot;:ouv, wofür auch oiTcXo'jv der Hs-Klasse 3 spricht. VII 172 hat man vielfach an ou ßo'jXo[jL£voi Anstoß genommen, das Stein für ein Versehen st. [jl9j ßouX6}jL£voi erklären möchte; zur Rechtfertigung der Überlieferung ver- weist Siesbye aufHom. x 573: oux KlEXovxa. Eur. Androm. 382: crou o' ou d£Xou3rjc xaT^avETv, x6vo£ xx£v<T). Thuk. IV22: ou xuyo'vxEc Demosth. XV 25 ou oi'xaia Troioüvxa. VII 178 hat die eine Hs-Klasse ik>^,]i, die andere i>uiy)?, bzw. öuyjc; danach vermutet Wilamowitz ev Suitjci, vielleicht mit Recht. VIII 73 ist überliefert dpuoTituv os 'Epixituy xe xat 'AoivYj f( Tipos Kapoa|j.uX7j tq Aaxtuvix/^. Dies bezeichnet Schwartz mit Recht als unhaltbar; aber was er für möglich hält: 'Aai'vY) f, irpöc <:x«) xoXttu) Tio OoupiaxYjxi (sie) xai> Kapoa[j.uX7) r^ A. ist ebenso unhalt- bar; denn Kardamyle ist keine Stadt der Dryoper.

Zum Schlüsse nenne ich noch

H. M. Blaydes, Adversaria in Herodotum. Halle 1901, ein Buch, in dem Altes und Neues, Eigenes und Fremdes in bunter Fülle geboten wird, unter vielem Überflüssigen und Unbrauchbaren findet sich auch manches Gute.

Jahresbericht über Herodot 1S98— 1901. (Sitzler.) 77

2. Grammatik and Lexikologie.

Die wichtigste Frage ist hier die nach dem von dem Geschichts- schreiber angewandten Dialekt, über welche sich die Gelehrten bisher immer noch nicht einigen konnten. Die einen wollen die Sprache Herodots, da er ja ein ionischer Schriftsteller sei, nach den Inschriften ummodeln; die andern, zu denen auch ich gehöre, nehmen für Herodot dasselbe Recht in Anspruch, das für die andern Schriftsteller gilt, nämlich, dall für die Feststellung seiner Sprache die hd. Überlieferung maßgebend sein muß, neben welcher den Inschriften nur eine unter- geordnete Bedeutung zuerkannt werden kann.

Mit der Erörterung dieser Frage befassen sich:

1. M. Fuochi, De vocalium in dialecto lonica concursu obser- vatiunculae. Florenz und Rom 1899.

2. 0. Hoffmann, Die griechischen Dialekte. B. Band: Der ionische Dialekt. Quellen und Lautlehre. Göttingen 1898.

3. A. F ritsch. Zur Konstituierung des Herodotischeu Dialekts. Verhandlung der 45. Versammlung deutscher Philologen und Schul- männer in Bremen 1899. Leipzig 1900. S. 158 flg.,

wozu noch H. Stein in der 6. Aufl. des 1. Buches seiner kommen- tierten Herodotausgabe S. LV flg. kommt.

M. Fuochi hat im Jahre 1894 in Studi italiani S. 209 flg. eine inhaltreiche Abhandlung: De titulorum louicorum dialecto veröflfentlicht, vgl. Jahresb. Bd. 83 S. 49 flg. Berücksichtigte er damals nur die Inschriften, so stellt er in der vorliegenden Unlersuchang das, was sich aus den Inschriften für die Vokalkontraktion im Ionischen ergibt, mit den entsprechenden Lehren der Grammatiker zusammen , um zu sehen, inwieweit sie miteinander übereinstimmen oder voneinander abweichen. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, daß sich bei den Grammatikern viel Unrichtiges und Verkehrtes flnde. Die Anwendung dieser Sätze auf Herodot macht er nicht, sondern stellt über die hd. Überlieferung dieses Schriftstellers besondere Studien in Aussicht.

0. Hoffmanns groß angelegtes Werk über den ionischen Dialekt verfolgt den Zweck, die gemeinsamen charakteristischen Eigentümlich- keiten dieser Mundart klarzulegen. Bis jetzt liegt nur die eiste Hälfte vor, die Quellen (S. 1 212) und die Lautlehre (213—626) umfassend; übrigens teilt H. die Quellen nur in Auswahl mit, zunächst die In- schriften, dann die Dichter. Bei der Bosprechung der Quellen äußert er sich auch über die hd. Überlieferung Herodots (S. 187 flg.). Sein auf S. 208 flg. entwickelter Grundsatz läßt sich kurz dahin zusammen- fassen, wo die Texte der ionischen Schriftsteller im Dialekt mit den

78 Jahresbericht über Herodot 1S98— 1901. (Sitzler.)

Inschriften nicht übereinstimmen, müssen sie nach diesen abgeändert werden. Beifügen will ich noch, daß 11. auch die herkömmliche Drei- teilung des ionischen Dialekts in die Mundart Eubüas, der Kykladen und der kleinasiatischen Dodekapolis verwirft, da sie einer ausreichenden Begründung ermangle; auch Herodots Annahme von vier Sprachgruppen io der Dodekapolis läßt er nur für die Volkssprache zu ; die gebildeten Kreise der Dodekapolis hätten sich hinsichtlich der Sprache kaum von- einander unterschieden.

Von ähnlichen Voraussetzungen ausgehend, verlaugt A. Fiitsch im Dat. Sing, der I-Deklination -st, von Xajxßavw die Formen Xat|<o|xat nnd EXatpörjv, im Femin. der Adj. auf u? die Endung -sTa. überall Spiritus lenis und v etpeXxua-cixov, im Genet. Sing. v£r|Vi(u Ilaujaviw Mapauw, in ypaco und xp^o^»-*^ überall tj usw. Diese Änderungen nahm er auch in seine bei Teubner in Leipzig im Jahre 1899 erschienene Schulausgabe der Bücher V— IX auf, gerade als ob sie schon so über jeden Zweifel erhaben vpären, daß man sie sogar in die Schulen einführen könnte.

Wie stellen sich nun diese Annahmen zum wirklichen Sachverhalt? Wer den Herodot-Text nach den ionischen Inschriften verbessern und berichtigen will, der muß zuerst den zwingenden Beweis erbringen, daß Herodot ein reines, ungemischtes Ionisch schreiben wollte und auch wirklich geschrieben hat. Dieser Beweis ist bis jetzt nicht erbracht und kann auch schwerlicii jemals erbracht werden. Die Grammatiker überliefern ausdrücklich, daß sich urser Geschichtsschreiber einer {iEfjLqixEVY) , ttoixiXtj 'la? bedient habe, vgl. die Zusammenstellungen bei Bredov, Quaest. crit. de dial. Herodotea S. 4 flg. oder bei Stein a. a. 0. S. XL VII flg., und mit diesen äußeren Zeugnissen stimmen die aus dem Geschichtswerk selbst entnommenen überein. Stein hebt S. LVIII den Lautwandel von naturlacgem a in y), das Fehlen des Spiritus asper, den guttural anlautenden Pronominalstamm xo, den Diphthong wu, die mit t anlautenden Formen des Relativpronomens o? und die vielfache Offenhaltung zusammenstehender Vokale als besonders charakteristische und kritisch sichere Besonderheiten der herodotischen Sprache hervor und zeigt, daß von diesen Besonderheiten die erste auf den Inschriften der drei Gruppen des lonismus, die zweite auf den Inschriften der asiatischen Dodekapolis, die vier andern auf keiner ionischen Inschrift erscheinen. Folgt daraus nicht unwiderleglich, daß Herodots Sprache von dem inschriftlich bezeugten ionischen Dialekt verschieden, mithin keine gesprochene Mundai't, sondern eine literarische Sprache ist? Und dies wird noch dadurch bestätigt, daß sie, wie Steia S. LlXflg. nachweist, mit der Sprache der ionischen Dichter und Prosaiker des 7. bis 5. Jahrhunderts v. Chr. in den oben erwähnten sechs charakteristischen Merkmalen übereinstimmt.

Jahresbericht über Herodot 1S9S— 1901. (Sitzler.) 79

Man siebt aus diesen Darlegungen, wie gering der Wert der ionischen Inschriften zur Herstellung der wahren Mundart Herodots ist; wichtiger sind schon die Literaturdenkmäler der ionischen Schrift- steller der alteren Zeit; die Hauptsache aber ist und bleibt die richtige Verwertung und Ausnutzung der Hss. Man muß sich immer gegen- wärtig halten, wie nahe bei der Abschrift und Korrektur des Textes einerseits die Abirrung; zur gewöhnlichen Form, anderseits die Einsetzung einer Analogieform lag. Wo die beiden Hss-Klassen hinsiclitlich einer sprachlichen Eigentümlichkeit übereinstimmen, ist jeder Zweifel über deren Kichtigkeit ausgeschlossen; Meinungsverschiedenheit kann nur da entstehen, wo sie voneinander abweichen. In Fällen, wo berodotische Formen gewöhnlichen gegenüberstehen, ist den ersteren der Vorzug zu geben, auch wenn sie nur au einer oder ein paar Stellen sicher be- glaubigt sind. Die offenen Formen, die sich auch bei den ionischen Dichtern und Prosaikern linden, hält Stein nur für graphisch, nicht phonetisch verschieden von den zusammengezogenen. Ich glaube, daß man diese Eigentümlichkeit Herodots richtiger als eine Anlehnung an das Epos, dessen Einfluß bei unserem Geschichtschreiber nicht zu ver- kennen ist, erklären wird. Das v e'f eXxüj-ixo'v hat Herodot ohne Zweifel gemieden; nicht zu rechtfertigen ist aber die Einführung des Spiritus lenis statt asper in das berodotische Geschichtswerk, trotzdem die Psilosis feststeht. Will' man Herodots eigene Schreibweise herstellen, 80 muß man Spiritus und Akzent weglassen; mag man sich dazu nicht entschließen, so muß man bei der Überlieferung stehen bleiben; denn es läßt sich nicht beweisen, daß mit dem Schwinden des H-Lautes auch der Spiritus asper aus der Schrift verschwinden mußte; das graphische Zeichen konnte sich, wie wir auch tatsächlich sehen, erhalten. Mit den Impersonalien beschäftigt sich

A. Dießl, Die Impersonalien bei Herodot. Progr. Wien 1899,

eine Arbeit, die nur als Stellensammlung Wert hat. Das Thema selbst ist, was der Verf. allerdings nicht weiß, schon von A. St. Miodonski, De enuntiatis subiecto carentibus apud Herodotum. Diss. Krakau 1886, eingehend behandelt, vgl. Jahresb. Bd. 58 S. 250 flg. Eine tüchtige Arbeit über den Dativ liefert

R. Helbing, Über den Gebraucli des echten und soziativen Dativs bei Herodot. Diss. Freiburtr 1898 und Der Instrumentalis bei Herodot. Prcgr. Karlsruhe 1900.

Er hat das Material mit großem Fleiß zusammengetragen und dabei auch die Überlieferung und die neuere Literatur berücksichtigt. In der Anordnung und Auffassung der sprachlichen Erscheinungen folgt er der bewährten Führung Delbrücks. Besondere Anerkennung ver-

80 Jaliresberidit über Herodot 1808-1901. (Sitzler.)

dient es, daß er die Sprache Herodots stets mit der der früheren und späteren Schnftsteller in Beziehung- setzt, so daß man jederzeit, darüber unterrichtet ist, welche Stellung der herodotische Sprachgebrauch dem allgemeinen Sprachgebranch gegenüber einnimmt. Mit den Entscheidungen, die der Verf. in grammatischer und textkritischer Hinsicht fällt, kann man fast immer einverstanden sein; wenn er aber IV 10 xo 6f| fxoüvov IxTjXovK^aaabat zf^ {xr^-pt Sxufhjv als zusammenfassenden AbschlnB der ganzen Erzählung vorschlägt, so übersieht er, daß rau-ra rA 'EXXr|Vu>v xrX. als solcher unmittelbar folgt. Mir scheint der Satz aus einer am Rande nachgetragenen Auslassung nach ETrixeXeaavT« entstanden und an un- rechter Stelle eingeschoben zu sein; ursprünglich hieß es etwa: emteXe^avTa, To fi,7)yaviQaaaf)at tt)v jxrjTepa, [jlouvov xaTaiieivai Iv ty) '/(upv). Nachzutragen sind oi}i,(u(:£tv VII 159 und dvtaa&at IV 130 und V 93; beide Wörter spricht der Verf. dem Herodot ab,

ITber den Unterschied zwischen dem griechischen Genetiv und Dativ auf die Frage wann? handelt Chr. Wirth in den Blättern für Gymnasial-Schulwesen 1898 S. 852 flg. Er faßt das Ergebnis seiner Untersuchung folgendermaßen zusammen; „Auf die Frage wann? setzt der Grieche den Genetiv, wenn ein anderes Substantiv als Gegensatz gedacht wird, dagegen den Dativ, wenn das nämliche Substantiv nur eben mit einem andern adjektivischen Attribut als Gegensatz gedacht wird." Als wichtigste Beweisstelle führt er Herod. 11 47 an; IeXy^vtj 6s xai /Atovuatp [xouvotai toü auxoü -/povou xt] «uxt^" TravssXTQVfü xoy» uc t%aavxe? Traxeovxat xtov xpstüv, was er erklärt: zur nämlichen Zeit (im Gegensatz zu: an dem nämlichen Ort) an dem nämlichen Vollmond (im Gegensatz zu: an verschiedenen Vollmonden).

M. C. P. Schmidt, Jahrb. f. Philol. 1897 S. 623 flg. sucht zu erweisen, daß xaxa xi ,.senkrecht zu" bedeuten kann. Zu diesem Zweck führt er auch drei Stellen aus Herodot an, nämlich VII 176: loio[).-i]zo xeiyo? xaxa xauxac xa; IjßoXa;: „im rechten Winkel zur Paßstraße", VII 216; xsivet r) 'Avouata aZxr^ xaxa pa/iv xoü oupeo?: -senkrecht durchschneidet der Weg den Grat" und VII 36: xoü pisv riovxou £7:ixap3iac, xoü oe 'EXXr)!j-6vxou xaxa poov: ,,die eine Reihe lief im schiefen, die andere Reihe im rechten Winkel zur Strömung". Ich kann der Erklärung des Verf. an keiner der drei Stellen beistimmen; VII 176 gibt xaxa' den Ort an, wo die Befestigung angelegt ist, VII 216 den Ort, über den sich der Weg hinzieht, und VII 36 steht xaxA p6ov wie sonst: nach, parallel der Strömung.

Jahresbericht über Herodot 1898—1901. (Sitzler.) 81

B. Geschichte und Geograpliie.

Die Forschuuy auf dem Gebiete der alten Geschichte und Geo- graphie wurde in den letzten Jahren , durch die Ausgrabungen an- geregt, mit großem Eifer betrieben und führte zu glänzenden Ergeb- nissen, die auch für die Erklärung und Beurteilung Herodots von Wichtigkeit sind.

Mit der Geschichte Lydicns beschäftigen sich: *1. J. V. Pra.^ek, Lydiaca I. Die lydischen Mermnaden und Herodot. Ceske Mus. Filolog. VI S. 161 flg. 241 flg.

1. G. Egelhaaf, Der Sturz der Herukliden und das Aufkommen der Mermnaden. Vortrag, gehaltoi auf der 40. Philol.- Versammlung in Strasburg 1901. Wochcnschr. f. klass. Philol. 1901 S. 1299 flg.

3. J. Oppert, H6rodote et l'orient antique. Mölauges Weil. Paris 1898. 29. Abhandlung.

4. C. Niebuhr, Einflüsse orientalischer Politik auf Griechenland ' im 6. und 5. Jahrhundert. Berlin 1899.

Egelhaaf veisucht. die Vorgänge bei dem Wechsel der lydischen Dynastie, für die es an inschriftlichen Zeugnissen fehlt, durch eine soigfältige Untersuchung und Prüfung der literarischen Quellen auf- zuhellen. Herodots Berfcht I 8 13 nennt er ein Meisterwerk einer charakterisierenden Erzählung, die aber so vollständig auf des Schrift- stellers Auffassung von der Hj^'is beruhe, dal.l sie als historische Unterlage nicht zu verwerten sei; Justinus I 7 beschränke sich darauf, die herodotische Vorlage in oberflächlicher und plumper Weise wieder- zugeben. Als Ergebnis seiner Forschung stellt der Verf. fest, 1. daß der Thronwechsel jäh erfolgte , indem der letzte Heraklide durch Meuchelmord fiel, 2. dal.! der Mord von einem dem König nahestehen- den Manne («einem Lanzenträger ") ausging, 3. daß die Königin wie? ist fraglich bei der Sache beteiligt war und von dem Mörder zur Ei'langung einer Art von Legitimität geheiratet wurde, 4. daß die Anhänger der Herakliden sich nicht sofort unterwarfen, sondern zn den Waffen griffen, 5. daß der Krieg zwischen den beiden Parteien durch einen Schiedsspruch des delphischen Orakels beigelegt wurde, und 6. daß dieser Schiedsspruch zugunsten des Usurpators Gyges ausfiel und der Grund für die griechenfreundliche Politik der neuen Dynastie war.

Nach Herodot regiert Gyges 38 Jahre; dies kann aber nicht

richtig sein, da er nach einer assyrischen Inschrift im Jahre 663 an

Sardanapal eine Gesandtschaft schickte. Daher vermutet üppert, daß

ihm die 57 Jahre gehören, die Herodot dem Alyattes gibt. Alyattes

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVII. (1903. II.) 6

82 Jahresbericht über Herodot 1S98— 1901. (Sitzler.)

regierte nach dem parischen Marmor 49 Jahre, also die Zeit, die bei Herodot der Regierung des Ardys zugewiesen wird. Daraus schließt Oppert, daß die Angabe der Regierungsjahre der einzelnen lydischeu Könige bei Herodot in Verwirrung gekommen sei , wenn auch die Ge- samtsumme ihrer Regierung richtig sei. Er selbst ordnet sie folgender- maßen: Gyges 57 Jahre, also 712—655 (bzw. 716—659), Ardys 38 Jahre, also 655—617 (bzw. 659—621), Sadyattes 12 Jahre, also 617—605 (bzw. 621—609), Alyattes 49 Jahre, also 605—556 (bzw. 609—560), Krösus 14 Jahre, also 556—542 (bzw. 560 546).

Niebahr untersucht im 1. Teil seiner Schrift das Verhältnis der kleinasiatischeu Griechen zu den lydischen Herrschern. Er glaubt, daß die ersteren von den letzteren schon viel fiüher unterworfen wurden, als Herodot berichte. Fehlen schon für diese Annahme beweiskräftige Gründe, so ist es geradezu unverständlich, wie der Verf. dazu kommt, zu behaupten, der Herod. V 94 flg. erzählte Krieg um Sigeion sei zwischen Periander , dem Oberherrn von Attika, und den Lydiern, den Herren von Lesbos, geführt worden. Der 2. Teil der Schrift sucht die Beziehungen der lydischen Könige zu Delphi zu ermitteln; aber auch hier fehlt es nicht an abenteuerlichen Behauptungen, So meint der Verf., die von Herodot I 14 und 50 flg. erwähnten Weihegeschenke des Gyges und Krösos stammten nicht von diesen Königen, Sondern seien während des ionischen Aufstandes von den Alkmeoniden den Herod. V 97 genannten Melanthios hält er nämlich für einen Alk- meoniden -- aus dem Tempel der Branchiden bei Milet geraubt und Dach Delphi gebracht worden, wo sie von der Priesterschaft fälschlich als Geschenke jener Herrscher ausgegeben worden seien; zur literarischen Verbreitung dieser Legende hätten sich die Priester des Herodot, der die Interessen des delphischen Heiligtums nach dieser Seite hin ver- treten habe, bedient.

Die Geschichte der alten Phryger berührt

H. Win ekler, Altorientalische Forschungen. 2. Reihe, Bd. H (1899) S. 193—400. Leipzig 1900 und Die Völker Vorderasiens. Leipzig 1899.

Er identifiziert den Phrygerkönig Midas (Herod. I 14 flg.) mit dem in den Siegesberichten des assyrischen Eroberers Sargon erwähnten Mita, König der Muski, und vermutet, daß die indoeuropäischen Phryger, die von Thrakien nach Kleinasien einwanderten, die Moscher über- wunden, die alte Heri'schaft der Hettiteu gestürzt und dann selbst deren Stelle eingenommen haben.

An der Spitze der Arbeiten über Assyrien und ßabyloniea verdient

Jahresbericht über Herodot ls;iS— 1^101. (Sitzler.) 83

M. Jastrow, The religion of Babylonia aud As«yria. Boston 1898 genannt zu werden, ein Werk, welches das gesarate Religionswesen der Assyrer und Babylonier nach dem Stanrl der jetzigen Forschung zur Darstellung bringt.

Den Fall Ninives bespricht

Th. Friedrich, Festijabe zu Ehren M. Büdingers. Innsbruck 1898. Zweite Abhandlung, in eigener Weise. Er gehl von der Vernintung aus, dalJ der Bach Choser zur Zeit der Blüte des assyrischen Reiches nicht, wie man ge- wöhnlich annehme, mitten durch die Stadt geflossen, sondern von Sanherib in einem wohleingedämmten Kanal außerhalb der Stadtmauern in den Tigris geleitet worden sei, damit ci- durch Überschwemmungen keinen Schaden in der Stadt und im Palaste anrichten könne. Trotzdem habe dieser Bach einmal bei hohem Wasserstande, wie aus Nahum 2, 9. das ein vaticinium ex eventu sei, hervorgehe, die Dämme durchbrochen und die Stadt unter Wasser gesetzt. Zu gleicher Zeit habe der Blitz in den Palast und das Zeughaus geschlagen und diese Gebäude zerstört. Infolgedessen sei der König, der seine Residenz nach Chalah verlegt habe, nicht mehr imstande gewesen, dem vereinten Ansturm der Meder und Babylonier Widerstand zu leisten, und so sei Ninive gefallen. Es wird kaum nötig sein, diese Hypothese noch ausdrücklich als unwalir- scheinlich zu bezeichnen; die Rolle, die dabei dem Zufall zugewiesen wird, die Unhaltbarkeit einer solchen Erklärung und Beziehung von Nah. 2, 9 und die klare Überlieferung Herodots I 106 hätte sie un- möglich machen sollen.

Zahlreich sind die Arbeiten über Babylon, wo auf Anregung der deutschen Orient-Gesellschaft unter der Leitung Koldeweys Aus- gi'abungen vorgenommen werden. Über diese berichten:

1. P. Rohrbach, Babylon. Preuß. Jahrb. 104, 2.

2. F. Delitzsch, Babylon. Mit einem Plan des Ruinenfeldes. Leipzig 1899 und Die babylonische Mauer (Herod. I 178). Wochenschr. f. klass. Philol. 1900 S. 5.34.

Rohrbach weist darauf hin, daß Herodots Angabe über den Umfang Babylons (I 178) stark übertrieben sei; deun nicht 480 Stadien = rund 90 Kilometer betragen die Umfassungsmauern, sondern nur 15 Kilou^eter -^ rund 80 Stadien. Dagegen bewahiheitet sich nach Delitzsch die Angabe des Schriftstellers über die Dicke der Mauer, die sich auf 80' beläuft. Herodot (I 178) gibt 50 königliche Ellen an, die Elle nach Hultsch zu 525 mm, also 26,25 m oder 87,50', 3 m zu 10' gerechnet.

Mit der Geschichte des Landes befassen sich:

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84 Jahresbericht über Herodot 1898-1901. (Sitzler.)

1 . C. F. Lehmann, Die historische Semiramis und Herodot. Beiträge zur alten Geschichte. Bd. 1 (1901) S. 256 %.

2. J. Oppert, Herodote et l'orient antique. Melanges Henri Weil. Paris 1898. 29. Abhandlung.

3. F. H. Weisbach, Zur Chronologie des falschen Smerdis und des Darius Hystaspea. Zeitschr. der deutsch. Morgenland. Gesellschaft 1897 S. 509 flg. 661 flg.

4. J. V. Prasek, Forschungen zur Geschichte des Altertums III, Zur Chronologie des Kyros. Zu der Behistün-Inschrift. Leipzig 1900,

5. Die ersten Jahre Dareios' des Hystaspiden und der alt- persische Kalender. Beiträge zur alten Geschichte. Bd. 1 (1901) S. 26 flg.

6. C. F. Lehmann, Xerxes und die Babylonier. Wochenschr, f. klass. Philol. 1900 S. 959 flg.

7. E. Meyer, Forschungen zur alten Geschichte. Bd. II. Halle 1899. 6. Abb.: Chronologische Untersuchungen. Die Regierungs- zeiten der persischen und der spartanischen Könige.

8. Geschichte des Altertums. Bd. III. Das Perserreich und die Griechen. 1. Hälfte. Bis zu den Friedensschlüssen von 448 und 446 V. Chr. Stuttgart 1901.

Lehmann bezieht den Bericht Herodots (I 184) über die baby- lonische Königin Semiramis auf Samuramat, die auf einer Inschrift aus der Zeit des assyrischen Königs Adadnirari III. (812 783) genannt wird. Sie scheint eine babylonische Prinzessin gewesen zu sein, welche Adadnirari nach der Unterwerfung Babyloniens heiratete, um dieses Land fester mit Assyrien zu verbinden, Ihr zu Ehren übertrug er auch im J. 787 den Kult des Bel-Nebu aus Babylou-Borsippa nach Kalach (Chalah) in Assyrien. Was Herodot über die Deichbauten der Semi- ramis berichtet, hat er wohl von den Nebu-Priesteru in Borsippa er- fahren; Königin von Babylon nennt er sie aber, weil lür ihn Babylon die Hauptstadt des assyriscnen Reiches ist. Wie aus ihr die spätere Semiramis wurde, darüber vgl. Jahresb. Bd. 83 S, 60.

Wenig wahrscheinlich erscheint, was der Verf. über Nitokris vor- bringt, die Herodot (I 185 flg.) an die Stelle Nebukadnezars setzt. Er meint, unser Geschichtsschreiber habe den Namen Nitokris selbst aus dem Namen Nebukadnezar, den er von den Nebu-Priestern hörte, gebildet, weil er sich an die ägj'ptische Nitokris erinnerte und Nitokris ungefähr dieselben Konsonanten, wie Nebukadnezar, enthalte. Derartige eigene Bildungen liegen Herodot fern, und eine solche Abnahme ist an unserer Stelle um so weniger begründet, als jeder Hinweis auf die

Jahresbericht über Herodot 1S9S— 1901. (Sitzler.) 85

ägyptische Nitokris fehlt; vgl. dagegen II 100; auch ist die Ähnlichkeit zwischen beiden Namen gewiß wenig auffallend. Ich halte daher an der bisherigen Erklärung fest, die in Nitokris die Gemahlin Nebukad- nezars, die medische Prinzessin Amytis, sieht, die in der Sage, wie Semiramis, an die Stelle des Königs getreten ist.

Oppert weist darauf hin, daß die Behistun-Inschrift hinsichtlich der Genealogie des persischen Königshauses mit Herodot I 107. 111 und VII 11 übereinstimme; allerdings müsse man VII 11 lesen: xoü Teijjreo; <xal li 'ATOjar,; t9j?> Kupou xoü Koip.[üua£to <toü K'jpou> toü TeiaTTEo; xxX. Daher dürfe man mit Recht die Frage aufwerfen, ob es nicht eine Volks-;age gegeben habe, nach der die Frau des Kambyses, des Vaters des Königs Kyros, die Tochter des medischen Königs ge- wesen sei. Die Inschrift von iSippara wisse von einer solchen Ver- wandtschaft nichts.

Auch über die Stammesangehörigkeit der Porser und Meder sei Herodot unterrichtet, vgl. VII 62. Die Perser seien Arier, Medien dagegen sei von turauischen Völkerschaften, untermischt mit arischen Stämmen, bevölkert, worüber unser Geschichtschreiber die genauesten Nachrichten gebe (I 101). Die Magiei- seien nicht arischen Ursprungs gewesen, und so stelle sich die Empörung des Magiers als eine Reaktion des turauischen Kults gegen den von Kyros eingeführten persischen dar. Die Ermordung des Magiers Gaumata verlege die Behistun-Inschrift nach Sichichotes in der medischen Provinz Nisäa, Herodot dagegen nach Susa; aber in den Namen der sieben Perser, die sich gegen die Magier verschworen, lierrsche zwischen Inschrift und Herodot fast völlige Übereinstimmung. Nur statt Aspathines nenne die Inschrift Ardymanes; doch sei auch dieser Name von Herodot nicht erfunden; denn Aspathines sei ein besonderer Freund des Königs gewesen, der sein Bild, sowie das des Gobiyas, auf sein Grab habe setzen lassen. Der Vater des Otanes heiße auf der Inschrift Thuchra (Sochres), der des Megabyzos Dadyes.

Die Belagerung von Babjdon durch Dareios gibt Herodot III 153 auf 20 Monate an; daß sie nicht so lange dauerte, zeigen die Inschriften. Nach Opperts Ansicht, die er auch in der Zeitschrift der deutschen morgenläudischen Gesellschaft 1897 S. 155 flg. ausspricht, bezeichnen die 20 Monate, die Herodot angibt, die Zeit, die zwischen dem Auf- stand des Magiers und dem Ende der Herrschaft Nabuchodonosors III., d. h. des Betrügers Nidintabel, verfloß. Wahrscheinlicher ist die An^ nähme Lehmanns (Xerxes und die Babylonier S. 962 Anm. 1), daß in der „Mär vom Falle Babels" Ereignisse aus der Zeit des Darius und Xerxes bunt gemischt seien, wie dies auch sonst in der Sage bei den Persern vorkommt. Weisbach meint, daß der mindestens 16inonat-

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liehe Aufenthalt des Dareios in Babylon nach der Bestrafunt^ des Re- bellen Aracha möglicherweise der geschichtliche Hintergrund der bei Herodot so fabelhaft ausgeschmückten Erzählung sei, und Präs ek will diesen zweiten babylonischen Aufstand geradezu mit dem von Herodot erzählten identifizieren.

Die erste Eroberung Babylons durch Kyros setzt man allgemein in das J. 539, und diesen Ansatz verteidigt Prasek in seinem Aufsatz zur Chronologie des Kjtos mit Erfolg gegen P eiser, der in den Mit- teilungen der Vorderasiatischen Gesellschaft 1897 das J. 54U als das richtige Datum zu erweisen suchte. Ebenso erfolgreich tritt er in seiner Abhandlung zur Behistün-Inschrift für die Glaubwürdigkeit der darin augegebeneu Genealogie des Darius gegen die Verdächtigungen P. Rosts in seinen Untersuchungen zur altorientalischen Geschichte ein. Vgl. auch J. Oppert (S. 24) zu dieser Frage.

Über die Erhebung des falschen Smerdis und die ersten Regierungs- jahre des Dareios handeln Weisbach, Prasek und E. Meyer, wozu noch F. Justi, Die altpersischen Monate, Zeitschr. der deutsch, morgen- läud. Gesellsch. 1897 S. 233 flg. kommt. Einigkeit herrscht darüber, daß der Tod des Kambyses, die Herrschaft und der Sturz des Gaumata oder falschen Smerdis und der Regierungsantritt des Dareios in das J. 522 fallen; mit dem 1. Nisan des J. 521 beginnt also das 1. Re- gierungsjahr des Dareios. Dagegen gehen die Ansichten darüber, wie die Ereignisse auf die ersten Regiernngsjahre des Dareios zu verteilen sind, weit auseinander. Weisbach glaubt, daß die Aufstände, die in den Provinzen gegen Dareios gemacht wurden, in den Jahren 522 519, d. h. in den 4 ersten Jahren seiner Regierung niedergeworfen wurden, und auch E. Meyer setzt den letzten dieser Aufstände, den 2. babylo- nischen unter Aracha in die Jahre 520/519. Richtiger nehmen Justi und PraSek dafür die Jahre 522 514 in Anspruch, allerdings mit friedlichen Unterbrechungen, deren längste nach Justi unmittelbar vor Arachas Empörung lag, die in die J. 516/14 fiel. Au die Unterwerfung Babyloniens schloß sich der Zug gegen die europäischen Skythen, den auch Herodot, worauf Prasek hinweist, unmittelbar daran anknüpft.

Der Zug des Dareios gegen die Skythen fällt in das J. 513, nach Meyer etwa 512. V. Costanzi, Quaestiones chronologicae. Turin 1901 = Riv. di Filol. e d' Istruzione class. XIX S. 489 flg. will ihn bis 506/5 herabrücken. Er stützt sich dabei auf die viel be- handelte Stelle Herod. VI 40, in der er aXXa -uiv xaxaXaßovxwv oder xaTsj^ovTüiv rprj7|xaT(uv yaXeTrojTspa mit andern von der Vertreibung des Miltiades durch die Phöniker versteht. Da er nun mit Stein sTet <T:po> TouTtuv liest und der richtigen Ansicht ist, daß die Skj'then ihren Rachezug sofort nach der mißglückten Expedition der Perser an-

Jahresbericht über Uerodot 1808 1901. (Sitzler.) 87

getreten habeu, so muß er auch das überlieferte -rp-'-tu für falsch halten. Er setzt dafür oexa und gewinnt so, Miltiades" Flucht vor den Phönikern im J. 494 richtiger 493 angenoraraen, für den Rachezug der Skythen 504. Fallt man aber den herodotischeu Text, wie er über- liefert ist, so bezieht sich t(Üv y.a-:£-//jv-u>v zpTrjjixaTüJv auf das in Kap. 39 Erzählte und mit aXXa yaXsiKuTspa ist die Vertreibung durch die Skythen gemeint, die zwei Jahre spüter als jene Ereignisse stattfaml und bis zur Znrückführung des Miltiades durch die Dolonker, zwei Jahre vor der Flncht vor den Phönikern, dauerte. Vgl. darüber vorigen Jahresber. Bd. 100 S. 2. Für die genauere Bestimmung des Skythenfeldzngs läßt sich aus unserer Stelle nichts gewinnen.

Durch den Zug gegen die Skythen wollte Dareios nach Meyer dej- ständigen Gefahr nomadischer Invasionen von Norden her, welche Iran fortdauernd bedrohten, ein Ende machen. Der Plan konnte, wie er sagt, nur entstehen , wenn man den Zusammenhang der nördlichen Länder und die hier bestehenden Völkerverbindungen kannte, aber doch von der Ausdehnung und ünwegsamkeit des Gebiets, von den großen -Strömen Rußlands und dem Umfang der aralo-kaspischen Steppe keine klare Anschauung hatte. Die Brücke über die Donau wurde dicht oberhalb des Deltas unterhalb der Mündung des Pruth geschlagen. Herodots Bericht über den Verlauf des Feldzugs ist unhistorisch: wahr- scheinlich überschritt Dareios keinen der großen südrussischen Ströme. Richtig ist aber, daß die Expedition vollkommen scheiterte. Die schon von Thirwall als Erfindung bezeichnete Geschichte von der Beratung der ionischen Tyrannen über den Abbruch der Donaubrücke stammt nach Meyer aus der Zeit, als Miltiades nach seiner Rückkehr nach Athen wegen seiner Tyrannis auf den Tod angeklagt wurde. Vor den Persern mußte er wegen seiner Beteiligung am ionischen Aufstand fliehen; bis dahin war er getreuer Vasall der Perser.

Lehmann weist darauf hin, daß das babylonische Königtum un- trennbar au die Statue des Gottes Marduk geknüpft sei ; nur wer am Akitu-Fest, d. h. am 1. Nisan, dem Feste des Jahresanfanges, die Hände des Gottes erfaßt, ist legitimer König von Babylon. Dies haben die Perserkönige bis herab auf Dareios getan, und so bestand eine Personalunion zwischen Persien und Babylon. Unter Dareios bildete Babylon mit Mesopotamien und Arbelitis die Satrapie Assyrien, später dagegen eine Satrapie für sich; im erstem Sinne steht es immer bei Herodot. Nach dem Tode des Dareios kam auch Xerxes am 1. Nisan 484 nach Babylon, wo er nach Lehmann in die Mysterien des toten Bei eindrang; dies sei der historische Hintergrund der herodotischeu Erzählung vom Grabe der Nitokris, in welcher Dareios an die Stelle des Xerxes getreten sei, wie ja auch sonst in der mündlichen Tradition

88 Jahresbericht über Herodot 1898—1901. (Sitzler.)

der Perser, vgl. I 187. Während dann Xerxes in Ekbatana war, brach ein Aufstand der Babylonier aus, der durch Megabyzos niedergeschlagen wurde. Dieser verzögerte im Verein mit dem Abfall Äpypteus den Zug des Königs gegen Griechenland. Da Xerxes dai'aufhin das nominelle babylonische Königtum aufhob, so kam es im J. 480/79 zu einem er- neuten Aufstand, der 19 20 Monate dauerte, wie Lehmann annimmt, etwa die Zeit, die Herodot (III 153) für die Belagerung Babylons durch Dareios angibt. Daß die Perser bei Ausbruch des Aufstandes durch Unternehmungen gegen die Griechen in Anspruch genommen waren, ergibt sich nach Lehmann auch aus Herodot III 150, wo allerdings die Expedition des Dareios gegen Samos statt des Xerxes- zuges genannt werde. Um die Zeit der Schlacht bei Salamis habe Xerxes von dem Aufstand Kunde erhalten, und dies sei der Grund, warum er so eilig mit einem großen Teile des Heeres zurückgekehrt sei. Der Aufstand sei vielleicht von Megapanos, den Herodot VII 62 als Tov Ba[3uXü>vos ujTspov TouTüDv £TTtTpo7r£ujavTa erwähnt, niedergeschlagen worden. Nach der Eroberung der Stadt führte Xerxes die Marduk- statue weg (I 183) und zerstörte die Tempelstätte Esaggil, wohin sich viele Babylonier geflüchtet hatten (III 158).

Auf Geographie und Geschichte Ägyptens beziehen sich:

1. G. Poucart, Herod. II 43. Acad. des inscript. et belles- lettres 1899 April.

2. J. V. Pra§ek, Forschungen zur Geschichte des Altertums II. Kadytis. Sethos. USü. Leipzig 1899.

3. F. L. Griffith, Stories of the high priests of Memphis, the Sethon of Herodotus and the demotic tales of ßhamnes. 1900.

4. Grenfell, Hunt and Hogarth, Fayüm towns and their papyri. London 1900.

5. E. Revillout, Herodote et les oracles egyptiens. Revue egyptol. 1900 S. 1 flg.

6. A. W. Verrall, Herodotus on the dimensions of the pyra- raids. Class. Rev. 1898 S. 198 flg.

Die Schrift von Griffith ist mir nicht zugänglich.

Foucart weist auf eine hieroglyphische Inschrift aus Karnak hin, durch die Herodots Bericht über seinen Besuch im Ammonstempel zu Theben und über die Erzählungen der ägyptischen Priester als wahr- heitsgetreu bestätigt wird.

Eine syrische Stadt Kadytis wird Herod. II 159 und III 5 er- wähnt. Praäek betont mit Recht, daß darunter zwei verschiedene Städte zu verstehen seien; III 5 ist Gaza gemeint, wie man jetzt all-

Jahresbericht üb^^r Herodot 1898-1901. (Sitzler.) 89

gemein aimimmt, II 159 wahrscheinlich Kades aui Orontes, für dessen ehemalige Bedeutung Prasek auf ein Kontrakltüfelchen aus dem 40. (nicht wie der Verf. sagt 6.) Jahre Nebukadnezars hinweist.

Den sonst unbekannten König Sethon (II 141) identifiziert Prasek mit Taharka und weist ihm die Regierungsjahre 685—680 zu. Ein Irrtnm ist es al)er, wenn er sagt, Herodot gebe ihm 50 Regierungs- jahre: Herodot läßt die Dauer seiner Herrschaft unbestimmt.

Die Fayüm-Papyri geben interessante Aufschlüsse über die Topographie. Besonders bemerkenswert ist, daß durch sie der Birket el Kurun jetzt endgültig als Teil des alten Möris-Sees erwiesen wird. Vgl. auch C. Wessely, Anzeiger der phil.-hist. Klasse der Wiener Akad. vom 7. Nov. 1900, der eine Urkunde aus Soknopaiu Nesos^= Dime am Birket el Kurun veröffentlicht, die den Namen Moiptc enthält.

Kevillout sucht unter Berufung auf die demotische Chronik und die zeitgenüssischen demotischen PapjTi die Glaubwürdigkeit Herodots in allem, was sich auf das Leben des Amasis (II 173 flg.) bezieht, zu erweisen, so seine Vorliebe für gute Mahlzeiten und fröhliche Gelage, seinen ungezwungenen Verkehr mit seinem Hofstaat, seine Vernach- lässigung gewisser Tempel, wie desjenigen in Delphi, und seine Freund- schaft mit den Griechen. Echt ägyptische Sitte war es auch, sich bei Diebstählen zur Entdeckung des Diebes an Orakel zu wenden, worauf schon Witdemaun in -seiner Ausgabe von Herodot II S. 597 hinweist.

Verrall tritt für die schon von Letronne, Jacobs u. a. ge- gebene Erklärung von u-j^o; (II 124) als „Seitenhöhe" ein, da sich Herodots Angabe nur so rechtfertigen lasse; jede Pyramidenseite bildete ein gleichseitiges Dreieck.

Vber die Völker Libyens, die westlich vom Tritonsee und TritonflulJ in der Gegend der Schotts von Gabes zu suchen sind, spricht

J. To utain im Bulletin de la societe des antiquaires de France 1899 S. 258.

Es sind die Maxyes, Zauekes und Gyzantes. Von diesen erzählt Herodot II 191. 194, daß sie ihren Körper mit Mennig rot bemalen, was durch die Ausgrabungen bestätigt wird; denn D. Novak fand in einer Nekropole von El-Alia, dem alten AchoUa, zwischen Mahedia und Sfax, etwas nördlich von Ras Kapudia (Caput Vada), in Gräbern rote Farbe, ein Beweis, daß solche wenigstens bei der Bestattung angewandt wurde. Übrigens findet man rotbemalte Gebeine auch sonst in den Gräbern nicht selten.

Die schon so vielfach erörterte Frage über die Pelasger macht

Müller, Zur Pelasgerfrage. Progr. Ellwangen 1898

90 Jahresbericht über Herodot 1898—1901. (Sitzler.)

zum Gegenstand erneuter Untersuchung^. Er hält an der Annahme Herodots, daß die Pelasger Barbaren waren, fest und sieht in ihnen die Träger der mykenischen Kultur. Da nun die Baudenkmäler, die Kunstwerke und viele Namen dieser Epoche auf Ägypten und 83Tien hinweisen, so müssen die Pelasger dorther gekommen sein. Sie ge- hören zu den Hyksos, die von 1900 1600 die Herren von Ägypten waren und ägyptische Kultur annahmen , dann aber wieder aus dem Lande vertrieben wurden und teils zur See, teils zu Land nach Asien und Griechenland zogen. Pelasger und Philister sind identisch. Die Hypothese des Verf. ist, wie man sieht, ganz auf der Voraussetzung des ägyptischen Ursprungs der mykenischen Kultur aufgebaut und ebenso- weni? haltbar wie diese. Herod. I 57 will der Verf. IleXacjywv töüv [uTTspl Tup3Tf]vü)v Kprjaxüiva izo'Xiv otxso'vxtuv lesen, weil nach Thukyd. IV 109 Pelasger und Tyrsener dieselben seien, sich also sprachlich nicht von- einander unterscheiden; jedenfalls müßte es in diesem Falle Tupr^vöiv <Twv> KpirjUTüiva xtX. heißen. Aber der Verf. übersieht , worauf Stein z. d. Stelle hinweist, daß Tupjrjvol bei Herodot ausschließlich die italischen Etrurier sind, und daß in Thrakien keine Stadt Kreston lag, die Tyrsener bewohnten.

Auf die Geschichte Spartas beziehen sich

1. G. Egelhaaf, Die Gebeine des Orestes. Württemb, Korre- spondenzblatt 1900 S. 285 flg.

2. J. Bei och. Zur Geschichte des Eurypontidenhauses. Hermes 1900 S. 254 flg.

Egelhaaf zieht aus der Verwunderung, mit der Lichas Herod. I 67 flg. sieht, wie Eisen geschmiedet wird, den Schluß, daß damals die Eisenschmiedekunst in Sparta noch unbekannt war, Sparta sich also damals noch in der Bronzezeit befand. In dieser auch schon von anderen ausgesprochenen Tatsache erblickt er den Grund, warum es den Tegeaten, die eiserne Waffen hatten, unterlag. Freilich wird mau dann nicht umhin können, den Lichas und den tegeatischen Krieg in eine frühere Zeit zu setzen, als es Herodot tut; denn E. Meyer erklärt es mit Recht für unwahrscheinlich, daß die Eisenbearbeitung in dem eisen - reiclien Lakonien so jungen Datums sei. Ich halte dies bei dem kriegerischen Geist, der in Sparta herrschte, für undenkbar.

Beloch tritt Herod. VIII 131 für die Überlieferung -Xy)v täv ouuiv TÖiv [xe-a AsuTu/iosa TrpujTujv xataAsydevTcov ein; denn fürs erste stamme sie aus einer besseren Quelle, und dann wäre Leotychides nach dem Sturze des Demaratos kaum zur Thronfolge berechtigt gewesen, wenn seit sieben Generationen niemand aus seiner Familie regiert hätte. Die Könige aus dem Eurypontidenhaus von Leotychides aufwärts waren

Jahresbericht über Herodot 1 89« -1901. (Sitzler.) 91

aber folgende: Leotychides, Demaratos, Aristou, Hegcsikles, Hippo- kratides usw. in der von Herodot angegebenen Reihenfolge.

J. C. Hoppin, The argive exciusion of attic pottery. Class. Rev. 1898 S. 86 flg.

macht darauf aufmerksam, daß die Ausgrabungen die Angabe Herodots

V 88, die Argiver hätten den Import von attischea Tonwaren verboten, bestätigen; dies müsse um 560 550 v. Chr. geschehen sein, stimme also auch zeitlich mit dem Berichte unseres Geschichtschreibers.

A, Furtwängler , Die Ausgrabungen auf Agina. Berl. phil. Wochenschr. 1901 S. 1595 flg.

teilt mit, daß die Stele gefunden worden sei, auf der das Inventar aus dem Heilifftum der Mnia und Auzesia verzeichnet stehe. Bei Herodot

V 83 heißen die Gottheiten Damie und Auxesie.

Mit Peisistratos und den Peisistratideu beschäftigen sich

1. J. Plathner, Beiträge zur Geschichte der Peisistratideu. Zeitschr. f. GW. 1897 S. 458 flg.

2. Die Alleinherrschaft der Peisistratideu. Progr. Dessau 1897.

Plathner, weist darauf hin, daß Herodot und die 'Ai>T,vaituv roXtxeia des Aristoteles darin miteinander übereinstimmen, daß die 2. Verbannung des Peisistratos 10 Jahre und seine wirkliche Herr- schaft im ganzen 19 Jahre währte: diese 19 Jahre erhält man nämlich, wenn man von den 36 Jahren, die Herod. V 65 für die Herrschaft der Peisistratiden angegeben werden, die Regierung des Hippias mit 17 Jahren abzieht. Nimmt man die 19 Regiernngsjahre von den 33 Jahren weg. die nach Aristoteles von der 1. Tyrannis des Peisistratos bis zu seinem Tode vergehen, so bleiben für seine beiden Verbannungen 14 Jahre, nämlich 4 für die 1. und 10 tür die 2. Ver- bannung. Demnach dauert seine 1. Tyrannis von 461/60 556/5, seine 1. Verbannung vou 556/5 552/1, seine 2.. Tyrannis einen Teil des Jahres 551/2, seine 2. Verbannung von 552/1 542/1, seine 3. Tyrannis von 542/1—528/7.

Die Pvogrammabhandlung enthält eine genaue Vergleichung des Aristoteles mit Herodot und Thukydides. Es ergibt sich, daß Aristoteles diese beiden Geschichtschreiber zwar benützt, aber seine Hauptquelle ist eine Atthis. Keine der drei benützten Vorlagen verdient unbedingten Glauben, sondern in jedem einzelnen Fall muß man prüfen, was wahr oder doch wahrscheinlich ist.

H. Pomtow, Delphische Beilagen III. Rhein. Mus. 1897 S. 105 flg.

92 Jahresbericht über Herodot 1898-11)01. (Sitzler.)

sucht zn beweisen, daß Herod. II 180 und V 62 dieselbe Vergebung der Bauarbeiten anläßlich des Neubaus des Tempels in Delphi gemeint sei; die Alkmeoniden hätten sie gleich anfangs übernommen und auch zu Ende geführt. Diese Annahme steht in so scharfem Gegensatz zu der Überlieferung, daß sie trotz allem, was der Verf. zu ihrer Empfehlung vorbringt, für jeden Forscher, der festen Boden unter den Füßen be- halten Vv'ill, unannehmbar ist. Die bisherige Auffassung muß auch weiter in Geltung bleiben.

Mit den Athenatempein auf der Akropolis zu Athen be- schäftigen sich

1. A. Furtwäugler, Zu den Tempeln der Akropolis von Athen. Sitz.-Ber. d. philos.-hist. Klasse d. Akad. zu München 1898 S. 363.

2. G. Körte, Der „alte" Tempel und das Hekatompedon auf der Akropolis zu Athen. Rhein. Mus. 1898 S. 239 %.

3. A. Michaelis, Die Athenatempel der athenischen Burg. Archäol. Anzeiger 1901 S. 215 flg.

Herod. VIII 55 will Furtwängler eart h ifi d-zpoTroÄi TauTirj 'Epv/bioi; Toü 7r)7£V£oc Xs^oixevou etvai aTjxo? St. vy)6? schreiben unter Ver- weisung auf Dionys. Hai. ant. Rom. XIV 4 'Ady^vT^at piv Iv toj 77)7evoüc Epsyfleco; aT)xco. Körte erklärt dies mit Recht für unnötig: es ist der schon in der Ilias erwähnte alte Tempel des Erichthonios oder Erechtheus und der Athene gemeint, der, wie Herod. V 77 dvxiov öe xou |xe7apot> TOÜ Ttpöc £j7repr]v TeTpaixfxevou zeigt, zwei ]j.£7apa hatte, eines im Westen für Erechtheus und eines im Osten für Athena Polias. Herodot kennt nur diesen einen Athenatempel auf der Burg; wenn er aber VIII 55 sagt: Ev TW EAaiTT) te xai t)dXaj3a hi, so drückt er sich ungenau aus; denn beide befanden sich nicht in dem Tempel, sondern im Freien, der Ölbaum in dem an die Westhälfte des alten Tempels nördlich anstoßenden Pandroseion; die &dXaaaa aber wurde ei"st von dem Architekten des Erechtheion in den Tempel einbezogea. Auf dieses Erechtheion ging, wie alle drei Gelehrte einstimmig annehmen, die Bezeichnung „alter Tempel" über. Dem alten Tempel steht als neuer Athenatempel das sog. Hekatompedon gegenüber, das, wie Michaelis ausführt, aus peisistrateischer Zeit stammt, in den Perserkriegeu arg beschädigt wurde und dann, durch den Parthenon ersetzt, im J. 406/5 durch Blitz zu- grunde ging.

Ich komme jetzt zu den Arbeiten über den ionischen Aufstand und die Perser kriege, unter denen an erster Stelle

E. Meyer, Geschichte des Altertums. 3. Band. Das Perser- reich und die Griechen. 1. Hälfte: Bis zu den Friedensschlüssen von 448 und 446 v. Chr. Stuttgart 1901

Jahresbericht über Herodot 1898—1901. (Sitzler.) 93

zu nennen ist. Trotzdem Herodot nichts darüber überliefert, glaubt M, doch, den Alkmeoniden die Schuld für Athens Beteiliffunu' an dem ionischen Aufstand zuschreiben zu müssen. Sein nnalücklicher Aus- gang hatte nach ihm den Verlust ihres Einflusses und das Emporkommen des Themistokles zur Folge, dem aber Miltiades sofort erfolgreich ent- gegengetreten sei: daher hätten sie diesen durch Anklagen zu stürzen gesucht, und als ihnen dies nicht gelungen sei, Unterhandlungen mit den Peisistratiden und Persern angeknüpft. Meyer glaubt also, wie andere, an die Eechtfertigung der Alkmeoniden durch Herodot nicht. Außer Meyer kommen für die Perserkriege noch in Be- tracht :

1. H. Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. 1. Teil: Das Altertum. Berlin 1900.

2. Adam, Zur Kritik des herodotischen Berichts über die Perserkriege. Sitz.-Ber. der histor. Geseilschaft in Berlin 1901,

von denen mir die zweite Abhandlung nicht zur Verfügung stand.

Mit der SclilachtbeiMa rathon im besonderen beschäftigen sich :

1. J. A. R. Mnnro, Some observations on the persian wars. I. The campaign of Marathon. Journ. of Hell. stud. 1899 S. 185 flg.

2. T. McKenny Hughes, Marathon. Class. Rev. 1901 S. 131 flg.

3. W. H. D. Rouse, ebenda S. 191.

Munro faßt den Zug des Datis und Artaphreues so auf, als ob dadurch nur Athen bezwungen und so die Unterwerfung der lonier ge- sichert werden sollte. Man kann dem Verf. zugeben, daß es ursprüng- lich gleich nach der Niederwerfung des ionischen Aufstandes nur auf die Athener abgesehen war; aber schon während der Vorbereitungen zum ersten Zug erweiterte sich der Plan, wie die von E. Meyer in das Frühjahr 492 gesetzte Entsendung von Boten, die von allen grie- chischen Staaten Erde und Wasser verlangen sollten, zeigt, und in der Tat war dies auch der einzige Weg, auf dem die Perser möglicher- weise ihre Absicht erreichen konnten. Auch trat bei dem 2. Zug die Rücksicht auf die lonier schon ganz zurück; jetzt stand, wie Meyer mit Recht hervorhebt, die Ehre des Reiches auf dem Spiel, die ver- langte, die Unternehmung trotz des Unglücks des Mardonios glücklich zu Ende zu führen.

Die Landung bei Marathon schreibt die Überlieferung dem Ein- flüsse des Hippias zu; denn hier hatte dieser großen Anhang, und die Ebene war für die persische Reiterei günstig. Anderer Ansicht ist Munro, der meint, Hippias habe dadurch aliltiades mit dem Heer ans

94 Jahresbericht über Flerodot 189S 1901. (Sitzler.)

der Stadt entfernen und so seineu Anhäng-ern, darunter auch deo Alk- raeouiden, das Handeln in der Stadt erleichtern wollen; sobald dies ge- schehen, sollte dann ein Teil der Perser schleunig^st nach Athen j^ehen, um das Weitere zu besorgen. "Wäre aber diese Entfernung des Mil- tiades mit dem Heere durch die Landung au einer anderen Stelle Attikas nicht auch erreicht worden? Und hofften Hippias und die Perser nicht, die Athener zn besiegen und dann nach der Stadt zu maischieren ?

Hughes will mit Chodwick den Namen Vrana von Marathon ableiten, wogegen Rouse Einsprache erhebt. Die Athener stellten sich am Anfang des Vrana-Tales auf, 8 Stadien von dem Soroshügel ent- fernt, wie jetzt auch Delbrück anerkennt, der früher die Aufstellung in das Tal von Avlona verlegt hatte. Was den Gang der Schlacht be- trifft, so hält Meyer mit Recht an der herodotischeu Schilderung, ab- gesehen von dem Laufschritt der Athener 8 Stadien weit, fest; aber Miltiades hat die Schlacht nicht begonnen, sondern angenommen, als die Perser aus Furcht vor der Ankunft der Spartaner zum Angriff vor- rückten. Delbrück läßt Miltiades warten, bis die Perser bis auf 100 150 Schritt an seine Stellung herankamen; aber so wäre der Durchbruch des attischen Zentrums durch die Perser, den er allerdings gar nicht erwähnt, und die Verfolgung I? tyjv ixesovaiav nicht möglich gewesen. Das Haupttreffen war am Soros, wie früher schon Kallen- berg und jetzt auch Meyer annehmen. Die persische Reiterei konnte nach Delbrück und Hughes wegen der Terrainverhältnisse nicht in den Kampf eingreifen. Unglaublich ist Munros Annahme, daß die Perser, bevor ihnen noch das verabredete Zeichen aus der Stadt ge- geben worden sei, die Hälfte ihres Heeres samt der Reiterei eingeschifft hätten, um einen Angriff auf Athen zu machen, und daß Miltiades diesen Zeitpunkt zum Beginn der Schlacht gewählt habe; denn wie konnten die Perser angesichts des feindlichen Heeres sich so schwächen, una einer unsicheren Hoffnung nachzugehen?

Wenn die Überlieferung den Persern GOO Trieren gibt, so be- trachtet Meyer diese Zahl als konventionell; es waren weniger. Ihr Heer betrug schwerlich mehr als 20 000 Mann und wenige Hundert Reiter. Für die Griechen erscheint ihm die Zahl 10 000 als möglich, wenn auch nicht sicher. Munro veranschlagt das persische Heer auf 40 000, die Griechen auf 15 000. Nach Delbrück zählte das Perser- heer 5000—6000 Manu, darunter 500—800 Reiter, und das athenische Heer war ebenso stark.

Die Schlacht fiel nach Meyer auf den 15. oder 16., wahrschein- lich des Metageitnion -= 10. September 490. Der Umstand, daß die Schlacht in die Zeit des Vollmonds fiel, gab zu der bei Herodot err

Jahresbericht über Herodot 1898-1901. (Sitzler.) 95

zählten Entschuldigung der Spartaner Veranlassung; in Wirklichkeit kamen diese, so schnell sie konnten, brauchten aber zu ihrer Rüstung 6 Tage.

Hinsichtlifh des ägi netischen Krieges schließt sich Meyer an Wilaraowitz, Aristoteles und Athen II S. 280 flg. an. Der von Herodot V 86 flg. und VI 87 flg. berichtete Krieg ist der gleiche; Herodot erzählt ihn zwar vor Marathon, er tällt aber in Wahrheit nach Kleomenes' Tod in das J. 487. Die Legende von den Bildern der Daiuie und Auxesie bezieht sich auf diesen Krieg.

An Kämpfe zwischen Griechen und Persern bei Artemiaion hatte Delbrück früher nicht geglaubt; jetzt gibt er sie zu, meint aber, die Perser, die nach ihm etwa 300 Schiffe hatten, seien den Griechen nicht überlegen gewesen. Die Kämpfe verliefen so, dal.) die Griechen dem zweiten Zusammentreffen mit der feindlichen Flotte im Sarouischen Meerbusen , wohin sie sieb wegen der Ausbesserung ihrer beschädigten Schiffe und in der Hoffnung auf Verstärkung zurückge- zogen hätten, mit guter Zuversicht entgegensehen konnten. Die Er- zählung, daü die Perser 200 Schifte um Euböa herumgeschickt haben, um die Griechen abzuschneiden, hält Delbrück für eine Erdichtung, erfunden, um die Streitmacht der Perser, die übertrieben grotl ange- geben war, der hellenischen mehr anzupassen; denn um die Griechen abzusperren, brauchten ihnen die Perser nur während der Schlacht in die linke Flanke zu fahren. Gewiß, wenn dies nur möglich gewesen wäre. Mej'er folgt dem lierodotischen Bericht; aber „was etwa der Geschichte Herod. VIII 4 flg. , die Euböer hätten Themistokles und dieser wieder die Admirale von Sparta und Korinth bestochen, damit sie nicht abzögen, als Tatsache zugrunde liegen mag, ist nicht festzu- stellen und geschichtlich ohne Bedeutung".

F. Zambaldi kommt in seinem Aufsatz über die telegraphischen Vorrichtungen des Altertums (Atene e Roma 1899 8. 65 flg.) auch auf Herod. VII 183 zu sprechen. Er bezweifelt, ob Herodots Angaben, nämlich daß die Wegnahme von drei Schiffen durch die Feinde vermittels Feuerzeichens gemeldet worden sei, sich lichtig verhalte; vermutlich sei nur ein allgemeines Gefahrsignal gegeben worden. Ich glaube nicht, daß Herodot etwas anderes sagen wollte; das Pronomen xaÜTa meint nur die Annäherung der Feinde, bezieht sich aber nicht auf das Schicksal der Schiffe, das der Geschichtschreiber bei dieser Gelegenheit gleich mitberichtet.

Den Zweck der Besetzung von Thermopylä durch die Griechen und den Zusammenhang dieser Maßregel mit den Operationen der Flotte bei Artemision legt Meyer klar dar; der Paß sollte zur Sicherung des Seeheeres so lange gedeckt werden, bis eine Entscheidung zur See her-

96 Jaliresbericht über Herodot 1898—1901. (Sitzler.)

beif^efiihrt wäre. Dem Verrat des Ephialtes legt die Überlieferung eine übertriebeue Bedeutung bei; ,ia Wirklichkeit hätten die Perser den Weg gefunden, auch wenn sie keinen Führer fanden". Von offizieller Färbung der Berichte, von der Busolt, Gr. Gesch. II 697 redet, ver- mag Meyer bei Herodot nichts zu entdecken; die Feier der Olympien und Karneen hielt die Spartaner und die übrigen Peloponnesier nicht ab, nicht in größerer Stärke in Mittelgriechenland einzurücken, und die Meinung, sie hätten ihre Bundesgenossen schmählich im Stiche gelassen, weil sie dies nicht taten (Herod. VII 207. VIII 40), ist unberechtigt. Die Brandmarkung der Thebaner durch Xerxes bezeichnet Meyer als boshafte Erfindung.

Mit Salamis und der Schlacht bei Salamis befassen sich fol- gende Arbeiten:

1. W. Reichel, Ein angeblicher Thron des Xerxes. In der Festschrift für Otto Benudorf. Wien 1899. S. 63 flg.

2. *2. SoupaiTTjc, Zur Topographie des alten Salamis. 'Ap|i,ovia 1901 S. 175 flg.

3. A. Bauer, Die Seeschlacht bei Salamis. Jahreshefte des österr.-archäolog. Instituts 1901 S. 90 flg.

Reichel beschreibt den sog. Thron des Xerxes, d. h. die Stelle, von der aus er dem Seetreffen bei Salamis zugeschaut habe (vgl. Herod. VIII 90. Plut. Them. 13), auf Grund sorgfältiger Untersuchungen der Örtlichkeit. Der Thron befindet sich auf der Kerata gegenüber von Salamis und ist natürlich kein Thron des Xerxes gewesen, sondern wahrscheinlich ein Thronaltar. Der Standort des Xerxes war auch nicht hier, sondern auf der Höhe des Ägaleos.

Nach Meyer zählte das Landheer des Xerxes, abgesehen von dem zahlreichen Troß, etwa 100 000 Mann. Einem solchen Heere konnten die Griechen keinen Widerstand leisten; daher war der Plan des Themistokles, zur See die Entscheidung herbeizuführen und das Landheer nur zur Unterstützung der Flotte zu gebrauchen. Damit waren die Spartaner einverstanden, und so erklären sich nach Meyer ihre so oft getadelten geringen Anstrengungen zu Lande.

Die Flotte des Xerxes gibt Herodot nach Äschylos auf 1207 Schiffe an; Meyer glaubt, daß es einschließlich der Transportschiffe bei der Ausfahrt nicht mehr als 1000 waren. Es war natürlich, daß auch die Griechen möglichst viele Schiffe sammelten. Gelon konnte ihnen wegen des Angriffes der Karthager, die, wie Meyer nach Diodor annimmt, mit den Persern im Bunde waren, nicht helfen; die Diskussion über die Frage des Oberbefehls (Herod. VII 157 flg.) erklärt M. für absurd. Dagegen hält er die beiden Orakel an Athen (Her. VII 140 und 141),

Jahresbericht über Herodot 189S-19Ü1. (Sitzler.) <)7

das zweite allerdings ohne die Schlußverse, ferner das Orakel au Argos (VII 148) und das an Kreta (VII 169) für echt; aber das Orakel an Sparta (VII 220) scheint ihm spätere Mache zu sein.

Die Griechen hatten nach Meyer bei Salamis 300—400 Schiffe, standen also den Persern, deren Zahl sich auf 400—500 belief, nicht weit nach. Nach Delbrück übertrafen sie die Perser sogar infolge der Verstärkungen, die sie erhalten hatten. Ja, Delbrück will sogar den beabsichtigten Rückzug der Griechen von Salamis an den Isthmus damit erklären, daß sie als weitere Verstärkung noch die 60 kerkyräi- schen Schiffe erwartet hätten.

Themistokles war nach Meyer und Bauer mit den anderen Feld- herren darin einig, daß bei Salamis gekämpft werden müsse; die Mne- siphilos-Auekdote zeugt nur von der Gehässigkeit, mit der man bald nachher den Themistokles verfolgte. Die Absendung des Sikinnos hatte keinen anderen Zweck, als den Xerxes zur Schlacht zu bewegen; die zweite Sendung des Sikinnos hält Meyer für erfunden. Auf die Bot- schaft des Themistokles hin sendet Xerxes den westlichen Flügel seines Heeres um Salamis herum und sperrt die Enge zwischen der Insel und Megara ab. Ich glaube mit Meyer, daß dies der wirkliche Vorgang war, der auch von Aschylos und Späteren berichtet wird; aber Meyer hat übersehen, daß Herod. VIII 76 avrj^ov [xev xo a^' kaKipt]^ xepa? xux- Xo'JfAsvoi Tzpoi TT)v luXonüja dies nicht bedeuten kann. Meiner Über- zeugung nach sind die Worte npb; xf^v ilaXaiAiva, die bis jetzt jeder Erklärung spotteten, in Ttspi xfjv SaXaixiva zu ändern und so in Über- einstimmung mit der sonstigen Überlieferung zu bringen.

Diese Art der Einschließung der Griechen hält Bauer für sach- lich unmöglich; denn die zur Einschließung abgesandten Schiffe hätten bis zur Insel Leros, d. h. etwa 50 km weit, fahren müssen, wozu die Nachtzeit nicht reichte. Ich kann diesen Einwand nicht als stichhaltig anerkennen; denn es handelte sich doch nur darum, das Entweichen der Griechen durch jene Enge zu verhindern, und dazu kamen die Perser bei dem Vorsprung, den sie vor den Griechen hatten, gewiß rechtzeitig, auch wenn sie bei Tagesanbruch noch nicht den ganzen Weg zurückgelegt hatten. Bauer tritt für die Umzingelung in der Enge zwischen Salamis und Attika ein; aber diese stößt auf viel größere Sch\vierigkeiten als die andere. Die Griechen standen in der heutigeu Bucht von Ambelaki, die Perser bis zur Bucht von Trapezona, den Peiräeus ausfüllend. Um die Umzingelung auszuführen, mußten diese in der Nacht ihre Schiffe möglichst nahe an der attischen Küste in die Meerenge vor bis zu der Stelle schieben, wo heute die Fähre nach Salamis geht. Ist ein solches Manöver angesichts des gerüstet ^egenüberstebeudeu Feindes möglich oder auch nur wahrscheinlich? Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVII. (l'JOS. II.) 7

98 Jahresbericbt über Herodot 1898-1901. (Sitzler.)

Aunerdem ist der Verf. gezwungen, anzunehmen, Herodot habe die zu seiner Auffassung nicht passenden "Worte ot d|X'ft tyjv Keov ts xai xfjV K'jvoso'jpav Te-a7|j.Evoi dem Orakel zuliebe geschrieben, trotzdem er gewußt habe, daß sie eine topographische Unrichtigkeit enthielten.

Die Angabe bei Herodot VIII 97, daß Xerxes nach der Schlacht einen Damm nach Salamis habe bauen wollen, bezeichnet Meyer als absurd, ebenso wie die TJberlieferung bei Ktesias und Strabon, der Perserköuig habe dies vor der Schlacht beabsichtigt, was Stein a. a. 0. für richtiger hält. Die Gefahren und Verluste des persischen Heeres auf dem Rückzug sind nach Meyer stark übertrieben; von einer über- stürzten Flucht kann keine Rede sein, und ebensowenig ist die Tra- dition, die den König den Hauptteil des Heeres mit sich nehmen läßt, haltbar. Aber vgl. oben Lehmann, Xerxes und die Babyjonier.

Platää und die Schlacht bei Piatää behandeln:

1. W. J. Woodhouse, The Greeks at Plataiai. Journ. of hell, studies 1898 S. 33 flg.

2. G. B. Grundy, Battles ancient and modern. Ebenda S. 232 flg.

3. A note on Plataea. Class. ßev. 1898 S. 161 flg.

4. J. G. Prazer, Plataea. Ebenda S. 206 flg.

5. Pausanias' description of Greece. Vol. V. London, 1898. Woodhouse stimmt Grundy bei hinsichtlich der Lage von

Erythrä westlich an der Straße von Eleusis nach Theben, der Fest- setzung Hysiäs etwas oberhalb von Kriekuki und der Annahme der N^uo? im Westen von Platää zwischen dem Oberlauf der Bäche der Oeroe. Daß drei Straßen über den Kithäron führen, nämlich die von Eleusis nach Theben, die von Eleusis nach Platää und die von Megara nach Platää, bestreitet Frazer insoweit, als er leugnet, daß bei Eleu- therä ein Weg nach Platää abzweige; doch Grundy bleibt in seiner Erwiderung darauf bei seiner Annahme. Die Lage der Quelle Gar- gaphia und des Heroons des Androkrates bleibt auch jetzt noch zweifel- haft, da sich Grundy und Woodhouse nicht einigen können. Die Meinung Grundys, Herodot bezeichne mit Asopos nicht nur den Fluß selbst, sondern auch seinen ersten Nebenfluß, erklärt Meyer mit Recht tür unmöglich; auch Woodhouse erkennt dies nicht au und wünscht deshalb IX 51 t; dk iixl a-6 toü 'AacuTCOü <erxojt> xcxl ttj; xpT^vYj? xtX., was Herodots Sprachgebrauch zuwiderläuft. Geradezu ein Irrtum Grundys ist es aber, wenn er Skolos auf Grund von Pausan. IX 4,3 auf die Nordseite st. Südseite des Asopos verlegt.

Das Heer des Mardonios belief sich auf 40 000 50 000 Asiaten und einige Tausend Griechen , das der Griechen auf 30 000 Hopliten und (inen großen Troß, wie Meyer annimmt; nach Delbrück hatten

Jahresbericht über Herodot 1S98-1901. (Sitzler.) 99

die Griechen nur 20 000 Hopliten und ebensovicle Unbewaffnete, die Perser 15 000 25 000 Krieger. In der Darstellung des Verlaufs der Sohlacht folgt Meyer im allii;emeinen Delbrück, doch hält er sich viel enger an Herodot, der „zwar die maßgebeDdeii Momente im Ent- scheidungskampf sehr deutlich erkennen läßt, im übrigen aber ganz unmilitärisch ist. so daß der großartige, auf genialer Verbimiuug stra- tegischer Cberlef,'enheit und entschlosseneu Mutes beruhende Kampf wie ein Werk des Zufalls erscheint".

Im einzelnen glaubt Meyer, daß sich die Heere vielleicht noch beträchtlich länger als 12 Tage gegenübergestanden seien. Die Über- lieferung, daß die Spartaner ihre Stellung mit der der Athener ver- tauscht hätten, bzw. hätten vertauschen wollen , weil sie lieber gegen die Griechen als die Perser kämpften, hält er für athenische Sa^e; aber auch der Grnnd, den er an die Stelle setzt, nämlich der linke Flügel sei exponierter gewesen, befriedigt nicht; denn gerade der rechte spar- tanische Flügel war ja foitwähreuden Angriffen von selten der Perser ausgesetzt. Nach Meyer „spricht alles für die Richtigkeit der Ver- mutung, daß die Griechen sich schließlich dadurch Luft zu macheu suchten, daß sie der Flotte den Auftrag gaben, nunmehr endlich den Zug nach Asien auszufühien; auf die Kuude davon blieb Mavdouios nichts übrig als den Kampf zu wagen". Diese Vermutung Meyers hängt mit seiner Gesamtautfassung des Feldzuges von 479 zusammen, die dahiu geht, daß es überhaupt nicht zur Schlacht bei Platää ge- kommen wäre, wenn nicht der zwischen Themistoklcs und den Spar- tanern verabredete Kriegsplan, die Flotte nach lonien und dem Hellespont zu senden, durch den Sturz des Miltiades vereitelt worden wäre.

Den erwünschten Anlaß zum Angriff bot dem Mardonios der versuchte Stellungswechsel der Griechen, den Meyer nach Herodot begründet. Grundy und 'Woodhouse erblicken darin die Absicht, einen Vorstoß gegen Theben, die Operationsbasis der Perser, zu führen; aber wie konnte den Giiechen in ihrer jetzigen Lage ein solcher Ge- danke kommen? Von dieser Voraussetzung aus konstruieren die beiden Gelehrten die Schlacht, zwar in interessanter Weise, aber doch ohne objektive Gewähr. Daß das Zentrum der Griechen nicht in das Treffen gekommen sei, bezeichnet Meyer als Erfindung, aber der Erzählung von Amompharctos, dem Lochagen der Pitaueten, spricht er einen wahren Kern zu. Die Verluste der Perser sind nach ihm bei Herod. IX 70 sinnlos übertrieben; den Hauptteil des Heeres hat offenbar Artabazos gerettet. Das Fehlen der Seriphier und Paleer anf der Schlangensänle schreibt er der Flüchtigkeit der Verfertiger zu und erklärt Domaszewskis Erklärungsversuch (vgl. Jahresb. Bd. 8.3, S. 81) für unhaltbar.

K)0 Jahresbericht über Herodot 18i)8— 1901. (Sitzler.)

Meyer hat iu seinen Forschungen I 8. 16 die Richtiglieit der Allgabe Herodots V 26, daß Imbros und Lemnos zur Zeit der Unter- werfung durch Otanes noch pelasgisch waren, bezweifelt; er glaubt, daß die Inseln schon zur Peisistratideuzeit von den Athenern besetzt und Lykaretos zum Herrscher über die attischen Klerucheu gemacht wurde. Dagegen machte Bei och in seiner griech. Gesch. I S. 351 geltend, daß diese Kleruchen den kleisthenischen Demen Attikas angehören, also nicht schon zur Zeit der Peisistratiden dorthin geschickt sein können, und auch Mac an in s. Ausg. zu VI 140 weist Meyers An- nahme zurück. Trotzdem hält sie dieser in s. Gesch. III 1 S. 297 fest, indem er Beloch erwidert, jene seien eben bei der Phylenordnung in ihre Heimatgane eingeschrieben worden, nach denen sich übrigens die Athener schon lange vor Kleisthenes genannt hätten, z. B. Myron von Phlya Plut. Sol. 12. Damit ist aber die Tatsache, daß die Über- lieferung immerhin durch Belochs Hinweis gestützt wird, nicht be- seitigt. Es kommt noch hinzu, daß die Erwerbung von Lemnos für die Athener an Miltiades' Namen geknüpft ist. Nun ist aber dieser nach Meyers eigener Annahme bis zum Ausbruch des ionischen Auf- standes ein treuer Vasall der Perser gewesen. Ist es da nicht wahr- scheinlich, daß er Lemnos erst während des ionischen Aufstandes für die Athener erworben hat? Warum Meyer die Angabe, daß Miltiades von seinen Freunden vor allem durch den Hinweis auf die Gewinnung von Lemnos verteidigt worden sei, lediglich für stilistische Einkleidung Herodots hält, der die Geschichte dieser hier habe anbringen wollen, ist nicht ersichtlich, da derartige Hinweise doch ganz der Sitte bei attischen Gerichtsverhandlungen entsprechen.

A. Kirch hoff. Ein Irrtum des Herodot. Genethliakou zum Buttmannstage 5. Dezember 1899, S. 1 flg.

ist der Ansicht, daß Herod. IV 15 eine Verwechslung des Aristäos mit Aristeas vorliege; denn es sei nicht denkbar, daß die Metapontier dem Aristeas neben dem ApoUonaltar ein Standbild errichtet hätten. Dieselbe Vermutung spricht E. Pais, Storia della Sicilia I S. 548 aus. Aber vgl. E. Rohde, Psyche ^ II S. 91 flg., der den innigen Zu- sammenhang des Aristeas mit Apollon dartut, und außerdem E. Bethe, Pauly-Wissowas ßealenzyklop. Bd. II S. 876 flg., der darauf hinweist, daß Aristeas nach dem Mendesier Bolos bei Apollon. mirabil. 2 von den Sizilien! als Heros in einem eigenen Heiligtum verehrt wurde. Gegen die von Kirchhoff und Pais angenommene Verwechslung spricht auch schon der Umstand, daß Herodot nicht nebenbei diese Bemerkung macht, sondern in einem gerade dem Aristeas gewidmeten Abschnitt.

Jahresbericht über Herodot 18hS— 1901. (Sitzler.) 101

A. Hauvette, Phayllos deCrotone. Rev.des lindes gr. 1899 S. 9flg. behandelt zwei Inschriften auf den berühmten Athleten, der nach Herod. Vin 47 mit einem auf eigene Kosten ausgerüsteten Schifte den Griechen bei Salamis zu Hilfe kam.

MnpT, Archäologische Untersuchungen. I. Das Stierblut. 'Api^ovia I S. 6 flg. zählt die von den Alten überlieferten Fälle angeblicher Vergiftung mit Stierblut auf, darunter auch den des Psammenit Herod. III 15, und stellt dann die Frage, woher der in der Wirklichkeit nicht begründete Glaube der Alten von der tödlichen Wirkung des Stierbluts komme. Darauf gibt er die Antwort, der Stier sei das gewaltigste Tier der griechischen Länder gewesen, und deshalb habe man auch dem Genuß seines Blutes eine besonders starke Wirkung zugeschrieben. Diese Er- klärung ist ebenso unwahrscheinlich, wie die von W. Röscher, der im Rhein. Mus. Bd. 53 S. 182 flg. dieselbe Frage behandelt, S. 201 Anm. 4 mitgeteilte Karl Ludwigs, daß Krankheiten, an denen Menschen zu- grunde gingen, die mit dem Blute milzbraudiger Ochsen und Kühe in Berührung kamen, den ersten Anlaß zu den Fabeln von der Vergiftung durch frisches Stierblut gegeben haben. Die Frage harrt immer noch ihrer Lösung.

Zum Schlüsse erwähne ich noch

*J. V. Prasek,- Beiträge zu Herodot. Ceske Museum Filolog. 1903 S. 323 flg.,

G. de Sanctis, 'At9ic. Storia della repubblica Ateniese dalle origini alle rifoime di Cüstene. Rom 1898 und

A. Bauer, Die Forschungen zur griechischen Geschichte 1888 1898. München 1899, zwei Werke, in denen eine Reihe einschlägiger Fragen eingehend be- sprochen werden.

III. Herodots Leben und Geschichtswerk.

Über Herodots Leben handeln:

1. R. Dieterich, Testimonia de Herodoti vita praeter itinera. Diss. inaug. Leipzig 1899.

2. C. Wachsmuth, Bemerkungen zu griechischen Historikern. Rh. Mus. 56 S. 215 flg.

3. £. Meyer, Geschichte des Altertums. Bd. III. Das Perser- reich und die Griechen. 1 . Hälfte. Bis zu den Friedensschlüssen von 448 und 446 v. Chr. Stuttgart 1901.

102 Jahresbericht über Herodot 1898-11)01. (Sitzler.)

Dieter Ichs Arbeit zeugt von Fleiß uud Umsicht; wenn sie trotz- dem nicht zu neuen sicheren Ergebnis^^en führt, so trägt daran an erster Stelle die mangelhafte Beschaffenheit unserer Quellen, daneben aber auch die übergroße Zweifelsucht des Verf. die Schuld. Pamphilas Angabe über Herodots Geburtsjahr billigt er nicht, kann aber auch nichts Besseres an ihre Stelle setzen ; Herodots Verwandtschaft mit Pauyassis und seine politische Tätigkeit erklärt er für eine Erfindung des Duris; die von Hiller v. Gaertringen Athen. Mitteil. XXI S. 61 veröffentlichte rhodische Inschrift (= CIGr mar. Aeg. 145) über Herodots Geburtsort schließt er aus den Quellen aus, indem er V 5 die Ergänzung aXix]a[pva]aaou xpavaov Tieoov wegen des für Halikarnaß unpassenden xpavaov ttöoov durch xaj -]a[pva]aaou ersetzt. Die Frage, ob der Geschichtschreiber je wieder Thurii verlassen habe, läßt der Verf. bis auf weiteres offen, während E. Meyer an seiner Ansicht festhält, daß Herodot schon vor 440 von Thurii wieder nach Athen zurückgekehrt sei. Demgegenüber weist "Wachsmuth überzeugend nach, daß Herodot nach seiner Ansiedlung in Thurii in keiner andern Stadt, insbesondere auch nicht mehr in Athen seinen Wohnsitz aufgeschlagen habe.

Mit dem Geschi cht s werk Herodots beschäftigen sich:

1. R. Dieterich, vgl. oben.

2. H. Stein, Eh. Mus. 56 S. 626 flg.

3. E. Meyer, Forschungen zur alten Geschichte. 2. Bd. Zur Geschichte des 5. Jahrb. v. Chr. Halle 1899. 4. Abhandlung.

4. Fr. Gau er, Thukj^dides und seine Vorgänger. Histor. Zeit- schrift. Bd. 83 S. 385 flg.

5. E. Norden, Die antike Kunstprosa. Bd. I. Leipzig 1898.

6. A. Monaci, Dello stile di Erodoto. Bessarione Nr. 25. 26.

Dieterich verweist für die Echtheit des Proömiums auf einige bis jetzt nicht beachtete Zeugnisse: Plut. de malign. Her. 26: xal -a T% 'EXXaoo? ETCaYYeXXofisvoc -'pacpeiv <TravTaira3iv (oder xal t7)v 'Asiav) a7voEu>; die Ergänzung ist von dem Verf.; Diouys. ad Pomp. p. 50 (Useuer); xoiv-Jjv 'EXXtjvixäv ts xal ßapßaptxüiv Tipa'Estuv e^svT^voyev laropiac und Dionys. de Thuc. 5: TiposXojxevo? iroXXa? xal Statpopou? irpa|eic l'x xs tJ]c Euptuicr)? ex xe x^c 'Aaiac e? [xiav Trepqpacpyjv 7rpa7[xaxsia; d-ya^sTv. Da in den beiden letzten Beispielen Tipa'^sic offenbar dasselbe ist, wie £p7a bei Herodot, so folgert der Verf. daraus, daß Steins Erklärung von Ep^a , Werke, opera, die dauernden Denkmäler menschlicher Arbeit nnd Tüchtigkeit" irrig ist. Daß auch ich dieser Ansicht bin, habe ich Jahresber. Bd. 83 S. 45 dargelegt.

Das bekannte Zitat bei Aristot. Rhet. III 9 aus dem Proomium

Jahresbericht über Herodot 189S— 1901. (Sitzler.) 103

des Herodot: 'HpoöoTou Booptou ^o' tj-ropiVjC ÄTrooe'.ci; findet immer uoch Verteidiger, die es für echt halten nnd der hds. Überlieferung;: 'HpoSoToo 'AXixapvr,3jeoc ijropiTji di:ooe;t; r^oz vorziehen; so zuletzt Wachsmuth. Aber mit Unrecht, wie Stein ausführlich und überzeugend dartut. Vgl. auch Steins Ausgabe des 1. Buches 6. Aufl. S. IV flg.

Nach Meyer ist Herodots Geschichtswerk vollendet; es ist nach einer einheitlichen, sorgfältig entworfenen Disposition gearbeitet und duichaus aus einem Gusse. Aber dieses Urteil gilt nur im großen und ganzen; denn Cauer macht mit Recht darauf aufmerksam, daß Ein- lagen und Abschweifungen die strenge Durchführung des Planes wieder- holt unterbrechen. Wenn er aber daraus schließen will, daß nach an- derem Plane entworfene Abschnitte gewaltsam eingegliedert worden fceien und daß Herodot, ehe der nationale Gegensatz in den Vordergrund seines Denkens trat, Stoft" für ein geographisches Werk gesammelt habe, so übersieht er, daß Geographie and Geschichte damals noch innig mit- einander verbunden waren und in einem Werke von der Art des hero- dotischen auch gar nicht voneinander getrennt werden konnten, übrigens erkennt Cauer die große Kunst an, mit der der Gang der Ereignisse und der innere Zusammenhang anscbanlich gemacht wird und die Epi- soden stets an Stellen eingefügt werden, wo sie nicht stören. Die Ab- fassung des Werkes verlegt Meyer in die ersten Jahre des archida- uiischen Krieges, da über 430 keine sichere Spur hinabfübre; ja, er glaubt, daß gerade der Ausbruch des großen Entscheidungskampfes zwischen Athen und den Peloponnesiern, der allgemeine Sturm auf Athens Stellung, der dazu führte, seine Verdienste um Hellas nach Kräften zu verkleinern und womöglich ganz zu leugnen, Herodot den Anlaß gegeben habe, alles, was er erkundet hatte die Geschichte Assyriens ausgenommen zu einem einheitlichen Werk zu verarbeiten, das in die Verherrlichung der Großtaten Athens ausklang; diese poli- tische Tendenz, das Bestreben, die perikleische Politik und die Hege- monie Athens zu verteidigen, trete überall deutlich hervor und gebe der Darstelhiug und dem Urteil des Schriftstellers die Färbung. Gewiß zeigt sich in Herodots Darstellung, was ja allgemein bekannt ist, eine Vorliebe für Athen; Meyer zählt eine ganze Reihe von Beispielen dafür auf; aber ebenso gewiß hat auch Herodot die ihm von Meyer zuge- schriebene Tendenz nicht, die überdies für Jen größten Teil seines Werkes schon durch den Inhalt ausgeschlossen ist; Herodot gibt nur, was er erkundet und erfahren hat, seinem Grundsatze getreu.

Monaci bringt über den Stil Herodots nichts Neues, und auch Nordens Beurteilung deckt sich im ganzen mit dem, was H. Di eis Hermes XXII S. 424 und G. Kaibel, Stil und Text der AaTivaiV/ TcoMxeia S. 66 sagen. Was er über die Anwendung der Figuren, wie

104 Jahresbericht über Uerodot 1898-1901. (Sitzler.)

Aütithesis, vorbringt, behandeln ausführlicher P. Kleberund ANicschke. vgl. Jahresb. Bd. 71 S. 151 flg.

Über Herodots Weltanschauung sprechen außer Meyer und Cauer noch

1. L. Campbell, Keligiou in greek literature. London 1898 Kapitel 8 und

2. J. L. Heiberg, Bidrag til Belysning of Herodots religiense Standpunkt. Festskrift til J. L. Ussing. Kopenhagen 1900 S. 91 flg.

Herodot ist nicht frei von einem gewissen Kritizismus und Ra- tionalismus, der sich besonders in seinem ablehnenden Verhalten anthro- pomorphischen und mythologischen Erzählungen und Übertreibungen gegenüber zeigt. Darin erkennt man den Einfluß loniens auf ihn, und Cauer weist mit Recht darauf hin, daß dieser Rationalismus besonders in den älteren Teilen des Werkes, besonders im 2. Buche, vorkomme. Daneben besitzt unser Geschichtschreiber aber, wie Meyer bemerkt, einen gesunden Empirismus, d. h. die Gabe, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind, frei von Vorurteilen und vorgefaßten Meinungen. Dieser Empirismus bew^ahrt ihn vor nationaler Überhebung und dem Wahne, als sei der Sieg einer freiheitsliebenden Nation über die gewal- tigsten Heere eines Despoten selbstverständlich; er offenbart sich aber auch in seiner Beurteilung des göttlichen Wirkens in der Welt." Das menschliche und geschichtliche Leben scheint ihm überall von dem Ein- greifen übernatürlicher Mächte abhängig. Diese Anschauung entstand in ihm während seines Aufenthalts in Athen, wo man in den heimischen Göttern die siegreichen Beschützer des Vaterlandes verehrte. Er glaubt an den Neid der Götter, der den Menschen vor Übermut bewahrt. Überall tritt seine Grundanschauung, daß die sittlichen Mächte stärker als die materiellen sind, zutage.

Über die Quellen, aus denen Herodot bei Abfassung seines Geschichtswerkes schöpfte, handeln Meyer und Cauer. Cauer glaubt, Herodot habe für die geographischen Abschnitte in den älteren Erd- beschreibungen, vornehmlich in der des Hekatäos, zwar schriftliche Vor- lagen gehabt, sich diesen aber nur da anvertraut, wo die auf seinen Reisen unternommene Forschung versagte; der Gedanke, seine Leser über seine Originalität täuschen zu wollen, sei ihm ferngelegen. Für die geschichtlichen Teile läßt ihn Meye r seine Vorgänger, besondere den Dionysios von Milet, nur hinsichtlich der Chronologie und vielleicht in einigen streng liistorischen, mit seinen ausführlichen Erzählungen in Widerspruch stehenden Angaben (I 125. VII 11) benutzen, und außer- dem bezüglich der Satrapienliste des Dareios (III 89 flg.), der Königs- straße von Sardes nach Susa (V 22 flg.) und Xerxes' Zugs von Kelänä

Jahresbericht über Herodot 1808—1901. (Sitzler.) 105

bis Therme (VII 26 flg.); doch sind auch diese Mitteiluni^en teilweise durch eigeue Anschauangen erglinsct. Im übrigen schupfte Herodot nur aus mündlicher Überlieferung. Die lauge Erhaltung solcher Berichte im Volksmunde wird auf berufsmäßige Geschichtserzähler zurückgeführt. Den Hauptbestand bildet die attische Tradition, daneben zog er aber auch in Sparta und Delphi Erkundigungen ein, und ebenso bei einzelnen Männern, wie bei Thersandros in Orchomenos (IX 16), vielleicht im Hause des Artabazos, besonders in der Familie der Artemisia in Hali- karnaß und in der des Demaratos in Teuthrania, endlich bei Dikäos (VIII 65). Die Darstellung des Erforschten, die Verknüpfung und An- ordnung der Begebenheiten ist sein Eigentum, wie die äußerst geschickte, bis ins kleinste durchgearbeitete Disposition zeigt. Dabei finden sich zwar mitunter falsche Kombinationen, chronologische Irrtümer und aus der mündlichen Tradition herrührende Unrichtigkeiten , aber keine be- wußten Entstellungen oder absichtliche Fälschungen, wie Cauer und Meyer übereinstimmend betonen. Die eingelegten Gespräche und Reden, in denen er teils die Erwägungen der Handelnden , teils die ihn be- herrschenden Anschauungen darlegt, wird man mit Meyer als das Eigentum des Historikers betrachten müssen, wenn auch Cauer darin den Einfluß der älteren Sophistik erkennen will. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind wenig beachtet, und auf militärischem Gebiet, sowie in der Charakterisierung der Persönlichkeiten zeigt er sich sehr schwach. Zur wahren Geschichtsbetrachtung, zu der, welche die wirkenden Kräfte aufzusuchen und herauszuarbeiten vermag, ist Herodot, wie Meyer sagt, nicht vorgedrungen.

"Wie Meyer und Cauer, so treten auch J. Oppert, G. Fou- cart, E. Revillout, J. Toutain und J. C. Hoppin nachdrücklich für die Wahrheitsliebe Herodots ein und bringen dafür in ihren oben besprochenen Arbeiten Beweise bei. Diesem einstimmigen Urteil gegenüber will der Widerspruch von

J. Scbwarcz, Kritische Notizen über die neuesten Erscheinungen der staatswisseuschaftlichen Literatur. Leipzig 1899,

der von Fälschungen usw. des Geschichtschreibers spricht, wenig bedeuten.

Viele Arbeiten sind der Untersuchung des Verhältnisses, das zwischen Herodot und anderen Schriftstellern besteht, ge- widmet.

J. Vürtheim, Über die Telegonie des Eugammon von Kyrene. Mnemosyne 29 S. 23 flg., weist darauf hin, daß Herodot die Telegonie des Eugammon nicht ge- kannt habe; denn sonst hätte er gelegentlich des 11 121 erzählten Dieb-

106 Jahresbericht über Ilerodot 1898—1901. (Sitzler.)

Stahls im Schatzhause des Rhampsinit auf den im Anfange der Telegonie berichteten ganz ähulichen des Trophouios hingewiesen. Die Telegouie war also damals recht wenig bekannt.

Das Verhältnis des Herodot zu Hekatäos untersucht

C F. Lehmann. Zu Herodot und llecatäus. Festschrift für fl. Kiepert. Berlin 1898. S. 308 flg.

Die Vergleichung von Strab. XVI 742. 745 mit Herod. I 193. 196 200 zeigt, daß Strabo bei knapperer Fassung mehr als Herodot bietet. Daraus schließt der Verf., daß Strabos Quelle nicht Herodot, sondern, wenn auch indirekt, Hekatäos sei, dem er der geringeren Ge- nauigkeit und behaglicheren Breite Herodots gegenüber größeren Reichtum des Inhalts bei knapperer Fassung als charakteristisches Merkmal zu- schreibt. Dieser Schluß wäre nur dann zwingend, wenn jede andere Möglichkeit der Erklärung ausgeschlossen wäre. Ist es aber undenkbar, daß Strabo Herodot als Vorlage benutzte und das wenige, das er mehr hat, selbst anderswoher beifügte? Muß dies gerade aus Hekatäos stammen? Warum soll die kürzere Fassung nicht von Strabo selbst herrühren? Richtig ist, daß Hekatäos dem Herodot vorlag; aber trotz- dem darf man nicht einmal da, wo beide im wesentlichen übereinstimmen, ohne weiteres Ausschreiben des Hekatäos durch Herodot annehmen; die Ähnlichkeit kann auch auf ihre Gewährsmänner an Ort und. Stelle zurückgehen. Daß Herodot Babylonien selbst gesehen und erforscht hat, gibt der Verf. zu; auf eigene Beobachtung führt er Herod. I 193 die Bemerkungen über die Gallwespen und den Schluß von 196 zurück.

Herodots Beziehungen zu Sophokles behandeln:

1. E. Bruhu, Eine neue Auffassung der Antigone. N. Jahrb. f. kl. Altert. I S. 248 flg.

2. Th, Plüß, Goethe und Antigone. Ebenda S. 475.

3. S. Reiter, Die Abschiedsrede der Antigone. Zeitschr. f. österr. Gymn. 1898 S. 961 flg

4. Th. Gomperz, Herodote et Sophocle. Melanges H. Weil. Paris 1898. 15. Abhandlung.

5. E. Meyer, Geschichte des Altertums. 4. Bd. Stuttgart 1901. S. 127.

Die Freundschaft des Herodot mit Sophokles ist bekannt; in dem unvollständigen Epigramm des großen Tragikers (Fr. 5 in den PLGr. ed. Bergk) an den Vater der Geschichte ergänzt Gomperz tcevt' iizl TcsvTT^xov^' <£|axtc kr.z7.i-ti> , gewiß geistreich, aber ohne jede sichere Gewähr. Ebenso hat man schon längst beobachtet, daß der Dichter in seinen Dramen das Werk des Historikers berücksichtigt; die gegen-

Jahresbericht über Herodot 1898—1901. (Sitzler.) 107

seitigen Beziehungen werden durch die erwähnten Arbeiten genauer festgestellt, vgl. OR 1528. Tracli. 1 flg. mit Herod. I 32. El. 417 flg. mit Herod. I 108. OC. 337 flg. mit Herod. II 35. Antig. 904 flg. mit Herod. III 119. Ob allerdings die zuletzt genannte Stelle des Sopho- kles echt ist, bleibt auch jetzt noch zweifelhaft; ich halte sie mit P. Corsseu, Die Antigoue des Sophokles. Berlin 1898 für einge- schoben.

Auch zwischen Euripides und Herodot finden sich ('bereinstim- umngen, wie

W. Nestle, Untersuchungen über die philosophischen Quellen des Euripides. Leipzig 1902 =^ Philol. Ergänzungsband VIII S. 559 flg.

zeigt, vgl. S. 652 flg. Sicher ist fr. 449 aus Herod. V 4 entlehnt. Zu Herod. 132 vgl. Androm. 100 flg. Heraklid. 863 flg. Troad. 509 flg.; der cpftovo; ÖeJiv Herod. I 5. 32. 207. III 40. VII 10. 4G begegnet auch Alk. 1135. Hiket. 348. Iph. Aul. 1097. Orest. 972 flg.; da aber beide Anschauungen, sowohl die vom Neide der Götter als auch die, daß mau vor dem Tode niemand glücklich preisen soll, populär sind, ist eine Anlehnung des Dichters an Herodot nur wahrscheinlich. Die klimatologischeu Berührungen zwischen beiden gehen auf Hippokrates als gemeinsame Quelle zurück, vgl. Herod. IX 73. III 106 mit fr. 981. Med. 824 flg. Dagegen liegt in Hiket. 447 flg. bewußte Anspielung auf Herod. V 92 vor. Übereinstimmung in politischen Anschauungen und Urteilen findet mau Herod. III 80 flg. verglichen mit Hiket. 447 flg. Med. 119 flg. Ion 621 flg. fr. 76. 605. 8. 362. Hiket. 410 flg. Die Forderung der gütlichen Beilegung der Streitigkeiten, die Herod. VII 9 für die Griechen stellt, ist Hiket. 744 auf alle Menschen übertragen. Auch Herodots wissenschaftliches Prinzip II 33 klingt an fr. 574. 810 an, und Alkest. 802 scheint Herod. I 32: icav hxi avöpcuTroc Tj[i<fopri vorzuschweben.

Gegen die Sophisten wendet sich Berodot nach

L. Radermacher, Rhein. Mus. 1898 S. 501

in Vin 77; Radermacher sieht nämlich in dem Wort xaraßtxXXsiv, das hier von Leuten, welche die Wahrheit der Orakel in Zweifel ziehen, gebraucht wird, eine Anspielung auf die xaxaßaXXovxe? Xo-jfot des Prota- goras eine Vermutung, in der ich dem Verf. nicht folgen kann.

Für Herod. III 80 flg. nahmen schon E. Maaß (vgl. Jahresb. Bd. 58 S. 263) und E. Schwartz (Jahresb. Bd. 83 S. 105) eine ionische, bzw. sophistische Vorlage an. Diese will

R. Reitzenstein, Literarhistorische Kleinigkeiten. Philol. 1898 S. 45 flg.

108 Jahresbericht über Herodot 1898-1901. (Sitzler.)

genauer bestimmen. Da bei Herodot und Theognis 43 flg. die gleiche Eeihenfolge oxocai; oovo; ixovapxoj vorkommt, so haben beide dieselbe Quelle benutzt, eine Quelle, auf die auch die sophistische Schrift rrspt euvofj.ta;. von der ein Fragment vorhanden ist, zurückgeht. Der Ver- fasser dieser Schrift wendet sich ebenso, wie Theognis, gegen eine ältere iouieche Schrift, die für die Tyrannis eintrat und deren Abfassung nicht lange nach der Vertreibung der Tyrannen durch die Perser und der Einführung der minder verdächtigen Demokratien in lonien anzusetzen sein wird. Macht diese Zeitbestimmung schon die Benutzung der ionischen Schrift durch Theognis zweifelhaft, so wird vollends die P^r- wägung, daß Theognis nur die Zustände in seiner Vaterstadt vor Augen hat, dieselbe als unmöglich erscheinen lassen. Wie kann aber die doch so natürliche Reihenfolge a-uact?, <povo; £[j.ipuXos, |x6vap-/o? einen Zusammen- hang, bedingen? Eine ionische, bzw. sophistische Quelle Herodots wird also auch durch diese Beweisführung nicht dargetan.

Die Beziehungen Herodots zum delphischen Orakel macht A. Oeri, De Herodoti fönte Delphico. Diss. inaug. Basel 1899 zum Gegenstand einer eingehenden Untersuchung. Anknüpfend an W Hä- mo witz, der die G-o|jivr,[xaTa des delphischen Orakels als eine Haupt- quelle Herodots bezeichnete (vgl. Jaliresb. Bd. 100 S. 27),. mustert er die Stellen, die ihm auf diese Quelle zurückzugehen scheinen, durch und kommt dabei zu dem Resultat, daß sie alle einen apologetischen Charakter haben. Daraus schließt er nun einerseits, daß nur die Stellen Herodots aus der delphischen Quelle geflossen seien, die das Orakel gegen irgend eine Anschuldigung rechtfertigen, nämlich I 13. 19. 47. 85. V 92 p. s. IV 155. 163. V 67. III 57. V 89. VII 140. 144. I 66. 65. V 63. VI 66. 09, anderseits daß die Priester Herodot ausersehen haben, um durch ihn ihre Darstellung der Ereignisse verbreiten zu lassen, und deshalb auch nur ihm dies folgert er aus einer Vergleichung Herodots mit seineu Vorgängern und Nachfolgern die Benutzung der uTrofjLvrjfjLaxa gestattet haben. Beides erscheint mir unwahrscheinlich; denn warum hätte Herodot nur Apologetisches aus dieser Quelle schöpfen und warum hätten die Priester nur ihn zur Erreichung ihres Zweckes gebrauchen sollen? Hinsichtlich der letzteren Ansicht berührt sich Oeri mit C. Niebuhr vgl. oben S. 19; nur daß Oeri von der Ehrlichkeit Hero- dots überzeugt ist, die Niebuhr stark anzweifelt, vgl. N. Jahrb. f. klass. Altert. 1900 S. 638 flg. Was die Benutzung der delphischen uuoixvTjixaxa durch Herodot anlangt, so stehe ich auf dem Standpunkt Pomtows, der behauptet, daß sich in unserem Herodot nicht eine Stelle findet, die auf die uTrojxv/^fAaTa zurückgeführt werden müßte und nicht aus den Inschriften, Urkunden und Mitteilungen der Delphier ent- nommen sein könnte, vgl. Jahresb. Bd. 100 S. 27.

Jahresbericht über Herodot 1S9.S-1901. (Sitzler.) 109

Zum Schlosse erwähne ich

R. Kekule v. Stradonitz, Die Bildnisse des Herodot. Ge- nethliakon zum Buttmannstage 5. Dezember 1899. S. 31 flg.

Der Verf. erkennt in den erhaltenen Bildnissen des Historikers, abgesehen von der Bronzestatue in Pergamon, von der nur die Basis mit der Inschrift vorhanden ist, zwei verschiedene Typen, beide freie Erfindungen späterer Zeit, nicht Nachahmungen eines anthentischen Vor- bildes. Der erste Typus ist durch die Doppelherme in Neapel und die Einzelköpfe im Museum zu Neapel, im Albertiuum zu Dresden und im Museum zu Berlin dargestellt; er wurde im 4. Jahrh. v. Chr. von Si- lanion oder einem seiner Genossen und Nachfolger geschaifen und dann oft kopiert. Die erhaltenen Köpfe stammen aus römischer Zeit. Der andere Typus erscheint auf Münzen von Halikarnaß ans der Zeit des Hadrian, Antoninus Pius und Gordian: er geht auf eine Statue Hero- dots im Gymnasium zu Halikarnaß zurück, die etwa dem 3. oder 2. Jahrh. v. Chr. angehört. Der sog. Herodot-Kopf der Sammlung Campana ist modern.

Jahresbericht über Pindar 1901-1902

von

Dr. L. Bornemann.

Der erste Teil des vorliegenden Berichts behandelt, an den vorigen anschließend, chronologische Fragen, worin die Pindarforschung neuer- dings wesentliche Fortschritte gemacht hat. Der zweite Teil betrifft die Oden an Hieron Pyth. I. II. III; hier erscheinen die Ergebnisse als geringfügig, wiewohl ausführliche Arbeiten von Gelehrten wie Wilamo- witz, Schroeder und Legrand vorliegen. Sie bieten dem Berichterstatter Gelegenheit, viele Einzelheiten zu erörtern, um ein abweichendes Urteil zu begründen. Das gleiche wäre zum besseren Verständnis meines Einspruchs auch für andere Oden erwünscht gewesen, besonders für N X und 0 II, über die ich wesentlich anders denke als frühere Forscher; aber ich will diesen Bericht nicht allzusehr belasten und muß mich vorläufig mit Andeutungen begnügen, nachdem mir die Gelegenheit genommen ist, meine längst fertig gestellten Darlegungen über jene beiden Oden in deutschen Zeitschriften zu veröffentlichen.

Wer eine Anzahl kurz hingeworfener Textänderungen kennen zu lernen wünscht, die ich hier nicht ausführlich registriere, mag Mnemosyne 1901, 211— 216 (van Herwerden), Classical Review 1900, 10 (Headlam), 1901, 10 ff., 195 ff., 246 ff. (Nairn), Lit. Centralblatt 1902, 103 ff. (Stadtraüller) lesen.

I.

Aus dem bereits am Schluß des vorigen Berichtes erwähnten Auf- satz von

Carl Robert (Hermes 35 S. 141—195) über „Die Ordnung der olympischen Spiele und die Sieger der 75. 83. Olympiade"

sei hier zuvor ganz kurz die erste Hälfte wiedergegeben.

Die Reihenfolge der Agone im Papyrus aTocotov, St'aoXo?, SoXi^oj, Tcevta&Xov, hgcXt), roi^, 7ra7xpaxtov, iraiSiov otoEoiov, iraiScuv TrdfXif), 7tai6(uv ituS, oiiXiTT)?, TEÖpiuuov, xeXt); sieht Robert als die authentische Folge der

Jahresbericht über Pindar 1901 1902. (Bornemann.) m

Spiele au. So sei auch 0 5 -EfiKap-epoi^ a[j.tXXa'.; dahin zu verstehen, daß am fünften Kampftage (15. des Monats) Pferderennen war (xeöptTirov, '/.i\r^i, aTZTr^vT), •/.al-r^). und unter abweichender Behandlung von Plut. quaest. symp. II 5, Xcn. Hell. 7, 4. 29 sowie schol. Ol. 13, 30 stellt Robert für die vier voraufgehenden Tage folgende Ordnung her: 1. cxaStov, öiauXoc, 66Xr/oc, 2. TtevraöXov, 3. TraXr) ru$ TraYxpaxtov, 4. iiaioüjv ara^tov, TT TraXir], -. -'j$, oirXiTTfjc Während die Proklamation des Siegers und seine Krüuutig sofort nach dem Wettkampf stattfanden, opferte er am Zeus- altar und den sechs Doppeialtären nach dem ;rev:a9Xov bzw. nach dem Pferderennen (0 5 ßoui)u7iat; und O 3, 19). Vor Ol. 77 hielt man unter Beschränkung auf dreiTage die chronologische lieihenfolgc derStiftung ein: 1.3-aöiov, oi'auXo; ooXf/oc, 2.7:£vca9Xov, izotXrj, -6$, xeöpm-ov, xeXTjc, Tra^xpattov, '3. Tcai'öcDV (Jtaoiov, tc. r:ofXy], tc. iruS, ottXittjc, von Ol. 70 und 71 ab airr^vr) und y.otXTir,. Bis Ol. 25 war man wohl mit einem Tage ausgekommen.

Widerspruch hiergegen auf der ganzen Linie erhebt Lipsius, Ver- handl. d. sächs. Ges. d. W. 1900 p. 16 ff. Er kommt auf die bisherige Ansiclit zurück, welche von der bei Phlegon und im PapjTus vorliegenden -Folge absieht, beschränkt sich aber auf dies negative Ergebnis. Übrigens werden, was Pindar 0 10 angeht, künftige Untersuchungen nach meiner Ansicht die Auffassung festhalten müssen, daß dort die ältere, vor Ol. 77 gültige Reihenfolge gemeint ist (s. unten S. 121).

Die erheblich wichtigere, höchst sorgsame zweite Hälfte der Robertschen Publikation hat unmittelbar darauf einem trefflichen, preis- gekrönten Buche als Grundlage gedient, nämlich

Camille Gaspar, Esssai de Chronologie Pindarique. Bruxelles, Lamertin, 1900. XVI und 196 S.

Das Buch ist vielfach und allermeist rühmend besprochen, am ein- gehendsten meines "Wissens von Fraccaroli, Rivista di filologia 1901 lU 385 415. Man verfolgt Gaspars klare Darlegungen mit größtem Interesse , und ich kann es ihm nicht, wie von ein paar Rezensenten geschehen, zum Vorwurf anrechnen, daß er allermeist von innerer Ana- lyse der Oden Abstand genommen hat; das Bessere wäre ein Feind des Guten geworden. Mit Mängeln behaftet ist, wie der Verfasser selber empfindet, die Verwertung metrischer Symptome, und zwar infolge unseres bisher unzulänglichen Verständnisses der pindarischen Metrik; ferner die meisten Schlüsse aus allerlei Analogien in Ausdruck und Gedanken zwischen verschiedenen Oden, worin besonders Christ voran- gegangen ist; endlich die Aufspürung von Zügen vermeintlicher Jugend- lichkeit des Dichters, die vielfach aus unserer mangelhaften Einsicht oder aus Textverderbnissen herrühren. Endlich liegt bei chronologischen Untersuchungen schwieriger Dichtungen die von Gaspar nicht völlig

112 Jahresbericht über Pin-^ar 1901 1902. (Bomemana.)

überwundene Versuchung nahe, Bezugnahme auf Zeitereignisse in allzu ausgedehntem Maße zu wittern und somit wieder auf die Pfade von T. Mommsens Pindaros einzulenken.

Durch diese Bemerkungen soll weder der Wert des Buches noch mein Interesse an demselben geschmälert erscheinen. Und wenn viel- leicht gerade der Verfasser selber am meisten verwundert sein wird, daß mein Bericht mit seinem Buche bunt umspringt, so geschieht dies, weil ich meine Leser im Besitze des Buches sehe oder zu sehen wünschte; durch gründliche Kritik der einzelnen Positionen, nicht durch bequeme Wiedergabe der Ansätze Gaspars und seiner Gründe denke ich der Sache am besten zu dienen.

Als groJ]er Fortschritt und wertvollste Grundlage des Ganzen ist freudig zu begrüßen, daß nunmehr die Pythiadenära Ol. 49, 3 allgemein anerkannt ist; selbst Christ hat in der Hauptsache nachgegeben (Hermes 1901, 107 fif.). Nach dem Tode Bergks waren Fraccaroli und ich viele Jahre lang die vereinsamten Vorkämpfer für diese ältere, vor Boeckh gültige Datierung (vgl. besonders Jahresbericht 1892 S. 282). Und wenn nun die Anerkennung unseres Standpunktes den italienischen Genossen mit lebhaftem Bedauern erfüllt, daß er in dem verflossenen Zeitraum soviel Kraft und Papier für einen jetzt abgetanen Streitpunkt habe ver- schwenden müssen, die er lieber anders verwendet hätte, so leitet mich andererseits vor allem der Wunsch , von dem nunmehr gewonnenen sicheren Boden aus, an der Hand Gaspars, manche in dem bisherigen Durcheinander mir untergelaufene Unrichtigkeit zu beseitigen.

Zu einem reinlichen Resultat wird man freilich nie kommen, so- lange man für gewisse Schwierigkeiten, die nur zum Teil in den Oden selbst liegen, grundsätzlich gewisse an sich anfällige Lösungen oder Ent- schuldigungen zuläßt. Einige Oden sollen verspätet aufgeführt sein, einige zu angeblichen Wiederholungsfeiern gedichtet, andere sollen nur tibersandt oder mitgegeben sein, während der Dichter die Aufführung nicht leitete noch ihr beiwohnte, ein paar sollen sogar den Charakter poetischer Episteln tragen. Eine Reihe derartiger Aufstellungen aus den letzten Jahrzehuten, eine von diesem, andere von jenem Gelehrten, führe ich auf, ohne um Vollständigkeit mich zu bemühen; das aufge- führte Material ist groß genug , um ein allgemeines Urteil zu ermög- lichen. Die kleinen vorgesetzten Ziffern erleichtern die Auffindung der betreffenden Oden im nachfolgenden Bericht, wo ich die aufgeworfenen Fragen, soweit es nicht in dieser Einleitung geschieht, erledige.

Als verspätet werden bezeichnet: ^«0 10. -■^0 12. "P2. *^-F H. "NL 24N3. ^iN6. "N8. i^N9. 29J2. sj 4. 10 j 5. 38 j 7, pjg. Gaspar zweideutig in der Tabelle S. 181, gegenteilig im Text S. 69; ebenso 3 J 3 Tabelle S. 183 gegen Text S. 107.J Außerdem gehört hier-

4.

Jahresbericht über Pindar 1001 1902. (Bornemann.) 113

her der von Caspar und Wilamowitz mehrfach vertretene Gedanke, daß oft eine erhebliche Zeit, etwa ein Halbjahr, dnrch die Benachrichtignng des Dichters, die Verhandlungen, die Dichtnngsarbeit , Einstadicrnng, Reise zur Siegesfeier verbraucht sein müsse.

Zu Wiederholnngsfeiern, Erinnerun^sfesten und wie mau es sonst nennt, sollen erst gedichtet sein: '^0 3. ^'0 9. -T 3. ^^ps. 21p j] ^''NS. i'N9. 29 J 2.

Übersandt, mitgesjebeu, also uicht vom Dichter persönlich auf- geführt wären ^^O H. ^sq 7. 'hq 10. ^^o 12. -^P 1. 34p4 35p 5^ ■riO. -■»N3. "N. 4. fr. 124. Hierhergehört außerdem die Reihe sizilischer Lieder, die nach Fraccarolis Ansicht vor der von ihm erst auf 0 77 datierten Reise nach Sizilien liegen: ^P 6. -^P 12. -«PS. ^oq 6. "0 3. ='P2. ^30 2.

Poetische Episteln sollen sein, um frühere Annahmen Leop. Schmidts nicht zu wiederholen, -''P 2. '''P 3. 'M 2.

Die Benutzung dieser Aushilfen wuchert wie eine Krankheit, die bald hier, bald da am Körper auftritt. Betreffs der verspäteten Jjieder bemerke ich: Bei P 8, N 6 und N 8 liegt Gaspar daran, ein nach den Karapfspielen eingetretenes politisches Ereignis chronologisch vor die Aufluhrun? der Ode zu bringen. Für P 8 ist dies in der Tabelle S. 187 irrtümlich geschehen, da Gaspar selbst im Text S. 167 das Lied nicht nach den 30jährigen Frieden setzt, sondern „au moment les r.egociations etaient actnellement pendantes". Für N 6 handelt es sich um eine ganz hypothetische Deutung des 6t^u(xov ayöo;, die sich als fünfte zu den im Jahresbericht CIV S. 178 reiht. Über N 8 siehe unten. Anders liegt es mit den von Gaspar schon vorher S. 128 zu- sammengestellten Oden. Für 0 9 und 0 12 wird er selber, statt von Verspätung zu reden, nichts gegen den richtigeren Ausdruck einwenden, daß diese unter den olympischen Oden aufgeführten Lieder anläßlich pythischer Siege gedichtet sind. Daß 0 10 etwas post festnm gekommen, war selbstverständlich, da eine ganze Reihe Oden durch die olym- pischen Spiele jenes Jahres veranlaßt waren; übrigens wendet sich Gaspar S. 108 ausdrücklich gegen die Annahme beträchtlicher Ver- spätung. Über N 3 o<{/£ und N 9 r.o-i siehe unten bei Behandlung der einzelnen Oden; J 2 wird sofort unter beiden folgenden Rubriken zur Sprache kommen, wie auch P 2. N 3. N 9. Für J 7 suchte Mezger S. 302 f. iu einem Aufschub die Lösung gewisser Schwierigkeiten, ähn- lich Gaspar S. 62 f. lür J 5, desgleichen S. 84 für J 4; ich verweise auf die Einzelerörterungen unten, auch bezüglich einer Anmerkung von Wilamowitz zu X 1.

Die Wiederholungsfeier (annivevsaire), die Gaspar S. 122 für J 2 annimmt, versieht er selber in der Tabelle S. 183 mit Frage- J.ihresbericht für Altertumswissenschaft, Bd. CXVII. (1903, II.) 8

114 Jahresbericht über Pindar 1901 1902. (Bornemann.)

zeichen. Nicht so das „anniversaire" für N 3, das Gaspar aus vs. 1 3 beweisen will, wälirend Dissen offenbar nicht hierin, sondern wie später Beigk in dem soeben erwähnten rj<\ii die Bogründunor suchte. Ahnlich steht es mit dem erwähnten ttote N 9, das wohl auch Sittl (Jahresb. 1891, 5), Drachmaun (1892, 273), Boehmer (ib. 280), Wilamowitz (s. unten) veranlaßt hat, an eine ,,Erinne)ungsfeier" und dgl, zu denken. Be- treifs P 5 war es Mezger S. 223, der aus der Lage des Karneenfestes die Annahme einer Wiederholungsfeier herleiten wollte-, gefolgt ist ihm bierin Christ in seiner Au«gab^, auch Sittl in der Literaturgeschichte, nicht Gildersleeve und Fennell; Gaspar tut nicht einmal jener Ansicht Erwähnung, Wilamowitz setzt das Lied ins Jahr nach dem Siege, Herbst 461, weil die Beteiligung des Gespanns an den Olympien be- reits in Aussicht stehe. P 3 wird schon von ßoeckh entsprechend ge- faßt, dem Mezger beipflichtete, während Wilamowitz und Schröder darin einen Trostbrief vorfinden. 0 9 und P 11 findet man bei Sittl a. 0. genannt; 0 3 führt Christ, Der Ätna in der griechischen Poesie (Bayer. Ak. 1888 Heft 3) S. 384 Anm. auf, als dächte er so „mit allen Auslegern".

Was die Übersendung von Oden betrifft, so stehen für P 1 Legrand (s. unten S. 130) und Lipsius verbündet. Letzterer sagt (Sachs. Ges. d. W. 1900) S. 13: „Daß Pindar noch einmal nach Sizilien zurück- gekehrt sei, um persönlich die Aufführung zu leiten, ist . . . aus dem Gedicht selber nicht zu belegen" und fügt, was Legrand nicht unter- schreiben würde, weiter hinzu: „Das Gegenteil dürfte folgen, wenn meine Vermutung richtig ist, daß das in der zweiten pythischen Ode angekündigte Kajxopetov kein anderes ist, als das erste pythische Ge- dicht, das dann ebenso wie jene über das Meer geschickt sein muß." Ebenso ist Wilamowitz, der a. 0. mit der Annahme, P 10 setze Pindars Anwesenheit nicht voraus, weder bei den Spielen noch bei der Aufführung, wohl vereinsamt stehen wird und gewiß auch mit der Ansicht, daß N4 trotz vs. 74 xapuE ?Toip,oc eßav „von Theben aus übers Meer geschickt" sei, hinwiederum für P 4 und P 5 mit Gaspar ver- bündet, wenn er bestieltet, daß Pindar je in Kyrene gewesen sei; dies im Widerspruch zu den früheren Erklärern. Gaspar findet dabei die Tatsache wichtig, daß Pindar den olympischen Sieg des Arkesilas von 460 nicht besungen hat (er feierte Ägina und zwar wegen des einzigen von ihm besungenen olympischen Sieges eines Ägineteu); Wilamowitz seinerseits beruft sich lür P 4 auf vs. 2, für P 5 auf XsYofxsvov Ipiu» und cuvexot. Was aber 0 10 angeht, so hoffe ich nicht ganz vereinsamt zu bleiben mit der Überzeugung, daß der bildliche Ausdruck vs. 85 xd Kap' euxXei Ai'pxa ipavsv nicht wörtlich auf Pindars Anwesenheit ia Theben zu deuten ist, sondern daß Pindar persönlich in Lokroi war.

Jahresbericht über Pindar li'Ol 1902. (Bornemann) n5

Übrig bleiben einige Lieder, worin das Wort rejizto oder ein angeblich vom Dichter beauftiagter Vertreter eine Rolle spielt: fr. 124. N 3. 0 7. P 2. sowie 0 6 und J 2. Daß tA^l-iu nicht beweiskräftie ist, hat längst Graf gelehrt, vgl. Jahresb. LXVII (189 1) S. 1 1. Bei Gaspar S. 60 gilt demgegenüber Ranchensteins Deduktion noch für riclitig (ipeziell für P 2), und S. 106 argumentiert er ebenso für N 3; dagegen S. 146 tritt er für 0 7 der entgegengesetzten .Auffassung bei. Anderseits bin ich mit dem angeblichen Vertreter Aiueas in Stymphalos ganz anders verfahren Phil. 45. 613 und werde unten auch dem Vertreter Nika- sippos in J 2 auf den Leib rücken.

In diesen vier Punkten hoffe ich reine Bahn geschafft zu haben. Dagegen räume ich ein, was ich Jahresb. 1892, 273 bestritten habe, daß einige Oden sofort am Ort des Sieges gesungen sind. Es sind lauter kurze Oden; sechs von einem S3'stem O 4. O 11 0 12. 0 14. P 7. J 3 und die in fünf einfachen Strophen verlaufende N 2. die schon ßergk u. a. so faßten, während Mezger an Aufführung aut Salamis (oder in Acharuä) dachte, wie Mezger S. 137 für O 4 in Kamarina. Bezüglich [0] 12 könnte die Tatsache Zweifel erwecken, daß Pindar nach jenem [pythischen] Siege Sizilien besucht hat; aber die Gedanken der kurzen Ode sind so allgemein gehalten, daß sie den Zuhörern in Delphi eingehen konnten, und für den Sieger mußte es ruhmvoller sein, wenn die Besleituug von Hierons siegreichem Gespann seiner eigenen Ehrnn;; durch Pindar beiwohnte. Zu P 7 vgl. Jahresb. 1897. 210; zu P 6 die Einzeleiörterung nuten. Für 0 3 möchte Gas- par S. 90 die Aufführung in Olympia annehmen, ohne daß Theron selbst zugegen war (S. 92). Was 0 8 betrifft, so hat Mezger. ganz gegen seinen zu 0 4 vorgetragenen GruudsHtz. den Vortrag in Olympia fest- gehalten und zwar so, daß Pindar vielleicht schon vor dem Siege sich zum Dichten hingesetzt habe, und auch Gaspar will aus vs. 9 f. die Aufführung am Festort folgern. Ich meinerseits sa^e mit Bergk: „Ae- ginae, nou Olympiae cantatum-, und rekapituliere kurz (weil sie leider in dänischer Spiache verfaßt ist) die umsichtige Erörterung dieser Frage bei Drachmaun. Moderne Pindarfortolkning p 174 176. Schein- bar gleichwertige Instanzen sind einerseits die Aurufuui;eu vs. l und 9, andererseits tavSs yiöon-^ vs. 25 und Ösypo vs. 51. Nicht gerade durch- schlagend ist -ravos (zumal wenn ich unten P 9, 90 tocvos nicht auf den Ort der Aufführun;:, dagegen xauTav J 7, 27 auf die voi liegende Gegen- wart beziehe und P 1, 61 xei'vav vou Ätna zu verstehen ist); aber Heimsoeths Deutung vou öeüpo = ,von Kleinasien nach Griechenland"' hätte Drachniann mehr als „gezwungen" nennen sollen, da dies Ssüpo mitten zwischen Isthmus und Korinth steht (lies übrigens xäx Kopi'vöou Sei'paS' e7ro«J/6p.evo; oaiTav xXuxav). Die Beifügung eic' 'AX^sy vs. 9 und

116 Jahreabericht über Pindar 1901 1902. (Bornemann.)

vielleicht auch das längere Verweilen bei dem Brandopferaltar fällt ebenfalls gegen die Aufführung am Siegesort ins Gewicht; vor allem aber, abgesehen von der Länge der Ode und dem dadurch verursachten Zeitaufwand (Christ freilich meint allerlei Spuren von Flüchtigkeit zu sehen), sucht man in Olympia vergebens nach dem für den Inhalt dieser Ode interessierten Auditorium; speziell das vootov I/JIkjtov vs. 69 wäre wenig passend, und der gleich darauf erwähnte, tiefgebeugte und alters- schwache Großvater hätte die Reise nach Olympia antreten müssen, während er doch offenbar beim Anblick des siegreich heimkehrenden Enkels wieder aufgelebt ist.

Ich gehe nunmehr auf die chronologische Folge der Oden ein und bitte jedesmal die Darstellung Gaspars zum Vergleich heranzuziehen, auch wo ich es nicht ausdrücklich sage.

Des Dichters Gebart nad Tod.

Gaspar S. 15 f. und 171 f. wählt die Daten Ol. 64, 3 und Ol. 84, 3. Es muß ihm an dieser Vordatierung liegen, um die beiden Oden J VII und N X noch vor P X unterbringen zu können. Lipsius a. 0. will gar „in Berücksichtigung der Schaffenskraft, die dem Dichter bis in sein hohes Alter geblieben ist", bis Ol. 63, 2/3 hinaufgehn. Ich halte mit V. Wilamowitz, Aristoteles und Athen II 301 Anm. 20, Ol. 65, 3 und Ol. 85, 3 für richtig; die Datierung der «/[xt] unter Ol. 75 weist nach chronographischem Usus auf Ol. 75, 3 und nicht Ol. 74, 3.

Die Dichtungen ordne ich in drei Perioden.

Erste Perlode der Dicbtnngen 498-478.

1. Pyth. X 498. Pindar in Larissa (anders Wilamowitz, s. S. 114). Möglich, daß Simonides den andern Sieg in denselben Spielen besang.

2. und 3. Für Isthm. IV und [Isthm.] III ist die Parallele im fünften Liede des Bakchylides vs. 31 36, die Gaspar nicht an- führt, von großer Bedeutung. Beiläufig ein neues Argument dafür, daß jene Worte eatri fioi öeuiv sxan |j.upia Tiavxa y.lXsu{)o? schwerlich aus der Mitte einer Ode herausgegriffen sind, sondern als Anfangsworte in aller Ohren nachklangen, nötigen sie uns, da Bakchylides sie schon 476 wiederholte, nicht die Schlacht von Platää und das nachfolgende Wieder- aufleben Thebens als die dem Gedicht zugrunde liegenden Verhältnisse zu betrachten, sondern weiter zurück in die Zeit vor den Perserkriegen zu greifen. Es war damals, als sich noch nicht die perserfreundliche Gesinnung Thebens hervorgekelirt hatte, die den Dichter abgestoßen hat, wie er denn auch den olympischen Sieg des Aleuaden Hippokleas 492 nicht mehr besang. Der Krieg, in dem die vier Kleonymiden fielen, ist also der von 506 gewesen, und J IV mag 494 (April),

Jahresbericht über Pindar 1901 1902. (Bornemann.) 117

[J] III 493 (Jnli) fallen; die andere Möglichkeit wäre schon 498 und 497: es mnß nämlich, wenn ich den Text richtig verstehe, eine Olympienfeier mit unglücklichem Ergebnis kurz vor;iufgegangen sein. J IV ist in Theben, [JJ III in Nemea gesungen, das zweite Lied in gleichen Metren wie das erste, also wohl aus dem Stegreif von dem- selben kürzlich geschulten Chor. Es wären dies also Thebaner-Uden aus dem Jahrzehnt vor dem Perserzuge. Fraccaroli setzt sie 476.

4. und 5. Pyth. VI und Pyth. XII 490. Beide Sieger stammen aus Akragas; so liegt von vornherein die Annahme nahe, daß beide Lieder in Akragas gesungen sind. Für P XTI gibt der Text dies an die Hand, und auch Wilamowitz läßt es mit den meisten Erklärern dort aufgeführt sein, ohne freilich ausdrücklich zu sagen, ob er Pindars Anwesenheit voraussetze, aber mit dem Sieger von P VI ist Pindar durch lebenslängliche Freundschaft verbunden gewesen, und so wird er gerade ihn erst recht, als er seine Heimat besuchte, gefeiert haben. So statuierte auch Mezger die Aufführung von P VI in Akragas, im Gegensatz zu Boeckh, welcher wohlgemerkt nicht aus vs. 4, sondern .aus vs. 9 das Gegenteil folgern wollte. Betreffs des avaroXtCstv, wozu fr. 194 Tei/iCü)}xev eine Parallele bietet, war ich in meiner Abhandlung Phil. 51, 467 insofern im Irrtum, als der in 0 II erwähnte isthmische Sieg des Xenokrates nicht früher , sondern augenscheinlich 0 75, 4 fällt, weil die Xotpits; als xoivai bezeichnet werden. Vgl. übrigens unten zu 29) J II. Wenn "Wilamowitz in ava- einen Bezug auf fr. 90 findet, das „offenbar wenige Tage vorher unter Pindars Führung gesungen war", so denkt er offenbar P VI in Delphi aufgeführt. Die Gleich- mäßigkeit des Ausdrucks ist freilich schlagend; sollte nicht fr. 90 aus einem ebenfalls auf Thrasybulos, aber sofort am Siegesort gesungenen kurzen Liede stammen, nämlich demjenigen, womit der junge Dichter sich in Delphi einführte, und dann P VI in Akragas wirklich ein dva-i:oXiCeiv sein? Beiläufig: schon a. 0. S. 469 wies ich auf die Schlacht voL Marathon hin; sollte nicht deswegen auch von epippofxou '/powi die Rede sein, andererseits aber jegliche anschauliche Ausmalung der festländischen Dinge unterblieben sein? Aus schol. zu J II in. geht übrigens nicht, wie Gaspar meint, hervor, daß dem Simonides 490 das „offizielle Siegeslied" auf Xenokrates übertragen war; vielmehr wohl bei der Feier des erwähnten isthmischen Sieges von Ol. 75, 4, wo Simonides in Sizilien anwesend gewesen ist, hat dieser die beiden Siege „aufgezählt" (xaTa-rasset). Die herkömmliche Auslegung, daß Thrasy- bulos seinen Sieg dem Vater überlassen habe, bestreitet Gaspar; in J VII auf Strepsiadcs liegt das, wie wir sehen werden, nicht wesentlich anders, ebenso in J VIII. Wilamowitz gesteht, man müsse nach P VI glauben, der Sohn hätte den Wagen gelenkt, aber in J II werde

11g Jahresbericht über Pindar 1901— 1!»02. (Bornemann.)

Nikomachos genannt. So sei der Vater als Sieger ausgerufen (also elSev J 2, 18 bildlich), und der anwesende Sohn empfange die Huldi- gungen. Ich denke, bei Besprechung von J II wird uns gerade das \iv.ai(sir,Tz' zum Gegenbeweis und zur Stütze der gewöhnlichen Auffassung von P VI werden. Und ist wirklich nach dem Text von vs. 19 ff. da- selbst, wo allerdings Bergk hinter xXeivai; ein x' eingeschoben hat, die Beziehung des Nikomachos auf den delphischen Sieg berechtigt? Viel- leicht xal tcotI xXetvai? etc. und dann vs. 21 f. der acc. c. inf. puaiSt9pov yeTpa . . . Totv NixofJLOt'^ou xaxa xaipov l^yaXaSaoö' aviai;.

6. Pyth. VII 486 in Delphi gesungen.

7. 8. 9. 10. Ägineten-Oden 483 478, auf Ägiua. Hiervon gelten drei den Söhnen Lampons, eine dem Kleaudros und Nikokles. Die sorg- samen Darlegungen Gaspars wecken zwei wesentliche Bedenken : erstens muß er zu dem Auskunftsmittel greifen, daß er die Feier eines Sieges von April 480 bis in das letzte Viertel des Jahres hinausschiebt, und zweitens setzt er die rühmende Erwähnung Athens in der ältesten Ode Nem. 5, 48 f. in das Jahr 489, wo die alte Feindschaft mit Agina wieder aufgebrochen war, „r6cemment ravivee par la question des otages", um in offene Feindseligkeiten überzugehen. Außerdem hat Gaspar die Person des Nikokles und seinen isthmischen Sieg in Isthm. VIII übersehen; statt der diplomatischen Bemühungen, die er S. 68 nach Dissens Vorgang vermutet, hätte er den Heldentod des Nikokles in den Vordergrund schieben, dem Kleandros nur den nemeischen Sieg zuweisen sollen und das längst angezweifelte aXixt'a xe in vs. 1 durch aXixt Ftp oder aXtxi Fot xs ersetzen. Nehmen wir an, daß Pindar, der schon in der vorigen Ode 486 die Stadt, in der er herangebildet war, bei aller Kürze rühmend zu erwähnen gewagt hatte, den Hinweis auf Athens Bedeutung in Nem. V wohl 483 einfließen lassen konnte (die isthmische Eidgenossenschaft verwirklichte 481 seinen Wunsch), so erhalten wir folgende Übersicht:

Nem. V: Pytheas 483 Juli (Nem. 46) Isthm. VI: Phylakidas 482 April (Isthm. 51) unbesuugen: Pytheas 481 Juli (Nem. 47) unbesungen: Nikokles 480 April (Isthm. 52)

Olympiade 75, 1 August 480

Salamis September 480 Isthm. VIII: Kleandros 479 Juli (Nem. 48)

Platää August 479

Frgm. 107: Sonnenfinsternis 478 Februar Isthm. V: Phylakidas 478 April (Isthm. 53). Im letzten Liede würde sich die gedämpfte Stimmung von ant. 7' dann aus dem über Theben hereingebrochenen Verhängnis erklären. Daß

Jahresbericht über Pindar 1001 1902. (Bornemann.) 119

Gaspar selbst in der ßichtang dieser meiner Aufstellungen vorzugehen geneigt war, aber nicht bis zum Ende gelangte, sieht man p. 62 not. 3. Lipsius a. 0. p. 4 setzt J VIII ins Jahr 478. wohin J V gehört; nach Fraccaroli fällt N V 485, J VI 483, J V 480.

Zweite Periode der Dicbtangen 478—458.

Au dem ersten Ülympienfest nach der Schlacht von Salamis waren die Westhelleneu glänzend vertreten. Pindar, mit ihnen durch Thrasybulos und Xenokrates längst verbunden, nahm wohl zum ersten- mal teil, wenigstens als Poet. Am Ort des Sieges selbst feierte er die Sieger im ratotov a-raoiov und -ai'öwv zu; mit 11. und 12. Olymp. XIV und Olymp. XI, letzteres Lied nur eine |i.£Xi7apu; ujtipüjv dpya Xoyajv xai TTtoTov opxtov vgl. Jahresb. LXXXXII p. 207 f.

Betreffs Olymp. XIV macht sich Gaspar Weitläufigkeiten wegen der Papyrusnotiz und läßt Pindar schon 488 in Olympia auftreten, des- gleichen Fraccaroli, nicht so Wilamowitz. Da der Eigenname im Papyrus . sich nicht mehr findet, bleibt die Auffassung zulässig, daß dieses Lied in Olympia eben an dem überlieferten 7G Fest gesungen ist, an welchem Pindar nach Ausweis von 0 XI wirklich dort war. Nur war dann eben der Sieger kein Orchonienier, sondern nach Orchomenos gehören die in der allgemeinen Festfeier angerufenen Chariten; in vs. 19 wäre, statt des ganz auffällig den Städtenamen ersetzenden Adjektivs, die Form <L Mivucia als Attribut zu BaXia zu lesen. Mit der Berufung auf die Heimat der Chariten lührte sich der böotische Dichter aufs passendste in Olympia ein, und das vorangestellte aocpo; vs. 7 ist ein Wink in dieser Richtung. Der Schluß des Liedes ist bisher dadurch verunziert, daß man statt veov der besten Handschrift vsav aus der überwiegenden Mehrzahl aufgenommen hat; auch Wilamowitz a. 0. S. 1308 f. will in- folgedessen BaXi'a als Subjekt ergänzen und veav yai'tav als Apposition zu u'iov fassen. Übrigens nimmt er mit Recht, ohne es besonders zu erwähnen, Bergks Lesung e'j66$oij an, die zugleich die Menge der ver- klingenden Ol, von Fa/oi ab, noch um ein ot vermehrt, so daß es nun- mehr siebenfach ertönt. Vorher ist in vs. 14, wo Pauw bereits <ptXr)ci- oopre wollte, wohl 9iXrjjiV.o|X7:£ zu schreiben.

Mit der anschließenden Fahrt nach Sizilien begann für Pindar die Zeit des reichsten Schaffens; die Seelenkämpfe der letztvergangenen Jahre (v. Wilamowitz, Aristoteles und Athen II 328) hatten ihn gereift, und nun trafen die Eindrücke der westhellenischen Welt sein Gemüt. (Eine Parallele bietet Goethes italienische Reise, wie ich weiterhin den Niedergang Aginas mit der Epoche von Schillers Tod in Parallele setzen möchte.) Die längst geknöpften Fäden führen zunächst zu

120 Jahresbericht über Piadar 1901—1902. (ßornemann.)

Theron , und dessen persönliche Lage gab überdies besonderen AnlaU zu 13. Olymp, 11. Wie ich diese großartige Ode, die das Durchein- ander von Sieg und Leid aufgreift, in ihrem Aufbau sowie speziell an der vielraißhaudelten Stelle vom Adler und den beiden Raben angelegt denke und allerlei verzweifelte Stellen erledigen möchte, dabei darf ich hier nicht verweilen (siehe oben S. 110). Es handelte sich damals wohl um den Tod seiner Gattin; vier Jahre später starb Theron selbst. Praccaroli setzt die Ode 475.

Frohere Klänge, in dorischem Ton, schlägt das eigentliche Sieges- lied 14. Olymp. III an. Wie Herakles von den Dienern Apollons den Ölbaum erlangte zum Schmuck des kahlen Festplatzes und zu Sieges- kränzeu, so hat der Westbelleue Pindars Muse gefunden: was will er mehr? Der verderbte Eingang der Ode stellt m. E. die Situation klar hin: gleichzeitig den Dioskuren (0 III) und der Semela (0 II) muß der Dichter sich widmen, während die Helena ganz deplaciert ist lies xal xaXXtirXoxü) 2e[xeXa , ihretwegen ist der Dichter öi^ptuvo; 'OXo}ji,- Tztovtxav ujxvtp (Spöcuaai? axafxavxoTeooiuv iit.-wv awiov nach Mingarellis ver- gessener Besserung, mit bezeichnendstem Gebrauch des opilouv von Niedergebeugtem. Neben dem Viergespann zweitens der König selbst, ein ouxaGTos dfXaoxtüfxo?, ihm findet der Dichter eine neuprächtige " Weise (vgl. N 7, Gl axo-sivov d-e/wv 4'°Xov Philol. 45, 608), ihm möge die Muse in den dorischen „Schuh" helfen, so daß der , Schuh" wie sonst eine Bekleidung des menschlichen Fußes bleibt, nicht etwa der Stimme. Mithin denke ich mir den Text vs. 4 flf. so : MoTsa d\ o'jxaarov napiaxa jxot veosqdtXov eupovxt xpoTTOv | Acoptw ipcuva; lvapixo$ai TceötXw I dYXaoxtüfJLOv.

An die letzten Worte dieser Ode schließt sich (dieselbe Reihen- folge der drei Oden hat Wilamowitz, Gaspar dagegen 0 III Ol 0 II) sofort in Syrakus der Eingang von 15. Olymp. I; ihr folgt ebenda im Aufbruch nach Ätna 16. Nera. I und im ueugegründeten Ätna 17. Nem. IX (nach Fraccaroli erst 472, 471, 472). Gaspar freilich will Nem. I bereits 481 ansetzen; er bestreitet die in den Schollen zu vs. 1 vorgetragene Beziehung auf die Stadt Ätna während ein Blick auf sämtliche Stellen, wo Ai'xva und Aixvalo; vorkommt, dem Scholiastea Recht verschafft und versteht die prophetische Einkleidung, unter welcher die Leistungen des Chromios gepriesen werden, wirklich so, als wenn der Dichter erst eine zukünftige Entwickelung ahne. Gegen die von Gaspar angeführte Bemerkung Rauchensteins habe ich mich bereits oben S. 115 gewandt, und die Hochzeit des Chromios (Gaspar stimmt in dieser Deutung mir zu) braucht keineswegs vor Gelons Tod, kann vielmehr gleichzeitig mit Chiomios' Ernennung zum Statthalter von Ätna stattgefunden haben. Möglich sogar, daß in dem vüv der

Jahresbericht über Pindar 1901 1902. (ßornemann.) 12]

Schollen zu vs. 81 geradezo ein Nspi v' steckt. Die olympischen Siege vs. 17 sind Therons und Hierons; das Lied selbst betriflft nicht einen neuen nemeischen Sieg des Chromios, vielmehr sind die unglücklichen vss. 7 f. folgendermaßen herzustellen: apixa 5' oTpuvei Xpo|xiou veiieta; EpYjxaatv vi/ocfopoi; i-jxwjxiov ^sZ^on [isXou; " apyai 6s ßlßA.TjvT' ivOetuv etc. Wilamowitz setzt die Ode Winter 476/5 vor die Gründung Ätnas; sie verherrliche die Gastfreiheit, „einerlei wann der Sieg des Chromios er- rungen war, über den die öfifentliche Meinung nicht so günstig urteilte, wie man dem Liede anfühlt". Das zweite Lied, Nem. IX ist wirk- lich ,11 l'occasion de son installation ;i Etna" gedichtet, nicht als Sieges- lied, und kommt nur wegen der sikyonischeu Trinkscliale auf den frühereu sikyouischen Sieg, sowie auf die sehr geeignete Parallele des Adrastos. nur daß vs. 11 ganz deutlich vsaiai 6sopToi; „im gottent- sprossenen Neuland •* stehen müßte, ganz wie es Ätna war. Bei Wila- mowitz reist Pindar „wohl erst 475, als das Meer offen war", zurück und „schickt" dann das Lied nach dem inzwischen gegründeten Ätna, um dem „alten Bekannten", „ausgedienten General" und „Jubilar" zu gratulieren, für den man nach vs. 48 wirklich einen xüiixo; veranstaltet habe; das Lied müsse „möglichst nahe an P I" herangeschobeu werden, „die Geschäfte der Ansiedelung [durch Chromios] waren im wesentlichen abgetan". Mezger S. 112 schwankte, ob ein Lied zur Wiederkehr des Siegestages, eine Feier der Zso; A-Tvaioj oder ein Gedicht zur Über- siedelung von Syrakus nach Atua vorliege. Als Subjekt zu [xav-ki vs. 4 hätte er nach Bothe und v. Leutsch den ufxvo; gelten lassen sollen. Ist daselbst aüXav zu lesen und vs. 2 vsvrjrjvrai?

Über alle diese Lieder (auch fr. 118 f. und 124 gehören hierher) hat das dem Lokrer Agesidamos versprochene Lied zurückstehen müssen. Es folgt als 18. Olymp. X (nach Fraccaroli erst 474/3). Ga^par lehnt mit Recht ab, an eine lange Verzögerung zu denken, etwa bis auf eine angebliche Wiederholungsfeier; ich meine sogar, daß Pindar vs. 3 eziXeXav)' oZ cresagt hat (der Name steht ja „in seinem Herzen geschrieben"), und fasse vs. 85 Mpy.'z etc. als poetische Fiktion, vgl. oben S. 114. W^ilamo- witz muß die Verzögerung bis 471/0 ausdehnen, wenn er die Erwähnung der Lokrer in P II durch Gleichzeitigkeit von 0 X und P II erklärt.

Diese ganze Folge von Liedei'U ordnet, wie man sieht, mein alter Bundesgenosse Fraccaroli ganz anders, auch nach der Auffindung des Papyrus, und die vor Ol. 77 fallenden sollen aus Griechenland übersandt sein. Seine ausführliche Begründung lese man Riv. di fil. 1901 III 385 ff. nach; eiue Verhandlung über Pindars Verhältnis zu seinen Ri- valeu, das für Fiaccaroli maßgebend ist, würde an dieser Stelle zu w'eit führen, in Kürze haben sich diese Jahresberichte schon oft gegen die herkömmliche Auffassung erklärt.

122 Jahresbericht über Pindar 1901 -1902. (Bornemann.)

Kurz vor Pindars sizilischer Reise war der delische Bund ge- stiftet; als er zurückkehrte, fiel Eion nach tapferer Gegenwehr in die Hände der Athener, der letzte Stutzpunkt der Perser in Europa. Den Dithyrambus 'EXXdoo? e'pciajjLa setze ich unmittelbar in Anschluß an dies Ereignis 475, nicht 474; denn aus dem zweiten athenischen Dionysos- lied desselben Jahres fr. 75 geht hervor, daß an ein Nemeentestjahr zu denken ist: Aioftsv ist nach pindarischem Gebrauch Beweis genug, und 80 ist auch 'Ap76ia Nep-ea für mich gesichert, nur daß etwa im Sinne von fr. 153 die Worte in fok'ender Fassung mit dem Vorausgehenden zu verbinden wären: uiraT<ov jxev -zt Traxepüjv -i-uvacAuiv Kaoixeiäv lovov, I ov £v 'ApYeiot Neixea [xaXaxov ou Xavöotvet | cpoi'vixo; epvoc. Es wäre das eine Begründung, wie ein nemeischer Sieg dem Dionysos geweiht werden könne, indem mau im Spätsommer seines Vaters Zeus, im Frühling seiner Mutter Semele gedenke. (Auch den Anfang der langen, einheit- lichen Periode will ich mit einigen Änderungen hersetzen: Aeüf iv )fopov, 'ÜXu|i.j:toi, I ini xs Xupav T:i\mtTt '/otpiv, dsoi, | TioXußaxov oTr' auxeoc ^fi(paX6v öooevxa | £v xat; lepat? 'A&avats I ol'/yti-zB iiavoaioaXov x' cUxXe' dcv' d-ppotv I bSextuv Xaßsxs ax£9av(üv xav lapiopoTiov | Xoißav, dioöev fjis ouv (Z'/Xaia I ioex£ Trop£Ui)£vx' e; aoioav 8£ux£pov | im xov xtsaooExav flfiov, xov BpöfjLtov 'Eptßoav ßpoTol xaXEOfiEv, uTiaxoiv etc. wie oben.)

Habe ich hierin recht, so gehört doch wohl 19. Nem. II in dies Jahr 475 (nach Fraccaroli 487). Diese kleine Ode wurde dann schon in Nemea, also fiüher als fr. 75 gesungen; für die Kürze des Liedes ist Salamis stark genug hervorgehoben, und nur die Bemerkung im Scholion zu vs. 1 , den sofortigen olympischen Sieg betreffend, müßte dann beanstandet werden, dachte doch nach dem Liede selbst Timodemus nur an einen baldigen Kampf in Delphi und auf dem Isthmos. (Anders Christ, Heptas S. 146 ff.) Die auffällige Zurückhaltung von den athe- nischen Spielen ist durch Bergks Besserung am Schlüsse der Epodos beseitigt.

yermutungsweise gehört hierher (475) auch 20. Nem. VII, weil die Änderung von JA in N als die leichteste erscheint. Fraccaroli setzt es zwischen 468 und 460.

Gesichert ist die Ansetzung der Oden des nächsten Jahres (474). Es sind 21. Pyth. XI und 22. Pyth. IX. Jenes ist die erste The- baner-Ode seit J III: die Krisis von 479 hat den alten Hiß geheilt. Sicherlich will der Mythus von P XI mehr als ,,un salutaire effroi des grandeurs" bezwecken; habe ich ihn früher auf die Familie des Siegers gedeutet, so wäre ich jetzt geneigt, ihn auf die Vaterstadt zu beziehen: Agamemnons Los das Los von Theben, jetzt aber Thrasydaios als erster Sieger nach dem Unglück ein Orestes. (Wilamowitz a. 0. erörtert die zuletzt von mir Phil. N. F. VI S. 41 f. behandelten vss. 41 ff. Dabei

Jahresbericht über Pindar 1901 1902. {Bornemann. ) ]23

wird durch Billigung der Christschen Änderung ixtjöoio die Honoraridee künstlich hineingetragen; und wenn gesagt wird, daß ..[Vater oder Sohn] dem Pindar das Silber gegeben hat . . ., das an seiner (Piudars!) Muse Zunge sitzt", ferner daß „die Zunge, die Silber unter sich hat, nicht das Gold der Wahrheit redet, sondern das plattierte Silber des erkauften Lobes", und zugleich der ,,Hohn" hervorgehoben wird, womit Pindar die Zumutung aufnehme, ,,daß er feil wäre", so finde ich durch diese Folge von Sätzen nicht hindurch: ist denn nun Pindar ujidfpppoc oder nicht? W, schreibt xh 8' e-eöv . . ., beginnt den Hauptsatz erst mit f-, ergänzt darin ,,\j.a^olo juviOau u. s. w.", läßt das ,, intransitive" xa- pajffefiev von TrapE^eiv cpcuvav abhängen. Warum vermeidet der Dichter das einfache ouviöeu cptuvä uirotp^üptp . . . xapajjeixsv?) Dagegen in P IX steht Theben zu wenig im Vordergründe, um uns an eine Aufführung daselbst denken zu lassen; vielmehr geht aus vss. 97 103 Pindars häufige Anwesenheit in Athen hervoi', und es wird eine Atheuerin sein, die der Ägide nach Kyrene heimführt (nicht eine Thebaneriu, die Pindar ihm empfiehlt, wie Gaspar meint). Aber vor dem athenischen Publikum, das auch die Jolaosaffäre mit Eurystheus vs. 80 angeht, welche die Aus- lieferung der Herakliden durch die Athener betraf, legt der Dichter ein waimes Wort für die Heimat des Ägiden Telesikrates, für seine eigene Heimat ein: xoTai vs. 89 sind die Aipxaia uSaxa (vs. 87 habeich schon früher jxev statt -jj-tq vermutet), und durch Telesikrates überwindet der Thebaner-Ägide die aqaXöv dtiiayaviav, nachdem dieser (vs. 90 wohl Ai-ftva ae) auf Aigina, in Megara und Pytho siegte. Anders Wila- mowitz a. 0.: „Nicht lange nach P XI, wohl 473 erst, richtet er wieder iu Theben einem Kyrenäer Telesikrates ein Fest für die Siege aus, die er sich 474 in Delphi und dann in Theben errungen ... Vs. 76 axova: Kleines auszuschmücken reizt den guten Dichter . . , Vs. 80 viv ist nicht der xaipo;, sondern der Sieger Telesikrates, auf den delphischen folgt der thebaniscbe Sieg . . . Vs. 90: 'Dreimal habe ich schon, in Aigina und Megara, diese Stadt [Theben] gerühmt, mit der Tat beweisend, daß ich nicht verlegen und ratlos schweige'. Freund und Feind soll diese meine Tat nicht totschweigen. So kämpft er um seine Stellung," of. N VII. P XI.

Eine Politik der Sammlung scheint dem apollinischen Sänger in diesen Jahren am Herzen gelegen zu haben; das erste Zeichen einer Kräftigung Thebens 470 führt v. Wilamowitz, Aristoteles und Athen n 300 an. Aber die zwischenliegendea Gedichte sind von unsicherer Datierung. Einigermaßen gesichert mag die von 23. Nem. IV auf 473 erscheinen (so Gaspar nach Bergk, auch Wilamowitz, ohne „zu sehr auf dem Jahr zu insistieren"; Fraccaroli 474), aber ohne die Christ-Gas- parsche Deutung des Zwischenstücks vs. 36 43; es mag ausdrücken,

124 Jahresbericht ober Piadar 1901—191)2. (ßornemann.)

(laß der Dichter die Hoffnung für Theben nicht aufgibt: lies ävTixsiv* im. ßwXi'a statt ImßouXi'a, desgleichen «poßspot fi' aXXoi avJjp ßXeTuoiv statt ^öovepa.

Für 24. Nem. III (Praccaroli 475) sind unsere Handhaben ge- ringfügig. Zu den von Gaspar als „les plus frappants" bezeichneten Analogien bei Christ, bayr. Akad, 1889 bemerke ich: neben die erste gesellen sich P 10, 28 (aus 498) und J 4, 11 ff. (vermutlich aus 494); die zweite, noch allgemeinere, tritt ebenfalls 0 11, 4 fif. J 1, 41 f. J 3, 1 if. fr. 42. fr. 121 auf; die dritte fällt weg, da sich m. E. 0 2, 94 aufs Leid bezieht und die Art, wie Theron und Xeuokrates es tragen. (Auch Wilamowitz fußt auf den Analogien zu 0 II und meint, das Lied werde ,,auf der Reise gemacht sein"; auf der Hin- oder Rückreise?) Dennoch kommt meine Vermutung etwa in dieselbe Zeit wie Christ und Gaspar. Die ausführliche Schilderung in ep. 7' scheint mir auf Salamis anzuspielen; aber es wird, da der Sieger schon älter ist, eine gewisse Zeit verstrichen sein, wiederum freilich nicht eine allzu lange. Die Nemeen 479 sind überdies ausgeschlossen wegen des Pankration- siegers von J VIII; auch gewiß die von 477, da der Achilleusmythus gerade erst in der vorigen Aginetenode verwertet ist; dann 475 wegen des Siegers von N II. Zwischen 470 und 446 aber sind uemeische Lieder Piudars nicht erwiesen. Mithin bleiben die Jahre 473 und 471 (zwischen denen ich die Wahl lasse; bei der Wahl des späteren Da- tums würde das Lebensalter des Siegers ein wenig höher, und hierauf bezieht sich doch das vielberufene d^i). Dazu stimmt das längere Ver- weilen bei Cheiron, ganz wie in Liedern von 474, 473, 470 (freilich auch von 479 und 462), sowie die Betonung der Bundesgeuossenschaft zwischen Telamon und Jolaos, die an die Erwähnung des Jolaos in Athen 474 und an die Zusammenstellung mit den peloponnesischen Dioskuren 474 erinnert (letztere freilich auch in der Ode J I von 458).

Den ersten Teil dieser Periode schließen wieder einige Lieder für Sikelioten. Die auf der Insel eingetreteneu Veränderungen scheinen den Hierou veranlaßt zu haben, Pindar nochmals heranzuziehen, daher 470 die Beschickung der pythischen Festfeier. Neben ihm tritt dort der Himeräer, früher Knossier Ergoteles auf, der Sieger von 25. Olymp. XII (oben S. 115). Daß dies Lied wirklich ein pythisches sei, konnte Lipsius bereits im Philologus 1891 S. 245 von mir ausgeführt finden, ganz wie betr. Ol. IX; statt dies zu erwähnen, führt er eine Jahresb. XLII p. 78 von mir versuchte Textänderung an, die ich ersteren Orts bereits als verfehlt zurückgenommen. Auch Wilamowitz setzt 0 XII „zuerst", aber es sei dem Ergoteles „mitgegeben" und in Himera aufgeführt; auch brauche es ,, nicht gleich gewesen zu sein, denn das Danklied gilt seiner ganzen Athletenlaufbahn", „als er der Siege genug hatte". Die

Jahresbericht über Pindar 1901— m02. (Boroemann.) 125

Datierung des zweiten Sieges des Ergoteles in den Ambrosianns-Scholien mit einen Abstand von 15 Jahren ist durch den Papyrns bestätiRt.

Nun folgen die gleich darauf auf Sizilien gesungenen Oden für Hieron 26.27. 28. Pyth. III, Pyth. II, Pyth. III, die ich jetzt als gleichzeitig ansehe; Näheres darüber unten bei Besprechung der Ab- handlung von V. Wilamowitz. Fraccaroli setzt sie 477, 476, 470.

Es bleiben 30. 29. Olymp. VI und Isthm. II übrig. Jene Ode fällt ins Jahr 468 (Fraccaroli 476), sie ist in Stymphalos gesungen. Meine Darstellung im Philol. 1887 S. 589 f. ist Gaspar, der sich die Lage etwas anders denkt, entgangen. Schröder, Pindarica IV (s. unten) will sie vier Jahre früher setzen; denn wer sich für 468 entscheide, ver- wandle ,,den stolzen und herzlichen Gruß in eine Offerte: 468 hatte Hierons Viergespann in Olympia gesiegt und war für einen rührigen Epinikiendichter vielleicht noch zu haben; vielleicht aber war ein ge- wisser Epinikiendichter nicht mehr zu haben". Ein ähnlicher Gruß wie in 0 VI ist im Schluß der Ode Isthm. II eingeschlossen, deren Datierung auf das Jahr 470 Gaspar, wohl an der Hand der Christschen Ausgabe, als „assign^ g6u6ralement'* bezeichnet (Fraccaroli 472/1). Die Begrün- dung dieser ,, allgemeinen" Annahme ist mir nicht bekannt, doch komme ich zu demselben Ergebnis. J II ist kein Siegeslied, sondern £7:1 -csrs- XeoTTixoTt TW Esvoxpaxei, wie Asklepiades bemerkt hat (vgl. denselben guten Gewährsmann auch zu N VI). Für mich ist ein Personenwechsel ep. 7' ausgeschlossen, Thrasybulos war doch nach der herkömmlichen Auffassung von P VI ein vixajtTirroc nur daß vielleicht aXXa, ^iY.oizir.T\ oTToveinov zu lesen ist. Dann ist ^eivoc vj^aio; Hieron, der Attvaioc $evo; Set'voi; Oauii-ajToc r.a.-r^p von 470 (P 3 69 und 71). ,, Jedesmal wenn" Thrasybulos zu ihm kommt, soll er seines Vaters Xenokrates Lob singen. Mithin weiter: Thrasybulos hat sich nach dem Zusammenbruch der Emmeniden in Akragas anderswohin, nicht nach Syrakus begeben oder richtiger Xenokrates mit seinem Sohne Thrasybulos: ohne Grund läßt Gaspar S. 92 (diesmal von Bury abweichend) den Xenokrates „vor" Hieron sterben, während doch der Tod desselben als Anlaß von J II zu betrachten ist. Bei den Beziehungen der Emmeniden zu Argos liegt es nahe, an Übersiedelung nach Argos zu denken (wie Thrasydaios nach Megara flüchtete) und unter dem von Geld und Freunden verlassenen ,Argiver" vs. 9 wirklich den Thrasybulos zu verstehen: „jetzt mahnt das Wort des Argivers, aufs Geld zu sehen" das erste ypi^iJiaTa zu ^uXa$ai gezogen. Ich nehme also an, daß das Lied wirklich 470, aber in Syrakus aufgeführt ist, wohin sich der Argiver etwa mit dem del- phischen Reisezug des Hieron, gemeinsam mit Pindar, begeben hatte. Hier nämlich konnte eine Gedächtnisfeier für den Emmeniden noch auf Verständnis rechnen. Ganz anders stellt sich Wilamowitz. Nach dem

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Tode des Senokrates soll Thrasybulus rahig in Akragas gelebt haben (471 468), als der greise Simonides dort sich aufhielt. Diesem sollen in dem damals durch einen unbekannten Nikasippos überbrachten „Brief" J II allerlei Grobheiten („stark genug ist der Angriff", sagt W.) gelten; nicht bloß 9tXox£pSiQc, sondern auch epYaxtc im Sinne von ropvT) sollen auf ihn gehen, sowie auch weiter die au Thrasybul gerichteten Worte: „nun bist du ja klug genug, du weißt ja, wie es mit dem isthmischen Siege gegangen ist, wie spät das Lied des Simonides gekommen ist" ,,wohl erst 475 472" „und wieviel es gekostet hat"; Thrasy- bulos soll Pindars Lied nicht vergessen, weil er sich von berechneter Mißgunst hat beeinflussen lassen, denn ,,ich habe es nicht säumig ge- macht". Der isthmische Sieg soll „bald nach 490" errungen sein, da derselbe Wagenlenker [wie P VI] ihn gewann, „als eben Xenokrates einen Marstall in Hellas hielt" vgl. dagegen oben zu ^Pyth. VI.

In der andern Hälfte der Periode folgen einige Aufträge beson- derer Art. Für das pythische Siegeslied (siehe zu 0 XII) 31. [Olymp.] IX (466) war augenscheinlich ein offizieller Auftrag der Gemeinde Theben ergangen, den Proxenos in Opus zu ehren. Wenn ßobert bemerkt, der Papyrus bestätige aufs glänzendste G. Hermanns Ansetzung von 0 IX in diese Olympiade, der „nur Lübbert" zugestimmt habe, so ergibt Jahresb. 1885 S. 97, daß nicht Lübbert, sondern ich in einem Referat über ein Lübbertsches Programm so geurteilt hatte. Einen „elenden Schwindler" in den Schollen meint Christ, Heptas (Bayer. Ak. 1900 S. 144 f.) zu entlarven.

Bei den voraufgegangenen Festspielen lernte der Dichter wohl den berühmten Sieger von Rhodos kennen, welchem 464 die Ode 33. Olymp. VII gilt, nachdem auf der Zwischenstation Korinth 32. Olymp. XIII für den TpidoXujxTctovtxa; oTxoc des Epharmostos auf' geführt war. Die Oden 34. 35. Pyth. IV und Pyth. V ließ Pindar 462 in Kyrene singen (s. oben S. 114). 460 hat er die Freude, gar einen olympischen Sieg aiif Ägina zu feiern, 36. Olymp. VIII, siehe S. 115, und zuletzt setze ich vermutungsweise 37. 38. Nem. VIII und Isthm. VII hierher (Fraccaroli 475 und 457).

Wegen Nem. VIII hätte sich Gaspar, der doch Mezgers Ansicht adoptiert, also dessen Kommentar einsah, mit BuUes Hypothese oder vielmehr mit dem Zeugnis des Didymos auseinandersetzen sollen. Denn den Wert der nemeischen Liste bezweifelt Gaspar betr. N VT flicht, wie Mezger es tut, und das Ziffernverderbnis zu N VII (etwa lA statt N) beeinti ächtigt den Wert der Liste nicht. Die hochfeierliche Betonung des Wertes und gar des Alters der Dichtung im Gegensata zu dem dunklen Treiben der icot'p'faüic würde trefflich zu der Tatsache «timmen, daß die beiden (in zwei Nemeaden und unmittelbar hinterein-

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ander) zum Sieg gelaugten Läufer, der inzwischen verstorbene Vater und der Sobn, als Agineten aus den Listen gestrichen sind, wogegen der Dichter üflfentlich sich verwahrt. Dem jugendlichen Dichter von 491 (Guspar meint ein Jugendgedicht vor sich zu haben) steht solche Rede niclit an; die Sache n)nß passiert sein, als das mit Athen ver- bündete Argos die Vorsteherschaft der uemeischen Spiele errang und der „peloponnesische" Krieu von 458 ff. sich entspann. Der Krieg selbst ist nicht vorausgesetzt in unserer Ode, andererseits für 0 Vllt (von 460) liegt die häßliche Affäre von den Nemeen noch nicht vor. Es wird also der Vater 461, der Sohn 459 gesiegt haben und 459 die Streichung erfolut, Pindars poetischer Widerspruch verfaßt sein.

Über Ist hm. VII ist folgendes zu bemerken. Gaspar, der diese Ode schon 502 setzt (ihm gilt als Geburtsjahr Pindars 522), hebt hervor, daß das unglückliche Gefecht, in welchem der ältere Strepsiades gefallen, erst kürzlich stattgefunden hat; er nimmt immerhin einen auffälligen Abstand von vier Jahren au, und außerdem ist zu erinnern, daß das Schlachtenhagelvvetter in vs. 27 mit rau-ca bezeichnet wird, also sich offenbar noch nicht verzogen hat. Andererseits wendet sich Gaspar, ähnlich wie Mezger, mit Recht gegen die Datierung Boeckhs, dessen Ausführungen hinwiederum v. Wilamowitz als „meisterhaft" ge- würdigt hat. Den von Mezger versuchten Ausweg habe ich oben S. 113 abgelehnt; aber ein ähnlicher Ausweg muß denn doch gesucht werden. Was steht im Wege, daß wir das erfolgreiche Vorgehen der Phokier gegen Theben bereits in das Frühjahr 458 setzen? Die Niederlage der Athener in der Halike ist dann der Grund für die freudigere Stimmung der Ode. Übrigens hat der junge Sieger (&aXoc vs. 24) seinen Sieg (dpexav vs. 22) dem gleichnamigen Oheim gewidmet: d'Yst t' dpsTdv o-ix ai'j^fiov cpuac | ^Xs^söotsav Io-X6y.o>.zi Motjat; | jAdrpuJt d' ö[i.u)vuij.w oiotoxs, xoivdv bdloi (so teils mit den Handschriften gegen die Ausgaben, teils nach Vermutung).

Was über 39. Ist hm. I von Gaspar ausgeführt wird, billige ich fast durchgehends, speziell die Datierung auf 458 (Fraccaroli „nach 468"). Nur hätte er sich mit dem eingeflickten Orchomenos und der von Didymos mit einem etxoc hzi angebotenen, später nnbezweifelt weitergegebenen und immer mehr ausgeschmückten Erklärung für diesen doppelten Domizilwechsel (Orchomenos Theben Orchomenos) nicht so rasch einverstanden erklären sollen. Zu meiner Freude dagegen sehe ich, daß Wilamowitz in seiner Rezension des Gasparschen Buches DLZ 1901 die Entdeckung, daß Asopodoros als Mitkämpfer bei Platää von Herodot erwähnt wird, dem belgischen Gelehrten ganz besonders zum ßuhme anrechnet; Gaspar irrt, wenn er sagt, ich hätte dies 1893 als ,uüe simple conjecture" vorgebracht, vielmehr habe ich nur nicht

128 Jahresbericht über Pindar 1901 1002. (Bornemana.)

ansdrücklich hinzuffefügt, daß bisher niemand auf den Text des Herodot verwiesen habe. Wieder anders sieht die Sache in der Rezension Legrands aus (REG XIV 102), womit man Gaspar selbst vergrleichen wolle: „qni croirait que depuis des annees on repcte comme une hypothese que le pere d'H^rodotos de Thöbes, Asopodoros, ccmbattit peutetre ä Platte, alors qu Herodote ie norame en toutes lettres?" übrigens legt die Erwähnung von Delos „ev 7. x£yu|i.at" ich habe a. 0. in gereimter Übersetzung dies wiedergegeben mit der Wendung „wohin mich Gott geführt" uns den Gedanken nahe, einmal statistisch festzustellen, wann Delos, Lato, Latoidas, Artemis in den Liedern des delphischen Sängers auftreten. Es beschränkt sich dies genau auf den Rahmen der Periode 478—458, die ich als „zweite" der Dichtungen bezeichnet habe und deren Beginn mit der Stiftung des Delischen Bundes, sofort nach der für Theben verhängnisvollen Entscheidung, zusammenfällt. Wir finden L Delos: N 1, 4 (476) Ortygia als o£fx.viov 'ApT£}iiSoc Aa'Xou xotaqvrjTov cf fr. 250 P 9, 10 (474) AaXtov Seivov P 1, 39 (470) Xuxis xal AaXu) Favasawv Ooiße flapvajto -e 0 6, 59 (468) AdXou axoTtov unsere Stelle J 1, 3 If. (458) endlich fr. 87 Delos selbst besungen als feste Zuflucht; 2. Lato: 0 3, 26 (476) Aatoü; Ou-ja-n^p Artemis 0 8, 31 (460) ::au 6 Aaroü; Apollon . außerdem fr. 89. 117. 139; 3. Latoidas: N 9. 53 (476) P 9, 5 (474) P 3, 67 und P 1, 12 (470); 4. Artemis: N 3, 50 (471 oder 473) P 3, 10 und P 2, 7 (470). Mit den politischen Veränderungen im Anfang der fünfziger Jahre, mit der Verlegung der Bundeskasse und dem Nieder- gang Aginas hören diese Erwähnungen auf Späteren Datums ist nur die kyrenäische Stelle P 4, 259 (462) Aaxoi'Sa;, die an P 9, 5 von 474 an- schließt, sowie ebenda P 4,90 ßsXo; 'ApT£[xioo?, endlich in dem vielleicht erst in die letzten Jahre Pindars anzusetzenden Liede N VI die Stelle aowv spveui Aaxoü?, vielleicht mit besonderer Beziehung auf einen früheren Aufenthalt des Kreter- Ägineten Alkimidas auf Delos; auch die Heimat des Siegeis von 0 XII war Kreta. Die letzte Erwähnung dagegen in der obigen Reihe findet sich im thebanischen Liede von 458 J I.

Der Sonnenglanz von 458 war vergänglich. Bei Kekryphaleia schon schlug der Erfolg um, auf das glücklichere Gefecht von Tanagra folgte sofort die Katastrophe von Oinophyta: in Theben kam die De- mokratie ans Rader, und damit ist Pindars Verbindung wieder gelöst, ebendeswegen 454 der zweite Sieg des Thrasydaios, des Siegers von P XI, nicht besungen; Ägina aber muß im Winter 457/6 sich ergeben.

Letzte Perlode der Dlchtongen 458-438.

Sicher datiert sind nur 40. 42 Olymp. IV von 452 und Pyth. Vm von 446. Dort ist Pindar nach langer Pause wieder einmal Zeuge

Jahresbericht über Pindar 1901 1902. (Bornemann.) 129

der utj/rjXoTaxa aeOXa und freut sich über das Ergehen der Westhellenen, ohne Sizilien wieder zu betreten; hier predigt er Ägina, seiner zweiten Heimat, Fassung.

Gaspars Erörterungen zu 41. Nem. VI (diese freilich ist nur durch Anklänge auf 447 fixiert, Fraccaroli zieht 460 vor), 42. Pyth. VIU von 446 und das in die letzte Lebenszeit des Dichters 446—438 fallende Lied 43. [Nem.] XI habe ich nichts Wesentliches hinzuzufügen; die Form 'ApxesiXac in letzterem ist durch den rhythmischen Periodeu- bau der Epodos 3d3d.2e3d2e.3d3d gesichert, wohl aber könnte im Skoliou fr. 123 geleseii' werden Fleiötu te vai'ei | xal Xapi; uioü 'ApxejtXa. Endlich aber füge ich denn Theoxenos führt uns von Teuedos nach Argos die Argiverode 44. [Nem.] X in diese Zeit, nach Abschluß des dreißigjährigen Friedens ein, die Graspar 501 setzt. Wirklich kann mau wegen der politischen Lage nur schwanken zwischen der Zeit vor 494 und nach 446; und daß ihr keine Spuren der Jugend- lichkeit anhaften, läßt sich dartun (siehe S. 110). LenJrum in CIR 1902, 267 ff. hat unter lebhaftem Widerspruch gegen Gaspar die Datierung kurz vor 460 (Fraccaroli 468— 460) vorgeschlagen; das wäre Rückkehr zu Dissens Meinung, die von Gaspar S. 33 not. 3 abgetan ist. Demnach würde Piudars Epinikiendichtung ein eigener Zufall schließen mit jenem ava o' eXuaev \ik'j (J^öaXfiov, ezsira 8t cptovav yaXxofiiTp« KajTopo;.

n.

v. Wilamowitz-Moellendorff, Hieron und Pindaros. in: Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1901, S. 1273—1398.

Ph. E. Legrand, Sur Tintention et la composition de la denxiöme Pythique de Pindarc. In: Revue Universitaire, 15. Mai 1902, 8. 473 —484.

0. Schröder, Pindarica IV. In: Philo]. 61 (1902), S. 356—373.

Die Datierungen von P I. IL III, zu welchen diese Verfasser, Gaspar und ich gelangt sind, stelle ich an die Spitze (cf. oben S. 125):

a) Gaspar: P II 477/6, da Hieron hier nicht König tituliert werde (lediglich negativer Grund, zum Überfluß vergleiche vs. 14!) und die Lokreraffäre frisch vorliege; die Intimität erkläre sich duich vei-- mutlich vorausgegangene frühere Gedichte. P III 476, abei' vor der sizilischen Reise, da der olympische Sieg nicht erwähnt wird (wieder iiegativer Grund : der pythische erweckt eben die Erinnerung an die pythischen in den Tagen der Jngendkraft!), trotz Ai-rvaTo; $£vo;, was vielleicht die „Planung" der Neugiündung voraussetze; es sei das Jahresbericht für AltertumswisseBSchaft. Bd. CXYII. (1903. II.) ^

130 Jahresbericht über Pindar 1901 1902. (Bornemann)

8u3iaTr^piov, was die Scholien fälschlich bei P II vermerkten. P I 470, das vuv -/£ {jiev gehe nicht auf Kyme, sondern auf Thrasydaios.

b) Wilaniowitz : 0 I im Winter nach dem Sieg-e von 476, dann erst folgt das Zerwürfnis 475/4 und anschließend die Gründung Ätnas. P III 474/3. P II 471, nach dem Tode Therons und der politischen Entscheidung. P I 469 oder später.

c) Legrand: P II Mitte 476, vor der sizilischen Reise, von welcher der Dichter Sommer oder Herbst 475 zurückgekehrt sei. P III 474, P I später, ohne Pindars persönliche Beteiligung, cf. Lipsius oben S. 114.

d) Schröder: P II 475? P III 474? P I 470.

e) Ich selbst setze alle drei Oden 470, und zwar P III in Syrakus für den kranken König, P II daselbst offiziell für den Tyrannen und das Volk, P I in Ätna für Deinomenes. Aus vEoran dprjei P 2, 03 darf kein Einspruch hergeleitet werden, da es, wie das nachfolgende xal ae zeigt, ein allgemeiner Satz ist mit dem Sinne „juventutem juvant bella" das war einmal!

Seit dem Scholion zu P III in. spielt in diesen chronologischen tJberlegungen der Königstitel eine Rolle, den Hierou nach jenem Scholion Ol. 76 = 476 annahm. Wilamowitz erklärt mit Recht für „gänz- lich unzulässig", in Syrakus zwischen Tyrannis und Annahme des Königs- titels zu unterscheiden; erst die Gründung von Ätna habe die erforder- liche Legitimität und sakrale Weihe ermöglicht (so auch schon Christ zu fr. 105 und P 3, 69). Trotzdem setzt er die auf Ol. 76 bezeugte Gründung von Ätna erst später an als die Titulatur ßajiXeuc durch den Dichter in dem Liede 0 I, das W. ausdrücklich vor die Gründung setzt, wie auch Schröder jene Titulatur in Pindars Gedichten als chronologisch ganz belanglos beiseite schiebt. Ätnas Gründung 476 will Schröder nicht zulassen, weil in 0 I davon nichts erwähnt werde [wo doch eben das Wichtigste, nämlich der Königstitel, vorkommt!]; daß in P II von Ätna ebenfalls nicht die Rede sei, falle nicht ins Gewicht, während umgekehrt Gaspar das Fehlen des Königstitels in dieser Ode für wichtig erklärt hat. Ja die Benennung „ätnäischer Gastfreund" 474 sei vielleicht nnr wegen der gemeinsamen „Planung" der Kolonisation in der Zeit von Pindars vorigjährigem Aufenthalt gewählt; dieser Grund schon bei Gaspar mit anderer Datierung. Für "Wilamowitz spielt außerdem der Aufenthalt des Simonides in diese Frage hinein. Nach- dem dieser im Frühjahr 476 in Athen gesiegt, findet es Gaspar richtig, für den Frühsommer 476 seine Anwesenheit auf Sizilien und die Aus- söhnung der Tyrannen durch ihn anzusetzen; W^ilamowitz aber will das erst nach Pindars Anwesenheit, frühestens Sommer 475 zulassen. In 0 1. II. III trete die Freundschaft der beiden Fürsten zutage, die Zerwürfnisse fielen erst 475/4 und die Gründung der Städte Ätna und

Jabresbericht über Pindar Ü'Ol- 1902. (Bornemann.) 131

Himera „folge" darauf. Icli bleibe ia dieser speziellen Hinsicht bei Gaspars Ansicht. Legrand denkt auch über die Datierung von P II ähnlich wie Gaspar, worin ich nicht 7,ustimme, aber er sairl, die in vs. 14 andeutungsweise enthaltene Vorausnahme des Künigstitels könne man dem Panegyriker zutrauen, und die Empfehlung des rechten Maßes an den als stolz bekannten König, die Warnung vor Schmeichlern usw. verrate nichts von besonderer Intimität.

Die erste pythische Ode will Wilamowitz „nicht vor 469' setzen wegen der notwendigen Korrespondenz zwischen König und Dichter. Dieser Grund hillt nicht Stich: von Delphi aus konnte Pindar umgehend mit den siegreichen Sikelioten hinüberfahren, zumal wenn Hieron, um Pindar nochmals läiiüberznziehen. den pythischen Sieg n;ioU dem olympischen gesucht hatte. Mit Recht wird (wie schon von Boehmer) die letzte Triade auf Deinomenes bezogen, während Gaspar noch irrtümlich an Hierou denkt. Aber daß Hieron selbst gar nicht in Ätna zugegen gewesen sei, erscheint trotz seines schweren Leidens unwahrscheinlich, und xeivoc vs. 42 ist ähnlich gebraucht wie vs, 61; ■nach Wilamowitz freilich ,, wußte Pindar Ende 470, daß der Fürst hätte zu Felde ziehen müssen nnd krankheitshalber nicht zu dem Feste erscheinen würde". Vs. 50 wird damit (wie von anderen Forschern) auf die nach Therons Tod Herbst 472 ausgebrocheneu Zwistigkeiten mit Thrasj'daios bezogen-, aber dem scharfen vüv -(t fiav geschieht damit nicht Genüge. Und wenn die Feier bis 469 hinausgeschoben war, so konnte man auch warten bis zu einer günstigen Phase der Krankheit. Für mich ist das liTpaTeuSY) ein bildlicher Ausdruck, durch den Ver- gleich mit Neoptolcm veranlaßt; gemeint ist einfach der pythische Sieg des kranken Königs. Dem kranken König gilt, wenn es sich auch zunächst um Ätna und Deinomenes handelt, die große Doxologie dieser Ode; den Engelsang „den Menschen ein Wohlgefallen'' zieht Wilamowitz mit mehr Recht zum Vergleich herbei, als das von Christ verglichene Gesellschaftslied „Wo man singt, da laß dich ruhig nieder". Die gol- dene Phorminx will ihm ä-^Xata bringen als Herrin über Element und Krankheit (der Adler des Zeus ist auch 0 2, 88 der Bringer jäheu Schmerzes, vs. 5 lies tov aiilox-rav xepauvov); denn wie Ares das Herz erfreut mit seiner Glut (xa'j|a.aTi), so können wonnig sein selbst Geschosse der Götter gemäß apollinischer Weisheit, während, wen Zeus nicht liebt, die Stimmen der Musen verabscheut (vgl. auch Schillers Ideendichtungen „Die Künstler" und „Das Reich der Schatten"; vs. 26 lies -aptovr' u>v, vs. 28 xa-TTSJov und 7:ortx£xXi[x£vou). Die angeknüpfte Fürbitte für Ätna schließt vs. 39 f. mit dem Gebet zum Lichtgott Xuxte . . . tI>oiße ab, der auf Delos und dem Parnassos herrscht xal AaXw Favasjojv . . napva(j(ij TS , und dies Gebet selbst lautet e&eXoi? Tapv voo) -löejAev

132 Jahresbericht über Pindai 1901—1902. (Bornemann.)

euavopov xe -/wpav. Den Übergang zur Person Hierons (drittes System) bildet die Sentenz ex öeöiv -j-ap fia^favirav xaic ßpoxeaic (ipexai; | xat ao<pot xai "/eptJt ßiaxal -£pt-cX(uajoi x* ecpuv. Der Dichter lioflft [j-axpa (8^) ev pi-ai; (i(}XT](jao&' apxioi;. Denn welch ein Kriegsheld war Hieron einst! (xa}xdxa)v vs. 46 vom wirklichen Leid. xi|xav vs. 48 erkläre ich Sieges- ehre, nicht Herrschaft über Sizilien, wie "Wilamowitz will, diesen Be- griflf finde ich vielmehr mit dem alten Gurlitt in nXouxou vs. 50 ein- geschlossen.) Jetzt freilich ist Hieron ein zweiter Philoktet, aber wie dieser eine dtaOever |j,ev xpcoxl ßatvous' dXXa fioipiSio? i'c. So möge ihm denn auch wie jenem Heilung zuteil werden! Ein Siegeslied soll ihm „auch" in der Stadt des Deinomenes (das xat vs. 58 ist bezeichnend, wenn P III und P II in Syrakus aus demselben Anlaß gesungen wurden) gewidmet sein, die in dorischer Ordnung froh gedeihe, wie einst Amj'klai am Taygetos (vs. 58 Si'ooi paivsiv exu|xov Xö'-fov); mit dem Beistande des Zeus wird das der aYvjxrjp dvrjp mw x' eTrixeXX6p.£voc SSfiov x' S7racpu)v zuwege bringen. In ep. 8' übersetzt Wilamowitz ,,um der Athener willen", schreibt dann ev Sirapxa 6' apa xav rpö Kiftaipüivo; jxayav, das überflüssige ipita beseitigend und für xaioi ein Beziehungs- wort herstellend, die ungewöhnliche Form My^Seioi vereinzelter Hand- schriften durch einen Vers des Ibykus stützend. Immerhin ist apa ein Flickwort und die Auflösung der Schlacht von Platää in Einzelkämpfe auffällig. Vielleicht ev Srcapxa o' Ipaxa? Tipo Ktf^aipcüvo; t^axa?, xöt 'iai\LCti M^oot xa}jLov. In der letzten Triade schlage ich vs. 92 tu cpiXe, xeposatv eixTipaxxotc vor (Körte GGA 1901 evxpaTrXotj), und vs. 95 vTjXea -ptuv.

Für Pyth. III ist die Ausbeute aus den angeführten Abhandlungen gering. Im Ausdruck verschieden, laufen die Meinungen von Wilamowitz und Schröder doch etwa in gleicher Richtung. Nach jenem kondoliert der Dichter zu einer pythischen Niederlage und sagt die ßeise nach Sizilien ab; so soll das Lied auf folgenden Schluß ausklingen: „Wenige verdienen Ruhm wie du, wenige verstehen ihn zu verleihen wie ich; das kann ich und werde ich auch von hier tun, das kannst und wirst du erreichen auch ohne den pythischen Sieg." Nach Schröder haben wir einen ,, Trostbrief, der sich als Erinneruogsfestlied gibt für ältere pythische Reunsiege des Pherenikos (482 und 478)"; in vs. 73 soll ge- sagt seiu: „wenn ich ein Festlied auf Pliereuikos brächte, was ich aber doch schriftlich kann und hiermit tue". Beide datieren auf 474 bzw. 474/3, weil aus dieser Epoche ein agonistischer Erfolg Hierons bekannt ist. Für mich dreht sich das Lied um die schwere Krankheit des Königs: Gesundheit kann Pindar nicht mitbringen, während er xuifi-ov 䣻>Xü)v riuötaiv bringt (nämlich den von 470) als aqXav für einstige, nicht besungene Erfolge des Pherenikos (Pythiade 26 und 27. vor An- knüpfung zwischen dem König und dem Dichter); xexX7i!X£vov vs. 67

Jahresbericht über Pindar 1901 1902. (Bornemann.) I3;;

ißt für mich „berufen", „auserkoren"; für xai /.ev ev setze ich oixs-rav und vorher statt m'dov das Partizip -lötov.

Ausführlicher ist über Pyth. II zu berichten, zumal wenn 0. Schröder (WfklPhl 1901 Nr. 22) darin recht haben sollte, daß er zum Prüfstein für die Urteilskraft eines Pindarerklärers gern die sog. 2. Pythische nimmt. Bei vs. 8 hat m. E. Wilamowitz den richtigea We^ eingeschlagen, ohne ihn zu Ende zu gehen. Denn während es bei Schröder noch heißt, im verflossenen Winter [nach Sehr. 476/5] sei Pindar selber Zeuge gewesen, vrie der 'nr7ro-/ofpixa; ßaJiXEu; kundig, mit sanfter Hand die edlen Tiere eingefahren habe, hatte Wilamowitz be- reits vi'xa; für xetvac eingesetzt, cf. J 2,26. N 5,41. Er hätte dann aber folgerecht statt iÖapLajje („warf zu Boden") r/aXa^s setzen sollen.

Bei Wilamowitz' Gesamtauffassung über die Stellung des Mythus im Epinikon ist es natürlich, daß der vielverhandelte Ixionmythus nur „um seiner selbst willen, als eine schöne lehrreiche Geschichte erzählt" wird. Neben diesem Verzicht auf einheitliche Deutung versucht W. den- noch einen Zusammenhang zu finden, indem er darin ,die Allmacht des göttlichen Willens" vorgeführt sieht, „vor dem alles Sterbliche versinkt", und dann freilich anschließend sagt: „Angesichts dessen wird er [Pindar] nicht seine Freunde verleugnen und mit schnöden Reden augreifeu", „auch" Pindar wird den [Weisheits-]„Reichtum besitzen und gebrauchen". Ich nehme diese allgemeine Deutung des Mythus auf, nur mit dem Zu- satz, daß sich also der beglückte Sterbliche maßvoll bescheiden solle; dann gilt die Mahnung dem kranken, mißmutigen König, ganz wie die Geschichte von der Koronis P HI und ihrer dtFa-a (dieser Ausdruck ist beiden Stellen gemeinsam).

Ähnlich wie Schröder an der Erklärung des vs. 56 festhält, die schon vielen Pindarikern nicht genügt hat: ^im Wohlstand reich aa hohen Gedanken sein, das ist mein Ideal", finden wir bei Wilamowitz die Auslegung: „Das Beste ist, neben allen äußeren Glücksgüteru auch au Klugheit reich zu sein: du, Hieron kannst diesen Rat mit freiem Sinne manifestieren" nebst dem Zusätze: „Hieron wird dazu aufge- fordert, also an dem -c-apsiv . . . gebricht es nicht, . . . das Wort ver- stehe ich freilich nicht, . . . die richtige Erklärung 3ir)|i.9]vai, evSsi^at bei Hesych." Legrand dagegen gewinnt den Sinn: Boshaftigkeit nach Art des Archilochos biinge «[xa/aviav (indigence), aber Reichtum sei mit Hilfe des Schicksals die beste Frucht des Talents, Pindar sei eben keineswegs „desinteress6". Ähnlich Körte GGA 1901, 968. Ich selbst wende die Sache wiederum noch ganz anders, indem ich das seltsame exä« liuv durch exaxov ui; ersetze und vs. 56 Tciaivo|xevoo; sowie izopov (statt t:6t|jlov) lese: „allermeist in elender Lage ergehen sich die Leute in Gehässigkeiten wie der Schütze Archilochus, Reichtum dagegen und

134 Jahresbericht über Piadar 1901 1902. (Bornemann.)

Erfolg (vgl. x-eaxa und Ti}ia vs. 59) ist der beste Zugang zur Weis- heit, — du kannst ihn weisen": bei aufsteigenden Völkern, in glück- lichen, angeregten Verbältnissen verstummt der Mismut. Zu -KtTzapth Tio'pov vergleiche ich rsTps xsXsuöov bei Homer und piparmi Curtius Gr. Etym.* 277; xaxa7opta vs. 53 richtet sich wie 0 1, 53 gegen Gott. Die Stelle ist wieder eiu schlagender Beweis für unser mangelhaftes Ver- ständnis des Dichters. Vs. 65 axivSuvov £|xoi r exov re Troxiavta X670VJ eTiatveiv uape/ov-t.

Es folgen die vielumstrittenen Verse 67—71 von der Ooi'viasa ifx-oXa und dem Kajxopeiov. Dazu Wilamowitz: „Ich huldige dir und habe daher außer dem gewünschten Kastoreion noch dieses Gedicht gemacht, . . . und darin [nämlich im Kastoreion] habe ich dir dein Wesen [oioc £7ai] gezeigt" („eine Versreihe, die für eine der schwersten gilt sie ist das zwar eigentlich nicht", setzt W. hinzu); also unser „als Brief" gesandtes Lied soll eine Begleitschrift zu dem Kastoreion sein, das Hieron sich soll , vorsingen lassen", ein Begleitschreiben in ,,80 freimütiger Sprache, daß man begreift, wie der Dichter dazu kam, OS wie ausländische Ware wohlverpackt übers Meer zu schicken, der Adressat mochte sie auspacken und zusehen, ob er sie öffentlich aus- stellte". Indem man das Hyporchem fr. 106, auch ttuöixy) wotq genannt, mit dem Kastoreion identifizierte, so kam das Begleitgedicht Pyth. II unter die Pythien, nach Wilamowitz „wohl mit Recht", der Ausäruck xTiJTop AiTva? dort führe uns auf die Jahre 474—470. Demgegen- über Schröder: „Die Möglichkeit, auf das augeblich mitgesandte Ge- dicht, vollends auf die launigen Fragmente des Tanzliedes zu rekur- rieren, . . . dieser Weg ist, denke ich, abgeschnitten . , . [xaScuv kann sich auch nicht auf das Vorige beziehen, vielmehr im Sinne des dorischen Erziehungsideals „sei du nur, der du deiner Erziehung nach bist", sei nur ein Edelmann („die Stelle ist wirklich schwer, selbst wenn sie nicht besonders tiefsinnig sein sollte," setzt Schröder hinzu). Boeckhs Haupt- bedenken gegen eine Unterscheidung des als Gabe der äolischen Leier empfohlenen Kastoreion von diesem äolischen Liede P IT habe bis jetzt niemand beseitigt (recte!). Dies sei unter den Liedern auf Hieron das erste, dessen Vortrag der Dichter nicht selber geleitet habe, das „übers Meer komme", darum sei die „Asklepiosepistel" P III später als dies Lied anzusetzen ; der vielberufene Gegensatz von xooe {xev und t6 öe sei im wesentlichen nach Boeckhs Vorgang anzufassen: „es beginnt, als solle es weitergehen xa 5' aXXa [xeXy) auxöc ioioajxov . . . und geht weiter, als wäre vorangegangen x;^ [j-ev (Potvitjav) e[j.T:oXiQ %xov av su^patvoto OuijLov." Noch simpler möchte Legrand den Gegensatz, trotz der Wort- stellung, in den Ausdrücken irsfjLirexai und aöpyjjov suchen: „Accueille bien mon ode, quoique l'oeuvre d'un absent" (so schon der alte Gurlitt);

Jahresbericht über Pindar 1901 1902. (Bornemann.) 135

im ganzen Liede aber sieht er eine Offerte des Dichters: ich will mich gern dankbar zeigen und dich loben, bediene dich also meines Talents [das letztere sollen die vorliegenden vss. 67 71 besagen], höre nicht auf die Schmeichler, die mich verleumden, laß mich kommen [vs. 96]! Ich meinerseits glaube den reinlichen Gegensatz durch die Änderung von -0 vs. 69 in tu zuwege zu biingeu ; da der kranke Hieron 470 nicht persönlich in Delphi war, Pindar aber seit 476 oder 475 dessen Geschick nur aus der Ferne hatte verfolgen können, so war dies Lied wie eine ferne Ware, die übrigens der Phönikier (Pindar) selber mit- brachte und ablieferte (T:£[jL;:tu siehe oben S. 115), und es war die Bitte wohlbegründet, daß dem Hieron die musikalisch -choreutische Inter- pretation dieses Liedes willkommen sein möchte.

Es folgt die Alfenpartie vss. 72 75, die sowohl Wilaraowitz wie Schiöder Anlaß gibt, einige allgemeine Urteile über Piudars Diktion abzugeben. Wilaraowitz sagt: „Seit es die Rhetorik gibt, haben Griechen, die eine ordentliche Schule durchgemacht hatten, freilich nicht mehr so geredet, und schon der Athener, geschweige der lonier, würde zu Piudars Zeit sich durch Partikeln dentlicher gemacht haben." Damit hat der Dichter seine Zensur ausgeteilt bekommen. Nicht viel anders Schröder: ,,Fa8t unberührt von dem erlösenden, Bergeslastea hebenden Hauch attischer Denk- und Gestaltungskraft" „einen mehr nach der Seite der Feierlichkeit und des Reichtums an glänzenden und packenden Einzelheiten als der Anmut und der Klariieit gesteigerte IvuDStübuug" „unter dem Druck komplizierter musikalischer Kunst- formen und im Kampf mit mächtig zuströmendeu Gedanken schwer atmend" ,,wenn es auch bei einer innerlich so festgegründeten Dichterindividualität natürlich an einer orgelpunktartig die einzelnen Themen verbindenden Unterströmung niemals gefehlt hat". Wir sind ungefähr wieder bei Boileaus Urteil angekommen: „beau desordre". Immerhin erklärt Wilamowitz zuletzt, nachdem er die Affenpartie hin und her gewendet hat, er könne nicht finden, daß hier auch nur ein Zug wäre, der nicht genau stimmte, eine V/endung, die mau pressen müßte, um einheitlichen Sinn und einheitliche Stimmung zu finden. Wie bringt Wilamowitz das zustande? Formell wird von ihm fest- gestellt, daß iu dem Satze: ,, Hieron soll kein Affe sein, sondern ein Rhadamanthys" dei- Ausdruck die Gleichsetzung nach beiden Seiten ausschließe. Welcher Unbefangene glaubt das? Inhaltlich aber schwankt die Wilamowitzsche Deutung der Affenart hin und her: soll nach ihm der Affe aktiv ein Schmeichler oder passiv ein Umschmeichelter sein? Ich stelle folgende Sätze aus der Abhandlung zusammen und bitte um Aufklärung: Der logische Gegensatz zwischen der Affenzeile und dem ewigen Glück des Rh. liegt darin, daß Rh. eitle ,, Leute, die sich be-

136 Jahresbericht über Pindar 1901 1902. (Bornemann.)

schwatzen lassen, nicht bei sich aufnehmen" wird; im Gegensatz zu Rh. läßt ,,der Umschmeichelte sich gern berücken"; Hieron „kann Be- wunderung von Kindern und von Affen immer hören, wenn ihm danach der Gaumen steht"; ,,der Aflfe findet den Schmeichelnaraen xaÄXi'a; bei den Kindern"; ,, Hieron . . nimmt die Schmeicheleien und Verleum- dungen der Füchse an" . . und ,,so fehlt ihm der cppsvwv xapno; dixcuixrjToc des Rh."; ,,dem cppsvoSv etc. des Rh. entspricht die notorische Eitelkeit des Affen, der immer mehr sein will, als er ist". Schröder findet sich mit dem „Affchen", wie er es beschönigend nennt, sehr kurz ab: es habe mit den Füchsen nichts zu schaffen, es sei kein Spiegelbild für Hieron, es sei ein Hofnarr, ohne Zweifel ein glücklicher Konkurrent des Dichters. Da hätten wir also neben den bisher bei den Erklären! schwieriger Stellen überaus beliebten Nebenbuhlern des Dichters einen neuen Konkurrenten aufgefunden, dem so „bei Wege lang" eins über- gezogen wird, wo es gut oder übel paßt. Ebenso kurz, aber ganz anders gewendet, äußert sich Legrand: der Affe wird von den Schmeich- lern betrogen, die ihn „ironisch" für schön erklären, Rhadamanthys läßt sich nicht von ihnen betrügen. Immerhin, setzt dor französische Gelehrte hinzu, das gewählte Bild würde „impertinent" sein, wenn es ans des Dichters Initiative entstanden und nicht eine Vorlage bereits vorhanden gewesen wäre.

Wie ich meinerseits mit dem überlieferten Text mich jetzt ab- finde? in welchem überdies das uapa unerklärt, die Form 7:i&o>v un- gewöhnlich und das aki Flickwort ist. Für mich ist der Gegensatz zum Rhadamanthys der Aias: xaxoi? rot ttiiIojv Trapairatjev Ai'a? | xaXou, indem er den heimlichen Verleumdern der Atriden Glauben schenkte. Aber auch vss. 75 ff. sind voll Anstößen; ich denke, der einheitliche Gedanken- gang tritt heraus, wenn wir lesen o'ia [statt oia] t|^i9up(uv uaXdtjxai; l::£t' aiei ßpoTtp (a'fxa^fov xaxov «[JL^OTEpoic) oiatßoXiav urcocpavTia, ( op^uia' drevEf ^.Xü>7:£Xüi6sc sXcup . I xepöoi 81 xi |xaXa touto xspSaXeov TsXe&et; | ait -/■ap [objektiver Grund] eivaXtov tovov o-^eoiaac ßadu | axeua? sTSpac dßaTrxisToc eTu: [sc. ooXto; darn?] ipsXXoc S); ui^ep epxoc aXixa;, | dSuva-ra FsTto; Ix^aXeTv xpafaiöv Iv a.'i'xQoXi \ öoXiov d^Tov . o[JLtu; [xdv oatvwv ttotI udvTac dXxatav IvSiajtXexci.

Aber damit sind wir schon zu weit vorgeschritten. Wilamowitz hält vs. 75 ßpoToiv fest, wünscht vs. 82 ojAüic, stimmt ebenfalls für Hnschkes xepSoT vs. 78 (Schröder widerspricht), erklärt uTCO^dirtec vs. 76 ,, unweigerlich" für Maskulina [es sei Pindars ,, schöpferische Freiheit anzuerkennen, einerlei wie wir über die grammatische Richtigkeit denken"], setzt für ßa&u vs. 79 ßuöoT, akzentuiert vs. 80 elpit, bleibt vs. 82 bei Heynes atav und übersetzt SiairXexei ,,bis zu Ende flechten", nämlich Übel für ,,sich und andere", mit Bezug auf die [verzweifelte]

Jahrebbericht über Pindar 1901 1902. (Bornemann.) 137

Stelle P 11, 55, die angeblich dem Hieron hinterbracht wäre [Schröder äußert sich dagegen]; die Füchse sollen Simonides und Bakchylidea sein [bei Legrand nicht Bakchylides, nur SimonidesJ. Warum ewig diese Nebenbuhler, diese privaten Zänkereien? Öffentlich eine Koterie abzutun, die den durch sein Leiden mißmutigen Herrscher zum Sklaven ihrer Verleumdungen zu machen sich anschickte, das war durchaus am Platze und würdig des Propheten der apfiovia. Auch für Schrödei handelt es sich offenbar um private Dinge aus früheren Tagen, um „gewisse bei Hofe gemachte Erfahrungen" privater Art: „der öffentlich umworbene, heimlich gehaßte Dichter" steht ,, frech feigen, ehrlos schmarotzenden, schweifwedelnden Hunden als grimmiger Wolf c:egen- übcr". Für mich enthält natürlich das ou Foi |xeTE-/ü> und u-odeu(io|iai ein allgemeines Prinzip, freilich in erster Linie von Pindar selbst ver- treten, dann aber auch von allen d^aöoi einschließlich Hieron selbst zur Geltung zu bringen. Vs. 85 lese ich übrigens -araYtüv, nämlich vom Knurren des Wolfes, während die 68oi axoXiai natürlich von den Füchsen eingeschlagen werden. In vs. 90 cj-otv>(xa; möchte Schröder wieder zur Erklärung ,,Wage" zurückkehren, wiewohl er selber Be- denken hat; ich meine, die bestrittene Deutung , .Meßschnur" ist durch 0 10, 45 (jTa8|jLaTo aXcjoj und N 6, 7 coli. Jahresbericht CIV S. 173 gesichert; und wie, wenn das metrisch unzulässige [iTjtiov-rai vs. 92 durch ixexpeovxai ,,sich -zumessen lassen" zu ersetzen wäre?

Mit den letzten, allgemeiner gefaßten Versen kehrt die Ode zu- gleich zu Hierons Mißmut zurück; sie gelten jedwedem, der sich in Gottes Fügung nicht fügen will. Weder politische Bedeutung noch leibliches Wohlergehen ist das meist Erstrebenswerte; was es ist, sagen die Schlußworte, allen xaxoij zum Trotz: döovxa S' ziri jxe xoT? i-^abdii 6|jLiXeTv.

Bericht über die Literatur zu den rhetorischen Schriften Ciceros aus den Jahren 1900—1902.

Von

Gymnasialprofessor Dr. Georg Ammon

in München.

Besonders hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der rhetorischen Schriften Ciceros habeu wir aus den letzten zwei Jahren nicht zu ver- zeichnen; fast scheint es, daß das rege Interesse der beiden voraus- gehenden Dezennien schwindet, wenigstens bei den Deutschen, während es bei den Italienern (Ciraa, Curcio, Sabbadini) und Franzosen (Bornecque) anhält. Das Geleistete erstreckt sich meist auf literarhistorische und hermeneutische Fragen, weniger auf die Textkritik. Zweckmäßig wird es sein, gelegentlich eine Lücke des vorigen Berichtes durch einen Nachtrag auszufüllen. Der auct. ad Herenn. gehört nicht zu meinem Referat.

Zusammenfassende Darstellungen.

1. Gaetano Curcio, Le opere retoriche di M. Tullio Cicerone. Studio critico. Acireale, Tipografia dell' Etna, 1900. gr. 8. IV 222 S.

Unter den neuesten Darstellungen der rhetorischen Theorie des Cicero (Weißenfels in der Einleituug zu seiner Auswahl. Sapienza u. a.) nimmt die Arbeit Curcios (eines Schülers Sabbadinis) einen bevorzugten Platz ein;*) sie ist besonders denen zu empfehlen, die nach der Lektüre der rhetorischen Schriften Ciceros die groß angelegte 'Trilogie' de or., Brut, und orator an ihrem Geiste vorüberziehen lassen oder die in den Hauptwerken und in den kleineren Schriften niedergelegten, bisweilen nicht gut geordneten Massen rhetorischer Vorschriften vergleichend

*) Sie sollte, wie A. Cima in seiner eingehenden Besprechung Riv. di filol. 29, 1901, S. 109— U7 bemerkt, betitelt sein „le teorie retoriche nelle opere retoriche di Cicerone".

Bericht üb. d. Literatur zu d. ihetorischen Sciiriften Ciceros. (Ammon.) 139

besehen, kurz ein Bild der Rhetorik zur Zeit Ciceros gewinnen wollen. „Xoi abbiamo cercato," schreibt Verf. p. IV, „di far comprendere nei primi tre capitoli di questo volume la genesi delle teorie retoriche di Cicerone e lo svolginiento di esse, nei capitoli seguenti, ma proponiamo altresi all' attenzione dei filologi alcune considerazioui intorno al 'De oratore', all' 'Orator", alle "Partitiones Oratoriae' che t'ondate come sono suUa cognizione tecnica della materia, ci uuguriamo possano suscitare una feconda discnssione."

Von den 9 Kapiteln handelt 1 von den Anfängen der Rhetorik (auf Sizilien, in Griechenland) bis auf Aristoteles meist nach den Schriften von L. Spengel und nach E. Norden, Antike Kunstprosa; Navarre, Rhet. Grecque avant Aristotle konnte Curcio, scheint es, nicht mehr benützen. Der Abschnitt bietet wenig Neues und ist im einzelnen mehrfach zu berichtigen und zu ergänzen, so wird z. B. der Philosoph Demokrit in der Entwickeluug der Kunstprosa gar nicht, die Rhetorik au Alexander (des Auaximenes) nicht gebührend*) berücksichtigt; bei der Darstellung der Aristotelischen Rhetorik sind die Prolegoraena von A. Roemer (Lips. 1898) und die Abhandlung von Fr. Marx Aristoteles' Rhetorik (Sachs. G. d. W. 1900) zu vei werten. In Kapitel 2 werden die rhetorischen Studien der Philosophenschulen, insbesondere der Stoiker (nach Striller), dann das System des Hermagoras nach K. W. Piderit und G.Thiele eingehend, ich meine, zu umständlich besprochen. Förderlich zur raschen Orientierung sind die hier und anderwärts beigegebenen Über- sichtstafeln. Manches bedarf auch hier einer Berichtigung, z.B. können wir aus Brut. 263 ziemlich sicher entnehmen, daß Hermagoras in der elocutio (>.£;t;) so gut wie nichts leistete (vgl. Jahresb. CV, 1900 S. 217). Genauer zu untersuchen war, welchen Einfluß u. a. Theophrast und Kritolaos (direkt oder indirekt) auf Cicero ausübten. Im dritten Kapitel behandelt Curcio die Anfänge der Rhetorik in Rom; hier stützt er sich hauptsächlich auf Fr. Marx Prolegomena zum auct. ad Herenn. An Cornifici'is als dem Verfasser der Herenniusrhet. hält er aus ähn- lichen Gründen fest, wie ich in meinem Aufsatz Bayer. Gymn.-Bl. 33. Bd. 1897 S. 409 ff. Auch ist er der Ansicht, daß das Gemeinsame im auct. ad Herenn. und bei Cic. de inv. auf eine gemeinsame lateinische Vorlage zurückgehe (p. 59), insonderheit die vielbesprochene Insinuatio- Partie. Wenn die Inhaltsübersicht so eingehend und genau ist, wie sie kaum nötig war, so fällt S. 58 auf, daß unter den in der compositio

*) Dort ist z. B. auch der Fall für das attentos facere aufgeführt Sp-H p. 66*° /jO£"/;t>(uatv /^pinv (ot Liyjyzz-) äzoü^a'. o('j".)jv X603r/ov-a; -cöv voDv, so daß man von dem si rogabimus beim auct. ad Herenn. I 7 nicht sagen kann (Curcio p. 79) „ha il carattere di una regola improwisata."

140 Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schiiftea Ciceros. (Ammon.)

zu berücksichtigenden Dingen nicht auch aures und spiritus (IV § 18} aufgeführt werden. Daß die Anzahl der Wortfiguren 33 beträgt, ist Dicht sicher; es hängt davon ab, ob mau z. B. bei adnominatio IV 29 die Gruppe oder die Einzelfiguren zählt. In Kapitel 4 bespricht der Verf. Cic. de inv. (Inhalt, Vergleichung mit Hermagoras und Cornificius). "Wenn Curcio p. 8G schließt: Cicerone non sente il bisogno di dissimulare Torigine greca delF arte di cui scribe, segne piu da vicino la fönte ermagorea, e perciö muta meno del suo predecessore romano, so ist beizufügen, daß wir in der Übermittelung des hermagoreischen Systems au den jungen Cicero bereits die nörgelnde Kritik eines Philosophen erkennen (vgl. I 8). Kapitel 5 gibt eine luhaltsübersicht von de oratore, bespricht das „Methodologische" und die Forderung einer universellen Bildung für den Redner, hier sollte der Hinweis auf R. Hirzei, Der Dialog 1895, I S. 457 552, nicht fehlen , zuletzt das Technische. Anlage und Aufbau des Buches sind nach Curcio Ciceros Eigen; es ist ein Originalwerk, aber nicht eiue Streitschrift gegen die latini rhetores, sondern eiue Darstellung seines eigenen Werdegangs. „II metodo che informa il suo sistema retorico e emanazione genuina dell' educazione, delle tendenze, delle ideale che si propose di raggiangere Cicerone medesimo" (p. 122). In dem Streit der Philosophen und Rhetoren nimmt Cicero eine vermittelnde Stellung ein. Der phisosophen- freuudliche Zug, die großen Gesichtspunkte , die ethische Anschauung sind wohl auf die Akademie zurückzuführen, wie Hans von Arnim in der Einleitung „Sophistik, Rhetorik, Philosophie in ihrem Kampfe um die Jugendbilduug" zu seinem Buche „Leben und Werke des Dio von Prusa" (Berlin, Weidmann, 1898) S. 100 ff. nach- weist. Daß aber Cicero sich durchaus an Philo von Larisa angeschlossen habe, scheint auch mir bei der Anlage des de or. und der Arbeits- weise des Autors sehr fraglich. Als Zweck des Dialogs bezeichnet Curcio p. 136 divulgare un metodo di educazione oratoria e in rapporto a quel metodo indicare i mezzi, che sono necessari per conseguir lode di vero oratore. In der Aufzeigung der technographischen Quellen werden immer Lücken und LFnklarheiten bleiben. Den Aristoteles (rhet. , auva^tu^rj te-/vü)v?) habe Cicero, so nimmt Curcio an, flüchtig gelesen; seine Vereinigung des isokrateischeu und aristotelischen Systems sei nur für die Grnndzüge anzunehmen, was Cima Riv. di filol. 29 p. 129 mit Recht als zu unbestimmt beaustandet. Meist neu sind die Aus- führungen Curcios S. 129 ff., in denen er Unebenheiten, Widersprüche und Schwächen in der Gedankenführung zu finden glaubt; gegen ihn ver- teidigt Cima in seiner Besprechung 1. 1. p. 112 116 die angegriffenen Punkte mit Glück. Wichtig erscheint Kapitel 6, da sich der Verfasser besonders hier auf eigene Studien stützen konnte, nämlich auf die Schrift :

Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. (Ammon.) 141

*2. Gaetano Cnrcio, DeCiceronis et Calvi reliqoor iim- que Atticorum arte dicendi quaestiones, Acidi prope Catinam ex officina Aetnaea, 1899. 89 8

Hauptinhalt : Ciceros rhetorische Eigenart , seine at tizistischen Gegner, Beginn desStreites (nach 54), über dieRedekunst der Attiker, Ciceros Urteil tiber diese Redekunst und über die einzelnen Persönliclikeiten (Calidius, Calvus. Scribonius Curio, M. Brutus, Asinius Pollio), die Redekunst der Attiker mit der Ciceros verglichen, die Fragmente der Attizisten.

Doch bringt die Darlegung des Streites zwischen Asianis- nius und Attizisnius wenig Neues. Mit Tacitus dial. de or. c. 25 behauptet Curcio p. 151: Cicerone e gli Atticisti seguono in fönte un' uuica scuola, sebbene 1' uno non si assomiglin ella specie all' altro; das ist richtig, wenn nur das allgeraeine Streben nach Imitation gemeint ist, aber im Wesen ist und bleibt Cicero anders geartet als die Atti/.isten (s. meinen Bericht 1900 Bd. CV S. 210, 224, 241). Wohl mit Recht wird S. 151 der Anstoli zum Streit in politischen und persönlichen Be- ziehungen gesucht; dabei mnB man aber hinter den kleinen Vorder- männern die Kontrastgröße zu Cicero, Cäsar, sehen: Dieser hat das politische regnum nahezu erreicht und dadurch sowie durch seine andere Art der Darstellung dem Cicero auch das regnum forense fast entrissen und bedroht seine Führerschaft im Stil.

In Kapitel 7 (von Nr. 1) führt Curcio die Untersuchung fort: Brutus, orator, de opt. g. or. bewegen sich auf der gleichen Gefechtslinie. Als Cicero den Brutus schrieb, war die Polemik mitden Attikern nahezu beendigt, meint Curcio ; aber wozu dann der verschärfte Ton in or. und de opt. gen. or.?

Von Interesse ist die Ausführung über die Komposition des or. : Brntus hatte in seinem Brief Auskunft gewünscht über das Optimum genns dicendi und über die numerosa oratio; auf beide Fragen ant- wortet Cicero in zwei besonderen Abhandlungen der Titel de optimo genere dicendi ad fam. XV 21, 1 -^ orator zeigt dies au , verbindet dieselben aber später zum Zweck der Veröffentlichung durch das Mittel- stück de oratore perfecto. Die Darlegungen haben etwas Bestechendes, auch ist der or. so wenig als andere Schriften frei von Unebenheiten in der Gedankenverknüpfung und -führung, aber bei näherer Prüfung wird man diese Enlstehungsart kaum als die wirkliche annehmen.'*') Auch im einzelnen sind hier manche Versehen: man sagt nobiscum nach Cicero, um nicht durch die regelmäßige Stellung cum nobis einen obszönen Laut (cunno-) zu bekommen; bei Curcio stehen S. 160 die uuver-

*) Auf die Schritt „Die Tendenz von Ciceros Orator" von Dr. Seb. Schlittenbauer, Leipzig, Teubner 1903 (—Jahrb. f. klase. Philol. Suppl. 28, S. 183—248) wird im nächsten Bericht einzugehen sein.

142 Bericht üb d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros (Ammon.)

ständlichen Worte ma cum Ulis; cum autem nobis. In seiner grammatischen Anschauung ist Cicero eher Anomalist als Analogist (vgl. Jahresb. 1900 S. 243 f.). S. 161 f. wird als incisum, als membrum, u Kj als ambitus bezeichnet; mir ist das in der rhetorischen Sprache des Cicero unverständlich. Die Darstellung des Rhythmus bei Cicero gehört zu den schwächeren Partien in Curcios Buch.

Mit dem or. verbindet sich im gleichen Kapitel die Besprechung der kleinen .Streitschrift de opt. gen. or. Über den vermutlichen Cha- rakter der Übersetzung, deren Vorrede sie bildete, setzt sich Curcio mit G. Giri, Del tradiirre presso i latini (Milano 1889), kurz aus- einander.

In Kap. 8 behandelt der Verf. die Topica und die Streitfragen über ihre Quellen.

Das letzte Kapitel sucht die part. or. als unecht zu erweisen [der wichtige Codex Sangallensis gibt auch nicht die Autorschaft Ciceros an]. Die Ausführungen enthalten manche richtige Beobachtungen, z. B. daß in dieser Schrift nichts von der Karapfesstimmnng gegen die Attiker zu verspüren ist, sondern „V animo suo ci si mostra olim- picamente sereno" (p. 209), so daß man die Schrift in das Jahr 56 oder 55 hinaufzurücken versucht sei. unmöglich ist das nicht; mit Hirzel habe ich mich für das Jahr 54 im Jahresber. ausgesprochen; nachdem aber L. Gurlitt Berl. Phil. Woch. 1900 S. 1179 f. das Jahr 65 als das Geburtsjahr des jungen Cicero nachgewiesen hat, spricht vieles auch für das Jahr 55. Allein Curcios Beweise für die Unechtheit sind doch nicht durchschlagend. Die Darstellung ist zwar eigenartig, aber es ist eben auch die katechetische Form etwas Neues; der Inhalt ist von der oder den Vorlagen fast wörtlich herübergenommen, so daß wir wie in de inv. Übersetzungslatein vor uns haben (über Marx' Ansicht vgl. Jahresb. CV 238). Die gesamte Darstellung enthält doch so viel Cicero- nianisches, daß wir mit Quintilian an die Echtheit der Schrift glauben dürfen. Auf die sprachlichen Argumente ist bei einer Übersetzung und das sind die part. or. in der Hauptsache wohl nicht viel zu geben; so zeigt auch de inv., worauf G. Thiele hingewiesen hat, an verschiedenen Stellen den häufigen Gebrauch der Substantiva: supralata verba § 20 hat seine Stütze an supralatio de or, III 203.

Alles in allem: die kritische Studie von Curcio ist ein gehalt- reiches und anregendes Buch; der Verfasser bekundet fast durchaus anerkennenswerte Vertrautheit mit der einschlägigen Literatur, beson- ders mit den Arbeiten der Deutschen; die Ausführung der Gedanken konnte bisweilen knapper und präziser sein. Die Ausstattung ist gut, die zahlreichen Tabellen erleichtern den Überblick über die technischen Dinge. Aber im Druck stören viele Errata (Möllendorflf, ßohde).

B ericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. fAmmon.) ] 43

Rez.: Rcr 1900 Nr. 47, p. 389 v. P. LCejay). RF XXIX 1, p. 109—117 V. A. Cima. BphW 1901, Nr. 4, p. 102—107 v. 0. Weißenfels. RIP XLIV 5, p. 341—343 v. P. Thomas.

De Cic. et Calvi . . rez. Boficl VI 8, p. 178—181 v. A. Cima. Rcr 1899, Nr. 50, p. 483 v. E. T. RTP XLIII 2, p. 108—111 v. P. Thomas. BphW 1900, Nr. 23. p. 712-714 v. 0. Weißenfels. RF XXVIII 2, p. 297—298 v. V. ITssani.

Als eine zusammenfassende Arbeit möchte ich hier auch die Lei- dener Dissertation nachtragen:

*3. Yan Vessem. De M. Tullii Ciceronis de oratorc libris . . . specimen litterarium angurale . . . submittit Joseph van Vessem, S. J. Galopiae apud M. Alberts et filios, 1896. gr. 8. 119 S. Auf Grund ausgebreiteter Belesenheit sucht der Verfasser abge- sehen von allgemeinen Bemerkungen über den Rhetor und Redner Cicero folgende drei Fragen zu erledigen :

1. Quid Cicero hisce libris sci-ibendis sibi proposuerit. Autwort: Cicerouem, ut reipublicae consuleret, optimarum artium vias suis civibus tradidisse, oder, wie es in der Thesis I heißt, ratio et causa totius disputationis „de oratore" indicatur 1. II § 5.

2. Quae sit propria et praecipua doctriua horum librorum (p. 30—66 = Inhaltsaugabe in großen Zügen).

3. De foutibus et exemplaribus horum librorum quaedam annotantur (p. 67 112): Isocrates, Aristoteles, Plato, besonders die Berüh- rungen mit dessen Gorgias und Phaedrus; die Verschiedenheit des Begriffes sapientia bei Plato und bei Cicero u. a. In die Tiefen der rhetorischen Einzelforschung, wie sie in mehreren deutschen Dissertationen angebahnt ist, dringt van Vessem nicht; aber die hübsche, nur zu breit gehaltene Darstellung bietet doch manche Anregung.

Einen Hauptbegriff in der Definition des Redners, vir bonus, be- handeln

4. Fr. Scholl und L. Radermacher Rhein. Mus. LVII 1902, 8. 313 f.

Früher (Rh. Mus. 1899 S. 286 ff.) hatte Radermacher für de orat. eine stoische Quelle angenommen. Scholl bekämpft die Annahme, der alte Cato habe die Worte, der Redner sei ein vir bonus, 164 (oder 155) bei der Philosophengesandtschaft von Diogenes von Babylon gehört; er sei eine eigene Prägung des moralisierenden Cato. Radermacher erklärt, seine Annahme schon lange aufgegeben zu haben, aber daß in der De- finition des Redners als vir bonus die Stoiker den entscheidenden Nach- druck geübt haben, ist auch mir nach de or. u. a. nicht zweifelhaft.

144 Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceroa. (Ammon. )

Für das Verständnis sowohl der Geschichte der alten Redekunst 1 und Rhetorik als auch technischer Einzelheiten, soweit beide bei Cicero berührt werden, sind von Bedeutune: einige Werke über griechische Rhetorik :

5a. Navarre. Essai sur la rhötorique grecque avaut Aristo tle. These , . . par Octave Navarre. Paris, Hachette et Cie., 1900. gr. 8. XV 344 S.

Ausgehend von L. Spengels xe^vaiv auva7u>Y9) stellt Navarre in großen Zügen, aber auch eingehend dar L Die Geschichte der grie- chischen Rhetorik vor Aristoteles (bis S, 207): Sizilien Gorgias die Sophistik (Kritik der Dichter) die Eristik etc. Im iL Teil (S. 210 326) versucht er eine „Restitution" der griechischen Rhetorik des 4. Jahrhunderts v. Chr. (Exorde narration preuve epi- logue). Es genügt hier, das schöne Buch in Erinnerung gebracht zu haben, auf Einzelheiten soll nicht eingegangen werden. An Angriffs- panktf^u fehlt es, wie es scheint, nicht, z. B. wenn S. 339 die Möglich- keit offen gelassen wird, daß auch Cicero der Verfasser der Rhetorik an flerennius sein könne.

5b. Rhys Roberts. Dionysius of Halicarnassus, The three literaiy letters . . . by W. Rhys Roberts. Cambridge, University Press, 1901.

Aus dem introductory essay (S. 1—51) ist besonders Abschnitt V Relation of Dionysius as a literary critic to the Romans and to the Greeks hierherzuzieheu.

Vgl. meine Besprech. Berl. Phil. Woch. 1901 Nr. 51.

5 c. Egg er. Denys d'Halicarnasse, Essai sur la critique litte- raire et la rhetorique chez les Grecs au siöcle d'Auguste par Max. Egger. Paris 1902 (Picard et fils). XIII 306 S. Aus dem Buch sind einige Abschnitte, z. B. S. 88—98 über Rhythmus, auch für Cicero wertvoll. Vgl. Berl. Phil. Woch. 1902, Nr. 27 S. 833—839.

Eine Gesamtausgabe der rhetorischen Schriften ist in den letzten zwei Jahren nicht erschienen; wir besprechen nunmehr

Die einzelnen Schriften.

1. De oralere.

6. M. Nicolini, De oratore Brutus orator. Anto- logia scelta et annotata. Milano 1901, Fr. Vallardi. XXXII 250 S.

Die Auswahl, die mir nicht zugänglich war. bezeichnet 0. Weißeii- fels Woch. f. klass. Phil. 1901 Nr. 51 S. 1392 als durchaus passend und gründlich. ,Auch ist der Verf. in der Einleitung mit Erfolg be-

Bericht üb. d. Literatnr zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. (Atnmon.) 145

müht, das Eigentümliche von Ciceros Auffassung der Beredsamkeit zu beleuchten und die Ansicht zu widerlegen, als habe dieser seine leitenden Gedanken aus, man weiß nicht, welcher Schrift des Philo geschöpft. Was den Text betriflft, so ist er der Teubnerschen Textausgabe von Friedrich gefolgt, doch mit großer Freiheit und auf andere hörend. Vor allem hat er sich hinsichtlich der Orthographie von Friedrichs Aus- gabe unabhängig gehalten."

Rez.: Boficl VII 9, 200-201 v. A. C.

Von der verdienstvollen Ausgabe von

7. Ä. S. Wilkins, Ciceronis de oratore librilll, Cambridge, Clarendon Press,

ist Buch I in zweiter Auflage (1902) erschienen.

Rez.: Rev. de Tlnstr. pnbl. eu Beige 1902 p. 247—248, Lit. Centr,

1902 p. 1401 und neuestens eingehend von Th. Stangl W. f. klass. Phil.

1903 Nr. 4 Sp. 95—98.

Aus Anlaß der zweiten Bearbeitung seiner kleinen, aber treff- lichen Ausgabe hat

8. Antonio Ciraa, Observationes criticae in Cic. libr. I de er. in der Riv. di Filol. 28, 1900 p. 456—464

veröffentlicht.*)

Beachtenswert ist alles, was Ciraa über Ciceros rhetorische Schriften sagt. Als besonders ansprechend möchte ich aus den Vor- schlägen herausheben 1 cum quaestor [ex Macedonia] , venissem ; EUendts Deutung ist zu gekünstelt (auch Wilkins stimmt bei) | I 62 usi sunius, <si> tum ] I 215 aliam quoque scieutiam (billigt Wilkins) I 232 [qui houos apud Graecos maximus haberetur]. Au anderen Stellen kann ich dem Kritiker nicht beipflichten, so in dem, was zu I 11 gegen Staugls Ergänzung <et oratoruni> vorgebracht wird. In I 85 qui iam diceret <rhetorum> esse quandani prudeutiam scheint mir der Zusatz unzulässig wegen des folgenden partis illius ipsius prudentiae; die Worte zeigen deutlich, daß Menedemus mit rationes constituendarum et regendarura rerum publicaruiu die (-oXitixtj) pTjxopixT) als selbständige Disziplin hinstellen wollte. 1 111 ist mir die Konstruktion Quamquam nioderabor ipse <me>, ne nicht verständlich; nahe läge Quamquam <mi> moderabor ipse, ne zu schreiben, wenn überhaupt zu ändern ist. Seine Observationes hat

*) Nicht zur Hand habe ich BoU. di fil. cl. VII p. fil-65, suU' inter- pretazione di alcuni passi di Cic. de or. ; im gleichen Bande sprechen Brugnola und Sabbadini über impudentiae ludus p. 155—166 und 230—231. Jahresbericht für Altertums-wissenschaft. Bd CXVII. (1901 II.) 10

146 Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. (Ammon.)

9. A. Cima, M. Tullio Cicerone i tre libri de oratore, testo riveduto ed annotato, libro primo, seconda edlzione interamente rifusa. Torino, Loescher, 1900. XXIII 167 S.

verwertet und zahlreiche neue bezüglich der Textesgestaltung bei- gefügt.

Von den Vorzügen der knappen und klaren Einleitung und des gediegenen Kommentars, die schon der ersten Ausgabe allseilige An- erkennung sicherten, spreche ich hier nicht. In der schwierigen Grundfrage der Autorität der mutili (M) und integri (L), die Stroebel Jahresb. Bd. 80 und 84 ins rechte Licht gesetzt hat, habe ich bei der Be- sprechung von Friedrichs Ausgabe der opusc. rhet. Bayer. Gymn.-BI. 28, S. 621 (auf Grund einer nicht veröffentlichten Vergleichung von Hunderten von Varianten) die Ansicht geäußert, daß die integri an sehr vielen Stellen nicht zu ihrem Rechte kommen. Aus den Varianten, bei denen sich Cima für L entscheidet, seien folgende als gut herausgehoben: I 14 exercitationis ullam viam für vim | ib. discendi (nämlich dicere) für dicendi | 18 moderatione elaborent (für laborent), bei dem Zusammen- treffen der zwei e (vgl. I 251, II 231) hat die Schreibweise von M gar keine Bedeutung; maßgebend sind Fälle wie gleich § 19 singulis ela- borent, ebenso I 22, 33, 252, II 85. | § 26 in sermone, ebenso 47 in erat, irr., 175 in quibus iu om. M | 27 iocando | 90 blandiri suppli- citer et subtiliter insinuare | 93 persuadere | 95 huic | 104 summo ho- minem ingenio nostrique cupidissimum | 107 in verbi controversia po- sitam I 115 non optima | 158 eliciendum | 190 iam diu | 193 haec. Fraglich erscheint mir die Richtigkeit der Lesarten I 3 causae (für causa) I 20 nisi res sit | 31 cum paucis (über perpaucis s. u. Locli- müller) | 198 qui, cum ingenio sibi auctore dignitatem peperissent (Cimas Vermutung) | 219 hominum Graeciae (für horainum quoque von Cima in den Text gesetzt). Die Konstruktion quo plus . . . accedere, eo . . 254 halte auch ich für unmöglich.

Rez.: WklPh 1901, Nr. 17 p. 459—460 v. W. Hirschfelder. CIR 1901 IV, p. 230—231 v. A. S. W. RPh 1901 III, p. 279-280 v. H. Bornecque. RF XXIX 4, p. 605—608 v. G. B. Marchesa- Rossi (eingehende Besprechung der Textesgestaltung). Boficl VIII, p. 199 V. L. V(almaggi).

Auf Cimas gediegene Arbeit (1. Ausg.) stützt sich last durchaus

*10. A.C. Firmani, M. Tullii Ciceronis de oratore libri tres. Liber L Paravia e Comp., Torino etc. 1899. 8. 112 S.

Von der bescheideneu Schulausgabe (bibliot. scolastica di scrittori latiui con note Nr. 875, 3) ist mir nachträglich das erste Bändchen^

Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. (Ammon.) 147

Buch I enthaltend, zugegangen.*) Der Kommentar lehnt sich haupt- sächlich an Cima und Soiof, der Text ebenfalls an Ciraa an, doch folgt der Verf. biswi-ileu Friedrich, Harnecker und Earle. Er ist in der Textbehaudlung konservativ, für eine Schulausgabe zu konservativ. So erklärt er, daß I 158 atque dicendum keinen befriedigenden Sinn gebe, hält aber an der Überlieferung fest, § 190 verwirft er iaui [diuj cogito den Zusatz. Ansprechend ist die Lesung 1 31 perpaiicis, 97 mcmet; unwahrscheinlich 34 possit für possitis, 42 convincentes; fraglich beue nioderatae tür bene moratae 85.

Rez.: Befiel VII 1, p. 10—12 v. G. Curcio.

11. Lochmüller. Quaestiones grammaticae in Ciceronis libros oratorios compositae ab Johanne Lochmüller, Progr. Lands- hut 1901/02. 8. 38 S.

Lochmüller, ein Schüler E. v. Wülflflins, hut, durch Th. Stangls Rat unterstützt, 12 Stellen von de or. und eine Brutusstelle (Br. 31) neu geprüft und seine wohlerwogenen Gründe für oder gegen die von den neuesten Herausgebein, insbesondere von W. Friodrich, gewählten Lesarten in fließendem Latein sorgfältig dargelegt. Eine reiche Samm- lung von Parallelen aus den rhetorischen Schriften und den Briefen zeigt aufs neue, wie sehr sich Herausgeber verirren können, wenn sie mit einem Teil der Überlieferung, wie Friedrich mit M (niutili), durch dick und dünn gehen (p. 31). I 31 wird vel cum perpaucis facere possit verteidigt und dazu eine fast erschöpfende Zusammenstellung der Ad- jektive und Adverbien gegeben, die durch per verstärkt werden. Die gleichartige Sammlung von Jules Lebreton in der Pariser Thesis (1901) Caesariaaa syntaxis quatenus a Ciceroniana differat p. 75/76 scheint Lochmüller nicht gekannt zu haben; das von Lebreton mit aufgenommene hominem perustum (ad fam. XIII 15, 2) hat Lochmüller mit Recht bei- seite gelassen. Die ursprüngliche Funktion des per enthalten Stelleu wie per mihi, per, inquam, gratum feceris (ad Att. I 20, 7); daß persaepe nicht gleichbedeutend ist mit saepissime, lehrt ad Quint. fratr. I, 15. I 97 wird per memet (für me) ipsum befürwortet und durch Parallelen gut begründet (Cima I^ hat auch memet, Firmaui verwirft dies). I 251 wird Stangls geistreiche Konjektur sedantes (für sedentes) ab acutissimo nachdrucksvoll empfohlen; 1261 consuescebat neque is(für id), auch Cima und Firmani lesen is; ein triftiger Grund von der Überlieferung is abzu- gehen, ist nicht voi-handen. Zu II 40 sammelt der Verf. die Beltge iür abs te und spricht sich für die Lesart der iutegri abs te aus (andere a te, ab te). Nach or. § 158, wo Cicero das Streben nach Euphonie iu der

*) Das Ganze 37tJ p., lire 2,80.

lü*

148 Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. (Ammon.)

lateinischen Sprachentwickelung darstellt amovit dicimus et abegit et abstulit hat abs te als das Regelmäßige zu gelten; darauf hätte der Verf. hinweisen sollen. Zu 11 247 bietet er zahlreiche Beispiele für Stellungen wie nieus frater, tuus necessarius. II 270 wird oratoriis dictioui- bns (für actionibus) empfohlen, aber unter den 26 Parallelen (sententiae dictio u. a. sind nicht Parallelen) zeigt keine die Verbindung oratoria dictio, wohl aber forensis dictio (I 108, Brut. 272). III 79 bringt Loch- müller weitere Belege für das angehängte que in Fällen wie despicique (Stangls Lesung), untersucht aber nicht die rhythmische Bedeutung solcher Stellungen. III 105 eaque una laus oratoris est et propria maxime wird et verworfen, aber dem Sinn (einzig dastehender und eigenster Vorzug) widerspricht es nicht und durch die Figur der coniunctio (ad Herenn. IV 27, 38), die in dem Satze beabsichtigt scheint, wird es gefordert.*) Für die bekannte Art von Konstruktionen wie III 227 haec varietas et [hie] . . . cursus werden aus den rhetorischen Schriften und den Briefen zahlreiche Belege zusammengetragen.

Einzelne Vorschläge zur Textverbesscrung von de or.:

G. Curcio vermutet III 110 hactenus <rhetores> loquantur, le op. ret. p. 218, schwerlich richtig.

12. S. Vasis (BajT]?) spricht sich 'AÖrjva XIII 1901 p. 101 f. zu I 5 für die Lesart prudentissimorum (statt eruditissiraorum) hpmi- num aus und verweist auf sein Buch Codicis Ciceroniani a Lagomarsinio Nr. 32 designati.

Dieses sowie

13. V. Hahn, Über eine unbekannte Handschrift von Cicero de oratore (polnisch), in: Symbolae in honorem Cwilinski p. 13 war mir nicht zugänglich.

2. Partitiones oratoriae.

Von Curcio für unecht erklärt, s. o. S. 142.

Bezüglich der Reihenfolge vgl. .Tahresb. CV. Bd. S. 235.

3. Brntns.

14. Remigio Sabbadini, Dubbi sul 'Brutus' dl Cicerone, Riv. di filol. 29, 1901, p. 259—261.

Wir haben es hier mit einer Streitfrage zu tun, die in jüngster Zeit zwischen einigen italienischen Gelehrten ausgefochten wird: Sabba- dini wollte in der Aneis Mängel der Komposition und des Gedanken- gangs gefunden haben, sein Schüler Curcio suchte solche „slegature e

*) Öfters verbindet Cicero proprius ac suus.

Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. (Ammon.) 14;)

scuciture" in Cic. de or. und auderen Schriften festzustellen; A. Cima weist in seiner genauen Rezension des Buches von Curcio die einzelnen Ausstellungen und das ganze Bestreben zurück. Daran anknüpfend äußert Sabbadini einige Zweifel bezüglich des GedankeuzusamnienhaDges und der Gedaukenfühiung im Brutus (§§ 19—20, 39 41, 45—48, 61-65, 83—91, 182, 22S— 230 und zahlreiche andere Paragraphen). Man wird den Zweifeln, die zum Teil von anderen schon früher ausgesprochen wurden, nicht jede Berechtigung aberkennen, z. B. die Behandlung des Hortensius betreftend, aber sie finden zum großen Teil ihre Erklärung in der Freiheit des Dialogs, in der Eigenart des Autors und der Materie, in der Quellenbeuutzung. So ist § 39 41 der Gedanke, daß die Redekunst selbst in dem so viel älteren Athen verhältnismäßig jung sei, etwas breit ausgedrückt. An den Satz ante Solonis aetatem et Pisistrati de nullo ut diserto memoriae proditum est schloß sich vielleicht in der griechischen Quelle auch bei Philodem blickt diese geschicht- liche Skizze (Nestor Ulixes Lycurgus u. a.) durch in anderer Fassung der Satz au Sed Studium ... in Pisistrato, aber Cicero wollte die chronologische Vergleichung hier einschieben, wohl auf Grund des liber annalis des Atticus.

15. Quicherat. Brutus, sive de claris oratoribus. Accedit libellus de optimo genere oratorum. Recensuit L. (Quicherat. Paris 1900, Hachette et Cie. 108 S. 90 c.

16. Burnouf. Cic. Brutus, ou dialogue sur les orateurs illustres. Traduction franraise par J. L. Burnouf, avec le texte latin. 16. Paris 1902, lib. Hachette et Cie. 203 p. 2 fr.

Einzelne Stellen.

17. A. Gandiglio, a proposto d' uua lezione e interpretazione congetturale in Cic. Brut. 17, 67. BoM. di fil. cl. 1900, Nr. 9. p. 205—207.

18. C. Pascal, In: La biblioteca delle scuole ital. IX 2: Per r interpretazione di un passo del Brutus 17, 67.

19. Sakellaropulos, -'pajxfxaxtxa xat xpitixa in raemoriam Luciani MüUeri (Cic. Brut.), Athen 1900, 10 p.

Für die Interpretation einiger Stellen des Brutus ist heran- zuziehen

20. Johannes Zingler, De Cicerone historico quaestiones. Berl. Diss., 1900, Berolini, Mayer et Müller. 38 S.

150 Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Cicero s. (Ammon.)

Cicero ist nicht Historiker von Fach, wenn er auch nach seiner Darstellung vielfach zur Geschichtschreibung aufgefordert wird und ihn seine Darstellungsgabe dazu reizt (s. H. Henze, Quomodo C. de historica iudic, Diss. Jen. 1899 p. 2 sqq.); er stützt sich nach Zingler in seinen zahlreichen geschichtlichen Angaben meist auf bequeme Hand- bücher und Leitfäden, wie den liber annalis des Atticus und das Chronicon des Nepos. Wie oft er sich bei Freunden Rats erholen muß, lehren seine Briefe. Aber Ciceros Geschichtsanffassung und seine Belesenheit taxiere ich nicht so niedrig wie Zingler; daß die Geschicht- schreibuug ein rhetorisches Gepräge haben solle, ist nahezu einstimmige Forderung des Altertums. Aber eine Hauptstelle des Cicero de or. II 36 [historia testis temporum, lux veritatis, vita memoriae , magistra vitae, nuntia vetustatis, qua voce alia nisi oratoris (in der umfassend- sten Bedeutung) immortalitati commendatur?] bekundet gutes Ver- ständnis für ihre Aufgaben, vgl. or. 120; andere Stellen, die neben der delectatio die utilitas betonen, bietet Henze unter II. Quid Cicero de historia senserit p. 12 19 seiner sorgfältigen Dissertation.

Für die Kenntnis der geschichtlichen Quellen des Brutus ge- winnen wir aus Zinglers Arbeit wenig; er kommt über Naumann, De fontibus et fide Bruti (Halis 1883), und Jules Martha, Ausgabe des Brutus, Paris 1892, besonders S. XVI flf. der Einleitung, .nicht hinaus. Bei der Widerlegung, die Annahme H. Jordans (Valerius Antias) betreffend, war einfach auf Martha p. XIX zu verweisen. Ein- gehend behandelt Zingler in c. IV Quid de secessionibus plebis Cicero narraverit p. 26 34 die verschiedenen Darstellungen der Auswanderung; Ciceros Angabe Brut. §. 44 gehe auf eine gute alte Quelle zurück (p. 27), aber das Schlußurteil lautet doch so (p. 30): factum est, ut qua erat levitate Tullius in historia conscribenda närrationes inter se pugnantes confunderet.

*21. Eingehender behandelt Ciceros Stellung zur Geschichte und sein Urteil über die griechischen und römischen Historiker Heinrich Henze, Quomodo Cicero de historia eiusque auctöribus iudicaverit quaeritur. Diss. Jenens., Jenae 1899, 72 S.

4. Orator.

Über Curcios Hypothese bezüglich der Komposition s. o. S. 141.

Als tüchtige Schulausgabe bezeichnet A. Cima Boll. di fil. cl. VUI 5 p. 104—105 die Arbeit von

22. A. Pasdera, I libri dell' Oratore, Vol. I. Milano- Palermo 1902, Sandron. XI 149 p.

Bericht üb. d Literatur zu d, rhetorischen Schriften Ciceros. (Ammon.) 151

22a. Gnglielmino. Cicerone, T oratore, saggio di traduzione del prof. E. Guglielmino. Cataaia, ßattisato, 1902.

23. Textkritisches zu Ciceros „Orator". Vou Siegfr. Reiter. Progr. Prag Staatsgymn. Prag- Weinberge 1902/03. Prag 1903. 18 S.

Auf den gehaltreichen Aufsatz soll im nächsten Bericht ein- gegangen werden.

Untersuchungen über den prosaischen Rhythmus zum Brutus

und orator.

24. Julius Wolt'f, De clausnlis Ciceronianis, Diss. inang. Vratislav., Lipsiae, Typis B. G. Teubüeii, MCMI.

Rez.: Berl. Ph. W. 1903, Nr. 7, 204—207 v. W. Kroll.

25. Henri Bornecque, Les lois mötriques de la prose oratoire latiue d'apres le Brutus, Rev. de Philol. 1902, 3 p. 102—124.

26. J. May, Über den numerus bei Cicero, Neue Philol. Rundschau 1902, N. 10, S. 217—225.

Verschiedene Wege, welche französische und deutsche Forscher eingeschlagen haben, um den prosaischen Rhythmus bei Cicero in Theorie und Praxis zu erforschen, habe ich im letzten Jahresbericht Bd. CV. 1900 S. 227 ff. skizziert. Die dort betoute Anschauung, daß die Untersuchung sich auf die ganze compositio verborum zu erstrecken habe, nicht bloß auf die Klauseln (und Anfänge), darf als fast allge- mein angenommen gelten; aber die einen wollen eigene einfache Gesetze finden und durchführen, unbekümmert um Ciceros Angaben, der von der Theorie nichts verstanden habe, andere glauben m. E. mit Recht an den Lehren der Alten auch in diesen Dingen eine Richtschnur zu haben.

Über die „Klauseln" bei Cicero schreibt klar und frisch ein Schüler von Fr. Skutsch, Julius Wolff. Von der Diss., deren Plan für 7 Kapitel eingangs knapp mitgeteilt wird, liegen mir vor die vier ersten in einem Separatabdruck des 26. Suppl.-B. der Jahrb. f. Philol. 1901 S. 581—615. Dem Verf. gelten nach E. Müller und E. Norden als

die 4 Grundformen der Klauseln u «v , u cv, u u<\) ,

V u-v ; dazu kommen aber kleinere prosodische Variationen und Verlängerungen nach vorne, so daß wir die so gefürchtete hohe Zahl von etwa 25 Formen, die andere nach Cic. or. zusammenstellten, doch beinahe erreicht sehen. Zahlreiche Belege aus Brutus u. a. und er- schöpfende Übersichtstabellen zu de inv. , Rose. Am. und or. veran- schaulichen klar den Bestand der Schlußrhythmen und das gesteigerte Streben nach rhythmischen, besonders dikretischen Klauseln.

1 52 Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. (Ammon.)

Die Cäsuren werden in c. III behandelt; c. IV untersucht die Frage: Quomodo Cicero clausulas formare studuerit. Wertvoll und interessant ist der Nachweis, welche Rhythmen durch die vorhandenen Wertformen der lateinischen Sprache begünstigt werden [nominamus . . issimi etc.] und wie Cicero widerstrebende Wörter durch Stellung seinein rhythmischen Zweck dienstbar macht. Als Mängel der tüchtigen Arbeit, die übrigens auch anderwärts im Jahresbericht zu berücksich- tigen ist, möchte ich folgende nennen: die Klausel wird zu sehr als feststehender Begriff behandelt (sowohl hinsichtlich des Urafangs als der Stellung in der compositio); zwischen kommatischer und periodischer Diktion (xo sfjLTcepioöov) ist zu scheiden und bei den Perioden wieder nach Größe und Bau (vgl. im Jahresb. Bd. CV 1900 S. 244 Besprechung von du Mesnil). So tritt z. B. in § 2 des Brutus debui ( u ) nicht so stark hervor wie reliquerat wegen des schwächeren Einschnittes. Einen vollständigen Einblick in die mit der kunstraäßigen Komposition aufs engste verknüpfte Rhythmisierung [vgl. meine Besprechung von F. Blaß, Die Rhythmen der attischen Kunstprosa Berl. Philol. W, XXII, 1902, Nr. 44 S. 1350 f.] gewinnt man natürlich auch durch die übersichtlichste

Darlegung der Klauselgesetze nicht. Ein Schluß wie (Doppel-

spond.) ist an sich nicht rhythmisch, nur als Gegensatz oder Abschluß von bewegten Rhythmen wird er rhythmisch empfunden. Man muß aber wenigstens bei dem eixTrepiooov (orbis, versus) die ganze Be- wegung (cursus) fühlen und überblicken; also nicht bloß den An- und Auslauf, sondern auch den Verlauf. Dieser bestimmt die Proportion und den Charakter der beiden anderen.

In dieser Hinsicht erscheint mir auch mangelhaft die umsichtige und exakte Abhandlung von H. Bornecque, der die Arbeit von Wolff sachkundig und anerkennend bespricht, aber die eingeschlagene Methode mit Unrecht als deplorable bezeichnet (Rev. de Philol. 1902 p. 205 sq.). Wohl erkennt er gleich eingangs die Forderung an, wenn er schreibt: „Je me propose d'etudier ici toutes les lois metriques observees par Cicerou dans le Brutus. Je ne m'occuperai donc pas seulement de lois relatives au commencement et au milieu des phrases, comme je l'ai fait dans mon article sur le Panegyrique de Trajan (Rev. de Philol. 1900 p. 202 236); afin d'etre complet, je considererai aussi les fins de phrase, c'est-ä-dire la partie que jusqu'ici Ton et moi tout le premier appelait ä, tort prose metrique. Eu eifet, la phrase latine tout entiere, comme en t^moignent les rheteurs et les grammaiiiens, est soumise ä Taction des lois metriques; c'est merae simplement pour la commodite des recherches que l'on separe les niots ou groupes initiaux et finaux du reste de la phrase, auxquels ils se rattachent en realite." Aber in der Arbeit werden doch nur die Anfänge und Ausgänge deutlich genug

Bericht üb. d. Literatur zu d. rbetorischen Schriften Cicero». (Ammon.) 153

dargestellt; das „milien de la phrase* ist nicht so behandelt, daü der Leser von der glänzen rhythmischen Wortkomposition des Brutus eine rechte Vorstellung: gewinnt.

Die Hauptabschnitte der Abhandlung sind: I. Le commencement des phrases. Wie soll ich aber gleich phrases übersetzen? Was soll ich mir darunter vorstellen? ,, Sätze ^V „Sätze" Haupt- und Nebensätze kennt Cicero nicht.*) Von den Anfängen der phrases werden die zwei- bis fünf- uud mehrsilbigen Wörter und Lautkomplexe (nach verschiedenen Typen: foraut ferantur audiantur audimiui etc.) übersichtlich und genau vorgeführt.

IT. Le milieu de la phrase: Cicero vermeidet natürlich inner- halb des «Satzgefüges" mehr als 4 Füße vom gleichen Rliythmus. III. La fin de hi phrase: Bei den Schlullrhytliinen , die nach den gleichen Gesichtspunkten wie die Anfangsrhythmea durchgesprochen werden, richtet sich das Augenmerk hauptsächlich auf die Brechung (infraction) des Rhythmus. Diese erfolgt regelmäßig vor dem letzten Fuß; von den 864 Schlußrhythroen haben wir 760 mal den Fall der Rhythmenbrechung vor dem letzten. 98 mal vor dem vorletzten, 8 mal vor dem drittletzten Fuß (skandiert wird wie in der Poesie).

Das Ergebnis, daß Cicero im Brutus überall im Anfang-, Mittel- und Schlußstück der „Sätze" die Rhythmen verwendet, ist nicht überraschend, überraschend ist es vielleicht, zu erfahren, daß Cicero sich trotz der Gesetze viel freier bewegt als Plinius, der schon einer gewissen Schablone verfallen ist. „Chez Ciceron elles sont purement negatives: elles doivent empecher tonte ressemblance de la pi'ose avec la poesie." Auch das stimmt ganz zur Theorie der Alten (Cic, Dionys. Hai. u. a ); mit Rücksicht darauf würde Bornecque seine Abhandlung überhaupt besser „Die Eurythraie in Ciceros Brutus" als „Les lois metriques" etc. betitelt haben. Das £[x[jL£tpov ist ein Fehler in der kunstmäßigen Prosa.

Dies ist neuerdings wieder betont worden von J. May in dem obengenannten Aufsatz (Nr. 26) p. 218: „Es ist manchmal ein Komma oder ein Kolon metrisch, ja korrespondierende Kommata und Kola können dies sein, aber nicht ganz, sondern nur teilweise. Cicero meidet dies, weil er es für fehlerhaft hält, getreu dem Aristotelischen Satz (or. 172): is igitur versuni in oratione vetat esse, numerum iubet". May bietet dann einige hübsche Beispiele ,,rhj^thmisch-raetrischer Responsion" aus der Rosciana; auffallend ist, daß Bornecque in seiner Abhandlung die Responsion gar nicht berücksichtigt; vgl. Jahresb. CV (1900) S. 2c52 über Owens 'libration' und Berl. Ph. W. 1902 S. 1350 f.

*) Deutlicher spricht sich Bornecque über die Satzeinschnitte aus : Rhein. Mus. 5S (1903) „Wie soll man die metrischen Klauseln studieren?* S. 379.

154 Beriebt üb d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. (Ammon.)

5. Topica

27. A. Romano, note miniine sulle fönte dei Topica. Palermo, Baravecchia, 1901.

Über Curcio s. o. S. 142.

28. (Anhang.) Lebreton, Jules, Caesariana syntaxis quatenus a Ciceroniana differat. Paris, Hachette, 1901.

Die vielseitige Betrachtung nnd VergleichOng der beiden Haupt- vertreter der klassischen Latinität ist natürlich auch für die rhetorischen Schriften von hoher Bedeutung: z. B. qua re horanines . . . in ea re p. 19 aus de inv. (später viel seltener) oder die Komposita (Adj. und Adv.) mit per S. 75 (s. o. S. 147 unter Lochmüller).

Alphabetisches Terzeichnis der Schriften

(*nachgetragen, nicht erhalten).

* von Arnim, Sophistik etc. unter

Nr. 1. Bornecque, Rhythmische Prosa, Brut Nr. 25.

Burnouf, Brut. Nr. 16. Cima, Observ. de or. Nr. 8.

De or. P Nr. 9.

* Curcio, De Cic. etCalvi.. Nr. 2.

Opere retoriche Nr. 1. Egger, Denys etc. Nr. 5 c. *Firmani, De or. Nr. 10.

Gandiglio, Brut. Nr. 17.

Guglielmino, or. Nr. 22a.

Hahn, de or. Hs Nr. 13. *Henze, Cic. bist Nr. 21. Lebreton, Syntaxis Cic. Nr. 28. Lochmüller, De or. (Diss.)Nr. 11. May, Numerus Nr. 26. Navarre, Rh^tor. gr. Nr. 5a.

Nicolini, Antologia Nr. 6.

Pascal, Brut. 67 Nr. 18.

Pasdera, or. Nr. 22..

Quicherat, Brut. Nr. 15. Raderraacher, Vir bonus Nr. 4. Beider, or. Nr. 23.

Rhys Roberts, Dion. lit. critic Nr. 5 b.

Romano, Top. Nr. 27. Säbbadini, Brut. Nr. 14.

Sakellaropulos, Brut.Nr. 19. Schlittenbauer, or. S. 141A. Seh 0 eil, s. Raderraacher, *Van Vessem, De or. Nr. 3. Vasis, De or. Nr. 12.

Wilkins, rhet. Ide or. PNr. 7. Wolff, De Clausulis Nr. 24. Zingler, Cic. hist. Nr. 20.

Bericht über die Arbeiten zu den römischen Rednern (im weiteren Sinne, mit Ausschluss von Cicero, Corni- ficius, Seneca, Quintilian, Calpurnius Flaccus, Apuleius, Ausonius und der christlichen Schriftsteller) aus den Jahren 1897-1902

von

Professor Dr. Karl Burkhard

in Wien.

Der folgende Bericht schließt sich an die im 93. Bande (1897 IIj S. 77 115 erschienenen Besprechungen an und reicht bis Ende 1902. Die Beschaffung gewisser Arbeiten wurde nur durch das freundliche Entgegenkommen ihrer Verfasser ermöglicht, wofür ich auch hier meinen besten Dank sage.

Mit * bezeichnete Schriften konnte der Berichterstatter nicht selbst einsehen.

A. Allgemeiner Teil.

Der Rhythmus der kunstvollen Prosarede ist Gegenstand folgen- der Schriften:

1. H. Bornecqne, Quid de structura rhetorica praeceperint grammatici atque rhetores Latini. Parisiis apud Aem. Bouillon 1898, 8. XI und 88 p.

2. E. Norden, Über dieGeschichte des rhythmischen Satzschlusses, B. II Anhang II S. 909—960 des Werkes 'Die antike Kunstprosa .

3. H. Bornecqne, Les lois metriques de la prose oratoire latine d'apres le Pan6gyriqae de Trajan. Rev. phil. XXIV (1900) 201—236.

Bornecqne bietet in der erstgenannten Schrift für diejenigen, welche sich mit der clausula rhetorica eingehender beschäftigen

156 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.)

wollen, eine sorgfältige Sammlung der Vorschriften, die die römischen ürammatiker und Reiluer (im allgemeinen) über diesen rhytiiniischen Satzschluß gegeben haben. Im einleitenden Teile führt er die alten lateinischen Schriftsteller auf, die über die Klausel handeln, ver- zeichnet dann die von den Rednern und Grammatikern für den rhyth- mischen Satzschluß und einzelne Versfüße gebrauchten Ausdrücke (z. B. für jene: clausula, structura rhetorica, für diese: trochaeus, Choreus) und gibt endlich eine alphabetische Übersicht der von ihm benutzten Schriften. Dei- erste Teil (S. 1 13) handelt vom Numerus. Nicht nur die Dichtung, auch die ungebundene Rede weist einen ge- wissen Numerus auf, den die Natur selbst geschaffen hat. Er verdankt sein Dasein nicht nur dem Wohlgefallen, sondern auch dem Nutzen und wohl auch der Notwendigkeit. Zwischen den Worten gibt es kurze, aber wichtige Ruhepunkte. Sie treten besonders am Schlüsse der Perioden zutage und geben so Anlaß zur Entstehung der Klauseln. Ihnen muß sich Form und Kasus der Wörter und die Wortstellung anpassen. Es gibt zwar nur eine Art Numerus, den poetischen, der sich auch in der Prosa findet, aber hier erscheint er etwas verändert, wie B. an der Hand der alten Gewährsmänner ausführt. Wie diese in ihren Ansichten von der Entstehung und dem Wesen des Numerus übereinstimmen, so weichen sie auch in der Frage, in welchem Teile der Rede er anzu- wenden sei (Abschn. 3), nur wenig voneinander ab. Im zweiten Teil (S. 14—55) behandelt B. die Klauseln. Er findet (Abschn. 1), daß sich über die zu befolgenden Gesetze nichts Sicheres aus den Gramma- tikern und Bhetoren gewinnen lasse, weil sie entweder untereinander nicht ganz einig sind oder keine Vorschriften geben, oder wenn irgend- wo Vorschriften mangeln, meistens zu wenig Beispiele bieten. Im

2, Abschnitte bespricht der Verf. einzelne Klauseln nach der Silben- zahl des letzten Wortes (ein- bis sechssilbige) und kommt zu folgendem Ergebnis. Die meisten Grammatiker und Rhetoren stimmen in der Anwendung gewisser Versfüße überein, nämlich des Amphibracliys und Bakchius, Daktylus und Kretikus, Molossus und Autibakchius, des

3. Päon und lonicus a minore, Antispast und 1. Epitrit, Ditrochäus und 2. Epitrit. Die übrigen Füße wurden entweder selten verwendet, so daß die Grammatiker nur wenige Beispiele für die Aufstellung von Vorschriften zur Verfügung hatten; oder es herrschte im Gebrauche bei einzelnen Schriftstellern den verschiedeneu Zeiten und Geschmacks- richtungen entsprechend keine Einigkeit wie beim Jambus. Der 3, Abschnitt handelt von der Einteilung und Benennung der Klauseln. Der dritte Teil ist 'De fontibus grammaticoium ac rhetorum' betitelt. Da die Grammatiker und Rhetoren wenigstens zum Teile auf ältere Quellen zurückgehen, untersucht B., aus welchen Quellen sie geschöpft

Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897— 190-2. (Burkhard.) 157

haben, um womöglich die Glaubwürdigkeit der einzelnen Gewährs- männer bestimmen und in Fragen, in denen sie uneinig sind, leichter eine Entscheidung treffen zu können. Behandelt sind Cicero, Caesius Bassus, Quintilian, Jnba, Probus und Sacerdos, Diomedes, Rnfinns, Martianus Capeila. ])ie Untersuchung lührt zu keinen sicheren Anhalts- punkten für die Bestimmung der Glaubwürdigkeit. Im vierten Teil (S. 73 83) berichtet B. über die geschichtliche Entwickelung dos rhytl)- mischen Satzschlnsses nach den Zeugnissen der lateinischen Grammatiker und Rhetoreu.

lu der Couclusio (S. 84 f.) faßt der Verf. die Ergebnisse seiner Untersnchungeu etwa foIgenderraaCen zusammen: Die Grammatiker und Rhetoren stimmen miteinander übeiein, in welchem Teile der Rede die Klausel zu verwenden ist, sie sind auch einer Meinung in bezug auf gewisse Klauseln, doch so, dal.'« das, was sie sagen, nicht deutlich er- klärt wird oder dali oft die Beispiele mit den Vorschriften nicht stimmen. Meistens aber geben sie über wissenswerte Dinge keine Vor- schrilten oder wenn sie solche geben, darf man ihnen nicht immer Glauben beimessen. Wenn man daher einen tieferen Einblick in den Salzschluß bei den Schriftstellern gewinnen will, muß man vor allem die Klauseln bei allen Schriftstellern untersuchen und dann die von diesen gebrauchten Klauseln mit den von den Grammatikern und Rhe- toreu derselben Zeit lobend erwähnten vergleichen.

Dieser Teil führt uns auf Nordens Abhandlung, aus der wir die wichtigsten Punkte meist wörtlich herausheben. In den Allge- meinen Vorbemerkungen stellt N. S. 910 folgende 'Postulate" anf, die man nicht außer acht lassen dürfe: 1. Das gesamte Altertum hat den Rhythmus der kunstvollen Prosarede vor allem in den Schlüssen der Kola gefunden, wo er durch die Pausen naturgemäß am deutlichsten hervorti'at. Auf sie werden also auch wir unser Hauptaugenmerk zu richten haben. 2. Für die Erkenntnis von Einzelheiten haben die Analysen der späteren Rhetoreu keinen Wert, da in ihnen die falschen metrischen Theorien des Alterturas auf die Rhetorik übertragen werden. 3. Wir müssen die verschiedenen Zeiten auseinander zu halten suchen: denn der Rhythmus des Demosthenes ist majestätisch und an keine be- stimmten Gesetze gebunden; dagegen ist der Rhythmus der späteren Schönredner zierlich und eintönig; hier ist alles geregelt, hier lassen sich also bestimmte Gesetze aufstellen. 4. Das Einfachste ist, wie überall, auch hier das Wahrste.

Nach einer Untersuchung des rhythmischen Baues Demosthenischer Perioden (911 917) und solcher der späteren griechischen Prosa (917—923) kommt N. zu folgenden, auch für die lateinische Kunst- prosa wichtigen Ergebnissen. 1. Die Größe des Demosthenes in betreff

158 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.)

des rhythmischen Baus seiner Perioden beruht darauf, daß er keine be- stimmte Theorie befolgt, wie sie ihm von den Neueren augedichtet wird, sondern daß er in wundervoller Mannigfaltigkeit den Rhythmus, speziell den des Satzschlusses, jedesmal ein energisches Abbild des Ge- dankens sein läßt. 2. Jedoch heben sich bei ihm aus der unerschöpf- lichen Fülle der satzschließenden Rhythmen folgende als besonders be- vorzugt heraus:

1.

-^ü-^-ü

2.

u u -

3.

-^ vv V

4.

UV -' u

5.

-^ ü 0

3. Von diesen treten 3 und 4 später ganz zurück, da man die große evep7eta der Daktylen (Choiiamben) nicht mehr zum Ausdruck bringen konnte oder wollte. Dagegen drängen sich die Formen 1, 2, 5 mehr und mehr hervor, und zwar noch mit der Modifikation, daß einzelne Längen dieser Klauseln aufgelöst werden können, was Demosthenes in seiner prinzipiellen aus seiner SeivorrjC sich ergebenden Abneigung gegen Häufung von Kürzen mied. Die am meisten charakteristischen Formen des rhythmischen Satzschlusses der nachdemosthenischen griechischen Kunstprosa sind also:

la.

^0 ^-^ü

2a.

-^ ü

u -

b.

\j'v V -^ ü

b.

V u -

u -

c.

-^ uu -^ Ü

c.

-^ u

u— u -

d.

ü u Ü

d.

-^ KJ

3a.

ö

V

b. o'u

u

0

4. Diese Klauseln sind in der griechischen Kunstprosa zwar ganz besonders bevorzugt worden, aber nie zur ausschließlichen Herrschaft gelangt. Daß diese rhythmischen Satzschlüsse in die lateinische Kunst- prosa von dem Augenblicke an aufgenommen wurden, wo diese in den Bereich des Hellenismus trat, daß sie in ihr bald zur ausschließlichen Herrschaft gelangten und (mit einer Unterbrechung zu Beginn des Mittelalters) bis zum Ausgang des Mittelalters unbedingte Geltung er- hielten, wird in den Abschnitten 1 . die Theori und 2, die Praxis nach-

Bericht üb. d Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.) 159

gewiesen. Im ei-sten gibt N. die Zeugnisse. Berücksichtigt sind Cicero, Quintilian, Gellius, Terentianus Maurus, Victorinus. C. Julius Victor und Martianus Capeila. Im zweiten werden die Klauseln 1. vor Cicero, 2. bei Ciceio, 3. bei seinen Zeiti^enossen, 4. bei den Schriftstellern der Kaiserzeit, 5. im Mittelalter behandelt. Wir besprechen die Klauseln der für uns in Betracht kommenden Redner unter den betreffenden Namen. Die beiden Schlndteile der gründlichen Abhiuidlun-r handeln von den Folgerungen für unsere Texte und der Terminologie des rhyth- mischen Satzschlusses (1. structura. dictamen, 2. clausula, cursus).

Diese Forschungen ergänzt die dritte Abhandlnug, indem sie den Anfang und die Mitte des rhythmischen Satzes in der Rede zum Gegenstände einer soigfältigeu Unteisnchuug macht. Bornecqae beginnt mit dem Hinweis auf das Ergebnis neuerer Arbeiten, daß es im Lateinischen eine Prosa gebe, in der das Ende des Satzes metrischen Gesetzen unterworfen sei, die um so strenger seien, je weiter man sich von Cicero entferne, der dieses Mittel, den Ohren der Zuhörer oder Leser zu schmeicheln, der asiatischen Beredsamkeit entlehnt zu haben scheine. In dieser Prosa bestimme die metrische Form des letzten "Wortes des Satzes die metrische Form der vorhergehenden Worte in dem Sinne, daß die drei letzten Füße des Satzes nicht demselben Rhythmus angehören dürften, und anderseits, daß der Wechsel desselben Rhythmus möglichst nahe dem Satzende zum Vorschein kommen müsse. So erklärten sich, um ans den unzähligen Beispielen die häutii^'sten hervor- zuheben, die Satzschlüsse: oras | ferant; iret | andi; scripserint I aadi; oras ferantur ; scrip|serint scripse rint; esse videlatur. Die Frage liegt nahe, ob gleichartige Gesetze auch den Anfang und die Mitte des Satzes beherrschen. Nach dem übereinstimmenden Zeugnisse der latei- nischen Grammatiker und Rhetoren (Cicero, Qnintilian, Diomedes, Julias Victoi), deren Worte der Verf. anführt, darf der Rhythmus, wenn er sich auch vornehmlich am Ende des Satzes findet, in keinem andern Teil des Satzes fehlen. Über das Wesen dieses Rhythmus äußern sich, wie nun B. zeigt, alle genannten Gewährsmänner weniger bestimmt als über die auf das Sa:zende bezüglichen Gesetze, wiewohl auch diese bei ihnen unbestimmt genug sind. B. ermittelt aus ihren oft verworrenen Vorschriften folgende Gesetze:

A) Für den Anfang der Sätze: 1. Man muß vorzugsweise mit einer Länge beginnen oder in deren Ermangelung mit zwei Kürzen, die einer Länge entsprechen. 2. Mau muß vermeiden, daß der Anfang des Satzes dem Anfang eines gebräuchlichen Verses ähnlich sei. 3. Man muß vorzugsweise im Anfang des Satzes den Spondeus, Daktylus, Kretikus oder den 1. Päon berücksichtigen. B) Für die Mitte der Sätze. L Man muß eine Aufeinanderfolge von Füßen meiden, die einem

160 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1807-1902. (Burkhard.)

Verse ähnlich sind. 2. Die verschiedenen Füße müssen in einem be- stimmten Mai3e gemischt sein, d. h. wahrscheinlich in dem Maße, welches in dem Satze die Ähnlichkeit mit einem Verse vermeidet. 3. Man kann überall den I. Päon und den Dochmius unter der Bedingung finden, daß dieser nicht mehr als zweimal in der Reibe wiederholt ist.

Diese Gesetze sucht nun der Verf. am Panegyrikus des Plinins zu verdeutlichen und zu prüfen (siehe unter 19). Er kommt zu einem ähn- lichen Ergebnis wie in seiner lateinischen Abhandlung. (Siehe unter l.) Während er dort ermittelte, daß die Grammatiker zwar in den allge- meinen Theorien einig sind, daß man aber im einzelnen bei ihnen alles mögliche finden könne, findet er hier, daß sie in den allgemeinen Theorien auch einig sind, daß aber die besonderen Vorschriften es an Schärfe fehlen lassen oder daß es nicht die sind, welche die Schrift- steller befolgt haben. Bs. Auffassung bekämpft K. Hofacker in seiner Dissertation De clausulis C. Caecili Plini Secundi (Bonn 1903), über die wir bei nächster Gelegenheit berichten werden.

B. Besonderer Teil.

I. Die Zeit des Freistaates nnd des Aagostns.

Die Arbeiten dieses Zeitraumes bewegen sich fast ausschließlich

aaf literarhistorischem oder stilistischem Gebiete. Für dieses kommt

hauptsächlich Nordens grundlegendes Werk in Betracht, das auch für die Kaiserzeit reichen Stoff bietet.

Vorciceronianische Redner.

4. Norden kennzeichnet S. 170—174 den Stil der Redner: a) P. Cornelius Scipio Aemilianus Africanus minor (kunstvolle PeriodisieruDg, Wortspiel, rßoiiodoL xou xivatSou, Klimax), b) M. Äemilius Lepidus Porcina (zum erstenmal ein artifex stilus), c) C. Papirius Carbo (nach Cic. Brut. 105), d) C. Gracchus (Pathos, scharfe Gegen- überstellung der Begriffe und der energischen Klausel mit den zwei Ki'etikern, tdoxioXia, Klimax in der Form des rpixojXov und gehoben diiirch das sehr starke ojxotoTeXeuTov (vgl. auch S. 178), e) C. Fannius (rhythmisches Element stark hervortretend. Kretischer Rhythmus und Ditrochaeus), f) Q. Lutatius Catulus (als Redner vor allem wegen seiner gewählten, auf sorgfältigen lautphysiologischen Erwägungen be- ruhenden Aussprache der Buchstaben gerühmt; vgl. R. Büttner, Porcius Licinus u. d. lit. Kreis d. Q. Lut. Catulus, Leipz. 1893, p. 160 ff.), g) Q. Caecilius Metellus Nnmidicus (stark beeinflußt durch die griechische Rhetorik in Verwendung des Rhythmus und der Wort- fignren), h) C. Papirius Carbo ('asiauische' Periode) i) u. k) M. An- tonius und L. Licinius Crassus (,jener legte kein großes Gewicht

Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.) Ißl

auf die Schönheit der Worte, ohne darum nachlässig zu sein; Crassus dagegen war nach allem, was wir aus Cicero wissen, ein Anhänger der 'asianischen' Rhetorik. Er liebte es, nicht in langen Perioden, sondern kurzen Satzgliedern zu sprechen.")

Caelius.

5. G. Landgraf tritt Arch. X 225 f. für die ep. fam. VIII 5, 1 im Mediceus überlieferte adjektivische Form nugns der Umgangs- und Volkssprache (^ nugax nichtsnutzig) ein: qui tarn nugas esset.

C. Licinius Calvus.

G. * Calvus, Edition complete des fragments et des temoignages ctude biographique et litteraire par F. Plessis, avec un essai sur la polemique de Ciceron et des Attiques par J. Poirot, Paris 1896, Klincksieck. III, 107 S. 8. fr. 3.

Über diese dem Berichterstatter nicht bekannt gewordene Ausgabe bemerkt 0. Roßbach. BphW XVII (1897) S. 811—812: „Der Verf. gibt in diesem hübsch ausgestatteten Bändchen eine Zusammenstellnng und Besprechung der wenigen uns überkommenen Bruchstücke des C. Licinius Calvus. Die dichterischen hatte er bereits 1885 in den Annales de la faculte des lettres de Caen unter dem Titel Etüde bio- graphique et litteraire herausgegeben [Vgl. auch JB 1895 II S. 231 j. Jetzt hat er diese Abhandlung umgearbeitet und erweitert und von J. Poirot, einem Zöglinge der Ecole Normale Superieure, die prosaischen Fragmente des Calvus sammeln und einen Essai sur la polemique de Ciceron et des Attiques hinzufügen lassen. Die wenig über zwanzig zählenden Verse und Bruchstücke von Versen des Calvus werden sorg- fältig erklärt, sogar die Versarten angegeben . . . aber Neues kaum bei- gebracht . . . Anzuerkennen ist, daß PI. in der Kritik sonst größere Vorsicht übt als ßährens. Wenige Vorarbeiten konnte Poirot für die Sammlung der prosaischen Bruchstücke benützen . . . Sie sind noch weniger zahlreich als die poetischen Fragmeute und gewähren, da sie wegen seltener Formen und Redewendungen zitiert sind, keinen deut- lichen Einblick in die Eigenart des Redners. Sie und die folgenden Temoignages scheinen sorgfältig gesammelt zu sein , . . Auf einer so unsicheren Grundlage ist es schwer, ein solides Gebäude aufzuführen. Vieles wird daher in der Charakteristik und Lebensbeschreibung des Calvus immer hypothetisch bleiben. Aber was wir von ihm wissen und vermuten können, hat PI. klar, geschmackvoll und mit genügender Kennt- nis der deutschen philologischen Literatur ausgeführt . . . Schwächer sind Poirots Ausführaugen . . ." Über diese urteilt Büttner in seiner An- zeige NphR 1897 S. 325—327: „Die ausführliche Darstellung des Streites Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVII. (1903. II.} 1 1

162 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897 1902. (Burkhard.)

der Attiker unter den römischen Rednern mit Cicero von J. Poirot (S. 68 102) dürfte in Einzelheiten Widerspruch erfahren, das Wesen der Schule selbst aber ist im allgemeinen gewiß richtig erfaßt und dargelegt."

7. Nach E. Norden S. 263 stilisierte dieser Redner wohl ebenso wie Brutus und die übrigen Atticisten seine Reden unrhj'thmisch (vgl. PoUio). Die folgende Abhandlung

8. *C. Curcio, De Cicerouis et Calvi reliquorumque Atticorum arte dicendi quaestiones (Acide prope Catiuam 1899 VI und 88 p.), die dem Berichterstatter leider nicht zugänglich war, wurde von A. Ciraa Boficl VI p. 178—181 und von E. T(eza?) Rcr 1899 p. 483 besprochen.

Marcus Brutus.

9. OttoSeeck, Das Geburtsjahr des Marcus Brutus. Rh. Mus. . NF. LVI S. 631—634.

Über das Lebensalter des Brutus, sagt Seeck, besitzen wir zwei bestimmte Angaben, die aber zueinander im Widerspruche stehen. In der Schrift, die Cicero mit seinem Namen überschrieben hat, sagt er zu ihm 94, 324 anuis ante decem causas agere coepit, quam tu es natus. Hortensius, auf den sich der erste Teil des Satzes bezieht, ist nach einer anderen Stelle (64, 229) desselben Buches im Jahre. 95 v. Chr. zuerst als Redner aufgetreten, wonach Brutus um 85 geboren sein müßte. Dagegen schreibt Velleius (II 72, 1): hunc exitum M. Bruti partium septimum et tricesimum annum agentis fortuna esse voluit. Die Kata- strophe bei Philippi trat ganz am Ende des Jahres 42. jedenfalls nicht vor der zweiten Hälfte des November, vielleicht erst im Dezember ein (Belege gibt Seeck in der ersten Anmerkung). Mithin fiele hiernach die Geburt des Brutus in das Jahr 78 oder frühestens in die letzten Tage 79. Livius (epit. 124) bestimmt sein Alter nur durch die runde Zahl 'ungefähr 40 Jahre', die sich mit beiden Angaben gleich gut ver- einigen läßt. Um den Widerspruch mit Velleius zu lösen, 'der für diese Frage ebenfalls eine Quelle ersten Ranges ist, da man zur Zeit des Augustus über die Personalien des berühmtesten unter den Cäsar- mördern ohne Zweifel noch sehr genau unterrichtet war', nimmt Seeck eine Verderbnis der Cicerohandschriften an und empfiehlt, hinter 'decem' ein 'Septem' einzuschieben. Velleius Paterculus' Angabe wird auch durch die übereinstimmenden Zeugnisse Pliitarchs (Brutus 3) und Appians (b. c. II 112) unterstützt. Wollen wir nicht annehmen, schließt S., daß eine gemeinsame Quelle des Plutarch und Appian systematisch nach den Gesichtspunkten gefälscht war, den Brutus jünger zu machen, als er tatsächlich war, was doch sehr geringe Wahrscheinlichkeit hat, so behält Cicero oder vielmehr seine handschriftliche Überlieferung in. diesem Falle unrecht.

Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1S97— 1902. (Burkhard.) 1#33

10. Zum Stile des Redners bemerkt Norden 219, 1, 262, 939, daß er wie alle Atticisten absichtlich die rhythmische Komposition der Rede vermied (Qnint. IX 4. 76 u. Tac. dial. 21) uud daß ihm die Form _L. u ^ ü unsympathisch war; von der als asianisch geltenden Form -^ U ü dürfe man es erst recht vermuten.

Einem andern Berichterstatter zugehörig ist die Untersuchung von

11. *J. Valeton, M. Brutus und sein Briefwechsel. Versl. en mededecl. d. Kgl. Akad. van wetenschappen IV 1 1, p. 8 76.

Asinius PoUio.

12. Zum Stile bemerkt :N or den 262 mit Hinweis auf (^uint. IX 4, 76, daß Pollio geflissentlich salopp und unrhythmisch schrieb, indem er sich nicht scheute, die Worte absichtlich zu verstellen, nur der Zer- störung des Ehythmus zuliebe.

M, Valerius Messalla Corvinus.

13. a) Friedrich Marx, Das Todesjahr des Redners Messalla. WSt XIX (1897) 150—155.

An der übereinstimmenden Überlieferung Suetons und Frontins, daß Messalla im Jahre 13 n. Chr. gestorben sei, festhaltend, übersetzt und erklärt Marx die Stelle Ovids ex Ponte I 7 27—30, in welcher die Gelehrten seit Nippferdey einen Widerspruch gegenüber Suetons uad Frontins Angabe erblickt haben. (Vgl. JB LXXXIV [1895J II S. 173.) Er findet, daß diese Angabe mit den Worten Ovids nicht streitet, sondern uns dieselbe erst verständlich macht, beziehungsweise deren einzig mög- liche Erklärung bestätigt: Messalla hat die Verbannung Ovids noch erlebt und seinen Freund nicht verleugnet. Als der Redner starb, verfaßte der Dichter in Tomi eine (heute verlorene) Nenia auf ihn, die nicht zu seinem Leichenbegängnis gesungen wurde, sondern ein beschriebenes Blatt Papier geblieben ist. Diesen Versuch hält Schanz II 1, §. 215 S. 19 für ebenso verfehlt wie den Gruppes und entscheidet sich für die 'bestrickende' von uns JB a. a. 0. besprochene Vermutung Schulz'.

b) Über die Landgrafsche Vermutung, nach der Asinius Pollio als Redakteur und Herausgeber des Cäsar- Hirtianischen Nachlasses und als Verfasser des bellum Africanum anzu.«;ehen ist (vgl. a. a. 0. 167), handelt Schanz P § 122 S. 213 in ablehnendem Sinne. Die Hypothese sei tot und könne nicht mehr ins Leben zurückgerufen werden.

II. Die Kaiserzeit.

Die meisten Schriften befassen sich mit der Sprache der Redner und der Verbesserung ihrer Texte. Eine umfassendere Darstellung des

11*

164 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.)

Si>racl)gebrauches erhalten zum erstenmal die gallischen Lobredner, wälirend die übrigen Redner besonders nach der rhetorisch-stilistischen Seite hin berücksichtigt erscheinen. Auch die häufige Wiederkehr gleicher oder ähnlicher Redewendungen und Gedanken, die teils auf den Einriul.'. der Rhetorenschulen , teils auf unmittelbare Nachahmung zurückzuführen sind, wird in mehreren Untersuchungen nachgewiesen. In textkritischer Hinsicht wurde am meisten Fronto gefördert.

14. Casirairus Morawski, Observationum de rhetoribus Latiois auctarium. Eos V (1899) 1—6 (auch S.-A.), von demselben

15. Rhetorum Romanorum ampullae. Diss. phil. class. acad. litt. Cracov. (Wydzial filolog). XXXII (1901) 333-352 und

16. Parallelismoi sive de locutionum aliquot usu et fatis apud auctores Graecos nee non Latinos. Ebenda XXXIV (1902) 236 256 (auch S.-A.).

Diese Schriften können als Fortsetzung, bezw. Ergänzung der vom Bericliterstatter (JB 1897 II. 86 ff.) besprochenen Untersuchungen des Verf. angesehen werden. In der ersten stellt M. zunächst die Einwirkung der Rhetorenschulen auf Livius an Stellen des 40. 42. und 45. Buches fest, beleuchtet dann durch Beispiele die Übertreibungen, die sich die rhetorisch geschulten Geschichtschreiber in der Schilderung von Siegen oder Niederlagen zuschulden kommen ließen, Übertreibungen, von denen auch Livius und Cicero, trotzdem sie die unwahren Berichte der Geschichtschreiber brandmarken, nicht frei zu sprechen seien. Im folgenden Absatz wird gezeigt, wie die Schriftsteller bei der Verherr- lichung von Siegen überreichlich rhetorische Figuren, ungewöhnliche Redensarten und überraschende Sentenzen verwandten. Bei dieser Gelegenheit wird eine Redewendung Ciceros auf den Redner Lykurg zurückgeführt, von dem sie auch andere übernommen haben. Zum Schlüsse verfolgt der Verf. eine von diesen Redewendungen, die bestimmt waren, den Kriegsruhm zu vergrößern, bei Cicero, Livius, Velleios, Florus und Curtius Rufus.

Die zweite Schrift handelt in zehn Abschnitten von dem Einfluß der Rhetorenschulen auf die Schriftsteller der römischen Kaiserzeit. Obw^ohl der ältere Seneka die scholastischen Tändeleien verurteilte und bekämpfte, linden sich solche, wie M. zeigt, schon bei seinem Sohne (Abschn. I). Dieser zeigt sich schon in den Gesprächen, Tragödien, und Briefen als beredter Verteidiger des Selbstmordes, den er an sich vollzog. Denselben Gedanken vertrat auch der ältere (und wie wir gleich hinzufügen wollen , der jüngere) Plinius (II). Die beliebte Redewendung 'nocentem facere' (Sen. contr. II 1, 4) wird bei Seneka, dem älteren Plinius, Statins, Juveual und Tacitns nachgewiesen (III).

Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1S97— 1902, (Burkhard.) 165

Ähnlicbe Gedanken wie 'magnum pietutis aigumeutum tilio carus pater etiam post supplicium' (Sen, contr. VII, 1, 7) führt M. im IV. Ab- schnitt aus Valerius Maximus an, der überhaupt vieles mit den Kednerii gemein hat, dann aus dem Philosophen Seneka, Tacitus und dem jüngeren Plinjus (pan. 88 und 11). Im V. Abschnitte zeigt AI., daß der Paue- gyrikus des Plinius zahlreiche Anklänge an das 1 . Buch der Histoi ieii des Tacitus oder Nachbildungen desselben enthalte (Plin. pan. 7 und 10 und Tue. bist. I 15— IG). Die Adoption Nerva-Trajan erinnert nämlich unwillkürlich an Galba-Piso (Wülffliu im Arch. XII 350). Selbst der von Cestius Pius (Sen. contr. I 2, 8) bei der Schilderung der Sitten der Seeräuber gewagte Ausspruch: 'quibus inter tot tanta maiora scelera virginem stuprare innocentia est" fand Nachahmung bei Junius Gallio (Sen. contr. VII 1, 12), wie M. im VI. Abschnitt er- wähnt. Diese Proben mögen genügen.

Ergänzungen zu dieser Abhandlung bietet der gelehrte Verf. in seinen Parallelismoi Abschn. V, S. 17 (250) ff. Für Plinius den Jüngeren und den VI. Panegyrikus vgl. man bes. S. 20 (253).

C. Plinius Caecilius Secundus. Den Bericht über Plinius eröffnen wir mit einem Nachtrage: ]7. Casimirus Morawski, De sermone scriptorum Latinorum aetatis (juae dicitur argeutea observationes. Eos 11 (1895) 1 12 (S.-A.)

Der Verf. führt S. 5 f. unter den Gemeinplätzen, an denen die Römer ein besonderes Wohlgefallen fanden, 'genus est rogandi rogare non posse" aus Sen. Contr. X 4, 6 an, eine Redeweise, die in ähnlicher Form besonders häuög bei Seneka dem Sohne wiederkehrt. Auch Plinius zeigt sie im Panegyrikus 70 (67, 4 Bahr.). S. 6 Aum. 1 wird auch auf die Ähnlichkeit des Stiles im Panegyrikus mit dem taciteischen (den Dialogus und die Germania abgerechnet) hinsichtlich des Ge- brauches der Asyndeta bei drei Gliedern (Subst., Adj. oder Verben) hingewiesen,^) S. 10 f. wird der Stil der Lobrede, der ein hervor- ragendes Denkmal der tändelnden Schulrhetorik bilde, kurz gekenn- zeichnet und besonders die bei dem Redner beliebte Steigerung an mehreren Beispielen gezeigt und endlich werden einige auffallende Ähnlichkeiten in der Behandlung des Stoffes und in der Ausdrucksweise zwischen dem jüngeren Seneka und unserem Plinius aufgedeckt, die auf eine Nachahmung des letzteren schließen lassen; vgl. auch Paralle- lismoi S. 13 (246). Daß Plinius gelegentlich Cicero stark nachahmte.

') Über die Nachahmung des 1. Buches der Historien vgl. die Beob- achtungen desselben Verf. oben unter 15, Abschn. V.

166 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.)

ist besonders seit der gründlichen Untersuchung Guido Susters über das Verhältnis des Panegyrikas zur Rede für Marcellus (vgl. JB 1895 n 180 f.), von einzelnen Stellen wie Cic. Phil. II 31, 77: Plin. Pan. 74 (WSt IX 171) zu schweigen, zur Genüge bekannt. Ich erinnere nur deshalb daran, um einem etwaigin falschen Schlüsse aus den Worten Nordens I S. 319 Anm. 1 *M. Hertz, Renaissance und Rococo in der röni. Lit. (Berlin 1865) 11 irrt, wenn er, auf solche Äußerungen [wie Ep. IV 8, 4 f, I 5, 12 f.j bauend, den Plinius zu einem Cicero- nianer macht: es sind das Phrasen, denen weder die Praxis der Briefe noch des Panegyrikus entspricht', vorzubeugen.

Eine gediegene Chai'akteristik des plinianischen Stils gibt

18. Norden, S. 318 ff (vgl. auch S. 280—282 und 299). Er sagt in der Hauptsache über den Redner folgendes: Der Grundzug seines Wesens, die Eitelkeit, zeigt sich auch in seinem Stil. Alles ist geleckt und gedrechselt. Aus seinen einander widersprechenden Urteilen über die Schreibart heben sich drei Punkte scharf heraus: Erstens liebte er das Volle, ja bis zum Übermaß Volle, zweitens die zierlich geputzte Diktion: an Isaeus bewunderte er verba quaesita et exculta; drittens hat er Vergnügen an scharf zugespitzten Sentenzen, besonders wenn diese bis an die Grenze des Erlaubten herangingen und gewisser- maiJea am Abgrund schwebten (vgl. bes. Ep. IX 26). Seiner Theorie entspricht die Praxis, die wir außer an einigen Briefen besonders an dem Panegyrikus beobachten, diesem hervorragendsten Denkmal epideik- tischer Beredsamkeit aus der Kaiserzeit, welches in der Folge eine solche Bedeutung erlangen sollte. Gibt uns Seneka in seinen rhetorischen Büchern wesentlich die Theorie der neuen Beredsamkeit, so Plinius in seiner Rede ihre praktische Anwendung. Das hier Gebotene ist aller- dings für die Nerven moderner Menschen zu viel; eine Antithese jagt die andere und man möchte ihm mit seinen eigenen Worten zurufen: fere in nullo, o bone, enuntiato non peccas.

Wie Seneka der Sohn hat auch Plinius d. J. den rhythmischen Satzschluß sehr sorgfältig beobachtet. (Norden S, 942, wo der An- fang des Panegyrikus als Probe gegeben wird.) Dieses Urteil bestätigt

19. (=3) H. Bornecque (S. 205) mit den Worten 'chez lui (Pline le jeune), les regles de la prose metrique sont appliquees avec une regularite presque monotone". Dieser Umstand war für den Ge- lehrten auch einer der Hauptgründe, warum er zur Beleuchtung der oben (S. 159 f.) für den Anfang und die Mitte der rhythmischen Sätze aufgestellten Gesetze den Panegyrikus des Plinius wählte. Der Unter- suchung wurde der Text von Bährens zugrunde gelegt, daneben auch Keils Ausgabe berücksichtigt. Nachdem B. für den Anfang des Satzes die Regeln oder Grundsätze, denen er gefolgt ist, zusammen-

Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897 - 1902. (Burkhard.) 167

gestellt hat, behandelt er 1. zweisilbigre, 2. dreisilbige und 3. vier- silbige Anfangswörter oder -Gruppen/) nach der Quantität geordnet, in 27 Typen (Mustern). Er gibt mit Ausschreibung der Stellen genau an, wie oft jedes Muster vorkommt und welche Versfüße oder metrische Gruppen ihm folgen. So erscheint beispielsweise der Typus 'ferant' 27nial und zwar folgen ihm 10 mal Spondeen (z. B. Pan. XXV 22, 19 Bahr, datum est Ins qui), G mal Jamben (z. B. XII 12, 2 vident enim Roraanum XLVI 40, 3 in-Iiis enim quae a malis, von einem Kretikus gefolgt), 4 mal Kretiker, 3 mal Anapäste. 2 mal Päone (Form 4), von einem Spondeus gefolgt, 2 mal Choriamben. B. folgert, dal! man nach einem AnfangsworL des Typus 'feiant' den Spoudeus oder Kretikus oder Jambus, von einem Spondeus gefolgt, wenn der Jambus durch die Paitikel 'enim' gebildet wird, oder den Anapäst oder den 4. Päon an- trefien kann und berechnet, daß in den gültigen Beispielen der Rhythmus 18 mal nach dem ersten und 5 mal nach dem zweiten FuCe unterbrochen ist. Diese Gesetze bestätigt die Untersuchung des 10. Buches der Briefe des Pliuius. Am Schlüsse des Abschnittes S. 222 f. faDt der Verf. die gewonnenen Gesetze etwa folgendermaLien zusammen: Von gewissen Einschränkungen und Ausnahmen abgesehen, darf derselbe Rhythmus nicht festgehalten werden a) über einen Fuß, wenn der Satz mit Worten oder Gruppen vom Typus 'pertinent, laudatur, recipiant, potuisse, poUiceor' beginnt, d. h. mit Worten oder Gruppen, welche fünf Zeiteinheiten entsprechen; b) über zwei Füße, wenn der Satz mit Worten oder Gruppen des Typus .ferant, esset, videor, videant, araare, habuerat, meruisti, senatui, rettulisse, coniunxisse' beginnt, d. h. mit Worten oder Gruppen, die drei oder sieben Einheiten gelten und solchen, welche im Werte von vier oder sechs keinen Hexameter be- ginnen können; c) über drei Füße, wenn der Satz mit Worten des Typus 'essent, audirent, restituunt, coninngere, audivissent' beginnt, d. h. mit Worten oder Gruppen , die mit einer zwei Einheiten ent- haltenden Länge beginnen und in einen daktylischen oder anapästischen Vers eintreten können.

In ähnlicher Weise gibt B. auch für die Mitte des Satzes das von ihm eingeschlagene Verfahren an und stellt mit gewissen Vorbe- halten für Plinius folgendes Gesetz fest: Im Innern eines metrischen Einschnitttes, in irgend welchem Teile des Satzes, mit Abzug der drei ersten und der drei letzten Füße, welche strengeren Gesetzen unter- worfen sind, darf man nicht mehr als vier dem gleichen daktylischen, anapästischen , trochäischen oder jambischen Rhythmus angehörige

*) Ähnliche Regeln sind, wie sich B. überzeugt hat, auch bei fünf- oder mehrsilbigen Anfangswörtern oder -Gruppen angewendet.

168 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.)

Füße finden. Dieses Gesetz erläutert B. an der Anfangs- und SchluO- periode des 1. Kap.; hierauf stellt er alle Ausnahmen von der mit- geteilten Regel aus dem ganzen Panegyrikus zusammen und findet, daß sich von den 25 Ausnahmen 10 leicht berichtigen lassen, so daß endgültig nur 15 vi'irkliche Ausnahmen übrigbleiben.

Im 4. Abschnitt untersucht B , ob diese Gesetze wirklich von Plinius dem Jüngeren gewollte Gesetze und nicht Gesetze der Sprache seien. Zu diesem Zwecke vergleicht er hinsichtlich des Anfangs der Sätze mit dem Panegyrikus die "Werke Katos, Sallusts und Ciceros und stellt, um das Wesentlichste hervorzuheben, ziffernmäßig fest, daß sich bei dl esen Schriftstellern achtmal mehr Unregelmäßigkeiten als bei Plinius finden und daß die lateinische Sprache aus sich selbst einen Rhythmus schaift: nach dem ersten Fuß 36 mal (Plinius 48), nach dem zweiten 32V2mal (Plin. 43), nach dem dritten 18V2mal (Plin. 8), nach dem vierten und darüber hinaus 13 mal (Plin. 0). Aus der Vergleichung erhellt, daß sich Plinius ernstlich bemüht hat, die Regeln, welchen er folgte, anzuwenden. Dasselbe gilt von der Mitte des Satzes. Eine Vergleichnng des Panegyrikus mit Schriften von Kato, Varro, Cäsar, Sallust, Cicero, Servius Sulpicius, Livius, Tacitus ergibt, daß wir im Panegyrikus zwölfmal weniger Ausnahmen finden als in jenen. Daraus folgert B., daß das von Plinius d. J. ange- wandte Gesetz kein Gesetz der Sprache ist.

Der 5. Abschnitt zeigt, was man nunmehr von den Vorschriften der Grammatiker zu halten habe. (Siehe unter 3, S. 160.)

Der Schlußteil (6) handelt von der praktischen Anwendung der aus Licht gezogenen Gesetze. Er enthält die Ergebnisse für die Textherstellung (18 Stellen), für die Erklärung, für die Setzung der Satzzeichen, für die Prosodie und die Aufdeckung eines Lukrezischen Zitates 'infidum mare' LXVI 62, 5. Aus dieser sorgfältigen Untersuchung gewinnen wir im allgemeinen eine vollkommenere und deutlichere Vor- stellung von dem Rhythmus in der lateinischen Prosarede und lernen im besonderen in dieser Hinsicht das Verhältnis Plinius des Jüngeren zu einer Reihe hervorragender Schriftsteller kennen.

20. *R. B. Steel e, Chiasmus in the epistles of Cicero, Seneca, Pliny and Fronto (in den Studies in honour of Basil L. Gildersleeve, Baltimore 1902. The John Hopkins Press. IX 517 S. gr. 8. 6 Dollars).

Diese Arbeit findet man unter Fronto (28) besprochen, da sie rücksichtlich des Plinius in den Bericht über seine Briefe gehört.

Eine Neubearbeitung des Textes des Panegyrikus ver- danken wir C. F. W. Müller in der Gesamtausgabe des Plinius unter dem Titel

Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern. 1807— rJO-2. (Burkhard.) 169

21. C. Plini Caecili Secundi epistulaiuni libri iiovem, epistularum ad Traiannm liber, panegyricus. Recognovit C. F. W. Mu eller. Lipsiae in aed. B. G. Teiibneii MCMIII. VII und 392 S. 8.

Zugrunde gelegt ist das handschriftliche Material von Bährens, Der Nachtrag desselben Gelehrten (Rh. Mus. XXX 403 4G5) und die Untersuchungen Guido Susters 'Notizia e classiticazione dei codici contenenti il panegyrico di Plinio a Traiano' (Torino 1S8S, S.-A. aus Kiv. lil. X\l) und 'Nuovi emendamenti al paueg. di Plinio" (Torino 1889, S.-A. ebend. XVII)') finden sich leider ebensowenig berück- sichtigt als die unter Nr. 3 besprochene Abhandlung von H. Boruecque (Rev. phil. XXIV 201—236, bes. 232 f.), -) obwohl der Herausgeber, wie man sich auf Schritt und Tritt überzeugen kann, zweifellos bemüht war, die einschlägigen Arbeiten bis in die neueste Zeit vollständig heranzu- ziehen. Entspricht somit die Ausgabe im Hinblick auf die verwendeten Hilfsmittel nur zum Teil unseren Erwartungen, so verdient dagegen das kritische Verfahren im allgemeinen volle Anerkennung. Das Hauptver- dienst des Herausgebers ist, den Text von vielen überflüssigen Konjekturen des geistreichen Kritikers Bährens befreit und der handschriftlichen Überlieferung wieder zu ihrem Rechte verholfen zu haben. "W^o weder diese noch die vorgebrachten Verbesserungsvoi schlage den Herausgeber ganz befriedigten, begnügte er sich, den Sitz des Fehlers anzudeuten. Von eigenen Vermutungen machte er im Texte nur spärlichen Ge- brauch. Eine eingehendere Besprechung dieser Pliniusausgabe, die be- greiflicherweise nur teilweise die vergriffene grolle Ausgabe Keils ersetzen kann, hat der Berichterstatter ZöG 54 (1903) 407—409 veröffentlicht.

22. *R. Sabbadini, Poggio e Guarino e il Panegirico di Plinio. Boficl V 11, p. 252—253.

23. ''Allaiu, Pline le Jeuue avocat. Discours de rentree, Be- san^on 1899, Millot freies et Ci. 73 p. Rec: Bulletin bibliogr. et pedag. du Mus6e Beige.

P. Annius Florus..

24. *R. Sabbadini, De numeris in dialogo, iiui Vergilius an poeta inscribitur. Riv. fil. 1897, 4, p. 600 seq.

25. Zum Stil bemerkt Norden II S. 600. Anm. 3: Das Schriftcheu 'Vergilius poeta an orator' ist stilistisch erheblich einfacher als das Enkomion (cf. G. Lafaye, De poetarum et oratorum apud veteres certa-

1) Vgl. darüber JB 189.0 H Nr. 2G und 29. Die 'Notizia e olassifica- zione . . .' ist übrigens auch bei Schanz II 2 (1901 -J § 445 S. 270 erwähnt.

^) Für die Beurteilung des Apographum Bertiniense kommt auch R. Noväks Untersuchung (unter 39) in Betracht.

170 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.)

minibus [Paris 1883] 82 f.), aber wir werden uns natürlich hüten, daraus 2n folgern, daß es von einem andern Verfasser stamme.

26. Textverbesserongeu schlägt J. van der VlietMn. XXVI S. 276 vor: Zu 183, 4 (Roßbach) pulcherrimurum (für plurimarum) ar- borum, 184, 1 nascentem amicitiam fovehamus (für foederabamus).

M. Cornelius Fronto.

Über seinen Stil handelt

27. Norden, I 362 if. Er sagt im wesentlichen folgendes: Fronto, der Hauptvertreter des lateinischen Archaismus, der begeisterte Verehrer der ältesten Literatur, der erbitterte Feind des Neoterikers Seneka, ist Attizist gewesen so gut wie seine griechischen Kollegen. Bei der Nachahmung des Altattischen sind dem eitlen Sophisten einige sprachliche Verstöße unterlaufen , wie v. Wilamowitz im Prooemium Göttingen 1884, 9 gezeigt hat. Fronto überträgt auf die lateinische Sprache ein den Attizisteu geläutiges Bild : die apyaia fjvofxaxa sind ihnen die ooxt[xa, die anderen die aöozijxa oder xißo-/)Xa. Wie die Attizisten warnt er vor Neubildung von Worten, nam id quidem absurdum est (Fronto S. 162,5), Wie Pollux und Phrynichos hat er sich aus den alten Autoren Exzerpte für den Wortgebrauch gemacht und seine Schüler, dazu auge- halten. Fronto war schon zu seinen Lebzeiten eine Zelebrität : er selbst spricht von seiner secta (S. 95, 2 v. u). Er blieb lange in Mode; sein Name war im 4. Jahrhundert so typisch, daß er für Musterverse ver- wendet wurde. Mit dem 6. Jahrhundert verschwindet unser Rhetor. Die einander widersprechenden Urteile bei Makrobius sat. VI, wo Fronto ein Vertreter des siccum genus dicendi heißt und dem gallischen Rhetor Sapaudus (Corp. Script, eccl. lat. Vind. XI 206) , der von ihm sagt, er sei nützlich ad pompam, erklärt Norden (S. 365 A. 3) trefiflich damit, daß beide verschiedene Redearten im Sinne haben. Zum Beweise zeigt er unmittelbar darauf, wie zugleich mit dem Stoffe auch die Stil- arten wechseln.

Zum Streite der Rhetoreu und Philosophen erinnert Norden I 250 Anm. 2 daran, daß unter allen Rhetoren der Kaiserzeit Fronto am un- glücklichsten über den Wettbewerb der Philosophie ist, da sie ihm sogar seinen kaiserlichen Zögling abspenstig machte (Fronto 146, 150, 154 N.).

28. (= 20) *R. B. Steele, Chiasmus in the epistles of Cicero, Seneca, Pliuy and Fronto.

Von dieser Abhandlung sagt der ungenannte Berichterstatter in der WklPh XIX (1902) 895: „Die Wiederholung der gleichen Worte und antithetische Ausdrucksweise beeinflussen die chiastische Stellung.

Bericht üb. d Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 18'.)7— 1902. (Burkhard.) 1 7 1

Adverbia werden regelmäßig als Mittelglieder verwendet, abgesehen von Fronto, bei dem sich nur wenige Beispiele dafür linden. Handelt es sich um Paare von Substantiven und Adjektiven, so zieht Seneka vor, die Substantiva zueinander zu setzen, Fronto die Adjektiva, während Cicero und Plinins freier verfahren. Aul'er Seneka verwenden alle Pronomina in chiastischer Stellung und zwar meist so, daß sie in der Mitte stehen. Seneka braucht selten Paare von Substantiven mit ab- hängigen Genetiven so, und nur Pliuius zeigt eine Vorliebe dafür, in diesem Falle die Genetive in die Mitte zu setzen. Stehen Substantiva und Verba chiastisch, so neigt Seneka dazu, die Substantiva als Innen- glieder, Fronto sie als Außenglieder zu verwenden. Seneka hat gerade diese Art von Chiasmus am häufigsten, auch so, daß die Substantiva von demselben Verbum abhängen. , Alle, außer Seneka, neigen dazu, präpo- sitionale Ausdrücke zusammenzustellen."

29. H. Blase erwähnt Arch. IX (1896) 491 als merkwürdigen Konjunktiv (Fronto p. 46, 10, N = Naber), der von zweiter Hand her- rührt und der Formel 'amabo' (*amabo te') vollkommen entspricht: 'et amem te' . . .

Die Vorliebe Froutos für den Infinitivus historicus zeigt

30. Ed. Wölfflin, indem er Arch. X (1898) 179 bemerkt, daß dieser Rhetor in einer Charakterschilderung p. 207 N nicht weniger als 17 Infin. bist, augewendet habe.

31. Edmund Hauler liest WSt XXIV (1902) 519—522 nach Hinweis auf die im JB 1897 II 92 f. unter 16. und 17. erwähnten Ab- handlungen zu den 'Principia historiae" S. 204, 18 ff. N. adversws für adversum und tempon'6- für temporibus, fort/a für fortissima, das Mai aus der Randglosse des Korrektors in den Text gesetzt hat; 22 f. semper a<d> siiperstitem mordens adit für semper . . persistere; 204, 24 205, 2 sind die Worte Ubi extitit der Randbemerkung der 2. Iland entnommen, der Text schaltet zwischen proposcit und omnibus noch eine Erläuterung von magnuii ducem, nämlich id est pensis p<arem> propositis und nach duritia das Partizip ortis ein; 206, 12 f. ist sicher : instaurandi <auc>tor, sehr wahrscheinlich in der Lücke existens, im nächsten Satze omnibus <vitae> artibus; Per <midtum ettam mter> e%t fortunam variam> \ ex- periri et <gnaviter> milites in campo exercere; 206, 18 f. apud signa infrequentes, || <freti armis>, praesidiis va|gi, <€xploratorum mo->\re palantes, de meridie | <ad posterum> temulenlti; 207, 5 labem <:i)ro re Lucius> coercuit, 10 neqne fei adversus, 15 lava^ws (svonm.- über der Zeile) für lavari, 2lj)roprie für pro ; 208, 2 ist ebenso wie in der dazu gehörigen Glosse der Genetiv certaminis von dem bisher nicht gelesenen Substantiv fuga abhängig; die nächste Randbemerkung der 2. Hand lautet De legib(us) anxia fuit <air> a für De legibus <amori8> , 3 per tot ... .

172 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897 - 1902. (Burkhard.)

discrimina curas et consilia dispergere, üon luxnrias , ducen^a tametsi profuäit spolia. 11 if. <m> mag<nis> yersultare campestribas (caiiipestria substantivisch verwendet).

Eine von Haiiler 'neuentzifferte Glosse zur gleichen Spalte der entsprechenden, leider sehr abgeschürften Seite 24G des Ambrosianischen Palimpsestes De Parthorum belli more lehrt, dal! auf dieser Kolumne die Darstellung der parthischen Kriegführung ihre Fortsetzung fand. Daran schloß sich der Bericht über das Abschicken von Gesandten und Briefschaften seitens Verus an den Partherkönig Vologaesus'. H. liest nämlich am Ende der Seite Paucis ante dieb{us) L<Mciu>s adVologaesum, was sich durch das auf S. 245 unmittelbar folgende litteras ultro dederat, bellum si vellet condicionibus poneret ergänze.

32. Robert Novdk bietet WSt XIX (1897) 242—257 neben neuen Belegstellen für frühere Vermutungen teils neue Verbesserungs- vorschläge, teils verteidigt er die Überlieferung. Die sorgfältige Be- obachtung der Sprache Frontos führt den Verf. auch zu kleineren beachtenswerten Ausläufen, z. B. über den Gebrauch des verstärkenden -met bei den Personalpiouomina und Possessiva und der Negation haud.

33. Zerstreute Stellen:

a) W. Heraeus vermutet 'Zur Kritik und Erklärung der Servius- scholien' Herm. XXXIV (1899) 163, daß dem Servius bei den Worten Ad Aen. 1 409 Sunt raultae (elocutioues) unius partis utrique sufficientes, ut tenemiir amicitiis: ridiculum enim est si addas 'mutuis', cum amicitiae utrumque significent, sicut Fronto testatur die Stelle des Fronte ep. ad M. Caesarem IV 3 p. 65 N Id quoque ne ignores: pleraque in oratione ordine immutato vel rata verba fiunt vel supervacanea , 'navem trire- mem' rite dixerim, 'triremem navem' supervacaneo addiderim vor- geschwebt habe, während Naber jene Worte in seiner Ausgabe des Fronto unter die Fragmente (S 262) gesetzt hat.

b) Edmund Hauler veröffentlicht einzelne Textverbesserungen WSt XXn (1900) 140 f., 318 XXIII (1901) 338 und XXIV (1902) 232.

34. *C. Brakman, Frontoniana LH., Traiecti ad Rhenura 1902. Typis expressit J. J. M. Molijo. 8. 43 u. 42 S,

Die Dissertation enthält nach E. Haulers eingehender Besprechung ZöG 1903 1. H., S. 32—37 in zwei Teilen zahlreiche Lesungsversuche des Verf. auf Grund eigener Einsicht in den Paiirapsest, Vermutungen zum Frontotext und einen Aufsatz über die Chronologie der Briefsamm- lung, in dem Ansätze Th. Mommsens (Herm. VIII 198 ff.) bekämpft werden. Da B. in Anbetracht des ümfanges des Palimpsestes (lOG Vati- kanische und 282 Ambrosianische Seiten) und der schwierigen Ent- zifferung viel zu wenig Zeit verwendet und auch die neueste Literatur

Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1S97 1902. (Burkhard.) 173

uicht vollständig herangezogen hat, so ist es begreiflich, daß sich in seiner Arbeit allerlei Versehen und Verstöße finden. Vor diesen wäre er größtenteils bewahrt worden, wenn er sich vorher mit Hanler, von dessen gründlichen Vorarbeiten er Kenntnis haben mußte, ins Einver- nehmen gesetzt hätte. Unter solchen Umständen dürften B.s Ergebnisse der dem Abschlüsse nahen Ausgabe Haulers nur geringen Nutzen bringen.

35. E. Ilauler, 'Sallustzitate bei Fronte", Rh. Mus. N. F. LIV 161—175 (S.-A.).

Obwohl diese Abhandlung besser in den Bericht über Sallust hineinpaßt, sollen doch die Hauptpunkte auch hier erwähnt werden. Mit dem Abschnitte auf S. 108 111 der Naberschen B'rontoausgabe, in welchem der Khetor Auszüge aus Ciceros Rede y^rö Caelio und aus Sallust Bella mitteilt, um zu Redefiguren (Epanaphora) und rhetorischen Schilderungen von Land und Leuten Beispiele zu bringen, einem für die Sallustkritik überaus wichtigen Abschnitte, ist es recht schlimm bestellt, Hauler gelang es, bei der Nachprüfung des Froutopalimpsestes nicht nur einzelne Stellen zu verbessern, sondern auch den bisherigen Sallusttext um mehrere Seiten zu vermehren, so daß der Umfang der Zitate jetzt fast verdoppelt erscheint gewiß ein wertvoller Gewinn! Der Verf. bespricht zunächst die Aufeinanderfolge der den Sallusttext überliefernden Seiten, dann die Abweichungen, welche Frontos Sallust- text von unserer besten Überlieferung ausweist, und zeigt endlich, daß unser Sallusttext auch einzelne größere Auslassungen erfahren hat. Die Abweichungen sind verhältnismäßig gering und geeignet, „uns be- züglich der Güte unseres Sallusttcxtes im allgemeinen zu beruhigen*.

Kutilius Lupus.

36. *Th. Krieg, Quaestiones Rutilianae. Diss. inaug. Jena 1896 (auch in Comment. philol. Jenenses VI ] p. 1 —48). Angez. v. 0. Roß- bach BphW 1898 Nr. 15 p. 455—456 und verwertet von Schanz III 2, 190P S. 345 f. Hier wird auch die von K. (S. 38) angefochtene An- gabe Quintilians (IX 2, 102) verteidigt.

Panegyrici.

37. Otto Kehding, De panegyricis Latinis capita quattuor. Marpurgi Cattorum 1899, 54 S. 8. (Marburger Doktordissertation.)

Von den vier Kapiteln dieser durch Birt angeregten Promolions- fichrift gehört das zweite (Quomodo Claudianus in panegyricis et epi- thalamiis componendis Menandrum rhetorem secutus sit) und das vierte (Quomodo Claudianus panegyricos Graecos imitatus sit) in das Gebiet eines anderen Berichterstatters. Im ersten Kap. zeigt der Verf., wie

174 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.)

Mamertinus, Nazarius, Pacatus und andere Lobredner nach den Vor- schriften des Rhetors Menander ihre Reden verfaßt und ausgestattet Laben. In dem exordium der ersten Rede (pan. II in Bährens Ausgabe, dessen Zählung auch im folgenden berücksichtigt ist) fügt Maraertinns keinen einzigen selbständigen Gedanken hinzu, sondern hängt vollständig von Menander ab, ebenso folgte er in den sich anschließenden Kapp. 4—12 diesem Rhetor. In der zweiten Rede (III) ist er nicht nur in der kunstgerechten Anordnung des Stoffes von ihm abhängig, sondern berücksichtigt auch in Einzelheiten seine Vorschriften. Weniger ab- hängig erscheint der Verfasser der V. Lobrede. Andere Vorschriften Menanders beobachteten die Verfasser der VII. und IX. Rede, z. B. die Vergleichungeu (cu'f/piaei;), die besonders bei dem letzteren häufig sind. Ein deutlicheres Bild der Nachahmung bietet die umfangreiche Rede des Nazarius (X), Nicht nur die ganze Anordnung und insbeson- dere der Schlußteil (peroratio) zeigt die Abhängigkeit von Menander, sondern auch viele andere Stellen. Zahlreiche Spuren der Nachahmung finden sich auch in der XI. und XII. Rede. Wie Mamertinus in der Abfassung des ersten Teiles seiner Rede und in der Beschreibung von Einzelheiten sein Vorbild verrät, so befolgt auch Pacatus nicht nur die allgemeinen Vorschriften des Rhetors, sondern zeigt sich im einzelnen auffallend abhängig. Vor allem sind bei Pacatus, dessen Rede aller- dings auch bedeutend länger ist, die cu^xpiaetc zahlreich. Im dritten Kap. untersucht K. mit Beziehung auf die Einleitung Birts zu seiner Ausgabe des Claudianus, wie dieser Dichter die Verfasser lateinischer Lobreden nachgeahmt hat. Zu diesem Zwecke vergleicht er Stellen des Claudianus mit solchen des jüngeren Plinius, Mamertinus, Nazarius,. Pacatus und anderen. An den meisten dieser Stellen liegt die Über- einstimmung zwischen Claudianus und seinen Vorgängern in dem sprachlichen Ausdruck, bisweilen enthält die Zusammenstellung schmuck- lose Stellen der Redner, die bei Claudiau mit dichterischem Schmucke erweitert sind, endlich sind auch Stellen nur der ähnlichen Gedanken wegen vergleichungsweise angeführt. Am augenscheinlichsten ist natür- lich die Nachahmung bei den ersten Gruppen, wenn auch hier einiges als Gemeingut der Rhetorenschulen gelten mag, z. B. zu Claud. v. 341 Ne timeare times: Naz. c. 18, p. 227, 13 nil magis timuisti quam ne- timereris: Pac. c. 35, p. 302, 31 qui nihil magis timuerat quam timeri, Stellen, auf die ich schon ZöG 1896 S. 1139 aufmerksam gemacht habe; vgl. auch Wölfflin, Arch. XII S. 348.

Die sprachlich-textkritisehe Seite behandeln

38. Georgius Chruzander, De elocutione panegyricorum vete-

rum Gallicanorum quaestiones. Commentatio academica. Upsaliaa

1897. 115 S. 8, und

Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednero, 1897—1902. (Burkhard.) 175 39. RobertusNoväk, In panegyricos Latinos studia grammatica

V

et critica. Pragae 1901. 83 S. 8. (Sonderabdrnck aus „Ceske Museum Filologicke" vol. VII.)

Von der richtigen Ansicht ausgehend, daß mau ein sichereres Urteil über die vielbesprochene Verfasserfrage bei den gallischen liob- rednern (vgl. 1895 II. [LXXXIV] S. 222 f., 1897 II. [LXXXXIII] S. 107 ff.) oJine vollständige Kenntnis ihrer Sprache nicht gewinnen könne, stellt Chruzander zum erstenmal eine umfassendere Unter- suchung über den Sprachgebrauch dieser Redner an. Seine Abhandlung zerfällt iu drei Teile : I. Gebrauch und Bedeutung einzelner Ausdrücke (S. 5—70), II. Partikeln (S. 70-82), III. Syntax (S. 83—109). Die 'Addenda' (S. 110—115) enthalten einiges über die Wortstellung und die Ellipse. Im ersten Teile werden zunächst solche Ausdrücke ange- führt, welche nur bei Dichtern vorkommen oder von den Prosaschrift- stellern ziemlich selten gebraucht sind; dann solche, die nur bei unsern Lobrednern oder auch bei den späteren Schriftstellern sich finden (je 1 in VIII und IX, 8 in X und je 3 in XI und XII). Der zweite Teil zeigt die Unterschiede vom klassischen Sprachgebrauch an den Adverbien (S. 71 75), Konjunktionen (S. 75—79) und Präpositionen (S. 79 82). Über die Deklinations- und Koujugationsforraeu verweist Ch. auf Götzes Abhandlung (Gymn.-Progr. v. Leer 1891) und auf die Untersuchung des Berichters (WSt 1886, S. 170 ff.)- Die Formenlehre schließen einige Bemerkungen über Komparativ- und Superlativformen ab. Der dritte Teil ist solchen syntaktischen Erscheinungen gewidmet, die vom Gebrauche der besten Schriftsteller abweichen oder bei diesen seltener vorkommen. Der Verf. spricht über die Kasus, Adjekfiva, Pronomina, Modi und Tempora, den Infinitiv, das Gerundium uud Ge- rundiv (hier am Schlüsse eine Ergänzung zu Götze), das Supin uud zuletzt über das Partizip. Eine erschöpfende Darstellung des Sprach- gebrauches ist damit noch nicht gegeben. Aber das lag in Rücksicht auf die Fülle des Stoffes und die beschränkte Zeit auch nicht in der Absicht des Verf. Daß unter anderem eine genauere Untersuchung darüber, wie sich die Redner in den Redefigureu voneinander unter- scheiden und wie sie einander und die übrigen römischen Schriftsteller nachgeahmt haben, sehr erwünscht wäre, erwähnt Ch. selbst. Eine gründliche Vorarbeit und zwar für die Allitteration bietet F. Ranninger im Gymnasialprogramm von Landau 1895, wozu ich in der Besprechung a. a. 0. LXXXXIII S. 110 ff. mehrere Ergänzungen gegeben habe; über Nachahmungen vergleiche man meine Anzeige des Programmes von Olivior Klose (Die beiden au Maxiraianus Augustus gerichteten pane- gyrici latini, Salzburg 1895) ZöG 1896, S. 1138 ff., wo man auch einige sprachliche Beobachtungen findet. Außerdem ist wohl neben

1 7t) Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1S97— 1002. (Burkhard.)

dem Hinweis auf die Abweichungen vom klassischen Sprachgebrauch eiue Behandlung des Sprachstoffes nach der lexikalischen Seite hin unerläßlich, um die Häufigkeit oder Seltenheit oder das Fehlen eines Ausdruckes bei den verschiedenen Ilednern feststellen zu können. So erscheint es z. B. bemerkenswert, daß 'trans' bei den Lobrednern durch 'ultra' fast ganz verdrängt ist. Es findet sich überhaupt nur einmal in VI (S. 154, 17 trans Rhenum); ebend. kommt einmal 149, 1 auch ultra (modal) vor. Für 'trans' hat II 'ultra' und zwar nur 95, 20 (u. Rhenum), III dagegen das nur noch IX 203, 12, X 219, 27 und XII 283, 25 überlieferte 'extra': 114, 8 (e. terminos). Das mag zugleich als Ergänzung zu dem Abschnitte über die Prä- positionen dienen, zu dem ich au einem anderen Orte einen kleinen Beitrag gelegentlich zu liefern gedenke. Außerdem mögen noch folgende Bemerkungen hier ihren Platz finden. In der Einleitung S. 3 sind die Untersuchungen von Otto Seeck (Neue Jahrb. f. Phil. u. Päd. 1888) und 0. Klose (s. o.) nicht berücksichtigt. S. 12 vermisse ich: II, p. 97, 1 astu ohne Attribut. S. 18 wird wohl mit Weymann und Kubier (Arch. YIII 129, 136) die Lesart der besten Hs (Upsaliensis) continari statt Cbruzanders continuari (für continuare des Apogr. Bert.) herzustellen sein. Siehe auch Noväk S. 4 ! S. 72 hätte für die Stellung von 'igitur' auch Plinius der J. und Tacitus angeführt werden können; übrigens ist auch schon bei Cicero die Stellung am Anfange des Satzes nicht selten. Über 'inde' pan. V p. 147, 19 ist et vor 'inde est quod' zu ergänzen habe ich ausführlich Acta sem. phil. Erl. S. 169 f. gehandelt und allein über 'inde est quod' nach mir Götze in den Quaest. Eum., was dem Verf. offenbar entgangen ist. S. 82 ist zu 'ultra' im temporalen Sinne VII 177, 14 und X 243, 16 anzuführen. Zu S. 89: Der Reziprozitäts- begriff wird auch noch auf andere Weise ausgedrückt; vgl. III 16 (114, 2) se barbarae iiationes vicissim lacerent et excidant, alteruis dimicatio- nibus et insidiis clades suas duplicent .... transrhenauas expeditiones farore percitae in semet imitentur. (Siehe Götze a. a. 0. S. 44 f. und meine Ergänzung JB S. 109.)

Eine vi-ertvolle Ergänzung zu dieser Untersuchung und beachtens- werte Beiträge zur Textkritik enthält NovÄks Abhandlung. In der Einleitung gedenkt der Verf. der Verdienste und Fehler Bährens' und erwähnt die seitdem veröffentlichten Arbeiten und Beiträge zum Sprach- gebrauch der gallischen Lobreduer (hinzuzufügen ist der kleine Beitrag des Berichterstatters WSt VI [1884] S. 322 ff. und seine obengenannte Anzeige der Kloseschen Abhandlung). Die Untersuchung beginnt mit dem Nachweis, daß Bährens das Apographum Bertiniense (Bert.) weit überschätzt und aus ihm zahlreiche falsche Lesarten in den Text seiner Ausgabe aufgenommen habe. Dieser Kodex stamme nämlich nicht, wie

Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1S97 1902. (Burkhard.) 177

B. behauptet, aus derselben Vorlage wie der verschollene Magiintinus (il), sondern aus der Vorlage des Upsalieusis (A) oder wahrscheinlicher aus diesem selbst. Durch die Wiederauftiudung von A habe Bert, sehr viel von seinem Werte verloren. (Nicht erwähnt ist, ob hierbei die unten (unter 41) genannte Nachvergleichung des A durch Strümberg berücksichtigt wurde.) Der nächste Abschnitt S. 5 7 ist den 'clausulae rhythmicae' gewidmet, die in neuerer Zeit, insbesondere seit dem Er- scheinen der 'Antiken Kunstprosa' Nordens mit Vorliebe behandelt werden. Vgl. die Literatur bei F. Gatscha, Quaesiionum Apuleianarum capita tria (Dissertat. Vind. VI p. 159), ferner die Untersuchungen von H. Bornecque unter Nr. 1 und 3 unseres Berichtes. Wie N. ermittelt, sind auch unsere Lobredner denen beizuzählen, welche am Satzende vor einem stärkeren Satzzeichen den Schluß _i_v .!_k) oder _^ u ;_ u oder _l_ü j_\j ^^ oder _?_ u ^. _l. u j^ lieb gewonnen, den hexa- metrischen Ausgang _j^v v u aber geflissentlich entweder durch die Wortstellung oder Auswahl der Worte und Formen vermieden haben. Nur scheinbar hätten wir einen hexametrischen Ausgang in Stellen wie II 98, 5 consentiendo retinetis, III 108, 10 ambo seuiores, 115, 25 quaero rationem, VIII 235,8 consuetudo cohibebit vor uns, da die Endung •0 bei vielen Wörtern zur Zeit dieser Redner nicht selten kurz ge- messen worden sei. Es bleiben nur ganz wenige Stellen übrig, die N. durch eine geringfügige Änderung mit dem gewonnenen Gesetze in Ein- klang bringr. Es leuchtet ein, daß diese Beobachtung einerseits die richtige Beurteilung der Überlieferung beider Handschrifteufamilien lürdert, anderseits für die Textgestaltung von besonderem Werte ist, wie dies N. im zweiten Teile seiner Abhandlung au einer Reihe von Stellen zeigt. Im folgenden handelt der Verf. kurz vom Chiasmus (mit Beziehung auf Chruzauders Abhandlung) und gibt Beispiele von der sehr beliebten Anaphora (vgl. auch die von mir Acta S. 181 und WSt VI [1884J 324 gegebenen Beispiele). Dann erfahren wir einiges über den Gebrauch der Konjunktionen 'atque, que, et, quippe, utpote, enim, etenim, sed enim, at enim, namque, nempe, ueve, nee und der Präpositionen 'propter, ob, prae', sowie über die Stellung der Präpo- sitionen. Den Schluß der sprachlichen Untersuchungen bilden einige Beobachtungen über den Gebrauch der mit *met' zusammengesetzten Fürwörter, der Formen 'sese (tute)', worüber schon Götze (Quaest. Eumen. S. 18) gehandelt hat, und der Pronomina 'quisque, quivis, quilibet".

Mit Benützung dieser Ergebnisse und weiterer sprachlicher Be- obachtungen bespricht N. in dem darauffolgenden besonderen Teil zahl- reiche Stellen aller elf Lobredner. Sein Verfahren kann im allgemeinen nur gebilligt werden und führt auch vielfach zu sichtbaren Erfolgen. Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVII. (1903. II.) 12

178 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897-1902. (Burkhard.)

Nicht selten finde ich auch Beobachtungen und Vermutungen, die ich vor Jahren in meinem Handexemplare angemerkt habe, durch N. be- stätigt (so insbesondere zu den Stellen 238,21; 245,1; 280.22). Etwas zu ausgiebig macht der Verf. wohl von der Annahme der Doppel- schreibuug (Dittograpliie) Gebrauch. Ein Widerspruch scheint es mir, wenn N. einerseits nach dem Vorgange Chruzanders (S. 2) den Sprach- gebrauch des Plinius ganz ausschließt, anderseits aber den der übrigen Lobreden, die von verschiedenen Verfassern herrühren und zeitlich doch auch mehr oder weniger weit anseinanderliegen, nicht selten als gemein- sames Sprachgut behandelt. Zum Schlüsse greife ich noch einige Stellen zur Besprechung heraus. S. 89, 18 (Bahr.) schlug schon Götze in seinen Quaestiones Eumenianae 'consecrasse' vor und wiederholte diese Vermutung in einem größeren kritischen Beitrag (NJklPh 145 [1892] S. 851 ff.), der zweifelsohne Noväk entgangen ist. Dies schließe ich insbesondere aus den Stelleu 110, 14; 111, 2; 181, 29; 185, 20, an denen N. zu demselben Ergebnis wie Götze kommt, ihn aber nicht er- wähnt. S. 110, 7 scheint mir die allitterierende Verbindung 'planctu ploratuque . . . praesago praecanebant nicht unbeabsichtigt und ich möchte daher lieber die auch bei Plinius d. A. und später bei TertuUian belegte Form 'praecanebant' halten oder nach dem klassischen Sprach- gebrauch 'praecinebant' schreiben, als eine Dittographie von 'prae' an- nehmen. S. 150, II spricht gegen das Grutersche 'idem' (statt 'id ex') und für die Beibehaltung von 'id' ohne 'ex' allerdings der Sprach- gebrauch der Lobredner II, III, IV, VII, IX XII, doch wertvoller wären Belege aus derselben Rede (VI) gewesen. Diese aber hat ebenso- wenig wie V und VIII entsprechende Beispiele aufzuweisen; vielmehr fehlt in ähulich gebauten Sätzen 'id' V 21 (147, 27), VIII 13 (191, 16) u. bes. VI 6 (153, 9) ut quod invicem vobis verecuudia negabat, libere vos in imagine cerneretis, 9 (155, 11) ne, quem totius vitae summa- rumque rerum socium semper habuisses, in alicuius facti communitate desereres. Ich bin daher, von anderen Gründen abgesehen, noch nicht überzeugt, daß an unserer Stelle 'id' für 'idem' geschrieben werden müsse.

40. Zu XI 20 (260,22) empfiehlt K. Burkhard WSt XXIII S. 338 nostvae für 'ternos' zu lesen oder 'ternos' einfach zu streichen ; letzteres tut auch Novdk a. a. 0. S. 73.

41. Einen Beitrag zur Handschriftenkunde enthält Elver Strömberg, 'Ad codicem Upsaliensem, qui Panegja'icos veteres Latinos continet' in Eranos acta philologica suecaua vol. II (1897) S. 46 47. St. hat die zuletzt von Bährens für seine Ausgabe der Paneg. (1874) verwendete beste Hs (aus dem 15. Jht. ; vgl. Bährens praef. XI seqq.) nachverglichen und bringt 85 Berichtigungen oder Ergänzungen. Bährens hat öfters falsch gelesen und manche Lesarten übersehen.

Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.) 179

Q. Aurelins Symmachus.

42. S. A. Nah er, Durievio pareutatur. Mn. XXVI 277—286.

Nach einem warmen Nachruf aut Du Ricu teilt uns N. mit, daC er vor Jahren die Reden des Symmachus mit Durievius herausgeben wollte. Dieser hatte auch schon die Vergleichnng tür diesen Zweck gemacht, verzögerte aber wiederholt den Abschluß der Arbeit und starb endlich, ohne seine Sammlungen verwertet zu haben. Als N. von der "Witwe des Gelehrten die Vcrgleichuug erhielt, verglich er sie sogleich mit Seecks Ausgabe (1883) und da zeigte es sich, daC, von wenigen Seiten abgesehen, die N. erwähnt, die Vergleichungen beider in allen wesentlichen Punkten übereinstimmen und daü nichts Neues für die Ver- besserung des Textes aus den hiuterlassencn Papieren gewonnen werden könne. Im Anschlüsse an diese Mitteilungen gibt N. eigene Beobachtungen zu Symmaclius (S. 282 286) bekannt. Symmachus scheine sich in den "Worten 'Quid apat— calcatur' (Ep. III 10) selbst verspottet zu haben. Er habe Besseres gesehen und gut geheißen, aber Schlechteres befolgt, um den Zeitgenossen zu gefallen Ep. II] 11, 44 u. V. 9. (Vgl. weiter unten das Urteil Nordens.) Alte Schriftsteller erwähne er selten. Wohl nur einmal den Demosthenes Ep. I 23; dabei bleibe es fraglich, ob S. unmittelbar aus D. geschöpft oder den Gemeinplatz bei einem anderen gefunden habe. Außerdem seien einigemal Plautus, Terenz, Vergils Georgica und ziemlich selten Cicero erwähnt. Symmachus scheine wenig Bücher besessen zu haben. (Dagegen ist zu bemerken, daß Gull. Kroll, De Q. Aurelii Symmachi studiis Graecis et Latinis, Breslau 1891 [JB 1897 II 114] 25 römische Schriftsteller von Nävius bis Ausonius namhaft macht, mit deren Werken S. mehr oder weniger vertraut war, insbesondere Terenz, Vergil, Sallust, Cicero, Horaz, Lukan, Valerius Maximus, Livius, beide Plinius, Ovid, Silius, Juvenal, Tacitus Fronte und wahrscheinlich Gellius. Auch Norden bezeichnet S. 577 neben den Komikern die Schriftsteller Sallust und Fronto als solche, die S. mit Vorliebe las.) Aus einer anderen Stelle schließt Naber, daß Symmachus' Geschichtskenntnisse nicht groß gewesen seien. Der letzte Teil des Aufsatzes befaßt sich mit Textkritik. Zuerst tritt N. gegen Seecks Konjektur praestavistis p. 287, 9 (Seeck) mit dem Hinweise auf die klassische Form praestitisse p. 288, 33; 330, 18 u. 335, 16 auf. Dann macht er folgende Verbesserungsvorschläge: 322, 13 deornatur für ado- ratur (demoratur Seeck), p. 324, 33 laborem sine duritie (tür pernicie), 325, 12 viiiceret für iniret, 325; 34 multa für nulla, 327, 27 <quae> quasi securus, 331, 12 uvidioris (so schon Kießliug) für ubidiovis.

12*

180 Bericht üb. d, Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897- 11)02. (Burkhard.)

43. Ep. III 11 liest Norden S. 577 (im Hinblick auf Fronto p. 161 N veterem monetam sectator) sectator (für spectator) tibi veteris monetae solus supersum.

Über den Stil des Symmachus äußert sich

44. Norden S. 642 ff. ungefähr in folgender Weise. Wie sich S. mit liebevollem Entzücken in die Literatur der herrlichen, durch ihre bitteren Sckicksale nur noch verklärten Vergangenheit versenkte, so suchte er sich auch in seinem Stil von den Ausschreitungen der Modernen freizuhalten (Ep. I 89), aber Wollen und Können deckten sich nicht (III 11). Er verleugnet in seinem Stil nicht den Einfluß seiner durch einen gallischen Rhetor (möglicherweise durch den aus Burdigala gebürtigen Minervius) erhaltenen Ausbildung. Überall zeigt sich in seinen Briefen und Reden dieselbe Zierlichkeit (besonders Anti- thesen mit dem üblichen Zierat), die in den panegyrischen Reden mit starkem Pathos vermischt wird, wohl kadenzierte Sätze mit strenger Beobachtung des rhythmischen Kursus am Schluß, jedes Wort über- dacht. Sein stilistisches Ideal ist der jüngere Plinius, dessen Manier er gelegentlich durch ein paar Archaismen nach Frontos Muster auf- putzt, ohne in die Geschmacklosigkeiten eines Apuleius oder Sidonius zu verfallen. Einmal hat er es verstanden, aufs tiefste zu ergreifen in jener berühmten, im J. 384 an Theodosius gerichteten Relation (= ep. X 3) über den Altar der Victoria und den Kult der, Vesta.

45. *Melicus S. IT., De Q. Aurelio Symmacho postremo apud Romanos veteris humanitatis magistro ac defensore über. 16. Sassari 1898, in aedibus Joanuis Gallitii 56 p.

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Bd. 116-117

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