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lINBINß LIST FEB 1 5 1922,

JAHRESBERICHT

über die

Portschritte der klassischen

Altertumswissenschaft

bet^rüiidet von

Conrad Bursian

iicriiiisj^oj^cbcii vtiii

A. Körte.

ituiidertaclitundsiebzigster Band.

t ii II f u n d V i e r z i g s t e r Jahrgang 1 Q 1 Q. Erste Abteilung.

LtiPZIG.

O. R. REISLAND. 1919.

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GRIECHISCHE AUTOREN. 6 H Si ö ,

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Alle Hechte voi'heh al l en.

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Plerersohe Hof biiolnlruirkerci

Stephan Onib.-! S: Co.

Inhaltsverzeichnis

des huii d e r t a c h t Uli d s i e b z i g s t e II Bandes.

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Jicricht Über die Literatur zu Xonophon aus den Jahren 1 909— 1 91 8. Von E r n s t R i c h t e r in Charlotten- burg 1 'V-i

Bericht über die {griechischen Lyriken- (mit Ausnahme der l-'indar und Bakrhylides), die Ikxkoliiier, die Antho- l.)gier Palatina und die Epigrammsammlungen f'Ur 1905—1917. (Fortsetzung.) Von J. Bitzier in Freiburg i. Br 31—204

Bericht über die Literatur zu Thukydides f(ir die Jahre

1908—1918. Von S. P. Widmann in Münster i. W. 205—271

Bericht über die Literatur zu Xenophon aus den Jahren 1909-1918.

Von Ernst Richter in Charlottenburg-Berlin.

Der vorliegende Bericht umfaßt die Arbeiten zu Xenophon aus den letzten 10 Jahren so vollständig, als es bei den gegenwärtigen kriegerischen Zeitläuften möglich gewesen ist. Naturgemäß werden die Schriften aus dem feindlichen Ausland manche Lücken aufweisen. Doch wird sich ja später Gelegenheit bieten, etwa Versäumtes nach- zuholen. Abgesehen davon sind, wie in meinen früheren Berichten, ausgeschlossen alle Arbeiten, die lediglich den Zwecken des Schul- unterrichts dienen, auch Übersetzungen in moderne Fremdsprachen (vgl. die Vorbemerkungen in Band 100, 117, 142). Einer Kritik habe ich mich durchgängig enthalten, auch Rezensionen einzelner Werke nur gelegentlich angeführt. Zusammenhängende Berichte über die Literatur zu Xenophon haben mir nicht vorgelegen. Ich be- ginne mit einem Nachtrag, behalte im übrigen die bisherige An- ordnung bei.

I. Allgemeines.

F. Leo, Die griechisch-römische Biographie. Leipzig 1901. Teubner.

(Nachtrag.) Zur Sprache kommen Anabasis , Kyrupaedie, Memorab. und Agesilaos. Xenophon hat den biographischen Epilog (Anab. I 9, 11 6) in die Historie eingeführt; seine Schilderungen beschränken sich nicht auf das rein Tatsächliche, sondern berück- sichtigen vor allem das Moralische in der betr. Persönlichkeit. Die Form ist fest bestimmt und wohlüberlegt und hat sich im wesent- lichen durch die Jahrhunderte gehalten. Wenn schon der Nachruf an Kyros die Skizze einer Lobrede ist, so ist sein Agesilaos geradezu als ey/,o'ii.iLOV zu bezeichnen. Er zerfällt in zwei Teile , die Dar- stellung der Taten des Ages. (I u. II), dann die Beschreibung seiner Eigenschaften (cap, "3 9), darauf folgt ein Epilog für beide Teile,

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 178 (1919. I). 1

2 Ernst Richter.

der das Leben dos Ages. als vorbildlich bezeichnet, und der Schluß eine Rekapitulation enthaltend. Diese Doppelteilung (icga^sig chrono- logisch , dgei/^ nach Kategorien mit der ava/.eq'aXeiiooig) ist das eigene Merkmal des xenophontischcn Enkomion. Die Erfindung und Begründung dieses eiöog aber gehört dem Isokrates. Es hat Jahrhnuderte hindurch gewirkt; seine Form ist noch deutlich bei Cornelius Nepos im Leben des Atticus und bei Suetonius zu er- kennen. — Die Darstellung der Jugendgeschichte des Scipio bei Polybius 32, 9 sq. erinnert in der Form an die Cyropaedie ; in der kynisclien Schule ist die Cyropaedie oft zum Muster genommen.

M. E r d m a n n , Das Wahrträumen. Ein Beitrag zum Ver- ständnis des Xenophon. Programm der Auguste-Viktoria-Schule. Charlottenburg 1908.

Die Arbeit ist ein Teil eines groß angelegten, fragmentarisch gebliebenen Lebenswerkes, an dessen Vollendung den Verfasser ein tragischer Tod gehindert hat. Doch verdient sie wegen ihrer fein- sinnigen Bemerkungen über Xenophons Charakter, seine Erlebnisse und seine Schriften hier eine Erwähnung. Verf. hat über Wesen und Bedeutung der Träume eine andere Meinung, als man gewöhn- lich zu haben pflegt. Wie das ganze Altertum, vor allem Xenophon selbst, nicht an dem Bedeutungsinhalt der Träume gezweifelt hat, so ist auch E. überzeugt, daß die menschliche Seele im Traume nicht nur weit zurückliegende Dinge und Ereignisse, sondern auch Zukünftiges vorahnend zu sehen imstande ist. Dabei faßt er Traum nicht bloß im gewöhnlichen Sinne , sondern auch im Sinne von Träumerei , und so hat nach E. Xenophon in seinen Träumereien Gestalten und Ereignisse vorahnend gesehen, die tatsächlich später, wenn auch in einer anderen Form und in einem anderen Volk, zur Wahrheit geworden sind. Was bei seinen Idealschilderungcn eines Klearchos, Kallikratidas, Hieron, besonders Agesilaos vor Xenophons geistigem Auge steht , ist der Kömertypus , sind die Regulus und Fabricius; die ganze Traumdichtung der Kyrupaedie hat sich erfüllt in Alexander dem Großen ; selbst in der Schrift de vectigalibus finden sich zwei merkwürdige Zukunftsgedanken , von denen der eine recht eigentlich eine moderne Erfahrung ist.

L. Gautier, La langue de Xenophon. Geneve 1911.

Daß Xenophons j^Schriften keine Muster des reinen Attisch sind,

ist eine seit langer Zeit wohlbekannte Tatsache und vollkommen

erklärlich bei einem Mann, der die größere Hälfte seines Lebens

fern i^on Attika in Asien, Lakedaimon, Korinth u. a. Orten zugebracht

Bericht über die Literatur zu Xenophon aus den Jahren 1909—1918. 3

iu einer Umgebung, die jedenfalls jeden andern griechischen Dialekt eher zu sprechen gewohnt war als das Attische. Auch als Leser resp. Hörer seiner Werke hat Xen. gewiß nicht in erster Linie au Athener gedacht (mit Ausnahme vielleicht, wie G. meint, von d. memor. u. den Hellenica). Es ist daher nicht zu verwundern , wenn sich bei Xen. zahlreiche dialektische Eigentümlichkeiten vorfinden, Worte, die Xenoph. in seiner Umgebung vielleicht täglich hörte, die aber bei den attischen Schriftstellern vergeblich gesucht werden. Über diese Dorismen, Jonismen, Elemente des sog. hellenistischen Sprach- schatzes, die a/ra^ eiQrif.iiva u. ä. ist schon viel geschrieben ; G. be- handelt diese Dinge hier von neuem in sorgfältiger, streng metho- discher Weise, ebenso die poetischen Ausdrücke, die bei Xen. häufig an solchen Stellen enthalten sind , wo von irgendwelcher poetischen Stimmung oder Absicht des Schriftstellers gar keine Rede sein kann, die also von Xen. offenbar gar nicht als poetisch emp- funden sind ; sicher sind ebendiese bei den Dichtern vorkommenden Worte in den zur Zeit Xenophons gesprochenen Dialekten als ge- wöhnliche prosaische Worte gebraucht worden. Seine Schrift-sprache unterscheidet sich wenig von der Sprache , die er gesprochen ; sie ist vermischt mit dialektischen und vielen andern „de ci et de la" entnommenen Eigentümlichkeiten. Am reinsten erkennt man seine Sprache in den beiden Kyrosschriften ; am meisten Konzessionen dem Attischen gegenüber macht er in den Hellen, und den Memorab., die eben an die Athener gerichtet sind. Er ist so in der Sprache kein Klassiker, sondern ein Vorläufer des Hellenismus, wie er es in seinem ganzen Charakter und seiner Denkungsart ist. In einem Appendix werden die Synonyma zusammengestellt, die technischen Ausdrücke , attische Worte , die bei Xenophon fehlen, u. a. , ein lexilogus mit Angabe der vermutlichen Provenienz der betr. Worte (ob dorisch, ionisch, hellenistisch etc.) schließt die sehr gründliche gelehrte Arbeit, die jedenfalls von keinem Xenophon-Forscher wird übersehen werden dürfen. Vgl. Gemoll , Berl. phil. Woch. 1912, p. 1151 f.

Jos. Schmitt, De parenthesis usu Hippocratico, Hemdoteo^ Thucydideo. Xenophonteo. Diss. Greifswald 1913.

S. behandelt, xiva seine eigenen Worte zu gebrauchen, folgende Fragen : quibus locis inserantur interpositiones ; de particulis, quibus adnectantur ; quales sint interpositiones ipsae ; quomodo parenthesi in- serta enuntiati structura mutetur ; quae contineant interpositiones. In den nicht-historischen Schriften Xenophons finden sich nur sehr wenige

1*

4 Erust Richter.

Paveutlioseii , etwas mehr in den lüstoiisdien , am meisten in der Anabasis, aber immer noch viel weniger als bei Herodot und Thukydides, der sie sehr häufig anwendet, allerdings abgesehen von den Reden. Da die Anwendung von Parenthesen eine gewisse Nachlässigkeit oder geringere Übung des Schriftstellers bekundet, so stimmt die Beobachtung bei Xeuophon gut zu der Annahme resp. bestätigt sie, daß die anabasis die älteste der historischen Schriften Xenophons ist.

H. Kallenberg, Studien über den griechischen Artikel 111. Vom Artikel bei Zahlwörtern. Kh. Mus. 69. 1914 S. 642 f. Der Artikel bei Kardinalzahlen, wo sie summarisch stehen („mit der Idee, daß etwas mehr oder weniger nicht in Anschlag komme"), findet sich nur bei Xeuophon, nicht bei Herodot und den Attikern; bei Xen. regelmäßig auch nur nach ä}.i(pi (anab. I 2, 9 jvelTaazal aficpl Tovg öioyjliovg. 7, 10 ag/^iaza dQETtavr^cpÖQa d/iiqii za BIY.0OI u. a. m.), nie bei tzeql und iTif.Q , bei Eig nur, wenn es bedeutet, „bis zur Höhe von", einige Male auch nach den kom- parativen Ausdrücken TtXsUov ikoTTiov (Cyrop. II 1, 6 nXeioig Tüiv f.ivQicüv-) ; öfter freilich fehlt auch bei Xen. hier der Artikel.

Axel W. P e r s s o n . Zur Textgeschichte Xenophons. Inaug.- Dissert. Lund 1915.

Nach einer kurzen , übersichtlichen Zusammenstellung der wichtigsten Xenophon-Handschriften , einer Darlegung ihres gegen- seitigen Verhältnisses zueinander und der Bedeutung, die sie fiir die Xen. -Ausgaben haben und hatten, bespricht P. die sämtlichen auf Papyrus erhaltenen und bis jetzt (1915) bekannt gewordenen Fragmente. Eine Vergleichung mit dem Text unserer Handschriften bestätigt die meist schon bekannten Tatsachen, daß sie keineswegs einen besseren Text bieten, wohl aber, daß die Kritik in der Be- wertung unserer Hdschr. vielfach Irrwege gegangen ist, so besonders bei der Anabasis und Kyrupaedie. Es folgt der umfangreiche und wichtige Abschnitt über die sog. indirekte Überlieferung, Wir er- fahren , daß Xenophon in den ersten Jahrhunderten nach seinem Tode für die griechische Literatur fast ganz verschollen ist. Nur selten findet man eine Erwähnung seines Namens oder seiner Schriften , und auch dann gilt er meist nur als Philosoph und Sokratiker. Erst der Attizismus bringt ihn wieder zu Ehren. Und nun kommt eine von großer Belesenheit und Sorgfalt zeugende Darstellung von dem Fortleben Xenophons bis zum Ausgang des Altertums, ja bis zu Suidas und der Zeit des Archetypus der Ana-

Bericht über die Literatur zu Xenophon aus den Jahren 1909 1918. 5

basis-Hdschrft. (wahrscheinlich 10 Jahrh.). Sämtliche von deii Schriftstellern angeführten Stelleu werden zusammengestellt; das Ergebnis fUr die Textgestaltung stimmt mit dem aus den Papyri gewonnenen überein , die Kousecjuenzen für eine Gestaltung des Xenophon-Textes für neuere Ausgaben Averden zuletzt gezogen.

Vgl. Gemoll, Berl. phil. AVoch. 1915 S. 1589 f., der allerlei Einwendungen macht. Die deteriores sind den sog. meliores höchstens ebenbürtig, aber nicht überlegen. Wessely, Woch. f. klass. Phil. 1917 S. 28.

Kaiinka, De Xenophontis editiouc Juntina. Wiener Studien 1915 S. 330.

Nachweis, daß die ed. Juntina nach einer Florentiner Hand- schrift (Laurent, couv. suppr. 110) gemacht ist.

A. Kocevalov, De (.UXXeiv verbi constructione apud graeci- tatis classicae scriptores. Charkoviae 1917.

Eine statistische Untersuchung über den Gebrauch von (.liXXuv mit dem Infinitiv bei verschiedenen griechischen Schriftstellern, u. a. auch bei Xenophon. Bei Xen. findet sich das Verbum 85 mal mit dem infin. futuri, 72 mal mit dem infin. praesentis, 1 mal mit dem inf. aoristi (Cyrop. VI 1, 40 naO-elv) verbunden; in 11 Fällen ist es ungewiß, ob inf. praes, oder futur. anzunehmen ist. Leider sind nicht immer die neuesten kritischen Ausgaben benutzt worden.

Anabasis.

Xenophontis expeditio Cyri iterum recensuit Guil. Gemoll ed. maior. Lpzg. 1909. Teubner.

Die Alleinherrschaft des cod. Cpr. für die Feststellung des Anabasis-Textes, für die Gemoll selbst einst mit vieler Entschiedenheit eingetreten ist, gerät neuerdings mehr und mehr ins Wanken. G. weist in der Einleitung auf das Papyrusfragment zu VI 6, 10 sq. hin, aus dem, wie übrigens auch aus anderen, hervorgeht, daß der Text der sog. codd. deteriores, die z. T. mit dem pap. überein- stimmen, doch auf ein erhebliches Alter zurückweist, diese demnach eine erhöhte Beachtung verdienen. In den Text hat er freilich, wie er sagt, nicht eben häufig Lesarten aus den deter. aufgenommen, doch auch zahlreiche , teils eigene , teils fremde Vermutungen. In welchem Maße sein Text von der Hdschr. Cpr. abweicht, geht dar- aus hervor was manchen' überraschen wird , daß in den ersten 4 Büchern, d. h. auf 170 Teubner-Seiten, nicht eine einzige Seite

6 Ernst Richter.

ist , auf der nicht mindestens eine, oft mehr, recht wesentliche Ab- weichungen von Cpr. sich finden. Der kritische Apparat ist gegen die erste Auflage zweckmäßig vermehrt, oftenbare Schreibfehler sind nicht angegeben, Orthographie und Dialekt ist wie in der 1. Aus- gabe behandelt. Vgl. Crönert, Berl. phil, Woch. 1912 S. 1113.

Xenophons Anabasis, erklärt von C. Rehdantz und 0. Car- nuth. Erster Band. Buch I— III. 7. Aufl., bearbeitet von

E. Richter. Berlin 1912. Weidmann.

Die Anabasis-Ausgabe von Rehdantz gehörte einst zu den besten ihrer Art, hat aber nach dem Tode von R. in der Bearbeitung von Carnuth viel an ihrem Werte verloren. Ich habe mich bemüht, viele von C.s Schlimmbesserungen zu beseitigen und der Ausgabe ihre alte wissenschaftliche Bedeutung wiederzugewinnen. Der Text ist nach W. Gemolls kritischer Anabasis- Ausgabe von 1909 sorgfältig revidiert und möglichst in Übereinstimmung mit der Hand- schrift Cpr. gebracht. Für die Einleitung und die Anmerkungen habe ich alles zu Rate gezogen, was teils eigene, teils fremde Forschungen seit dem Erscheinen der 6. Auflage an die Hand gaben. Auf Einzelheiten einzugehen möchte ich mir an dieser Stelle hier ersparen; vgl. die Rezension von Gemoll. Berl. phil. Woch. 1913 S. 1122.

Xenophons Anabasis. Für den Schulgebrauch erklärt von

F. V 0 1 1 b r e c h t. Zweites Bändchen Buch III und IV , zehnte verbesserte Aufl. besorgt von W. Vollbrecht. Lpzg. 1912. Teubner.

Fünf Jahre nach der Herausgabe des 1. und 3. Bändchens ist nun auch das 2. Bändchen dieser schönen, altbewährten Ausgabe in neuer, verbesserter Auflage erschienen. Entsprechend den beiden andern Bändchen ist auch hier dem Text im wesentlichen die Aus- gabe von Gemoll (1909) zugrunde gelegt; die Abweichungen, meistens im Anschluß an W. Nitsche, sind in der Vorrede zusammen- gestellt. Anmerkungen und Anhang sind sorgfältig revidiert und mit den Ergebnissen der neuen Foi'schungen in Übereinstimmung gebracht. Im besondern ist V. im Anschluß an die Arbeiten von Karbe und v, Hoffmeister genauer auf die Frage eingegangen, welchen Weg die Griechen vom Zapatas an gezogen sind.

M. Boas, De Anabasis-Editie van Cobet (in „Weekblad voor Gymnasiaal en Middelbaar Anderwiys"). 11. Jahrgang. 18. Maart 1915. Amsterdam. S. 817 f.

Bericht über die Literatur zu Xeuophon aus den Jahren 1909 1918. 7

B, macht hier allerlei Ausstellunji^en an tler Cobetschen Ana- basis-Ausgabe, die seit mehr als einem halben Jalirhundert an den höheren Schulen Hollands die herrschende ist. Der von Cobet her- gestellte Text ist auch in den neuesten Auflagen (1898, 1908) wenig verändert , die Ausgabe auch in ilirer äußeren Einrichtung veraltet und bedarf namentlich als Schulbuch einer ein- greifenden Um- bezw. Neubearbeitung.

E. V. Hof fm e ister, Generalleutnant z. D., Durch Armenien. Eiue Wanderung und der Zug Xenophons bis zum Schwarzen Meere. Eine militärgeographische Studie. Leipzig und Berlin. 1911. Teubner.

Die besondere Bedeutung dieser mit großer Anschaulichkeit und Überzeugungskraft geschriebenen, von hoher Bewunderung, ja fast Begeisterung für Xenophon erftillten Arbeit beruht darauf, daß hier ein „erfahrener und landeskundiger Soldat" zu uns spricht, der wiederholt Kleinasien und Armenien bereist hat und beinahe die ganze Strecke, die er Xenophon ziehen läßt, selbst gegangen ist. Durch eine beigegebene Karte erhält man sofort ein klares Bild des Weges , den nach H. die Zehntausend gezogen sind. Da für die Strecke von Sardes bis zum Schlachtfeld von Kunaxa und von da bis zum Eintritt in das Land der Karduchen Xenophons Angaben im ganzen klar und eindeutig sind, so ist über diese Wegstrecke im großen und ganzen kein Zweifel. Von da ab aber weichen die Ansichten teilweise sehr erheblich voneinander ab. Das hängt da- mit zusammen, daß von hier ab die Darstellung Xenophons nicht mehr so vollständig und zuverlässig ist wie vorher und ihm bei der Abfassung der Anabasis Jahrzehnte nach den Ereignissen selbst offenbar manche Irrtümer und Verwechlungen mit untergelaufen sind. Soviel ist jedenfalls zuzugeben . daß nach der Darstellung v. Iloff- meisters der Weg der Zehntausend sehr viel einfticher und natür- licher gewesen ist als nach den meisten Beschreibungen früherer Forscher, die die Zehntausend oft militärisch und das ist ein Hauptgesichtspuukt bei v. H. ganz oder fast ganz unmögliche Straßen ziehen lassen. Ich will, soweit es bei der hier gebotenen Kürze ohne Kartenbeilage möglich ist, H.s Ansicht hier wieder- geben. Vom Übergang über den Kentrites ziehen die Griechen in nördlicher Richtung den Bitlis-Su den sie für den Tigres halten dann den Kara-Su, d. h. den Teleboas, entlang bis zu dessen Mündung in den Murad-Su, d. h. Euphrat (Euphrates orientalis, Um- gegend von Musch) , schlagen dann eine nordöstliche Richtung ein

3 Enist Richter,

und marschieren am Euphrat aufwärts erst auf seinem linken Ufer, A'on Melaskert, wo sie ihn überschreiten, auf dem rechten , bis sie bei Karakilissa die uralte Straße gewinnen , die aus dem Tal des östlichen Euphrat nach dem des Araxes fiihrt, und auf dieser in die Ebene Pasin gelangen. Von da ziehen sie weiter über die Ebene von Erserum nordwärts nach dem Tal des Harpasos, diesen aufwärts bis Gymnias (heilte Baiburt) und von da in fruchtbaren, meist breiten Tälern über den Ziganapaß im Techesgebirge (Thalatta Thalatta) nach Trapezunt. Vgl. Deutsche Lit. Zt. 1912 S. 689 (Seybold).

Einen andern Weg vom Kentrites ab führt die Griechen in einer Besprechung des Hoffm. Buches

H. Philipp, Neue Jahrbücher für das klassische Altertum. 1912 S. 726 und 154.

Ph. hält den Teleboas für den Murad-Su , d. h. den östlichen Euphrat, läßt die Griechen vom Kentrites in nördlicher l\ichtung bis zu diesem Fluß heranmarschieren , ihn überschreiten und dann weiter nordwärts bis an den eigentlichen Euphrat (Euphrates occi- dentalis) ziehen. Von dort schwenken sie rechts ab nach dem Phasis Araxes , den sie also von Westen erreichen. Sie halten ihn für identisch mit dem bekannten Phasis im Kolcherland , der in den Pontus strömt, folgen seinem Lauf 7 Tagemärsche weit stromabwärts, bis sie einsehen , daß sie sich geirrt haben. Dann kehren sie um und schlagen nordnordwestliche Richtung ein bis zum Cyrusfluß im Tarchenland, biegen dann aber im Bogen ab nach SW und W; durch einen weiteren Nordmarsch gelangen sie nach Trapezunt,

Völlig ablehnend gegen v. Hoffmeister verhält sich in seiner Besprechung

M. Kießling, Berl. Phil. Woch. 1914 S. 144 ff. Er tadelt die gänzliche Nichtbeachtung der antiken Geographie von selten v. H.s und findet, daß das eigentliche Problem, die Rückzugslinie der Zehntausend, topographisch einigermaßen fest- zulegen gar keine wissenschaftliche Förderung erhält. Im übrigen führt K. die Griechen ähnlich wie Philipp, identifiziert den Euphrat Xenophons mit dem westlichen Quellfluß, dem Frat, den das Heer überschreitet, dann aber am weiteren Vormarsch durch Schneestürme gehindert wird. Darauf ziehen sie zum Phasis, den sie für den kolchischen Fluß halten, und den sie deshalb abwärts 7 Tagemärsche lang folgen, bis sie ihren Irrtum einsehen, umkehren und schließlich den Harpasosfluß und das Chalyberland erreichen.

Berirht über die Literatur zu Xenophon aus den Jahren 1909 1918. 9

A. Boucher, L'Anabase de Xenophon (Retraite des dix mille) avec un commentaire historique et militaire. Paris- Nancy 1913.

Ich habe die Arbeit selbst nicht gelesen. Nach Philipp (Woch. f. klass. Phil. 1913 S. 790) ist sie ein Gegenstück zu dem Werke V. Hoffmeisters , nur viel umfangreicher. Sie enthält viel Über- flüssiges und längst Bekanntes. In der Identifikation der geo- graphischen Namen ist B. willkürlich und gewagt: manche Be- stimmungen sind ganz verfehlt. Gelobt werden die Cro([uis. Ebenso urteilt v. Hoffmeister in der Deutschen Lit. Ztg. 1913 S. 876 f., \gl. auch Gemoll, Berl. phil. Woch. 1914 S. 867.

E. B r u h n , De Menone Larisaeo. XaQiteg. Fri(?dr. Leo zum sechzigsten Geburtstag dargebracht. Berlin 1911. Weidmann. Das Charakterbild des Thessaliers Menou , das Xen. in der Anabasis II 6 entwirft, ist ungerecht und nur schwer in Über- einstimmung zu bringen mit dem , was Xen. sonst über das Ver- halten Menons während des Feldzugs berichtet. Er hat sich duixh persönliche Antipathie, vor allem durch Klearch, beeinflussen lassen. Weit günstiger und der Wahrheit mehr entsprechend lautet das Urteil Piatos in dem nach Menon genannten Dialog (bald nach 390 verfaßt). Diesem tritt Xenophon hier in der etwa 20 Jahre später verfaßten Anabasis entgegen mit der Absicht, dessen Beurteilung zu berichtigen.

Zosel, De excerptis historicis Constantini Porphyrogenneti iussu confectis quaestiones Herodoteae Thucydideae Xenophonteae. Diss. Greifswald 1913.

Die Excerpte sind in einem codex Peirescianus aus dem 11. Jahrh. erhalten; für Xenophon kommen nur Cyropaedie und Anabasis in Betracht. Für die Cyrop. ist der Peiresc. der sog. z-Gruppe der Handschriften zuzuzählen ; von abweichenden Lesarten verdienen nur wenige Beachtung. In der Anabasis stimmt er 48 mal mit den besseren Hdschrft., 31 mal mit den deteriores überein, ist also dem bekannten Papyrusfragment (anab. VI 6, 9 sq.) zu ver- gleichen. Die abweichenden Lesarten sind meist zu verwerfen, nur wenige sind beachtenswert , so I 9, 4 y.al a'/.ovovGi oxov f're/.a, in demselben Kapitel § 13 liest der codex ozegofitvoig, was durch Konjektur schon hergestellt ist, während unsere Handschriften fälsch- lich öTEQOVfAtvovg lesen, ebenda § 20 richtig tvyxdvoi, gegen unsere Hdschrft., II 6, 21 iVa TiXeito y,eQÖaii'Oi, II 6, 24 ooovg fjiv alad^dvoiro (ohne av).

10 Ernst Richter.

Leonhard, Kleagoras von Phlius. Ein Maler des 5. Jahr- hunderts. — Mitteilungen des Kaiserl. deutschen archäolog. In- stituts. Athen 1914 S. 143.

Anab. VII 8, 1 heißt es ÖLtnkevaav elg ^(xf.nlia-/.ov, -Kai anawä T(^ BevocpöJvzL EvTiXeldr^q [nävTig 0Xsidoiog o KXeayoQov vog tov xa ivTOixicc ev ^vyceUp ysyQaqiorog, wo allerdings tvToixia auf Kon- jektur beruht. Der Maler Kleagoras ist sonst ganz unbekannt. L. sucht über seine Persönlichkeit, seine Lebenszeit, Kunstrichtung und sein hier genanntes Werk allerlei festzustellen. Vermutlich befand es sich im Apollonheiligtum und hatte Szenen aus dem Apollon- mythus zum Gegenstand.

Lauteschläger, Moltkes Briefe aus der Türkei als Er- läuterung zu Xenophons Anabasis. Neue Jahrb. f. Phil. u. Päd. 1914. Bd. 34 S. 8 f.

Moltkes klassische Briefe aus der Türkei sind schon mehrfach für die Erklärung der Anabasis herangezogen worden (auch von mir in der von mir besorgten neuen Auflage der Anabasis-Ausgabe von Kehdantz). L. stellt in der vorliegenden Abhandlung in syste- matischer Weise die Berührungspunkte beider Schriften zusammen, macht auf die Ähnlichkeit der Lage aufmerksam, in der sich Xeno- phon und Moltke auf ihrer Expedition durch Kleinasien befinden, sowie auf das Interesse, das beide auch an nicht militärischen Dingen in ihren Berichten bekunden. Gewiß kann die Lektüre von Moltkes Briefen jedem Leser Xenophons nur dringend empfohlen werden.

Slijper, De Xenophontis loco a Tacito expresso. Berl. phil. Woch. 1915 S. 864, zeigt, daß Tacitus annal. 13, 35 bei seiner Beschreibung Armeniens Xenophons anabasis IV cap. 5 vor Augen und in Händen gehabt hat.

V. Lundström, Scholierna tili Xenophons Anabasis i cod. Vatic. 1385. Eranos (Göteborg), Band 13, 1913 S. 165.

Ein Abdruck der in der genannten Hdschr. erhaltenen , nach Umfang (8 Druckseiten) und Inhalt recht dürftigen Schollen zur Anabasis, hauptsächlich zum 1. Buch (6 Seiten). L. fügt eine kurze Einleitung und erläuternde Bemerkungen hinzu.

Textkritisches bieten folgende Arbeiten :

H. Kohl, Gymn.-Progr. Ilalberstadt 1903 S. 18, VI 3, 14 (16) schreibt tXayJovrj juiv odog, alXa ör^ ixel ovz€ 7tXdia usw. (mit Umstellung des /u^V).

Bericht über die Literatur zn Xenophon aus den Jahren 1909 1918. 1 1

Paetzold, Progr. des Luisen-Gymn. Berlin 1905 (S. 27) schreibt IV 7, 16 wg e Ttfjx^cüv statt ojg U mqxewv.

Schmidt, Berl. phil. Woch. 1911 S. 1486, schreibt anab. I 6, 2 xat /.coXvoeie zov yiaieiv ycal f.niovtag Tion^OELfv^ woze «j^Vrore övvaad-ai etc. , dem widerspricht an dem- selben Orte S. 1611 ein Rezensent C. Vgl. ferner ebenda Jahr- gang 1912 S. 90.

J. J. Hartmann, Mnemosyne 40. 1912 S. 144,'

zu anab. IV 5, 27 schlägt vor avi.if.tvovTL zu lesen statt av(.i(.iaiy6vTi (dulcis erat potio, sed oculos claudere necesse erat, nam minime alliciebat ad bibeudum).

L. Castiglioni, Studi Senofontei, Rom 1912, bringt Konjekturen zur Anabasis. Nach Mau (Wo. kl. Phil. 1912 S. 1334) sind sie nicht überzeugend. Aufgezählt sind sie von Gemoll, Berl. Phil. Woch. 1913 S. 321, der die kleine Schrift empfiehlt.

Hesselmeyer, Muretus redivivus, Korrespondenzblatt für die Höheren Schulen Württembergs 1913 S. 227, bringt eine fast ganz unbeachtet gebliebene Vermutung Murets aus dem Jahr 1559 zu Anab. IV 4, 13 wieder zu Ehren. Statt des wenig wahrscheinlichen Gieiov schlug M. vor aovaivov, das adiectivum zu Govoov die Lilie, so daß an dieser Stelle nur von vegetabilischen Ölen die Rede ist; H. empfiehlt diese Konjektur.

Krohn, Berl. phil. Woch. 1913 S. 1308 zu I 2, 12, schlägt vor, (pv?M/.ijv '/Mi cfXca/.ag zu lesen.

F. Härder. Zu Xenophons Anabasis IV 3, 17. Wochen- schrift für klassische Philologie. Berlin 1916 S. 429/30.

•Kai aivog ngcozog Xetgiaocpog azecpavioadjiievog y.al aTiodig sXd/jßave za onXa etc. Für das wenig verständliche anoövg schlägt H. unter Berufung auf Xenophon resp. Lac. 13, 8 und Plutarch Lyc. 22 ansprechend vor. aiya d7ioi}ioag zu lesen.

K. Löschhorn, Kleiue kritische Bemerkungen zu Xeno- phons Anabasis. Berliner philol. Wochenschrift 1918 S. 694.

Zum 4. Buch, Kap. 2, 3 ; 3, 17-, 6, 8 ; 8, 27 {kaiQtov statt haiQtov) und zu VI 1, 13; 2, 17; 4, 9.

22 pjrnst Richter.

Kvrupaedie.

Paetzolt, Adnotationes criticae etc. Berlin, Progr. des Luisengymiiasiums 1905 S. 19. tilgt II 1, 13 ndvTiOQ hinter d^tjyeLV.

Xenophontis Opera omnia rec. brevique adn. crit. inscr. E. C, Marchant. Tom. IV. Institutio Cyri. Oxford 1910, Das handschriftliche Material ist in weitestem Umfang heran- gezogen ; mehrere Hdschr. hat M. selbst neu verglichen. Doch ist der Apparat an manchen Stelleu unvollständig, auch fehlerhaft. Die Emendationen M.s sind durchweg beachtenswert. (Gemoll in der Woch, f. klass, Philol. 1910 S, 969 f. Die Abweichungen von Hugs Text sind nicht sehr zahlreich, Thalheim, Berl, phil, Woch, 1911, p. 225 f.)

Xenophontis institutio Cyri, rec, G. Gemoll, ed. maior. Leipzig, Teubner 1912, enthält eine ganz kurze Voi-rede (4 Seiten) über die Handschriften, eine lateinische Inhaltsangabe , Text mit kritischem Apparat und iudex nominum. Dasselbe, ed. minor. Lpzg., Teubner, 1912. Ent- hält lat. Inhaltsangabe, Text ohne Anmerkungen und index nonimum.

- W, Gemoll, Zur Kritik und Erklärung von Xenophons Kyrupaedie. Gymn,-Progr. Liegnitz 1912,

Die Kyrupaedie ist in zahlreichen Handschriften erhalten, die in 3 Gruppen zusammengefaßt werden, eine x-Gruppe, eine y- und eine z-Gruppe. Keine hat den unbedingten Vorrang vor den andern; zur Feststellung des Textes sind die drei Gruppen gleich- mäßig zu verwenden; man muß stets fragen „unde plurimum opis redundet". Es ist also eine eklektische, subjektive Methode hier anzuwenden, Eine Anzahl von Hdschrft. hat übrigens G. selbst neu verglichen. Da der Text sehr verderbt ist, sind Konjekturen resp. Korrekturen nicht zu umgehen. Eine Anzahl solcher Ver- mutungen zu allen 8 Büchern bringt der zweite Teil des angeführten Programms. In der Orthographie folgt er seiner von der Anabasis her bekannten Methode (avizio 8, 6 17: ai^QüOL 5, 3, 36; aTTOzel- aaaif^ai 5, 4, 35; oIatlqo) 5, 4, 32; ad^Qoitco 3, 1, 19). Vgl. Woch. f, kl. Phil, 1913 S. 1 (Vollbrecht).

Zosel, De excerptis historicis etc. 1913, s. oben,

E. Friede rici. Das persische Idealheer der Cyropaedie. Berlin 1909. Dissert.

Bericht über die Literatur zu Xenophou aus den Jahren 1909—1918. 13

In der Einleitung verglciclit F. Xenophou mit Macchiavelli, der ebenfalls, wie Xenophon, im Herzen ein überzeugter Republikaner ist und doch für die Monarchie eintritt. Auch die allgemeine politische Lage, die Zustände und Verhältnisse, unter denen beide schrieben, sind ähnlich. Jedoch unterscheidet sich Xen. von Macch. dadurch, daß Kyros seine Herrschaft im Gegensatz zu dem Principe durch Wohltaten, Leutseligkeit, gutes Beispiel erwirbt und befestigt, daß sein Streben darauf ausgeht, Ei^eXövnov ag^Biv usw. Wie das im einzelnen durchgeführt wird resp. durchzuführen ist, das zu zeigen ist die Aufgabe der Kyrupaedie. Sie ist also ein „Fürstenspiegel''. Doch tritt im Kyros der Staatsmann sehr gegen den obersten Kriegs- herrn zurück, gewiß weil Xenophon auf diesem Gebiet mehr Er- fahrung hatte, und die Kyrup. liest sich daher mehr wie ein Lehr- buch der Feldherrnkunst. Was wir nun erfahren „über die physischen und moralischen Qualitäten des Feldherrn und der Soldaten, über die Organisation und Zusammensetzung der Armee , über die Operationen des Heeres im Kriege und im Frieden", das zusammen- zustellen ist die Aufgabe, die Fr. sich gestellt hat und in geschickter und wohlgelungener Weise durchführt.

Prinz, De Xenophontis Cyri institutione. Inaug.-Diss. Göttingen 1911.

Die Kyrupaedie enthält nicht wirkliche Geschichte, sondern zeigt das Idealbild eines Staates, wie es sich Xen. selbst ausgemalt hat. Grundlegend sind darin für die Erziehung des Volkes spar- tanische Einrichtungen und vielfach damit übereinstimmende Lehren des Sokrates. Wie die meisten seiner Zeitgenossen, so war Xeno- phon von glühendem Haß gegen die damaligen Perser erfüllt und sehnte auf das lebhafteste einen Nationalkrieg gegen die Barbaren herbei. Der rechte Führer wäre Agesilaos gewesen. Wie dieser es hätte anfangen können , das persische Reich zu besiegen , zeigt die Art und Weise, wie es Kyros erreicht hat, aller seiner Feinde Herr zu werden. In einem weiteren Abschnitt über Panthea und Abradates geht P. näher ein auf die Art, wie Xenophon in seinen Schriften über die Frauen urteilt. Das Schlußkapitel ist ohne Zweifel echt. Vgl. Deutsche Lit. Ztg. 1912 S. 1368.

Helleiiika und Agesilaos.

H. Röhl, Zu griechischen Texten. Halberstadt, Gymn.- Progr. 1903, vermißt Hell. VII 1, 13 an irgendeiner Stelle des Satzes ort Ttiixipeie Toig OTtXhag y.ai Tovg Inniag das Wort ^i^rjvalovg.

1^ Ernst Richter.

V. M e s s , Die Hellenica von Oxyi-hynchos und die Berichte Xenophons und Diodors. Klieinisch. Mus. 1909 S. 235 f.

Die Vergleichunj^ des Pap. mit der parallelen Stelle bei Xeno- phon (Hell. III 4, 20 sq.) zeigt, daß beide Berichte vielfach stark voneinander abweichen; es scheint aber, daß sie sich gegenseitig ergänzen , nicht ausschließen. Xenophon schreibt durchaus vom spartanischen Standpunkt •, seine Darstellung ist ungleichmäßig, lückenhaft; wo es sich um Agesilaos handelt, ist sie wiederholt durch panegyrische Tendenzen leicht verschoben. „Wir waren für das Altertum bisher nicht gewohnt an die Vergleichung zweier Parallel- berichte von so selbständiger Provenienz und so individuellem Charakter."

Seyffert, W. , De Xenophontis Agesilao. Diss. Göttingen 1909.

Xenophon, dem der Agesilaos mit Unrecht abgesprochen wird, zeigt sich hier als einen gelehrigen Schüler und Nachahmer des Gorgias, den er gewiß auch persönlich gekannt hat. Wie eine Vergleichung mit den noch vorhandenen Proben gorgianischer Be- redsamkeit zeigt, namentlich mit der Rede Agathons in Piatos Symposion, geht die ganze Anlage des Agesil. , die Gedanken- anorduung, vor allem die Sprache, die Anwendung der rhetorischen Figuren, der Gebrauch seltener und poetischer Wörter, auf Gorgias zurück; darauf beruht auch zum Teil die Abweichung in der Sprache von den Hellenica. Dagegen hat er mit dem Euagoras des Isokrates nichts gemein. (Diese Gedanken sind übrigens schon von Dümmler im Philolog. 1895 p. 571 ff. verfochten.) Im übrigen hat Xen. aus den entsprechenden Partien der Hellen, alles weggelassen , was zu dem besonderen Zweck einer laudatio nicht zu passen schien. Einige Abweichungen erklären sich nach S. freilich auch auf eine andere Weise. Es steht fest und wird durch das ebenerwähnte Papyrus- fragment, das S. mit Busolt auf Theopomp zurückführt, bestätigt, daß Theopomp in seinen Hellenica wiederholt offen und versteckt gegen Xenophons Hellenica polemisiert. Gegen solche Angriffe ver- teidigt sich nun Xenophon im Agesilaos, indem er die entsprechenden Partien hier anders als in den Hellen, und mit Berücksichtigung des Theopomp darstellt. Dadurch ist zugleich ein terminus post quem für die Abfassungszeit des Ages. gegeben, der daher nach 356 geschrieben ist.

Ganz ähnlich ist der Inhalt der folgenden Abhandlung, nur daß ihr Verfasser jenes Fragment dem Kratippus zuweist.

Bericht über die Literatur zu Xenophon aus den Jahren 1909 1918. 15

Alfonsus Opitz, Quaestiones Xeuophonteae. De Helleni- corum atque Agesilai necessitudine. Diss. Breslau 1913.

Der Ages. ist eine echte, mit Anwendung aller Kunstmittel der Rhetorik ausgearbeitete Schrift Xeuophons, verfaßt bald nach dem Tode des Königs, als aber schon einzelne Lobschriften auf ihn er- schienen waren, die Xenophon nicht genügten, der ihnen nun seiner- seits ein würdigeres und gerechteres Enkomion des toten Freundes gegenüberstellen wollte. Als er diesen Entschluß faßte , hatte er die ersten fünf Bücher seiner Hellenica gerade vollendet, jedoch noch nicht veröffentlicht. So hielt er sich denn für berechtigt, sein eigenes Manuskript für das Enkomion zu benutzen, und er hat dies, wie bekannt, in ausgiebigstem Maße getan, so zwar, daß er alles, was für seinen augenblicklichen Zweck nicht paßte, ausließ, manches änderte , teilweise auch berichtigte. Zu einer solchen Berichtigung diente ihm unter anderm die damals gerade erschienene Schrift des Kratippos. Eine bis ins einzelnste gehende Vergleichung der parallelen Stellen der Hellenica und des Agesilaos I 1 II 23 zeigt den rhetorischen Charakter der laudatio und läßt tiefe Einblicke tun in die schriftstellerische Kunst Xenophons. Nach Beendigung des Agesilaos wendete sich Xen. wieder den Hellenica zu und führte sie nun weiter bis zur Schlacht bei Mantinea. Zu einem eigent- lichen Abschluß der Hellenica und zu ihrer Herausgabe ist er nicht mehr gekommen, er hätte jedenfalls dem Werke eine andere Gestalt gegeben als die, in der es uns jetzt vorliegt.

Rackham, Xenophon Hellenica II 1, 1. The conspiracy of the /.aXa/itYfnQOi. Class. Rev. 26. 1912 S. 186, Dazu ein Nachtrag ebendort Bd. 27. 1913 S. 215.

Der unglückliche Augenkranke, der beim Heraustreten aus dem Hause des Arztes von den Bewaffneten des Eteonikos getötet ward, gehörte sicher nicht zu den Verschworenen; der '/,aXa (.wg , den er trug, war ein Spazierstock, den er benutzte, um damit auf der Strade tastend seinen Weg zu finden (also jedenfalls kein Strohhalm).

Vn 4, 28 f. Über diese Stelle (Kampf in der Altis) handeln: Weniger, Neue Jahrb. f. d. klass. Alt. 1913 I 241, Trendelenburg, Pausanias in Olympia, Berlin 1914 S. 37, Blüraner in einer Rezension diel^r Schrift, in d. Berl. phil. Woch. 1915 S. 166 f.

Blümner faßt i^iaiQOv (§31) als eine vom Prytaneion bis zum Buleuterion reichende (im Westen gelegene) Anlage für die Zu-

16 Ernst Richter.

schauer auf, die von dort aus den Prozessionen zuschauen, Weniger versteht darunter die Säulenhalle im Osten der Altis, Trendelenburg die große Freitreppe vor der Schatzhäuser-Terrasse.

Hellen. II 3, 10 schlägt Bechtel vor, ' yiyytklöag zu lesen statt i^yyevidag (Hermes 1914 p. 479).

Pfister, Berl. phil. Woch. 1915 S. 755 f., vergleicht den Agesilaos mit dem Agricola des Tacitus. Der Age- silaos ist, wie Leo nachgewiesen, das älteste Stück dieses yiVog.

Apomnemoneumata.

Dickermann Sh. 0., De argumentis quibusdam apud Xeno- phontem, Platonem, Aristotelem obviis e structura hominis et animalium petitis. Diss. Halle 1909.

Mem. I 4 belehrt Sokrates den ungläubigen Aristodemos be- sonders durch Hinweis auf den überaus kunstvollen und zweck- mäßigen Bau des menschlichen Körpers von der Existenz der Götter. 'In ähnlicher Weise überzeugt er IV 3 den Euthydemos davon, daß die Götter sich auch um den einzelneu Menschen kümmern. Diese beiden oflPenbar zusammengehörigen Kapitel vgl. meine Xenophon- Studien S. 67. gehen nach D. zurück auf eine Schrift des 5. Jahrhds., die schon Euripides (Suppl. 195 sq. aufgeführt 420 ) benutzt hat, und von der sich Spuren auch bei Aristoteles (de part. anim.) und Piaton finden. Der unbekannte Verfasser steht sophistischen Kreisen nahe, verdankt aber im letzten Grunde seine Weisheit dem Anaxagoras (nach einer Vermutung von Diels).

K. Lincke, Zu Xen. Mem I 1, 17—19. Philol. 69. 1910 S. 155,

L. hält diesen ganzen Abschnitt mit A. Krohn und W. Gilbert für unecht. Eingeschoben ist er, wie aus den Schluß- worten hervorgeht xat orjfxaiveiv {zovg Oeoig) tolg avd-Qwnoig jteqI tojv avdQfoniiojv rimxi'jv ebenso wie der Satz I 1, 7 xat Tocg (.üX'kovTag oYY.ovg is /.ai noXeig -^.aXojg oly^r^aEiv /uavTixijg i'qtr] TtQoadelod^ai , von einem Bearbeiter der nachgelassenen Werke Xenophons , dem es darauf ankam , Sokrates und Xenophon selbst mantikgläubiger erscheinen zu lassen , als sie waren. Denn die Stellung, die beide der Mantik gegenüber in Wirklichkeit einnahmen, ist I 1, 6 9 deutlich gekennzeichnet.

H. Weissenborn, De Xenophontis in commentariis scribendie fide historica. Inaug.-Diss. Jena 1910.

Bericht über die Literatur zu Xcnophou aus den Jahren 1909 1918. 17

Schon in jungen Jahren (adraodum adolescentulus) hat sich Xennphon an Sokrates angeschlossen und ist dann alle die Jahre hindurch sein treuer Scliüler und Freund geblieben. Das geht auch aus der Tatsache hervor, daß er vor seiner Abreise zu Kyros bei niemand anders als bei Sokrates sich Rats erholte (Anabas. III 1). VjV war daher wohl in der Lage, Authentisches über Lehre und Leben des Sokrates zu berichten, und nicht gezwungen, bei anderen Anleihen zu machen. Insbesondere ist die Benutzung kynischer (antisthenischer) Schriften, wie sie namentlich Joel behauptet, nicht anzunehmen ; befindet sich doch der xenophontische Sokrates oft im Widerspruch mit Antisthenes. Der ausgesprochene Zweck der Memorabilien ist die Verteidigung des Sokrates, sie sollen die An- sichten des Meisters mit historischer Treue wiedergeben: daher schiebt ihm Xenophon auch nicht seine eigenen Meinungen unter, wie etwa Piaton. Auch in den Kapiteln I 4 und IV 3 erkennen wir den echten Sokrates.

L. Robin, Les „Memorables" de Xenophon et notre cou- naissance de la philosophie de Socrate. S.-A. aus l'Annee philo- sophique. Paris 1910.

Ich habe die Arbeit nicht gelesen. Vgl. Paeder, Berl. phil. Woch. 1912 S. 677. Neues bietet sie danach nicht viel; die Be- deutung Xen.s für Sokrates wird recht gering angeschlagen.

Oldfather, Xenoph. memor. IV 2, 10. Classical Philology Chicago 1911 S. 87,

macht darauf aufmerksam, daß das Wort '/vvji^oviy.og einen Doppel- sinn enthält '/ri6f.trj und yv(.L(.iO)v hier also ironisch-scherzhaft sowohl als a wise man wie a man of rule and st^uare angewendet sein dürfte.

J. M e s k , Die Anklagerede des Polykrates gegen Sokrates. Wiener Studien 1911 S. 56 ff.

M. sucht den Inhalt und Gedankengang der bekannten An- klagerede des Polykrates gegen Sokrates zu rekonstruieren unter Zugrundelegung der Gegenschrift des Libanius. Da diese letztere eine ausführliche Widerlegung ist, so darf man in ihr eine ein- gehende Berücksichtigung aller gegnerischen „Anwürfe" erwarten: Xenophon in den memor. geht nicht auf alle von jenem vor- gebrachten Anschuldigungen ein.

.lahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 178 (1919. I). 2

18 Erust Kichtcr.

"William W. Baker, Some of tho less known mss. of Xenophon's Memorabilia. Exti'acted from transactions of the American Philological Association. Vol. 43. 1912.

Bericht über „eine Prüfung einer Anzahl weniger bekannter Handschriften von Xen.s Memorabilien". Besprochen werden 1. codex Venetus Marcianus 511 . vielleicht der beste Vertreter der sos:. deteriores-Grnppe. B. gibt eine Collation des ersten Buches der mem. nach Marchant. 2. Venetus Marcianus 368. 3. Laurentianus plut. 55, 22 („ganz wertlos"). 4. Laurentianus 55, 21 mit einer vollständigen varia lectio aller 4 Bücher. 5. Vaticanus graecus 1619. 6. Laurentianus plut. 80, 13. 7. Vatic. graec. 1336. 8. Vatic. graec. 1950. 9. Palatinus graec. 93.

P. Klimek. Kritische Studien zu Xenophons Memorabilien. Teil II. Progr. des Matthias-Gymnasiums in Breslau 1912.

Eine Fortsetzung der im Programm derselben Anstalt von 1907 veröffentlichten Studien des Verfassers zu Xen.s Memorab. Be- handelt werden Mem. II 4. 6: III 1. 2. 3. Die Kapitel sind teils unecht (II 4, III 1. 3), teils stark interpoliert.

P. Klimek, Über das Gespräch des Sokrates mit dem jüngeren Perikles (Xenophon Mem. III 5). In: Beiträge zur Sprach- und Völkerkunde. Festschrift für Alfred Hillebrandt. 1913. Halle.

K. hält in Übereinstimmung mit meinen eigenen Ausführungen (Fleckeis. Jahrb. 1892, 19. Suppl.-Band) das Gespräch für fingiert, aus der Zeit zwischen 371 bis 362 ; verlegt es aber bestimmter in das Jahr 369 , wo die politische Lage in Griechenland genan so war, wie sie hier vorausgesetzt wird. Im weiteren bestreitet er Joels Annahme von engereu Beziehungen einzelner Stellen 5. 6. 21) des Gesprächs zu Antisthenes sowie 2. 10 12) zu Piatons Menexenos. Ebensowenig darf man mit Joe! die Begeisterung Xenophons für Sparta auf Antisthenes zurückführen.

H. M a i e r . Sokrates. Sein Werk und seine geschichtliche Stellung. Tübingen. Mohr. 1913.

Von diesem umfang- und iuhaltreichen Werke kommen hier im wesentlichen die ersten 3 Kapitel in Betracht , die sich mit Xenophon, besonders mit den Memorabilien, beschäftigen. Wie viele vornehme und angesehene Männer jener Zeit, so hat auch Xenophon, geboren jedenfalls erst nach* 430 , Beziehungen mit Sokrates an- geknüpft, aber nur wenige .Jahre ist er sein Schüler gewesen, und

Bericht über die Literatur zu Xcnophon aus deu Jahren 1909 1918. 19

ein richtiges Verständnis hat er dem Meister nicht entgegengebracht. Zu dem engeren Kreise der Sokratesjünger hat er siclier nicht ge- hört, wie schon aus seiner eigenen Erzählung in der anabasis III ]. 4 ff. hervorgeht. In seinen skillunter Jahren liat er die Memorabilien in Augriff genommen. Diese sind aber nicht in einem Zuge gesclirieben , auch, wie M. vermutet, nicht vom Autor selbst veröffentlicht worden. Sie zerfallen in 2 Teile, die sog. Schutz- schrift I 1 und 2, die für sich gesondert wohl uoch in der ersten Hälfte der achtziger Jahre herausgegeben ist, und die eigent- lichen Memorabilien von I 3 an. Die hier vereinigten Gespräche siud sämtlich freie Evfindungeu des Verfassers, ebenso wie das Symposion und der Oikonomikos, zu verschiedenen Zeiten , z. T. recht spät, entstanden. Als Quellen dazu hat er teils seine eigenen Werke benutzt (Hipparchicus, Kyruj)aedie, Vectigalia), teils andere. gleichzeitige Schriftsteller, vor allem Plato und Antisthenes, daneben Aeschines und vielleicht auch Aristipp zu IJate gezogen. So ist Mem .IV 4, 5 sq., dem Gorgias Piatons 490 E 491 B entlehnt, das Euthydemosgespräch IV 2 schließt sich eng an den kleinen Hippias Piatons an. III 9, 14 berührt sich eng mit Euthyd. 278 E ff., ebenso Mem. IV 2, 31—35, IV 5, 21 und 6, 1 mit Piaton Politikos 285 D 287 A u. a. m. Auf Antisthenes gehen zurück Mem. II 1, IV 5 (über die Enkratie), I 3, 5 sq. u. a. Oft hat er dem Sokrates seine eigenen Ansichten in den Mund gelegt. Und doch hat Xeno- phou. die Absicht, den historischen Sokrates zu geben. Denn er sah in ihm „einen Mann, der in allen Dingen dieses Lebens Bescheid wußte und über alle Fragen , die ihm in den Weg traten , sach- kundig reden konnte. Darum glaubte er und konnte er glauben dem sokratischen Bilde keineswegs fremde Züge einzuftigen , wenn er dem Meister die eigenen militärischen, ökonomischeu, staats- wirtschaftlichen Erfahrungen und Kenntnisse beilegte." Und er hatte das Bewußtsein , dem Umgang mit Sokrates das Fundament seiner Lebens- und Weltanschauung zu verdanken. Als er anfing, zu Schriftstellern, war heftiger Kampf unter den Sokratesjüngern. namentlich zwischen Piaton und Antisthenes , um die Führerschaft in der Gemeinde. Xenophon war weder mit dem Sokrates Piatons, noch mit dem des Antisthenes oder Aristippos zufrieden, er hielt sich auf Grund seiner vermeintlichen Kenntnis des Meisters für be- rechtigt und befähigt, ein Bild des wirklichen Sokrates zu geben, um in diesem Kampf der Parteien die Entscheidung und den Frieden herbeizuführen. Wenn nun auch die Memorabilien wie auch

Apologie, Oikonomikos und Symposion, zweifellos echt sokratische

o *

20 Ernst Richter.

Elemente enthalten , Avir sehen in ihnen doch auch nur den xeno- ])liontischen Sokrates, ilu'e historische Verwertbarkeit ist sehr gering. Größere Bedeutung hat nach M. den xcnophontischeu Berichten Aristoteles beigemessen; denn seine Sokratesdarstellung beruht im wesentlichen auf der Xenophons, den er für einen „vielleicht nicht eben philosophisch angelegten , jedenfalls aber unparteiischen Ge- währsmann" hielt.

M.s Ansichten über die Memor. berühren sich in vielen und wesentlichen Stücken mit meinen eigenen Ausführungen : doch will ich darauf hier nicht näher eingehen. (Vgl. Lortzing, Berl. phil. Woch. 1915 S. 835 ff.; Jäger, Deutsche Lit.-Ztg. 1915, 7 und 8.)

W. V. Gossler. Die analytische und synoptische Begriffs- bildung bei Sokrates , Piaton und Aristoteles. Diss. Heidelberg 1913, schätzt ebenfalls die Qualifikation Xenophons als Berichterstatters für Sokr. Lehre und Leben sehr gering ein. In Betracht kommen von ihm überhaupt mir die Memorabilien.

H 0 r n s t e i n , Komposition und Herausgabe der xenophon- tischen Memorabilien. Wiener Studien 36. 1914 und 37. 1915. H. unterscheidet drei Hauptteile der Memor. Der erste, Kap. 1 und 2 umfassend, stellt eine abgeschlossene, in sich wohlgeordnete Schrift dar, zu dem bestimmten Zweck der Öffentlichkeit übergeben, Sokrates gegen die Schmähschrift des Polykx-ates zu verteidigen, also etwa um 390. Nicht minder selbständig, wohlgeordnet, mit guter Einleitung und gutem Schiuli versehen und gesondert heraus- gegeben, wahrscheinlich nicht lange nach dieser Apologie, ist der zweite Hauptteil, das 4. Buch (Tiegl 7caiöeiag). Das Mittelstück, I 8 bis III 14 , läßt sich leicht in 4 Unterabteilungen zerlegen. Erstens I 3 II 1 „eine ziemlich zusammenhanglose Kapitelreihe, zweitens II 2 10 Erörterungen über Liebe und Freundschaft, drittens III 1 7 Erörterungen über die Pflichten des Feldherrn und Staatsmannes, viertens III 8 14, Kapitel, die eines einigenden Bandes fast gänzlich entbehren." Dieser ganze Abschnitt trägt nun freilich zahlreiche und deutliche Spuren unfertiger Form, mangelnder Vollendung, unpassender Verbindung an sich, wie es nur erklärlich ist in dem Konzept eines Schriftstellers, dem es an Zeit oder Lust gefehlt hat, an sein Werk die letzte Feile anzulegen, um es zur Veröffentlichung fertig zu stellen. So hat auch Xenophon keines von diesen Gesprächen selbst veröffentlicht; in unfertigem Zustand hat ein Unbekannter, vielleicht sein Enkel, das Manuskript in seinem

Bericht übei' die LitiTatiir /u Xeuoplion aus den Jahren 1909 1918. 21

Nachlaß vorgefunden und unverändert in diesem Zustand mit den beiden schon herausgegebenen Teilen vereinigt und so das Ganze etwa nm 350 der Öffentlichkeit übergeben. Etwa 100 Jahre später ist dann das ganze umfangreiche Werk in sehr oberflächlicher Weise in 4 Bücher eingeteilt.

Durch genauere Darlegung von Inhalt und Gedankengang der einzelnen Kapitel, wobei er sich vielfach mit seinen Vorgängern, auch mit meinen eigenen Ausführungen in Fleckeisens Jahrb., 19. Suj)pl.-Band 1892, auseinandersetzt, sucht H. seine Ansicht zu begründen. Mit Ausnahme einzelner Worte oder kurzer Sätze sind die Mem. echt xenophontisch, die Gespräche sind nicht fingiert, er bezeugt es ja vielfach selbst, daß er sie mit .angehört hat, und ge- rade die laxere Form des Gedankenganges ist der Wiedergabe wirk- licher Gespräche angemessen.

Am Schluß seiner Untersuchungen fügt H. noch eine kurze Bemerkung über den Oikonomikos hinzu. Dieser ist als selbständige Schrift herausgegeben, und zwar, wie der sonst nicht verständliche Eingang {rj/.ovGa di ttote aviol ohne Nennung des Namens) beweist, nur nach dem Erscheinen einer ähnlichen xenophontischen Schrift; das kann aber nur jenes vierte Buch der Memorabilien {tieqi Ttaidetag) gewesen sein; und an den Oikonomikos knüpft dann in ähnlicher Weise das Symposion an.

Apologia, Symposion und Oikonomikos.

0. Fr ick, Xenophontis quae fertur Apologia Socratis num genuina sit. Diss. Halle 1909.

Der erste Teil dieser Dissertation ist in einem Auszuge schon im Jahre 1903 erschienen und in meinem letzten Bericht be- sprochen. Fr. zeigt hier, daß die Apologie ein echtes Werk Xeu.s ist. Im zweiten Teil, der jetzt mit dem ersten verbunden vorliegt, ffibt er in ireschichtlicher Reihenfolge die Ansichten sämtlicher Forscher über die Apologie Avieder, die sich von Heumann und Valckenaer an bis auf Joel und den Berichtei-statter über diese Schrift geäußert haben, z. T, mit ihren eigenen Worten.

Fr. Ullrich, Entstehung und Entwicklung der Literatur- gattung des Symposion. I. Teil. Das literarische Gastmahl bis Xenophon. Gymn.-Progr. Würzburg 1908, handelt auf S. 39 ff. über Xenophons Symposion, allerdings wenig eingehend und in etwas rückständiger Weise. Es ist durch das platonische veranlaßt. „Da nach seiner Ansicht bei Piaton das

22 Erust Eichter.

Bild des Lelirers getrübt und entstellt wt)rdeii ist. so will er es auf die Wirklichkeit zurückführen. Zu dem Zweck stellt er dem vor- liegenden Symposion ein anderes gegenüber." Er erzählt, was er persönlich erlebt hat , benutzt aber auch Piatos Symposion selbst, dessen Phädros sowie seine eigenen Memorabilien.

L. Castiglione, Studi Senofontei II. Due codici Am- brosiani e la tradizioue manoscritta del Simposio. Koma 1912.

Eine Vergleichung zweier Hdsclir. des 15. Jahrhs. Daraufstellt C. drei Handschriftengruppen für das Symp. auf. (Gemoll, AVo. kl. Phil. 1914 S. 203 und Berl. phil. Woch. 1914 S. 932.)

Y. Kiaulehn, De scaenico dialogorum apparatu capita tria. Diss. Halle 1913.

Berücksichtigt werden sämtliche Dialoge beider Sprachen bis zum Ausgang des Altertums. Von Xenophon kommt vor allem das Symposion in Betracht. Xen. wollte damit das platonische be- richtigeu. Er zeigt mehr Wirklichkeitssinn als Plato •, aus seinem Symp. kann man ein Bild gewinnen davon , wie die Griechen zur Zeit des Sokrates tatsächlich ihre Gastmähler gefeiert haben. A'iel einfacher ist der szenische Apparat im Oekonom. , noch mehr im Hieron , wo nicht einmal der Ort genannt wird , wo das Gespräch stattfindet, oder wenigstens nur indirekt angedeutet durch die An- gabe, daß sich Simonides zum Hiero begibt.

Röhl, Gymn.-Progr. Halberstadt 1903 S. 21, schreibt Oikon. 8, 16 diazii^tvat statt öidövai.

Laird, Xenophon Oeconom. 20, 16. Classical Review 26. 1912 S. 213.

Eine Erklärung der Stelle oadlojg yao aviiQ e'ig naqa Torg dlv.ct etc.

C. Virck. Cicero (|ua ratione Xenophontis Oeconomicum latine verterit. Inaug.-Dissert. Berlin 1914.

]>ekanntlich hat Cicero , Avie er selbst seinem Sohne mitteilt (de off. II 87), in jungen Jahren den von ihm immer hochgeschätzten Oekonomicus Xenophons übersetzt. Welche Grundsätze er dabei befolgt hat, ist aus den wenigen erhaltenen Fragmenten mit Sicher- heit nicht festzustellen, doch ist von vornherein wahrscheinlich, daß er von seiner Vorlage sich wenig entfernt hat. Virck sucht nun in der vorliegenden Dissertation durch eine sehr eingehende Be- handlung der in Betracht kommenden Stellen, namentlich bei Colu-

Bericht über die Literatur /u Xenophon aus den Jalireu 1900 1918. 23

mella, zu erweisen, daß Cicero in der Tat „so wörtlieli wie möglich" übersetzt hat iiud nur da , wo es nötig war , dem Geist der latei- nischen Sprache Konzessionen zu machen, von dem Text abgewichen ist. An eine Erweiterung des Oekonom. etwa durch eigene Zusätze ist nicht zu denken.

Dasselbe Thema hatto schon vorher, weniger ausführlich, be- handelt

Lundström, Ciceros öfs'ersättning af Xenophons Oikonomi- kos. Eranos. Bd. 12. 1912. S. 1 ff .

K. Maut n e r , Über Xenophons wirtschaftliche Anschauungen. Zeitschrift für Agrarpolitik. Berlin XII. 1914. Ö. 146 f.

Eine zwar dilettantische, aber doch ganz nützlich zu lesende Inhaltsangabe des Oikonomikus mit vergleichenden Seitenblicken auf moderne wirtschaftliche Ideen. Vfr. benutzt nicht das Original, sondern die bei Reclam erschienene Übersetzung Hodermanns.

Praechter, Eine Demokritspur bei Xenophon. Hermes 1915 8. 144 f.

Im 15. Kapitel des Oikon. 10) bittet Sokrates den Ischo- niachos „d/Jaa/.e j-iE xa tQyct xT^g yeiogylag^'. Isch. erwidert, diese tQya seien sehr leicht zu erlernen , ja sie seien im Grunde dem Öokr. selbst schon bekannt, ohne daß er es wisse. Die nun folgende Katechese des Sokr. bestätigt das (19, 14). Nach P. ist dieser ganze Abschnitt in offenbarer Anlehnung an den Platonischen Menon geschrieben. Am Schluß heißt es: „Die Landwirtschaft ist eben eine so menschenfreundliche Kunst , daß sie den Menschen selbst lehrt, wie man sie zu betreiben habe.'' Als Beweis wird das Beispiel des Weiustocks (19, 18. 19) angeführt. Pr. zeigt nun, daß dieses Bei- spiel hier offenbar an unrechter Stelle steht, denn es beweist nichts tur die Menschenfreundlichkeit der Landwirtschaft, sondern für die der Natur, und in diesem Sinne ist es (wie Pr. zu zeigen sucht) von Demokritos in seinem Werke über LandAvirtschaft angewendet. Auf diesen geht also die Stelle bei Xenophon zurück (Fragm. 154 Diels, wo allerdings vom Weinstock selbst nicht die Rede ist).

Di eis, Philodem über die Götter. Abhdlg. d. Kgl. Preuß. Akademie der Wiss. 1915 Nr. 7, pag. 57, schreibt Oikon. 21, 12: /.cd tu ueyiaiov 6ij d^eiov yevioO^ac. ov yccQ Tiävv (.101 öo/.ei tovtI to uyad-ov ard^Qomivov sivai, aXlä d^elov, (snsl Traqa ^eiuv) £&€?.6vtojv aoxeiv aaffiZg öidozai xo'ig alr^^Lvojg ov)(fiQOGvri] xETelsauivoig.

24 Ernst Richter.

Die übrigen sog. kleineren Scliriften.

^'on Ausgaben fülire ich au :

Xenophontis Scripta ininora. fasciculus prior. Oicounmicuni

Convivium Hierouem Agesilaum Apologiam .Socratis continens. posl

Lud. Dindorf ed. Th. Thal he im. Leipzig, Teubner 1910.

Enthält Text, kritischen Apparat, eine Angabe paralleler Stellen

und einen index nominum et rerum. Vorausgeschickt als praefatio

ist eine kurze Übersicht der benutzten Handschriften. Über den

Zustand des Textes dieser Schriften , das gegenseitige Verhältnis

der Handschriften zueinander hatte Th. schon vorher im Hermes

von 1907 und 1908 gehandelt (vgl. meinen letzten Jahresbericht

S. 360) , nach den dort vorgetragenen Grundsätzen ist der Text

in der Ausgabe bearbeitet. In der Orthographie folgt er den vor

allem von Gemoll vertretenen Anschauungen (dd^QOiLEiv, anOTeioEiEv

avvtv), oiy.TiQff). Vgl. Berl. phil. Woch. 1912 S. 65 (Kaeder) :

Woch. f. klass. Phil. 1911 S. 694 (Heiberg).

Xenophontis scripta minora. fasciculus posterior, opuscula politica equestria venatica continens. post L. Dindorf ed. Franc. Kuehl. accedunt Simonis de re equestri quae supersunt Leipzig. Teubner 1912.

Einrichtung und Ausstattung wie bei Thalheim. Die kurze praefatio legt Rechenschaft ab über die Handschriften , von denen E. selbst eine Anzahl kollationiert hat: es folgt der sorgfältig re- vidierte Text mit kritischem Apparat und Beifügung paralleler Stellen , zum Schluß ein index nominum. Bei der außerordentlich schlechten Überlieferung auch dieser Schriften war die Einführung zahlreicher Konjektui'en nicht zu vermeiden , doch hat sich B. der Umstellung ganzer Sätze oder Kapitel enthalten , obwohl er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (resp. Lac. 14 u. Ih). Was die Ein- führung der attischen Formen, die Orthographie u. dergl, betrifft, so hat sich R. dem jetzt meist angewendeten Verfahren nicht durch- weg angeschlossen. Er schreibt also arvaiov, dO^QOOi, al}QoiLEiv, ai€ui^€, i7t7telg in Lac. resp. tftntag im Hipp, immer, mit einer Ausnahme. Vgl. Berl. phil. Woch. 1913 S. 673 (Raederj.

I. Soukoup, De Libello Simonis Atheniensis de re equestri. (in commentationes Aenipontanae ed. E. Kaiinka). Innsbruck 1911. Das interessante Fragment des Atheners Simon, zuletzt heraus- gegeben von E. Oder im Rheinischen Museum 1896, ist in zwei von- einander unabhängigen Hdschr. erhalten, einem codex Cantabrigiensis

Bm-ielit über dio Literatur zu Xeuophon aus deu Jahreu 1909—1918. 25

und einem Londinensis. Soucoup gibt eine neue, bandliche Aus- gabe mit vollständigem kritisoben Apjiarat, einer deutseben Über- setzung und reicblicben Anmerkungen, die dadurch besonders wert- voll sind , weil sich der Herausgeber hier der Unterstützung eines sachkundigen Mannes , eines medicus equarius I. Pourlein erfreuen konnte. Aixs einer Vergleichung des Fragments mit Xenophons Schrift 7r€Qi hcTiiy.tj^ gebt hervor, daß wir es in der Tat hier mit einem Stück aus dem von Xenophou selbst benutzten Werk Simons zu tun haben. Bemerkungen über die Persönlichkeit und die Lebenszeit Simons schließen das Buch.

Xenophons Schrift negl iftrrr/.ijgj verdeutscht und mit An- merkungen verseben nebst einer Übersicht über die bisherigen Übersetzungen von E. Pol lack. Erschienen als Beilage zum Jahresbericht der Fürsten- und Landesscbule St. Afra in Meißen im Juli 1912. Zweite Auflage Meißen 1912.

Es gibt schwerlich viel Philologen , die imstande sind , Xeno- phons Schrift 7c€ol tTXTciySjg ohne' erhebliche Anstrengung zu lesen. Sie haben im allgemeinen wenig Gelegenheit , die edle Kunst zu üben oder sich mit den körperlichen und seelischen Eigenschaften des Pferdes eingehend zu beschäftigen ; die Fachausdrücke werden vielen (auch im Deutschen) ungewohnt oder ganz unbekannt sein. Und doch verdient gerade diese Schrift besondere Beachtung; ist sie doch, wie P. bemerkt, das einzige, uns vollständig erhaltene Reitbuch des Altertums, und „vor dem 16. Jahrhundert ist der gleiche Gegenstand nicht wieder schriftstellerisch behandelt worden". Um so dankenswerter ist es zu begrüßen, wenn ein so gründlicher Kenner der griechischen Spi*ache wie Pollack gleichzeitig als Fach- mann die Lektüre dieser Schrift durch eine wortgetreue, geschmack- volle Übersetzung uns erleichtert. Zu Grunde gelegt ist die kritische Ausgabe von Tommasini, Berlin, Weidmann 1902, doch ist auch die Ausgabe von Ruehl, Leipzig 1912, Teubner, zu Rate gezogen. Erklärende Anmerkungen, sowie eine Übersicht über die bisher er- schienenen Übersetzungen in 6 Sprachen, erhöhen ibi-en Wert ; das auf S. 21 beigegebene Bild eines Pferdes mit hinzugefügter Be- zeichnung der einzelnen Körperteile erleichtert das Verständnis wesentlich. Vgl. Woch. f. klass. Phil. 1912 S. 1388; Deutsche Lit. Ztg. 1916 S. 2083 (Vollbrecbt).

E. Kaiinka, Die pseudoxenophontische ^^/^ja/wy TCoAtret'a. Einleitung, Übersetzung, Erklärung. Von Ernst Kaliuka. Lpzg.

2G Ernst "Richter.

u. I^MÜn liUo. Tciibner. lu der Sammlung wisseuschaftlicher Kommentare zu griech. u. lat. Schriftstellern.

Die Einleitung enthält vier gesonderte Abhanillungen : Ent- stehungszeit . Person des Verfassers , Komposition , Literarische Stellung der Schrift. Als vorsichtiger Kritiker setzt K. die Eut- stehungszeit zwischen 430 und Sommer 424, ebenso besonnen ur- teilt er über die Person des Verfassers, dessen Name schwerlich zu ergründen sein dürfte, man müsse sich begnügen mit der Erkennt- nis, daß er athenischer Bürger und Oligarch war. Nach einer lehr- reichen Übersicht über die bisher gemachten Versuche, den gegen- wärtigen Zustand der Schrift zu erklären , geht er über zu einer eingehenden Darlegung ihres Inhalts und Gedankengangs , woraus sich nach seiner Überzeugung ergibt, daß das Werk durchaus nicht so ohne Zusammenhang und Ordnung ist, wie man gewöhnlich an- nimmt. Allerdings darf man an eine Schrift aus so früher Zeit nicht unberechtigte Ansprüche von Vollkommenheit oder Aus- arbeitung stellen.

Einen praktischen Zweck verfolgt die Schrift nicht, sie ist ein Xoyog snider/ar/.6g , ein sophistisches Kunststück vmd Wagestück eines den sophistischen Kreisen nahestehenden Oligarchen , der es unternimmt, .,den Standpunkt der Demokratie vor Edelleuten zu vertreten". Vermutlich ist es eine Stegreifrede.

Es folgt der Text mit kritischem Apparat und gegenüber- stehender deutscher Übersetzung. Der krit. Apparat ist so ziemlich identisch mit dem in seiner kleinei*en Ausgabe, Wien 1898; der Text weicht jedoch von dem in jener Ausgabe mehrfach ab. Die wichtigsten Handschriften sind A, ein Vaticanus aus dem 14. oder 15. Jahrb., C, Mutinensis saec. 15 und M, Marcianus 511. Ge- naueres darüber bietet die genannte editio minor. In der Über- setzung sucht Kai. dem ungelenken , z. T. holprigen Stil des Ori- ginals sich nahe zu halten. Den Schluß bildet der mehr als zwei- hundert Seiten füllende Kommentar, textkritischen und exegetischen Inhaltes, auf den hier füglich nicht näher eingegangen werden kann. Vgl. Nestle, Berl. phil. Woch. 1914 S. 353.

Xenophontis qui inscribitur libellus ^Ai^r^vaiojv noXiTBia. In usum scholarum academicarum ed. E. K a 1 i n k a , bibliotheca scriptorum graecorum et romauorum Teubneriana 8^ Lpzg. 1914. XXX, 26 p.

Die Ausgabe ist nicht ein bloßer Abdruck der gi-ößeren ; im Apparat sind z. B. mehr Konjekturen augeführt. Vgl. Nestle, Berl. phil. Woch. 1915 S. 1297.

Bericht über die Literatur zu Xenophnn aus den Jaliren 1909 191>^. 27

Handschriftliches behandehi :

E. Kaiinka, De codice Mutinensi 1-45 iibrorum minorum Xeuophoutis Plutarehi aliorum. lunsbrucker Festgruß von der rhiloso2)hisclieu Fakultät dargebracht der 50. Versammhing deutsclier Phihih>gen nnd Schuhnänner in Graz. Innsbruck 1909. S. 107 ff. (Auch als Separatabdruck erschienen.)

Der codex Mutinensis, aus dem 15. Jahrb., 133 folia enthaltend, mit großer Sorgfalt geschrieben, einst im Besitz des gelehrten Arztes Georgius Valla, vielleicht für ihn angefertigt, dann des Fürsten Albertus Pius III. von Carpi, später nach Mutina gekommen , ent- hält von xenophontischen Schriften die folgenden fünf: Hieron, Lacedaemoniorum resp., Atheniensium resp. , Vectigalia, Apologia Socratis. Nach einer sehr genauen Beschreibung der Äußerlichkeiten dieser Handschrift (Form der Buchstaben, Abkürzungen, Akzente. Spiritus, Enklitika, Interpunktions- und andere Zeichen) gibt K. eine vollständige Kollation des Hiero nach Dindorfs Ausgabe von 1892, eine Nachkollation der Lac. resp. nach der xVusgabe Pierleonis; für die resp. Athen, verweist er auf seine eigene Ausgabe dieser Schrift: eine Nachkollation der JIÖqol nach der Ausgabe von Zur- borg (1876) und der Apologie nach der von Tretter. Der codex hängt mit keinem der erhaltenen Xenophoncodices so eng zusammen, daß man annehmen müßte , er gehe unmittelbar oder mittelbar auf ihn zurück; er hat viele und beachtenswerte Besonderheiten, die sicher aus einer Vorlage stammen, die besser und älter ist als die der übrigen erhaltenen Handschriften.

Falbe, G. . Studia Xenophontea. Diss. Greifswald 1909. Eine Untersuchung über die Handschriften zum Kvnegetikos (den F. für unecht erklärt) , Hipparchikos und de rc equ. Die Handschriften zerfallen in zwei Klassen. Die erste ist vertreten allein durch den cod. Vindobonensis IV 37 aus dem 16. Jahrb., der allerdings nur den Kyneg. und de re equ. enthält. Es ist die beste Handschrift. Die andere Klasse zerfällt in zwei Gruppen, deren ei'ste und beste wiederum allein durch den Vaticanus graec. 989 saec. 14 vertreten ist , während die zweite wieder in zwei Gruppen zu zerlegen ist . die sich ihrerseits ebenfalls in mehrere Unterabteilungen spalten. Ein Vergleich mit Pollux zeigt, daß der archetypus aller Hdschr. erst nach dem 9. Jahrb. (aber vor dem 12.) entstanden ist und schon im Altertum zwei Rezensionen existiert haben. Die Tatsache, daß die beste unserer Handschriften so ziemlich die jüngste ist, zeigt, daß die Güte der Hdschrften über-

28 Ernst Richter.

hnupt sich nicht immer nach dem Alter richtet: bei Textrezensionen demnach sämtliche Handschriften zu berücksichtigen sind.

Textkritisches bietet :

Löschhorn, Kleine kritische Bemerkniigen zu Xenophons scripta minora. Jahresberichte des philologischen Vereins zu Berlin. Berlin 1917 S. 78—80,

nämlich zu resp. Lac, resp. Athen., Hii)p., de re equ., Kyneg., de vectig. (4, 7, 5, 3. 4, 5 Stellen). Die Vermutungen L.s erscheinen etwas unzeitgemäß, da die von ihm zu Grunde gelegte Ausgabe von L. Dindorf, Leipzig. Teubner 1850 (1900) im Jahre 1912 durch die neue Auflage von Euehl ersetzt worden ist. Auch sonst werden neuere Forschungen und Ausgaben nicht berücksichtigt , dagegen mehrfach Vermutungen von J. G. Schneider von 1825 empfohlen.

Die Schriften im Einzelnen :

Respublica Atlieniensium iiiul Resp. Lacedae-

moniorum.

M. Xi stier, Die Gedankenabfolge in der pseudoxeno- phontischen l^d-rjvniwv jcoXitEia und die Umstellungsversuche. Wiener Eranos, zur 50. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Graz. Wien 1909 S. 55 ff.

An der Hand einer sehr eingehenden Analysis der -^0^. tcoX. zeigt X. , daß die Schrift trotz mancherlei Mängel in Bez. auf Komposition und Anordnung der Gedanken doch ein in sich ab- geschlossenes, hinreichend geordnetes Ganzes darstellt, bei dem Änderungen und Umstellungen völlig unangebracht sind. Jene Mängel erklären sich leicht ,,aus der geringen Übung der Zeit, aus der sie als erstes Prosawerk stammt, an das man keineswegs noch die Anforderung einer strengen Komposition und systematischen Deduktion stellen darf".

L. Siegel, Zur pseudo-xenophontischen \Al.ir^va'ni)v noXi- rela. Wiener Studien. Wien 1911 S. 194 f., ist von dem guten Zustand der Überlieferung dieser Schrift über- zeugt und lehnt daher grundsätzlich alle größeren Eingriffe in den Text ab. Zu I 2 verwirft er die Konjektur Kalinkas dlxaioi statt y.uL und setzt dafür hinter ty^Eiv ein C.rjiti. I 5 schreibt er yQijf-iacov Tvjv tTraQyovtoJv Irioig („aus Mangel an Geld, das eben nur einigen der Menschen zur Verfügung steht"). I 14 will er für log doxorai

Bericlit über die Literatur zu Xenojihon aus den Jahren 1909 1918. 29

lesen tog dw(iodoK<x)öi („damit sie Geschenke erhalten"), iui übrigen aber sowohl an dem überlieferten ix.7t?.eoi'i€g wie yiyi'o'jö'/.ovi£g und iaxi'Qoi (gegen Kaiinka resp. Hotmann) festhalten.

Elter, Zu Ps.-Xenophons Staat der Athener. Kh. Mus. G7.

L 1912 8. 31G,

^^empfiehlt I 6 folgende Lesart: £t f.ifv yag oi /Qt^aiol theyov, y.al bßovluovio Tolg o/Lioioig 0(fioiv aicolg av ayai^d, tolg de öi^uoziy.olg Ol/, aycttyä. I 10 liest er tai/i^rai (oder i^oO^iyiai) statt ^oittjia (mit L. Dindorf), weiter 11) 'iva Xa(.iß(xvi')[.iEv ibv av rrgccirrj, darauf a* idedoi/.ei (was dem Satze etwas Hypothetisches gibt), am SchlulJ des Paragraphen ra yQt]i.iaia diöovai ja aeaiTOi.

M. Komstedt, Die wirtschaftliche Organisation des athe- nischen Reiches. Diss. Leipzig 1914.

In dem Abschnitt „Handelssperre und Stapelzwang" bespricht li. eingehend die Stelle II 11 sq. Am Anfang von § 12 schlägt er vor, mit Kaiinka zu lesen: TTQog öe zovTOig akXooE ciyeiv Ol'/. eäaoLGiv *^' o'iTtveg uvTiyiakoi t^i.t7v elaiv oi- yQi^ooviai zfj x^a/Mijij (sie werden einen Stapelzwang ausüben, dessen Nicht- beachtung — Tj o'itivEg urTi7ia?i0i i](.üv toüviai die Unterbindung jeglichen Seeverkehrs von Seiten Athens zur Folge haben wird).

Dagegen bleibt

F. Brooks, Zu Xen. Ath. Pol. II 12. Class. Review 191:3 S. 163, bei der überlieferten Lesart stehen ahkooe ayeiv ovvi sdaovac o'iTiveg uvTinaXoi rjf.i7v etat i] ou XQ^GOvrai und faßt dhkooe als gleichbedeutend mit 7tQog aXkovg, auf das sich dann by a construction ad sensum o'izivtg bezieht „anders wohin zu unsern Gegnern " .

H. Röhl, Gyniu.-Progr. Halberstadt 1903. S. 19 f. zur

Ai)^. 7C0K.,

statuiert und ergänzt Lücken I 14 und II 17 und tilgt I 15 /.al vor fQyaCeoiha.

Caspari, On the date of the L4i)-i^v. TTohvtla. ^eria. Athen 1912, hält die Schrift für im Anfang des Jahres 424 geschrieben , doch sind seine Gründe nicht überzeugend (Kaiinka, Berl. phil. Woch. 1915 S. 109).

30 Ernst Richter.

Pfistcr. Vulgärg^riechisches in der .lO^rjvaicov TtoXixeia. Piniol. Baiul 73. 1916. S. 558.

Pf. sucht einzelne sprachliche Eigentümlichkeiten der Schrift als Annäherungen au die Umgangssprache zu erklären. 1, 10 VvEy.Ev (j,das der v.oivt^ angehört''), 3, 3 Öiotl (= dalJ), 1, 6 ein nomina- ti\nis absolutus , 1, 2 iQVj OTi .... txsiv (inhnitiv), Pleonasmus, Anakoluth (1,1: 3, 1) u. ä. Derartiges findet sich erst wieder in der 'AOir/p während die attische Schriftsprache (etwa 420 300) es vermeidet. In der Umgangssprache ist es auch in dieser Zwischen- zeit lebendig geblieben.

llabben. De Xenophontis libello , qui yia'/,eöaif.toi'iwi' 7Co)uTeiii inscribitur. Inaug.-Diss. Münster 1909.

H. unterzieht die Aay.. noX. einer sehr eindringenden, scharfen Kritik. In sorgfältiger , kapitelweise durchgeführter Analyse weist er die zahlreichen Mängel und Unebenheiten auf, an denen die Schrift leidet. Alle diese Fehler, Störungen des Zusammenhangs, Abweichung von der ausdrücklich angegebenen Disposition, Lücken, Gedankensprünge usw., die z. T. auch schon von andern Gelehrten beobachtet worden sind , hat das Werk gemein mit andern xeno- phontischen Schriften , vor allem den Memorab. und dem Oikonom. Sie sind keinesfalls einem Interpolator oder nachlässigen Abschreiber zuzuweisen . sondern lediglich Xenophon selbst , der sich hier als ein sehr sorgloser oder nachlässiger Schriftsteller zeigt. Zu er- klären sind sie nur durch die Annahme , daß Xen. sein Werk aus irgend welchem Grunde nicht vollenden, nicht zum Abschluß bringen konnte oder wollte. Der Tendenz nach ist es zu vergleichen mit der Kyrupaedie ,• auch hier wollte er keine wii-kliche Geschichte seines Helden und seines Staates geben, sondern es lag ihm daran, alles Gute, was in der spartanischen Verfassung zu finden war, auf Lykurg zurückzuführen. Benutzt hat Xen. außer eigenen Er- kundigungen und Erfahrungen Schriften des Kritias , Antisthenes und Herodot.

Kynegetikos, de re equestri und Hipparcliikos.

J. M e w a 1 d t , Die Komposition des xenophontischen Kyne- getikos. Hermes 1911 S. 70 tt".

Das erste Kapitel des Kyneg. ist unecht. Es liegt in do2>pelter Fassung vor. Die eine ist vertreten durch den codex Vindob. (A), die andere, stark abweichende, durch die übrigen Handschriften (0). Beide gehen auf denselben antiken Urheber zurück, der eine

Bericht über die Literatur zu Xenophou aus den Jahren 1909-1918. :{1

Sonderausgabe des Kyueg. veranstaltete und dieser eine von ihm selbst erfundene Vorrede vorausschickte, eben das cap. 1. Bei einer Neuherausgabe der Schrift hat er dann diese Vorrede umgearbeitet. Diese Umarbeitung liegt in der Handschriftenklasse 0 vor, während A den Text der ersten Bearbeitung bietet. Der übrige Teil des Kyneget. . von cap. II an , ist echt xenophontisch , wie eine Ver- gleichung mit den verwandten Schriften Xenophons tteqi tvcmy.i'^g und Hipparchikos. besonders auch mit der von Xen. erwähnten Schrift des Atheners Simon tteqi inTTivS^g erweist. Der Kyneg. stammt aus Xenophons Jugendzeit, ist offenbar noch vor seiner Be- teiligung an dem Feldzug des Kyros geschrieben.

Marchant, llippocentaur and the dogs of the (Vnegeticus. (Mass. Review 26. 1912 S. 179.

Die Xamen für die Hunde (7, 5) sind z. T. von Xen. vor- gefunden, z. T. seine eigenen Erfindungen (nach Arrian Kyu. 31). Zu diesen letzteren rechnet M. alle auf -lov. -corog. Den Namen seines eigenen Hundes ^ In^oyJriai Qog (Pollux 5, 47) führt Xen. nicht an , ebensowenig nennt er den treuen Hund des Odysseus Argos und andere sonst bekannte Hunde, z. B. die des Aktaion (Pollux 1. c). Die hier genannten Namen sind kaum anzuzweifeln mit Ausnahme von lloXvg. M. schlägt dafür ITo?.€vg vor (von ttoXeIv). Er bringt dann noch einige andere Vermutungen, so 5, 20 vTtavvai' statt vrr avta u. a.

Treffliche Erläuterungen zum Kyneget. bietet

Orth in dem Artikel „Jagd" bei Pauly-Wissowa, lieal- Euzyklopädie usw. Bd. 9. 1916, wo auch die übrigen Stellen, an denen Xenophou die Jagd erwähnt (anab. Kyrupaed. u. a.), zur Sprache kommen. Übrigens hält Orth den Kyneg. für unecht.

8. A. Naber, Ad Xenophontis libellum de re equestri. Mnemos. 40. 1912 S. 213.

S. spricht von einigen Gebrauchsgegenständen des Reiters, die 'das Altertum entweder gar nicht hatte, oder doch jedenfalls in anderer Form als die Gegenwart. So ist der Steigbügel den Alten unbekannt (vgl. VI 12), ebenso der Sattel. Statt dessen bediente man sich der Pferdedecke (IcpiTTniov). Auch die Kunst, den Huf der Pferde durcli Anbringen von Hufeisen gegen allzu starke Ab- nutzung zu schützen , verstanden sie nicht. (Hierüber möge man vergleichen die Dissertation von Hörn .Über den ältesten Hufschutz

32 Ernst Kichter.

der Pferde", IxMpzig 1912.) Die Nichtbeachtung dieser Tatsachen führt zu mancherlei Mißverständnissen bei der Lektüre der .Schrift- steller. Zuletzt bringt N. Verbesserungsvorschläge zu einigen Stellen von de re equ.

H. Kohl, Gymn.-Progr. Halberstadt 1903 S. 21, schreibt Hipiiarch. 7, 5 rcQOvoeiv für novelv (vgl. § 10 vrQovoolvra und § 11 jrQoatxovia xbv vovr).

De vectigalibiis und Hiero.

Thal he im, Zu Xeuophons JIoqoi. Berl. phil. Woch. 1911 S. 123.

Vermutungen zu 2, 2 {u /.ivSrvog u iniov), 3, 8; 3, 9; 4, 37; 4, 44; 5. 1 (.riaroTiQav).

Brinkmann, Zu Xenophons lloQOi. Rhein. Mus. 67. 1912 S. 135, weist nach, daß der Rhetor Aristides in seinem Pauathenaicus die Erörterungen des ersten Kapitels von Xen.s JIoQOL fast sämtlich für seine Zwecke verwertet hat (die Lage Attikas, das Klima, Boden- gestalt, Ertragfähigkeit).

R. Herzog, Zu Xenophons TIÖqoi. In „Festgabe, Hugo Blümner überreicht zum 9. August 1914. Zürich 1914". S. 469 f. H. hält die Schrift nicht für so verderbt, als gewöhnlich an- genommen wird , und verteidigt durch scharfsinnige Interpretation an einer Anzahl von Stellen die Überlieferung (II 1, 2, 6, 7; III 1, 9; IV 2, 13, 14, 37; V 1, 3). Auch der Wert der Vorschläge, die Xen. macht, ist nicht so gering anzuschlagen. Er hat sein VTrofirr^f-ia im Jahre 355 für Eubulos verfaßt, dessen Politik es iinterstützen und populär machen sollte. Eine ganze Anzahl seiner Vorschläge finden wir in der Verwaltung des Eubulos, andere noch später in Athen verwirklicht.

C. Watermann, De Xenophoutis Hierone dialogo quae- stiones. Münster. Dissert. 1914.

Während Xenophon seit seiner Vertreibung aus Skillus (370) in Korinth lebte, starb in Syrakus der Tyrann Dionysios (367) und hinterließ die Regierung seinem dazu freilich wenig vorgebildeten gleichnamigen Sohn. An seinem Hofe fanden sich bald Dichter, Philosophen, Literaten u. a. zusammen, auch Xenophon mochte den Wunsch hegen, Zutritt zu dem jungen Fürsten zu erlangen; zu diesem Zweck schrieb er für ihn , gewissermaßen um sich zu emp-

Bericht über die Literatur zu Xenophon aus den Jahren 1909 1918. 33

fehlen, den Hiero. in dem er dem Dionysios allerlei gute Ratschläge und Warnungen erteilt. In der Schilderung des Tyrannen schwebte ihm der ältere Dionys vor Augen. Im übrigen sind die von ihm entwickelten Gedanken die nämlichen , die auch in seinen übrigen Schriften wiederkehren ; ein Grund , den Hiero für unecht zu er- klären, ist also von dieser Seite her nicht vorhanden. Ebensowenig von Seiten der Sprache. Der Wortschatz, einerseits rein attische, andererseits ionische, gemeingriechische, poetische Worte, der Ge- brauch der Partikeln, Pronomina, Präpositionen, bestimmte Rede- wendungen, Grammatisches, rhetorische Figuren usw. entsprechen durchaus der Gewohnheit Xenophons, und zwar aus seinen späteren Jahren ; der Hiero ist also für ein echtes Werk Xenophons an- zusehen, verfaßt etwa um das Jahr 367.

Zuletzt sei noch hingewiesen auf das Werk von

M. Po h lenz. Aus Piatons Werdezeit. Philologische Untersuchungen. Berlin 1913, ■wo über das Verhältnis einzelner Schriften Xeno])hons zu Plato, namentlich über die beiden Symposien , sich beachtenswerte Aus- führungen finden.

Jahresbericht für Altertumswisaensehaft. Bd. IIS (1919. I).

Bericht über die griechischen Lyriker (mit Ausnahme des Pindar und Baicchylldes), die Bukoliicer, die Anthologia, Palatina und die Epigrammsammlungen für 1905-1917.

Von

J. Sitzler in Freiburg i. Br. (Fortsetzung zu Bd. 174 S. 1—104.)

IL Melische Dichter.

a) Allgremeines.

In neuer Auflage liegt vor

Anthologie aus den Lyrikern der Griechen. Für den Schul- und Privatgebrauch erklärt und mit literarhistorischen Einleitungen versehen von Dr, E. Buch holz. II. Bändchen: lU. Melische und chorische Dichter, 5, verbesserte Auflage, be- arbeitet von J. Sitzler. Leipzig und Berlin 1909. VI, 218 S. 8°.

Die neu gefundenen größeren Fragmente von Gedichten der Sappho und Korinna wurden aiifgeuommen ; außerdem wurden Ein- leitung, Text, Kommentar und Anhang einer sorgfältigen Durchsicht unterworfen.

Die Sprache der lesbischen Lyrik hat

U. V. Wilamowitz-Möllendorff, Die sprachliche Form der lesbischen Lyrik. Sappho und Simonides. Berlin 1913. S. 79f, und Neue lesbische Lyrik. N. Jahrb. f. klass. Altertum. Bd. XXXIII (1914) S. 225 f.. untersucht und ihre Eigentümlichkeiten übersichtlich zusammen- gestellt. Dabei hat er auch darauf hingewiesen , daß ai im Les- bischen für Tj eintritt; auch (TVToaaEv und vTradfid^djKaxfi möchte er so erklären , a also für abgeändertes ai = r] ansehen. Dagegen wendet sich

C. D. Bück, Lesbian ai fora and t], Class. Philo- logy X (1915) S. 215, indem er ausführt, daß a und rj auch im Lesbischen im allgemeinen

Sitzlcr, Ber. üb. d. griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsamml. f. 1905 17. 35

unverändert erscheinen. Das weiß natürlich aucli VV i 1 a m o w i t z; er meint auch nur, daß jener Wechsel in einzelnen bestimmten Fällen eintrete , worüber doch kein Zweifel bestehen kann. Daß auch a im Lesbischeu durch ai wiedergegeben werde , hat W i 1 a - mowitz meines Wissens nirgends gesagt; aber auch dem, was er gesagt hat, nämlich, daß a in Formen wie inToaoev und vjcaöe- ÖQüi-iaz-E für ai ■= /; zu stehen scheine, kann ich nicht beistimmen. Denn was wäre zur Erklärung dieser Formen damit gewonnen? Da die Aussprache des tj nur dann mit ai bezeichnet werden kann, wenn ij auf ursprüngliches (wirkliches oder angenommenes) a zurück- geht, müßte man doch moato und i'7caÖQO!.i(xio als Verba voraussetzen, bezw. rcToaifii und v7cadQ6i.iaii.li.

Rege war die Tätigkeit auf dem Gebiet der griechischen Metrik. Ich berücksichtige hier nur kurz, was mit der Melik in Beziehung steht.

Die Frage der Kesponsion behandelt ausftihrlich

K. J. Walker, ^vzl (.iiäg. An essay in isometrie. In two volumes. Vol. I: VII, 507 S.; vol. II: V, 394 S. 8». London 1910.

Er kommt zu dem Ergebnis, daß die Berechtigung des Wechsels zwischen einer Länge und zwei Kürzen au entsprechenden Vers- stellen den größten Zweifeln unterliege, und ist geneigt, für solche Fälle die Verderbnis verantwortlich zu machen , die imsere Texte im Mittelalter erlitten hätten. Ich kann dies nicht glauben. Walker zählt nicht weniger als 747 Beispiele eines solchen Wechsels auf, und wenn auch davon, wie er sagt, zwei Drittel anderweitig verdächtig sind , so bleiben immerhin noch rund 250 Fälle , die keinen Anstoß erregen , von Alkman bis herab auf Euripides. Angesichts dieser Tatsache wird man nicht umhin können, anzunehmen, daß diese metrische Erscheinung in der Chorlyrik dei* Griechen schon von den ältesten Zeiten an vorkam. Sie ist auch wohl erklärlich , weil diese Lyrik gesungen wurde und dabei , wie wir jetzt wissen, auf eine lange Silbe zwei Noten kommen konnten. So geben uns diese Stellen sogar einen Hinweis auf den musikalischen Vortrag.

Den entgegengesetzten Standpunkt wie Walker vertritt

E. Herkenrath, Der Enoplios. Ein Beitrag zur griechischen Metrik. Leipzig 1906. 186 S. 8".

Er ist der Ansicht, daß Isometrie in korrespondierenden Versen, die sonst unverdächtig sind, nicht durch Konjektur hergestellt

3*

35 J- Sitzler.

werden dürfe : ja er stellt die Gesetze auf, daß die Zahl der Senkungen irrelevant sei, und daß an Stelle unbetonter Länge auch eine Kürze und umgekehrt, an Stelle einer Kürze auch eine un- betonte Länge treten dürfe, und zieht die Folgerungen daraus, die eine völlige Umkehrung der bisher anerkannten Grundsätze be- deuten. Eine solche Hypothese wäre nur annehmbar, wenn sie in der Überlieferung der Texte und in den Theorien der Metriker einen Rückhalt hätte; beides ist aber bekanntlich nicht der Fall.

Zur Frage der Daktyloepitriten ergreift

A. Keinert, Zur Geschichte der Daktyloepitriten.

Wochenschrift für klass. Philologie. 1913. No. 17 Sp. 475 f., das Wort: er führt sie auf Trochäen und laniben zurück, indem er sich auf die Zäsuren, die in iambischen und trochäischen Trimetern einerseits und in den Daktyloepitriten anderseits gleich seien , und auf den lambelegus und Elegiambus stützt. Unrichtig ist, wenn er sagt, ein trochäischer 'J^rimeter sei weder in antiken noch neueren Handbüchern aufgeführt: vgl. Christ, Metrik ^ S. o03 f. , Mas- queray, Traite de metrique grecque. S. 119 f.

Die äolischeu Metra werden behandelt von:

1 . J. W. White, The o r i g i u and form o f a e o li c verse. Classical Quarterly III (1909) S. 291 f.

2. H. W. Magoun, Can ancient and modern views of the minor sapphic and other logaoedic ft)rm8 be reconciled? Transactions and Proceedings of the American Philol. Association, vol. XXXVI (1905) S. XLIXf.

3. K. Lösch hörn. Die logaödischen Verse und Strophen bei den äolischen Dichtern und bei Pindar. Wochenschrift f. klass. Philologie. 1911. No. 45 Sp. 1241 f.

White, der in den Harvard Studies in class. Philol. vol. XVIII (1907) S. If. gezeigt hat, daß Heliodors und Hephaestions Theorie zur Erklärung der äolischen Metra der griechischen Komödie genügt, weist jetzt nach, daß sie auch mit der wahrscheinlichen Entstehung dieser Verse in Übereinstimmung steht. Der altarische Dimeter von acht nicht näher bestimmten Silben wurde von den loniern in der Weise geregelt, daß sie an die geraden Versstellen (2, 4, 6) lange Silben setzten , während ' die Schlußsilbe anceps blieb. Die Äolier füllten die zweite Hälfte des Dimeters mit ihrem Lieblingsmaß, dem Choriambus, aus, indem sie die erste polyschematistisch ließen.

ßer. über die griech. Lyriker usw. u. d. ?]pigraininsaininhuigen f. 1905—17. 37

Mit der Zeit drang der Choriambus in die Mitte und au den Anfang des Verses vor; man hatte also drei Formen des üimeters : OOOO -^^-, 00-. w-^-, -w^-vy-.j-. In der gleichen Weise ent- wickelte sich neben dem Dimetcr ein Trimeter. In beiden, im Dimetcr und Trimeter, konnte Katalexis und Akephalie eintreten; auch wurden Dimeter und Trimeter durch Gurmpeia miteinander verbunden. Die kleinste rhythmische Einheit des äolischen Verses ist also der Dimeter, der bis auf 5 Silben (Adonius) reduziert werden kann. Der Antisj)ast ist als AFetrum anzuerkennen , wie White ausführt.

Magoun glaubt, daß die Annahme des */4-Taktes für das kleinere Sapphicum und die andern logaödischen Verse alle wesent- lichen Forderungen alter und neuer Auffassung l)efriedigen werde. Der metrischen Form: -..-—; —vv\^- ^/-— entspricht nach ihm die rhythmische: -^L- LA^^--- ^L-Ä; ebenso erklärt er die andern logaödischen Verse, die Asklepiadeen , Glykoneen, Pherekrateen, Phalaeceen, Priapeen, Sapphische Strophe und Alkäische Strophe. Zur Begründung verweist er auch auf seine Abhandlung : Some popixlar errors in time-relation. Ebenda S. XXXIII f. Für mich ist diese Hypothese unannehmbar: verlegt Magoun doch Pausen mitten in die Wörter und betrachtet Kürzen als dreizeitige Längen ; vgl. aavi'tTrjii xCJv avt(.nov acdoiv = -L- - L A— ^^ ' L^-

Lösch hörn stellt die Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten der bei Pindar und den äolischen Dichtern vorkommenden Verse übersichtlich zusammen.

Den Gebrauch des Daktylus nach beginnendem Tro- chäus in lyrischen Versen untersucht

E. H. Spieker, On the use ofthe dactylus after an initial trochee in greek lyric verse. Transactious and Proceediugs of the American Philo!. Association, vol. XXXIX (1908) S. of.,

im Anschluß an Aristophan. Frö. 1309 f. Er liudet, daß Fälle, in denen auf einen beginnenden Trochäus mehr als ein Daktylus folgt, äußerst selten sind: es sind nur Simonid. I 9, fr. 63. Telest. IV 4 (Pind. P. XI 1).

Daran reihe ich noch

0. Schröder, Ji i n u en r esp 0 nsi 0 u in den Siug- versen der Griechen. N. Jahrb. f. klass. Altertum 1905 S. 93f. Griechische Versperioden. Ebenda 1907 S. 413f. Griechische Zweizeiler. Halle 1907. 23 S. 8».

38 J- Sitzlor.

Von griechischen und deutsclien Siugverseu. Zeitschrift f. Gyimmsialwesen 1908 S. 301 f. Über alt- griechische Volksliedstrophen. N. Jahrb. f. klass. Altertum 1910 S. 1(59 f.

In seinem Aufsatz über die Binnenresponsion legt Schröder seine Ansichten über die Stollenglcichheit und die Verbindung der Stollen mit dem Abgesang dar. Die Bezeichnung Stollen ist von H. Iv. Ahrens eingeführt und von U. v. Wil amowitz - Mollen - dorff übernommen wdrden. ,.Wo bei den Griechen Gesang ist," so führt Schröder aus, „da ist auch Kesponsion : zwei Sätze gleichen Umfangs das ist die Kegel und deutlich aufeinander eingestellt und ein dritter, nicht ohne Gemeinschaft mit ihnen, doch um die Entsprechung erst recht eindrücklich zu machen, irgendwie von ihnen beiden abweichend. Dali der Abgesang mit einem der beiden Stollen in Synaphie steht, ist so häufig, als zwischen den Stollen Synaphie unerhört ist. An der Stollengrenze werden , wie Sohaltglieder, so auch kleine Pausen nicht abzul(>hnen sein ; ebenso Akephalie, wo das Anfangsmetrum sichtlich unvollständig ist." Im einzelnen stellt er noch fest, daß der Abgesang auch fehlen kann (aa), daß er sich als Schaltglied auch zwischen die Stollen ein- schieben kann (aba), und daß sowohl Verdoppelung der Stolleu (a^a'a^a") als auch Zweiteilung des Abgesangs (b'aab^) zu- lässig ist.

Der Abhandlung über griechische Versperioden , die über die kleinsten Einheiten und über Periodisierung spricht, ist ein Exkurs über den Ursprung äolischer Daktylen beigegeben. Die Arbeit über die Zweizeiler findet sich auch in den Novae symbolae Joachimicae. Festschrift des kgl. Joachimsthalschen Gymnasiums aus Anlaß des 300jährigeu Jubiläums der Anstalt, veröftentlicht von dem Lehrerkollegium. Halle 1907. 280 S. gr. 8^ Vgl. auch Schröders Vorarbeiten zur griechischen Versgeschichte. Leipzig 1908. S. 51. Die Untersuchung endlich über die Volksliedstrophen will den Nachweis erbringen, daß die i'hythmischen Gebilde der klassischen Zeit organisch aus den primitiven Zwei- und Vierzeilern der Lesbier und Parier abgeleitet sind.

Einzelne 1) ich tu ngs arten behandeln

1. G. Fraustadt, Encomiorum in litteris Graecis usque ad liomanam aetatemhistoria. Diss. Leipzig 1909. 127 S. 8^

2. E. Tiecho. Der Dithvrambos in der aristo-

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsamnilungen f. 1905—17. 39

telischen Kunstlehre. Separatabdruck aus dem Neujahrs- blatt der Literarischen Gesellschaft iu Bern auf das Jahr 1917 (Gedenkschrift zu Ehren G. Fiuslers). Bern 191(3. 18 S. 4 0. Fraustadt ist der Meinung, daß fyy.oniiov im 5. und 4. Jahrh. V. Chr. noch nicht Loblied im allgemeinen bedeutet habe, wie man seit den Zeiten der alexandrinischen Gelehrten annehme , sondern nur Siegeslied, wofür später das Wort iiriviy.og gebraucht worden sei. Als Beweis weist er auf den Gebrauch des Wortes bei Pindar und auf die Etymologie hin , aber beides ohne den gewünschten Erfolg. Das Wort '/.cö/nog bezeichnet ursprünglich durchaus nicht den Umziig der Sieger bei den festlichen Spielen , sondern ganz allgemein Umzug, vgl. Hesiod ciGiiig 281. Uymn. in Merc. 481, Alkäos fr. 56, Theognis usw., und dementsprechend auch iyy.io(.ua ganz allgemein die Lieder, die bei diesen y.iöuoi gesungen wurden. Pindar gebx-aucht nur das Adjektiv, syMauiov (.liXog und lyxw^iog vfiyog, womit er nichts anderes sagen will, als daß sein ji/«'Aog, sein vf-ivog der Gattung der iyy.iijf.ita angehört ; zur Bezeichnung des Siegesliedea hat er Nem. IV 78 enivry.i'oioiv doiöalg gesagt. Da» Substantiv ly/wniiov = eTcivi/.ov verwendet Pindar nicht, wie Frau - Stadt selbst zugibt. Fraustadts Auffassung von eyKtü/nioi' =^ STiiviy.ov entsprechend, beziehen sich nun auch die Ausführungen, die er über die Entwicklung und Geschichte des poetischen En- komions macht, nur auf die Epinikien. Was er hier sagt, ist, wenn auch großenteils nicht neu, mit Umsicht und Sachkenntnis zusammen- gestellt ; besonders anzuerkennen ist, daß er die Bedeutung, die das religiöse Element von Anfang an bei der Siegesfeier hat , scharf hervorhebt und auch darauf hinweist, daß der Mythus in der Regel im Zusammenhang mit der Feier steht. Dagegen hat er nicht recht, wenn er den Kallinikos des Archilochos (fr. 119) für ein ercivi/cov hält und als Beispiel der alten Siegeslieder anführt ; denn Form und Inhalt sprechen dagegen. Es war ein Hymnos auf Herakles , wie der KaGTOQUog vuvog (Pind. J. I 16) auf Kastor. Diese Hymnen wurden bei der Prozession zum Altar des Gottes angestimmt, der des Archilochos auf Herakles mit Vorliebe in Olympia, weil Herakles für den Stifter der Olympien galt : die Heroen , an welche diese Hymnen gerichtet waren , standen stets mit den Wettkämpfen in Beziehung.

Tieche stellt das, was Aristoteles an etwa 10 Stellen über den Dithyrambos sagt , zusammen und ordnet es übersichtlich in 4 Abschnitte. Der 1. Abschnitt beschäftigt sich mit der Form und dem Stil des Dithyrambos. Hier kommt zuerst das Proömium in

40 J- Sitzler,

BetracJit. über das Aristoteles Rhet. III 14 sagt, indem er das Proöniium der epideiktischeii Rede mit dem TTQOavXiov eines Flöten- stücks vergleicht: y.ai yao o'i (xcXtjiai, ort av ec tyojaiv arlijaai, roiTO •rQoavXi[oavzEg Gvrijiiiar Z(^ Ivdooli^tii), y.al iv zolg e.7tidEiY.Tiy.oig löyoiq öel oitio yß«j/'€<v ort yaQ av ßoilijTai ^ sv&i! einovia hdorrai '/.ai awäiliai. Dies versteht Tii' che folgendermaßen: denn auch die Flötenspieler pflogen ein Stück, das sie gut spielen können, als Präludium zu verwenden und es dann mit der eigentlichen Introduktion (tot evdoai'ud») zu verbinden; und ebenso hat man bei der Abfassung epideiktisclier Reden zu verfahren. Man muß ohne weiteres einen beliebigen Einfall vorbringen, hierauf zur eigentlichen Einleitung übergehen und beides verbinden. In der Anmerkung verweist Tieche auf den Nomos, in dem auf die agy^d die {.lexaQya folgt. Meiner Meinung nach schließt man hier , wo von Flöten- stücken die Rede ist, den Nomos, der die '/.iDuQa verlangt, am besten aus; doch auch wenn man ihn beizieht, darf man nicht glauben, daß er zwei Einleitungen hatte, sowenig wie die epideik- tische Rede , sondern nur eine , die aus zwei Teilen besteht , dem Einleitungs- und Überleituugsteil. Genau so war es beim Dithy- rambos ; daher muß man bei Aristoteles kT) ivöoGLi-Up auf das vor- hergehende ozi av €0 iytooiv avXyjGai, tovto TCQoavXr^OavTeg beziehen und OTi av ßoiXr^Tai elnovra modal zu evöocvai fassen : die Flöten- spieler blasen ein Stück , das sie gut können , als Einleitung und knüpfen (das Folgende) an das Einleitungsstück an , und ebenso muß man bei epideiktischen Reden dadurch , daß man irgendeinen Gedanken ausspricht, die Einleitung machen und (das Folgende) daran anknüpfen. So besteht nach Aristoteles keine innigere Ver- bindung zwischen dem Proömium und dem Thema des Dithyrambos ; als Beispiel erwähnt er dia ai y,al rea dwQ(a) elte o/S'la, {w d^Ee JidwOE). Daraus zieht Tieche den Schluß, daß Aristoteles unter dem dithyrambischen Proömium die rituelle Anrufung des Dionysos verstehe, Avie sie von alters her den Dithyrambos eingeleitet habe ; später, als die Gedichte heroisch wurden, sei diese aq^d, das TTDOOii-iiov i^ f.Tcaivov des Gottes, dem diese Poesie zugeeignet war, geblieben , und so habe sich die auffallende Diskrepanz zwischen Eingang und Inhalt, von der Aristoteles spreche, ergeben. Ich trage Bedenken , aus dem von Aristoteles angeführten Beispiel eine so weitgelien de Folgerung zu ziehen; Diskrepanzen können gewiß auch auf andere Weise entstanden sein.

Über die Form des Dithyrambos erfahren wir Problem. XIX 15, daß er ursprünglich autistropliisch war, diese Form aber verlor,

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsamnüungen f. 190') -17. 41

seitdem er einmal mimetisch wurde. Dasselbe folgt aus Rliet. III 9, wo es von Melaiiippides heißt, daß er aiT/ xiov avTioiQocfin' avaßoXag dichtete. (ber die ctvaßoXt'i urteilt Ticche richtig, wenn er darunter eine bestimmte Form der metrischen Komposition versteht, nämlich die a7ToXe)^rj.üva des durchkomponierten Gesanges, mit der Nebenbedeutung der Xi^tg eiQOi-Uvrj. Die draßoXai treten au die Stelle der Strophen und Antistrophen , seitdem Virtuosen statt des Chores den Dithyrambos aufführtiiu : dcMin nur in dieser Kom- positionsweise konnten die Virtuosen ihre volle Kunst zeigen. Mit dem Auftreten der Virtuosen wurden die Dithyramben mimetisch. Über ihre Sprache äußert sich Aristoteles Khet. III 3, Poet. XXII, Rhet. III 9. Außer der Xe^ig eigof-üvr; sind die öuclä ovo^ara, die Häufung der Komposita, für sie charakteristisch.

Im 2. Abschnitt behandelt Tic; che die enthusiastische Natur des Dithyrambos , über die sich Aristoteles Politik VIII 7 ausläßt. Mit diesem Wesen des Dithyrambos steht es im Einklang, daß er in der phrygischen Tonart, die Politik VIII 5 als leidenschaftlich und orgiastisch charakterisiert wird , abgefaßt wurde. Der 3. Ab- schnitt befallt sich mit dem mimetischen Charakter des Dithyrambos, mimetisch in dem engereu, nur für die dramatische Dichtung passenden Sinn gefaßt. Im 4. -Jahrh. war der Dithyrambos zu einem halb dramatischen Singspiel geworden , das seine Stoffe mit der Tragödie teilte und Solopartien hatte, die, von Virtuosen vor- getragen, den Arien einer Oper glichen. Ti cche weist überzeugend nach, daß Aristoteles diese Art von Dithyrambos meint, wenn er Poet. XV und XXVI die Skylla, die Tieche mit Recht mit Th. Gomperz für den bekannten Dithyrambos des Timotheos hält, mitten unter Tragödien erwähnt. Auch die Iphigenie des Polyidos (Poet. XVI und XVII) erklärt er mit gutem Grunde für einen Dithyrambos, wie schon vor ihm 0. C r u s i u s , Pauly- Wissowas Realencykl. s. v. Dithyrambos Sp. 1219. Der letzte Abschnitt be- trachtet das Verhältnis des Dithyrambos zum Nomos (Poet. I und II). Das Ergebnis läßt sich kurz dahin zusammenfassen , daß beide, wenn auch vou Hause aus verschieden der Dithyrambos lyrisch, der Nomos episch im Laufe der Zeit sich doch in der Art ihrer Aufführung und selbst ihrer Gestaltung einander ganz genähert hatten ; daher werden sie von Aristoteles auch miteinander verbunden.

An Übersetzungen wurden mir bekannt :

1. Ilyricigreci (Poesia Melica) tradotti da G. Fr acca - roli. II pensiero greco vol. VII. Turin 1913. VIII, 578 S.

42 J- Sitzler.

Einleitung, poetische Übersetzung uuil Kommentar, der die an den Text sich anschließenden Fragen behandelt. So spricht er S. 19 f. über den Nomos ; im Anschluß an Westphal stellt er auf Grund des Nomos des Timotheos die //«raxararpo/r« hinter den o/<ycrAoc. 1^. 318 f. nimmt er zur Frage über die Echtheit der unter dem Namen des Simonides überlieferten Epigramme gegen Wila- m 0 w i t z Stellung.

2. P i n d a r u s , Oeuvres c o m p 1 e t e s. Traduction francjaise par C. Poyard. Nouvelle Edition, completement refondue, aug- mentee d'Anacr^on, deSapplio et d'FIrinna. Paris 1909. VI, 313 S. 8".

3. A. G r e e n e b a e r t , B 1 o e m 1 e z i n g u i t d e G r i e k s c h e lierdichters. Liege 1913.

b) Die einzelnen Dichter. A 1 k m a u. Beiträge zum Text und zur Erklärung der Bruchstücke Alkmans liefern :

1. U. V. Wilamowitz, Lesefrüchte. Hermes 1905. S. 126 f. [fr. 42, 68, 117J. Sappho und Simonides. Berlin 1913. S. 14 [fr. 23].

2. R. C. Kukula, Alkmans Partheneion. Philo- loguH 66 (1907) S. 1 f. Dazu die Anzeige von H. Jurenka. Zeitschrift für Österr. Gymnasien 58 (1907) S. 1084 f. und die Entgegnung Kukulas, Zu Alkmans Partheneion mit der Erwiderung Jurenkas. Ebenda Bd. 59 (1908) S. 566 f.

3. W. W. Wilson, The soma - offering in a frag- ment of Alkman [fr. 34]. Americ. Journal of Philo]. 30 (1909) S. 188 f.

4. W. W. W a r r e n , The Partheneion o f Alkman. Americ. Journal of Philol. 33 (1912) S 57 f.

5. Fr. Wiedemann, Zu Alkmans Partheneion. Berl. phil. Wochenschrift 1913 Nr. 44 Sp. 1405 f.

6. 0. Zuretti, Alkman fr. 38. Rivista di Filologia class. XLI S. 1 f. Varia 11.

7. J. J. G. Vürtheim, Das Ritual am Altar der Artemis Orthia. Museum XX (1913) S. 151 f.

8. Sheppard, Le Partheneion. Essays and studies presented to W. Ridgeway on bis 60^** birthday. Edited by

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. F]pigranim«aniraliingon f. 190Ö— 17. 4.',

('. C. Quiggiu. Cambridge liUS. XXV. Gr.6 8. 8 <>. (Inter- pretation des Gedichtes.)

Die Haupttätigkeit der Gelehrten wandte sieh , wie man sieht, dem fr. 23 zu, dem Partheneion zu Ehreu der Artemis Orthia, die V. 122 AÜtiq genannt wird. Ihr Tempel in Sparta wurde jetzt entdeckt; aber weder diese Ausgrabung uoch die in Ephesos haben etwas zur Aufklärung ihres Kultes gebracht. Wir sind hinsichtlich des liituals an ihrem Altar nach wie vor auf die Mitteiluugen der alten Schriftsteller angewiesen, die Vürtheim /usanunenstellt. Für das Verständnis unseres Gedichtes ergibt sich daraus nichts \ dagegen ist es Kukula auf Grund seiner ephesischen Forschungen gelungen, dieses zu fördern. Nach seinen Ausführungen S. 23 f. steht es jetzt außer Zweifel , daß cpctQog (V. 61) der Name des heiligen Gewandes der Göttin in Sparta war. Dies führt ihn zu der Vermutung, daß die öffentliche Feier, für die das Partheneion gedichtet wurde, das Plynterienfest gewesen sei. Demgemäß stellt er mit den lakonischen ^oaii^Qia (V. 117) die ephesischen Evi')%r^Tr,Qia und die attischen tjyrjirjoia zusammen: die ^coazrJQia entsprechen demnach der icaXad-rj laxadojy und dem leQov yev/Lia, sind also die heilige Speise der Göttin. Wie in Ephesos, so führt er aus, habe man auch in Sparta jährlich einmal das Kultbild der Artemis in festlichem Zuge aus dem Tempel ans Ufer gebracht. In der Pro- zession habe man außer der heiligen Speise noch ein kostbares Gewand für die Göttin mitgeführt. Am Ziele habe man dann nach dem rituellen Bade des Idols das Mahl bereitet und der Göttin durch agonistische Spiele gehuldigt. Soweit kann ich Kukula beistimmen; ■wenn er aber weiter meint, hierbei sei auf dem Festplatz nur der weltliche Teil der Lieder gesungen worden, der hieratische dagegen schon vorher an bestimmten Haltestellen, so halte ich dies für un- wahrscheinlich ; der hieratische Teil ist doch sicherlich der Haupt- teil, und der gehört auf den Festplatz.

Was nun den Chor selbst betrifft, so versteht Kukula die Worte V. 133 f. avTL d^ l'vda/.a naidiov ()£/.ac . . aei'öei von Chor und Gegenchor; er meint, der Gegenchor werde mit 11 zusammen- gef>xßt. während beim eigenen Chor Hagesichora als Führerin nicht mitgezählt sei. Jurenka weist diese Erklärung mit Recht zurück; ich kann in ihr nur einen Notbehelf sehen. Nach dem Zusammen- hang ist nur vou dem einen Chor die Rede-, denn der Satz be- ginnt: a Ö8 (nämlich "Ayr^Giylqa) xctv ^r^Qi]vidioy uoiöoTega . . ., avtl d fvder/,a naidoyv xrA. Die Worte avci ö^ VvÖetlo Ttaidwv stehen also dem rav 2r^Qij%>idiov aoidoTega gegenüber, dienen dem-

44 J- J>itzlpr.

nach ebeufolls zum Lobe der Hagesichora im Vergleich mit den andern. Den Sinn hat sicherlich Weil richtig gefaßt, wenn er sagt : Sireues cantu non quidem vincit, nam deae sunt, sed sola undecim virginura instar est, si e decuriae cantu coniecturam facias j aber ccoidovtQa (j.iiv ory^i), wie er ergänzt, liegt doch von den über- lieferten Schriftzügen zu weit ab. Ich dachte an : aoiöotf-qa "Aktot /«j Giai ydg , avii d l'i'öe/M iiaidior^ dey.ug {oi ) aeidei. Zu avTL vgl. llom. I 116: avzi vv /roXltov \ Xawv totiv nvriQ , ov TS Zeig ySjQi (filr^or], und zu xAj'w mit Adjektiv Aeschyl. Prom. 868: ßov?-rjO€Tai '/.Xveiv avah/.ig iictXXov i] /.naicpovog.

Damit fällt auch die weitere Annahme Kukulas, daü Anesim- brota die Führerin des Gegencliors gewesen sei, sowie alle von ihm daran geknüpften Folgerungen. Anesimbrota wird vielmehr, wie mau schon vermutete, die Führerin des zweiten Halbchors gewesen sein, wie Hagesichora die des ersten. Wie sich die Verse auf Chor, und Halbchöre verteilen lassen, zeigt W i e de mann , der aunimmt,^ daß der hieratische Teil vom Gesamtchor vorgetragen wurde. In Agido sieht Kukula die nQorcoaräiig etc avigov xoqov im erste» l'ryo»', in Hagesichora die y^ogayog (V. 79), die yoQOGTchig (V. 119), die ai]QCt(i6Q0g (V. 127). Dem widerspricht Jurenka mit Recht. Wie der Zusammenhang beweist, kann sich yoQOOcang nur auf Agido beziehen ; denn nach der Anrede yoQOGTCtzig folgt : eyiov utv . . ., e'B. -Ayi]aiyßQctg Js . . . , und will man orjQarpoQog und y.vßsQrtJTag in den Gleichnissen einem der beiden Mädchen gleich- stellen, so kann es nur Hagesichora sein. Agido ist die Sonne de» Ganzen; sie wird von den anderen 3Iädchen getrennt behandelt, während Hagesichora unter den anderen steht, sie allerdings über- ragend, der Mond, wie man aus V. 55 schließen kann, Sie nimmt die zweite Stelle ein, ist also die yOQCeyög, die fhorführerin und beste Sängerin, während Agido die yoQOGTCtTig, die Aufstellerin und Leiterin des Chores ist. W^ill man eine der beiden mit Antheia bei Xenoph. Ephes. I 2 (Hercher) vergleichen , so kann diese nur Agido sein, wie Jurenka anmerkt. Hagesichora ist öevTfQa ned \4yid(x)v x6 Eidog (V. 93): man darf also aus devTega keine andere Choreutin machen, wozu Kukula neigt. Diese beiden, Agido und Hagesichora, sind die im Folgenden erwähnten neKeiadeg^ wie schon der Scholiast bemerkt; auch Wiedemann ist dieser Ansicht, während Kukula auch hier anderes sucht. Mit anderen hält er sie für Töchter des Agesidas , des Herrn des Alkman, vgl. Wilamowitz, Sappho und Simonides S. 14, was wahr- scheinlich ist , und vermutet außerdem . daß das Hemichorion,

Ber. ülier die griecli. J^yriker usw. u. d. Epigiammsjimmlungeii f. 190'5 17. 45

■dem sie anj^eliören . von der könij^^lifhen Familie der Agiaden ge- stellt worden avA.

V. 99 t'. erklären die Mädflien, daß ihre Hoffnung auf Sieg im Wettkampf einzig und allein auf Hagesic-hora und Agido beruhe ; sie selbst könnten weder durch ihre Ausstattung noch durch ihren Gesang viel dazu beitragen. Gegen diese Erklärung wendet Kukula mit Unrecht ein. daß der Chor nicht mit dem Bekenntnis mangelhafter Ausstattung und Besetzung vor die Preisrichter treten könne. Aber tut er denn dies? Jurenka stellt es mit guten Gründen in Abrede: der Chor sagt doch nur. seine Ausstattung, so gliinzend sie auch sei, und seine Mitglieder, so schön sie auch seien, könnten für sich allein ohne Hagesichora und Agido den Sieg nicht erringen. Ebenso berechtigt ist der Einwand Jurenkas gegen Kukulas Auffassung von V. 123 f. ^ro'j'W»' yag äf.uv /.tA. ; nuviov soll nach ihm hier = iödiviov sein und tcoviov IdcioQ Heilgöttin " Artemis als Öchützerin und Pflegerin der .Jugend bezeichnen. Den dazu tretenden Aorist tyeiTO erklärt er als empirischen im Sinne von loziv. Das Substantiv etgrjia versteht er. anderen folgend, vom Sieg nach den Mühen des Kampfes . und der dazutretende Aorist eneßav soll mit rhetorischer Übertreibung den Sieg als schon er- rungen vorwegnehmen : alles dies, um das Lied nicht, wie es doch das Natürlichste ist, als ein Danklied für Rettung aus schwerer Not anerkennen zu müssen.

Warren hat die Hs. von neuem verglichen und stellt fest, daß Blaß' I^esungen Glauben verdienen. Dann behandelt er ein- zelne Stellen. Zu V. 48 f. bemerkt er, daß UoQOg der Gott der Unterwelt sei, und erklärt die Worte antdiXog ctkA.6. = 'Hilfe kam nicht . Den V. 51 : i^ii^tiq avi^Qomwv lg logarov TTOTr^ai^o) bezieht er auf Otos, den folgenden: f.i)jdi neiQrjito yttf-ir^v rav L^q^godiiav auf Orion, allerdings nur zweifelnd. Als besonderen Zug in unserem Ge- dicht will er Wortspiele wahrgenommen haben, wie V. 135 f. Bävifio und ^av^a; mit rrayop (V. 83) wird nach ihm auf Il/^yaaog an- gespielt, mit llekeidöeg (fägog (fcooioaig auf die Ambrosia bringenden vreXeiddeg, mit fxveiQoinii'ai auf Orthia als Mondgöttin usw. Mir scheint es, als ob Warren damit Dinge in das Gedicht hinein- trage, an die der Dichter selbst nicht dachte.

Fr. 34 bringt Wilson in Zusammenhang mit dem Soma-Opfer und sucht diese Auffassung durch Stellen aus dem Kig-Veda wahr- scheinlich zu machen. Zu fr. 38 vergleicht Zuretti passend Longos Soph. . Daphuis und^ Chloe II 4 6 , der das gleiche Motiv wieder aufnahm und weiter ausgestaltete. Wilamowitz liest

46 J- !^itJ:ler.

fr. 42: lU di,, lU noxa q^ aXXa (oder dkkä) vüov äpdgig hiiOTifij iu tjbeieiustiiuniung mit der Überlieferuug, n\ir daß er meiner Moiuung nach unnötigerweise IjciO/rOi in tTTiff/r^ änderte. Yv. 68 unter Billigung von Hermanns Schreibung aif-iai^ (oder besser atf-taTj]) : diogi. rt si'ffr<p i.it^iavEv ^4lag aif-iaifi re fuif.ivo}v. Fr. 117 mit Wiederhcrstelhmg der ursprünglichen Tetrameter: /■ 7//>'r' «x ylöq^iov \ .Fohov ]] .FoivcavTidav \] Jbvd^iv Tj Kaqiot lov \ i] Ovoyliv )] ^raOf-iixav^ ccjtvqov, ooöoit^ drd^Hoi'.

A r i o n.

Johannes Doxopater überliefert in seinem Hermogenes-Kom- mentar . daß Solon in einer seiner Elegien Arion als Erfinder der Tragödie bezeichnet habe. Diesen Irrtum sucht

J. M. Stahl, Arion und Thespis. Rhein, Museum

Bd. 69 (1914) S. 587 f., aufzuklären. Er weist darauf hin , daß die Benennung des Chor- gesangs bei den Dionysosfesten ursprünglich XQayoidia und diO^v- gaf-ißog gewesen sei. Nach Herod: I 23 habe Arion den Dithy- rambos in die Literatur eingeführt, die Sikyonier hätten dann aber seine Beziehung zu Dionysos gelöst, und ihrem Beispiel seien die späteren Dithyrambendichter gefolgt; der Dithyrambos sei zu einer Balladendichtung gew^orden, in der die verschiedensten Helden be- sungen worden seien; aber auch für diese sei, wie es scheine, die Bezeichnung zgayi^ßdia beibehalten worden. Infolgedessen sei Johannes dazu verleitet worden , Solous Worte , die etwa gelautet haben könnten: {Aqicov)., og TQayiyrjv tcouZv oidijv eloTJyaye yr^wrog, irrtümlich von der eigentlichen Tragödie zu verstehen, statt von der lyrischen oder dem ursprünglichen Dithyrambos. Billigt man diese Erklärung, so hat man damit ein neues Zeugnis dafür, daß Arion der Begründer der Dithyrambendichtung war.

Eine Übersetzung des unter dem Namen des Arion auf uns gekommenen Fragments liefert

Frammento melico attribuito ad Arione [tradotto

da] L. A. Michelange li. Classici e Neolatini 1911 S. 201.

S a p p h o. Mit den früher schon bekannten Bruchstücken beschäftigen sich :

1. A. Goldbacher, Das 51. Gedicht des CatuUus. Wiener Studien Bd. XXIX S. 110 f.

2. E. Kaliuka, Ca tu 11s LI. Gedicht und sein sapphisches Vorbild. Wiener Eranos. Zur 50. Ver-

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 1905-17. 47

Sammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Graz 1909. S. 157 f.

3. J. M. F. ßascou 1 , H ^TN^ ^^4 1[(J)£}. La chaste Sappho deLesbos et le mouvement feniiniste a Athenes au IVe siecle av. J.-C. Paris 1911. IV, 79 S. 8°. La chaste Sappho de Lesbos et Stesichore. Les pretendues amies de Sappho, Paris 1913. XXVIII, 82 S. 8" [fr. 2].

4. U. V. W i I a m o w i t z - M ö 11 e n d o r f f , Sappho und Simouides. Berlin 1913. 330 S. 8".

5. St. Witkowski, Zu Sappho fr. 4. Wiener Studien Bd. XXXVIII (1916) S. 176 f.

Fr. 1 bespricht W i 1 a m o w i t z S. 42 f. kritisch und exegetisch ; V. 17 schreibt er mit Bergk y.omi f.101; das Ursprüngliche ist dies ^ gewiß nicht; denn wer hätte daraus xcjrrt fjwr^ gemacht, zumal mit Synizesis zwischen den beiden Wörtern? Auch von selten des Sinnes ist ei-ioi nicht zu tadeln: und was ich in meinem liebestolleu Herzen besonders wünsche , daß geschehe . Fr. 2 behandelt Wilamowitz S. 56 f.; er hält es für ein Hochzeitslied, wogegen Form und Inhalt sprechen , wie ich Wochenschr. f. klass. Philol. 1915 Sp. 75 ausführte. Goldbachers Urteil über das Gedicht lautet, es sei ein Liebeserguß der Sappho gegen ein schönes Mädchen aus dem Kreis ihrer Freundinnen, bei dessen Anblick glühende Leidenschaft alle ihre Sinne gefangen nimmt, während ein junger Mann im Genüsse ihrer Schönheit und Liebenswürdigkeit schwelgt, und nach Kaiinka ist die einzig mögliche Erklärung des sap- phischen Gedichtes die, daß es Eifersucht ist, die Sappho mit ihrer Liebe rechtfertigt. Eine merkwürdige Ansicht hat sich Bascoul über das Gedicht gebildet ; er meint , Longinus habe uns nur eine boshafte Parodie des echten Gedichtes erhalten, und beruft sich zum Beweise dafür auf die „616ments vulgaires, comiques ou obscenes", die er darin zu finden glaubt. Er bemüht sich, aus der Parodie das Original wiederherzustellen, und ergänzt dieses durch das 14. Fragment der Sappho und das fragm. adesp. 56 A. Das so wiedergewonnene Gedicht, das nebenbei bemerkt sprachlich und inhaltlich gleich ungenügend ist, schildert nach ihm die Gefühle, die ein Rivale der Sappho und ihrer Schule durch sein Erscheinen und seine Liebe in ihr hervorrief. Diesen Rivalen entdeckt er iu der Person des Stesichoros, den Sappho nach ihrer Verbannung in Sizilien getroffen habe. In seiner Poesie habe sie eine Gefahr für ihre Lyrik erkannt und daher dies Gedicht gegen ihn an ihre

48 J- Sitzler.

Tochter gerichtet. IV. 4 liest Witkowski im Anschluß an die Überlieferung: a^icpl ö^vdwQ \ -w- ililxQOv xelddei y.rl. und erklärt: kühler Kegen rauscht durch die Zweige imd bewegt die Blätter. Er nimmt an, die Dichterin befinde sich in ihrem Zimmer oder in der Jjaube ihres Gartens; aber im ersten Fall erwartet man i'^co st. a!^(fi, im zweiten verstellt man nicht, wie sie bei Regenwetter die Gartenlaube zum Schlafe aufsucht. Fr. 20 teilt W i 1 a m o w i t z ab: 7iavioda7ia.löi fiei.ieiyf.iit'a \ yiQOiaioi und weist es dem 2. Buche zu. Zu fr. 54 bemerkt er mit Hecht, dalJ der 3. Vers: nöag ztQEv xrA. sich nicht unmittelbar an die beiden ersten anschließen könne ; aber anakoig mit ihm in a/iaKiog zu ändern, ist unnötig. Ob fr. 57 A von Sappho sei, erscheint Wilamowitz fraglich: die Lticke sei nämlich für den Namen Sappho, den Bergk ergänzte, etwas zu klein 5 dagegen weist er die fr. adesp. 104 A und 129 ihr zu ; sie stammen aus einem Gedicht , in dem von Peitho die Kede war. Fr. 73 , das er im Anschluß an Härtung avxa logaia acE(pava7rX6-ArjV liest, zieht er z\i fr. 75, und ebenso fr. 96. Fr. 78 behält er unter Verweisung auf Berl. Klassikertexte V 2 S. 13 V. 14 das überlieferte TraoO^iaO^ai bei, meiner Meinung nach mit Unrecht . da eine Verschreibung des äolischen Tiegi^ioO^ai in Tiagd^ioi^ai doch zu nahe lag; ovviQQaioa ändert er in ovvtQaataa und V. 3 schreibt er „exemplificatorisch , um Sinn und Vers in Schick zu bringen" : Euavi^aa yag nald^ ii^eXi^aav Xagizeg fxccKaiQag \ f.icck?.ov nQoaoQr^v, das letzte mit Hermann (/rporo^i^i') und Härtung (TiOTOQrjv). Epigr. 118, das Wilamowitz in seiner Textgeschichte der Lyriker S. 36 erklärte, hält er jetzt für kaum älter als 400 ; er glaubt, die Weihung einer y.6Qri könne man den Lesbiern auch damals noch zutrauen.

J. Bidez entdeckte bei Julian epist. 60 p. 578 Verse aus dem 2. Buche der Sappho ; sie wurden nach ihm behandelt von :

1. U. V. Wilamowi tz-MöUendorff, Textgeschichte der Bukoliker. 1906. S. 179. Sappho und Simonides. 1913. S. 50 f.

2. Fr. Blass, ()n a fragment of Sappho. Class. Philology I (1906) S. 253 f.

3. E. Diehl, Supplementum lyricum. 3. Auflage. Bonn 1917 S. 40 Nr. 18.

Wilamowitz stellte in der Textgeschichte die Verse folgender- maßen her: rjki/eg, ndiC inorjoag, lyto öi a ifiaöfxav, \avö' i(flv^ag ll^uv (fQf.va xuiOf^tvav nöi^q. Blass erkannte, daß auch das

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrainmsaniinlungen f. 1905 17. 49

Sappho-Zitat gegen Ende desselben Briefes p. 580 aus dem näm- lichen Gedicht stammt und fügte daher noch bei : x^^Q^ nÖKka te fuoi /Mi laägiO^ina tö» ygovii), \ ov ati^ev .... aytikuTiöuav ; zu- gleich tadelte er, dalJ Wilamowitz i(p?.v^a(; aus f.g)vka^ag bei Julian hergestellt habe, weil so eine Mischung der Bilder entstehe; er verlangt l'q^Xe^ag. Dagegen verteidigt sich Wilamowitz, Sappho und Simonides a. a. 0., wie mir scheint, ohne Erfolg; l'ffXv^ag ruft tatsächlich das Bild vom überkochenden Wasser, ■/.aiouivav Tcöi^ii) vom brennenden Feuer hervor. Daher Avird i'ipXe^ag , das im Bilde bleibt, richtig sein. Den von Blaß bei- gefügten Vers ändert AVilamowitz in xalqe JiokXa {rvQivr^y loaQid^(.iä xe zo) XQOvqj, indem er von der Herstellung des Folgenden, das auch nach ihm aus Sappho genommen ist, absieht. Die Ein- schaltung eines Eigennamens ist wahrscheinlich, wenn der Vers an den Anfang des Gedichts gehört. Ich glaube dies sowenig wie Die hl und versuche daher: -^ yaloE (av) nökk' laccQiO^ud t' oao) XQovo) I aXXdXiov ctneXeiTtofxeO-' . . .

Die schon durch die im vorigen Jahresbericht Bd. CXXXIII (1907 1) S. 178 erwähnten neuen Funde vermehrten Bruchstücke sapphischer Gedichte erfuhren durch weitere Funde eine be- trächtliche Bereicherung. Sie wurden veröffentlicht in :

1. Berliner Klassiker texte. Heft V, 2. Hälfte: Lyrische und dramatische Fragmente. Bearbeitet von W. Sehn hart und U. v. AVi lam o wi t z - 1 1 e n dor ff. Berlin 1907. 160 S. gr. 8^

2. Papiri greci e latini, publicazioni della Societä Italiana per la ricerca dei Papiri greci e latini in Egitto. Vol. II No. 113—156. Florenz 1913. 101 S.

3. J 1'A.anüi.iaTa. Auszüge aus alexandrin ischen Gesetzen und Verordnungen in einem Papyrus des Philol. Seminars der Universität Halle (Pap. Hai. 1). Mit einem Anhang weiterer Papyri derselben Sammlung. Hrsg. von der Graeca Haie nsis 1913. X. 252 S. 4^

4. The Oxyrhynchus Papyri. Part X edited with translatious and notes by B. G. Grenfell and A. S. Hunt. London 1914. XIV, 310 S. gr. 8 ^

5. E. Diehl, Suppl.emen tum lyricum. Xeue Bruch- stücke von Archilochus, Alcaeus, Sappho, Corinna, Pindar, Bac- chylides. 3. Auflage. Bonn 1917. 83 S. kl. 8^

W Die Berliner Klassiker texte enthalten vier schon früher

^K Jahresbericht für Altertumswissenschufl. Bd. 178 (1919. I). 4

50 J- Sitzlcr.

bekannte Stücke, Pap. ö006 == carra. adesp. 56 A und B und Pap. 9722. den Abschied von einer Freundin: TEO^rÖArjV d' adoXwc; Oc'Xio y.i?-.. in neuer Lesung und Bearbeitung, und ebenso das Er- inneruugslied an eine ferne Freundin: a.tv ^agdüor xtA. , wozu noch die Trüninier zweier andern Gedichte kommen. In den Papiri greci e latini No. 123 sind Versanfänge erhalten zu einein CJedicht, das auch in den Oxyrh. Pap. 1231 fr. 1 Kol. 2, 2 f. steht; auf Grund beider Pap. hat Wilamowitz die Ergänzung des Gedichts versucht. Ans dem Pap. Halensis wird im An- hang A: Literarische Texte S. 182 No. 3 ein Fragment mitgeteilt, das nur dadurch einige Wichtigkeit erhält, daß zwisclien den Text- zeilen hie und da über einzelnen Vokalen Zeichen stehen. H. Abert S. 184 hält diese allerdings zweifelnd für Musik- noten. Dagegen erklärt sich C. W e s s e 1 y in der Wochenschrift für klass. Philol. 1913 Sp. HGO , der darin vielmehr Lesezeichen, Akzente und Kürzebezeichnungen erblickt. Keichei*en Ertrag liefern die Oxyrh. Papyri 1231. 57 Fragmente, und 1232, 4 Fragmente; die des Pap. 1231 gehören dem 1. Buche an, das aus sapphischen Strophen bestand, und wir erfahren jetzt auch, daß dieses Buch 1320 Verse, also 330 Strophen enthielt, die des Pap. 1232 dem 2. Buch, in dem die Gedichte in äolischen Pentametern zusammengestellt Avaren. Indes ist der Gewinn für Sappho doch nicht so groß, wie es nach der Zahl der Fragmente scheinen könnte ; denn die meisten sind zu trümmerhaft erhalten. Immerhin liegen von 5 weiteren Gedichten ansehnliche Bruchstücke vor; im 1. Gedicht gibt Sappho ihrer Sehnsucht nach der abwesenden Anaktoria Ausdruck. Das 2., zu dessen Herstellung der italienische Papyrus benutzt werden konnte, ist an Hera gerichtet, der die Atriden bei ihrer Heimfahrt von Troja in Mytilene einen Tempel erbauten. Das 3. und 4. schildern den Liebreiz der Gongyla und einer andern Schülerin. Besonders interessant ist das Gedicht aus dem 2. Buche, das die Hnchzeitsfeier llektors und Andromaches beschreibt. Auch die jetzigen neuen Funde zeigen wieder, daß das Bild, das wir uns von der dichterischen Tätigkeit Sapphos machten, richtig Avar ; es wird nicht geändert, sondern nur reicher ausgestaltet, vornehmlich dui'ch das aus dem 2. Buch erhaltene Gedicht. Zum Schlüsse er- wähne ich noch , daß sich in den neuen Bruchstücken auch der Name der Doricha gefunden hat; ebenso sind darin die Fragmente 12 = Pap. 1231 fr. 16, 13 = P. 1231 fr. 1 und 67 = P. 1232 II fr. 1 entdeckt worden. Die neuen Bruchstücke sind fast alle von Diehl in sein Supplementum lyricum aufgenommen und mit

Ber. über die griecli. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungon f. 190ö— 17. 51

einem Kommentar verseilen worden, der Ergänzungen. Verbesserungen und Erklärungen bringt.

Außer den genannten Gelehrten haben sich mit der Herstellung und Erklärung der Papyrus-Funde befalJt :

1 . P. E. P a V 0 li n i , F r a m m e u t i 1 y r i r i e d r a m nua t i e i di papiri Berlinesi. Atene e Roma vol. X (1907). .S. o03 f. [Inhaltsübersicht.]

2. J. Sitzler, Zu Sapplio. N. Philol. Rundschau 1907. t?. 553 f. [Ergänzung der Ode an die Nereiden.]

3. H. V. Her werden, Ad nova Fragment a in libro Berl. Klassik er texte V 2. JNInemosyne 36 (1908). S. 62.

4. J. M. Edmonds, Th r e c fragments of Sappho. Class. Rev. XXIII (1909). S. 99 f. More fragments of .Sappho. Ebenda S. 156 f. Sappho 's ode to the Xereids. Class. Quarterly III (1909). 8. 249 f. Die ein- zelnen Aufsätze zusammengefalJt in: The uew Fragments of Alcaeus, Sappho and Corinna. Cambridge 1909. 36 S. kl. 8 <>. T h e n e w ly r i c f rag m e n ts. Class. Kev. 28 (1914). S. 73 f. [Ox. Pap. X.] und dazu

5. A. S. Hunt, T h e n e w 1 y r i c f r a g m e n t s. Ciass. Kev. 28 (1914). S. 126 f. [Widerspricht vielen Vermutungen Edmonds '.]

6. A. Vogliauo. Note p a pir ol ogic he. Rendiconti d. R. Accad. dei Lincei. 1910. S. 279 f.

7 . r h. R e i n a c h , P o u r m i e u x c o n n a i t r e Sappho. Academie des Inscriptions et Belles-Lettres 1911. S. 718 f. [Gedicht an die Nereiden, Abschied: Tei/i'öv.rjv ö adoXiog i^lXvj v.t).. und Sehnsucht: anv ^laQÖitov y.t?..]

8. C 1. G a u d e t , Fragmente von zwei Gedichten der Sappho. Athenäum 4495 (1913). S. 729. [Abschied und Sehnsucht, vgl. No. 7.]

9. Ü. V. W i 1 amo w i tz - Moll endor ff, Sappho und Simonides. Berlin 1913. S. 49 f. [Abschied und Sehnsucht^ Vgl. No. 7.] Neue lesbische Lyrik. N. Jahrb. f. Alter- tumswissensch. 1914. S. 225 f. [Gedichte, Versmaß, Sprache.]

10. H. Jurenka, Neue Lieder der Sappho und des Alkaios. Wiener Studien 36 (1914). S. 201 f. Zu Sappho frgm. Oxyrh. 14. Ebenda S. 329.

11. N. T e r z a g h i , R a n d b e m e r k u n g e n z u d e n n e u e n

Fragmenten. Atti Accadem. Napoli IH (1914). S. 217f. u. 243f.

4*

F. 2 J- Sitzler.

o

12. T. L. Agar, 0 x. Pap. X. Class. Rev. 28 (1914). S. 189 f.

13. L. Gast igli Olli, I iiuovi fvammenti d i Saffo. Ateiie e Koma XVII (1914). S. 224 f.

14. U. J. Powell, Notes on recent discoveries. Class. Quarterly IX (1915). S. 142 f. [Ox. Pap. X Col. I tV. 1. 18],

wozu noch die Anzeigen nnd Besprechungen der Papyrusveröffent- lichungen in den Zeitschriften kommen.

Aus diesen Arbeiten führe ich hier nur folgendes an : In dem Abschiedslied Pap. Berol. 9722 p. 2 = Diehl No. 23 V. 10 er- gänzt Edmonds Of^uvaiaai, (ja at) kälHai, vielleicht richtiger als {ov dt)] auch die Ergänzung des nächsten Verses böG {af.if.ieg (pi?.a) '/.al y.(xV enäo^oftEv ist beachtenswert. Ebenda p. 5 = Diehl No. 25 V. 18 f. liest Wilamowitz jetzt: ra 6' ov \ viöv TCLTTvaiu rv^ TVoXvcog \ yaqvei öt «Aog xrA. und erklärt: das ver- nehmen wir beide nicht; nicht erzählt es uns die Nacht, die mit ihren tausend Ohren alles hört , über das Meer herüber. Ähnlich Edmonds, der ändert: d ov \ vioiv y anvöza -/.tX. und dazu bemerkt: ' ot' vivLV y' anvGia predicate', den Sinn also anders faßt als Wilamomitz. Bei beiden bleibt die Annahme eines Duals v{i>v bezw. vdiv unsicher. Schubart schrieb xa. 6' ov \ vwvt ccnvoia v.xX. und bemerkt dazu: '^viövra = voivra und ov rojvta wäre, „was keinen Sinn gibt", parallel zu ajivoia. [Ihm folgt Diehl. Daß ov rvjvta dies bedeuten könne und daß diese Be- deutung in den Zusammenhang paßt, bezweifle ich. Ich lese xa d ov vojvx^ ' anvoia v.xh , so daß vidvx^ = vwvxai = vorjrxai ist, Plural des Verbs nach Plural Neutrum, wie häufig bei Homer: „aber dies wird nicht vernommen ; ungehört singt es die Nacht über das Meer." Wollte man ändern, so läge vidx = voi^xa nahe; ov vvjza = anvoxa : unvernommen, ungehört. Pap. 1231 fr. 1 Kol. 1, 13 f. = Diehl No. 5 Vers 15 erklärt Hunt die Ergänzung, die Wilamowitz vorschlug: xrjle vvv l4vay.xoQi{ag o)v{e)Lira- \ {od)r^{v) uneoioag für unwahrscheinlich; die wahrscheinlichste Lesung sei nageoioag; daher versucht Castiglioni: aXXa viv i^vayxoQiag ys fiefiva- | ft* lag nageoioag. Ähnlich ergänzte ich, aber im Anschluß an das Vorhergehende : (xat fidla yv)afi7ixov yuQ {iffv ßooxojv v.^q) \ (xat f-tdxr/) y.ovifiog x{6d\ 6 ze v)oi^or]. \ (Jude viv l^vay.T0Qi{ag ye) ftiitvai- \ {ix ov) 7caQeoiaug. Ebenda V. 20 hat Rackham für das die Lücke nicht ausfüllende Ititto- fidxevxag vorgeschlagen neadofudxevxag ^ auf das auch Vogliano

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigraminsammlunfren f. 1905 17. 53

kam; Castiglioni und Jurenka billigen dies. Auch in ^'. 11 ist ovdtv für die Lücke zu kurz, weshalb Edmonds f.ia),Xov vor- schlug , was mir aber weniger passend scheint ; auch Jurenka konnte sich nicht damit befreunden. Ebenda fr. 1 Kol. II 2 f. = Die hl No. 6 V. 1 ersetzt Diehl xar ovuq richtig durch 7T0t' övag. V. 3 schlug Jurenka recht ansprechend ihtaav yJ.eixüi ßaaihfig vor. V. 7 treffen Edmonds und Jurenka in odov negaivr^v st. ig Agyog tXd-qv zusammen. Ebenda fr. 14 = Diehl 13 ergänzt Castiglioni: tvr') tQcnog rjdt] \ (x^^ ßeßoQtjTai) \ .{xai yoQ tog 8vdv)riov elaidio a{€) \ {oußk&Ttoiaai) und dann V. 7 f. : zode d^ l'od^i za \ {elaoöqj) Ttaloav xtA. ; aber für eiaodo) wünschte ich eher ein AVort wie ayXüK^ oder ay?Ma , vgl. Hom. Z 510: ay?.air^(pi nertoii^iCg. Ganz anders stellt Jurenka die Verse her: zöde ö l'ad^i' la ou \ {au ff' ao(jt) naiaav y.i i-ie zar t^tsgliivav I (/.if.iaz' tX)Xaia' ctPzid{QOf.i ' o/</<a)i^o<g öi \ ^^d y.ev atza. Ebenda fr. 15 = Diehl 14 V. 2 wird zu schreiben sein: Xdßoiaa yXai%'av | y}.a/.zivav\ (.la las Hunt nach Xdßotaa. Im folgenden schlägt Castiglioni TToO^og Z8 y.akXog z vor , das mir wegen des unmittelbar folgenden zav yakav weniger gefällt ; ich lese TTod^og yctgig zb, die auch sonst verbunden sind. V. 7 wünsclit Castiglioni: /.al yaQ avza dfj z{äd)e f-itf^ißlezai zu \ KvTtQoyev^a. Pap. 1232 Kol. 2f. = Diehl 20, das letzte Gedicht des 2. Buches, verherrlicht die Hochzeit des Hektor und der Andromache. Wila- mowitz vermutet, dali es ans Ende gestellt worden sei, weil seine Echtheit bezweifelt wurde, und macht auf die darin vorkommenden Abweichungen von der übrigen lesbischen Lyrik aufmerksam, wie Verkürzung vokalischen Auslauts vor vokalischem Anlaut, sogar in der 1. Kürze des Daktylos (V. 5), und Kurzformen des Dativs Plural , wie (pikoig und d-eolg. Über -d^eoTg läßt sich ein sicheres Urteil nicht abgeben, da die Verse verstümmelt überliefert sind, aber (flkoig (V. 12) ist gewilJ verschrieben, weil aiich der vorher- gehende Vers auf (piXog endigt ; es hieß wohl ursprünglich i^owg. Die Verdächtigung der Verse durch W i 1 a m o w i t z weisen J u r e n k a und Castiglioni mit Recht zurück, um so mehr, als wir hier eine neue Art von Gedichten der Sappho haben , für die wir die Gesetze erst kennen lex-nen müssen. V. 4 ergänzt Wilamowitz z(fi)öe y.d/. (Pap. . av) y.Xeog, besser Jurenka zööe (.idv y.Xiog und Diehl zode nctv -/.Xiog. Ich glaube , daß nur die Anrede an Troer und Bundesgenossen vorherging und lese daher zod' ecpav yJJog: man verkündete dieses Gerücht. V. 17 ergänzt Edmonds aouaza yu'K'Aia.: vorzuziehen ist Jurenkas /MUTtvXa oder Casti-

54 J- i^itzlor.

gl i Ollis TToi/.ÜM. In fr. c V. 2 vermutet Vogliano oveueiyjiTO St. oieder/i'iTO, das Hunt im ]*ap. las, allerdings mit der Angabe, daß ö zweifelhaft ist; Castiglioni billigt oreiiier/i'CTO.

Auf Leben und Dichtung der Sappho beziehen sich:

1. H. Steiner, Sappho. Jena 1907. 112 S. 8".

2. J. M. F. Ba Seoul, H ÄTNA ^^inOil. La chaste Sappho de Lesbos et le nionvement feministe a Athenes au l\^ si.Vle av. J.-C. Paris 1911. 79 S. 8 <>. La chaste Sappho de Lesbos et St^sichore. Les pretendues amies de Sappho. Paris 1913. 84 S.

3. Tb. Rein ach, l*our mieux counaitre Sappho. Comptes reiidus de TAcademie des Liscriptions et Belles-Lettres. Paris 1911. S. 718 f.

4. J. M. Edmonds, Sappho in the added light of the new fragments. Cambridge 1912. 32 S. 8°.

5. U. M a n c u s o , La Urica cl a s s i c a g r e c a in Sicilia e nella Magna Grecia. Pisa 1912. S. 46 f. Una nuova rappresentanza figurata di Saffo? Class. e Xeolatini VIIL S. 272 f.

6. U. V. Wi 1 am o wi tz-Möl len d orf f, Sappbo und S im 0 nid es. Berlin 1913. S. 17 f.

7. G. Mi strio t is, Ar chäol ogi sehe Studien. 2. IliQi rrjg ^lo/u/.fji; TEyj'0TQ07t(ag. ^Aoyaio'Koy. ^E(fi]ineQig 191S. S. 20f. [Das Erziehungsinstitut der Sappho mit Abbildungen der Tanagra- tiguren.]

8. Mary M. Patrick, Sappho and the Island of Lesbos. With 26 illustratious. Boston 1913. XV, 180 S. 8°.

9. E. Glaser, Sappho die zehnte Muse. Südwest- deutsche Monatsblätter 1916. S. 182 f.

Wilamowitz behandelt eingehend alle einschlägigen Fragen und zeigt, wie unzuverlässig die über Sapphos Leben aus dem Altertum auf uns gekommenen Nachrichten sind. Das Zeugnis des Maximus Tvrius XXIV 9 (= fr. 136) scheint ihm, wie auch Edmonds, Bascoul u. a. , glaubwürdig, nämlich daß Sappho eine Tochter gehabt habe, deren Namen man auf Grund des fr. 85 als Kleis erschließt; aber aus diesen Versen folgt nicht, daß Kleis eine Tochter der Dichterin war. und ^Faximus Tyrius kann seine Notiz auch aus falschen Schlüssen gezogen haben. Fest steht nur, daß Sappho im Jahre 595 aus der Heimat fliehen mußte. Daß sie sich nach Sizilien wandte, bezweifelt Wilamowitz, indem er be-

Her. über die griecli. Lyriker usw. u. d. Kpipniminsaiiiiiiluugeii f. I'.IO") 17. 55

tout, (laß in ihrer Poesie durchaus nichts Sizilisches sei; aucli nävOQuog (fr, (i) sei gewiß nicht die si/ilische Stadt; denn wer eine sizilische Kultstätte der Aphrodite nennen wollte , die an Be- deutung Kypros und l'aphos entsprach . hätte sicherlich Eryx ge- nannt. Damit liat W i 1 am o wi t z recht: aber meines Erachtens folgt daraus nicht, daß die Dichterin nicht in Sizilien war; ihre Poesie ist durchaus persönlich oder mythologisch und zudem nur ganz fragmentarisch erhalten. Ich halte also mit Kdmonds, ]\[ancuso, Bascoul u. a. an dem sizilischen Aufenthalt fest, möchte diesen aber nicht mit Edmonds bis ins Jahr 581 aus- dehnen; denn so würde, wenn sie, wie Edmonds u. a. annehmen, 612 geboren ist, ihre dichterische Tätigkeit, die Lesbos als ihren Aufenthaltsort voraussetzt, erst mit ihrem 32. Jahr einsetzen, was unwahrscheinlich ist. Ihre ]\ückkehr aus Sizilien scheint nach kurzer Zeit erfolgt zu sein : aber auch ihre Geburt wird man höher hinauf- rücken müssen. Der Ansatz 612 hängt offenbar mit politischen Er- eignissen auf Lesbos zusammen ; Sappho wird damals schon eine an- gesehene Dichterin in ihrer Heimat gewesen sein, an den Be- strebungen der Aristokraten Anteil genommen haben und dann auch mit diesen in die Verbannung gegangen sein, vgl. auch meine Aus- führungen in der Berl. Piniol. "Wochenschrift ÜMü Sp. 577 f. Bascoul läßt Sapphp in Sizilien mit Stesichoros bekannt werden, was Mancuso mit Recht in Abrede stellt. Das Zerwürfnis mit ihrem Bruder Charaxos wegen der Doricha will Edmonds in das Jahr 565 setzen , was aus chronologischen Gründen nicht angeht. Naukratis war schon vor Amasis eine griechische Ansiedlung , und das Verhältnis zwischen Charaxos und Doricha fiel in bedeutend frühere Zeit, wie auch Wilamowitz annimmt. Aus Pap. 1231 fr. 1 Kol. 1 = Dielil Xo. 4 ersehen wir jetzt, daß Charaxos nach zeitweiliger Trennung zum zweiten Jlale mit Doricha in Beziehung trat. Auch das deutet darauf, daß Charaxos noch jung war, als er mit Doricha verkehrte , und dasselbe läßt sich aus dem jetzt auf- gefundenen Gedicht Sapphos an ihn schließen.

Die Überlieferung berichtet , daß Sappho einen Kreis junger Mädchen um sich sammelte, die sie in der Musik und Dichtkunst unterrichtete. Dies bestätigen die Fragmente ihrer Gedichte, die uns zeigen , wie innig das Verhältnis zwischen Lehrerin und Schülerinnen war; auch die Namen vieler erfahren wir. Es ist daher ein eitles Unterfangen Bascouls, nachweisen zu wollen, daß in Wirklichkeit keine dieser angeblichen Freundinnen der Sappho existiert habe. Die Verdächtigungen der Sappho, die infolge

56 J- Sitzler.

dieses Umgangs und dieser Lieder später entstanden, M'urden schon längst als unwahr erkannt und auf die attische Komödie als Haupt- quelle zurUckgefühi-t. B a s c o u 1 , R e i n a c h und \V i 1 a m o w i t z tun von neuem ihre Grundlosigkeit dar, und die beiden Erst- genannten bringen sie mit der Frauenbewegung in Athen im 4. Jahr- hundert in Zusammenhang, was auch schon früher ausgesprochen wurde. Die Liebe der Sappho zu Phaon behandelt Wilamowitz ausführlich; das Ergebnis faßt er dahin zusammen: wer sagte, Sappho habe den Phaon geliebt, der empfand in ihrer Poesie den Ausdruck ewig unbefriedigten Sehnens, und wer sagte, Sappho sprang am Ende vom weißen Felsen in die See , der gab diesem Sehnen das einzige Ende, das ihm hienieden wci'den kann, X,ijaTiv YMy.(ov. Nur eine Anekdote ist es, wie Wilamowitz von neuem betont, daß ein Gedicht der Sappho dem Alkäos gegolten habe ; aber die Anekdote schien Bestätigung zu finden, weil Alkäos ein Gedicht mit der Anrede: loTtXoK ayva fisXXixoiHEide ^anq)6l begonnen hatte. Von einem Liebesautrag des Dichtcx'S an die Dichterin kann keine Rede sein.

Steiners Darstellung erstreckt sich auf die äußeren Lebeus- schicksale , die Persönlichkeit der Sappho , ihr Andenken bei der Nachwelt und ihre Fragmente. Sie ist populär gehalten und ftir einen weiteren Leserkreis bestimmt, den sie mit der gefeierten griechischen Dichterin bekannt machen will. Diesen Zweck erfüllt sie auch.

Glaser gibt eine schöne Würdigung der Gedichte Sapphos und knüpft daran Vorschläge über ihre Verwertung im Unterricht-, besonders hebt er das Xaturgefühl hervor, das darin zum Ausdruck kommt.

Schließlich erwähne ich noch

The c 1 a s s i c a 1 p a p e r s o f M. L. E a r 1 e. With a memoir. New- York 1912. XXIX, 298 S. 8°, in dem sich auch Earles Arbeit über Sappho findet.

An Übersetzungen sind erschienen :

1. B. Gar man, Sappho. One hundred lyrics. London 1906. 130 S.

2. The poems of Sappho by J. M. O'Hara. 1907. [Nachdichtungen , welche die Fragmente zu kleinen Gedichten umgestalten.]

3. Sappho et huit po6tesses grecques. Texte et traduction. Paris 1909. 215 S. 8 ».

Ber. über die griecli. Lyriker usw. u. d. Ei)i<;ramm3aiamlungen f. 1905 17. 57

4. S a p p h o. Translation elc. hy P. 0 s b 0 r n. [Vgl. Athenäum 4300 S. 365.]

5. S a p p h o. Traduction nouvelle de tous les fragments connus par M. INleunier. Paris 1911. 87 S.

6. 1 1 cauto deir i ra. Sappho fr. 1 (Bergk). [Versione dal greco di] U, Mancuso, Classici e Neolatiui VIII (1912). S. 40.

7. Saffo, Mimnermo e Catullo. Versioni nietriche di O. Latini. 1914. 35 Ö. 8 *'.

8. W. Waltlier, Sappho aus dem Griechischen übersetzt. Leipzig 1914. 71 S.

9. K.Wagner, Übersetzung d e r g r ö ß e r e n B r u c h - stücke Sapphos im ^''ersmaß des Originals nebst erläuternden Bemerkungen. Korrespondenzblatt für die höheren Schulen Württembergs 23 (1916). S. 257 f.

10. 0. Engelhardt, Entsagung (Berliner Klassiker- texte V 2 S. 4f.). Mutter glück (Fr. 85). Wochenschr. f. klass. Philol. 1916 Sp. 838f. Hochzeits wünsch. Nach- dichtung von Fr. 93 mit Zudichtung. Ebenda 1917 Sp. 630.

Er in n a. Die beiden Epigramme auf Bank is, 5 und 6 bei Bergk, behandelt

U. V. W i 1 a m 0 w i t z - M ö 1 1 e u d 0 r f f , Sappho und Simo- nides. Berlin 1913. S. 228 f. Da sie für das Grab selbst bestimmt waren, beschreibt er zunächst dieses; es war ein eingefriedigter Bezirk an der Straße, die niQ/Mid, auf der die Leiche verbrannt wm'deu war; an den beiden Ecken der Straße zu stand je ein Pfeiler , von einer Sirene gekrönt , auf denen die Gedichte, je vier Distichen, augebracht waren. In der Mitte des Bezirks erhob sich eine KovTQOqoQOq, welche die Asche der Baukis barg ; auf ihr war ein lielief, das die sterbende Braut zeigte. Wanderer konnten von beiden Seiten kommen ; daher wird der Name der Toten in beiden Epigrammen genannt. Als erstes ist das gedacht, welches den Wanderer auffordert, die Front entlang zu schreiten (6); das zweite ruft der Baukis den Scheidegruß zu (5). Wilamowitz liest 6, 5 mit Schneide win eq) atg aeidexo (st. rßexo) TievY.aig und im folgenden Vers Taad^ st. rarJ' und erklärt: der Schwiegervater hat mit den Fackeln , über denen der Hyme- näos gesungen ward , das Mädchen auf diesem Brandplatze ver- brannt,' Daraus folgt, daß das Grabmal nicht in der Heimat der

5S J- (Kitzler.

Baiikis stand ; deim sonst würtU- ilev N'ater für die Bestattung ge- sorgt haben. Als Heimat nimmt Wilamowitz mit Welcker Telos an, d;i i'ine Dichterin aus Tcnos um 860 350 das Datum der Erinna nicht den rein dorisclien Dialekt angewandt haben kann imd die OiVETaiQi.^ der Erinna die gleiche Heimat wie diese hatte. Demnach liest er 5, 7 ii-)Ja. V. 2: (/.gioöGe) ooiig l'/EiS ^iöa tav vh'yav orcoöiäv verbindet er Aida mit aitodiäv: die Hadesaschc, weil sie dem Todesgotte gehört. Diese Bezeichnung ist nicht nur an sich auftallig, sondern ^lida erscheint darin auch ganz müßig; denn wer vermißt in: ,die Urne birgt die Asche' etwas? -iiöa muß verschrieben sein; ich dachte ».w oöTiig l'yeig af.i(fig o<\eY dstkag; war dies letztere Jf/a«,' geschrieben , konnte es leicht in ctida verlesen werden.

A 1 k ä o s.

Über bisher schon bekannte Fragmente des Alkäos handeln :

1. U. V. W i lam 0 w i tz - Moll e n d 0 r ff, Lese fr lichte. Hermes 1905. S. 121 [fr. 39j. Sappho und Simon ides. Berlin 1913. [Fr. 5 S. 311, fr. 39 S. 62, fr. 48 B und 53 S. 88.]

2. Ch. F. Smith, What constitues a State? Class. Journal of Philology Bd. II (1907). S. 299 [fr. 23].

3. A. V 0 g 1 i a n o , S p i g o 1 a t u r e e r c o 1 a n e s e. Studi Italiani di filol. class. Bd. XVIII (1910). S. 285 f. [fr. 50].

AVilamowitz nimmt fr. 5 die Lesart y.OQKfaio ii' acxaiQ in Schutz, indem er auf Philostratos eiv.öveg I 26 verweist: ti/aezui {.lev Iv y.oQvcfaig xov ^ O'Aci-iTrov, '/.ar' ultÖ arw to fdog xaiv ^etZv, wo avTO neben to löog tüjv d^eiüv gewiß recht bezeichnend ist; was soll es aber bei Alkäos neben y.OQiffaiai? Ich kann mich von der liichtig- keit der Überlieferung nicht überzeugen. Zu fr. 15. 5 bemerkt er S. 91 , daß der Glykoneus y.oilai ce y.ai aaniöeg nicht zu beanstanden sei, zweifellos richtig; aber y.oit?Li] steht auch Miranerm. 12, 6. Smith stellt Parallelen zu fr. 23 in großer Zahl zusammen. Fr. 39 hat Th. Bergk mit Unrecht, wie ich im Jahresbericht Bd. LXXV (1893. I) S, 216 zeigte, aus zwei ge- trennt überlieferten Bruchstücken gebildet, von denen das eine unter dem Namen des Alkäos übei-liefert ist, das andere namenlos, aber vor Bergk allgemein der Sappho zugewiesen wurde. Dies ist auch die Ansicht, die Wilamowitz in den Lesefrüchten, wiederholt in Sappho und Simonides, ausspricht; V. 5 liest er: orcnöz* av (f^Xoy-

Ber. über die griecli. Lyriker usw. u. d. Epifrrammsaniiuluiifren f. 1905 17. 50

f.ioi' y.ctiy V)mv :TE7iiauivov y.aiai/.ei , indem er zu .'A« et'A/; und aXta vergleicht: wenn sie die sengende Glut, lie über die sonnen- bescliienenen Fluren gebreitet ist, bezaubert. Ich nehme an der für c'-'Aa vorausgesetzten Bedeutung Anstoß ; t'i?.i] l)edcutet sonst Sonnenwärme ; ein der Sonnenwärme ausgesetzter Platz heilJt Homer t] 123 O^EiXonedoi'-^ besonders aber mißfällt mir die Verbindung: „die Zikade läßt unter ihren Flügeln schrillen Sang hervorströmen^ wenn sie die sengende Glut bezaubert." Das Natürliche ist doch: Avenn die Sonnenglut über den Fluren liegt. Fr. 48 B ist mit der Überlieferung Ay'üJ.Eic zu lesen, wie Wilamowitz bemerkt. Zu fr. 50 veröffentlicht Vogliano eine neue Vergleichung, die als Lesungen feststellt: V. 1 Vj^terai , Y. 2 ÖEAEvt^, fpQEiaooivogoL- ÖKüTEiog, V. 3 '/MTW und V. -i TiEÖalevo^iEvaa xa/,Ei 'r^Toöov'AEii . . . , EVTTO . . . a . . . ccoy.ai . . . airayMigv ; vor Ev entweder ö, X oder u. Sind diese Lesungen richtig, so fallen viele Ergänzungen, die bisher gemacht wurden. V. 2 wird Bergks (fQtrag bestätigt; ovöioJTEiog deutet Vogliano als o/'(J' IcutEiog oder lärEiog = lazr^qiog, was mir als unwahrscheinlich erscheint: offenbar bezieht sich auf diese Worte die Erklärung des Demetrios p. 122 ed. Oxon. p. 20 ed. Xeapol. Z. 5 (t)6 yag ov dnoniov cati xov (.irj (fEvyouEv\ aber Auf- schluß bringt sie, sowie sie dasteht, leider nicht. V. 8 ist y.azb) auch durch Demetrios' Erklärung gesichert, wie Vogliano gegen Bergk bemerkt. V. 4 TiEÖakEVOUEvag erklärt Vogliano unter Ergänzung von '/.EffäXag : quando la testa se ne va = cum mens abit. Hier wird aber Bergk richtig rr£Ja//£io7/£»'Og hergestellt haben mit Ver- weisung auf Hesych. 7TEdaXEv6(.iEvog' }.tEzai.ieX6i.iEvogj was zu dem vorhergehenden altiaf.(Ei'og gut paßt; im folgenden ergänzt Vogliano y. ei'th], aber fügt sich dies in den Zusammenhang?

Neue Fund e bringen :

1. Ein in Fayüm gefundener Papyrus im Museum der Universität zu Aberdeen, veröffentlicht von Th. Kein ach, Un fragment nouveau d"Alcee. Kevue des etudes grecques 1905. S. 295 f.; dazu Note sup plemeii taire sur le p a p y r u s d ' A 1 c e e. Ebenda S. 4 1 3 f B e r 1. Klassiker- texte V 2 (1907). S. 148f. E. 0. Winstedt, Some greek and latin papyri in Ab e r d e e n - m u s e um. Class, Quarterly I (1907). S. 261 f.

2. Berliner K 1 ass i ke r t e x te Heft V, 2. Hälfte: Lyrische und dramatische Fragmente, bearbeitet vou W. Schub art und U. V. W ilajuowitz- Mollen d or ff. Berlin 1907. S. 6L [Pap. 9810.]

QO J. Sitzler.

3. The Ox yr li yuclius Papyri. Part X and XI. Edited by B. P. Grenfell and A. S. Hunt. London 1914, 1915. [Pap. 12:33, 1234, 1360.]

Das Bruchstück des Aberdeeu-Museums gehört den Stasiotika an: wir linden darin den Namen der Kleanaktiden , zu dem Strabon XIII 599, 667 zu vergleichen ist. Das Scholion zu V. 7 erwähnt Myrsilos und Pittakos ; Myrsilos steht auch V. 11. In V. 9 liest man L-iQX£cxi'a'/.Tiöar, vgl. fr. 119. Derselben Gattung gehört auch das Bruchstück des Pap. 9810 an ; der Dichter hält das Boot an und beginnt zu zechen , vgl. dazu A. K ö r t e im Archiv f. Papyrusforschung V (1913) S. 549. Der Papyrus 1233 enthält 34, der Pap. 1234 6 Fragmente, die meisten sehr lückenhaft erhalten. Pap. 1233 fr. 1 Kol. 2, 8 f. warnt Alkäos seinen Freund Melanippos vor zu weit ausgesponnenen Hoffnungen : mit dem Tode höre alles auf. Fr. 2 Kol. 2, 1 f. stellt er der Hochzeit des Paris mit Helene die des Peleus mit Thetis gegenüber und M-eist auf die Folgen hin. die beide hatten. Fr. 4 ist an die Dioskuren, die Retter zur See, gerichtet. Pap. 1234 und Pap. 1360 enthalten Reste von Stasiotika. Im 32. Fragment des Pap. 1233 wurde das schon bekannte fr. 42 (Bergk) wiedergefunden.

Die neuen Bruchstücke , sowohl die jetzt als auch die schon früher gefundenen, sind von

E. Diehl, Suppleme n tum ly r icum. Neue Bruchstücke von Archilochus, Alcaeus, Sappho, Corinna, Piudar, Bacchylides ausgewählt und erklärt. 3. Aufl. Bonn 1917. 83 S. S^,

fast vollzählig zusammengestellt und mit einem Kommentar ver- sehen, der Ergänzungen. Verbesserungen und Erklärungen enthält.

Auf diese neuen Fragmente beziehen sich :

1. U. V. Wilamo witz - Möllendorff, Lese fruchte. Hermes 1905. S. 126. Neue lesbische Lyrik. N. Jahrb. f. klass. Altertum. 11*14. S. 225 f.

2. Berliner Klassikertexte Bd. V, 2. Hälfte. 1907. S. 3 f. '

3. P. E. Pavolini, Fraramenti lyrici e drama- tici di Papiri Berlinesi. Atene e Roma X (1907). S. 303f. [Inhaltsangabe.]

4. J. Sit zier, Zu Alkäos. Berl. Philol. Wochenschrift 1908. Sp. 1070 f. [Pap. 9810.]

5. A. Vogliano. Berliner Klassikertexte V 2

Ber. über die grioch. Lyriker usw. u. d. Epigraininsamuilungen f 1905—17. 61

S. U8. Bolletino di filologia classica XVI (1909). S, 85. [Aber- deen-Pap. V. 4.]

6. J. M. Edmonds, A new fragmeut of Alcaeus. Class. Review XXIIl (1909). S. 72 f. [Pap. 9810.] The B e r 1 i n - A b e r d e e n Fragment o f Alcaeus. Ebenda S. 241 f. The new fragments of Alcaeus, Sappho and Corinna. Cambridge 1909. 36 S. 8". The new lyric fragments. Class. Keview XXVIII (1914). S. 73 f. Dazu

7. A. S. Hunt, The new lyric fragments. Class. Kev. XXIII (1914). S. 126 f.

8. H. J u r e n k a , Neue Lieder der Sappho und des Alkaios. Wiener Studien XXXVI (1914). S. 201 f.

9. H. V. Arnim, Alkäos. Vortrag im Wiener Eranos. Zeitschrift f. Österreich. Gymnasien 65 S. 671.

10. A. V o g 1 i a n () , A 1 c a i c a. Atti di R, Accademia di archeologia, lettere e belli arti. Xapoli N. S. I S. 53 f. [Stand mir nicht zur Verfügung.]

11. P. Maas, Ein neuer alkäischer Zweizeiler. Wochenschrift f. klass. Philologie 1915 Sp. 598. [Pap. 123 i fr. 2, Kol. 1, If. = Diehl No. 23.]

12. 0. Schroeder, Allerneueste Metrik. Berl. Philol. Wochenschrift 1917 Sp. 1187 f. (Pap. 1234 fr. 2 Kol. 1, If = Diehl No. 23.]

Wilamowitz bespricht in den ., Lesefrüchten" die zwei in den Genfer Scholien zu W 319 gefundenen Bruchstücke des Alkäos, vgl. Jahresb. Bd. LXXXXII (1897. I) S. 127 f.-, im ersten liest er rui-ti (fövog yjyviai '/vvaiy.O)V, indem er iju/ui st. f.ti^ schreibt, im zweiten tjöei f^iev x^Q^^og ^tt] ßeßdojg EQY(xoif.aov JÄd^iov \ y,iveig xtA. : "^er wußte, daß er einen unsicheren Steinhaufen anstieß, und da dürfte er Kopfschmerzen haben ; st. ißec hält er auch, allerdings zweifelnd , ol'drj von olötj^i für möglich. Jedenfalls liegt zur Änderung des überlieferten o*idi]fx av kein Gi'und vor. H. D i e 1 s in den Sitzungsber. der Berl. Akad. der Wiss. 1891 S. 576 behielt auch lu)] ßeßdtog egyctaif-Wv Xid-ov bei und erklärte: „ich weiß, daß ich Sand aufwirble , wenn icli nicht auf dem Pflaster bleibe , und einen schweren Kopf wird vermutlich haben , (wer sich betrinkt)", indem er fi-. 50 vergleicht; aber auch diese Erklärung ist unsicher. Die Berliner Klassikertexte enthalten die zwei Fragmente des schon von W. Schubart 1902 veröffentlichten Pap. 9569, vgl. vorigen Jahresb. Bd. CXXXIII (1907. I) S. 184 in neuer

ti-J J. Sit/.ler.

Bearbeituiig. Das darin voröfteiitlichte neue Bruchstück des Pap. 9810 habe ich probeweise zu ergänzen versucht, um zu zeigen, welches der Gedankengang gewesen sein kann. Im Aberdeen-Pap. (= Diehl No. 1 B) V. 3 cmptiehlt Vogliano ^iq'og st. a/.i'(fOi; bei Rein ach. Ganz anders Edmonds: (7 £»•«/// )j;j yag zctde ad{iitaver \ ^loXUov, ov ude)hfüg Mc'r/.a{Q i-yy/i I YMTi/.Tevre 7T)ciQ0i0ev ßagidaion , wofür er auf Scholion 11. 2-i. 544 verweist. Edmonds' Arbeiten bezwecken die Er- gänzung der Bruchstücke; die in Class. Rev. XXIIl behandelten sind in den New Fragments abgedruckt. Der Aufsatz in Class. Rev. XXVIII betrifft die in Ox. Pap. X veröffentlichten Fragmente. Hunt widerspricht vielen hier ausgesprochenen Vermutungen. Mit den Fragmenten des Ox. Pap. X beschäftigen sich Jurenka, W i 1 a - niowitz in den X. Jahrbüchern und Arnim. Wilamowitz weist darauf hin , daß von den zwei Rollen nur die zweite mit Scholien versehen war, und daß die Gedichte nicht nach Versmaßen geordnet waren , wie die der Sappho , sondern Abwechslung nach Form und Inhalt zeigten, wie die des Horaz, eine Anordnung, die auf den Dichter selbst zurückzugehen scheine. Das Gedicht an Melanippos ergänzt Jurenka; am Anfang, der lückenhaft und, ■wie schon der Verstoß gegen das Metrum ergibt, korrupt überliefert ist, schreibt er: zi i)v (-'{Ineai , er,) MeXävurn^ ^ c((.i if.toi, Ti ; (zaiaö } I oT au€{rorj i-dgaig), ^Ayioovxa uey{((ßQ0f.(0i') xrA. ; der Pap. hat divraevi' l^ytQorza, wie V. 8. Darin mißfällt mir die Trennung des or von au' l'uoi durch MeXävinrce und die Elision am Ende des Verses, die durch die angeführten Beispiele nicht ge- nügend geschützt wird. Ich lese: ti cjv t{l7iEai , i')) MelciriTtTi', ULI ti.101 ; ZI \orj): \ ui au t^r^g EvtQOiG ) AyeQorza AZA., tr^g mit Synizesis. Am Schlüsse des V. 3 . wo die Hrsg. tazegov ergänzt haben, ziehe ich ar näXiv vor, ebenso V. 5 tua von iiiaif.ii ^ vgl. Sapph. 1, 19; tq^a , das die Hrsg. herstellen, scheint mir weniger passend. V. 9 schreibt Jurenka Ägovldaig ßa{oiXevg öiöot) st. ßa{ovv vjQiae) bei Hunt, ansprechender, weil so das zweite Attribut zu (.löyiyov (ßägtr) beseitigt und eines {ßaoiXevg) zu Kgovidaig ge- fügt wird; aber das Praesens öiöoi nach dem Aorist Entgaioe ist weniger empfehlenswert; ich ziehe rrÜQE vor, vgl. Soph. El. 209 f. Der Schluß des Gedichtes V. 11 f. bleibt leider unsicher. Das folgende Gedicht (= Diehl No. 8) wurde von Wilamowitz und Jurenka sinngemäß hergestellt: V. 9 f. liest Wilamowitz: e'?.(voe d ayvag) \ 'Ccj/n/iia TcagO^erio (filö{zag ayavoj) \ Jlrjleog v.ai Nr^getdioy aQiaz{ag), .Jurenka: ü.{vOE ö^ ayvor) \ L. nagO^ivio .

i

Blt. über die griccli. Lyriker usw. u. d. E|>i^'r;iminsauniiliiiiLrcii f. lilOö 17. G3

q^iX6(jag t^ if.iei'xdt^) Ih'fAeQg /.xk. Einfaeher und natürlicher wäre : tXvüf, ö" äyvag C(of.if.ta Tragif^ivco, (piXöiag t' ovaoE (oder t' l'yEvt'' Eii) \ Ilrjleog y.al Nr^gtidwi' agiotag, im Geg-ensatz 7a\ V. 1 f. y.a/.on' ävtTi,V ctn^ tQycov UeQQctf^nij y.il. Auch fr. 4 (= Diehl 12), das Gebet an die Dioskuren , wurde von AVilauiowitz und Jurenka gut ergänzt, wenn sie auch im einzelnen da und dort voneinander abweichen. raj). 1234 fr. 1 (= Diehl 22) ist im 1. Vers vielleicht yiröoi f^iiv in{aXyeoyieg) | ocf.Kf()Qai(jL at'K. zu ergänzen. Fr. 2 (= Diehl 23) ist, vom Anfang- abgesehen, gut erhalten, zeigt aber ein neues jMetrum. Der Vers besteht aus drei Dipodieen, von denen die anderthalb letzten durchweg gleich sind: -v_y^-w ; die erste Hälfte der mittleren Dipodie wechselt zwischen Spondeus, Trochäus und Jambus. Wilamowitz vereinigt die zweite und dritte Dipodie zu einer Einheit = Glykoneus, dem eine

Dipodie vorhergeht, die als v^-, -w-^, ^ ^, ^^-w-, und v^

erscheint. Jurenka sieht darin eine frühere Form des Askle- piadeus. Maas macht darauf aufmerksam, daß die Verse 2, 4, G und 8 die gewöhnliche Form des Asklepiadeus zeigen, während die Verse 1, 3, 5 und 7 iambische Dipodie und Gljkoneus haben; er hält demnach das ]\letrum, aus dem das Gedicht besteht, für einen Zweizeiler. Abweichend ist die Auffassung Gerckes, nach dem „das Lied in einem eigentümlichen Versmaß gehalten ist, mit zwei schweren dreisilbigen Füßen (zumeist Palimbacheen) anhebend, dann in leichterem Takte gehalten (vgl. die Asklepiadeen Maecenas . . . regibus)", vgl. Internationale Monatsschrift 1917 S. 605. Diese Auffassung widerlegt Schroeder, der an den Asklepiadeen fest- hält, die aus einem viersilbigen Vortritt mit Glykoueus entstanden sind. Fr. 1 Kol. 1. 14. 15 (= Diehl 24) ist mit einem Scholion versehen , dessen Sinn sich etwa folgendermaßen herstellen läßt : {dilXo! rav)za tuv udh/.aiov sgc'ß/itsvov ' qi{iXog xoiovt)ov, tüazE ae y.al eni yolqov z{o)v •/.{xEivöi.ievov) eig tu 7TaQaay.Eidaf-iaT{a zaAfi?})' Tolg yccQ Bsvoig /neva G7iov{öi^g 7coioiaiv (oder tnoiovv) Et)ioyiai'' 7iaQ0i(.tia de, hrEl cf{avEQiZ)v XtyEi' ouico zoiio rofiioÖEiai. Fr. 2 Kol. 2 (= Diehl 25) bezieht Wilamowitz auf Hyrrhas , den Vater des Pittakos ; den verstümmelten Anfang hat Jurenka zu ergänzen versucht. V. 5 O^autcog wird aus ^af-iaviog verschrieben sein, das mir besser in den Zusammenhang zu passen scheint. Fr. 3 (= Diehl 26) wird ein Freund Bykchis genannt, den wir schon aus fr, 35, 3 kennen und den auch das Scholion zu Pap. 1360 fr. 3 erwähnt. Am Anfang ist von einem durch den Sturm bedrängten Schiffe die Rede. Diehl bestreitet, daß dies eine Allegorie auf

64 J- Sitzler.

den Staat sei: ich halte es fiir eine solche, ebenso wie fr. 18 und Hör. carm. I 9, vgl. Heraclid. Alleg. Hom. 5. V. 1 und 2 ergänze ich Tiav (poQTiov ö{vaoioiov, aviag (sc. t/~c vecog) d' otti f.id)AaTa aaocfQoreoai , V. 9 f. tiQneoO^ai {rrag^ oivor) oder {riovoioi) \ /mI TiEÖä Bv/,xtöog avO^{i Tcaiodrjv). Fr. 4 (= Diehl 27), 10 f. ist der Sinn: {ciXV cd ttot^ {= n.Qog) vßqiv /.cd (.itya i^€{oairy)eL oder ^£<o// ('(j)€/ {cf'QOvrj(.i)ai' {=(fQOvrif.iazi) ctvöqeg dgaioiv atdai^ala xtA. Fr. 6 (= Diehl 28), 5 läßt sich herstellen {Xotöoglav re cpe)Qeai^^ avc'iy/M. Pap. 1360 fr. 2 (= Diehl 31) wird die Tätigkeit dessen, der sich zum Tyrannen aufwerfen will , mit der des Fischers , der sein Netz auswirft, verglichen, wie bei Solon fr. 33 ; ich lese daher Tu de nXarv j {ß('c?.hjv Xivov y.aTTCcg) yiECfäXag f-uaei und dann V. 5 (fiv kFe ßlcc y,aT6xrjy i}^eXo)vTeg, vgl. Solon 9, 5. Die Verse 6 f. lassen sich auf Grund des beigefiigten Scholions sinngemäß ergänzen : <aA/,\ w cfiloi, iTJ', ag e'zi t)6 §vkov \ {tTicco^ivyev •/.aitvoi') ngotet f.i6vov^ in Hunts Herstellung mißfällt ct/nui. und der Artikel zov bei /.ccTivov. Zu Ofnvyt^vai vgl. Lukian. veäq. öictX. 6, 3.

Was nun das Urteil betrifft, das wir aus den neuen Fragmenten über die Poesie des Alkäos gewinnen, so stimmt dies mit dem, das wir bisher schon auf Grund der überlieferten Verse hatten, völlig überein; es zeigt sich nirgends bei ihm Kunst, aber überall frisches Leben und packende Unmittelbarkeit der Empfindung. Über das Verhältnis zwischen ihm und Horaz spricht

U. V. Wilamowitz-Möllendorff, Sappho und Simonides. Berlin 1913. S. 309 f.

Er führt aus, daß wir uns von dem Dichter Alkäos auch ohne Horaz ziemlich dasselbe Bild machen würden. Was ihn dem Römer empfehlen konnte, sei die persönliche Note gewesen, festgehalten habe ihn aber nur die Metrik und der Stil. Allem, was er ihm entnahm , habe er den Stempel freier Variation aufgedrückt ; so seinem NuUam Vare sacra, seinem Miserarumst, seinem Vides ut alta, das eine etwas Aveitere Vergleichung gestattet, und seinem Hymnus auf Merkur. Für das einzige ganz an Alkäos angelehnte Gedicht hält Wilamowitz 0 navis referent; Horaz, so meint er, habe aus den Grammatikern gelernt, das Gedicht des Alkäos sei eine Allegorie; damit hätten die Grammatiker vermutlich recht ge- habt , aber wir könnten dies nicht entscheiden. Horaz habe dies Motiv aufgenommen und umgebildet, nicht nur für die Lage seines Vaterlandes, die er nur bis 31 so habe beurteilen können, sondern auch für die seine. Horaz stehe nämlich am Ufer und sehe das

Ber. über die grieeh. Lyriker usw. u. tl. Epigraiumsaimnlungen f. 1905 17. (j5

Schiff im Kampf mit den Wellen, Alkäos aber fahre darauf und be- stehe die Gefahr.

8 1 e s i c h o r 0 s. An Arbeiten über Stesichoros liegen vor :

1. U. Manen so, La lirica classica Greca in 8 i c i 1 i a e n e 1 1 a Magna G r e c i a. Pisa 1912. S. 1 5 5 f. Per Stesicoro. Atene c lioma XVII (1914). S. 299 f.

2. J. M. F. Bascoul, La chaste Sappho de Lesbos et Stcsichore. Paris 1913. S. 5 f.

3. U. V. Wilamo wi tz - Mollen dor ff, Lesefrüchte. Hermes 1905. S. 128 [fr. 50]. Sappho und Simon ides. Berlin 1913. S. 151. Die Dichter mit dem Namen Stesichoros. S. 233 f.

4. N. Terzaghi, Scena della Palinodia dt Stesi- coro neUa ceramica italiota. Xeapolis I (1912). S. 6f.

Unsere Überlieferung kennt drei Dichter mit dem Namen Stesichoros; einer wird von Simonides fr. 53 neben Homer genannt, und er gilt allgemein für den alten Chorlyriker aus Himera: von einem zweiten heißt es im Marmor Par. Ep. 50, 485/4 ^zr^aixoQog 6 JTOtr/r^g elg zrjv '^E^.laöa acpr/.ETO , und ein dritter wird ebenda Ep. 73, 369/68 erwähnt : acp ob ^xi^aiyooog 6 ^[/.legcdog 6 öevTEQog eviv.r^oev ^d^rjvr^oiv. Der Zuletztgenannte war ein Dithyramben- dichter, von dem ein ^Kyklop" kurz vor 353 am Hofe Philipps von Makedonien aufgeführt wurde, wie Didymos zu Demostbenes XII 61 berichtet. Aus dem Ziisatz o devxEQog geht, worauf Wila- mowitz hinweist, hervor, daß der Chronist keinen dritten kannte. Von dem ersten sagt Wi 1 amo witz , daß er keine greifbare Person mehr sei, aber den Himeräern gelassen werden müsse ; die Lokrer hätten sich ihn angeeignet . wie so viele Städte den Homer , und zum Sohne des Hesiod gemacht , als ein Stesichoros bei ihnen als Meister ihrer chorischen Dichtung berühmt geworden sei. Dies ist nach ihm der an zweiter Stelle genannte Stesichoros; Wilamowitz bringt ihn mit der Palinodiefabel zusammen und schließt daraus, daß er in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts gelebt habe. Ich kann diesen Schluß über die Lebenszeit dieses Stesichoros nicht als zwingend anerkennen; denn Avie Wilamowitz ausführt, ist die Palinodiefabel von den Lokrern aus der älteren Phormionfabel, die keine Beziehung zu Stesichoros hat , umgedichtet ; da diese an die Schlacht am Flusse Sagra anknüpfte, wurde diese Zeitbestimmung

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 178 (1919. I). ä

66 J. Sitzler.

aus ihr auch auf die Paliuodiefabel, welche das Anrecht der Lokrer auf Stesichoros dartun sollte, übernommen. Daher läßt sich aus ihr kein bindender Schluß auf die Lebenszeit des Stesichoi-os ableiten. Die Notiz des Marmor Parinm ist irrtümlich entweder im Namen oder in der Jahreszahl oder in beidem ; ein Dichter Stesichoros, der im Jahre 485 nach Griechenland kam , wäre nicht unbekannt geblieben, sondern wir hätten Nachrichten über ihn. Aus all dem folgt für mich, daß ein lokrischcn- Dichter Stesichoros am Ende des 6. und Anfang des 5. Jahrhunderts nicht vorhanden war; dieser ■war ein und dieselbe Person mit dem alten Chorlyriker.

Diese Ansicht, nämlich daß es nur einen Chorlyriker Stesichoros gab , wurde schon von den alexandrinischen Gelehrten vertreten. Jacoby, Marmor Parium p. 176 und 180, versetzt diesen in die Zeit Gelons , wie vor ihm schon D o p p , Quaestiones de Marmore Pario, Breslau 1885. und Konon , der Narr. XLII die Fabel vom Hirsch und vom Pferd mit Gelon in Verbindung brachte, ein Irrtum, den Mancuso im Anschluß an Columba auf die enge Beziehung zurückführt, die seit der Besiegung der Karthager durch Gelon bei Himera zwischen Gelon und Himera bestand. Ob diese Erklärung richtig ist, lasse ich dahingestellt; jedenfalls aber lebte der Stesichoros, den Simonides erwähnt, nicht zur Zeit des Gelon ; denn wie W i 1 a - mowitz mit Recht bemerkt, konnte für Simonides nur ein Dichter, der für ihn alt war, nicht ein Zeitgenosse eine dem Homer nahe- kommende Autorität haben. Die Alexandriner hatten sicherlich ihre Gründe, wenn sie den Lokrer ausschalteten und nur den Himeräer anerkannten, den sie in die Zeit 632 556 setzten. Mancuso sucht diesen Ansatz in seiner Abhandlung in Atene e Roma wahr- scheinlich zu machen , indem er darauf aufmerksam macht , daß Eukleides, der Vater des Stesichoros, einer der Gründer von Himera war, daß sein Bruder Mamertios von den alten Chronographen zwischen Thaies und Pythagoras genannt wird, ein Ansatz, dessen Richtigkeit Wilamowitz allerdings wegen der ihm nachgerühmten Verdienste um die Geometrie bezweifelt, und daß er von Phalaris nicht getrennt werden kann. So scheint es mir am sichersten, bei der Überlieferung stehen zu bleiben.

Über Leben und Werke des Stesichoros sprechen Mancuso, Bascoul und Wilamowitz. Bascouls Arbeit ist wertlos. Mancusos sonst gute Darstellung leidet an dem Fehler, daß er die Bedeutung des Stesichoros möglichst groß erscheinen lassen will ; er weist ihm in der Chorlyrik dieselbe Stellung zu. die Homer in /1er epischen Poesie einnimmt; denn nach ihm hat Stesichoros

Ber. über die grieoh. Lyriker usw. u. d. Epigraiiiinsaniinlungen f. 1905—17. (J7

Sprache, Metrum und Kompositionsart der C'hurlyrik geschaften. Als Muster seiner Dichtung in dieser Hinsicht betraclitet er die vierte pythische Ode des Pindar. Ja, aucli hiusichtlicli der Mythen gilt Stesichoros dem M a u c u s o als reiche (Quelle , aus der die Späteren schöpften. Und doch reicht das, was uns von ihm und über ihn überliefert ist, kaum hin, um uns auch nur ein allgemeines Bild seiner 'J'ätigkeit zu machen, geschweige denn, daß es die Be- weise fiir einen solchen Einfluß seiner Poesie erbrächte. Daher hat sich auch T. Tosi, II sacrificio di Polissena. Atene e Koma XVII (1914). S. 19 f., mit Kecht gegen diese Ausführungen Mancusos gewandt. WilamoAvitz weist darauf hin, daß die Grammatiker zwar 26 Bücher Gedichte von Stesichoros nennen , aber trotzdem nur nach Einzeltiteln zitieren, die alle auf für den Chorgesang be- stimmte mythische Erzählungen hindeuten ; auf diesen Gedichten beruhe die verbreitete Charakteristik des Stesichoros als 0(.iriQi'/.6g. Daneben müsse es aber von ihm auch eine Art Skolien gegeben haben, da man ra ^cr^oixoQOV in Athen beim Weine gesungen habe : jedoch seien diese ebensowenig wie Kliadina und Kalyke und die Päane von den Grammatikern anerkannt und in die Ausgabe auf- genommen worden. Popularität könnten wir eigentlich nur für die beiden Gedichte beweisen, die mehrere Bücher hatten, Helena und Orestie ; in ihnen sei das lakonische Element auffällig ; es könne zwar vielleicht durch die Benutzung epischer Vorlagen erklärt werden, so daß man des Stesichoros entraten könne , der 485 nach Hellas kam, aber verwundern müsse dann das Interesse des Sikelioten an diesen lakonischen Dingen.

Die einzelnen Dichtungen und die mit ihnen verknüpften Fragen behandelt Mancuso eingehend. Das Gedicht „Skylla", über dessen Inhalt wir keinerlei Mitteilung besitzen , bringt er mit Herakles zusammen , der auf dem Heimweg mit den Kindern des Geryones an der Höhle der Skylla vorbeigekommen sei ; dabei habe ihm die Skylla Kinder geraubt, weshalb sie Herakles getötet habe ; später jedoch sei sie von ihrem Vater wieder ins Leben zurück- gerufen worden. Zur Iliov JitQOig bemerkt er, daß der Grund, warum sie der Künstler der tabula Iliaca benutzt habe , wohl der gewesen sei, weil er hier die ersten sicheren Spuren des italischen Mythos von Aeneas gefunden habe. Die Haltung, die Polyxena und Hekabc auf der Tafel einnehmen, findet Mancuso ganz der in Euripides' Hekabe entsprechend und schließt daraus, daß Euripides des Stesichoros Dichtung zu Rate gezogen habe. T. Tosi, II sacrificio di Polissena. Atene e Roma XVII (1914). S. 19 f. wider-

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spricht tlem, aber M a n e u s o in seiner Erwidernug ebenda S. 299 f. bleibt bei seiner Ansicht. Eine sichere Entscheidung wird sich in dieser Frage, bei der die subjektive Auffassung mitspricht, nicht treffen lassen. Ansprechend ist die Vermutung Mancusos, die Sage habe Helena dem Dichter das Augenlicht rauben lassen, weil sie eine Göttin des Lichts gewesen sei ; die von ihr verhängte Strafe sei also gerade die Entziehung dieses Lichts gewesen. Aus der ITa'/.i- vq)öia läßt Mancuso den Eurii)ides sein eiöiulov '^Elivr^g ent- nehmen. Vorsichtiger sagt Wilamowitz, daß es nicht zu bestimmen sei, ob Euripides ihr das li'dto^.ov verdanke; denn der Paraphrast zu Lykophron 822 berichte : ngioTog Haloöog tieqI '^EXävr^g ELÖio/.ov 7caQ^yayE^ und Dion Chrys. XI 41 verstehe die Verse des Stesichoros: otv, tat" trvf.iog loyog oirog xtA. dahin, ort cb naqü-nav ovde TtXevOBiEv fj "^EXivr] ocdainoOE ; wenn Helena aber Sparta über- haupt nicht verlassen habe , sei sie auch nicht nach Ägypten ge- kommen. Terzaghi erkennt auf einer Amphora des National- museums in Neapel Heydemann 1982 = Archäol. Zeitung 1853 Tafel 53 die Palinodie-Szene wieder; es sind zwei Gruppen über- einander , unten Helena im Gespräch mit Paris , darüber Zeus im Gespräch mit Hermes. Daraus schließt er im Vergleich mit Eurip. Hei. 44 f., daß Zeus dem Hermes den Befehl gebe, Helena zu Proteus nach Ägypten zu bringen ; Paris habe nur das EiöioAov zu Schiff mit sich nach Troja geführt. Ähnliche Szenen finden sich aixch auf andern Vasen, die er anführt. Ist diese Deutung richtig, so wird damit Dions Auffassung der Verse des Stesichoros denn von diesem hängt der Dichter ab bestätigt ; an Euripides' Ent- lehnung des EiSiü?^ov aus unserm Dichter könnte man dann nur festhalten , wenn man annehmen würde , daß er zugleich auch das elÖw).ov von Sparta nach Ägypten verlegt hätte. Kalyke, Rhadina und Daphnis hält Mancuso für echte Dichtungen des Stesichoros. Fr. 50 schreibt Wilamowitz: xoQEVf-iaxä roi i.iu)AOza xtA. Simonides 46 möchte er am ehesten dem Stesichoi-os zuweisen; denn daß die Verse nicht von Simonides sind, glaubt er mit Boas. Auch schließen die zwei Bruchstücke nicht unmittelbar aneinander an. wie schon B r. Keil bemei-kte.

Iby kos. Auf Ibykos beziehen sich :

1. U. Mancuso, La lirica classica greca in Sicilia e nella Magna Grecia. Pisa 1912. S. 295 f.

3. U. V. Wilamowitz-Möllendorff, Sappho und

Her. über die frviecli. Lyriker usw. u. cl. pjpijjraiiimsammlungen f. 1905 17. (59

S i ra o n i cl e s. Berlin 1913. S, 243 f '. : Die Kraniche des Ibykos. S. 122t'.: fr. 1, 2 nnd 7.

3. P. Maas, Ibykos. Pauly-Wissowa-Krolls Kealeucy- klopädie des klass. Altertums. 17. Halbband 1914. Sp. 816 f.

Maas' Artikel ist eine kurze Zusammenstellung dessen, was ■wir über Lebenszeit, Heimat, Vater, Lebensschicksale des Ibykos, Urteile der alten Kunstricliter über seine Poesie , über seine Dichtungen, deren Sprache und Versmaß wissen. Dagegen erörtert Mancuso alle einschlägigen Fragen ausführlich und gründlich, meistens so , daß man mit ihm einverstanden sein kann. Zu viel folgert er aus der Erklärung zu dem Sprichwort: ctQyaioTEQog [ßrnov enl zojv errjd^tor. obrog yccg tvQavve.lv dvvdinevog aTiedri(.n]oev. Diese deutet allerdings auf Ibykos' Beteiligung au der Politik seiner Vaterstadt hin ; aber welcher Art diese war, läßt sich daraus nicht •erkennen. Mancuso meint, er sei Aristokrat gewesen und habe in den lieihen dieser gekämpft, bis er, der Unruhen der Partei- Streitigkeiten überdrüssig, nach Samos gegangen sei. Daß er einer aristokratischen Familie angehörte , ist wahrscheinlich ; aber wenn €r Aussichten auf die Tyrannis hatte, muß er auf selten der Volks- partei gestanden haben. Auch ist es dann nicht möglich, daß er in jungen Jahren seine Heimat verlassen habe , wie Mancuso an- nimmt : denn nur ein Mann in reiferen Jahren wird sich beim Volke ein solches Vertrauen erwerben können , daß er Tyrann werden kann. Wenn Mancuso zur Erhärtung seiner Annahme fr.- 24 beizieht, so hat er in die ganz unverfänglichen Worte, die in vielen Lagen gesprochen werden konnten, seinen Sinn hinein- getragen. Wilamowitz möchte bei den politischen Unruhen in Ehegium an die pythagoreischen Wirren in Unteritalien denken; dies würde dann einen späteren Lebensansatz des Ibykos bedingen. Aus dem Sprichwort und seiner Erklärung läßt sich nur folgern, <laß der Dichter an Parteikämpfen seiner Vaterstadt Anteil nahm und Aussicht hatte, zum Tyrannen sich aufzuschwingen, aber vorzog, nach Samos zu gehen, schon in reiferem Alter. Die Fabel über die Art seines Todes bringen Mancuso und Wilamowitz, un- abhängig voneinander , mit der von Jamblichos de Py thagor. vita XXVII 126 in Zusammenhang: sie wurde auf Ibykos übertragen, wie Mancuso meint, entweder aus etymologischem Grunde, was doch wegen der Gleichsetzung von \ßv^ = yäqavog recht zweifel- haft ist, oder wegen des ylqavog genannten Tanzes, mit dem dann Ibykos in irgendeiner Beziehung gestanden haben müßte, wovon wir

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iiiclits wissen. Die Krauichsage ist also auch jetzt noch nicht völlig aufgeklärt.

lu der Dichtung des Ibykos unterscheidet Mancuso mit Flach zwei Perioden, die rheginische und die samisclie. Aus der Tatsache, daß die Grammatiker seine Gedichte nach Büchern zitieren, schlielJt er, daß keines davon einen Umfang hatte, um ein ganzes Buch zu füllen, wie manche des .Stesichoros, was als wahrscheinlich gelten kann. Auch die balladenartigen Gedichte der ersten Periode, die im Anschluß an Stesichoros nach Art der Kalyke und der Khadina gedichtet waren, bevorzugten nach Mancuso das Erotische und standen so mit denen der ersten Periode in Verbindung , was sich aus den auf uns gekommenen Überresten und Nachrichten nicht beweisen läßt; denn Liebesepisoden finden sich so ziemlich in allen Mythen, und man kann nicht sagen, daß Ibykos mit Vorliebe solche wählte, die besonders reich daran waren. Die Dichtungen der samischen Periode betrachtet Mancuso als Gegenstücke der Par- thenien Alkmans. Den Gedanken des 1. Fragments faßt er irr- tümlich; richtig erklärt Wilamowitz: „während die Natur ihre Liebesperiode im Frühling hat, werde ich die Liebe niemals los:" dieselbe Erklärung gab ich übrigens schon vor Jahren. Fr. 1 und 2 werden von Wilamowitz eingehend stilistisch besprochen: fr. 1, 8 vermutet er {alX a)d- V7c6 aregOTiag -/.zX. Fr. 7 verteidigt Wilamowitz avTivog als Nominativ: „dvTTvog ist der Morgen einfach, weil man morgens nicht mehr schläft, freilich nicht sehr geschickt für aq^VTivtCwv'' zur Nachtigall als Morgen Sängerin ver- gleicht er Khesos 546 f. ; er hätte auch noch Philosti'at. heroic. p. 665, 18 = S. 286, 8 f. (K.) beifügen können. Fr. 8 schreibt Mancuso mit Hermann ^avd^ai unter Streichung von TcOLV.iXai, das er für eine Glosse hält, und "/.aloloöeiQOi , so daß jedes Sub- stantiv sein Attribut hat; weniger gefällt ihm a'/.QOV(xtoiO iCdvoiOi, das Wilamowitz vermutete. Fr. 21 schlägt Mancuso recht ansprechend öagov d aga o'i XQ'^^ov ijOto tarpei nercayojg vor. Fr. 26, 2 wünscht er tv veoig, wo Bergk u. a. £f.iol schreiben; überliefert ist ivioig. Fr. 28 wird meiner Überzeugung nach irr- tümlich dem Ibykos beigelegt; der Vers gehört dem Bakchylides, vgl. V 26 f.: der Namen Ibykos ist verschrieben. Fr. 50 «At'r^ox« möchte er auf den Alpheios beziehen; das Attribut ist aber zu all- gemein, um einen solchen Schluß zu rechtfertigen.

Ber. über die griecli. Lyriker usav. u. d. Epigrainiusamnilungen f. 1905 17. 71

Anakreon.

Mit Anakreon beschäftigen sich :

1. U. V. Wilamo witz-Mö 1 lendo r ff , Sappho und Simonides. Berlin 1913. S. 102 f., 307 f.

2. T. K e h r li a h n , A n a c r e o n t e a. Hermes 49 (1914). S. 481 f.

Wilamo witz gelit von der Betrachtung- der bildlichen Dar- stellung Anakreons aus und wendet sich dann der Untersuchung seiner Lebensschicksale zu. Anakreon wanderte nach der Eroberung von Tees durch Harpagos aus und ging nach Abdera, wo er gegen die Thraker focht. Von hier begab er sich zu Polykrates nach Samos und nach dessen Sturz zu Hipparchos nach Athen. Was nach der Ermordung des Hipparchos aus Anakreon geworden ist, wissen wir nicht. Aber der Krieger Anakreon wurde über dem Zecher in der Folgezeit vergessen ; Himerios , der ihn noch las, macht ihn gar zu einem Prinzenerzieher. Schließlich spricht Wila - mowitz noch über den Stil, den Anakreon in seinen Gedichten anwendet ; er vergleicht ihn mit dem des Ibykos, und der Vergleich fällt zugunsten des Anakreon aus ; Ibykos ist überladen. Wegen seiner einfsichen Eleganz , seines Witzes und der Prägnanz seines Ausdruckes schloß sich Horaz an ihn an ; aber er benutzt nur ana- kreontische Motive , wie natis in usum laetitiae scyphis pugnare Thracumst ; vitas hinnuleo me similis, Chloe ; nondum subacta ferre iugum valet cervice, hält sich aber von den anakreontischen Metren fern, die ihm nicht behagten , wie Wilamo witz aus Epod. XIV 11 f. schließt.

Nach der allgemeinen Annahme waren die Gedichte des Ana- kreon in 5 Bücher eingeteilt, und diese Einteilung beruhte auf den in ihnen verwandten Metren , wie es auch bei den Gedichten der Sappho war. Kehr h ahn weist darauf hin, wie wenig sicher diese Annahme ist , billigt sie aVjer doch aus praktischen Gründen ; wie die alexandrinische Ausgabe aussah, erfahren wir nicht. Fr. 1 gilt allgemein für unvollständig. Wilamo witz erklärt es für voll- ständig, indem er darin einen Toast auf Magnesia sieht, der an- läßlich der Anwesenheit des persischen Satrapen von Magnesia am Hofe des Polykrates von Anakreon ausgebracht worden sei. Dies widerlegt Kehrhahn durch eine eingehende Interpretation der Hephaestion-Stelle ; auch an dem schon von B er gk angenommenen Gegensatz zwischen der Aristophanischen und Aristarchischen Aus- gabe hinsichtlich der metrischen Gestaltung dieses Gedichtes hält er

t iL

2 J. Sitzler.

gegen L o o W e b e r fest. In der einen Ausgabe war das Gedicht monostrophisch, jede Strophe zu 8 Kola, in der andern wechselten Strophen zu 3 und 5 Kola regelmäßig miteinander ab. Fr. 2, 11 faßt W i 1 a m o w i t z den Imperativisch gebrauchten Infinitiv (Ji/Cff^at als zweite Person, dem ayaiyho, yever av^ßovXog entsprechend, und erklärt: „mögest du meine Liebe nicht verschmähen, Dionysos;" aber nicht Dionysos, sondern Kleobulos soll die Liebe des Dichters nicht verschmähen. Kehrhahn will ötyieoi^ai im Sinne von „nimm auf, nimm in deinen Schutz" fassen, was es nicht bedeuten kann. Ich halte an meiner Auffassung fest, daß dixead^ai für die dritte Person des Imperativs steht: Kleobulos soll annehmen, was allein in den Zusammenhang paßt. Fr. l-t, 8 tritt Wilamowitz fiir Bei- behaltung der überlieferten Lesart : ycQog d al,)^rjv tiva xdoy.ei ein ; die Änderung von akXvjV in äXXov bezeichnet er als „monströs" (V). Fr. 17, 3 verlangt er für naidl cißqfj einen Eigennamen, früher naq Idf-ißi], jetzt eher einen viersilbigen, wie JTohdQXf] ; die Elision so- wohl als die Wiederholung von aßgög, das schon im voi-hergehenden Verse steht, ist allerdings störend. Fr. 53 bezieht er auf Athen; „das Spiel des sizilischen Kottabos, der das attische tt überall be- wahrt außer in der attischen Tragödie, muß sich demnach von Athen aus verbreitet haben." Fr. 75, 2 zeigt er, daß do-/.ieig ,u' oiÖEv v.tX. nur = doy.eEig fJOi ovdiv v.tX. sein könne, und V. 6 behält er das über- lieferte LTtnoneiQrjV gegen Bergks Ititcooeiqi^v bei; irtno^celor^v enef-i- ßc'arjV übersetzt er „pferdekundigen Reiter". Fr. 90 hält er raoTQodojQT] für einen Spitznamen st. MrjTQOÖcjQrj, indem er auf Sophokles fr. 139 verweist. Zu Epigr. 114 = Anth. Pal. XIII 4 bemerkt Bergk: videtur non tam epigramma quam maioris alicuius carminis exordium esse; er hätte es also unter die Elegien setzen sollen. Wila- mowitz glaubt, daß es ein Trinkspruch auf Aristokleides sei, der offenbar vor Abdera fiel. Epigr. 100 = Anth. Pal. VII 226 stand nach Wilamowitz auf einem staatlichen Monument in Abdera und wurde dem Anakrcon nur zugeschrieben, weil die Überlieferung von seinem Aufenthalt daselbst wußte. Epigr. 101 = A. P. VII 160 gehört nach ihm in die Reihe A. P. VI 134 143 , der auch die Epigramme 102 111 angehören, di6 alle von Monumenten Epigr. 109 von einem Gewebe abgeschrieben , daher autorlos sind. Auch Epigr. 112 stammt von einer Herme, die ein Metöke Tellis oly.öjv Evwvvfxiaot vor seinem Hause errichtet hatte, als ihm die l'y/.rr^oig oi/.iag verliehen war. So bleibt nur noch Epigr. 113 = A. P. VII 263, gegen dessen Echtheit nichts spricht; denn „wie bei Simonides muß die Existenz von echten Epigrammen . die keine

Ber, über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsanimluugen f. 1905 17. 73

Aufschriften zu sein brnuchten, den Anlali zur Zuteilung anonymer Gedichte auch bei Anakreon gegeben haben."

Über die in den Fragmenten dos Anakreon vorkommenden dorischen und iiolischen Formen handelt Kchrhahn im 3. Teil seines Aufsatzes. Dabei scheint es ihm entgangen zu sein, daß auch ich in der Wochensehr. f. klass. Philo). 1913 Sp. 852 darüber ge- sprochen habe. Das Ergebnis, zu dem er gelangt, stimmt mit dem meinigen überein : alle diese Formen sind unrichtig überliefert. Fr. 31 ist mit Schol. Hermog. Khet. VII 488 aiyjii^v zu schreiben, ebenso fr. 70 fieraiyjttp; fr. 67 fjdvfieXeg und fr. 76 /.ocqi]. Fr. 73 vermutet Bergk a/rtQConog, und fr. 25 liegt XQvaocfaicov, das auch hs. überliefert ist, oder yQVGO(paeiviov st. XQVGOCfaevvtTjv nalie. Fr. 78 und 36 ist der Name des Dichters verschrieben ; das erstere gehört dem Alkman, das letztere dem Alkäos, für den nicht nur der In- halt, sondern auch die Überlieferung spricht; denn als Zeugen für Aolisch führt man nicht den Anakreon an.

Anacreontea. In neuer Auflage erschien :

Carmina Anacreontea e bybl. nat. Par. cod. Gr. suppl. 384 post Val. Kosium tertium edidit C. Preisendan z. Adiecta est tabula phototypica. Leipzig 1912. XX, 66 S. 8®.

Die Praefatio ist dem jetzigen Stand der Forschung entsprechend völlig umgearbeitet; sie behandelt das Schicksal der palatinischen Anthologie-Hs., Stephanus' Abschrift und Ausgabe der Anakreonteen, sowie die Überlieferung der Anakreonteen im cod. Pal.; als Probe ist S. 675 in photographischer Nachbildung beigegeben. Im Text der Gedichte schließt sich Preise ndanz enger au die Überlieferung an als Kose; die hs. Lesart wird überall genau angegeben ; wo sie unzulänglich ist, wird zu den Verbesserungsvorschlägen der Ge- lehrten gegriffen , und wenn auch diese nicht ausreichen , Averden eigene Vermutungen vorgebracht. Außerdem ist der Ausgabe ein index verboriim beigegeben. Einige Nachträge zu diesem habe ich in der Berl. Philol. Wochenschrift 1913 Sp. 769 f. gegeben.

Eine Untersuchung der Anakreonteen habe ich :

J. Sitzler, Zu den Anakreonteen. Wochenschrift f. klass. Philol. 1913 Sp. 809 f. und Sp. 847 f., veröftentlicht, die sich auf die hs. Überlieferung, den Dialekt, das Metrum und die Entstehung unserer Sammlung erstreckt und am Schlüsse eine Anzahl Verbesserungsvorschläge bringt.

7 4 J* Sitzler.

AVas die li s. Überlieferung betrifift, so handelt es sich zu- näolist darum, welchen Wert man den dem Text beigefügten Korrek- turen beimessen darf. Die Untersuchung ergibt, daß der Korrektor eine Vorlage benutzte, die von der, aus welcher unser Text stammt^ nicht sehr verschieden war. Die Zahl der Korrekturen, die als ur- sprüngliche Lesarten gelten können, ist gering; die meisten sind Erklärungen und Verbesserungsversuche , und mit den letzteren stehen ohne Zweifel auch die an manchen Stellen in der Hs. bei- gefügten Zeichen im Zusammenhang ; sie bezeichnen verbesserungs- bedürftige Stellen, für die noch keine Verbesserung zur Verfügung stand. Mehr Aufschluß über die Beschaffenheit unserer Sammlung erhalten wir, Avenn wir die auch anderwärts (in der Anthol. Pal.^ bei Planudes, in der Sylloge des cod. Par. suppl. 352 fol. ISl"", bei Gellius und bei Niketas Eugenianos, sowie im cod. Par. 1630 und bei Hephaestion 30) erhaltenen Verse mit denen unserer Sammlung vergleichen ; es zeigt sich dann, daß in den Gedichten unserer Samm- lung, abgesehen von Verderbnissen, wie sie überall vorkommen, auch Lücken und Erweiterungen nicht fehlen. Besonders lehrreich ist in dieser Hinsicht das 3. (= 4. Pr.) Gedicht , das uns in drei Fassungen vorliegt, aus denen man ersehen kann, wie die Er- weiterungen zustande kamen. So müssen wir auch sonst bei der Beurteilung der Anakreonteen mit Lücken und Erweiterungen rechnen.

Hinsichtlich des Dialekts zeigen die meisten Gedichte die gewöhnliche Sprache , gehoben und ausgeschmückt durch poetische Wörter und Formen. Eine andere Gruppe enthält lonismen; jedoch ist von einer völligen Durchführung dieses Dialekts keine Rede; es handelt sich bloß um eine ionische Färbung, die durch Unter- lassung der Aspiration vor Spiritus asper, durch Anwendung von rj statt ß , sowie durch den Gebrauch der Genetiv-Endungen €fO und log, der Pronomina jt/et', aev, fuiv und des Substantivs tOTirj hervor- gebracht wird. Wenige Gedichte wieder haben dorische Färbung, die sich in der Setzung von a st. r] und in der Verwendung von vlv und kfjQ zeigt; hier liegt offenbar bukolischer Einfluß vor. Schließlich finden sich auch einige Gedichte, die zugleich dorische und ionische Formen enthalten. Jedoch darf man bei der Behand- lung des Dialekts der Anakreonteen nicht außer acht lassen, daß ursprüngliche dialektische Formen mit der Zeit durch gewöhnliche verdrängt worden sein können; Beispiele dafür erscheinen in unserer Sammlung noch, und diese berechtigen zu der Annahme , daß die Gedichte von Haus aus mehr Dialektformen hatten.

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Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 1905 17. 7^

Als Metra haben wir Hemiauibeu und ionische Dimeter a minore, in der Regel mit Anaklasis; nur das 20. Gedicht ist dak- tylisch-trochäisch , der Hauptsache nach glykoneischen Charakters. Aber auch liier begegnen uns in einer Reihe von Gedichten ver- schiedene Abweichungen ; ja manche zeigen eine Prosodie, die erst eintreten konnte, als die Quantität der Silben vernachlässigt wurde und der rhythmische Vortrag aufkam, der den Unterschied in der Aussprache der langen und kurzen Vokale beseitigte. Nur noch Silbenzählung haben wir im 4. (= 5. Pr.) Gedicht. Strophische Gliederung findet sich in den Gedichten 48 (= 50 Pr.), 8 (= 9 Pr.), 11 (^ 12 Pr.), 20 und 40 (= 42 Pr.): in andern sind Teile von verschiedenem Umfang symmetrisch angeordnet, wie im 10. (== 11 Pr.) Gedicht 5 + 6 + 5 Verse , im 27. B C (= 29. Pr.) 4 + 5 + 5, im 29. (= 31. Pr.) 3 + 5 + 3, im 32. (= 34. Pr.) 4 + 3 + 4 + 3 + 4 usw.

Aus der Behandlung der Sprache und des Metrums in vielen Gedichten folgt, daß unsere Sammlung erst in später Zeit ent- stand, ohne Zweifel erst zu derselben Zeit, wie die andern Gedicht- sammlungen , die in der Hs. enthalten sind. Weiter ergibt sich daraus, daß sie nicht einheitlich ist; sie besteht aus drei ver- schiedeneu Teilen, nämlich 1—20, 21—32 (= 34 Pr.) und 33—59 (= 35—60 Pr.). Im 1. Teil (1—20) folgen von Ge- dicht 2 und 3 abgesehen Hemiamben und Anaklomenoi auf- einander, an die sich 19 und 20 mit abweichendem Metrum an- schließen, also den Abschluß der Sammlung bilden. Auch im. 2. Teil folgen Hemiamben und Anaklomenoi aufeinander, aber diese Gedichte machen inhaltlich den Eindruck eines späteren Ursprungs als die Gedichte 1—20. abgesehen von 2, 3 (= 2B Pr.) und 4 (= 5 Pr.) ; auch wird in ihnen Anakreon nicht erwähnt, der in der ersten Abteilung öfters genannt wird. Diese beiden Teile stehen, nach Sprache und Inhalt einheitlich dem 3. Teil gegenüber; von 33 (= 35 Pr.) an treten dorische Formen auf, die bis dahin fehlen^ abgesehen vom 11. Gedicht, wo ein öiOQiaCiov eingeführt wird, und zu Liebe und Wein, den Motiven der Gedichte 1 32 (= 34 Pr.), kommen Naturschilderungen [44 (= 46 Pr.) , 53 (= 55 Pr.), 57 (=59 Pr.)] und mythologische Stoffe [52 (= 54 Pr.) und 55 (= 57 Pr.)]. Den Übergang macht das 32. Gedicht, ein Preis der Zikade. Aber auch wenn diese Lieder die gleichen Stoffe wie die des 1. Teils behandeln, verraten sie ein späteres und spätes Gepräge. Diese drei Gedichtsammlungen fand der Urheber unserer Sammlung wahrscheinlich schon vor und fügte sie rein äußerlich aneinander, ohne größere Änderungen vorzunehmen. Spuren seiner

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Tätigkeit zeigen sich noch am Anfang nnsei'er Sammlung , wo er hinter das 1. Gedicht, das die Liebesgedichte einleitet, das 2, stellte, iini auch auf die Weinlieder hinzuweisen. Daran reihte er das uns verstümmelt überlieferte Gedicht 2 B (= 3 Pr.) an , das Liebes- motiv ausführend, wie das 3. (= 4. Pr.) das Weinmotiv behandelt ; •i (= 5 Pr.) schloß er der Ähnlichkeit mit 3 (= 4 Pr.) wegen an, und so hat er auch sonst ähnliche Gedichte zusammengerückt, vgl. 15 und 16 (= 16 und 17 Pr.) , 46 und 47 (= 48 und 49 Pr,). Möglich ist auch, daß ihm nur die 1. und 2. Abteilung vorlag, und daß er mit diesen die 3., von ihm selbst hergestellte verband, um so eine vollständige Sammlung der Lieder dieser Art bis in seine Zeit herab zu schaflFen. Diese Sammlung ist im großen und ganzen unverändert auf uns gekommen; auch das Gedicht 17 (= 18* Pr.) ist nicht, wie man meinte, später beigefügt, sondern bildete mit 18 (= IS** Pr.) ein einziges, dessen Überschrift aX'ko eiq ibv avrov im Anschluß an 16 (= 17 Pr.) lautete. Als es dann in 2 Gedichte getrennt wurde, kam diese Überschrift zu 18, während 17 eine be- sondere erhielt. Die Sammlung trägt in unserer Hs. die Über- schrift ^vay.Qiovtog T7]iov avf.iTrooia/.d, der die Unterschrift teXog tO)V ^vay.QtovTog Gvf.i7ioaLay.wv entspricht. Wenn der Überschrift noch riuiai-ißia beigefügt ist, so bezieht sich dieser Zusatz auf das Versmaß, sei es, daß diese Bezeichnung, nach der Hauptmasse ge- wählt, zusammenfassend auch die andern Metra miteinschließt, sei es, daß ihr ursprünglich, was mir wahrscheinlicher ist, im folgenden ava/J.oj/JEva und älXa fxexqa entsprach. Keinesfalls darf man dar- aus schließen , daß ui'sprünglich nur Gedichte in hemiambischem Versmaße zusammengestellt waren. Ich bezweifle auch nicht , daß die im alten Index unter No. XIV genannten Avay.Qtovtog Tt]Lov üv/iirtoaiay.a rj(.iidi.ißia mit unserer Sammlung identisch Avaren; nur waren in jenem Kodex unserer Sammlung noch xat ava'/.QeovTia yiai TQiUBTQa angereiht, die nicht erhalten sind. Die im cod. Barberin. (Matrang. Spicil. Vat. IV p. 36 f.) auf S. 28^ erwähnte Sammlung war ein Auszug aus der unserigen. Ihre Überschrift lautet ^va- y.QEorTEia ovfxnoaia'/.d ; die folgenden Worte tceql oveiqojv sind wohl in nzQie/ovTa ovelqov zu verbessern. Mit ovEiQog ist das 1. Gedicht unserer Sammlung bezeichnet, und so bleibt die Reihenfolge unserer Sammlung vollständig gewahrt; denn Eig veojteqov, das zwischen eig (piXon6xr}v (46) und eig EVQWTtrjv (52) aufgezählt wird , scheint das 50. Gedicht zu sein , das in unserer Sammlung Eig xb avtrcog Lrjv überschrieben ist. In dieser Sammlung sind nur Gedichte, die Liebe und Wein besingen, zusammengestellt.

II

Ber. über die griech, Lyriker usw. u. d. F.pigrammsaniinlungen f. 1905 17. 77

Der Text der Auakreonteen ist vielfach entstellt überliefert uud bis jetzt noch nicht überall hergestellt. 2B (= 3 Preisendanz) nimmt B e r g k nach V. 2 und 4 mit Recht Lücken an ; eine solche ist auch nach V. 3 anzusetzen. 4 liegt, wie Bergk sah, in der Anth. P. XI 48 in seiner ältesten Fassung vor; nur muß V. 9, den Gellius nicht hat und der metrisch anstößig ist, ausgeschieden werden. 4 (== 5 Pr.), 16 f. schildern offenbar eine ähnliche Szene wie 39 (41) und 57 (59); ich lese daher xoQaioiv st. ■/.O(.u~)0av. Im letzten Verse empfiehlt sich vc'cßlrj Q). d&cgoi st. des un- verständlichen aV jKi^. 9 (10), 2 scheint Xdlev aus A«A(e) w "/. ent- standen zu sein. 13 (14), 9 f. sind zu verbinden, indem V. 10 tneizev st. tnuxa d' geschrieben wird; V. 11 ^ig OQi-iaO-org Iqokiov ist interpoliert, wie schon ugi-iai^ocg zeigt, für das man eine be- stimmte Zahl erwartet. Mit V. 23 endigt das Gedicht; die Frage V. 24: Tt 001 iyü.Eig dgiO^j^K^ paßt nach dem Vorhergehenden so wenig wie die hier angegebenen Orte und die Art ihrer Aufzählung. 14, 30 32 verraten sich schon durch den Gebrauch der Futura als Zusatz; an das Essen und Trinken (V. 25 29) schließt sich das Schlafen (V. 33 f.) ; Tanz uud Beschatten des Sängers , an sich schon auffällig, haben hier keinen Platz. Auch 16 (17), 32 kann nicht ursprünglich sein; denn die f-ir^Qol können nicht vor der j'/;(Jcg aufgezählt werden und folgen tatsächlich auch erst in V. 34 und 85. Nach 17 (18*^), 3 ivro '/.avf.iaTog ydg ][dr^ fehlt ein Vers, der jtVQOEig b ßgoxO^og ovf^og gelautet haben mag; dann erst folgte TtQoöoi^eig t' uvaGTEpdCiü. Der Schreiber irrte von TivQoeig auf TiQndoO^etg ab , und so entstand die Lesart Tivgioi^eig mit der Korrektur ycQodod^Eig. Im folgenden vermute ich doTE 6 av&eiov E'/Mvov I aiEcfdvovg, OTiwg rcvA.aCio. V. 7 f.tov7tr/.dEt = f.wi Eni/Laiei. 25, 13 und 14, die Niketas Eugenianos nicht kennt^ sind später; V. 15 ist o ydq TQaqivzEg zu lesen. Aus Niketas folgt auch, daß am Schlüsse h.uovT^GaL st. l/.ßor^oaL zu schreiben ist: die Qual aushalten, vgl. Anth. Pal. IX 598. VII 212. 65. Der Anfang von 27 A (28), wo jetzt mit unerträglichem Hiatus o avriQ steht, lautete ursprünglich wohl /ror' dvt^Q y.il.., während in V. 8 tot an Stelle von tvot' geschrieben war: nach V. 8 ist ein Vers aus- gefallen, der die Erklärung zu IS, ctvxT^g enthielt, etwa vnEQi](favog ■/.aiEli^töv. 28 (30), 5 wird st. y.ai /.ixccvEv richtiger VM/.iyavEv gelesen. 30 (32) sind die letzten Verse fehlerhaft überliefert; yOQEiag paßt hier nicht; ich schlage vor: ^rrgir, Egtog, iy.Elo otieK^eIv I S7cl vEQTegovg ^lOOEiav, \ OAEÖdouL /.vX. 34, 6 empfiehlt sich ^n] Ti st. ///) t6; der Bau des Verses ist dann derselbe wie

78 J. Sitzler.

y. 16; Vv. 8 10 li xai /.idtt^v . . . niTTQiijzai sind als fremder Zusatz auszuscheiden; V. 11 schließt sich unmittelbar an V. 7 an. 8G (38) scheint aus zwei Paralleldichtungen zusammengesetzt zu sein; denn V. ist nach V. 11 auffällig, V. 16 nach 9, 10 und 13 unmöglich. Das eine Gedicht besteht aus den Vv. 1 14 + 26 27, das andere aus 1 6+15 27, M'obei die beiden Verse 24 und 25 zwischen 20 und 21 zu stellen sind; außerdem fehlt nach 22 ein Vers, den Barnes sinngemäß ergänzt hat. 37 (39), 3 wird aV yap ytQiov st. QV (J' 6 y. zw lesen sein. 38 (40), 5 ist lückenhaft; viel- leicht f.it^ET^ {f'i.irrr^g) /js, fpQOvtideg: V. 8 wird besser umgestellt yeXdaco. nai^O) /tA. V. 6 ist wohl unecht. In 39, 8 läßt sich die fehlende Silbe durch die Schreibung KvrrQLav st. Kvjiqiv gewinnen. 40 (42), o f. lese ich cpiXiio d' iiov ECfijßov | i^ietcc av/nTioTOv Ivgi- ^eiv st. ö' orav . . . Xvqilw. 42 (44), 12 stellt GTecpdrov (je das Versmaß am einfachsten her. 44 (46), 9 f. sind in recht entstelltem Zustand auf uns gekommen; ikaf.irl>Ei' ist nach V. 7 1'laf.iipE un- wahrscheinlich, V. 10 kann neben 11 nicht bestehen, und der Schluß gibt keinen Sinn; ich vermute : rd ßgoxiZv ytXaoGSv tQya, '/.ag/iog d' i?Mag 7TQ0Y.vnxEi. \ Bqouiov arecfEtai (ro) vä^m | ■/.a?M q^vhXotg' /.azd /M'jvag \ iyaXEd^iov VjV^t^OE xagriög. 46 (48), 4 und 5 sind spätere Zutat ; Vv. 3 und 6 ist öoxho und TTarto) st. der kontra- hierten Formen herzustellen. V. 7 ist onXilE aus oyO^i^e ver- schrieben: sei du schweren Herzens, ich trinke. 48 (50), 3 f. ist eine Lücke, die ich ausfülle: {BQO(.ii<i) O^Ecp) XiyaivEiv \ {sgardg) ag/Eiai Moi'oag; V. 6 ist aTtOQiJtzovTai verschrieben aus dno (/ irrzaitai, und V. 23 ist eine Silbe ausgefallen : voui' {av od. öi)a- nXcSaag. 49 (51), 5 schrieb Crusius (fllzQa, {(pila), d.; mehr empfiehlt sich (xooa),- denn die Überschrift lautet eig '/.OQrjV. 51 (53), 1 ist es am einfachsten zu schreiben: OE rioig Ofiikojv. Die Vv. 7 und 8 sind nach V. 2 f. unnötig, trennen lästig 6 und 9 und geben sich durch das Fut. yooEVGio schon äußerlich als Eindring- linge zu erkennen. Ebenso sind 53 (55), 20 23 späteren Ui'sprungs ; sie unterbrechen den Zusammenhang zwischen 19 und 24. V. 16. wo Hillers y.QozdcfO) st. cjoaocpcj am besten ist, darf nicht um- gestellt werden, wie manche vorschlagen. Auch 54 (56), 12 und 13, die avoaoi unnötigerweise weiter ausführen , sind verdächtig. 55 (57), 4 ist nach V. 16 zu stellen, also deiiag Eig ttXoov ngoEloa (st. ffigovaa) \ QÖi^tov nau^ o\(.tov (st. nagoii^Ev) f-Xy.Ei \ etzl vioza zTJg O^aXdaar^g. V. 19 ist TZQCJza aus ygcZrit entstellt, und V. 25 f. wird (jEzojTtw I Egog'IuEQog t' Eyo'f't^? zu lesen sein. 56 (58), 16 vermute ich cpvydv st. luO^av, und V. 22 wird in v.Ey.Xvd- aÖEig wohl

UtT. Über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungcn f. 1905—17. 79

yjy.evd^ei' adelg stecken: birgt sülJes Liebesverlangen in sich; aber nach V. 27 braucht man keine Lücke anzunehmen ; in V. 28 ist ai besser als de. 57 (59), 9 ist egaiov aus äcperov verschrieben, das durch das vorhergehende Xiovreg oivov empfohlen wird. Nach 15 ist eine Lücke, die Bergk sinngemäß ergänzt; die andere Lücke V. 19f. läßt sich durch TtuQtxeir y/cQiv rii^el fJiv xtA. ausfüllen.

Den Einfluß der Auakreonteen auf die französischen Dichter der Pleias hat

Fr. J. Jung, Anacreou et les poetesdelaPleiade.

Progr. der Privat-Kealschule des Marien-Instituts in Graz 1910,

1911, 1912, untersucht. In der 1. Abhandlung behandelt er die von H. Stephanus im J. 1554 veröffentlichte Sammlung der Anakreonteen und dic^ danach von Belleau im J. 1556 gefertigte Übersetzung ins Fran- zösische. Die 2. Abhandlung beschäftigt sich mit den Liedern der Pleiaden-Dichter, um festzustellen, welche Einwirkung die Ana- kreonteen auf sie hatten; eine solche zeigt sich vor allem bei Kon- sard, aber auch bei Baif und Belleau. In der 3. Abhandlung ver- gleicht Jung die drei Nachahmer der Anakreonteen miteinander, um zu finden, wie sie sich hinsichtlich ihrer Nachahmung zueinander verhalten. Das Ergebnis ist, daß Belleau die Anakreonteen in mehreren Gedichten frei nachbildet ; auch seine Übersetzung ist eher eine Paraphrase. Baif entlehnt meistens nur den Gedanken von deu Anakreonteen, führt ihn aber in seiner Art aiis. Ronsard endlich dichtet von den 55 Liedern der Sammlung 33 um ; er hat sein Vor- bild sowohl bezüglich der Form als auch des Inhalts am besten er- reicht und zeigt sich hierin als bedeutenden Dichter.

Nur kurz erwähne ich die Arbeiten über spätere Anakreonteen:

1. G. Mercati, Di un carme anacreontico spurio e mutilo di GregorioNazianzeno. Byzant. Zeitschr. XVII (1908). S. 389 f.

2. P. Maas, Literarisches zu der Vita E u t h y m i i edidit C. de Boor 1888. 2. Zu den Anakreonteen Leos VI c. XII 32. Byzant. Zeitschr. XXI (1912). S. 436 f.

An Übersetzungen Anakreons und den Anakreonteen sind mir bekannt geworden :

1. Anacreon. Translated by Th. Stanley. Preface and notes by A. H. Bullen, illustr. by D. E. Weguelin. London 1906. 118 S. 16 0.

80 J- Sitzler.

2. F. H. Hintze, Lieder des Anakreou iu deut- schen Versen. Querfurt 1909. 76 S.

3. Anakreou. Übertragen von E. Mörike (= Insel- blicherei No. 3-i). Leipzig 1913. 100 S. 8^

4. The o d c s 0 f A n a c r e 0 n. Translated by P. Moor e. New- York 1913. 10, 99 S. 8 «.

Dazu fiige ich noch :

5. J. Sanesi, Ugo Foscolo traduttore di Ana- creonte. Pistoria 1910. 26 S. 4''.

T e 1 e s i 11 a.

K. Herzog, Auf den Spuren der T e 1 e s i 1 1 a. Zu einer argivisehen Inschrift. Philologus 71 (1912). S. 1 f .

Die Inschrift steht auf einem Weihgeschenk, das ein Thiasos von jungen Mädchen und Männern im Dienste Apollons im 4. Jahrh. zur Feier eines Sieges über den König Pleistoanax von Sparta der Leto darbrachte; Herzog meint, daß Telesilla im 5. Jahrh. einen solchen Thiasos geleitet habe.

Simonides. .

Beiträge zur Kritik und Erklärung der melischen Fragmente des Simonides liefern :

1. Dionysios Halikarn. tveqI aw&eoewg ovoucctiov ed. H. Usener und L. Radermacher. Leipzig 1904. Kap. 26, S. 141 f. (= opuscula II 1). [Fr. 37.]

2. U. V. Wilamowitz-Möllendorff, Lese fruchte. Hermes 1905. S. 128 f. [Fr. 75]. Sappho und Simonides. Berlin 1913. S. 137 f.

3. A. S e m e n 0 V , In S i m o n i d i s C e i r e 1 i q u i a s observatiunculae. Festschrift zum 25jährigen Stiftungsfest des histor.-philol. Vereins der Universität München. 1905. IV, 96 S. 8^ S. 46f. Der griechische Dichter Simo- nides und die erhaltenen Bruchstücke sein ej Poesie. Xjeshin 1912. 270 S. 8"^. [Russisch.]

4. H. Jurenka, Des Simonides Siegeslied auf Skopas in Piatons Protagoras. Zeitschrift f. Österr. Gymnasien. 1906, S. 865 f.

5. W. Rhys Roberts, Dionysius of Halicar- nassus, on literary composition. London 1910. S. 278. [Fr. 37.]

i\

Bcr. über die griech. Lj-riker usw. u. d. I^pigrainiiisamiulungen f. 1905—17. gl

6. N. Wecklein, Über MiliverstHndnisse Hlterer Wendungen und Ausdrücke bei den griec bis dien Dicbtern, insbesondere bei den Tragikern. Sitzungs- ber. d, Kgl, bayer. Akad. d. Wissensch. Pliilos.-bist. Kl. 1911. 48 S. 8». [fr. 5.]

7. W. K. P a 1 0 u , S i m o n i d e s F r. 6 8 and a f r a g ni e n t of Lupercus, Class. Review XXVI (1912), S. 9.

8. P. C o r s s e n , Das Heiligtum der G e und der Schauplatz des Dr ach e n k am p fes in Delphi. .Sokrates 1913, S. 501 f. [fr. 44. ^'k]

9. J. Sitz 1er, Zu Simonides. Wochenschr. f. klass. Philol. 1915. Sp. 447 f. [fr. 28.]

Fr. 4 tilgt Wilamowitz V. 4 ot'r' vor evQiog, wie es schon Bergk in seiner 1. Ausgabe getan hatte, und verbindet wieder avÖQi-Jv ayad^iov mit dem Vorhergehenden. Durch die Streichung von oi'r' gewinnt der Rhythmus , aber avögcöv ayal^wv ist bei Evidq^iov TOLOciov ganz müßig, von dem es auch durch die Stellung weit getrennt ist, während es als Attribut zu ai]Y.6g wünschenswert ist. Wilamowitz erklärt: „So werden dvögeg dyaO-oi beigesetzt, Kost und Zeit verlieren ihre Kraft, im Grabe wohnt ecöo^ia '^E/.kddog: man sieht es an Leonidas." Derselbe Gedanke ergibt sich, wenn man dvÖQoJv ccyaO^ojf mit arf/.6g verbindet ; nur muß man dann das unmögliche oÖE vor Otj'/.og mit ydg o arf/.og vertauschen : ein solches Ivräcfiov, wie es die Thermopylä-Kämpfer erhielten, wird weder Kost noch Zeit vernichten; denn der arj'Aog tapferer Männer hat Hellas' Ruhm als Bewohner mitgenommen; dies bezeugt auch Leonidas.

Zu fr. 5 weist W e c k 1 e i n darauf hin , daß bei Piaton Pro- tagor. 339 A nach dem Anfang des Gedichts absichtlich eine Lücke gelassen worden sei, um einen AViderspruch nachweisen zu können, der in Wirklichkeit gar nicht vorhanden gewesen sei. Die Worte TigäBag ydq ev Jtäg avrJQ ayaitög will er in dem Sinne fassen : „wer gut handelt, ist gut," was der Zusammenhang als unmöglich erweist. Ausführlich behandelt das Gedicht in einer gründlichen Untersuchung J u r e n k a. Er wendet sich gegen Wilamowitz, dessen Ab- handlung Sappho und Simonides S. 159 f. mit wenigen Zusätzen aus den Gott. Gel. Nachrichten 1898, S. 204 f. wieder abgedruckt ist, vgl. vorigen Jahresb. Bd. CXXXIIl (1907. I) S. 187f Jurenka macht darauf aufmerksam, daß ioi^Xav in dem von Wilamowitz angenommenen Sinne von ageti^, dem Inbegriff aller irdischen Güter,

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Btl. 178 (1919. I). G

82 J- SitzU'r.

auf die Götter nicht passe; fasse man es aber, wie man danach müsse, ethisch, so widerspreche das folgende ävöga 6' or/. tGii /.irj ov y.a/.oy i:f.tuEiai /.i?.. , weil der Mensch nicht notwendig schlecht zu werden brauche, wenn ihn Mißgeschick treffe. Hier scheint mir Jurenka mehr in die Worte hineinzulegen, als der Dichter be- absichtigte; die Ethik stellt allerdings die Forderung, unter allen Umständen gut zu bleiben, aber das praktische Leben, dessen Übung Pittakos als einer der sieben Weisen im Auge hat, hält sich daran nicht, sondern verläßt nur zu häufig unter dem Zwang der äußeren Verhältnisse die Bahn der Tugend, Nur diesen Gedanken will Simonides zum Ausdruck bringen ; daher sagt er auch im Folgenden, er lobe jeden, der nicht freiwillig Schlechtes tue; gegen den Zwang kämpften aber nicht einmal die Götter an. Jur en k a ist der Über- zeugung, daß die Sprache des Simonides der Agonistik entlehnt sei, sowie daß ein Gegensatz zwischen eaV?.ov e^tf-ievai und ayadüv yertoi^ai bestehe ; das letztere sicherlich mit Kecht, Daher erklärt er : es sei schwer, sich als ayalfog ccv/;q zu erweisen, d. i. den Sieg zu erringen , und stellt das Wort des Pittakos in Gegensatz dazu : es sei schwer, dauernd siegreich zu sein. Er gibt selbst zu, daß diese Auslegung sophistisch sei, aber das solle sie auch sein; denn Simonides sei ja ein Sophist. Ich kann nicht glauben , daß selbst einem Sophisten eine solche Deutung der einfachen Worte des Pittakos erlaubt gewesen wäre. In der Lücke nach dem 2, Vers war nach Jurenka von Skopas die Kede, von seinen agonistischen Erfolgen und von seiner zu strengen Beurteilung durch die Leute. Sokrates ließ dies aus, weil es zu seinen Vorstellungen nicht paßte und obendrein als Parenthese auch weggelassen werden durfte, und zieht f^y.i'W in den Hauptsatz. Jiirenka Avill in f/wv noch den Nebensinn finden, daß Simonides den Auftrag, das Siegeslied zu dichten, mit Vergnügen übernehme. Der Gegensatz liegt nach ihm in igörj und aväy/M, das letztere im Sinne von: wenn er es freilicii erleidet: mit avay'Aij sei die a/ndxavog avf.icfOQd (V. 16) gemeint, das unbekämpfbare Mißgeschick der Niederlage, das jeden, den es treffe, in Sc-hmach versenke, ihn zu einem xazo't; stemple. Schließ- lich skizziert er den Gedankengang des ganzen Gedichts, das er für ein Epinikion hält.

Fr. 10 ist, wie Wilamowitz S. 153 Anm. 1 bemerkt, richtig überliefert: zig 0/^ \ xiZv viv zoodaö' r] nEidloioi zrA. Zu Ir. 11 ist L. Cohn, Zu den Paroemiographen. I^reslauer philol. Abhandl. II 2, S. 79, 72 zu vergleichen. Fr. 13, das Wilamowitz früher (Aristoteles und Ath. II 284) von einem Widder verstand , bezieht

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigraminsanimliiniren f. 1905 IT. 83

er jetzt S. 145 Aum. 1 auf Gruud der Scliolien auf den Ag-iuetou Krios; es war eine Huldigung für den Sieger. Fr. 23 behandelt er S. 129; er schreibt TcaQdeiQcev st. -^laQ^iaav, wozu er Archi- lochos 94 vergleicht, und liest mit X vi ander yiaoa^moviov. Die Verse erklärt er: über den Meeresspiegel hin leuchtet freund- lich die Stille; das reizt die Menschen und vei'lockt sie hinaus au^ dem 'liiegel der Schiffe, der xbv növtov y^aQCiGOEi , d. h. aus dem Molo, der den Hafen schließt und das Meer 'kratzt' ; da. vßQiCoviai, erfahren sie Ungebühr, Vergewaltigung, daiuorlojg, von der Natur- gewalt, Sturm und Wogen. Ich kann mich mit dem Eiegel der Schifte, der das Meer kratzt, nicht befreunden; daher lese ich jt«/- öiäg yaoaloi st. y.kt/i'dog x'^Q^'b^^ ' ^^'^^^^ ziehe Tcaghoaav dem nagdeigav vor: die verlockende Liebhaberei trieb sie infolge ihrer Freude am Zeitvertreib mit dem Schiffe hinweg in des Meeres schreckliche Unbill. Mit Recht spricht Wilamowitz das Bruch- stück dem Simonides und Pindar ab: auch von Bakchylides ist es meiner Meinung nach nicht, sondern von einem späteren Dichter. Aus den KuTEvyai (fi-. 24) stammt fr. 68 : P a t o n entdeckte im Mailänder MS Ambros. C 126 inf. (jetzt 859) auf dem Rande von fol. 27^ ein Scholion zu p. 91 E , vielleicht von Planudes selbst herrührend, wo aus Lupercus J' zitiert wird : —tucoridrjg ev Kaievyaig' yoi^ y.0QVÖa?.?.a7g ndaaig tpiffcrai Xotpov. Plutarch, der ygr^ näoi •/.OQVÖah'Ko~ig ?M(pov eyyereoS^ai bietet, hat aus dem Gedächtnis zitiert. Zu dem Titel KaTEvyal notiert Wilamowitz S. 152 Anm. 3 aus einer delphischen Inschrift, Festordnung für die Eiueveia, bei Pomptow Delphica III 118 o/ isQsIg xov ^nöXicovog v.azEv- yjoiftoaav xd Eii.itvsia y.a0^iig vouiCecai. Er schließt daraus, daß die Priester für jedes Fest, das einen öff'entlicheu Umzug brachte, eine liturgische Beschwörung des Gottes, dem es galt, sprachen, fügt aber bei, daß es ihm unklar bleibe, wie sich dazu ein C'hor- gesang verhielt. Fr. 25 verbindet Wilamowitz mit den fr. 1 4: das A'on Himerios erwähnte Lied des Simonides an Boreas kam in dem Gedicht auf die Seeschlacht bei Artemision vor, das ein Chor- lied war, aufgeführt bei der Stiftung des Boreasheiligtums am Iliso.s. bald nach 479. Vgl. S. 206 f. Hierher zieht Wilamowitz auch das Fr. 212. Fr. 30 weist Semeuov mit Recht Bergks Ein- schaltung oiog (de -/.vojv) zurück; was er aber dafür setzen will: 7/ Tov dr^geLidv oiog y.xX. ist unannehmbar, weil die folgenden Worte nicht auf einen Jäger , sondern nur auf irgendein das Wild ver- folgendes Tier passen. Im folgenden behält er das überlieferte (xaviLov bei, ändert aber evQeuev in ecotjaeiv. Von einer Ver-

6*

84 J- Sitzler.

besserung- des Schlusses sieht er ab, weil es unsicher sei, ob Plutarch einen vollständigen Satz exzerpiert habe; ich zweifle daran nicht. Fr. 37 gaben Uscner und Rade r mache r neu heraus, denen sich Roberts anschließt; V. 2 stellen sie avsf.i6g ts f.tiv tcvhov {eq'OQei) her, worin Roberts ihnen folgt, V. 3 dei/jati (fQiitev, ovt^ aöidvroiai, V. 5 ov davi^( ae, von Roberts nicht erwähnt, V. 6 mit den Hs. Avoo'ioasig, was auch Roberts tut, V. 8 (J//a rr/rög aXauTtei z. x. dvccfnj ovaXeig^ von Roberts aufgenommen, V, 10 ärtuov mit den Hs., V. 12 tv x^aridi TtQog y.ol/tq) yialov jcqcoojttov, ebenso Roberts, V. 15 und 16 mit den Hs. xfXo/jai (ohne (5') und ctfieigor, ebenso V. 17 fusTaßovXia, V. 18 i/. oio und ort (Ji; und V. 19 vÖGffi dUag. Wilamowitz S. 154 Anm. 4 bemerkt, daß tcfQirte „ein grober Fehler ist, sintemalen Simonides kein it geschrieben hat", daß öavia. aus örj ariä eine unerhörte Krasis ist, und daß di/a rixrog tltL „gebettet in lichtlose und blaue Finsternis ohne Nacht" ein geschmackloser Bombast sei. Der letzte Vorwurf trifft nicht zu, wenn man mit A. S. Wav und Roberts annimmt, daß der Kasten geschlossen war wie Noahs Arche, also Finsternis darin herrschte, auch wenn es Tag war. Die Konjektur q^gUzEv verwirft auch Roberts, der das überlieferte r^Qinev im Sinne von t^e- TrXdyi] faßt.

Fr. 42, „ein schöner lambus mit anlautendem Choriambos", will Wilamowitz S. 153 Anm. 2 dem lambographen Semonides zuweisen; aber hat sich dieser im Bau seiner lamben eine solche Freiheit erlaubt? Ein Beispiel dafür liegt nicht vor. Fr. 43 hält er mit Recht an der Überlieferung fest; nur daß er O^gaoifiriydro) st. do'/.outj^dvo) schreibt (vgl. S. 152 Anm. 4). Zu fr. 44 und 45 merkt Bergk an, das hier erwähnte dyvov vöcoQ, bezw. ttoXvKiotov dqaiöv re vä,ua sei nicht die Kastalia; aber Corssen stellt auf Grund der neuen archäologischen Untersuchungen fest, daß gerade der lebendige Quell der Kastalia gemeint sei. Die Anrede in fr. 45 darf nicht, wie Semenov aus der Plutarchstelle, wo das Zitat er- halten ist, folgert, unmittelbar mit den zitierten Worten verbunden werden, und die zitierten Worte müssen in der überlieferten Form erhalten werden; agaiög tenuis ist nach ihm aqua, cum nou est polluta aliena materie, also = rein. Dieselbe Bedeutung nimmt er für axQVOüTTETcXog an , cum non continet arenam, qua veluti peplo aureo induitur, was nicht annehmbar ist. R. Wünsch in der Berl. Phil. Wochenschr. 1907 Sp. 459 versteht ayQvaoneTtXog von einer Quelle, die der kostbaren Fassung entbehrt. Fr. 46, zu dem Bergk zwei Fragmente, die, wie Br. Keil sah, nicht unmittelbar

Ber. über die p:riech. Lyriker usw. u. d. Epifrraniiiisanimluiipreii f. IQO") 17. 85

aneinander anschließen, verbunden hat, spricht Wilamowitz S. 150

Anm. 3 im Anschluß an M. Boas dem Simonides ab; er möchte

sie am ehesten dem Stesichoros zuweisen. Fr. 58 bespricht

Wilamowitz S. 169 Anm. 3; er weist Bergks rrr de iiir

^sojv y.T?<,. gut zurück, das er durch rvf.i(päv di uiv O^oai' ersetzt.

Dabei vermisse ich die Verbindung mit dem Folgenden , die ich

durch die Schreibung viv ds ,ilrjd-vp y/oQOv '/.tX. herstelle : eine

Menge Menschen bemüht sich, aber nicht alle kommen zum Anblick.

Fr. 60 streicht Wilamowitz aus der Zahl der mclischen

Fragmente; es ist Prosa (vgl. S. 150 Anm.); fr. 61 und 65 stellt

er S. 153 Anm. 2 unter die i^Q^^voi, mit der Änderung in fr. 61

areii>t i^eon' st. avEv (S. 172 Anm. 1). Fr. 75 ist im Schol.

Pind. Ol. IX 74 erhalten. Schon Bergk vermutete in ayaO^aiv eiötor

einen Eigennamen und schlug '^yuO-O'/.Xiovg vor; Drachman liest

'^■iyai)iovidov., und diesem folgt Wi 1 am ow itz liesefrüchte S. 128f.

Nach ihm lauten die Worte des Simonides: t$eltyy€i o veog oivog

0171 i'j (ro) ntQiOL öcjQOi' ajn.rtXov' ji/t'^Ot; y.eveoq^QOJv v.ovqiov oöe;

das Versmaß bleibt zweifelhaft, der Sinn ist: der neue Wein schlägt

noch nicht den vorigen (d. h. es ist noch nicht ausgemacht, ob der

heurige besser wird) ; das ist die törichte Rede von Knaben. Die

Situation hat schon Bergk nach dem Scholion richtig erklärt, und

Wilamowitz fügt bei, daß es wirklich den Gegensatz zwischen

Pin dar und den Keern gegeben habe, der seines Erachtens in ihrer

Natur lag. Fr. BOA hat nach Wilamowitz S. 138 Anm. 1,

wenn man cod. Lips. bei R e i t z e n s t e i n Etym. 309 und

Cramer An. Paris. IV 186, 33 verbindet, die Form hvi ö'oiov

el' I xei &£a (iiyav eig 61 ff gor., wozu er fr. 145 = Anth. P. VI 213

vergleicht. Ein neues Fragment veröffentlicht H, Scheu kl im

Hermes 46. S. 423, das sich in der 33. Rede des Himerios (Ekl. 31)

findet: ^lucüvidrjQ o Kelog I^Q(i)i{ce) TTffincov Iz ^ly.eXlag h7C (x^Xr^g

ytjg 7J7ci€T0 i.iiv Xigag, i]7Ciexo de öd/.Qca uiBag tou y.QOiiiaoir.

Die Änderung liQwra stammt von Wilamowitz S. 153 Anm. 2 ;

das Simonideische Gedicht, das einem Abschied Hierons galt, hält

W. für eine Erdichtung des Himerios.

Mit der Sprache des M e 1 i k c r s S i m o n i d e s beschäftigt sich G u i 1 e 1 m. S c h r 0 e t e r , De S i m o n i d i s C e i m e 1 i c i Sermone quaestiones. Diss. Leipzig 1906. 85 S. 8 **. Im ersten Kapitel stellt er das , was ihm aus der Syntax wichtig erscheint, zusammen, zunächst über Subjekt, Prädikat und Attribut, dann hinsichtlich der Pronomina, weiter aus der Kasuslehre, ferner in betreff der Präpositionen, endlich aus der Lehre vom Verbum,

§6 J. Sitzler.

JfU Koujunktioiieu iiiul Jon Adverbien. Wichtiger ist das zweite Kapitel, das von der Wortwahl handelt. Hier kommen zuerst die i Nomina agentiuni auf coq in Betracht, von denen bei Simonides drei bejieanen : .ravdaudrcoo , cdiv.TCoo und auiyTiog; dann die Sub- stantiva auf avvr^ , von denen sich bei ihm nur diOfpQOOi'ri] findet. Auch von Adjektiva verb. , die mit Si G zusammengesetzt sind, hat er nur övodiußaTOg, und zwar ist er der erste Dichter, bei dem eine solche Form vorkommt. Die zahlreiche Klasse der aus verbalem und nominalem Bestandteil mit Hilfe von ai gebildeten Komposita hat Simonides um vier vei-mehrt: uvaaiirohg, y^aQaiiJtovTogi'i), öauaoii^ißQOiog und öai.iaOL(fa)g. Schließlich wird auch noch auf die Adverbia auf log ein kurzer Blick geworfen. Im zweiten Ab- schnitt werden die epischeu Nachahmungen zusammengestellt. Der Rest der Arbeit ist der Untersuchung einzelner Wörter gewidmet, zuerst solcher, die schon in der epischen Poesie erscheinen, dann solcher, die zuerst oder allein bei Simonides vorkommen, aber mit epischen zusaiuraenhängen. endlich der von der epischen Poesie ab- weichenden: TVQavvig, ipöyog. ayurdcvog, d'Aid^iog. i^iiogog, 'f'tpm^ ^oaico und -/Mzayxo'hvii). Das Ergebuis , zu dem er gelangt . ist, dali Simonides das epische Sprachgut und das der älteren Lyriker verwandte, aber auch neues teils selbst bildete, teils aus Dialekten, wie dem ionischen und attischen, entnahm. Ein sorgfältig ge- arbeiteter Index vocabulorum ist der Abhandlung beigegeben. Mit den Epigramm en befassen sich :

1. U. V. Wilamowitz a. a. 0. S. 210 f.

2. A. Semen ov a. a. 0. S. 50 f.

3. A. Taccone, Sulla questioni d e i t r ip o d i d e d i - cati dei Dinomenidi in Delfi. [Ep. 141.] Atti d. R. Acc. d. sc. di Torino XLI (1905/06). S. 795 f.

4. M. Boas, Anyte und Simonides. Rhein. Museum 1907. S. 61 f. [Ep. 130.] De duobus epigraramatum gemellorum paribus. Sertum Naberianum. Leiden 1908. S. 29 f. [Ep. 183. 184.]

5. 0. Schroeder, Das Epigramm des Antigenes. Anth. Pal. XIII 28 [148]. Berl. Philol. Wochenschr. 1911. Sp. 822 f.

Wilamowitz ließ S. 192 f. seinen in den Nachrichten der Göttinger Gesellschaft 1897 S. 303f. veröffentlichten Aufsatz : Simo- nides der Epigrammatiker mit einigen Zusätzen Avieder abdrucken. Neu ist dagegen der Abschnitt : Epigramme S. 210f. Wilamowitz

Hör. über die grierli. Lyriker usw. u. d. Epiüranimsainmlunii'cn f. 1905 - 17. 87

weist darauf hin, daß die alexandrinischen Kritiker keine Auspiabe der Epigramme gemacht haben; aber es waren Hs. ^ifjtoviöov skeyeia vorhanden, die alles umfaßten, darunter auch kleine Elegien und Trinkspruche. Diese Sammlung existierte noch zur Zeit des Scholiasten des Gregor von Nazianz und des Scholiasten des Aristeides. wie Wilamowitz aus dem Gedicht Demosthen. cor. 285 schließt. Er hält es nicht für ausgeschlossen , daß auch wirkliche Epigramme des Simonides darin waren, und nicht nur solche, die er selbst gesetzt hatte, wie das des Megistias, für das seine Ver- fasserschaft feststand, erklärt aber, daß dies für uns keinen prak- tischen Wert habe, da es für uns eine Sammlung von Epigrammata e lapidibus collecta sei , die aus verschiedenen Gegenden des Mutterlandes, aber auch aus Asien stammen. Hellenistisches jedoch sei nicht darin ; späte wertlose Variationen rangierten mit den Inter- polationen.

Ep. 103 = Anth. Pal. VII 442 ist nach Wilamowitz eine Variation auf dem Papier zu Ep. 102 = A. P. 512, wie die Ver- mischung von Grabschrift und Trinkspruch : ei'H'/^id'/iov avÖQCüV f.ivr^aojuEi}a, tcöv ode Tvi.ißog beweist. Ep. 109 = A. P. VII 270 tritt er für toi' od' ano TvQQr^vwv gegen toloÖs ttot Iv. ^.ragzag ein; die Herkunft der Leute war in dem nachfolgenden Namensverzeichnis der verunglückten Schiffsmannschaft angegeben. Semenov nimmt zwei Gedichte an, das eine Tovoö a:i6 Tigor^vojv von Simonides , das andere tolgös ttot iv. 2naQiag von einem späteren Dichter. Ep. 112, 4: og no^^ vxlnnvQyov \ Gi^jnavc kaolg TtQf.1^ lyjüv KoQivi/ov ist, wie Wil amowitz anmerkt, zfQf^ia im Sinne von xälog, agy^j ganz singiilär; ich dachte an orf.i vgl. Soph. Aias 159 rcvqyov QÖua. Sprecherin des Epigramms ist die Grabiigur, die nötig ist, um das Gedicht verständlich zu machen. Ep. 113 ist nach Wilamowitz ein vollständiges Gedicht, zwar nicht für das Grab, aber wohl auf den Tod des Megakles: es liegt kein Grund \o\\ die Abfassung durch Simonides anzuzweifeln. Auch Ep. 114 = A. P. Vn 496, nachgeahmt von Kallimachos 17 = 19 Sehn., betrachtet er als echt. Ep. 115 und 116 sind, wie schon Bergk sah, nur verständlich unter Grabreliefs, welche die Toten im Kreise ihrer Angehörigen den letzten Abschied nehmend darstellten ; er bezweifelte aber, daß die ältere griechische Kunst solche Dar- stellungen kannte. Wilamowitz bestätigt nun, daß sie sich schon in dem Athen des 4, Jahrh. finden ; demnach stammen auch diese Gedichte vom Stein. Ep. 130 = Pollux V 47 will Boas der hellenistischen Zeit zuweisen ; er meint , es stamme von Simmias,

gg J. Sitzler.

der von Aayte abhängig sei. Das Gedicht der Auyte {= Pollux V 48) aber hat mit unscrm nur gemeinsam . daß es auch auf einen toten Hund gedichtet ist; von Abhängigkeit ist keine Kede; auch weist nichts darin auf hellenistische Zeit hin. Ep. 131 ist, wie Wila- m o w i t z ausführt , ein Trinkspruch in elegischer Form , der dem praktischen Zwecke ebensogut diente wie die bekannten Skolieu auf die Tyrannenmörder. Ep. 141 = Anth. P. VI 214 ist nach Taccone nicht von Simonides verfaßt-, was die Dreifüße betrifft, so meint er, Hierou habe auch die beiden kleineren geweiht, als er seinen Dreifuß und den des Gelon aufstellte. Vgl. vor. Jahresb. Bd. CXXXIII (1907. I), S. 198 f. Ep. 145 = Anth. P. VI 213, 2 und 3 erscheinen Wilamowitz unecht, weil sie nichts Neues bringen und nur Männci"chöre erwähnen; aber diese Gründe reichen zur Verwerfung der Verse, die das Vorhergehende schön ausführen, nicht hin. Ep. 148 hat Wilamowitz schon Hermes XX 62 behandelt; diese Darlegungen benutzt er jetzt S. 218 f. Er ver- teidigt die Erklärung Seh neide w ins, nach der V. 3 4 den Gegensatz zu V. 1 3 bilden: „oft schon haben die dionysischen Hören, wenn die q^vli] ^vMf^i artig, tanzte, zu den Dithyramben auf- gejauchzt, aber mit Binden und Rosenblüten haben sie das salben- triefende Haar der geschickten Sänger beschattet, die diesen Dreifuß zum Gedächtnis an ihre dionysischen Kämpfe geweiht haben," d. h. Männer der ]A'/.af.iai'Tig, haben schon oft an den Dionysien einen Dithyrambus gesungen, diese aber waren aocpol aoidot und haben gesiegt. Hätte der Dichter einen solchen Gegensatz beabsichtigt, so hätte er ihn meiner Überzeugung nach klarer zum Ausdruck gebracht, mindestens doch 7co?Jm/.i f.iet> st. (5jj gesagt. Und dann, wäre dies ein Kompliment für die A-z-af-iavTig^ ihr vorzulialten, daß sie schon o f t in den Wettkampf eingetreten sei , aber erst jetzt einmal gesiegt habe? Nein, /nhgaioi de v.ai v.t/.. führt den Ge- danken weiter: schon oft haben sie gesungen und gesiegt, aber . . .. und hier ist eine Lücke , in der ein Gedanke stand , der den Zu- sammenhang mit V. 5 : oV xövÖB rqucoda xtA. vermittelte , wie Bergk u. a. annahmen. Damit fällt auch die Folgei-ung, daß hier der erste Sieg der Akamantis mit Dithyramben an den Dionysien verherrlicht wäre. Die metrische Bildung des Epigramms behandelt Schroeder, der die abweichende Gestaltung des letzten Verses anerkennt und zwischen loOTE(fdvuüv und deav nur eine lange Silbe vermißt. Wenn aber doch einmal Verderbnis des Verses vorliegt, ist es dann nicht besser, an der Forderung völliger Responsion fest- zuhalten y Ich ergänze : 0^ij/.av {yevto!}'') iooreffaroji' O^e'iav V/.aiL

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Ber. über die gricch. Lyriker usw. u. d. Epigramrasammluugen f. 1905 17. 89

Moiaär. Ep. 150, 3 4 kann auch Wilamowitz nicht als spätere Erweiterung auf Papier anerkennen ; er nimmt an , daß Leokrates auch in der Akademie einen Hermes aufgestellt hat, und daß bei dieser Gelegenheit das Epigramm die unharmonische Er- weiterung erfahren hat. Vgl. vor. Jahresb. Bd. CXXX (1907. I), S. 200 f. Ep. 155 ist recht fehlerhaft überliefert; V. 4 flij/.orf' auq'tq'OQelL: eXaiov ist um eine Silbe zu hing; diese läßt sich durch die Schreibung aufpogelg beseitigen. Nun muß man aber zulassen, daß die erste Silbe in af-KpOQelg als Kürze gebraucht wurde, was ich für nicht unmöglich halte. V. 5 schreibt AVilamowitz passend: [oi^f-iol dl- Lod^ea rp/c eTriaxEQi) eiöev flovTa | az-zd xrA. V. 10 liest er Orjiq mit der Vulgata und V. 11 aiadioi de xa 7cävta '/.Qatr,oac. Das Epigramm ist nach ihm von einem korinthischen Stein abgeschrieben, ebenso wie Ej). 164, zu dessen Verständnis Wilamowitz beifügt, daß Kyton dem Apollon die Statue eines Sklaven weihte , dem die Verse in den Mund gelegt werden , wie die Anrede dtonoia zeige. Ep. 167, 3 erklärt er das überlieferte iy.ducpif)] : „Kühn und anschaulich ist es, wie der Schnee, der vor- her seine starre Kälte dem mantellosen Wanderer bis in die Ge- därme trieb , unter der Erde e'/.ct(.i(pi^i] , schmiegsam zusammen- gebacken sich ducken mußte; so kommt er jetzt auf die Tafel." Wilamowitz fügt bei, daß die Kritiker solche anschauliche Kühn- heit nicht ungerügt, d.h. unverbessert lassen, l^o rson verbesserte nämlich f^ar/)^/;, und dies scheint mir neben UieQiijV ycdav ineoaa- uivr> das einzig Richtige zu sein. Das schöne Epigrammenpaar auf Anakreon, Ep. 183 und 184. bespricht Wilamowitz S. 223 f. nach Form und Inhalt , wobei er die Kunst des Dichters trefflich M'ürdigt und zeigt, wie die Epigramme aufeinander berechnet sind und sich "•eji'euseitig ergänzen. Dioskorides VII 31 hat sie vor Augen gehabt , und Wilamowitz glaubt , daß sie damals kaum 100 Jahre alt waren. Nach ihrem Muster sind die Epigramme auf Sophokles, Anth. P. VI 21 und 22, gedichtet. Boas weist die Epigramme dem Antipater Sidonios zu.

Über das Leben und die dichterische Tätigkeit des Simonides sprechen :

1. U. v. Wilamowitz a. a. 0. S. 137 f.

2. A. F. S e m e n 0 V , D e r g r i e c h i s c h e Dichter S i m o - nides und die erhaltenen Bruchstücke seiner Poesie. Njeshin 1912. 270 S. 8^ [Russisch.]

3. A. Taccone, Sulla parentela di Bacchilide con Simon ide. Riv. di filologia class. 36 (1908). S. 1152,

90 J- Sitzler.

Semen ovs Buch ist russisch geschrieben; einer Besprechung in der Berl. Philol. AVocheuschr. 1015, Öp. 193 f. entnehme ich, \ daß der Ausgabe der Fragmente zwei einleitende Abhandlungen über das Leben und poetische Schäften des Simonides vorausgehen, Semeuov leitet den Namen des Dichters aus dem Semitischen ab; auf diese Abstammung deuteten auch manche seiner Charakterzüge, wobei er vornehmlich au die l^ezeichnung Y.if.ißi^ denkt. Man wird das kaum ernst nehmen können; dagegen hat Semeno\ recht,^ wenn er in den auf uns gekommenen Versen einen ausgesprochenen Zug des Dichters zu einer pessimistischen Weltanschauung wahr- nimmt. Daß Bakchylides, den Strabon seinen Neffen nennt, ein Sohn seiner SchAvester war, läßt sich nach Taccone nicht beweisen.

Wilamowitz geht in .seiner Beurteilung des Simonides davon, aus , daß er von Pindar getrennt werden müsse ; denn Pindar sei Zeitgenosse des Bakchylides und Aschylos. während Simonides zu Anakreon, Ibykos und Stesichoros gehöre. Dies ist, wenn man die Lebenszeit dieser Dichter berücksichtigt, richtig; faßt man aber ihre Kunst ins Auge, so steht Simonides nach dem, was wir von ihm haben , dem Bakchylides und Pindar näher als dem Stesichoros, Ibykos und Anakreon; er leitet die neue Zeit der universellen Lyrik ein und betätigt sich noch rege in ihr. Auf seine Verwandtschaft mit den Sophisten weist "Wilamowitz gebührend hin. Etwa in der Zeit von 509 490 war er für die thessalischen Fürsten tätig ; aber seine Tätigkeit breitete sich immer weiter aus , so daß er schließlich einen panhellenischen Ruf besaß. Auch als Epigrammen- dichter erkennt ihn Wi 1 am ow itz jetzt an. Im Jahre 475 ging er nach Sizilien. "Wilamowitz hält daran fest, daß ein persön- licher Gegensatz zwischen ihm und Pindar bestand. Der Nachwelt gilt Simonides vorzüglich als Weiser, dessen 'AOO/iiiOTr^g man rühmt, an dem aber auch der Ruf der (piloyjQÖEia haftet. Er war als Mensch sehr populär, und es waren viele Anekdoten über ihn im Umlauf. Als um so auffallender bezeichnet es W il amo wi tz , daß so wenige Bruchstücke von ihm vorhanden sind, wenn man von den Epigrammen absieht. Die Hypoixhcme (29 31) spricht er mit Tli. Rein ach ihm ab^ ebenso den Hymnos auf Zeus (20) und die Päane (26 A und B). Auch fQWTr/,u und (7/.oA<« fehlen ; das Gedicht auf Skopas ist ja nur durch Piaton bekannt. So bleiben eigentlich nur Siegeslieder, nach den Arten der Kämpfe geordnet, und O^grjvoi, die aliein in den Anthologien exzerpiert sind. Daraus ergibt sich, daß seine Gedichte auf die Nachwelt nicht stark gewirkt haben.

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Jier. über die griecli. Lyriker usw. u. d. Epigramuisaninilungeii f. 1905 17. 91

Als Sanimelbaud ist erschienen :

M. L. Earle, The classic al papers. With a memoir, [By Sidney Gillespie Ashmore.] New- York 1912. XXIX, 298 S. 8».

Darin ist auch der Aufsatz z\i Simonides abgedruckt. Zum .Schhiß erwäline ich noch, daß in

The Hibeh Papyri. Part I. Edited with translation* and notes by B. P. Grenfoll and A. S. Hunt. London 1906, unter Xo. 17 S. •)4f. Aussprüche des Simonides über Ausgaben {uPtjhüLidion') neu veröftentlicht wurden, in der Mitte freilich lücken- haft; der erste ist eine Antwort an Hierons Frau auf die Frage, f/ Trävia yi^Q(xo/.£i' .,»'««'', tq^r^, v^'^^^V^ 7^ yjQÖoig, Tcxyiaia d^ al. evEQyeoiai''. Vgl. A. Körte, Archiv f. I*a2)yrusforschung VT (l'.tl4:) S. 240. Bemerkungen dazu gibt

H, Kichards, Tlic sayings of Siuionides. (.'lass. Q.uarterly I (1907) S. 41. Z. 11 nach (.icc'kXov ay^doLxo zolg avriX(üf.iiyoig /^ lolc; .regiovaiv ergänzt er passend )jöoiTO ; trotzdem halte ich die Hinzufügung dieses Yerbums für entbehrlich.

T i m o k r e 0 n. Mit Timokreons Gedichten befassen sich :

1 . V. L (e e u w e n) , A d T i m o c r e o n t e m R h o d i u m. Mnemosyne XXXV, 8. 180.

2. U. V. W i 1 a m ow i t z -Moll en d orff , Sitzungsb. der Preuli. Akademie der AV. 1911, S. 520. Sappho und S i m o n i d e s. Berlin 1 0 1 3. S. 1 46 f.

Fr. 1. 4 i/iel GstniaroaX}]^ i'^x(}aQE uiarw bringt Wila- m 0 Av i t z mit dem Letotempel in Korinth . wo sich Themistokles blamiert hat, in Zusammenhang; der Tempel Avird auch Anth. P. VI 215 erwähnt, vgl. Plut. de Herod. maligu. 39. V. 12 vermutet Leeuwen f.ii] 'g ojQCtg Q)buioioa.)Si yei'toO^ai'^ Cobet Avar ihm schon mit (.n) (ogag (oder (.it) ^g ojgag) r/Jo^^ai vorausgegangen, wozu Bergk „non recte" bemerkt hat. Fr. 7. W ilamowitz glaubt, der Vers des Timokreon sei gewesen : 7i(xKai ttot i^oar ah/u(.iOi -Mih'iiJioi , den Zenobios V 80 irrtümlich dem Anakreon zuweise, A'gl. Anakreou fr. SO ; auf den Spötter Timokreon paßt allerdings darin hat WilamoAvitz recht der Vers besser als auf Auakreon.

Philodem. tt. v.a/.iojv ed. Jenson X 4 Z. 24 ergänzt AV i 1 a -

Qo J. Sitzler,

mowitz uiitei- Zustimmung Jensens Tifio/.Qafnv yovv (fi ^P6d)iog und gewinnt so eine liübsclie Anekdote, die von dem Manne erzählt \^ wurde. Er spielt darin die Rolle eines Einzelsängers, und Wila- mowitz spricht die Ansieht aus, daß er offenbar alle seine Lieder allein vorgetragen habe. Das von ihm vorgetragene Lied wird Kaatogeioi' genannt, das wir aus Pindar als Chorlied kennen. ^Solche Schwierigkeiten", fügt Wil am o w i t z bei, „können wir oft nicht lösen; es ist notwendig, sich darüber nicht zu täuschen."

K 0 r i n n a.

Die Bruchstücke der Koriuna haben durch einen glücklichen Fund eines Teiles einer Buchvolle aus dem 2. Jahrh. n. Chr. zu Hermupolis, der sich jetzt im Berliner Museum No. 284 befindet, einen wesentlichen Zuwachs erfahren. Der Fund wurde in:

Berliner Klassiker texte, HeftV, 2. Hälfte. Grie- chische Dichterfragmente, 2. Hälfte: Lyrische uud dramatische Fragmeute. Bearbeitet von W. Schubart und U. V. W i 1 a m o w i t z - M ö 1 1 e n d 0 r ff. Berlin 1907. S. 19 f.,

veröffentlicht. Es sind, von einigen unbedeutenden Fragmenten ab- gesehen , die Reste zweier Gedichte, vom ersten 20, vom zweiten 40 Verse : Anfang und Ende beider sind verloren. Das erste Gedicht schildert einen Gesangsstreit zwischen den beiden böotischen Landes- heroen Helikon und Kithäron vor den versammelten Göttern, Das Lied des Helikon ist verloren; das Bruchstück setzt erst mit dem Lied des Kithäron ein, das die Geburt des Zeus und die Täiischung des Kronos durch Rhea zum Inhalt hat. Mit diesem Lied erringt Kithäron den Sieg über Helikon und wird von den Göttern be- kränzt; Helikon, darüber ergrimmt, reißt ein Felsstück los und schleudert es auf die Erde. Das zweite Gedicht erzählt die Ent- führung der Töchter des Asopos durch Götter. Der Vater wendet sich in seinem Schmerze an das Orakel des Apollon auf dem Berge Ptoion in Böotien und erfährt von dem Orakelpriester Akraiphen, daß Zeus und Poseidon je drei, Apollon zwei und Hermes eine ge- holt habe, um sie zu ihren Gemahlinnen zu machen. Der Priester offenbart ihm, daß die Kinder seiner Töchter berühmte Helden sein werden ; er solle sich daher dem Ratschluß der Götter fügen. Asopos hört dies voll Freuden : das Weitere aber läßt sich nicht mehr er- kennen. Der neue Fund bestätigt, wie man sieht, was man bisher schon über den Inhalt der Gedichte der Korinna wußte , nämlich

daß die Stoffe aiis der heimatlichen Sage entnommen waren. Neu

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Ber. über die gricch. Lyrikor usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 1905 17. 93

sind aber die Aufschlüsse, die man jetzt über ihre spracliliche und metrische Form erhält. In beiden Beziehungen zeigen sie die größte Schlichtheit und Einfacliheit : kurze Sätze, zuweilen mit herkömm- lichen Epitheta ausgeschmückt, sind aneinandergereiht, verraten aber ein entschiedenes Erzählertalent. Ebenso kunstlos ist das Metrum, eine schlichtgebaute Strophe, die sich vom Anfang bis zum Ende des Gedichts wiederholt : im 1. Gediclit ist sie sechszeiüg imd be- steht aus lonikern, im 2. fünfzeilig, aus Choriamben gebildet. Dies sind ohne Zweifel die ihr von der Überlieferung zugeschriebenen vo(.ioi XvQiY.oi, die sie selbst ihren Zuhörern vortrug; den Gegen- satz dazu bilden die ?AQi/.a dgaf-iaia oder TQayiy.ct dgäuaza , die Dithyramben, die chorisch sind.

Diese Bruchstücke sind herausgegeben von :

1. H. Jurenka, Die neuen Bruchstücke der Korinna. Zeitschr. für die Österreich. Gymnasien. 1907. S. 390 f. [fr. 1 und 2.]

2. J. M. Edmonds,The newfragmentsofAlcaeus, Sappho and Corinna. Cambridge 1909. S. 16 f. [Alle Fragmente.]

8. J. Sitzler, Anthologie aus den Lyrikern der Griechen von Dr. E. Buchholz. 2. Bändchen. 5. Aufl. Leipzig und Berlin 1909. S. 174f. [fr. 1 und 2.]

4. E. Diehl, Supplementum lyricuni. Neue Bruch- stücke von Archilochus, Alcaeus, Sappho, Corinna, Pindar, Bac- chylides. 3. Aufl. Bonn 1917. S. 48 f. [fr. 1 und 2.]

5. W. Crönert, Corinnae quae supersunt. Rhein. Museum 1908. S. 161 f. [Alle Fragmente, auch die bisher schon bekannten.]

Crönerts Ausgabe ist die vollständigste ; sie enthält die testimonia, die Beschreibung der Berliner Hs. und die Fragmente mit kritischem Kommentar. Auch Edmonds', Diehls und Jurenkas Bearbeitung geben den kritischen Apparat; aber Jurenka und Diehl fügen auch sprachliche und sachliche Er- klärungen bei. Sprachlich und sachlich sind auch die Anmerkungen meiner Bearbeitung.

Mit der Ergänzung und Verbesserung der Bruchstücke befassen sich teils in Besprechungen , teils in besonderen Ab- handlungen :

1. P. E. P a V 0 1 i n i , F r a ni m e n t i 1 v r i c i e d r a m m a t i c i

<»4 J- Sitzler.

(li l'ai)iri lierlinesi. Atene e IJoma X (1907). S. 303 f. [Inhivltsaiiiiabe.] \

2. (0.) C(rusius) im Literarischen Zentralblatt 1907. i Sp. 1309 f.

3. 0. S c h r 0 e d e r in Berl. Piniol. Wochensclir. 1907. Sp. U41f.

4. J. Sitzler iu der N. Philol. Rundschau 1908. Sp. 147f.

5. J. U. Powell, A fragment o{ Corinna. Journal of Philology XXXIII. S. 296f.

6. G u i. Vollgraff. Ad Corinnani. Mnemosyne 1915. S. 318.

7. Margaret C. Waitcs, Some features of the a 1 1 e g' o r i c a 1 d e b a t e i n g r e e k 1 i t e r a t u r e. Harvard Studies in class. Philol. vol. XXIll (1912). S. 1 f .

8. E. Bethe. Homerische Dichtung und Sage 1. Band: Ilias. Leipzig 1914. S. 42 f.

Im einzelnen führe ich daraus an : fr. 1 , 22 vermute ich lOye «t. uAe, wozu Diehl bemerkt: „vielleicht richtig, da 17 und 25 eAe." V. 20 verstößt gegen das Metrum; daher schreiben S c h r o e d e r und Jure nk a {ar) ey.öouLOV ; toia erklärt V o 1 1 g r a f f als Vertex . cacumen , indem er auf die kretischen Inschriften ver- weist No. 5075, 5024 A. Zum Yerse vergleicht Grieß er bei Diehl Hom. hymn, 6, 10. V. 32 schlug ich yo)iüV st. ßo)tov vor, V. 31 i7iüi)y.Ev St. h'tdco)Y.ev ; J u r e n k a aviei)y.ev. Den Wettstreit zwischen Helikon und Kithäron bespricht Waites und stellt ihn mit andern derartigen Szenen bei griechischen Dichtern zusammen.

Fr. 2, 49 f. merkt Diehl an: „doch scheint des Propheten Mahnung an Asopos zur Nachgiebigkeit am Schluß seiner Rede (83 f.) wirkungsvoll einen früheren Gedanken zu wiederholen-, dann icfamov und tOEai Uoe^Y st. iq^^Ttto^o" und (tirer), wie Wila- moAvitz ergänzte, der Metopa, die Gattin des Asopos, angeredet sein läßt. Y. 65 schreibt Crönert war' (Jdidäyßeiv) ^ das Diehl aufnahm; ebenso nahm er V. 81 Crönerts tiovey. {lt.i- nriiOxJiiry auf, das Edmonds für zu umfangreich für den Raum erklärt ; er selbst schlägt Tfjr(€/.£v J^vd" i.ü)v vor, Jurenka Ev x tyvt'iv. W i 1 a m o w i t z hatte xo'jVEy. i'yviov vovv (= vvv) ergänzt.

V. 84 schlägt Jurenka (.itvEog, ich yaAE7Tag oder y^afiaicov, Crönert ö ayicov vor ; aber oa ist hier müßig.

Den Dialekt der Korinna behandeln nach AV i 1 a m o w i t z iu

der Ausgabe S. 3 7 f.

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H'.'r. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammluiigen f. 1905 17. 95

1. A. Mi'illet, Kein ar(| lies sur 1 a langue de C 0 r i n 11 e. Memoires de la Societe linguistiq[ue de Paris vol. XVI (1910/11). S. 46 f.

2. E. N a c b m a u s 0 n , Zu den n e u g e f u u d e u e u G e - dicht eil der Korinua. Glotta II (1910). S. 131 f.

Wilainowitz spricht die Ansicht aus, daß die Sprache der Korinna von der epischen nur wenig beeinflußt sei, und MeiUet stimmt ihm darin bei. Dagegen stellt Jurenka eine Reihe von Anklängen an das Epos fest und kommt zu dem Ergebnis, daß Homer, frei benutzt , überall durchschimmere. Dies ist auch die Meinung Nachmansons, der auch I 30 liTzäda TVizgav auf ein episches Vorbild zurückführt. Auf dasselbe Vorbild geht nach ihm -'der Ge- brauch des Augments, der Dative auf oiGt und oig, des paragogischen V und der Form D^laxov zurück, ein Gebrauch, der sich nur nach dem metrischen Bedürfnis richtet. Derselben Quelle entstammt die Verwendung von 0 als Demonstrativ Gen. plur. fem. töwv, während der Artikel ra/' lautet und die des Demonstrativs oÖ€, das nicht böotisch ist. Fr, 1, 24 ist nach Nachmanson igotäv zu schreiben, wie oiQOxöv u. a. Die Formen -/.aaoovO-rj (2, 63) und xa/ns (2. 120) verdanken ihr Dasein der lesbischen Lyrik; aber Mojoa ist böotisch. Die Infinitive endigen böotisch auf ef.iev oder Jjv; demnach ist 2, 73 sväTtrjV zu schreiben. Eine Form y.o'jQa (1, 48 und 2, 60) hält Nachmanson im Böotischen für unmöglich; es müsse y.OQj-a lauten; ebenso müsse man fr. 14 öoQj-arog üat^ icf^ i^cTtii) schreiben, wenn mau nicht epische Nachahmung anerkennen wolle. Hinsichtlich der Beurteilung einiger dieser Erscheinungen weicht Meillet von ihm ab: nach ihm rührt die Setzung oder Weglassung des Augments, sowie die Verwendung von oiai und oig nebeneinander aus der alten Freiheit der Sprache her, die auch die epische Übung bedinge. Auch den Gebrauch des Duals möchte er den Böotern nicht absprechen ; daher liest er 2, 54 Ta)iv de. öovlv. Zum Schluß weist er noch auf die auffallende Akzentuation in zavi/M viv (1, 15) und ödy.oov xe (2, 89) hin.

P r a t i n a s. Die lyrischen Fragmente des Pratinas behandeln :

1. J. Becker, De Pratina. Diss. München 1912. 102 S. 8».

2. U. V. W i 1 a m 0 V,- i t z - M ö 1 1 e n d 0 r f f , S a p p h 0 und Simon id es. Berlin 1913. S. 132 f.

96 J. Sitzler.

3. 0. Schi'oeder, Pratinas von Phleius. Vortrag-, gehalten in der 8. Sitzung des Philol. Vereins zu Berlin am 25. September 1916. Sokrates 1916. S. 621 f.

4. M. S i e b u r g , Zum D i t h y r a ni b o s des Pratinas. Ebenda S. 622.

Becker spricht in seiner Abhandlung zunächst de Pratinae fragmentis, testimoniis, aliis qui Pratinam spectant locis, dann de Pratinae vita et carminibus, Avobei er auch die Sprache des Dichters unter ständigem Vergleich mit den gleichzeitigen Dichtern, Aristias, Kydias, Diagoras, Lasos, Melanippides, Praxilla und Telestes, in Betracht zieht , und zwar behandelt er zunächst die Adjektiva in drei Gruppen je nach ihrer Zusammensetzung, dann stellt er in vier Gruppen die Wörter zusammen, die bei Pratinas und den andern genannten Dichtern zuerst erscheinen. Ein Wortindex beschließt die nützliche Arbeit.

Aus den vorgebrachten Verbesserungen und Erklärungen er- wähne ich folgende : V. 4 verteidigt Becker ■it^v/.ievov , während Wilamowitz avf.iEvov liest, beides überliefert und beides möglich. V. 5 will Sieburg aq^evra st. ayovra lesen, indem er das Partiz. auf den Dichter, ]iicht auf den Schwan bezieht; hier spricht aber der Chor, nicht der Dichter, und die Vergleichung mit dem Schwan bleibt bestehen, in der aifävra nicht ])aßt; auch der Aorist ist nicht am Platze. Allerdings ist, wie schon Bergk angemerkt hat, ayetv in diesem Zusammenhang ungewöhnlich; aber Schroeder ver- steht es mit Kecht von der Gesamthaltung des Gesanges , wozu er ctyioyt] vergleicht. V. 8, wo y.(jö(.uov überliefert ist, verlangt Wilamowitz ■m'){.ioiq st. xcJjW^o, wie man gewöhnlich liest; denn „der kollektive Singular verträgt sich nicht mit dem folgenden Plural; denn der Genetiv gehört zu beiden , da sich doch die y.tof.tdCovTeg vor der Türe desselben Mädchens treffen ixnd prügeln". Indes ist es nicht notwendig, eine so innige Verbindung von 'Aojfiog und vicov anzunehmen ; das zweite Glied kann auch als nähere Ausführung des ersten aufgefaßt werden; beim Komos und den dabei vor- kommenden Kämpfen der jungen Leute usw., und dann ist xw7<f;>, das paläographisch näher liegt, wohl an seinem Platze. In dem- selben Verse wollen Becker und Sie bürg, letzterer freilich bei anderer Verbindung und Erklärung, die mir aber unmöglich scheint, das überlieferte VtXei beibehalten; Wilamowitz' O-tloi ist aber entschieden vorzuziehen, das auch Schroeder als „ironisch-höfliche Aufforderung" empfiehlt. V. 107 liest man jetzt mit dem Marc. A,

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Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Kpigramiiisaiunilungen f. 1905 17. 97

den P. Giravd neu vergliclien hat, vgl. vor. Jahresb. Ud. CXXX (1907. I) S. 204, allgemein: :iaTe zhv (fQvvuiov \ noi/.iXov tivouv l'yiovia ; nur W i 1 a m o w i t z ändert (fQiralov auf Grund von Etym. M. s. V. in (fQiveov ab. Im folgenden ist der Text lückenhaft überliefert : Becker tritt im Anschluß an Michelangeli für die hs. Lesung bkooia),ov ein , die aber metrisch anstößig ist. Schon Bergk verbesserte 6?.eGtoia?^OY.c(?Miiov, das Wilamowitz billigt, der außerdem das von Bergk gefundene :raQauE'AoQid^(.ioßdTav zu ßgadvTiaQaf.ieXoQvd'j.ioßotzav erweitert und mit Härtung jetzt ^^ra st. ^' vnal liest, während er früher ^coTta wünschte. Er erklärt: die Flöte verliert den Speichel , weil sie mit ihrer tiefen Stimme schwatzen soll, weil sie infolge der galoppierenden Rhythmen außer Takt kommt: sie kann nicht so rasch mit. Sehr o ed er bezeichnet diese Erklärung als unannehmbar; denn der Flötenmusik liefere ja die Doppelflöte die allerschnellste Tonfolge; daher sieht er den Vergleichungspunkt in der Geißelung der procacitas des sich laut vordrängenden c7ii]QeT)^g. V. 15 nimmt Becker im Anschluß an Girard Bambergers öe^iäg st. öe^id auf, was unnötig scheint; auch de^id liefert denselben Sinn; „er wirft den rechten Arm in die Höhe", bemerkt Wilamowitz, „und dann auch das rechte Bein (nur wenn de^iog zugenommen wird, kann Ttoig allein stehenj; so sieht man die Satyre oft genug ; dem Gott zugewandt tut er das, es ist seine Huldigung". V. 17 JwQiov yoQsiav ist nach Schroeder nicht sowohl ein Hinweis auf die dorische Tonart des Liedes als vielmehr auf die dorische Herkunft des Chorgesanges überhaupt.

"Was die Sprache des Gedichts anlangt, so ist sie, wie Becker nachweist, durch die kühnen Komposita charakterisiert; sie steht in dieser Hinsicht der späteren Xamen- und Dithyrambenpoesie nahe. Das Metrum ist, der Erregung entsprechend, im Anfang anapästisch mit zahlreichen Auflösungen. Dann nehmen Becker und Wila- mowitz Daktylo-Epitriten und Trochäen bezw. lamben an; Schroeder lehnt die Daktylo-Epitriten ab und erkennt in Trochäen ausmündende Kretiker; nur V. 9 (8) ist nach ihm ein daktylisch- ithyphallischer Trimeter. Den Feriodenbau erklärt er für eine mesodische Pentas : 14 14 [2] 12 12.

Becker hält die Verse für ein vollständiges Gedicht, was nicht angeht , weil der Inhalt dem widerspricht ; er meint , es sei ein Hyporchem der Art, aus der später nach Beifügung des Dialogs das Satyrspiel hervorging, die sog. TQuyiy.ol xOQoi. Richtiger bezeichnen es Wilamowitz und Schroeder als Dithyrambus : nach

•Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 178 (1919. I). 7

98 J- Sitzler.

Schroeder ist aber in dem vorliegendeu Stück nur der Eingang erhalten, und die V. 15 f. machen den Übergang zu d( Lied. Die Pronomina ode und Tccöe weisen auf eii hin , der eben abgetreten war . in dessen Lied abei Flötenüberschwang recht drastisch zum Ausdruck gekommen war.

lur der Eingang dem eigentlichen V ;inen Gegenchor 1 •er der verhaßte '

Ky d ias.

Dem Kydias von Hermioue weist auch Wi 1 a m o witz, Sappho und Simouides, S. 103 Anni. 2 das fragm. adesp. 102 zu, was zu- erst Bernhard y, allerdings unter dem Widerspruch Bergks. getan hat. Diesen Kydias erkennt Wilamowitz in dem Leier- spieler bei Jahn Tafel V, dem der Name Kydias beigeschrieben ist.

P r a X i 11 a.

Auf einer kleinen Schale aus Theben , die sich im Britischen Museum befindet, veröffentlicht von F. Jacobsthal, Göttiuger Vasen, Abh. d. Gott. Ges. d. Wiss. Phil.-hist. Kl. N. F. XIV. 1912. S. 59f. Taf. XXIL Abb. 81—83, ist hinter einem auf einer Kline liegenden Flötenspieler ein Zecher abgebildet, der singt : odiareoi^VQiöog, d. h. lo öia Trjg S^vgiöog. Man wollte in diesen Worten den Anfang von Praxilla fr. 5: w dia zwv d^vgidtov erkennen, und K. Herzog, DieUmschrift der älteren griechischen Literatur in das ionische Alphabet. Progr. zur Eektorats- feier d. Universität Basel. 1912. S. 18 f., und U. v. Wilamo- witz-Möllendorff , Sappho und Simonides. Berlin 1913. S. 120 Anra. 1, sind geneigt, diese Lesart für ursprünglicher zu halten als die bei Hephästion 43 überlieferte : dann muß man aber , wie Herzog verlangt, auch dia rag ^vQiöog schreiben. Mir ist daher diese Identifizierung wenig wahrscheinlich, und wenn Wilamowitz, um den Singular rag d^vQidog zu empfehlen, sagt, daß ein ganz be- stimmter Fall und ein bestimmtes Fenster gemeint sei, so ist das erste gewiß richtig, verstößt aber nicht gegen den Gebrauch des Plurals, wie Anth. P. V 152, das Herzog anführt, zeigt: Niy.a- Qtxrjg nöd^oiGL ßeßf.rjfiivov i]dv ngoacoTiov, \ 7ivv.va di' vtJuXöcpiov (paivöiievov ,')voidcov', das Mädchen wird doch nicht immer am gleichen Fenster stehen, und es braucht sich bei Praxilla doch nicht um einen einzigen Fall zu handeln, sondern es kann doch auch von einer Gewohnheit der Mädchen die Rede sein.

Ber. über die griecli. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 190ö 17. 99

T i m 0 t h e o s.

Die Haupttätigkeit wandte sich dem neugefundeuen Nomos, den Persern, zu. Mit diesem beschäftigen sich :

1. Timotheos, Perserne. Den graeske Nomospoesie. Af Aug. Hertel. Kopenhagen 1907. 29 S. 8". (= Studier fra Sprog- og Oltidsforskning udg. af det philologisk-iiistoriske Samfund XVII 1.)

2. G. Fraccaroli, Note critiche ai Persiani di Timoteo. Rivista di filologia class. XXXIX (1911). S. 223 f.

3. B r. Keil, Zu den Persern des Timotheos. Hermes 48 (1913). S. 98 f.

4. P. Groeneboom, Varia. Mnemosyne 44 (1916). .S. 315 f. [V. 105].

Hertel spricht in der Einleitung über die Geschichte des Nomos und das Leben des Timotheos. Dann geht er näher auf die Perser ein : er gibt eine dänische Übersetzung und fügt ihr er- klärende Bemerkungen bei. Eingehender behandelt er die Sphragis und untersucht dabei auch die Glaubwürdigkeit der Nachrichten, die über das Verhältnis zwischen Timotheos und den Spartanern auf uns gekommen sind : er meint, eine gewisse Wahrscheinlichkeit lasse sich diesen Geschichten nicht absprechen. Den Schluß bildet eine Betrachtung der Sprache und des Metrums unseres Nomos. Neues bringt die Arbeit nicht.

Aus der Zahl der gemachten Verbesserungsvorschläge und der Erklärungen erwähne ich folgende: V. 32 f. ist, wie Keil betont, der Akkusativ aXo'/.a auffallend gebraucht, wenn man den Text bei Wilamowitz annimmt: um nun ein Verbuni zu diesem Akkusativ zu erhalten, schlägt Keil aTa?My!uaai yjcov vor. V. 36 f. nehmen Fraccaroli u. a. mit Recht an der Ergänzung ai.tfui{ya avTig) avTEffigETO Anstoß ; denn von einem neuen Angriff der Feinde kann hier keine Rede sein, vielmehr muß die ganze Verwirrung infolge der Niederlage der Flotte geschildert werden. Fraccaroli denkt an xdiavT' : dies ist richtig, wenn man au/uiy avavia y.aTavT ecffQETO schreibt ; avavra YMTarza ist dann wie or'i'W -/mtco ge- braucht. — V. 40 f. wünscht Fraccaroli ßiozoTtediog anstatt des von Wilamowitz vorgeschlagenen, aber xmhaltbaren qjQvyionidiog und erklärt die Worte: aiiieQodQ6i.toio ^''^^'^s ccva^ als Herr des Landes, das durch r^uegoögoLioi durchmessen wird, also als ein Herr aus Persien, eine Anspielung auf die persischen äyyagoi. Der schon so viel versuchte V. 80 f. wird auch durch K e i 1 s Vorschlag :

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100 -T. Sitzler.

yo^iq^oig eiHTTQiwv Xaif.iov (.itvog nicht herg-estellf. er übersetzt: wobei er den Sdilund gewaltsam in die Zähne liineinsägte (hinein- drängte). Aber bedeutet Xaif.iov ^ivog den Schlund gewaltsam, und ist ein solcher Vorgang überhaupt möglich , den Schlund in die (Backen)zähne hineinsägen ? V. 89 versteht Keil avyaig von den ocpd^aX/iioi der Schiffe, die belebt und sehend dargestellt seien, dann müßte aber doch mindestens ein Attribut, das auf die Schiffe hinweist, dabeistehen; so, wie es jetzt dasteht, können nur die Augen des eyv.hjioovzog gemeint sein. Zu V. 99 f. sagt er in- folge eines auffallenden Mißverständnisses , ich fasse ähnlich wie Gilde rsleeve ovQXig als Schiff, während ich doch ähnlich wie Danielsson darunter Vei'dcrben, Vernichtung verstehe, vgl. vor. Jahresb. Bd. CXXXIII (1907. I) S. 252. Auch jetzt noch bin ich der Ansicht, daß dies allein die in unsere Stelle passende Bedeutung ist. Keil nimmt OVQZig in der Bedeutung Ruderreihe und erklärt : eine Ruderreihe trifft mit der anderen zusammen ; die Ruder brechen, fliegen den Matrosen aus den Händen und schlagen ihnen ins Ge- sicht ; dies geschieht , weil die Ruder einen so langen Griff haben {(.iCfAQavx^voTcXovg). Infolge dieser Erklärung bezieht er, wie schon andere vor ihm, V. 102 f. azof-iaxog d^ l^i^Xlovzo xtA. auf die Zähne im Munde der Ruderer. V. 105 will Groeneboom durch die Vergleichung mit Kipling, Captain Courageous : a star-powdered sea y.azdaTEQOg, für das v. Her werden y.atäoTeyog verlangte, schützen; man müsse, so meint er, an ein nächtliches Meer denken. Das ist aber hier nicht möglich; die Seeschlacht findet am Tage statt. Keil schlägt für y.aTccaTeQog das selbstgebildete yiaraoTogog vor, das er = y.aTaOTQio&elg faßt, und stimmt hinsichtlich der Bedeutung von XiJCOTTVOij Sudhaus bei; er paraphrasiert : ei Si o noviog t/.XeinovTog tov ave/uov yMzaoroQog ylyroiro, iydgyaiQE. Daß aber vom Sich-legen des Windes keine Rede sein kann , wies schon Danielsson nach. V. 112 vermutet Keil {q)6(o auf Grund von Aeschyl. Prom. 399, wohl richtig. V. 124 wünscht er äyyi (.1 Ol st. äyi Lioi, das keine Billigung finden kann ; denn ayyj paßt nicht, und fie wird unnötigerweise wiederholt. V. 126 ergänzt er ß^ficc te XeiüTtoQov = Xaortöqov xe f^rjyavi^v. V. 132 liest er 'idaiönOQOv st. 'IIiottoqov^ was kaum nötig ist, V. 143 adi^aTOQi oidaQO), das nach ihm „mit dem gefräßigen Schwert" bedeuten soll; es müßte doch wohl „mit dem fressenden Schwert" heißen, da „ge- fräßig" nicht paßt. Auch V. 147 setzt er ein neues Wort ein: eilog St. eidog: el?^og soll sich zu el'lrjjiia verhalten wie fjdO-og zu fiäifi^f^a. V. 152 möchte Keil ayoi in dyqol ändern, das aber

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Ber. über die griecli. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 1905 17. 101

neben Xaßwv recht überflüssig ist ; geAvili ist ayoi richtig, dagegen ist V. 156 ayEL verdächtig, vgl. vor. Jahresber. a. a. 0. S. 255. Die Vv. 210 214 betrachtet Keil als ^sxa/.avuiQOjtä und schließt daraus, daß Timotheos hinsichtlich der Anordnung der Teile des Nomos W e s t p h a 1 gegen Pollux recht gebe. Zum Schluß füge ich bei, daß

L. Ct u r 1 i 1 1 , Der Dichter Timotheos und sein Ge- dicht zu E li r e n der 0 p i s zu E p h e s o s. Philologus 65 (1907). S. 382 f.,

in dem von Macrob. sat. V 22, 4 überlieferten Gedicht des Alexander Aetolos (== fr. 2 Bergk) V. 4 dt/.' ertüv st. lEQiqv schreibt, indem er annimmt, daß i das Zahlzeichen = 6ly.a sei. Vgl. vor. Jahresb. Bd. CXXXIII (1907. I) S. 142.

M e s o m e d e s.

Br. Keil, Zwei Identifikationen. Hermes 42 (1907) S. 548 f.. behandelt im zweiten Teil Pseudo-Lukian, encom. Demosth. Kap. 27, wo ein Dichter Alisodemos aus Trözen erwähnt wird, der ein Lied auf Asklepios verfaßte. Bergk änderte in Isodemos, und so las man bisher. Keil will in Alisodemos den Kreter Mesomedes er- kennen, von dem wir die Hymnen auf Helios und Nemesis haben. Diese Identifikation, die Namen und Heimat ändert, ist wenig über- zeugend, vgl. auch Th. Reinach, Mesomedes oder Isodemos V Hermes 43 (1908) S. 169.

I s y 1 1 o s. Über Tsyllos habe ich kurz zusammenfassend in Pauly-Wissowa- Krolls Realencyklopädie Bd. IX Sp. 2283 gesprochen und auch die wichtigste Literatur angeführt.

Den Asklepios-Hymnus behandelt

A. Ludwich, Homerisqher Hymnenbau. Leipzig 1908. S. 271 f. V. 63 (= E 6) schreibt er l]li)^ ivy.dfivtüv, V. 66 (= E 10) a/^i^iOQog slut, wie auch H. Diels, Siby 11 i n ische Blatt e r. Berlin 1890. S. 62 unabhängig von ihm vermutete; Joh. Baunack im Progr. des Nicolai-Gymn. Leipzig 1890. S. 18 teilt auf Grund einer Nachvergleichung der Inschrift mit , daß so auch die inschriftliche Lesung laute, und bestätigt so die Richtigkeit der Schreibung. Der Hymnus zerfällt nach Lud wich in 3 Heptaden oder 7 Triaden,

102 J' Sitzler,

auf die als Nachgesaug {E7taai.ia) eine Dyade folgt: er erklärt diese Einteilung damit , daß Asklepios ein Sohn Apollons sei , also auch dieselben heiligen Zahlen habe wie Apollon selbst. Ich habe schon gelegentlich des Berichts über die Hymnen des Kallimachos be- merkt, daß ich die Ansichten Lud wichs über diese heiligen Zahlen und ihre Bedeutung für Abfassung der Hymnen nicht teilen kann. "Was die Inschrift betrifft , so darf sie nach L u d w i c h s Meinung nicht über den Anfang des 2. Jahrh. v. Chr. hinaufgerückt werden.

V. 23 (= B 14) hat der Stein ^EIFEHEN, was Lud wich recht ansprechend in aeige/iiep verbessert; Wilaraowitz schlug ael {ö)Qe7C£v vor, das W. Prellwitz GDI III 3 l)illigt, während M. Fräukel, Corpus iuscr. gr. Pelopounesi Bd. I Xo. 950 an- merkt : „traditum (also ael oenev) recte defenduut Baunack et Diels." Ich kann qtTiev keine in den Zusammenhang passende Bedeutung abgewinnen.

S k 0 1 i a.

Die Skolien 9 12 feiern die Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton. Mit der Geschichte und dem Denkmal dieser Tyranuen- mörder beschäftigen sich :

1. J. M. J. Valeton, Quaestioues Graecae IV: De Harmodio et Aristogitone. Mnemosyne XXXVH (1909). S. 341 f. und XLV (1917). S. 21 f.

2. F. Studniczka, Die beiden Fassungen der Tyrannenmördergruppe. N. Jahrb. f. d. klass. Altex'- tumsw. 1906. S. 545 f.

3. P. J. Meier, Die Herstellung der Gruppe der Tyrannenmörder im Herzog 1. Museum in Braun- schweig. Mitteil. d. Kais. Deutsch. Archäol. Instituts in Rom. Abt. XX (1905). S. 330 f.

Meier gibt eine Beschreibung und Rechtfertigung der Her- stellung, die er an der Tyraunenmördergruppe im Museum in Braun- schweig vorgenommen hat. Die Arbeit Studniczkas ist eine auf Grund des von Fr. Hauser in den Mitteil, des Kais. Deutsch. Archäol. Instituts in Rom XIX (1904) S. 163 f. und von E. R(obinson) im Museum of fine arts bulletin. Boston 1905. irr. Xo. 4 S. 27 f. veröffentlichten neuen Materials vorgenommene Ergänzung des Aufsatzes von Fr. Kopp, H a r m o d i o s und Aristogeiton. X'. Jahrb. f. kl. Altert. 1902. S. 609 f.. vgl. vor. Jahresb. Bd. CXXXIII (1907. I). S. 259 f. Valeton da-

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Ber. über die grieuh. Lyriker usw. u. d.Epigrammsamnüungen f. 1905 17. 103

gegen behandelt auch die auf uns gekommenen Nachriclitcn über die Tyrannenraörder. Zur Zeit, als die Säule nSQi Ttjg zwv Tigäwoiv aör/Jag in Athen aufgestellt wurde, so führt er aus, hätten natür- lich die Leute noch gewußt, daß Hippias und nicht liijjparch Tyrann gewesen sei; aber zur Zeit des Thukydides sei diese Kenntnis ver- schwunden gewesen. Xerxes habe die Gruppe des Antenor fort- geschleppt, und die Athener hätten im Jahre 476 v. Chr. die von Kritias und Nesiotes gefertigten Statuen gesetzt. 'J'hukydides habe die Erzählung vom Tyrannenmord berichtigt; aber Avas er über die Verschwörung des Harmodios und Aristogeiton mit andern berichte, sei eigene Erfindung. Dies beweise auch die Stellung, die spätere Geschichtschreiber diesem Berichte gegenüber eingenommen hätten ; nur Gellius stimme mit ihm überein, die andern äußerten Bedenken oder schwiegen über die Sache vollständig. Eine solche Annahme verträgt sich meiner Meinung nach nicht mit dem schriftstellerischen Charakter des Thukydides im fillgemeinen , ganz besonders aber nicht an unserer Stelle, wo der Geschichtschreiber ausdrücklich seine genaue Kenntnis der Sache betont und begründet, zumal da sie an sich nichts Unwahrscheinliches hat.

Skolion 2 8 hat R. Wagner, A 1 1 g r i e c h i s c h e s Kriegs- lied des Hybrias in der Wochenschrift f. klass. Philologie 1915 Sp. 1121 nachgebildet.

Neue Skolien werden in

Berliner K 1 a s s i k e r t e x t e Heft V, 2. Hälfte: Lyrische und dramatische Fragmeiite. Bearbeitet von W. Schubart und U. v. W ilamo witz - M öll endor ff. Berlin 1907. S. 56 f.,

aus dem Pap. No. 270 veröffentlicht; es sind im ganzen drei, das erste bis zur Unleserlichkeit verstümmelt, das zweite und dritte leidlich erhalten. Das zweite ist ein yglcpog auf die Evq)WQaT{ig) oder Ev(ptjDQaT{i'j) , die Göttin des glücklichen Ertappens und Er- schnappens, wie die Beischrift auf dem Kande lehrt. Das dritte ist au Mnemosyne gerichtet und fordert angesichts eines heraufziehenden Wetters zum Anlegen an der Küste auf. A. Körte, Archiv f. Papyrusforschung V (1913) S. 552 begrüßt sie als Proben der so wenig bekannten Lyrik des 4. Jahrhunderts.

C a r m i n a p o p u 1 a r i a. Carm. 15 will Wilamowitz, Lese fruchte, Hermes 1905, S. 130 f., ßalßlda nodtov d^ite lesen: ^macht eine ßaXßig eurer

104 J. Sitzler.

Füße", iudem er die "Worte /cöda naga 7r6da als erklärenden Zu- satz betrachtet. Die Läufer, so fügt er zur Erklärung bei, müssen vor dem Ablaufen ausgerichtet stehen , wie Grenadiere vor der Parade ; so bilden sie das , was einst die ßalßig war. Diese Er- klärung und Schreibung paßt nicht zu Moeris' Worten, nach denen ßalß'ideg ai enl twj- CKftOEiov ßdoetg iy/.exaQayf.ihai , alg entßuLvov o/ ögof-ielg, 'Iva. i^ i'aou 'iotcüvto, sind: ßalßlda nodog muß verschrieben sein aus ßalßid' tyovzeg oder etwas Ähnlichem. Carm. 25 behandelt

L. Deubner, Ein griechischer Hochzeitsspruch. Hermes 48 (1913). S. 299 f.

Im Scholion zu Pind. P. III 32a p. G8, 6 Drachm. liest er: VMv TiZ ßioi s/./iogei {/.ogei} [äwl zov xoQOvg] y.oQwvag' 7CQOTQtnovTEg evioi ffaaiv [exy.OQSi v.Öqel •/.0Qwvag\ Der Spruch lautete nach ihm : i/.y(.6Q€i y.OQi/.OQcörr^v {= vv{.iq<i]v) und stammt aus einer Zeit, wo man geschlechtliche Vorgänge nicht als pudenda empfand , sondern vielmehr magische Bitten und Formeln anwandte, um Nachteile zu vermeiden und Vorteile zu erreichen. Zu y.OQiv.OQWvri vergleicht Deubner yeXiyEXiovr] und 7iovtort6vi]Qog.

Die bei Bergk S. 687 f. abgedruckten Hymnen auf Thetis und Echo aus Philostrat. Heroic. p. 741, 236 = p. 325, 20 f. Kays, und p. 747, 250 = p. 328, 15 f. (Kays.) wurden von L. Rader- m ach er behandelt, der auf die Echo in seiner Neubearbeitung der Nauck - Schneidewinschen Ausgabe der Trachinierinnen des Sophokles im metrischen Anhang S. 178, der auf Thetis im Rhein. Museum 71 (1916) S. 151 f. unter der Überschrift: Die Anrufung der Thetis. Im Thetishymn. V. 2 liest er (.Uyav (a) Tev.eg vVov AyßMci^ TOv, während er sich in V. 4 und 5 Bergk, in V. 7 K a y s e r anschließt. Indes gefällt mir die Wiederholung von ßalve, die am Anfang von V. 8 zum dritten Male wiederkehrt, nicht; ich vermute vielmehr einen Ausdruck der Bitte, wie a^ccvrißoXio. Auf diese Weise ist das Metrum durchweg anapästisch. R a d e r - mach er setzt das Gedicht in das 2. 3. Jahrh. n. Chr.

Carm. 41, das Schwalbenlied, wurde von

U. v. Wilamowitz-Möllen dorff, Vitae Homeri et Hesiodi. Bonn 1916. S. 57 f.

herausgegeben ; er führt dazu Dio Chrys. orat. 53, 6 an : [FIlaTiov] y.£?.ev£i piäh eiQcovr/.äig attipavxag avTOV ]^'O^a}Q0v] £qI(o vml jliiqov y.azayjavrag acfiivac naq^ alXovg'xovto öe a'i yvval/.eg iii tiZv ye/udovojv noioiöi. Es sind nach ihm versus Reiziani vel phere-

Her. über die griech. Lyriker usw. n. d. Kpigrammsainmlimgen f. 1905—17. 105

cratei, deinde iambi ; pentametri 11. 12 primum metrum choriam- bicum. Demnach behält er V. 3 das überlieferte y.ai y.aXovg bei, ändert V. 5 das überlieferte -/mtcI mit der Epitoma in x/^/r/ und ebenso mit ihr V. 9 tvqo) in rigor. V. 10 schreibt er mit A y,al ni/Qiüva Y_e)Adiöv, indem er bemerkt: „nvqiov placeuta e simila facta" ; ich kenne das Wort sonst nicht, aber nach der Analogie von ü^nteXLov, oiviöv, airiöv u. a. müßte es „Weizenfeld" bedeuten. Daher be- halte ich die Verbesserung :rvQva bei. V. 13 verlangt Wilamowitz mit Kecht edao^eg st. edao/.tev, wie sonst in dem Liedchen, ebenso V. 16 viv; aber V. 17, wo er «AP/ el (ftgr^g Tt st. aV dij cp. ti schreibt und die Überlieferung für verdorben hält, kann ich ihm nicht beistimmen; der Vers nimmt nachdrücklich V. 13 wieder auf: wenn du also etwas bringst, bring etwas Rechtes.

Bei dieser Gelegenheit erwähne ich noch :

1. D. Vertesy, Gezähmte Schwalben im Alter- tum. Berl. Philol. Wochenschr. 1907. Sp. 255 f.

2. St. Schneider, Das Schwalbenlied. Eos XI (1910). S. 138.

E. Nestle machte in der Berl. Philol. Wochenschr. 1904 S. 700 auf die Stelle bei Dio Chrys. 35. Homilie zu Matth. 10, 42 p. 402 A (I 494 ed. Field) aufmerksam , wo man liest : ol /eAf (Jo- vag 7ceQi(ptQ0itEg xal ijaßolcoiuivoi xat .edvrag y.ay,r^yoQOvvi;eg (.iiad^ov TTJg TEQaTiodiag Tairi]g Xaf.ißdvovGiv. Vertesy findet daran nichts Wunderbares-, er meint, auch im Schwalbenlied handle es sich nicht um das Ankommen der Schwalben im Frühjahr, sondern die Kinder seien mit dressierten oder gezähmten Schwalben herum- gezogen ; bei Chrysostomos seien sie zum Scherze, im Volkslied aus Not gezähmt worden. Der Schluß aus der Dio-Stelle auf das rhodische Bettellied ist wenig wahrscheinlich ; meiner Meinung nach hatten die Kinder auf Rhodos nachgebildete Schwalben , wie dies auch sonst bei ähnlichen Anlässen Sitte ist.

Schneider weist bei dem Dichter Slowacki Anklänge an das Schwalbenlied nach.

Eine alte deutsche Übersetzung des Schwalbenliedes veröffent- licht J. K. S c h ö n b e r g e r in der Wochenschr. f. klass. Philologie 1912. Sp. 609 f.

Fragmenta adespota. Fr. 31 und 33a hat Bergk nach Ansicht von v. Wilamo- witz, Sappho und Simonides, Berlin 1913 S. 94 Anm. 2, mit wenig

106 •'• Kitzler.

Berechtij^uug unter die Adespota lyrica gestellt ; er möchte sie eher einer Inschrift oder einem Orakel , das eine tmmögliche Sprache fingiert habe . zuweisen. Diese Vermutung ist um nichts sicherer als die Bergks: allerdings dem Alkman , wie Bergk meinte, können die Verse nicht zugeteilt Averden. Fr. 33a billigt Wila- mowitz die Lesung von Hertz: ajtug d\FeiQt]vav' rode yaq i^lro Dliooa Xiyeia. Fr. 104 und 129 gibt WilamoAvitz der Sappho, Avie ich oben im Bericht über Sappho schon erwähnte. Fr. 125 stellt Wilamowitz, Lesefrüchte. Hermes 1905. S. 130, um und liest: Eid^ig arf^ckrjOEv cteQoßaiav oi'/iov avif.n)v (.Uyav; die Lesart aegoßaräv rührt von D ü b n e r her. Der Vers wird so za einem päonischen Pentameter.

Das Seikilosliedchen behandelt eingehend

F. Marx, De Sicili cantilena. Ehein. Museum Bd. 61 (190G). S. 145 f. Er bezeichnet die Sprache der Inschrift als vulgär; sie weise auf die Zeit des Plutarch , Arrian und Liikiau. Das Ganze sei ein elendes Machwerk : V. 1 und 2 erinnere an den Spruch auf einem in einem Landhause bei Boscoreale gefundenen Becher, vgl. Monu- ments Piot V 1899 tab. VII 1 p. 65: V. 3 klinge stark an Plut. consol. p. 116 A an. Das AVort (pairov faßt Marx als Vokativ von (Vaiviü, dem Namen einer Frau. Die Tonart ist nach ihm phrygisch^ wahrscheinlich eine Verbindung des systema öieLeiyitiei'Ov mit dem awrjiu/iievov.

J. U. Powell, The Paean of Philodamos of Scar- pheia. Class. Quarterly IX (1915). S. 288.

Der Päan wurde von H. Weil veröffentlicht, vgl. Jahresb. Bd. CIV (1900. I) S. 144. Powell stellt die Vv. 53 f. her; seine Her- stellung ist aber nicht neu, vgl. A. Fai r b ank s , A study of the greek Paean. 1900. S. 139 f., wo ebenso gelesen wird.

Den Päan CIA III 1 Add. p. 400 Xo. 171 c bespricht A. Lud- wich, Homerischer Hymnenbau. Leipzig 1908. S. 281 f. nach seiner Gliederung: er findet darin durchweg seiner Zahlen- symbolik entsprechend die Apollinischen Zahlen 7 und 3 und führt dies im einzelnen nach Metrum, Xamen usw. durch. Ich habe den metrischen Bau des Päans in AVochenschr. f. klass. Philol. 1911 Sp. 1213 f. behandelt.

Xeue Funde liegen vor in:

1. Berliner Klassiker texte Heft V, 2. Hälfte: Lyrische und dramatische Fragmente. Bearbeitet von

Ber. über die griotli. Lyriker usw. u. il. Epipraniins:immluDi;eii f. 1905 17. 107

W. Schub art und U. v. Wi 1 am o w i tz - I lendor ff.

Berlin 1907. Pap. 9775 S. 131 f. enthält ein Gedicht in Ana})ästen, ■\ Kolumnen, die 1. am Anfang und Ende verstümmelt, ebenso die 2., die 3. un- leserlich. Im Anfang wird eine Keihe griechischer Landschaften aufgezählt, die alle Homer preisen, der als Schöpfer aller Poesie verherrlicht wird. In der 2. Kolumne wird Kassandra sprechend eingeführt, die den Sinn der alten Orakel deuten will. Das Ge- dicht , das nach Inhalt und Form vereinzelt in der hellenistischen Tiiteratur steht, gehört nach Wilamowitz in die Zeit zwischen Euergetes II und Caligula und stammt am ehesten aus dem Ägypten der späteren Ptolemäerzeit. P. 973-4 S. 142 f. ist ein Hymnus an Tyche, die imstande ist, die Hohen und Stolzen zu stürzen, dagegen die Niedrigen und Schwachen zu erhöhen , sie , die stets Anfang und Ende aller Dinge in ihrer Hand hält. Der Text ist sehr fehlerhaft überliefert; Verbesserungsvorschläge habe ich N, Phil. Kundschau 1908. S. 149 f. veröffentlicht, ebenso K. Fr. W. Schmidt in der Wochenschr. für klass. Philologie 1908. Sp. 462 f. Vgl. auch A. Körte, Arch. f. Papyrusforschung Bd. V, S. 557.

2. Catalogue of the greek papyri in the John Kylands 1 ibrary Manchester. Vol. I : Literary texts (No. 1 61). Edited by A. S. Hunt. Manchester 1911. XII, 202 S.

Pap. 15 S. 24, von Murray ergänzt, ist ein Seitenstück zu „Des Mädchens Klage" ; das Mädchen , das ihr Geliebter verlassen hat, um als (.lOQiUXliov (= murmilo) im Zirkus aufzutreten, klagt ihr Leid den Göttern und beschließt, ihn von seinen Verpflichtungen beim Zirkus wieder freizumachen. Es sind vierzeilige Strophen in ionischem Maße: vergleiche aber A. Körte a. a. 0. S. 558. P. 34 S. 72 enthält 11 Zeilen eines Gedichts, das leider unver- ständlich bleibt.

3. E. J. Goodspeed, Chicago Literary Papyri. Chicago 1908. 50 S. J. U. Po we 11, Fragments o f greek p 0 e t r y f r o m papyri in the 1 i b r a r y o f t h e U n i v e r s i t y of Chicago. Journal of Philology 34. S. 106 f.

Die Papyri wurden zum ei-sten Male von Goodspeed in Journal of Hell. Stud. 1903. S. 233 f. veröffentlicht. Sie wurden von Hunt nachgeprüft, und auf seinen Lesungen beruhen die neuen Ausgaben. Es ist eine Sammlung von Hymnen . deren Text aber nach wie vor dunkel bleibt: Xo. 2 scheint ein Epithalamion zu sein. K. Fr, W. Schmidt gibt in seiner Besprechung der Ausgabe

108 J- Sitzler.

Goodspeeds in der Berl. Philol. Woclieuscliv. 1910. S. 648 f. Verbesserungen.

4. H. P o m p t 0 w , Del p h i c a III a. Berl. Philolog. Wochen- schr. 1912. Sp. 1394 f..

veröffentlicht einen Hestiahymnus des Aristonoos , dessen Apollon- päan wir schon kennen. Dieser Hymnus wurde schon in der Zeit- schrift f. Geschichte d. Architektur III (1908). S. 142 Anm. 1 No. 10 angekündigt; er steht auf einem Parallelcippus zu dem, auf welchem sich der Apollonpäan befindet , Invent. No. 448 h. Der Inhalt bietet nichts Besonderes ; die Ähnlichkeit mit Aristoteles' Hymnus auf Hermeias (fr. 6) fällt sofort auf. Bei der Entzifferung halfen Hill er, P. Maas und Br. Keil mit; Maas erkennt Daktylo-Epitriten und vergleicht Berl. Klassikertexte V 2, 58 und 143, Keil denkt an Prosodiacus (Enoplier) und Epitrit.

5. K. Latte, De saltationibus Graecorum capita q u i n q u e. Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten hrsg. von Pv. Wünsch und L. Deubner. Bd. VIII. Heft 3. 1913.

Darin behandelt Latte S. 43 f. ausführlich den c/xrog y.Xr^Tiy.ög auf den Diktäischen Zeus, der bei Pahäokastro gefunden und in den Annuals der Brit. School at Athens XV S. 339 f. veröffentlicht wurde. Die Inschrift stammt aus dem 2. oder 3. Jahrh. n. Chr., geht aber vermutlich auf ein Muster aus dem 4. Jahrh. v. Chr. zurück, vgl. G. Murray a. a. 0. S. 365. Zu der von Latte ver- zeichneten Literatur kommt jetzt noch J. U. Powell, Hymnus Curetum. Class. Quarterly IX (1915). S. 143, der einige Stellen (V. 1. 16. 34) behandelt. Der Hymnus ist im ionischen Metrum abgefaßt und wurde von einem Chor am Altar des Diktäischen Zeus gesungen. Zeus , KoiQog genannt , wird als Spender der Fruchtbarkeit herbeigerufen : die Kureten werden als daii-ioveg be- zeichnet, sind also nicht die Priester, sondern göttliche Wesen, die vom Zevg y.oiQog nicht getrennt werden können. Ursprünglich freilich waren sie Menschen, die durch ihre Tänze die Seuchen von Menschen, Tier und Saaten fernhalten zu können glaubten ; sobald sie zu Göttern erhoben waren, traten nach Latte Priester an ihre Stelle, die ihren Kult weiter übten.

ßer. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 190.'» 17. 109

III. l^iikoliker.

a) Allgemeines.

Die Entstehung der Bukolik betreffen :

1. J. Kayser, De veterum arte poetica (juaestiones selectae. Diss. Leipzig 1906. 98 S. 8".

2. G. Vürthein», Beitrag zur Entwicklungs- geschichte des antiken Hirtengesanges. Verslagen en Mededeeliugen der kon. Akademie van Wetenschappen II 3. Vor- getragen 13. Nov. 191G. Vgl. Wochenschr. f. klass. Philol. 1917. Sp. 800 f.

Kayser stellt S. 52 f. die Thcokrit-Scliolieu zusammen, die sich auf die Poetik beziehen. »S. 54 f. veröftentlicht er aus einem in Modena beiindlichen codex miscell. Estensis saec. XV ein Anek- doton , von ihm nach dem cod. Estense genannt , das in drei Ab- schnitten eine Einleitung in die Lektüre Theokrits enthält: der 1. Abschnitt spricht über die Gattungen der nicht dramatischen Poesie , der 2. über die dramatische Poesie und der 3. über die bukolische, ausführlicher und reichhaltiger, als was wir sonst darüber haben. Nach den Darlegungen Kaysers weist das Anekdoton große Ähnlichkeit mit Tzetzes , den Schollen zu Dionysios Thrax und der Prokloschrestomathie auf; außerdem ist das Lexikon des Orion darin benützt. Daher hält es Kayser für eine Jugend- schrift des Johannes Tzetzes.

Vürtheim nimmt für die bukolische Dichtung dieselbe Art der Entwicklung an wie für das Drama und das Epos ; auch sie muß aus dem Kultus und dem dabei geübten Volksbrauche ent- standen sein. Seine Heimat ist nach Vürtheim Lakonien und Sizilien. Daß auch ich diese Ansicht teile , habe ich schon früher wiederholt dargelegt. Die erste Erwähnung des Hirtengesanges finden wir bei Homer 525 f. in der Beschreibung des Schildes des Achilleus. In Sizilien knüpft sich der Hirtengesang an den Kult der Artemis, die in Syrakus als Lyaia und in Tyndaris als Phakelitis verehrt wurde. Bei den Festen dieser ländlichen Gottheit traten maskierte Bukoliasten auf, die Vürtheim mit den alt- deutschen Perchtenläufern vergleicht: zwischen diesen bildete sich im Laiife der Zeit ein Agon , ein Wettstreit, aus, bei dem der Sänger an die Stelle des Flötenbläsers trat, vgl. Gramm, lat. I p. 487. Als ältesten Dichter von Hirtenliedern kennt Athenäos den Diomos = Diomedes: für den Schöpfer des Daphnisliedes liält

HO J. Sitzler.

Vürtheim den Stesichoros. Die Daplinis-Sage, über die Diodor IV 84 und Aelian var. bist. X 18 bericliteu, knüpft sicli an einen auf- fallend gestalteten Felsen bei Hiniera, in dem man den zur Strafe für seine Treulosigkeit mit Blindlieit gescblagenen Ilii'ten, der sieb gerade in das Meer stürzen wollte, erkannte, vgl. Cic. Verr. II 52 und Servius zu Verg. eclog. 8, 68. In den Norden Siziliens ver- legte Stesicboros die Sage und löste so die Bezicbung zum Strom - gott Cbrysas in Mittelsizilien, der als Vater des Dapbnis galt.

An Ausgaben sind erscbienen :

1. The greek Bucolic poets. With an englisb trans- lation. By J. M. Edmonds. New- York 1913. XXVIII, 527 S.

2. Bucolici Graeci. Kecognovit 0. Koennecke. Braunscbweig 1914. VIII, 147 S. 8».

Edmonds' Ausgabe enthält den Text, die Übersetzung in das Englische, teils in Prosa, teils in Poesie, und kurze kritische und erklärende Anmerkungen. Fremde und eigene Vermutungen sind vielfach aufgenommen , öfters auch an Stellen , wo keine Nötigung dazu vorlag. Auch in der Auffassung und Übersetzung bringt die Ausgabe viel Neues, aber nicht immer Annehmbares. Auf einzelnes werde ich im folgenden noch zurückkommen.

Koennecke behält . wie Edmonds, im Gegensatz zu A h r e n s und W i 1 a m o w i t z die gewöhnliche Reihenfolge der Gedichte bei; er will bei möglichst engem Anschluß an die Über- lieferung einen leicht lesbaren Text herstellen , und diesen Zweck hat er erreicht; außer fremden Verbesserungsvorschlägen sind auch eigene dazu verwandt. Am Fuße der Seiten ist eine knappe adnotatio critica beigefügt, die aber keinen vollständigen Aufschluß über das Verhältnis seines Textes zur Überlieferung und ebenso- wenig über die Urheber der von ihm aufgenommenen Ver- besserungen gibt.

b) Die einzelnen Dichter.

Theokrit.

Das hs. Material zu Theokrit wurde durch einige Papyrus- funde vermehrt, welche

1. Berliner K^lassiker te x te Heft V, 1. Hälfte: Epische und elegische Fragmente. Bearbeitet von W. Schub art und U. v. W i 1 a m o w i t z - M ö 1 1 e n d o r f f. Berlin 1907.

Ber. über die griecli. Lyriker usw. u. d. Epigrauunsaminliiugeu f. 1905—17. \\\

2. J. U. Powell, Fraginonts of hexame t r ic poems in Chicago Papyri. Class. Keview Bd. 28 (1914). S. 143, bekannt machten. Der Berliner Pap. 5017, mitgeteilt S. 55, ent- hält aus einem ganz späten Pergamentbuche Teile von Theokr. 11, 20 24 und 14, 59 G3. Für den Text ergibt sich daraus nichts Neues; aber die Aufeinanderfolge von 11 und 14 zeigt, daß die lieihenfolge der Gedichte gestört war: an die zehn Bukolika schlössen sich sofort die Mimen an. Pap. 7506, ein Papyrusblatt aus dem

1. oder 2. Jahrb. u. Chr., auf S. 56 abgedruckt, enthält Reste zweier Kolumnen Scholien ; die erste Kolumne ist bis auf wenige Buchstaben vernichtet, die zweite bringt Erklärungen zu Theokr. 5, 38 49. Die Lemmata sind ausgerückt, der Text war nicht mit- geschrieben , die Erklärungen sind ganz iingelehrt und schlechter als unsere Scholien. Es waren ursprünglich Kollegienhefte.

Powell berichtet über Bruchstücke hexametrischer Gedichte auf Chicagoer Papyri ; es ist nach ihm eine Hymnensammlung des

2. oder 1. vorchristlichen Jahrhunderts. Darunter sind auch Stücke von Theokr. 17.

Einige Beiträge zur Kenntnis der Hs. liefert auch

Fr. Gar in, Theocritea. 2. Studi Italiani di Filologia class. XV (1907). S. 311 f. Er weist gegen Wilamowitz, Textgeschichte der griechischen Bukoliker S. 7, darauf hin, daß in K die Reihenfolge der Gedichte 1. 7. 3—6. 8—13. 2. 14. 15 ist, wie auch Ahrens I S. XXVIII \ind Ziegler S. VII angeben, nicht 8 14. 2. 15, wie Wila- mowitz auch in seiner Ausgabe stellt. Der cod. S ist nach Gar in aus dem letzten Viertel des 13. Jahrb., der cod. D aus dem 15. Jahrb. S hat VIII 15 y.aTO^eii.v. wie die andern Hs. Der cod. X bei Ahrens I p. XXXI und der cod. Laurent. 35 ebenda p. XXXIl sind nicht in Florenz und waren auch nie dort. Der Laurent. 32, 52 stimmt in den Scholien zu einigen Gedichten mit K überein ; er gehört dem 14. Jahrhundert an und enthält Id. 1. 5. 6. 2. 3. 4. 7 13. 15. 14. /iTtQvyeg. In 1 und 3 7 stimmt er mit AE überein, 8 13. 2 und 14 und 15 stammen aus derselben Quelle wie P ; aber der Laur. 32, 52 ist korrekter und bestätigt einigemal die Lesarten in K, wie z. B. II 34. XV 7, die in P verloren sind. Die Scholien zerfallen in zwei Gruppen: I. II 1 29. III VII 1—40, und dann VII 40— XV. Die zweite Gruppe trifft mit P zusammen, die erste Gruppe ist umfangreicher und enthält im all- gemeinen, was Ahrens aus Gen.^ gibt, einen großen Teil von dem , was aus K hinzugefügt wird , und einiges Unedierte. Als

112 '^- l^itzler.

Probe teilt Garin aus Id. V die Varianten, die Zusätze und die Auslassungen im Vergleich mit K mit. Die Öcholieu zu Theokrit hat

0. Wendel, S c h o 1 i a i n T li e o c r i t u m v e t e r a. Adiecta

suut scholia in technopaegnia scripta. Leipzig 1914. XL,

408 S. 8", neu herausgegeben. Den 8cholien gehen Prolegomeua voraus , die das yivog Qeo/.QiTov, die ecgeati; twv ßov/~oXiY.iov usw. behandeln. Darin wird auch das von .1. Kayser veröft'eutlichte Anekdoton Estense abgedruckt, noch dixrch zwei kleine Abschnitte, die ihm 0. Imniisch und Consentini zur Verfügung stellten, erweitert. Über dieses wird Wendel, wie er sagt , noch eine genauere Untersuchung anstellen. M. R a n n o w in der Berl. Philol. AVochenschr. 1919 Sp. 1086 spricht die Vermutung aus, daß Tzetzes neben andern Vorlagen einen mit Schollen versehenen Theokrit- Codex des genus Vaticanum benützt habe und dali daher eine un- mittelbare Beziehung zu Proklos' Chrestomathie kaum anzunehmen sei. Zum Schluß folgen die reliquiae latinae des Probus, Diomedes usw. Was die Schollen selbst betrifft , so teilt sie Wendel voll- ständig mit ; dagegen hat er unter den Glossen eine Auswahl ge- troffen. In der Anordnung der Schollen folgt er dem Vorgang A. B. Drachmanns in der Ausgabe der Pindarscholien; er gibt sie in der Reihenfolge des Textes, fügt aber auf S. 353 f. Tabellen bei , aus denen sich die hs. Reihenfolge erkennen läßt. Die Ge- dichte sind so geordnet, wie sie im Codex K. bezw. dessen Arche- typus überliefert sind. Am Fuße der Seiten sind , voneinander gesondert, die loci similes und die adnotatio critica beigefügt. Auf die Schollen zu Theokrit folgen die zu den Technopägnien, in der- selben Weise geordnet. Den Schluß bilden sechs Indices , welche die Benützung der Ausgabe wesentlich erleichtern.

Für die Theokritscholien hat Wendel acht Hs. verglichen, zwei Ambrosiani KA, zwei Laurentiani GP, einen Parisinus L und drei Vaticani UET, die Siglen der Ausgabe von Wilaraowitz entnommen. Er unterscheidet drei Klassen von Schollen: das genus Ambrosianum , das durch K und seine Apographa vertreten wird ; es ist mit Glossen und Etymologien durchsetzt, die ihm ur- sprünglich fremd waren und die vielfach mit dem Etymologicum Magnum und Genuinum übereinstimmen , das genus Vati- canum, durch UEA gebildet; es enthält die Schollen zu 1 XVIII in der gewöhnlichen Reihenfolge. Dazu gehört auch L, ferner G für I VII 37 und XI XV. Diese Schollen stammen

\

i\

Ber, über die griecb. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammluugeu f. 1905 17. 1 1 g

alle aus einem Archetypus, das genus Laurentianura , das für I und III X in Betracht kommt und durch P , außerdem durch G für VII 40 X vertreten wird. G setzt sich aus zwei Bestand- teilen zusammen, aus einem vaticanischen I— VII 37 und einem gemischten, der für VII 40 X auf die scliol. Laurentiana, für XI XV auf die schol. Vaticana zurückgeht. Aus diesem Misch - codex stammen alle Scholien von P. Eine besondere Stellung: nimmt der cod. T ein, der die schol. Laurentiana und fast voll- ständig auch die schol. Vaticana enthält, aber nur wenig Eigenes bietet. Aus ihm stammt die Vulgata ; denn Kalliergos hat zur Herstellung der editio priuceps der Scholien 1516 vor allem ihn benutzt.

Von diesen drei genera hat das genus Ambrosianum den größten Wert, weil es viele Scholien allein oder doch in besserer Fassung als die andern hat. Daneben muß man aber auch die Vaticana zu Eate ziehen, die an manchen Stellen den Urkommentar treuer be- wahrt haben. Die schol. Laurentiana stehen den Vaticana näher als den Ambrosiana, haben aber den Stoff noch mehr verkürzt; was sie eigenes bieten, ist fast ohne Wert. Allen unsern Scholien liegt ein gemeinsamer Archetypus zugrunde, der I XVIII, XXVIII und XXIX, die Epigramme und die Technopägnien in der An- ordnung, die K hat, enthielt. Wendel setzt ihn in das 10. oder 11. Jahrh. und glaubt, daß er aus mehreren Vorlagen zusammen- gearbeitet gewesen sei , wodurch die ursprüngliche Anordnung eine Störung erfahren habe ; Glossen habe aber auch er schon enthalten.

Außer den genannten acht Hs. hat Wendel für die Argumente der beiden Äolika XXVIII und XXIX den Vaticanus H und den Ambrosianus C verglichen, M jedoch nur für die ovQiy^', er gehört, wie der Genevensis, dem genus Vaticanum an. Überdies hat er für die Technopägnien noch den cod. Paris, von Antliol. Pal. XV beigezogen, sowie die zwei Hs. YF (= of Häberlin) für den Kommentar des Manuel Holobolos zum Altar des Dosiadas , der an Stelle der verlorenen Scholien treten muß.

Über die Tech n op ägn ie n - Ausgab e des Holobolos handelt

C. Wendel, Die TechnopÄgnien- Ausgabe des Rhetors Holobolos. Byzant. Zeitschr. XVI (1907). S. 460 f. und XIX (1910). S. 331 f.,

ausführlicher. Er weist daraiif hin , daß die Überlieferung der Technopägnien im 15. Buch der Anthol. Pal., in das sie aus der

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 178 (1919. 1). 8

1

\l^ J. Sitzler.

jrroßeu Theokritaus«:abe als Aufschriften übernommen worden seien, verhältnismäßig rein sei, während die Technopägnien am Schlnsse der Theokritausgabe mannigfachen Verderbnissen ausgesetzt gewesen seien. Holobolos bearbeitete alle sechs Gedichte , und seine Be- arbeitung wurde teils selbständig weiter verbreitet, teils einzeln oder in Gruppen in jüngere Theokritsammlungen aufgenommen , so be- sonders die Syrinx. Jedoch haben wir zu ihr von Holobolos keinen ausführlichen Kommentar , sondern nur Glossen , die dem als Be- standteil der Holobolos-Ausgabe überlieferten Sjrinx-Kommentar des Johannes Pediasimos entstammen. Die Scholien des Johannes Farreus in seiner Ausgabe von 1543 stellen sich nur als eine andere Fassung des Holobolos-Kommentars heraus. Für seine Er- klärung des dorischen Altars verwandte Holobolos alte Scholien, die jetzt verloren sind; da uns der Holobolos-Kommentar diese ersetzen muß, ist dieser Teil desselben für uns der wertvollste, ^lit den Scholien beschäftigen sich :

1. F. E. Kind, Zu den Theokri tschol i en (IX 26). Berl. Philol. Wochenschr. 1912. Sp. 1523.

2. E. Fehrle, Die Heuschrecke im Aberglauben. Hessische Blätter für Volkskunde XI (1912). S. 207 f.

3. Th. Hopfner, Thomas Magister, Demetrios Triklinios, Manuel Moschopulos. Eine Studie über ihi-en Sprachgebrauch in den Scholien zu Aischylos, Sophokles, Euri- pides. Aristophanes. Hesiod, Pindar und Theokrit. Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wissensch. Philos. -bist. Kl. Bd. 172. 3. Abb. Wien 1912. 73 S. 8».

Zu IX 26 ev ^[/.aQiaiOL liest man im Ambros. C 222 nach Chr. Ziegler das Scholiou: I/MQiai närgai vZv oiv. av Xiyoivzo ai jceqi "l/.aoov trjv v^aof, («AZ') ai tcbqI ^iv.eXiav. ovof.taLovtai ds av Tiv" T oojg' b yag Xeycov ayQoly.og ^lv.b* . Kind verbessert passend: ovo/naCovrai öi avTi D /^ (fX£A</.)wc; denn im Paris. 2722 findet sich ' \'/./.aQLEOL mit der Glosse "^ l/./.aoa 7t6l.ic, ^i/.eXlag, und es kann sich nur um einen sizilischen Ort handeln.

Id. X 18 beißt eine Art Heuschrecke /.iccpTig-^ die Scholien fügen zur Erklärung bei, daß die Heuschrecke Verkünderin von Schlimmem sei und schon durch ihren Blick schade. Fehrle führt dies näher aus, indem er darauf hinweist, daß man sich zur Abwehr bösen Zaubers der Abbildung heuschreckenähnlicher Tiere auf Amuletten usw. bedient habe. Im Anschluß daran erklärt er Geopon, XIII 1 die Mittel gegen die Heuschrecken.

!

Ber. über die griecli. Lyriker usw. u, d. Epigrammsamialungcn f. 1005 17. 115

Hopfners sprachliche Untersuchungen berücksichtigen auch die Scholien des Triklinios und Moscliopulos zu Theokrit.

Kritische und exegetisch eUeiträge zu Theokrit liefern ;

1. Fr. Garin, Theocritea 1. Ötudi Italiani di Filologi.i class. XV (1907). 8. 305 f. [II 2-4. 65. 124 f.. XV 15 f. 40. 79. 119. 123 f.]

2. S. A. Naber, Adnotationes criticae ad Theo- critum. Mnemosyne 34 (1906). S. 149 f.

3. A. L u d w i c h , C o n i e c t a n e a ad b u c o 1 i c o s G r a e c o s. Königsberg 1908. 8 S.

4. Kachel E. Wedd, Theocritus Idyll 1186. Class. Review XXIII (1909). S. 43.

5. J. M. E d m 0 n d s , S o m e n o t e s o n t h e ;taidiv.C( ^i^ t 0 A < z a 0 f T h e o c r i t u s. Class. Review XXV (1911). Ö. 37f. S. 65 f. 8 0 m e n o t e s o n t h e B u c o 1 i c i G r a e c i. I. Theo- critus I— XI. Class. Review XXVI (1912). Ö. 241 f. II. Theo- critus XIII— XXIII. Ebenda XXVII (1913). 8. 1 f . III. Theo- critus XXIV XXVIII and the epigrams, Bion, Moschos. Ebenda 8. 7 3 f.

6. H. W. Prescott, EBA POOX. Class. Quarterly VII (1913). S. 176f.

7. U. V. "Wilam o wi t z - M ö 1 1 e n do rff . Reden und Vorträge. 3. vermehrte Auflage. Berlin 191:3. VIIL413S. 8^, [Theokrit I.]

8. A. 8. F. Gow, The cup in the first Idyll of Theocritus. Journal of Helleuic Studies XXX 2.

9. 0. Könnecke, Zu Theokrit. Philologus 72 (1913). 8. 373 f. Zu den griechischen Bu kolikern. Rhein. Museum 69 (,1914). 8. 538 f. Theokrit 14, 38. Wochen- schr. f. klass. Philologie 1914. 8p. 885. Theokrit 1, 30. Ebenda 1915. 8p. 1170.

10. A. P 1 a 1 1 , Theocritea. Class. (Quarterly VIII (1 914). S. 86 f. Bucolica. Journal of Philology 34. 8. 142 f.

11. R. Wünsch, Die Zauberinnen des Theokrit. Hess. Blätter für Volkskunde. VIII (1909). 8. Ulf.

12. 8. G. Oliphant, 8alissationes. Am. Journal of Philology 31. 8. 203 f. [Theokr. III 36.]

13. L. Deicke, Über die Ko mp osition einiger Gedichte Theokrits. Programm-Beilage. Gymn. Ratzeburg 1912. S. 17 f. [III. V.]

8*

116 J" Sitzler,

14. W. Abbott 01(1 fat her, Lokrika. Sagengeschicht- liche Uutersucliungen. Philologus 67 (1908). S. 411 f. Exkurs B. [lY 23.]

lo. Margaret C. Waites, Some features of the a 11 e g o r i c a 1 d eb a t e i u g r e e k 1 i t e r a t u r e. Harvard Studies XXIII (1912). S. 1 f. |V. VI. YII. VIII. IX. XXVII. XXX.]

16. A. Willems, A r istopliane , cavaliers 537 540. Rev. des etudes gr. 1906 S. 383 f. [VII 37.]; dagegen

17. Ph. E. Legrand, -/.aTivQog. Ebenda 1907 S. 10 f.

18. P. Groeneboom, Varia. Mnemosyue 44 (1916) S. 319. [VII 76.]

19. A. Rostag ni, Süll' autenticita dell' idillio VII di Teocrito. Atti d. R. Accaderaia delle Scienze di Tori'no XLVIII 1912—1913.

20. J. Sitzler, Zu Theokrit. Wochenschr. f. klass. Pbilol. 1915. Sp. 448 f.

21. J. P. Postgate in Class. Eeview XX (1906). S. 443 : Tbeokr. 15, 17.

22. A. J. Reinacb, Argeia et Sperchis dans les Syracusaines (Adoniaz. 98). Rev. des etudes ancienues IX (1907). S. 233 f.

23. P. Maas, Verschiedenes. IV. Tbeokrit 15, 8. Philologus 72 (1913) S. 454.

24. H. Stadimann, Studien zur Geschichte der alexandrinischen Literatur. Progr. Gymn. Wels 1909. 29 S. [Tbeokr. 16.]

25. E. B. Clapp, Theocritus and Pindar. Trans- actions and Proceedings of the Am. Philol. Association 42 (1911). S. LXn. [Tbeokr. 16 und 17.] Tbe oaQLOr ig (XXVII) ofTheocritus. Class. Philology II (1911). S. 165 f.

26. M. Lench antin de Gubernatis, Quo anno Theocritus idyllium XVII scripserit. Bollettino di Filol. class. Xn. S. 255 f.

27. D. Vertesy, Kritische Bemerkung zu Theo- krit XVm 26 f. I4i>r^v6i XVIII (1906) S. 54 f.

28. E. Fitch, Note on Theocritus XXII 31 f. Class. Philologe- X (1915). S. 455.

29. F. Blass, Varia. Rhein. Museum 1907. S. 265 f. [XXIV 47.]

30. A. Taccone, Tbeocrit 24, 49. Bollettino di Filol.

Ber. über die j;riocli. Lyriker usw. ii. d. Epigramm8ammlun<;:en f. 1905 17. U 7

class. XX (1914), S. 231 f. Der Humor in Theokrits Ercoliuo. Ebenda XXI (1915). S. 58 f.

31. A. Ilollatko, Theokrit als Genrodichter in seinem Herakliskos (XXIV). Progr, Ötaatsgymn. Mähr.- Weißkirchen 1914. 22 S.

32. E. Frohu, De carmiue XXV Theocriteo tpiae- stiones selectae. Diss. Halle 1908. IV, 92 S.

33. M. Schneider, [Tlieokr.] Id. XXVU 50. Philo- logus 69. S. 153 f.

84. A. T. Murray, Theocritus' treatment of the Daphuis' story. Transact. and Proceed. of the Am. Philol. Association 38(1907). S. XXXIX. Aratus and Theocritus. Proceedings of the 37. annual meeting of the Am. Philol. Asso- ciation and of the 7. annual meeting of the Philol. Association of the Pacific Coast. 1905 C. VIII d. Vortrag 17 der 2. Ab- teilung und Matzke memorial volume Leland Stanford Junior University Publications 1911. S. 139 f.

35. E. B e t h e , T h e 0 k r i t - E p i g r a m m u n d Theokrit- Portrait. Rhein. Museum 71 (1917). S. 415 f. [Epigr. 22.]

36. A. Ceccon, Polifemo in Teocrito (XI). Padova 1905. 19 S. (Stand mir nicht zur Verfügung.)

Aus diesen Arbeiten hebe ich folgendes heraus :

Id. I 29 f., die Beschreibung des Bechers, wurden von Gow von künstlerischem Gesichtspunkt aus behandelt; dazu sind auch Edmonds' und Könne ckes Ausführungen zu vergleichen. V. 30 verteidigt Könnecke mit Recht H e c k e r s x€/o/< )]fAevog bezw. y.ey.o^iaiuevog, obwohl er in seiner Ausgabe -/.eKovifjavog hat, ohne Heckers Verbesserung auch nur zu erwähnen, vgl. vor. Jahresb. Bd. CXXXIII (1907. I.) S. 273 f. Edmonds will in den Worten a di 'a.o.x' aizöv \ -/.aQnot e'li^ y.cX. unter a 6i den {-XtyQiaog verstehen und f'At<^ adjektivisch nehmen; dagegen spricht das Ge- schlecht von eXixQioog ebenso wie das Attribut dyallof-iiva ■/.qo/.obvti 'Kagno), das nur vom Efeu gebraucht sein kann. V. 37 ver- mutet N a b e r QaneTai voti) st. QiuceL voov gewiß ist oLtveiv voov st, rgineiv oder l'yieiv voov ein ungewöhnlicher Ausdruck, aber trotzdem ist er als überliefert beizubehalten. Wollte man qItitsiv durch qLibiv ersetzen , so müßte man nach der sonstigen Verwen- dung dieses Wortes qtrcELV wählen , also 7C0tI x6v{dE) oänEi vooj schreiben, vgl. Plut. amat. narr, 1, Polyb. 33, 15. 1, 31, 5. V. 57 tritt auch Nah er für Kalvdviio ein, wie Wilamowitz

118 J- Sitzler.

mid Könnecke in iliveu Ausgaben geschrieben haben. Er ninunt also, wie es scheint, ebenfalls Kos als Schauplatz unseres Gedichtes an. Dagegen hält A. Taccone, Gli idilli di Teocrito tradotti in versi italiani. Torino 1914. S. 8 an der hs. Lesart KaXvöiovio> fest, wie auch an dorn sizilischen Schauplatz, für den auch die Hypothesis des Gedichts eintritt. Darüber , daß die Handlung des Liedes, das Tyrsis singt, in Sizilien spielt, kann kein Zweifel sein; es ist nur die Frage , ob Sizilien auch der Ort ist, wo dieses Lied von Tyrsis gesungen wird , und da macht die Erwähnung des libyschen Chromis, der py maischen Trauben und des kalydonischca Fährmanns bedenklich. Anderseits, wenn man Kos für den Schau- platz hält, muß man voraussetzen, daß der sizilische Hirte Tyrsis dorthin gereist ist und sich dort aufhält. Die letztere Annahme erscheint mir immerhin noch empfehlenswerter, und damit auch die Lesart des Schol. KaXtdvUij st. Kalvöior/qj. V. 65 zieht K ö n n e c k e die Lesart ad a (fcovä der anderen adea cptord vor. Auch Lud- wich. Homerischer Hymnenbau S. 324, nimmt an aöea wegen des darin enthaltenen Selbstlobes Anstoß ; aber a erklärt er mit Recht für metrisch unhaltbar, vgl. meine Ausführungen in der Wochenschr. f klass. Philol. 1915 Sp. 3. Was er freilich dafür vorschlägt, nämlich äd , ta oder äö , l'ca, (fojva, dürfte kaum Anklang finden. V. 95 f. kann E d m o n d s die Auffassung von Wilamowitz nicht teilen : nach ihm weisen die drei Beispiele , Anchises . Adonis und Diomedes, auf die Zukunft hin, sie stellen die drei Akte der Rache dar, die Daphnis der Aphrodite androht. Er meint, die zwei ersten geben an, was seine Freunde, die wilden Tiere, nach seinem Tode für ihn tun werden, während das dritte, den zwei ersten gegenüber- gestellt, hinweist auf das, was sie selbst im Gegensatz zu ihren Ge- liebten zu erleiden habe. Ich halte dies nicht für richtig ; Rache- akte droht Daphnis der Aphrodite nicht an , und die Bienen und der Eber werden so wenig für ihn eintreten wie Diomedes. Es kann sich nur um Vergangenes handeln , wie man allgemein an- i nimmt. Allerdings kann ich auch der Ei*klärung , die Wilamo- witz gibt, nicht ganz beistimmen: „ich bin dir überlegen: denn du bringst mich niemals dazu , dein Werk zu tun , durch das du dich erniedrigst und den begnadeten Sterblichen Elend statt Lust gebracht hast." Meiner Meinung nach antwortet Daphnis auf Aphro- dites spöttische Frage vielmehr: „sterben werde ich allerdings, aber mit meinem Tode wird die Sache noch nicht zu Ende sein: auch nach meinem Tode werde ich dem Eros noch herben Sclimerz be- reiten, weil er mich nicht sich willfährig machen konnte. Was

I>er. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epignimmsaminlungen f. 1905 17. 119

aber dich betrifft, so bist du ihm erlegen und hast davon auch nur Schmerz und Trauer gehabt , und auch dein Sieg über micli , die Verniclitung eines Hirten, wird keine Ehre für dich sein." Nur so gefaßt, glaube ich, erhält die Erwiderung ihre volle Bedeutung. V. 140: tßa üoov erklärten schon die .SchoHen mit a.itUave '/.ai Tov lAxtQOvra düßt^, und so verstand man es stets bis jetzt ; Wila- mowitz, Reden und Vorträge, 3, Aufl., S. 314 übersetzt: „zur Styx sank er dahin." Nach der theokritischen Fassung der Daphnis- sage kann es auch nicht anders verstanden werden. Prescott will nun darin einen Überrest der älteren , ursprünglichen Sagen- form erkennen ; er bringt diese Wendung mit der Notiz des Ps.- Servius, daß da, wo Daphnis verschwand, eine Quelle, Daphnis ge- nannt, entsprungen sei, und mit der von Timäos Echenais genannten Nymphe, die Daphnis liebte, in Zusammenhang. Daraus schließt er, daß es sich um eine Wassernymphe gehandelt habe, und weist zur Stütze des, wie er selbst sagt, schwachen Beweises auf ähnliche Sagen der Griechen und anderer Völker hin, wie die des Astakides (Kallimach. Epigr. 24 (Sehn.) = 22 (Wil.), des Borimos oder Bor- mos (Athen. XIV, p. 619 Ff.), Petermanns des Diemringers von Stoufenberg (Schroeder, Zwei altdeutsche Rittermären. Berlin 1894. Sagen aus Baden und der Umgegend. Karlsruhe 1834. S. 107 f.); außerdem vergleicht er Apoll. Rhod. I 1208 f., wo ähnliche Wendungen vorkommen. Demnach glaubt Prescott, daß in der ursprünglichen Sage eine Wassernymphe eine Rolle gespielt habe, zu deren Strom Daphnis gegangen und darin für iinmer ver- schwunden sei {tßa ööov) ; diese Sage sei aber durch die Ein- fiihrung der Aphrodite stark abgeändert worden ; von Haus aus habe auch sie zu der großen Zahl jener Sagen gehört, welche die Ge- fahr, die in dem vertraulichen Umgang zwischen einer Nymphe und einem Stei-blichen liege , zum Ausdruck brachten. Die Ansicht, welche C. Fries, Studien zur Odyssee. I. Das Zagmuk- fest auf Scheria. Mitteilungen der vorderasiatischen Gesell- schaft XV (1910) S. 261 f., ausgesprochen hat, daß nämlich Daphnis der griechische Krischno sei, weist Prescott entschieden zurück; aber auch seine eigene Ansicht ist kaum besser begründet. Die beigebrachten Beweise sind doch zu schwach , um so weitgehende Schlüsse darauf zu bauen.

Mit der Daphnis-Sage beschäftigt sich auch Murray; aber im Gegensatz zu Prescott, der ihre ursprüngliche Form und Be- deutung feststellen will , untersucht er die Fassungen, die uns von ihr in Theokrits Gedichten vorliegen. Nachdem er einleitend be-

120 J- Sitzler.

merkt hat. daß sich die Sagenform, die im 1. Idyll enthalten ist, nicht ohne gewaltsame Interpretation und Textänderung mit der älteren Version in Einklang bringen lasse , geht er näher auf das 8. Idyll ein , in dem wir erfahren , daß Daphnis in seiner Jugend eine Xyinphe heiratet. Dies entspricht der gewöhnlichen Über- lieferung der Sage ; wir hören aber darüber von dem Dichter nichts weiter, weder von einem Gelübde, noch von einer Untreue, noch von einer Blendung des Daphnis. Eine ganz andere Fassung der Sage tritt uns im 7. Idyll entgegen ; hier erscheint Daphnis als un- glücklicher Liebhaber, mit dem die ganze Natur Mitleid hat, vgl, V. 72 f. Verschieden davon ist wieder nach Murray die im 1. Idyll erzählte Sage , nach der Daphnis , wie Hippolytos , Avegen seiner Keuschheit den Zorn der Aphrodite sich zugezogen hat. Diese flößt ihm mit Hilfe des Eros eine verzehrende Liebe zu einem Mädchen ein, das auch ihn heftig liebt und überall sucht; aber Daphnis stirbt lieber, als daß er nachgäbe. Bei diesen seinen Darlegungen hat Murray übersehen, daß das 8. Idyll nicht von Theokrit ist; die dort benutzte Fassung scheidet also für Theokrit aus. Was aber die beiden andern, die im 7. und 1. Gedicht, betrifft, so lassen sie sich wohl vereinigen, vgl. vor. Jahresber. Bd. CXXXIII (1907. I), S. 267 ; bei Theokrit liegt nur eine Fassung der Daphnis-Sage vor.

Wilamowitz gibt eine Übersetzung und anregende Be- sprechung des 1. Gedichtes, in der er seine anderwärts gemachten Ausführungen zusammenfaßt und vervollständigt.

Id. II 20 schlägt Xaber ^ gd ye, TQiOf.ivaaQd st. tj gd yi toi, f-tvaagd vor. Tatsache ist, daß xoi wegen des folgenden /.al tiv anstößig ist; auch kann es durch III 8 nicht geschützt werden, weil Toi an dieser Stelle Dativ ist. Trotzdem scheint mir rgiOf^vaagd an unserer Stelle nicht am Platze zu sein; die Verwünschung ist zu stark. Ursprünglich war wohl rj gd yi JT(f, /.ivöagd geschrieben, vgl. IV 3: ^^ 7ta und VII 149: dgd ye ticc /.tI. V. 60 f. sind schon vielfach zu verbessern versucht worden : neue Vorschläge liegen von Lud wich und Wünsch vor. Lud wich möchte V. 61 halten und schreibt daher nach y.aitvnigxEgov als Zwischensatz : dg Izi xat vvv | «x i^vfxio dio^aL (st. deöefjai) ' 6 de f.i£v }^6yov ouöeva noiel; daß diese Herstellung unmöglich ist, legt M. Rannow in der Berl. Phil. AYochenschr. 1909 Sp. 1141 f. überzeugend dar. Wünsch vermutet v.ai^vTiigTEga' .taoö^ txi '/.cd vvv unter Ausscheidung von V. 61 ; aber so bleiben die Worte I'ti y.al vvv unverständlich. Ich glaube . daß mit dg tzi y.al vvv eine nähere Bestimmung zu der Aufforderung: vvv de Xaßoioa iv td

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Ber. über die griecli. Dkhter us\v. u. d. Epijirammsiimmlungen f. 1905 17. 121

^Qova rali^' vn6f.ia^ov \ za^ zrjyco cf?uäg /.aOvjctQTEQOv gegeben wird, und schließe aus ag tzt, daß diese die Ausführung jener Auf- forderung betrifft. Die Partikeln xai rvv sind nicht ursprünglich, wie schon die Wiederholung des vvv zeigt : sie sind im Zusammen- hang mit dem eingeschalteten Vers 61 eingedrungen und haben das Echte verdrängt, das etwa gelautet haben muß : ctg tri Aa^/^c so lange du noch verborgen ist, es unbemerkt tun kannst. Aber auch V. 59 vn6(.ia^ov muß in a;r6(.ia^ov geändert werden ; man wollte zwar vno im Sinne von „heimlich" fassen, es muß aber auch hier wie sonst „unter" bedeuten und widerspricht so dem folgenden

Y.ai^l'7T{:QtEQ0V.

Das ganze Gedicht wird von Wünsch eingehend besprochen; er legt den Gang der Beschwörung ausführlich dar und weist den Zusammenhang, in dem sie mit dem Volksglauben und den Volks- gebräuchen steht, im einzelnen nach. Weiter zeigt er, mit welchem Geschick der Dichter seine Hörer oder Leser in diese Volkskreise zu versetzen wußte; er läßt das Mädchen selbst vor uns auftreten, und aus dem, was es tut und sagt, lernen wir sein Los in Freud und Leid kennen und nehmen Anteil daran. Zum Schluß fügt Wünsch eine Übersetzung des Gedichts nach dem von Wilamowitz in seiner Bukolikerausgabe gegebenen Texte in fünffüßigen Trochäen bei.

Id. III 28 f. tritt Könnecke für fioi fie^vaf.itv(i} ein, weil der Dativ die Haupthandlung sinngemäß als eine vom Subjekt und in dessen Interesse veranstaltete darstelle, während die Vulgata piev f.(£iura/iieriü die beiden Handlungen nur in eine rein äußerliche, zeitliche Beziehung setze. Aber gerade dies ist ja das Verhältnis zwischen f^eiivTJa&ai und noziuct^aad^ai ; als er prüfte, ob sie ihn liebe, da, in diesem Zeitpunkt versagte die Probe. Dazu kommt, daß Lioi für piev leicht geschrieben werden konnte , da die Auf- fassung von i.ief.ivaf.it.vM als Dativ nahe lag, das Umgekehrte aber kaum erklärlich wäre. Um ,r?vazdyTjf.ia in der Bedeutung „Knall" halten zu können, will er, wie aixch schon andere vor ihm, unter zriXiCfiXov nicht ..Mohnblatt" verstehen; er denkt an die Schote des Blasenstrauchs (Colutea). Ich halte die Erklärung G. Kai b eis, nach der 7t}.az(xyi]f.ia erklärend zu Tr^Xiifihov tritt, für richtig, vgl. vor. Jahresb. Bd.'cXXXIII (1907. I) S. 274; ebenso faßt Wila- mowitz in seiner Ausgabe die Stelle. V. 37 aAAerat 6(fi^aXf.i6g f.iev 0 öeBiog erläutert Oliphant, indem er Beispiele für diese Art von Vorzeichen glücklicher oder unglücklicher Ereignisse an- führt. Vgl. darüber auch H. Diels, Beiträge zur Zuckungs- literatur des Okzidents und Orients. I. Die griechischen

122 J- Sitzler.

Zuckungsbüclier (Melampus negl 7iuX(.ii7)v). Berlin 1908. 42 S. II. "Weitere griechische und außergriechischc Literatur und Volks- überlieferuug. Berlin 1909. 130 S.

Die Komposition des 3. Gedichts behandelt De icke', es zer- fallt nach ihm in die Exposition (1 5) und in das eigentliche Gedicht, das dreiteilig ist, nämlich 6 23 : Versuch, das Herz der Geliebten zu erweichen, abgeschlossen mit V. 24, 25 36: Mißmut und Verzweiflung, 37 54: Ständchen, und zwar 37 39 Einleitung, 40 51 Lied und 52 54 Schluß. Von V. 12 ab sind es durchweg dreizeilige Strophen; 7—11 zerlegt De icke in 6 9 und 10 11; richtiger hätte er drei Versgruppen zu je zwei Versen angenommen. Der Miraos war nach ihm für den Einzclvortrag eines rezitierenden Künstlers bestimmt, nur das Lied 40 51 wurde gesungen; aber das Lied ist keine eigene Dichtung des Hirten, dem Theokrit diese mythologischen Beispiele nicht in den Mund legen konnte, sondern eines, das er gelernt hat und nun vorträgt.

Id. lA^ 23 hält Oldfather (Dvo/.iov für die richtige Lesart und glaubt mit Fritzsche, daß es der Xame eines Mannes oder Volkes sei, nicht der eines Berges, wie die Schollen angeben, noch der eines Flusses, wie andere wollen; 0ia/.OL und (Dvoz-elg hießen die Lokrer, die Xachbaru Krotous, und diese Benennung der Lokrer im Munde eines krotoniatischen Bauern ist bei dem bekannten Ver- hältnis zwischen den beiden recht bezeichnend. Naber wendet sich auf Grund dieses Gedichts gegen das überschwengliche ]job, das man Theokrit spendet. Darin stimme ich ihm bei ; wenn er aber auf unser Gedicht das Sprichwort : scopae solutae anwendet, so legt er, wie mir scheint, einen falschen Maßstab an es an. Es ist ein Miraos , der das Gespräch zwischen einem Ziegenhirten und Rinderhirten der Wirklichkeit entsprechend vorführt und so die verschiedenen Charaktere der beiden , den gutmütigen , einfältigen des Rinderhirten und den boshaften, spöttischen des Ziegenhirten, treffend zur Anschauung bringt. R e i t z e n s t e i n s Identifizierung des Battos mit Kallimachos und des Korydon mit Alexander Ätolos samt den daraus gezogenen Folgerungen weist Naber zurück, wie schon andere vor ihm, vgl. Jahresb. Bd. LXXXXII (1897. I.) S. 148.

Id. V 25 schlägt Nah er () yiivader, rüdi y.eioetai vor, jeden- falls beachtenswert neben der bisher allgemein gebilligten Ver- besserung Wordsworths o) y.lvadöq zv, väö^ taaExai ; o) xlvadog TV erscheint mir wenig glücklich; die Hs. haben y.ivadei oder ■/.ivade. V. 36 verteidigt Nah er die Überlieferung 'ö^/Aaai zolg

JJcr. über die griech. ]>yriker usw. u. d, Epigraminsammluiifjen f. 1905 17. 123

ogS^olg, nicht mit Erfolg, wie mir scheint ; ich lese To7od , vgl. vor. Jahresb. Bd. CXXXIII (1907. I) S. 275. Waites spricht über den Wettgesang zwischen Komatas und Lakon im Zusammenhang mit andern derartigen literarischen Debatten; etwas Neues kommt dabei aber nicht heraus, und ebendasselbe gilt von dem , was sie zu Id. VI, VII, VIII, IX, XXVII und XXX vorbringt. De icke behandelt die Komposition dieses Gedichtes: die Exposition bestellt aus Vv. 1 20, Avährend das Gedicht selbst drei Teile zeigt: 21 79: Vorbereitung des Wettkampfes, 80 137: den Wettgesang und 188 150: den Schiedsspruch des Morsou und die Siegesfreude des Komatas. Die Einzelgliederung ist nach De icke ziemlich straft"; die Exposition hat 20 Verse, die Bestimmung der Kampfpreise 10, die Wahl des Kampfplatzes 19 mit Einschaltung von 10 Versen, die eine Auseinandersetzung zwischen den Streitenden enthalten, die Bestellung des Kampfrichters 20 und die Schlußworte des Komatas wieder 10. Der Wettgesang selbst spielt sich in Vers- gruppen von je zwei Zeilen ab , Avobei ganz äußerlich Motiv an Motiv gereiht wird ; aber reizvoll ist es, Avie der Dichter die lyrischen Motive in epische Form kleidet. Den Wettgesang läßt D e i c k e in einfacher Melodie gesungen, das andere rezitiert sein. Als Grund, warum Morson dem Komatas den Siegespreis zuspricht , nimmt er Verletzung der für den ßoi'/.o?.iaoin6g gültigen Regel an; nach dieser, meint er, hätte Lakon zuletzt von unerhörter Liebe singen müssen statt von erhörter. Ich glaube nicht , daß er mit dieser Annahme mehr Glück haben wird als seine Vorgänger mit den von ihnen vorgebrachten Gründen.

Id. VII 6 verteidigt Edmonds mit Hecht «rte , das auch Wiiamowitz in seiner Ausgabe schreibt: er war der Urheber der Quelle. V. 37: Moioäv ■/.arcvQov ozöuct. AVillems er- klärt es für ungereimt, in dieser Verbindung xa/rtpov als .,he]ltönend" (sonore) zu verstehen, wie es allgemein geschieht ; er verlaugt dafür die Bedeutung „verfeinert" (raffine); aber Legrand widerlegt ihn überzeugend. V. 76 : bvtb yjihv cog xig y.axEzay.eio /.rA., wo- rüber Vahlen ausführlich gehandelt hat, vgl. Jahresb. Bd. CIV (1900. I) S. 149, vergleicht Groeneboom mit Wendungen und Ausdrücken in der modernen Literatur, die ähnlicher Art sind. V. 80 schlägt Naber unter Verweisung auf XXII 42 Xdaiai st. oiuai vor; die alten Schollen merken an: aii-iag /mXüv td'og rag ueAiaoag: ebenso die Lexikographen, und sie bringen damit aif^iß/.og in Verbindung. Man Avird es also kaum ändern dürfen ; aber frag- lich bleibt, ob es auch hier „stumpfnasig" bedeutet. Über V. 96 f.,

124 J- Sitzler.

das Lied des Simichidas, spricht Könnecke Philologus 72 S. 373 f. Er ist nicht in allen Punkten mit der von Wilamowitz, Gott. Nachrichten 1894 S. 182 f., gegebenen Erklärung einverstanden, vgl. Jahresb. Bd. LXXXXII (1897. I) S. 149 f. Die Leidenschaft des Aratos flir Philinos muß , wie er ausführt , sowohl diesem als auch dem Simichidas durch Aratos selbst bekannt sein ; Aristis wird nur als Zeuge dafür angeführt. Soweit hat Könnecke gewiß recht : aber einen CTrund, warum gerade Aristis genannt wird, gibt er nicht au. Ich glaube, dieser ist mit der Erwähnung der musi- kalischen Tüchtigkeit des Aristis angedeutet: Aratos bediente sieh der Kunst des Kitharöden, um seinen Zweck zu erreichen ; Aristis war also mit den Einzelheiten des Liebesverhältnisses am besten vertraut. V. 97: ooov eYagog aiysg igavTi faßt Könnecke all- gemein ; die Ziegen freuen sich über die Ankunft des Frühlings, da er sie von dem Aufenthalt in dem dumpfen und engen Stall befreit. Auch darin stimme ich ilim bei, und ebenso in der schon vom Schol lasten vertretenen Auffassung der Worte /iirjdi Ttodag rgißcoi-ieg (V. 123), die nach dem Zusammenhang nur vom Stehen vor der Türe verstanden werden können. Dagegen lassen sich die Worte aTio rccaöe M6?.cov ayxoiTO naXaiGiQag nicht wörtlich nehmen, wie Könnecke will , sondern nur übertragen von den Mühsalen des Liebeswerbens, wie es Wilamowitz mit andern versteht. Murray tritt für die Identität des hier und Id. VI erwähnten Aratos mit dem Dichter der Phänomena ein, jedoch ohne Erfolg, vgl. Wochenschr. f. klass. Philol. 1912. Sp. 1049 f. und M. Eannow in der Berl. Philol. Wochenschr. 1913. Sp. 35 f.

Id. VIII 26 hält Edmonds an rjj' = eäv fest, während Wilamowitz in seiner Ausgabe r^v = ide schrieb; auch mir scheint, wie Edmonds, r^v = edv allein richtig zu sein ; 7jv ==■ ide ist an unserer Stelle an sich wenig passend , und Tttog spricht ent- schieden für t]v = iäv : wie wäi-e es, wenn Avir etwa usw. V. 74 war schon in den Vorlagen unserer Hs. nicht mehr unversehrt, wie die Scholien zeigen. Wilamowitz schreibt: ou (.ictv ovde Xoywv e/.Qi(}r^v a7co tov tti/.qov ai/ra] daneben lagen aber noch die Lesungen ?^6yov und t6 ?rr/tooV vor, und auch t6 ttixqov und tov TTiy.Qov waren nicht ursprünglich, wie man aus dem alten Scholion: oidi Xöyov avTfi aTTt/.QiO^rjV^ oiov ordt tb rvyj'jv, ovre twv rcgog rb XvjcrjQov Orot tcjv nqog fjöovi^v ersieht. Daher habe ich vermutet, daß etwas , wie Xoyov ey.giO^tji' Uro ovde ev , gesclirieben war. Edmonds will '/Jycov unter Beibehaltung von tov m/.qöv^ sc. Xoyov^ lesen, indem er oinEy.q'i^r^v im Sinne von „parted from" nimmt;

i

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. (l.Ei)iirrnmmsaiiinilungon f. 1905 17. 125

aber dazu paßt der folgende Vers , in dem erst vom AVeitergehen gesprochen wird, nicht.

Dieses Gedicht wird zienilicli allgemein dem Theokrit al>- gesprochen, ja nicht einmal für ein einlieitliches gehalten. Dali das letztere Urteil zu weit gehe, habe ich zwar im vorigen Jahresb. Bd. CXXXIII (1907. I) S. 283 f. ausgesprochen, muß es aber jetzt auf Grund eingehender Untersuchung als nicht haltbar bezeichnen. Rostagni, der für die Echtheit des Gedichts eintritt, verteidigt auch seine Einheitlichkeit, jedoch unter Ausscheidung der Vv. 30 32, 57 60, 61 62 und 71. Von diesen Versen kann man 57 60 nur missen, wenn man mit Rostagni der Ansicht ist, daß beim Wechselgesang die sich gegenüberstehenden Versgruppen inhaltlich sich nicht zu entsprechen brauchen; denn scheidet man 57 60 aus, so stehen 49 52 und 53 56 einander gegenüber, die eines inneren Zusammenhangs entbehren. Aber auch die andern von Rostagni verworfenen Verse verliert man ungern , da sie über die Gesänge und die Reihenfolge der Sänger orientieren, was besonders bei dem hexametrischen Wettgesang nötig ist. Doch selbst wenn mau Rostagnis Verwerfungen aunimmt , erhält man noch kein selb- ständiges Gedicht ; denn die Säuger der distichischen und hexa- metrischen Verse sind trotz ihrer gleichen Namen nicht die gleichen. In den distichischen Versen sind es Männer, von denen der eine der Knabenliebe, der andere der Mädchenliebe huldigt, in den hexa- metrischen Knaben, die ihr Glück in ihren Herden finden. Rostagni will diesen Widerspruch dadurch beseitigen, daß er in dem Preise der Liebe nur etwas Angelerntes, Äußerliches sieht, das mit dem Wesen der Personen nichts zu tun habe. Dagegen spricht sowohl der Raum, der dem Ausdi'uck dieser Gefühle gewidmet ist (je zwei Strophen), als auch der Ausdruck dieser Gefühle selbst. Vergleicht man weiter die beiden Wettgesäuge mit der Umrahmung, so findet man, daß zwar der hexametrische damit stimmt, nicht aber der distichische; denn in den einleitenden, überleitenden und ab- schließenden Versen wird nur von Knaben , nirgends von Männern gesprochen. Hinsichtlich der Stellung des Menalkas aber weichen beide Wettgesänge von der Umrahiuung ab ; hier ist er ein Schaf- hirte , in den Wettgesäugen aber redet er wiederholt von Ziegen. Um diesen Gegensatz zu entkräften, v/eist Rostagni daraufhin, daß (.läXa überhaupt Kleinvieh bezeichne, und glaubt, daß 7cotitrjV auch von einem Hirten gebraucht werden könne, der neben Schafen noch einige Ziegen habe. Dies geht hier aber kaum an, weil außer dem /ro/jt«?/'»' hier noch ein ßov/.oXog und alrcÖKog eingeführt und

\26 J- Sitzler.

der TQciyG^ und ilie tQHfOi [\. 49 f.) besonders licrvorgehobeii werden. Immerhin läßt sich dieser Anstoß beheben , weil V. 63 mit Stoblios ccQVon' st. igicfcov gelesen werden kann und der Strophe 49 f. keine Gegenstrophe entspricht, diese Strophe also ursprünglich nicht in diesen Zusammenhang gehört, sondern erst nachträglich wegen der Erwähnung Milons eingefügt wurde ; in V. 41 aber stört aiyeg nicht, da ja Vv. 41 und 42 allgemein gehalten sind. Vgl. auch, was ich Berl. Philol. Wochenschrift 1914 Sj). 673 f. bemerkte. Nach diesen Ausführungen paßt der distichische Wettgesang weder zum hexametrischen noch zur Umrahmung, was seinen Inhalt be- trifft ; er ist aber auch formell anstößig , weil eine solche Ver- bindung eines distichischen und hexametrischen Wettgesauges sonst nicht erscheint. Jedoch muß man Rostagni zugeben, daß dieser Einwand an und für sich nicht duiThschlagend ist | er gewinnt nur durch das Hinzutreten der sachlichen Widersprüche an Gewicht. Das Ergebnis ist demnach, daß die sieben Distichenpaare, von denen das fünfte selbst wieder nicht ursprünglich ist, fremder Zusatz sind. Die hexametrischen Verse 1 30 und 63 91 bilden ein Ganzes, dem man nur das Mißverhältnis der Teile zum Vorwurf machen kann: Einkleidung 1—30 und 81—91, Hauptteil 63—80; der Rahmen ist für das Bildchen zu groß. Es scheint, daß er von dem angefertigt wurde , der die beiden Wettgesänge zu einem Ganzen verband. Aber auch der hexametrische Wettgesang ist nicht von Theokrit , wie die metrischen Abweichungen V. 65 -Kvov mit gedehnter Endsilbe, ebenso V. 68 b'/.xa, V. 74 eKQii}r]v mit Kürzung der ersten Silbe in der ersten Kürze des dritten Fußes, V. 78 t6 als Kürze vor 7Tveiua zeigen. Wenn ich demnach auch dem Ergebnis der Abhandlung Rostagnis nicht zustimmen kann, so erkenne ich doch gern ihre Bedeutung an, die in den eingehenden Untersuchungen über Überlieferung, Zitate und Nachahmungen, Inhalt, Einheit, Sprache und Metrik besteht; sie ist in dieser Hin- sicht ein wertvoller Beitrag zur Kenntnis des 8. Idylls und der theokritischen Poesie überhaupt.

Id. IX 3: f.i6oyo)g ßovalv vcfivieg, v.cö avelgaiai, ös tavQtog ist schon wiederholt zu verbessern versucht worden. Jetzt schlägt Edmonds vor: i-iÖGywg ßovaiv acpevTEg l'.ci, azeigaioi dt TavQwg; aber die erste Vershälfte ist untadelig und {(ftvzEg ganz an seiner Stelle. Eher ist in der zweiten Vershälfte zu schreiben : V7i6 OTStQag de ye tavQOig; hco in der Epanalepsis st. vfpevreg. V. 6 ersetzt Edmonds das überlieferte {■u7ioi>ev , für das man gewöhnlich Briggs' t/.Jtod^Ev liest, durch t/.Toi)tr] dieselbe Vermutung habe

Ber. über die griecli. Lyriker ii3\v. u. d. Epijj;:ramms!immliing:en f. 1905 17. 127

auch ich unabhängig von ihm ausgesprochen : von da aus, im Gegen- satz zu aV.iüi^sy de.

Id. X 18 wird gewöhnlich uävii^ toi rar vv/.xa XQoi^eli/ a y.aXauaia gelesen und verschieden erklärt. Könnecke will yooi^eJTai in passivem Sinne fassen , um den Uativ zoi erklären zu können: ..sie wird von dir die Nacht hindurch geliebkost werden." Aber nicht das ist es , was der Sinn verlangt ; die Scholien sagen richtig : a/w/rrct tt]v 8QC0fJti'i]v vor Bdxiov (sie) und erklären : 7rKr,oi(ioEi T(JJ XQO'i zoi /.ai aor avii Tor Gvievvaoi^r^OETai ooi. Dies führt auf ein ursprüngliches x?o' i^EiT : sie wird dir am Leibe sitzen, ganz entsprechend der Bezeichnung: Heuschrecke; 'iLOf-iai ist hier mit Akkusativ verbunden, wie auch sonst die Verba des Sitzens. vornehmlich bei den Tragikern.

Id. XI 1 empfiehlt Naber oW ircLiiacov unter Verweisung auf Aeschyl. Prom. 480 : dies haben auch einige Hs. , und schon E. v. Leutsch im Philologus XXX S. 556 trat dafür ein. Es läßt sich nicht leugnen , daß diese Lesart inhaltlich der gewöhn- lichen LriTcaOTOV vorzuziehen ist ; denn während diese neben eyxQtOTOi' ziemlich müßig erscheint, deutet STtLriaTOv die andere Klasse der (fugf-ta/M an, nämlich die innerlich angewandten, die ßgoivä und niorä. neben den äußerlich gebrauchten, den ygiovä und jiaaid. Auch Ahrens wünschte ouös Ti tiiotÖv. V. 22 ist (J' aj'v^' unverständlich; denn Kynastons Annahme, daß es für avi^L „hierher'" stehe, ist unhaltbar. Auch die Umstellung mit V. 23, die andere vornahmen , also q^oizig evd'hg lola' und oI'/»/ ö' ar^' orziög , scheitert an der Erwägung, daß evd^v\; besser zu o/'x/y als zu q^oizf^s paßt. Edmonds will dar^ lesen, das „hierher" bedeuten soll. Ich ziehe (fonifi ö f.v,!l' ovröjg vor, indem ich zu evO-a Id. XVII 64 vergleiche und oiTiog als Hinweis auf den folgenden Satz auffasse: nur in folgendem Fall, nämlich wenn ich schlafe. V. 39 vermutet Edmonds: xiv te, (fiXov fx., a/.tc< /.ijfxauzdv aeiöio st. zlv und aeiöiüv, beachtenswert, weil der Anschluß vermittels Partizip an V. 38: ovQiodiv d' ojg ovzig e7iiozaf.iaL wöe KvxXionwi' wenig: e:eschickt ist. Vv. 58 und 59 betrachtet Edmonds als Interpolation ; sie sind in diesem Zusammenhang gewiß auffallend, aber doch wohl vom Dichter selbst zur Charakterisierung des Kyklopeu beigefügt.

Id. XII 22 f. sind entstellt überliefert und bis jetzt noch nicht hergestellt. Nah er vermutet i}/^aovi^^ daa' (i}eXovaiv, nachdem schon P i c c o 1 0 s mit &)^ooi'i) ' vorausgegangen war ; aber meiner Überzeugung nach liegt der Fehler nicht in l'oaov^ ojg id^tXovaiv,

128 J- Sitzler.

sondern in vjrtQTeQOi, das man gewölinlicli mit domini oder arbitri erklärt, eine Bedentung, die das Wort sonst nicht hat. Ich glaube daher, daß es aus -/mqteqoi, das öfter in diesem Sinne steht, z. B. Thcokr. XV 94, verschrieben ist : die Himmlisclien werden darüber befinden , wie sie wollen. Im folgenden liest N a b e r : ilnÖQa/.a onoc." v;r€Qit€v a/.Qa{i]g oI-a draq>vaio st. ilievöea . . . agaitjg.

Id. XIII 7. Naber bemerkt zu zov lav 7TXoY.af.uda (pogeivrog: „videor mihi aliquando audivisse apud Aegyptios in aula Ptoleraae- orum nobiles pueros tamquam regium insigne gestasse cincinnum".

Id. XIV 38: Tijvii) ra aa (Ahreus: reä) dd'/.Qva ixäka Qaorti, eine schon viel versuchte Stelle, wird von Ludwich, ßannow in der Berl. Philol. Wochenschr. 1909 Sp. 1142, Köunecke und mir behandelt. Könnecke und Rannow wollen die Überliefei-ung halten; Hanno w legt den Ton auf (.läka und erklärt: „jenem sind deine Tränen so kostbar wie ebensoviele Liebesäpfel (5, 88), für mich bedeuten sie eine Kränkung," Könnecke dagegen verweist aixf Moschos 4, 56 und meint, „wir haben uns mit der Tatsache abzufinden, daß an beiden Stellen ein besonders reichlicher Tränenstrom mit den von einem geschüttelten Apfelbaum herabpolternden Früchten verglichen wird, mag uns diese Vorstellung , zumal in einem so ernsten Zusammenhange wie bei Moschos, auch noch so fremdartig berühren". Aber nicht das Fremd- artige ist das, was stört, sondern die Kürze des Ausdrucks, die zwingt, alles zum Verständnis im Sinne Könneckes Nötige hin- zuzudenken. Daher die Verbesserungsversuche; Ludwich schlägt flava in der Bedeutung „spärlich" vor und versteht dies in spöttischem Sinne; ich vermutete öala (sc. eotiv) Qsovxa: für ihn fließen ja augenscheinlich deine Tränen , wodurch die scharfe Er- widerung befriedigend abgeschlossen Avird.

Id. XV 7 schlug ich t6 d iy.aoiiQio uliv aTioixelg vor, das jetzt auch Könnecke unabhängig von mir vermutet. Edmonds wünscht e'/MOzdrcj cjg ivanorKeig, das er erklärt: „it is very far where you live in it" unter Verweis auf I 13. V. 8 will Maas xPjvog in ^ivog, eine Nebenform zu ^ivtov V. 11, ändern, weil sonst der kleine Zopyros es nicht hätte verstehen können. Aber hätte Gorgo V. 13 sagen können: ov Xiyu mcffiiv, wenn der Name ge- nannt worden wäre ? Auch ohne Nennung des Namens ist die Bezeichnung des Mannes deutlich genug. V. 15 f. lautet die Über- lieferung: dnqug /udv irjvog zd ngoav ?Jyofieg de nqoav d^rjv \ nävza viiqop '/ml (fir/.og uno o/Mvag dyoQCcodwv \ t^vife qegcov d'Aag dfiuiv uvijQ ZQiO/.aLdey.dnuxvg\ an dem Zwischensatz nahm man mit liecht Anstoß, und so schrieb Wilamowitz in seiner

Ber. über die griech. Lyriker usw. u, d.Epigrammsammlungen f. 1905 17. 129

Ausgabe: Atyoi-tEg ds ngoav i>t^v' \ „ndjiita, vivgov . . . ayoga- iföeiv^ I fyv^fi xrA., wodurch dei- Anstoß beseitigt wird. Gar in und unabhängig von ihm Könnecke treten für Ähre ns' keyof^eg di jcQoav i^ijV I ßdi'za vitqov . . . ayogäadeir | 7^vif^€ xrA. ein, was doch gewiß den Gedanken: „ich forderte ilin auf, zu gehen und zu kaufen" recht unkhir zum Ausdruck bringt. Lag da nicht näher ikeyov dt jigoav o\ \ ßüvxa . . . ayoQctodtiv oder v.eXöf.iav dt 7CQtav tiv I ßävza xtA. y Edmonds billigt Wilamowitz' Verbesserung. V. 17 TQiay.aiöey.d/iaxt'^ betrachtet Postgate als Beweis dafür, daß schon im Altertum die Zahl 13 als UnglUckszahl galt, und fügt daher unsere Stelle den anderen bei, die er in seinen Bemerkungen zu J. Elmore, OnAristophanesPeace 990. Class. Rev. XIX (1905). 8. 436 f. für diesen Gebrauch zusammenträgt. V. 88 ist die Überlieferung stark beschädigt; ich suchte den "Vers durch die Schreibung: dXXd xara yviof^iav wcißa xoiovio. xaü £<7rec; her- zustellen. — V. 50 habe ich das bis jetzt unerklärte tgeioi mit einem Substantiv t6 tQog zusammengebracht, dessen Stamm tgea in igeaxrjXog steckt; die "Wurzel ist tg, erweitert in eQtd^tu'^ fqeioi würde dem- nach „Zänker", dann allgemein „Betrüger, Gauner" bedeuten. Edmonds erklärt das Wort mit xaivoi. V. 53 vermutet Naber: ogO^og dvioia 6 TtvQQog od' äygiog' wg -/.vvoO^aQOrjg zrA., wodurch der Vers einen besseren Rhythmus erhält als durch die gewöhnliche Schreibung 6 7cvQQ6g' l'ö' wg aygiog' xivod^agat^g xtI. V. 98 lautet die Vulgata: ang xal Ojctg^iv tov IdXei^ov dgiacevae-^ K hat ntgyjiV. Allgemein billigt man Reiskes Verbesserung /.al 7ttQvaLV\ aber Rein ach tritt wieder nachdrücklich für ^/cegyiv ein. In Sperchis erkennt er den Sperthias, auch Sperchis genannt, der mit Bulis als Sühne für die getöteten Gesandten des Dareios dem Xerxes übersandt, aber von diesem großmütig wieder zurückgeschickt wurde, vgl. Herodot VII 134 f. Er nimmt an, daß die spätere Tradition die Sage zu Ungunsten des Xerxes umgestaltete und die beiden Gesandten von den Persern martervoll töten ließ. Möglicherweise wurde noch die lakonische Sage von dem Flußchen Sperchis oder Spercheios damit in Verbindung gesetzt. Diese Hypothese , so wenig begründet sie auch ist, hält Taccone in seiner Übersetzung des Theokrit S. 166 Anm. für überzeugend, und ebenso auch was Rein ach noch weiter über die Person der Sängerin vermutet. Er identifiziert nämlich Argeia , die Argiverin , mit der Mutter der Makedonierin Belestiche, der Geliebten des Philadelphos, die sich für eine Argiverin aus dem Geschlechte der Atriden ausgab , vgl. Athen. XIII 596 E. Diese war, wie ^er bei einer griechischen

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 17S (1919. I). 9

130 J' Sitzler.

Hetäre voraussetzt, Dichterin und Sängerin, und wenn sie auch um 275 V. Chr. , die Abfassungszeit der Adoniazusen , noch nicht die erklärte Mätresse des Königs war, so kann sie doch bei ihm schon so in Gunst gewesen sein, daß Arsinoe, die den Liebschaften ihres Gatten gerne entgegenkam , sie beim Adonisfeste singen ließ. V. 119 liest Gar in, um das störende /"^p/^Oireg zu beseitigen, mit geringer Änderung (.KxXay.v) ßgii^otTOg avtj^co ; dasselbe schlägt auch unabhängig von ihm Lud wich vor, und Taccone a, a. 0. S. 168 erklärt sich damit einverstanden. Auch mir erscheint die Ver- besserung leicht und passend. V. 143 f. sind von Wilamowitz gut hergestellt; Lud wich kehrt zu der früheren Lesart zurück: 'iXa&i vvv, (fix ^dcovi , '/.al ig vltoz e^'&v/.lr^aalg' | '/.ai viv Yjvd^eg y.zX. , mit Unrecht , wie R a n n o w in der Berl. Phil. Wochenschr. 1909 Sp. 1143 nachweist.

Id. XVI verlegt Stadimann auf Grund einer erneuten Unter- suchung iu das Jahr 275/74 , wozu man jetzt ziemlich allgemein hinneigt. Auch Rannow, Wochenschr. f. klass. Philol. 1912 Sp. 904f. erklärt sich damit einverstanden, indem er noch wichtige Zusätze zu Stadimanns Beweisführung gibt. Über die An- klänge, die sich in Id. XVI und XVII an Pindar finden, wurde schon öfter gehandelt, so von Kuiper, vgl. Jahresber. Bd. LXXV (1893. I), S. 243, und von Holzinger, vgl. ebenda Bd. LXXXXII (1897. I), S. 158. Ich habe bei der Besprechung dieser Arbeiten darauf hingewiesen , daß sich diese Anklänge ganz von selbst aus der Behandlung eines ähnlichen Stoffes ergeben und keineswegs Ab- hängigkeit oder Nachahmung begründen. Dafür spricht sich jetzt auch C 1 a p p aus.

Id. XVII 134 will Edmonds das unverständliche eri entweder im Sinne von aei fassen, was gewiß nicht angeht, oder geradezu ainagi^tvog 'Iqig schreiben, was sicherlich wenig Beifall finden wird. Meiner Überzeugung nach ist (iVQöig tri aus ixvQiof.iaTi oder uvQiaiiazi verschrieben; so kommt auch die bukolische Diärese zu ihrer Geltung. Lenschantin di Gubernatis setzt das Gedicht ins Jahr 271, nach dem Frieden mit Antiochos und vor den Tod der Arsinoe. Wilamowitz nahm als terminus post quem die Geschwisterehe, Ehrlich als terminus ante quem die Schlacht bei Kos an. Nach Ehrlich fällt es in das Jahr 273/72, nach Häberlin in das Jahr 271/70 oder 272/71.

Id. XVIII 5 empfiehlt Naber Twöagida, wie Wilamowitx in seiner Ausgabe schreibt. V. 21 verlangt Edmonds nach OfxoXov Kolon und liest dann V. 22 auf.ieg Tai .räaai st, ö cn.

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammluiigen f. 190-5 17. I3I

recht ansprecheud , weil d hier nicht am Platze ist; die Vulgata hat auch yceg st. ö' aJ. V. 25 will er dann ovo av Tig durch ouö' 7]v Tig ersetzen, was nicht angeht; ich schlug früher schon ou f.tdv Tig vor.

Id. XXI gehört zu den Gedichten Theokrits , die am fehler- haftesten überliefert sind. V. 13 lautet in den Hs. : vbgiHv rag y.E(faXceg ffOQjiiog /iQayjg e'ii.iaTa. 7t':öoi. Man erkennt daraus, dali von der Bereitung eines ganz einfachen Kopfkissens bezw. einer Unterlage für den Kopf die Rede ist. Was sollen da B'i(.iaTCt? Hat der arme Fischer überhaupt einen Vorrat an solchen? Edmonds schreibt nioaoi und erklärt dies sonst nicht vor- kommende Wort mit „peajackets or frieze-coats". Das gäbe mit den Eif-iaTa zusammen ein recht beneidenswertes Kopflager ! Ich sehe in den letzten Worten eine Verschreibung aus eiua x eti avT((i : auf dem Klotze lag ein Gewandstück als Unterlage für den Kopf. V. 32 versucht Edmonds ov yccQ o EiY.a^io v.axa xov Koyov St. OL' yaq i'ixd^rj •KO.xa. xov voov, was jedenfalls beachtens- wert ist. V. 37 f. lauten in der besten Überlieferung: XeyEo ttoxe rv'/.xoQ I oilnv xd xig I'ogeo da Itysi i.ittvvEv {■TaiQ(i). Soviel ist klar, daß der Freund an Asphaiion nach der kurzen Abschweifung wieder die Aufforderung richtet, ihm den Traum zu erzählen; dem- nach lese ich: all', w tpiXE, vt'xrcg | o\lnv ^ xdv eoiöeXv l'lEyEg, (.lavioov t-xatQ(i). V. 58 ist nicht weniger verdorben : xat xov l-iEv 7Ciox£LOaoa y.aXd yE xov j^/r/^'^aroj'; darin steckt vielleicht : xat xov fiiv TCVY. l'y.Evacc '/.al ayayov EcO^tJQaiov : und den barg ich fest und nahm ihn mit, den Glücksfang, ich schwor aber usw.

Id. XXII 16 sehlägt Naber st. aQQijy.xoiai, das zu xaXdllaig allerdings schlecht paßt, aXXr^y.xotOL vor. Ich glaube nicht, daß dieses Wort in aQQif/.xoiOi verschrieben worden wäre; zudem scheint es mir zu schwach für unsere Stelle zu sein. Sollte nicht «/r^J^x- xoiai ursprünglich dagestanden haben, gebildet und gebraucht nach dem homerischen arcQrf/.xov ctvir^v von der Skylla ^ 223? V. 66: jCvyiLidyog, tj /.ai noGOi iyEvCov axekog, 'öf-i/naxa ö' ogd^d ist auf- fallend gesagt; of-ij-iaxa 6 oqd^d muß entstellt sein. Platt ver- mutet 6^(.ia ö" OQVOOMV, und in dieser Richtung ist meiner Meinung nach allerdings die Heilung zu suchen. Das Partizip d^Eviöv genügt für 0/J.Xog und oi.if.ia , aber es fehlt der Gegensatz zu ttoggI , der sich durch die Schreibiing öfifja ^ cTiEgd^Ev gewinnen läßt. V. 69 ist icjv unverständlich; ich schlug vor: ov yvvvig e'fAev y.Ex.XriaEO- 0 Tzr/.xrjg] der Infinitiv tf.iEv tritt zu '/.oXeIv, wie sonst zu ähnlichen Verbindungen. V. 77 nimmt Edmonds mit Recht

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132 J- Sitzler.

Austoß an aei , das mau mit xo/Aotovreg verbinden will; aber akrj oder a?^ei, das er schreibt und mit „thiekly" erklärt, kann ich nicht billigen , weder metrisch noch der Bedeutung nach. Ich vermisse eine nähere Bestimmung zu xo/Aor (pvaijif^evTog, etwa ayq). V. 170 f. Könnecke wendet sich gegen W i 1 a m o w i t z , weil er nach V. 170 eine Lücke angenommen hat ; aber was er auch vorbringt , genügt nicht , um zu beweisen , daß wir hier eine einheitliche Rede des Lynkeus haben. Nach den Worten des Lynkeus vermißt man die Erwiderung von Seiten der Dioskuren. Nun liest man V. 173 in allen Hs. o(^ctif.iog (iiog, y.QaTeQog ]lokvd£U7(.r]g, Avas doch nur Kastor sprechen kann , wenn man es ohne Voreingenommenheit auffaßt. Also spricht hier Kastor, was auch V. 175 bestätigt, wo die Hs.- Klasse 0 ytvyif.Evg t€ bietet ; KüaiioQ xs in 11 stammt demnach aus Korrektur. Endlich läßt es sich nicht leugnen , daß die Aphareiden im Unrecht waren; denn sie eilten den Dioskuren nach, um ihnen nötigenfalls mit Gewalt die Mädchen zu rauben , wozu sie nach der Aufhebung ihrer Verlobung mit ihnen durch ihren Vater kein Recht mehr hatten. Sie waren es also, die Streit suchten ; denn daß die Dioskuren ihnen gutmütig ihre Bräute abtreten würden, konnten sie doch nicht annehmen. Wilamowitz' Ausführungen bestehen auch weiterhin zu Recht. V. 208 ersetzt Edmonds avoQQtj^ag gut durch avaQ7i(i^ag; ich kenne avagQrj^ai in der hier geforderten Bedeutung nicht.

Id. XXIII -zeigt viele Verderbnisse, darunter recht schwere. V. 11 läßt sich TTOzi tov ßqoxöv zur Bezeichnung des Liebhabers nicht halten ; 6 ßoovug wird in der Weise nicht gebraucht. Daher bringt auch Edmonds' Ttdvr etiouwtibi etzI ßgoTov keine Hilfe; man erwartet: tioxl tbv i^eöv oder norl xov y tgov^ vgl. V. 58. Früher vermutete ich, daß noTi top ßqoiov versehentlich an die Stelle eines ursprünglichen näig azQ07rog getreten sei. V. 18 stellt Edmonds avtiXXero cptovä her ; dasselbe schlug ich Wochenschr. f. klass. Philol. 1915 Sp. 8 vor. Könnecke schreibt aveßdXkero (fojvdv. V. 42 ist lückenhaft überliefert. Wila- mowitz ergänzt ov dvvai.iai {7<.aziy)uv (7€, Könnecke (ß}.änz')Et.Vy Platt {dä'M^Uv. Mir scheint ov dvvafx^ urzKfi'Aeiv ae dem Zu- sammenhang am besten zu entsprechen. V. 54 f. wünscht Edmonds: oid^ IXvyixS^tj \ zdv iiiiydv ov /.kaloe viov cpCvov ovo* (st. uKV) Eni vE/.Qüj \ e'ifjaza ndii: i/.iiai'Ev, Ecpaßr/.d /.zX., was beachtenswert ist, weil so die Stelle verständlicher wird. V. 57, der in der Hs. unvollständig: yv(.ivaaz(.~jv ymI Ie q^iXcov fneuaiEZO Xovzqojv lautet, verbeesert man gewöhnlich: yvfivaaiiov

ßer. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsamralungen f. 1905—17. 133

xat tr^ke (filioy xtA., was ganz ungenügend ist. Wilamowitz schrieb xat f'xijAa (fiXiov, Könnecke xuvi/evöe (flliuv. Ich ziehe yvf.ivaaiwv, zsXtaag ö ctniwv vor. V. 58 ersetzt Edmonds Xa'iviag gut durch Xaiveog ; der steinerne Eros stürzt vom Gestelle auf ihn und erschlägt ihn.

Id. XXIV 31 verteidigt Könnecke die gewöhnliche Schreibung oil'iyorov yalai^r^rov, C7cd TQO(pu) aliv udav.Qvv gegen Wilamowitz, der VTio iQOifoj zu ya?Md-tjr6v zieht , mit Erfolg. V. 49 liest Blaß avt-/.o\pev oder (in dem nicht belegbaren Medium) ave'/.oif'ar ; die Worte: arißagolg df i/vQav avex6il>ar' o/tjag hält er nämlich für einen Zwischensatz , der nicht zur Rede gehört. Möglich ist diese Aufftissung , notwendig aber nicht, da die überlieferte Lesart ai'axoj/'ar' wohl erklärbar ist. V. 114 vermutet Lud wich f^evQOv 7Tala/.i/^i.iaxa st. s^etgovro TtaXalo/^iaua; bisher nahm man M e i n e k e s und A h r e n s ' Verbesserung aocflai-taTa st. naXaiauaia ziemlich allgemein auf; aber Lud wichs Verbesserung wird vor- zuziehen sein. V. 130 schrieb Wilamowitz ov 7tOY.a 'aXoqov iaxX. St. w; Lud wich bemerkt, daß es wenigstens ot' roxa heißen müßte und hält mit Recht an Stephanus' Änderung onno'Aa fest. V. 137 schlägt Edmonds -/.Qtax' omä st. /.qia t' vor; zu x^tara vergleicht er Hom. M 311.

Hollatko gibt den Text und eine Übersetzung des theo- kritischen Gedichts und ebenso von Pindar Nem. I 33 72. Dann untersucht er , warum unser Dichter in den beiden ersten Teilen seines Gedichts (1 63 und 64 102) von Pindars Darstellung ab- gewichen sei. Er findet den Grund darin, daß Theokrit die kurze Erzählung des thebanischen Dichters weiter ausgestalten wollte, um so jene Gestalten der Heroenzeit zum Mittelpunkt eines reizenden Bildes eines schönen Familienlebens seiner Zeit zu machen. Für die Vv. 103 140 nimmt er eine andere Quelle an, ohne eine solche jedoch zu nennen; er beschränkt sieh darauf, zu bemerken, daß auch ApoUodor II 63 die gleiche Quelle zu benutzen scheine. Neues bringt also, wie man sieht, die Abhandlung nicht.

Taccone hat schon in der Einleitung zum 24. Gedicht iu seiner Übersetzung auf den Humor hingewiesen , der sich da und dort in den theokritischen Schöpfungen zeigt , besonders am Ende mancher Idyllen. Diese Beobachtung führt er in dem Aufsatze, der diese Seite unseres Gedichtes behandelt, im einzelnen aus.

Id. XXV wird von Frohn nach der sprachlichen Seite ein- gehend untersucht. Der erste Teil beschäftigt sich mit den Nach- ahmungen nicht nur aus Homer , sondern auch aus den übrigea

134 J- Sitzler.

Epikern. In der Annahme solcher geht aber Frohn zu weit, wie M. Kaunow in der Berl. Philol. Wochenschr. 1911 Sp. 735 f. im einzelnen nachweist. Der zweite Teil zählt die Wörter auf, die der Dichter von Id, XXV entweder neu gebildet oder in neuer Bedeutung verwandt hat. Es sind im ganzen 45; 10 davon lassen sich erst in alexandrinischer Zeit nachweisen. Unter den ana^ eigi^tuva sind (Tiii^irjd'^g, vgl. Herond. III 94, und 7teQL7ihfi^io zu streichen. Zu der Frage nach der Echtheit des Gedichts nimmt Frohn nicht Stellung; er unterläßt es auch festzustellen, welche der nicht epischeu Wörter in echten Gedichten des Theokrit vor- kommen. — V. 99 behält Frohn die Lesart xar' aiXaq rjlXitovio am Schlüsse des Verses trotz des schleppenden Ehythmus bei , ob- wohl Wilaniowitz mit leichter Änderung xar avliag und damit einen gefälligeren Vers hergestellt hat. Auch V. 114 hätte Frohn mit W ilamo wi tz d^eov . . . f-'övoi' st. ßotov ti}^vog schreiben soWeu. V. 164 verbirgt sich in wg veog ay.imljv bezw. (.üoog dy!.(.ii]g vielleicht cog XQtog aliij , womit bei Homer solche Keisen motiviert werden.

Id. XXVII 16 f. nimmt Köunecke die überlieferte Reihen- folge der Verse in Schutz, indem er zum Beweise dafür, daß auch Aphrodite Bogen und Netze führe, auf Find. Pyth. IV 214. Theokr. XI 16 und Moschos II 75 hinweist. Er übersieht dabei aber, daß hier noch Eros genannt ist, dem jene Waffen rechtmäßig zukommen. Dies spricht für die Umstellung der Vv. 20 und 21 hinter V. 16, die daher auch allgemeine Billigung gefunden hat, um so mehr, als auch sonst in diesem Gedichte die Versfolge gestört ist; Könuecke selbst stellt V. 19 nach V. 10. V. 00 treffen Naber und Platt in der Änderung von {.lEilova iu af.tEii'Ova zusammen: trotzdem er- scheint mir die Änderung unnötig, da von einer af-tnexorij^ einem Umwurf über dem Chiton, die Rede ist.

Das 27. Gedicht wird dem Theokrit allgemein abgesprochen. Clapp sucht auf Grund einer Betrachtung der Überlieferung, des Versbaues, der Sprache und des Inhalts seine Echtheit nachzuweisen. Was den Versbau betrifft, so erklärt er mit Recht, daß dieser keinen Anlaß biete, die Abfassung des Gedichts durch Theokrit in Zweifel zu ziehen. Dagegen vermag auch er die vielen sprachlichen Anstöße , die sich darin finden , nicht zu beseitigen. Auch ist es unrichtig, wenn Clapp sagt, das Gedicht werde in einigen der besten Hs. dem Theokrit zugeschrieben; tatsächlich ist dies nur in den ältesten Ausgaben der Fall. In B C D, die es allein enthalten, ist es namenlos, und es wird auch von keinem alten Gewährsmann

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. (1. Epigrammsammliingen f. 1905 17. 135

dem Tlieokrit beigelegt. Möglich , daß mit dem Anfang des Ge- dichtes auch der Name des Dichters verloren ging ; aber es ist auch nicht in der alten kommentierten Theokritausgabe enthalten gewesen, .sondern steht nur in der Sammlung bukolischer Dichter, die von verschiedenen Verfassern herrühren. Die Überlieferung zeugt also auch nicht für Theokrit, unfl der Inhalt gewili ebensowenig.

Id. XXX 4 ist lückenhaft überliefert: -Kai vvv f.tev t6 vAaov Toic. i-dv t'/ei, Talg ö' ov; Bergk ergänzte: zcuai dd f.i oiv. t'/ct, was allgemeine Billigung fand. Wilamowitz freilich erwähnt diese Ergänzung in seiner Ausgabe nicht einmal, und in der Tat ist die Auslassung von rjjuegaig hier anstößig, während l'xei eine unnötige Wiederholung ist. Ursprünglich wird es gelautet haben : Totg /.liv l'^ei (u' a/.taai)., toIol Ö^ ov] nach dem Ausfall von /< at.iaöi ist zaig an die Stelle von Tolg getreten, weil man an die Ergänzung von -^/.legaig dachte. V. 10 ermangelt am Schlüsse eines Diiambus. Von den vielen Ergänzungsversuchen gefällt Edmonds Curtius- H. Fritzsches /Jag öa'/,('jv am besten ; ich ziehe unter Ver- gleichung von Id. XXIII 5 die Ergänzung xat ro (^r/xpo)' ßelog) vor. V. 12 liest Edmonds zi dfj taux' ertorjg, und V. 13 stellt er ovkl ^Fiöciio^^ aus OVY. Iniadr^gd' her, nachdem ihm Sehne id ewind, nicht Schneider, wie Edmonds sagt, mit ovy. IV ^'orjaO^a voraus- gegangen war, beide Änderungen Edmonds' beachtenswert. V. 14f. schlägt Edmonds vor: oga toi (fQOvhjv, f.{i] (wj'x)t viog tolv idfay nelri ticcvt' egöy] oaaareQ ol tmv extiov oQTia yevLievoi, was nicht zu verstehen ist; st. cjQa soll es wohl loQa heißen, und lOVY-i erklärt er als Krasis aus dem Relativ o (= og) und orxt. Die Über- lieferung lautet: {.ir^ . . . iraog Tav löiav nih] \ nävx tgd und dann yeyevutvoi. Ahrens änderte Tiäli] gut in tisXcüv , Hill er vermutete ^a} ttoXloq, dem Sinne nach richtig, aber dem Wortreste nicht entsprechend. Ich dachte an: iöga TOi q'Q0V6f]V fir) Izi vtog 7Cthov \ f-iTjö' tgd', uaGairEQ /.tX.: da du nicht mehr jung bist, tue auch nicht, was usw. V. 18 hat die Hs. rw fiev, worin ich tu/ }.itv erkenne als Gegensatz zu toj dt V. 21, und V. 20 ovo av mit darübergeschriebenem r, dann yXvy.egag avd-€f.iov ctßag neöi- /.la'AiAcö, das Bergk in /reJ' i f.taXi/.iov verbesserte. Wilamowitz schrieb: zo (5' aize yXvÄEQCcg xrA. , was in den Zusammenhang wenig paßt; ich vermute TO (5' avTO : bleibt die gleiche.

Epigr. XI 1 schlägt Edmonds (pvoiyvcö(.ia)v og aqiOTog st. 6 ooqioviqg vor; 6 aocpiOTijg, das den Schluß des 5. Verses bildet, ist in der Tat verdächtig.

Ep. XIV 2 liest man gewöhnlich mit K ^eig areXov tp^rpov

136 J- Sitzler.

TiQog Ao'yor eg^o/^uvr^g; so hat auch die Anthol. Plan. In K^ C D ist fXy.Oftfvi^g überliefert, und dazu vergleicht Edmonds Hibeh Papyri I S. 65 : to di avtßiod^ev oAiyov (.liv eiXrjTiTai , nQooava- Xiaxerat df. xb dinlaoiov' öio öel "kxetv tag xl'T^cpovg. Dazu ver- weisen die Herausgeber auf Pap. Petrie II 13 (6). 15 : zag ifii^rfovg fXy.io{ag'). Aus diesen Stellen ergibt sich, daß fk'^eiv vom Ziehen des Kecheusteines gebraucht wird; danach bedeutet die Theokrit- stelle : wenn du eingelegt hast, hebe ab, so daß der Reclienstein im Verhältnis gezogen wird, d. h. daß sich die Rechnung ausgleicht. Diese Lesart ist wohl der gewöhnlichen vorzuziehen.

Ep. XXII = XIV Ahrens = Anth. Pal. IX 434: aXXog 6 Xiog xtX. deutete Wilamowitz so, daß er unter o Xiog Homer verstand, vgl. vorigen Jahresb, Bd. CXXXIII (1907. I). S. 269. Ich habe Widerspruch gegen diese Deutung erhoben, und dies tun jetzt auch Kön necke und Bethe; außerdem M. Po hie uz in den Xcigireg für Fr. Leo 1911 S. 90, 2. Mit dem Chier kann nur der Khetor Theokrit aus Chios gemeint sein. Bethe hält das Epigramm für die Unterschrift unter dem Bilde des Theokrit, mit dem die Ausgabe seiner Gedichte geschmückt war. Wilamo- witz, Sappho und Simonides S. 300 Anm. 3 , verteidigt seine Erklärung.

Ep. XXIV Wilamowitz =^ Anth. Pal. IX 436, 5 ist zoaaoode yccQ viv i^eßt] /uETQOVfjevog überliefert; Wilamowitz schrieb: Toooooö' agid^i^iog., Edmonds schlägt der Überlieferung näher TOaooodE yag xiv vor. Worauf soll sich aber toGaoode in diesem Fall beziehen?

Über den Gebrauch des Artikels bei Theokrit handelt

W. G. Leutner, The article in Theocritus. Diss. Baltimore 1907. 80 S. 4».

Bei Homer findet sich nach ihm der Artikel als Pronomen in der Ilias 3000mal, in der Odyssee 2178mal, als eigentlicher Artikel in der Ilias 218 mal, in der Odyssee 171 mal, das Ver- hältnis zwischen pronominaler Bedeutung und eigentlichem Artikel ist also in der Ilias 14:1, in der Odysse 13 : 1. Bei Theokrit ist das Verhältnis in den epischen Gedichten ungefähr dasselbe; aber in den bukolischen Gedichten entspricht der Gebrauch des Artikels ungefähr dem bei Aristophanes , dem Vertreter des mittleren Um- gangstones, bleibt aber hinter dem bei Herondas zurück. Mit be- sonderer Vorliebe verwendet Theokrit den Artikel bei Eigennamen, bei denen er nach Leutner zum Ausdruck der Vertraulichkeit

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungeu f. 1905—17. 137

und Gemütlichkeit dient, und bei den lilndlichen Gottheiten, wie Aphrodite, Eroten, Musen, Nymphen.

Auf die Metrik Theokrits erstreckt sich

A. Laudien, Zu Theokrits Verstechnik. Sokrates- 1915. Jahresber. des Philohig. Vereins zu Berlin S. 132 f.,

der nachweist, daß bei Theokrit die zweite Kürze des üaktylus^ keinen höheren Zahlenwert hat als die erste, und ebenso die zweite Länge des Spondeus als die erste ; dabei setzt er für den langen Vokal eine Zeitdauer von 2 , für den kurzen eine solche von 1 und für den einfachen Konsonant eine solche von ^/2. Eine solche- Feinheit im Versbau kennt Homer noch nicht. Verstöße gegen dieses Gesetz sind nach Laudien bei Theokrit selten, z. B. in- den ersten 10 Versen des ersten Gedichts nur zwei; V. 6 ist mit den Hs. x^^g zu schreiben, V. 7 ist adtov durch die nachfolgende Pause entschuldigt , welche die schwere Schlußsilbe nicht als^ hemmend empfinden läßt ; dieselbe Freiheit findet sich auch vor der bukolischen Diärese. Damit ist aber meiner Meinung nach auch V. 6 XQeag, das Heinsius st. y.Qi^g geschrieben hat, gerechtfertigt. Von dem lautlichen Bau der Wörter ist auch ihre Stellung im Verse abhängig.. Als bezeichnende Eigentümlichkeiten der bukolischen Poesie stellt

R. Gimm, De Vergilii stilo bucolico quaestiones selectae. Diss. Leipzig 1910. 123 S. 8°, auf Grund einer Vergleichung von Virgils Eclogen mit den Hirten- gedichten Theokrits und der späteren Bukoliker die Symmetrie in- den Versen und Halbversen , die Wortwiederholungen und die ge- flissentliche Parataxis fest. Mit diesen Mitteln wollten die buko- lischen Dichter größere Einfachheit und Lieblichkeit ihrer Poesie im Gegensatz zu dem Ernst und der Erhabenheit der epischen- Dichtung erreichen ; aber diese Mittel stammen nicht aus Rhetoren- schulen , wie man oft meinte , sondern aus der Volkssprache , wie eine Vergleichung mit den Volksliedern und Hymenäen dartut.

A. Ludwich, Homerischer Hymnenbau nebst seinen Nachahmungen bei Kallimachos, Theokrit» Vergil,Nonnos und anderen. Leipzig 1908. XH, 380 8.8 ^, behandelt Theokrit Id. I, II, III, IV, V, VI, VII, VHI, IX, X, XI, XIV, XV 100—144 und XXIV. Die Komposition des 1. Ge- dichts wird von ihm S. 315 f. ausführlich besprochen, zunächst mit Bezug auf den Schaltvers (Iq'ifuviov) , den Perikopenteiler , wie er ihn nennt. Abgesehen von mehreren kleineren Zahlen spielen hier

138 J- ^'^zlt^r-

die beiden Metonischen Zahlen 19 und 63 eine Rolle, Der 1. Teil bestellt aus 63 Hexametern, der 2. Teil (64 145) aus 63 Hexa- metern und 19 interkalaren Versen, der 3. Teil (146 152) aus

7 Hexametern. Das Lied von den Leiden des Daplinis umfaßt 79 Hexameter; die zwei ersten bilden das TTQoqa/^ia. der letzte das i7taoi.ia. So bleiben für das eigentliche Lied noch 76 = 4X19 Verse, die wieder in kleinere Gruppen zerfallen. Genau die Hälfte davon, 2X19 = 38, entfällt auf die letzten Worte des sterbenden Daplinis: sonst kommen 5 und 13, die Symbole unglücklicher Liebe, und 7, die Huldigung an Pan, vor. Die Zahl 19 des Sclialtverses ist aus einem chronologischen und einem sakralen Element zusammen- gefügt ; sie stellt einen Jahreszyklus dar, und der Dichter zerteilt ihn in die Trias 7 + 8 + 4, 7 die heilige Zahl der Gesanges- und Hirtengötter, 4 die der Liebes- und Diebesgottheiten. Die Zahlen

8 und 4 verraten, daß Theokrit das Hauptgewicht auf die Tetraden gelegt hat, und in der Tat dominieren diese, wenn auch latent; dabei hat er das Symbol der Liebe (4) und das des Todes (5) mittels seines Schaltverses in bewunderungswürdiger Vollkommenheit 2U verbinden gewußt. Die Vv. 64 80 bestehen aus 12 Hexametern und 5 Schaltversen , die Vv. 81 105 aus 20 Hexametern und 5 Schaltversen, die Vv. 106 126 aus 16 Hexametern und 4 Schalt- versen, während das ganze Gedicht 152 = 4 X 38 Verse hat.

Id. II zeigt dieselben Zahlen wie Id. I, nämlich 4, 5 und 6, vereinzelt 13, die Metonische 63 am Anfang und 19 gegen Ende; auch ihre Symbolik ist die gleiche geblieben. Vv. 1—16 = 4x4 = 16 Hexameter, Vv. 17 63 = 53 Hexameter und 10 Schaltverse, fast lauter Tetraden , die am Ende in Pentadcn umschlagen, Vv. 64 135 = 60 Hexameter imd 12 Schaltverse, fast lauter Pentaden , die zu Hexaden werden, und Vv. 136 166 = 19 + 12 Hexameter. Zieht man die 22 interkalaren Verse von der Ge- samtsumme 166 ab, so bleiben 144 = 4X36 oder 4 X (4 X 9).

Id. III und X zeigen die Apollinischen Zahlensymbole 3, bezw. 9, und 7. In III bilden 1 5 den Vorgesang, 24 den Zwischen- gesang und 52 54 den Nachgesang; das erste Lied 6 23 besteht aus 2 X (3 X 3 = 9), das zweite Lied 25—51 aus 3 X (3 X 3 = 9) Versen. In X umfaßt die Einleitung V. 1 6, der Dialog 7 20 =-- 2X7 = 14, der Zwischengesang 21—23, das Lied 24—37 = 2X7 = 14, der zweite Zwischengesang 38 41, das zweite Lied 42—55 = 2X7 = 14, der Schluß 56—58; die Einleitung und der erste Zwischengesang bestehen aus 9 , der zweite Zwischen- gesang und der Schluß aus 7 Hexametern. Das 3. Idyll ist an

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigraininsaniniltingen f. 1905 17. 139

Amaryllis gerichtet, deren Name 9 Buchstaben hat, im 10. Idyll werden Bombyka und Damater in je einem 14zei]igeu Lied ge- feiert; die Namen zählen je 7 Buchstaben, und Ähnliches findet sich, wie Lud wich nachweist, in anderen Liedern. Daraus will er den Schluß ziehen, „daß ein enger Zusammenhang besteht zwischen den Buchstabenzahlen jeweilig hervorragender Götter- und Menschennamen einerseits und den arithmetischen Verhältnissen im architektonischen Aufbau von Gedichten anderseits".

Id. IV hat 63 Verse, also die große Metouisclie Zahl ; es zer- fällt in 3 Teile, 1 14 = 2X7, 15—49 = 5X7 und 50—63 = 2X7, im ganzen 9X7 Verse. Auch das Id. XI zählt, wenn man von der Einleitung 1 18 absieht, 63 Verse, also 3X6-]- 7X9; der Sinn empfiehlt jedoch nach Lud wich die Einteilung in Ein- leitung 1—18 = 3X6, Lied 19—71 und 77—79 = 7X8 und Schluß 80—81 und 72—76 = 1X7; Einleitung und Schluß zu- sammen 25 Verse = 5X5. Die Verse 72 76 verweist Ludwich nämlich an den Schluß. Auch das Gedicht XXIII besteht aus 63 Versen; die sinngemäße Gliederung ist hier: die Erzählung 1—18 = 3X6, die Eede des igaOT^g 19—48 = 5X6 und die Erzählung 49—63 = 3X5 Verse.

Id. V und VII zeigen die Metonische 19. Im 5. Idyll ent- fallen auf Komatas 19 Dyaden, 5 Triaden und 2 Tetraden, und auf Lakon ebenso viele ; außerdem eine Triade auf Morsen. Die Pen- taden dagegen sind ungleich verteilt; Lakon bekommt eine, Komatas vier, vermutlich weil er als Sieger hervorgeht. Die beiden Preis- lieder korrespondieren genau, je 4 X 4 = 16 Dyaden. Auf Komatas kommen 2X19 paarweise gegliederte Verse , ebenso auf Lakon, auf Komatas und Lakon zusammen 19 triadische, tetradische und pentadische Versgruppen. Lud wich wirft die Frage auf, ob etwa mit der Zahl 19 das Lebensalter der beiden jungen Hirten sym- bolisiert werden sollte. Id. VII zerfällt in 3 Stücke, Einleitung 3X17 = 51, Hauptteil 4 X 19 = 76 und Schluß 3 X 10 = 30 Verse ; Einleitung und Schluß zusammen 9 X 9 = 81 Verse. Das Lied des Lykidas hat 2 X 19 ^^ 38 Verse, das des Simichidas 4X8 = 32 Verse ; erst durch Hinzunahme seines ngiaOLia V. 90 95 wird es jenem an Verszahl gleich. Das Siegeslied ist also auf der Glückszahl 4 aufgebaut, das andere Lied nicht. Die Metonische 19 zeigt auch Id. XXI, dessen Einleitung und Schluß je 5 Verse zählen, während der Hauptteil 57 = 3 X 19 hat.

Id. VI, IX und XIV weisen auch Ähnlichkeit auf. In VI ver- wirft Ludwich mit andern den V. 41 = Id. X 16, der in K

140

J. Sitzler.

fehlt. Es bleiben 45 = 5 X 9 Verse; Einleitung und Schluß haben je 5, die Überleitung von der Ansprache zur Erwiderung hat einen Vers. Die Ansprache besteht aus 14 = 2 X 7, die Erwiderung aus 20 = 4 X 5 Versen. Id. IX enthält drei Liedchen 7—13, 15—21 und 31 36 = 7 + 7 + 6 Verse; die Einleitung und die drei Zwischenglieder umfassen 16 = 4 X 4 Verse. Dem 1. Lied gehen

6 Verse voraus, dem 2. folgen ebenso viele, dazwischen steht 1 Vers; dieser Teil besteht demnach aus 6 + 7 + 1 + 7+6 = 27 = 8X9 Verse. Ihm reihen sich 3 + 6 = 9 = 3X3 Verse an. Die Zahlen

7 und 9 erklären sich dadurch, daß es sich im wesentlichen um ein Lob Apollons und der Musen handelt. In Id. XIV haben Einleitung und Schluß zusammen 11 + 14 = 25 = 5 X 5 Verse, die Erzählung 45 = 5 X 9 ; es erscheinen also wieder 7 , nämlich 14 = 2 X 7, und 9 und daneben die Unglückszahl 5.

Id. VIII 57 60 und 77 = IX 7 sind, wie längst erkannt ist, auszuscheiden ; dann bleiben 88 ^ 4 X 22 Verse. Diese zerfallen in 4 Gruppen, 1—32, 33—56, 61—81, 82—93 = 4X8, 4X6, 4X5, 4X3. also alle durch 4 teilbar. Die Zahl 4 , die Liebe andeutet, spielt, wie man sieht, die Hauptrolle. Auf den Dichter fallen 5 + 1 + 5 + 2 + 1 + 1 + 6 = 21 = 3X7 Verse, also die Apollinischen Zahlen, auf den Schiedsrichter 3X2 = 6. Der Sieger Daphnis erhält 30, der unterliegende Menalkas 31 Verse, also 10 + 20 und 11 + 20. Es wäre denkbar, daß die Wettsänger im Alter von 10 und 11 Jahren standen.

Id. XV hat 3 Teile, 1—99, 100-144, 145—149, also 3 X 33, 5X9 und 5X1. Das Adonislied, 45 Hexameter, kann in 15 Triaden oder 9 Pentaden zerlegt werden. „Eine spezielle Be- deutung für den Gefeierten haben die Zahlen 3 und 5 wohl nur insofern, als sein Name aus 2X3 Buchstaben besteht und dessen Träger bereits verstorben ist." Beide Zahlen gehören zu den all- gemein gültigen Symbolen, 3 günstig, 5 unglückbedeutend.

Id. XXIV, obgleich kein eigentlicher Hymnus, erinnert an den Bau des Hermes-Hymnus. Wie Hermes , so ist auch Herakles am 4. als Zehumonatkind geboren , und Theokrit läßt ihn zur Zeit, als er das Schlangenabenteuer bestand, 10 Monate alt sein. Dem- nach sind die Perikopenzahlen 4 und 10; das Gedicht, 140 Verse, zerfällt also in 35 Tetraden und 14 Dekaden.

Einer solchen Zahlensymbolik kann ich nicht beistimmen, wie ich schon oben in meinem Bericht über die Hvmnen des Kallimachos, den Asklepios-Hymnus des Isyllos und anderer Hymnen bemerkte.

Über das Leben und die Gedichte des Theokrit sprechen :

Ber. überdic griech. Lyriker usw. u.d. Epigraminsammlungon f. 1905 17. 141

1. A. T. Murray, The bucolic Idylls of Theo- critus. Transactions and Proceedings of the Amer. Association 1906. S. 135 f.

2. E. Schwartz, Charakterköpfe aus der antiken Literatur. Zweite Reihe. Leipzig 1910. 2. Aufl. 1912.

Schwartz bemerkt einleitend, dalJ das Verständnis des Theo- krit infolge des Maugels sicherer Kunde über Leben und Art des Dichters und seiner Freunde leider sehr erschwert sei, obwohl gerade bei seiner so individuellen Dichtung, deren verstecktes, neckisches Formenspiel einen in alle Mysterien der Kunst und des Persön- lichen zugleich eingeweihten Kreis von Genossen entzücken sollte, eine solche Kunde besonders notwendig wäre. Dann geht er zur Schilderung des Lebens und der Dichtkunst des Theokrit mit Be- sprechung der hervorragenden Gedichte über. Die Chariten läßt er jetzt in Sizilien vor der Reise Theokrits nach Alexandreia ge- dichtet sein, gewiß mit Recht; auch Murray ist dieser Ansicht. Ebenso verlegt Schwartz den Hylas nicht mehr in die vor- alexandrinische Zeit unseres Dichters , sondern in dessen spätere Lebenszeit. Sonst hält er an seinen schon früher ausgesprochenen Ansichten fest. Nach Murray sind die Chariten um 275 74 ent- standen, was man jetzt wohl allgemein annimmt. Da sie nach Form und Inhalt keinen Neuling verraten, folgert Murray, daß Theo- krit schon früher Gedichte verfaßte , die aller Wahrscheinlichkeit nach ein sizilisches Gepräge trugen. Erst nach seiner Ankunft in Alexandreia, die etwa in die Jahre 271/70 fällt, übte die dortige Dichterschule ihren Einfluß auf ihn aus. Murray glaubt nicht, daß das 7. Idyll dieser Annahme widerspreche ; denn es lägen keine zwingenden Gründe vor , daraus auf einen früheren Aufenthalt des Theokrit auf Kos bei Philetas zu schließen, und ebensowenig lasse sich mit dem Gedicht das Vorhandensein eines bukolischen Freundes- bundes oder einer pseudobukolischen Dichterschule auf Kos be- weisen. Das Gedicht selbst setzt Murray mit Susemihl und Knaack etwa in das Jahr 265. Diesen Ausführungen Murrays kann ich nur teilweise beistimmen; aus Id. VII folgt jedenfalls, daß Theokrit in seiner Jugend mit Freunden auf Kos zusammen war. Was führte diese jungen Leute aber hier zusammen, wenn es nicht die Absicht war, bei Philetas ihre Studien zu betreiben ? Studierte Theokrit aber bei Philetas, ehe er nach Alexandreia kam, so wird er hier auch schon die alexandrinische Dichtung kennen und üben gelernt haben. Demnach wird man annehmen müssen j daß Theo'

14:2 «J- f^itzler.

krit nach seineu Studien iu Kos nach Sizilien zurückkelu'te und bei Hieron anzukommen suchte ; erst als ihm dies nicht gelang, wandte er sich nach Alexandreia, vgl. vorigen Jaliresber. Bd. CXXXIII (1907. I.) S. 289.

Fr. G a r i n , La e x p o s i t i o T h e o c r i t i d i A u g e li P o 1 i z i a n o n e 1 1 o studio F i o r e n t i n o. Riv. di Filol. class. XLII (1914). S. 275 f.

teilt mit, dali Angeli Poliziano im J. 1482 in Florenz „Graecae linguae rudimenta" lehrte und im Anschluß daran Theokrit nach der iu seinem Besitz befindlichen Hs. , nämlich cod. Laurent. pL XXXII 46 saec. XV., erklärte, vgl. L. Ahrens, Bucolici Graeci I S. XXX, t.

Den Einfluß, den Theokrit auf die englische Lite- ratur ausübte, untersucht

R. Th. Kerlin, Theocritus in English Literatur e. A thesis presented to the Gi*aduate Faculty of Yale University. 1910. XII, 203 S. 8°.

Er weist in seiner fleißigen und gründlichen Arbeit nach, welche Dichter und Schriftsteller in den verschiedenen Epochen der englisch-amerikanischen Literatur Theokrit nennen, wie sie ihn be- urteilen, übersetzen und nachahmen, inwieweit sie sich direkt oder indirekt an ihn anlehnen. Die ersten Nachahmungen finden sich im Elisabethischen Zeitalter, die älteste Gesamtübersetzung erschien 1684 und wurde von Th. Creech hergestellt; in der Victorianischen Ära nimmt seine Wertschätzung immer mehr zu, ins J. 1839 fällt die erste Schulausgabe, deren Einleitung und Anmerkungen iu englischer Sprache geschrieben sind; Tennyson gehörte zu seinen größten Bewunderern ; besonders wirkungsvoll für die Verbreitung seiner Kenntnis erwiesen sich aber Calverleys metrische und Längs prosaische Übersetzung, jene aus dem J. 1869, diese aus 1880. Im Gegensatz zu England setzt das Studium Theokrits in Amerika erst spät ein , wird aber gegenwärtig eifrig betrieben. Die erste Spur seiner Kenntnis zeigt sich im J. 1797, in dem J. Lyndon Arnold unter seinen Poems auch eine metrische Übersetzung des 31. Idylls, des Todes des Adonis , veröffentlichte. Im ganzen zeigt Kerlin gesundes Urteil und anerkennenswerte Besonnenheit, was jedoch nicht ausschließt, daß er da und dort in der Annahme von Nachahmungen zu weit geht : allerdings darf man nicht vergessen , daß die Ent- scheidung in diesen Fragen oft subjektiv sein muß. Der Arbeit sind 3 Anhänge beigefügt, von denen der 1. das Leben des Theo-

Ber. über die uricch. Lyrikor usw. u. d. Epigramnisammluiitxi'ii f. 190") 17. 143-

krit, der 2. die Bezeichnungen Idyll, Pastoral und Eclogue und der 3. die Bibliographie zum Gegen.stand hat. Den SchlulJ bildet ein ausrührliches Nainensverzeichnüs der in der Arbeit erwähnten Dichter und Gelehrten.

Hier reihe ich die Übersetzungen an, die sich auf Theo- kritus allein erstrecken : diejenigen , welche auch noch die andera Bukoliker enthalten, werde ich am Sclilusse des Berichts über die Bukoliker aufführen.

1. Gli idilli di Teocrito tradotti in versi italiani da A. Taccone con introduzione e note. Torino 1914. XX, 298 S. 8*^. (= II pensiero Greco vol. IX.)

Taccone hat der Übersetzung die Ausgabe von Wilamowitz zugrunde gelegt, aber seine Selbständigkeit ihr gegenüber gewahrt ; über seine Abweichungen vom Wilamowitzschen Text geben die Fußnoten Auskunft. Die Übersetzung enthält nur die 30 größereu Gedichte, die unter Theokrits Namen gehen ; die Epigramme sind ausgeschlossen. Die Form des Originals wird in der Regel beibehalten ; einigemal treten aber auch Hendekasyllaben an die Stelle des Hexa- meters. Sachliche Schwierigkeiten, die sich dem Verständnis des Textes hemmend entgegenstellen, werden in den Anmerkungen am Fuße jeder Seite erläutert. Außerdem ist jedem Gedicht eine Ein- leitung vorausgeschickt , in der über Ort und Zeit der Abfassung, über Echtheit und ähnliche Fragen , die sich an das betreffende Gedicht anschließen , gesprochen und eine eingehende ästhetische Würdigung , die allerdings bisweilen zu günstig ausfällt , gegeben wird. Hier finden auch die wenigen Angaben, welche die Vorrede über die Lebensschicksale Theokrits macht, erwünschte Ergänzung,

2. Theocritus' Idylls and theEclogues ofVirgil. Translated into english verse by C. S. Calverley. London 1908, 268 S. 12 ^

3. Theokrit, Idyllen. Übersetzt von E. Mör ike. Jena 1910. XII, 65 S. 8".

4. T h e o c r i t u s. Oeuvres traduites en vers par D. S e n e r s, Nantes 1911. 288 S. 8 ».

5. Teocrito. Idilli. Traduzione di G. M. Pagnini con prefacione di A. Castaldo. Koma 1913, 158 S. (= Piccola biblioteca utile no. 49.)

Dazu kommen noch Übersetzungen einzelner Gedichte :.

Nächtliche Beschwörung inG. Eskuche, Griechi-

j^44 J. Sitzler.

sehe Einakter, filr Haus und Bühne verdeutscht. Halle a. S. 1913. 270 S. 8".

Theokrits Nixen, Ernte fe st und Preislied auf Kaslor und Polydeukes als Beispiel griechischen Natur- geftihls verdeutscht von G. E s k u c h e. Programm des Stadt- gymnasiums Stettin. 1914.

Le Baccauti di Teocrito trad. da D. Arfelli. Atene e Koma XVII (1914).

L. Cisorio, 11 Ciclope, Cremona 190D. I pastori Batto eCoridone, ebenda 1907. Epitalamio di Elena, ebenda 1911.

Da Teocrito idillio XXV , IX degli incerti ed. H. L. Ahrens. Traduzione di G. Camozzi. Milano 1912. 22 S. 8".

Theocritus. The lament ofCyclopstoGalatea. [Theoer. XL] Translated by W. H. D. R. Class. Rev. XXV S. 126 f.

Le Siracusane, Mimo di Teocrito. Versione metrica di A. Taccone. Cronache letterarie. Firenze, 3. Die. 1911.

Zum Schlüsse erwähne ich noch :

J. Va h 1 e n i professoris Bei-olinensis opuscula academica. Pars prior == Prooemia indicibus lectionum praemissa. I XXXIII ab anno 1875—1891. Leipzig 1905. IX, 511 S. 8 «.

Darin sind die Arbeiten zu Theokrit, die während der Jahre 1875 1891 erschienen, abgedruckt.

Bion.

Beiträge zur Textkritik und Erklärung der Gedichte Bions liefern :

1. S. A. Naber, Adnotationes criticae ad Theo- critum. Mnemosyne 34 (1906). S. 149 f. [Bion I 44.]

2. P. Maas, ifxrjV, vfirjv. Philologus 66 (1907). S. 590 f. [I 89.]

3. A. Ludwieh,Coniectaneaad bueolicos Graee os. Einladungsschrift. Königsberg 1908. 8 S. 8^. Homeri- scher Hymnenbau nebst seinen Nachahmungen. Leipzig 1908. S. 371 f.: Bions Adonis-Epitaphios.

4. J. M. Edmonds, Some notes ou the Bucolici Graeei. IIL Class. Review 27 (1913). S. 76 f. [I 73 f. II 9.]

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d.Epigrammsammiungen f. 1905—17. I45

5. A. P 1 a 1 1 , B u c o 1 i c a. Journal of Philology 34. S. 142 f. (I 61. 72.]

6 U. V. Wilamo witz- Möllendorf'f, Reden und Vor- träge. 3., vermehrte Auflage. Berlin 1913. VIII, 413 S. 8. [Adouis.]

7. S. Menardos, Where did Aphrodite find the body of Adonis? Journal of Hellenic Studies 28 (1908). S. 133 f.

8. J. G. Frazer, Adonis Attis Osiris. Studies in the history of Oriental Religion. London 1906. XVI, 339 S. 8, 2. Aufl. 1908. (= Golden Bough vol. IV.)

9. R. Schneider, Geräte zur Vogeljagd. Berl Phil. Wochenschr. 1907. Sp. 1117 f. und dazu

10. A. Hausrath, Kakdjiiovg eig (.li^Y-og avvaipaL, Gvv&elvai. Berl. Phiiol. Wochenschr. 1907. Sp. 1532 f. [IV If.]

11. Margaret C. Waites, Some features of the allegorical debate in Greek literature. Harvard Studies XXIII (1912). S. 1 f. [Fr. XIV (Wilam.) = Fr. III (Ziegler) = Stob, eclog. I 8, 39.]

Daraus hebe ich folgendes hervor : I 39 ändert L u d w i c h das tiberlieferte xig oir/. e'/.Xavaev av alal, worin äv ebenso störend ist wie alal, gut in 8y.lavoev ev al'a (oder av' alav). V. 44 wünscht Naber unter Verweisung auf Theokrit XII 32 }.ia^LO st. f^i^to, was möglich, aber kaum nötig ist. V. 69 ist überliefert : l'av ayad-a OTißdg, toiiv ^öc'Ji'idi (fvXXdg sgi^i-ia, das man gewöhnlich mit A h r e n s in ovx dyad^d oiißdg eaziv l4. xrX. verbessert ; denselben Sinn gibt, kommt aber der Überlieferung näher die Verbesserung Lud wichs: 6(Tr' dyad^d arißag, sg zi d' l4d(')viöi (pvXldg igrjua, nur würde ich ö' weglassen; Hiatus nach zi stört nicht. V. 72 f. liest man gewöhnlich: -/mtO-so viv iLia?MKo7g ivl ffctgeaLv otg iviavev, oig ftSTvc aev dvd viKva to»' ieqüv vuvov htixi^r^, \ nayy^qiafi) /J.iv- TrJQf^ das oig am Anfang des V. 73 hat Wakefiel d aus lolg, If^ixO^i] J. H. Voß aus if-iöyßEL hergestellt, Wilamo witz in seiner Ausgabe ändert (.atd aev gut in //era TEvg, aber oig und ifAoy^si behält er bei. Edmonds vermutet ä st. oig mit Bezug auf TiayyQvoiij yJuvztiQi, was ich billige; aber für das unmögliche ef-töyO^et ist bis jetzt noch kein passender Ersatz gefunden ; ich möchte eßgoxi^si vorschlagen, von ßQoyßiio, das zwar nicht belegt, aber durch Analogien, wie fjoyd^eio neben (.loyßiuo, oyßho neben oy^iLLo usw., gesichert ist. Die Bedeutung ist „einschlucken, ein- Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 178 (1019. I). 10

146 "^^ Sitzler.

schlürfen, einziehen", vgl. neben ßQOxO^iLM auch avtßqo^a und Y.aTtßQO^a. V. 75: ndira aiv acTio zieht Edmonds mit Recht zum Folgenden, wie man allgemein vor Wilamowitz tat; was er aber an die Stelle von ttccvt ^laQav'Ji] setzt, nämlich navta ^arovTiov , weicht zu sehr von der überlieferten Lesart ab; näher liegt näi'ia (.laQavov , was dem Sinne entspricht. Ludwicli liest Tcdvia f.iaQav&jj und erklärt: „mögen auch alle Blumen mit ihm zu Grabe gehen", was der Konjunktiv doch nicht bedeuten kann.

Wilamowitz gibt eine Übersetzung und eingehende Be- sprechung des ganzen Gedichts , das er schon früher gründlich be- handelt hat, vgl. vor. Jahresb. Bd. CXXXIII. (1907. I) S. 292 f.

L u d w i c h wendet seine Zahlensymbolik auch auf unser Gedicht an. Aus den geteilten Ephymnien schließt er, daß der Dichter die 98 Verse seines Liedes in 196 Kola zerlegt habe. Bion gebraucht vier Ephymnien; das erste: ald^w jov !Adtonv findet sich Vv. 1, 6, 15, 67, das zweite: a/rwAeTo ^A.aX6q '^diovig Vv. 1, 5, 37, 38, 63, 67, das dritte: aiai tctv Kv&6QEiap Vv. 28, 37, 63, 86 und das vierte: inaiccLovaiv ^EotoTEg Vv. 2, 6, 15 28, 62, 86,- es sind also 4-i-64'4 + 6= 20 interkalare Hemistichien , denen sich die 4 gewöhnlichen am Schlüsse: X^ye yotov Kv&fQeia y.il., nach Theokr. I 127: XrjyEiE ßov'/.oXr/.ag xzX. gebildet, als tncjtOfAa liinzugesellen. Das Gedicht hat 12 Kola ngoaGiua, 3 -j- 60 Kola als Hauptteil und 4 Kola tnaO(.ia ; es zerfällt in 6 Hexameter Ein- leitung, 10 Tetraden -f- 10 Pentaden Hauptteil und 2 Hexameter tTiaOf-ia. Die Hauptteilungszahlen sind also 4, 6 und 5, die Sym- bole für Gunst und Ungunst der Götter, für Leben und Liebe, für Rache und Tod. Rechnet man von den 196 Kola die 12 Ein- leitungs- und 4 Schlußkola ab, so bleiben 180 = 10X18 Kola oder 90 = 5X18 Hexameter; mit dieser Zahl 18 scheint das Lebensalter des Adonis angedeutet zu sein.

Menardos knüpft an die bei Photios bibliothec. 190 S. 153 Bekker erhaltene Nachricht an, daß Ptolemäos Hephäst, im 7. Buch j seiner '/.aivr] lozoQia erzählt habe , der Leichnam des Adonis sei von Aphrodite iv ^gyEi tioXel r^g Kvtiqov iv rio rov Egii^iov '^jtoXXiovog gefunden und bestattet worden. In -^dqyEL will Menardos agöEi ^ das er mit aXoEi identifiziert, erkennen, vgl. Hesych. uqoEa' XEif-iiZvEg. Es war also ein dXaog rov ^Egii^iov ^4n6XXo)vog , wo Aphrodite den Adonis fand; er wird bei Theokr. XX 36 und Bion I 68 mit ÖQV/iioi bezeichnet. Später wurde aus diesem a?Mog die Stadt Mesarca, wo Ohnefal seh - R icht er im J. 1883 eixi Temenos einer männlichen Gottheit fand.

Ber, über die griecli. Lyriker usw. ii. tl. Epigrammsamnilungen f. 1905—17. 147

Über Wesen und Bedeutung des Adonis spriclit Frazer; vom Mutterrecht ausgehend, nimmt er als höchste Gottheit eine Göttin an und sieht nun in Adonis. wie in Osiris und Attis, den diese Göttin und mit ihr die ganze Natur befruchtenden Gott. Sein Tod und sein Wiederaufleben stellt das Vergehen und Entstehen in der Natur dar; jeder Strauch, jeder Baum, kurz jeder Naturgegeustand, der entsteht und vei-geht, ist ein Adonis; es gibt also ebenso viele als Naturgegenstände. Der Ackerbau treibenden Bevölkerung war der Adonis vor allem die Kornfrucht ; ihr Mähen , Dreschen und Mahlen war der Tod des Adonis, den man nun beklagte. So entstand das Linoslied, wie der Maneros und andere derartige Klagelieder.

Das 4. Gedicht = 9 bei Wilamowitz findet durch die Dar- legungen Schneiders seine Erklärung; er versteht unter der crescens harundo bei Martial. XIV 218 ein zusammenlegbares Blas- rohr, indem er auf Apollodors Poliorketik bei Wescher, Poliorc6tique des Grees S. 152, 1 verweist: el de (.irj^ v.al '/.äXai^ioi awcix^eviai, oiovg o'i l^Evrai t'xovai , diaxETQrji.itvoi negav /.al ccaAioitaaiv e[.i- (fvotoLievoi ' t(f 6v ^iXf.ig, i/ttQXOvrai To/tov , y,al ayeigovoi zo nvQ 7tQ0OT0{.iida oidr^qäv avQiyya I'xovtec. Ein solches Blasrohr wird vor dem Gebrauch erst zusammengesteckt bezw. auseinander- gezogen ; dies wird mit V. 5 : zojg y.aXä/.icog ctf.ia ndvzag irr aXlä- Xoioi awaTtziov bezeichnet. Hausrath stimmt dieser Erklärung zu und fiigt aus dem corpus fabularum Aesopicarum noch zwei Belegstellen bei, nämlich die Fabel vom i^evzrjg (Halm 171) und die von der Ameise und Biene (Halm 296). Von den y.äXa}.iOL ist die Leimrute (l^ög) zu unterscheiden. J. Mesk in der Berl. Philol. Wocheuschr. 1908, Sp. 221 f. hält an der Deutung harundo bei Martial. IX 54, 1 f . und XIV 218 als Leimrute fest.

Mo seh OS.

Mit der Kritik und Erklärung der Gedichte des Moschos befassen sich :

1. A. Lud wich. Homerischer Hymnenbau nebst seinen Nachahmungen. Leipzig 1908. S. 338 f. [III].

2. Margaret C. Waites,Some features of the allegorical debate in Greek literature. Harward Studies XXIII (1912). S. 1 f . [II 6 f.].

3. J. M. Edmonds, Some notes on the Bucolici Graeci. IH. Class. Review 27 (1913). S. 76 f. [II 8. 20. 114. 140. III 46. IV 56. V 3.]

10*

148 J- Sitzler.

4. 0. Kön necke, Zu dengriecliischen Bukolikern. Kbein. Museum 69 (1914). S. 547 f. [II. III. IV.]

5. A. Platt, Bucolica. Journal of Philology 34. S. 142 f. [I 6. II 58. 82.]

C). M. Hoernes, Urgeschichte der bildenden Kunst in Europa. Wien 1915. 661 S. 8». [S. 538: II 37 f.]

7. J. Sitzler, Zu Moschos. Wochenschr. f. klass. Philologie 1915. S. 453 f. [IV 56. 66. 70] und Berl. Philol. Wochenschr. 1907, Sp. 1607. [I 30. II 83.]

8. V. Hahn, Die Krakauer Ausgabe des Moschos und des Apollonhymnus aus dem J. 1524. Eos XIII (1908). S. 62 f.

I 30 ist später hinzugefügt; er lautet: alal y.al ro oiöagov xr/l., entstellt aus daiEi 'Kai xtA. : sie entzünden auch das Eisen, das den Feurigen halten soll, vgl. Anth. Pal. V 176. 180. II 37 f. Hoer- nes weist darauf hin, daß der Mythos die pflanzentragenden weib- lichen Gottheiten stets beim Blumeupflücken überrascht und entführt werden läßt. Wir sehen dies bei Köre und Europa. Ja bei der letzteren findet sogar das Gefäß , dieses uralte weibliche Attribut, eine realistisch-praktische Erklärung; es ist der reichgeschmückte Topf, in dem die Jungfrau ihre Blumen sammelte , als sie den heimischen Gestaden entrissen wurde. So erscheint er außer bei Moschos auch auf einem Vasenbild schönen Stils (Compte-rendu, Petersburg 1866 Tafel V, vgl. Stephani S. 118, 149). Nach dem Dichter ist es natürlich ein kostbares, von Hephästos selbst ge- fertigtes Goldgefäß, und ähnlich muß es sich auch der Vasenmaler vorgestellt haben, weil es sich sonst schwer erklären ließe, warum sich das Mädchen in seiner so gefährlichen Lage auf dem Stiere mitten im Meer von diesem unnützen Gegenstand nicht trennen mochte.

Mit der Anordnung des Bilderschmucks auf dem Goldkorbe beschäftigt sich neuerdings Könnecke. Was dargestellt war, sagt der Dichter klar, nicht klar, wie und wo es dargestellt war ; es war die Geschichte der lo , und zwar die Tötung des Argos durch Hermes samt der Entstehung des Pfaues aus dem Blute des Ge- töteten, das Schwimmen der lo über das Meer, wobei zwei Männer zuschauen , ihre Rückverwandlung durch Zeus in Ägypten. Der Goldkorb war rund , und die bildlichen Darstellungen konnten nur innen sein, wie Könnecke annimmt. Wilamowitz schrieb V. 61 TC(Qa6g st. lagoolg und sprach die Ansicht aus, daß der Korb eine

i

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungcn f. 1905 17. 149

Ausbuchtung, eine Schnauze hatte, die das Rad des Pfaues gebildet habe. Kön necke tritt dieser Änderung der Überlieferung und der darauf beruhenden Ansicht mit Recht entgegen , aber er über- sieht V. 59: vQi'ig dya?JM^uEvog JiTegcytov TtoXvavO^fi /QOifj', der Pfau breitete auch seine Flügel aus. So erklärt sich die Ver- gleicliung mit einem Schiffe, das seine Ruder seitwärts gerichtet und sein Takelwerk aufgestellt hat. Da der so dargestellte Pfau den Rand des Korbes umhüllte, natürlich nicht den ganzen, sondern nur den Teil desselben, wo er sich befand, wie Könnecke richtig bemerkt, so itiuß er auf dem Rande angebracht gewesen sein. Er erhob sich aus dem Blute des getöteten Argos, muß sich also über diesem befunden haben. In der Nähe des am Boden liegenden Argos stand Hermes; er kann also nicht, wie Könnecke meint, ihm gegenüber gestellt gewesen sein. Hermes und Argos waren nach V. 55: aincpi div^errog Ino aiEffdvijV Talägoio angebracht, also ringsherum an den Seiten des Korbes. Es ist aber klar, daß diese durch die zwei Figuren nicht ausgefüllt wurden; es müssen da noch die weidenden Tiere , darunter besonders lo , abgebildet gewesen sein. So bleibt für die zwei weiteren Szenen nur die Bodenfläche übrig, wohin auch Könnecke sie verlegt, nämlich in der Mitte das aus Kvavog gebildete Meer, auf der einen Seite die zwei zuschauenden Männer, auf der andern der lo rückverwandelnde Zeus, beide einander entsprechend.

II 83 scheint oaiig v7iodi.irjd^Etg aus va7tXr]yYL di^rjd^eig ver- schrieben zu sein; la/tXt^y^ = ßovTilrj^. 140 will Edmonds ■i^Eolg d hcEOiAora durch i^Eolg y' inEor/.oTu ersetzen, was zu dem vom Zusammenhang geforderten Gedanken : wahrlich, du bist ja ein Gott uud tust Dinge , die nur Göttern zukommen , nicht passen würde. Zu diesem Vers bildet das Folgende die Erklärung; er darf also nicht mit Wilamowitz ausgeworfen werden.

III 15 f. fordert der Dichter die Schwäne auf: xal yoEQolg

OTOf-lCtZEGÖL UeHoÖEZE yC6vi)^tf.(0V liiÖÜv, \ o'lOV l(.4ETiQ0ig TtOzl X^l^EOl

yiJQVg aEiÖEi", für noxi schrieb die luntina noii , für yi^Qig Kallierges yT^QW. Kön necke will die hs. Überlieferung halten, indem er erklärt: „ein Lied, wie die Stimme auf euren Lippen es sonst zu singen pflegte," gewiß eine merkwürdige Ausdrucksweise, und nicht besser ist, was Lud wich vorschlägt: o^a iv v(.iETiQOig nore %. xtA. ; „mit welcherlei Gesänge einstmals die Stimme auf euren Lippen (in eurem Munde) sang." Wilamowitz hat ge- sehen, daß der Fehler in yrjQvg liegt; aber yi^qag, das er au dessen Stelle setzte, weist Könnecke mit gutem Grunde zurück; es bleibt

150 J- Sitzler.

unverständlich. Ich vermute ÜQ^^vog oder ITieglg aöei: ein Trauer- lied , wie es auf euren Lippen die Totenklage oder die Pieris singt. V. 49 verteidigt Könnecke mit Kecht die Lesart za/ ijiiiElg, richtiger aj-ielg; so liest auch Wilamowitz in der mir vor- liegenden Ausgabe, trotzdem Kön necke angibt, er habe aus VTr. r/uelg aufgenommen. V. 71 haben die Hs. 7CQäi' ttoi^ tol oder fioi. K a i b e 1 vermutete gut tto^ , was Wilamowitz aufnahm ; Könnecke und Lud wich treten für toi ein, V. 107 f. sind nicht richtig überliefert; dies zeigen Inhalt und Sprache in gleicher "Weise. Lud wich schreibt Tolg Xi(.icpoiaL st. talg vvf.i(paiai, indem er auf Hesych. Xif.iq'og' avy.oq^dvtrjg, cpEiöculog, r^ [itr^vvzrjg naga- vofjcov und }af.i(feLeiv' anaxäv verweist. Wie eine dieser Be- deutungen unserm Zusammenhang angemessen sein soll , kann ich nicht einsehen; aber sicher ist, daß Toig vv(AcpctiOL nicht gehalten werden kann. Der Dichter klagt, daß o\ /iieydloi y.ai '/mqteqoI ol oo(foi avögeg im Tode dahingehen, um nie wiederzukehren ; so sei auch Bion, einer dieser f.isyd?.Cüv y{,ul ymqteqoiv -/.al oo(fcov avÖQVJV für immer verstummt; aber die ßazgaxoi, die Stümper, sängen, wie es bisher geschienen habe, immer. Wem? Natürlich denen, die in ihren Sümpfen wohnen. Ich schlage daher vor: zalg Xti-tvaaai <)' idoBav dsl Ttove ßäigaxoi uötiv \ toig d' iyiij ov (fd^oveoi^L' yciQ fiiXog ov '/.aXov ayei\ auf ßdiga^oi weist auch das folgende TOtg in den Hs. hin. Die Lesart rüf-iq^aiai entstand aus einer Er- klärung zu Xijuväaai , vgl. das Schol. zu Theokr. V 16: 0iöa/.uZg (xä rag Xif-ivädag auidg vif-itpag, ijyovv zag dvaazQE(fO(.itvag tv zalg Xlf-ivaig. Der letzte Gedanke wird als die bisher allgemein ge- machte Erfahrung ausgesprochen; daher der Aorist bdo^av. V. 119 hatte der Archetypus akXd nagd Kc'jga, das AV i 1 a m o w i t z passend in dlX^ dye K. änderte ; L u d w i c h und Könnecke wollen 7caQa halten, das allerdings an sich nicht zu tadeln ist; aber der letztere ist dann gezwungen , die offenbare Korrektur y.ai st. al?<.a auf- zunehmen und dazu noch das überlieferte fielioöeai in i.ie?JaÖ£ig zu ändern, zum Schaden des Rhythmus ; der erstere will aXld durch a ersetzen, das hier kaum paßt.

Die Komposition dieses Gedichts, des Epitaphios auf Bion, be- spricht Lud wich vom Standpunkt seiner Zahlensymbolik aus. Das Lied von 126 Versen ist durch die größere Metonische Zahl 63 in zwei gleiche Teile 2 X 63 zerlegt. Jeder dieser beiden Teile zer- fällt wieder in drei Abschnitte, der erste in 1 7, 8 35 und 36 63, also 7 + 28-1-28 Verse, alle durch 7, das uralte musische Zahlensymbul, teilbar, der zweite in 64—84, 85—112, 113 126,

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsatnmlungeu f. 1905 17. 151

also 21 + 28 + 14 Verse, die gleichfalls durch 7 teilbar sind. Inter- kalarverse sind es 13, iui 1. Teil 2X4, im 2. dagegen 1 + 3 + 1 = 5. Daneben spielen noch die Zahlen 4 und 5, die Symbols für Glück und Unglück, eine Rolle; abgesehen von dem rcQoaaf-ia 1 7 und den 8 icfvf.tvia, hat der 1. Teil 7 Tetraden und 4 Pentaden, ■während der 2. Teil 5 Ephymnien, 6 Pentaden und 7 Tetraden enthält. Die Zahl 18, die in der Gesamtsumme der Verse 7 mal, 7X18 = 126, in der Gesamtsumme der Buchstaben des Refrains 2 mal, 2X18 = 36, enthalten ist, deutet möglicherweise an, welches Alter Bion bei seinem Tode hatte. Ist dies nach dem Lob , das ihm im Gedicht als Dichter gespendet wird, denkbar?

IV 56 unterliegt die Erklärung von f.i'^?uor ^ wie sie bis jetzt gegeben wurde , schweren Bedenken. Um es zu halten , ändert Wilamowitz ßXtrfdgdJv im folgenden Vers in y?M(fVQiui; obwohl dieses , wie E d m o n d s und Könnecke durch Verweisung auf Hom. P 438 und (/' 33 zeigen, unverdächtig ist. In (.tiqXiov muß ein anderes Wort stecken 5 ich dachte an 7irjyi~)V^ abh. von d^aJ.tQVJZEQa : die Tränen fließen reichlicher als Quellen aus den Augen. V. 66 f. sind schon vielfach behandelt. Allgemein angenommen ist G. Her- manns Verbesserung der überlieferten AVorte i^aQoel ov in d^aqooirj. Könnecke versucht im Anschluß an Wilamowitz: oot avaqid^- fiijroiaiv l(f fj(.ieTtQOig xtA. , das er erklärt: „ein Freund des Klagens müßte sein, wer bei unsern ungezählten Leiden (d. h. wenn er sie zu ertragen hätte) den Mut nicht verlöre". Angenommen, ccvaq. iff' ijf^ETtQOig ayjsooi könnte diesen Sinn haben , was ich bezweifle, so ergibt der scharfe Einschnitt doch keinen befriedigenden Oedanken ; denn wer so unzählige Leiden zu ertragen hätte und dabei den Mut nicht verlöre, wäre nicht ein Freund des Klagens, sondern an das Ertragen von Leid gewöhnt , im Leid abgehärtet, so daß er sich nicht mehr viel daraus machte. Meiner Meinung nach ist (piXod^Qi]vrjg. aus noXvi}Qrjvt^g oder no'kii^QrjVOQ verschrieben und das von Hermann hergestellte CiQiO^fnlaeiP ;V in agid^intjaeiv rt {= via ayea) zu ändern : reich an Leid müßte der sein , der hoffen könnte, zu unseren Leiden noch neue hinzuzuzählen. V. 70 nahm man mit Recht an aayakdav Anstoß ; es scheint aus ayxaXäa%' (= aiayaXäv) verschrieben zu sein: ich gebe dir die Entscheidung, vom Leide abzulassen, da es ja auch in der Freude eine Sättigung gibt.

Hahn teilt mit, daß die Krakauer Ausgabe des Moschos und des Apollonhymnus vom J. 1524 von dem Salesier Pyrser her- gestellt sei, und veröffentlicht die Varianten, die sich in ihr finden. Danach hat sie keinen selbständigen Wert , sondern geht auf eine

152 '^* Sitzler. i

der früheren Ausgaben zurück; aber auf welche, wird von Hahn nicht angegeben. 1

Übersetzungen des Bion und Moschos, zusammen mit der Übersetzung des Theokrit, erschienen :

1. Theokritos, Bion und Moschos. Deutsch im Versmaß der Ui'schrift von E. Mörike und Fr. Notter, Berlin 1910.

2. Theocritus, Bion and Moschus. Translated hy A. S. Way. Cambridge 1913.

3. Leconte de Lisle, Poemes antiques. Paris 1909. (Enthält außer den Bukolikern noch Hesiod, Tyrtäos und die Anakreonteen.

In die Sammlung der Bukoliker wurde im Anschluß an Bions irtitä(piog ^/iöwviöog auch das in Hemiamben abgefaßte Lied

Elg vE'AQov ^^diüviv aufgenommen, in der v. Wilamowitzschen Ausgabe als Appendix XI abgedruckt. V. 32 ist entstellt überliefert: xa/ f^ev y.ateaiva^e', ich schlug statt dessen vor: xat jU£t' y.aTaaTvyva^e : laß deinen Unwillen an mir aus, vgl. Berl. Philol. Wochenschr. 1907. Sp. 1607 f.

Schließlich verweise ich noch auf R. Reitzensteins An- zeige von U. v. Wilamowitz-Möllendorff, Die Text- geschichte der griechischen Bukoliker, vgl. vor. Jahresb. Bd. CXXXIII (1907. L). S. 268f., in der Berl. Philol. Wochenschr. 1907. Sp. 1537 f., die auch Eigenes gibt und so ein wertvoller Beitrag zu Wilamowitz' Forschungen ist.

Über den Einfluß, den die griechischen Bukoliker auf die neuere Literatur ausübten, handeln:

1. W. P. Mustard, Later echoes of the greek bucolic poets. Amer. Journal of Philology XXX (1909). S. 245 f.

2. G. Norlin, The Conventions of the Pastoral El egy. Ebenda XXXII (1911). S. 294 f.;

der erstere berücksichtigt dabei Gedankenwelt und Ausdrucksweise in gleicher Weise , während der letztere nur die konventionellen Formen der betreffenden Literaturgattung in Betracht zieht, neben den griechischen aVjer auch die römischen Klassiker verwertet.

E. Martine ngo Cesaresco, The outdoor life in Greek and Roman poets and kindred Studie s. London 1911. IX, 290 S.,

Ber. über die griech. Lj-riker usw.u. d. Epigrainmsammlungen f. 1905 17. J 53-

gibt eine Übersicht über die Art und Weise , wie die griechischen' und lateinischen Dichter und einige prosaische Schriftsteller von» Homers Zeiten bis herab zu den Spätlateinern das Landleben auf- gefaßt und geschildert haben. In dem Kapitel , das die Über- schrift: Der letzte griechische Bauer trägt, betrachtet er die Ge- dichte Theokrits und der andern Bukoliker sowie die Epigramnie- der Anthologie, die sich auf sein Thema beziehen, um daraus Material zu seiner Darstellung zu holen.

Die T e c h n o p ä g n i e n. Mit den Technopägnien beschäftigen sich :

1. A. S. F. Gow, The dr^t 7 ^ - t echnopägnium,. Journal of Philology 1915. S. 128 f.

2. H. Fraenkel, De Simia Ithodio. Göttinger Diss. 1915. 126 S. 8 *•, auch bei G. Fock in Leipzig erschienen. Dazu

3. J. Sitzler in der Berl. Philo). Wochenschr. 1916. Sp. 11 93 f.

4. P. Maas, Verschiedenes. Philologus 72 (1914)- S. 459: 5. Seimias ÜTiQvyEg 10 (Bucol. Graeci ed. Wila- mowitz S. 147).

5. J. M. Edmonds, Some notes on the Bucolicl Graeci. IIL Class. Review 27 (1913). S. 76 f. [nziQvyeg 8. "Qiov 7. 11. 12.]

6. 0. Könnecke, Zu den griechischen B u kolikern.. Rhein. Museum LXIX (1914). S. 556 f. \^niüv 9. 14. Dosiades- BcDf-tog 15. 18.]

7. C. Wendel, Die Technopägnienausgabe de» Rhetors Holobolos. Byzant. Zeitschr. XVI (1907). S. 460L

Die Frage, ob die Syrinx von Theokrit verfaßt sei, ist noch immer nicht entschieden , doch neigte man in letzter Zeit immer mehr dazu, sie zu bejahen; auch Wilamowitz trat in der Text- geschichte der griechischen Bukoliker S. 247 f. für ihre ICchtheit ein. Dagegen wendet sich jetzt Gow, indem er daraufhinweist, daß zu Theokrits Zeit die Syrinx noch nicht die hier vorausgesetzte- Form gehabt habe. Und in der Tat war diese damals gewöhnlich siebenröhrig ; als etwas ganz Besonderes wird bei Theokrit die ivveäq^iüvog (VIII 18. 21) genannt. Von einer zehnröhrigen ist sonst keine Rede.

Fraenkel stimmt in der Frage nach der Entstehung der Technopägnien Wilamowitz bei , vgl. vor. Jahresb. Bd. CXXXIII

154 J- Sitzler.

{1907. I.) S. 287, weiclit aber darin von ihm ab, daß er glaubt •die Simiassclien Teclniopägnien hätten nicht mehr jenem ursprüng- lichen ZAveck als Aufschriften gedient, sondern schon den Charakter poetischer Spielereien gehabt, und er wird damit recht haben

Im n^Xs/iig wird in den Hs. außer dem Palat. und Y der Vers : rag ßanwv xXiTcg laa (^eolg wg erge ()OÖoyeyaag jiuXiTQOna poT'vog u^TQa uoXnJjg gelesen , den man verschieden emendierte und als Stiel des ni?^Ey,vg betrachtete. In der Hs. Y steht an dessen Stelle der Titel : ^i/Ltfiiov '^Podlov n^Xey.cg ov ^E/reiog <l)ci)y.£ig tfi ^d^fjrä dcoQor tdcoY,e. Wilamowitz sprach in seiner Ausgabe die Vermutung aus, daß jener Vers aus diesem Titel und dem letzten Vers des I2tov : Talg dt) 6ai(.icov Y.XvTaig l'aa 0-£olg Ttoal dovtiüv 7iolv7tXoy.a /ueU-iei /.ürga fAoXnalg zurecht gemacht sei und schon dem Schol. Ambros. des Hephaestion bekannt gewesen zu sein scheine. Noch weiter geht Fraenkel, der den ganzen Vers geradezu für eine Dittographie des Verses im Qiov hält, freilich durch Schreibfehler und Verbesserungen der Abschreiber entstellt. Aber diese Vermutung scheitert au den Worten: o)g evqb ■Qodoyeyaojg , denen nichts gegenübersteht, woraus sie entstanden sein könnten. Fraenkel stützt sich darauf, daß in dem Verse des £2i6i' die Stelle noal öovecov jtohinXoya lückenhaft sei, wie das Metrum zeige; indessen kann das Fehlende nicht derart ge- wesen sein, daß sich Log evQS godoyeyawg daraus herleiten ließe.

nreQvyeg 1 ist überliefert: leraoi //£ tüv Fäg te ßa^totfQvov avay.t ^y.f.ioviöav t' a?J.tdig i-ÖQceacivia: darin stört nicht nur die Verbindung des Substantivs avaAza und des Partizips Idgäoa^ta, sondern auch die Beziehungslosigkeit von dklvßig. Fraenkel neigt der Erklärung von Fohlen z zu: alio quam terram , mit Recht , wie ich glaube. Klarer wird diese Beziehung , wenn man räv TE ßaiyiOTtQvov avEv&' schreibt : gesondert die Erde und an eine andere Stelle den Himmel ; so wird auch das anstößige avay.za beseitigt. Den Akkusativ ßadiOiEQVov haben auch einige Hs. A\ 7 lobt Fraenkel S. 74 Anm. 1 Bergks Änderung von %E in ^6 mit Recht; er hätte sie also S. 80 Anm. 3, wo nebenbei bemerkt xl und öl aucli noch miteinander verwechselt sind, nicht verwerfen sollen. Im folgenden streicht er, einer Anregung Leos folgend, die Interpunktion am Ende des V. 10 und schreibt V. 11 Eiy.Ev St. £/■/.£ (J'j so daß die Worte: ol'rt yctQ ty.Qccva ßi({ einen Zwischensatz bilden; aber diese lassen sich von ^cQUcvotit de 7iEii>ol nicht trennen, beide zusammen erklären ovd^ 'yigEog {naig) y.alEv^ai. V. 11 £rx€ ö^ Ifuol y.iX. enthält die Folge seines

Ber. über die gricch. Lyriker usw.u. d. Epigrammsammlungeu f. 1905 —17. 155

Wirkens, wie es in V. 10 geschildert ist. Fraenkel nimmt daran Anstoß, daß Eros' Wirken durch die jCSiO^tü erwähnt wird, trotzdem seine Abstammung von A])hrodite, in deren Gefolge sich doch UeiD^oj gewöhnlich befindet, in Abrede gestellt wird. Dieser Anstoß ist aber unbegründet, weil neiO^oj nicht zu KcnQig, sondern zu 'y^gr^g in Beziehung gesetzt ist , was durch den Gegensatz zu ßi(^( nach- drücklich hervorgehoben wird. Wollte man eine Beziehung zu KvTiQit^ annehmen, so bliebe diese auch bei Fraenkeis Text be- stehen. — V. 10 verbessert Maas nQücno in TCQacvoii), womit ihm Bergk zuvorgekommen ist.

^ ^i6v 9 sind die Worte (.teyav viagoii^ entstellt überliefert. Kön necke vermutet i^s Tov jiaQOii^ {ai^eiv agid^fiov), indem er erklärt: „Hermes fordert mich auf, von einem einfüßigen Versmaß ausgehend , die vorhergehende Zahl (von Füßen) zu steigern bis schließlich zu einer Dekade von Füßen"; aber angenommen, daß o jcdgoil^e agtO^uo^ die vorhergehende Zahl bedeuten kann, ver- mißt man immer noch: die jedesmal vorhergehende Zahl, um den richtigen Gedanken zu erhalten. Ich schlug /iis ßag Tiagoid-* vor: gegenübertretend, zu avioye gehörig. V. 12 ist lückenhaft. Edmonds ergänzt nach i^eviov das Substantiv t6vov\ tov haben nämlich CZ , während A xav hat. So ist er aber gezwungen, in V. 11 cfiQiov zu tilgen, das unverdächtig ist. Ich ergänzte i^Evojv Vva y.QUTOv , modal zu TrUfavo/.e navaiolov Vliegidcov i^ovodovTtov acdciv, was eben durch diesen einheitlichen Taktschlag erzielt wurde. V. 14 zieht Könnecke die relative Verbindung zai z af-ißQOiii), die A bietet , der sonst allgemein aufgenommeneu Lesart tat ö , die CZ haben, vor; mir scheint ein Hauptsatz an unserer Stelle passender zu sein. V. 16 liest .Fraenkel, wie es gewöhnlich geschieht, ouZv und bemerkt dazu: „ouZv aut nescio quo pacto de cervulis dictum aut corruptum est". Natürlicli ist oiwv, sc. reßgiov, zu schreiben: der einsamen, verlassenen, wie übrigens schon Salmasius hat. V. 20 ist wieder lückenhaft, wie das Metrum verrät; man kann etwa zur Vervollständigung noal (yär) doreiov {/.ala) nokr- TcLo'Att ersäuzen.

Dosiadas Diof-iog 15 schlägt Könnecke tov öaQUP ewT st. TOV d^ ael '/urevvv vor. Dies erscheint mir zur Charakterisierung von Philoktets langjährigem Aufenthalt auf Lemnos zu schwach ; nach meiner Meinung hat Heck er mit tov ö aDuveciT das Richtige gefunden, wenn auch alXivHO, regelmäßig von ai?.ivog ge- bildet, sonst nicht belegt ist. Häberlin hat es aufgenommen, Wilamowitz allerdings bemerkt: elXiveivr (sie) male Hecker;

156 J- Sitzler.

aber was er selbst an dessen Stelle setzt : eh'iv elvr' , ist un- zureicbeud.

C. Wendeis Aufsatz über die Teclinopügnienaus^^abe de* Holobolos wurde schon oben bei dessen Ausgabe der Theokrit- Scholien besprochen, vgl. S. 113 f.

IV. Anthologie.

Auf die hs. Überlieferung der griechischen Epigramme be- ziehen sich :

1. Anthologia Palatina. Codex Palatinus et Codex Parisinus phototypice editi. Praefatus est C. Preisendanz. Leiden 1911. CL und 709 fol. (= Codices Graeci et Latini photographice depicti duce Scatone de Vries tom. XV.)

2. K. Preisendanz, Zur griechischen Anthologie. Marc. 481. Paris, suppl. Gr. 384. Pal. 23. Progr. Gymn. Heidelberg 1910. 33 S. 4°. Zur Geschichte der An- thologia Palatina. Zentralblatt f. Bibliothekwesen XXXI (1914). S. 173 f.

3. J. Basson, De Cephala et Plann de syllogis- que minoribus. Diss. Berlin 1917. 71 S. 8". Vgl. dazu die eingehende Besprechung von K. Preisendanz in der Wochenschrift f. klass. Philol. 1918. Sp. 169 f. und 201 f.

Preisendanz behandelt in der ausführlichen Vorrede, die er der photographischen Ausgabe des Palat. 23 vorausschickte, zunächst die Geschichte der Hs. , wobei V. Rose und H. Stadt müller mehrfach berichtigt werden. In einem Nachtrag dazu im Zentral- blatt für Bibliothekswesen teilt er eine ihm brieflich übermittelte Vermutung M. Rubensohns zu H. Stephanus' Anthologieausgabe vom J. 1566 mit. In dieser liest man auf der vorletzten Seite Z. 10 von unten: illa quoque ygicpiodtj (p. 535) ex vetere codice epigrammatum descripsi, quod Louvanii habebat Johannes Clemens Anglus. Gewöhnlich erklärt man quod für ein Versehen st. quem, ßubensohn ändert es in quoad , und Preisendanz bemerkt dazu, daß eine Änderung vielleicht niclit nötig sei, weil sich auch quod bisweilen im Sinne von quoad finde. Ich glaube nicht , daß sich Stephanus diese dichterische Freiheit erlaubte. Billigt man man quoad , so folgt daraus , daß Stephanus während seines Auf- enthalts in Löwen die 48 Blätter des späteren Palatinus benutzte, also im J. 1551.

Ber. übordie griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 1905 17. 157

Au die Geschiebte des Codex reiht sich eine Untersuchunsr über seine Teile und über die Hfinde , die ihn geschrieben haben. Nach Preisendanz stammt der älteste Teil von B B ^, der zweite, -auch noch alte Teil von A, der jüngste von J und JA ^, wozu dann noch der von J später dazugefügte Teil kommt. Darauf läßt Preisendanz eine genaue Inhaltsübersicht nach den einzelnen Quaternionen und Büchern samt Über- und Unterschriften folgen, sowie den Index, welcher der Hs. beigegeben ist.

Dieser Index, der anerkanntermaßen weder nach Inhalt noch nach Reihenfolge mit unserem Kodex übereinstimmt, wurde schon wiederholt von den Gelehrten besprochen. Preisendanz' An- sicht geht dabin, daß alles, was nach 2^' folgt : tait de i] id^ig xtX. bis la' aQii>(A 1^X17.0. y.al ygirjcfa ai/z^r/tra, erst später eingeschaltet worden sei , um die Anordnung der in F' bis Z,' erwähnten Epi- gramme in der Anthologie anzugeben. Wahrscheinlicher erscheint mir die Erklärung B a s s o n s , nach welcher der Schreiber des Index einfach die den einzelnen Abschnitten seines Exemplars voraus- geschickten Überschriften der Reihe nach verzeichnet habe. Auf die i/.cpQaaLg XqiotoÖmqov seien die Proömien gefolgt, die Kephalas, von den nachfolgenden Gedichten getrennt, in Buch IV vereinigt habe; ihre Titel habe der Schreiber unter £' bis Z' abgeschrieben. Ebenso habe er in B. XII die Überschrift der Sammlung Stratons auf das ganze Buch übertragen , trotzdem noch andere Gedichte aixßer denen Stratons darin enthalten seien. Die Angaben unter E bis Z bezögen sich also nicht auf die Gedichtsammlungen, son- dern nur auf die Proömien, und deshalb seien diese auch im Index nicht mehr erwähnt. Im folgenden führe er dann der Reihe nach die Überschriften der einzelnen Bücher an: l'aci de r^ lä^ig zrA. ; dabei habe er die Überschrift unter y' aus dem Proömium des Buches V entnommen: cxQyj]v Egcoza -/.tX.

Schwierig ist die Lösung der Frage, an die Preisendanz dann herantritt , nämlich welchen Anteil Konstantinos Kephalas an der Anthologie habe. Das Ergebnis seiner Forschung stellt Preisen- danz S. LVI übersichtlich zusammen: er meint, es sei eine große Sammlung von Epigrammen vorhanden gewesen, die anderen Samm- lungen als Quelle gedient habe: Eine davon habe den Kranz des Philippos und die Sammlung des Agathias enthalten , und auch Meleager sei davon nicht ausgeschlossen gewesen ; zu dieser seien noch die Bücher XII XIV hinzugekommen sowie die Proömien {B. IV), so daß diese Sammlung sehr viel von V, VI, VII und IX und alles von IV und X XIV umfaßt habe. Diese Sammlung sei

1Ö8 J- Sitzler.

dann noch durcli eine kleinere Sammlung erweitert worden, die Kephalas aus Meleager und anderen Quellen hergestellt habe; sie bilde einen Teil der Bücher V, VI, VII und IX. Schließlich sei noch I III hinzugefügt worden. Aus der so entstandenen Samm- lung seien abgeleitet: 1. der Kodex, zu dem der Index im Palatinu* erhalten sei, 2. der Kodex des Schreibers B, der nur teilweise vor- handen sei, und 3. der Kodex des Schreibers A, ebenfalls nur eia Bruchstück. Diese Bruclistücke habe der Schreiber J unter Be- nutzung seines Exemplars, aus dem er viele Lemmata beifügte, das- aber in seinem zweiten Teil auch nicht vollständig gewesen sei, da. er B nur teilweise korrigierte, zu einem Ganzen vereinigt.

Was nun die große Epigrammsammlung von Kephalas betriffst, so hat Pr e isendanz das Vorhandensein einer solchen von Wolters übernommen, der eine solche für die byzantinische Zeit voraussetzt. Ein durchschlagender Beweis dafür, daß es eine solche wirklich gab, ist bis jetzt nicht geliefert worden; ich kann an sie so wenig wie Basson glauben. Die Annahme einer solchen ist unnötig,. ja es ist im höchsten Grade unwahrscheinlich , daß eine solche je vorhanden war ; denn wenn dies der Fall gewesen wäre , so wäre doch sicherlich, selbst wenn sie verloren gegangen wäre, die Kunde von einer so wichtigen und vielbenutzten Sammlung erhalten ge- blieben. Nicht wahrscheinlicher erscheint mir die Vermutung, daß jemand aus dieser großen Sammlung eine andere hergestellt habe^ die neben Philippos und Agathias den Meleager so mangelhaft be- rücksichtigte, daß Kephalas zu einer neuen Sammlung aus ihm ver- anlaßt wurde. Preisendanz nimmt dies wegen des p. 81, 9 f. über Meleager erhaltenen Scholiums an. Ich möchte diesem eine so weittragende Bedeutung nicht beimessen : zur Vorsicht ihm gegen- über mahnt ja schon, daß er Meleager alphabetische Anordnung der Epigramme zuschreibt, was unsere sonstige Kenntnis darüber nicht bestätigt. Wie nahe liegt es da, eine Verderbnis der Nachricht anzunehmen? Doch auch v/enn man ihr Glauben schenkt, besagt sie doch nichts anderes, als daß Kephalas die von Meleager alpha- betisch angeordneten Epigramme nach sachlichen Gesichtspunkten gesondert habe, spricht also nur über seine Behandlung der Epi- gramme Meleagers, ohne seine anderweitige Tätigkeit zu berühren, geschweige denn auszuschließen. Ja, die Angabe, daß er Meleagers Epigrammsammlung in sachliclio Gruppen schied, zwingt zu dem Schluß, daß dies nur geschah, um sie diesen Gruppen zuzuweisen, die er einer umfassenden Sammlung zugrunde legte. Auch was wir sonst von Kephalas hören, führt darauf, daß er in der Epigramm-

Ber. über die firieoh. Lyiiker ii3\A\ u. d. Epi^irammsaminliinecn f. 1905—17. 159

literatur eine hervorragende Rolle spielte. Im Scliol. p. 207, 14 f. wird er atiuvi^OTOC, /Mi ToncöO^t^zog atO^QfOTiog genannt-, er stellte die Sammlung her, die den Hnuptstock der Palatina bildet. DalS Buch IV von ihm ist, geht aus den oben angefiilirten Darlegungen Bassons hervor; allgemein werden die Bücher V VII und IX auf ihn zurtickgefiihrt, und auch X XIE werden von ihm herrühren.

Die weiteren Untersuchungen Preisendanz' betreffen die einzelnen Hände, die den Kodex Palatinus geschrieben haben ; sie werden genau charakterisiert, und es wird sorgfältig festgestellt, was von ihnen herrührt. Auch die manus recentiores sind dabei nicht vergessen, und Preisendanz ist in der Lage, beweisen za können, daß das, was S t a d t m ü 1 1 e r dem Sylburg zuwies, in Wirk- lichkeit dem Salmasius angehört.

Neben der Palatina kommen für die Überlieferung der Epi- gramme noch die Planudea und eine Anzahl kleinerer Sammlunger» in Betracht. Basson untersucht, in welchem Verhältnis diese zu- einander und zur Palatina stehen. Die Annahme, daß die Samm- lung des Planudes auf eine Sammlung aus der Zeit vor Kephalas^ zurückgehe, ist irrig, wie er zeigt; denn die Epigramme, die Kephalas von Gregorios Magister übernahm und seiner Anthologie einverleibte, finden sich auch bei Planudes. Die Abhängigkeit des Planudes von Kephalas folgt auch aus der Übereinstimmung des Marc. 481 und Palat. 23 in der Anordnung der Gedichte , in den Lücken und in den Lesungen. Trotzdem kann der Palatinus nicht die Vorlage des Marcianus gewesen sein, wie man vielfach glaubte ; denn der Marcianu^ hat manche Lücken nicht, die im Pal. sind: vgl. z. B. XI 135, 3 und besonders VI! 470, 2, teilweise bessere Lesarten und vor allem mehr Gedichte, im 4. Buch nicht weniger als 303 mehr. Infolge- dessen nimmt Basson an, daß das von Planudes benutzte Exemplar der Sammlung des Kephalas vollständiger war als der Palatinus,^ und glaubt, daß auch eieqov ßijiliovj von dem Planudes spricht, ein Exemplar der Anthologie des Kephalas war. Daß der Palatinus- nicht die vollständige Sammlung des Kephalas enthielt, schließt er auch aus den ihm beigegebenen Schollen und sonstigen in ihm vor- kommenden Anzeichen , wie Lücken , Nachtrag von Epigrammen durch den Korrektor und der Bemerkung zu VII 254 b tovzo öioacog y.euai , was jetzt nicht der Fall ist. Auch das vom Kor- rektor benutzte Exemplar des Michael Chartophylax war nicht voll- ständig, nicht als ob es mit VII 432 aufgehört hätte, wie man au& der Randnotiz des Korrektors : e(vg cjÖs tcc zov y.vqov Mixat)k tot (.m/MQiov TceQie7xov trciyQdi.ii.iaia, ixTiva löioxEtQCog avibg tyQU^iev

160 J- Sitzicr.

-*x T^g ßtßXov Tov KecpaXa vermutete. Die Worte löioxeiQiog ■avTOg verlangen, wie Basson richtig sab, als Gegensatz: von da an aber durch einen andern absebreiben ließ. Der Korrektor setzt aucb tatsächlich seine Arbeit bis IX 563 fort, offenbar nach dem- selben Exemplar; denn wie Basson aus dem Scholion zu VI 269 schließt: Eig xo avzißüXiv ov Y.eitai tov avqov MixcctjX' tio^ev oir iyi)dq>r], ovk oiöa, hatte er kein anderes. Aber er ist nicht imstande, daraus die Lücken und Fehler zu berichtigen.

Diese Ausführungen B a s s o n s berichtigt Preisendanz in seiner Anzeige der Arbeit in einigen Punkten. Die Epigramme XVI 4 und 29, die Basson zu seiner Beweisführung benutzt, stehen in ^em Marcianus auf dem Rande, sind also Nachträge, die dafür nicht in Betracht kommen können; doch beeinflußt dies das Endergebnis seiner Untersuchung nicht. Aus der Vergleichung des 4. Buches <3er Planudea mit der Palatina ergibt sich unwiderleglich, daß die jetzt im Palatinus fehlenden, aber im Marcianus erhaltenen Epi- gramme dieses Buches, die in J a c o b s Ausgabe der Anthologia Palatina unter dem Titel : Anthologia Planudea. Ex libro quarto zusammen- gestellt sind, in der Sammlung des Kephalas vorhanden waren, daß Planudes' Vorlage also vollständiger war als der Palatinus; dies gilt zunächst von Anth. Pal. IX, in das die überschüssigen Epi- gramme von Plan. IV eingereiht sein sollten, und ich füge noch bei, daß auch zwischen Plan. V und Anth. Pal. II ein ähnliches Ver- hältnis besteht. Die Unvollständigkeit des Palatinus gibt Preisen- danz zti; ebenso die des Exemplars des Michael Chartophylax. Aber am Palatinus als Vorlage des Planudes will er festhalten, in- dem er meint, Planudes habe beim Beginn seiner Arbeit nur unsere Anthologia Palatina besessen. Als das 1. Buch fertig war, habe er xo f-TSQOv ßißkiov erhalten, das vollständiger als die Palatina war. Daraus habe er eine neue Auswahl getroffen, die er mit der Über- schrift: o(.ioia To7g iv t^') Ttgiorq) T/.irjf.taTi '/.tX. an das Ende des Buches gestellt habe. Trotzdem habe er auch für das 2. und 3. Buch noch die erste Vorlage, d. h. den Palatinus, weiter benutzt. Erst zur Herstellung des 4. Buches habe er zu dem vollständigeren Exemplar gegriffen, trotzdem aber später in der Appendix zu dem Buche noch daraus nachgetragen. Die Annahme eines nochmaligen Auszugs nach der Benutzung erscheint mir noch unwahrscheinlicher als die einer Weiterverwendung des unvollständigeren Exemplars nach Empfang eines vollständigeren unter Beifügung von Nachträgen aus <lem letzteren. Und diese Unwahrscheinlichkeiteu nur, um den Palatinus als Vorlage des Planudes aufrechtzuerhalten , wobei man

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Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 1905 17. \Q\

<loch noch die Benutzung einer vollständigen Sammlung annehmen muß! Ich stimme Basson bei, daß Planudes als Vorlage nicht xlen Palatinus", sondern einen vollständigen Kodex der Anthologie des Kephalas hatte, und glaube, daß er i-'zeQOv ßißXiov erst nach Beendigung seiner Arbeit erhielt und daher das Neue, das es ent- hielt, in Appendices den Büchern I IV anfügte. Über das "teqov ßißXiov erfahren wir nichts weiter; jedenfalls ist es nicht nötig, mit Basson darin eine Ausgabe der Anthologie des Kephalas zu sehen. Glaubhaft ist dagegen Preisendanz' Vermutung, daß zwischen IX 563 und 564, wo zwei Teile der Anthologie Pal. an- einanderstoßen , die Blätter etwa 3 Quaterniouen verloren gingen , auf denen die Epigramme standen , die das 4. Buch der Planudea mehr hat als das 9. Buch der Palatina.

Nach Feststellung des Verhältnisses zwischen der Planudea und Palatina wendet sich Basson den kleineren Sammlungen zu. Auch den Suidas erwähnt er; er weist nach, daß dieser nur die Palatina verwertet, öfter bis VII 293, von da an nur noch VII 413. 432. 531. 588. 727. IX 61. 75. 207 und 447. Die Zitate aus XIV 148 und XVI (Anth. Plan.) 135 stammen aus anderer Quelle. Die Sylloge S stammt aus demselben Archetypos wie der Palatinus ; sie zeigt in der Anordnung zuweilen kleine Abweichungen , „ut ele- gantior sententiarum concinnitas evadat". Ihre Autorität ist gering. Wie S geht auch die Sylloge B gleich der Planudea auf ein voll- ständigeres Exemplar der Sammlung des Kephalas zurück , als es der Palatinus ist. Die Sylloge ^ steht im engsten Verhältnis zur Planudea, hat also keinen selbständigen Wert. Die Sammlungen E und ^^^ stimmen in Anordnung der Gedichte , in Lesarten und in Lemmata miteinander überein ; sie stammen aus dem gleichen Kodex, nämlich der vollständigen Euphemiana, die auf die Kepha- lana zurückgeht. Die Appendix Barb.-Vatic, die nach Stern- bach von dem Palatinus unabhängig, nach Stadtmüller ihm entnommen ist, stammt zwar nicht aus dem Palatinus selbst, aber aus einem Zwillingsbruder desselben. Hier erwähne ich auch kurz

Sokrates Kug6as, Analecta Planudea. Byzan- tinische Zeitschrift XVIII (1909)., S. 106 f., der eine Reihe den Planudes und seine Schriftstellerei betreffender Fragen erfolgreich behandelt. Ich führe daraus an , daß Maximus Planudes nach den Darlegungen von Kug6as im April 1283 noch nicht in das Kloster eingetreten war ; Hofbeamter war er im An- fang des Jahres 1283.

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 178 (lOlft. I). 11

1(52 '^' Sitzler.

Auch in Papyri fanden sich Stücke der Anthologrie 5 hierhergehören

1. Berliner Klassikertexte. Bearbeitet von W. Schu- bart und U. V. Wilamowitz-Möllendorff. Heft V, 1. Hälfte, Berlin 1907. S. 75 f.

2. Mitteilungen aus der Freiburger Papyrus- Sammlung. I. Literarische Stücke von W. A 1 y = Sitzungsber. der Heidelberger Akademie d. Wiss. 1914. 78 S.

Der Berliner Pap. 10 571, etwa dem 1. Jahrh. n. Chr. an- gehörig, hat 4 Kolumnen, die 1. sehr verstümmelt. Er enthält eine Reihe Liebesepigramme aus dem Kranze des Meleagros : XII 76, 77. 78, dann ein in der Anth. Pal. verlorenes, weiter 106 und V 152. Die Autornamen fehlen bei 76 und 77, stimmen aber mit der Anth. Pal. überein bei 78, 106 und V 152. Der Knabe in 78 heißt 'Arzi- yivi]g, nicht ylviioxog, wie in der Pal. Hervorzuheben ist noch, daß' die Gedichte nicht alphabetisch geordnet sind. Vgl. auch A. K ö r t e im Archiv f. Papyrusforschung Bd. V (1913). S. 547 No. 396.

Der Freiburger Pap. enthält, wie Aly unter No. 4 mitteilt^ die End- und Anfangsbuchstaben einer Reihe von Epigrammen. Eines davon identifiziert er mit Anth. Pal. XVI (Anth. Plan.) 119^ einem Epigramm des Poseidippos. K. Fuhr in der Berl. Phil. "Wochenschr. 1915, Sp. 863 f. erkannte, daß das Epigramm mit deu Versaufängen : d^saaada \ aexe \ 7taaai / | xat 7caaa das des Theo- doridas in Anth. Pal. IX 743 ist. H. Di eis ebenda S. 955 be- merkt dazu , daß a€A€ am Anfang des 2. Verses kaum anders als dy/.eiiTai ergänzt werden könne; in der Anth. Pal. steht tovaGiVi Auch sei zu erwägen , ob im Pap. am Ende des 1. und 2. Verse& nicht der Dativ gestanden sei wie VI 170; die Pal. hat den Genetiv. Fuhr macht noch weiter darauf aufmerksam, daß es jedenfalls mehr als drei Epigramme waren ; den Anfang habe kein Distichon ge- bildet, weil die Versschlüsse tyQailiev und ttot' igitei wären, also zwei Hexameter, womit die kühne Kombination, die Aly an 'Eqylvog ia der vorhergehenden Zeile in Verbindung mit BoOTtOQE in der folgen- den knüpfe, in sich zusammenfalle.

Mit den Scholien zur Anthologie beschäftigt sich

A. Calderini, Scoli greci all' Antologia Pla- nn d e a. Memorie del R. Istituto Lombardo di scienze e lettere. Classe di lettere e science morali e storiche. Vol. XXII. XIII della Serie IIL Fase. VIIL S. 227 f. Mailand. 1912. 4°. Alcuui testi per lo studio degli scoli greci all' Antologia Planudea. Modena 1912. 13 S. 8**. (= Classici e Neolatini VIII, 2, Maggio-Agosto. 1912.)

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Bcr. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 1905 17. 163

Calderini zählt zuuäclist die ihm bekannt gewordenen Hs. und Ausgaben, die Scholien zur griechischen Anthologie enthalten, auf und stellt die Ansichten , die bis jetzt über sie vorgebracht wurden, übersichtlich zusammen. Dann vergleicht er die .Schollen des cod. Ambros. F 30 sup. (Catal. 333) fol. 1 102 mit denen der Wecheliana und berücksichtigt daneben auch noch kurz die Bernensia. Das Ergebnis seiner Untersuchungen ist , daß der Hauptstock der Ambrosiana und Wecheliana der gleiche ist; was aber den Überschuß an Schollen in beiden Sammlungen betrifft, so stimmen die des Ambrosianus ihrem Charakter nach mit dem Haupt- stock überein, die der Wecheliana, die nur gering und kurz sind, nicht. Varianten sind in den beiden Sammlungen angehörenden Scholien zahlreich ; dabei zeigt es sich, daß der Text des Ambrosianus besser ist. Dagegen haben beide Sammlungen das gemeinsam, daß die Scholien oft Epigrammen beigefügt sind, mit denen sie nichts zu tun haben. Die Frage, woher die Abweichungen und Varianten der Wecheliana stammen, ist noch unentschieden ; den Veranstaltern der Ausgabe kann mau sie nicht alle zuschreiben. Die Bernensia endlich übertreffen die Wecheliana und Ambrosiaua an Reichhaltig- keit, stimmen aber mehr mit den Ambi-osiana als mit den Weche- liana überein, auch ein Beweis, daß die Wecheliana willkürlich ab- geändert wurden.

Eine Fortsetzung dieser Studien enthält Calderinis zweite Arbeit. Er behandelt hier zuerst die Scholien des Cod. Laurent. XXXI 28 , der eine Abschrift der Planudea mit der Unterschrift des Demetrios Chalkondylas und Johannes Laurentius aus dem Jahr 1466 enthält. Die Scholien stehen in der Regel auf dem Rande, selten im Text über den Wörtern, teils rot, teils schwarz geschrieben und bieten entweder kurze Erklärungen oder abweichende Lesarten oder ästhetische Urteile; alle rühren nach Calderini von der- selben Hand her, die auch den Text geschrieben hat. Nur wenige davon sind mit schon bekannten Scholien identisch ; so stimmt z. B. das fol. 58^^ zu Anth. Pal. IX 395, 2 gegebene tx/trov eiöog \v ßQo')(.iaiOQ mit dem Randscholion des Marc. 481 überein. Calderini weist die Ansicht zurück , als ob diese Scholien von den unter- schriebenen Gelehrten herrührten , und spricht die Vermutung aus, daß sie mit dem Text aus einer guten alten Hs. abgeschrieben wurden.

Dann untersucht er die Anmerkungen, die H. Stephanus seiner Ausgabe der Planudea vom J. 1566 beigegeben hat, auf etwa darin enthaltene Scholien hin. An der Spitze stehen die bekannten Scholien des Maximus. P. 6 Anth. Pal. IX 447, 3 f. wird mit den

11*

164 J- Sitzler.

Worten : hoo in duos liosce versus scholium inveni das in der Wecheliana 11, im Anibrosianus f. 4*" 2 5 und auch in den Ber- nensia enthaltene Scholion angeführt. Im folgenden wird öfter von einem Scholiastes gesprochen, mit dessen Lesungen und Erklärungen sich Stephanus auseinandersetzt. Calderini ist der Meinung, Stephauus habe an diesen Stellen aus einer Scholiensammlung ge- schöpft; ich kann ihm darin nicht beistimmen. Die Art und Weise, wie Stephanus das obenerwähnte Scholion p. 6 anführt, zeigt, daß er auch andere Schollen ausgeschrieben hätte, wenn ihm solche be- kannt geworden wären ; aber nirgends findet sich eine dahingehende Andeutung. Sodann weist die Ausdrucksweise , die Stephanus ge- braucht, entschieden auf einen ihm wohlbekannten Herausgeber und Erklärer der Anthologie hin. Dieser wird von ihm p. 145 als der Mann bezeichnet, qui doctissima alioqui in hoc volumen scholia edidit, und p. 208 doctissimus scholiastes genannt. Mit Bezug auf ihn sagt er p. 204 : si et meae coniecturae post tantum virum locus relictus est, und p. 208 heißt er doctissimus enarrator huius operis. Dies ist aber niemand anders als Johannes Brodaeus, der im J. 1549 in Basel eine Ausgabe der Planudea mit eingehendem Kommentar herausgab ; von diesem stammt die p. 208 erwähnte Konjektur her, und auf ihn gehen auch die p. 204, 236, 266, 275 und 459 dem Scholiasten zugeschriebenen Lesarten zurück. Übrigens leiden die Angaben C a 1 d e r i n i s aus Stephanus , wenigstens nach Ausweis meiner Ausgabe, an großen Ungenauigkeiten. An Ausgaben der Anthologie erschien

Anthologia Graeca epigrammatumPalatina cum Planudea. Ed. H. Stadtmüller. Vol. III. Pars prior Palatinae libr. IX epp. 1 563, Planudeae 1. I continens. Leipzig 1906. VI u. 584 S. 8".

Der Band war beim Tode des verdienten Herausgebers nach der ihm vorausgeschickten Mitteilung des Schwiegersohnes des Ver- storbenen, Fr. Bucher er s, bis auf wenige Bogen fertiggestellt, die dazu vorgesehene umfangreichere Vorrede aber leider noch nicht geschrieben ; sie fehlt also dem Buche. Im übrigen ist auch dieser Band ebenso wie die vorhergehenden eingerichtet; die An- merkungen enthalten wieder viel wertvolles Material handschrift- licher, textkritischer und erklärender Natur. Man kann nur wünschen, daß es dem Nachfolger Stadt müll er 8 gelingen möge, die übrigen Bände auf derselben Höhe zu erhalten. In der ßibliotheca classica ist noch

Anthologia Palatina. Edidit W. R.Pa ton. London 1916

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 1905 17. 1(35

erwähnt, die mir infolge der Zeitverhältnisse nicht zur Verfügung^ stand ; ich muß demnach den Bericht darüber auf später ver- schieben.

Hieran schließe ich

C. Preisendanz, Eine lateinische Übersetzung der griechischen Anthologie von Paolo Manuzio. Wochenschrift für klass. Philol. 191G. Sp. 1077 f.

Diese Übersetzung, von Paolo Manucio, dem Sohne des bekannten Verlegers Aldo Manucio, nach der Planudea angefertigt, befindet sich in der Bibliotheca Marciana in Venedig, im J. 1910 noch nicht katalogisiert, wie Preisendanz bemerkt. Jedoch scheint sie nicht gedruckt worden zu sein ; wenigstens wird sie nirgends erwähnt. Sie enthält außer der wörtlichen Übertragung einen, allerdings recht anspruchslosen Sachkommentar, der fort- laufend in den Text eingearbeitet ist; nach der ersten Hälfte des Buches sind die Scholien interlinear geschrieben. Preisendanz gibt daraus mehrere Proben , die zeigen , daß er für uns wert- los ist.

Mit der Entwicklung der epigrammatischen Dich- tung befassen sich :

1. J. Geffcken, Studien zum griechischen Epi- gramm. N. Jahrb. f. d. klass. Altert. Bd. 39 (1917). S. 88 f.

2. U. V. Wilamowitz-Möllendorff, Hellenistische Epigrammatik. Berl. Akademie der Wissensch. Sitzung vom 26. Juli 1917. Vgl. Wochenschr. f. klass. Philol. 1917. Sp. 963 = Deutsche Literaturzeitung 1917 Xo. 42.

3. K. Heinze, Von altgriechischen Krieger- gräbern. N. Jahrb. für das klass. Altertum. Bd. 35 (1915). S. If.

Geffcken führt aus, daß sich der Stil des Weihepigramms früh- zeitig unter Anlehnung an die homerische Dichtung ausbildete ; kleine Änderungen und Abwechslungen kämen manchmal in Attika vor. Dasselbe sei auch bei den Grabepigrammen der Fall gewesen. Charakteristisch sei, daß der Schmerz, besonders in Attika, nur in geringem Maße zum Ausdruck gekommen sei, während das Lob der Toten häufiger erscheine. Bei den loniern sei zuerst auch die Frau ebenbürtig in dieser Hinsicht neben den Mann getreten , und sie seien es auch gewesen, die den eigentlichen epigrammatischen Stil, die treffende Kürze des Ausdrucks , gefunden hätten. Aus lonien sei das Grabepigramm nach Attika gekommen, wo es in den Jahren

IQß J. Sitzler.

550 477 reiche Verwendung gefunden und in den dem Simonides zugeschriebeneu Inschriften auf die iu den Perserkriegen Gefallenen sich in seiner ganzen Schönheit gezeigt habe. Das Aufkommen des Dramas habe aber auch das Epigramm beeinflußt und den ionisch- simonideischeu Stil verdrängt. Der Schmerz sei jetzt kräftiger zum Ausdruck gekommen ; außerdem sei das Lob des guten Weibes in das Grabepigramm eingeführt worden. In dieser Zeit sei auch die Abfassung des Grabgedichts in der Form eines Zwiegesprächs zwischen dem Toten und dem Wanderer, der am Grabe vorbeiging, aufgekommen. Die hellenistische Zeit habe das Epigramm reicher und künstlerischer ausgestaltet; jetzt sei es auch zur Abgabe eines Urteils über Dichter und Prosaiker verwendet worden. Auch mit Epigrammsammlungen habe man damals begonnen. Unter den Epigrammatikern dieser Zeit zeichne sich Anyte aus, die sich wieder der Natur zugewandt habe , und vor allem Asklepiades , dessen Motive Kallimachos übernommen und selbständig weitergebildet habe. Hinter ihm stehe Theokrit mit seinen Epigrammen zurück. Eine Entartung stellten die Epigramme des Leouidas von Tarent mit ihren seltsamen sprachlichen Neubildungen dar , die mit Vorliebe das Leben und Sterben der kleinen Leute zum Gegenstand hätten. Ihm schließe sich Dioskorides an, zeige aber größere Gelehrsamkeit. Bedeutender seien Theodoridas und Alkäos von Messene mit ihren Spottversen. Die Dichter würden immer mehr durch Virtuosen er- setzt. Besonders zu nennen seien noch Antipatros , Meleagros, Philodemos , der auf die Kömer großen Einfluß hatte, und Krina- goras. Den Stil des alexandrinischen Epigramms zeigten auch die Steinepigramme, die seit dem 2. Jahrh. n. Chr. immer tiefer herab- sanken und schließlich zum Zerrbild des alten Epigramms wurden.

Wilamowitz beschränkt sich auf das hellenistische Epigramm; er zeigt an einigen um 270 verfaßten Gedichten, daß ebenso, wie die Grabepigramme nicht mehr für das Grab bestimmt sind, sondern nur noch den Anteil des Dichters an dem Todesfall aussprechen, auch die Weihepigramme keine wirklichen Aufschriften mehr sind, sondern nur dem Leser die betreff"enden Gegenstände lobend vor- führen.

Heinze spricht über die Bedeutung, welche die Perserkriege für die Ausbildung des Grabepigrammes nach Form und Inhalt hatten •, diese Zeit legte dessen ergreifend schlichten Stil für immer fest. Mit ihr begann auch erst die literarische Überlieferung dieser Grabinschriften-, denn erst jetzt wurde die Epigrammatik hervor- ragend genug, um als Grundlage der Gattung überhaupt zu dienen.

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Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 1905 17. 167

Es ist bezeichnend für sie , daß zwar die Namen aller wiihtigeren Siegesstätten in diesen Gedichten erscheinen , die großen Männer aber nicht erwähnt werden ; sie galten nur als Glieder des Volkes, das fUr seine Freiheit mit Leib und Leben eintrat. Athen blieb anfangs in der Ehrung seiner Gefallenen zurück; erst Kiraon hat den Kerameikos , die Begräbnisstätte der im Kampfe gebliebenen Athener, geschaffen. Dagegen erwiesen die dorischen Staaten gleich vom Beginn der Freiheitskämpfe an ihren Toten die Ehre eines öffentlichen Begräbnisses und Denkmals mit Inschrift ; der Tod flirs Vaterland begründete nach spartanischer Auffassung den Anspruch auf die Fortdauer des Namens. Zur Charakterisierung dieser Ehren- inschriften bespricht Heinze das Epigramm auf die bei Salamis gefallenen Korinther, das auf dem Kenotaph in Korinth und das auf die Thermopylenkämpfer , das allein unerweitert geblieben sei, während jene beiden erweitert wurden; jedoch sei auch sein Wort- laut geändert worden. Herodot biete richtig o^jnaai neid^Of-ievoi, das als Befehl, die Stellung zu halten, aufzufassen sei, wie ja auch ay/tlXsiv die militärische Meldung bezeichne.

Den in Dialog form abgefaßten Epigrammen widmet

W. Kasche, De Anthologiae Graecae epigram- matis, quae colloquii formam haben t. Diss. Münster 1910. 57 S. 8^

eine gründliche Untersuchung. Zuerst sucht er die Frage nach dem Ursprung dieser Abfassungsart zu lösen und findet ihn in den Grab- epigrammen. Er verfolgt die Entwicklung dieser von den frühesten Zeiten an und gelangt zu dem Ergebnis, daß es im 4. Jahrh. v. Chr. zwei Arten von Grabinschriften gab, nämlich solche, in denen der Wanderer den Toten anredet und von den Göttern Heil und Frieden für ihn erfleht, und dann solche, in denen der Tote den Wanderer begrüßt und ihm sein Schicksal erzählt. Die Vereinigung beider Arten ergab das Zwiegespräch zwischen Wanderer und Toten, dessen ältestes Beispiel dem Ende des 4, Jahrb. angehört. Bald stellten sich auch mancherlei Variationen des Gesprächs ein, auf die Rasche hinweist, und vom Steinepigramm ging es dann auch in das lite- rarische Epigramm über.

Die Frage, wie man dazu kam, den Toten anzureden oder ihn antworten zu lassen, behandelt Rasche nicht weiter. Der Grund dazu lag offenbar in dem Volksglauben, daß der Tote im Grabe wohne und hier aufgesucht werden könne ; vgl. M. S i e b o u r g , Zwei griechische Goldtänien aus der Sammlung C. A. Nießen in Köln.

Ißg J. Sitzler.

Archiv f. Keligionswiss. VIII (1905) S. 403 f. Die Ansicht H i r z e 1 s , Dialog I S. 398 f. , daß die Gesprächsepigramme aus den philo- sophischen Dialogen abgeleitet seien, weist Rasche mit Recht zurück. Auch auf die Sitte der bukolischen Dichter , die Dialog- torm zu gebrauchen , gehen sie nicht zurück. Doch gibt Rasche zu, daß die sonstige dialogische Dichtung auch auf die Ausbildung der Dialogepigramme eingewirkt habe. Hier hätte er noch weiter gehen und auch die Frage stellen sollen, was die Verfasser von Epigrammen veranlaßte , die von ihm genannten beiden Arten von Epigrammen zu einem Gesprächsepigramm zu vereinigen. Meiner Überzeugung nach war es an erster Stelle die dramatische Dich- tung, deren großen Einfluß man ja auch sonst in der Epigrammatik wahrnimmt.

Von den Grabepigrammen wurde die Dialogform auch auf die Weihepigramme übertragen , die daher auch ähnliche Formen des Gesprächs zeigen ; jedoch sprechen in diesen nie der Weihende und der Gott, dem das Weihgeschenk gemacht wird, miteinander. Rasche stellt die sprachlichen Wendungen, die in den dialogischen Grab- und Weihepigrammen gebräuchlich sind , übersichtlich zu- sammen. In den erotischen Epigrammen sowie in den andern Epigrammgattungen erscheint die Dialogform erst von Philodemos von Gadara an, der die Mimen nachahmt und wie diese das wirk- liche Leben schildert.

In der Appendix behandelt Rasche Anth. Pal. VII 163, 164, 165 und Oxyrh. Pap. IV No. 662, um festzustellen, in welchem Verhältnisse diese Gedichte zueinander stehen. Ep. VII 163 ist von Lennidas ; es wird von Antipater in VII 164 und von Archias in VII 165 nachgeahmt. Ox. Pap. IV No. 662 ahmt Leonidas und Antipater nach ; es ist von einem Dichter Amyntas , der auch ein Epigramm auf die Zerstörung Spartas durch Philopömen gemacht hat, also um 188 v. Chr. lebte. Antipater ist im 3. Jahrh. ge- boren und dichtete zwischen 190 140. Damit rückt Rasche den sidonischen Epigrammatiker weit über die Zeit hinauf, die man bis- her für seine Geburt ansetzte. F. S u s e m i h 1 , Geschichte der griech. Literatur in der Alexandrinerzeit Bd. II S. 552, glaubte sein Geburtsjahr mit annähernder Sicherheit zwischen 160 150 fest- stellen zu können. Ich stimme dem Ansätze Rasches bei, nicht allein aus dem von ihm angeführten Grunde, sondern auch wegen Cicero, De oratore III 194. Rasche sagt freilich: Antipatrum a Catulo cognitum fuisse ex hoc loco mea quidem sententia colligen- dura non est: aber dem widerspricht der Relativsatz: quem tu probe,

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Bei-, über die grii'ch. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlunfreii f. 1905—17. jggr

Catule, meministi. Die Lebenszeit des Antipater und Catulus muß- teilweise zusammengefallen sein. Nun hat man aber aus Ciceros^ Worten auch geschlossen , daß Crassus , dem Cicero die Worte in. den Mund legt, den Antipater gekannt habe, und daraus gefolgert,, daß dieser noch zu Crassus' Zeit gelebt habe. Ich halte dies naclh dem Wortlaut der Stelle für unrichtig; quem tu probe, Catule,. meministi sagt Crassus, um eben damit auszudrücken, daß Anti- pater sein Zeitgenosse nicht gewesen sei , daß er also vor seiner- zeit gelebt habe, als vor 140, dem Geburtsjahre des Crassus.

Den Gebrauch der Dialekte in den Epigrammen unter- sucht

B. Kock, De epigrammatumGraecorum dialectis^ Diss. Münster 1910. 46 S. 8»,

von neuem. Seine Ausführungen bestätigen, was man auch bisher schon allgemein angenommen hat, daß n<ämlich die Epigrammatiker ihren eigenen Dialekt verwenden, daneben aber auch epische Formen- und Wendungen, die metrisch bequemer als ihre dialektischen sind, nicht verschmähen , jedoch soweit als möglich ihrem Dialekt an- passen. Den Gebrauch des langen a st. tj in den Wörtern ^O'dvay. Xaog, 1'af.ia und i-'-Kavi in attischen Epigrammen sowie in den Dialog- partien der Komödie läßt er nicht dem dorischen Dialekt entnommen sein, sondern meint, es lägen hier noch Formen einer älteren attischen Sprachstufe vor , wie sie die religiöse Sprache bewahre. P. Kretschmer in der Anzeige der Kockschen Dissertation in Glotta IV (1913) S. 325 f. hält diese Annahme ohne eine schrift- liche Ti-adition fiir so gut wie unmöglich ; eine urattische Literatur- habe es aber nicht gegeben. Ich füge noch hinzu , daß religiöse- Kücksichten doch nur für yid^äva in Betracht kommen könnten, nicht aber für die andern Wörter. Eine hinreichende Erklärung für diese sprachliche Erscheinung ist bis jetzt noch nicht ge- funden.

Den Unterschied im Gebrauch von orif.ia und [uv^iiia in In- schriften sucht

Fr. E i c h l e r , atjf-ia und fivrji-t a in älteren griechi- schen Grabschriften. Mitteilungen des deutschen archäol... Instituts. Athenische Abteilung XXXIX (1914). S. 138 f.,

festzustellen. Er geht davon aus, daß a^f.ia bei Homer nur den Grabhügel bezeichne; so käme das Wort mitunter auch in der Anthologie vor; in den meisten Fällen aber bezeichne es das ganze Mal einschließlich des irriit^r^jna, manchmal auch nur das srcidr^^ua,.

170 J- Sitzler.

Daß das £TTi0^rjf.ta mitzuversteheu sei, zeigten die Ausdrücke oijua avaiiiitvai und -/.araTi^tvai. Das Wort (.ivT^ua sei dagegen immer mit Bezug auf den Bestatteten gebraucht; es trete auch zu o^ua hinzu, dessen Zweck, ein Denkmal, Erinneruugsmal für hervor- ragende Eigenschaften, Kang oder Verdienste des Verstorbenen zu sein, betonend: „dieses Zeichen errichtete der und der als ein Denk- mal, zur Erinnerung an", „dieses Zeichen ist ein Erinnerungsmal für". Aber f.ivFjua stehe auch für O^i-ta , nur werde dann immer der Anlaß hinzugefügt , aus dem das Andenken an den Toten er- halten bleiben solle; bei a^ua stelie in dem Fall x^f?"'» ccrvi, tt'€/.€v. Demnach sei f.m]ua auch da, wo es sich zunächst von ö^f.ia gar nicht zu unterscheiden scheine, nämlich in der Wendung ^(i'/;jua tov Seiiog, nie mit aijija gleichbedeutend; es bedeute immer „Denk- mal, Erinuerungsmal" an den Verstorbenen, während orjiia nur das Mal schlechthin, das sichtbare Kennzeichen der Begräbnisstätte be- zeichne. Fälle, wo diese Begriffe verwischt seien, kämen selten vor. Die Ab fassungs weise der Weihepigramme macht H. Kühn, Topica epigrammatum dedicatoriorum Graecorum. Diss. Breslau 1906. 73 S. 8^ zum Gegenstand seiner Untersuchung. Dabei verfährt er nach folgenden Gesichtspunkten : 1. Quomodo is, qui dedicat, significatur. 2. Deus, cui dedicatur. 3. Dedicatio ipsa, donarium. 4. Dedicandi causa, und berücksichtigt auch die von den Römern übernommenen und den griechischen nachgebildeten Formen ; außerdem weist er gelegentlich auf die Abhängigkeit der Dichter voneinander hin. Die Antwort auf die Frage: quomodo is, qui dedicat, significatur, führt er auf die zwei Formeln: otrog aviO^rf/.Ei' und Ti'g avtOrf/.ev zurück., die erstere die ältere, die zweite erst in der alexandrinischen Zeit, in Nachahmung der Frage des AVanderers, aufgekommen. Das Frage- wort Tig wird auch zwei-, mitunter sogar dreimal gesetzt; wenn es im 1. Vers wiederholt wird, steht es regelmäßig nach der Zäsur ■/.aza XQiTOv tgoxalov, bei der Wiederholung im 2. Vers nimmt es nie die erste Versstelle ein. Im 2. Abschnitt weist Kühn darauf hin, daß zu dem Namen des Gottes immer ein Attribut tritt, durch das angegeben wird : I. origo dei. II. potentia dei. III. regio vel locus certus, ubi imprirais deus colitur. Diese Attribute sind ent- weder allgemeiner Art, wie sie auch sonst für den Gott gebräuch- lich sind , oder sie sind dem Berufe des Weihenden , dem Weih- geschenk, der mit der Weihung verbundenen Bitte, der Ursache der Weihung oder dem Orte der W^eihung angepaßt. Die Angabe des Ortes, wo der Gott verehrt wird, durch einen Relativsatz findet sich

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Ber, über die gricch. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 1905—17, 171

erst seit der alexandrinischen Zeit, aus den Gebeten übernommen. Die Weihung wird von den ältesten Zeiten bis herab ins 2. Jalirh. u. Chr. in folgender Weise ausgedrückt: 1. u delva avtO^i.xEy. 2. 6 öeh'd i-i aiti^rjÄEv. 3. d^ei^j avaneif-iai. 4. n deiva aoi, O^eog, avtiyi]Y.ev. 5. ^Bog, öixov dujQor. 6. X^^Q^i iteog. 7. Ohne Bei- fügung des Verbums der Weihung. Später kommen noch dazu : aviiytf/,a^ 6 deira ävE'AQti-iaotv ri und -/.elaai, dwgoy. Die Formen mit Apokope der Präposition, wie avziO^eo&ai , avi^Ezo usw., be- gegnen erst im 5. Jahrli. Zu de^at wird häufig noch "l'Xaog oder £i(fQiijv hinzugefügt, zur Weihung iog ^f'^ti/g, wg l'dog. Das Weih- geschenk wird von den ältesten Zeiten an bezeichnet als öcJQOv, avdOrji^ia, dyalj-ta, ä&vQi^ia, ^v^(.ta, av.Qoiyinov und «/ra^/ij; dazu kommen seit der alexandrinischen Zeit noch Xeiil'avoy, yfqug, aiu- ßoXov und agiuevov. Es wird vom Weihenden entweder gelobt {a/neuqrjg, -/.aXog, Ttegr/.aXX'^g) oder auch als klein und geringwertig {oXiyog) bezeichnet. Als Gründe der Weihung werden angegeben Gelübde, Befreiung aus Gefahr oder Krankheit, Sieg, Erfolg bei e'nem Unternehmen, Alter, Traum; die dabei gebrauchten Wen- dungen sind: Evx^oi^ai {siycoXi^, etyr]), (Jcüd^eig f/, vi/./jaag, xar- 7fKOog und entjxoog, Irj^ag, navouevog und nacadfAEvog^ xar' ovag i'öi'EiQOv), z«r' ETiiiayrjv oder 7iQüavay(.ia tov S^eov. Seit dem h. Jahrh. v. Chr. kommt es auch vor, daß der Weihende am Schlüsse des Gedichts wieder eine Bitte ausspricht und im Falle der Er- hörung ein weiteres Weihgeschenk in Aussicht stellt, vgl. Anth. Pal. VI 152. 238 u. a. Die Bitte an den Gott lautet: "ilai)i, lAr)/.o/^', ö(i)Ze tov ÖEiva, yäqiv dvtiöidov, oXßov dog, in der Regel eingeleitet mit dXXd, ah de oder te und dvO- luv.

Die in den Liebesgedichten verwendeten Motive stellt

Br. Lier, Ad topica carminum amatoriorum sym-

bolae. Progr. des Marienstifts-Gymn. zu Stettin. Ostern 1914.

57 S. 8^, übersichtlich zusammen , der schon früher Topica carminum sepul- cralium Latinorum geschrieben hat, vgl. vor. Jahresber. Bd. CXXXIII <1907. I) S. 317. Er berücksichtigt dabei Catullus, Tibullus, Pro- pertius, Ovidius und Anth. Pal. V und XII; außerdem noch die neue Komödie (Plautus und Terentius). Er zählt 28 Motive auf und belegt sie mit B6ispielen: 1. Amantes homines cum dis com- parantur, worüber schon V. Hoelzer, De poesi amatoria a comicis atticis exculta, ab elegiacis imitatione expressa. Diss. Marburg 1899; 99 S. gehandelt hat. 2. De iudicio Paridis in poesi amatoria ad-

172 Sitzler.

hibito. 3. Piiella est digna, quae ab artifice effingatur usw. Jedocb hat er es unterlassen, darauf hinzuweisen, daß manche dieser Motive auch schon bei älteren Dichtern vorkommen.

Margaret C. Waites, Some fcatures of the allego- rical debate in Greek literaturo. Harvard Studie» XXm (1912). S. 1 f.,

zählt als Beispiel allegorischer Debatte bei griechischen Dichtera auch Anthol. Pal. appendix 53 , ein Epigramm des Muasalkas er- halten bei Athen. IV 163 A, und XII 117, ein Epigramm de» Meleager, auf. Aber in dem Epigramm des Mnasalkas kommt es zu keiner Auseinandersetzung zwischen '^Qtra und Höovi^\ die erstere beklagt sich nur Über ihre Zurücksetzung der letzteren gegenüber.

Die Verwendung des Sprichworts und sprichwört- licher Redensarten in den Epigrammen untersucht

E. v. Fr ittwitz- Gaffron, Das Sprichwort im griechischen Epigramm. Gießen 1912. 68 S. 8°.

Dabei stellt sich heraus, daß die Epigrammatiker nur selten davon Gebrauch machen; die ganze Summe beträgt nicht mehr als etwa 70 trotz der großen Zahl der Epigramme. In der klassischen Zeit findet sich das Sprichwort nur bei Simonides (a'/,u^g e;rl ^vQOt' VII 250) und bei Piaton {/.vaiv oozoZv /^n^vveiv VJI 100, wieder- holt von Dioskorides V 55). Häufiger wird die Verwendung des Sprichworts erst in der hellenistischen und späteren Zeit. Eine besondere Stellung nimmt hier Kallimachos ein , bei dem es am öftesten (in 9 Epigrammen) vorkommt, und zwar teils als stilistisches Kunstmittel, teils als Pointe. Unter den späteren Epigrammdichtern tritt Meleager hervor, insofern er Sprichwörter in ein und dem- selben Epigramm häuft; doch läßt sich nicht entscheiden, ob er sich dazu einer Sprichwörtersammluug bediente. Krinagoras ist der erste , der das Sprichwort auch als Thema verwendet , worin ihm vor allem Palladas folgt ; doch geht in dieser späteren Zeit das Sprichwörtliche öfter in das Gnomische über. Die Epigramme, die Sprichwörter enthalten, führt Pr i tt w i t z - Ga ffr o n an und be- spricht sie, wobei die Sprichwörter vornehmlich Berücksichtigung finden. Zu dem Epigramm des Nikarchos V 39 ist ihm die Ab- handlung W. Crönerts Khein. Museum 64 (1909). S. 633 f. ent- gangen ; sie hätte ihn vor falscher Auffassung des Epigramms be- wahrt. Der Druck ist leider recht ungenau ; das Zitat aus Aristides II 137, das auf S. 49 mitgeteilt wird, ist unverständlich, Meineke einigemal mit ck geschrieben.

Bor. über die j^rioch. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungon f. 1905 17. 173

Vielfache Beziehungen bestehen zwisclien der epi- grammatischen und elegischen Dichtung. Dies wurde schon wiederholt ausgesprochen ; jetzt hat sich

P. Kägi, Nachwirkungen der älteren griechisclien Elegie in den Epigrammen der Anthologie. Diss. Zürich 1917. 89 S., -daran gemacht, dies im einzelnen nachzuweisen. Da die Parallelen vorwiegend inhaltlicher Art sind, teilt er den Stoff nach den Motiven in drei Gruppen, Liebe, Wein und Lebensweisheit, und ordnet das in diese Gruppen Gehörige wieder in eine Keihe von Unter- abteilungen übersichtlich ein , also Preis der Liebe , Aufforderung 2um Lebensgenuß im Hinblick auf Alter und Tod: a) allgemein, b) mit dem Motiv der Vergeltung, c) ^texQi thog (Theogn. 1299 f.), Auch Zeus ist der Liebe ergeben , Der Liebhaber fleht um Gnade, ■Geh nun einmal zu andern : a) vom Eros , b) nichterotisch , Der Liebesqual entronnen usw. Für diese Zusammenstellungen, die einen Einblick in die der Elegie und Epigrammatik gemeinsamen Motive gewähren , ist man dem Verfasser dankbar. Aber damit begnügt er sich nicht ; er will auch die Abhängigkeit des einen Dichters , also des Epigrammatikers, vom Elegiker nachweisen, und hier beginnt sofort die Meinungsverschiedenheit. Man muß gewiß anerkennen, daß Kägi in seinem Urteil vorsichtig ist; oft erklärt er, daß sich eine Abhängigkeit nicht feststellen lasse, aber an andern Stellen nimmt er eine solche auch wieder an , wo gewiß keine vorliegt, sondei*n wo es sich nur um die Verwendung eines TOTtog handelt, der überdies ganz selbstverständlich und jedem auch ohne Vorbild erreichbar ist. Auch der Gebrauch des gleichen Wortes genügt hier nicht zur Annahme einer Nachahmung , sofern dies zur Bezeichnung der Sache naheliegt , nicht einmal , wenn es sich in derselben Versstelle findet, weil seine metrische Be- schaffenheit dies schon bedingen kann. Mau vergleiche z. ß. die Ausführungen Kägis zu (^(tXQi tivog S. 26 f., womit Nachahmung bewiesen werden soll, oder et fxe (fiXelg S. 45. Eine direkte Nach- ahmung läßt sich nur durch das Zusammentreffen sachlicher und sprachlicher Übereinstimmung , die keine andere Erklärung zuläßt, beweisen. Man wird also Kägis Ergebnisse in dieser Hinsicht erst verwenden dürfen, wenn man sie sorgfältig auf ihre Haltbarkeit hin geprüft hat, und dies gilt auch für die Annahme rein sprachlicher Nachahmungen, die S. 68 f. zusammengestellt werden. Wendungen wie aXla öidov x^Qi^^j aXXovE akXov, ay.Tig to'/,iog tjeXlov u. a. braucht doch ein Dichter einem andern nicht zu entnehmen! Sie

174 J- Öitzler.

bieten sich ja von selbst dar. S. 11 wird sv (.iovoy.)Av(t) hOodfir^Kit 7T€TQidloi Philodemos IX 570 mit: „in einem Felsgemach, wo nur einer liegen kann", erklärt st. mit: „steinerner Sarkophag".

Aus der Anthologie und den Steininschriften tritt't J. Geffcken, Griechische Epigramme. Heidelberg 1916. XI und 172 S. 8^

eine für seminaristische Übungen bestimmte Auswahl von 400 Epi- grammen, um darin die Entwicklung dieser Dichtungsart zu zeigen. Demgemäß ist die Anordnung chronologisch; die 1. Abteilung um- faßt Epigramme des 7. und 6. Jahrh. v. Chr., die 2. solche des 6.-5. und 4. Jahrb., die 3. solche des 4. Jahrh. und des Anfangs des 3. Jahrh. , die 4. Steinepigramme des 3. Jahrh. resp. Anfang des 2. Jahrb., die 5. Steinepigramme des 1. Jahrh. v. Chr., die 6. literarische Epigramme aus der 2. Hälfte des 4. bis zum 1. Jahrb. v. Chr. und die 7. literarische und christliche Epigramme des 1. 5. Jahrh. n. Chr. Die Fundorte sowie die wichtigsten Veröffentlichungen uud Bearbeitungen der einzelnen werden mit- geteilt. In der Textgestaltung verfahrt Geffcken sehr zurück- haltend; in Steinepigrammen hat er nur dreimal (189, 10. 197, 1 und 371, 10), in Buchepfgrammen nur einmal (337, 3) eigene Ver- besserungen in den Text gesetzt, alle recht ansprechend. Weniger streng zeigt er sich gegen die Aufnahme fremder Verbesserungs- vorschläge ; manche von diesen wären besser in die Anmerkungen verwiesen worden, wo G e f f c k e n gewöhnlich seine eigenen und die fremden Vermutungen verzeichnet, wie z. B. No. 248, 3 (= Anth. P. XII 50) Boissonades xare^J^'^aro , wo die Überlieferung yaieO^tj/MTO wohl haltbar ist, vgl. die Erklärung G. Hermanns, oder 275 (= Anth. P. VI 301), 4 Wilamowitz' ci ^eyäloi, wo zwar das hs. oj Xaol verderbt, aber o fteyäloi wenig wahr- scheinlich ist. Fehlei-hafte hs. Lesarten , für die ihm noch keine überzeugende Verbesserungen gefunden zu sein scheinen, behält er im Texte bei, versieht sie aber mit einem Sternchen. Auch hierin ist er meiner Meinung nach zu weit gegangen. No. 339 (= Anth. P. VI 349) , 1 z. B. ist yXaiyt.^ bei ^evxoO^trj wohl haltbar und ebenso 378 (= A. P. IX 342), 4 rorog; nur muß man damit, wie H. Stadtmüller anmerkt , o^ig ikavröiuerog verbinden : der ge- spannte Atem wird schnell eingezogen und ausgestoßen. Neben dem nötigen Aufschluß über den Text und einer Auswahl von Vor- schlägen der Gelehrten zu seiner Berichtigung enthält der Kommentar sprachliche und sachliche Erklärungen, in der Regel in der Weise,

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsamralungen f. 1905— 17. 175

daß auf Werke verwiesen wird, wo Näheres darüber zu finden ist. Diese Einriclitung hängt mit der Bestininning der Hammlung zu- sammen; die Seminarbibliotheken bieten dem Benutzer ja die not- wendigen Bücher zum Nachschlagen. Recht nützlich sind die ein- gestreuten Hinweise auf die Motive der Epigramme und ihre Wand- lungen im Laufe der Zeit und auf die Stilentwickhing. Auffallend ist, daß die häufig zitierte Abhandlung B, Kocks, De epigrammatum Graecorum dialectis. 1910 als Göttinger, statt Münsterer, Dissertation angegeben wird. In No. 77, 1 enthält das Versmaß der fehlenden, Partie eine Länge zu wenig, und zu No. 259 (= A. P. V 212), 2 hätte- noch bemerkt werden sollen, daß Sternbach in f^tyigov vÄne.w Eigen- namen (Miy.QOv) vermutet. In No. 229 (= A. P. IX 313), 1 schlägt Geffcken Tlsv Sfiäg vno /.aXa ödrpvag Evi^aXla fpvXka vor unter Verweisung auf Anth. Plan. I 12, 1. Die Überlieferung lautet 'iLev a/tag; sollte dies nicht eher aus 'ilev ay tod vnö xrA. entstellt sein, vgl. Homer o 345 und i/' 261: «tVc' aye: ebenso Theokrit IV 58.

Ziemlich zahlreich sind die Bearbeitungen, die ein- zelnen Dichtern zuteil wurden. Ich nenne zuerst

P. Schott, Posidippi epigrammata collecta et illustrata. Diss. Berlin 1905. 117 S. S^, und dazu

H. W. Prescott, An epigram ofPosidippus. Class^ Philology V (1910). S. 494 f.

Schott teilt zuerst die Epigramme mit und bespricht sie kritisch und exegetisch, im 1. Kapitel die echten, im 2. die zweifel- haften. An die Spitze stellt er das Gedicht auf den Pharus --^= Preger S. 96. Cougny III 80, ein S7tiöeiY,Ti-/,6v, das in den Jahrea 280 275 verfaßt ist. Schott bestreitet, daß Sostratos, der den Pharus errichtete, ein Architekt gewesen sei. V. 3 ist a'AOTtaiovQi^ooi überliefert, das bis jetzt noch keine genügende Verbesserung ge- funden hat. Ich vermute : o/.onal ovdi qi OL iTtl vtjoiov. Auch V. 10, wo der Pap. Lrjvioe hat, ist noch nicht hergestellt; Zryj'Og, wie man gewöhnlich liest, paßt nicht. Ich glaube, daß in den über- lieferten Buchstaben i)^ivdg 6 steckt: und nicht verfehlt das rettende Gestade, wer hier fährt. Das Gedicht auf den auf dem Vorgebirge Zephyrion von Kallikrates, dem Sohn des Boiskos, aus Samos der Arsinoe Aphrodite geweihten Tempel = Preger S. 96. Cougny III 81 setzt Schott in die Jahre 273 270. In dem unvollständigen Epigramm auf den Athleten Theagenes bei Athen. VII 318 D = Anth. Pal. Append. 65 ist aaaa V. 3, wie Schott sah, unhaltbar; er ersetzt es durch ciXXa. Näher liegt und richtiger ist oaaa^ der

;176 J- Sitzler.

•exklamative Relativsatz iu kausalem Sinne im Anschluß an V. 2 : -TidiQtj yaQ ßQ«Jint]v /.iX.

Ausführlich handelt Schott über die schwerverständlichen Verse auf Phyromachos bei Athen. X 414 E = A. P. Append. 68, XDougny V 15. Phyromachos ist nach ihm ein Athlet und Parasit; Auf sein Auftreten als Athlet bezieht er sowohl die xXalvrj Ileklrjvig ^Y. 3) als auch V. 5 f. a/^iaiga ßXiifiag sx jieXUov viodbg STtia-Awitov^ <lenn die x^^'^'^f^ seien als Siegespreise in den athletischen Spielen gegeben worden , die andern Worte bezeichneten die Spuren der bestandenen Faustkämpfe in seinem Gesicht. Bei seinem Begräbnis habe er von dem ganzen sonst üblichen Grabschmuck nur die X^y.vi^og erhalten; daher heiße es V. 7 /Liovol^'/ivi^og. Im letzten Verse handle es sich um den Tod des Phyromachos: Schott liest -mit Kaibel yir^vair.v und erklärt: er wurde zum Gegenstand eines •Grabgedichts gemacht. Das Ganze hält er für ein Spottgedicht, ■vorgetragen beim Gelage, bei dem Phyromachos, der angeblich Ver- storbene, persönlich zugegen ist.

Richtiger ist die Erklärung, die Prescott gibt. Er erinnert gut an Oxyrh. Pap. VII No. 1011 V. 75 f., den Schluß des Gedichts von Akontios und Kydippe : eine . . . o^vv Igiora otO^ev \ TtqtoßvQ Jvr^Tilnirjg (.lefueXr^^ievog, tvOev 6 naiöog \ f.ilO'og ig tjjuezeQrjp töga/^te Kak?u6nr^v. Auf Grund dieser Parallele faßt er V. 7 f. in dem Sinne von : Phyromachos wurde eine Figur der komischen Dichtung, •und der Komödie sind tatsächlich auch alle Züge entnommen , mit -denen er gezeichnet wird. Er ist ein Parasit und als solcher ge- fräßig; seine Kleidung besteht in einem abgetragenen Mäntelchen; ■die Aijxt'^og ist ein wesentlicher Bestandteil des Eigentums eines Parasiten , vgl. Pollux IV 120 : tolg öa TtaQaairoig ngöaeori '/.ai atXeyyig Aal Xijy.vO^og] die ayojveg, deren Spuren er an sich trägt, mußte er um seinen Lebensunterhalt bestehen, bei dessen Erwerbung ■es oft für ihn Püffe und Stöße absetzte. Seinen Tod fand er bei ■einem Komos, bei dem er in einen Graben stürzte ; dieser ist sein »Grab, in dem er in dem Aufzug, den er beim Komos gerade trug, bestattet ist. Man sieht also auch in diesem Epigramm den Ein- fluß, den die Komödie auf die gleichzeitige Dichtung ausübte.

Soweit bin ich mit Prescott einverstanden; aber eine Schwierigkeit besteht noch, nämlich die Erklärung von 7jX0^e (V. 5). Prescott meint, die Wiederholung dieses Wortes in V. 8 könne bei der sonstigen sprachlichen Beschaffenheit unseres Epigramms kaum Anstoß erregen. Man mag dies zugeben ; aber wie steht es mit der Bedeutung? Er kam wozu? Zum Komos? Dazu

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 1905— 17_ I77

brechen doch alle gleichzeitig vom Gelage auf. Wozu sonst V Und welches ist weiter das Verhältnis dieses Satzes: r^X&e d aiiavga y.iX. zum folgenden: gx yccQ ayiovwv röJv tote y.r?..? Dieser ist be- gründend: aus den damaligen Kämpfen nämlich kam er in die Komödie. Damit kann meiner Meinung nach nur sein Aussehen in der Komödie begründet werden; es ist die Antwort auf die Frage : Warum tritt er so auf? Daraus ergibt sich dann auch der Gegensatz zu tot«, nämlich jetzt. Es wird also statt rjXi^ev wohl zu lesen sein : ovr€/.ojf.iaoe. vvv 6 Iz a/nargd xtA. : jetzt noch ist er usw.

Das Epigramm auf Doricha bei Athen. XIII 596 Cf. = A. P. Append. 64. Cougny III 77. Geffcken 256 zeigt am Anfang eine größere Verderbnis. Schott ändert KOif^y^aaro daifuov, xaitr^g yjdi /itiQwv xtA., besser Wilamowitz, Sappho und Simonides, S. 19 Anm. '/.öi'tg tjd^ avaöeauog (oder rj t' ctvaöiGfxrf) yaiTr^g, nachdem Jacobs mit y.ovig und D6heque bei Cougny mit oi' t anoöeaf-ioi vorausgegangen waren. V. 5, den Schott ändert und auch Geffcken als fehlerhaft mit Sternchen versieht, hält Wila- mowitz mit Recht unverändert fest; nur ziehe ich Geffckens ^OTCffiüag dem überlieferten J^anq^qjai vor. Das Partiz. (pi^eyYOf.ievai will Geffcken mit V. 7 owof^a adv f.ia-/.aQioiov verbinden, was ein schwerfälliges Satzgefüge ergibt und ovvoua xrA. abschwächt. Nach Wilamowitz macht Poseidippos sein Epigramm auf ein /.ivf^ua , irgendein Denkmal, der Doricha in Naukratis; das liege darin, daß die Stadt ihr Gedächtnis in Ewigkeit bewahren werde; Geffcken dagegen erblickt darin ein Spottgedicht. Nach meiner Meinung wollte der Dichter damit nur auf geistreiche Weise Sapphos Poesie feiern.

Anth. Pal. V 133 = Geffcken 257 ist nach Schott zwischen 282 270 geschrieben. Zenon, der wegen seines Alters XJ./tvo$ = yiQiov genannt wird, lebt noch, wird aber von Kleanthes in der Leitung der Schule unterstützt; « Ä^ear/Zotg /iioiaa bezieht sich auf die poetischen Studien des Kleanthes. Zu A. P. V 182 be- merkt Schott, daß tv Xlov = dvo yotg, b yovg = 3,283 Liter sei; die 1^2 Xia sind also 9,849 Liter, Der Iraper. eiTii V. 3 ist in der Bedeutung: „fordere auf", nicht „sage" zu nehmen. A. P. V 185 = Geffcken 258 spricht Schott dem Poseidippos zu, || obwohl es in der Append. Barberino-Vatic. 52 p. 95 ed. Sternbach die Überschrift adrjlov trägt. In A. P. V 212 = Geffcken 259, das Schott gegen Stadtmüller dem Poseidippos beläßt, nimmt er an der Elision in der Zäsur y.aTa tqitov rgoyalov Anstoß, die sich

Jahresbericht für Altertumswissensch.aft. Rd. 178 (1919. 1\ 12

1 7S; J. Sitzler.

sonst bei Poseidippos nicht findet; daher schlägt er llvd^idö^ ei uev ix^i TIC vor. Geffcken verweist zur Rechtfertigung der Elision atif Leonidas Tar. A. P. VI 221, 9. 300, 5. VII 504, 5. IX 326, 5, behält aber die hs. Lesarten t'yeig und viaO-evdeig, die man seit Jacobs durch l'xsi und '/.ai)^evdu ersetzt, bei, indem er llvi^iag als Vokativ ansieht. Wie verträgt sich aber diese Lesung mit V 3: ilne de at^juelov? Da die Worte eine de oi](asIov auch V 180, 11 in einem Gedicht des Asklepiades gelesen werden und überdies die ganze Satzgestaltung hier und dort ähnlich ist, nimmt Schott an,, daß unser Dichter hier Tcaqa rb ^onkrjuiddeiov aöei ; dafür spricht auch, daß die Worte ehre öe orjfjetov bei Asklepiades passend, bei Poseidippos aber weniger passend gebraucht sind, da solche Zeichen gegeben, nicht gesagt werden, und daß OTi bei Asklepiades „daß"^ bei Poseidippos aber „weil" bedeutet. A. P. VII 267 erinnert aa Vn 284 j das die Hs. dem Asklepiades zuweist. Schott liält es ftir möglich , daß es nicht von diesem ist , und läßt es daher un- entschieden, welches der beiden Gedichte älter sei. Mir scheint es sicher , daß 284 , das dem Inhalt und der Form nach natürlicher und einfacher ist, das Vorbild für 267, das gekünstelter ist, bildet. Einen Grund, das Gedicht dem Asklepiades abzusprechen, kann ich nicht finden; Poseidippos wandelt auch hier auf den Spuren des Asklepiades. Mit 267, 5: aXXd y.al ovTtog will Schott die Ab- hängigkeit von VI 225, in dem sich ebenfalls am Versende diese Worte finden, von VII 267, also die Nachahmung des Poseidippoa durch Nikänetos, begründen; mir scheinen die nichtssagenden, sich jedem von selbst darbietenden Worte dazu nicht auszureichen ; es müßte doch wenigstens auch der Inhalt Ähnlichkeit zeigen, was nicht der Fall ist. Wie in VII 267, so hängt Poseidippos auch in A. P. XII 45 von Asklepiades XII 166 ab. Mit A. P. XII 120 sind V 92 und XII 117, jenes von Rufinus, dieses von Meleager, zu vergleichen, A. P. XII 168 hat am Ende in der Überlieferung Not gelitten. Schott schlägt unter Verweisung auf Aeschyl. sept. 344 vor: or/t fiir]va xdgiv'^ doch damit ist die Stelle nicht geheilt, da auch der vorhergehende Vers in keiner Beziehung zu den andern steht. In deu acht ersten Versen fordert der Dichter den Heliodoros auf, ihra Wein zu mischen , damit er auf das Wohl derer , die er aufzählt, trinken könne; die zuletzt genannten sind die Musen und Mnemo- syne. Da liegt die Vermutung nahe, daß sich an diese Aphrodite und Eros werden angeschlossen haben, an die Dichtkunst die Liebe. Ich lese also: {.ieotov meq yeiXovg itOfAU KctiqiÖoq, dXXo d^"EQMTOg\ so ergibt sich die Zahl 12, und den Abschluß des ganzen Gedichts

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ßer. über die grioch. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 1905 17. 1 79

bildet dann passend : rr/piov % o\v(ofyuq x ov f.ia Ji r^v a^agig^ die Versiclierung des Dichters, daß er in jedem Zustande, in dem er sich befand, die "/^ccQig wahrte.

Ehe Schott auf die Besprechung der Epigramme, deren Ab- fassung durch Poseidippos zweifelhaft ist, eingeht, behandelt er die Metrik des Dicliters, um so eine sichere Grundlage für die Be- urteilung der Echtheitsfrage zu haben. Er betrachtet die Position, die Verkürzung auslautender Längen vor vokalischem Anlaut, die Synizesis, die nur einmal bei i^Eiüv (XII 166, 2) vorkommt, die Krasis, die sich ebenfalls nur einmal bei raAAa (XII 168, 7) findet, die Elision, den Hiatus, die Verteilung der Daktylen und Spondeen im Verse, wobei sich ergibt, daß Poseidippos keine versus spondiaci hat, die Zäsuren und die Diäresis und endlich den Umfang der Epigramme, die meistens aus 2, manchmal auch aus 4 und selbst 5 Distichen bestehen. Unter die unechten Gedichte rechnet Schott A. P. V 214 = XII 19 a, das dem Meleager gehört, VII 170 = 481 a, IX 359 = Stob. 98, 57, XVI (= Anth. Plan. IV) 119, teilweise bei Himer. orat. XIV 14 p. 634, das an 120 und 121 erinnert, und endlich XVI 275.

Am häufigsten werden die Namen Poseidippos und Asklepiades miteinander verbunden; denn sie sind an Talent und Kunst ein- ander ähnlich und wählen oft dieselben Stoffe. Immerhin lassen sich Unterschiede zwischen ihnen auffinden, und Schott zählt deren 14 auf; die wichtigsten sind : Asklepiades erzählt, Poseidippos schil- dert, wobei er gleich in medias res führt, Asklepiades gebraucht lieb- lichere Ausdrücke und ist überhaupt anmutiger und zierlicher, Posei- dippos bedient sich einer kräftigeren Sprache, Asklepiades spricht von Geliebten, Poseidippos von Dirnen, will aber von Knabenliebe nichts wissen : auch verwendet er nie den dorischen Dialekt. Auf Grund dieser Anzeichen teilt er dem Asklepiades Anth. Pal. V, 193, 201 (vgl. 206) und 208 zu; das Epigramm XII 77 behandelt dasselbe Thema wie XII 75, das von Asklepiades ist; es kann diesem nur zugesprochen werden, wenn man annimmt, daß er später dasselbe Thema, das er in jüngeren Jahren ausführlicher behandelte, kürzer und besser zum Ausdruck bringen wollte; jedenfalls gehört es nicht dem Poseidippos. Bei XVI 68 entscheidet sich Schott für Abfassung durch Asklepiades ; er glaubt , daß die Verse auf Berenike , während sie noch Braut des Euergetes war , gedichtet wurden. Wilamowitz hält die Berenike für die Freundin des Lagiden und läßt das Epigramm in den Jahren 310/09, als sie in Kos war. entstanden sein. Dagegen ist A. P. XII 17 = Appeud.

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180 J- Sitzler,

Barber.-Vatic. ed. Sternbach 44 weder von Asklepiades noch von Poseidippos ; es zeigt meleagrische Art, und daher weisen es manche dem Meleager zu; vgl. V 207. XII 86.

Im 3. Abschnitt wendet sich Schott den Fragmenten und Schriften des Poseidippos zu. Aus Athen. XI 491 E im Vergleich mit Herodot. II 134 f. erschließt er ein episches Gedicht des Posei- dippos mit dem Titel yilaioTiEia st. 'yiocoTtia, wie Athen. 1. 1. über- liefert ist. Wilamowitz, S.appho und Simonides, S. 19 Anm. sieht darin eine wertvolle Entdeckung. Hinsichtlich des ^toQog stimmt Schott Reitzenstein bei, daß darin Epigramme des Poseidippos, Asklepiades und Hedylos enthalten waren; daraus er- klären sich die Doppellemmata mancher Epigramme. Einige dieser Epigramme waren auf troische Helden gedichtet.

Die zwei letzten Abschnitte handeln über Leben und Talent des Poseidippos. Wesentlich Neues wird hier nicht gefunden ; den ^iOQog läßt Schott um 255, die spätere Sammlung, die nur eigene Epigramme des Poseidippos enthielt, darunter allerdings auch solche, die schon im ^WQog veröffentlicht waren, vor 250 entstanden sein. Die Lebenszeit des Dichters setzt er in die Jahre 800 250.

Den Antipater Sidonius behandelt

P. Waltz, De Antipatro Sidonio. Bordeaux 1906. 128 S., eingehend. Der 1. Teil ist kritisch-exegetisch, der 2. grammatisch- metrisch ; zum Schlüsse werden die Gedichte des Antipater Sidonius mitsreteilt, nach Waltz 80 echte und 12 zweifelhafte. Dabeihaben sich einige Ungenauigkeiten eingeschlichen : S. 19 werden Anth. Pal. VI 291, IX 567 und XII 97 dem Antipater zugesprochen, aber S. 21 steht VI 291 unter den adiff/rora, S. 20 wird IX 567 dem Thessaloniker zugesprochen, und S. 24 XII 97 unter den zweifel- haften aufgezählt. Bei der Würdigung des Antipater als Dichter werden nicht nur seine Vorzüge, sondern auch seine Fehler hervor- gehoben, die Waltz mit der fremden Abstammung des Dichters zu entschuldigen geneigt ist ; im ganzen urteilt er zu günstig über den Sidonier, der sich über den Durchschnitt der Epigrammatiker jener Zeit nicht erhebt. Das Epigramm ist auch ihm nur ein geistreiches Spiel; persönliche Empfindungen kommen darin kaum zum Aus- druck; die Hauptsache ist ihm, die Pointe wirkungsvoll zu gestalten. Besonders willkommen sind die Untersuchungen, die Waltz über die Sprache, Prosodie und Metrik des Antipater anstellt; aber un- richtig ist es, wenn er sagt: „in hexametris verba sex ut plurimum contiuentur, quinque vix in pentametris".

Ber. über die grii'ch. Lyriker usw. u. d. Ei)ip;rnminsamrnliingen f. 1909 17. 181

Das Gedicht VII 241 bes])richt

R. Laqueur, Ein Epigramm des Antipatros von Sidon. Hermes 44 (1909). S. 146 f., im Anschluß an C. Cichorius, Panaitios und die attische Stoiker- inschrift. Rhein. Museum 63 (1908). S. 213 f. Cichorius stellt fest, daß es sich in diesem Epigramm nur um einen etwa 150 ver- storbenen Sohn des Philometor liandeln könne, der jedoch unbekannt sei. Laqueur weist jetzt nach, daß dieser Eupator sei.

J. Geffcken nahm in seine Sammlung unter Nr. 328 330 die Epigramme des Antipatros von Sidon A. P. VII 218, 413 und 493 auf. In dem Gedicht VII 413, 7 stimmt er Kor seh bei, der liest: cpaf.tl öi MaivaXiag •Aciggioi' eiji(eiv'yiTaXdi'Tag ; zu dem dori- schen Infinitiv fiineiv vgl. Epicharm fr. 99, 2.

Die Epigramme des Rhodiers Simias behandelt

H. Fraenkel, De Simia Rhodio. Diss. Göttingeu Leipzig 1915. 126 S. 8», S. 91 f. Ehe er auf die einzelnen eingeht, weist er darauf hin, welche Vorsicht in der Annahme der Abhängigkeit eines Epigramms von einem andern geboten ist, weil auch solche, die tatsächlich ganz unabhängig voneinander sind, im Gebrauche von Wörtern und Aus- drücken übereinstimmen können, wie er an Beispielen zeigt. Über Anth. Pal. VII 21 und 22, die Epigramme auf Sophokles, habe ich schon bei Simmias Thebanus gesprochen, vgl. Jahresb. Bd. 174 (1916/18. III) S. 49 f. ; ebenso über das bei Pollux V 48 erhaltene Epigramm auf den Hund Lykas = Simonides fr. 180 in dem Bericht über diesen Dichter oben S. 87. Die andern Epigramme sind VII 203. 193. VI 113. 114. VII 647 = Simonides fr. 116 und das unechte VII 60. Mit diesen beschäftigt sich auch Wi lamo wi tz , Sappho und Simo- nides S. 226 f. Geffcken nahm in seine Sammlung VII 647 als No. 240 auf. Fraenkel verfährt bei der Behandlung so, daß er zunächst den Text mitteilt , daran den kritischen Apparat fügt, dann die Parallelstellen, Wort- und Sacherklärung gibt. Die Epi- gramme VII 203 auf den Tod eines Rebhuhns , das als Lockvogel gedient hatte, 193 auf eine gefangene Zikade und VI 113 auf ein zur Herstellung eines Bogens nicht einer Leier, wie Wilamo- witz mit Unrecht sagt benutztes Geweih einer wilden Ziege hält Fraenkel fiir die besten; sie entsprechen nach ihm den übrigen Gedichten des Simias, vornehmlich den hexametrischen; denn sie verraten Liebe zur Natur und den Tieren, maßvollen Stil, reichen Gebrauch von Adjektiven und Bekanntschaft mit Homer. Ihre Ent-

182 J. Sitzlor.

Stellung fiibvt er auf die Sehnsucht nach dem Landleben , die sich damals so stark regte, zurück. A. P. VI 113, 2, wo doioi (bzw. doiw) ETti überliefert ist, schreibt er öoia /.ega. Daß eine schwere Entstellung vorliegt, ist ohne Zweifel, aber Sota y.iqa scheint mir wenig passend. Ich vermisse ein Wort wie aylata ; wenn nach aiyog die Buchstaben ay aus Versehen ausgelassen wurden, konnte doiov oder douo mit sttI zur Versfüllung wohl entstehen. Zu VI 114, das von Sternbach abgesehen allgemein für un- echt erklärt wird, bemerkt Fraenkel, daß es mit Simias Namen überliefert sei und dem Inhalt nach ihm angehören könne •, denn es könne Philippos , des Amyntas Sohn , oder Arrhidaeos, der als Philippos in den Jahren 323 317 Makedonien beherrschte, gemeint sein. Mir scheint der Stil des Epigramms gegen die Abfassung durch Simias zu sprechen. V. 3 ändert Fraenkel den über- lieferten Dativ OiXiTiTKi) in OiXiTTTtov, was ich für unnötig halte. Auch VII 647 nimmt er gegen Wilamowitz, der es mit einem Grabrelief, das die Tote im Kreise ihrer Familie sterbend darstellte, in Verbindung bringt und daher glaubt , daß es als vom Steine stammend den Namen des Simonides mit Recht trage , in Schutz, ohne Erfolg, wie ich meine: denn der Inhalt ist für Simias doch zu nichtssagend.

Die Anyte betreffen:

1. M. Boas, Anyte und Simonides. Rhein. Museum 62 (1909). S. 61 f.

2. Maria J. Baale, Qua de causa S^ii^v g'O jurj qo g cognom en in ditum sit A ny t ae poetriae. Sertum Naberium. Leiden 1908. S. 5 f.

Boas untersucht, ob eine Beziehung zwischen Anyte und Simo- nides bestehe. Eine bewußte stellt er mit Recht in Abrede, aber eine unbewußte will er aus Anyte A. P. VI 153, verglichen mit Simonides A. P. VII 512 = Ep. 102 (Bergk), erschließen, da in beiden evQvxoQog Teyea an derselben Versstelle vorkomme ; als Tegeatin habe Anyte dieses Epigramm natürlich gekannt. Mir erscheint dieser Beweis wenig stichhaltig; EigiyßQog ist seit Homer als Attri- but von Städten viel zu allgemein , um irgendwelche Abhängigkeit zu begründen. Die Frage, warum die Dichterin in VII 492 als Mitylenäerin bezeichnet werde, beantwortet Boas dahin, daß es das Bestreben gewesen sei, Dichterinnen zu Landsmänninnen der Sappho zu machen. Das mag sein : man darf aber nicht vergessen, daß das Epigramm überhaupt nicht von Anyte ist. Demnach kann auch der

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Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammliingcn f. 1905 17. IgJj

Name versehrieben sein, die Heimatsbezeichnung aber stimmen. Boas stimmt S tad t m ü 1 le r bei, der es dem Antonius Thallus aus Milet zuspricht; er ghiubt, es sei ebenso wie das folgende des Anti- pater aus Thessalonike wegen seines Inhalts in die Meleagrische Keihe eingeschoben, Se ttis Vermutung, daß dieses Epigramm dem Sidonier gehöre, weist er mit Recht zurück. A. P. VII 189, das im Pal. dem Aristodikos aus Rhodos gegeben ist, spricht er der Anyte zu, von der auch 190 ist.

Baale findet als Grund, warum Antipater aus Thessalonike Anyte ^ißiP ^Oi^h^qop (IX 26, 3) nennt, die ausgiebige Benützung Homers durch die tegeatische Dichterin ; sie weist diese in Anytes Gedichten nach.

Geffcken hat in seine Sammlung unter No. 228 231 vier Gedichte der Anyte aufgenommen (A. Plan. IV 291 , A. Pal. IX 313, VII 208 und 646).

Mit L e 0 n i d a s von T a r e n t befaßt sich

B.Hansen, De Leonida Tarentino. Diss. Leipzig. 1914. 23 S. 8".

Im 1. Kapitel spricht er über das Leben, die Vorbilder und die philosophische Lebensanschauung des Dichters. Hinsichtlich der Lebenszeit und der Lebensumstände kommt er zu keinen neuen Ergebnissen. Die Ausführungen über die Vorbilder und die philo- sophische Richtung des Leonidas wenden sich im wesentlichen gegen Geffcken, mit vollem Erfolge in der Zurückweisung der Annahme Geffckens, der Dichter huldige kynischen Anschauungen, mit teil- weisem Erfolge, wo er Geffckens Ansichten über Vorbilder unseres Dichters bekämpft. Was man nämlich für Kynismen hielt, erweist sich bei genauerem Zusehen entweder als der allgemein verbreiteten Ansicht über die Kyniker entnommen oder als so naheliegend und selbstverständlich , daß man kein Vorbild brauchte. Was die von Geffcken angenommenen Vorlagen des Leonidas betrifft, so hat Hansen darin recht, daß Leonidas VII 283 nicht von Asklepiades VII 284 und ebensowenig VII 13 von VII 11 abhängt, auch Leonidas A. Plan. IV 190 nicht von Nikias ebenda 188. 189. Auch die An- leihen, die man Leonidas bei Kallimachos machen läßt, verringern sich; so ist VII 408 nicht von VII 317. 318 abhängig, VI 211 nicht von XIII 24, IX 25 nicht von IX 507. Aber zu weit geht Hansen, wenn er die Abhängigkeit des Epigr. VII 316 von dem Epigramm des Kallimachos VII 318 leugnet oder gar Kallimachos in Epigr. IX 507 und VH 415 den Leonidas in Epigr. IX 25 und

184 J- Sitzler.

VII 440 nachahmen läßt. Auch nach seinen Darlegungen muß es bei der bisherigen Annahme bleiben, daß sich Leonidas Motive und Gedanken bei Kallimachos holte.

Im 2. Kapitel zeigt Hansen, wie streng Leonidas seine Verse baute , besonders was deren Ausgang betrifft ; im 3. weist er auf Grund einer eingehenden Analyse mehrerer Epigramme (VI 154, 13, VII 503, IX 24, VII 163, 648 im Vergleich mit dem Epigramm des Antipatros aus Sidon VII 164 und dem des Archias VII 165) nach, welche Sorgfalt Leonidas darauf verwandte, seine Epigramme den Lesern nach Form und Inhalt leicht verständlich zu machen ; so ist er bestrebt, einen Gedanken auch in einem Distichon ab- zuschließen und die Wörter und Sätze so zu ordnen, daß ihr Ver- hältnis zueinander rasch aufgefaßt werden kann. Über Sätze, die erst im nächsten Vers abgeschlossen werden, handelt das 4. Kapitel, in dem auch über die Anaphora gesprochen wird.

Besonders interessant ist das 5. Kapitel, das de artibus vocalibus überschrieben ist und die Seiten 43 62 umfaßt. Um die Eigenart des Leonidas noch deutlicher hervortreten zu lassen, zieht Hansen den Asklepiades, Kallimachos und Theokrit zur Vergleichung heran. Zuerst wird darauf hingewiesen, daß unser Dichter darauf ausgeht, in Wörtern, die im Verse wiederholt werden, den Versiktus auf verschiedene Silben zu legen oder , wenn dies nicht angeht, in anderer Weise Abwechslung zu schaffen; nur in den Epigrammen , die bukolische Stoffe behandeln, wird dies, wie auch bei Kallimachos , vermieden. Außerdem finden sich in den bukolischen und dann in den erotischen Epigrammen mehr Wieder- holungen als in den andern, was offenbar mit dem bukolischen Stil zusammenhängt.. Hansen ist geneigt, dem Leonidas die erste An- wendung dieses Kunstmittels in den Epigrammen zuzuschreiben ; dies kann man aber nur, wenn man alle Epigramme des Piaton, wo diese Eigentümlichkeit auch öfter vorkommt (vgl. 12, 4. 14, 1. 17, 2. 24, 6. 27, 1), für später erklärt, was doch kaum angeht.

Ein zweites Kunstmittel, das Leonidas gebraucht, besteht iu dem Gleichklang von Wörtern und Versen ; dabei wird der Vers- iktus stets auf die gleichlautende Silbe gelegt, um sie stärker hervor- zuheben. Bisweilen zeigen auch mehrere Versfüße einen solchen Gleichklang. Dieses Kunstmittel benützt schon Anjte , aber erst Leonidas gestaltet es konsequent aus und erhöht seine Wirkung noch durch den gleichzeitigen Gebrauch der Alliteration. .ledoch fehlt es in den Epigrammen erzählenden Inhalts sowie in den iambischen: einen Grund für diese Erscheinung weiß Hansen für

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ßer. über die grioch. Lyriker usw. u. d. Epigramnisaiumlungcn f. 1905 17. 185

die iambischen Epigramme niclit anzugeben ; für die erzählenden meint er, „quia fabellae eis (artificiis) ornatae non erant".

Im 6. Kapitel legt Hansen die Kunst des Leonidas durch die Analyse der Epigramme VII 506, 35, 316, 472 dar. Im An- hang macht Hansen wahrscheinlich, daß VII 662 dem Leonida» angehört; dies ist auch die Meinung Stadtmüllers.

Wilamowitz, Sappho und Simonides S. 103 Anm. 3 teilt mit, daß L. Ahrens in dem Epigramm des Leonidas A. Plan. IV 182, 1 (pv/.ioiaav st. ey.(fvyovoav vermutete. Geffcken, der in seiner Sammlung als No. 295 311 die Epigramme A. P. VI 13, 289, 293. VII 463, 740, 163, 506, 657, 408, 455, 422, 67, Append. 48, X 1, Anth. Plan. IV 306, 182 und IX 99 aufnahm, setzte die Konjektur in den Text.

Schließlich erwähne ich noch kurz E. da Vincentiis aus Tarent, der in den Atti del congresso internazionale di scienze storiche (Roma 1. 9. Aprile 1903), Vol. II. Atti della sezione I: storia antica e filologia classica. Roma 1905. XXXVII, 376 S. 8 das Lob seiner Landsleute , des Pythagoras Thymaridas und des Dichters Leonidas, unter No. 12 in hohen Tönen verkündet.

Eine Arbeit über den Epigrammatiker Archias hat

G. Sassani,^ Gli epigrammi di Archia di Antiochia. Catania 1906. 89 S. 8^ veröffentlicht; er behandelt die Frage nach der Echtheit der Ge- dichte, das Leben des Dichters, die Prosodie und Metrik, jedoch alles in unzureichender Weise, so daß die Untersuchungen keine Förderung unserer Kenntnis bringen.

Mit Krinagoras von Mitylene beschäftigen sich :

1 . G. A n c e y , S u r d e u x e p i g r a m m e s de C r i u a - goras. Rev. arcbeol. XV (1910). S. 139 f.

2. E. Norden, Das Ger manenepig ramm des Krinagoras. Sitzungsber. d. Preuß. Akademie der Wissen- schaften 1917. S. 668 f.

3. J. S. Phillimore, Crinagoras of Mitylene. Dublin Review 1906. S. 74 f.

Ancey schlägt vor, A. P. IX 284, 5, in dem Epigramm, in dem Krinagoras seinem Unwillen über die Bevölkerung Xeu-Koriutlis Ausdruck gibt, 7ra/u^7iQ/^T0iOL durch 7ia).L(^TtQ7]Taiai zu ersetzen, abgeleitet von 7iaXif.i7iQr^Ti]q ^ das er mit „Antiquitätenhändler" er- klärt unter Verweisung auf Strabon VIII 6, 23 (p. 381). Ich glaube

186 J- Sitzler.

nicht, daß /ta?uf.iytQrjrrjg diese Bedeutimg hat; aber auch abgesehen davmi erscheint sie mir ungeeignet; naXi(.i7iQi]roL als Bezeichnung der in Xeu-Korinth angesiedelten a7ceXeL0^£Q0L entspricht der Stimmung des Dichters besser. A. P. VII 633 auf den Tod der Selene ist von einer Mondfinsternis die Rede, die axQtO/CEQOg ein- getreten sei. Diese wird nach Ancey auf den 22. März des J. 5 V. Chr. abends 6 Uhr 5 Minuten (Greenwicher Zeit) berechnet; dies wäre also der Todestag der Kleopatra- Selene , der Tochter des Antonius und der Kleopatra, der Gemahlin Jubas, des Königs A'on Mauretanien. Geist, dem Wolters beistimmte, bezeichnete 4 V. Chr. als Abfassungsjahr; Kubensohn machte unter anderm vor allem die noch wenig kunstvolle Behandlung des Metrums gegen eine so späte Ansetzung der Abfassung geltend und bezweifelte überhaupt, daß von der Königin Selene die Rede sei. Auch Cichorius billigt Geists Datierung nicht. Gegen Ancey s An- satz sprechen dieselben Bedenken.

Norden verlegt das Epigramm IX 291, das man bisher in das J. 15 setzte so zuletzt E. Sadee, Rom und Deutsch- land vor 1900 Jahren. Bonner Jahrb. Heft 124. S. 15, 5 , in das J. 16. Die Veranlassung war nach ihm die Niederlage des Lollius durch die Sugambrer, die einen Wendepunkt in der Stellung Roms zur Germanenfrage bedeutete ; bis dahin verhielt es sich defensiv, jetzt wurde es offensiv. Der Rhein wurde in seinem ganzen Laufe durch einen lebendigen Schutzwall gedeckt, so daß dem Reiche keine Gefahr mehr von seiten der Germanen zu drohen schien. Das Gedicht bezweckt die Verherrlichung des Augustus als des größten Herrschers auf dem Erdenrund ; er tritt geradezu an die Stelle der alten Landesgötter. V. 2 ist nicht zu ändern; denn es wurde zum Gemeinplatz, die Wohnsitze der Barbaren so zu be- zeichnen , daß man sagte , sie trinken die Ströme ihres Landes. Sadee stimmt in der Berl. Philol. Wochenschr. 1918 Sp. 649 f. Norden bei.

P h i 1 1 i m 0 r e gibt eine Lebensbeschreibung des Krinagoras, die nichts Neues bietet.

Geffcken nahm in seine Sammlung die Epigramme A. P. VI 345, 244, VII 741, IX 284, 439 und 545 unter No. 342—347 auf. Ep. VII 741, 3 schlägt er ^'Aqeo^ aiyf.irjirjg ItaXov vor; aber der Zusammenhang verlangt durchaus die Nennung des Namens dieses Helden. Auch IX 284, 3 genügt das von Geffcken vermutete y.alyvTtzov nicht; es muß eine jetzt in Trümmer liegende Stadt genannt sein.

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammiuugeu f. 1905 17. 187

Die Epigramme des Rufinus macht

M, Boas, Die Sylloge Rufiuiana. Philologus 73 (1916). S. If., zum Gegenstand einer sorgfältigen Untersuchung. Die Tatsache, daß Epigramme des Rufinus nur in A. Pal. V 2 102 vorkommen, veranlagte schon längst die Gelehrten, nach dem Grunde dieser Er- scheinung zu forschen. Man glaubte ihn darin gefunden zu haben, daß diese Epigramme aus dem Anthologion Diogenians stammen ; denn in dem gleichen Teile des 5. Buches finden sich in Ver- bindung mit Rufinus Dichter, die zweifellos der Diogenianischen Sammlung angehörten, wie Lukillios, Gaetulikos und Killaktor. Gegen diese Annahme bemerkt Boas mit Recht, daß sie die führende Stellung, die Rufinus dabei einnehme, nicht erkläre ; außer- dem käme an andern Stelleu der Anthologie, wo jene Diogenianischen Dichter vertreten seien, Rufinus nicht vor. Weißhäupl, Die Grabgediclite der griechischen Anthologie. Wien 1889 (vgl. Jahresb. Bd. LXXV [1893. I]. S. 250 f), stellt S. 38 f. die Hypothese auf, daß Rufinus vielleicht aus seinen eigenen Gedichten und aus den Kränzen des Meleager und Philippos eine Anthologie hergestellt habe, deren Reste im Anfang des 5. Buches unserer Anthologie vorlägen. Boas kann auch diese Ansicht, die den Beifall Stadt- müUers und Radingers fand, nicht teilen. Nach ihm ist das 2. Epigramm, das in dem ganzen Abschnitt allein des Autornamens «ntbehrt, weil es unmittelbar auf das Proömion folgt, von Rufinus. Zum Beweise führt er Wörter und Wendungen an , die an solche in den Epigrammen des Rufinus erinnern ; unter diesen ist V. 4 <tXQi (pilr^g i^ovg, verglichen mit V 21, 5 aygi (fth^g TtohF^g /.al ytJQCcog, am erwähnenswertesten, genügt jedoch nicht, um die Ab- fassung beider Epigramme durch denselben Dichter darzutun ; denn die Wendung im 2. Epigramm kann auf Nachahmung beruhen, und überdies macht sie ganz den Eindruck einer sprichwörtlichen Redens- art, wie auch wir sagen : bis in den lieben Tag, bis ins liebe Alter hinein. Den sprachlichen Beweis verstärkt Boas durch eineii sach- lichen, indem er Epigr. 2 als Gegenstück zu Epigr. 102 erklärt, was keineswegs der Fall ist; beide Epigramme behandeln ganz un- abhängig voneinander häufig vorkommende Motive der Erotika, das 2. den Ausdruck der Freude des Dichters , daß er dank seines Traumes die hartherzige Geliebte nicht mehr durch Bitten zu er- weichen braucht, das 102. seine Hoffnung, daß die Geliebte jetzt, wo sich Anzeichen des Alters bei ihr einstellen, ihm gegenüber ent- gegenkommender sein werde. Ebensowenig kann ich zustimmen,

188 J- Sitzler.

wenn Boas diese beiden Gedichte für das Anfangs- und Schluß- gediclit der Sylloge Kufiniana hält, wofür doch außer der Stellung,. die sie im 5. Buch der Anthologie haben, nichts spricht, und nun die Folgerung zieht, daß wir hier den Überrest dieser Sylloge haben,, die von Kephalas vor seinen anderen Quellen ausgezogen und, mit Gedichten anderer Autoren vermischt, an diese Stelle gesetzt worden sei. Er meint , Kephalas könne dabei die Originalausgabe des- Kufinus benutzt haben. Zum Vergleich zieht er das 12. Buch der Anthologie bei, wo ebenfalls das 1. und letzte Gedicht der Anfang und das Ende der fAOvoa naidi'A.rj des Straten ist und Epigramme anderer Dichter unter die Stratons gemischt sind. Dabei beachtet Boas aber nicht, daß hier das erste und letzte Gedicht als Anfangs- und Schlußgedicht deutlich gekennzeichnet sind. In der Stellung,. die beide Sammlungen in der Anthologie einnehmen , will er gar eine besondere Absicht des Kephalas erkennen und darin einen Beweis finden, daß auch das 12. Buch von ihm abgefaßt ist. Weiter untersucht er die Epigramme, die in die Exzerpte des Rufinus ein- geschoben sind, und die Gründe, die zu ihrer Einschiebung geführt haben. Ep. 53, 54 und 55 weist er wegen Inhalt und Sprache dem Rufinus zu, und auch 97 möchte er diesem geben. liufinu» gehörte nach ihm nicht zu den Dichtern , die Diogenian in sein Anthologion aufnahm und wurde auch nicht, wie man glaubte, von Martial nachgeahmt ; dagegen sind zwei seiner Gedichte von Ausonius berücksichtigt , und dies ist der einzige Anhalt für seine Datierung.

Hier schließe ich noch an

W. Crönert, De Lobone Argivo. Charites , Fr. Leo zum 60. Geburtstage dargebracht. Berlin 1911. No. 7.

Lobon wurde auf Grund des Aufsatzes E. Hillers, Die literarische Tätigkeit der sieben Weisen. Rhein. Museum XXXIII (1878). S. 518 f., allgemein für einen Fälscher gehalten, der die in seiner Schrift negl noir^tiov mitgeteilten Gedichte der sieben Weisen und die Epigramme auf diese selbst verfertigt habe. Jetzt macht Crönert Milderungsgründe für ihn geltend; er weist zu seiner Entschuldigung darauf hin , daß er nicht den Anspruch erhebe , in seiner Schrift ernst genommen zu werden, sondern zur Unterhaltung seiner Zeitgenossen Wahrheit und Dichtung gemischt habe , darin ein Vorläufer des Hermippos von Smyrua. Die Epigramme, un- bedeutende Machwerke , stammten von ihm , aber die Skolien in attischer Sprache beruhten auf Überlieferung. Seine Lebenszeit setzt Crönert zwischen Theophrast und Kallimachos, weil seine

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 1905—17. 189

schriftstellerische Art Ähnlichkeit mit den Peplen zeige. Zum SchlulJ stellt Crönert die Fragmente Lobons und die Epigramme auf griechische Dichter, unter denen sich keine auf Komödiendichter finden, übersichtlich zusammen.

Beiträge zur Kritik und Erklärung von Epigrammen der Anthologie liefern :

1. H. Meyer, De Anthologiae Palatinae epi- grammatis Cyzicenis. Diss. Königsberg 1911. 87 S. 8**.

2. A. Calderini, Degli epigrammi Ciziceni con- siderati in relazione con la tragedia. S.-A. aus Athenaeum I 4. Pavia 191:3. 32 S. 8".

3. C. Robert, Tyro. Hermes 51 (1916). S. 273f.

4. W. Crönert, Ein Epigramm des N i k a r c h o s. [A. P. V 39]. Rhein. Museum 64 (1909). S. 633 f.

5. K. Preisendanz, Ein Dichter PiusV Rhein. Mus. 71 (1916) S. 278 f. [A. P. XI 333. 5. V 48.] Anth. Pal. V 191. Ebenda 67 (1912). S. 640. Zu Phanias (A. P. VI 304]. Berl. Phil. Wochenschr. 1915 Sp. 29. Zu drei Epigrammen der Anth. Pal. [XI 305. VI 332. IX 1. XI 378. XII 168]. Rhein. Mus. 70 (1915). S. 328 f. Zu Anth. Pal. IX 601. Wochenschr. f. klass. Philol. 1915. Sp. 546. Anth. Pal. IX 612. Berl. Phil. Wochenschr. 1915. Sp. 990 f.

6. 0. Zuretti, Anth. Pal. V 191. Rhein. Museum 68 (1913). S. 453.

7. K. Schliack, J lOGY-ogidov Anth. P. epigr. V 137. Sokrates 1916. S. 608.

8. U. V. Wilamowitz-Möllendorff, Anth. Pal. V 206. Sappho und Simonides S. 72. Lese fruchte. Hermes 44 (1909). S. 460 f. [A. Pal. XIII 8. IX 301. 330. VI 285. VII 159.]

9. E. Norden, P. Vergilius Maro Aeneis Buch VI. Leipzig 1903. S. 389. [A. P. VI 154.]

10. 0. Roßbach, Anth. Pal. VI 342. XI 38. BerL Phil. Wochenschr. 1917 Sp. 437 f. Zu Meleager von Gadara. [A. P. XII 165. Ebenda S. 760.]

11. A. Delatte, Die Musik am Grabe im Altertum. Revue archeologique XXI (1913). S. 318 f. [A. P. VII 657. 485.]

190 '^' Sitzler.

12. 0. Weinreich, Vom Überschüssigen. Archiv f. Keligionswissensch. 18 S. 602 f. [A. P. IX 506. V 145. IX 515. V 95.]

13. P. Collart, Anth.' Pal. IX 198. Rev. de Philo- logie 37. S. 142 f.

14. G. Lumbroso, Letter e al signor professore Wilcken. Archiv f. Papyrusforschung V (1909). S. 24 f. [A. P. XI 125.]

15. E. Nowotny, Zur Mechanik der antikeu Wage. Jahreshefte des Osterr. archäol. Instituts Bd. XVI (1913). Beiblatt S. 5 f. [A. P. XI 334.]

16. 0. Seeck, Das Epigramm des Germanus und seine Überschrift. Rhein. Museum 69 (1914). S. 565 f. [A. P. XIV 148.]

17. P. Maas, Das Epigramm auf Markus eig kavTÖv. [A. P. XV 23.] Hermes 48 (1913). S. 295f.

18. P. Shorey, Note on Anthol. Pal. XVI 201, 5 f. Class. Philology VII (1912). S. 83 f.

19. W. R. Paton, Die Großmutter Alexanders des Großen. [Append. Epigramm. 182.] Athenäum 1907- No. 4169. S. 336.

20. E. Martinengo Cesaresco, The outdoor life in Greek and Roman poets and kindred Studie s. London 1911. IX u. 290 S. Vgl. Bericht über die Bukoliker S. 152 f.

21. J. D. Rolleston, The medicalaspects ofthe greek Anthol ogy. Janus 19 (1914). S. 35 f. 105 f.

22. S. P(ellini), Amore e matrimonio in un epi- gramma di Agazia Scolastico (A. P. V p. 109 Dübner). Classici e Neolatini 1911. S. 140. Stand mir nicht zur Ver- fügung,

Aus diesen Arbeiten führe ich folgendes an :

A. P. III. Meyer kommt auf Grund einer sorgfältigen Unter- suchung der Sprache und Metrik zu dem Ergebnis, daß die kyzike- nischen Epigramme erst im 6. Jahrb. n. Chr. oder noch etwaa später abgefaßt seien ; aber das von ihm beigebrachte Beweis- material genügt nicht, dieses Ergebnis sicherzustellen. Wir können nur sagen, daß sie nicht vor dem 4. Jahrli. n. Chr. ent- standen sind.

Schwieriger ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen den

Ber. über die griech." Lyriker usw. u. d. Epigrammsammliingen f. 1905—17. 191

Epigrammen und den dazu überlieferten Überscbrifton, Meyer nimmt an, daß beide von ein und demselben Verfasser herrühren; die Überschriften seien eine Art TTQoXaXiai, die auf die Verse vor- bereiten sollen. Aber in diesem Fall erwartet man Übereinstimmung zwischen beiden, und man kann die Vermutung M ey er s , der Ver- fasser sei nicht imstande gewesen , eine solche Übereinstimmung- herzustellen , nicht als ausreichenden Grund für die vorhandenen Abweichungen anerkennen ; denn wenn er auch im Verseraachen ungeschickt war, den Inhalt der Verse in Prosa anzugeben konnte ihm doch nicht schwer fallen.

Die früher verbreitete Ansicht , daß die Verse auf Grund der Prosabescbreibungen angefertigt worden seien, weist Meyer nach dem Vorgange Radingers mit Kecht zurück. Ich glaube, daß- umgekehrt die erhaltenen Überschriften Erklärungen der Epigramme sind. Dazu bestimmt mich einmal die Wahrnehmung , daß die Überschriften hinsichtlich ihrer Angaben recht verschieden sind, je- nach der Kenntnis des Verfassers ; manche enthalten nur, was auch im Epigramm steht, andere sind weiter ausgeführt. Im 1. Epigramm scheint am Schlüsse ein Distichon ausgefallen zu sein, aus dem die Mitteilung der Überschrift nQor^'/ovf.iivov ^Eqi-Iov /.tX. geschöpft ist; im 2. Epigramm ist die Überschrift nur unvollständig auf uns ge- kommen. Aber noch wichtiger für unsere Frage sind die Ab- weichungen zwischen Überschrift und Epigramm. Epigr. 14 ist ohne Zweifel unvollständig; zwischen dem 1. und 2. Distichon fehlt eines, in dem Apollon erwähnt war, auf den sich hg GE öi] y.zX. be- zieht; aber in der Überschrift ist zu vTtb ^noXXiovog noch v.ai ^gzef-iidog gefügt, von der im Epigramm keine Rede ist. Dasselbe ist bei dem 6. Epigramm der Fall. Dies Versehen kann ich weder dem, der die Verse machte, noch dem, der die Bilder selbst be- schrieb , zutrauen , sondern nur einem Erklärer , der gewohnheits- mäßig diesen Zusatz zu Apollon hinzuschrieb. Die Bestätigung liefert die gleiche Überschrift des 6. Epigramms, in der man Ti]v ylrjTio TtoQEvof.ievrjv etg JeXcpohg iycl ro xaraüxelv (to) (.iuvieIov liest. Diese merkwürdige Angabe stammt oflPenbar aus dem Epi- gramm selbst, indem der Verfasser der Überschrift die Worte z/El(fdv d* ovv so Jacobs st. ov d-r^GEi tqittov evO^eov auf Leto statt Apollon bezog. Ich halte es demnach für sicher , daß die Über- schriften aus den Epigrammen selbst abgeleitet und von ihrem Ver- fasser , wo er dazu imstande war , erweitert und vervollständigt wurden.

Die Frage , wie der Dichter der Epigramme , die nicht unter

192 J- Sitzler,

den Sjiulenbildern des zwischen 159 169 v. Ohr. erbauten Tempels der ApoUonis in Kyzikos standen, von diesen Bildern Kenntnis er- halten haben kann , ebenso wie die andere , wie die Künstler zu diesen Darstellungen gekommen sind, behandelt M eye r ausführlich. Natürlich lassen sich darüber nur Vermutungen aufstellen. In der Erklärung des Wortes orvXonivä'MOV schließt er sich Dilthey und Schreiber an. Den Tempel hält er für einen Peripteros; die in den Epigrammen gegebene Beschreibung der Säulenbilder beginnt nach ihm auf der Ostseite des Tempels, wo sich die Säulen 1 7 befinden; auf der Nordseite stehen 7 10; der Ostseite ent- sprechend enthält die "Westseite 10 16; die Südseite, wo die Tempeltüre ist, hat 16, 17, 18 und 1. Demnach waren es im ganzen 18 Säulen; wir haben aber 19 Epigramme. Meyer be- trachtet das 19., das die Befreiung der Rhea Silvia durch ihre Söhne Remus und Romulus schildert, für unecht und beruft sich zum Beweise dafür auf die Sprache und das späte Aufkommen dieser Sage. Die Sprache zeigt aber nur die Merkmale , die der späten Entstehungszeit des Epigramms und der Überschrift ent- sprechen , und die Sage war zur Zeit der Erbauung des Tempels vorhanden und sicherlich auch den pergamenischen Herrschern bei ihren engen Beziehungen zu Rom bekannt. Außerdem paßt diese Geschichte ihrem Inhalte nach gut zu den übrigen Darstellungen. Dagegen weicht das 8. Epigramm, das Zusammentreffen des Odysseus mit seiner Mutter in der Unterwelt, davon ab; die Mutter ist nicht in Not, und der Sohn unternimmt nichts ihr zuliebe. Daher wird eher dieses unecht sein.

Was die Sprache der Epigramme betrifft, so tritt Meyer, wo €s angeht, für die hs. Lesarten ein ; aber 2, 3 wird d^eiov st. (piXog und 7, 5 yad^ciTCTETS zu lesen sein; dagegen kann ays trotz des Verstoßes gegen das Metrum gehalten werden. Ep. 9, 1 schlägt Meyer vor: /arj -rtiqa. xqr^yüoiGiv inl GTreiQrjjjaoi Tlqco vor', mir gefällt i-irj yjga TvQovg TeiQOi tri GneiQri(.ia, ^idrjQol besser. Ep. 10, 3 steckt in rifjog arfoid^ag wohl TjUat', aq^^ ovrrsg „tage- lang, seitdem". In der Überschrift des 19. Epigramms will Meyer die Lesart ^BQßtj?.€iav mit der Familie der Servilier in Beziehung bringen; ich erblicke darin ein Schreibverselien st ^ Flav 'lltav, wie Rhea Silvia auch sonst genannt wird.

Der Inhalt der Epigramme geht, wie allgemein bekannt ist, oft auf verlorene Tragödien zurück. Calderini tritt jetzt dieser Frage näher und stellt dabei fest, daß vor allem Tragödien des Euripides dazu verwendet worden seien. So enthält Ep. 10, wie

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 1905 17. I93

Calderini zeigt, den Wendepunkt des Dramas Hypsipyle, Ep. 7 den der Tragödie Antiope. Ep. 9 will er mit dein Schluß der ersten Tyro des Sophokles in Zusammenhang bringen ; dies muß aber dahingestellt bleiben, und nicht sicherer ist es, wenn er aus Hygin. fab. 243: Anticlea nuntio falso audito de Ulixe ipsa se interfecit den Schluß zieht, daß auch der Inhalt des 8. Epigramms einer Tragödie entnommen sei.

Robert spricht S. 281 f. über das Tyro Epigramm. Der prosaischen Überschrift schenkt er keinen Glauben. "V. 3. liest er mit Wilamowitz iv fQxeoiv iyyi'O-i leioaw ztA. st. kevaaiov; "gxT] bedeutet nach Robert das „Gehöft", in dem Tyro nieder« Arbeiten zu verrichten hat, und an£iQijf.ia den „Strick", mit dem Sidero sie peinigt. Den Zusammenhang des Epigramms mit Sophokles lehnt er im Anschluß an Engel mann ab; er vermißt dafür den sicheren Beweis, wenn er auch die Möglichkeit, daß das Relief die zweite Tyro illustrierte, zugibt; ja nach seiner Ansicht steht es nicht einmal ganz fest, ob nur der Mythos richtig erkannt war.

A. P. V 39 erklärt C r ö n e r t ; V. 7 Siza/.reli' bedeutet nach ihm : etwas in Ordnung abliefern , Avie in Inschriften und Papyri, und cpQOVTiLeiv tl iivi, eine Wendung der Koine : einem etwas be- sorgen. In dem Epigramm, so führt er aus, kennzeichne Nikarchos den nichtsnutzigen, würdelosen Liebhaber, der seiner Geliebten die schwierigsten Bedingungen auferlege ; sie müsse sich selbst er- nähren , die gemeinsame Wohnung weiter bezahlen , auch für die leiblichen Bedürfnisse des Mannes sorgen und endlich, falls ein Kind zur Welt komme , dieses aufziehen. Dies alles sei ihm so selbstverständlich, daß er erwarte, sie werde ihm Jubelbriefe über ihr herrliches Dasein schreiben. Das Ganze hält Crönert für ein Genrebild, das sich mit der Elegie und mehr noch mit dem Liede berühre. Anders, aber weniger richtig, faßt Prittw itz - Gaffron , •Das Sprichwort im griechischen Epigramm, S. 46, das Epigramm, vgl. oben S. 172. V 48 trägt die Überschrift: toc öixaiov yaXXov; Preisendanz vermutet, daß sich darin raiTOvhr/.ov verberge. V 137, 3 will Schliack öeiaag durch teioag ersetzen, das er er- klärt: „ich stand zugleich mit der brennenden Ilios in Flammen, obgleich nch keine zehnjährige Mühsal der Danaer büßte, d. h. zu büßen, verschuldet hatte." Aber das kann der Aorist nicht be- deuten ; er muß bezeichnen , was dem sq'Xeyo/uav vorausging. Stadtmüller schlug ovd eiaöug vor; richtiger wird or övg Eig sein: „obgleich ich am Kampf gegen die Danaer nicht teilgenommen hatte". V 191, 2 ist das dirrloiv ygccitfia ^vgr^KOükuv nach

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 178 (1919. I). 18

^94 J- -Kitzler.

Preisendanz ov, umgestellt vg. Vgl. dazu auch Z u r e 1 1 i. V 206, 1 ist mit Wilamowitz d(pQodirr]g st. ^^(fQodlvrjg zu schreiben', deun es ist nicht das Heiligtum der Aphrodite, in das sie nach der Weise der Göttin zu gehen verschmähen , sondern Asklepiades spricht hier von der Tribaderie der Saraierinnen. Von einer Je^iy.QtovTog ^(fgodhi] in Samos, gesetzt von diesem avrjQ ayiQTVjg, der die Samierinnen von ihren perversen Neigungen ge- heilt hatte, weiß Plutarch qu. Gr. 54.

A. P. VI 154 zeigt, wie Norden bemerkt, eine bei den älteren Dichtern der griechischen Anthologie auffallende Wort. Stellung, besonders im 5. und 6. Verse. Das Gedicht stammt nach Umgebung und Stil aus dem Meleagrischen Kranze, wenn es auch udecüi'iöov Tagavchov, o'i öe raiTOvlr/,ov überschrieben ist. Noch konsequenter ist die Wortstellung in VI 165 durchgeführt, das G. Kuaack dem Flaccus zuweist. Diese zierliche Wortstellung ist bei den Römern beliebt. VI 285 will Wilamowitz einem jüngeren Nikarchos, den Meleager auszog, zuweisen; diesen hält er auch für den Verfasser von IX 330. VI 304, 5 hat der Pal. x x ävTOv au ödasLg, Plan, avxov t' avydoaeig. Die Stelle wurde schon oft behandelt, immer ohne durchschlagenden Erfolg. Stadtmüller erkannte unter der Easur loavxbv und vermutete daher al'aiov oder aiai/jov aiddaeig. Preisendanz schlägt jetzt sg Xvyov vor; Xvyog bezeichnet nach ihm einen Weidenkorb mit Öflfhung, durch welche die Fische hineinschwimmen , ohne den Rückweg wieder- zufinden. — VI 346, die Weihung einer Stjlis an Athene durch die Kyzikener, deutet nach Roßbach an, daß die Göttin ihnen zuerst die Kunst des Segeins geschenkt habe ; dazu war die Stylis besonders geeignet, weil sie ganz die Gestalt eines Mastes mit oben angebrachter Rahe hat.

A. P. VII 159 ist im Pal. zwar mit dem Namen des Nikarchos versehen, aber, wie St ad tm ül 1er anmerkt, sicher nicht von diesem Dichter verfaßt. Stadtmüller dachte an den Samier Nikainetos, der den Samier Telephanes verherrlicht habe; Wilamowitz meint , das Epigramm sei wohl vom Grabe des Telephanes ab- geschrieben . natürlich ohne Autornamen. VII 485 ist nach Delatte so wenig wie VII 657 ein Beweis dafür, daß das Alter- tum Grabmusik kannte; auch auf Grabmonumenten ist ihm kein Beispiel dafür bekannt.

A. P. IX 198 ist, worauf Co 1 lart aufmerksam macht, auf Nonnos nach seineu eigenen Versregeln gedichtet; es ist darin, wie übrigens schon Jacobs sali, auf den Sieg des Kadmos und des

Ber. über die griech. Lyriker U8W. u. d. Epigrammsammlungen f. 1905 17. 195

Dionysos über die Giganten im 4. und 48. Buch der Dionysiaka angespielt. IX 301, 6 vermutet Wilamowitz passend aiv ßoi st. vvv LiOL und IX 330, 7 i] ov f-itv ov Xi^eig xtA. st. iZ OEf.ivov XtB.eig\ „widrigenfalls ich ohne weiteres Verhör, ohne Ausreden zuzulassen, zur Exekution schreite". Das Gedicht kann nach ihm nicht von Nikias stammen, wie Stadtmüller will, sondern wird wohl dem jüngeren Nikarchos angehören , wie VI 285. IX 506 macht Piaton Sappho zur zehnten Muse. Damit vergleicht Wein- reich V 145, wo Kallimachos Bereuike für die vierte XaQig er- klärt, was Krinagoras IX 515 übernommen hat. Ein Anonymus V 94 übertreibt die Sache so, daß er gleich drei derartige Kom- plimente häuft. Solche "Wendungen reiht Weinreich in den Komplex des Überschüssigen ein. IX 601, 2 ist yt'/ax« über- liefert, das man seit Jacobs allgemein in (fvXa'Ki ändert. P reise n- danz tritt für die Überlieferung ein, die er cpvXayiä schreibt, unter Verweisung auf einen Hymnus im großen Pariser Zauberbuch , wo Hekate als alioog (fvXav.c't angerufen wird, V. 2746 f. Die Homoio- teleuta der beiden Distichen : ^cfQodiza und (pvXa/.c(, 7tXoviov und '/.oivoTavov hält er für beabsichtigt. IX 612 vermutet Preisen- d a n z ansprechend : wg '/.iÖQOV ßqu^v (fvlXov st. wg divÖQOv ßgaxv- <fvXXov.

A. P. XI 5 hat die Überschrift Kalh/.iriQog ]MavTioioi\ Preisendanz glaubt , daß in Maviioiov Mavr^aiov stecke : aus Manesion in Kleinasien. XI 38 stellt Koßbach mit dem Skelett- becher von Bosco Reale und ähnlichen Erzeugnissen der alten Klein- kunst zusammen. Das Epigramm behandelt nach ihm die Ver- zierung eines Kinges nach Art des von Gori, Inscrjptiones ant. Etrusc. III S. 21 f., beschriebenen Kameos, vgl. GIG. IV 7298. Kaibel epigr. 1129. Ähnliche Kameen finden sich besonders in der späteren Kaiserzeit; daher hält Roßbach den jüngeren Pole- mon, der durch Nero gestürzt wurde, für den Verfasser der Verse. XI 305, 1 ist itQff.tiiia j^iogir^g überliefert ; /itOQÜ^g erklärt man gewöhnlich = f.icoQiagj was kaum angeht. Preisendanz wünscht i^gefjjii^ üxOQir^g, was mir in den Zusammenhang auch wenig zu passen scheint. Sollte nicht dQif.i{.i ui.ioQi 11g zu lesen sein? auOQice steht neben af.ii.iOQla wie ai.iOQog neben auf-iOQog. XI 333 zeigt auf dem Rande die Beischrift 7ceiov, man wollte daraixs einen Dichter Pius erschließen, aber Preisendanz machte die Ent- deckung, daß dies rteiov zu Ep. 332, 5 gehört, der nicht voll- ständig ist; er lautete also ursprünglich: a?.ld y EtcuoZ. Übrigens ist auch der 4. Vers dieses Epigramms nicht unversehrt auf uns

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196 J- Sitzler.

gekommeu; (fai'rerai , das schon im 2. Vers vorkommt, stört und paßt auch der Bedeutung nach nicht. Ich vermute al'ÖETai : selbst Poseidon scheut sich, in diesem lecken Boot überzufahren. XI 334 erklärt Nowotny; er weist darauf hin, daß bei großen Wagen, für die jeder Nachweis eines Züngleins fehlt, der Gleichgewichts- zustand am einfachsten dadurch geprüft wurde, daß man die Parallel- lage des Wagebalkens nach einem andern bereits als horizontal fest- gestellten Balken herrichtete. Solche galgen- oder reckartigen Vor- richtungen mit darunter aufgehängten Wagen sieht man auf Vasen- bildern dargestellt. Der Name für diese Gestelle ist '/mvcüv, vgl. schol. zu Aristophan. ran. 799 : TO eTtävio Ttjg TQVtdvr^g ov -/.ai eig iooxr^xa ravzrjV ayov. So ist y.avtov auch im 2. Vers unseres Epigramms zu fassen , also Tragbalken der Wage, nicht = Cvyov, ■wie man es bisher verstand. XI 378, 4 fehlt in der Über- lieferung eine Silbe : zr^v ouv yquiAnaciAi^v . . . f.i6kig i^ecfvyov. Früher ergänzte man (/a«) f.i6Xig, Preise ndanz wünscht (j^r,) f.io)ug\ ich ziehe {ylv) vor, das nach ygaf.if.iaTi'/.tjv ebenso leicht ausfallen konnte.

A. P. XII 165, 4 verbessert Eoßbach TcXi^eiv richtig in qUheiv. vgl. V 122, 6. 287, 4. XIII 8, 1 hat der Pal. «x öokiyßv z6QaO(fVQrjXaT0v , wofür Jacobs to yiQccg ocfUQr'^lazov schrieb. Wilamowitz vermutet Tt^ga (oder T<^ ^t)'^ im nächsten Verse liest er Uäig ^giOTOudyniog mit Verweisung auf IGr. IX 2, 517, 64. XIV 148 ist, wie Kadinger sah, ein Akrostichon, das den Autornamen /"€^/.<aj'oi; ergibt. Radinger benutzt es nebst Überschrift, um den Geburtsmonat Julians zu bestimmen; es ist nach ihm der Mai 331; dagegen nehmen Neumann und Geffcken 332 an. Seeck macht darauf aufmerksam, daß sich unser Gedicht dazu nicht verwenden läßt; denn die Überschrift ist später hin- zugefügt und widerspricht dem Gedicht. Dies ist kein ygr^Ofiog, sondern ein Lobgedicht auf Julian. Germanos, der im J. 360 Vikar Asiens war, war ein Heide und begeisterter Anhänger Julians ; die Überschrift aber rührt von einem Christen her; denn sie nennt Julian dnoOTaTr^g. Was die Trennung von Überschrift und Gedicht betriflft, so muß man Seeck zustimmen; daraus folgt aber nur, daß das überlieferte Gedicht an die Stelle eines ursprünglichen XQr^O/Jog trat, von dem jetzt nur noch die Überschrift erhalten ist, nicht aber, daß die Überschrift gefälscht ist; im Gegenteil, sie macht mit ihren genauen Angaben ganz den Eindruck der Glaubwürdigkeit, kann also wohl chronologisch verwendet werden. Ich füge noch hinzu, daß auch das Orakel selbst, was man bisher übersehen hat, noch erhalten

Bor. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 1905 17. 197

ist; es steht bei Eunapius fr. 26 Müller u. Diudorf., fr. 29 ia den von Boissevain herausgegebenen Excerpta de sententiis. Am Rande ist, wie Boissevain anmerkt, beigeschrieben : tieqI t^g lelsii^jg ^lovhavov rov 7caQaßaTov tov ai^eoV X^»;(T."Oc,' )^v Toiovioq. Daraus Suidas s. v. ^JovXiavog : rceql z^g T€XevTi]g I. tov n. xov ai/ioV aUJ* onoTav a/.t]7tTQ0iGi xeoig xrA. ; dann folgt: toti di y.ai 6 xP'><^."og o doS^eig ccvkJ), oze tceqI Ktr^OKfiowa dit^ye. Diese Worte gehören mit dem Anfimg zusammen : rtegi xijg reXELTr^g l. xov Hl. xov OL. toxi xat 6 XQi^O}.i6g xrA. Der Übergang zu dem darauf- folgenden Gedicht des Germanos ist bei Suidas infolge der Trennung der Einleitung zu dem yiQi]Ou6g ausgefallen. XV 23 ist nach Maas an diese Stelle gesetzt, weil der Schreiber den freien Kaum benutzen wollte. Die Verse wurden, wie er glaubt, von Arethas, einem Zeitgenossen des Kephalas, dem geistigen Führer des Kreises, in dem und für den die Anthologie entstand, in die Sammlung gebracht. V. 7 vervollständigt Maas durch Xtyojv\ auch an voei, sagt er, könne man denken, zumal wenn man xegTnoXr/v d aviijV st. z ai'ii^v lese. Leichter ist die Ergänzung xet^v, das nach xe aus- gefallen ist; der Satz schließt sich eng an den vorhergehenden an, noch abhängig von üil'Eat. Das Versmaß kann Maas aus der griechischen Poesie nicht belegen , wohl aber aus den Ruralia des Septimius Serenus; die Verse hält er für nicht viel jünger als die 1. Ausgabe des Markus Eig !-avx6v, jedenfalls für vorbyzantinisch.

Appendix Epigrammatum 182 = Plut. de lib. educ. 20 hat die Hs. nicht EtQvdr/.r] 'leQa7vo/.i)'jxig, wie man gewöhnlich liest, sondern EvQ. "^Igga TioXir^xig. Dies erklärt Paton: Eurydike, die Tochter des Hirras, Bürgerin der Stadt. Hirras ist der Vater der Gemahlin Amyntas III., vgl. Strabon VII 7, 8 (Kramer); Eurydike ist also die Mutter Philipps II, die Großmutter Alexanders des Großen. Paton hält Eurydike selbst für die Verfasserin des Epigramms.

Rolleston stellt alles übersichtlich zusammen, was sich in der Anthologie auf Medizin bezieht, auf Arzte (panegyrisch und satirisch), auf Medizin und Religion, auf Sterblichkeit der Wöch- nerinnen, auf Tod und Ursachen des Todes, auf verschiedene Krankheiten und Heilmethoden und anderes, beschränkt sich aber auf die Sammlung des Materials, ohne es weiter zu bearbeiten.

Die Benutzung der Anthologie durch Martial wird von

K, Prinz, Martial und die griechische Epi- grammatik. 1. Teil. Wien IQIL 88 S. 8"^. Zu

198 J- Sitzler.

Maitial Spect. XXI 8. Wiener Studien XXXII (1911) S. 323 f.,

eingehend untersucht. Vorausgegangen waren schon Fried- 1 ander in seiner Martialausgabe und Poeschel, Typisches au» Martial und der Anthologie. 1905, den K. Prinz auffallenderweise nicht erwähnt. Der vorliegende 1. Teil behandelt die eigentlichen Aufschriften und die Skoptika. Prinz beschränkt sich nicht auf die Nachweisung unmittelbarer Entlehnung und Nachahmung, die übrigens zahlreicher sind , als man bisher annahm , besonders aus Lukillios, aber auch aus Phanias, Antiphilos, Antipater von Thessalo- nike und wohl auch Nikarchos, sondern geht vor allem den Motiven nach, die Martial den Griechen entnahm. Dabei zeigt sich, daii Martial das Übernommene in geistvoller Weise mit überraschenden neuen Wendungen sich zu eigen gemacht hat und überall selbständig, nirgends ein geistloser Nachtreter war. Prinz zählt gegen 30 Motive auf, die Martial bei den Griechen vorfand; diesen steht aber ungefähr die doppelte Zahl solcher gegenüber, die er ihnen nicht entlieh. Von den letzteren werden die der Skoptika be- sonders aufgezählt und die rhetorischen Mittel zusammengestellt, die Martial und die Griechen anwandten, um die lächerliche Wirkung zu erzielen. Von Martial Spect. XXI 8 wird nachgewiesen, daß es von Lukillios abhängt.

Von Übersetzungen aus der Anthologie er- wähne ich :

1. 0. Kiefer, Liebesgedichte aus der griechischen Anthologie. Mit Benutzung älterer Übersetzungen heraus- gegeben und eingeleitet (= Die Fruchtschale. Eine Sammlung. 10. Bd.). München 1906. XXI u. 242 S. 8«. Mit 8 Ab- bildungen nach antiken Bildwerken. [2. Auflage. Mit 16 Ab- bildungen. 1912. XVI u. 257 S. 8".]

2. R. Wagner, Adespoton. Anth. Pal. VII 225. Wochenschr. f. klass. Philologie. 1916. Sp. 983.

3. W. Mackail, Sei e et epigrams from the Greek Anthology. Ed. with revised text, translation , introduction and uotes. New Edition. London 1906.

4. G. H. Cobb, Poems from the Greek Antho- logy, attempted in english verse. London 1908. 36 S.

5. J. A. Pott, Greek love songs and epigrams from the Anthology. 1913. [2. Reihe, vgl. Athenäum Xo. 4484 S. 338 f.]

Ber. über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungi'n f. 1905 17. I99

6. G. B. Gundy, Aucient gems in modern setting. Oxford 1913. LXXII und 392 S.

7. L. Siciliani, Dal libro V dell' Antologia Palati na. Atene e Roma XIV. 8. 334 f. [Auch in Buch- form. Mailand 1915. 19. S.]

E. Cougny VII 31 = Athenäus X 457 B behandelt O. Probst in den Bayr. Blättern für d. Gymn.- Schulwesen 53 (1917). S. 294. Er hält das Wort tavTcelioi = ^(01) aVr(a) ahoi „Seeleute" für des Rätsels Lösung; diese meint der 1. Vers, der 2. zavTalovoi „schleudern" und der 3. tdvtaXoi , wobei er die Zahlen für belanglos erklärt. Dieser Lösung wird man unbedenklich die H. Diels ebenda Bd. 54. S. 28 f. vorziehen. Danach haben wir es mit einem Vexierrätsel zu tun, das sich mit unserm Rätsel : Zehn Finger hab' ich an jeder Hand , fünfundzwanzig an Händen und Füßen, vergleichen läßt; seine Lösung besteht in der richtigen Wortverbindung, die folgendermaßen lautet: zehn Männer fuhren in fünf SchiflPen an einen Ort; darin aber (nämlich Iv tw /wp/oj) kämpften sie mit Klippen , und es war nicht möglich , eine solche (Klippe) aufzuheben. Sie liefen Gefahr, vor Durst umzukommen, weil sie nämlich das Meerwasser nicht trinken konnten ; das Kiel- wasser schütteten sie über die Schultern hinaus. Diels bemerkt noch, daß an Tantalos unmöglich gedacht werden könne, da diesem das Wasser nur bis ans Kinn reichte. VII 54 gibt Cougny nach dem von Boissonade in den Anecdot. Gr. III S. 441 ver- öffentlichten Text. A. Calderini, In Anth. Cougny VII 54. Aosto. 9 S. = Estr. da Classici e Neolatini VII 2 , hat jetzt das Rätsel auch in drei italienischen Hs. aufgefunden, die er mit ACV bezeichnet. Der Text weicht etwas von dem Boissonadeschen ab; er ist, wie Calderini sagt, mehr dem Verständnis der großen Menge angepaßt, während der bisher bekannte eleganter ist und mehr auf Abwechslung sieht. Daraus zieht Calderini den Schluß, daß der von ihm entdeckte Text jünger als der Boissonades ist; er hat el mit Konjunktiv, wo jener av gebraucht. Das Rätsel gehört zu denen, die Boissonades cod. 968 unter der Überschrift: Viega alvlyi^aTa BaaiXeiov zov aeyalouirov (1. /.leyalof-iiTOv) bringt; Calderini läßt die Autorfrage unentschieden.

Preger 213 = Diogen. epist. XXXVI p. 249 Hercher : 6 Tov z/iog naJg y.aXXin-A.oq 'H^axA/Jg | ivd^dös /.aTOiÄsl' lur^div doizo) v.a/.6v behandelt 0. Wein reich. De dis ignotis quae- stiones selectae. Archiv f. Religionswissensch. 18(1915). S. 8f. eingehend; er legt die Geschichte des Epigramms, das vielfach um-

200 '^- Sitzler.

geändert wurde, je nach der Zeit und der Anschauung der einzelnen, in folgenden Kapiteln dar: 1. In apophthegmatis. 2. Lapidibu» inscriptum. 3. A Latinis adhibitum. 4. Parodice adhibitum. 5. Alia numina loco Herculis exhibens. 6. Christianum redditum. Die Darstellung ist nach jeder Seite hin erscböpfend.

Kai bei 4 = IGr. I 466 = Hoffmann 8 = Geffcken 44 ent- hält die Inschrift auf Antiochos von Phorbanteion in Athen. Es sind zwei Stücke einer Basis; da diese ein Einsatzloch zeigt, nahm G. Löscheke an, daß eine Säule in sie eingezapft gewesen sei. Aber dafür ist das Einsatzloch ungewöhnlich; daher denkt A. V. Premerstein an ein kunstvoll gearbeitetes 7r«(><p(i«i'r?^'^(0J',. wozu auch das von A. Wilhelm hergestellte v.aT(xQY_oov passen würde. Vgl. Fr. Eichler, ar^^a und ^vrjfAa in älteren grie- chischen Grabschriften. Mitteilungen des deutschen archäol. Instituts. Athen. Abteil. XXXIX (1914). S. 139 Anm. 430 ist von Kai bei nach dem von Miller in der Rev. archäol. 1874 S. 148 veröffentlichten Text herausgegeben worden. Der Stein befindet sich jetzt in dem Archäolog. Institut der Universität Göttingen. P. Jacobsthal, Grabepigramm aus Ägypten. Hermes 46 (1911). S. 318 f., hat ihn mit der Abschrift Millers verglichen und dessen nicht zutreffende Lesungen richtiggestellt. V. 1 hält er an r^d^ = r^ör^ fest, V. 3 versteht er das bisher nicht belegte af.(iLiocpdvr^g von dem strahlend gelben Sand Ägyptens, V. 4 lautet der Name ^4ßQd(jiov\ der Verstorbene war also ein Jude, V. 9 hat der Stein ty.ev0^eg , V. 10 av^o(.dvri yever/, V. 12 tritt Jacobs - thal für das anakoluthische , aber überlieferte oi'ze ein, während er die Verbesserung K a i b e 1 s Tola st. xoTa billigt. Wegen der Erklärung der Grabschrift wandte er sich an J. Partsch, der ihm folgendes mitteilte : Abraham ist nicht nur in seiner eigenen Ge- meinde Decurio (TtoliraQxäiv) gewesen, sondern hat zugleich auch Decurionenliturgien in einem zweiten Bezirk (totzoi) verrichtet.. Was mit tottoi gemeint ist, ob ein Gau oder eine Gemeinde, steht dahin. Jedenfalls bezieht sich auf diese mit Freigebigkeit (xaQiGlv} verrichtete Liturgie die Tatsache , daß dem Verstorbenen eine Be- währung seiner oocpia im Dienste der Provinz {sd^vixfj aorpi'a) nach- gerühmt wird. Was mit der dgx^ 7tävdi]i.iog gemeint wird, ist nicht klar, ob eine über die Grenzen einer Gemeinde hinausreichende Amtstätigkeit oder eine Liturgie , die nicht nur im Interesse der Gemeinde, sondern in dem des Gaus oder der ganzen Provinz auf- erlegt wird. 625 behandelt F. B(ücheler), Nachträgliches. Khein, Museum 62 (1907). S. 327 f. V. 3 vermutet er fTrraxt

Ber, über die griech. Lyriker usw. u. d. Epigrammsammlungen f. 1905 17. 201

oder 6a.z(X'Ki st. noXld/.ig, und V. 4 versteht er /.oigavog vom Kaiser, wie die Vergötterung zeige, vgl. das Register bei Kaibel und die Leidener Hermeneumata III p. 403, 32 G. : cacsar coeranos. Buch 6 1er denkt dabei an Nero und dessen Marstall. Die Ab- fassungszeit ist nicht das 4. Jahrb., sondern früher. 749 = CIA I 333 = Poet. lyr. Bergk III S. 450 Anm. = Hoffmann 266 bezog Kirchhoff auf die Schlacht bei Marathon. E. Bormann tu den Atti del congresso internazionale di scienze storiche. Roma 1. 9. Aprile 1903. Vol. II: Atti della sezione I: Storia antica e filologia classica. Roma 1905. XXXVII u. 376 S. Abhandlung 14 weist aber darauf hin , daß die letzten Zeilen die Kämpfe bei den Thermopylen (rrgöad-E Uvliöv) und bei Salamis erwähnen, die In- schrift also nach 480 anzusetzen ist. Im Anschluß hieran spricht er auch über die in Delphi unter der Statue des Lysandros ge- fundene Inschrift, in der die Schlacht bei Ägospotamoi genannt wird, vgl. vor. Jahresber. Bd. CXXXIII (1907. L) S. 321, und über das bei Diodor 11, 62 erhaltene Epigramm == Simonides 142 (Bergk) = Preger 269, das den Sieg Kimons bei Salamis, nicht am Eurymedon, verherrlicht. Daß das Epigramm auf die bei Salamis 480 gefallenen Korinther (Simonides 96 = Preger 6) bei Plutarch de malign. Herodoti 39 um ein Distichon erweitert ist, während es auf dem Denkmal nur aus einem Distichon bestand, vgl. St. Dragumis in den Athen. Mitteil. tab. IX, erklärt Bor- mann damit, daß man später in Versen hinzufügte, was dem Be- schauer aus dem Denkmal selbst und seiner Umgebung klar war. Dasselbe ist bei der attischen Hermeninschrift Anth. Pal. VI 144 geschehen, vgl. Jahreshefte des österr. archäol. Instituts II (1899). 1083 = IGr. III 943 ist nach Guilm. Vollgraff, Ad epigramma Atticum. Mnemosyne 44. S. 395, am Ende des 1 . Verses MeXavd^eidao [ytvovg tov st. [ava-A.xog zu ergänzen , an das sich dann der Relativsatz ro xai f^eydXtjV y.tI. anschließt. 683 behandelt P. E. Sonnenburg, De Graeco epigrammate sepulcrali Bonnensi. Rhein. Museum 67 (1912). S. 1 f . 0. Keller, Antike Tierwelt I S. 134, sprach die Ansicht aus, der auf dem Grabstein abgebildete Hund solle andeuten, daß hier eine treue Dienerin (dovXida) begraben sei. Ebenso urteilte Buch el er im Rhein. Museum 30 (1875) S. 37, und auch Kaibel stimmte a. a. 0. dem zu, während er später IGr. XIV S. 676 No. 2566 der Meinung Welckers beitrat, daß hier ein Hund begraben sei, vgl. Martial I 109. Bücheier ALE. n. 1512 und Kaibel No. 329, wo der Hund auch dovXlöa genannt ist. Demgegenüber weist Sonnen-

202 J- Sitzler.

bürg nach, daß es sich in Wirklichkeit um das Begräbnis eine» Mädchens handle; der Hund sei ihr Lieblingshund und sei, wie es auch sonst vorkomme, seiner Herrin auf dem Grabstein beigegeben,, ein treuer Wächter des Grabes.

Neue Epigramme wurden bei den Ausgrabungen und der Papyrusforschung in größerer Zahl aufgefunden, die in Zeitschrifte» und Ausgrabungsberichten veröffentlicht und in den Papyrus- Publikationen mitgeteilt wurden. Ich erwähne hier folgende :

1. Berliner Klassikertexte. Heft V, 1. Hälfte. Be- arbeitet von W. Schubart und U. v. W ilamo witz-Möllen - dorff. Berlin 1907,

in denen S. 77 Pap. 9812 9 verstümmelte, von Wilamowitz gut ergänzte Verse eines epideiktischen Epigramms, das auf einer Statue stand und über das Werk des Künstlers sich aussprach, ab- gedruckt sind. Vgl. A. Körte, Archiv für Papyrusforschung V (1913). S. 547.

2. Hamburger Stadtbibliothek Pap. 312, von U. V. Wilam 0 witz - Moll endorff in den Sitzungsber. der Berl. Akademie der Wissensch. 1912. S. 547 behandelt,

ein Epigramm auf den Tragiker Philikos , in den 7 ersten Verseu gut erhalten. Die Namensform Philikos (st. Philiskos) ist dadurch sichergestellt, wie A. Körte a. a. 0. bemerkt, der auf Hephästiou IX 4 verweist.

3. Studi della scuola papirologica I. Milano 1915. 225 S. 8". In Memorie e Note. 1. Intorno al P(apiro) S(ocietk) I(taliana) 17 veröffentlicht A. Calderini eine kritische Unter- suchung der zuerst von Teresa Lodi herausgegebenen epigrammi funebri, Entwürfe eines dilettantischen Lokalpoeten, wie sie 0. Grus ins im Liter. Zentralblatt 1913 S. 1564 nennt; er vergleicht sie mit literarischen und inschriftlichen Epigrammen.

4. A. Abt, Ein Bruchstück einer Sarapis-Areta- logie. Archiv f. Religionswissenschaft XVIII (1915). S. 257 f.,

veröffentlicht den Berliner Papyrus N9. 10525 aus dem 3. Jahrh. n. Chr. Er enthält 27 zum Teil verstümmelte Zeilen, in denen er- zählt wird, wie zwei Personen durch den Gott Sarapis auf wunder- bare Weise geheilt wurden. Abt ergänzt und erklärt den Papyrus unter Beihilfe von Wünsch, Schubart, Fahz und A. Körte; er erklärt das Ganze für eine Propagandaschrift zur Ausbreitung der Verehrung des Sarapis. Das Metrum hat A. Körte erschlossen; es sind freigebaute Phaläkeer, wie sie nach Phaläkos in der kunst-

Ber. über die griech, Lyriker usw. u, d, Epiprammsammlungen f. 1905—17 205

mäßigen Poesie nicht mehr vorkommen konnten , wohl aber früher in volkstümlichen Versen üblich waren, mit voller Freiheit in der Bildung der ersten Dipodie und mit Zulassung von Auflösungen in den Versfüßen. Abt glaubt, daß damit vielleicht die Varronische lonikertheorie in der Auffassung der Phaläkeer eine Stütze finde, vgl. U. V. Wilamowitz - Möllendorff, M61anges H. WeiL Paris 1898. S. 449 f. Was die Zeit der Abfassung der Verse be- trifft, 30 ist Abt der Ansicht, daß „uns in dem Papyrus ein Bruch- stück jener Propagandaliteratur erhalten ist, die kurz nach der künstlichen Neuschöpfung des Reichsgottes unter größerer oder geringerer Beteiligung der Könige selbst entstand, um durch Schilderung einer Macht, die weit über den bisher geglaubten oder eben eindringenden höchsten Potenzen steht , die Verehrung der neuen Gottheit allen Untertanen, wes Standes und Stammes sie auch seien, vorteilhaft in jeder Hinsicht erscheinen zu lassen."

5. W. Crönert, Ein Epigramm aus Astypalaia» Rhein. Museum 65 (1909). S. 636 f., teilt das Epigramm mit und bespricht es; es hat nach seinen Dar- legungen Berührungspunkte mit Kallimachos und Meuaudros. Ebenda S. 433 f. behandelt er das in einer Inschrift aus- Mari s a erhaltene Liederfragment nach Foi-m und Inhalt und reiht daran eine Besprechung der in Ägypten auf Inschriften und in Papyri aufgefundenen Verse in ionischem Metrum. In den Jahres- heften des österr. archäolog. Instituts XII (1909). S. 151 f. be- schäftigt er sich mit den metrischen Stücken der von Pomptow in der Berl. Philol. Wochenschrift 1909 No. 5—12. S. 156—384 und No. 24 S. 764 f. veröffentlichten delphischen Inschriften: Delphica II unter der Überschrift : Delphische Weih- epigramme. Es sind im ganzen 8 •, das 3. ist in iambischen Trimeteru und Ithyphallikos abgefaßt, vgl. U. v. Wilamowitz. Hermes 40 S. 138 ; das 5. geht auf den Spartanerkönig Hagesi» polis und wurde schon von A, Wilhelm in den Athen. Mitteil. XXV 306 und in den Beiträgen zur griech. Inschriftenkunde S. 138 f. veröffentlicht; das 6. ist auf den Astronomen Kallippos^ gedichtet.

6. U. v. Wilamowitz -Möllendorff bespricht in den Göttinger gelehrten Anzeigen 1914. S, 108 f., 3 metrische In- schriften aus Milet. Ergebnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen seit dem Jahre 1899, hrsg. von Th. Wie - gand. Heft III: Das Delphinion in Milet von G. Kawerau

204 Sitzler, Bericht über die griechischen Lyriker usw.

-und A. Rehm. Berlin 1914. Es sind No. 164. 175 und Milet. Be.r. VI 40.

7. A. Wilhelm, Zwei griechische Epigramme. Wiener Studien 34 (Gomperz-Heft). S. 342 f. ,

^ibt neue Ergänzungen zu einem bei den Ausgrabungen in Megalo- polis gefundenen Epigramm und zu einem , das auf der Basis des Diomedes von Troizen stand.

8. G. Papabasileiu, Eig flsigaiiog irrlygafifia. ^Ecpr/LiEQig aQxccioXoyi-K}] 1915. S. 103 f.

Über dasselbe Epigramm sprechen ebenda G. N. Bernadakes JS. 105, G. Gardikas S. 105 f. und B. L(eonardu) S. 106.

Bericht über die Literatur zu Thukydides für die Jalire

1908-1918.

Von S. P. >Vi(linaini in Münster i. W.

I. Der Geschichtssclireiber und sein Werk').

(Abfassunj,% Anlagen, licdüu, G 1 a u b w ü rd i f;kei t.)

Ein „Gei'ippe einer Tlmkydidesbioj^raphie, soweit sie sich geben läßt", liefert U. v. W i 1 am o w i t z - M o e 1 1 e n d o r f f (Piaton. Bd. II. Berlin, Weidmann 1919, S. 12 IG). Nach seiner Ansicht starb der Geschichtsschreiber, als er mit der „Umarbeitung des Ganzen", d. h. der Darstellungen des Archidamischen und des sizilischen und jonischen Krieges besch.ättigt war. „Aus seinen Papieren ist das Werk, wie wir es lesen, pietätvoll, aber doch nicht ohne ein wenig Redaktion herausgegeben." Übergangenes würde „die Neubearbeitung nachgeholt haben, wie der Kj)itaphios und der Nekrolog des Perikles zeigen, die erst nach 404 geschrieben sind, auch manches im ersten Buche".

P. Perdrizet, Scaptesyle (Klio X 1910) behandelt die Gegend am Strymon mit Karte, hat somit Wert für die Nachrichten über das Leben des Gesv.'liichtschreibers und seine Angaben über Eion und andere Orte. Drabeskos ist das heutige Sdravik (I 100). Die Erzählung der Vita § 19 betr. Heirat verdient keinen Glauben. § 25 ist TiXardvitj sehr wahrscheinlich in IlaYyai(i) zu verbessern. I 100, 3 verwirft P. Poppos Vermutung i.Li.i/ravceg als willkürlich und verfehlt, hält aber Stahls Versuch des Ausgleichs mit llerodot für mißglückt: ,,En realite, la conciliation est impossible." Thuk. wird recht haben. Die sich gegen Herodot richtenden Stellen sind

') [Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Eduard Schwartz' tiefeinschueideudi's Buch „Das üescliiehtsAvcrk des Thukydides" nicht mehr in den von diesem Bericht umspannten Zeitraum fällt.

Der Herausgeber.]

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 178 (1919. 1). 14

•_>0(i ^- !'■ NN iilinniui.

I 4 (Her. l 171). 1 20 (Her. VI 57 u. IX 5:3). I 89, 2 (Her. IX lU). 89, 3 (Her. JX 18). 126, 8 (Her. V 71). IV 102 (Her. V 12(>). Atlien konnte die dortigen Goldminen niclit in seinen Besitz bringen : die Thraker behaupteten sie. Thuk. war nur Pächter einer dortigen Grube, die nicht den Athenern gehörte. (L. Mitteis. Z. Gesch. der Erbpadit. Abb. d. sJichs. Ges. d. Wiss. XX 4 1901. .S. 6 ff.) Hätte 8k. Hyle ihnen gehört, dann hätte Thuk. dort während der Verbannung nicht Avohnen können. Der Name ^'/MUTtj vXi'j (— - Grubenwald) deutet auf die Förderung „;i fleur de sol'". den Tagesabbau, der natürlich keine Spuren hinterließ.

Zu Marcellin. Vita Thnc. 3 schlägt K. Praechter Hermes 46. Bd. 1911 vor: toc di Tioavögog, zou öi Miktiddi^g, tov öe'^lrcjio- ■/.?.£iöt^Q icf oh uQyoi'Tog ir ^4i}}jvaig (oder ohne diese beiden ebenso wie ecf or ag^ovrog von Huda gestrichenem Worte) IlavaO^rjvaiaL hzed^r^. Über Perdrizets schöne Korr. zu § 25 n.ayya.Ui> st. 7c?MTCiro) siehe oben. Zu Marc. § 16 Das Grab des Thuk. unter- schied Polemon in seinem Akropolisbucli wahrscheinlich von dem eines Namensvetters. Darüber G. Pasquali, Die schriftstellerische Form des Pausanias (Hermes Bd. 48, 1913 S. 178. Wilam.-Moell. in Herrn. XII 1877 S. 347. 44. 1909 S. 497 ff.).

Als verhältnismäßig ähnlich den Mai-mororigiualen bezeichnt^t F. Studniczka die Abbildung des Thuk. in der Ikonographie des EstaQO (Achilles Statins) Inlustrium virorum vultus (Kom 1569) XIII nacli der in Neapel befindlichen Doppelherme des Uerodot u. Thuk. in der Abhandlung „Das Bildnis Menanders" (N. Jahrb. f. d. kl. Alt. 21. Jahrgg. 1918. XLI. u. XLII. Bd. S. 7 u. 16). Er gibt die Abbildung Tafel I 1 u. 2 nach der Sammlung Fulvio Orsinis ( Ursinus 1570).

J. Jacoby, Über die Entwicklung der griechischen Historio- graphie (Klio 1909. IX S. 80—123) bespricht das Verhältnis" des Thuk. zu seinen Vorgängern, bes. Herodot , und den Einfluß auf seine Fortsetzer, dpr nur „äußerlich" (z. B. bez. der Jahresgliederung S. 97. 113) sei. „Erst mit Thuk. erreicht die griech. Historio- graphie xijv aixtjg q'voiv"' (S. 98). Vgl. auch Lehmann - Haupt, Chronologisches zur griech. Quellenkunde : I. Hellanikus, Herodot, Thucydides (Klio VI. 1906. S. 127—139), sowie W. Strehl und W. Soltau, Grundriß der alten Geschichte und Quellenkunde. Breslau 1913. I^ (S. 246. S. 299 ff. über Thukydides und sein Werk), sowie Lehmann - Haupt, Griech. Gesch. (Gercke-Norden) III. 1912 88 und Wendland. Die gr. Literatur (Gercke-Norden I.

Bi'iiclit ültor die Literatur /.ii Tliiikytlides für die Jahre 1908—1918. 207

1912) S. 33. 348ff. Norden. Antike Kniistprosa. :^. AuH. l91.^ S. 95—101.

rberblick über Leben und Literatur B. Ma u r e n b r e c li e r und R. Wagner. Grundzüge der klass. Pliilol. Stuttgart 1911. S. 267—273.

Das Verhältnis des Tliuk. zu Ilerodot besprielit How und Wells, A Commentary on Herodotus. Oxford 1912 Bd. I S; 287 (Tbuk. II 97, 5. 6. Her. 111, 94, 21, ferner S. 7 u. 36, wo alle Stellen angegeben sind, Bd. II. S. 232 (Tb. 11 2, 6), S. 335 (Th. I 89), (vergl. auch A. Hauvette, Ilerodote bistorieu des guerres mediciues. Paris 1894 S. 65 und Reg. W. Mac an, Hero- dotus, London 1908. Index IV).

Walter R. M. J^amb. Clio enthroned. A study of prose- forni in Thueydides. Cambridge, Lniversity press. 1914.

^Lit der Untersuchung über den Stil des Thukydides und die auf seine Arbeit wirkenden literarischen Einflüsse beschäftigt, ward L. durch das Erscheinen des Werkes von Fr. M. Cornford, Thucy- dides mythistorlcus , London 1907 (s. E. Lange, Bericht über die Lit. zu Thuk. für die Jahre 1904 7 Ö. 126) genötigt, sich mit dessen Ansichten auseinanderzusetzen. Er lehnt sie ab sowohl hin- sichtlich der Politik der „Piräus-Partei" und der damit zusammen- hängenden wirtschaftlichen Fragen als auch der vermeintlich drama- tischen Behandlung der Persönlichkeiten eines Kleon und Alkibiades (Allurements of drama S. 33- ()7). Das achte Buch bietet einige der reifsten und reichsten Früchte 'rhukydideischen Arbeitens und spricht für seine vorurteilsfreie Geschichtschreibung (S. 63). So setzt L. die Muse der Geschichte wieder in ihr Recht ein. In den folgenden Abschnitten geht er ein auf das Verhältnis zu den Vor- ijäno-ern des Thuk. in der Literatur und den Einfluß der Rhetorik und Sophistik sowie der Poesie auf dessen Stilkunst, Ein Kapitel ist der Satzmelodie in den erzählenden Abschnitten und der von Cicero verpönten rhythmischen Satzbildung gewidmet. Die Angabe S. 253 „Cicero, Orat. 228" ist unrichtig (st. 219). Vgl. übrigens Ciceros Urteile über Thuk. Orat. 30 ff. Brut. 7, 29; 83, 287. De opt. gen. or. 5, 15; 6, 1. De or. II 13, 56; 22, 93. Vermutlich berührt auch die Arbeit von A. W. de Groot, The rliythm of greek prose (C. Q. IX 1915; S. 231— 244), die der Weltkrieg uns Deutschen vorenthielt, denselben Gegenstand.

In der Besprechung des Lambschen Werkes Athenaeum 1914. 72. ,Xo. 4525, S. 153 stimmt der Verfasser der Zurückweisung

14*

208 ^- •'• Widummi.

Cornfortls zu. bezeiflniet aber das Kapitel über die „l'ersonilication" als „viel zu weit ausgeholt" und urteilt über das Ganze: „Neues bringt er nicht." Das gilt auch von dem Kapitel „Interpolation". i>auib erwiderte darauf Athen. Xo. 4 5J7 S. 253.

K. Hude, 1^. ph. AV. 35. Jahrg. 1915 S. 865 macht einige Ausstellungen an Lambs Schrirt.

Den G e s c h i c h t s c h r e i b e r 'l'huk. würdigt in vollem MalJe Herrn. Peter, Wahrheit und Kunst. Gescbichtschreibung und Plagiat im klassischen Altertum. Leipzig, 1911 S. 104 127.

C. AVunderer betrachtet das Verhältnis der „drei großen Historiker zur Kunst" (Hayr. Gv. Xx^VIII 9/10. S. 409—436. München 1912). Thuk. zeigt für die Kunst wenig Interesse.

Ed. Meyer, Thiikydides und die Entstehung der wissen- schaftlichen Geschicbtschreibuug. Berlin u. Leipzig 1913 (Mittig. d. Ver. der Fr<iunde des hum. Gymn. in Wien, Heft 14).

Während im Altertum allein aus dem Stil des Geschicht- schreibers auf seine Beziehung zu den Sophisten geschlossen wurde (^larccll. Leben 22, 36), zeigt jetzt W. Nestle „Thukydides und die Sophistik" (N. Jahrb. f. d. kl. Air. Bd. 33; 1914 Ö. 649—685) und „Politik und Moral im Altertum" (a. a. 0. Bd. 41 ; 1918 S. 228 ff.), daß er als „Geschichtschreiber der griechischen Aufklärung" auch Geistesverwandter der Sojdiistik ist. Das hat schon Nietzsche ausgesprochen (Zitate s. bei Nestle I S. 652). Vergebens bemüht sich E. Rittelmeyer in seiner Dissertation (Erlangen 1915), den Glauben des Thuk. an die Macht der sittlichen Ideen zu retten. Allzudeutlich tritt der Rationalismus zutage trotz seiner persönlichen Zurückhaltung. 5Iit Recht sagt Ed. Meyer (Forschungen zur alten Geschichte. II S. 395): „Die Reden im historischen Werke des Thuk. sind sein philosophischer Gehalt." Schon die Alten haben bemerkt, daß „durch die vorgenommene Maske des Redners das klare und ernste Auge des Geschicht- schreibei's selbst entgegen schaue" (Dion. Hai. De Thuc. iud. 40. 45. 46. 49. Nestle S. 650). Zu Anaxagoras' Lehre vom rolg führen (trotz Marcellin, Leben 22, dagegen s. Nestle S. 660) keine Spuren. Über dessen Verh-ältnis zu Perikles s. W. Capelle „Anaxagoras" (N. Jahrbücher f. d. kl. Altertum, her. v. J. Ilberg. 22. Jahrg. 1919. 3. Hefe S. 88) zu Thuk. II 28, sowie Burnett, Early Greek Philosophy, London 1908, übers, v. Else Schenkl. Leipzig, Teubner 1913, namentlich auch U. v. W i 1 a m o w i t z - Midlendorff, Piaton 1919 I S. TOT.

]}, rieht iil.cr die Lit. ratur zu Tliukyilid.'^ für dir Jahre 1908 1918. 201^^

Aus der vorsokr;\tisclien Philosophie hat Thiik. mir die iiiicli- tenie lictrachtuug der Niiturvoij^^änge wie Erdbeben, Öonueii- und Mondfinsternisse usw. und den selbst in Fachausilrüc-ken (/.o(0()/a = ^lai-en , acroiZeiv = sich werfen auf II 49. :]) zu erkennenden Sinn für die Heilkunde <;ewonnen (Nestle S. 651 ). Wie für llippo- krates und Deniokritos . so geht für den Historiker alles in der Welt gesetzniäliig zu. ifiOEVK avüy/.}] (wie Eurip. Troad. 884ff.j. Das Handeln erfährt keine uioralische Beurteilung, sondern eine rein intellektuelle. Die yvc'jut], die verständige Berechnung, ihr nahestehend die SrreaiQ „meistert" die tix'] : sie eignet den Haupthelden Perikles , Archidanios, Brasidas . Hennokrates. Phrvnichos (vgl. hierzu Li 1 Ige, Sokrates. Bd. 70. lOlC. «. IDOf.) Von den übrigen hierliergehörigen Ausdrücken weist evßovXi'a auf Protagoras. 7rQ6i'Oia auf den von Thuk. (VHI GS) bewunderten Khainnusier Antiphon (s. dazu auch U. v, W i 1 a ni o w i t z - M ö 1 1 e n - dorff, Piaton 1919. I 7S. 82, H 8. 1-3) hin. Im folgenden be- weist Nestle (656 663) die völlig kritische Stellung des Gesehieht- schreibers gegenüber allem Sagenhaften, der sittlichen Weltordnungv der Religion, den Kulthandlungen, der Mantik, der Gefährlichkeit der Hoffnungen (vgl. Antiphon Sophist fr. 58 D. iXjciÖEc d''ov :iavjayov (cyaÜ^öv wiw. Edgar Jacoby, De Antiphontis sophistae nEoi uuovoia^ libro. Berlin 1908 S. 40 und Thukydidcs thfai'üg thrlSeg: V 103. 113. HI 45. 5. IV 17, 4 f. 65, 4). Die frühere Annahme der Philologen des 19. Jahihdts. einschließlieh Classen (die einzelnen Arbeiten sind zusammengestellt Nestle I S. (557 Anm. 2), daß Thuk. an ein Walten der Gottheit geglaubt habe, beruht auf Irrtum. Auch die Ti'xi, ist ihm keine Göttin, sondern der reine „Zufall", dem die yi'OJUi^ (s. o. ) entgegenwirken kann (S. 662). Der Mensch ist dem Naturgesetze (V 105, 2 (ft'oig «j'a//.a/a) unterworfen, auch in den psychischen Vorgängen. Daraus ergibt sich die Auffassung von Schuld, Strafe, Erziehung, Recht und Politik. Einen bestimmten politischen Parteistandpunkt nimmt Thuk. nicht ein, er ist Realpolitiker, verrät jedoch aristokratische Sympathien, nicht etwa duich das dem Alkibiades in den Mund gelegte Urteil über den „ausgemachten Unsinn" der Demokratie (VI 89, 6 oiioXoyoif.(trt] liroia), als durch sonstige Bemerkungen über den u}^ii?,og (S. 678 680; und die Anerkennung des Antiphon (VHI 68) und anderer Oligarchen sowie der Peisistratiden. Themi- stokles und Perikles stellt er als Geisteshelden hoch . nicht wegen ihrer demokratischen Gesinnung. Der auswärtigen l'olitik stinünt er zu, ohne sich dadurch zu ungerechter Beurteilung Spartas ver-

•Jl(i S. r. Widiiumii.

leiteil /.u lassen (S. t>82). Im Verhältnis zu anderen Staaten huldigt er dem Grundsätze vom N a t u r r e c h t des Stärkeren. Diesen legt er dar in dem Zwiegesjiräch zwischen den Athenern und den Meliern (V 85 ff.— 113 siehe a. a. ( ). Bd. :53 S. 660 ff. u. Bd. 41 8. 228 u. 232) sowie an anderen Stellen (I 76, 2. II 63, 2 f. IV ♦U, 5. VI 85. 1). Die Auseinandersetzung ist ein klares „Para- digma seiner Theorie der Mac h t p o 1 i t i k " : mit dieser Ge- schichts- und Staatsauffassung bewegt sich Thukydides unverkennbar ..in der Bahn der sophistischen Lehre vom Natur recht des Starken'", der llerrenmoral . die z. B. Thrasymachos in Piatons .,Staat" Kallikles im „Gorgias" vertritt (R. Petsch, Wilhelm Heinse und der ästhetische Immoralismus. N. Jahrb. f. d. kl. Alt. 16. Jahrg. 31. Bd. 1013 S. -128. U. v. W il am o w i tz - M öll en - (lorff. Piaton I S. 2 14 ff. 223).

Auch die Form des Geschichtswerks zeigt in den angewandten Kunstmitteln den Einfluß der Sophistik. das Protagorische Prinzip des avTiXeyeiv (Nestle a. a. 0. Bd. 33 S. 670, 682) die UeaiQiv.a a/rjuara des Gorgias (Antithesen, ycaQioojOEig, rragof-totojaetg), die Synonymik des Prodikos, Tunot y.oivoi und Sentenzen (Nestle S. 683 f. Wilamowitz-Möllendorff, Platon I S. 71. 78. 82f.). Vgl. darüber auch ('ornford, Thuc. Mythistoricus 1907, Hermann Mayer", I'rodikos von Keos (Drerup. Rhetorische Studien I) 1913 S. 60 80. R. W. Livingstone. The Gieek genius and its ineaning to us (Oxford 1912 S. 214 f.). Nestle gibt a. a. 0. Bd. 33 S. 657 u. 684 auch die einschlägige ältere Literatur an.

Das Verhältnis des Redners Antiphon zu Thuk. und die Angaben des Photios darüber (nach Kaikilios von Kaiakte) be- liandelt mit Bezug auf Thuk. VIII 68, 1 A. Von ach in den Commentationes Aenipoutanae v. E. Kaiinka u. A. Zingerle (Inns- bruck 1910 S. 15—23). Siehe ferner J. Ehlert, De verborum <opia Thuc. Berl. Diss. 1911 S. 8 und Jebb, Die Reden des Thuk. (übers, v. Imelmann. Berlin 1883 S. 47. ^^'ilamow^tz-M. , D. gr. Lit. d. Alt. in Kultur d. Gegenwart I 8 p. 66). Vgl. H. Gomperz, Sophistik und Rhetorik. Leipzig 1912. S. 44. 59. Eine treffliche ^Charakteristik der Thukydideischen Stilmischung gibt Ed. Norden, Die antike Kunstprosa. 3. Aufl. 1915. S. 96—101.

Nur verzeichnen kann ich Thukydides' Navorschingen : de Peloponnesische Oorlog. Boek I. Amsterdam Versluys 1908. | Rec, Museum (Maandblad v. Philol.) XVII 412 v. R. Leyds.

Die Beurteilung des Thuk. durch Dionys von tlalikarnaß be- spricht U. Galli (Studi Italiani di filologia classica. t. 29. 1918).

Bericht üU.t dir Literatur /.u Tliukydichs für dii' Jalir.' 1908—1918. 21 1

Eduard Höpkeu, De l'hueydidis [injueniü coinpositiono. berliner Diss. 1911.

Die Untersuchung führt den Verfasser zu dem Ergebnis, dali Thuk. ursprüngluli eine kürzere Einleitung zu seinem Werke geschrieben habe und zwar in der Zeit von 421—413, dann nach 413 ein neues Proömiura begonnen, aber nicht vollendet habe. Von dem ersten sei geblieben der Anfang des Kapitels 1 und Kapitel 23 (Cwik- linski, C^uaestiones de tempore ([uo Thucydides ))riorem historiae suae parteni coniposuerit. 1878. S. 23). Kaj). 7 sei späterer Zusatz <s.. schon Wil.-Moell. Herrn. Bd. 45. 1910 S. 391 ff'.), auch 8, 1: Kap. 17 0/ yao er 2:iy.e?J(/. . . . divdu€()g gehöre nach 18 Anfang. Nach 19 sei eine Lücke. Wie bei den meisten Schriftstellern mag <nuh bei Thuk. die Annahme berechtigt sein , dalS die Einleitung y.u dem Werke nach erstem Entwürfe manche Umarbeitung erfahren li.ilje. Aus dem schließlich Gegebenen aber nach den alten Kou- ze[)ten zu forschen , hat an sich verhältnismäßig geringen Wert. Für die Erklärung einzelner Stellen bringt die Dissertation manches. I 1 ist ^cveyQail^e im gewöhnlichen Sinne zu fassen , nicht in der Deutung Krügers uyd eines Scholiasten. Auch ibg e.TToX^urjGav 'CQog ((kh'i'KovQ hat keine besondere Bedeutung, wie Classeu meint. Die Worte 20 yaKEnu ovta iisw. erklärt H. als Anakoluth aus Tft jtaXam yalEna ovza eiQEiv (aus dem vorangehenden i^igov zu denken) und dem vorschwebenden aörvaiog ov {ccdvvaTOV ov s^oi) . . . TTiOTEioai. 22, 2 streicht er nach dem Vorschlage seines Lehrers Wilamowitz 7caQa vor zwv aXXtor und läßt dies vom fol- genden JT£Qi r/,doiOL- abilängen, v^ 4 verbindet er wqt'kiua v.Qiveiv (=^ vj(fiXif.iov y.Qtoir y.Qtveiv) mit ßov/.r'ioovicti (vgl. 5, 79, 3. (>, 39. 1). Die Verbindung mit nZv i^ieXXqiK'H' und des avzd mit doy.oivTiog I'^sl (also Nom. I) verwirft Hudi« mit Recht. 12, 1 zieht Höpkeu /.nj nur zu acir^Oyivai = ut Graecia per pacem (r^ovxdoaaai) augeri non posset : doch spricht dagegen die Stellung von _«/y und das Part. Aor. 12, 2 mit Madvig (und llude) vaag zu setzen für das über- lieferte Tag, liegt kein Grund vor: im Gegenteil ist zag no/.eig besser: dq^ öjv (infolge der Parteikämpfe) iy.7ci7tTOVi€g rag noXtig t^xiCov (vertrieben gründeten sie ihre, die bekannten Staaten, so z. B. Böotev das jetzige Böotien usw.) 13, 1 und 5 verteidigt er die Überlieferung mit Recht und tadelt es, daß Hude in 1, 2; 12, 1: 13, 2; 14, 2 die Lesarten der jüngeren Hand von 0 aufgenommen hat. Die „künstliche Erklärung" des xat in I 1, 1 ro öt /.al diavoüViiEvov weist Hude ab unter Berufung auf „eine sehr gewöhnliche, aber nicht immer genügend beachtete Verwendung der Partikel . wenn

212 '^^ !'• Witliuanii.

zwei GlioiU'r (Mr.amlor cntg;egcngesetzt werden; vgl. 1149,4; 92,2; VI 46, 2 (von Richards, dass. Ouartcrly 1012 S. 225, mißverstanden) Xen. Anal). I S. 20 ra ()V; vml (andere dag-egeii) dia X'Zv ^EU.r/iov usw. Her. VIII 115, 3 xovg de v.ai VMiiXEinE.'' (Hude. Berl. pli. Wotdiensclir. 32. 1912. S. 1859). In einer An- merkung (S. 43) teilt Höpken die scliöne Verbesserung mit, die ihm Wilamowitz zu I 15, 2 gegeben liat: oÜEV Jiai (st. Tic) v.al Srvauig TiaQeyivezo.

Gegenüber den vielen Ordnungsversuehen , die am Werke des^ Thuk. vorgenommen werden, macht Franz Müller in seineu Mitteilungen aus L. Herbsts Nachlaß (Hefe III. 1913 8. 15 Anm.) die trett'ende Bemerkung: „Wem Avürde Thuk. selber wohl den ersten Preis für die Neuordnung seines Werkes zuerkennen, voraus- gesetzt, daß er es überhaupt wieder- und anerkennen würde?"

K. Laquenr, Ephoros (Hermes Bd. 40. 1911. S. 192) äußert die Ansicht, das Tliukydidwische Werk stelle keine Einheit in landläufigem Sinne dar, vielmehr werde mit V 26 die Fortsetzung- oder, wenn man will, ein zweites Buch eingeleitet.

„Thuk. hat Buch II bis V 24 als eine .Einheit in sich ab- geschlossen, und das Folgende sollte eine werden. Innerhalb aber sind wie Kapitel in einem Buche die Halbjahre darauf berechnet^ in sich abgeschlossen zu sein" (v. Wilamowitz- M. Hermes. 43. Bd. 1908. S. 5»0) I 146 und II 1 hält W. jetzt für eine gemäß der Kompositionsweise des Thuk. beabsichtigte und berechtigte Dublette. „Zugleich" fährt er fort „folgt daraus, daß er das jetzige erste Buch als einen besonderen Teil abgegliedert hat, zusammen- fassend und zurückweisend auf V 23 , also auf den Übergang von der Vorrede zur Erzählung. Mir ist das 1. Buch noch eben ein solches Chaos wie früher; auch die Kapitel des 5. unmittelbar vor der zweiten Einleitung verstehe ich nicht und zwar den Inhalt eben- sowenig wie die Form. Aber der Aufbau des ganzen Werkes ist klar und ist von Thuk. so berechnet."

Em. Peroutka, L'archeologie de Thucydide (Listy filologicke. Prag 39. 1912) gibt die Kevue des Revues in der Revue de Philo- logie Bd. 37. 1913 S. 85 an.

Harrison, Thucydides and the tifty years (Proceedings of the Cambridge Philological Society 91 93. 1912, 4. Sitzung) hält die Pentekontaetie (Thuk. I 89 118) nicht für eine Digression, sondern für eine unberechtigte Interpolation. Armer Thukydides! Wenn weiter so an dir herumgeschnitten wird, was bleibt dann noch von dir übrisr? Vielleicht die Leichenrede?

Bericht übor di.' Literatur zu Thukydidos für dir Jaliic 1908—1918. 213

Die Unfer tigkeit des 8. Buchs erkennt Wilaui dw i tz (Hermes 43. Bd. 1908. 582) an „Einlagen" c. 17, 4 /Mi t) jiquq ßnoilta ^cpf.ia-/Ja bis TjÖE und C. 21, 1 fytvETO .... /ort i) iv .i«/"/' ^'fc^i'^^oiaoig. Der bestimmte Artikel bei tvuuayia und Inaräacaoig deutet beides als „bekannt" an, aber nicht dem Leser, sondern dem Schriftsteller selbst, der nachträglich, als er seine Erzählung bereits geschrieben hatte, für sich zu späterer Einfügung an den Kaiul n o t i e r t e : „Um diese Zeit geschah d as Bündnis . . . d e r Aufstand." „Das Bündnis leo-te er bei, den Aufstand beschrieb er: aber die stilistische Ein- Ordnung ist nicht vollzogen." Auch das ,,4' tov Teiyjaf.i6v^^ 34 (Scbluli) (vgl. 38, 2) ist so zu erklären und daher nicht zu ändern. Warum soll der Artikel a'i vor I^tti/mi vfJEg 23, 1 nicht auch diese Sache als „bekannt" andeuten? Nach W.s Ansicht vollendete Thuk. „die Hereinarbeitung" von den beabsichtigten Zusätzen zu dem fertigen Ilauptbericht nicht. Die chiischen Operationen in Lesbos (23. 33. 38 ft.) hat Thuk. vermutlich (S. 585 f.) von Chiern, den Bericht über Tbemistokles (1135 ff.) und das Epigramm VI 59 von Lampsakenern. „DalJ er die asiatische Küste besucht hätte oder kennte, dafür gibt es keinen Anhaltspunkt" (S. 580); wohl aber war er in Sparta (S. GOO). 36 am Schluß ist tri Qr^Qtfitiovg naQoriog mit B das richtige (S. 598).

Das Stillschweigen über die Beziehungen Athens zu den Persern und über die Veränderung der asiatischen Besitzverhältnisse im Jahre 412 (Amorgos), sowie die Kürze des Berichts über Thrakien findet W. nur verständlich , „wenn wir zugestehen , daß Th. den sicilischen Krieg als solchen geschrieben hat und zu der Aus- arbeitung des 27jäbrigen Krieges nur die ersten Ansätze und zum Teil nur Vorarbeiten vorliegen". VIII 29 hat Th. auf Grund genauerer Informationen später gesclirieben als 45" (siehe dazu auch S. 612). Als er dieses Kap. 45 schrieb, kannte er die Verträge 18 und 37 m.ch nicht, 45, 3 liat ^ "^it^ <^er Lesart aToairjog wv „wieder einmal recht" (S. 612). 55 ist eine Parallele zu 44; der Inhalt „zeugt für eine gewisse Zusammenarbeituug" (S. 590). In 52 , 1 liest W. jetzt nicht mehr mit C 7ciOiEv'JT]vai (für 7naiög gehalten werden, vgl. II 35), sondern mit B /rEiai^rjrai, deren Parallelstelle 81, 3 Classen „ebenfalls zutreffend deute", = m den Zustand des nioTiv t'/Eiv versetzt werden, freilich „pretiös, aber recht thukydideisch" (592). Die Worte ev tf^ 'Pööcj ovrciv ariiÖr ist „eins der zahlreichen im Grunde unschädlichen, erläuternden Glosseme , das an den Hand gehört" (59o). Nach der langen Parenthese muß der Hauptsatz wieder aufgenommen werden. Es

214 ^- l^ Widmann.

geschieht mit 6 .wf"»' öi) ^^4h/.ißiädi\Q. Das vor ö stehende zat i^-t aus Variante zu u in C entstanden (591 Anm. 1). Der Subjekts- wechsel hinter äU.tog ze y.cu ist so zu erklären, daß Thuk, „zuerst bis TTEioiyipai geschrieben hatte, um dünn mit o'i öt /lietu toT fleioüvdoov [rrQeaßeig tcör ^Orjraii'n' wird nach Pol and Do legationibus Atticis 30, als Glossem gestrichen] fortzufahren". Der y,Xachtrag" mit aXXtog te y.ai ist nicht völlig eingefügt. „Es fehlt eben wieder die letzte Feile.'' Auch 56, 1 eci^vg iteva zavta und Schluß vor 57 ndvTCOV ovv zeugen von mangelhafter Einarbeitung der Nachträge. „57 verträgt sich ebensowenig mit 58" (S. 596). Thuk. hat einstweilen Vertrag C. 58 „beigelegt", aber nicht an der richtigen Stelle verarbeitet. Wil. sieht dabei dasselbe Verhältnis wie V 76—79 (Hermes 37. Bd. 1903, 308). Die Aktenstücke 18. 37, auch die Verfassungsänderung 21, sind für die letzte Redaktion „beigelegt", gleichzeitig die Einlagen 29. 52 gemacht, das 8. Buch „ziemlich bald nach den Ereignissen", also nach 411. nicht nach 404 niedergeschrieben (S. 602).

Bei den Folgerungen für die Geschichte kommt Wil. zu dem Schlüsse, daß Thuk. uns von dem Verhalten des Alkibiades in den Jahren 412 und 411 „kein gerechtes Bild" gibt (S. 607). Für die „Unfertigkeit des fünften Buches" findet er auch darin einen Beweis, daß Alkibiades und seine Politik während jener Jahre eigentlich gar nicht dargestellt wird" und die Reden fehlen. Siehe dagegen M. Pieper (Sokrates, 68. Bd. 1914, 2. Tl. S. 172). Die Rede in Sparta VI 89 ist nach der Ansicht W.s „ottenbar später in den sizilischen Krieg hineingearbeitet" (S. 607).

In demselben Aufsatze bringt Wil. eine Anzahl von Ver- besserungsvorschlägen des überlieferten Textes vor: An drei Stellen kommt er auf dieselben Änderungen wie Gertz: VIII 8, 1 o'i naQa (st. vtieq) WaQvaßaCov. 34, 1 lüoneQ ei'/oi' (cug eiöov B, iÖotteq Idövieg die andern Hdd.. Herbst mit Stahl: o')g7tEQ iiyov Idöi-reg)^ 102, 3 rcQog xr^ r^neign) (at. ^'lußgoi) , an einer auf eine ähnliche Konjektur: 45, 1 für ß/r' avzvjv (C eji' aizöjp) zu schreiben e/r' avzov näml. Alkibiades. Gertz: au avro)) aqi'/.OLiirrig usw. „Der Brief kam zu Astyochos gegen ihn." M. E. ist die Änderung überhaupt entbehrlich.

5, 2 [ug fg zr^r Ecßoiav ^cKelv l't/tAAeJ, weil uXeiv (von Kriegs- schiffen gebräuchlich) hier nicht passe; man setze von Böotien über. 5, 3 L7rrj/.oiov[rj]. Die Bündner gehorchten ihm mehr als die Lakedämonier. Aber die Vorausstellung des aizov weist auf den Gegensatz dazu . also i] ziZv ev zfj 7i6?.ei yiay.edatuoi'liüv. Im

Bericht über die Literatur xu Tluikydifk-s für die Jahro 1908—1918. 21')

Folgenden ist arxö<^ liur Variante zu dem richtigen Ei:0-ig (B). Hude nimmt beides auf. Wil. bat reclit, G, 2 [Ti'jr] fV r*~ yIa/.edai(.iovi . Ich finde riZr trotz der vorausgehenden zv)v nicht anstößig. 6, 4 zaiT^ [aA/y.'/iJ] a7CEQ. 7, 2 i^h/Mt-Uvtj ('(oyeiv (st. ("(Qyovva) (vgl. ♦■>4, 1 Igi^uh'ov sg za hil Qqi'c/.ijq ccq'/uv). Nach fg Xiov ist 'lizolg (C) u. atTo7g (a. Hdd.) unbrauchbar. 10. 1 fg zijv Xiov (st. TtDi' Xtioi') = die Vorbereitungen zum Transport der Schiffe aus Leehaion. lO, 2 eI'aooi vavüir [f.g xi^v Xiov], Das ferne Ziel ist niemals erreicht. Wil. meint, diese Worte hätten vielleicht ur- sprünglich als „richtige Korrektur" von züv Xlxov am Rande ge- standen. 14, 1 oooig [te\ hnzvyoitv (oder nkiovztg ze oooig i/ri- fixoiev) . . . ivTaiÜa aixovg avioi/sv (st. auzoi fi^-v). 14, 2 warf (r/}j') ßovh]v [re], letzteres schon von Krüger gestrichen. 15. 1 za yt'Xia zci?Mira mit Recht verteidigt; die Vorausnahme „ist für lebendige Rede nur natürlich und vortrefflich" ; daher auch za^ tyiiy.Eif.iivag Si mag festgehalten. Auch otx u)Jycig (B) ist richtig „eine Wendung des Schriftstellers, nicht des Protokollführers" (Uerbst : //r^). l(i, J verbessert W. zb zeiyog <% a7rq)y.oööiitr,oai' (Hdd. u äv(ir/.oö6iiirjaui} Ol 'Aiyi]vaioi zijg Ti^lojv jtöXtiog zb (B) vtQog ijrreiQOP. Das zeiyog befand sicii in der Stadt (20, 2 zb cv z[j Ttto ziiyog) und schnitt die Stadt vom Lande (auch den Vorstädten) ab. Wil. vergleicht III 51 ccTzeieiyiLe -/.cd zb f>c zqg r^vteiQOi. „Für die Schätzung von 1> nicht unwichtig; die Verderbnis beschränkt sich auf die Quantität eines o und die in der Buchschrift so häufige Verwechslung von // und iV. Für diese liefert noch 81, 2 ein Beispiel, tjJj' löiav h uffOQai' iyrfjZiaoaio '/.cd aTcw'AoffvQazo (Hdd. falsch ano'/.oifVQaio). 10, 1 bei xa/ ozl yinoqyrig icaqioica „liegt eine unheilbare Kor- ruption vor". Die Beseitigung von '/.ai „macht das Übel nur schlimmer.'' 19, 4 ist Aigdg zu schreiben, nicht A'iodg. 14, 3 und 23, 6 ist ILoXiyva nicht in die Nebenform YloKiyvi] zu ändern. L'2 artv \ze\ HeXoTiovir^oiior /rAiJ.'^et naQoviiov (Hdd. naQovieg). 24, 5 ^vvavctiQEÜr^öEo'J(Xi (B) enthält das richtige äraiQti}r]a£Gi^ai (zerstört werden), „verquickt mit der Variante iivaiQEDi\oEaiyai~' der anderen Hdd. wie schon Hude zeigte. Das „mit ergreifen" (II 51, 3) palit nicht. Stahl hat avaiQ. hergestellt, und ich habe <-s schon 1891 aufgenommen (Herbst: y.ai}uiQEiyi]GEO'Jai). Über die Arbeit v. W. s. L. Bodin, Thuc. : genese de son oeuvre (Rev. des etudes anc. XIV 1, 2).

Lambert Kunle, Untersuchungen über das achte Buch dos Thukydides. Freiburger Diss. 1909.

Im ersten Teil der Diss. verwirft K. die Annahme doppelter

•2\(\ IS. V. Wiilinnnii.

Kelatioiien und schiebt die falsche Anordnung' VIII 51, die sich an 1)8 anschließen müßten (Holzapfel, Hermes 28, S. 436), dem Herausgeber des achten Buches zu, der auch die Worte 45, 1 /mI in TTQOiEQOi' 71QIV fg, Ttjv ' Poöov ttLtoig avaaiipuL und 50, 2 Itl ovra tözE TTEQL tijV Illilt^ioy eingefügt habe. In c. oO liegt be- züglich der Zahl der Schiffe kein Irrtum vor; es sind dort die Lastschiffe aus der Aufzeichnung gestrichen. Statt der Zahl (38 ist in c. 104. 2 in Übereinstimmung mit c. 103, 1 die Zahl 8G zu setzen,, wie schon Stahl und nach ihm ich in den Ausgaben geschrieben haben.

Der zweite Teil behandelt die „Differenzen zwischen Tliuky- dides und Aristoteles über die Obligarchie des Jahres 411 in Athen"^ die schon eine ganze Literatur ins Leben gerufen haben.

Im ganzen neigte die Kritik sich mehr auf die Seite Ed. Meyers, der Thnk. den Vorzug gibt, als auf die Kohrmosers (1892) und U. Köhlers (1895). S. May (siehe darüber E. Lange im Jahr(^s- bericht 1908 S. 134) ging in der Ablehnung des Aristoteles zu weit. Das zeigte Th. Lenschau (Berliner ph. Wo. 1908 S. 656 f ). F. Knberka nahm in seinen Beiträgen zur Streitfrage (Klio 19u7 S. 341 ff. und 1908 S. 206 ff.) einen mehr vermittelnden Standpunkt ein, suchte aber doch „das Problem im Sinne Ed. Meyers zu lösen".

Kunle wird beiden Berichterstattern gerecht. Tlmkydidcs schneidet bei der Beurteilung gut ab, doch soll er sich 07, 3 be- züglich des AVahlmodus getäuscht haben.

Den Sturz der Demokratie berechnet K. auf Mitte April, den der Vierhundert auf Anfang August. Die Abfassungszeit des achten Buches fällt nach 409 vor 405 (Wo. kl. Ph. 1909, bespr. v. Wid- mann).

Ktinles Arbeit würdigt Franz Müller „Zu Thukydides VIII'* 2. Teil 1910 S. 11 Anm. u. S. 39 Anm., vermißt aber mit Recht die dircdvte Benutzung der Herbstscheu Untersuchungen.

Reo. K. Hude, Berl. ph. Wo. 30. Jahrgg. No. 33 1910 S. 1020. Widmann, Wo. kl. Ph. 28. 1911 No. 4. S. 94f.

Franz Müller, Zu Thukydides Vlil. Die Unzulänglich- keit des Codex Vat. B. Aus dem Nachlaß \iin Ludwig Herbst. Beilagen zum Progr. des Gymn. zu (Quedlinburg. 1909, 1910, 1913.

Rec. Hude (Berl. ph. Wo. 30. Jahrgg. 1910 S. 451 u. 31. Jahrgg. 1911 S. 704) bezeichnet die Beiträge als weitschweifig und wenig wertvoll, Herbsts Urteil als recht oft willkihlich und unzulänglich begrüjidet. Das

Bcrirlit ülhr dir Literatur xu Tliiikydidcs für die Jahre 1908—1918. 217

trifft zu, (loch lehren diese von jMiiller mit so großer Pietät veröff'ent- lichten Bemerkungen wieder, wie gewissenhaft Herbst jirüfte und wiederj)rüfte und wie auch andere prüfen sollen. Unangenehm berührte seinerzeit die unfreundliche AulJerung des Meisters U. v. \V i 1 a m o - witz-ÄI. über den verstorbenen Thukydidesforscher (Hermes Bd. 43. 19U8. S. Glo). Müller gibt darauf die Antwort (II 8. 4 ff'.), indem ^r an die Würdigung der Herbstschen Tätigkeit durch E. Kaiinka (Ztschr. f. österr. Gymn. 18'J3 VIII u. IX) und andere erinnert. Es wäre m. E. besser gewesen, wenn der Herausgeber eine Auslese aus Herbsts Aufzeichnungen geliefert hätte. Mit offenkundigen Ver- schreibungeu , bloßen Versehen, leicht erklärlichen Vertauschungen von /^, €1, i, und Abweichungen in der Wortstellung läßt sich schwerlich die Unzulänglichkeit einer Ildschr. begründen. Herbst selbst gesteht (II S. 44. III S. 15), daß alle Hdd. in VIII „un- zuverlässig sind". B ist demnach niclit schlechter als die übrigen. Mit „Oberflächlichkeit^- (II 8. 2^) und „Unsinn" (II S. 29. 34. 47. III S. 4) verträgt sich nicht recht die Annahme „reflektierender" Tätigkeit eines „vernünftelnden Orammatikers" (II S. 11. 18. 25). Der Schreiber des B schrieb, wie es scheint, getreu seine Vorlage ab, zuweilen mit Glossemen, vei'zeichnete danach oder nach einer anderen Vorlage Doppellesarten, so 1 Z. 5 oiau ye ayuv {uv yq.) nmauöl (ttöj') öieffÜccQ'Jai^ 2 Z. 9 vo^iiLovxeg (darüber da»'), 9, 1 rjoi/dvoi'io (darüber oi') , 10 Z. 12 a'i onovöal aus einer in den Text gedrungenen falschen Erklärung (siebe meine Ausg.) usw. Übereinstimmung des B mit anderen guten Hdd. spricht doch nicht gegen, sondern für ihn, z. B. 2, 12 av tlov BCGf2. Viel eher liest ein Abschreiber aizvjv als ac tiüv^ dies ist also wahrscheinlich die ursprüngliche Lesart. Die von Herbst aufgestellten Gesetze über Ö7CU)g (H. I S. 17 0".) und /.it/Juo (S. 22 f.) bedürfen für jeden ein- zelnen Fall der Nachprüfung, desgl. über die Stellung von /.talAop (H. I S. 28) und das Femininum von ijnOLg (S. 27 f.). Die Be- obachtung über wg tiAOg (ohne ioii, ?J»') erscheint richtig (H. I S. 9). Bis zu c. 16, 26 stammen die Mitteilungen „aus der Feder von Herbst selber", von c. 17, 5 an bietet M. „eine Bearbeitung aus den zahlreichen Notizblättern des Forschers" (H. II S. 8). Zum iSchlusse (III S. 27 0".) gibt er die Bemerkungen Herbsts über „Die 8chiff"szahlen" (Die Schiö"e der Athener, die Operationen der Athener gegen Milet, die Schiff'e der Peloponnesier, zu Astyochos) und über Schönheiten der Darstellung im 8. Buche (bes. c. 1 u. 2 ; An- wendung von Keflexionen statt der Keden). Für B sprechen schon in diesen Beiträgen 22, Z. 22 der bei andern Hdd. fehlende Satz,

213 S. 1'. WiiliiKinii.

23, Z. lo this allein richtige j-raga/teiiTTEi , 24, 17 i^vdcuuöyt^aav (der Fehler in den andern Hdd. eidai uoiT^aarTSg erkUtrt sich leicht), 2G, 12 ^itQOv, 35, 21 tw^ 38, 34 diaßeßiy/.ocf.g fg „einmal recht". 56. 12 i6 riör, 03, 32 or/. avxavriyovio. Auch 10, 18 ist sein VTrijyor doch wohl mehr verständlich als OTri^yov und 14, 16 yevo- j.itviov als „die gewöhnliche Rede" mindestens wahrscheinlicher als keyo}.itviov. Das eine aber kann so gut verlesen sein wie das andere. 16, 26 nimmt H. an o't Treloi vornehmlich Anstoß, weil vorher b jTE'Cög steht, und zieht daher o\ nolloi vor. Aber warum hat denn Thuk. nicht vorher statt o'i CiqiOi gesagt o\ noüoi xüv Ti^itovY Sie hatten doch, wie H. selbst annimmt, die Macht: „nur einige der Teier waren nicht gleich bereit zum Einlassen" (Heft II S. 17), Der Wechsel von o TVELog und o'i 7reZoi würde von H. wahrscheinlich als Feinheit des Schriftstellers empfunden worden sein, wenn ihn nicht der böse B allein böte. Stände z. V>. vorher to orcXiTixnv oder ein ähnliches Kollektiv, dann hätte der Erzähler vermutlich auch nachher beim Handeln der Truppen oi 07T.XiiaL gesagt. 32. 31 scheint nLj.vt^^EiaiZv ursprünglich Glossem zu xeif.iaoÜEioCov. 52. 13 entscheidet sich H. nach langem Schwanken, was jeder Erkläi-er hier durchmacht, für nioitvUipai. Siehe dagegen Si 213 Wil.-Moell.

Rec. Bph. W. XXX 15 S. 451 (Hude) 1910. XXXI 2S.

S. 704 f. (Hude). Mh Seh. IX 6 S. 326 (Bruhn) 1910. Befiel.

XVII 4 S. 75 f. (N. Terzaghi) 1910. xMu. XIX 4 S. 126—128

(W. Hecker) 1912.

Ed. Meyer, Gesch. d. A. III 1901 S. 155 und Forschungen zur alten Gesch. II 1899 S. 269 436 sprach es entschieden aus: „Das 8. Buch ist ebenso vollendet wie irgend ein anderer Abschnitt seines Werkes" (S. 406), hat aber viele Gegner gefunden. Der Mangel an direkten Reden bildet keinen Beweis für die Nicht - Vollendung (s. auch Strehl-Soltau. Grdr. d. a. G. \". 1913. S. 303. Anm.). Vgl. Herbst, Zu Thuk. I. 1909. S. 12 f.

Das Fehlen von Reden im 8. Buche suchte L. Foscolo Benedetto, lo storico Cratippo (R. academia delle scienze di Torino 1909) so zu erklären: Bei angeblichen Vorlesungen, die Thuk. selbst gehalten, habe die Zuhörerschaft die Reden abgelehnt (Dionys. Hai. 16 y.al To7g ccy.oioiai o/Aj;^ac); deshalb habe Thuk. ins 8. Buch keine mehr eingefugt. Siehe darüber Eduard Meyer, Theopomps Hellenika (Halle 1909 S. VII).

G. B. Grundy, Thucydides and tlie history of liis age London. .T. Murray 1911. XIX, 553 S.

Bericht iilun- dif Litriatiir /ii 'rimkydidcs für die Jahre 1908 1918. 219

Das Werk bihlet die Einleitung zu einer geschichtlichen Aus- gabe des Thukydides , die Gr. in Arbeit hat. Nach einem ein- führenden Absclinitt über das Werk des 'L'huk. , das Leben des Schriftstellers und die allgemeine Zuverlässigkeit der Überlieferung des Textes untersucht der Verfasser den wirtschaftlichen Mintererrund

o

der griechischen Geschichte, zunächst der athenischen des G. und 7. Jahrhunderts, dann die spartanische Politik des 5. Jahrhunderts, darauf die Kriegskunst und das Heerwesen in dessen zweiter Hälfte, zuletzt die Ursachen und die Kriegführung im zehnjährigen Krieg. Der zweite Teil ist der Abfassung des Thukydideischen Werks ge- widmet. Nach der Ansicht d(!S Verfassers war der Grnnd des pelo- ponnesischen Krieges wirtschaftlicher Natur; er wurde nicht allein für die Freiheit geführt, sondern für das Leben, die Lebensmittel. Athen war auf die Getreideeinfuhr und auf Beschäftigung seiner Arbeitslosen angewiesen (Siehe schon Cornford, Thuk. mythistoricus. London 1907). Das erklärt seine Expansiv-Politik und den Gegen- satz zu Korinth (S. 330). Eingehend behandelt Gr. den Handel, die Industrie, die Sklaverei, die wirtschaftliche Entwicklung und die Politik vor und unter Perikles und das Verhältnis der Streit- kräfte der kriegführenden Staaten zu Land und zur See (das Bürger- heer, Söldner, Hopliten, Leichtbewatfnete, Kelterei, Festungskrieg Seekrieg). Erschwert die Einteilung das Lesen des inhaltreichen Buches, dessen Ergebnisse mehrfach Widerspruch hervorrufen, so ist seine Benutzung wesentlich erleichtert durch das vorzügliche Namen- und Sachverzeichnis. Über die Entstehung des Thukydideischen (4eschichtswerkes hat er folgende Meinung: Bei Ausbruch des Krieges begann der Geschichtschreiber mit der Sammlung des Stoffes und setzte sie fort bis -t21. In der Zwischenzeit von 421 415 vollendete er die Geschichte des Zehnjährigen Krieges (1 V 20, 1), abgesehen von Teilen, die er erst später zufügte. Er hielt den Krieg für be- endet. Übersichtlich stellt Gr. kapitelweise den Urentwurf und die Nachträge nebeneinander. Als der sizilische Krieg ausbrach, nahm er dessen Darstellung in Angriff, zunächst als Monographie (VI VII 28) , dann auch die Geschichte des dekeleischen Krieges und der Friedensjahre 418 415. Bei der Rückkehr nach Athen war die Geschichte des sizilischen Krieges beendet. Mit der Bearbeitung des Ganzen beschäftigt . starb er. Das achte Buch ist unvollendet „in quality and quantity", verfalJt vor 404. Thukydides gab sein Werk nicht selbst heraus, vielmehr veröffentlichte es ein „literary executor" (S. 389, 402 ff.). Wer das gewesen , ob Xenophon oder jemand anders, lälJt sich nicht sagen.

220 S. P. Widmnnn.

An Unindy übou Kritik: Guy Dick ins, Tiic true cause of tlie peloponnesiau war (The Cl issical Quaricrly li)ll. V 4. Kec. B. ph. Wo. 8_'. 1912. Ö. o78), der die Ursache des Krieges nicht in der Beschairuiiü- der Existenzmittel , sondern in der Rivalität zwischen Athen und Sparta sieht (Erwiderung* Urundys Cl. Quart. VII lOlo. S. iJOrt". uiiil die Antwort JJickins darauf ebenilas.l, und L. Bodin. Thucydide: genese de son oeuvre (Revue des etudes anciennes. Annales de la Faciilte des Lettres de Bordeaux, c. XIV No. 1. 1912. p. 1—38), <ler in den Auf- Stellungen Grundys für den Teil V 25 Vll 87 keinen Fortschritt gegen Cwiklinski (ls73), bei beiden einen Fehler daiin erblickt, dali sie einzelnen Stellen zu große Wichtigkeit beimessen, nnd daß Grundv Ed. Meyers Wort (Forschungen II S. 8G8) nicht be- achtet: ..Das Entscheidende sind aber auch hier (bei VI u. VII) die Reden, die von Anfang bis zu Ende die Einheit des Krieges und die Darstellung der Friedenszeit voraussetzen . . . Wer aber der Ansicht ist, dali die Geschichte der sizilischen Expedition auch ohne die Reden denkbar sei, und daß diese eine spätere Einlage sein könnten, wer sie etwa gar als rhetorische Übungen betrachtet, dem ist das Verständnis des Historikers Thuk. noch vollständig verschlossen." Nach dem Frieden des Nikias ist der Archidamische Krieg verfaßt, das erste Werk, das die Grundlage für I V 17 bildet. Das erste Buch ist eine Einleitung, die unter Arbeit bleiben sollte bis zum Abschluß des ganzen Werkes, also weder ein erster Entwurf noch eine endgültige Umgestaltung. Bezüglich des 8. Buches neigt B. mehr der Ansicht Prenzels (s. E. Langes Bericht über 1904 1907 S. 133) und Kunles, als der Ed. Meyers z\i. Alle Arbeiten über die Entstehung des Werkes haben noch keine Ein- heit der Grundansichten herbeigeführt. Ob je eine zu erreichen ist, scheint höchst fraglich. „Reconstituer la genese d'une oeuvre teile que rüistoire de la guerre da Peloponnese est une tache infiniment complexe. Pour la mener a bien, on peut se metfre ä deux : les historiens ont leur place marquee a cote des philologues."

Die Entstehung des Werkes aus der ursprünglichen Darstellung des zehnjährigen Krieges und des sizilischen Feldzugs mit Zusätzen nach 404 nimmt auch J. B. Bury, The ancient greek historians (Harvard Lecture.s) London, Macmillan 1909 (S. 79 f.) an. Dem Geschichtschreiber Thuk. sind dort die Seiten 75—150 und 261 265 gewidmet.

Rec. über Grundy: The Journal of Hellenic Studies. Bd. 31. 1912.

Bericht ülx-r dir Literatur zu Thuk\ (iidcs für die J;ilnv 1908— 191(^. 221

Revue arcliedloj^iciue 1\'' Str. t. 18 m. 10.

Atene e Koma. Bull. d. Soc. Ital. [i. la dirt'usione d. studi classic!. XV. 1913. 176. (L. Pareti.)

Iiu Athenacum 1911 No. 4354 S. 383 f. wird mit lieclit be- urteilt: We cannot praise the autliors style; it is ditl'use aud often oitsoiire.

Th. Lenschau, h. pli. A\ . :;3. 1913. No. 23. S. 705— 710.

Gegen die Vertreter der Ullriclisclien Hypothese, (^wiklinski, KircliliofF. Steup, Wilaniowitz-MöllendorflFuud Ed. Schwartz(Charakter- köpi'e aus der antiken Literatur I 31ff.) Lehmann- Haupt und Grundy verficht, wie pjd. Meyer, die Einheit des tliukydideisdien Werkes 4'ntschieden M. Pieper (.Jahresber. iles philol. Vereins zu Berlin. Sokrates 2. Jahrg. LXVlir. Bd. S. 165—180. 1914). Zwei Gründe vornehmlich wurden für die sukzessive Entstehung des Werkes an- geführt : Erstens die Disposition des ersten Buches, zweitens das Schweigen des Verfassers über die Dauer des Krieges. Pieper rechtfertigt zuerst die Anordnung des ersten Buches und die not- wendige, nicht nachträglich geschehene Behandlung der Pentekontai-tie, indem er die entbehrlichen , nicht von einer Geschichte des Pelo- ponnesischen Krieges geforderten Abschweifungen in das Gebiet der Geschichte Griechenlands überhaupt aus psychologischem Beweggrund entschuldigt. Nach seiner Gewohnheit sagt Thuk. das Xötige erst dann, wann er es für nötig hält, so V 23 erst, daß er den Archi- damischen, Sizilischen und Dekeleischeu Krieg als Einheit betrachte vorher war eine Widerlegung entgegengesetzter Ansicht nicht not- wendig. 'J'hukydides redet von dem Kriege der Peloponncsier und Athener und sieht es als selbstverständlich an, daß dies der Krieg von 431 40 4 ist. Daß das 5. Buch eine notdürftige, nachträgliche Verbindung der beiden ersten Kriege sei und gar Spuren der sinkenden Geisteskraft des Verfassers zeige, der nicht einmal den Alkibiades genügend durch eine Rede charakterisiere , wird von Pieper widerlegt. Auch die Annahme sonstiger Einschiebsel in den ersten Büchern hat keine Berechtigung. Die Pentekontaetie ist ja nach aller Ansicht nach 404 geschrieben, die Bemerkung über die Dicke der Mauern (I 93) konnte erst nach ihrer Zerstörung, also nach 404, geschrieben werden. Die Archidamosrede I 81 setzt die Anschauung von der Einheit des 27jährigen Krieges voraus, § G ist „ein Vaticinium ex eventu". Auch einzelne Scheingründe für die sukzessive Abfassung des 1. Buches (z. B. daß er 1 23 nach Einschiebung der Pentekontaetie erweitert und c. 146 vor dieser Einlage geschrieben habe) werden entkräftet. „Die wenigen

•Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 178 (1919. I). 15

o-jo !^. !'• Wiilin.inu.

Stellen, vmi denen es sich naelnveisen Itißt, daß sie vor 404 ge- schrieben sein müssen, beweisen nur, daß Thuk, bei der endgültigen Redaktion des Wei'kes einige Spuren früherer Ausarbeitungen hat stehen lassen, t^brigens hält V. nur für IV 48, 5 den Nachweis erbracht, daß die Stelle einem älteren Entwürfe angehört. Schließ- lich tritt er mit Kecht warm für die Glaubwürdigkeit des Geschicht-v Schreibers ein, für die er hinweist auf die Bestätigung des Berichts über den Mauerbau I 90 durch F. Noack, auf die Bedeutungs- losigkeit der J)ifferenzen zwischen dem Texte V 47 und der betr. Steininschrift (s. L. Herbst, Hermes XXXV. Bd.) sowie zwischen der Friedensurkunde V 19 (25. Elaphebolion = 11. April 421 v. Chr.) und 20 (Städtische Dionysien 8. 13. Elaphebolion = 25. 30. März). AVenn Grundy (S. 485 Anm. 2) Ed. Meyers (Forschungen). Unterscheidung von Abschluß und Inkrafttreten des Friedens nicht anerkennt, so ist dies kein Gegenbeweis. Derselbe Forscher legt besonderes Gewicht auf den Gegensatz zwischen Athen und Korinth (S. 322 ff.) als Hauptursache des Krieges. Mit Kecht hebt Pieper hervor, daß ein Sieg Athens über Korinth und überhaupt einen griechischen Staat in erster Linie auch ein Sieg über die Vormacht Sparta, der Hauptgrund des Krieges eben darum doch der Dual i s - in u s Sparta- Athen war (S. 177). Thuk. „ignoriert nahezu" die geistigen Bewegungen der Zeit. Aber er „ist eben ein politischer Historiker", aber doch auch ein philosophierender Kopf, „Athen und der Peloponnesische Krieg im Spiegel des Weltkrieges" von E. Bethe (N. Jahrb. f. d. kl. Alt. 39. Bd. 1917. S. 73—87) ist eine gute Übersicht über die Ursachen des Pelop. Krieges, die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Einkreisungspolitik Athens gegen den Peloponnes (auch durch den sizilischen Feldzug), den Kriegsplan des Perikles, den Verlauf des Krieges. „Athen war in seinei Blüte ein Handelsstaat mit allen Vorzügen aber auch mit allen Härten und aller Pücksichtslosigkeit der Selbstsucht und des Handelsneides'' (S. 76). Seine Politik zielte auf Erdrosselung der Nebenbuhlerin Korinth. „Je größer die Industrie Athens wurde, je näher die Gefahr des großen Krieges rückte und damit die Aus- sicht, auf die Ernte Attikas für Jahre verzichten zu müssen, desto lebhafter ist die Getreideausfuhr aus dem Pontos gefördert und schließlich ist sie von Perikles sogar durch Anlage von attischen Festungen in dieser überreichen Kornkammer gesichert worden" (S. 86. Vgl. Ed. Meyer, Gesch. d. Alt. IV § 430—432). Die Arbeit ist neben Grund v lesenswert.

Brricht ülii-r dir Litmitiir zu rimkvdülrs für die Julin- 1008 1918. 223

Antoii E 1 1 e r , 'riiukydides und iUt ' Name des I*elo- ponnesisclieu" Krieges. Festrede v. 3. Aui;-. l\il-l. liomi, K, Georgi (auch erschienen in X. Jahrb. f. d, kl. Alt. l'.d. ;!,'). 1915. 8. 78 ff.

Der Name „Peloponnesischer Krieg" ist erst aus Cicero und Diod..i- (Xir 37. 2. 3.^. 1. 82. 1. 74. 7ö. XIII 107, 1 und öfter) nachweisbar (W. Krüger, Dion. Hai. llist. 1823 Ö. 2-lG. Ullrich, lieitr. ■/.. Erkl. d. Thuk. .S. 12 ff.). Der von Thuk. gebrauchten Verschiedenheit der Uezcichnung „Krieg der Pelop. u. Ath." oder „der Athener und Pel." soll Absicht zugrunde liegen. Als den Krieg der Peloponnesier und Athener (I 1) und als den Attischen (V 31, 4) bezeichnet nach Ansicht Elters der Geschichtschreiber den Kampf vom Standpunkt der Feinde Athens aus, während er in der Verbannung lebt, als den der Athener und Peloponnesier (II 1) vom athenischen Staudpunkt aus, Eiter zieht deu Schluß, dali das im modernen Völkerrecht übliche „Alternat", bei Verträgen deu Namen des eigenen Staates dem des andern voranzustellen , auch fürs Altertum gelte und für 'I'huk. einen Schluß auf die jedesmalige (.Quelle, aus der die Urkunde stamme, gestatte.

Widmanns Rez. W. kl. Ph. :;2. 1!J15. Xo. 38. U. Kallenberg, l'.erl. ph. Wo. 38. 1169.

Gegen Elter beweist Bruno Keil (tj ii^ einem gründlichen Aufsatz ^lle/.07covvr^oia/.dg 7c6/.£{.iog'^ (Hermes Bd. 51. 191<J. 8. 441 458) durch inschriftliche Urkunden, daß der politisch am meisten entwickelte griechische Staat den diplomatischen Gebrauch des Alternates nicht kannte. Damit fällt die Folgerung- Elters für die (Quellenforschung. Der Name lleloicovi'f^oia/idg ycölej-iog ist athenischen Ursprungs (D i tt enb e r ge r Herm. Bd. 42. 1907. 8. 191), Cicero aber de rep. III 44 u. de oft". I 84 nicht der älteste Zeuge für diese Benennung, sondern wahrscheinlich ein athenisches Psephisma (Eph. arch. 1884, 167 f.). Die Benennung als '^CTi/.c^ :i6lE(.iog V 31, 3 u. V 28, 2 steht in einem Bericht von pelo- ponnesischer Seite über nicht athenische Maßnahmen, gestattet da- her nicht den Schluß, daß Thuk. den peloponnesischeu Krieg auch als „attischen" bezeichnet habe. ..Diese Bezeichnung ist also in keiner Weise für einen besonderen politischen oder literarischen Standpunkt des Thuk. auszuwerten." Erst die hellenistische Zeit bat, zwischen 300 und 100 v. Chr., den sonst ob seiner Kako- phonie vermiedenen Ausdruck Ih/.onovvt]öLaY.og tt. statt o yr^o^- TO/'c ne?.07TOvvrjOiovg n. eingeführt. Die Namen '^i^/<dcaaoc (^Lysias fr. 18 Or. Att. II p. 175a), dafür tov ds/xteii} tc. (V 25, I), uml

15*

224 ^- ''• ^^'i*ll"alln.

^JeAeXeiAÖg n. (Isoer. IMat. Xl\' ol u. Fiiedensrede \'III 37) ge- braucht TImk. nicht, da er den Krie<;' von 433 404 als einen ein- zigen auffaßt (S. 453). ' EkAi^vi/iüg rr. I 112, 1 bedeutet Krieg der Athener gegen Griechen (vgl. unser „der deutsrhe" d. i. Bruder- krieg von 186(i)- ^^ ^^- -• "^ üiulet sich der Ausdruck JioQia-/.bc n. Das l'r/.E/.i/.ri VII 85 4 gilt als interpoliert.

Ohne 'ThnU. der Unwahrheit zeihen zu wollen, schreibt ihm .). INI. .1. ^ aleton doch ..jiia Irans" zu in der Abhandlung De Harmodio et Aristogitone (Mneniosyne t. 37. 1909. Ö. 341 416). De liberatornni statuis. A. De statuaruui reditu. B. De imaginibus liberatornni nobis servatis. ('. De orchestra. D. Arani ante statuas non tnisse. E. De tempore, (juo statuae liberatoribus decretae sint. 487 6. Excursus : I. De columna l^isistratidaruin (S. 372. Die Be- zeichnung rrjr iiQca'i'Oiv öiriLi^v stammt nicht vom Schriftsteller, sondern vom Volke). II. De liberatornni sepulcro. A. De sepulcris in hello eaesorum. B. De Ferialibus i»ublicisj.

Über H a r m o d i o s und A r i s t o g i t o n sowie über die Vier- hundert handelt auch G. Math ieu, Aristote, Constitution d'Athenes (Bibl. des ecoles des hautes etudes. Paris 1915. No. 216. p. 47 ff. 74 ff.).

Hr. Öwoboda, Zur Beurteilung der griech. Tyrannis (Klio XII. 1912. S. 350 f.) ist wichtig für I 13. 14. 17. 18. 20. 11 G5. VI 53 f. 59.

E. v. Stern. Hippias oder llipparchus? (Hermes Bd. 52. 1917. .S. 354 ff.) prüft zu Thuk. I 20. VI 54—59, Bei ochs (Griech. Gesch. 12- S. 288 ff.) Gründe für dessen Verteidigung der vor- thnkydideischen Meinung, daß Hipparchos der älteste Sohn des I^eisistratos gewesen sei, und kommt wieder zu dem Ergebnis: Hippias war der älteste Sohn. I)afür ist auch Zeuge Herodot I öl und V 55 . da er den Hipparch als .,den Bi'uder des Herrscher» Hippias" bezeichnet. Pseudo-Platons Hipparchos 258 B beweist nichts dagegen. Auch die Motive und die Ausführung des Mord- anschlags gegen Hipparchos legt er S. 208 gegen Beloch (I 2- S. 275) dar. beiläutig wendet er sich in der Mau er frage gegen Busolt und Meyer (s. Beloch II 2^ S. 141 154).

Als Beispiele weist IJ. E. Macnaghteu,, . Character and language of the Athenians auf die Charakteristiken des Themistokles I 138, 3 und der Athener durch Perikles II 39, 1 hin (Classical Review. Bd. 21. 1907. S. 12 ff.). Zur „Parteistellung des Themi- stokles" s. Arth. Rosenberg (Hermes Bd. 53. 1918. S. 308).

Bcrielit ü1).t (Tu- I>it<T,itur zu 'rimkx .lidc-! für dir Jiilirr lüU^ -1918. 22.")

., Der Charakter der perikleisclien Politik im laichte der Dar- stellung des Tluikydides" Avar Gegenstand eines bei der .Stiftungs- feier des Philologischen Vereins zu Berlin am 12. Dezember llll4r von Peter (jorsen gehaltenen Vortrags, veröHentlicht in .,.Sokrates" :]. Jahrg.. LXIX. Hd. 1915. 8. 321 H'. Der Verf. legt dar, „daß di.- f^berzeugung \on iler Notwendigkeit des Krieges /wischen Sparta und Athen der leitende Gedanke in der periklciM-hcii ]^)litik ge- wesen ist", und daß der Geschichtschreiber diese Ansicht des fcjtaats- inannes zum Ausdruck gebracht hat, indem er ..nicht aus formellen Pechtsgriinden eine iSchuld (Spartas) am Kriege konstruiert, sondern die Ursachen des Krieges in dem Zwang der Verhältnisse und dem Charakter der kriegführenden Parteien findet" (S. :326). Zu den (legnern der äußeren* Politik tles Perikles , den aus moralischen Hedenken der athenischen „Tvrannis" abgeneigten Elementen, sind nicht die So|)histen zu rechnen . vielmehr deutet Thukydides mit dem Tadel II 6!) in der letzten Pede des Perikles hin auf Sokrates und seine Richtung. „Denn die Zurückhaltung vom [lolitischen Leben, nicht aus Grundsatz, sondern aus der Unmöglichkeit, das politische Leben, wie es Avar, mit einer geläuterten ^loial in Ein- klang zu bringen, hatte keinen andern Vertreter als Sokrates" (S. 332). U. V. \V il am 0 w i t z - M ö 1 1 e ndor ff , der in seinem Werke über Pia ton (191;») Bd. I ein sorgfältiges Bild des AVeisen entAvirft, bezeichnet nicht diesen, sondern „die vornehmen Kreise der Ritter, besser der Kavalleristen" (S. 33) als Widersacher der perikleischen Peichspolitik. Bezüglich der Ursachen und des AVieder- beginns des Krieges schiebt W. die Schuld Theben und Korinth zu und bemerkt dabei: „Wir sind verptliehtet , dem Urteile des TJuikydides zu vertrauen, das durch jede ErAveiterung unserer Kenntnisse und Einsicliten nur bestätigt wird" (S. 32).

F. Meian Stawell. i'cricles and Cleon in Thuc. (The Class. (^Juarterly II. 1908) stellt, angeregt durch Corufords Werk (Tb. raytli. 1907) die Urteile des Thuk. über beide Staatsmänner nebeneinander und kommt zu dem Scblußurtcil : Pericles is a noble figure, Cleon. at tbe best, but a vigorous one. Ile lias not succeeded to ihe Pericleau ptdicy iu its fulness : he has only the lust of emjdre tor empire's Sake. Yet the selfishness Avhich is the e\il seed of lust Avas already present in Pericles and Pericleau Athens, and Thucydides saw it there, just as Aeschylus saAv it in the glory of othcr coni^uerors and kings (Ag. 374 ff.. 4G0ff., 750 ff.). Of the three Hgures that domiuate the three stages of bis bistory (one migbt almost say bis trilogy) Pericles, Cleou, and Alcibiades the first presents the

226 *^- ''• Widmann.

inonieut wlien the great house, as yet unsliaken, is füll of tlie peril that comes froni ]iri(lc anrl domination. 'JMuicydides savv tliis, and wliat he saw wuuld not pretcnd to overlook. So he condemns l'erioles , aud ont of his own nioiitli , but yet as a great soul con- demns, giviug füll credit to all uobility, yet in no way sjjaring guilt ; nothing extenuating, yet setting down naught inmalite; silent, generous, and Stern : as Velasqucz condemns Pope Innocent and Michael Angelo condemns the Medici. Die gleichzeitig erschienene Arbeit von .1. Hornbatli. Die Stellung des Thuk. zu Perikles und Kleon. l'rogr. Eichstätt 1908 war trotz Hemühungen nicht zu er- langen.

Fr. Uzun. De orationum in 'riiucydidca liistoria senteutiis et causis. Diss. Wien. 1909.

U. legt dar. dal) 'Pliuk. K'edcii ülier di(; wichtigsten Staats- angelegenheiten nicht bestimmten Personen in den Mund lege, sondern den Staatsvertretern, um objektiv zu bleiben, Einzelredncr dagegen auftreten lasse, um etwas klarzu.stcUen und um zu charak- terisieren . militärische Ansprachen einfüge je nach ihrer Not- wendigkeit. Es sei erinnert an Franz Müllers Dispositionen zu den Pedeu bei Thuk. 1887. Uzuns Diss. ist ziemlieh wertlos.

K. Hude rec. P.er!. pli. Wocli. :50. l'.»10. \o. 52. S. 1625 f. Widmann. W. kl. IMi. 1910. Xo. 54. S. 1389.

Ant. Siegniiiiid. Tliukvdides und Aristoteles über die Oligarchie des Jahres 411 in Athen. Jahresbericht des G_^n- nasiums in Böhm.-Leipa 1909.

S. stellt die Berichte beider übersichtlich nebeneinander und will Thuk. auf Grund der Aristotelischen Angaben „revidiert" wissen. Die ..Fünftausend" iiaben sich nicht konstituiert (Ed. M(!yer, Forschungen II 431), die ..Hundert" waren zugleich Y.aTaloyeic, verfassunggebender Ausschuß und als Buleuten Kern des oligarchischen Rates, sie führten die Regierung vom 14. 22. Tliargelion (nach Kunle etwa = 12.-20. April).

(Rez. W. kl. Ph. 1909 No. 45 v. Sdiucider). Kricgel, Der Staatsstreich der 400. Diss. Bonn 1909. Ledl. Die Einsetzung des Rates der 400 in Athen (Wiener Stud. Bd. ''.2 S. 38 f. 1910). Kahrstedt. Forschungen z. Gesch. d. ausgeh. 5. u. 4. Jahrhdts. 1910. tritt für Thuk. ein. A. S ad L Die ölig. Revolution v. 411 (Analyse ii. Krit. beider Berichte). Gymn.-Progr, Pola 1910.

Zur Frage s. auch C. Fr. Lehm a Ji n - H aup t in Gercke- Nordens Einleitung in die Altertumswissenschaft III. P>d. ,2. AuH.

Bcriclit ül)er die Literatur /.u l'luikvdidrs für die .Julirt' 1908-191'";. -227

1914. M. Pieper (Soknites 2. Jalirg-. LXVIII. Hd. 1914. Jahresber. d. Pliilol. Vereins S. 171) urteilt: „'riuik. kennt die amtlichen Protokolle sehr gut, er zitiert sie, ohne es zu sagen, aber er erzählt etwas ganz anderes , als in den Protokollen steht, »ind übt <lamit in der offiziellen Darstellung eine vernichtende Kritik, von der wir (dine Aristoteles nicht das geringste merken würden.''

'Phoni. Lenschau, Der Staatsstreich der 40U (Itli. Mus. lid. 68. 1913. S. 202 ff.) stellt den Beginn der Umwälzung an der Hand beider Perichte, in berechtigtem Zutrauen zur (Tlaul)würdig- keit des Thuk., folgendermaßen dar (0.209): „Anfang Thargeliou 411 (Anfang April nach Kunle S. 67 ff.) faßten die Athener in einer Volksversammlung den Beschluß . eine Dreißigerkommission (Arist. gegen Thuk.) einzusetzen, die bis zu einem bestimmten Tage (Thuk.) Vorschläge für die Verfassungsänderung machen sollte (Arist. Thuk.). Am festgesetzten Tage (Thuk.), dem 14. Thargelion (Arist.) fand die Versammlung statt und zwar aus noch nicht aufgeklärten Gründen im Heiligtum des Poseidon auf Kolonos (Thuk.). Die Kommission enthält sich aller Einzelvorschläge und begnügte sich (Thuk. gegen Arist.) durch Aufhebung aller gesetzlichen Ein- schränkungen den Weg für Anträge aus der Mitte der Versammlung frei zu machen (Arist. Thuk.). Nach einigen weniger wichtigen Vorschlägen, insbesondere auf Abschaffung der Beamtenbesoldungen (Arist. Thuk.) ward der Antrag der gemäßigten Oligarcheu auf Ein- setzung der 5000 angenommen (Arist.), allein dem entschlossenen Eingreifen des Peisandros gelang es, durch einen Zusatzantrag über die Wahl des neuen Rats (Thuk.) den Ultras den entscheidenden KinHuß auf den Gang der Dinge zu sichern. Bis zum Ablauf des Amtsjahres (14. Skir. Arist.) sollten die Vorbereitungen erledigt sein; dann sollte die Verfassungsänderung in Kraft treten. Allein der Verlauf der Dinge in .Samos (Konjektur) ließ es den Ultras rätlich erscheinen, nicht bis zum festgesetzten Termin zu warten; unmittelbar nach ihrer Wahl , die in der von Thuk. angegebenen Weise vor sich ging, entfernten sie am 22. Thargelion (Arist.) den alten Kat und rissen so auf revolutionäre Weise die Gewalt an sich, die sie von da ab ausübten , ohne sich um die beschlossene Ein- setzung der 5000 zu kümmern (ausführlicher Bericht des Thuk. c. 69, Iff.).'" Im 2. Teil beschäftigt sich I.. mit den beiden Ur- kunden bei Arist.

Auch M. 0. B. Caspari. On the Revolution nf the four Hundred at Athens (The Journal of Hellenic Studies. Bd. 33. 1918.

228 ^- •'• Widinami.

S. 1 14 1 fiiii)tiolilt t'iiu'ii iinparttMiscIicii Ausgleich zwischt^r» Aristoteles und Tliuk.

Erwähnt sei die Schulausgabe der Schrift des Aristoteles v. K. Ilud»' (Leipzig, Tcubner 1916) wegen der Gleichstellung de» Aristotelischen auf „unkritisch benutzten Quellenschriften" be- ruhenden Urteils über 'l'hemistokles und Perikles mit dem des 'l'hukydides nicht einwandfrei (Sokratos 6. Jahrg. liXXir. l'd. S. 386 V. Adolf Russe 1918).

II. l herlief eriiiig.

Die seit 1885 (1896) gewonnenen, von (irenfell und Hunt ver- öflentlichten T h u k y d i d es - Pa ]) \ r i sind (alle ]j. Chr.):

1. I l;59— 141. 4. Jahrhdt. Oxy X 1245.

2. II 2, 1. .-), 3. 4. 13, 2. 3. 15. 5. 2.-3. Jahrhdt. P. G. 257. Xicole. textes grecs iuedits de la collection j)a])yrologique de Gent-ve. 1909. S. 13 ff., wertlos.

3. II 7. 3—8. 1. 2.-3. .Jahrhdt. Oxy I 17.

4. 11 22, 3—25, 3. 1. Jahrhdt. Oxy VJ 878.

5. II 59. 60. Gießen P. 12, aus d. 4.-5. Jahrhdt., von Fischer mitgeteilt.

6. 11 73. 8—74. 1. 3. .Fahrhdt. Oxy III 451.

7. II 90, 5 91, 2. 1. .Tahrhdt. Oxy II 225.

8. III 58. 4—59, 3. 3. Jahrhdt. Oxy VI 879.

9. IV 28. 4—36, 3. 1. .Tahrhdt. Oxy IV 696 und I\' 36, 2 41, 1. Oxy I 16 (schon 1896—97 von A. 8. Hunt ver- öffentlicht).

10. IV 87. 5.-87. (;. 2.-3. Jahrhdt. Oxv III 452.

11. V 32. 1. 33, 2 34. 2. 40, 1, 96—98. 103, 2—105. 3. 111. 2 111. 3. 2. .Tahrhdt. Oxy VI 880.

12. V 60—63. 3. .Tahrhdt. Oxy IX 1180.

13. VI 32, 2. 2. Jahrhdt. Oxy III 453. unwichtig.

14. VIT 38. 2. Jahrhdt. Oxy X 1246.

15. VII 54—82. 2.-3. .Jahrhdt. Oxy XI 137ri. ' 16. VIII 6-11 2. Jahrhdt. Oxy X 1247.

17. VIU 91— 92. Perg. 7. Jahrhdt. mit liandscholicM. Wien. StuJ. VII. 1885 (Faijumreste v. Wessely behandelt).

18. Konmientar zu II mit umfangreichen Lemmata. Oxy VI 853.

Die unter Xo. 9 augeführte Handschrift rühmt W. .Schubart Kinfiihrnng in die Papyruskunde, lierlin. Weidmann 1918. .S. 93)

Bi-richt ül.cr die Literatur zu Tliukydid.'s für die Jalir.' 1908—1918. 229

als „ausgezeiclinet", Ja sie .,nicht nur viel Neues, sondern auch mehrere doppelte Lesun«eu" bietet.

Mit den bis 1911 entdeckten Paj)yri beschäftigten sich zwei junge Gelehrte. Ernst Voltz, Die Thukydidespapyri. Diss. Straßburg 1911 und Fr. Fischer, Thucydidis reliquiae in papyris et nieml)ranis Acgyptiacis servatae. Leipzig, 'i'eubner 19l;3, Er gibt den Text der Bruchstücke vollständig, soweit sie damals be- kannt waren. Fischer ist besprochen von K. linde (B. ph. Wo. XXXIV 1914. \... 2) N. T. fll 1914. Mu. 10. Ph. V. B. p. 161. K'evue 1914, 1. Kiv. XLIl 4. Zöd. 191Ö. 4. M. Pieper (Sokrates. 2. Jahrg. 68. Bd. 1914 im Jahresbericht des Philol. Vereins zu Berlin. 40. Jahrg. S. 161 ö'.).

Von (jrthograpliischen Erscheinungen der l'ajnri sind zu be- merken: 1. Schreibung £i für /. aber auch i statt li, /.. B. aif.i- i'i^ocog, 2. I adscriptum steht meistens, 3. v paragogicum ist oft \im zweiter Hand nachgetragen, 4. gleiche Unregelmäßigkeit herrscht liez. der Elision kurzen .\uslauts von e und (f. Auch die Variante

IV '^d, 2 ey/.aiE/.tufO^r^, das übergeschriebene /^ bei CGEFM, ei da- gegen bei BA, (derselbe Zwiespalt IV 8, 9. VII 30, 2) ist wohl orthographischen Ursprungs, ebenso vielleicb.t d<n- vorkommende Wechsel von o und ov wie bei den anderen Hdd.

Im ganzen stimmt die Überlieferung in den J'apyri mehr mit iler llandschriftenklasse des l^aur. C. , besonders TJX. P. II 225, P 1 16 u. P. IV 696 u. Fay., als mit B, mit dem P. 878 u. Gieß. P. 12 Verwandtschaft zeigen. Manche stark verdächtige Lesarten der seitherigen Überlieferung und offenbare alte Fehler finden in den l'apyri ihre Bestätigung. Daraus ergibt sich, daß der in den Hdd. stehende Text auf frühe Vorlagen zurückgeht und keinesfalls so arg verdorben ist. wie manche Verbesserer annahmen. Voltz (S. 21) hebt hervor, daß die .Sonderstellung des Britanniens M durch die Pap. nicht erschüttert wird und der J^aur. C „an manchen Stellen eine jüngere, schlechtere Tradition aufweist".

Die P. 853 (Grenfell u. Hunt t. VI 1908 S. 107 149) zu Buch II 1 45. 2 mit Lemmata gegebenen Schollen enthalten sach- lich wenig Wichtiges, bieten aber für die Feststellung des Textes mehrfach sichere Grundlage.

Folgendes ist hervorzuheben: IL 1. 1 /.aia i^tgi] '/Mi xsiuojvag korr, über dem Singular, 2, 4 yot^oÜai (st. ygr^Gaolfai), 4, 2 ix7ceiQ0L Ol TtoV.oi Avie die Hdd. , doch mit ly,(f>vyElv (st. i/.ffEvyEiv). Das TOr }.it] ty.cp. erklärt der Schob doppelt elg ro jtifj e/.cp. u. vjazE

230 !!5. P. Widnianii.

ui] f/qr. H. Richards (The Class. Qu. VI S. 141) hält o,s für Zusatz. Steup und Yoltz sehen in den Worten toare di€(pdeiQOVTo 0/ ;ioXXoi eine Interpolation, -t, 3 aviQav.i (st. aivQa/.lo)) wie Cramer Anecd. Par. III p. 84. 3. Steup liält au aivQuvÄii) gerade weg-en seiner Seltenheit fest. 7, 2 wird Böhmes schöne ^'er- nuitung hieza$av (hrExayaav?) gestützt. Dafür auch H. liichards (The Class. Quart. VII S. 243). 8, 1 avTi)Mf.ißdvoviai beseitigt.

11. 9 vt-ilv (st. tjf-ilv). Hudes Verbesserung ist also gerechtfertigt.

12, 2 s/.arQatevoiiiii'Cor, ygarpsvai vmI OTQnxevövziov (st. des richtigen c-^EOTQazEiiitviov der Hdd.), 13, 2 7rEQiovaia mit allen Hdd. außer C TTaQOvola , das ohne Zweifel unrichtig ist, 13, 7 vtto st. anu, trotz des vom Schol. versuchten Kechtfertigungsversuchs (Hom. II. 492) nicht am Platze, JMovvvyia wie alle, doch ist Movuyja wohl die alte Form, 15, 4 agyaioiaca Jioriaia von Steup auf- genommen. Denn es gab vier Dionysien ; der Superlativ ist daher berechtigt. (Vgl. E. Capps, „The more ancient Dionysia at Athens'' in Cl. Philology, Chicago 1907. II 1 p. 25 42). zij öcodi/MZ}, ist durch das Schol. gegen Verdächtigung geschützt. Grenfell (S. 143) urteilt: „The papyrus shows, however, that the interpolation, if it be such , is very early." Auch das vorhergehende ib (-v ytluvai^ Jioiioov findet hier Unterstützung (Cobet TO (ror), von Steup ge- billigt). 16, 1 [zy %]e ovv ETii Tvolr -/mtcc Trj[v yv')Qav ajizoru/uo) or/.r^aei' ueza to[v utTelyov] ol ^^O^r^rcdoL diaTrivyMTa[zr^vxi6]oay aLv6vof.wv or/.t]Oiv a[vzi xov t/;c| . . . or/.rioeiog^ UQrfzai öi- v7ceQ- ßazwg, to yccQ ^S.tj^ ^nl noVc uezelyov oi ^^i/i^raloi. Daraus schließt Voltz (S. 25), „daß es auch einen Text ohne inezeiyor gab," und die Beseitigung von (.itxtiyov durch Dri essen Be- stätigung erhält (so auch Fischer). H. Richards (The Class. Qu. VII S. 243 setzt (/)(^) vor f.ux€iyov zu. 21, 2 xi'jg yr^g, die an- deren Hdd. ohne Artikel (II 54, 1. 74, 1). 21, 3 mit ABfM öjQyt,TO = (■loeyezo. eyreO^iuei ' Iv hiotg dt ygäcpExca cjout^xo, so auch C. Stahl und Widmann ziehen ojoyr^xo vor, Fischer. Hude, Steup 0)Qf.irjo (wie V 1. 1). 22, 2 Iv (l)Qvyioig' xonog dr]f.iov '^O-f-iovicov. 22, 3 gibt zwar P. VI 878 dieselben Namen wie die Hdd. mit dem falschen Uagäaioi. Das Schol. dazu aber bemerkt lleiQaoiof ctno Ilt^Qeiag, tag e.v Ilr^Qth] l/geip' agyigoxo^og (B 766). af.iaQxcxi'ovai de o'i ygaifovxeg Jfagäoiot, tau yag xr^g t4oy.adiag. Der Text muß alsf> lauten: yiaQLOGoioi, (Dagod/uoi, fleigdaioi, Kgarriuvioi, IIvqcc- oiüi usw. 23, 3 steht im Pap. derselbe Fehler wie in den Hdd. : JIei oai/JiV st, des richtigen roa't'y.TJp (Steph. Byz.). 24, 1 falsch yiogiLEoD^ai St. yvjQig O^EoO^ai. 25, 1 y.\ai avO^gcjuiov] ovx, irovxojv wie in den

Bericht über die Literatur zu Tluikydides für die Jahr«- 1908—1918. 231

Hdd. (s. dazu meine xiusg.). 2 e/[()(>o///~ falseli st. fffjpowr). 37, 1 doi^c II St. Ti dga. iiO, 1 diaizc'tjLted^a st, diaiTontevot. 39, 4 nMur mit CG, ttIeiov ABEFm^ und das richtige l'JÜMf-iEv mit CG. 40, 2 wird gegen das wohl in CG aus Korr. herstammende evi das tv ze lolg aciolg (h'r anderen Hdd. und so auch avzoi gegen oi avToi (CG) gesichert, 59. 2 rcavTcr/öO^ev ze recht mit ABEFM, 91, 1 mit ('(J reclit hrioiQOrprir. Ebenda falsch oyoroai für )'ayoi'Gat. jiQug mit C- st. fc. afivvovj.iEvai.

III 58, 4 oyJWaa(}£ dt mit B, d^ßdrare mit den meisten Hdd., (' (io('(oere. 5 tQijf.iorTE wie die Hdd.

IV 29, 3 ä7iQoadoy,tjZOig korrigiert aus iog. 32, 1 eud^vg öiacf^eiQOvai tv ze za7g tvrcäg Iil avaXaußdvoi'iag za onka '/.ai /Mi}6vz€g ztjv anößaoiv olouevtov avzc)v zag ravg y.uia z6 EuoO-og fg l-.rpOQuov zijg vv/.zug iiLelv. Voltz will nach ivvalg tri noch ovzag y.ai einschieben, was nicht notwendig ist^ wie III 112, 3 be- weist . und nach aTTOfJaoiv das I^art, tzoiov/lieivi hinzufügen . was auch .1. U. rowell (The Classical Quarterly V 1911) vermißt. Docli vgl. dazu Vlll 17, 3. Dagegen verdient VMza zo Eicolhog vielleicht den Vorzug vor /Mia zo iO^og, das nur bei Diod. I 71. 2. II 24. 6 vorkommen soll, während sich /. z. EioDog noch 'Vh. IV (■>7. 4 und 7raQa zo EiwOng IV 17. 2, 55, 2, VII 60. 5, 75. 5 tiiidet. Allerdings steht 11 16, 1 Sia tO-og.

IV 32, 2 cnrißairtv richtig st. der falschen Überlieferung i:ießairov. 32, 4 wie die Hdd. Voltz (8. 15) will unter Hinweis auf Aelian tact. II u, Arrian tact. 2 mit Stahl itJi?>.ol tilgen; AVilam,-M. streicht o'i 7ioXt/.iioi il'iKoi. Beide Änderungen sind un- nötig, — 33, 2 tduvazo. Hdd. j^Ju-azo. 34, 1 £Vr6'x£n' falsch st. EnE/.i}Eli\ ä/nvvaoO^ai korr, über UiivvEoiyat, wie CG haben, während ABEF.M (utvvaol^ai bieten. ozE tiqCjzov Avie die Hdd. außer M, dei- ozE zo :to(~)Zor hat. 35, 1 aPEXcjot^oay (Hdd. tyv'joi]oav) lg zo toyazov i^QVf.ia zijg vi'iOOV oh rroXv aitLyßv (Hdd. o ol ttoXv (ccElyE), 35, 2 Irzaviya ()'/) (Hdd. Tjöt]), diarpEiyoviEg (falsch st. Aor.) ^rgög (st. ig) zo Igvf^ia' df.ivrocuEvoi mit ('. 36, 2 7rQOOßaivojr mit C, tzqo- ßaivwv B. 7iioiEvovTEg, Hdd. niazEi'aavzEg. 36, 3 u. 37. 1 wird die Wortstellung durch a und ß korrigiert in /;()*, ixQazovv und i-i'()(i'jaovai fiu?J.oi'. Daß Sjiratt in seiner Ausgabe diese Um- stellungen mißverstanden hat, bemerkt Hu de ( Berl. ph. Wo. 32. 1912. S. 547). 37, 1 J}]f.ioGi>Evi^g ei^ ohne on, das v. Herwerden schon gestrichen batte. zd oVrAu nagaöoivai, das Krüger beseitigte als Glossem zu y.r^Qryf.iazog aus dem Folgenden, steht auch im Ox. P. 1 16, 37. 2 lovlovTCti riehtiir st, Sovloivzo der Hdd. 38. 1

2 32 ^- ''• Widiimiin.

ftj'o/.w/»~L: koiT. ans ara/.coxiig, ?rpoT£^or aus jcQOViQcov, i:(f i^Qi](.itvov koiT. in frfEi'Oi]iuvov das Voltz als alte Erklilrnug streichen wilL Aber erpfjOi^utioc ist recht, wenn 'iTiTray^tiTOV als Aratsname «refalJt wird. 38, 1 t'Aefe st. tKeye wohl richtig. 38, 3 iuptvio)i> wie die Hdd. . korr. in acpiivTiov von (^obet, ort ^ia/.Edaif.i('n'iui, nicht on oi wie die Hdd. 38, 4 ()ih)oO(xi' Ixisser als (hfdidooav der Hdd. anßer KN. 38, 5 aiadaia rieht ig . korr. aus ozadia 39, 1 0/ ovögeg ii' zf^ yr^ooi mit M, o'i ((idgeg a'i die übrigen Hdd. 39, - oliog Tig, Hdd. ohne zig. 8T. 5 .iXeiozotg, irleiovg CGi AIH^F, rtleiovag M. 87. 6 at^ivi.azov, Hdd. atdiov. Vol tz (S. 29 fi".) tritt wegen I 33. 1 und anderer Stellen bei anderen ►Schriftstellern für äeiuvt^azov ein. Ox. hat falsch Inhnitive st. i^ovkeveoOe und ((ytürioaai}£ , aber nowzoi wie die Hdd., nicht 7iQi~)Z0v, was ein Druckfehler war nach brieflicher Mitteilung Grenfells an Hude (14. Okt. 1903. s. B. ph. Wo. 34. 1914. No. 2). V Gl, 1 :rQiv \] tTZi .lagijoav statt tzi yag 7raQ7iOav. 2 nagowog (Stahl unnötig- ycagiui'Tog). V 97, t^io loi /.ai , wie Krüger verbesserte für /.ai Tov. 104 ov Tzgog, Hdd. ngog ov dr/.., was besser ist. Voltz weist auf n 71, 2. 87. IV 22, 2. 97, 2. V 35, 4. aioyjvj] ohne y.ui. das leicht nach "»exa ausfiel. 105, 1 zb i^elov wie die Hdd. falsclj, dr/.aioiiiiivrjg „mit avi}goj7TEiag nnvevQxnhar''' fSteup, Ausg. S. 224). 105, 2 and cfioeto^ mit Dion. Hai. de Thuc. 40 schlechter als vno der Hdd. Hude zieht ano vor. /.oivo) ..Schreibfehler" für '/.(.i- u!'v(i>. av hinter hf-iitg fehlt im 1*. Doj^peltes av ist aber altattisch. VHI 92, 2 u.reffvyF, fh^cpO^i] , aXXo \] czi. o ^gioio~/.gdztjg,

3 ^äg, vMzaitdedgdf.n^y.f:.oav^ 4 fTegovg st. des richtigen f-zaigovCy 5 ^ßovhELEZO St. ißrjV?.£TO (B) 6 og (B).

In der Besprechung der Fischerschen Diss. gibt I'ieper über die Haudschriftenklassen eine ('bersicht und einen Überblick über die durch C angedeutete mutmaßlich ältere und „sinngemäliere" Einteilung des G(;schichtswerks in 13 Bücher, auf die auch nach Wilamowitz die Selbständigkeit des B von VI 93 an weist. Die heutige, .schon zu Diodors Zeiten übliche Einteilung in acht Bücher (Diod. XII 37, 2. XIII 42, 5 gibt auch neun an) erklärt Tieper in einleuchtender Weise „aus technischen <jründen" des Buch- händlers, der die lioUen des Werks möglichst gleich lang wünschen mochte. Dazu s. W. Schubart, Einführung in die Pa])yruskunde. Berlin 1918. S. 48. Genauer behandelt diese Frage Otto Zosel in seiner Dissertation „De excerptis historicis Constantini Porphyro- genneti iussu confectis f^uaestiones Herodoteae, Thucydideae, Xeno- phonteae. Greifswald 1913. S. 25 f. (Vgl. E. Kaiinka. Zu Thuky-

Brriclit iiiicr die [jitoriitur zu 'l'lmkydiilis für dir .Jiilirc 19U8 191S. 23:^)

<li(les: o. Die Einteilung der ^iyyQacf'i]. Festsclirift für Oomperz 1902 p. 100).

H. Kic-hni-ds ('l'lie ("lass. ^uarterly V 1911 S. 263 will im Thuk-Kommentar der (»x. Pap. Vi 130 col. XVI G. Zeile zolg i)Ö6iüg dia . . . oip nicht mit diaiTiooiv (= öiaiTiof-itvoig) sondern mit dtdyuroiv ergänzen.

Kec. über Fischer s. Uivista di filologia e di istruzione classica. Bd. A'l. UH-I. S. t;26f. (C. O. Zuretti).

Zu den früher von Grenfell und Hunt verötfentlicliten Bruchstücken gesellten sich 1912 und 1914 die neuen Oxyrhynchus Papyri Bd. IX 1180 (V 60—63), Bd. X 1245 (I 139 141). 124G (VII 38), 1247 (VIII 8-11), Bd. XI (1915 während des Krieges nicht eingegangen) 1376 (Vll 54 82). Die ersten bieten wenig Beachtenswertes. 140, 5 yccQ liga/J- coizo (Hdd, ßQCiyJ: zt tocto). Der Pap. bietet mehrere Fälle der Verwechslung von e und ai ; daher lälJt sich der Fehler der Hdd. yMiaarrOEce st. '/.aTaaiioaiTe nach ai' erklären. Mit ar -/.avaODj endet leider im Pap. die Zeile. VII 38, 1 dvibiaktt [xd] Trjg vavf-iayJaQ mit BH, die andern Hdd. ohne Tt^g. VIII 8. 3 12, 2 zeigt ebenfalls Verwandtschaft mit B : 8. 3 xov vovv f^iäXlov B, die anderen Hdd. uakkov zov vovv ; viel- leicht stand auch wie in B f7riöiarp€Q0i.tevag. 10, 1 £/n^y\y^li^rjaav\ ydo a'i o.iovdai, wie in B, die andern Hdd. haben a'i OTCOvdai nicht. 10. 1 mit C kr^oovai, die andern mit B lijaojoii'. KeyyQEtcoi , B falsch KeyyQEiüi'. 2 spricht der Umfang der Lücke mehr für ^//Kaf.ttvi}v der Hdd. als für Idl/Mia-vr}. vni]yov mit B und Scho].. die andern Hdd. falsch infiyor. 3 eg tTcza, Westermanns Zu- satz von ig bestätigend. Die Randbemerkung elg ILeiqchov zu dem allein erhaltenen gaiov läßt die Möglichkeit zu, dali im 'Text das von K. 0. Müller vermutete eg ^uEigaiov stand.

Das Fragment 1376 prüft K. Hude genauer in dem dankens- wei-ten Aufsatz: Les papyrus et le texte de Thucydide (Oversiglit over det kgl. Danske Videnskabernes Selskabs forhaudlinger. 1915 Xo. 6, presente dans la seauce du 19, Nov. 1915) und stellt sein Verhältnis (0 1376) zu den übrigen Hdd. fest.

Bessere Lesarten bringt 0 YIL 55, 1 oigazEiag (A. Portus), 2 f.i6vaig ÖT] (Gertz), 56, 2 hcl jioXv (J. van Leeuwen), 3 fehlt te nach TtQOxivöiiEcaaL (Krüger), 57, 6 JwQifjg Jojqieioi, 65, 2 07C0jg oliaO^avOL ohne äv (Herwerden), es war der einzige Fall des Opt. mit av im Finalsatz bei Thuk., 72, 3 fehlt tTi (Classen).

Schlechtere Lesarten sind : 54 Tiü nsCi^, 56, 2 avEVEyxEiv statt

234 ^- '"• Wicliuann.

tyey/.elr, GO. 4 ciraoai, vjg oiör r i)v -/.cd log s$ aray/Mwu, 62. 1 T / 0 [. aQtoy]a otiier (darüber dio sonstige Überlieferung) , 63, 4 fehlt ojr, GS. 1 di/Mtiog l'wai st. öi/mkogcogi, 72, 3 tolg ds 7to/.e- fiiotg, 73, 2 tt /Ml edoy.Ei, 82, 1 ol ^cQa'/.6oiOL y.al $i'i.ij.iaxoi.

Zweifelhaft sind: 55, 1 fehlt /itfv, 2 ouozQO/ioig, 60, 3 äray- v.äoavTag [Tiavi]ag soßairEir, 73, 2 z€ vavpiayjag, 3 (pO^aawot, 81, 1 fehlt das zweite re.

In t'bereinstimmung mit geringeren Hdd. bringt 0 bessere Lesarten als die Vulg. : 63, 4 öi'/.anog ohne «)', 73, 3 OVA knEii^e (Krüger), Aveniger gute 57, 5 ohne Boionoi. 65, 1 e7rißov?..}]y 2 ctviikaßeiv, zweifelhafte 73, 1 noi\ 81, 2 EVBy.vy.}.orvTO.

Über das Verhältnis von 0 zu den Hdd. urteilt llude : Mit der Klasse o (= CG^ AFEM) bietet 0 die den Vorzug vor B ver- dienenden Lesarten: 55, 1 /.al rod rcivziy.ov, 56, 2 za Ttgäyf-iavct, öl, 1 lydoTOig (mir schlechter scheinend), 9 fehlt y((Q, cxei 7coke(.iiovg (B falsch, aber ein Zeugnis für seine treue Abschrift : ?^ei7T0/.i£P0vg), 62, 4 ov'ffjyc, 63, 4 ort y.al f.tez\ 66. 2 ohne de, 72, 2 eßovXevovzo (Steup hat ißovlovzo als das richtige Wort bewiesen), 73, 1 TTQOcpd^doavzag (B: dia'Laßövzag gleichfalls von Steup mit Recht vorgezogen), 2 avzolg '^Hga/Äel, rezQucpi^ai. B Tezdcfd^uL) , 80, 2 IJioog, 81, 3 /.al srBvzriy.ovza (Widmann verteidigt B f:/azbv y.al jiEvzTf/.ovza) Oi'jzriQiav (B : ac-Jzr^Qiov scheint mir das j^assendere). Als minder gut bemerkt H. : 57, 4 Tr^ioi. 11 ohne re, 62, 3 ohne dt], 78, 6 e/MZ€oci, als zweifelhaft 60, 2 daÜ^eviai (B aoOevoiair), läoag. Mit B stimmt 0 überein : 56, 4 fehlt dtj , 57, 4 ye, 8 f /, NavTidy.rov , 9 i'iffeliag (unentbehrlich), 11 2l'iy.eldjv (die andern Hdd. falsch ^ly.eliwzojv) , 58, 4 o dlXog (Artikel von Sp. ver- teidigt), 62, 2 XQ^j (die andern ^.iyj), 67, 1 de rcokku . . . EXn\g fehlen in den andern), 2 ^'/.aozov, 72, 3 e<(7t fehlt, 4 ze zfj, 80, 5 e/rl, öid zijg, 81, 4 ohne das zweite T£, In diesen Stellen haben BO das Eichtige. Weniger billigt H. die Übereinstimmung 55, 1 ijdr^, 57, 7 6a (corr. 0^}, 66, 2 T^g Tle'koTiovvirjöov ze, 73, 2 7re7zav- (.livovg (dvanETiavutvovg der andern Hdd. ist eher Korrektur). 57, 6 iuecpeQOv (aber ohne Zweifel richtig), 81, 2 ör/a i\drj (sonst dri). In der Wortstellung 57, 9 slcoi/özeg ihai, 66, 1 atiTOji/ oi'rw stimmt U zu B, zu den andern Hdd. 56, 2 aiztZv al'zioi, 57, 4 wrfg q^ugoc, 65, 3 7cdvza tzol^ia.

55, 2 scheint (J gehabt zu haben ralg y.al iTiTtovg '/.al ^isyedr^, das jetzt auch Hude als die richtige Lesart nehmen möchte. 73, 1 bestätigt 0 die gute Überlieferung von BCG d y.al, 56, 2 das von (' allein gebotene y.w?.tooi(n (sonst y.coXtooJGL) und das allein rieh-

Bericht ül)cr dir Literatur zu Tlnikydid.s für dif .laliro 190S— 191S. 235

tige fpoßov (CG), dagegen auch Avu Ausfall des dortigen zweiten VTto (C) und des xat vor cr/.oriiazai G7, 2 (CE). Mit (JE liat 0 73, 1 ujioxojQ)[oaaa gegen V7ioxojoi'^oaou der andern lldd. ; mit C lälit 0 stets das i' HfEh/.voxrMv fort. Im ganzen also steht das Jiruchstück zwischen beiden KUissen. Von Wichtigkeit für B ist, daß aucli 0 an 57. 9 u. G7, 1 keine Lücke aufweist, sowie Fragm. 1247 mit B allein ai OTCovöai liat. Die Lesarten des B 62, 4 toofievr^g (st. oi'ar^g) , 73, 1 SiaXafJoviag (s. o.) und 81, 3 Ivmiüv /ML ir. hält H. für korrigiert und warnt im allgemeinen vor den Besonderheiten des Yat., der der gemeinsamen (Quelle nicht so nahe stehe, als 0 iind C.

Ahnliche Korrekturen, sagt er, finden sich nicht in den drei größten Papyrusstücken: 1376, 16 + 696 (4. Buch) u. 853 (2. Buch); sie tragen konservativen Charakter (s. Widmanns Rez. Berl. ph. AVo. 1917. Ö. 494). U. v. W i 1 a m ow i tz- MöU e n d o rff erkennt in 0 einen Gewinn für die Rezension, der B zugehört, auf die er 1915 auch Varianten in MFj G zurückführte (Sitzgsb. d. jjreuß. Ab. d. W. 39. 1915. 29. Juli). Anknüpfend an die beiden Re- zensionen für den Text Herodots bemerkt er: „Wer auf eine schwört, verdirbt den Text. Dasselbe gilt von Thukydides, wo wir leider nur für das letzte Viertel die Rezension des Vaticanus besitzen." Dann fügt er hinzu: „Diese Redaktion ist nun in den Oxyrynchos- papyri 1246, 47 ans Licht getreten, die immer noch nicht ganz überwundene Ablehnung des Vaticanus ist da- mit abgetan. Die andere Rezension besitzen wir sowohl in C (mit G, M) als auch in der Ausgabe des Marcellinus (A, dem größeren Teile von B, E, F) ; dabei hat sich vereinzelt irgend- woher Brauchbares iu G, M erhalten. Leider hat Hu de die be- rechtigte Anerkennung von C wieder , methodisch' übertrieben" (Piaton, Bd. II, Berlin, Weidmann 1919 S. 330). Es ist die kürzeste und beste Beurteilung der Handschriftenklassen für Thuk.

Wolfgang Wiesmüller, Untersuchungen zum II. Buch des Thuk. München. Diss. 1910.

Im ersten Teile der Untersuchungen prüft W. den Wert der Hdd. , im zweiten gibt er textkritische Beiträge. Insbesondere be- trachtet er das Verhältnis des cod. M (Brit. Mus.) zu der von Hude festgestellten Gruppe b und kommt zu dem Schlüsse , daß er dem Archetypus näher steht, als der Vat. B, daß auch der Pal. E trotz verschiedener Interpolationen eines „selbständig handelnden Philo- logen" (Itazismen, Jota adscriptum) und Lücken größere Würdigung,

236

S. P. Widiiiaiiii.

als seither, verdient. Mit Hude ist er der Ansicht, „daß den größten Ansprnch auf ]nteg:rität der Überlieferung (in den sechs ersten Hiuhern) cod. C machen kann." Das Stemma der Hdd. gestaltet

er foljrenderniaßen :

Aivhotypus

Mit Hudes Überschätzung des C ist W, nicht einverstanden und mißbilligt seine „Konjekturalgelüste". II 4, 2 schützt er Ol Ttoklol , wie ich in der 6. Aufl. (1894) und Jones. Auch Mills (Ausg. 1913) erklärt „the majoritj of oi TtlEioig, not of the whole nuniber . as is evident from 5, 7". Die von W. verteidigte Ver- besserung 51, 4 \}eQa7iEiag in ^eganeia (Madvig, Hude) ist nicht zu loben. Hätte O^EQajieia ursprünglich gestanden , keinem Ab- schreiber wäre es eingefallen, es in i^egarttiag zu verändern. 75, 1 weist W. mit Recht xov f.ir]d6va ene^itvai (CP, Hude) zurück, auch mit Berufung auf die gleiche Verwechslung von e/ti und tri bei C 51, G (sTCiöiaqi/aQijvai st. I'ti ö.) und die ähnliche Stelle 4, 4 ojote ur]d€ zavTi] t^odov I'tl eivai. 75, 3 schreibt er mit Hude yfa/.eöai/iiovlwv re oi ^evayol '/.ai (CG) (-/.äatr-g 7c6le(.üg (o/) lffEöti~)Teg (Hdd. ^vverpeoci~)Teg). Dagegen verwirft er Hudes Be- vorzugung des C 80, 1 tXvcidag d^ehai st. tX7ilöa usw. als un- gerechtfertigt, erstens weil tXniöa eivai, einen Bc<^r\ü( ^= fXni'Ceiv bildet, wobei der Plural unstatthaft ist, zweitens danach ein In- finitiv folgt. (Bei VIII 89, 1 steht ehiiöag t'x^i. „Die mit ty^eiv gebildeten persönlichen Wendungen lassen mehr Freiheit im Aus- druck zu.") In der Verbindung mit eh'aL, die sich 11 mal findet (II 85, 4. 102, 3. III 3, 3. 31. IV 70, 2. V 9, 8. 102. VI 87, 4. VII 46. MII 40. 3. 87, 4), steht kein Adjektiv bei r-lnig außer

Boricht über dif F>iü'ratiir zu 'riiukvdidcs für dif .ImIih" 1008 1918. 2o7

VI 87, 4 und VIII 86, 7. II 8r,, 1 schützt er fUJ.iii) (Hdd.) gegen Nabers Änderung ßelriof (Mnemosyne, N. Ser. 14, p. 101), die Ilude in den Text nalini. (ieXtuo = rüliinlicherer (Ausgang) ist durchaus passend. II Id. 1 : ..schon die Konzinnität mit He/.o- Jiovvt^aov (Land!), womit ^i'uu. durrh /ml verbunden ist, erfordert •den Begriff" ^fiiuayjdu" (mit Hude, gegen AI'. EFMy ^viif-iaxiav. 11, :{ : tovTOv i-'re/.a recht gegen lovaov VvevM (Hude mit Vj). 24, 2 liest W. mit M iQn'jQSig iE . . . r$aiotzovg iycoit'jaavto y.ctxa xhv eriaiior i-YMiov tag ßeXxiacctc. Die (Jründe sind nicht durch- schlagend. SC), 1 .%• Tt^v 7iaoa).iax' \yttv\ mit C.

Über die von Tliuk. benutzten Inschriften, deren Urigiuab^ Avieder aufgefunden sind, berichten V. (rar dt hausen (N. Jahrb. f. d. kl. Alt. 33. Bd. 1914. S. 249) und K. Heinze „Von alt- griechischen Kriegergräbern" (N. Jahrb. f. d. kl. Alt. 35. Bd. 1915. S. 3), beide Über I 132, 2 (s. ferner Th. Bergk, Poet. lyr. (ir. III 1914, 4. Aufl. 8. 481. .loh. Geffcken, Die gr. Epigramme. Heidelberg 1910. S. 5. 28. 38. 40), Clardthausen auch über V 47 und VI 54, 6. Die rechten Zeilenschlüsse der Urkunde V 47 auf der Marmortafel in Athen JG. I Sujipl. 46 'j .S. 14 entsprechen genau dem AVortlaute bei Thuk. Vgl. A. Kirchhoff (]\Ionatsber. d. Berl. Akad. 1880 S. 834. 8itzungsber. d. Berl. Akad. 1882. 1883. 1884. Larfeld, Handb. d. gr. Epigr. 1 (1907) S. 17f. Hermes XII (1877) 368. 472. Die Inschrift auf der ehernen Schlangensäule (I 132, 2), die Konstantin d. Gr. im Hijtpodrom (jetzt Atmeidan) zu Konstanti- uopel aufstellen lieli, ist abgedruckt JGA. 70 = Dittenberger *Syll. 43 I. 1915 No. 23. Über die am Ilisos aufgefundene In- schrift VI 54, 6, die „in feinen, aber durchaus deutlichen Buch- staben ausgeführt" ist, vgl. auch Nachmanson, Hist. att. In- schriften Xo. 2. Kern, Inscr. Gr. No. 12 mit Abb. Wilhelm, Beitr. z. gr. Inschriftenkunde S. 111. Andere s. Dittenberger a. a. 0. No. 23. 43. 64. 66. 67. 68 (zu I 36, 2. 44, 2. III 86, 3). 73. 74 <zu II 70, 4). 75. 76—95. 104. 105.

„Zur Stilistik der älteren griechischen Urkunden", daher zu Thuk. V 18 u. 77 bringt W. Bann i er einen lehrreichen Beitrag, Beispiele der Wiederholung desselben Verbs oder Sub- stantivs in demselben Satze (Rh. Mus. Bd. 67. 1912. 8. 523 u. 525).

•Tahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 178 (1919. I). IG

238 ^- !'• Widiiiann.

111. Ausgaben und Ubersetzuiigeii.

rhukydides erklärt von .1. Classen. 2. Band. 2. Buch. 5. Auflage, bearbeitet von J. Steup. Berlin, Weidmann 1914.

Die vierte Auflage des zweiten Buches erschien im Herbst 1889. So zeigt die neue mancherlei Änderungen, überall die gewohnte Sorgfalt der Prüfung. An mehreren Stellen hat der Herausgeber dem Laur. C den Vorzug vor den Lesarten der anderen Hdd. ge- geben : 4. 2 i-(pevyoi\ IG, 1 Tt.~)v re agyanov, 21, 3 ioQf.ir/ZO, 29, 3 er/.og le, 4ti, 1 (fi?My,aXovf.t€v re, 43, 5 iaiiv (st. ^'ffr')» 49, 8 /.caioy.i]7CTe yoQ y.al, 62, 2 /.(ovcov, 68, 3 e/.iioe fiiv, 85, 3 rrgog- 7iEQii]yyt,ikav, 87, 3 ijooäai^rti, 94, 3 anbnXtov. Gleichwohl ist er _im Hinblick auf die viel größere Zahl von Stellen, an Avelchen diese Handschrift Verkehrtes bietet, auch jetzt noch weit davon entfernt" ihr überhaupt oder für einige Bücher einen entschiedenen Voi'rang vor den anderen Hdd. zuzuerkennen oder gar ihren Text als die eigentliche Überlieferung des Werkes des Tliuk. anzusehen.

44. 1 falJt er oj-iolcog jelzt als = in gleichem Maße, Grade, wodurch der Pessimismus des Satzes etwas gemildert werde. Mit den Änderungen kann ich mich auch jetzt noch nicht befreunden, weil sie zu gewaltsam sind und gar nicht der Absicht des Redners, Trost zu spenden, entsprechen. Das fühlen die Verbesserer selbst, und so kommen sie von einer Änderung zur andern : ro d'iVTvyJg soll xöde EVTvyJg werden, oig Kest von oXiyoig sein, ivTeleiTTjoai einem anderen Worte weichen [evT£?^EVTi]Oat, lra?^yrjoai., slkv/tr;d-iji'ai, lvia?MiycojQrjaai), neid-eiv ersetzt werden durch /idj 7cod^€iv, /tev^Eh; uTiaiieiv, a/ia'Ayslv. Der Stein des Anstoßes ist das sonst nicht vorkommende evielsvTr^oai, und doch ist gerade dieses Wort neben dem iyevdaifuovr^aai und mit ihm der geeignete Begriff für die ivuuETQia des Lebens. Gewiß, der Redner spielt mit den Worten, indem er auf das iv den Nachdruck legt. Hätte er gesagt: oig sv tcdüLi-iovia xeXevxriGai y.al iv xeXevTfj Ev6aij.iov7jGaL §vi.if.i£TQia rof- ^ßlov iyivEio, dann würde man vielleicht weniger zu tadeln haben. Nun aber drückt er sich nach seiner Weise kürzer aus durch die enge Verbindung der beiden Begriffe evdai}.iovia und TtXevTri mittels des zu beiden gesetzten ev und fügt nur der Deutlichkeit wegen das bfioicog hinzu. Mit ot av Xayioaiv ist ein allgemeiner Fa.ll der Gunst des Glücks bezeichnet , der durch den Zusatz toOTiEQ o'iös i.iiv vvv ze'/.evttjgj vf.iE7g di Atvrjjg (= wie diese ihn jetzt im ruhmvollen Ende , ihr in der ruhmvollen Trauer erfahren) als vor- liegend bezeichnet wird; mit oig ^vvE}.iezQr^l/rj dagegen wird die

ncriclit übi r dir Literatur zu Thukydidcs für dir Jaliro 1908—1918. 239

Tatsache augegebeu, daß den Gt'fallenen die ^LUi-ierQia des Lebeus im Ende z.n teil wurde, das zeXevii] und e.iöait.iovia zugleich für sie geworden ist. Mit diesem Gedanken trauernde Eltern zu trösten, das ist freilich schwer, weil diese im Hinblick auf die eccvx^^' anderer sich stets an das erinnern, was sie verloren haben. xVber gegen diesen Schmerz muß die Hoffnung auf andern Nachwuchs und der Gedanke an das Eiirenopfer für das Vaterland Kraft ver- leihen.

Kec. BBG. 50. 1914. Boll. XXI 2. BpliW. 1915. 25. Wo. 1915. 2. Museum, Leiden. Mai 1916.

E. C. Marchan t, Thucydides, III. London 1909.

Wie die Ausgabe des 6. Buches, so gewinnt auch diese des 3. Buches durch die übersichtliche, klare Einleitung, die Zeittafel und den Überblick über die Ereignisse von 428 425, die er topo- graphisch festzustellen sucht (Maloeis e. 4, 5 = Küstenlinie im Nordwesten des nördlichen Hafens von Mytilene , die "/a^ädga c. 25, 1 = Bach von Alissida) , sowie über die Sprache des Ge- schichtschreibers. Ein Verzeichnis der besprochenen Worte und grammatischen Erscheinungen erleichtert den wissenschaftlichen Ge- brauch der Ausgabe.

Unter den Hdd. stellt M. den Laur. C am höchsten, den \'at. 1! als nicht frei von Korrekturen an zweite Stelle. Über die wich- tigsten von M. aufgenommenen Lesarten, bei denen er gewissenhaft die Ansichten nicht englischer Gelehrten berücksichtigt, habe ich Wo. kl. l'hil. 26, 1909 No. 45 das Nötige mitgeteilt. Für die Textgestaltung kommen die eigenen Vorschläge nicht in Betracht außer: 108, 2 [/«/] hinter Ai.i7iQayAiüTai zu streichen und 113, 4 nach ov/. oqu . . . fffr/r ein Fragezeichen zu setzen. 67, 5 „It is best, to suppose a slight break after /.QivavTEg, as though the rest were an afterthought". Das will mir nicht scheinen. Ich betrachte ivvotia yc'(Q als Parenthese (siehe meine Textausgabe.

Kec. Athenaeum. 1909. S. 325.

T. K. Mills, Thucydides Histories book IV., with a general introduction by H. Stuart Jones. Oxford 1909.

Die kleine Textausgabe von Jones (1898) bildet die Grund- lage für den Text und den kritischen Apparat dieser gefälligen Ausgabe, die mit einer guten Einleitung auch über die Handschriften, einer Übersicht über die Begebenheiten auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen, über die mutmaßliche Stellung der Athener auf

16*

240

S. V. Widniann.

Pvlos und eiiuMii dazu gohövigen Pliinclien versehen ist. Mit den

deutschen Ausgaben ist M. vertraiit.

Neues liringt er nicht.

Wo. kl. Ph. 27. 1910 No. 51 (S. P. Widmann). Athenaeum 1909. 8. 326. REG. 1910. No. 103/104. 8. 366 f. (T. K.) KEA. XIII 2. 1911. Ö. 228 f. (L. Bodin).

Derselbe, book II. 1913 mit derselben Einleitung wie b. IV von Jones.

'itt

'ress Series. )

Tiiucvdides b. IV. ed. bv A. W. 8|»ratt. (!an)bridge, at the University Press li)i2.

Der Herausgeber dieser schmucken Ausgabe, die mit ziemlich ausführlichen kritischen und erkläreiulen Anmerkungen sowie mit guten Indices über Sprachgebrauch und Namen ausgestattet ist, verfährt konservativ, macht jedoch einige Anderungsvorschläge, deren Berechtigung ich bezweifle. 3, 1: t^uelyopio {('ig.) ig. 10, 1 iiälXoi' d' (st. r^} und {<og) y.ai. 12, 3 (ta) ud/jara. 13, 4 ä /.ai oder mtSQ. 16, 1 '/.cd jcktor (st. nKolor) in^öei'. 30, ;> ('/<,■ In aSid XQBwv. 37. 1 yviüfirj («/}) o/r/.a nagaöoivai ^= their resolution not to ask for quarter. 38, 3 [«»'*}(> | vermeintlich ent- standen aus dem folgenden ajCi]'y{yet}.ev). 43, 3 tßaXXöv xe (st. Sä/.Xovreg. 63, 1 dta to i^dt, (poi>e(jbi rcaoövcog rov ^40iqvaiov. 67. 3 arpavog dt] el'v jj qcXciY.ziov. 105. 1 $L\ufiayiy.ür (ti). 110, 3 ngog h'jffov. 117, 2 af.ivv6/.(£voi {ei) /jvöcveroier, /Mra/.QairjaeiP (cf. Vi ob, 3J. 123, 2 lüv TOTE tf.iikh]Oav or/Jii (ri) ariiTCoi'. 128, 5 TOI dvay^aioi (rwv) ^vi.t(fOQwr diaazag (cf. V 99). 120, 1 ist dem Herausgeber f-ntJQyovro , 121, 1 nQOOt'^Qyovru ct'ig (st. li ctig oder ag) verdächtig. 81, 2 möchte er evi^vuiav (V 16, 1) 8t. ETTiifvi^ilav setzen, weist aber selbst auf V 15. 1 hin. 80, 3 ist mein Vorschlag y.aivoi'ijTa, nicht der s[)ätere ^iiaiövrjia (Wo. kl. Ph. VII 1890 S. 332) angegeben. Später erschienen mir beide Änderungen für o/.aiöci^ra unnötig wegen der Hedcutung von a/.atog in Fragmenten des Sophokles und Euripides bei Stob. Fior. (ed. A. Meineke) 1 S. 63. II S. 311 u. 3 IC.

Rec. ('. F. Smith, Class. phil. VIII. S. 375 aus guten bes. deutschen (Quellen geschöpft. Class. Review. XXVII. 1913: Jones urteilt nicht besonders günstig über die Textgestaltung.

Hude: B; ph. W. XXXII. 18. 1912. S. 546 f. L. G. Gilders- leeve: AJPh. XXXIII. 2. 1912. S. 212—214.

T h u k y d i d e s erklärt von J. Classen. 3. Auflage, bearbeitet von J. Steup. Berlin.

5. Band. 5. Buch. Weidmann. 1912,

Bcrielit über die l.ittratur zu 'I'liiikydiilis für d'w Jiilirc 1908—1918. 241

Seit Evscheinen der noch von ('lassen besorjj,tcn 2. AuH. (1882) waren drei .Jahrzehnte verflossen. Die neue Bearbeitung zeigt, wie erklärlich, daher starke Änderungen in iler Gestaltung des Textes und in) Kommentar. Dagegen stimmt .Steiip durchaus C'lasseus Annahme des unvollendeten Zustandes des '>. Buches zu (derselben Ansicht ist Wil. -Müll.) und sucht diesen naclizuweisen, indem er zahlreiche .Stellen lindet, die „mangelhafte Ver- und Einarbeitung" verraten sollen, andere mit „isolierten Notizen", was schon (blassen hervorhob, Stelleu, die uns weniger sagen, als wir erwarten. Auch die schriftliche Überlieferung hält er in diesem Buche für ver- hältnismäßig schlecht: er entileckt eine Menge von Lücken und anderseits viele Hinzufügungen von fx*erader Hand. Tür die Kapitel 13 17 bemühte er sich schon vor längeren Jahren (Uliein. Mus. XXV 1870, 273— SO^n <Uc Tätigkeit eines Interpolators dar- zulegen. Seine Gründe vermögen mich nicht zu überzeugen, auch seine Verbesserungsvorschläge für einzelne Stellen nicht zu ge- winnen. Auf die Einzelheiten liier einzugehen , ist nicht möglich. Über die berüchtigten Stellen 15, 1. -JG, 1. 111, 5 habe ich meine Meinung ausgesprochen in der Zeitschr. f. (rymnasialwesen LVH 1903 S. 165 tf. ö3, 1 läßt St. einstweilen mit Recht ßoxauiojv stehen. ('. W. Vollgraffs (Sertum Nabericum. Leiden 1908. S. 429 f.) Deutung auf ein Fest der ßo'Aonia {ßoiyj'>7Tia) erwähnt er (s. auch Wilamowitz, Herm. 37, S. 307), vermißt jedoch dabei eine Erklärung iler Wendung ttsqI tov i/iuaiog o ö^ov ft'iayaysh' ov/. (XTitnEurcov Ijctq (Joicxuüjr E^cidavQioi. ÜO, 2 scheint mir das Asyndeton ucÜAGca dij bei der lebhaften Schilderung nicht „unerträglich". Bei den folgenden Worten faßt mau £k£- nkäyi^aav in zu enger Bedeutung = von Schrecken ergriften werden. Der Gegensatz zu naQaa/.tvtj wird zu wenig beachtet, der sich auch VI 49, 1 findet: {'(og Ixi UTTaodcf/.evoi zl eioi v.ai uä'Uova r/.iiE7ilryiUvot. Die Stelleu II 38 /) r^Qi.i'tg cu Ivnt^QOv lY.:cXii']öOt( und 87. 4 (fößog uvi'^uiv {■■/.rcXy\oüEi sowie VIII 14, 2 zeigen (nach- geahmt von Plut. Amatorius II 764 F) , daß l/.n'kr^lXLo nicht bloß „bestürzt machen" bedeutet, sondern den allgemeinen Sinn hat „verblüften, stutzig machen, überraschen, Eindruck machen, in Er- staunen versetzen, frappieren". Das folgende „{6ia ßoayeiag [.tE?.X7^Geiog {j TtaQaay.ELtj atiolg iylyvevo') v.cd evi^vg vnö anovöt^Q xaO^iotavzo ig /.öaf.iov rov !avTwv" begründet diesen rasch vorüber- gehenden Eindruck genug. Wir würden vielleicht sagen : sie waren für einen Augenblick stutzig, betroffen, in gewisse Unruhe versetzt angesichts des schon schlagfertigen Heeres der Gegner,

2-1 -2 S. P. Widniann.

denn was sonst bei ihnen niolit vorkam ihre Vorbereitung znm Kauipfo erlitt eine kleine Verzögerung, und gegen die sonstige Kühe (69. 2 u. 70) stellton sie sich sofort in Hast (Überstürzung) in ihre gewohnte Ordnung, indes Agis seine Befehle mit Besonnenheit erteilte ganz nach der hergebrachten Gewohnheit. Diese wird dann im Folgenden bis zu Ende des Kaj)itels dargelegt. Der Beweis für die i--K7ih]^ig ist die kleine Zögerung und die darauf einsetzende (J/rotJ?;, zu der wieder der vo'iwoc;, den der König wahrt, in schönem Gegensatze steht. So scheint mir alles in Ordnung und jeder l'boreifer bei der Interinctation oder Textverbesserung verfehlt.

Rec. Hude (B. ph. Wo. XXXIl 1912. Sp. Ihll) verhält sich gegen Steups Abänderungen und seine Ansicht von der schlechten Überlieferung ablehnend.

Rec. Widmann. 8okrates 2. Jahrgang. 68. Bd. 2 Teil. S, 190 ff.

Thukydides. erklärt von .). Obssen. 7. Bd. 7. Buch. 3. Aufl. bearbeitet von J. Steu[». Berlin, AVeidmann. 1908.

Die Neuausgabe habe ich in der Zeitschr. f. Gymnasial wesen LXIIT. Jahrg. 1909 S. 656—667 und in der Wo. f. kl. Phil. 26. Jahrg. 1909. Xo. 41 Sp. 1105—1112 eingehend besprochen und verweise bez. der einzelnen Stellen auf diese Besprechungen. Im allgemeinen ist zu sagen : Sie weicht stark von der Classens ab, prüft aber, wie gewohnt, sehr sorgfältig. In der Annahme von Lücken und Athetesen scheint St. bei diesem Buche mehr Zurück- haltung als früher zu beobachten, obwohl er noch genug Fehler der Überlieferung vermutet. Die bloße Entbehrlichkeit von Worten sieht auch er nicht als ausreichenden Grund für eine Streichung an. Den Lesarten des Vat. B mißt er „weder einen zu geringen noch einen zu hohen Wert" bei. In meiner Besprechung sind zu 13, 2 neue Beispiele des Gebrauchs von Abstrakta im Plural für Konkreta angegeben und Itt avioi-ioliag (= avTOUolovg) gegen Anderungsversuche geschützt. Zu 31. 4 stelle ich die Bedeutung von -/.OLTaXitiv xov rcöXmov klar, zu 48, 5 die von \öi<x^ zu 67, 2 die von xegoaloi, zu 71, 2 von d/a xb coonialoi' fest. Es ist zu bemerken, daß Steups 3. Aufl. des 7. Buches und meine 6. Aufl. gleichzeitig und somit ohne jede gegenseitige Beziehung erschienen. Eine letzte Durchsicht der Darstellung vermißt St. c. 7. 3. 9. 42. 4. 49, 1. 50. 1. 69. 2. 71, 2. 82. 2 f. 87. 2 f. (Vorwort zur 3. Aufl. des 5. Buches S. IV).

Bericht über dir Literatur zu 'l'liukydidcs für die Jnhrc 1908 191b. 243

Uec. A. Chuquets Revue t-ritique. 43. 1909. S. 101. Bolicl XV 9. 8. 197 (C. 0. Zuretti). Z(i. 4:{. 10. S. 656 ff. (Widmann).

r li u k y (l i d e s . für den »Scluil^ebraucli erklärt vnn (iottfried Böhme, von der 4. Aufl. an bearbeitet von Simon Widmann. Buch \'II. 6, Aufl. gänzlicli umg^earbeitet. Berlin-Leipzig, Teubner 1908.

K. Müde bemerkt in seiner BesjniHliiiug (Berl. ]di. \\'o. 30. Jahrg. 1910 8. 36 f.) darüber: „Der Kommentar ist au vielen Punkten ausführlicher und reichhaltiger geworden'" und liebt als Verbesserungen hervor: 14, 1 ßoayßla (e7,jii)] 7cXi]QC'j/taT0g = von kurzer Dauer ist die Vollkraft der Bemannung, igoouäv = in Gang bringen, ^iriyeiv = regelrecht fortsetzen (s. Herbst u. Frz. Müller), 42, "2 viQ Ia /.a/.Lov = soweit es nach den Unfilllen möglich war, 80, 4 aca/.zoTEQOv = weniger in Ordnung. Dagegen verwirft er die Deutung von 13, 2 e'/c' acioiiio/Ja^ 7roo(fäaei, da der Vorwaud der Jagd auf Ausreißer ,.fast komisch" klinge. Ich habe in der ausführlichen Besprechung des 7. Buches von Steup 3. Aufl. (Ztschr. i. Gymnasialwesen. LXIII. 1909 8. 659) eine Anzahl ähnlicher Abstrakta im Plural in konkreier Bedeutung nachgewiesen und darunter Dion. Hai. 6, 51 aiiTOfio?^i'ai. Thuk. T 142, 2 neben /.axa- dQOuau. ]\Iit der Behandlung des Textes ist H. „nicht immer ein- verstanden, obgleich sie im großen und ganzen besonnen ist". Die Korrektur loiüi (die auch Chambry vornahm, s. Bu. meinen Jahves- ber. 1888—1899 8. 198) statt 'Ciüiu 75, 3 bezeichnet er als „ent- schieden matt'". Man könnte ja To7g uwffi als gesuchte Antithese verteidigen , doch ist sie gar zu nichtssagend ; denn für die Toteu sind doch die zurückgelassenen Marschunfiihigon nicht XvnriQoi . 8ollte Tolg Uoai vielleicht aus Tolg hZai entstanden sein, weil der Abschreiber des Archetypus das nicht verstand? i-äw absolut ge- braucht (ohne Inf.) = aufgeben, sich nicht kümmern, lassen (= in Eulie, im Stich, seinem Schicksal überlassen) ist poetisch, homerisch, bei Thuk. also nicht auffällig. Vgl. 11. 16, 731. 17, 13. 20, 311 mit Acc. 4, 226. Od. 10, 106 und besonders 14, 183. 444. Diod. frgm. 22, 20. J. Bekker t. IV 8. 17 eav ta. ava!}r'ji^iacc(. Aesch. Prom. 332. Soph. Tr. 328. 314. Da Thuk. es soust mit dem Inf. oder mit einem Akk. verbindet, war es dem oberflächlichen Leser nicht sofort verständlich.

Diese Bemerkungen waren niedergeschrieben, da fand ich, daß O. A. Daniel sson in seinen Verbesserungsvorschlägen „Zu Thukv-

•214 '^^ !*■ Widnianu.

dides VII (Eranos, vol. XIII. Soiulerabdruck. Upsaliae 1914. S. 2G0> denselben Gedanken hat. Er verweist auf Sopb. Ai. 1047. Ant. 27. Eur. Heo. 729.

A. (^osattino. La guerra del Peloponneso. Testo e conimento. Firenze. Le Monnicr 5 vol.

A. Silvani, Storia della guerra del Peloponneso. Passi scelti coiuuientati. Introduzione di G. Koberti. Milano. 1912.

Percy Ure , Huch VI 30—53. 60—105. Text, Kommentar, Vok.. Karten. London. Murray. 1916.

X (;u a ui'l age n :

.1. Sitzler. II. Buch. Gotha 1909. VL Buch. 3. AuH. 19u8.

K. Lange. xVuswahl mit Kommentar u. Hilfshefr. Leipzig. 1911 11. 1913.

II. Wie del, Auswahl. Münster 1913 u. 1916.

S. P. Widmann. I. III. Text. Leipzig 1915. Neudruck. Desgl. IV— VIII. 1913.

Erwähnt sei die für das griechische Gymnasium bestimmte Ausgabe einer Auswahl von Stücken aus dem ersten Buche des Thukydides mit erklärenden Anmerkungen von Kyriakos Kosma (Athen, Buchhandlung der „Hestia") 1915. Die ausgewählten Kapitel sind 24—87, 119-128, 139—146.

H. L. Ha V eil, Stories from Thucydides. (Told througli the ages.) London, 1909. Rec. Athenaeum 1909. S. 327.

Eine deutsche, im allgemeinen gut lesbare Übersetzung ohne jede erklärende Anmerkungen lieferte August Hör neffer in der „Antiken Kultur", der Sammlung von Meisterwerken de^ Altertums in deutscher Sprache , herausgegeben von den Brüdern Horneffer. Auf wissenschaftlichen Wert kann sie keinen Anspruch erheben. Eine Anzahl von nötigen Verbesserungen bei einer etwaigen Neuauflage gibt Kurt Hubert (Pforta) an in „Sokrates" 3. Jahrg. LXIX. Bd. 1915 S. 228 £F. K. Hude (B. ph. W. 1914 S. 259) bezeichnet die Übersetzung als fließend, den Stilcharakter des Thuk. jedoch nicht treffend.

Kec. BBG. 1915. 9. DL. 13, 40.

E. Hardh. Finnische Übersetzung. Helsinki 1912.

Eine englische Übersetzung in Everyman's Lib. Londnii, Dent. 1910.

Präparationen: Neuaufl. v. Widniann zum 6. Buch (3. AuH.) 1912. Schmitt.

Dif Ültersetzung von .7. I). H e i 1 in a n n , 1760 erschienen,

c

Bericht über die Literatur zu Tliukydides für die Jalire l'JOS— 1918. 245

1808 von G. G. liredow neu herausj,'eg-eben mit Herichtiguiigeu und

Nacliträgeii, ist wieder «gedruckt in Gg. Müllers „Klassiker des

Altertums", I. Reihe. Hd. U. 15. 1912. Die Übersetzung von Ad. WaliriiMind. iierlin. Langenseheidt 1!)14.

IV. Sacliliche und sprach liehe Erklärung'.

(S])racliirel»raueh und Bemerkung-en /.n einzelnen Stellen.)

Zu I 12 und die vorgriechisrlie Bevfilkerung Griechenlands überhaupt ist zu verweisen auf" A. Fick, Vorgriech. Ortsnamen- (Göttingen 1905) und Hattiden und Danubier in Griechen- land (Göttingen 1909). Lenschans Jahresber. über griech. Ciesch. (Bu. 17ti. Bd. 129—162). Alb. Deb runner, Die Besiedlung des alten Griechenland im Licht der Sprachwissenschaft. (X. Jahrb. f. kl. Alt. 21. Jahrg. 1918. XLI u. XLII. Bd. 10. Heft, S. 433 ff.)

A. Ledl, Studien zur älteren athenischen Verfassungsgeschichte. Heidelberg 1914. behandelt die Quellenanalyse der Atyi^vatiov loXiceia, die Echtheit der sog. Drakontischen Verfassung, den Kylonischen Frevel (an der Überlieferung über das Ereignis vor Solon ist nicht zu zweifeln), die Herakliden und die böotische Wanderung, die Besiedelung von Melos, die .Stellung der athenischen Archonten. Atiiens Selbstverwaltung unter den Pisistratiden.

Die Politik Spartas und ihre Entwicklung führte zu Aus- einandersetzun«: zwischen Dickins und Grund v. G. Dickins (Classical Quarterly Okt. 1911 u. The Journ. of Hell. Studies Bd. 32. 1912. 8. 1—42), von (J. B. Grundy kritisiert in The Policy uf Sparta (Tbe Journ. of Hell. Studies. Bd. 32. 1912. S. 201 269). P^r hatte selbst darüber eine Arbeit veröffentlicht: Tjie Population and Policy of Sparta in the Fifih Century (The Journ. of Hell. Stud. Bd. 23. 1908. S. 77—96). G. Dickins erwiderte (The Journ. of Hell. Stud. Bd. 33. 1913. S. 111.) Über die Bevölkerung des Peloponnes in dieser Zeit schrieb E. Gavaignac (Klio XII 1912. S. 261—280), der die Bevölkerung Athens behandelte in seinem Werke : Etudes sur l'histoire tinanciere d'Athenes au V*-' siede. Paris 1908 , den peloponnesischen Krieg S. 113—146.

Die Bevölkerung Attikas berechnet M. L. Gern et, L'appro- visionnement d'Athenes en ble au V^^ et au VI^ siede (Bibl. de la Faculte des Lettres de l'Universite de Paris. 1909), die Freien auf 150 000, darunter 50 000 Metöken , die Sklaven auf 400 000, die Zahl der Hnpliten mit Gavaignac und anderen Forschern auf

246 !>• •'• Widinann.

13 000 (s. E. Meyer, Forschgu. II S. 151. 162). Grundy (Tlmk. p. 89) bekennt das Unvermögen, für die Zeit des Thuk. übi'r die Bevölkernngszahl zu einem bestimmten Ergebnis zu gelangen. Beide stellen dann Untersuchungen an über die Haupt-Getreide- Quellen für Athen. Thessalien. Kleinasien. Euböa. Sizilien, Groß- griechenland. Thracien.

A. Körte. Die Entstehung der Olympionikenliste (Herrn. 39. 1904. S. 231\

Zu III 8 und V 49 ist zu beachten: Thuk. gibt über die Kampfart nichts an. Damals gab es noch keine Olympionikenlisten. Thuk, machte „das Pankration zum eponymen Agon". Dem stimmt Brinkmann (Kh. Mus. Bd. 70 1915 S. 627) zu.

E. Cavaiguac. Note sur la Chronologie atti((ue au V*' siecle (Versailles, chez rauteur) ist nach M. Besnier (IJevue des questions historiques t. 87 X. ser. t. 44 1910 p. 596) eine technisclie Studie über die Datierung der Ereignisse von 433 395.

Allen B. West. The Chronology of the Years 432 aud 431 B. C. (Classical Philology. vol. X. 1915. Chicago. S. 34—53) sucht nachzuweisen, daß die Schlacht bei Potidaea zehn Monate vor dem Überfall auf Plataca stattfand, um den 15. Mai 431. und daß das Archontat des Pythodoros noch fünf Monate dauerte bis zu diesem Überfall, somit Thuk. 112, 1 f-'xiii> in dt/MTio (so Busolt. Gr. Gesch. 3, 2, 800 £F.) und dio in rrivzE zu ändern sei. Die Entsendung Phormions setzt er ins Jahr 433/32 . den Abfall Poti- daeas in den März 432 ; die Entsendung des Archestratos (I 57, 4), des Kallias (I 61. 1) und des Korinthiers Aristeus (I 60—62) fällt in die Zwischenzeit zwischen dem Abfall und der Schlacht von Potidaea (April Mai). Der Einfall der Peloponnesier in Attika geschah um den 25. 27. Mai 431 und dauerte bis etwa den ]. Juli. Gegen Ende des Einfalls, 27. Juni, in der neunten Prytanie, wahrscheinlich in der Hippothontis, ei-folgte die Fahrt der athenischen Flotte nach dem Peloponnes (II 23). Die Strategenliste bei Belocb Att. Pol. 290 wird vervollständigt durch Kallias und Phormio (S. 53). Steup hält die ganze Angabe II 2. 1 i-iexä . . . t/.T(i> für einen „Zusatz von fremder Hand" (5. Aufl. d. 2. Buches S. 284f.). was bequem, aber nicht wahrscheinlich ist.

Zu I 6, 2 über xow^jt'Äoc und TezTiyeg erschien von 1906 bi- 1913 eine Reihe von Sonderabhandlungen, über die H, Blümner im Jahresbericht Bd. 163 (41. Jahrg.) 3. Abt. 1913 S. 31 berichtet. In Pauly-Wissowas Real-Encl. 14. Halbbd. S. 2124 (1912) behandelt Steininger die altgriechische Haartracht ausführlich. Beide bleiben

Hcriclit über dir r.itcratiir zu Thukydidos für dir ,);ihre 1908—1918. 247

bei der Erklärung des v.QOjßvlog als auf^^clmudt'ru'ii Xack('nscbo])tes, die Conze und Studniczka gegeben babcu (s, meinen Jahresber. 1888—1899 in Hu. Hd. 100 S. 198), doch faßt Bliunuer die r6rr/y«s' als Haarnadeln. Steiniuger als eine Art Binde mit aufgenäbteu dünnen Goldblättern, deren Klirren wobl auili den Namen ver anlaßt iiat. Zu den bei liude angefübrten .Stelleu geboren nocb Ath. XII 512 C (525 F nur zum Vergleich), Luk. Xavig. 3. Ael. Var. Hist. IV 22. Clem. Alex. Paedag. II 10.

Die Frage bebandelte auch L. Kjelberg, Zur TeTTiyoff^OQi'a der alteu Athener (Eranos IX. Fase. 3. 1909) gegen Ilauser (Oest. Jahr. 1900. S. 75).

Zu I 93, 4.

A. »Schöne, Zum -Mauerbau des Peiraieus, Wo. kl. l'li. 1912. No. 41 8. 1129: setzt rov Tslyovg hinter Bcy/MzeaKevaLev, schreibt St. ro /m'/oc : ort TCtyog und ;-/.azov st. ovo. Ich habe die Stelle schon Aviederholt verteidigt (s. Bu. im Jahresber. über 1888 1899 S. 196. Vgl. E. Lange. 1904—1907 S. 130ff.). Zum Mauerbau s. auch F. Noack, Ath. Mitt. XXXII 123 ff. J. E. Harrison (The Classical Keview XXVI 1912 unter Bezugnahme auf Grundy).

Die Erzählung des Tliuk. I lolif. von dem Verfahren des Themistokles im Hause des Admetos soll eine Anekdote sein, die nach dem 438 aufgeführten Euripideischen Telephos zurechtgemacht ist. Telephos sichert sich von Agamemnon Heilung dadurch . daß er auf den Kat der Klytaimestra den kleinen Orestes aus der Wiege reißt und mit dem Tode bedroht. (A. Gercke, Themistokles' List X. .lahrb. f. d. kl. Alt. l(i. Jahrg. 1913. 31. Bd. S. 620). Aber es lag doch im Altertum sehr nahe, sieh in den Kindern Geiseln und Pfänder zu verschaffen für die eigne Person. Gegen Gerckes Ansicht verdient Erwähnung di(! Vermutung N. Weck 1 eins (Sitzungsberichte der Bayr. Ak. d. Wiss., Philos., philol., hist. Kl. 1909 S. 18). daß der Raub des kleinen Orestes in der Telephos- legende bei Euripides gerade durch „das historische Erlebnis" des Themistokles beeinflußt ist. Die Verbannung des 'I'hem. und den letzten Fall des Ostrakbsraos gegen Hyperbolos (Thuk. I 135 und 137. VIII 73) behandelt J. Carcopins, Histoire de l'ostracismc^ atheuien (S. 196 ff., 221 f. . 251 ff.. 258 ff.) (Bibliotheque de la Faculte des Lettres. XXV. Paris 1909).

Der Fund der Hellenika von Oxyrhynchos (Bebnesa) , die G renfeil und Hunt zuerst im 5. Bd. der Oxyrhynchus Papyri 1907 (No. 842 AB CD), dann in besonderer Ausgabe „Hellenica (Ixyrhynchia cum Tbeopompi et Cratipj>i fragraentis (Oxford, Clarendon

248 ^- t*- WidniMiin.

1*J09) veröflFeutlichte. gab auch der Tluikydi'lest'orscluing neue An- regung. Bevor diese vollständige Ausgabe erschien , liatto sclutn Eduard Meyer das Hauptbruchstück (Halle, 1909) mit ausführlicher Einleitung (S. 1 139) unter dem Titel T h e o p o ni p s Hellen ika herausgegeben. Über den nnitmaßruhcn Verfasser, ob 'rheopoinpos, (s. E. Kaiinka, Gott. (ti>1. Anz, 179. 1917) oder Ephoros. erhob sich nun der Streit . der hier nicht zu besprechen ist , obgleich er mehrfach auch Thukydides berührt (s. z. H. Ed. Meyer a. a. (>. S. VII und W. Sehn hart, Einführung in die Papyruskunde. Berlin 1918 S. 116). Gegen de Sanctis (Atti dcll R. Academia delle Scienze di Torino 43. 1908), der Audrotions Attliis vermutete, wandte sich Lehman n - Hau p t (Klio VIII. 1908. Ö. 265).

K. Cavaignac (Revue des Etudes grecques. Paris, t. 25. 1912. S. 129 ff.).

Von besonderer Wichtigkeit aber für das Urteil über die Glaubwürdigkeit des Thukvdides und für seine Nachrichten ülier die böotische Bundesverfassung II 2. IV 91. V 37 u. 38. VII 30 sind die Angaben des P (o. XI) über diese Verfassung. Die Frage, ob die hier erwähnten vier -jOcXcci (Kollegien) der Bundesversamm- lung, wie 'Jlink. berichte, oder den Einzelstaaten, wie P angebe, angehörten , rief eine ganze I^eihe von Schriften hervor. Ed. Meyer (S. 93) und E.M.Walker. The Helleuica Oxyrhyn- chia, itri autorship and authority (Oxford. Clarendon press 1913 S. 134-149) (ders. Klio VIII 1908 S 856 Cratippos or Theo- porapusV) entschieden sich gegen Thuk., für P (s. auch M. Geizer, Wo. f. kl. Ph. 1914 S. 127). Walker (S. 140) meint: „We have uo reason to suppose that Thucydides had any special interest in, or any special knowledge of. the Boeotian Constitution : we have every reason to suppose that P had both." Anders urteilen: W. A. Goligher, The Boeotian ('onstitution (Class. Keview. Bd. 22, 1908 S. 80), Ders., The New Greek Historical Fragment Attributed to Theop. nr Cratippus (The English Historical Review. XXIII 1908 S. 277). G. Glotz, Le Conseil Federal des B6otien.s (Bulletin de Correspondancc Hollenique . 1908 S. 271 278). .1. Steu]). Thukydides 5. Buch. 3. Aufl. 1912. S. 263f. Siehe auch Coustanzi. II Frammento di prosa storica teste trovato a Oxyrhynchus (Studi storici per l'antichitä classica I 1908 S. 253 ff.). Hr. Swoboda (Klio X 1910 S. 315—334) (Wo. f. kl. Ph. 1910. S. 285): ..Die Angaben der Hell. Ox. müssen aus Thuk. ergänzt werden," In eingehender Prüfung der Frage tritt mit Recht auch Robert J. Bonner für Thuk. ein in den beiden Abhandlungen

liericlit über dio Litcriitiir zu Tliukydides für die ■lalirc 190^ l'.tliS. 249

The Boeotian Fedeval Constitution (Classical Pliilologs , IM. V. Chicago 1010 S. 405—417) und The Four Senates of tlie Boeotians (a. a. 0. r.d. X 1915 8. 881 385), indem er aui" die nahen J'.c- ziehungen Athens zu l^öotieu und auf die reiche Celegenheit für Thuk.. die Staatsverfassung des Nachbarlandes genau kennen zu lernen nachdrücklich hinweist (S. 884). Er hält es für kaum glaub- lich . daß Tliuk. oder ein anderer athenischer Heerführer die am meisten in die Augen fallenden Grundzüge der Verfassung eines »Staates nicht gekannt haben sollte, gegen den Athen zur Unter- stützung politischer Mißvergnügter einschritt. ^Veiterhin ^ meint er ist es höchst unwahrscheinlich, daß Thuk. einen landläuHgen Irrtum über einen unrichtigen Punkt im spartanischen Verfassungs- brauch richtig stellen (I 20) und sich selbst einer Unwissenheit schuldig machen sollte bezüglich eines wesentlichen Zuges der Ver- fassung eines Nachbarstaates, dessen I'olitik Athen so stark anging (8.385). Siehe auch B u ß m a n n , Die böotische Verfassung. Disser- tation. Münster 1912.

G. W. Botsford, The Constitution and Politics of the Boeotian League from its Origin to the Year 387 BC (Political Science Quarterly XXV 2. Boston 1910) besprochen v. Th. ijenschau (Berl. phil. Wo. 32. .Tahrg. 1912. S. 562).

Zu 1 56 Ö'. Allen B. West. The Formation of the <.!halcidic i.eague (Class. Philol. Chicago IX 1914 S. 24) will zeigen , daß wir für die Chalkidisehe Geschichte nicht auf Thuk. allein augewiesen sind , nnd daß das Chalkidisehe y.oivui' etwa 432 gebildet wurde (Swoboda, Arch. epigr. Mittlgn. Vll 1—59).

E. Harrisnn, Chalkidike (Class. (^uarterl}- vol. VI 1912. 8. 93 ft'., 105 tt".) prüft die Angaben der alten Schriftsteller über den Ursprung und den Umfang des Namens Ch. die Beteiligung von Chalkis auf Euböa bei der Kolonisation von Thrazien war gering und demgemäß auch der Bereich der dortigen Chalkidier, die zu- meist gleich den benachbarten Bottiäern ein Stamm waren. Thuk. selbst wird behandelt S. 95 ff. , 101 ff. , 165 ff. , die Geschichte der Chalkidier 171 ff., die Ortsnamen 174 ff.

Zu II 13 über den Bundesschatz (9700 Talente). E. Cavaignac, Etudes sur l'histoire financiere d' Athenas au V^ siecle. Le tresor d' Athenes de 480 a 404. Biblioth('(|ue des ecoles francjaises . d' Athenes et de Rome. Fase. C. Paris 1908. LXXVI. 192. Auch besonders erschienen 1908.

>-,,) S. P. Widniann.

Er faßt 6000 Tal. als Xormalzalil uiul meint, eiu gelehrter Kopist habe in Thuk. tlie größere Zahl eingesetzt , inrlem er sich stützt auf die Havenuas-Scholien des Aristophanes (ad Plut. 1193). H. Swoboda (Prag) tritt für Thuk. ein in seiner Reo. Berl. ph. Wo. 30. 1910. S. 118.

The English Historical Review, vol. XXV 1910. 317. T. Nick- lin. j Revue des qnestious historic^. 43. 1909. S. 279. M. Besnier. Histor. Zeitschr. Bd. 104. (t. 8 u. 9 N. F.) 352. 15elocli. Museum. XVII 259. M. .J. Valeton.

Wo. f. kl. Phil. XXVIl 315—323. F. Cauer.

Zeitschr. f. Xumism. Bd. XXVIII. 1910. 369. Rud. Weil.

Paul Shiirey, On Thucydides II 15, 4 (Classical Philo- logy IV, January 1909).

Er nimmt das erste /.ai vor aXhi)v U^EvJv ,,as balancing and anticipating the second" und deutet also: „Formerly the present Acropolis was the city and the region beneath it southward chiefly. A contirmation of this are the /£0ß as well tbose of divers (lit. ..other") deities on the Acropolis itself, as also (more particularly) those outside to wit" : etc. Zur Stelle s. Bu. Jahres- bericht 1888 1899 8. 204 und E. Lange, Bu. 1904—1907 S. 130tl". Jane Ellen Uarrison. Primitive Athens as described by Thuc, Cambridge 1906 S. 7 und 159 übersetzt: „Before this, what is now the citadel was the city . together with what is below it towards about south. The evidence is this. The sanctuaries are in the citadel itself, those of other deities as well (as the Goddess)" und bemerkt mit Recht: „You would need < ov inorov TTJg L4i}rjvaiag al/.a > y.al. And this sense, after all, is just what we have from the text as it Stands." Auch A. W. Verrall, Collected studies in greek and latiu scholarship ..The site of primitive Athens" (Cambridge, 1913) 8. 58 74 hält die bisher d. h. bis zu Dörp- felds Aiiffassung herrschende Ansicht von der Lage der vier Heiligtümer im Südosten für unmöglich, die Dörpeldsche Ansicht für richtig, Steup (Ausg. 5. Aufl. 1914 S. 300) bezeichnet dagegen diese als imvereinbar mit den Angaben des Thuk.

Zu beachten ist, daß man auch in Delphi „die Kultstätten der , anderen Götter'" unterschied (s. H. Pomtow, Philologus Bd. 71 [25]. 1912. Ö. 30 ff'.).

Auf Martin L. D. Ooge; The Acropolis of Athens. New York, Macraillan 1908 (Rec. Pivista di filol. Bd. 37. 1909 p. 615 ft^. v, G. Setti : „un labor of love") kann ich nur aufmerksam machen.

Bcriclit üImt die ljitcr:itur zu Thukydidi's für die Jalirc 1908—1918. 251

Mit der Deutung der attischen Pest (Il47flF.) beschäftigten sich nach der durch W. Ebstein geschehenen Widerlegung der Kobertscheu Hypothese (s. meinen Bericht 1888 1899 S. 191) eingehend Schröder, Das klinische Bild der Pest bei Thuk. (Münchener niediz. Wo. 58. 1911. S. 58011'.) und Fried. Kann- gießer in einer Keihe vun Aufsätzen (Med. Klinik 1911 No. 29. Münch. med. Wo. 1911 No. 16. 29 u. Ö. 860 ff. Nr. 59 1912. 8. 375. Wiener med. Wo. 1911. No. 43. Prager med. Wo. 1912. No. 6 und 16. Klin.-ther. Wo XXI 1914). Früher dachte er an gastro-intestinalen Milzbrand, dann kam er zurück auf den uns während des Weltkrieges von Kußland her wieder näher gebrachten Flecktyphus (Typhus exanthematicus), bei dem vielleicht Kom- plikation mit echten Pocken eintrat. Auf Fleckfieber weisen auch A. Dieudonne und K. Otto in Kolle-Wassermanns Handbuch der pathogenen Mikroorganismen. Jena. II. 1912. S. 155. Vgl. ferner P. Richter, Virchows Archiv 1871. .Archiv f. Gesch. d. Med. 1911. S. 321. Janus, Arch. int. pour lliist. de la M^dicine 1899. p. 240 251. 289—299. G. Sticker urteilt über Kanngießer günstig. Mitt. z. Gesch. d. Med. XVI. 4/5 S. 401—403. E. Mpotsakas. Die Pest in Athen. Athen 1915.

A. Crawfurd, Plague and pestilence in Literat, and Art. Oxford 1914. (Kec. Athenaeum 25. Juli 1914). Ergebnis: eine Typhusepidemie. Der Bericht des Thuk. war das Vorbild für die Schilderung ähnlicher Seuchen.

Den 7. und 9. Tag als Sterbetag bringt W. H. lioscher mit der Heptomadeu- und Enneadenlehre zusammen (Enneadische Studien. Abhandlgn. d. phil. bist. Kl. der sächs. Ges. d. Wiss. Leipzig. XXVI 1909. S. 61). Derselbe bezieht dort S. 98 die Nachricht bei Thuk. Yll 50 und Plut. Nik. 23 auf einen Monat von 3 X 9 = 27 Tagen.

Eine gute Übersetzung des Pestberichts II 47 54 gibt G. Lejeune Dirichlet unter Benutzung Carl Lehrsscher Manu- skripte im Programm des Altstadt. Gymn. in Königsberg 11*14.

Filippo Caccialanza, L'epitafio di Pericle. Con intro- duzione e commento. Turin. 1908.

In der hübschen, schon durch die Arbeit in den Xenia Komana 1907 vorbereiteten Ausgabe mit Erkläivung stützt der Herausgeber sich viel auf die deutschen Kommentare, aber mehr auf die älteren Auflagen als auf die neuen, doch auch auf Wilamowitz-M., Griecli. Lesebuch 3. Aufl. 1907.

252

S. P. Widiiiiinn.

Über II 35 flP. und (U'ii Ziisammeuliang- der Inschrift C JA 442 (Hicks und Hill 2, No. 54) s. Powell, Olass. Rev. Bd. 21. 1907. S. 61 f., ebenda /.n II 44, 2 über Marchants Konjektur noDeiv (st. JTEii}Elv).

Über die Leichenrede schrieben ferner Ferrin (1915) und Schneider 19l;H'')- I 1^- p''- ^^'- 1915. 11. ZöG. 64.

Die gewöhnliclicn Hestattnngssitten und auliergewöhnliche Bei- setzung (zu II o4t)'. u. 52) besprechen K. Uouge (N. Jahrb. f. d. kl. Alt. Bd. 25. 1910. ö. 385), W. Dörpfeld (ebenda, Bd. 29. 1912 S. 25) und Benno von Hagen (ebenda, Bd. 36. 1915. S. 467 f.), der dabei bemerkt, daß Perikles in der Leichenrede besser charakterisiert sei, als „seitdem in noch so gründlichen Unter- suchungen". Vgl. Bru eckner. Kerameikosstudien (Athen. Mit- teilungen 1910. S. 211).

II lnO, o. Der Ort Eiöof-tEn] ist auch in einem Epigranun genannt (Ephem. arcli. 1908. tab. 3. Bruno Keil, Hermes. Bd. 50. 1915. S. 635 Anm, F. ötudniczka. Die griech. Kunst an Kriegsgräbern. Leipzig 1915. p. 15. 44 ft".).

Zum IV. Buche s.

R. Burrows, Fylos and Sphacteria. ('J'he Journal of Hellenic JStudies Bd. 28. 1908. S. 148—150.) Vgl. dessen Abhandlung Ebenda 1896. S. 55-76.

Zu IV 54. Asine. E, S. Forst er, A geographical note on Thuk. IV 54 ((nass. Rev. Bd. 23. 1910) sucht diesen Ort an der Westküste von i^akonien etwa bei dem heutigen Skutari.

Zu V 45, 2 Methana bemerkt J. M. Stahl (Rh. Mus. Bd. 63. (1908) gegen D i tten berger (Hermes XLII 542 ff.), daß er z^r nicht auf llJeOara bezogen habe , sondern auf das nach TQOiLqpog zu denkende yip' (wie I 44, 1).

G. H. Macurdy, Zum 5. Buch des Thuk. und drei Dramen des Euripides (The Class. Rev. XXIV. vol. IV 1910. S. 205—7) schildert die damalige Stimmung in Athen.

Zur Belagerung von Syrakus (VI 96 ff.) siehe H. Awdry, Note on the Walls on Epipolae (The Journal of Hellenic Studies Bd. 29. 1909. S. 70—78 mit Plänen.

Der xt'/tAot; der Athener vor Syrakus wurde seit Arnold meist als ein „bekanntes und selbstverständliches Rundkastell" aufgefaßt (so auch von Awdry), Friedrich Knoke (N. Jahrbücher f. d. kl. Altertum 16. Jahrg. 1913. 31. Bd. S. 365-368) erklärt es ein- fach wieder als „Einschlieliungsmauer". Da bereits VI 96. 1 mit a/ruieiyioUijvai , 97, 4 mit Tei'/iovvieg auf die erforderliche Um-

Berielit ülitr dit- I.ittnitur zu Tliukyilidi s für dir .j;ilirc 1908—1918. 253

f asö u n gs ni a u e r liiugewieseu ist, wird 98, 2 diese Aulage an- gegeben, Änderungen des Textes sind nach Kn.s Ansicht nicht notwendig. 'ira/ctQ v.aOtlöi.it.vOL ^ctiy^iaav lov -avaKov öia xdyiovg wird erklärt: „Die Athener gingen nach der Syke vor, wo d. i. au welcher »Stelle sie, indem sie sich dort festsetzten, rasch mit dem Mauerbau des Kyklos fertig wurden." 99, 1 oi f.t{-v e.cei- X^^ov cvjv 'Aifrivaiiov cd /tQu^ ^OQtai' cov /.v'^hov ceixol; heißt „sie fuhren mit der Herstellung der Mauer nördlich der Einschlieliungs- befesligung (soweit sie nämlich vollendet war j . fort, in derselben Weise wie c. 101, 1 in a/ru tui /.t'/j.ur dieselbe Befestigung, so- Aveit sie fertig geworden war, gemeint ist." Mit 99, 3 y.ttcojlttv lov -/.c/.Xoc Ttüv Aiii^vaio)v soll nur der j,Gegensatz zur Stadtmauer der »Syrakuser, die ja ebenfalls y.cAXog genannt werden konnte, be- zeichnet werden". Die syrakusanische Quermauer war „v«)n unten her" gegen das Südende der athenischen Befestigung gerichtet. Die Verteidiger Hüchten 100. 2 in den weiter südlich gelegenen Teme- nites. 102, 1 weist „der Zusatz tjcl lali^ E/ci/colalg wieder auf einen Gegensatz hin, der sich aus dem Vorhandensein zweier An- lagen ergibt, nämlich der auf der Hochfläche und der, die südlich davon durch die Sümpfe führte." Auch VII 2, 5 zri Öi äXh'ß usw. bleibt dann unverändert. Danielssohn (Eran. Bd. 1;J. Upsala 1914 8. 232) hält den Beweis für acaXo'^ als „Einschließungsmauer'' nicht erbracht, aber auch die Änderung des xvt alhn in k'j avio (Widmaunj für nicht nötig, wenn man nur den Genitiv nicht davon, sondern von dem folgenden Präpositionalausdruck icQog cov TQioyiJ^ov abhängen läßt = „für die andere Mauer (den ßest der Ein- schließungswerkej lagen schon, von der Kingschanze aus Trogilos- wärts (vgl. 7iQCg ßoQtav) (in der Richtung auf den Trogilos) nach dem andern Meere (der andern Meeresseite) hin. Steine (dej- Linie entlang) aufgeschichtet". Die Konstruktion des kühn erklärten Ausdrucks zu jiaQarhjikijitvoL f^oav und die Wortstellung sind trotz der Verteidigung durch D. anstößig. Während er hier die Über- lieferung beibehält, schlägt er vor t), 98, 2 zu korrigieren her/jocei' loy /.{/.Lov in tceiyioäv iiva /.v/.Lor.

G. E. Fawcus. 'l'he Atheuian Ariny in 431. Zu Thuk. II 13: OicXicai; öe o/clicai i^üuv (Journal of Hellenic studies. t. XXIX 1909. ]). 23) prüft den Heeresbestand in Athen von 13 000 Hopliten und meint, daß die Besatzung nicht nur Hopliten, sondern 10 000 ^lann Leichtbewaffnete zählte (s. E. Meyer, For- schungen z. a. Gesch. II 1899. S. 161 f.).

H. 0. B. Caspari, The Etruscans and the Sicilian Expedition

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 17S (1919. I). 17

254 ^- 1^- ^^'ilil>l.■lllu.

of 4U 12 (Class. Quarterly. t. V 1911. S. 113 fi") unterstützt E. IMeyers Behauptuiig (Gesch. d. Alt. IV S. 519), daß das athe- nische Heer vor Syrakus keine Etrusker unter sich hatte (s. VII 53, 1. 54. 57. 10. VI 88, 7. 103, 2), sondern Thuk. den be- kannten Namen Tyrsener an die Stelle des unbekannten der Kam- paner setzte (Über die Söldner E. Meyer Forschgn. II 159 f.) S. Casson (The Class. Review XXVII 1913 S. 155) The dispersal legend, zu Thuk. VI 2, 3 u. 6: Thuk. kennt nicht den asiatischen Namen der Elymer und gibt nur den sicilischen an.

Beiträge zum Kriegswesen und die bei Thuk. vorkommenden Truppen lieferten

0. Lippe lt. Die griech. Leichtbewaffneten. Diss. Jena 1910. A. Schaumberg, Bogen und Bogenschütze bei den Griechen. Diss. Erlangen. 1910.

E. Bulanda, Bogen und Pfeil bei den Völkern des Alter- tums (Ablidl. d. arch. epigr. Seminars XV. 1913).

A. Plassart, Les archers d'Athenes (als Polizeitruppe und als Krieger , auch über die 7rEQinokoL bei Thuk.). Revue des Etudes greciiues. Paris, t. 26. 1913 (S. 151—213).

J. MacInnes, The Athenian cavalry in the Peloponnesian war and at Amphipolis (The Classical Review XXV 6. 7. 1912): Nach der Niederlage von Amphipolis verwenden die Athener selbst gegen ihre eigenen militärischen Interessen fast keine Reiterei mehr, ausgenommen in der Nähe von Athen, aus Furcht vor Insubordination der aristokratisch gesinnten Ritter.

Zu V 64 76 das spartanische Heer bei Mantinea 418 siehe E. Cavaignac, La population de Peloponnese aux V^ et IV*^ siecle (Klio XII 1912. S. 261—280).

Über das Seewesen s. W. W. Tarn, The fleet of Xerxes (Hellenic Journal, November 1908), und Fleet-speeds, a reply to Dr. Grundy. zu Thuk. VI 65.

Grundy, The rate of sailing of war-ships in the fifth Century. Zu Thuk. II 97. III 3. 49. IV 19. VI 1.

A. M. Alexanderson. Den grekiska trieren (Acta Univers, Lundensis IX. 1913. Zu Thuk. I 10. 13. 14. VII 36. VIH 101.

Neues über das Belage rungswesen und somit zur Er- klärung von II 75 79 bringen die von R, Schneider ver- öffentlichten „Griech. Poliorketiker" (mit Übersetzung) (Abhandlgn. der Göttinger Ges. d. Wiss. Bd. X 1908. XI 1909. XII 1912).

Erwähnt sei Job. Mälzer, Verluste und Verlustlisten im

Bericht übrr die Liter.itnv zu Tlmkydiclcs für dir J;ilirr 1908—1918. 255

griechischen Altertum bis auf die Zeit Alexanders d. <»r. Diss. Jena 1911 (Weida 1912).

Zu II 97 : D. De t scher, Tlirak. Inschrift auf dem Goldring von Ezerovo. SAB. 1914. JJd. 4. 8. 70 ff. Sofia.

Zu II 99: J. Stastny, Die makedonische Landschaft Myg- donien und ihre Bevölkerung im Altertum. Festschrift Kral S, 204. Bph. W. 1916. 4.

Joli. Eh 1er t, De verboruni copia Thuc-ydidea (^uaesiiones selectae. Diss, Berlin. 1910.

Kec. K. Hude. Berl. ph. Wo. 1911. S. 601.

Die gründliche, inhaltreiche Untersuchung weist die Abhängig- keit des Thuk. von den Sophisten im allgemeinen (s. Th. III 38, 5) und von den Vorgängern iu der Literatur bezüglich des Wortschatzes und Wortgebrauchs nach : dabei bespricht er viele einzelne Stellen und liefert somit einen wertvollen Beitrag zur Erklärung. Aus dem Ionischen stammen ay/Jovoocpog, loyädeg, /.oyadt^v, Ttiavvog, dtaßälXeiv (schol. zu VI 44, 1 = diaireQuioia^ai) , OQto/.eoiyai (sakraler Ausdruck), ouai/uia, of.iaiyjiog, aroy.coxrj, ^viiicfeQEaO^ai, ^vf.iq^OQr'( (s. die Tragiker), dyeiv VIII 81, 2 = existimare, Ao/ßJ', /.o'/i~€iv^ /r^oloyjCeiv, aTiovooteiv, VTiovooTelv, dva/.elaO^ai eYg ti, .reiO^eo^at c gen. (VII 73, 2), rfoitäv = eiaievai , ^tgooierai (VIII 18, 1). TCQOOr^vijg, xiuiOQÖg, XLi-uoQLa, 'cif.iwQElv, (fOQxr^yr/.ov (VI 88, 9) , worauf ein Teil der Hdd. weist, während Pollux I 83 für cpoQTr/.ov zeugt. Aus Herodot sind genommen civwAiZg ty^iv, 7r.Civio'Kel}Qiq a:ro?JGO^ai, worauf ich schon in meiner Ausgabe 1908 hinwies, aus Homer 0/ y.E'A(.irf/,6T€g, Ttokeuoi' iyelgeiv, fudoysal^ai TtaQaßuhleoÜ^ai^ TieQi/.zioveg, nodojy.ijg^ v7to'A.Qivta0^ai (ausführlich besprochen). Ich vermisse dabei aydhlco. Dichterisch sind ferner aAxiy (Verf. bespricht auch die Komposita), /MTaoiQoq'i], avx^lv und seine Familie, y.aza- und ^/iiGTTiQytn' , ooyäi' , OQyrj . QteoO^ai^ KQioyög, ddußog, O^QOig, öiai^Qoeh; y.6f.inog und Familie, Itii/.?mo- itrp'ai. y.duTziEOx/ai, (fiXelv = solere. Komposita mit fi: iy.öiöda- y.£iv, l/.yMQTCOxüi^ai, ^/.novelr, fy.yQn'eiv, i/./roQileod^ai, iy.yor^ua- Ti^ead-ai. i^avdyeaO^ai, i^aiayojQEJy. e^anaX/AooEO^ai^ mit djin: a7ro'/.o(fiOEai}ai, utiovooteIv, dTtouovoiai^ca, änoq^odaoEiv. Verba simplicia st. der Komposita: y.TEiv£iv, ü^rrjO/.Eiv {mediz'in.), TTiUTrgdvai, üßevvvvai. Echt attisch: a^evog (mit Eigennamen), da^Ev^g, uo^eveiv, ccvEif-ttrog, iyjyyvog, dvsyjyyvog, cfEQeyyvog, aber auch aAx?^', av^icpoQd, koyd(hg. Thukydideisch : dö6/.i]Tog, ddcooog, du(f('ßo?.og, didgaoacog. ßoa/.Eiv. 7iaoeiyM, TCQor^y.En\ TCQOffeoEiv = öiaffloEir ; dyyi/.ua^

17*

2;)(; S. 1'. Widiiijinii.

ayiijnaua . aiTLa(.ia , öü^aOf.ia, ImßovXevua , iodtjjiia. Aktiv st. Med.: iierarreuTteii', u€ia/M?.£h'y. E7iif.iiyi>i'rai, /nsiayEiQiileiv, xiOQt'i- aetv; Med. st. Pass. ctnoi-mjoeoifai . uttnjmaiyai , nEiQaaaaO^at. Nach dem Vorgänge von Uorgias : Neutrum des Adj. od. Part. st. Öubst. : Komposita von Adj. u. Verben: aui}ddr^g, artegtonTO^, U7reQia/.e7CTog , aQyai6TQ07cog , öi(Ji\ußaTog, övaeaßoXioTaxoc, övoriQÖoßaiOQ, eia.roßaicjVEQOg, evarcotEr/jorog , ivETcid^ETog, Ery.airjyoQi^zog . Er/M!iaiQEic')TEQOg, 6if.(EcayEiQioiog, Ev^ci'ETv'iVEQOg, eLq>Qoqaaiarog. Ei'ü/.E.iaGioiarog . EvoQyrjTog, EVEhrrig, loo.ialtjg, laoQQOTCog, y.a/.oiQO/iut, vavßdit^g, u\ veioteqojcoioi^ vEojzEQOnoila, ouoioTQOjcog , Öubst. auf oig u. r>^c; neu öiayrcjurj, ETiEkTriCeir VllI 1, 1 (B hat allerdings bJiEiaav). Dann betrachtet der Verf. noch einzelne Ausdrücke , aus der attischen Volkssprache anoyiy- vEod^ai = (XTioO^Ptjay.Eiv , aviovQyög, s^agyigorr. VIII 81, 3 ist s^aQyvQvjoai. nicht die Form des 4. Jahrhdts. iBccQyvQioai zu lesen. Vat. B : E^aQyiQiiöoai ist durch Mißverständnis des Schreibers ent- standen. Sakraler Herkunft sind außer agtOAEoi^ai : ^vvioiOQEg, oloi'ög, OQv.ia. Zum Schlüsse bespricht Ehlert die aus der jonischen Heilkunde entnommenen Ausdrücke.

Ch. Uh. F. Char i tonide s, De Hgura quae /.aÖ^ ^^ox^p

vocatur. (Mnemosyne Bd. 37. 1909. S. 165—201. 237—272.)

Zu den besprochenen Ausdrücken gehört auch 6 avyyQaq^scg =

(^ov/.vöiör^g (S. 171), /y i^Eog =^ '^d^rjva (Schob zu Thuk.), ßaailEvg = 0 nEQGHv ß. (S. 180) (Th. VIII 12. 1. 17. 18), Nijaog = 'OQivyia (Th. VI •) u. VII 22) (S. 192), i//.(Ki'a = cr/Mcüa t/Ar/Ja rj vEorr^g (S. 252). Die zu diesem Worte gelieferten Beispiele sprechen für meine Erklärung von tjXiy.i'ag uEZEywv Th. VII 60, 3 u. 64, 1.

A. Pfeifauf, Der Artikel vor Personen- und Götternamen bei Thuk. und Herodot. Comraentationes Aenipontanae III 1908. Innsbruck.

Lohnt das Ergebnis die Mühe der Forschung y ü. v. Wila- mowitz-MöUendorf bemerkt zu VIII 23, 1 \ai\ .Atti/ml vijsg: -Übrigens kann die Setzung des Artikels vor Eigennamen bei Thuk. zur Verzweiflung bringen. Ich habe einmal sehr viel Material ge- sammelt, aber ein Resultat nicht erzielen können, außer daß auf die Überlieferung kein Verlaß ist" (Hermes, Bd. 43. 1908. S. 584 Anm.). Die Zusammenstellung der Personennamen mit Ethnika und mit Vatersnamen, ihre erste und wiederholte Nennung, den „anaphorischen Artikel" (Kühner-Gerth , Griech. Gramm. I 597), Namen der Redner, Personennamen als Attribute, direkte und ob-

Bi>rielit über dir r.itiratur /,ii 'riiuk\ liides für (lii> Jalirr 1908-1918. 257

liifue Jteden, Gebrauch bei Prä[)()sitioueii. Apposition und Personen- namen, ßuoilevg., Koordinierung- melirerer Personennamen ist dankenswert, hilft al)or der Textkritik wenig. llerbsts Aus- führungen (Philoh)gus 1881, XJ.) werden berichtigt. [V 25, 11 tilgt Pf. den Artikel mit Poppo u. a. nava \tor\ JrjUOTskoix; , da der Name sonst nicht vorkommt. Spratt in seiner Ausgabe (1912 8. 204) hält ihn für möglich bei der Erklärung ..under their (Com- mander) Demoteles". Vielleicht ist zu lesen zod di^/^tocsloig und dies als Amtsname zu fassen. Übrigens liegt der Fall des Artikels bei einmal erwähntem Xamen auch vor 11 29, '3 yrsgl tov Ixvv. Allerdings steht dieser stets nacii Treoi l)ei Namen außer II 102. M, wo ihn Pf. rechtfertigt durch die Erwähnung des Namens 102. 5.

Sorgfältige Studien über den griech. Artikel stellt H. Kallen- berg: wieder an (lili. Mus. 69. 1914), besonders bei tu (h'o ufO) [al ()ro uoloai) (s. Thuk. I 10. II 10. 47. III 15. I 104. I 74 unsicher), bei (Ordinalzahlen (III 114. V 55). Vgl. über den Artikel ■/.. H. bei ßaoi?.Ei\; noch Herbst bei F v a. M ii 1 1 c )• (Zu Thuk. VIII H. II S. 23 u. 29 u. ö.).

Kec. C. F. Smith (Class. Philol. Chicago. 1909. IV. S. 459).

Gegen L. Herbsts Lehre von ovTog und ode o .xöXeuo^ wendete sich E. C. Marchaut (Class. Eev. Bd. 23 1910 S. 244) und über oÖe u 7t61. und o jcöX. oöe Gruudys Aufsatz (The Classical Iveview Bd. 23. 1909). Grundy bezog hier und in seinem Werke ,,Thuc." usw. S. 454—467. 514f. oöe. b :io}.E}.iog auf den kommenden Krieg, 0 ;fdA. ode auf den gegenwärtigen. Es ist kein Unterschied festzustellen. Bodin (Revue des etudes anc. t. XIV 1. 1912 S. 38) urteilt: ,,ses conclusions manquent de solidite".

L. J. Hillesum, De imperfecti et aoristi iisu Thucydideo. Leyden. 1908. Diss. 127 S.

Die Diss. bringt nur den ersten Teil der fleißigen Unter- suchungen über den Gebrauch des Imperfekts bei Thuk. X^ach eingehender Behandlung der liedeutung des Imperfekts überhaupt bespricht H. das .1. durativuni, iterativum, descriptivum, incohativum. conativum, exspectativum, petitivum, attentivum und seine Verbindung mit einer Ne£;atiou. l)ezü"lich der Handschriften ist er der An- sieht, daß Classen und Steup den Vat. B, Hude den Laur. C über- schätzen. „Unice recta ratio est ex iis legibus, ((uae locis certis in imperfecti et aoristi usu valere deprehenduntur . dubiis i|uoque locis alterutrum tempus eligere" (S. 33). Ganz recht, aber manche Stellen fügen sich nicht der Regel (s. Weils Bern. S. 2 bei Hillesum).

258 ^- ^'- \Vii.lui,iun.

80 bleibt uueutschiedeii . ob VII 57, 1 Hude und Ilillesum mit Recht die Lesart dreier schlechterer Hdd. BwEiTrovTO aufnehmen oder L'lasseu und andere die der besseren Hdd. ^ivtörtovTO vor- ziehen dürften (S. 39). VIII 44, 3 billigt H. c-7rE(pdrt]aav des Vat. 13 (Ö. 47), VII 45, 2 Cobets Korrektur aTtwXovto (S. 65) mit Stahl, Steup. Hude. Aber das deskriptive Ira])f. paßt hier neben fOwV^r^oai' so gut wie 44, 8 a7nok?.vi'TO öiEipcyyavov neben dem den Ausgang der übrigen bezeichnenden Aorist, wie III 81, 3. Vgl. auch das Impf. III 108, 3. VII 23. 2 f. 71, 7. 75, 7. Über erS-vg c. Impf. u. c. Aor. handelt S. 82 f. II 90, 1 verlangt H. mit Hdd. CEG (Hude) TzagexekeroaTO. J^eider spricht er kein Wort über IV 120. 1 Lci^qxovto und 121. 1 7cqoo/jqxoi'to. In den beigefügten Thesen schlägt er vor II 10, 3 l'leye 7.ai naQ^vn TOidde (Sintenis). VII 49, 1 ymi df.iu Talg yovv vavai iiä?^kov /y* TiQOTEQOi' e(yäQöi]oe y.QaTi^i}Eic, (HH Ouqqwv).

J. Schmitt, De parenthesis usu Hippocratico, Herodoteo, Thucydideo. Xenophonteo. Diss. Greifswald. 1913.

Die Zusammenstellung der Fälle ergibt für Thuk. nichts Wichtiges. Eingeleitet werden die Parenthesen bei ihm mit yag, öf., y.ai, y.al ydg, ovdi yceg. uer yciQ, yorv, f.iev ye, -/.aUoi, iirjöl-. oder es fehlen Partikeln, so I 25, 4. 35. 5. VII 36, 6. II 21, 1. I 137, 1. Der Irrealis findet sich I 75. 4 und VII 66, 1. der Konj. hortat. VIII 53, 3. eivaL fehlt V 103, 1. VII 13, 2. Die durch die Parenthesen entstehenden Anakoluthe zeigen keine Be- sonderheiten. Zuweilen wird mau aber Schwierigkeiten der Kon- struktion durch Annahme einer Parenthese lösen können. Manche Stellen sind nicht besprochen, so HI 67, 5, wo ich ervo/.ta yao (erg. TtciaovTaL) parenthetisch fassen , während Göller schreibt l!vvo[.ia yoQ TtELOOvxai. Über V 36, 1. wo Hude h'AeaO^aL yccg dato av e'ivai streicht, während ich das Ganze von otTco ydg yt- vlai^ui als Parenthese nehme, wäre eine Bemerkung doch not- wendig gewesen.

L. Kader mach er, Vom Sinn im Worte (Ztschr. f. österr. Gesch. lid. 62. 1911). Tiaiöeg y.al yuvar/.eg bei Thuk. hebt die Bedeutung der Kinder gegen das Weib hervor und ist wohl zu scheiden von Herod. VIII 4 zä/.va '/.cd olzarag.

Zu 1 3, 3. 5, 1. ü. 1 ßaQßagoi s. H. Werner, Barbarus (N. .Jahrb. f. d. kl. Alt. 21. Jahrg. 1918. S. 389 u. 396).

W. A. Bauer. 'Enißdc^g (Wiener Studien 32. Jahrg. 1910. Vgl. Ed. Meyer. Forschungen II S. 160).

Bericlit über die Literatur zu Thukydidos tTir die .laluc 1908— l!tl8. 259

Das Wort bedeutet im Plural die Seesoldaten, im Singular ist fs auch militärischer Titel für einen Befelilsliaber bei einer Ab- teilung von Seeleuten , die mit einer l'berwachung betraut sind (Thuk. VIII 61, 2).

Bei Thuk. 111 104, 3. V 18, 2 i/eiOQog = privater Festbesiicber, nicht Zuschauer oder Festgesandter oder Festverkünder (nachClar. P. Bill, Xotes on the Greek GecoQug and Gecogia (s. darüber Jahresber. 172. 1915. I S. 113).

P. Boesch, OtojQCc:. Untersuchuni;- zur Epangelie griechischer Feste. Berlin, Mayer und Müller 1908. ( i^ec. Rivista di tilf)logia. Bd. 37. 1909. S. GOl. V. Costanzi).

Eine Menge von Verbesserungsvorschlägen zu allen Büchern bringt H. Richards in The Classical (^larterly VI 1912 S. 137fr. und S. 217 fF. unter dem Titel ..Dislocations in the Text ofThucy- dides" und The Class. Quart. VII 1913 S. 145 ff. und 243 ft'. als „Thucydidea". Es ist ein mißliches Ding, gewaltsame Umstellungen in grölierem Maße vorzunehmen, und unmöglich, diese hier zu be- sprechen. Nur einzelnes kann erwähnt werden ; einige sind übrigens früher von anderer Seite gemacht, z. B. III 23, 5 [/^' jSoQiov] Dobreo und Böhme- Widmann 1885. Namentlich glaubt R. an häufige Verschiebung von xat (VI S. 151. 254. VII 146. 148. 151). 1 102, 2 e?^£iv st. SiXov. II 4, 4 Umstellung. Man könnte eher la'JövTeQ in haßövzeg verändern, wie Hude es tut III 81, 2, wo R. das Part, zu a7ioy.Of.iiC.ovTai stellen will. 11. 7 c-J' tCij jcagac- ri/xi vor ev zolg 6(.i}.iaüLV bgav. 29, 2 liieydXrjv zi^r. 93, 3 f-iij ätj <st. {.lij a»'). III 20, 3 tg o fSov'/.ovto hinter ii(.ti.UxQi]Gir. 49, 1 oi.iiog hinter EAgditjOe di-. (1 105. 5. VII 34, 6). 59 , 2 zu TTaTQo'jtov Ta(fcov soll ,«/] ä/.ivr^f.ioi€ii' gestellt werden. IV H, 4 Tiop vewv hinter ■/.rßfoi'i^rag. Da ist es doch ganz überflüssig. 44, 2 TOLioß T(o igüiiii). „Can it be auother Version of xf^ iQOnf^ Tavifj . which occurs just betöre?" 63, 1 [dict zo] >/6'j;. 80, 3 v£6zt]za zu Ellwzior. V 15, 1 ouoiiog vor üCfioi zu e.ööy.EL zu stellen! 18, 2 Itvai soll hinter /ara ^aZaffdoi' gehören. 36, 1 Boiaizoig zweimal auszuscheiden. claaO^at ydg (uv) ^. 7TQ0 = ctvzi -= at the price of. 111, 5 7ceqI nazQiöog ßovleveai^E, ?iv i.iiav y.ai eg ulav (ai-) ßovltjv zvy. ze xal x. l'aie oder nazQidog ßovXEieaih itiäg negi , ^^v v.al ig f.iiav (av) usw. VI 20, 4 CiTt' agyjjg (st. anagy^g) = from time immemorial. 37, 1, 2 Tragd zooovzov yiyvwov.io cöoze /.lolig. 87, 4, 5 i^ioo'joavzeg To7g aXXoig vor f^iEzaXdßsze oder alzovg. 89, 6 etieI drj/no'Kgaziav ye oGit) /.al syiyvctjay.of.av o'i cpgovovvreg zi y.ui oiöevbg av yeigov

2G(t ^- 1*. NVidiiiMiiii.

XoidoQilaaifii. VII 32, 2 setzt ]l. rQtyfj zu 7iOQeiof.u.voiv. 48, ♦> xai ///), i'ov yQi']f.tart 7iolr /.oeioaovg elai, rr/.vit-evrag ccTtitvaty i.e.. r/rö TOVTvn\ ibv. 69, 2 xar« <fvX}]v (st. xat f/i.) Band VII S. 146. II 102. 4 Li) U7j (T/.. hinter yiyrovrni. S. 151: 1 36, 3 zgla iiiv TU ?Mynv atia. 89, 2 $vuuayoi(oi). 111 114, 4 dith'anvTO. S. 2'M): IV 9, 2. fffdiliaa'^ai st. ^/na7räaaGi/ai. IV 32, 1 ?Mi^6pTEg (zara) T/^i' ctTTodciGiv. 86, 5 Subjekt zu yalsTTCOn-Qa soll ^' «()/?^' sein. 96, 3 caoiTTEQ ijaor^octv (vgl. Steuj)). Die Fortsetzung fehlt infolge des Krieges.

H. Wagner (Wo. f. kl. IMi. 27. 1910. No. 52. Sp. 1429f.) macht beachtenswerte Vorschläge:

II 49, 5 fXfforro. IV 80, 3 nßeßaioTifra nach Polyb, frgrn. 6 (Vat. B (Ty.aioTTjza ist doch wohl festzuhalten; früher vermutete ich ßiaioTijTa). VI 19, 1 u^eovziviov {tiviov) rfvydöcov. \l 25, 2 ist die Überlieferung mit Widmann festzulialten. Wagner erklärt die Stelle. VI 29, 3 tiij evvoiav l'y/]. VT 68, 3 i'jv iiva . . . /.Ti^arjad^B. VI 74. 2 oQta (= Kielfurchen, vgl. Hom. ovqoi) xai ydgaxac {= Stützbalken) OxaiQiofud ts (= Pallisadenanlage). VI 89, 6 ooii) y.ai rpsvyco ttt. avxijc. VII 21, 3 öi] avO^ig (st. av avxolo) y.axa acfäg. VII 40, 3 Erklärung des kühneu Ausdrucks aXio-^ea- ^'tat = vor Erschöpfung (Dativ des (i rundes) durch sich selbst {Ino Ursache) überwunden werden.

Jos. Weidgen, Zu Thukvdides und lioraz (Gvmnasial- prograram v. Coblenz 1912) bietet mehrere geistvolle Konjekturen I 1, 2 y.i'rr^aig yag aviTj fteylairi . . . lyevexo . . . xd ydg 7100 (tiiiTjv vixä Y.ai xd i'xi TTaXaiöreQci = dies war die größte Be- "«•egung; denn die Zeit davor übertrifft sie und die noch ältere, die, wie ich glaube, nicht bedeutend war. III 49, 1. y^XOov jusr rg ayi'nu vuÖGE (Hdd. hf.ia)g) xf^g ödirjg, von der Abstimmung zu ver- stehen (vgl. seine Mise. crit. 1882. Coblenz). III 68, 1 toxegai' ai (Hdd. «). IV 9, 2 ^yslro (ro) 7toodvLn]G£ai}ai ^ Subj. zu ^.7ria7rdGaGi)ai (oder vielleicht hriGTiaGeGO^ai). Sinn: er glaubte, daß ihr zu erwartender Eifer sie hinziehe. Inf. Fut. wie IV 126, 5 Tov xe fg yeJoag ^.kV^elv ttlgxoxeqov xo eKcpoß}]Geiv vfidg t^youixai. IV 9 , 3 schreibt W. : ocxe ydg arxol tkniCovxäg ttoxe va.vGi 7reiga0^t'lG£Gi}ai (sc. x6 x£iyog, Hdd. /.gaxrj^%'jGEGiyat) ov/. iGyvghv f^xEiytCor j f/Mvoig xe ßiaZou^.voig xijr (-.jioßaGiv ah')Gif.iov to yfogiov (»]"v = f i^^r, oder kÖEi. oder i^i-ieXXs) yiyveoD^ai. = denn wie man selbst die Mauer nicht stark machte, weil mau nicht erwartete, daß sie jemals zu Schiffe angegriffen werden würde (des Geländes wegen), so war es anderseits möglich (zu erwarten), daß der Platz

Bcru'lit Ulli r<li. FJtciMtur /.u 'I'lmkyclides; für die Jjihn- 1908—1918. 2tti

für jeiio, wenn sie die Landnng zu erzwingen versucliten, einnehmbar würde. Zum Ausdruck favoi usw. vgl. 8, 4 riooößaXoZvTEQ v.arn ft y7v y.al y.aiu IfälaoGar und 9, 1 TigooßälAeiv vavai te üun /.(ti n:sC([j. Die Änderung ist etwas gewaltsam. IV 10. o vnoyioQrjOaoi (d'ofy ; so schon Mise. erit. o aus Dion. Hai. nimmt \V. niclit auf, Jones mit diesem o und nach /.lEvovzojr auch f.tir. Mills: ., if we give way. we shall iind (to our sorrow) the ground <|uite passable (bv the enemy) in spite of its difficulty." Spratt (ohne i(>-r): „but if we ouce give way. we shall find it. for all its difticulty, easily carried with none to hinder." Krüger ver- diiclitigte \o] ijuwv ^vuuayov yiyvexca als aus einer Erklärung zu i]UtiEQOv stammend ; vielleicht hat er recht. And(M'n möchte ich nichts. Vgl. zur Stelle 12, 2.

IV 15, 2 /; v:r() rt?ai&oig ßiaOx't^vzag fy./.oavi]xhfvai = oder sie unterliegen kämpfend der Übermacht. IV 117, 2 YMi ov uäXXov (Hdd. y.ai tueXXov) sc. jCEqi .iXEiovoi^ t7toiovvro Irri ueTlov XioQtjOai'Tog avrov vmI ccvziTraka y.aTaaTtjoavTog tiüv f.iH' GTfQEai^ni, Tolc () (■/. loi: }aov reuvvouEi'Oi v.ivdivEtEiv y.ai /.oaxhOEiv == sie zogen es vor, die Gefangenen zurückzubekommen, so lange noch lirasidas im Glücke war, und niclit vielmehr (wie sie hätten tun müssen) unter Verzicht auf die einen mit den andern den Kampf zu wagen und späterhin zu siegen (siehe schon Mise. erit.). Zu UV (.mlloi- vergleicht W. II 43, 2. I 83. 2. I 74, 3 x6 7rUov. .Jul. Alirens (Neuwieder (iymn. Progr. 1911) schlägt ^r^ Ei IueXIov vor. VII 28, 3 y.aivor (Hdd. y.al tov) 7caqaKoyov xooovxov i-.ioii:Oe (Hdd. lon^aui) . . . tu iE (Hdd. vjGte) etei usw. to yao begründet i^v yrgir . . . ar r/g, oaov Evöf-iiCov brachylogisch = ooov rruQEXoyiLOVTO roui^ovTEQ. Die Änderungen überzeugen nicht. VII 63, 4 dr/.aiojaai' avii^v (Hdd. öiy.aaoQ ar), durch die Hdd. <-) 1376 als unnötig erwiesen, da diese nur dr/.ai(fjg ohne av bietet. VIII 45, 2 vavTiy,or (ov) lonößoXov (^ökov) TO~ig Eavzätv öiööaGiv ohne Zweifel außerordentlich einfach und geschickt. „Wir zahlen, sagt also Tissaphernes , ov ivvE/oig, und die Athener geben kein ganzes Triobolon."

Jos. Weidgen, Kritische Bemerkungen zu .Sophokles und zu Thukydides. Koblenzer Gymnasialprogramm. 1911.

Im Anschluß an Bellermanns Zitat zu Ant. 4 behandelt W. zuerst Thuk. VII 75, 4 ovy, avEv o/j'ycov enid^EiaGj-nov y.al ol^toyTjg und denkt an ov h]yövz(OV (endlose). Paläographisch ist eine der- artige Veränderung durchaus möglich . doch will mir der Begriff

■2>\2 ^- '*• ^\ itluiMiiii.

nicht iu den Ziisaiumenhaug passen. Denn der Abmarsch läßt es zu „endlosen" Beschwörungen nicht kommen. Dem Sinne nach schlägt 0. A. Danielsson (Sonderabdruck aus Eran. Bd. XIII S. 260 ff.) denselben Begriff vor, möchte jedoch lesen:

OLY. äi'ev ÖKohvyiwv (endlos, ungeheuer, gellend). Das Wort kommt nur spät uud selten vor. Gerade darum, meint D., konnte es einem Schreiber sehr leicht ein Fallstrick werden. Wedi r in der Bedeutung „endlos" noch in der „gellend" (s. gegen diesen Begriff Steups Einwand) empfiehlt es sich. Außer lvyov)V (Heilmann). ovyviüv (Poppo), oly.TQiüV (v. Herw.) , a'KÖyiov (Madvig, nicht übel, denn Vat. hat VIII 27, 2 auch falsch oliycoc st. a/^6ytog). hyvQOji' und ?uyecov (Kothe, Widmann), oXolvyiov [svn&eiaai-itüv] (Uscner) könnte man au Verderbnis aus Xoiyitov oder hoyicov (persönlich gefaßt, abhängig von i.nO: und oiiicoyfjg), auch an a?U(ov (vergeblich) denken. Vielleicht stand ursprünglich ooyiktov (gleichfalls abh. von S/rid. und otf.t.)\ es entspricht der ganzen Sachlage. Indessen läßt sich oXiycüv (s. Widmanns Ausg.) immerhin verteidigen. K. Ilude ist in der Besprechung meiner Ausg. (ßerl, ph. Woch. 1910 S. 36 f.) -geneigt, die bekannte Verwirrung der Negationen hier zu statuieren".

Einer eingehenden Besprechung und Erklärung unteizieht Ch. F. Smith das ganze Kapitel VII 75 in Studies in Philology. Vol. XIII. Xo. 1. Jan. 1916. p. 22—30 (Chapel Hill, publ. by the Universitv). Er rechtfertigt die darin auffalligen Ausdrückt' mit dem Zwecke der Schilderung des großen Unglücks und zeigt, daß Thuk. hier 9 ccTtaB eiQrjUara, 7 Neubildungen, 10 der Poesie entlehnte Worte und 3 poetische Wendungen gebraucht. Daher verteidigt er auch o)dyo)v mit Classens Deutung = schwach, matt (faint) und verliert über Tolq Kwai kein Wort.

J. U. Powell (Classical Quarterly. t. V 1911 S. 175): III 51, 4 t^eiQyäouTO. Zu IV 32. 1 siehe oben. VI 62. 4 anldovTo mit Bekker st. aneöooav und eytvEzo st. iyeroPTO. Die Fehler sollen entstanden sein aus § 3 ^caQ^dooav und ;i((QeyevovTO. Er hält die Korrektur des Plurals iu den Singular gleichfalls für not- wendig T 126. 5. da dieser auch VIII 9. 1. 10, 1 bei den Fest- namen steht, V 75. V 26. 1. ^'I 13. 1. ja \' 26, 2 nach auagtr^- ^taia. Bei VIH 10, 1 nimmt er als Subjekt zu l.rriyytki^r^öai' nicht '[oO^/uia. sondern oi lAi/r^vaioi.

I 3, 4 will Karl Fr. Schmidt (Berl. ph. Wo. 32. 1912. S. 383 ff. 'EXlrjveg und te umstellen und so lesen: ol ö' ovv wg Vy.c.oioi -/MTU 7C(j).Eig oooi aJj.rjliop SwiEOav y.al ^i/ii7cavTeg iOzeooi' vJ.r^i/lvTEg'HD.r^vtQ. Nein, die überlieferte Vorstellung ist

Bcric-lit ülici- die Literatur zu 'J'luikydidcs für dii- Jiilire 1908—1918. 263

festzuhalten, da oool a}.hykio%> ivvieauv nicht ein neues Glied neben die Gemeinden (Stadtstaaten) stellt, sondern nur den Namen H. auf die gleichsprachigen beschränkt. H. Kichards (The Class. Quart. VI 1912 S. 138) möchte stellen: oi ö' ovv 'Auxa nu}.ei(^ re oooi af.lrjliijv ^vvUoav t'jg iKaaroi 'EÜ.i^vbq /mi ^rf.t/ravT£g vGcegov /.Xiiüivceg.

I 8 Gräber der Karer, Die Stelle ist nicht interpoliert (Monu- ments et Miimoires publies jiar TAcad. des Inscr. et IJ.-Lettres. t. XVI 1909).

I 24,8 verteidigt ,). Haunuck u.reXytövztg = STtaveld^owEg, u€za TWi' iiaoßaociji' gehöre zu beiden Verbalbegrift'eu. Philologus LXVIII 3.

Über Th. I 25. 4 7CQ0/.aiaQ/€o0^ai und I 126. 6 verweise ich auf P. Stengel, Opfergebräuche der Griechen. Leipzig 1910. S. 43 und 71.

1 36. Alfred Schöne (Philol. Bd. LXX X. F. XXIV 1911. S. 499) schlägt Umstellung der Worte: loxvv t'xov roi'g Ivavziovg uaXXor cpaßr^GOv vor, da sie (urspr. 6. Zeile) ausgefallen und an falsche Stelle geraten seien : ein späterer Abschreiber habe xb de i}(tQGOiv zwischen Cfoßt^oov und t//J gestellt. Es ist zu lesen : yvioTM 10 (.i^v dsöiog aicoZ \ utj de^ajuivoi aoO-ev^.g ov .iQog loyjovxag rovg I ex^QOig aöeioTEQOv e.a6/.ievov, xb öi d^agaoh' \ lo^vv tyßi xovg evavxiovg juo:?<.lov (foßr^aov /.al aua usw. Ein bestechender Vorschlag, der aber die Gegensätze <)£dibg-iayj v tyov. V^agaorv ((oitevig op aufhebt.

Thuk. II 40, 4: M. Hutton (Transactions and Proceedings of the American pliilological Association, Boston, t. 41. S. 11 17. 1910) ßeßaiÖTSQog waie oojieiv bei der Übersetzung zu ver- binden im Gegensatz zu af.ißXvxeQog {ctjtodocvai). Siehe meine Ausgabe.

Zu III 19, 1 ist der Aufsatz von J. M. Stahl über „Die Eis- phora und ihre Reform unter dem Archon Nausinikos^' von Wert (Rh. Mus. Bd. 67. 1912. S. 391 fi'. u. 638).

III 30, 4 liest P. Corssen y.aiQiov st. -/Mirov (Berl. ph. Wo. 32. 1912 No. 23). III 59, 3 H. Röhl: e.yyig /uti' acxo st. 4(0X0? (Wo. f. kl. Ph. 29. 1912. No. 48).

III 68 a. E. gab der Vorschlag J. P. Mahaffys (Athenaeuni 1912. No. 4418 S. 736) 73 statt 93 Jahre zu lesen, Anlaß zu Auseinandersetzungen über die Art , wie Thuk. Zahlen schrieb, zwischen ihm und G. Dickin s (The .Journ. of Hell, studies.

2ti4 '^^ ''• Widmann,

May l'.tlJ. Xo. 4422. S. 94). III 109, 2 E. Nachnumsou schläo-t vor : xot'f/a Jf Jt]uooi}^evr^g fiera T(~n> ^KngaTijyiov Drtkvdovic.i (Evanos XII. 1912). Seine syntaktischen Heiträge entlialten schätz- bare Beobachtungen.

Zu \\\ :17. Holkestein. Het dubbel Karakter der oude geschiedenis. Hede 13. Nov. 1915. Utrecht, Oosthoek.

Für die Echtheit von III 84 tritt L. v. Straub (Philol. LXX 4 S. 565) ein. Er gibt eine Überset/.ung des Kapitels. 7i:aQCc diy.ri- yiyrcjGy.eir -^= widerrechtliche (richterliclie) Erkenntnisse fällen. roog TOI' '/.atonv rorvov ein Ausdruck echt thukydideischer Prägnanz. fi> (iß nämlicli /Qoro) (gegen Classen und Böhme), fif/e drückt einen tatsächlichen Zustand der Vergangenheit aus. lOyvg = äußere Macht. Dem Scholiasten war der Inhalt des Kapitels unverständlich. Thukvdides unterscheidet drei Triebfedern bei den Greueltaten: Kachsucht, Habsucht und persönliche Feindschaft.

ITI 89. 1. .1. J. Hartman (Mnemosyne N. Ser. Bd. 43. 1915. S. 285 [-Aai ol/. tylvexo iaßolri]. Mir scheint das kein -pueriles" Glossem , sondern ein gewissenhafter Satz des Bericht- erstatters, der ihn dem cjg ioßaXovrzec entgegenstellt. Das ccrezQci- jroiTO konnte auch geschehen nach erfolgtem Einfall.

B r. Keil, Thuaydideum (Hermes Bd. 50. 1915 8. 635) zeigt auf Grund einer 1911 gefundenen Inschrift aus dem Epizephyrischen Eokris (Notizie degli Scavi supplem. 1913. Mailand 1914. S. 3) xa7taoo)i' y.ai Uqo + evo aveO^sy.ai' (den Persephonetempel) , daß Thuc. III 103, 3 für KaTiäiiovog, zu lesen ist Ka.rciQon'og. Der Fehler erklärt sich aus dem Verlesen der Unciale für Q.

In der Urkunde IV' 118. 119 erkennt U. v. W i 1 am o wi tz - M., Der Waffenstillstandsvertrag v. 423 (Sitzungsber. d. preuß. Ak. <1. W. 39. 1915, 29. Juli, S. 607—622) eine noch unverarbeitetf- Einlage, die wieder beweist, daß „der Herausgeber mit größter Schonung gegen den Xachlaß' des Geschichtsschreibers verfuhr. Thuk. ließ sich vermutlich das Protokoll des Phainippos über die Verhandlungen des Rats mit den fremden Gesandten im Metroon kopiei-en und sieht die Sache von der thrakischeri Seite an. W.-M. liest 117. 1 lö^diGai (M f'o, Hude) , da der Aor. unmöglich sei, 2 "wg in (Schol. Aristoph. Pac. 479, Hude) . . Eicvyei (Hude noch ivviyEi'. £Ü ist in komponierten Verben ohne Augment zu schreiben), /Ml i/.t€)J.oi'(y.ai) , streicht, (mit Krüger. Bö, AVidmaun) (xßt y.ga- [ijoeiv] als entstanden aus einer Variante sowie 120 aig hn'^Q/orio ah Zusatz (H. Richards korr. TToogr^iyovTO The Class. Qu. VII S. 150) und f-TTi'^üovTOS und korrigiert 121, 1 lOoar^QyovTO in

Bericht über die Literatur zu 'riiukyriides für die Jalire 1908—1918. 265

ytQOGJ^acn . 117, 2 fiilk er ivjv uii und lo)^ de als Neutra. 11"^. 12 dt ist von Kirchliofl (Hude) mit Unrecht zugesetzt. Über die Ortliclikeitcn in 118, 4 bemerkt er: Minoa ist sj)äter landfest ge- worden , es ist an ein megarisches Troizeu zu glauben , Methana gehörte nicht zur Troizenia. c. 117 gibt er folgendermaßen wieder : „Die Athener dachten, ürasidas wird uns keine Stadt mehr ab- spenstig machen, bevor wir uns in Kühe gerüstet haben, und wenn es uns gut bekommt . können wir uns auch weiter vertragen. Die Lakedaimonier nahmen an, Athen hegte die Befürchtungen , die es in der Tat beunruhigten, und wenn eine Pause in den Leiden und Lasten des Krieges einträte , würde es dui'ch diese Erfahrung ge- neigter werden, sich zu vertragen und unter Freigabe ihrer Ge- fangeneu einen Frieden auf längere Frist zu schließen. Ihnen lag nämlich besouders viel daran, die (Jefangenen loszubekommen, so lange Brasidas Erfolgr hätte. In der Tat hatten sie die Aussicht, selbst wenn er noch größere Fortschritte machte und den Krieg ins Gleichgewicht brächte , das eine nicht zu bekommen , und im übrigen das Risiko des Krieges unter gleichen Chancen zu laufen."

In derselben Abhandlung wiederholt W.-M. seine schc»n Hermes XXXVIl und XLIII ausgesprochene Ansicht, daß auch die Urkunde V 76 f. a]s Rohmaterial nicht einmal äußerlich eingeordnet sei, was den unfertigen Zustand des Werks beweise.

Zu V 14 , 3 schlägt J. J. Hartman (Muemosyne X. Ser. Bd. 44, 1916. S. 44 vor st. iTrofx&vovTEg zu lesen vTrofueioveg = vecüdai-aüöeii; und neQLor^Oi (vgl. Xen. Hell. III 3, 6), xolg t^oj als Neutrum zu fassen =^ „bellum a Spartanis infeliciter gestura". Er übersetzt: „transfugientibus Helotibus semperque impendente metu ne et cives minore iure, item ut antea. res novas molirentur." Nicht ungeschickt.

Zu V 22, 2: K. Praechter (Hermes Bd. 45. 1910. S. 155f.j nimmt an, durch Versehen beim Abschreiben sei ij/.iota av ocpioir ausgefallen, dann am Rande mit dem vorangehenden Worte nach- getragen worden, wobei flüchtigerweise dem aoristischen Partizip das präsentische substituiert worden sei. Dieser Nachtrag sei an falscher Stelle in den Text geraten und, da vot-iioavTeg dvai stehen blieb, durch Zusatz von ov geheilt worden, %'OuioaiTeg sei geboten durch V 14, 4. Superlative bei 'rf/AaTa av werden ver- zeichnet aus I 68, 2. m 71, 1. IV 10. 1. V 36, 1. VI 11, 4. 18, 7. Zu louiGavTEg Ij/aora av Offioiv vgl. III 24, 1 vouiZovceg rfMöza (Madvig rj-Aioca av) orpäg. VI 82, 3 voj-iioavieg rf/uov av. Pr. liest also: STtoioTvio, TOi'g ze . . . tniGTtivÖEoiJai roiAiaavreg

o^iti S. 1'. \\ itlniauii.

tj-Kiara a»' ocfiaiv avxovq (= allein auf eig-ene Hand, ("lassen)

Zu V 77, 4. A. G. Laird, Laconian OQ'Aoq in Thuk. V 77 (Class. Pliilol. II 1907. 8. 337 f.) faßt hier OQy.ov im Sinne von fQy~og (Hesycli. oq-/.oi' Ö€Of.iol ocpqayldog. OQy.f.iog' (fgayf-ia und uQ/.arij.) und ft/frA/^r als t'i.iev Ai;j' mit der Übersetzung: „in tlie matter of tlie sacritice of tlie god that the Argives consent to the Epidaurians Jiaving an indosure , and that they (the Epidaurians) should swear to give it (the sacritice)." „tieqi tov Oiu(.icn:og is a mere iutrodiiction of the well-known subject of dispute." „€«£X*/J' miglit be a corruption of e^eXrjV^ that the Argives should set aside an inclosure." Paul Kretschmer (Glotta I 1909 (S. 354) macht dazu die treffende Bemerkung, „wie er aber bei letzterer Bedeutung die ganze Stelle versteht, bleibt unklar". Auch Steup (Ausg. S. 281) lehnt Lairds Vermutung ab. Über die Urkunde vgl. auch Wilamowitz-M. zuletzt in Sitzungsbericht d. pr. Ak. d. W. 1915. 39. 29. Juni (obeu angeführt). al {aixe) ohne VM mit Konjunktiv in demselben Kapitel V 77 und 79^ 3 bespricht Ed. Hermann, Griech. Forschungen (die Nebensätze in den griech. Dialektinschriften). Leipzig 1912. S. 135 und 137, ebenda k o (V 66, 2) S. 145.

Zu V 79. W. Vo 11g raff. Inscriptions d'Argos (Bull. corv. hell. XXXIII 174—200. 445—466) will dov.eb] st. öo'keioi lesen (Glotta ni 1910. S. 306).

Für otz av öe^oiaO^e V 94 (Hdd. dt^aioöe) tritt ein A. Berriedale Keith, Some uses of the future in greek (The Class. Quart. VI 1912 S. 123).

Eine schöne Arbeit „Zu Thukydides VII" lieferte <). A. Danielsson (Ex Erani vol. XIII seorsum expr. Upsaliae 1914. S. 228—268).

Die Vorschläge zu c. 2. 4. 75, 3 und 4 werden von mir im Anschluß an andere Arbeiten angeführt. Hier verzeichne ich folgende : 27, 4 „nur ganz provisorisch" oze d' a^ anagyjig (statt avayy.r^g) rfjQ l'or^g (jt/g} (fgoigag /Mral/eovoi^g xe = iind indem bald auch ^mitunter) in größerer Einfallsstärke, bald (gewöhnlich aber) in der gleichmälMgen (der Zahl nach sich gleichbleibenden) Auslese (ex delibatione aequabili) die Besatzung das Land durchstreifte. anaQyji hat hier gar keine Berechtigung. Eine Änderung erscheint rnir unnötig. 48, 6 stimmt D. Steups Erklärung von fO (F, w BH) zu, wünscht aber zu lesen uTj y^qi^uaai y' tu = jedenfalls nicht" usw. ye schwächt jedoch, wie mir scheint, den Gegensatz. t

Bi'iiclit über die Literatur zu 'Flmkydiil, s für dir .Inhro 1908—1918. 2<>7

49, 1 mit Reiske vavoi rfj 7cqüt€qoi' 'hxoot',aEi YQaTvv'JeiQ in der früheren Zuversicht auf die Flotte bestärkt, lu IUI erkenne ich keinen Versuch, den verdorbenen Text lesbar zu machen, sondern die Wiedergabe verschiedener Überlicrerungeu. i'^agot^oe knnn aus einer Variante zu urspr. fi}dQOEi (JiaQo/^oei ACEF(tA[) herrühren ; es kann fia)J.ov ausgefallen sein. Über das „kann" kommt man einstweilen nicht hinaus. Die Stelle ist noch ungeheilt. 55, 2 a(fa).l6uevoi ör] (st. öe). Aber acpaD^Ojiievoi faßt nicht zusammen : .,so hatten sie eben Mißerfolg", sondern fügt Weiteres hinzu. 56, 4. Statt des überlieferten Xoyov recht hübsch ozolov , v/eil es zu TTQog y.Ti- gut paßt. 63, 4 bedarf seit der Entdeckung des 0 1376 keiner Heilung mehr. Dasselbe gilt von 67, 2 ngog r/MGTOi' (B), das schwerlich „eine gewaltsame, rein konjekturale Zurechtrückung des unverständlichen Tr]v e/.dairjv" ist. Vielleicht sind ursprüngliche Varianten TiQog tj]v avvcJi' und rcgög VyMOTOv miteinander vermengt. 74, 1 verteidigt D. die Überlieferung y.al eneiÖTj y.ai cog orx et'^tg o'jQiu]oav, die ich auch in der 6. Aufl. des Buches beibehielt, obgleich ich an y.aycog (s. dort Beispiele) dachte. 75, 2 nimmt D. zuerst mit Stahl nach ov y.ai)-' "v /iiniov eine Lücke an, die etwa auszufüllen wäre tovto fj (.teTaßoXf^, dann setzt er (rc) tojv 7TQOiy(.idT(or, schließlich faßt er, von jeder Änderung absehend, mit Recht T(7jv 7cq. als einen von deivov i^v regierten „genetivus relationis" und xa^' f-V als Ausdruck für die „kollektive Einheitlichkeit im Gegensatz zur Trennung und Vereinzelung, also zu den persönlichen und individuellen Gefühlen, die beim Verlassen der toten und lebenden Kameraden wachgerufen wurden" {r/MOCo) im zweiten Gliede) : „Es war nun ein furchtbarer Augenblick nicht nur einheitlich (unterschiedslos für alle insgesamt) wegen der Sachlage, daß sie (nämlich) . . ., sondern auch jedem einzelnen widerfuhr es . . . d. h. sondern auch insofern, als es jedem ein- zelnen usAv." Am Ende desselben i^ ist litj 7tdi}o)Oi (B) besser als urj TL 71. und die Änderung i-iTj tri ;r. 76. f'rt (.lällov gehört zu r/.aOTOig und ist gesagt mit Beziehung auf 69, 2, also nicht in TL LiaXXov zu ändern. Eines iliö^ vor iddoGcvE bedarf es nicht. Am Schlüsse des cap. und am Anfang des cap. 77 ist die Lesart von B beizubehalten. Ich finde gegen Steup und D. gerade das einfache /.at i/. tcZv TtaQÖviiov kräftiger als tri y.al usw. 79, 5 ist xara ßoayv TQExbduEvoi usv/. ohne Anstoß; Xi würde den Sinn verschieben, da es sich nicht um „einen" kleinen Teil handelt, sondern um wiederholt kleine Teile, ,,klein um klein. Stück für Stück, Teil für Teil" gegenüber dem rar.

2(jö 8. F. Widmann.

VII 47, 1 korr. J. U. Powell (Classical Review XXVI. 1912. 3. 4.): (tvro) zolg l^O^r^vaioig unter Berufung auf Hdt. VII 11 'tva y^ inde 7iävca vtco '^'EXh]aL y i/.ih'a ndpia V7c6 Ih-QOr^oi ytvtizai. Auch zu V 103, 1 und VI 78, 3 bringt er Konjekturen.

Litchfield. Henry Wheatland . The Attic alpliabet in Thucydides: a note on Thuc. VllI 9, 2 (Harvard Studies in classical plnlology. XXIIl 1912. 8. 129—154. Kec. Harv. Stud. XXIII. (12) p. 12it— 154.

Eine sorgfältige Untersuchung des in den griechischen In- schriften des 5. Jahrhunderts angewandten Alphabets führt den Forscher zu dem Ergebnis, daß auch die gleichzeitigen Schriftsteller noch in grölierem Umfange sich des jonischen Alphabets bedienten und Thuk. ein aus dem jonischen und dem attischen Alphabet ge- mischtes Schriftsystem gebraucht hat (so 0 für Of, E für Ei). Auf Grund dieser Annahme will er VIII 9, 2 tov nioiovv (Inf. der Absicht) lesen statt des überlieferten ro niOTOv, das der Unkennt- nis des Abschreibers sein Dasein verdanke. Die an sich hübsche und mit so gründlichen Forschungen über das Alphabet verbundene Vermutung ist nicht notwendig (s. meine Erklärung in der Ausgabe v. Böhrae-Widmann, ferner Göller und Krüger, die Litchfield selbst S. 130 anführt). Goodharts (1893J Einwand und Änderung ^/liacovv (S. 131 Anm.) ist zurückzuweisen. Die Literatur über die Frage nach dem Alphabet gibt L. S. 133 an und zwar für die Benutzung des alten Alphabets durch Thuk, Kutherford (4. Buch, Einl. 1889) und Marchant (2. Buch 1903, Einl.), gegen diese Wilamowitz (Philol. Untersuchungen VII 1884 S. 301 ff., Herakles 1889. 1 S. 126 p. 6). P. Cauer (Grundfragen der Homerkritik 1895 S. 69 ff.). Zur Frage hat bereits 1911 J. van Yzeren Zur Gesch. der griech. Orthographie (N. Jahrb. f. d. kl. Alt. 27. Band 1911 S. 93) geurteilt: „Thuk. schreibt die Urkunden, die er jinführt, ohne etwas davon zu sagen, in die milesische Orthographie um diplomatische Genauigkeit in Wissenschaft und Literatur war über- haupt noch etwas Unbekanntes." Daher ist es auch nicht auf- fällig, dali die Urkunde \ 47 nicht wörtlich mit dem aufgefundenen Original übereinstimmt, v. Yzeren hält es „für völlig unerlaubt, hier an eine Verstümmelung des Textes durch Kopisten zu denken, wie z. B. Kirchhoff (Hermes XII 368 f.) tut." Die athenischen Literaten wandten schon um 450 das milesische Alphabet an, während man sich offiziell noch an das alte hielt (S. 94). Für 425 ist das neue erwiesen durch Eurip. frgm. 385 N.

Bericht über die Literatur zu Thnkydides für die Jahre 1908—1918. 269

Auch J. C. Voll g raff lieferte in der Fortsetzung seiner Thucydideä (Mnemosyne N. S. t. 36 1908 S. 186 ff. Vgl. t. 34. S. 429) zum achten Buche eine ganze Anzahl von Textveriinderungen, deren Notwendigkeit ich nicht anzuerkennen vermag. Ich richte mich lieber nach dem Ifate des Verfassers: „Quapropter (mit Bezug auf Marcell. § 44) religiöse cavendum est no (^nae ipse Thucydides iramatura morte abreptus rudia ac minus eraendata reliquerit, nos receutiores philologi politius limare et corrigere conemur. " Zu be- achten ist die Bemerkung (S. 195): „In libris vetustioribus, in Thucydidis codice Laurentiano, ut hoc utar, vocalis a et diphthou- gus Oft vel intentissima acie vix ac ne, vix quidem distinguuntur," aber nicht zur ELindliabe für neue Vermutungen durch Verbesserer zu benutzen.

Nur anführeil kann ich 0, Stadler zu Thuk. V 82, 3. VI 12, 1. VI 17, 1 (Korrespondenzbl. f. d. Höh. Schulen Württem- bergs. 16. Jahrg. 11 (1909).

M. L. Earle (f ) , The classical papers of Mortimer Lamson Earle, with a Memoir, bv Sidney Gillespie Ashmore. New York. The Columbia University Press. XXIX 298 . p. 1 (dabei auch Arbeiten über Thuk.).

V. Fortleben des Tlmkydides.

(N a c h a h Ulli n a' e n . B e nutz u n g e n.)

Eine Anzahl von Tiiemata , die aus Thuk. zu Redeübungen benutzt wurden, stellt R. Kohl zusammen in seiner gediegenen Arbeit: De scholasticarum declamationum argumentis ex historia petitis. Paderborn 1915. S. 23—45.

Während Spengel (Seebodes Bibl. Crit. No. 87, S. 384. 1829) an Beispielen zeigte, daß der Kaiser Kantakuzenos den Tliuk. nacli- geahmt hat, behauptet L. Schopen in seiner Ausgabe des von diesem verfaßten Geschichtswerks (IV 8. Bd. III S. 49 Bonn), der dortige Bericht über die Pest des Jahres 1347/48 sei fast wörtlicli aus Thuk. entlehnt. Dies berichtigt Joh. Dräseke, indem er die betreffenden Entlehnungen aus Thuk. nachweist in dem Auf- satz: „Thukydides' Pestbericht (II 49 53) und dessen Fortleben" (Sokrates. 2. Jahrg. LXVIIl. Bd. 1914. 2. Teil S. 181—189). 0. Zosel schrieb De excerptis historicis Constantini Porphyrigenneti iussu confectis quaestiones Thucydideae. Diss. Greifswald. 1913. Die Excerpta t. I. de legationibus gab KarldeBoor, Berlin 1903, die t. IV de seuteutiis U. Phil. Boissevain, Berlin 1906, t. Ili.

■l.ihr..'iiHri.-ht für Altertuinswiasenschaft. Bd. 178 (1919. I). 18

270 ^- ^^- WidniMiin.

De iusidiis 1905 de Boor, die de virtutibus et vitiis. t. I Büttner- Wobst, Berlin 1806 TT. Ant. Ger. Koos Berlin 1910 lieraus. Zosel vergleicht die Lesarten des Codex Peirescianus (genannt nach Nik. Claud. Fabr. I^eirescius 1580 1637), über den ttn er -Wobst in den Verhandlungen der kgl. sächs. Ges. d. Wiss. zu Tjeipzig, Phil.-hist. Kl., Band 45, 1893 S. 262) berichtete, sorgfältig mit den Lesarten der Thukydideshandschriften S. 24—37, 77flP., 86. Da- nach ist er ein „codex mixtus", der sich einer bestimmten TTand- schriftenklasse nicht zuweisen läßt und für die Textgestaltuug keinen Gewinn bringt. Nach der Ansicht Zosels zeufft er für die Meinun"- Gerckes (Einl. in die Altertumswissenschaft T S. 47), die Thuk.- Tldd. gingen auf Vorlagen zurück, die schon früh verbessert ge- wesen seien (S. 33).

Georg Franke, C^hiaestiones Agathianae. Breslau 1914 (Bresl. phil. Abhandlungen, herausgeg. von Kichard Förster).

Fr. weist nach . daß der byzantinische Schriftsteller neben Herodot und Polybius namentlich auch Thukydides nachgeahmt hat nicht bloß in einzelnen Worten und Ausdrücken , sondern auch im Gebrauch gewisser Wortbildungen (Subst. auf Tt]g, oig, i-ia, Desi- derativa auf (je/cu; Neutrum von Adj. und Part, für abstraktes Subst.) und in Wendungen und ähnlichen Gedanken. tvsQOig (Th. I 6, 3) findet sich bei Ag. TP 14 B. Bei Thuk. findet Fr. häufig den Satzschluß -'-- ^y^<j - <^Kj •. Agathias zieht dagegen den Adonius vor

Zitate aus Thuk. bei Libanios gibt R. Förster unter dem Text seiner Ausgabe an, t. VITI, Leipzig 1915, z. B. von I 1. 2. 29, 4. 2. 46, 2. 49. 2. IT 12. 3. 89, 6. 90, 2 n. 4. 92, 3. IV 127, 2. V 35 u. 78.

Einige Bemerkungen über Zitate aus Thuk. macht Ed. S t e m p - linger. Das Plagiat in der griech. Literatur. Leipzig 1912. S. 112 f.. 114 f., 239.

Über Clemens von Alexandria bemerkt R. B. Tollin ton Clemens of AI. London 1914 Bd. I S. 171: There is more than one reminiscence of Thucydides , and Clement borrows a famous phrase when he »ays that divine training is a xr^^m eig aet (130. cp. 233). S. auch TI S. 263.

Einen Nachweis der von Prokop benutzten Stellen gibt C. Kempen, Procopii Gazaei in Tmperatorem Anastasium paae- gyricus. Diss. Bonn. 1918.

Eine Thukydidesreminiszenz bei Goethe findet F. Lillgc; in den

R.^richt übor dio Litorütiir zu 'l'hnkvdidfs für Hio J.iliro 1908 191S. 271

„Skizzen zur ^. Epistel'" Fragm. d (Goethe-Jahrh. XV. Frankfurt 1894 V. Karl Kedlich, 8. 3 ff.). Die dortigen, auf Friedrich den Großen gehenden Verse (Löper, Goethe-Jalirb. XIII S. 227), sind in Erinnerung an die Charakteristik des Themistoklos (Thuk. I 138, bes. § 3) geschrieben. Goethe faßt in dem Satze aus Wilh. Meisters Lehrjahren T 17. Kaj». (Jubil.-Ausg. 17 S. 78): „Das Gewebe der Welt ist aus Notwendigkeit und Zufall gebildet, die Vernunft des Menschen stellt sich zwischen beide und weiß sie zu beherrschen" usw. „kurz und scharf die Anschauungen'" zusfimmen, „die in dem Werke des Thuk, über Notwendigkeit und Zufall und die Stellung des Menschen zu ihnen herrschen". Auf Nestles Aufsatz „Thuk. und die Sophistik" (N. .Jh. f. d. kl. Alt. XXXIII 1914) sich stützend, legt L. die Ansichten des Geschichtschreibers über avdy/,i] (V 105), rvxr] (1 140, 1. IV 64, 1), /jw'/o; (I 33, 3. 70, 6. 91, 5; 11 38, 3), „mit der allein sich die Ti"/t] meistern läßt (II 87, 3; IV 64, 1: V 75, 3)" und die ihr nahestehende Scveaig (II 62, 5. 97, 6; III 37, 4; IV 18, 5) kurz dar in der Zeitschr. Sokrates, 4. Jahrg. Bd. LXX. 1916. S. 187—192.

Recht lesens- und beherzigenswert für die Lehrer der Ge- schichte und des Griechischen in den Oberklassen des Gymnasiums ist der Aufsatz C. Keuters „Zur Vorgeschichte des Peloponnesischen Krieges im Unterricht" (N. Jahrbücher f. d. kl. Alt. 21. Jahrg. 1918. 1. Abtlg. XLL Bd. 1/2. H. S. 18 ff.), „für die Schulung eines modernen Staatsbürgers nützlich," ebenso bei der Lesung von Thuk. I.

Auf den Wert der thukydideischen Darstellung des Pelo- ponnesischen Kriegs für den Geschichtsunterricht und die staats- bürgerliche Erziehung der Jugend sowie auf das Verhältnis zwischen Moral und Politik weisen F. Cauer und K. Seeliger in Auf- sätzen hin (N. Jahrb. f. d. kl. Alt. 38. Bd. 1916. S. 126. 129. 223. Vgl. Humanist. Gymn. 25. 1914. S. 5).

f>

18^

JAHRESBERICHT

über die

Fortschritte der klassischen

Altertumswissenschaft

begründet von

Conrad Bursian

herausgegeben von

A. Körte.

Hundertneunundsiebzigster Band.

Fünfundvierzigster Jahrgang 1Q19. Zweite Abteilung.

LATEINISCHE AUTOREN.

LEIPZIG.

O. R. REISLAND. 1919.

Alle Rechte vorbehalten.

Altenburg

Pierersche Hofbuchdruokerei

Stephan Oeibel & Co.

Inhaltsverzeichnis

des hundertneunundsiebzigsten Bandes.

Seite

Bericht über die Literatur zu Ciceros rhetorischen Schriften aus den Jahren 1909 1917. Von Georg Ammon in Ludwigshafen a. Rh 1 162

Bericht über Ovid von 1914 1919. Von Rudolf

Ehwald in Gotha 163—186

Bericht über die Literatur zu Ciceros rbetorischen Schriften aus den Jahren 1909—1917.

Von

Oberstudienrat Dr. Georg Arnmon,

Gyronasialdirektor in Ludwigshafen a. Rh.

In den 25 Jahren, über die ich hier bei Bursian berichte, be- wegt sich die Ciceroforschung trotz mancher Schwankungen auf- wärts ; gerade in den letzten Jahren vor Ausbruch des Weltkrieges waren Deutsche , Franzosen , Engländer , Amerikaner , Italiener, Russen, Schweden, Griechen u. a. eifrig bemüht, das gesamte Wirken des großen Kulturvermittlers und seine Werke, vornehmlich die rhetorischen Schriften , nach Form und Inhalt allseitig zu erfassen und darzustellen. Manche reife Frucht ist uns selbst während des Völkerringens beschert worden. Nicht wenige Mitforscher, auch auf dem Gebiet der ßhetorik, hat uns aber der Tod entrissen: Kurt Emminger, Peter Hamberger, Joseph Kessler, Friedrich Leo, Johann May, Wilh. Meyer, Hermann Mutschmann, Friedrich Sauer, Franz Skutsch, Siegfried Sudhaus, Georg Thiele, Paul Wendland.

Auf den letzten Bericht über die Zeit von 1905 1909 (Burs. CXLIII 1910. II) rechtzeitig die Fortsetzung folgen zu lassen, hinderten mich in den ersten Jahren Berufsgeschäfte, in den letzten der Weltkrieg oder beides, so daß ich gerne einen jüngeren Bericht- erstatter mit mehr Muße an meiner Stelle gesehen hätte. Die Aus- züge und Zusammenstellungen entstammen verschiedenen Jahren; die einheitliche, geordnete Verarbeitung hat darunter stark gelitten, zumal mir hier im besetzten Gebiet nicht eine gi'oße Bibliothek zur Verfügung stand (mir nicht zugängliche Schriften haben bei [der Titelangabe das Minuszeichen vor sich). Die Herübernahme aus einzelnen Besprechungen von mir wird man den Verhältnissen zugute halten. Die größte Lücke ist natürlich der durch den Welt- I krieg entstandene Ausfall.

Zu der Geschichte der Überlieferung haben Remigio iSabbadini, Thomas St an gl, Albert Curtis Clark, Eduard

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 179 (1919. II). 1

2 G. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

Stroebel, Johannes Stroux, Max Manitius u. a. Neues bei- gebracht.

In der Einschätzung der Handschriften, besonders in der Wertung der Mutili und Integri, bestimmt nicht mehr der Schlacht- ruf *Hie M! hie I!' die Richtung durch dick und dünn, sondern das Streben , sie - mit ihren Fehler- und Vorzügequellen zu ver- stehen und für Ausgaben das Beste zu nehmen, wo man es findet (Stangl, Ströbel, Kroll, Stroux, Meister u. a.). Ganz ohne Reaktion geht es freilich auch hier nicht ab. Die neue Cornellhandschrift hat Stangl umsichtig gewürdigt.

Die Konjekturalkritik, kein Liebling unserer Zeit, hat bei Stroux, Meister u. a. doch manche Vgjjaia gebracht.

Die neue editio Teubneriana hat mit Stroebels Ausgabe der rhetorici libri bereits frohe Hoffnung auf die Fortsetzung durch Fr. Marx, P. Reis, J. Stroux erregt.

Wieviel eine tiefgreifende Erklärung zu leisten hat und zu leisten vermag, hat Kr o 11s Orator mit der sich daranknüpfenden Kritik gezeigt, ebenso die Arbeiten von Stroux (De Theophrasti virt. die), Sternkopf, Herrle u. a. Hiedurch ist auch die Theorie der Rhetorik, namentlich ihre Geschichte und die Quellen frage gefördert worden; für Nachfolger stehen noch aus- gedehnte Arbeitsfelder offen. Für Wort- und Sacherklärung leisten wichtige Dienste Stangls Scholiastae II, der Fortgang des Thes. L.L. und der Realenzj^klopädie von Pauly-Wissowa.

In der Erschließung der antiken Kunstprosa sind die Unter- suchungen über die genera dicendi (Stroux, Herrle, Parzinger, Gotzes usw.) und die über den oratorischen Rhythmus (Th. Zie- linski, K. Zander, L. Laurand usf.) weitergekommen. Das Verhältnis Ciceros zu seinen Zeitgenossen (Attizisten) wird mehr aufgehellt (durch Krüger, Throop, Kurfeß usw.).

Das Fortleben und Fortwirken des Redners und seiner Schriften verfolgen Klaiber, Gudeman, Manitius, Scott u. a.

Der Bedeutung für die Gegenwart wenden sich wenige Forscher zu (Löwner zur Psychologie, Fr. Cauer zur Politik).

Gegen die in Fachkreisen meist gebilligte Gesamteinschätzung des großen Kulturträgers Cicero durch Th. Zielinski, Fr. Leo usw. erfolgt bereits ein gewisser Rückschlag (Lörcher zu den philo- sophischen Schriften) ; soweit es sich um Übertreibungen handelt, wie bei Ferrero (durch Sihler), gewiß mit Recht. Aber eine Gesamtwürdigung muß das Ganze , den Menschen , aüe seine Leistungen, seine Umwelt und sein Fortwirken im Auge behalten, Mf sonst wird sie wieder einseitig.

I. Benachbarte Berichte and zusammenfassende Darstellungen. 3

I. Benachbarte Berichte und zusammenfassende

Darstellungen.

Die rhetorischen Schriften berühren sich mit anderen Schi-ift- gattungen, mit den Reden, den philosophischen Schriften usw. in dem Maße, daß ein Hinweis auf die verwandten Berichte nicht nutzlos sein wird.

a) So vor allem auf Franz Luterbachers Berichte in den Jahresberichten des Philologischen Vereins zu Berlin :

35. Jahrg., 1909, S. 90—100 über Laurands Thesis und Etudes u. a.

36. Jahrg., 1910, S. 215—249, hier auch A. C. Clark, Inventa Italorum ; Derselbe : The Cursus in Mediaeval and Vulgär Latin, Bich. Heinze, Ciceros politische Anfänge u. a.

37. Jahrg., 1911, S. 188 204, hier auch zur Gesamtwürdigung Ciceros eine eingehende Inhaltsangabe (S, 188 193) von Guil. Ferrero, Größe und Niedergang Roms (VI Bde.). Über Laurand, Les fins d'hexametre dans les discours de Ciceron (Rev. de Phil. 35, 1911, S. 75—88).

38. Jahrg., 1912: Über Mays Bericht; über Sauer, Verwendung der Geschichte und Altertumskunde in Ciceros Reden; über L, Lau- rand, L'histoire dans les discours de Ciceron. Publications du Mus6e Beige. Nr. 21 (Paris, Honore Champion, Quai Malaquais 5), 1911, 34 S. ; über Hans Schönberger, Beispiele aus der Ge- schichte als rhetorisches Kuustmittel in Ciceros Reden ; über Peter Parzinger, Beiträge zur Kenntnis der Entwicklung des Cicero- nischen Stils; über Max Wiegandt, De metaphorarum usu quodam Ciceroniano (s. u.); über Emilio Costa, Cicerone gitireconsulto, Parte I II diritto privato (Mem. pres. . . . Accad. delle Science di Bologna 1907 1911), mir nicht zugänglich; ferner über J. K. Schoenberger, TuUiana, Diss. Würzburg 1911.

39. Jahrg., 1913, S. 271 ff. Bericht über die Reden 1911 bis 1913, dabei auch über Eduard Norden, Aus Ciceros Werkstatt (Brut. 307 ff.), s. u., ferner über L. Laurand, Ce qu'on sait et ce qu'on ignore du cursus (1913), kurzer, klarer Bericht (S. 278 f.).

40. Jahrg., 1914, S. 250 280. Der Inhalt von Zielinskis Konstruktivem Rhythmus wird S, 250 259 eingehend und genau angegeben , auch Rob. Schütz , Ciceros historische Kenntnisse ; L. Lauraud, Notes bibliographiques (S. 280): Der Katalog der

INationalbibhothek zu Paris verzeichnet zu Cicero 2961 Nummern (über 4000 Bände). 1*

4 G. Animon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

b) Aufs engste berührt sieb mit dem Bericht über die Rhetorica der über die Reden Ciceros, so daß die Vereinigung in einer Hand wünschenswert wäre. Aber an Stoff fehlt es auch bei gesonderter Berichterstattung nicht. Das zeigt der letzte treffliche Bericht über die Literatur zu Ciceros Reden aus den Jahren 1909 1912 von J. K. Schönb erger (Bd. 167, 1914, II, S. 280—356), ins- besondere der Abschnitt IV Rlwthmus (Münscher, Shipley, Lau- rand, Brugnola, May), V Rhetorik, VI Stil Grammatik Imitation, aber auch der Abschnitt VIII „Der Mann und das Werk" (Zielinski, Cic. im W. d. J. Schwartz, Charakterköpfe Ferrero, Größe und Niedergang Morawski, Cicero Petzold, De Cic. obtrectatoribus Canter, Cicero's political S3'mpathies Gran- rud Uhlig Grünwald Neubauer Emile de Baker, Psycho- logie Ciceronienne), schließlich Abschnitt VII Erklärende Schriften (Costa, Cicerone giureconsulto) und Abschnitt IX Antike Kom- mentatoren (Stangls Scholiastae II).

c) A. Kurfeß über Ciceros Briefe 1907 1914 in den Jahresberichten des Philologischen Vereins zu Berlin (1917) XXXXIII S, 129 216. Darunter auch Schriften, die zu den Rhetorica in Beziehung stehen: Dietrich über den Etymologen (1911), Zillinger über Cicero und die altrömischen Dichter (1911), Münzer, „Ein römischer Epikureer" und „Hortensius und Cicero bei historischen Studien" (1914), Schütz 'Ciceros historische Kenntnisse' (1913), H. Schönberger, Über geschichtliche Beispiele, Parzinger, Entwick- lung des Stils (1912) und zahlreiche andere Arbeiten über die Sprache ; auch Bardt und Schwartz, Charakterköpfe, Blerj- 'Rusticite et urbanite' (1909), Heinze, Politische Anfänge (1909), Volquardseni Zielinski u. a.

d) A. Lörcher, Bericht über die Literatur zu Ciceros philosophischen Schriften aus den Jahren 1902 1911. Bursian CLXII (1913. II), 183 S.

Lörcher wendet sich (S. 3 ff.) sowohl gegen die zu weit- gehende VerheiTlichung Ciceros (durch Fr. Leo , Th. Zielinski, P. Cropp u. a.) als auch gegen die Unterschätzung seiner Selb- ständigkeit in der Quellenbenutzung (durch Hirzel, Usener u. a.).

e) Für die Geschichte der Rhetorik von Gorgias bis auf Cicero, deren Kenntnis für die rhetorischen Schriften des Römers not- wendig ist , bietet viel der ein Menschenalter umfassende , ein- gehende, genaue, sachkundige Bericht von Franz Lortssing „Übfer die Literatur zur älteren griechischen Sophistik aus den Jahren 1876—1911", Bd. 168, 1914. III, S. 1—158 (Forts.

11

I. Benachbarte Berichte und zusamraenfasßeiule Darstellungen. 5

von Bd. 163, 1913, III, S. 84—336), z. B. zu Cic. Brut. 46 ff. über die widersprechende Ansicht Susemihls und Gerckes über dieses umschriebene Aristotelesfragment; auch mir scheint Cicero in bezug auf Gorgias und Antiphon das Ursprüngliche bewahrt zu haben. Dann die Dissertation von K. Reich, Der Einfluß der griechischen Poesie auf Gorgias, den Begründer der attischen Kunstprosa (München 1909),] ferner Georg Thiele, Jonisch- attische Studien, Hermes 36, das Buch von Wilhelm Süß, Ethos (Leipzig 1910), auf das ich auch in diesem Bericht wiederholt zu verweisen habe (vgl. meine Bespr. Lit. Zentralbl. 1911, S. 239 ff.), auch die Besprechung der Schriften über Antiphon und den Anony- mus Jamblichi, S. 119 ff.

f) Bericht über die Literatur zu den attischen Rednern aus den Jahren 1887—1904 (1914) von Kurt Emminger, Bd. 166, 1914, I, S. 69— 117. Z. B. S. 95 : C. Zander, Eurythmia L Eurythmia Demosthenis. Der zwischen Mars und Muse stehende Bericht des soliden, arbeitsfrohen Kurt Emminger (f) ist doch mehr als ein „Kriegsbericht", eine Bezeichnung, die meinem Bericht viel mehr zukommt.

g) Jahresberichte über das höhere Schulwesen, herausgegeben von Conrad Reth wisch. XXV— XXIX (1910—1913), Berlin 1910—1914, Weidmaunsche Buchhandlung. XXVII (1912) ist Latein ausgefallen, ebenso XXVIII (1913).

In XXV, VI 61—64 berichtet B. Kaiser nicht bloß über Schulbücher, sondern auch über Laurand, May, Zielinski u. a.

Mit Recht zieht der umsichtige , pi-aktische Herausgeber der Bibliotheca Philo 1. class. Volckmar Rudolf Dietrich auch Rethwisch heran, z. B. Vol. 44 (1917), Leipzig 1918, S. 59; auch die Rezensionen , auf deren Bedeutung K. Fuhr gelegentlich hin- gewiesen hat, werden von Dietrich gebührend gebucht.

h) W. Liebenam in Schusters Jahresberichten der Ge- schichtswissenschaft. 36. Jahrg. 1913, Berlin 1916. I, I S. 121 ff. Nr. 52 133 mit reicher Literaturangabe. Z. B. über Sabbadini, Codici, über Stangls Scholiastae II.

i) Für das Fortwirken des Theoretikers und Redners Cicero kommt auch die Literatur zu Tacitus' Dialogus in Betracht; über diese berichtet K. Remme, Bursian Bd. 167 (1914), II, S. 272.

Beifügen möchte ich auch noch:

L. Laurand, Notes bibliographiques sur Ciceron. In Musee Beige 18 (1914), S. 139—156.

g G. Animon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

Der bewährte Cicerokenner gibt eine vielseitige Übersicht über die neueste Literatur nach bestimmten Gesichtspunkten ; ich konnte mir nicht alles beschaffen. Einiges sei zur Ergänzung dieses oder früherer Berichte herausgehoben: Urteile über Cicero von Gardt- hausen, Wagner, J.C. Stabart (1912), W.W. Fowler (1912), E. Reich; Ciceros Werke als Quelle für die römische Geschichte: Bouche, Leclerq, Fowler, Bailey (1912, Religion im alten Rom), Sihler, H. Peter (Wahrheit u. Kunst, 1911), Chapot, Costa; Ciceros Werke als Quelle für die Geschichte der Philosophie: Burnet, Hicks, Brehier, Fowler ; für die Literaturgeschichte: Reisch (Mimus), Misch (Autobiographie); Ciceros Theorie der Geschichte: Laurand selbst (Musee Beige XV, 1911), Zielinski, Hanotaux ; über Ciceros Studien: Berger (Geogr.) , Vernay, M. Albert (Medizin) ; über die Inschrift auf Ciceros Prokonsulat in Kilikien : Friedrich, Cagnat, Besnier ; über Fälschungen, über Einzel- fragen : Fowler, Sladen, Hirzel, Birt, A. Körte (Exostra, Rh. M.), Geizer, Zimmern, Wolters, Helm (Lukian), Billeter, E. Babelon (Münzen) , Blanchet , Blery (Urbanite , s. u.) , Abbot , Süß ; über Ciceros Villen: Thedenat; über seinen Stil: Cook, Samuelson, Lejay: über Ciceros Bildnis: Hekler, Furtwängler, Springer, Michaelis , vgl. unten zu Brutus ; über Ansehen und Einfluß: Collignon, Brochet (Hl. Hieronymus), d'Herouville (Gregor von Tours); Cicero im Mittelalter und in der Renaissance: Sandys, Nolhac , Werner , Villey , Schimberg , Herman , Schwickerath, de la Colombiere; Cicero im 19. Jahrhundert, ein Kapitel, das nach Zielinski noch zu schreiben bleibt : P. Dudon, Newmau, Don- nelly, Barbour, Rousse, M. Jaures u. a.

Auch in diesem Bericht ist hinzuweisen auf Klussmann. Bibliotheca scriptorum classicorum et graecorum et latinorum. Die Literatur von 1878 1896 einschließlich umfassend, heraus- gegeben von Rudolf Klussmann. Zweiter Band : Scriptores Latini. Erster Teil: CoUectiones. Ablavius bis Lygdamus. Leipzig 1912. 0. R. Reisland.

Unter Cicero S. 287 350, S. 286 rhetorica, ferner rhetores S. 48, 339 (Cornificius rhetor).

Wenn das Verzeichnis auch die Schriften aus einem anderen Zeitraum umspannt, so ist es doch außerordentlich wichtig als weitester Querschnitt durch die jüngste Ciceroforschung und -er- klärung; dabei äußerst zuverlässig.

Über den Plan D r e r u p s und Schöninghs-Paderborn , eine Sammlung rhetorischer Quellenschriften der Griechen und Römer

I. Benachbarte Berichte und zasammenfassende Darstellungen. 7

herauszugeben, darunter auch Cicero De inv., De oratore, Orator, berichtet Georg Lehne rt, einer der Mitarbeiter, in der Berl. Philol. Woch. 1911, S. 318 f. Leider haben sich die Verhältnisse ungünstig für ein solches Unternehmen gestaltet; Georg Thiele, der Verfasser des 'Hermagoras', dem Ciceros De inventione zu- gedacht war, ist in den besten Jahren aus dem Leben geschieden.

Die Rhetores graeci, unter der Leitung Hugo R a b e s bei Teubner herausgegeben, fördern natürlich auch die Studien der rhetorischen Schriften Ciceros ; so Volumen VI Hermogenis opera ed. Hugo Rabe. Leipzig, Teubner 1913. XXVIII, 467 S. Vgl. den Art. Hermogenes bei Pauly-Wissowa-Kroll.

An zusammenfassenden Darstellungen und all- gemeinen Würdigungen Ciceros ist die Zeit von 1909 1918 ziemlich reich.

Teuffel-Kroll-Skutsch.

W. S. Teuffels Geschichte der römischen Lite- ratur. Sechste Auflage. Unter Mitwirkung von Erich Klostermann, Rudolf Leonhard und Paul Weßner neu bearbeitet von Wilhelm Kroll und Franz Skutsch.

Erster Band : Die Literatur der Republik. Leipzig-Berlin 1916, B. G. Teubner. X, 540 S. gr. 8.

Das ganze Werk kann als Sachkommentar auch zu den rheto- rischen Schriften Ciceros bezeichnet werden ; natürlich zunächst die Partien über Cicero selbst (S. 357 454), seine Freunde (Varro, Atticus) und seine Gegner; dann die verwandten Gebiete, so § 162 über die Rhetorik an Herennius.

Kroll hat den Band während des Krieges abgeschlossen und die Literatur bis zum Ende des Jahres 1915 herangezogen und damit einen Bursian-Bericht fast überflüssig gemacht.

Diese neue Bearbeitung muß jeder Philologe studieren. Ein näheres Eingehen kann wohl unterbleiben. Auch auf den 1910 er- schienenen zweiten Band sei noch einmal verwiesen, besonders au den Abschnitt über Quintilian. Aus dem 1913 erschienenen dritten Band wären u.'a. heranzuziehen Tacitus, Plinius, die Rhetoren.

Th. Zielinski, Cicero im Wandel der Jahrhunderte. Dritte , durchgesehene Auflage. Leipzig upd Berlin 1912, B. G. Teubner. VIII, 371 S. gr. 8.

Das schon in den früheren Berichten als besonders einflußreich bezeichnete Werk stellt sich nur als eine „durchgesehene" Auflage dar. „Stellenweise ist, sagt Z. selbst, altes berichtigt und ergänzt, öfter

g G. Amraon: Oiceros rhetorische Schriften 1909—1917.

neues eiugetragen worden beides freilich nur in dem Maße, in dem es dem Verfasser seine kärglich zugemessene Zeit gestattete, nicht so, wie es die Sache verlangt hätte. Die drei großen Lücken sind somit geblieben: C. im Mittelalter, C. im 19. Jahrhundert, C. und die Staatswisseuschaft. Die erstelle betreffend ist jetzt das treffliche Buch von M. M a n i t i u s , Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters (I: 1911, bes. S. 47H ff.), zu vergleichen, das ich für die Durchsicht des vorliegenden Buches nicht mehr berücksich- tigen konnte."

Aus den 'Anmerkungen und Exkursen' S. 275 344 möchte ich für die rhetorischen Schriften herausheben „Die Cicerokarikatur im Altertum" S. 280 288 , „Die Psychologie des Periodenstils** S. 292 ff. (schon S. 290 über 0. Schröders 'Papierenen'), über ^Rhythmus" S. 295—297 (auch W. Wundt berücksichtigt), „C. ala Stilist" S. 297—299.

Über das Werk im neuen Gewände , über das ich in den Bayerischen Gymnasialblättern berichtet habe, urteilt treffend Her- mann Peter (BphW. 1913, 809): ..Erschöpfen läßt sich das Thema überhaupt nicht bei den hohen Ansprüchen, die Zielinski an sich stellt. Sie gehen zugleich in die Tiefe und in die Breite, und so liegt uns ein Ausschnitt aus der Geschichte der Geistes- wissenschaften vor, der in gleicher Weise die Kenntnis der Eigen- art Ciceros und der Kulturperioden fördert, die sich mit ihm be- schäftigt haben." Dieses „abgerundete Kunstwerk ehrt ebensosehr den Patron des Römers wie die Zeit, die es mit Verständnis auf- genommen hat". Aber es werden bereits wieder Stimmen laut (Lörchers Bericht) , die sich gegen Zielinski, Leo und gleich- gesinnte Beurteiler richten.

Gegen Ferreros rhetorische Übertreibungen wendet sich E. G. Sihler im American Journal of Philology XXXVI 1 (1915), p. 19 43: „Caesar, Cicero and Ferrero".

Bei dem Urteil des ehemaligen Journalisten: „La importauza storica di Cicerone non solo eguaglia quella di Cesare , ma e di poco inferiore a quella di Gesü, di Paolo, di Agostino" naft Sihler (p. 43) aus: „How can any sober Student of human history take such declamation seriously!"

Sihler, Cicero ofArpinum. A Political and Literary Biography, being a contribution to the history of ancient civili- zation and a guide to the study of Cicero's writings. By E. G. Sihler. New Haven, Yale University Press 1914.

Bespr. von H. M. Kingery Class. Journ. X, 425.

I. Benachbarte Berichte und zusammenlassende Darstellungen. 9

E. G. Sihler, Cicero, anAppreciation, das Schluß- kapitel aus des Verfassers Werk über Cicero, in American Journal of Philolog)', XXXV, 1—3.

Auch als Charakterkopf ist der von seinen Gej^nern so oft als charakterlos gescholtene Mann wieder gezeichnet worden: früher von Eduard Schwartz (II. Reihe), jetzt von der gewandten Feder Theodor Birts (Römische Charakterköpfe, Leipzig 1913) und von einem Lieblingsschüler Theodor Mommsens, von C. Bar dt (f) in seinen römischen Charakterköpfen (Leipzig 1913), aus denen K. J, Neumann bei seiner sehr anerkennenden Besprechung (Liter. Zentralbl. 1913, 1631 f.) besonders die ungenierte Offen- heit der Selbstcharakterisierung Ciceros in den Atticusbriefen als wertvoll hervorhebt. Th. Birt, der auch eine gute Nachbildung der (echten?) Cicerobüste gibt, sieht in dem Emporkömmling zunächst den „Prozeßredner und Literaten, den Schöpfer der lateinischen Schrift- sprache , die eigentlich erst durch ihn lesbar wurde : quecksilbern beflissen in allen Dingen , triefend von Witz und guten Einfällen, betäubender Dauerredner, ein literarisches Genie, das ich auf das offenste bewundere und den auch Cäsar in aufrichtiger Bewunderung gehuldigt hat. Aber politisch drückte sich Cicero durch, so gut es eben ging". Zu dieser Seite wären Fr. Cauer, R. Heinze u. a. zu vergleichen.

Die vielseitigen literarischen Studien Ciceros, dessen Herz ganz der Philosophie und der allgemeinen Bildung gehört habe , nicht zunächst der Politik, preist

Charles Knapp, Liberal S tu dies in ancient Rome . . . New York 1910, S. 237—253.

Den Inhalt der 16 Seiten skizziert A. Kraemer BphW. 1917, 688 698. Für unseren Zweck sind die auf Ciceros Studiengang (De or., Brut.) und auf die Bedeutung der Allgemeinbildung für den Redner und Staatsmann bezüglichen Partien von Bedeutung.

Friedrich Cauer, Ciceros rhetorische Politik, ein Spiegelbild romanischer Denk- und Handlungs- weise.

Der Verfasser der gediegenen Schrift über Ciceros politisches Denken entwickelt in einem Vortrag vor der Historischen Gesell- schaft zu Berlin (s. Sitzungsber. der Histor. Ges. 1916, Nr. 2 S. 3) ungefähr diese Gedanken. Drumann und Mommsen nahmen an, Cicero habe sich in seinen politischen Schwankungen immer nur durch sein persönliches Interesse bestimmen lassen. Diese Auf-

10 G. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

fassune eeht zu weit. Nach der Rückkehr von der Verbannuno; und dann wieder nach der Schlacht bei Pharsalus unterwarf er sich Cäsar allerdings nur aus Furcht vor der Macht ; im übrigen aber erklärt sich seine Haltung durchweg aus bleibenden Grundanschau- ungen. Im römischen Staat schien ihm der von den griechischen Philosophen gesuchte Idealstaat verwirklicht. Die Vorschriften des positiven Rechtes hatten für ihn das Ansehen moralischer Gebote. So verbargen sich ihm die Tatsachen in philosophischem Pathos ; er verkannte das Hauptbedürfnis der Zeit , die Erneuerung des römischen Bauernstandes, iind ihren stärksten Machtfaktor, das Heer in der Hand des Feldherm.

Nach Richard Wagner, Die hellenistisch-römische Kultur (Leipzig 1913), lag der Kern Ciceros, des großen Bildungsmeisters der Römer und der Menschheit, in der Kunst der lebendigen Rede vor einer durch furchtbare Menschenhetzen abgestumpften und durch raffinierte Rede- künste verwöhnten Zuhörerschaft. In der vollendeten Kunst der Form liegt der bleibende Wert der Ciceronischen Reden, die rhetorischen Schriften zeigen eine hohe Auffassung von der Aufgabe des Redners, die rhetorische Form mit einem würdigen Inhalt zu füllen.

Für einen allgemeinen Überblick bietet recht Wertvolles auch: Friedrich Leo, Geschichte der römischen Litera- tur. I. Bd. Berlin 1913, Weidmann,

besonders Kapitel VIII : „Die Literatur und die römische Bildung*^ (Griechische Bildung in Rom Entstehung der römischen Prosa Cato Rede und Rhetorik Polybius, Panätius, Scipio und sein Kreis Geschichtschreibung Wissenschaft) S. 259 368, und hier wieder die im Brutus behandelten Redner (Cato, die.Gracchen, Scipio, Crassus Antonius usw.).

Auf Martin Schanz, Geschichte der römischen Literatur, ist schon in den früheren Berichten gebührend Rücksicht genommen. Eduard Norden gibt in

A. Gercke und E. Norden, Einleitung in die Altertumswissen- schaft. .1. Bd. Leipzig, Teubner. 1. Aufl. 1910, 2. Aufl. 1912, S. 353 ff., in dem Abschnitt „Römische Literatur** eine treffende Gesamt- würdigung Ciceros (namentlich gegenüber dem Reatiner Varro) mit markanten Einzelzügen des Politikers, Schriftstellers, Menschen und Kulturträgers. Die selbständige Bedeutung von De oratore wird

I. Benachbarte Berichte und zusammenfassende Darstellungen. H

sachkundig hervorgehoben; einzehie Probleme, wie das Verhältnis von Ciceros De inv. zur Herenniusrhetorik, sind gestreift.

Für die zahlreichen Personen, namentlich die großen und kleinen Redner im Brutus, sei erinnert an

Drumann-Groebe, Geschichte Roms in seinem Übergang von der republikanischen zur monarchischen Verfassung. Zweite Auflage von P. Groebe. Dritter Band: Domitii Julii. Leip- zig 1906, Gebrüder Bornträger, gr. 8. 630 S. (C. Julius Caesar.) Vierter Band: Junii Pompeii. 1908, 632 S.

Hier der Redner L. Licinius L. f. (C. n.), Crassus S. 72 79, Crassus Dives, M. Crassus triumvir. S. 84 127, L. LucuUus cos. 74» Cn, Strabo cos. 89, Cn. Pompeius Magnus S. 332 591.

Über die Stellung der Rhetorik, namentlich zur Philosophie, ist auch die neue (fünfte) Auflage von W. von Chris ts Griechischer Literaturgeschichte, bearbeitet von 0. Stählin und W. Schmid (München 1913), zu vergleichen S. 744 760, wo eine reiche Aus- wahl der Literatur verzeichnet ist.

Eine knappe , verlässige Übersicht über Leben und Schriften des Redners bei Fr. Lübker, Reallexikon des klassischen Altertums, achte, vollständig umgearbeitete Auflage, heraus- gegeben von J. Geffcken und E. Ziebarth, Leipzig 1914, B. G. Teubner, S. 1065 1070; die Literatur bis 1914 ist in der Hauptsache und in verständiger Auswahl angegeben. Auch die Artikel Rhetorik, Strafprozeß. Satzrhythmik ein Artikel Rhythmus fehlt , Declamationes, Progymnas- mata u. a. tragen 7A\t Gesamtauffassung der rhetorischen Schriften Ciceros manches bei.

Noch wichtiger sind mehrere Artikel in der Realenzyklopädie von Pauly- Wi 8 80 wa-Kroll, auf die an geeigneter Stelle noch zu verweisen ist.

Aus dem Buch

Alfred Besan^ron, Les adversaires de l'hellenisme ä Rome pendant la periode republicaine, Paris 1910, XVIII, 361 S., das S. 183 341 der Zeit Ciceros widmet, ist nach dem Urteil Tolkiehns BphW. 1912, 879 für die Wissenschaft wenig zu ent- nehmen.

Zur Erläuterung der Rhetorica bietet viel:

E. Ziebarth, Aus dem griechischen Schulwesen, Leip- zig 1909, Teubner.

12 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

n. Überlieferungsgescliiclitt^ und Handschriften- frage.

Eine knappe, klare Übersicht über die Zeit des Servatus (Lupus) von Ferneres (um 850), der sich vom Papst Benedikt III. eine Ergänzung seines lückenhaften De oratoi-e und Orator erbittet, bis auf die Oratorausgabe von W. Kroll (1913), der ein abwägendes Ijavieren zwischen M(utili) und I(ntegri) empfiehlt und betätigt, gibt

Johannes Stroux, Zum Texte von Ciceros Orator. Kritische Beiträge. Jahresb. d. Philol. Ver. zu Berlin 39 (1913) S. 251—270.

Man erhält hier auf wenigen Seiten eine kurze Entstehungs- geschichte der doppelten Überlieferung und ihrer Wertung mit manchen weniger bekannten Angaben (nach Manitius, Rhein. Mus. 47. Suppl.-Bd. S. 21 f.).

Stroux schließt : „Es wird für die Aufstellung des Textes aus zwei sicher zu berücksichtigenden Hss-Schriftenklassen immer von. Bedeutung werden, welcher der beiden der Herausgeber mehr Ver- trauen zu schenken gewillt ist." Stützpunkte für die Entscheidung hat man an Ciceros sonstigem Sprachgebrauch, namentlich an seiner Rhythmisierung, an der Terminologie, der lateinischen wie der griechischen, an der Entwicklung der Rhetorik u. a. Das habe ich in früheren Besprechungen und Berichten, namentlich gegenüber der Einseitigkeit Friedrichs, betont ; auf eigene Handschriften- forschung kann ich mich nicht stützen.

Marius Victorinus (unter Diokletian) hatte nach Th. Stangl, BphW 1914, 1246, nicht einen Mutilus, sondern einen Emendatus vor sich.

Ciceros De oratore war mit Quintilian in Rom in einer Hs vereinigt, s. Max Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur im Mittelalter I. Teil, München 1911, S. 486 f. (Lupus von Ferneres erbittet sich von Einhart den Kommentar des Victorinus zu Cicero De rhetorica = libri rhetorici).

Remigio Sabbadiui, Le scoperte dei codici latini e greci ne' secoli XIV e XV. Nuove ricerche col riassunto filologico dei due volumi. Biblioteca storica del rinascimento diretta da F. P. Luiso. Bd. V, Florenz 1914, Sansoni. VIII, 274 S. 8.

Eingehend bespr. von Th. St an gl, BphW 1915, 624—629, woraus mitgeteilt sei:

„In dem 66 Seiten fassenden Schlußkapitel werden die philo-

II. Überlieferungsgeschichte und Ilandschrittenfrage. 18

logischen Eiuzelergebnisse nicht nur des zweiten, sondern auch des ersten Bandes ebenso übersichtlich wie knapp zusammengefaßt. Schlägt man in diesem alphabetisch geordneten Autorenverzeichnis beispielsweise unter 'Cicerone' nach, so findet man den ganzen Stoft gegliedert in rhetorische Schriften, Reden, philoso}ihische Schriften, Gedichte, Pseudo-Ciceroniana und jede Reihe in sich chronologisch geordnet."

„Für das Mittelalter ist Ahnliches in Max Manitius' 'Ge- schichte der lateinischen Literatur des Mittelalters', Bd. I 1912, geleistet. Wer künftig eine für wissenschaftliche Zwecke bestimmte Ausgabe eines lateinischen Autors unternimmt, ohne sich um Manitius' und Sabbadinis urkundliches Material zu kümmern, schädigt seine Sache merklich."

Ich habe das Werk nur flüchtig durchsehen können, habe aber wie von früheren Arbeiten Sabbadinis den Eindruck der Gründlich- keit und Verlässigkeit gewonnen. Im Besitze Petrarcas : De or., erat.. Partit. , De inv. , Rhet. (reth.?) ad Herenn. 'II Cicerone Petrarchesco di Troyes' S. 11.5.

Remigio Sabbadiiii, Storia e critica di testi Latini. Biblioteca di filologia classica dir. da Carlo Pascal. Bd. X. Catania 1914, Battiato. VII und 458 S. 8.

Th. St an gl hebt in seiner Besprechung des hervorragenden Werkes (Berl. philol. Woch. XXXV, 1915, Nr. 32/33 Sp. 1018 bis 1021) die für die Rhetorica besonders wichtigen Forschungen hervor.

„Nirgends hatte Sabbadini früher veröffentlicht die Darlegungen S. 129 133 über den cod. Ottobonianus 2057 von Ciceros fünf oratorischen Büchera , über den cod. Florentinus bibl. Nation., Conv. soppressi I 1, 14 mit Orator und Brutus und über den die drei Bücher de oratore enthaltenden cod. Vaticanus 2901 saec. XV. Auf meine Bitte sah Sabbadini im Oktober 1913 gewisse Lesarten der dritten Hs ein. Sie erwiesen sich als so wichtig, daß die Hs und außer ihr eine zweite auf meine Kosten photographiert wurden. Nach Abschluß meiner Kollationen wurden die Photogi'aphien von der C o r n e 1 1 Universitv, Ithaca, für Prof. Charles Durham erworben. Seit Janus Gruters Ciceroausgabe vom Jahre 1618 hatte sie wenn nicht Girolamo Lagomarsini als einziger Joh. Stroux durchgearbeitet" (BphW 1915, 1021).

Thomas Stangl, Wie alt ist die unchronologische handschriftliche Reihenfolge der oratorischen Bücher Ciceros? Berl. phil. Woch. 1914, Sp. 315—320.

14 G- Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

Gegenüber der chronologischen Aufzählung Ciceros de div. II 4 (de or. , Brut. or. ,) haben wir in unseren unverkürzten Cicero- handschriften, die seit 1422 dem wohl dem 9. Jahrh. angehörenden Archetypus von Lodi entnommen wurden, diese Reihenfolge : „Die echten Rhetorici (mit oder ohne libri, = De inv.), die unechten ad Herenuium, De or. v. J. 55, Orator und Brutus v. J. 46, letzterer am Schluß verstümmelt wegen seiner Exponiertheit. Nicht andere war die Anordnung in der Urvorlage aller verstümmelten Hss, wenn diese hinter der jetzt mit dem Orator endenden Reihe den Brutus überhaupt noch enthielten. Der Kirchenvater Hieronymus hatte um 380 in Codices, nicht mehr in Volumina: Rhet. ad Her., De inv., De or., 'quartum' oratorem. Hat Hieronj'mus , der auch de opt. gen. or. (echt!), part. or. und top. kannte, den Brutus, den er anderswo als eine seiner mittelbaren Quellen anführt, absichtlich ausgelassen? Brutus ist zu stoflfreich und wird wenig angeführt." ^Die Hieronymische Wendung quartum oratorem wird den italieni- schen Gelehrten vor 1422 . . . Anlaß gegeben haben, den orator, ein ßißXlov ayieffaXov, als viertes Buch von De oratore zu be- zeichnen" (Sp. 318 f.). „Nach der gleichen Richtung wie Hieronymus führt der allermindestens mehrere Menschenalter nach 420 anzu- setzende Pseudasconius" (Schol. II 194).

Alfred Gudeman, Ciceros Brutus und die antike Buchpublikation. Berl. philol. Woch. 1915, Nr. 18 Sp. 574 bis 576 (zu Brut. 308, 312, 316).

Für die vielbehandelte Partie am Schluß des Brutus, wo Molo, der einflußreiche Lehrer Ciceros , dreimal erwähnt wird , gibt der verdiente Herausgeber des Taciteischen Rednerdialogs , ausgehend von K. 30 dieser Schrift, die im Anschluß an Ciceros Brutus die Lehrer Ciceros in Rom erwähnt, ohne Molo zu nennen, diese ein- leuchtende Erklärung: Cicero hatte die löbliche Absicht viel- leicht von seinem „Verleger" Atticus von Athen aus auf den Ge- dächtnisfehler aufmerksam gemacht , die beiden ersten Erwähnungen Molos (307. 312) zu streichen; seine Änderungen konnten aber nicht mehr in allen Abschriften vorgenommen werden. Auf eine von diesen ging in letzter Linie das Archetypon unserer Hss des Brutus zurück ; dagegen benutzten Tacitus und vermutlich auch die Quelle (Sueton) des Plutarch im Leben Ciceros (c. 2 und 4) einen späteren Abkömmling eines korrigierten Exemplars.

Richard Moll weide, Die Entstehung der Cicero- Exzerpte des Hadoard und ihre Bedeutung für die Textkritik.

II. Überlieferungsgeschichte und Handschriftenfrage. 15

I. Wien. Stud. 33 (1911), 274—292

IL 34 (1912), 383—393

III. , 35 (1913), 184—192

IV. 35 (1913), 314—322 V. 36 (1914), 189—200

VI. ., 37 (1915), 177—185

vertritt z. B. Luc. (Ac. II) § 7 die vollere Fassung dicendo et audiendo statt des einfachen dicendo W. St. 3G, 189.

Zusammenfassend urteilt Mollweide W. St. 30 , 185 : „Die Cicero-Kritik wird also wohl darauf verzichten müssen, sich ein anderes Ziel zu stecken, als den Text herzustellen, wie er etwa in den letzten Zeiten des weströmischen Reiches in Umlauf war. Übrigens glaube ich, daß doch im ganzen der ursprüngliche Cicero-Text erhalten ist und daß die Ver- änderungen meist nur orthographischer und formaler Art sind, weil die jedesmalige Vulgata der zur Zeit gebräuchlichen Orthographie angepaßt wurde.**

Über Guarino s. Zeitschr. f. die östeiT. GjTnnasien LXV'I (1915), S. 961—971:

Rudolf Wolkan, Guarino von Verona in Südtirol auf Grund von ungedruckten Briefen.

Wolkan will mit einigen auf Südtirol bezüglichen, auch kultur- geschichtlich interessanten Briefen (an Baptista Zendrata , Madius und Leonardus Justinianus Venetus) der Veröffentlichung des ge- samten Materials durch R. Sabbadini, mit dem auch Wolkan (vgl. oben Stangl) Briefe wechselte, vorauseilen.

Haiidschriftenfrage.

Der schwankende Kampf um die Einschätzung der Hand- schriften, besonders der Mutili gegenüber den Integri, bedeutet ein gut Stück klassischer Philologie, z. B. von Ellen dt 1840 bis Stroux 1915. Die Entscheidung ist noch nicht gefallen und wird endgültig auch kaum herbeizuführen sein (Friedrich, Wilkins, Weidner, Sandys, Stangl, Heerdegeu, Ströbel, Marx, Kornitzer, Clark, Cima, Pichon, Courbaud, Martha, Kroll, Reis, Stroux u. a.).

Von den engeren Fachgenossen hat in der letzten Zeit Eduard Ströbel in seiner Ausgabe der Rhetorici praktisch zu der Frage Stellung genommen. Er mißt den Mutili die größere Glaubwürdig- keit bei , schielst aber darum nicht gute Lesarten der Integri bei-

G. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

Seite. Es dürfte zweckdienlich sein, etwas weiter zurückzublicken, damit man die verschiedenen Wege richtiger beurteilt. Zu den ein- zelnen Schriften findet sich Einschlägiges auch unter Abt. III dieses Be- richtes, z.B. S t r ö b e 1 , De inv. (Rhetorici). Die Vertreter der Integri- klasse, namentlich der jüngeren, sind noch genauer zu untersuchen. Besonders für De oratore der O(ttobonianus) 2057 s. XV und P(alatinus) 1469. Friedrich, der die Lesarten von OP genau verzeichnet, urteilt über ihren Wert recht ungünstig (s. Fleckeisen Jahrb. 135, 79): „OP zeigen überall das Bestreben, einen lesbaren Text zu bieten. Dieses geschah durch eine scheinbar übersicht- lichere oder auf falscher Eleganz beruhende Wortverstellung, durch das Einleimen erklärender Glossen in den Text, durch Verknüpfung der Satzglieder mit Partikeln , durch den grammatikalen Ausbau prägnanter Konstruktionen, durch das Zusammenflicken verschiede- ner Lesarten in eine, durch die Umbildung unverständlicher Worte in lateinische , und ähnliche Arbeit. Kurz , während wir in den mutili unmittelbare Abschriften ihrer Vorlagen haben , in denen Änderungen des ursprünglichen Textes weit hinter diesen Vorlagen selbst zurückliegen, sehe ich in OP nicht solche des Laudensis selbst, sondern Abschriften, und nicht einmal sorgfältige, eines auf Grundlage des von Cosmus besorgten apographon , wohl durch Barziza überarbeiteten Textes" (L. Meister S. 8).

An die Einschätzung von Fr. Ellendt (De or. I, 1840, p. IX) sei ebenfalls erinnert: 'Codices recentiores et lacunis carentes manum interpolatorum perversasque correctiones omnibus paginis referunt et vitiosas scripturas innumerabiles habent, cum antiquiores et lacunosi perpauca interpolationis vestigia ostendant et permultas scripturas verissimas et emendatissimas suppeditent.^

Da 0 P gegenüber den übrigen Integri einige eigenartige Lücken und Verderbnisse zeigen , so ist es angebracht und dankenswert, wenn der junge Leipziger Gelehrte Ludwig Meister (geb. 1889) auf R. Heinzes Anregung eine erneute Untersuchung der beiden Hss vornimmt und das Berechtigte und Übertriebene in Friedrichs Urteil klärt.

Ludovicus Meister, Quaestiones Tullianae ad libros qui inscribuntur de oratore pertinentes. Leipziger Dissertation 1912. Leipzig, Popp. 90 S. gr. 8.

Zur bequemeren Übersicht und zur Stütze des Gedächtnisses setze ich die Sigla nach Meisters Zusammenstellung her:

C = codicum qui collati sunt omnium lectiones communes (so auch Stroebel in den rhetorici),

II. Überlieferungsgeschicbte and Haadschriftenfrage.

17

H = Harleianus 2736 A = Abrincensis 238 E = Erlangensis 848

(€ = quae in E manu recentiore ex integro quodam cod. expleta sunt)

e = Erlangensis alter 303

0 = Ottobonianus 1259

1 = Leidensis 127 B

(^X = quae in 1 manu recentiore ex integro quodam cod. expleta sunt)

Lgm = codd. Lagomarsiniani mutili 2, 4, 13, 32, 36 (aus 22 Hss von dem italienischen Jesuiten Lagomarsini 1732 1744 gesammelt)

L = Laudensis

O = Ottobonianus 2057 1 ^^ P = Palatinus 1269 J ^'

i = archetypus codd. OP Lg. int = codd. Lagomarsiniani integri s. XV

HAE = M(utili)

s. IX/X

m(utili) emendati s. XIV/XV

codd. I(ntegri)

Die beiden Vatikanischen Hss PO , die vielfach unrichtig als d i e Vertreter der Integri bezeichnet werden , berühren sich zwar enger als andere, darum von Meister gemeinsam mit i bezeichnet, sind aber, wie im ersten Kapitel erwiesen wird, nicht voneinander abgeschrieben, auch nicht von L unmittelbar selbst, sondern durch ein Mittelgied (Cosmus?); L wäre also der 'avus' der beiden, was auch von St an gl längst betont war; die Schreiber haben wohl auch jüngere mutili beigezogen (Mis chhand Schriften). Eine Auseinandersetzung mit P. Reis, Stud. Tüll. 1906, war angezeigt. Nicht wenige Verderbnisse, Lücken, Glossen, die Mutili wie Integri gemeinsam haben (auch Nonius u. a.), führen in die Zeit vor unserer Überlieferung , in die ersten nachchristlichen Jahr- hunderte. Über die Unterscheidung und Herkunft der zahlreichen Korrekturen in PO (aP, vet' usw.) äußert sich M., der die Hss nicht verglichen hat, zurückhaltend (nach L? nach anderen Hss? aus eigener Gelehrsamkeit?); z. B. II 233 docebo sus bzw. usus, 8. Meister S. 23, der doceto wohl nur versehentlich für das ganz passende docebo liest.

In einem zweiten Kapitel 'De verbis spuriis aut dubiis' S. 25 bis 40 prüft Meister an ausgewählten Beispielen nach Vahlens Weisung für die Behandlung von Lücken und Zusätzen die durch äußere Verderbnisse, durch Homoioteleuta, Kompendien usw. ent- Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 179 (1919. II). 2

~18 G. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1907—1917.

standeneii Lücken von M (besonders nach Adler und Stroebel). ,Ieh brauche kaum zu sagen, daß ich in Fällen wie II 199 reno- vabam (atque revocabam), wobei übrigens die clausula lieroa weniger scharf zu betonen wäre (s. J. K. S chön berger, Tulliana S. 152), oder II 21 exercitationis (et delectationis) causa, (non disputationis) invenisse arbitror, wo ich mir angemerkt hatte „wird durch das Folgende gefordert", der volleren Lesart von L mit Meister den Vorzug gebe. Bei erneutem Lesen habe ich Dutzende von Fried- richs Klammern weggestrichen, III 1(>. 180. 182. 185. 197 usw. Daß Meister den jüngeren mutili, die noch zu wenig bekannt sind, einigen Wert beimißt, verdient Beifall. Gut verteidigt und erklärt er II 34 moderata orationis (pronuntiatione) dulcior, II 182 haec (non) "sunt. Oft bleibt naturgemäß die Entscheidung schwer und unsicher. Ob Barziza und Genossen nach zeitgenössischem Sprach- gebrauch III 141 versum ... de Philocteta statt Philoctetae gesetzt haben? Meister (S. 28. 38) glaubt es. Aber „In ore semper Graecos versus de Phoenissis habere" off. III 82 und ähnliche Wendungen sind auch Cicero geläufig, so daß eher das richtige de Philocteta durch den Genetiv ersetzt sein dürfte als umgekehrt (vgl. Stroux, Neues usw.). In Kapitel III De omissionibus (S. 41 47) befür- wortet Meister z. B. II 48 ut mihi [etiam] necesse fuit das in i fehlende etiam zu streichen, wohl mit Recht, wenn nicht mihimet zu schreiben ist. Aus dem IV. Kapitel 'De vitiis quibusdam et virtutibus' (S. 47 68) sei hervorgehoben die Worttrennung II 201 est a me illa causa statt est tarnen illa causa, was Friedrich mit M hält; in der Auflösung der Kompendien II 97 quid faciam iudicari potest statt quod M, In der heiklen Frage der Rechtschreibung, in der neuere Herausgeber auch im Griechischen, so des Demo- sthenes, Dio Chrysostomos, Plutarch an jeder Stelle, ohne Rück- sicht auf Folgerichtigkeit, das jeweils Bestbeglaubigte zu bieten sich ängstlich bemühen, verzweifelt auch M., daß wir Ciceros Eigenart erreichen werden, doch zeigt er Spuren auf von u statt i II 339 infumum für infirmum, quomplures, III 208 quom nota für quod nota, von Maiia, maiiores, aiiebant (iaciebant), auch von memordi u. ä., aber nicht für die Verdoppelung von ss (caussa usw.). Die Ver- wechslung von r und s ist in der karolingischen Schrift sehr leicht (Tertry und Testry !). Natürlich ist auch Meister der Ansicht, daß uns die jüngeren Schreiber willkürlich wie dies der wohl über- treibende Lamola von Barziza behauptet von altem Schreib- gebrauch (in M) abbringen; bei unseren Klassikern erleben wir das Gleiche ; dem 'Mahler' Albrecht Dürer gönnt noch die Walhalla das h.

II. Überlieferungsgeschichte und Handschriftenfrage. 19

Wie der Vokalismus und Konsonantismus der romanischen Spraclien schon in frühen Hss Ansätze zeigt, ist bekannt und wird ^■on Meister mit gut gewählten Beispielen für die Buchstabenvertauschung belegt (III 185 in laude ponetur für ponitur, besonders auch wegen des Rhythmus, II 325 adfictam für adfectam, discretio für discriptio, hausit füi- auxit, disseris für dixeris , execratio für exercitatio) ; relicuus wii-d S. 73 viersilbig gelesen, wo Zielinskis relliquos zurück- gewiesen wird. Daß glättende Schreiber Demosthenis für Demo- stheni, duos für duo, ut ita für ut item gesetzt haben, ist ein- leuchtend; II 77 möchte ich in Hannibalis eine Angleichung an Mar- tialis, Juvenalis sehen; Meisters Hannibales paßt hier nicht recht, ist aber nach St an gl (BphW 1913, 111) „überzeugend". Präpositionen fehlen bald in M, bald in i; II 230 vertritt Meister elevandum; III 135 elaboravit, III 9 das einfache coepimus für suscepimus; dieses verteidigt aber Stangl BphW 1913, 110 (auch suscipere mit Infinitiv). M's Vermutung III 137 ab illis (exempla re) petenda wird sachlich durch Tusc. I 2 f. empfohlen. Ob die Neulateiuer so oft ältere Ausdrücke durch geläufigere (aus ihi-er Spi'ache) ersetzt haben (II 134 interfecerit i, interemerit M), wie M. wiU, erscheint mir sehr zweifelhaft; III 214 befürwortet er redundat i statt madet M, 11 365 longe secus i für valde secus M. Einige besonders be- achtenswerte Lesarten von i verteidigt Meister geschickt gegen Friedrich u. a. : II 16 videantur, II 38 eo multi (für emolumenti), II 47 in oratione, II 60 legerim, II 206 id [in re] videare, II 217 de ipsis facetiis, II 238 belle agitata ridentur. Daß er auf diesem Wege zu einer gerechteren Einschätzung der Integri gelangt, liegt auf der Hand.

Im Schlußkapitel, S. 69 75 De ordine verborum, wird die treuere , aber nicht ausschließlich richtige Wortstellung in M an- erkannt : II 225 patri nuntiare vis tuo M, nuntiare vis tuo patri i ; in i hätten, meint M. , die Neulateiner dem Verständnis und dem Zeitgeist Rechnung tragend Ciceros Wortfügungskunst mehrfach entstellt. Die Gegensätze in den Kompositionsarten bestehen aber schon in der hellenistisch-römischen Zeit. Der dichterische, durch Verzahnung das Ganze zusammenhaltende und belebende Wortbau wie bei Ovid In nova fert animus mutatas dicere formas oder adspiciunt oculis superi mortalia iustis, weniger bei Horaz wird in der Theorie von Cicero wie vom Halikarnaseer Dionys gelehrt, von Cicero auch praktisch geübt. Gegen diese seine Eigenart richtet sich auch der Spott seiner Gegner ; Cäsar, Augustus, die Attizisten machen die gewagten Hyperbata nicht mit. Es scheint mir nicht

2*

20 f"' Ainmon: Ciceros rhetorische Schritten 1909 1917.

ausgeschlossen, daß "^ Professoren' schon in der Kaiserzeit durch 'Ver- besserung' des Wortbaues den Vorwürfen zum Teil ihre Berechtigung zu entziehen suchten (vgl. unten Throop, auch Emiein und Aister- mann). In der genauen Zusammenfassung (S. 75 77) betont M. noch einmal, daß ein künftiger Herausgeber von Ciceros Rhetorica unter vorsichtiger Abwägung aller Hilfsmittel (M und I) ein eklektisches Verfahren wird einzuschlagen haben. In der Appendix werden S. 77 87 noch mehrere schwierige Stellen (III 144 certe eae partes fuerant (tuae), II 2G8 Tanta suspicio . . . levarit von Cicero selbst, II 193 histrionis viderentur Spondaei [statt des überlieferten spondaUi] illa dicentis, II 367 quam sit homini turpe censorio mit i) mit Gelehi-sanikeit und Scharfsinn behandelt. Ein Blattweiser der Stellen und ein etwas dürftiger der Sachen und Wörter erleichtert das Ausschöpfen der hervoiTagenden Erstlingsarbeit , in der sich abgesehen von Gelehrsamkeit und kritischem Scharfsinn auch ein geschmackvoller Lateiner und tüchtiger Rhetoriker darstellt. Vgl. meine Besprechung Deutsche Lit.-Zeit. 1913, 2207—2209.

Für die Hand Schriftenfrage ist von hervorragender Be- deutung

Th. Stiingl, Besprechung der Dissertation L. Meisters. Berl. philol. W^och. 1913, Nr. 4, Sp. 105 111.

Diese sollten alle der einschlägigen Handschriftenforschung noch ferner Stehenden genau studieren. „Friedrichs Teubneriana ist fttr die mannigfaltigen Bedürfnisse der wissenschaftlichen Forschung öfter unbrauchbar als brauchbar." St. will das nicht an der mangel- haften Ausnützung der Konjekturalkritik und der Testimonia, sondern nur au den primären TextqueUen dai'tun. Auf Fr. Karl Fränkels Dorpater Programme (1855 ff.) wird neben anderen Hilfsmitteln (Ellendt, Stroebel, Vassis) nachdrücklich hingewiesen. Die Wieder- herstellung des L(audensis) hat Friedrich nicht einmal versucht. „Unter den etwa viertausend Varianten der Teubneriana zu De oratore nehmen fünfundzwanzig auf einzelne Handschriften der voll- ständigen Klasse Bezug. An rund 90 Stellen wird unter dem all- gemeinen Zeichen oj die Lesart eines einzigen jener Lagomarsiniani verstanden oder mehrerer oder auch aller. An sämtlichen übrigen Stellen erfährt man von dem ungeheueren Stoff, den der italienische Jesuit von 1732 1744 aus zweiundzwanzig Hss aufgestapelt . . . hatte, gar nichts.'* Im Brutus und Orator konnte Friedrich die Integri nicht beiseite setzen, in De oratore schiebt er 22 Kon- kurrenten zurück, indem er die Tätigkeit der Mailänder Ciceronianer (Barzizza usw.j nach Weisung des 'Mediolanomasti.x' Johannes Lamola

II. Überlieferungsgeschichte uud Handschnfteufrage, 21

ohne genügende Prüfung verdächtigt. Abgesehen von 115 Varianten stehen bei Friedrich zur Rekonstruktion von L nur OP /a\ Gebote und bei diesen vermißt man auf den ersten drei Teubnerseiten dreißig Vai-ianten , abgesehen von 12 orthographischen Dingen (michi etc. Barzizza abweichend von Niccolö de Niccoli). Ebenso wird die Textgliederung vernachlässigt. Stangl notiert Varianten, die 0 mit vet' bezeichnet, 44 zum I. Buch, 67 zum II. B., 66 zum m. statt 4 18 19 bei Friedrich, Noch unzuverlässiger ist nach Stangl die Angabe der anderen Varianten (al, al', l = vel) des 0. Auf die Verwirrung, die Friedrichs L, bald == OP, bald O^P usw., angerichtet hat, mußte ich in dem letzten Berichte nach Stangl, Kornitzer, Stroebel selbst hinweisen. „Hier genüge, schließt St. einstweilen die Hss-Frage , daß es unter Ellendts 22 Lago- raarsinischen Integri keine Hs gibt, deren Lesarten so nahe denen von OP stünden, und die über das Verhältnis von 0 zu P und von OP zum Landen ser Archetypus so helles Licht verbreiteten, wie jenes mit vet'- und al- Varianten übersäte Kollegienhandexemplar zu de ora- tore und orator des Gasparino Barzizza und seines Sohnes Guini forte, nämlich der aus älteren und jüngeren Blätter- lagen bestehende cod. IV A 43 der Neapolitaner National- bibliothek." Vgl. über diesen auch BphW 1913, 13, wo Stangl die willkürliche Gestaltung des Textes vom 0 P durch Barzizza be- tont; ferner Berl. phil. W. 1913, 1180—1184 ^Divinare oportet, non legere', wo Stangl in diesen Worten Poggios ein Zeugnis für die 'diaskeuastische Autonomie' der Renaissancemenschen findet. Dagegen Stroux (s. u.).

Stangls grundsätzhche Erörterungen haben innerhalb und außerhalb Deutschlands Beachtung gefunden. Über die wichtigste an ihn ergangene Zuschrift berichtet er unter dem Titel:

Thomas Stangl, Cicerofund Charles L. Durhams. Berl. philol. Wo eh. 1913, 829—832 und 860—864.

Der Wunsch Stangls, es möchte eine Abschi-ift aus dem vom Mediolanomastix Johannes Laniola aus L peinlich genau gefertigten Apographon aufgestöbert werden, z. B. die des Guarino Veronese, ist durch Charles L. Durham , Professor an der Coraell-Universität in Ithaka, New York, erfüllt worden.

Auf Veranlassung Professor Durhams gibt Stangl in den neun Spalten der Wochenschrift eine eingehende Beschreibung des neuen Fundes zugleich mit wichtigen Angaben über die Überlieferungs- geschichte der rhetorischen Schriften Ciceros. Diese muß der

22 <^'- Amnion: Ciceros rhetorische Schritten 1909-1017.

Fachmann an der leicht zugänglichen Stelle selbst nachlesen. Füi- den Bericht genüge einstweilen Folgendes. Die 'Cornellhandschrift' (C 2) enthält auf 2-37 Pergamentblättem die fünf oratorisohen Bücher in der unchronologischen Reihenfolge des 1422 (genauer 1421) entdeckten und seit 1429 (?) verschollenen Archetypus (De or., or., Brut.) ; die kräftigen, schönen, einheitlichen Schi'iftzüge gehören noch der ersten Hälfte des 15. Jahrh. an. Erworben wurde der Kodex durch George L. Burr von der Pariser Buchhandlung Maison- neuve, die ilirerseits als Vorbesitzer einen Portugiesen bezeichnet. Die auf Blatt 236 •■ mitgeteilte Inschrift (Verona) weist auf die Vaterstadt Guarinos (Varinus) d. Ä. (1370 1460). An diesen er- innert auch die Unterschrift des Brutus durch die Nennung eines seiner tüchtigsten und anhänglichsten Schüler, des Giovanni Lamola aus Bologna. Die Unterschrift, nicht von der Hand, die den Brutus selbst geschrieben hat , sondern von einer anderen , lautet : E|x emendatissimo codice Johannis Lamole bofi viri eruditissimi | tran- scripsit hunc alesius germanus et ad eundem postea | emendatus est. Über diesen Alesius Germanus (= Alessius Germanicus), über Lamolas Abschrift von L (1428) und den darauf bezüglichen Brief- wechsel ^) zwischen Lamola (mit der Anklage der Mailänder) und seinem Lehi-er Guarino wird Näheres mitgeteilt ('orator' bei diesem = die fünf rhetorischen Bücher). „Guarino hat für seinen persön- lichen Gebrauch sich begnügt, das mittelbar auf Cosmus Raymundus zurückgehende Apographon von de oratore I II und orator, viel- leicht auch noch den Blondus Mazolatus-Text des Brutus zu be- richtigen nach Lamolas neuer Übertragung." Vgl. WfklassPh. 1913, 140 f. Zu dem Bilde, das wir uns von Guarinos codex Laudensis restitutus machen müssen, paßt nach St. das Äußere der Cornellhs nicht. Ob die innere Beschaffenheit? Mit abgewogener Vorsicht schließt Stangl (BphW 1913, 864): „Wenn Lamola dem Worte die Tat folgen ließ, und wenn in jenen, die die Früchte seines Werkes einzuheimsen in der Lage waren, auch nur ein Funke seines wahr- haft wissenschaftlichen Denkens wirksam war, so kann die Cornellhs in dem Augenblicke, da sie in den kritischen Apparat der oratorischen Bücher eingereiht zu werden strebt , nicht davon ausgeschlossen bleiben. Ein wenn anch noch so kleiner Rest seiner Eigenart muß, allem Unverstand und aUer Willkür zum Trotz , selbst in einen fernen Ableger sich hinübergerettet haben."

*) Der vollständige Briefwechsel des Guarino Veronese d. Ä. war für 1915 durch R. Sahbadini in Aussicht gestellt (BphW 1915, 629); vgl. oben li. Wolkan.

IL Überlieferungsgeschichte and Ilandschriftenfrage. 2d.

Im Sinne der Forderung Stangls (schon 1891 DLZ S. 1783), man müsse zu L vordringen , wird Meisters Arbeit auch gerühmt von J. K. Schönberger: „Der von Meister S. 77 ausgesprochene Grundsatz, man müsse aus M u n d J mit Vermeidung ihrer Fehler das Beste, was sie bieten, auswählen, ist sicher im Sinne der heutigen Textkritik." Über diese Richtung, die sich nicht einem Teil der Überlieferung oder einer einzigen Handschrift mit Leib und Seele vorschreibt, lese man die Praefatio von U. von Wil.amowitz- Moellendorff zu Aeschyli tragoediae (Berlin 1914) S. IX nach; auch was Einar Löfstedt bei der sachkundigen Besprechung von Stangls monumentaler Ausgabe der Cicero-Scholiasten II in der Deutschen Literaturzeitung 1913, 639 f. über die empirisch-kritische Richtung unserer Zeit urteilt.

Zu L. Meisters Quaestiones Tullianae gehört auch der Auf- satz von

Joh. Stroux, Neuesüber Cicero de oratore. In den Jahresberichten d. Philol. Vereins zu Berlin 39 (1913) S. 171—176.

Nach kurzer Skizze der Geschicke von L(audensis) und des Zieles Meisters, über P und 0 ins Reine zu kommen, fährt Stroux fort: „Er nimmt dabei die von Stangl wiederholt und mit Nach- druck vertretene Ansicht auf, daß 0 und P aus einer gemeinsamsn Vorlage (i) stammen. Dieses i ist aber nicht aus der reinen Quelle L geflossen , sondern ein von Barzizza und Cosmus durch Aufnahme von nicht wenigen Lesarten aus m und durch eigene Änderungen zurechtgemachter und geglätteter Text. Diese Ansicht von der verderblichen Tätigkeit des Barzizza, von dem Mischcharakter von 0 P, hat der beste Kenner der Über- lieferung , Th. Stangl, unlängst mit ausdrücklicher Bezugnahme auf Meisters Schi'ift wiederholt , nachdem er sie schon früher in ähnlicher Weise geäußert hatte . . . Und doch darf sie nicht unwidersprochen bleiben. Zwar ist die Vertretung der L-Klasse gerade in den Büchern de oratore vorläufig noch so dürftig, daß sich mit den zwei Handschriften ein Gegenbeweis schlecht führen läßt; ich hoffe demnächst mit neuem Handschriften- material die Frage auch auf diesem Boden zu ent- scheiden. Aber warum die Frage gerade da aufrollen wollen, wo sie vorläufig am verwickeltsten ist? Die beiden Handschriften 0 wie P enthalten außer de oratore auch den orator , hier aber tritt zu ihnen als dritter Zeuge der Florentinus F, der nach über- einstimmender Ansicht der Herausgeber aus L selber abgeschrieben

24 0. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909-1917.

ist, eine Ansicht, die ich nach Prüfung und Autopsie nur bestätigen kann. So würde ich es als methodische Grundlage des von Meister behandelten Themas betrachtet haben , wenn aus der reicheren Überlieferung des orator und dem Vergleich mit F der allgemeine Charakter von 0 P und der von L erst ermittelt worden wäre. Es würde sich gezeigt haben , daß F , wenn auch nicht gegen die Existenz des Zwischenkodex i, so doch sicher gegen die einer viel- fach veränderten und interpolierten Vorlage von 0 P Zeugnis ab- legt" . . . „Nicht Barzizza und nicht Cosmus haben in die L-Über- lieferuug den iuverkennbaren Zug zum Glätten und Einebnen gebracht, der war schon L selbst eigen und geht bis auf eine Recensio des Altertums zurück" (S. 172). Eine ähnliche Anschauung, wie die in den hier gesperrt gedruckten Worten ausgesprochene, habe ich in den Berichten wiederholt ge- äußert, soweit ich sie aus fremden Angaben gewinnen konnte. Z. B. bei der Besprechung Meisters DLZ. 1913, 2208: „Aus den (rrammatisch-stilistischen Kämpfen einschließlich Wortstellung, Ehythmus und Orthographie des ersten vor- und nachchristlichen Jahrhunderts möchte ich vieles ableiten . was Meister den von Lamola verurteilten Mailändern zuschreibt."

In De or. II Schluß stand z. B. post meridiem . . . postmeridie in L (dieses lokativ). Die in 0 gemachte Bemerkung vet' bezieht sich nach Stroux immer auf den vetus L und hat mit den Noten äl' nichts zu tun ; ebenso in dem Handexemplar des Barzizza, dem Cod. Neap. IV A 43.

In der Einzelbehandlung erklärt Stroux fast immer mit Meister zusammenzutreffen. „Durch die ruhige , klare Abwägung aller Momente, aus denen bei jeder Differenz der Klassen untereinander der Einzelfall entschieden werden kann , hat Meister die Kritik zweifellos gefördert" (S. 174). Wie die Lesart von Tj zu gewinnen, zeigt Str. an III 219 und II 163. In dem de Philocteta statt Philoctetae III 141 sieht er mit Recht nicht eine Einwirkung des Romanischen, sondern antike Ausdrucksweise ; aber die Entscheidung zwischen Präpositionalausdruck und Geneti%* ist schwer. „Mit Recht hat Meister an einer guten Zahl von Stellen für die Lesart von L gesprochen" (S. 175). Mit gutem Grund erklärt Str., auch II 90 lasse sich das zweite ita, 11 350 das zweite quod verteidigen. Dagegen lehnt er Meisters Hannibales II 77 (aus Hannibal is) ab; 11 193 möchte Str. nicht mit Meister in spondalli den Eigen- namen des Schauspielers (Spondaeus) sehen, obwohl schon das Hand- exemplar des Barzizza (Neap. IV A 43) in dieser Richtung suchte.

II. Überlieferungsgeschichte und Handschriftenfragc. 25

Zur Wertung von L sei hier genannt

Rudolf Reitzeiistein, Philologische Kleinigkeiten, im Hermes 48, 1913, S. 272 f.

Auf Grund der Nachahmung bei Ambrosius De Cain et Abel II 6, 22 erweist Reitzenstein die Lesung adipale dictionis genus als richtig gegenüber dem Noniuslemraa adipatae dictionis genus. Auch Joh. Stroux betont (Jahresb. Berl. Phil. Ver. 80, 1913, S. 257) die Bedeutung dieses Zeugnisses für L.

Zur Würdigung der Hss seien hier ferner zwei nicht eigens den rhetorischen Schriften gewidmete Arbeiten genannt:

Albert C. Clark, Recent developments in textual criticisms. An inaugural lecture delivered before the university on Juni 6, 1914. Oxford 1914. Clarendon Press.

Eingehend besprochen von Nohl, WfklassPhil. 1914, 978 flf. Die Paläographie, die historische Erforschung der Handschriften, die Feststellung von Textänderungen (namentlich der verhältnis- mäßig geringe Umfang von Interpolationen), die Papj'ruskunde, der Prosarhythmus, die Berechnung des Raumes von Auslassungen, das alles hat auch für die rhetorischen Schriften Ciceros objektive Maß- stäbe gewinnen helfen.

Wie schon Eduard Stroebel in seiner Ausgabe der Rhetorici durch wiederholte Verweisungen erkennen läßt, ist für die Sprache Ciceros, auch seiner rhetorischen Schriften, von hoher Bedeutung

Johann Karl Scliönberger, Tulliana, Textkiitische und sprachliche Bemerkungen zu Ciceros Reden pro Sex. Roscio, pro Cluentio, pro Murena, pro Caelio und pro Milone. Würzburger Dissert. Augsburg 1911. 178 S. gr. 8. (Über die Änderung der Reihenfolge s. Bem. S. 165.)

Von Th. Stangl angeregt und durch 0. Stählin mehrfach ge- fördert, sucht Seh. nachzuweisen, daß A. C. Clark in seiner Entdecker- freude (1905) den Cluniacensis mehrfach überschätzt hat, worauf ich schon in der Neuauflage der Rosciana Richter-Eberhards hin- gewiesen hatte, und ^daß Jli' nicht allwegs das große Maß von Vertrauen verdient, das ihm Clark schenkt". Reiche Literatur- angaben und Indices erleichtern die Benutzung der gehaltvollen Erstlingsschrift.

Über Wortstellung handelt außer J. K. Schönberger, L. Meister u. a. auch

Willy Roensch, Cur et quomodo librarii verboi'um collo- cationem in Ciceronis orationibus commutaverint. Weida 1914.

26 G. Ammon : Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

Treffende Besprechungen: BphW. 1915, 1210 von Stangl, WfklassPh. 1915, 849—851 von Nohl.

Die älteren Hss sind in der Regel, aber nicht immer, ver- lässiger als die jüngeren ; mehrfach gegen A. C. Clark. Rhythmus nach Zielinski. Die Schreiber haben oft willkürlich die ihnen ge- läufige Stellung gewählt.

Auch auf A. W. Ahlberg, De traiectionis figura ab anti- quissimis prosae scriptoribus latinis adhibita in dem 'Eranos' Acta philologica Suecana Vol. XI (1911), S. 88 106 wäre in diesem Zusammenhang zu verweisen (BphW. 1915, 334).

J. Marouzeau, Sur l'ordre des mots. In der Rev. de philol. 35, 1911, S. 205 ff.

N. Schneider, De verbi coDocatione. Diss. Münster 1912.

Ein wichtiger Teil der Abweichungen liegt auch in der Ortho- graphie, besonders in I gegenüber M. Vergleiche oben, was Richard Mollweide am Schlüsse seiner Forschungen über die Entstehung der Exzerpte des Hadoard betont. Ich habe die Frage in früheren Berichten über Cicero und Quintüian gestreift, besonders wegen der Buntscheckigkeit in Friedrichs Ausgabe und des anderen Extrems, der alles gleichmachenden Schulorthogra[»hie.

Ed. Stroebel hat in seiner wichtigen Abhandlung 'Ciceronis de oratore hbrorum Codices mutüos examinavit . . . , Act. Sem. Philol. Erl. III. Vol. S. II § 3, S. 25 ff. 'De scribendi ratione' Fälle wie plurimeis, quoius, ingeni, sequontur, ecferre, perspicuomst, magnopere magno opere, coiciantur, defetigatio behandelt und auch sonst die Schreibweise der M und I verglichen.

Über die besonders durch die Mutili gebotene Schreibung oratiost, utendumst, vocitatust = vocitatus est vgl. Otto Brink- mann, 'De copulae est aphaeresi' , Marburger Dissertation, und B. Maurenbrechers Besprechung Berl. phil. Woch. 1911, 307 ff.

Für die Schreibung uo und uu ist zu verweisen auf die tun- fassende, tiefgreifende, die Arbeitsweise des ersten nachchristlichen Jahrhunderts beleuchtende Arbeit von

Joseph Aistermann, De M. Valerio Probo Berytio. Bonn 1910.

Kap. 3 im Epimetrum : Quid primi saeculi grammatici latini praeceperint de scripturis 'uo' et 'uu'.

Stroux befürwortet Pacuio u. ä.

Zur Schreibung der Graeca in den rhetorischen Schriften ist wenig zu entnehmen aus

III, Die sieben Schriften. 27

Gualtherus Nieschmidt, Quateiius in scriptura Romani litteris Graecis usi sint. Marburger Dissert. Marburg 1913.

Nieschmidt berücksichtigt nur Ciceros philosophische Schriften, wo es die Hss vergewaltigen heiße, wollte man überall die Graeca griechisch schreiben. „In singularibus verbis Graecis quae orationi Latinae inserta leguntur tantum abest ut certam scribendi legem secuti sint scriptores Romani, ut apud unum eundemque mira saepe inveuiatur incoustantia*' (S. 66). Auch in den rhetorischen vermißt man einheitliche Behandlung der Graeca: ttsqi'oöoq perihodus, haeresis, u. ä.

Über die Bedeutung des Rhythmus für die Textkritik und die Einschätzung der Handschriften ist in einem besonderen Ab- schnitt unten gehandelt.

III. Die sieben Schriften.

Die neue Gesamtausgabe an Stelle der unter C. F. W. Müller veranstalteten :

M. Tulli Ciceronis scripta quae manserunt omnia Recens. C. Atzert, A. Klotz, Fr. Marx, 0. Piasberg, M. Pohlenz, P.Reis, Th. Schiche, Fr. Schoell, K. Sim- beck, H.Sjögren. Ed. Ströbel, Joh. Stroux, K. Ziegler. Leipzig, Teubner,

hat auch die rhetorischen Schriften in die Hände berufener Be- arbeiter gelegt:

[Rhetorica ad Herennium rec. Fr. Marx],

Rhetorici libri duo reo. E. Ströbel,

De oratore rec. Joh. Stroux,

Brutus rec. P. Reis,

Oratöf rec. P. Reis.

De opt. gen. or. Partit. or. Topica rec. Joh. Stroux.

,Sie unterscheidet sich (nach der Ankündigung) von der Müller- schen hauptsächlich durch Beigabe eines knappen Apparates unter dem Text, der alles für die Orientierung über die Überlieferung \ind für die Rechtfertigung der Textgestaltung Wesentliche, ins- besondere auch die Testimonia, enthält. Der Text selbst wurde durch Nachvergleichung und Heranziehung neuerer (neuer ?) Hand- schriften in allen Fällen, wo dies notwendig erschien, auf eine sichere Grundlage gestellt . . . Knappe Praefationes, die über die Überlieferungsgeschichte und die wichtigste Literatur orientieren, sind ebenso wie knappe Indices beigefügt."

28 0. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909-1917.

Bis jetzt, liegt von deu rhetorischen Schriften

l. De inveutioue

oder Rhetorici libri von Eduard S t r ö b e 1 vor.

M. TuUi Ciceronis scripta quae manserunt omnia. Pasc. 2 Rhetorici libri duo qui vocantur de inventione recognovit Eduard US Stroebel. Lipsiae in aedibus B. G. Teubueri MCMXV, XXII 170 S. 8.

Stroebel hat Jahrzehute der Erforschung der handschriftlichen Überheferung von De inventione gewidmet; seine Aufsätze im Philologus 45 , in deu Bayerischen Gymnasialblättern 30 , seine TuUiaua (Progr. Luitpold-Gymn., München 1908, vgl. meinen Bericht 143 [1910] II S. 131 ff.) ließen die Ausgabe heranreifen sehen, die jetzt als schöne Frucht vorhegt. Von den Codices mutili (M), H(erbipolitanus), P(arisinus), S(angallensis), L(eidensis), Corbeiensis vel Petropolitanus ß, die Str. alle fünf verglichen hat dazu jüngere, minderwertige mutili , hält er H und P zur Ermittlung des Archetypos der lückenhaften Hss für die verlässigsteu , doch nicht fehlerfreien Führer, während S und R, als eine Art gelehrte Ausgaben , hergestellt unter Benutzung von I(ntegri) , uns zwar fördern, aber auch bestechen und täuschen. Der Archetypos war Schon arg entstellt durch Umstellungen, Auslassungen, größere oder kleinere Zusätze , wobei aber Str. gegenüber Knackstedt, Kayser, Weidner bei dem unfertigen, kollegienheftartigen Charakter der Jugendschrift mit Recht zur Vorsicht im Ausscheiden mahnt S. Vn); die schwer leserliche Schrift des Ai'chetypos war den hastenden Schi'eibern von H und P gefährhch: his für iis oder und umgekehrt ; besonders mißglückten ihnen Auflösungen von Ab- kürzungen für Pronomina uud Präpositionen, so wenn sie in h' ein his statt autem sahen (Str. S. XI).

Die Vorarbeiten zur Ausschöpfung der schier unzähhgen I(integri) s. X sqq. verzeichnet Str. S. XII f. gewissenhaft; vier in England befindliche Hss hat 0. Piasberg für ihn verghchen. Ströbel selbst hat zahlreiche Integri in Italien (Ambrosiani , Laurentiani^ Vaticani usw.), in Deutschland (fünf Monacenses) und in der Schweiz verghchen ; auch die drei, die Friedrich Marx in seiner Ausgabe der Rhet. ad Herenn. (De ratione diceudi), nicht aber Stroebel für aus- reichend zur Ermittelung der I-Klasse hält, nämlich den Bam- bergensis, Leidensis Gronovianus und Dannstadtiensis. Darin stimmt Stroebel mit Marx überein, daß der Archetypos der I verstümmelt und ähnlich wie S aus einem lückenlosen Exemplar ergänzt ge-

III. Die sieben Schrit'teu (de inv.). 29

weyen sei. Bei den Rasureinträgen iu P will Str. zweierlei tre- schieden wissen : die aus einem guten Integer entnommenen und die Einfälle von Schreibern.

Im ganzen erachtet Str. (S. XVIII) gegenüber der I-Klasae größere Vorsicht für geboten als gegenüber den Mutili, doch sei das Bessere der I zu verwerten, zumal wonn es durch den Sprach- gebrauch der .Jugendschrift empfohlen werde. Das ist das Beste, was unter den obwaltenden Verhältnissen ein Herausgeber tun kann: vgl. Robert Philippson Berl. phil. Woch. 1918, 627, sowie meinen Bursianbericht 143. Bd. (1910) II S. 138. Und Str. hat diesen Plan nuistergültig durchgeführt: dieses Lob wird ihm auch der zu- erkennen, der im einzelnen sich anders entscheidet.

Gegenüber den von A. Knacks tedt hochgewerteten Testi- monia (Victorinus, Julius Victor, Albinus usw.) betont Str. nach A. Weidner mit Recht den guten Stand unserer Überlieferung (C = M -f I)- Auch bei Demosthenes, für den K. Fuhrs in seiner Ausgabe die Testimouia wesentlich anders einschätzt als Fr. Blass, bei Quintilian, dessen Überlieferung zuerst Emiein an unseren Cicero- handschriften gemessen hat, und bei anderen finden wir bestätigt, was Knackstedt von den Exzerpten Victorins sagt: 'Multa e memoria affert, multa neglegenter exscribit, multa ad arbitrium transpouit'. Von einem erstklassigen Kenner dieser Fragen, Thomas Stangl. war auch hier Str. wohlberaten. Die Sigla und die Notae S. XX ff., zu denen sich Zielinskis Klauselgesetz u. a. hätten gesellen können, geben einen klaren Überblick über die Hilfsmittel.

Stroebel entscheidet sich (wie ich Burs. CV, 218) für den Titel M. Tulli Ciceronis rhetorici libri duo [qui vocantur de in- ventione], während Friedrich M. Tullii Rhetoricae libri duo [qui sunt de inventione rhetorica] vorgezogen hatte; vgl. II 178 und die Subscriptio im Herbipolitanus zu I aus der Karolingerzeit: Explicit liber primus rethoricae. Der Titel rhetorici wird wohl richtig sein, wie Academici, PhiHppici, protreptici ; ob man libri beizusetzen hat, erscheint fraglich (vgl. Nep. Hann. XIII 1: in annali suo oder Stangl Schol. II, 19^ Atticus in Annali; bei annalis und annales wird regelmäßig libri weggelassen, s. Th. L. L. [Nep. Hann. 13]; academicos lesen wie ad Att. VI 6, 4): der Zusatz duo entspricht nicht dem auf mehr (4'r') Bücher angelegten Plane Ciceros. Mit Recht betont Th. Stangl, Berl. ph. W. 1914, 316 auch die Möglichkeit, das Neutrum Rhetorica zu wählen (rhetori- corum libri); neben nQOTQEniy.oi findet sich seltener nQüioETttixci.

Gegenüber der 22 Jahre vorher erschienenen Ausgabe von

30 <'• Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

Wilhelm Friedrich, die in dieser Zeit textkritischen Besprechungen meist zugrunde gelegt wurde , weicht Stroebel in Hunderten von Fällen ab, oft erheblich, oft in untergeordneten Dingen.

Sachlich von Belang ist z. B. I 59: verum ad utilitates quo- que rerum omniuni sunt accomraodatae , et diurnae noctumaequ© vicissitudines nuUa in re umquam mutatae quicquam nocuerunt; quae signo sunt . . . administrari ; Friedrich: verum ad utilitates quoque rerum omnium adcommodate , et d. n. v. nuUi naturae u. m. q. n. [ ; quae . . . administrari] ; die letzten Worte tilgt Friedrich mit Linsmayer. In § 61 Stroebel summe est ab Aristotele [atque a Peripateticis] et Theophrasto frequentatum, Friedrich s. ab Ar. atque a Peripateticis [et Theophrasto] ; ich wtlrde dieses vorziehen, denn unmittelbar vorher paßt zu profecti die Verbindung ab Aristotele et Theophrasto, zu frequentatum die Verbindung ab Aristotele atque Peripateticis frequentatum-, vgl. II 8 discipulorum . . atque eorum, qui protinus ab hac sunt disciplina profecti.

Wegen der Bedeutung der Ausgabe und wegen des Gewichtes für andere rhetorische Schriften seien noch mehrere Stellen für die Textbehandlung im einzelnen herausgehoben. Zunächst über die Abwägung von M und I. Ich kann mich dafür bei anderen Schriften kürzer fassen.

I 107 (S. 74^1) proferentur, aber unmittelbar darauf ponuntur ; Friedrich auch proferuntur mit i. || I 108 per quem ad ipsos, qui audiunt , [similem in causam] convertimus , ebenso Friedrich ; ich würde mit P^ S^ ad streichen und similem in causam halten. || S. 75b, 4 indignum [est], [ut] servis, libertis; jenes hält Friedrich mit P, dieses streicht er (om. M). || 75 b 20 f., ut videmur . . . diximus, Friedrich videmur . . . dixisse. || II 40 (92^**) iniciemus mit Pc (auch Friedrich), demontrabimus I (nicht passend). || II 45 (95'^) cur hoc ante factum non sit wie Friedrich mit Kayser, weil nicht in M; mir scheinen die Worte richtig; ebenso II 48 nisi perorata et probata causa; Ströbel und Friedrich tilgen mit Schütz die in M fehlenden Worte et probata. || II 64 (104^^) infirmatio [autem] haec erit mit SI; Friedrich hält autem mit HPi. || II 169 [aut] omnes aut plurimas nach M ; Friedrich tilgt [aut omnes aut] ; ich würde die volle Lesart von I belassen. || 11 177 animi [est] virtus; Friedrich hält gegen M est; ich würde die Stellung in I vorziehen animi virtus est.

In Ausscheidungen stimmt naturgemäß Str. mit Friedrich oft überein.

I 9 idoneorum verborum [et sententiarum], om M*; ich glaube, zur Xt^ig gehört auch die Gedankenprägung, wie I 26 pluribus

III, Die sieben Schriften (de inv.). 31

verbis aut sententüs . . . producitur. || I 97 tilgen Friedrich und Stroebel nam et augendi . . . suo loco dabuutur mit Kayser, und gleich darauf hanc partem mit Weidner; geschlossener wäre die Darstellung-, eine solche ist aber nicht der Vorzug der rhetorici, namentlich da nicht, wo, wie hier, der jugendliche Verfasser nach dem 'Kolleg' sein Verfahren begründet; sachlich und sprachlich sind die Worte kaum zu beanstanden. || II 10 (80'', 5) in hoc tempore, während Friedrich das in M fehlende tempore einschließt und hac liest. II II 11 et constitutiones [et iudicationes] ; Friedrich streicht auch et constitutiones ; ich würde alles halten. || II 13 nunc [in exponendis controversiis] in indiciali wie Friedrich mit Weidner. j| II 18 cum aliquid [faciendi aut non faciendi] certa de causa hat Str. wie Friedrich die von I gebotenen Worte mit Recht gestrichen (nach Schuetz). || II 22 aut denique officio [suo] antiquiorem, Ströbel tilgt wie Friedrich mit Ernesti das einhellie: überlieferte suo; dies scheint mir in dem hier (de inv.) geläufigen ^einem zu- kommend" — oder wie wir im Dialekt sagen „als einem seine Pflicht" an seinem Platz zu stehen. || II 25 streicht Ströbel wie Friedrich mit Weidner in causa faciendi; ich würde nach § 22 in causa facti ändern, wenn nicht faciendi (jTQavT:o(.iivov oder Ttgatro- fxtvojv) im gleichen Sinne zu nehmen ist; vgl. Tusc. I 53 principium movendi {tov 'Kirelad-at) oder Lucr. I 383 initum . . movendi oder Ov. f. II 103 f. pretium vehendi. || II 36 demonstrabitur [ut] cum animus; Friedrich hält ut. || II 54 (99^^) ostenditur (om. r, 0/w.), ebenso Friedrich, wegen des folgenden ostendetur mit Recht. || II 69 Amphictyonas [id est apud commune Graeciae consilium] wie Friedrich mit Schütz ; ich würde die Worte halten ; solche Er- klärungen sind bei Cicero nicht selten; für consilium mag mit I concilium zu setzen sein ; bei Plin. nat. hist. 35, 59 bietet Mayhoff Amphictyones, quod est publicum Graeciae concilium (ohne Variante), während der Th. L. L. s. v. Amph. consilium angibt. || II 145 [aut] quotquot erunt, om. R, del. Friedrich ; ich halte die Konstruktion für ganz geordnet. || II 50 peccarit , et hoc quoque adm. et nou esse eiusdem ; Ströbel verteidigt das erste et (C), Friedrich streicht es ; ich glaube, et ist nur Dittographie von peccarit ; die Einförmig- keit der benachbarten Sätze spricht gegen et . . et.

Dagegen wird II 56 (100^') richtig mit C gelesen defensoris is, quem ; Friedrich folgt w in der Weglassung von is ; im Apparat merkt Stroebel nichts an.

II 132 rem administrabit nach H; Friedrich rem administravit, weniger passend. || II 134 eins [rei], qui gegen C rei gestrichen,

32 G. Ammoii: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

ebeuso Friedrich : ich würde Kaysers rationem im Hinblick auf II 143 vorziehen. || II 136 ipsa [quippiam] om. M del Baiter, auch Friedrich. || II 107 amicum esse [demonstrabit] . . . in se esse [demonstrabit], Ströbel wie Friedrich; man vergleiche aber II 119 demoustrabimus . . . demonstrabimus et . . . dicemus. Überhaupt zeigt ja die Schi'ift, je nachdem der Verf. selber schreibt oder nachschreibt, Reifes und Schülerhaftes in buntem Wechsel; hierin ähnelt er dem Auct. ad Herenn. Nach A. C. Clark, ßecent developments of textual criticism, Oxford 1914 (Berl. ph. Woch. 1915, Sp. 469 f von R. Helm besprochen), ist überhaupt Vorsicht in der Annahme umfassender Interpolationen geboten.

Öfter erscheint aber Stroebel konservativer als Friedrich und andere. Dies rechnet Robert Philippson in seiner gründlichen Besprechung BphW 1918 Nr. 27 dem Verf. als Hauptverdienst an

(S. 628).

II 170 tilgt Ströbel wie Friedrich die 5 Zeilen atque . . . necessitudinis , nur scheidet er auch im Glossem animal aus. So hält er mit Recht I 25 statim non incommod. ,_ Friedrich streicht statim (om. H*). || II 37 necessitudini, persuasioni, adulescentiae ; Friedrich streicht die drei Wörter. || II 41 magno opere considerandum est; Friedrich tilgt die Worte mit Ernesti. || II 44 non facile est neque necessarium est: Friedrich streicht das erste est; solche Wiederholungen sind häufig. || II 46 (95^^) quae contra omnia; Friedrich streicht contra. || II 50 (97 '^) qui loci communes incidere soleant ; Friedrich streicht loci communes ohne genügenden Grund, [j II 55 (100^^) Deiiide defensoris, während Friedrich deinde mit Kayser und Weidner tügt.

In der Behandlung der vindicatio II 66 : per quam . . . pro- pulsamus a nobis et nostris, qui nobis cari esse debent, dürfte eher mit Friedrich a nobis et ab iis usw. zu lesen sein; vielleicht noch richtiger dreigliedrig: a nobis et nostris et ab iis etc.

II 109 alter eorum, während Friedrich mit Weidner alter streicht. || II 114 et alter ... et tertius , während Friedrich mit Weidner alter und tertius tilgt. || II 127 tum iudicem legi parere; Friedrich streicht iudicem, ohne Not. |j II 154 et inde . . . modera- retur gegen Friedrich, ebenso in navi ibidem.

In der Aufnahme von Verbesserungs vorschlagen zeigt sich der gründliche Kenner.

n 50 et hoc quoque admisisse mit Hellmuth und Stangl (BphW 1914, 1244). II II 42 in quo (Friedrich in qua) mit Stangl BphW 1914, 1247. II II 134 se <f>actiones videre, die von Stangl BphW

III. Die sieben Schriften (De inv.). 33

1914, 1247 f. mit Scharfsinn und Gelehrsamkeit erwiesene Ver- besserung; dagegen aber Philippson BphW 1918, 629. || II 145 schreibt Str. mit Oudendorp poena adiciatur, während Friedrich das überlieferte afficiatur streicht.

Auch von Stroebels eigenen Emendationen seien einige auf- geführt: I 22 divitiae, cognatio [pecuniae]. || I 93 (66^*^) sperare autem statt sp. enim M; ansprechend, aber P^ tut mit tarnen den gleichen Dienst. || I 99 adferretur (69*^), schon H^ afferretur; sach- gemäß. II II 15 liest Stroebel so: ex quibus constitutio est [id est quaestio] eadem [in coniecturali], quae iudicatio ; Friedrich streicht nichts, vielleicht mit Recht. || II 31 (88^^) argumentatio ea (für eins Mi). II 11 64 non illo in testamento, wohl sicher richtig. || II 109 in eum * ob potestatem non uti ; im Apparat wird vermutet ob pote- statem potestate; ich würde mit A. Klotz oblata potestate vorziehen. |] II 147 (cum) sanctius, sehr ansprechend. || I 4, 5 (5^) behält Str. wie Friedrich die volle Überlieferung Gracchos Africani nepotes ; für meine Annahme der Figur der Pronominatio : neque . . . discipulum Africanum neque [Gracchos] Africani nepotes möchte ich Hör. sat. II 4, 3 Anytique reum hersetzen, wozu der Scholiast Porphyrio seine billige , auch ein Glossem herbeilockende Bemerkung fügt : Socratem significat.

Im Apparat II 57 praetoriis (für praetoris) exceptionibus ; vielleicht richtig. Wiederholt ist Str. geneigt, das in M gebotene e, wie in tale II 107 zu talei zu ergänzen, sonst erscheint solches ei hier nicht, wohl aber in Marx' Ausgabe der Herenniusrhetorik.

II 144 atque eadem praecepta wird eadem kaum zu streichen sein.

In dem knappen, übersichtlichen Apparat werden zahlreiche Stellen eingehend behandelt: II 57 zur constitutio translativa. ij II 166 tum quoque fructu; Friedrich tilgt quoque.

Auch sprachliche und sachliche Bemerkungen, die eine lang- jährige sorgfältige Sammlung für den Gegenstand bekunden, wie zu 73''^ (alieni), 77". || 74^ 15 non extremum spiritum eius excepi vgl. Tac. Agr 46. || 75^ 19 ApoUonius 'lacrima' etc.

Gleichmäßigkeit wird man kaum erwarten, so wenig als in den anderen ähnlich angelegten Teubnerausgaben (Plutarch, Dio Prus., Demosthenes).

Über die zwei zu Deklamationen ausgewachsenen Fälle de inv. II 87 Rhodii quosdam legarunt Athenas etc. und II 144 über die Ermordung des Alexander von Pherä durch seine Gattin Thebe vgl, Maximilian Schamberger, De declamationum Romanarum argumentis observationes selectae (Dissert. Halle a. S. 1917) S. 24 £f-

Jahresbericbt für Altertumswissenschaft. Bd. 179 (1919. II). 'S

34 G. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß die Quellen für de inv. auch den späteren Historikarn (Diodor, Val. Max.) und Rhetoren geflossen sind. Vgl. K- Aulitzk}-, Apsines negi ekeov (Wien. Stud. XXXIX, 1, S. 27 ff.).

Den Rhythmus berücksichtigt Str. wiederholt. So I 76 mater est satietatis mit i Vict. ; dagegen Friedrich weniger rhythmisch est satietatis mater. || I 97 Nunc de conclusione dicemus -•^]-^--^, Friedrich mit Hdl nunc dicemus de conclusione. || II 14 vermutet Str. ansprechend wegen des besseren Rhythmus deprensus est statt deprehensus est. Die in anderen Schriften häufige Abwechselung von prehensus und prensus u. ä. ist mir nach Ströbela Ausgabe aber so gut wie nicht begegnet.

An nicht eben wenigen Stellen deutet Str. an , daß noch Heilung zu suchen ist. So II 122 tum mihi, *dicet heres esto mit M, während Friedrich iUe für dicet liest. || II 164 in odium alicuius * iniectionis incitati; Friedrich streicht iniectionis.

Bezüglich der Formen und der Orthographie gibt eine Vergleichung der Ausgabe Ströbels mit der Friedrichs sowie mit anderen gar manches zu denken: Stroebel bevorzugt II 61 haec constitutiones wie Friedrich; man könnte an eine Dittographie denken (P^c hae) , aber nach den Zusammenstellungen Sorofs zu Tusc. I 22 (V 84 usw.) und Georges' Wortformen wird haec doch den Vorzug verdienen.

Das von H^ gebotene ex evento (II 122) hat Str. trotz Tulliana (S. 22) doch nicht in den Text gesetzt; mit Recht. Nach Gell.. N. A. 13, 21, 15 f., der fretu divisa (für freto) und manifesto peccatu für peccato u. ä. in dem einen oder anderen ganz ver- lässigen Tironianischen Kodex gelesen haben will, würde auch hiel* die Melodie für eventu sprechen (ex facto aut ex eyentu aliquo); möglich sind auch in den rhetorici beide Formen.

Geläufig ist uns die Wendung quoad eins fieri potest und Friedrich liest de inv. II 20 auch so mit S^i, während Ströbel quod eins f. p. mit M vorzieht unter Verweisung auf C. F. W. Müller Cic. comm. petit. 36. Auch II 154 quod posset bevorzugt gegen- über quoad posset I , das Friedrich in dem ausgeschiedenen Satz bietet.

I 81 unum quodque unter Verweis auf Rh. H. 4, 37, aber I 100 unum quidque; Friedrich an beiden Stellen quidque ; in H und P oft quid für quod (s. Stroebel S. XI), so daß man wohl quidque o"der quicque vorziehen wird ; vgl. I 29. Über falsche Auflösungen (quid quod) s. Meister, Quaest. Tüll. S. 49.

III. Die sieben Schriften (De inv.). 35

II 43 deinde cenai-it, Friedrich dein cen. |j II 148 furiosus est, Friedrich furiosus escit. ]| II 168 extrariis rebus wie Friedrich, aber II 177 f. extraneas res (^ Friedrich extrarias res) und in extraneis rebus.

Nicht aufgenommen hat Str. Schreibweisen wie repperire (S. IX), inquid (S. VIII), civitatium, moniment., die uns auch in der Über- heferung von de iuv. wie anderswo begegnen, auch nicht querella, rellicus, extant, expectare, pulcrit. (Friedrich) für pulchrit. u. ä., oportunus. Auch die üblichen Schreibweisen venetici für veneficü (II 58 Friedrich), studi u. ä. sind mir nicht begegnet, ebensowenig Fälle wie per omnis urbis oder insti-ucxit (ex öfter bei Marx, Herenn.) ; in Tac. Agr. 24 hat der Cod. von Jesi das c getilgt. Die Gerundendung lautet öfter -endi als -undi (74-* sepeliundi, 143^' veniundum, wo Friedi-ich e bietet), optimus selten optu- raus u. ä. , copo (II 14ff. , Friedrich mit I caupo) ; regelmäßig suspiciones (Friedrich t); summopere und summo opere u. ä. in bunter Abwechselung, noch bunter die Assimilation: attrib. ^— adtrib., ade. acc. assit (74*), Friedrich adsit u. ä.; vgl. Meister Quaest. Tüll. S. 52 (adsit M), conp. comp. , inp.-imp. ; II 1 for- mosas formonsissimas (Friedrich ohne n), ein Wechsel, für den wie für so manchen anderen ein vernünftiger Grund fehlt ; urgeri (z. ß. II 142, Friedrich urgueri); circumitione I 20, Friedrich ohne m (vgl. das Ciceronianische aeditumi gegenüber aeditui, wozu Lindsay Burs. 167, 1914, II, S. 7- Georges Wortformen ist nach Th. L. L. zu berichtigen. Das iq^^er wendet Str. häutiger an als andere : non- numquam, malefacta (II 108) u. ä. ; nach malefacta würde ich auch anteacta, ex anteactis u. ä. schreiben.

Den Jüngern der deutschen Einheitsschreibung geht der bunte, zwecklose Wechsel , oft unmittelbar hintereinander , wie ihn auch andere kritische Ausgaben (und sogar Schulausgaben) zeigen, ^egen den Strich ; aber tatsächlich begegnet uns Ahnliches auf Schritt und Tritt : so schreibt ein Gelehrter auf den Briefumschlag Rector, in der Anrede Rektor; an Conjunktiou, Conjunktiv hatte sich iinser Auge lange Zeit gewöhnt. An die Abwechselungen wie Bayern, Baiern, Be^-ren, Payrn usw. habe ich gelegentlich erinnert; auch daran , daß W. Pirkheimer seinen Namen mit eigener Hand auf 5 bis 6 Arten geschrieben hat; seine Zeitgenossen machten es nicht anders. Für die Zeit Ciceros dürfen wii- bei den vei'viel- ialtigenden Schreibsklaven keine Einheitsschreibung voraussetzen mit Hilfe der Inschriften und theoretischen Auslassungen über Hhjthmus usw. können wir dem Sclireibgebrauch etwas näher

3ti (i. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

kommen und die Abschreiber der folgenden Zeit haben wohl sicher ihren Brauch gewählt oder mitwirken lassen, wie wir sein für sej-n, Maler für Mahl er usw. setzen. Vgl. oben S. 18.

Der mit "größter Umsicht und Sorgfalt bearbeitete Index nominum et rerum memorabilium S. 157 170 enthält bei aller Knappheit das Wichtigste und Wissenswerte, z. B. extraneae (sive extrariae) res (opp. animus, corpus), expetendarum (a'iQETwv) rerum, honestum (Oxyr3ncho8pap. zu Antiphon), auch die Unterabteilungen wie fidentia, potentia ; HeiTnagoras Zeuxis (hier auch die Quaestiones rhetoricae Paul Wendlands 1914 verwendet). Zu Numitorius Pullus wäre noch Cic. de fin. V 62 n. a. zu setzen. Zu dem Temnier Hermagoras hätte man auch L. Radermachers Artikel bei Pauly-Wissowa VIII (1913) Sp. 692 ff. zu vergleichen.

Meine bisherige Besprechung, niedergeschrieben im Mai 1917, möchte ich mit Philippsons Urteil in seiner Anzeige der Aus- gabe BphW 1918, Nr. 27 S. 632 schließen: „Ich brauche nach Gesagten kaum zu wiederholen, daß sie in vollstem Maße allen An- forderungen entspricht, die innerhalb des Rahmens der Teubnerschen Sammlung gestellt werden können. Ihm selbst und auch der Wissenschaft möchte ich wünschen , daß es ihm vergönnt sein möchte , den ungeheueren Stoff, den er mit unermüdlichem Fleiß gesammelt hat, in einer größeren Ausgabe zu verarbeiten."

Aus der anerkennenden Besprechung der Ausgabe Ströbels durch Robert Philipps on BphW 1918 Nr. 27 möchte ich des Zusammenhangs wegen noch einiges herausheben.

I 13, 18 billigt er (mit Recht) Ströbels Verbesserung qua ratione für qua re; II 36, 109 ob potestatem (potestate). Dagegen möchte er I 25, 36 für Ströbels commutatio noch ansprechender commotio lesen , was zur Motus-Theorie (Affektlehre) wohl paßt. Auch zu I 10, 13; I 41, 76 macht er beachtenswerte Vorschläge ; II 18, 56 ansprechend indignatione statt inductione, II 20, 61 sine ulla (le)ge statt re. An etlichen Stellen nimmt Philippson die bessere Überlieferung gegen Ströbels Text in Schutz: so I 16, 20 summam reipublicae für summam rempublicam; I 20, 28 evocavi «tatt vocavi; I 21, 29 rumorem statt morem ; II 2, 7 ille in sua pictura; II 6, 22 officio suo (vgl. oben).

In der Frage der Entstehung der Schrift, über die sich ^tröbel nicht äußert, verteidigt Philippson seinen früher (Fleck - eisens Jahrb. 1886, 417) eingenommenen Standpunkt gegen Fr. Marx (Auct. ad Herenn. Prol, 161), daß nämlich Poseidonios, der sicherlich, auch nach den Untersuchungen Gerhäußers, rorroi

II F. Die sieben Schriften (De inv.). 37

für das Prooemium zu De inv. geliefert hat, auch weiterhin den jugendlichen Verfasser, namentlich in der Polemik gegen Hermagoras, beeinflußt habe. Neuerdings hat man auf Molon o iyiaXa'A.6q als Quelle hingewiesen; vgl. K. Aulitzky, Wien. Stud. 39 (1917) S. 27 ff. In der Zeitfrage urteilt Philippson (S. 631): „Ist unsere Schrift von der Schrift an Herennius abhängig, so muß sie nach 82 fallen ; vor dem Tode Sullas hätte aber Cicero kaum das Lob der Gracchen I 4 gewagt. Die vorsichtige Art, wie er damit das Lob konservativer Männer (Catos, des j. Scipio, Laelius) ver- bindet, scheint mir für die politische und seine persönliche Lage nach der Rückkehr kennzeichnend." Zur Entstehungsfrage habe ich mich in früheren Berichten geäußert.

Thomas Staiigl , Zu Cicero De in\entione. Berl . philol. Woch. 1914, Sp. 1244—1248.

Mit glänzendem Scharfsinn, methodischer Sicherheit und reicher Literaturangabe behandelt der ausgezeichnete Kenner Ciceros : I 22/23 Nam et cum docilem velis facere simul attentum facias „selbstverständlich muß man auch . . ., wenn man Empfänglichkeit erzielen will, gleichzeitig Aufmerksamkeit erwecken". || II 99 Nam si legis scriptor existat wird Nam si gut erklärt und verteidigt ; mir sagte iam si besser zu, besonders im Hinblick auf II 134 quodsi nunc id agant etc. |1 II 35 wird nota et communia erklärt, aber St. bekennt: „lange fesselte mich Kaysers nota et n (= non) communia officia (= non vulgaria etc.)" ; auch ich halte diese Lösung für sehr ansprechend ; Stroebel hat non nicht eingesetzt. || II 42 in quo videbimus (statt in qua vid. Friedr., s. o.) und II 134 (f)actione3 videre ; beides bei Stroebel im Text.

Thomas Stangl, Zu Ciceros rhetorischen Schriften. Woch. f. klass. Phüol. 31 (1914) Nr. 1 Sp. 21—30.

Ströbel hat de inv. II 122 in tutelam suam venerit; Stangl möchte hier und de or. I 180, wo das Possessivpronomen wenig gesichert ist, dieses ausscheiden. Die weiteren Bemerkungen be- ziehen sich auf De or. : II 141 tum ut; II 141 lehrreich über das scharfe Asyndeton ohne sed; zu Tac. Germ. 10, 15 vgl. aber A. Gudeman. II 154 für cognovit (auch Friedrich). Fälle, wo in an zweiter Stelle ausgelassen ist: wie de or. III 195 cum in omni genere tum [in] hoc ipso, unter Verweisung auf WfklPhil 30 (1913), 757. II 323 initüs (zeitlich). Gegen die Einsetzung von (esse) n 10 und II 251. Er scheidet utendum igitur [fuit] II 165 aus, verteidigt mit Recht II 270 Aemilianum dicit fuisse.

33 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

Zur Schreibung Socraten für Socratem bemerkt Stangl: „Alle derai'tigen nicht reinlateinischen und dem Mutili-Archetypus fremden Endungen sind eines der zahlreichen Merkzeichen, daß der Laudenser Text durch mehr Diaskeuastenhände gegangen war und späteren Jahrhunderten angehörte als die Vorlage der Mutili." Zum Rhyth- mus von II 159 ac minutum u. ä. Für estque mi gratum II 350 (gegen Ruckdeschel). Gelegentlich auch eine Warnung vor bloß eurhythmischen Konjekturen, II 358 für die Stellung quae occurrere celeriter, quae percutere animum possint.

Diese für die Wertung der Überlieferung mit grundlegenden textkritischen Studien muß der engere Fachgenosse selbst nachlesen (Hss, Text, Orthographie, Rhythmus).

K. Aulitzky, Apsines n egl iXäov . . . Wiener Studien XXXIX 1 S. 27—49.

„Die Vorschriften über die Erregung des Mitleides bei Apsines zeigen Übereinstimmungen mit dem auct. ad. Herenn. (II 30, 47) und mit Cic. de invent. (I 52, 98), die beide auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen, auf die Vorlesungen eines römischen Rhetors, dessen griechische Quelle Apollonius von Rhodos 6 {.laXaMg war. Der auct. ad Herenn. und Cicero haben die Reihenfolge, in der die Gemeinplätze in der gemeinsamen griechischen Quelle angeführt waren, unverändert beibehalten. Hingegen ist Apsines in der An- ordnung der Gemeinplätze mehrfach abgewichen. In den Gemein- plätzen, die vom auct. ad Herenn. und von Cicero nicht erwähnt werden, geht Apsines auf eine Quelle zurück, die durch den Ano- nymus Seguerii zu bestimmen ist. Es ist Alexander Numeniu" (RphW 1918, 472).

War für Cicero und den auct. ad Herenn. der gleiche Lehrer (Vortrag) Quelle y Die unverkennbare Polemik von De inv. wohl eher der mündlichen oder schriftlichen Quelle als des jungen Cicero selbst gegen gewisse vom Anonymus , wohl nach lateinischer Quelle (doctor noster, daneben Buchquellen V) vorgetragene Lehren müßte im einzelnen genau geprüft werden.

Übersetzung:

Wilhelm Binder, M. TuUius Rhetorik oder von der rhetori- schen Erfindungskunst. 2. Aufl. Berlin Schöneberg 1914.

2. De oratore.

Die Hauptleistung , die Dissertation von Ludwig Meister, Quaestiones Tullianae ad libros qui inscribuntur De oratore perti- nentes (Leipzig 1912), ist bei der Handschriftenfrage besprochen.

III. Die sieben Schriften (De or.). 39

Beiträge zur Textkritik von Th. Stangl siehe oben bei den Hhetorici.

CimaiDeoratore^.

M. Tullio Cicerone. I tre libri de Oratore. Testo riveduto ed aunotato da Antonio Cima. Libro I. Seconda edizione intera- mente rifusa; ristampa. Torino 1913, E. Loescher (V. Bona). XXIII, 167 S. 8. CoUezione di classic! greci e latini con note italiane.

Die folgenden vier italienischen Schriften zu De or. waren mir auch nicht zugänglich:

Ciceronis De oratore libri I. Text, Einleitung, Kommentar. Ed. Carlo Costa. Turin 1916 2. Stampa. 184 S. In den: Scrittori latini commentati per le scuole. Nr. 7.

, , Text, Übersetzung, Kommentar ed. Camillo Cessi. Eocca Casciano 1914, Cappelli. 174 S. In der Piccola bibl. ed. Orsini Begani. Ser. II 1, 2.

, , Kommentar ed. Tullio Tentori. Cittä di Castello 1914, Lapi. 160 S. In: CoUezione Nr. 19. Ebensowenig

, , Lib. 1 3 (böhm.) ed. Jan Vobornik. Prag 1915. Böhm. Akad. 246 S.

Zu De or. I 176 (Marcellus) vgl. M. Radin, Class. Philol. 1912 (Riv. di filol. 37, 1913).

De or. I 225 tritt Stangl, Philol. N. F. 23, 1910, S. 507, ein für Doederleins Lesung quorum crudelitas (nisi) nostro sanguine ; mit Recht.

Über Cic. de or. 3, 128 plurimum ((ut) Campe und Sorof) tem- poribus Ulis s. Thomas Stangl, BphW 1917, 644 f. Auch Friedrich hat (nach Ellendt) den Einsatz nicht angenommen ; L. Meister hat den Fall nicht behandelt.

Th. Stangl, Bobiensia, im Rhein. Mus. N. F. 65 (1910) S. 96 tritt Cic. de or. II 141 mit den mutili ein für das aus der Rechtssprache stammende tum ut der Apodosis.

Auch für den Text von De or. I § 1 10 verdient Zander, Eurythmia II, Beachtung: decursu honorum 1, vix (sunt) hac 5; zu III 181 est et venustum statt est inventum , s. Eurythmia II S. 254. (Im Orator § 9 liest er imitando eaque sub oculos.)

Zu De or. III 108 £f. Gercke, Einl. II 2 S. 379, über das Ver- hältnis der Beredsamkeit zur Philosophie (über Antiochos und Philon).

De or. III 192 S kutsch (Glotta III, 366 f.) für titubatumst, vgl. unten 'Rhythmus und Textkritik'»

40 (^- Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

t'ber die Dialog form von De oratore s. Vilhelmus Kiaulehn, De scaenico dialogorum apparatu. Hallenser Diss. Vol. XXIII. HaUe a. d. S. 1914, S. 175 ff.

Boris Waniecke, Gebärdenspiel und Mimik der römischen Schauspieler. In den Neuen Jahrb. für das klass. Altert. 13 (1910), I 580—594.

Dui'ch die umsichtige Zusammenstellung auch der rhetorischen Vorschriften werden die einschlägigen Stellen Ciceros (De or. III 213 227, Orator 59 f. usw.) in ein klares Licht gerückt. Auch diese Lehren gehen auf die junge Kunst der v:to>iQiTix.t) der Griechen zurück. Der Redner lernt vom Schauspieler, ist aber kein Schauspieler.

Aus Skraups 'Katechismus' ist für unsere Zwecke wenig zu holen.

Für die Anfänge der griechischen Kunstprosa, wie sie Cicero De or. III 128 berührt, bietet Beachtenswertes

Walter Saupe, Die Anfangsstadien der griechischen Kunstprosa in der Beurteilung Piatons. Diss. Leipzig. Weida i. Th. 1916. gr. 8. 80 S. besonders § 18 : Entwicklungsskizze der griechischen Kunstprosa S. 64 77, Vorläufer und Nachahmer des Gorgianischen (anti- thetischen) und des Thrasymacheischen (periodisch-rhythmischen) Stiltypus.

Mit dem Hauptwerk De oratore berühren sich auch die meisten Schriften, die unten in dem Abschnitt 'Quellen' zusammengefaßt sind, wie Hubbel, Gunning, Mras, Kantelhardt, Süß, A. Mayer, Stroux, Herrle, Wendland.

H. Löwner, Beispiele für den Unterricht in der Psychologie aus Ciceros Schrift De oratore. Zeitschr. f. österr. Gymn. 63 (1912), S. 847 f., hebt hauptsächlich den Affekt des Mitleides hervor. Hier eröffnet sich ein weites Arbeitsfeld : die Affekte in Rhetorik und Philosophie, von Aristotelelas bis zum Ausgang des Altertums. Und die gegen- wärtige Weltlage, besonders die Parlamentarisierung, wird belebende und lehrreiche Parallelen bieten. Vgl. den Schlußabschnitt dieses Berichtes.

3. Partitiones oratoriae.

Die Zweifel an der Echtheit der oratoriae partitiones sind nahezu verstummt; aber die Art (auch Zeit) ihrer Entstehung und die Erklärung ihrer Eigenheiten rufen noch nach Forschem.

III. Die sieben Schriften (Part. or.). 41

Paul Sternkopf, De M. Tulli Ciceronis Partitioni- bus ovatoriis. Diss. Münster. Münster 1914. 112 S. 8.

„In partitionibus (Cicero) nil fecit nisi ut Academici alicuius Philonis ni fallimur praecepta modo Graece tradita verteret additis exemplis perpaucis Latinis," urteilt F. Marx in seiner Ausg. des Auct. ad Herenn. (1894) S. 81 über die kurz nach De oratore um 54 verfaßten Oratoriae partitiones. Demgegenüber sucht Paul Sternkopf, der Sohn des bewährten Ciceroforschers Wilhelm Sternkopf, zu erweisen: „Fundamentum huius libelli esse aliquam vulgaris rhetoris Tf'/vryv [oder auch mehrere, S. 109], quam Cicero, homo philosophiae studio eruditus, Academicis praeceptis et sententiis adornaverit et expoliverit."

Cicero habe zu der Rhetorik aus seiner philosophischen Bildung die (akademische) Dialektik , besonders ihre Kunst zu teilen und zu gliedern, als Formales hinzugetan. Die sachliche Bereicherung (de bonis rebus et malis etc.) stamme aus akademischer Quelle ; Cicero sei, wie W. Kroll, Rhein. Mus. 58 richtig angenommen habe, vor allem seinem Lehrer An tiochus von Askalon (ob einer bestimmten Schrift oder Vorträgen?) gefolgt.

Ich gestehe , die Ausführungen Stemkopfs haben mir die Antiochushypothese wahrscheinlicher gemacht, besonders durch die Parallelen aus De finibus ^) ; der stoisch -dialektische (vielleicht auch der grammatische) Einschlag wäre bei dem eklektischen, scharfsinnigen Akademiker, der fast mit zwei Füßen in der Stoa (germanissimus Stoicus , ad Att. XVI 11, 4) stand, wohl erklär- lich; auch Peripatetisches überrascht bei ihm nicht (S. 73). Auf seinen Januskopf Philosoph-Rhetor macht St. S. 89 mit Kroll auf- merksam. Aber es ist Vorsicht geboten, einen bestimmten Aka- demiker zu nennen. In der Ethik hat R. Hoyer (in seiner Abh. Die Urschrift von Ciceros De off. I III) dem Askaloniten zu viel zugeschrieben, vgl. meine Betrachtung in den Bayer. Gymn.-Bl. 35, 1899, S. 621 ff. und H. v. Arnim bei P.-W. I 2494 s. v. Antiochus. In der Rhetorik darf man nach Cic. de or. I 85 den temperament- vollen Polyhistor Charmadas für die erneute Betonung der sachlichen

^) Über Antiochus, den Cicero in der Hauptsache zu de fato be- nützt hat (Lörcher), urteilt A. Bonhöffer WfklassPh 1909, 21: Dieser hat sich nicht etwa von der skeptischen Akademie ganz losgesag*^^. er hat vielmehr der Autorität eines Arkesilaos und Karneades großes Gewicht beigelegt, er hat trotz seines entschiedenen Hinneigens zum Dogmatismus, speziell zur Stoa, doch die Kontinuität mit seinen Vorgängern bis zu einem gewissen Grad aufrechtzuerhalten sich bestrebt.

42 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

Seite mit in Betracht ziehen. Übrigens hat Cicero part. 139 wohl absichtlich keinen Namen genannt, sondern als Quelle nur media illa nostra Academia bezeichnet. Über das xaXbv und ovnq^tQOv wird vielleicht der in der Rhetorik praktisch und theoretisch tätige, noch größere Polyhistor Poseidonios, mit dem Cicero in dieser Zeit über literarische Fragen korrespondierte (Att. II 1, 2), in seinem von Cicero benützten Werk Ueq! tov y.aia. 'cegiaraaiv yia&7J'/.ovTog (Att. XVI 11, 5) auch für den beratenden und lobenden Redner brauchbares Material geboten haben. Ferner möchte ich die von St. an einigen Stellen (S. 108 f.) mit Recht betonte Selbständigkeit Ciceros, z.B. in der Durchführung der Dichotomien, auch auf die Empfehlung der in De oratore dargelegten universellen Bildung, besonders auf Grund juristischer und geschichtlicher Studien, aus- gedehnt sehen.

Ich füge noch eine Bemerkung von Joh. Stroux (D. Lit. Z. 1914, 541) bei: „Was Mutschmann über die Abhängigkeit des Autors tveqI vif'ovg von Theodorus Gadareus aufstellt, ist hinfällig ; was über die TidS^t] gesagt wird, steht auch bei Cicero partit." Zur Ansicht von Gaetano Curcio, Le opere retoriche di Cicerone, Acireale 1901, S. 219: die Oratoriae partitiones seien das Mach- werk eines etwas späteren Rhetors, werden sich gegenwärtig wenige Forscher bekennen.

Aber die Antiochushypothese möchte ich an Sternkopfs Arbeit, die umfassender De . . partitionibus betitelt ist, nicht als die Haupt- sache bezeichnen: die Hauptsache, der Fortschritt gegenüber Mar- chant ist, daß der junge, mit den rhetorischen Schriften der Griechen und Römer sowie mit der einschlägigen neuen Literatur wohl ver- traute Forscher einen quellenmäßig vertieften Sachkommentar zu den ganzen Partitiones bietet, indem er dem Leser die Haupt- teile (de vi oratoris S. 15 42 de oratione de quaestione S. 56 106) und die Unterabteilungen (inventio, collocatio, elocutio, actio , memoria usw.) in gefälligem Latein analysiert und durch ParaEelen illustriert. Eine besondere Abhandlung De thesi Herma- gorae soU uns, wie S. 57 versprochen wird, in Bälde die Theorie der „allgemeinen Fragen" (propositiones) des vielgepriesenen und vielgescholtenen Temniers näher beleuchten. Vgl. Kroll zu or. 46.

Es wird die Schrift von Stemkopf als Ganzes im Auge bebalten und daraus erwächst eine erdrückende Fülle von Fragen , die Teüe werden erklärlicherweise ungleichmäßig behandelt.

Wie ich bei der Besprechung der Dissertation Joh. Marchants, De Ciceronis partitionibus oratoriis commentatio, 'Burs.' CV 1900,

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III. Die sieben Schriften (Part. or.). 43

II S. 237 f., wo übrigens auch noch andere mit den Untersuchungen Sternkopfs sich berühi-ende Fragen gestreift werden , so lehnt St. die Annahme eines hier zu bemerkenden Fortschrittes in Ciceros rhetorischer Theorie ab, ebenso den späten Zeitansatz (46 nach Curcio, 44 nach anderen). Wenig bietet St. über actio und memoria; gut und eigehend werden um einige Partien zu nennen die virtutes orationis zum Teil nach Stroux, über illustre = fvaqyEia S. 35 auch gegen Stroux , die (Antiocheischen) bona, namentlich die Dublette ihrer Einteilung § 86 und 87 S. 78 if., die Status (mit causa, finnamentum oder continens, disceptatio) behandelt.

Gut ist auch die Behandlung der narratio ; die Zweiteilung ihrer ageial in avayyialai und STci&evoi (S. 47) hatte ich schon früher betont: anderes war aus dem Aufsatz von M. Schanz, „Apollodoreer und Theodoreer", mehreres für den KaiQog (S. 51) und namentlich für die Ei'/.6g-Thorie des Anaximenes (S. 101) aus W. Süß' Ethos (S. 113 ff.) zu entnehmen. Um hier zu der in weitem Umfang herangezogene 'Literatur' doch noch einige Er- gänzungen zu geben, möchte ich für tnaivog (S. QQ) auf die Arbeiten von R. Loenig und 0. Kraus, für die ai'^rjaig S, 54 auf die Dissertation von P 1 ö b s t , für die Parallelen in den Parti- tiones auf Joh. Boerner, 'De Quintiliani inst. or. dispositione', Diss. Leipzig 1911, hinweisen.

Die Untersuchungen bekunden fast durchaus ein klares , be- sonnenes Urteil mit weitblickender Gesamtauffassung. Die geringe Tragkraft von Sätzen wie S. 49 'Apparet hos locos quodam modo inter se cohaerere' ist dem Verf. wohl selbst zum Bewußtsein gekommen.

Zu dem Satze (S. 65), es sei ganz unglaublich, .daß Cicero Aristoteles selbst eingesehen habe , wird man Kroll selbst heutzutage doch ein kräftiges Fragezeichen setzen. Gut ist die textki'itische Bemerkung zu S. 173.

In der Form und der Überwachung des Druckes erfreut diese Erstlingsarbeit durch ungewöhnliche Sorgfalt und Genauigkeit.

Die Schrift ist reich an Inhalt , an Eigennamen und Fach- ausdrücken 5 darum hätte St. dem Index capitum auch einen Index hominum et rerum beifügen sollen.

Aus der eingehenden und sehr anei'kennenden Besprechung der Dissertation Sternkopfs durch Karl Atzert, Woch. f. klass. Philol. 1914, Sp. 822 825 sei noch herausgehoben: „In scharfem Gegensatz zu der Frage seines Vorgängers [Marchant] ,quatenus ex aliis Ciceronis scriptis potuerint emanare' geht St. an die Unter- suchung heran mit der Gegenfrage: „quatenus Cicero consentiat

44: <'• Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

cum rhetoribu8 Graecis." Die Vorarbeit Peters wird gerühmte .,Daß Ciceros Selbstzeugnis 139 ff.) nicht etwa zu der Auffassung berechtigt, als seien die partitiones nur Übersetzung eines aka- demischen Handbuches, hat St. überzeugend dargetan. Ich wünschte freilich , sagt Atzert , daß diese Anschauung , zu der Männer wie Marx, Kroll und Schanz sich bekannt haben, mit noch größerer Entschiedenheit zurückgewiesen würde. Ciceros Übersetzungen sind nie Selbstzweck gewesen, sondern nur Mittel zum Zweck . . . Wenn er je zu der Übersetzung der Kranzrede des Demosthenes und der entsprechenden des Aschines gekommen ist, zu der uns die geist- volle Vorrede in de optimo genere dicendi vorliegt, so war es eine Leistung, die zeigen sollte, daß er es verstehe, wie beide zu reden und sich also berufen fühlen durfte, in das Tagesgezänk Tregl f.iii.ajoE('jg einzugreifen und den Römern Wege zu weisen. Nirgends spricht aus den partitiones eine ähnliche Tendenz." Die Form des Katechismus -/.atd TtevGiv xat anoy.Qioiv begegne in den partit. zum erstenmal. „Daß namentlich hinter diesem letzteren Kapitel [de genere laudativo] Antiochus von Askalon steht, dürfte St. unbedingt einzuräumen sein."

Auf Wilh. Zillinge rs Feststellung (s.u.), daß die orat. part. kein Dichterzitat enthalten, sei schon hier aufmerksam gemacht \ die Tuskulanen enthalten die meisten. Nachträglich genannt sei hier die mir nicht zugängliche Schrift

Vincenzo Balbi, Über den Sohn Ciceros. In: Rivista di storia antica. Bd. 11 (S. 260—271). Padua 1907.

4. Brutus.

An die Ausgaben von Jules Martha (2. Aufl. Paris 1907) und W. Kr 0 11s Weidmanniana sei erinnert.

Nicht erhalten konnte ich die italienische Ausgabe :

Ciceronis Brutus. Ed. Vincenzo d'Addozio-Carlo Camilli. Palermo 1915 2. Sandron. 175 S. In der: Nuova raccolta con note italiane Nr. 29.

Eduard Norden, Aus Ciceros Werkstatt. Sitz, Ber. d. K. Preuß. Akad. d. Wiss. 1913, I. S. 2 32.

Daß Cicero des öfteren flüchtig arbeitete oder arbeiten mußte, liegt bei seiner außerordentlichen Vielseitigkeit nahe und können wir aus der Korrespondenz mit dem in der Geschichte, namentlich in Namen und .Jahrzahlen, sicher beschlagenen Atticus ersehen. Die Unebenheit der zweimaligen Erwähnung des Molon Brut. 307

III. Die sieben Schritten (Brutus). 45

(eodem anno etiam Moloni Rhodio etc.) und 312 eodem tempore Moloni etc. erklärt Norden, nachdem schon W. Kroll in seiner Ausgabe des Brutus (1908) einen Flüchtigkeisfehler vermutet hatte, «o: Cicero, von Atticus auf das i.ivi]fiovr/.6v a^ÖQit^f^ia, daß Molo nicht 87, sondern 81 v. Chr. bei seiner Anwesenheit in Rom auf ■Ciceros Bildungsgang eingewirkt habe , aufmerksam gemacht , er- setzte die erste Molon-Notiz durch die zweite : aber jene Worte sind trotz einer von Cicero ergangenen Weisung von den Ab- schreibern irrtümlicherweise kopiert worden. Und die zweite Molon- Notiz stört den Gedankenfluß § 312 in forum veniremus | eodem .... venerat | itaque. Vgl. Bericht von Luterbacher 39, 27G. H. Nohl, W. f. klass. Phil. 30 Sp. 286—289.

Gegen Norden zum Teil Th. Opperkalski,

De Marci Tulli Ciceronis orationum rectractatione quaestiones selectae. Diss. Greifsw. 1914, nach K. Busche, W. f. klass. Phil. 1915, 653.

Über die etwas hastige Verarbeitung historischer Stoffe (z. B. Albinus) vgl. auch F. Münz er, Hortensius und Cicero, Hermes 49 (1914) S. 207.

Alfred Gudeman, Ciceros Brutus und die antike Buchpublikation. Berl. philol. Woch. 1915, Nr. 18, Sp. 574—576.

Vgl. oben S. 14 unter Überlieferungsgeschichte.

Th. Stangl, Zu Ciceros Brutus 213. Berl. philol. Woch. 1912, 1768—1770 '

verbessert insitam atque inluminatam sapientiam das überlieferte aber unhaltbare inluminatam in inlatam-, für den Sprachgebrauch Ciceros , namentlich für die einschlägigen Bilder , sind die zahl- reichen lateinischen (wie intulit agresti Latio) und griechischen Parallelen lehrreich.

Th. Stangl, 'In aliqua parte earum' in Ciceros Brutus 214 eine seltene syntaktische Mischform. Berl. philol. Woch. 1913, 350 f. will nicht mehr wie 1886 aliqua partium earum lesen, sondern hält und beleuchtet die überlieferte, volkstümlich lässige Mischkonstruktion im Anschluß an Vahlen und mit Beispielen aus Boethius u. a. Zu Brut. 187 Gercke, Einl. I2 S. 69. Über Brut. 46 f. siehe oben S. 5 unter Lortzings Bericht. Über die Übereinstimmung von Cicero (Brut.) und Dexopater s. A. Gercke, Hermes 32, 344.

46 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

Wie bei De oratore ist hier auf die in dem Abschnitt „Quellen" zusammengefaßten Arbeiten zu verweisen.

Man hat zwischen der in Dialogform geschriebenen Euripides- biographie des Satyros (Oxyrh3'nchos-Papyros) und dem Brutus Ciceros eine Brücke schlagen wollen. Aber nach Alfred Gude- man (bei Pauly-Wissowa s. v. Satyros) ist der Brutus "^toto caelo' verschieden." ., Cicero mag sehr wohl unmittelbar an Aristoteles' Dialoge angeknüpft haben, deren 'aureum fiumen' er preist, aber zu ihm führt über Satyros keine erkennbare Brücke" (gegen Fr. Leo und Br. Keil).

Über die Anfänge der Rhetorik durch Korax und Tisias be- richtet Cicero Brut. 46 zum Teil wenigstens nach Aristoteles. Als ausführlichster Kommentar zur Stelle kann gelten :

Peter Hamberger, Die rednerische Disposition in der alten Tt^^V ^^/■fOßtxj^'(Korax-Gorgias -Antiphon). Rhetorische Studien, herausgeg. von Drerup, Heft 2, Paderborn 1914, Schöningh. 121 S.

Vgl. die eingehende Besprechung von G. Lehnert, BerL phüol. Woch. 1916, 737—740.

Zu Brut. 121. Tiefgreifende, für das Verständnis Ciceros (z. B. Brut. 121 Piatons Stil) wie des Dionys von Halikernaß wichtige Untersuchungen bietet:

Karl Mras, Piatos Phaedrus und die Rhetorik. Wiener Studien. 36, 1914, S. 295— 319 (Fortsetzung folgt). Vgl. Karl Münscher, BphW 1917, 990 und unten 'Quellen'. Auf die einschlägigen Artikel bei Pauly-Wissowa-Kroll ist zu verweisen, z. B. Brut. 177 und 305 über C. Julius Caesar Strabo P.-W. 19. Halbb., Sp. 430 f. von Diehl; über Cäsars Er- ziehung und Bildung (M. Antonius Gnipho aus Alexandria) , über Molo , über De analogia ebendort Sp. 262 ff. Ebenso auf Thes. L. L. mit dem Onomasticon.

Cicero -Porträt.

Zu Brut. 313 Erat in nobis summa gracilitas etc. Ob wir in Nr. 104 und 105 des II. Bandes „Die Terrakotten der Sammlung Loeb" (München 1916) mit Johannes Sieveking, dem Heraus- geber, ein Porträt Ciceros zu erblicken haben, bezweifelt Rudolf Pagenstecher (Berh phüol. Woch. 1917, 1300) trotz einer nahen Verwandtschaft mit den Porträts Ciceros. Vgl. oben S. 6 L. Laurand, Notes bibliographiques.

III. Die sieben Schriften (Orator). 47

Übersetzt ist Brutus von Binder, 3. Aufl. Berlin-Schöne- berg 1914 (Langenscheidt).

5. Orator.

Über die Geschichte der Überlieferung und die Handschriften- frage ist schon in Abschnitt II gehandelt.

Um den Orator dreht sich besonders die Rhythmusforschung; vgl. unten C. Zander, L. Laurand, K. Münscher, dann die Frage über die virtutes dicendi (Stroux, Herrle), über Asianismus und Attizismus (Krüger, Heck). Für ihn hat auch Kr 0 11s Kommentar neues Interesse der Forscher geweckt.

Wilhelm Kroll, M. Tullii Ciceronis Orator. Als Ersatz der Ausgabe von Otto Jahn. Berlin 1913. Weidmann. 228 S. 8. Sammlung Haupt-Sauppe.

Die dem Andenken an Franz Skutsch gewidmete Ausgabe tritt an Stelle der von Otto Jahn, die vor mehr als fünfzig Jahren eine Vertiefung der Oratorlektüre für Schulen bedeutete, wie die meisten der von M. Haupt und H. Sauppe geleiteten Weidmannschen Sanunlung. Kroll gibt die Rücksicht auf Schulzwecke auf und geht als Philologe für Philologen allen Schwierigkeiten herzhaft zuleibe. Sein Hauptaugenmerk hat er daraufgerichtet, Cicero s rhetorische Theorie aus der Geschichte der griechischen Rhetorik zu erklären und die griechischen Äquivalente für seine Termi - nologie zu finden.

Zeit und Zeitverhältnisse werden in der Einleitung scharf beleuchtet. Abfassung nach April und vor Schluß 46. Der Literatur- brief, durch die Anfragen des nach attizistischer Stilrichtung neigenden M. Brutus angeregt und durch die Selbstverteidigung belebt, ist zu einem Buch angewachsen. Die Vorwürfe einer ge- wissen Üppigkeit des Ausdrucks, der übertriebenen Rhythmisierung und des frostigen Witzes , die den wesentlichen Tadel der Neu- attiker enthalten, widerlegt Cicero als „der gebildetste Mann, der glänzendste Stilist und der gewandteste Schriftsteller Roms in der Form der Lehrschrift mit manchen scharfen Ausfällen gegen das Zwerggeschlecht der Neuattiker, aber unter sorgsamer Vermeidung alles Verletzenden Brutus gegenüber". Über die Komplimente, die Cicero im Brutus dem jungen Freund macht und die meist wider.- sprechenden sonstigen Zeugnisse vgl. Edward I. Filbey in Class. Phil. VI (1911) S. 325—333. Durch den von Kroll S. 7 f. aufgezeigten Plan der Streitschrift erscheint die Einheit (Marchesi gegen Curcio) wenigstens, beabsichtigt : der Idealredner (Cicero-Demosthenes) um-

48 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

faßt alle hei den attischen Rednern vorkommenden Stilarten oder richtiger Stilvorzüge und gründet seine Beredsamkeit auf vielseitige philosophische Bildung. Nicht zu den Attizisten rechnet Kroll Caelius Rufus und Scribonius Curio (S. 11), wohl aber Asinius Pollio. Bezüglich der Reden Cäsars mahnt er zur Vorsicht in der Annahme attizistischen Charakters; vgl. meinen Bericht 1900, CV S. 210 und jetzt die im gleichen Sinn gehaltenen Ausführungen von Heinrich Heck. Zur Enstehung des rhetorischen Attizismus. I. Teil, Progr. Landau Pf. 1917, S. 24 f. Für den großen grammatischen Exkurs 149 164), der fast den Rahmen des Ganzen zu sprengen droht und auch normierte , nicht im Be- lieben des Rhetors stehende Dinge wie nolle , mecum enthält, möchte Kroll Varro als Quelle annehmen, wie mir scheint, sehr ansprechend (vgl. aber unten über Nicias). Ahnlich hat Cicero wohl den Annalis seines Freundes Atticus im Cato M. und in den Tuskulanen und sonst benützt. Auch der Exkurs über carere Tusc. I 87 ff. mag von Varro beeinflußt sein. Im allgemeinen warnt aber Kroll mit Recht davor, Cicero voreilig nait einer Quelle zu identifizieren. „Sein beweglicher Geist hat ein großes Wissen präsent das zeigen , füge ich bei , die dem Orator zeitlich be- nachbarten Schriften und Briefe und ist jederzeit bereit, es zu vermehren ; reichte seine persönliche Fähigkeit nicht aus , so zog er die gelehrten Mitarbeiter des Atticus heran. Dazu kommt noch seine Abhängigkeit von der akademischen Rhetorik, die vielleicht ebenso sehr durch lebendige Erinnerung und Kolleghefte wie durch Bücher vermittelt wurde. Er steht mitten in den lebhaften Debatten über philosophische und rhetorische Fragen , die der spätere Hellenismus ventilierte , und es konnten ihm bald Gedanken des Aristoteles und Theophrast, bald des Philon, Antiochos und Posei- donios (der auch über den Stil geschrieben hatte), bald des jüngsten rhetorischen Technographen zufliegen." Man beachte, was Plutarch von LucuUus (42) über dessen reiche und bequem zugängliche Bibliothek berichtet. Cicero stand den Lucullern nahe. Ki-oll wendet sich dann gegen Münschers Annahme, Cicero habe für die Rhythmuspartie die Schrift eines zeitgenössischen Isokrateers benutzt. Und auch die Annahme einer rhodischen Quelle hält Kr. trotz des Einflusses der rhodischen Rhetorik nicht für genügend begründet.

In der Handschriftenfr age ist Kroll ein Antipode von W. Friedrich , dessen mit den Mutili (A) meist durch dick und dünn gehenden Text er als eine Karikatur des echten Cicero

III. Die sieben Schriften (Orator). 49

(übertreibend!) bezeichnet (S. 19). Für den Herausgeber „ergebe sich, daß er zwischen L und A ohne Voreingenommenheit lavieren müsse". Den weitaus besten Text biete Ferd. Heerdegen; das gleiche Urteil hat P. Reis. Über die Handschriftenfrage vgl. Abschn. II oben.

Aus der Textbehandlung, in der nicht gerade die Haupt- leistung der neuen Ausgabe liegt, die aber doch wegen der sach- lichen Abgewogenheit genaue Beachtung verdient, einige Beispiele. Wenn Friedrich in § 92 pro verbo [proprio] oder 134 Sed iam forma [ipsa] seine Ausscheidung mit om A begründet, so fällt der Grund für J^roll weg; er behält die Worte bei, mit Recht (auch Stangl u. a.). Er macht es aber mit L nicht so wie Friedrich mit A; so tilgt er wie Friedrich 143 atque haud scio an plerique nostrorum oratorum [contra atque nos] ingenio plus valuerint quam doctrina, ja er merkt über die von L gebotenen Worte gar nichts an. Die Interpolation ist wohl aus dem folgenden nos contra fortasse possumus entstanden. Auch 215 in quem optime cadere ist wohl nach 223 zu halten trotz des Fehlens bei Rufinus (auch Stangl streicht es). Am Schluß des Orator 238 liest Kr. (wie Piderit u. a.) mit L imprudentiam suscepisse, Friedrich impud. susc, weit weniger passend; vgl, § 1 prudentiam meam . . quam benevolentiam.

§ 50 liest Kr. ohne Korruptelzeichen so : cumque animos prima aggressione occupaverit, (sua confirmabit), infirmabit eludetque contraria; de firmissimis alia prima ponet alia postrema inculcabitque leviora. 87 laudationum scriptionem et historiarum. 84 [quasi] quaesitae, auch Stangl, während Friedrich quasi mit Unrecht hält. 105 . . . dicere . sed ille magnus ; nam et successit [ille] magnis et maximos oratores habuit aequales ; nos magnum fecissemus , si quidem potuissemus etc., während Friedrich bietet: dicere . nam i. m. et succ. ipse magnis et m. o. h. aeq. ; nos minus. Magnum fecissemus etc. Stangls Lesung ipse successit und nimis magnum scheint mir passender. 173 bietet Friedrich nee vero niultitudo pedes novit nee ullos numeros tenet nee illud -{- aut offendit aut curat ut in quo offendit intellegat, dafür verständlicher Kroll (nach L) : nee v. m. p. n. nee ullos numeros tenet nee illud quod offendit aut cur aut in quo offendat intellegit. Ob aber richtig? Stangl . . aut anquirlt aut in quo offendat intellegit.

In der kurzen Beurteilung des Ephoros or. 191, Ephorus autem, levis ipse orator, sed profectus ex optima disciplina (des Isokrates), folgt Kroll (mit Münscher, XdoiTsg für Leo, S. 341) der Über- lieferung L , während Stangl , Friedrich u. a. nach A et für sed

Jahresbericht für Altertiimswissenschaft. Bd. 179 (1919. II). 4

50 ti. Amnion : Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

lesen und dann natürlich levis skandieren ; ich halte dies für richtiger, obwohl die Wahl hier wie so oft zwischen L und A schwer fällt. Es ist XeJog ein mäßiges Lob für den rhetorisierenden Historiker; ipse steht im Gegensatz zu seiner Theorie mit ihi'en rhythmischen Mißiiriffen.

Verbesserungsversuche nimmt Kroll bereitwilliger auf als Friedrich u. a., so 5 (ab) artibus, 20 (consequebantur), 34 Omni- bus <ex) terris ; ebenso Stangl in diesen 3 Fällen. Dagegen lehnt Kroll 20 Friedrichs Ausscheidung [varii] copiosi ab , mit Recht (auch Stangl). Umgekehrt scheint mir Kr. 110 perpetuum [et] euudem spiritum nach Schütz ohne genügenden Grund auszuscheiden; Friedrich hält es, ebenso 36 abdita et opaca, Kroll mit Madvig [abdita et] opaca, ohne Not. Ebenso würde ich 119 quidque dicat [aut quomodo] mit Piderit u. a. gegen Friedrich und Kroll halten. 170 hält Kr. Latine, graece QvS^/.i6g, Friedrich scheidet die Worte mit Kaj'ser aus. In 22 in singulis verdiente Heerdegens Ergänzungs- vorschlag aetatibus wenigstens Erwähnung. In 83 behält Kroll wie Friedrich eadem eloquentia informandum , quam ; für eadem zahlreiche Änderungen vorgeschlagen : Stangl (bezw. nach Friedrichs Angabe Ern.) : ea demum ; vgl. Tusc. I 85 und 93. Ich möchte ea tandem als zunächstliegend und am geeignetsten betrachten. Krolls Lesung 211 quam in se includit, näher an L quam ipse includit anschließend, ist nicht recht klar; Stangl: qua in ipsa in- cluditur, andere anderes. Ansprechend ist Krolls Vermutung 68 auricularum voluptati.

In der Orthographie herrscht nicht die Buntheit wie bei Friedrich ; wir lesen hier inter omnes (Friedr. -is), optimus u. ä. ; es begegnen uns nicht eumdem quemdam u. a. : auch für Friedrichs Schreibung Periclen Isocraten (42) stehen die m-Formen; 62 Iso- craten ipsum (Friedrich) Kroll m, auch Stangl. Wie steht es mit der Synalöphe hier und in ähnlichen Fällen? In der Dichtung haben wir oft metri causa die Formen Lalagen, Europen, Merionen statt der -am-Formen. Über Penelopen oder Penelopam, nicht Pene- lopem, vgl. A. Klotz, BphW 1918, 771. 204 wird quam perihodum gelesen und auf Bücheier verwiesen (perihodum wie prohoemium), aber 230 steht prooemio ; dieses auch Stangl und Friedrich : an jener Stelle hat Friedrich quem neqioöov, Stangl quaem negiodov, mit Druckfehler im Pronomen.

Auffallend war mir schon lange, daß bei der Gegenüberstellung von Dichter und Redner 202 niemand an quod idem fit in numeris Anstoß genommen hat. Die Freiheit des Dichters ist in der Wort-

111. Die sieben Schriften (Oiator). 51

wähl (Metaphern, alte Wörter, Neubildungen) weit größer als die des Redners, aber ganz anders in den Rhj'thmen ; für den Redner weiter Spielraum, für den Dichter metri necessitas, also quod idem (non) fit in numeris.

Das Wichtigste an der neuen Oratorausgabe ist der Kommentar, Was Kroll im Vorwort versprochen hat, hält die Durchführung, Die Ökonomie der Schrift, die trotz oder wegen der Arbeiten von Curcio, Marchesi, Schlittenbauer, Münscher noch manche Nüsse zu knacken gibt, wird tunlichst klar beleuchtet; Parallel- und Er- läuterungsstellen aus Cicero selbst , und zwar die philosophischen Schriften , Briefe umJ Reden eingeschlossen , aus der Herennius- rhetorik, aus Dion3'S von Halikarnaß , aus Philodem, aus dem Anonymus 7teQi vipoug und dem von negi 1-Qt.irjvslag, aus Quintiliam und den jüngeren Rhetoren werden ausgiebigst herangezogen ; aber auch die älteren Theoretiker, wie Isokrates, Aristoteles, Theodektes, Theophrast usw. kommen zur Geltung. Mit Recht teilt Kroll die Ansicht, daß im Orator Theophrast und Aristoteles (rhet. III) un- mittelbar benutzt seien. Der Orator ist wohl die vielseitigste und persönlichste Schrift Ciceros, wenn auch die künstlerische Einheit nicht überall en-eicht wird. Wie sonst ist er trotz seines Arbeitens mit eigenen und fremden Auszügen doch nach Begabung , Studien und Arbeitsleistung kein Schulmensch : alles Erworbene und Er- erbeitete wirkt, wie besonders die Briefe verraten, in seinem be- weglichen Geist nach , so daß die spätesten Schriften die kompli- ziertesten sind. So berührt sich der Orator vielfach mit den Tuskulanen : Isokrates , Aristoteles , ihre Schulen , Theodektes, Theophrast, Aristoxenos' Harmonielehre, Bedeutung der oratorischen Form, Ciceros psychologische Studien (ijÜ^og, 7tad^rjZr/.6v), auch kleine Einzelheiten wie der Atheneschild von Pheidias. Auch der Isokrateskritiker, der Peripatetiker Hieronymos von Rhodos, spielt in den Tuskulanen eine wichtige Rolle. Wenn sich daher Cicero rühmt (or. 190), er habe dem böswilligen Kritiker Isokratischer Rhythmen gerade an der den Tadel enthaltenden Stelle einen in in der Prosa nicht zulässigen Senar nachgewiesen , so wirkt die Bemerkung (zu 190): „Cicero hat natürlich diese Dinge nicht selbst festgestellt trotz der Wendung ut a me animadversum est, sondern eine rhetorische Quelle benutzt , die diese Behauptungen mit Bei- spielen belegte", auf eine einheitliche Beurteilung der besonders in der Partie über Rhythmus hervorgekehrten persönlichen Stellung- nahme (§ 231) störend. Ich traue Cicero die Beobachtung zu, wie auch Daebritz bei P.-W. Realenz. VIII 1583 sagt: „Hiero-

4*

52 G. Aiumon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

minos . . . hat au Isokrates' Ruhm scharfe , aber treiFende , von Cicero gelesene Kritik geübt."

Für System und Geschichte der Rhetorik sowie ihre Stellung zur Philosophie, Geschichte, Kunst ist aber bei Kr. reiches und verlässiges Material geboten, vgl. z. B. §§ 5, 10 ff., 25, 58 (actio), 66 (Geschichte), 87 f. (Witz), 226 (Hegesias). Ebenso für die sprachliche Erklärung. Die Terminologie wird durch Parallelen, besonders aus griechischen Technographen (Dion^^s. Halic. tceqI avviK ov.) aufgehellt. Die Klauseln, überhaupt der Rhythmus bleibt natürlich in der Sprachkunst Ciceros nicht unbeachtet und ist für Kroll öfters in der Textkritik entscheidend. Zahlreiche, mehrfach beurteilende Verweise auf die einschlägige weitverzweigte, besonders neueste Literatur, von der auch mir manches in meinen vier Bursian- berichten (s. S. 19) entgangen war, dürften dem älteren Fach- genossen noch willkommener sein als dem jüngeren (Abbot, Greilich, Hahne, Heuer, Linderbauer, Röllmann usw. usw.). Eine gewisse Einseitigkeit stellt sich bei solchen Literaturangaben auch ohne unser Zutun ein. Der doppelte Anhang, Namenverzeichnis und Register zu den Anmerkungen, hebt das Nachschlagenswerte nicht vollständig und nicht immer verlässig aus (s. Stroux' Besprechung). Bei einem so viele Gebiete umspannenden Kommentar fallen einzelne Ungenauigkeiten und Lücken nicht schwer ins Gewicht. Die Er- klärung zu § 7 hat schon Stroux richtig gestellt: Das rednerische Ideal, das auf dem Gesamtfeld rednerischer Bestätigung nicht oft, ja vielleicht nie, in irgendeinem Teil aber bisweilen hervorleuchtet . . . § 9 : Für den Vergleich zwischen dem Ideal der darstellenden und dem der redenden Künste hat auch Kroll nur ein non liquet; vgl. Bursian 143 II S. 162. Zur Sache empfiehlt es sich, H. S. Butcher, Aristo tle's Theory of Poetry and Fine Art, London 1895, Kap. 1 art and nature und Kap. 2 'Imitation' as an aesthetic term nach- zulesen. Wenn Cicero von den Tugenden des M. Junius Brutus sagt 33 quae specie dispares prudentia coniunguntur, so ist das wohl eine Anspielung auf den Versuch in Piatons Protagoras (p. 359 Kap. 39) sämtliche agevai (dr/.aioacvij, avögeia usw.) auf die eine aojcfQoavvtj (fpQovrjaig) = prudentia zurückzuführen. Brutus, der Verfasser von De virtute , muß dafür Verständnis haben und so auch für den analogen Versuch Ciceros, sämtliche agecal zr^g Xe^eiog in dem einen Ideal- oder Universalredner (Demosthenes, Cicero) zur Einheit zu vereinigen , empfänglicher sein. Zu 200 mens qua nihil est celerius vgl. Tusc. I 70. Zu § 217 bietet P.W. Shipley in Class. Philol. VI (1911) S. 410 ff. eine einleuchtende Erklärung.

III. Die sieben Schriften (Orator). 53

Mag so in der neuen Oratorausgabe hinsichtlich der Textkritik und Erklärung noch manches zu bessern sein, das wissenschaftliche, großzügige Lesen der Streit- und Lehrschrift , in der Cicero den Idealredner und Universalstilisten den hämischen Kleingeistern des römischen Ultra- Attizismus in einer und eigener Person in ge- kränktem Selbstbewußtsein stolz gegenüberstellt, hat durch Kroll eine vielseitige , hoffentlich auch nachhaltige Förderung erfahren. Vgl. meine Besprechung in den Bayer. Gymn. -Blättern 50 (1914), S. 457—460.

Da im Orator mehrfach die 'moderne lateinische Syntax' in Text und Kommentar zur Geltung kommt vgl. z. B. 'Konjunktiv' im Index , so sei hier hingewiesen auf

Wilhelm Kroll, Moderne lateinische Syntax. In den Neuen Jahrbüchern f. d. klass. Altert. XIII (1910), I S. 318 bis 326 gibt S. 226 mehrere sprechende Beispiele (Tusc. V 115 conloquentem facit . . . laudare, Rose. Am. 127 passus non sit, Brut. 26 oratio est coepta mandari statt coepit mandari usw.) für die Bedeutung des Rhythmus im Wortgefüge. „Auch dieses Hilfsmittel der Forschung drängt in dieselbe Richtung wie alle neueren Erkenntnisse auf dem Gebiete der Syntax : Geringschätzung der absoluten Normen und logischen Haarspaltereien und stärkere Betonung der historischen Faktoren, von denen der Stil der einzelnen Autoren abhängig ist."

Krolls Orator bespricht eingehend als der Sachkundigsten einer Johannes Stroux, Berl. phil. Woch. 34 (1914), 103 112.

Der Vorschlag, die Asiani und Attici einmal nach Cicero dar- zustellen, dann auf das Tendenziöse, Typenbildende der Darstellung Ciceros hinzuweisen, ist gewiß beachtenswert. Der orator handele nach Ciceros eigenem Ausdruck (Att. XIV 20, 3) de optimo genere dicendi; der (dialogische) Charakter des Briefes sei weiter zu ver- folgen. Ferner beleuchtet Stroux die Disposition. „Krolls Noten scheinen mir die Abweichungen Ciceros vom Schema nur zu kon- statieren, nicht sie zu erklären."

Über die genera dicendi, die Stroux nicht auf Theophrast zurückführt (auch Schmid, Hendrickson, Herrle), erfahren wir von Str. manches Neue, so über die Mischhs des Humanisten Achilles Statins (1524 1581), die schon den Theophrast als Urheber der genera dicendi bezeichnet. Scheidung der dgezal und der xaQa/izr^Qeg ! Eingehend behandelt er die Stelle über r^Qojog /Mi le/.zivLog im 3. Buch der Aristotelischen Rhetorik, die Cicero vor sich gehabt habe.

54 G. Amnion: Ciceios rhetorische Schriften 1909—1917,

Von "Wichtigkeit ist auch eine andere Besprechung von K r 0 1 1 s Orator durch

Alois Koniitzer in der Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 65. Jahrg. (1914) S. 122—130.

K. billigt es zunächst , daß sich Kroll in der Ausgabe des Orator von der Rücksicht auf die Schule frei gemacht und eine rein wissenschaftliche Leistung, durch mehrere Jahre gereift, ge- boten habe. „Die Exegese stützt sich auf die umfassendste Be- nützung des gesamten, ungeheuer angewachsenen wissenschaftlichen Apparates, und gerade diese staunenswerte Verarbeitung aller er- denklichen wissenschaftlichen Beiträge , auf die überall verwiesen wird , verleiht der Ausgabe ihren besonderen Wert und macht sie zu einem ganz unersetzlichen Hilfsmittel für jeden, der sich über die mannigfachen, in dieser Schrift auftauchenden Probleme gründ- lich belehren oder selb.st weiterforschen will. Vor allem dankens- wert sind jedoch die Resultate eigener Beobachtungen und Studien Krolls zum Orator und dessen griechischen Quellwerken." . . . „Über diese (Friedrichs Ausgabe 1891) fällt Kroll (Einleitung S. 19) ein wohl sehr scharfes, aber nicht unverdientes Urteil, wenn er sie eine 'Karikatur des echten Cicero' nennt." . . . „Von dem Streben, hinter wertlosen Varianten der Klasse A(brincensis) überall echte Überlieferung zu suchen, hielt sich unter den neueren Herausgebern am freiesten Heerdegen, dessen kritische Ausgabe (Leipzig 1884) von KroU mit gutem Grund als die wichtigste und zuverlässigste bezeichnet wird. Daß beide Handschriftenklassen, A und L, auf einen bereits durch Flüchtigkeitsfehler und auch vereinzelte Inter- polationen entstellten Archetypus zurückgehen, erhellt aus den in der Einleitung S. 18 angeführten gemeinsamen Fehlern. Und mög- licherweise hat Kroll auch darin recht , daß wir in den Orator- Handschriften Fehler lesen , die bereits in der Offizin des Atticus begangen worden sind. In zweifelhaften Fällen hält sich Kroll mit Recht an die Klasse L, die von Interpolationen wenigstens so gut wie frei ist bis auf § 131, wo in L zweifellos eine Interpolation vorliegt." So billigt Kornitzer das eklektische Verfahren Krolls, der z. B. § 92 der besseren Klausel wegen das mutata von A dem immutata von L vorzieht, abweichend von Friedrich. Von Krolls wenigen Verbesserungsvorschlägen lobt Kor- nitzer besonders § 146 quid erat, quod ruberem (probarem codd.). Ich glaube , man kann den Gedanken auch in der Überlieferung passend finden: quid erat = quid causae erat „was gab es für einen Hinderungsgrund, daß ich gutheißen sollte?" Ganz anders

111. Die sieben Schriften (Orator). 55

faßt die Stelle Stroux, Jahresb. Phil. Ver. 39, 266 f. Auch die von Kornitzer zum Te.xt und Kommentar geäußerten Bedenken ver- dienen volle Beachtung: so 74 immolanda Iphig. ohne in, so 80 sonant . . . probant; in der Einsetzung der Pronomina als Subjekts- akkusativ (23. 38) scheint mir jedoch Vorsicht geboten ; auch 32 ist quod für quae nicht unbedingt nötig, da facere statt des zu wiederholenden loqui steht; für den Kommentar beachte man 108 nemo orator regelmäßig; 109 vidimus ; 237 liceat; auch 10. *)7. 105.

Johannes Stroux, Zum Texte von Ciceros Orator. Jahresb. d. Phil. Ver. zu Berlin 39 (1913), S. 251—270.

W. Kroll, der nicht textkritische Lorbeeren pflücken will, weder in seiner Brutus- noch Orator- Ausgabe (für die von 0. Jahn), glaubt zwischen L und A(brincensis, mutilus) 'lavieren' zu sollen. Stroux will nun eine Anzahl von Stellen prüfen, an denen Kroll die Überlieferung bekämpft, namentlich solche, wo Stroux die Überlieferung für gut hält, oder wo er mit dem neuen Heraus- geber eine Verderbnis sieht, aber einen anderen Weg der Heilung sucht.

Die vielbehandelte Stelle 26 liest Stroux : quid dicam de natura rerum . . . copiam. (lam) de vita, de officiis, de virtute, de moribus sine multa earum ipsarum rerum disciplina aut dici aut intellegi posse (putas)? ad has usw. Sachlich gut begründet; iam als Haplo- graphie leicht erklärlich und an sich ansprechend , aber für die orationis copia, die dem Redner aus der Physik zuströmt, werden sofort in einem scharfen Asyndeton Gebiete der Anwendung oder Verwendung durch den Redner angegeben. Aus quid dicam ergänzt sich unschwer an dicemus o. ä. Der Einsatz j)iitäs verschlechtert die V-Klausel int]ellegi posse - w - : - ^ und die Assonanz piitäs äd häs wirkt noch schlimmer. In 20 wird varii mit Recht ver- teidigt, wie ich das bei Burs. 143, 1909, II S. 163 gegen Reis getan habe unter Verweisung auf Brut. 198 copiose tum varie, dann die Ergänzung eines Zeitwortes für unnötig erklärt, idem als richtige Lesart (ide in L) gefaßt und das in Ij überlieferte limata lieber durch Ergänzung eines (et) angeschlossen als in limati ge- ändert. Or. 25 für das von Reitzenstein (Herm. 48, 272 f ) be- fürwortete adipale dictionis genus gegen adipatae d. g. des Nonius ; ebenso für vicinus amborum gegen Nonius' cinnus amb. unter Ver- weisung auf ein Varrofragment ^) ; er hält hier mit Recht auch

^) An Krolls Ansicht, Cicero nehme in der grammatischen Erörterung im Orator auf Yarro Bezug, sei erinnert.

56 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

Graecia oder richtiger Graeci vor autem. Ansprechend vermutet er or. 33 eadem (illa) eloquentia ich hatte an ea(tan-)dem ge- dacht — und stellt § 23 discant ab illo. Or. 36 ist Str. ent- schieden für die überlieferte Schreibweise Pacuio für Pacuvio [iuero für iuuero u. ä. begegnen uns auch sonst] und schlägt vor (de)- scriptionum et hist. et tal. suas., indem er gewiß mit Recht die exg^gdaEig mit der Geschichte verbindet; Horaz (sat. II 1, 15) de- scribit volnera Parthi scherzt wohl über die 'Schwierigkeit' dieser anwachsenden Schulübung. Ebenso ansprechend ist or. 44 est vacua pi'udentia (eloquentia), zumal Brutus (Brut. 23) die eloquentia mit der prudentia gleichsetzte. Zu or. 47 momenta wird das Bild des Wagens beleuchtet, in 57 dicit plura . . . saepe praedicat (für dicit) gelesen ; zu 63 gegen Krolls Text die Lesung si de , die nach Stangl schon L hat, einleuchtend begründet. Fraglich bleibt or. 78 mulieres (pulcriores); nach Sinn und Ausdruck paßt or. 80 trans- latum ac tractum aliunde ut mutuo. Or. 222 quasi modi für nodi bringt jedenfalls mehr Klarheit in die Vorstellung von der Periode. In or. 231 wird quibus sunt talia (für illa der Ausgaben und alia der Hss) gelesen; or. 130 verteidigt Str. gut me enim ipsum non paenitet. Genaue Kenntnis der Rhetorik und der Überlieferung verbunden mit Scharfsinn machen diese kritischen Beiträge überaus wertvoll und fördern auch da, wo man nicht beistimmen wird.

L. Laurand, Zur Ellipse des Subjekts in dem In- finitivsatz (Cic. or. 12, 38). Berl. philol. Woch. 1913, 479 f.

Von den Fällen, in denen sich der Akkusativ aus der Nachbar- schaft leicht ergänzt, scheidet Laurand die mit gefordertem Akku- sativ. „Zu der zweiten Klasse gehört Cicero orator 12, 38. Die besten Hss (mutili) fehlen bekanntlich für diesen Teil des Werkes. In den integri liest man : Isocrates ea studiose sectatum fatetur. Nicht ohne Grund haben Heerdegen , Sandys , Wilkins auch Stangl s e entweder vor oder nach ea hinzugefügt. Aber man kann den Text der Hss bewahren, wenn man studio se liest. Der Ablativ studio findet sich sicher in späteren Autoren mit der Bedeutung 'absichtlich'. Er kann selir wohl schon bei Cicero gestanden haben," Gegen die Ergänzung von se Kroll or. § 38 u. 23.

Rudolf Preiswerk, Griechische Gemeinplätze in Ciceros Reden. In der Baseler Festschrift zur 49. Philologen- versammlung 'Juvenes dum sumus', Basel 1907, S. 27 38. Die Zusammenstellung will erweisen , daß Cicero eine Anzahl von Gemeinplätzen , z. B. über die taedae Furiarum , durch Ver-

I

III. Die sieben Schriften (Urator). 57

mittelung der rhetorischen Ti-adition kennen gelernt hat. Wahr- scheinlich. Von Demosthenes hat Cicero mehr gelesen, als Preiswerk annimmt. Der gehaltreiche Aufsatz behandelt auch mehrere Stellen der rhetorischen Schriften, so bevorzugt Pr. or. 123 (S. 37) sed erit rebus ipsis par (auch Stangl).

Euphonie im Orator.

Carolus Heuer, De praeceptis Romanorum eu- phonicis. Dissert. Jena 1909. 8. 58 S.

Heuer (geb. 1882) stellt in seiner förderlichen Arbeit die sämt- lichen Lehren der Römer über Euphonie zusammen und beleuchtet sie. Dies geschieht schon durch die Zusammenstellung, z. B. S. 20 f. Cic. or. 157. 153 mit Augustin, Priscian, Quintilian (Buchstabe aus- gestoßen), oder Cic. or. 158 (aufugit) oder or. 155 (deum für deorum) und 159 (indoctus) , 77 und 151 (Hiat, in der Appendix S. 45)r 154 (nobiscum).

Ob der grammatische Abschnitt in Ciceros Orator nicht mitveranlaßt ist durch Streitfragen , die der Grammatiker L. Crassicius Pasicles, später Pansa zubenannt, der Lehrer des Julius Antonius, des Sohnes des Triumvirn, angeregt hatte ? Warum z. B. adfert und ferit ihre Tempora von anderen Stämmen bilden u. ä. Über diesen Pansa s. Johannes Tolkiehn B. ph. W. 1911, 412 bis 416 (bedeutend mehr als Goetz bei Pauly-Wissowa IV 168). Vgl. unten R. Berndt über Nicias.

Über die Arbeitsweise von Ciceros Freund M. Terentius Varro wären die Prolegomena (LIV S.) der Ausg. von De Lingua. Lat. von G. Goetz und Fr. Schoeil (1910) zu vergleichen; dazu BerL ph. W. 1912, 167 170 P. Wessner. Auch für Ciceros Orator sind die bei Goetz und Schoeil zusammengestellten Testimonia wichtig-, vgl. Lit.Zentr. 1913, 495.

Die vielbehandelte Partie Orator 152 162 möchte

Paulus Dietrich, De Ciceronis ratione etymologica. Jenenser Dissertation. Jena 1911, 52 S. gr. 8, zurückführen auf eine Abhandlung des M. Terentius Varro De uti- litate sermonis. Natürlich werden noch andere Stellen über Ety- mologie gestreift (de or. II 159, Top. 10 und 35). Wesentlich Neues ergibt sich nicht. Cicero war nach Dietrich kein Etj^mologe und wollte es nicht sein. Er verschmähte die etymologischen Spitzfindigkeiten der Stoiker und sein gesunder Sinn ließ ihn in der Regel das Richtige finden. Die von Cicero gebrachten tTVfAa (etwa 130) sind zumeist auf ältere Werke zurückzuführen. Die

58 G. Ammoii: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

Literatur (Steinthal, Lersch, Wilmanns, Goetz, Usener, Wölfflin, Hammer, Thielscher, Reitzenstein, Funaioli, F. Müller usw.) wird von Dietrich umsichtig benützt und verwertet.

Da sich der Orator in wesentlichen ästhetischen Absichten mit Dionysios von Halikarnasos ;ie.Qi ovvxl^toeiüg 6vo{.iäxiov berührt, ja deckt, so sei verwiesen auf

H. P. Breitenbach, The De compositione of Dionysius of Halicarnassus considered with reference to the rhetoric of Aristotle. In Class. Piniol. VI (1911) S. 163—179.

Für die Kämpfe zwischen altem und neuem Stil auf

G. L. Hendrickson, Satura the Genesis of a Literary Form. In Class. Philol. VI (1911) S. 129—143.

Die Kompositionslehre Ciceros wird mit der des Dionysios von Halikarnassos u. a. verglichen von

W. Rhys Roberts, Dionysius of Halicarnassus, Ou literary Composition. Beeng the Greek text of the De compositione Verb or um. With introduction, translation etc. London 1910, Macmillan and Co. XIV 358 S. gr. 8.

Diese umfassende Darstellung der Fragen über Wortstellung, Rhythmus usw. kann auch als sachlicher Kommentar zu Ciceros Orator gelten. Da auch Theorie und Sprachkunst der neuen und neuesten Zeit (Boileau , Lemaitre, Stevenson, Goodell, Butcher, Weil, Bossuet usw.) ausgiebig zu Wort kommen, so wird auch die so nötige Verbindung dieser Studien mit der Gegenwart hergestellt. Vgl. meine Besprechung BphW 1911, 795 801. Bezüglich der Vergleichungen des Dionj'S mit anderen antiken Autoren gelten zum großen Teil auch die Vorwürfe, die Hermann Mutschmann gegen die Dissertation von Franz Nassal BphW 1911, 1115 ff. erhebt.

Franz Jfassal, Ästhetisch-rhetorische Beziehungen zwischen Dionysius von Halikarnaß und Cicero. Tübinger Dissertation 1910. X 170 S. 8.

Die unter W. Schmids Auspizien entstandene Dissertation gliedert sich in die Abschnitte: 1. Die rhetorisch-technischen An- schauungen bei Dionys von Halikarnaß und Cicero ; 2. Vergleichung der ästhetisch-rhetorischen Urteile bei ihnen (Homer und andere Epiker, die Lyriker, die Tragiker, die Komiker, die Historiker, die Redner, die Philosophen). „Das Problem, das N. angegriffen hat, ist zu verwickelt, als daß es sich durch bloße Zusammenstellungen und Vergleiche lösen ließe. Es sind noch zahlreiche Vorarbeiten

III. Die sieben Schriften (De opt. gen.). 59

zu erledigen , ehe es überhaupt ernstlich aufgerollt werden kann. Das sind immerhin mildarnde Umstände, die diesem testimonium <3iligentiae zugebilligt werden müssen." So der hervorragende Kenner Mutschmann, vgl. o. Dieses Magnis tarnen excidit ausis ließ mich in meiner Besprechung der Arbeit, die freilich zunächst nur ■die sämtlichen ästhetischen Urteile über griechische Schriftsteller bei Dionvs und Cicero vergleichen, nicht auf ihre Entstehuno- unter- suchen will, Deutsche Lit.-Zeitung 31, 1910, 3106 f. und Bayer. Oymn.Bl. 46 (1910), 450 ff., mehr auf das Angestrebte als auf das Erreichte den Blick richten und das Wertvolle anerkennen. Die Vergleichung geschieht mit guter Sachkenntnis und großer Sorg- falt; auf Homer und Thukydides sei besonders hingewiesen. Das Verständnis der Verglichenen, namentlich ihre Terminologie, wird erheblich gefördert ; für die Quellenuntersuchungen sind solche Zusammenstellungen willkommene Vorarbeiten, aber eben nur Vor- arbeiten. All die Quellenfragen, die hier (zum Teil auch bei Horaz) aufsteigen, sind kaum zu lösen ; man darf froh sein, wenn man den Ausbau der Rhetorik und die Entstehung der Werturteile über die „Klassiker", z. B. über Demosthenes in der hellenistischen Zeit (Caecilius von Kaiakte V), mit vereinten Kräften in den Umrissen zeichnen kann. Auch der groß angelegte Plan von W. Rhys Roberts, der gebildeten Welt 'A history of Greek Literary Criticism' zu bieten (vgl. meine Anzeige der Literaturbriefe des Dionys in WfklassPhil 1901, Nr. 37), scheint in die Ferne gerückt, durch den Weltkrieg vielleicht begraben.

Der Unterschied zwischen Ciceros De oratore und O r a 1 0 r wird gebührend betont. Ihn aber so zu erklären, daß eine zwischen 55 und 46 fallende Reform der Techne mit besonderer Hervorkehrung der Kompositionslehre und des Attizismus Nassal denkt an Cäcilius von Kaiakte , eingewirkt habe, dagegen werden W. Schmids Bedenken in der Dissertation selbst ver- nehmbar. Die Erscheinung, zu der sich nach A. C. Clark viel- leicht auch eine Änderung des Akzentes in Vulgär- und Edellatein gesellte, muß aber noch weiter verfolgt werden.

6. De optimo geuere oratorum.

Über den Charakter der Übersetzungen Ciceros vergleiche Friedrich Leo ( f) , Die römische Poesie in der Sullanischen Zeit. Hermes 49 (1914), z. B. S. 192.

Über die literarhistorischen Urteile Ciceros (über Terenz, Cäcilius) vgl. S. 195 ; Cäsar wandte sich dagegen.

60 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

Bei dieser Gelegenheit sei erinnert an

Karl Atzert, De Cicerone interprete Graecorum. Göttinger Dissertation. Göttingen 1908.

Paolo Fossataro , Note critiche a Cicerone, De optimo genere oratorum. In Bollettino di filologia classica XX (1913—1914) S. 89 f.

Über Fossataros Schulausgabe des Schriftchens , dem Cicero zu Kampfzwecken eine weite Verbreitung wünscht (ad fam. XII 16^ 2), habe ich Bursian CV (1900) S. 250 ff. berichtet. Dort habe ich auch schon gesagt , daß Fossataro 2, 5 ut aediticiorum mit Recht hält. Dies verteidigt er neuerdings. § 11 qui dici a nobis Attico more volunt, dafür F. mit 0 nolunt (sachlich brauch- bar, bessere Klausel). 16 laudarit für laudabit (V). 17 tritt F., trotzdem er meine Gründe für in acie versatur et foro als gewichtig anerkennt, doch für in a. v. et ferro ein ; für mich nicht ganz über- zeugend ; vgl. außer den angeführten Stellen noch Quint. inst. or. X 1, 30 f. und I 8, 11 (forensis asperitas); Brut. 21 iudiciorum vastitatem et fori. 18 verwirft F. mit Recht Manutius' Änderung reprehensorum für reprehensionum.

7. Topica.

Über den Charakter der Topica (Lehrschrift) äußert sich Joh. Stroux, De Theophrasti dicendi virtutibus; s. u.

Anhang.

Die Paradoxa, die eigentlich zu den rhetorischen Schriften gehören, hat Lörcher (Burs. CLXII, 1913, II S. 86) kurz berührt.

Dem stoice dicere setzt Cicero sein oratorie dicere mit den Validäklauseln u. ä. in der Behandlung der 6 Paradoxa (bei Horaz epist. I 1 Schluß kommt noch sanus dazu) gegenüber, offenbar, um Brutus für sein Stilideal zu gewinnen, wie in den benachbarten Schriften, Brutus, Orator, De opt. gen. 'Eloquentem neminem video factum esse victoria' (Brut. 24). Wie ist aber das Z ei t Verhältnis? „In den ersten Monaten des Jahres 46 vollendet Cicero den im Herbst 47 begonnenen Brutus", so 0. E. Schmidt, Stangl u. a. (s. Burs. CV, 1900, II S. 240). Den 'Brutus', das maiorum vigi- liarum munus , setzen die Paradoxa , dieses parvum opusculum, voraus (in tuo noraine apparuit, Parad. 5). Nach dem Eingang des Vorwortes (Animadverti . . Catonem . . . cum . . diceret, consequi . . . ut . . . viderentur), scheint Cato bereits tot zu sein (Mitte April 46) ; nach den Worten his iam contractioribus noctibus (Parad. § 5),

111. Die sieben Schriften (Topica). 61

die uns an Horaz sat. II 6, 25 f. bruma nivalem interiore diem gyro trahit erinnern, kann es aber nicht im Frühling sein (der neue Lübker setzt die Paradoxa in den April 46), sondern im Herbst, also wohl Oktober/November 46. Dazu stimmt der ganze Ton, der nicht den jungen Schmerz über den Selbstmord des üticensers verrät.

Alfred Gercke (Einl. I^ S. 63) hat Parad. V 40 noctu venire domum ad eum, precibus denique supplicare, wo precie, prece und praecJH überliefert ist, nach Plutarch Praeciae, die Geliebte des Cethegus , feinsinnig hergestellt. Zwei weitere Beispiele aus den Parad. führt Gercke für einfache Emeudation an : IV 27 S. 69 und

I 9 S. 71. ,

Karel Svoboda, Über eine böhmische Übersetzung und Erklärung von Ciceros Paradoxa von Simon Gelenius aus Schütteuhofen. Listy filol. (Prag) 1916, S. 333—337.

Für alle rhetorischen Schriften sind hier noch zu nennen einige wichtige Hilfsmittel :

Cicero nis orationum scholiastae, Asconius, Scholia

Bobiensia etc. Recensuit Thomas Stangl. Volumen II: Com-

mentarios continens. Wien Leipzig 1912.

Diese grundlegende und abschließende Ausgabe , die zugleich einen ausgezeichneten Kommentar, um mit Ed. Ströbel zu reden (Bayer. Gy.Bl. 49, 56) , in der denkbar prägnantesten Form gibt (ähnlich C. Brakman jr. Rev. B. 56, 1), bietet auch für die Theorie und Geschichte der Rhetorik sehr viel Wertvolles ; nur wäre es eigens herauszuholen und zusammenzustellen. Wenige Beispiele für viele! Zur Schilderung des Vatermordes in der Rosciana merkt der Scholiast an (II 302) : 'inter medias haec oratio ponitur', dazu Stangl: 'medias', non ut Or(elli) voluit, dignitate medias, sed dicendi genere nee adoag sive grandes nee lox^'og sive tenues, ergo f.i£r/.ifjg Xi^ewg sive lötag, ueoov xaQaKzfjQog, fjtoov tvTtov: Cic. or. 20, 21. de opt. gen. or. 2 Quint. 12, 10, 58 Norden, Ant. Kunstpr. I 128.

II 175 über die Vermischung der quaestio (= constitutio, status) conjecturalis mit der quaestio qualitatis in der Archiana oder die Angabe von elegischen Dichtern (Kallinos, Antimachos von Kolophon, Archilochos von Paros, Mimnermos von Kolophon, Solon aus Athen) nach Aristoteles. Dazu bei Stangl die Parallelen. Der oratorius mos und der historicus mos bei geschichtlichen Angaben; der Ein- fluß des Annalis des Atticus II 18 f.

Aber, wie gesagt, es wäre eine Aufgabe für sich, den Gewinn für die rhetorischen Schriften Ciceros aus Stangls monumentaler

62 ti. Amnion: Ciceros rhetoriscLe Schriften 1909 1917.

Scholienausgabe zu heben ; bequem wird das erst geschehen können, wenn Band III und I mit den ludices vorliegen. Den Ausbau durch Heranziehung anderer Scholien, auch der griechischen, z. B. zu den Tragikern und Rednern, dürfen wir schwerlich bald erhoffen.

Auf den Thesaurus Linguae L a t i n a e ist wiederum zu verweisen :

Vol. IV, 1906 1909: confessio, confirmatio , conformatio, confutatio, constitutio, consultatio, continens (IV 711)-

Vol. III, 1906 1912: cado, Caput, caussa, coramentatio usw. Vol. V und VI : disertus, disputatio u. a.

Auch auf das Onomasticon, z. B. Vol. ITI. Fase. 1 (1918): Demetrius, Dicaearchus, Didius.

Puulys Real-Encyclopädie der classischen Alter- tumswissenschaft. Neue Bearbeitung von Georg Wissowa und Wilhelm Kroll (Stuttgart, Metzlersche Buchhandlung)

ist allen Hindernissen zum Trotz rüstig fortgeschritten bis zum

19. Halbband Jugurtha ius Latinum, 1917.

Welche Bereicherung die vielseitigen rhetorischen Schriften Ciceros durch die gediegenen und umfassenden Artikel , auch der Supplementbände , erfahren , läßt sich in diesem Bericht kaum im L'mriß andeuten.

Aus dem VI. Band (Stuttgart 1909): z. B. Ephoros von Schwartz: tceqi If.^ecog dem Cicero (or. 190 ff.) durch Theophrast 7ceQl Xt^Efoq vermittelt? (VI, 3); In Idei^i g von W. Schmid; Etymologika von Reitzenstein; Euripides von Dieterich; Fabel von Hausrath; C. Fannius von Münz er (Brut. 99).

Aus dem 1912 erschienenen VII. Bd. die Artikel: Fulvius Furius Furnius Gellius gens Glossographie Gorgias, der ältere, von Wellmann; der jüngere, besonders wegen der Figurenlehre wichtig, von Münscher, VII Sp. 1604 1619 Grammatik VII 1780 1811 von Alfred Gudeman Granius Hagnon von H. v. Arnim Hegesias von Radermacher VII 2607 f.

Aus dem VIII. Band (1913): Hellanikus (de or. II 53) von A. Gudeman VIII 104 ff. Helvius Herennius Hermagoras VIII 692 ff. von Radermacher, besonders über die auf Grund von Ciceros Rhetorici (de inv. I ^) noch zu ermittelnde Richtung des Temniers Herodotus (Suppl. II Heft, 1913, Sp. 205—520 von Jacob}-) Hieron y mos der Rhodier von A. Gudeman VIII 1561 ff., eine ethische Schrift von ihm habe Cicero vorgelegen

IV a. Einzelne Fragen. 63

Hirtius Horatius von Stemplingei- Q. Ho r t e n s i u s Hortalns VIII 2470—2486 von v. d. Mühll.

Aus dem IX. Band (1916): Hvi)ereides vpn Thalheim Sp. 281 bis 285 Isokrates, der Redner, von Karl Miinscher IX Sp. 2146 2227.

Über Brutus, den Cäsarmörder X 1 (19. Halbband) Sp. 973 bis 1021 von Geiz er, der auch die neueste Literatur ansribt: Über Brutus' Studien, Ciceros 'Brutus' Sp. 983 if.

X, 182 ff. C. Julius Caesar von Groebe, Sp. 259—275 Cäsar als Schriftsteller von Klotz, namentlich Cäsar als Redner Sp. 262 und De analogia ad M. Tullium Ciceronem libri II Sp. 262 f. Überhaupt die Artikel Julius und Junius.

H. Ritter et L. Preller, Historia philosophiae Graecae. Editio nona quam curavit Eduardus Well mann. Gotha 1913, F. A. Perthes. S. 458—470.

IV a. Einzelne Fragen.

(Geschichte Poesie Sprache Rhythmus Recht.)

Wie die Abgrenzung eines Kommentars zu Ciceros Schriften so hat auch der Abschnitt 'Einzelne Fragen' etwas Willkürliches in Auswahl und Anordnung; aus den benachbarten Kapiteln ließe sich manches hieher ziehen und umgekehrt.

'O^

1. Ciceros Stellung zur Geschichte und Dichtkunst.

Wenn wir Cicero in seinem Briefwechsel belauschen , lernen wir das von ihm erarbeitete Bildungsgut viel sicherer kennen als auf der Jagd nach Quellen in den rhetorischen und philosophischen Schriften.

Hans Sclioeiiberger, Über die Quellen und die Ver- wendung der geschichtlichen Beispie le in Ciceros Briefen. Progr. des Gymn. Ingolstadt 1913/14. 59 S. 8. S. 12 berührt Schoenberger die Stellen (De or. I 18. 20. 158 f. or. 120 usw.), wo das Studium der Geschichte empfohlen wird. Der Kenntnis der griechischen Geschichtschreiber (Herodot, Xeno- phon , Thukydides , Philistos , Theopomp , Klitarch , Kallisthenes, iDikäarch, Timäos, Duris von Samos, Polybios) S. 15 22 und der römischen (Piso Frugi , Caelius Antipater, Licinius Macer usw.) [wäre mit der von zeitgenössischen Rhetoren und rhetorischen Ge- lschichtschreibern, wie Dionys von Halikarnaß, zu vergleichen (zum Teil geschehen bei F. Nassal). Aus dem zweiten Teil (S, 31 ff.)

64 <^- Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

möchte ich die Art der Verwendung, auch in Wort- und Sinnfiguren, hervorheben. Wertvoll ist ferner der Index der Beispiele und ge- schichtlichen Notizen in den Briefen S. 48 55 (Auswärtige Heimische). Auch hier wäre durch Vergleichung mit den geschicht- lichen Beispielen in den Deklamationen (Kohl, Schamberger) oder auch mit Horaz Ciceros persönlicher Bildungsstand und der seiner Zeitgenossen sowie der Schultradition genauer zu ermitteln. Damit soll Schoenberger nicht das Recht abgesprochen werden , seine tüchtige Arbeit innerhalb der gesteckten Grenzen zu halten.

In einem kurzen Nachtrag (S. 59) streicht Seh. mit Münz er, Hermes 49 (1914), 196 iF. [vgl. o.], Hortensius aus der Reihe der römischen Geschichtschreiber und bezieht wie Münzer accipere und bonus auctor auf mündliche Aussprache.

Es ist hier auch an die verwandte ältere Arbeit zu erinnern :

Hans Schoenberger, Beispiele aus der Geschichte, ein rhetorisches Kunstmittel in Ciceros Reden. Progr. Augsburg 1910/11. 82 S. 8.

In der Einleitung werden die Definitionen des Beispiels in der griechischen und römischen Rhetorik (bis Quintilian) zu- sammengestellt und die Notwendigkeit einer umfassenden Bildung des Redners, auch nach der geschichtlichen Seite, im Anschluß an Ciceros Rhetorika dargelegt. Sehr eingehend und umsichtig wird die Behandlung der (heimischen wie fremden) Beispiele in sach- licher sowie in rhetorischer und sprachlich -stilistischer Hinsicht untersucht, auch nach der Bekanntheit ('Schulbeispiele'), nach der Zahl, nach den Teilen der Rede, nach den Entwicklungsabschnitten des Redners. In der Art der Verwendung zeigt sich der Meister, auch bei „Schulbeispielen". Die Arbeit Schoenbergers bestätigt das Wachsen der Kunst des Redners; sie schließt sich in Ermittelung seiner Praxis würdig den Arbeiten von Rohde, Preis werk, Sauer u. a. an.

Robert Schütz, Ciceros historische Kenntnisse. Gießener Dissertation. Berlin 1913, Eberling. 8. 151 S.

Die Max L. Strack gewidmete Dissertation von Schütz (geb. 1888) bietet eine Sammlung der geschichtlichen Nachrichten, die sich in den sämtlichen Schriften Ciceros finden, bis auf das Jahr 90 V. Chr. unter umfassender Benützung der früheren Arbeiten, so der neueren von Preiswerk, Sauer, Hans Schoenberger, L. Laurand. Geordnet ist der Stoff nach folgenden sechs Ab- schnitten: I. Urgeschichte und Staatenbildung (S. 10—12): II. Orien-

IV a. Einzelne Prägen. Ö5

talische Geschichte : III. Griechische Geschichte (S. 15 54) mit den fünf Unterabteilungen: 1. Sagengeschichte, 2. die Zeit von 770—500 v. Chr., 3. die Zeit von 500— ;J59, 4. von 359—146, 5. Zusammenfassende Betrachtungen über Athen, Sparta, Corinth, Rhodus; IV. Römische Geschichte S. 54 110 wieder mit fünf Unterabteilungen : 1. die Zeit der Könige, 2. die Zeit von 509 bis 290 v. Chr., 3. die Zeit von 290—146 v. Chr., 4. die Zeit von 145 90 v. Chr., 5. Zusammenfassende Betrachtungen über Latium, Etrurium [wohl verdruckt für Etrurien oder Etruria], Carthago u. a. ; V. Ergebnis der Übersicht über Ciceros hi stori s che Kenntnisse : „sein Wissen von der Geschichte war umfangreicher, als man ge- meinhin geneigt ist anzunehmen" (S. 125); VI. Ciceros Ansicht über Geschichte und ihre Verwendung S. 126 ff. Natürlich „haben die Gründe, welche ihn die Beherrschung der Geschichte sowie anderer Hilfswissenschaften von dem Redner fordern ließen (de or. I 18 ff. 201. part. or. 40- or. 120 u. a.), auch die Absicht bestimmt, die er bei ihrer Verwendung befolgte". Aber mit Recht wird auch das historische Interesse bei Cicero von Schütz betont (S. 141), wie es sich in seiner reifsten rhetorischen Schrift, im Orator 120, aus- spricht : Nescire quid antequam natus sis acciderit, id est semper esse puerum, womit Goethes Gedicht „Grenzen der Menschheit" zu vergleichen wäre.

Schütz faßt selbst das Endergebnis seiner Arbeit S. 141 f. so zusammen :

„Historiker im eigentlichen Sinne war Cicero nicht. Hatte er doch auch kaum Muße genüg, sich als Redner, Jurist, Staatsmann, Philosoph und Historiker in gleicher Weise auszubilden ; daß man aber überhaupt versucht hat, ihn außer als Redner auch als Staats- mann, Philosophen und Historiker zu fassen, beweist schon, daß er auf all diesen Gebieten mehr als der Gebildete gemeinhin geleistet hat. In seinem universalen Wissen steckte eben ein gut Teil Ge- schichte, und wo dies nicht ausreichte, griff er zu Geschichtswerken oder wandte sich an Historiker. Er legte also offenbar doch mehr Wert bei der Verwendung der geschichtlichen Beispiele auf die Forderung der Wahrheit, als er von dem Rechte des 'ementiri' für den Rhetoren [lies : Rhetor] Gebrauch machte. Auch war sein historisches Interesse groß genug, ihn dazu anzutreiben, sich nicht mit der vorgefundenen Tatsache zu begnügen, sondern weiter nach dem Zusammenhang zu forschen." Wie Cicero über die von ihm geplante Geschichte dachte, beweist besonders die angebliche Aus- sprache mit Atticus und seinem Bruder Quintus de leg, I 5 ff.

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 179 (1919. II). 5

ß6 G. Amnion : Ciceros rhetorische Schritten 1909 1917.

„Wie weit Cicero mit seinen Kenntnissen eine Ausnahme- stellung unter den Gebildeten seiner Zeit einnimmt (Brut. 322), wie weit er etwa als ihr Repräsentant gelten darf, das vermögen wir nicht mehr zu entscheiden."

Zu der übersichtlichen Sammlung Schütz' sei noch folgendes bemerkt: 1. Literatur- und Kunstgeschichte müßten gerade wegen der rhetorischen Schriften herangezogen werden: Homer, Hesiod, Homerkritik , Aristarch , überhaupt die Geschichte der literar- ästhetischen Urteile, ebenso über Kunst, Myron , Polyklet usw.;

2. die Theorie der Geschichtschreibung und ihre Stellung zur Rhe- torik (TTaQadeiyfia und eyy.touiov) von einem 7TXao(Aa iotoQi'/.bv spricht Dionys von Halikarnaß (p. 779 R) war nach den Quellen oder an der Hand von Peter , Wachsmuth genauer festzulegen ;

3. die Theorie und Praxis in der Verwendung der rcaQaÖEi'/i.iaTa von Aristoleles und Isokrates bis auf Cicero anzudeuten. 4. In den Rhetorenschulen gab es wie in unseren Schulen ein Haus- inventar von geschichtlichen Beispielen ; vgl. Richard Kohl , De scholasticarum declamationum argumentis ex historia petitis , in Drerups Rhetorischen Studien Heft 4, Paderborn 1915, wo unter 429 'themata' sich 356 graeca befinden). Eingehend bespricht Oskar Leuze Schütz' Arbeit W. f. klass. Phil. 1914, 903—907; er weist besonders auf die richtige Deutung der Stelle Brut. 42 hin.

Schütz ist nach 0. Piasberg, DLZ 1916 Nr. 15 S. 752, „als Stoffsammlung willkommen". Vgl. auch A. Kurfess, Jahresberichte des PhV Berlin XXXXIII (1917) über Ciceros Briefe, dabei auch über H. Schoenberger, Das griechische Zitat in Ciceros Schriften, F. Münzer (über Fannius).

Zur Verwendung der Beispiele liefert einen wertvollen Beitrag

Karl Alewell, Über das rhetorische naQÜöeiy (.la. Theorie, Beispielsammlung, Verwendung in der römischen Literatur der Kaiserzeit. Kieler Dissertation. Leipzig 1913. 118 S.

I. Die Vorschriften über das 7caQädEiyt.ia: Anaximenes, Aristo- teles, die nacharistotelische Rhetorik, Cic. de inv. I 49. II. Rhe- torische Beispielsammlung (Valer. Max., Cic. Consol., Hygin, Cornel. Neposj. III. Zusammenstellung der in der kaiserzeitlichen Literatur vorkommenden exempla : Armut, Schicksalswechsel, Tapferkeit usw. IV. Die Verwendung der exempla (S. 85 99). V. Die einzelnen Autoren und die exempla (Quintil., der ältere Seneca usw.). Der campus rhetorum wäre besser zu beleuchten. Alewell besprochen in

IV a. Einzelne Fragen. 67

Liebenams Bericht 30 (1913) I, 274; von Alfr. Klotz BphW 36 (1914) S. 1129—1134.

Wenn Cicero de or. II 62 das Verhältnis von Rhetorik zur Geschichtschreibung berührt und den Historiker zur Erlangung einer schönen Darstellung auch sonst an den Rhetoriker weist , so hält er sich an die Auffassung der Zeit (Dion^-s von Halik. u. a.). Dazu vgl. man

Paul Seh eil er, De Hellenistica liistoriae conscribendae arte. Leipziger Dissert. 1911, besonders II De historiae conscribendae ac narrandae arte und hier § 10 S. 65 Unde haec praecepta fluxerint, nämlich aus der Rhetorik^

Cicero setzt wie Dionys von Halikarnaß Rhetorik und Ge- schichtschreibung wiederholt miteinander in Beziehung und hat sich wie Dionys praktisch betätigt.

H. Peter, Wahrheit und Kunst, Geschichtschreibung und Plagiat im klassischen Altertum. Leipzig 1911, Teubner. XII 490 S. Gr. 8. Bespr. Berl. ph. W. 1912, 937 ff. von E. v. Stern. „Die Wahrheit wurde durch die Rhetorik schwer geschädigt und die Hoheit der Historiographie zur Unterhaltungsliteratur herab- gedrückt."

Auch an die von der Bayerischen Akademie preisgekrönte Schrift : Eduard Steiiipliiiger, Das Plagiat in der griechischen Literatur, Leipzig und Berlin 1912, Teubner sei erinnert, besonders S. 103 ff. Rhetorische Schulung, S. 167 ff. 'aKojCtIi im eigentlichen Sinne, S. 170 ff. die literarische Praxis des Altertums; die Bedeutung der Form (S. 131 152). Vgl. meine Besprechung des bedeutenden Werkes Bayer. Gymn.Bl. 48 (1912) S. 486 ff.

Über C. Fannius (Brut. 99 ff.) eingehend F. Münz er bei Pauly-Wissowa VI (1909) Sp. 1987 ff.

Münz er s Aufsatz im Hermes 49, 1914, S. 196—213 „Hor- tensius und Cicero bei historischen Studien" ist schon oben bei Cicero s Brutus und bei H. Schoenberger berührt.

Wilhelm Zilliiiger, Cicero und die altrömischen Dichter. Erlanger Dissert. Würzburg 1911. VIII 192 S. gr. 8. Die von F. Heerdegen angeregte und geförderte weit- und tiefgreifende Erstlingsschrift Zillingers gibt für einen der wich- tigsten Bestände in dem Wissen und in der Arbeitsweise des ge- bildetsten Mannes Roms, für die Dichterzitate, nicht nur einen

0*

(38 ü. Aiiunon: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

wohleeordneteu Überblick, sondern beleuclitet auch ihre Herkunft, Verwendungsax-t, Überlieferung u. a. Unter Zitat ist von Z. S. 89 iranz allgemein nicht nur die Anführung einer Dichterstelle, sondern auch die beiläutige Erwähnung eines Dichters oder einer Dichtung verstanden". Von den Abschnitten der umfassenden Dissertation

Einleitung: Studium und Kritik der altrömischen Dichter vor Cicero , I. Ciceros Kenntnis und Kritik der altrömischen Dichter im ganzen und im einzelnen, II. Erwähnung und Zitierung der alt- römischen Dichter in den Schriften Ciceros, III. Zusammenstellung der Zitate, Index kommen für die rhetorischen Schriften, die fast ebensoviel Zitate enthalten wie die philosophischen (S. 50)

in den part. or. aber überhaupt kein Zitat? besonders in Betracht II S. 56 59 die Zitate in den rhetorischen Schriften und S. 68 88 „Art und Weise der Zitierung" : nicht pedantisch genau, Versehen, Gedächtnisfehler Anticlea : Enryclea S. 72 , Quellen- angabe: „in mehr als der Hälfte der Fälle (über 210) ist keinerlei Angabe über die Quelle des Zitats gemacht", dann der umfassendste Abschnitt III „Zusammenstellung der Zitate bei Cicero" S. 89 160 nach Dichtern und Dichtungen und der Index mit der Zusammen- stellung nach den philosophischen und rhetorischen Schriften sowie nach den Briefen und Reden (wörtliche Zitate = WZ, verkleidete Zitate = VZ, Anspielungen = A, Erwähnungen = E). Auch ein Index der kritisch behandelten Stellen wäre erwünscht gewesen. Nicht selten äußert sich nämlich der tüchtige Lateiner auf Grund guter Literaturkenntnis zur Überlieferung oder Deutung eines Zitates, so zu De or. II 39 S. 97 für Non enim gegen Noenum (Friedrich mit Ritschl), zu III 162 S. 86 lumen radiatum rape , zu III 218 S. 108 Umstellung, zu Or. 155 S. 119 Neque tuum umquam (mit Heerdegen nach dem Abrincensis).

Über Ciceros Verhältnis zur Lyrik bringt einiges

B. L. Gildersleeve, Vocational Training, in den Studies of PhÜology, vol. XIII Nr. 1 S. 5 f. (BphW 1917, 681). Nachträglich sei hier verwiesen auf

Martinas Guendel, De Ciceronis poetae arte. Leipz. Diss. Leipzig 1907.

Für die rhetorische Theorie kommen besonders in Betracht S. 30 ff". De s litera abiecta und de synaloepha, sowie die (S. 51 ö". ) nachgewiesene Abhängigkeit Ciceros von Ennius (vielfach in Über- einstimmung mit Lukrez und Vergil) und das Verhältnis der Neo- teriker (S. 81) zu den alten „Klassikern".

IV a. Einzelne Fragen. (J9

Eduard Stcmpliiiger, Mimesis in philosophischem und rhetorischem Sinne. Neue Jahrb. f. kl. Alt. 31 (1913) I S. 20—36,

zeigt, wie besonders ovouaionoiia und ij0^07toiia zur Darstellung des Charakters verwendet wurden. Cicero stellt sich (or. c. 21 if. r^i^o/coiia, c. 37 nai^o'Koyia) gerne auf den aussichtsreichen Stand- punkt der Naturnachahmung.

E. Siiizig, Quid Cicero de aetatis suae imitatoribus Alexandrinorum poötarum censuerit.

Bedeutet nach K. Prinz, ZöG iaQ, 10 S. 955 f., keine Förderung wissenschaftlicher Forschung.

2. Psychologie (Philosophie).

Cicero verwendet , wie die antike Rhetorik überhaupt , aus- giebigst die tji)-!] und ycdO^tj ; in den philosophischen Schriften hat er einzelne Teile (de luctu , de ira usw.) noch eingehender be- handelt. Seine Quellen waren wohl mehr noch als die alte Rhetorik jüngere philosophische Werke, wie Poseidonios. In dieser Hinsicht gehört hieher

Hermannus Ringeltaube, Quaestiones ad veter um philo sophorum de affectibus doctrinam pertinentes. Götting. Diss. 1913. 90 S. 8.»

Eingehend besprochen von Robert Philipp s on in der Deutschen

Literaturzeitung 1915 Sp. 2529—2533.

Wenn Cicero in seinen rhetorischen wie in seinen philo- sophischen Schriften dem Zorn (ira, iracundia, excandescentia usw.) besondere Aufmerksamkeit schenkt, so hatte er als Arzt seines zornmütigen Bruders Quintias dazu wohl besonderen Anlaß ; die Quellen wird uns wohl Robert Philipp son aufdecken (vgl. BphW 1918 Nr. 36).

Eine Geschichte der Barmherzigkeit im Abendland (vgl. Friedr. Marx' Rektor. -Rede, Bonn 1917) wird auch aus Ciceros ausgiebiger Behandlung der commiseratio (eXaeivonoiia) viel schöpfen können.

H. Tri, Cicero und die epikureische Philosophie.

Nach R. Meister, ZöG 66, 8 9, S. 734 f. lesenswert ; auch nach R. Philipp son, BphW 1916, 103—110, wertvoll.

70 G. Aiiimon: Ciccros rhetorische Schriften 1909—1917.

3. Recht.

Hans Bögli, Beiträge zur Lehre vom ius gentium bei den Römern. Bern 1913.

Verf. sucht nachzuweisen, daß Cicero das ius gentium nur als Weltrecht, das Recht der societas hominura, kennt, das in natür- lichen, allgemein anerkannten, namentlich völkerrechtlichen Satzungen besteht, im Gegensatz zum ius civile.

Bespr. von Heinrich Erman, D. Lit.-Ztg. 1914, 2739 f.

Emilio Costa, Cicerone Giureconsulto. Parte 3 II processo civile. Bologna 1914, Cappelli. (8 L).

4. Rhetorische Techne.

Zur Statuslehre in Ciceros rhetorici ist nachzutragen

Gualtherus Jaeiieke, De statuum doctrina ab Her- mogene tradita. Leipziger Diss. Leipzig 1904. 156 S. 8.

Die Fr. Marx und J. H. Lipsius gewidmete Dissertation bietet mit der Geschichte der Statuslehre eine wertvolle Ergänzung zu G. Thieles Hermagoras und , wie schon im Titel angedeutet 'ad rhetoricae historiam symbolae' , einen wertvollen Beitrag zur Geschichte der Rhetorik. Für de inv. ist besonders wichtig die Tabelle S. 120 f. 'Statuum distributio', in der die aus Ciceros rhetorici, aus Quintilian und Augustin (in Kap. 3 S. 79 ff.) ermittelten Status des Hermagoreischen Sj'stems denen des Hermogenes gegen- übergesteUt sind, dann das Schlußkapitel (4) : Quam rationem Hermo- genes in statibus illustrandis dissensionis scholasticae Apollodo- reorum et Theodoreorum habuerit (S. 130 ff.); aber auch der Ausblick auf die Zeit vor und nach Aristoteles in den beiden ersten Kapiteln.

Für die Frage der richtigen Einhaltung der (.teaoTrjg die Erzählung nicht zu lang und nicht zu kurz, wie der Bäcker, der Schuster u. a. das richtige Maß einhalten , für das nqtJtov bietet manches Hermann Kaichreuter, Die /.teGovr^g bei und vor Aristo- teles (Dissert. Tübingen 1911); dazu 0. Apelts Besprechung BphW 1912, 1023 f.

Georg Reichel behandelt in seinen Quaestiones pro- gymnasmaticae (Leipzig 1909) auch die Ttgoyv i,ivdai.iaza, die sich in Ciceros rhetorici und de oratore finden; vgl. G. Lehnerts anerkennende Besprechung BphW 1913, 113 f.

Zum genus laudativum (de inv. II 177 u. a.) bietet manches (Hermagoras als Quelle) auch

IV a. Einzelne Fragen. 71

Geoi'gius Fraustadt, Encomiorum in litteris Graecis usque ad ßonxanam aetatem historia. Diss. Leipzig 1909. 127 S. 8. nach der Besprechung von G. Lehnert, BphW 1912, 878.

5. Grammatik (Etymologie).

Vgl. oben Orator (Dietrich u. a.).

Für die Stellen in den rhetorischen Schriften, an denen über Ursprung und Wesen der Sprache, über das cpioei und d^äoei, über ratio (An al ogie) und consuetudo {ovv)]iyeia, usus), über ein- fache, zusammengesetzte und abgeleitete Wörter, über Lehn- und Fremdwort u. ä. gehandelt wird, bietet reiches Material

F. Muller, De veterum, imprimis Romanorum studiis etymologicis. Pars prior. Traiecti ad E-henum. Apud A. Oost- hoek, 1010. 268 S. 8<>.

Er verfolgt die etj-mologischen Studien von Heraklit bis auf Varro. Dieser wird unter Benutzung der Literatur, besonders der deutschen (Steinthal, Reitzenstein usw.), eingehend behandelt, und von ihm fällt reichliches Licht auf seinen Freund Cicero. Varro nimmt zwischen Analogisten und Anomalisten eine vermittelnde Stellung ein. Ebenso Cicero. Vgl. Max Niedermanns Bespr. BphW 1913, 822 £f.

Über die Bedeutung des im Griechischen wie im Lateinischen bewanderten Grammatikers Nikias (des Homerikers?) für Cicero handelt

Richard Berndt, Berl. philol. Woch. 1915, Sp. 955—960. Vgl. unten S. 153.

6. Oraeca.

Robert Fischer, De usu vocabulorum apud Ciceronem et Senecam Graecae philosophiae interpretes. Diss. Freiburg 1914. 118 S. 8. Nach Karl Atzert, Berl. ph. W. 1915 Sp. 145 ff., eine Anfänger- leistung.

Fischer zieht nur einzelne Wörter in den Kreis seiner Be- trachtung, nicht ganze Übersetzungen, wie von Piatons Timaeus, in denen sich Cicero auf der Höhe seiner Stilkunst und als Schöpfer der philosophischen und rhetorischen Sprache der Römer zeigt. „Für Seneca war es ganz selbstverständHch, daß er die von Cicero geschaffene Terminologie sich aneignete" (Atzert, BphW 1915, 145). Vgl. oben Krolls Orator. Praktisch ist die von Fischer gegebene

72 ^- Amnion: Ciccros rhetorische Schriften 19Ö9 -1917.

'Tabula notionum' der 71 alphabetisch geordneten Begriffe von aöicufOQi'a bis (t>(jptA>;,«a S. 105 112 mit der Gegenüberstellung von Ciceros und Senecas Ubersetzungsversuchen. Für die Rhetorik kommen u. a. in Betracht rji}i/.6v, Y-akov, oQE^ig, OQi-it'j, ofoiaoig, likog.

7. Kritik (iudicia).

Vgl. den Bericht über die Arbeiten von Nassal, Stroux, H e r r 1 e sowie über K r o 1 1 s Brutus und Orator.

Für die iudicia ist von Bedeutung auch

H. Mutschmann (-f-), Tendenz, Quellen und Aufbau der Schrift vom Erhabenen. Berlin 1913, Weidmann,

sowie die gehaltvollen Besprechungen von C. Vollgraff im Museum XXIV, 1 S. 5—7 und von J. Mesk, Z. f. öst. G^onn. 65 (1914) S. 115—119.

Der Autor ist ein Schüler des Theodoros von Gadara, nicht des Caecilius von Kaie Akte.

8. Ciceros Sprache (Stil, Kunstprosa, Praxis).

G i 0 v. B a 1 1. Geriiii , Die pädagogischen Ideen Ciceros u. a. Turin 1914. Paravia.

Peter Parzinger, Beiträge zur Kenntnis des Cicero- nischen Stils. Progr. des Gymnasiums Dillingen a. d. D. I. Teil 1910/11, IL Teil 1911/12. 75 bzw. 64 S. 8.

Die schon auf anderen Gebieten (Reden, Briefe, philosophische Schriften) genannten und anerkannten umsichtigen Studien Parzingers (vgl. Luterbacher_j PhVB 39, 277 f.) sind auch hier zu erwähnen. Die rhetorischen Schriften teilt Parzinger in die 3 Gruppen : a) bis 60 V. Chr. de inv. I und II; b) bis 50 v. Chr. De or. I mit III, Partit. or.; c) bis 43 v. Chr.: Brut., Or., De opt. gen., Top. (I S. 7). Das Ergebnis des 1. Teils faßt er so zusammen (S. 75): „Es hat sich gezeigt, wie die antithetische Gegenüberstellung zweier Gedanken mit non sed (non) und damit Hand in Hand der häufigere Gebrauch der Litotes und des Schemas xar' aooiv '/ml y.aia 0-iaiv den Ciceronischen Schriften der 50 er Jahre ein eigenes Gepräge verleihen. Wir haben ferner gesehen, wie sich insbesondeie in den Reden der letzten Zeit Ciceros eine steigende Vorliebe fär para- taktische AVortstellung verfolgen läßt, wie bestimmte Formen der Adnomination und Gemination mit zunehmender stilistischer Ge- wandtheit des Redners immer häufiger und mannigfaltigf r hervor- treten, während die vor allem den oratorischen Schlitten eigene

IVa. Kiiizolne Fragen. 73

Ausdrucksweise der Konduplikation und das Isokolon immer seltener werden und zum Teil ganz verschwinden." Im II. Teil werden lexikalisch-stilistische Fragen (ut ne quid ergo est? igitur und ergo , auch kontrahierte und nichtkontrahierte Perf'ektformen) behandelt.

Philippus Gotzes, De Ciceronis tribus generibus dicendi in orationibus pro A. Caecina, de iraperio Cn. Pompei, pro C. Rabirio perd. reo adhibitis. Rostocker Dissertation, Rostock 1914, Noske. VI 135 S. gr. 8.

Eine gründliche und geschmackvolle Arbeit über die praktische Betätigung der drei Höhenlagen der Beredsamkeit (vgl. oben die Stelle aus Stangls Scholiastae II), indem sich Cicero als orator tenuis auf das docere, als orator gravis auf das flectere oder movere und als orator medius auf das delectare versteht. Wie Cicero in seinen rhetorischen Schriften andeutet , hat er drei verschiedene Redegattungen in den drei Reden eingehalten : das tenue genus in den spinösen juristischen Fragen der Caeciniana, die epideiktisch- ruhige, rhythmisch gleitende Bewegung der Mittelhöhe im Preis des Pompejus, die erschütternde, fortreißende Kraft in der Staatsaktion der Rabiriana (fragmentarisch). Indem Gotzes auf Grund solider Belesenheit und reicher Literaturkenntnis dies nach Wortwahl, Wort- und Satzfügung und den Schmuckmitteln methodisch aufzeigt unter steter Berücksichtigung der Theorie, wird nicht nur Ciceros Sprachkunst klarer iind greifbarer, sondern es fällt auch auf seine, ja auf die antike Theorie überhaupt reiches Licht. Einige Lücken, wie Rhythmus u. a. , hat die Kritik schon angekreidet. Vgl. die anerkennende Besprechung von H. Nohl, W. f. kl. Phil. 1915, 870 und die meinige Berl. ph. W. 1916, 239—241.

Grant Showerman, Cicero the stylist: an appreciation. In The Classical Journal 8, 1912/13. S. 180—193.

Showerman sucht zu einer gerechten Würdigung des Stilisten Cicero zu gelangen, besonders seiner fluency. Von einer analysier- baren rhythmisierten Prosa (nach Zielinski, Laurand usw.) will er nichts wissen (S. 188) trotz der fluency.

Metaphern.

Max Wiegandt, De metaphorarum usu quodam Ciceroniano. Dissert. Rostock 1910. 8. 75 S.

Einen Gedanken einkleiden, das Gewand der Rede, die Füll& der Rede, die Rede fließt, strömt, stockt, die Rede hat weder Hand

74 G. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

nocli Fuß u. ä. bildliche Ausdrücke sind uns geläufig, waren es auch Cicero und seinen Zeitgenossen, Griechen wie Römern. Aber dem Ursprung der Metaphern und ihrer Verquickungen wie der scherzweisen: „der Zahn der Zeit, der alle Tränen trocknet, wird auch über diese Wunde Gras wachsen lassen!" nachzugehen, von Cicero bis hinauf zu Homer {ejvea sczeaäevca) und von Homer herab bis auf Büchmann, Zoozmann, Fumagalli haben, angeregt von E. Norden u. a., in letzter Zeit mehrere Untersuchungen unternommen. Wiegaudt (geb. 1888) gibt in der von Gefifcken und Helm geförderten Rostocker Dissertation einen wertvollen Beitrag zum geschichtlichen Ver- ständüis rhetorischer Terminologie. I (S. 13 54) De tralatis artis rhetoricae vocabulis : Gxrjua, forma, figura, corpus, eminere, extare, lumina yQdjf.ia, color, candor, rubor corpus, sanguis, sucus, tenuis, ubertas, valetudo, sanitas, siccitas Soldaten- und Gladia- torensprache, arma, pugnare, congredior, Status, exercitatio, ludi, pompa copia, manare, redundare flumen, profluens, incitatius fertur, puri, dilucidi usw. cursus, currere. II (S. 55 59) De ceteris metaphoris und schließlich die Appendix; De Piatonis usu metaphorarum (61 73). Cicero nützt den Bilderreichtum der Griechen , besonders Piatons , bereichert aber auch hier wort- schöpferisch den lateinischen Sprachschatz. Die über Straub, Wollner, Geigen müUer u. a. fortschreitende Arbeit Wiegandts ist recht wertvoll, aber nach verschiedenen Richtungen noch aus- zubauen.

Otto Gross , De metonymiis sermonis Latini a deorum nominibus petitis. Diss. philol. Halenses XIX S. 297—410, Halle 1911, bespr. BphW^ 1912, 755 757 von R. Bitschowsk3^

Die Georg Wissowa gewidmete Arbeit bespricht eingangs auch die Theorie der Metonymie, wie ad Herenn. IV 22, 43, Cic. or. 33, Quint. VIII 6, 23, daß man Liber für vinum, Mars für bellum nehme. Venus (dqQoöiTTj) S. 405 im Sinne von venustas, ornatus, gratia wäre nebst Synonyma (^dgig, gratia) weiter zu verfolgen.

Urbanit as.

Unter den Themen, die in der jüngsten Zeit in Bayern öfters für das 'Spezialexamen' auf Adolf Römers Anregung bearbeitet wurden, war die 'Urbanität' (bei Horaz, bei Cicero usw.) ein recht fruchtbares ; vgl. 0. Weißenfels , Kernfragen des höheren Unter- richts (1903j Nr. 9 S. 324—345.

Aus der Zeit meines letzten Berichtes stammt

I

IV a. Einzelne Fragen. 75

Henri Blery , Rusticite et Urbanite Romaines. Thesis, Paris 1909, Beliu Freres. Gr. 8. 148 S.

Während der Abbe Gedoyn schon im 18. Jahrh. den Begriff hauptsächlich im Anschluß an Terenz zu gewinnen suchte , will Bier}' eine geschichtliche Entwicklung der zwei komplementären Begriffe geben, besonders im Hinblick auf den klassischen Vertreter der Urbanitas, Cicero. Von den 5 Abschnitten (la vie rustique la rusticite de la rusticite ä l'urbanite l'urbanite la de- cadence de l'urbanite) kommt für die rhetorischen Schriften Ciceros (De or. II ()7 und III 45, Brutus 64 ff. 171. 258) hauptsächlich IV in Betracht S. 85 119: L'urbanite. ^vtÖxO-cov in homine urbanitas est (Cic. ad Att. 7, 2, 3). Auf die gefällige Monographie wird im Bericht über Quintilian (Definition der urbanitas) einzugehen sein.

Barbarismus und Metaplasmus.

Willy Otto Neuiiiuiin, De barbarismo et metaplasmo quid Romani docuerint. Königsberger Diss. Königsberg 1917. 113 S. Gr. 8.

Die Joh. Tolkiehn gewidmete umfang- und gehaltreiche Disser- tation geht aus von der Begriffsbestimmung beim auct. ad Herenn. IV 17 und behandelt die sonstigen testimonia und artis vocabula, dann den Bestand an Barbarismen und Metaplasmen. Ein Index fehlt. Für Cicero gewinnen wir manches (Gracci Gracchi, reliquiae relliquiae, rursus rursum usw.), aber aus der grammatischen Partie im Orator und den sonstigen Angaben Ciceros , die durch die vorausgehende Theorie und Praxis, auch der Griechen Arist. Poet. ixTeiaf-Uva usw. , ins rechte Licht zu setzen wären, dürfte eine sich im wesentlichen auf Cicero beschränkende Arbeit noch mehr zutage fördern.

F. W. Shipley, Preferred and avoided combinations of the enclitic qiie in Cicero. Class. Philol. VIII, I.Jan. 1913, S. 23—47.

Die Enklitika que wird auch hinsichtlich ihrer Verwendung in der Klausel untersucht. Bei den 106 beobachteten Beispielen er- gibt sich: 1. the fact that there are but 7 elision cases or 6, 6 per Cent und 2. the fact that que is added but twice to a short vowel. Vgl. J. H. Schmalz, W. f. kl. Phil. 1914, 239 ff. An Shipleys Aufsätze über die heroische Klausel bei Cicero und die Behandlung daktylischer Worte in der rhythmischen Prosa Ciceros sei hier erinnert. Vgl. unten Rhythmus.

7»i ti. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

William A. Merrill, Ou the contracted genitive in i in Latiu. University of California Publications in classical Philo- logy II Nr. 4, S. 57—79, 1910. Wenig Greifbares; s. A. Klotz ßphW 1911, 752 f. und F. Gustafsson WfklPh 1910, 1088.

Für die besonders von Friedrich auf Grund der Mutili gebotenen schwankenden Formen: studi studii, ingeni, flagiti, consili usw. gibt einigen festen Anhalt der Prosarhythmus , wie für die Dicht- kunst das Metrum , allenfalls die Inschriften und ältesten Hand- schriften (nach dem 4. Jahrh.). Die Eigennamen dürfen nicht aus- geschlossen werden. Bloße Zusammenstellungen auf Grund der handschriftlichen Überlieferungen (wie aequinoctii , beneficii) sind als Vorarbeiten zu schätzen, aber nicht ausschlaggebend (S. 71);, ähnlich die der kontrahierten und nichtkontrahierten Verbalformen. Vgl. meinen Burs.-Ber. Bd. CIX (1901, II) S. 143 über Lease. Nicht besser oder noch schlimmer ergeht es uns, wenn wir in Fällen wie in partes tres in partis tris, has artis usw. Folgerichtig- keit bringen wollen; vgl. oben zu Stroebels Ausgabe der Rhetorici.

Gunnar C. son Tiiigdal: Andeisen -is i ackus.

plur. hos de e ft eräug usteiska författarne. Akademisk

afhandhng. Göteborg, Eranos' förlag, und Leipzig, Otto Harrasso-

witz, 1916. 2 Bl. 117 S. 8».

Eingehend besprochen von Eduard Hermann Frankfurt in der

Deutschen Literaturzeitung 1917, Sp. 546 548.

In den Hss erscheint oft -is in -es willkürlich verwandelt; es ist schwer für den Herausgeber, den rechten Weg zu finden. Friedrich und andere Herausgeber sehi' schwankend. Vgl. 0. S. 14 f. Rieh. Mo 11 weide, Über Hadoards Exzerpte.

IV 1). Der Prosarlivthinus.

Cicero steht im Mittelpunkt der Frage des Prosarhythmus; auch die Arbeiten über den oratorischen Rhythmus der älteren wie der späteren Schriftsteller, bei den Griechen wie bei den Römern, nehmen meist auf ihn Bezug. Knapp und gut orientiert der Artikel Satzrhythmik (Klauseln) im neuen Lübker (von J. Geffcken und E. Ziebarth, Leipzig 1914) S. 917 f. Sowohl die Annahme der Integrationsklausel mit kretischer Basis und Kadenz nach Zielinski (Klauselgesetz 1904, Konstruktiver Rhythmus 1914) als auch die von Blass verfochtene Responsionstheorie

i

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IV b. Der Prosarhyllimus (Lauraiidj. 77

(Zander, Eurythmia I, II, III) werden seit 1909 weiter verfolgt ; daneben wird nach früherer Art der Rhythmus auch einfach nach den Weisungen der Alten (Cicero) aufgezeigt (Laurand).

L. Lauraiid, Ce qu'on sait et ce qu'on ignore du Cursus. Im Musee Beige XVII, 1913, S. 91—107. Auch ge- sondert Louvain 1913. 16 S. 8.

Im Gegensatz zu Zielinski u. a. sieht Laurand in den Aus- führungen über rhythmische Klauseln in Ciceros Orator geeignete Fintierzeige für den von Cicero in seiner Praxis beabsichtigten und bevorzugten, aber freien, abwechselnden Schlußrhythmus, für Perioden wie für Kola und Kommata. Wir finden meist Dichoreen (cömpröbilvit), Kretici, Päane, Spondeen; gemieden sind Daktylen, Choriamben, Prokeleusmatiker (w^^w^j. Nur die zwei letzten Vers- füße kommen nach L. in der Regel für die Klausel in Betracht, z. B. zwei Trochäen consecutus, invenire, während Zielinski diese für sich nicht als Klausel gelten läßt , oder die üblichste Form esse possimus Kretikus -f- Trochäus, auch beim auct. ad Herenn., füge ich bei. Weder für die kretische Basis (Zielinskis) noch für Responsion (nach Blass, Zander, May) noch für Worttypen (Havet, Bornecque) habe man bei Cicero feste Anhaltspunkte. Laurand mißt also die Klauseln oder den Rhythmus überhaupt, wie ihn Cicero und Dionys von Halikarnaß messen. Daß die statistischen Tabellen Zielinskis auch ohne ihre kretische Basis für Laurands Art Dienste tun, habe ich schon früher bemerkt (Bursian CXXVI, 1905, II S. 190), ebenso, daß ein weitgreifender Widerspruch zwischen Ciceros theoretischer Gesamtanschauung und seiner Praxis kaum festzustellen ist ; im einzelnen bleibt freilich im Orator gar manches uneben. Von Laurands weiteren Ausführungen ist die Darlegung des cursus planus, tardus, velox, dispondaicus im Spätlatein, der Übergang von Quantitäts- zu Akzentklauseln , vom Verschwinden (gegen (iOO n. Chr.) und Wiederaufleben des Klauselrhythmus in Rom und Orleans um 1088 und besonders der Hinweis des viel- seitigen , auch mit der mittelalterlichen Literatur vertrauten Ge- lehrten auf die mannigfachen Probleme beachtenswert, selbst nach den Arbeiten von Norden, Clark, Zielinski, Kroll u. a. Die reiche Angabe der Arbeiten über Rhj'thmenforschung S. 91 94 tut nicht bloß dem Anfänger Dienste.

Vgl. die genaue Inhaltsangabe im Boll. di Filol. XX, 1913, S. 202 204 von F. di Cupua; auch bei Luterbacher, Jahresb. d.- PhVB 39, 278 f. Einen Auszug aus K. Strauß' Besprechung s. u. (Transformation).

78 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

L. Lauruud, Les fins d'hexametre dans les discours de Cicero n. In der Revue de Philologie XXXV, Paris 1911, Klincksieck, S. 75—88.

Nach den Tabellen Zielinskis meidet Cicero die clausula heroica (Hexameterschluß) in seinen Reden. Etwa 40 Stellen sind durch Konjektur oder sonstwie in Cicex'o gekommen ; nach ihrer Aus- scheidung zählt Laurand noch 71 Stellen mit der clausula heroica (1 unsicher) , davon 40 auf die Reden vor 70. Demnach meidet Cicero, wie L. mit Recht annimmt, in den späteren den Hexanieter- schluß ; man beachte auch die von der Dichtung abweichende öiaiQEatg (mehr als 2- oder 3 silbige Wörter ; Cicero gegen CatuU: ouchesmites? ad Att. VII 2, 1).

L. Lauraud, Etudes sur le style des discours de Ciceron avec une esquisse de l'histoire du cursus. Classical Philology VIII (1913).

Zander. Auf den ersten Band seiner Eurythmia, aus dem ich einiges als Grundlage für das Folgende mitteilen mußte, ließ der un- ermüdliche, schaffensfreudige Gelehrte schon 1913 den zweiten, noch umfassenderen Band folgen, der sich mit Vorläufern Ciceros befaßt.

Carolus Zander. Eurythmia vel compositio ryth- mica prosae antiquae. I. Eurythmia Demosthenis. Leipzig 1910, Harrassowitz. XX, 494 S. gr. 8. 8 M.

Die Besprechung von Fr. Blass' Buche 'Die Rhythmen der attischen Kunstprosa: Isokrates Demosthenes Piaton' (1901) mußte ich in der BphV^ 1902, 1352 bei aller Anerkennung des Meisters mit dem die neuen 'freien' Rhj-thmen ablehnenden Satze schheßen : „Die gänzliche Loslösung der Rh3^thmen von der periodi- schen Komposition schafft, bei Isokrates und Demosthenes wenigstens, eher Verwirrung als Klarheit". An diesen, auch von anderen und zum Teil von Blass selbst erkannten Irrweg knüpft an der Pro- fessor an der Universität Lund, der es unternimmt, auf breitester Basis die tiQi0^f.iia eurythmia oder eurhythmia wechselnd ge- schrieben — oder den Prosarhythmus der Alten, d. i. die rechte Mitte zwischen dem i(.if.itTQov der Dichter und dem aQQv0^f.iov (u7c(:Qaviov) kunstloser Schreibart darzustellen. Er will die Ver- bindung des numerus oratorius mit den Gliedern (zrÖAa) der Wort- fügung besonders im Auge behalten und einen Grundsatz von Blass und seiner Schule , den in seiner Art nachdrücklich J. May ver- fochten hat: „Wer Rhythmus sagt, sagt Entsprechen" (das Re- sponsionsgesetz) in konsequenter Durchführung zur Geltung bringen-

IV b. Der Prosarhythmus (Zander). 79

„Numeri oratorii cognitio duabus rebus bis continetur: membrorum distinctione rythmicaque recitatione" eröffnet uns die Praefatio.

Der I. Band oder Teil behandelt nur Demosthenes, und zwar von diesem genauer genommen nur die drei (kurzen) Olyn- thischen Reden, die dreimal naeJi Initial-, Klausel- und Binnen- rhythmus: Initia membrorum S. 4 44, Clausulae S. 65 106, Periodi Demosthenis S. 219 25() vollständig in übersichtlicher Gliede- rung vorgeführt werden. Aber die theoretische Begründung dieser Analysen , die Hinweise auf andere Reden (tieqI oiEif. usf.) , die Vergleichung des Demosthenes mit Gorgias , Thrasymachos , Iso- krates, Piaton, ebenfalls mit Abdruck längerer, genau analysierter Partien , greifen weiter und erklären nicht allein den mächtigen Umfang des Buches von mehr denn einhalbtausend Seiten großen Formates, sondern berechtigen den Verf. besonders im Hinblick auf die selbst wieder zu ganzen Büchern angewachsenen zwei letzten Kapitel VI De distinctione (S. 182—427) und VII De rhyth- mica recitatione (S. 428 494) zu der Behauptung (Praef.) : Hoc libro qualicunque tanta mota est moles quaestionum magnarum atque difficilium, ut, si qui haec impugnanda esse existimabit, ea ab illo par sit impugnari non irridendo et cavillando ut pleraque eorum quae de numero oratorio scribuntur his temporibus solent impugnari sed disserendo et disputando.

Grundgesetz der Demosthenischen Eurhythmie ist das Ent- sprechen , die Responsion von Rh^'thmen oder Rhythmen- komplexen : quae est generalis lex eurhythmiae Demosthenicae, ut par parem rhythmus rh3-thmum sequatur, ea lex aeque ad principia et ad clausulas pertinet (S. 3) ; die iterandi congruentia, das 'redditur congruenter' kehrt daher in dem Werke immer wieder (z. B. scharf gegen Josephy, Drerup, Münscher S. :317). Beispiel Ol. Fl:

-'^-^^^ ovyi Tavza Tia-

-W-- QiöTcaai (.101 (yiyvojoy.eiv vt avögeg)

w - - - L^^tjValoL

^1-1^ oiav r' Eig xu {nqay^iaz^ anoßXixHo') - yj-!- - y.al oTav Ttgbg -yj- Torg ?Myoi:g -Kj-~ oTg ftxorw.

Für das Entsprechen gelten die Sätze „aut rhythmi iteratio congrua in uno atque eodem initio tota versatur; aut initium initio aut initium clausulae proximae congruum redditur; aut denique

gO G. Amnion: Ciceros rhetorische Schritten 1909—1917.

totimi membrum toti uienibro redditur par pari". „Quantum ab iiiitio menibri cougruenter iteratur, tantum initii existimamus esse numerosum" (S. -i-i , S. 50); daher zählen die oben wie sonst in Klammern gesetzten Wörter oder Silben nicht zu den die Initial- rhythmen bildenden Teilen; zu diesen gehören öfters auch nicht Eingangssilben. Diese (willkürliche) Abtrennung des numerosum in Verbindung mit den Auflösungen, wonach z. B. S. 37 (adQa7todiC.fi- oiyai -i^^i-i- dem folgenden öt' ayioQiav fffodlico}') w^w^-i-w^ entspricht, mit den Sj-nalöphen , den Schreibvarianten [Ttoielv TTOEiv, alei «£/; r erpeXyt. usf.] ergibt eine große Anzahl von Formen rhythmischer Eingänge bei Demosthenes (S. 44 ff.). Eine ähnliche Fülle (9 genera : genus claudum palimbacchiacum —, ditrochaicum, heroum, dochmium creticum usf.) bekommen wir bei den Klauseln (S. 65 148), die nach der Art der Alten von rückwärts auf ihre Responsion geprüft werden, wie Ol. F § 36 (Ttj ttÖ'Lei y.al a-)naai ovroiaeiv \ ru7v uellei ->^^^-- | ----; mit Zielinskis Basistheorie , mittels deren man auch bei Demosthenes, wenn schon dieser anders als Cicero z. B. die heroische Klausel häufig gebraucht (S. 140), die bevorzugten (-^ - usf.) und ge- miedenen Klauseln leicht überschauen könnte , setzt sich Z. nicht auseinander, ebensowenig mit dem konservativen Laurand (Etudes). Sehr gi'ündlich wird der Binnenrhythmus behandelt. Aus dem Kapitel VI (S. 182 427), das unter der Überschrift De distinctione viel zusammenfaßt, seien einige Leistungen Zanders hervorgehoben : Die Frage der Interpunktion , die Zeugnisse der Alten über y.tijXa und ihre Analysen von Texten, über Sinn-, Wort- und Rhythmusabschluß, über Umfang der "/m'/m, yM(.i(.taxa, ycegiodoi : die übersichtliche Gliederung der Perioden in den drei Olynthischen Heden (dazu S. 350), zur Vergleichung die des Epitaphios des Gorgias ('parallelismus'), einiger Partien des Erfinders des Prosa- rhythmus Thrasymachos und seines größeren Nachfolgers Isokrates (Helena, Panegjr., Archidamosj; das Verhältnis des Prosarhythmus zum poetischen , das schon Dionys von Halikarnaß mit Recht als ein nur graduelles bezeichnet , das Wesen des Rhythmus nach Wundt, die Wechselbeziehung zwischen Rhythmus und Inhalt (z. B. S. 346, 350, 398, 419, 426, 466), welche in der Prosa stärker ist als in der Poesie , tiefgründige Erörterung über Hyperbaton. A-sj-ndeton, Parataxe, Hypotaxe und damit auch über die Frage der Interpunktion, die im modern -muttersprachhchen Unterricht mit ungebührlicher Wichtigtuerei, in den klassischen Sprachen mit einer gewissen Nonchalance behandelt wird selbt von den Heraus-

IV b. Der Prosarhythmus. 81

gebern. Diese Fragen greifen auch in das wichtige Schlußkapitel D e rhythniica recitatione (S. 428 494) über, z. B. daß die Anrede vj avÖQeg \'l0^ijvaioi, die nie mit Krasis (tovÖQEg) zu lesen sei (8. 435 gegen Blass), auch nicht zwischen Kommata zu stehen habe. Die zwei Hauptpunkte dieses Kapitels sind aber Hiatus und Iktus. Bezüglich des Iktus ergeben die sorgfältigen Untersuchungen die rhythmische Gliederung der Olynthischen Reden als richtig vorausgesetzt für den Redner die gleichen Gesetze wie für den Dichter, also z.B. beimspondeusascendens - -, - -L w (ictus 'bibrevis'); der Abstand zweier benachbarter Ikten betrage nie mehr als zwei Moren ; besonders eingehend wird der Ictus spondiacus geprüft, d. i. die Betonung, wenn mehrere Längen (2 Spondeen, 2 Molosser u. a.) aufeinanderfolgen : ßof]i)^tjaf]TE, ßorjO^eiv ei/ioi Tig oder xoyzovq xovg avi^Qi'hcovg. Abgesehen von der Grundfrage der Responsion wird die Tongebung durch Pathos und Ethos in hohem Grade bestimmt (vgl. u. a. S. 486), so daß eine schriftmäßige Fixierung, selbst wenn sie so geschickt gemacht ist wie bei Z. auch typo- graphisch — , immer etwas Unbefriedigendes hat. Eine Darlegung, wie sich diese metrischen Ikten zu dem später (seit dem 4. Jahrh. n. Chr.) herrschenden Sprachakzent verhalten, gibt Z. nicht. Über die Arbeiten von De Groot wird anderwärts zu berichten sein. Es soll nicht geleugnet werden, daß Z. rhythmische Responsion ■auch bei nicht inhaltlich , sondern nur tektonisch entsprechenden Gliedern aufgezeigt hat. Damit ist aber noch nicht erwiesen, daß diese iterandi congruentia die condicio sine qua non für den Prosa- rhythmus oder die Eurhythmie ist. Es liegt ja nahe, wenn Aristo- teles anstatt des trivialen lambus, der sich überwiegend in unserer Rede einstellt, den Päon (2 : 3) empfiehlt, anzunehmen, daß er an eine Wiederholung dieses Rhythmus unmittelbar hintereinander ge- dacht habe, ähnlich andere Theoretiker, welche bestimmte yevvaioi nödeg dem Prosarhythmiker angaben ; auch auf den doppelten Trochäus oder Kretikus als Klauselrhythmus haben die Alten hin- gewiesen. Aber eine unzweideutige Forderung des Wiederholens des Fußes oder metrischen Komplexes finde ich nirgends, abgesehen natürlich von den Pogylsia mit ihrer Konzinnität (s. o.). Dionys von Halikarnaß, der doch in engster Fühlung mit klassischer Prosa und guter Überlieferung diesen spinösen Fragen von allen Seiten nachging, analysiert nur die einzelnen guten Rhythmen und sagt ausdrücklich (tt. avvd^. c. 17): zo (5' aiTo xaXto nöda y.al gvd^f^ov. In den alten Grammatikern und Rhetoren bekundet Z. eine erstaunliche Belesenheit ; hier können wir alle von ihm lernen, nur

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 179 (1919. II). 6

82 G- Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

erscheint die Autorität des Dionys, des Quintüian u. a. nicht immer konsequent eingeschätzt.

Carolas Zander, Eurythmia vel compositio rj^th- mica prosae antiquae. II. Numeri Latini aetas integra vel rythmicae leges antiquioris orationis Latinae. Leipzig 1913, Harassowitz. XXXX, 676 S. gr. 8- 12 M.

„Du sollst lesen lernen!" Dieses Hauptgebot Fr. Ritschis zu erfüllen dient auch der zweite, ähnlich wie der erste angelegte Band der Eurj'thmia. Z. sucht (Praef. und S. 462) das Verständnis für die klassische Kunstprosa, zunächst für den Rhythmus, von der Zeit Ciceros bis auf die Constantins , wo ein Wandel in der Betonung einsetzt, zu fördern. Im Grunde wollten und wollen das auch andere : Fr. Blass, W. Meyer-Spir., Wüst, J. Wolf, E. Norden, J. May, W. Kroll, E, Drerup, K. Münscher, L. Havet, H. Bornecque, L. Laurand, A. C. Clark, W. Rhys Roberts, Shipley, Th. Zielinski, L. Ceci, um nur einige mir näherliegende Namen zu nennen, aber auf mehr oder weniger verschiedenen Wegen, von den Leuten, die heute wie im Altertum (Cic. Or. 168) vom ganzen Prosarhythmus nichts wissen wollen, gar nicht zu reden. Jeder Mensch hat seine eigene Bewegung im Gang, , in der Haltung, in der Stimme, in der Hand- schrift; viel davon entspringt der Natur des einzelnen, aber auch der seiner Generation (der Mode), seines Stammes, seiner Rasse. Zu den von Natur oder durch dauernde Gewöhnung gegebenen rhj'thmischen Verhältnissen kommen aber auch die jeweils gewollten, die den natürlichen zweckmäßig nachhelfenden, kurz die Absicht, die Berechnung, die Kunst, und diese kann, fortgesetzt geübt, fast wie Natur aussehen. Und das dürfte alles bei der antiken Kunst- prosa der Fall sein, deren allseitige Erschließung nicht bloß des Rhythmus die 'toten' Sprachen den lebenden und somit den Altphilologen dem Neuphilologen viel näher bringt.

Vier Gesichtspunkte kommen nach Z. für die rhythmische Prosa in Betracht: 1. die Gliederung der periodisierten (kommatischen) Sprache, membrorum distinctio, bei der auch der Sinn (S. VIII) gebührend berücksichtigt wird, 2. die Silbenmessung, syllabarum dimensio, 3. das Verhältnis der gegebenen Sprach- akzente — im Lateinischen sehr einförmig zu den Rhythmen- ikten , orationis percussio, 4. die Hiatusfrage, vocalium concursus.

Nach dem über diese Gesichtsfelder orientierenden Vorwort legt Z. in guter induktiver Methode auf nahezu 200 Seiten dem

IV b. Der Prosarhythmus. 83

Leser das ausgehobene Tatsachenmaterial , Partien aus sechs klassischen oder klassizistischen Schriftstellern , Nepos , Curtius, Seneca, Minucius, Lactantius, C\-prianus, vor, gegliedert natürlich nach der Grundanschauung des Verfassers.

Da der E,h}'thmus am Ende und am Anfang von sagen wir einmal Sätzen besonders wirkt und auffällt, so erhalten wir zu- nächst 'Exempla initiorum' (S. 1 32) aus Nepos, Minucius und Lactantius, dann die 'Exempla systematum clausu- larum' (S. 33 106) von anziehenden Stoffen aus Nepos, Curtius, Seneca (dial. V), Minucius (Oct.), Cyprianus (ad Don.), Lactantius (Inst. VI) in 445 Nummern von 'Systemen', d. i. Zusammen- fassungen von 2, 3 oder 4 wiederholten Rhythmen (- ^ -, ^ usw.), systemata ofioiior, syst, binaria, ternaria und quatei'naria.

In den zwei umfangreichen Commentationes I De com- positione S. 197 247 und der ungleich größeren und tiefer- gehenden II De recitatione S. 218 660 werden die Fragen der römischen Kunstprosa teils kurz skizziert, teils unter Heran- ziehung von anderen Prosaikern und von Dichtern (Plautus, Lucre- tius, Horaz, Ovid, Seneca usw.) und unter ständiger Berücksichtigung der Lehren der Alten (z. B. § 24 S. 254 299), besonders Ciceros und Quintilians, eingehend behandelt.

In der Hauptsache haben die Römer die gleichen Gesetze der Rhythmisierung wie ihre Vorbilder , die Griechen. Daß ein mehr deklamatorischer Zug und eine gewisse Vorliebe für umfangreichere Systeme, z. B. bei Lactanz Nr. 435 (l'/2 Druckseiten), bei Cyprian Nr. 339 (fast 3 Druckseiten) , bei den Römern zu bemerken sind, fällt nicht schwer ins Gewicht. Es gibt große Unterschiede bei diesen; so steht Nepos mit seinen kurzen Systemen und dem häufigen Wechsel dem Demosthenes näher, während der 'christliche Cicero' einen Isokrates mit seinen Dauerperioden noch übertrilBft. Gemessen werden die minima modica magna maxima systemata nach den rhythmischen Gruppen. Die Eingänge (S. 1 32) zeigen fast zur Hälfte die schweren Versfüße Molosser, Choriamben, Ana- päste (S. 201) , nicht ganz ein Viertel iambische und kretisch- päonische Versfüße , während die Gruppe der Antispasten und Palimbacchien (- - w , ein Fuß , der von dem Halikarnasier Dionys als Bacchius bezeichnet wird) nur 9 *^ o ausmacht. Gemessen wird dabei nach dem Vorgang nicht der Silbenzähler, sondern der Rhyth- miker, denen auch Cicero (in De oratore und Orator) und Dionys- folgen , so daß also ein Kretikus einem Päon usw. gleichgestellt wird. Die feine Bemerkung der Aristotelischen Rhetorik (III. Buch)

84 G. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

über den im Prosarhythmus besonders brauchbaren Päon mit seinem Verhältnis 2 : 3 (Hebung : Senkung) findet in dem tatsächlichen Gebrauch ihre Bestätigung.

Bei den Clausulae ergibt die Zusammenstellung (S. 207) für die Palimbacchien 41 "/o, für den Kretikus 33 %, so daß beide zusammengenommen den Prozentsatz der Validaklausel Zielinskis, zu der sie sich meistens leicht durch andere Abtrennung ergänzen lassen, noch übertreffen würden, für den Ditrochäus 16% und für die clausula hei'oa 10 '^lo. Bemerkenswert ist das Überwiegen der zäsurlosen Kretiker , der unaufgelösten , zäsurlosen Dispondeen. Auch bei der clausula heroa, die Z. als eine Abart des Dispondeus ^^-— fassen möchte, überwiegt die zäsurlose Form interierunt mit 86 '^lü. Der Umfang der Klausel richtet sich und das ist ■ein wesentlicher Punkt in Zanders Auffassung nach der mehr ■oder minder freien, nicht strophisch strengen R e s p o n s i o n (S. 229. 247. 249 ff.) vom Ende rückwärts gerechnet: ut quantum quoque •loco congruenter iteretur ab ultimo , tantum tribuatur clausulae (S. 207) und nulla est enim clausula, cui non par et propria red- -datur clausula (S. 247), während die Responsion im Initialrhythmus nicht immer erfolge.

Hier sind wohl noch Unterschiede zu machen, um die rechte Einschränkung zu finden. Ich rede nicht von dem zufälligen Rhythmus (Cic. Or. 170), auch nicht von dem durch gewisse Wort- tj'pen gegebenen, wie bakieatoribus, archipirata, avTQOTtaXiLOf^evrj, sondern von dem ifUTzeQiodov und seinen Anfängen oder Verwandten, den aus gedanklichen und melodischen Gründen gesuchten avTiifeia {Pogyieia) , bei denen wir das Akzidentelle des Rhythmus leicht einsehen : intellegamus non quaesitum esse numerum sed secutum (Cic. Or. 165). An Owens 'libration' ist hier zu erinnern. Auch Z. kennt und anerkennt diese concinnitas isocoli, dieses per se cadere numerose (S. 182 zu Nr. 394); vgl. S. 250 über J. May. In der Gliederung wird es öfters vernachlässigt. Ich würde so nach der Art Mays , der uns vor wenigen Jahren , beschäftigt mit Untersuchungen über die Rhythmen beim auct. ad Herenn. , ent- rissen wurde, einige systemata lieber analysieren als nach Z., z. B. 391 aut sitientibus potu aut veste algentibus oder 398 una quae in caelum ferat, altera quae ad inferos deprimat. Und bei Perioden (orbesj selbst kann man auf der Peripherie des Kreises (orbis, ambitus) oder der Ellipse andere Arten des Entsprechens suchen und finden. Anders steht die Sache, wenn wir nicht ccvTiO^ETa, nicht Perioden vor uns haben, sondern die rhythmisierte einfach komma-

IV b. Der Prosarhythmus. 85«

tische Prosa etwa des Platonischen Dialogs. Dann wird diese Responsion Zanders, wie ich seinerzeit (Berl. philol. Wochenschr. 1902 Sp. 1352) bei der Besprechung von Blass schon anerkannte^ zu Wort kommen.

Die Commentatio II De recitatione mit fortlaufender Paragraphenzählung 21 53 bildet ein stattliches Buch für sich (S. 248 660) , hängt aber doch enge zusammen ; es leistet eben nur die bewundernswerte Einzel- und Kleinarbeit, die den modernen, besonders den germanischen Leser in den Stand setzen soll, antike Kunstprosa zu genießen.

Ich will von dem reichen Inhalt nur weniges herausheben^ besonders wo noch Streitfragen zu lösen sind. Hatte L. Havet und sein Schüler H. Bornecque teilweise im Anschluß an die späteren Grammatiker gewisse Worttypen für die Klauseln fest- gelegt, so weist Z. S. 261 f. an der Hand von Cicero und Quintilian (mit denen auch Aristoteles und Dionys übereinstimmen) nach, daß eine Diärese wie für den Dispondeus Uli credes keineswegs be- absichtigt ist, sondern daß die Klausel der klassischen Prosa aus verschiedenen Wortteilen (Silben) bestehen kann, mit eigener Zäsur und quantitierend, ganz wie die Poesie : mente sördescer^. •, eben- sowenig gründe sich die Klausel auf den Akzent (Sprachakzent). Der Vortrag von Poesie und Prosa sei nahezu gleich gewesen (S. 280. 435), trotzdem Fortunatian uns belehrt, man spreche Italiäm fatö profugüs usw. mit plasma, Italiam fato pröfugus ohne plasma oder prosamäßig. Prosa wie Poesie betonen z. B. illaec, istüc, adhüc. In Wortgruppen verschiebt sich der Akzent: servis, aber servis suis (S. 436 ff., 507). Was über das Verhältnis von Akzent und Iktus (in den §§ 43 48 S. 378 535) ausgeführt wird, sowohl auf Grund der Zeugnisse der Alten als an der Hand der neuesten Literatur (auch W. Wundt, Spencer sind benützt jetzt wäre noch auf H. Bergfeld, 'Das Wesen der lateinischen Betonung' in Glotta VII 1915, S. 1 20, zu verweisen), sowie aus eigenen Beobachtungen, das gehört zu dem Lehrreichsten in dem Buche. Ein Hauptergebnis ist (S. 378): „dimetiendis syUabis rythmum orationis contineri, prosamque rythmicam ex iisdem pedibus quibus poesin i. e. metricis pedibus constare , atque ictibus prosam rythmicam cum poesi ita quodammodo convenire, ut certae sedes ictuum, pro rythmi natura ordinatorum, solitas esse pariter in prosa oratione servari atque in versibus", ausgenommen etwa die Vortragsweise 'cum plasmate' oder die nur der Poesie eigenen Dipodien. Die spinösen Untersuchungen über den ictus bibrevis, die ictus contigui wie facültäte exponemus

86 Ct. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

librö, der excursus de complexionibus verborum, so malesanus demane (S. 436 496), über appositio fördern nicht nur den Rhythmen- forscher, sondern geben auch für neuere Sprachen und die Mutter- sprache lehrreiche Parallelen an die Hand. Unsere übliche lateinische Aussprache der Prosa ist nach Z. mehrfach zu berichtigen: vos volö , vös amö , susceperimus u. ä. Ob man aber die Worte des Nepos aiider(i) ädversüsse (S. 357) so in Rom gelesen hat? SoU der Iktus so weit Herr über den Sprachakzent werden? Man ver- gleiche, was A. Klotz in der D. Literaturzeit. 1915 Sp. 1774 bei der Besprechung von Zielinskis 'Konstruktivem Rhythmus' bemerkt. Ein feines Gefühl für rhythmischen Vortrag tritt bei Z. aber immer wieder zutage (z. B. S. 520). Interessant ist auch die Statistik der S3-nalöphen : am häufigsten in der Komödie , sparsamer bei Curtius, noch seltener bei Cicero und seinem Nachahmer Lactanz ; zur Verschleifung kommen alle Vokale , nahezu ein Drittel mit schließendem m; e und i machen etwa zwei Drittel aller Rein- vokalsynalöphen aus. Selten sind Aphär e s en Hör. sat I 9, 38 si memäs nach dego oder si me ämäs V , und unter diesen die von der Form utendumst die häufigsten ; die einsilbige Lesung präeest (auch nach Zielinski) gehört nicht hierher. Quintilians Be- obachtung IX 4, 33 über die Arten der verschleiften Vokale wird von Z. bestätigt.

In der Hauptsache hat Z., glaube ich, recht: weder der pro- saische noch der poetische Rhythmus widerstreitet grundsätzlich dem Sprachiktus oder dem 'Akzent' ; Ausnahmen finden statt : 'evenit, ut metri quoque condicio mutet accentum' (Quintil. I 5, 28 Z. S. 537). Und das gut wohl auch für die Versfüße des Prosa- rhythmus. Der Hiatus hat nach Zanders Untersuchungen (S. 555 if.) auch in der rhythmisierten Prosa seine Berechtigung bei einem stärkeren oder schwächeren Einschnitt des Gedankens auch Cicero betont dieses sententiam concludere , während für den Dichter der Rhjthmenschluß eine Pause gibt. Ob die von Z. S. 556 vor inquit angenommenen Hiate zu Recht bestehen , kann man bezweifeln. Wertvoll sind seine Zusammenstellungen von Hiaten bei Eigennamen, bei gewissen Figuren (cognati Darei et armigeri S. 565, coniunctio).

Zur Zeit Ciceros und Quintilians hat man nach den Unter- suchungen Zanders (S. 658) zum Teil abweichend von Lindsay, der den späteren Grammatikern zu sehr vertraut , beim Zu- sammentreffen zweier Vokale nicht ohne weiteres den ersten aus- gestoßen ; wie freilich die Verschleifung bei reinen Vokalen und

IV b. Der Prosarhythmus. 87

bei -m, z. B. multum ille , in der klassischen Zeit geklungen hat, macht uns kein Phonograph vor ; Quintilians Notiz ist keine phono- graphische Leistung.

Die zahlreichen Tabellen, namentlich über Hiat und Synalöphe, sind klar und übersichtlich zusammengestellt ; sie zeugen von außer- gewöhnlicher Arbeitskraft und Ausdauer und erwecken den Eindruck der Verlässigkeit. Sie nachzuprüfen, bin ich nicht in der Lage.

Ein dreifacher Index, Summarium , Index rerum und Index rhetorum et grammaticorura, erleichtert die Benutzung des umfang- und gehaltreichen, sehr sauber gedruckten "Werkes, das in dem Streben, uns die Eurhythmie der Alten zu erschließen, sein hohes, einheitliches Ziel hat. Die gelegentlich gemachten Konjekturen Zanders, wie S. 254 das ansprechende est et venustum für est in- ventum zu Cic. de or. III 181, hätte man, gerade weil sie zur Eurhythmie in Beziehung stehen , am Schluß ebenfalls gern ver- zeichnet gesehen.

Carolus Zander, Eurj^thmia vel compoaitio ryth- mica prosae antiquae. III. Eurythmia Ciceronis. Leipzig 1914, Harrassowitz. XII, 272 S. gr. 8. 8 M.

Der III. Band der groß angelegten und mit seltener Arbeits- kraft durchgeführten Eurhythmia Zanders ist eigentlich nur des zweiten Bandes zweiter Teil: er gilt Cicero selbst. Den Römern und natürlich nicht allen ist das Verständnis für die rhyth- misierte Prosa (prose metrique) erst spät aufgegangen , vielleicht zur Zeit der Gracchen (or. 171 nuper agnovimus ; Zander S. 145). Bei dem älteren Cato erscheint hier und da Rhythmus , aber un- gesucht, 'plerumque casu, saepe natura'. Bei L. Crassus, C. Carbo, C. Caesar (Rede auf seine Tante , De analogia) darf man in ge- hobener Darstellung Rhythmisierung annehmen, auch bei Nepos, seltener beim Reatiner Varro. Cicero rh3'thmisiert in allen Schrift- gattungen, selbst in Briefen, aber nicht durchaus, so z. B. nicht, wenn er als 'submissus et humilis orator' nach Art des Lysias das attice dicere betätigt (Cic. or. 77, Zander III S. 193). Das sei denen gesagt, die überall um jeden Preis Rhythmen aufdecken wollen. Ciceros Grundsätze für die Rhvthmisierung; , die mehr noch aus seiner Praxis als aus seinen nicht durchaus einheitlichen und widerspruchslosen rhetorischen Schriften (De or. III und Orator) zu entnehmen sind , treffen im wesentlichen mit denen eines Demosthenes und Isokrates zusammen; s. die Übersicht S. 145 f.

88 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

Ein Hauptvorzug Zanders bei seiner Rhythmenforschung ist der, daß er den tatsächlichen Bestand der vorhandenen Kunstprosa und die Theorie der Alten berücksichtigt und aneinander prüft. Er urteilt (S. IV): „rhetorum antiquorum libros nobis esse non tarn utiles ad numerosam orationem antiquam cognoscendam, quam idoneos quibus ea quae cognoverimus comprobemus. neque enim Ciceronis ipsius nee posteriorum rhetorum satis poterimus intellegere praeeepta, nisi orationis recitandae ratio nobis erit inventa planeque perspecta. quam nos docebit usus assiduus atque exempla diligenter examinata."

So setzt denn Z. nach der Praefatio, die auch angibt, wo er von den zugrunde gelegten Ausgaben abweicht in den Ver- rinnen von Peterson, in der Pompeiana und in den Catilinarischen Reden von Clark, im Orator von Wilkins, in den Tuskulanen von Schiebe , gleich mit der Zergliederung der Exempla ein (I S. 1 118). Wohl hat Z. in den letzten zehn Jahren alle Schriften Ciceros auf ihre Rhythmen durchgeprüft, und es würde das gesamte Material einen noch überwältigenderen Eindruck machen; aber niemand wird es dem arbeitsfreudigen Verf. ver- argen , daß er sich auf die charakteristischen Partien beschränkt hat. Der Benutzer des Werkes wird am besten zum Verständnis des Standpunktes dieser Analyse, der Responsionstheorie, S. 161 bis 164 lesen, auch 155 f., 196: „Nullus rythmus est singularis uUo loco" (156), „rj'thmum orationis contineri pedibus non singulis sed locatis ordine". Also wie Blass in seinen späteren Rhythmen- forschungen: „Wer Rhythmus sagt, sagt Entsprechen (Responsion)." Aber selbst wer sich zu diesem Satze bekennt, wird an eine Mehr- heit von Arten des Entsprechens glauben dürfen: von Versfüßen, Rhythmenkomplexen, Antitheta, Periodenkola, Kommatagruppen, vielleicht auch Worttypen u. a. Zum Verständnis dieser Frage empfiehlt es sich, Abschnitt III 'De comprehensione orationis', die Periodenlehre , S. 227 272 vorher zu lesen. Ich muß bekennen, daß mir gar manche tiefgehende Zweifel, entsprungen aus dem Um- gang mit Dion^^s von Halikamaß, der nur mit seinen 6.^uoijaTiY.ol und cf/EVElg nodeg (qvO^^oi), mit Einzelversfüßen, mit -/Mf-iuaia und y.oAa operiert, geschwunden sind.

In den Exempla, Pompeiana § 1 50, Catil. I (S. 32 52), Catil. II, De or. I 1—10 (S. 72 75), Orator 1—101 (S. 76—118), werden nach 'Systemen' von sehr verschiedenem Umfang Nr. 1 der Pompeiana 4 Wörter, Nr. 260 fast eine Druckseite die Wiederholungen in den rhythmisierten Anfängen und Schlüssen, auch bei schwächeren Interpunktionen sorgfältig aufgezeigt.

^-

IV b. Der Prosarhythmus. 8^

Syst. 1 Quamquam mihi | semper frequens

^ ] i_/ Syst. 4 optimo ciiique | maxime patuit

^- 1^ I ^^ ^ KJ \J K^

Als häufigste Wiederholung erscheint, wie nach Zielinski und den an> diesen sich anschließenden Untersuchungen über Klauseln zu er- warten stand, die Yalidaklausel -v_--^ esse possimus, so Syst. 46^ Pomp, elfmal (S. 7).

Ein Entsprechen wie

Syst. 162 nunc vero, --- cum sit unus Cn. Pompeius -- ^ wird schwerlich beabsichtigt sein. In der kommatischen Diktior* (Cat. II 1) abiit, excessit, evasit, erupit --w|--w|--v-^ steht abiit (abit) auffallenderweise außerhalb des Qvd-/^tiL6f.tsvov,

Doch ich will das Für und Wider bei dem so gegliederten- Kunstsprachematerial lieber mit dem zweiten Hauptteil der Com- mentatio , der Erläuterung und Begründung dieser rhythmischen; Analysen (S. 119 272), verbinden.

Der Satz „Ordo iterandi rythmus est" S. 162 wird kaumi ernstlich zu bestreiten sein, namentlich nach den gediegenen Aus- führungen Zanders. Wenn Theoretiker, Grammatiker wie Rhetoren,. von einem iambischen, trochäischen, kretischen Rhythmus sprechen,, so denken sie wohl sicher an eine Wiederholung dieses QvO^/uog (r=r TTOt'g)]; nur wiederholt der Prosaiker nicht in der Gebundenheit des Versifikators, bis der regelrechte Vers fertig ist: eam quano, nihil accusas damnas condemnas dixisset qui versum. effugere vellet, sagt Cicero or. 166 und verrät dem Prosaiker ein Mittel, das delectare des Dichters zu betätigen, ohne seine Freiheit zu opfern. Wir Modernen, insonderheit wir Deutschen, sind sehr empfindlich für den Reim, in nahen und fernen Abständen: 'Wir treten zum Beten' usw. oder 'Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten' usw. ; für Wiederholungen des bloßen Rhythmus dürfte die Mehrzahl nicht ein gleich feines Gefühl haben. Aus dem. I. Kapitel der Commentatio über die Anfänge (S. 121 139), in. dem auch noch Tusc. I §§ 108—112 und 116 119 und V 5 zer- gliedert werden, möchte ich das Ergebnis der statistischen Tafelrb S. 131 herausheben: Cicero gebraucht, wie seine griechischen Vor- bilder und seine Nachahmer , im Anfang bei fallendem wie bei steigendem Rhythmus (- ^ und v^ - usf. und ihren Gleichwerten) mit Vorliebe die schweren Formen, so ---- 76^lo , -^-- 64**/Or ähnlich bei dem 'rythmus circumflexus', dem Molosser --- 57%-

90 ^- Ammon : Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

Schon in den libri rhetorici (de inv.) sind, füge ich bei, die schweren, wohl dem lateinischen Wortbestand entsprechenden Anfänge be- vorzugt. Dabei ist in den 1106 von Z. beobachteten Anfängen der fallende und steigende Rhythmus ziemlich gleichmäßig vertreten, jener mit 33 "^ o, dieser mit 34 %. Bei der Darlegung von Ciceros eigener Lehre über den Initialrhythmus wird (S. 133) die viel- behandelte Stelle De or. III 182 f. gut verteidigt und erklärt.

Das Hauptergebnis für den Initialrhythmus sieht aber Z. (S. 139) in diesem Satz: „aptum et congruum oportet esse initium aut ipsum per sese (wie das System Nr. 1 der Pompeiana) , aut cum proximi membri clausula aut initio."

Wie die Theorie und Praxis der Alten und ihr entsprechend die moderne Rhythmenforschung widmet auch Z. sein Hauptaugen- merk der Klauseltechnik Ciceros (Kapitel II De clausulis S. 140 226). Nachdem er noch Partien aus C. Gracchus und L. Crassus , die uns vorwiegend den Schluß von der Form morte vicerunt zeigen, sowie aus C. Carbo und C. Caesar analysiert hat, stellt er S. 145 die vier Hauptsätze für Ciceros Klauseln auf: 1. oratio non modo interpuncto sed etiam clausula cougrua plerumque distinguitur; 2. orationis numerus clausularum et saepe articulorum congruentia continetur; 3. rythmus huius prosae et spatio inaequalis, varius elementis ; 4. rythmorum congruentium sunt complexiones quaedam vel quasi systemata, varia spatiis, alia breviora, longiora alia . . . clausula membri orationis fere est nulla, cui non parem rythmum reddat altera clausula alterve articulus eiusdem systematis. Auf den hier weiter ausgeführten Gesichtspunkt der 'congruentia clausularum' ist schon oben hingewiesen. Nach dem, wichtigen Grundsatz richtiger Abwechselung, der fi eia ß oXrj , den u. a. Dionys für die Wortfügung überhaupt, nicht bloß von der Rhyth- misierung fordert, wird das Proömium der dritten Verrina S. 168 bis 174) zergliedert.

Welche Versfüße dienen hauptsächlich zur Bildung von Klauseln ? Bei der sehr häufigen ditrochäischen Klausel überwiegt an drittletzter Stelle der Spondeus vitam neglegetis - - - -^ - die Form caede restitisset - k^ - k^ - —, während bei der dispondeischen Klausel Spon- deus und Trochäus an drittletzter Stelle nahezu gleich häufig stehen : divelli possunt , persequi non possem -^--^--^-, -i^-i--i-. Von der clausula ditrochaica vel bacchiaca ist die häufigste Form de quibus mox agemus oder ut novae proferuntur, die unter Hereinziehung der vorhergehenden Länge sich als Kretikus -f- Di- trochäus messen läßt, also die Zielinskische Validaklausel. An vor-

IVb. Der Prosarbythmus. 91

letzter Stelle überwiegen nach Zanders Tabellen S. 181 fF. unaufgelöster Molosser, Kretikus, Spondeus , Trochäus bei weitem den ent- sprechenden, rhythmisch gleichwertigen aufgelösten Versfuß, ähnlich Kretikus und Trochäus bzw. Spondeus an der letzten Stelle. Natürlich ; das fordert der Auslauf, die interpungierende Kraft der Klausel. Dem entspricht auch das Überwiegen der Zäsuren von der Form morte multarunt oder esse possimus oder der zäsurlosen Ditrochäen und Dispondeen wie consecutus, amiserunt (diese 57 "/o). Der Rhythmeniktus weicht in der Klausel oder richtiger im ab- schließenden Teil derselben (terminatio) wenig vom Sprachakzent ab (s. S. 194. 205. 207).

Für die Bemessung des Umfange s der Klauseln befolgt Z. (S. 177) den Grundsatz: „tantum r3'thmi habendum , quantum clausulae quoque loco iteratur congruenter". Also z. B. Cat. I 2 nicht bloß vitemus ^, ein Palimbacchius, in welchem Diomedes die clausula und zwar eine stabilis clausula sieht, auch nicht bloß tela vitemus - w C7 , was wir uns als Ciceros (und der Asianer) Lieblingsschlußrhythmus anzusprechen gewöhnt haben , namentlich nach Zielinskis Prozenten der Validaklauseln (vgl. Zander S. 204), sondern tela vitemus ~^~-^ wird nach Z. erst rhythmische Klausel als Responsion oder Wiederholung vom gleichen Rhythmengebilde prid(em) oportebat (s. S. 197).

Aber trotzdem möchte auch ich abgesehen von der Frage der Responsion bei aviiO^era - eine selbständige, nicht notwendig auf Korresponsion gegründete Kraft der Klauseln , namentlich die angenehm interpungierende Kraft der 'Validaklauseln' annehmen. Der Redestrom , meist in den Rhythmen w - oder verwandten - -, ww- usw., wird wie eine Schwimmbewegung durch Umkehr (-w), antispastisch (w w) , fühlbar gehemmt, nach Bedarf durch eine weitere Länge oder einen weiteren Trochäus (Spondeus) noch mehr abgestellt, so durch die Formen fateretur, videretur usw. So würde ich entsprechend den Schlüssen impetrare debetis, casus fefellerunt, atque discrimen, nee voluntate, posse diftidant (S. 71 ff.) auch S. 77 et clari fuerunt - -'- ^-~ messen, nicht -] ^ ^ -. Ebenso Pomp. 2 esse duxerunt - v^ - ' wie esse voluerunt -^^-l^-- oder qu(i) eam mihi dederunt w] -1 .^ ^ - , nicht esse düxerünt.

Eine der schwierigsten Fragen behandelt Kapitel III der Com- mentatio S. 227 272: De comprehensione orationis, schwierig besonders für den Theoretiker, der wie Cicero in seinem Orator oder Blass und Z. neben dem numerosum der Gorgianischen Figuren iävTii^tra) und neben der mit ihnen verwandten Periode

92 G. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

(comprehensio, orbis, ambitus u. a.) einen selbständigen, nach jenen Kunstraitteln aufgekommenen, dem Redefluß und Gedankenabschluß dienenden Rhythmus (numerus) annimmt. Auf die Fülle scharf- sinniger, weitgreifender Fragen, die Cicero wohl im Anschluß aa eine vortreffliche griechische (peripatetische?) Quelle stellt (orator 180 183), hat das Altertum eine erschöpfende, einheitliche Antwort nicht gegeben ; auch unsere moderne Rhythmenforschung ist noch weit davon entfernt.

Z. hält sich im Verlauf der Ausführungen mehr an Quintilian als an Cicero, für dessen Orator er stellenweise (s. S. 243) nicht schmeichelhafte Worte hat, und gliedert das Ganze in die drei Teile : de concinnitate S. 227 240, de conformatione comprehensae sententiae S. 240 261, de conclusione sententiae rythmica S. 161 272. Die Arbeiten von A. du Mesnil blieben anscheinend unbenutzt.

Auf Konzinnität, d. i. vornehmlich die Gorgianischen Figuren {ccvrid^eTa), verstand sich Cicero, der den Resonanzboden der seichten Zuhörermassen kannte, wie wenige ; das zeigen auch die von Z. daraufhin anal^^sierten Ausschnitte (Cat. II 1 ff.). Und wo die roQyieia herrschen, da hat man zunächst das paria paribus referre, den Parallelismus ins Auge zu fassen, dann erst Periodi- sierung und Sonderrhythmus. „Semper haec, quae Graeci avTiO^era nominant, . . . numerum Oratorium necessitate ipsa efficiunt et eum sine industria" (or. 166). Der Versiktus übertönt leicht den Sprach- akzent, der Iktus der Antithese den des Wiederholungsrhythmus, Auch Z. trägt dem Rechnung, z. B. S. 268 Nr. 40 oder S. 265 Nr. 12 „periodus conclusa et comprehensa est non tarn rythmo quam concinnitate parisi atque homoeoteleuti".

Man wird doch Tusc. I 117 (III S. 126) gliedern:

ut homines mortem ^ ^ ^

vel optare incipiant -^ o w -

vel certe timere desistant ^-w •,

nicht :w^w--v^^. ,,..

ut hommes mortem

vel optajre incipiiant vel certe ti[mere desistant]

In der Betonung der antithetischen Entsprechung hatte J. May gar manches richtig angemerkt. Der in der Rhythmisierung noch wenig bewanderte auct. ad Herenn. gibt zur Wortfigur Compar (IV c. 20) die Weisung: 'Compar appellatur, quod habet in se membra orationis , de quibus ante (c. 19) diximus , quae constant e.x pari fere numero syllabarum. Hoc non dinumeratione

IV b. Der Prosarhythmus. 93

nostra fiet nam id quidem puerile est sed tantum adferet

usus et exercitatio facultatis, ut animi quodam sensu par membrum

superiori referre possimus , hoc modo : In proelio mortem parens

obpetebat, domi filius nuptias comparabat; haec omnia gravis casus

administrabant: 12 12 - 13 Silben, ^ v,. w-^l

_ I _ ' ' '

In hoc genere saepe fieri potest, ut non plane par numerus sit syllabarum et tamen esse videatur ; si una aut etiam altera syllaba est alterum brevius aut si, cum in altero plures sunt, in altero longior aut longiores, plenior aut pleniores syllabae erunt, ut longitudo aut plenitudo harum multitudinem alterius adsequatur et exaequet'.

Das gilt für die weit ausgedehnte Gruppe der contentiones (IV c. 15), der contraria (c. 18), der membra (c. 19), der articuli, •wohl auch des similiter cadens und similiter desinens, ebenso das disiunctum c. 27.

In der conformatio comprehensae sententiae gibt Z. S. 246 den Begriff der Periode: „oratio conclusa, . . . quae cum sit rebus verbisque perfecta, stabilis ac structa, ipsa per se in suo fine con- sistat" und läßt auch periodi periodorum (S. 247) gelten. Wenn Cicero or. 214 in dem Satz patris dictum sapiens temeritas fili comprobavit oder (225) quem quaeso nostrum fefellit, ita vos esse facturos ? Perioden (orbes) sieht, obwohl eine markante -/.af-iTirj oder üvöTQO(p\ zu fehlen scheint, so entfernt er sich wohl nicht von der Anschauung seiner Zeit (Zander S. 242 f.). Die Formen der zusammengesetzten Perioden finden in der conformatio eine ein- gehende Erörterung. Wie der gorgianischen Figuren bedient sich Cicero auch oft der kunstvollen isokrateischen Perioden, selbst in Gerichtsreden. Doch wechselt er nach den Stoffen die genera dicendi leichter und angemessener als die Durchschnittsredner. Das wird von Z. S. 261 mit Recht betont; jetzt wäre auf die Einzelausführungen in der Dissertation Philipp Götz es': De Cic. tribus generibus dicendi, Rostock 1914, bezüglich der Caeciniana, Pompeiana, Rabiriana zu verweisen.

Für den Abschluß des rhythmisierten Gedankens fordert Z. in dem letzten Paragraphen 'De comprehensione et conclusione sen- tentiae rvthmica' (S. 261 ff.) sowohl den rhythmischen Kolonabschluß mit Entsprechen als den eigentlichen Periodenabschluß , d. i. das letzte Kolon. Hier ist noch nicht alles geklärt.

Von den S. V f. verzeichneten beachtenswerten Sprach- erscheinungen, die durch die rhythmische Forschung als gesichert erscheinen, hebe ich einige heraus: relicuus (4 silbig, auch nach

94 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

Zielinski), cottidie (bei Fi'iedrioh vorwiegend), miseritis u. a. (auch Zielinski, May u. a.), die Zusammenfassung von Präposition und Substantiv cümegestate und der Formen von esse mit dem Partizip redemptisunt, wofür auch die Hss. Ciceros und Qnin- tilians sprechen, auch nesciöquod u. ä. Fälle wie servituti(s) peri- culo oder omni(s) fortuna mit Unterdrückung des s nach alt- lateinischer Art sind nicht selten ; vereinzelt wird der hiatus pro- sodiacus angenommen: liaud sciö an nünquam. Aber der Abfall von s wie in generi(s) S. 31 , genu(s) S. 131 , die Verkürzung eämque optimam S. 121, sed ömnino S. 127, die häufige Systole tu eös S. 128, qui ubique, paulöante (S. 213), auch fuerunt, unlus u. ä. erregen Bedenken und fordern stellenweise zur Nachprüfung der Responsion auf. Unbedenklich sind natürlich Formen wie consili oti fili , unbedenklich auch Elision beim Zusammentreffen von Vokalen , Hiat bei Pausen. Näheres möchte man erfahren über das Schwanken von v (Konsonant) und u, wie bei Lucrez tenuis tenvis ; die Aussprache cuius , cuidam , wofür die mutili Ciceros öfters quidam bieten, u. ä.

Werden zur Vermeidung des Hiatus und zur Erzielung besserer Rhythmen griechische Formen, wie Agamemn o n (statt Agamemno), Demosthen e n statt Demosthenem , Lalagen oder Elpinic e n statt Elpinicam verwendet?

Indices wie beim II. Band hätte man auch beim III. gern gesehen. Der schwierige Druck ist auch hier sehr sorgfältig überwacht.

Ein zusammenfassendes Nachwort fehlt. Vielleicht wird es bei einer Fortsetzung der Eurythmia späterer Zeit nachgeholt; denn abgeschlossen ist die Eurythmia auch mit den drei stattlichen Bänden (gegen 1500 S.) noch nicht; vgl. Z. selbst III S. 181. Abschließendes wird sich in diesen flüssigen Dingen überhaupt schwerlich feststellen lassen. Aber Z. hat das Verständnis der antiken Kunstprosa von den Anfängen bei dem älteren Gorgias bis auf Constantin den Großen pro virili parte gefördert (besonders in der Iktusfrage) und ungemein viele Anregungen und Stoffe zum Weiterarbeiten gegeben. Die zur Veranschaulichung gewählten Partien bieten auch im III. Band wertvollen Inhalt; die Analyse ist einseitig, aber einheitlich und meist konsequent, auch in schöner Darstellung geboten , besonders in klassischem Latein , das man immer seltener zu lesen bekommt ; der Tatsachenbefund wird sorg- fältig an den Zeugnissen der alten Theoretiker geprüft. Eine pole- mische Auseinandersetzung mit anderen modernen Richtungen wird nur als Ünterströmung des Werkes vernehmbar.

IV b. Der Prosarhythmus. 95

Die Besprechungen von Zanders Werken böten Stoff für ein besonderes Referat.

Z.B. E. Drerup, der im wesentlichen diese Responsion ab- lehnt, sagt bei der Besprechung von Zander I im Lit. Zentralbl. l'Jll^ 1543: „Ich bleibe im wesentlichen bei meiner früher dargelegten Anschauung (vgl. N. Jahrb. f. Philol. Suppl. XXVII, 1901 S. 233 bis 248), daß der Prosarhythmus in erster Linie im Kolon selbst sich entwickelt durch Responsion und durch Mischung rhythmischer Füße und kleinerer Rhythmenkomplexe, mit gewissen Freiheiten zur Vermeidung metrischer Gebundenheit. Daß gewisse Rhythmen sich, auch in folgenden Kola wiederholen können, steht dieser Annahme nicht im Wege ; solche Wiederholungen dienen zur deutlicheren Markierung und kraftvolleren Belebung des Rhythmus, ohne aber ein konstitutives Element desselben zu enthalten." Bei der Besprechung^ von Zander III im Lit. Zentralbl. 1915, 391 f.: „Am anregendsten unter den durchweg spinösen Ausführungen des Verfassers erscheinen mir seine Darlegungen über Iktus und Wortakzent, wenn sie auch auf einem völlig schwankenden Grunde beruhen und darum bei fort- schreitender Erkenntnis vielleicht ganz über den Haufen geworfer» werden. Denn der Verf. gerät hier in das Gebiet der Akzentlehre und der Sprachmelodik (vgl. II S. 282 f. die antiken Zeugnisse), deren psychologische Betrachtung bei den alten Sprachen neuestens an- gebahnt worden ist von A. Thumb, „Satzrhythmus und Satzmelodik in der altgriechischen Prosa" ... In der Tat wird durch solche Be- obachtungen die Erforschung des inneren Rhythmus der kunstmäßigen Periode auf die notwendige breitere Basis gebracht werden können^ nachdem die einseitige Untersuchung der rhetorischen Klauseln nur ein Teilgebiet, nicht aber das eigentliche Wesen des Prosarhythmus hat erschließen können. Überblickt man aber die Gesamtleistung Zanders^ in den drei schweren Bänden seiner Eur^-thmia mit mehr als ISOOSeiteUj. so kann man sich eines Gefühls des Bedauerns nicht entschlagen, daß- hier eine Unsumme von Scharfsinn und von hingebungsvoller Arbeit an eine im Grunde verfehlte These verschwendet worden ist, wodurch auch im einzelnen richtige Beobachtungen und Ausführungen bedenk- lich in Mitleidenschaft gezogen sind." Drerup verweist auch auf die- eiugehende Würdigung von Karl Münscher, Gott. Gel. Auz. 1913, S.445L

Th. Bögel erkennt DLZ 50, 2643—2648 bei Zander im ein- zelnen Wertvolles an , tadelt aber Künstlichkeit , Gewaltsamkeit^ Willkürlichkeit. Grundsätzliches auch bei Otto S ehr 0 e der , Über den gegenwärtigen Stand der griechischen Verswissenschaft. Progr^ Naumburg a. d. S. 1912.

96 ^'- Anunon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

Zander I besprochen WfklPh 1911, 898—902 von H. Bornecqixe ; LZ 1911, 1542—1545 von E. Drerup. DL 1912, 1699—1701 von P. Wendland; BphW 1912, 897—904 von G. Ammon; GGA 1912, 445 460 von K. Münscher.

Zander II von W. Kroll in Glotta VII (1916) S. 401 f.

X^PITE^, Friedrich Leo zum sechzigsten Ge- burtstag dargebracht. Berlin 1911, Weidmann, 490 S. 8.

Besprochen von R. Helm in BphW 1912, 1284 ff., von Hoppe WfklPh 1912, 1141.

K. Münscher hat in Nr. 15 der XccQiteg in seiner Abhandlung ^Der Abschnitt vom Rhythmus in Ciceros Orator" S. 323 bis 358 diese glänzende Selbstverteidigung Ciceros gegen attizistische Einseitigkeit scharfsinnig und geschickt analysiert , besonders von § 140 an. Hauptquelle für den rhythmischen Teil des Orator sei ein Isokrateer aus Ciceros Zeit, da er die asianische Beredsam- keit eines Menekles und Hierokles bekämpfe ; die Vorlage habe Cicero gekürzt, teilweise auch mißverstanden oder auch beiseite geschoben ; manches habe er aus Eigenem dazu getan ; für den Abschnitt de usu sei vielleicht ein rhodisches Lehrbuch benützt. Der Befund und das Bild der (musivischen) Arbeitsweise, wie diese •S. 356 f. zusammengefaßt wird, mutet den Leser und Quellensucher nicht gerade einladend an. Und doch scheint die Charakterisierung in der Hauptsache richtig; sie gilt mutatis mutandis auch von anderen zeitlich benachbarten Schriften , besonders von den Tus- kulanen , deren zahlreiche Berührungen (Attizismus , Psychologie, Lektüre) mit dem Orator auch von KroU nicht vollständig auf- gezeigt sind. Aber gerade die philosophischen Schriften Ciceros legen für seinen rhetorischen Eklektizismus und den Bau des Orator folgende Gedanken nahe :

1. Cicero hat, wie er von sich rühmt, die isokrateische und aristotelische Richtung verschmolzen ; das will im vollen Umfang ■durchgedacht sein.

2. Beide Richtungen stehen sich nicht erst in den Apollodoreern ■und den (sich auf die Gerichtsrede beschränkenden) Theodoreern gegenüber, sondern in einer mehrere Menschenalter umspannenden Schultradition ; die herrschende ist die isokrateische, und diese kommt <iberall wieder zum Vorschein, bei Cicero wie bei Dionys von Halikarnaß.

3. Cicero nennt und kennt nicht bloß die Häupter Isokrates und Aristoteles, sondern ihre Diadochen, besonders die literarischen: <iort Ephoros (Theopomp), Naukrates, hier Theodektes, Theophrast,

IV b. Der Prosarhytbnius. 97

Dikaiarchos, Aristoxenos, den isokratesfeindlichen Hieronymus von Rhodos, den er für die Rhetorik [30 Senare bei IsokratesJ wie für die Philosophie benützt hat.

4. Cicero vereinigt mit der Rhetorik die Philosophie und zwar nach Ausscheiden der für die Rhetorik wenig fruchtbaren Epi- kureer [doch starke Berührungen mit Philodeni] die drei auch Rhetoren bildenden Sekten : die Platoniker, der Meister selbst mit den Dialogen Gorgias, Protagoras, Phädon, Phädrus, Tiniäus, Politeia, dann Karneades, Antiochos und Philon (Partit. 5 auch im Orator be- nützt); die Peripate tiker : Aristoteles selbst mit seiner Rhetorik (wohl I + II, später auch III) und der ^vvayojyt] Tsyvwv, Theodektes, Theophrast (auch mit seinen philosophischen Monographien yrsQi /rXovioi\ 71. ßaaiXeiag, :t. (piXoTiiticti; nsw.)^ Dikaiarchos, Aristoxenos (Silben nicht zählen), Hieronymus; die Stoiker für die logischen, psychologischen , teleologischen und grammatischen Partien (im orator wohl durch Varro) : Chrysipp, Poseidonios, Diodotos.

5. Die Schriftstellerei seiner Freunde : Atticus über Chrono- logie (hier wenig), Varro über Sprache, Brutus De virtute.

6. Seine eigenen Studien über Geschichte, Recht, Theologie (Poseidonios).

7. Unterhaltungen (mit Diodot, Nikias, Tiro usw.) und Vor- lesungen (z. B. durch die anagnostae bei Tisch im Hause des Atticus),

8. Cicero diktiert meistens; daher Hör- und Schreibfehler der librarii; Zusätze an falscher Stelle (vgl. Brut. .307 ff.).

In seiner eingehenden lehrreichen Besprechung von Walter S au p e , 'Die Anfangsstadien der griechischen Kunstprosa in der Beurteilung Piatons' (Leipziger Diss. 1916), kommt Karl Münscher BphW 1917 Nr. 32 Sp. 980 auf die Xagiieg, besonders auf Cic. or. § 174 ff. zurück. „Der Autor, den Cicero von § 174 ab mit seiner vierteiligen Disposition über den Rhythmus benutzt, hatte völlig richtig Thrasymachos als den princeps inveniendi (175) ge- nannt, während Cicero, in völliger Unkenntnis der Bedeutung des Thrasymachos , obwohl er seiner Quelle den Satz nachschreibt : cuius omnia nimis etiam exstant scripta numerose , immer wieder Gorgias an dessen Stelle setzt." Gegen W. Kroll, Orator 1913, 14ff. , hält Münscher an der Zweiquellenbenützung (einer iso- krateischen und einer rhodischen) durch Cicero in dieser Partie fest. „Cicero arbeitete, mindestens in diesem Schlußteil des Orator, mit sichtlicher Hast unmittelbar griechische Quellen kompilierend und zusammenschweißend, hier und da . . . aus dem Bestände der eigenen Kenntnisse, wie er sie in De oratore verwendet hatte, er-

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 179 (1919. II). 7

98 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

gänzend und umgestaltend : eine einheitliche, widerspruchslose Dar- stellung über den Rhythmus zu schaffen, ist ihm deshalb nicht ge- lungen, und so ist es gerade in diesem Oratorabschnitt möglich, das lose Gefüge seiner Mosaikarbeit in die einzelnen Werkstücke zu zerlegen. •" Auf den Mangel an Einheithchkeit in der Behandlung des Rhythmus, die selbst modei-nen Forschem nicht gelingen will, habe ich in früheren Berichten mit Th. Zielinski u. a. hingewiesen. Über den Unterschied zwischen Thrasymachos und Gorgias ver- breitet Münscher willkommenes Licht. „Thrasymachos hat die TzeQioöog und ihre xwAa mit einem völlig neuen, künstlerischen Ingrediens geschmückt : um die Prosa in wirksamste Konkurrenz zur Poesie treten zu lassen, übernahm er nicht wie Gorgias die in der Poesie ') seit langen Zeiten beliebten schmückenden Klang- figuren, vielmehr suchte er seiner Prosa den Wohlklang der Verse zu verschaffen durch Einführung des prosaischen Rhyth- mus, der zwar gleichartige rhj'thmische Bestandteile wie der poetische, aber nicht die gleichen rhythmischen Gebilde verwendet. Und damit steht Thrasymachos am Anfange einer über ein Jahr- tausend sich erstreckenden Kunstübung." Auf die Arbeiten von B. Roellmann, K.Zander und besonders auf die vorzügliche '^ Darlegung „des Einflusses der griechischen Poesie auf Gorgias" durch K. Reich in dem Ludwigshafener Programm (1907/08 und 1908/09) wird gebührend hingewiesen. Auch Umwelt und Fort- wirken der beiden Stilkünstler (bei dem Extreme meidenden Iso- krates usw.) lehrt uns Münscher besser kennen. Die Schätzung der sizilischen Beredsamkeit bzw. Theorie (Cic. Brut. 46) sei schon von Aristoteles übertrieben worden; vgl. aber W. Süß, Ethos.

Über das Verhältnis von natürlichem und beabsichtigtem Rhyth- mus wären auch die an K. Marbes Vortrag (1904) sich anschließenden Arbeiten zu vergleichen, besonders A. Thumb, Satzrhythmus und Satzmelodie in der altgriechischen Prosa (Fortschritte der Psycho- logie und ihrer Anwendungen , herausgeg. von K. Marbe , Leipzig 1913, Teubner); über diese berichtet eingehend Karl Münscher Berl. ph. Woch. 1915 Sp. 460—466. „Wir sind wohl berechtigt, schließt Münscher ablehnend , auch weiterhin im Anschluß an die Alten die Technik der rhythmischen quantitierenden Klauseln zu untersuchen." Vgl. Drerup oben zu Zander.

') Die Poesie hat auch sonst, so im Lateinischen und Deutschen, der Kunstprosa in "Wortwahl und Wortgefüge vorgearbeitet.

IV li. Der Prosaihythmus (Zielinski). 99

Bernhardus KüIImann, De nnmeri oratorii primordiis. Diss. Münster i. W. 1910. Gr. 8. 84 S.

Die unter Karl Münschers Ägide entstandene umfassende Dissertation behandelt vornehmlich den Erfinder der rhythmisierten Prosa, Thrasymachus von Chalkedon, und bespricht S. 4 die wichtige Stelle Or. 175 princeps inveniendi fuit Thrasymachus etc. Röllmann urteilt verständig: „Certo Thrasymachi scripta Cicero non legit, sed admiratione, qua eiQETt'^g in rhetorum graecorum di- sciplinis afficiebatur, imbutus est vel studiis rhetoricis, quae in Rhodo diligenter coluit , vel enchiridio Graeco rhetorico , quo de numero scribens usus est. Ceterum Aristoteles in libris de arte rhetorica scriptis, quos ipse legit atque exscripsit (ut ex oratore § 192^193 apparet) hoc de Thrasymacho iudicium confirmatum in- venit." Seine Analyse der Partien aus Thrasymachus, Gorgias, Thukydides , Antiphon und der pseudoxenophonteischen Schrift Vom Staat der Athener zeigen die Bevorzugung gewisser Versfüße und Formen in den Klauseln, besonders kretische Klauseln bei den vier ersten ; natürlich mit Unterschied.

Für die Anfänge des Prosarhythmus (Cic. or. 175) sei noch eine Frage gestreift : Während Augustin Bachmann in seiner Dissertation (Münster i. W. 1911), Aiax et Ulixes declamationes utrum iure tribuantur Antistheni necne , eine in der Richtung der späteren, bei Aristoteles und Cicero dargestellten Theorie be- absichtigte Rhythmisierung der (echten) Deklamationen durch den Kyniker annimmt, erklärt W. Altwegg in seiner Besprechung BphW 1912, 708 710 diesen Rhythmus, besonders den jambischen Fluß, für ein instinktives, in den Formen der Zeit natürlicherweise sich aussprechendes Gefühl.

Für die Erforschung des Prosarhythmus bei Cicero steht im letzten Jahrzehnt Zielinski im Vordergrund : Klauselgesetz, sein Ausleben , der konstruktive Rhythmus. Den Inhalt dieses Haupt- werkes bitte ich nach meiner Darlegung Berl. phil. W. 1918 Nr. 21 im wesentlichen wiederholen zu dürfen.

Th. Zielinski, Der konstruktive Rhythmus in Ciceros Reden. Der oratorischen Rhythmik zweiter Teil. Leipzig 1914, Dieterich. 295 S. gr. 8. 4 Tabellen. 12 M.

Die meisten der mit lateinischem Prosarhythmus seit 1904 sich beschäftigenden Arbeiten stehen bereits mehr oder minder unter dem Einfluß von Z ielin skis Werk, 'Das Klause Ige setz in Ciceros Reden' (1904), das in früheren Berichten besprochen ist

7*

100 Cr. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

und das auch auf Textkritik und Erklärung seine Wirkung zu äußern beginnt, wenn auch, wie Z. bedauernd andeutet, zu einseitig mit der Wertung der Klauseln (bevorzugt, erlaubt, gemieden, verpönt). Die mit Spannung erwartete Ergänzung zum Klauselgesetz, der kon- struktive Rhythmus, ist nach achtjähriger Arbeit (1912) vollendet, 1914 im Philologus und zugleich als Sonderdruck erschienen.

Nach der in der E i n 1 e i t u n g (S. 3 35) wiederholten Morpho- logie hätten wir unter den 17 902 von Z. in Ciceros Reden unter- suchten Klauseln:

V(alidae)-Klasse von der Form morte vicerunt usw. 10 845 oder

60,3 o/o, L(icitae)-Klasse esse videatur u. ä. 4776 oder 26,5%, M(alae)-Kla3se facile perspicio u. ä, 874 oder 4,9%, S(electae)-Klasse et patres conscripti u. ä. 1159 oder 6,5%, P(essimae)-Klasse nunc in ipso iudicio u. ä. 248 oder 1,4 "/o,

wobei 'Auflösung' w v^ w w für - w ^ usf., 'Entfaltung' -^^ w

für - w ^ usf. und 'Erschwerung' w für - ^ ^ usf. zu

der jeweiligen Klasse gerechnet wird; so wäre selbst www

als eine seltene Nebenform von -w w-w anzusprechen (S. 9), wogegen sich freilich ein metrisches Gewissen sträubt. Mit Recht berücksichtigt Z. auch den Einschnitt der Klausel, die Typologie, auf die namentlich L. Havet , H. Bornecque und andere Gewicht legen, während neuestens wieder eine rein metrische Richtung da- von nichts wissen will und auch den antiken Theoretikern vor Christus dieser Gesichtspunkt fernliegt. Wenn wir für est inimi- cissimus die Bezeichnung haben L2^'"/?^ oder die zweite Art der erlaubten Klausel mit der Auflösung von durch einen Trochäus und dem Worteinschnitt in dieser Auflösung nach der ersten Silbe, so mögen diese und ähnliche Bezeichnungen manchem, so seinerzeit Fr. Blass, verwickelt erscheinen ; überlegt, folgerichtig und zweck- mäßig sind sie jedenfalls. Ein Satz trennt mich bei aller An- erkennung der Zusammenstellungen und des Systems Zielinskis von seiner Auffassung, der Satz : „Cicero hat von seinem eigenen System keine Ahnung; die bewußte Absicht spielt in der praktischen Rhyth- mik Ciceros nicht die geringste Rolle" (S. 15). Wenn Cicero im Orator 214) Klauseln wie filii comprobavit, wenn er -w-w, - w w - in erster Linie anerkennt, so stimmt doch der tatsächliche Befund seiner Klauseln in der Hauptsache dazu ^). Und die Zeit- genossen hätten den Rhythmus des Redners kaum so angefochten,

>) Vgl. oben L. Laurand (in Musee Beige XVII [1910], S. 95 flf.).

IV b. Der Prosarhythmus (Zielinski). 101

wenn sie ihn nicht für beabsichtigt gehalten hätten. Gewiß wirkt das Gefühl, das Gleichgewichtsgefühl, die rhythmische Eukrasie wie beim Dichter das ingenium, „aber der denkende Künstler ist noch eins so viel wert" , urteilt Lessing. Das Höchste wird erreicht, wenn auch die Kunst Natur zu sein scheint oder zur zweiten Natur geworden ist. Selbstverständlich meine auch ich nicht, Cicero hab sich bei jeder zweiten , dritten Klausel auf die richtige Wahl be- sonnen, aber ganz unbewußt, ganz ohne Absicht sind die esse videatur und ähnliche nicht; cfvoig, (.läO^TjOig, aa'ATjOig wirken wie in der Kunst überhaupt, so in der rhetorischen und in der Rhyth- mik zusammen (vgl. Cic. or. 52 naturae variae et voluntates oder 59 vocis bonitas optanda est . . . sed tractatio et usus in nobis). So bildet Cicero sogar den Schluß der Platonischen Apologie nkr^v rj Z(7) i^eot nach arbitror neminem (Tusc. 141, 99). Aber Z. betont noch einmal im Anschluß an das „Präponderanzgesetz" S. 62: „Die ciceronianische Rede, dieser Gipfel des Kunstmäßigen, ja (wie manche meinen) des Verkünstelten , hat sich uns als ein Natur- produkt erwiesen", und kommt in der Schlußbetrachtung S. 289 f. eingehend darauf zurück und will für Cicero und für Spätere, etwa Apuleius, verschiedene Entwicklungsstufen und Maßstäbe annehmen. Aber die Grenze zwischen dem „unbewußten, lebendigen Üben" (Natur) und dem Rhythmisieren nach „angelernter Theorie" wird für eine fortgeschrittene Zeit leicht verschwimmen (S. 290). Vgl. übrigens W. "W u n d t , Grundzüge der physiologischen Psychologie IP (1910) S. 459 (gegen Th. Lipps). Wären die geschriebenen Reden Ciceros ein ganz getreues Abbild der gesprochenen , so würden wir auch die Atemverhältnisse des Redners, namentlich im Hinblick auf die summa gracilitas (Brut. 313), in Rechnung zu setzen haben. Die Scheidung (S. 24) : „Wir erhalten somit zwei entsprechende Reihen, eine grammatische (Periode Satz Glied) und eine rhyth- mische (Klausel Satzschluß Kolon)" ist mir nicht klar geworden, auch nicht durch die Erklärung: „Das Kolon ist die Zelle des prosaischen Rhythmus ; der Satzschluß ist nichts als ein ans Satz- ende, die Klausel nichts als ein ans Periodenende gestelltes Kolon." Einmal würde die dem Cicero und seinen Zeitgenossen geläufige Dreiteilung : /rEQiodog y.coXov ■/.Oj.ii.ia auch uns geläufiger sein S. 31 werden die Kommata als „grammatisch begrenzte Satzteile" mit in Rechnung gesetzt , dann hat der grammatische 'Satz' bei dem Messen und Zählen der Silben keinen Platz , wohl auch in Zielinskis System (vgl. S. 30 u.). Wie sehr auch Umfang der drei Silbenkomplexe Periode , Kolon , Komma schwanken , durch den

102 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

grammatischen Bau werden sie schwerlich bestimmt : ab ineunte aetate susceptae wird man als Kolon nehmen, das wohl aus zwei Kommata besteht. Wenn in Fällen, wie Phil. XIII 302 Hie cum)

Gaio fratre | putat se litigare - ^ und -^ ^-^ die kurze

Schlußsilbe des ersten Kolons für das zweite als betonte 'Stütz- silbe' lang genommen wird (fratre), so kann mau Zweifel nicht unterdrücken, die bei der häufigen Annahme von Stützsilben in der Zergliederung der Ligar. 1 5 S. 32 35 noch verstärkt werden; vielfach 2, ja 3 Silben als Stütze, vgl. aber S. 277. Freilich hat diese rh^'thmische Stütze ihr Analogon an der grammatischen dno xcivot- Stellung. Bei dem im Anschluß an das Stützsilben- gesetz so formulierten 'Elisionsgesetz': „Die elisionsfähige letzte Stützsilbe wird nicht elidiert, wenn sie den Ton trägt ; ist sie tonlos, so gilt sie für das erste Kolon als voll, für das zweite als elidiert" (S. 29) bekennt Z. selbst, daß hier noch spinöse Untersuchungen zu machen sind. Zander ist der Sache schon feinfühlig nachgegangen.

Das wichtigste Gesetz der oratorischen Rhythmik nennt Z. das Konstanzgesetz: „Das Mischungsverhältnis der verschiedenen Kölaklassen (V, L usw.) ist innerhalb derselben Rede von Abschnitt zu Abschnitt ein konstantes" (S. 39 und 48). Z. teilt mit, daß er die Probe für sämtliche Reden Ciceros gemacht habe, ein Herculeus labor, und formuliert unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Typologie, die in der V-Klausel ein Überwiegen von y und ö zeigt, das Konstanzgesetz für Cicero so (S. 45): „Jedem rhythmischen Gebilde haftet als solchem bei Cicero ein unbewußter, aber sehr bestimmter Gefühlswert an , der sich äußerlich in der Tendenz kundgibt, unter anderen rhythmischen Gebilden gerade so und so oft, nicht öfter und nicht seltener, zu erscheinen. Diese Tendenz kommt um so vollkommener zum Ausdruck, je länger die Strecke ist, auf der sie beobachtet werden kann."

Wie zu erwarten war, haben die verschiedenen Klauseln für die Pausenstufen einen verschiedenen Wert : Die V-Klauseln einen stark positiven , audeat iudicare , auch saeculä, saeculorum die P- und S-Klauseln (die verpönten und gesuchten) einen stark negativen Wert. Das macht sich beim Steigen oder Fallen der Prozentsätze beim Übergang zu einer höheren Pausenstufe geltend : V für Perioden 60%, für Sinnesabsätze 62 <*/o. So tritt das Stufengesetz (S. 52) dem Konstanzgesetz zur Seite, der kon- struktive Gesichtspunkt (S. 53). Wenn die V 2 possem cognoscere an interpungierender Kraft hinter die Licitä- Klauseln zurücktritt (S. 4 und 55), was im Entwicklungsgang des Redners immer mehr

i

IV b. Der Prosarhythmus (Zielinski). 10;j

geschieht (S. 70) , so verdient sie streng genommen nicht mehr die Bezeichnung bevorzugte Klausel ; L^ esse videatur hat viel mehr abschließende Kraft (S. 56) , wozu die Melodie der Vokale noch das ihrige beiträgt (vgl. Z. S. 232) *).

Daß die Pessima-Klausel iudicio credas -^^ ein gefälliger JBinnenrhythmus, aber als Abschluß wenig beliebt ist, merkt Z. S. 58 an. Was die Diäresenformen (Typologie) anlangt , so sind archi- pirata Via oder morte vicerunt V ly stark positiv, dagegen stark negativ V 1 d und Ißö^ in den Binnenkola am häufigsten, in den Klauseln geradezu gemieden.

Zu der 'Persönlichkeitsmarke' gesellt sich nach Z. noch die chronologische (III. Kap. S. 63 ff): V steigt im Wert, L und M sinken schwach , S und P sinken stark ; V 2 und typologisch Y ly nehmen in den zehn von Z. gemachten Abschnitten der rednerischen Tätigkeit oder richtiger der SchriftsteDerei Ciceros zu, V2 geht zurück. Dann wird die Art der Reden, z. B. der epi- deiktische Charakter der Pompeiana und Archiana, gebührend be- rücksichtigt. Für die höhere Kritik , wie für die Echtheit Post red. , Mur. , für den Zeitansatz Rose. com. , ergeben sich hier wichtige Stützpunkte. Ich möchte in der 'Entwicklung' von Ciceros "feinem rhythmischen Instinkt' auch eine Frucht seiner bewußt rhythmischen Bemühungen bezw. Studien , nicht zuletzt eine an- setzende Uniformierung sehen , wie sie in viel höherem Maße bei späteren Schriftstellern (Plinius d. J. , Quintilian) zur Herrschaft gelangt ist. Das den ersten Abschnitt über Eurhythmie abschließende *Komplosionsgesetz' S. 74 88 bietet trotz feinsinniger Be- obachtung wenig Greifbares. Cicero hat den Zusammenstoß von - ^ und ^ - , wie in more senatorio , nicht ängstlich gemieden , so daß in der Rosciana sich 67 Fälle finden, vgl. über das Vorkommen von - w I v^ - innerhalb der Kola in der Archiana Franz Novotn\' in der BphW 1917, Sp. 220. Zusammenstöße wie causam dicere

dominos ^ww-/- sind selten ; ihre Zurückführung auf die

Grundformen bereitet Schwierigkeiten. Daß auch andere zeit- genössische Schriftsteller gegen die Komplosion nicht empfindlich waren, zeigt der feinsinnige Brief des Matius an Cicero (fam. XI 28),

*) R. Lach, Das Kadenz- und Klauselproblem in der vergleichenden Musikwissenschaft [in der Zeitschrift für die österr. Gymnas. LXVII (1916) S. 601—642], rückt der Klauselforschung der letzten Jahrzehnte vor, daß sie sich ausschließlich auf das rhythmische Moment beschränkt habe unter Beiseitelassung des melodischen (S. 611); auch über esse videatur S. 623. Vgl. meine Bemerkung Burs. CV (1900) II S. 250.

104 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909— 1U17.

wo nahe beisammen diese Klauseln stehen : summe studui , salute laboravi, offenderet animum.

Zu Beginn des zweiten Teiles, der Symmetrie (S. 89 283)^ betont auch Z. mit Recht, daß sich die rhythmische Analj^se nicht, einseitig auf die Klauseln zu beschränken habe, sondern das Ganze umfassen müsse (natürlich, wo rhythmisierte Prosa vorliegt). Ebenso- betont er wiederholt, aber nicht überzeugend : Die Eurh^'thmie ist vollkommen unbewußt, der partielle Schmuck oder die (zumeist den rhetorischen Figuren entsprechende) Symmetrie ist mit bewußter Absicht durchgeführt. Wer zieht die Grenze zwischen dem „natür- lichen" Rhythmus und dem der FoQyiEia und der ^reQiodot ? Über die „rhythmischen Figuren" (Anapher, Epipher, Proode,. Epode , Anadiplose , Anatriplose , Kyklos , Strophe und andere)i werden wir von Z. in der „Einführung" vorläufig unterrichtet (S. 90 bis 99). Mit Zanders und anderer Responsionstheorie hätte sich. Z. bei der rhythmischen Anapher, die man am Anfang, nicht am. Abschluß der Kola sucht, auseinanderzusetzen, zum Beispiel Zander,. Eurythmia Cic. (1914) S. 3 Pomp. § 1 quamquam mihi | semper frequens oder der „Doppelanschlag" Lig. § 5 Cum ipsa legatio | plena desideri -^ ^ w •^- S. 114 usw. Die rhythmische Analyse der Ligariana mit dem rhythmischen Kommentar S. 100 113 ist auch typothetisch ein Kunststück, fast Kunstwerk..

Als einer der wichtigsten Sätze für das Wesen der Symmetrie (Kap. III) gilt: „Quantitative Verschiedenheit der Glieder bei Identität der symmetrischen Kola" (S. 116). Hat man zu trennen:.

a quo gM<?ramini prohibitos vos -w-v./ww-— 3^ contra Caesarem gerere bellum -^./-v^ww-— 3^

mit Z. oder nach 4 incisa so :

a quo queramini w ^^ - j)rohibitos vos w^w-w

contra Caesarem ^ -

gerere bellum ^ ^.> w - cj '?

Ahnlich. proposit^qne sententiä

(-tentia) nullä contumelia V 6 wobei die Herübernahme von 3 Stützsilben aus sententiä für die folgende Validaklausel eben doch etwas Willkürliches hat, oder

qiioriim igitur impunitas, Caesar V 1

tuac c/cmentiae laus est V 1 Man kann mit einiger Übertreibung sagen: Zander schiebt das,, was nicht zu seinen Entsprechungen (Wiederholungen, iterationes)

I

IV b. Der Prosarhythmus (Zieliuski). 105

paßt, dem Nichtrhytbmisierten der Rede, den IxQQvO^^ia zu, Zielinski dem Anlauf, den herrenlosen Eingangssilben vor den rhythmischen Gefügen. Was entspricht dem Befund und der alten Theorie mehr? Auch Z. schließt die Partie (S. 119): „Im ganzen kann man sagen: wie auch der Gliedanfang behandelt werden möge, bei der Identität der Kola , die wir in dieser ganzen großen Masse von Beispielen gehabt haben, ist die Symmetrie für jeden ohrenbegabten Menschen sehr auffällig". Stimmt. Der strengen Symmetrie tritt zur Seite die freie (S. 120), die Nichtidentität der Kola, so daß zum Bei- spiel m«;estigatumst quod latebat w-^, die erschwerte Valida-

klausel 3 , der regelmäßigen confitendurast opinor - ^j <y-^ ent- spricht oder auch ihrer nächsten Parallelform oder deren Ableitung. Auch ihrem Wert nach verschiedene Klassen (V, 8, P) entsprechen sich. Doch ist diese 'exogene' Art von freier Symmetrie viel seltener als die 'endogene'. Und in dieser endogenen überwiegt die freie einstufige Symmetrie , wie die eben aus der Validaklasse angeführte, mit 57% weitaus die übrigen (S. 134). Und so ge- langen wir mit Z. zu dem von den Alten wie von den Neuen (auch von Blass, Zander, Ma\') immer wieder betonten Satz : Symmetrie, wie Rhythmus überhaupt , muß da sein , darf aber nicht zu sehr auffallen, da sonst der kunstprosaische Charakter in den poetischen umschlagen würde. Die Abwechslung, die /.lEraßoXij , gilt wie in der ganzen )JBig so auch in ihrer Rhythmisierung.

Bei der 'Urquelle der rhythmischen Symmetrie', dem zwei- geteilten Satz, für den Z. aus seinem die Symmetrie aller Reden umfassenden Material eine sprechende Auswahl vorlegt (S. 135 ff., z. B. Cat. I 8 num negäre audes? Quid tacesV Con- vincam , si negas , die erschwerte Valida 2) , überwiegt die freie endogene einstufige Symmetrie (47%); sie dient, durch Anaphora oder Epiphora unterstützt, vornehmlich dem Gedanken, dem Beweis als kurz zusammenfassende Formel (S. 140). Von den aus dem zwei- geteilten Satz entwickelten symmetrischen Formen ist diese (Rose. 57)

alii vestrum anseres sunt V 3^

qui tantummodo clamant V 1,

nocere non possunt, V 1 oder die Pro od e (Abb) verhältnismäßig selten, aber wirksam.

Eines der umfassendsten (S. 145 178) und wichtigsten Kapitel ist das VI.: 'Der Doppelschluß'. 'Was die Klausel für die Eu- rhythmie, das ist der Doppelschluß für die Symmetrie' (S. 145)> Eine Klausel des Vaterunser sicut et nos di|mittimus debi|toribus- nostris (rolg offeüJraig 7j/iituv , Matth. 6, 12) liegt den meisten

106 <^'- Amnion: Ciceios rhetorische Schriften 1909—1917.

Lesern im Ohr, ohne daß sich viele über die Wiederholung der Validaklaiisel -^--- Vld Rechenschaft geben. Und in der Tat fallen solche streng symmetrische Doppelschlüsse eben wegen ihrer Regelmäßigkeit weniger auf. Z. führt uns die strenge und die freie Symmetrie mit den Unterabteilungen der Juxtaposition, Kontinuation und Konjunktion an einer umsichtigen Auswahl vor: z. B. Rose. 2 multo plüra dixisse, quam dixisset, putaretur, wo der V 1 eine V 1 mit Anlauf entspricht, oder Rose. 65 et suspicione omni | liberati sunt, wo in der 'Kontinuation' die zwei Validä unmittelbar auf- einanderfolgen , oder Pomp. 70 innocentia tecti - repellemus , wo für die 'Konjunktion' eine 'Stützsilbe' für die zweite Valida an- zusetzen ist (-). Wenn auch nicht selten durch die Symmetrie <lem Inhalt Rechnung getragen wird, was seinerzeit J. May be- :Sonders in der Analyse der Rosciana nach seiner Art dargelegt Jhat, so ist der Doppelschluß doch vor allem auf Klangwirkung •eingestellt ; dabei 'wird auch die schlechteste Klausel durch die Symmetrie geadelt' (S. 52), ja die Wiederholung der P(essimae) •erscheint nicht selten als die wirksamere.

Noch häufiger als die strenge Symmetrie ist was für die •oratio soluta et vere libera zu erwarten stand und wofür die analy- sierte Ligariana als Muster gelten darf die freie Symmetrie, von 752 Fällen 388 gegen 156, daß also in den verschiedenen Klauselklassen (V, S, P) der schweren die leichte, der unaufgelösten •die mit einer oder mehr Auflösungen entspricht, und daß dies nicht bloß in der Verwandtschaft (ein-, zweistufig) nach den drei ■Gesichtspunkten : der Juxtaposition , der Kontinuation , der Kon- junktion geschieht (endogen), sondern in gleicher Weise auch außer- halb der Verwandtschaft, V mit S oder P, exogen. Dabei geht in •der Regel die abgeleitete Form (Erschwerung, Auflösung) voraa ausgenommen V 1 ^ wegen ihres 'magnetischen Zuges zur Klausel' (S. 168) : 'wird V mit S oder P in symmetrischen Zusammenhang gebracht , so geht regelmäßig S bezw. P voran' <S. 167). Bei den letzten Worten des Redners (Phil. XIV fin.) si vivi vicissent (S 1), qui mörte vicerunt (V 1) wirkt natürlich auch der Vokalismus des Melos mit. Was Z. (S. 170) über die '^'olubilität des lateinischen Akzentes' für deutsche Leser an- merkt, vectigal neben vectigal, fäteor neben fateör (S. 231) oder amicos tenes neben amicös , möchte ich auf Grund meiner Be- obachtungen, auch an lebenden Sprachen, unterstreichen; ganz fremd ist die Erscheinung auch dem Deutschen nicht (empor *:mpor, Altar Altar, Motor Motor u. a.); vgl. dagegen D. Lit.-Zeit.

IVb. Der l'rosarbythmiis (Zielinski). 107

1915, 1775 wegen credatis postulö. In der Vorführung der Ep od e {Kap. VII) Muster z. B. Dei. 21 in balneo posuerat (V 2^), quae e balneo in cubiculum (2^), transire non possunt (Vi) bestimmen die gleichen Gesichtspunkte (streng : frei, einstufi«^ : mehr- stufig, endogen : exogen, Juxtaposition -Kontinuation Konjunktion) die Auswahl. In dieser rhythmischen Figur a a b, die bisweilen zur Strophe a b a b c anwächst , nimmt bei dem engeren Zusammen- schluß von a a gegenüber b die strenge Symmetrie zuungunsten der freien zu. So Dei. 6 Spectarem curiam, intuerer forum ,* caelum •denique testarer ipsum. Im übrigen regt hier wie sonst oft der Verf. in seiner geist- und lebensvollen Art den Leser zum Mit- und Weiterforschen an. Das Gegenstück vom Doppelschluß , den Doppelanschlag, wie Rose. 74 Quomodo occidit? (Vi), ipse percussit (Vi), führt Z. in Kap. VIII in gleicher Weise vor. Dabei ergibt sich auch ein Vorwiegen der strengen Symmetrie und ■die für die Einschätzung des Initialrhythmus wichtige Be- merkung, auf die man freilich nicht gefaßt ist: Die Anadiplose ist zu Beginn der Periode weit weniger beliebt als am Periodenende (S. 195), weil weniger wirksam, wie Z. annimmt. Hier dürfte eine Nachprüfung und Analyse der Initia, die wirkhch vorne anfängt, nach der Art von C. Zander, noch angezeigt sein. Die Terzine (Aba) betrachtet Z. (S. 197) als eine Weiterbildung des zwei- geteilten Satzes. Liest man in dem Dispositionssatz der Pompeiana § 6 Causa quae sit, videtis (V 3) ;

nunc quid agendum sit, considerate (erschwerte V 3) mit Clark ipsi considerate, so haben wir nach Z. die (selbständige) Terzine:

Causa quae sit, videtis ; V 3

nunc quid agendum sit, P 1

ipsi considerate. V 3 Zander, der sich in seiner Eurythmia Ciceronis (S. 5) auch für die Lesart ipsi considerate entscheidet, bleibt bei der Zweiteilung und sieht die Responsion zu ipsi considerate ---1-^-— erst im folgenden primum mihi videtur de genere belli ----^w--, ähnlich dem nachher zu besprechenden 'Anschluß' Zielinskis. Ich verfolge die verschiedenen Standpunkte nicht weiter. Die Terzine, für die Z. 142 Fälle in der üblichen Gruppierung (streng, frei, Juxta- position usw.) vorführt, wahrt mehr die strenge Symmetrie und dient der 'straffen Zusammenfassung eines bedeutenden Gedankens' (S. 205). Mit der Terzine wird der Kyklos (S. 206) vereinigt, bei welchem a a nicht durch ein b (a b a), sondern durch mehrere Mittelglieder (a . . . a) geschieden sind. Der rhythmische Kyklos

108 G. Ammon: Ciceios rhetorische Schriften 1909—1917.

dient dem Verweilen bei einem Gedanken (vgl. ad Herenn. IV 42^ 54 expolitio , auch commoratio § 58) oder zum Ausdruck einer Sentenz. Der 'Anschluß' (Kap. X), für den Z. aus Theokrit . . KaXoi^ d/rcpig. ^4nq^vg (xäv . . . anführt , auch an ein hübsches- altbayerisches Volkslied erinnert auf den Hexameterschluß und -anfang . . ovta, ovTCi . . in lebhafter Schilderung bei Homer habe ich gelegentlich hingewiesen , der Anschluß, die Fuge, die An- knüpfung wird in der üblichen Weise veranschaulicht. Wegen de» Anschlusses wird auch der Doppelmolossus Phil. XII 2 lamentari uxorem fautores Antoni S. 278 verteidigt. Ob bei dem Beispiel der strengen Symmetrie Pomp. 10 virtüte depulsumst. in altera parte - ^ w dieses parte vor der Fortführung ita res ab . . . est administrata nicht mit Zander (S. 7) zu elidieren ist? Außer der Schilderung ist diese rhythmische Figur für die Erzählung und Charakteristik besonders geeignet (S. 215). Noch eingehender spricht Z. über das Verhältnis von Rhythmus und Inhalt in dem XI. Kapitel 'Die Häufung', die als Figur der Affekte (Mitleid^ Zorn usw.) bezeichnet werden darf; wer den rhythmischen Forschungen ferner steht , der sei vornehmlich auf diese Aus- führungen (S. 228 ff.) mit der geeigneten Heranziehung von Musik und Psychologie hingewiesen. Beispiel: Die Geißelung des Gavius Verr. V. 162 Caedebatur virgis in medio foro Messanae civis . . . nisi haec : civis Eomanus sum. Wir wissen alle, Cicero hatte als Mann der Affekte das tribus verbis pugnare auf seine Fahne ge- setzt (or. § 226). Auch rhythmisch ist die Häufung (ovvaÜQOiöfiOQy congeries) aus dem Dreischlag erwachsen. Drei- bis sechsmal oder öfter V 1 usw. gibt die strengs3^mmetrische Gruppe der Häufung» zu der die freisymmetrischen Gruppen (schwer leicht usw.) zu rechnen sind. In der gemischten Gruppe werden die gleichartigen Glieder durch vereinzelte andersartige unterbrochen (S. 225 if.), wie Cluent. 109 Quod erat odium bis condönatum esse Oppianicum. Dieses Beispiel enthält zugleich Doppelhäuiungen und bildet den "Übergang zur Strophe. Anfang und Ende der Periode sind als wichtigste Stellen vielfach auch durch die Figur der Anapher und Epipher (Kap. XIIj künstlich gehoben. Ein Beispiel wie der Panegj'rikus auf Pompeius (Pomp. 30) : Testis est Italia . . . confessus est liberatam, testis est Sicilia . . . celeritate explicavit usw. spricht selbst für den Laien in der Rhythmen forschung eine deut- liche Sprache ; wenn er die Analyse bei Z. S. 235 und die bei Zander S. 20 vergleicht, wird er auch die Hoffnung nicht auf- geben, daß man der rhythmisierten Prosa auf verschiedenem Weg

IV b. Der Piosarhytbmus (Zielinski). 109

feeikommen kauu. Außer den nach strenger und freier Symmetrie aufgeführten Gruppen (S. 239 ist Pomp, 8 non victoriam statt ut victoriam zu lesen) wird bei der htKpoqä noch eine wichtige Ver- bindung mit Doppelschluß u. a. als komplizierte Gruppe ver- anschaulicht. Inhalt und rhythmische Form stimmen schön zu- sammen, Mur. 63 Nostri autem . . . aliquando gratiam. Überrascht wird , wie ich , mancher Leser sein von dem Widerspiel : In der Rhetorik sind die Anfangsfiguren bei weitem beliebter als die Schluß figuren, in der Rhythmik umgekehrt (>S. 249), 'zumal nach den jüngsten Untersuchungen über Anaphora u. a. in ■der silbernen Latinität. Aber selbst wenn man, von anderem Ge- sichtspunkt ausgehend, zum Beispiel mit Zander (S. 139), durch Feststellung des schweren Initialrhythmus (vgl. Pomp. 27 restat ut de imperatore -^^--w- S. 18), das Zahlenverhältnis von rhyth- mischer Anaphora und Epiphora etwas verschiebt, Z. wird doch recht behalten : Cicero wirkt besonders durch die Verbindung der rhetorischen Anapher mit der rhythmischen Epipher. Einhämmern und Pause , Erregung und Ruhe wird wohl der psychologische Hauptgrund sein. „Rhythmus ist," sagt Richard von Kralik in seinem Vortrag 'Zur Philosophie der Geschichte' (1898) S. 3, „Rhythmus ist die mehr oder minder regelmäßige Abwechselung zweier Gegensätze , einer Thesis und einer Antithesis oder Arsis, eines Ja und Nein." *

Die rhythmische Figur der Sentenz , in der Inhalt und Form zusammenstimmen, ist nach Z. (Kap. XIII) die Strophe, die sich in ihrer einfachsten Form, der Vierzeile, aus der Verbindung von Doppelanschlag und Doppelschluß ergibt. In drei Abteilungen werden ihre Unterarten die paarende a a b b , die weit zahl- reichere epiphorische ab ab (S. 252 256), die chiastische abba an auch inhaltlich wertvollen Beispielen zur Anschauung ge- bracht. Besser als die etwas wirren Variationen der fünfzeiligen Strophe, wie a b a c c oder a b c c b , gliedert sich die sechszeilige ; an ihrer Zwei- und Dreiteilung a b a b c c Terzine + Proode, a a b c c b Doj^pelanschlag -\- chiastische Vierzeile usw. ver- gegenwärtigt sich der Leser auch leicht die meisten früher be- handelten Figuren ; ebenso bei den sieben- und mehrzeiligen Strophen, bei denen außer den zwei- und dreigeteilten auch 'eingefaßte' (a a, b a b , a a) an vier Beispielen veranschaulicht werden. Daß auch der Lentulusbrief Cat. III 12 Sed ita: 'Quis sim, scies ex eo, quem ad te misi' usw. im Rhythmus Ciceros verläuft, werden jetzt selbst Schwergläubige Z. zugeben.

110 G. Amnion : Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

Hat Z. schon während der langen Wanderung durch das Ge- biet der Symmetrie den Leser zum Mitforschen, namentlich zum scharfen Prüfen der Tabellen ermuntert , so weist der Rückblick (Kaj). XII) noch einmal nachdrücklich auf den Anbau dieses Neu- landes hin (S. 277). Die 2191 Fälle für 12 Figuren der rhyth- mischen Symmetrie , darunter 752 für den Doppelschluß , 223 für die Epipher, 294 für die Strophe, sind nur eine Auswahl aus den rhythmisch-symmetrischen Figuren, die Z. in den Reden Ciceros- zusammen auf mehr als 15 000 veranschlagt, nicht zu reden von den ungezählten Fällen verdunkelter Symmetrie. Zum Schluß be- rührt Z. noch zwei Fragen, die mir nächst dem Akzent die heikelsten scheinen : Elision und syllaba anceps. Mit der syllaba anceps wären wir rasch fertig , wenn wir mit Cicero , Dionj's von Hali- karnaß und anderen antiken Theoretikern bei der Analyse des Prosarhythmus (la prose metrique) jede Schlußsilbe als doppelzeitig nähmen; aber die jetzige Rhythmik ihr Aber mögen andere be- antworten. Die Elision oder Synalöphe , die besonders Zander im zweiten Band (1913) seiner Eurythmia nach den Zeugnissen der Alten eingehendst geprüft hat, läßt sich nicht in allen Fällen über einen Kamm scheren. Z. behauptet die Zulässigkeit der Syllaba anceps und des Hiatus in der Diärese der Validaklausel 1 bei aufgelöster Basis oder Kadenz wwv^ w oder -w v^ww und gibt für beides Belege. Fälle wie Quinct. 69 erat enim , inquit wären wegen inquit wohl besonders zu behandeln (unter Ver- gleichung der aviikaßai im Drama). Bei anderen entscheidet der Standpunkt des Rhythmikers; so sieht Z. in Pomp. 28 in summo imperatore quättuör | has res inesse oportere drei Validäklauseln 1 ; Zander (III S. 18) läßt so korrespondieren : imperatore | quättuor has res in | esse oportere, indem er quättuor mißt -w.

In der Schlußbetrachtung S. 284 292, die Z. an seine 'Nachfolger' richtet , kann er zunächst das Ergebnis dieser lang- jährigen, entsagungsvollen Arbeit von 1904 bis August 1912 seine 'zentrale wissenschaftliche Arbeit' feststellen; die Grund- züge der 'oratorischen Rhythmik' sind durch die beiden Werke 'Klauselgesetz' und 'Konstruktiver Rhythmus' 'mit all der Sicher- heit festgelegt, wie sie nur die Mathematik zu bieten imstande ist', und zwar nicht bloß für Cicero, sondern für den prosaischen Rhyth- mus überhaupt. Mit welchen kleinen und großen Zahlen Z. arbeiten mußte, dafür sprechen die Schlußsummen der vier Tafeln : Tvpo- lögie der Satzschlüsse V 29 784, Typologie der Kola 51 779, Morpho- logie der Kola 124 790. Die Anwendung auf die niedere und

IV b. Der Prosarhythimis (Zielinikij. Hl

höhere Kritik, auf Orthographie, Prosodie, Akzentlehre, Zeitansätze- und Echtheitsfrage ergibt sich von selbst, meint Z., auch ohne da& sie im 'Konstruktiven Rhythmus' ex professo gemacht wurde wie im Klauselgesetz, zum Beispiel die Echtheit der Marcellina, Cicero- nische Rhythmisieruug des Lentulusbriefes, die Länge in fuerlmus- und ähnlichen Formen , bei denen das Falsche immer noch ein- gedrillt wird. Für den Weiterausbau dieser neuen , neben der poetischen Metrik selbständigen Disziplin zum Beispiel bei Seneca, den Quintiliauischen Deklamationen, Piaton gibt Z. wert- volle Richtpunkte , betont aber , daß sie Anfängern nicht wohl zit empfehlen ist. Über die Scheidung 'Persönlichkeitsmarke' und 'angelernte Theorie' habe ich bereits oben gesprochen. Der FAn- fluß , den Zielinskis Forschungen bisher schon geübt haben , läßt erkennen, daß man seine Arbeit ernst genommen hat. Selbst wer anderer grundsätzlicher Ansicht ist, wird den wohlüberlegten, fest- gefügten Bau bewundern; vgl. die Ablehnung von Hb r In im Lit. Zentrbl. 1917, 21 f. Die geist- und lebensvolle Darstellung, die fühlen läßt, daß Z. nicht bloß gerechnet, sondern auch gelesen hat,^ reißen den Leser mit fort, selbst durch ödere Partien.

Der ungemein schwierige Druck ist mit bewundernswerter Sorgfalt überwacht (S. 153 arhvthmisch statt arrhythmisch und Cat. II 23 statt II 26, wo Z. auch gegen Clark für die Ls y eintritt). Neben der Inhaltsübersicht S. 293 bis 295 wären Indices, nament- lich für die zahlreichen Termini , wie Konstanzgesetz (Constanz- gesetz), Stützsilbe, autokol, akephal, endogen, exogen, am Platz.

Trotz der Ungunst der Zeiten werden diese die Alt- und Neu- l^hilologie wie die Germanistik und Psychologie vereinigenden Fragen zu neuen Forschungen reizen ; so kündigt Franz Novotny ein Werk an , mehr in der tj-pologischen Richtung der Franzosen gehalten ; A. W. de Groot will im Gegensatz dazu die streng metrische Richtung: verfolgen (Mischungsverhältnis von Längen und Kürzen) ; und sind einmal Zanders Bücher gründlich studiert, dann v/ird auch die Re- sponsionstheorie nicht einfach als abgetan gelten. Was mich von Z., für dessen Führerschaft nicht bloß das Horazianische qui sibi fidit dux regit examen gilt, trennen könnte, ist, wie ich zum Teil schon bei Bursian angedeutet habe, etwa folgendes : der Grad des theoretischen Verständnisses der Alten , besonders Ciceros , das Verhältnis der 'Persönlichkeitsmarke' zum gewollten Kunstmäßigen (Eurhythmie und Symmetrie), seine Stellung in der geschichtlichen Entwicklung, die zu weite Ausdehnung des Klauselrhythmus auf Kosten des Initialrhythmus (vgl. A. Klotz, D. Lit.-Ztg. 1915, 1777), die Ver-

112 ^'' Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

schiedenheit der incise , inembratim , circiimscripte dicta auch für den rhythmischen Verlauf (Isokrates: Piaton). In der Xt^ig avti- xeiairri {aviii)-eza), in dem teils natürlichen {f.uv . . öi . .), teils gesuchten Sprachgegensatz folgt der Rhythmus dem Sinn und dem Ausdruck (Cic. or. 166), nicht umgekehrt, und zwar mehr in freiem als in strengem Entsprechen. Einzelne Fragen , wie Ausdehnung ■der Stützsilben, der Elisionen und Hiate, der Wirkung der Diärese, ■des Hyphen, Fragen prosodischer Art (patris?) sind untergeordnet. Aber Z. hat, wie seine Apologie des Klauselgesetzes uns lehrt, auch mit solchen Bedenken gerungen und sie niedergerungen. Die ■Grundlagen seiner oratorischen Rhythmik , dieses gewaltigen Neu- baues , sind breit und tief; mit seiner an sich etwas verwickelten Terminologie und seinen Tabellen läßt sich der leicht zerfließende Stoff, das Feinste, Zarteste, Geheimnisvollste in der Sprache neben •dem Melos, sicher festhalten, gliedern und weitergeben. Ich wollte , wir hätten ein gleich gründliches , handsames Werk über Ciceros oratorische Melodik.

Auf eingehendere Besprechungen von Zielinskis konstruktivem ühj-thmus wäre noch hinzuweisen:

Fr. Lauterbacher, Jahresb. d. Ph. V. Berl. 40 (1914) S. 250—259 (Inhalt).

A. Klotz, Ciceros konstruktiver Rhythmus, Deutsche Literaturzeit. 1915, Nr. 35 S. 1773 ff.

M. Pohlenz, Theol. Literaturzeit. 1916, 22.

Aus dem Aufsatz zu Zielinski von A. Klotz, der die Ver- dienste anerkennt, sei noch herausgehoben: „Gewiß darf man nicht ohne weiteres die Betonung des einzelstehenden Wortes für den Satz als durchweg maßgebend betrachten. Aber wie weit die Satz- fügung den Akzent der Wörter beeinflußt, dafür bietet die Sprache der Komödie wenigstens wichtige Anhaltspunkte. An eine grund- sätzliche Veränderung der Betonun«: in der Zeit zwischen Plautus und Cicero zu glauben, haben wir keinen Anlaß." Mit den y.iölov- und -/.c'iU/ua-Schlüssen ist die Rhythmusfrage noch nicht erledigt, es müssen auch Anfangs- und Binnenrhythmus untersucht werden. Wie weit der Klauselrhythmus mit dem Asianismus zusammenhängt, sei noch aus der geschichtlichen Entwicklung klarzulegen. Die ge- fühlsmäßigen und gedankenmäßigen Ausdrucksmittel müßten zu- sammenstimmen.

A. C. Clark, The Cursus in Mediaeval and Vulgär Latin. Oxford 1910. 31 S. gr. 8.

IV b. Der Prosarhythmus. 113

Durch Klauselanalyse von Partien aus den vulgären Schrift- stellern Petronius und Vitruvius sowie des intimen Briefes C i c e r o s an Atticus IV 5 gelangt Clark, der hier Akzentklauseln, nicht metrische , annehmen zu müssen glaubt , zu der Anschauung : Der accent of stress (dynamischer, Stärkeakzent) der Volkssprache, der auch Hiaten eigentümlich sind , wurde bei der Herübernahme der griechischen Theorie mehr und mehr durch einen accent of pitch (Höhenakzent) bei den Vornehmen (im sermo urbanus) ersetzt, ohne daß diese sich der Grundverschiedenheit der beiden Sprachen bewußt wurden. Vgl. meine Besprechung in der Berl. phil. W. 1911, 780 783, wo für Ciceros Orator 166 fF. diese Gliederung

betont ist:

collocatio

compositio loncinnitas numerus

(Iliat u. il.) {FoQyitia)

Johann May, Rhythmen in Ciceros Reden. Progr. Durlach in Baden 1912. 23 S. 4.

Der uns zu früh entrissene Gymnasialdirektor May, einer der bestimmtesten Vertreter der rhythmischen Responsionen, hat seinen früheren Arbeiten eine gleich gerichtete neue hinzugefügt und Re- sponsionen in den Reden pro Quinctio , pro Roscio comoedo , pro Caecina aufgezeigt. Karl Löschhorn lobt WfklPh 1913, 40 ff. die Arbeit als recht fleißig und beachtenswert. Ich habe die Richtung Mays, der auch bei Bursian über Ciceros Reden berichtet hat, schon in früheren Berichten gekennzeichnet.

Einen kurzgefaßten Auszug aus einem Teil seines vorbereiteten Werkes , in welchem eurythmische Theorien der griechischen und lateinischen Prosa besprochen werden, teilt mit:

Franz Novotny, Eine neue Methode der Klausel- forschung. Berl. phil. Woch. 1917, 217—222.

Novotny wendet sich gegen das Verfahren (Nordens u. a.), Silbenreihen eines prosaischen Textes in metrische Füße einzuteilen, unter gänzlicher Außerachtlassung der Wortgrenzen; das ist, füge icli bei, durchaus die Art, wie Dionysios von Halikarnassos die Rhythmisierung aufzeigt. Aber auch die Typologen , die wie Zielinski und die französische Schule (L. Havet, H, Bornecque) die Wortgrenzen berücksichtigen , begingen den gemeinsamen Irr- tum, „als ob die numerischen Angaben einer Klauselstatistik ohne weiteres durch die stilistischen Neigungen und Absichten des.

Jahresbericht für Alteitumswissenschaft. Bd. 179 (1919. II). 8

114 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

Schriftstellers zu erklären wären". Als Einheiten der EurNthmie der Prosa sei die metrische Gestaltung von einzelnen Wörtern und keine metrischen Versfüße zu betrachten , ein Gesichtspunkt , der ja nicht neu ist. Die Klauseln seien mit Binnenteilen (Kola) zu vergleichen und zwar desselben Werkes , nicht zeitlich oder sonst auseinanderliegender Werke. Die aus Cicero pro Archia u. a. mit- geteilten Beobachtungen mögen auf gewissen Liebhabereien in der Wortstellung beruhen, wie pergrata perque iucunda oder Aus- lassung von esse vor putabam u. ä. , bestätigen aber ein noch stärkeres Überwiegen von Zielinskis Validäklauseln. Doch wir wollen das angekündigte Werk selbst abwarten.

A. W. de Groot in Groningen (Holland) beschäftigt sich seit etlichen Jahren mit dem Prosarhj'thmus. Nach seiner Mitteilung BphW^och 1915, 1135 f. ruht schon seit 1913 ^j eine Untersuchung über lateinischen Prosarhythmus bei den Herausgebern der Revue de Philologie ; seine Untersuchung über die Akzentklauseln bei Prokop ist 1917 erschienen (vgl. meine Bespr. BphW 1918, Nr. 29). Im Hinblick auf die jüngsten Auseinandersetzungen von Thumb , Münscher , Marbe , Maas u. a. stellt er einige Sätze auf (BphW 1915, 1135 f.), darunter diesen: „Die nicht rhythmisierenden Texte sollen nicht, wie Marbe vorschlägt, auf die Anzahl der be- kannten Normalklauselformen untersucht werden, sondern man soll in rhythmischer und nichtrhythmischer Prosa eine gleiche Zahl Silben am Ende der Periode , z. B. acht , untersuchen. Nur in dieser Weise läßt sich die wirkliche Länge der Clausula, soweit sie als solche gefühlt ist , bestimmen , und daß diese Länge sich bei Cicero auf - w v^ - w (also nicht wie - ^^ - ^) erstreckt, glaube ich in rein mathematischer Weise durch einfachen Vergleich überzeugend darlegen zu können." Das „also nicht wie -^-w" verstehe ich nicht ganz. An sich hat die Forderung gewiß etwas Be- rechtigtes. Aber die Achtzahl der Silben ist selbstredend etwas Willkürliches, wenn auch Cicero die Klausel -w-- . - w sehr häufig verwendet; die Klauseln werden auch nach Länge und Anlage der Perioden selber verschieden sein; wenn nicht Zanders Gesichts- punkt der iteratio entscheidend ist. Wenn die rhythmische Analyse der Alten oft eine kleinere Silbenzahl als Klausel nimmt, so können wir Modernen ihr folgen. Wie sich de Groot mit der Theorie der kretischen

') Während des Druckes ist mir zugegangen das Werk A. W. de Groots 'A Handbook of antique prose-rhythm, I History of Greek prosemetre De- mosthenes, Plato, Philo etc.' (Groningen 1918); das andie 'De numero ora- torio latino' ei warte ich.

IV b. Der Prosarhythmus. 115

Basis (Zielinskis) oder der Responsion (Zanders) auseinandersetzen wird, wird sich zeigen. Noch wichtiger scheint mir die von de Groot an Thukydides, Philo, Demosthenes, Piaton in dem Aufsatz

Eine neue Methode der Klauselforschung

in der BphWoch 1917, 1158 ff. festgestellte Tatsache:

Aus den 8-Silbenkombiuationen sind gesucht

9. 16. -y^yy<y

81.-96. -^-^ 105.— 112. -w--^, also in der Hauptsache Validäklauseln. Die Typologie oder Zäsur der Klausel macht keinen Unterschied ; „also kennt die griechische Klausel nur Metrik, keine Typologie" (gegen Novotny BphWoch 1917» 217 222, gegen Bornecque, Thumb u. a.). Cicero und Dionys von Halikamaß sagen auch nichts von Typologie ; aber Zielinskis Tabellen und die typologischen Feststellungen Havets , Bornecques usw. lassen sich doch nicht so leicht beiseite schieben.

H. Draheiin, Lateinischer Prosarhythmus. In: Woch. f. klass. Phih 1910 Nr. 47 und 48 Sp. 1294—1302 und 1352—1358.

„Rhj'thmus ist geregelte Bewegung und beruht auf Natur- gesetzen." „Ohne Hebung und Senkung ist Rhythmus nicht denk- bar. Die Senkung kann unterdrückt und durch Verlängerung der Hebung oder durch Pause ausgefüllt werden." „Akzentuierender Rhythmus geht in quantitierenden über;" aber auch umgekehrt. Verf. verweist dann auf Cic. or. 168 226 und die Arbeiten von Blass , Zielinski , May (Responsion richtig) , Norden , Bornecque, Havet, Clark und will zu ermitteln versuchen, was man sich unter Satzrhythmus vorzustellen hat. Es wirken Tonstärke (Quantität bei den Lateinern, wie in honöres) und Tonhöhe (bei den Griechen) zusammen. Die Brücke von den Klauseln Ciceros zu den Klauseln Ammians bildet der Wortakzent. Natürlich wirkt die Klausel --^ v,/ anders in sententia mansi, anders in advenit ex- cessit; darüber hat auch Zielinski das Nötige gesagt. „Wo fängt das Satzende an? Diese Frage läßt sich mit Längen- und Kürzen- zeichen überhaupt nicht beantworten." . . „Wenn bei Ammian auch nicht die Quantität gilt, sondern nur die Betonung, so ersehen wir doch, daß für die Betonung die beiden letzten Wörter in Betracht kommen , und das kann nicht seine Erfindung sein. Eine einzige Betonung kann einen Rhythmus nicht bilden ; es muß eine zweite hinzukommen; diese kann neben dem letzten Wort nur im vor-

8*

116 G. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

letzten gesucht werden. Also haben wir als Klausel auch bei Cicero die beiden letzten Wörter aufzufassen, also beginnt der Klauselrhj^thmus mit der Tonsilbe des vorletzten Wortes." Die Klauseln verlangen eine Zäsur. Ergebnis: „Das Schlußwort der trochäischen Klausel ist mindestens dreisilbig, das Schlußwort der jambischen hat die Form eines Kretikus ; die diesem vorangehende Silbe ist lang; das vorletzte Wort schließt überhaupt niemals daktylisch."

Mitden Ausführungen Draheims berühren sich Untersuchungen von Shiple3'(s. u.), die Draheim W.f.kla8S.Phü.l912, 770 besprochen hat.

Fr. G r 0 p p , Zur Ästhetik der statistischen Beschreibung des Prosarhj'thmus, und

H. L. Stoltenberg, Die Bindung der deutschen Rede,

sind nach H. Draheim, Woch. f. klass. Phil. 1918, Nr. 15/16 „willkommene Versuche, das Rätsel des Prosarhvthmus zu lösen".

Zum Fortleben und Fortwirken der Rhythmisierung noch einiges.

K. Burdach, Über den Satzrhythmus der deutschen Prosa. Sitzungsber. der Berl. Akad. d. Wiss. philol.-histor. Kl- vom 1. April 1909. I. S. 520—535.

Auf den deutschen Prosadialog „Der Ackermann von Böhmen" vom Jahre 1399 hat die unter dem Einfluß des mittelalterlichen Cursus stehende Kunstprosa eines Dante (De monarchia) und eines Cola di Rienzo (De eloquentia vulgari) eingewirkt (vgl. DLZ 1918, 850), wie auch die königliche Kanzlei Ludwigs des Bayern für die Anerkennung der nationalen Sprache als offizielles Ausdrucksmittel von Italien aus beeinflußt ist. Aber schon der deutsche Urtext des Landfriedensgesetzes von 1235 richtet sich nach den Regeln des Cursus. Der römische Tribun zeigt in seinem weitschichtigen Periodenstil, in seiner feierlichen Pracht „eine fast verblüffende rhythmische Regelmäßigkeit".

Die freie Form des rhythmischen Satzkursus hat nach Bur- dach in der deutschen Prosa den Humanismus überdauert. „Ja sie ist bis auf den heutigen Tag, allen Schreibenden unbewußt, das immer wieder durchbrechende, immer wieder die Wortstellung und Wortwahl bestimmende Schema der Perioden-, Satz- und Kola- schlüsse geblieben , überall da am mächtigsten und offenbar nur nach dem stilistisch-phonetischen Instinkt des Schreibenden sich einstellend, wo ein mehr feierlicher, rednerischer Ton angeschlagen wird, wo die Darstellung in breiteren Schritten und in weiteren Atempausen sich bewegen soll." So bei Klopstock, Lessing, Gust.

IV b. Der Prosarhythmus. 117

Freytag, Leop. v. Ranke usw. Ähnlich Ziehnski in seinem 'Kon- struktiven Rhythmus'. Burdach erkennt das Verdienst der psycho- logisch-statistischen Arbeiten (eines K. Marbe, Abram Lipsky) zwar an , bemerkt aber : „Die nächste Aufgabe der Forschung muß es sein, die Entwicklung des lateinischen Cursus und seinen Eintritt in die Kunstprosa der modernen Landes- sprachen genau durch alle Stadien und Wandlungen zu verfolgen." Wie Burdach ihn von den akzentuierenden Satz- schlüssen über Otfried von Weißenburg (S. 533) weiter verfolgt, lese man bei ihm selbst nach. Vgl. auch den Schluß dieses Berichtes.

Die klassische Rede wirkt u. a. durch Rhythmus und Melos- Zu deren richtigem und tieferem Verständnis wird auch der Rhe- toriker die Abschnitte über Klangformen und die intensiven Gehörs- vorstellungen bei W. Wundt, Grundzüge der physiologischen Psycho- logie, IP (Leipzig 1910) Kap. 12 S. 382 461 mit Gewinn nachlesen.

Nach den allgemeinen Problemen noch einige Einzelfragen !

F. W. Shipley, The Treatment of Dactylic Words in the Rhythmic Prose of Cicero, with Special Reference to the Sense Pause.

In den Transactions and Proceedings of the American Philo- logical Association 1910, Vol. XLI S. 139—156.

In Zielinskis 'Klauselgesetz' und im 'Ausleben des Klausel- gesetzes' werden Fälle wie ordine iudicaris vielfach -^ .^-.^ skandiert. Dem metrischen Wert des daktylischen Wortes (ordine, possumus, Omnibus, gentibus) geht Shiple.}-, Professor an der Uni- versität New York , näher nach. Er unterscheidet im Anschluß an Cicero (Orator) und Quintilian , bei denen neben der mecha- nischen , für Statistiken bequemen Schulmessung Lang-Kurz auch die rhythmische erkennbar, aber nicht konsequent durchgeführt ist ebenso bei dem leider nicht beachteten Dionys von Hali- karnaß , eine doppelte Pausenart : die nach starken Inter- punktionen , wie sie gewöhnlich in der Klauselforschung beachtet werden, und die rhetorischen, die debita actionis respiratio

mit ihren inania tempora, z. B. non turpe duceres 1 - ^ -• So

wird durch emphatische Pause omnia deferri aus der Pompeiana,

der die meisten Beispiele entnommen sind, -w— | , also aus

einer P(essima) 1' zu einer S(electa) ^. Überhaupt erhalten von 439 daktylischen Wörtern, die auf Tafel I und II in ihrem W^ert mit Interpunktionspausen und mit rhetorischen Pausen übersichtlich zusammengestellt sind, etwa 69 *^/o kretischen Wert, so Pomp. 28

118 G. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

in surnino imperatore -quattuor- has res inesse oportere (S. 150), ein Beispiel, an dem ich andernorts (s. S. 110) Zielinskis und Zanders Art gegenübergestellt habe, ßeindaktylischen Wert wie im Hexameter habe kaum l"o; bei attingere anderem u. ä. wird natürlich Elision, bei qualia sint ein Choriambus angenommen (S. 150 f.). Wegen des reindaktvlischen Wertes seien auch die in der Poesie häufigen Verbindungen mit que (donaque, bellaque) der Prosa Ciceros fast fremd. Der Gedanke der rhetorischen Pausen ist an sich einleuchtend und der antiken Theorie nicht fremd. Aber abgesehen von der praktischen Schwierigkeit in der Aufzeigung dieser feineren Pausen, die übrigens Zielinski in seinem 'Konstruktiven Rhj'thmus' nicht unbeachtet gelassen hat , erhebt sich die Frage : Haben die Dichter nicht auch diese Art Pausen? Wohl sicher, aber ohne Einwirkung auf das Metrum : die age tibia u. ä. Dürfen wir, wenn metrische Klauseln feststehen , den rhetorischen Pausen einen so starken Einfluß auf die Messung zugestehen, wie Shipleys an sich scharfsinnige Feststellungen zu fordern scheinen? Amplius quaeratur! Auch in Classical Philology VI (1911) S. 418 betont Shipley, daß im Prosarhythmus der Akzent und die Stelle der Zäsur eine wichtigere Rolle spielen als die bloßen Quantitäten. Vgl. Saecula saeculorum. Für einige Fälle wüßte ich noch einen anderen Aus- weg. So dürfte -li- in qualia sint, insignia u. ä. vielleicht Ij zu lesen sein wie öfters in der Poesie (consilium et datis, Laviniaque, oder ut Nasldjeni Hör. sat. II 8 und 21 Servlljo). Und bei nationibus exteris , mercibus atque, partibus imminebat (S. 154) mochte man nach dem Satze (Cic. or. 153) verfahren: „Sine vocalibus saepe brevitatis causa contrahebant, ut ita dicerent : multi' modis, in vas' argenteis , palm' et crinibus , tecti' fractis , wie man locuturus est sprach locutürust (Strauß, Klauselrh. d. Bob. Cic. Schol. S. 14). Mit Recht mahnt Sh. zur Vorsicht vor Textänderungen bloß aus Gründen des Prosarhythmus, so etwa Curtius II 16: Philotae nomine scriptum zu ändern in Philotae nomine in scriptum ; hier ist aber , denke ich , die Valida-Klausel - w schon durch die Positionslänge vor scr vorhanden. In engem Zusammenhang mit seiner Untersuchung über die Behandlung der daktylischen Wörter steht ein anderer kleiner scharfsinniger Aufsatz Shipleys.

F. W. Shipley, The Heroic Clausula in Cicero and Quintilian. In Classical Philology VI (1911), S. 410—418.

Nach dem „etwas verzwickten" Wortlaut scheint Cicero Or. 217 die clausula heroica zu empfehlen; Quintilian (IX 4) ver-

IV h. Der rrosarbythmus. 119

urteilt sie; die Praxis stimmt bei beiden nicht ganz zur Theorie. Hier stellt nun Sh. durch eine statistische Übersicht über den Be- fund in Ciceros Reden, in dessen Übersetzung von Arats Phaenoraena, von Hexameterschlüssen aus Catull , Lukrez und Horaz' Satiren, dazu (VI) aus Quintilian folgendes fest : Die in der Prosa üblichsten Formen der clausula heroica (commemorare und non videatur 30 + 40 bei Cicero, 39 + 34 bei Quintilian) sind in der Poesie recht selten und umgekehrt , der übliche Hexameterschluß foedere cautumst (60 + 62 -}- 39 , 8 + 38, 3) ist in der Prosa schwach vertreten <4, 6 + 3, 6). Nach Sh. hatte Cicero bei seiner Empfehlung jene der Poesie ungelegenen Wortformen im Sinne, wobei commemorare nicht mit Zielinski commemorare, sondern commemorare zu betonen sei^); Quintilian spricht klar vom Hexameterschluß. Die wenigen Pälle in Ciceros Reden , wo wirklicher Hexameterschluß vorliegt, wie foedere cautumst , Opimius armis , werden durch Annahme rhetorischer Pausen (Emphasis) noch mehr verringert ; bei Dichtem habe man keine solche Pausen. „In prose rhythms accent and the place of caesura play even a larger part than mere quantity" S. 418, wo auf Draheim, Woch. f. klass. Philol. 1910 Nr. 47, 49 verwiesen ist. In der Tat scheinen Fälle wie Brut. 24 sed quo facilius sermo explicetur, sedentes, si videtur, agamus der V-Klausel v^ - - w - w näher als dem üblichen Hexameterschluß , wobei der vollere Vokal wie in saeculä saeculorum oder debita nostra mit- wirken mag. Man wii'd also auch den Vokalwert, nicht bloß Kurz- Lang, zu berücksichtigen haben ; vielleicht sogar Unterschiede wie dLxi dictum, accedo accessi; vgl. Hans Meltzer, Lit. Zentr.Bl. 1918, 361.

F. W. Shipley, Preferred and avoided combinations of the enclitic Que in Cicero. Considered in relation to - questions of accent and prose rhythm. In Classical Philology VIII, Januar 1913, S. 23—47.

Shipley setzt seine Untersuchungen „The Heroic Clausula in Cicero and Quintilian" und „The Treatment of Dactylic Words in the Rhythmic Prose of Cicero" fort. Sorgfältig, auch mit den statistischen Tabellen werden die Worttypen und W^ortendungen untersucht. Vgl. oben IV a.

') Draheim erklärt sich in seiner Besprechung der beiden Abhand- lungen Shipleys Woch. f. klass. Phil. 1912, 771 gegen die Nebenakzente «omm^morare u. ä, Cicero spreche Or. 217 nur von Wortformen wie dicere wv^, während Quintilian (IX 4, 102) strenger verfahrend den Vers- fuß Daktylus verwerfe.

120 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

Vittorio Bruguola, Sulla clausola Ciceroniana esse videatur. In der Riv. di filol. XXXIX (1911) S. 558 bis 563.

Anknüpfend an Tac. dial. 23 stellt Brugnola die Klauseln esse videatur (86 mal) zusammen , dazu die verwandten fuisse videatur» ludificäre videatur, esse fateatur, esse patiatur, retenta videatur usw. Mit Recht weist Br. darauf hin, daß dieses gefällige Füllsel (inter- calare) außer durch den Rh^-thmus auch durch die 'elementi vocali* (S. 562) empfohlen wird, oft nur ein vollerer Ausdruck statt des ein- fachen sit. Den Begriff des Intercalare hätte Br. aus der antiken Lehre von der Elocutio verdeutlichen und begründen sollen. Über das vokalische Element von esse videatur vgl. R. Lach, ZöG 67 (1916) S. 601.

W. Zillinger, Der Einfluß des Zitats auf die Klausel bei Cicero. Bayer. Gymn. Blätter 50 (1914), 361—363. Während Cicero in den Reden (Pro Plancio 30. post red. in. sen. 33 .usw.) öfters den Versschluß zu Gunsten des Prosarhythmus umgestaltet, findet sich nach Zillinger, dessen Dissertation „Cicero und die altrömischen Dichter" (Würzburg 1911) auch für Ciceros Rhetorica wichtig ist , unter der großen Zahl der ein- schlägigen Zitate in den rhetorischen (wie in den philosophischen) Schriften und Briefen nicht ein einziges, das im Interesse des Satzrhythmus abgeändert wäre.

J. Blum, De compositione numerosa dialogi Ciceronis de amicitia. Innsbruck 1913, Wagner. Gr. 8. 80 S.

Das erste Heft der von E. Kaiinka in Innsbruck heraus- gegebenen Commentationes Aenipontanae hatte 1906 die tüchtige Abhandlung A. Ausserers „De clausulis Minucianis et de Ciceronis, quae quidem inveniantur in libello de senectute" gebracht, über die ich seinerzeit in der Berl. phil. Woch. berichtet habe. Im Anschluß an diese Abhandlung und zur Ergänzung von Johann Mays „Rhythmischen Formen" (1909) untersucht J. Blum in dem. VIII. Heft der 'Commentationes Aenipontanae' die rhythmische Fügung in Ciceros kleinem Dialog Laelius. Der Bericht über diese Arbeit gehört in das Gebiet der schriftstellerischen Praxis Ciceros, sie berührt aber auch die Theorie (Cicero, De or. III 183. 192; Zielinski, Klauselgesetz usw.) so oft und so nahe, daß der für die rhetorischen Schriften bestellte Referent sie wenigstens in den Hauptzügen skizzieren muß.

IV b. Der rrosarhytbnius. 121

Teil I (S. 1 54) behandelt die 5 Klauseltypen

I -^--w mit IIG Stellen (S. 54) II -^--wi=i mit 88 Stellen (ö. 54)

III w-^ mit 94 Stellen (S. 54)

IV ^ mit 22 SteUen (S. 54)

Va -w-v^^ mit 10 Stellen (S. 54)

Vb w^ mit 41 Stellen (S. 54)

Vc -.^w-w^ mit 2 Stellen (S. 54) Dazu noch 4 dochmische wie infe]riores putes und zwei- heroische wie oppresjsae videantur.

In dem zweiten Teil wird auf 6 Seiten (54 62) der Binnen- rhythmus unter Hinweis auf J. Mays Bemerkung: „Die Klausel ist oft Erkennungszeichen des Kolonschlusses" untersucht. Wenn unter den zur Vergleichung herangezogenen Schriften auch Tacitus'" Germania (S. 61) erscheint, so möchte ich für diese eine be- absichtigte Rhythmisierung nicht anerkennen. Blum sagt S. 54 selbst mit Recht: 'Satis elucere videtur in sermone Latino vix posse concurrere vocabula, quae non unam aliamve ex illis formis- numerosis (Klauseltypen) prae se ferant.'

Die Untersuchung des Initialrhythmus (S. 62 78) er- gibt eine überraschende Bevorzugung der Spondeen (Anapäste), nämlich 174 gegenüber 53 trochäischen, 36 daktylischen, 31 jam- bischen Anfängen, wobei aber zu beachten ist, daß Fälle wie (S. 72) non ergo oder quam multa enim oder atque haut scio als Anapäste fast jambisch oder päonisch empfunden werden.

Die Klauseltechnik der späteren Zeit ist vielfach weiter verfolgt worden: von Johannes Möller auf W. Krolls Anregung- für Q. Aurelius Symmachus (vgl. meine Bespr. BphW 1914, 328 ff.) von Albr. Sundermeyer (einem Schüler von Th. Birt) für Martianus Cape IIa, von Theodor L o r e n z (einem Schüler von Fr. Skutsch)- für Arnobius.

Die Einförmigkeit (- ^ - - c^) nimmt zu ; die Spätlinge finde» sich zwischen rhetorischer Tradition und dem Sprachgebrauch der Zeit nicht immer zurecht. Über Elision, Hiat, Akzent bleiben manche Fragen offen.

Karl Strauß, Die Klauselrhythmen derBobienser Cicero-Scholien. Progr. Landau (Pfalz) 1909 10. Landau 1910. 45 S. 8.

Die Th. Stangl gewidmete Abhandlung gibt mit gutem Ver- ständnis und reicher Sachkenntnis einen Überblick über das Fort-

122 G. Ainmon; Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

leben der Klauseltechnik auf einem naheliegenden Gebiet, dem der Erklärungen zu Reden Ciceros (Flacc, Post red., Ad pop., Plane, Sest., Vat., Clod. et Cur., Mil., De rege Alex., Arch., Süll.). Die Uniformierung nimmt auch hier zu; an Stelle der Quantitäts- klausel tritt allmählich die Akzentklausel (von Augustin an?). Wo wie in obsequium mentiendi beide angenommen werden könnten, ■entscheidet sich Str. für die akzentuierende obsequium mentiendi, •den cursus velox. Vgl. meine Bespr. von A. W. de Groots Unters. BphilW 1918 Nr. 29. In Fällen wie Clodium locuturus est liest Str. mit Recht Clodium locuturust (S. 14). Die kretische Basis ^ielinskis hält er nicht für unbedingt nötig (S. 7); Responsion sei öfters zu beobachten (S. 10). Der Cursus planus überwiegt (345), und zwar in der metrischen Form (282), und in dieser wieder mit ■der strengen Zäsur - w, C7 esse possimus (186 Fälle); der cursus tardus und der cursus velox halten sich ziemlich gleich (268 und 254); auch bei beiden überwiegt die metrische Form und zwar Aveitaus mit der strengen Zäsur. Der cursus dispondiacus tritt üurück.

Wenn wir in Porphyrio zu Horaz ep. II, 1 eingangs lesen impedire sermonibus - ^- - o - , vivus evinceret u. ä. , so möchte man an metrische Klauseln glauben. Aber dazwischen stehen meliöribus anteponi, plurima scribat, Caesarem moveat, also Akzent- klauseln , wohl auch plurima scribat. Schwer ist das Erbgut an metrischen Klauseln festzustellen, aber allem Anschein nach haben die Erben akzentuierend rhythmisiert.

K. Strauß hebt in seiner Besprechung von Laurand, Ce qu'on sait usw. in der WfklPh 1914 Sp. 465 ff. besonders den Hinweis auf die Probleme hervor. „Man könnte die von Laurand zusammengefaßten Fragen kurzerhand als Themen für künftige Einzeluntersuchungen wählen, denn nur durch solche kann allmählich fester Boden gewonnen werden. Ganz besonders gilt dies für den zweiten Abschnitt, die Transformation der metrischen Klauseln Ciceros in die spätlateinischen akzentu- ierenden Kursusformen." Strauß bekennt, daß ihm die Leit- sätze Laurands bei der Untersuchung über die Klauseln der Bo- bienser Schoben Ciceros (Programm Landau 1910) gute Dienste geleistet haben.

Wie die Untersuchung über den Cursus im Mittelalter von A. C. Clark den Unterschied zwischen metrischer oder Quantitäts- und Akzentklausel zu klären geeignet ist, so erscheinen die Akzent- klauseln deutlich aufgezeigt bei

IV It. Der Piosarhythmus. 123

A. M. Harmoii, The Clausula in Ainmianus Mar- cellinus. Transactions of the Connecticut Academy of Arts and Sciences. Vol. XVI S. 117—245. Oct. 1910. New Haven, Connecticut, 1910. Gr. 8.

Ich habe die gründliche Arbeit besprochen BphW 1912, 1053 bis 1057. Die bei Cicero bevorzugten Formen gelangen als Akzent- klauseln zur Herrschaft:

I -v> ^>^ >^ -^j --Nj esse possitis

II <, ^ ^ ^ ^ ^

III ^ ^ ^ ^ <^ <^ ^

IV ^ .^ ^ ^ ,^ ^ .^ ,^

Rhythmus und Textkritik.

Die durch die Rhythmen- , namentlich Klauselforschung ge- wonnenen Gesetze, besonders die Zielinskis, werden ihre Wirkung auch auf Ciceros rhetorische Schriften zu äußern haben und nicht selten zwischen L und M den Stichentscheid geben.

Z. B. Brut. 48 profiteri solitum artem [esse] dicendi wird man kaum mit Bake das überlieferte esse streichen.

Zu den früheren Befürwortern dieser Richtung: Zielinski, Clark, Kroll, Zander usw. noch einige Äußerungen.

Thomas Staiigl, Lactantiana. Im Rhein. Museum 70,2 (1915) S. 224 ff. sagt S. 242:

„Also ein tief 'greifender Einfluß des Rhythmus auf die gesamte Wortwahl und, oft wo wir den Rhythmus noch nicht fassen können, eine Einwirkung der ästhetischen Forderung der varietas dicendi.

Der Rhj^thmus greift aber auch stark in die Wahl der Tempora, Modi, Verbalgenera und in die zwischen Singular und Plural ein."

Und was von dem 'christlichen Cicero' gilt, gilt von dem wirklichen erst recht.

Kein Geringerer als der zu früh verstorbene Franz Skutsch empfiehlt in seinem Literaturbericht für das Jahr 1909 in Glotta III. Bd. S. 366 f. nachdrücklich die Berücksichtigung der rhyth- mischen Klausel für die Textkritik gegenüber Gaffiot, Pour le vrai latin, und befürwortet de or. III 192 quacumque titubatumst -^---vj statt quacumque est tibubatum oder quacumque sit titu- batum (clausula heroica).

R. Helm, in der Besprechung von A. C. Clark, Recent developments in the textual criticism (Oxford 1914) in der Berl.

124 G. Amnion: Ckeros rhetorische Schriften 1909—1917.

ph. Woch. 1915, 469, hält es für möglich die Echtheit der einst von Markland bezweifelten Ciceroreden mittels des Klauselrhythmus zu erweisen.

Auch Richard Heinze urteilt bei der Streitfrage um die Be- handlung von Fuldensis und Vulgata in TertuUians Apologeticum (Deutsche Lit.Zeitung 1917, 612), ein künftiger Herausgeber habe mit der Berücksichtigung des Rhythmus ganze Arbeit zu machen. Über den volleren Text der I bei Cicero gegenüber dem kürzeren der M, besonders in De oratore, hat natürlich der Rhythmus mit- zuentscheiden.

Paolo Fabbri , Evoluzione del ritmo nella prosa latina. Modena 1915. Soc. 15 S.

Rhythmus und Übersetzung.

Wenn Hans Schmidt, Psalmen, deutsch im Rhythmus der Ur- schrift (Göttingen 1917, vgl. DLZ 1018, 845 f.), die rhythmische Aufgabe des Übersetzers in den Vordergrund rückt, so wird man diese Seite der Sprachkunst Ciceros bei der Übersetzung seiner Schriften erst recht im Auge behalten müssen. Das nicht leichte Geschäft des Übersetzers ist dann um eine unlösbare, der üblichen Zerlegung der Perioden fast entgegengesetzte Aufgabe vermehrt. Ich habe die Übersetzung des De oratore von Camillo Cessi (1914), die von Jan Vobornik (böhm., 1916) u. a. nicht durch- gegangen bzw. durchgehen können, auch die von Binder nicht geprüft.

V. Quellen.

über die Quellen des ungemein belesenen und vielseitigen Cicero werden wir kaum jemals ganz klar werden ; der Anteil seiner Lehrer und Freunde, darunter auch Tiro, der Bibliotheken und der gehörten Vorträge oder Vorlesungen (anagnostae) entzieht sich meist der Kontrolle. Aber über bloße Sammlungen von Anklängen sind wir im letzten Jahrzehnt erheblich hinausgekommen.

Sophisten.

Tisias, Gorgias, Protagoras, Hippias, Prodikos spielen in den rhetorischen Schriften Ciceros eine bedeutende Rolle. Eine zu- sammenfassende Arbeit über Rhetorik und Sophistik ist:

C. P. (iunning, De sophistis Graeciae praeceptori- bus. Diss. Amsterdam 1915, Kruyt. XVI, 144 S. 8.

V. Quellen. 125

Hatte Heinrich Gomperz 1912 in seinem Buche Sophistik Tind Rhetorik, das Bildungsideal des ev )Jyeiv in seinem Ver- hältnis zur Philosophie des V. Jahrhunderts, zum Teil abweichend von seinem Vater Theodor , die gemeinsamen Bestrebungen der Sophistik und Rhetorik in dem ev ^.tyeiv erblickt und war zu ein- seitig fast zur Gleichsetzung der Sophistik mit der Rhetorik ge- lanu^t , so sieht der holländische Gelehrte die Hauptleistung der Sophisten in ihrer Lehr- und Erziehungstätigkeit. Vgl. Wilhelm Nestle WfklPhil 1915 Nr. 45, 1064 f.; auch E. Drerup in der Besprechung von A. Busses Sokrates WfklassPhil 1915, Nr. 18.

Gunning benützt ausgiebig die Arbeiten von W. Nestle, M. Pohlenz , ferner A. Busses und Maiers Sokrates. Über das Ternar natura, doctrina, exercitatio handelt G. in der Appendix; De sophistarum triade paedagogica S. 132 bis 136. Diese spielt bei Cicero nicht bloß in den Rhetorica , sondern auch in den Reden (z. B. gleich im Eingang der Archiana) eine wichtige Rolle.

Über Gorgias und die Poesie vgl. u. die Programmabhandlung von Karl Reich.

Harry Mortimer Hubbell, The influence of Iso- crates on Cicero, Dionysius and Aristides. These der Yale-Universität. New Haven 1913. XII, 72 S. gr. 8.

Bei Isokrates ist die Trias Rhetor-Staatsmann-Philosoph grund- sätzlich gefügt, indem er auf die Sophistik und Rhetorik des 5. Jahrh. (Protagoras, Gorgias, Prodikos, Hippias) bauend und die Sokratik mit ihrer Forderung der ^jitoiijurj durch die dö^a bekämpfend ein zeitiremäßes Bildungsideal zu verwirklichen strebt. Die Vorstufen einer solchen Entwicklung haben neuestens Drerup , Gomperz, Süß u. a. beleuchtet. Das Fortwirken dieser staats- bürgerlich-philosophischen Erziehung und Bildung auf Cicero und Dionys von Halikarnaß, also auf Rom im 1. vor- christlichen Jahrh. , und auf Älius Aristides im 2. Jahrh. der Kaiserzeit aufzuzeichnen, unternimmt ein Schüler des auch bei uns durch seine rhetorischen Forschungen rühmlich bekannten Ameri- kaners, Prof. Hendrickson, H. M. Hubbell, in seiner Thesis.

Gegenüber dem rhetorischen Zwerggeschlecht rühmt Dionys von Halikarnaß an Isokrates immer wieder die TtoXiti/J^ (pO.ooorpia oder die (fiX6oo(fog Qi]TOQr/.tj, für die es viel bedeutsamer sei „7C€Qi Tiof '/,Qi]0 ijLi 0) V tTtiEi'AÖJg, do^äZeiv t^ tteql tcov axQr^orojv a/.Qtßtög s/riocaod^ai", ein merklicher Hieb gegen die Sokratik. Diese An- leitung— das führt H. S. 1 15 aus gibt Isokrates, der Freund

o

126 G. Amnion : Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917,

des Timotheos auf dessen Epigramm Tif.t6d^eog tpiXiag tb yccgiy aiveaiv zs ttqoti juwi' loo/.gdiovg eixcj t>^V^' avti}i/.E i^eaig war zu verweisen , mittels des Xtyeir Er xai ffQortlv (Sophokles!); er sucht an großen Stoffen den praktischen Staatsmann und Militär zu bilden, sucht aber auch zum *political philosopher' zu befähigen. In der Übermittlung der Bürgermoral sei Isokrates „a preacher of virtue rather than a teacher" (S. 14). Daß sich Isokrates zum staatsbürgerlichen Erzieher berufen glaubt, sagt er uns deutlich 71. Big. 43. Politisch verbittert, sucht er für seine Ausführungen verständigere Ohren als die der athenischen Masse , die eher auf Leute wie Kleon (zwv fjti tov ßtj^arog (.taivof.ifviov) als auf ihn hört. Des Plagiats an seinen Gedanken beschuldigt er Zeitgenossen OlX. 94. Das Fortwirken der 'officina dicendi' scheint für die nächsten Jahrhunderte nach Isokrates nahezu kontinuierlich.

Der Einfluß auf Cicero, besonders auf De oratore und Orator, wird von H. (S. 16^40) an gut gewählten, zum Teil überraschend engen Berührungen geschickt dargelegt. Wenn Cicero auch be- kennt , mit den Lekj'thoi des Atheners gewirkt , ja dessen ganze Mjrothek geplündert zu haben (ad Att. II 1, 1) und damit seine stilistische Anleihe in den Vordergrund rückt, so liegt in seinem anderen programmatischen Bekenntnis , er habe die Isokrateische und Aristotelische Doktrin in der Rhetorik verschmolzen (vgl. Bayer Gymn.-Bl. XXXVII 1891, S. 236 f.), mehr als bloß stilistische Anlehnung. Nach den gegebenen Parallelen urteilt Cicero ähnlich wie Isokrates über das Gebiet der Rhetorik, ihre Kulturmission freilich anderswo der Philosophie zugeschrieben , über die uni- verselle Bildung des Redners, über den Redner als Erzieher seines Volkes , auch über das ehrenhafte Metier des rhetorischen Unter- richtes. Für all das nimmt H. direkten Einfluß des Isokrates an. Aber wenn Cicero auch Isokrateisches allein und mit Lehrern und Freunden gelesen hat, so können doch Anklänge, z. B. in dem Preis der Redekunst, aus der Schulrhetorik, die vornehmlich in den Bahnen des Isokrates wandelt, herüberklingen. Und mit dem Satze S. 30 Anm. : „Es ist klar, daß wir nach den Quellen von De or. nicht bei den Philosophen , sondern bei den Rhetorikern suchen müssen" würden wir die bessere Hälfte der rhetorischen Hau])t- schriften , die Philosophie , auf welche der Verfasser von De rep. und De legibus in dieser Zeit weit stolzer ist als auf seine Rhetorik, entschieden unterschätzen. Gerade die Berührungen von De oratore mit Philodem, den H. nur nachträglich streift (S. i6^). lehren, daß die alten Streitfragen (Begi-iff, Ziel, Grenzgebiete) auch in den Philo-

V. Quellen. 127

sophenschulen lebendig geblieben sind. Und einen Aristoteles, Theo- phrast (ad Att. II 16, 3), Antiochos (ad Att. XIII 19, 2), Karneades^ Charmadas (De or. I 84), Philon, Poseidonios wird der rhetorische Quellensucher nicht aus dem Auge verlieren dürfen, für den Preis- der Rhetorik namentlich nicht die Protreptikoi-Literatur der Philo- sophen (Kultunnission der Philosophie u. a.). Piatons Protagoras- (mit der Darstellung der Kulturentwicklung in einem 'Mythos') hat Cicero übersetzt , wohl sicher nach gründlicher Erklärung durch einen griechischen Lehrer; den Dialog Gorgias, um den sich die Hauptfragen (Art? Umfang?) zugleich mit den von Aristophanes- und Eupolis über Perikles u. a. in die Welt gesetzten Urteilen, ranken mußten, hat sich wohl nicht bloß L. Licinius Crassus er- klären lassen. Schließlich sind Isokrates und Cicero doch so ver- schiedene Persönlichkeiten, daß sie in wichtigen Fragen der Trias Redner - iStaatsmann - Philosoph auseinandergehen. Isokrates , 'der Stimmführer der Gebildeten', verurteilt als Politiker das Macht- haberregiment der Rednerbühne , Cicero gibt Anleitung zu einer Beherrschung der Masse ; Isokrates umschmeichelt einen Timotheos, dem Arpinaten graust vor der kommenden Militärdiktatur ; der athenische Professor übt selbstauferlegtes Schweigen, Cicero fühlt stets den Drang, Herz, Wissen und Erfahrung vor Senat und Volk auszugießen. Cicero bleibt sich auch der Grenzen zwischen )Jyeiv er -/.ai (f^ovelv und dem 7to}uxeLEod^ai bewußt (ad Att. II 16, 3)^ Isokrates verliert sie aus dem Auge.

Hermann Mutschmann bespricht eingehend Hubbell WfklassPhil 1916 Nr. 45, 1057—60. Isokrates tut als Lehrer nichts anderes, als daß er die enzyklopädische Erziehung der alten Sophisten fortsetzt; das betone Hubbell mit Recht. „Originell ist der Versuch, die löiai xov Xoyov aufzuhellen." Im ganzen lehnt aber Mutschmann die Thesis nachdrücklich ab. „Schon der Titel erweckt Besorgnisse über die Methode, nach der Hubbell verfährt^ und in der Tat erfüllen sich diese schon bei der Lektüre des zweiten Kapitels über Cicero (S. 16 40), in dem die Katastrophe eintritt. Wie alle Anfänger hält sich Hubbell strikt an seine These, ohne rechts und links zu sehen , und macht leider den kühneu Sprung aus dem 4. in das 1. Jahrhundert, indem er Cicero unmittelbar an Isokrates anknüpfen läßt. Da hat nun die Forschung der letzten Zeit sich alle erdenkliche Mühe gegeben, das Dunkel, das über der Geschichte der Rhetorik zwischen Aristoteles und Cicero ausgebreitet liegt, einigermaßen zu erhellen^ hat auch die Wege gezeigt, auf denen die Erkenntnis weiter kommen

128 Animon: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

kann, und jetzt werden wir aufgefordert, zu dem Urzustand zurück- zukehren. Man empfindet in solchem Falle wieder einmal schmerzlich <ias Fehlen eines brauchbaren Handbuche s für dieGe- schichte der Rhetorik. Gewiß mag dadurch, daß die Kenntnis tier griechischen Vorlagen, die Cicero für seine philosophischen und •rhetorischen Schriften benutzte, ständig zunimmt, bei weniger Ein- -sichtigen der Eindruck hervorgerufen werden, daß Cicero ein völlig unselbständiger Kopf und Abschreiber sei. Die Reaktion ist un- vermeidlich. Aber Hubbell verfällt in das Extrem und leugnet jeden Einfluß der rhodischen, speziell der sto is che n Rhetorik «nd Literaturkritik auf Cicero , wenigstens soweit Isokrates in Frage kommt. Er leugnet, daß der Eingang der Jugendschrift de inventione kulturhistorische Theorien des Poseidonios wiedergibt, leugnet, daß die drei Bücher de oratore auf der Grundlage einer zeitgenössischen griechischen Quelle aufgebaut sind, eine Tatsache, tiie heute niemand bestreiten dürfte , mag man nun diese Quelle Philon oder Antiochos nennen." Hier spricht Mutschmann viel- leicht mehr in dem Tone der Nachweise , die er zu erbringen das Zeug hatte, als der bereits erbrachten.

Aber Samuel Eliot Bassett schätzt wie ich in seiner Be- sprechung The Classical Journal X 1914 S. 92 f. die Arbeit Hubbells als wertvoll, nur gehe er in der Annahme der Abhängigkeit bis- weilen zu weit.

Wilhelm Nestle bezeichnet (D. Lit.Ztg. 1916, 506) Hubbells Thesis als wohlgelungen. „Man könnte sich fragen, ob Cicero die Schriften der alten Sophisten noch selbst gelesen habe : unmöglich -ist das an sich nicht , aber es läßt sich nicht bestimmt beweisen. Dagegen spricht sehr viel für die Annahme, daß ihm ihre Gedanken «ben durch Isokrates vermittelt wurden , der , wie der Ref. an anderer Stelle gezeigt hat (Philologus 70 [1911] S. Iff.), ihre Hauptgedanken in seine Schriften aufgenommen hat" . . . „Von Poseidonios als Quelle zu De or. I 8, 33 und 36 dürfte künftig wohl kaum mehr gesprochen werden" (Sp. 507). Aber Gerhäußer iat in seinen Untersuchungen über die nQ(jTQ€nTr/.ol die verwandte Partie von De inv. (Eingang) auf Poseidonios zurückgeführt.

Die vielbehandelte Frage, ob eine tixvrj des Isokrates existiert habe (L. Spengel, I. G. Pfund, M. Sheehan, P. Wendland), bejaht neuerdings

Carolus Hiddemann , De Antiphontis, Andocidis, Lysiae, Isocratis, Isaei oratorum (lies orationum) iudicialium prooemiis, Diss. Münster i. W. 1913, S. 46 f.

V. Quellen. 129

Auch sonst ist diese unter W. KroUs Ägide entstandene Dissertation für die iudicia, die bei Cicero und Dionys als gemein- sames altes Kritikergut erscheinen, förderlich.

Zur Einschätzung der gesamten Rhetorik vergleiche man auch

Max Pohlenz, Aus Piatos Werdezeit, Berlin 1913, Weid- mann, S. 131. 133. 140—151. 169. 170. 341—364.

Karl Mras, Piatons Phaedrus und die Rhetorik. I. Wiener Stnd. 36 (1914) 295—319. IL W. St. 37 (1915) 88—117,

wichtig für die gesamte Schätzung der Rhetorik und für Teile des "Lehrgebäudes (r/iloyi] ovouduov, rj&r], näü^r^ usw.)

II S. 116 Plato ist in Theorie und Praxis bestrebt, 'die Rhetorik in die Philosophie aufgehen zu lassen , sie ihr als Gehilfin unter- zuordnen. Die gewöhnlichen rhetorischen Kunstmittel kennt er genau , verwirft sie in der Theorie keineswegs , räumt ihnen aber nur eine bescheidene Stellung ein und richtet sich danach auch in der Praxis. Doch läßt er seine Rede des formalen Schmuckes durch- aus nicht entbehren' (aeuvOTr^g, nsnoir^fitva, /.lezacpogal usw.). Das Urteil Ciceros und Dionys' bestätigt sich in der Hauptsache. So unrecht hat Crassus nicht, wenn er (Cic, de or. I 47) über Piatons Gorgias urteilt: Mihi in oratoribus irridendis ipse esse orator summus videbatur.

Auch Cicero hält es, obwohl eine ganz andere Natur, mit Plato, wenn er auch als Rhetor und Redner sein besseres Teil in der Philosophie sieht. Die Abkehr von dieser ließ den Rhetor ver- knöchern.

In diesem Zusammenhang sei auch hier genannt

Wilhelm Nestle, Politik und Moral im Altertum. Neue Jahrb. f. d. klass. Alt. XXI (1918) S. 225—244.

Plato verfolgt , über Sokrates noch hinausgehend , in seinem *Gorgias' mit unerbittlicher Konsequenz den Gegensatz zwischen Moral und Politik, z\im mindesten der hergebrachten Art von Politik. Sein Ideal ist Volkserziehung, d. h. Erziehung des einzelnen Bürgers 2U sittlicher Tüchtigkeit. Vgl. Schluß des Berichtes.

Aristoteles.

Die Frage, was und wieviel von den Aristotelischen Schriften Cicero eingesehen , gelesen oder sich hat vorlesen und erklären lassen, vermehrt oder verkürzt durch die Redaktoren und

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 179 (1919. II). 9

130 G. Animon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

Professoren der hellenistischen Zeit, diese Frage läßt sich nicht klipp und klar beantworten. Z. B. die Affektlehre wie vEfXEoäv und (fi^oreiv Arist. rhet. II. c. 9 und Cicero ad Att. V 19, 3 quoniam ro vEf-iioäv interest xov ffi^ovelv.

Ludwig Radennacher, Ein Nachhall des Aristo tele» in der römischen Kaiserzeit. Wiener Studien XXXVIII (191G), 72—80.

Nach Radermacher haben Livius und Quintilian (II 12, 4. III 7, 25. IV 2, 77) ihre aristotelischen Gedanken (Rhet. 1367 a 32) wohl durch die Vermittlung des Cäcilius von Kaiakte erhalten. Vgl. Plut. De Herod. mal. p. 855 b.

Adolf US Kantelhardt, De Aristotelis rhetoricis. Göttinger Diss. Göttingen 1911. 61 S. gr. 8.

Kantelhardt faßt sein Ergebnis über die Anlage der Aristo- telischen Rhetorik S. 60 so zusammen :

'Non habemus quod Marxius volebat schedas a discipula quodam male conscriptas , sed Aristotelis ipsius hypomnemata. tarnen , qui ex Aristotelis hereditate rhetorica edidit , libroa com- positos et perfectos non invenit, sed partes tantum, quarum artis rhetoricae tractatio quam diversa esset, eum fugisse videtur. qui alteram artem aut potius partes eius cum priore quo pacto potuit coniunxit, quod ut faceret Aristotelea suis additamentis depravavit.* Der Redaktor , der Buch III mit I und II verschmolz , sei die gleiche Person. Cicero und Dionj^s hatten dieses Corpus vor sich.

Hiebei sei an eine Bemerkung Hermann Useners erinnert in der wichtigen Abhandlung (1892) „Ein altes Lehrgebäude der Philologie", jetzt wieder abgedruckt Kleine Schriften IL Bd. S. 265 bis 314): „Das Schweigen eines Mannes, der bei der Auffindung; selbst beteiligt war wie Tyrannion , beweist , daß das dritte Buch der Rhetorik erst im Jahre 46 , während Cicero am Orator be- schäftigt war, hervorgezogen worden sein kann."

Wilhelm Süß,Ethos. Studien zur älteren griechischen Rhetorik. Leipzig und Berlin 1910. VI 273 S. Gr. 8.

Wenn auch der Index bloß Ciceros Pisoniana erwähnt, so ist dieses weitgreifende , gehaltvolle Werk doch für das Studium der rhetorischen Schriften Ciceros , ihrer Beziehung zur Rhetorik der Sophisten, deren Bekämpfung durch Plato (Gorgias, Protagoras), zur Aristotelischen Rhetorik {ijO^rj und nüi^r:, ^i^og und dc^a zoo

V. Quellen. l:;l

Xeyovcog) von großer Bedeutung. Die 'Bescheltungstopik' der Cicero- karikatur wird nach Th. Zielinski S. 250 ff. behandelt. Wenn Süß meint (S. 255), eine direkte gegenseitige Beeinflussung von Komödie, Rhetorik und Redekunst erscheine ausgeschlossen , so stehen dem Cohoons Beobachtungen über die Abhängigkeit Menanders von Theophrast, Ciceros Bemerkungen am Schlüsse von De opt. gen. or. und anderes entgegen.

Die von Cicero wie vom Halikarnasier Dionys oder der Rhetorik überhaupt immer wieder berücksichtigte Berührung zwischen Rede- und Dichtkunst findet in ihren Anfängen eine tiefgreifende Dar- stellung von

Karl Reich, Der Einfluß der griechischen Poesie auf Gorgias, den Begründer der attischen Kunstprosa. Progr. des Gymnasiums Ludwigshafen a. Rh. I. Teil 1907/08, 11. Teil 1908/09.

Die eingehenden, auf zahlreiche schlagende Belege gegründeten Nachweise Reichs ergeben (II S. 58): „Gorgias ist von der Poesie (Epos, Lyrik, Drama) nach Inhalt und Form abhängig. Die Streit- reden der Tragödie haben ihm für seine Deklamationen Themata Helena und Palamedes sind nach Reichs Untersuchungen echt und Argumente geliefert ; vollends aber sind die rhetorischen Kunst- figuren des gorgianischen Stils und dessen poetische Ausdrucks- weise auf dem Boden der griechischen Spruchdichtung (Hesiod), der Lyrik und der Tragödie erwachsen." Natürlich leugnet auch Reich nicht (s. I S. 36), daß „späterhin die Rhetorik auf die Tragödie nachhaltig gewirkt hat". Den Einfluß der Aristotelischen Rhetorik auf Menanders Epitrepontes hat vor kurzem C o h o o n nachgewiesen : I. W. Cohoon, Rhetorical Studios in the Arb. scene of Menander's Epitrepontes. Diss. Princeton Univ. 1915. Vgl. meine Bespr, BphW. 1916 Nr. .'J7. Was Cicero über den Erfinder der Kunstprosa Gorgias sagt, wird so in das rechte Licht gerückt. In der Theorie der Rhetorik wird die Poesie auch von Cicero herangezogen (wie von Aristoteles u. a.), z. B. für das stereotype Statusbeispiel Kljtaimestra- Orestes.

Cohoons Untersuchungen setzt fort Berend Keulen, Studia ad arbitrium in Menandri epitrepontibus adhibitum. Diss. Leiden. Harlem 1916, Loosjes. 96 S. 8 ^

Nach Th. Thal he im (BerlphW 1917, Sp. 452) vermittelt er in dem Abschnitt „de arte rhetorica" zwischen Legrand und Cohoon, doch neige er mehr zu diesem. Wenig Förderung.

9*

132 G. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

Cicero und Theophrast (Peripatos und Stoa).

Augustus Mayer, Theophrasti 7teQi It^eojg libri fragmenta collegit disposuit prolegomenis instruxit. Leipzig 1910. Teubner. LI, 229 8.

Den von Ernst Ofenloch 1907 gesammelten Fragmenten des Cäcilius ist 1910 in der Blbliotbeca Teubneriana die Sammlung der Fragmente des für die Theorie des Sprachausdruckes jedenfalls sehr wichtigen Werkes des Th e o phrast gefolgt. Ich habe im Bericht über Quintilian bereits kurz darauf hingewiesen. Hier kann nach den Arbeiten von I. Stroux u. a. eine neue Nennung genügen. Die Kritik hat sich ablehnend verhalten.

Vgl. E. Drerup, Lit. Zentr. Bl. 1911, 1654 ff. Bezüglich des Rhythmus in Ciceros Orator hat nach Drerup bereits K. Münscher XdgiTEg S. 322 f. die Unhaltbarkeit nachgewiesen.

Aus Hermann Mutschmanns Besprechung BphW 1911. 1153 1559, hebe ich heraus:

„Die Rhetorik, vor allem aber die Stillehre und die literarisch- ästhetische Kritik, ist im Peripatos nicht mit Theophrast abgeschlossen worden; die Tradition reißt hier nicht ab und geht durch eine lange ÖLCcdoy^rj von Männern hindurch, von Praxi- phanes an über Hieronymos von Rhodos , Kritolaos und den Keer Ariston bis auf Andronikos . . . Wer die Methode des Peripatos kennt, in dem der Schüler das jeweilig vom Meister tradierte Lehr- g^t immer wieder weiter ausbaut und systematisiert, dem kann nicht die. Feststellung genügen , daß wir es mit peripatetischen Lehren zu tun haben, um gleich Theophrast als Quelle anzunehmen. Das tut aber Mayer in vielen Fällen." Vgl. W. Kroll, Orator S. 4.

Gegen die Übertreibungen Mayers wendet sich I. Stroux, De Theophrasti virtutibus dicendi, Leipzig 1912, und Th. Herrle, Quaestiones rhetoricae ad elocutionem jDertinentes , Leipzig 1912. Über beide unten. Eine vermittelnde Stellung nimmt Philipp Götz es ein in der Rostocker Dissertation : De tribus generibus dicendi usw., der doch in Theophrast (Uegl ?J^Fajg) den letzten Urheber der Drei- teilung sieht (S. 1).

Po seidonios?

Die Arbeitsweise Ciceros, wie sie Hugo Kroeger auf An- regung und mit Unterstützung Rudolf Helms (Rostock) in seiner Dissertation De Ciceronis in ^Catone Maiore' auctoribus (Rostock 1912) beleuchtet, daß nämlich Poseidoiiios unmittelbar oder durch einen Schüler das wesentliche Material zum Cato Maior und zu

V. Quellen. 133

den damit übereinstimmenden Tuskulanen geliefert hat, auch Partien aus Xenophon und Piaton, diese Ai'beitsweise werden wir auch für die rhetorischen Schriften, namentlich die späteren Brutus, Orator, De opt. gen. or. , im Auge behalten müssen. Wie weit der ge- diegene Liber Annalis des Atticus, abgesehen von den im Brutus und Cato Maior aufdringlich in den Vordergrund gerückten chronologischen Fragen, auf die rhetorischen Schriften von Einfluß war und besonders Poseidonisches übermittelte , wäre wohl noch zu erforschen : Stoisches-Zynisches ; Beispiele bei Horaz und Cicero vielfach die gleichen. Doch wird man auch ein gewisses Gemein- gut der Römer der damaligen Zeit anerkennen , wie das Paul Dietrich in seiner Dissertation De Ciceronis ratione etymologica (Jena 1911) bezüglich der Anschauung, der Philosoph habe die Sprache geschahen, im Anschluß an Steinthal tut (S. 9).

Poseidonios hat in seinen kulturhistorischen Werken wahr- scheinlich auf den Abderiten Demokritos zurückgegriffen; so Ger- häußer und Reinhardt unabhängig voneinander. Als wahr- scheinlich bezeichnet das auch M. Pohlenz Berl. ph. Woch. 1913, 4. Ich hatte seinerzeit das Urteil über die stilistischen Vorzüge des Abderiten bei Cicero und Dionys von Halikarnaß (Demetr. tc. fQf^. hat ihn nicht) auf Theophrast selbst zurückgeführt und bin durch die Arbeiten von Stroux u. a. nur darin bestärkt worden.

1 0 a n n e s Stroux , De Theophrasti virtutibus di- cendi. Lipsiae. In aedibus B. G. Teubneri. MCMXII. Gr. 8. 126 S.

Bei Cicero spielt die elocutio , der sprachliche Ausdruck , die i-i^ig, in der Redekunst trotz der gelegentlichen Erklärung (De or. III 19. II 366), Inhalt und Form seien nicht zu trennen, doch die Hauptrolle ; der orator hat. wie Cic. betont, von seiner dritten Auf- gabe , vom orare {== dicere) seinen Namen , nicht von den vier anderen (invenire , disponere , meminisse , pronuntiare). In den rhetorischen Hauptwerken, De or. III, Brutus, orator, in denen er sein vielfach mißverstandenes copiose et ornate dicere gegen andere Richtungen und Berufe verteidigt, sowie in den kleineren Schriften kommt der Sprachausdruck gebührend zur Geltung. Die Anlehnung an die Griechen wird wiederholt von ihm selbst bezeugt und wird bestätigt durch die Vergleichung mit Dionys von Halikarnaß u. a.

Aber über die richtunggebenden Gesichtspunkte für den Aus- druck und ihre Urheber herrscht noch starke Meinungsverschiedenheit. Sind es die Einzelaufgaben, die der Redner zu erfüllen hat: die

134 Cr. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1907 1917.

Worte passend zu wählen, sie richtig zu fügen, auch unter Be- rücksiclitigung des Rhythmus und der Melodie, ihnen gewisse Ge- staltungen zn geben, also die tgya xov Qt'^tOQog: i/.koy^, arvi^eatg öro.wa'ffL»»', oxt'jitccTa, wobei diese oxi'^liiccTa gegebenenfalls den beiden ersten unterzuordnen wären, oder sind es die Leistungen (Wirkungen, aoevai , virtutes oder laudes , auch lumina) des Sprachausdrucks, wie Reinheit, Deutlichkeit, Angemessenheit, Lieblichkeit, Erhaben- heit u. ä. ? Sind es die dem Schüler allgemein , theoretisch vor- zuhaltenden, anzustrebenden 'Vorzüge', oder sind es die von den Sprachästhetikern (Literarhistorikern, y.QiTiy.oi oder ygaf-iinaTixot) an den Rednern bzw. Schriftstellern der Vorzeit, an den "^Klassikern' aufgezeigten und zur Nachahmung empfohlenen Vorzüge ? Die Vorzüge zahlreicher Vorbilder (wie in Ciceros Brutus) oder ge- wisser Gruppen (Dion3's' tteqI agyaiiov, die attischen Redner) oder die eines einzelnen: Lj'sias, Thukj'dides, Demosthenes? Dieser in Dion3's' üegl Jtjiuoad^ivovg Xt^ecog oder in Ciceros Orator oder De optimo genere oratorum. Sind drei genera dicendi auf Grund der bisherigen Praxis anzuerkennen und der Stiltheorie zugrunde zu legen oder nur das eine alle Spielarten vereinigende genus (eines Demosthenes, eines Cicero)? Verträgt sich eine stilistische Orientierung nach den genera dicendi mit der nach den ageral rr^g Xt^evjg oder der agev^ Tr;g ?J^e(og?

Eine geschichtliche Darstellung dieser auch für muttersprachliche *Stilkunden', ja für den ganzen Unterricht der Gegenwart grund- legenden Fragen hat mit Aristoteles und seinem Schüler Theophrast, der nach übereinstimmender Überlieferung den Meister hier fort- setzte und ergänzte (auch in der ijro/.QiTiy.ij), zurechnen-, das war schon bisher bekannt und anerkannt. Aber über Grundlage , Aus- bau und geschichtliche Fortwirkung der peripatetischen Theorie des Sprachausdruckes, besonders über Theophrast IJeQi Xt^etog, war auch nach den Arbeiten von Maximilian Schmidt (1839), H. Diels (1886), H. Rabe, Wilh, Schmid, L. Radermacher, E. Norden, U. V. Wilamowitz-Moellendorff, Rhys Roberts, G. L. Hendrickson, P. Wendland, W. Kroll, P. Geigenmüller, August Mayer (1910) u. a. noch manche wichtige Frage ungelöst.

Stroux will in seiner von außergewöhnlicher Beherrschung des StojBFes zeugenden , scharfsinnigen , zugkräftigen Schrift De Theophrast! virtutibus dicendi eine Geschichte der virtutes geben und ihren Unterschied von den genera dicendi [xagayatigeg), die nichts mit Theophrast zu tun hätten , aufzeigen. Da der un- gemein reiche Inhalt des Buches ein Index fehlt leider auch

V. Quellen. I35

in anderen Berichten auszuschöpfen sein wird (zu Aristoteles, Theophrast, Stoiker, Dionys von Halikarnaß, Demetrius, Auct. ad Herenn., Quintilian, Fortunatian), so mag hier ein kurzer Hinweis im Anschhiü an die acht Kapitel genügen. Nachdem Str. in I De statu quaestionis 8. 5 9 die auseinandergehencien Ansichten knapp skizziert hat August Mayers Buch Theophrasti /rept Xe^eog libri fragmenta (1910) falle noch vor einem großen Teil der Nieder- schrift der vorliegenden Untersuchungen , gibt er in K. II De Theophrasti ratione virtutum S. 9 28 im Anschluß Ciceros Orator § 79 Senno purus erit et Latinus, dilucide planeque dicetur, quid deceat, circumspicietur , unum aberit [bei den Attikern] , quod quartum numeratTh'eophrastus in orationis laudibus: ornatum illud suave et afluens^), im Zusammenhalt mit der von den Peripatetikern beeinflußten Lehre der Xe^ig im 3. Buche De oratore folgendes Schema der vier a q era i Theophrasts (S. 28) :

EXltjViGuog purum et T^atinum

agif'g dilucidura })lanumque

nQ^7rov [uiO-avöi') decorum

, { ueyaloTTOS/zic afluens ] KaTaOY.Evr]{\ ' , >ornatus.

' \ ijOv suave J

Der ornatus (xaraa/et'^J), der vielleicht von der Richtung des Isokrates beeinflußt ist {löiai, oyjßiaia)^ wird von Theophrast nach Dionys. Halic. de Isoer. c. 3 p. 539 ß in diese drei Teile geteilt: exloyt/, aQf.iovia, ayifjuaTn (Stroux S. 19), wozu auch der auctor ad Herenn. IV § 10 stimmen soll. Aber Theophrast ist nicht der evQSTt'^g der Lehre. Aus dem dritten Buch der Aristotelischen Rhe- torik, das Str. kaum mit Recht noch vor der Poetik ansetzt (S. 31), wird die Gaffr^reia als einzige ageri^ in K. III De initiis virtutum geschickt ermittelt, die durch /nrjre Taneivr^v nr^Te. cnfQ zo a^Uofia, d)?M TCQtvtovoav nur begrifflich genauer umgrenzt werde. Die agecal dn^yr^ae(og oafprpeia, avvTOuia, Jiii}av6trig (K. III) sind, weil sie Inhalt wie Ausdruck berücksichtigen (S. 53) , im Grunde verschieden von den agerai t^i^ Ke^eioq; ich möchte beifügen, daß Catulus sie bei Cicero De or. II 83 als der ganzen Rede, nicht

') Auch Friedrich bietet die von Dombart befürwortete Schreibweise mit einem f, während nach I. Stockleins Untersuchungen die Schreibweise adfluens die berechtigte ist 5 A. Mayers (nicht neue) Konjektur fluens wird von Str. abgelehnt. Vielleicht ist adfluens absichtlich gewählt, als Antwort auf die tadelnde Bezeichnung seines Stils nls superfluens durch Calvus und andere Attiker (Tac. Dial. 18).

136 G. Animou: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

bloß der Erzählung zukommend bezeichnet. Die Stoiker vermehrten aber die ageial r^t; Xe^ewg um die av%tof.iia (Diog. Laert. VII 59).

Bei den Römern (Cicero, auct. ad Herenn.) hat nach Stroux (Kap. TV De virtutum apud Romanos ratione S. 54 71) die Vier- teilung Theophrasts fortgewirkt; auch in den lumina ^) des nicht zur Veröffentlichung bestimmten rhetorischen Katechismus Ciceros für seinen Sohn, in den partitiones oratoriae, sieht Stroux (S. 69) die Theophrastischen agezai , vermehrt um die stoische avvTO/.iia, das breve (vgl. Herrle, Quaest. rhet. S. 32).

Cicero stellt De or. III zwar seine Stillehre ein auf ekXijViGuog oaq'/jveta xöouog (xaraffxei'/;) und nq^nov, läßt aber die beiden ersten (latine und plane) als selbstverständliche Voraussetzung für den Redner, das nach De or. II 53 vor kurzem eingeführte ornate (Figuren , Tropen , Rh3^thmus , Perioden u. a.) und das apte , das den „inepten" Griechen fast entschwunden sei (De or. II 17 f.), als die Leistung des vollkommenen, die Massen beherrschenden, nicht bloß auf das attizistische subtiliter dicere (oder docere) ein- gestellten Redners erscheinen. Dies betont mit Recht unter An- führung der einschlägigen Stellen Heinrich Heck (Zur Entstehung des rhetorischen Attizismus , II. Teil , Progr. Gymn. Laudau Pf. 1917/18, S. 40 ff., S. 60), der in der Gegenüberstellung des 'ampli- ficare rem ornando' und des 'subtiliter dicere' eine Herausforderung der attizistisch gerichteten Redner durch den im Grunde immer noch asianischen Cicero sieht.

S. 67 gibt Stroux eine Gegenüberstellung des auct. ad Herenn.

und des Theophrast:

ad Herenn. Theophrast

, . r latinitas hlXriviauog

eiegantia< , . , '

^ explanatio oaffr^veia

TtQtTlOV

compositio xacaa'Aev^

dignitas a) iyiXoyi]

(compositio) b) ccQf^ovia

a) exornationes c) a/vy/zara

In dieser Gegenüberstellung wird man doch (vgl. Herrle S. 34 f.) auf der Herenniusseite in elegantia die iycXoyij , in der

*) lumina ist vermutlich eine TTbersetzung von /J/«!, und zwar in Iso- krateischeiii Sinn; dann würde der Begriff nicht erst von Uermogenes an zu datieren sei (Th. Herrle, (Quaest. S. 16).

V. Quellen. 137

compositio die aivi^toig, in der dignitas die o%y]fxaTa , die nach- folgenden exornationes sehen , also eher die Tätigkeit des Stil- künstlers als ihr Ergebnis, wiewohl sich natürlich bei einem Kunst- werk der Hinweis 'quid habere debeat^ mit dem anderen 'quid habeat' eng berührt. Hierüber bietet wertvolle Aufschlüsse Str^ in K. VI De virtutum dicendi in scriptis criticis usu atque ratione (S. 72 88), dabei über die agezal avay/.alaL und agezai i;cii)^exoi nach Dionys von Halikarnaß. Die Scheidung hat Dionys wohl sicher nicht zuerst vorgenommen (anders Herrle S. 32). Natur- gemäß wird in einem kritischen Werk wie Ciceros Brutus, desse» Urteile Jules Martha als trop uniformement technique bezeichnet^ die Aufmerksamkeit auf die aqeTax gelenkt ; so gibt Str. S. 84 ff> aus dem Brutus Beispiele für die latinitas, perspicuitas, brevitas^ für das decorum , für den ornatus , dessen Unterabteilungen, 1. (.ieya)^07iQe7cig, 2. tjöv mit o/tjuara, Gi'vO^eaig, exXoytj, sich aber nicht recht zur Einheit zusammenschließen wollen. Auch die im, Brutus oft charakterisierte vis will sich der xaraaxet'/y nicht recht unterordnen (Herrle S. 62). Die officia oratoris treten uns z. B.. 276 entgegen.

Die tria genera dicendi leitet Str. (K. VII) aus der Imitationstheorie von einer Mehrzahl von Vorbildern her ; bei ihnen werde der nQayt.iazL~A.bg und der /fixTtxog ToVroc gleichmäßig be- rücksichtigt, Theophrast habe bei seinen 4 aQEiai programmgemäß nur die elocutio im Auge ^). Für die Beurteilung der Ciceronia- nischen Schriften ist besonders dieses Kapitel belangreich. 'Varia Ciceronis scripta rhetorica in hanc composita seriem: Liber III De Oratore, Partitiones Or., Orator, libellus De optimo genere orat, idem nos docent, quod Quintiliani unum operis corpus facilius- ostendit, praeceptionem ?J^€ojg in virtutibus positum esse, genera pertinere ad caput de oratore et de imitatione-) : Sequitur, ut contra rationem peccet, qui genera inter praecepta recipiat' (S. 102)^

^) Kroll merkt in seiner Oratorausgabe (191.3) S. 4 an: „Stroux hat darin ganz recht, daß diese Lehre [von den .3 genera dicendi] nicht zum. eigentlichen Lehrgebäude der Rhetorik gehört: sie war für Theophrast eii> Hilfsmittel der Stilkritik. Wir wollen uns aber nicht einbilden, die Schrift Tztol li^icos auch nur entfernt in ihrer Anlage erkennen und wiederherstellen- zu können; der letzte mißlungene Versuch hat hoffentlich endgültig davon abgeschreckt. Daß Cicero den Theophrast selbst vor Augen hat, ist wahrscheinlich; aber man ist nirgends sicher, daß er seine Gedanken un- verfälscht durch spätere Zusätze wiedergibt."

2) Nach De or. II 32 ist das Bißchen ars aus der kritischen Ver- gleichung der Redner entstanden.

138 ^- Ammou: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917,

Sind die geuera nicht auf die Verschiedenheit der Stoffe gegründet? Vgl. Theod. Herrle S. 22 f. Darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Ebensowenig über das Folgende. In dem Schluß- kapitel (VIII S. 104 ff.) De virtutum dicendi cum generibus con- fusione wird nämlich dem Demetrius tisqi l-gfi. und dem Halikar- karnasier Dionys Vermengung von nicht Zusammengehörigem vor- geworfen. Dionys habe in den Urteilen über Lysias , Isokrates, Isaios und in dem über Demosthenes seine Ansicht über Imitation (mehrere oder auch eine?) grundsätzlich geändert. Ich brauche wohl nicht zu sagen , daß ich meine Dissertation De Dion. Halic. libr. rhetoric. fontibus, namentlich die Partie über die ageral, nach 30 Jahren anders schreiben würde als 1889. Aber ich bleibe bei ■der wesentlichen Einschätzung, z. ß. der yevr^ owO^taeiog auch für Str. besteht kein Zweifel , daß die Kompositionscharaktere eine Mache des Halikarnasiers sind, Avährend Theod. Herrle, Quaest. rhet. ad eloc. pert. Diss. Leipzig (1912) dies leugnet und die von den Stilcharakteren verschiedenen Kompositionscharaktere mit Hilfe Philodems auf die Musik (der Stoiker) zurückführt (S. 54) , und auf die enge Berührung mit Cicero lege ich nach wie vor Gewicht. Str. mißt dem Dionys als treuem Abbild der zeitgenössischen Rhetorik nicht geringen Wert bei , stellt aber Cicero erheblich höher , der sich in der Zeit des attizistischen Überschwangs von Verirrungen freigehalten und in seinen rhetorischen Hauptwerken, sich an den alten Peripatos anschließend, der Folgezeit richtige und gangbare W^ege gewiesen habe (S. 126).

Über Stroux (De Theophr. d. virt.) urteilt Hermann Mutsch- mann (f), der uns in der Zergliederung der Schrift vom Erhabenen Proben seiner Forschung gegeben hat, in seiner Bespr. Berl. phil. Woch. 1914, 19.5 203: „Man weiß nicht, was man an der Erst- lingsarbeit mehr loben soll: die wichtigen positiven Resultate oder ■die völlig neuen Wege, die sie der Forschung zeigt."

Theodor Herrle, Quaestiones rhetoricae ad elo- cutionem pertinentes. Diss. Leipzig 1912. 65 S. Gr. 8.

W^ie die geschlossene, zielsichere Arbeit von I. Stroux ist ■die schon nach dem Titel eine Reihe von Fragen über die Ent Wicklung der antiken Stillehre umfassende Leipziger (unter R. Heinzes und Lipsius' Auspizien entstandene) Dissertation Herries für zahl- reiche Stellen der Rhetorica Ciceros ein wertvoller technischer Kommentar ; auf Seite 60 62 setzt sich H. mit dem beim Abschluß seiner Arbeit erschienenen Buche von Stroux kurz auseinander; in

i\

V. Quellen. 139

wichtigen Fragen treffen beide Forscher zusammen ; einige Ab- weichungen habe ich schon bei Stroux angedeutet.

Aus Isokrates, dem 'Erzvater der Rhetorik', der so gerne mit dem nichtssagenden lötai vornehm tut, bekommen wir eine stattliche Anzahl von Stellen zu lesen, die den Ausdruck ()J.S(g) mit seinen noXiTiÄCi orö/uaTa, mit seinen eigv^fiiai und 7ioi/.iUai wenn nicht vom Inhalt trennen , doch weitgehend berücksichtigen^ Die Stelle aus Ciceros Briefen über die Xr^xv^oi könnte zur Er- klärung förderlich sein. Von dem Vertreter des avtoax^^K^-^i^', des Improvisierens, Alkidamas erfahren wir wenig, mehr aus Anaximenes; für die Grundlegung bei Aristoteles (rhet. III c. 1 12) wird eine neue Gliederung versucht (S. 13), aber auch die scharfsinnige Einstellung Stroux' auf die eine ageiij der ffacp/^reia tmerkannt (S. 61); aber die Mitte zwischen xa7ien'üv und vTteq ro a^lc'jfia ist für H. das yigä/ror, nicht die enger zu fassende aacftjvEta Stroux' (S. 8. 61). Auf die bedeutsame Weiterausführung der le$tg in der Poetik weist H. gebührend hin. Zum Ausgangspunkt für T h e o - phrast IJegi h'^ewg wird die Simphkiosstelle genommen (S. 15). Theophrast habe trotz des sonstigen Anschlusses an seinen Lehrer (Cic. or. 39) die eine agert] , beeinflußt durch frühere Rhetoren, wieder in eine Mehrzahl (Vierzahl) geteilt , deren Reihenfolge (latine plane ornate apte congruenterque) bei Cicero de or. III 37 er wohl mit Recht für die richtige hält; für die in zwei Teile {jusyaloTTgerrig und i^dv) geteilte /.aTaa/.evt] („Aufmachung") nimmt H. lieber die Bezeichnung •/.öauog oder y.eyf.oai.ir^uevov. Über die drei genera dicendi : grande, medium, summissum (beim Auct. ad Herenn. und bei Cicero) urteilt H. (S. 18. 60) 'Strouxius Hen- dricksonium secutus Theophrastum tribus illis generibus quasi denuo liberavit'. Auch die grundlegende Dreiteilung ixÄo//) ovouaxtov und Ovvi}eGig ovoi.iäii')v und oy^^f-iaza sei dem Werke des Theophrast, das er gegen H. Usener und H. Rabe nur aus einem Buch bestehen läßt, fremd gewesen; auch den nQayuaTiv.bg und Aexr/xo? xonog der Späteren habe der Eresier nicht gekannt (S. 27). Ob aber das Ganze auf die 4 ctQEiai aufgebaut war? (S. 61.) Nach den von Stroux verwendeten CicerosteUen wäre dies anzunehmen. Weder Demetrius negi egi-itpeiag, der dem 1. vorchristlichen Jahrhundert angehöre, noch die einschlägigen Angaben Ciceros über die elocutio gehen nach H. (S. 20. 30) auf Theophrast zurück. Die Partitiones oratoriae, in denen Herrle mit Fr. Marx nur die Übersetzung einer griechischen Schrift sieht (S. 31), werden, weil sie neben den virtutes (mit dem breve) auch delectus und compositio in der Dis-

140 G. Ammoü: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

Position berilcksichtigen , von der Elocutio-Partie im De Oratore geschieden; wohl mit Recht. 'Eo consilio', sagt H. S. 37, 'fusius de delectu et compositione disserui , ut demonstrarem divisionem delectus et compositionis per se neque apud auctorem (ad Herenn.) neque apud Ciceronem inveniri, sed arte cum altera divisione vir- tutum cohaerere; cum autem Theophrastum delectum et compositionem a virtutibus separavisse nuUo argumento probari possit, incaute et iniuste Maj^er Ciceroni opprobrio dedit, quod Theophrastum satis infelicem in modum(!) secutus esset.' Daß der ornatus schon vor der Ausbildung der Xt^ig im Zusammenhang mit den 7iQ(xyf.iaTa sich herausgebildet hat , darf man wohl den Ausfühi-ungen des Antonius bei Cic. de or. II (366) sowie der ständigen Verbindung der Wort- und Sinnfiguren (illuminate et rebus et verbis dicere, De or. III 53) entnehmen; man vgl. dazu die Worte des Crassus (De or. III 19 ff.) über den natürlichen Zusammenhang von Inhalt und Form.

Für die Ziele ^(?j) und xaAd»', die Dionys von Halikarnaß in seiner Sonderschrift nEQi awd-. ovouäuov aufstellt, werden wert- volle Parallelen aus Rhetorikern (Cic. De or. III 97 103) und Historikern beigebracht auf die wahren und die Scheinkünste wie Heilkunst und Kochkunst in Piatons auch in der Rhetorik beachteten Dialog Gorgias war vornehmlich hinzuweisen (Cic. De or. III 129) und die (.iSTaßoX^ oder varietas , die im ge- flügelten Worte Variatio delectat fortwirkt, wird ebenfalls für Cicero (De or. III 100 usw.) wie für Dionys eingehend aus Rede- und Dichtkunst erörtert. Vor dem Druckfehler o ye ouo€idr]g icQOiotarai, (statt TiQoaiarazai) TQO/iog S. 51 möchte ich warnen. Auch für Hi^og und ovd-uög (Cic. De or. und Orator) wird aus Philodem usw. manches Beachtenswerte geboten. Die Kompositionscharaktere des Dionys von HaHkarnaß leitet H. (S. 54) von der Musik her. Dionys hat wie Cicero sich viel mit Musiktheorie beschäftigt; vgl. aber trotzdem die Bemerkung oben.

Die genera dicendi, die ursprünglich 2 (bei Cic. Brut. 201 ff. werden 2 als gleichberechtigt anerkannt), bei Demetrius 4, uns in der Dreizahl beim auct. ad Herenn. und Cicero (zwei auch De or. II 10 aut subtilius aut ornatius) am geläufigsten sind, möchte H. aus dem Zusammenwirken der officia oratoris (docere, delectare, flectere) wie sie in den Redecharakteren eines Diogenes, Critolaus, Carneades 155 v. Chr. nach Cic. De or. II c. 38 markant hervor- traten; vgl. Brut 185 und der Imitationstheorie entstanden sein lassen (S. 59 u. 62). Auch hier gilt wie bei manchen anderen

il

V. Quellen. ]41

Aufstellungen der tüchtigen Arbeit : amplius quaeretur! Ich möchte hier nur daran erinnern , daß bei Cicero De or. II 92 auch die Möglichkeit erwogen wird, die genera dicendi nach der zeitlichen Entwicklung (aetates) zu scheiden : älter der schlichte Sachstil, jünger der Prunkstil. Auch nebeneinander gibt es so viele Rede- charaktere als Rednerindividuen, und trotzdem gilt es wie auch in unserer Pädagogik die allgemeinen praecepta durchzuführen : (iisdem praeceptis atque una institutione formari, De or. III 34). In den zur Veranschaulichuug herangezogenen artes werden aber nach guter Peripatetikerart regelmäßig drei genannt : Myro, Polyklitus, Lysippus Aschylus, Sophokles, Euripides.

„Daß die Lehre von den vier ageral zrjg X^.^eojg auf Theophrast zurückzuführen ist, wird man Herrle und Stroux zugeben müssen," sagt G. Lehnert bei der Besprechung von Herries Quaestiones rhetoricae ad elocutionem pertinentes in der Berl. phil. Woch. 1915 Sp. 1536. „Aber anderseits wissen wir eben nicht, ob mit der Lehre von den vier virtutes i-'Ah^riy.dv oarpeg y.e/.oouriHivov TtgeTtov , die sich ja leicht aus der Aristotelischen Zweiteilung aa^fc: nQtnov ergeben, der Inhalt von negl XtBewg schon erschöpft war;" ob nicht auch die genera dicendi behandelt waren V Bezüglich der Folgerungen aus Cic. or. 69 mahnt Lehnert zur Vorsicht. „Bei einer Sichtung des Reden- materials lag die Trennung in zwei Hauptgruppen, einen erhabenen und schlichten Stil , sehr nahe , und diese ist sicher bereits früh erfolgt." Vielleicht kommen wir mit der Dreiteilung, die das medium als Vollendung faßt, doch in peripatetische Kreise.

„Die Übereinstimmung zwischen dem auctor ad Herennium, Cicero, Philodem, Dionys weisen doch, sagt Lehnert (BphW 1915, 1537) weiter, deutlich auf gemeinsame ältere Quellen hin, und die so bestimmte Ablehnung peripatetischer Quellen folgt wenigstens nicht aus dem Gang der vorgelegten Untersuchung." Bei Philodem De ira dreht sich der Streit auch darum, ob Epikureer (Timagoras und Nikasikrates) oder Peripatetiker bekämpft werden (BphW 1915, 647).

Wenn Cicero in seinem De oratore (I 104) auf den Peri- patetiker Staseas aus Neapel als einen der ersten kunstgerechten Lehrmeister für Rhetorik hinweist, so ist der peripatetische Ein- fluß in Rom mehr als angedeutet, und de fin. I 7 f. und V 75 er- kennen wir die Bedeutung des Staseas und des Peripatos über- haupt für die sachliche Ausstattung des Redners.

Über Theophrast darf man einen Lieblingsschriftsteller Ciceros (Tusc. I 77) nicht vergessen: Dikaiarchos. Nach Martini

142 ^^- Aiinnon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

P.-W. Real. V 554 ist Dikaiarch die (direkte?) Quelle für die interessante Stelle über die durch Peisistratos veranlaßte Redaktion der homerischen Gedichte. Auch Dikaiarchs Arbeiten über Sophokles und Euripides mögen die iudicia Ciceros über die Tragiker beeinflußt haben. Mittels der Tragikerscholien wird man auch hier etwas weiterkommen. Die Tuskiilanen , verglichen mit Dio von Prusa, dürften auch dabei förderlich sein.

Ein Urteil Dikaiarchs über den Stil von Piatons Phaidros (Diog. Laert. III 25) wird von Mras Wiener Studien 37 (1915) S. 103 aufgezeigt.

Im Anschluß an Theod. Herrle entkräftet feinsinnig

Franz Boll, Zu Demetrius De elocutione, Rhein. Mus. N. F. Bd. LXXII (1918) S. 25 fF.

zwei Stützen für einen späteren Zeitansatz von Tlegl "g^t. Die Geschichte von Mond und Katze geht wohl auf einen Paradoxo- graphen, nicht auf Apion zurück, und a'/.affizrjg ist älteren Datums als Strabo, wie aus dem naQaoy.affizrjg eines astrologischen Trak- tates zu schließen ist.

Wenn Alexandros , Sohn des Numenios , sich in seiner über Tiberios, zum Teil wenigstens, auf Kaikilios von Kaiakte zurück- gehenden Figurenlehre bei der Bekämpfung der Stoiker auf peri- patetischem Boden bewegt, wie 0. Schissel von Fleschen- berg bei Besprechung der Studie Th. Schwabs über Alexandros Numeniu Deutsche Lit.-Zeit. 1917, 738 betont, so spricht das für die Annahme peripatetischen Lehrgutes (Theophrast) auch bei Cicero und Dion3's.

Wenn Cicero nach Ludwig Gurlitt, Tulliana, Philologus LXXIII Heft 3 (1915) S. 405 ff. philosophische Schriften des Phil ödem benützt hat, dann gelten die gleichen Gründe für Be- nützung der rhetorischen Schriften.

Die Frage über die Verwendung von Mustern zur Ver- anschaulichung der Lehre vom Ausdruck behandelt zunächst für den Auetor ad Herenn.

Paulus Weiidland, Quaestiones rhetoricae. Göttingen 1914. 22 S. gr. 8.

Der Verfasser der dem C. Herennius gewidmeten rhetorischen Techne behandelt Buch IV zu Beginn der Lehre vom Sprach- ausdruck (Xi^ig) eine Streitfrage, die auch jetzt noch die Ver- fechter und Getjner des Lehrer- oder Musteraufsatzes sowie der

VI. Cicero und seine Zeitgenossen. 14$

deutschen Lesebücher beschäftigen muß : Soll der Lehrer (bzw. Ver- fasser) nur selbstgemachte oder den Klassikern entnommene Bei- spiele zur Veranschaulichung seiner Lehren bieten? Nach Wend- lands Vermutung ist diese wertvolle Erörterung eine Einlage in die Techne , zurechtgemacht von dem „jugendlichen" Verfasser oder seinem Lehrer (s. S. lü) nach einer griechischen, sich nicht auf die Sprachkunst beschränkenden Abhandlung (des 2. vorchristl. Jahrb.). Ausgehend von der Behauptung des Verfassers, er arbeite abweichend vom gemeingriechischen Usus nur mit selbstgeniachten Beispielen, verfolgt W. und das ist ein gut Stück wissenschaft- licher Geschichte der Rhetorik Praxis und Theorie der Griechen von Korax und Gorgias, die mit selbstgemachten Beispielen operieren mußten , über Aiüstoteles , der als Philosoph zuerst die (psycho- logische) Wirkung der Redekunst an Beispielen der Klassiker ge- bundener und ungebundener Rede dargelegt und mit dieser peri- patetischen Richtung die hellenistische Zeit beherrscht hat, herab bis auf die Bekämpfer (ich denke zunächst an Karneades und Charmadas) des hölzernen Hermagoras (Elnde des 2. Jahrh. v. Chr.). Die feinsinnige Analyse des aus griechischem Geiste geborenen Für und Wider in der Streitfrage (Bescheidenheit, 4iic Rhodus' Zeugnis usw.) lese man bei W. selbst nach. Auf die Emendation S. 14 y.dllovg eidog zu Dionys. Hai. II p. 203, 18 Us-Rad. möchte ich noch hinweisen.

VI. Cicero und seine Zeitgenossen.

1. Asiauismus und Attizismns.

Auf den stilistischen Kampf in Rom um 50 v. Chr. bin ich in dem Bericht Bd. 105 (1900) genauer eingegangen. Für das volle Verständnis des Aufkommens , Verlaufes und des Endes der Bewegung sowie der Stellung der drei oratorischen Streitschriften Ciceros (Brut., Or., de opt.) in diesem Kampfe wird noch manche Forschung nötig sein.

Max Krüger, C. Licinius Calvus. Ein Beitrag zur Geschichte der römischen Beredsamkeit. Beil. zum Jahresbericht des Johannesg}-mnasiums zu Breslau. 1913. Nr. 262. 40 S. gr. 8.^

Der mit der einschlägigen Literatur wohlvertraute Verfasser,, der 1909 die Fragmente des Crassus gesammelt hat, schildert una in seiner umsichtigen Arbeit das Leben des kleinen, fleißigen, nicht temperamentlosen Calvus, seine Stellung bei Mit- und Nachwelt^

144: ^^- Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

«eine Tätigkeit als Gerichtsredner; auch die Fragmente sind S. 39 f. zusammengestellt. Als eigentliche Attici betrachtet K. nach Aus- scheidung des Caelius, den Schlittenbauer treffend charakterisiert iabe, und des Curie nur 3, und zwar Brutus, den Cäsarmörder, auf ■der einen, und Calvus und Cornificius auf der anderen Seite (S. 24). Im Zeitansatz (um 51/50) pflichtet Kr. Harnecker bei; Ein- fluß von Rhodus usw. anzunehmen ist er geneigt. Die Attici ■richten sich gegen Ciceros abunduntia, sein ornate et copiose dicere, seine klingenden Rhythmen, das beständige Betonen des permovere animos audientium, sie verlangen schlichte Eleganz der Rede, Rein- heit und Klarheit , das genus tenue des Lysias ; ihnen ist ferner •nicht die Resonanz der Corona Hauptsache, sondern das Urteil des Kenners wie Cicero von der Philosophie im Gegensatz zur Rhetorik sagt: Tusc. II 1, 4 est enim philosophia paucis contenta iudicibus ; von den rednerischen Größen aus Roms Vergangenheit wollen sie nichts wissen. Über das durum componendi Studium des Brutus (Quint. IX 4, 76) vgl. Gercke-Norden Einl. P, 356; <iazu Horaz (sat. I 4) über Lucilius. Natürlich ist in dem Kampfe, in Briefen und Schriften, auch Ciceros Darstellung seiner Stilgegner «inseitig. Gut zeichnet Kr. die rednerische Persönlichkeit des ■Calvus. Das Abflauen der Bewegung, das Zurücktreten des großen Kulturträgers Cicero und der niedlichen attizistischen Stil- pedanten und Kleingeister wäre mit Z i e 1 i n s k i weiter zu ver- folgen.

Für die Geschichte der Stilrichtungen Attizismus und Asianis- xnus ist auch von Bedeutung die Programmabhandlung von

Heinrich Heck, Zur Entstehung des retorischen Attizismus. I. Teil Progr. des Gymnasiums Landau (Pfalz) 1916/17, 30 S. 8. II. Teil 1917/18, S. 31—62.

Ist der Attizismus in Pergamon, in Alexandria, in Rhodos, in Athen, in Rom aufgekommen? Im 3., 2. oder 1. Jahrh. v. Chr.? Haben die Grammatiker oder die Rhetoren oder beide oder die Klassizisten oder die Philosophen, Stoiker, Peripatetiker, Epikureer, haben die Theoretiker oder die Praktiker an der Entstehung und Weiterbildung den Hauptanteil? Auch nach der Untersuchung von L. Radermacher, U. v. Wilamowitz - Moellendorff, W. Schmid, O. Curcio , G. L. Hendrickson , M. Krüger u. a. bleibt hier noch viel zu klären, um in Ciceros Streitschriften aus den 40 er Jahren sich zurechtzufinden. Nach Heck darf heute (was ich zum Teil schon in früheren Bursianberichten betont habe) als ziemlich sicher

VI. Cicero und seine Zeitgenossen. 145

gelten, daß Pei'gamon für den rhetorischen Attizismus nicht in Be- tracht kommt , auch nicht Neanthes Ilegl -/.axuCriXiag oder Anti- gonos von Karystos oder Agatharchides. „Ob und in welchem Grade etwa späterhin in Alexandria oder auf Rhodos gepflegte Be- strebungen die Entstehung des Attizismus beeinflußt haben, bleibt nach wie vor zweifelhaft. Dagegen wird man es wiederum als fest- stehend bezeichnen können, daß Rom von größter Bedeutung für das Zustandekommen der Bewegung war." Für Athen erachtet H. es hauptsächlich für wichtig, zu erfahren, wie man sich dort im Kreise der sog. neuattizistischen Rhetoren (Menedemus, Demetrius Syrus, Pammenes, Gorgias Minor) mit Demosthenes beschäftigt hat. Wenn Hock Cic. or. 105 huno (sc. Demosthenem) tu oratorem cum eius studiosissimo Pammene, cum esses Athenis, totum diligentissime cognovisti nee eum dimittis e manibus ohne weiteres als Zeugnis für die Studien des Brutus verwendet (S. 11), so ist doch an das dem Brutus gemachte Kompliment des copiose et ornate dicere in seiner Rede für Dejotarus zu erinnern , das man schwerlich als Tatsache nehmen wird.

Die Wiege des rhetorischen Attizismus steht nach H. zu Rom im Scipionenkreis. Hier hat der Stoiker Panaitios den ikkrjViGiiog, den Hendricks on zu eng fasse, gepredigt, hier haben neben dem Amilianus C. Laelius, C. Pannius, L. Furius Philus und Manius Manilius an den griechischen Klassikern das subtiliter und eleganter disputare studiert , um es selbst zu betätigen ; hier hat ein C. Lucilius nach H. ganz in attizistischer Richtung das fLieiga/ucjöeg und Xi^gcuöeg Isocratium (S. 21) verspottet. Man ver- gesse nicht füge ich bei , daß Horaz an Lucilius die compositio (ovvO^eaig) trotz sonstiger Anerkennung (der libertas, der facetiae, sales) tadelt: durus componere versus . . nempe incomposito dixi pede currere versus Lucili ; dessen Sprachmengerei verstößt übrigens auch gegen den Attizismus. In der Folgezeit pflegten nach H. weitere 9 Redner (Catulus, Caesar Strabo, Scaevola pont., Crassus trimvir, Cotta usw.) den sermo purus , die sanitas , elegantia und subtilitas im Dienste des docere und die sonstigen ageiai der Attizisten. Die vielseitigen Studien des Crassus , der Griechisch sprach wie ein geborener Grieche, und die rhetorische Fortbildung des großen Antonius zu Athen und Rhodos nach Cicero De or. II 2 f. lauter geschichtliche Tatsachen wird für den auf- strebenden Nachwuchs Roms nicht ohne Einfluß gewesen sein. Ebensowenig die fast attische Art eines Catulus und Cotta (Cic. De or. III 29 ff.) ; jener schrieb über seine Taten und sein Kon- Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 179 (1919. II). 10

14-6 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

sulat in Xenophonteischem Stil (Brut. 132). Das Lob (Iraecis doctrinis institutus kehrt im Brutus (z. B. 173) bei Rednern öfter wieder. Die subtilitas wurde jedenfalls auch gefördert durch die Vergleichung der lateinischen und griechischen Sprache (Cic. De er. II 17 f.), durch das Herüber- und vielleicht auch Hinüber- set z e n (für aptus ineptus fehlt nach Cicero den Griechen ein deckender Begriff).

So stellt sich nach Heck eine enge Verwandtschaft der eigent- lichen Attizisten (Calidius, Calvus, Brutus) mit der fortwirkenden Geschmacksrichtung der Scipionenzeit heraus. Die vielfach auch der Redekunst sich widmende jungrömische Dichterschule (Memmius, Calvus, Cornificius) konnte sich der Forderung der feinen, sauberen, straff angezogenen Darstellung nicht entziehen (vgl. CatuU, Horaz). Über diese würde man auch nach der Arbeit von E. Sinzig (1912) gern Genaueres erfahren ; vgl. u.

In jener Zeit, wo der junge Rednernachwuchs (Caelius Rufus, Scribonius Curio u. a.) sich zu betätigen begann in der Scipionisch- griechischen elegantia wohl noch ohne Polemik gegen Cicero- (Schwulst, Massenwirkung u. ä.) und ohne die Bezeichnung Attici , veröflfentlicht Cicero sein Hauptwerk De oratore , das seiner Art und seinem Ideal , sozusagen dem rhetorischen Imperialismus , ein Denkmal setzt. Cicero, durch Anlage und Schule trotz der Kur Molos immer noch der ausgesprochen asianischen Richtung des Hortensius nahestehend auch die vermittelnde Einwirkung de» Atticus (Nep. 5, 4) ist nicht zu vergessen , stellt sein copiose und Ornate dicere , das enthusiastische Moment miteingeschlossen,, dem subtiliter dicere , das nicht zur Beherrschung des souveränen Volkes ausreiche , als überlegene Eigenart entgegen , nicht ohne Stolz und Selbstbewußtsein; das ornate dicere wird von Cicero (De or. II 123. 350, III 16. 24 u. ö.) für den Aexrr/toc: lOTtog, ja für Rhetorik überhaupt gebraucht (De or. III 60). Die avayyMlai agtzai des latine und plane dicere werden als selbstverständliche Voraussetzungen rasch abgetan (ob nach The ophrast?). Hierin sieht Heck eine 'Provokation' der Andersgearteten, den Anstoß zum rhetorischen Ultra- Attizismus in Rom. Cäsar antwortet in höflicher Form mit De analogia; der vom Vater her dem Cicero verfeindete Calvus scharf über dessen commentarii (S. 49) erführe man gern mehr. Bezüglich der von Tacitus erwähnten rhetorischen Korrespondenz vertritt Heck (Anhang II S. 60 f.) gegen 0. Harnecker die Ansicht , der den Calvus aufmunternde Brief Ciceros (erwähnt ep. XV 21) sei nicht um das Todesjahr des Calvus (48/47), sondern

il

VI. Cicero und seine Zeitgenossen. 147

kurz nach der Veröffentlichung von De oratore (55) anzusetzen. Wie dann die von Calvus als geistigem Haujit geleitete (ultra-) attizistische Bewegung in den nächsten acht Jahren die Schwächen Ciceros in seiner Verteidigungstätigkeit (Vatinius !) und seine dienst- liche Abwesenheit in Kilikien für die Ausbreitung ihrer Redeart benutzte, wird von H. gut skizziert. Die nach 46 „kurz hinter- einander mit fast nervös erscheinendem Eifer herausgegebenen drei polemischen Tendenzschriften gegen den Attizismus (Brut. Or. De opt. gen. or.) sollten vor allen den M. Junius Brutus bekehren : Mihi cane et populo, mi Brüte [Brut. 187]. Aber Brutus, dem er das Ornate und copiose dicere anloben möchte, folgte nicht, konnte nach Anlage und Studiengang nicht folgen. Auch der Triumphruf (Tusc. II 1, .3), auf den H. hinweist: Attici . . iam conticuerunt ab ipso foro inrisi, ändert daran nichts. Brutus bleibt dabei: elo- quentia = prudentia (Brut. 23).

Hecks übersichtliche Arbeit ist mehrfach anregend und zug- kräftig. Manches wird noch weiter zu verfolgen sein. Wann und warum nannten sich die Neuen Attici'? Einfluß der Griechen? Der Rhetoren (Theophrast durch Poseidonios)'? Der Grammatiker mit ihrer Imitationstheorie (Stroux, Herrle, Wendland, Stemplinger u. a.); einzelner Hauslehrer (von Menelaus und Diophanes der Gracchen bis zum Pammenes des Brutus)? Der persönliche Einfluß be- deutender Römer? Des Atticus, der seinen Beinamen von Athen mitgebracht: Atticus sprach ebenso elegant Attisch wie Lateinisch ; 'ut Athenis natus videretur', bezeugt sein Biograph Nepos (c. 4); ähnlich wohl seine Gattin Pilia, der die Athener wie ihm selbst ein Denkmal gesetzt haben, und seine Tochter, die '^rrr/twTCfDy. Cicero redet seinen Freund fast ausschließlich mit dem neuen Ehrennamen an, spricht schon in den älteren Briefen von aztr/MnEQU (I 13, 5), von aTTr/.ia{.i6g (IV 17, 1), nennt den Pomponius vTTEQaxTiy.og (XV 1 B, 2). Daß unter den a-/.Qodf.iaTa bei den Mahlzeiten die anagnostae dem Geschmack des Hausherrn entsprechend die attischen Klassiker bevorzugten, wird man nicht erst nachweisen müssen. Vgl. Hör. ep. II 1, 20 fif. u. Tac. Ann. II 88. Und wenn Cicero den Pomponius als den Aristarch seiner Reden bezeichnet (Att. I 14, 3), wird auch etwas von dessen aTTiY.iaf.i6g mitgewirkt haben. Auch Cicero sieht sich zwischen Nikias und Vadius als 'Aristarch' und weiß nicht, wie er das 6ße)Sleiv betätigen soll (fam. IX 10, 1; vgl. unten R. Bern dt).

Dionys von Halikarnaß, dessen 'Freund' Cäcilius von Kaiakte mit seiner Gvy/.Qioig Ciceros und Demosthenes' wenn auch nicht

10*

148 G- Amuion: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

den von Caccialianza angenommenen , aber doch einen nicht un- bedeutenden Einfluß geübt hat, stellt nach Heck ein Kompromiß zwischen den beiden Richtungen dar. Das müßte jedenfalls im einzelnen in der geschicklichen Entwicklung erst aufgezeigt werden. Ich sehe vorderhand Dionys auf dem literarästhetischen Standpunkt der Peripatetiker,

Nachtragen möchte zum letzten Bericht

Gustav Friedrieh, Über das Verhältnis Ciceros zu Calvus. Catulli Veronensis Liber (Leipzig 1908) S. 231:

„Über die selbstverständliche Hivalität zwischen Calvus und Cicero hilft nichts hinweg. Freilich brach der Streit wegen des Atticismus erst nach Catulls Tode aus. Aber die Tatsache , daß er ausbrach, beweist, daß der Gegensatz, die Spannung, schon lange bestand und empfunden wurde. Ist es ein Zufall , daß auf c. 49 ein Gedicht an Calvus folgt, in dem CatuUus sein gutes Ver- hältnis zu dem Nebenbuhler des Cicero erkennen läßt, und worin Calvus gerade als Dichter gefeiert wird, als Dichter voll Witz und Anmut?"

Wenn Cicero mit seinem Elavit ab Epiro lenissimus 0 n c h e s - mites (Att. VII 2, 1) die versus spondiaci des Catull getroffen hatte, so blieb „die neue Stilrichtung die Antwort nicht schuldig. Der Gegensatz zwischen den Attizisten und denen um Cicero muß schon damals (55 v. Chr.) bestanden haben und hat sich offenbar schon damals in allerlei gegenseitigen Witzeleien Luft gemacht" (Friedrich a. a. 0. S. 239 zu Carmen 53).

Daß der Streit um Asianismus und Attizismus das Julisch- klaudische Kaiserhaus eng berührt hat , darf man aus der Haltung des Augustus , dem auch Horaz mit der sichtlichen Begünstigung der neuen Richtung schmeichelt, darf man ferner aus der Notiz des Suet. Claud. 41 schließen, daß Claudius eine Verteidigung Ciceros gegen Asinius Gallus schrieb.

2. Brutus.

Edward I. Filbey, Concerning the Oratory of Brutus. In Classical Philology VI (1911) S. 325—333.

Filbey stellt sorgfältig zusammen, was sich aus Cicero, Quintilian, Tacitus, Plutarch usw. für die Einschätzung des rednerischen Könnens des späteren Cäsarmörders beibringen läßt, und klärt so das Ver- hältnis des Brutus zu Cicero und die attizistische Bewegung. Von seinem stilistischen Gegensatz wurde Brutus auch durch den

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VI. Cicero und seine Zeitgenossen. 149

Orator nicht abgebracht (Att. 14, 20, 3. 6, 1, 17); Brutus, der als Philosoph höher denn als Redner einziischätzen ist, erscheint nach den alten Zeugnissen als (S. 328) : 'grave, dull and spiritless, brief and blunt, piain, and monotonous'. Die Komplimente im 'Brutus' über Fülle (pro Deiotaro) , Schmuck und Wärme , die sich damit schwer vereinigen, lassen, wird man im wesentlichen als Schmeichelei oder als einen pädagogischen Trick betrachten, wie bei Calvus.

Ob die Lehre von den virtutes dicendi nicht mitbeeinflußt ist durch die Lehre von den virtutes überhaupt? Orator = vir bonus (Cato, Quintilian). Hat Cicero wie Brutus eine Sonderschrift De virtutibus verfaßt? Vgl. A. Lörcher über H. KnoeUinger bei Bursian CLXII (1913, II) S. 164 ff.

Über Brutus s. auch Geiz er bei Paul3'^-Wissowa, Realenc. 19. Halbband, Stuttgart 1917, Sp. 973 1020, besonders über seine Studien bei griechischen Rhetoren (Empylos, Pammenes, Straten), über seine Schriftstellerei, seine archaisch-attizistische Stilrichtung, seinen Charakter (Sp. 1019 f.).

Pollio u. a.

Bissige Urteile über den Redner Cicero rühren auch von Asinius Pollio her (s. Quint. inst. or. XII 1, 22, dazu Gellius XVII 1, 1).

Über den wesentlichen Inhalt solcher Vorwürfe handelt

G. L. Hendrickson im American Journal of Philo- logy XXXVI 1 (1915) S. 70—75, „A Witticism of Asinius Pollio" (Latinitas-Patavinitas), in einem auch wegen des Attizismus recht lesenswerten Aufsatz.

Für die literarische Kritik ist von Bedeutung:

B. L. üUman, Horace, Catullus, and Tigellius in Classical Philology X 1915, S. 270 296, z. B. über Calvus S. 279 ff., über Attizismus S. 285.

3. Sonstige Gegnerschaft und Beurteilung.

C. 3Iorawski, De contentionibus litter ariis apud Ciceronem. Seorsum Impressum ex commentariis 'Eos', vol. XIX 1. 1913, p. 1—18. Cracoviae 1913.

beschäftigt sich mit der Art und Weise, wie Cicero seine Gegner behandelt: schärfer in den rhetorici libri (de inv.), milder, von der urbanitas geleitet und als Akademiker das Für und Gegen abwägend, in den späteren Schriften.

Vgl. Walter Isleib WfklPhil 31, 1914, 546 f.

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G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

Daß Brutus einigen Einfluß auf Ciceros Stil geübt habe, möchte Mor. annehmen, F. Gustafs son hält das bei der Dürftigkeit des Materials für nicht wohl nachweisbar (WfklPhil 1912, 262).

E. Sinzif?, Quid Cicero de aetatis suae imitatori- bus Alexandriner um poetarum cens«-erit. Progr. des Staatsoberg3-mnas. in Capodistria 1912. 39 S. bedeutet nach K. Prinz ZöG 66, 10, 955 f. keine wirkliche Förderung wissenschaftlicher Forschung.

Ausführlich besprochen werden die Stellen: Or. 68. 161. 164. De opt. gen. 4. Bei Or. 161 (non fugiunt statt nunc fugiunt) durch Oberflächlichkeit entgleist; Or. 68 bezieht sich nicht auf die Neo- teriker (Prinz mit Kroll gegen Jahn). Auch de opt. 4 möchte Prinz nicht auf die Neoteriker beziehen; von einem 'pueriliter invidisse' könne bei Cicero nicht die Rede sein.

Über die literarischen Gegner Ciceros verbreitet Licht

Georges Reeves Throop, Ancient literary Detractors of Cicero. In: Washington University Studies. Vol. I. Part. II. Nr. I. S. 19—41, Oktober 1913.

Die gegen Cicero als Schriftsteller und Redner, nicht als Staatsmann , gerichteten An- und Vorwürfe will Throop , dessen interessante und geschmackvolle Studie The lives and verse of Roman erotic (1914) Hugo Magnus ßerl. phil. Woch. 1916, 205 f. gerühmt hat, in 4 Gruppen vorführen und würdigen : a) allgemeine Kritik ohne Beziehung auf irgendeinen Teil seiner literarischen Tätigkeit, b) Angriffe auf seine Prosa, c) auf seine Redekunst und rednerische Bedeutung, d) auf seine poetischen Leistungen. Zu "Wort kommen Beurteiler von den zeitgerjössischen Gegnern (den rhetores latini, Calvus, Asinius Pollio und sein Sohn, Brutus, über- haupt die Attizisten u. a.) bis auf Fronto , besonders Quintilian, Tacitus und Gellius ; nennen möchte ich noch den Kaiser Claudius, die beiden Seneca, Plinius den Jüngeren, der gegen Asinius Gallus' Vergleichung Ciceros mit Asinius Pollio die Verse schrieb: 'Cum libros Galli legerem; quibus ille parenti Ausus de Cicerone dare est palmamque decusque,' ferner Juvenal, Martial, Plutarch, Fronto. Auf Cestius Pius wird S. 38 näher eingegangen; für diesen wäre wie für anderes auf Thaddäus Z i e 1 i n s k i , Die Cicerokarikatur im Altertum, Festschr. zum 25 jähr. Stiftungsfeste des histor. philol. Vereins der Universität München 1905 (dann wiederholt in: Cicero im Wandel der Jahrhunderte) zu verweisen. Die Stellen, von Throop fleißig und übersichtlich zusammengestellt, doch nicht er-

yl. Cicero und seine Zeitgenossen. 151

schöpfend , geben ein lebendiges Bild von Angriffen und Ver- teidigungen; dabei wäre noch besser zu scheiden gewesen die Be- kämpfung der Advokatenberedsamkeit (etwa durch Philosophen), der abweichenden Stilrichtungen (archaisierend, neoterisch, Dichterzitate, Rhythmisierung), die aus den avyxQi'aeig (Cäcilius von Kaiakte, Asinius Gallus, Plutarch und seiner Quellen usw.) sich ergebenden Schatten- seiten des großen Redners von den eigentlichen Invektiven. Gude- m an s Ausgabe des Taciteischen Rednerdialogs wird mit Recht fleißig benützt. Zu dem die poetische Tätigkeit Ciceros gering einschätzenden Bobienser Scholion pro Sestio § 123 wäre noch pro Plancio § 74 zu vergleichen und zu beiden Stellen Thomas St an gl, Cic. scholiastae II (1912) S. 137 und 165. In dem Gelliuszitat (13, 9, 1) über die Unterstützung Ciceros durch Tiro, die eine erneute Unter- suchung verdiente , stört S. 26 auditor (statt adiutor) in litteris Studiorum eius.

I. K. Schönb erger schlägt in seiner Besprechung WfklPh 1915, 965 eine Ordnung des Stoffes nach Grammatik, Stilistik, Rhetorik usw. vor.

I. I. Hartman, De cantoribus Euphorionis et de quibusdam aliis dis pu tatiuncula. In der Mnemosj'ne XLIII, 3.

Die neue Richtung der Euphorionis cantores, die einen Lysias über Demosthenes stellt, und zu der sich auch CatuU (carm. 48) bekennt, wird von Cicero an verschiedenen Stellen (Brut. § 289, Mur. c. 13) bekämpft; sie reiche auf Lucretius oder noch weiter zurück. Auch Cornelius Nepos sei ein Anhänger der neuen Richtung; er werfe dem Cato Mangel an theoretischer Durchbildung in der XiBig vor. (Vgl. Referat Berl. phil. Woch. 1915, Sp. 1386 f.).

Paulus Petzold, De Ciceronis obtrectatoribus et laudatoribus Romanis. Dissert. Leipzig 1911. 75 S. gr. 8.

Die Einschätzung Ciceros vonseiten der Römer (quid de ami- citia, de moribus, de publicis consiliis , de tota vita eius Romani senserint atque inter se dispvttaverint) wird in der von Rieh. Heinze geförderten Erstlingsschrift Petzolds in 3 Kapiteln verständig und eingehend erörtert: I De Ciceronis aequalium in eum invectivis (S. 8 28, besonders des Antonius S. 24 ff.), II De invectiva, quae Sallustii in Ciceronem dicitur (29 54), III De contentionibus inter Romanos de Ciceronis aestimatione post mortem eius ortis (S. 55 71) : a) Quomodo Juliorum temporibus Ciceronis auctoritas in rhetorum

152 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

ludis effloruerit, b) Vellei Paterculi de Cicerone iudicium , c) De Ciceronis adversariorum post mortem eins iudiciis.

Scliönberger bemerkt in seinem Bericht (S. 350 f.) , daß die Schrift eigentlich 'De auctore Ps.-Salhistianae in Ciceronem invectivae' betitelt sein sollte.

Im Anschluß an die Abhandlung Tbroops über die alten Ver- kleinerer Ciceros sei eine billige , gute Sonderausgabe der sog. luvektiven des Sallust und Cicero angeführt:

Alphonsus Kiirfe&, Sallustii in Ciceronem et in- vicem invectivae. Leipzig 1914, Teubner. XV. 28 S. 8.

Die Eduard Norden gewidmete, auch von Th. S tan gl und W. Heraeiis geförderte kritische Ausgabe legt die Überlieferung klar, verzeichnet die neuere Literatur, bietet zahlreiche Testimonia und Parallelen zwischen Text und Apparat , erleichtert die Be- nützung durch drei genaue Indices (z. B. adfluens-, aber 8, 21 assecula, Index adsecula). Zu neque modum neque modestiam ullam animadverte (I 1, 1) oder immoderatam eloquentiam (1, 2) vermißt man Sachparallelen ; wohl auch zu quem Minerva omnis artis edocuit (4, 7). Zu '0 fortunatam natam me consule Romam' (3, 5) und 'Cedant arma togae , concedat laurea linguae', wie es hier (3, 6) statt laudi heißt, werden die Belege und Parallelen ge- boten. Im Text steht S. 1 [C. Sallustii Crispi] in M. Tullium Ciceronem oratio, S. 9 [M. Tulli Ciceronis] in C. SaUustium Crispum oratio •, daß der Buchtitel anders gehalten ist , wird kein Unheil anrichten.

A. Kurfe&, Zur Cicerokritik im Altertum. In den Jahresberichten des Philologischen Vereins zu Berlin Jahrg. 40 (1914) S. 148—150.

Nach den Schollen ist die Annahme berechtigt, daß die Grammatiker nicht immer für Cicero Partei nahmen.

Auch ein anderer Aufsatz des verdienten Erforschers der antiken Invektive wirft für Ciceros Rhetorica einigen Gewinn ab :

A. Kurfe&, Die Anfänge der Invektive in Rom. Jahresb. Phil. V. 41 (1915) S. 107.

Über die Gracchen (Brut. 125, De or. III 214) u. a.

4. Förderer Ciceros: Hortensius.

Friedrich Münzer , Hortensius und Cicero bei historischen Studien. Hermes 49, 1914, S. 196—213.

VI. Cicero und seine Zeitgenossen. 155

Hortensius ist aus der Reihe römischer Historiker ganz zu streichen. Die Erzählung über die Bewerbung der beiden Schwieger- söhne des Lälius um die Augurstelle geht auf mündliche Über- lieferung, die Cicero von Hortensius (bonus auctor ad Att. XII 5, 3) erhalten hat, zurück.

Der Grammatiker Nikias. Der gehaltvolle Aufsatz von:

Richard Benidt, Cicero und der Grammatiker Nicias. Berl. phil. Woch. 1915, Sp. 955—960.

Nikias von Kos, ein auch bei Cn. Pompeius, C. Memmius u. a. gern gesehener, vielseitig gebildeter, lebensfroher Grammatiker und Literarhistoriker (= der HomerikerV), dessen Schrift über den Satiriker Lucilius selbst ein Santra hochschätzte, war ein vielfach beratender oif.tßiioTrjg Ciceros, besonders in dessen letzten zehn Lebensjahren. In grammatischen Fragen (in Piraeea, Att. VII 3, 10) und literarhistorischen und ästhetischen Dingen hat der auch mit den jungen Dichtern (Valerius Cato) Fühlung haltende Mann die rhetorische (und wohl auch philosophische) Schriftstellerei Ciceros- jedenfalls unterstützt.

Wenn der Grammatiker Ateius Philologus , ein Schüler von Cäsars Lehrer Gnipho und ein stilistischer Beirat des Sallust, den befreundeten Asinius PoUio mahnt (Suet. gr. 10): ut noto civilique et proprio sermone utatur etc., so sehen wir den Einfluß der Grammatik mit ihren Schlagern.

Matris, Philodemos. Daß in den Kreisen Ciceros der thebanische Rhetor M a t r i s ^ der Verfasser des iy/.wi4iov 'HQay.Xsovg, der „strenge Vegetarianer und Wassertrinker", so gut bekannt war wie dem Philodemos^ hat Albrecht Dieterich schon 1900 in der Strena Helbigiana (jetzt kleine Schriften 1911, S. 162 f.) scharfsinnig erschlossen: Epist. IX 16, 8 Matris tui statt matris tuae (vgl. P.-W. V 676).

5. Stilporträte der Zeitgenossen?

Guilelmus Dammaun, Cicero quomodo in epistulis^ sermonem hominibus, quos appellat, et rebus, quas tangit, accommodaverit. Diss. Greifswald 1910. 67 S.

Enthält einen Abschnitt (3) De apparatu rhetorico. Vgl. Joh. Tolkiehn WfklPhil 1910, 1058, der auf seine Arbeit über Homerzitate Fleck. Suppl. 1896 verweist.

154 G. Aramon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

6. Name. Oeleiilieiiiz , Zum Namen Cicero. Berl. Philol. Woch. 1917, 1350 f.

Ob der (Spitz-?) Name 'Cicero' eher mit circus und der Zauberin (Wahrsagerin) Kirke als mit cicer, Kichererbse, zusammen- hängt? Aus Oe.s Darlegungen gewinnt man keinen Halt. Plutarch (Cic. 1 sgeßtvd^og) und ältere Römer, die mit der „Kichererbse" spielten , und Cicero selbst sprechen für cicer. Die einschlägigen Stellen (Plin. n. h. 18, 10. Priscian 4, 2) s. bei Lübker, Reall. « 1914, 1065.

YII. Fortleben der rlietorisclieii Schriften Ciceros.

Hierher könnte ein großer Teil der Literatur über die all- gemeine Würdigung Ciceros (Zielinski, Cicero im Wandel der Jahrh. usw.), dann aus der Überlieferungsgeschichte der rhetorischen Schriften (Sabbadini, Stangl, Stroux usw.) gezogen werden. Das Fort- wirken der rhetorischen Schriften war oben bei den Untersuchungen über Theorie und Praxis des Prosarhythmus zu berühren: Quintilian, Minucius Felix, Ammianus Marcellinus, Ciceroscholien, der Cursus im Mittelalter (Clark, Laurand), in der Renaissance nach Burdach. Aber eine geschlossene , einheitliche Darstellung wie Gedanken und Worte auch das deutsche Lehn- und Fremdwort aus der Rhetorik! des Kulturträgers von Arpinum „jedes lange Jahr- hundert wachsenden Strömen gleich" füllen, haben wir nicht, dürfen wir so bald nicht erhoffen.

1. Bei Quintilian und Tacitus.

Fritz Sehlmeyer, Beziehungen zwischen Quin- tilians Institiones oratoriae und Ciceros rhetori- schen Schriften. Dissert. Münster i. W. Münster 1912. 97 S. gr. 8.

Durch W. Kroll angeregt und gefördert, vergleicht Sehlmeyer (geb. 1880) die zahlreichen, S. 91 96 übersichtlich zusammen- gestellten Stellen der 12 Bücher der Institutio oratoria, an denen sich Quintilian mit Cicero berührt und ihn auch trotz der Be- tonung seiner Selbständigkeit (vgl. S. 41) benutzt hat oder be- nutzt zu haben scheint. Die Angabe über die ängstliche Vermeidung des Hiatus durch Theopomp (Cic. or. 151 S. 78) muß, da Dionys von Halikarnaß das gleiche bezeugt, nicht unmittelbar auf Cicero zurückgehen. Wir kennen alle die Schwierigkeiten, bei schulmäßigen

^

VII. Fortleben der rhetorischen Schriften Ciceros. 155

rhetorischen Schriften die unmittelbare Abhängigkeit der Späteren von Früheren (z. B. von Aristoteles oder Theophrast) nachzuweisen, und werden auch Sehlmeyer nicht durchaus beistimmen ; aber ge-; haltreich und wertvoll ist seine Arbeit.

Auch an die Schrift von Benedikt Appel, Das Bildungs- und Erziehungsideal Quintilians nach der Institutio ora- toria (Donauwörth 191-i), die ich BphW 1915 Nr. 24 besprochen habe, ist zu erinnern, ebenso an Hub bei (Isokrates Cicero Aristides), R. Kohl, De schol. declam. argumentis ex histor. pet. (Paderborn 1915), von mir bespr. BphW 1915 Nr. 4-i; in der Hauptsache sind die (etwas über 400) exempla der Schuldeklamationen bei Cicero oder wenigstens in der zeitgenössischen Bildungsschicht festgelegt. Kohl wird ergänzt durch Max Schamberger, De declamationum ßomanorum argumentis observationes selectae (Diss. Halle 1917), von mir besprochen BphW 1917 Nr. 37.

Eine wichtige Arbeit nicht nur für die Geschichte des Fort- lebens der rhetorischen Schriften Ciceros, sondern für die Rhetorik überhaupt ist

Johannes Börner, De Quintiliani institutionis oratoriae dispositione (Pars prior). Leipziger Dissertation. Leipzig 1911. 73 S. gr. 8.

Abschnitt II; De dispositione priorum librorum rhetoricorum : 1. De Anaximene. 2. De Aristotele. 3. De auctore ad Herennium. 4. De Ciceronis libris qui inscribuntur a) De oratore, b) Parti- tiones oratoriae (S. 44 50).

Abschnitt III : De Quintiliani institutionis or. dispositione cum eorum quae antecesserunt operum comparata. Gute Tabellen.

Quintilian benutzte zum Teil schlechtere Handschriften, als wir besitzen, s. H. Nohl WfklPh 1910, 1118 (Verr. V 118). Über die einschlägigen Untersuchungen von Emiein habe ich im Bursian früher berichtet.

Richard Klaiber, Die Beziehungen des Redner- dialogs von Tacitus zu Ciceros rhetorischen Schriften. Progi-amm des K. Alten Gymnasiums in Bamberg. I. Teil 1913/14, IL Teil 1915/16. 113 und 40 S. 8.

Daß im Rednerdialog die Schreibweise Ciceros nachgeahmt ist, und zwar in der dialogischen Anlage, Stil, Inhalt und in ein- zelnen Redewendungen, haben Herausgeber wie Kritiker festgestellt und aufgezeigt, so Peter, Wolff, Andresen, John; Weinkauff und

156 ^- Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909 1917.

Kleiber , besonders aber Gudeman , bringen längere Zusammen- stellungen. Unter Benützung dieser Vorarbeiten, im zweiten Teil auch von Alfred Gudemans großer Ausgabe (1914) und deren Besprechungen, gibt Klaiber eine möglichst umfassende Samm- lung derartiger Stellen, geordnet nach der Übereinstimmung in der Komposition, dem Inhalt und der Form.

Die Komposition, vornehmlich nach De or. und Brutus, Teil I S. 5 14 ; der Inhalt, z. B. vis ratioque dicendi, I S. 14 61, wo- bei die Stellen meist nebeneinandergedruckt gegenüberstehen-, die Form I S. 61 113. Natürlich ist nicht alles gleich beweiskräftige besonders einzelne auch sonst vorkommende Wendungen, wie Statue adice (S. 112), oder Gedanken. „Wir müssen", schließt aber Klaiber II S. 8 wohl mit Recht, „angesichts dieser Proben annehmen, daß Tacitus, bevor er seinen Dialog formte, sich, wie Teuffei (562) sagt, künstlich in die Ausdrucksweise Ciceros ein- gelesen hat, wenn wir nicht am Ende gar zu der Meinung neigen, er habe die ganze Rhetorik desselben völlig wörtlich im Kopfe gehabt. An die Möglichkeit einer unbewußten Anlehnung an sein Vorbild, wie sie Steiner (19) und Kleiber (10) offen lassen, vermag ich nicht zu glauben. Im Gegenteil : er hat haben wollen , daß' seinen Lesern die Anschauungen Ciceros möglichst getreu im Wort- laut an die Ohren klingen." Danach beurteilt Kl. auch die Absicht des Tacitus (II S. 38) : „Gerade die Anlehnung an das klassische Muster bürgt dafür, daß Hoffnung bestand, diesem wieder Geltung zu verschaffen. Wir haben es also mit einer Schrift zur Förderung der Beredsamkeit zu tun, nicht aber mit einer ihr gehaltenen Grabrede." Auch für die Erklärung der Rhetorica Ciceros, viel- leicht sogar für Textkritik, versprechen Klaibers eindringende Studien Gewinn.

Alfred Gudeman, P. Cornelii Taciti dialogus de oratoribus. Mit Prolegomena, Text und Adnotatio critica,. exegetischem und kritischem Kommentar, Bibliographie und Index nominum et rerum. Zweite, völlig umgearbeitete Auflage. Leipzig und Berlin 1914, Teubner. 528 S. gr. 8.

Diese neue Hei-mann Diels gewidmete große Dialogusausgabe Gudemans ist nicht nur eine der umfassendsten und gehaltreichsten Erscheinungen auf dem Gebiete der Rhetorik, ihrer Geschichte, ihres Wesens und Aufbaues , sie bietet dem Philologiestudierenden und selbst dem Forscher ungezählte verlässige Einzelangaben und regt sehr oft zum Weiterforschen an. Man sehe z. B. im Index nach

VII. Fortleben der rhetorischen Schriften Ciceros. I57

unter Cicero, Calvus , Brutus, Asianer, Quintilian , Tacitus , De- mosthenes. Dichter, unter Rhetorischen Termini, für die der Mitarbeiter am Thesaurus Linguae Latinae das verlässigste Material benutzen konnte : adstrictus adtritus alacer altus amputatus augustus aptus aridus bilis calamistri (Komment. S. 391) circumcisus conlectus copiosus cultus usf. bis varius vehemens vis ; man lese im Kommentar 2. B. S. 195 f. nach über (pvoig Ttyjt] j^ieXti)], oder S. 389 f. über C. Gracchus, Crassus, überhaupt zur Stilgeschichte, man über- blicke die Literaturangaben S. 515 520, und man wird Gudemans Ausgabe als unentbehrliches Hilfsmittel auch für Ciceros ßhetorica und ihr Fortwirken zu schätzen beginnen.

2. Cicero und Celsus.

Quintilian stellt XII 11, 24 in der vielseitigen Behandlung der Rhetorik den Polyhistor Celsus mit seinem Werk de artibus Cicero zur Seite. Quod instrumentum dicendi M. Tullio defuit? Quid plura? cum etiam Cornelius Celsus, mediocri vir ingenio , non solum de his omnibus conscripseiüt artibus, sed etc. Dieses artibus streicht Marx in seiner Celsusausgabe (1915) und ergänzt sinngemäß aus dem vorhergehenden instrumentis. Daß Celsus wie Cicero auch die Philosophie als ein wichtiges instrumentum für den Redner betrachtet habe, sucht F. E. Kind in seiner Be- sprechung BphW 1917, 860 gegen Marx zu erweisen.

3. Panegyriker.

Nach Alfred Klotz, Studien zu den Panegyrici Latini (Rhein. Mus. 1911 N. F. 66, S. 534) ist Cicero wohl noch Muster der Beredsamkeit , aber Berührungen mit den rhetorischen Schriften finden sich kaum (jedoch De or. I 242 = II 6 p. 94, 6).

4. Christliche Literatur.

Hermann Jordan, Geschichte der altchristlichen Literatur. Leipzig 1911, Quelle & Meyer. 521 S. gr. 8. „Der rhetorischen Kunst dieser Reden (Gregor von Nazianz) wird nur eine Geschichte der Rhetorik der endenden Antike ihr Recht zuteil werden lassen können" S. 199 f.

5. Mittelalter. Max Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters. Erster Teil: Von Justinian bis zur Mitte des zehnten Jahrhunderts. München 1911. Beck. XIV und 766 Seiten.

158 G. Amnion: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

Für das Fortleben der rhetorischen Schriften Ciceros komraen in dem umfassenden Werke hauptsächlich in Betracht die Ab- schnitte 74 Hadoardus und 75 Lupus von Ferrieres der Bei- name Servatus stammt nicht von ihm selbst S. 478 490.

Zusammenfassung (und Ergänzung von P. Schwenke) S. 481 : Isidor, Sedulius Scottus, Hraban, Gunzo von Novara.

Vergleiche oben Überlieferungsgeschichte (Sabbadini , Stangl, Stroux usw.).

6. Renaissance.

Ernst Walser, Poggius Florentinus. Leben und Werke. Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters nnd der Renaissance, herausg. von Walter Goetz, XIV. Leipzig und Berlin 1914, Teubner. XXXV, 567 S. 8.

Eingehend bespr. Berl. phil. Woch. 1917 Nr. 15 Sp. 457—464 von B. A. Müller-Hamburg.

I s 0 r a Scott , Controversies over The Imitation of Cicero as a Model for Style and Some Phases of their Influence on the Schools of the Renaissance. Diss. der Columbia Universität. New York Citj- 1910. Gr. 8. VI 124 +146 S.

Die Geschichte des Ciceronianismus , den auch wir Deutsche uns als eine rhetorisch-stilistische Nachahmung zu fassen gewohnt haben, bedeutet mehr, als die ästhetische Seite zeigt. Zielinskis schönes Werk : Cicero im Wandel der Jahrhunderte, zieht wie billig auch Philosophie und Politik in seinen Betrachtungskreis. Scott behält wenigstens die Erziehungsgeschichte im Auge.

Der erste Teil 'History of the Controversies' S. 1 124 be- handelt in 7 Abschnitten folgende Fragen: 1. Der Einfluß Ciceros bis gegen 1450 , angefangen von der attizistischen seiner eigenen Zeit bis herab auf Poggio und Valla, wo Cicero als das Ideal eines Stilisten in den Vordergrund trat (auf 6 Seiten zusammengedrängt). Für das Mittelalter, z. B. über Hadoards Exzerptensammlung im 9. Jahrhundert, ist jetzt auf Max Manitius, Geschichte der latei- nischen Literatur des Mittelalters, zu verweisen ; für Hadoard auch auf R. Mollweide (s. o.). Im 2. Abschnitt behandelt Scott Cicerofragen in Italien (Poggio und Valla Polizian , Scala , Cortesi Pico und Bembo), im 3. Abschnitt den Ciceronianismus des Erasmus, im 4. und 5. Gegner des Erasmus , im 6. andere Wendungen der Cicerofrage bis gegen 1600; im 7. Abschnitt schließlich Ciceros

VIII. Ihre Bedeutung für die Gegenwart. 15^

Einfluß auf den praktischen Unterricht (educational practice). Auch die von Scott im II. Teil gegebenen Übersetzungen von Streitschriften sind selbst für den praktischen Schulmann und Laien heutzutage noch lesenswert : I. A Pamphlet on Imitation by Gianfresco Pico, addressed to Pietro Bembo (S. 1 8j, II. A Pam- phlet on Imitation by Pietro Bembo , addressed to Gianfrancesca Pico (S. 8 18), III. Ciceronianus or a dialogue on the best style of speaking (des Disiderius Erasmus) : Was hier Bule{)horus und Hypologus besprechen, fördert das Verständnis der Rhetorik auch die Frage der Nachahmung Ciceronianischer Rhythmen wird S. 119 gestreift , des Unterrichts und der Erziehung auch der gegenwärtigen Fremdwörterfrage und bringt für die Zeitgeschichte (über M. Luther, De Longueil u. a.) beachtens- werte Mitteilungen. Bibliographie und Index fördern und erleichtern die Benutzung des für die Geschichte der Rhetorik, insbesondere Ciceros , sowie für die Geschichte des Unterrichtes und der Er- ziehung recht ergiebigen Werkes. Vgl. oben über Rhythmus (Bur- dach u. a.), über Imitation (Stroux, Herrle, Wendland u. a.), über Stilkämpfe (Krüger, Heck u. a.).

7. Neuzeit.

Eduard Stemplinger, Hellenisches imChristentum^ N. Jahrb. 1918 II S. 81—89

betont neben dem Fortwirken der Religion , der Philosophie und der Medizin S. 82 f. auch das der Rhetorik, selbst in den Predigten Bossuets und Massillons oder in dem Enzyklopädie-Artikel 'Elo- quence' von Voltaire. Das große Kapitel 'Cicero im 19. Jahr- hundert', in dem die rhetorischen Schriften den Löwenanteil be- kommen würden, steht noch aus.

VIII. Ihre Bedeutung für die GegeuAvart.

Die fortzeugende Kraft der antiken Kultur müssen wir in den Vordergrund stellen (nach Konrad B u r d a c h , Deutsche Renaissance, Berlin 1916). Die neuen Aufgaben der europäischen Völker, be- sonders des deutschen Volkes , fordern eine engere Fühlungnahme der Altertumswissenschaft mit der Gegenwart, wie diese, sich selbst unbewußt, zur Antike hindrängt. Und da gilt es, den guten Geist und die Kraft der Rhetorik, die Erfahrungen und Leistungen ihrer Hochmeister uns zu einhalten. Wie für das Verständnis der rhe-

2(j0 G. Ammou: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

torischen Schriften Ciceros Rechtswissenschaft, Psychologie, mutter- sprachlicher TJnten-icht, moderne Rhythmenforschung, Grammatik und Poetik, auch Presse und Parlamentarismus u. a. bereits mit Erfolg herangezogen sind , so mag man andrerseits aus seinem Erbe das Verständnis der Gegenwart vielseitig fördern. Zum Beispiel: •Ciceros De oratore und die gegenwärtige Frage der Staats- und volksbürgerlichen Erziehung oder der bürgerkundlichen Belehrung, sein Orator und Engels Deutsche Stilkunde , die Rhetorik und die Fremdwörterfrage (Entwelschung, Sprich Deutsch! Gutes Deutsch).

Es ist für den Wandel der Zeit bezeichnend, daß in Teubners Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt" als Nr. 310 erschienen ist:

Ewald (Jei&ler, Rhetorik, Richtlinien für die Kunst des Sprechens, Leipzig 1910, 140 S.

Der Untertitel besagt schon , daß nicht die ganze Rhetorik, ja nicht einmal das nach alter Anschauung Wesentliche , sondern nur die Sprechtechnik behandelt ist, für die eine reiche Erfahrung und Literatur (M. Seydel, Grundfragen der Stimmkunde Kofler, Die Kunst des Atmens, Sievers Bremer Vietor, Phonetik usw.) von dem Lektor der Vortragskunst an der Universität Halle mit- geteilt wird; aber das erste Kapitel (S. 1 20) „Wiedererweckung -der Rhetorik" schlägt auch eine Brücke vom Altertum zur Gegen- wart, die trotz der skizzenhaften Durchführung die Beachtung der Fachleute verdient: Hochschätzung im Altertum und Verachtung in der Neuzeit (Jean Paul über Schiller), Ursachen des Umschwungs {politisch-soziale Verhältnisse Druckerpresse), Kunst und Sach- lichkeit , neue Fragen und Wissenschaften (Sprachwissenschaft, Psychologie) , neue Lebensbedürfnisse (sozialdemokratische Rhe- toriken), Vaterlandsgefühl, Kunsthandwerk, Erziehung zur Kunst, Hygiene, Überreden und Überzeugen, moderne Rhetorik (K. L. Roth, Von alter und neuer Rhetorik, Stuttgart 1867), Einschränkungen. Von Ciceros rhetorischer Trilogie noch mehr als von Quintilians Institutio oratoria gilt, was Geißler S. 2 f. sagt: „Das größte päda- gogische Werk, das uns das Römertum überliefert hat, ist die in- stitutio oratoria des Quintilian ^) : was ganze Geschlechter erarbeitet haben, wird hier zusammengefaßt, und als der Weisheit letzter Schluß ergibt sich mit Selbstverständlichkeit, daß der Jüngling, der die Höhe der Kultur ersteigen will , ein Redner sein müsse.

^ Über ihre Bedeutung auch K. Hosius, Vortrag 1917, s. BphW 1918, 1116.

VIII. Ihre Bedeutung für die Gegenwart. 161

Die Erziehung zum Redner ist gleichbedeutend mit der Erziehung zum Menschen : nur der Redner ist der wahre Mensch. Die Rhetorik als Mittelpunkt des Schrifttums und die allgemeine Bildung, als Ziel aller Erziehung und als krönende Spitze auf dem stolze» Gebäude einer reifen Kultur wir Heutigen können es kaum mehr begreifen." Hätten wir wie K. Prantls Geschichte der Logik im Abendland so eine wirkliche Geschichte der Rhetorik im Abend- land , so würde uns der Wandel und der Unterschied zwischen deutscher und romanischer Bildung begreiflicher erscheinen ; aucb die nationale Einheitsschule mit ihren Forderungen für die Gegen- wart reiht sich als Glied an die endlose Kette.

Einen geschichtlichen Überblick gibt ein mitten im Gegenwarts- leben Stehender, der Bodenreformer

Adolf Damaschke^ Volkstümliche Redekunst, Er- fahrungen und Ratschläge, Jena 1911. 88 S.

I. Von der Bedeutung der Redekunst. 1. Demosthenes und Cicero, 2. Niedergang, 3. Renaissance, 4. Das absolute Fürstentum,. 5. Das Erwachen, 6. Warnungen und Widerlegungen. II. Von der Anwendung der Redekunst usw.

Zum Vergleiche *) empfiehlt es sich, ein älteres, tiefergreifendes Werk heranzuziehen : Gustave L e Bon, Psychologie des foulesy Paris 1895, z. B. Kap. II Sentiments et moralite des foules (Im- pulsivite, mobilite, irritabilite, suggestibilite et credulite). CicerO' wie der Weltkrieg können zu diesem großen Kapitel ihren Beitrag liefern.

Die verstärkte Teilnahme unseres Volkes am Staatsiebett ('Parlamentarisierung') , die Macht der Suggestion {xpvyiayioyiay und des Schlagwortes und der Scheingründe sowie der Presse im Parteikampf, auf die eben (1916) A. Vierkandt in seinem Büch- lein „Staat und Gesellschaft in der Gegenwart" (Leipzig) hinweist (z. B. S. 23), fordern gebieterisch die Erforschung der alten Rhetorik und ein Vertrautmachen auch weiterer Kreise mit den Licht- und Schattenseiten dieser antiken Hauptleistung. Die hohen intellektuellen und ästhetischen Ideale des Hellenentums, die Cicero seinen Römern zu gewinnen suchte , sollten dem deutschen Volke nicht verloren gehen.

') Auch Gustav Schmoll er widmet in seinem Grundriß der All- gemeinen Volkswirtschaftslehre P (1901) diesem wichtigsten psychoijhysischeni Mittel menschlicher Verständigung und Beeinflussung mehrere Seiten (10 15), Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 179 (1919. II). 11

162 G. Ammon: Ciceros rhetorische Schriften 1909—1917.

Der Druck dieses Berichtes hat sich über mehrere Monate hingezogen. Nachträge drängten sich viele heran. Ich will aber nur dem Schmerz über den Tod eines um Ciceros rhetorische Schriften hochverdienten befreundeten Mitforschers Ausdruck geben: Konrektor Dr. Eduard Ströbel ist am 31. Januar 1919 in Kempten i. A. im 59. Lebensjahr verschieden, gerade zu der Zeit, als der seine ausgezeichnete Ausgabe der Libri rhetorici betreffende Teil meines Berichtes gesetzt wurde. Multis ille bonis flebilis occidit !

Jahresbericht über Ovid von 1914—1919.

Von Rudolf Ehwald in Gotha.

Der diesmalige Jahresbericht über Ovid ist wesentlich kürzer und ärmer als die vorigen, da infolge des Krieges die englischen, französischen und italienischen Arbeiten fast gänzlich ausfallen. Auch in Deutschland ist die Bearbeitung ovidischer Stoffe wesent- lich zurückgegangen ; auch ist es möglich , daß mir manches ent- gangen ist.

I. Literargoschichtliclies.

Wichers, Fridericus, Quaestiones Ovidianae. Dissert. Göttingae. 68 S. S^.

Zwei für die Ovidinterpretation wichtige Fragen hat Wichers sich als Aufgaben gestellt : I. De artis amatoriae Ovidianae tertii libri comparatione et inventione ; II. De fabulis quibusdam ab Ovidio et in Metamorphosibus et in Fastis uarratis. Nachdem W. gezeigt hat, daß Ovid in den 3 Teilen des Proömiums (1 42. 43 56. 57 100) seine Gedanken nach der a. a. ausgesucht und ausgeführt hat, unter Beifügung von Tibull I, 4 zu dem 3. Teil, geht er p. 4 auf die Teilung von 101 380 und 381 808 über, und zwar bespricht er 381 808 in ihrer Verbindung mit den Aus- führungen in a. a. und den amores.: 381 432 mit a. a. I 41 170; 433 466 mit a. a. I 505 f. coli. Aristainetos ej). I 27 (Lucian, meretric. dial. YII 4) Propert. I 21, 15. III 11, 8; 467 498 mit a. a. I 437 486. II 395 ff. am. III. 19. 5; 499—524 mit a. a. I 487—504; 709 f. 715 f.; 525—576 mit Tib. I 4, am. I 10, 58 f. 8, 69 f. Prop. II 4, 3 ff . a. a. II 701 f.; 577—610 (cf. Philodemi Anth. Pal. XII 173, 5j mit am. II 19, 3 ff. I 8, 95 ff. III 4, 29 ff.; 611—666 mit am. II 19. II 2, 25 a. a. I 739—754; cf. Tibull I 6, 9 ff . II 6, 45 f.; 667—746 mit am. I 8, 71 a. a. II 425—492; 747—808 mit a. a. I 229—252. 525. 606 f. 501 ff. II 703—732; cf. Lucian meretr. dial. VI. 3. Nach diesen in engstem Zusammen- hang stehenden Vorschriften geht W. zu dem ersten Teil des dritten

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 179 (1919. II). 12

|g4: Rudolf Ehwaltl.

Buches über und vergleicht 101 250, indem er die Annahme von Pohlenz, der das III. Buch erst nach I. II. selbständig gearbeitet sein läßt, befolgt und durch diese Besprechung bestätigt, mit med. faciei femineae 1 ff. 28 ff. am. I 14, 17, 251—310, 311—380 mit a. a. II 112 med. fac. fem. 43 ff., am. II 4, 25, I, 15, a. a. II 203 ff. Den Schluß des III. Buches hat Ovid nach dem von a. a. II, wie das prooemium nach dem prooemiam I gedichtet.

Im zweiten Kapitel seiner gehaltreichen Dissertation sucht Wichers zunächst die Fastenerzählung von Callisto, für die Erato- sthenes Quelle sein soll , als früher geschrieben zu erweisen als die entsprechende Metamorphosenstelle, in der er dem Kallimachus gefolgt sei , und auf Grund dieses Nachweises die Fabel von den Sabinerkämpfen in den Metamorphosen als später als die ent- sprechende Fastenerzählung, sowie die Metamorphosenstelle, in der die Erhebung des Romulus unter die Götter erzählt wird, als später als die FastensteUe zu erweisen, in denen dieselbe Sage behandelt ist. Die mit behutsamer Kritik gefundenen Resultate bieten einen guten Beitrag zur ovidischen Quellen analyse.

Karl Prinz, Untersuchungen zu Ovid, Remedia amoris. Wiener Studien XXXVI (1914) 36—83; XXXIX (1917) 91 121. 259—290.

Der Verfasser dieser ausgezeichneten Arbeit hat sie unter- nommen , um die Vernachlässigung dieses Gedichtes , das die Ge- ehrten immer beiseite gelassen , gutzumachen : seinen resultat- reichen Untersuchungen ist dieses vollauf gelungen. Schon in dem dreiteiligen Proömium (1 40. 41 74. 75 78) weist Prinz die Quellen , die Ovid benutzt , in alexandrinischen Dichtern , der ßhetorenschule, in eigenen Gedichten, in Tibull und in griechischen Vorbildern nach. Zu dem eigentlichen Gedicht übergehend, untersucht P. die Quellen des Dichters, ob er nur dem usus, der eigenen Er- fahrung folgt, oder ob er aus literarischen Quellen schöpft, oder endlich ob er neben dem usus doch auch andere literarische Vor- bilder benutzt hat.

Wenn er v. 25 f. als eine beigeschriebene Parallele mit der Er- klärung für nudae sagittae als blanke Pfeile (d. h. die Amor immer schußbereit habe) auffaßt, so kann ich ihm nicht beistimmen. Ich fasse nudae sagittae als Pfeile ohne Spitze , lese den Vers Non poteras uti nudis ad bella sagittis? Sed tua mortifero sanguine tela madent: der Pentameter steht in Beziehung auf v. 27 ff. Von den 42 praecepta hat er 16 aus der ars a. abgeleitet:

Jahresbericht über Ovid von 1914—1919. 165

249 290 (deine veneficiis carmiuibusque fidem) stimmt , vielfach wörtlich und in mythologischen Beispielen, mit a. a. II 99 ff., 311 330 (vitiis insiste amicae) mit a. a. II 641 ff. (und Lucr. IV 1145 ff.), 331—340 mit a. a. III 261—328, 349—852; 341—356 mit a. a. III 209—250, 489—512 mit a. a. I 611 ff. II 515 ff. : 543—548 mit a. a. II 445. III 529 593; G83— 692 a. a. III 672 ff. I 611 ff., 751—756 mit a. a. I 89 ff. ; 757—766 mit a. a. III 329 ff., 795—810 mit a. a. II 415—424. I 525 f., 589-600. III 761—766. Bei genauem Zusehen ist auch 769 770. 787 784 zu vergleichen mit a. a. III 591 f., 399—440 mit a. a. IE 641 ff. (s. o.) und Lucret. IV 1150 ff".

Es bleibt eine beträchtliche Anzahl praecepta übrig , für die es zweifelhaft ist, ob sie dem usus, für den in Rom ein reichlicher Boden war, oder literarischer Quelle entstammen. Als eine solche hat Pohlenz Chrysippos' d^eganecrixog vermutet, entweder un- mittelbar oder durch Ciceros Tusculanae disputationes IV. Prinz widerlegt diese Kombination durch den Hinweis, daß die Gedanken des Chrysippos in den consolationes typisch geworden und in der erotischen Führung vielfach verwendet worden sind und für Ovids remedia 119 ff., 135—212. 213—248 diese Quellen näher lagen. Für 441 ff. ist Lucrez IV 1055 ff. die bestimmende Vorlage. Ebenso stimmt die erste Lehre v. 81 f. und 91 f. mit Lucrez (IV 1000 ff.), und die zweite (107 134) ist den Vorschriften in den consolationes entnommen. Die Verse 299 308 erinnern an Lucrez IV 1114 ff. 1127 ff., für 301 f. ist Tib. II 4, 53 ff. Vorbild; 523—542 sind wie am. II 19, 25 einem ro/rog entnommen; 579 608 sind aus Phjdlis- Sagen beigebracht, 707 714 aus Prop. I 4 ausgeführt.

Daß auch rem. 741 750 der Liebesdichtung entnommen ist, hat Prinz gut p. 73 erwiesen; für 649 672 wird nach Friedrichs Erachten Catull 76 (vgl. v. 658 und Catull 76, 12) herangezogen. Für 643—648 verweist Prinz auf Cat. 83. 92 und Properz III 8, für 693—698 auf a. a. III 599, für 237—248 auf das zu 212 und für 517—522 auf das zu 489 ff. Angeführte; auch für 609—642 u. 715 740 bezieht er sich auf den Zusammenhang (p. 77). 635 bis 642 steht in Verbindung mit am. 18, 9 f., für 715 f. steht ihm nur Aristainetos Ep. II 13 zu Gebote. Für die Entfernung der Bilder der Geliebten verweist er auf her. XIII 151 ff. , für 725 740 auf her. X 43 ff., für 619 auf Verg. buc. 1, 50, Hör. epod, 16 61, Seneca de Clement. II 6 , 4. Parallelen fehlen für 513— 516 und 549— 578.

So ergibt sich die a. a. als die Hauptquelle der Remedia, ein dsgaTtevTiKÖg als Quelle ist unwahrscheinlich ; es ist vielmehr selbst

12*

IGG Rudolf Ehwaltl.

ein ^.oyog degansiTixog. Die nächste Yeranlassung zu ihrer Aus- arbeitung bot Lucrez IV 1132 ff., au dessen Lehren sich weitere aus der Liebespoesie ohne Schwierigkeit anschlössen : alles dies ist schlagend erwiesen, wenn mir auch der Einfluß des Lucrez als zuweitgehend angenommen scheint.

Den Inhalt der zweiten Abhandlung bildet die poetische Technik der ßemedia, die als praecepta für Schulen von selten eines Lehrers und Arztes aufzufassen sind. Eine Vergleichung mit den Georgica Vergils in bezug auf monita und praecepta zeigt Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten ; der auf griechischem Vorbild beruhende Kunst- griff führt einen Gott ein : wenn ich v. 699 statt furiali schrieb frustrari, mit denen Prinz nichts anzufangen weiß, so soll dies heißen: unwirksam machen, weil weder Circe noch Calypso mit ihren Versuchen etwas ausrichten konnten bei Ulysses ; doch gebe ich zu, daß das von Prinz vorgeschlagene übrigens auch von Bürger gefundene furari ungleich treffender ist. Prinz bespricht die Anreihung von Vergleichung , die Fassung des mythologischen Vergleichs, in denen sich oft eine humorvolle Behandlung bemerk- lich macht, die Einfügung von Stellen persönlichen Charakters : in allem macht sich Ähnlichkeit mit der a. a. und den übrigen didak- tischen Gedichten geltend. Auch der Epilog entspricht sonstigem Gebrauch, wie sich in der Verwendung ähnlichen Ausdi'ucks bei ähn- lichem Stoff Übereinstimmung zeigt, die mit Reminiszenzen fremder Dichtungen Hand in Hand geht. In den mythologischen Beispielen, in Bildern und bildlichen Ausdrücken lassen sich gleichfalls Über- einstimmungen zeigen. Originelle Züge sind nicht häufig. Durch- geführte Vergleiche sind selten. Mit Gedanken, die er selbst schon anderswo ausgeführt, wiederholt Ovid sich oft; Sprichwörter finden sich nicht viele. Originell ist v. 559 Ad mala quisque animum referat sua: ponet amorem und 521 Posse pati facile est, ubi si patientia desit, Protinus ex facili gaudia ferre licet. Diese Lesart ist durch das Fehlen des ni im Reg. und das tibi ni patientia desit der Vul- gata von Prinz ausfühi'lich verteidigt worden.

p. 259 bespricht er eingehend und erfolgreich remedia 249 290 und 150 220: für die Rede der Circe ist in den Reden der Dido bei Verg. Aen. IV .301—330; 365—387 das Vorbild, für 150—220 in Horaz Ep. 2, wobei er die Ausnutzung anderer Vorbilder und eigener Dichtungen nicht übersieht.

Ich glaube , daß seine Lesart v. 467 vidit id = Eton. und vulg. gegenüber vidit ut = R. den Vorzug verdient, wenn auch der Doppelsin in vidit -videret als Beispiel der ttXo'/Ji gute ovidische

Jahresbericht über Ovid von 1914—1911». 167

Parallelen hat; vgl. Meine Krit. Beitr. zu Ovid Ep. ex Ponto p. 28 und Prinz, Wien. St. 1917, 767, 3.

S. 271 289 stellt P. die Nachahmung eigener Verse Ovids aus amores , medicamina faciei , epistulae u. a. a. in den remedia zusammen , in ausgiebiger Weise Ganzeraüllers Sammlungen er- gänzend, auch hier das glänzende Gedächtnis Ovids, das ihm bald aus eigenen , bald aus fremden Dichtungen mühelos Bruchstücke bot, betonend: am Schluß bietet er eine Zusammenstellung gleicher oder fast gleicher Verse. Dann wendet er sich der Nachahmung von Ovids Hauptmustern Catull, Tibull, Properz, den er am öftesten folgt, zu ; dann bespricht er die Nachahmung des Lucrez, des Culex, der Ciris und des Horaz.

Lucrez hat nach Prinz die Anregung zu den Remedia gegeben, für die Ausarbeitung war er durch die a. a. vertraut. In der Kom- position zeigt sich eine gewisse Beeinflussung durch Lucrez in der ersten größeren Hälfte, in dem Schlußteil eine fühlbare Erschlaffung der dichterischen Gestaltungskraft. Aber eines muß man dem Dichter nachrühmen, „überall versteht er es, das so \ielfach Zer- streute zu einem Ganzen zusammenzukomponieren und selbst das Übernommene so zu variieren, daß es neu und originell aussieht".

Vollmer, Friedrich, Lesungen und Deutungen II : Sitzungsber. der königl. Bayer. Ak. d. Wiss. Philos.-philol. und histor. Kl. Jahrg. 19U. i. v. VII, S. 8—23.

Die treffliche Ai-beit Vollmers über die Consolatio ad Liviam macht es endlich möglich, die schwankende Beurteilung über dieses Gedicht zu Ende zu bringen, was selbst der Aufsatz von Skutsch (vgl. Jahresbericht CIX, 1901, p. 183 tf.) nicht vermocht hatte. Daß der Vei'fasser der beiden Elegien auf den Tod des Maecenas und der Consolatio derselbe dilettierende Dichter war, ist nicht zu bestreiten; er gehörte in die vertrauten Kx-eise des Hofes.

Die Zeit der Abfassung ist 9 v. Chr. : an die Vollendung des Tempels des Castor und Pollux , den Drusus vor dem Auszug in den Germanenkrieg 9 v. Chr. voviert und Tiberius in seinem und des Bruders Namen im Jahre 6 dediziert hat , ist bei v. 265 (munera) nicht zu denken. Die Nachahmungen aus amores und epistulae Ovids zwingen nicht auch die Übereinstimmungen mit tristia und epist. ex Ponto als solche, die der Dichter der cons. von ovidischen Versen gemacht hat, anzusehen : vielmehr hat Ovid sie bei dem bei Hofe angesehenen und beliebten Dichter gemacht, wie er den Lygdamus nachahmte.

168 Rudolf Ehwald.

Auf die Vertrautheit des Dichters mit deu Hofkreisen be- gründet Volhner seine treffende Erklärung der Verse der cons. 51 68, die er mit Zugrundelegung von Suet. Aug. 70, 1 dem als Apollo eingeführten Augustus in den Mund legt. v. 61 liest V. tigres für thyrsos v. 62 bracchia für Bacchea.

Die Überlieferung der consolatio begründet Vollmer auf dem Aufsatz von K. Schenkl (Wien. Stud. II [1889] 56—70; vgl. VII [1885] 339): er liest v. 75 in cassum statt in longum (= Dresdens, u. edit. princ. Romana) und verteidigt vortrefflich levantur, indem er noch ultima interpungiert, v. 78 iste potest implere dolor vel saecula tota et magni luctus obtinuisse locum : der Schmerz um Drusus wird Generationen unvergessen bleiben und in den Annalen die Stelle eines magnus luctus haben. 445 emissas nebulosum litus Averni verteidigt er mit egi'edi exire exitare evehi c. acc. v. 240 hält er Lesart poUice quae certo pensa severa trahunt für die echte.

Abweichend ist die Verstechnik von Ovid in Beziehung auf die Elisionen v. 34. 76. 158. v. 158 liest V. mit Recht: in vires abiit flendi mora : plenior unda , defluit exigua signa reteuta mora und V. 172 abstulit invitis corpus venerabile frater et Drusum patriae quod licuitve (nicht licuitque) dedit, v. 233 sichert er quam- quam amnes decet ira mit II. 21, 136 7tOTa}.iog dt yoXwöaio y.t'jQO^i /iia'/J.ov, 146. 202. 306. Die Anstöße, die das Gedicht bot, sind mit Vollmers Aufsatz aus dem Wege geräumt.

Alfred von Domaszewski, Zeitgeschichte bei römischen Elegikern: Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wiss. Phüos.-histor. Kl. 1919, 2 Abb.

Nachdem Domaszewski Properz I 6 und III 22 sowie Properz

IV, 1 und Tibull I 2. 7, 13 durch Heranziehung historischer Tat- sachen trefflich erklärt hat, kommt er S. 13 auch die consolatio ad Liviam, die er nach v. 415 auf p. C. 20 datiert: eventura precor, da dem Tiberius die Jahre seines Bruders Drusus, der im Jahre 9

V. Chr. im 30. Lebensjahre starb , zugelegt werden sollen. Ich kann ihm nicht zustimmen. Es wäre ja töricht gewesen, wenn der 'Poetaster' so klar seinen Anachronismus hätte bloßstellen wollen. Die Erklärung Vollmers von v. 283 auf den von Drusus vovierten Dioskurentempel , auf den ich auch v. 287 f. beziehe, ist meiner Ansicht nach zutreffend; der Konkordientempel ist nicht erwähnt, V. 285 f. ist als Parenthese zu betrachten, welche das conspicienda V. 284 von dem conspiciet v. 287 passend trennt. Daß v. 888

Jahresbericiit über Üvid von 1914—1919. 169

Appalus auf 'viel später' hinweist, ist eine nicht zu begründende Behauptung; die 271 280 geschilderte Bestrafung der germani- schen Fürsten ist ja nicht auf die Zeit des Gedichtes bezüglich, sondern für die Zukunft (v. 281) erwünscht. Daß das Gedicht, welches Augustus selbst auf den Drusus gemacht hatte, erwähnt .sei, läßt sich aus der Elegie nicht erschließen; mit imagine v. 205 ist gewiß, wie von D. annimmt, die effigies des Toten gemeint, statt fractis-fascibus liest von D. tractis-f.

In der Mnemosyne N. F. XLV (1917) S. 103—122 hat H. Wagen vo ort geschrieben: De L^-gdamo poeta deque eius sodalicio.

In diesem Aufsatz , der die auffallenden und überraschenden Resultate bringt, daß Lygdamus = Cerinthus = Servius Sulpicius und Neaera = Sulpicia gewesen sei , spricht der Verf. auch über Lygdamus 5, 18 ^ trist. IV 10, 6 cum cecidit fato consul uterque pari , welcher Vers inmitten der ovidianischen Verse a. a. II 670 und am. VI 14, 23. 24 wörtlich übereinstimmend steht. Auch er ist der Meinung, daß hier Nachahmung des Lygdamus vorliegt: das Auffallende in der Beziehung auf inveni Lygd. 5, 6 sucht er zu beseitigen, daß mit senectus die Zeit bezeichnet werde, cum alba senectus nigras comes inficit , cum canities venit. Daß Ovid der Xachahmer war, womit jede Schwierigkeit beseitigt wird, und daß zudem die wörtliche Entlehnung eines Verses aus einer Stelle, die Nachahmung ovidischer Verse mit eigener Wendung des Lygdamus zeigt, durch dies Verhältnis des Ovid zu Messala hinreichend be- gründet ist, wird nicht erwähnt.

Guilielmus Gernentz , Landes Romae. Dissertatio Rostochien- sis (1914), Rostock 1916. 149 S. 8*^.

Mit Isokrates' Panegyrikos auf Athen (or. IV) war das Lob einer Stadt Thema der Rhetorenschule geworden. Menander hat im III. Jahr- hundert nach Christus die Vorschriften da.für gegeben (TTuig XQ*) TtoXeig 87taivEh')i aber behandelt ist der Gegenstand seit Ps. Dio- nysius {reyvr^ negl zCöv yiavijvoiy.vn') schon von mehreren Schrift- stellern. Es ist daher nicht auffallend, daß Ovid, den Leo 'novae poesis rhetoricae Romanae princeps ac signifer' mit Recht genannt hat, die einzelnen Kapitel (jieqI S^tOEcog, tceqI yevovg usw.), wie sie in der Rhetorenschule geübt wurden, in seinen Gedichten verwendet. Dies im einzelnen nachgewiesen zu haben, ist das Ver- dienst dieser klar, mit gründlicher Kenntnis der einschlagenden

170 Kiulolt' Klnvalil.

Literatur geschriebenen Dissertation. Daß der bei allen Dichtern an derselben Stelle gebrauchte Ausdruck aeterua . . . urbs u. ä. domina . . . urbs u. ä. auf metrischen Gi-ünden beruht, ist selbst- verständlich. Auf Ovid geht die Gleichsetzung urbis et orbis (p. 136), die bis in das späte Mittelalter reicht, zurück.

IL Haiulscliriftliches.

F. Vollmer, Kritischer Apparat zu Ovids Remedia (Hermes (52) 1917, 453—469).

Veranlaßt durch seines leider im Kriege gefallenen Schülers Sigmund Tafel vortreffliche Dissertation (cf. Jahresbericht CLXVII [1914 II] 92 ff.) gibt jetzt Vollmers selbst nach Photographien eine Vergleichung des cod. Etonensis, den ich 1 472 selbst verglichen habe. Er setzt ihn in das XI. Jahrhundert-, Dr. Wai'ner ließ ihn im X. Jahrhundert in Norditalien geschrieben sein. cf. M. R. James, A descriptive Catalogue of the manusc. in the lihrary of Eton College, Cambridge 1895, p. 82, n. 150. Ich notiere abweichend von Vollmer, weil aus meiner Kollation sich für die Handschrift manches ergibt, was Vollmer weggelassen hat; v. 15 indigne ; 40 pus; 52 mori es didosum ma ; 58 vent ad uela; 100 mirra; 102 lento tutjisse: j in ras.\ 176 homes ; 178 tandentes : tan in ras. 210 ciuis; 220 michi : so immer \ 257 equorea tibit; 258 uectur; 261 Q|iä; 274 ese uelis; 276 in zivei Zeilen neben dem Text; 286 nothi; 187 atenuatas; 297 cyrede discis ; 298 euelles , am Rand &; 307 inacessaret; 309 Inilli; 30 he serat In damnis p mea eure puelle ; 326 limine tefale (also eine KorreJctur in den Text genommen)] 336 cordas liram; 345 quod amas inter eam tarn multa requiris; 346 egit diues ; 360 iugeni«?''-, 365 detrat tat; 875

s

cot nos; 394 anelat; gunschen 396 und 397 mit hellerer Tinte ein Strich und neben 396 Musa die poete /i; 397 Acten; 426 lu ces; 427 posaunt; 429 Qd übergeschrieben qa; 436 o/ pem; 441 habeamus ; 442 plures über der Linie ; 447 anchora; 449 parrauit; 455 flegida am Rande noch einmal; 457 pari fo enonen: 470 stulte |||j||: noch einmal: stulte.

Vollmer knüpft eine Wertung der Handschrift an die Mit- teilung der Lesarten; er liest v. 13 feliciter ardens; v. 25 kommt auch er nicht zu einem sicheren Resultat; v. 82 gibt er quae, v. 97 magnis de, 102 lentae(?j, v. 116 qua des Eton. den Vorzug; 190 liest er r= Et. colligit, 210 nach suprerais = Et. R sub primis,

Jahresbericht über Ovid von 1914—1919. 171

283 hic pax, 295 Secl cui = Et. codd, 320 f. beweist die Abstammung mit E aus einer Quelle. 325 (^uani = Et. 325 Tum quoque, com- positis sua cum linet ora venenis = Et. ; R. hat nur sua aus- gelassen. 325 Grande sonent tragici = Et. 392 Et capient anni. (393 crevit = ß.) 394 uester = Et. 446 Magnaque (Et.) ist wohl interpoliert, aber diducto (deducto =^ Et.) ist zu lesen; V. 478 sentiet = Et., 487 tu perlege = Et., 492 dominae (trigidior ohne dow. genügt vollständig dem Sinne). 523 Et = E, ist wohl Schreibfehler fiü- Ec, Hec. 537 I fruere =^ Et. 566 fato credat adesse. G51 altior = R Et ist richtig. 725 Et loca saepe nocent = R Et dsgl. 764 impius (Ipius Et.), nicht ipsius , wie ich mit Riese gelesen habe, ist einzusetzen. Wir gewinnen nicht viel aus Et., aber für die Überlieferungsgeschichte Ovids gewährt er wich- tige Einblicke.

III. Quellen. Vorbilder. Nachlesen.

Friedrich Wilhelm, Zur Elegie. Rhein. Mus. LXXI (1916) 137—142.

Ovid am. II 14 ist ein Thema der populärphilosophischen Schriftstellerei , welches die Stoiker öfter behandeln. Vgl. Ovid V. 35 f. und Ps. Lucian Am. c. 22, zu v. 9 Ps. Lucian a. a. 0.

Ovid am. II 16 wird verglichen mit Alkiphron IV 18 ^ (II 3) und IV 19 (II 4). Wilhelm nimmt indirekte Benutzung dieser Menander- briefe an, mit denen sich auch sonst Beziehungen in der römischen Elegie finden.

G. Schwering, De Ovidio et Menandro. Rhein. Mus. 1914, S. 223—243.

Plauti Poen. 337. 338 Sunt illi aliae quas spectare ego et me spectari volo Qui lubet spectare turpis, pulchram spectandam dare bringt Schw. wie vor ihm Bürger, in Zusammenhang mit Ovid a. a.

Spectatum veniunt, veniunt spectentur ut ipsae. Der ovidische Vers ist nachgeahmt in epistula Cydippae v. 103 forsitan haec spectans a te spectabar, Aconti. met. 2, 98 ist Nach- ahmung zweifelhaft, trist. II 511 haec tu .spectasti spectandaque saepe dedisti ist selbständig.

172 Kiulolf Ehwald.

Arthur Laudien, Zur mythographischen Quelle der Metamor- pbosen Ovids. Jahresber. des Philologischen Vereins zu Berlin XLI (Berhu 1915) p. 129—134 (Beib. zum Sokrates).

An Stellen, wo Ovid von seiner Hauptquelle abweicht, ver- mutet Laudien , daß in dem Handbuche , das er seiner Erzählung zugrunde legt, mehrere Fassungen gegeben werden, die er sj^n- kretistisch vermischt. Er bespricht Stellen aus lib. I und führt die, an denen er gleiches vermutet, aus lib. II VII an.

J, Tolkiehn, Die Bucheinteilung der Metamorphosen Ovids: Jahresberichte des Philologischen Vereins zu Berlin XLI (Berlin 1915) p. 315 (Beiband zum Sokrates)

sucht nachzuweisen, daß das Buchende bei Ovid nicht, wie Birt annahm, durch die Länge des Buches bestimmt wird, sondern ledig- lich durch den Inhalt.

Gelegentlich der Besprechung der Prokne-Gruppe der Akro- polis spricht C. Praschniker, Jahreshefte des österreichischen Archäolog. Instituts in Wien XVI (1913) p. 133 die Vermutung aus, daß Ovid met. VI 587 ff. auf den Tereus des Sophokles zurückgeht.

Die Dreiteiligkeit der Zauberhandlung bei Ovid VII 248 ver- gleicht E. Maaß, Beiblatt zu den Oesterrreich. Jahresheft. XVI 69 treffend mit Lucian Philopseudes c. IL

Ovid (Obidius) wird von dem 709 verstorbenen Bischof von Malmesbury , Aldhelm (Monumenta hist. German. Auetores antiqu. vol. XV), einmal (de metris et enigmatibus et pedum regulis c. CXXII) zitiert, und zwar zu einem ihm fälschlich beigelegten Gedichte Anth. Lat. 11^ 474, 2. Aber nachgeahmt hat der Angel- sachse die Metamorphosen XIV 1 74 in dem XCV. Rätsel: Scylla.

Eine Zusammenstellung der modernen Wei'ke , zu der Ovids Erzählung vom Pygmalion angeregt hat, gibt Walter Ruske in seinem Aufsatz Pygmalion-Dichtung des 18- Jahrhunderts in Ger- manisch-romanische Monatsschrift 1915 (VII. Jahrg.) 345 354.

TJnger, Hermann, De Ovidiana in carminibus Buranis quae dicuntur imitatione. Diss. Berolinensis 1914. 66 S. 8°.

Daß die Lieder des codex Buranus (aus Benedictbeuren saec. XIIIj = Mon. lat. 4660 voll stecken von Versen ovidischen Charakters, war allbekannt, aber noch nie war die Frage nach den

Jahresbericht über Ovid von 1914—1919. 173

ovidischen Nachahmungen im Zusammenhang im einzelnen unter- sucht worden. Dieser Arbeit hat sich in einer dankenswerten Ab- handlung Unger, ein Schüler Iv. Streckers, unterzogen. Nachdem er im ersten Kapitel von der Geltung Ovids in der Schule kurz gehandelt hat, bespricht er seine Verwendung in den Carmina Burana als sententiarum auctor, als praeceptor amoris , als fabu- larum scriptor und zuletzt als rlietor; zum Schluß handelt er über sein Verhältnis zum Archipoeta, den er treffend als quasi alter Ovidius bezeichnet.

In dem zweiten Kapitel , in dem er die zu den Carminibus Buranis angeführten Ovidzitate bespricht, übersieht der Verfasser, daß für Si fueris felix doch nicht Ovid trist. I 9. 5 Donec eris so.sijes, wie die gute Vorlage bietet, Original sein kann, und daß durch die Änderung plus valet arte manus nimmermehr ein versus Leoninus entsteht.

Nach einer voi'treif liehen Erklärung von Carm. Bur. 116, (i aus Ovidstellen (besonders met. X 342 ff.) vergleicht er C B 116, 3 mit epist. XXI, 106, Carm. St. Omer 28 mit her. IX 12 (für sub pede i)remere sagt der Dichter suppeditare !), C B 50, 12 mit met. I, 1 und rem. am. 43 f. , C B 178, 5 if . mit a. a. I 237 ff. Die Bekanntschaft mit Ovids Werken beweist auch das auf p. 25 bis 29 gegebene Vei'zeichnis , der Vers aus der Apokatypsis des Goliath: pascentem fabulis turbas Ovidium und die Besprechung von C B 169. Die Liebe Apollos zu Daphne und des Mars Buhlschaft mit Venus aber qui cur tarn maestum prae se ferat quaesitus p. 34'.! p. 34 erweist das gleiche, wie die Erwähnung der Sage des Pyramus und der Thisbe, des Orpheus und des Tereus-, auch in der Erwähnung des Herkules sind ovidische Züge ein gemischt. Ebenso statten die Dichter den Neid mit ovidischeu Zügen aus und bringen ovidisches Eigentum oft in Vergleichen an. Am stärksten tritt der ovidische Charakter im V. Kapitel hervor, indem nicht nur Redensarten, sondern auch ganze Stücke ovidisches Vorbild zeigen, z. B. C B 131 cuius lumen (so schreibt Unger mit Recht statt nomen) a Phoebea luce renitet et pro speculo servit polo nach Ovid met. IV 347 199 flagrant quoque lumina nymphae , non aliter quam cum puro nitidissimus orbe opposita speculi refertur imagine Phoebus und C B 154, 1 velut olor albus neci proximus abiectus lugeo und C B 167, 1 sie mea fata canendo solor, ut nece proxima facit olor nach her. VII 1 f . Sic. ubi fata vocant, cedis abiectus in herbis Ad vada Maeandri coucinit albus olor.

174 Riulolf J^hwakl.

Der Archipoet, den der Vert'. im letzten Kapitel bespricht, hat in seinem Lebenslauf viel Ahnliches mit Ovid und in seinen Ge- dichten noch mehr : Die confessio allein behandelt Unger, während auch in den übrioen Gedichten zweifellos noch viel Ovidisches ver- wendet ist.

Dieses hebt in seiner Besprechung H. Magnus (Berliner philol. Wochenschrift 1915 Sp. 968 980) gut hervor, wo er auch den Vers C B CLXXVII 16 die Lesart des Parisins 11867 Ariciae trefflich verteidigt und gegen Ungers Acrisiae herstellt.

Rudolph Schevill, Ovid and the renascense in Spain. Uni- versit}' of California press, Bernclev 1913 (Univei'sity of Cali- fornia publications vol. 4 No 1, 1 268 Nov. 19, 1913). 268 8. 8 '^.-

Der Verfasser, bekannt als Cervantesforscher, teilt die Nach- ahmung und Nachbildung Ovids in zwei Abteilungen , deren erste die ars amatoria, die remedia amoris und die amores, deren zweite die metamorphosen und die heroides betrifft. Nach einer kurzen Einleitung über das Nachleben Ovids im frühen Mittelalter, in der z. B. aus Lactanz de div. inst, und der trefflichen Dissertation von Siegmund Tafel (vgl. Jahresber. CLXVII [1914, II] p. 92 ff.) reichliche Beiträge nachzutragen sind, kommt er auf die Wege zu sprechen, in denen der Einfluß Ovids sich geltend macht: er erwähnt erstens das akademische Studium , zweitens die mythologische Erzählung, wobei die metamorphoses moralisatae miterwähnt werden und als Beispiel für die zweite Gattung El libro di Alixandre hervorgehoben wird , und endlich die Troubadours und Minnesänger des 12. und 13. Jahrhundei'ts.

Der erste spanische Schriftsteller, der den Ovid benutzt , ist Juan Euiz , Erzpriester von Hita im 14. Jahrhundert, für den Schevill für sein Werk Libro de buen amor neben Phamphilus de amore , auch Ovids ars amatoria sicher nachweist: führt doch Ruiz selbst Ovid neben Pamphilus an.

Ebenso zeigen die cancioneros des 15. Jahrhunderts starken Einfluß der a. a., der remedia (p. 59) , der amores , der heroiden und der metamorphosen , besonders bei Femän Nüncz , Juan de Mena und Gomez Manrique.

Boccaccios Fiametta, besonders aber des Aeneas Silvius Historia de duobus amantibus waren im XV. Jahrhundert die Hauptnovellen ovidischen Einflusses, Rodrigez de la Camara übersetzt zuerst im Ton seiner Zeit die Heroiden Ovids, und Diego de San Piedro gibt im Anschluß an Boccaccio und Aeneas Silvius seinen Tratado de

Jahresbericht über Ovid von 1914—1919, 175

amores de Arnalte y Lucenda. Ebenso zeigt die Reprobaciou del amor mundano des Erzpriesters von Tolavera, trotz seiner Gegner- schaft, ovidischen Einfluß. Die comedia de Calisto y Meliboea oder Celestina ist eine von ovidischen Elementen erfüllte Dichtung (p. 121), mit der im XVI. Jahrhundert in enger Verbindung stehen Pedro Manuel de Urrea, die Tragicomedia de Lysandro y Roselia des Sancho de Munün und die Tragedia Policiana des El Bachiller Sebastian Fernändez. Nach einigen Zwischenstufen kommt Schevill zu Cervantes, dessen Sefioi'a Cornelia, las das doncellas und die Dorotea im ersten Teil des Don Quixote Meisterbeispiele ovidischer Erzählungen sind. Übersetzungen des Ovid finden sich seit dem Ende des XV. Jahrhunderts. Die bekanntesten sind die von Jorge de Bustamante (1546) und die von Sanchez Viana (1589): aus dem letzteren teilt Scherill die Verse mit, in denen das Goldene Zeitalter, die Sage von Narcissus und das Lied des Polyphemus an Galatea wiedergegeben werden. Schon 50 Jahre vorher war Bustamantes Übersetzung in Prosa erschienen: 'No translator of a noted classic has ever proceeded in a freer manner, no trauslation has ever been a greater fraud than this , if judged only from the Standpoint of Ovid text; no version , however, could better reflect the spirit of the age in which it was written'. B. erweitert die Sagen nach Belieben und schiebt zugehörige und ähnliche Stoffe ein. Cervantes, der kein Latinist war, hat Bustamantes Übersetzung benutzt. Eine Zusammenstellung der Stellen, wo des Ovids Mythen von Cervantes benutzt werden, erweist seine Kenntnis der spanischen Übersetzung. Mit der Betrachtung der allmählichen Änderung in der spanischen Novelle und des Anwachsens des Einflusses , den das humanistische Element ausübte, erklärt Seh. Ovids Einfluß auf Lope de Vega und Calderon und die spanische Lyrik des XVI. Jahr- hunderts. In der Mitte des XVII. Jahi-hunderts nimmt er rasch ab. Eine Bibliographie der italienischen , französischen und spani- schen Übersetzungen des XVI. Jahrhunderts , die wohl manche Erweiterung erfahren wird, wie z. B. die französischen Über- setzungen durch Les epitres d'Ovide traduites par Charles Fontaine, Lyon 1573, bilden mit einem Abdruck der spanischen Übersetzung der VII Heroide, des Lebens Ovids von Fernan Nunez und Busta- mantes Übersetzung der Erzählung von Pyramus und Thisbe den Schluß des Buches.

Wie mit Owens Buch über Ovids Einfluß in England, so hat Schevill mit dieser trefflichen Untersuchung über das Nachleben Ovids in Spanien eine Lücke unserer Literaturkenntnis ausgefüllt.

176 Rudolf Ehwald.

IV. Grammatisclies. Metrisches.

Vollmer, Friedrich, Zur Geschichte des lateinischen Hexa- meters. Kurze Endsilben in arsi. Sitzungsber. der könial. bayer. Ak. d. "Wissensch. Philos., philol. und histor. Kl. Jahrg. 1917, 3. 59 S. 8". Für die mit peinlichster Gewissenhaftigkeit und sorgsamster Reinlichkeit geführte Untersuchung über das Vorkommen kurzer Endsilben in arsi des lateinischen Hexameters von Ennius bis zu den christlichen Dichtern findet der Verfasser folgende drei Wurzeln : 1. künstliche Laugsetzung von in der Umgangssprache schon ge- kürzten Endsilben ; 2. durch Verlust erzwungene, mit der Zeit aber auch als 8tilführungsmittel (z. B. que oder fulti'is hymenaeus) will- kommene Einsetzung kurzer Silben an Stelle langer, in Nachahmung- scheinbarer homerischer (auch alexandrinischer) Freiheiten ; 3. Gleich- behandlung von Versabschnitten und Satzabschnitten in Versen mit rhetorischen Kola, deren Ende Hiat oder Syllaba anceps zuläßt. Die Stellen, an denen bei Ovid die Erscheinung stattfindet, hat Vollmer S. 12 14 und (que-que) S. 15 f. zusammengestellt. Fast, III 500 vermute ich vae rediit, am. III 7, 55 zweifle ich an der Richtig- keit der befolgten Lesart (sed, puto, non blanda, non optima per- didit in me j oscula).

Daß etwa gleichzeitig mit der Beschränkung kurzer Endsilben auf Kolenenden auch der Hiat auf diese Stellen zurückgeht, dafür zeugen auch die Stellen, die V. p. 28 zusammengestellt hat. p. 32 konstatiert, daß bei Ovid neben den häufig vorkommenden Formen rediit, abiit, adiit, periit, subiit, interiit, praeteriit, petiit, occubuit, prosiluit, impediit sich kein exüt, transiit, aber auch kein audiit. leniit u. ä. findet.

Heyken, Johann, Über die Stellung der Epitheta bei den römischen Elegikern. Kiel 1916 (Kieler Dissert.). 146 S. S^.

Verf. versteht unter Epitheton attributive oder prädikative Beifügung zu einem substantivischen oder nominalen Begriff und bespricht im ersten Kapitel die Stellung von Substantiv und Epi- theton bei einmaligem Vorkommen im Vers, und er zieht zur Unter- suchung heran Catull TibuU I, Prop. I. II. III. IV, Lj-gdamus, Sul- picia (= Tib. IV 7—12), de Sulpicia (Tib. IV 2—6). Tibull IV = IV 13/14, Ovids heroides und fasti. Die Trennung des Sub- stantivs und des Attributs ist Nachahmung alexandrinischen Brauches. Steht im Vers nur ein Hauptwort und ein Epitheton, so werden

Jahresbericht über Ovid von 19U— l'J19. 177

sie getrennt, und zwar tritt 1. diese Trennung bei den römischen Elegikern meist ein durch die Caesur; und 2. es steht meistens das eine an dem Anfang oder vor der Caesur, das andere am Schluß, und zwar möglichst entfernt von dem anderen. Das Epitheton steht häufig voran, wobei die Stellung bei Ovid mit Substantiv am Ende, und Epitheton nach der Penthemimeris auffällt. Bei der Stellung Substantiv Epitheton sind die Prinzipien und Erscheinungen durch- aus analog. Ungetrennt stehen beide im Anfang, am Schlüsse, vor der Hauptcaesur, hinter der Hauptcaesur, innerhalb des ersten Hemistichs und innerhalb des zweiten Hemistichs ; bei Ovid ist die Stellung vor der Hauptcaesur die gewöhnlichste ; Stellung inner- halb des ersten Hemistichs hat Ovid nur im Pentameter. Ist das Epitheton ein Substantiv mit Epitheton im Genetiv, so stehen die drei Worte unmittelbar zusammen oder zwei zusammen, das dritte für sich, oder alle drei Worte sind getrennt.

Im zweiten Kapitel wird die Stellung von mehreren Sub- stantiven mit mehreren Epitheten im Verse behandelt, und als erstes Hauptprinzip läßt sich in diesem Falle die enge Kombination aller Worte zu einem Ganzen hinstellen ; die Unterbrechung findet am häufigsten durch das Verbum statt. Als zweites Hauptprinzip gilt Zusammenfügung von Substantiv mit Substantiv und von Epitheton mit Epitheton. Die Stellung der einzelnen Wörter ist außerordent- lich mannigfaltig (p. 75 ff.). Die Stellung von drei Substantiven in den Epitheten wird p. 99 105 besprochen ; Ovid hat die häufigsten Fälle: die Worte verteilen sich zu drei auf jeden Halbvers, oder zwei Worte stehen im ersten, vier im zweiten, oder vier Worte im ersten, zwei im andern Halbvers. Vier Substantiva und vier Epitheta finden sich nur bei Ovid her. XII 203. Die Stellung eines Epithetons mit mehreren Substantiven und eines Substantivs mit mehreren Epi- theta im Vers, die Verteilung von Substantiva und Epitheta auf das Distichon T;nd mehrere Verse werden im III. und IV. Kapitel be- sprochen, im Anhang Cat. 61, 1—24, Tib. I 1, 1—20, Prop. I 1, 1 22, Ovid heroid. I 1 20 beispielsweise nach den aufgestellten Prinzipien besprochen.

Die Arbeit scheint sehr sorgfältig und aufmerksam behandelt zu sein.

V. Kritisch-Exegetisclies.

Ovid amores I 8, 58 vermutet L. Rank, Mnemosyne N. F. XLIII (1915) p. 4-12 445 statt Slaters : maioris milia multa leges selbst amatoris milia multa seges ; er hat sicher recht, daß zu milia

178 Rudolf Ebwald.

multa zu ergänzen ist nummonim, aber sein seges verstehe ich nicht: leges (Nemethy setzt dafür feres ein) heißt: „du wirst sammeln"; damit ist der Vers amatoris milia multa leges im Munde der Dipsas verständlich.

Karl Prinz, Zu Ovids Ars am. II 662 und E,em. amores 323 f. : Wiener Studien XL (1918) S. 90 ff.

Scharfsinnig bringt Prinz im Anschluß an Radermachers Auf- satz : Ein Nachhall des Aristoteles in römischer Kaiserzeit (Wien. St. XXXVIII 72 ff.) die beiden Stellen mit Ovids Besuch der Rhetorenschule zusammen , in denen er hier besonders aus dem Zusammenhang mit Livius XXII 12, 12 und Quintil. Inst. orat. II 12, 4 und III 7, 25 auf die Rhetorenschule hinweist, wo die Lehre des Aristoteles behandelt wurde.

Alois Kornitzer (Ztsch. f. d. Österreich. Gymnas. 1915 (66) p. 507

weist für rem. amor. 229 f. auf Horaz epist. I 2, 32 f. als Vor- bild : es ist eine Erinnerung , die sich seinem Gedächtnis ein- geprägt hatte.

Gegen Birts Erklärung (Die ßuchrolle in der Kunst p. 236), der cornua als Anfangs- und Endblatt auffaßt, wendet sich Hugo Blümner im Philologus LXXIII (1914—1916) p. 437 für trist. II, 8: die cornua sind die Enddekox'ationen des umbilicus.

Memosyne N. F. XLIV (1916) p. 17 schlägt J. J. Hartman vor zu lesen: trist. V 9, 35 At non parerem si non meminisse V e t a r e s statt putares , was ich für richtig halte ; ebendaselbst p. 176 konjiziert Damste ex P. III 1, 21 fluviis st. silvis; silvis nisi si qua remota habe ich vermutet.

In einem liebenswürdigen Aufsatz behandelt J. J. Hartman in der Mnemosyne N. F. XLVI (1918), 337—357 die Verse der Metamorphosen, in denen die Sage von Ceyx und Alcj^one erzählt wird, in dem es ihm ebenso auf geschmackvolle Erklärung wie auf kritische Durcharbeitung ankommt. XI 453 f. vermutet er (p. 347) sed tibi iuro . . . rae (si modo fata remittent !) ante reversurum . . . statt iuro . . . si me modo; 471 tectum st. lectum; 493 satis . . . vetetve zeigt er keine Neigung für plausible Konjektur, wie celsi (Heinsius) st. noviens , v. 529 und quaereddat (Heiusius) V. 608. Den Vers 628 (Herculea Trachine iube sub imagine regis) will er ausstoßen wegen Herculea Trachine : ich glaube , gerade dies ist notwendig, um den Befehl zu bestimmen, v. 670 schlägt

.Tahresbericht über Ovid von 1914 1919. 170

H. vor, statt vnporis zu lesen soporis was auch Neapolitanus so bietet, und 635 statt illic (= Marc.) oder Uli (== Korn) illo, was wieder der Neapolit. m^ hat, zu lesen, v. 646 will er statt genitor einsetzen senior, wie die Handschriften mit Recht verlangen, v. 674 ver- mutet er lacrhnatque agitatpue lacertos: aber das Zeugma lacri- mas movet atque lacertos ist doch nicht ärger als 9, 135 implerant terras aniniumque novercac. v. 696 soll at in aut geändert werden : einen zwingenden Grund sehe ich nicht. Den v. 697 muUmn fuer'it utile will H. ändern in fnit hoc, fu'it utile, aber muUum als Ad- verbium ist genügend bezeugt, das dumqiie notata locis ist schon von anderen aufgenommen, v. 747 will er tunc ria tuta maris der Vulgata für tunc iacet unda maris des Marcianus einsetzen, wegen der Verse 410 ff., aber ist dieses nicht der 'Situation durchaus an- gepaßt? Das Hauptgewicht des Aufsatzes Leruht in der geschmack- vollen Auffassung und gemtttstiefen Erklärung der einzelnen Stellen, wie V. 471. 586. 662. 667. 723.

In der dritten Abteilung des dritten Bandes des monumentalen Werkes: Die antiken Sarkophagreliefs von Carl Robert (Berlin, G. Grotesche Verlagsbuchhandlung 1919, fol.. V, 373—577 S.) sind von diesem großartigen Kenner die Tafeln, die sich auf die Ni'o- biden, Perseus, Phaethon, Prometheus, Protesilaus (Tereus), Trip- tolemos beziehen, auch den Quellen nach ausführlich besprochen. Für Ovid kommen dabei folgende Stellen zur Eröi'terung.

Für die Niobiden ist zunächst (S. 375) auf die Szene hinzuweisen, was schon längst bemerkt worden ist, wo der Tod der vier Söhne er- zählt wird (met. VI 224 ff.). Zwei Söhne sind dargestellt entsprechend VI 224, der dritte entsprechend VI 230 ff., der vierte entsprechend VI 236 ff. Da eine Illustration Ovids durch die Sarkophagarbeiten oder deren Vorlage ausgeschlossen ist , so müssen wir schließen, daß Ovid diese Vorlage gekannt hat und von ihr inspiriert ist.

In der Phaethondarstellung ist die Bitte der Hauptperson met. II 23 ff. verbunden mit der Erscheinung des Hofstaates des Sonnen- gottes wie auf dem Sarkophage (S. 405), dagegen findet sich nichts bei Ovid von der SchiiTung der Eosse durch die Windgötter. Für 11 381 ff. bemerkt Robert, daß die Gesandtschaft des Hermes zwar nicht berichtet wird , aber Voraussetzung für die von Ovid ge- gebene Erzählung ist.

Über die Quellen Ovids schließt er sich Knaack an-, für die Cycnussage ist die Frage nach einer bestimmten Quelle bei-echtigt : daß Phaethon im Sonnenpalast aufwächst , dafür ist der Schmerz der Heliaden, daß er auf Erden aufwächst, die Liebe des Cycnus

Jahresbericht für Altertumsswissenschaft. Bd. 179 (1919. II). 13

180 lUulolf Kliwjilfl.

ein Anzeichen. Met. II 355 spricht Ovid von dei' Mutter der Heliaden, ohne sie zu nennen : in den Tristien III 4, 29 macht er sogai* den Merops zum Vater der Sonnentöchter. Die Verwand- lung der Heliaden (p. 419) entspricht der Schilderung Ovids II 346 fF. 348 ff. 353 ff.

Für den Eaub der Proserpina S. 482 macht Robert für die Personifikation der Caligo auf die pridnosae tenebrae met. V 443 aufmerksam. Für die Sage vom Raub folgt er (S. 456) Malten in der Annahme eines alexandrinischen Gedichtes, das er met. V 441 ff. und fast. IV 491 ff. wiedergegeben sieht, und das in Eleusis das Ziel der Ceres findet (S. 459). Auch den Granatapfel hat Ovid (met. V 534, fast. IV 607) S. 473 mit der Darstellurg der Sarkophage gemeinsam.

In der Fabel von Tereus auf dem Fries eines Grabbaues ent- spricht die Darstellung der Ovids (met. VI 657 ff. und 587 ff.), die Wiedergabe des Künstlers (S. 501) ist so genau, daß Robert Ovid hier als Quelle anzunehmen geneigt ist.

Triptolemus (S. 51Ö) wird nur bei Ovid met. V 642 auf seiner Fahrt durch die Länder dargestellt. Der Vers met. VIII 280 bekommt S. 516 eine interessante Illustration, S. 536 weist Robert für einen verschollenen Sarkophag hin auf met. VI 204 ff.

In der Germania, Korrespondenzblatt der Römisch-Germanischen Kommission des Kais. Archäol. Instituts 1918 S. 42 44 erklärt C. Robert treffend die Darstellung auf der Schmalseite eines in Regensburg ausgegrabenen Kalksteinblocks durch Vergleichung mit Ovid X 180 ff. Apollo hat seinen Diskus bis hoch in die Wolken geschleudert; als er endlich zur Erde niederfällt, will ihn Hya cinthus, an dem nun der Wurf ist, aufheben. Aber der Diskus schnellt von der Erde auf und trifft ihn tödlich ins Angesicht I 'Dieses ist nun schon die dritte Ovid-Illustration, die in den letzten zwanzig Jahren in den Provinzen nördlich der Alpen ans Licht ge- kommen ist. Die erste ist das Tereusrelief aus Intercisa nach Met. VI 657 sq. und die zweite das Mosaik aus Rottweil mit dem Sternengott und Leukothoe nach Met. IV 190 sq. Sollte diese Vor- liebe für Ovid eine Eigentümlichkeit der Provinzkunst sein, oder dürfen wir daraus einen Schluß auf die Kunst der Hauptstadt ziehen?'

Bannier, Wilhelm, Wiederholungen bei ältei'en griechischen und lateinischen Schinftstellern. Rhein. Mus. LXIX (1914), 491—514.

Ovid met. VT 280 ff. will B. den Vera corque ferum safi/i

.lahresbericht über Ovid von 1914— lyiy. 181

und den Vers dum pars nostr(( kicet beibehalten und ebenso den Vers dum pars nostra iacct et dum per funcrd nosird. Aber ait dixit ist doch damit nicht verteidigt! 'Ich erkenne in diesen \'ersen . . . einen deuth"chen Beweis für die allbekannte Tatsache, daß häutig Verse «xlei- Versteile in den Handschriften wegen Gleich- lauts ausfallen.'

Ebenso schützt ßanniei- 8. 50G met. VIII 286, trotzdem ihn MN und Handschriften der Vulgata auslassen, denen ich jetzt folge, in- dem ich nun v. 285 beibehalte, obwohl das et v. 286 auffallend ist. Aber den Vers 286 hier echt zu halten, kann ich mich nicht entschließen, met. I 546 versucht B. zu halten, wo es sich 'mehr um Parallelismus der Glieder als um V7iederholung der Apposition handelt'.

VI. Ausgaben.

Die Metamorphosen des P. Ovidius Naso. Für den Schulgebrauch erklärt von Hugo Magnus. III. Bändchen. Buch XI XV. Zweite Auflage. Gotha 1919. VI 199 S. 8".

Nach langem Zwischenraum folgt der 1886 erschienenen ersten Auflage die zweite in wesentlich verschiedener Ausstattung; denn in ihr ist weggefallen der Anhang , und damit fehlt nun gänzlich das treffliche mythologisch-geographische Register. Der Text hat nach der großen Weidmannschen Ausgabe vielfache Änderungen, die vorm Text aufgezählt sind, erfahren, vielfach nach Neapolitanus, vereinzelt auch nach Marcianus. Zustimmen kann ich nicht: XI 29o , welchen Vers Magnus zwar wieder im Text läßt, aber mit der Änderung iam tum^ XI 393 hca grata st. nota grata, XIII 225 dimiitite Troiam, 698 agincn . . . pectus illas vulnera telo, XIV 252 nwiiique . . . vini, XIV 385 (wie wird das zweite ait erklärt?), 515 manantia , 848 Hersilie crines ; gegenüber der großen Ausgabe ist geändert XI So porrectaque , 222 annis, o20 gluriu? midtis off'uit, XII 225 nt poterant (aber aut p. haben die guten Handschriften von m'!), 333/4 dederunt . . . minorem, XIII 16 peto , 74 metuerdetn (=^ MN), 410 tracta atque (= Vollmer), XIV 105 et 'ut(?), 421 et tarnen , 832 Latio , 843 quem. Der sorgfältig durchgearbeitete Kommentar zeigt überall die bessernde Hand, aber das ceu statt cum XI 76 ist nicht erklärt und ebensowenig XI 328 quo miser amplexus. Das Heft wird in seiner neuen Gestalt die alte An- hängerschaft behalten und neue gewinnen. Es verdient sie.

13*

182 Rudolf ElnvaUl.

P. Ovidius Xaso. Vol. II. Metamorplioses. Ex iterata ß. Merkelii recognitioue edidit Rudolfus Elnvald. Editio major. Com- mentarius criticus ex Hugonis Magni apparatu maxiinam parteiu trausiimptus est. Lipsiae iu aedibus B. G. Teubneri 1915. P. Ovidius Naso. Vol. II. Metamorphoses. Ex iterata R. Mer- celii recognitioue edidit BudoH'ns Ehwald. Edito ininor. Lipsiae in aedibus B. G. Teubneri 1915. 1919.

Die Rezension von H. Magnus, Berliner pliil. Wocheusclu-. 1916. 1394: ff. gibt eine gute und gerechte Beurteilung meiner Ax-beit, und begnüge ich mich , auf diese hinzuweisen. Die kleinere Aus- gabe ist 1919 nach einer erneuten Durchsicht von mir erschienen. In ihr habe ich I 449 pedibusque rotave mit M., II 620 vidit st. sentit, 379 necutrumque, XIII 332 tui miJii, sie fiat tibi, XIV 484 at Acmon geschrieben, öfters die Interpunktion geändert und ortho- graphische Verbesserungen (s. besonders Progne, Erectheus u. a.) gemacht.

Die Metamorphosen des P. Ovidius Nasu. Erster Band. Buch 1 VII erklärt von Moriz Haupt ... in neunter Auflage herausgegeben von R. Ehwald. Berlin 1915. 384 S. 8 ". Die Meta- morphosen des P. Ovidius Naso. Zweiter Band. Buch VIII bis XV , erklärt von Otto Korn ; in vierter Ausgabe neu be- arbeitet von R. Ehwald. Berlin 1916. 455 S. 8".

Die der vorigen rasch gefolgte neue Auflage unterscheidet sich in nichts wesentlichem von ihrer Vorgängerin : sie legt auch das Hauptgewicht auf das Verständnis des Zusammenhangs und das Sachliche des Inhalts. Manches würde ich jetzt anders fassen, z. B. die Bemerkung über die sjorachliche Form Procne, vgl. Friedrich zu Catull S. 193; zu XII 445 sollte XIII 374 verglichen werden, zu XI 466 ist zu prima die Bemerkung Hartmans anzufügen und so noch manches nachzutragen und im Text zu verändern. Folgende Druckfehler sind zu verbessern: I 122 fructius st. fructus, II 138 auguem st. angnem, 727 von st. non, III iurna st. urna, IV 702 faveaut st. faveant, nebus st. nubes, 794 accepe st. accipe, V 568 ot st. et, VI 344 fructiosa st. fruticosa, VII 218 volucrem st. volucrum, 393 pulvialibus st. pluvialibus, 569 es st. est, VIII 203 metio st. medio, IX 333 coniugo st. coniuge, X 88 parte st. parte, 823 invenis st. iuvenis, XII 16 suo st. sua, 90 deocr st. decor, 114 meae st. mea, 197 fame st. fama, 224 prohabant st. proba- bant, 264 dnos st. duos, 488 callo st. collo, XIII 139 sua zwei- mal, 628 iussis st. iussit, 690 frontibus st. frondibus, XIV 200

Jahresbericht über Ovid von 1914—1919. 183

ianem st. inanem , li-i'] quodam st. quondam , 472 perpretimus st. perpetimur, 781 ipse st. ipsa. Im übrigen werden die Besprechungen von Hugo Magnus (Berliner philol. Wochenschritt 1916, 1612 ff. lind 1917, 927 ff.), Carl Hosius (Socrates 1916, 560 ff., 1917, 57 ff.), Arthur Laudien (Sokrates 1917, 565 ff". j und Carl Prinz (Zeitschr. 1'. österr. Gymu. 1917. 417 ff.) zu Bei-ichtigungen reichlich Anlal.i geben.

V. Ovidi Nasonis tristium libri quinque Ex Pento libri quatuor Halieutica Fragmenta recognovit brevique adnotatione critica instruxit S. (t. Owen. Oxonii e typogra]»heo Clarendontano 1915.

Öeit der Ausgabe des Corpus poetarum Latinorum von Post- gate (Londini 1894), in der S. G. Owen nach der großen Aus- gabe von 1888 die Tristien und die Poutusbriefe herausgegeben hat, ist er nicht wieder mit einer größeren Ovidarbeit hervorgetreten : jetzt hat er die sämtlichen Exilgedichte im Titel ist Ibis aus- gelassen — in neuer Bearbeitung und zwar vortrefflich ediert. Nachdem er in der Vorrede die handschriftliche Grundlage mit x^ngabe der Literatur besprochen hat, gibt er den Te.vt mit kurzer la'itischer adnotatio , die tristia hauptsächlich nach dem Marcianus und Guferbytanus , die libri ex Ponto nach dem Hamburgeusis und Bavaricus, den Ibis besonders nach dem Galeanus und Turo- nensis, die Halieutica, die er hauptsächlich wegen des Zeugnisses des Plinius für echt hält, nach dem Vindobonensis : gegen diese Handschriftenverwertung ist nichts zu erinnern; daß gegen die Sicherheit der Angaben nichts einzuwenden ist, ist bei einer Arbeit Owens nicht nötig zu bemerken. Es ist die Ausgabe Owens musterhaft und auch in der Benutzung der einschlagenden Ar- beiten erschöpfend. Daß in der Behandlung einzelner Stellen Widerspruch zu erheben ist, ist bei der Schwierigkeit des Stoffe.s natürlich.

So will Damste in dem gleich zu erwähnenden Aufsatz , in dem er Owens Ausgabe bespricht, trist. I 1, 21. 22 statt tu cave : tu dabis lesen, 2, 53 statt poena-perdere : poenaui pendere : 9, 42 statt ista: istam; III, 4, 12 statt protrahit : protrahet; V 6, 36 statt quod reris : quod quereris, ex P. II 3, 44 statt mors: sors = Heinsius; IV 8, 71 statt malus: mavis; 12, 11 statt et: nee; 13 statt dicatur: ducatur.

P. H. Damste, Ad carmiua Ovidi in exilio composita : Mne-

1S4 Kiulolf Ehwald.

mos\'ne N. F. XLVI 1 37. Der Verfasser bringt Owen in diesem Aufsatz seinen Dank für die Freude, die er ihm mit seiner Aus- gabe gemacht hat. Er schlägt vor zu lesen : trist. I. 5, 25 statt flavum : solidum, wie schon v. Wilamowitz vorgeschlagen hat; 31 statt coUecta: couiecta; !S, ;! statt urbe : dure ; 11 st. seris : saevis (sehr gut); II 79 carmina non nostris quasi te venerantia libris iudicio possint candidiora legi ; 86 st. ipsa suoque etiam : inposito- que etiam; 281 peccandi causam quam multis saepta dederunt : III 1, 58 nescio sub dominisque aspiciare meis , 59 sub limina (st. sublimia: Ibrtasse) ; 7, 2o 26 nach v. 18, 28 facta caduca; 9. 20 aut pater: 10, 11 dum vetat. = Merkel; 11, 30 superant heu simulacra, 43 vel imagine, 62 Neptuniusque ; 12, 28 deque lacu (nach III 10, 26); IV 1, 19 petentem cf. v. 60, gegen Lach- manns tenentem : 2, 58 fremituque trementes ; 3, 83 creta est st. facta est, wie ich gelesen hatte (Mnemos. 1918, 183 will er secta est einsetzen) ; 6, 38 quam mala sunt = Merkel ; V 4, 29 dulcior illi: 7, 36 Capherea. aqua nach ex P 13, 76.

Ibis 117 st. accedat: accendas (=Ellis); 192 st. avis: avem : 372 st. nee redeunda: nee rediere: 413 st. Aetna: acta (e litore) : ex Pento I 1, 13 quidve vehant st. quid veniant (zweifelnd); 1, 66 st. ut non peccarim: ne modo: 2, 16 st. omnia: omnes ; 21 st. velata: celata: 97 st. fuit sub eo (wie Owen nach meiner Ver- mutung schrieb): diu salvo (= Korn): 3, 86 st. quae facit: quod f. mit Beseitigung der Interpunktion nach dictis und multa; 4, 36 st. densa: firma; 5, 10 st. coaeta: sequente; 84 st. famaque : Musaque ; 7, 51 st. etiam: ut jam; 58 st. sie illic: istie sed vestro ; 66 st. officii causae : offieii in causa; II 1, 36 st. saxaque roratis: saxa coloratis; 3, 33 st, exactos: ex alto ; 4, 16 st. regentis : recentis; 5, 11 st. optastique brevi solvi: optasti brevem taeitus: 8, 53 f. st. Caesaris adventu tuto giadiator harena exit: Caesaris adventu tota giadiator harena exsilit : auxilium e. q. s. ; III 1, 60 st. paucis : parcis ; 69 fugieutibus verteidigt mit I 3, 10. 6, 36 ; 2, 23 st. iactentque : eieantque ; 4 . 64 st. tuo : suo = codd. ; 89 st. votorum : sacrorum ; 93 st. ista: iusta; 100 st. iunctis : niveis ; 5, 9 st. lingua: laeva ; 41 st. ut interdum: et interdum; 6, 33. 34 sind nach V. 36 zu setzen; 6, 60 st. ista: visa; 7, 21 st. non iuuat: non mauet oder non cadit; 9, 26 st. et cupidi cursus: et cupidi quamvis; IV 2, 38 st. habet: obit; 4, 11 st. cum fulva solu.s spatiarer: cum sola tristis sp. ; 31 st. colla boves niveos eerno: coUa boves nivei certant; 33 st. cumque deos omnes, tune hos: eumque deos ores, tum quos; 6, 34 st. velut tinctu: velut tetrum; 7, 17 st. sit

.tahresbericht üher Ovid von H)14— 191U. 185

licet hie titulus plenus tibi fructibus, ingeiis c. p. t. : «it licet hie titulus plenis tibi fructibus ingens ; 9, IG st. domns nlla: domus alta; 115 st. ara: arca ; IG, 27 st. uue : alte.

Diesen Aufsatz Dainstes bespricht Carl Ganzenmüller in der Wochenschrift für klassische Philologie 11)19. S. 29 33. Einige der Vermutungen billigt er: trist. I 11, IG; III 10, 11; IV 6, 38; V 7, 3G ex P. I 2, 99 (diu salvo); I 4, 35 (firma carina); II 4, 16 (recentis); III 4, 64 (duce . . . suo); IV, 7, 17 (plenis fructibus); als überflüssig weist er ab trist. I 5, 31 (conieeta); 8, 38 (dure) ; III 9, 20 (Aut pater); 11, 30 (heu); 43 (vel); V 4, 39 (illi) Ibis; 119 (accendas); ex P. I 2, 16 (omnes); 5, 10 (sequente); 84 (Musaque); II 5, 11 (brevem tacitus) ; III 1, 60 (parcis); 4, 43 (iusta); 5, 9 (laeva); 6, 60 (visa). Trist. I 5, 25 schützt er fulvum, wie Ovid das Gold immer nennt, II 85 Cunctaque . . . ipsa suo quodani pondere; 279 will er lesen: peccandi causam quam multis saepe dederunt, Martia cum durum sternit harena solum! Uli, 59 verteidigt er sublimia durch met. VII 587 und her. 21, 105, Ibis 194 aves durch Tib. I 3, 76, 415 Aetna durch met. XIV 160 und XIIT 370; ex P. I 2, 21 verteidigt er veluti velata durch die bei Ovid beliebte Parechese ; III 4, 89 inrita votorum durch Verweisung auf meine Kritischen Beiträge , 100 durch Vergleichung von a. a. III 634, IV 2, 38 durch III 2, 44; IV 4, 11 weist er Damstes cum sola tristis spatiarer harena durch Vergleichung von trist. IV 6, 31, met. II 805, IX 36, X 216, XI 355. 499 und Vergil georg. I S89 zurück; 6, 34 will er tinctum mit Vergleichung von trist. III 10, 64 beibehalten.

Geyza Nemethys Bücher (Commentarius exegeticus ad Ovidii Tristia, Budapest 1913 und Commentarius exegeticus ad Ovidii Epistulas ex Ponto, Budapest 1915) sind mir nicht zugäng- lich gewesen. Ich verweise über sie auf die ausführliche , durch eigene kritische Beiträge wertvolle Rezension von Hugo Magnus, Berl. phil. Wochenschr. 1920, 153 160. Ebensowenig sind mir E. W. Bredts Ovid, Götterversammlungen im Bilde. 2 Bde. (Schmidts Bildersc'hatz der Weltlit. 1/2) 1919 bekannt geworden.

VII. Übersetzungen.

Nur eine Auswahl von Stücken aus den Metamorphosen haben eine vortreffliche Übersetzung in fünffüßigen Jamben erfahren in dem schönen und ertragreichen Buche Griechische Märchen . . . von Aug. Hausrath und Aug. Marx, Jena, Eugen Diederichs,

18(1 Kudolt Khwald: .lahresbericht über Ovid von 101 1 19U».

1913, S. 160 185: Das goldene Zeitalter (met. I 89—112), Daphue (met. I 452 625), Latona und die lykischen Bauern (met. VI :J17 \]S2), Bacchus und die Seeräuber (met. III 582—664), Ceyx und Alkvone (met. XI 410—748), Niobe (met. VI 146—312). Wenn der Übersetzer sagt, dal.> die ihm bekannten Übersetzungen alle im Hexameter geschrieben sind und daher nicht in Betracht kamen, so ist ihm leider die ausgezeichnete Übersetzung in Ottave rime von Constautin Bulle (s. Jahresber. 109, 299 ff.) unbekannt ge- bheben.

Neue Gesamtübersetzungen von Werken Ovids sind mir, außer der neuen Auflage von Gleichen-Rußwurms Qvids Liebeskunst (vgl. Jahresber. 167, S. 197 ff.)? nicht bekannt geworden. Ich bedaure, daß in den vortrefflichen Antiken Dichtungen in deutschem Gewände, von Günther Koch herausgegeben und mit Beiträgen versehen von Eduard Norden, Stuttgart und Berlin 1908, die mir erst nach dem Erscheinen des vorigen Jahresberichts bekannt geworden sind, Ovid nicht vertreten ist.

JAHRESBERICHT

über die

Fortschritte der klassischen

Altertumswissenschaft

begründet von

Conrad Bursian

herausgegeben von

A. Körte.

J

Hundertachtzigster Band.

Fünfundvierzigster Jahrgang 101 Q.

Dritte Abteilung.

ALTERTUMSWISSENSCHAFT.

LEIPZIG.

Q,..RR EISLAND.

Alle Rechte vorbehalten.

Altenburg

Plerersohe Hofbuchdruoker«!

Stephan Geibel & Co.

Inhaltsverzeichnis

des hundertachtzigsten Bandes.

Seit»

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin (1911

1917). Von Friedrich Ernst Kind in Leipzig 1 108

Bericht über griechische Geschichte (1907 1914). Von

Thomas Lenschau (Bei-lin) 109 2t)6

Bericht über die Literatur zur antilten Medizin 1911—1917.

Von Friedrich Ernst Kind in Leipzig.

Inhaltsübersicht.

Seite

Verzeichnis der Abkürzungen 2

Vorbemerkungen 2

I. Allgemeines.

1. Bibliographie 3

2. Darstellungen der Geschichte der Medizin 3

3. CMG und CML 4

II. Die medizinische Literatur der Griechen und Römer.

1. Hippokrates und seine Zeit.

a. Die Hippokratische Frage 5

b. Antike und mittelalterliche Editoren, Kommentatoren und Übersetzer 20

c. Moderne Ausgaben, Übersetzungen und Beiträge 25

d. Die sizilische Ärzteschule und Diokles 32

2. Die medizinische Literatur der Griechen von der Zeit Alexanders des Großen bis auf Galenos.

a. Die Alexandriner 34

b. Asklepiades und die Methodiker 37

c. Dioskurides 39

d. Die Pneumatiker und Eklektiker 40

3. Galenos.

a. Biographie und Stilistik 41

b. Die medizinischen Schriften 43

K. Die Schriften zur Erklärung des Hippokrates 43

ß. Die andern medizinischen Schriften 49

c. Die philosophischen Schriften 57

4. Byzantiner. Papyri. Römer.

a. Byzantiner 61

b. Papyri 67

c. Römer 70

III. Die einzelnen Gebiete der Medizin.

1. Anatomie und Physiologie 84

2. Pathologie 86

3. Chirurgie, Augenheilkunde und Geburtshilfe 93

4. Gesundheitspflege. Äußere Verhältnisse des Ärztestandes. Militär- Sartitätswesen 103

J.ahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 180 (1919. III). 1

2 Friedrich Ernst Kind.

Verzeichnis der Abkürzung:en.

Zu den im vorigen Bericht (s. u. Ber. I) angewandten Ab- kürzungen treten folgende neu hinzu :

AGM = Archiv für Geschichte der Medizin.

AGN = Archiv für Geschichte der Naturw. und Technik.

Ber. I = F. E. Kind. Bericht über die Lit. zur aut. Med. 1901—1910, Bu.J. CLVIU. S. 132—234.

CMG = Corpus mediconim Graecorum.

CML = Corpus medicorum Latinorun\.

HAÄ = Diels, Die Handschriften der antiken Ärzte (s. Ber. I, Nr. 20).

IKM = Bericht über die auf dem Internationalen med. Kongreß in London in der Abt, f. Gesch. d. Med. gehaltenen Vorträge. London 1914.

MGM == Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Natur- wissenschaften.

SGM = Studien zur Geschichte der Medizin.

Yorbemerkungen.

Im vorigen Berichte hatte Ref. versprochen, den Bericht regel- mäßig erscheinen zu lassen. Diese Absicht wurde durch den Krieg vereitelt. Schon am 21. Aug. 1914 wurde Eef. zu den Waffen gerufen, am 18. Okt. 1915 wurde er an der Düna schwer verwundet und konnte dem Bericht erst geraume Zeit nach seiner Entlassung (21. Mai 1916) näher treten. Dazu sind seine amtlichen Verpflich- tungen gestiegen. Abgesehen von diesen persönlichen Verhältnissen hat der Ki'ieg aber auch noch in anderer Weise auf den Bericht gewirkt. Noch im August 1913 tagte in London der Internationale medizinische Kongreß, auf dem die Medizingeschichte einen breiten Raum einnahm. Ein Jahr später begann der Ki'ieg und damit die Aushungerungspolitik auch auf geistigem Gebiete ; daher konnten die ausländischen Publikationen nicht in erwünschter Vollständig- keit berücksichtigt werden.

Trotzdem liegt ein außerordentlich reiches Material vor. Es ist seit 1910 auf unserem Gebiete viel geschrieben worden, und die Aussonderung mußte strenger gehandhabt werden, um nicht ins Uferlose zu geraten ; nur die wesentlichen Fortschritte sollen ja in diesem Berichte zusammengefaßt werden; anderseits sind einige Artikel aus der Zeit vor 1911 nachgetragen worden. Die Grund- sätze der Berichterstattung sind dieselben geblieben: das mytho- logisch-religiöse Element ist unberücksichtigt gelassen, die Grenze gegen Philosophie und Naturwissenschaft nach Kräften gewahrt. Viele der besprochenen Schriften sind vom Eef. in der B. ph. W.

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. ;i

angezeigt worden; man wird es ihm nicht verargen, wenn er sich im folgenden teilweise wörtlich mit diesen Rezensionen berührt.

Der Bitte um Einsendung von Sonderabzügen ist von den Herren Verfassern nur zum Teil entsprochen worden. Indem Ref. den ffütigen Einsendern für ihre Liebenswürdigkeit , die für einen

DO O ^

noch dazu halbinvaliden Berichterstatter eine große Er- leichterung bedeutet, liiermit seinen herzlichsten Dank sagt, richtet er erneut an alle Herren Verfasser, auch an die der Rezensionen, die höfliche und dringende Bitte um Überlassung von Exemplaren, Sonderabzügen oder Korrekturbogen (Leipzig-Go, Wilhelmstr. 62).

ErstesKapitel.

Allgemeines.

1. Bibliographie.

Die Ber. I, Nr. 5 8 genannten Veröffentlichungen bestehen weiter. In Virchows Jahresbericht wii*d jetzt von P. Diepgen, Th. Meyer-Steineg iind K. Sudhoff über die Geschichte der Medizin und der Krankheiten berichtet; Pagel ist am 31. Jan. 1912 ge- storben. — Das AGM und die SGM hier zu nennen, wie Sudhoff in Virchows Jahresber. wünscht, ist nicht angängig, da ja keine Literaturverzeichnisse oder -besprechungen darin geboten werden. Dagegen ist nachzutragen

1) Jahresberichte der Geschichtswissenschaft, iin Auftrage der Hist. Gesellsch. zu Berlin herausg. von G. Schuster. Berlin.

Hier werden auch die wichtigsten Erscheinungen aus unserm Gebiete besprochen. Ein bloßer anastatischer Neudruck eines rühmlich bekannten Werkes ist

2) L. Choulant, Geschichte und Literatur der älteren Medizin. I. T. : Handbuch der Bücherkunde für die ältere Medizin usw. (Leipzig 1841). Leipzig 1911.

2. Darstellungen der CJeschichte der Medizin.

3) J. L. Pagel, Einführung in die Geschichte der Medizin in 25 akademischen Vorlesungen. Zweite Auflage. Durchgesehen, teilweise umgearbeitet und auf den heutigen Stand gebracht von K. Sudhoff Berlin 1915.

4) P. Diepgen, Geschichte der Medizin. I. Altertum. Berhn 1913. II. Mittelalter. Berlin 1914.

5) J. L. Heiberg, Naturwissenschaften und Mathematik im klassischen Altertum. Leipzig 1912.

4 Friedrich Ernst Kind.

Pagel war es nicht vergönnt, die auch von uns gewünschte zweite Auflage (s. Ber. I, S. 136) selbst zu bearbeiten; er hat jedoch in K. Sudhoff den rechten Nachfolger erhalten. Das Buch hat in der neuen Gestalt nur gewonnen ; die Literatur ist mit gi'ündlicher Kenntnis nachgetragen. So sei das Werk wiederum angelegentlichst dem empfohlen , der auf dem medizinhistorischen Gebiete mitarbeiten will. Diepgen gibt in den beiden Göschen- Bändchen einen knappen Überblick. Heibergs frisch ge- schriebener Abriß in der Teubnerschen Sammlung "^Aus Natur und Geisteswelt' ist die populäre Übertragung des in Gercke-Norden (s. Ber. I, Nr. 16; jetzt zweite Auflage 1912) gebotenen wissen- schaftlichen Stoffes.

3. CMO und CML.

Über die Entstehungsgeschichte, Organisation und erste Probe des unter den Auspizien der Internationalen Assoziation der Aka- demien erscheinenden CMG wurde Ber. I, S. 138 ff. das Notwendige mitgeteilt. In der autonomen Kommission sind die durch Tod aus- geschiedenen Delegierten der Akademien von Wien und Göttingen Gomperz und Leo durch von Arnim und Wendland ersetzt worden. Zu den Mitarbeitern sind weitere Gelehrte gekommen, so de Boer, Hartlich , Hude , Koch , Nacbmanson , Viedebantt , Westenberger. Ständiger Redakteur für das Unternehmen ist Mewaldt; über den jeweiligen Stand der Arbeit am CMG berichtet jährlich Diels in den Sitzungsberichten der Preuß. Akademie. Außer Wellmanns Philu- menos (X 1, 1 s. Ber. I, Nr. 101) sind erschienen V 9, 1 und 2 (s. u. Nr. 93 und 94) und XI 2, 1 (s. u. Nr. 33). Dann aber hat sich die Hand des Krieges schwer auf das Unternehmen gelegt. Einerseits hindert der Mangel an Personal und Material die Druck- legung der fertigen Manuskripte , anderseits müssen notwendige Vergleichungen ausländischer Hss aufgeschoben werden, so daß die Arbeit stockt. Trotzdem wird von den einzelnen Gelehrten rüstig weitergearbeitet, wie Diels' Berichte erkennen lassen. Aretaios (Hude) ist fast druckfertig, ebenso Ilbergs Soranos. Von Galens Uegl TÖJv €v zalg TQO(faig dwäf^teiov und Ilegl eryvf.iiag Y.ai vmv.o- yv\ii(xg hat Helmreich, von UeqI 7ixiaävi]q Hartlich das Manuskript eingereicht; ebenso hat Koch die '^Yyiuva. vollendet. Kalbfleisch hat den Kommentar zu JTeot yv/iiojv als Renaissancefälschung auf Grund der lateinischen Übersetzung der Aphorismen des Maimonides erkannt ; das arabische Original ist mit deutscher Übersetzung und Vorrede von Kalbfleisch und Kahle für die Abteilung XI 1 fertig

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 5

bearbeitet. Von den Epidemienkommentaren scheidet nach Wenke- bachs Beweis (s. u. Nr. 92) der zum zweiten Buche als Fälschung aus ; für die Kommentare zum ersten und dritten Buche steht noch die Verarbeitung der arabischen Überlieferung aus. Von Oreibasios' Werken hat Raeder die If/'j-oi/'/g und Ilgdg EvvdjCiov erledigt ; er arbeitet nun an den ^vvayioyai. Heibergs Paulos von Aigina ist im 1. Bande stecken geblieben, von dem 17 Bogen gedruckt sind, für den 2. Band fehlt die Revision der Pariser Hs für Buch 6; Heiberg bereitet eine größere Abhandlung über die Überlieferung des Paulos vor. Wellmanns Aetios stockt, da gewisse ausländische Hss nicht zugänglich sind. Dafür arbeitet Wellmann an Bolos- Demokritos, das Steinbuch ist aufgearbeitet, die Schrift des Zachalias Tleqi Xid^ojv ist die Quelle des orphischen Gedichts und fußt auf Zoroaster; Euax-Damigeron geht auf Bolos-Zoroaster zurück, der 300 bis 400 n. Chr. in Syrien entstandene Phj'siologus hingegen auf Bolos-Anaxilaos. Viedebantts Ausgabe der Metrologica bedarf noch einiger Vergleichungen ausländischer Hss. Zu Erotianos hat Nachmanson umfangreiche Studien veröffentlicht (s. u. Nr. 35). Weitere Vorarbeiten für das gewaltige Unternehmen sind unten bei den einzelnen Schriftstellei-n angeführt.

Neben dem CMG erscheint nun aber auch noch, ebenfalls im Teubnerschen Verlage, das CML, das sich auf die Leipziger Pusch- mann-Stiftung gründet. Format und Ausstattung sind dieselben wie beim CMG. Erschienen sind Marxens Celsus, Vollmers Seren und Niedennanns Marcellus, vgl. u. Nr. 142, 153 und 165.

Unsern Wunsch für glückliches Gedeihen und volles Gelingen, den wir Ber. I für das CMG aussprachen, dehnen wir auch auf das CML aus. Möge nach des Krieges Ungewittern die segnende Sonne des Friedens beide so überaus fördernde Unternehmen zu schönster Vollendung heranreifen lassen.

Zweites Kapitel,

Die mediziniselie Literatur der Griechen und

Römer.

1. Hippokrates und seine Zeit, a. Die Hippokratisehe Frage.

*6) G. Hornyanszky, Die Wissenschaft der griechischen Aufklärung. Hippokrates. Budapest 1910. (Ungarisch,)

7) F. T o c c o , Di alcuni scritti recenti sulla questione Ippo- cratica. Atene e Eoma 1911 XIV Nr. 147, S. 67—91.

6 Friedrich Ernst Kind.

8) Tb. G 0 m p e r z , Die Hippokratische Frage und der Aus- gangspunkt ihrer Lösung. Philol. 1911 LXX, S. 213—241.

9) A. E. Taylor, Varia Socratica. First Seri es. St. Andrews Univ. Publications Nr. IX. Oxford 1911.

10) G. M. Gillespie, The use of eldog and idia in Hippo- crates. Classical Quarterly 1912 VI, S. 179—203.

11) W. A. Heidel, ITegi cfioeog. A study of the con- ception of natura among the pre-Socratics. Proceedings of the American Acad. of Arts and Sciences 1910 XLV, S. 77 133.

12) A. Keus, Über philosophische Begriffe und Theorien in den hippokrateischen Schriften. Diss. Bonn. Cöln 1914.

Hornyänszkys Buch ist offenbar recht geeignet , einen schönen Über- und einen tiefen Einblick in alles, was Hippoki-ates betrifft, zu gewähren. Leider ist das Werk ungarisch geschrieben und daher dem Ref. mit 7 Siegeln verschlossen; die ausführliche Inhaltsangabe von Tib. von Györy, MGM X, S. 480 489 und die Anzeige von L. Räcz, D.L. 1911, Sp. 3257 ff. erwecken den Wunsch, das Werk in einer allgemein bekannten Sprache lesen zu können. Der Inhalt ist nach Racz folgender: 'Das Werk zerfällt nach einer Einleitung , welche die griechische Aufklärung im allgemeinen charakterisiert, in 12 Abschnitte, nämlich 1) Die Medizin in Athen (die ärztliche Praxis, die Philosophen, der Gottesdienst), 2) Eeligion und Medizin (der Anfang, Epidauros, Asklepiadai), 3) Anfänge der Medizin (Alkmaion und Empedokles, Euryphon und die Schule von Knidos), 4) Hippokrates' Leben, 5) Ursprung der Hipp. Bücher, 6) Der griech. Arzt im V. Jahrh. v. Chr. (der offizielle A., der A. im Berufe und in der Gesellschaft), 7) Die Ethik der Hipp. Samm- lung, 8) Die Erkenntnistheorie und Logik der Hipp. Samml., 9) Die Hipp. Samml. und die Philosophie, 10) Die Milieu-Theorie des Hipp., 11) Die Medizin in der Hipp. Samml. (allgemeine Ansichten und Prinzipien, Anatomie, Physiologie und Pathologie, Therapie), 12) Hipp, als Tradition. Tocco bespricht sachkundig und be- sonnen eine Anzahl neuerer Schriften zur Hipp. Frage, die wir in Ber. I fast alle genannt haben. In der Kontroverse zwischen Diels und Gomperz steht er auf Diels' Seite. Er konnte die letzte Antwort von Gomperz noch nicht prüfen. Mit Fug und Recht sieht dieser in der bekannten Platonstelle im Phaidros (270 C) als einzigem literarischen Zeugnis eines Zeitgenossen den gegebenen Ausgangspunkt der Lösung des schwierigen Problems. Aber alle Versuche einer Identifizierung von Galen an bis auf Schöne (Ber. I, Nr. 28) scheinen gescheitert. G. nimmt nun noch einmal

Bericht übei* die Literatur zur antiken Medizin 1911—1917. 7

den Littreschen Versuch auf. Hegl agyah^g iT]TQiySjg als die von Piaton gemeinte Schrift zu erweisen und tritt damit in scharfen Gegensatz zu Diels. Dieser erblickt in dem Platonischen Satze : näoai ooai f.iEydXai zciv rfi/K^v, jCQogdiovzai ado/.eoyjag xat ueT€o)Qo)ioytag (fvaeiog /regi und in der Behauptung, man könne die q^i'oig lov acjf-iaTog nicht civev rrjg Tor uXov cpraecog richtig erfassen, die Forderung, die Medizin mit naturphilosophischen Konstruktionen zu verbinden; damit aber entstehe um einen Ausdruck Toccos zu gebrauchen eine schrille Dissonanz zu dem Standpunkte des Verfassers von JI. agy. It^tq., der ja gerade in seiner Polemik gegen die neue Methode eines Empedokles jede naturphilosophische Spekulation ablehne. Nach G. hingegen herrscht zwischen dem Platonischen Hipp, und dem Verf. von JI- ag/. IrjTQ. volle Harmonie. Allerdings wende sich der Arzt in IJ. agy. hjTQ. c. 20 gegen Empedokles und seine neumodische Naturphilosophie ; damit wolle er aber keineswegs den Zusammenhang zwischen Medizin und Natur- forschung in Abrede stellen ; es gelte ihm , feststehende Kausal- verbindungen zwischen äußeren Einwirkungen und inneren Ver- änderungen menschlicher Körperteile zu ermitteln. Das aber sage auch Piaton von Hipp, aus : der Satz bei Piaton : av f.iiv arcXovv rj, a/.OjiEiv Ti]v övraf-iiv avtov, xiva nqbg ti ntffVY.Ev elg zo ögav tyov )] Tiva elg Ttai^Eiv vtzo zov bilde das vollkommene Gegenstück zu n. ccQx- IrjTQ., c. 20: 0 zi acp' e/.dazov exuazo) oifjßrjaszai. Neu ist hier Gomperz' Interpretation: 'Zu fKciazov muß man aus dem Vorhergehenden hinzudenken: ztöv eod^iof-ievcov xai 7iivo(^iviov 'Kai ztüv aXXojv enizrjöevf.iäz(x)v, zu f-xaGtoj aber z(dv iv ztjj avi^Qtonq) sveovTiüv.' Noch in der dritten Aufl. der Griechischen Denker 1, S. 243 nimmt G., wie jeder unbefangene Leser, iKaozii) als Mascu- linum : 'welche Wirkung Jegliches auf Jeglichen ausübt'. Die Er- klärung als Neutrum ist kaum richtig ; ziov iv zijj uvd-Qionoj iveovziov kommt erst im folgenden, man kann es nicht ergänzen, wenn man es noch gar nicht gelesen hat. Allein dieser Einwand ist nicht wesentlich; ein wenig weiterhin entspricht dem prägnanten Plato- nischen ngbg zi eben doch das Hippokratische zivL zojv iv zio av^ i^giönit} ivEovzwv. Gomperz' Ausführungen sind nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, wenn man ihm in Einzelheiten der Inter- pretation auch sonst nicht recht geben kann. Der Gedankengang im Phaidros widerspricht der Littre-Gomperzschen These nicht. Wie Perikles aus dem Naturstudium, in seinem Ealle also aus Anaxagoras' Lehre vom vovg, sich das für die Redekunst Ersprieß- liche herausgenommen hat, d. h. Psychologie gelernt hat, so hat

8 Friedi'ich Ernst Kind.

Hipp, aus seinem Naturstudium die nötigen Konsequenzen für die Medizin gezogen, hat den menschlichen Körper zur Gesamtnatur in Beziehung gesetzt, d. h. auf physikalisch-chemischer Grundlage die Physiologie (in modernem Sinne) zu ergründen gesucht. G. geht zu weit, wenn er Diels' Annahme, Piaton rühme an Hipp, die ceöoXeoxia /.ai (.lEieioQoXoyia (fvoeiog 7tlQi, bestreitet und behauptet, sie stehe nicht mit dem Wortlaute der Phaidrosstelle in Einklang; denn auch die largi^ij gehört zu den jueyalai Ttxvcci, und so gilt auch für Hipp, die von Piaton aufgestellte Forderung der adoXeaxla •AUL fAET€ii)Qoloyia q'vaeco^ ntgt. Nur soll mau nicht mit Diels hier- unter bloße naturphilosophische Phantastereien verstehen, sondern das soki-atische Eindringen in das Wesen der Dinge , das Eeden über die Natur und das Aufsteigen vom Individuum zur Gesamt- natur; mit hellen Augen sollen wir in die uns umgebende q^vaig hineinschauen, sie in Beziehung zu uns setzen, nicht wie ein Blinder beziehungslos hindurchtappen. Piaton kann also sehr wohl JT. agy. iTjTQ. im Auge gehabt haben, auch der Stil dieser Schrift weist ins A . Jahrh. Es fragt sich nun, welche weiteren Schriften mit II. agy. iT]ZQ. zusammengestellt werden können. Littre hat IleQi diairr^g o^iiov, c. 9 (I 123, 4 ff. Kw) mit JI. agy. Irjtg., c. 10 (I 10, 21flF. Kw) verglichen, aber stilistische und sprachliche Bedenken scheinen gegen die Zusammengehörigkeit zu sprechen. 'Das Schwierige an der Hipp. Frage sind nicht die Diskrepanzen, sondern das Fehlen der Zeugnisse. Die stilistischen Unterschiede bei Piaton (z. B. im Goigias und Timaios) sind viel größer, aber beide sind durch Aristoteles als platonisch bezeugt. Bei Hipp, droht jede ernste stilistische Diskrepanz sofort der Kritik den Boden unter den Füßen wegzuziehen.' Im weiteren gibt G. gute Richtlinien für die Be- handlung der Hipp. Frage und macht sehr beachtenswerte text- kritische Vorschläge zu Tl. agy. Itjtq., die die Prüfung des künftigen Herausgebers im CMG erfordern. Daß Piaton die Schriften II. aQX. irfiQ. und II. öiaix. 6'§. studiert hat, scheint durch Taylors Untersuchungen über Sokrates (ausführlich gewürdigt und in der Grundthese widerlegt von P. Natorp, D. L. 1911, Sp. 1669 ff. und F. Lortzing, B. ph. W. 1912, Sp. 1305 ff.) überraschend bestätigt zu werden. Im fünften Kapitel: 'The words eldog, Idea in pre- Platonic literature' stellt T. auf S. 212 246 den Gebrauch von elöog und löea in der Hipp. Samml. fest. Während die Wörter in den rein medizinischen Handbüchern fast fehlen, begegnen sie uns in den naturphilosophischen oder die Naturphilosophie bekämpfenden Schriften außer in der landläufigen Bedeutung 'lebender Körper',

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•^Konstitution' u. ä. auch in einem spezitisch philosophischen iSinne zur Bezeichnung des 'Dings an sich', der 'einfachen Realität'. Noch sind diese Realitäten materiell gedacht ; ihr Begriff ist von der Medizin hauptsächlich durch Vermittlung des Empedokles in letzter Linie aus der Geometrie der Pythagoreer übernommen. Termini, wie elöog, avxo xa^' avTO, v.oinovia, auch v/roO^eaig sind nicht Piatons Erfindung, sondern Eigentum des V. Jahrh. Nament- lich die Schrift H. ccqx- it]TQ. bildet den Schlüssel zum Verständnis des Phaidon und der Republik; vgl. besonders die wichtige Stelle JI. (XQX- li]T^Q; c. 15: ov yccQ eOTiv aiTolg, oiuai, i^evQrjfittvov avxo ZL ecf^ eiüVTOv d^egtiov /; ifivxQov rj ^tjQov T^ vygbv fxi^devl äXlo) el'dei xo IV lovi ov. Auch der Begriff noiocr^g ist nicht erst von Piaton im Theaitetos geschaffen , sondern aus der medizinischen Technologie entlehnt, vgl, II. dian. 0^. 62. Die Terminologie Piatons liegt also in den Hipp. Schriften schon fertig vor. Piatons unvergänglicher Gedanke ist die Annahme immaterieller Realitäten, eines tlöog des y.a?Mv und ayad^ov ebenso gut, wie des d^EQ(.i6v und xI'vxqÖv (vgl. dagegen die oben zitierte Stelle aus JT. uqx- h]TQ.). Gillespie weist jedoch nach, daß die Wörter eiöog und löea in den Hipp. Schriften weder mit dem pythagoreischen Zahlenbegriff etwas zu tun haben noch in annähernd platonischem Sinne ver- wendet werden, vielmehr in vulgärer Bedeutung gebraucht sind. Wie hier über den Begriff eiöog u. ä. eine philosophische Unter- suchung angestellt worden ist, so hat Heidel den Gebrauch von <pvaig bei den Hippokratikern festgestellt. Der Einfluß der Vor- sokratiker auf die Hipp. Bücher wird deutlich gezeigt. Das Wort (pvaig bezeichnet 1. Wachstum, Naturprozeß, schließlich Naturgesetz, 2. den Ursprung dieses Prozesses, d. h. die Natur als schaffende Macht, 3. das Ergebnis des Prozesses, das Naturprodukt. Im Titel der Werke Ueqi cpiaeiog ist unter cpvoig nicht mit Burnet, Early greek philosophy, die aristotelische ap/jf, der Grundstoff, zu ver- stehen, sondern der gesamte Weltprozeß. Der Aufsatz ist wichtig für das Verständnis der Hipp. Schriften. Rez. von Lortzing, B. ph. W. 1911, Sp. 746 ff. Heideis Hippocratea (Harvard Studies 1914 XXV, S. 139 203) zu erlangen, war dem Ref. nicht möglich. Kens behandelt die Begi'iffe «px//'; aX).ouooig^ a7t6y.Qiaig {tY.y.QiOig), fü^ig {ovuf.ii^ig^ GiyA.QLOLg), diccAQLatg {öidX'/M^ig):, y.ivrjOig:, övvautg] die Idee des Gleichgewichts ; die Theorie der Wahlverwandtschaft (Affinität, avyyheia im weiteren Sinne).

Derartige philosophische Untersuchungen können ihrerseits dazu beitragen, die Schriften schärfer gegeneinander abzugrenzen oder

10 Friedrich Ernst Kind.

zu Gruppen zu vereinigen. Denn wenn auch Gomperz resigniert meint, es werde uns schwerlich beschieden sein, die Gestalt des größten der Asklepiaden von unmittelbaren Vorgängern und Nach- folgern oder Jüngern in jedem Einzelzuge mit Sicherheit zu unter- scheiden , so sieht doch auch er die Notwendigkeit ein , immer wieder zu versuchen, in den Hipp. Schriften Schichten zu scheiden. Er denkt dabei zunächst nur an die Scheidung von Schrift gegen Schrift; doch sind mitunter auch innerhalb der einzelnen Schrift Schichten nachzuweisen. Dies mahnt zur Vorsicht. Wo es sich nämlich herausstellt, daß Diskrepanzen zu der im allgemeinen in einer Schrift eingenommenen philosophischen Anschauung vorliegen, dort wird man alle Ursache haben zu fragen , ob an der Einheit- lichkeit des Verf. festzuhalten ist oder ob hier nicht vielmehr ein Interpolator oder Adnotator sein Wesen treibt.

13) F. Willerding, Studia Hippocratica. Diss. Göttingen 1914.

14) F. Jacoby, Zu Hippokrates' JTfi^t degcov vddxiov tÖtiiov. Herrn. 1911 XLVI, S. 518—567.

15) 0. Regenbogen, Symbola Hippocratea. Diss. Berlin 1914.

16) K. Reinhardt, Parmenides und die Geschichte der griechischen Philosophie. Bonn 1916.

Willerding zeigt für die Schriften Ilegi dlgtov iddriov toniov, Ilegi 'iQTjg voiaov, Tlegl (fvoiov und Yleqi aagMÖv deutHche Be- einflussung durch Diogenes von Apollonia , anderseits ebenso er- kennbare Einwirkung anderer, besonders sizilisch-empedokleischer Lehren. Rez. von F. Lortzing, B. ph. W. 1916, Sp. 228 if. Vgl. auch den noch ohne Kenntnis von Willerdings Arbeit geschriebenen Aufsatz von E. Krause, Diogenes von Apollonia, Janus 1915 XX, S. .318 fi*. W. hat aber an den Stellen, wo Abweichung von der Philosophie des Diogenes oder gar Polemik dagegen zu konstatieren ist, es unterlassen, die Frage nach der Einheitlichkeit der Schrift aufzuwerfen. Diese Frage wird mit gutem Erfolg in den zwei jetzt zu besprechenden Arbeiten gestellt. Schon Wilamowitz hatte in seiner Abhandlung über JI. ig. vovöov (Ber. I, Nr. 30) mehrere Zusätze in II. deg. vd. xoti. erkannt (S. 55, 5 19 Kw; 59, 10 13; c. 24 zum Teil). Hierzu fügt Jacoby weitere Einsprengungen, hauptsächlich S. 46, 3—11; 56, 16—18; 60, 5—12; 62, 21—63, 6; 64, 6 8 sowie das gesamte 24. Kapitel. Das ganze Buch ist von der gleichen Hand systematisch durchnotiert. Charakteristisch für

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. \1

den Adnotator ist die direkte Anrede (besonders eiQtjaEig) und Rück- verweisung durch Selbstzitat (S. 59, 13 oßajcEQ f.ioi tigr^ai sp xolg 7CQOZtQOioiv). Auch die Rückbeziehung c. 24 (S. 68, 16) stammt von ihm; denn es wird nicht, wie Wilamowitz will, auf c. 23, sondern wieder, wie S. 59, 13, auf S. 55, 5 19 verwiesen. Die Doppelfassung von c. 24 ist demnach ein doppelter schriftstellerischer Versuch des Adnotators ; in beiden Fassungen findet sich evQtjoeig^ Mit Recht macht J. auf den sachlichen Widerspruch aufmerksam, daß c. 24 eine gute Kenntnis des griechischen Mutterlandes zutage tritt, während dem Verf. von U. aeg. id. rort., dessen geographischer Horizont die Südseite des Pontos, Ägypten, Libyen und die klein- asiatische Küste umfaßt, der ganze Westen und Norden sowie die Inseln unbekannt sind. Ein Vergleich mit Aristoteles Politik VII lehrt, daß der Stagirite c. 24 las, wo wir es lesen. Die Zusätze sind also voraristotelisch , rühren aber nicht von dem Verf. von n. d(Q. vö. TOTT. her. Auch sprachliche Beobachtungen bestätigen dieses Resultat. Die Originalschrift selbst ist vollständig; ihr Schluß steht S. 68, 12 13, wo deutlich auf die Überleitung S. 53, 5 6 Bezug genommen wird-, ro oXov y.ai xb arcav ist Zusatz. Daß wir es in der Schrift mit zwei selbständigen Abhandlungen des- selben Verf. (c. 1 11 und c. 12 ff.) zu tun hätten, wie Fredrich und Wilamowitz meinen, leugnet J. und schließt sich mit der Begründung, daß wir hier in den Anfängen wissenschaftlicher Schriftstellerei stehen Heibergs (Ber. I, Nr. 42, S. 133 A. 2) Urteil an: „Nach den Anfangsworten wollte er ein Vademecum für Fachgenossen schreiben über das Verhältnis von Klima und Krank- heiten (c. 1 11). Unterwegs streift er (p. 39, 4) den Einfluß des Klimas auf die geistigen Anlagen, und das gibt ihm Lust . . ., eine Völkerpsychologie der beiden Weltteile anzuknüpfen." Gegen Jacobys Auffassung des 24. Kapitels wendet sich Regenbogen. Er verbindet 68, 12 15 mit 70, 7 71, 9 und hält dieses Stück von c. 24 für original. Er legt kein Gewicht auf evQt^oeig 70, 7 und 71, 5 und ui.iaQTt]ai], will hingegen in a/rl t6 7tXr^d^og 70, 7 ein Charakteristikum des Autors sehen. Dagegen erblickt auch er in 68, 15 69, 7 das Werk des Adnotators, für dessen Stil die vielen Optative, die an aristotelische Schreibweise erinnern, be- zeichnend sind. Als sichere Zusätze erscheinen ilim 55, 5 19; 59, 10 13; als möglich 62, 21 63, 6. Jedenfalls steht fest, daß die Schrift Tl. ccIq. id. xön. nicht allzulange nach ihrer Entstehung von einem Adnotator mit größeren Zusätzen versehen worden ist. Derselbe Tatbestand wird aber auch für IL \q. v. nachgewiesen.

22 Friedrich Ernst Kind.

R. prüft nach Wilamowitz (a. a. 0.) die Schrift nochmals auf ihre Zusätze. Im besonderen scheidet er in dem Speiseverbot (S. 356 L ff.) den Aal, Ziegenkäse und Hund aus, ebenso die ganze Aufzählung der Gottheiten (S. 360, 9 362, 6 mit der sehr beachtenswerten, auf Grund von Erotian S. 45, 10 Kl vorgenommenen Besserung: 7jv /HSV yccQ aiya /itii^itJTai, {tov ^rvalöv cpaoiv al'tiov eivai,) "Kyv ßQvy_iovTai xtA.), ferner die Stelle über die Vererbungstheorie (S. 3G4, 15—366, 4), die ihm aus /T. atq. vö. xön. 56, 10 + 65, 20 zusammengestöppelt erscheint, sodann S. 374, 11 13 (die vom Schleim eingeschlossene Luft sucht einen Ausweg, öio Xa^cTiZei, vgl. S. 362, 1—3), endlich S. 386, 15 394, 8 (c. 14—17). Dieser ganze letzte große Zusatz (c. 14 17) ist in seinem medizinischen Standpunkte jünger als die Schrift selbst. Während die Ader- beschreibung c. 3 eher älter ist als Diogenes von ApoUonia, weist S. 392, 17 die Betonung des Herzens als Sammelpunktes aller Adern auf starkem Einfluß der sizilischen Schule. Sizilische Lehre tritt uns auch S. 390, 2 im Sieden des Blutes entgegen. Da nun die Kapitel 14 17 selbst von sachlichen Zusätzen frei sind, so liegt die Vermutung nahe , in ihrem Verfasser den Interpolator zu er- blicken, von dem die übrigen Zusätze herrühren. Tatsächlich tritt uns auch in diesen derselbe sizilische Einschlag entgegen ; am deut- lichsten beweist dies die Parallele zwischen S. 374, 11 und Vindi- cianus bei Wellmann, Fragm. der griech. Ärzte I, S. 231, 5. Sowohl JT. cteg. rd. vort. als auch U. ig. v. ist also S3'stematisch durch- notiert worden. Wer war der oder wer waren die Glossatoren? Die Annahme, daß die Verf. selbst ihre Bemerkungen später bei- schrieben, ist aus sachlichen und stilistischen Gründen nicht an- gängig. Auch die MögUchkeit, daß der Verf. von II. Iq. v., den Fredrich (Hipp. Unters., S. 32, Anm. 2) für einen Schüler des Meisters hält, seine eigene und die andere, nicht von ihm stammende Schrift glossierte, ist abzuweisen. Denn, um von andern Bedenken zu schweigen, bereits Wilamowitz (a. a. 0.) hat die Identität des Verf. von JT. oiQ. rö. tott. mit dem von JT. \q. v. behauptet. Er weist darauf hin, daß in beiden Schriften jede Art von igrj vovoog geleugnet wird, daß ferner der Witterungswechsel besonders betont wird, endlich daß der yctqav.Ti^Q tov löyov derselbe ist. Noch eine weitere Berührung stellt Wilamowitz fest, die Lehre von der Ver- erbung; aber die betr. Stelle in JT. \q. v. ist, wie R. erweist, Werk des Glossators , aus JT. atQ. id. %Ö7C. zusammengestoppelt (s. o.). Weitere Stützen erhält Wilamowitz' Ansicht durch Regenbogens und Willerdings Ausführungen. Der gemeinsame Verf. der beiden

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 13

Schriften hat also keinen Anteil au den Noten ; sehr wahrscheinlich aber ist es, daß beide Schriften von demselben Adnotator mit Zu- sätzen versehen wurden. Um die Persönlichkeit dieses Glossators nach Möglichkeit festzustellen, geht E.. von seinen Stileigentüm- lichkeiten aus ; besonders auffällig ist die Verwendung von öq(x(ü. Das Ergebnis dieser weit ausholenden Untersuchung leuchtet ein ; Ref. hat es B. ph. W. 1917, Sp. 452 ff. folgendermaßen zusammen- gefaßt : Während der Verf. nach Wilamowitz etwa am Süd- rande des Schwarzen Meeres beheimatet ist , müssen wir den Glossator im Kreise der in Makedonien und Thrakien praktizierenden Ärzte suchen, deren Krankenjournale uns in den Epidemien Buch II, IV, VI trümmerhaft erhalten sind. Die Einwirkung der sizilischen Schule und zwar stärker als beim Verf. von J7. ig. v. ist unverkennbar. Eine interessante Parallele bieten die Atomisten, die zur selben Zeit und in derselben Gegend von den Eleaten und Empedokles beeinflußt erscheinen. Jene Ärzte verbesserten und ergänzten die in ihrem Besitze befindlichen Schriften, versahen sie mit Randnotizen oder exzerpierten sie. Die Randbemerkungen ge- rieten in den Text , und so entstellt kamen die Schriften nach Alexandreia; erst uns ist es vorbehalten, hier zwischen Original- schrift und Ergänzung zu scheiden. Auch die Exzerpte jener Männer sind uns zum Teil erhalten. Es ist ein nebenbei mit abfallendes Ergebnis der Arbeit Regenbogens, daß wir in Kat^ irizgelov, Tl. ooriiov (fioetog und im MoyXL'/.6v eine jedenfalls von einem Arzte gemachte Exzerptenreihe aus größeren Werken zu erblicken haben ; sehr beachtenswert ist dabei der Vorschlag, U. ooTtiov (fvaecog hinter dem ersten Kapitel des MoxXixov einzuschieben. Der Verf. aber der verlorenen größeren Originalschriften war derselbe Arzt, dem wir die Abhandlungen Tl. ayiuov und Tl. agi^QWV i/LtßoXrjg verdanken. Mit Spannung sehen wir dem von R. in Aussicht ge- stellten größeren Werke entgegen. Eindringende Analyse hat uns hier einen interessanten Einblick in die Textgeschichte der Hipp. Bücher in voralexandrinischer Zeit gewährt. Als Muster solcher Textanalyse gelten bekanntlich Fredrichs epochemachenden Hipp. Untersuchungen. Aber gerade gegen diese unternimmt Reinhardt einen starken Vorstoß. R. erkennt S. 51 ff. in den Gedichten des Parmenides und Empedokles Gesetze einer archaischen Komposi- tionskunst, die „Komplexe bildend und selbständige Einheiten gruppierend, in jede Teileinheit zugleich das Ganze mit hineinziehen möchte; darum die Umschweife und W^iederholungen". Bewußte Nachahmung dieser archaischen Technik findet sich nach R. in

\^ Friedrich Ernst Kind.

■der Schrift Tl. dtahr^g. Diese ist das Werk eines einzigen Verf. Fredrichs 'Physiker, Herakliteer, Kompilator"' sind drei Seelen, drei Nacliahnierseelen , die in desselben Mannes Kopf gehaust haben. Sachliche Unterschiede zwischen dem Physiker und Herakliteer bestehen nicht. R. druckt c. G und 7 mit überzeugendem Kon- servativismus ab, nur wenig ändernd. Dazu bemerkt er auf S. 59: „Wie genau die beiden Kapitel einander entsprechen, liegt vor Augen, aber sie könnten nicht parallel sein, wenn der Inhalt nicht verschieden wäre ; so handelt das erste von der Seele, das zweite von der Nahrung, und der enge innere Zusammenhang findet seinen Ausdruck in einer Art strophischen Gliederung. Statt des Über- ganges steht die Wiederholung , an die Wiederholung erst kann sich das Neue ansetzen, mit den Worten rgtcpeTai ze '/.al av^erai ist erst der Gedanke auf den Weg gebracht, auf den er kommen sollte." Ähnlich liegt der Fall im 3. und 4. Kapitel. Aus dem Reinhardtschen Buche kommen sodann noch S. 221 ff. für unseren Bericht in Betracht. „Heraklit, der den Xenophanes mit Namen nennt, muß erst recht auch mit Parmenides bekannt gewesen sein. Piaton behält recht damit, daß er ihn mit Empedokles zusammen- stellte ..." Heraklit ist also möglichst weit von Parmenides weg herabzurücken. „Sein Stil findet noch unter den Hippokratikern Liebhaber und Nachahmer, konnte also zur Zeit der entwickelten Rhetorik noch empfunden werden." „Heraklit kennt bereits die in der späteren Phj'sik kanonischen vier Qualitäten (fr. 12G)." „Man hat es im ganzen Altertum nicht dahin bringen können , die vier Qualitäten einwandfrei mit den vier Elementen zu vereinigen (//, ^jagy.üh' c. 2). So fremd und unverträglich aber allzeit die Quali- täten im Makrokosmos waren, so untrennbar waren sie von jeher von der antiken Theorie des Mikrokosmos. Alle Hippokratiker, soweit sie einem Systeme folgen, kennen sie und bauen auf ihnen als einer gemeinsamen und unerschütterlichen Grundlage. Es ist schon eine chronologische Unmöglichkeit, die Stammbäume so vieler verschiedener Schriften, wie sie im Hipp. Corpus vereinigt sind, um dieser Gemeinsamkeit willen sämtlich auf den einzigen Empedokles zurückzuführen, vielmehr wird Empedokles, als Arzt, die Vierzahl aus der Medizin gekannt und erst vom Mikrokosmos auf den Makrokosmos übertragen haben. Dazu kommt, daß auch Sinn und Funktion der Qualitäten oder övvdiJetg . . . erst aus dem Mikro- kosmos zu verstehen sind ..." „Der Verfasser IIeqI {-ßöoiuddiijv hält es noch für nötig, darauf aufmerksam zu machen, daß er die Qualitäten von dem Mikrokosmos auf den Makrokosmos übertrage

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 15

(c. 13 und 15 VIII 641 L)." Roschers (s. u. Nr. 24 ff.) Beurteilung der Schrift erscheint dem Verf. natürlich verfehlt. Herakleitos steht in enger Beziehung zu Alkmaion ; beide sind zu einer besonderen, von den Milesiern unabhängigen westlichen Gruppe zu vereinigen ; in denselben Kreis gehört Hippasos.

17) J. Schmitt, De parenthesis usu Hippocratico, Hero- doteo, Thucydideo, Xenophonteo. Diss. Greifswald 1913.

18) E. Schulte, Observationes Hippocrateae grammaticae. Diss. Berlin 1914.

19) S. Hornstein, Untersuchungen zum hippokra tischen Korpus. Primitiae Czernovicienses II, 8. 54 82. Czernowitz 1911.

20) W. Crönert, Variae lectiones. Rh. Mus. 1910 LXV, S. 461—471.

21) J. Krömer, Quaestionum Hippocraticarum capita duo. Diss. Greifswald 1914.

Schmitts an der Oberfläche bleibende, unvollständige Material- sammlung ist, für uns mindestens, wertlos. Brauchbarer sind die Zusammenstellungen Schultes über den Ausdruck der Befehls- form bei den Hippokratikern. Es handelt sich nicht nur um den eigentlichen Imperativ, sondern auch um den Infinitiv, um XQ^'j, ^^h avdyKT] und das Verbaladjektiv, auch um das Futurum. Besondere Beachtung verdienen seine Untersuchungen über den Gebrauch des Nominativus bzw. Accusativus des Partizipiums beim Infinitivus ; sie führen auf ähnliche Gedankengänge, wie sie Regenbogen (s. o. Nr. 15) im letzten Teile seiner Diss. vorträgt. Durch Verbindung dieser beiden Arbeiten könnte wohl eine neue fruchtbringende Ab- handlung zustande kommen. Recht störend wirken die über 70 angewandten, schwer zu behaltenden Abkürzungen für die Schriften des Corpus. Hornstein nimmt die Säftelehre als Kriterium für gemeinsamen oder verschiedenen Ursprung. Ein Vergleich von n. atQ. id. zörr. mit ^Eniö. a' und y' ergibt verschiedene Verf.; ebenso sind TT. Trad-iov, Tl. voiaiov a' und 11. tvjv ivrog nad^iov auf drei verschiedene Autoren zurückzuführen. Dagegen haben, wie schon Littre erkannt hat, TT. voiaiov d\ U. yovTjg und Tl. q)voiog Tcaidiov einen Verf., dem auch Tl. yvvai'/.eiiov a' angehört (vgl. Jurk, Ramenta Hippocratea, Diss. Berlin 1900, S. 1); das Zitat Tl. vova. ö', c. 26 (VII 612 L): anoTrecpavTai de fioi av Toioi ywaiyteioiai vovatjf.taai tteql ctviov beweist, daß c. 25 26 (c. 56 bis 57 L) erst nach TL. yvv. a entstanden sind, aber von dem-

16 Friedrich Ernst Kind.

selben Schriftsteller stammen. Die Beziehungen, die H. zwischen

n. vovo. d' (VII 584 L: die Sk3'then bereiten gx. rot" \n7zu0v

ydlaxTog neben Butter auch Pferdekäse, iTtTtä^rj) und JT. afg. iö.

TOTt.f c. 17 f. herstellt, erscheinen recht vag. Daß der Verf. der

vierteiligen Gruppe 11. vovO. 6' usw. eine Sonderstellung einnimmt,

treht auch aus Crönerts Variae lectiones hervor. Die Formen

sodaetEv, eaaaai, eodaei, iodoeiv, die sich in 71. vora. d' (L VII

550, 552, 554, 556, 558, 568, 592) finden, sind nicht mit adsiv =

ßXdmeiv zu verbinden, wie van Herwerden, Appendix lex. Graeci

suppl. et dial., S. 1 mit Ermerins II, S. 441 ff. will, auch nicht mit

eadoOEiv (Littre), sondern mit t subscriptum zu versehen und von

saateiv abzuleiten, vgl. VII 552 und VIII 26 und 38, [vgl. auch

Diels, Herrn. 1918 LIII, S. 66 Z. 7 und S. 86 Z. 5]. Diese seltenen

Formen lassen sich nirgends anders im Corp. Hipp, nachweisen.

Angefügt sei gleich die andere Bemerkung Crönerts ; sie betrifft

n. /.aQÖiag 8 (IX 84 L): Y.'KrfCoy.eiaL (.lev ovara, TQijfiara de ovy.

toiiv otdiiov. Die abgekürzte Form /iXr^tay.ezai hat ein Analogon

in jLtvfjO/.ETai Anakreon bei Athen. XI 463'^; /.ivrja/.ofievog IG XII 3.

1065- Bull, de Corr. hell. VI 519; IG IX 2. 934-, hymn. Orph.

LXXVII, 6. Betreffs der Form ocaia s. u. Nr. 34. Krömer

greift in die Kontroverse zwischen Schöne und Diels ein (Ber. I,

Nr. 28 und 29). Aus Piaton, Phaidros 270 C müsse mindestens

geschlossen werden, daß Hipp, naturwissenschaftliche Theorien über

die Gesamtnatur aufgestellt habe ; dafür spreche auch der Satz :

^Ir/CQog yciQ -/ml q^ilöaocpog lood^eog (gegen diese Auffassung vgl. u.

Nr. 57). Das orof-iaari IXiyyuv des Ktesias bei Gal. XVIII A 731

sei nicht so unerhört, wie Diels meine; K. bringt außer den von

Diels genannten noch Stellen aus Herakleitos bei und das Zeugnis

des Photios cod. LXXII p. 106 über Ktesias selbst (C. Müller in

der Didotschen Herodotausg., Paris 1877, p. 45 und, was dem Ref.

besonders wichtig erscheint, p. 57). Er sieht also keinen Grund,

die Bücher JT. CLy^O)V und Tl. dgi^gtov sußoXrjg, die sachlich und

stilistisch hervorragend sind, dem großen Hippokrates zu versagen.

Um dieses Urteil zu erhärten, stellt er eine gründliche Untersuchung

über den Stil dieses chirurgischen Meisterwerkes an. Die Schrift

entfernt sich von der elgofievrj Xi^ig weiter als Herodot; das durch

das Streben nach Kürze hervorgerufene Fehlen des Artikels und

der Copula erinnert stark an Herakleitos und Demokritos. Mit

Herakleitos berührt sich der Verf. auch in der Verwendung von

Substantiven, besonders Verbalsubstantiven an Stelle der Verba,

mit Demokritos in dem Gebrauche gorgianischer Figuren. Wort-

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. jy

Wiederholung und Anai)hora gemahnen an die Art des Antiphon und Alkidamas. Daß der Verf. einer technischen Schrift dem gorgianischen Stil in den rhetorischen Figuren und im Periodenbau nachahmt, ist sehr bemerkenswert. K. erinnert an Philostrat., Vit. soph. I 16: syogyiaZov ev OETzaXict f.iiy.Qai xal /.lei'Iovg 7c6/.€ig ig rogyiav oQVJoai xbv yieovr'ivov. Da nun Hipp, und seine Schüler in Thessalien lebten, anderseits der Autor der beiden chirurgischen Schriften rhetorischen Unterricht genoß und sein Stil auf die letzten beiden Jahrzehnte des V. oder den Anfang des IV. Jahrh. weist, so besteht kein Grund, IL ayf-itor und JT. uq^^q. ifuß. Hipp, ab- zuerkennen. Von dieser Basis aus wirft K. die Frage auf, ob nooQQriTi'A.6g ß' dem Verf. von U. ayf.uov und /7. agd^q. e/iiß. zu- geschrieben werden kann ; Erotian hat ja den Hgogg. ß' dem Hipp, abgesprochen. Unverkennbare Beziehungen bestehen zwischen dem chirurgischen Werk und dem prognostischen in der besonnenen Prognose , in der Ablehnung des Blendwerks (wörtl. Berührung dyiuitaua und ayioi'iociY,6g), in der Verwendung von di/.aiog im Sinne von 'naturgemäß, normal', endlich darin, daß beide Werke durch die Fehler der anderen Arzte veranlaßt sind. Aber die Sprache im Uqoqq. ß' ist einfacher, trockner, älter im Satz- und Periodenbau ; rhetorische Kunstmittel fehlen fast gänzlich. Die dem chirurgischen Werke geläufigen Partikeln fir^v^ dtJTiov, öt^if^ev fehlen im IIooQQ. ß' ; dagegen findet sich xi . . . Y.ai in der chirurgischen Schrift (bei vierfachem Umfang im Vergleich zu Uqoqq. ß') nur 70 mal, im Uqoqq. ß' aber 151 mal. Sind die Verf. von U. uy/utov + U. (iQd^Q. l(.iß. und von Uqoqq. ß' identisch, so liegt wenigstens zwischen der Abfassung beider Werke eine lange Zeit.

Man kann die Lösung der Hipp. Frage auch negativ anstreben, indem man nachweist, daß eine Schrift keinen Arzt zum Verf. hat, oder daß sie sich nicht zur Lebenszeit des Hipp. fügt. Als solche Lösungsversuche können die folgenden zwei Abhandlungsgruppen angesprochen werden.

22) J. Hirschberg, Arztliche Bemerkungen über die in der hipp. Sammlung überlieferte Schrift Uegl xt^vi^g. AGN 1913 VI, S. 163—173.

23) H. Di eis, Hippokratische Forschungen. IV: Zu De arte. Henn. 1913 XL VIII, S. 378—407.

Hirschberg urteilt als Arzt, daß der Verf. von U. tix^^S ein geistreicher und beredter Philosoph gewesen ist, aber kein Arzt. Ähnlich spricht sich D i e 1 s aus : Für die Arzte ist er ein

•Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 180 (1919. HI). 2

13 Friedrich Ernst Kind.

dilettierender Schönredner, die Philosophen stimmen darin übereiu, daß der Vei'f. sich an den Stellen, wo er sich auf ihr Gebiet be- gibt, starke Blößen gibt. Er ist also ein allbewanderter Sophist; er mag zu jenen eitlen Polyhistoren um die Wende des V. und IV. Jahrh. gehören, die, wie Hippias, alle Künste, vor allem aber die Kunst der Rede zu beherrschen vorgeben. Nach diesen ein- leitenden Bemerkungen spricht D. eine große Anzahl Stellen durch, die der Interpretation Schwierigkeiten bereiten, und gibt endlich im Anhange eine Ergänzung der Haulerschen Kollation des Paris. 2253 (A) und Marc. 269 (M). Gegen die Dielssche Textgestaltung erheben Einspruch: A. Kurfeß, s. u. Nr. 50 (zu p. 38, 16 Gomp.) und Th. Meyer-Steineg, MGM 1914, S. 84 (zu p. 36, 2 Gomp.).

24) W. H. Röscher, Über Alter, Ursprung und Bedeutung der Hipp. Schrift von der Siebenzahl. Abh. Sachs. Ges. d. Wissensch. XXVIII, 5. 1911.

25) H. Diels, Die vermeintliche Entdeckung einer Inkunabel der griech. Philosophie. D. L. 1911 XXXII, Sp. 1861—1866.

26) W. H. ßoscher, Die neuentdeckte Schrift eines alt- milesischen Naturphilosophen und ihre Beurteilung durch H. Diels. Memnon V, 3/4. Stuttgart 1912.

27) W. H. Röscher, Das Alter der Weltkarte in 'Hippo- krates' ITegi eßdof.iddtov und die Reichskarte des Darius H^'staspis. Philol. 1912 LXX, S. 529—538.

28) G. Helmreich, Neue Fragmente zu Hipp. Tlegl eßdo- ^idöiov. Herrn. 1911 XLVI, S. 437—443.

29) F. Boll, Die Lebensalter. Mit einem Anhang „Zur Schrift nEQl !-ßdo^i(xdvjv'\ N. J. kl. A. 1913 XXXI, S. 89—145.

30) H. Philipp, Zur hipp. Schrift von der Siebenzahl. W. kl. Ph. 1913, Sp. 666—669.

31) F. Boll, Zur hipp. Schrift von der Siebenzahl. W. kl. Ph. 1913. Sp. 929.

32) W. H. Röscher, Die hipp. Schrift von der Siebenzalil in ihrer vierfachen Überlieferung zum erstenmal herausg. u. er- läutert. Paderborn 1913.

33) G. Bergsträßer, Pseudogaleni in Hippocratis De septi- manis commentarium ab Hunaino q. f. arabice versum ex cod. Monac. primum edidit et germanice vertit (= CMG XI 2, 1). Leipzig und Berlin 1914.

Röscher stellte schon 1906 in seinen Hebdomadenlehren (Ber. I. Xr. 1) die Behauptung auf, in den ersten elf Kapiteln von

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911-1917. 19

TT. eßdoiiiddiov sei uns eine hocharchaische, einen entschieden vor- pythagoreischen Standpunkt verratende, aus dem Kreise der beiden Milesier Anaximandros und Anaxinienes stammende philosophische Schrift glücklich erhalten geblieben. Diese viel angefochtene These sucht R. in den oben genannten Aufsätzen, teilweise reichlich breit, zu beweisen und immer und immer wieder gegen die Angi'iflfe der Gesrner zu verteidigen. Es kann nicht in der Absicht des Ref. liegen, die ganze Streitfrage hier aufzurollen; die zum Teil recht deutlichen Absagen von Diels, Helm reich und ß o 1 1 bestehen trotz Roschers heißem Bem.ühen zu Recht. Ebenso läßt sich die Behauptung, „daß unsere Schrift auch in ihrem jüngeren ])atho- logischen Teile sehr altertümliche Lehren der 'knidischen' Schule enthält, also von den sog. 'knidischen' Schriften des Corpus Hippo- crateum entschieden die älteste ist", nicht halten. Daß bei der leb- haften literarischen Erörterung Dubletten vorgekommen sind, kann nicht wundernehmen: Boll Nr. 31 macht darauf aufmerksam, daß die von Philipp herangezogene Parallele aus Hermes Trismegistos (Stob. Ecl.) bereits von ihm, Boll Nr. 29, beigebracht worden ist. R. hat zum Teil auch Zustimmung gefunden ; vgl. über die gesamte hierher gehörige kritische Literatur Röscher Nr. 32, S. XI f. : außerdem Pfeiffer, B. ph. W. 1914, Sp. 1413 ff. Die letzten Äuße- rungen in der Frage finden sich bei Boll in Pauly-Wiss. -Kroll sub Hebdomas, Sp. 2565 u. : „Die Schrift . . . macht darin (d. h. in der Verschweigung der Planeten oder in der Subsumierung unter die Fixsterne) keinen altertümlicheren Eindruck als etwa Demokrit", und bei demselben , Aus der Offenbarung Johannis (s. u. Nr. 40), S. 60 : Die Schrift ist frühestens um 450 v. Chr. entstanden. Vgl. auch Reinhardt o. Nr. 16. Das griechische Original von JI. ffiöoi-t. ist ja nur in Bruchstücken erhalten ; besonders wichtig ist der Paris, gr. 2142. Neue Fragmente gewinnt Helm reich aus einer pseudogalenischen Schrift ; sein Hermes-Aufsatz ist im wesentlichen = Progr. Ansbach 1910/11, s. u. Nr. 105. Sonst muß die in einem Ambrosianus und einem Parisinus überlieferte lateinische Über- setzung sowie auf eine gewisse Strecke ein ins Arabische über- tragener pseudogalenischer Kommentar als Ersatz dienen. Bequem und übersichtlich sind alle diese Texte von Röscher X r. 32 zu- sammengestellt worden. Auf jeden Fall muß aber Bergs träß er s Übersetzung des arabischen Kommentars hinzugezogen werden, die von R., noch ehe die letzte Hand daran gelegt war, benutzt worden ist; vgl. des Ref. Besprechung B. ph.W. 1916, Sp. 929 ff. B. weist nach, daß der Kommentar nicht von Galen stammen kann, und be-

20 Friedrich Ernst Kiud.

lehrt uns, daß nicht nur c. 1 17 L darin kommentiert ist, sondern

c. 1 20 L, und zwar in der Reihenfolge e, 1 14, 18, 14, 18 20, 14—17.

Endlich könnten noch gewisse Formen des Dialekts für die Beurteilung der Herkunft einer Schrift in Frage kommen.

34) E. Fraenkel, Spuren des heimatlichen Dialekts in den hipp. Schriften. Indogermanische Forschungen 1911 XXVIII, S. 239—242.

Wie Diels (Ber. I, Nr. 29) in der auffälligen Verwendung von Ttori in JI. ctyi-uov und 11. Hq^q. if.tß. eine schwache Spur von Dorismus erkannte, so erklärt Fraenkel die öfter bei Hipp, be- gegnende Form ovara als dorisch. Bei Homer ist sie als Aolismus aufzufassen; außerdem aber findet sie sich auf einer Inschrift von Kos (Ditt. syll. 2 616) und bei Epicharmos (fr. 21, 4 Kaib.). Es handelt sich offenbar um „eine der unfreiwilligen Konzessionen, die die Hipp. Schule ihrem vaterländischen Idiom trotz des im wesent- lichen ionischen Charakters ihrer Schriften gemacht hat". F. ver- weist auf Griech. Denom. 86. 102 ff., wo er zwei andere, dem ionischen Dialekte widersprechende, aber auf dorischem Gebiete wiederkehrende Bildungen des Corp. Hipp, auf die gleiche Quelle zurückführte: OQMteiv und 71qiovv. Umgekehrt sind lonismen im Dorischen nachzuweisen, „ein Zeichen, daß die Volksmundart einer Gegend von dem Dialekte nicht unberührt bleibt, dessen sich dort lebende Männer der Wissenschaft als die geistige Elite des Ge- bietes bedienen".

b. Antike und mittelalterliche Editoren, Kommenta- toren und Übersetzer.

Für die Kommentare Galens zu den Hipp. Schriften vgl. o. Nr. 33 und u. Nr. 89—97; s. auch Nr. 75 (Rufos-Sabinos).

35) E. Nachmanson, Erotianstudien. Uppsala und Leipzig

1917.

36) G. Gundermann, Hippocratis De aere aquis locis mit der alten lateinischen Übersetzung herausg. Bonn 1911.

37) E. Diehl, Coniectanea. In: Aus der Werkstatt des Hörsaals. Innsbruck 1914, S. 67—73.

Nachmanson liefert eine umfangreiche Vorarbeit für seine Erotianausgabe im CMG. Die Hss des uns direkt überlieferten alphabetischen Glossars gehören außer H und A dem XVI. Jahrh. an und zerfallen in zwei Klassen : eine bessere, deren Führer Vat.

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 21

gr. 277 saec. XIV (A) ist, und eine geringere, deren unvollständiger Hauptvertreter Paris, gr. 2151 saec. XV ex. (H) durch Brux. gr. 11 345—11 348, Marc. app. cl. V 15 und cod. d'Orvillii gr. X. 1. 1. 3 ergänzt wird. Abgesehen von Vindob. med. gr. 43 und Cantabrig. gr. 2049 , die für die bessere Klasse gelegentlich heranzuziehen sind, fallen alle weiteren Hss weg. Auch die von Klein über- schätzte Übersetzung des Eustachius (1566) bietet ebenso wie die Editio princeps des Henricus Stephanus (1564) kein uns unbekanntes Hssmaterial ; beide steueni allerdings beachtenswerte Konjekturen bei. Neben dieser direkten Überlieferung geht aber noch eine zwiefache indirekte her. Einmal sind es , wie zuerst Daremberg gesehen hat, gewisse Hippokratesscholien, die uns Erotianfragmente vollständiger und reiner erhalten haben als die Erotianhss. Für diese Scholien hat Ilberg (1893) die notwendige methodische Unter- suchung geleistet; aber N. zeigt, daß außer den von Ilberg ver- werteten Hippokrateshss RUE/D auch noch Vindob. med. gr. 43 einige Fragmente, die nicht in R stehen, bietet, und daß aus den Scholien der Niketashs (Laur. gr. 74, 7) der Beweis erbracht wird, daß um 1100 noch das nicht alphabetisch geordnete Urglossar Erotians vorhanden war. Die andere indirekte Überlieferung findet sich bei Gregorios von Korinth (um 1125 nach des Verf. Nachweis), dessen Erotian auch schon wie der unsre alphabetische Ordnung hatte, aber reichhaltiger war. Die Redaktion B2 unsrer Erotianhss floß aus der von Gregor benutzten 7> 1 \ diese aber war nur ein alpha- betisch geordnetes Exzerpt aus dem ursprünglichen Glossar {A)^ das nicht alphabetisch war, sondern sich dem Zusammenhange des Textes anschloß und Schrift für Schrift erklärte. Die Reihenfolge dieser Schriften können wir aber fast einwandfrei wiederherstellen, da der erste Exzerptor li 1 nicht die rein alphabetische Ordnung befolgte, sondern die Glossen, die mit dem betreffenden Buchstaben anlauteten , in der Reihenfolge ausschrieb , w^ie sie ihm in A begegneten. So finden sich unter jedem Buchstaben Glossen- schichten, und diese kehren immer wieder in derselben Folge wieder. Wir sind also imstande , die ursprüngliche Gestalt des Erotianglossars zu rekonstruieren und die Glossen ihren ganz be- stimmten Hippokratesstellen zuzuweisen. Dieses Problem ist von Ilberg scharfsinnig im großen ganzen gelöst worden , N. kommt aber im einzelnen ein großes Stück über seinen Vorgänger hinaus. Um wenigstens hinsichtlich der Schriftenfolge die Hauptabweichungen von Ilberg zu notieren , sei bemerkt , daß das von Ilberg in un- wahrscheinlicher Weise von TT. (fioiog avO^oionov getrennte

22 Friedrich Ernst Kind.

n. diair}]g vyietii^g durch das von Wellmanu erschlossene (s. u. Xr. 141) '^YyiEivoy ersetzt wird; daß dadurch, daß 11. affoQcov vor JJ. a^i-tOQQotdwr v.ai övoiyytov gestellt wii'd, die gjnäkologischen Schriften in sich geschlossen sind : daß Tl. vovotov y dem erotiani- schen 71. voio. a\ 11, vovo. ß' dem erotianischen Tl. vovö. ß' zu- geteilt wird. Wenn iT. ycvai^Eirjg cfiaiog jedenfalls ganz aus der Liste schwinden muß , so ist damit ein weiterer CTrund, der gegen die Kompilation spricht, beigebracht; denn Erotian glossierte nur Schriften , die ihm bzw. der dogmatischen Schule seiner Zeit für echt galten. Wertvolle Untersuchungen über Erotians Wortwahl und Arbeitsweise, im besonderen über seine Behandlung der Lemmata, bahnen den Weg zum letzten Kapitel, der Prüfung des erotianischen Hippokratestextes. Während die innerhalb der luterpretamente stehenden Zitate oft ungenau aus dem Gedächtnisse nieder- geschrieben sind , ist auf die Lemmata mehr Verlaß. Sie bieten einen Hippokratestext , der von dem unsrigen wesentlich abweicht und es an vielen Stellen ermöglicht, die ursprüngliche Lesart wiederherzustellen. Außerdem werden Lücken im IVIox^'^iy-ov unserer Hss nachgewiesen und für die gänzlich verlorenen oder nur lateinisch erhaltenen Schriften Fragmente gewonnen (^YyiF.ir6v, Tl. Tgcof-idicov ■/ML ßs?ai>v; 11. ißdofmöcüv). Gute Eegister helfen die gesuchte Erotian- oder Hippokratesstelle leicht finden. Jeder Hippokrates- forscher muß immer wieder dieses inhaltreiche Werk berücksichtigen; zu der vorläufig im Eranosverlag (Gotenburg 1918) erschienenen Erotianausgabe Nachmansons bildet es den unentbehrlichen Kommen- tar. Wichtige Beiträge liefert Ilbei^g, Gott. gel. Anzeigen 1918, S. 305—316; vgl. auch Ref. in B. ph. W. 1918, Sp. 438 ff. Zu Erotian. S. 98 Kl. s. u. Nr. 77. Gundermann gibt einen genauen Abdruck von JT. aeg. id. xöu. nach der Haupthandschrift Vat. gr. 276 und notiert unter dem Strich die Abweichungen der anderen Hss sowie moderne Konjekturen, nur nicht die zahlreichen von Wilamowitz vorgebrachten Vorschläge, die Helmreich, D. L. 1913, Sp. 159 f. mit ßecht vermißt. Dem griechischen Texte gegenüber finden wii' die alte lateinische Übersetzung des Paris. 7027 mit Angabe der Varianten des Ambros. G 108 inf. und mit Berück- sichtigung der Kühleweinschen Publikation (vgl. Ber. I, Nr. 42 und 43j. Das Heftchen ist für seminaristische Übungen bestimmt, gibt aber zui^leich die Überlieferung von allen bisherigen Publikationen am genauesten wieder. Diehl liefert ein paar Beiträge zu der ebenerwähnten lateinischen Übersetzung.

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 23

38) G. Bergsträßer, Die bisher veröffentlichten arabischen Hippokrates- und Galen - Übersetzungen. Habilitationsschrift Leipzig. Leiden 1912.

39) G. B ergsträßer , Hunain ibn Ishiik und seine Schule. Leiden 1913.

40) F. Boll, Aus der Offenbarung Johannis. Leipzig 1914 (= ^loixela Heft 1),

41) K. Sudhoff, Die pseudohippokratische Krankheits- proguostik nach dem Auftreten von Hautausschlägen, „Secreta Hippocratis" oder ., Capsula eburnea" benannt. AGM 1915/16 IX, S. 79—116.

Borgst räßers arabistische Arbeiten sollen hier wenigstens genannt sein. Hervorzuheben ist seine ziemlich scharfe Stellung- nahme gegen Simons Ausgabe der Galenischen Anatomie (s. Ber. I, Nr. 117). Mit den Secreta Hippocratis hat sich schon Acker- mann (1790) befaßt. Kühlewein veröffentlichte im Philol. 1888 XLII, S. 121 ff. aus zwei Cassinenses des IX. Jahrh. ihre legenden- hafte Einleitung und einige Proben. Zur Einleitung zieht Boll, S. 136 f. weitere Überlieferung heran, auch die griechische im Vindob. med. gr. 8 saec. XV, um zu zeigen, daß dem großen, gott- gleichen Herrscher die Offenbarung zuteil wird. Sudhoff behandelt den ganzen Stoff im Zusammenhang und bringt reiches neues Material bei. Der Titel lautet in den ältesten lateinischen Hss (IX. Jahrh.) Epistola hoc est prouostica Ypogratis -u. ä., die Über- setzung wird darin als aus dem Griechischen gemacht bezeugt. Als Varianten des Verfassernamens treten Demokrit (s. auch u. Nr. »j3) und einmal Soranus auf. Lateinische Hss des XIII. und XIV. Jahrh. nennen als Titel Secreta Ypocratis : ihr Text ist von Gerhard von Cremona aus dem Arabischen übertragen. Etwa gleichzeitig ist die Bezeichnung Liber veritatis Ypocratis und Liber presciencie Ypocratis ; später heißt es Liber ex capsa oder Capsula ebumea. S. 90 106 publiziert S. den Text der Secreta in seiner doppelten lateinischen Gestalt nach zahlreichen Hss. Es folgt die griechische Fassung des Vindob. med. gr. 8 , einer Hs erst des XV. Jahrb., die aber nach dem Urteile Edgar Martinis, der die Kollation ge- liefert hat, auf einen Unzialkodex zurückgeht; sie berührt sich am nächsten mit der ältesten lateinischen Überlieferung. S. verfolgt dann die weiteren Schicksale des Büchleins bis in die deutschen ^^nd französischen Übersetzungen des Mittelalters hinein. Den ganzen Überlieferungsvorgang denkt sich S. folgendermaßen: Etwa

24 Friedrich Ernst Kind.

im IV. oder V. Jahrb. wurde dieser Schul-Kanon einer spezifizierten Todesproguostik im östlichen Mittehneerbecken, vielleicht in Alexan- dreia selbst, festgelegt. Zwischen dem VI. und VIII. Jahrh. er- hielt er in Unteritalieu seine erste lateinische Gestalt. Während er dann im Abendlande langsam verschollen zu sein scheint, ver- mittelten Perser und S^-rer seine Kenntnis den Arabern, mit denen er über Nordafrika nach Spanien wanderte. In arabischer Hand wurde der Todesprognostik allmählich die starke Beachtung und Betonung der Hauteffloreszenzen als prognostisch wichtiger Zeichen aufgeprägt, und in dieser so gewandelten Gestalt wurde der Liber veritatis Hippocratis kurz nach 1170 in Toledo von Gerhard von Cremona ins Lateinische übersetzt und so dem Abendlande wieder- gegeben. Auch der niederen Heilwelt der Bader und Chirurgen wurde sie durch die Übersetzung in die Sprache des Volkes zu- gängig gemacht. Als Vorarbeit ist die interessante Studie zu be- grüßen: daß zur endgültigen Behandlung das Hss-Material in weit größerem Umfange heranzuziehen ist, weiß S. selbst. Eine Er- gänzung liefert F. Wilhelm, s. u. Nr. 159. Vgl. auch Heeg Nr. 133.

42) K. Sudhoff, Eine mittelalterliche Hippokratesvita. AGM 1914/15 VIII, S. 404—410.

43) K. Sudhoff, Ein Bamberger historisch-propädeutisches Fragment. Ebendaselbst, S. 410—413.

Sudhoff Nr. 42 veröffentlicht eine im Lübecker Ms med. Fol. Nr. 4 saec. XV erhaltene Vita ypocratis medici, die als Aus- läuferin der antiken Hippokrates-Biographien einige Angaben macht, die von den bisher bekannten Viten abweichen , und es wohl ver- diente, einmal gründlich in größerem Zusammenhange behandelt zu werden. Denselben Wunsch empfindet man bei dem sehr be- achtenswerten historischen Fragment über Hipp, und die medizini- schen Schulen, das Sudhoff Nr. 43 aus dem Bambergensis L. III 8 saec. IX niitteilt. Die Namen sind von S. nicht alle richtig, teil- weise gar nicht interpretiert. Philominus ist Philumenus ; Retinus, Philominaseas ist ßheginus, Philo, Mnaseas, vgl. Gal. X 52, 17 und 53, 1 K. Wichtig ist die Erwähnung des Athenaios hinter Askle- piades , s. u. zu Nr. lOf!. In der angefügten Beschreibung des menschlichen Körpers ist Z. 34 : Horum (sc. ossium) coniacent aliqua particulis , aliqua per comessuram et per comfossum [V] dentes , capud quoque habet scisuras (eig. sasuras) quinque zu verstehen: . . . per articulos . . . per com(m)issuram . . . per yourfojaiv . . . suturas.

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 25

<?. Moderne Ausgaben, Übersetzungen und Beiträge.

4-4) 0. Villaret, Hippocratis De natura hominis liber ad codicum fidem recensitus. Diss. Berlin 1911.

45) Gualth. Putzger, Hippocratis quae feruntur epistulae ad codicum fidem recensitae. Progr. Würzen 1914.

46) M. Pohlenz, Zu den hipp. Briefen. Herm. 1917 LH, S. 348—353.

47) Th. Meyer- Steineg und W. Schonack, Hippo- la-ates über Aufgaben und Pflichten des Arztes. Bonn 1913.

48) E. Ebstein, Hippokrates. Grundsätze seiner Schriften- sammlung. Leipzig 1914.

49) H. D i e 1 s , Hippokratische Forschungen. IL Weiteres zu De victu. III. Zu De flatibus. Herm. 1911 XL VI, S. 261—285.

50) A. Kurfeß, Varia IX. Mnemosyne 1914 XLII, S. 403.

Villarets Rezension von Tlegi cfvaiog ctvifQvmov fußt auf den drei Hauptcodices A, V, M ; für die ersten beiden Hss benutzte der Verf. Ilbergs Kollation , für die letzte eine Photographie. In der Einleitung behandelt er die literarhistorischen Fragen, die sich an n. rpva. avO^g. und das fälschlich abgetrennte IJ. diaiTi]g vyieiVTJi; knüpfen (vgl. Ber. I, Nr. 49), und den Dialekt der Schrift, wobei die von Kühlewein in den Prolegomena seiner Ausgabe auf- gestellten Normen im wesentlichen auch für TT. (fio. ard^Q. be- stätigt werden. Es folgt der besonnen rezensierte Text, der also jetzt der maßgebende ist. Die den Schluß bildenden Adnotationes bringen Rechtfertigungen der Textgestaltung, Beobachtungen über den Sprachgebrauch und Interpretationen. Putzger gibt eine neue Rezension der jedenfalls in frühester Kaiserzeit entstanden«fi' hipp. Briefe. Littre , an den sich wieder Ermerins und Hercher (in den Epistolographi Graeci) anschlössen, benutzte die Ausgabe von Foesius (1595) und verbesserte sie hie und da nach gewissen Pariser Hss. Diese zerfallen in zwei Klassen. Die eine Klasse überliefert die Briefe zusammen mit andern hipp. Schriften , die andere zusammen mit Epistolographen, nie aber mit hipp. Schriften. Die Pariser Hss der ersten Klasse läßt P. mit Recht beiseite, da sie jüngeren Datums sind als der mit ihnen verwandte Marc. 269 saec. XI, den er ebenso wie den Vat. 276 saec. XII, den Urb. 64 saec. X/XI und den Palat. 398 saec. X durch Vermittelung der Preuß. Akad. in Photographien benutzt hat. Der Text der zweiten Klasse, der epistolographischen, weicht von dem der hippokratischen vielfach ab , ist nach Putzgers Urteil geringer und enthält nicht

26 Friedrich Erust Kind.

Brief 6 10. Hier verläßt sich P. auf Littres Angaben. Zum Führer seiner Rezension wählt er Marc. 269 , 'ut haec recensio imagiuem tamquam eius ostendat' ; die abweichenden Lesarten gibt er im Apparat. Der Verf. verspricht, seinen textkritischen Stand- punkt in ausführlicherer Darlegung zu begründen ; daß er dies Ver- sprechen einlöst , ist bei der kurzen , fast sprunghaften Einleitung zu wünschen. Man sucht vergebens nach einem Beweis für die Behauptung, daß alle Hss auf einen Archetypus zurückgehen. Gegen die Bevorzugung des Marcianus , die Hintansetzung der epistologi'aphischen Überlieferung läßt sich das prinzipielle Bedenken erheben , daß diese Briefe ihrer Entstehung nach nicht der hippo- kratischen , sondern der epistologi'aphischen Literatur angehören. Ist es Zufall, daß weder Vindob. ^ noch Paris. A die Briefe be- wahrt haben V Dazu kommt , daß die Pap3ri das frühe Neben- einanderbestehen zweier Rezensionen beweisen. Das lehrt die jetzt zu besprechende Arbeit. Pohlenz geht davon aus. daß Brief 4 in den hipp. Hss (A) zu Brief 5 nicht recht paßt, ebenso aber auch in den epistolographischen Hss (B) die beiden Briefe nicht zueinander stimmen. Die Anstöße verschwinden, wenn wir Brief 4 in der Fassung A und Brief 5 in der Fassung B zusammennehmen und ebenso 4 B mit 5 A. Durch diese kreuzweise Verbindung erhalten wir zwei Rezensionen : nach der einen 4 B -f 5 A = C gibt Hystanes das Schreiben des Großkönigs einfach an Hipp, weiter, nach der andern schickt er im Auftrage des Großkönigs eine Einladung an den Arzt. Die Rezension C existiert tatsächlich in der Hs cp (Paris. 3052) aus dem XVI. Jahrh.; sie findet sich aber auch im Pap. Berol. 7094 (s. Ber. I, Nr. 166), dort wird aber außerdem iJrief 5 noch einmal in der Fassung B gebracht. Im Oxj-rhynchos- Papyrus (s. u. Nr. 136) ist 4A mit 5B verbunden; neben 4A ist aber auch 4 B aus einem andern Exemplar eingetragen. Also nicht nur im IL Jahi'h., sondern schon im Zeitalter des Tiberius haben die Rezensionen 4 A + .5 B und 4 B -f 5 A nebeneinander existiert und sind untereinander ausgeglichen worden. In unsern Hss (außer q) sind sie kreuzweise ineinandergeschoben worden, so daß daraus die Fonnen A und B entstanden. Nur die junge Hs g) hat die Rezension C treu bewahrt und knüpft auch sonst an die älteste Überlieferung an. Da bereits im Oxj-rhynchos-Papyrus aus der Zeit des Tiberius die Tradition doppelt ist, so muß die Entstehungs- zeit der Briefe möglichst hinaufgerückt werden. Bei Paitos ist kaum an Thrasea Paetus (cos. suflF. 56) zu denken : wichtig er- scheint die Nennung des Krateuas im 16. Briefe, der als Enkel des

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 2

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berühmten Rhizotomen in augusteische Zeit zu setzen ist. [Den Schlußstein dieser Untersuchung bildet der im nächsten Berichte zu bringende Aufsatz von Diels, Herrn. 1918 LIII, S. 57 87.] Zum 11. Briefe sei noch auf Wilamowitz , Die Ilias und Homer, Berlin 1916, S. 370 Anm. 2, verwiesen. Dort wii'd zu dem Namen l^f-ieli^Gayogag bemerkt: Allein in der besten Überlieferung, dem Palat., ist das a durch Doppelpunkte nach antiker Weise getilgt: seltsam , daß sich die gefälschte Form eingeschlichen hat. Me3^er- Steineg und Schonack stellen in Lietzmanns Kleinen Texten eine hipp. Deontologie zusammen C'Ogy.og, Nöiiog, Teile von: TT. Tf'/vr^g, IT. ccqx. itJQ.. Tl. IrjiQoi; IT. Eiaxi]f.tooi'r)^g, ITaQfTyy.). Kurze erläuternde Bemerkungen und kritischer Apparat sind bei- gegeben. Der Druck ist nicht immer korrekt; die Textgestaltung weicht oft ohne Grund von den maßgebenden Ausgaben ab. Ebsteins Auswahl legt die Fuchssche Übersetzung zugrunde und ist ohne selbständigen wissenschaftlichen Wert. Diels teilt das Ergebnis einer Revision des Vindob. ^ und der lateinischen Über- setzung im Paris, lat. 7027 für 77. diaizr^g I, 1 24 mit und liefert damit einen Nachtrag zu Herm. XLV, S. 1-38 ff. (s. Ber. I, Nr. 36). Für 77. ffVGojv gibt er einige kritisch-exegetische Bemerkungen zu Nelson (s. Ber. I, Nr. 46). Kurfeß vermutet 77. ttxv\g p. 38, 16 Gomp. : 0 TL Tiävi)- divarai IrjToiy.}^. S. o. zu Nr. 23.

51) H. Schricker, Die hipp. Geräte zur Einrichtung von Frakturen und Luxationen. Diss. Jena 1911.

52) R. Fuchs, Die Einrichtung der Fiugerknochen mit der „Eidechse" bei Hipp. AGM 1911/12 V, S. 129 132.

* 53) von Haselberg, La trepanation dans la stase papillaire chez Hippocrate. L'ophthalmologie provinciale 1914, S. 33—35.

54) K. Ziegler, Menschen- und Weltenwerden. N. J. kl. A. 1913 XXXI, 529—573.

55) T. Wymer, Die willkürliche Geschlechtsbestimmung beim Menschen. München 1913. (Auch: Zentralbl. f. Gynäkologie 1914 Nr. 6.)

56) Th. Me yer- S teineg, Die Bedeutung der Prognose in den hipp. Schriften. AGN 1913 VI, S. 258—262.

57) H. Rock, Das hipjx Wort von der Gottgleichheit des „philosophischen" Arztes. AGM 1913/14 VII, S. 253—272.

*58) L. de Rochester, Climatology as practiced by Hipp. Transactions Americ. Climat. Association 1912 XXVIII, S. 33—49.

28 Friedrich Ernst Kind.

59) W. Capelle, Berges- und Wolkenhöhen bei griechi- schen PhN-sikern. Leipzig-Berlin 101(> (= ^voixela Heft 5).

60) Gundel, 'Päßöov aidh^ilug. Pauly-Wiss. -Kroll.

Schricker gibt im Anschluß an Kühleweins Ilfelder Pro- gramm (1898) eine sachgemäße Darstellung der hipp. Einrichtungs- methoden der Knochenbrüche und Verrenkungen , indem er zeigt, wie die Hijipokratiker gerade durch die Einfachheit ihrer Hilfs- mittel die Größe ihres Könnens bewiesen. Mit Recht bemerkt Haberling, MGM XI, S. 383: „Ein Hinweis auf die Illustrationen des Apollonios von Kition , noch besser die Beigabe besonders charakteristischer Abbildungen hätten die Arbeit noch wertvoller gestaltet." Die Arbeit wäre, in dieser Weise ausgestattet, für die Jenaer med. -bist. Beitr. geeignet. Fuchs wehrt sich gegen Dieis' Auslegung von 11. aoi^Q. £.«/y. 80 (s. Ber. I, S. 142 u.). Er meint, von Palmeurippen könne nicht die Rede sein , sondei'n nur von Palmenbast. Es handelt sich nach ihm nicht um einen Zauber- schlauch , sondern um einen Bastzopf; er nimmt damit Petrequins 'tresses ä nceud coulant' an. von Haselberg plaudert über die Trepanation bei Stauungspapille und über Hipp. IT. oiluog 8 fix 158 L), wo die Trepanation und Ablassung des Liquor bei Verlust des Sehvermögens vorgeschrieben wird. (Berichtet nach Sudhoff, MGM 1916, S. 141 f.) Ziegler spricht von der Zeugungstheorie des Hipp. (VI 500 ff. L) im Zusammenhange mit der bab3'lonisch-orphisch-empedokleischen Geschlechtsentwicklungs- theorie vom ursprünglichen Hermaphroditismus. Wymer prüft die hipp. Theorie, daß die Keimdrüsen, also die Hoden und die Eierstöcke, geschlechtlich bestimmt, d. h. daß die Keimdrüsen der rechten Körperseite männlich , die der linken dagegen weiblich seien, experimentell an Meerschweinchen und Kaninchen nach. Er findet zwar die Theorie nicht bestätigt , meint aber gefunden zu haben , daß die einseitige Kastration sowohl weiblicher wie männ- licher Tiere das prozentuale Verhältnis des Geschlechts der Nach- kommen zu beeinflussen scheint, und zwar in der Weise, daß die linksseitige Kastration eine Überzahl der männlichen , die rechts- seitige dagegen eine Überzahl der weiblichen Nachkommen zur Folge hat. Schmutzer, MGM 1914, S. 406 verweist dazu auf Ferckel, AGM VII, S. 315, Anm. 3. Hier sei ein dem Ref. nicht erreichbarer Artikel genannt : J. E. Church, Sex-prophesying among the Ancients: its basis. Univ. of Nevada Studies III, S. 16 27. Meyer-Steineg stellt im Anschluß an das TlQoyvojotr/.ov (II

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 29

HOL) eine doppelte Bedeutung der Prognose bei Hipp, fest: sie soll das Vertrauen des Patienten festigen und dem Arzte wichtige Folgerungen für seine therapeutische Betätigung bieten. Während der Arzt auf Grund der Diagnose den einzelnen Krankheitsfall einem gewissen schematischen Krankheitstypus zuweist und damit die allgemeine Unterlage für seine therapeutischen Maßnahmen er- hält, gibt ihm erst die Prognose die Richtlinien für eine individuelle Behandlung; der Arzt muß aus einer Vergleichung der Kraft der Krankheit mit der Stärke der {pvaig des einzelnen Menschen den Verlauf des Kampfes dieser beiden Kräfte voraussehen. Rock legt dar, daß unter cpiXoaocpia in erster Linie Lebensweisheit, nicht aber, wie viele wollen, Naturphilosophie zu verstehen ist; also ist auch die bekannte Stelle Tl. €vaxrjftoavvi]g c. 5 : Ir^TQog yuQ (fiXoao- (pog laoO-eog zu interpretieren: 'ein die Lebensweisheit liebender Arzt ist gottgleich'. Der Zusammenhang lehrt, daß (pik6oo(f)og ein Freund der ao(fia rj iv tiT) ßi(^ ist ; zu dieser gehören TJneigen- nützigkeit, Rücksichtnahme, Scham, Würde, Ansehen, Urteil, Gleich- mut, Entschiedenheit; Reinlichkeit, Reden in Denksprüchen usw. Rochesters Aufsatz war dem Ref. nicht zugänglich. In Capelles Arbeit S. 6 f. wird U. aso. vö. xwi. 61, 10 ff. Kw es ist die Stelle von den unmittelbar unter der ctq-AXog liegenden ^Plnca im Verhältnis zu Aristoteles , Damastes und Hekataios behandelt. G u n d e 1 erklärt das alljährlich durch eine glänzende Prozession zum Asklepieion gefeierte Fest der oaßöov avdkrjipig (einzige Erwähnung Ps.-Hipp. Brief an die Abderiten IX 326 L = Putzger, S. 6) damit, daß ein neu eingeführter Priester den Stab als Zeichen der Priesterwürde an sich nahm, oder damit, daß man alljährlich dem Gotte einen neuen Stab von dem ihm heiligen Zypressenholze gab.

61) W. A. Jamieson, A visit to the so-called fountains of Hippocrates in Cos. With remarks on the Statements of Hipp, on mineral Springs by J. D. Comrie. Edinburgh Medical Journal 1912 VII, S. 118—123.

62) Th. Meyer-Steineg, Hippokrates-Erzählungen. AGM 1912/13 VI, S. 1 11.

63) J. Ilberg, Hippokrates und Demokrit. Ein Quiproquo. Ebendaselbst, S. 456.

64) W. Lüdtke, Noch eine Hipj^okrates-Erzählung. AGM 1914/15 VIII, S. 373 f.

65) K. Sudhoff, Antipocras , Streitschrift für mystische

30 Friedrich Ernst Kind.

Heilkunde in Versen des Magisters Nikolaus von Polen. AGM 1915/16 IX, S. 31-52.

66) H. D i e 1 s , Über die Sclu'ift Antipocras des Nikolaus von Polen. S. Ber. Preuß. Akad. 19ir>, S. 376—394.

67) Tib. von Gyövy, Sinapius , der Urheber der anti- hippokratischen Bewegung am Ende des 17. Jahrh. AGN 1913 VI, S. 132—143.

Jamieson hat im April 1911 Kos besucht. Unter Beifügung von Abbildungen erzählt er von der uralten Hippokrates -Platane auf dem Marktplatze der Stadt, deren Stamm volle 30 Fuß (reich- lich 9 m) Umfang hat, und deren Äste zum Teil von Marmor- jifeilern gestützt werden. Weiter macht er uns mit den beiden Hippokrates-QueUen bekannt. Während das Wasser der einen klar und geschmacklos war, hatte das der oberen, sog. Roten Wasser- QueUe einen bitterlichen Beigeschmack , der sich aus Schwefel- bestandteileu erklärt. Comrie unterzieht die Ansichten in ZT. «6^. lö. xon. einer Prüfung und findet, daß die Hippokrates-Quellen frei von Mineralien sein und nach NO gerichtet sein müssen. Die Tradition deckt sich also mit dem Befund. Zu vergleichen war S. Günther, Ber. I, Nr. 56. Auch Me yer-S teineg hat auf einer Studienreise (Frühjahr 1910) der Insel einen Besuch ab- gestattet. Dabei hat er Nachforschungen darüber angestellt , in- wieweit das Andenken an Hipp, sich fortlebend erhalten habe. Von dem wirklichen Hipp, hatten nur ganz wenige , selbst unter den Gebildeten, eine richtige Vorstellung. Abgesehen von der Hipp.- Platane und -Quelle zeigte sich starke Legendenbildung. M.-St. hat sich fünf Hipp. -Erzählungen aufschreiben lassen und teilt sie auf Griechisch und in deutscher Übersetzung mit. So interessant und hübsch diese Geschichtchen sind, so ist doch nicht an ununter- brochene Tradition von der Antike her zu denken ; sie sind viel- mehr unter g-elehrtem Einflüsse entstanden. Das lehrt die von M.-St. herangezogene Literatur. Das lehrt auch IIb er g, der die zweite Erzählung, in der Hipp, ein Mädchen erst als y(.6qYi^ als sie aber nach einiger Zeit wieder vorbeikommt, als yvvaXy.a begrüßt, mit dem bei Diogenes Laertios IX 42 (aus Athenodoros) über Demokrits Allwissenheit aufgetischten Geschichtchen vergleicht (Diels, Vorsokr. ^11 13: ya~iqi y.oQVj yalge yvvai xal r^v ij y.dgr^ TTJg vv/.zbg dierpi^aouhr]). Lüdtke macht auf eine Anek- dote aufmerksam , die sich in dem arabischen Nomokanon Mihä'ils von Malig (um 1100?) findet und von Franz Cöln im Oriens

Bericht über die Literatur zur antiken Metlizin 1911 1917. 31

Christianus (VII 1907, S. 57) herausg. und übersetzt worden ist: Ein Flüchtling wii'd dadurch vor seinem Verfolger gerettet , daß der am Wege sitzende Hipp, seinen Platz wechselt und dann dem herangekommenen Verfolger erklärt, seitdem er hier sitze, habe er keinen Menschen gesehen. Der Verfolger, der die Wahrhaftigkeit des Weisen kennt , kehrt um. Die Hippokratische Medizin hat über zwei Jahrtausende die Wissenschaft beherrscht , der echt Hippokratische Geist herrscht noch heute. Unter den Gegnern sind zwei Arten zu unterscheiden. Die einen wenden sich gegen die wissenschaftliche Methode ; sie suchen in magischen oder mystischen geheimen Kräften der Amulette oder niedrigster Dinge und in der Gnade des Himmels Hilfe. Zu ihnen gehört Magister Nikolaus von Polen , der in der ersten Hälfte des XIV. Jahrh. in Montpellier gelebt hat. Von ihm stammt ein Gedicht in 427 leonini- schen Versen, Antipocras, das erst Sudhoff und dann Di eis aus dem einzigen Codex Phillippicus 1G72 veröfifentlicht und be- spricht. Hierzu ist noch Sudhoff in MGM 1916 XV, S. 152 ff. zu vergleichen. Einige therapeutische Angaben des Nikolaus über Ver- wendung von Fröschen , Kröten , Schlangen u. ä. werden in einer Anzahl von Hss mitgeteilt , deren älteste wohl eine Dresdner vom J. 1)323 ist; vgl. J. W. S. Johnsson, Les 'Experimenta magistri Nicolai' pubhes pour la premiere fois, Bull, de la Soc. fran^,. d'hist. de la med. 1911 , S. 269 290. Die Gegnerschaft der anderen richtet sich nicht gegen Hippokrates' Geist , sondern gegen den geistlosen , erstarrten Hippokratismus , wie er im XVII. und XVIII. Jahrh., der Zeit der grands saigneurs, herrscht, und den Meliere in seinen Lustspielen angegriffen hat. In Sinapius stellt uns von Györy einen Ungarn vor, der in seinem Werke Absurda vera sive paradoxa medica, quibus continetur tractatus de vanitate, falsitate et incertitudine Aphorismorum Hippocratis, Genevae 1697 gegen die zeitgenössische Medizin mit beißender Schärfe vorgeht. Ref. kann es sich nicht versagen, zwei kurze Geschichten mit- zuteilen. Ein italienischer Arzt purgierte einen Patienten flott weiter, obwohl dieser schon tot war. Und die zweite : Ein Kranker ist infolge des Aderlasses schon ohnmächtig geworden. Der Chirurg will aufhören , der Arzt aber ruft ; Verschließe die Vene nicht, lasse sie bluten, lasse sie bluten ! Als ein wenig später der Puls ganz ausbleibt , sistiert der Chirurg den Blutfluß und schreit kon- sterniert : Herr Doktor , der Kranke ist gestorben. Der Arzt er- widert: Wie? Gestorben ist er? In Gott ist er entschlafen. Nun, das hätte ich nicht gedacht.

32 Friedrich Ernst Kind.

d. Die sizilische Arzteschule und Diokles.

68) M. Well mann, Zu Diokles von Karystos. Herrn. 1912. XL VII, S. 160.

69) J. Heeg, Über ein angebliches Diokles-Zitat, S. Ber. Preuß. Akad. 1911, S. 991—1007.

70) M. Well mann, Zu Diokles. Herrn. 1913 XLVIII, S. 464—468.

71) G. A. Gerhard, Ein dogmatischer Arzt des vierten Jahrh. v. Chr. S. Ber. Heidelb. Akad. 1913, 13. Abh.

72) W. W. Jaeger, Das Pneuma im Lykeion. Herrn. 1913 XLVIII, S. 29—74.

Wellmann, Nr. 68 teilt ein bisher unbekanntes Apophthegma des Diokles mit. Es lautet nach Marc. gr. 608 : ta ßißXia twv fteficii)^)y/.6Tiov vnof.ivr^i.iaTd elai, xdv Ö€ afxalHov /uvrjuaia. Nach Heeg ist die pseudogalenische Schrift Tl. •/.aTa'AkiGsijg vooovvtiov (XIX 529 ff. K) aus den Hermetischen 7ar^o/mi^»y|t<az:txa (Ideler, Phys. et med. gr. min. I 387 f., 430 f.) exzerpiert. Da die Quellen- schrift vor 379 n. Chr. anzusetzen sei, so werde das Exzerpt nach dem IV. Jahrh. entstanden sein. Das Prooemium sei eigenes Werk des Exzerptors, der darin, um Galens Verfasserschaft glaubhaft zu machen, das Diokleszitat gerade so wie das voraufgehende Hippo- krateszitat (s. Ber. I , S. 142) gefälscht habe. Galen könne gar nicht der Verf. sein, weil er in U. vigiaif^tov r^^tQÖJv trotz Be- nützung des Diokleischen Prognostikons diese Ansicht des Diokles nicht kenne ; Diokles aber könne diese Ansicht überhaupt nicht vertreten haben, da sich die Verbindung der chaldäischen Astrologie mit der Medizin erst im II. Jahrh. v. Chr. in Ägypten nachweisen lasse. Gegen Heegs Ausführungen erhebt Wellmann Nr. 70 Einspruch. Er gibt zu, daß die pseudogalenische Schrift mit der des Hermes Trismegistos und mit des Pancharios KaTayMoecog l/cuoinij zusammengehört, bezweifelt aber direkte Abhängigkeit (er denkt an eine metrische Vorlage , S. 465, A. 2). Außerdem liegt uns die Schrift des Hermes Trismegistos bei Ideler nur im Exzerpt vor ; sie selbst mußte eine Einleitung haben , und darin (bzw. in der Urquelle , d. h, bei Petosiris-Nechepso) konnte schon die Be- rufung auf die Philosophen und Ärzte stehen. Den Namen Galens braucht die Schrift nicht vom Exzerptor empfangen zu haben ; sie kann erst später mit dem Corpus Galenianum vereinigt worden sein. Galen benutzte übrigens den Diokles nicht direkt; seine Kenntnis des Karystiers in II. v.qio. q[.i. stammt aus Archigenes ;

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 33

die außerdem verwendete astrologische Quelle hatte keine Ver- anlassung, einen Arzt heranzuziehen. Das Hippokrateszitat stammt allerdings nicht von dem Koer selbst, ist deswegen aber doch nicht gefälscht. Für die Echtheit des Diokleszitats gegen die Ent- stehung im IV. /V. Jahrh. n. Chr. sprechen gewichtige Gründe ; mit chaldäischer Astrologie hat es nichts zu tun, es bietet nur die Lehre der Ärzte des V. Jahrh. v. Chr., daß der Mond großen Ein- fluß auf die Krankheit ausübt. Gerhard hat die Zusammen- gehörigkeit von Pap. Grenfell II, VII (b), Pap. Heidelberg 401 und (durch Kalbfleischs Hinweis) Pap. Rylands I 39 erkannt. Diese drei Fragmentgruppen entstammen einem literarischen Pap. aus den Felsengräbern von El-Hibeh , von dem außerdem zahlreiche, noch unpublizierte Fragmente in Oxford vorhanden sind , die im 2. Bd. der Hibeh-Papyri (Bd. I 1906) veröffentlicht werden sollen. Der äußerst trümmerhafte Pap., bei dessen Bearbeitung G. u. a. von A. S. Hunt, J. Jüthner, K. Kalbfleisch und M. Wellmann unter- stützt wurde, ist in frühptolemäischer Zeit ganz im Anfange des III. Jahrh. geschrieben und enthält nach G. die attisch ge- schriebene und anscheinend dialogisch verfaßte Arbeit eines dogma- tischen Arztes, der hier speziell Augenleiden behandelt und sicher im IV. Jahrh. gelebt hat. G. glaubt, hier Reste von Diokles' Schrift nd!}og alxia i}EQa7teia wiedererkennen zu dürfen, während Wellmann an eine Problemata-Schrift, vielleicht auch an die (J)iai7,a d^eiootjuarce des jüngeren Chrysippos von Knidos, des Lehrers des Erasistratos, denkt. Sehr zweifelhaft ist es, ob die Form wirklich dialogisch war ; die Autorschaft des Diokles ist durchaus nicht irgendwie erwiesen ; Wellmann scheint mit seiner Ansicht auf dem richtigen Wege zu sein. Vgl. auch die Rez. von Me3^er-Steineg, MGM 1914. Hoffen wir, daß der noch unpublizierte Teil des Pap. in diese schwierige Frage volles Licht bringe. Jaeger tritt für die Echtheit der aristotelischen Schrift 11. Uinov xivr^aecog ein-, sie ist vor Vollendung der Serie der Parva Naturalia entstanden und stimmt in allem zur pneumatischen Theorie des Aristoteles. Charak- teristisch für diese ist die Lehre vom angeborenen Pneuma. Sie tritt uns bei Aristoteles zuerst in der Literatur entgegen ; aber nicht als neue Entdeckung erscheint das atf.t(piTOv 7cvev(.iu im Gegensatz zum sueioaytzov, sondern als bekannter Begriff; die Unterscheidung muß also eine längere Vergangenheit haben. Da nun Aristoteles die Elemente seiner Physiologie der sizüischen Ärzte- schule entlehnt hat., so \vird auch die Lehre vom angeborenen Pneuma aus den Kreisen des Philistion und Diokles , mit denen

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 180 (1919. IIl). 3

34 Friedrich Ernst Kiml.

Aristoteles in der Akademie zusammen gearbeitet haben muß, her- zuleiten sein. J. zeigt, daß gewisse Hj'pothesen der sizilischen Schule die ai-f.iq<vTOv TTVEvfja-hehre zur notwendigen Voraussetzung haben; damit aber kommt er ein gutes Stück über Wellmanns Ausführungen (Fragm. der griech. Arzte I) hinaus. Die Weiter- gestaltung der pneumatischen Lehre im Lykeion legt J. in einer scharfsinnigen Behandlung der kleinen anonymen Schrift U. rtvEv- {.iatog dar. Erasistratos ist hier der Vermittler neuer Weisheit gewesen , der geniale Arzt aus Keos , der ja selbst im Lykeion Schüler Theoplu'asts und Stratons sowie Metrodors gewesen war, dann aber in Kos den Praxagoras und in Alexandreia den jüngeren Chr3-sipp von Knidos gehört hatte und schließlich auf Grund eigener anatomischer Studien zu neuen Entdeckungen und Überzeugungen gelangt war. Überall weht uns in U. urev^jazog des Erasistratos überlegener Geist entgegen , aber die letzten Konsequenzen des genialen Forschers macht der Verf. der Schrift nicht mit. Er nimmt z. B. des Erasistratos TQinXoxia ((fXeifi, vecgov, ccQTi^Qta) an, aber seine Entdeckung der Nerven ignoriert er veloov bleibt für den Peripatetiker 'Sehne' : auch in der Leugnung des av/.iqivTOv Tivevfja vermag der Peripatetiker dem kühnen Denker nicht zu folgen. Wir haben also in 12. nvevfxarog den Versuch der peripatetischen Schule vor uns, sich mit den Ergebnissen der neuen Anatomie auseinander- zusetzen: dabei stellt es sich heraus, daß der Peripatos faule Kom- promisse schließt und die Führung an Alexandreia übergegangen ist. Bald nach Entstehung der peripatetischen Vorlesung ca. 250 interessierte sich ein Stoiker des ovf.i(fVTOv nvElfia wegen an dem ja die Stoa festhielt dafür und faßte in dem Schlußkapitel c. 9 'des also wohl von seiner Hand herrührenden Exzerptes seine Schuldoktrin in wenige Sätze zusammen'. Hingewiesen sei auf Jaegers neue Ausg. von U. Lwiov •/.ivt^OEOjg, 11. noQEiag Li^Viv und n. nvEVfjaTog (Leipzig 1913). Zur sizilischen Schule vgl. auch Regenbogen o. Nr. 15.

2. Die medizinische Literatur der (rriechen Ton der Zeit Alexanders des Großen bis auf Oalenos.

a. Die Alexandriner.

73) G. Rudberg, Kleinere Aristotelesfragen. III. Zu den Aderbeschreibungen des Aristoteles. Eranos 1913 XIII, S. 51 71.

74) P. Corssen, Die Schrift des Arztes Androkydes n. JIvl^ayoQiySjv av^tßöhov. Rh. Mus. N. F. 1912 LXVII, S. 240—263.

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 -1917. 35

75) M. Wellmann. Zur Geschichte der Medizin im Alter- tum. IX. XI. Herm. 1912 XLVII, S. 1 f . ; S. 4—17.

Rudberg schließt daraus, daß Aristoteles in De part. anim. III 5 in dem Abschnitte über den Blutumlauf häufiger aa statt iv verwendet , auf fremden Einfluß , vermutlich auf Benutzung von Diogenes von ApoUonia 77. (pvaeiog. Da nun Aristoteles Hist. anim. III über die Ansicht des Diogenes nur berichtet und eine ausführliche Darlegung seiner eigenen Anschauung vom Blut- umlauf gibt, so folgert R., daß die Partie in De part. älter ist als die in der Hist. Die Hist. anim. gehört aber einer früheren Ent- wicklungsstufe des aristotelischen Systems an ; also wird Aristoteles wohl gleichzeitig an der Hist. und De part. gearbeitet haben. Zu Aristoteles' Gebrauch von aa und tt vgl. Rudberg, Peripatetica im Eranos XIV 1914, S. 21 51. Corssen tritt für die Authen- tizität des von Plinius erwähnten, an Alexander den Großen ge- richteten Briefes des Androkydes (vgl. Pauly-Wiss. s. v. 1] und 2]) sowie seiner Schrift 7T. Hvd^ayoqiy.iJüv av^ßökov ein. Für unsern Bericht kommen aus der inhaltreichen Abhandlung namentlich die Interpretationen der Stellen bei Plinius und Theophrast in Betracht. Als besonders einleuchtend sei hervorgehoben : Plin. Nat. Hist. XVII 239 ist Androcydes als Subjekt zu odit zu verstehen, also ist statt aegra aeger zu lesen ; hinter marina aqua calida steckt der melanurus (verderbtes Glossem, etwa: piscis marinus nigra cauda). Dagegen hält Ref. et tingui und tXv.Eiv (bei Theophr. hist. plant. IV 16, 6) für die echte Überlieferung ; extingui widerspricht dem non necat : zu tingui vgl. Vitruv. VIII, 3, 26, S. 204, 2 Rose-MüUer-Strübing. Wellmann IX identifiziert die l^vrioyjg, an die Herakleides von Tarent eine Arzneimittellehre richtete, einerseits mit der auf einer Inschrift von Tlos in Lykien genannten Ärztin i^viioxig Jiodöiov (vgl. öhler, Ber. I, Ni*. 286, Progr. S. 9), anderseits mit der von Galen erwähnten .Aviioxig^ die sich auf pharmakologischem Gebiete schriftstellerisch betätigte, und deren Werk die Libyerin Favilla benutzte; hierzu vgl. u. Nr. 151. In Nr. X befaßt sich W. mit Rhuphos. Da seine wertvollen Feststellungen bei Pauly-Wiss.- KroU sub Rufus 18) und 24) noch nicht berücksichtigt sind, so sei etwas ausführlicher berichtet. Im Einklänge mit Suidas' Angabe, Rufos von Ephesos habe unter Trajan mit Kriton (dem Leibarzte des Kaisers) gelebt, bestimmt W. die Lebenszeit dieses Ai'ztes dadurch, daß der Ephesier einerseits die "l'A»; laTQi/.rj des Dios- kurides kennt, anderseits schon von Archigenes (unter Trajan- Hadrian) benutzt wird ; seine Blütezeit ist also dem letzten Drittel

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36 Friedrich Ernst Kiud.

des I. Jalirh. n. Chr. näher zu rücken. Der von Daniokrates zitierte Eufos (Gal. XIV 119) ist der Pharmakologe Menius Rufus , von dem Asklepiades o Ütagf-ianitor und Andromachos Rezepte auf- bewahrt haben, und der in der ersten Kaiserzeit gelebt haben mag ; möglicherweise ist auf ihn die Nachricht des Tzetzes über den Ephesier zu beziehen, er sei Zeitgenosse der Kleopatra gewesen. Die zahlreichen von Suidas angeführten Schriften des Ephesiers lassen sich auf drei reduzieren: IT. diahi^g «', 11. xiov i/.xdg nad^wv und n. Ttjg agxcciag laiQi/.ijg ßißXiov a. Für die Diätetik wird die Buchzahl durch Oreibasios bestätigt; seine Angaben ermöglichen es , den von Suidas erwähnten Titel 11. avxiov dem ersten Buche als Kapitelüberschrift zuzuweisen , JI. oi'vov und JI. f.ttXno; dem zweiten und JI. yäXa'f-Xog dem fünften ; in die Diätetik gehört auch JI. öiaicr^g TtXeöviiov. Fredrichs Ausführungen (Hipp. Unter- suchungen, S, 201) sind um Oreib. B. 54 c. 4 (III 89 f. über die Diät der Frauen) zu erweitern. Reichliche , mittelbare Benutzung des Werkes ist für Svmeon Seth (s. u. Nr. 135) nachweisbar. Die Sonderschriften J7. Tgav/^iarrMov qiaQijdmov a und IJ. TgavaaiiGf-iov (XQi^QCov spricht W. als Kapitelüberschriften in 11. itZv t/iiog Tiai^tov an. Ebenso weist er die von Oreibasios genannte Schrift Tl. tojv '/MTO. aqd^Qa voaij/uducov diesem Werke zu. 77. ag/alag laTQi'Kfjg hat eine Parallele in dem medizingeschichtlichen Werke 77. T(ov i(p€VQrjf.iivü)v Tolg laiootg (Ruelle 533. 532). Als Aufenthaltsort des Rufos nimmt W. Alexandreia an , nicht auch Rom , da Galen ihn fast (vgl. weiter unten) immer indirekt benutzt. Der Schule nach ist Rufos Dogmatiker, wie aus seiner Begeisterung für Hippo- krates und vor allem aus seiner Lehre von der Qualitätenmischung hervorgeht , in der er sich nicht an die pneumatische Schule an- schließt, sondern an die alten dogmatischen Ärzte Polybos, Diokles und Praxagoras. Doch hat er sich seine Freiheit gewahrt; das ist bei seiner gewaltigen Kenntnis der medizinischen , philosophischen und grammatischen Literatur, über die W. einen Überblick gibt, nur natürlich. Trotz der Bedeutung des Rufos sind seine Schriften weder von Soranos in seinen medizinischen Hauptwerken erwähnt noch von Galenos direkt benutzt worden. Ref. glaubt auch nicht, daß man an der einzigen Stelle Gal. XII 425 direkte Benutzung anzunehmen hat, wie W. will. Der Mittelsmann wird wohl Archi- genes sein, der ja den Rufos kennt ; Archigenes wird vor und nach XII 425 ausgeschrieben, und XI 796 findet sich sein Name un- mittelbar vor der Erwähnung von Rufos' Werk 77. ßoTavvjr., aus dem die XII 425 zitierten Verse stammen. Daß Philagrios bei

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 37

Aetios (d. h. Oreibasios) den Rufos skrupellos in der ersten Person (oiSa) ohne Namensnennung abschreibt, hat W. einwandfrei be- wiesen ; dasselbe gilt für Gal. XIX 659. Die Araber haben die medizinischen Werke des Rufos noch lange gekannt. In der grammatischen Literatur ist er von Soranos, Pollux und in den Scholien zur Ilias zitiert. Schließlich beschäftie;t sich W. einoehend mit der Hip])okrates-Exegese des Rufos. Er legt überzeugend dar, daß Galen durch Vermittelung des Sabines die Hippokrates- kommentare des Rufos ausgiebig heranzog. Dem Rufos - Sabinos verdankt Galen seine Kenntnis der alten herophileischen und empi- rischen Hippokrateserklärer und Arzte sowie auch der alten Philo- sophen. 'Rufos erscheint als eine Galen an Gelehrsamkeit weit tiberragende Persönlichkeit , die mit ausgezeichneter ärztlicher Bil- dung auch die eines Grammatikers verband: Ärzte und Pilosophen werden mit weitumfassender Literaturkenntnis und mit ausdrück- licher Nennung des Gewährsmannes zur Erklärung des vergötterten Meisters herangezogen.' Also 'nicht die Schule des Quintus' (s. Ber. I , Nr. 35) 'ist es , an die Galen in seinen Hipi)okrates- kommentaren anknüpft, sondern die dogmatische Schule des Rufos in Alexandreia'. Der Einfluß des Rufos macht sich nicht nur in den gelehrten Zitaten geltend, sondern auch in der stofflichen Er- klärung. — Über die Entdeckung der Prostatafunktion durch Rufos von Ephesos s. Iw. Bloch, Ursprung der Syphilis II, S, 738 f. fu. Nr. 193).

b. Asklepiades und die Methodiker.

76) Th. Meyer-Steineg, Das medizinische System der Methodiker, Jenaer med.-hist. Beitr. Heft 7/8. Jena 1916.

77) W. Crönert, Yariae lectiones. Rh. Mus. 1910 LXV, S. 461—471.

Zwei hierher gehörige philosophische Aufsätze von W. A. Heidel seien wenigstens erwähnt: The avaQuoi oyy.oi of Heraclides Ponticus and Asclepiades. Transactions of the American Philological Asso- ciation 1910 XL, S. 5 21 und Antecedents of Greek corpuscular theories. Harvard Studies in Classical Philolog}^ 1911 XXII, S. 111 142. "VVellmann, A. Cornelius Celsus, S. 64 erklärt die "Verunglimpfungen des Bithyniers bei Plin., Nat. Hist. XXVI 12 f. nicht mehr als bewußte Fälschung des Plinius (vgl. Ber. I, S. 160), sondern erblickt in ihnen den Niederschlag der erbitterten Fehde zwischen der methodischen und empirisch-skeptischen Arzteschule : * "weiteres über Asklepiades bei Wellmann a. a. 0.. u. Nr. 141.

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M e y e r - S t e i n e g stellt zunächst die Entwicklung der methodischen Schule in ihren Hauptvertretern dar. Er würdigt Asklepiades als den Vorbereiter , Themisou als den Begründer der methodischen Lehre , Thessalos als ihren praktischen Ausbauer und Soranos als ihren Vollender. Sodann befaßt er sich eingehend mit der Krank- heitslehre und der Therapie des Caelius Aurelianus ; dieser Teil ist als Vorstudie zu einer Übersetzung des Caelius Aurelianus ge- dacht. Im Zusammenhange mit seiner Auffassung von der Romani- sierung der griechischen Medizin durch Themison und Thessalos (vgl. Ber. I, Nr. 74 und 190) berührt M.-St. auch das Celsus- problem; vgl. u. am Schlüsse von Nr. 145. Aus dem zweiten Buche der J\lvQO?.0}'iai des Asklepiadesschülers Diodotos (Well- mann, Pauly-Wiss. V, Sp. 715) ist bei Erotianos s. v. vlioitov (S. 98 Klein) ein Fragment erhalten, dessen metrischen Charakter schon Nauck, Philol. V, S. 562 erkannte. Crönert stellt die 7 Trimeter bei Erotianos einleuchtend wieder her. Dabei hält er unter Vergleichung von Plin. Nat. Hist. XV 26 und Diosc. I 33 W das überlieferte ^)]QaivovGi dem Sinne nach fest, indem er schreibt: i}lojaiv v.aiah'ovoi tav liUO(i) y.a?A~jg. Da die wörtliche Überein- stimmung zwischen Diodotos und Dioskurides in die Augen springt, wird man bei Dioskurides nicht '/.aO^dgag xat ^i^gävag lesen, sondern yJÄaag x. i'. Gleich für das folgende Dioskurideskapitel (I 34) weist C. 3 weitere Trimeter nach. Daraus, daß Plinius, Nat. Hist. XX 77 für Diodotos ein Buch Anthologumena zitiert, folgert C, daß Diodotos entweder die einzelnen Teile der vhq laiQixrj unter Sondertiteln (Myrologie , Anthologie) für sich herausgab oder aber in einem Werke vereinigte, dessen Gesamttitel uns nicht mehr be- kannt ist.

78) E. L. De Stefani, Zu Demokrits Fragmenten. B. ph. W. 1911, Sp. 286.

*79) A. H. F. Barbour, Soranus on gynaecological anatomy. IKM, S. 269—283.

De Stefani gibt für die Etymologie des Wortes yvvi'j im Etymologicum Gudianum, Sturz Sp. 131, 20: ywt'^ . . . /J, wg Qeu- y.QiTog, yw/^ rig ovoa . . . 7^ yov^g dtv.ii/.i] aus dem Vat. Barb. gr. 70 die richtige Lesart r^^ tag ^r^f.i6/.QiTog, yorr^ tig oloa . . . Dieselbe Ableitung findet sich außer bei Piaton, Kratyl. 414 a auch im Etymologicum Orionis Sp. 39, 20 aus Soranos. Damit erhalten wir für Soranos ein Gegenstück für die Stelle Gynaec. II 17 p. 314, 1 Rose : i] (f).eyi.iovif /.tKXr^rai fiiv ano zov (fkiyeiv v.ai

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 39

ovx, wg Jrif.i6y.QLtog EiQrjY.Ev, ano lov at'iiov eivai to qhtyi-ia. Die

von Heeg (u. Nr. 133), S, 27 Anm. herangezogene Stelle aus den Medicinales Responsiones des Caelius Aurelianus (Rose, Anecdota II, S. 219, vgl. auch S. 231) ist ein weiterer Beweis, daß Soranos demokritische Worterklärungen verwendete. Umgekehrt ist bei Heeg die Lesart des Barb. gr. 70 einzureihen. Barbour über- setzt aus Soranos die Kapitel über die Anatomie der weiblichen Genitalorgane und hebt unter Beifügung von vier Abbildungen die irlänzenden Kenntnisse dieses bedeutenden Gynäkologen hervor. Die Aufsätze , die die lateinischen Soranübersetzungen Ijetreffen, sind den Römern zugewiesen worden.

c. Dioskurides.

80) M. Wellmann, Die Schrift des Dioskurides HeqI ct/iXiov qaoucr/JDv. Berlin 1914.

81) M. Wellmann, Pedanii Dioscuridis Anazarbei De materia medica libri quinque. Vol. III , quo continentur liber V, Cra- teuae , Sextii Nigri fragmenta , Dioscuridis liber De simplicibus. Berlin 191-4.

Well mann Nr. 80 bietet die Praefatio zu seiner Ausgabe (s. Nr. 81) des bisher unter dem Namen Einogioia bekannten, hinsichtlich seiner Echtheit oft angezweifelten W^erkes des Dios- kurides. Nach einer Charakteristik der Ausgaben von der Editio princeps (Moibanus-Gesner 1565) über die Frankfurter (Sarazenus 1598; dieser stammt aber nicht aus Leiden, sondei-n aus Lyon, vgl. van Leersum, Janus 1916, S. 56) bis zu der in den Kühnschen Medici Graeci (Sprengel 1830) beschreibt und wertet W., abgeselien von einem Athous des XVI. Jahrh., die außerdem vorhandenen 8 Hss. Sie gehen alle auf einen Archetypus zurück. W^ährend aber die beste Quelle, cod. Riccardianus gi\ 91 saec. XV in., nur wenig durch Interpolationen verderbt ist, stammen die übrigen Hss aus einer Vorlage , die zwischen dem XL und XIII. Jahrh. be- sonders aus Galen und Johannes Damascenus stark interpoliert wurde. Diese Interpolationen druckt W. auf vollen 12 Seiten ab. Das vielberufene Aretaioszitat (s. Ber. I, S. 171) findet sich auch im Riccardianus; da es sich aber als Glossem erweist, fallen die vom Ref. a. a. 0. vorgebrachten Bedenken. So ist das Werk, dessen handschriftlicher Titel II. auXtuv (paQixä/xov sich mit den Worten der Einleitung zu Buch I und II deckt , in seiner reinen Gestalt gewonnen. In der zweiten Hälfte seiner Arbeit beweist W. auf Grund sachlicher und literarhistorischer sowie sprachlicher

40 Friedrich Ernst Kind.

Kriterien ausführlich und überzeugend die Echtheit der Schrift : Rez. des Ref., B. ph. W. 1915, Sp. 519. Wellmann Nr. 81 bringt den würdigen Abschluß der von uns Ber. I, Nr. 85 gerühmten Dioskuridesausgabe. Dem Y. Buche ist ein handschriftlicher Kapitel- index augefügt. Es folgen die direkt bezeugten Fragmente des Krateuas und Sextius Niger , und dann kommen die zwei Bücher der El TTOQioia in zuverlässiger neuer Edition mit dem ihnen ge- bührenden Titel n. an}A~jr q^aQucixiov, ganz in der Art wie 77. vXr^g lazor/S/g außer mit dem kritischen Apparat mit den Parallelstellen Excerpta , Similia , Testimonia ausgestattet. Auch diesem dioskurideischen Werke ist ein Kapitelpinax beigegeben. Gründ- liche ludices der von Dioskurides zitierten Autoren und der aus Pamphilos stammenden pseudodioskurideischen Pflanzennamen sowie ein Sachenindex zu II. vXrjg bilden den Schluß. 'Mit eiserner Energie und Entsagung und unter großen persönlichen Opfern hat W. die Ausgabe zu Ende geführt, die in ihrer Art abschließend ist und immer als Muster peinlicher Gewissenhaftigkeit, einziger Sach- kenntnis und hingehendster Sorgfalt auch im kleinsten gelten wird' (E. Oder, B. ph. W. 1915, Sp. 467). Zu Diosc. IL v. i I 33 und 34 s. 0. Nr. 77. Über Schollen aus Dioskurides zu Aetios s. u. Nr. 126. Zu IL v. l. II 175 vgl. Pauly-Wiss. s. Eppich, Sp. 258 u. und s. Ranunculus , Sp. 231 f. Dort wird das über- lieferte CLTTiovQiaov gehalten. Beziehungen zu Diosk. auf einem PapATus s. u. Nr. 138. Für die keltischen Pflanzennamen s. Höfler, u. Nr. 166.

d. Die Pneumatiker und Eklektiker.

82) M. Wellmann, Zu Herodots Schrift LIeqI tiov o^ivjv '/ML XQOviojv voarjudtcov. Herm. 1913 XL VIII, S. 141 143.

83) M. Wellmann, Zu Philumenos. Herm. 1914 XLIX. S. 478.

84) Ch. Charitonides, Ad Philumenum. Mnemosyne 1915 XLIII, S. 229.

Wellmann Nr. 82 bringt drei neue, überzeugende Beweise für seine Ansicht, daß die anonj-m überlieferte Schrift 11. zojv o^tiov y.al XQOviiov rooriudtiov dem Eklektiker Herodotos (Anfang des II. Jahrh. n. Chr.) zuzuweisen ist (Ber. I, Nr. 77j. Gal. XI 559: Herodotos empfiehlt in einer Schrift IL vo<Jr^i.mTiov (!) Anwendung von o'^vQodivov bei Beginn der Phrenitis =^ Rh. Mus. 1903 LVIII, S. 71, Z. 19 f., vgl. auch S. 74, 23. Gal. XI 443: Herodotos ver- wendet gewisse Medikamente als Adstriugentien, die nach Galenos

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 41

in Wirklichkeit die entgegengesetzte Wirkung besitzen , wörtlich = cod. Paris, gr. siippl. 63G fol. 71^'. Aetios V c. qil.' Behand- lung der Schlafsucht durch Herodotos, wörtlich = Rh. Mus. 1903 LVIII, S. 75 unten. Wellmann Nr. 83 zeigt, daß Philumenos c. 4, 14 (9, 2 W) statt des verderbten drpQo^ avif-gcojcog zu lesen ist. Charitonides gibt einige textkritische Beiträge zu Philu- menos. ÖQayjticdog und ivOTaxO^eig hat Ref. schon in seiner Rez., B. ph. W. 1910, Sp. 1118 ff. notiert. Dort findet Ch. auch, daß D bei Wellmann kein Codex ist, sondern Ps.-Dioskurides bedeutet, und daß Aelius Promotius in Wirklichkeit Ailios Promotos ist. Über Heliodoros als Quelle des Oreibasios s. u. Nr. 123. Zu dem Aretaioszitat bei Dioskurides (Ber. I, S. 171) s. o. Nr. 80. Rhuphos ist den Alexandrinern zugewiesen, vgl. o. Nr. 75.

3. (xalenos.

a. Biographie und Stilistik.

85) Th. Mej'er-S tein eg. Ein Tag im Leben des Galen. Jena 1913.

*86) J. Wiberg, Galen og den galenske Loegevidenskab og Loegekunst. Diss. Kopenhagen. Odense 1910.

87) H. Schöne, Tb xov Tgaiavoi) yvf^vuaiov bei Galenos. Herm. 1917 LH, S. 105—111.

88) Guil. Herbst, Galeni Pergameui de atticissantium studiis testimonia collegit atque examinavit. Leipzig 1911.

Meyer-Steinegs gefällig ausgestattetes Buch wii'd von Rabehl, W. kl. Ph. 1914, Sp. 298 ff. als verfehlt bezeichnet; es ist aber nach Ansicht des Ref. wohl geeignet , die Kunde von dem hohen Stande der antiken Medizin in weitere Kreise zu tragen. In Form einer Erzählung behandelt der Verf. die von Galen im vespasianischen Friedenstempel ausgeführten Vivisektionen , ent- wickelt in großen Zügen die Prinzipien der antiken Arzteschuleii und schildert schließlich eine schwierige, chirurgische Operation. Bei näherem Zusehen stellen sich allerdings starke Mängel heraus, vgl. Rabehl a. a. 0. und Ref. in B. ph. W. 1914, Sp. 1317 ff. Wibergs Arbeit konnte Ref. nicht erhalten. Nach Grön, MGM 1911 X, S. 564 f. handelt W. vom Leben und den medizinischen Schriften Galens, von seiner Physiologie, Pathologie, Therapie und Pharmakologie und von dem Verhältnis zwischen Galen und früheren Verfassern. Die medizinischen Schriften Galens werden in 7 Haupt- abteilungen gruppiert und geschildert ; eingehender anah'siert werden die Schriften J7. rtDr Idicov ßißXitov, 11. zrß Ta^ecog nov Idicov

42 Friedrich Ernst Kind.

ßtßXiiov -TQOS Eiyei'iavor, 11. diayvojoeioi^ /.cd ^eparrc/öc t(ov iv rfj {■y.darov ü'vxfj löiijy Tiathov. Das Buch scheint beachtenswert zii sein. Schöne weist nach, daß in der QsQa^ceiTiKt] /tud-odog XIII 15 (X 909 ff. K) unter lo zov Tqaiavov yiftvdoioy, wo der Kyniker Theagenes täglich zu disputieren pflegte , die Thennae Traianae auf der Höhe des Oppius zu verstehen sind (so schon Benaays u. a.). nicht aber, wie Conze, Altertümer von Perganion, wiU, eine örtlichkeit in Pergainon. Herbst hatte schon in seiner Diss. (s. Ber. I, Nr. 114) die Wörter zusammengestellt und besprochen, die sowohl nach dem Zeugnis Galens als auch nach dem der alten Lexikographen und Grammatiker von den Attizisten gebilligt wurden. An diese reiht er in seinem Buche die Ausdrücke, für die Galen zwei Wörter gibt, ohne eines von ihnen als attisch zu bezeichnen, bei denen aber das eine durch die Grammatiker als attisch bezeugt wird. Es folgen die Fälle, wo wir nur nach Galens Zeugnis ein attisches Wort vor uns haben, endlich die Stellen, wo walirscheinlich auf attische Bestrebungen Bezug- genommen wird.

O DO

In der Einleitung behandelt H. die Schriften Galens, die aus /I. tojv iöicDv ßiß/.iwv, c. 11 und 17 für seine grammatischen Arbeiten in Betracht kommen, und zeigt Galens ablehnenden Standpunkt gegen- über dem übertriebenen Attizismus seiner Zeit; vgl. vor allem VI 633 K: ToTro ro luy^aiov o\ rijv f.ttitqititov ipfvöonaiöeiav ao/.ovvTEg ovoud^eiv a^toioi odcfavor, wotxeq rolg rrpo f-^anooiior ht^v lAiyr^vaioig diaXeyouevwv f](^iöv, d?J.^ oi'/_l rolg vvv ' E?/Ar^aiv xrA. III 309 K stellt der Pergamener den iv ovouaai uövov öetvolg gegen- über die Forderung auf, man solle eingedenk sein r^g JI/Mi(ovi/S^g Tiagaivioecog, u)g idv TiaQa/iie/.cjiuEv ovoj-idtiov, Tr'KovoiineQüL (fQortj- OEcüg elg xb yr^gag dffi^oiueO^a. Und doch nimmt Galen nicht nur auf die Attizisten sehr häufig Rücksicht, sondern bekämpft obendrein

wie H. in seinem fünften Kapitel (De Galeui ipsius in voca- bulorum usu ratione) darlegt aufs energischste die Barbarismen, besonders die des Archigenes. Diese doppelte Stellungnahme Galens

seine Ablehnung puristischer Tendenzen und doch wieder sein Interesse an grammatischen Fragen, sein Eintreten für Sprach- richtigkeit — erklärt sich aus seinem sprachlichen Ideal : sein Ziel ist das D.Xrjvi'Ceiv, die 'Eeichssprache' (vgl. Raeder, B. ph. W. 1912, Sp. 1052); er verlangt Klarheit und Ailgemeinverständlichkeit der Sprache , darum ist er Gegner von jeder Art von Provinzialismus, d. h. sowohl vom Attizismus als auch vom Barbarismus der Sjrer u. a. Ein Index verborum und locorum emendatorum beschließt die unsere Kenntnis des Attizismus wesentlich fördernde Arbeit.

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 4:3

b. Die medizinischen Schriften. a. Die Schriften zur Erklärung des Hippokrates.

89) H. Di eis, Die handschriftliche Überlieferung des Galen- schen Commentars zum ProiTheticum des Hippocrates. Abh. Preuß. Akad. 1912, 1, S. 1—41.

90) J. Mewaldt, Die Editio princeps von Galenos In Hippocratis De natura hominis. S. Ber. Preuß. Akad. 1912, S. 892—903.

91) J. Mewaldt, Eine Fälschung Chartiers in Galens Schrift über das Koma. S. Ber. Preuß. Akad. 1913, S. 25(i— 270.

92) E. Wenkebach, Pseudogalenische Kommentare zu den Epidemien des Hippokrates. Abh. Preuß. Akad. 1917, 1, S. 1 62.

Über Galens literarische Quellen für seine Hippokrates- kommentare vgl. Wellmann Nr. 75. S. auch Bergsträßer Nr. 33. Di eis bietet eine gründliche Studie zu den Hss des Kommentars zum Prori'heticum. Von den 9 in HAA I, S. 103 genannten Hss scheiden die Parisiui 2168 und 2228 aus : sie enthalten nicht die Kommentare zum Prorrheticum, sondern zum Prognosticum. (Das ist eine naheliegende Verwechslung: auch Gal. Scr. min. II 113, 10 liegt sie vor : dort muß es statt TiQoyi'woir/.oi' heißen 7rQOQQi]Tix6v, wie schon vor Mewaldt, Herm. 1909, Ilberg in den Commentationes Ribbeckianae 1888, S. 343, Anm. 1 gesehen hat.) Anderseits tritt der wichtige Laur. 75, 5 saec. XIV neu hinzu. Er ist der Führer der b-Klasse, während der der a-Klasse Vat. Reg. 175 saec. XIV ist. Teilweise berühren sich Diels' Untersuchungen mit den Dar- legungen Helmreichs (Gal. Scr. min. III, S. Vif.), Westenbergers (Ber. I, Nr. 142), Gablers (Ber. I, Nr. 141) und Minors (s. u. Nr. 98). Da D. die Ergebnisse seiner Arbeit in der Praefatio zu seiner Ausg. (s. u. Nr. 94) kurz zusammenfaßt und berichtigt, so sei hier nicht näher darauf eingegangen. Methodisch interessant sind Mewaldts Ausführungen über die Editio princeps vom Kommentar zu n. ffioetog avif^Qvmov. Da aUe Galenausgaben bis herab zur Kühnschen auf der Aldina fußen, so ist es um so wichtiger, den ersten Herausg. bei seiner Rezensionstätigkeit und der Vorbereitung des Druckes zu beobachten. Tatsächlich glückt uns dies; denn in dem Reginensis gr. 173 ist uns das Redaktionsexemplar der Aldina erhalten. Das der Abh. beigegebene Faksimile von fol. 202 •' gibt ein anschauliches Bild von der Tätigkeit des Herausg. Er legte den Reg. mit seinen feinen, deutlichen, sauberen Schriftzügen des XV. Jahrli. zugininde. zog unleserlich gewordene Buchstaben nach,

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verbesserte hier und da einzelne Wörter und fügte auch ganze Sätze und Satzstücke zwischen den Zeilen oder am Rande hinzu. Wahrscheinlich stammen diese Korrekturen von Joh.-Bapt. Opizzone selbst, dem Ai-zte zu Pavia, der die Drucklegung der Editio princeps aufs energischste betrieb ; mindestens sind sie in seinem Geiste und nach seinen Anweisungen gemacht worden. Auf welchen Quellen aber beruht die Bearbeitung? Der Schreiber des Reg. gibt die Lemmata aus Hijip. nur mit ihren Anfangs- und Endworten; in seiner Vorlage standen sie vollständig, wie der aus derselben Vorlage abgeschriebene Marc. V beweist. Die fehlenden Zwischenstücke hätten natürlich aus einem Galencodex ergänzt werden müssen, in Wirklichkeit aber sind sie aus einer vulgären Hs des Hipp, nach- getragen worden ; auch das im Reg. stehende Incipit und Explicit ist hiernach korrigiert worden. Mit dieser Feststellung aber ist die Wertlosigkeit der Aldina (und ihrer Nachfolgerinnen) für die Hippokrateszitate erwiesen. Die echte galenische Hippokrates- überlieferung berührt sich mit der besten Hippokrates-Hs A = Paris. 2253 ; in den Galenausgaben hingegen handelt es sich nur um vermeintliche Zeugnisse Galens. Diese Wirkung des Korrektors zeigt sich auch im Titel der Schrift. Galen nannte sie, wie aus allen Galen-Hss hervorgeht, TT. cpvaeiog avi^oomov : erst der erste Herausg. hat die ionische Form rpuaiog in den Reg. hineinkorrigiert. Trotzdem hat jener Mann sich auch Verdienste erworben. Den Hippokratestext zwar hat er gefälscht, den Galentext aber im Reg. hat er in überaus zahlreichen Fällen gebessert, indem er eine jetzt verschollene Hs der anderen Klasse benutzte, die mit deren einzigem heutigen Vertreter, dem Laur. gr. 59, 14, nahe verwandt war. Diese andere Klasse hat die Flexionsendungen besser bewahrt und ergänzt auch schwerer wiegende Auslassungen der ersten Klasse. 'Wenn wir heute trotzdem allein durch die Recensio über jenen Text hinauskommen , so liegt das an der noch hervorragenderen Trefflichkeit des Laurentianus, an der Hilfe der arabischen Über- setzung des Honain (IX. Jahrh.) , die uns der Laur. arab. 226 saec. Xin bietet, und an der Sonderüberlieferung der Marciani für das 3. Hypomnema.' Von den übrigen im Reg. enthaltenen Schriften ist sicher Elg TO IJQoyioati/.uv ^In7ioy.QaTOvg Vorlage der Aldina (von Heeg bestätigt) und JT. nTiadvrjg. Für IJ. vyieivcZr, meint M., ist es schwerlich anzunehmen, da die üblichen Korrekturen fehlen; vgl. jedoch Hartlich u. Nr, 103. Dagegen Mar der Reg. für Eig to TT. diuirr^g oSeov vocr^uccTcjv '^f^r^roy.gaTOvg sicher nicht Vorlage der Aldina: das war vielmehr Paris, gi'. 2165 saec. XVI, aus dem auch

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 45

die weiteren in ihm enthaltenen Schriften Galens genommen sind, wie das Äußere zeigt (für ^ETtiöt^fticov a und / von Wenkebach erkannt, für JI. övo.cvolag von Minor (s. u. Nr. 98). Der Parisinus ist von einem einzigen Manne durchgearbeitet, der eine andere Hand schreibt als der Bearbeiter des Reg. : daraus folgt, daß die Männer der Editio princeps die Hss zur Zubereitung für den Druck unter sich verteilt haben. Außerdem ist bemerkenswert, daß eine andere Hand mehiToals die Notiz stampado sowie die Kustoden der Aldina beigesetzt hat ; dies sind jedenfalls Bemerkungen des Redakteurs Opizzone. Der zweite Aufsatz Mewaldts gewährt einen lehrreichen Einblick in die Editorentätigkeit des Franzosen Chartier, der anderthalb Jahrhunderte nach der Aldina Galens Werke herausgab. Das Schriftchen über das Koma wurde von Galen ver- faßt, als er seinen Kommentar zum Prorrheticum I zu schreiben begann, wie er selbst bezeugt. (Ref. vermutet, daß Galen zu der Sondersclirift durch den Wunsch veranlaßt wurde , den üblichen Rollenumfang der Kommentare nicht zu überschreiten ; vgl. unten hinter Nr. 96.) Die einzige griechische Hs ist Laur. gr. 74, 3 saec. ZvII ; dazu tritt ergänzend die vollständigere lateinische Über- setzung des Nicolaus von Rhegium im Paris, lat. 6865 saec. XIV. W^ährend nun der Laurentianus mehrere Lücken dadurch kenn- zeichnet, daß er jedesmal einige Zeilen (gewöhnlich 3) freiläßt, wird eine große Lücke, die bei Kühn mit 10 Seiten griechischem Texte ausgefüllt ist, gar nicht angedeutet. Kuhns Text ist aus Chartier abgedruckt; die Ausgaben vor Chartier haben diesen griechischen Text nicht, sie wissen vielmehr alle, daß diese Lücke aus Nicolaus von Rhegium , dem also noch im XIV. Jahrh. eine vollständige griechische Hs vorgelegen haben muß, zu ergänzen ist. M. führt den Nachweis, daß Chartier, dem ebensowenig wie seinen Vor- gängern und uns ein zweiter griechischer Codex zur Verfügung stand, den Text des Nicolaus selbst übertragen hat, und zwar nicht nach dem Parisinus, sondern nach einem Drucke (Paris, richtig: in audendo promptissimi, Juntina von 1541 falsch: in audiendo pr., Chartier: ay.ov£iv ngoO-vi-WTaTOi). Infolge dieser Erkenntnis er- scheint im CMG (u. Nr. 94) die Stelle wieder lateinisch. Das- selbe Verfahren des Pariser Herausg., unsre lückenhafte griechische Überlieferung durch Rückübersetzung aus einer lateinischen Über- setzung zu ergänzen, ohne diese Tätigkeit auch nur leise anzu- deuten, legt Wenkebach bloß. Der Anfang des Prooemiums zu den Epidemienkommentaren (XVII A 1 5, 12 K) fehlt in allen unseren griechischen Hss 5 sie beginnen erst XVII A 5, 13 K mit

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den Worten uövov siQoyvi'iOETai tag yivoutvag voaovg, und ent- sprechend lauten die ersten Worte der lateinischen Hss und Drucke bis zum Jahre 1550. Erst in der zweiten Juntina von 1550 und einem Lyoner Nachdrucke desselben Jahres erscheint der fehlende Anfang in der lateinischen Übersetzung des Nicolaus Macchellus, eines Arztes in Modena. Die von diesem Gelehrten benutzte Venediger Hs war wahrscheinlich griechisch geschrieben ; doch ist auch nicht ausgeschlossen, daß es eine arabische Übersetzung war ; auch der Scorialensis arab. 804 enthält unser Prooemium in fast gleicher Gestalt. Hier sind die Untersuchungen noch nicht ab- geschlossen [Fortsetzung dieser Studien Wenkebachs in Abh. Preuß. Akademie 1918. Nr. 8], aber Chartiers grober Täuschungsversuch steht fest: er hat Gal. XVII A 1 5, 12 K durch Rückübersetzung aus Macchellus 'in den Galentext' seiner Ausgabe 'eingeschwärzt'; dieses 'schauderhaft barbarische Gestammel' hat dann Kühn kritik- los in seine Ausg. herübergenommen. Die Form stammt also von Chartier, der Inhalt unzweifelhaft von Galen selbst. Anders liegt die Sache in dem zweiten von W. behandelten Falle. Hier ist Chartier schuldlos : er ist selbst das Opfer eines Betrügers übelster Sorte geworden. Die bei Kühn XVII A 313 462 abgedruckten Erklärungen zum zweiten Buche der Epidemien tauchen wiederum zuerst bei Chartier auf, der sie bona fide dem 1617 in Venedig erschienenen Buche : Claudii Galeni Pergameni Commentarius in secundum Epidemiorum Hippocratis , nunc primum e Graeco in Latinum sermonem translatus a Joanne Sozomeno . . . nachdruckte. Dieses Buch aber ist, wie W. ausführlich beweist, aus Werken des bekannten Hippokratesforschers Anutius Foesius gefälscht, nämlich aus seiner Erklärung des zweiten Epidemienbuches und seiner Oeconomia Hippocratis (1588). Ganze Abschnitte aus jenem Kom- mentar werden wörtlich übersetzt; dabei ist der Stil ein seltsames Gemisch in Hiatbehandlung , Wortgebrauch und Periodenbildung. An den Stellen, wo Foesius versagt, wird die Erklärung mühsam aus Stücken zusammengeflickt, die andern Schriften Galens, nament- lich den Epidemienkommentaren, sklavisch entlehnt sind. Die Tat- sache, daß ein Rest, wie es scheint, eignen medizinischen Wissens für den Fälscher übrigbleibt, erschwert die Annahme, in Sozomenos selbst den Betrüger zu sehen; denn jener Gi'ieche wirkte teils als Sprachlehrer, teils als Jurist. Andere Gründe aber sprechen wieder dafür. Eine Entscheidung könnte die Auffindung der Hs des Kom- pilators bringen, die möghcherweise mit der Hs identisch ist, die sich im Besitze des dänischen Arztes Johannes Rhode (1614 1659

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 47

in Padua) befunden hat; es ist aber bis jetzt noch nicht geglückt, den Verbleib der Rhodeschen Hs in Padua zu ermitteln. Ein weiteres Kriterium, die Frage der Verfasserschaft zu lösen, macht Ilberg, D. L. 1917, Sp. 1258 geltend: Wenn Sozomenos selbst der Fälscher ist, so müssen sich in der lateinischen Übersetzung der Fälschung unwillkürliche Anklänge an die benutzten lateinischen Vorlagen feststellen lassen. Allerdings ist jene Venediger Editio princeps vom Jahre 1617 schwer zu erhalten; der bei Kühn ge- botene lateinische Text ist nicht der des »Sozomenos (vgl. Ilberg a. a. 0., Sp. 1313).

93) Galeni in Hippocratis De natura hominis comm. III ed. J. Mewaldt; in Hippocratis De victu acutorum comm. IV ed. G. Helmreich; De diaeta Hippocratis in morbis acutis ed. J. Westenberger. Leipzig und Berlin 1914 (= CMG V 9, 1).

9-1) Galeni in Hippocratis Pron-heticum I comm. III ed. H. Diels; De comate secundum Hippocratem ed. J. Mewaldt; in Hippocratis Prognosticum comm. III ed. J. Heeg. Leipzig und Berlin 1915 (= CMG V 9, 2).

95) H. Schöne, Zu Galens Schrift IIeqI tov nag^ ^Itttco- xQavEi mSiiazog. Rh. Mus. N. F. 1916 LXXI, S. 388—405.

96) G. Helmreich, Zum Corpus Medic. gi-aec. V 9, 2. B. ph. W. 1916, Sp. 382 f.

97) G. Helmreich, Handschriftliche Verbesserungen zu dem Hippokratesglossar des Galen. S. Ber. Preuß. Akad. 1916, S. 197—214.

Die beiden Halb bände V 9 des CMG sollten den Bänden XV und XVI der Kühnschen Ausg. entsprechen. Bei den Vor- arbeiten aber erkannte Nelson, daß der Kommentar zu ff. ZQOCfijg (XV 224 417) nicht galenisch ist, und zu demselben Urteil ge- langte Kalbfleisch über den Kommentar zu IT. yvf.iwv (XVI 1 488). Beide Schriften wurden also der Abteilung XI des CMG (Com- mentaria minora in Hipp, et Gal.) zugewiesen ; an ihre Stelle traten aus Band XIX und VII die kleineren, den Kommentaren nahe- stehenden Abhandlungen TT. Ttjg '^htrroy.QccTOvg öiaiTr]g htl tojv o^tiov voorjfxdiojp, die Westenberger für ein echtes Jugendwerk Galens hält, und TT. tov nag '^Irrnoy.QccTEi v.vjfiaTog, die zum Teil in der lateinischen Übersetzung des Nicolaus von Rhegium erscheint (s. o. Nr. 91). Mit tiefer Befriedigung und mit einem Gefühl des Dankes nimmt man die neue Ausg. zur Hand. Der kritiklose, löschpapierne Kühn, dessen Preis immer höher getrieben wird, ist hier endlich

48 Friedrich Ernst Kind.

überwunden ; hier ist zum ersten Male die Überlieferung in vollem Umfange herangezogen und kritisch gewürdigt; reichliche und wert- volle literarische Nachweise und Indices sind beigegeben. Jetzt erst ist es möglich, auf zuverlässiger kritischer Grundlage mitzu- arbeiten und zu der mühevollen Arbeit der Herausg. Ergänzungen zu liefern. So bringt Schöne eine Anzahl überzeugender Ver- besserungen zu der Schrift über das Koma (V 9, 2) bei. Besonders wichtig ist der Nachweis, 'daß die Florentiner Hs (Laur. gr. 74, 3) an allen fünf Stellen, an denen sie durch Aussparung von Raum eine größere Lücke bezeichnet, Glauben verdient, und daß die eriechische Yorlage des Nicolaus wahrscheinlich an diesen Stellen dieselben Lücken aufgewiesen hat vielleicht ohne sie kenntlich zu machen'. Diese Erkenntnis gilt offenbar auch für die andern von gleicher Hand geschriebenen Schriften desselben Codex. Für n. öiayrcjOEiog y.al O^egaTreiag twv f.v ey.dazov \pvxf, löUov na^civ (Scr. min. I 45 Marquardt) zeigt dies Schöne (s. u. hinter Nr. 120), für ÜQog ^v/.ov und Tlgog^ Iov)uav6v fehlen noch zuverlässige Kolla- tionen. — Helmreich Nr. 96 steuert notwendige Verbesserungen zum Procmosticum-Kommentar bei. Ref. selbst hat zu beiden Halbbänden in seiner Rez., B. ph. W. 1916, Sp. 482 ff. weitere Vorschläge gemacht. Die Konjektur zu V 9, 1, S. 104, 25 yiyvrjai für i^yvör^zai erhält eine neue Stütze durch V 9, 2 S. 175, 3 mit Heranziehung von Diels Nr. 89, S. 11: R richtig yiyvofxivag, L Y/vofjera, V )]yviOf.t£i'ai. In der Bemerkung zu V 9, L S. 313, 28 ist die Parenthese zu streichen. Von allgemeinerem Interesse ist die Feststellung, daß Galen in seinen Hippokrateskommentaren den Umfang der Einzelbücher auf ein ganz bestimmtes Rollenformat ein- richtete, daß demnach der heutige vierte Kommentar zu IJ. diahr^g oBicov die dro vTiOf^vr^iiara eig za nQOG-/.tif.ieva enthält, während der heutige zweite und dritte Kommentar zu FL. (fi'oecog avOgcj/iov bei Galen in einem Buche zusammengefaßt war. Der Kommentar zu ^Emdrjtuiuv ß' wollte sich der Annahme des Ref. nicht fügen; er ist heute als Fälschung erwiesen (s. o. Nr. 92). Vgl. auch zu Nr. 91. Galen hat außer den Kommentaren auch noch ein alpha- betisch geordnetes Verzeichnis von Erklärungen seltener oder in ungewöhnlicher Bedeutung gebrauchter Wörter bei Hipp, verfaßt. Diese ziov ^l7C7to-/.Qdzorg y?uoaaiöv ^^Y/rjOig ist aber bei Kühn (XIX 62 157) recht entstellt. Helmreich Nr. 97 gelingt es, auf Grund seiner Kollation von Laur. 74, 3 und dessen Apographon Marc, append. cl. V 15 den Text an über 200 Sl«llen zu verbessern und damit eine fruchtbare Vorarbeit fürs CMG zu liefern. Rez.

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 49.

von Hartlich, B. pb. W. 1916, Sp. 1577 ff. Aber weder Verfasser noch Rezensent haben bemerkt, daß schon Ilberg, Commentationes Ribbeckianae 1888, S. 329 ff.) auf diesem Gebiete tüchtig vor- gearbeitet hat , und daß Hehnreichs Vorschläge sich zum Teil be- reits bei Ilberg finden. [Im voraus sei auf Helmreichs Kollation des Monac. gr. 71, B. ph. W. 1919, Sp. 43 45 hingewiesen.] Für TT. lojv xai^' 'iTrno/.Qcarjv öxoixdiov vgl. u. Nr. 107 a.

ß. Die andern medizinischen Schriften.

98) A. Minor, De Galeni libris Ue^l övonvoiag. Diss, Marburg 1911.

99) R. Noll, Galeni Ueqi xgeiag avamor^g libellus. Diss. Marburg 1915.

100) F. Albrecht, Galeni libellus An in arteriis natura sanguis contineatur. Diss. Marburg 1911.

101) R. Noll, Zu Galens Schrift Ei /.azä (piaiv f.v aQxr^oiaig alf.m TTSQiix^Tai. B. ph. W. 1913, Sp. 1246 f.

102) H. Wagner, Galeni qui fertur libellus El ZiTiov xb xauc yaoxQog. Diss. Marburg 1914.

103) 0. Hartlich, De Galeni ^YyiELvwv libro quinto. Diss. Marburg 1913. (Auch Progr. Grimma 1913.)

Die vorstehend genannten Arbeiten sind Kalbfleischs Anregung und Beistand zu verdanken ; sie alle sind gediegene Vorarbeiten fürs CMG. Minor erörtert für II. övOTtvoiag zunächst gründlich die Handschriftenfrage. Zwei Klassen sind zu unterscheiden : Haupt- vertreter der R- Klasse ist Reginensis 175 saec. XIV, aus ihm stammt Paris. 2166 saec. XV/XVI und Marc. App. cl. V 5 saec. XV, aus letzterem wieder Paris. 2165 saec. XVI in. (bei M. S. 2 störend saec. XV in.). Der stark verderbte Mutinensis 237 saec. XVI ist aus einem verlorenen Codex abgeschrieben, der die Vorlage des Reginensis benutzte. Die Hss der B-Klasse, Baroccianus 220 saec. XIII, Canonicianus 44 saec. XV, Phillipps 4614 saec. XIV/XV, gehen voneinander unabhängig indirekt auf dieselbe Hs zurück. Zu dieser Handschriftenklasse gehört auch die lateinische Übersetzung des Nicolaus von Rhegium. Von den lateinischen Codd. ist der Malatest. S XXVI 4 nicht mit HAÄ I, S. 85 ins XIII., sondern mit Kalbfleisch und Brackmann ins XV. Jahrh. zu setzen ; die Über- setzung des Nicolaus ist ja auch erst 1345 entstanden. Nach der zweiten lateinischen Ausg. von 1502, die allein auch Buch 11 und III enthält, wurde Paris. 2165 durchkorrigiert, und in dieser Gestalt

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 180 (1919. HI). 4

50 Friedrich Ernst Kind.

benutzte ihn die Editio priuceps, die Aldiua von 1525 (s. o. zu Nr. 90) ; aus dieser stammen die andern Ausgaben. Im zweiten Kapitel zeigt M. für das erste Buch an einer langen Reihe von Beispielen die Güte der B-Klasse. Des weiteren werden die in dieser Schrift angewandten Normen für Zulassung des Hiatus fest- gestellt. Endlich gibt M. zwei Proben der neuen Textgestaltung : VII 753—760, 15 K und 901—908 K. Noll Nr. 99 befaßt sich mit der Schrift H. XQelag dvaTtvorjg (IV 470 511 K). Laur. plut. 74, 5 saec. XIV (F) und Marc. 281 saec. XV (M)'sind aus dem- selben Archetypus abgeschrieben, Pai*is. suppl. gr. 35 saec. XV (P) ist Apographon von F. Nolls Ausführungen über das Abhängigkeits- verhältnis der andern in P enthaltenen Schriften bringen wir unten zu Nr. 120. Die vor 1309 angefertigte Übersetzung des Nicolaus von ßhegium ist ein sehr brauchbares Hilfsmittel ; der dort benutzte Codex gehört zwar auch zur Familie FMP, war aber bedeutend besser. Das Exemplar der Aldina ist M oder ein Apographon dieser Hs; es wurde jedoch nach der Venediger Ausg. des Nicolaus von 1490 verbessert. Auch Cornarius zog in seinem Exemplar der Aldina (jetzt in Jena) den Rheginer mit Erfolg heran. Die andern Ausgaben hängen wiederum, wie nicht anders zu erwarten, von der Editio princeps ab. Die Übersetzung des Cornarius (sie steht bei Kühn) fördert nicht; unbrauchbar sind die des Vassaeus und Lodo- vicus. Auf Grund dieses textkritischen Apparates fügt N. die ganze Schrift in neuer, guter Rezension an. Die notwendigen Indices sind beigegeben. Galens Verhältnis zum Hiatus wird S. XIII f. behandelt. Alb recht hat sich Galens Büchlein Ei xar« qtvoiv iv ccQxr^Qiaig aifta TrEQiexezaL (IV 703 736 K) zur Bearbeitung erkoren. Die wohl zuerst von Alkmaion von ICroton behauptete, von Praxagoras wissenschaftlich begründete Lehre, die Schlagadern seien nur Luftkanäle, wurde von Chrysippos aufgenommen und von seinem Schüler Erasistratos mit größter Hartnäckigkeit verfochten. Gegen diese pneumatische Theorie wendet sich Galen. Als Quelle konnte ihm, wie A. in der Praefatio vermutet. Marinos (Anfang des IL Jahrh. n. Chr.) dienen (Gal. Scr. min. II, S. 104, 24; A. schreibt, durch die Kühnsche Paginierung irregeführt, 26). Auch den Archi- genes wird er benutzt haben (VIII 940, 15 K); ein Argument schöpfte er aus Asklepiades von Bithynien (Gal. Scr. min. III, S. 155, 17). Endlich bestehen unverkennbare Beziehungen zu col. XXVI bis XXVIII des Anonymus Londinensis. Gegen Ilberg, Rh. Mus. XL VII, S. 501 wird die Reihe der Galenischen Schriften ihrer Ent- stehungszeit nach folgendermaßen geordnet : II. ygeiag avarcvor^g,

Bericht über die Literatur zur iintikcn Medizin 1911--1917. 51

El /MTct q)ioiv v.tX., n. XQBiag /.ioqÜjv, 'u^varofi. ^yyeiotja., 11. ■/Qeia<i 0(pvy!.ivn' El yLOxa cpiair ist jedenfalls nicht lange nach 169 ent- standen. Von den beiden Codd., in denen die Schrift erhalten ist, ist Laiir. 74, saec. XII entschieden der bessere ; aber auch der mit diesem verwandte Marc. App. cl. V 4 saec. XV ist nicht wert- los. Ein dritter, den Marc, übertreffender, jetzt verlorener Codex bildete die Vorlage der Aldina; auf diese geben die ü1»rigen Aus- gaben zurück : sie tragen ihrerseits ebenso wie die lateinischen Übersetzungen des XVI. Jahrh. noch eine Anzahl Emendationen bei. Beachtenswert sind auch hier die handschriftlichen Notizen des Janus Cornarius in der Jenaer Aldina. Nach einer Untersuchung über Galens Verhalten zum Hiatus gibt A. die neue Rezension des Textes, dessen wesentliche Verbesserungen auch Kalbfleisch hat das Seinige beigesteuei't in den Annotationes begründet werden. Ein Index verborum beschlieljt die fruchtbringende Dissertation. Noll Nr. 101 bringt einen wertvollen textkritischen Beitrag zu der eben besprochenen Publikation. Wagner bietet eine lesbare Edition der pseudogalenischen Schrift El Upov to xaza yaoToog; dabei ist auch er von Kalbfleisch ausgiebig unterstützt worden. Die Hss zerfallen in zwei Klassen. Auf der einen Seite steht Laur. 74, 3 saec. XII (L) und die selbständig auf ein verlorenes Apographon von L zurückgehenden Marc. App. cl. V 4 saec. XV und Paris. 2164 saec. XVI, auf der andern Paris. 3035 saec. XIV. Die Aldina benutzte wahrscheinlich jenen verlorenen Codex ; aus ihr flössen die andern Ausgaben. In den Annotationes rechtfertigt W. seine Textgestaltung, ein brauchbarer Index ist beigegeben. Im zweiten Kapitel erörtert W. die Echtheitsfrage. Außer von Kostomiris wird diese Schrift, ebenso wie Ugog FavQOv liegt tov 71 wg enilwyoviai 1'f.tßQva, seit der Aldina für untergeschoben gehalten. Nach W. haben wir es mit einer Bewerbungsrede zu tun (Xen. Memor. IV 2, 5): in unserer Schrift liest man: iycj iinelg Ol y.QiTai', auch an die ayirIvEg rov owrayiuaTog in Ephesos (vgl. Ber. I, S. 231) erinnert W. Galen aber verschmäht die Form der ETtiÖEi^tg. Dazu kommt, daß die Art der Beweisführung nicht galenisch, sondern töricht ist. Bei Galen wird ein Wesen durch den ersten Herzschlag zum OZov, hier im Augenblick der Zeugung; nach Galen findet Ernährung und Atmung des Foetus durch den Nabel statt, hier geschieht beides durch den Mund. Gegen Galens Gewohnheit wird keine seiner eigenen Schriften angeführt ; ander- seits zitiert Galen unsere Schrift nirgends. Der Hiatus wird in

viel größerem Umfange zugelassen als bei Galen, Hartlich

4*

52 Friedrich Ernst Kind.

weist im fünften und sechsten Buche der 'Yyieivd eine ganze Reihe seltsamer Widersprüche nach. Eine grobe Verschiebung im fünften Buche ist erst in den geringeren Hss durch Blattversetzung ein- getreten (vgl. Ber. I, S. 182); die weiteren Unebenheiten aber sind auf Galens Rechnung zu setzen. Sie erklären sich daraus, daß Galen das Werk, das er noch unter Marc Aurel in fünf Büchern vorläufig zum Abschlüsse gebracht hatte, i^nter Septimius Severus nach Vollendung des achten Buches der QEQaTcevTiKtj /.tid^odog abermals bearbeitete. Dabei zerlegte er das Schlußbuch in zwei Bücher, stellte die Teile um und arbeitete neue Partien hinein. Die Spuren der ersten Recensio zu tilgen , mißlang dem Schrift- steller ; Reste der ehemaligen Disposition blieben stehen, die Um- arbeitung hatte ihre Widersprüche, die H. nun mit größtem Scharf- sinne aufgedeckt hat. Vgl. Ilbergs Rez., D. L. 1913, Sp. 1274 ff. und des Ref. Bemerkungen, B. ph. W. 1914, Sp. 714 ff. Im weiteren Verlaufe seiner Diss. behandelt H. die Überlieferungsgeschichte. Der Codex der Aldina ist Regin. 173 saec. XV (vgl. aber oben zu Nr. 90). Aus ihm stammt auch Paris. 2172 saec. XVI, aus dem wieder Lips. 50 saec. XVI geflossen ist. Der Regin. ist mit Venet. 282 saec. XV verwandt. Die beste Überlieferung bietet Venet. 276 saec. XII ; er kennt die oben erwähnte Blattversetzung nicht und hat eine bessere Kapiteleinteilung bewahrt. Dieselben Vorzüge zeigt die lateinische Übersetzung, die Nicolaus von Rhegium Anfang des XIV. Jahrh. unter Verwendung der lateinischen Exzerpte des Pisaners Burgundio (1275) anfertigte. Den Schluß der Dissertation bildet ein specimen editionis et translationum (c. 2 = VI 312 318 K).

104) R. Beer, Galenfragmente im cod. Pal. Vindobonensis 1^. Wiener Studien 1912 XXXIV, S. 97—108.

105) G. Helmreich, Handschriftliche Studien zu Galen.

II. Teil. Progr. Ansbach 1911.

106) G. Helmreich, Handschriftliche Studien zu Galen.

III. Teil. Progr. Ansbach 1914.

107) Aem. Issel, Quaestiones Sextinae et Galenianae. Diss. Marburg 1917.

107a) G. Helmreich, Kritische Bemerkungen zu Galen. Bayer. Blätter f. d. Gymnasial-Schulwesen 1917 LIII, S. 276—294.

108) 0. Probst, Eine Episode aus des Demosthenes Schüler- jahren. N. J. kl. A. 1913 XXXI, S. 307 f.

109) C. Elze, Vom „ungeleckten Bären". AGN V, S. 36 bis 48.

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 53

Die Doppelblätter 57^70, 58^69, 59^68, 61^66 des Wiener Palimpsests wurden bisher für das Bruchstück einer medizinischen Schrift gehalten. Nach Bick (Ber. I, Nr. 86) be- richteten wir (S. 167): 'Da keine längere zusammenhängende Stelle zustande gebracht werden kann, wird es wohl kaum gelingen, den Schriftsteller zu bestimmen.' Sorgfältigste photographische Technik hat aber doch weitergeführt. Beer stellt auf Grund neuer Ent- zifferungen fest , daß mindestens drei verschiedene Schriftstücke vorliegen , die auch von mindestens ebensovielen Händen auf- gezeichnet wurden , und identifiziert zwei größere Bruchstücke : fol. 68^ mit Galen 11. &t^Qiay.tjg TtQog üaficfiXiarov (XIV 298, 3 bis 301, 9) und fol. 61^ mit Galen Tl. avvi^taeojg (paQ[.iaKiov ziZv Aaxo. yivr^ II 19 (XIII 544 f.). Der Text ist stark gekürzt, geradeso wie die in demselben Vindob. 16 überlieferten reskribierten Pelagonius- fragmente und die Epistula apocrypha Apostolorum. Eine Ver- gleichung der neu gewonnenen Bruchstücke 61^' und 68^' mit den Dioskurides- (Ber. I, a. a. 0.) und Pelagoniusfragmenten ergibt, 'daß die hier besprochenen lateinischen und griechischen Bruch- stücke von mindestens fünf verschiedenen, durchweg reski'ibierten Schriften in bestimmter Absicht vereinigt wurden, natürlich nicht in Bobbio , wo sie ja eine zum Teil so gründliche Zerstörung er- fuhren, sondern offenbar in der Sammlung, der die primären Texte ursprünglich angehörten'. Höchstwahrscheinlich haben wir hier die Reste eines Codex vor uns, der der Bibliothek des Cassiodorius Senator im Kloster Vivarium angehörte ; vgl. Beer im Anzeiger der philos.-hist. Kl. der Kaiserl. Akad. d. Wiss., Wien 1911, Nr, XI und Cassiod. De inst. 31, LXX 1146 M. Helmreich Nr. 105 gibt zunächst aus cod. graec. class. V Nr. 12 der Marcusbibliothek saec. X/XI (nach H. etwas jünger) eine Galens Namen tragende Abhandlung 11. alviag :ra&(~jv heraus. Er spricht sie mit Recht Galen ab, da dieser nie ein solches Werk von sich erwähnt, und da die Schrift inhaltlich zu dürftig und sprachlich zu unbeholfen ist. Der Wert des Machwerks beruht auf der Aneinanderreihung vieler Hippokrateszitate. Besonders hervorzuheben sind die Anführungen aus n. fßdo/iKxdcov (vgl. 0. Nr. 28). Wichtig ist auch, daß das von Galen im Lex. voc. Hipp. (XIX 96) angeführte i'/.ve(flag (Tivgerog) belegt wird. H. gibt die nötigen Verweisungen auf Hipp., wie er auch den flüchtig geschriebenen Text nach Kräften gebessert hat. Im zweiten Stück von Ni\ 105 bietet H. das Ergebnis einer Ver- gleichung des Monac. gr. 469 saec. XIII für Galen Tl. xodaeojg '/Ml dvvduEcog tvjv anlojv q^aQucc/.ojv VIII (Sclüuß) und IX (XII

54: Friedrich Ernst Kind.

145 24-i K). Die Varianten des Monacensis wei'den von Oreibasios, Aetios und Paulos von Aigina vielfach bestätigt und als richtig er- wiesen. — Helm reich Nr. 106 bringt für die pseudogalenische Schrift Eiaaywyt] i^ ^largog (XIV 674 797 K) die Kollation von Dresd. Dal saec. XV und Monac. gr. 109 saec. XVI mit überaus glücklichem Erfolg. Hervorzuheben ist für S. 688 die Einfügung \Ad^t\vaio<i 1/rraAerg xr^g naf^Kfvliag hinter Asklepiades (vgl. o. Nr. 43), die Feststellung, daß in der Schi'ift ursprünglich zwei Kapitel mehr vorhanden waren, und das Fehlen des 14. Kapitels, eines späten Zusatzes; vgl. Ref. B. ph. W. 1917, Sp. 423 f. Hin- sichtlich der Verfasserschaft lehnt H. die Annahme, daß der Pneu- matiker Herodotos der Verf. sei , als nicht genügend fundiert ab und beschränkt sich darauf, die Eiaayijyrj einer späteren Zeit zu- zuweisen und zu vermuten, daß der Verf. in Alexandreia seine Studien gemacht oder die ärztliche Praxis ausgeübt hat. Auch I s s e 1 , der den nichtgalenischen Ursprung der Elaaycoytj ausführ- licher begründet, kann in Herodot nicht den Verf. erblicken. Auf die häufige Erwähnung der Verhältnisse und medizinischen An- schauungen Ägyptens legt er aber kein Gewicht, da die Mitteilungen zu allgemeiner Natur seien. Dafür bestimmt er wie dem Ref. scheint, überzeugend die Zeit des Werkes auf die zweite Hälfte des II. Jahrh. : Galens Zeitgenosse Antipatros ist darin genannt, anderseits kennt Galen die Schrift; I. bezieht nämlich nach Schönes Vorgang (Schedae philologae für Usener 1891) Galens in Tl. tcjv iditov ßißXiiov gebotene Erzählung, wie eine unter dem Titel FaXrjvog (rahjvoü Schoene, vgl. aber auch zu Nr. 107 a) laTQog in einem Buchhändlerladen des Sandalariums ausliegende Rolle den Unwillen eines Kenners hervorgerufen habe, mit größter Wahrscheinlichkeit auf unsere Schrift. Wenn Sextus Empiricus in der Eiaayvr/r^ an- geführt wird, so ist dies kein Beweis gegen Isseis Ansatz, sondern dafür. Denn dieser Ai'zt ist nicht zwischen 180 und 210 anzusetzen, wie man es gewöhnlich tut, sondern um die Mitte des II. Jahrh., wie zuerst Goedeckemeyer (Geschichte des griechischen Skeptizismus 1905, S. 266, A. 2) dargelegt und I. im ersten Teile seiner Diss. eingehender begründet hat. Der medizinische Standpunkt des Verf. der Eloayojytj ist eklektisch -pneumatisch. Näheres in der Rez. des Ref, B. ph. W. 1918, Sp. 193 ff. Helmreich Nr. 107a gibt vermöge seiner gründlichen Kenntnis des galenischen Sprach- gebrauchs eine überaus große Anzahl textkritischer Beiträge zu vielen Schriften des Pergameners. Er geht zunächst auf einige Stellen seiner Ausgabe von 11. %iov vxtiy^ '^l7t7tOAQut}]v aTOtysi'tJV

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin l'Jll 1917. 55

(1878) ein, an denen sich seine Anschauung geändert hat. Eine andere Gruppe Bemerkungen bezieht sicli auf die Scripta minora ; hier bietet er Ergänzungen und Berichtigungen der Arbeiten von Hennicke fBer. I, Nr. 136) und de Boer (s. u. Nr. 120); zu Tl. ti'jv löiiov ßtßXuov teilt er die Randbemerkungen von Cornarius in der Jenenser Aldina mit, und wir ersehen u. a. daraus, daß Schoenes Verbesserung rah]vov (s. Xr. 107) bereits von dem Zwickauer Arzte vorgeschlagen ist; S. 107, 6M ändert Cornarius ano viokov ein- leuchtend in ct7tb TTOTOiv. Es ist unmöglich, auf alle Vorschläge und Beobachtungen Helmreichs näher einzugehen ; eine recht aus- führliche Inhaltsangabe des Aufsatzes findet sich B. ph. W. 1918, Sp. 563 ff. Probst macht auf das im ersten Teil von Helm- reichs Handschriftlichen Studien zu Galen (s. Ber. I, Nr. 138j, S. 31 enthaltene 'Consilium abeundi, das Piaton seinem Hörer Demosthenes zuerkannte', aufmerksam und konjiziert r^ztov fiiv tatg ivroiaig tojv leyoiUvojv TTgoaexorra, rov d^ zov ?.ey{ovTo)g 6vrjf.uvoi> el'aoööv T€ xt/., nach Ansicht des Ref. unglücklich , da durch xbv öi ein Gegensatz zu y^ttov /iiiv eingeführt werden muß. Bei P. hat f.ifv keine Korresponsion. Der Sinn der Stelle ist wohl der: Demosthenes wurde von Piaton weggewiesen, weil er weniger den Gedanken des Vortrags folgte, vielmehr nur das Rhetorisch-Technische des Vor- tragenden beobachtete. Elze bietet eine interessante literarische Studie über die auch von Galen (XIV 254 f. K) mitgeteilte Fabel von den formlosen Jungen der Bärin, die erst durch das Lecken der Mutter Gestalt erhalten. Er hätte mit Vorteil Wellmanns Auf- satz über Alexander von Mj-ndos, Herrn. 1891 XXVI, S. 534 und 539 Anm. 2 heranziehen können.

*110) J. S. Mi Ine, Galen's knowledge of muscular anatomy. IKM, S. 389—400.

110a) J. Wibers, The anatomv of the brain in the works of Galen and 'Ali 'Abbäs. Janus 1914 XIX, S. 17—32, 84—104.

111) J. Lackenbacher, Quas actiones Galenus putaverit sensnum instrumentis perfici. Progi". Wien (Sophiengymn.). 1911.

112) Th. Meyer-Steineg, Studien zur Physiologie des Galenos. AGM 1911/12 V, S. 172—224; 1912/13 VI, S. 417—448.

113) H. Heinrichs, Die Überwindung der Autorität Galens durch Denker der Renaissancezeit. Renaissance und Philosophie, herausg. von D\Toff, Heft 12, S. 1—80. Bonn 1914.

*114) P. Rich'ter, Galenos Über die krankhaften Ge- schwülste, übersetzt und eingeleitet. Leipzig 1913.

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115) P. Richter, Über die altägyptische Vorlage zu Galens Schrift über die krankhaften Geschwüre. AGM 1916/17 X, S. 189—199.

116) F. Heller, Über Pathologie und Therai)ie der Epilepsie im Altertum. Diss. Berlin 1911 (= Janus 1911, S. 589—605).

117) K. Sudhoff, Vom 'Pestsamen' des Galenos. MGM 1915, S. 227—229.

Milne berichtet über Galens Kenntnisse in der Muskel- Ana- tomie, bespricht seine Nomenklatur, seine Definition des Muskels, die Beschreibung der Muskeltätigkeit , geht auf die Vivisektion näher ein und gibt als Beispiel für die vorzügliche Sektionstechnik Galens die Beschreibung des Trapezius (Haberling, MGM 1915). Wiberg übersetzt die die Anatomie des Gehirns betreffenden Kapitel aus den L4vaT0fiiy.al syxeioriosig Galens und (nach der französischen Übersetzung von J. de Koning, Leiden 1913) die entsprechende Partie aus dem 'Königlichen Buche' des Ali Abbas (X. Jahrh.) ins Englische und vergleicht die Darstellungen. Die Beschreibung des Arabers ist weniger wert als die Galens ; irgendein wesentlicher Fortschritt über die Griechen hinaus ist nicht nach- zuweisen. In Wibergs Übersetzung aus dem Griechischen kommen Fehler vor, z. B. S. 18: you may ask the seller to remove them with a knife, bei Galen, II 708 u., steht y.€levaEig toi TUTrgao'KovTi ^ayeigqj negieXelv avTcc. Lackenbacher behandelt in seiner nicht leicht zu verstehenden Arbeit die galenischen anatomischen und physiologischen Lehren von den Sinnesorganen. Meyer- Stein e g gibt eine gute, instruktive Darstellung von Galens Muskel- physiologie sowie von seiner Physiologie des Nervensystems, der Verdauung und der Ernährung. Der Verf. will Galens Lehren nicht vom modernen wissenschaftlichen Standpunkte aus kritisch be- trachten und werten, sondern nur den Wegen nachgehen, auf denen Galen selbst zu ihnen gelangt ist. Daß Galen manchen falschen Schluß gezogen hat, ist klar, er war jedoch mit seiner ihm oft vorgeworfenen teleologischen Betrachtungsweise insofern im Recht, als doch erst das Weiterdenken über die engen Grenzen exakter Forschung hinaus manchen Fortschritt bringen kann. Umgekehrt betont Heinrichs Galens kraß-teleologischen, deduzierenden Stand- punkt. Er gibt (ohne Ilberg, Ber. I, Nr. 111 zu kennen) einen Überblick über Galens Leben und seine Lehren, denen dieser durch seine geschickte Dialektik den Schein untrüglicher Unfehlbarkeit zu geben wußte. Der Verf. erkennt an, daß Galen die empirische

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 57

Ps3-chologie gefördert hat, geht aber mit der Behauptung, was vor Galen Nerven geheißen habe, seien nur Sehnen und Flechsen ge- wesen, entschieden zu weit; es genügt, den Namen Herophiloa zu nennen. Dadurch, daß der Pergamener die physiologischen Einzel- kenntnisse zu einem zusammenhängenden System vereinigte, ge- langte Galens Autorität zur Herrschaft. Ansätze zu einer Opposition zeigen sich bei Averroes , aber erst in der Renaissancezeit regt sich eine Kraft, die über die Ergebnisse der Antike hinausdringen will. Argentieri (1513 1572) zeigt die Widersprüche in der Lehre vom Pneuma, die erst durch Hartleys (1772) Vibratiouslehre über- wunden wird. Galens Autorität wird durch Paracelsus (1493 1541), van Helmont (1577—1644) und Telesius (1508—1588) ins Wanken gebracht; überwunden und überholt wird sie durch Vesalius (1514 bis 1565), Harvey (1578—1657) und Glisson (1597—1677). Trotz- dem lebte Galens Medizin noch weiter, z. B. in van der Lindens Medicina physiologica (1653) und noch heute in den Kreisen der Volksmedizin. Richter Nr. 114 liefert eine Übersetzung der Schrift TT. tiov naga cpi'aiv oyvjov (VII 705 ff. K). Richter Nr. 115 stellt die merkwürdige Behauptung auf, Galen habe die An- lage der eben erwähnten Schrift dem Papyrus Ebers entnommen. Heller gibt einen wenig befriedigenden Überblick über die Ge- schichte der Ej)ilepsie im Altertum und fügt eine ungenügende Übersetzung von Galens Ttp smXrjTrTO) naidi vnoS^^yir] an. Als Probe diene XI 362 K: l'aTioaar (5'atr^ (sc. toj TtaiöoxQißfi) o/.o/tol zaiv yi'iLtvaoitüv, ev f.i^y TJj noaoTrjTi, %6 ts tcqIv xdi-iveiv avanavuv Tov naida xal t6 ^eguijvai avfxnav to acof^ia v.ai xenaoai ov(.i- f^tTQOjg: „Aufseher sollen bei den Übungen dabei sein, die darauf achten, daß der Knabe aufhört, bevor er müde wird, daß der ganze Körper warm und nur mäßig entkleidet werde." So geht es mit Entkleidungen und Aufsehern in blühendem Unsinn weiter. Sudhoff befaßt sich mit Galens Theorie von der Pestinfektion.

c. Die philosophischen Schriften.

118) A. Brinkmann, Galeni de optimo docendi genere libellus. Univ.-Progr. Bonn 1914.

119) H. Schöne, De partibus artis medicativae, eine ver- schollene griechische Schrift in Übersetzung des 14. Jahrh. Univ.-Progr. Greifs wald 1911.

Drei Schriften nennt Galen in U. xiov Idtiov ßißluov, in denen er sich mitFavorinus auseinandergesetzt hat: '^Ynig ^Ettiy.xtijtov nqbg OaßvjQlvov, ÜQog tov 0aßcoQivov (so Brinkmann statt (DaßioQivov)

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xara —{■r/.QaTOcg und H. Ttjg aQiarrji; diöao/M?Jag :rcQog OaßcoQlvov. Mit der zuletzt genannten Schrift befaßt sich B r i Ji k m a n n. Er setzt ihre Abfassungszeit nach 161 ; denn vor seiner Reise nach Rom hatte Galen keine Veranlassung zur Polemik gegen Favorinus, und vor 176, dem Zeitpunkte, da der Philosoph nicht mehr unter den Lebenden weilte (Lukian, Eunuch 7). Den Terminus ante quem sucht Verf. noch genauer dadurch festzulegen, daß er aus der An- rede rutv, 10 (.iad^i]Tai (Scr. min. I, 14) das Jahr 166 dafür ge- winnen will; denn nach seiner Rückkehr nach Rom (169) hielt Galen keine öflfentlichen Vorträge wieder (Scr, min. II 96, 7 und 14). Das wird wohl ein Trugschluß sein : für den engeren Schülerkreis sprach und schrieb Galen auch später (XV 205; XV Iff.; XVIII B 229). Dann behandelt B. die Überlieferung. Der einzige griechische Codex, Laur. 74, 3 saec. XII/XIII, der später nach einer andern Hs durch- korrigiert wurde, wird ergänzt durch die Aldina, die eine selb- ständige Überlieferung darstellt , und durch die allerdings nicht ganz rein erhaltene Übersetzung des Nicolaus von Rhegium in der Venediger Ausg. von 1490. Nach einer Ki-itik der modernen Herausg. bis auf Marquardt, der sehr scharf beurteilt wird, folgt eine neue Recensio , die einen großen Fortschritt bedeutet. Beachtenswerte Bemerkungen steuert 0. Hartlich, B. ph. W. 1915, Sp. 811 f. bei. Ki-itische Beiträge zu der Schrift liefert (wohl ohne Kenntnis der Brinkmannschen Arbeit) auch Helmreich Nr. 107a. Schöne gibt zunächst einen Abriß der äußeren Lebensumstände des Magister Nicolaus de Deoprepio de Regio, der im Dienste König Karls IL von Anjou und Roberts von Anjou sowie dessen Bruders , des Fürsten Philipp von Tarent, und seines Sohnes, des Prinzen Karl von Kalabrien, stand. Als Quellen kommen außer den Subscriptiones und Vorbemerkungen seiner Übersetzungen die zeitgenössischen Register in Betracht. 1308 wird Nicolaus als mihte bezeichnet, 1322 nennt ihn Robert magister Nie. de Deopr. de Regio, dilectus physicus familiaris et fidelis noster nee non spectabilis viri Philippi, fratris nostri carissimi, principis Tarenti, physicus consiliarius et familiaris domesticus. Die letzte Subscriptio ist die unter De disnia 1345. Seh. stellt ferner alle bisher nachweisbaren Galenübersetzungen des Nicolaus nach einer Juntina v. J. 1528 zusammen: es sind 27 Schriften, darunter welche von so großem Umfange wie II. XQBiag itOQiijv (s. auch zu n. iyieiviuv o. Nr. 103). [Über Nicolaus handeln noch R. Sabbadini in Studi storici e giuridici dedic. a F. Ciccaglione, Vol. II, Catania 1910 und Francesco Lo Parco in Atti della R. Accademia Arch. Lett. Arti, Nuova Serie Vol. II 1910, S. 243 bis

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317, Napoli 1913 (Inhaltsang, von Sudhoff, MGM 11»14, 8. 257). H. Mutschmanu (gefallen Juli 1918), Zur Übersetzertätigkeit des Nie. V. Rheg., B. ph. W. 1911, Sp. 691 if. nimmt es als sicher an, daß der Verf. der lateinischen Übersetzung der Hypotyposeis des Sextus Empiricus im Paris, lat. 14 700 saec. XIV in. Nie. v. Rheg. ist, und vermutet hinter dem Magistri Nicolai antidotarius im Paris, lat. 15116 (St. Victor 903 saec. XIV) den gleichen Verf. Ebenso- gut kann mau aber bei dem Antidotarius an Nikolaus von Polen denken ; vgl. o. Xr. 65 f.] Sodann wendet sich Seh. der Überlieferung der Schrift De partibus artis medicativae zu. Sie findet sich in keiner Hs, sondern nur in Drucken. Die echte Fassung bietet die Editio princeps von 1490 (Venedig; ebenso Venedig 1502 und die Juntina von 1528 und 1541); 'aus dem etwas barbarischen Latein des wackern Nicolaus in ein elegantes Renaissancelatein umgesetzt' ist die Schrift in der Juntina von 1576; diese Fassung findet sich zuletzt bei Chartier 1679. Kühn hat die Schrift gar nicht auf- genommen; er erklärte sie für unecht und sprach sie als Fälschung des Nicolaus an. Demgegenüber muß man Schönes Verteidigung der Echtheit vollkommen beistimmen; die Schrift ist in sachlicher wie sprachlicher Beziehung einwandfrei: sie ist nicht aus dem Arabischen, sondern aus dem Griechischen übersetzt, das griechische Gewand schimmert überall durch den lateinischen Überwurf deutlich durch. Seh. macht es sehr wahrscheinlich, daß der Justus, an den die Schrift gerichtet ist, der X 1019 erwähnte Augenspezialist ist, der jedenfalls wieder mit dem Justus identisch ist, dessen Frau von Galen einmal behandelt wurde (XIV 626 und 630). Über die Teile und Unterteile der Heilkunst ist oft geschrieben worden ; Seh. führt eine reiche Literatur hierfür an ; zu seinen Zitaten könnte noch Philo I 199 M: arj^eicov /.al alriiov xat d^ega^ceiag, aB cor q Texvt] avveazr^Y.ev treten. In dankenswerter Weise wird schließlich das ganze Scliriftchen in neuer Bearbeitung mit den nötigen griechischen Parallelen abgedruckt.

120) W. de Boer, In Galeni Pergameni libros Tlegl il'vxtjg Tta&iov /.al iifÄaQTi]u(xxiov observationes criticae. Diss. Marburg 1911.

121) A. Oli Vieri, Osservazioni sopra un' opera morale di Galeno. Atti della R. Accademia di archeologia, lettere e belle arti. Nuova Serie. Vol. I, 2, S. 95—109. Napoli 1910.

122) F. Brenner, Die Seelenlehre des Galenos. Primitiae Czernovicienses I, S. 65 86. Czernowitz 1909.

(50 Friedricli Ernst Kind.

de Boers wackere Diss. führt weit über Marqnardt und Hennicke (Ber. I, Nr. 13G) hinaus. Im ersten Teile wird die Hand- schriftenfrage erörtert. Der bisher noch nicht verglichene , von Caselius (1592) benutzte Guelferbvtanus-Helmstadiensis 837 (757) stammt aus der Basler Ausg. (1538); auf diese gehen wohl auch die Notizen des Casaubonus (HAA I, S. 72: Bodleian. Is. Casau- boni etc.) zurück. Der wichtigste Codex, Laur. 74, 3, ist (außer der Kollation Schönes) nochmals von W. Rabehl mit peinlichster Berücksichtigung der Kompendien verglichen worden. Trotz der Güte dieser Hs darf aber die Aldina (1525) nicht mit Marquardt gänzlich beiseite gelassen werden ; ebenso haben die mit Laur. 74, 3 (L) nahe verwandten Laur. 74, 5 (F), Marc. 281 (M) und, wie de B. meint, auch Paris, suppl. graec. 35 (P) (sie enthalten nur S. 45, 1 51, 9 Marqu.) doch selbständigen Wert; sie sind nicht, wie Marquardt und Hennicke annehmen, Apographa von L. Noll (s. 0. Nr. 99) weist jedoch nach, daß P aus F abgeschrieben ist; de Boers Behauptung, P könne nicht aus F stammen, ist falsch. Schon Helmreich hatte für üegl ovalag töJv (pvoi/.(dv dvvccfietov die Abhängigkeit des Paris, von F erwiesen ; für 11, X^e/org dvaTtvotjg tut dasselbe Noll, also gilt dieses Verhältnis auch für II. xl'vxyg afxaQTrjiiiäTcov, das in beiden Codd. zwischen diesen Schriften steht. Soweit Noll; P fällt also weg. Die geringen Fragmente im Upsal. graec. 25 und im Bern. 691 (S. 23, 5 23, 13 Marqu.) stimmen weder mit L noch mit der Aldina vollständig überein. Die lateinische Übersetzung im Dresd. D b 92 93 hilft für die Textkritik noch weniger, als Marquardt glaubte. Im zweiten Teile bringt de B. eine sehr große Anzahl Besserungsvorschläge, denen man fast aus- nahmslos zustimmen kann. Der Marquardtsche Text ist kaum wiederzuerkennen. Eine Reihe von Verbesserungen steuerte Kalb- fleisch bei. Vgl. auch Helmreich Nr. 107a. Noch einmal ist hier Schöne (s. o. Nr. 95) zu nennen, der die größere vom Laur. 74, 3 angedeutete Lücke im Eingange des zweiten Buches von JT. i/'f/- Tiad^. /.(XL afx. (I 45 Marqu., Schöne a. a. 0., S. 397) plausibel aus- füllt. — Nach Olivieri zerfällt die Abhandlung 77. il'vx^Q Txad-vn' in zwei Teile, die jedenfalls zu verschiedenen Zeiten entstanden sind und in verschiedener Behandlung die, Lösung desselben Themas anstreben. Im ersten, unpersönlich gehaltenen, eine mechanische Auffassung bekundenden Teile wird besonders auf den Zorn Rück- sicht genommen ; Heilung wird unter Beistand eines bejahrten Tutors und durch Übung gefunden (bis S. 26, 10 Marqu.). Im zweiten, an eine bestimmte Person sich wendenden, tiefer gehenden Teile

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. Ql

(von S. 28, 9 an) wird das Begehren in seiner Äußerung als Sucht nach Reichtum behandelt: gegen diese Leidenschaft sind nicht nur therapeutische, sondern auch proph^-laktische Maßnahmen zu treffen ; neben der Übung wird also auch die natürliche Anlage und die Er- ziehi^ng berücksichtigt. In beiden Teilen ist der Einfluß Plutarchs deutlich; für den ersten kommt /Iwc «v rig diaxQi'veiE tov y.oXay.a TOv (piXov und J7. dogyt^aiag in Betracht, für den zweiten l[. ffi'/.o- TiXortiag und JJ. elO-viiiag. Plutarch seinerseits hängt von Philo- demos' JJ. naQQi]oiag und JJ. ogyr^g ab. Später vereinigte Galen beide Teile zu einer Abhandlung und schrieb in Anlehnung an Plut- archs JJ. Tiaidiov ayioyrjg die Überleitung (26, 11 28, 8 [Olivieris Z. 37 ist die Kühnsche Paginierung]). Es sind noch deutliche Spuren dieser zweiten Redaktion nachzuweisen. Für diese philo- sophische Schriftstellerei Galens sei noch auf zwei neuere Arbeiten hingedeutet: H. Ringeltaube, Quaestiones ad veterum de aifectibus doctrinam pertinentes, Diss. Göttingen 1913, und P. Rabbow, Antike Schriften über Seelenheilung und Seelenleitung, Leipzig 1914. Auch Brenners Darlegungen über Galens Lehre von der Seele des Menschen , der Pflanzen und der Gestirne fallen ins philo- sophische Gebiet. Galen ist im großen ganzen von platonischen, aber auch peripatetischen Gedanken abhängig. Gegen Pohlenz (Diss. Leipzig 1898) wird neben der Vermittlung durch Poseidonios auch selbständige Kenntnis der platonischen Schriften angenommen. Hierher gehören noch die in diesem Berichte nur zu nennenden Untersuchungen : K. Gronau, Poseidonios und die jüdisch-christliche Genesisexegese, Leipzig 1914, und W. W. Jaeger, Nemesios von Emesa, Berlin 1914, mit der wichtigen Rez. von Gronau, B. ph. W. 1915, Sp. 129 if.

4. Byzantiner. Papyri. Römer, a. Byzantiner.

123) B. Faust, De machinamentis ab antiquis medicis ad repositionem articulorura luxatorum adhibitis. Commentarius in Oribasii librum XLIX. Diss. Greifswald 1912.

124) R. Asmus, Der Neuplatoniker Asklepiodotos der Große. AGM 1913/14 VII, S. 26—42.

Faust bietet einen lateinischen Kommentar und eine deutsche Übersetzung zum 49. Buche der ^Jargr/ML avrayioyal des Oreibasios. Im Kommentar weist er mit Recht das ganze 49. Buch außer c. 5 und 6 dem Heliodoros zu ; er kommt also zu demselben Er- gebnis wie Crönert (s. Ber. I, Nr. 165). Dann gibt er gute Wort-

(32 Friedrich Ernst Kind.

und Saoherklärungen unter Beifügung von 15 instruktiven Figuren. Die Übersetzung, gegen deren deutschen Ausdruck Fuchs , W. kl. Ph. 1915, Sp. t>09ff., berechtigte Einwendungen erhebt, ist ziemlich fehlerhaft: vgl. die Rez. des Ref., B. ph. W. 1912, Sp. 1617 ff., wo auch dargelegt ist , daß die Pariser Herausg. den Oreibasios- text aufs schlimmste verballhornt haben. Wichtig für Oreibasios ist noch Wellmanns Beobachtung, daß dieser Arzt hiatusfrei schreibt (Xr. 80, S. 2. Anm. 1). Asmus entwirft auf Grund der besseren Einsicht , die er bei der Wiederherstellung der Vita des Neu- platonikers Isidoros (Philos. Bibl., Bd. 125, Leipzig 1911) ge- wonnen hat , eine abgerundete Lebensskizze des neuplatonischen, mystisch veranlagten Philosophen Asklepiodotos , der ja auch in der Medizin eine gewisse Rolle spielt; vgl. Neuburger-Pagel, Hand- buch d. Gesch. der Med. (Ber. I, Nr. 15) I, S. 525.

125) Ch. Charitonides , In Aetium. Mnemosj-ne 1915 XLIII, S. 229—232.

126) M. Wellmann, Zur Geschichte der Medizin im Alter- tum. X. Herm. 1912 XLVII, S. 2—4.

127) M. Wellmann, Über eine spätorphische Schrift medizinischen Inhalts. S. Ber. Preuß. Akad. 1911, S. 838—841.

128) J. Heeg, Über ein astrologisch-medizinisches Orphicura. Festgabe für M. v. Schanz. Würzburg 1912, S. 159—166.

Charitonides gibt einige textkritische Beiträge zu Aetios XII XV. Wellmann Nr. 126 zeigt, daß die von Olivieri (s. Ber. I, Nr. 149) aus 8em Cod. Mess. 84 publizierten Schohen von der Hand des Korrektors herrührende Randnotizen sind , die ledigHch die Parallelüberlieferung aus Dioskurides, Galenos, Paulos von Aigina und in einem Falle aus den Schollen zu Oreibasios wiedergeben. Der Gewinn für Dioskurides ist folgender: Diosc. II 173 (240, 3 W) richtig ocf^alf-dav für i^cc?diov, III 24 (34, 11) wohl richtig aipivd^iov aygiov für ail'ivO-ioi^rjVov •■, TU. 141 (150, 15) wird Wellmanns Lesart asTMVVXOi' bestätigt. Wellmann Nr. 127 druckt zwei unter dem Namen des Orpheus gehende Bruch- stücke aus Aetios I (6 f. 10^' 12 und 10 f. 12"^' 2) ab sie stehen auch, allerdings unvollständig, in Abels Orphica 223 und bessert sie nach Olivieri (s. zu vor. Nr.) mit Hilfe des cod. Mess. 84. Da nun diese beiden Bruchstücke sich fast wörtlich in der hermetischen Schrift /4l ßozavai tojv iß' tojöiwv rcagä ^Eq^ov (BoU, Catal. cod. astrol. Graec. VII 232 ff.) wiederfinden , deren erster Teil unter dem Namen TT. ßotavojv yvXioOEioQ in W. Roethers Ausg. von De

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mensibus des Jobannes Lydus herausgeg. ist, so schließt W., daß die Orpheusfragmente ursprünglich hermetisch seien. Da ferner, wie W. beweist, in der Schrift ]f. ßozavwv /vh'iffeiDg Dioskurides benutzt ist, so glaubt W. folgern zu dürfen, daß diese hermetische Schrift nach Dioskurides entstanden ist, also frühestens dem II. Jahrh. u. Chr. angehört. Zur Zeit des Aetios (VI. Jahrh.) bzw. zur Zeit des Arztes Didymos (IV. /V. Jahrh.), aus dessen 'O'/.TCCTOfJog nach Wellmanns Vermutung die beiden Orpheuszitate stammen, sei die Schrift unter dem Namen des Orpheus um- gelaufen. — Gegen diese Beweisführung erhebt Heeg Einspruch. Er geht davon aus , daß die Bruchstücke von Aetios als orphisch bezeugt sind. Da nun tatsächlich schon zu Plinius' Zeiten allem Anschein nach aber bereits in der ausgehenden Alexandrinerzeit orphische Schriften über die Zauberkräfte der Pflanzen im Umlauf waren, so werden die beiden Fragmente bei Aetios aus einer orphischen Schrift stammen, wohl aus einer Prosaparaphrase eines orphischen , astrologisch - medizinischen Gedichtes von den "Wirkungen der heiligen Pflanzen der 12 Zodiakalzeichen und wohl auch der 7 Planeten. Dieses Gedicht gehört in den Kreis der orphischen Astrologica, die Theon kommentiert haben soll, und be- rührt sich sprachlich und sachlich aufs engste mit verwandten hermetischen Traktaten ; es ist nicht unwahrscheinlich, daß Hermes und Orpheus auf eine gemeinsame ausführlichere Vorlage zurück- gehen. Die Abfassungszeit der orphischen Schrift ist ganz un- bestimmt; sie kann alexandrinisch sein, ebensogut aber auch dem Ausgange des Altertums angehören. Wellmanns Datierung der hermetischen Schrift ist nur für die uns vorliegende Rezension bindend : creaen die Annahme . daß diese Schrift einmal unter Orpheus* Namen umgelaufen ist, spricht die durchaus hermetische Einleitung von ]J. ßotavojv xv'kcüGEiog, die nie in einem orphischen Buche gestanden haben kann.

129) J. L. Heiberg, Pauli Aeginetae libri tertii inter- pretatio antiqua. Leipzig 1912.

130) J. Berendes, Paulos' von Aegina, des besten Arztes sieben Bücher, übersetzt und mit Erläuterungen versehen. Leiden 1914.

131) E. Gollob, Zu Paulos aus Nicaea. Wiener Studien 1912 XXXIV, S. 123—134.

132) A. P. Kouzis, L'oeuvre medicale de Paul de Nicee. Janus 1911 XVI, S. 738—755.

64 Friedrich Ernst Kind.

Heiberg veröffentlicht eine mittelalterliche lateinische Über- setzung des dritten Buches der 'EniTOfit) iaxQi/.^ des Paulos von Aigina. Die beiden Hss, cod. Cassinensis 351 saec. XI und cod. Vatic. Lat. 4461 saec. XIII gehen auf eine gemeinsame, in bene- ventanischer Schrift geschriebene Vorlage zurück , die aber nicht das Exemplar des etwa im X. Jahrh. lebenden Übersetzers ge- wesen sein kann. Die sklavische (z. B. jwera oivov Blerdr^oioi' cum vino quidem dissio) Übersetzung selbst ist ein interessantes Dokument für das Studium der Griechen im mittelalterlichen Unter- italien ; H. nimmt Beziehungen zur Schule von Salerno an, Berendes (fö. VII. 1914) hat die Ber, I, Nr, 158 angezeigte Übersetzung des Paulos von Aigina zunächst im Janus vollendet und läßt sie nun als Buch mit einigen Erläuterungen und Beigaben erscheinen. G o 1 1 o b befaßt sich mit Paulos von Nikaia. Zu den Ber. I, Nr. 155 f. genannten PuWikationen kommt noch Zervos, Janus 1901 , S. 487 489 , wo Zervos aus des Paulos Nikaios Werke Tl. diayrcooeotg y.al d^SQanEiag diacfOQiov roarj/udziov die Kapitel rr. 7,e(faXaXyiag (//), tt. AEtpaXaiag (id'), rc. 7jfiiy.Qaviag (le) veröffentlicht. Während Zervos diesen Paulos dem VI. Jahrh. zuweist, vermutet G., das Handbuch gehöre dem Ende des ersten Jahrtausends an; zitiert werden Rufus, Galen und Aetios. G. be- spricht noch die Anlage des Werkes, das immer noch nicht publi- ziert ist, und gibt als Probe für die Bedeutung des Arztes das Kapitel über das hektische Fieber auf Grund der Lainzer und einer Wiener Hs (Vindob. med. 31) mit Übersetzung heraus. Der Herausg. überschätzt seinen Autor, wenn er in den Krankheits- bildem, die Paulos in jedem Kapitel entwirft, einen vortrefflichen Beweis dafür erblickt , „wie weit die Hippokratische Methode der Beobachtung der Kranken in jener Zeit vorgeschritten war". Nicht um vorgeschrittene Methode handelt es sich hier, sondern um elende Stagnation; fast jedes Wort ist abgeschrieben. Paulos von Aigina II 31 und 32 sowie Oreibasios Synopsis VI 21 und 22 (V 293 f.) stimmen wörtlich , teilweise auch Aetios V 92 und 93. Da sehen wir wieder die alte bekannte Reihe, die von Aetios oder Paulos von Aigina über Oreibasios zu Galen führt. Vollständig wörtliche Übereinstimmung mit Gal. XVIII B 201, VII 313—317, X 693 f. Dieses Verhältnis mußte der Herausg. genau prüfen und danach den Text behandeln; G. sagt aber nur ganz vag: „Als An- hänger der Humorallehre findet Paulos natürlich den Grund der meisten Krankheiten in den Humores , und die Diktion in bezug auf diesen Punkt ist häufig fast gleichlautend mit dem , was

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. (55

Galen oder Hippokrates hierüber sagen." Die beigegebene Über- setzung ist zum Teil unsinnig, eben weil die Überlieferung nicht in Ordnung gebracht ist. Nur einige Beispiele. Paulos Nikaios schreibt: v.cd lögiozeg :roXXal f.niyivovtcit /ml (f/^aooiaiv-, Gal. XVIII B 201 (Hippokr.): xat ). ycolXol t7tiy. ßrjxög re itvfjog iyyiverai, G. läßt .roXXal stehen und konjiziert für (fr^aooiotv q>Qtaaoiaii\ an Stelle des richtigen ßi'iaGovaiv. In der korrupten Stelle EL ZL (.lii ßot]i^tjaeL " rfjg voaov ro i/.darcavijaaL ändert G. : zb zrjg voaov E/.danavt'^aEL\ das Richtige gibt der Chor der oben zitierten Parallelstellen: ]'^zol uiyAVvd^tloiv elg zoaovzov {ojg) sy-öanait^aai. Wiederholt fragt man sich, ob überhaupt die Hss vom Verf. richtig gelesen worden sind; er schreibt xat '/.äf.ivovoL für xat (.ivotoir, iygt'^yoQog (sie) für iyor^yoQoewg, tzeQOJv für evzfQtov usw. Nach K 0 u z i s , dessen Aufsatz Ref. erst kennen lernte , als die vor- stehende Beurteilung von Gollobs Publikation fertiggestellt war, entbehrt das Werk des Paulos Nikaios jeglicher Originalität. Es stammt aus Paulos von Aigina oder anderen älteren Autoren. Die eigenen Zutaten des Kompilators sind minimal. Bei dem Namen Paulos ist höchstwahi'scheinlich an den Ägineten zu denken; der Name Nikaios ist der des Kompilators oder des Besitzers der Hs. K. macht es glaubhaft, daß unter Nikaios Bessarion, der aus Nikaia stammte, zu verstehen ist. In den Hss, von denen K. eine Anzahl Faksimile beifügt, sind die beiden Namen teilweise durch ein Komma getrennt: navXov, viAaioi. Heibergs Ausg. des Paulos von Aigina im CMG wird hier wohl Klarheit bringen.

133) J. Heeg, Pseudodemokritische Studien. Abh. Preuß. Akad. 1913 Nr. 4.

134) K. Sudhoff, Eine neue Handschrift des 'Liber medicinalis' Pseudo-Democriti aus dem 12. Jahrh. MGM 1915, S. 315—322.

135) G. Helmreich, Handschriftliche Studien zu Symeon Seth. Progr. Ansbach 1913.

Heegs Ausführungen stehen zu der oben unter Nr. 41 be- sprochenen Todesprognostik in einer gewissen Beziehung; Jene Prognostik bildet im Augiensis Lat. CXX saec. IX/X und im Monac. Lat. 16 487 saec. XVI unter dem Titel Prognostica Demo- criti das Eingangskapitel eines ganz anders gearteten Krankheits- buches, eines Liber medicinalis oder passionarius. Ebenso verhält es sich im Monac. Lat. 23 535 saec. XII; nur fehlt hier jeder Titel und Verf. (Sudhoff Nr. 41 gibt allerdings Democriti liber curatorius,

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 180 (191». III). .')

66 Friedrich Ernst Kind,

auch über philosophi Democriti de curis egritudiiium). Im Paris. Lat. 14 025 saec. XIII/XIV fehlt außer dem Titel und Verf. auch noch das erste Kapitel , eben die Prognostik. Da sich in dem Parisinus das Krankheitsbuch unmittelbar an die Practica des Petrocellus anschließt, so ließ sich de Renzi zu dem Irrtum ver- leiten, die Schrift nach diesem Codex als Bruchstücke eines dritten Buches der Practica herauszugeben (Coli. Sal. IV 290 ff.). Ebenso- wenig wie mit Petrocellus hat aber dieses Kompendium der ge- samten Medizin mit der vorgeschweißten Prognostik zu tun , und man wird es besser nicht mit H. als Prognostica zitieren, sondern mit Sudhoff Nr. 41 als Liber medicinalis Democriti, ein Titel, der durch den Vallicell. B 61 saec. XII (s. Nr. 134j geboten wird. Das Buch „beginnt mit der Behandlung der Fieber (c. 2 7), es folgfen dann Ausführungen über Seuchen, Dysenterie, Schlaflosigkeit, Verwundungen, Lungen- und Magenkrankheiten, Erkrankungen der Leber , Nieren und Geschlechtsorgane (bis c. 48) , Herz- und Lungenaffektionen, Augenkrankheiten, Diätetik, Aderlassen und ver- schiedene Abschnitte über Therapie und Gesundheitspflege ; den Schluß bildet das umfangreiche Kapitel über Arzneimittel und Heil- pflanzen und deren Wirkungen". Der Text ist nicht in seiner ursprünglichen Vollständigkeit auf uns gekommen ; er beruht zum großen Teil auf der Synopsis des Oreibasios , außerdem auf Galen (vielleicht direkt) und durch eine Mittelquelle .auf Hippokrates, Hermes Trismegistos u. a. Was uns erhalten ist, ist die alt- lateinische Übersetzung eines griechischen Originals. Es ist das- selbe Original, dem auch die von Wellmann (Ber. I, Nr. 159) herausg. Pseudodemocritea Vaticana angehört haben ; diese sind nicht so spät anzusetzen, wie Wellmann dies tut-, die ^aQay.r]voi werden schon von Ptolemaeus als Bewohner der Arabia felix er- wähnt. Die Abfassungszeit des Originals „ist bestimmt einerseits durch die Benutzung der Synopsis des Oribasius, anderseits durch den Nachweis , daß wir in der Prognostica eine altlateinische Be- arbeitung (etwa des V./VI. Jahrhunderts) vor uns haben". Text- proben bilden den Schluß der Abhandlung. Sudhoff macht auf den von Heeg nicht berücksichtigten cod. Vallicellanus B 61 saec. XII aufmerksam und gibt Beschreibung und Proben; s. auch zu vor. Nr. Helm reich zeigt, daß Langkavels Ausg. (1868) von Sjnneon Seths 11. tQOrfCüV övväfiscov flüchtig und oberflächlich gearbeitet ist. Auf Grund der beiden älteren Ausgaben (1538 und 1658) und der Vergleichung von 7 Hss des XIV. und XV. Jahrh. stellt er an vielen Stellen einen reineren Text her. Die endgültige

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917.

Textgestaltung wird erst gewonnen sein , wenn das ganze hand- schriftliche Material , besonders die älteren Parisini , aufgearbeitet ist. Rez. vom Ref., B. ph. W. 1914, Sp. 772 f. Als lohnende Aufgabe bezeichnet es Wellmann (s. o. Nr. 75), den Symeon Seth in seine Bestandteile zu zerlegen. Rufos' Diätetik ist durch Ver- mittlung einer späteren Kompilation benutzt. Zitiert wird Rufos einmal (113, 5 Langk.). Im Rautekapitel 82, 4 ist ein Stück =^ Rufos S. 312 ; weitere Benutzung des Ephesiers bei ^Qv^ßog, y.o/.6y.vri}a, (.laQOvhXiOj olvog, vSwq, (poivi/.eg.

b. Papyri.

136) A. S. Hunt, The Oxyrhynchus Papyri. Part VIII. London 1911, Nr. 1088; Part IX. London 1912, Nr. 1184.

137) A. S. Hunt, Catalogue of the Greek Papyri in the John Rylands Librar}' Manchester. Vol. I. Manchester-London 1911.

138) M. D. Johnson, Ein botanischer Papyi-us mit Bildern. AGN 1912/13 IV, S. 403—408.

139) A. G. Bäckstrom, Medizinische Papyri aus der Sammlung Golenischtschew. (Russisch.) Zeitschrift des Mini- steriums für Volksaufklärung (Jurnal ministerstva narodnago prosvescenija) 1909 Nr. 11, S. 443—481.

Der Oxyrhynchus-Papyrus Nr. 1088 aus dem Anfange

des I. Jahrhunderts bietet nach Art von P. Oxyrh. 234, P. Tebt. 273,

P. Rylands 29— 29b (s. u.) , Berl. Klassikertexte III, S. 32—33

(Ber. I, Nr. 166) medizinische Rezepte: ein ^r^Xivov y.oXXvQiov

für Flüsse , Geschwüre , Wunden , ein Pflaster zum selben Zweck

(könnte hinter aq^atr^i nicht einfach agioTi] oder ccqiotov stecken?

oder handelt es sich um ein Mittel, das oqetiJ heißt? „The letters

are more like aqGvi^t or aQeirji.^ Vgl. Gal. XIII 831 : HeiQOjviov

tj agezr^, (pdQuay.ov S7iixei;evy(.if-vov nqog oayddag y.al '/.ovdvXo'jfAaca;

ähnlich XIII 531 von einem Mittel des Andromachos), ein Lepra-

ipflaster {}^enQL^Kr^), ein Blutstillungsmittel, ein gleiches bei Nasen-

Ibluten, ein Niesmittel, eins gegen Ozaena (Stinknase), eins für

rNasenpolypen , gegen Quartanfieber , mehrere für Leberleiden, ein

Trank bei Wassersucht, ein Schlaftrunk, ein /.aTaauaGinixog.

[Der OxjThynchus-Papyrus Nr. 1184 stammt wahrscheinlich

[aus der Zeit des Tiberius , wenn nicht des Augustus. Er ist die

Iteste Hs für die Hippokratischen Briefe, weit älter als die beiden

Jerliner Papj-ri (Ber. I, Nr. 166). Brief 3 (Z. 1 10) war gekürzt,

lier gewöhnliche Schluß wurde dazu geschrieben; Brief 4 (Z. 11 16)

5*

68 Friedrich Ernst Kind.

zeigt starke Verkürzung der längeren Form und außerdem die kürzere Form der mittelalterlichen Hss (P. Berol. 7094 hat nur die kürzere Form). Zwischen Brief -i und 5 stehen drei Editoren- zeilen (17 19), die nirgends anders begegnen. Von Brief 5 (dessen kürzere Form im P. Berol. 7094 der längeren folgt) ist nur die kürzere Form mit einigen Besonderheiten gegeben (20 27). Schließlich folgt ein Brief an Gorgias, der sich nirgends findet, der sich aber in der Phraseologie teilweise mit Brief 6 (an Demetrios) deckt. Der Papyrus illustriert die Unbeständigkeit der Tradition dieser Briefe. Vgl. o. Nr. 46. Von den Rylands-Papyris kommen mehrere für den Bericht in Betracht. Nr. 21 besteht aus fünf Fragmenten aus einem Traktat über das Nervensystem. Sie gehören, wie Ilberg zuerst erkannt hat, demselben Papyrus an wie P. Berol. 9770 (vgl. Ber. I, Nr. 166). Ein weiteres Fragment desselben Traktats hat Kalbfleisch in P. Reinach 2 festgestellt; er kombiniert es mit P. Berol. 9770 A 6. Die Zeit des Autors fallt zwischen Herophilos (Unterscheidung der motorischen und sensori- schen Nerven) und das Datum des Papyrus (I. Jahrh. vor Chr.). Wellmann , Paul}' -Wiss. -Kroll VI 904 denkt an Eudemos , einen jüngeren Zeitgenossen des Herophilos und Erasistratos. In dem Kreise dieser berühmten Anatomen ist der Verf. naturgemäß zu suchen, aber die Nennung des Namens ist jetzt noch nicht mög- lich. — Pap. Ryi. Nr. 29 aus dem III. Jahrh. n. Chr., Nr. 29a und b aus dem II. Jahrh. n. Chr. enthalten Rezepte , die Ilberg mit bearbeitet hat. Paj). Ryl. Nr. 39 ist oben unter Nr. 71 be- sprochen worden. Pap. R}'!. Nr. 56 aus der ersten Hälfte des II. Jahrh. n. Chr. bietet spärliche Reste aus Hippokrates vod^a von n. öiaiTT]g o^iiov (II 159, 4—12 Kw und 160, 13—20). Johnson veröffentlicht dürftige Fragmente einer botanisch-medi- zinischen Schrift mit Bildern aus einem PapjTus des II. Jahrh. Beziehungen zu Dioskurides bestehen, aber der Anschluß ist nicht sklavisch , gewisse Züge sind selbständig. Es handelt sich um yordgilr] (Y), oqiyavov. ceQ'Kziov, xl)EvdodLA.Taf.ivov. Unter den von Bäckström mitgeteilten Papyris befindet sich ein etwa aus der Zeit der Antonine stammendes größeres Bruchstück. Es handelt von Augenkrankheiten und erinnert in der Form an den Genfer Pap}Tus 111, das questionnaire Nicoles (Ber. I, Nr. 162). Auch hier entsprechen einander Fragen und Antworten; die Fragen sin auch hier eingerückt. Taivu tqÖtzii) to yXavAWfAa tov töjv vygiöv vTtoyvf^atog diacfigBi; . . . Tft Igzl io avacpikwina ; Enaq^a y.ata TOV Tf^g /.ogr^g totcov ev<fEQVjg tyor Quyl ozaqivkijg. Iltög yeh

d^l.

i

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 69

ro özacfv/MLia; . . . Tehei ^ vTröxvoig tov üTa(fvXi6f.iaTog öia- ifegei: ... Es folgt eine kurze Anweisung zur chirurgischen Be- handhing mit der eingerückten Überschrift Xeioorgyia rov azn- <fvXwijaTog. Dann wird weiter gefragt: Tel tau xo meQvyeiov ; . . . Ilwg yeiveiai y.al tbl iazc iyy.avO^lg; . . . Teirei diafftgei tu meqvyeiov; . . . und wieder folgt Xeigoigyia xov frTegvyeiov. B. hat die parallele Literatur fleißig herangezogen und mit großem Scharfsinn zur Herstellung des Papyrus verwendet. Er glaubt Ref. benutzt hier den Bericht von C. Kappus, B. ph. W. 1912, Sp. 266 f. , die Abfassungszeit des zugrunde liegenden Hand- buches der Augenheilkunde in den Anfang des zweiten Jahrh. ver- legen zu können, da zwischen yXav'/.o)\xa und vnoyv^o. unterschieden wird, ein Unterschied , der schon Plinius und Rufos bekannt war, von Celsus dagegen in seiner Lehre von den sufFusiones nicht er- wähnt wird. Kappus fährt fort: „Da nun aber Celsus das Glaukom nicht ausdrücklich nennt , ist der Schluß Bäckströms , erst nach 35 n. Chr. sei von den Ärzten die Verschiedenheit der beiden Krankheiten erkannt worden, nicht zwingend. "Wichtiger erscheint mir die von B. bemerkte fast wörtliche Übereinstimmung von P. Col. II, 14—18 mit 'OqoL (ed. Kühn XIX 435). Denn wenn, das auch für die Abfassungszeit keinen sicheren Anhalt gibt , so zeigt es immerhin , daß unser Bruchstück die Lehre irgendeines bekannten Ophthalmologen widerspiegelt, der auch von dem Ver- fasser der pseudogalenischen Schrift direkt oder indirekt benutzt ist." Die Stelle P. Col. II, 14 18 ist vom Ref oben aus- geschrieben; die entsprechende Stelle in den'^'O^ot lautet: avacpvXiof.i(x EOTiv t.TaQua -/.caa rbv xijg Kogrjg x6;cov «juqpfi^eg Quyi oxacpvlijg. Dazu vgl. man 'laxQog XIV 774 K und Puschmanns Anonymus T[. 6(fS^alfiiöv ^ S. 152. Weitere Parallelen ergeben sich aus den von B. zitierten Stellen. Es ist also wahrscheinlich, daß der Papyrus einer Schrift entstammt, die unter Demosthenes' Einfluß steht, und damit wäre eine Datierung gegeben. Weder Demosthenes' Kamen noch den Wellmanns hat Ref. bei B. entdecken können. Es wäre recht dankenswert , wenn die wichtige Publikation unter Heranziehung von Wellmanns Aufsatz über Demosthenes (Ber. I, Nr. 67) in einer allgemeiner verständlichen Sprache wiederholt würde. Die anderen Bruchstücke sind kleiner und gehören in spätere Zeit (IV. /V. Jahrh.). In einem kommt der Name ^uuojvOQ vor.

70 Friedrich Ernst Kind.

c. Römer.

140) E. Thrämer, Cato Censorius und die Griechenmedizin. MGM 1915, S. 404 f.

Thrämer meint, es gelte für ausgemacht, daß Cato die diätetisch-therapeutischen Bestandteile seiner Schrift De agricultura der italischen Bauernpraxis verdanke ; aber der Einfluß der Griechen- medizin zeige sich doch deutlich in den eingestreuten griechischen Heilmitteln; vor allem seien die über den Kohl handelnden Kapitel 156 158, wie eine Vergleichung von Cato 157, 14 mit Plin. Nat. Hist. XX 93 lehre, aus der Monographie des knidischen Ai-ztes Chrj'sippos, des Reisebegleiters des Eudoxos, geschöpft; es sei wohl möglich, daß auch der commentarius (Plin, XXIX 15) oder das yeyQaf.intvov V7t6f.ivrj{xa (Plut. Cato 23), nach dessen Vor- schriften Cato sich und die Seinigen zu kurieren pflegte, eben jene Schrift des Chrysippos gewesen sei. Thr. scheint Ilbergs guten Aufsatz über A. Cornelius Celsus und die Medizin in Rom (Ber. I, Nr. 174) nicht zu kennen; die dort angeführte Leipziger Diss. von P. Reuther, De Catonis de agricultura vestigiis apud Graecos (1903) erörtert alle von Thr. berührten Fragen aufs gründlichste. Im dritten Kapitel handelt Reuther von Catos Beeinflussung durch die Griechen , und das zweite Kapitel im besonderen trägt die Über- schrift 'De brassicae Catonis commendatione'; es zeigt die Über- einstimmung Catos mit dem Exzerpt aus Mnesitheos bei Oreibasios ^laiQi/.al ovvaycoyal I 278. Vielleicht könnte eine Untersuchung Klarheit über das Verhältnis des Chrysippos zu Mnesitheos bringen. Daß jener commentarius Catos von Cato selbst verfaßt war, geht aus Plutarchs Worten deutlich hervor: Cato gab seinem Sohne den guten Rat, sich vor allen griechischen Ärzten in acht zu nehmen; er selbst aber habe sich Aufzeichnungen gemacht , nach denen er kuriere (avTot de yEyqafAf.iivov vJTÖfurr^i.ia eivai , y.al ngog tovto d-eqaTiEVEiv xrA,.). Es ist bei diesem tviofxvijjua an einen commen- tarius de agricultura zu denken , in dem der gelehrte sabinische Gutsherr seine Lesefrüchte sammelte ; möglicherweise ist's eben die uns erhaltene älteste Prosaschrift , die einen konzeptartigen Charakter hat (vgl. Reuther, S. 30 f.).

141) M, Wellmann, A. Cornelius Celsus. Eine Quellen- untersuchung. PhUol. Unters., herausg. von A. Kießling und U. V. Wilamowitz-Moellendorf, Heft XXIII. Berlin 1913.

142) A. ComeUi Celsi quae supersunt rec. F. Marx. Leip- zig und Berlin 1915 (= CML I).

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911—1917. 71

143) G. Helmreich, Zu Celsus. B. ph. W. 1917, Sp. 1540 f. *144) C. Brakman, Miscella tertia. Leiden 1917.

145) M. Wellmann, Die Aufidiushypothese des neusten Celsus-Herausgebers. MGM 1917 XVI, S. 269—290.

146) Th. Meyer- Steineg, Celsus, Über Grundfragen der Medizin. Leipzig 1912.

Wellmann Xr. 141 weist in eindringender Untersuchung nach, daß besonders vier Ärzte in Celsus' acht Büchern De medi- cina verarbeitet sind : Hippokrates , Herakleides von Tarent, Asklepiades und von seinen Schülern besonders Meges. Das Corpus Hippocraticum ist nach W. nicht direkt verwendet, sondern nur durch Vermittlung von Zusammenstellungen, wie sie die Kommen- tatoren aus den hipp. Schriften nach bestimmten Gesichtspunkten anzufertigen pflegten. Für die Semeiotik (Cels. II , 1 8) ist die Vorlage „ein jüngerer Arzt, der seine Zeichenlehre auf Aussprüchen der Aphorismen und anderer hipp. Schriften aufbaute , aber den Text durch eigene Zutaten erweiterte und sich Änderungen in der Sprache und in der Terminologie erlaubte". Die hygienische Partie Celsus I 3 (S. 18 21 Dar.) zeigt bald Berührung mit 11. öiaiir^g vyLSivr^g, bald mit JT. öiaivrjg. W. macht es sehr wahrscheinlich, daß die Urvorlage des Celsus das im Schriftenverzeichnis des Vatic. gr. 276 (vgl. Hipp. ed. Kühlewein I p. XVI) genannte '^Yyieivov gewesen ist, aus dem auch die eben erwähnten hipp. Schriften flössen. Erotianos wird diese Schrift ebenfalls verwertet haben: s. o. Nr. 35. Die Mittelsquelle für Celsus könnte nach W. Herakleides' JiaiTriZt/.6r gewesen sein. In den chirurgischen Partien ist Meges mit seinen XeiQOiQyov(.iEva in umfänglicher Weise von Celsus benutzt worden. Das geht u. a. aus der Gegenüber- stellung mit dem bei Oreibasios erhaltenen größeren Bruchstück über die Fisteln hervor. Dabei stellt es sich heraus , daß Celsus das Original ausführlicher und treuer wiedergegeben hat als Orei- basios. Meges seinerseits fußt zum Teil auf Hipp. II. ovQiyycov 4, steht aber dieser Vorlage frei gegenüber. Celsus hat offenbar von der Benutzung des Hipp, nichts gemerkt , ein neuer Beweis , daß bei ihm überhaupt keine direkte Verwendung des Corpus Hipp, an- zunehmen ist. Da diese stillschweigende Verarbeitung der chirur- gischen Schriften des hipp. Corpus für die beiden letzten Bücher des Celsus charakteristisch ist, so glaubt W. nicht zu irren, wenn er Meges als ihre Quelle ansetzt. Sehr unsicher ist die Vermutung, Meges liege für die abergläubischen Mittel zugrunde , die ihre

72 Friedrich Ernst Kind.

Parallele bei Plin. Nat. Hist. XXVIII— XXXII (Xenokrates) haben. Neben Meges ist Herakleides von Tarent eine Quelle der chirur- gischen Partien ; viel ausgiebiger aber ist der Tarentiner auf seinem ureigensten Gebiete , dem phainnakologischen , verwendet worden ; allerdings ist er hier nicht die einzige Quelle. Außerordentlich stark ist der Einfluß des Asklepiades von Bithynien in der Hygiene, der Diätetik , der allgemeinen und speziellen Therapie , also in Buch I IV-, freilich macht sich hier gelegentlich auch wieder Herakleides geltend. Wichtig ist , daß gegen die Lehren des Bithyniers wiederholt in sachkundigster Weise Stellung genommen wird, wie es nur ein Arzt tun kann. Celsus selbst aber war, wie W. noch einmal erhärtet , Laie i Asklepiades muß also durch eine Mittelsquelle benutzt sein, und zwar nimmt diese einen empirischen Standpunkt ein. W. geht nun aber noch einen bedeutenden Scliritt weiter. Er spricht dem Laien Celsus , der noch dazu nach Quin- tilians Urteil ein mediocri vir ingenio war, überhaupt die Fähigkeit ab, die Lehren des Hippokrates, Herakleides von Tarent, Askle- piades und seiner Schüler, wie Titus Aufidius, Themison und Meges, in der geschickten und geistvollen Weise zu einem einheitlichen Ganzen zu verarbeiten , wie es tatsächlich in De medicina ge- schehen ist. „Celsus ist also gar nicht der Verf. des Werkes, sondern nur Übersetzer : sein hohes Verdienst besteht darin , daß er mit feinem Urteil seiner Übersetzung eines der geistvollsten Lehrbücher der Heilkunde zugrunde gelegt und dadurch einem größeren Publikum zugänglich gemacht hat." Eine Analyse der Einleitung ergibt als ihren Verf. einen Anhänger der empirisch- skeptischen Schule ; er muß , wie die QueUenuntersuchung gezeigt hat , jünger wie Themisons Schüler Meges sein , also in der Zeit des Tiberius gelebt , pharmakologische Neigungen gehabt und eine EiGayojytj für gebildete Laien geschrieben haben. AUe diese Kri- terien passen nach Wellmanns Ansicht nur auf einen : auf Cassius, den Leibarzt des Kaisers Tiberius , und diese Meinung wird mit gi'ößtem Scharfsinn zu begründen versucht. Gegen diese Einquellen- theorie im allgemeinen erhebt neben andern Einwendungen Ilberg in seiner Rez., N. J. kl. A. 1913 XXXI, S. (JOS ff. Widerspruch; „das Bild des Celsus als einer geschlossenen Persönlichkeit, deren Kraft im ganzen ausreichte, sich den schwierigen Stoff zu assimi- lieren," hat sich ihm ^in wesentlichen Punkten nicht verschoben". Ähnlich äußern sich andere Rezensenten. Ref. selbst hat B. ph. W. 1914, Sp. 391 ff. darzulegen versucht, daß Cassius Methodiker ge- wesen zu sein soheint. Hinzugefügt sei, daß W. an entscheidender

.^L

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 7;^

Stelle seiner Begründung (S. 127 u.) gezwungen ist, anstatt eines überlieferten neque ein neque (utique) zu konjizieren. Weitere Er- örterungen dieser Quellenfrage s. Nr. 142 (hinter 144) und 145. Marx schickt seiner Ausg. im ersten Bande des CML reiche Prolegomena voraus, über die Ref. ausführlicher B. ph. W. 1917, Sp. 357 ff. berichtet hat. Sie handeln umsichtig über Leben, Werke und Überlieferung des Celsus. Die Ausführungen über Celsus' Stil , Wortschatz , Stellung zum Klauselgesetz und Sprachgebrauch werden am Schluß der Ausg. durch die umfangreichen Indices der nomina propria, vocabula Graeca und Latina (res memorabiles) er- gänzt. Der AVert der Ausg. beruht auf dem durch sie erst ge- schaffenen kritischen Apparat-, wichtig ist auch die teilweise Er- gänzung der Lücke IV 27 aus Muscio. Die Textgestaltung selbst ist aber vielfach überkonservativ, wie Ref. a. a. 0. an einem Bei- spiele gezeigt hat. Weitere Belege für diesen Hj-perkonservativis- mus bringt Helmreich bei; er beweist aber auch, daß die Über- lieferung an mehreren Stellen ohne Grund verlassen worden ist (VI 11, 6 maxime statt maxima, VI 7, 1 B et für est). Brak- man steuert einige Konjekturen bei, die von W. A. Baehrens, B. ph. W. 1917, Sp. 1551 richtiggestellt werden. Kehren wir je- doch noch einmal zu Marx zurück, um seine Stellung in der Quellenfrage kennen zu lernen. Auch M. hält Celsus nur für den Übersetzer eines einzigen griechischen Werkes , und zwar stamme dieses von T. Aufidius Siculus. Er argumentiert etwa folgender- maßen: Der Verf. von De medicina hat überall das ehi'liche Be- streben, seine Quellen zu nennen; er sagt selbst II 14, man dürfe die neueren Arzte in ihren Verdiensten nicht beeinträchtigen, anderseits aber doch den älteren das Erstlingsrecht auf eine Ent- deckung nicht vorenthalten. Nach diesem Grundsatze werden die Gewährsmänner von Hipp, an bis auf Themison und Meges herab alle gewissenhaft verzeichnet. Um so mehr muß es befremden, wenn der Name einer Quelle, die nachweisbar an mehreren Stellen benutzt ist, überhaupt nicht vorkommt, der des T. Aufidius Siculus, und doch ergreift gerade dieser Arzt Maßnahmen, die einzig in der Literatur dastehen. Dieser scheinbar gi'obe Verstoß gegen die II 14 aufgestellte Forderung erklärt sich auf die natürlichste Weise, wenn wir in T. Aufidius den Verf. des von Celsus übersetzten Werkes erblicken. Also nicht Celsus stellt jene über die Mittel- mäßigkeit (mediocri vir ingenio) weit hinausgehende Forderung, sondern T. Aufidius , und getreulich hat dieser sie erfüllt. Nach den literarischen Gepflogenheiten der Römer konnte Celsus seine

74 Friedrich Ernst Kind.

p-iechische Quelle verschweigen: dabei besteht immer noch die Möglichkeit, daß in der Einleitung der Artes Aufidius genannt war.. Die für T. Aufidius erschlossenen Eigentümlichkeiten lassen sich in der ganzen Schrift De medicina nachweisen ; das Werk ist ein. einheitliches Ganze ohne Widersprüche, die einzelnen Bücher sind durch Vor- und Rückverweise untereinander verkettet. Diese neu© Lösung der Quellenfrage hat zunächst etwas ungemein Bestechendes, aber doch ist auch sie nicht richtig. Sie beruht, wie Wellmann Nr. 145 überzeugend beweist, auf falschen Voraussetzungen, die W. allerdings selbst noch zum Teil in seiner Quellenuntersuchung (Nr. 141) vertreten hat. Die Berührungen zwischen Celsus und T. Aufidius bei Caelius Aurelianus bestehen nicht in dem Umfange, wie erst angenommen wurde. Die Heilung des Icterus wird bei Celsus durch laxatio animi , bei Aufidius hingegen durch laxatio cai-nis angestrebt. Die Parallele bei Behandlung der Irrsinnigen fällt (bis auf einen Relativsatz bei Cael. Aur.) weg, da unter idem nicht T. Aufidius, sondern Asklepiades zu verstehen ist. Die drittte Berührung in der Therapie der Lungenentzündung ist nur gering und wahrscheinlich auf Themisons Vermittlung zurückzuführen. Dazu kommen aber noch weitere Gegengründe, aus denen besonders hervorgehoben sei, daß Aufidius jedenfalls bedeutend älter war als Meges, also den Meges gar nicht benutzen konnte. Bei dieser Be- kämpfung der Aufidiushypothese fallen noch einige Einzelergebnisse für die Untersuchung der Quellen bei Celsus mit ab. An einer griechischen Mittelsquelle hält W. weiter fest, allerdings nicht mehr an Cassius. Der Mittelsmann hat ^ die Berichte der hervorragendsten Arzte der verschiedenen Schulen zusammengearbeitet und aus ihnen in geschickter Weise ein einheitliches Ganze zu bilden verstanden"; „er war ein Vorläufer des Agathinos, Leonidas und Archigenes, d. h. ein eklektischer Arzt aus der Zeit des Meges (etwa Meges selbst?), also aus der Zeit des Tiberius". Meyer-Steineg Nr. 76^ S. 27 if. lehnt die Einquellentheorie ab. Nach ihm ist Celsus aller- dings Laie, konnte aber in den zu seiner Zeit in Rom bestehenden Valetudinarien reiche Erfahrungen sammeln und damit seine theo- retischen Kenntnisse ergänzen. Anderseits hatten die Besitzer dieser Valetudinarien das Bedürfnis nach einem populären, aber doch sachverständigen medizinischen Handbuch. So ist das Medizin- buch des Celsus das Werk eines Laien für Laien, Grund genug, daß es in der folgenden medizinischen Literatur keine Rolle spielt. Meyer-Steineg Nr. 146 fülirt kurz in die Entwicklung der Medizin in Rom bis auf Celsus ein und druckt Celsus I und II,

11

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin liill 1917. 75

l g mit geringen Änderungen in der Übersetzung von Scheller- Frieboes (Ber. I, Nr. 173) ab. Das Büchlein, dem knappe er- läuternde Anmerkungen beigegeben sind , gehört zu Voigtländers Quellenbüchern und ist zur ersten Orientierung nicht ungeeignet.

147) W. Schonack, Die Rezeptsammlung des Scribonius Lar<2;us. Eine kritische Studie. Jena 1912.

*148) W. Schonack, Des Scribonius Largus Rezepte. Zum ersten Male vollständig übersetzt und mit ausführlichem Arzneimittelregister versehen. Jena 1913.

149) H. Lackenbacher, Zu Scribonius Largus. Wiener Studien 1914 XXXVI, S. 175—180.

150) M. Nied ermann, Beiträge zur Textkritik lateinischer Mediziner. Rh. Mus. 1916 LXXI, S. 143—150.

151) M.Wellmaun, Zur Geschichte der Medizin im Alter- tum. IX. Herrn. 1912 XL VII, S. 1 f.

152) J. L ottritz. De Scribonii Largi genere dicendi. Diss. Bonn 1913.

Schonack Nr. 147 handelt in drei Abschnitten vom Verf. der Compositiones, vom Werke selbst und von der Überlieferung. Die Studie bringt die Scribonius-Forschung keinen Schritt weiter; die neueste Literatur ist nicht ausreichend herangezogen. Rez, von Ilberg, D. L. 1913, Sp. 1570 ff., von Lackenbacher, Zeitschr. f. österr. Gymn. 1915, S. 399 ff. und vom Ref., B. ph. W. 1913, Sp. 1354 ff. Schonack Nr. 148 bietet eine Übersetzung der Compositiones, die reich an Fehlern aller Art ist, vgl. Ilberg und Lackenbacher a. a. 0. Rinnes Übersetzung (Histor. Studien aus d. pharmakol. Institut der kaiserl. Univ. Dorpat, Halle a. S. 1896), die allerdings nur bis zum 79. Kapitel reicht, ist nach wie vor un- entbehrlich, vor allem auch wegen ihres pharmakologischen Kom- mentars. — Lackenbacher gibt im Anschluß an Schonacks Übersetzung Beiträge zur Erklärung des Scribonius. Nied er- mann bessert, zum Teil auf Grund seiner genaueren Kenntnis der Marcellushss, an mehreren Stellen den Text des Scribonius. Hervor- gehoben sei S. 38, 13 Hlmr. : qui sanguinem (ore) reiciunt und S. 37, 8: passi Myconi statt meconi; passum Myconium ist Trocken- beerwein von der Kykladeninsel Mykonos (vinum Myconium Plin. Nat. Hist. XIV 75). Eine große Anzahl ausgezeichneter Verbesse- rungen und Bemerkungen zur Medicina Plinii, zu Ps.-Apuleius De herbarum medicaminibus, zur Mulomedicina Chironis und zu den Antidotaria Bruxellensia schließen sich an. W^ellmann identi-

76 Friedrich Ernst Kind.

fiziert die Scrib. c. 122 erwähnte muliercula quaedam ex Africa mit der von Galen (XIII 250 ; 341) genannten Afrikanerin Favilla. Paccius Antiochus unter Tiberius kennt das Kolikmittel ebenfalls (Gal. XIII 284). Die Ärztin scheint also bei der unter Tiberius herrschenden Kolikepidemie einen schwunghaften Handel mit ihrem Mittel getrieben zu haben. Vielleicht stammt von ihr auch das Rezept der matrona quaedam honesta gegen Epilepsie (c. 16). Eine Quelle der Favilla war die Ärztin Antiochis, s. o. Nr. 75. Sodann macht W. darauf aufmerksam, daß einige der Rezepte, die Galen von Scribonius Largus überliefert, in den erhaltenen Compositiones fehlen. Er schließt daraus , daß entweder das Rezeptbuch des Largus außerordentlich lückenhaft erhalten ist, oder, was ihm wahr- scheinlicher ist , Scribonius noch eine zweite pharmakologische Schrift verfaßt hat; er vermutet, daß der Römer wie Theodorus Priscianus sein Rezeptbuch zuerst griechisch verfaßt und später einen Teü ins Lateinische übertragen hat. W. hat Helmreichs Aus- führungen in den Blättern für das Bayerische Gymnasialschulwesen 1882 XVIII, S. 391 übersehen, der dort schon das Verhältnis zwischen Galen und Scribonius gründlich erörtert. Die von Helm- reich herangezogene Stelle aus der Widmung an Callistus : postea tarnen, si et tibi videtur, ad singula quaeque vitia plures con- positiones colligemus spricht gegen Wellmanns Vermutung, ebenso die Tatsache, daß ein Rezept des Largus, das heute in den Com- positiones fehlt, aber bei Galen (XII 738) erhalten ist, sich bei Marcellus Empiricus (VIII 92) wiederfindet, wie Niedermann (Nr. 165) zu der Stelle notiert. L ottritz' reichhaltige Zusammenstellungen über die Sprache der Compositiones sind als Materialsammlung be- achtenswert.

153) Quinti Sereni liber medicinalis ed. F. Vollmer. Leipzig und Berlin 1916 (= CML II, 3).

154) P. Lehmann, Apuleiusfragmente. Herrn. 1914 XLIX, S. 612—620.

155) K. Sudhoff, Die Fragmenta Emmeranensia des Ps.- Apuleius in München und der Leidener Sammelkodex Cod. Voss, lat. Q. 9. AGM 1914/15 VIII, S. 446—449.

*156) A. S. Pease, Medical Allusions in the Works of St. Jerome. Harvard Studies 1914 XXV.

Vollmer bietet den Liber medicinalis Quinti Sereni, den zuletzt Baehrens, Poet. lat. min. III 107 ff. herausg. hat, in neuer Rezension. Die Identifikation des Verf. mit dem jüngeren Serenus

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 77

Sammonicus aus der Zeit des Alexander Severus ist, wie V. in der Praefatio bemerkt, nicht zwingend, da einerseits für jenen Dichter der Vorname Quintus nicht bezeugt ist, anderseits die Genetivform nicht eindeutig ist: Fröhner (1889) riet auf Q. Serenius, V. neigt dazu, den Verf. zu einem Quintius Serenus zu macheu. Auch für die Abfassungszeit läßt sich nur der große Zeitraum vom Ende des II. bis zum IV. Jahrh. gewinnen. Anklänge an das Gedicht finden sich im metrischen Epilog des Mai'cellus Empiricus, deutliche Benutzung bei Benedictus Crispus (681 725). Der Archetypus unserer Hss war noch in der Zeit Karls des Großen vorhanden ; auf ihn gehen die beiden Hss-Klassen zurück. Den einzigen Ver- treter der besseren Klasse , einen Turicensis des ausgehenden IX. Jahrh., hat schon Baehrens i'ichtig gewürdigt. Die Kapitel- überschriften, die ebenfalls in zwei Rezensionen vorliegen, mögen manches Serenische Gut enthalten, doch sind gerade sie naturgemäß der Willkür der Schreiber besonders ausgesetzt gewesen ; daß aber der Dichter selbst Überschriften gesetzt hat, ist wohl zweifellos. Der Text stützt sich auf den gründlichen kritischen Apparat; er ist konservativer behandelt als bei Baehrens, da V. vieles, woian Baehrens Anstoß nahm, auf Rechnung des Dichters setzt. Quellen, Nachahmungen und Zeugnisse sind unter dem Texte angegeben ; Register über prosodische und grammatische Eigentümlichkeiten, über Krankheiten und Heilmittel und Quellenschriftsteller (Medicina Plinii, Plinius Nat. Hist. und Parallelen bei Marcellus u. a.) sind angefügt. Rez. vom Ref., B. ph. W. 1917, Sp. 744 if. Lehmann veröffentlicht aus zwei Hss-Überbleibseln Fragmente zu Ps.-Apuleius' De herbarum medicaminibus. Sie sind in Unziale geschrieben und zeigen Reste von farbigen Pflanzenbildern; L. hält es für möglich, ja, für wahrscheinlich, daß beide Blätter einst Teile derselben Hs aus dem Anfange des VIII. Jahrh. gewesen sind. Das eine findet sich im Ms Lat. F 381 Nr. 1 der Kgl. Bibl. in Berlin ; es entspricht c. 32, 23, 24 (in dieser Reihenfolge) in Ackei*manns Ausg.; von dem andern ist in der Hs 659 der Hildesheimer Dombibliothek nur noch der Leimabdruck vorhanden ; die von puleium und nepeta handelnden Kapitel führen die Nummern 94 und 95 (bei Ackermann 92 und 93). Schon früher war man auf Fragmente des Apuleius aus dem St. Emmeranskloster in Regensburg, jetzt in München (Spengel, Philol. 1864 XXI) und in einem Vossianus (L. Müller, Rh. Mus. 1868 XXIII) aufmerksam geworden. Lehmanns einleitende Bemerkung, diese beiden Zeugen seien um 700 geschrieben, erregte Sudhoffs Widerspruch und veranlaßte ihn, sich erneut mit diesen

78 Friedrich Ernst Kind.

Bruchstücken zu beschäftigen. Zu den Münchener Bruchstücken sind seit Spengel noch weitere Blätter hiuzu gefunden worden. Sud- hoff setzt beide Hss, also den Leidensis und die unter verschiedenen Nummern gehenden Fragmeuta Emmeranensia ins VII. Jahrh. und weist nach, daß L. Müllers Vermutung, der Leidensis gehöre zu derselben Hs wie die Münchener Fragmente, sich nicht bestätigt. Die Hss stellen zwei verschiedene Linien der Überlieferung dar; auch die Reihenfolge der Pflanzen ist verschieden. Pease er- gänzt A. Harnacks Ausführungen über Medizinisches aus der ältesten Kirchengeschichte (1892) für Hieronymus. Er gruppiert die zahl- reichen medizinischen Anspielungen nach der Teilung : Arzt, Patient, Krankheit. Eine ziemlich ausführliche Inhaltsangabe dieses Auf- satzes, der dem ßef. nicht vorlag, gibt R. Fuchs, W. kl. Ph. 1915, Nr. 37.

157) Chr. Ferckel, Ein deutscher anatomischer Vindician- text. AGM 1913/14 VII, S. 306—318.

158) K. Sudhoff, Zur Anatomie des Vindicianus. Hand- schriften-Studie. AGM 1914/15 VIII, S. 414—423.

159) F. Wilhelm, Medizinisches aus dem Basler Cod. B, XI. 8. Münchener Mus. f. Philol. des Mittelalters 1913/14 II, S. 365—367.

160) K. Sudhoff, Ein neues deutsches anatomisches Vin- dizianfragment und anderes Medizinische in einer Basler Hs des XIV. Jahrh. AGM 1915/16 IX, S. 168—171.

Ferckel veröffentlicht nach Cod. Germ. Monac. 398 saec. XV eine Übersetzung von Vindicians Gynaecia, entsprechend Theodorus Priscianus, Rose, S. 426 457, und schreibt einen sachkundigen, ausgiebigen Kommentar dazu. Sudhoff Nr. 158 ergänzt die von Rose a. a. 0. zusammengestellten fünf Hss der Gynaecia durch Publikation des Lips. Repos. med. 14 = Ms 1118 saec. XIII, der bisher nicht beachtet wurde, und des von Rose a. a. 0., S. 427 kurz erwähnten Bamberg. L III 9 saec. XII/XIII. Die beiden ein- ander nahestehenden Texte berühren sich am ehesten noch mit dem Casinensis. Alle 7 Hss „muten uns an wie ein völlig selb- ständiger Auszug aus einem ausführlichen Texte , der doch bei allen der gleiche gewesen sein muß". S. denkt an Vorlesungs- Nachschriften. Wilhelm teilt aus dem Basler Cod. B. XI. 8 mehrere medizinische Stücke mit. Das erste bietet die legenden- hafte Einleitung zu den Secreta Hippocratis (s. o. Nr. 40 und 41) in deutscher Sprache. Dann folgt ein lateinisches Fieberrezept:

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 79

Swer de (1. de) biever hat. Acipiat herbam camomillam usw. ; ferner deutsche Ausführungen über die Güte des Trinkwassers, lateinische g}-näkologische Bruchstücke, schließlich deutsch und lateinisch ge- mischt ein größeres Bruchstück aus \'indicians Gynaecia. Hier hat man allerdings stark den Eindruck, daß ein deutscher 8tudent den lateinischen Vortrag im Kolleg nachgeschrieben hat. Sudhoff Nr. 160 druckt Wilhelms Publikation nach und identifiziert die Stücke, was der erste Herausg. unterlassen hat. Bl. 136^ zu An- fang: (vh wan) de es shatz were ist für de natürlich de zu lesen. Über Benutzung des Vindicianus durch Isidorus von Sevilla vgl. Wellmanns Rez. von Schmekel, Isidorus von S. (1914) in B. ph.W. 1916, Sp. 833 f.

161) M. Niedermann, Über einige Quellen unserer Kenntnis des späteren Vulgärlateinischen. N. J. kl. A. 1912 XXIX, S. 813— 342.

162) M. Niedermann, Sprachliche Bemerkungen zu Mar- cellus Empiricus. Festgabe für Hugo Blümner. Zürich 1914, S. 328—339.

163) M. Niedermann, Hvperkritisehe Fehlgriffe. B. ph.W. 1914, Sp. 92—95.

164) W. A. Baehrens, Grammatisches zu neuen Texten. B. ph. W. 1916, Sp. 219 f.

165) Marcelli De medieamentis liber rec. M. Niedermann. Leipzig und Berlin 1916 (= CML V).

166) M. Höfler, Volksmedizinische Botanik der Kelten. AGM 1911/12 V, S. 1— 35; 241—279.

167) M. Höfler, Organotherapie bei Gallokelten und Ger- manen. Janus 1912, S. 3—19; 76—92; 191—216.

168) K. Sudhoff, Der pseudohippoki-atische Brief an Antiochus in fragmentarischer deutscher Übersetzung aus dem Mittelalter. AGM 1914/15 VIII, 8. 293—295.

Niedermann Nr. 161 gibt eine gute Einführung in die lateinischen Mediziner des V. und VI. Jahrh. und gewährt einen instruktiven Einblick in die sprachlichen Kräfte, wie sie sieh im späteren Vulgärlateinischen in der Lautlehre, Flexion, Wortbildung und Syntax zeigen. Zugrunde gelegt sind die Mulomedicina Chironis , Marcellus Empiricus , Anthimus , die ältere lateinische Oreibasiosübersetzung und der lateinische Dioskurides (Ber. I, Nr. 82). Niedermann Nr. 162 bringt eine Anzahl gute sprachliche Be- obachtungen zu Marcellus. Niedermann Nr. 163 warnt im

80 Friedrich Ernst Kind.

Anschluß au Bemerkungen von W. A. Baehrens (Eranos 1913 XIII, S. 27; Philol. Suppl. XII 1912, S. 486) vor dem Fehler, mit der Überlieferung durch dick und dünn zu gehen und jede Lesart irgendwie sprachlich erklären zu wollen. Unsere bessere Kenntnis der Marcellushss lehrt , daß in vielen Fällen , wo Baehrens gute und echte Überlieferung zu erweisen unternommen hat, in Wahr- heit Schreibfehler vorliegen. Baehrens wendet sich gegen Niedermanns (in Nr. 162) Erklärung von portati bei Marc. XX 5 und deutet es als gen. abs., speciosius quam verius , wie Nieder- mann Nr. 165, S. 367 urteilt. Niedermann Nr. 165 bietet eine neue Rezension des Arzneibuches des MarceUus Empiricus. Der letzte Herausg. Helmreich (1889) konnte nur den cod. Laudu- nensis 420 saec. IX oder X benützen , der umfangreiche Lücken enthält, und war im übrigen auf die Editio princeps des Janus Cornarius (Basel 1536) angewiesen, deren Vorlage er für verloren hielt. N. weist aber nach, daß diese Hs noch vorhanden ist; es ist der Paris. Lat. 6880 aus dem IX. Jahrh., der wohl ursprüng- lich dem Kloster in Fulda angehörte. Cornarius hat vieles durch Konjekturen und klassizistische Interpolation verdorben, dazu kommen in der Ausg. eine ganze Anzahl Druckfehler. Helmreich hat diese Änderungen und Fehler zum großen Teil übernommen, anderseits die bessere Lesart des Cornarius gegenüber der schlech- teren im Laudunensis als Interpolation verworfen ; obendrein ent- stellen eine Reihe Kollationsfehler Helmreichs kritischen Apparat. Die Quellenschriftsteller und die Testimonia sind von ihm nicht genügend berücksichtigt; einige waren allerdings überhaupt noch nicht bekannt (Rose 1894). So bedeutet Niedermanns Ausg. einen überaus großen Fortschritt. Das schwierige Kapitel über die medizinischen Maße i;nd Gewichte hat Viedebantt bearbeitet, es hat ein ganz anderes Gesicht bekommen. Für mehrere Briefe, den des Hipp, an Maecenas , des Plinius an seine Freunde , des Cor- nelius Celsus (in Wirklichkeit des Scribonius Largus) an CaUistus, des Celsus an Pullius Natalis und des Vindicianus an den Kaiser Valentinian, sowie für die 78 Hexameter, die in den beiden andern. Hss dem Buche des Marcellus angefügt sind, ist von N. noch der cod. ArundeUanus 106 saec. IX oder besser X im Britischen Museum herangezogen worden. Es ist der Codex, aus dem Ruellius die Briefe in seiner Scribonius-Ausg. von 1529 herausgab. Die Laoner und Londoner Hs gehen auf eine gemeinsame Vorlage zurück, die aus demselben Archetypus stammt wie die Pariser. Der Brief des Hipp, an Antiochus in Wahrheit des Diokles von Karystos

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. gl

an Antigonos (Wellmann, Paiily-Wiss. V 812) sowie der des Hipp, an Maecenas finden sich noch oft in Hss , gehören aber in der dort gegebenen Fassung nicht zu der bei Marcellus erhaltenen Rezension. Hinsichtlich der von Marcellus selbst genannten medi- zinischen Quellen ist Ausonius jedenfalls der Vater des Dichters. Apuleius und Celsus werden zu Apuleius Celsus aus Centurijjae zusammengezogen (s. Ber. I, Nr. 185), so daß man annehmen müßte , Marcellus habe die Compositiones des Scribonius Largus, der trotz stärkster Benutzung mit keiner Silbe erwähnt wird, für ein Werk seines Lehrers Apuleius Celsus gehalten. Plinius' Naturalis Historia muß , auch wenn man zugibt , daß die Medicina Plinii früher umfangreicher war als heute, doch ebenfalls verwendet sein, da Marcellus beide Plinius als Quellen nennt. Das Verhält- nis zwischen Marcellus und den späteren Schriftstellern ist nach N. folgendes. Die Übereinstimmungen mit Ps. -Apuleius, De herbarum medicaminibus erklären sich daraus , daß Marcellus den Apuleius ausschrieb, während Sextus Placitus den Marcellus benutzte. Doch fehlt für Apuleius und Sextus Placitus noch die sichere textliche Grundlage , so daß N. diese Ansicht nur mit Vorbehalt vertritt. Ps.-Theodorus, der ein Jahrh. jünger ist als Theodorus Priscianus, benutzte neben der Medicina Plinii noch den Marcellus und Ps.- Apuleius (anders Fahney, De Pseudotheodori additamentis , Diss. Münster 1913). Der sog. Plinius Valerianus (aus dem VI. oder VII. Jahrh.) schrieb gleichfalls außer Marcellus die Medicina Plinii und Ps. -Apuleius aus, dazu noch die Responsiones medicinales des Caelius Aurelianus. Benutzung des Marcellus ist schließlich noch festzustellen in den Antidotaria Bruxellensia, in der Appendix miscellaneorum (Rose, S. 398 ff.) und in dem Epos des X. Jahrh. 'Ecbasis cuiusdam captivi per tropologiam'. N. hat die Quellen und Testimonia unter dem Texte angegeben. Aus seinen Be- merkungen zu Marc. I 60, XVII 32 und 33, XX 84 und 133, XXXVI 68 geht hervor, daß er an den Stellen, die Marcellus mit der Medicina Plinii gemein hat, die sich aber in der Nat. Hist. nicht nachweisen lassen, eine spätere Interpolation der Med. Plin. aus Marcellus annimmt. Diese Annahme wird durch die Einleitungs- worte bestätigt, die an den betreffenden Stellen in der Med. Plin. geschrieben sind (45, 9 = Marc. XX 84 + 133: Non est ab re compositionem operi convenientem ponere ; 70, 12 = Marc. XXXVI 68 : Sunt et qui potione podagra sint liberati, cuius compositionem subiciam etc.). Auch 40 , 14 = Marc. XVII 32 ist der Zusatz deutlich charakterisiert. Nun steht allerdings das nach Niedermanns

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 180 (1919. III). 6

32 Friedrich Ernst Kind.

Ansicht interpolierte Marc. XVII 83 = Med. Plin. 40, 5 vor den Ein- führiingsworten 40, 14. Diese Schwierigkeit schwindet jedoch, da sich dieses Rezept Marc. XVII 33 tatsächlich in der Nat. Hist. XX 244 findet; weder Rose noch N. haben die Übereinstimmung entdeckt, wohl aber verweist Mayhoif an der Stelle der Nat. Hist. auf Mar- cellus. Das bescheidene Rezeptchen Marc. I 60 = Med. Plin. 10, 12 ist ohne Einführung interpoliert. Ausgiebige Indices der Eigen- namen, verba memorabilia, Arzneimittel, Maße und Gewichte, Quellen und Zeugnisse und der Duplikate in Marcellus' Arzneibuche selbst sind der Ausg. angefügt. Eine große Erleichterung im Ver- gleich zur Helmreichschen Ausg. gewährt die am oberen Rande der Seiten angegebene Kapitel- und Paragrapheneinteilung. Höfler Nr. 166 muß von dem beachtet werden, der sich mit wirklich oder angeblich gallischen Pflanzen beschäftigt, wie sie uns bei Plinius, Dioskurides, Apuleius und Marcellus Empiricus begegnen. Wie Nr. 166, so kann auch Höfler Nr. 167 mit der nötigen Vorsicht zur Interpretation des Marcellus verwendet werden. H. handelt die aus dem Tierreiche genommenen Arzneimittel nach den einzelnen Tieren ab. Sudhoff veröffentlicht aus dem Leipziger deutschen cod. 1129 saec. XIV den Brief des Hipp, an Antiochus in stark verkürzter deutscher Übersetzung und verweist auf weitere deutsche Übersetzungen dieses Briefes in Breslauer, Münchener und "Wiener Hss.

169) H. Ahlquist, Kritisches zur Mulomedicina Chironis. Eranos 1912 XII, S. 150—169.

170) J. Com pernaß, Vulgärlateinisches. Indogerm. For- schungen 1914 XXXIV, S. 389—391.

171) A.Werk, War den griechisch-römischen Tierärzten die Facialislähmung bekannt? Tierärztl. Wochenschr. 1911, S. 779 f.

172) A. Werk, Bemerkungen eines Tierarztes zur Mulo- medicina Chironis. Rh. Mus. 1912 LXVII, S. 147—149.

Ahlquist gibt eine Fülle ausgezeichneter textkritischer Be- merkungen zur Mulomedicina Chironis. Com pernaß handelt über similiter = simul = zusammen in der Mulom. Werk Nr. 171 zeigt, daß unter morbus sideratus bei Apsyrtos (id genus morbi in hominibus comitialis nominatur) zwar Epilepsie, bei Vegetius- Chiron und Pelagonius hingegen Facialislähmung zu verstehen ist. Werk Nr. 172 gibt fachmännische Erklärungen und textkritische Beiträge zur Mulom.; vgl. auch MGM X, S. 376 und Berl. Tierärztl. Wochenschr. 1910 Nr. 52.

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 83

173) 0. Probst, Ein Inhalationsapparat bei Cassius Felix. Blätter für das Bayrische Gymnasialschulwesen 1916 LH, S. 11—12.

174) G. Helmreich, Gufio bei Cassius Felix 33. Eben- daselbst, S. 184 und 384.

Probst vermutet Cass. Felix c. 33 in dem Satze S. 71, 12 carbones etiam de gutione vitis facies auf Grund der hsl auch er- haltenen Lesart degusione : de[g]ustione und erklärt: 'durch Ver- brennen von Holz des Weinstocks'. Aber Helmreich zeigt, daß nichts zu ändern ist. Wie c. 20, S. 32, 12 ein punisches Wort aturbis steht und das von Cassius wiederholt gebrauchte girba semitischen Ursprungs ist (Arch. f. lat. Lexikogr. I 328) , so ist gufio als punisches Wort anzusehen , das mit dem hebräischen 'gephen, Ranke, Rebe' verwandt ist. Der Afrikaner übersetzt also ein ano '/.XrjfjaTog a(.t7cikov seiner Quelle.

175) J. Med er t, Quaestiones criticae et grammaticae ad Gynaecia Mustionis pertinentes. Diss. Gießen 1911.

176) 0. Probst, acrudus. Glotta V, S. 191 f.

177) 0. Probst, Isidors Schrift 'de medicina'. AGM 1914/15 VIII, S. 22—38.

178) K. Sudhoff, „Diaeta Theodori". Ebendaselbst, S. 377—403.

Medert verteidigt an vielen Stellen die beste Überlieferung Mustios gegen Roses klassizistische Interpolation und bessert wirk- liche Korruptelen. Die Arbeit wird von Niedermann , B. ph. W. 1912, Sp. 1252 ff., der seinerseits gute Bemerkungen beisteuert, sehr günstig beurteilt. Probst Nr. 176 ändert in Mustios Übersetzung von Soran. Gynaec. II 14 p. 53, 6 Rose das korrupte acrudo in acra nuda, schiebt diese Lesart zwischen den vorher- gehenden Worten fieri debet und hac disciplina ein und erklärt sie mit dia xjnlwv to>i> yEigtor, Soran. p. 311 Rose. Probst Nr. 177 untersucht im Anschlüsse an Roses Hinweisungen (Anecdota II 175; Cass. Felix p. IV) den Einfluß des CaeHus Aurelianus und Cassius Felix auf das vierte Buch von Isidors Etymologien. Dabei laufen ihm böse Fehler unter; vgl. Wellmann, B. ph. W. 1916, Sp. 840, der über Isidors Quellen wichtige Bemerkungen macht (a. a. 0., Sp. 827 ff. ; s. auch o. hinter Nr. 16o); vgl. auch Meyer-Steineg, W. kl. Ph. 1915, Sp. 58. Sudhoff druckt die im Chisianus F. IV. 57 als fünftes Buch des Theodorus Priscianus bezeichnete Schrift De diaeta ^vgl. Rose, Theod. Prise, p. XXI) nach dem

6*

84 Friedrich Ernst Kind.

Vindobonensis 2425 saec. XII ab mit Beigabe der Lesarten des Hai-leiauus 4986 saec. XI und Bruxellensis 1342 50 saec. XII. Eine Recensio ist nicht beabsichtigt; diese soll im CML erscheinen. S. hebt die Abhängigkeit des Textes von griechischen Vorlagen hervor.

Drittes KapiteP).

Die einzelnen Gebiete der Medizin.

1. Anatomie und Physiologie.

179) W. Sudhoff, Die Lehre von den Hirnventrikeln in textlicher und graphischer Tradition des Altertums und Mittel- alters. AGM 1913/14 VII, S. 149—205.

180) 0. von Ho vor ka. Altgriechische Heilvotive vom ärzt- lichen Standpunkte. Ebendaselbst, S. 347 352.

181) Th. Meyer-Steineg, Darstellungen normaler und krankhaft veränderter Körperteile an antiken Weihgaben. Jenaer med.-hist. Beitr. Heft 2. Jena 1913.

W. Sudhoff gibt einen guten Überblick über die Entwicklung der Lehre von den Hirnhöhlen. Er führt uns von der ersten klaren Unterscheidung von Hirn Ventrikeln durch Herophilos und ihre Be- schreibung durch Erasistratos über die Versuche der Ärzte des IV. nachchristlichen Jahrh., die Geisteskräfte zu lokalisieren (Poseidonios und Nemesios), zu Costa ben Luca aus Baalbek (864 bis 923) und Rases (f 923), der die erste graphische Darstellung bietet. Er zeigt dann , wie im Mittelalter die textliche Tradition immer mehr erstarrt , ebenso aber auch die graphische , von der eine ganze Reihe Beispiele abgebildet werden. Erst Lionardo da Vinci bricht mit der Tradition , und mit Vesalius beginnt die moderne anatomische Forschung. Der Zusammenhang der Bilder mit antiker Illustration hat leider nicht hergestellt werden können, obgleich er doch wohl besteht. Außer auf die Kindslagenbilder, die auf Soranos zurückgehen (s. Ber. I zu Nr. 271), sei bei dieser Gelegenheit auf die verschiedenen 'Beiträge zur Geschichte der Anatomie im Mittelalter' und 'Szenen aus der Sprechstunde und bei Krankenbesuchen des Arztes in mittelalterlichen Handschriften' aufmerksam gemacht , die K. SudhofF im AGM veröflFentlicht hat ; der Zusammenhang der fünf anatomischen Hockfiguren des Venen-,

') In diesem Kapitel ist besonders starke Beschränkung geübt worden.

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 85

Arterien-, Knochen-, Muskel- und Nervenmannes mit alexandrinischen Vorlagen ist unabweisbar. Ber. I, Xr. 198 hatte Stieda die alt- italischen Weihgeschenke behandelt; von Hovorka gibt eine gute allgemeine Orientierung üder die griechischen , die sich schon in Palaiokastro aus mykenischer Zeit nachweisen lassen ; die Literatur ist ausreichend zusammengestellt. Es werden sowohl kranke als gesunde Glieder dargebracht. Meyer-Steineg publiziert inter- essante Weihgeschenke, die er auf seiner Reise nach Kos (1910) erworben hat. Auch er zeigt , daß normale und krankhaft ver- änderte Glieder geweiht wurden. Da sich bei M.-St. ebenfalls die neueste Literatur über den Gegenstand findet es handelt sich vor allem um die Arbeiten Holländers, Regnaults und Rouquettes , so verzichten wir darauf, weitere Werke anzuführen. Hinzuzufügen ist 0. Walter, Knieende Adoranten auf griech. Reliefs, Jahresh. d. österr. Arch. Inst, in Wien 1910, IL Heft, S. 235 ff. (MGM 1911/12 XI, S. 183)-, Heron de Villefosse , Acad. des inscr. et b. lettres 1911, S. 534 ff. (MGM XI, S. 386); K. Sudhoff, Antike Votivgaben, die weiblichen Genitalorgane darstellend, Monatsschr. f. Geb. u. Gyn. 1913 XXXVIII; Esperandieu, Fouilles de la Croix St. -Charles au Mont Auxois , Mera. de la Commission des antiquites du Dep. de la Cöte d'Or, Tome XVI (MGM 1916, S. 143).

Für die Phj-siologie seien die von Helfreich (vgl. Ber. I, Nr. 203 und 205) angeregten Diss. genannt:

182) M. Hofmann, Über die Entwicklung der Lehre vom Bau und den Funktionen des Herzens vom Altertum bis auf Harvey. Diss. Würzburg 1913.

183) A. Hofmann, Gesch. der Physiol. und Pathol. des menschlichen Blutes. Diss. Würzburg 1914. Rez. von Meyer- Steineg, MGM 1915.

184) W. Hofmann, Die Kenntnisse und Anschauungen der Alten über den Bau und die Funktion der Leber. Diss. Würz- burg 1912.

185) G. Albert, Die Anschauungen des Altertums über die Lehre von der Verdauung. Diss. Würzburg 1912.

Wir fügen an :

186) J. Klüger, Die Lebensmittellehre der griechischen Ärzte. Primitiae Czernovicienses II, S. 1 53. Czernowitz 191 L

Klüger schildert den Werdegang der Lebensmittellehre bei den griechischen Ärzten bis auf Galen. Das Verdienst der Arbeit» die im wesentlichen aus den einschlägigen Schriften von Gomperz,

86 Friedrich Ernst Kind.

Fredrich und Wellmann kompiliert ist, besteht in der freilich nicht ausreichenden Sonderbehandlung des Stoffes. Beachtens- wert ist S. 28 f. die Vermutung, Phylotimos habe nicht 13, sondern nur 3 Bücher Tl. TQOcpfjg geschrieben, und S. 44 die Annahme einer lexikographischen, von Diphilos abhängigen Quelle des Xenokrates bei Oreibasios.

2. Pathologie.

187) A. Borchard, Beitrag zur Geschichte der Frost- gangrän. Zentralbl. f. Chirurgie 1916, S. 142.

188) I. Bloch, Der älteste Gebrauch des Wortes Ekzem. Monatshefte für prakt. Dermatologie 1911 LIII, S. 69 71.

189) V. Fossel, Von der Heilkraft der Kröte in den Schriften älterer Ärzte. AGM 1914/15 VIII, S. 39—44.

190) H. Peters, Nochmals das giftige Stierblut des Alter- tums. Ber. d. Deutsch. Pharmazeut. Ges. 1913, S. 491 501.

Borchard bespricht Xen. Anab. IV 5, 12 14. Mangel an Bewegung und Belassen des festsitzenden Schuhwerks an den Füßen ist von den Griechen richtig als schädlich erkannt. Bloch weist darauf hin, daß sich das Wort tydie,(.ia, das aus Aetios, Galen und Dioskurides geläufig ist, sich schon bei Bakcheios (Erotian S. 67 Kl.) findet. Ilberg bemerkt dazu, daß das Zitat Geopon. I 12, 19: ^rj/joAQiTog de cfi]Oiv iv Toi q>i}ivo7tiijQq} E/Zef^taza ylvea't^ai lehrt, daß bereits Bolos von Mendes (III. Jahrh. v. Chr.) das Wort kennt. Über die alexandrinische Zeit hinaus ist es aber nicht nachweis- bar. — Fossels Aufsatz sei erwähnt, da aus ihm hervorgeht, daß die Ansicht der Alten von der Giftigkeit der Kröte durch moderne Untersuchungen bestätigt wird. E. Faust hat aus dem Hautdrüsen- sekret der Kröten Bufonin und Bufotalin, zwei der Digitalisgruppe angehörige stickstofffreie Substanzen , isoliert. Ebenso kommt Peters mit seiner gründlichen Untersuchung zu dem Ergebnis, daß Stierblut giftig wird , wenn beim Brandopfer durch die Ein- wirkung des in der Holzasche enthaltenen kohlensauren Kalis auf das Blut Cyankalium entsteht.

191) P. Richter, Die Bedeutung des Milzbrandes für die Geschichte der Epidemien. AGM 1912/13 VI, S. 281—297.

192) G. Platania, Le ricerche di geografia fisica e la decadenza delle antiche cittä siciliane. Archivio storico per la Sicilia Orientale 1911 VIII, S. 465—467.

Die Pest bei Thukydides hat immer wieder die Mediziner zu näherer Bestimmung angereizt. Kobert (1889) meinte, es handle

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 87

sich um Variola mit Ergotismus (Pocken mit Mutterkornvergiftung kompliziert) ; andere wollten einen typhösen Charakter feststellen (Kanngießer, Correspondenzbl. f. Schweizer Arzte 1913, S. 1039 ff. ; Crawford, IKM, ö. 457 ff. u. a. ), Richter deutet sie als Milz- brand. Er geht dabei die antike Literatur (außer den Ärzten noch Lukrez, Diodor, Ovid, Seneca u. a.) auf diese Krankheit hin durch und gibt auch moderne Literatur. (Vgl. noch P. Richter, Berl. klin. Wochenschr. 1914, S. 1884; Kanngießer, Klin. therap. Wochenschr. 1914.) In seiner neuesten Publikation (Zeitschr. f. Hygiene 1917) tritt Kanngießer für Typhus exanthematicus, also Eleckfieber, ein ; vgl. dazu G. Sticker, MGM 1917, S. 401 ff. Jones hat das Ver- dienst , auf die Bedeutung des Sumpffiebers für das Altertum hin- gewiesen zu haben, vgl. Ber. I, Nr. 281 235 und Nachtrag, S. 234. Zu seinen Ausführungen steuert Platania einige Bemerkungen bei. Die verheerende Wirkung der Malaria zeigte sich, als um die Mitte des XIX. Jahrh. zwischen Terrati und Ajello Calabro (Co- senza) durch Bergsturz ein See entstand ; infolge der Versumpfung breitete sich das Fieber in erschreckender Weise aus : die Ein- wohnerzahl Terratis ging in wenigen Jahren von 3600 auf 200 zu- rück. Während auf dem durchlässigen , rissigen Lavaboden des Ätna blühende Städte liegen, herrscht in den sumpfigen Niederungen die Malaria. Außer in der Entwaldung findet P. einen Grund zur Bildung neuer Versumpfungsgebiete in den bradyseismischen Phänomenen, der langsamen Hebung der Küsten. Ostlich vom Ätna finden sich vom Meere inkrustierte Terrakottascherben 13 m über dem Meere; in AcicasteUo hat sich der Boden seit 1169 um 6 m gehoben. Kanngießer, St. Petersburger med. Wochenschr. 1911 XXXVI, S. 584 läßt Alexander den Großen au Malaria sterben.

193) I. Bloch, Der Ursprung der Syphilis. 2. Abteilung: Kritik der Lehre von der Altertumssyphilis. Jena 1911.

194) K. Sudhoff, Der Ursprung der Syphilis. Vortrag auf dem Internat, med. Kongreß zu London. Leipzig 1913.

195) G. Stick er, Planta noctis. AGN 1913 VI, S. 394-403.

Der Streit über den Ursprung der Syphilis (Ber. I, S. 209 f.) ist weitergeführt worden; diesmal scheint sich der Sieg auf die Seite der Nichtamerikaner zu neigen. Nachdem Bloch im ersten Teile seines Werkes (Ber. I, Nr. 222) für die amerikanische Her- kunft der Krankheit eingetreten war, sucht er im zweiten Teile ihre Nichtexistenz im Altertume zu beweisen. Es ist aber von ihm, wie Meyer-Steineg, Zur Frage nach dem Ursprünge der Syphilis,

gg Friedrich Ernst Kind.

Eeiclis-Med.-Anz. 1912, S. 35 39, ausführt, weder der positive Beweis erbracht, daß die Syphilis durch die Spanier gegen Ende des XV. Jahrh. als eine ganz neue Krankheit nach Europa ein- geschleppt worden sei , noch der negative Beweis durchgeführt worden, daß die Syphilis im Altertume nicht existiert habe. Nach Sudhoff, der in dem Vortrage eine lange Reihe (am Schlüsse der Broschüre genannter) eigener Untersuchungen zusammenfaßt, könnte die Einschleppung einer so bösartig auftretenden Krankheit unmöglich von den Ärzten übersehen worden sein; wehrte man sich doch in Spanien und Italien schon seit mehr als einem Jahrh. durch Hafensperren und Quarantänen gegen pestartige Krankheiten, die auf dem Seewege eingeschleppt wurden. Die schwere Syphilis- epidemie in Neapel (März bis Mai 1495) ist ein völlig inhaltsleeres •^historisches' Gerede; die Dezimierung des in Neapel zurück- gelassenen französischen Besatzungsheeres im Winter 1495/96 er- folgte nicht durch Syphilis , sondern durch einen der dort ein- heimischen Typhusausbrüche. Dagegen wird bereits auf dem am 26. März 1495 eröffneten Reichstage zu Worms die Syphilis zur Sprache gebracht und in einem Reichstagsedikt vom 7. Aug. als Zeichen göttlichen Zornes über die sündige Menschheit genannt. Infolge dieses Ediktes beginnt in Deutschland eine durchgreifende Abwehraktion gegen die Träger dieser 'neuen Krankheit', die doch überall schon vorhanden ist, und die man überall unter dem Namen der 'bösen Blattern' kennt ; zugleich entsteht eine umfangreiche Syphilisliteratur. Die Krankheit hat also schon bestanden. Neu ist nur am Ende des XV. Jahrh. die Loslösung der Seuche von klinisch ähnlichen Krankheitsgruppen und die allgemeine Anerkennung des bis dahin als Chirurgenmittels verachteten Heilmittels, der Quecksilberschmierkur; 1530 kommt der neue Name Syphilis auf. So ist die Möglichkeit einer Altertumssyphilis vorhanden ; eine völlig einwandfreie Lösung der Frage ist nur durch Knochenbefunde zu erhoffen (Ber. I, S. 210. Hier sei auf die wichtige Resolution, Verhandl. der Ges. deutscher Naturf. und Ärzte, 84. Vers. 1912, IL Teil , 2. Hälfte , S. 93 verwiesen , die den Wunsch ausspricht, daß bei allen Ausgrabungen den menschlichen Resten die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt werden möge wie den Grabbeigaben.) Ein Kenner wie Sticker urteilt: „Man muß sagen, durch Sudhoffs Arbeit ist der künstliche Strich , der für die Geschlechtsseuchen der europäischen Völker zwischen das Mittelalter und die Neuzeit gezogen worden war, endgültig ausgewischt." In dem Gedicht eines sonst unbekannten Geistlichen Jaspior (um 1495 ; es ist von

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Sudhoff in seinen 'Graphischen und typographischen Erstlingen der Syphilis-Literatur', München 1912 veröffentlicht) begegnet uns der Name 'planta noctis' als früherer Name der Syphilis. Sticker weist nach , daß es sich um die Übersetzung des hipp. Wortes i7iivv/,Tig handelt; er verfolgt diesen Ausdruck durch die weitere griechisch-römische und spätere Literatur. Man hat dabei an Milz- brand, auch an äußerstes Malariasiechtum zu denken, nie aber ai> Syphilis.

196) A. Semenov, Zur dorischen Knabenliebe. PhiloL 1911 LXX, S. 146—150.

197) A. Rupp ersberg, EianvtjXag. Ebendaselbst, S. 151 bis 154.

Beide Verf. wenden sich gegen Bethes (Ber. I, Nr. 218) Be- hauptung, daß die dorische Knabenliebe 'ein öffentlich anerkanntes^ heiliges , grundlegendes und lebenbestimmendes Element' war, und gegen seine grobsinnliche Erklärung des Wortes Eionvr'^Xac; , das- von der rein geistigen Einwirkung zu verstehen ist. Die in Frage kommende Felseninschrift von Thera stamme nicht von dem darin genannten 6 (!) Kgifiov, sondern von einem Belauscher und sei mit gewissen obszönen pompejanischen Inschriften zusammenzustellen (so schon Kretschmar, Philol. 1899, S. 467).

198) G. van Eysselsteijn, Erste Hilfe bei Ertrunkenen« nach den Schriftstellern des Altertums. Janus 1911, S. 577 588^

van Ey SS eis teijns Aufsatz ist mit hergesetzt worden, nicht weil er „eine wertvolle Zusammenstellung in historischer Beziehung'^ (Ebstein, MGM XI 281) bietet, sondern um vielleicht zu einer neuen Behandlung des interessanten Themas anzuregen. Die Arbeit baut sich auf groben Übersetzungsfehlern auf: dvarcvorj heißt nicht 'Ausatmung', sondern 'Einatmung'; aviiuvzai soll 'sie leben wieder auf' bedeuten. Paul. Aeg. III 27 wird von den Wiederzubelebenden gesagt: fQyioöiog de naQadtyovzaL (sc. to o^oq), aXXa xq^ ßiäteal^atf das heißt nicht 'schlecht halten sie es bei sich', sondern 'schwierig nehmen sie ihn auf', v. E. scheint durch die Parallele bei Aet. II 4 c. 49 : loyvQiög de ov y.ctTiyoviai^ aXku ßiälleai^ai öel xal iy^Biir TiJ) öiöi^aTi y.ai egeOiCeiv 7iQüg tfjeTOv irregeführt zu sein, wo er übersetzt: 'gut halten sie es nicht bei sich'; hier ist aber natürlich für 'Kaiiyovcai zu lesen -/mt a d i'/orTai und zu übersetzen: 'sie- wollen ihn aber durchaus nicht annehmen'. Das Quellenverhältnis wird von v. E. verkannt: „Wahrscheinlich ist Theophrastus Eresius- ihr (d. h. des Aetios und des Paulos v. Aig.) Gewährsmann ge-

^0 Friedrich Ernst Kind.

Avesen, wie sich deutlich ergibt aus Oribasius Lib. VIII, c. 57 de submersis e Theophrasto" ; selbstverständlich war Oreibasios ihre ■Quelle. Nur diese kleine Probe, um die Notwendigkeit der 'Philo- logisieruug der Medizingeschichte' einmal wieder zu betonen.

199) J. L. Heiberg, Sindssygdom i den classiske Oldtid. (Medicinsk-historiske Smaaskrifter ved Vilhelm Maar. Heft 3.) Kopenhagen 1913.

200) J. L. Heiberg, Af Loegemidlernes Historie i den classiske Oldtid. (Ebendaselbst. Heft 16.) Kopenhagen 1917.

Heibergs klar und fesselnd geschriebene Abhandlungen "wenden sich zwar an einen größeren Leserkreis , sie verdienen aber als Frucht eindringender Arbeit auch in unserem Bericht einen Platz, besonders da die erforderlichen Belegstellen angegeben sind. Es sind kulturgeschichtlich interessante Durchschnitte, die hier geboten werden , und da die dänische Sprache manchem gewisse Schwierigkeiten bereiten dürfte , so sei etwas näher darauf ein- .gegangen; noch größere Ausführlichkeit verbot der Raum. Nr. 199 handelt von 'Geisteskrankheit im klassischen Altertume'. Eine end- gültige Beantwortung der Frage, ob diese Krankheiten im Altertum oder heute häufiger waren, ist bei dem völligen Mangel an antikem statistischem Material und bei der Verschiedenheit der Begriffs- bestimmung unmöglich. Immerhin spricht für die größere Selten- Jieit in der Antike die wohl sichere (?) Nichtexistenz der Syphilis, die geringere Rolle des Alkoholismus, die größere Kindersterblich- ieit und die Aussetzung verkümmerter Kinder geisteski'anke Kinder werden auch in der Fachliteratur nicht erwähnt. Der Um- stand, daß man die Erblichkeit der Anlage nicht kannte, läßt ver- muten, daß konstitutionelle Geisteskrankheit verhältnismäßig selten ■war. Die Erinnerung an epidemischen Wahnsinn religiösen Charak- ters , wie er im Mittelalter auftritt , lebt in der Sage von Proitos' Töchtern fort; einem Wahnsinnssturm, der über Griechenland weg- fegte, ist der Gang des Dionysoskultes zu vergleichen. Die mytho- logischen Beispiele haben meist den Charakter akuter Raserei- anfälle (Athamas, Herakles, Alkmaion, Orestes, Aias) ; anders ge- artet ist los rastlose Verstörtheit und Bellerophons Melancholie. Wenn in der Ilias Kiooa sowohl die Tollwut des Hundes als auch Kampfraserei bezeichnet, so wird man an Berserkerwut erinnert. Die mythische Erklärung des Wahnsinns als einer von den Göttern gesandten Strafe klingt noch bei Herodot nach (Kleomenes); von Dämonenbesessenheit ist aber auch in der populären Auffassung

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 9X

nirgends die Rede. Die wissenschaftliche Medizin der Griechen lehnt von vornherein den göttlichen Ursprung jeglicher Krankheit ab ; die im Corpus Hipp, verstreuten Beobachtungen nehmen aus- schließlich körperliche Ursachen an. Nun verfolgt H. die ver- schiedenen Formen der Krankheit in den einzelnen hi{)p. Schriften. Stört das Phlegma die Funktionen des Gehirns, so entsteht ein stiller Wahnsinn, ein Depressionszustand; ist die Störung jedoch auf die Galle zurückzuführen, so ist der Wahnsinn unruhig, laut (/T. l^/yt,* votoov). In II. diaiTr^g kommt es auf das Überwiegen des Warmen über das Feuchte an, und umgekehrt. Aphorism. VI 23 begegnen wir der Melancholie, die durch das ueXayxoXr^op ver- ursacht wird; ihr entspricht die (pQOvzig in IL vova. II 72 (VII 108 L). Hysterie finden wir in J7. 7caQi}€iicor, Halluzinationen in 11. tiöv fvTÖg naiyiov, Säuferwahnsinn in IT. diah. 6^. voO-. 29 (II 450), JIqoqq. B IX 8, Aphorism. VII 7, Idiosynkrasie und fixe Ideen in Epid. V 81 82 (V 250). Auch die Verbindung der Geistesstörung mit andern Krankheiten ist beobachtet, mit Epilepsie Epid. VI 31 (V 354), mit Phthisis Kwa/.. Ilqoyv. 429 (V 680), mit inter- mittierendem Fieber Epid. VII 45 (V 412), mit Dysenterie Epid. VII 3 (V 368), mit schwerer Zwillingsgeburt Epid. III 17, 14 (III 140). Die Behandlung ist rein körperlich: Baden, Aderlaß, Diät; Helleborus, Mandragoras; bei Hysterie junger Mädchen wird Heirat empfohlen. Den Einfluß der medizinischen Literatur spürt man in der Darstellung des Wahnsinns bei den attischen Tragikern (Ber. I, Nr. 33), die mit steigender Realität die Krankheit zunächst nur referierend schildern, bis es endlich Euripides in seinem 'Orestes' wagt, das Publikum zum Zeugen eines realistisch ausgemalten Wahnsinnsanfalles auf der Bühne zu machen. Ebenso beschäftigen sich die Philosophen mit der Geisteskrankheit (Xenophon, Piaton, Aristoteles) ; auch sonst finden sich gelegentliche Andeutungen. Die erste zusammenhängende Darstellung ist bei Cornelius Celsus erhalten, der drei Formen unterscheidet: ein akutes, mit Fieber verbundenes Irresein ((fQtrr^aig), dann einen länger andauernden Depressionszustand, der von der schwarzen Galle herrührt, endlich einen chronischen Zustand, der sich in Wahnvorstellungen oder gänzlicher Verrücktheit äußert. Es ist die Lehre des Asklepiades von Bithynien, die hier zugrunde liegt; dieser ist der erste, der die Musik systematisch als Heilungsmittel anwendet. Die beste Darstellung der Geisteskrankheiten und ihrer Behandlung hat der Pneumatiker Archigenes (bei Aretaios) gegeben; er kennt zwei Formen : Melancholie und Mania. Dieselben begegnen uns in der

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methodischen Schule wieder, deren Anschauung sich nahe mit Asklepiades berührt und uns durch Soranos (bei Caelius Aurelianus) im Zusammenhang erhalten geblieben ist. Geringer ist Galens Interesse. Abgesehen von der wichtigen Stelle VII 60 ff., wo je nach der Paralyse, Schwächung oder Störung des Vorstellungs-, bzw. des Denkvermögens 7iaQdXrjiliig, XrjO^aQyog, 7raQa(pQoai'vr], bzw. avoia, jLtojgia, TraQCKfqoGvvrj unterschieden und durch Beispiele er- läutert wird, kennt auch er die beiden Formen Melancholie und Mania; von der Melancholie unterscheidet er drei Arten, je nach- dem sich die schwarze Galle des ganzen Körpers bemächtigt oder nur das Gehirn angegriffen hat oder endlich der Magen die Krank- heitsquelle ist. Das pseudogalenische Stück II. /.lelay/oXlag (XIX 699 ff.)," das Exzerpte aus Rufos, Markellos Sidetes u. a. enthält, stammt in Wirklichkeit aus Aetios. Bei Oreibasios ist neu, daß die Verliebtheit (Sj-nops. VIII 9) unter die psj-chischen Krankheiten eingeordnet wird. Paulos von Aigina, Alexandres von Tralleis, der aus seiner eigenen Praxis einiges beisteuert, schließlich loannes Aktuarios (XIV. Jahrh.) bilden die letzten Glieder dieser Entwick- lungsreihe, aus der man 'einen starken Eindruck von dem Segen einer alten und kontinuierlichen Kultur gewinnt, wenn man die Vorschriften dieser späten griechischen Arzte für die Behandlung der Geisteskranken mit der Mißhandlung vergleicht, deren Gegen- stand diese noch weit später im Okzident waren'. 'Aus der Geschichte der Heilmittel im klassischen Altertume' ist der Titel von Nr. 200. In der Volksbeilkunde treten besonders kräuter- kundige Weiber hervor: Agamede, Medea, Kirke, Helena, die be- zeichnend genug die Kenntnis ihres cfdQf.iay.ov vrjTiEPi^eg einer Ägypterin verdankt. Dazu kommen später die Rhizotomen und Pharmakopolen. Die ersten Versuche des primitiven Menschen be- ruhen auf roher Empirie, die auf Grund von Geruch und Geschmack von einem auch bei den Tieren sich zeigenden, gewissen Instinkt unterstützt wird. Charakteristisch für die Volksmedizin sind noch die Sympathiekuren. Den von der Volksheilkunde geschaffenen Arzneimittelvorrat prüften die ionischen Arzte, die den Grund zu aller wissenschaftlichen Medizin gelegt haben. Während die koische Schule sich nur in geringem Umfange an einige wenige rationelle, einfache Arzneien hält, verwendet die knidische, wenigstens später, Heilmittel in Masse, und zwar mit Vorliebe zusammengesetzte, oft widerwärtige. Nach einer Würdigung des Kräuterbuches des Diokies führt uns H. einen ähnlichen Gegensatz in alexandrinischer Zeit vor: Herophilos betont die Heilmittel stark, Erasistratos hingegen

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 93

steht dem überhandnehmenden Arzneimittelgebrauch recht skeptisch gegenüber. Aus der Schule des Herophilos werden Andreas, Mantias, Herakleides von Tarent, ApoUonios Mys hervorgehoben, Nikandros wird in diesem Zusammenhang erwähnt und der Betätigung der königlichen Pharmakologen Attalos III. , Nikomedes von Bithynien «nd Mithridates gedacht. Die Reaktion des Asklepiades von Bi- thynien gegen die übertriebene Verwendung von Medizin verschwand mit dem Tode dieses Arztes. Das vornehme, reiche Publikum der Oroßstadt Rom hatte keinen Sinn für wissenschaftlichen Ernst, ■desto mehr aber für Humbug und Reklame. So finden wir im I. nachchristlichen Jahrh. wieder einen außerordentlichen Reichtum an zusammengesetzten Mitteln, wie sie Andromachos, Vater und Sohn, Asklepiades Pharmakion und Heras empfehlen. Dioskurides, Archigenes, der zum Teil von orientalischer Schwindelliteratur be- einflußt ist, und schließlich Galenos (nicht Klaudios Galenos) werden gewürdigt Galenos, dessen Werke das große Sammelbecken für die pharmakologischen Kenntnisse der vorhergehenden Jahrhunderte darstellen. Zuletzt wird der Ausläufer gedacht : Oreibasios, Alexan- dros von Tralleis, Aetios, Paulos von Aigina.

3. Chirurgie, Augenheilkunde und Geburtshilfe.

201) Th. Meyer-Steineg, Chirurgische Instrumente des Altertums. Jenaer med.-hist. Beitr. Heft 1. Jena 1912.

202) R. Caton, Notes on a group of medical and surgical instruments found near Kolophon. Journal of Hellenic Studies 1914 XXXIV, S. 114—118.

203) R. von Töply, Antike Zahnzangen und chirurgische Hebel. Jahresh. d. österr. Arch. Inst. 1912 XV, Beiblatt, Sp. 135—156.

204) K. Sudhoff, Äg\^ptische Mumienmacher-Instrumente. AGM 1911/12 V, S. 161—171.

*205j H. S. Wellcome, Graeco-roman surgical instruments represented in egyptian sculpture. IKM, S. 207 210.

* 206) R. Meli, Cippo sepolcrale marmoreo eretto ad un medico vissuto sotto Adriano sul quäle e scolpita una busta di ferri chirurgici. Rivista di storia crit, delle scienze mediche e naturali 1914 V, S. 293—299.

Meyer-Steineg hat von seiner wiederholt schon erwähnten Reise eine Anzahl Instrumente , besonders aus Kos und Ephesos, mitgebracht. Sie gehören in hellenistische Zeit. Es sind Sonden,

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Löffel, Spatel, Messer, Zangen und Pinzetten, haken- und röhren- förmige Instrumente , Nadeln , Knocheninstrumente , Salbenreiber, Instrumentenbehälter u. ä. Die dem Texte angefügten 8 Tafeln zeigen sämtliche Instrumente in Originalgröße. M.-St. sucht sie näher zu bestimmen und die Art ihrer Verwendung festzustellen. Das veranlaßt ihn, allgemeine Bemerkungen über das Material und die technische Herstellung der Instrumente sowie über die Zu- sammensetzung des antiken Instrumentariums vorauszuschicken. Von den Zeiten der hipp. Medizin, die mit möglichst wenigen und einfachen Instrumenten auszukommen suchte (vgl. auch oben Nr. 51), führt die Entwicklung zu dem immer reichhaltiger werdenden In- strumentarium der hellenistischen Spezialisten. Besonders inter- essant ist die einleuchtende Bestimmung des xuad^iaxog z/io/ileloc: (Geis. VII 5, 270 Dar. = fr. 191 W.) , eines Löffels zum Aus- ziehen von Geschoßspitzen. Von diesem Instrument entwarf H. Frölich, Arch. f. klin. Chir. 1880 XXV eine Skizze nach der Beschreibung des Celsus , die sich aber von dem nun entdeckten Löffel recht weit entfernt, und schon im XVI. Jahrh. sagte Andrea dalla Croce : si quis effigiem organi istius in lucem aliquando pro- tulerit , ab omnibus medicinae studiosis summo semper in honore habebitur ; vgl. W. Haberling, Die Entdeckung eines kriegschirur- gischen Instrumentes des Altertums, Militärärztliche Zeitschrift 1912 XLI, S. 657 ff., wo die Frölichsche Skizze und das neu entdeckte Instrument abgebildet sind. Einige philologisch-historische Mängel rügt Ilberg in seiner anerkennenden Rez., D. L. 1912, Sp. 2617 f.; ähnhch Schonack, B. ph. W. 1913, Sp. 1075; vgl. noch Sudhoffs Bemerkungen, MGM 1911/12 XI, S. 385 f. Caton macht uns mit einem reichen Instrumentenfund aus Kolophon bekannt, der Winter 1911/12 gemacht wurde, und dessen Stücke sich jetzt im Besitze der Johns Hopkins University in Baltimore befinden. In 36 guten Abbildungen werden diese Messer, Löffel, Spatel, Zangen» Pinzetten, Haken, Katheter, Nadelhalter, Schröpfköpfe usw. vor- geführt und in den kurzen Noten zu bestimmen gesucht. Von be- sonderer Wichtigkeit ist ein Drillbohrer {ttqUov, TQvrcavov)., der ein erwünschtes Gegenstück zu einem beschädigten E.xemplare des Britischen Museums bildet. Die Instrumente mögen ins I. oder IL Jahrh. n. Chr. gehören, doch soll sich der Typus eines mit- gefundenen gebuckelten Glasbechers (25,5 cm hoch und am oberen Rande 10,5 cm breit), es ist ein sogen. Noppenglas, erst im IV. Jahrh. nachweisen lassen. Das Material der Instrumente ist Bronze-, die stählernen Messerklingen sind weggerostet. Berechtigte

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 95

Einwendungen gegen einige Deutungen macht Sudhoff, MGM 1917 XVI, S. 377 ff. Gurlt erscheint immer als Gwilt; S. 117 ist für dinÖQijVog f^^^^i zu schreiben öinvQr^vog. von Töply bietet eine gründliche Abhandlung über die einfachen chirurgischen Hebel (Elevatorien) und über die Geschichte des Zahnziehens, unter Ver- wendung der neuesten Literatur, s. Ber. I, Nr. 254. Gute Ab- bildungen sind beigefügt. Hervorzuheben ist ein mächtiger, drei- wurzeliger Zahn von Bronze (17, 3 g schwer, an der längsten Wurzel gemessen 0,025 m hoch) aus Carnuntum , in dem wir eine Votiv- gabe zu erkennen haben ; vgl. die Inschrift im athenischen Asklepieion,. CIG II 835, Z. 24: (^na ovo Kai oÖovteq, ovg av/^jyxei' ^^gtaza- yöga. Die Zange von der Saalburg, in der Sudhoff (Ber. I, Nr. 254) eine Oberkieferzange erblicken möchte , wird als Knochenzange {oardyQa) angesprochen. Hingegen befindet sich im Museo nazionale in Neapel eine unzweideutige Zahnzange , die mit der Budapester verwandt ist, die ihrerseits der aus Carnuntum auffallend ähnelt. S u d h 0 f f gibt eine Erklärung zu Herodot II 86 (und Diodor 191, 4).: Nach dieser Stelle wurde das Gehirn mit einem gekrümmten Eisea durch die Nasenlöcher herausgezogen. Das war nur möglich, wenn die lumina cribrosa des Siebbeins durchstoßen wurden, und tat- sächlich finden sich Mumien mit durchstoßener Siebbeinplatte und meist völlig leerem Schädel. S. weist Haken nach, die zu diesem Gebrauche gedient zu haben scheinen , und hat auch selbst mit- einem solchen Haken voll befriedigende Versuche an einer Reihe von Leichen unternommen. Er bespricht auch das in Frage kommende Feuerstein- oder Obsidianmesser und glaubt darüber hinaus, neben weniger wichtigen Instrumenten, in einem oft wieder- kehrenden Werkzeug ein äußerst zweckentsprechendes Mumien- macher-Instrument erkennen zu dürfen; es ist 'ein stumpfspitzes- Hakenmesser mit Meißelklinge am Heftende zum Durchstoßen des- Zwerchfelles , zum Durchtrennen aller zu festen Anhaftungen und Verbindungen der großen Eingeweide und zum hakenartigen Fassen und Herausziehen oder Durchreißen aller übrigen.' Die notwendigen Abbildungen sind beigegeben. Wellcome macht auf das In- strumentarium eines Frauenarztes aufmerksam, das in dem Tempel von Köm-Ombos (am Nil, 900 km südlich von Kairo) auf einem Belief aus der Ptolemäerzeit abgebildet ist. (Berichtet nach Haber- ling, MGM 1915, S. 125.) Der Aufsatz von Meli war dem Ref, unzugänglich. Weitere Instrumente bei H. A, Ried , Zur prä- historischen Chirurgie, Arch. f. Anthropol. N. F. XII, S. 225—227 (griechische Provenienz angenommen) und bei G. Behrens , Neue

^6 Friedrich Ernst Kind.

Funde aus dem Kastell Mainz, Mainzer Zeitschrift, Jahrg. VII, Mainz 1912, S. 89.

207) K. Sudhoff, Die eiserne Hand des M. Sergius. MGM 1916 XV, S. 1—5.

208) K. Sudhoff, Der Stelzfuß aus Capua. MGM 1917 XVI, S. 291—293.

209) R. Delbrück, Carniagnola (Porträt eines byzantinischen Kaisers). Rom. Mitteilungen des Kais. D. Arch. Inst. 1914, S. 71—89.

Sudhoff Nr. 207 denkt sich die Verwendung der von Plin. H^at. Hist. VII 105 erwähnten eisernen rechten Hand in der Weise, ■daß sie als Schildhand gebraucht wurde , während die natürliche Linke das Schwert führte. Sudhoff Nr. 208 bespricht ein antikes Stelzbein aus Holz und Bronze , das aus einem Grabe des III. Jahrh. vor Chr. in Capua stammt (vgl. Bull, dell' Instituto 1885, S. 169 und Rom. Mitt. D. Arch. Inst. 1887, S. 271 ff.), und ver- weist auf zwei weitere , früher publizierte Kunstbeindarstellungen {ionisches Terrakottafragment des IV. vorchristl. Jahrh., 1862 in Paris ausgegraben, und gallorömisches Mosaikbild in der Kathedrale zu Lescar). Delbrück beschäftigt sich mit einem Kopfe, der sich an San Marco in Venedig auf der Loggia, wo die Rosse stehen, ■befindet, und zwar an der Ecke bei der Piazzetta, das Gesicht nach dem Kanal gewendet ; man hat ihm den Namen des im Jahre 1432 bei San Marco enthaupteten Condottiere Carmagnola beigelegt. Besonders auffällig an der Skulptur ist die abnorme Nase, die kaum beschädigt und nicht überarbeitet ist. „Normal sind nur die beiden ■Seitenflächen , die sich mit kräftiger und natürlicher Modellierung aus dem Gesicht erheben; sie sind aber unvollständig: es fehlt die vordere Hälfte. Abnorm hingegen ist besonders die untere Fläche, ohne Nasenlöcher, mit einem Luftspalt hinten, dann auch die un- natürliche kahle Vorderfläche, auf die die kräftige Modellierung der Seitenflächen eigentlich übergreifen müßte. Abnorm ist weiter das scharfkantige Zusammenstoßen der Flächen untereinander, besonders <ier vorderen mit den seitlichen , und schließlich die gleichmäßige Plattheit der Nase." D. zeigt, daß dem Träger dieses Kopfes die Xase gewaltsam abgeschnitten sein muß ; der Defekt kann aber nicht einfach auf natürlichem Wege geheilt sein , sondern muß chirurgisch ergänzt worden sein. Das von Cels. VII 9, Ps.-Gal. X:iV 791, Paul. Aig. VI 26, Antyllos bei Oreib. IV 58 B.-D. •empfohlene Verfahren , nach dem die einem Defekt benachbarte

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Bericht über die Literatur zur antiken Medizin l'.tl 1—1917. 97

Haut abgelöst, durch Einschnitte dehnbar gemacht und über der Lücke (curtum , y.oX6ßiOi.ia) zusammengezogen und vernäht wird, kann hier jedoch nicht angewandt sein , da es nur für kleinere Hautlücken geeignet ist ; vielmehr wird die den Indern, den Meistern der Rhinoplastik , geläufige Transplantation vorgenommen worden sein, bei der ein Stück Fleisch aus der Wange geschnitten wurde. Belegstellen hierfür werden in Jollys Übersetzung mitgeteilt. Eine Narbe in der Wange ist allerdings nicht festzustellen, doch könnte ja das zu verpflanzende Stück einem anderen Körperteile (oder einer anderen Person, Ref.) entnommen sein. D. weist nach, daß wir es bei dem sogen. Carmagnola mit einer frühbyzantinischen Kaiserbüste zu tun haben, und zwar mit dem Poi'trät des 695 ge- stürzten und verstümmelten Justinianus II. , der noch einmal mit dem Beinamen Rhinotmetos 705 711 auf dem Throne saß. Andere Kaiser, denen bei ihrem Sturze die Nase abgeschnitten wurde (Herakleonas , Tiberios und Herakleios , Leontios), kommen nicht in Frage , da sie nicht wieder Kaiser wurden. Die Abhandlung wird durch ausgezeichnete Abbildungen erläutert. Für die Pro- these der Nase könnte noch der dem Ref. unzugängliche Aufsatz wichtig sein : Stein , John , Bethune , Early rhinoplasty , Medical Record 1913, S. 743 747, mit 5 Abb. (ohne Bemerkung zitiert von Wickersheimer, MGM 1914, S. 277).

210) J. Ilberg, Verbände in der griechischen und römischen Heilkunde. Zeitschrift für Samariter- und Rettungswesen 1911, Nr. 24. (Auch im X. Ber. des Landes- Sam. -Verbandes f. d. Königr. Sachsen f. d. Jahre 1911 und 1912, Leipzig.)

Ilberg gibt einen guten Überblick darüber, wie die Alten bei Vei-wundungen oder Krankheiten , bei Operationen oder zum Zwecke der Orthopädie ihre Verbandtechnik ausübten. Die ältesten fachwissenschaftlichen Quellen sind die hipp. Schriften Kat' Irfcgeiov, Tl. ayf-icöv und IT. (xqO^qcov s/ußolr^g: sie sind nur denkbar auf Grund längst gesammelter Erfahrungen und ausgedehntester Praxis vieler Vorgänger, fußen also auf einer bereits vorausliegenden Ent- wicklung. Eine fein ausgebildete Terminologie tritt uns in ihnen entgegen, und der moderne Fachmann stellt manches Praktische und seitdem neu Entdeckte oder Wiederaufgenommene fest. Ilbergs Ausführungen , besonders auch die herausgegriffenen , treffend und feinfühlig übersetzten Sätze geben eine gute Vorstellung von dem lakonischen Handbüchlein Aar' It^tqeXov und von dem meisterhaften Doppelwerke H. ayi-iöjv und 11. uq^qcov ifißolijg, das seine Ent-

Jahresbericht für Altertumawissensehaft. Bd. 180 (1919. III). 7

98 Friedrich Ernst Kind.

stebinig einem Klassiker der medizinischen Wissenschaft verdankt. Außer der Behandlung der verschiedenen Knochenbrüche und Ver- renkungen sei noch die orthopädische Behandlung des Plattfußes hervorgehoben. Neben den einfachen und feststellenden Verbänden AVerden mechanische Vorrichtungen beschrieben , die unsern Zug- verbäuden entsprechen ; dagegen sind den Hippokratikern erhärtende Verbände (wie aus Gips oder Wasserglas) nicht bekannt, ebenso- wenig der Kleisterverband. Die berühmte 'edle Einfalt' der helle- nischen Kunst in ihrer Blüteperiode hat auch in den Maßnahmen der Heilkunst ihren unverkennbaren Ausdruck gefunden : immer wieder wird betont, daß man mit möglichst einfachen Mitteln aus- kommen müsse und nur den Zweck, nicht den äußeren Schein im Auge haben dürfe (hierzu vgl. o.. Nr. 51 und 201). Da die Ver- bandlehi'e des Diokles von Karystos leider verloren ist , führt uns die Entwicklung gleich nach Alexandreia. Hier scheinen zuerst zu Unterrichtszwecken Illustrationen der Verbände entworfen zu sein (Apollonios von Kition). Hier tritt uns aber auch eine auf den ersten Blick verwirrende Mannigfaltigkeit von Verbandmethoden entgegen. Während in Kav^ irjtoelov nur 6 Arten genannt werden, beschreibt Heliodoros etwa 50, Soranos 60, Galenos in der freilich nicht authentisch erhaltenen Schrift //. iTrideaf-iojv gegen 100. I. geht auf die bei Galen angefühi'ten Namen und auf einzelne Arten der Verbände ein. Er streift auch die Schrift des ägyptischen Griechen Heraklas über die Schlinge, in der er einige einheimische Tradition des technisch hochentwickelten Pvramidenlandes vermutet, Avie er überhaupt nicht daran zweifelt, daß die in Alexandreia so sehr beliebte Verbandtechnik mit uralt ägyptischer Übung zusammen- hängt, nändich mit der Praxis der Mumienwicklung. Auf den by- zantinischen Kompilator Paulos von Aigina und den Römer Celsus, der ja ganz von griechischer Wissenschaft abhängt, wird nur hin- gewiesen. Schließlich berührt I. die Verbandszenen auf Vasen- bildern und auf der Trajanssäule und hebt die Verdienste des Soranos um die wissenschaftliche Illustration hervor , dessen Ab- büdungsmaterial in der Niketashandschrift und in der Umzeichnung des Primaticcio (vgl. Ber. I, Nr. 256 f.) erhalten ist. Einige per- sönliche Erfahrungen Galens werden angeführt, um zu zeigen, daß der barmherzige Samariter nach den medizinischen Anschauungen der Zeit richtig handelte, wenn er die Wunden verband und dann Wein und öl darauf goß. Manche der alten Verbandnamen leben noch heute fort , anderseits ist der Schleuderverband , die heutige Funda, schon homerisch. Leider ist der Aufsatz ohne Abbildungen

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911—1917. 99

veröffentlicht. Das Thema wäre für die Jenaer med.-hist. Beiträge sehr geeignet.

211) H. Lackenbacher, Beiträge zur antiken Optik. Wiener Studien 1913 XXXV, S. 34—61.

212) M. Meyerhof, Über die Lidkrardcheit Hydatis der Griechen, Schirnaq der Araber. AGM 1914/15 VIII, S. 45—52.

213) G. Friedrich, De Senecae libro qui inscribitur de constantia sapientis. Diss. Gießen 1909.

*214) F. Regnault, Las maladies des yeu.\ dans l'art antique. La Presse medicale 1911, S. 247 249.

215) A. Gandiglio, Oculis inunctis. Rivista di Filologia 1914 XLII, S. 114—116.

P. Rasi, Di un nuovo presunto ana^ l,ey6f.ievov in Orazio. Ebenda, S. 300—304.

A, Gandiglio, Ancora '^oculis inunctis'. Ebenda, S. 582 591.

Lackenbacher gibt einen Überblick über die antiken Theorien vom Sehvorgang. Behandelt werden Herakleitos, Alkmaion von Kroton, Empedokles, Leukippos und Demokritos, die in Frage kommenden Stellen im Corp. Hipp., Piaton. Vgl. auch Nr. 111. Nach Meyerhof handelt es sich bei vöazig nicht, wie Hirschberg, Gesch. der Augenheilk., S. 269 (Ber. I, Nr. 259) erklärt, um eine Balggeschwulst , ein stark vergrößertes , nach außen wachsendes Hagelkorn, sondern nur um ein Symptom anderer Krankheiten, vor allem chronisch-infektiöser Bindehautleiden. M. hat in elfjähriger Tätigkeit in Kairo die Überzeugung gewonnen, daß eine Geschwulst, von der die Patienten reden, überhaupt nicht vorhanden ist, sondern bloß ein Verstrichensein der Falte zwischen Tarsal- und Orbitalteil des Lides oder eine Verwulstung dieser Partie. Zur Behebung der Schwere der Lider operieren noch heute die einheimischen Pfuscher ganz nach der Beschreibung des Celsus (VII 7) und Paulos von Aigina (VI 14) und erzielen damit Verletzung von Nerven und Lidhebermuskel und damit zusammenhängend furchtbare Lid- vei'kürzung. Friedrich geht in seiner Diss., die von W. Capelle, B. ph. W. 1912, Sp. 489 ff. eingehend kritisiert ist, im 3. Kapitel: De Senecae vitiis corporis (vgl. hierzu Pawinski, Ber. I, Nr. 214 f.) auch auf Senecas Augenleiden ein. Er untersucht die Doppelherme des Seneca imd Sokrates, Berlin, Altes Museum, Nr. 391 (ab- gebildet Archäol. Zeitung XXXVIII, Taf. V; Bernoulli, Rom. Ikono- graphie I , Taf. 24). Mit Unterstützung von Geh. Medizinalrat Vossius in Gießen wird für das rechte Auge Senecas Lidrand-

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lOQ * Friedrich Ernst Kind.

entzüudung (Blepharitis) mit Ektropium festgestellt. Hervorgerufen ist die Blepharitis durch chronisches Trachom. Da zu den Folge - zuständen des Trachoms fast stets die Ptosis , das Herabhängen des Oberlides, gehört, so läßt sich das Stirnrunzeln und das Empor- ziehen der Brauen auf der Büste auf eine Ptosis des rechten Ober- lides zurückführen. Die Hornhaut des rechten Auges ist verwölbt, sie hat sich infolge von Pannus ausgedehnt, Keratektasia e panno. Vossius fährt dann fort : „Die Keratektasie hat offenbar durch Steigerung des Augendruckes so kann man wohl die vis subita (ep. 64, 8) auslegen durch Glaukom zur Erblindung geführt, und das blinde Auge ist dann wie so oft bei Seneca in eine Schielstellung nach außen (d. h. schläfenwärts) übergegangen . . . Bei einem durch Keratektasie an Glaukom erblindeten Auge ist bei einer nicht zu dichten Trübung der Hornhaut die Pupille auch selbst zu sehen, wenn auch nur angedeutet." Als Entstehungszeit des Originals wird der Zeitraum von 55 60 angenommen , also etwa die Zeit, in der Seneca auf der Höhe seiner Macht stand. Die Stellen in Senecas Werken, die zu diesem Augenleiden in Be- ziehung zu stehen scheinen, werden bespi'ochen. ßegnault gibt 14 Abbildungen antiker Terrakotten, auf denen Augenverletzungeu und Augenkrankheiten natui'getreu dargestellt sind. Gandiglio erklärt Horaz, Sat. I, 3, 25 : cum tua pervideas oculis mala lippus inunctis durch oculis non unctis, d. h. non curatis. ßasi wider- spricht unter Verweisung auf Epist. I, 1, 28 f. : lippus inungui. Gandiglio sucht seine Auffassung als zweite Mögliclikeit zu retten.

216) K. Stehlin, Ein römischer Okulistenstempel in Äugst. Basler Zeitschr. f. Gesch. und Altertum. 1912 XII, S. 389 f.

217) H. Lehn er, Unedierter bzw. verschollener und wieder- gefundener Okulistenstempel des Bonner Provinzialmuseums. Röm.-germ. Korrespondenzbl. 1915 VIII, S. 11 ff.

218) L. Sontheimer, Ein römischer Augenarztstempel aus Rottweil. Festschrift zur Feier des 50jährigen Bestehens der K. Altertüraersammlung in Stuttgart. Stuttgart 1912, S. 78 84.

219) A, Heron de Villefosse, Notules epigraphiques. IV. Cachet d'oculiste trouve sur la commune de Beaumont (Puy- de-Dome). Revue epigraphique. Nouv. Ser. I, 1913, S. 21 24.

220) 0. Schultheß, Zu den römischen Augenarztstempeln aus der Schweiz. Festgabe für Blümner. Zürich 1914, S. 173 185.

Der von Stehlin publizierte Stempel trägt die Inschrift C, Flamini Marcionis nardinum ad impet(um). Lehners Stempel

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 101

ist in Köln angekauft und jedenfalls dort gefunden. Er gehörte einem Tib. lulius Aso •, die Inschriften besagen: 1) . . herojes ad aspr(itudines) et cicat(rices) et coe ... 2) diagla(u)cium ad im- pet(uni) secund(um) in v(ino) 3) . . ur(um) ad aspr(itudines) et cicat(rices) to(llendas) 4) al(bum?) iso(chrvsumy) ad impet(um) et quaecumq(ue) desu(mtasj. Aus Rottweil stammt bereits der Stempel CIL XIII 10 021 Nr. 201; ein zweiter wird von Sont- heimer veröffentlicht: Honesti Lautini 1) dialepid(os) ad aspritu- dine(m) 2) diamisus ad veter(es) cicatri(ces) 3) dialbanum ad im- pet(us) lippit(udinis) 4) diagesam(ias) ad suppurat(iones). dialbanum ist dia ?ußdrov, diamisus dia /.iiGvog. Die in Frage kommenden Krankheiten und Mittel werden ausführlich und mit guter Kenntnis besprochen. Das Departement Puy-de-Dome hat 6 Stempel ge- liefert (Esperandieu , Nr. 7. 93. Itj5. 181. 182. 216.). Der von Heron de Villefosse behandelte ist der siebente. A(uli) TJrit(ii) Hermodo(ri) 1) mel(inum) opob(alsamatum) ad asp(ritudines) 2) diasm(yrnes) lenem(entum) 3) thurin(um) ad [suppurationes?] 4) crocod(es) ad cal(igines). Schultheß gibt eine richtigere Beschreibung und genauere Maßangaben zu dem Stempel aus Bosceaz (Esperandieu, Nr. 129) und bezeichnet Heron de Ville- fosses Ergänzung diasmyrnes als falsch ; es steht in einer Zeile MYRNA mit freiem Raum vor M und Bruch in A. Ein von J, Mayor, Anzeiger f. Schweiz. Altertumsk. , N. F. 1904/05, VI, S. 211 222 publizierter Stempel aus Avenches hat die Form eines Petschafts ; die Inschrift coen(on) war dem Römer in der Provinz unverständlich und wirkte vornehmer als das simple 'commune'. Den in Avenches gefundenen Stößer , pilum oder pistillum , hatte Seh., Arch. Anz. 1908, Sp. 277 als Polierinstrument, polissoir, aufgefaßt; jetzt tritt er wieder, wie Arch. Anz. 1907, Sp. 190, Blümners Erklärung als Stößer bei. Endlich befaßt sich Seh. mit dem Augster Stempel (s. Nr. 216). Der Name des Okulisten ist neu ; trotz der tria nomina wird es ein Freigelassener gewesen sein. Betrachtungen über den Stand der Okulisten, die mit etwas anderem Ergebnis auch Sontheimer, Nr. 218 anstellt, sowie über den Zweck der Stempel und ihr Verbreitungsgebiet schließen den Aufsatz.

221) S. E. Wichmann, Beiträge zur ältesten Geschichte der Geburtshilfe in Rom. Archiv für Gynäkologie 1914 CII, S. 639—659.

222) E. Buchheim, Die geburtshilflichen Operationen \ind zugehörigen Instrumente des klassischen Altertums. Jenaer med.-hist. Beitr. Heft 9. Jena 1916.

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223) F. Weiudler, Der Kaiserschnitt. Janus 1915 XX S. 1—40.

224) W. Braams, Zur Geschichte des Ammeuwesens im klassischen Altertum. Jenaer med.-hist. Beitr. Heft 5. Jena 1913.

225) W. Schick, Favorin negl nalöiov tgorpr^g und die antike Erziehungslehre. Leipzig 1912.

*226) P. Picea, La nutrice greca. Rivista ospedaliera 1913, S. 684—686.

Wichmann „versucht ein Bild von der Auffassung der Alten über den Geburtsvorgang zu entwerfen. Leider ist dieser Versuch mit unzureichenden Mitteln unternommen". Diesem Urteil Meyer- Steinegs , MGM 1915, S. 124 kann sich Ref. nur anschließen. Griechisch scheint W. überhaupt nicht zu können, die lateinischen Kenntnisse genügen nicht immer. Die Arbeit ergibt merkwürdige Resultate, „Als wichtigstes Resultat aus allen obigen Erörterungen ergibt sich also , daß im alten Rom zwei grundverschiedene Auf- fassungen von den Geburtskräften isoliert nebeneinander existierten. Die eine war die richtige , mehr oder weniger allgemein bekannte, aus direkter Naturbeobachtung hervorgesprossene Weisheit der römischen Volkskreise, die andere die auf theoretische Spekulationen und Bücherweisheit gebaute , von den Hippokratikern geliehene Lehre der Ai'ztekreise. Und auch hier steht Galenus wieder als glänzende Ausnahme und als der größte Arzt und Wissenschafts- mann des Altertums da , indem er viele Jahrhundei'te früher als seine Kollegen die gesunde Auffassung des Volkes als richtig an- nahm." „Li der Geburtsphysiologie des Galenus tritt ganz klar die nüchterne , durch Naturbeobachtung erworbene Auffassung der Geburtsvorgänge des römischen Volkes uns entgegen." Ebenso unmethodisch und unzulänglich ist der zweite Teil, der von einigen Geburtsgottheiten und der Lagerung der kreißenden Frau im Altertum handelt. Es ist immer die Rede von den Nixidi (Nixi du); die Stellung der Gebärenden war nach W. nicht knieend , sondern sitzend. Eine eingehende Widerlegung würde zu weit führen, viel- leicht findet das Thema einen gründlich philologisch und archäo- logisch gebildeten Neubearbeiter. Buchheim erörtert nach den Angaben des Corp. Hipp. , des Soranos , Aetios und Paulos von Aigina sowie des Celsus eingehend , wann und in welcher Weise der antike Arzt in geburtshilflichem Sinne tätig war; zugehörige Instrumente, darunter auch solche aus der Sammlung Meyer-Steineg (s. 0. Nr. 201), werden abgebildet und besprochen. Als sach- kundiger Kommentar ist die Schrift wertvoll. Weindler be-

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handelt die Geburtsmythen des Dionysos , der Athene und des Asklepios , weiterhin die des ägyptischen Typhon , des indischen Buddha und Indra, die Entstehung des ersten Menschenpaares nach der jüdischen Überlieferung und des Antichrists unter dem Ge- sichtspunkte des Kaiserschnittes. Obwohl hier wie auch sonst, z. B. bei Plin., Nat. Hist. VII 47 und in den lamata des Asklepios deutliche Hinweise auf diese Operation vorliegen, wird doch nirgends die Ausführung des Kaiserschnittes an ver- storbenen Schwangeren in der Literatur erwähnt. B r a a m s stellt aus dem einschlagenden Schrifttum alles Wissenswerte über antikes Ammenwesen zusammen. Er bespricht die Zulässigkeit der Ammenernilhrung, die Anforderungen au die Amme, das Verhalten der Amme sich selbst und dem Kinde gegenüber , die soziale und

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rechtliche Stellung der Amme. Schick analysiert Favorins Vortrag über die Pflicht der Mutter, ihre Kinder selbst zu stillen (Gellius N. A. XII, 1; vgl. Ber. I, Nr. 276) und sucht durch Ver- gleichung mit der verwandten philosophischen und medizinischen Literatur die Herkunft des 'Ammentopos' festzustellen. Näheres bei Münscher, Bu. J. Bd. 1 70, S. 54 ff. ; dazu noch Ilberg, D. L. 1913, Sp. 2654. Piccas Artikel war dem Ref. nicht erreichbar. Wickersheimer, MGM 1914, S. 84, sagt: „In der griechischen Kunst wird die Säugeamme durch eine Art Halstuch charakterisiert., welches ihren Kopf umhüllt. Dieses Halstuch ist hier (nach welchem Original'?) abgebildet." Ref. verweist auf den guten Artikel von 0. Navarre bei Daremberg-Sagho sub Nuti'ix. Dort sind zwei Ammen mit dem charakteristischen Kopftuch abgebildet und die nötigen Ver- weisungen auf die einschlägige archäologische Literatur gegeben.

4. Gesundheitspflege. Äußere Terhältuisse des Arztestaudes.

Militär-Sauitätswesen.

227) Th. Mej-er-Steineg, Kranken-Anstalten im griechisch- römischen Altertum. Jenaer med. -hist. Beitr. Heft 3. Jena 1912. (Unter dems. Titel im Krankenhaus-Jahrb. I 1912, S. 1 27.)

228) K.Baas, Uranfänge und Frühgeschichte der Kranken- pflege. AGM 1914/15 VIII, S. 146—164.

229) A. Söllner, Die hygienischen Anschauungen des römi- schen Ai'chitekten Vitruvius. Jenaer med. -hist. Beitr. Heft 4. Jena 1913.

230) M. Moissides. La puericulture et Teugenique dans l'antiquite grecque. Janus 1913 XVIII, S. 413—422, 643—648 ;

1914 XIX, S. 289—311.

1(34 Friedrich Ernst Kind.

Meyer-Steineg will gegenüber der immer wieder auf- tauchenden Meinung, das Krankenhaus sei eine spezifisch christ- liche Schöpfung, den positiven Beweis erbringen, daß auch das griechisch-römische Altertum über Anstalten zur Unterbringung von Kranken verfügt habe. Er verweist für die Griechen auf das Haus des Arztes oder latreion und auf die Asklepieien , für die Römer auf die Medicinae , die Sklaven - Valetudinarien und die Militär- lazarette. In den Hipp. Büchern werden die Kranken im allgemeinen in ihrer Behausung behandelt ; auch schwierigere Operationen, z. B. die Einrichtung schwerer Knochenbrüche, werden dort ausgeführt. Daneben aber hat der Arzt im latreion sein Behandlungszimmer, das seiner Lage nach dem Arbeitsraume des gewöhnlichen Gewerbe- treibenden entsprach, also nach der Straße zu offen war. Er muß jedoch außerdem ein Zimmer für schwierigere Operationen gehabt haben. Nicht transportfähige Kranke blieben dann in seinem Hause auf Grund der Sitte der Gastfreundschaft. Trotz der Einrichtung der Gemeindeärzte war das latreion eine private Anstalt des Arztes; dabei konnten diesem unter Umständen Mittel zur Einrichtung oder Unterhaltung des latreions von der Gemeinde gewährt werden. Die Verteilung der Räume im Hause eines griechischen Arztes , die hygienischen Bedingungen (Wasserversorgung, Lichtverhältnisse) sowie die Ausstattung des Sprechzimmers werden eingehend er- örtert. Während das Asklepieion in Epidauros mit seiner Lage in einem nur wenig über Meereshöhe erhobenen , verhältnismäßig wasserarmen Talg-ininde in erster Linie Kultstätte war und die Be- handlung dort nicht nach ärztlichen Grundsätzen geschah, sondern durch das Mittel des Tempelschlafs, war das Asklepieion in Kos eine ausgesprochene Heilstätte : gegen die gefährlichen Südwinde durch das bis 1000 m ansteigende Gebirge geschützt und mit vor- trefflichem Quellwasser versorgt , erhob es sich 100 m über dem Meere auf bewaldetem Berghang; die ärztliche Kontrolle lag in den Händen der kölschen Ärzteschule. (Zu S. 28: Eine Analyse des Wassers der Kokkinoneroquelle gibt Jamieson, o. Nr. 61.) In Rom erscheint das latreion (bei Plin.) als taberna, die für Archa- gathos von Staats wegen gekauft wurde , und als medicina bei Plautus. Für die Sklaven wurden später Valetudinarien gegründet (Columella) , die aber auch von freien Römern benutzt wurden, z. B. von Seneca (ep. 27). Die erste Form der öffentlichen Kranken- anstalt besteht darin, daß von Staats wegen angelegte latreien den Ärzten übergeben wurden (in Äg\'pten BGU 647 aus dem J. 30 n. Chr. : Galen XVIII B 678). Das Militärlazarettwesen der Römer

Bericht über die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 105

wird im Anschluß an Haberling (Ber. I, Xr. 289) behandelt. Zur Beurteilung s. folgende Nr. Baas setzt die Anfänge der indischen Hospitäler ins VII. vorchristliche Jahrh. und weist solche Anstalten für die spätere Zeit nach. Auch in China, Japan und Persien gibt es Hospitäler vor dem Eindringen des Christentums. Die Hospital- einrichtungen im griechisch-römischen Altertume beruhen nicht auf der Grundlage des Mitleids , sondern auf persönlichem oder staat- hchem Egoismus. Die neben den Tempeln des Asklepios erbauten Wohnungen für hilfesuchende Kranke sind nur Unterkunftshäuser : „ich muß mich dem ablehnenden Urteil etwa von Uhlhorn (Eine Welt ohne Liebe) anschließen gegen Meyer-Steineg, auch gegen- über Sudhoffs Äußerung in seinem Aufsatze : Aus der Geschichte des Krankenhauswesens usw. (Ergebnisse des Krankenhauswesens II 1913, S. 2)." Söllner legt zunächst Vitruvs allgemeine naturwissenschaftlich- medizinischen Anschauungen dar, behandelt dann im einzelnen seine Ansichten über die Luft, das Wasser und den Boden und erörtert die Hygiene der Wohnung , der Tempel, Theater und Bäder und der Städteanlage nach Vitruv. Auf die literarischen Quellen des römischen Architekten geht S. nicht ein. M 0 1 s s i d e s gibt einen Überblick über die Bestrebungen , die im griechischen Altertume der 'Puerikultur' im allgemeinen und der 'Eugenik' im besonderen galten , also der Pflege des Kindes und der Sorge für einen guten Nachwuchs. Wenn der Aufsatz auch nicht besonders in die Tiefe dringt, so gewährt er doch einen Ein- blick in diese Bemühungen, die der Auswahl, Diät und Gymnastik der Eltern , der Schwangerschaftshj-giene und Kinderfürsorge ge- widmet waren. Hierzu sei auf folgende , M. unbekannte Arbeiten verwiesen : G. v. Hoffmann, Rassenhygienische Gedanken bei Plato, Archiv für Rassenbiologie 1914 XI, S. 174 183; K. Pearson, Zweck und Bedeutung der National-Eugenik für den Staat, ebenda 1908 V, 80 ff., W. Schallmeyer, Generative Ethik, ebenda 1909 VI, S. 213 ff.

*231) A. Corsini, L'n monumento votivo al dio Esculapio. Rivista di storia crit. delle scienze mediche e naturali 1914, S. 268—274.

232) Notizie degli Scavi 1911, S. 399.

233) A. Stein, Untersuchungen zur Geschichte und Ver- waltung Ag}-ptens unter römischer Herrschaft. Stuttgart 1915.

*234) P. Capparoni, I titoli sepolcrali dei medici cristiani delle catacombe di Roma. IK^I, S. 211—223.

*235) P. Capparoni. Una lapide romana dimonstrante la

]()(; Friedrich Ernst Kind.

riconoscenza d'altri tempi per i medici. ßivista di storia crit. delle scieuze med. e nat. 1913 IV, S. 146.

236) 0. von Hovorka, Die Tätigkeit der fremdsprachigen Ärzte im alten römischen Reich. Wiener med. AVochenschrift 1916 LXVI, S. 1473—1476.

237) 0. von Hovorka, Weibliche Ärzte im alten Rom. Verhandl. der Ges. deutscher Naturf. und Ärzte. 85. Versammlung 1913, II. Teil, 2. Hälfte, S. 329—332.

238) N. A. Bsijg, Die frühb3'zantinische Inschrift eines Arztes. Rh. Mus. N. F. 1914 LXIX, 8. 744—746.

Corsini bespricht und bildet eine Reliefplatte in Tabernakel- form ab, die im Mai 1913 zu Lebda in der Cyrenaica gefunden und ins Museum zu Homs gebracht wurde. Sie zeigt im Mittelfelde zwischen zwei ionischen Säulen, die den Giebel tragen, eine auf dem Schwänze erhobene Schlange vor einem brennenden Leuchter, im Giebelfelde eine bärtige Asklepiosbüste. Auf den drei Seiten- rändern des Giebels befindet sich eine griechische Weiheinschrift eines Arztes Asklepiades. Die Platte war wohl im Asklepiostempel zu Lebda aufgestellt. Eine lateinische Einmeißelung auf Säule und Basis der Platte spricht von einem römischen Siege und nennt gleichfalls einen Asklepiades. Zeit des Jugurthinischen Krieges? (Nach MGM 1917, S. 373). In denNotizie degli Scavi wird in Nr, 24 und 25 ein Arzt L. Ofillius lucundus genannt. Besteht eine Beziehung zu dem von Plinius, Nat. Hist. I 28, XXVIII 38 erwähnten Ofilius medicus? Aus Steins Buche ist S. 121 f. für unsern Bericht wichtig. Dort wird darauf hingewiesen, daß Hirschfelds Ergänzung arch[ierei] in einer Inschrift aus Antiocheia in Pisidien, CIL III 6820 unrichtig ist, wie zwei am selben Orte gefundene griechische Inschriften (W. M. Calder, Journ. Rom. Stud. 1912 II, 96) lehren : aus ihnen erfahren wir zugleich den Namen des in der lateinischen Inschrift Geehrten, es ist L, Gellius Maximus ([Polyjhistor'?), fpilog y.al aqymxqoo. (des Kaisers Caracalla) zat UTio 3IovG£iov y.al öov/.ip'dQiog. So heißt es also auch in der lateinischen Inschrift : arch[iatro] sancti[ss]imi domini n. Antonini Aug. ducenario et a Musio. Auf die Ergänzung arch[iatro] führt auch der Umstand, daß er sac[erdos] perpet[uus] dei Aesculapi war. Wir haben es nicht, wie Hirschfeld annimmt, mit dem Vorsteher des Museions zu tun, sondern mit einem Mitgliede oder, noch wahr- scheinlicher, mit einem im Museion ausgebildeten Arzte. Durch diese Inschriften erhalten wir einen wichtigen Nachtrag zu § 4 von Pohls Dissertation (Ber. I, Nr. 282). Capparoni Nr. 234

Bericht Ober die Literatur zur antiken Medizin 1911 1917. 107

zeigt, daß die in den Katakomben von Rom gefundeneu, aus dem III. bis V. Jabrh. stammenden Grabsteine beweisen, daß in dieser Zeit eine Reihe Arzte, wohl in der Hauptsache Freigelassene, dei- christlichen Religion angehörten. Pneumatiker werden auf zwei Grabsteinen erwähnt. Besonders zahlreich sind die Grabsteine der archiatri. (Nach Haberling, MGM 1915.) Capparoni Nr. 2oö weist auf einen neu gefundenen Grabstein hin, auf dem ein Jüngling beklagt wird, der im blühenden Alter von 27^3 Jahren unschuldig dahinging als Opfer des ärztlichen Messers : cpiem medici secarunt et occiderunt. (Nach Sudhoft', MGM 1915.) von Hovorka Nr. 236 stellt Inschriften zusammen, aus denen hervorgeht, „daß es zur Zeit des römischen Imperiums neben den berühmten und bekannten griechisch-römischen Ärzten auch Arzte anderer Nationali- tät und Abkunft gegeben haben muß". Jüdische Ärzte sind lulius (Anc. inscr. Brit. Mus. 677 : raizr^g r^g aoQOv Y./jdovTai 01 Ev^Eq^toaj 'lovöaloi), 0X(doviog) Oavorlvog tov ^'laag (CIL IX 6213 Venusia), 'loaa/.ijg laigog (Bull. Corr. HeU. XXVI, S. 501, 50 Constantine in Syrien). Weitere Orientalen Rev. archeol. 1899 XXXV, 179, 59, Comptes rendues de Facad. des inscr. et b. lettres , Paris 1899 XXVII, S. 48, CIL VIII 16 und 21099 (Qu. Marcius Protomachus, Boncar Mecrasi Clodius medicus, Fadianus Bubbal medicus ; Pro- venienz Tunis, Tripolis, Mauretanien). von Hovorka Nr. 23 7 zeigt, daß die medicae in Rom und den Provinzen nicht bloß Heb- ammen, sondern wirkliche Ärztinnen waren (CIL X 3980 : Scantia Redempta „antistes disciplinae in medicina" in Capua; VI 8926: Caesaris medica). Sie waren teils Freigelassene, teils Freie. Als Vereinigungen der in den Tempeln der Bona dea wirkenden Ärztinnen sind wohl die collegia Bonae deae aufzufassen (Pauly-Wissowa III 690 ff.). Das reiche epigraphische Material von Hovorkas kann noch ergänzt werden durch Öhler, Ber. I, Nr. 286 (Progr., S. 9). Aber auch literarisches Material wird von v. H. herangezogen. Statt Antiochia ist Antiochis zu lesen: vgl. 0. Nr. 75 und 151. Bt i]g teilt eine im Epigraphischen Museum zu Athen aufbewahrte, etwa in die Zeit Justinians gehörende Inschrift unbekannter Provenienz mit; sie lautet: Ttollovg ßoozojv Treoioöeiaag f.v&dÖE '/.Tue (.iäTi]v ixoviaag y^oovovg. B. gibt Belege für tceoioÖeielv = dEOarcEvEiv. Versuche , die Inschrift metrisch herzustellen , werden gemacht. Der Name des Arztes ist nicht genannt. Ärztliches auf In- Schriften findet sich noch bei H. L. Wilson, Latin inscriptions of the Johns Hopkins University, Americ. Journ. of Philol. 1910 XXXI, S. 29 und 260 (medicus auricularius, unctor, unguentariusj ;

IQg Friedricli Ernst Kind.

ärztliche Staudesverhältnisse auch bei J. D. RoUeston, Lucian and Medicine, Janus 1915 XX, S. 83 108, und The medical aspects of the greek anthology, Janus 19U XIX, S. 35—45 und 105— l:n.

239) J. Ivlinkenberg, Weihinschrift an den Genius capsa- riorum. Röm.-germ. Korrespondenzblatt 1911 IV, S. 69 70.

240) Haberling, Eine neu aufgefundene Weihinschrift eines altrömischen Militärarztes. Militärärztliche Zeitschrift 1912 XLI, S. 130—133.

241) Baas, Eine weitere Weihinschrift eines altrömischen Militärarztes. Ebenda, S. 597.

Klinkenberg (und Haberling schließt sich ihm an) ver- öffentlicht eine Inschrift, die sich auf einem kleinen Sandsteinaltare (16x19x6,5 cm) aus Kastell Niederbieber findet. Sie lautet: In h(onorem) d(omus) d(ivinae) genio capsariorum n(umeri) Divitiensium Gordianorum T(itus) F(lavius) Processus medicus hordinarius sub S(exto) Vibio Vitale pref(ecto) n(umeri) s(upra) s(cripti) d(onum) p(osuit). Sie stammt also aus den Jahren 238 244 (Gordianorum) und lehrt verschiedenes Neue. Zum ersten Male wird hier ein Militärarzt (ordinarius in Reih und Glied dienend) für einen numerus, die seit Hadrian eingerichtete Grenzschutztruppe , bezeugt. Der genius capsariorum erfordert ein collegium capsariorum. Wenn nun der Arzt als Obmann des Kollegiums den Altar weiht, so muß er im Range höher stehen als die capsarii. Dazu stimmt, daß der Arzt bei der Aufzählung des Sanitätspersonals, Dig. 50, 6, 7 vor den capsarii aufgeführt wird. Seinen Versammlungsort (schola) hatte das Kollegium höchstwahrscheinlich im Militärlazarett : im Bauschutt der Militärlazarette von Carnuntum fand sich ein dem genius capsariorum der XIV. Legion geweihter Altar. Die Lazarett- gehilfen bilden mit den Ai'zten das Kollegium der eigentlichen Sanitätsunteroffiziere , das übrige Lazarettpersonal ist in einem Kollegium für sich vereinigt. So bilden diese beiden Publikationen einen wichtigen Nachtrag zu Ber. I, Nr. 290. Baas macht auf eine 1910 bei Osterburken gefundene Inschrift aufmerksam (E. Wagner, Fundstätten und Funde ... im Großherzogtum Baden, 1912, II 438): pro] Salute coh(ortis) III Aq(uitanorum) [Ap?]pius lulianus medi- cu[s c]oh(ortis) sfupraj s(criptae) bene merentib[us d]e suo posit, Satum[ino et] Gal(l)o cos., l(ibens) [m(erito)]. Das Konsulat des Satuminus und Gallus fällt in das Jahr 198; unter den Göttern (bene merentibus) kann man sich etwa Apollo und Sirona vorstellen.

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914).

Von

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Joarn. heU. Stud. 1909. 29, 168—191. , Sonie more unpubl. fragments of Attic treasure records. Journ.

hell. Stud. 1911. 31, 31—41. . The quota list of the ^-ear 427/6. Ann. Bi-it. School at Athens.

15, 229—243; vgl. 16, 187—206. Wright, The source of the opening skirmish at Plataeae. Transact.

of the Connecticut Acad. of Arts and Sciences. 1909, vol. 15,

295—303. Zinn, Die Sclilacht bei Salamis. Diss. Berlin 1914.

Unter den Quellen für die Geschichte der Perserkriege ist H e r 0 d 0 t bei weitem die wichtigste, und die Hauptfrage, um die es sich bei ihm handelt, ist diese : hat H., als er über ein Menschen- alter nach den Ereignissen die Geschichte des großen Krieges zu schi'eiben unternahm, im wesentlichen auf mündlicher Überlieferung gefußt oder hat er den Stoff bereits schriftstellerisch bearbeitet vorgefunden und auf diese Darstellung der Vorgänger seine eigene begründet? Da ist nun zunächst zu sagen, daß die Benutzung von Hekataios' Werken seinerzeit durch Diels erwiesen ist, und an diesem Ergebnis würde sich in der Hauptsache auch dann nichts ändern, wenn die Fragmente des Hekataios, mit denen damals Diels seine Ansicht belegte, sich als nachträglich, größtenteils aus Herodot selbst, zurechtgemacht erweisen sollten. Dies hat zuletzt wieder Wells behauptet, der ebenso wie bei Herodots Zeitgenossen Skjdax eine Fälschung des IV. Jahrhunderts annimmt , die den echten Hekataios verdrängt habe; allein auch ihm ist nur geglückt, die Möglichkeit, nicht die Wahrscheinlichkeit seines Satzes zu erweisen, und die Worte 'no historian can accept the possible, if it has no evidence to support it% die er selber gegen Lehmann-Haupt und Prasek anwendet (p. 52), gelten ebensogut von seiner eigenen An- sicht. Daß H. den Hekataios benutzt hat, sagt er uns selbst, und nur das kann zweifelhaft sein, ob tatsächlich so große Stücke auf Hekataios zurückzuführen sind, wie dies von Lehmann-Haupt vorgeschlagen wird (Gr. G. 81 ff.). Jedenfalls ist der Versuch, den Herrmann nach dieser Richtung hin gemacht hat, ziemlich un-

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befriedigend ausgefallen; doch nimmt auch Jacoby (Art. Hekataios) größere Entlehnungen an. Aber damit ist auch die Zahl der wirk- lich zu erweisenden schriftlichen Quellen bei Herodot so ziemlich zu Ende. Daß er die zu seiner Zeit vorhandenen einsah, kann man wohl zugeben, aber ob dazu Dionysios v. Milet gehörte, für den besonders Lehmann-Haupt und sein Schüler Obst eingetreten sind, ist doch sehr zweifelhaft. Die angeblichen Beweise dafür, die Obst in seiner Quellenverwertung gebracht hat, stehen samt und sonders auf schwachen Füßen. Was soll es z. B. heißen, wenn 0. die beiden Äußerungen Herodots über die Benutzung seiner Quellen I 214 und VII 152 gegenüberstellt und aus ihrem Widerspruch schließt , daß nur die zweite Her. 's wirklichem Verfahren ent- spreche und daher die erste gedankenlos aus seinem Gewährsmann abgeschrieben sei? Ebensogut kann man sagen, daß H., wie viele annehmen, die letzten drei Bücher seines Werkes gesondert heraus- gegeben habe und in ihnen nach dem Grundsatz VII 152 verfahren sei, daß er aber später seine Ansicht geändert und dem in I 214 Ausdruck gegeben habe. Jedenfalls für die Abhängigkeit H.'s von seinen sckriftlichen Quellen ergibt sich daraus nicht viel ; ganz ab- gesehen davon , ob denn bei all den Schriftstellern , die genannt werden, Dionys v. Milet, Xanthos, Charon u. a. die Zeitverhältnisse wirklich eine Benutzung durch Herodot ermöglichen. Die alte Dikaioshypothese Trautweins hat Mülder wieder aufgenommen, und auch Jacoby scheint an diese von ihm als Demaratquelle bezeichnete Schrift zu glauben, aber über ihren Charakter herrscht keineswegs Einstimmigkeit, sofern Mülder sie für eine Verteidigungs- schrift Demarats durch Dikaios, Obst dagegen sie für eine Anklage- schrift seiner Gegner hält (S. 39. 40), und ob es sich überhaupt um eine schriftliche Quelle handelt, wäre auch noch zu erweisen. Weiter hat Mülder den Dichter Choirilos v. Samos als Quelle Herodots bezeichnet, aber auch das ist nur dadurch möglich, daß er die Zeit des Choirilos bedeutend früher ansetzt, als es die uns erhaltenen Notizen erlauben. Gewiß hat Her. auch Dichter heran- gezogen, Aeschylos' Perser hat er gekannt und seinen Bericht über Salamis in Nebenpunkten benutzt , während die Benutzung des Glaukos Potnieus , die Wright für Plataiai zu erweisen sucht, ziemlich in der Luft hängt ; aber das kann doch nicht genügen, für Her. ein Abhängigkeitsverhältnis zu konstruieren, wie es etwa Ephoros oder Diodor ihi-en Quellen gegenüber hatten. Und so wird man im großen und ganzen doch daran festhalten, daß es Her. ge- wesen ist, dem wir die erste Verarbeitung der Überlieferung über

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ll(j Thomas Lenschau.

die Perserkriege verdanken und nicht etwa Dion3'sios v. Milet, den Obst (S. 32) mit dem Ehrennamen des Vaters der Geschichte be- denken möchte.

Freilich wird man zugeben müssen, daß neben Her. noch andre von üim unabhängige Darstellungen des Perserkrieges vorhanden gewesen sind, und daß manche von Her. abweichende Nachrichten bei Ephoros-Diodor (Zusammenstellung bei Macari II 77, Obst S. 31) auf alte und gute Überlieferung zurückgehen können. Vieles ist jedenfalls für uns verloren, wie die Notiz des Sosylos über Hera- kleides V. Mylasa zeigt, die Wilcken aus einem Papyrus ans Licht gezogen hat und die doch wahrscheinlich auf die Schlacht am Arte- mision, nicht auf ein unbekanntes Seegefecht aus dem ionischen Aufstand, wie Rühl wollte, zu beziehen ist. Aber alle diese Einzelnachrichten aus guter Zeit, wie sie z. B. auch bei Plutarch stehen , dessen Angaben daher stets einer sachlichen Prüfung zu unterwerfen sind, können doch nicht darüber täuschen, daß für die Perserkriege in erster Linie Herodot in Frage kommt, daß er im wesentlichen auf mündlicher Überlieferung fußt und daß seine Nach- richten danach zu bewerten sind. Das ist denn auch die Ansicht, die heute von den meisten Forschern, wie Beloch, Meyer, Macan, Jacoby und auch von Niese geteilt wird. Freilich hat Niese dabei noch so seine Besonderheit: er nimmt an, in allem Wichtigen sei Herodot einer „gemeinhellenischen Tradition" gefolgt und seine Hauptarbeit habe darin bestanden, diese gemeinhellenische Tradition an den örtlichen Überlieferungen zu prüfen, deren Abweichungen er denn auch getreulich in seinem Werke verzeichnet habe. Aber wer soll denn nun diese gemeinhellenische Tradition festgelegt haben? Auch hier zeigt sich wieder das seltsame Bestreben, eine umfassende Darstellung, eine Art Herodot vor Herodot, zu kon- struieren und den Mann, dessen stilistische Eigentümlichkeit niemand bestreiten kann, dafür als materiell vollständig von seinen Vorgängern abhängig zu stempeln. Der Erfolg ist allerdings ausgeblieben, wie Jacob3^s umfassende Arbeit zeigt, dessen Quellennachweis bei allen Möglichkeiten der Entlehnung, die hier zugegeben werden, doch am letzten Ende zeigt, wie souverän H. mit seinem Material geschaltet hat, so daß es geradezu unmöglich ist, ihn im einzelnen j auf eine bestimmte Quelle festzulegen. Überallhin reichten seine Beziehungen, auch nach Persien hinein, wo ihm verschiedene münd- liche Quellen zu Gebote standen, unter denen Wells besonders auf Zopyros, des Megabyzos Sohn, hingewiesen hat, der eine Zeit- lang in Athen lebte und hier persönlich mit Herodot zusammen-

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getroffen sein mag. Aber über Möglichkeiten der Benutzung wird man außer bei Hekataios schwerlich hinauskommen. Im ganzen ist auf die schöne Charakteristik Herodots bei Jacoby S. 467 ff. hin- ziiweisen, die wesentlich tiefer eindringt als die von Bury S. 36 ff. Für die Zeit unmittelbar nach den Perserkriegen bis zum Ausbruch des peloponnesischen Krieges bildet Thukydides die wichtigste Quelle, der im Gegensatz zu Hellanikos' Werk, das ihm schon vorlag, besonderen Ans])ruch auf Genauigkeit in seinen chrono- logischen Ansätzen erhebt. Es ist nuu oft hervorgehoben worden, daß Thuk. eigene Angaben alles andre als chronologisch genau bestimmt sind, und das hat Bury zu der Behauptung veranlaßt (S. 105), eben grade diese Ungenauigkeit sei Thuc. Absicht; er habe damit sagen wollen, daß die genau aufs Jahr festgelegten Ansätze des Hellanikos nicht brauchbar seien, daß man tatsächlich über diese Zeit nur verhältnismäßig Unsicheres wisse. Das ist ein ganz hübscher Einfall, aber auch nicht mehr: nur so viel ist richtig , und das dürfen wir Thuk. Ehrlichkeit und Sorgfalt zutrauen, daß, als er die Pentekontaetie schrieb, wirklich in Athen nicht mehr über diese Zeit zu erfahren war. Das aber muß aller- dings gegenüber den genauen Ansätzen der Atthiden Schreiber zur Vorsicht mahnen, und insofern wird man den Angaben bei Ephoros- Diodor, die doch sicher auf die Attliidenschreiber zurückgehen, von vornherein mit einem gewissen Mißtrauen gegenübertreten. Von diesem Gesichtspunkt aus können wir es denn auch verschmerzen, wenn eine vermeintlich wichtige Quelle für die Geschichte der Pentekontaetie wieder versiegt ist : der sog. Anonymus Argentora- tensis Keils hat sich nach den Forschungen Wilckens als ein Kommentar zu Demosthenes' Androtionea erwiesen. Die auf ein- gehender Neuprüfung des Papyros begründeten Lesungen Wilckens (S. 414/5) weichen sehr stark von Keils Ergänzungen ab : die viel- umstrittene Überführung des Bundesschatzes nach Athen entpuppt sich danach als eine Bemerkung, die auf die bei Thuc. II 24 er- zählte Aufbewahrung der 5000 tal. für den Ki-iegsfall geht. Auf dieselbe Stelle bezieht sich auch die nicht ganz sicher herzustellende Bemerkung über die Zahl der jährlich neugebauten Schiffe und der von Keil auf 445 440 angesetzte Zug gegen Theben erweist sich als die bekannte Unternehmung des Timotheos gegen Euboea vom Jahre 357. In weiterer Ausführung des Wilckenschen Gedankens hat dann Laqueur das Stück noch näher als ein vSummarium der Kapitelüberschriften eines Werkes über Demosthenes zu erweisen versucht, damit aber wohl wenig Glauben gefunden.

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Die zweite Hauptquelle für diese Zeit, die Inschriften, haben ebenfalls eine Zunahme erfahren , unter denen die von Blinkenberg veröffentlichte Tempelchronik von Lindos wohl die wichtigste ist (Neue Lesarten v. Holleaux, Rev. etudes gr. 1913. 26, 40 46). Dann folgen die argivischen, von Vollgraff heraus- gegebenen Inschriften: die eine (1908) wird von ihm ins Jahr 303 gesetzt, ist aber von Herzog wohl richtiger auf König Pleistarchos und die Schlacht von Oinoe bezogen (um 460) ; die zweite, die einen Vertrag zwischen Knossos und Tylissos enthält und Argos als die Mutterstadt beider Orte zu erweisen scheint, wird von Vollgraff in dieselbe Zeit (462 450) verwiesen. Sehr alt, vielleicht Ende des VII. Jahi'h., sind einige Steine aus Chios, die v. Wilamowitz besprochen hat, und ebenso sind bei den englischen Ausgrabungen in Sparta einige ältere Inschriften zutage gekommen, eine Dedikation an Apollo Karneios (Ann. Brit. School 15, 40) und die Siegerinschrift des Damonon und Enymakridas um 450 (Tod und Tillyard, ebenda 13, 174 183); doch entbehren diese sämtlich eines un- mittelbar geschichtlichen Interesses. Andrerseits hat Bei och (II 2, 154) die Echtheit des Dareiosbriefes an Gadatas (Ditt. or. 2) bezweifelt und ihn für eine Fälschung aus christlicher Zeit erklärt. Wichtig vor allem sind die Neuerscheinungen des großen Inschriften- werks, die am besten gleich hier erwähnt werden, wenngleich In- schriften des V. Jahrhunderts darin nur spärlich vertreten sind. 1906 ist Hiller v. Gärtringens Inschriftenwerk über Priene erschienen; 1908 kamen die von Amorgos und den umliegenden Inseln heraus, von Delamarre mit Indices von Hiller v. Gaert- ringen. Noch im selben Jahre erschienen Otto Kerns thessa- lische Inschriften, zu denen ebenfalls Hill er die Indices lieferte, dann 1909 die Steine von den thrakischen Inseln, die von Fredrich, und die Tenischen Inschriften, die von Hill er bearbeitet sind, der sich immer mehr als die Seele des Corpus Inscriptionum erweist; 1912 der Anfang der delischen Inschriften von Dürrbach mit den Listen der Archonten und Tempelbauer. 1913 brachte die lakonischen und messenischen Inschriften von Kolbe, die arka- dischen von Hiller v. Gaertringen. 1914 folgte die Fort- setzung der delischen Inschriften, die bekanntlich von den Franzosen herausgegeben werden, durch Pierre Roussel, und endlich 1915 die euböischen von Erich Z i e b a r t h , mit denen ich dann aller- dings schon über die Berichtsperiode herausgegriffen habe. Die Bemerkungen Banniers über griechische Inschriften sind rein epigraphischer Natur und gewähren keine geschichtliche Ausbeute.

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Die Verwickelungen im Osten beginnen mit dem Regierungs- antritt des Dareios: über seine ersten Reg-ierunfjsiahre hat er selber in der großen Inschrift von Behistun berichtet, die seither in zwei wichtigen Punkten genauer als bisher erklärt worden ist. Die erste betrifft Dareios Abstammung. Der von dem Koni«; selbst angegebene Stammbaum stimmt mit dem bei Herodot überlieferten nicht überein, und dies ist abwechselnd dazu benutzt worden, um entweder Dareios der Lüge zu bezichtigen und ihn für einen Prä- tendenten zu erklären, der erst nachträglich die Anknüpfung an den echten Acliämenidenstamm gesucht habe oder die Zuverlässigkeit Herodots in persischen Dingen in Zweifel zu ziehen. Nun hat L ehmann -Haupt nachgewiesen, daß es sich um zwei Linien der Achämenidengeschlechts handelt, die bei Her. ineinandergeschoben sind: von Teispes ab gabelte sich der Stammbaum in der Weise, daß die ältere über Kyros I, Kambyses I, Kyros II den großen Eroberer bis Kambyses II ging und mit diesem erlosch , während die jüngere über Ariaramnes, Arsames, Hvstaspes auf Dareios ging und somit genau die Namen enthielt, die in der Behistuninschrift erwähnt werden. Dies ist nachträglich durch eine neue Lesart der Inschrift bestätigt: statt duvitatai'nam, das gewöhnlich „lange Zeit" übersetzt ward, liest man jetzt duvitaparnam, was nach Hoffmann - Kutschke 'zweifach' bedeutet und auf die zwei Linien des Ge- schlechts gehen würde. Eine andre Stelle derselben Inschrift hat "Wilhelm Schulze genauer erklärt : die von Kambyses gebrauchten Worte uvämar §lyus amariyatä, die man lauge Zeit auf Selbstmord deutete, sind vielmehr mit suam mortem habens oder sua morte mortuus zu übersetzen, eine Wendung, die, wie Schulze an Parallelen aus fast sämtlichen indogermanischen Sprachen erweist, die Be- deutung des natürlichen Todes hat und jedenfalls Mord oder Selbst- mord ausschließt. Im übrigen ist auch schwer abzusehen, wie sich Dareios anders hätte ausdrücken sollen, da er in dieser au der offenen Heerstraße belegenen und für weiteste Verbreitung be- stimmten Inschrift doch kaum von der offiziellen Lesart über Kambyses' Tod abgehen konnte. Daneben scheint man, und viel- leicht mit Recht, an Selbstmord geglaubt zu haben : daß man über den Hergang selbst nicht genau unterrichtet war, zeigt die Ver- schiedenheit der Angaben bei Herodot und Ktesias.

Die erste Berührung mit der Griechenwelt bezeichnet Dareios Skythenzug. Diese Unternehmung hat Witt neben als eine umfassende Fundierung des damals schon vom Könige beabsichtigten Krieges gegen Griechenland darzustellen gesucht (S, 588). Daß sie

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sich nur auf das Land zwischen Douau und Dnjepr bezog, wie Strabo sagt, wird seine Richtigkeit haben; geplant aber war doch sicher die Unterwerfung und Dareios hat sie als ein Vermächtnis des großen Königs unternommen, der bei dem Versuch gefallen war. Wenn nun Dareios sich dabei von vornherein auf das kleine, vorhin genannte Gebiet beschränkt hat, so wäre damit erwiesen, daß es ihm mit dem Zuge nicht Ernst war und daß er ihn nur der offi- ziellen Reichspolitik zuliebe unternahm. Nun aber darin gar ein Vorspiel der Unterwerfung Griechenlands sehen zu wollen, scheint mir wegen der Länge der dazwischenliegenden Zeit gänzlich aus- geschlossen. Mag man auch Herodots Motivierung des Griechen- zuges als lächerlich betrachten, so viel ist sicher, daß erst der ionische Aufstand Dareios die von Westen her drohende Gefahr zeigte und ihm den Gedanken der Unterwerfung Griechenlands ein- gab. — Nicht ganz sicher ist Miltiades' Teilnahme am Skythenzug ; aus gewissen Anzeichen im Text des Herod. IV 183 hat Obst schließen wollen, daß Miltiades' Name erst durch eine Bearbeitung in den Text gekommen sei. Sehr überzeugend ist aber seine Beweisführung nicht.

Die Geschichte des ionischen Auf stand es beruht für uns allein auf Herodot und zeigt an einem vorzüglichen Beispiel, wie unwahrscheinlich es ist, daß er nach schriftlichen Quellen arbeitete. Das Gegenteil beweist die Lückenhaftigkeit der Erzählung, bei der zwischen der Niederwerfung des kyprischen Aufstandes und der Schlacht von Lade ein mindestens dreijähriger Zwischenraum klafft, aus dem Her. schlechterdings nichts zu berichten wußte, weshalb er hier Histiaios' Taten einschob. Nun kann man ja mit Bei och (II 258) und Stein (zu V 33) die Ereignisse ein Jahr herunter- rücken, aber auch dann bleibt immer noch eine Lücke, die schwer zxi erklären wäre, wenn Her. bereits eine zusammenhängende Dar- stellung, etwa von Dion3fS v. Milet, vor sich gehabt hätte. Dazu der merkwürdige Charakter der Überlieferung, die den Nordioniern und Samos freundlich, aber Milet gradezu feindlich gegenübersteht : offenbar fußte Her. auf Berichten, die er in Samos erhielt, während sonst von den nun schon zwei Menschenalter zurückliegenden Er- eignissen wenig mehr bekannt war (vgl. Jacoby S. 439 ff.). Er hat dann das Ganze zu einer leidlich zusammenhängenden Erzählung ^ verarbeitet und die oberflächliche Motivierung durch die beiden Anstifter hinzugefügt, die nachher von der Bildfläche verschwinden. Nun scheint in der Tat Aristagoras wirklich ein Schwächling gewesen zu sein; Histiaios dagegen war ein in seiner Weise nicht unbe-

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deutender Mann, wenngleich Heinleins weitgehende Kombinationen sich schwer erweisen lassen und deswegen auch von Swoboda abgelehnt werden ; überhaupt bleibt die Rolle, die er gespielt hat, etwas unklar. Nach den eigentlichen Ursachen des ionischen Auf- staudes , die in dem kommerziellen Zusammenbruch der Städte zu suchen sind (vgl. Lenschau Klio XIII und Pauly-Wiss. 1883 ff.), zu forschen, lag nicht in Herodots Art, der, wie die meisten Ge- schichtsschreiber des Altertums, auch Thukydides, sich mit persön- licher Motivierung begnügte. Daß übrigens das -/.oivbv der ionischen Städte eine viel stärkere Rolle gespielt hat und daß sich im Augen- blick der Gefahr stärkere Einheitsbestrebungen geltend machten, als unsre Überlieferung erkennen läßt, das zeigen die damals ge- schlagenen Bundesmünzen, die Gardner als zusammengehörig und in diese Zeit fallend erkannt hat. Es ist wohl möglich, daß im FaU des Sieges die Städte sich enger zusammengeschlossen haben

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würden : die Anfänge dazu liegen in der gemeinsamen Münzprägung nach milesischem Fuß (Gardner S. 152 f.), die damals unter Führung von Chios in Samos, Abydos, Klazomenai, Lampsakos und Kyme begann. Die geprägten Stateren stellten wahrscheinlich den Monats- sold eines Soldaten oder Matrosen dar : schon daß man als Metall Elektron wählte, bedeutete eine Auflehnung gegen die persische Goldwährung. Im übrigen gibt es wenigstens ein Ereignis, das in die oben erwähnte Lücke zu gehören scheint, die Belagerung von Lindos , die in der Tempelchronik erwähnt ist (Blinken b er g S. 338 f.) und die von Beloch (II 1, 81) wohl mit Recht auf die Zeit kurz vor Lade bezogen wird, als die phönikische Flotte im aegaeischen Meer erschien und zunächst im Süden die persische Herrschaft wiederherstellte. Auch die Bemerkung Belochs scheint begründet , daß Datis , der in der Tempelchronik genannt wird, wahi'scheinlich bei Lade die Flotte kommandierte : seine Wahl zum Anführer des Feldzuges von 490 zeigt, daß er sich irgendwie große Verdienste erworben haben muß.

Über diesen Feldzug oder vielmehr nur über die Schlacht von Marathon hat Gas pari in einem kurzen Aufsatz gehandelt, in dem er Leakes Ansätze gegen die jetzt angenommenen von LoUing verteidigt. Den Verlauf der Schlacht denkt er sich ähnlich wie Munro (vgl. Ber. v. 1904 Bd. 122 S. 189); nur macht er darauf aufmerksam, daß die Eile, mit der Miltiades nach Hause strebte, nicht nötig gewesen wäre, wenn die Perser tatsächlich erst nach der Schlacht gegen Athen aufgebrochen wären: die 120 km lange Seefahrt würde sicher 15 16 Stunden in Anspruch genommen haben

122 Thomas Lenschau.

(vgl. Grundy in CR, der auf etwa 14 km in der Stunde kommt, \vährend Tarn 9 km für eine besonders schnelle Leistung erklärt), zu Lande dagegen ist der Weg in 10 Stunden bequem zu machen. Also muß ein Teil der Perserflotte schon früher zum Handstreich gegen Athen aufgebrochen sein und ebendadurch ward Miltiades zum Angriff veranlaßt, eine willkommene Bestätigung der Munroschen Ansicht, die ich schon an der ang. Stelle als die wahrscheinlichere gegenüber der Delbrückschen bezeichnet habe. Delbrück hat übrigens in der 2. Aufl. seine Ansicht ziemlich unverändert bei- behalten.

Die Vorgänge im Mutterland von 500 480 sind noch keineswegs mit genügender Deutlichkeit erkannt; insbesondere bleibt es unaufgeklärt, auf wessen Anregung der verhängnisvolle Entschluß in Athen gefaßt ward, den loniern Hilfe zu bringen. In Überein- stimmung mit andern hat Beloch ihn (II 2, 134 ff.) für die Alk- meoniden in Anspruch genommen. Aber dagegen spricht, daß nach 494, als die Richtigkeit der perserfeindlichen Politik erwiesen war, nicht die Alkmeoniden ans Ruder kamen, sondern Themistokles, der Archen von 493/2. Nun könnte man dies dadurch erklären, daß Themistokles zuerst auf seiten der Alkmeoniden gestanden und sich nachher von ihnen abgewandt habe, was die entschiedene Ab- neigung bei Her. erklären würde , denn der Renegat wird bitterer gehaßt als der Gegner. Aber gegen Belochs Ansicht spricht doch auch die unverhohlen ironische Art, mit der Her. die Hilfe- leistung behandelt, was er nicht tun würde, wenn der Beschluß auf Anregung der Alkmeoniden gefaßt worden wäre, und dann, wie hätten die Alkmeoniden jemals nach Marathon in den Geruch des Medismos kommen können , wenn sie die Urheber des ganzen Zwistes waren? Grade Herodots Beflissenheit, sie zu entlasten, zeigt , daß der Verdacht doch recht dringend gewesen sein muß. Wenn aber die Alkmeoniden nicht die Urheber des Beschlusses waren, so bleibt eigentlich nur der übrig, der nachher, als die Befürchtungen von 500 sich als begründet erwiesen , den Vorteil davon hatte, nämlich Themistokles, der also um 500 zuerst eine einflußreiche Rolle in Athen gespielt haben muß. Hier eröffnet nun Mülders Aufsatz über Dikaios einen weiteren Ausblick. Er ver- weist auf die Tätigkeit des Spartanerkönigs Kleomenes I., der in den Jahren um 500 herum zweifellos die bedeutendste politische Persönlichkeit im politischen Leben Griechenlands war und dessen Politik sich durchaus gegen Persien richtete : die Vertreibung der athenischen Tyrannen, die in Persien eine Zuflucht fanden, die

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Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 123

Unternehmungen gegen Argos, das auf persischer Seite stand, das Vorgehen gegen Aigina wegen Medismos, endlich Damaratos' Sturz, der ebenfalls zum Perserkönig flüchtete, zeigen Kleomenes an der Spitze einer antipersischen Bewegung, die auch vom delphischen Orakel unterstützt ward. Nun stimmt allerdings seine Haltung im ionischen Aufstand damit nicht überein, allein es ist sehr wohl möglich, daß ihm damals durch innerspartanische Verhältnisse die Hände ge- bunden waren, daß er dagegen in Athen im entgegengesetzten Sinne tätig war: mit andern Worten, daß die Agiadenpartei, wie Mülder sie mit glücklichem Ausdruck nennt , im athenischen Adel noch von 510 her großen Anhang hatte, und daß Themistokles als Partei- gänger Kleomenes I. hochgekommen ist. Er wird es denn auch wohl gewesen sein, der Kleomenes' Vorgehen gegen Aigina, das so ausgezeichnet in seinen Flottenplan paßte, angeregt hat. Dazu stimmt nun auch der schwere Schlag, den die Agiadenpartei durch Kleomenes' Untergang erlitt : er wirkte nicht nur in Delphi nach, wo die perserfeindliche Partei fiel und sehr zum Schaden des Orakels den Perserfreunden Platz machte, sondern auch in Athen, wo die perserfeindliche Partei durch Miltiades' Sturz eine schwere Nieder- lage erlitt, die die Alkmeoniden wieder ans E,uder brachte. Das beweisen die Ostrakismen der Jahre 487/5 und die Vei'fassungs- reform unter Telesinos, die durchaus im Geist der kleisthenischen Verfassung gehalten ist. Aber das Blatt wandte sich, die Agiaden- partei kam noch einmal zu Kräften, und um die Mitte des Jahr- zehnts war Th. bereits soweit, die Alkmeoniden stürzen und seinen Flottenplan ausführen zu können. Es läßt sich nicht leugnen, daß Mülders Annahme, die ich im Vorhergehenden etwas ausgestaltet habe, einiges Licht in die vielfach dunkelverworrenen Verhältnisse von 500—480 gebracht hat.

Auf eine andre Seite der themistokleischen Politik macht Grund}' in einem wichtigen Kapitel seines großen Thukydides- werks aufmerksam (S. 125 168). Er geht von der unbezweifelten Tatsache aus, daß Athen schon damals für seinen Unterhalt sehr stark auf die Getreideeinfuhr angewiesen war, und betrachtet es danach als die Pflicht jedes athenischen Politikers, für die Sicher- heit der Einfuhr und womöglich für die Beherrschung der damals wichtigsten Ausfuhrländer, der Pontusgegenden und Siziliens, zu sorgen : dies habe der Flottenplan des Themistokles in erster Linie bezweckt. Daran ist zweifellos etwas Richtiges, und tatsächlich besitzen wir mehrere Nachrichten aus dem Altertum, die ein starkes Interesse für den Westen bei Themistokles bekunden. Wenn aber

J24: Thomas Lenschau.

Gi\. nun weitergeht und als ein zweites Hauptmotiv für den Flotten- plan die Notwendigkeit erkennt, den ärmeren Bürgern Beschäftigung auf Staatskosten zu verschaffen, so beruht dies auf seiner Ansicht, daß schon damals die Sklavenarbeit in umfangreicher "Weise den freien Arbeiter beschäftigungslos gemacht habe, was keineswegs ganz sicher ist. Ich werde über diese Dinge im Zusammenhang noch im letzten Kapitel, zur griechischen Wirtschaftsgeschichte, handeln müssen und beschränke mich daher hier nur auf die kurze Bemerkung: so wichtig es ist, die wirtschaftlichen Verhältnisse stets ins Auge zu fassen, so muß doch andrerseits vor ihrer Über- schätzung, wie sie in Grundys Buch zuweilen zutage tritt, gewai-nt werden. Oder um die Sache auf den vorliegenden Fall anzuwenden : daß ein großer Staatsmann wie Themistokles auch von wirtschaft- lichen Rücksichten sich beeinflussen ließ, ist zweifellos, aber die Hauptbeweggründe lagen damals und pflegen auch jetzt noch meist in der äußeren Politik zu liegen, eine Wahrheit, die allerdings grade bei uns in Deutschland noch weit entfernt ist, allgemein anerkannt zu werden.

Nicht ganz klar sind auch die Vorgänge, die gleichzeitig im Westen zum Emporkommen der T^-rannis führten, die im Karthagerkrieg die Rettung brachte. Schon die gewöhnliche Chrono- logie der ersten drei Herrscher (Kleandros 505 498, Hippokrates 498— i91, Gelon in Gela 491—485, Gelon in Syrakus 485—478) hat wegen der darin hervortretenden Vorliebe für die Siebenzahl allerlei Bedenken erweckt. Gegen sie hat P a r e t i geltend gemacht, daß die Notiz Diodors (XI 38, 7) über Gelons siebenjährige Herr- schaft dessen gesamte Regierungsdauer in Gela und S^Takus um- fassen müsse : demgemäß setzt er Kleandros 500 493, Hippokrates 493 486, Gelon 485 478 an. Allein dadurch gerät er mit einer ganzen Reihe gleichzeitiger und unabhängig datierbarer Ereignisse in Widerspruch : so muß er die Ankunft der Samier in Messana, die doch etwa ein Jahr nach Milets Fall, sicher noch in Ol. 72 erfolgte, möglichst spät legen, da ja bei ihr Hippokrates schon als anerkannter Gebieter Siziliens erscheint, was er doch erst im Ver- lauf seiner Regierung geworden ist, und ebenso fällt bei ihm die 491 geschlagene Schlacht am Heloros (Her. VII 154) in den Anfang von Hippokrates Herrschaft , während sie tatsächlich zu seinen letzten Unternehmungen gehören muß , da der in seinem Dienst allmählich hochgekommene Gelon bereits in ihr als Reiteroberst er- scheint. Mit Recht hat deshalb Beloch (II 2, 162 ff. j zunächst an der überlieferten Zeitfolge festgehalten und Gelons Tyrannis in

Bericht über griechische Geschichte (1907 1914). 125

Oela besonders, außer den sieben Jahren Diodors, berechnet. Da- gegen scheint es möglich, die Zeit des Anaxilas von Rhegion, über den Bei och ebenfalls alles Material zusammengetragen hat (II 2, 175), etwas genauer zu bestimmen: er regierte danach von 494 bis 476/5. Unklar bleibt mir die Art, wie er in den Besitz Messanas gelangt ist. Gewöhnlich stellt man die Sache so dar, als ob er die ausgewanderten Samier zu dem Überfall auf Zankle anstiftete, der Skythes seine Herrschaft kostete (Her. VI, 22) : später jedoch soll nach Thuc. VI 4 Anaxilas die Samier wahrscheinlich mit Hilfe von Skythes' Sohn Kadmos wieder vertrieben und die Stadt nach seiner alten Heimat Messana genannt haben. Diese letzte Bemerkung müßte aber auf einer Verwechslung des Thukydides be- ruhen, da die Namensänderung erst 461 einsetzt, als die im dritten messenischen Krieg vertriebenen Messenier dorthin gelangten (Diod. XI 76). Hiermit aber stimmen nun, wie Dodd nachgewiesen hat, die Münzen nicht, die vielmehr den samischen Einfluß in Rhegion früher als in Messene zeigen und gleichzeitig erkennen lassen, daß die Namensschwankung bereits mit dem Auftreten der Samier und nicht erst mit ihrer Vertreibung begannen. Danach scheint die 8ache so gewesen zu sein, daß Anaxilas, der selbst dem messenischen Adel in Rhegion entstammte, 494 die Tyrannis gewann und, um seine Stellung zu verstärken, die Samier zu Hilfe rief, wodurch sich der samische Einfluß auf die Münzen von Rhegion erklärt. Allein der Fremdlinge bald überdrüssig, schob er diese samt dem ihm feindlich gesinnten messenischen Adel nach Zankle ab. Nicht lange vor 481 dehnte er dann seine Herrschaft über Messana aus, wobei, wie es scheint, Kadmos, S. d. Skythes, eine Rolle spielte . der aber bald von ihm beiseite geschoben ward und zu seinem Feinde Gelon ging. Von da ab erscheinen die Rheginischen Münztypen auf den Münzen von Zankle bis 461, wo Anaxilas' Herr- schaft gestürzt ward. Dagegen meint Pareti (Stud. Stör. III), daß der Name Messene seit der Eroberung durch Anaxilas auf- gekommen sei, aber noch 40 50 Jahre geschwankt habe. Doch handelt es sich nach Dodd nur um eine kurze Reaktion, indem bei drei Münzen aus der Mitte des V. Jahrhunderts plötzlich noch einmal der Name Zankle auftaucht. Wäre es nicht möglich, daß dies mit der kurzlebigen national-sizilischen Reaktion unter Duketios zusammenhinge'? Der Name Z. war sizilisch (Thuc. VI 4, 5).

Unklar bleibt auch die politische Konstellation beim Ausbruch des Karthagerkrieges: bekanntlich hat Ephoros zuerst ein Einverständnis zwischen Persien und Karthago behauptet, während

126 Thomas Lenschau.

Herodot nichts von einem solchen \veiß und Aristoteles den Ge- danken sogar ablehnt. Von den Neuern erklärt Meyer das Bündnis für historisch, während Bei och (II 1, 72. 2, 166) es als eine Er- Ertindung des Ephoros behandelt. Nun ist zuzugeben , daß die sizilischen Verhältnisse am Schluß der achtziger Jahre , als der ganze Nordwesten und Westen der Insel auf karthagischer Seite standen , auch ohne das persische Bündnis den karthagischen An- griff aradezu herausforderten: das hat Pareti sehr anschaulich gezeigt (Stud. S. 78 100). Andrerseits wäre es lächerlich das ist wieder Meyer zuzugeben , die Möglichkeit einer Entente zwischen den beiden Staaten, dief Griechenland einkreisen wollten, völlig abzuleugnen. Immerhin ist eins sicher: die karthagische Politik hat sich vor ilii-en Angriffen auf Sizilien stets sehr genati über die Lage im Osten unterrichtet gezeigt, so 538, so 409 und 340 an Alexanders Hof unterhielt sie sogar einen eigenen Agenten und wenn man in diesen Fällen ein Einverständnis nicht annimmt, so liegt auch 480 kein Grund dazu vor. Wie man sich aber auch entscheiden mag, so viel ist klar, daß Ephoros nie auf seine Vermutung gekommen wäre , wenn er die Ereignisse im Osten und Westen nicht für gleichzeitig gehalten hätte. Hier aber macht nun die genaue Festlegung des Karthagerkrieges einige Schwierigkeiten, die auf dem bei Her. VII 157 162 überlieferten Gespräch zwischen Gelon und den Gesandten des Mutterlandes beruhen. Daß es sich hier, wie öfter bei Herodot, nicht um eine genaue Wiedergabe einer geschichtlichen Unterredung, sondern um eine Ausarbeitung des Geschichtschreibers selber handelt, folgt unmittelbar daraus, daß Gelon sich beim Abschluß eines Bildes bedient, das Perikles in seiner Leichenrede vom Jahre 439 ge- braucht hat (Her. VII 162 Ar. Rhet. I 7, III 10). Nun ist das Ganze auf eine Rechtfertigung Gelons angelegt dafür, daß er 480 dem Mutterlande trotz seiner Bitten keine Hilfe sandte : eine solche aber war ganz unnötig, wenn Gelon selber 480 angegriffen ward, da er ja über Karthagos Absichten im Frühjahr 480 nicht mehr im Unklaren gewesen sein kann. Also, schließt man, haben sich die Ereignisse in Sizilien nicht 480, sondern entweder früher oder später abgespielt. Für die erste Möglichkeit (482 oder 481) entscheidet sich Bei och (II 2 166) im Hinblick auf einen Satz der Entgegnung Gelons VII 158, der aber auch anders gedeutet werden kann. Allein wenn der Krieg schon 481 oder gar 482 / mit einer vernichtenden Niedei'lage der Karthager geendet hätte^ so wäre Gelons Benehmen unverzeihlich gewesen, und man würde

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Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 127

auch eine Entschuldigung gar nicht erst versucht haben , ganz abgesehen davon, daß Gelon nach seinem Siege schwerlich Kadmos nach Griechenland geschickt haben würde, um gegebenenfalls seine Unterwerfung anzubieten : das konnte er dann ruhig abwarten. Anders dagegen lag die Sache, wie Pareti mit Recht ausgeführt hat (Stud. § 127 ff.), wenn die Himeraschlacht in das Jahr 479 fällt : Gelon , der von den dreijährigen Rüstungen der Karthager wußte, konnte im Zweifel sein, ob der Schlag schon 479 oder nicht schon 480 fallen würde und in begreiflicher Vorsicht wollte er sich daher im Frühjahr 480 nicht auf bindende Versprechungen einlassen. Wenn nun aber tatsächlich der Angriff sich bis 479 hinzog, so bot nachher beim Rückblick auf die Ereignisse sein Benehmen einen Angi-iffs^junkt, da er sich ganz gut im Osten hätte beteiligen können, und als einen ersten Versuch, dagegen den Herrscher Siziliens in Schutz zu nehmen, wird man Herodots Ge- spräch betrachten müssen. Die Späteren gingen weiter als Ephoros oder Timaios wenn er, wie Ender richtig vermutet, bei Diodor zugrunde liegt und setzten Himera nicht gleichzeitig mit Plataiai, sondern mit Salamis oder gar mit den Thermopylen, wodurch dann die gewünschte Entlastung für Gelon gewonnen war (vgl. auch Pareti S. 158 ff.). Ich glaube demnach mit Pareti, daß die Er- eignisse bis Himera ins Jahr 479 zu setzen sind , und das w^ürde immerhin gegen ein Einverständnis Persiens und Karthagos ins Gewicht fallen , wenn auch keineswegs entscheidend , da es ja ganz gut möglich ist, daß die Karthager nicht rechtzeitig mit ihren Vorbereitungen zu Rande kamen.

Der Zug des Xerxes ist in einer ganzen Reihe von Schriften behandelt worden , unter denen die von Obst die um- fassendste ist; auch Bei och hat in der Neuauflage des zweiten Bandes noch einmal zu allen wichtigen Punkten Stellung genommen. Zunächst handelt es sich um das Verhältnis der Streitkräfte, die von beiden Seiten in den großen Kampf eingesetzt wurden , also mit andern Worten um die Verwertung der Angaben Herodots. Der Nachweis , daß seine Zahlen besonders für das Perserheer maßlos übertrieben sind, wird immer ein Verdienst Delbrücks bleiben , allein er selber ist in Übertreibung der von ihm zuerst niedergelegten Grundsätze allmählich zu einer geradezu unglaub- lichen Unterschätzung der persischen Streitkräfte gelangt, die er auf nicht mehr als 15 000 20 000 Mann berechnet. Ich habe schon in dem ersten meiner Berichte darauf hingewiesen, daß hier das psychologische Moment gänzlich unberücksichtigt geblieben ist :

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wenn man in Griechenland seit Marathon wußte, daß einer gleichen Zahl von Persern gegenüber eine Bürgermiliz immer noch Aussicht auf Erfolg hatte, und wenn die Griechen, wie es doch bei Plataiai der Fall gewesen ist, auch bei der geringsten Schätzung (Beloch) noch 40 000 Mann aufbringen konnten, woher dann die entsetzliche Angst beim Herannahen des Königs, wenn er nicht über eine bedeutende Übermacht verfügte ? Und wenn der König nur 20 000 Krieger mitbrachte, wie stimmt das zu Delbrücks eigener Ansicht, daß „man bei der Niederwerfungsstrategie entweder alle Kräfte aufbieten muß, die möglich sind, oder wenigstens so viel, daß man mit Sicherheit auf den Sieg rechnen kann. Geschieht das nicht, so ist ein Fehler gemacht worden (S. 127)". Daß Persien tatsächlich nach diesem Grundsatz gehandelt hat, zeigen die zehnjährigen gewaltigen Vor- bereitungen; wenn dabei nichts weiter herauskam als 20 000 Krieger und 400 Schiffe (Delbrück S. 103), so erinnert das doch bedenklich an das parturiunt montes. Diese Überlegung sollte eigentlich ge- nügen, um solche Versuche, wie den Delbrücks, von vornherein unmöglich zu machen.

Also kommt es auf eine Verwertung der bei Herodot oder sonst aus dem Altertum überlieferten Zahlen heraus, wenn auch zunächst nicht viel Hoffnung dabei zu sein scheint; gibt doch Beloch (II 2, 71) zu, daß sich aus Herodot für die Stärke des griechischen Heeres so gut wie nichts ergäbe. Allein Obst (S. 62) hat mit Recht darauf hingewiesen, daß bei aller Mache in den Gesamtzahlen Herodot sich die Stärke der Einzelkontingente schwerlich aus den Fingern gesogen hat, und nur in einem wichtigen Punkt stimmt er mit Beloch überein, daß die Zahl der 5000 Spar- tiaten und 5000 Perioken von Herodot verderbt ist, daß es sich vielmehr nur um 5000 Lakedaimonier im ganzen gehandelt haben kann. Sein Hauptbeweis ist die von Her. IX 31 geschilderte Auf- stellung, wonach die Linie der Perser die der Lakedaimonier über- ragt habe ; allein die dabei zugrunde liegenden Voraussetzungen, daß die Zahl der Perser nur 10 000 betrug und daß sie ebenso tiefgestaffelt standen wie die Lakedaimonier, sind wenigstens aus Herodot nicht zu entnehmen. Aber auch sonst ist die Sache sehr zweifelhaft: sollte nicht die anerkannt größte Landmacht, die die fruchtbarsten Landschaften im Süden des Peloponnes mit rund 400 000 Einwohnern (Grundy) besaß, nicht in einem Augenblick höchster Xot 10 000 Schwerbewaffnete auf die Beine gebracht liaben , wenn das kleine Attika 8000 Hopliten stellte , eine Zahl, die Beloch für nicht oder doch nicht stark übertrieben erachtet

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 129

(II 2, 79)? Worauf beruhte denn die allgemein anerkannte Über- legenheit Spartas? Daß es bei Mantineia und im korinthischen Krieg viel weniger, nur bis zu 6000 Hopliten, ins Feld stellte, be- weist gar nichts 5 denn damals blieben die Heloten zu Haus und mit ihnen mindestens ein Drittel des spartanischen Heerbanns zu ihrer Bewachung. Und daß Sparta um 480 eine stärkere Be- völkerungszahl gehabt hat als 418 oder gar 394, ist keineswegs ein Zirkelschluß, wie Beloch meint (II 2, 75), der die schweren Ver- luste im messenischen und archidamischen Krieg gar nicht in An- schlag zu bringen scheint. Von dem Aufschwung nach den Perser- kriegen haben doch in erster Linie nur die handeltreibenden Staaten Nutzen gehabt ; ob die eigentlichen , Landwirtschaft treibenden Staaten des Peloponnes, abgesehen von Korinth und Sikyon, viel dabei gewannen, ist sehr zweifelhaft. Nun mögen die Einzelangaben bei den Kontingenten ja nicht genau sein, aber so viel ist doch sicher, auf reichlich 30 35 000 Hopliten kann man das Griechen- heer bei Plataiai ruhig veranschlagen. Auch mit den 35 000 Heloten wird es aus dem oben angeführten Grunde seine Richtigkeit haben; sie werden hauptsächlich als Leichte, als Packknechte und zur Deckung der Lebensmittelzüge verwandt worden sein. Die 36 300 Leichte Herodots beruhen allerdings auf durchsichtiger Berechnung (Beloch II 2, 75) und sind nicht zu verwerten; immerhin muß das griechische Heer nach niedrigster Schätzung aus 50000 Kämpfern bestanden haben, was schließlich (S. 78j auch Beloch zugibt.

Schwieriger ist es, eine bestimmte Anschauung über die Stärke der griechischen Flotte zu gewinnen. Von den beiden bei Herodot überlieferten Flottenlisten hat man gewöhnlich der von Artemision den Vorzug gegeben, aber ihr Hauptposten, die 127 athenischen Schiffe, kann nach Belochs Bemerkungen auf S. 66 nicht mehr als sicher gelten, und die Zahlenspielereien Obsts auf S. 70 74, wo er die Verluste bei Artemision mit den späteren Verstärkungen ins Gleichgewicht zu bringen sucht, sind nicht ge- eignet, die Zuverlässigkeit der herodoteischen Zahl zu erweisen. Die sicherste Angabe, die wir haben, bleibt immer noch die des Aeschj'los, der es wissen konnte: 310 Griechenschiffe bei Salamis. Abgerundet ist freilich auch diese Zahl (300 -f 10 l'xx^trot), und ebendeswegen ist es unrichtig, sie mit von Ktesias angegebenen 110 Schiffen für Athen zu verbinden , wie Beloch gern möchte (S. 66). Freilich sucht er dann eine geeignetere Begründung für diese Zahl zu geben, als das Zeugnis des Ktesias. Er rechnet, daß die Flotte zur Peisistratidenzeit in Übereinstimmung mit der Zahl der

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j^30 Thomas Lenschau.

Naukrarieu 50 Scliiffe stark gewesen sei, und nimmt an, daß seit dem Flottengesetz des Theniistokles höchstens 60 hinzugekommen sein könnten ; denn mehr als 20 Trieren jährlich habe auch Athen in der Blütezeit nicht gebaut (S. 66 f.). Nun mögen ja in der Tat zur Zeit, als die Flotte auf der Höhe stand, 20 Staatshellinge für den jährlich notwendigen Ersatz genügt haben; daß aber in einem Augenblick, wo die Flotte erst neu zu schaffen war, bedeutend stärkere Anstrengungen gemacht worden sind , ist kaum zu be- zweifeln. Und wenn die Korinther den Samiern ihre ersten Trieren bauten , warum sollen nicht damals athenische Schiffe auch auf korinthischen Werften in Bau gegeben sein:* Man braucht sich auf das Zeugnis des Aristoteles, daß die 100 Schiffe in der Seeschlacht mitgekämpft hätten, nicht zu berufen, denn er hat sich in der Ath. pol. recht häufig geirrt, aber innerlich unwahrscheinlich ist es doch keineswegs, daß die von Themistokles geforderten Schiffe auch tatsächlich noch vor Kriegsausbruch fertig geworden sind. Und ob die Flotte der Peisistratidenzeit nicht mittlerweile um 20 30 Einheiten gewachsen war, kann auch niemand wissen; der Seekrieg mit Aigina hatte den Athenern ihre Schwäche sehr fühlbar gemacht, und sie werden seit 488 sich stark bemüht haben, ihre Unterlegenheit auszugleichen. Alles in allem ist es also gar nicht so unwahrscheinlich, daß Athen bei Artemision über 180 Schiffe verfügte, aber die Verluste waren schwer, und wieviel bei Salamis teilnahmen, ist nicht mehr zu errechnen. Daß Herodot 180 gibt, sagt nichts : er hat offenbar den Effektivbestand angenommen, ohne an die Verluste zu denken. Übrigens ist es ganz intei-essant, daß alle beteiligten Forscher (Beloch, Obst, Tarn) den Verlust von Artemision auf 70 Schiffe berechnen: zieht man diese von der ursprünglichen Zahl ab, so stimmt das Ergebnis zu Ktesias und vielleicht auch zu Aeschylos. Genaueres läßt sich nicht sagen ; vielleicht ist die Flotte am Artemision noch etwas schwächer ge- wesen. Der Mißerfolg dort hat Themistokles sicher bewogen, alles, was irgend möglich war, zum Ausgleich heranzuziehen : nur Aigina hat einen Teil seiner Flotte bei der Stadt liegen gehabt, um eine persische Streife wenigstens solange abwehren zu können, bis Hilfe von Salamis da war. Alles zusammengenommen, haben die Griechen also rund 60 000 Mann und S50 Schiffe ins Feld gestellt; dafür, daß eine Reihe der volkreichsten Staaten wie Argos, Boiotien, Thessalien abseits standen, eine sehr achtbare Leistung.

Wie stand es nun mit den persischen Streitkräften? Daß die Liste, die Her. gibt, auf gutem Material beruht, wird von

Bericht über griechische Geschichte (1907 1914). 131

den meisten anerkannt; nur Jacob}^ (S. 451) läßt die Möglichkeit offen, daß ea sich hier um eine geographische Quelle handle, die von Her. erst zur Amieeliste umfrisiert sei. In dem Falle würde natürlich wenig Verlaß auf sie sein, insbesondere würden Obsts interessante Vermutungen über die Satrapieen- und Militäreinteilung, die nach ihm nicht die gleiche ist, gänzlich in der Luft hängen. Wie dem auch sei, die Namen der Cfenerale, die Herodot gibt, kann er nur aus einer besonderen persischen Quelle hinzugefügt haben. Grade sie aber liegen der bisher wahrscheinlichsten Stärke- berechnung von J. A. Munro zugrunde: wenn man sie nicht, wie Herodot, als Befehlshaber von je 100 000 Mann, sondern als Myri- arehen faßt, so erhält man als Gesamtzahl des Landheeres 300 000 Mann, natürlich beim Auszug aus Sardes. Dies ist nun keineswegs so unglaublich , wie es gewöhnlich hingestellt wird, und vor allem ist es selbstverständlich, daß die Zahl, die Xerxes schließlich vor den Thermopylen zum Schlagen brachte, kaum mehr als 100 000 Mann betrug. Auch die große Armee, die in einer Stärke von über 400 000 Mann den Njemen überschritt, zählte bei Borodino nur noch 130000 Streiter (Fournier, Napoleon I. III 54. 72); alles andre war durch Detachierungen, Besatzungen, Abgang durch Krankheit usw. allmählich verkrümelt worden. Daß X. mindestens einen ebenso starken Abgang zu verzeichnen hatte, ist bei der Länge der Rückzugstraße und der Wildheit der thrakischen Bergvölker, von denen Mardonius ein Lied zu singen wußte, ganz natürlich: besonders die Etappen müssen sehr große Truppenmassen gebunden haben. An den Thermopylen traten starke Verluste ein obwohl die 20 000 Mann Herodots natürlich unsinnig sind (Beloch a. a. 0.) , aber diese wurden durch die Kontingente der unterworfenen Griechen mehr als ausgeglichen. Ob Xerxes, wie Obst S. 77 meint, einen wesentlichen Teil des Heeres mit nach Asien zurückgenommen hat, ist mindestens zweifelhaft (Beloch II, 2, 73 f.), und so kann Mar- donios bei Plataiai immer noch 70 80 000 Mann in Händen gehabt haben, natürlich nicht alles Kerntruppen.

Für die persische Flotte haben wir allerhand Zahlen, die an Genauigkeit nichts zu wünschen übrig lassen: 1000 Schiffe nennt Aeschylos und ebenso Ktesias (23. 26) ; ob die von Aeschylos außerdem noch genannten 207 besonders schnellen in seine Zahl einzurechnen sind, ist eine alte Streitfrage, die schon Herodot im bejahenden Sinne beantwortet hat, da er die Zahl auf 1207 angibt (Her. VII, 89j. Woher sie stammt, darüber hat Beloch eine sehr ansprechende Vermutung (II 2, 68, ähnlich auch Obst S. 91): er

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132 Thomas Lenschau.

meint, dies sei die Zahl, die iu den älteren Homertexten für Agamemnons Flotte angegeben sei ; in i;nsrer Vulgata beträgt die Zahl nur 118G. Irgendwelche Gewähr hat sie nicht (trotz Macan II 150, III 85); daß sie zu hoch ist, ergibt sich aus der Natur der Sache und aus der Mühe, die Herodot hat, um diese Zahl all- mählich auf das richtige Maß zurückzuführen, das denn bei Arte- mision und Salamis mitgekämpft hat. Um wirklich brauchbare Zahlen zu erhalten, geht Tarn von der Zahl 600 aus, die öfters bei persischen Flotten genannt wird. An Unterabteilungen nennt Her. ein phönikisches, ein ägyptisches, ein ionisch-karisches Geschwader; dazu fügt Tarn aus eigenem ein kilikisch-lykisch-pamphylisches und ein aeolisch-hellespontisches, jedes dieser fünf Geschwader umfaßte 120 Schüfe. Sodann vermutet er sehr hübsch, daß der eigentliche Admiral des phönikischen Geschwaders Xerxes selber gewesen sei ; die andern vier Admiralsnamen (Her. VII 97) verteilt er aber nicht auf die vier übrigen Geschwader, sondern nimmt an, das aeolisch- hellespontische sei erst kurz vor dem Seesturm zur Flotte gestoßen und in diesem völlig vernichtet worden. So kommt er füi' Arte- mision auf 450, für Salamis auf etwa 380 Schiffe; da aber hier nach Diodor XI 17 die Ägypter noch die Umgehung um Salamis herum ausführen mußten, so waren nach Tarn die Perser in der Schlacht sogar in der Minderzahl. Abgesehen von dieser letzten Behauptung kann man sich mit den Zahlen Tarns ganz wohl ein- verstanden erklären, wobei man sich freilich nicht verhehlen darf, daß der Weg, auf dem sie gewonnen sind, lediglich mit Vermutungen gepflastert ist. Obst (S. 91) hält 700 für die ursprüngliche Zahl, die durch den Seesturm auf 300 zusammenschmolz ; um 600 herum bewegen sich auch die übrigen Schätzungen (Beloch II 2, 70).

Von den einzelnen Vorgängen auf dem Xerxeszuge hat zunächst Sal. Reinach die bekannte Geißelung des Helles jjonts besprochen : in dem Hineinwerfen der Fesseln erkennt er wie in der Geschichte mit dem Ring des Polykrates und dem bekannten jährlichen Akt des venezianischen Dogen das S_^Tiibol der Vermählung mit dem Meere. Ob auch die Geißelung zu diesen symbolischen Gebräuchen gehört, hat er leider nicht verraten, und doch ist gi-ade sie , wie Perdrizet betont , der eigentlich wichtige und primäre Vorgang. Wahrscheinlich handelt es sich um einen persischen Ritus, den wir ebensowenig verstehen wie seinerzeit die Griechen ; indem sie annahmen, Xerxes habe in seinem Hochmut das Element wie einen unbotmäßigen Sklaven behandelt, fügten sie die Fesselung, vielleicht im Hinblick auf Dichterstellen wie Aesch. Pers. 744 ff.,

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wo die Brücken als Fesseln des freien Meeres bezeichnet werden, und die in diesem Falle ganz unsinnige Brandmarkung zur Ausmalung des Vorganges hinzu (S. 361 ff.). Dagegen haben wir es beim Athoskanal, wie Struck erwiesen hat, mit einer geschicht- lichen Tatsache zu tun , über die nur in den Reiseberichten die merkwürdigsten Schwankungen vorkommen. Doch unterhegt es keinem Zweifel, daß der Kanal gebaut (Kartenskizze und Längen- profil bei Struck) und auch wirklich von der persischen Flotte be- fahren ist. Was sodann die Zeitverhältnisse betrifft, so erscheint zunächst die Doppelschlacht bei Artemision-Thermopylai durch Herodot hinlänglich festgelegt: sie fand gleichzeitig mit den Olympien und Karneen, also spätestens Ende Juli statt (Beloch II 2, 48), und etwa Mitte August mag Xerxes in Attika eingerückt sein. Der Versuch von Obst, die Schlacht auf Mitte September zu verlegen, scheitert an den in Herodots Darstellung eingestreuten gelegentlichen Zeitangaben: nach VIII 12 fand der Auszug nach den Thermopylen um /uioov O-egog statt, und Mardonios Einrücken in Attika, das auch Obst in den Juni 479 verlegt, fand 10 Monate nach Xerxes Einnahme statt (Her. IX 3). Nicht ganz klar ist da- gegen das zeitliche Verhältnis in der Doppelschlacht selber. Her. betont mehrfach, daß beide Kämpfe gleichzeitig stattfanden; das streitet aber mit seiner Aufzählung der einzelnen Tage in den Heer- und Flottenaktionen, insofern die der Flotte um zwei Tage zu kurz sind. Das hat Beloch (II 249) auf den Gedanken gebracht, daß X. den Ausgang der Seeschlacht abgewartet und erst nachher die Land- operationen begonnen habe. An sich wäre das das Naturgemäße und würde auch dem allgemeinen persischen Kriegsplan entsprechen, wonach die Flotte nur dazu da war, die Operationen des Landheers vorzubereiten und zu unterstützen , aber es streitet mit der ganz klar und energisch ausgesprochenen Gleichzeitigkeit der Ereignisse. Hält man an dieser fest, so bleiben nur zwei Möglichkeiten übrig : entweder man nimmt an, daß in der Aufzählung der Flottenaktionen zwei Tage ausgefallen sind, die auf Ausbesserung der Sturmschäden verwandt wurden, oder man sucht bei den Landoperationen zwei Tage einzusparen, wie dies Obst getan hat (S. 108), indem er, entgegen dem ausdrücklichen Zeugnis Herodots (VII 210), die Schlacht schon am dritten Tage beginnen läßt und den zweiten Kampftag ganz unterdrückt. Da dies unmöglich erscheint, so bleibt nur für die beiden erstgenannten Ansichten Raum. Ist die von Beloch richtig, so trifft allerdings Leonidas der Vorwurf, daß er seine Spartaner nutzlos opferte, da er nach der Niederlage zur See,

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die seine Stellung unhaltbar machte, mit den übrigen Bundes- genossen hätte abziehen müssen (Beloch II 2, 104 ff.). Bei der zweiten Ansicht ist es grade Leonidas' Ausharren, das am Mittag des letzten Schlachttages noch die entscheidende Aktion zur See erzwang, die von vornherein von der obersten Heei'esleitung der Gi'iechen beabsichtigt war. Ob Beloch Recht hat, wenn er be- hauptet, Leonidas habe ursprünglich auch abziehen wollen, sei aber durch die Umgehung der Perser überrascht und festgehalten worden, bleibt eine offene Frage ; jedenfalls das ist unzweifelhaft, daß die Spartaner die Stellung halten wollten und dem Könige dazu durch- aus genügende Streitkräfte zur Verfügung stellten : auch nach Obsts (S. 9) vorsichtiger Schätzung hatte Leonidas mindestens 7500 Mann unter seinem Befehl,

Die Schlacht bei Salamis ist am 22. Sept. geschlagen worden: Busolts Ansicht, wonach sie auf den 27. oder 28. fällt, hat Obst S. 166 m. E. mit Glück bekämpft; Zinns Verteidigung fällt da- gegen nicht ins Gewicht (S, 54). Wenn also Xerxes schon seit Mitte August in Attika war, so hat er reichlich einen Monat mit dem Angriff gewartet, doch wohl, weil die Stellung bei Salamis schwer angreifbar erschien, und er abwarten wollte, ob die Griechen sie nicht von selber aufgaben. Diese Möglichkeit wird im Griechen- lager öfter erörtert sein, wie Herodots ausführlicher Bericht über diese Verhandlungen zeigt. Daß sie allerdings alle am Vorabend der Schlacht stattfanden, wie Herodot erzählt, ist an sich unmöglich, wie Obst S. 137 ganz richtig auseinandersetzt, aber das liegt nur daran, daß Her., um die Erzählung dramatisch zuzuspitzen, Salamis unmittelbar an Ai'temision heranrückt, worin ihm Obst nicht folgen durfte. Wenn nun Xerxes sich nach so langem Zögern schließlich doch zum Angriff entschloß, so muß allerdings, wie Beloch (II 2, 118 ff.) ausführt, der Hauptgrund der gewesen sein, daß der Winter herannahte und der König die Schlacht erzwingen mußte, wenn er nicht einfach den Feldzug abbrechen wollte. Die Überlieferung läßt ihn freilich zu diesem Entschluß auf Grund von Themistokles' Botschaft kommen, aber diese Anekdote erweist sich bei näherer Betrachtung als ungeschichtlich, obwohl sie unmittelbar nach den Ereignissen auftaucht: Aeschylos hat an sie geglaubt. Aber Thu- k}-dides tat es nicht, denn daß di6 d7C0XC0Qr^aig bei Thuc. I 137, 2 sich nicht auf die angebliche Fluchtbereitschaft der Griechen, sondern auf Xerxes Abmarsch bezieht, hat m, E. Obst S, 166 168 schlagend erwiesen. Außerdem hat noch niemand genau zu sagen gewußt, was die Botschaft enthielt, denn daß der bei Aeschylos

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gegebene AVortlaut grade die gegenteilige Wirkung auf Xei'xes hervorbringen mußte, hat Beloch (II 2, 119) richtig ausgeführt. Die UnWahrscheinlichkeit der Sache ist auch schon im Altertum bemerkt worden und hat zu mancherlei Umbildungen geführt, wie Obst nach Delbrück zeigt (S. 139 141); sie wird denn auch, ebenso wie die zweite Botschaft nach Salamis jetzt allgemein ab- gelehnt (Beloch II 2, 148, Gercke S. 624 f.). Xerxes mögen zu seiner Rückreise sclilechte Nachrichten aus Bab^-lon bewogen haben, wie dies schon Lehmann-Haupt vermutet hat.

Was nun den Verlauf der Schlacht betrifft, so stimmen die meisten Neueren, sowohl Historiker wie Techniker (s. d. Zu- sammenstellung bei Zinn S. 34), darin überein, daß die Perser in den Sund \on Salamis eingedrungen sind und daß die Schlacht im Sunde ausgefochten ist: die Gründe dafür hat Beloch II 2, 107 einleuchtend auseinandergesetzt. Zugleich hat er der alten Ansicht, die die Schlacht sich vor dem südlichen Ausgang des Sundes ab- spielen läßt, die Hauptstütze dadurch entzogen, daß er Psyttaleia nicht, wie bisher allgemein geschehen ist, mit der vor dem Süd- eingang des Sundes gelegenen Insel Lipsokutali gleicht , sondern mit dem kleinen Eiland Hagios Georgios, das an der engsten Stelle des Sundes belegen ist. Er stützt sich dabei auf die Beschreibung des Sundes bei Strabo ; so viel jedoch hat die Erörterung der Frage ergeben, in die außer Beloch noch Rhediades, Judeich, Kallenberg, Lehmann-Haupt (S. 111) und Zinn (S. 22 ff.) eingegriffen haben , daß aus den geographischen Angaben, die aus dem Altertum überliefert sind, eine sichere Entscheidung nicht zu gewinnen ist und diese vielmehr aus dem allgemeinen Verlauf der Schlacht hergeleitet werden muß. Da ist nun vor allem an dem schon vorher gewonnenen Ergebnis festzuhalten , daß Xerxes die Schlacht erzwingen und die Griechen aus ihi-er Stellung heraus- manövrieren wollte, und dazu sollte zunächst das Eindringen seiner Flotte in den Sund dienen. Für den Fall aber, daß die Griechen in der Bai von Ambelaki liegen bleiben sollten, bereitete er und es ist Belochs Verdienst, dies erkannt zu haben einen gewalt- samen Übergang nach Salamis vor. Dazu sollte ihm die Besetzung von Hagios Georgios -Psyttaleia dienen. Spätere erzählen sogar, er habe hier an der engsten Stelle einen Damm ins Auge gefaßt. Die so ihrer Basis beraubte Griechenflotte hätte alsdann unmittelbar an der persischen Flotte vorbei zum Nordeingang oder Südeingang aus- bi-echen müssen, was nicht ohne schw^ere Verluste abgegangen wäre : im ersten Falle wäre sie auch noch dem Umgehungsgeschwader in

13(5 Thomas Lenschau.

den Rachen gelaufen. Dazu kam es denn freilich nicht, da sich die Griechen zum Kampf entschlossen. In ihm stand die Perser- flotte, Front nach S.O., etwa von der Trapezonabucht quer über den Sund bis Hagios Georgios ; hier an der engsten Stelle, hinter der Front der Phönikier, war Xerxes Thron errichtet, von dem er der Schlacht zusah. Ihr gegenüber fuhren die Griechen, zuerst der rechte Flügel (Aeschylos), wahrscheinlich mit den Aigineten an der Spitze, aus der Bucht von Ambelaki heraus, an der Spitze der K3-nosura auf, worauf die übrigen sich seitlich nach und nach an- schlössen, zuletzt die Athener, die also den Phöniziern gegenüber zu stehen kamen: nach Beloch lag Hagios Georgios -Psyttaleia zwischen beiden. Der Versuch von Adams, die Sache umzudrehen und die Athener den Persern gegenüber auf den rechten Flügel zu stellen, scheitert an den ausdrücklichen Zeugnissen. Der Erfolg der Griechen beruhte nun auf einem doppelten Manöver : einerseits gelang es den Athenern, die Phönizier zu überflügeln und in Ver- wiri'ung zu bringen, wobei natürlich H. Georgios-Psyttaleia umringt und erstürmt ward , denn daß es sich hierbei um eine speziell athenische Waffentat handelte, zeigt die Hervorhebung bei Aesch. und Herodot. Während aber sie den rechten phönizischen Flügel aufrollten, hatten mittlerweile die Aigineten den linken Flügel eben- falls umfaßt oder durchbrochen und den Südeingang des Sundes besetzt, durch den die geschlagenen Perser jetzt hindurchdrängten: hier muß jenes furchtbare Durcheinander entstanden sein, das Aesch. und Her. so anschaulich schildern. Die Schlacht begann am frühen Morgen nach Aeschylos : die Angabe bei Plutarch, Themistokles habe erst das Eintreten des Seewindes abgewartet, weil dieser der Perserflotte gefährlich werden mußte , erscheint sachlich unbrauchbar. Denn einmal setzt (nach den engl. Pilot- büchernj im Sunde der Seewind mit genügender Stärke erst um 11 Uhr ein, andrerseits lagen die schweren hochbordigen persischen Schiffe im stärkeren Seegang viel sicher als die kleineren tief- liegenden Griechenfahrzeuge wie das der Ausgang von Coronel noch in unsem Tagen wieder gezeigt hat.

Eine ganz abweichende Meinung über den Verlauf der Schlacht hat G. Zinn aufgestellt, indem er der Ansicht Ausdruck gibt, daß die Griechenflotte nicht in der Bai von Ambelaki am Strande gelegen haben könne, weil dazu der Strand in keiner Weise ausreiche. Das ist richtig, aber es beweist nur, daß eben ein großer Teil der Schiffe in der Bucht vor Anker lag, was sie ohnehin mußten, um in steter Bereitschaft zu sein, da bei der Nähe der Perserflotte immer mit

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einem plötzlichen Überfall zu rechnen war. Auch dann reicht die Bucht nur eben hin , und eben deshalb ist es , nebenbei gesagt, unbedacht von Obst (S. 146) und Lehmann -Haupt (S. 111), sich Negris Ansicht von der Erhöhung des Wasserspiegels zu eigen zu machen: war er im Altertum auch nur um zwei Meter niedriger, so war damals ein Teil der jetzigen Bai von Ambelaki Festland und ein zweiter Teil so seicht, daß die Schiffe nicht mehr genügend Wasser unter dem Kiel gehabt hätten (dagegen Cayeux, Annales de Geogr. 1907, XVI 8. 80, und Beloch II 2, 113). Merk- würdigerweise hat Zinn diese Theorie, die seine Ansicht wesentlich unterstützt haben würde, beiseite gelassen; er kommt rein aus dem oben zurückgewiesenen Grunde zu der Ansicht, die Schlacht sei an einer ganz andern Stelle, im Norden von Salamis, geschlagen, wo die große Bucht mit ihrem ausgedehnten Strand reichlich Platz für das Hinaufziehen der Griechenschiffe bot. Aber dafür spricht nur Plutarchs Nachricht, daß Xerxes Sitz, von dem aus er der Schlacht zusah, auf den Keratabergen , d. h. auf der Grenze von Attika und Megara sich befunden habe: eine Notiz, die aber so völlig allein steht, daß mit ihr nichts anzufangen ist.

Nicht übereinstimmend sind die Nachrichten über die Unter- nehmungen der Perser gegen Delphi. Bekanntlich erzählt Her. VIII, 35 39 die Sache mit dem wunderbaren Ausgang nach delphischer Quelle ( Jacobj^ 459), während Ktesias (29, 26 b Müller) den Vorgang hinter die Schlacht von Plataiai verlegt und Mardonios dabei den Tod finden läßt, was er vielleicht aus der merkwürdigen und der herodotischen Erzählung im 8. Buch eigentlich wider- sprechenden Bemerkung des Mardonios Her. IX 42 herausgesponnen haben mag. Ganz eigentümlich aber ist, daß nun Ktesias noch von einer zweiten, und zwar erfolgreichen Unternehmung der Perser gegen Delphi weiß, die nach Salamis von dem Eunuchen Matakas ausgeführt ward. Indessen hat Reuß gezeigt, daß es sich hierbei um eine durch Photios' Nachlässigkeit entstandene Verwechslung des delphischen und des Branchidenheiligtums handelt, dessen Be- raubung durch Xerxes bei Strabo XVII p. 814 und sonst erwähnt wird. Allerdings setzt sich dadurch Ktesias in Widerspruch mit Herod. VI 19, und es geht nicht an, in diesem Falle, wie Reuß will, Ktesias aus sachlichen Erwägungen heraus, weil er am persischen Hofe bessere Kunde erhalten konnte, einfach den Vorzug zu geben. Der Widerspruch bleibt : mit wie weitgreifenden Erwägungen er zusammenhängt, habe ich im ersten Bericht (1904 Bd. 122, 186 ff.) auseinandergesetzt.

138 Thomas Lenscliau.

Für die Schlacht bei Plataiai hat zuerst Wrights im vorigen Bericht (Bd. 135 S. 106) erwähnte Quellenuntersuchung die Grundlage geschaffen ; wie es scheint , ohne ihn zu kennen , ist Jacob}' S. 463 ff. zu ähnlichen Ergebnissen gelangt, nur daß er neben dem spartanischen und athenischen auch noch einen tegea- tischen und einen persischen Bericht annimmt : dieser letztgenannte geht nach ihm wahrscheinlich auf die Familie des Artabazos zurück. Wright hat nun seine Quellenuntersuchung dadurch zu vervoll- ständigen gesucht, daß er für das Reitergefecht im Anfang, bei dem Masistios fällt, auf Aeschylos Glaukos Potnieus hingewiesen hat, der zu derselben Trilogie gehört wie die Perser und im benach- barten Potniai spielte: also abermals eine poetische Quelle, wie Choirilos von Samos und die Perser. Der Nachweis hat manches Bestechende , aber im entscheidenden Punkte versagt er : wenn wirklich ein Frevel des Masistios gegen das Heiligtum des Gottes vorlag, der dann durch das Wildwerden seines Schiachtrosses die Strafe an ihm vollzog, und w'enn Herodot dieser Erzählung folgte, dann müßte er doch den Unfall des Masistios auf das Eingreifen des Gottes zurückführen. Tatsächlich tut er das aber nicht, sondern das Wildwerden des Rosses ist die natürliche Folge seiner Ver- wundung. Demgegenüber hat Gardthausen den ganzen Vor- gang auf eine mündliche Erzählung von Lampon, dem Sohne des athenischen Führers Olympiodoros zurückgeführt. Da Her. bei der Gründung von Thurioi mit Lampon oft in Berührung gekommen sein muß, so ist die Möglichkeit nicht abzuweisen: dann würde auch das Stück zu der athenischen Quelle gehören , die Her. mit dem zugrunde gelegten spartanischen Schlachtbericht zusammen- gearbeitet hat.

Über den Verlauf der Schlacht ist insofern jetzt eine Einigung erzielt , als alle neuen Bearbeiter neben Grundy Winter, Delbrück, Obst und Beloch die erste Stellung der Griechen entweder rittlings oder etwas westlich der großen Straße Theben Athen, am Nordabhang des Kithäron, ansetzen : hier lagen Hysiai, das allgemein mit dem heutigen Kriekuki geglichen wird, und etwas östlich davon Erj'thrai. Die Abweichungen be- ginnen bei der zweiten Stellung, die Pausanias offenbar eingenommen hat. um Mardonios zum Kampf zu verlocken : sie muß also diesem gewisse in die Augen springende Vorteile und den Griechen ent- sprechende Nachteile geboten haben. Daher postiert Grundy das Griechenheer auf dem oberen Teil des Asoposhügels, und dasselbe tut Obst, indem er, um die Worte Herod. IX 31, wonach der

Bericht über griechische Geschichte (1907 1914). 139

linke Flügel am Asopos lagerte, halten zu können, den Abfluß der Apotripiquelle für den eigentlichen Asopos hält: eine ziemlich un- glaubliche Sache, ganz abgesehen davon, daß diese Stelle der Ab- sicht des Pausanias gar nicht entsprach, da auf dem Hügel selbst ein Eeiterangriff gar nicht möglieh ist. Winter läßt die Griechen südlich vom Asoposhügel mit dem linken Flügel in die sanft an- steigenden Vorberge hinein Stellung nehmen, wo freilich ein Reiter- auoriif möglich war. Aber in dieser Stellung; wäre das Griechenheer den Blicken der nördlich vom Asopos stehenden Perser durch den dazwischenliegenden Hügel völlig entzogen gewesen , was wenig wahrscheinlich ist. B e 1 o c h endlich nimmt die Stellung von der Straße Plataiai Theben, an der das Androkratesheiligtum lag, bis zur Gargaphiaquelle am Osthang des Asoposhügels an, wozu auch die Worte Her. IX 31 oItoi t/fV oiv TaxO^evzeg hrl xu) ^oionot eoxQaTOTzedeiovTO keinen Widerspruch bilden, sobald man, wie man muß, Tax'^tvreg mit stiI to) ^AaiOTto) verbindet und nicht „am A., sondern nach dem A. zu" übersetzt: vielleicht standen die Griechen mit etwas vorgenommenem linken Flügel. Aber ob das Androkrates- heihgtum unmittelbar an der Straße lag, ist aus Thuc. III 24, 1 2 i nicht zu erkennen, und überhaupt hat es Bedenken, den linken * athenischen Flügel bis hier zu erstrecken : dann war dieser ja direkt in der Ebene den Angriffen der Reiterei preisgegeben, was Pausanias doch vermeiden mußte. Somit ist hier noch keine Übereinstimmung erzielt : am einfachsten erscheint noch Grundys zweite Stellung, bei der dann freilich ein Stück des linken Flügels nach dem Asopos zu in die Ebene hineinragend zu denken ist : daß hier das Gelände für den Angriff des schweren Fußvolks besonders günstig ist, hat Caspari mit Recht angemerkt. Auf dem Marsch zur dritten Stellung griff dann Mardonios an. Diese lag nun zweifellos auf der Insel, d. h. im Quellgebiet der Oeroe, am Nordabhang des Kithairon, westlich von der ersten und näher nach Plataiai heran. Der Ab- marsch ist so zu denken, daß das Zentrum im Dunkel mit kleiner Abirrung nach Westen bis Plataiai gelangte , die Lakedaimonier kamen ebenfalls mit kleiner Abweichung nach rechts fast wieder bis Hysiai an den Moloeis , den stärksten Wasserlauf der ganzen Gegend nach dem Asopos (Kahrstedt), wo auch das Eleusinion ge- legen haben wird ; die Athener endlich müssen auf dem Marsch zur Insel etwas nordöstlich von Plataiai vom Feinde überrascht sein. So ungefähr Winter und B e 1 o c h , der nur darin abweicht, daß er die Athener in Plataiai auf ihrem Posten läßt, während das übrige Heer die Schwenkung ausführt. Aber dann wäre ja grade

140 Thomas Lenschau.

der gefährdetste Teil des Heeres an der alten Stelle geblieben, und der Angriff erfolgte doch nicht doi-t, sondern auf dem Wege nach der Insel zu. Als Schauplatz des Hauptkampfes kommt das Eleu- sinion in Beti-acht, das mit Hysiae und Erythrae die nordwestlich gerichtete Spitze eines gleichschenkligen Dreiecks bildete (Beloch II 2, 128); Grundys Gleichung mit der Kapelle des hl. Demetrios auf dem Langen Hügel , in der ihm Obst folgt , beruht nur auf dem Namen , was Beloch mit Recht als zu unsicher zurückweist. Daß in Herodots Bericht manches, wie der Stellungswechsel und die Geschichte von Amompharetos, auf athenischer Mache und Ver- drehung beruhen, ist klar, aber die zugrunde liegenden Vorgänge erraten zu wollen, ist zwecklos und unmöglich, und ebenso halte ich die RoUe, die Obst Artabazos in der Schlacht spielen läßt, für eine imötige Hilfskonstruktion.

Über die Kämpfe in Sizilien gibt Her. nur einen ganz kurzen Bericht, aus dem für den Gang der Schlacht von Himera nur wenig zu entnehmen ist; ausführlicher ist Timaios' Beschreibung bei Diodor, wo speziell sizilische Quellen herangezogen sein mögen. Mit ihm hat Pareti zwei Strategemata Polyaens vereinigt (I 27, 2. 28, 1) und daraus den Verlauf des Kampfes herzustellen gesucht (Stud. S. 139 ff.). Danach begann die Schlacht mit einem Angriff der Reiterei Gelons von Westen her auf das karthagische Schiffs- lager, dem unmittelbar darauf der Angriff des Hauptheeres unter Gelon auf das südlich von den Schiffen belegene Lager des kar- thagischen Fußvolks folgte : beide w^urden durch einen Ausfall Therons aus dem belagerten Himera unterstützt, der sich sowohl gegen die Schiffe wie auch gegen das karthagische Hauptlager richtete (S. 161). Die Ausführungen Paretis, die durch eine gute Karte unterstützt werden, machen einen durchaus wahrscheinlichen Eindruck : selbstverständlich erfahren auch bei ihm die Riesenzahlen des Timaios eine beträchtliche Verminderung, wonach auf beiden Seiten etwa je 40 000 Mann am Kampfe teilnahmen, und die Griechen den Karthagern an Reiterei zweifellos überlegen waren. Auch die Zeit der Schlacht hat Pareti m. E. richtiger bestimmt (s. o. S. 120). Über die einzelnen Probleme, die mit der Deinomenidenherrschaft zusammenhängen, sowie über die andern Dynastieen des Westens handelt ausführlich Beloch II 2, 162 177; nach ihm haben die Deinomeniden eine Art Samtherrschaft ausgeübt, bei der dem Ältesten die Oberherrschaft zufiel : ob es freilich Gelon war, bleibt zweifelhaft. Der zweite Bruder führte die Regierung in Gela, also erst Hieron, und nachdem dieser bei Gelons Tode zwischen 478

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Bericht über griechische Geschichte (1907 1914). 141

und 477 die Gesamtherrschaft übernommen hatte, der jüngste, Poly- zalos. Dieser erscheint auf der Inschrift des berühmten Wasen- lenkers von Delphi, die viel Staub aufgewirbelt hat. In dem Rest des Namens iXag erkannten v. Duhn und Washburn Arke- silas, andre Anaxilas, bis endlich Keramo pull o s nach genauerer Lesung die Reste zu Filag /.i^ aved^i]y.e avuaaojp ergänzte. Ihm haben sichBeloch und Frickenhaus angeschlossen, nur daß sie die Statue nicht für eine Weihung Gelons, die durch P. ausgeführt ward , sondern für ein Geschenk des Polyzalos selber erklären. Über die weiteren Schicksale des Westens bis zum peloponnesischen Krieg ist nicht viel Neues hinzugekommen : über die Zeit nach dem großen Krieg und die Übergriffe der Deinomeniden nach Italien spricht P a i s in einem Aufsatz über das Bündnis zwischen Rhegiou und Tarent aus dem Jahre 473/72 (S. 29 £f.) und ebenso über die Rolle, die Syrakus in Ischia spielte, das nach dem großen Siege Hierons über die Etrusker besetzt ward (S. 227 ff.). Die Münz- geschichte von Terina hat nach Regling in de Jonghe einen neuen Bearbeiter gefunden.

Kehren wir indes zum Mutterlande zurück. Die Fragen, die sich an Pausanias und Themistokles' Ausgang knüpfen, haben durch Beloch eine neue Beleuchtung gefunden: er hat jetzt nach Reuthers und Frl. Lanzanis Vorgang die von Thukydides in der Geschichte des Pausanias beigebrachten Dokumente für unecht er- klärt. Zunächst aus inneren Gründen, weil ihm Pausanias' Brief reichlich naiv erscheint: „es ist das grade so, als ob Theodore Roosevelt um die Hand der Tochter des Königs von England an- halten würde". Um zunächst beim Scherz zu bleiben: wenn statt des allerdings nicht sehi- anziehenden Mr. Wilson Theodor Roose- velt als Mann im blühendsten Alter den Schritt getan hätte, wer weiß, ob man das Anerbieten so glatt von der Hand gewiesen hätte? Auch Xerxes hat es nicht getan, wobei er freilich ja geglaubt haben mag, daß inzwischen noch viel Wasser den Berg hinablaufen würde, und sein Nachfolger Dareios Kodomannos hat Alexander seine Tochter sogar angeboten : war denn ein makedonischer König auch nach Issos so viel mehr als Pausanias der König v. Sparta und Bundesfeldherr der Hellenen nach Salamis und Plataiai? Schwerer wiegen die äußeren Gründe ; woher sollte Thukydides die Kunde gekommen sein, zumal des Briefes, von dem Pausanias doch keine Abschrift behalten haben wird? So kommt B. auf die Vermutung, die beiden Aktenstücke seien von den Ephoren gefälscht, um den tieiden Verhaßten, Pausanias und Themistokles, den Prozeß zu

142

Thomas Lenschau.

anacben. Die Möglichkeit ist nicht abzustreiten und man braucht ja nicht an eine Veröffentlichung des Materials zu denken; den Ephoren genügte es sicher, wenn sie den gefährlichen Mann aus dem Wege räumten, und den Toten, der nicht mehr schaden konnte, haben sie bald in alle Ehren wieder eingesetzt. Indes, wie mau die Sache auch drehen mag, eins bleibt mißlich, und Beloch hat das auch gefühlt (S. 156); wenn wirklich nichts vorlag, wie kam der König dazu, Gongylos v. Eretria den Mund zu stopfen? Ein persisches Fürstentum ist schließlich kein Pappenstiel, und was dem spartanischen König Damaratos oder dem großen Themistokles recht war, das war einem namenlosen Eretrier noch lange nicht billig. Also hat Gongylos etwas gewußt, und der König, der sein Geld sonst nicht aus dem Fenster warf, hat sein Schweigen er- kauft; ob auch das seiner Nachkommen, bleibt angesichts der Aktenstücke des Thukydides zweifelhaft.

Etwas anders liegt die Sache bei Themistokles. Daß sich an ihn, wie an jeden Nationalhelden, allerlei Erzählungen anknüpfen und daß diese 'Themistoklesanekdoten' unsre Überlieferung wesent- lich beeinflußt haben (Gercke a. a. 0. und Beloch II 2, 147ff. ), wird niemand leugnen, und daß die Botschaften bei Salamis dazu gehören, trotzdem Aeschylus die erste und Thukydides die zweite konnte , wird man auch zugeben : die Legendenbildung arbeitet schneller als man glaubt. Wie aber steht es mit der Geschichte vom Mauerbau? Daß die sog. themistokleische Mauer am Dipylon nicht die richtige ist, sondern daß deren Reste unter den bisher dafür gehaltenen liegen , hat N o a c k gezeigt ; aber der Befund stimmt mit Thukydides' Angaben über den Bau durchaus überein. Dennoch wird kaum jemand die ausführliche Besprechung bei Beloch S. 149 ff. lesen, ohne in seinem Glauben wankend zu werden. Schließlich ist der Mauerbau eine Nebensache, die Hauptfrage bleibt die : woran lag es, daß Them., der 480 noch mit den spartanischen Behörden ein Herz und eine Seele war, unmittelbar nachher zu ihnen in ein gegensätzliches Verhältnis trat? In unsrer Überlieferung ist der Mauerbau der Anlaß, oder zeigt sich das Zerwürfnis schon in seinem Rücktritt nach Salamis? Daß dieser freiwillig war, hat Beloch S. 145 betont, im Gegensatz zu Meyer und den Früheren, die einen Umschwung der athenischen Politik annehmen. Die Sache bleibt bis auf weiteres dunkel, aber freilich haben Belochs Ausführungen die Glaubwürdigkeit der Geschichte vom Mauerbau ziemlich erschüttert.

Die Chronologie der Pentekontaetie ist ein seit vielen

Bericht über griechisclie Geschichte (1907^1914). 143

Jahren beackertes Feld: auch Beloch hat sie noch einmal einer genauen Untersuchung unterzogen und, wie mir scheint, manches richtiger bestimmt, als es bisher geschehen ist (II 2, 178 212). Angelpunkt der Chronologie für die Frühzeit ist Justins Angabe, daß Pausanias sieben Jahre lang B3'zanz inne gehabt habe : rechnet man diese vom Jahr der Einnahme 478/7, so kommt man auf 471/0 als Jahr seiner Rückberufung. Sein Tod wird etwas später erfolgt sein, etwa 469, da er ja noch längere Zeit in Kleonai gelebt hat und in Sparta Zeit hatte, die Heloten aufzuwiegeln. Damit stimmt der Ostrakismos des Themistokles, den B. auf 471/0 mit Diodor ansetzt. Auf dieselbe Zeit kommt aus andern Gründen Cavaignac (Histoire de l'ostr. p. 199); jedenfalls war bei der Aufführung der Perser 472 Themistokles noch in Athen. In das Jahr der Ver- bannung fallen nun auch die Selbständigkeitsbestrebungen von Elis und die darauffolgenden Unruhen im Peloponnes : alle diese Dinge scheinen in einem gewissen Zusammenhang zu stehen. Ob freilich, wie de Sanctis gemeint hat, auch die Eurymedonschlacht, die er 470/69 ansetzt, in diesen Zusammenhang gehört und einen Versuch des Königs darstellt, Spartas Verlegenheit zu benutzen, muß dahin- gestellt bleiben ; unmöglich ist es nicht, dann wäre dieser Versuch durch Athens Eingreifen vereitelt und Kimon hätte damit Sparta den ersten großen Dienst erwiesen. Nach der Niederwerfung der peloponnesischen Wirren bei Tegea und Dipaia ist dann Themistokles' Stellung in Ai'gos unhaltbar geworden, er mußte fliehen und ge- langte unmittelbar nach der Thronbesteigung des Artaxerxes an dessen Hof 464/3. Stimmt das, so kann die Lesart Nätov bei Thuc. 1. 137. 2 nicht richtig sein; entweder man ändert mit der Seitenstettener Hdschr. &aoov, was sehr wahrscheinlich ist, wenn Themistokles ebenso, wie seiner Zeit Xerxes, von Abdera aus die Überfahrt machte, oder man muß die Angabe des Thuk. überhaupt für unbrauchbar erklären, wie Beloch S. 184 tut. Sicher aber fällt dann Laotychidas' Zug nach Thessalien in die siebziger Jahre, bald nach 477 (Diodor 476/5), da nach 469/8, in den "Wirren des Pelo- ponnes, Sparta sich auf nichts einlassen konnte, und L. ist nicht sofort, sondern gleichzeitig mit Pausanias gestürzt, in dessen Prozeß er vei'wickelt war. Die Aufstände von Karystos und Naxos sind dann vor 470 anzusetzen.

Für die Folgezeit bilden die Ansetzung des Heloten- aufstandes und die ägyptische Expedition die Hauptschwierig- keiten. Den Anfang des Aufstandes setzt Diodor 469/8, wobei er so ziemlich den ganzen Verlauf erzählt (Diod. XI 63, 4 ff.), das

244 Thomas Lenschau.

Ende steht unter 456/5 hinter dem Zug des Tolmides , wo die Ansiedlung der vertriebenen Messenier in Naupaktos erwälmt wird (Diod. XI 84, 8). Bei och (S. 194) vernachlässigt beide Angaben und geht von der Notiz des Thuk. aus, daß die Lakedaimonier wegen des Aufstandes und des Erdbebens den abtrünnigen Thasiern die versprochene Hilfe nicht leisten konnten (101, 2). Da nun der thasische Aufstand etwa 466 begonnen hat, so fällt das Erdbeben, welches die Hilfe vereitelte, wahrscheinlich 464. Andrerseits ist Kimons Hilfszug mit ziemlicher Sicherheit auf 462/1 anzusetzen, also müßte sich Ithome , wenn Diod. mit seiner Ansetzung des Endes auf 456/5 recht hätte, noch fünf bis sechs Jahre gehalten haben , was B. mit Recht für unmöglich erklärt. Auch erwähnt Thuk. Ithomes Fall ziemlich ini Anschluß an Kimons Verbannung, so daß B. geneigt ist, das Ende des Aufstandes in 460/59 zu setzen: das Auskunftsmittel jedoch, Thuc. 1. 103, 1 Öe/mtoj in lercäqTOj zu ändern, verwirft er ausdrücklich, glaubt vielmehr an eine Gedanken- losigkeit des Schriftstellers. Aber man kann die Sache auch anders ansehen. An sich ist das von Diodor gegebene Anfangsjahr 469/8 ganz glaublich , sofern die kurz vorher erfolgte Verurteilung des Pausanias die Heloten zum Aufstand trieb. Doch scheint dieser zunächst lokaler Natur gewesen zu sein, so daß die Lakedaimonier den Thasiern die Hilfe versprachen: erst das Erdbeben mit seinem starken Menschenverlust steigerte die Gefahr ins Ungeheure. Als sich dann der Krieg in die Länge zog, riefen die SjDartaner 462 Kimon zu Hilfe , dessen Abzug noch im selben Jahre erfolgte. Dann mag sich der Fall Ithomes tatsächlich noch bis ins 10. Jahr, 459/8, hingezogen haben; jedenfalls haben 457 die Spartaner wieder freie Hand gehabt, da sie mit bedeutender Heeresmacht in Mittel- griechenland erscheinen. Diodors zweites Datum geht auf die An- siedlung in Naupaktos, wo seine Quelle rückgreifend noch einmal auf die messenischen Dinge einging; tatsächlich mögen die letzten Funken des Aufstandes auch erst nach 459/8 ausgetreten sein. Dazu stimmt die Reihenfolge des Thukydides : Ithomes Fall ist in Parenthese berichtet, so daß das Bündnis mit Megara ganz gut noch 462/1 und ebenso zwar nicht der Ausbruch des ägyptischen Auf- standes (104, 1), wohl aber die athenische Hilfeleistung in dasselbe Jahr gehören kann. Die Belagerung von Leukonteichos, die sich länger hinzog, leitet dann zu den Ereignissen von c. 105 hinüber, die, wie Beloch hervorhebt, sicher ins Frühjahr 458 gehören.

Mit dem ägyptischen Aufstand liegt die Sache so: Diodor erzählt den Beginn 463/2 (c. 71, 3), die athenische Einmischung

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 145

unter Konon 462/1 (c. 74, :3), das Ende 460/59 unter Phrasikleides (c. 76, 1 ff.). Die beiden ersten Daten nimmt B. an; daß der Aus- bruch mit dem Regierungswechsel zusammenhing und die Hilfe- leistung Kimons Werk war, ist ganz glaublich. Dagegen ist das dritte Datum erweislich falsch, da nach der Totenliste IG I 433, die nach B. ins Jahr 458 fällt Krüger setzt die Inschr. Diodor zuliebe 460/59, Busolt und Dittenherger ins Folgejahr , noch in Ägypten gekämpft ward. Nun erzählt Thuk. das Ende im Anschluß an den Zug des Tolmides, der 456 mit Diod. anzusetzen ist, und bemerkt, die ganze Unternehmung habe sechs Jahre gedauert (109. 110, 1), d. h. also von 462/1 456/5. Fiel also die Kapitulation 456 Frühjahr, so begann die Einschließung Spätsommer 458 (Thuc. I 109, 4), und Diodor hat, was er öfter macht, zu 460/59 gleich den ganzen Verlauf der Unternehmung erzählt, die sich tatsächlich bis 456 hinzog. Die mit der Katastrophe ursächlich in Zusammenhang stehende Verlegung des Bundesschatzes erfolgte dann im Laufe von 455, das Folgejahr 454'3 ist das Anfangsjahr der Abrechnungen (Bei. 200 204). Im übrigen sind wohl die Angaben über die Größe des ägj-ptischen Unternehmens übertrieben, indem man aus Thuc. I, 104, 2 schloß, die ganze Flotte bei Kypros sei zum Eingreifen ver- wandt worden (so schon Ephoros bei Diod. XI. 74. 3). Dagegen zeigt Caspari, daß es sich wohl nur um einen Bruchteil der Flotte gehandelt hat, was mit der Angabe des Thuk. wohl zu ver- einigen ist : Ktes. 14, 63 spricht nur von 40 Schiffen, und ein Ver- lust von 200 Trieren (etwa 30 40 000 Mann) müßte Athen ganz anders gelähmt haben. Immerhin spricht Thuc. 110, 8 von einer lneydXrj argareia. In den Folgejahren ist die Chronologie ein- facher : bemerkenswert ist, daß B. (S. 207) nach einer Vermutung Loewys die Schlacht von Oinoe, die in der Poikile dargestellt war, für die von Oinophyta hält, während Koepp an Roberts Ansatz festhält und die Darstellung des an sich unbedeutenden Treffens an so hervorragender Stelle als einen ersten Erfolg der perikleischen Politik erklärt. Der Waffenstillstand zwischen Athen und Sparta fällt nach B. 451, so daß also Kimon tatsächlich zehn Jahre, 462/1 bis 451/0, verbannt war, während C arc 0 pin 0 zwar im Ausgangs- punkt übereinstimmt, aber Kimon 457 zurückkommen läßt. Diodors Ansatz 454/3 (c. 86, 1) ist danach zu verwerfen, aber dies ist auch fast die einzige unbedingt zu verwerfende Zahl. Im ganzen haben Belochs Untersuchungen doch mit einer starken Rehabilitierung von Diodors Chronologie geendet.

Was die Politik der Einzelstaaten in diesem Zeitraum betrifft,

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 180 (1919. III). 10

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Thomas Lenschau.

so hat zunächst Fraucotte die Finanzverhältnisse des attischen Reichs einer genaueren Betrachtung unterzogen, die im wesentlichen auf Pedroiis Ergebnissen beruht, jetzt aber durch B e - lochs einschlägige Untersuchung in vielen Punkten überholt ist (II 2, 35(3 371). Von der ursprünglichen Bedeutung des Wortes q>6Qog ausgehend, hat Fr. die Ansicht ausgesprochen, daß die Schätzung in erster Linie auf der Größe und Ergiebigkeit des Landgebiets beruht habe , wobei allerdings auch noch andre Einnahmequellen berücksichtigt seien. Demgegenüber hat Beloch nachgewiesen, daß die Belastung keineswegs auf dem Bodenertrag beruhte und daß sie überhaupt äußerst ungleich war: während Euboia und die karischen Inseln einen verhältnismäßig geringen Tribut bezahlen, erscheinen die Kykladen und Thrakien sehr schwer belastet, bis dann 450 und bei der großen Erhöhung 425/4 ein gewisser Aus- gleich stattgefunden hat : vollständig gleichmäßig ward die Verteilung erst 413 durch die Einführung der ely-oairj, wenigstens im Prinzip. In der Erklärung der Tio^eig avral ja^d^ievai und der TtoXeig ag Ol löicÖTOL txaS.av hat Fr. wohl das Richtige gesehen, wenn er diese Schätzungen als vorläufige bezeichnet, die dann bei der nächsten Gelegenheit durch die offizielle Schätzung der rd/.iai ersetzt ward •, gegen ihre Entscheidung gab es Berufung bei der Heliaia , und in derartigen Prozessen sind nach Perdrizet der ^a(.ioÜ^Qa/.i'/.dg des Antiphon sowie die Reden tceql ylivöiiov cpogov und xara ylaio- 7rodiov um 424 gehalten. Die Höhe der Tribute schwankte stark ; zuweilen kann man noch den Grund erkennen, wie bei Thasos, das plötzlich 454/3 von 3* auf 30^ springt, offenbar weil es von Athen die Kontore an der thrakischen Goldküste zurückerhielt (Perdrizet in der Klio), in den meisten Fällen aber ist er für uns unfaßbar. Merkwürdig ist, daß die Tributsummen von 454/3 451/0 und 450/49 447/6, mit Ausnahme der ersten, alle unter Aristides Ansatz (460*) geblieben sind. Doch ist daraus kein Mißtrauen gegen Thu- kj'dides' Angabe abzuleiten ; wie Fr. zeigt, muß im wesentlichen der Bestand des Seebundes von Anfang an derselbe gewesen sein, und das Bundesgebiet hat nur nach der Eurymedonschlacht in Lykien und Pamphylien sowie durch Perikles' Pontosfahrt Erweiterungen erfahren , die aber finanziell nicht sehr ergiebig gewesen zu sein scheinen. Eine andre wichtige Seite der athenischen Politik gegenüber den Bundesgenossen lassen die Münzen erkennen, über die "Weil und Gardner gehandelt haben. Danach haben die Athener in ihrem Hoheitsgebiet überall ein Münzmonopol angestrebt und die selbständige Prägung der Einzelstaaten s^^stematisch unter-

Bericht über griechische Geschichte (1907 1914). 147

drückt , wo sie dazu imstande waren : erst nach dem Sturz des attischen Reiches beginnen eine ganze Reihe kleiner Orte , von denen Münzen aus den ersten Jahrzehnten des V. Jahrh. vorhanden sind, nach langem Zwischenraum wieder selbständig zu prägen. Im einzelnen läßt sich sogar genau der Zusammenhang mit den politischen Ereignissen erweisen: Aigina münzt nicht von 456 404, Euboia nicht von 446 411, die eigene Prägung von Samos hört um 440 auf, von da ab wird nach attischem Münzfuß geprägt; Pai'os und Siphnos erscheinen bis 450 nicht in den Tributlisten und haben eigene Münze, von 450 aber zahlen sie Tribut und die eigene Münze hört auf, lediglich Chios hat bis 330 ununterbrochen geprägt , weil es nie von Athen unterworfen worden ist (Gardner S. 159 ff.). Ahnliches läßt sich auch noch auf anderm Gebiet er- kennen: Weber hat in seiner Abhandlung über attisches Prozeß- recht gezeigt , wie manche Formen des attischen Prozesses in einzelnen Bandesstädten wiederkehren, während andre nur geringen Einfluß zeigen. Im allgemeinen wird man sagen dürfen, daß die zentralistischen Bestrebungen im attischen Reich stärker gewesen sind, als man gewöhnlich annimmt; sie waren noch nicht durch- geführt, als der Krieg ausbrach, der dem Reiche den Untergang brachte.

Im Gegensatz zu Athen zeigt die Politik Spartas in dieser ganzen Zeit einen merkwürdigen Wechsel zwischen plötzlichem imperialistischen Ausgreifen und vollkommenem Verzicht auf alle unmittelbar die Grenzen des Peloponnes überschreitenden Unter- nehmungen. Den Schlüssel dazu sieht Grundy (S. 212 ff.) zweifellos richtig in den inneren Verhältnissen Spartas, das in fortwährender Furcht vor einem Helotenaufstand schwebte. Ob das Verhältnis der herrschenden Klasse zur Helotie tatsächlich so ungünstig ge- wesen ist, wie Grundy es hinstellt (1 : 15), wird im letzten Kapitel zu untersuchen sein; aber auch bei bedeutend günstigeren Zahlen erklärt es sich, daß Sparta besonders nach den starken Verlusten im Erdbeben und im messenischen Kriege keine Möglichkeit mehr hatte , eine starke auswärtige Politik zu treiben : als es trotzdem durch die Verhältnisse gezwungen 404 damit begann, hat es nur seinen Sturz beschleunigt. Wenn es dennoch ab und zu sich nach langem Zögern zu einer energischen Politik aufgerafft hat, so ge- schah es entweder , weil es eine ungünstige Wirkung gemein- griechischer Verhältnisse auf seine eigene Politik befürchtete oder gedrängt von Korinth , dessen Interessen Berücksichtigung er- heischten und dessen Einwirkung ja auch schließlich der Ausbruch

10*

14:8 Thomas Leuschau.

des großen Krieges zuzuschreiben ist. Insofern aber Spartas große Männer wie Brasidas und Lysandros grade den Staat in auswärtige Abenteuer zu stürzen suchten , erscheinen die Ephoren als die eigentlichen Vertreter jener scheinbar engherzigen und kleinlichen, in Wirklichkeit aber durch die Verhältnisse gebotenen Politik, und insofern hat auch Dickins in gewissem Sinne recht, wenn er als Ursache der schwankenden Politik Spartas den Gegensatz zwischen den Ephoren und den bedeutenden Staatsmännern erkennt.

Sehr wechselvoll waren in diesem Zeitraum die Schicksale Boiotiens, über dessen Verfassung wir durch eine Stelle des Historikers von Oxyrhynchos neuen Aufschluß erhalten haben. Die Anfänge des Bundes gehen, wie Botsford und Swoboda zeigen, schon in eine sehr frühe Zeit hinauf: im sechsten Jahrhundert werden die Bundesmünzen mit dem ovalen Schild geprägt, von denen nur Orchomenos eine Ausnahme macht. Der Versuch, auch Plataiai zum Anschluß zu bewegen, mißlang, und im Kampf gegen Athen erlitten die Boioter Verluste, was die herrschende Oligarchie veranlaßte, im Perserkrieg auf die Seite des Landesfeindes zu treten. Nach der Schlacht von Plataiai ward der Bund aufgelöst, und die Frage ist nun, ob in Theben eine Demokratie (so Busolt, Meyer) oder eine gemäßigte Oligarchie ans Euder kam, wie Botsford und Swoboda meinen. Hauptstelle dafür ist Ps. Xen. respubl. Ath. III 11, wonach Athen 456 zugunsten der Oligarchen eingriff, danach sollte man annehmen, daß Sparta 457 eben zur Unterstützung der Demokraten einrückte, sowenig das auch sonst zu der Politik der Spartaner zu stimmen scheint. Der Sieg der Spartaner stärkte Theben, dessen Mauerring damals nach Diod. XI 81, 3 eine Er- weiterung erfuhr, offenbar zur Eingemeindung kleinerer Nachbarorte. Diese soll nun allerdings nach dem Histor. v. Oxyrh. 12, 3 erst im peloponnesischen Krieg eingetreten sein, allein Ed. Meyer (Theop. Hell. S. 98 f.) hat es wahrscheinlich gemacht, daß Erweiterung des Mauerrings und Eingemeindung zusammenhängen. Doch erfolgte die Neubegründung des Bundes erst nach dem Siege von Koroneia ; damals ward jene Verfassung eingerichtet, die bei Thuk. und im Hist. Oxyrh. erscheint. Allerdings scheinen zunächst gewisse Wider- sprüche vorhanden zu sein. Nach Thuk. wurden auswärtige An- gelegenheiten von den Boiotarchen den 4 Räten der Boioter, ai Ttav xo y.vQog i'yovaiv, vorgelegt; da es nun aber nach dem Hist. V. OxATh. in jeder Stadt vier Lokalräte gab und daneben einen Bundesrat in Theben, so kam die merkwürdige Sache heraus, daß die Bundessachen den Lokalräten vorgelegt wurden, was Meyer mit

Bericht über griechisclie Geschichte (1907—1914). 14.9

der Analogie der Verfassimg der Generalstaaten zu stützen suchte (Theop. Hell. S. 9:3). Allein mit Recht erklärte sich Goligher dagegen mit Rücksicht auf die außerordentliche Kompliziertheit des Geschäftsganges, bei dem dann außerdem der Bundesrat völlig aus- schied, so daß für ihn eigentlich gar keine Kompetenz übrig blieb. Den Widerspruch löste Glotz, indem er auch den Bundesrat ebenso wie den Lokalrat in 4 Abteilungen geteilt annahm ; dies eben sind die xioouQEq ßovlcd ziöp Boiojicov, die Thuk. an der genannten Stelle aufführt. Damit sind die wichtigsten Streitfragen erledigt; im einzelnen haben dann besonders Meyer, Bonner und Swoboda (Gr. Staatsalt. S. 249 ff.) die genauere Ausgestaltung des Bundes zu erfox'schen gesucht.

In die letzten Jahre vor dem peloponnesischen Krieg fallen die Schwierigkeiten , die Perikles von der Gegenpartei gemacht wurden und in den Prozessen gegen Anaxagoras, Aspasia und Pheidias gipfelten. Daß es sich bei A. nicht sowohl um seine physikalischen Forschungen , sondern um seine Spöttereien gegen die Religion handelte, die teilweise noch bei späteren Schrift- stellern wiederkehren, hat Geffcken auseinandergesetzt. Für den Pheidiasprozeß schien die Auffindung eines Genfer Papyrus von großer Bedeutung zu sein. Aber der Versuch des Herausgebers Nie o 1 e , aus den geringen Trümmern der Handschrift über den Gang des Prozesses und Pheidias' Schicksal Aufschluß zu gewinnen, konnte nicht zu haltbaren Ergebnissen führen. Insbesondere stieß seine Ansicht, es handle sich um ein Bruchstück der Chronik Apollodors , auf lebhaften Widerspruch ; daß sie sich dem Text gegenüber nur durch Umstellungen und ähnliche Willkürlichkeiten halten läßt, haben Pareti und Witkowski gezeigt. Übrigens setzt Beloch den Prozeß jetzt ins Jahr 432/1 (II 1, 296). Zum Kreise des JPerikles gehörte endlich noch Protagoras, über dessen Gesetzgebung in Thurioi Menzel gehandelt hat.

Viertes Kapitel.

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Die Forschungen über die Quellen des Zeitabschnitts von 431 3-38 haben sich naturgemäß in erster Linie an T hu kydide s angesetzt. Zwei ausführliche Werke von Cornford und Grundy befassen sich mit ihm; Bur}- hat ihm fast die Hälfte seines Buches gewidmet und dazu kommen noch eine Reihe von Einzelunter- suchungen, unter denen von Wilamowitz' Thukydidesstudien besonders hervorragen. Sofern es sich um die eigentliche Thu- kvdidesfrage handelt vgl. die zusammenfassenden Darstellungen von Bodin und Beloch II 2, 10 19 , scheiden diese Schriften hier aus ; sie gehören, da es sich um rein literarhistorische Dinge handelt, in den Jahresbericht über Thukydides. Als ihr Ergebnis kann man im wesentlichen ansehen, daß Thuk. zuerst die Geschichte des archidamischen Krieges gesondert herausgab (I 1 bis V 20), diese aber dann, als er den Gedanken der Einheit des ganzen Krieges faßte , zusammen mit der damals ebenfalls schon ausgearbeiteten Geschichte des sizihschen Krieges in seine neue Darstellung ein- arbeitete und sie daher mit mancherlei Zusätzen versah. Neu hinzu schrieb er den Rest von Buch V und Buch VIII. die daher alle Kennzeichen einer ersten, nicht endgültigen Niederschrift tragen: an der gleichmäßigen Durcharbeitung des Gesamtwerks ward er durch den Tod verhindert. So wichtig nun dies Ergebnis für die schriftstellerische Beurteilung des Geschichtsschreibers ist, so ist es doch für die Bewertung von Thukydides' Material von geringer Bedeutung : für den Historiker ist es viel wichtiger zu wissen, wie Thuk. zu seinem Material kam, wie er es behandelte und warum er zuweilen Dinge, die uns äußerst wichtig erscheinen, wie z. B. das megarische Psephisma und die Beziehungen Athens zum Westen, entweder völlig beiseite läßt oder nur ganz obenhin behandelt. Mit der Meyerschen Formel, daß Thuk. eben nur das historisch Wirk- same behandle, kommt man an solchen Stellen nicht aus, und so hat denn auch Cornford grade von Thuk. Darstellung der Ur- sachen des Krieges , in der diese Auslassungen am stärksten sich bemerkbar machen, seinen Ausgang genommen, um eine wesent- lich neue Erklärung zu geben. Er erkennt in der Erzählung von Pylos, teilweise im Gegensatz zu einzelnen stehengebliebenen Rede- wendungen, das deutliche Bestreben des Schriftstellers, den Erfolg Athens als ein W^erk der Tyche hinzustellen : dieser unerwartete Glückszufall aber führt die Hybris herbei, zuerst in Kleons Gestalt, dessen Schicksal als eine Art Vorahnung von Athens Geschick er- scheint. Athens Hybris tritt dann im Gespräch mit den Meliern zutage, das nur aus Gründen der Komposition eine so hervorragende

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 157

Stelle erhalten haben kann, da das Ereignis selbst, wenn auch ge- schichtlich, doch als solches viel zu unbedeutend ist, um den Auf- wand der Darstellung zu rechtfertigen. Mit Alkibiades' Eintreten für den sizilischen Feldzug setzt die Apate ein, der dann in der Katastrophe die Nemesis folgt, und so erscheint das Ganze wie eine gewaltige Tragödie , die genaue Berührungen mit Aeschylos' dramatischem Aufbau, besonders im Agamemnon, aufweist. Doch nimmt C. nicht eine unmittelbare Einwirkung des Aeschjdos auf Thuk. an, sondern läßt in beiden aus unbewußt von der Urzeit überlieferten religiösen Vorstellungen diese Konzeption entstehen, die dann Thuk. Darstellung in der mannigfachsten Weise beeinflußt hat. „Es ist ein Konstruktionsprinzip, das da, wo es in Tätigkeit tritt , die Auswahl der mitzuteilenden Tatsachen sowohl wie auch die Bedeutung und Wirksamkeit beeinflußt, die ihnen beigelegt werden" (S. 129). Die Durchführung dieses Satzes ist äußerst interessant, wenn auch natürlich nicht überall überzeugend. Meines Erachtens hat C. das große Verdienst, nachdrücklich auf den Ein- fluß hingewiesen zu haben, den Rücksichten auf die künstlerische Komposition in Thukydides' Darstellung ausüben : niemand wird das Buch ohne Interesse lesen und keinenfalls verdient es die kühle > Zurückweisung, die ihm Bury zuteil werden läßt. Dessen eigene I Darstellung gibt wenig mehr als einen geschickten Überblick über den gegenwärtigen Stand der Thukydidesfrage , wobei allerdings manche gute Bemerkung mit unterläuft. So macht er mit Recht S. 110 auf den Unterschied der Diktion in Thuk. Reden aufmerksam, von denen die einen in klarem, natürlichen Stil, die andern in einer dunklen , geschraubten und schwerverständlichen Sprache verfaßt sind. Man mag die Ausdrücke mit Jacob v tadeln: der Unter- schied ist vorhanden und erklärt sich nach B. daraus , daß Thuk. in den Reden der zweiten Art stets seine eigene persönliche An- sicht zu erkennen gibt. Ist diese Ansicht richtig, was man schon aus allgemeinen Gründen bezweifeln kann, so würde sich damit der Epitaphios als Thuk. eigenster Anschauung entsprossen erweisen und seine Ansicht wiedergeben, wonach Perikles' Politik wesentlich von idealen Beweggründen geleitet ward.

Viel weniger eingehend als mit seinem großen Vorgänger hat sich die Forschung mit Xenophon beschäftigt, wenngleich dies l-l Mißverhältnis selten so augenfällig wie bei Bury hervortritt, der ihm im ganzen vier Seiten gegen 75 für Thukydides gewidmet hat: viel besser ist die ebenfalls kurze, aber reichhaltige Darstellung bei Beloch (II 2. 20ff. ). Das Hauptinteresse liegt naturgemäß

158 Thomas Lenschau.

auf den Hellenika: auf den Unterschied im Ton zwischen I 1, 1 bis II 3, 10 und II 3, 11 V 1 hat Müller wieder aufmerksam gemacht ; immerhin genügt das kaum, eine stückweise Herausgabe der Hellenika zu erhärten. In der alten Streitfrage, ob die Jahres- angaben im ersten Teil von Xenophon herrühren oder nicht , hat Bei och (II 2, 244) unter Beistimmung von Blank sich dahin entschieden , dal?» nicht bloß die Zusätze selbst , sondern auch das Jahresschema selbst auf späterer Interpolation beruhe , was angesichts der doch oifenbar von Xen. beabsichtigten Fortsetzung des Thukvdides nicht sehr glaubhaft erscheint. Auf Einschübe in andern xenophontischen Schriften (Mem. Cyrup. Oecon) hat Rosen- stiel aufmerksam gemacht, und endlich hat Seyffert noch einmal das Verhältnis des Agesilaos zu den Hellenika untersucht : er meint, der Agesilaos sei gleich nach dem Tode des Königs herausgegeben, also vor den Hellenika, die demnach, abgesehen von den Poroi, als Xenophons letztes Werk anzusehen wären. Die Hauptfrage bleibt die nach der Glaubwürdigkeit Xenophons, die durch die Entdeckung des neuen Historikers v. Oxyrhynchus wieder brennend geworden ist, da beide in den gemeinsam erzählten Partien sehr stark von- einander abweichen. Hier haben sich nun Busolt und Ed. Meyer sehr energisch für Xenophon eingesetzt, besonders in dem Bericht über Agesilaos Eeldzug in Kleinasien. Immerhin sollte man nicht vergessen, worauf Beloch II 2, 21 hingewiesen hat, daß. Xen. 395 in Athen gewesen ist und darum über die Vorgänge in Asien nur aus zweiter Hand unterrichtet sein konnte. Deshalb hat ihn v. Meß, der Xen. Darstellung als sprunghaft, lässig und stark von lob- hudelnden Bestrebungen durchsetzt bezeichnet , in dieser Partie entschieden in die zweite Stelle gerückt. Richtiger erscheint der Gedanke Judeichs, daß unsre Kenntnis der Vorgänge 395 haupt- sächlich auf ein Zusammenarbeiten beider Quellen zu begründen sei, trotzdem Meyer ihn schon von vornherein abweisen möchte (Theop. 16. A. 1, doch vgl. S. 39 A. 1). Eins ist jedenfalls sicher: für den Seekrieg bietet der neue Schriftsteller viel Besseres als die völlig unzulängliche Schilderang Xenophons.

Damit sind wir bei dem neuen Historiker angelangt, den Grenfell und Hunt 1908 aus den Papyrusfunden von Oxyrhynchos herausgegeben haben (Bd. V, neue Ausg. v. Meyer in seinem Werk Theopomps Hellenika und von Grenfell-Hunt , Oxford 1909). Bei der Wichtigkeit des Fundes kann es nicht überraschen, daß in den zehn Jahren, die seitdem verflossen sind, sich eine sehr reichhaltige Literatur gebildet hat, die sich hauptsächlich um die Verfasserfrage

Bericht über griechische Geschichte (19Ü7 1914). 159

dreht. Außer de Sanctis, dessen Ansicht, es sei Androtiou, kaum einer Widerlegung bedarf, und Judeich, der an Ephoros dachte gegen beide Lehmann-Haupt, Gr, Gesch. 115/7 , haben aUe andern sich entweder für Theopompos oder Kratippos entschieden. Für jenen treten ein Benedetto, Busolt, Meyer, Schwartz , Weil (Journal des Savants 1908, -iOl), v. Wilamo- witz, Wilcken, für Kratippos dagegen Blass, Cavaignac, Dittenberger, Dugas, Franz, Goligher, Jacob y, Leh- mann-Haupt, Maas, V. Meß, Pareti, Reinach (Kevue des Idees 15. 5. 1908), Roberts, Underhill, Walker und zuletzt Lipsius; die Herausgeber selbst haben die Frage nach einigem Schwanken unentschieden gelassen. Nun gehört freilich streng ge- nommen der ganze Streit in die Literaturgeschichte •, immerhin wird ein kurzer Überblick willkommen sein, und da muß sofort auf- fallen, daß eigentlich positive Beweise auf beiden Seiten fehlen. Wilckens Versuch , ein sicheres Theopompfragment , von dem aber keineswegs feststeht, daß es den Hellenika entnommen ist, in den Text von P einzufügen (c. 7, 3), kann bei der Lücken- haftigkeit des Textes nicht als unzweifelhaft geglückt gelten, und bei den Formen y.azaqai und KagycaOEic:, die Bekk. anecd. I 104 und Steph. Byz. s. v. anführen, ist der Ursprung aus den Hellenika ebensowenig bezeugt, ganz abgesehen davon, daß sich in P nur die immerhin abweichenden Formen yMiijQEi' und Kagnaota finden, was ja aber Zufall sein kann (Meyer 130 f.). Andrerseits wird auch niemand aus dem Vorkommen der Namensform L^TigaUpviov statt ra l^ytQaiffvia, die Steph. B3-z. für Theopomp bezeugt, mit Jacoby (Klio 1909. 9, 97 A. 1) einen entscheidenden Beweis gegen die Verfasserschaft Theopomps erblicken. Und so beschränken sich denn die meisten auf negative Beweise, indem sie darzutun suchen, was gegen den einen wie gegen den andern als Verfasser spricht. Gegen Kratippos wurd hauptsächlich geltend gemacht, daß er ein Schriftsteller aus späterer Zeit sei, allein die Zeugnisse Dionys' und Plutarchs beweisen ganz unwiderleglich , wie Pareti und zuletzt noch Lipsius dargetan haben, daß es sich um einen jüngeren Zeitgenossen des Thuk. handelt. Die ganze Verdächtigung beruht auf einer sicher nicht unversehrt erhaltenen Stelle der Thukydides- vita des Markellinos , die aber von Lipsius S. 22 befriedigend erklärt ist und nichts gegen Kratippos frühe Ansetzung beweisen kann. Weiter hat Meyer aus Äußerungen von P. , in denen er die athenische Demokratie verurteilt, schließen zu dürfen geglaubt, daß der Verfasser kein Athener war, was auf Kratippos nicht zu-

IQQ Thomas Lenschau.

txetfen würde. Aber tatsächlich richten sich die scharfen Be- merkungen P.'s nur gegen den linken Flügel der athenischen Demo- kratie, dagegen sympathisiert er mit den e7ri€r/.€lg unter Thrasybul, Aisimos und Anytos, weshalb denn auch Walker und nach ihm von Meß den Verfasser von P. für einen Gesinnungsgenossen des Therameneers erklären , der Aristoteles' Hauptquelle in der athenischen Verfassungsgeschichte war. Jedenfalls kann ein Grund gegen die Athenerschaft von P. nie und nimmer aus diesen Stellen abgeleitet werden (v. Meß 378. 384, Lehmann-H. Il5j. Gegen Theopomp spricht vor allem das eine, daß der Stil von P. mit dem uns aus dem Altertum überlieferten Angaben über Theopomps Stil in keiner Weise übereinstimmt, und so richtig Meyer S. 131 manchen Einwand widerlegt hat, auch er ist doch schließlich zu der An- nahme genötigt , daß Theopomps Stil in seinem Jugendwerk ein ganz andrer gewesen sein muß als in den Philippika, was ja wohl anginge, daß aber, was viel schwieriger zu erklären ist, die Alten bei ihrem Stilurteil diesen Unterschied vollkommen übersehen haben. Dazu kommen gewisse Schwierigkeiten in der Zeitrechnung. Daß P. in seiner Schilderung vom Beginn des Kampfes zwischen Lokrern und Phokern durch den Ausbruch des Heiligen Krieges 356 be- einflußt sei (Meyer S. 81 fF.) , ist doch zunächst nur Hypothese, und das gleiche gilt von den Beziehungen auf Xen. Hellenika, die Meyer an einzelnen Stellen angenommen hat und die ebenfalls die Abfassungszeit des Werkes unter 357 herabrücken würden. Ist aber das Original von P vor 356 verfaßt (vgl. bes. Walker S. 356), dann entfällt jede Möglichkeit für Theopomp, dessen Geburt auf 377 festliegt und der doch unmöglich schon als zwanzigjähriger Jüngling ein solches Werk verfaßt haben kann. Überblickt man das Ganze, so hat man den Eindruck, als ob sich in letzter Zeit hauptsächlich infolge des Lipsius sehen Aufsatzes die Schale wieder stark zugunsten des Kratippos gesenkt hat.

An weiteren zeitgenössischen Quellen für die Geschichte des peloponnesischen Krieges ist wenigstens einiges zutage gekommen. Leider hat der Papyrusfund von Antiphons Verteidigungsrede stark enttäuscht , da er außerordentlich schlecht erhalten ist ; das Wenige, was aus den Resten zu entziffern ist, hat Nicole ver- öffentlicht. Dafür hat Perdrizet einige uns verlorenen Reden Antiphons, den ^af-tod^ga/u/Mg , die über den Tribut der Lindier und die gegen Laispodias, wenigstens dem Inhalt nach genauer be- stimmen können. Sehr viel wertvoller ist dag-eeren eine Rede an die Larissäer, die Drerup aus dem Nachlaß des Herodes

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Bericht über griechische Geschichte (1907 1'J14). 1(31

Attikos hervorgezogen uml gegen Schmids Widerspruch für eine Parteischrift aus dem J. 404 erklärt hat, die auf die damaligen thessalischen Verhältnisse ein helles Licht wirft. Die Rede, auf die s. Zt. schon Ulrich Koehler hingewiesen hatte, ist neuerdings von Ed. Meyer abermals herausgegeben und besprochen worden (Theop. 201 283); er kommt zu dem von Drerup abweichenden und wahrscheinlich richtigeren Ergebnis, daß es sich um eine Rede aus der Zeit von 401 399 handelt, und zwar auf Grund einer ge- nauen Auseinandersetzung der damaligen thessalischen Verhältnisse (S. 262 ff.). Indessen haben neuerdings Adcock und Knox er- hebliche und sprachliche Bedenken gegen die Echtheit der Rede er- hoben und ebenso hat sich auch Münscher (RE. 952 ff. und Bd. 170 S. 65 f.) dagegen erklärt ; nach ihnen handelt es sich tatsächlich um eine Fälschung des 2. Jahrh. n. Chr., die aber auf gutem Material fußt. Wir kommen zu Aristoteles' Schrift von Staat der Athener, deren Verhältnis zu Thukydides in der Schilderung der Vorgänge des Jahres 411 lange im Mittelpunkt zahlreicher Erörterungen gestanden hat. Als ihr Endergebnis wird man dies betrachten können, daß die ursprüngliche Fragestellung Thukydides oder Aristoteles? aufgegeben ist, und daß man jetzt nach Vol- quardsens und Judeichs Vorgang beide Schriften zu gegenseitiger Ergänzung verwendet (s. u. S. 172 ff.). Dabei hat sich denn freilich herausgestellt , daß Thuk. die weitaus treuere und zuvei'lässigere Darstellung der Vorgänge gibt , während Ar. unter dem Einfluß einer bestimmten Tendenz steht, der es darauf ankommt, die Vier- hundert nach Möglichkeit zu entlasten. Diese Tendenz hat man mit Recht auf die Quelle zurückgeführt , die dem geschichtlichen Teil der Schrift zugrunde liegt, und in ihr die Schi'ift eines Mannes aus dem Kreise des Theramenes erkannt, eines Ai'istokraten, der aber seinen Frieden mit dem Demos gemacht und etwa um 390 seinen Abriß der athenischen Geschichte verfaßt hat. So besonders A. V. Meß, der im Anschluß an Walker darauf aufmerksam macht, daß dieser Mann ein Gesinnungsgenosse des Historikers v. Oxy- rhynchos gewesen sein muß. Wenn nun diese Schrift besonders in der Geschichte Solons starke Berührungen mit Plutarch zeigt, die zunächst auf Androtion zu deuten scheinen (Adcock, Ledl S. 14 ff.), so kann man daraus noch nicht auf eine unmittelbare Benutzung des Androtion bei Ar. schließen (Ledl S. 15), vielmehr bleibt der Weg offen, daß Ar. und Androtion denselben Gewährs- mann zui'ate gezogen haben. Im übrigen sind in die Darstelluno- bei Ai". gewisse Stücke nachträglich eingelegt, was zuerst Wilcken

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 180 (1919. 111). 11

162 Thomas Lenschau.

1903 an der drakontisclien Verfassung in c. 4 gezeigt hat. Ledl, der den Gedanken weiter vei'folgt hat, scheidet auch noch c. 3 und einige kleinere Zusätze aus, die nach A. v. Meß aus Demetrios V. Phalerons Schrift tieqi ciQyövzijv stammen sollen. Sie sind aber nicht und darin unterscheidet sich Ledl von Wilckens Ver- mutung — von einem Interpolator, sondern von Arist. selber ge- macht, um bei einer späteren Herausgabe eingearbeitet zu werden. Was die drakontische Verfassung betrifft, so hat Ledl nicht nur ihre XJnechtheit endgültig erwiesen (S. 18 ff.), sondern auch aus den starken Berührungen mit den Aktenstücken in c. 30 f. wahr- scheinlich gemacht, daß es sich hier um die Ausarbeitung eines Mannes handelt, der die Mängel des Verfassungsentwurfes von 411 aufdecken und zeigen wollte, wie es eigentlich hätte gemacht werden müssen (S. 52 ff.). Aristoteles hat das Stück für echt gehalten und seinem Werke einverleiben wollen.

Die Erörterungen über den Historiker v. Oxyrhynchos haben nun auch die Frage nach der Zeit des Ephoros wieder in Fluß gebracht. Da es nämlich unzweifelhaft ist, daß Ephoros' Darstellung bei Diod. den Historiker benutzt und mit Xenophon zusammen ver- arbeitet hat, so glaubte man hieraus einen Beweis gegen Theopomps Verfasserschaft ableiten zu können, sofern E. bis dahin als ein älterer Zeitgenosse Theopomps galt. Indessen hat Niese darauf aufmerksam gemacht , daß E. bei seinem Ansatz der Herakleiden- einwanderung bereits Alexanders Übergang nach Asien als Epoche verwertet habe und also den Hauptteil seines Werkes erst nach diesem Zeitpunkt geschrieben haben könne. Auch Ed. Meyer (Theop. S. VII. 16. 138) erklärt sich für eine spätere Abfassungs- zeit, so jedoch, daß er eine ßeilie von Jahren annimmt, in denen Ephoros sein Werk bruchstückweise herausgab, so daß immerhin in den späteren Teilen die Benutzung einer Jugendschrift Theopomps diarch Ephoros möglich bleibe. Der Widerspruch Ed. Schwartzens, nach dem Ephoros' Werk 334 vollendet vorlag und von Kallisthenes bereits benutzt ward, schafft Xieses Bedenken nicht aus der Welt, der im Gegenteil eine Benutzung des Kallisthenes durch Ephoros annimmt. Daß E. grade in der Geschichte des IV. Jahrh. stark auf thebanischen Quellen beruht , hat nach Swobodas Zeugnis Grilln berger in einem leider schwer zugänglichen Buche mit Erfolg zu erweisen versucht. Im übrigen hat aus den Erörterungen über den neuen Historiker natürlich auch die Forschung über Theopomp Nutzen gezogen : die Hellenikafragmente sind von den englischen Heransgebern sowie von Ed. Meyer neu bearbeitet, und

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 1(53

über seine Philippikabruchstücke hat die Dissertation von Schranz mancherlei Neues gebracht.

Etwa vom Ende des Bundesgenossenkrieges ab gewinnen die Redner den Charakter einer zeitgenössischen Hauptquelle, deren Wert man allerdings gegenwärtig nicht mehr so hoch wie in den Tagen Arnold Schäfers einzuschätzen geneigt ist. Das erklärt sich, abgesehen von dem vielfach objektiv unrichtigen Charakter ihrer Angaben, der nur zu oft mit bewußter Lüge abwechselt, zweifellos auch aus der Erkenntnis , daß uns nur ganz wenig wirklich ge- haltene Reden überliefert sind, daß vielmehr die weitaus meisten als politische Broschüren zu gelten haben, die sich nur in der Eorm an zum Teil wirldich gehaltene Reden anschließen (Wendland S. 292 ff.). Dies ist zuerst bei Isokrates erkannt, der als einer der erfolgreichsten politischen Schriftsteller anzusehen ist und dem sich darum aiich das Hauptinteresse zugewandt hat: Wendland und Keßler haben im ganzen übereinstimmend das panhellenische Programm zu entwickeln versucht, dem Is. sein Leben gewidmet hat, nicht ohne von Rostagni erheblichen Widerspruch zu er- fahren. Zunächst freilich ist alles klar: im Panegyrikos 380, der zugleich als Programmschrift für den zweiten attischen Seebund aufzufassen ist , entwickelt Is. zuerst seine Gedanken , die auf Einigung der hellenischen Großmächte , Kampf gegen Persien und Besiedelung eines Teils der persischen Monarchie gerichtet sind. Aber bald vollzieht er eine Schwenkung, indem er sich den mon- archischen Gewalten, Dion3'S und vielleicht Jason v. Pherae zu- wendet. Die inneren Beweggründe dafür hat v. Poehlmann in breiter, aber überzeugender Weise entwickelt: sie liegen in der tiefen Erkenntnis von der Unzulänglichkeit und inneren Verderbtheit der demokratischen Verfassungen überhaupt , die dann später im Bundesgenossenkriege so augenfällig hervortrat. In den folgenden Jahren hat dann Is. in Philipp von Makedonien den Mann erkannt, der allein imstande sei, sein Programm durchzuführen, und in diesem Sinne hat er 346 nach dem Frieden, aber noch vor der Nieder- werfung der Phokier, wie jetzt nach Stavenhagens Vorgang (S. 26 f.) allgemein anerkannt ist (Wendland S. 187, Rostagni S. 140), den Philippos geschrieben , in dem er den König für seine Pläne zu gewinnen sucht. Darin hat er sich auch durch das Unglück der Phokier nicht irre machen lassen, zumal Philipp einlenkte und sich um ein gutes Einvernehmen mit Athen bemühte : Beweis ist der 2. Brief aus dem Jahre 344, in dem er direkt auf ein Bündnis zwischen Philipp und Athen hinarbeitet. Ed. Meyer hat gezeigt,

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2^34 Thomas Lenscliavi.

daß die versöhuliclieu Vorschläge, mit denen Python 344/3 in Athen erschien, die Ant\vox-t des Königs auf den Brief des Is. dai'stelleu (S. 777), und tatsächlich hat die damalige günstige Lage zu der schroffen Abweisung des Perserkönigs geführt , die uns aus dem Didvmoskommentar bekannt geworden ist. Aber damit hatte die makedonische Partei in Athen auch den Höhepunkt ihres Einflusses erreicht; in den Folgejahren ist es den unermüdlichen Anstrengungen des Demosthenes gelungen, ihre Arbeit wieder zu vernichten.

Bis hierher ist alles in der Entwickelung klar, nun aber folgt das irroße Rätsel des Panathenaikos. Wendland und Keßler halten auch bei ihm daran fest , daß Is. immer noch seine Hoffnung auf Phihpp setzt , und daß er nur durch die Anfeindungen in Athen, wo man ihm unter dem Druck der Kriegspartei unpatriotische Hal- tung vorwarf, gezwungen ward, den eigentlichen Zweck der Rede in raffinierter Weise zu verdunkeln und Athen in den Vordergrund zu schieben: das Ganze sei durchweg als ein Zo/og eGXTqf-iaTiG^evog aufzufassen, wie dies auch die Äußerungen des lakonisch gesinnten Schülers am Schluß direkt aussprechen, ohne daß Is. selbst sich dagegen verwahrt 235—6. 242—9 vgl. Wendland S. 171). Dem- gegenüber vertritt Rostagni die Ansicht, daß hier im Panathenaikos Is. unter dem Eindruck der Zeitereignisse zum letztenmal eine Schwenkung vollzogen hat und zu den Idealen des Panegyrikos zurückgekehrt ist. Der Gang der Ereignisse hatte ihn darüber be- lehrt, daß für ihn von Philipp nichts mehr zu hoffen sei, und da inzwischen der Bund mit Theben und den peloponnesischen Staaten geschlossen war, so nahm er nun den früheren Gedankengang wieder auf, wonach das Heil von einem Bündnis der hellenischen Groß- staaten zu erwarten sei, und suchte durch den ganz eigentümlichen Schluß auch das bisher noch abseits stehende Sparta zu gewinnen. Den Angelpunkt bildet die große Agamemnonepisode : W. sieht darin eine indirekte Ermahnung an Philipp , diesem seinen großen Vorbild nachzuahmen, während nach R. hier Isokrates die Hoffnung auf Philipp vollständig abweist und seinen Landsleuten durch die Ausführung dessen, was Philipp hätte sein können und was er eben nicht geworden sei, seine eigene innere Abkehr von Philipp zu ver- stehen geben will. Die Sache wird noch verwickelter durch die Frage nach der Echtheit des 3. Briefes, den nach v. Wilamowitz' Vorgang Woyte Isoki-ates abgesprochen hat (S. 25). Hat Wend- land mit seiner Auffassung recht , so ist der Brief mit seiner Be- geisterung für Philipps Sieg authentisch. Denn überliefert ist nur. daß Isokr. bald nach Chaironeia gestorben ist, nicht überliefert

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 165

dagegen , daß er den Tod infolge der Katastrophe von Chaironeia gewählt habe : dies ist vielmehr eine bald nachher entstandene, durchsichtio-e Kombination. Hat dap;e";en Is. sich im Panathenaikos von Philipp ab- und den Ideen des Panegyrikos wieder zugewandt, so widerspricht dem der Brief, der denn auch folgerichtig von Rostagni verworfen wird. Die Entscheidung ist nicht einfach und scheint einer besonderen Untersuchung zu bedürfen : vielleicht liegt die Lösung in der Abfassungszeit des Panathenaikos. Als Is. ihn 342 begann , war noch ein Bündnis zwischen Philipp und Athen ohne die übrigen Staaten möglich , und so mag die Agamemnon- episode damals tatsächlich als Mahnung an Philipp gedacht sein, seinem erhabenen Vorbild nachzufolgen. Als aber Is. drei Jahre später (Herbst 339 Wendl. S. 139) die Arbeit wieder aufnahm, da hatte sich allerdings die Lage vollständig verschoben : der Krieg zwischen Athen und Philipp war in vollem Gange, Theben und die peloponnesischeu Staaten waren mit Athen im Bunde. Man begreift das Schwanken des Greises, ob er nicht das fertige Stück, das so unzeitgemäß wie möglich erschien, verwerfen solle. Aber er ent- schloß sich , es nicht zu tun , und nun war allerdings die Folge, daß er das im ersten Teil mißhandelte Sparta zu versöhnen suchen mußte und dazu hat er sich durch den ganz eigenartigen Schluß den Weg gebahnt. Allerdings fällt damit der 3. Brief; er ist dann ebenso unecht wie der neunte, von dem dies Woyte erwiesen hat, während v. Hagen und Wendland natürlich an der Echtheit festhalten (S. 171).

Daß seine bedeutende und zweifellos wirksame politische Tätig- keit Isokrates in mancherlei Berührungen mit den damaligen Größen Athens bringen mußte , ist selbstverständlich. Seine Beziehungen zu Demosthenes hat Wendland klargelegt, die zu Plato und Alkidamas bespricht Raeder, der im Gegensatz zu Gomperz den Xachweis führt , daß zwischen beiden und Isokrates stets die er- bittertste Feindschaft geherrscht hat. Eigentümlich ist Isokr. Stellung zur Geschichte, wofür die Materialsammlung von Koch als Grund- lage dienen kann: das Richtige hat wohl Wendland gesehen, wenn er die historischen Angaben des Redners an sich als völlig wertlos bezeichnet, weil ihm die Geschichte immer nur grade gut genug war, Beispiele für seine politischen Theorien zu liefern. Auch scheute er sich keineswegs, da, wo es ihm nicht paßte, die geschichtlichen Tatsachen zu konstruieren und hierbei wird seine Auffassung öfters für uns ganz interessant, weil sie die Gesamtauffassung seiner Zeit widerspiegelt (Wendl. 125. 160 f., Rostagni S. 146).

1QQ Thomas Leuschau.

Sehr viel kürzer können wir uns über die andre Hauptquelle der Geschichte dieses Abschnittes, über die Inschriften, fassen: die Zahl der hinzugekommenen ist verhältnismäßig gering und ent- behrt größtenteils des historischen Interesses. Wo od ward hat eine Reihe von Fragmenten veröffentlicht, die zu den attischen Übergabeurkunden Ergänzungen gestatten (IG I 120. 143. 144. 171, II 2, 665) , dazu kommen Bruchstücke von zwei neuen aus den Jahren 402/1 und 373/2. Ferner ein neues Fragment der Tribut- listen für den karischen und Inselphoros aus 443 und 442 (IG I 237. 238), endlich eine neue Lesung zu II 1, 89, wonach es sich um ein Bündnis Athens mit euboischen Städten aus 358/7 handelt: den Gesandten werden die herkömmlichen Ehren erwiesen. AVichtig dagegen ist der Nachweis Hill er s v. Gärtringen, daß die Phy- larchosinschrift v. Tegea, die bisher ins III. Jahrh. gesetzt worden ist, ins Jahr 362/1 nach Ditt. Syll.^ 105 und vor Pammenes Zug 361 fällt. Zu erwähnen sind fei-ner die neuen Lesungen und Be- merkungen Wilhelms zu den Urkunden über den korinthischen Landfriedensbund (IG I 160. 184). Ein gutes Hilfsmittel zu den lakedaimonischen Inschriften ist Porallas Prosopographia Lace- daemoniorum, die leider mit 334 abschließt, aber bereits die Druck- bögen des Corpusbandes V 1 benutzen konnte. Auch die Be- sprechung der lesbischen Inschriften durch Pistorius aus dem Ende des vorliegenden Zeitraums gehört hierher und ebenso die eingehende Behandlung der auf die Dinge im Chersones bezüglichen Steine bei Foucart (CIA IV 8. Ditt. Syll. 76: IV 2, 65b. II 961, II Add. 405 = Ditt. Syll. 114, Bull. corr. Hell. 1896 13 p. 467, II 795. 116), die mancherlei neue Ergänzungen und eine eingehende historische Besprechung bietet.

An der Stelle, wo Thukydides zum ersten Male auf die Ur- sachen des peloponnesischen Krieges zu sprechen kommt (I 23, 5 6), gibt er der Überzeugung Ausdruck, diese so voll- ständig erörtert zu haben, daß jede spätere Untersuchung über diesen Punkt sich erübrige. Was er gibt, ist folgendes. Er führt zunächst die ahiai ymi diaq^oocci, Beschwerde- und Streitpunkte an, die zur Auflösung des dreißigjährigen Vertrages führten, nennt aber dann die seiner Ansicht nach eigentliche Ursache daß 7co6cfuoig hier nicht Vorwand, sondern Ursache bedeutet, zeigt das Oxymoron atjavEOTCcTrjv t<7j loyii) , die in der Furcht der Lake- daimonier vor der wachsenden Macht Athens bestand. Nachdem er dann erzählt hat, daß die Lakedaimonier den Vertragsbruch als bestehend erachteten , wiederholt er die eigentliche Ursache noch

Bericht über griechiache Geschichte (1907 1914). 167

einmal (c. 88, 1) und benutzt den Anlaß , die wachsende Macht Athens in dem bekannten Abschnitt (c. 89 117) zu schildern. Nach erfolgtem Kriegsbeschluß berichtet dann Thuk. den ersten Versuch der Lakedaimonier, in dem dyog einen möglichst triftigen Vorwand {rcQoqaoig) zum Ki-iege zu linden (c. 12(;), 1), was durch Athens Gegenforderung vereitelt ward (c. 128, 1); darauf folgt das spartanisclie Ultimatum und seine Ablehnung durch Athen (c. 145, 1). Er unterscheidet also 1. Beschwerde- und Streitpunkte, 2. Vor- wände und endlich 3. den eigentlichen Grund , für den ihm merk- würdigerweise auch nur der Ausdruck nQucpaaig zu Gebote stand.

Gegen diese Darstellung ist zunächst eingewandt worden, daß alle anderen Quellen den Beschluß gegen Megara, den Thuk. nur ganz nebenher, c. 139, 2, erwähnt, als den eigentlichen Anlaß des Krieges bezeichnen, daß ferner Thuk. Hauptursache nicht stichhaltig sei, da Athen in den fünfziger Jahren über eine weit größere Macht verfügt habe als -431, und endlich, was der Hauptpunkt ist, daß die eigentliche Ursache des Krieges vielmehr in der westlichen Pohtik der Athener zu suchen sei , die die Stellung der Korinther aufs schwerste bedroht habe : ihren Bemühungen sei denn auch der Aus- bruch des Krieges in erster Linie zuzuschreiben. Das hat zuerst Nissen, nach ihm Cornford S. 39 ff. und zuletzt am ausführlichsten Grund}- S. 315 ff. dargelegt: dieser weist besonders daraufhin, daß von den drei für die Versorgung Griechenlands in Betracht kommenden Kornländern Ägypten damals wieder dauernd in der Gewalt des Landesfeinds, der Pontos in athenischen Händen ge- wesen sei und die Gefahr vorgelegen habe, daß nunmehr auch der Weg nach dem dritten Lande, Sizilien, vollständig unter athenische Aufsicht gerate. Mit Recht weist Cornford darauf hin, daß grade beim Beschluß von Megara sich zum ersten Male zeigte , welchen bedeutenden Einfluß Athen schon auf die Getreideversorgung besaß und wessen sich die Staaten, die der athenischen Politik nicht ge- fügig waren, in Zukunft zu versehen hatten. An der Richtigkeit dieser Ausführungen ist kaum zu zweifeln: wie kam Thuk. dazu, bei seiner angeblich so erschöpfenden Darstellung der Ursachen xles Krieges diese wichtigen Vorgänge so vollständig in den Hinter- grund zu drängen?

Daß er sie nicht gekannt , oder daß er für diese wü-tschaft- lichen Zusammenhänge kein Verständnis gehabt habe, ist angesichts der Tatsache schwer zu glauben, daß wir diese Vorgänge, die uns von ausschlaggebender Wichtigkeit erscheinen , doch im wesent- lichen eben aus Thukvdides kennen : vielleicht die einzige wesent-

j^fjg Thomas Lenschau.

liclie Nachricht, die anderswoher stammt, ist die Gründung Thuriois, über die sich Thuk. allerdings ausschweigt. Auch der von Meyer als thukvdideisch verfochtene Grundsatz, nur das historisch Wirk- same zu berichten, trägt nichts zur Erklärung bei, da es sich doch zweifellos um Vorgänge von ganz hervorragender politischer Be- deutung handelt. Den richtigen Weg zur Erklärung scheint erst Cornford gefunden zu haben, indem er auf die damaligen athenischen Parteiverhältnisse hinweist. Seit Themistokles' Tagen gab es eine Partei in Athen, die eifrig eine nach Westen gerichtete Politik zur Ausbreitung des athenischen Handels in diesen Gegenden verfolüte, und diese war es, die, durch das Bündnis mit Korkvra gestärkt, damals die Verwirklichung ihrer politischen Ziele in greif- bare Nähe gerückt sah. Perikles war ein entschiedener Gegner dieser Politik, vor der Thuk. ihm mehrfach Warnungen in den Mund legt, allein das Gewicht der Gegenpartei ward so stark, daß er, um ihm zu begegnen, eine kühne Schwenkung vornahm : indem er selber das zweite Dekret gegen Megara durchsetzte, beabsichtigte er. den Gesrnern den Wind aus den Segeln zu nehmen, und indem er so scheinbar ihre Politik sich aneignete, konnte er hoffen, am Ruder zu bleiben und Athen vor den Ausschreitungen dieser Politik zu bewahren. Vielleicht wäre ihm das auch gelungen, wenn er am Leben geblieben wäre ; allein sein Tod riß jede Schranke nieder und trieb jene Partei immer von neuem zu energischer Verfolgung ihrer Pläne im Westen, durch die allein die sonst ganz unerklär- liche Kriegführung Athens im archidamischen Kriege Sinn und Zu- sammenhang gewinnt. Um ihre durch den Nikiasfrieden vertagten Absichten durchzuführen, stürzte sie dann Athen in das sizilische Unternehmen und damit ins Verderben. Grade aber in dieser sizilischen Unternehmung sieht auch Thuk. den verhängnisvollen Fehler der athenischen Politik, und um das Bild des Perikles rein zu halten, der doch in seinen letzten Tagen ebenfalls mit dieser Partei gegangen war, drängt er die megarischen Beschlüsse in seiner Darstellung in den Hintergrund, wie man urteilen muß, nicht ohne innere Berechtigung, sofern sein Held bei dieser letzten Wendung seiner Politik nicht mehr frei, sondern unter übermächtigem Zwang der Verhältnisse und seiner innersten Überzeugung zuwidergehandelt hatte. Ich glaube , daß diese Auffassung , die sich auf Cornfords Ausführungen aufbaut, Perikles als Staatsmann gerechter wird, wie die von Beloch (II 1, 298 ff.) , der ihn lediglich aus persönlichen Beweggründen, etwa wie Napoleon III,, um seine erschütterte politische Stellung zu befestigen, den Krieg beginnen läßt. Daß

Bericht über griechische Geschichte (1907 1914). igg

dabei im Unterbewußtsein des Perikles noch andre Motive mit- gewirkt haben, wie Cornford S. 244 ff. ansfüln-t, mag schon sein. Aber die geschichtliche Darstellung muß davon absehen , und ob Thukydides daran geglaubt hat, ist jedenfalls sehr zweifelhaft.

Eine zweite Frage ist die, mit welchen Machtmitteln Athens man am Eingang des Krieges zu rechnen hat, und ihre Beantwortung hängt in erster Linie von der Erklärung der Worte des Thuk. in II 13 ab. Die Abhandluno- von Fawcus hat in dieser Hinsicht nicht viel Neues gebracht, doch scheint so viel sicher, daß die Worte xat uvqU'Jv mit Beloch als späterer Zusatz auszuscheiden sind, so daß die Gesamtstreitkräfte zu Lande 19 000 Schwerbewaffnete betrugen. Viel schwieriger ist die Berechnung der Finanzierung des Krieges, über die Cavaignac, Francotte und Beloch gehandelt haben. Hier steht zunächst fest, daß der beim Ausbruch des Krieges auf der Burg befindliche Schatz der Göttin rund 6000 t. enthielt ; ein besonderer Staatsschatz war da- neben nicht vorhanden. Diese Gelder wurden im archidamischen Krieg verbraucht bis auf einen geringen Rest , der nach Beloch einige Hundert Talente, nach Francottes genauerer, aber im einzelnen mit unsicheren Faktoren arbeitender Rechnung 736 t. betrug: Grund genug, daß Athen sich 422 zum Frieden bereit fand. Die Kosten des Krieges, der daneben natürlich noch die jährlichen Einkünfte, abzüglich der Kosten der Staatsverwaltung, verschlang, müßten demnach rund 16 000 t. betragen haben (Franc. 209). In den Friedensjahren begann man mit der Rückzahlung, aber 418/7 mußte die Reserve schon wieder in Anspruch genommen werden, und 412/1 war man so weit, daß der eiserne Bestand von 1000 t. angegriffen werden mußte. Danach berechnet Fr. die Kosten des sizilischen Krieges auf rund 17 000 t. ; die des dekeleischen (12 800 t.) waren nur deswegen geringer , weil hier der Krieg sich teilweise selbst ernähren mußte. Daß es sich übrigens bei diesen Angaben nur um Annäherungswerte handeln kann, ist selbstverständlich, da die Rechnung zu viel Unbekannte einstellen muß. Im Zusammenhang- damit steht nun die Frage nach der Zeit des Kalliasbeschlusses. Daß er nach Sprache und Schriftcharakter später als 421^0 an- zusetzen ist, wird allgemein zugegeben ; trotzdem hatte ihn Kirch- hoff aus inneren Gründen ins Jahr 434/3 verlegt. Dem widerspricht Beloch II 2, 344 mit guten Gründen, von denen m. E. der stärkste der ist , daß man bei der anerkannt glänzenden Finanzlage des Staates in den Jahren vor 434/3 schlechterdings nicht einsieht, wie er dazu bekommen sein sollte , so bedeutende Anleihen beim

270 Thomas Lenschau.

Tempelschatz aufzunehmen. Nimmt man dagegen mit Boeckh und Beloch an, daß der Beschluß 418/7 gefaßt und aufgezeichnet ist, so bezieht sich die Rückerstattung eben auf die im archidamischen Krieg gemachten Anleihen, Der Ausweg, den schließlich Fran- cotte S. 202 einschlägt, daß der zweite Teil des Beschlusses allerdings 418/7 gefaßt sei, daß man aber das Dekret von 434/3, weil es die Grundsätze der Schuldentilgung enthielt , noch einmal habe einhauen lassen, wird schwerlich jemanden befriedigen. Jeden- falls gab es auch schon vorher einen 'Schatz der andern Götter', und der zweite Teil bezog sich auf die Reorganisation dieser Behörde (Beloch S. 354). Aber noch ein andrer Punkt bleibt zweifelhaft, nämlich die Behauptung des Thuk. (II 13, 3), daß der Höchst- bestand des Schatzes 9700 t. betragen habe , daß dagegen durch die Bauten auf der Akropolis und durch den Krieg um Poteidaia dieser Betrag im Anfang des Krieges bis auf 6000 t. verringert worden sei. Hiergegen hat Beloch (S. 339 ff.) folgendes geltend gemacht. Da die Borgwirtschaft des Staates 434/3 anfing und bis zum Nikiasfrieden dauerte, so müßte eben das Jahr 434 es gewesen sein, in dem der Höchstbestand des Schatzes erreicht worden sei. Nun hat aber Athen von 433 431 nicht so gewaltige Ausgaben gehabt, daß sie den Betrag von 3700 t. plus den jährlichen Über- schüssen , verschlungen hätten ; denn die Akropolisbauten waren ziemlich fertig, und der Krieg um Poteidaia habe höchstens 1000 t. gekostet. Also schließt Beloch hat Thuk. ein Versehen be- gangen, denn das Auskunftsmittel Cavaignacs (S. 107), der den Thukj^didestext aus Schol. zu Aristoph. Plut. 1193 in InaQXOVTOJV Si SU zf] ay.QOTTolsL ael/ioze (Thuc. tri tote) suiGiiuov agyioLov t^u/.ioxi)üv)v Ta'AavTcov za ydg Ttlsloza TQLaviOGivjv anoöiovTa TtEQLEyivETO (Thuc. i-ivqu'jv eyevETo) ändert, weist er mit Recht ab, und auch Francotte hat darauf hingewiesen, daß so für die Vollendung der Tempel und für den Krieg um Poteidaia nur 300 t. heraus- kämen, was sicher zu wenig ist. Nun hat, um die Höhe der Summe zu erklären, Meyer (Gr. Gesch. IV 32) angenommen, daß der Schatz der Athena an sich sehr beträchtlich gewesen sei, was aber Beloch mit Recht zurückweist (II 2 , 325 ff.). Also bleibt nur anzu- nehmen , daß der delische Bundesschatz bei seiner Überführung sehr groß gewesen und daß der Höchstbestand etwa 437 erreicht , worden ist; dann wären in den bis 431 verausgabten 3700 tal. plus ^j jährlichen Überschüssen die Aufwendungen für die gesamten Bauten der Akropolis enthalten. Freilich ist auch ihre Höhe strittig; nach Beloch waren es höchstens 2000 t. Die Sache hängt an einer

fl

Bericht über griechische Geschichte (19u7— 1914). 171

Notiz des Heliodor (Müller, Fragin. Hist. Gr. I\' 425), wonach die Kosten für die Propyläen 2012 t. betragen haben .sollen. Beloch erklärt das für unmöglich und faßt die Zahl als die Gesamtkosten aller Bauten auf, während Francotte sich an die Worte Heliodors hält und danach die Gesamtkosten auf 8000 t. berechnet. Ist das richtig, so wäre allerdings die Verminderung des Schatzes von 437 431 erklärlich. Aber freilich, Belochs Zweifel sind sehr be- gründet, und dann ist das Minus (3700 t. -f jährliche Überschüsse) schwer zu begreifen.

Unter den einzelnen Vorgängen des Krieges nimmt zunächst der Kampf um P y 1 o s - S p h a k t e r i a eine hervorragende Rolle ein ; hier ist es Awdry gelungen, den Weg, den die Messenier bei der Umgehung der spartanischen Besatzung einschlugen, die Stelle des letzten Kampfes und die Verteidigungslinie des Demosthenes mit großer Wahrscheinlichkeit festzulegen; nur in bezug auf die letzten beiden Punkte hat Burrows einige Zweifel geäußert. Nicht ganz so glücklich scheint mir A w d r y bei seinen Bemerkungen über die Belagerung von Syrakus gewesen zu sein. Zunächst steht fest, was Beloch (S. 306) und Knoke unabhängig voneinander bemerkt haben, daß der zrxAoc; bei Thuk. nicht eine besondere, kreisrunde Befestigung auf Epipolai bezeichnet, sondern daß darunter die athenische Einschließungslinie überhaupt zu verstehen ist , die nach Süden hin fertiggestellt , im Norden dagegen durch das fy/MQüiov relxog, die dritte sj-rakusanische Gegenmauer, unter- brochen ward. Hier hat nun Awdry insofern Verwirrung gestiftet, als er in der Stelle VII 7, 1 f-itXQi xov fy/MQaiov velxovg unter dem £. X. die athenische Mauer verstehen ^\ill, während der Aus- druck sonst nur von dem syrakusanischen Bauwerk gebraucht wird. Wäre das richtig, so hätte sich Thuk. eine sehr schlimme Un- klarheit zu schulden kommen lassen , wahrscheinlicher ist es, daß an dieser Stelle , wie auch Beloch annimmt , mit Helm das (.lixQi gestrichen werden muß. Auch über den Verlauf der Quermauer ist Awdiy andrer Ansicht als seine A'orgänger: er läßt sie nicht westlich durch ganz Epipolai bis zum Euryelos verlaufen, sondern nordwestlich bis zum Nordrand des Plateaus , so daß sie die athenische Einschließungslinie im spitzen Winkel schneidet. Allein dann würde sie den Ausbau der athenischen Linie nicht verhindert, sondern nur ebenfalls nach Nordwesten abgelenkt haben; ganz ab- gesehen davon, daß diese Mauer unmöglich, wie Thuk. später er- zählt, durch Demosthenes bei seinem Nachtangriff vom Euryelos

j^jo Thomas Lenschau.

her umgangen werden konnte. Es bleibt also nur übrig, daß die Quermauer von der Stadt aus quer über Epipolai lief, entweder westlich, wobei sie die athenische Linie im rechten Winkel schnitt (Freeman, Burv), oder südwestlich bis zum Südrand der Hochfläche, wobei beim Schnitti>unkt beider ein stumpfer Winkel sich bildete (Beloch II 1, 310). Daß übrigens die Belagerungskunst der Athener keineswegs auf der Höhe stand, setzt Grundy (S. 282 ff.) aus- einander , wie denn seine Auseinandersetzungen über die Krieg- führung überhaupt von hohem Interesse sind und auf manche Vor- gänge ein ganz neues Licht werfen. Das gilt auch von seinen Be- merkungen über die Anwendung von leichten Truppen und Reiterei, die sich im Laufe des Krieges als Notwendigkeit herausstellte (272 ff.). Im athenischen Heer erscheinen sie zuerst bei Delion; die Reiterei auch bei Amphipolis , wo sie sich aber sehr schlecht bewährte, was Mac Innes auf Verrat zurückführen will. Allein daß die Athener ihre Kavallerie deswegen später nicht mehr ver- wendet hätten, ist ein Irrtum, schon bei Mantineia (V 73) erscheint sie wieder, und Nikias hat in Sizilien nichts Eiligeres zu tun, als sich eine Reiterei neu zu beschaffen. Über den Ort, an dem die letzte Katastrophe stattfand, hat Pais in seinen Ricerche storiche S. 189 (vgl. S. 166 dieses Berichts) gehandelt. Er wendet sich gegen Holm, der den Falconara für den Asinaros und die Cavallata, einen trockenen Wildbach, für den Erineos erklärt; nach ihm ist vielmehr der Falconara mit dem Erineos, der Asinaros dagegen mit dem Heloros gleichzusetzen. Die heute noch vorhandene Sieges- säule liegt näher am Tellaro (Heloros). Doppelte, ja dreifache Fluß- namen sind nicht selten, vor allem nicht in Sizilien, wie an vielen Beispielen gezeigt wird, zumal der Asinaros-Heloros ein Grenzfluß war. Heute noch heißt der Fluß Atiddaru, und auch Fazello, der bekannte Geograph Siziliens, bezeichnet den Asinaros mit AtteUarus, wovon Tellarus nur eine verderbte Form ist. Danach scheint also die Kapitulation am Heloros erfolgt zu sein. Endlich hat Frl. Mac Curd}- versucht, einige Stellen des Euripides auf zeit- genössische kriegerische Ereignisse zu beziehen. Am besten scheint das in der Andromache gelungen: die Ausfälle gegen Sparta 445 ff., 59-5 und 724 gewinnen allerdings dadurch eine besondere Beleuch- tung, und vor allem erscheint die Beziehung der Verse 734 ff. auf Mantineia zweifellos. Dagegen sind doch die Schilderungen Troad. «* 1077 und 1190 zu allgemein gehalten, als daß man sie auf das Geschick von Melos beziehen müßte, und ebenso unsicher bleibt es, ob Suppl. 187 auf die von Thuk. V 36 geschilderten Verhandlungen

Bericht über griechiache Geschichte (1907 1914). 173

geht: Ivlagen über Treulosigkeit der Spartaner werden damals in Athen immer ein offenes Ohr gefunden haben.

Von den inneren Vorgängen in Athen während des Krieges hat d e r S t u r z d e r V i e r h u n d e r t besonders die Aufmerksamkeit der Gelehrten erregt; hier ist die Zahl der Beiträge fast noch größer wie in der Kratipposfrage und erforderte eine Zusammen- fassung, wie ich sie im Rhein. Mus. zu geben versucht habe. Dal»ei hat sich zunächst ergeben , daß die Frage nicht mehr so gestellt werden kann , ob Thuk. oder Aristoteles' Darstellung vorzuziehen ist, sondern daß der Vorgang aus einer Benutzung beider Schrift- steller geschichtlich herzustellen ist (Volquardsen, Judeich vgl. Caspari S. 1). Die ganze Sache begann mit dem Beschluß, 30 Syngrapheis zu ernennen; daß Thuk. Zahl 10 auf einem Irrtum, entweder des Schriftstellers oder des Abschreibers , beruht , wird jetzt allgemein zugegeben (Caspari S. 1). Darauf folgte Anfang April (Kunle S. 67) die Versammlung auf dem Kolonos warum grade hier, hat sich noch nicht feststellen lassen , und hier be- gütigte sich die Kommission zunächst einmal, die aÖEia feststellen zu lassen, ohne selber Anträge zu stellen. Das gegenteilige Zeugnis des Arist. kann gegen Thuk. ausdrückliche Angabe, der hier offen- bar eine bestimmte, von Judeich aus Lys. 12, 65 erschlossene Version im Auge hat, der auch Arist. gefolgt ist, in keiner Weise aufkommen. Allein in der Versammlung selber muß nun, wie Arist. berichtet , zunächst der Antrag auf Einsetzung der 5000 gestellt sein, wie Busolt (Gr. Staatsaltertümer- S. 172) mit Recht daraus geschlossen hat, daß Peisandros' Antrag, den Thuk. allein erwähnt, sich eben auf diesen vorangegangenen Antrag bezieht : Thuk. hat ihn fortgelassen , weil er auf dem Papier geblieben und niemals ausgeführt ist. Die Wahl des Polystratos bei L3-s. ergibt keinen Widerspruch gegen Thukydides' Angaben, da sie, wie Kriegel (S. 31) gezeigt hat, erst später, nach dem Sturz der Vierhundert, etwa Anfang August (Kunle S. 67), zustande gekommen ist. Da- nach scheint die Sache so gewesen zu sein , daß in der Kolonos- versammlung zunächst die gemäßigten Oligarchen ihren Antrag durchbrachten, daß aber dann Peisandros mit großem Geschick seinen Zusatzantrag stellte , dessen Annahme den Radikalen die Gewalt in die Hand spielte. Allerdings ergibt sich daraus nebenbei, daß die Einsetzung der 400 in vollkommen gesetzlicher Form vor «ich gegangen ist, das Ungesetzliche liegt in dem gewaltsamen Sturz des Rates , der aber erst acht Tage später erfolgte (gegen L e d 1 in den Wien. Stud.). Wenn Kahrstedt alles auf einen Tag ver-

174 Thomas Lenschau.

legt und daraus den ungesetzlichen Charakter der Kolonosversamm- luug er nennt sie eine secessio erschließen will (S. 237 ff. ) oder Gas pari gar die Sache umdreht und, abweichend von Thuk., erst die Verjagung des Rats und dann erst die Kolonosversammlung vornehmen läßt (S. 12 ff.), so vergessen beide, daß einmal den 400 viel darauf ankam, anfangs möglichst gesetzmäßig vorzugehen (doch s. Kahrstedt S. 244), und zweitens, daß die genannten Vorgänge durchaus nicht an einem Tage sich abgespielt haben müssen: der Ausdruck des Thuk. verlangt eher das Gegenteil (Judeich S. 304). Vielmehr sollte der alte Rat zunächst ruhig bis zum 14. Skiro- phoriou im Amt bleiben, wie denn ja auch die Beamten ruhig weiter amtiert haben (Kunle S. 70, Siegmund S. 19), allein kurze Zeit darauf, vielleicht durch die Entwicklung der Dinge in Samos ge- drängt (Lenschau S. 208), beschlossen die Oligarchen, sofort los- zuschlagen und verjagten den alten Rat schon am 22. Thargelion. Über die mancherlei staatsrechtlichen Fragen , die hierbei hinein- spielen, hat Kahrstedt in seinem Hermesaufsatz gehandelt.

Eine weitere Hauptfrage ist die , was man von den beiden Aktenstücken bei Ai'istot. . dem sogenannten definitiven c. 30 und dem provisorischen Verfassungsentwurf zu halten hat. Sie mit May einfach für unecht zu erklären, ist aus psA-chologischen Gründen unmöglich (Lenschau 211, Caspari 14): aber auch Kahrstedts Ansicht , es handle sich um zwei von den vielen damals auf- getauchten Vorschlägen, die Arist. zu Beschlüssen umfrisiert habe (S. 250), läßt sich gegenüber Bei ochs Ausführungen, der die Folgerichtigkeit und Zweckmäßigkeit der Beschlüsse erwiesen hat (II 2, 314 ff.), schwer aufrechterhalten. Wenn ferner Kuberka S. 355 meint (im Anschluß an Ed. Meyer, Forsch. II 425 und 433, Gesch. d. Alt. IV 588), es handle sich um ein paar Entwürfe, die sich die 400 nach dem Staatsstreich zu ihrer Legitimation hätten ausarbeiten und vom Volke bestätigen lassen , so ist das durch Busolt (S. 76) hinlänglich widerlegt: übrigens brauchten sie gar keine Legitimation , da sie in durchaus gesetzmäßiger Volks- versammlung gewählt waren. Gangbarer erscheint dagegen der Weg Busolts (S. 77), der mit Zustimmung Wendlands (S. 626) in diesen Aktenstücken die Vorschläge der gemäßigten Oligarchen er- kennt , die sie in der Kolonosversammlung durchbrachten : allein auch diese Ansicht scheitert an gewissen inneren Schwierigkeiten (Lenschau S. 212). So bleibt schließlich nur die von Bei och (Gr. Gesch. ^ II 71 A. 2) zuerst ausgesprochene und jetzt (^11 2, 311 ff.) näher begi'ündete Meinung, daß es tatsächlich Ausarbeitungen einer

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914), 175

Hundertkommission sind, die von den Fünftausend eingesetzt ward, als diese nach dem Sturz der Vierhundert wirklich ins Leben traten, und daß sie in einer der von Thuk. VIII 97, 2 erwähnten Versamm- lungen zum Gesetz erhoben wurden. So schon früher Lenschau S. 212 und Caspari S. 14.

Mit dem Sturz der Vierhundert hängt die Ermordung des Phrynichos zusammen, über die Thuc. VIII 92, 2 und die In- schrift IG I 59 = Ditt. Syll.2 50 Auskunft geben-, zum letzten Teil der Inschrift, der von Apollodoros handelt, hat Valeton neue Vor- schläge gemacht. Er nimmt an, daß bald nach dem Morde Apollo- doros sich als Täter meldete und die Belohnung erhielt. Als dann später, im Frühjahr 409, der eigentliche Mörder, Thrasybulos, er- schien und seine Ansprüche geltend machte, die in der Inschrift anerkannt werden, entstand der Verdacht, daß bei der Beantragung der Ehren für Apollodoros Bestechung im Spiel gewesen sei. Hierauf bezieht sich der Anti-ag des Eudikos in der Inschrift. V. schließt nun aus verschiedenen, auf dem Stein erhaltenen Wendungen, daß nicht der Rat, sondern der Areopag mit der Untersuchung betraut worden sei, er liest infolgedessen vs. 42 statt sv coi ßo?.EiT€oi]oi vielmehr riv fv I^qeiol ycdy]oi, und in vs. 45 T[dg ös l^Q€07cay('Tag] statt t[oi' de ör/MOTOv roc], sowie «[tt' av evqogi] statt a[TTCc fdr/.('iai}E\. Die neuen Ergebnisse fügen sich genau ein und müssen nach dem, was V. über die Tätigkeit des Areopags nach Deinarchs Rede gegen Demosthenes ausführt , als durchaus wahrscheinlich gelten.

Über die Chronologie der Jahre 411 40 6, die bekannt- lich sehr im argen liegt, hat Bei och (II 2, 241 if.) noch einmal im Zusammenhang gehandelt •, er entscheidet sich gegen Haacke und für Dodwell (Thrasylos Zug 409, Alkibiades Rückkehr 407), ein Ergebnis, dem ich um so lieber zustimme, als sich der Hauptteil seiner Ausführungen mit den früher von mir (Philol. 1900, Suppl. Bd. VIII, 301 336) gemachten Aufstellungen deckt : nur möchte ich die Schlacht von Kyzikos, die nach Beloch Mitte 410 stattfand, noch tiefer in den Herbst hineinsetzen. Über die Nauarchenliste wird weiter unten bei den Jahren 398/6 zu reden sein; hier ist noch der Feldher rnprozeß aus dem Jahre 406 zu besprechen, über den Valeton gehandelt hat. Von den zehn bei Xen. hell. I 5, 16 genannten Feldherren möchte V. Leon ausscheiden, da er zwar bei der Einschließung in Mitjdene mit Konon und Erasinides genannt wird, später aber nicht mehr vorkommt; an seiner Stelle ist sowohl der von Xenophon in der Schlachtschilderung und von Diod. XIII

27G Thomas Lenschau,

74, 1 genannte L^-sias einzusetzen. Allein es ist sehr wohl mög- lich, wie Beloch S. 2(38 bemerkt, daß Lysias an Stelle des in Mit^-lene verstorbenen Archestratos (Lys. 21, 8) nachgewählt worden ist, so daß Xenophons Liste I 5, 16 ganz richtig sein kann; wenn Leon nachher beim Prozeß nicht erwähnt wird, so liegt das daran, weil er von vornherein, als in Mit^'lene mitbefreit und daher Nicht- teilnehmer, ausschied, was Xen. besonders zu erwähnen für unnötig gehalten hat. Piatons Notiz, der von 10 Feldhei-rn spricht, hält V. für eine runde Zahl, bei Xen. in den Meraorabilien, der nur neun nennt, nimmt er Unkenntnis an, was meines Erachtens unmöglich ist ; dagegen erscheint ihm die Nachricht in Aristoteles' Verfassungs- geschichte mit Recht als eine oligarchische Fälschung: auch hier hat Ar. einfach seinem Gewährsmann nachgeschrieben.

Auf die Vorgänge in den letzten Jahren des großen Krieges fallen interessante Streiflichter durch einen Aufsatz von Gardner, der uns noch im letzten Kapitel beschäftigen wird, dessen Ergeb- nisse aber schon hier zu verwerten sind. Aus dem Münzdekret von Siphnos wissen wir, daß die Athener in ihrem Untertanengebiet .jede Silberprägung verboten und nur die Herstellung von Scheide- münzen erlaubten, während andrerseits der König die Goldprägung in seinem Herrschaftsgebiet verhinderte. Mit welcher Schärfe diese Maßregel durchgeführt ward, zeigen G.'s Untersuchungen : im selben Augenblick, in dem der Name eines Gemeinwesens auf den Tribut- listen erscheint, hört auch die selbständige Münzprägung auf, und so kommt es, daß .für die gesamte Zeit von 480 404 nur zwei Städte selbständig geprägt haben : Kyzikos mit Erlaubnis Athens, das dort die bekannten Statere aus Elektron schlagen ließ, und Chios als einziger Bundesgenosse Athens, der seine Selbständigkeit bewahrte. Es ist nun sehr interessant , daß Chios im Augenblick seines Abfalls eine Änderung seines Münzfußes vornahm und sich der peloponnesisch-äginetischen Währung näherte, wodurch gleich- zeitig auch eine Annäherung an die persische Währung stattfand. Diese glückliche Maßregel hatte eine starke Ausbreitung des chiotischen Münzfußes zur Folge , der von Rhodos bald nach der Einigung, von Ephesos um 400 und bald auch von den Städten der Propontis angenommen ward und einigermaßen die politisch führende Rolle erklärt , die Chios in den nächsten fünfzig Jahren in diesen Gegenden gespielt hat.

Über die Schlacht vonGela im Jahre 405, deren Kenntnis im wesentlichen auf Diod. XIII 108 110 beruht, hat Pareti (Stud. S. 199 ff.) gehandelt. Aus der genauen Angabe der Dis-

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 177

Positionen des Dionysios in c. 109 erkennt man, daß sein Angritf von Osten nach Westen ging: ostwärts der Stadt lag daher sein Lager, an der Mündung des Gelaflnsses (j. Maroglio) , der sich zwischen der Stadt nnd dein Lager ins Meer ergoß; dies ergibt sich aus c. lO'J, 4— (3, wonach seine ßeiter im Beginn des Kampfes den Fluß überschreiten müssen. Dagegen hatten die Karthager ihr Lager westlich von der Stadt aufgeschlagen, und zwar ziemlich diclit an der Mauer, die sie mit ihren Sturmböcken bearbeiteten (c. 109, -i Ende). Das Mißliche ist nun das, daß Diodor c. 108, 3 berichtet, das karthagische Heer habe ycobg tov ouo'htuov yroiauov tfi 7iÖXei also ebenfalls am Gelaflusse gelagert. Der darin liegenden Schwierigkeit sucht man seit Schnbring durch die Annahme zu <?ntgehen, daß der Gelas im Altei-tum eine zweite ]\Iündung gehabt habe, da, wo heute ziemlich weit westlich von Terranova (= Gela) der Cattaneo ins Meer fällt, und daß an diesem die Karthager ge- lagert hätten. Allein mit Recht wendet dagegen P. nach Cultreras Vorgang ein , daß das karthagische Lager dann viel zu weit nach Westen gerät, während es doch nach den Worten Diodors in un- mittelbarer Nähe der Mauer zu denken ist. Um nun aber trotzdem den Worten Diodors c. 108, 3 geni^ig zu tun, nimmt er ein zweites Lager der Karthager am Maroglio, nördlich vom Lager des Dionys und nordöstlich der Stadt an, wie der gute beigegebene Plan zeigt. Dem widerspricht nun zunächst, daß Diodor nichts von dem zweiten Lager erwähnt, was um so eigentümlicher ist, als er bei der Be- lagerung von Akragas ausdrücklich von zwei Lagern spricht, und es ist mißlich, mit P. eine Lücke in seinem Bericht anzunehmen. Noch bedenklicher freilich ist es, daß im Verlauf der Schlacht dies zweite Lager gar keine Rolle spielt, während doch ein Blick auf die Karte lehrt, daß die auf dem rechten Flügel vorgehende Sturm- kolonne der Sikelioten sofort von diesem Lager aus in Flanke und Rücken gefaßt werden mußte; damit wäre Dionys' Angriffsplan, der auf der Gleichzeitigkeit des Eintreffens der drei Heeresabteilungen vor dem feindlichen Lager beruhte, von vornherein zum Mißlingen verurteilt gewesen. Tatsächtich mißlang er ja auch, aber nicht durch das Zurückbleiben der Sikelioten, sondern dadurch, daß Dionj's selber in den engen Gassen der Stadt nicht vorwärts kam. Die Schwierigkeit bleibt also und fast möchte man auf den Ge- danken kommen, in c. 108, 3 die Worte xbv (\uonTf.iov ^tozaubv als ein späteres in den Text eingewandertes Glossem aufzufassen, worauf vielleicht noch die eigentümliche Stellung deutet.

Die Vorgänge bei der Einsetzung der Dreißig sind noch

Jahresbericht lür Altertumswissenschaft. Bd. 180 (1919. III). 12

178 Thomas Leuschau.

immer in vielen Dingen unklar, und dies liegt an dem schwankenden Charakter unserer Nachrichten, die Blank zu ordnen unternommen hat. Er scheidet zunächst die Historiker (Arist., Diod., lustin, Xeu.) ab, bei denen sich die Reihenfolge der Ereignisse mit geringen Abweichungen folgendermaßen darstellt: 1. Abschluß des Friedens unter der Bedingung der Einführung der nncQiog jioliiEia (gegen Ed. Meyer, GdA. IV 738 A). 2. Übertragung des Vollzuges au Lysandros. 3. Streit über die jräzQLog 7CoXiieia, die Frist zum Mauerabbruch verstreicht. 4. Die Oligarchen holen L3'sandros aus Samos. 5. Volksversammlung f7ii HiOoöwQov aQXOviog, Einsetzung der Dreißig (S. 33). Demgegenüber erscheint bei Plut. Lys. 13 15 alles auf den Kopf gestellt; woher der Bericht stammt, ist nicht sicher; wahrscheinlich ist er aus zwei Quellen zusammengestoppelt und kommt für die Rekonstruktion der Ereignisse nicht in Frage (S. 34 40). Abweichend ist auch die Darstellung des Lysias, bei dem die Dinge folgenden Verlauf nehmen: 1. Theramenes' Rück- kehr mit den Friedensbedingungen. 2. Tags darauf Annahme in der Volksversammlung. 3. Verschwörung der Demokraten entdeckt, ihre Verhaftung. 4. Kapitulation und Einfahrt Lysanders, Schleifung der Mauern. 5. Einsetzung der 30 in Gegenwart Lysanders. 6. Ab- fahrt Lysanders nach Samos. Daß im allgemeinen die Darstellung der Geschichtsschreiber den Vorzug verdient, wird man Bl. von vornherein zugeben ; interessant ist vor allem dabei die Rolle des Theramenes, über den Bl. ein verhältnismäßig günstiges Urteil fällt (S. 25. 54), während Rüegg in seiner Abhandlung durchaus auf entgegengesetztem Standpunkt steht. Daß Lysias ein Interesse daran hat, ihn ungünstig darzustellen, mag schon sein; andrerseits ist aber auch Diodor nicht unparteiisch, bei ihm wirkt schon zweifel- los die Geschichtsschreibung jener Aristokraten aus der Schule des Theramenes ein, der auch Aristoteles' Gewährsmann und der Historiker von Ox\-rhynchos entstammen. Einen andern Punkt aus der Herrschaft der Dreißig, der ebenfalls streitig ist, behandelt C loche: die Massenvertreibung der Besitzenden durch die Macht- haber. Nach Xen. II 4, 1 fand sie vor, nach Diod. XIV 32, 4, lust. V 9 nach dem unglücklichen Gefecht bei Phyle statt: die meisten Forscher haben sich für Xen. entschieden , da nach der Schlappe die Maßregel äußerst unklug gewesen wäre und nur dem Gegner Anhänger zugeführt haben würde. Cl. zeigt nun , daß zwischen zwei Ereignissen zu scheiden ist: bei Xen. handelt es sich um eine wirkliche Vertreibung, bei der es den Dreißig auf die Güterkonfiskation ankam ; sie ist mit der allgemeinen Flucht gleich-

Bericht über griechische Geschichte (1907— l'JH). I7y

zusetzen, die von J)iod. XIV 5, 7, lust. \' :} erwähnt wird und j^rleicli nach den ersten Gewalttaten der Dreißig stattfand. Davon zu scheiden ist die bei Diod. XIV 32, 4, lust. V 9 berichtete Maü- regel, die erst nach dem Angriff auf Phyle eintrat und den Zweck liatte , die noch im Lande l)pfindlichen verdächtigen Elemente im Peiraieus zu internieren.

Mit dem Jahre 39(3 beginnt das neue Bruchstück des Historikers von Oxyrhynchos (P.), und es wird zunächst nötig sein , die von ihm geschilderte Zeit genau zu bestimmen. Das letzte uns erhaltene zusammenhängende Stück schließt mit dem Herbstfeldzug des Agesilaos: in Daskyleion, dessen Lage Munro nicht beim heutigen Daskeli am Marmai*ameer, sondern nordöstlich vom Binnensee Manyas zu bestimmen sucht, entläßt der König die Soldaten mit der Weisung, sich im Frühjahr zu einem neuen Feldzug ins Innere einzufinden, aus dem dann infolge seiner Rückberufung nichts mehr wurde. Kap. 16 und 17 erzählen also Agesilaos' Herbst- feldzug 395, gleichzeitig damit fällt der Flottenaufstand in Kaunos c. 14. 1-3. Davor, im Sommer 395, sind die Anfänge des lokrisch- jjhokischen Krieges erzählt c. 11 13, und in denselben Sommer fallen die Schlacht am Paktolos und der Sturz der Diagoreer in Rhodos c. 0 11. Für das Weitere ist die Stelle im Anfang des c. 4 entscheidend , wo bei Grenfell und Hunt folgendes zu lesen steht: i-'re]i tolco) acußarrcov [ovcwg sytrezo' a/to zovtov] dt loTi

[i)^\tQovq cfj f.uv kiog, oyöoov efpeiGPtj/.et . . Statt a/to zovrov

hat Wilcken uqxo^^vov vermutet, was sachlich auf dasselbe heraus- kommt , sprachlich aber entschieden vorzuziehen ist ; wir ständen also hier im Beginn des Sommers 395 (Zunkel S. 49). Allein noch niemand hat zu sagen gewußt , welches die Epoche ist , nach der P. hier den Beginn des 8. Jahres vermerkt, da das Frühjahr 402 durch kein irgendwie nennenswertes Ereignis ausgezeichnet ist. Viel annehmbarer erscheint daher Lipsius' Ansicht, der hier mit Fuhr statt i-ze\i Toriri vielmehr ^c'^ejt lüfKn und nachher nicht (iQ'/ßuHui\ sondern xeXtvxvJvcog] di- lor [V]tQOvg ergänzt: dann ergäbe sich als Ausgangspunkt Athens Befreiung im Winteranfang 403, so daß also an dieser Stelle in c. 4, 1 der Winter 396 be- ginnen würde. Die notwendige Folge, wenn c. 4 n. 5 den Winter füllen, ist dann, daß die in 1 3 erzählten Ereignisse noch in den Sommer 396 zu setzen sind.

Was die Vorgänge selber betrifft, so haben wir für die Feld- züge des Agesilaos in Asien den Parallelbericht Xenophons, und es fragt sich, ob P. oder Xen. vorzuziehen ist. Am schärfsten.

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180 Thomas Lenschau.

hat sich Busolt iu dieser Sache ausgesprochen, der überall P. die bewußte Absicht zuschreibt, anders als Xenophon zu berichten, wobei es ihm auf gelegentliche Erfindungen keineswegs ankommt. Da es ferner sicher ist, daß Diodor durch Ephoros hindurcli„auf P. zurückgeht, so hat Busolt auch frühere Ereignisse, wie den elischen Krieg und die Schlacht von Kyzikos, herangezogen, um die Richtig- keit seines oben angeführten Satzes zu beweisen, dessen Folge dann <lie sein würde, daß jede Darstellung dieser Ereignisse ausschließ- lich auf Xen. zu begründen sei. Ahnlich urteilt auch Lins, der durchweg Xen. den Vorzug gibt und nur beim Herbstfeldzug des Agesilaos P. zur Ergänzung heranziehen will (S. 57). Andere wieder machen darauf aufmerksam (Beloch II 2, 21), daß Xen. grade im Sommer 395 während der Paktolosschlacht nicht in Asien, sondern im Mutterlande war und daher nicht aus eigener Anschauung be- richtet: insofern sind Ed. Meyer und Du gas dazu geneigt, hier daneben P. heranzuziehen, der ja auch für die Feldzüge des Agesilaos gute Quellen gehabt haben kann, wie sie ihm für den Seekrieg und die Ereignisse in Griechenland zweifellos zu Gebote standen. All- mählich scheint sich danach doch die Meinung zu befestigen, der auch Ju deich Ausdruck gegeben hat, daß die Widersprüche nicht so bedeutend sind, wie man zuerst annahm, und daß unsre ge- schichtliche Darstellung sich auf beide Gewährsmänner gründen muß. Daß auch an Stellen, wo man bisher geneigt war, P. Unrecht zu geben, neuerdings sich eine günstigere Auffassung geltend macht, dafür kann man auch die Erörterung über die Feldzüge Thibrons bei Diod. XIV 36. 37 aus dem Jahr 399 und Xen. hell. III 1, 4 anführen. Ed. Meyer hatte (Theop. S. 106) die chronologische Abweichung damit erklärt, daß hier P., die Quelle Diodors, eine geschichtliche Dublette gemacht und ganz einfach die ihm genau bekannten Vorgänge des Feldzugs von 391, auf dem Thibron fiel, zur Darstellung des Feldzugs von 399 verwertet habe. Indessen scheint diese Ansicht durch Pareti (S. 48) hinlänglich widerlegt; auch hier handelt es sich um gutes Material, auf dem die Dar- stelluno; von P. fußt. Über die weiteren Ereignisse des Land- krieges hat Zunkel gehandelt und ihre zeitliche Reihenfolge ge- nauer zu bestimmen gesucht. Danach fand das Synedrion in Korinth um die Jahreswende 395/4, Agesilaos Aufbruch Anfang Juli, sein "Übergang über den Hellespont Mitte Juli statt. Dann folgt die Nemeaschlacht um den 20. Juli herum unter dem Archon Eubulides,i Anfang August die Schlacht von Knidos, endlich am 14. 8. Koroneia. Das Blutbad von Korinth setzt er in den Februar 392.

,j<.

Bericht über griechische Geschichte (1907 1914). IßX

Von den EreignissenzurSee gibt P. gerade genug, um uns den Verlust des übrigen sehr bedauern zu lassen: insbesondre erfahren wir nichts über die Schlacht von Knidos, dies Hauptereignis dos Krieges. Das Wenige, was wir wissen, hat Pareti zusammengestellt und daraus ein Bild des Hergangs zu gewinnen gesucht, das aber natürlich höchstens Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen kann. Möglich ist, daß damals Konon den Seebund neu zu begründen ver- sucht hat (Pistorius Anh.). Dagegen erfahren wir die Namen der Nauarchen ans diesem Zeitraum: Pharax 398/7, PoUis o96/5 (c. 4, 2 in sicherer Ergänzung) und Cheirikrates 395/4 (c. 14, 1). Zwischen den beiden ersten ist nach c. 4, 2 Archelaidas einzusetzen; denn die Worte in c. 4, 2 Ti]]i' ^-^oyela'tda als Namen des Admiralschiffes anzusehen, ist nach Newmans auf Polj'aen II 8 begründeter Ver- mutung kaum mehr angängig: Bauers Bedenken dagegen sind jedenfalls nicht stichhaltig. Durch diesen Zuwachs unsrer Kenntnis ist nun die Frage nach den Nauarchen wieder in Fluß gebracht, an deren Erörterung sich Pareti, Kahrstedt (S. 155 ff.) und Beloch (II 2, 269) beteiligt haben. Danach kann der Versuch, den seinerzeit Solari und Judeich machten, in der Nauarchie nicht ein regelmäßiges Jahramt , sondern ein befristetes Kommando zu erblicken, als endgültig abgetan gelten, und es fragt sich nur, wann sie ihr Amt antraten. Für gewöhnlich, d. h. in etwa zwei Dritteln der uns bekannten Fälle, geschah das im Herbst (so durchweg in P,, wenn man 4, 2 tE?.€i'Twrvoc: zoc deQOvg liest), und diese An- nahme empfiehlt sich aus zwei Gründen, einem formalen, weil die meisten spartanischen Beamten, wie auch die Ephoren, im sparta- nischen Jahresbeginn, d. h. Herbstanfang, ihr Amt antraten, und einem sachlichen, weil auf diese Weise der neue Nauarch Zeit hatte, sich im Winter in sein Amt einzuarbeiten und nach genügender Vorbereitung im Frühjahr den Feldzug zu beginnen. Nun gibt es aber eine ganze Reihe von Fällen Kahrstedt berechnet sie S. 200 auf rund ein Di'ittel , in denen die Nauarchen ihr Amt schon im Sommer antreten , und dafür ist es m. E. noch immer die beste Erklärung, daß die Wahlen in Sparta schon ziemlich früh, vielleicht noch vor Mittsommer, stattfanden, und daß in Fällen, wo es nütii:- oder wünschenswert war, der neue Nauarch sofort auf den Kriegs- schauplatz abgehen konnte. Das bekannteste Beispiel ist das des Kallikratidas , der, von der Opposition gegen Lysandros gewählt, sofort Mittsommer 406 zur Flotte abging: die Bedenken Belochs (II 2, 273) gegen diesen Ausatz scheinen unbegründet, da Kyros erst seine Provinz bereist halben wird, ehe er in Sardes erscliioii.

wo ihn I^vsandros erwartete. Unter dieser A'oraussetznng erklären sich die meisten Fälle . wobei immerhin , wie Beloch und Pareti wollen, auch Verschiebungen im spartanischen Kalender eine Rolle ijespielt haben mögen : im übrigen setzt Beloch manche der von ihm behandelten Xauarchen (S. 283) entschieden zu früh an. Daraufhin haben nun er und Pareti jeder eine Nauarchenliste aufgestellt, die im großen und ganzen übereinstimmen ; im einzelnen kann man natm-lich hier und da abweichender Meinung sein. Insbesondere ist es nicht sicher, ob alle aufgeführten Personen nun auch wirklich das Nauarchenamt bekleidet haben. Nur Thuk. ist in der Be- zeichnung wirklich genau; schon Xen. wendet den Titel manchmal an, wo er nicht hingehört (so Y 1, 5, wahrscheinlich auch V 1, 13). und bei den Späteren, wie Diodor, Polyaen, Pausanias, ist über- haupt kein Verlaß mehr darauf, daß sie stets die richtige Amts- bezeichnung verwenden.

Die Beziehungen der Athener zum Chersones und zu Thrakien hat Foucart in einer sehr inhahreichen Abhandlung untersucht, die mancherlei neue und sichere Aufschlüsse gewährt. Das Odrysenreich ward nach Thuk. von Teres gegründet; sein Nachfolger war wahrscheinlich Sparadokos , von dem wir noch Münzen nach attischem Fuß haben (Foucart a. a. 0.). Ihm folgte sein Bruder Sitalkes, der 424 starb und die Herrschaft Sparadokos' Sohne Seuthes hinterließ (Thuc. IV 101, 5). Um 400 hatte das Land zwei Könige, Medokos und Seuthes, von denen diesem nach Xen. anab. die Küste gehörte: er lebte nach Isokr. Panath. 172 noch 386, als der Königsfriede geschlossen ward. Sein Nachfolger muß bald darauf Hebr\-zelmis geworden sein , der in einer von F. heran sjrejrebenen Inschrift erwähnt wird und mehrere Münzen hinter- lassen hat (S. 93 f.). Mit ihm schlössen die Athener ein Bündnis, doch kam die beabsichtigte Erwerbung des Chersones erst unter seinem Nachfolger Kotys zustande, der 359 ermordet ward. Dann folgten Thronstreitigkeiten zwischen Bairisades , Amadokos und Kersobleptes , dem ältesten Sohn des Kotys; die beiden andern müssen einer Nebenlinie angehört haben und waren vielleicht Söhne de^ Medokos, dessen Name in einer Inschrift erhalten scheint, die den Vertrag der drei Könige mit den Athenern über ihre Besitzungen im Chersones aus dem Jahre 357 darstellt (S. 95ff. ). Auf dieselbe Sache bezieht sich eine Dedikation der beteiligten Trierarchen, die F. ebenfalls mit großem Geschick hergestellt hat (S. 100). Allein schon Mitte 356 unter Elpines starb Bairisades und ihm folgten seine Söhne , deren ältester Ketriporis war. Dieser schloß sofort

Bericlit über griechische Geschichte (1907—1914). 183

t Juli 356) gegen Philipp, der Krenides genommen liatte und damals vor Poteidaia stand , ein Bündnis mit dem Paionerkönig Lyppeios und dem Illyrierfürsten Grabos, dem auch Athen beitrat; der Text dieses Bündnisses ist ebenfalls von F. mit neuen Lesarten versehen (S. 104 ff.)- Doch scheint der Vertrag auf dem Papier geblieben zu sein : erst 353 bekam Athen freie Hand und sandte eine Anzahl von Kleruchen dorthin (IG II 790), wohl im Anfang des Frühjahrs, da die Schiffe im Juni 353 noch nicht zurück waren. Diese Unter- nehmung erwähnt Demosthenes in der Aristokratea , deren von Dionys gegebene Datierung auf 352 danach gesichert erscheint (Fouc. S. 108 f.). Bald darauf aber unterwarf Phih'pp Kersobleptes, und nun begannen die Verwickelungen mit Athen selber. In ihrem Verlauf sandten die Athener noch einmal Kleruchen 343/2 unter Diopeithes (Philoch. fr. 114): darauf bezieht sich IG II 116 aus dem Jahre 340 (Fouc. S. 111). Noch im selben Jahre, aber unter Theophrastos, 340 39 begann der Entscheidungskampf mit der Be- lagerung von Perinth. Den Anlaß bildet der Raub der attischen Getreideflotte (Didym. col. X 54), den Fouc. auf August 340 fest- legt; auf die Beschwerde Athens antwortete Philijip in dem Brief, iler jetzt nnter Demosth, Reden steht und dessen Ende Fouc. neu ergänzt hat (S. 118). Darauf beschlossen die Athener den Krieg lind wiesen Chares an , sofort abzugehen ; im Frühjahr 339 er- schienen Phokion und Kephisophon mit einer zweiten Flotte (IG II 809 col. A 23^*), worauf Philipp, spätestens im Juni 339, die Be- lagerung aufhob (S. 120).

Die Vorgänge auf dem thrakischen Chersones bilden nur ein Glied in der Entwickelung der Politik König Philipps, die Kahrstedt in seinem Buche auf neue Grundlagen zu stellen versucht hat. Allerdings hat seine Darstellung in vielen Dingen scharfen Widerspruch erfahren, und in einem Hauptpunkt ist dieser Widerspruch zweifellos berechtigt: Kahrstedts Versuch, Demosthenes von Anfang seiner politischen Tätigkeit an als politischen Agenten Persiens zu betrachten, muß als gescheitert gelten. Der Hauptgrund dagegen ist m. E. der, daß Persien bis in die Mitte der vierziger Jahre hinein überhaupt nicht als bündnisfähig angesehen werden kann, da das gewaltige Reich durch die Satrapenaufstände und den Abfall Agj^ptens vollkommen lahmgelegt war (vgl. das im übrigen völlig unzulängliche Buch von Hirsch}^). Das hat Kahrstedt selbst am besten durch seine unzweifelhaft richtige Bestimmung der ägj'ptischen Unternehmungen des Ochos gezeigt (S. 1 ff.): die erste, unglücklich verlaufene, auf die Demosthenes in der 351 zweite

184 Thomas Lenschau.

Hälfte gehaltenen Rhodierrede anspielt (v^l. Pistorius S. 116 ff. j, fiel in den Sommer 351 i an sie schloß sich die Erhebung und Nieder- werfung Sidons im Jahre 350. Die zweite, entscheidende, beginnt im Winter 343/2 und ist im Laufe des Sommers 342 zu Ende ge- führt : in das Folgejahr fällt der Untergang des Hermeias , wie übrigens schon Körte im Eh. Mus. 1905 (60, 388 ff.) gesehen hat. Also erst im Laufe des Jabres 342 bekam der König die Hände frei, und um diese Zeit herum beginnt denn auch sein Eingreifen iu die hellenische Politik: damals ist die erste, schroffe Zurück- weisung seiner Gesandten in Athen passiert , wo man unter der Einwirkung der makedonischen Partei au eine Verständitrung mit Philipp glaubte, und damals hat denn auch wohl Demosthenes, der durch die erwähnten Vorgänge in Athen ganz in den Hintergrund gedrängt war, in dem erstarkten Persien den Haupttrumpf erkannt, dessen er sich gegen Philipp fortan bedient hat; mit welchem Er- folge, ist hinlänglich bekannt. Allein auch im Anfang der Laufbahn Philipps, vom Ausbruch des heiligen Krieges an, wird man Kahr- stedts Ergebnissen nicht ohne weiteres beipflichten können, da er durch\\eg die Ereignisse 1 2 Jahre zu früh ansetzt. Dies geht einmal auf eine unrichtige Abgrenzung des doppelten Eingangs- l)erichts bei Diodor K. macht den Schnitt schon bei c. 27 statt erst bei 28 (vgl. Pokornj'^ S. 6) , und zweitens auf ein Verseheu bei der Anfangsdatierung zurück, indem K. den Beginn des Krieges Diod. XVI 23 auf 356 5 ansetzt, während er bei Diodor in Wirk- lichkeit unter Kallistratos 355/4 steht (Wendland S. 617, Otto bei Pokorny S. 2 A.). Indes auch Pokorny begeht einen ähnlichen Fehler, indem er den Kriegsbeschluß der Amphiktj-onen S. 23 auf den Winter 355/4 verlegt, während er nach Diod. XVI 28, 4 unter Diotimos, also frühestens in der Herbstpylaia 354 erfolgt ist. Hält man daran fest, so fällt Philomelos' Tod bei Neon erst 353, ebenso Onomarchos' Ernennung 353, seine drei Schlachten gegen Philipp 352, dessen Angriff auf die Thermopylen Mittsommer 352, wie denn auch Diod. XVI 38, 1 sein Erscheinen ganz richtig schon unter Aristodemos 352/1 erzählt. Mit diesem Verlauf des phokischen Krieges stimmen nun aber auch die gleichlaufenden Ereignisse in Philipps Laufbahn. Methones Einnahme wird zweimal bei Diodor erwähnt, einmal unter Diotimos 354/3, das zweite Mal unter Thu- demos 353/2 : da es sich hier um einen der bekannten diodorischen Rückblicke handelt, so kann nur die erste Zahl verwandt werden. Die Frage ist nur: Spätsommer 354 oder Fiühjahr 353; denn der Versuch Kahrstedts mit Berufung auf IG II 70, aus dem Ende

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914;. 185

Dez. ;555 die Eiunahnie ins Frühjahr 354 zu verlegen, ist durch Pokorny S. 49 vollständig widerlegt. Vielleicht ist Herbst 354 an- zunehmen , dann folgt Pammene.s' Feldzug 353 unmittelbar nach Philomelos' Tod bei Neon, als der Krieg eine für Theben günstigere Wendung zu nehmen schieft, und ebenso sein Zusainmenoj)eri(;ren mit Philiiip bei Maroneia auf dem Hinweg, nicht, wie Kahle S. 25 und Kahrstedt meinen, auf dem Rückwog aus Asien, was nach den Ausführungen Pokornys S. 59 als unwahrscheinlich gelten muß. Gleichzeitig hiermit, im Frühjahr 353, erfolgte die athenische Kle- ruchensendung nach dem Chersones (s. o. S. 182) und zugleich be- gannen die Verwickelungen im Peloponnes mit der Einnahme von Orneai, vgl. Pokorny S. 37, mit dessen Datierung dieser Ereignisse man sich durchaus einverstanden ei-klären kann. Ins folgende Früh- jahr fallen dann unter Thudemos die drei großen Schlachten in Thessalien; sie mit Kahrstedt (S. 43 flf.) und Pokorny (S. 26) teil- weise in das Jahr 353 zurückzuschieben, erscheint unnötig. Mit dem Eingreifen Athens in den Thermopylen , Mittsommer 352, schließt dieser Zeitabschnitt ab : Philipp gab zunächst den Kiieg in Griechenland auf und stand Nov. 352 schon vor Heraion Teichos in Thrakien , ein Ansatz , in dem sowohl Kahrstedt wie Pokorny übereinstimmen. Im allgemeinen also hat sich auch hier Diodors Chronologie bewährt : die Verlegung des Unternehmens gegen Heraion Teichos ins Jahr 351, die Kahle nach Schwartzens Vor- gang empfohlen hat, erscheint durch Pokorny S. 68 hinreichend widerlegt. Die folgenden Ereignisse bis zum Fall Olynths haben Kahrstedt S. 54 und Pokorny S. 73 ziemlich übereinstimmend datiert, mit Ausnahme der olynthischen Reden des Demosthenes : während K. sie mit Weil, Blaß, Schwartz und andern in den Spätsommer und Herbst verlegt, hat Pokorny (S. 118 ff.) sich der Ansicht Radüges angeschlossen (S. 46 ff.) und damit wohl das Richtige getroffen. Schwierig ist die Beurteilung der nun folgenden Jahre bis zum Frieden 346, und grade hier macht sich bei Kahrstedt die oben erwähnte Tendenz zu stark geltend : er ist immer bemüht, Demosthenes gegen Aeschines ins Unrecht zu setzen , wogegen Pokorny mit Recht Front gemacht hat (S. 142). Allein auch aus Pokorn3-s bedeutend maßvolleren Ausführungen geht doch das eine ziemlich sicher hervor : in diesem Hexensabbat gegenseitiger An- schuldigungen der beiden Hauptbeteiligten ist es für uns bei dem Mangel unparteiischer Zeugnisse wohl unmöglich, das Richtige herauszufinden. Erst von 344 ab stehen wir dann durch Meyers Forschungen auf einigermaßen sicheren Boden: in die erste Hälfte

l^ß^^ Thomas Lenschau.

des genannten Jahres fällt der Ill^a-ierkrieg, in den Sommer die Organisation Thessaliens, in den Herbst vielleicht noch etwas später (Kahrstedt S. 86) Isokrates' Brief und Demosthenes' messenische Gesandtschaft, endlich noch ans Ende des Jahres seine zweite philipjnsche Rede. Im Frühling 343 erschien dann eine Ge- sandtschaft Philipps in Athen zur Revision des Philokratesfriedens : in seinen Anträgen hatte sich Philipp die Vorschläge des Isokrates zu eigen gemacht. Die Lage war günstiger als je zuvor für eine Verständigung (s. o. S. 183), aber sie ward durch die Kriegspartei hintertrieben. Ins Jahr 342 setzt Klotz seh (p. 66 ff.) die Ver- jagung des Arybbas und die Thronbesteigung Alexanders v. Epeiros, der von Philipp damals die Städte der Kassiopeia erhielt. Die übrigen Ereignisse bis zum Kriegsausbruch hat bereits Foucart in ihrer Reihenfolge festgelegt (s. o. S. 182 f.).

Über die gleichzeitigen sehr wichtigen Begebenheiten im Westen sind wir nur mangelhaft unterrichtet, es ist daher sehr schwer, eine Einzelnotiz wie die bei Liv. VII 26, 13, wonach im Jahre 349 plötzlich eine griechische Flotte an der Küste von Latium erschienen sei, in den geschichtlichen Zusammenhang ein- zugliedern. Auch Pais (S. 451 ff.) ist das nicht gelungen, immer- hin hat er so viel wahrscheinlich gemacht, daß das Jahr 349 des Livius dem Jahre 345 Diodors gleichzusetzen ist. Daß die Notiz nicht aus griechischer Quelle stammt, wie P. meint, da diese Be- scheid über die Herkunft der Flotte gewußt haben würde, mag schon sein, aber der Lösung des Rätsels kommen wir damit nicht näher. P. denkt an einen Vorläufer der späteren Abenteurer, wie Archidamos, Alexander der Molosser, Akrotatos, Pyrrhos, und be- tont ganz richtig, daß damals bei den unbefriedigenden wirtschaft- lichen Verhältnissen vielen Italien als das Land der Zukunft er- schienen sei, aber wir kennen niemand, dem wir die Unternehmung zutrauen können. Niebuhr dachte an griechische Söldner, die aus dem Phokerkrieg entkommen wären , vielleicht hat Livius selber noch die wahrscheinlichste Vermutung ausgesj^rochen, wenn er das Erscheinen der Flotte mit den Wirren in Sizilien, wo damals Dio- nysios' Herrschaft in Trümmer sank, zusammenbringen will.

Der Verlauf des Feldzugs von Chaironeia, wie ihn Kro- mayer zuletzt dargestellt hat , enthält eine eigentümliche Lücke ; zwischen der Besetzung Elateias im Jahre 339 und der Schlacht selbst klafft ein Zwischenraum, in dem sich die beiden Heere auf der Linie Parapotamioi Graviä fast ein Jahr lang i;ntätig gegenüber lagen , bis endlich die Erstürmung des Graviäpasses und die Ver-

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 187

nichtung von Amphissa durch Philipp den Stein ins Rollen brachte. Diese Lücke ist durch Glotz ausgefüllt, der ül)erzeugend nach- gewiesen hat, daß Philipp die Zeit benutzte, um Lokris und Phokis y.ii sich hinüberzuziehen. Die Lokrer gewann er durch das Ver- sprechen , ihnen Nikaia zu überliefern . das nacli Philochoros bei Diod. XI 87 49 die Thebaner Philipj) im Sommer 389 entrissen hatten, um sich damit den Besitz des Passes zu sichern: erst jetzt versteht man die ungeheure Überraschung beim Fall Elateias (Dem. de cor. 161 ff.), das durch Umgehung der anscheinend uneinnehm- baren Paßstellung erobert war. Die Phoker versöhnte Ph., indem er ihren Staat wiederherstellte, wie er zuerst wieder in der Zahlungs- urkunde (bei Bourguet S. 388) erscheint. Sodann wurden die Tri- bute bedeutend ermäßigt, und endlich erfolgte der Wiederaufbau der Städte. Wenn Paus. X 8, 8 4 diesen den Thebanern und Athenern zuschreibt, so kann dies, wie Gl. richtig ausführt, nur von einzelnen Städten verstanden werden, die damals in dem be- setzten Gebiet wiederhergestellt wurden ; vorher hatten die Ver- bündeten keine Zeit und nach Chaironeia würde es Ph. nicht ge- tluldet haben. Es bleibt also dabei, daß Ph. selber es gewesen ist, der die Wiederaufrichtung des Landes betrieb, wobei er sich um den Einspruch der Thessaler und Delpher wenig gekümmert haben mag, und daß er mit diesen Dingen den Winter 339/8 hinbrachte. Endlich mögen noch einige Bücher Erwähnung finden, die sich auf den gesamten, im Vorstehenden behandelten Zeitraum beziehen. Dazu gehört zunächst Croisets Buch, das in seinem überwiegenden Teil eine ganz lesbare Darstellung der attischen Demokratie bildet, bei der man allerdings eigene Gedanken nicht erwarten dai-f. Tiefer geht von Arnims Darstellung, die ebenfalls eine Schilderung der athenischen Demoki-atie und der staatlichen Theorien bis auf Sokrates gibt, sich aber dann der Staatslehre Piatons zuwendet: zunächst wird der beste Staat nach der Politeia, sodann der zweit- beste nach den Gesetzen erörtert. Die beiden letzten Vorträge befassen sich ausschließlich mit der Theorie des Aristoteles, und zwar so ausführlich , daß darüber «eine Nachfolger etwas zu kurz gekommen sind. Zwar besitzen wir aus den Jahrhunderten des eigentlichen Hellenismus nur wenig theoretisch-politische Schriften, aber doch ist in dieser Zeit die Theorie des Absolutismus ge- schaffen , die im römischen Kaisertum zur Herrschaft gelangt und bis in unsere Zeit nachwirkt: es wäre sicher eine dankbare Auf- gabe gewesen, ihrem Ursprung nachzugehen. Zuletzt erwähne ich noch die beiden Bücher von Zimmern und T u c k e r , die beide

1S8 Thomas Lenschau.

athenisches Leben auf dem Höhepunkt der attischen Geschichte schildern, wobei Z. mehr die wirtschal'tliche und jjolitische Seite des Stadtstaates, T. mehr die gesellschaftliche im Auge hat. Beides sind im besten Sinne des Wortes po})uläre Schriften, insbesondere ist die Entwickelung des Stadtstaats bei Z. sehr interessant ge- schildert.

Fünftes Kapitel.

Die H('«>i*iiii(luiig* des Weltreichs und sein Zerfall

(B38~^8()l).

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Arch. Inst. X, 32—35. , Beschluß der Athener aus d. Jahr des Archon Apollodoros 319/8-

XI, 82—101. Beibl. 35. 41. Wilcken, Hellenen und Barbaren. Neue Jahrb. 1900. 17, S. 457

—471. , Über den Alexanderpriester Arch. s. Pap. -Forsch. 4, 184, vgl.

V 202. * Wlad, Zug Alexanders nach dem Fünfstromlande. Progr. Czerno-

witz 1912. Zolotas, Inschr. aus lonien in Ld^^/ym 1908, S. 115 376. Nach- träge 1909, 345 f.

Wenige Abschnitte der griechischen Geschichte gibt es , in denen das Quellenverhältnis so., klar vor uns liegt, wie in der Geschichte Alexanders des Großen: in den einmal fest- gelegten Grundzügen dieses Verhältnisses ist denn auch keine Ver- änderung eingetreten. Immerhin haben einzelne Schriftsteller eine eingehendere Behandlung erfahren, so z. B. Ptolemaios durch Endres und Aristobulos durch Weuger, der dessen Anteil an unsrer Überlieferung auszuscheiden bemüht ist und dabei zu einem von Schwartz (Art. Aristobulos in P.-W. Realencyklopädie) in manchen Punkten abweichenden Ergebnis gelangt. Mit Recht be- tont W., daß Aristobulos als Augenzeuge der von ihm geschilderten Vorgänge stets Beachtung verdient , zumal er durch Erkundigung bei den Beteiligten seine Kenntnisse zu vertiefen strebte (S. 76 78). In der Darstellung der kriegerischen Ereignisse reicht er aller- dings an Ptolemaios' militärisches Verständnis nicht heran : er gibt mehr die sich bildende Lagertradition , scheint aber hier und da auch gute Einzelberichte gehabt zu haben, von denen einzelnes in Arrians Darstellung übergegangen ist, wie dies auch Dittberner für Issos bei Arr. II 6, 3 7. 7, 3 7 zugibt. Seine Hauptstärke beruhte in den naturwissenschaftlichen und erdkundlichen Bemer- kungen, in denen ihm Ari'ian meistens folgt. Sicher ist Kallisthenes

\i)2 Thomas Lenschau.

von ihm benutzt (Wenger S. 80); ob auch One.sikritos, Nearch, Ptolemaios , ist schon fraglicli. Bei Kleitarch scheint die Sache umgekehrt zu liegen, und grade in bezug auf die Zeit dieses Schrift- stellers hat sich ein Streit zwischen Rüegg auf der einen und Reuß und Schnabel auf der andern Seite erhoben. Rüeggs Ausführungen, wonach Kleitarch als zeitgenössischer Schriftsteller zu betrachten ist, sind von Reuß und Schnabel bestritten worden, wenn auch nicht immer mit zureichenden Gründen. Denn das läßt sich nicht leugnen, aus Diod. (IT 7, ?>) Worten i<k di K'AEi'caQ'/og '/Mi Ti~ir cacegor aiv ^^4le^drÖQ(i) diaßdrrojy zirfg ergibt sich mit Sicherheit, daß D. hier Kleitarch mit den öiaßccvTEg mindestens gleichzeitig, vielleicht aber früher ansetzte, was denn freilich eine seiner häufigen Flüchtigkeiten sein kann. Andrerseits kann mau auch mit Rüegg aus der Stelle Arr. VI 11, 8 über Ptolemaios' Ab- wesenheit bei der Einnahme der Mallerstadt nicht schließen , daß Ptolemaios hier gegen Kleitarch polemisiert (dagegen Reuß und Schnabel S. 53) ; Rüegg rechnet zu wenig mit der Möglichkeit, daß hier ein andrer Schriftsteller warum nicht Arrian selber? Kleitarch aus dem Bericht des Ptolemaios widerlegt. Aus dem Bei- namen Soter für Ptolemaios ergibt sich auch nichts für Kleitarchs Zeit; wenn Reuß S. 61 und Schnabel mit Niese S. 55 meinen, er sei nicht vor 283/2 nachzuweisen, so beweist das nicht, daß er nicht schon früher in Gebrauch war, und ebensowenig stichhaltig sind die übrigen Gründe, die Reuß und Schnabel für eine spätere Ansetzung Kleitarchs ins Feld führen, allerdings mit einer Aus- nahme. Es scheint doch erwiesen, daß Kl. die Ergebnisse der im J. 280 unternommenen Pontosfahrt des Patrokles gekannt hat (Reuß S. 71 aus Plin. NH 6, 13. 15 vgl. mit Patrocles fr. 7, Müller bei Strabo XI 508), und ebenso wahrscheinlich ist es, wie Schnabel aus der chronologischen Übereinstimmung mit Timaios schließt (S. 63 ff.), daß Kl. mindestens Teile von dessen Geschichtswerk hat benutzen können. Beides würde bei einer Abfassung des Werkes um 280 möglich sein und dazu würde auch die durch Wenger (S. 88 96) wahrscheinlich gemachte Benutzung Aristobuls stimmen. Noch weiter, bis 260, wie Schnabel will, herabzugehen, ist des- wegen nicht rätlich, weil nach Schubert S. 93 f. Duris, der 270 gestorben ist, Kleitarch schon benutzt hat. Man kommt also für Kl. auf die Zeit von 285 270, wobei es selbstverständlich ist, daß ein so umfängliches Werk zu seiner Herstellung Jahre brauchte und auch wohl in einzelnen Abteilungen herausgekommen ist.

Über die Quellen zur älteren Diadochengeschichte

Bericht über griechische Geschichte (1907 1914). 193

hat Schubert ausführlich gehandelt und besonders die Spuren dreier Schriftsteller verfolgt , auf die allerdings ein großer Teil unsrer Nachrichten zurückgeht, Hieronymos, Duris und Diyllos. Es ist ihm zweifellos gelungen, Hieronymos' (Gestalt und Parteistellung sowie den Charakter seines Werkes schärfer als bisher zu um- reißen, daneben ist freilich stets Jacobys Artikel heranzuziehen, <3en Seh. noch nicht benutzen konnte. Auch darin wird man ihm recht geben , daß Hieronymos' Werk am reinsten bei Diodor und Arrian vorliegt. In diesem Zusammenhang erklärt er sich mit Fug gegen Belochs und Schwartzens Annahme einer Mittelquelle des II. Jahrh. zwischen Diodor und Hieronymos (S. 96 f.), für die sich allerdings zweifelnd auch Vezin (S. 6. 150) entschieden hatte, während Jacoby in seiner ausführlichen Darstellung des Hierony- mos diese Hauptfrage doch wieder unentschieden läßt (S. 1556). Das gleiche aber gilt für Arrian , wo die Annahme hauptsächlich auf der Stelle über Krateros' Tod beruht. Nun ist es ja zweifellos, daß Hier, zu Eumenes in einem besonders herzlichen Verhältnis stand und daß deshalb abfällige Äußerungen über Eumenes nichts von ihm herrühren können ; daß aber dazu die erwähnte Stelle über den Eumenes ygaf-iuaiEog gehöre, hat m. E. schon Vezin richtig zurückgewiesen. Überhaupt erscheint Schuberts Werk in seinen allgemeinen Teilen glücklicher als in den Einzeluntersuchungen, wo sich bei ihm jenes divinatorische Hellsehen der Quellensucher ein- zustellen pflegt, das zwar subjektiv leicht erklärlich, objektiv aber in seiner Berechtigung nicht darstellbar ist. Doch scheint mir seine Charakteristik des Duris, bei dem er auf einem starken Bruch- stückmaterial fußt, sehr beachtenswert besonders Beloch gegenüber, der in Duris einen Historiker hohen Hanges erkennen möchte : das scheint mir dem Sündenregister Schuberts (S. 286 ff.) gegenüber nicht möglich. Seine Spuren lassen sich besonders in den Bio- graphien weit verfolgen. Weniger faßbar ist für uns Diyllos, von dem eigentlich nur drei sichere Bruchstücke vorliegen. Was Seh. aus diesen drei Bruchstücken herauszuholen verstanden hat, wird manchem bewunderungswürdig erscheinen , kann aber doch nicht darüber täuschen, daß die Grundlagen seiner Ausführungen außer- ordentlich schmal sind und diese daher nur bedingte Wahrschein- lichkeit für sich haben. Auf die Ergebnisse der Quellenforschung im einzelnen wird noch bei den Ereignissen selber einzugehen sein ; Tillj'ards Zusammenstellung der Quellen über Agathokles bringt nichts Neues.

Was die ins c hriftlichen Qu eilen betrifft, so ist manches

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 180 (1919. III). l'j

194 Thomas Leuflchau.

durch die neuen Corpusbäude hinzugekommen , andres findet sich noch in sonstigen Veröffentlichungen zerstreut. Über die Inschriften des Jalires 319/8 hat Wilhelm gehandelt; danach scheint der Archon Apollodoros bei der Staatenumwälzung doch als Archon wiederbestätigt zu sein; zu dem gleichen Ergebnis ist auch Mal- tezos gelangt. Aus den Jahren 306 303 stammt die gi-oße In- schrift von Sardes, die B u c k 1 e r und Robinson entdeckt haben und bei der es sich um Verpfändung eines Landguts (sog. 7cqccGig STtl XvasL) durch einen gewissen Mnesiphilos, vielleicht einen Offizier Antigonos I., handelt. Weiter sind durch Kuruniotes umfang- reiche Inschriften in Eretria entdeckt, die etwa derselben Zeit an- gehören und eine große Anzahl von Eigennamen, annähernd etwa 1000, enthalten; möglicherweise haben wir einen Katalog der Dememnitglieder vor uns. Dazu kommt noch aus dem Jahre des Nikbkles 302/1 eine Ehreninschrift für Männer hinzu, die im Jahre deäEuxenippos 305/4 im Amt waren und wegen der Verdienste belobt : werden:, die sie sich in dem vierjährigen Kriege gegen Kassander erworben , haben (Oikonomos a. a. 0.). Über die vielen auf den Bund .der. Nesioten bezüglichen Inschriften, von denen einige eben- falls noch in diese Zeit fallen, wird weiter unten zu berichten sein. ;(;^ii. An dieser/Stelle mögen denn auch die Forschungen erwähnt isein über die Einführung des metonischen Schalte j'klus in Athen, die hauptsächlich auf den Inschriften beruhen und für ihre Ergänzung wichtig sind. Mit ihr haben sich hauptsächlich Ferguson, Sundwall und Maltezos beschäftigt, wobei jener von dem Jahre 337/6, Sundwall von 338/7 und Maltezos von 327/6 als Anfangspunkt eines metonischen Cyklus ausgeht , dessen Ein- führung sie entsprechend 432/1, 433/2 oder 422/1 annehmen. Vor- her galt die Oktaeteris , als deren Anfangspunkt nach zwanzig- maligem Ablauf sich je nachdem 592/1, 593/2 oder 582/1 ergibt. Dabei sind die beiden ersten Zahlen entschieden wahrscheinlicher, sofern sie mit Solons Archontat zusammenfallen, dem man gern eine Einwirkung auf den Kalender zutrauen wird. Nun aber herrscht zwischen den drei Forschern insofern ein Unterschied, als Ferguson einen festen Zyklus überhaupt nicht anerkennt und nur verlaugt, daß von 19 Jahren 12 Gemeinjahre und 7 Schaltjahre sind, während , Sundwall in den Jahren 338 301 den zweimaligen Ablauf eines Belochschen Zyklus GGS GGS GGS GGS GGS GS GS zu erweisen sucht. Hiergegen wendet sich Maltezos, indem er 328/7, 324/3 und 307/6 als Schaltjahre, 313/2 und 305/4 dagegen als Gemeinjahre bestimmt, woraus sich denn eben sein abweichendes Anfangsjahr

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ergibt. Im einzelnen kann allerdings auf diese Streitfragen , bei denen es sich hauptsächlich um die Präskripte der attischen Dekrete von 338 294 handelt, nicht eingegangen werden ; wie es scheint, reicht das Material noch nicht ans, um oine sichere Entscheidung zu fällen.

Mit dem Ende des peloponnesischen Krieges beginnen die im Norden und Nordwesten wohnenden Griechenstämme in die Ge- schichte einzutreten : offenbar waren sie durch die Seemacht Athens von der Küste fern und damit in Abhängigkeit gehalten. Am deut- lichsten tritt das bei den Aitolern hervor, dessen Geschichte Ho hm an n behandelt hat. Ursprünglich in homerischer Zeit noch im Besitz der Küstenebene, die im Schiffskatalog allein genannt wird, waren sie durch die Verselbständigung der Küstenstädte ganz vom Meere abgedrängt : der Inhalt iarer Geschichte besteht in der all- mählichen Wiedergewinnung der Küste. Molykreia ist ihnen nach dem Ende des großen Krieges, Kalydon, wo sich die Achaier fest- gesetzt hatten, durch Epameinondas, Naupaktos endlich durch König Philipp wahrscheinlich auf dem Friedenskongreß 338 zugefallen, was sie denn freilich nicht hinderte , bald nachher in jenen Gegensatz zu Makedonien zu treten, der die Geschichte Griechenlands bis zur Niederwerfung durch die Römer beherrscht. Anders steht es mit den Th essaiern, deren Geschichte Costa nzi, Ferrabino, Meyer und vor allem Kip behandelt haben. Das herrschende Volk bildeten die im Herzen des Landes sitzenden Thessaler mit ihren vier Tetraden , zu denen auch die Phthiotis gehörte : es ist ein Hauptverdienst Kips nachgewiesen zu haben, daß die thessalische Phthiotis mit der Hauptstadt Pharsalos streng von der achaiischen Phthiotis zu scheiden ist (8. 54 ff.). Die phthiotischen Achaier waren vielmehr , wie Perrhaeber und Magneten , Untertanen der Thessaler, während die Völker der Spercheiosebene in einem loseren Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen standen. Die Ausdehnung der einzelnen Völkerschaften hat Kij» mit großer Sorgfalt unter Be- nutzung des neuen Corpusbandes festgestellt. Auf Grund ihres geschlossenen Landgebiets nun haben die Thessaler, wie besonders Ferrabino ausführt, etwa von 560 520 eine Art Vorherrschaft über Nordgriechenland ausgeübt, die sich auch über Phokis und Euboia erstrekte, aber durch die Niederlage gegen die Phoker bei Hyam- polis ihr Ende fand. Seit den Perserkriegen scheint das Land durch innere Parteiungen und durch die beginnende Einwirkung Makedoniens zerrüttet gewesen zu sein, \\'ie besonders Ed. Meyer

13*

J90 Thomas Lenschau.

auseinandersetzt. In das Jahr 402/1 fällt die Rede negi no?ATEia^, wenn sie echt ist, was sowohl Adcock und Knox wie auch Mün scher bezweifelt haben (s. S. 161). Weiterhin hat dann Thessalien noch einmal unter lason eine kurze Zeit eine führende Stellung in Griechenland gehabt, allein mit seinem Tode war alles zu Ende und Thessalien gerät unter makedonischen Einfluß, wodurch die bis dahin untertänigen Völker von dem herrschenden Stamm abf^etrennt und Makedonien direkt unterstellt wurden. Wann diese Neuordnung stattfand, ist nicht ganz sicher; Kip denkt an 342, vielleicht erfolgte sie noch früher, 344 (vgl. Meyer a. a. 0., oben S. 185). Dann blieb Thessalien bis 197 mit Makedonien verbündet; nach Kynoskephalai wurde 196 das neue v.oivbv eingerichtet, dessen Strategenreihe Kroog in seiner Arbeit festgestellt hat. Die Lücke, die sich bei Eusebios findet, nimmt er, abweichend von seinen Vor- gängern, nach 185/4 an und schiebt an dieser Stelle Sosipater ein. Immerhin ist es sicher, daß beide Völkerschaften griechischen Stammes waren ; von den Thessalern ist es niemals bezweifelt worden, von den Aitoleru hat es m. E. Hohmann S. 38 ff. endgültig festgestellt. Nicht ganz so sicher ist dies betreffs der Make- donier und Epeiroten, denen zuletzt allerdings Beloch die griechische Nationalität zugeschrieben hat (I, 2, 42 ff.), während Kazarow sich bemüht, unter Widerlegung der von Hoffmann geltend gemachten sprachlichen Gründe, nicht bloß Makedonier und Epeiroten, sondern auch die Aetoler als illyrischen Stamm zu er- weisen. Die Sache liegt bei beiden Völkern in mancher Beziehung ähnlich: bei beiden war ein unstreitig griechisches Element vor- handen, in Makedonien das Königshaus der Argeaden, in Epeiros das uralte Heiligtum des Zeus von Dodona, das von den Gegnern der griechischen Nationalität als ein unter den einwandernden Barbaren sitzengebliebener Rest gi'iechischen Stammes betrachtet wird. Bei beiden sind die wirklieh einheimischen Sprachreste sehr gering, da beide vom IV. Jahrhundert ab der völligen Hellenisierung verfallen sind, so daß uns zur Beurteilung der Stammeszugehörigkeit aus der Sprache eigentlich nur Eigennamen zu Gebote stehen. Allein auch von diesen müssen Orts-, Fluß- und Bergnamen aus der Betrachtung ausscheiden, da sie offenbar von der Vorbevölkerung übernommen sein können, wie denn auch im eigentlichen Griechen- land grade die geographischen Namen in großem Umfang auf die nichtgriechische Urbevölkerung zurückzuführen sind. So bleiben nur Personen-, Stammes- und allenfalls Gaunamen, und da liegt die Sache wohl so, daß in Makedonien die griechischen Namen bei

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weitem überwiegen, während in Epeiros das ungriechische Element weit stärker vertreten ist. Hieraus aber auf den ungriechisclieii Charakter des Volkes schließen zu wollen, wie das Nilsso n S. 1 und ohne selbständige Beginlndung auch Klotz seh S. 2 Anm. tun, wäre offenbar verfehlt , da ohne Zweifel sowohl bei Makedoniern wie bei den Epeiroten eine sehr starke Vermischung mit der nicht- hellenischen Nachbarbevölkerung des Nordens stattgefunden hat. Sind also aus der Spi-ache entscheidende Gründe nicht zu ent- nehmen , so bleibt nur das geschichtliche Verhalten der beiden Stämme , und da spricht ihr rasches Aufgehen in die griechische Nationalität dafür , daß sie eben den Hellenen stammverwandte Völker waren. Wenn Schjott Alexander und ebenso seine Make- donier für Illyrier erklärt wegen der roten Gesichtsfarbe, die ihm der Künstler in der Alexanderschlacht verliehen hat, so mag soviel daran wahr sein, daß ebenso wie bei den Epeiroten illyrisches Blut dem makedonischen beigemischt war. Daß das aber für die eigent- liche Nationalität nichts ausmacht, hat Tarn in einer sehr ver- ständigen und von höheren Gesichtspunkten ausgehenden Besprechung der Frage gezeigt (Antig. S. 175 183)', worauf es ankommt, ist jedenfalls das, daß Makedonien im III. Jahrh. vollkommen hellenisiert war und daß die Griechen die Einmischung der Makedonen in ihre Verhältnisse niemals als eine Fremdherrschaft betrachtet haben (Tarn 181 f.). Übrigens hat schon Beloch darauf hingewiesen, daß die eigentliche Heimat der Makedonier Obermakedonien war und daß sie von dort aus erst allmählich die Küstenstämme unter- worfen haben, von denen ein Teil thrakischer, ein Teil aber auch griechischer Herkunft war, wie die Bottiaier und Chalkidier. Denn daß es bei diesen sich um einen griechischen Stamm handelt und daß die Halbinsel nach ihm, nicht nach der Besiedelung durch Chalkis den Namen trägt, hat Harrisons Untersuchung gezeigt. Tatsächlich lassen sich nur ganz wenige Städte auf wirkliche Be- siedelung von Chalkis aus zurückführen, und die Ansicht, daß die Chalkidike nach Chalkis benannt sei, tritt erst von Strabo ab, also bei ziemlich späten Schriftstellern auf. Im übrigen hat über die ältere Geschichte von Epeiros Klotzsch in seinem schon er- wähnten Buche gehandelt und das "Wenige, was wir davon wissen, zusammen;;estellt. Leider hat ihn die Dürftigkeit des Materials ver- führt, die Lücken durch eigene Vermutungen auszufüllen, die der Natur der Sache nach auf schwachen Füßen stehen und den ersten Kapiteln eine schwer erträgliche Weitschweifigkeit verleihen. Tat- sache bleibt doch , daß wir über das Aufkommen der Molosser-

198 Thomas Lenschau.

herrschaft und König Thar^^ps, worüber Klotzsch auf 36 Seiten handelt , so gut wie nichts Sicheres wissen : denselben Stoflf hat Nilsson vollkommen hinlänglich auf viel geringerem Raum (S. 38 47) untergebracht. Erst von König Alketas an fließen unsre Quellen reichlicher und hier wird denn auch die Darstellung genauer, ob- wohl auch so noch viel Raum für bloße Vermutungen bleibt: ob die Chaoner und die Athamanen damals schon den Molossern Untertan waren, muß auch nach Klotzsch's Ausführungen (S. 50 ff.) im Ungewissen bleiben.

Damit kommen wir zur Geschichte Alexanders. Ganz in den Anfang seiner Regierungszeit fällt sein Zug gegen die Triballer, deren Gebiet Vulic festzustellen versucht hat: da- nach wohnten sie zwischen Morawa und Isker, so daß Alexander zu ihrer Besiegung den westlichen Teil des Balkan überqueren mußte ; alle andern örtlichen Einzelheiten bleiben freilich durchaus unsicher. Im Frühjahr So-i überschritt dann der Köniff den Helles- pont mit einem verhältnismäßig kleinen Heer: die verschiedenen darüber vorliegenden Zahlenangaben haben Judeich S, 376 und Dittberner S. 52 untersucht. Zwei Angaben stehen sich in den Quellen gegenüber: Diod. 17, 17, 3—4 gibt 32 000 Mann zu Fuß und 5100 Reiter, wobei die Gesamtzahl mit Aristobulos, die Zahl der Reiter mit Ptolemaios stimmt. Die zweite Angabe beziffert Alexanders Fußvolk auf 40 000 Mann ; die höhere Zahl erklärt sich am besten mit Judeich dadurch , daß hier die bereits früher nach Asien vorgeschobenen Truppen mit eingerechnet sind. Über Vor- geschichte und Örtlichkeit der Schlacht am Granikos hat ebenfalls Judeich im Anschluß an Jankes Arbeiten gehandelt. Da- nach fand die Schlacht am unteren Bigha Tschai etwa 20 km vom Meere entfernt statt: die Perser standen auf einer 4 m hohen, steUenweis aber auch etwas niedrigeren (Arr. 1. 15, 1) Uferbank, die sich auf der rechten Seite des Flusses rund 3,5 km ausdehnt und etwa 20 000 Reitern Raum gewährt (S. 386 ff.). Alexander gi-iff auf dem rechten Flügel an, aber kreuzweis mit Philotas, der den äußersten rechten Flügel führte, so daß er selber zuerst an den Feind kam : hierin soll nach Judeich das eigentlich Überraschende seines Angriffs gelegen haben. Dieser Ansicht hat Lehmann mit Recht widersprochen; das TiQOjTog t^ßuXlu Arrians (I 15, 3) geht offenbar nur darauf, daß A. selber an der Spitze seines Truppen- teils focht: im übrigen wurden die Kräfte des rechten Flügels staffeiförmig nach ihrer Aufstellung eingesetzt. Das Hauptverdienst Lehmanns aber besteht darin, daß er auf Diodors Schlachtbericht

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aufmerksam macht, der besonders im Anfang (Diod. 17. 19, 1) ganz von Arrian abweicht. Nach Diod. begann die Schlacht schon am frühen Morgen und zwar damit , dai5 A. über den Fluß ging und der Kampf sich nun von vornherein auf dem rechten Ufer abspielte (S. 240). Dann erklärt sich der Schlachtplan der Perser ganz gut, insofern diese dem überraschend erscheinenden Heere des König» ihre Reiterei entgegenwarfen, um hinter ihr das Fußvolk in Schlacht- ordnung aufzustellen. Freilich mit Arrians Bericht ist der dio- doreische in keiner Weise zu vereinigen, sofern beide ihrer inneren Tendenz nach durchaus verschieden sind : bei Arrian ist alles auf die Verherrlichung des Königs zugeschnitten, der in homerischer Weise nach Achills Vorbild kämpfend dargestellt wird, während der linke Flügel ganz beiseite gelassen wird und in der Schlacht- beschreibung völlig ausfällt (S. 235 ff.) : Diodor dagegen ist um- gekehrt bemüht , den Anteil der Griechen , die auf dem linken [ Flügel standen, ins rechte Licht zu setzen. Es steht also ähnlich wie bei Mantinea 362, wo Kromayer ebenfalls erst durch Ver- einigung der Berichte Diodors und Xenophons, die beide von ver- schiedenem Standpunkt aus den Kampf schildern, das Schlachtbild in die rechte Beleuchtung gestellt hat. Auf den vorliegenden Fall angewandt liegt die Sache demnach so , daß Alexanders Reiter- angriff zunächst den Zweck hatte , die feindliche Kavallerie zu beschäftigen, was dann Parmenion Gelegenheit gab, über den Fluß zu gehen und den Feind in der Flanke zu fassen , wovon noch einzelne Spuren bei Arr. 1, 16, 1 7cavTa%öiyev hraiovxo und Polyaen IV 38 vorliegen. Ganz geklärt ist der Vorgang noch nicht, doch haben Lehmanns Auseinandersetzungen zweifellos das Verständnis sehr gefördert.

Auch die Erörterungen über die Schlacht von Issos sind diesmal noch nicht zur Ruhe gekommen. Gegen Jankes Ansicht, daß unter dem Pinaros der Deli-Tschai zu verstehen sei, erklärt sich Dittberners aus Delbrücks Schule stammende Arbeit: er bemüht sich wieder, den Pinaros mit dem Paias-Tschai gleich- zusetzen, während Schier und Janke selber die alte Ansicht ver- teidigen. Ganz selbständig scheint auch der Oberst Bourgeois auf den Paias gekommen zu sein, soweit sich das aus den von Dieulafoy gegebenen Auszügen seines umfangreichen Werkes beurteilen läßt. Eine Vorfrage ist dabei die nach der Lage von Issos, das Dittberner an der Mündung des Deli-Tschai (S. 108), Janke etwas nördlicher ansetzt, beide im Gegensatz zu dem archäo- logischen Befund, der hier keine Mauerreste aufweist, und zu den

200 Thomas Lenschau.

Angaben Xenophons, die Dittberner mit Unrecht (Schier S. 160) sich zu entkräften bemüht. Mit beiden dagegen stimmt die ältere Annahme, dali Issos in der Nähe von üösene lag, wo sich auch tatsächlich antike Trümmer finden ; nur befindet sich diese Stelle nicht in unmittelbarer Nachbarschaft des Meeres, während sich aus den Quellen mit hinlänglicher Sicherheit ergibt, daß Issos ein See- hafen war. Allein es ist nicht ausgeschlossen, worauf sowohl Schier als besonders Bourgeois (S. 44. 49) hingewiesen haben , daß die Küstengestalt hier gegen das Altertum wesentliche Veränderungen erlitten hat; überall sind junge Anschwemmungen festzustellen, und dies Schicksal, von ihnen ausgefüllt zu werden, scheint auch die vom Golfe von Iskenderun nördlich einspringende Bucht, an der Issos lag, betroifen zu haben. Ein weiterer Streitpunkt ist der Marsch des Königs bis Myriandos, wo er nach Arr. II 6, 2 öevTEQalog also am zweiten Tage nach dem Ausmarsch von Mallos anlangte. Er würde danach in zwei Tagen 117 km gemacht haben, eine ganz außerordentliche Leistung, wenngleich sie nicht ohne Beispiel in der neueren Kriegsgeschichte ist (Dieülafoy S. 58). Die Sache würde bedeutend wahrscheinlicher, wenn man in der Arrianstelle den Aufbruchstag nicht mitrechnet, wie Dittberner S. 79 und Janke S. 138 vorschlagen, so daß dann 40 km auf den Tag kommen. Nur daß der Ausdruck Arrians die Deutung nicht zuläßt und man also schon einen Irrtum des Schriftstellers annehmen muß.

Was nun die Bestimmung des Schlachtfeldes selber betrifft, so ist eeffen Dittberner sofort zu bemerken, daß alle seine Aus- führungen von vornherein auf den Paias-Tschai zugestutzt sind,^ was zunächst bei der Ermittelung der Heeresstärken zutage tritt (S. 51 ff.). Die sehr niedrige Berechnung des makedonischen Heeres auf 32 000 Mann nach S. 62 mag noch hingehen, aber ganz un- haltbar werden seine Ausführungen in betreff der Stärke der Perser^ wo er, lediglich der Delbrückschen Theorie folgend, sämtliche über- lieferten Angaben verwirft, um mit einem Ignoramus zu enden: nur soll die persische Streitmacht gering gewesen sein (S. 70)^ Der Beweis fehlt. Und doch ist so viel sicher: seit 150 Jahren wußten die Perser, daß abgesehen von der Reiterei die Griechen dem persischen Fußvolk bei gleicher Anzahl überlegen waren, die Schlacht am Granikos hatte es noch kürzlich bewiesen, und da sollte Dareios den Kampf mit einem zahlenmäßig nicht überlegenen Heer gewagt haben? Tatsächlich spricht denn auch die älteste Quelle, KaUisthenes, von 30 000 Reitern, 30 000 griechischen Söldnern und einer Anzahl Peltasten, was keineswegs unglaublich erscheint. Aber

I

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natürlich passen die Zahlen Dittberner nicht, weil ein solches Heer am Paias schlechterdings nicht unterzubringen ist, und da es doch Dareios war, der nach eingehender Untersuchung das Schlachtfeld wählte, so ist damit seine Theorie von vornherein unmöglich ge- macht. Allein sie steht auch sonst auf schwachen Füßen, wie die- Quellenbehan<llung zeigt. In Wirklichkeit kommt doch nur eine Schlachtschilderung in Frage, die auf Ptolemaios zurückgehende Arrians •, schon bei Kallisthenes ist, wie Schier mit Recht hervor- gehoben hat, stets zu bedenken, daß wir nicht den Schriftsteller selber, sondern nur den Auszug des Polybios vor uns haben, der nur das auswählte , was ihm in seine Polemik hineinpaßte : tat- sächlich hat natürlich bei Kallisthenes sehr viel mehr gestanden. Es ist daher schon an sich sehr mißlich, auf einzelne Zahlen- angaben des Kallisthenes seine Darstellung zu begründen , zumal wenn man bei der Auswahl noch so willkürlich verfährt, wie es D. tut. Grundsätzlich verwertet er nur die Zahlen , die ihm passen ; so z. B. bei den Entfernungsangaben die bekannten 100 Stadien, die Alexander bereits vorgegangen war, als er die Botschaft von Dareios' Ankunft empfing und auf deren zweifelhaften Wert Schier S. 159 aufmerksam macht, ferner die 14 Stadien für die Breite des Schlachtfeldes, auf denen ja hauptsächlich die Gleichung Pinaros = Paias beruht. Dagegen verwirft er die schon ihrem Charakter nach, weil sich die Zahlen gegenseitig stützen, viel sichrere Angabe des Kallisthenes , daß die Schlachtaufstellung des Phalanx acht Mann Tiefe betrug (S. 169), weil es ihm bei dieser Annahme unmöglich wird, das Heer Alexanders am Paias unterzubringen: auch so ge- nügen die 14 Stadien nicht und müssen sich eine Ausweitung auf 24 gefallen lassen. Wenn das nicht Taschenspielerei ist, so weiß ich nicht. Nicht anders steht es endlich mit der Beschaffenheit der Flußufer, deren Beschreibung angeblich nur auf den Paias passen soll (S. 118 ff.). Hier übertreibt Dittberner geflissentlich die Gangbarkeit der Ufer des Deli-Tschai, die aber in Anbetracht der starken Abrasion des hier sehr weichen Konglomeratgesteins im Altertum sehr viel steiler gewesen sein können als heutzutage (Schier S. IbiS) und sicher nicht anders waren als die des Granikos, die von Arrian als noch viel steiler und abschüssiger geschildert sind, obgleich da sicher etwas Übertreibung mit untergelaufen ist (S. 134 und dagegen Schiers den Nagel auf den Kopf treffende Bemerkung S. 167). Andrerseits liegt am Paias die Sache so, daß nach der Bodenbeschaffenheit keine große Veränderung gegen das Altertum eingetreten sein kann ; hier sind die Ufer im östlichen Teil

202 Thomas Lenschau.

der Front derartig steil, daß ein Übergang überhaupt ausgeschlossen ist. Allerdings glaubte Dittberner nach der Karte Jankes eine solche Stelle gefunden zu haben und auf diese begx-ündet er seine Schilderung vom Verlauf der Schlacht (S. 175). Aber der aus- drücklichen Erklärung Jankes gegenüber (S. 165), daß D. sich in der Verwertung der Karte getäuscht hat, daß keine solche Stelle vorhanden ist und die Felswände fast senkrecht anstehen, versao't Dittberners Erklärung auch in diesem Punkt. Entscheidend fällt dann zuletzt der von Arrian erwähnte Bergvorsprung ins Gewicht, auf dem Dareios Truppen aufstellte und gegen den Alexander seine Hakenfront bildete. Dieser ist noch heute am Deli-Tschai, und zwar nur hier, vorhanden-, Dittberners Bemühungen, die Bedeutung der vorhandenen Erhöhung abzuschwächen und dafür am Paias die entsprechende Gebirgsgestaltung nachzuweisen (S. 145), sind von Schier vollständig widerlegt worden. Im großen und ganzen wird man daher Janke beistimmen , der noch einmal S. 169 ff. das ge- samte Material zusammenfaßt, das gegen den Paias und für den Deli-Tschai spricht; niemand wäre auf den Paias gekommen, „wenn nicht die Quellen schließlich viel zu sehr von den Erklärern iu ihrem Wortlaut gepreßt würden". Dies trifft noch ganz besonders auf die Darstellungen von Bourgeois und Lammert zu, die Alexanders Aufmarsch genau auf Viertelstunde und Kilometer fest- legen wollen , wozu unsre Quellenangaben bei weitem nicht aus- reichen. Nur in einem Punkte, auf den ich schon im vorigen Be- richt aufmerksam machte (Burs. Jahresb. Bd. 135, 1908, S. 148), stimmen jetzt alle Erklärer außer Bourgeois ttberein, daß Alexanders letztes Nachtlager vor der Schlacht nicht am Jonaspfeiler, sondern auf dem breiten Rücken des Eski Ras Paias lag, von dem er seine Posten in die Strandebene fast bis zum Paias vorgeschoben hatte. Damit lassen sich denn zur Not auch die Entfernungsaugaben des Kallisthenes ausgleichen. Von den weiteren Kämpfen Alexanders hat denn nur noch die Porosschlacht von militärischer Seite eine Besprechung gefunden: doch decken sich Veiths Ausführungen iu allem Wesentlichen mit der von mir im vorletzten Jahresbericht CBurs. Jahresb. 1904, Bd. 122, S. 285 ff.) gegebenen Darstellung, so daß ich hier von einer näheren Ausführung absehen kann.

Was die staatmännische Seite der Tätigkeit Alexanders betrifft, so handelt es sich hier zunächst um die Frage nach dem Ursprung seines Gottkönigtums. Man hat es wohl mit den altorientalischen Vorstellungen von der Inkarnation der Gottheit im Könige zusammengebracht , wie sie besonders in Babylon und

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 20 3

Ägypten beimisch waren , und es bleibt immerhin bemerkenswert, daß grade seit Alexanders ägj'ptischem Aufenthalt diese Gedanken für uns greifbare Gestalt annehmen (Ed. Meyer S. UH f.). Kaerst, der in der Beilage seines neuen Bandes S. 374 426 die Frage eingehend behandelt hat, leugnet diesen Zusammenhang, und so viel mag man ihm zugeben , daß der Besuch des Ammonsheiligtums, das sich weniger in Ägj-pten, als etwa seit einem Jahrhundert in. Griechenland und Sparta groIJen Ansehens erfreute, wirklich nichts mit der Sache zu tun hatte ; vielleicht steht Alexanders Besuch, was K. nicht angemerkt hat , mit den gleichzeitigen Bewegungen im Peloponnes in Zusammenhang, die durch Sparta hervorgerufen waren. Andrerseits genügt auch der griechische Heroenkult nicht, die Vergöttlichung Alexanders zu erklären (Ed. Meyer S. 302 ff.), und Kaerst scheint, wenn ich ihn recht verstanden habe, was bei «einer eigentümlich unbestimmten , selten die letzten Folgerungen ziehenden Darstellungsweise nicht immer ganz leicht ist, daran zu denken, daß die Bewegung für den Herrscherkult von den Griechen- städten Kleinasiens ausgegangen ist. Das würde allerdings auf ihre Stellung ein sehr interessantes Licht werfen. Denn wenn die klein- asiatischen Städtebünde als Kultgemeinschaften für den Alexander- kult begründet worden sind, was Kaerst allerdings nicht sagt, dann sind sie in erster Linie religiöse Genossenschaften und haben mit dem politischen Griechenbunde in Korinth als solchem gar nichts zu tun ; erst mittelbar gewinnen sie eine große politische Bedeutung, insofern wie auch K. anzunehmen scheint, nur auf diese Weise die Einfügung der freien und autonomen Griechenstädte in das Welt- reich ermöglicht ward. Hiervon wird noch gleich weiter unten zu handeln sein. Daß dann der Alexanderkult die Grundlage zu den späteren hellenistischen Herrscherkulten abgegeben hat, ist wohl sicher, und Kaerst sucht es speziell bei Ägj-pten nachzuweisen: der von ihm bei der Datierung herangezogene und inschriftlich er- wähnte "legeig ist wohl sicher der Alexanders, nachdem Wilcken seine Meinung, es handle sich um einen Priester Hephästions, selber wieder zurückgezogen hat. Eigentümlich steht es mit der Bezeichnung Ptolemaios I. als Soter, die K. auf das Vorgehen der Inselgriechen zurückführen will. Allein die Ansicht, daß die Be- gründung des Koinons der Nesioten auf Ptolemaios' Expedition von 308 zurückgehe , ist mittlerweile gefallen (s. u. S. 208) ; Ägypten gewann die Herrschaft in den Kvkladen erst nach Demetrios' Zu- sammenbruch, und so bleibt nur die Notiz bestehen, daß die Rhodier nach der glücklich mit ägyptischer L^nterstützung bestandenen Be-

204 Thomas Lenschau.

lagerung Ptolemaios seinen Ehrennamen beilegten. Mir indessen erscheint es vollkommen undenkbar, daß dieser von einem aut?- wärtigen Staate beigelegte Ehrenname Kultname in Ägypten ge- worden sein soll (Kaerst 414); dies kann m. E. nur darin begründet sein, daß Ptolemaios tatsächlich durch sein Wirken Ägypten selber gerettet hat. Wann das geschah, kann zweifelhaft sein, sowohl die trlückliche Abwehr von Perdikkas' Angriff, wie auch der Sies; von Gaza boten dazu die Gelegenheit, und daß tatsächlich die Verehi'ung Ptolemaios' I. als Soter viel älter ist als 261/0, wie Eevillout und Poole wollten, hat Kaerst S. 412 if. bewiesen. Das früheste Datum wäre nach den von Svoronos herausgegebenen Münzen etwa 280 : daß aber der Name schon viel früher in Gebrauch gewesen sein kann, ist ja damit keineswegs in Abrede gestellt.

Ich komme noch einmal auf die schon eben berührte Stellung; Alexanders zu den Bünden der kleinasiatischen Griechen- städte. Daß er in ihnen ein dezentralisierendes Moment schafifen wollte (Pistorius S. lo8), ist wohl richtig, und so ist denn auch jetzt ein lückenloser Kranz solcher Bünde von Byzanz bis Kj-pros nachgewiesen , nachdem Pistorius das bisher noch fehlende Glied, das xoivov Tojv ^41oXhov, aus dem Vorhandensein ihrer Bundes- münzen nachgewiesen hat (S. 124 ff.). Richtig ist auch, daß sie von Anfang an den Kult Alexanders stark unterstützt haben (Pist. S. 133); aber Alexander schon bei ihrer Begründung dies als Motiv unterschieben zu wollen, die doch 334 und 333 erfolgt sein muß, heißt doch die Idee des Gottkönigtums in eine Zeit hinaufverlegen, in der sie wahrscheinlich noch gar nicht einmal in Alexanders Geiste vorhanden war. Dagegen kann ich Pistorius in der Ansicht nicht beistimmen, die auch Meyer S. 294 A. 1 und Wilhelm S, 19 ver- treten , daß diese asiatische Koina dem korinthischen Bunde an- geschlossen waren : für den, der Alexanders Verhalten genau durch- denkt, ist es ganz klar, daß er von vornherein das eroberte Perser- reich verwaltungstechnisch vollständig von Makedonien trennen und als selbständiges Keich behandeln wollte, das mit dem Stammland nur durch Personalunion verbunden war. Wenigstens in seiner Umgebung muß diese Ansicht ebenfalls verbreitet gewesen sein : das ergibt sich vor allem aus den Vorgängen bei Alexanders Tod, und der ganze Streit um die Reichsverweserschaft des Krateros (Beloch, G. G. III, 2. 236 ff.) wäre nicht entstanden, wenn man sich dies genügend vor Augen gehalten hätte. Kaerst (II 1, 4 ff. ) gibt eine ziemlich verworrene Darstellung, indessen erhellt aus der Vergleichung unsrer Berichte über die genannten Vorgänge bei

Bericht über griechische Geschichte (1907 1914). 205

Vezin S. 135 mit aller -wünschenswerten Klarheit, was schon Niese gesehen hat, daß das Ergebnis des Kompromisses zwischen Hetärenreiterei und Fußvolk eben dies war, daß für Makedonien Arridaios als König, Krateros als ßeichsverweser und Antipatros als Feldherr bestellt ward, während Asien dem nachgebornen Sohn der Roxane vorbehalten blieb, dem als Reichsverweser Perdikkas, als Feldherr Meleagros zur Seite stehen sollten. Doch wurde dies klare, ursprüngliche Verhältnis durch Perdikkas' eigenmächtiges Eingreifen rasch verdunkelt, indem er Arridaios, dessen Platz in Makedonien war, widerrechtlich bei sich behielt, so daß er tat- sächlich bald als alleiniger Reichsverweser erschien : der Ausdruck Arrians i:rirQ07C0g rr^g ^vf.iTcdar^g ßaatXeiag, der Vezin S. 141 solche Schwierigkeiten macht, bezieht sich nicht auf das ursprünglich recht- liche, sondern auf das später eingeti-etene tatsächliche Verhältnis. Ist aber in diesen Vorgängen der ursprüngliche Gedanke Alexanders nicht zu verkennen, so wird man der Annahme eines Anschlusses der kleinasiatischen y.oiva an den korinthischen Bund zweifelnd gegenüberstehen. Übrigens ist es nicht richtig, wenn Baumbach behauptet, Alexander habe sich sehr starke Eingriffe in das innere Leben grade der kleinasiatischen Griechenstädte erlaubt (S. 75 89). Die Besatzung in Chios (Ditt. Gr. syll. ^ 150) war vorübergehende Kriegsmaßregel; der Befehl zur Wiederaufnahme der Verbannten und zur Vergottung Alexanders waren allgemeine Reichsmaßnahmen und ergingen ebenso an die Griechenstädte des Mutterlandes, und wenn Alexander nach Plut. Phok. 18, 1 Kios Gergithos Mylasa und Elaia an Phokion verschenkte , so beweist auch das nichts für Baumbachs Annahme, da die genannten Orte keine Griechenstädte waren ; höch.^tens vielleicht Elaia, das aber sicher keinem der von Alexander gegründeten Koina angehörte.

Im übrigen liegt es ja auf der Hand, daß Alexander auf dem Gebiete der inneren Verwaltung keineswegs mit vorgefaßten Meinungen an seine Aufgabe heranging, sondern sich den vor- handenen Verhältnissen anbequemte : grade in der Vereinigung konservativer und, wo er es für nötig hielt, durchgreifend reforma- ' torischen Eingreifens liegt die Bedeutung Alexanders. Auch tragen seine ersten Maßregeln öfters einen vorläufigen Charakter und erst die späteren lassen seine eigentliche Absicht erkennen; nur ist er durch seinen frühen Tod verhindert worden, sein Reich gleichmäßig durchzuorganisieren. Dies tritt besonders bei der Provinzialverwal- tung zutage , bei der Alexander an der seit Dareios bestehenden Trennung von Militär- und Zivilgewalt festhielt ; nur trennte er

206 Thomas Lenschau.

von vornhereiu die Steuervenvaltuiig ab, die er einem besonderen Beamten übergab, so daß er auf eine Dreiteilung Stx-ateg, Satrap, Steuerbeamter kam. Rein durchgeführt ist aber dieser Grundsatz nur in den nach 331 eroberten östlichen Prozinzen, und zwar in der Weise, daß der Strateg stets ein Makedonier, der Satrap ein Persei-, der Steuerbeamte ein Grieche war, dem zuMeilen auch in mehreren Provinzen die Steuei'n zusammen unterstellt sein konnten. Im Anfang dagegen verfuhr Alexander etwas anders : hier im Westen war im Ausgang des Perserreichs, etwa seit dem pelopounesischen Krieg, die Gewohnheit eingerissen, Militär- und Zivilgewalt in der Hand des Satrapen zu vereinigen : nur in Karien stand neben dem Satrapen das einheimische Fürstengeschlecht. Diese Verhältnisse hat Alexander zunächst einfach beibehalten, abgesehen davon, daß er die Steuerverwaltung sofort abtrennte ; so entstand hier die Zweiteilung, in Karien allein die Dreiteilung, wobei der Satrapen- name erhalten blieb, nun aber dem makedonischen Oberbeamten beigelegt ward. Hiernach scheint mir Baumbachs Auffassung S. 6S zu berichtigen. Wahrscheinlich hätte Alexander später den Westen nach dem Vorbild des Ostens umorganisiert , und vielleicht haben es die Seleukiden getan, wahrscheinlich hängt es damit zusammen, daß in den späteren Quellen die Bezeichnung OTQanjyogy oiQart]y{a die ältere oacQajtrjg, aaTganeia völlig verdrängt (Kaerst II 1, 426 f.). Für die Beurteilung Alexanders bei der Nachwelt ist vor allem zu bedenken, wie Hoffmann gezeigt hat, daß die wichtigsten Philosophenschulen , Peripatos , Stoa und Kynismos, meist die ungünstigen Züge in Alexanders Bild hervorhoben: bei Aristoteles und Theophrast kamen durch Kallisthenes' Tod noch persönliche Beweggründe hinzu. Immerhin hat der Kyniker Onesi- kritos zu Alexanders Bewunderern gezählt (Hoffmann S. 93), und überhaupt überwiegt in der Zeit bis etwa 250, wie Weber genauer gezeigt hat, die Verherrlichung Alexanders, wobei jedoch einzelnes Ungünstige, wie seine TQVff}j, sein Hang zum Trinken hervorgehoben und seine Erfolge zum Teil der Tvyjj zugeschrieben werden. Von den bekannten Alexanderhistorikern fallen in diese Periode 22, außer den 8 zeitgenössischen Schriftstellern. Die dann folgenden- zwei Jahrhunderte zeigen ein deutliches Sinken des Interesses ; keine einzige Bearbeitung der Alexandergeschichte ist uns aus ihnen bekannt, und so verblaßt sein Bild allmählich ; wo er erwähnt wird, wie bei Polybios, ist die Auffassung eher günstig (S. 35 ff.). Dies ändert sich plötzlich um die Mitte des I. vorchristlichen Jahr- hunderts, als von römischer Seite, und zwar von republikanischen

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 207

Kreisen ausgehend, eine heftige Opposition einsetzt, die, an die bisherigen alexanderfeindlichen Tendenzen anknüpfend, das Material durchweg ins Ungünstige entstellt und die Erfolge des Königs haupt- sächlich der Tty^i] zuschi'eibt (Weber S. 45 67). Für uns ist diese Auffassung, die vieles aus den Rhetorenschulen übernommen hat, hauptsächlich durch Curtius Rufus und Justin (Trogus Pompejus) vertreten, die übrigens untereinander, worauf wieder Rüegg ver- wiesen hat , in der Art der ungünstigen Beurteilung wesentliche Unterschiede zeigen. Unter dem Alexanderverehrer Trajan fand dann eine Neubelebung des Interesses statt , die sich aber nur bei den Griechen in den im allgemeinen verherrlichenden Werken Arrians und Plutarchs zeigt; die spätere Zeit hat keine Behandlung mehr hervorgebracht. Es liegt auf der Hand, daß diese Forschungen auf die Bewertung der Quellen nicht ohne Einfluß bleiben können. Eine sehr hübsche Ergänzung übrigens zu Hoffmanns und Webers Schrift könnte das Programm v. Rabbinowicz bilden, wenn es sich nicht nach Steins Zeugnis hier um eine ganz törichte und unwissenschaftliche Arbeit handelte. Wie sehr die Juden bemüht waren , aus Alexanders angeblicher Vorliebe für sie in der Über- lieferung Kapital zu schlagen, kann man aus Pfisters interessanten Ausführungen über die Gründung Alexandrias und Alexanders Be- such in Jerusalem lernen.

Mit Alexanders Tod beginnt die zusammenhängende Darstellung der Geschichte Athens im hellenistischen Zeitalter, die Ferguson geliefert und bis zur Einnahme Athens durch Sulla herabgeführt hat. Ein sehr bedeutendes literarisches und inschriftliches Material ist hier verarbeitet ; sowohl die allgemeingeschiclitlichen wie die kulturellen Zusammenhänjre sind mit großer Ausführlichkeit be- handelt: Fergusons sowie Tarns Werk über Antigonos Gonatas, das einleitend auch über Antigonos I. und Demetrios handelt, sind mit dem neuen Halbband der Kaerstschen Geschichte des Hellenis- mus als die wichtigsten Neuerscheinungen auf diesem Gebiete zu bezeichnen. Im Beginn erzählt F. kurz den lamischen Krieg und entwirft dann an der Hand der attischen Komödie und der Charaktere des Theophrast ein lebensvolles Bild Athens unter Demetrios von Phaleron, das bei aller Anerkennung des materiellen Gedeihens doch auch den politischen Niedergai:g gut zur Darstellung bringt. Die gleichzeitigen Vorgänge in Asien behandeln Kaerst (s. auch dessen Eumenesartikel) und Vezin in einer besonderen Schrift, die ein Lebensbild des merkwürdigen Mannes entwirft. Die Über- lieferung, die in allem Wesentlichen auf Hieronymos zurückgeht,

208 Thomas Lenschau.

ist gut verwertet : in der Hauptsache stimmen beide Forscher darin überein, daß sie in Eumenes den zähesten und erfolgreichsten Ver- teidiger der ßeichseinheit und des Königshauses erkennen , eine Stellungnahme, zu der er durch sein Verhältnis als Grieche gegen- über den Makedonen gezwungen war. Im einzelnen kann man natürlich andrer Ansicht sein ; seltsam ist , daß das Dekret der Nesioten zu Ehren des Thersippos immer noch fälschlich in den Sommer 321 gesetzt wird (so Vezin, Kaerst II 1, 23^ für 320, Ferguson S. 21 A. 1), während sich schon aus der Erwähnung der Antipatros und der beiden Könige ergibt, daß es nach der Teilung von Triparadeisos fällt (vgl. Ditt. or. gr, 2). Vielmehr handelt es sich um den Zug des Kleitos im Jahre 320, an dem auch Thy- mochares mit dem athenischen Geschwader teilnahm (Ditt. Syll. ^ 213; die dort gegebene Datierung erscheint unmöglich) und durch den Alketas und Attalos verhindert wurden , Eumenes in der Schlacht von Orkynia zu Hilfe zu kommen.

Wenige Jahre nachher fällt die Gründung des Bundes der Nesioten, der, wie König ausführt, auf Antigonos' Anregung hin geschaffen ward. Der Zeitpunkt ist ziemlich genau festzulegen, da offenbar die Abtrennung der Insel Delos von Athen mit der Be- gründung des Nesiotenbundes zusammenhängt. Nun sind bis 315 athenische Beamte in Delos nachweisbar, dann verschwinden sie, und zugleich ergibt sich aus Diod. 19. 62, 9, daß Antigonos in diesem Jahr eine Flottenexpedition zur Gewinnung der Inseln ab- sandte, in deren Verfolg doch wohl die Befreiung von Delos und die Begründung des Bundes eingetreten ist, 315 oder, wenn man den Sieg des Demetrios auf Delos mit Ferguson noch ins Frühjahr 314 verlegen will (S. 50 Aum. 6), erst im Folgejahr. Dieser Ansatz Belochs, der schon im vor. Bericht (Bd. 122, 154 f.) als wahrscheinlich bezeichnet ward, hat in einem von Dürrbach entdeckten Dekret eine neue Stütze erfahren, das die Antigoneia und die Demetrieia erwähnt, und zwar jene als das ältere Fest. Diese sind nun sehr wahrscheinlich nach dem großen Seesieg von Salamis begründet, auf den nach Benndorfs wohl allgemein geteilter Ansicht die Nike von Samothrake bezogen wird: Hatzfelds Ansicht, wonach sie einen rhodischen Sieg feiert, hat wenig für sieh : die Basisinschrift

g '^Poöiog wird den Künstler bezeichnen. Somit steht also

fest, daß Antigonos vor 306 die Herrschaft über den Nesiotenbund ausgeübt hat, diese ist auf seinen Sohn übergegangen und hat lange bis ins III. Jahrh. bestanden (König 1 18). Die frühere Ansicht HomoUes und Delamarres, die die Gründung erst 308 durch Ptole-

Bericht über griechische Geschichte (1907 1914). 209

maios erfolgen ließen (Schöffer, Pauly-Wisspwas R.E. IV 2481 f., Boiiche-Leclercq, Hist. des Lagides I 62), ist demnach aufzugeben, vgl. auch die Gesamtbehandlung der Frage bei Tarn , Antigonos 8. 432—439.

In die letzte Zeit vor dem Entscheidungskampf bei I p s 0 s führt der Aufsatz K r o m s , der sich mit dem Frieden zwischen Seleukos und dem Mauryakönig Tschandragupta befaßt. Danach trat Seleukos damals den Mauryas das rechte Ufer des Indus ab, wobei es freilich ungewiß bleibt, in welcher Ausdehnung dies geschah: daß allerdings, wie Bevan (House of Sei. I 296) glaubte, die Inder in Herat geboten hätten, erscheint wenig glaub- lich. Vielleicht in dieselbe Zeit gehört nach v. Premerstein ■der von ihm herausgegebene Synoikievertrag, wobei er sich haupt- sächlich auf den Namen des Jollas stützt, der sich in der Inschrift ergänzen läßt und dessen Träger uns als Mundschenk und Leib- wächter Demetrios' I. bekannt ist. Allein die Ergänzung ist nach S 0 1 m s e n zweifelhaft : wegen der Ersetzung des ei vor Vokalen durch 1] möchte er bis tief ins III. Jahrh. hinabgehen. Die Sache ist noch nicht mit Sicherheit zu entscheiden.

Weniger gut als über Alexander sind wir über die gleich- zeitigen Vorgänge im Westen unterrichtet, der damals,* wie Pais richtig hervorhebt, mehr und mehr das Ziel griechischer Abenteurer wurde, unter denen Alexander d. Molosser, Archidamos, Akrotatos, Kleonymos und endlich Pyrrhos die bekanntesten sind. Die Unternehmungen Alexanders d. Molossers , die Klotz seh in seiner Geschichte von Epeiros übergeht , hat P. in den Ricerche S. 135 148 genauer behandelt: er schreibt ihm die Absicht zu, ein süditalisches Reich von Paestum bis Rhegion zu begründen. Sein Tod erfolgte , als er nach einer Landung bei Paestum einen Sieg über Lukaner und Samniter erfochten hatte und nun durch einen Einmarsch von Nordwesten her den Widerstand der Lukaner zu brechen suchte.

Über Agathokles haben wir ein besonderes Buch von Tillyard erhalten, im wesentlichen eine Erzählung nach den Quellen mit gelegentlicher Polemik gegen Schubert und Beloch, bei der der Verf. nicht immer glücklich gefahren ist. Zwar mit dem Ansatz des Regierungsantritts auf 316 wird er Recht haben; wenn das marm. Par. 319/8 gibt, so liegt hier derselbe Fehler von drei Jahren vor, wie bei der Ansetzung des Zuges nach Afrika auf 313/2, der in V/irklichkeit durch die Sonnenfinsternis am 10. 8. 310 fest-

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 180 (1919. III). 14

i

210 Thomas Lenschau.

feleo^t ist. Allein schon die Datieruno; der Schlacht am Eknoinon auf 311 ist ziemlich verfehlt und die S. 101 dafür gegebenen chrono- logischen Gründe machen einen etwas kindlichen Eindruck-, besser ist, daß T. an der Gleichung Gela Terranova gegen Schuberts Gela Licata festhält. Auch die Chronologie des afrikanischen Feld- zugs ist nicht zwingend, wie der Vf. übrigens selber zugibt; man wird wegen der gleichzeitigen Ereignisse im Osten Ophelas Tod lieber mit Beloch 309, als mit T. in 308 setzen. Das Buch bringt beinah keine neuen Ergebnisse ; vor allem mußte Ägathokles' Politik im Zusammenhang mit den Ereignissen des Ostens und den Kämpfen Roms um Italien betrachtet werden , und befremdend bleibt die völlijre Vernachlässiffuna; der Münzen. Über die etwas rätselhafte Expedition des Ägathokles gegen Phoinike handelt Pais (Ricerche No. 16), und er hat wenigstens so viel wahrscheinlich gemacht, daß es sich um eine Unternehmung aus der Frühzeit des Ägathokles vor 316 handelt, die natürlich nicht gegen das illj-rische Phoinike, sondern vielleicht gegen einen kleinen Ort in der Nähe Tauromenions gerichtet war. *

Sechstes Kapitel,

Die liellenistisclieu Reiche des Ostens bis zum Eingreifen Roms (301—217).

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In keinem Zeitraum der griechischen Geschichte ist es so schlecht mit unsern Nachrichten aus dem Altertum bestellt , wie grade im dritten vorchristlichen Jahrhundert. Das hat von neuem die Quellenunter s uchixng erwiesen, die Tarn seinem Buche über Antigonos vorausgeschickt hat : in seinem Falle steht es ganz besonders schlimm, da die gesamte Überlieferung, so trümmerhaft sie auch ist, doch in einem Punkte sich als ganz geschlossen er- weist, nämlich darin, daß sie ein seinem Helden feindliches Gepräge trägt. Um so wichtiger werden die Inschriften, die für diese Zeit in immer steigender Menge zur Verfügung stehen und zum Teil schon in den neuen Corpusbänden (s. S. llO) Aufnahme ge- funden haben: die laufend neu hinzukommenden finden sich meist im Bull, de corr. hell, oder in der ^E(fr^t.i. aQyaio?.oyixtj, wozu denn noch einzelne Sammlungen, wie die des verstorbenen Zolotas, hinzukommen. Immerhin ist grade die Hauptmasse der Inschriften, die von Bourguet herausgegebenen delphischen und die von Dürrbach und Rons sei bearbeiteten delischen Steine nicht eigentlich geschichtlichen Inhalts: meist beziehen sie sich auf lokale

214 Thomas Lenschau.

Verhältnisse und nur ab und zu fällt ein Streiflicht von ihnen auf den Gang der großen Ereignisse, weshalb der aus ihnen zu ziehende Gewinn nicht so erheblich ist, wie man nach ihrer Menge erwarten sollte. Vielleicht wird das besser werden , wenn erst überall die chronologische Abfolge einwandsfrei festgestellt ist. An einzelnen wichtigeren Inschriften wären etwa folgende zu nennen : der von Johnson herausgegebene Volksbeschluß für Artemidoros , ein Duplikat beinahe zu IG II ^ 662, der von Kirchner unter Menekles 283/2 gesetzt worden ist; J. möchte in beiden Inschriften Diokles 288/7 ergänzen , da die politischen Verhältnisse und das Bündnis mit Lj'simachos besser zu dem früheren Jahre passen. In dieselbe Zeit, 287, setzt Bourguet (S. 485 j die delphische Inschrift für Prepelaos, den Feldherrn des Lysimachos, der aus unsrer literar. Überlieferung nach Ipsos verschwindet. Dann folgt ein Ehren- beschluß der Nesioten für Sostratos, den Erbauer des Pharos von Alexandria, der von Philadelphos mehrfach in politischen Sendungen gebraucht wai'd, von Rons sei (BOH 31) vor 265 angesetzt. Weiter das Ehrendekret für König Arcus, das von Bourguet auf Areas I. bezogen und im Hinblick auf Justin 24, 1 5 etwa ins Jahr 281 gesetzt worden ist, während de Sanctis wahrscheinlich richtiger an Ai'eus II. denkt und die in ein Pythienjahr gehörende Inschrift in 254/3 verlegen möchte. Unter den delphischen Inschriften sind ferner noch die von Pomtow behandelten 13 Aetolierdekrete zu nennen und endlich die Inschrift für Theodotos , einen General Ptolemaios Philopators (Bourguet S. 166). Aus Delos stammen die von ßoussel herausgegebenen Dekrete für den Nesiarchen Hermias (S. 363, vgl. Tarn S. 269) und für Aristobulos v. Thessalonike, einen onomc des Demetrios, womit nach Roussel S. 367 ff. im Hinblick auf Ditt. syll. ^ 245 nur Demetrios II. genannt sein kann. Auch auf die nicht unbeträchtliche Ergänzung der -großen Laodike- inschrift durch Wiegand ist hier hinzuweisen, es handelt sich um etwa 30 Zeilen im Anfang, die den zweiten Teil des Satrapen- briefes und den Beginn des königlichen Schreibens an den Satrapen enthält, das also jetzt vollständig vorliegt, besonders aber auf die Neubearbeitung des II. und III. Bandes der I.G. durch J. Kirchner, die so2. editio minor, die in ihrem ersten Teil sämtliche Volks- beschlüsse von 403/2 bis 230/29, also vom Jahr des Eukleides bis zum Ende der makedonischen Herrschaft umfaßt, wobei alles Material aufs sorgfältigste verwertet ist. Hinzugekommen ist außer der von Johnson veröffentlichten Inschrift aus dem Jahr des Diokles noch ein zweites Dekret, in dem Sund wall mit ziemlicher Sicher-

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heit den Namen des Peithidemos ergänzt hat, 266/5, dessen Jahr danach ein Gemeinjahr gewesen sein muß. Auch was die Papyri bringen, ist zwar für die Kenntnis der Verwaltung des Ptolemäer- reichs außerordentlich interessant , so daß wir über keinen der hellenistischen Staaten so gut unterrichtet sind wie über Ägypten, aber für die Geschichte selber fallen doch nur ab und zu wichtigere Ergebnisse ab, wie z. B. die genauere Bestimmung des Todes von Ptolemaios Euergetes, der nach den Liller Papyri jetzt von Les- quier mit ziemlicher Sicherheit auf die Zeitspanne vom 27. Pha- menoth bis 1. Thoth, d. h. vom 10. Mai bis 17. Oktober 221, fest- gelegt ist, was für die Zeitbestimmung der Schlacht von Sellasia und den ersten Krieg um Koilesyrien wichtig ist (Magdola-Pap. 88 ff.). Ebenso hat Wilcken aus den von Rubensohn heraus- gegebenen Elephantinepapyri den Schluß ziehen können , daß von einer Abdankung Ptolemaios' I. nicht die Rede sein kann , daß vielmehr von 285/4 Ptolemaios der Sohn, d. h. der spätere Phila- delphos, neben ihm als Mitregent bezeichnet wird, was man früher bezweifelt hatte. Jedenfalls starb Ptol. I. vor dem 23. Tybi 283, da 284/3 als Ptolemaios' II. 2. Jahr bezeichnet wird. Endlich die Münzen, bei denen besonders Sundwalls eindringende Untersuchung über die attischen Münzen mit Beamtennamen zu verzeichnen ist; freilich betreffen sie vorwiegend erst die Folgezeit. Für die Seleukidenmünzen kommt der Aufsatz von Rogers in Frage, und zum Schluß mag hier endlich auch auf die Neuauflage von Heads Historia numorum hingewiesen werden, die seit langem erwartet worden ist.

Die erste und wichtigste Aufgabe wird stets die Feststellung der Chronologie bleiben, und da die meisten uns überlieferten Angaben immer noch auf die athenischen Are honten gestellt sind, so handelt es sich zunächst um eine möglichst einwandfreie Herstellung ihrer Reihe. Gegen Beloch, der in seiner Griech. Ge- schichte die letzte umfassende Bearbeitung des Gegenstandes ge- boten hatte, sind in den letzten Jahren Ferguson, Kirchner und Kolbe mit abweichenden Ansichten hervorgetreten. Ins- besondere hat Kolbe im Verfolg seines bereits im vor. Bericht (S. 166 f.) erwähnten Aufsatzes nunmehr die ganze Reihe von 293/2 bis 31/0 einer eingehenden Betrachtung unterzogen, die sich zu- nächst mit grundsätzlichen Erwägungen befaßt. Er betrachtet und das ist zweifellos richtig, wenn auch von Ferguson nicht immer festjiehalten die historischen Erwägungen als grundlegend für die Ansetzung der Archonten: alle andern Hilfsmittel kommen erst

210 Thomas Lenschau.

in zweiter Linie in Betracht. Dahin gehören zunächst die von Ferguson entdeckte Phylenfolge der Ratsschreiber und ebenso die von Sundwall und Ferguson gleichzeitig entdeckte Abfolge der Asklepiospriester ; beide sind unvollständig überliefert und vor allem Störungen infolge politischer Ereignisse unterworfen, die ihren Wert sehr beeinträchtigen. Allein auch gegen die zeitliche Festlegung der Asklepiospriesterliste durch Ferguson wendet sich Kolbe, und was er anführt , beweist wenigstens so viel , daß Fergusons Be- hau]jtung, durch die zwei nacheinander im selben Jahr amtierenden Priester derselben Phyle sei dies Jahr als Endjahr des chremoni- deischen Krieges erwiesen, nicht vollkommen zwingend ist, wenn auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit bleibt (S. 6 ff.), ebensowenig zwingend, wie die auf unzulänglichem Material beruhende Ansicht Fergusons, ßatsschreiber und Asklepiospriester hätten im III. Jahrh. stets derselben Phyle angehört (S. 13 ff.). Weiter aber wendet sich K. auch gegen Belochs Verwendung des Schaltcyklus , und hier kommt er in Übereinstimmung mit Ferguson zu dem Ergebnis, in- folge der vielen Störungen des attischen Kalenders sei eine genaue Feststellung nicht möglich, und nur die Forderung müsse aufrecht- erhalten werden, daß unter 19 Jahren sich 12 Schaltjahre und 7 Gemeinjahre fänden. Nimmt man nun hinzu , daß der Anfangs- punkt des Zyklus keineswegs feststeht (s. o. S. 194), so kommt man allerdings zu dem Schluß, daß alle diese neuentdeckten und mit so großen Hoffnungen begrüßten subsidiären Hilfsmittel sich als trügerisch erwiesen und daher bei der Ansetzung der Archonten auszuscheiden haben. Dann bleiben als entscheidend nur die ge- schichtlichen Ei'wägungen übrig. Allein bei der Lückenhaftigkeit unsrer Kenntnisse Avürde dies so ziemlich einem völligen Verzicht gleichkommen, und so operiert denn auch Kolbe genau so wie seine Vorgänger mit den Priesterfolgen , weniger mit den Schaltzyklen, und darin liegt es denn bedingt , daß auch seine Aufstellungen großenteils nur hypothetischen Wert haben. Nirgends sind inschrift- liche Entdeckungen notwendiger als hier; vor allem Gleichsetzungen der Archontenreihe mit der delischen und der delphischen E[)0- nymenliste wären höchst erwünscht. Bisher allerdings hängt die delphische Reihe noch durchaus von der attischen Archontenliste ab. Immerhin sind doch im einzelnen einige Fortschritte zu ver- zeichnen: da.s langumstrittene Jahr des Philip pos, für dessen Ansetzung auf 292/1 noch kürzlich Clark und, entgegen seiner früheren Ansicht, auch Ferguson eingetreten ist, scheint nun durch Kolbe endgültig auf 293/2 verlegt, wodurch denn allerdings die

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Angabe der Menandrosinschrift über das Geburtsjahr des Dichters Sosigenes 342/1 sich als ein auf falscher Kombination be- ruhender Fehler erweist; es muß Lykiskos (344/3) heißen (Kolbe S. 19 ff., s. a. \x)v. Ber. 166). Sodann handelt es sich um die Gruppe Diokles, Diotimos, Isaios, Euthios. an die sich nach Tarn S. 417 unmittelbar Urios anschließt: Kolbe setzt sie in 287/6 284/3 gegen Beloch 288/7 285/4, während Kirchner und Ferguson an ihrer alten Datierung festhalten, 290/8 287/6, und Tarn für 289/7—286/5 eintritt (S. 418); es sind also alle möglichen Jahre 290 284 besetzt. Hauptsächlich handelt es sich hier um die Zu- rechtlegung der geschichtlichen Verhältnisse , insbesondre darum, ob Athen vor Demetrios' Sturz 288/7 abgefallen ist oder nicht. Natürlich kann hier nicht im einzelnen auf die Frage eingegangen werden, zumal die eigentlich entscheidenden Untersuchungen über den Zeitraum des Berichts hinausfallen ; so viel aber maa; hier ire- sagt sein, daß der ganze Streit, nachdem schon Mayer 1917 auf Grund eines neuentdeckten Apollodorfragments für Euthios 287/6 eingetreten war, nunmehr durch Kirchners Euthiosaufsatz endgültig zu seinen und Fergusons Gunsten entschieden ist. An Euthios würde sich dann Urios 285/4 anschließen, obwohl es sich auch da nur um eine Vermutung Kirchners handelt, aber die Stelle Usener, Epicur. 134,1 wird jedenfalls bei einem dreijährigen Zwischenraum viel verständlicher, als wenn man einen 12jährigen annimmt, wie ihn Kolbes Ansatz Urios 273/2 erfordert. Schwierig dagegen bleibt immer noch die Fi-age nach dem Archontenpaar Antipatros Arrheneides. Kolbe hat versucht, sie beide dem Jahre 262/1 zuzuweisen, indem er annimmt, Antipatros sei der Archen des Jahres, indem Athen fiel und der chremonideische Krieg zu Ende ging, worauf bei der Neubesetzung aller Amter Arrheneides an seine Stelle trat. Ich halte das für richtig, zunächst aus dem Grunde, weil die Bezeichnung bei Philod. jcegi röJv ocor/.wv col. III f/r' ^AvTindxQOv zov ttqo ^oqeveiÖov sonst nicht verständlich ist. Denn zur Unterscheidung kann der Zusatz nicht gemacht sein , da man den hier genannten Antipatros doch nicht gut mit seinem Namens- vetter aus 389 verwechseln konnte , der viel zu weit abliegt : es müßte denn sein, daß in der großen Lücke 262/1 232/1 noch ein Antipatros gestanden habe, wovon uns aber vorläufig nichts bekannt ist. Also hat Antipatros' Namen den Zusatz erhalten, weil es auch Archontenlisten gab, in denen nicht sein Name, sondern der des nachgewählten Arrheneides stand, der allerdings den größten Teil des Jahres amtiert hatte. Dies geht m. E. aus der Nachricht übei-

218 Thomas Lenschau.

Zenoiis Tod hervor, der unmittelbar nach der Einnahme Athens er- folgte ano KkEägyov yag en Yl4QQ\evE[l]dr.v hf^ oc ar^in[Eiio9]ijrai [Te]T€X€iy/.iva[i] Z>'^vtora, ettj iaziv evvla xa[/] rQia-Koyvrct] '/.ai (.i^vag TQEtg nach Crönerts Lesung. Die drei Monate, deren Zusatz bei einer Zählung von Archon zu Archon allerdings befremden müssen, kann man doch nur erklären, wenn man sie als die Amtsdauer des Antipatros betrachtet. Dieser ist also in den ;i9 Jahren nicht mit- gerechnet, also erhält man von Klearch 301/0 an bei einschließlicher Rechnung für Athens Einnahme Spätherbst 262/1. Danach ist also 2(52/1 das Jahr, in dem Antipatros drei Monate amtierte, die übrigen neun entfallen auf Arrheneides. 8o ungefähr wäre Kolbes Ansicht auszuführen; die übrigen Hypothesen hat Tai'n S. 306 Anm. 93 zu- sammengestellt, der selber Kolbes Ansicht zurückweist, aber für Athens Fall lediglich aus Wahrscheinlichkeitsgründen doch auch auf Ende 262 some time in the winter 262/1 kommt. Von den späteren Archonten haben sich die Forscher bei Kallimedes II. auf 223/2 geeinigt, auch Kallimedes I. wird mit ziemlicher Überein- stimmung in 246/5 gesetzt. Sicher sind Anaxikrates 279/8, Demo- teles 278/7, Pytharatos 271/0, Diognetos 264/3, Thrasyphon 221/0, während Jason 232/1, Chairephon 219/8, Kallistratos 206/5 auch noch ein Jahr später gesetzt werden können. Neu hinzugekommen ist aus einer Inschrift der Archon Athenodoros, den der Heraus- geber Oikonomos vermutungsweise auf 240/39 datiert hat. Die meisten andern Ansätze bleiben unsicher , doch stimmen in der Ansetzung von Lysiades 247/6, Thersilochos 244/3, Lysanias 235/4 Ferguson und Kirchner überein (Berl. phil. Woch. 1906, 989).

Die Grundlagen der delphischen Chronologie, die Pom- tow im Jahre 1901 (in Pauly-Wissowas R.E.) gelegt hatte, sind bekanntlich von Beloch in Zweifel gezogen, der die Schlüsse aus dem Schriftcharakter als zu unsicher beiseite ließ und wesentlich nach inhaltlichen Momenten die Gruppierung der Inschriften vor- nahm. Als wichtigstes Kriterium galt ihm die Zahl der aitolischen Hieromnamonen , deren größere oder geringere Anzahl für ihn das Anzeichen späterer oder früherer Entstehung war, da er ein all- mähliches Aufsteigen der aitolischen Macht ohne wesentliche Rück- schlage annahm. Dieser Ansicht, der im Grundsatz auch Tarn (Ant. 215 A. 147) und Swoboda (Staatsalt. S. 337 f) beipflichten, hat Sokoloff dadurch den Boden zu entziehen gesucht, daß er behauptete , die Aitoler wären bei der Festsetzung der eigenen Stimmenanzahl völlig willkürlich verfahren. Gegen diese schon innerlich unwahrscheinliche Aufstellung hat sich Walek gewandt

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und nun seinerseits eine umfassende Neuaufstellung der Eponymen- liste versucht, wobei er aber dem Schriftcharakter der Inschriften wieder ziemlich viel Gewicht beilegt , ohne doch Belochs Haupt- kriterium, die Zahl der Hieromnamonen gänzlich zu vernachlässigen. Ist somit über die Grundlagen der Methode noch keine Eini2un<r erzielt, so hat sich doch schon an manchen Stellen eine Überein- stimmung der Ansichten ergeben, die eine gewisse Bürgschaft der Wahrheit geben kann. Der erste jienau festzulejrende Beamte ist nach Bourguet (BGH 27, 41 ff.) Herakleides IL im Jahre 287/6, unter ihn fällt das neuentdeckte Dekret für Prepelaos , vor ihn sicher Athambos und wahrscheinlich Timon, Isos, Hipj)otas, was aber nicht ganz sicher ist (Walek S. 34). Dagegen setzt nun Walek mit großer Wahrscheinlichkeit in die Zeit von 286 281 eine Reihe von Proxeniebeschlüssen für Makedonier, die sowohl dem Schrift- charakter nach , wie auch aus allgemeinen Gründen in diese Zeit fallen müssen , sofern nur damals ein gutes Verhältnis zwischen den Aetolern und den makedonischen Königen Lysimachos und Pyrrhos bestand. Auf diese Weise gewinnt er die Namen Dexippos, Eudokos I.. Ornichidas II., Xenochares T. (S. 35 ff.) , und dazu würde sich noch Emmenidas I. gesellen , wenn die Areusinschrift mit Bourguet in diese Zeit zu setzen wäre , was indessen de Sanctis bestreitet. Auch so hätten wir aber für 286/5 bis 283/2 sämtliche Namen, allerdings noch nicht in bestimmter Reihenfolge. Der nächst« sichere Archon wäre dann Hieron, von Beloch auf 278/6, von Walek genauer auf 278/7 angesetzt. Für die folgenden Jahre hat dann Bourguet S. 456 die Reihe Aristagoras II., Charixenos, Herakleidas III. (274/3), Archiadas (273/2), Eudokos 272/1 und Straten 271/0 festgestellt; der im Anfang fehlende wird durch Waleks Einsetzung des Erasippos auf 277/6 gewonnen, so daß nunmehr die ganze Reihe von 278 270 fast völlig gesichert vor- liegt (Walek S. 69).

Bis hierhin ist alles ziemlich klar; die Schwierigkeiten beginnen mir der Einreihung der Soterienlisten (Pomtows Gruppe B) und der Peithagoras-Herysgruppe (Pomtows C). Zu jenen gehören die vier Archonten Aristagoras II., Emmenidas, Nikodamos, Kleondas, deren Reihenfolge und Zusammengehörigkeit feststeht: Pomtow setzt sie 272/1—269/8, Walek 266/5—260/59, Beloch 262/1—256/5. Da es sich um ein trieterisches Fest bei den Soterien handelt , wie B. und W. übereinstimmend mit Recht annehmen , so sind sie über mindestens sechs Jahre zu verteilen , und da in ihnen allen die Aitoler mit plötzlich 9 Stimmen erscheinen, so muß diese Erweite-

220 Thomas Lenschau.

rung iu einer Zeit vor sich gegangen sein, als der Hauptfeind der Aetoler, Makedonien, anderweitig beschäftigt war. Daher scheidet Pomtows Ansatz aus ; es erscheint nämlich ziemlich sicher, daß die Ausbreitung der aitolischen Macht irgendwie mit dem chremoni- deischen Kriege zusammenhängt, und nur das bleibt unklar, ob die Ausbreitung schon während des Krieges (Walek) oder nach dem Kriege (Beloch) sich vollzog, de Sanctis Ansatz der Areusinschrift und des Emmenidas auf 256/5 oder 255/4 würde für Beloch sprechen, der Schriftchai'akter hilft hier nicht weiter, da nur so viel fest- steht, daß alle Dekrete vor 250 fallen. Unmittelbar danach wären Arayntas, Nikaidas, Dion anzusetzen, die von Walek auf 256/3, von Beloch auf 255/1 verlegt werden. Ähnlich liegt die Sache mit Pomtows Gruppe D von Archiadas bis Peithagoras, die sämt- lich nur 5 7 aitolische Hieromnamonen aufweisen und deswegen von ihm in die Zeit Demetrios' II. (239 229) gelegt werden, der bekanntlich den Aitolern eine schwere Niederlage beibrachte: dazu stimmt ganz gut, daß Peithagoras mit dem sicher ziemlich späten Herys auf einem Beschluß für denselben Antagoras eng verbunden erscheint. Hiergegen machte Beloch seinen Grundsatz geltend, daß die Macht der Aitoler langsam, aber stetig gewachsen sei, deswegen müsse die Gruppe D vor die Soterienkataloge, die durchweg neun Vertreter hätten, gestellt werden; zugleich suchte er den Gedanken eines Rückschlags unter Demetrios II. auf alle Weise zu entkräften (Gr. G. III 2, 349 ff.). Es ist nun aber doch wohl Walek (S. 122. vgl. auch Costanzi unten s. 230 f.) zuzugeben, daß die Niederlage unter Demetrios nicht ganz ohne Nachwirkung geblieben sein kann, und daß sich daher Pomtows Gruppe D ganz gut in den dreißiger Jahren unterbringen läßt, zumal bei der Beschaffenheit des Dopjtel- dekrets Peithagoras-Herys nicht daran zu denken ist, daß zwischen lieiden Dekreten ein Zeitraum von 30 Jahren möglich sei (S. 78 ff.). Auch der epigraphische Befund spricht nach W. 122 ff. hier ent- schieden für die spätere Zeit. Endlich sind noch die 13 Dekrete auf der Aitolerbasis zu nennen, über diePomtow in der Klio ge- handelt hat. Danach sind die 9 auf dem unteren Stein genannten Archonten zwischen 270 240 anzusetzen , während die oberen 4 ins zweite Jahrh. gehören. Für jene hat Pomtow S. 439 die Reihen- folge Damochares, Theoteles, Archidamos, Ainesidamos, Aischriondas, Aristoxenos angenommen; allerdings ist seine Beweisführung keines- wegs überzeugend, und ebensowenig steht es fest, ob die genannten eine geschlossene Reihe bilden. Nach 230 sind dann die Unter- schiede in der Zuteilung: der Archontennamen durch die einzelnen

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f'orscber nicht mehr so bedeutend , nur dalj hier die Reihenfolge noch sehr im argen liegt. Immerhin sind hier Walek eine ganze Keihe wahrscheinlicher Ausätze geglückt , wie er denn überhaupt seit Pomtow zuerst wieder den Versuch gemacht hat, eine voll- ständige Liste aufzustellen. Seine Arbeit bezeichnet daher eine wesentliche FiU-derung, leider ist auch so die Unsicherheit noch immer so groß , daß eine umfassende Verwertung des delphischen Materials für die Zeitgeschichte noch nicht möglich ist.

Bessere Ergebnisse hat die delische Chronologie auf- zuweisen. Hier hatte bereits Homolle die Vorarbeit geleistet und für die Zeit des Freistaates von 301 168 eine leidlich zusammen- hängende Reihe von Archonten nachgewiesen, von denen die erste Gruppe von Lysixenos bis Anektos .301 225 reichte. Die zweite umi'aßte die Namen von 224 199 mit zwei Lücken, die dritte ging von 198 Ivosmiades bis 169 Alkiraachos ; im ganzen waren also von 301 169 drei Lücken vorhanden. Da entdeckte S c hu Ihof sechs neue Archontennamen : Stesileos , Epikydes , Philon , Timoxenes, Mantitheos II. und Lysimachides , von denen sich allerdings der letzte bald als ein älterer , dem IV. Jahrh. angehöriger , erwies. Dann fand Roussel 1911 einen Archontenkatalog, durch den ganze Reihen, so von 197—180, 298—291, 176—174, endgültig in ihrer Abfolge festgelegt wurden, und so gelang es endlich Dürrbach durch Herabrückung der Gruppe C auf 197 168, durch Herauf- setzung der Gruppe A um zwei Jahre und durch Auffüllung der Lücken in B die ganze Archontenreihe von 301 167, insgesamt 135 Namen, festzulegen. Seine Liste im Band XI, 2 der IG. bietet also eine geschlossene Reihe, von der Homolleschen unterscheidet sie sich dadurch, daß sämtliche älteren Archonten (Gruppe A) um 2 heraufzusetzen sind, wodurch die Beziehungen zu den geschicht- lichen Ereignissen z. T. noch viel auffälliger hervortreten (Ferguson Journ. S. 199, Tarn 217 f.). Allerdings ist es nicht ganz sicher, wie Dürrbach IG XI, 2 praef. ausführt, ob nicht die ganze Reihe von 301 167 auf 302 168 heraufzusetzen ist-, auch zeigen die Jahre 218 209 noch ein geringes Schwanken der Anordnung. Doch hindert das die geschichtliche Brauchbarkeit der Liste wenig, die in allem Wesentlichen feststeht. Hier am Schluß der Bemerkungen über die Chronologie möge übrigens Haussoulliers Aufsatz ge- nannt werden, der ein eigentümliches Schwanken der Arsakidenära feststellt. Sie begann im 65. Jahr der Seleukidenära, die vom 1. Nisan 311 ab rechnet: dagegen zeigt nun die von H. behandelte Inschrift eine merkwürdige Unsicherheit , sofern der Anfang der

•222 Thomas Lenschau.

Arsakideuäi-a bald ins Jahr 64, bald in 65 dei- Seleukideuäi-a ge- setzt wird. H. erklärt die Sache dadurch, daß die Arsakidenära am 1. Tisri begann, dann ergaben sich im Halbjahr Nisan-Tisri 65» im Halbjahr Tisri-Nisan 64 Jahre als Zwischenraum.

Die ersten beiden Jahrzehnte des III. Jahrh., die mit der Schlacht auf dem Kurosfelde, mit Pyrrhos' Übergang nach Italien und dem Galliersturm abschließen, sind von einer Reihe gewaltiger Kämpfe erfüllt , in deren Mittelpunkt der ältere Demetrios steht. Da sie sich meist auf griechischem Boden abspielen und Athen dauernd in Mitleidenschaft gezogen wird , so ist für diese Zeit Fergusons schon genanntes Werk heranzuziehen, das die ziem- lich verwickelten Verhältnisse erschöpfend darstellt. Im ganzen folgt der Vf. dabei seinen schon früher (vgl. vor. Ber. Bd. 135, 172 ff.) vorgelegten Ansichten : immerhin läßt sich nicht leugnen, daß die Beibehaltung der alten Bezeichnungen der oligargischen und demo- kratischen Partei mit ihren verschiedenen Schattierungen die Dar- stellung etwas unübersichtlich und ermüdend macht. Tatsächlich verloren die alten Schlagworte 294 ihre Kraft, als Demetrios, bis dahin der Hort der demokratischen Partei , den makedonischen Königsthron erwarb und dadurch einerseits den immer makedonisch gesinnten Oligarchen näherrückte, andrerseits zu seinen bisherigen Freunden, den antimakedonisch orientierten Demokraten, in einen sich immer mehr verschärfenden Gegensatz geriet. Es ist 'daher richtiger, mit Tarn S. 44 von dieser Zeit ab in Athen nur noch makedonierfreundliche und makedonierfeindliche Politiker zu schei- den: auf beiden Seiten fanden sich unterschiedslos Demoki-aten und Oligarchen zusammen, da die alten Gegensätze ihre Bedeutung verloren hatten und neue an ihre Stelle getreten waren. Das tritt besonders bei der Erhebung des Jahres 288/7 zutage, die den Kampf der großen Koalition gegen Demetrios einleitete. Binnen kurzem war die gewaltige Macht, über die Demetrios verfügte wenigstens in groben Umrissen hat Tarn S. 37 88 eine gute Übersicht über sie gegeben , zertrümmert und er selbst ein landflüchtiger Feld- herr ohne Heer geworden, der bei Seleukos eine ehrenvolle Inter- nierung fand, worin er langsam zugrunde ging. Die Alliierten iie- mächtigten sich seiner Länder; vor allem gewann Ägypten fast ohne Schwertstreich die Herrschaft zur See hauptsächlich durch den Verrat des Philokles , Königs von Sidon , der aus Demetrios' Diensten nach dessen Sturz zu Ptolemaios übergegangen zu sein scheint. So Tarn S. 104 A. 29, während Corradi S. 602 mit Beloch, Gr. Gesch. III 2. 257 diesen Abfall schon 294 sich voll-

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ziehen läßt, gleichzeitig mit dem Verlust von Tyriis und Sidon, den er ebenfalls in diese Zeit setzt; übrigens gehörte er, wie Eiselen gezeigt hat, tatsächlich dem Königshause Eshmunazars an. Dem- gemäß wird also etwa 287 Ptolemaios Schutzherr des Bundes der Xesioten, was er oflfenbaj- bis zur Schlacht von Kos geblieben ist : eine Reihe von Bundesbeschlüssen beweist es , von denen jedoch keiner nach Roussels ausdrücklichem Zeugnis über 250 hinab- geht (S. 443 in BCH 1911). Dagegen gelang es Demetrios' Sohn Antigonos, sich in Griechenland zu behaupten, von wo aus er nach seinem Keltensieg bei Lysimacheia auch das Stammland Makedonien wieder gewann. Die Grundsätze seiner Politik, von denen er niemals al)gewichen ist, hat Tarn überzeugend dargelegt (S. 194 ff., 204 ff.). Über Seleukos' makedonisches Königtum hat sich zwischen R e u ß und Lehmann-Haupt ein Streit erhoben , in dem das Recht, wie es scheint, auf Lehmanns Seite geblieben ist. Haujjtsache bleibt doch , daß der Stein v. Borsippa Seleukos aus- drücklich als sär Ma-ak-ka-du-ni-aia bezeichnet, Antiochos aber nicht. Damit ist die Deutung „makedonischer König", was nur auf die Abstammung gehen würde, unmöglich gemacht : denn Makedone von Geburt war Antiochos sogut wie Seleukos. Wenn also nur dieser als „König v. Makedonien" bezeichnet wird, so war er es eben in dem einzig möglichen, d. h. im politischen Sinn, und sicher ist, daß noch Antiochos I. Ansprüche auf den makedonischen Thron erhoben hat, die sich doch nur auf das makedonische Königtum seines Vaters begründen konnten. Ja, es ist sogar nicht aus- geschlossen, daß noch Antiochos III. den Anspruch geltend machte, wenngleich Lehmann-Haupt es in Abrede stellt: das höchst eigen- tümliche Verhalten König Philipps V. in den Jahren vor Magnesia (s. vor. Ber. Bd. 1:35, 213 f.) zeigt doch, daß er derartiges befürchtet hat. Übrigens hängt mit dieser Sache auch die Frage nach den Ursachen des ersten syrischen Krieges zusammen, die Corradi behandelt hat, allerdings ohne sie wesentlich zu fördern. Zwar hat er richtig hervorgehoben , daß zwei Verträge vorhanden waren, einer vor Beginn des Koalitionskrieges gegen Antigonos I. geschlossen , der Ptolemaios' Koilesyrien als seinen Beuteanteil sicherte , und ein zweiter nach Ipsos , der den Ägypter von der Beute ausschloß , weil er die versprochene Hilfe nicht geleistet hatte. Nun hatte sich freilich Ptol. schon vorher in den Besitz des strittigen Gegenstandes gesetzt, so daß Seleukos nur der Protest übrig blieb, Diod. 21, 15; aber durch diesen wahrte er eben sein Recht und ließ die Frage offen , wie Corradi ganz richtig betont

224 Thomas Lenschau.

Daiiogen läßt er vollständig Paus. 1,7, 3 beiseite, wo offenbar aus guter Quelle Antiochos I. beschuldigt wird , er habe durch seinen Angriff 275 den Vertrag seines Vaters mit Philadelphos gebrochen; es ist schon im vorigen Bericht (Bd. 135, 178 f.) darauf hingewiesen, daß hier von einem Geheiravertrag die Rede sein muß, den Seleukos mit Philadelphos geschlossen hatte , um den Rücken gegen Lysi- machos freizubekommen , und der ihm wahrscheinlich den Besitz Koilesyriens zusicherte. Übrigens ist es nach der ausführlichen Darstellung Tarns doch sehr fraglich, ob sich beim Beginn des Krieges tatsächlich eine solche Scheidung der Weltmächte in zwei feindliche Lager vollzog, wie sie Lehmann-Haupt voraussetzte (s: vor. Ber. S. 186). Daß Antigonos Gonatas damals mit Ptolemaios auf der gleichen Seite gegen Syrien gestanden hat, wäre allerdings bei der überlieferten Feindschaft zwischen seinem Haus und den Lagiden nur dann glaublich , wenn eine ganz sichere Nachricht vorläse. Nun ist aber die betreffende Nachricht so unsicher wie möglich , sie beruht auf den Worten des Schol. Callim. in Apoll. Delium vs. 175, daß ^Avriyovög rig q>iXog zou Otlaöelcfov JTr. iTQO^erel aizovg (nämlich die Gallier) avro) ojare f.naiyov argatei- eodai. Freilich haben manche Gelehrte, zuletzt auch A. Rei- nach, der die Gallier in Ägypten ausführlich bis in die römische Kaiserzeit hinein behandelt hat, in diesem L4i'Tiyov6g zig den König •V. Makedonien gesehen , der nach seinem Siege bei Lysimacheia gefangene oder sonstwie in seinem Sold befindliche Gallier an Phila- delphos abgetreten habe. Aber der Ausdruck ist ganz unbestimmt und die Beziehung höchst unsicher, wie man Tarn S. 442 ff. zu- geben muß : im Gegenteil hetzte damals grade Arsinoe Pyrrhus auf Antigonos, der andrerseits mit seinem Schwager Antiochos I. seit der Heirat der Stratonike in guten Beziehungen stand. Über den Verlauf des Krieges endlich ist wenig zu ermitteln: daß Ptole- maios damals schon in lonien stand und Erythrai besetzt hielt, war bereits im vor. Bericht als unwahrscheinlich bezeichnet (S. 185). Jetzt hat sich auch de Sanctis gegen die Verwertung der Inschr. Ditt. Syll. 2 250 in diesem Sinne erklärt und insbesondre nach- gewiesen , daß die in der Inschrift erwähnten Männer Athenaios und Polykritos beide in seleukidischen Diensten standen, was für diesen auch noch aus einer Inschrift in Zolotas' Sammlung S. 195 hervorgeht. Wahrscheinlich besaß der Ptolemaier vor dem unglück- lichen Krieg Antiochos' I. gegen Eumenes, der am Ende des chre- monideischen ausbrach , im aegaeischen Meer nichts außer Samos und die Schirmherrschaft über den Nesiotenbund. Diese übte er

Bericht über griechische Geschichte (1907 1914). 225

im wesentlichen durch den Nesiarchen und den Nauarchen aus, über deren Unterschied Tarn im I.H.St. gehandelt hat: zu diesen, die eine hohe militärische Stelhing einnahmen, zählen Philokles um 280, Kallikrates v. Samos (noch 270), Patrokles im chremonideischen Krieg und endlich Hermophilos von Rhaukos ; zu jenen, die etwa unsern Ministerresidenten ähnlich waren, Bakchon um 280, Her- mias um 267 und wahrscheinlich auch ApoUodoros v. Kj-zikos, alles fremde, offenbar von Ptolemaios ernannte Beamte. Über den Umfang der Ptolemäerherrschaft s. Swoboda S. 418.

Die Frage ist nur, wie lange hat die ägyptische Herrschaft in den Kykladen gedauert, und da ist die neueste Arbeit, die von König, die das gesamte von Dürrbach, Roussel, Tarn und Ferguson gesammelte Material noch einmal behandelt, zu dem allerdings sehr anfechtbaren Ergebnis gekommen, daß Ptolemaios' Protektorat mit Demetrios' Zusammenbruch begonnen und das ganze Jahrhundert hindurch gedauert habe. Es handelt sich hier vor- nehmlich um die zeitliche Festlegung der vielumstrittenen beiden Seeschlachten von Kos und Andros. So viel steht nach Tarn (IHSt S. 265) fest, daß es sich bei beiden um einen Sieg des Antigonos handelt (so gegen de Sanctis S. 3, der Andros als eine Niedei'lage des Antigonos auffaßt); danach ist Trog, proleg. 27 das Ant'igonum sicher in AntUjonus zu ändern. Allein auch das hat Tarn bewiesen, daß es sich bei beiden um Antigonos Gonatas handelt : Belochs Beziehung von Andros auf Doson ist keineswegs zwingend, da es unsicher ist, ob in Trog. prol. 27 die chi'onologische Folge genau innegehalten ist (Ferguson Ö. 199 ff.). Weiter ist nur an der Hand der delischen Inschriften zu kommen , in denen eine Reihe von Festen erwähnt wird, deren Einsetzung sich genau auf die einzelnen Archontenjahre festlegen lassen. Zieht man die Neuordnung der Homolleschen Eponymenreihe durch Dürrbach und Roussel in Betracht (s. o. S. 221 f.), so ergeben sich folgende mit 'Gründungsjahr :

1. Ptolemaeia 285,

2. Philadelpheia 269,

3. Antigoneia und Stratonikeia 254,

4. Ptolemaeia (II) 251,

5. Theuergesia 247,

6. Paneiä und Soteria 246,

7. Demetrieia 239.

Die geschichtlichen Beziehungen sind ohne weiteres klar. Nr. 1 geht auf die Erhebung des Philadelphos zum Mitregenten, Nr. 2

Jahresbericht für AltertumswissPTT^ 'hart. üd. 180 (1919. III). 15

ooii Thomas Leuschau.

auf den Tod der Arsinoe , Nr. 5 auf Euergetes Thronbesteigung, die ganz wohl noch in 247 fallen kann (Tarn S. 279 ff.), endlich Nr. 7 auf Demetrios' II. Regierungsantritt im Jahre 240/39. Es ist also von vornherein wahrscheinlich, daß auch die übrigen Fest- gründungen (3. 4. 6) mit politischen Ereignissen zusammenfallen, und da wird man sich grundsätzlich doch der Meinung Tarns an- schließen müssen , daß die Festweihe jedesmal auch die politische Herrschaft der betreffenden Großmacht über Delos anzeigt. Das hat allerdings König S. 21 mit dem Hinweis auf die Neutralität von Delos bestritten , das ganz außerhalb des Bundes gestanden habe, und merkwürdigerweise ist auch Tarn einmal bei den Festen von 254 seinem Grundsatz untreu geworden. Aber derselbe Tarn zeigt auch, daß Delos keineswegs außerhalb des Bundes stand, sondern Mitglied des Bundes war (Ant. 429 ff.), und danach liegt die Sache doch so : wenn man auch die Möglichkeit privater Ehrungen unter fremder Herrschaft zugeben mag, wie Holleaux dies von dem ägyptischen Minister Sosibios nachgewiesen hat, der übrigens dem Schriftcharakter des Steines nach schon vor 240 unter Euer- getes im Amt gewesen sein muß : die Einsetzung bestimmter Feste zu Ehren eines Monarchen kann doch nur dann erfolgt sein, wenn dieser Monarch tatsächlich auf Delos und im Inselbunde eine be- herrschende Stellung einnahm, zumal wo es sich um zwei so absolut feindliche Dynastien wie Makedonien und Ägypten handelt, deren Gegensatz das ganze Jahrhundert hindurch für die Entwickelung noch maßgebender ist als der syrisch-ägyptische, der doch wenigstens von 250 246 auf kurze Zeit ausgeschaltet war. Ist das aber richtig, so ergibt sich mit völliger Sicherheit, daß 254 Antigenes Herr von Delos und den Kykladen war: das aber läßt sich nur so erklären, daß man mit Beloch und Ferguson (S. 190) Antigenes Sieg bei Kos in das Jahr 256 verlegt, wozu die Zurückziehung der Garnison auf dem Museionhügel 255/4 sehr gut passen würde. Gewiß läßt sich mit König gegen Belochs Kombinationen im einzelnen dies und das einwenden ; aber im ganzen ist seine Beweisführung durch- aus überzeugend, was schließlich auch König selbst zugibt, wenn er nach langen Widerlegungsversuchen endlich auch nichts Besseres an die Stelle zu setzen weiß und Belochs Meinung für durchaus wahrscheinlich erklärt.

Aber ebenso sicher ist freilich dann , daß Antigonos die bei Kos gewonnene Seeherrschaft bald wieder" Verloren hat, denn die Weihungen von 251 und 247 (Nr. 4 u. 5) zeigen, daß der ägyptische Einfluß in diesen Jahren wieder vorherrschend war: tatsächlich

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 22

zt

zählt der Stein von Adulis die Kykladen unter Euergetes' ererbtem Besitz auf (Ditt. or. Gr. 54 vs. 8). Das wird mit dem Abfall Alexanders v. Korinth zusammenhängen, der Antigonos nicht nur seines Flottenstützpunktes , sondeiii auch eines Teils seiner Schiffe beraubte und den Rest zur Untätigkeit verdammte, was sich Ptolemaios offenbar sofort zunutze gemacht hat. Nun hat Beloch in seiner Gr. Gesch. III 2, 434 f. im Gegs. zu III 1, 038 gezeigt, daß Alexandros Abfall in die Jahre 252 248 zu setzen ist und dem haben sich sowohl Tarn (S. 355) wie Ferguson (S. 193) mit geringer Abänderung, 251 247, angeschlossen, was genau zu den oben erwähntem Ergebnis aus dem Festkatalog stimmen würde, de Sanctis' Versuch, seine schon früher geäußerte Ansicht, der Abfall falle in die Mitte der vierziger Jahre, genauer zu begründen, ist m. E. völlig verfehlt und hat , soviel ich sehe , auch nirgends Anklang gefunden. Ist das aber richtig, dann muß Antigonos so- fort nach der Rückeroberung Korinths abermals zum entscheidenden l Schlage ausgeholt haben: der Tag von Andros entschied dann end- gültig über die Seeherrschaft im aegaeischen Meer, und nur das bleibt zweifelhaft, ob damals Sophron die ägj-ptische Flotte führte (so auch Co s tanzi, dagegen Ferguson S. 205). Jedenfalls aber läßt sich aus der Chronologie Sophrons kein Gegenbeweis gegen Tarns Ansetzung führen, da das Soprona in Trog. 27 nur auf Kon- jektur beruht.

Die Schlacht fällt also, wie Tarn gesehen hat, in das Jahr 240, und zu ihrem Andenken sind sowohl die Paneia wie die Soteria

(begründet : die Paneia zum Dank für Pan, den besonderen Schutz- gott des Antigonos Gonatas, und die Soteria zum Zeichen, daß er die Herrschaft über die Kykladen gewonnen und als Retter von der äg3ptischen Knechtschaft angesehen werden wollte. Allerdings stimmen nun schließlich mit diesem Ergebnis, Kos 256, Andros 246 weder Ferguson noch Tarn überein. Tarn verlegt Andros und Kos in dasselbe Jahr 246, muß aber dann die beiden Feste von 254 für private Veranstaltungen erklären, was nach dem Gesagten nicht geht und vor allem Tarns eigener Ansicht widerspricht. Ferguson setzt Andros 242/1 an, aber sein Versuch, das aus der Reihenfolge der Ereignisse in Trog. prol. 27 zu begründen, ist nicht überzeugend, da mit den Worten üt Ptolemaeus doch wahrscheinlich die Ereig- nisse des Seekrieges beginnen und Trogus hier ebensogut an den Beginn des syrisichen Krieges wie an sein Ende angeknüpft haben kann. Auch ist es sehr unwahrscheinlich, daß Antigonos mit seinem Angriff wartete, bis Euergetes seinen Krieg gegen Seleukos Kalli-

-

228 Thomas Lenschau.

nikos siegreich beendet hatte (243/2) : er wird gleich losgeschlagen haben, als sein Gegner 24l> in den schweren S37rischen Krieg ver- wickelt ward. Charakteristisch ist auch hier Königs Haltung: er bemüht sich S. 90 iF. sehr, die Beweise der Gegner zu widerlegen, kommt aber schließlich doch auf Fergusons Ansatz zurück , der ihm deswegen wahrscheinlich vorkommt , weil Ptolemaios 248 das Protektorat über den achaeischen Bund übernahm und von diesem zum Generalissimns zu Wasser und zu Lande ernannt ward (Plut. Arat. 24); dies könne eben nur vor der Niederlage v. Andros Sinn gehabt haben. Das Argument ist derart, daß es König bei jedem andern sofort abweisen würde : hatte denn Euei'getes nach seiner Niederlage überhaupt keine Seegeltung mehr? Antigonos' Erfolg, galt nur für die K3'kladen ; Kreta, Thera, Samos und Karien hielt Ptolemaios doch : wai'um sollte ihm daraufhin der achaeische Bund nicht den großartigen Titel denn um mehr handelte es sich ja nicht beigelegt haben V Es ist die alte Niesesche Schule ; jedes Einzelargument des Gegners wird so lange zerfasert, bis nichts mehr übrig zu sein scheint , und da man doch schließlich selber eine bestimmte Meinung abgeben muß, so sieht man sich am Ende genötigt, selber zu Argumenten zu greifen, die dem Gegner viel zu schlecht erschienen, um darauf irgendeine Beweisführung zu gründen. Es bleibt also dabei : mit Andros 246 war Ägj'ptens Herrschaft eigentlich in den Kykladen zu Ende, und damit stimmt lioussels Beobachtung, daß sämtliche Dekrete der Nesioten, die sie in enger Verbindung mit Ag3q:)ten zeigen, dem Schriftcharakter nach vor 250 fallen. Wenn man will , kann man auch das Sosibiosdekret noch in 247 setzen. Ob Rhodos an dem Kampf auf Antigonos' Seite teilnahm, wie Ferguson will (S. 189, Hell. Ath. 198), muß vor der Hand unentschieden bleiben: m. E. genügen die Spuren nicht, um etwas Derartiges zu erweisen. Jedenfalls bestand die Herr- schaft der Makedonier noch 222, als Doson nach Delos die Beute von Sellasia weihte (vgl. die von Holle aux herausgegebene Weih- inschrift) ; wie weit sie sich im einzelnen erstreckte , hat Tai-n S. 466 47;^) zu bestimmen gesucht. Vgl. auch die zusammen- fassende Behandlung der Frage dui-ch S woboda (Staatsalt. 416 fif.j, der zu ähnlichen Ergebnissen kommt.

Die Schlacht von Andros fällt also wahrscheinlich in den An- fang des großen dritten sj'ri sehen Krieges, den Euergetes gleich im Anfang seiner Regierung zu führen hatte. Die Ereignisse, die seinen Ausbruch verursachten , sind noch keineswegs völlig geklärt, nur so viel ist sicher, daß zur Zeit der großen Laodike-

i

.1.

Bericht über griechische Geschichte (1907 lül4). 22ii

Inschrift (Ditt. or. Graec. 22r»), die nach Zeile G (jetzt :36) etwa um 253 anzusetzen ist, König Antiochos nnd seine Frau bereits geschieden und die neue Ehe mit der Ägypterin geschlossen war ; über die Aussöhnung des Königs mit Laodike und wie lange sie vor seinem Tode erfolgt ist, darüber wissen wir nichts. Unmittel- bar nach dem Tode Antiochos' II. nun erfolgte die Ermordung Berenikes und ihres Sohnes, jedenfalls noch vor Euergetes Ankunft : hierin stimmen alle Quellen überein. Damit aber steht der be- kannte Papyrus v. Gurob in Widerspruch, in dem mit den Worten tlrni\).Üut.i(.v €ig i),v ((öehfi^i' col. I\', 20 Berenike noch als lebend erwähnt wird. Allein nn't Recht macht v. Wilamowitz darauf aufmerksam, daß bei den dann folgenden Verhandlungen Berenike nü'o-ends zuj2;ezoo:en erscheint , was bei einer makedonischen Prin- y.essin etwas seltsam ist , und so drängt sich die Vermutung auf. daß Berenike bei der Ankunft des Bruders tatsächlich schon tot war, daß maii aber die Tatsache verheimlichte, weil man ihre An- hänger nicht entmutigen wollte. Soweit stimmen v. Wilamowitz und de Sanctis (in den Atti) in ihrer Behandlung der Sache überein. Nun aber schließt v. W. weiter, daß also an der wahr- scheinlich aus Phjdarch stammenden Erzählung Polyaens etwas Wahres dran sei, und daß eine der Hofdamen Berenikes ihre Rolle weitergespielt habe, de S. dagegen hält die Geschichte für Er- tindung, ebenso wie die bei Plin. XH. 7, 5o, Val. Max. 1), 14 ext. 1 überlieferte Erzählung von Artemon, der an Stelle des verstorbenen Antiochos' IL dessen Rolle ebenfalls noch eine Zeitlang weiter- gespielt habe. Weiter bezweifelt de S. auch, daß der im Papyrus wiedergegebene Bericht von Euergetes selber verfaßt sei, indessen Ijeweisen doch, wie Wil. richtig hervorgehoben hat, die in Bericht in der 1. Person beschriebenen ausführlichen Em[)fangsfeierlichkeiten. daß es sich um Euergetes selber gehandelt hat. Die Sache bleibt dunkel; so viel allerdings scheint sicher, daß die Ägypter aus Rücksicht auf Berenikes Anhänger zunächst den Tod der Königin verheimlichten.

Der auf den svrischen folgende Bruder k r i o " zwischen Seleukos und Antiochos, der nach Corradi schon 238 beendet war (S. 21.5), führte zur Reichsteilung, wobei Antiochos Kleinasien erhielt. Dies brachte ihn in Streit mit Attalos v. Pergamon. der eben wahrscheinlich einen Galliereinfall abgewehrt hatte. Nach den Inschriften der Monumente bei Stähelin sind zwei Siege, der bei den Kaikosquellen und der beim Aphrodision. zu scheiden : nur 'lei diesem letzten war Antiochos Hierax beteiligt. Um den

230 Tliomas Lenschau.

ersten zu datieren, hat nun l*"'errabino wieder die Stelle Polyb. 18, 41, 8 hervorgeholt, wonach Attalos erst nachher den Königstitel angenommen habe : da nun seine Regierung als König auf 44 Jahre, d. h. 241 197, angegeben werde, so müsse der Sieg Anfang 241 fallen. Allein schon Beloch hat das BaaiXevaag TeaaaQd/.ovTa evtl /.cct ciTiaQu^ richtig auf die Gesamtregierung bezogen und demnach hat auch Ötähelin (S. 19 flf.) die Schlacht an den Kaikosquellen näher an den zweiten Sieg herangerückt, der ungefähr um 230 er- fochten ward und zweifellos mit den darauffolgenden Kämpfen gegen Antiochos in Zusammenhang steht. Nach den Inschriften handelt es sich 1. um eine Schlacht in Phrygien am Hellespont, 2. um eine Öchlacht bei Koloe in Lydien, 3. um die Schlacht am Harpasos in Karien, alles dreies Siege des Attalos, von denen die beiden letzten durch Eusebios (I 25 Schoene) auf 229/8 und 228/7 datiert sind. Wenn nun vorher Eusebios sagt, Antiochos habe in Lydien mit Attalos Krieg geführt in Lydorum terra his («jgressiis et e regionc Coloc viim Attalo proeliwn cotnmittehat , so ist allerdings das bis aggressus seltsam , da wir vorher nur von einem Kampf, dem im hellespont. Phrygien, wissen. Allein aus den Worten bis aggressus nun mit Ferrabino zu schließen, sie könnten nur einen einmaligen Angi'iff, den in Phrygien, bedeuten, geht doch nicht an. Viel ein- facher ist dann doch die Umstellung his cigtfressus et in Lydorum terra e regionc Coloe cum Attalo proelium committehat et usw., wobei dann die zweite Schlacht die am Harpasos wäre. Sicher fallen alle diese Kämpfe etwa 231 227; später ist nur der Sieg gegen Lysias und die übrigen Feldhex'ren Seleukos' II., der unmittelbar A-or Seleukos' Tod 223 stattfand (Stähelin S. 24).

Dieselbe chronologische Unsicherheit herrscht auch bei den Ereignissen des Mutterlandes, besonders was die Regierung Deme- trios' IL von Makedonien angeht. Zwar die Dauer steht fest, 241/0 bis 229/8 ; allein gleich das wichtigste Ereignis, der Aitoler- krieg, hat sich bisher einer genauen Datierung entzogen. Costanzi, der den letzten Versuch dazu gemacht hat, erschwert sich die Sache allerdings dadurch, daß er in der Hauptstelle Strabo 451 den Bei- namen des Königs vilcco'kiv.ov für einen späteren Einschub und die Lesart ]fo?uoQy,r^tov für das Ursijrüngliche erklärt, wodurch die ganze Stelle für die Bestimmung des Krieges zwischen den Aitoliern und Demetrios IL ausfällt. Nun ist es ja Beloch zuzugeben, daü der Beiname einigermaßen befremdet 5 so häufig bei den Römern die Beinamen von besiegten Völkern sind, so selten sind sie bei hellenistischen Königen . wo dies bisher das einzige Beispiel ist,

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 231

und nicht jedem wird Corradis (S. :i73 f.) Ausweg passen, der bei Strabo einen römischen Scliriftsteller als Quelle annimmt (Costanzi S. 67 A. 1). Aber es bleibt doch sehr mißlich , das Eindringen eines mca^ X€y6f.i€vov wie ^IrioXfKor zu erklären, wenn tatsächlich [£oXiOQ'A.r]Tor im Strabotext stand , während das Umgekehrte viel leichter möglich ist. Das Schlimme ist nun, daß von dieser Text- änderung schließlich Costanzis Beweisführung abhängt, die eben darauf beruht , daß Demetrios keine Erfolge erzielte. Denn aus der Annahme , daß Demetrios an der Ausbeutung seiner Erfolge gehindert ward, schließt er weiter, daß dies durch seinen Tod ge- schah, der bekanntlich 229 im Kampf gegen die Dardaner erfolgte, und daß also der Krieg in das Ende von Demetrios' Regierung, etwa 233 229, zu setzen sei. Ebenso unsicher ist die Anknüpfung nach oben , an die epeirotischen Wirren und den Untergang des Königshauses, denn einmal liegt dieser keineswegs chronologisch fest und dann wissen wir auch nichts Genaues über den Zusammenhang. Daß es sich um den zu Epeiros geschlagenen Teil Akarnaniens handelt, der von Aitolien bedroht war, ist sehr wohl möglich übrigens wird der bekannte, von Sotiriades entdeckte Bündnis- vertrag zwischen Akarnanien und Aitolien, der von "Wilhelm {^E(f. aQX-) nach den Bruchstücken aus Olympia in wesentlichen Punkten ergänzt ist, jetzt von Swoboda in die Mitte der sechziger Jahre kurz vor die Teilung im chremonideischen Kriege gesetzt, während P o z z i gar bis 242 hinabgehen möchte und daß Demetrios eingegriffen hat, erscheint sogar nach Justin 28, 1, 1 4 sicher. Aber dieser Eingriff geschah, wie sich aus c. 2, 32 ergibt, bald nach 255, und um den Anlaß zu seinem z/r^u}]TQiay.dg rcokEuog zu gewinnen , muß Costanzi einen erneuten Angriff der Aitoler um 234 annehmen, von dem sonst nichts bekannt ist (S. 69 A. 2). Der ganze Ansatz des Krieges bleibt also höchst unsicher (Niese 239, Ferguson 238, Beloch 235), und die Lösung der Frage ist vielleicht von dem Fortgang der Arbeiten an der delphischen Archontenliste zu erwarten , falls es nämlich gelingen sollte , die Gruppe Peithagoras-Herys, bei denen die Zahl der Hieromnamonen auf 5 7 hinabgeht, zeitlich genau festzulegen (s. o. S. 220). Nichts zur Lösung trägt jedenfalls das Aristophanesdekret (IG II 5, 614'', Ditt. syil. 2 192) bei. in dem ZI. 10 nach Wilhelms und Kolbes übrigens nicht unbestrittener Vermutung (Costanzi 59 ff.) der Name der Königin Phthia zu ergänzen ist, da die Inschrift nach dem Kriege, nicht umgekehrt zu datieren ist, und ebensowenig Wilhelms Ergänzung desselben Namens in einem delischen Tempelinventar

232 Thomas Lenschau.

aus dem J. 190. Denn leider vermögen wir auch die verschiedenen Heiraten des Königs nicht zeitlich festzulegen. Sicher ist nur das eine, daß die Heirat mit Chryseis spätestens 2:39 erfolgte und eine richtige Ehe war: der Versuch Corradis, gegenüber der mehr- fachen ausdrücklichen Angabe des Polybios, daß Philipp 221 sieb- zehn Jahre alt war, das Zeugnis des Justin entgegenzustellen, wonach er erst 14 Jahre zählte, verdient keine Beachtung. Über die früheren Ehen des Königs haben wir nur die Notiz bei Just. 28, 1, 1 -i, wonach Phthia König Demetrios vermählt ward, wes- wegen Stratonike zu ihrem Bruder Antiochos zurückging. Da nun Demetrios 241/0 König ward, Antiochos II. aber schon 246 starb, so ist eine Angabe sicher falsch. Entweder man nimmt an, Antiochos sei mit seinem Sohn Seleukos verwechselt und setzt die Ehe nach Demetrios' Thronbesteigung, wobei man aber mit Chryseis ins Ge- dränge kommt, oder man denkt mit Beloch an eine Mitregentschaft Demetrios" II. mit seinem Vater Antigonos, was auch wahrschein- licher ist, da Justin a. a. 0. an den Tod Alexanders anknüpft, der etwa 260 255 gestorben sein muß. Dann fällt die Ehe mit Phthia etwa in die Zeit von 250 248, die mit Stratonike vorher, so daß noch für die vorübergehende Ehe mit Nikaia (etwa 247) Zeit bleibt. Jedenfalls muß aber auch die Ehe mit Phthia bald geschieden sein ; ob wegen Kinderlosigkeit, wie Beloch meint, ist zweifelhaft, sobald man im Aristophanesdekret ihren Namen ergänzt.

Auch die ersten Jahre Dosons sind noch sehr umstritten. Zwar so viel wü-d jetzt allgemein angenommen, daß der König da- mals unter dem Druck der schwierigen Verhältnisse in eine Teilung Thessaliens zwischen den Aitolern und Makedonien! gewilligt hat; der südliche Teil ward zu Aitolien geschlagen , das dadurch seine größte Ausdehnung erlangte. Allein über die Ausdehnung des Teils herrscht keine Einigkeit; nach Bauer S. 05 und Bettingen S. 20 handelte es sich nur um wenige Städte, wie Echinus, Theben, Larissa, während Swoboda in seiner ausführlichen Behandlung der Frage (Staatsalt. 345 Anm. 1) einen größeren Umfang des ab- getretenen Gebiets annimmt, das dann 208 206 von Philipp zurück- erobert ward (Swoboda ebd. 347 A. 2). Ebenso unsicher steht die Sache mit dem karischen Feldzug; Bettingens Vermutungen über Veranlassung und Zweck (S. 24 26) haben wenig Zwingendes. Doch hält er an der Geschichtlichkeit des Zuges fest, während Nico laus (S. 71) jedes Auftreten der makedonischen Macht in Karien vor 204 leugnet, und allerdings sind die von ihm be- sprochenen Inschriften nicht grade für Dosons Regiment in jenen

Bericht aber griechische Geschichte (1907—1914). 2o3

Gegenden beweisend. Aber die Tatsache bleibt doch nach Just, prol. 28 bestehen, und ebenso unzweifelhaft ist es, daß Doson nicht nur die Führung des Nesiotenbundes hatte (Swoboda 420, Bettingen 2G ff.) , wie die Aufstellung der Siegesinschrift v. Sellasia beweist (Holleaux a. a. 0.), sondern auch zu kretischen Städten, wie Hierapytna und Eleuthernai, Beziehungen hatte. Praisos allerdings gehörte nicht zu seinem Ki-eis, wie Bosan([uet aus dem Namen Thrason Thrasonides Sohn geschlossen hat der bekannte Emissär Dosons war ein Sohn Thrasons , aber alles deutet doch darauf hin, dal.) Antigonos III. im Süden und Südosten des aegaeischen Meeres eine bedeutende Stellung hatte, und insofern paßt die karische Unternehmung durchaus zu den Richtlinien seiner Politik, wie wir sie erkennen.

Festen Boden gewinnt die Darstellung erst wieder im Kleo- menischen Kriege. Die Entwickelung des achaeischen Bundes steht in allen wesentlichen Punkten fest, wie die Behandlung durch Swoboda (Staatsalt. :520 ff.) und Niecolin i gezeigt hat: nur in dem Jahr der Angliederung von Korinth zeigt sich eine Abweichung, sofern diese von Nicc. auf 244/3, von S. richtiger auf 243/2 ver- legt wird. Über die Anfänge der spartanischen Revolution hat Kazarow gehandelt und sich auf Poehlmanns Seite gestellt, nach dem es sich um einen Streit zwischen Besitzenden und Nicht- besitzenden handelte , gegen Beloch , der die Umwälzung auf den Gegensatz zwischen Großgrundbesitzern und Kapitalisten zurück- führt. Nach K. waren diese beiden identisch, die Kapitalisten hatten ihr Geld in Land angelegt und waren ebenso verschuldet wie der andere Grundbesitz : ihr Repräsentant ist Agesilaos. Daher machten sie die Entschuldung gern mit , als aber nun die Land- aufteilung vor sich gehen sollte , fielen sie um und führten Agis' Sturz herbei. Sein Werk vollendete Kleomenes , der im Winter 227/6 die Umwälzung glücklich durchführte. Daß er dabei auch Agis' Sohn Eurydamidas ermorden ließ, wie Paus. II 9, 1 behauptet, ist wenig wahrscheinlich ; der Mord ward dia ron' fxpoQEvovxi'jr. d. h. nicht, wie Niecolin i (Saggi p. 1) will, durch die Ephoren, sondern durch die Erzieher des Kindes vollzogen. Über Kleomenes' Ausgang und die Schlacht von Sellasia hat Sotiriades ge- handelt und dabei fast sämtliche Annahmen Kroma3'ers über Schau- platz und Verlauf der Schlacht umzustürzen versucht (s. d. vor. Ber. 200 ff.). Allein seine Ausführungen sind alsbald von Kromayer widerlegt, der vor allem die Behauptung von Soteriades bekämi)ft, I Polybios habe das Schlachtfeld gar nicht gesehen und sei überhaupt

2;^;4 Thomas Lenschau.

über deu Verlauf des Kampfes nur mangelhaft unterrichtet gewesen. Es ist ja auch gradezu undenkbar, daß Polybios, der sich doch so viel auf seine Autopsie zugute tut, grade dies in unmittelbarer Nähe seiner Heimat belegene Schlachtfeld nicht besucht haben sollte, und ebenso war er auch wohl sicher noch in der Lage, Teilnehmer am Kampf zu befragen. Ich habe deshalb auch in meinem Artikel über Kleomenes III. in Pauly-Wiss. RE^ keinen Grund gesehen, von Kromayers Aufstellungen abzuweichen. Dasselbe aber gilt auch von der Zeitbestimmung. Noch einmal hat Holleaux versucht, für Nieses Ansatz 2"22 als Jahr der Schlacht einzutreten , ohne aller- dings außer in Frankreich und bei Swoboda p. 377 A. 14 damit Beifall zu linden •, Bettingens sorgfältige Behandlung der Frage hat mit der Ansetzung auf 221 geendet (S. 42 ff.)l und zu dem gleichen Ergebnis ist Niccolini gekommen (Conf. S. 27(j ff). Allerdings ist es dann nötig, den Krieg um Koilesyrien, den HoUeatix als gegen Philopator gerichtet erwiesen hat, ins Folgejahr 220 zu verlegen (s. vor. Ber. S. 165) 5 der Versuch Niccoliuis, seinen Ausbruch noch im Jahre 221 unterzubringen (Conf. S. 280 ff.), scheint mir nicht gelungen. Über die Vorgeschichte des Krieges und die Vor- gänge am Seleukidenhof ist auch Ottos Artikel zu vergleichen, der ebenfalls HoUeaux's Ansatz zu billigen scheint.

Bald nachher brach der Bundesgenossenki'ieg aus, den sowohl Nico laus als auch ohne Kenntnis seines Vorgängers Niccolini (S. 62 ff.) behandelt hat. Er zeigt den jungen König fast völlig unter dem Einfluß Arats, dem es gelang, den makedonischen Staats- mann Apelles und seine Partei, dem Doson die Leitung des Königs anverti'aut hatte, durch seine Ränke zu stürzen, bis er selber dann von Demetrios von Pharos aus der Gunst Philipps verdrängt ward, der mehr und mehr sein Interesse dem Kampf zwischen Rom und Karthago zuwandte und 217. um die Hände für den Westen frei- zubekommen, den Frieden von Naupaktos schloß.

Siebentes Kapitel.

Der griechische Osten unter römischem Einfluß

(217—30 y. Chr.).

Avezon und Picard, Inscriptions de la Macedoine et de Thrace.

Bull. Corr. Hell. 1913. 37, 84—154. Arvanitopoullos, Inschriften aus Gonnoi. ^Effiqfj. agyatoh 1910,

344 ff. 1911, 123 ff. 1912, 00—101. 1913, 23 ff. 1914, 183 ff'.

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{

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 235

Biüai'd und Roussel s. Roussel.

Cardinali, Sulla condizioue tributaria della Grecia dopo la con-

quista romana. Stud. Stör, per 1' antich. class. 1910. 3, 31 53. , La morte di Attalo III e la rivolta di Aristouico. Saggi di

stud. stör, a Giul. Beloch. lOlO. S. 269—320. . Lo Pseudo-Filippo. Riv. di lil. 1911. 39, 1—20. . *La genealogia dei Attalidi. Mem. della ß. Acc. di scienze da

Bologna 1913. Scienze morale. Cavaignac, Sur un passage de la lettre de Philippe aux Lariseens.

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Für den letzten Abschnitt der griechischen Geschichte ist an literarischen Quellen sogut wie nichts , dagegen eine Reihe von neuen Inschriften hinzugekommen: soweit sie nicht bereits in den neuen Corpusbänden verarbeitet sind , finden sie sich in verschie- denen Zeitschriften verstreut, so daß es sich empfiehlt, wenigstens die wichtigsten herauszuheben. Aus Thessalien stammt die von Ar van i to p oullo s herausgegebene und auf 218 datierte Ent- scheidung Philip2)s V. in einem Streit zwischen Gonnoi und Hera- kleia (1913, S. 44), sowie ein Ehrendekret für T. Flamininus aus 196 oder 195 (1912, S. 67); etwas später fällt eine Ehreninschrift von Larissa für einen andern T. Quinctius, die möglicherweise in die Zeit der Belagerung durch Antiochos 191 zu setzen ist (1910, S. 344). Aus Abdera stammen zwei Inschriften für römische Kauf- leute: die eine für M. Vallius wird von den Herausgebern Avez o n und Picard ins Jahr 189 gesetzt und beti'ifft die Berechtigung zur Kornausfuhr (S. 129), die zweite für C. Apustius M. f. und M. Apustius C. f., also offenbar Vater und Sohn, scheint ins J. 168 zu gehören. In Delos sind außer der großen Liste der Gymnasi- archen noch mehrere Einzelinschriften zutage gekommen ; so die des Nikomedes Epiphanes, Prusias Sohn, für den bekannten König Masinissa v. Numidien, die von Rons sei (1909, S. 484) mit ziem- licher Sicherheit auf 149/8 datiert wird, da Nikomedes bereits den Königstitel führt (seit 149) und die Inschrift doch wohl noch zu Lebzeiten Massinissas (f 148) gesetzt sein wird. Welche Dienste Massinissa Nikomedes erwies, bleibt unklar : vielleicht hatte er ihn in der Empörung gegen seinen Vater Prusias unterstützt. Durch die Liste der Gymnasiarchen ist ferner der Regierungsautritt des Nikomedes III. Euergetes festgelegt, um den sich schon Wilhelm S. 75 ff. bemüht hat: er fand nach Rons sei (Rev. ep.) zwischen

238 Thomas Lenschau.

Anfang 128/7 und Ende 1-27/6 statt. Von delischen Inschriften gehört weiter hierher das Dekret für Demetrios, Apollonios' Sohn, der zw Eumenes II. in Beziehung stand (vgl. IG IX 512, bei Roussel S. 385 ff.), und die Ehreninschrift des Antiochos Grypos für den bekannten Papirius Carbo, der 113 bei Noreia kommandierte und vielleicht 112/1 Prokonsul von Asien war (S. 395); sie ist durch den Archon Polykleitos auf 110/09 datiert (S. 446) und bildete vielleicht den Dank des Grypos für die Unterstützung, die ihm Carbo gegen Antiochos Kyzikenos gewährt hatte. Den Beschluß macht die Inschrift für L. Cornelius Sulla als Prokonsul, also wohl aus den Jahren 86 83. Von pergamenischen Inschriften nenne ich die von He p ding und Cardinali behandelten Diodorosdekrete aus 133 127 und endlich eine von Oikonomos herausgegebene Prytaneninschrift aus der ersten Hälfte des II. Jahrb., die intei- essante Schlüsse über die wechselnde Bevölkerungszahl in den einzelnen Demen gestattet (dazu vgl. Ferguson, Hell. Ath. 375). Auch zwei prosopographische Arbeiten sind zu nennen : die sämt- lichen in den delischen Inschriften vorkommenden Italiker, mit Aus- nahme der Magistrate, hat Hatzfeld zusammengestellt, während Roussel dieselbe Arbeit für die in den Inschriften genannten Athener geleistet hat; beides sind wichtige Hilfsmittel für die Benutzung.

Bei dem Mangel einer zusammenhängenden literarischen Quelle ist die Feststellung der Chronologie eine wichtige Forderung. Für sie kommt zunächst die neue Anordnung der achaeischeu Strategenliste in Betracht, wie sie Niccolini (Conf. S. 309) gegeben und S. 267 308 im einzelnen begi-ündet hat. Im großen und ganzen wird man ihr zustimmen können ; zu beachten ist, daß bis 213 das Strategenjahr dem Olympiadenjahr gleichgesetzt ist, in das der Amtsantritt fiel ; da dieser im Mai erfolgte , so decken sich Olympiadenjahr und Amtsjahr nur in drei Monaten. Von 213 ab, wahrscheinlich beim Tode Arats , ward der Amtsantritt auf den Herbstanfang verlegt, so daß von da ab Olympiadenjahr und Stra- tegenjahr leidlich stimmen. Die Liste der thessalischen Bundes- feldherren von 196 ab hat Kroog festgestellt (s. o. S. 196). Bei der delphischen Liste sind die Anfangsjahrzehnte durch die Priester- zeiten völlig festgelegt ; im übrigen ist die Forschung über Pomtows Ansätze noch nicht wesentlich herausgekommen. Die delische Chronologie liegt, wie schon oben erwähnt, bis 167 so. gut wie völlig fest; für die folgenden Zeiten der athenischen Herrschaft hat Piassar t die Liste der Gymnasiarchen festgelegt, die durch mehrere Archontengleichungen Lenaios 118/7, Demetrios 123/2,

Bericht über griechische Geschichte (1907 1914). 239

Theodorides 127/6 bestimmt ist. Der Versuch von Sundwall (att. Münzen S. 83 ff.), alle diese ein Jahr herabzusetzen, ist von Kolbe, Kirchner und Ferguson übereinstimmend abgelehnt worden. Im übrigen gibt auch hier Kolbes Arbeit (s. o. S. 211) die letzte Zusammenfassung, die freilich in manchen Punkten bestritten ist. So hat seine Ansetzung von Lysiades auf 167/6 (S. 115) zwar Kirchners Beifall gefunden , während Cichorius für 1 39/8 jjlädiert und Ferguson nach wie vor an Crönerts Datum 152/1 fest"hält (KHo 9, 337 ff.) , Tychandros 172/1 wird ebenfalls von Ferguson (Transact. Amer. Phil. Ass. 1905/6, S. 62) gegen Dürr- bach (BGH 1905, S. 90) verteidigt. Weiter setzt er (Klio 7, 213) Achaios auf 167/6, Xenokles auf 168 7, Aristaichmos auf 159/8, Meton auf 144/3, Dionysios auf 141/0, Xenon auf 121/0, Sosikrates auf 119/0, Herakleides 108/7, Demochares 94/3, wohingegen Kirchner (S. 986) Achaios in das Jahr 190/89 verlegen möchte. Auf Grund der Gymnasiarchenliste fügt Plassart (S. 404) noch Archon 147/6 und Epikrates 146/5 hinzu, was aber der Schreiberfolge Fergusons widerspricht. Kolbes Neuansetzung der Folge Euthydemos bis Dio- peithes 42/J 37/6 ist von Kirchner angenommen, während Ferguson j auf seinem alten Ansatz verharrt. Im allgemeinen ist es nicht mehr i ganz leicht, sich zwischen den einzelnen Ansätzen hindurchzufinden ; es ist daher schade , daß Ferguson seiner Geschichte Athens in hellenistischer Zeit nicht eine Archontenliste beigegeben hat, die über den Stand seiner Ansicht kurz orientiert. Glücklicherweise hat Kirchner im Index zur Editio Minor (1918) die Lücke ausgefüllt.

Der Friede von Xaupaktos hatte der gi'iechischen Welt nur auf kurze Zeit Ruhe geschenkt, bald darauf begann der erste makedonische Krieg, den die Römer im wesentlichen mit griechischen Hilfskräften geführt haben. Daß Philipp sich der großen Macht , die ihm gegenüberstand , wohl bewußt war , zeigt sein bekanntes Schreiben an Larissa : die dort erwähnte Anzahl von 70 Ptlanzstädten, die der Wirklichkeit nicht entspricht die damals letzte, Placentia, war die 53. , sucht C avaignac wenig wahrscheinlich aus einer Verwechslung mit den vielleicht von C. Flaminius 220 eingerichteten 70 Centurien der ersten Vermögens- klasse zu erklären. Unsicher ist der Zeitpunkt, in dem der Krieg begann : die Erzählung bei Liv. 26, 24 26 endet sicher Frühjahr 210, während ihr Beginn durch die Erwähnung der Einnahme Kapuas auf 211 festgelegt erscheint. Allein die Zahl der von Livius er- wähnten Ereignisse ist so groß, daß schon Niese den Beginn de.s

240 Thomas Lenschau.

Kriejies ins Jahr 212 gesetzt hat. und ihm schließt sich mit ge- i'ingen Veränderungen Cos tan zi an, während Niccolini die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, bespricht und daher die Ereignisse in dem von Livius bezeichneten Zeitraum unterzubringen sucht. Richtig ist dann von Costanzi gesehen , daß Liv. die Er- eignisse von 209 und 208 unter 208 und 207 erzählt, ja vielleicht setzt sogar Liv. 27, 29 schon mit 210 ein, da sonst aus diesem Jahre nichts berichtet sein würde : der Grund liegt nach C. (S. 219 ff., 229) darin, daß Liv. einen römischen Annalisten mit Polybios zu- sammenarbeitete und dabei die Jahre falsch glich. Literessant ist übrigens die Erwähnung eines Römers in einer Inschrift von Itanos, die Rein ach herausgegeben und zwischen 216 206 datiert hat: auch dort haben sie offenbar ihre Agenten gegen Philipp wirken lassen. Das Ende des Kampfes ward durch zwei Friedensschlüsse herbeigeführt : zuerst vertrugen sich die Aetoler, von Rom verlassen, mit König Philipp und dann schloß er mit Rom den Frieden von Phoinike, bei dem es auffällt, daß Livius unter den Kontrahenten auf römischer Seite die Aetoler ausgelassen hat. Dies will Costanzi (S. 442) daraus erklären, daß der Annalist, dem Liv. und Appian Mac. 4 folgen, überall die Sache so darstellt, als sei den Römern an den Aetolern gar nichts gelegen gewesen und als hätten sie den Krieg ebensogut allein fuhren können. Dali tatsächlich eine Färbung zugunsten Roms vorliegt, hat zuerst Niese gezeigt, der auf die Beflissenheit hindeutet, mit welcher Liv. die Römer wegen ihres A'ersagens entschuldigt und die Hilfe des C. Sempronius nur um einen Moment zu spät eintreffen läßt.

Der Friede war insofern für Philipp eine Notwendigkeit, als er dadurch die Hände für den allzu lange vernachlässigten Osten frei- bekam. Noch Doson hatte die Herrschaft über Delos und die Kykladen ausgeübt, aber er hatte seine Flotte vernachlässigt, und schon 220 waren die Liseln nicht mehr in makedonischem Besitz: schwerlich würde, wieHolleaux mit Recht betont, sonst Philipp die Raubzüge des Skerdilaidas geduldet haben, und im Jahre 20;j wird die Wiedereroberung der Kykladen ausdrücklich erwähnt. Aljer auch von einem Einschreiten der Ägypter, die doch in Thera , Samos und auf Kreta (vgl. die Lischriften von Itanos) ihre Stellung behaupteten, ist in dieser Zeit nichts zu spüren (S. 11 Ij, und so hat Holleaux eine Art Interregnum angenommen, das die Rhodier benutzten, um ihre von Delamarre für den Beginn des IL Jahrh. nachgewiesene InselheiTschaft aufzurichten (s. o. S. 22-'): 1907. S. 114). Dagegen hat aber Costanzi mit Recht

Bericht über griechische Geschichte (1907 1914). 241

erinnert, daß von einem formellen Bündnis in dieser Zeit noch nicht die Rede sein könne, da dieses nach Liv. 31, 15. 48 erst im Jahre 200 abgeschlossen ward. Die Sache scheint also so zu liegen, daß einzelne Inseln damals sich weder an Philipp, der durch den Römerkrieg, noch an Philopator, der durch innere Schwierig- keiten abgehalten ward, sondern eben an Rhodos wandten, das ihnen bereitwillig entgegenkam und den Boden für das Bündnis von 200 vorbereitete.

Mit dem Tode Philopators (Nov. 203) begannen neue Verwicke- lungen: Philipp und der aus den oberen Satrapieen ruhmbedeckt zurückkehrende Antiochos vereinigten sich, um im 5. syrischen Krieg über Ägypten herzufallen. Um die Zeitfolge der Ereignisse in diesen Kämpfen hat sich HoUeaux ein besonderes Verdienst erworben. Danach begann Philipp die Feindseligkeiten mit einem Handstreich auf Samos und ging sofort zur Belagerung von Chios über, das unter der bei Polyb. 16, 2 erwähnten Stadt zu verstehen ist: die im Urbinas 16, 7, 6 erwähnten Ägypter stammen aus der Eroberung von Samos und sind also nicht, wie Schweighäuser und Niebuhr wollten, durch Konjektur zu beseitigen. Hierauf folgt die Seeschlacht von Chios 201 und noch im selben Jahre das Treffen von Lade (S. 450 ff.). Gleichzeitig spielen sich die Ereignisse in Syrien ab, sie beginnen 202 mit der Belagerung von Gaza, das im Herbst erobert w:rd (S. 270 ff.). Darauf folgt die Schlacht am 1 Paueion, die zwischen Herbst 201 und Mitte 198, dem Ende des Krieges, liegen muß. Entgegen Nissens Annahme 198 macht H. wahrscheinlich, daß sie in den Sommer 200 zu setzen ist: die um- fangreichen Werbungen, die Skopas 199 in Aitolien vornahm, fällen also nicht vor die Schlacht, sondern nachher, als die gefahrvolle Lage Ag}'pteus dringend Verstärkungen erheischte. Mit der Be- lagerung von Sidon, die sich bis ins Frühjahr 199 hinzog, endeten die kriegerischen Ereignisse, denen 199 oder 198 der Friedens- schluß folgte (S. 271). Interessant sind auch die Beziehungen der beiden Könige zu Kreta, über die Holleaux im Anschluß an die Dekrete der kretischen Städte über die aovXia von Teos gehandelt hat. Zunächst weist er Deiters Ansicht zurück, der die Inschriften in die Zeit von 220 216 gesetzt hfit, und allerdings, da die aetolischen Dekrete in der gleichen Sache aus dem Jahre 203/2 stammen, so ist es wahrscheinlich, daß die Teier nach Kreta etwa gleichzeitig und nicht fünfzehn Jahre früher ihre Gesandten geschickt haben. Genaueres läßt sich aus der Erwähnung von Philipps Ge- sandten Perdikkas schließen, der sich für die Teier ins Zeug legt,

Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. 180 (1919. III). 16

242 Thomas Lenschau.

offenbar doch zu einer Zeit, als Philipp in Tees gebot, d. h. l*U1 nach der Schlacht von Lade (S. 146). Nun ging allerdings Perdikkas nicht an alle kretischen Städte, nur an die mit Philipp verbündeten, die seit 205 den sogenannten KQ}]rf/.6g /i6lEf.tog gegen Rhodos führten. Nicht dazu gehörten Knossos, Potyrrhenia, Ehaukos, Kv- donia , I^appa , die damals feindlich mit Philipp standen , und in diesen erscheint als Fürsprecher der Teier Hegesandros, der Ge- sandte Antiochos' III. Aber es läßt sich so an , als ob dieser daneben für die Beilegung des Krieges mit Rhodos tätig war, und ganz besonders auffallend ist sein Auftreten in Eleutherna , das sonst auf Philipps Seite stand. Offiziell waren ja beide Könige verbündet, aber es scheint danach, als ob sie sich beide ganz gern untereinander Abbruch taten (Holleaux S. 155), was auch zu ihrem sonstigen Verhalten stimmt: tatsächlich unterstützte Antiochos seinen Bundesgenossen bei Kynoskephalai nicht und dieser ließ ihn dafür seinen Streit mit Rom ebenfalls allein ausfechten , wobei noch andre Gründe zu gegenseitiger Eifersucht mitgewirkt haben mögen. Übrigens scheint Philipp auch mit Nabis im Einverständnis gewesen zu sein, der um diese Zeit in Delos als König anerkannt ward und einer jener griechischen Dynastenfamilien in Kleiuasien entstammte, über die Pareti (s. o. S. 154) eingehend gehandelt hat: sein Stammvater war der Eurypontide König Damaratos, der 481 in die Verbannung ging und am Perserhofe Aufnahme fand. Überhau])t zog der Krieg fast die gesamte griechische Staateuwelt in Mit- leidenschaft, auch solche Städte wie Athen, die sich im 1. make- donischen Krieg , wenn auch mit Mühe , neutral gehalten hatten, wurden jetzt hineinverwickelt und hatten schwer zu leiden (Fer- guson, Hell. Ath. 248 ff.). Doch scheinen, wie Costanzi hervor- hebt, zwischen Philipp und Aitolien von 206 198 durchaus freund- liche Beziehungen bestanden zu haben , so daß der König sogar einige Städte im südlichen Thessalien freiwillig zurückgab (St. Stör. 1, 442 ff.). Erst 198 schlössen die Aitoler das Bündnis mit Rom, und kurze Zeit nachher gab auch der achaeische Bund das makedonische Bündnis auf, das reichlich fünfundzwanzig Jahre bestanden hatte. Dem Zusammenstoß der Römer mit Antiochos sind langwierige Verhandlungen voraufgegangen, die Holleaux eben- falls kritisch besprochen hat (Rev. Et. Gr. j. Er weist nach , daß die Gesandtschaft des Königs nach Rom im Winter 197/6, ferner die im Sommer 195 und endlich die Entsendung von römischen Gesandten zu einer zweiten Zusammenkunft in Lysimacheia 195 teils auf Irrtum, teils auf Verwechselung beruhen. Vielmehr sind

Bericht üljer griechische Geschichte (1907—1914). 243

in den acht Jahren von 197 190 nur dreimal Gesandte zwischen Rom und Antiochos hin und her gegangen, wobei der erste Wechsel 197 stattfand and Rom den Anfang machte. Das ist nicht sein- viel und man erkennt deutlich, daß Antiochos in Ruhe gelassen zu werden wünschte. Das tat der Senat auch trotz der Bedrängnis Ag3'ptens bis 197, wo die Beziehungen gespainiter wurden ; immer- hin hielt sich der Senat auch nach Kynoskephalai zunächst noch zurück , da Flamininus vom Kriege abriet , und ignox'ierte sogar Hannibals Ankunft. Daß diese ins Jahr 195 zu setzen ist, hat Holleaux (Herrn. 4:{j zu erweisen gesucht, und zu demselben Er- gebnis ist auch Kahrstedt (Gesch. d. Karthager III 584, Anm. 1) gekommen, wobei nur die genaue, auf 196 führende Angabe des Xepc'S bedenklich bleibt. Dagegen hat Holleaux (Herm, 48) zweifellos Recht, wenn er die Unterhaltung zwischen Hannibal und Scipio für eine rhetorische Erfindung erklärt ; er knüpft sie sehr wahrscheinlich an eine sonst nur von Dion erwähnte Reise Scipios in den Osten an, die auch in einem delischen Inventar (Ditt. syll- ^ 588) noch eine Spur hinterlassen hat. In demselben Jahr 193, in dem sie erfolgte , ließ sich der König zu der Landung in Europa bewegen, die zum Krieg und zur Niederlage von Magnesia führte. Sie brachte Antiochos, wie Viereck zeigt, den Verlust ganz Klein- asiens. Wenn Liv. 38. 38, 4 im Text usque ad Halt/n anmem et n rolle Taiiri vsque ad higa steht, so gibt das keinen Sinn; viel- mehr ist zu lesen usqiie ad If. amneni et ah ea r(dle usque ad ivfid \T(niri\ qua ad lAjcaonutm vergit, d. h. es werden West- und Ost- kleinasien als römische und syrische Einflußsphäre genau unter- schieden. Was die persönlichen Verhältnisse des Königs betrifft, so hat Holleaux gezeigt, daß die Notiz Appians, wonach der König 205 den Beinamen des Großen annahm , durch die In- schriften bestätigt wird: danach fällt die delische Inschrift seines Gesandten Mem'ppos in die Jahre 205 192. Dagegen beruhen die Xamen seiner beiden Söhne Ardys und Mithridates bei Liv. 33, 19 auf einem Irrtum. Die Bedenken dagegen hat Holleaux ebenfalls auseinandergesetzt und in dem Satze praemissis mm excnitu duohiis fdiis Ardyc et Mdhrhlaie vor duob}is ein et eingeschoben. Noch bequemer wäre vielleicht die Tilgung der Worte dvohiis filiis, die ganz gut ein in den Text eingedrungenes Glosseni sein könnten. Ardys und Mithridates waren also nicht Söhne, sondern Feldherren des Königs: den Namen eines dritten, Zenxis, hat Wilhelm in den Inschr. v. Priene 83. 16 hergestellt.

Die beiden nächsten Jahrzehnte waren im Mntterlande eine

b) *

04.4. Thomas Lenschau.

Zeit verhältnismäßig ruhiger Entwickelung: wie sich trotzdem zu Rom, das 19G noch die Sj^mpathien aller gehabt hatte, auch im achaeischen Bunde ein gewisser Gegensatz, hauptsächlich wegen der ewigen Scherereien mit Sparta, geltend machte, hat Niccolini gezeigt (Couf. 145), während Athen unter der Leitung einer liberalen Aristokratie mit Rom durch dick und dünn ging , zugleich aber mit den meisten auswärtigen Mächten gute Beziehungen untei-hielt (Ferguson, Hell. Ath. 287 ff.). Da brachte der dritte make- donische Krieg in den Verhältnissen des Ostens die entschei- dende Wendung hervor. Über seine Vorgeschichte hat Kahrstedt gehandelt und das bei Liv. 42 vorhandene Material in seine drei Bestandteile zerlegt, wobei Polybios c. 5. 6. 11 17. 29, 1 30, 7 und 37 ff. zugewiesen werden, während auf den ersten Annalisten c. 18. 30, 7 32, 5, auf den zweiten 11, 1. 25—28. 35, 3 36, 9 entfallen. Widersprüche sind kaum vorhanden, so daß das Ganze ein Gesamtbild ergibt , in dem die perfide Politik Roms gegen Makedonien deutlich hervortritt. Übrigens war die Stimmung der Griechen Perseus gegenüber anfangs keineswegs günstig, die von Pomtow 1887 entdeckte und von ihm als Brief des Perseus an Delphi aufgefaßte Inschrift ist nach Nikitsky vielmehr als eine Anklage der Delphier gegen den König aufzufassen, die die einzelnen Punkte ebenso aufzählte, wie Eumenes' II. Klageschrift an den Senat (Liv. 42, 11 14). Neu ist darin und in den übrigen Quellen nicht genannt die Beschuldigung, daß der König auch die Bastanier gegen Griechenland in Bewegung gesetzt habe, und dies hat Ad. Reinach bewogen, überhaupt die Beziehungen dieses bisher noch nicht ganz sicher in seiner Nationalität erkannten Volkes zu den makedonischen Königen zu untersuchen. Danach hatte bereits Philipp um 184 mit ihnen angeknüpft, um sie zu einem Einfall nach Italien zu ver- wenden, doch hatte sich die Sache nach seinem Tode zerschlagen, da sein Sohn sie fallen ließ. Erst kurz vor der Entscheidung näherte sich Perseus wieder den Bastarnern (S. 21)5 ff.) und diese waren bereits auf dem Wege, ihm mit 20 000 Mann zu Hilfe zu kommen , kehrten aber um , als ihre Bedingungen nicht erfüllt wurden. Die Endkatastrophe bei P3-dna hat dann Ed. Meyer be- handelt, wobei er weniger in der Vorgeschichte als vielmehr in der Schlachtkonstruktion selber von Kromayer abweicht: nach M. kamen die Peltasten und die eigentliche Hoplitenphalanx nicht in gleicher Höhe an die römische Aufstellung heran , sondern diese war etwa 1(J Minuten zurück; indem nun Aemilius Paulus mit raschem Ent- schluß die eine seiner beiden Legionen in diesen Zwischenraum

1^

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 245

hineinwarf, brachte er das Vorrücken der Phalanx znm Stehen, wodurch der Sieg entschieden ward (S. 790). Der Ausgang des Krieges brachte den Römern die unbedingte Herrschaft im Osten, was zuerst Rhodos und Eumenes zu spüren bekamen, die sich eine kurze Zeit lang als laue Freunde erwiesen hatten, wohingegen Athen von den Römern mit Wohltaten überhäuft ward. Dazu gehörte vor allem die Schenkung von Delos: im Laufe des Jahres 167/6 nach Ferguson (Klio 7) hat hier die einheimische Verwaltung der attischen Platz machen müssen, und welche Vorteile Athen aus der Verwaltung des neuen Hafenplatzes zog, hat Ferguson in einem besonderen Kapitel auseinandergesetzt (Hell. Ath. 346 ff.). Der neubegründete Freihafen ruinierte zunächst die Handelsblüte von Rhodos , bildete aber zugleich einen festen Stützpunkt für den italischen Handel im Osten : wie stark damals die Italiker auf Delos vertreten waren, zeigt Hatzfeldts Zusammenstellung. Etwa um 160 beginnt die Ansiedlung, um nach der Zerstörung Korinths ihren Höhepunkt zu erreichen; dann hat der mithridatische Krieg einen starken Rückgang gebracht und um 50 v. Chr. ist das italische Element fast verschwunden.

Die beiden Jahrzehnte nach der Schlacht von Magnesia hatten auch SjTien die Möglichkeit gegeben, sich zu erholen, weniger aller- dings unter Seleukos III., der sich fast ganz unter der Leitung seines aciiQorpog und Premierministers Heliodoros befand. Was die Ausdrücke acvroocpog und 6 e7cl twv TcgayiictTtov bedeuten, hat Corradi auseinandergesetzt; danach scheint das letztgenannte Amt doch nur ein außerordentliches gewesen und nur unter Heliodor den besonderen Charakter eines festen Hofamts angenommen zu haben, was wohl mit Seleukos' Schwäche zusammenhängt. Übrigens vermochte Heliodoros zunächst nach der Ermordung seines Herrn das Amt zu behaupten, nach Otto hat er damals den jungen Sohn des Seleukos, Antiochos, auf den Thron gehoben, was schon v. Gut- schmid aus Daniel 7, 7 geschlossen hatte. Dieser, dem Otto auch einige Münzen zuzuweisen sucht, wäre also als Antiochos IV. zu bezeichnen und alle späteren Könige dieses Xamens müßten dann in der Zählung um eins höher angesetzt werden. Gestüi'zt ward er noch von Heliodoros selber, der aber dann dem Bruder seines Herrn, Antiochos Epiphanes . unterlag, der seit 188 so nach Mago als Geisel in Rom und später in Athen geweilt hatte. Vielleicht schon dort war ihm Herakleides v. Milet nahegetreten, der später als o fVt tCJv Ttgoaröon', also als Finanzminister, mit seinem Bruder Timarchos zusammen eine bedeutende Rolle am

•24t) Thuiiias Leu.scluui.

S3Tischeu Hof spielte. Da beide aus Milet stammen, wo sie auch das großartige Rathausgebäude stifteten, so hat W i e g a n d (Milet II 8. 97 f.) in ihnen Nachkommen des milesischeu , um 250 von Aiitiochos II. gestürzten Tyrannen Timarchos erblickt, was sehr wohl mögUch ist, während Otto beide auf den Staatsmann des großen Antiochos, Herakleides, zurückführen will, der uns aber als Byzantiner bezeichnet wird (vgl. Otto S. 4G5 f.). Antiochos Epi- phanes hat sich seiner öfter bedient, obwohl seine Stellung in den Quellen einigermaßen überschätzt wird, wie Otto zutreffend hervor- gehoben hat (S. 466). Zunächst benutzte der König die Verwicke- lungen des makedonischen Krieges zu einem Kriege gegen Ägj-pten, der mit dessen vollständiger Niedei'werfung endete. Mit diesem Feldzug stehen auch die Verwüstung Jerusalems und die Frevel gegen die jüdische Religion in Zusammenhang, die im Makkabäer- buch erwähnt werden. Während die meisten Forscher nur einen einmalio;en Feldzug annehmen, der von Willrich und Schürer ins Jahr 170, von Bevan in 170/69, von Xiese erst 168 gesetzt wird, sucht Mago aus Dan. 11, 28 ff. eine zweimalige Expedition zu er- weisen und bringt dafür Anfang 169 und die zweite Hälfte von 168 in Vorschlag. Die Danielstelle ist an sich w'enig beweisend ; hu übrigen scheint es Mago entgangen zu sein , daß Wilcken schon 1894 eine ganz ähnliche Ansicht aufgestellt hat, der demnach die Priorität gebührt (Pauly-Wiss. R.E. I 2, 2473 ff.). An der volleii Ausnutzung seiner Erfolge durch Rom gehindert, warf sich Antiocho?* auf den Osten seiner Monarchie, wo er noch einmal seine Stellung energisch zur Geltuno; brachte. Doch konnten weder er noch seine Nachfolger verhindern , daß die Parther sich auf der Hochebene von Iran festsetzten, und dadurch die griechischen Herrschaften in Baktrien vom AVesten abschnitten. Immerhin hielten sie sich noch eine Zeitlang, wenn auch das einheimische Element mehr und mehr in ihnen Geltung gewann, wie dies die von Krom besprochene Säule von Besnagar zeigt, die Heliodoros v. Taxila, der Gesandte eines Fürsten Antalkidas, um die ]\litte des II. Jahrh. in Gwalior weihte und in der er sich selber als hhdfjaiäta , d. h. als einen Verehrer Krischnas , bezeichnet. Über die Rolle, die der vorhin genannte Herakleides auch noch unter Antiochos Eupator und Deme- trios gesjiielt hat, ist der Artikel von Otto zu vergleichen.

In den fünfziger Jahren beginnt sich allmähhch die Endkata- strophe vorzubereiten, in die Griechenland 146 verwickelt ward; eingeleitet ward sie durch den Aufstand des Andriskos oder Pseudo-Philippos in Makedonien, den Cardinali mit ge-

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 247

wohnter Gründlichkeit behandelt hat. Interessant ist besonders der Nachweis, wie sich allmählich die Märchen bildeten, die der Usur- pator vorbrachte ; die Nachprüfung der Ereignisse hat im übrigen die Richtigkeit der bisherigen Darstellung ergeben. Die Auslieferung au die Römer durch Demetrios hat sicher 153 stattgefunden; da- gegen beruht der vorhergehende Aufstandsversuch, von dem Zonaras 9, 28, 2 und Ampelius It), 5 berichten, wohl auf einer Verwechs- lung: wäre er geschichtlich, so würde man, wie Cardinali treffend bemerkt , in Rom die Sache schwerlich so leicht genommen und Andriskos in einer italischen Landstadt interniert haben. Immerhin hatte der unglückliche Ausgang des makedonischen Aufstandes auf die griechischen Verwickelungen keinen Einfluß mehr; diese waren durch die jahrelangen Wühlereien der demokratischen Partei gegen Rom, durch die Rückkehr der Geiseln, durch die ewigen Streitigkeiten mit Sparta und zuletzt durch die Sache mit Oropos zu einer Schärfe gediehen , die einen friedlichen Ausgang nicht mehr zuließ. Das hat Niccolini (Confed. 177 203) treffend auseinandergesetzt ; nur den Zwischenfall von Oropos hat er zu kurz behandelt, der dafür bei Ferguson eine um so ausführlichere Dar- stellung gefunden hat (Hell. Ath. 324 329). Schwierig dagegen ist die Frage, wie sich das Schicksal der Griechen nach der Niederlage gestaltete. Hier ist die Ansicht K. Fr. Hermanns, der gegenüber Sigoni sich dafür erklärte, daß Griechenland 146 die Freiheit behielt, von Colin erneuert worden, der annimmt, daß die Strafmaßnahmen Roms sich nur auf die Teilnehmer am Kriege, in erster Linie auf Korinth bezogen hätten, daß aber im übrigen die Lage der Griechen dieselbe wie vor dem Kriege geblieben sei. Dem schließt sich auch Niccolini an: besonders will er von einer Unterstellung Griechen- lands unter den Prokonsul Makedoniens nichts wissen und be- kämpft die dafür vorgebrachten Gründe. Indessen sind diese von Cardinali (S. 32 38) in so überzeugender Weise zusammengefaßt, daß Niccolinis Versuch dagegen nicht aufkommt. Eine andre Frage dagegen ist es , ob Griechenland tatsächlich , wie Paus. 7, 16 be- hauptet, nach 146 zur Tributzahlung gezwungen ward, und hier stimmen beide Forscher darin überein , daß eine solche erst nach dem Mithridatischen Kriege nachweisbar ist, wobei Cardinali noch besonders darauf aufmerksam macht, daß die Schaffung einer Provinz sich mit einer gewissen Autonomie ihrer Teile durchaus vereinigen läßt, indem die Römer diese öfter vorläufig bestehen ließen (S. 46). Der Unterschied ist also nur der, daß Nicc. annimmt, die Autonomie der Griechenstaaten habe auch rechtlich nach 146 weiter bestanden,

248 Thomas Lenschau.

während sie nach Cardinalis wohl richtigerer Ansicht nur eine faktische, rein im Belieben des Senats begründete war.

Etwa in der Mitte der dreißiger Jahre beginnt in der Welt des Mittelmeeres die Reihe der großen Sklavenaufstände, deren erster in Sizilien ausbrach und von da sich rasch nach dem Osten verbreitete. Delos als Hauptsklavenmarkt und Handelsplatz des Ostens scheint zuerst davon betroifen worden zu sein , und vielleicht bringt Ferguson, nicht mit Unrecht, damit die Um- wälzung in der Verfassung zusammen, die im Jahre 181/0 eintrat und der Bevorzugung der Athener ein Ende machte; offenbar hatten damals alle Bewohner gemeinsam sich der Gefahr entgegengestellt, so daß es nicht mehr zeitgemäß erschien , eine Klasse besonders zu bevorzugen (Klio 7 vgl. mit Hell. Ath. S. 378 if.). Allein die Bewegung griff auch nach dem kleinasiatischen Festland über und hier verwickelte sie sich mit dem Aufstand des Aristonikos von Pergamon, der erst nach mehrjährigem Kampfe nieder- geschlagen ward. Über diese Dinge hat Cardin ali in seiner Studie über Attalos III. gehandelt , in der er zunächst ein Bild dieses seltsamen Mannes entwirft und dann auf die Gründe zu sprechen kommt, die ihn bewogen, sein Reich den Römern zu vermachen. Dabei erklärt er sich eingehend gegen Foucfarts im vorigen Bericht von mir mitgeteilte Ansicht , wonach die Maßregel des Attalos lediglich aus Haß gegen Aristonikos entsprossen sei , den er um sein Erbe bringen wollte, und kommt vielmehr auf das schon von Mommsen angedeutete Motiv, daß Attalos den damals herrschenden faktischen Zustand, d. h. die römische Oberherrschaft, nun auch testamentarisch anerkannt habe, um seinem Lande Unruhen zu er- sparen. Dies ist ihm nun jedenfalls nicht gelungen, und welches von beiden Motiven dem auch von Cardinali geschilderten Charakter des Fürsten entspricht, mag jeder für sich entscheiden. Im übrigen hat Card, alle Stellen , in denen das Testament erwähnt wird, zu- sammengestellt und daraus wohl mit Recht den Schluß gezogen, daß es auch noch Einzelbestimmungen über die Griechenstädte enthalten und diesen vor allem die Freiheit gesichert habe. Ins- besondre gilt das von der Hauptstadt Pergamon , und hier knüpft die weitere Besprechung an das bekannte Dekret (Inschr. von Perg. 249 = Ditt. OIG 338) an. C. folgt der Ansicht Wilckens, der zuerst in den Maßregeln, die das Dekret vorsieht, die Be- ziehung auf den Sklavenaufstand erkannt hat (S. 281 ff.) , und weicht nur darin ab , daß Ariston. zur Zeit der Abfassung des Dekretes noch nicht gemeinsame Sache mit den Sklaven gemacht

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 249

hatte , sondern erst nach seiner anfänglichen Niederlage an ihre Spitze trat. So kommt er dazu, den Ausbruch des Aufstandes erst 132 im Frühjahr anzusetzen 5 er dauerte drei Jahre, bis 130 oder 129 der Usurpator zur Ergebung gezwungen ward, wobei bis zur völligen Beruhigung des Landes allerdings noch einige Zeit verging. Card, hat den Verlauf besonders durch Heranziehung der neuen von Hepding veröffentlichten Diodorosinschriften sehr anschaulich geschildert, und auch diese Arbeit zeigt die Beherrschung des Stoffes und die genaue Kenntnis der Zeit, die seine Forschung auszeichnen.

Der letzte Versuch des Ostens, seine Selbständigkeit wieder- zugewinnen, erfolgte irn m ithrid a tischen Krieg, dessen Aus- gang der Griechenfreiheit verhängnisvoll ward, wie das Cardinali und Niccolini (s. 0. S. 247) im einzelnen gezeigt haben. Am schwersten litt Athen durch die Eroberung Sullas ; wie es dazu kam , hat Ferguson im letzten Kapitel seines Hellenistic Athens geschildert, das die Geschichte des selbständigen Athens abschließt. Die ge- ringen Reste der Scheinfreiheit, die sogar nach dem Bürgerkriege noch bestehen blieben, änderten nichts an der Lage Griechenlands, das eine Provinz wie die andern geworden war und deren Schicksal teilte.

Achtes KapiteL

Zur griechischen Wirtschaftsgeschichte.

Blümner, Technologie und Terminologie der Gewerbe und Künste

bei den Griechen und Römern. Leipzig 1912. Cavaignac, La population du Peloponnese aux V. et IV. siecles.

Klio XII, 261—280. 1912. Ch wo stow, Recherches sur l'histoire des relations commerciales

ä l'epoque des monarchies hellenistiques et de l'empire romain.

I. Histoire du commerce oriental dans TEgypte greco-romaine

(russisch). Kasan 1909. Dechelette, Les origines de la drachme et de l'obole. Revue

numismat. 1911. p. 1 59. Fitz 1er, Steinbrüche und Bergwerke im ptolemäischen und römischen

Ägypten. Leipzig 1910. Fox, Earle, The initial coinage of Corcyra. Numism. Chronicle

1908. S. 80—81. Francotte, Les finauces des cites grecques. Lüttich und Paris

1909.

250 Thomas Lenschau.

Freundt, Wertpapiere im antikem und frühmittelalterlichen Recht.

Leipzig 1910. Gardner, The earliest coins of Greece proper. London 1911. , s. 0. S. 110. Glotz, Les salaires ä Delos. Journ. des Sav. 11, 206 215.

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Universite de Paris. Bibl. de la fac. des Lettres. vol. XXV.

Melanges d'histoire ancienne. Paris 1909. Grund}', The population and policy of Sparta in the V. Century.

Journ. Hell. Stud. 1908. 28, 77—96. Herrmann, Die alten Seidenstraßeu zwischen China und Syrien.

Berlin Diss. 1910. , Die alten Verkehrswege zwischen Indien und Südchina. Ztschr.

der Berl. Gesellsch. f. Erdkunde 1913. S. 771—787. , Ein alter Seeverkehr zwischen Abessynien und Südchina. Ebd.

553—561. Laum, Elaayioyelg auf Samos. Mitt. d. dtsch. arch. Inst, zu Athen

38, 51—61. Lehmann-Haupt, Historisch -Metrologisches. I. Herodots Be- rechnung der pers. Tribute. Klio XII, 240—248. 1912. Klio

XIII, 119—127. 1913. undHegling, Die Sonderformen des babylon. Gewichtssystems.

Ztschr. d. Morgenl. Gesellsch. 63, 701 729. 1910. Neurath, Antike Wirtschaftsgeschichte, a. d. S. Aus Natur und

Geisteswelt ^ 1916. Leipzig. Th. Rein ach, L'anarchie monetaire chez les anciens. Mem. de

l'Acad. des heiles lettres. vol. 38, 351—364. 1912. Rostowzew, Studien zur Geschichte des röm. Kolonats. Arch.

für Pap3'rusforsch. 1. Beiheft. Leipzig 1910. Svoronos, Ma^Tj^mra vofAiouaTi-/.7jg. Ta ^cgioxa voiiia/uaTa.

Journ. archeol. et numism. 1906. 147 236. Weißbach, Über die babylon., assyr. und altpers. Gewichte.

Ztschr. d. deutschen Morgenl. Ges. 1907. 61, 397—402.

Im Mittelpunkt der antiken Wirtschaftsgeschichte steht als Hauptproblem , das nach allen Seiten Beziehungen ausstrahlt , die Frage nach der Bevölkerungszahl. Sie hat vor Jahren in Beloch einen sachkundigen Bearbeiter gefunden , dessen Ansätze sich im allgemeinen durchaus bewährt haben. Auch die neuste Nachprüfung von Cavaignac für Sparta und G e r n e t für Athen

Bericht über griechische Geschichte (1907 19U). 251

hat, obwohl beide von andern Grundlagen wie Beloch ausgehen, keine wesentlichen Abweichungen ergeben, wenigstens was die Zahl der freien Bevölkerung betrifft ; insbesondre schätzt Gernet die Zahl der freien Athener im V. Jahrh. auf etwa 130 000 bis 140 000 und tritt damit auf Belochs Seite gegenüber den viel höheren Berech- nungen von Ed. Meyer und v. Wilamowitz, die eine freie Bevölke- rung von 200 250 000 annehmen. Nur in der Sklavenzahl sind sowohl Cavaignac wie Gernet geneigt, die höheren überlieferten oder aus der Überlieferung zu erschließenden Zahlen beizubehalten. Anders steht die Sache bei Grundy, der die Grundlagen von Belochs Berechnungen zu erschüttern sucht. Er geht von der Tat- sache aus , daß Griechenland heute bei einer verhältnismäßig ge- ringen Getreideeinfuhr eine Bevölkerung von 2V2 Millionen ernährt, wobei nur 15 v. H. der Anbaufläche wirklich ausgenutzt werden: ein verhältnismäßig geringer Mehranbau würde die Einfuhr ent- behrlich macheu. Nun aber unterliegt es nach Gr. keinem Zweifel, daß im Altertum die Anbaufläche wesentlich größer war, und wenn trotzdem Griechenland mit geringen Ausnahmen (Thessalien, Boiotien) seit dem VI. Jahrhundert durchweg auf Korneinfuhr an- gewiesen war, so liegt allerdings der Schluß nahe, daß die Be- völkerung damals bedeutend dichter war als heute und als Beloch Wort haben will, der für das V. Jahrhundert eine Bevölkerung von 2,2 Mill. herausrechnet. Indessen ist dabei doch zweierlei zu be- denken. Einmal könnte die Landwirtschaft im Altertum weniger intensiv gewesen sein, so daß derselben Anbaufläche nicht unbedingt dieselbe Bevölkerung entsprechen müßte, und dann ist es doch auch noch fraglich, ob die Anbaufläche im Altertum wirklich so sehr A iel größer war als heutzutage : Grundj^ drückt sich darüber S. 78 ziemlich allgemein aus, indem- er lediglich auf die Spuren auf- gegebener Kultur hinweist, die sich hier und da an den Berglehnen finden. Aber ob diese tatsächlich so bedeutend gewesen ist, wäre denn doch genauer zu untersuchen. Soviel allerdings ist wohl sicher, daß Belochs Schätzungen durchweg als Minimalzahlen aufzufassen sind ; wenn also Grundy die Bevölkerung des ehemals spartanischen Gebiets, das heute 354 800 Menschen ernährt, auf 400 000 im Alter- tum schätzt (S. 81), so ist das immerhin denkbar. Und wenn davon nur 25 000 Spartiaten und nicht viel mehr Periöken gewesen sind, so stand allerdings die Helotenbevölkerung zu den Spartiaten im Verhältnis von 14 : 1, ein Verhältnis, das vollständig genügt, die politischen Folgerungen zu begründen, die Grundy daraus gezogen hat (s. 0. S. 147 ff.).

252 Thomas Lenschau.

JO^

Mit dem Bevölkeruugsproblem im innigsten Zusammenhang steht die Frage der Getreideerzeugung und -einfuhr, für die ebenfalls Grundy in seinem Buche ein beachtenswertes Material zusammengebracht hat. Im ganzen kann man zweifellos sagen, daß Griechenland, die wenigen oben bezeichneten Ausnahmen ab^^erechnet, vom VI. Jahrh. ab einer dauernden Getreideeinfuhr bedurfte, für die Sizilien und Großgriecbenland , Ägypten und der Pontos als Haupterzeugungsländer in Betracht kamen. Daß diese Verhältnisse bei der Beurteilung des pelopoj.nesischen Krieges stark ins Gewicht fallen , hat m. E. Grundy in seinem Buche dargetan ; ich glaube aber, man kann hier einen Schritt w-eiter gehen und einen Versuch Athens feststellen, das was es im ersten großen Krieg gegen Persien und Sparta 460 445 nicht hatte durchsetzen können, nämlich die Unterwerfung Griechenlands , nunmehr auf wirtschaftlichem Wege zu erreichen , indem es die Haupterzeugungsländer oder doch die Zufahrtstraßen dorthin in seine Hand zu bringen suchte. So er- halten die Unterstützung des ägyptischen Rebellen , die Gründung von Thurioi, Perikles' Pontosfahrt und die verschiedenen Unter- nehmungen auf Sizilien einen sinnvollen Zusammenhang, der un- möglich auf Zufall beruhen kann. Ob Perikles diese Politik selber gebilligt hat, ist dabei nebensächlich; wenn er es nicht tat, so beweist seine tätige Beteiligung eben die Stärke dieser politischen Richtung, der sich auch der leitende Staatsmann nicht entziehen konnte.

Über die Getreideeinfuhr Athens im besonderen hat Gernet gehandelt. Er sucht zunächst die Höhe festzustellen und kommt dabei zu dem Ergebnis , daß der schon von Boeckh auf- gestellte durchschnittliche Verbrauch von 7 Medimnen pro Kopf und Jahr als Minimalsatz durchaus brauchbar ist. Dao-efifen kommt er für die eigene Erzeugung Attikas zu einem sehr viel geringeren Ansatz als Boeckh und berechnet sie auf höchstens 1 Mill. Medimnen, von denen rund ein Fünftel für die Aussaat zurückbehalten werden mußte : je nach dem Ausfall der Ernte standen also etwa 400 000 bis 800 000 Medimnen zur Verfüjirung. Diese Zahlen können als ziemlich sicher gelten, die Unsicherheit beginnt bei der Abschätzung der Bevölkerung. Für die Freien erklärt sich G. mit der niedrigen Schätzung Belochs (rd. 130 000) einverstanden, für die Sklaven da- gegen hält er an der durch Ktesikles überlieferten Zahl von 400 000 fest, die nahezu von allen Forschern verworfen wird. Unter Zu- gi-undelegung des Boeckhschen Jahresbedarfs berechnet er somit den Verbrauch einer Bevölkerung von rund 550 000 Menschen auf

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 253

annähernd 4 Mill. Medimnen, von denen bestenfalls 800 000 durch die inländische Erzeugung gedeckt waren ; demnach müßte der durch Einfuhr zu deckende Fehlbetrag sich auf etwa 3 Mill. gestellt haben. Dazu stimmt nicht die einzige genaue Angabe, die wir über Athens Getieideeinfuhr besitzen, Dem. Lept. 21, 31, wo die Gesamteinfuhr aut 800 000 Medimnen angegeben wird, an der Leukon, der Herrscher des bosporanischen Reichs, mit 400 000 Med. beteiligt sei. Den Widerspruch erklärt G. so, daß Demosthenes hier absichtlich die Einfuhr zu «rerin"- aneeoeben habe, um den Anteil seines Schütz- liiios Leukon möglichst groß erscheinen zu lassen. Die meisten Forscher rechnen umgekehrt: 800 000 Med. Einfuhr + 800 000 Med. eigene Erzeugung würden 1,6 Mill. als Gesamtverbrauch ergeben, was für 230 000 Personen genügen würde , und beziffern demnach die Sklavenzahl auf höchstens 100 000. Eine Entscheidung ist mangels andrer unabhängiger Angaben unmöglich ; immerhin wird die zweite Art der Berechnung der von Demosthenes angegebenen Zahl gerecht. Dagegen kann man in einem andern Punkt G. bei- stimmen, wenn er sich gegen die überwiegende Bedeutung wendet, die man gewöhnlich dem Pontos als Einfuhrland beimißt. Aller- dings stehen im VI. Jahrh. Sizilien und Ägypten, im V. außerdem Euboia im Vordergrund , während der Pontos nur selten erwähnt wird. Erst der Verlust Euboias 411 und die schweren Ver- wüstungen, die gleichzeitig über Sizilien durch den Karthagerkrieg hereinbrachen, richteten naturgemäß Athens Blicke nach dem Nord- osten, dessen Bedeutung im dekeleischen Krieg zuerst hervortritt und seine Höhe in der Zeit des Demosthenes erreichte: für ihn bilden die guten Beziehungen zu den Pontosländern einen Haupt- gesichtspunkt seiner Politik, und erst nach Chaironeia kehrt Athen wieder zu den alten Bezugsquellen, Sizilien und Ägypten, zurück. In diesen Ausführungen liegt zweifellos etwas Richtiges.

Der letzte Teil der Gernetschen Schrift befaßt sich mit dem Getreidehandel, den Trägern desselben und den Maßregeln, die der athenische Staat ergriff, um sich genügende und billige Zufuhr zu sichern ; das großenteils schwierig zu behandelnde Material liefern die Reihe von Gerichtsreden, die in den Prozessen gegen einzelne Getreidehändler gehalten und bei den verschiedenen Rednern überliefert sind. In der Einzelbehandlung wird man öfters mit G. verschiedener Meinung sein : das Hauptergebnis aber ist wohl richtig, daß die Gesetzgebung des Staates auf diesem Gebiet weder durch- greifend noch folgerichtig war, vielmehr höhere Gesichtspunkte völlig vermissen ließ. Das stimmt durchaus zu den Erschei-

254 Thomas Lenschau.

Illingen , wie wir sie nachher noch bei der Finanzpolitik kennen lernen werden. Nur im V. Jahrh. ward Athens Politik nach außen und zum Teil auch nach innen von großen Gesichtspunkten ans gelenkt; im IV. Jahrh. tritt an ihre Stelle eine auf den Einzelfall berechnete Gelegenheitspolitik , das Fortwursteln , wie man es so schön benannt hat. Darin wird man unstreitig einen Mangel der Demokratie erblicken müssen, die einer ausgebildeten Beamtenschaft und damit der Stetigkeit und Geschäftskenntnis in den unteren Organen entbehrt, ohne die auch das staatsmännische Genie nicht arbeiten kann: auch in dieser Hinsicht wie überall bewährt es sich, daß die Demokratie am teuersten, weil ohne jede Geschäftskenntuis arbeitet. Wenn leitende politische Ideen in Athen zutage treten, so finden sie sich nicht bei den Staatsmännern , sondern bei den Privatpersonen wie Isokrates, und so hat es Athen denn auch in einer so lebenswichtigen Frage wie in der Sicherung der Getreide- einfuhr nie zu durchgreifenden Maßregeln gebracht. Kleinere Ge- meinwesen waren ihm darin überlegen, wie das im vor. Bericht be- sprochene Gesetz aus Samos über die Beschaffung von Brotkorn aus der Wende des III. und II. Jahrhunderts zeigt : hundert Jahre später gab es dort, wie die von Laum behandelte Inschrift zeigt, ein vom Staate eingesetztes Kollegium der elaaycjyElg, das für die Getreideeinfuhr aus dem Pontos zu sorgen hatte.

Die Finanz Wirtschaft der Griechen behandelt Francotte in seinem Buch , in dem ältere , schon im vorigen Bericht be- sprochene Arbeiten mit neuen zu einem Ganzen vereinigt sind. Zu den letztgenannten gehört die Abhandlung über die EiO(fOQa. in der der Vf. zu dem Ergebnis kommt, daß die eiGcpoga schon im VI. und V. Jahrh. eine ständige Einrichtung gewesen ist, daß sie sich aber zunächst nur auf den Grundbesitz bezog; erst vom Jahre des Nausinikos an habe man die elocfOQcc auch vom Gesamtvermögen erhoben und nun seien von da an beide Arten der eloffOQcx neben- einander hergegangen in der Weise , daß der Staat jedesmal be- stimmt habe, ob eine slarfOQa lediglich vom Grundbesitz oder vom Gesamtvermögen zu erheben sei (S. 41j. Das wäre eine starke Belastung des Grundbesitzes gewesen , der also in jedem Fall be- troffen ward, und im Gegensatz dazu eine Begünstigung des Mobiliar- vermögens, während doch offenbar die Reform des Nausinikos einen Ausgleich beabsichtigte. Tatsächlich beweisen denn auch die S. 38 von Fr. angeführten Inschriftenstellen nicht das, was er beweisen will, in einigen ist ausdrücklich von einer elarpOQa aud cov Tif^n'j- fifxTOg die Rede, und in den Fällen, wo einfach uacfoüa steht, kann

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 255

der Zusatz der Kürze wegen weggelassen sein , weil es seit Nau- sinikos eben nur eine elarpoQCc a7Co tov Ti/Li/i/naTog gal>. Übrigens berührt Fr. auch die Frage nach dem Timema, die von der be- kannten Stelle in Demosthenes' Rede gegen Aphobos ausgeht, nach der das Vermögen des Demosthenes auf 15 ^ das Tiur^ua aber, die Zahlungsverpflichtung auf 3* festgesetzt sei. Gewöhnlich erklärt man das so, daß gegebenenfalls die eiGrpoQa bei den großen Ver- mögen bis zu einer Höhe von 20 "/o erhoben werden konnte, während Fr. die Sache so auffaßt, als ob der zahlungsfähige Bürger auch für die unbemittelten herangezogen werden konnte , aber nicht weiter als bis zu einem Fünftel seines Vermögens (S. 35 f.). Aber dann läge es doch am nächsten , die Worte auf die spätere sogenannte .rQoeiocpoQa zu beziehen, bei der die reichen Bürger für das Ein- kommen der von der Symmorie geforderten Summe haften müßten. Allerdings bleibt es dann, wenn man von vornherein mit einer tvqo- tiarfOQCc rechnet, wieder seltsam, wie so Androtion mit der Ein- ziehung der Rückstände von Staats wegen beauftragt ward, während es sich doch um einen privaten Zahlungsanspruch der Begüterten an die minder Begüterten handelte.

Eine zweite Untersuchung Francottes befaßt sich mit den Unterschieden zwischen eiacfoga, (fuQog, Oivza^ig und stellt fest, daß es sich bei der elocfOQa stets um eine außerordentliche Abgabe handelt: bei (fooog und avvTa^ig ist der Unterschied der, daß jenes immer den Tribut der Untertanen, dieses eine durch Bundesvertrag festgelegte Leistung bezeichnet. Das ist für die hellenistische Zeit zweifellos richtig, aber fraglich muß es bleiben, ob die Ausdrücke von Anfang an dieselbe Bedeutung gehabt haben, insbesondere ob der cpooog, den die Bündner im delischen Seebund bezahlten, sofort als Tribut aufgefaßt worden ist. Der Vf. glaubt das, aber dagegen spricht, daß es im Anfang doch den Bundesgenossen freistand, ob sie Schiffe oder Geld stellen wollten. Danach handelt es sich auch hier um einen vertragsmäßig festgesetzten Beitrag und daß tat- sächlich die Zahlung eines rpoQOg mit arTOvo/iiia und i?,ev0^eQia als durchaus vereinbar galt, muß auch Fr. zugeben. Da ferner der qoQog immer auf dem Bodenertrag beruht, so nimmt Fr. in einer weiteren Abhandlung an, daß dies auch im delischen Seebund der Fall gewesen sei , und tatsächlich scheinen einige Tributsätze dafür zu sprechen, wie die von Lemnos und Imbros, die genau in ihrem Verhältnis dem anderweit überlieferten Bodenertrag der beiden Inseln angepaßt sind. Also sei der Grund und Boden die Grund- lage des (füGog, von dem eine jährlich wechselnde Quote erhoben

256 Thomas Lenschau.

■worden sei 5 daher auch das Schwanken der Tributsuminen. Allein Belochs Untersuchung der Sache (Gr. Gesch. II 2, 356 370) hat ergeben, daß die Veranlagung jedenfalls nicht auf dem Bodenertrag beruhte und überhaupt äußerst ungleich war, wofür uns freilich die Gründe unbekannt sind. Die wechselnde Höhe der Summe erklärt sich sehr gut daraus, daß fast nie der Betrag rein einging, sondern Teilzahlungen und Rückstände an der Tagesordnung waren; selbst das ist also fraglich , ob es sich um eine prozentuale Umlage ge- handelt hat. Eine wirklich solide Grundlage ergab erst der im Jahre 413 eingeführte Wertzoll von 5 ^/o : daß er öfters nicht ein- ging und daß dann die im Bosporus eingerichtete Zollstation das Doppelte als Strafzoll von den Säumigen erhob, ist eine Vermutung Francottes , der man beistimmen kann. Charakteristisch ist, daß Thrasybul 389/8 nicht auf den (poQog, sondern auf die eiy.ooc)j zurückgriff.

Dies sind im wesentlichen Einzelheiten; was die Gesamt- finanz Verwaltung angeht, so hat Fr. sowohl in der neubear- beiteten Abhandlung L'administration linanciere usw. (S. 131 238) wie auch in der Besprechung des Bourguetschen Aufsatzes über die delphische Verwaltung sehr schön ausgeführt, daß ihr Haupt- nachteil in der außerordentlichen Zersplitterung lag, in dem, was ich im vorigen Bericht die Töpfchenwirtschaft nannte. Es gab eine ganze Reihe von Einnahme- und Ausgabebehörden, jede mit einer besonderen Kasse , auf die die einzelnen Ausgaben angewiesen wurden, so daß eine allgemeine Übersicht aufs äußerste erschwert ward. Allerdings sind immer wieder gelegentliche Anläufe zu einer einheitlicheren Gestaltung gemacht worden, so in Athen, wo wenigstens die Einnahmen eine Zeitlang in der Kasse der Apodekten vereinigt waren, aber die entsprechende Maßnahme, einheitliche An- weisung der Ausgaben auf eine Kasse und endlich die Vereinigung beider Tätigkeiten zu einer Regierungshauptkasse sind niemals völlig gelungen. Am nächsten ist diesem Ideal noch die delphische Ver- waltung in den Jahren von 339 327 gekommen, in denen die za/ui'ai auftreten (S. 261); allein auch da war die Einheit weder vollständig durchgeführt, noch von langem Bestände.

Über das Geld- und Münzwesen der Griechen überhaupt, das seit Brandes immer im Zusammenhano; mit dem der vorder- asiatischen Völker behandelt wird, sind eine ganze Reihe von Ab- bandlungen erschienen, die sich meist mit den Erörterungen der Grundfragen befassen und dabei eine solche Verschiedenheit der Anschauungen entwickeln, daß es einem unparteiischen Beobachter

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 257

wie Beloch wohl den Eindruck machen kann , als sei „die antike Metroloirie im Begriff, den festen Boden unter den Füßen zu ver- lieren" (Gr. Gesch. I^ 2, 38o). Es ist ein Verdienst Lehmann- Hanpts, die babylonische Metrologie, die er als die Grundlage dei" vorderasiatischen, griechisch-römischen und demnach avich der gesamteuropäischen Metrologie ansieht, in den astronomischen und religiösen Vorstellungen der Babylonier verankert zu haben. Dahin gehört es, daß der uns erhaltene Maßstab des Gudea mit 992,33 mm fast genau der Länge des Sekundenpendels für den 31 " n. Br. entspricht (992,35 mm). Davon ein Zehntel bildet die Kante des Würfels, dessen Wassergewicht die schwere Mine gemeiner Norm (982,4 g) abgibt. Neben ihr hat zu allen Zeiten eine leichte Mine gemeiner Norm mit der Hälfte des Gewichts, 491,2 g, gestanden, eine Gewichtseinheit, die in der ptolemäischen und italischen Mine, dem heutigen französischen , holländischen und friesischen Pfund wiederkehrt. So seltsam diese Doppelung der Gewichte uns an- spricht, so findet sie sich doch durchgängig in der babylonischen Metrologie, die neben einfachen Stunden auch nach Doppelstunden, neben Vollmonaten auch nach Halbmonaten rechnet. Der 60. Teil nun der schweren Mine ist der Schekei zu 16,38 g, die Hälfte davon oder der Schekei der leichten Mine 8,19 g, der als Münz- einheit sich in Kroisos' Goldstater und noch in Cäsars Aureus findet. Merkwürdig ist aber, daß die Mine zu 60 Schekei nur im inneren Verkehr gilt, für den auswärtigen bediente man sich nach Lehmann-Haupt bei den Edelmetallen einer Mine zu 50 Schekei: die schwere wog also 818,6, die leichte 409,3 g, und diese findet sich im altetruskischen und im heutigen russischen Pfunde. Ebenso wie die Gewichte in den astronomischen , ist nun aber das Wert- verhältnis der Edelmetalle in den religiösen Vorstellungen der Babylonier festgelegt. Sonne und Mond sind in der babylonischen Religion die Repräsentanten von Gold und Silber : daher entspricht ihr Wertverhältnis, das immer gleichblieb, dem Verhältnis des schein- baren Sonnenumlaufs zum siderischen Mondumlauf, die 360 bzw. 27 Tage ausmachen. Dies Verhältnis aber 360 : 27 oder IS^/a : 1 ist bekanntlich das, auf dem Dareios I. seine Münzreform begründete. Demnach war der babylonische Goldschekel von 16,38 bzw. 8,19 einem Silberstück von 218,3 bzw. 109,15 g an Wert gleich. Daraus leitet L.-H. für den internationalen Verkehr eine schwere Silbermine zu 1091,5 g, eine leichte zu 545,7 ab, während im inneren Verkehr eine Silbermine zu 60 Schekei 654,9 g, die sogenannte /j^va ayoQaia, Geltung gehabt haben soll.

Jahresbericht für AltertumswisseiiMcliiiit. Bd. 180 (1919. 111). 17

258 Thomas Lenschau.

Soweit steht alles in genauem Zusammenhang, nun aber nimmt L.-H. an, daß für Zahlungen und Lieferungen an Könige und Tempel bestimmte Zuschläge zum Gewicht gemacht wurden, von denen er drei Arten, einen zu V24, einen zu ^/ss und einen zu Vse unter- scheidet. Um diese Zusatzgewichte dreht sich der Streit: Thureau- Dangin hat für Altbabylonien, Weißbach für Assyrien und Persien ihr Vorkommen geleugnet, und dem haben sich Willers in seiner Geschichte der römischen Kupferprägung, Haeberlin in der Ztschr. für Numismatik 28, 387 (1910) und v. Fritze (Nomisma VI 31, 191 Ij angeschlossen , während Head in der 2. Auflage seiner Historia numoriim die erhöhte Form mit den 3 Varianten angenommen hat. Nun ist ja an sich an dem Nebeneinander gering unterschiedener Maße kein Anstoß zu nehmen-, mit Recht weist L. auf das gleich- zeitige Bestehen von Pfund- Sterling und Gainee, Mandel und Bauern- mandel hin. Aber daß das ganz ohne erläuternden Zusatz geschehen sein soll, ist doch, wie Weißbach bemerkt, nicht sehr wahrschein- lich. Ebenso ist es fraglich, ob Assyrer und Babylonier eine Mine für den auswärtigen Verkehr in Edelmetallen zu 50 Schekel gehabt haben; nach Weißbach (S. 391) beruhen die dafür verwerteten An- gaben auf Rechenirrtümern oder Schreibfehlern. Vor allem aber ist es sehr zweifelhaft, daß das Wertverhältnis der Edelmetalle unter- einander sozusagen von Ewigkeit her immer dasselbe geblieben sein soll, während es doch nach dem wirklichen Vorhandensein beider Metalle wesentlich geschwankt haben muß. Tatsächlich hat denn auch Beloch S. 342 Fälle angeführt, in denen ein Verhältnis 1 : 16 und 1 : 14 vorzuliegen scheint, und ebenso hat Peiser (bei Weiß- bach a. a. 0.) in einer Urkunde, die 25 Jahre vor Dareios fällt, das Verhältnis 1 : 12 nachweisen können. Man sieht also, die Theorien Lehmann-Haupts entbehren der wünschenswerten Sicherheit, und das ist um so bedenklicher, als man ihm grundsätzlich zweifel- los beistimmen muß, wenn er Klio 12, 241 den Satz aufstellt: „Wo Normaleinheiten einander gleich sind oder untereinander im Verhältnis des Teiles zum Ganzen stehen , ist bis zum strikten Beweis des Gegenteils ein Verkehrs- und Kulturzusammenhang an- zunehmen." Bei der gi'oßen Mannigfaltigkeit aber der von L.-H. aufgestellten Normen, den gemeinen und den erhöhten, wird sich bei einigem guten Willen eine derartige Beziehung fast immer er- kennen lassen.

Unter diesen Umständen kann man es verstehen, wenn Beloch auf alle Beziehungen zur babylonischen Metrologie verzichtet und das griechische Münzwesen aus sich selbst zu erklären sucht. Das

Bericht über griechische Geschichte (1907 1914). 259

ist ihm auch in Ijeachtenswerteiii Mal.le Lreliiiif^en ; er hat (Gr. Gesfl). I -' 2, ^Uä) alle «griechischen Münzsystcnie vor Alexander auf eine einheitliche Münznn'ne von 4;{<),() ij; zurückgeführt. Daran wird festzuhalten sein, wobei es freilich ganz interessant ist, daü nach dem bei Her. ;], 89 gegebenen Verhältnis der euböischen zur babylonischen Mine von üO : 70 wir dadurch auf eine babylonische Mine von 510 g kommen, d. h. die um V2.-. erhöhte königliche Norm der leichten Nonnalmine \ on 491,2 g. Jedenfalls sollte das vor dem Versuch schützen, in der Herodotstelle dui'ch eine Textänderung ilas Verhältnis 60:78 einzuführen, wie L ehm ann - Hau p t will, um dadurch ein allerdings überraschendes Zusammenstimmen der Tributsummen zu erzielen. Denn die aus diesem Verhältnis zu er- rechnende Silbermine von 567,6 g laut sich nicht so leicht zu einer der von L.-H. angesetzten Normen in Beziehung bringen, höchstens zu der leichten internationalen Silbermine von 54:5,7 g mit Va.-. Aufschlag, die aber, wie gesagt, ziemlich zweifelhafter Natur ist. Richtiger ist es dann schon, bei Her. die überlieferten Zahlen zu belassen und eine Verderbnis der Einzelposten anzunehmen , wie dies auch Beloch vorschlägt (S. 34;i f.). Übrigens hat Beloch auch die jetzt vollkommen sichergestellte delphisch-äginetische Teilung der Mine in 70 Drachmen sehr hübsch dazu benutzt, nach de Sanctis' Vorgang die berühmten Worte des Aristoteles in c. 10 der Verf d. Athener zu erklären; nur darauf möchte ich hinweisen, daß in den Worten oiadf-ibv de enoir^OLv y.il. es sich ganz zweifellos nicht mehr um eine Münzänderung, sondern um eine Änderung der Ge- wichte handelt (S. 336). Es scheint demnach, als ob, wenigstens bei den Münzen , Griechenland seine eigenen Wege , ziemlich un- beeinflußt vom Orient, gegangen ist, und so wird man auch Deche- lette beistimmen, wenn er das assyr. dranamana als ein griechisches Lehnwort, nicht umgekehrt, auffaßt. In noch älterer Zeit mögen Beziehungen dagewesen sein, wenigstens hat Svoronos in den zu Hagia Triada gefundenen Bronzebarren eine Justierung nach babylonischen Ganz-, Halb- uml Vierteltalenten zu bemerken ge- glaubt (S. 153 f.). Übrigens beleuchtet Dechelettes Aufsatz auch in sehr glücklicher Weise die Entstehung der ältesten Münznamen, danach sind die 6iiEh)i ursprünglich kleine Spieße , wie sie zum Braten des Fleisches benutzt wurden, von denen 5 bei den Aiolern (Tieun(')^-ioXa bei Homer). 6 8 bei den Etruskern. wie noch Denk- mäler zeigen, in eine dQay(.n], Handvoll, zusammengefaßt wurden. Selbst den Obolos fitr Charon hat D. auf diese Weise zu erklären versucht. Die ältesten griech. Münzen, die man bisher Phokis zu-

17*

2t>0 Thomas Lenschau.

wies, sind übrigens neuerdings von K a !• 1 e Fax für kerkyraeisch erklärt worden.

Daß schließlich die Vielgestaltigkeit des griechischen Münz- wesens von den Griechen selbst unangenehm empfunden ward und daß es an E inh e i t s b e s tr e bunge n nicht gefehlt hat, zeigt zu- nächst der Versuch der Athener, in ihrem Bnndes<iebiet durchaus das eigene Münz-, Maß- und Gewichtssystem zur Geltung zu bringen, den Gardner ausführlich und klar besprochen hat und der dem anderweitig bezeugten Streben, überall attisches Recht einzuführen, durchaus parallel läuft, als ein Beweis dafür, daß es auch in Athen einsichtige Politiker gab, die dem lose zusammengefügten und auf politischem Zwang beruhenden Bunde eine innere Einheit zu geben versuchten. Andre Versuche, der eigenen Münze einen erweiterten Geltungsbereich zu verschaffen , hat R e i n a c h anireführt. Die meisten sind allerdings nur von vorübergehender Wirkung gewesen, und das gilt auch von dem letzten interessanten Versuch, den Delphi im Anfang des I. Jahrh. v. Chr. machte, indem es seinen religiösen Einfluß dazu benutzte, um dem attischen Tetradrachmon eine Art Zwangskurs zu verschaffen. Zunächst war das allerdings wohl nur eine Art Sanktion des bestehenden Zustandes, indem das attische Kurant immer noch gern genommen ward, doch lag die Maßregel zweifellos im Interesse Athens, das denn auch die Hand im Spiele gehabt haben wird. Welchen Erfolg das Vorgehen Delphis hatte, ist nicht mehr zu erkennen , da bald darauf im mithridatischen Krieg Athen mit der Freiheit auch die 14ö noch gerettete Münz- hoheit verlor.

Eine größere Anzahl von Schriften endlich befaßt sich mit den wirtschaftlichen Verhältnissen, wie sie sich im I. vorchristl. Jahr- hundert in Ägypten beim Übergang zur römischen Herrschaft aus- gebildet haben : hier bietet die Papyrusforschung ein immer wachsen- des Material. Außer Einzeluntersuchungen, wie denen von Eitzler. Freundt und Hermann, ist hier das ausführliche Werk von Chwostow erschienen, leider in russischer Sprache und mir deshalb nicht zugänglich. Von größter Wichtigkeit dagegen ist Roste wzews Buch über das römische Kolonat, da es stets auf die wirtschaftlichen Verhältnisse zur Zeit des Hellenismus eingeht und besonders die Lage der Landbevölkerung Ägyptens genau unter- sucht. Überall in den hellenistischen Reichen wird an dem Grund- satz festgehalten, daß das Land dem König gehört, der also auch an dem Privatbesitz ein Obereigentum ausübt. Dies zeigt sich in dem (pOQOg, den er in Ägypten erhebt, dem in Sizilien die de/MCij

Bericht über griechische Geschichte (1907—1914). 261

entspricht; ii)i Seleukideureich wirrl streng zwischen den verbün- deten Griechenstädten , die eine orvza^ig bezahlen . und den Aaoi ßaatlr/.oi geschieden, die auf K()nigsland wohnen und dem Könige deswegen den (foQog liezahlen. Künigsland i.st alles, was nicht Stadtland oder Tempelland ist: erst nach und nach kommt durch Schenkung und Verkauf neben der Erbpacht ein wirkliches Privat- eigentum an Gi-und und Boden zustande, ß.'s Ausführungen be- rühren sich <)fters mit denen Francottes und sind geeignet, diese zu berichtigen.

Zum Schluß mögen noch zwei Werke niehr allgemeiner Natur erwähnt werden, Blümners Technologie und Neuraths antike Wirtschaftsgeschichte. Während jener aufs genaueste und ein- gehendste die einzelnen Gewerbe unter ausführlicher Heranziehung der Quellen behandelt, gibt Neurath einen kurzen allgemeinen Über- blick mehr populärer Natur, der aber sichtlich auf genauer Kenntnis der einschlägigen Probleme beruht und schon in zweiter Auflage erschienen ist. Von ihm dürfen wir denn auch wohl , wenn ihm seine politische Betätigung Zeit läßt, dereinst eine Gesamtdarstellung der Wirtschaftsgeschichte erwarten, die immer mehr zum Bedürfnis wird, zumal Büchsenschütz' jetzt überholtes, aber immer noch sehr nützliches Buch überhaupt nicht mehr aufzutreiben ist. Allerdings harrt ein ungeheures Material der Bearbeitung; was Glotz an einem Beispiel aus den delischen Inschriften gezeigt hat, läßt die Fülle der Einzelangaben erkennen, die miteinander nach allen Seiten in Beziehungen zu setzen sind.

Druck l'ehlerberiehtig'ung'.

S. <,»:,. Z. 20 lies lamiiia statt himina; '\>ur(l(' _ wurden.

Saclieiiverzciclnus.

Di.' f.'tt gcdiuekten Ziffern beziehen sich auf den Band 17ü. in dem der erste Teil des Berichts erschienen ist.

Aeliä.T l(>Of.

AcathnkU'S. Quellen 193, Geschichte 209 f.

Aecaeiselie Kultur, ihre Trätrer 144 ff.. Herkunit 14S ff.

.\j;-yi)ten. Aufstand Uö. H«'rrsehatt in den Kykladen 225 ff".

.Vetoler Geschichte 195.

Alexander. Quellen 191 ff.. Triballer- zus 198. Granikos 298 f., Issos 199 ff.. Gottkönijrtuni 202 ff". . als Staats- mann 204. Verwaltung 205 f.. Be- nrti'ilung 206 f.

-Vinazonen 154.

Anaxagoras 149.

Andres, Schlacht l)(*i 225 ff.

.Vndrotion 161 f.

Anonvinus Arsrentinensis 117.

Antigonos II. "^Gonatas 21:^ 222 ff.

Antigonos Hl. Uoson 2:32 f., Karischer Feldzug 2;t2. bei Sellasia 283.

Antiochos II. Laodikeinschrift 214.

Antio.'hos III. 241 ff'.

Antioclios IV. und V. 245 tl.

Autipatros (Archen) 217 ft'.

Antiphon 160.

.Apollokult 153. i73.

.A.rchontinli.¥te 177 vgl. Clironologie.

.\rgo.~, Ausgrabungen H'2. 170, Ge- schielite 180.

.\ristoteles' A'erfasSungsgeschichte

161. . ,.

.\thcu. Urgeschichte l>i7. Ivr.mgrilisto 174. ISS. Drakontische Verfassung IS!», Solon IJWf., rhyleneint.'ilung 104 ff'.. Naukrarien 19o,0.strakisiiius 196. I'eisistratos 197, Perserkriege s. d.. Attischer Seebund 146 f.. Felop. Krieg s. d.. .Ma.-htniittel 169 ff'.. Vi.-rhundert 162 f.. 173 ff.. Feldhirrnprozeti 175, Dreißig 177, Beziehungen zum Ohersones 182 f.. Metonischer Cyklus 195, Helle- nistische Zeit"2U7, Verfassungs- kämi)fe im Beginn d. III. Jahrli. 222. Bevölkerung 250 ff.

Athoskanal 133.

Attalos I. Gallierkämpfe 229 ff.

Mtühjü HI. Testan..-nt 248.

Bastarn er 243 f. - , , ,

Boiotien. Gesrhiciite im \ . Jalirli. 148, Verfassung 1451'.

Chair.ineia. Ausgrabungen 1:J9. Schlacht b. eil. 186.

Chalkidike nicht v. Chalkis be- siedelt 197.

Chetareicli 154.

(Chronologie d. \Orzeit 17(> n., altere griech. Chr. 143 ff"., 175 ff\. 184 ff. Attische Arclionteidiste 213 ff., 239 ff". DelphisclH' 218 ff. Delisclie 221 ff".

Delos 185, Mitglied des Nesioten- bundes 226, unter att. Herrschatt 244, Sklavenanfstand 248, Italiker

auf'l). 245. Delphi. Perserangriff 137. ^^ agen-

lenker v. D. 141. Demosthenes' Politik 183 ff. I Demetrios T. 208, 222 f. Dcnietrios II. 230. Aitolerkrieg 231.

Khen 232. Diadochengeschichte, Quellen 192 ff.

Vorfände b. Alexanders Tod 20) t..

in Asien 207. Dialekte. Schichtung 151. Dorieus 198 ff. ^ ,,

Dorische AVanderuiig KJl. 182, Kna-

benliebe 185.

Epeiroteii. Abstammung u. ältere

Gesch. 196 ff". Kjiliorat 1S3. Ephoros. Zeit 162. Etrusker. Herkunft 15(>. Kunienes 207 f.

Finauzwirtschaft 254.

Gallier in Ägyi.t.-n 224, Kämi)fe mit

Pcrgamon 229. Geld- und MünzAvesen 256 t. Getreideeinfuhr 252 f.. Handel 2oö.

Gournia 1.S8.

Griechen, Einwanderung loS. erste Ansiedlung 170. Hausbau US. Ver- schmelzung 172, Kolonisation 1.4.

Sachen Verzeichnis.

263

Kampl um die Vorherrschaft ir>6ft', Griech. Dynastien in Klcinasicn

2-i-2.

Aiispiiig-

d. "-riccli. (icscli.

'247. Röuiisehe Provinz 247 f.

Hauliia Triada. Sarkoplia^;- V.iliW

Hausbau 1-tS ff.

Hellcspont Geißelung 138.

Herodot, Quellen 1 14 ff.

lierudes' Kede an dir Larissäer 160 f.

Inschriften 118. 166, der Alexander- zeit 194 f., aus heilenist. Zeit 2l3t' 237 ff

lonier 174 f. Kolonisation 175, Ent- Aviekelung ITsfl"., Aufstand 120 f.

Isokrates 163 ff.

Kleinasiatische Griechen 205. Kleitarch liJl ft^ Kleomencs 1. 122. Kleonicnes III. 233 f. Knossos, Palast v. 137. Koilesyrien 223. Kolonat 260 f.

Königsland in den heilenist. Mon- archien 26U f. Korintli 169.

Korinthisclicr Krieg 181 ff. Kos, Schlacht v. 225 ff. Kvpselidcn. Zeit 178. KVrene l-U f., 1«J).

Lemnos, Inschrift 157. Lokroi, Ausgrabungen 170. Lykurg 184.

3Iakedonier, Abstamnnmg 196 f.

Makedonischer Krieg, erster 239, zweiter 242, dritter"244, Aufst. des Ps.-Philipp 246 f.

Metonischcr Cvkius. Einf. in Athen 194.

Milet, Ausgrabungen 167.

Minossage 152 f.

Moehlos 139.

-Münzen im att. Seebund 176 ff., mit Beamtennamen 215, älteste griech. , 260, MiinzM'csen überhaupt 256, i Einheitsmünzin 260. 1

Ncsiotenbund. Begründung durch Antigonos I. 208, unter Ptoiemäer- herrschaft 223, unter den Make- doniern 225 ff".. 240.

Oiyini)ia, Ausgrabungen 141 f. Orcliomenos, Ausgr.-ibungen 139 f. Oxvrlivnchos. Historiker \. O. 158ff, 179 f.

Papyri 218.

Peloponnesischer Krieg, Ursachen

156 ff. Pentekontaetie, Zeitfolge 143 tl'. Pergamon, Aufstand d. Aristonikos

249. Perserkriege 121 ff. Marathon 1l>1.

XerxeszMg 126 ff. , Heeres- und

Flottenstäiken 127 ff. Artemision-

Thermopylai 133. Salamis 134 ff.,

Plataiai 138 ff. Phaistos, Diskos v. Pli. 137. Plieidias. Prozi'i; 149. Pliilipp III., Politik 183 ff. Philipp ^'., Bundesgenosscukricg234,

im 1. maked. Krieg 239 f. Philokh'S V. Sidon 222 f. PhJmizier 173 f., Alphabet 174. Plirvnichos 175. Phylen 171. 194. Protagoras 149. Ptolemäerherrschaft im Aegacischen

Meer 222 ff". Pydna, Sclilacht v. 244. Pylos, Ausgrabungen 142. im pelo-

ponn. Krieg 171.

Rliodierherrscliaft im Aegacischen

Meer 240 ff. Rom u. Antiochos III. 242.

Samos, Kolonien 176.

Seleukos L. König v. Makedonien 223 f.

Seleukos II., Bruderkrieg 229.

Sellasia. Schlacht v. 233 "f.

Seudten in Grieclienland 146.

Sizilien. Tja-annis 125, Karthager- krieg von 480 s. 126. 140 f. Zweiter 176 f.. unter Agathokles 209 f.

Sparta, Ausgral». 142. 168 f., Ent- wick(dung 181 ff. Mess. Kriege 186. Dritter mess. Krieg 144. Politik im V. Jh. 147 f. Agesilaos in Asien 180. Bevölkerung 250 f.

Syrakus, Belagerung 171.

Syrischer Krieg. Erster 223 ff. Dritter 229 ff". Vierter 234. Fünfter 241. Sechster 246.

T«'rina 197.

'riienustokles' Anfiinge 122 f., Politik

123, List 134, Ausgang 141 ff. Thessalien, Ausgrab. 140. 1.V2. Ge-

schiclite 195 f. Thukydides 117, sein Bi-riclit über

i'ausaniasl41f.. Komposition 156 ff.,

Grundsätze 166 ff',

Xenophon 157 f., 18iif. Zankle 125.

264

Namenverzeichnis.

Xanten verzeieluiif

Adams 13(5. Adc.H-k 1(5. 191. 19(i. Ah l.i3. IT.'i. \ . Arnim 187 f. Arvanitopoullos 141. '2^7. Assmann 14(). Avezitn 287. Awdr.v 171.

Bannior 118.

Bauer 181. 232.

Hauml)aL'h 20ö 1".

Brl..ch 144. läßt". KiOf. 173 ff. ISO.

ISrjf. 194 ff. 118. 120 ff. 125 ff. 130 ff.

136 ff. 220 ff. 250. 25(3 ff. Bencdctto 159. Bcthe 152. 185. Bettiiiirer 232 f. Blank' 158. 178. Blinkenber.a- 17(J. 118. 121. Blümner 261. Bodin 156. Bolkestein 171. Bonner 149. Bosancjuet 233. Bot?ford 148. Bourgeois 199 ff'. Bourü-uet 213 f. 219. Brandt 1S6. Buckler 194. Burrows 167. Burv 117. 156. Busolt 18S. 158 f. 174. 180.

Carcojjino 196. 145.

Cardinali 238. 245 ff'.

Casnari 121. 139. 145. 173 f.

Cavaignae 143. 159. 169 f. 239. 250 f.

Cichorius 239.

Clark 216. _

Classen 147.

Cloche 178.

Cornford 156 f. 167 ff".

Corradi 222 f. 229. 231 ff. 245.

Costanzi ISj. \m. 195 f. 227. 230 f.

240 f. 242. Croiset 187. Cuny 157.

Dechelette 259 f. Delamarre 118. Delbrück 122. Dickins ISl ff. 148. Dicls 114. Di.ulafov 199 f. Dittbrrnör 191. 198 ff. J>odd 125. Dörpfcld 141. 159. Drerup 160.

Duoati 158.

Du<ias 180. V. Duhn 141. Dürrbaeli 118.

208. 213. 221. 225«.

Eiseleu 223. Ender 127. Endros 191. Evans 137. UM).

221 ff.

2C.0.

142.

261.

Fawcus 169.

Feist 147.

Ferguson 194. 207 ft'. 215 ff".

225 ff'. 242. 245. 248 f. Ferra hino 195 f. 230. Finuuen 141. 156. Fitzler 260. Fothcrinfiham 173. Foucart 16(5. 182 f. Francotte 171. 194. 146. 169 ff. 254 ft'. Franz 159. Freundt 260. Frickunhaus 141. V. Fritze 258.

Galli 170.

Gardner 121. 14ü. 176. Gardtliausen 138. Gefteken 149. Gereke 174. 135. Gernct 250 ff. Gilliard 190 ff. Glotz 149. 187 f. Goligher 149. 159. Gonmie 174. Grilinberg-er 162. Groix'ngießer 159.

Grundy 1S3. 190. 191 f. 123 f. 128. 147. 1.56 f. 167 ff'. 172. 251 f.

Haeberlin 258.

V. Hagen 165.

Halbherr 137.

Hall 144. Iö3ft'. 15S.

Harrison 197.

Hatzfeld 208. 238. 245.

Hatzidakis 139.

Haury 173.

Haussouillier 221.

Hawes, Frau 138.

Head 2-58.

Heinlein 121.

Heibig ISO. 183.

Hepding 238. 249.

Herkenrath 160.

Herrmann 114. 260.

Herzog 118.

Hiller v. Gärtringen 186. 118. 166.

Hirschy 183.

Hoffmann 206.

Namen Verzeichnis.

265

IIofFiiianii-Kutschke 119.

H()f;artli 174. 179.

Jloliiiiiinii 19Ö.

Holl.'iiu.x 226. 228. 234. 240«".

IInlst<'n 14S.

Hoiniiiel 147.

Inaina KJl). Ingle 1})3.

Jac-oby 11.5 ff. 120. VM. 188. 157. 159.

193. Johnson 214. Judeich 135. 158 f. 173 f. 180. 198 f.

Kahh^ 185.

Kahrstedt 150. 173 ff. 181. 183 ff". 24^3 f.

Kallenberj:: 135.

Kannengicßer 157.

Karo 157.

Karst 203 f. 207 f.

Kazarow 196. 2J>».

Keil 182.

Kern 118.

Kerauiopuhis 141.

KessU-r 181. 163.

Kinoh i:«).

King 175. ' Kip 195f.

Kirchn.^r 214 ff". 239.

Klotzsch 186. 197 f.

Knoke 171.

Knox 161. 196.

Koch 165.

Kolbe 118. 215 ff. 239.

König 208 f. 225 ft'.

Kitpp 145. I Körte, G. 156 f.

Körte, A. 184.

Kretscluner 151. 158.

Kriegel 173.

Krom 209. 246.

Kroniayer 233.

Kroog 196.

Kuberka 174.

Kunle 173f.

Kuruniotis 194.

Lammert 202.

Laqueur 117.

Lattermann 186.

Laum 254.

Ledl 177. 187 ff. 193. 161.

Lehmann 198 t'.

Lehmann-Haupt 158. 177. 180. 189.

193. 114 f. 119, 135. 137. 159. 223 f.

257 ff. Lenschau 121. 173 ff. Leonhardt 154. Lesquier 215. Lezius 171.

V. Lichtenberg 145. 179. Lins 180.

Lipsius 157 f. 179 f. V. Luschan 146. 179.

3f:ias 1.59. I Mac liuu'S 172. Macurdy 171. Mago 246. iMalten 154 f. 176. Alaltczos 194. May 174. .Menzel 149. V. Mess 158 ff. 162. Mever, Ed. 137 f. 14t f. 147 f. 151. 158. 148 f. 15« f. 161 f. 180. 183 f. 195 f. Much 150. .Muchau 149. Miildcr 115. 122 f. Müller 1.38. Müller 158. Munro 179. Münscher 161. 196. Myre.s 161.

Nachmanson 157.

Neurath 261.

Niccolini 233 ff". 240. 244. 246 ff'.

Nicolaus 232 ff.

Nicole 149. 160.

Niese 130. 184 f. 15)8 f. 116. 162.

Nikitskv 244.

Nilsson 182f. 185. 197 f.

Noack 148. 150. 142.

Obst 115. 120. 127 ff. 133 f. 1.37 ff.

Oelmann 138 154.

Oikonomos 194. 218. 238.

Orsi 170.

Otto 184. 234. 245 f.

Pais 175. 197. 172. 186. 209 f. Pareti 175. 198. 125 ff'. 140. 149. 159.

176 f. 181. 242. Peet 118. Penka 145.

Perdrizet 153. 132. 146. 160. Pfister 176. Picard 237.

Pistorius 166. 181. 184. 204. Plassart 239. V. Poehlmann 153. Pokorny 184. Pomtow 220 f. Ponnelle 175. Poralla 166. Poulsen 1.S4. Pozzi 231. V. Premerstein 209. Prinz 145. 148.

Rabbinowicz 207. Kadüge 183. Raeder 165. Eeiche 192.

2r>o

Namenverzeichnis.

KiMolu'l 14-S.

Tillvard 118. 193. 209 f.

Eeinnoli, Ad. 244 .

Tod:. 118.

, Sal. Vil. 182. 159. 240

Torp 157.

. TluM.d. 260.

Tovnbce 188 f.

Rcisinirer 144.

Tsüntas 141.

K.'uß hM. \{)2. 228 f.

Tucker 188.

Rlu'diados 135. RidgoAvay 154.

Undcrhill 159.

Roberts 159.

Vah-ton 174 f.

Robinson 194.

Veith 202.

Rosenstiel 158.

Vezin 198 f. 205. 207.

Rostagni 163 tt".

Viereck 248.

Rostowzew 260.

Voll-niff 150. 160. 180. 118.

Ronp:e löf).

VuliC- 198.

Roussel 118. 213 f. 221. 223 ft. 237 f. Rüei,'tr 178. 192. 207. Rühlue. Ruppersberg 185.

Wace 140. 152. Wah^k 218 ff'. Walker 1.59 f. Washburn 141.

de Sanctis 186 ff. 143. 159.

214. 224 f.

AVeber 206 f.

229.

AVeber 147.

Schier 199 ff.

AA^^il, H. 159.

Schj^tt 156. 18S. 191. 193.

197.

R. 146.

Schnabel 192.

AA^'ilibach 258.

Sehranz 163.

\A'cllmann 177.

Schubert 192 f.

\A\ais 116.

Schuchardt 170.

AA^-ndland 168. 165. 184.

Schulze 119.

AA^enger 191 f.

Schulhof 221.

AA^iedemann 174.

Schwartz 159. 162.

AA^iegand 214. 246.

Seager 130. Semenow ISö. 197.

V. AA^ilaniowitz 157. 1«5 ff. 156. 22

AAllcken 116 f. 159 f. 208. 214.

Seyffert 158.

AA^ilhehn 166. 194. 231. 287 f. 243.

Sk'utsch 157.

AA^ilisch 169.

Sokoloff 218.

AAllke 150. 158.

Solmsen 195. 209.

AAlUers 258.

Sotiriades 139. 233.

AA^nter 188 f.

Stähelin 229 f.

AA^itkowski 149.

Stavenhagen 163.

AA^ittneben 119.

Stein 207.

AA^jodward 169. 166.

V. Steni 149. 197.

AA^ovte 164 f.

Struck 132.

AAMght 115. 138.

Sundwall 137 f. 194 f. 214 f. 239.

Xanthoudides 139.

Svoronos 259.

Swoboda 131. 148 f. 218. 221 ff.

Zehetniair 159.

Ziebarth 118.

Tarn 182. 197. 207. 213.

217 ff. 222.

Zimmern 138.

225 ff.

Zinn 184 ff.

Thiersch 154.

Zolotas 213.

Thompson 140 f. 152.

Zunkel 179 ff.

/

Biographisches Jahrbuch

für die

Altertumswissenschaft.

Begründet von

Conrad Bursian,

herausgegeben von

A. Körte.

Neununddreißigster Jahrgang.

1919.

LEIPZIG 1920.

O. R. REISLAND.

Alle Rechte vorbehalten.

Alten bürg

Picrersche Hofbuchdruckerei

Stephan Geibel & Co.

Inhaltsverzeichnis.

Max Leberecht Strack. Von Alfred Kürte

Ludwig Holzapfel. Von Wilhelm Soltan .

Franz Rühl. Von Arthur Meutz

Rudolf Hirzel. Von Benno v. Hagen ,

Otto Lautensach, Von Hans Meltzer . ,

Alfred Curt Immanuel Schöne. Von Rudolf Elnvuh

SpiIo 1

17 37 56

81 87

l

Max Leberecht Strack.

Geb. den 9. September 1867, gest. den 10. November 1914.

Von Alfred Körte in Leipzig').

Max Leberecht Strack wurde am 9. September 1867 in dem Hamburger Vorort Hamm geboren. Sein Vater Karl Hermann Lebe- recht Strack war im Jahre 1842 von Bremen nach Hamburg ein- gewandert uud betrieb dort ein großes Kommissionsgeschäft nach Mexiko und Haiti ; die Mutter stammte aus der angesehenen wohl- habenden Hamburger Familie Hertz. Max war das jüngste von elf Kindern, von denen zehn, sechs Brüder und vier Schwestern, heran- wuchsen. Die Zugehörigkeit zu einem ungewöhnlich großen, glück- lichen Familienkreis, der mit vorbildlicher Treue auch über den Tod der Eltern hinaus zusammenhielt , und das Aufwachsen in der großzügigen Hamburger Kaufmannswelt sind von entscheidender Be- deutung für Stracks Entwicklung gewesen. Als Jüngster von vielen Geschwistern hat er früh gelernt, sich in eine größere Gemeinschaft mit fester Zucht und starken Überlieferungen einzufügen, und doch auch wieder seine selbständige Eigenart im friedlichen Kampf mit der wohlwollenden Bevormundung zu wahren, die ältere Geschwister dem Jüngsten gegenüber auszuüben pflegen. Der hanseatische in die Welt strebende Kaufmannsgeist aber bewahrte ihn vor enger Stubengelehrsamkeit und Überschätzung des rein Intellektuellen; ein erfrischender Hauch des vorurteilsfreien starken Geistes der Water- kante hat stets sein ganzes Wesen durchtränkt. In der breiten Wohlhäbigkeit einer Hamburger Kaufmannsfamilie, die von jedem Protzentum durchaus frei war, verbrachte er gesunde, glückliche Kinderjahre. Sein anfangs zarter Körper wurde durch eifriges Turnen, Schwimmen und Wandern planmäßig gestählt, und in seinen

*) Der Nekrolog auf meinen lieben Freund Strack erscheint sehr viel später, als ich gewünscht hätte. Es war mir unmöglich, ihn zu schreiben, solange ich in Freiburg neben meiner akademischen Tätigkeit ein Rekruten- depot zu führen hatte. Hier in Leipzig drängte sich bald die Pflicht vor, einen Nachruf auf meinen Bruder Gustav zu verfassen, für den mir der Stoff bequemer zu Gebote stand. "Wertvolles Material für die Jugendzeit Stracks erhielt ich durch die Güte von Y\a.n Lore Strack erst im Sommer 1918.

Nekrologe 1919. (Jahresbericht f. Altertumswissenschaft. Bd. 181 B.) 1

o Max Leberecht Strack.

späteren Schuljahren war er für seine zahh-eichen Neffen und Nichten^ die ihm zum Teil im Alter näher standen als die ältesten Ge- schwister, ein viel bewunderter Lehrer und Meister in allen körper- lichen Übungen, wie er denn auch später mit den eigenen Kindern noch gern turnte und schwamm. Seine Schulbildung empfing er auf' dem alten bewährten Johanneum , unter dessen Lehrern Professor Adolf Metz den stärksten Einfluß auf ihn gewann ; dessen Anregung hat wohl auch seinen Entschluß, alte Geschichte zu studieren, wesent- lich befördert. Diese Berufswahl , die bei den älteren Brüdern einiges Kopfschütteln erregen mochte, fiel nicht so stark aus der Familienüberlieferung heraus , als man denken sollte ; unter den Verwandten seines Vaters waren mehrere Gelehrte , zum Beispiel der bekannte Berliner Alttestamentier H. Leberecht Strack. Eia halbes Jahr vor Verlassen des Gymnasiums, im März 1885, verlor er den Vater, und diese frühe Verwaisung erzog ihn zu früher Selbständigkeit. Mochten auch die Brüder, deren ältester ihn schon als Pate über die Taufe gehalten hatte , jederzeit bereit sein , ihn durch ihren Kat zu stützen und zu fördern, in den wichtigsten Fragen hat doch schon der Achtzehnjährige selbständig entschieden^ Da er von den Geschwistern bei des Vaters Tode allein noch im Elternhause lebte , gewann sein Verhältnis zu der klugen , gütige» Mutter eine ganz besondere Innigkeit; bis zu ihrem Tode (IBQG)- hat er sie ständig mit zartester, aufopfernder Liebe umgeben und in ihr seine beste, vertrauteste Freundin gesehen. Die Briefe aa die Mutter, die ich einsehen durfte, geben auch über seine Ent- wicklung in den Studien- und Wanderjahren die wertvollsten Auf- schlüsse. Im Herbst 1885 bestand er das Abiturientenexamen und wandte sich dann nach dem schönen Tübingen , dessen Zauber er zeitlebens beredt zu rühmen wußte. Am 1. Oktober ti-at er als- Einjährig-Freiwilliger beim Tübinger Bataillon ein und wurde bald darauf bei dem Corps Suebia aktiv. Beide Schritte waren wohl für sein Leben , aber zunächst nicht für sein Studium f()rderlich. Der militärische Dienst , dessen Anstrengungen der schmächtige junge Körper überraschend gut aushielt, wurde ihm sehr lieb, und er hat nie vergessen , was er der strengen Zucht des Heeres dankte. Im besten Sinne hat man ihm stets den Reserveoffizier angemerkt; er wußte zu gehorchen und zu befehlen. Nicht weniger tief ging die Einwirkung des Korpslebens , dessen Vorzüge er stets eifrig ver- teidigte, und vor dessen Einseitigkeit ihn sein klarer Verstand be- wahrte. Hauptsächlich dem Korps zuliebe blieb er wohl nach der Beendigung des Dienstjahres noch zwei Semester in Tübingen, ohne

Max Leberecht Strack. 3

aus ihnen für sein Studium wesentlichen Nutzen zu ziehen. Die Briefe an die Mutter, die sich gerade in dex\ Tübinger Jahren von jugendlicher Unbeholfenhoit zu der späteren sprudelnden Lebendigkeit und Originalität entwickeln Strack war unter meinen Freunden zweifellos der reizvollste, eigenartigste Briefschreiber , lassen deut- lich erkennen, daß der junge Korpsbursche wohl pflichtgetreu seine Vorlesungen bei Schwabe, Crusius, Herzog und Rohde gehört, auch vielerlei mit Nachdenken gelesen , aber das innere Verhältnis zu seiner Wissenschaft noch nicht gefunden hat. Das wurde auch, als er im Herbst 1887 nach Bonn übersiedelte, zunächst nicht wesent- lich besser; ihm fehlte der richtige Anschluß an gleichstrebende Altersgenossen. Den Verkehrsgast der Hanseaten mit dem bunten Korpsband betrachteten wir damaligen Bonner Philologen , wenn wir ihn in den Vorlesungen sahen, als einen fremden, nicht her- gehörigen Vogel mit ablehnendem Mißtrauen, und auch gelegent- liches Zusammentreffen in dem gastlichen Hause des Philosophen Jürgen Bona Meyer brach das Eis gegenseitiger Vorurteile nicht. So war Stracks einziger philologischer Verkehr ein Hamburger Schulkamerad , Paul Rüben , und die Briefe an die Mutter lassen deulich erkennen, daß dieser begabte und leidenschaftlich wissens- durstige Freund zunächst einen geradezu unheilvollen Einfluß auf ihn gewann. Rüben war in seinen Studien bereits wesentlich weiter fortgeschritten als Strack und trug sich mit großen, hochgespannten wissenschaftlichen Plänen, denen er mit fanatischem Idealismus die Kräfte seines zarten Körpers opferte; er ist meines Wissens auch früh gestorben, ohne seinem Können und Wollen Entsprechendes geleistet zu haben. Strack imponierten die Begabung und die Energie des Freundes sehr; er ließ sich durch ihn zu Versuchen eigener wissenschaftlicher Arbeit verleiten, für die ihm noch die Grundlage, eine methodische Einarbeitung in die alten Schriftsteller, fehlte« Dann erkannte er die Unreife der eigenen Versuche, empfand auch das Ungesunde in dem überspannten Arbeiten des Freundes und verfiel einem gefahrlichen Mißtrauen in die eigene Kraft und Be- gabung, Stimmungen der Selbstunterschätzung, die ihn auch in späteren Jahren zeitweise beschlichen. Aber nach einer Zeit uu' befriedigten Tastens brach er den Bann, in den der Freund ihn geschlagen, erkannte als seine erste Aufgabe das planmäßige Lesen der alten Klassiker und fand von hier aus den Weg zu befriedigender eigener wissenschaftlicher Arbeit. Daß er nicht Philologe, sondern Historiker werden wollte, stand ihm längst fest; deshalb versuchte er auch nicht in das stürmisch umworbene philologische Seminar

1*

4 Max Leberecht Strack.

einzudringen was er später vielleicht bedauert hat , aber aus- dauernd gehört hat er alle vier Männer, auf deren Zusammenwirken die hohe Blüte der Altertumswissenschaft im damaligen Bonn be- ruhte, Usener, Buecheler, Kekule, Nissen. Er stand ihnen allerdings kritischer gegenüber, als wir Philologen zu tun pflegten, Useners Schwäche , die Einleitung so weit zu spannen , daß der eigentliche Stoft' zu kurz kam, rügt er mit Recht, und es entging ihm auch nicht, daß in der genialen Virtuosität, mit der Buecheler die Er- gebnisse seiner glänzenden Konjekturalkritik in den Interpretations- vorlesungen entwickelte, ein kleiner Beisatz von Pose steckte. Die feine Ironie Kekult-s sagte ihm damals besonders zu, und in Hein- rich Nissen gewann er dann seinen eigentlichen Lehrer, dem er bis zu seinem Tode in rückhaltloser Treue ergeben blieb. Der zähe, hartnäckige Holste machte es seinen Schülern durchaus nicht leicht, dauernd in guten Beziehungen zu ihm zu bleiben ; er nahm es übel, wenn sie andere Wege einschlugen , als er für sie plante , und hat manchen ihm ehrlich ergebenen Schüler schroff zurückgestoßen. Auch Strack hat er mitunter übel mitgespielt, aber ihr gutes Verhältnis ist dadurch nie ernstlich erschüttert worden; Strack ließ sich durch die Ecken und Kanten des alten Herrn nicht beirren, und das ge- meinsame Holstenblut erleichterte ihm das Verstehen seiner trotzigen Eigenart. Auf Nissens Einfluß geht Stracks Neigung für alles, was in der Altertumswissenschaft meßbar und berechenbar ist, zurück, für Chronologie , Metrologie und Numismatik ; ihm dankte er auch die Anregung zu seiner 1892 erschienenen Dissertation „De rerum prima belli Peloponnesiaci parte gestarum temporibus". Die tüchtige Erstlingsarbeit, der nur das feierliche lateinische Gewand nicht ganz glücklich sitzt es fehlte die Schulung im Lateinschreiben durch das philologische Seminar , wird noch heute oft zitiert. Im ersten Teil seiner Schrift stellt er alle festlegbaren Punkte des natürlichen und bürgerlichen Jahres zusammen : Sonnen- und Mondfinsternisse, Auf- und Untergang der Sterne, Erntezeiten, Anfänge der Jahres- zeiten, wobei mit Recht das Fehlen bestimmter Anfangstage für die antiken Jahreszeiten betont und die moderne Überschätzung der Tag- und Nachtgleichen für die antike Jahreseinteilung scharf bekämpft wird, ferner Strategenwahlen, Amtsantritt der Beamten, Strategen- listen , öffentliche Feste. Im zweiten Teil sucht er mit Hilfe aller dieser Fixpunkte die von Thukjdides berichteten Ereignisse mög- lichst genau auf Tage unserer Zeitrechnung zu bestimmen und er- läutert seine Zeittafel durch eingehende Anmerkungen. Daß viele Ansätze unsicher bleiben, betont der Verfasser immer wieder ; gleich-

Max Leberecht Strack. 5

wohl ist der Versucli genauer Festlegung nötig und nützlich. Ühorall tritt eine klare , nüchterne Kritik und ein lebendiger Sinn für die realen Verhältnisse des Lebens wohltuend hervor.

Auf das Doktorexamen folgte die Studienzeit in den klassischen Ländern des Südens, die für Strack eine ganz besondere Bedeutung gewann und ihm immer ein Höhepunkt seines Lebens geblieben ist. Seine griechische Reise begann freilich unter recht ungünstigen Vorzeichen. Als er sich im Spätsommer 1892 in Hamburg ein- schiffte, um an Holland, Frankreich, Spanien vorbei ins Mittel- ländische Meer zu fahren , war gerade in Hamburg eine schwere Choleraepidemie ausgebrochen. Sein Schiff hatte bei der Ausfahrt zwar noch die freie Pratica bekommen, wurde aber gleichwohl überall strengen Quarantänen unterworfen und besonders in Vigo sehr lange festgehalten. Viele Wochen hindurch war Strack von jeder Ver- bindung mit der Heimat abgeschnitten , und die vielfach über- treibenden Zeitungsnachrichten über das Wüten der Seuche in Ham- burg mußten ihn mit ernster Sorge um seinen großen Verwandten- kreis erfüllen. Erst in Neapel erhielt er die beruhigende Gewiß- heit, daß seine engere Familie von der Cholera ganz verschont ge- blieben sei. Für die Trübung der langen Seereise, auf die er sich besonders gefreut hatte, entschädigten aber reichlich die folgenden Monate in Athen , wo er um die Wende des November und De- zember 1892 eintraf. In vollen Zügen genoß Strack das doppelte Glück, die klassischen Stätten kennen zu lernen und zum erstenmal den engen Anschluß an gleichaltrige und gleichstrebende Fach- genossen zu finden , der ihm auf der Universität versagt geblieben war. Außer den Stipendiaten dieses Jahres Ferdinand Noack, Lud- wig Pallat, Theodor Preger und mir gehörten zu unserem fröhlichen, harmonischen Kreis vor allem Wolfgang Reichel , uns anderen an Alter, Beife land Begabung überlegen, zeitweise auch Hiller v. <Tärt- ringen , Maximilian Mayer, Reisch und Winter, später Brückner. Bei allen war „die kleine Republik", wie wir Strack nannten, durch seinen unverwüstlichen Humor, seine echte Kameradschaftlichkeit und sein unbestechliches Urteil gleich beliebt. Nicht weniger gern gesehen war er in den gastlichen Häusern Dörpfelds und Wolters'; auch bei dem zähen Friesen Lolling, der sich damals den Jüngeren nicht mehr leicht erschloß,, hatte er als Landsmann von der Water- kante einen großen Stein im Brett. Für uns Jüngere war es be- sonders wertvoll, daß Strack, der sich sehr verständig als Ziel der Mon.ate in Griechenland nicht irgendwelche Spezialarbeit, sondern möglichst umfassende Kenntnis des Landes und seiner Denkmäler

■g Max Leberecht Strack.

gesetzt hatte, immer wieder zu kleineren und größeren Reisen trieb. Mit Preger, Noack, oft auch Pallat, und mir hat er nicht nur an Dörpt'elds Peloponnes- uiid der ersten Inselreise nach Aigina, Rhamnus, Euboia, Samos, Delos teilgenommen und Attika in vielen Streifziigen durchquert, sondern auch Boiotien , Phokis , Messenien, Lakonien besucht. Eine weitere Fahrt nach Smyrna, Sardes, Magnesia, Ephesos, Pergamon, Lesbos, Troja, Konstantinopel führte uns dank der Güte des Direktors der Anatolisclien Eisenbahn auch tiefer in das Innere Kleinasiens hinein nach Eshischehir, avo wir die Stätte von Dorylaion feststellten und eine nette Beute an In- schriften machten, Angora und Nikaia. Als sich im September 1893 unser athenischer Kreis zerstreute , ward uns allen die Trennung von den Gefährten kaum weniger schwer als die von Athen. Strack ging zunächst nach Ägypten mit der Absicht, dort Inschriften der Ptolemäerzeit zu sammeln ; denn daß seine erste größere Arbeit den Lagiden gelten sollte, stand bei ihm fest. Die epigraphische Aus- beute entsprach seinen Erwartungen wenig, aber er konnte doch im folgenden Jahre sieben interessante Inschriften aus der Zeit der Ptolemäer mit gediegenem Kommentar in den Athenischen Mit- teilungen veröffentlichen'), und die eigene Kenntnis des interessanten Landes der Ptolemäer war ein dauernder Gewinn für ihn. Auch in Rom, wohin er sich im Winter 1893/94 von Ägypten wandte, beschäftigte ihn vorwiegend das Studium ptolemäischer Inschriften, Urkunden und Münzen, daneben natürlich das Studium der ewigen Stadt selbst. Es wurde ihm nicht leicht, in Rom warm zu werden ; er empfand schmerzlich den Abstand des Lebens im römischen In- stitut von dem athenischen , auch fehlten ihm die alten Studien- und Reisegenossen; aber schließlich gewann er auch dem römischen Aufenthalt reizvolle Seiten ab und dehnte ihn länger aus , als an- fangs geplant. Anfang Mai 1894 kehrte er nach Deutschland zu- rück, und nach einigen Wochen bei der Mutter in Hamburg und einer militärischen Übung, die ihn wieder sehr anzog, nahm er im Herbst seinen Wohnsitz in Bonn , um hier für die Habilitation zu arbeiten. Der erste Winter in Bonn wurde ihm sehr schwer; „mich friert im Norden , weniger infolge der Kältegrade als wegen der Lebensweise", schrieb er mir. Nissen verhielt sich gegen seinen Plan einer Habilitation in Bonn zwar üicht ablehnend , aber kühl abwartend; seine Studien zu den Ptolemäern wuchsen ihm unter der Hand zu einem Buch an, für das sich die passende Gestalt

') Siehe Schriftenverzeichnis Nr. 2.

Max Leberecbt Strack. 7

nicht gleich einstellen wollte, und die Haujitsache war, ihm fehlte wieder die Aussprache mit jüngeren Fachgenossen, die ihm im ■Süden zum Bedürfnis geworden war. Vereinsamt gab er sich mut- losen Zweifeln an seiner Begabung für wissenschaftliche Arbeit und akademische Lehrtätigkeit hin, obwohl ein damals entstandener Auf- satz über eine große wichtige Ptolemäerinschrift aus Assuan ^) deut- licli zeigte, daß er historische Probleme zu sehen und zu behandeln verstand. In dieser Verzagtheit wurde es für ihn sehr wertvoll, daß er Loeschcke näher trat, dessen sieghafter Optimismus allen Kleinmut zu bannen verstand. Während der ganzen Bonner Jahre haben die freundschaftlichen Beziehungen zu Loeschcke für Strack sehr viel bedeutet; auch als Loeschckes Verhältnis zu Nissen sich «tark trübte, hat Strack es stets verstanden, beiden Männern gerecht zu werden und beiden gleich nahe zu bleiben.

Im Winter 1895/96 erfolgte Stracks Habilitation in Honn , un- mittelbar dai-auf die meinige. Im Sommersemester 1896 begannen wir zu lesen und teilten in täglichem Zusammensein treulich alle kleinen Leiden und großen Freuden der ersten Dozententätigkeit, <lie sich trotz der damals geringen Zahl von Studierenden der Altertumswissenschaft in Bonn recht befriedigend anließ. Im folgenden Winter verlor Strack seine Mutter; sie hatte sich noch an den ersten Erfolgen seiner Lehrtätigkeit freuen können, aber leider nicht mehr an dem Erscheinen seines Buches, das bald darauf herauskam^ Die Dynastie der Ptolemäer ^), für deren äußeren Erfolg MahaflFys kurz zuvor veröffentlichtes Werk „The empire of the Ptolemies" naturgemäß ein Hemmnis war, fand bei den Fachgeno.ssen günstige Aufnahme. Strack gibt keine zusammenhängende Darstellung der Ptolemäergeschichte; sein Ziel war anfangs hauptsächlich eine Familienchronik der Lagiden gewesen , aber allmählich waren ihm staatsrechtliche und andere Fragen immer mehr in den Vordergrund getreten. So behandelt er zunächst die Frage der Mitherrschaft und Samtherrschaft, wobei die immer stärker hervortretende Emanzipation der Königinnen gebührend betont wird, dann Thronfolge und Erb- recht, weiter Namen und Beinamen, und erst als viertes Kapitel folgt die Chronologie mit einer ausführlichen kommentierten Zeit- tafel, ähnlich der in seiner Dissertation für den ai-chidamischen Krieg aufgestellten. Eine sehr erwünschte Sammlung der Ptolemäer- inschriften bildet den Abschluß des sich schlicht gebenden, gehalt"

^) Siehe Schriftenverzeichnis Nr. 3. 2) Ebenda Nr. 4.

8 Max Leberecht Strack.

vollen Buches. Wenn auch natürlich viele Einzelheiten durch den starken Zustrom neuen Materials besonders an Papyri berichtigt sind , so hat sich doch die Sorgfalt und Umsicht seiner Forschung durchaus bewährt. Die Ptolemäergesohichte ist auch fernerhin ein Lieblingsgebiet Stracks geblieben. In den nächsten Jahren er- schienen die ergebnisreichen Aufsätze „Der Kalender im Ptolemäer- reich" ^) und „Griechische Titel im Ptolemäerreich" ^), zunächst als Vortrag auf der Bremer Philologenversammlung 1899 gehalten, weiter in TVilckens Archiv für Papyrusforschung drei Berichte über neue Ptolemäerinschriften^), eine Anzahl Rezensionen einschlägiger Werke ^), endlich die besonders reizvolle Arbeit über die Müller- innung in Alexandrien ^). Wie in diesem letzten Aufsatz die un- scheinbare Weihung der nQEGßvTEQOL xwv oIvqokoticoi' aus den Jahren 217 204 V. Chr. benutzt wird, um über weite wichtige Gebiete der antiken Volkswirtschaft Licht zu verbreiten , einerseits die Organisation ägyptischer Bruderschaften im Anschluß an die Tempel und ihre Priester zu untersuchen, anderseits den nicht römischen, sondern griechischen Ursprung der Handwerkervereine zu erweisen, das scheint mir geradezu ein Musterstück historisch-epigraphischer Interpretation, und es ist zu bedauern, daß die vortreffliche Arbeit an ungeeigneter Stelle, in der Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft, erschienen und deshalb nicht so bekannt geworden ist, wie sie verdiente.

Stracks äußeres Leben gestaltete sich in diesen ersten Jahren seiner Bonner Tätigkeit überaus angenehm. Die Vermählung mit Lore Prym , Tochter des Bonner Semitisten , begründete im Früh- jahr 1898 das Glück seines Familienlebens in schönster Weise. Seinen Schwiegereltern, die sechs Söhne und zwei Töchter besaßen, wurde er ein treuer, geliebter Sohn, der sich in den frischen, un- gezwungenen Geist des Prymschen Hauses vortrefflich einlebte; seine eigenen Kinder, deren vier rasch aufeinander folgten, wuchsen unter gesunden Lebensbedingungen fröhlich heran, und man konnte nichts Behaglicheres. Herzerfreuenderes sehen als Strack und Frau Lore mit ihrer Kinderschar in ihrer hübschen Häuslichkeit, oder besser noch auf dem Prymschen Weinberg bei Kessenich, dessen einfaches Haus die Familie im Sommer monatelang bezog.

Bei älteren und jüngeren Kollegen beliebt, als Lehrer von den

^] Siehe Schriftenverzeichnis Nr. 5.

2) Ebenda Nr. 8. ») Ebenda Nr. 9, 14, 15.

*) Ebenda Nr. 6, 7, 10, 11, 12. ") Ebenda Nr. 16.

Max Leberecht Strack. 9

Studenten sehr geschätzt, von wirtschaftlichen Sorgen nicht gedrückt, hätte Strack mit seinen Bonner Lebensbedingungen restlos zufrieden sein können, wenn nicht allmählich die Sehnsucht nach einer ver- antwortungsvolleren, selbständigen Lehrtätigkeit immer stärker in ihm geworden wäre. Aber der Ruf an eine andere Universität lielJ, nachdem er 1901 eine Anfrage von Czernowitz aus Rücksicht auf seine Familie abgelehnt hatte, ziemlich lange auf sich warten, was Strack allmählich sehr bedrückte und die alten ünzulänglichkeits- ideen neu heraufbeschwor. Dies Ausbleiben des akademischen Er- folges hatte verschiedene Gründe. Zunächst war seine Arbeitskraft begrenzt, und viel Zeit verwandte er auf die planmäßige Erweiterung seines Vorlesungsgebietes. So blieb seine wissenschaftliche Pro- duktion bei anerkannter Tüchtigkeit mäßig an Umfang und in der Hauptsache auf die Ptolemäei'zeit beschränkt. Es lag ihm nicht, kleinere wissenschaftliche Ergebnisse , wie sie ihm bei der sorg- fältigen Bearbeitung seiner Vorlesungen und Übungen beständig zu- fielen , rasch in Zeitschriftenaufsätzen auszumünzen und so seine Vertrautheit mit den verschiedensten Gebieten der alten Geschichte zu beweisen^); von größeren historischen Arbeiten aber hielt ihn gerade damals eine neueingegaugene Verpflichtung ab. Stets hatte er sich gern mit Münzkunde beschäftigt , und seine numismatischen Übungen erfreuten sich bei den Studenten ganz besonderer Wert- schätzung. So hatte das Anerbieten der Berliner Akademie, den zweiten Band der nordgriechischen Münzen (Thrakien) zu über- nehmen, das im Winter 1900/01 an ihn herantrat, viel Verlockendes. Er hatte es in der Dynastie der Ptolemäer^) beklagt, daß die Numismatik, „zum Schaden ihrer selbst wie zu dem der Geschichte, immer größere Selbständigkeit erringt und dadurch an Zusammen- hang mit ihrer Ausgangsstelle verliert"; nun reizte es ihn, ein um- grenztes Feld der Numismatik gründlich durchzuarbeiten und den historischen Gewinn aus ihm zu ziehen. Daß eine langwierige Kleinarbeit, bei der viel Handwerksmäßiges unterlief, nötig sein werde, bis er die entwickelte Technik der Numismatik beherrschte, verkannte er natürlich nicht, aber er war geneigt, dem Zweck dies Opfer zu bringen, und verwandte zunächst das Sommersemester 1901 dazu, sich im Berliner Münzkabinett noch gründlicher in die numis- matische Technik einzuarbeiten. Die Erfahrungen dieser Berliner

^) Als Zeugnis seiner historischen Reife und Selbständigkeit ist die tiefeindringende Besprechung von Kaersts Gesch. des hellen. Zeitalters (siehe Schriftenverzeichnis Xr. 17) wertvoll.

2) S. VII.

10 Max Lebe recht Strack.

Lehrzeit machten ihn wieder schwankend, ob er die bis zum 1. Ok- tober vorbehaltene Zusage geben sollte , und ich bedauere es jetzt, daß mein Rat mit den Ausschlag für die Annahme des Auftrags gab. Hätte ich die Summe von entsagender Mühe und von Arger, die diese Arbeit Strack eintrug, richtig abgeschätzt, so hätte ich ihm kaum zur Übernahme zugeredet. Die erste, freilich vorausgesehene Folge der Belastung mit dem Münzcorpus war, daß Strack in den nächsten Jahren alle freie Zeit den thrakischen und anderen Münzen widmete und daher nicht zu reinhistorischen Arbeiten kam, die ihm für seine akademische Laufbahn förderlicher gewesen wären. Den Beweis der Berechtigung, eine große numismatische Arbeit auf seine Schultern zu nehmen, erbrachte Strack freilich schon 1902 durch den interessanten Aufsatz „Halbierte Münzen im Altertum" \). Aus- gehend von dem großen Münzfund auf den Selsschen Ziegeleien bei Neuß, den er später in seinem ganzen Umfang behandelte^), be- spricht Strack alle halbierten Münzen, von denen er Kenntnis be- kommen konnte, im ganzen mehr als 1060 Stücke, und weist schlagend nach, daß die 'Halbierung von IMünzen nur zur Zeit des Kaisers Augustus imd seiner nächsten Nachfolger in Gallien absichtlich er- folgt ist, daß sie auf die Kupferprägung beschränkt war, und daß bei dem Münzgepräge von Nemausus, Vienna, Lugdunum die doppelten, einander abgekehrten Kaiserköpfe von vornherein für den Zweck der Teilung gewählt wurden. Die Halbierung geschah unter still- schweigender Duldung der Regierungsorgane , um dem Mangel an Kleingeld abzuhelfen. Stracks warmes Interesse für wirtschaftliche Verhältnisse, besonders auch für das Leben des kleinen Mannes in Gallien und dem römischen Germanien , gibt dieser Untersuchung über einen scheinbar trockenen Stoff einen ganz eigenen Reiz.

Der Winter 1903/04 brachte Strack die ersehnte Professur; zu Ostern 1904 siedelte er nach Gießen über. Die acht dort verlebten Jahre (1904 1912) waren eine Zeit reinen Glücks und fruchtbarer Lehrtätigkeit für ihn, die er in tiefster Seele dankbar genossen hat. Seine Stellung war anfangs eine außerordentliche Professur, wurde aber, als er im Winter 1906/7 das Erlanger Ordinariat aus- geschlagen hatte, in ein persönliches Ordinariat verwandelt. Die Gießener Lebens- und Lehrbedingungen waren denkbar angenehm. Das frische, gesunde Klima der freundlichen Stadt und ihre hübsche Umgebung sagten Stracks sehr zu; ein schönes, geräumiges Haus

') Siehe Schriftenverzeichnis Nr. 1:^. '') P:benda Nr. 18.

Max Leberecht Strack. 11

mit herrlichem Garten gewährte den Kindern , zu denen sich in •Gießen ein fünftes gesellte, vollste Freiheit und war auch für die Pflege einer gern geübten Gastlichkeit sehr geeignet. Der Ton «nter den meist noch in jüngeren .Fahren stehenden Kollegen war "durchaus ungezwungen, von keiner geheimrätlichen Steifheit beengt, wnd Stracks Verhältnis zu d«>n anderen Vertretern der Altertums- wissenschaft, Bethe , Wünsch und Sauer, von vornherein ein sehr gutes. Durch meine Berufung nach Gießen im Herbst 1906 ging dann Strack und mir ein Herzenswunsch in Erfüllung. Wir durch- lebten alles zusammen, wie man es so nur in einer kleineren Uni- versitätsstadt kann; die Freundschaft der lOltern ging auf die Kinder über, und die sechs Jahre gemeinsamen Wirkens, die uns in Gießen vergönnt waren, stehen beiden Familien in leuchtendster Erinnerung sie erscheinen mir jetzt Avie ein verlorenes Paradies. Wir vier Vertreter der Altertumswissenschaft, in dem größten Teil von Stracks ■Gießener Wirksamkeit Immisch, Watzinger, Strack und ich, waren nns über unsere Ziele und Wege durchaus einig , und unsere Be- mühungen um die wissenschaftliche P^rziehung der studierenden Jugend fanden in der frischen, ehrlichen hessischen Studentenschaft vollen Widerhall. Die gutgefüllten und doch nicht überfüllten Hör- säle und Seminare machten Strack viel Freude, noch mehr die Überwachung und Förderung von Arbeiten seiner Spezialschüler, unter denen ich Franz Weber, Alexander der Große im Urteil der 'Griechen und Römer, Friedrich Sandeis, Die Stellung der kaiser- lichen Frauen aus dem julisch -claudischen Hause, und Pobert ■Schütz, Ciceros historische Kenntnisse, nenne. Den Höhepunkt des Jahres pflegten für die Studierenden und Dozenten der Altertums- wissenschaft die allsommerlichen mehrtägigen Ausflüge an bedeutende Ruinen- und Sammlungsstätten des römisch-germanischen Altertums :zu bilden, nach der Saalburg und Mainz, nach Bonn und Köln und vor allem nach Trier. Strack hatte bei Ablehnung des Erlanger Rufes die Gewährung einer staatlichen Unterstützung für diese •wissenschaftlichen Ausflüge durchgesetzt, bereitete sie aufs sorgsamste vor und leitete die meist vierzig bis fünfzig Teilnehmer zählenden Fixkursionen mit unvergleichlichem Geschick.

Eine sehr erwünschte Anregung gab ihm im Frühjahr 1911 •eine längere , in Begleitung seiner Frau unternommene Reise nach •Griechenlandi Kreta, das ihm noch fremd war, und Konstantinopel. Nur eins drückte auch in Gießen mitunter die sonst so freudig be- lebte Stimmung Stracks empfindlich herab: die Unzufriedenheit mit •der eigenen wissenschaftlichen Produktion. Es stände mir als Freund

12 Älax Leberecbt Strack.

schlecht an , zu leugnen , daß in Stracks Selbstvorwürfen ein Graa von Berechtigung steckte. Gewiß, er hätte bei sehr sorgfältiger Zeit- ausnützung mehr "Wissenschaftliches schreiben können. Es war ihm nun einmal nicht gegeben, den ganzen Tag am Schreibtisch zu sitzen und über den Büchern die Welt zu vergessen. Er fühlte die Ver- pflichtung, sich mit seinen heranwachsenden Kindern persönlich viel zu beschäftigen, dem großen Kreis der Familien Strack-Prym in allen Fragen des Lebens zur Seite zu stehen und sich seinen Freunden mit nie ermüdender Treue zu widmen; er brauchte auch den Verkehr mit fernerstehenden Menschen. Das alles nahm ihm einen Teil seiner Zeit, aber keiner, der ihm näher stand, würde das, was uns Strack menschlich gewesen ist, eintauschen mögen gegen ein weiteres Buch aus seiner Feder. Untätig oder träge ist Strack nie gewesen. Die sehr sorgfältige Vorbereitung auf Vorlesungen , Übungen und Vor- träge, sei es für weitere Kreise, sei es für unser wissenschaftliches Kräuzchen der evdeyca , kostete ihm viel Arbeitszeit , und den Rest verschlangen die thrakischen Münzen. So kam er nicht zur Aus- führung eines Lieblingsplanes , für den er durch Herkunft und Be- gabung besonders befähigt gewesen wäre, einer Arbeit über antikes Seerecht; in seinem Nachlaß fand sich wohl gesammeltes Material zu diesem Stoff, aber nichts Ausgeführtes. Außer dem gleich zu er- wähnenden Münzband und einer Anzahl ausführlicher Rezensionen ^) sind in den Gießener Jahren nur die Veröffentlichung des Münz- fundes auf den Selsschen Ziegeleien bei Neuß ^) und die schöne Arbeit über Aulus Hirtius ^) erschienen. Der Hirtius- Aufsatz enthält, wie die meisten Strackschen Arbeiten, mehr, als man in ihm sucht. Mit geschickter Ausnutzung besonders von Stellen Ciceronischer Briefe wird Hirtius als Leiter der Cäsarischen Kanzlei, als Officiosus des Diktators erwiesen, und die Entstehung des Corpus der Cäsarischen Schriften scharf und knapp beleuchtet. Kurz bevor Strack Gießen verließ, hielt er uns im Kränzchen der e'vdsyM den schönen, in Form und Inhalt gleich originellen Vortrag über Kleopatra, den ich nach seinem Tode in der Historischen Zeitschrift veröffentlicht habe*), das einzige in die Öffentlichkeit gedrungene Zeugnis seiner Begabung für die plastische Darstellung von großen Geschichtsepochen und ihren Trägern.

Im letzten Semester seiner Gießener Tätigkeit kam auch end-

^) Siehe Schriftenverzeichnis Nr. 17, 19, 21.

2) Ebenda Nr. 18. ^-j Ebenda Nr. 20.

*j Ebenda Nr. 25.

Max Leberecht Strack. 13

lieh das erste „Heft" der tlirakischen Münzen heraus^), ein stattlicher "Quartband von 308 Seiten mit 8 Tafeln, der doch im wesentlichen nur die Münzen der drei Städte Abdera, Ainos und Anchialos ent- hielt. Die Arbeit an den tlirakischen Münzen hatte seit 1901 nie geruht, und eine im Sommer 1905 mit liegling und Münzer -) unter- nommene Reise in die BalkauLänder hatte das Material gewaltig vermehrt. Bei der Ausarbeitung und dem Druck ergaben sich viele lästige Hemmungen, die zum Teil auf grundsätzlichen Meinungs- verschiedenheiten zwischen dem Historiker Strack und den Berliner Numismatikern, vor allem dem auf dem Titel als Mitarbeiter ge- nannten, beruhten^). Strack hatte eine ausgesprochene Abneigung gegen eine Art des Münzstudiums , dem die ^Münzen zum Selbst- zweck werden; er wollte die Münzen zum Sprechen bringen^) und legte deshalb den höchsten Wert auf die Erörterung politischer, handelspolitischer und geographischer Fragen in den Einleitungen. Wer diese Einleitungen liest, wird nicht bezweifeln, daß es ihm in der Tat gelungen ist, die Münzen zum Sprechen zu bringen; vor allem die Geschichte der blühenden Handelsstadt Abdera können wir fast nur der Sprache der Münzen entnehmen. Daß gerade seine Bemühungen nach dieser Richtung hin von dem anerkannten Führer <ler deutschen Altertumswissenschaft mit kühler Nichtachtung beiseite- ^geschoben Avurden , hat ihn tief geschmerzt, und da er sich auch persönlich gekränkt sah , hat er von Kiel aus mit einer scharfen Abwehr geantwortet ^), so wenig eine persönliche Polemik auch seiner bescheidenen, vornehmen Natur entsprach.

Als im Winter 1911/12 der Ruf nach Kiel an ihn herantrat, hat er sich schwer entschlossen , das liebgewordene Gießen zu ver- lassen ; er wußte, was er mit ihm aufgab. Aber er war sich darüber klar, daß der Satz: „Im engen Kreis verengert sich der Sinn" ^gerade für die Professoren kleinerer Universitäten oft zutrifft; wer zu lange oder dauernd in einer kleinen Universitätsstadt wirkt, entgeht schwer der Gefahr, die kleinen Fragen der Fakultät und Universität zu wichtig zu nehmen.

^) Siehe Schriftenverzeichnis Xr. 22.

2) Auf Stracks "Wunsch hatte Münzer einen anderen Teil der thrakischen Münzen übernommen.

^) Seine Bedenken gegen den herrschenden Betrieb der Numismatik hat Strack vorzüglich entwickelt in der Besprechung von Th. Reinachs „Histoire par les monnaies". Siehe Schriftenverzeichnis Xr. 19.

*) Siehe Vorwort VI.

^) Siehe Schriftenverzeichnis Xr. 24.

14 Max Lebereclit Strack.

So ging er Ostern 1912 nach dem damals mächtig aufblühenden Kiel, das ihm schon durch die Nähe der Heimat Hamburg und die Lage am !Meer sympathisch war. Auch hier ist er bald heimisch geworden, wenn er es auch heklagte , daß die Verhältnisse einem so engen Zusammenarbeiten mit den nächsten Fachgenosseu wie in Gießen nicht günstig waren. Die Zahl der Studenten in den Vor- lesungen (60 70) und Übungen (30 40) Avar etwas größer als in Gießen, und er konnte gleich in den ersten Semestern eine sehr beträchtliche Anzahl von Dissertationen anregen. Von eigenen Arbeiten veröffentlichte er in Kiel den fesselnd geschriebenen Auf- satz „Die Freigelassenen in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft der Alten" ^), in dem wieder sein off"ener Sinn für wirtschaftliche Verhältnisse und das tägliche Leben der kleinen Leute lebendig zum Ausdruck kommt.

Alle Bedingungen für ein längeres gedeihliches Forschen und Lehren in Kiel schienen gegeben eine Ostern 1914 mit seiner Frau unternommene Reise nach Italien hatte ihn sehr erfrischt da kam der Krieg. Als im Jahre 1905 Kriegswolken am politischen Horizont aufstiegen, hatte mir Strack geschrieben : „Zum Landsturm gehöre ich; soll ich da im Kriegsfall meiner fünf kleinen Kinder ge- denken und meiner Frau, oder soll ich mitziehen? Die Freiheit des Entschlusses ist da, aber nur eins ist das Richtige. Welches?" Im Jahre 1914 gehörte er nicht mehr zum Landsturm, aber er schwankte nicht. Obwohl er längst seinen Abschied als Reserveoffizier genommen hatte, stellte er sich am 10. August 1914 den ]\Iilitärbehörden zur Verfügung , anfangs wohl mehr in dem Gedanken , bei der Aus- bildung der Ersatztruppen Verwendung zu finden. Aber nach den starken Offiziersverlusten der Augustschlachten übernahm er eine Stelle als Kompagnieführer im Reserve-Infanterieregiment 212 und rückte nach kurzer Vorbereitung auf dem Truppenübungsplatz Jüter- bog am 13. Oktober nach den blutigen Kampfplätzen Flanderns aus. Obwohl er viele Jahre nicht geübt hatte, war er, wie ein Vor- gesetzter nach seinem Tode schrieb, „ein ganz vorzüglicher Soldat und Führer". Schon am 4. November erhielt er das Eiserne Kreuz ; die durch Kabinettsorder vom 22. Oktober verfügte Beförderung zum Hauptmann ist ihm nicht mehr bekannt geworden. Eingehender würdigt seine militärische Tätigkeit ein Brief eines Regiments- kameraden, aus dem eine Stelle hier ihren Platz finden möge: „Wir haben uns nur vier Wochen gekannt im Leben, und ich muß

') Siehe Schriftenverzeichnis Nr. 23.

,

Max Leberecht Strack. 15

sagen, dali ich in Strack den uneigennützigsten und kameradschaft- lichsten Menschen kennen gelernt habe. Seine Leute und zumal sein Feldwebel Rehbein gingen für ihn durchs Feuer; wir hatten bloß eins an ihm zu erinnern : dali er überhaujit nie an sich selbst dachte, auch nie für seine Deckung etwas besorgt war. Er war der bravste Soldat, den man sich denken kann." Ahnlich schreibt ein Offizier, der zeitweise das Infanterieregiment 212 führte, an Frau Strack: „Ich habe vom 23. bis ;?0. Oktober an der Spitze des Res.-Rgts. 212 gestanden und in diesen Tagen des dauernden Kämpfen« Ihren Gatten als einen besonders unerschrockenen , tüch- tigen Soldaten kennen gelernt, der keine Gefahr scheute und seinen Leuten in allen soldatischen Tugenden ein leuchtendes Vorbild war. Mit bewunderungswürdiger Ruhe führte und überwachte er seine Kompagnie auch im heftigsten Artilleriefeuer."

Bei einem größeren Angriff am Yserkanal in der Nähe von Merckem führte Strack am 10. November das Bataillon am rechten Flügel, und als er mit Teilen der 11. Kompagnie den zweiten Spi'ung machte, traf ihn ein feindliches Infanteriegeschoß unmittelbar tötend ins Herz.

Die zunächst auf dem sumpfigen Kampfplatz bestattete Leiche fand im Januar 1915 im Park von Merckem eine würdige Ruhe- stätte.

Der denkbar schönste Tod krönte ein schönes , gesundes und tüchtiges Leben. Wer wollte nicht jetzt alle diejenigen doppelt glücklich preisen, die im festen Vertrauen auf den Ausgang des gewaltigen Ringens und die Zukunft unseres Volkes für das Vater- land sterben durften.

Schriftenverzeichnis.

1892: 1. De rerura prima belli Peleponnesiaci parte gestarum temporibus. Bonn, Dissertation, 8 *^, 79 S.

1894: 2. Inschriften aus der Zeit der Ptolemäer, Athen. Mitt. XIX^ 212—237.

1895: 3. Inschrift von Assuan, Athen. Mitt. XX, 327—351.

1897: 4. Die Dynastie der Ptolemäer. Berlin, 8^ XVI, 294 S.

1898: 5. DerKalenderimPtolemäerreich, Rhein. Mus. LIII, 399-431. 6. Besprechung von U. Wilcken, Die griechischen Papyrus- urkunden, DLZtg. 1072—1076.

1899: 7. Besprechung von F. G. Kenyon , The palaeography of greek papyri, DLZtg. 860 862.

1900: 8. Griechische Titel im Ptolemäerreich, Rhein, Mus. LV, 161 190. Vgl. Verh. der 45. Vers, deutscher Philol. und Schulmänner in Bremen 1899 S. 100—102.

16 Max Leberecht Strack.

9. Inschriften aus ptolemäischer Zeit I, Archiv f. Papyrus- forschung I, 200—210.

10. Besprechung von St. Witkowski, Prodromus gramm. pap. graec. aet. Lag., DLZtg., 1715 -1716.

11. Besprechung von Paul M. Meyer, Das Heerwesen der Ptolemäer und Kömer in Ägypten, DLZtg. 1446 1448.

12. Besprechung von B. Niese, Geschichte der griech. und niaked. Staaten seit der Schlacht von Chaeronea, IL Teil, Gott. gel. Anz. 637—653.

1902: 13. Halbierte Münzen im Altertum, Bonn. Jahrb. 108, 1 25. 1903: 14. Inschriften aus ptolemäischer Zeit II, Archiv f. Papyrus- forschung II, 537—561.

15. Inschriften aus ptolemäischer Zeit III, Archiv f. Papyrus- forschung III, 126—139.

16. Die Müllerinnung in Alexandrien , Ztschr. für die neu- testamentliche Wissensch. III, 213 234.

17. Besprechung von J. Kaerst, Geschichte des hellenistischen Zeitalters, Bd. I, Gott. gel. Anz. 856—876.

1905: 18. Der Münzfund auf den Selsschen Ziegeleien bei Neuß, Bonn. Jahrb. 111/2, 419—453.

1906: 19. Besprechung von Th. Reinach, L'histoire par les monnaies, Gott. gel. Anz. 666—674.

1909: 20. Aulus Hirtius, Bonn. Jahrb. 118, 139 157.

1910: 21. Besprechung von C. Jullian , Histoire de la Gaule III, Ztschr. f. frz. Sprache u. Lit. XXXVII 2, 1—6.

1912: 22. Die antiken Münzen Nordgriecheulands, herausgegeben von der Kgl. Akad. d»'r Wissensch. Bd. II, 1. Teil, 1. Heft, Die Münzen der Thraker und der Städte Abdera, Ainos, Anchialos, unter Mitwirkung von H. v. Fritze bearbeitet von Max L. Strack. 4^ VI, 308 S., 8 Tafeln.

1913: 23. Die Freigelassenen in ihrer Bedeutung für die Gesell- schaft der Alten, Hist. Ztschr. 112, 1—28. 24. In Sachen Abdcras, Rhein. Mus. LXVIII, 448—452.

1915: 25. Kleopatra, Hist. Ztschr. 115, 473—495.

Ludwig Holzapfel.

Geb. 20. Juni 1852, gest. 15. April 1917

Von Wilhelm Soltaii in Zabern.

Am 15. April 1917 starb in Gießen Ludwig Holzapfel. Er war ebendort am 20. Juni 1852 geboren. Sein Vater war Baurat und hatte neben seiner amtlichen Tätigkeit manche Privatbauten errichtet, die ilim Anerkennung erwarben und sein Vermögen vergrößerten. So konnte denn sein ältester Sohn daran denken , sich seinem Liebliugsstudium, der klassischen Philologie und alten Geschichte, zu widmen. Nach Absolvierung des dortigen Gymnasiums begann er seine Studien in seiner Vaterstadt, wo er namentlich die Vor- lesungen von Ludwig Lange, Lübbert und Clemm hörte. Er trat in das Corps Hassia ein und blieb diesem Bunde bis zu seinem Tode in treuer Anhänglichkeit zugetan. In Leipzig setzte er seine Studien fort, Avo vornehmlich Curtius , Ritschi und wiederum Lange seine Lehrer waren, besuchte auch ein Semester die Universität Berlin, um Mommsen zu hören. 1874 bestand er seine Lehramtsprüfung in Gießen. Schon wenige Jahre darauf (1879) reichte er bei der philosophischen Fakultät seine Habilitationsschrift ein, welche mit Recht Aufsehen erregte. Sie behandelte das Thema : Untersuchungen über die Darstellungen der griechischen Geschichte von 489 bis 413 v. Chr.i).

In den zwölf Jahren seiner Leipziger Dozententätigkeit (1879 bis 1890) behandelte H. in zwei- bis vierstündigen Vorlesungen hauptsächlich Quellenkunde der griechischen und römischen Ge- schichte , verschiedene Abschnitte der griechischen Geschichte bis Alexander, Plutarchs Themistokles und Perikles, ausgewählte Ab- schnitte aus Aristoteles' Politik , Geschichte Roms im Zeitalter der punischen Kriege, innere Geschichte Roms zur Zeit Ciceros, Ciceros Briefe, römische Staatsaltertümer und erörterte in Übungen die Pentekontaetie, den peloponnesischen Krieg, den zweiten punischen Krieg, Plutarchs Cicero. 1890 zwang ihn ein Augenübel, der Do- zententätigkeit zu entsagen.

^) Siehe Schriftenverzeichnis Nr. 2.

Nekrologe 1919. (Jahresbericht f. Altertumswissenschaft. Bd. 181 B.)

18 Ludwig Holzapfel.

Leider hatte H. bei seinen Vorträgen nnd seiner sonstige» Dozenteutätigkeit keinen schnellen , durchschlagenden Erfolg. Es lohnt sich wohl , die Ursachen etwas näher zu beleuchten. Wer H. gekannt hat , weiß , daß er seine Vorträge gewissenhaft aus- gearbeitet hatte. Sie beruhten philologisch wie sachlich auf gründ- lichen Vorarbeiten. Beim späteren Verkehr mit ihm, als ihm schon sein Augenleiden das Lesen verbot, war ich erstaunt, wie ausgedehnt seine Quellenkunde war, und wie genau ihm die einzelnen Beleg- stellen im Gedächtnis waren. Sein Vortrag hatte allerdings nichts Blendendes , nichts Gemachtes. Um so mehr hätte man erwarten sollen, daß die Sachlickeit seiner Ausführungen und die angenehme Ruhe beim Abwägen der verschiedenen ^Meinungen den Studierenden gefallen hätte. Sein nobler Charakter verschmähte alles Haschen nach Effekt oder eine bei den Studenten oft beliebte Polemik gegen wissenschaftliche Gegner. Dazu kam, daß H. in seinen Vorlesungen oft Gegenstände behandelte , welche man nicht notwendig gehört haben mußte , um das Examen zu bestehen. Sicherlich war er er- folgreicher in seinen Übungen , bei der Interpretation der Quellen. Um so mehr ist zu bedauern , daß es ihm bei der Kürze seiner Dozententätigkeit nicht gelungen ist, einen festen Schülerkreis um sich zu vereinen und an ihrer gründlichen Heranbildung dauernd tätig zu sein.

Nichts ist ein besseres Zeugnis für Holzapfels wissenschaftliches Streben, als daß er, obwohl sich sein Augenleiden andauernd ver- schlimmerte, auch nach dem Verzicht auf die Venia legendi noch fast ein Menschenalter weiter literarisch tätig war, und zwar mit Erfolg tätig war. Natürlich war es ihm erschwert, wo nicht un- möglich gemacht, sich in neu entstehende oder besonders weiter entwickelte Zweige seiner Wissenschaft einzuarbeiten. Wer durch körperliches Leiden behindert ist, weiß, welche Schwierigkeiten zu überwinden sind, z. B. bei dem Studium der zahlreichen Inschriften- funde , selbst bei dem so vortrefflich angelegten C. I. L. Aber mit Hilfe kundiger Mitarbeiter überwand Holzapfel trotzdem manche Schwierigkeiten. So vor allem in seinen späteren Abhandlungen über römische Geschichte.

Wenden wir uns nun seinen Arbeiten zu. Es ist schwer, über die Werke eines guten Bekannten ein objektives Urteil abzugeben; aber man täte unrecht, Avollte man befürchten, durch ein ab- weichendes subjektives Urteil den Wert eines Freundes herabzu- setzen. Das wahre Loh bei wissenschaftlichen Fragen ist die Wahr- heit. Von diesem Grundsatz ausgehend , muß hier in erster Linie

Ludwig Ilolza])l'el. 19

das stete Bestreben Holzapfels, immer weiter uiul tiefer in die wissen- schaftlichen Probleme einzudringen, hervorgehoben werden. Er war nicht leicht fertig mit seinem Urteil; er ging immer wieder von neuem daran, die Wahrheit reiner und vollständiger klarzulegen. So namentlich bei den Problemen der römischen Chronologie und mancher mit ihr verbundenen schwierigen Fragen aus der römischen Geschichte. Es fehlte ihm etwas von der frischen Genialität, welche manchmal wohl vorbeitrifft , dafür aber den Leser fesselt und zur geistigen Mitarbeit zwingt. Dafür haben aber seine Schriften Vor- züge, die jeder wissenschaftliche Mitarbeiter zn schätzen weiß, die Solidität der Vorarbeiten, die leidenschaftslose Abwägung der Argu- mente, das wohlerwogene Schlußurteil.

Die erste wissenschaftliche Arbeit Holzapfels^) (1877) war einem Thema aus dem römischen Staatsrecht gewidmet. Sie handelte über die Transitio ad plebem. Er ergänzte in ihr die Ergebnisse seines Lehrers Ludwig Lange, indem er namentlich die einzelnen Fälle, in denen ein solcher Übergang von den adligen Geschlechtern zur Gemeinde vorgekommen war, prüfte. Eine größere Aufgabe stellte er sich in der obengenannten Habilitationsschrift „Unter- suchungen über die Dai'stellung der griechischen Geschichte von 489 bis 413 V. Chr." 2).

H., der auch später noch manche Probleme der Quellenkritik für die griechische Geschichte des 5. Jahrhunderts behandelt hat, zeigte sich in der Habilitationsschrift als einen tüchtigen Philologen, der seiner Aufgabe durchaus gewachsen war. Bisher war bei der Feststellung der Quellen, die uns neben Thukydides für die Pente- kontaetie und den peloponnesischen Krieg zur Verfügung stehen, meist Plutarch der Ausgangspunkt gewesen. Aber gerade in den griechischen Biographien wechseln dessen Quellen häufig, da er oft aus der Erinnerxmg kleinere Zusätze zu einer Hauptquelle macht. Es empfahl sich daher, nach Schriftstellern Umschau zu halten, welche meistens nach dem Einquellensystem geai'beitet haben. So suchte H. von Diodor aus zu sicheren Ergebnissen zu gelangen. Mehrfach mit gutem Erfolg. Es gelang ihm nachzuweisen, daß Ephoros in der Pentekontaetie und bis 413 die Hauptquelle Diodors gewesen ist. Mit geringerer Sicherheit konnte er ein gleiches bei Nepos glaubhaft machen. Die tüchtige Arbeit diente noch manchem Nachfolger als Ausgangspunkt.

^) Siebe Schriftenverzeichnis Nr. 1. 2) Ebenda Nr. 2.

2*

20 Ludwig Holzapfel.

Das Interesse, welches H. in seiner ersten größeren Arbeit der griechischen Geschichte zugewandt hatte , hat ihn auch später nicht verlassen ; dafür geben Zeugnis die mancherlei kleineren Aufsätze und Kritiken, welche er diesem Gebiet gewidmet hat. Ich erwähne die Aufsätze über das Verfahren der Athener gegen Mytilene *), Beiträge zur griechischen Geschichte^), die Dauer der Belagerung von Potidaea^), zu Plutarchs Biographien*), doppelte Relationen im 8. Buch des Thukydides'''). Auch seine Kritiken von Werken über griechische Geschichte sind beachtenswerr, so über Hertzberg, Grie- chische Geschichte **), Holm, Griechische Geschichte, Bd. I'), Ussing, Erziehung und Jugendunterricht bei den Griechen und Römern^), Fabricius, Theophanes von Mytilene usw. ^), H. Delbrück, Strategie des Perikles^"), Dondorff, Das hellenische Land ^^), Droysen, Griechische Kriegsaltertümer"*).

Bald nach Beginn seiner Dozententätigkeit erregte sodann das Erscheinen von Heinrich Matzats römischer Chronologie (1882) Holz- apfels Aufmerksamkeit und rief seinen entschiedenen Widerspruch hervor. Er vertiefte sich während der nächsten Jahre in die Pro- bleme der römischen Chronologie und Annalistik, und als Ergebnis dieser Forschungen erschien 1885 seine römische Chronologie.^^) Es war bewundernswert, wie schnell sich H. in diese schwierigen Pro- bleme eingearbeitet hatte ; er hat zwar noch in manchen Einzelheiten fehlgegriffen, aber jedenfalls das Seinige getan, um das Matzatsche chronologische System , das mit seinen seltsamen Hypothesen mehr Verwirrung als Aufklärung herbeigeführt hatte, nicht nur zu er- schüttern, sondern zu beseitigen. Vor allem hielt er gegen Matzats römisches Wandeljahr, dessen Neujahrstag innerhalb 365 Jahren alle Tage des Jahres durchlief, daran fest, daß die alten Römer ein auf den Phasen der Fixsterne beruhendes einfaches Sonnenjahr besaßen. Er zeigte klar, wie verkehrt es sei, die Interregnen zu verwenden, um mit ihrer Hilfe die Dauer des Matzatschen Amtsjahres zu er- klären. Er wies mit Recht die Gleichung Non. Jun. 350 = 21. Juni 400 V. Chr. zurück. Er legte die unglaubliche Willkür dar , mit welcher in dem neuen chronologischen System die Hälfte aller

^) Siehe Schriftenverzeichnis Nr. 7 und 12.

2) Ebenda Kr. 48. =») Ebenda Nr. '51.

*) Ebenda Nr. 83. ^) Ebenda Nr. 88.

6) Ebenda Nr. 55. '') Ebenda Nr. 56.

8) Ebenda Nr. 60. ^) Ebenda Nr. 67.

") Ebenda Nr. 77. ii) Ebenda Nr. 78.

^2) Ebenda Nr. 79. '«) Ebenda Nr. 29.

Ludwig Ilolzaiifel. 21

Triumplialdaten für unriclitig erklärt worden waren. Bedauerlich war es, daß H. mit der veralteten Theorie von gefälschten Füll- jahren operierte, ja, daß er gar drei Diktatorenjahre statt der über- lieferten vier festhielt. Hierfür trat er selbst später noch einmal, wenn auch vergeblich, ein. ') Damit hing der falsche Ansatz für die Allia-Schlacht , sieben Jahre später als bei Varro , zusammen, der ein bedenklicher Rückschritt gegen Matzats Feststellungen war. Auch wäre es erwünscht gewesen, wenn 11., ehe er neue positive Ansätze veröffentlichte, zuvor das Verhalten der römischen Kalenderdaten zu den julianischen in den wichtigsten Epochen der riimischen Ge- schichte genauer untersucht und namentlich den regelmäßigen Gang des römischen Kalenders für den Zweiten punischen Krieg fest- gelialten hätte. Aber vor allem war es doch hoch zu schätzen, daß er mutig auf den Plan getreten ist, um die Irrwege der Matzatschen Kalenderhvpolhese zu beseitigen. Auch muß hervorgehoben werden, daß H. bei allen seinen Aufstellungen eine hinreichende Kenntnis der Quellen und eine gewissenhafte, saubere Interpretation der alten Schriftsteller an den Tag gelegt hat.

Wie sehr H. weiterhin Fragen der römischen Chronologie be- schäftigten, lehrt das Verzeichnis der Studien und Kritiken, die er im letzten Vierteljahrhundert veröff'entlicht hat. Schon hier muß auf seiue letztere größere Publikation hingewiesen werden , die in der Klio Bd. XIII, 1912 erschien") und noch einmal auf mehrere der in seiner römischen Chronologie behandelten Fragen eingeht. Langes Buch „Die römische Jahreszählung" hatte nämlich H, zu einer gründlichen Nachprüfung mancher Probleme veranlaßt. Mit der ihm eigenen Objektivität erklärte er, daß er seine frühere An- nahme von drei Diktatorenjahren Langes Gründen gegenüber nicht mehr aufrechterhalten könne. Gut wird mancher eigenartige Ansatz Langes abgewiesen. Doch bringt auch H. manche gewagteren Ver- mutungen vor, so, wenn er die eigentümliche Zeitrechnung des Dionys auf Cato zurückführt und schon diesem letzteren ein Grün- dungsjahr Roms vor Ol. 7, 1 beimißt. Gut geht H. auf Einzelheiten der erwähnten Jahreszählung ein und weist, Lange folgend, treffend nach, daß Varros Jahreszählung nicht, wie Matzat und andere ver- mutet hatten, von Atticus, sondern in der Tat zuerst von Varra selbst in die Literatur eingeführt worden sei. Entschieden wendet er sich gegen die veraltete haltlose Annahme Langes, daß die Dik-

') Siehe Schriftenverzeichnis Nr. 37. 2) Ebenda Xr. 297.

22 Ludwig Holzapfel.

tatorenjahre erst spätere Fälschungen seien. Zu bedauern bleibt allerdings, daß 11. wieder die von ihm früher bekämpfte Emendation Matzats bei Ennius' Jahren gebilligt hat. Er identifiziert die be- kannte Enniusfinsternis mit derjenigen des 18. Januar und greift somit -wieder auf Matzats Irrtum zurück. Doch weist II. im übrigen die astronomischen Vermutungen zutreffend zurück.

Neben den obenerwähnten kleineren Aufsätzen und Kritiken hat H. noch zwei bedeutende grcißere Abhandlungen geschrieben, die er in der Klio veröffentlichte. Beide verdienen auch hier eine eingehende ^Vürdigung. Die erste, „Die ältesten römischen Tribus" ^), wandte sich gegen die zahlreichen Versuche, den drei alten Stamm- tribus, denen ja auch die dreißig Curien entsprachen, eine patri- zische Qualität beizumessen. Aber auch sonst suchte H. alle Ein- wände gegen die Dreizahl der alten Stammtribus zu beseitigen. Niese und Bormann glaubten, daß die Namen Tities, Ramnes, Luceres nur den Reitercenturieu angehörten ; H. faßte seine Ergebnisse (S. 253) dahin zusammen, daß die drei Stammtribus nicht auf einem Synö- kismus, sondern auf einer willkürlichen Einteilung beruhen, für welche der etruskische Ritus maßgebend war. Des weiteren knüpfte er an den Beweis Momrasens an, daß die Curien, soweit bekannt, schon in den ältesten Zeiten Patrizier wie Plebejer enthalten hätten. Im Anschluß daran führte er aus , daß auch die römischen Reiter- ceuturien stets Patrizier und Plebejer umfaßt hätten.

Daß dieser zweite Teil seiner Ergebnisse allgemeine An- erkennung verdient und erhalten hat, war um so mehr anzunehmen, als der Beweis dafür in meinen ..Römischen Volksversammlungen" (Weidmann 1880) Abschnitt 1 erbracht war, daß die Curien von Haus aus patrizisch-plebejisch gewesen seien.

Auch mit der ersten Behauptung, daß die Einteilung der drei Stammtribus auf die Etrusker zurückgeführt werden müsse , hat H. in der Hauptsache durchaus das Richtige getroffen. Tities, Ramnes, Luceres waren etruskische Namen , ebenso wie die größere Hälfte der späteren 21 Tribus etruskischer Herkunft waren. Aber schon darin ging H. zu weit, daß er die Dreizahl auf den etruskischen Ritus zurückführte; die Zehnzahl der Kurien beruhte allerdings auf sakralen Ordnungen, nicht aber die Dreizahl der Tribus. In der Hauptsache war H. aber hier auf dem richtigen Wege; dagegen ist seine Bemerkung im Eingang, daß die Dreizahl nicht auf einem Synökismus beruhe, unrichtig und durch die Ergebnisse der Aus-

'J Siehe Schriftenverzeichnis Nr. 141.

l.iuhvig Holzapfel. ^3

grabungen in Rom widerlegt. Man vergleiche liierüber die bahn- brecliende Arbeit von G. Pinza (Monumenti antichi, vol. XV, Mai- land 1905). Die Ausgrabungen auf* dem Forum und auf den Hügeln des alten Rom haben deutlieh die Selbständigkeit der einzelnen An- siedlungcn auf dem Palatin , Quirinal und Esquilin ergeben. Vor der Tarquinierzeit gab es kein Rom, keine einheitlich angelegte Stadt.

Nicht minder bedeutsam ist die zv.eite größere Abhandlung Holzapfels in der Klio : „Die Anfänge des Bürgerkriegs zwisclum •Caesar und Pompeius" ^). Am besten werden wir ihrer l^edeutung gerecht werden , wenn wir eine Übersicht über den Gedankengang bieten. H. beginnt mit einer Darstellung der Unterhandlungen zwischen Cäsar und der Senatspartei, welche dem Beginn der Feind- seligkeiten vorangingen. Wie aus Dios Darstellung zu entnehmen ist, haben sich L. Roscius und L. Caesar in der zwischen dem Senatus consultum ultimum und der Flucht der Regierung liegenden Zeit (7. bis 18. Januar) zweimal als Gesandte des Senats zu Cäsar begeben. Das erstemal , um ihm zu sagen , dalS er gemäß Sehats- beschluß seine Provinzen bis 1. .Juli 49 abgeben solle, sonst würde er ein Feind des Staates sein. Das zweitemal (15. Januar) zwecks weiterer Verhandlungen. Andere Quellen für diese Gesandtschafts- reisen sind Cäsar und Ciceros Briefe. Cäsar berichtet nur von einer Gesandtschaft. Er wollte vielleicht den Senat, der den Konsuln be- fahl, die Hauptstadt zu veidassen und Aushebungen zu veranstalten, 4ils Fröflfuer des Krieges hinstellen, besonders durch den Zusatz: „quod ante id tempus accidit nunquam".

Aus Plutarch (Pomp. 60) und Aj)piau (b. c. 11 36) erhellt, daß ■Cicero diese Gesandtschaft beantragte , und aus Cäsar ersieht man, <3aß Pompeius sich dem Friedensversuch widersetzte. Nissen nimmt -an, daß der Antrag Ciceros verworfen, H., daß er angenommen ■wurde. Denn Dio berichtet, daß der Senat um die Zeit, wo die Einnahme von Ariminum in Rom bekannt wurde (14. Januar), die beiden soeben von Cäsar zurückgekehrten Gesandten zum zweiten- mal zu ihm schickte. Bei der ersten Reise der Gesandten wünscht Cäsar eine persönliche Besprechung mit Pompeius. Dies nach Cäsars eigenem Bericht, bei Cicero nichts davon. Die Erklärung gibt, wie H. richtig sagt, Dio : Dieser Wunsch Cäsars wurde vom Senat miß- fällig aufgenommen , weil er ein Separatabkommen zum Nachteile des Senats fürchtete. Der Senat nahm die Sache selbst in die Hand

^) Siehe Schriftenverzeichnis Nr. 221 und 258.

24 Ludwig Holzapfel.

uml schickte die nämlichen Gesandton wieder zu Cäsar. Es folgt die zweite Gesandtschaftsreise. Von einem Verlangen nach persön- licher Unterredung mit Pompeius war jetzt keine Kede mehr, nach- dem er mit dem Senat allein in Unterhandlungen getreten war.

Dios Quelle über die diplomatischen Verhandlungen muß ein republikanisch gesinnter, vortrefflich unterrichteter Zeitgenosse ge- wesen sein. In dem unmittelbar vorhergehenden Abschnitt (XLI, 4) dagegen liegt eine schlechtere Quelle vor, die auch bei Plutarch (.Pomp. 62) benutzt ist.

Cäsars militärische Operationen wurden, Avie H. zeigt (entgegen. Stoffels und 0. E. Schmidts Ansicht), nicht unterbrochen, und Auximum ist bereits ara 27. oder 28. Januar von ihm besetzt worden. Nach dem Scheitern der Verhandlungen ließ Cäsar in ganz Italie» eine Proklamation zur rechtlichen Auseinandersetzung mit Pompeius verbreiten (Dio XLI 10, 2), Cäsar war es ernstlich um Herbei- führung eines Vergleiches zu tun , obwohl er sich einer Anklage aussetzte, wenn er sein Kommando am 1. Juli niederlegte. Pom- peius dagegen wünschte keine Einigung, da er von Cäsar, wenn er zum zweitenmal Konsul wäre , einen Staatsstreich befürchtete. Er verhandelte nur . um für Rüstungen Zeit zu gewinnen , und machte durch die Forderung, Cäsar solle die in Italien besetzten Plätze räumen, eine Einigung unmöglich. Am 17. Januar bei Bekannt- werden der Einnahme von Ancoua faßte der Senat das Decretum tumultus und erklärte Cäsar als einen Landesfeind. (Lucan und Orosius lassen das Bellum mit dem 17. Januar beginnen.) In einem. Briefe Ciceros an Tiro wird als Datum hierfür der 14. Januar an- gegeben , die Kunde von dem Fall Ariminums. Dies ist nicht zu- treffend. Es wurden vielmehr erst Gesandte an Cäsar geschickt,, und erst durch das Hereinströmen der Landbevölkerung in die Hauptstadt wurde das Decretum tumultus veranlaßt (Lucan deutet darauf hin). Ein Antrag Catos, Pompeius zum unumschränkten Be- fehlshaber zu machen , scheiterte an der Abneigung der Konsuln^ Cäsar und Pompeius standen sich als Hostes gegenüber. Cäsar ließ ungleich größere Milde walten.

Die Pomjjeianer trafen schon Ende 50 Voi-bereitungen , indem der Konsul C. Marcellus dem Pompeius eigenmächtig das Kommando über die beiden von Cäsar für den Partherkrieg abgetretenen Legionen in Capua und die Aushebungsbefugnis übertrug. Dies mußte Cäsar als Initium tumultus betrachten (Anfang Dezember). Pompeius eilte von Rom nach Capua und führte die Legionen nach Apulien in die Winterquartiere. Unbeschränkter Oberbefehlshaber wurde Pompeius

Ludwig Holzapfel. 25

erst, als die Konsuln des Jahres 49 ihr Amt niedergelegt hatten. Mit dem Abzug der Pompeianer nach Griechenland (17. Januar) war für Cäsar der Tunuiltus beendet.

Eine Vergleichung der Berichte Appians und Ciceros zeigt, daß- Pompeius im Senat nicht nur den Abzug aus Rom mit Energie be- trieb, sondern ihn auch durch Hinweis auf Themistokles und Perikles rechtfertigte. Pompeius wurde also durchaus nicht* durch die Er- eignisse überrascht. Auch die Käumung Italiens hat er noch vor Beginn der Feindseligkeiten klar ins Auge gefaßt. Zwar hatte er geäußert, er brauche nur auf den Boden zu stampfen, um Fußvolk und Reiterei hervorwachsen zu lassen (Plut. Pomp. 57, Appian- b. c. II 37), doch bereits im Dezember 50 mußte er bei Aushebungen seinen Irrtum erkennen. Auch die Ausbildung erforderte doch Zeit. Er hatte aber nur die zwei von Cäsar abgetretenen Legionen ; die spanische Armee war zu weit. Pompeius gab schon am 17. Januar Rom und sogar das Aerarium sanctius auf, nicht aus Furcht vor Cäsar, sondern weil er glaubte, in den Verhandlungen zwischen dem Senat und Cäsar den kürzeren zu ziehen (nach Dio). Indem Pom- peius alle Zurückbleibenden für Landesfeinde erklärte, zog er die Mehrheit der Senatoren mit sich.

Am 7. Februar fiel Picenura in Cäsars Hand, am 21. Februar Corfinium samt der Besatzung unter Domitius Ahenobarbus. Pom- peius zog sich, schon als er hörte, Domitius sei abgeschnitten, nach Brundisium zurück. Die Konsuln mit ausgehobenen und überall zu- sammengezogenen Truppen stießen zu ihm , zusammen 5 Legionen und 800 Reiter. Am 4. März schiffte er die erste Hälfte nach Dyrrhachium ein. Cäsar kam am 9. März mit 6 Legionen nach Brundisium und suchte den Rest der Pompeianer durch Sperrung des Hafens zu fangen. Deshalb (uöffnete Pompeius zum Schein Verhandlungen, die scheiterten. Pompeius forderte, um einen Vor- wand zu haben, dazu die Anwesenheit der Konsuln, die nach Griechenland vorausgeschickt waren, damit sie sich nicht wieder an Cäsar wendeten. Cäsar war es Ernst mit der Verständigung. Er war bedeutend schwächer als Pompeius und hatte auch keine Schiffe. Der Rückzugsplan des Pompeius beruhte , entgegen der Ansicht Ciceros und in neuerer Zeit Nissens, auf richtiger Abschätzung der ihm augenblicklich zu Gebote stehenden Streitkräfte. Die spanische Armee konnte Cäsar nicht, wie Nissen meinte, schnell genug in den Rücken fallen.

Bei der Bedeutung dieser Abhandlungen schien es erwünscht, eine genauere Inhaltsangabe auch an diesem Orte zu bieten. Es ist

26 Ludwig Holzapfel.

erstaunlich, mit welcher Gründlichkeit H. die oft schwierigen Einzel- fragen behandelt hat. Sein schweres AugenUbel mußte ihm überaus hinderlich sein, die Dift'erenzen zwischen den Angaben Ciceros und Oisars, Dios und A])|)ians im einzelnen zu verfolgen und zu be- urteilen. Nur sein ausgezeichnetes Gedächtnis und seine Energie führten ihn zum Ziel. Vor allem war es sein Wahrheitsdrang, der ihn über alle Schwierigkeiten Herr werden ließ. Hier zeigt sich bei H. das eigentliche Wesen des deutschen Gelehrten: stetiges Weiterforschen unter Berücksichtigung aller Einzelfragen, um durch Feststellung kleinerer Tatsachen allmählich zu allgemeineren Ergeb- nissen zu gelangen, deren Sicherheit durch die induktive Methode verbürgt wird.

Die hier geschilderten Arbeiten hatten auf Holzapfels weitere schriftstellerische AVirksamkeit noch einen besonderen Einfluß. Nur ■derjenige, welcher mit allen Einzelheiten bei den Quellenschrift- steilem zur römischen Geschichte bekannt war, konnte erwarten, ■auf sicherem Grunde zu stehen. Nur der, weicher vertraut war mit •den bisherigen Untersuchungen anderer Forscher auf diesem Gebiet, durfte hoften , neue Ergebnisse zutage zu fördern. Dies führte H. zu einer fortlaufenden Mitarbeit an dem Bursianschen Jahresbericht für das Gebiet der römischen Geschichte und Verfassung. In den Jahren 1902 1914 hat er vier umfangreiche Berichte für den ßursian geliefert ^).

Es liegt in der Natur derartiger Arbeiten , daß der Bericht- erstatter je nach dem subjektiven Eindruck, den er empfängt, die ■einzelnen Schriften kürzer oder ausfühi'licher, gründlicher oder ober- flächlicher behandelt. Im allgemeinen wird man mit dem von H. Gebotenen durchaus zufrieden sein können.

Im Anschluß an diese Arbeiten für Bursians Jahresbericht hatte H. sein Interesse in den letzten Lebensjahren vorzugsweise der späteren republikanischen Geschichte und den Ciceronischen Schriften zugewandt. Sein Plan ging darauf hinaus , einen chronologischen Kommentar zur Datierung der Cicerobriefe fertigzustellen, besonders der Epistulae ad familiäres. Manche Vorarbeiten, die nach seinem Tode in die Hand des ihm befreundeten Professors Kornemann ge- legt worden sind, versprachen etwas Tüchtiges.

H. lebte auch in den letzten Jahren nicht als wissenschaftlicher Einsiedler, nur mit den Problemen seiner Wissenschaft beschäftigt, sondern auch als lebendiges Mitglied der menschlichen Gesellschaft.

») Siehe Schriften4erzeichnis Xr. 151, 220, 264, 300.

Ludwig Holzapfel. 27

Man vergaß es fast im Gespräch mit ihm im Familienkreise oder in wissenscliaftlichen UnterhaHungen, daß ilui ein schweres Augenleiden in seinem Verkehr und in seinem Weiterstreben liinderte. Er be- wahrte sich die ruhige Heiterkeit des Gemütes trotz aller Ent- täuschungen, welche er durch sein körperliches Leiden erfahren mußte. Gewiß ist das Weiterarbeiten in der Wissenschaft ein vor- trert'liches Heilmittel, das wohl keiner ganz vergeblich zu gebrauchen versucht hat.

In diesem stetigen Streben und den Resultaten seines Arbeitens werden wir das Hauptziel seiner Lebenstätigkeit im Gedächtnis zu behalten suchen. Nicht minder aber in dem, was er seinen Freunden gewesen ist. Er hat gelebt nach den Worten Goethes: „Wer nicht die Welt in seinen Freunden sieht, verdient nicht, daß die Welt ■von ihm erfahre."

Biblioirraphie

(verfaßt von Dr. Rudolf Dietrich).

PR = Philol. Rdsch. PhA = Philol. Anz. NPR = Neue Philol. Rdsch. Verzeichnis d. weiteren Abkürzungen s. Bibl. i)liil. class. '16 (IM 43, 2)

1871. 1) De transitione ad ])lebem. Leipzig, Hirzel 36 S | Bu '79

(Bd 19) 398 (Hermann Schiller)

1870. 2) Unters, ü. d. Darstellung d. gr. Gesch. v. 489 bis 418 bei Ephoros, Theopomp n. anderen Autoren. Habilitationsschr. Leipzig, Hirschfeld 192 S. Mk. 4. | Bu '79 (Bd 19) 340 (Adolf Holm) (Bd 23) 336—40 (id) (Bd 35) 160c (Adam Eussner) | JBG '79 (Bd 2) I, 75 (Hermann Zurborg) | LZ '80, 15 (Alfred von Gut- schmid) = Kl. Sehr. '93 (Bd 4) 205—10 | KH '81 (Bd 16) 424 (Gabriel Monod) (Bd 18) 171 (Roger Lallier) 3) Ü. d. älteste Gesch. Roms i. aristokr. u. demokr. Bearbeitung. Antrittsvorl. a. d. Univ. Leipzig (5. Mai)

1881. 4) Büdinger, Max, Kleon | PR 18 5) Fellner, Thomas, For.schung . . . Thuc. VIH | ibd 14 6) Wilamo- wi tz -Mö 1 1 e n d orff . Ulrich von, Aus Kydathen | ibd 6

1882. 7) D. Verfahren d. Athener gegen Mytilene nach d. Aufstand v. 428 27. RM (Bd 37) 448—64 | Bu '89 (Bd 60) 133 (Adolf Bauer) 8) Über d. Abf.zt. der d. Xen. zugeschriebenen c^6qoi. Philol (Bd 41) 242—6» | Bu '88 (Bd 54) 111 (Karl Scheukl) (Bd 60) 37 (Adolf Bauer) 9) Bauer, Adolf, D. Be- nutzung Herodots durch Ephoros bei Di od | PhA (Bd 12) 18—23 10) Busolt, Georg, Forschungen (Bd 1) | ibd 110—18 11) Ende- mann. Karl, Ephoros | PR 13

1883. 12) Noch einmal ü. d. Verfahren d. Athener gegen Mytilene. RM (Bd 38) 631-33 | JBG '83 (Bd 6) I, 83, 42 (Friedrich Cauer) 13) Bauer, Adolf, Themistokles | PhA (Bd 13) 195 201 14) Bröcker, Ludwig Oskar, Moderne Quelleufor-

2j^ Ludwig Holzapfel.

schuug u. antike Geschichtsc-hreibung | HZ (Bd 14) 299—302 15) D r o V i- e n . Hans, Athen u. d. Westen | PK 3 16) G i 1 b e r t , Gustav, 8taatValtertümer (Bd 1) | HZ ( Bd 13) 465—70

18S4. 17) Plut's Ber. über d. Bergwerksges. d. Themistokles. Philol (Bd 42) 584—93 | Bph 28 | JBG '83 (Bd 6) I 77, 16 (Friedr. Cauer) [Zu Justin H 12, 12 Tliuk. I 93, 14. 73] 18) Zu Tliuk. IV 83, 2. ibd S. 53 19) Über d. Echtheit d. ])lut. Sehr. de Hdt. malignitate. Philol (Bd 42) 23—53 | Bu '8'^ (Bd 30) 254—55 (Hermann Heinze) (Bd 60) 50 (Adolf Bauer) 20) Zur Interpr. d. Thuk. Philol (Bd 43) 526—7 [Zu III 40, 2\ 21) Bergk, Theodor, Beitr. zur röm. XQ \ Bph 39 22) Brock er, Ludwig Oskar, s. 14) I PK 31 23) Glasen, Christian, Timaeus | ibd 28 24) Fränkel, Arthur, Quellen d. Alex, bist | ibd 30 25) Holz er,. Ernst, Matris | ibd 8 26) Jebb, Richard Claverhouse, Reden bei Tlnik I ibd 29 27) Matzat, Heinrich, Röm. xq \ Bph 33. 34 28) Mommsen, August, yq \ Wo 28

1885. 29) Röm. %Q. Leipzig, Teubner 364 S ] BBG '86 (Bd 22) 159—61 (Bernhard Sepp) ] Bu '84 (Bd 38) 279 (Karl Schenklj (Bd 48) 211—14 (Hermann Schiller) | DL 52 (Heinrich Matzat) I GGA '86 S. 654—60 (Wilhelm Soltau) | HZ '9a (Bd 29) 109 (Adolf Bauer) | JBG (Bd 8) I 110, 111 (Hermann Schiller) I LZ 41. 46 (Heinrich Matzat) | PhA '86 (Bd 16) 143—50 (Georg Friedrich Unger) | Wo '86, 9 (Georg Thouret)

30) Entgegnung. LZ 46 31) Girard, Jules, Essai sur Thuk I PR 48 32) Lange, Ludwig, De viginti quattuor annorum cyclo intercalari | Bph 48 33) Pflugk-Harttung, Julius von, Perikles als Feldherr | PR 41 34) Seeck, Otto, Kalendertafel d. Pontitices | LZ 41

1886. 35) Po hl er, Johannes, Diod. als Quelle zur Gesch. V. Hellas 1 HZ (Bd 20) 62 36) Unger, Georg Friedrich, Troische Ära d. Suid I NPH 9

1887. 37) Nochmals d. Diktatorenjahre. Bph 47 38) Bazin, Hippolyte, De Lycurgo | HZ (Bd 21) 444 39) , La rep. de& Lacedemoniens de Xen | ibd 445 40) Castellani, Carlo, Le biblio- tec'he neir antichita | ibd 443 41) Duncker, Max. Gesch. Altert (Bd 1. 2) | PhA (Bd 17) 508—13 42) Heister bergk, Bernhard, Name u. Begr. d. ins Italicum \ HZ (Bd 21) 52 43) Kubicki, Konrad, Schaltjahr \ NPR 3. '89, 5 44) Matzat, Heinrich, Zttafeln f. d. Anfang d, 2. pun. Kr. | ibd 24 45) Nissen, Heinrich, Metrologie | ibd 13 46) Soltau, Wilhelm, Prolegomena | ibd 12 | LZ 2 47) Unger, Georg Friedrich, Zt- rechnung | ibd 15

1888. 48) Beitr. zur griech. Gesch. Calvary 92 S. 8" in: Berliner Stud. f. klass. Philol u. Archäol (Bd 7, 3) Mk. 2.50 j Academy 89 (Bd 35, 1) 339 vgl. Wo '89, 27 Revue '90 (Bd 14) 227 I BBG "90 (Bd 26) 868 (Heinrich Welzhofer) | Bph '89, 24 (Adolf Holm) vgl. Wo -89, 82 | CR '90 (Bd 4) 424 | (Evelyn Abbott) vgl. Wo '91, 4 I DL '89, 4 (Ulrich Köhler) | HZ '89 (Bd 26) 89 (Julius Beloch) (Bd 27) 388 (Heinrich Nissen) | LZ 27. 29

Ludwig Ilolzaiifel. 29

(Justus Hermann Lipsius) | MHL '89 (Bd 17) 226 9 (Georg Julius Schneider) | NPR '89, 17 (Heinrich Swoboda) | AVo '89, 12 (Paul Habel) | ZöG '89 (Bd 40) 530—2 (Josef Rohrmoserj vgl. Wo '89, 40

49) D. 1. März im altlatinischen Sonnenjahr. Philol (Bd 46) 177—9 I Bu '89 (Bd. 60) 265 (Hermann Schiller) 50) Zu Cic's Briefen. Philol (Bd 46) 644— 9 [Farn I 2, II 15, 2, VIII 8, 4: 11, 4; 13, 2. (^uint. III: 3,2: 4,5] 51) D. Dauer d. Belagerung Potidaeas durch d. Athener zu Beginn d. pelop. Kr. und d. Echt- heit V. Thuk. 3, 17. Wo 41 52) Zu 'riiuk. 8, 68 (uertovij i] di^^uoy.Qatta) Bph 41 53) D. Capitolinische Jupitertemjjel u. d. ital. Fuß (zu Dion. Hai. IV 61) Herrn (Bd 23) 477—79 | Bu '92 (Bd 73) 36 (Max Karl Paul Schmidt) 54) Borgeaud, Charles. Hist. du plebiscite | HZ (Bd 24) 270 55) Hertzberg, Gustav Ferdinand, Griech. Gesch | ibd 271 56) Holm, Adolf, Griech. Gesch (Bd 1) | ibd 272 57) Jordan, Heinrich, Topogr | ibd 279

58) Nissen, Adolf, Beitr. zum röm. Staatsrecht | ibd 275 8

59) Streit, W[ilhelm], Zur Gesch. d. 2. pun. Kr. nach Cannae | ibd 278 60) Ussing, Johann Louis, Erziehung u. Jugendunterr. bei d. Gr. u. Röm. | ibd 269

1889. 61) D. Frühlingsepoche d. Thuk. Bph 5 62) D. urspr. Stelle d. Pentekontaetie im thuk. Geschichtsw. Philol (Bd 2) 165 8 63) Über d. Zt der ludi Romani. ibd 369—71 64) Bilfinger, Gustav, D. bürgerl. Tag | NPR 23 65) . D. bürgerl. Doppel- stunde I ibd 24 66) Guno, Johann Gustav, Vorgeschichte Roms (Bd 2) Die Etrusker | HZ (Bd 27) 91 67) Fa br ic i us, Wilhelm, Theophanes v. Mytilene u. C^u. Dellius als (Quellen Str's | ibd 94

68) Schmidt, Adolf— Rühl, Franz, Gr. xq | ibd (Bd 26) 90

69) Schubert, Rudolf, Agathokles | ibd 93 70) Seipt, Oskar, Diss. üb. Polyb | NPR 20 71) Soltau, Wilhelm, D. röm. Amts- jahre I Bj)h 48 i HZ (Bd 26) 94 72) Sybel, Ludwig von. Piatos

Svmpos I ibd 92 73) Unger, Georg Friedrich, D. (iang d. altröm. Kai I NPR 13

1890. 74j Zu Gic. Att. 4, 16. Herrn (Bd 25) 632—5 (gegen Mommsen) 75) D. Anfange d. Julian. Kai. Philol (Bd 3) 65—88 (gegen Matzat) 76) Bilfinger, Gustav, D. antiken Stunden- angaben I NPR 1 77) Delbrück, Hans, Strategie d. Perikles j ibd 26 78) Dondorff, Hellmuth, D. hellen. Land ] HZ (Bd 29) 106 79) Droysen, Hans, Griech. Kriegsaltert | ibd 105 80) Garofalo, Francesco Paolo. I fasti dei tribuni della plebe della repubblica rom j Bph 40 81) Holm, Adolf, Griech. Gesch (Bd 2) j HZ (Bd 29) 102 82) Matzat, Heinrich, Röm. Zttafeln j Bph 12

1891. 83) Zu Plut's Biogr. Philol (Bd 4) r,45— 9 (Thes. 6 Th. et Rom. comp. 6. Lyc. 2. 3. 14. Num. 22. Sol. 12 Po})l. 1. Them. 2. 5. 9. 10) 84) Matzat, Heinrich, E. neue (ileicjiung für d. Sonnentinsternis d. Enn | NPR 2 85) Scala, Rudolf von, Stud. d. Polvb I ibd 1 86) Volk mar, August, De annalibus Romanis HZ (Bd31) 490

1892. 87) Zu Plut. Philol (Bd 5) 276— 83. (Vit. Per. 7. 8. 12.

30 Ludwig Holzapfel.

15. 30. 37. Lys. U. 17. C. Gr. 9. Alcib. 10. 25. Arist. 1. Sertoiv 7. Alex. 7. Cic. 19. Pomp. 58. Caes. 31.59. Dion. 13. Brut. 4>

1893. 88) Doppelte Relationen im 8. Buch d. Tliuk. Herrn (Hd 28) 435—64 89) Cic. Farn. ed. Ludwig Mendelssohn | NPR 22 90) Tyrrell, Kobert Vel verton, Cic. in his letters | ibd 17

1<S*,)4. 91) Zur Gesch. d. mutineusischeu Kr. 1. D. Tag d. Sohlacht bei Forum Gallorum. 2. Decimus Brutus während d. Schlacht bei Mutina NJ (Bd 149) 400-5 92) E. falsches Briefdatum (Fam. X 31) ibd 405—6 93) Cic. Fam. ed. Peter Dettweiler | Bph 29 (Fam. I 9, 15 ; IX 16, 7 ; X 24 ; 30, 1 ; XIV 1,4. C^. Fr. III 5 ; 6, 1) 94) id. ed. Friedrich Hof mann Karl Lehmann j NPK 7 95) Lehmann, Karl A. (Cic. Att) | ibd 5 96) Meyer, Eduard, Forschungen (Bd 1 ) | HZ (Bd 36) 83 97) Schmidt, Otto Eduard (Briefwechsel) | ibd 1

1S95. 98) E. polybianischer Textfehler bei Liv XXI 55, 9. NJ (Bd 151) 78 99) Graecismen in d. Annalen d. Gl. Quadr. ibd 128 100) Zu Thuk. 6, 10. Philo! (Bd 6) 566—7 101) L'opera stör, di Clodio Licino. KSA (Bd 1) 61—7 | Bu '02 (Bd 114) 197 102) Art. Ära, Chaldäische Periode, Bosra, Chronologie, Fasti,. Jahr, Monat, Woche, Datum, Ostern, Festtage. Brockhaus, Konver- sationslexikon 103) Burger, Combertus Petrus, Neue Forschungen zur älteren Gesch. Roms. T. I | Bph 7 (Über d. Ausbau d. röm- lat. Bündnisses) | Bu '14 (Bd 188) 219 104) Lehmann, Konrad, D. letzte Feldzug der hannib. Kr } Bph 26. 27 105) Meyer, Eduard, Untersuch, zur Gesch. d. Gracchen | ibd 40 106) , D. Quellen d. Liv. im 21. und 22. B | ibd 16 107) Soltau, Wil- helm , Liv's Quellen in d. dritten Dek | ibd 48

1896. 108) Zur hss. Überl. v. Cic. Att. NJ (Bd 153) 42& bis 9 (gegen Otto Eduard Sciimidt) 109) Burg er, Combertus Petrus, s. Nr. 103 T. II | Bph 28 | Bu '14 (Bd 168) 219 110) Fröhlich. Franz, Lebensbilder berühmter Männer d. Altei't. I, 4 | Bph 46

111) Garofalo, Francesco Paolo, Sul plebiscitum Atinium | ibd 36 112) Pascal, Carlo, Stud. rom ibd 50 | Bu '02 (Bd 114 j 198

118) Ricci, Carlo, Catone nell' opposizione alla cultxira greca | Bph 17 114) Vanlaer, Maurice, La fin d'un peuple. La. depopulation de ITtalie au temps d" Auguste | ibd 41

1897. 115) II numero d. senatori. rom. durante il periodo dei re. RSA (Bd 2) 52—64 | Bu 14 (Bd 168) 178 116) Bern- hardt, Hans, yiQ. der mithrid. Kr | Bph 50 117) La Rocca, L,. La raccolta delle forze di terra fatta da Pompeio nella Spagna | ibd 47 IIS) Linden, Eugen, De hello civili SuUano | il)d 35

119) Niccolini, Joannes, Fasti tribunorum plebis | ibd 7

120) Niese, Benedikt, Grundriß d. röm. Gesch | ibd 33

121) Pascal, Carlo, Stud. rom. IIL IV | ibd 20

122) Trommsdorff, Paul, Quaest. duae ad bist, legionunti Rom. spectantes | ibd 3 123) Valmaggi, Luigi, Del luogo della cosi detta prima battaglia di Bedriaco | ibd 22 124) Zielinski, Thaddaeus, Cic. im Wandel d. Jahrhunderte 1 ibd 38

Ludwig Holzapfel. 31

1898. 125) Büttner, Richard, l). jüngere Scipio | ibd 6 126) Callegari, Ettore, Impresse militari e niorte di Alessaudr» Severo | ibd 5 127) CantareUi, I-^uigi , Annali d'Italia 455 bis 476 I ibd 8 128) Oehler, Raimund. D. letzte Feldzug d, Barkideu Hasdrubal nach d. Öchlaclit am Metaurus | ibd 1 129) So Itau , Wilhelm, Liv's Geschichtswerk, s. Kompos. u. s. (Quellen [ ibd 19 130) Sunden, J M, De trib. pot | ibd 24 131) Tuxen, SL, Kejser Tiborius | ibd 38 132) W i 1 1 e n b ü c h e r , Heinrich, Tiberius u. d. Verschwörung d. Sejan j ibd 16

1899. 133) Valerius Antias. K8A (Bd 4) 51—60. 456—66 Padua I Bu '02 (Bd 114) 194 134) 8ull' uso che Dionigi di Alioarnasso face dolT annalista (lellio. Riv. biinestrale di antichita greche e rom (Bd 1)1 3 | ibd 199 135) Mispoulet, Jean Bap- tiste, Vie parlementaire a Rome | Bph 50 136) Sanders, Henry A^ Quellenkontamination in Li\\ XXI. XXII | ibd 23

1900. 137) Drumann, Wilhelm Grobe, Paul, (Jesch. Korns (Bd 1) AemiÜi Autonii | Bph 23 138) Lersch, Bern- hard Maximilian, Einl, in die -/Q I it)d 37 139) Pais, Ettore^ Storia di Koma I, 2 | ibd 44. 45 140) Sieglin, Wilhelm, Schul- atlas I ibd 41

1901. 141) D. ältesten röm. Tribus. Klio (Bd 1) 228—55 (gegen Bormann "93) | Bu '14 (Bd 168) 167 142) Fowler, William Warde, Rom. festivals | Bph 23 143) JBG | ibd 12 144) Lengle, Joseph, Unters, über d. Sullanische Vf | ibd 5 14")) Lichteustein, Alois Prinz. D. Keicli d. Römer | ibd 19 146) Liebenam, Willy, Städteverwaltung im röm. Kaiserreich | ibd 6 147) Neumann, Karl Johannes, Grundherrschaft d. röm. Rep, d. Bauernbefreiung u, d. Entstehung d. servian. Vf | ibd 35 148) Papp ritz, Richard, Marius u. Sulla | ibd 2 149) Regling, Kurt, De belli l*arthici Crassiani fontibus | ibd 27 150) Soltau, Wilhelm, Appians Bürgerkriege | ibd 17

1902. 151) Jahresb. ü. röm. Gesch. '94—00. Bu (Bd 114) 1—25. 188—208

152) Ab bot, Frank Frost, Hist. a. descr. of Rom. pol. instit | Bph 43 153) Bern he im, Ernst, Lehrb. d. hist. Meth. '96 | Bu (Bd 114) 21 154) Borghesi, Bartolemco, Oeuvres completes '97 | ibd 20 155) Breysig, K[urt], Aufgaben u. Maßstäbe e. allg. Gesch.schreibung. '00 | ibd 22 156) Bruns, Ivo. Persönlichkeit "98 I ibd 188 157) Büdinger, Max, Univerpalhist. im Altert. '95 I ibd 24 158) Burmeistcr, Friedrich, De fontibus Vellei Paterc, "94 | ibd. 199 159) CantareUi. Luigi, Acolio e Hist. Aug. "95 I ibd 203 160) , Originc degli Ann. Max. "98 | ibd 191 161) Cichorius. Konrad, Art. Annales. "94 | ibd 162) Cohn, Leopold, L. Cincins Alimentus. "00 | ibd 193 163) Delbrück, Hans, Gesch. d. Kriegskunst. '00 | ibd 15 164) De Sanctis, Gaetano, Hist. Aug. "96 | ibd 203 165) Dict "77— "96 I ibd 19 166) Eumann. Alexauder, Älteste Red. d. röm. Konsularfasteu. '00 I ibd 193 167) Fruin, Robert, Beitr. z. Fasteukritik. "94 | ibd 168) Ginzel. Friedrich Karl. Spezieller Kanon. "99 | ibd 207

32 Ludwig Holzapfel,

169) Gutschmid, Alfred von. Ans Vorlesungen üb. d. Gesch. d. röm. Historiographie | ibd 190 (Zu Cato Fr. 99 Peter) 170) , Gassio Dio | ibd 201 171) Helmolt, Hans. Weltgesch | ibd 7 112) Holm, Adolf— De ecke. Wilhelm So 1 tau. Wilhelm, Kulturgesch. d. Alten. 97 | ibd 173) JBG (Bd 22. 23) | Bph 39 174) Jeutsch, Karl, Römerstaat. '98 | Bu (Bd 114) 12 175) , Drei Spaziergänge. "00 | ibd 176) Ihne, Wilhelm, Röm. Gesch (Bil 2) '96 I ibd 8 177) Jung, .Julius. Umfang u. Abgrenzung d. alten Gesch. '99 | ibd 22 178) Kaerst. Julius, Timagenes. '97 | ibd 196 179) Lersch, Bernhard Maximilian, Einl. '99 | ibd 207 180) Liers, Hugo. Kriegswesen der Alten. '95 | ibd 15 181) Lindner. Theodor, Weltgesch (Bd 1) | Bph 45 182) Luter- bacher, Franz, Fabius u. Piso. "98 | Bu (Bd 114) 198 183) Maire, Siegfried, Diod. '99. ibd 200 184) Meyer, Eduard. G. d. A (Bd 2) '93 I ibd 9 185) , Wirtsch. Entw. d. Altert. '95 | ibd 13 186) Münzer, Friedrich. Piso. '96 | ibd 210 187) . Zu d. Fragm. d. Val. Ant. '97 | ibd 194 188) , Zu Plinius. '97 \ ibd 200 189) Neu mann. Karl Johannes, Brutus | Bph 15 190) Niese, Bene- dikt, Grundriß. '97 | Bu (Bd 114) 6 191) Olck, Franz, Zur röm. XQ I ibd 210 192) Omont. Henri. Nouveau calendrier rom. ^97 I ibd 193) Pais, Ettore, Storia. '94. '99 | ibd 2 194) Peter, Hermann, Gesch. Liter, ü. die röm. Kaiserzt. '97 j ibd 204 195) Pirro, Alberto, II primo giorno dell" anno consolare rom j Bph 37 196) Plüss, Theodor, In d. Cincierfrage. "00 | ibd 193 197) Pöhl- rnann, Robert von, Zur Methodik d. Gesch | ibd 21 198) Prosopo- graphia Imp. Rom. '97— '98 | ibd 17 199) RE^ '93— 'Ol ] ibd 19 200) Rolando, Antonio, yg. stör. '99 | ibd 207 201) Ruggiero. ^95 f| ibd 19 202) Schiller, Hermann, Gesch. d. Altert. '00 ; ibd 6 203) Schvarcz, Julius, Demokratie '91. "99 | ibd 10 204) Seh war tz, Eduard, Art. Cassius Dio | ibd 201 205) Seeck, Otto, Indiktion. "95 | ibd 216 206) Soltau, Wilhelm. Tubero '94 I ibd 195 207) . Zur Gesch. d. röm. Annalistik. '96 | ibd 189 208) , Quellenunters, über antike Historiker. '99 | ibd

209) . Dione e Livio nella o. 4. 5. decade. '97 | ibd 201

210) , Fab. Pictor u. Liv. '98 | ibd 198 211) , '/g. Fragm. a. P. Oxy. '99 I ibd 210 212) . Entstehung d. Ann. Älax | ibd 191 213) Sternkopf, Wilhelm. D. bissextum. '95 | ibd 210 214) Tropea, (iiacomo, Hist. Ang. 'Ol | ibd 203 215) Unger, (Jeorg Friedrich, Nundinalfragen. '95 | ibd 210 216) Viertel, Anton, Tiberius u. Germanicus | Bph 12 217) Wachsmuth, Kurt, Einl. ^95 i Bu (Bd 114) 23 218) Wislicenus, Walter F, Astron. XQ. '95 I ibd 207 219) Zingler, Johannes. Cic. hist. "00 I ibd 196

1903. 220) Jahresb. ü. röm. Gesch. "94— "00. Bu (Bd 118) 177—211 (Fortsetzung)

221) D. Anfänge d. Bürgerkr. zw. Caes. u. Pomp. Klio (Bd 3) 213—34 I DL 42 | RSA '04 (Bd 9) 147 (Camillo Cessi) 222) In- torno alla legenda di Romolo. Cougr. intern, stör (03) Atti. 05 (Bd 2) 57—62 I Bu '14 (Bd 168) 161 223) Barnabei, Feiice Cozza. Alfredo Meugarelli, Raniero, Conca. "98 | Bu (Bd

Ludwig Holzapfel. 33

118) 197 224) Benedetti. F[rancesco], Aiisgr. "00 | ibd 193

225) Brizio, Edoardo , La necropoli di Novilara. '95 | ibd 182

226) Caruselli, Giovanni, Sulle ori^ini dei jiGpoli ital. '96 | ibd 211 227) Drumann, Wilhelm (i r ö b e , Paul, (Bd 2) Asinii Cornifieii | Bph 48 228) Duhn, Friedrich von, Carnpania prerom. ^95 I Bu (Bd 118) 201 229) , Campano Etruschi. '00 | ibd 201 230) , Archäol. Durchforsclmnji: Italiens. '98 | ibd 217 231) Falchi, Isidoro, II tumulo nella necropoli di Vetulonia. "93 f | ibd 187 232) Frothingham, Arthur Lincoln, Ausgr. i. Norba 1 ibd 199 233) Ghirardiui, Gherardo, Ausgr. i. Volterra. '98 | ibd 190 234) (Jraillot, Henri, Le temple de Conca. "96 | ibd 197 235) Hei big, Wolfgang, Scavi. '9ö | ibd 191 236) Lattes, Elia, Noharci, Falisci ed Etruschi. '95 | ibd 194 237) , Signoria etrusca. '97 | ibd 201 238) MA '95 (Bd 4) | ibd 193 239) Mehlis, Christian, Ligurerfrage. '00 | ibd 181. 240) Modestov, Basilius, De Siculorum origine. "98 | ibd 2U6 241) Ursi, Paolo, Ausgr ' ibd 208 242) Pasijui, Angiolo , Scavi della necropoli Ardeatina. 00 I ibd 196 243) Patroni, Giovanni, Villaggio siculo. '98 | ibd 204 244) Pellegrini, Giuseppe, Ausgr. "96. '98 | ibd 187 245) Petersen. Eugen, Funde. '96 | ibd 198 246) Pigorini. Luigi, Terramara Costellazzo di Fontanellato. '95 I ibd 179 247) Pinza, Giovanni, Civilta primit. del Lazio | ibd 194 248) , Necropoli laziali, '00 | ibd 196 249) Puglisi Marino, Salviano, I Siculi. '00 I ibd 207 250) Quagliati, Quintiuo, Tarauto. '00 | ibd 204

251) Savignoni, K Mengarelli, L, Ausgr. 'Ol | ibd 199

252) Schiaparelli. E, Ausgr. '98 | ibd 191 253) See tti , Luigi, Scavi nella Terramara Kovere. '94 | ibd 180 254) Seeck. Otto, Untergang (Bd 2) | Bph 29 253) Speranza, Giuseppe. II Piceno. '00 I Bu (Bd 118) 184 256) Tropea, Giacomo, Storia dei Lucani. ■"94 I ibd 202 257) Varese, Prospero, II calendario rom. all' eta della prima guerra pun | Bph 22

1904. 258) D. Anfänge d, Bürgerkr. zw. Caes. u. Pomj). Klio (Bd 4) 237—82

259) D. era Enniana intorno alla foudazione di Koma. ESA (Bd 8) 108—13 260) Box 1er, A., Precis des instit. publ. de la Grcce et de Pome ancicnnes | Bph 37 261) Petersen, Eugen, Trajans dakische Kriege (Bd 2) | ibd 48

1905. 262) Rom. Gesch. 1875—1900. Bu (Bd 124) 193—233. 263) D. Endtermin d. gallischen Statthalterschaft Caesars. Klio (Bd 5) 107—16 (gegen Otto Hirschfeld '04) | DL 24

264) Jahresb. ü. rom. Gesch. '94— "00 ('04) Bu (Bd 127) 257—80 (Fortsetzung)

265) Bon i, Giacomo, Lapis niger I ibd 259 f. 266) Cich or in s, Konrad, D. röm. Denkmäler i. d. Dobrudscha | Bph 35 267) Com- paretti, Domenico, Lapis niger | Bu (Bd 127) 261 (2) 268) Costanzi, Vincenzo, id ] ibd 262 269) De Sanctis, Gaetano, id I ibd 270) Dieulafoy, Jane, id | ibd 271) Duhn, Friedrich von, id I ibd 260 272) Enmann, Alexander, id | ibd 261 273) Gamurrini, Gian Francesco, id | ibd 260 274) (Hri. Ugo,Valeriano

Nekrologe 1919. (Jahresbericht f. Altertumswissenschaft. Bd. 181 B.) 3

34 lauhvig Holzapfel.

iuniore e Salonino Valeriano | Bph 44 275) Hülsen, Christian, Ausf^r I Bu (Bd 127) 2H2 276) , Lapis niger | ibd 260 f. 277) Keller. Otto, id | ibd 261 f. 278) Lambert, Edouard, L'bist. traditionuelle des XII tab. '03 | Bph 47 279) Lauzani, Carolina, Kicerohe intorno a Pausania reggente di Sparta | ibd 18 280) , I Persica di Ctesia | ibd 40 281) Milano, Luigi Adriano, Lapis niger | Bu (Bd 127) 260 282) Modest ov, Basilius, id | ibd 261 283) Mommsen. Theodor, id | ibd 284) Moratti, Carlo, id | ibd 285) Otto, Walter, id | ibd 286) Pais, Ettore, id | ibd 260 f. 287) Richter, Otto, Topogr | ibd 262 288) Savignoni, [Luigi] Lapis niger | ibd 260 289) Studniczka, Franz, id | ibd 290) Teza, Emilio, id | ibd 261 291) Thurueysen, Rudolf, id I ibd 261 (2) 292) Tropea, Giacomo, id ] ibd 262 293) Vag- lieri, Dante, id | ibd 294) Ziegler, Max, Fasti tribuuorum plebis 133—60 | Bph 14

1906. 295) Gar dt hausen, Viktor, Augustus I 8 II 3 | HV (Bd 9) 211—17

1907. 296) Rathke, Georg, De Rom. bellis servilibus capita sei I Bph 2

1912. 297) Zur röm. XQ- Klio (Bd 12) 83—115 (Ausf. Rc. V. Oskar Leuze, D. röm. Jahrzählung. '09) 298) Röm. Kaiser- daten, ibd 483—93

191S. 299) id. ibd (Bd 13) 289—304 j RC '14, 12

1914. 300) Jahresb. ü. röm. Gesch. Bu (Bd 168) 159—229 (Fortsetzung u. Schluss)

301) Assmann, Ernst, Moneta | Bu (Bd 168) 218 302) Babelon, Erneste, id '13 | ibd 227 303) Bei och, Julius, Röm. Gesch. '12 I ibd 183 304) , La conquista rom. della regione sabina. •04 I ibd 223 305) , Z. Gesch. d. pyrrh. Kr. 'Ol | ibd 225 306) , Gr. Gesch. '04 | ibd 196 307) Binder, Johannes. D. Plebs. '09 ] ibd 175 308) Binneboessel, Paul, Unters, üb. Quellen u. Gesch. d. 2. Samn.kr. v. Caudium 450 u. c. '93 | ibd 221 309) Bloch, Gustave, La plebe rom. '11 | ibd 177 310) Boni, Giacomo, Scoperta di una tomba di cremazione nel Foro Rom. 02 j ibd 160 311) , Sepolcreto del Septimontium preromuleo. '03 | ibd 312) B o r m a n n , Eugen. Beziehungen Roms zur etrusk. Bevölkerung. '13 I ibd 203 313) Bruno, Bianca, La terza guerra sauuitica. '06 j ibd 224 314) Burger, Combertus Petrus, D. Kampf zw. Rom u. Samnium bis z. vollst. Siege Roms um 312 | ibd 221 315) Costa, Giovanni, I fasti consolari Rom. '10 | ibd 190 316) . L'originale dei Fasti consolari. "10 | ibd 192 317) , La yQ. Rom. preiiaviaua. '10 I ibd. 194 318) Costanzi, 'Vincenzo, Moneta. '06 | ibd 219 319) Delbrück, Hans, K. Servius Tullius u. d. röm. Wahlrecht. '08 I ibd 171 320) De Sanctis. (Jaetano. Storia. 07 | ibd 179 321) Enmann, Alexander, D. älteste Red. d. Pontilikalannalen. 02 ! ibd 186 322) Fiske, George Converse, The politics of the patri'cian Claudii. '02 | ibd 227 323) Ginzel, Friedrich Karl. Hdb. d mm. u. techn. yg \ ibd 198 324) (iiorgi, Tito, Origini deir ordinamento centuriato e dei tribuni. "12 | ibd 172 325) . I

Ludwig Holzapfel. 35

fasti consolari e la critica. '11 j ibd 192 326) , II decemvirato legislative e la costituzione Serviana. '12 | ibd 201 327) Girard, Paul-Fred6ric , L'hist. des XII tables. '02 | ibd 207 328) Graf- fun d er , Paul D. Alter d. Öervian. Mauer. '11 I ibd 161 329) Hart- man n, Ludo Moritz, D. Latinerbüudnis d. öp. Cassius. '12 | ibd 205 330) Helbig, Wolfgang, Z. Gesch. d. röm. Etjuitatus. '05 | ibd 173 331) Hirschfeld, Otto, Camilluslegende. '95 | ibd 214 332) . Z. (^esch. d. Dezemvirats. '13 ('09) | ibd 209 333) , Z. Gesch. d. röm. Tribus '13 | ibd 202 334) , D. Wahl d. Volks- tribunen vor 471 I ibd 203 335) Hoffmann, Emanuel, Unterg. d. Fabier. "96 1 ibd 206 336) Holm, Adolf, Gr. Gesch. '86— '94 | ibd 2^6 337) Hülsen, Christian, Ausgr. a. d. Forum [ ibd 160 338) , -Lindner, P, Alliaschlacht. '90 | ibd 211 339) Kaiser, Bruno. Unters, z. Gesch. d. Samniten. '07 | ibd 219 340) Korne- mann, Ernst, D. Alliaschlacht u. d. ältesten Pontifikalannalen. '11 | ibd 186. 212 341) , Priesterkodex. '12 1 ibd 187 342) Körte, Gustav, E. Wandgemälde v.Vulci. '97 | ibd 166 343) Kr e t sc h m e r, Paul, Remus u. Romulus | ibd 163 344) Lambert, Edouard, s. no. 278 I ibd 207 345) , La queslion de l'authenticit^ des XII tables et les ann. max. '02 j ibd 206 346) Leuze, Oskar, Zensur. "12 | ibd 210 347) , D. röm. Jahrzählung. '09 | ibd 193 348) Maschke, R[ichard] , D. älteste Fragm. d. röm. Stadtchron. '95 I ibd 185 349) Meyer, Eduard, Urspr. d. Tribunats. '95 | ibd 168 350) , Plebs. '97 | ibd 174 351) , Alliaschlacht '03 | ibd 211 352) , Ü. d. Anfänge d. Staates u. s. Verh. z. d. Gesch.- verbänden u. zum Volkstum. '07 | ibd 168 353) Mommsen, Theodor. Tatiuslegende. '81 | ibd 163 354) Münzer, Friedrich, Camillus I ibd 215 355) , 8p. Cassius | ibd 204 356) , Caeles Vibenna u. Mastarna. '98 | ibd 166 357) Neumann, Karl Jo- hannes, Köm. Ötaatsaltert. '12 | ibd 183 358) , Polybiana. '96 | ibd 198 359) , Erutus. 'Ol | ibd 360) , Grundherrschaft d. röm. Kep., d. Bauernbefreiung u. d. Entstehung d. servian. Vf. '00 | ibd 169 361. Niese, Benedikt, Z. Gesch. d. pyrrh. Kr. '96 j ibd 225 362) , Gesch. d. griecli. u. mak. Staaten. '93 '03 | ibd 226

363) Oberziner, Giovanni, Origine della plebe rom. 'Ol | ibd 174

364) Pais, Ettore, Stör. crit. '13 I ibd 180 365) , Le leggi Pinaria Furia, Decemvirale et Acilia sulla intcrcalazione sono esistite. '09 I ibd 209 366) , L'eta della sedazione et della pubblicazione dell leggi delie XII tavole. '09 ] ibd 208 367) Peter, Hermann, Wahrheit u. Kunst. '11 | ibd 189 368) Petersen, Eugen, Lupa Capitolina. '08 | ibd 162 369) , Caele Vibenna n. Mastarna. '99 | ibd 166 370) Pinza, Giovanni, Di un sepolcro a cupola di tipo miceneo nel pendio del Campidoglio verso il Foro Rom. '02 | ibd 161 371) Pirro, Alberto, II primo giorno dell' anno consol. rom. 'Ol | ibd 195 372) , La seconda guerra sannitica. '98 | ibd 221 373) , Le origini di Napoli. '05. '08 | ibd 222 374) Pohl mann, Robert von, Kommunismus. '93. 'Ol j ibd 183 375) Richter, Otto, Beitr. z. röm. Topogr. | ibd 211 376) Rosenberg, Arthur, Stud. z. Entstehung d. Plebs. '13 | ibd 178 377) , Unters, z. röm.

3*

36 Ludwig Holzapfel.

Zenturienvf. '11 | ibd 171 378) Schön, Georg, D. Differenzen d. kapit. Magistrats- u. Triumphalliste. '05 | ibd 193 379) , Fasti ] ibd 380) Schubert, Rudolf, Pyrrbus. '94 | ibd 224 381) Schulze, Wilhelm, Lat, Eigennamen. "04 | ibd 163 382) Schwartz, Eduard, Notae de Komanorum aunalibus. '03 | ibd 199 383) , Diod | ibd 190 384) S ig wart, Georg, Rom. Fasten u. Annaleu b. Diod. "06 I ibd 189 385) Smith, Francis, D. röm. Timokratie. '06 | ibd 171 386) So 1 tau, Wilhelm, Echtheit \. Leges Liciniae 367. '95 I ibd 387) , Z. d. röm. Königsuamen.' '05 | ibd 165 388) . D. Quellen Plut"s i. Valer. Poplicola. '05 | ibd 200 389) , D. 306 Fabier. '08 | ibd 205 390) , Cassius, Maelius, Manlius. '08 I ibd 204 391) Pw^og u. Remus. '09 | ibd 164 392) , Ent- stehung d. Romuluslegende. '09 | ibd 393) , D. Anfänge d. röm. Gesch.schr. '09 | ibd 184 394) , Rom u. d. Italiker. "10 ] ibd 218 395) , E. Hauptproblem d. röm. xq. "10 | ibd 195 396) , D. Diktatoreujahre. '10 | ibd 397) , Bot Diod's annal. Quelle d. Namen d. ältesten Volkstribuuen'? '12 | ibd 201 398) , Classis n. Classes i. Rom. "13 [ ibd 173 399) Täubler, Eugen. Camillus u. Sulla. '12 I ibd 216 400) Varese, Prospero, II calendario Rom. all" eta della prima guerra pun. '02 | ibd 196 401) , XQ' Kom. "08 I ibd 402) Wachsmuth, Kurt. D.Vertrag zw. Rom u. Kar- thago aus d. Zt. d. Pj-rrhus. '94 | ibd 225 403) Wissowa, Georg, Septimontium u. Subura. '04 | ibd 161

1917. 404) Rom. Kaiserdateu. Klio '17 (Bd 15) 99—118 Nachtrag, 1. Neros Todestag 2. D. Mondfinsternis des 18. Okt. 69 S. 120—211.

^ Fortsetzung d. Kaiserdaten folgt in d. nächsten Heften d. Klio.

Franz Rühl.

Geb. 26. Oktober 1.S45, gest. 3. Juli 1915.

Von Arthur Mentz in Königsberg.

Vorbemerkung. P'ür die folgende Darstellung standen mir für die früheren Lebensjahre Rühls namentlich zwei lateinisch geschriebene Lebens- läufe von seiner Hand zur Verfügung; der eine ist oftenbar der Entwurf zu dem Lebenslauf, den Rühl seinem Gesuch um Zulassung zur Prüfung für die Bewerber um ein höheres Lehramt an Gelehrtenschulen beifügte, da der Entwurf zu ebendiesem Gesuch auf demselben Blatt steht, und der andere Lebenslauf ist etwa gleichzeitig verfaßt, war vielleicht für die Dissertation bestimmt, die deutsch geschrieben selbst keine Vita ent- hält. Für die weitere Lebenszeit ist ein Aufsatz von Paul Stettiner zum sechzigsten Geburtstag Rühls in der „Königsberger Hartungschen Zeitung" (26. Oktober 1905) in jeder Hinsicht am wertvollsten. Von der gedanken- reichen, schönen Rede meines lieben, allzu früh auf dem Felde der Ehre gebliebenen Freundes Willy Scheffler beim Scheiden Rühls aus dem Amte gibt der Bericht in der „Königsherger Hartungschen Zeitung" vom 27. Juli 1911 nur eine unvollkommene Vorstellung; wertvoller ist die Wiedergabe der ebendort abgedruckten Entgegnungsworte Rühls. Der Nachruf der Königsberger Universität beim Tode Rühls in den Königsberger Zeitungen charakterisiert knapp und treftend seine Leistungen. Schließlich liegt mir noch ein Xachruf in der „Vossischen Zeitung" vom 4. Juli 1916 und eine knappe Notiz in „Unsere Zeitgenossen Wer ist's" (Leipzig 1911) S. 1222 vor. Einige Angaben verdanke ich meinem hochverehrten Lehrer Geheimen Regierungsrat Prot. Dr. Otto Krauske.

Karl Friedrich Julius Peter Franz Rühl wurde am 26. Ok- tober 1845 zu Hanau in dem damaligen Kurfürstentum Hessen ge- boren. Sein Vater, der Oberbürgermeister August Rühl, war ein seltener Charakter. Ein Nachruf bei seinem Tode rühmt an ihm unter anderem die „Neigung zu geselligem Vergnügen, zu gemüt- licher Fröhliclikeit . . ,, seinen unerschütterlichen Gleichmut in allen Lagen des Lebens, seine unverwüstliche gute Laune und den treflfenden Witz, der Sachen und Menschen sehr richtig faßte, ohne doch ver- letzend zu sein . . ., sein Streben , nichts zu verhehlen , was er dachte . . ., sein tiefes Gefühl . . ., seine ungezwungene Popularität, die mit Hohen und Niederen gleich leicht verkehrt". Das sind Züge, die der Sohn offenbar geerbt hat; nicht minder ging auf ihn das Streben des Vaters über, sich politisch zu betätigen, und damit die

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gleiche politische Gesinnung. Der Vater war Mitglied der Frank- furter Nationalversammlung und hat an den Verfassungskämpfen seines Staates teilgenommen. Die Liebe zur Freiheit, der Haß gegen Tyrannen und Sklaven bei dem Sohne ist ein Erbteil des Eltern- hauses, obwohl der Vater selbst schon im fünften Lebensjahre Franzens starb und so nicht weiter auf ihn einwirken konnte. Die Mutter Natalie geb. Weigel übernahm die weitere Erziehung des Knaben, der zunächst die Schule in Hanau, dann die Realschule in Arolsen und schließlich das Gymnasium in Korbach besuchte. Das Abiturientenexamen legte er im Herbst 1863 in Hanau ab, um sich eine Anstellung in kurhessischem Staatsdienste zu ermöglichen. Die Mutter schwankte, ob es besser sei, den Sohn studieren oder Kauf- mann werden zu lassen ; mit ihren nur bescheidenen Mitteln konnte sie ihn keinen allzu kostspieligen Beruf ergreifen lassen. Schließ- lich wählte Franz Rühl das Studium der Philologie : sein ursprüng- licher Wunsch, die Rechtswissenschaften zu studieren, war damit aufgegeben. Rühl studierte nun je zwei Semester in Jena und Berlin, dann wieder ein Semester in Jena und endlich zwei Semester in Marburg. Es war dabei sein eifrigstes Bestreben, seine Allgemeinbildung in möglichst umfassendem Maße zu erweitern. Rühl hat späterhin in seinem Kolleg, das in die alte Geschichtswissen- schaft einfiihrte , die Anforderungen an einen wirklichen Studenten dieses Faches aufgestellt. Uns, seinen Schülei-n, wurde es ganz be- klommen zumute, wenn wir hörten, was alles ein der Geschichte Beflissener zu lernen habe. Rühl aber hat in seiner Studentenzeit tatsächlich jene Anforderungen im wesentlichen erfüllt. Neben Vor- lesungen über alle Teile der Geschichte und deren Hilfswissen- schaften , insbesondere der Paläographie und Diplomatik , hörte er solche in Philosophie, Rechtswissenschaft, Sprachwissenschaft, Erd- kunde, Nationalökonomie und sogar auch in Zoologie. Und daß ihm auch dieses für einen Historiker abgelegene Studium keineswegs nebensächlich erschien, beweist der Eifer, mit dem er bis ins Alter Schmetterlinge und Käfer sammelte. In seinem . Freundeskreise wurde oft jenes kleine Erlebnis erzählt, da ein Gast, etwas gekränkt über die frische Art , mit der Rühl auf allen Gebieten seine An- schauungen vertrat, das Gespräch auf ausländische Schmetterlinge brachte, um wenigstens dem Professor der Geschichte seine Unkennt- nis in der Zoologie zu beweisen. Er mußte aber schnell einsehen, daß sein Beginnen vergeblich war, da Rühl sogleich mit den lateini- schen Namen der entlegensten Schmetterlingsarten anrückte. Für diese umfassende Bildung hat Rühl eben schon in der Studenten-

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zeit den Grund gelegt. Neben den Vorlesungen trieb er auch ein- gehende Privatstudien; so beschäftigte er sich zeitweise insbesondere mit Aristoteles' de re publica und erlernte sehr eifrig die italienische Sprache. Einmal , es war in den Sommerferien 1865, war er sehr nahe daran, das Studium des Altertums zurückzusetzen und sich der neueren Geschichte zuzuwenden. Eine Durchforschung des fürstlich waldeckschen Archivs hatte ihm nämlich gezeigt, welch reiche Schätze €s für die deutsche, holländische und englische Geschichte barg, und es lockte ihn, sie zu lieben. Einen khünen Aufsatz: „Aus den Tagen der Eroberung Englands durch Wilhelm von Oranien" hat er 1871 in den „Grenzboten" als Frucht dieser Studien veröffent- licht. Aber er kam doch wieder sehr bald von seinem Plan ab ; und das war wohl ein Glück ; denn Rühl war für die historisch- philologische Arbeit auf dem Gebiete der alten Geschichte mit ihren streng methodischen Untersuchungen doch ganz besonders ge- schaffen.

Jenes Streben nach allseitiger Erfassung der Geschichte erklärt wns, warum Rühl unter seinen Universitätslehrern besonders den Jenenser A. Schmidt verehrte ; hörte er doch bei ihm Vorlesungen über die Philosophie der Universalgeschichte, über das Zeitalter des Perikles und über neuere Geschichte. Er rühmt von seinem Lehrer, <lali er ihn die Geschichte des Menschengeschlechts richtig behandeln und betrachten gelehrt und ihm die Elemente der historischen Kritik beigebracht habe. Ihm ist denn auch, mit Wachsmuth, die Doktor- arbeit gewidmet, die Rühl am 24. Mai 1867 verteidigte; sie handelt über die Quellen Plutarchs im Leben Kimons. Schon diese Erst- lingsarbeit zeigt die Vorzüge und die Eigenart der Forschungen Rühls. Sorgfältig werden die in Betracht kommenden Einzelstellen gesammelt und nebeneinandergestellt. Jede kleine Notiz antiker Schriftsteller wird kritisiert, die moderne Literatur verglichen und <ler Gegner, wo er sieb eine Blöße gibt, scharf angegriffen, doch auch manch Ergebnis gern anerkannt. Als Hauptquelle wird Theopomp nachgewiesen , aber eine ganze Reihe von Nebenquellen aufgezeigt oder doch wahrscheinlich gemacht. Es kommt Rühl nicht <larauf an , etwa ein umfassendes Lebensbild Kimons zu gewinnen oder die schriftstellerische Art Plutarchs zu erfassen ; ihm liegt es daran , mit scharfen verstandesmäßigen Gründen die Quellen des Schriftstellers aufzuzeigen, woraus man ja dann eher auf den Wert oder Unwert einer Nachricht schließen kann.

Bald nach seiner Promotion bestand er auch das Staatsexamen in Geschichte und Philologie als Hauptfächern und in Geographie

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als Nebenfach. Damals wurde ihm auch sein lebhafter Wunsch er- füllt, den Boden antiker Geschichte kennen zu lernen; er unter- nahm eine Studienreise nach Italien, die ihm auch die Freundschaft, von Ferdinand Gregorovius eintragen sollte. Er hat später in Königs- berg dem ostpreußischen Manne eine Gedenkrede gehalten , in der er ihn nicht bloß als den Schöpfer der Geschichte Roms und Athens- feierte, sondern auch als den Demokraten, den „einfachen, uneigen- nützigen Mann, von ausgeprägtem Unabhängigkeitssinn". Er konnte darauf hinweisen, wie auch ihm einmal Gregorovius „in der Burg- von Bracciano den tiefen Eindruck geschildert habe, den er seiner frühesten Umgebung in dem alten Ordensschloß zu Neidenburg ver- dankte". Die Mittel zu seinen Reisen mußte er sich selbst er- werben. Darum war er als Korrespondent von Zeitungen tätige eine Tätigkeit , die ihm oft keine rechte Freude machte. Als Rühl nach Deutschland zurückgekehrt war, betätigte er sich als Privatlehrer in Hamburg und dann als Gymnasiallehrer in Schles- wig. Doch dann beschloß er, die akademische Laufbahn zu er- greifen, und habilitierte sich 1871 in Leipzig mit einer Arbeit über „die Verbreitung des Justinus im Mittelalter" ; er überreichte aber gleichzeitig der Fakultät eine längere Abhandlung über „die Textesquellen des Justin" im Manuskript. Beide Arbeiten, die eng zueinander gehören, zeigen alle Vorzüge Rühlscher Forschung vereinigt. Neben genauer Kenntnis der Paläographie eine weit über die Grenzen des Altertums hinausgehende Belesenheit; sorgfältige Beobachtung kleinster Einzelheiten neben komplizierter Kombination und scharfer Kritik. In seiner Habilitationsschrift weist Rühl auf den Wei't solcher Untersuchungen hin, die die Benutzung alter Schrift- steller in späteren Zeiten nachweisen. Es mutet geradezu moderr» an, weiin er von der Feststellung des Fortwirkens als einer bedeut- samen Erkenntnisquelle spricht. Denn man könne aus der Ver- wertung der Autoren auf die Weite des Gesichtskreises der Benutzer, auf den Umfang ihres Wissens schließen, werde in das Treiben der Schulen eingeführt, es ließen sich literarische Beziehungen und Zu- sammenhänge herausfinden. Allerdings treten diese Gesichtspunkte bei Rühl dann zurück; ist doch auch Justins Arbeit nicht gerade dazu geschaffen , große Zusammenhänge aufzudecken , da sie selbst zu unbedeutend ist. Eingehender untersucht Rühl die Bedeutung jener Zitate für die Textesgeschichte des Schriftstellers. Und da kommt er denn, im Gegensatz zu der früheren Auffassung, zn dem Ergebnisse , daß die Angaben der Schriftsteller für den Text Justins so gut wie wertlos sind. In der größeren Abhandlung zeigt

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dann Riihl , daß für die Textgestaltung von den mittelalterlichen Schriftstellern nur Orosius in Betracht komme. Man müsse sich im übrigen auf die Handschriften selbst stützen , von denen eine ge- waltige Fülle vorhanden sei. Rühl unterscheidet dabei drei Klassen: die italische (J), die durch 17 Handschriften vertreten ist, die trans- alpine (T), deren Rühl 14 + 22 kennt, und eine dritte, die im wesentlichen nur durch die Handschrift C vertreten wird. Dazu nennt Rühl 47 kontaminierte Handschriften; außerdem weist er 82 Kodizes nach, die er nicht verglichen hat.

So hatte Rühl die Grundlage zu einer neuen Ausgabe des Justinixs gelegt. Er zeigte, daß man nicht einer Handschriftenklasse folgen dürfe, sondern eklektisch verfahren müsse. Dieses auf sorg- fältigste Einzelprüfung gegründete Ergebnis wurde auch durch die spätere Entdeckung einer neuen Handschriftenklasse nicht gefährdet. Rühl hatte ihr Vorhandensein bereits in seinen „Textesquellen" ver- mutet; es gelang ihm dann später wirklich, ihre Existenz nach- zuweisen; er benannte sie IT. So konnte er nach jahrelangen Vor- arbeiten zur Herausgabe des Justin schreiten ; für die Prologe des Trogus Pompejus durfte er sich der sachkundigen Mitarbeit Alfred von Gutschmids erfreuen. Die im November 1885 erschienene Aus- gabe in der Teubneriana ist noch heute unerreicht. Halb scherzend konnte er noch in den Kollegs seiner letzten Semester bemerken^ daß er „leider" feststellen müsse, daß seine Ausgabe noch immer die beste sei.

Durch seine ersten Arbeiten, die schließlich zur Edition eines Schriftstellers führten, hat Rühl sofort das Gebiet betreten, auf dem er zweifellos sehr Wertvolles geleistet hat. Er hatte sich bald eine umfassende Kenntnis mittelalterlicher Handschriften angeeignet , so daß ihn bereits 1882 ein Mann wie Erwin Rohde den besten Kenner auf diesem Gebiete nannte. Ferner befähigten ihn eine gute Be- herrschung der alten Sprachen und eine klar erkennende Kritik, die doch gekünstelten Emendationen abgeneigt war, eine sichere Entscheidung über die beste Lesart zu treß'en oder, wo der Text sich nicht halten ließ, eine Konjektur zu schaffen. Bei konservativer Verwertung der Überlieferung war er doch auch kühneren Kon- jekturen nicht abgeneigt, wenn sie einen verständigen Sinn gaben. Er tadelt es einmal an dem von ihm so verehrten Gutschmid , daß er oft zwar paläographisch tadellose, aber sprachlich nicht ganz einwandfreie Konjekturen geschaffen habe.

Bei dem bedeutenden Erfolge, den die Ausgabe des Justin hatte, ist es erklärlich, daß Rühl auch an die Herausgabe anderer

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Autoren ging. Er wählte sich dabei kleinere "Werke aus, die er ■dann desto sorgfältiger bearbeiten konnte. So erschien im Jahre 18S7 des Eutrop breviarium ab urbe coudita und nicht lange vor seinem Tode (1912) die kleinen Schriften Xenophons, auch diese beiden in der Teubneriana. Bei beiden Ausgaben sind wiederum ■die vorhandenen Handschriften sorgfaltig geprüft, zum Teil von ihm persönlich durchgesehen, die Handschriften selbst gruppiert und die ■einzelnen Lesarten sorgfältig gegeneinander abgewogen. Gewiß stellt Rtihl, ganz wie in seinem Justin, auf Grund der gefundenen Hand- schriftenklassen bestimmte Grundsätze für die Herausfindung der richtigen Lesart auf, entscheidet dann aber doch von Fall zu Fall, ohne sich sklavisch zu binden. Bei der letzten Edition hinderte ihn leider die inzwischen eingetretene völlige Erblindung stark an der Arbeit; es ist staunenswert, wie er diesen Mangel tapfer überwunden hat. Seine besondere Befähigung für die Edition führte Rühl auch bei seinem Streben nach universaler historischer Bildung zur Heraus- gabe des Briefwechsels von Schoen und Staegeraann , der in den „Publikationen des Vereins für die Geschichte von Ost- und West- preußen" erschienen ist.

Doch wir sind der Lebensbeschreibung bei weitem vorausgeeilt ! Nur ein Jahr blieb Eühl in Leipzig. Schon 1872 finden wir ihn in Dorpat, das damals noch rein deutsch war, und 1874 kam er nach England ; damals mag er in London Müller-Strübing kennen gelernt haben, dem er als einer aufrechten Natur und einem begeisterten Forscher stets große Verehrung entgegengebracht hat. Er wurde 1875 außerordentlicher und dann ordentlicher Professor und 1876 zum Nachfolger Gutschmids nach Königsberg berufen. Hier hat er 35 Jahre lang als Vertreter der alten Geschichte gewirkt, ganze Generationen junger Historiker herangebildet. Der Ostpreuße ist stolz auf seine Alma mater Regiomontana, und wer aus unserer Heimat studiert, studiert eben hier und oft ausschließlich hier. So gibt es wohl keinen Historiker aus all jenen Jahren , der nicht zu Rühls Füßen gesessen hätte. Und uns wurde der „alte Rühl" je länger je mehr geradezu ein Wahrzeichen unserer Universität. Es gibt nicht viele Professoren , die lange unserer oft stiefmütterlich behandelten fernen Hochschule erhalten bleiben ; desto mehr hängen wir an denen, die uns treu sind, zumal wenn einer so wertvoll als Lehrer, Forscher und Mensch ist, wie es Rühl war.

Rühl stammte aus einem Kleinstaat, er war erfüllt von demo- kratischen Idealen ; er kam in eine Stadt, die voll von altpreußischen Erinnerungen ist, die in einer Umgebung von wesentlich Staats-

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konservativer Gesinnung liegt. Trotzdem hat er bald in der Stadt treibst, die ja manch einen führenden Politiker des Liberalismus be- herbergt hat, einen Kreis von Gleichgesinnten gefunden. An der „Metbank" wurde alles erörtert, was einen rechten Staatsbürger interessieren konnte; manch ein freies Urteil wurde gefällt. Auch manch einen Freund gewann er im Laufe der Zeit, wie Johann -.Takoby, Felix Dahu , Karl Leins und in den letzten Jahren namentlich Otto Krauske , der sich den Lebensgewohnheiten des älteren Amtsgenossen treft'lich anzupassen verstand. Bald wählte sich Rühl auch eine Lebensgefährtin. Er hat einmal in fröhlicher Stunde erzählt, wie er mit einem anderen jungen Amtsgenossen überlegte , ob sie wohl heix-aten sollten. Da hätten sie sich ent- schieden, die Frage einem erfahrenen Manne vorzulegen, ich glaube, es war Lehrs. Der habe ihnen sehr geraten, eine Ehe einzugehen. Kurz, Eühl führte im Jahre 1876 Elise Henle, die Tochter des berühmten Göttinger Anatomen und dessen erster Frau, heim und hat mit ihr bis zu seinem Lebensende in glücklicher Gemeinschaft gelebt. Der Ehe entsprossen zwei Söhne, von denen der eine die kommunale Laufbahn Avählte, der andere Professor der Geographie "wurde. So wuchs Rühl immer mehr in die Königsberger Verhält- nisse hinein. Er beschäftigte sich nicht nur mit den Werken unseres größten Mitbürgers, wovon ein Vortrag über den ewigen Frieden in der Königsberger Kantgesellschaft Zeugnis ablegt; er nahm auch in steigendem Maße lebhaften Anteil an den öffentlichen Verhältnissen <ler Stadt; so wählte man ihn auch in die Stadtverordneten -Ver- sammlung, der er 25 Jahre angehörte. Er hat sich eifrig an ihren Sitzungen beteiligt und namentlich zu allen Fragen der Volksbildung das Wort ergriffen. Und daß er auch praktische Vorschläge zu machen verstand, beweisen seine Ausführungen zur Reform des Gymnasiums, <lie zum großen Teil inzwischen verwirklicht sind. Sein Versuch, das Reichstagsmaudat seiner Vaterstadt Hanau zu erlangen, schlug fehl. In seinem Beruf fühlte sich Rühl vornehmlich als Lehrer. Sein Kolleg war stets auf den neuesten Stand der Wissenschaft gebracht. Er stellte die Einzelprobleme klar vor den Hörer und wog das Für und Wider kühl gegeneinander ab; doch wurde er dann auch •wieder begeistert oder heftig, fast leidenschaftlich. Zuweilen, nament- lich in seiner universalhistorischen Einleitung, hob sich das Kolleg zu großer Höhe. Immer galt es nicht gerade als leicht; ich wurde jedenfalls als angehender Student gewarnt, sogleich im ersten Semester bei Rühl zu hören. Ahnlich war es mit dem Seminar. Ich habe wohl neun seminaristische Übungen bei ihm mitgemacht, die mir viel

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Anregung geboten haben ; aber die meiste Freude hat mir doch das gemacht, das ich kurz vor meinem Examen besuchte, weil ich da die genügenden Kenntnisse besaß, um allen Ausführungen Rühls folgerv zu können. Die paläographischen und epigraphischen Übungen be- trachtete Rühl als Einführungen in historische Hilfswissenschaften. So kam es ihm einzig darauf an , daß wir lesen lernten ; und wir lernten viel, da wir viel lasen. Übrigens ließ der liberale Mann auch für den Besuch des Seminars volle akademische Freiheit walten. Wenn das auch von manch einem Brot- Studenten ausgenutzt wurde, den wirklichen Historikern war es ein doppelter Ansporn zu fleißiger Mitarbeit. Echt liberaler Anschauung entsprach auch seine Ver- waltung der Seminarbibliothek, die jedes Mitglied jederzeit besuchen und deren Bücher es ohne Einschränkung entleihen konnte ; aller- dings wurde diese Regelung durch die geringe Anzahl der damals Geschichte Studierenden erleichtert. Rühl trat stets auch den Stu- denten gegenüber für die „Grundsätze der Humanität, des Rechts und der Freiheit" ein. Selbst dem jungen Mulus trat er freundlich gegenüber , wenn er bei ihm wirkliches Streben fand ; und erst recht der Doktorand fand in ihm einen jederzeit hilfsbereiten Be- rater. Seine umfangreiche eigene Bücherei stellte er lernbegierigen Studenten gern zur Verfügung. Diese herzlichen Beziehungen konnte auch der gelehrte Professor stets pflegen , weil er selbst bis ins- höchste Alter im Herzen ein junger Student blieb. Nirgends zeigte sich das schöner, als wenn er auf der Kneipe unseres „Historisch- Geograpischen Vereins an der Albertina" das Zepter der Fidulität schwang und „Bei Sendung auf luftiger Höhe" intonierte oder ein anderes Lied, das die Freiheit preist oder Tyrannen und Pfaff"ei» den Krieg erklärt. Wenn er dann gar bei einer Doktorkneipe seine humorvolle Rede auf die Opponenten hielt, denen allein der Doktor seine Existenz zu verdanken habe, dann war des Trampeins kein Ende.

Aber solch frohe Stunden waren nur die Erholung von ernster Arbeit. Die erzieherische Arbeit ging darauf aus, in uns Kritik rege zu machen und die unbedingte Liebe zur Wahrheit zu wecken. Er hat einmal Gervinus' Worte als Muster zitiert: „Ich glaube, wenn ich in den öffentlichen Handlungen dieser Zeiten beteiligte Blutsverwandte der nächsten Grade zu beurteilen oder zu verurteilen fände, die geschichtliche Gerechtigkeit dürfte auf einen unbestech- lichen Richter in mir rechnen." Wir hatten wohl alle das Gefühl, daß Rühl von sich dasselbe hätte sagen können, vielleicht mit der Ausnahme, wenn es sich um einen „Pfaffen" gehandelt hätte. Dena

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er war im Grunde seines Herzens ein Anhänger der Aufklärung. Das „dicke Mittelalter" mit der Herrschaft der Geistlichkeit war für ihn das Urbild alles Verwerflichen, weil es ihm unvernünftig zu sein schien. Über Konstantin und Eusebius urteilte er ebenso hart wie einst Burckhardt. Mit sichtlichem Vergnügen stellt er schon in seiner Dissertation fest : „Vergessen wir nicht, was für Leute diese Väter der christlichen Kirche waren, welche in blindem Eifer für ihre dogmatischen und asketischen Ideen schon damals zur größeren Ehre ihres Gottes Lügen . Verleumdungen und Fälschungen für er- laubt und geboten hielten." Während die früheren christlichen Schriftsteller noch geglaubt hätten, was sie sagten, bilde sich seit Konstantin ein vollständiges Lügensystem aus. Ganz ähnlich klingt es noch in seiner Chronologie. Die Zählweise des Cisiojanus , so erklärt Kühl, ist ohne Frage die aberwitzigste unter allen*, man könnte glauben, daß sich Mönche und Juristen dabei verbündet hätten , um zu versuchen, was sie alles der Welt aufzunötigen im- stande wären. Bei den Juristen dachte er wohl in erster Linie an preußische Staatsbeamte, die ihm allerdings in der Regel als Ver- räter an der Freiheit des Volkes und damit als dumm erschienen. Was für Bemerkungen mußte sich zum Beispiel die königlich preu- ßische Bauverwaltung beim Umzug des Seminars gefallen lassen I Mit seiner starken Neigung zu demokratisch - liberalen Ideen hing auch seine Vorliebe für Grote , Schlosser, Gervinus, überhaupt die Göttinger Sieben, zusammen. Als uns unser Professor der neueren Geschichte für Ranke zu begeistern wußte , empfahl uns Rühl als Gegengewicht das Studium von Schlossers Weltgeschichte.

Seine frische, oft scharfe und sarkastische Art hat im Verkehr wohl manch einen verletzt, obwohl sie nie verletzend gemeint war. In seinem Kolleg aber wirkte sie zweifelsohne anregend. Es ging da oft sehr lebhaft zu, die alten und die neuen Literaten, sie er- hielten alle ihr Teil. Der „Revolverjournalist" Stesimbrotos von Thasos wurde ebenso in seiner Nichtswürdigkeit entlarvt wie der „erste Vertreter des beschränkten Untertanenverstandes" Velleius Paterculus. Niese beging manch einen Fehler, indem er „mit Scheu- klappen durch die Überlieferung lief": besonders erregt aber wurde Rühl, wenn er „gegen den in die Philologie verschlagenen Junker" zu Felde zog. Daß übrigens gerade dieser Vorwurf, den mancher von uns als unsachlich empfand, nicht so schlimm gemeint war, be- weist ja am besten die Tatsache, daß Rühl die Schriften des Herrn von Gutschmid selbst herausgegeben hat. Diese oft harten Urteile wurden bei ihm aus der unbedingten Liebe zur unbestechlichen

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Wahrheit, die sich vor niemandem beugt, geboren. „Je weniger man", sagt er einmal, „Vei-anla?sung hat, sich vor einem Namen zu beugen, um so größeren Erfolg und Ertrag verspricht die historische Untersuchung, indem man dann an die Prüfung und Verwertung der einzelnen Nachrichten mit um so größerer Unbefangenheit heran- gehen wird." Und beim Abschied von Königsberg rief er den Studenten zu : „Welchen Wert hätte eine Forschung, die nach rechts und links schielte und sich durch irgend etwas anderes beeinflussen ließe als durch die selbstgewonnenen Erkenntnisse."

Von diesem Grundsatz sind auch seine Publikationen beeinflußt^ die er in reichem Maße veröffentlicht hat. Es gibt wohl kein Ge- biet der alten Geschichte, das er nicht irgendwie einmal in seinen Arbeiten berührt hat. Mit einer Ausnahme hat er allerdings größere Werke nicht geschrieben ; die kleinen Untersuchungen waren seiner Art am entsprechendsten. Zunächst galt seine Arbeit den historischen Quellen, von denen er uns ja mehrere in Musterausgaben zugänglich gemacht hat. Außer mehrfachen kleinen Bemerkungen oder Nach- trägen zu Justin, Eutrop und Xenophon hat er zu Cicero, Juveual,. Livius, Plinius, Plutarch, Gellius, Diodor, Lysias, Sophokles, Speu- sipp , Theopomp, Thukydides , Demosthenes, Herodot, Zosimus^ Hypereides , Menander von Ephesos , Julius Africanus, Theophrast, Velleius Paterculus, Tacitus, Hellanikos, Pseudo-Lukian, den scrip- tores historiae Augustae , Curtius , Prokop nacheinander das Wort ergriffen. Er hat also griechische und römische Schriftsteller der ältesten Zeit bis weit ins Mittelalter hinein in seine Untersuchungen gezogen. Es sind gewiß oft nur kleine Notizen, oft nur eine mehr oder minder kühne Konjektur. Natürlich haben die nicht immer Zustimmung gefunden, aber das hat Ruhl, der viel Selbstkritik be- saß, auch sicher gar nicht erwartet. „Daß auch entschieden falsche Konjekturen mit unterlaufen," schreibt er einmal, „ist das gewöhn- liche Schicksal aller Konjekturalkritiker."' Aber es findet sich unter diesen kleinen Beiträgen auch manch eine andere gute Bemerkung, so, wenn er von den feinen Anspielungen des Tacitus auf allerhand Schriftsteller, die zu seiner Zeit gelesen wurden, spricht, oder wenn er für die Echtheit der griechischen Briefe des Brutus eintritt.

Zu diesen Arbeiten kommen andere, die sich mit paläographi- schen und epigraphischen Fragen beschäftigen, oder die zu einzelnen historischen Tatsachen Stellung nehmen. Da handelt er über das Leben des Jamblichos, das Todesjahr Jubas IL, über den Schatz des Ptolemaios IL Philadelphos, über Alexandros und seinen Arzt Philippos und über mancherlei andere Themen der griechischen und

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römisclien Geschichte, wie sie sich aus dem Verzeichnis seiner Ab- handlungen am Ende dieser Arbeit ergeben. Von den paläographi- schen Arbeiten möchte ich nur die über den Cod. Laur. 53, 35 hervor- heben, in der Rühl gegen Voigt imd Viertel erweist, daß die Hand- schrift vermutlich doch von Petrarcas Hand stamme, und sresrea Mommsen die gänzliche Verschiedenheit dieser Handschrift von der im Cod. Laur. 49, 18 aufzeigt. Die uanze Arbeit ist gegründet auf eine sorgfältige Beobachtung der einzelnen Teile der Handschriften und eine feine Beherrschung paläographischer Fragen. Auch die neuen Entdeckungen durch die Papyri .verfolgte Rühl mit d(;m aller- größten Interesse. Zu dem neuen Fragment über die Schlacht bei Artemision hat er sich ebenso geäußert wie zu den neuen Hellenica von Oxyrhynchos und zweifellos manch eine Anregung gegeben. Einmal aber stand er mitten im heftigsten Kampf der wissenschaft- lichen Welt; es war damals, als er die Autorschaft des Aristoteles für die von Ken^^on neu entdeckte ^AOrjVaiiov nolitda angriff".

]\Iau kann heute kaum mehr verstehen , warum der Streit da- mals so heftig wurde. Es war ja gegenüber den neuen wertvollen Nachrichten, die die gefundene Handschrift brachte, verhältnismäßig gleichgültig, ob der Verfasser Aristoteles gewesen ist oder nicht. Dazu hatte Rühl keineswegs den Zusammenhang mit Aristoteles ge- leugnet. Er bestritt nur, daß es sich um das bei Schriftstellern des Altertums erwähnte Buch handle, er sah in dem Werke viel- mehr einen Auszug aus jenem Buche und vermutete schließlich, daß es sich um die Arbeit des Herakleides Lembos handle. Die wissen- schaftliche Welt ist den Ausftihrungen Rühls nicht gefolgt ; und dennoch hatten wir, seine Schüler, das Empfinden, daß ihm durch, den Angriff' Theodor Gomperz' unrecht geschehen war. Rühl war keineswegs der einzige Gelehrte, der die Autorschaft des Aristoteles anzweifelte, auch englische Gelehrte, auch Cauer u. a. haben es ge- tan. Gomperz griff" allein Rühl an, und der Ton, in dem er es tat, ist schon durch den Titel seines Schriftchens angedeutet: Aristoteles' Ad^r^vaiiov TroXizela und ihr neuester Beurteiler. Rühl hat uns im Kolleg die Lektüre dieser Schrift selbst empfohlen, damit wir an ihr erkannten, was Grobheit sei. Rühls Polemik selbst war ja oft- mals auch nicht gerade zart ein Kritiker nennt einmal seine Aus- führungen gegen Wilamowitz „recht gallig" , aber hier war doch die in der Wissenschaft übliche Form von Gomperz arg verletzt. Tatsäch- lich war hier, worauf Rühl mit Recht hinweisen konnte, der gegen- sätzliche Unterschied nicht so sehr groß; ob mau glaubte, das Original mit Interpolationen und wohl auch Auslassungen vor sich

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2U haben oder einen Auszug , war gar kein so großer Unterschied. Dazu hatte sich Kühl zunächst keineswegs auf einen unbedingten oder gar rechthaberischen Standpunkt gestellt, er schrieb vielmehr am Anfang seiner ersten Abhandlung: Ich stütze mich auf den alten Satz , daß die Wahrheit nur durch den Zweifel ermittelt werden kann, und beruhige mich mit dem Gedanken, daß, wenn ein wohl- begründeter Zweifel siegreich zurückgewiesen wird, der Sache durch den Zweifler kaum ein minderer Dienst erwiesen worden ist als durch den, welcher ihn widerlegte. Die Wissenschaft sei ein Schlacht- feld, von dem niemand hoffen könne, ohne Wunden davonzukommen, hat Gottfried Hermann gemeint; aber die Kämpfer stehen sich, wie die Helden von Walhall, am anderen Tage wieder in gleicher Ehre und gleicher Kampfesfreudigkeit gegenüber.

Auf jeden Fall hat Kühl durch seine Untersuchungen manche Mängel in der Überlieferung der L4&r^vaio}v 7ioXiTeia festgestellt. Die Überschätzung, die, wie stets bei neuen Funden, auch der Ad-rjvaiwv noXizEia zuteil wurde, ist heute allgemein einem ge- rechtereu, unbefangeneren Urteil gewichen; und daran hat auch Kühl sein gut Teil Verdienst. Wie hier, so hat er auch sonst gerade durch den Angriff auf bestehende Anschauungen Gutes geleistet. So wie er als ganzer Demokrat vor allem die Mängel unseres Staats- wesens erkannte , erspähte er die Schwächen in der Position des wissenschaftlichen Gegners. Und doch ist das nicht so zu verstehen, als wenn er nicht auch anzuerkennen gewußt hätte. Wir, seine Schüler, wußten das am besten ; schon seine Art beim Examen war nicht bloß gerecht, sondern wohlwollend ; den Doktoranden wußte er durch Lob wohl zu ermuntern , und es ist manch eine Arbeit zur alten Geschichte oder zur Chronologie aus seinem Seminar hervorgegangen. Ebenso wird in seinen Publikationen oft unein- geschränkte Anerkennung ausgesprochen , ganz besonders in seinen zahlreichen Rezensionen. Auch diese zeigen den weiten Umfang seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Es sind eigentlich weniger speziell historische Schriften , die er da behandelt. Das Philologische und Paläographische wiegt vor; es interessiert ihn aber eigentlich alles. Mag es sich um eine sprachstatistische oder grammatische Arbeit handeln, um einen Bibliothekskatalog der Kgl, Bibliothek zu Brüssel oder die Handschriften Spaniens. Welchen Wert er gerade dem Studium der Schrift beilegt, ergibt sich aus seinem Bekenntnis : Alle Geschichte und Philologie geht aus von der Schrift, und ohne Ver- trautheit mit dem Schriftwesen ist daher eine vollständige philo- logische oder historische Ausbildung nicht zu erlangen.

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Und doch hat Kühl selbst auf diesem Gebiete nicht sein wich- tigstes Werk geschaften, sondern auf dem der Chronologie. Die „Chronologie des Mittelalters und der Neuzeit", die 1897 erschien, soll nach dem Vorworte „lediglich dem angehenden Historiker, dem Astronomen, dem Juristen, dorn Philologen und Theologen, über- haupt jedem wissenschaftlich Gebildeten in lesbarer Form eine dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft angepaßte Übersicht über das weite und hier und da etwas wirre Gebiet der Zeitrechnung der mittleren und neueren Jahrhunderte geben". In Wahrheit gibt das Buch viel mehr, als es die Bescheidenheit des Verfassers an- deutet; es war bis vor kurzem die einzige Darstellung des Gebietes in wirklich wissenschaftlicher Auffassung, und es ist noch heute das einzige knappe derartige Buch. Damit wird niemandem zu nahe ge- treten. Denn die anderen Werke der Chronologie, von denen mindestens eins auf großer Belesenheit beruht und reich an Einzel- heiten ist, verfolgen eben nur jenen praktischen Zweck, den RUhl allerdings auch erstrebt. Aber bei ihm tritt daneben die wirklich historische Auffassung, die die Chronologie nicht bloß als Hilfs- wissenschaft, sondern als Teil der Kulturgeschichte ergreift. Darum konnte er sich auch nicht auf den Westen beschränken, er erweckte sozusagen die byzantinische Chronologie zu neuem Leben und fügte noch entlegenere Zeitrechnungen hinzu, über die man sich sonst nur mit Mühe unterrichten kann. Es ist staunenswert, wie er ver- standen hat, den spröden, trockenen Stoff anziehend und doch klar zu schildern. Zu den einzelnen Problemen ist stets selbständig Stellung genommen; manchmal, wie für die konstantinischen In- diktionen , wird eine eigene Lösung geboten oder gar , wie beim Cisiojanus , eine neue Quelle veröffentlicht. Und wenn man die Stoffordnung des Gesamtwerkes angegriffen hat, so ist niemandem dieser Mangel unangenehmer gewesen als Rühl selbst, wie er ja in der Vorrede ausdrücklich bemerkt. Die Rücksichtnahme auf die praktische Brauchbarkeit nötigte ihn , manches zu zerreißen , was eigentlich zusammengehörte. Das ist die bittere Notwendigkeit für solche Handbücher , wenn man nicht den theoretischen und prak- tischen Teil ganz trennen will. Trotzdem heute Ginzels umfassendes Werk zur Verfügung steht, wird man gern auch weiterhin zu dem handlichen Buch von Eühl greifen, das wissenschaftliche Gründlich- keit mit praktischer Brauchbarkeit hervorragend vereinigt.

Auch fernerhin ist Rühl der Chronologie treu geblieben. Auf rein theoretischem Gebiete behandelte er den Ursprung der jüdischen Weltära, die Rechnung nach Jahren vor Christus, eine Angabe des

Nekrologe 1919. (Jahresbericht f. Altertumswissenschaft. Bd. 181 B.) 4

50 Franz Kühl.

Q, Curtius über den indischen Kalender; er lieferte die verschiedenen Artikel chronologischer Art für das Reallexikon der germanischen Altertumskunde, und noch in der letzten Zeit seines Wirkens durfte ich für meinen Lehrer die Königsberger Handschrift des Cisiojanus vergleichen. Dann aber zog es ihn auch zu praktisch chronologischen Fragen; auch da zeigt er überall seine scharfe Kombinationsgabe, sei es nun, daß er über die tyrische Königsliste des Menander von Ephesos, sei es, daß er über die Chronologie der Könige von Israel und Juda handelt. In seinem Aufsatz über die Makrobier des Lukianos wird auch der, der nicht in allen Ergebnissen die Meinung des Verfassers teilt, die feine Kombinatorik bewundern, die die Ent- stehung der Zahlenangaben des Pseudolukian zu erweisen sucht.

So hat Rühl in der Wissenschaft wie als Lehrer Wertvolles geleistet, als Freund und Kommunalpolitiker anregend gewirkt. Es ist wohl nicht zu leugnen, daß er uns Jüngeren, die wir mit unserer ostpreußischen Heimat eng verwachsen und in überwiegender Anzahl in streng nationalem Geiste groß geworden waren , seinen politischen Ideen fremder gegenüberstand. Und doch hat auch er schließlich dem preußischen Staate seine Anerkennung nicht versagt. Wenn ihn in seinen Arbeiten zur neueren Geschichte natürlich in erster Linie die Zeit Steins und Hardenbergs interessierte, so hat er doch auch beim Krönungsjubiläum am 18. Januar 1901 ge- schrieben: „Viele berechtigte Wünsche harren noch der Erfüllung. Manches, das heiß erstrebt wurde, ist verkümmert, aber die preußische Nation und das deutsche Volk blicken doch mit Freude und Stolz auf das Große und Gewaltige , das sie erreicht haben mit dem preußischen Königtum land durch das preußische Königtum, und so ist ein Jubiläum der preußischen Krone zwar ein Festtag bloß für Preußen, aber ein froher Tag für alle Deutschen." So wurde er überhaupt maßvoller, und da ihn auch die jüngeren Amtsgenossen immer mehr schätzen lernten, geschah es, daß er endlich im Jahre 1905/06 zum Prorektor der Albertus-Universität gewählt wurde.

Es war wohl seine letzte große Freude. Bald stellte sich ein immer schlimmer werdendes Augenleiden ein. Seine Sehkraft war schon lange sehr vermindert; wir Jüngeren kannten ihn eigentlich nur mit Brille und Kneifer. Vielleicht haben seine vielfachen Hand- schriften-Studien mit zur Schädigung seiner Augen beigetragen. Im Jahre 1911 legte er sein Lehramt nieder. Dieser Schritt war ihm nicht leicht; denn er hing an ihm mit ganzem Herzen, aber er folgte auch hier seinem ausgeprägten Pflichtbewußtsein: „Ich habe", sagte er in seiner Abschiedsrede, „es bemerkt, daß ich nicht mehr

Franz Rühl. 51

dazu imstande bin wenn andere das auch bemerken , dann ist es zu spät." In Jena hofl'te er Erleichterung seines Leidens zu finden, aber er hoffte vergebens. Seit Ende 1912 war er ganz er- blindet. Sein unermüdlicher Geist schaffte trotzdem weiter; er wußte alle Schwierigkeiten zu überwinden. Da brach der Weltkrieg aus, der ihn ganz besonders erschütterte. Auch seiner Familie sollte er schweres Leid bringen : der älteste Sohn wurde schwer verwundet und mußte furchtbare Schmerzen ertragen. Rühl hat auch dieses Unglück mannhaft getragen. Sein lebhafter Wunsch, das Ende des Krieges zu erleben, sollte nicht in Erfüllung gehen. Am 3. Juli 1915 ist er sanft entschlafen. Als ein aufrechter Mann, der sich in seinem Handeln und Schreiben allein von seiner Liebe zu Wahrheit und Gerechtigkeit lenken ließ , als kluger Forscher und gütiger Lehrer wird er uns dauernd in Erinnerung bleiben.

Rühls historisch-philologische Arheiten.

(Jbb. = Jahrbücher für klassische Philologie, Rh. M. = Rheinisches Museum. Die Bes])rechnngen, die ich nicht einzeln aufführe, finden sich vornehm- lich in Jl)l». 1872 18^7, in der Berliner Philologischen Wochenschrift, Jg. 1887—1898, 1900, 1903, in den Grenzboten 1872 und in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen 1883; diejenigen in den Tageszeitungen zähle ich nicht auf. Ebenso werden die Arbeiten über die neuere Geschichte in der folgen- den Zusammenstellung nicht erwähnt.)

1867: 1. Die Quellen Plutarchs im Leben des Kimon (Dissertation). Marburg. 55 S. 8**.

1868: 2. Über die Quellen des Plutarchischen Perikles , Jbb. S. 657—674.

1870: 3. Kritische Miscellen, Jbb. S. 19— 26. (Dazu Berichtigung ebda. 1871, S. 584.)

1871: 4. Die Verbreitung des Justinus im Mittelalter (Habilitations- schrift). Leipzig. £2 S. 8".

5. Zu Ammianus Marcellinus, Jbb. S. 480.

6. Zu Juvenalis, Philologus S. 676 677.

1872: 7. Die Textesquellen des Justinus, Jbb. 6. Supplemeutband S. 1—160.

8. Nachträgliches zu Justin, Jbb. S. 853 856.

9. Zu Zosimos, Rh. M. S. 159.

10. Pompejanische Nachträge, Rh. M. S. 151 153.

11. corporare, Rh. M. S. 471.

1873: 12. Über die Ammianhandschrift des Accursius, Rh. M. 337 bis 339. (Nachtrag ebda. 1875, S. 320.) 13. quum, Rh. M. S. 640. 1874: 14. Zu den vitae Juvenalis, Jbb. S. 868—869.

15. Dionysius Periegetes, Rh. M. S. 81 87.

16. Zu Eutropius, Rh. M. 639—640.

4*

52

Franz Kühl.

1875: 17, Zur Handschriftenkmide von Ciceros Briefen, Rh. M. S. 26-32, 135—136,

18. Zu tlen vitae Juvenalis, Jbb. S. 868—869.

19. Über den codex Meermannius des Anonymus Valesianus, acta SOG, phil. Lips. IV, S. 368 376.

20. Zur westgotischen Paläographie, ebenda S. 376 378. 1877: 21. Zu Plutarchs Perikles, Wissenschaftliche Monatsblätter

S. 29—30,

22. Angebliche Briefe des Cicero, ebenda S. 53,

23. Zu Xenophons IIoQOt , Jbb. S, 729—737.

24. Zu Livius, Rh, M. S. 327.

1878: 25. Ciceroniana I und II, Wissenschaftliche Monatsblätter S. 25—27, 85 (92).

26, Vermischte Bemerkungen, Jbb, S, 309 320.

27. Das Todesjahr Jubas II,, ebenda S, 542 544. 1879: 28. Zu Justiuus, Jbb, S. 92.

29. Der Schatz des Ptolemaios II, Philadelphos, Jbb, 621-628,

30. Das rhythmische Gesetz des Demosthenes, Rh. M. S. 593 bis 602.

31. Zum codex Montepessulanus des Juvenalis, Wissenschaft- liche Monatsblätter S. 139—141.

1880: 32. Porcia, Jbb, S. 147—148.

33. Thukydides über Themistokles, Jbb. S. 469—470,

34. Ein Anekdoton zur gotischen Urgeschichte, Jbb, S. 549—576.

35. Über den codex Laurent. 53, 35 nebst Nachträgen zu den neuesten Forschungen über Ciceros Briefe, Rh. M. S. 1 1—25.

36. Bemerkungen zu Xenophons Kleinen Schriften, Zeitschrift für österreichische Gymnasien S. 401 423.

1881 : 37, M, Juniani Justini praefatio ex recensione Fr, Rühl, Ind, lectt. in acad. Albertina, Sommer 1881. 38. Alexandros und sein Arzt Philippos, Jbb. S. 361 364. 1882: 39. Briefe von Chr. August Lobeck an J. H. Voß, Alt- preuIJische Monatsschrift S. 555 568.

40. Herodotisches, Philologus S, 54 77.

41. Die Sage von Gordios, Zeitschrift für österreichische Gymnasien S. 811—817.

1883 : 42. Zu den Quellen des anonymen Notars des Königs Bela, Forschungen zur deutschen Geschichte S. 602 608.

43. Der letzte Kampf der Achäer gegen Nabis, Jbb, S. 33—46.

44. Vermischte Bemerkungen, Jbb. S, 735 752,

1884: 45. Johann Jacoby, Geist der Geschichte, herausgeg, von Rühl. 1885 : 46. Justinus epit. histor. Philipp, Pompeii Trogi edidit

Fr, Rühl, Lipsiae (Teubneriana) LXII und 315 S. 1886: 47. Vier Kapitel des Justinus, Jbb. S. 365—368. 1887 : 48, Eutropi breviarium ab urbe condita. Leipzig (Teubneriana)

XIX und 90 S. 8^. 49, Nachruf auf Alfred Freiherrn von Gutschmid , Wissen-

schaftl, Beilage der „Leipziger Zeitung", Nr, 47 (15. VI.

1887).

/

Franz Rühl. 53

1888: 50. Adolf Schmidt, Handbuch der griechischen Chronohigie. Nach des Verfassers Tode lieraiisgog. von Franz Rühl. Jena 1888. XVI und 504 S. 8».

51. Vermischte Bemerkungen, Jbb. S, 113—131, 333—352.

52. Die Konstantinischen Indiktionen, Jbb. S. 789 792.

53. Bemerkungen über einige Bibliotiieken von Sizilien, Philologus S. 577-588.

54. Die Zeit des Vopiscus, Rh. M. S. 597-604.

55. Entgegnung. Zu meiner Ausgabe des Justinus, Zeitschrift für österreichische Gvmnasien S. 286 288.

1889 : 56. Kleine Schriften von Alfred von Gutschmid, herausgeg. von Franz Rühl, Bd. I. Leipzig (Teubner). XII und 574 S. 8 ^

57. Zu den mcssapischen Inschriften, Beiträge zur Kunde der indogermauischen sprachen S. 307 308.

58. Friedrich Christoph Schlosser, Nord und Süd, S. 350-371. 1890: 59. Kleine Schriften von Alfred von Gutschmid, Bd. II,

Vm und 794 S. 8 ». 1891 : 60. Einzelheiten zur Gymnasialreform. Königsberg (Pr.). 42 S. 8".

61. Ferdinand Gregorovius, Gedächtnisrede, gehalten in der Sitzung der Kgl. Deutschen Gesellschaft in Königsberg am 28. Mai 1891. Königsberg (Pr.). (HartungscheDruckerei.)

62. Die Überlieferung von Xenophons Hijiparchikos, Jbb. 53— 65.

63. 0 admirabile Veneris idolum, Philologus S. 764 767.

64. Wann schrieb Zosimus, Rh. M. S. 146—147.

65. Über die von Mr. Kenyon veröffentlichte Schrift vom Staate der Athener, Rh. M. S. 426—464.

1892: 66. Kleine Schriften von Alfred von Gntschmid , Bd. UI, VIII und 676 S. 8 ».

67. Der Staat der Athener und kein Ende, Jbb. 18. Supple- mentband ; auch als Sonderdruck erschienen. Leipzig (Teubner). 36 S.

68. Kant über den ewigen Frieden, Rede, gehalten in der Kant-Gesellschaft. Königsberg (Pr.). 15 S. 8**.

69. Die Rede gegen Philippides, Jbb. S. 44 49.

70. Zur '^d^rjvaUüV nohreia und zu Thukydides, Rh. M. S. 152—153.

71. Das Olivenorakel des Thessalos. Rh. M. S. 460.

1893 : 72. Kleine Schriften von Gutschmid, Bd. IV, VIII und 632 S. 8». 73. Die tyrisclie Königsliste des Menander von Ephesos, Rh. M.

S. 565—578. 1894: 74. Kleine Schriften von Alfred von Gutschmid, Bd. V,

XXXII und 769 S. 8».

75. Hermann Müller-Strühing. London. S. 35 50.

76. Chronologie der Könige von Israel und Juda, Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft S. 44 76.

77. Die Gründung von Tyros, Rh. M. S. 256—269.

1895: 78. Ein Brief von Friedrich Jacob an Karl Lebos, Alt- preußische Monatsschrift S. 174—176.

54 Franz Rübl.

1895 : 79. Zu Menauder von Epliosos und Laetos, Eh. M. S. 141-144. 1890: 80. Bodincus, Beiträge zur Kuude der indogermanischen

Sprachen S. 171 172, 1897: 81. Chronologie des Mittehalters und der Neuzeit. Berlin

(Reuther & Keichard). VIII und 312 S. 8 ».

82. Hermann ^lüller- Strübing in Bursians Jahresberichten, S. 88—105.

83. Der Ursprung der jüdischen Weltära, Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft S. 185 202.

84. Zu den ysovol des Julius Africanus, Jbb. S. 286 ff. 1898: 85. Zu V^elleius Paterculus, Berliner Philologische Wochen- schrift Sp. 1598.

86. Inschriften aus Eski-schehir, Mitteilungen des archäologi- schen Instituts zu Athen S. 161 162.

87. Die Abfassungszeit von Theophrasts Charakteren, Rh. M. S. 324—327.

88. ^ETTirUiog (pilo/.TiaT)]g^ Rh. M. S. 635 636.

1899 : 89. DerDeutscheOrdeni.Griechenland,Nordu.SüdS.327-341.

90. Zu den Papyri von Oxjrhynchos, Rh. M. S. 152 155.

91. Die Sabinerinnen als oratrices pacis, Rh. M. S. 816 320. 1901: 92. Zu Tacitus, Rh. M. S. 508 516.

93. Mummius Achaicus und die lex Varia, Rh.M. S. 634—635.

94. Bestimmung der antiken Münzen des Gräberfeldes bei Warengen, Sitzuugsbei-ichte der Altertumsgesellschaft Prussia (Sitzung am 18. Dezember 1896) S. 264 266.

1904: 95. Allgemeine Deutsche Biograj)hie, Bd. 49. Lebens- beschreibung von V. Gutschmid. 1905 : 96. EbendaBd. 50. Lebensbeschreibung von Gustav Hirschfeld. 97. Über den Begriff der Weltgeschichte , Deutsche Revue 1905, S. 1—13. 1906: 98. Herakleides von Mylasa, Rh.M. S. 352—359.

99. Die Zeitansätze das Hellanikos, Rh.M. S. 473-476. 100. Die Rechnung nach Jahren vor Christus, Rh. M. S. 628-629. 1907: 101. Zu den scriptores historiae Augustae, Rh.M. S. 1 8.

102. Varia, Rh.M. S. 309—311.

103. Die Makrobier des Lukianos, Rh. M. S. 421—437. 1908: 104. Über einige Anregungen zum Studium der deutschen

Geschichte, Altpreußische Monatsschrift S. 441 452. 105. Q.Curtius über den indischen Kalender, Rh.M.S. 158-160. 1909: 106. Noch einmal die Makrobier des Lukianos, Rh.M. S. 137

bis 150, 336. 1910: 107. Sur un manuscript n^glig^ de Justinus, Melanges offerts

h M. Emile Chatelain, membre de l'Iustitut, par ses

elcves et ses amis, 15 avril 1910. Paris. 1912: 108. Varia, Rh.M. S. 153—173. 1913 : 109. Reallexikon der germanischen Altertumskunde, herausgeg.

von J. Hoops. Straßburg i. E. Artikel „Festzeiten". 100. Randglossen zu den Hellenika von Oxyrhynchos, Rh. M.

S. 161—201.

Franz Rühl. 55

1914: 111. Reallexikon a. a. 0. Artikel „Indiktion", „Jul.".

112. Die Interpolationen in Prokops Anekdota, Rh. M. S. 284 bis 298. 1915 : 113. Reallexikon a. a. 0. Artikel „Lunarbuchstaben", „Monat", „Mondzirkel", „Ostern", „Quatember".

114. Xenophons scripta minora. Leipzig (Teubneriana). XXIV und 200 S. 8".

115. Vom Cisiojanus, Altpreußiscbe Monatsschrift S. 68 75. 1 16. Die griechischen Briete des Brutus, Rh. M, S. 315 325.

1916: 117. Justus von Tiberias, Rh. M. S. 289—308.

Rudolf Hirzel.

Geb. 20. März 1846, gest. 30. Dezember 1917.

Von Benno v. Hagen in Jena.

Rudolf Hirzel hat schlecht für seinen Ruhm gesorgt. Bei Lebzeiten ist der in stiller Zurückgezogenheit schaffende Gelehrte nur mit seinen Werken, fast nie mit seiner Person an die Öffentlichkeit getreten. Eine „Schule" im gewöhnlichen Sinne des Wortes hat er als akademischer Lehrer nicht gehabt. So außerordentlich der Umfang seiner zahlreichen Bücher und Aufsätze ist, so wenig im Verhältnis zu anderen sind sie besprochen worden. „Sie machen ja ordentlich Reklame für Ihren alten Lehrer," schrieb er mir, als ich seinen „Plutarch" angezeigt hatte. Irgendwelche Veranstaltungen zu seinem 70. Geburtstage hatte er abgelehnt. Sein Tod fiel in schwere Kriegszeit; wie Schiller ist er „ohne Aufsehen zumachen" von hinnen gegangen. Warme Worte zu seinem Gedächtnis hat Alfred Körte am 14. November 1918 am Leibuiztage in der Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften dem Sohne der Stadt Leipzig gewidmet^).

Manche Anregungen und Einzelheiten verdanke ich dem engeren Kollegen Hirzels , Herrn Geheimen Rat Professor Georg Goetz in Jena, der mir auch liebenswürdig Einblick in Hirzels nachgelassene Dokumente gewährte. Dank schulde ich ferner für persönliche Mit. teilungen der Witwe des Verstorbenen, Frau Dorothea Hirzel. Biblio- graphische Beiträge lieferte mein Kollege Ths. Otto Achelis in Hadersleben. Wesentliche Dienste hat mir Körtes „Schriften- verzeichnis" am Schlüsse der genannten Abhandlung getan. Persönlich habe ich Hirzel seit 1903 gekannt.

Das Bild, das ich von dem eigenen Manne aus der Begegnung und dem Studium seiner Werke empfangen habe, lebendig zu machen, soll Zweck dieses Nachrufes sein. Wer je auch nur einen der kürzeren Aufsätze Hirzels gelesen hat, weiß, welche Mühe es macht, eine Inhaltsangabe zu schreiben. Mehr als eine Rücksicht ver- bietet mir, Hirzels Schriften auch nur in gröbsten Umrissen inhaltlich hier wiederzugeben. So muß ich mich beschränken, zu zeigen, wo-

1) Ber. d. Sachs. Ges. d. W. Philol.-hist. Kl. 70. Bd. (1918) 7. 16 S.

Rudolf Hirzel. 57

her Rudolf Hirzel gekommen ist, in welcher Lebensluft er Wachstum und Gedeihen fand, welche Eigenart in der Arbeit ihn auszeichnete. Wie wesentlich auch für Kudolf Hirzel sein Erbe von Vater- und Mutterseite gewesen sein mag, nicht woher er kam, machte ihm seine Ehre, sondern wohin er ging. Sein Weg aber war der „des ewigen Lesens und Lernens" ^). Zum Worte Solons yi]Qäo/uo d alel icoXXct didaOÄ.Of.ievog hat er sich ausdrücklich bekannt. (Rede zur akademischen Preisverteilung Jena 1905, S. 21^)

I. Hirzel in Leipzig (184« 86).

Mein Leipzig lob ich mir! Es ist ein klein Paris und bildet seine Leute.

Hirzels Vater Salomon Hirzel (13. Februar 1804 bis 8. Februar 1877) war einer der feinsten Köpfe des deutschen Buchhandels, einer von jenen, deren Wirken nicht untergeht, weil es tausend- fache Spuren hinterlassen hat. Die Beschäftigung mit dem Leben dieses Mannes, das vielleicht Otto Jahn zu schreiben berufen ge- wesen wäre und das wenigstens für die Jugendjahre Anton Springer'^) in einem reizvollen Büchlein gezeichnet hat, war mir genuß- und gewinnbringend ^) : Anlagen und Züge im Wesen des Sohnes er- halten von hier aus bessere Beleuchtung. Der Sohn des Chorherrn und Professors der Kirchengeschichte Heinrich Hirzel (1766 1833) in Zürich*) atmete schon als Knabe die „Lebensluft" der Familie, die Literatur , und erbte von dem Herausgeber der Briefe Goethes an Lavater die Neigung zur wissenschaftlichen Durchdringung Goethes. 1823 nach gediegenster humanistischer Vorbildung für den Buch- händlerberuf entschlossen, fand er in Berlin in G. A. Reimer einen vorbildlichen Geschäftsleiter, gleichzeitig aber auch Lebensbedingungen, wie sie nur wenigen in so jungen Jahren beschieden sind: Karl Baedeker wurde ihm Freund und Berater, zu Schleiermacher, Arndt, Chamisso trat er in Berührung, Immanuel Bekker las dem Wissens- durstigen ein Privatissimum über Demosthenes I Die prächtige

^) Vgl. G. Goetz im Vorwort zu Hirzels nachgelassener Schrift „Der Name" (1918).

-) A. Springer, Der junge Hirzel 1883, als Manuskript für seine Freunde gedruckt.

^) Ein knapper Abriß offenbar von G. Frejtag findet sich auch in der Illustrierten Zeitung I Nr. 1281 vom 18. Januar 1868.

*) Allein fünf Bürgermeister hat das Geschlecht der Hirzel der Stadt Zürich geschenkt. Schon 1637 war ein Salomon H. Bürgermeister von Zürich. „Eins der schönsten und reichsten Dörfer" am Züricher See trägt den Namen Hirzel, vgl. R. Hirzel, Der Name, S. 59.

58 Rudolf Ilirzel.

'Wohmiug Reimers in der Wilhelmstraße war der Mittelpunkt aller wisseuscliaftlichen und künstlerischen Strebungen des damaligen Berlins. Nach einer weiteren gründlichen Ausbildung iu der "Winterschen Buchhandlung in Heidelberg verheiratete er sich (24. Juli 1831) mit Anna Reimer, der Tochter G. A. Reimers, und übernahm zusammen mit seinem Schwager Carl Reimer die Weidmannsche Buchhandlung in Leipzig, die er seit Januar 1853 nach dem Aus- scheiden Reimers selbständig unter der Firma S. Hirzel weiterführte. Aus der p]he sind drei Kinder hervorgegangen : Heinrich Hirzel, geb. 11. Oktober 1836, der spätere Inhaber des Geschäftes, Ottilie Hirzel, geb. 24. Dezember 1838, die spätere Gattin Adolf Toblers^), und Rudolf Jakob Salomon Hirzel, geb. 20. März 1846.

Rudolf Hirzels Mutter Anna geb. Reimer stammte also aus einer der angesehensten Familien Berlins. Seinen Großvater G. A. Reimer, der 1842 gestorben war und nahe Schleiermacher ^), dessen „Monologe" er bereits 1801 verlegt hatte, begraben liegt, hat der junge Rudolf nicht mehr gekannt. Das Bild des wehr- haften Freiheitskämpfers, der 1813 mit 36 Jahren freiwillig ins Feld gerückt war, das große Geschäft, sechs Kinder und die Fi-au in Berlin zurücklassend , mag noch lange seiner Tochter Anna in der Erinnerung vorgeschwebt haben, dem Knaben Rudolf ein ent- scheidender Jugendeindruck gewesen sein.

Salomon Hirzel ist in den fast 50 Jahren , die er in Leipzig verbracht hat, der Mittelpunkt des Buchhandels und der Gelehrten- welt zugleich gewesen, eine Vereinigung, die für ihn charakteristisch war und dem großen Verkehrskreis, den er bis in sein hohes Alter liebevoll pflegte, reichen Segen brachte^). Keiner hat diese Leip- ziger Welt treffender und anziehender geschildert als Gustav Frey- tag*). „Das Herz des deutschen Verkehrs und der Mittelpunkt des gesamten deutschen Buchhandels" erfährt hier eine so lebendige

^) Ihm hat Rudolf Hirzel seine „Themis" (1907) zugeeignet.

2) S. (t 1834) wohnte die letzten 17 Jahre seines Lebens im Reiraerschen Hause.

8) Otto Jahn, Biogr. Aufsätze (1866) S. 210 f.

-*) G. Frey tag, Biographie Karl Mathys (2. Aufl. 1872) S. 896 f. Über Freytags Anhänglichkeit an seinen Freund und Verleger vgl. Ges. Werke I 186 f. sowie die Zueignung der „Bilder aus der deutschen Vergangenheit". Über Salomon Hirzels Freundschaft mit G. Freytag, insbesondere über den geselligen Stammtisch im „Kitzing" (einem Bierhaus der Grimmaischen Straße) vgl. J. v. Eckardt, Lebenserinnerungen (Leipzig 1910) 1. Band, 2. Kapitel ein feines Buch, auf das mich Rudolf Hirzels (dritter) Nach- folger in Jena, Prof. /ucker, freundlich aufmerksam machte.

Rudolf Ilirzel. 59

Würdigung, daß wir uns kein besseres Bild von jenem Leipzig machen können, in dem Kudolf Ilirzel seine Jugend verbrachte. „Wohlgerühmt in aller Welt ist auch der kräftige Bürgersinn der Leipziger, sie sind stolz auf die Ehren ihrer Stadt, gemein- nützig, gastfrei und anerkennend für alle Tätigkeit: nicht häufig ist hier zusammengeballter Reichtum , aber weit verbreitet bis in die Kleinbürger blühender Wohlstand, ein arbeitsames, familien- frohes und gescheutes Wesen , nicht nur der Kaufleute , auch der Gelehrten und Künstler; denn die Musik ist hier altheimisch, wo Bach Orgel spielte und Mendelssohn am liebsten weilte, die Uni- versität zählt zu den größten in Deutschland , das Theater hat seit den Tagen der Neuberin und Gellerts mehr als einmal Bedeutung für Schauspielkunst und Poesie gewonnen." ") Überaus reich ist die Tätigkeit, die Salomon Hirzel in Leipzig als Verleger und Sammler entfaltet hat. Ich will hier nur daran erinnern, daß Mommsen ^) nach eigenem Geständnis ohne die Aufforderung und den Antrieb der „Weidmänner" so hießen S. Hirzel und C. Keimer im Freundeskreise niemals die „Römische Geschichte" geschrieben hätte ^j. Das unvergänglichste Denkmal setzte der Opfer- willigkeit und wissenschaftlichen Neigung S. Hirzels Jacob Grimm in der Einleitung zum „Wörterbuche" (März 1854): „vielleicht gibt es in unsrer ganzen literatur noch kein beispiel einer so auf- opfernden anhänglichkeit, wie sie Hirzel dem in sein theil ge- fallenen Wörterbuch überall sinnig betätigt : er liest jeden bogen vor dem abdruck durch und seine Vertrautheit mit der spräche und den dichtem, zumal aber, wie man weiß, mit Goethe, flöszt ihm lauter feine bemerkungen ein". Die schöne Ausgabe endlich der Briefe Heinrich von Treitschkes, von der bis heute drei Bände vor- liegen (Leipzig, S. Hirzel, 1913 17), ermöglicht, die jahrelangen innigen Beziehungen Treitschkes^) zu S. Hirzel genau nachzuprüfen. Jeder dieser Briefe gewährt einen Einblick in Hirzels vornehme Art, die frei von jeder geschäftsmäßigen Schablone und Gewinn- sucht in wahrhaft vorbildlicher Weise wissenschaftliche und prak-

') Vgl. damit S. Hirzels ergötzlichen Brief über Leipziger Leben vom 12. Oktober 1823 an seinen Freund Ilorner bei A. Springer a. a. 0.

'^) Mommsen heiratete am 10. September 1854 Marie Reimer, Carl Reimers Tochter, die Nichte von Salomon Hirzels Frau.

^) Brief an G. Freytag, abgedruckt in der Nationalzeitung, Morgen- ausgabe, Berlin, 17. November 1903 (56. Jahrg. Nr. 606). (Mommsen starb 1. November 1903.)

*) Vgl. u. a. Treitschkes Widmung seiner „Politischen und historischen Aufsätze".

ßO Rudolf llirzel.

tische Arbeit zu verknüpfen wußte. Eine Fülle von Werken ersten Ranges hat dieser Verlag hervorgebracht, bis an sein Lebensende hat S. Hirzel an der. Spitze des Geschäftes gestanden , erfüllt von jener herzgewinnenden Liebenswürdigkeit, die es verstand, „alle Bekannten zu Freunden zu machen". „Zart und warm, fest und ehrlich , heiter und energisch in Haus und Freundschaft, bewahrte er glücklichen Idealismus und jugendliche Rüstigkeit noch als Siebzigjähriger".') Durch seine ganze Leipziger Zeit aber be- gleitete ihn sein Goethestudiuni. Es war ihm „Herzenssache und Gottesdienst" (A. Springer). Dabei besaß der Mann, den wir als den eigentlichen Pfadfinder zur Goethephilologie anerkennen müssen, jene selbstlose Bescheidenheit, die mit der eigenen Person völlig zurücktritt: sowohl seine drei Verzeichnisse „einer" Goethebibliothek ^) wie sein Lebenswerk „Der junge Goetlie" erschienen anonym^), nur die Einleitung trägt den Namen von Michael Bernays^). An dem Sammler Hirzel rühmen die Freunde neben unermüdlichem Eifer vor allem seine Freigebigkeit; anderen mit seinen Sammlungen zu helfen, genügte ihm. Er war „mehr Schatzgräber als grimmiger Schatzhüter" , sagt Springer von ihm. Seine Leistung für Goethe flößt uns Späteren, die wir die Jubiläumsausgabe besitzen, Be- wunderung ein. Indes „man sollte die Mißwörter Goethekenner, -forscher, -Verehrer nur noch zu Zwecken humoristischer Verhöhnung gebrauchen" ^). Diese Mahnung seines treuen Arbeitsgenossen M. Ber- nays mag uns vor Superlativen bewahren , die uns nur zu leicht zum Ruhme Salomon Hirzels in die Feder kommen. Abhold allen äußeren Ehren hat ihn nichts so erfreut wie die Doktorwürde h. c, die ihm die Leipziger Philosophenfakultät am Tage der 100. Wieder- kehr von Goethes Immatrikulation in Leipzig (1865) verlieh.

Die Erinnerung an die eigenartige Doppelstellung dieses rastlosen und reichen Lebens bewahren noch heute zwei berühmte Leipziger Stätten: die Buchhändlerbörse ziert sein Bildnis, die Universitäts- bibliothek seine Goethesammlung, die er ihr im Testament vererbte.

„Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt." Dies Wort der Iphigenie , das Rudolf Hirzel für Plutarch in Anspruch nahm, gilt für ihn selber. Leben und Wirken des Vaters berührte auch ihn,

») Dove in der Allg. Deutschen Biographie XII (1880) S. 502.

■^) 1848, 1862 und 1874 erschienen.

3j Erst in der 2. Auflage 1887 ist der Name S. Hirzel auf das Titel- blatt geltracht worden.

*) Vgl. Hirzels Brief an Bernays vom 18. September 1875 bei L. Geiger, Goethe-Jahrbuch XXI (1900) S. 204 f.

^) Bernays bei M. Lazarus, Lebeuserinnerungen, Berlin 1906, S. 279-

Rudolf Hirzel. 61

dessen Freunde wurden seine Meister und Vorbilder , dessen Neigungen seine Neigungen. Nicht unwesentlich mag rein äußerlich zu dem nahen Verhältnis von Vater und Sohn beigetragen haben, daß Rudolf Hirzel, als der Vater (1877) starb, noch immer im Elternhause wohnte, das er nur während der Studienjahre verlassen hatte. Zum Vater hat er noch als Siebzigjähriger wie zu einem unerreichbaren Vorbild ^) aufgesehen. Seine Belesenheit, sein Ge- schmack und nicht zuletzt sein schalkhafter, nie verletzender Humor waren Erbstücke des Vaters. Ein Unterschied bleibt, wenn mau Kudolf Hirzels Leben als Ganzes betrachtet: es floß abgesehen von dem Feldzug 1870 ruhiger dahin, die großen Anstöße von außen, die den Vater bewegten, fehlen bei ihm. Die Berufung nach Jena ^) (1886) läßt eine Einteilung seines Lebens in zwei Hauptabschnitte als die natürliche erscheinen.

Indem wir eingehender, als es sonst üblich ist, Wesen und Wirken des Vaters geschildert haben, besitzen wir den Hintergrund, auf dem sich Rudolf Hirzels Leben bis in die Mannesjahre ab- gespielt hat. Was wir von seiner Schul- und Universitätszeit mit- teilen, beruht auf Einsicht in die Akten. Die Elemente hat der Knabe auf der Privatschule des mit dem Vater befreundeten Dr. Hartmeyer gelernt. Für den Freund wahrer humanistischer Bildung war es selbstverständlich , daß Rudolf die Thomasschule besuchte. Wie lebhaften Anteil Hirzel allezeit an der Gestaltung eines mög- lichst klassischen Gymnasialunterrichtes nahm, kann ich aus eigener Erfahrung bezeugen. Das Reifezeugnis, das neben der Unterschrift seines Direktors Eckstein, dessen er in der Vita seiner Dissertation gedenkt, u. a. auch die von Hildebrand trägt, bei dem er gründlich die hebräische^) Sprache erlernte, hebt, das übliche Maß der An-

^) J. V. Eckardt, Lebenserinnerungen I S. 51 bezeugt die über- ragende Stellung S. Hirzels im Leipziger Freundeskreise.

2) Sie fällt genau in die uxf^r]. Wie ernsthaft sich H. mit der Be- deutung der 40 beschäftigt hat, zeigt seine sehr lesenswerte Abhandlung über „Rundzahlen" (1885) in den Ber. d. Sachs. Ges. d. AV. Philol.-hist. Kl. XXXVII S. 1—74.

^) Die Neigung für das Hebräische kann man wohl als Familien- tradition bezeichnen. Hatte doch der Großvater Heinrich Hirzel die theo- logische Vorliebe zwei Söhnen vererbt, dem Prediger an der reformierten Gemeinde zu Leipzig Heinrich Hirzel (1794 1843) und dem bekannten Hebraisten Ludwig Hirzel (1801 41). Noch in seinem Alter, auf dem Krankenbette, hat Rudolf Hirzel jahrelang, Tag für Tag, als erste Morgen- arbeit zwei Stunden Altes Testament im Urtext gelesen. Seine Bibel- kenntnis machte jedem Theologen Ehre, vertraute Kenntnis der Lutherbibel

62 Eudolf Iliizel.

erkeunuug weit übersteigend , die außergewöhnlichen Fähigkeiten des jungen Mannes hervor. Es heißt da unter dem 18. März 1864: „tenipusque illud scholasticum ita transegit, ut mores et vitam repreheudendi numquam locum fecerit, in publica vero doctrinae suae exploratione is sit inventus , qui iam venia ad interiorum litterarum studia in academia se applicandi impriniis dignus censeri possit atque debeat. " Der Student verbrachte die beiden ersten Semester in Heidelberg, dessen landschaftliche Keize ihn mächtig anzogen. Seine Universitätspapiere melden, daß er ausschließlich bei Küchly hörte , u. a. Euripides' Hippolytos und eine Einleitung in das Studium Homers. Im August 186-4 hat Rudolf in Begleitung seines Bruders Heinrich, offenbar auf einer Schweizerreise, Treitschke in Freiburg i. Br. besucht^).

Im Frühjahr 1865 bezog Hirzel die Universität Göttingen. Die vier Semester, die er hier verbrachte, waren ertragreicher und führten ihn in die wirkliche philologische Arbeit ein. Die Freund- schaft des Vaters mit Sauppe bahnte ihm den Weg. Die bekannte Sammlung griechischer und lateinischer Ausgaben mit deutschen Anmerkungen von Sauppe iind Haupt hatte S. Hirzel verlegt. Ich erinnere mich , mit welcher Wärme Hirzel im Kolleg von Sauppe sprach und wie er sich freute , als ich einmal eine Stelle aus dem Platonischen Gorgias nach Sauppes Ausgabe zitiert hatte. Das Pietätsverhältnis beleuchten am besten die Widmung seiner Disser- tation „Salomoni patri Hermanno Sauppe praeceptori" und die herzlich-bescheidene Weise, mit der er bei Sauppes 70. Geburtstag (1879) seinen gelehrten Beitragt) zur Festschrift einleitet: „repe- tenti . . mihi memoriam earum omuium necessitudinum , quibus tecum inde a parentibus meis coniunctus sum" sowie das dankbare Bekenntnis des Schlußwortes: „laeto tamen et grato animo semper profitebor in his litteris si quid valeo id totum tu um esse". Neben dem Seminar hat er in Göttingen wohl alle Vorlesungen Sauppes gehört, im S. S. 1865 u. a. das Gastmahl des Piaton, das später unter seinen eigenen Vorlesungen oft wiederkehrte. Nicht gering anzuschlagen ist auch die Wirkung Lotzes, den er neben den Philologen v. Leutsch und Curtius hörte. Die Akten melden, daß er auch die Vorlesungen von Waitz (Deutsche Geschichte) und W. Müller (Gotisch, altdeutsche Dichter) besuchte, wie denn Hirzel

verraten seine Werke. Der Geistliche erzählte an seinem Sarge, wie oft seine Bibel gebunden werden mußte so zerlesen war sie jedesmal.

') Dieser schreibt darüber an S. Hirzel unter dem 21. August 1864.

^) De logica stoicorum, Satura philol. Herrn. Sauppio obtulit amic. coli, decas, p, 61 78.

Rudolf Hirzel. 63

allezeit der größte Gegner bloßen Fachstiuliunis gewesen ist und trotz ausgesprochener Vorliebe für griechisclie Literatur und »Sprache niemals die Römer vernachlässigte. Auch hierin mag ihm Sauppe Vorbild gewesen sein.

Den Abschluß der Studienjahre brachten die Semester in Berlin, die ganz im Zeichen der Doktorarbeit standen. Damals legte er den Grundstein zu seinen ausgedehnten Platontbrschungen, die letzten Endes doch im Mittelpunkt seiner ganzen Gelehrtenarbeit stehen. Wenn Hirzel vom Sommer 1867 an in Berlin studierte, so waren auch hier für seine Wahl persönliche Beziehungen der Familie, ins- besondere die verwandtschaftlichen zu Moramsen (vgl. S. 59, 2) und die freundschaftlichen zu Hauj)t ausschlaggebend. Haupt, der Nachfolger Lachmanns, lehrte hier seit 1853. Dessen Kollegien mögen ' später auf Hirzels eigene stark gewirkt haben , Sophokles' Elektra (S. S. 1867) und Aristophaues' Acharner (W. S. 1867/68) ge- hörten in Jena zu Hirzels besten Vorlesungen. Wie er früher in Göttingen bei Sauppe auch die Römer gepflegt hatte (Plautus und Terenz), so hörte er jetzt bei Haupt Properz und Catull, bei Mommsen, den er über alles schätzte und dessen Bild in Jena in seinem Zimmer hing, lateinische Epigraphik. Am 29. Juli 1868 wurde er in Berlin auf Grund seiner Abhandlung „De bonis in fine Philebi enumeratio" zum Doktor promoviert. Ein sehr verwickeltes Problem ist hier in einem reinen und sicheren Latein allerdings mit ziemlicher Breite , aber erfolgreich behandelt. Der Rezensent in Zarnckes Literar. Centralblatt (1869) Sp. 1327 f. mißt der Arbeit „bleibenden wissenschaftlichen Wert" bei und rühmt die „Strenge der philologischen Methode und den philosophischen Scharfsinn".

Vom 1. Oktober 1868 bis 30. September 1869 diente Hirzel als Einjähriger beim Schützenregiment in Leipzig. Unter seinen Papieren fand sich noch die „(.Qualifikation zum^ Avancement" vom 30. September 1869. Die nun folgenden Vorbereitungen für die Habilitation, die er im Elternhause in der Königstraße traf, wurden im Juli 1870 durch den Kriegsausbruch jäh unterbrochen. Als Unteroffizier d. R. trat Hirzel bei dem inzwischen nach Dresden verlegten Schützenregiment ein und machte in dessen Reihen den Feldzug mit. Sein handschriftlich erhaltenes „Tagebuch" und seine Feldbriefe ^) ermöglichen ein sehr genaues Bild von seinen Schick- salen in Frankreich. Er war ein begeisterter Soldat, wenn ihn auch die rohen Sitten der Kameraden und das „viehische Leben"

n

') Ohne Wissen des Verfassers in Druck gegeben durch H. H. Leipzig, Weihnachten 1881.

g4 Rudolf Hirzel.

oft anekelten. Die Tage von Beaiimont und Sedan erlebte er mit der Seele. „Mit nichts ließe ich mir die Ehre bezahlen, an ihnen teilgenommen zu haben", schreibt er nach Hause, und bis ins Alter stand er zu diesem Bekenntnis ^). Die Feldbriefe verraten übrigens zwei, wie mir scheint, für Hirzel charakteristische Züge: einen liußerst launigen Humor ^), der sich in einem Dutzend hübscher "Wendungen belegen ließe, und seine besondere literarische Vorliebe, die ihm über die Langeweile des Vorpostendienstes vor Paris hin- weghalf. Eine kleine französische Bibliothek erlesener Autoren hatte er sich hier zusammengeräubert. Voltaire, Montesquieu, Lafontaine, Rousseau liest er mit Begeisterung, besonders gefällt ihm in Chateau- briands Reise nach Jerusalem die Schilderung Griechenlands. Auch vom Faust läßt er sich wieder und wieder erwärmen, wie er denn schon am 28. August als rechter Sohn seines Vaters in Dna s. M. Hermann und Dorothea hervorgeholt hatte , so elend das Quartier auch gewesen sein mochte. Auch seine Liebe zu Piaton blieb ihm im Felde. Wie temperamentvoll verteidigt er sich (S. 36 ff.) in einem liebenswürdigen Schreiben an den Bürgermeister (Stephan! in Leipzig) gegen dessen Behauptung, zum rauhen Kriegshandwerk tauge kein Platostudium ! Piaton und Sokrates waren ihm auch als ehrliebende Soldaten Vorbild , gerade die Vereinigung soldatischer Tapferkeit und literarischen Talentes zog ihn mächtig an, unter den Deutschen bei keinem mehr als bei Theodor Körner^). Im Oktober war Hirzel zum Leutnant befördert worden , am 2. Dezember traf ihn die feindliche Kugel und verwundete ihn an Brust und Arm, am gleichen Tage ebenfalls vor Paris hatte G. Goetz , sein

*) Wie kerndeutsch und mannhaft er dachte, zeigt seine prachtvolle „Rede zur Feier des Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches" in der Kollegien- kirche zu Jena (18. Januar 1896), 29 S. Gewiß bedauert er, daß damals manche schöne Hoflfnung der Wissenschaft geknickt wurde, aber „die Wissen- schaft verlor, was das Vaterland gewann". Voll Stolz preist er ebenda das deutsche Straßburg und die ihm selbstverständliche Pflicht Deutsch- lands, „was es zu Rechten erworben hat, sich nicht abermals entreißen zu lassen". Wem fiele bei diesen Worten nicht die inhaltschwere Rede seines Schwiegervaters A. Springer ein, die dieser 1872 bei der Eröffnung der deutschen Universität Straßburg gehalten hat!

^) Als der Liebesgaben gar zu viele ankommen, schreibt er S. 46: „Ihr seid schuld, wenn es mir wie den Kannibalischen Kriegern vor Capua ergeht, wenn ich verweichliche und in dem nächsten Gefechte, statt tapfer standzuhalten, feige davonlaufe."

') Auch diese Neigung scheint mir väterliches Erbe zu sein. Von des jungen Salomon Schwärmerei lür Körner berichtet A. S])ringer, Der junge Hirzel S. 30 f.

Rudolf Ilirzel. 65

späterer Kollege io Jena, dasselbe Schicksal ! Damit war für Hirzel der Feldzug beendet. Vom Bruder in Halle am Transportzug in Empfang genommen fand er im Elternbaus in Leij)zig Heilung und Genesung und konnte im Frühjahr 1871 unter den glück- verheißenden Auspizien des Frankfurter Friedens die unter- brochene Arbeit wieder aufnehmen, sich flir seinen Lebensberuf vor- bereiten. „Über das Rhetorische und seine Bedeutung bei Plato" heißt der Titel der gelehrten Schrift, auf Grund deren er sich noch im Herbst 1871 an der Universität in Leipzig habilitierte. Die Abhandlung ist sehr bezeichnend für Hirzels Art ^). Ein fest- gewurzeltes Dogma festgewurzelt durch die Autorität mancher Größen galt es zu prüfen und zu erschüttern, landläufige Argu- mente, die durch Quantität wirken, durch sorgfältiges Sammeln ge- ringer Spuren, deren Qualität er bewertet, zu diskreditieren. So wird das ungünstige Urteil Piatons über die Rhetorik als relatives erwiesen und der Nachweis erbracht, daß Platon „die Rhetorik keines- wegs vom Gebrauch des Philosophen ausschließen wollte , daß er zwar Belehrung und Überzeugung als Hauptaufgabe desselben be- trachtete, daß er aber auch die Überredung, ja die Lüge unter ge- wissen Umständen und zu gewissen Zwecken für erlaubt hielt", daß mit anderen Worten Piatons Kampfstellung gegen die Rhetorik im Gorgias cum grano salis zu verstehen sei. Besonders wertvoll an dieser Abhandlung ist noch heute die Untersuchung über die von Platon verwandten Mythen und deren besondere Zwecke, wobei sich philologische Methode und philosophischer Scharfsinn glücklich ver- einigen.

Bald nach der Habilitation hat Hirzel zur Erholung und eigenen Vertiefung eine lange Reise nach Italien ^) angetreten , die ihn bis

^) Wenn die persönliche Erinnerung gestattet ist, ich werde es Hirzel immer danken, dafs er mir als Studenten ein Thema stellte (aus dem schliefs- lich meine Doktorarbeit hervorgegangen ist), das grofse Ähnlichkeit mit dem von ihm selber 1871 behandelten hatte und mich oft genug auf seine Habilitationsschrift geführt hat. Zum Problem vgl. jetzt Wilamowitz, Platon (1919) II 106.

2) Nach Italien ist er noch zweimal gezogen, im Anfang der 80er Jahre nach Oberitalien und 1895 (mit seiner Gattin) nach Venedig. Nach Griechen- land machte er zwei Reisen, beide mit seinem Freunde V. Gardthausen. Hirzels erste griechische Reise (1898) war die Osterreise des Archäologischen Instituts von Athen (vgl. Dörpfelds Bericht darüber im Jahrb. d. Arch. Inst. 1898, Anzeiger, S. 145 f.). L. v Sybel, der bereits 1872 mit Hirzel den Ritt durch Sizilien gemacht hatte, war auch sein Begleiter auf dem Ritt durch den Peloponnes ; Gardthausen stiefs erst in Olympia zu den Freunden. Im Anschlufs daran unternahmen die drei eine Rundfahrt nach den Inseln

Nekrologe 1919. (Jahresbericht f. Altertumswissenschaft. Bd. 181 B.) 5

66 Rudolf Hirzel.

Sizilien führte und erst im Juli 1872 ihren Abschluß fand. Bis in sein Alter 1912 war er noch in Berchtesgaden war Hirzel ein warmer Freund des Reisens , und es war erquickend , ihn von Reisen erzählen zu hören: das literarische Bedürfnis befriedigte er dabei stark, nicht nur, daß er gerade auf Reisen „zur Erholung" neuere Sprachen trieb, u. a. Holländisch und Spanisch, oder am Vierwaldstättersee besonders gern seinen „Teil" las, auch die Stätten, die ein guter Mensch betrat, zogen ihn mächtig an, vor allem in seiner geliebten Schweiz, in die es ihn fast alle Sommerferien trieb. Wie schwärmte er dann von seinen Seen und Bergen ! Schwimmen und Bergesteigen erfrischten ihn jedesmal und ließen ihn und seine Umgebung vergessen, daß er elf Monate des Jahres am Schreibtisch verbracht hatte ^). So mag er auch 1872 im Vollgefühl der wiedererlangten Kraft aus dem sonnigen Süden zurückgekehrt sein. In glücklicher Zeit begann er nunmehr seine akademische Lehrtätigkeit.

Rastlose Arbeit bei peinlichster Zeiteinteilung war seine Losung. Was sein Großvater Heinrich Hirzel 1823 dem jungen Salomon nach Berlin schrieb „die Hauptsache ist, daß man immer viel Zeit vor- rätig habe und wenig Zeit verschleudere" ^), wurde des Enkels zäh

und Küstenplätzen der Ägäis, bei der besucht wurden Sunion, Marathon, Eretria, Andres, Delos, Faros, Naxos, Thera, Melos, Porös, Agina, Smyrna und Ephesus. Nach Athen zurückgekehrt hatte Hirzel mit den Freunden das Glück, an Bord eines griechischen Torpedobootes die Insel Salamis zu um- fahren, wobei sie sechsmal auf der Insel landeten. Unter Dörpfelds Leitung ging es sodann mit etwa zwanzig weiteren Teilnehmern nach Troja, wo sie in den Schliemannschen Baracken wohnten. Über Konstantinopel kehrten die Freunde heim; Hirzel wählte mit Sybel den Weg über Constanza. Die zweite griechische Reise (1908), die er mit Gardthausen allein unternahm, ging von Athen aub, wo sie in den Häusern von Dörpfeld und Lüders ver- kehrten. Auf ihr hat H. Marathon, Ägina, Salamis und Chäronea be- sucht; das Plutarchbuch bringt stark perbönllche Eindrücke aus Böotien. Dann ging es nach Knossos auf Kreta und über Smyrna „zu Pferd über alten Meeresboden" nach Priene. Die Heimreise führte über Akrokorinth, Korfu und Salona nach Pola. Hirzel besuchte damals auch Aquileja. (Nach liebenswürdiger Mitteilung von Prof Gardthausen.)

^) Nie werde ich vergessen, wie wohlgemut er von solchen Reisen nach Jena zurückkehrte, noch im September in der Saale badete und von Weins- berg oder Marbach schwärmte, wo er seine „guten Freunde" J. Kerner oder Schiller „aufgesucht" hatte. Begeistert sprach er übrigens jederzeit vom „Baedeker", dessen wissenschaftliche Art er auch im Kolleg rühmte. Auch manches schnurrige Reiseerlebnis hielt er im Gespräch oder Kolleg fest, wie er denn überhaupt nie als typischer Buchgelehrter wirkte.

2) A. Springer a. a. 0. S. 5L

Rudolf Hirzel. 67

verteidigte Lebensgewohnheit. Alle geschäftliclieu oder gesellschaft- lichen Abhaltungen vermied er, so gut er konnte. Kein Wunder, wenn er bei seinen Kollegen als Einsiedler galt. Dabei machte er, wenn man ihn mitten in der Arbeit störte, den Eindruck größter Behaglichkeit', für jeden Besucher, der ihn wissenschaftlich um Rat fragte, hatte er Zeit. Erquickt ging man von Hirzel jedesmal nach Hause. Mit bewundernswerter Schnelligkeit fand er selbst sich nach jeder Ablenkung wieder zurück zur Arbeit. Sehr streng hielt er auf „Sonntagsheiligung" , wie er zu sagen pflegte. Da ließ er die Pflichtarbeit ruhen und las seine besonderen Lieblinge , nicht nur Goethe und neiiere Philosophen und Historiker, auch seine Schweizer Freunde, seinen Carlyle und Lord Byron, für den er sich ganz be- sonders erwärmte , sondern auch entlegenere Autoren, Italiener und Neugriechen und die Kirchenväter. Seine ans Erstaunliche grenzende Belesenheit in den Literaturen aller Kulturvölker ver- dankt er, wie ich von ihm selber weiß, dieser regelmäßigen und unermüdlichen Sonntagslektüre. Er hat es darin zu einer Meister- schaft gebracht, die ihm nur sehr wenige werden streitig machen können. Erfolgreich aber war dieses Lesen letzten Endes auch des- halb , weil er beim Lesen ständig Randbemerkungen und Verweise machte, so daß sich oft zu irgendeiner auffallenden Stelle Dutzende von Zitaten aus den entlegensten Autoren aller Zeiten und Völker fanden. Auch hatte er es sich zum Prinzip gemacht, jedes Buch z u E n d e zu lesen, selbst wenn es ihm nicht zusagte oder zu breit erschien *). Hohe wissenschaftliche Gewissenhaftigkeit ließ ihn oft unbedeutenden Spuren nachgehen , wobei er sich allerdings das muß offen zugegeben werden häufig von der Heeresstraße all- zuweit entfernte, ein Vorwurf, der seinen großen Werken von manchem Beurteiler gemacht worden ist. Zahlreiche Anmerkungen in seinen Büchern zeigen die Saumpfade und Abwege, die bisweilen in undurchdringliches Gestrüpp führten.

An äußeren Ereignissen war die Zeit in Leipzig von 1872 1886 nicht reich. Akademische Erfolge waren dem stillen Gelehrten, der den Schwerpunkt seiner Arbeit nicht in Kollegien und Seminaren, sondern in wissenschaftlicher Sammeltätigkeit und Produktion sah, nicht beschieden. Die Zahl der Hörer war und blieb gering, auch als er am 17. Mai 1877 zum a. o. Professor ernannt worden war^).

') Ich erinnere mich, wie er zugab, sich oft den heftigsten Zwang auf- erlegt zu haben, z. B. beim Lesen von Vischers „Auch Einer".

2) Die Verpflichtung als a. o. Professor erfolgte erst am 20. Juli 1878 Soweit ich feststellen kann, hat er einen nachhaltigen Einflufs nur auf den

5*

68 Rudolf Hirzel.

Daß man ihn in Leipzig, wo Ritsclil den philologisclien Studien Rich- tung gegeben hatte, nicht recht als Philologen gelten ließ, sondern ihm die Umhabilitierung für Philosophie ans Herz legte, verwundert nicht. Weniger bekannt dürfte sein, daß damals ein Ruf nach Kiel zwar nicht Tatsache wurde, aber zu Verhandlungen Anlaß gab, der indessen angeblich an Hirzels allzu freiem Standpunkt in religiösen Fragen scheiterte (Mitteilung seiner Gattin). Eine größere Wirk- samkeit eröffnete ihm erst 1885 die Übernahme der Proserainar- übungen in Gemeinschaft mit Otto Crusius, mit dem er bis zum Tode gute Freundschaft hielt. In die Leipziger Zeit fällt dann noch der Tod des Vaters, der am 8. Februar 1877 an den Folgen einer Augenoperation in Halle a. S. starb. Die militärischen Übungen machte R. Hirzel in den Sommerferien ; kurz vor dem Hauptmann nahm er als Oberleutnant d. R. seinen Abschied.

Um so reicher war diese Zeitspanne an literarischen Leistungen. Das Studium seiner Werke hat uns überzeugt, daß sich drei Perioden in Hirzels Schriftstellerleistung deutlich unterscheiden lassen. Die erste von ihnen fällt in die Leipziger Zeit und wird durch das drei- bändige Werk „Untersuchungen zu Ciceros philosophischen Schriften" 1877, 1882, 1883 charakterisiert. So bemerkenswert auch andere kleine Aufsätze und Abhandlungen aus dieser Zeit sein mögen ^) neben dem schon oben S. 62,2 erwähnten Beitrag zur Festschrift für Sauppe sei die für die Frage der Anonymität Platonischer Dialog- personen lehrreiche Untersuchung „Pythagoreisches in Piatons Gorgias" 1877, Comm. philol. in honorem Mommseni p. 11 22 besonders hervorgehoben , so wertvoll auch der Aufsatz über „Demokrits Schrift tteqI ei&v/uirjg" Hermes XIV (1879) 354—407 durch den

ungen Albrecht Dieterich ausgeübt, der 1884 nach Leipzig kam, und der ihm in seiner Dissertation besonders dankt. Hirzel hat D.'s Richtung in der religionsgeschichtlichen Erörterung antiker Probleme ohne Zweifel stark beeinflußt.

') Der Vollständigkeit halber zähle ich hier die noch nicht genannten Arbeiten der Leipziger Zeit auf:

1874: Über den Unterschied der ^cxcuoavvtj und der aoytfQoavvri in der pla- tonischen Republik, Hermes VIII, S. 379—411. 1876: Über den Protreptikos des Aristoteles, Hermes X, 61—100,

Ein Rhetor Protarchos, Hermes X, 254—55.

Zu Aristophanes' Wolken, Hermes XI, 121—22.

Zur Philosophie des Alkmaion, Hermes XI, 240—46. 1882: Der Demokriteer Diotimos, Hermes XVII, 326—28,

1883: Ein unbeachtetes Komödienfragment, Hermes XVIII, 1 16, 1884: Über Entelechie und Endelechie, Rh. Mus. XXXIX, 169—208. 1886: Zur Bedeutung von über, Rh. Mus. XLI, 153—55.

Rudolf lliizel. 69

eingehenden Nachweis der Benutzung in Senecas de tranquillitato animi oder der bereits S. 61,2 gerühmte über „Rundzahlen" ') (1885) ist, sie alle verschwinden gegenüber dem monumentalen Werke über Ciceros philosoj)liische Schriften"). Gewiß, die Kom- position des umfangreichen AVerkes, dessen Ausarbeitung sich durch Jahre hinzog, befriedigt nicht. Man hat das „unkrautartige" Auf- wuchern der Anmerkungen ebenso getadelt wie die vernachlässigte Gliederung und Interpunktion (Bph. W. 1884 Nr. 25). Zum Lesen eignet sich das Werk nicht; es will studiert sein^). Wer immer aber in aller Zukunft sich zu der schwierigen Frage der griechischen Quellen der Philosophie Ciceros äußern will, muß sich bei Hirzel Belehrung suchen. Die gesamte Literatur über dieses Problem seit 1883 fußt auf Hirzel oder setzt sich mit ihm auseinander. Zahl- lose Einzeluntersuchungen in ihnen liegt Hirzels Stärke haben die Erkenntnis gerade der Individualität der einzelnen Vertreter der stoischen und epikureischen Philosophie sowie der Skepsis gefördert, ja erst ermöglicht. „L)ie Aufgabe , die sich der Verfasser gestellt hat, ist glänzend gelöst; die einzelnen Vertreter der stoischen Schule stehen in ihrer philosophischen Bestimmtheit vor uns" *). Ein Ver- dienst der Hirzelschen Forschung , das namentlich im Hinblick auf Zellers Behandlungsweise hoch anzurechnen ist, ohne daß die eben doch mehr philologisch orientierte Art Hirzels damit der Darstellung Zellers Abbruch getan hätte ! Auch hier zeigte sich die Stärke seines wissenschaftlichen Gewissens : es bleibt bei aller Anfechtbarkeit mancher scheinbar gesicherten Resultate bewundernswert . mit welchem Scharf- und Spürsinn Hirzel die trümmerhafte Überlieferung bis in die kleinsten Einzelheiten beherrscht'^).

So war Rudolf Hirzel eine ausgereifte Persönlichkeit von wissen-

*) S. 43 findet sich, wie oft in Hirzels Schriften, vgl. z. B. seinen „Namen" (1918) S. 43 oder 59,3, eine Probe seines schalkhaften Humors, wenn er von einer „Geburt erster Klasse" spricht, die den Beginn der 40. Hebdomade abwarte! Hirzels (zweiter) Nachfolger in Jena, 0. Wein- reich, hat triskaidekadiscbe Studien geschrieben, die in mancher Hinsicht neben H.s .,Rundzahlen" gestellt werden können.

2) Teil I: de natura deorum 244 S.

Teil II Abt. 1 : de finibus bonorum et malorum, Abt. 2: de officiis 913 S. Teil III: Academica priora, Tusculanae disputationes 576 S.

^) Wer es braucht, benutze das eingehende .Inhaltsverzeichnis" am Schlüsse des III. Bandes, das oft übersehen zu werden scheint und die Lektüre sehr erleichtert.

*) Ferd. Becher in: Philol. Anz. XIV (1884) S. 218.

^) Vgl. auch P. Schwenke in der Philol. Rundschau III (1883) S. 43-50 und IV (1884) S. 875—79.

70 Rudolf Hirzel.

schaftlicbem Ansolien, als er im Frühjahr 1886 einen Ruf als a. o. Professor der klassischen Philologie nach Jena erhielt, den er ohne Zögern annahm. Durch seine Untersuchungen zu Ciceros philo- sophischen Schriften hatte er bewiesen, daß er nicht Philosoph, sondern Philolog war, der ausgerüstet mit den WaflFen philologischer Kritik und Interpretation die Probleme der griechisch-römischen Philo- sophie zu meistern verstand.

II. Hirzel in Jena (1886—1917).

Es ist hier meist in allen Fächern ein so schnelles literarisches Treiben, dafs einem der Kopf ganz drehend wird, wenn man drauf horcht.

(Goethe 2. März 1797 an Knebel.)

Rudolf Hirzel war trotz seiner 40 Jahre noch immer Jung- geselle. In Jena mag ihm diese Tatsache stärker zum Bewußtsein gekommen sein, und als ob er die Fäden mit der Vaterstadt für immer fester knüpfen wollte, holte er sich gar bald aus Leipzig die Gattin, die ihm bis zum letzten Händedruck am Abend des 30. De- zember 1917 treu zur Seite blieb, Dorothea Springer, die zweite Tochter Anton Springers^), mit der er sich am 13. April 1887 in Leipzig vermählte. Kinder sind aus dieser Ehe nicht hervorgegangen. So kam es, daß Hirzel auch in seiner stillen und beschaulichen Häuslichkeit^) (erst 1913 bezog er ein eigenes Haus in der Sedan- straße) die Ruhe hatte, die er von Leipzig her gewöhnt war. Auch in Jena hat er seine Lebensgewohnheiten nicht geändert. Wie manchem Jenaer Professor war er kaum von Ansehen be- kannt! Er liebte das gartenröiche Städtchen an der Saale und hat in seinem „Plutarch" (S. 17) wohl nicht ohne Grund auf die bildende Kraft hingewiesen, die in der „Stille und Einsam- keit" liegen kann. Kein Wunder, daß er nie ernstlich bei Be- rufungen an große Universitäten in Frage kam. Belastung mit Amtsgeschäften war dem großen Zeitsparer ein Greuel. Einen Ruf nach Gießen (1897) hat er ausgeschlagen. Allezeit bekannte er sich gern zum Worte Jobs. v. Müllers, „nicht der Ort macht den Manu , sondern umgekehrt" ^). Von seinem treuen Pudel be-

^) Über die mannigfachen Schicksale s(!ines Schwiegervaters vgl. dessen schönes Buch „Aus meinem Leben", 1892, 387 S.

2) Das Haus Forstweg 29, dessen ersten Stock er 24 Jahre bewohnte, trägt seit kurzem eine Erinnerungstafel.

8j Plutarch S. 18 Anm.

Rudolf Hirzel. 71

gleitet machte er am Vormittag gewöhnlich nach dem Kolleg lun zehn Uhr den Weg zur Bibliothek und von da nach Hause. Brauchte er für den Nachmittag noch ein Buch, so war er punkt drei bei Öffnung der Bibliothek zur Stelle, um dann wieder rasch an die Arbeit zu eilen'). Am 10. März 1888 erfolgte seine Ernennung zum ordentlichen Professor. Am 5. Mai hielt er seine akademische An- trittsrede ^), ein Bekenntnis seiner Auffassung als Universitätslehrer und Philolog. Beachtenswert ist die Antrittsrede namentlich wegen Hirzels Stellungnahme zur Konjekturalkritik. Er wehrt sich gegen die Überschätzung der Konjektur; ihm waren Konjekturen nichts anderes als „die Späne, die von der übrigen geistigen Arbeit ab- fielen" (seine Bücher beweisen das). Indessen verkennt er nicht die Kunst, gute Konjekturen zu machen; ja er stellt sie höher als historische Kombinationen, da Konjekturen sich unter Umständen bis zur Evidenz bringen lassen, „ganz abgesehen von der äußeren urkundlichen Bestätigung" (S. 18), wie sie ihnen durch Funde zuteil werden können. Ich weiß von ihm selbst, wie hoch er Vahlens Konjekturalkritik schätzte, wie er denn alle kleinen und größeren Arbeiten Vahlens besaß, mit dem er bis zu dessen Tode in sehr persönlichem Briefverkehr stand. Als „ungerecht" weist Hirzel in jener Rede auch die damals weitverbreitete Ansicht zurück, als ob der Philologie dann „ihre letzte Stunde geschlagen" habe, wenn der Boden keine neuen Inschriften mehr hergeben sollte. Er ver- langt vielmehr für die Philologie das gleiche Recht, das man der Mathematik zubillige: „das Experimentieren mit dem längst vor- liegenden Material, durch ein neues Kombinieren der einzelnen schon vorliegenden Daten". Als Vorbild endlich stellt er den zunft- mäßigen Philologen die Universalität eines Eratosthenes hin und tadelt an ihnen und das hat er in Vorlesung, Seminar und Ver- kehr unzählige Male seinen Studenten wiederholt daß sie das Altertum „nicht im Zusammenhange aus den Werken der Alten selber, sondern fragmentarisch, vermittelst einer daraus erst ab- geleiteten Literatur kennen lernen". Alles Unheil schien ihm daher zu kommen, daß der Philologe erst „Literatur" suche und lese» statt zunächst und zuerst die Quelle genau zu erforschen^).

^) Nach Aussage von Bibliotheksbeamten war H. einer der stärksten, vielleicht der stärkste Benutzer der Universitätsbibliothek.

") „Über die Stellung der klassischen Philologie in der Gegenwart", Leipzig S. Hirzel 1888, 35 S.

^J Der Vorwurf M. Foersters, Jahrb. der deutsch. Shakesp.-Ges. XXIX, (1913) S. 254, Hirzel kenne die moderne neuphilologische Literatur über

72 Rudolf Hirzel.

WcMiu die erste Periode der Hirzelschen Schriftstellerleistung durch seine Leipziger Untersuchungen zu Cicero charakterisiert wurde (siehe oben S. 68), so fallen die zweite und diitte Periode, die wir glauben unterscheiden zu müssen, in die Jenaer Zeit. Der Höhepunkt der zweiten Periode liegt im Jahre 1895 und wurde er- reicht durch das Erscheinen seines zweibändigen Werkes „Der Dialog" Leipzig, XIV, 565 und 473 S. Von Piaton war Hirzel aus- gegangen, mit der Philosophie von Piatons Vorgängern oder Nach- folgern hatten sich die Veröffentlichungen der Leipziger Zeit befaßt; denn auch in seinem Cicei'owerk handelt es sich um Studien zur Frage der platonisch-aristotelischen Nachwirkungen. Piaton steht nun erst recht im Mittelpunkt des Werkes, das Hirzels Namen weithin bekannt gemacht hat, im „Dialog" ^).

Otto Immisch (BphW. 1896 Nr. 42) lobt an dem Werke, daß Hirzel .,die behandelte Kunstform durch den Wechsel der Zeiten geleitet und die Lebensbedingungen des Dialogs durch große Aus- blicke in den Kulturzustaud der einzelnen Zeiten" klargelegt habe. Körte a. a. 0. S, 11 beanstandet gerade, daß Hirzels Buch sich zur größeren Hälfte „mit dem künstlichen Scheinleben einer in Wahrheit abgestorbenen (d. h. mit Platou ausgestorbenen) Gattung" befasse. Während Weißeufels (WfklPh. 1896, Nr. 7) bedauert, daß „der Höhepunkt des Dialogs", den er selbst bei Lukian sucht, zugunsten Piatons von Hirzel verschoben sei, tadelt Immisch a. a. 0., daß Piaton zugunsten Plutarchs und Lukians zurücktrete! De gusti- bus non est disputandum. Gegenüber dieser Kritik fällt die An- erkennung aller drei genannten Beurteiler stärker in die Wagschale. Ungeachtet der auch hier zutage tretenden schriftstellerischen Mängel in der Architektonik des Buches war und bleibt man sich darüber einig, daß im Dialog eine ungeheure Fülle von Stoff in glänzender

Plutarchs Einflufs nicht genügend, wird ihn selbst wenig berührt haben.

Dafür kannte er die Quellen besser als irgend einer.

^) In die zweite Periode (1886 1900) gehören aufser den S. 71,i und

S. 64,1 zitierten akademischen Reden noch folgende Abhandlungen:

1887: Polykrates' Anklage und Lysias' Verteidigung des Sokrates, Rh. Mus. XLII, 239-250.

1888: Ein Symposion des Asconius, Rh. Mus. XLIII, 314—317. Die Eupatriden, Rh. Mus. XLIII, 631—635.

1890: Aristoxenos und Piatons erster Alkibiades, Rh. Mus. XLV, 419 435.

1892: Zur Charakteristik Theopomps, Rh. Mus. XL VII, 359— 389, interessant durch den Nachweis der Abhängigkeit der Anekdota Prokops von Tb.

1896: Die Homonymie der griechischen Götter nach der Lehre antiker Theo- logen, Ber. d. Sachs. Ges. d. Wiss. Philol.-hist. Kl. XLVIII, S. 277— 337.

Rudolf Hirzel. 73

Methode verarbeitet ist, daß die Kapitel über Piaton und Cicero am höchsten stehen und auch die skizzenhafte Behandlung der Nach- blute^) des Dialogs bis zur Gegenwart erstaunliche Belesenheit und literarische Erkenntnis verrät. Ich selber kann mein eigenes Emp- finden nicht besser als mit Immischs Worten wiedergeben, der nach Anerkennung der Meisterschaft Hirzels in der Beherrschung des Stoffes die Worte anfügt: „Dazu kommt, dem Leser das tüchtige Werk verschönend, das Gefühl, einer wahrhaft vornehmen Persönlich- keit sich anzuvertrauen." Was endlich Hirzels Verhältnis zu den alten Schriftstellern selber anlange, so sei es »von jener vertraulichen Art, die G. Hermann einst an der zur Geschichtswissenschaft strebenden modernen Philologie zu vermissen begann". „Alles schmeckt nach der Quelle" dieses Urteil von Weil5enfels will bei einem Buche von über tausend Seiten wahrlich etwas besagen! So bedeutend nach unserer Meinung gerade die Werke der dritten Periode in Hirzels Publizistik sind, es ist nicht ausgeschlossen, daß sie in ihrer Wirkung auf die Zukunft hinter dem „Dialog" zurückstehen werden, daß Rudolf Hirzels Name ^) letzten Endes aufs innigste und dauernd mit jenem Werke verbunden bleiben wird , das unseres Erachtens nicht nur für die Sokratik eine bleibende Leistung bedeutet, sondern auch für Cicero, Seneca, Dion, Plutarch und Lukian. Dann aber hätte die zweite Periode als der Höhepunkt der Arbeit Hirzels zu gelten. Die dritte Periode, die mit der Jahrhundertwende beginnt und mit dem erst nach Hirzels Tode von G. Goetz veröffentlichten Werke über den „Namen" (1918) ihren Abschluß findet, kann man als die juristische in Hirzels Werken bezeichnen^). Auch sie zeigt deutlich Hirzels philologische Eigenart, seine Kunst der Interpretation und seine durch unablässiges Lesen gestärkte Kombinationsgabe. Dabei ist aufs schärfste zu betonen, daß auch diese Arbeiten innerlich

^) Wilamowitz, I'laton I S. 736 sieht in Hirzels Verfolgung der Nach- blüte die „Stärke" des Buches.

-) Am 13. Januar 1896 wurde er zum Ordentlichen Mitglied der Sachs. Ges. der Wissenschaften gewählt. Das war die äulsere Anerkennung für den Dialog.

^) Wie ernsthaft die Juristen selbst die Förderung der Rechtswissen- schaft durch Hirzels Arbeiten genommen haben, beweist der Wortlaut des Diploms der Leipziger juristischen Fakultät bei seiner Promotion zum Dr. iur. hon. c. (15. Februar 1913). Er wird gefeiert als derjenige „qui non solum philosophicas quaestiones subtilissime doctissimeque tractavit, sed etiam egregiis illis libris qnos de iure iurando, de Themide et Dica, de poena lapidationis conscripsit historiam iuris antiqui Graecorum potissimum in- signiter promovit gratiamque apud iurisconsultos iniit singularem".

74 Rudolf Hirzel.

mit denen der früheren Perioden in Hirzels Entwicklung zusammen- hängen. "Wenn er in seinem Dankschreiben an die philosophische Fakultät für die Glückwünsche zu seinem 70. Geburtstage sagt: „ich habe die Probleme nicht gesucht, sie sind mir zugewachsen", so gilt dieses Wort auch für seine juristischen Arbeiten. Die Rechts- begriffe, die er im Verlaufe der geschichtlichen Entwicklung bis in unsere Tage hinein verfolgt sogar das europäische „Glcich- gewichtsproblem" hat er behandelt ^) , sind ihm, wie ich behaupten möchte, fast durchweg bei Piaton aufgestiegen ; von ihm aus hat er den Weg rückwärts bis zum Homer und vorwärts durch die Jahrhunderte angetreten. Daß er gerade rechtliche Fragen unter- suchte, hängt wohl mit seinem Wahrheitsstreben zusammen ^). Ge- fördert aber hat er die Erkenntnis der griechischen Rechtsentwicklung, ganz gegen seine Gewohnheiten aus früherer Zeit, in kürzeren Einzel- arbeiten. Nur die „Themis", 1907, das reifste dieser Werke, ist größereu Umfanges^).

Um die den rechtsphilosophischen Fragen gewidmeten Arbeiten im Zusammenhang besprechen zu können, müssen wir zunächst zwei Werke der letzten Periode, die aus dem Rahmen herausfallen, aus- scheiden. 1904 veröffentlichte Hirzel offenbar hat er aber schon vor 1900 daran gearbeitet innerhalb des bekannten Buches seines Freundes Viktor Gardthausen^) „Augustus und seine Zeit" den lesens- werten (skizzenhaften) Aufsatz über „Philosophie im Zeitalter des Augustus", der im ersten Bande S. 1296 1317 abgedruckt ist und vielleicht deshalb flottes Lesen ermöglicht, weil die gelehrten An- merkungen im zweiten Bande (S. 881 892) besonders geboten werden. Erweist sich nun Hirzels philosophische Skizze bei Gardt- hausen als eine Fortsetzung seiner Leipziger Quellenforschung zur römischen Philosophie und gleichzeitig als ein Freundschaftsbeweis, so steht es mit dem 1912 erschienenen „Plutarch" nicht anders.

') Sehr ausführliche Randbemerkungen in seinem Handexemplar der „Themis" zu S. 317 ff.

2) Die feinsinnige Rede als Prorektor (1905), iu der untersucht wird, „was die Wahrheit für die Griechen war" ist aus dem Geist seiner juristischen Studien heraus geboren. (Vgl. oben 8. 57).

^) Themis, Dike und Verwandtes. Ein Beitrag zur Geschichte der Rechtsidee bei den Griechen. Leipzig 1907, VI, 446 S.

*) Der „Muse" seines Freundes verdankt Gardthausen in der Vorrede die Übersetzung der zahlreichen für die Zeit des Augustus charakteristischen Epigramme. In der Tat eine Leistung, die für Hirzels inniges Verhältnis auch zur Poesie spricht.

Rudolf Hirzel. 75

Auch er steht mit früheren Arbeiten in Verbindung, mit dem „Dialog", auch er ist als Gelegenheitsarbeit aufzufassen und wie der eben ge- nannte Aufsatz nicht eigentlich eine selbständige Arbeit, sondern als viertes Heft der rühmlich bekannt gewordenen Sammlung „das Erbe der Alten" herausgegeben (Leipzig, Dieterichsche Verlags- buchhandlung Theod. Weicher, 211 S.). In der Widmung an die Freunde Otto Crusius und Otto Immisch ,ot eloi naitQEg tov Xoyov^ bekennt er die Anregung, Die Darstellung Plutarchs ist eine aus- gezeichnete Leistung, in der die Schwächen der Hirzelschen Kom- position am geringsten hervortreten. Der liebenswürdige Philosoph von Chaironeia hat an Hirzel einen warmen Freund gefunden. Wir haben keine Behandlung Plutarchs, die diesen merkwürdigen Mann so liebevoll herausarbeitet, wie es Hirzel tut. Man vermutet hier mit Recht Seelenverwandtschaft. Wer Hirzel selber verstehen lernen will, lese, was er über Plutarchs Parallelbiographien (besonders S. 66 70) sagt. Wer Hirzels allzu starke Neigung für Parallelen tadelt, beachte die Worte, die er S. 42 zur Entschuldigung des Plutarch vorbringt: „Geister, die kenntnisreich die Welt in ihrer Breite überschauen, werden zu solchen Vergleichungen die Neigung zugleich und die Fähigkeit haben" ^). Keines der Hirzelschen Bücher eignet sich so zum Lesen wie der „Plutarch".

Scheiden also, wie gesagt, die Beiträge für Gardthausens Werk und für die Sammlung von Crusius und Immisch als Gelegenheits- oder besser Lieblingsarbeiten aus, so bleiben, wenn man die bereits S. 57 und 74,1 erwähnte akademische Rede von 1905 abrechnet, neun Arbeiten übrig, die Hirzels besondere Leistung bedeuten, da er hier ein Gebiet betritt, das zu bearbeiten ihm seine weit über das Durchschnittsmaß gehende rechtshistorische Bildung ermöglichte. Die Vorzüge und Mängel seiner Art treten auch hier deutlich her- vor. Als Quellenkenner allen überlegen erschwert er dem Leser das Verständnis durch das Fehlen von zusammenfassenden Rück- blicken, durch lockere Gliederung und umfangreiche Abschweifungen. Oft verlaufen die Untersuchungen sozusagen im Sande, wie bei seinem Meister Piaton. Das scheint mir weniger Gleichgültigkeit gegen den Leser als Folge seiner peinlichen Wahrheitsliebe, die oft den kleinsten, unscheinbarsten Schattierungen zuliebe klare Umrisse und Ergebnisse verschmähte.

Wir beschränken uns auf die drei im juristischen Doktor-

^) Vgl. meine ausführliche Besprechung WfklPh. (1912) Nr. 45 Sp. 1222 bis 1226.

76 Rudolf Hirzel.

(liplom *) (1913) genannten Arbeiten und auf die Avährend seiner langwierigen Krankheit entstandenen letzten Abhandlungen ^).

Das erste Werk , in dem sich Hirzels tiefgehendes Studium rechtsphilosophischer Bücher aller Zeiten und Kulturvölker zeigt, war „Der Eid. Ein Beitrag zu seiner Geschichte". (Leipzig 1902, 225 S.) Mit großer Besonnenheit werden hier historisch genetisch die Wandlungen in der Schätzung des Eides bei den Griechen ab- gehandelt, wobei mit feinster Psychologie, wie sie nur der Kenner aller literarischen Schöpfungen der Griechen haben kann, die inneren Ursachen besprochen werden, die den Eid allmählich zum Vertrag, zum Rechtsgeschäft machten oder aber sein Ansehen sinken ließen. Analogien und Abweichungen bei anderen Völkern werden echt plutarchisch zur besseren Beleuchtung der einzelneu Verhältnisse herangezogen , ohne daß die Fülle des Gebotenen je- mals aufdringlich oder langweilend wirkte ^). Eine Fortsetzung solcher mit den Mitteln der philologischen Methode und philosophi- schen Erkenntnis unternommenen historisch-genetischen Untersuchung der Rechtsbegriffe der Griechen ist das schon S. 74 erwähnte in- haltreiche Buch über „Themis, Dike und Verwandtes" (1907), wohl dasjenige unter Hirzels Werken , das seinen Namen in weiteren Gelehrtenkreisen und im Auslande am meisten bekannt gemacht hat. Wenigstens beweisen diese Ansicht zahlreiche Besprechungen, die im Gegensatz zu anderen Büchern gerade die „Themis" gefunden hat*). Die verschiedenen Bezeichnungen für ähnliche rechtliche Begriffe interessieren den Verfasser, der Sprachgebrauch des Volkes

») Siehe S. 73,3.

2) Nur erwähnen wollen wir aus Gründen der Vollständigkeit:

Nö/iiog ayQutfog^ Abb. d. Sachs. Ges. d, Wiss. Philol.-hist. Kl. XXi, 1—100 (1900).

Der Selbstmord, Archiv f. Eeligionswiss. XI, 75—104, 243—284, 417—476 (1908). (Ungeheuer reiches Material in schwer lesbarer Verarbeitung!)

Die Talion, Philol. Suppl. Bd. XI, 407-482 (1911).

3) Vgl. die Kritik von P. Stengel, BphW. 1902 Nr. 50.

*) Aufser in juristischen Zeitschriften (vgl. u. a. Zeitschr. f. d. ges. Strafrechtswiss. XXVIII, Heft 8) finden sich Besprechungen in American Journal of Philology 29 (1908) p. 213—223 von W. A. Ileidel, in der Revue des Etudes Ethnographiques et Sociologiques (1908) p. 279 284 von Paul Huvelin, im Bolletino di Filologia Class. XIV, (1908) Nr. 12 von G. Fracca- roli. Von deutschen philologischen Anzeigen nenne ich: Swoboda in Nr. 18 der Neuen Philol. Rundschau (1908), W. Kroll in Neue Jahrbb. f. kl. Alt. 1908, S. 581 f., Th. Thalheim im BphW. 1908, Sp. 49-52, Fr. Cauer in Nr. 13 der WfkH'h. 1909.

Rudolf Ilirzel. 77

ebensosehr wie die Terminologie des Philosophen. Feinsinnig ar- beitet er die Zwischenstellung der Dichter heraus. Weit abgelegene poetische Fragmente werden nicht minder herangezogen wie seltene Inschriften. In großem Zusammenhange untersucht er so von innen her, zunächst rein philologisch mit Hilfe der Etymologie*), die für die griechische Rechtsauffassung grundlegenden Bogriffe: Themis, Dike, Gleichheit und Gesetz. Vier lehrreiche und gut lesbare Kapitel, denen sich zehn inhaltschwere Exkurse anschließen, von denen der siebente den wichtigen Unterschied von u/iioiog und l'oog, der neunte die Entwicklung des Begriffs der avdy'A.ri behandeln. Religionswissenschaftliche Fragen finden dabei häufig bei der engen Verwandtschaft zwischen Recht und Religion ausführliche Behandlung; das gilt vor allem für die Begriffe Themis und Dike selbst, indem im Widerspruch mit den landläufigen Ableitungen Themis als „die Göttin des guten Rates", Dike als Göttin des Schiedsgerichtes (dann als Straf- und Rachegöttin) aufgefaßt wird. Besonders anregend zu weiteren Forschungen scheint mir der Abschnitt, der der „Gleich- heit" gewidmet ist (S. 228 320), in welchem Zusammenhange auch sehr ausführlich von der Freiheit, der rein persönlichen sowohl wie der politischen und moralischen, die Rede ist. Recht und Ge- setz im griechischen Geistesleben wäre wohl der ansprechendere Titel für dieses tiefschürfende Buch gewesen^), doch ist gerade der von Hirzel gewählte bezeichnend für seine Art, für seine Bescheiden- heit^) sowohl, die jedem Prunken abhold war, wie für seine streng- wissenschaftliche Wahrheitsliebe. Die mit philologischen Mitteln durchgeführte Untersuchung griechischer Wörter stellte er voran, obwohl für die Wissenschaft gerade die philosophisch-historische Entwicklungsgeschichte der Begriffe, wie sie Hirzel bietet, frucht- bar und entscheidend wurde. Niemals aber hätte das Buch seine Tiefe erhalten ohne die langjährigen rein juristischen Studien des Verfassers. Von ihnen legt auch der in den Abhandlungen der Philologisch - Historischen Klasse der Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften (1909) XXVH 7 erschienene Aufsatz „Die Strafe der

*) Seine Etjmologie von ^^fxig und öixri hat indessen wenig Anklang gefunden.

-) Wilamowitz, Piaton I S. 740 anerkennt H.s Bescheidenheit auch für den „Dialog", der kein „Versuch" sei, wie der Verfasser meinte, sondern „ein in sich abgeschlossenes lehrhaftes Werk, das den Stoff und die Unter- suchung und das Urteil gleichermaßen vorlege".

') „H.s Buch, das scheinbar nur die Entwicklung einiger Begriffe ver- folgt, ist im Grunde nichts weniger als eine Philosophie des griechischen Rechts" (W. Kroll a. a. 0.).

78 Rudolf Ilirzel.

Steinigung" Zeugnis ab. Entgegen der wohl durch die römische Auffassung bedingten Beurteilung der Steinigung als einer „Handlung öftentliclier Selbsthilfe" weist Hirzel hier mit der Sicherheit des Rochtsgelehrten „den guten r ech tl iche u Grund" der eigenartigen Strafe nach, die sich „auf dem Grunde einer rechtlichen Ordnung" vollzogen habe. Die Steinigung Absaloms und des Boten, der den Bewohnern von Carrhae die Todesnachricht des Kaisers Julian brachte, erhält in solchem Zusammenhange neue Beleuchtung. Die Beweggründe für die Steinigung, deren Endzweck nicht die Tötung, sondern die Ausstoßung aus der Gemeinde gewesen sei, werden mit ebensolcher Sorgfalt geprüft wie die Opfer dieser im Altertum nicht nur durch eine rechtliche, sondern auch durch eine sakrale Sanktion geschützten Justiz ^).

Dali Hirzel sich trotz seines stillen Gelehrtendaseins allmählich doch nach außen durchsetzte ohne daß er je nach dieser Richtung hin einen Schritt getan hätte , beweist das Echo seiner „Themis", auf das wir hinwiesen. Anerkennung durfte schließlich nicht aus- bleiben. Die Bayrische Akademie der Wissenschaften ernannte ihn (18. November 1911) zu ihrem korrespondierenden Mitgliede. Die Ehrung der Leipziger Juristenfakultät (Februar 1913, siehe oben S. 73,3:), über die er sich herzlich gefreut hat, traf ihn bereits auf dem Krankenlager. Mehr als fünf Jahre hat Rudolf Hirzel mit schwerem Leiden kämpfen müssen, und doch haben diese Jahre das Bild des rastlos fleißigen , bei allem Ernst so lebensfrohen Mannes nicht beeinträchtigen können. Die EUx^v/iiirj blieb ihm bis zum letzten Tage.

Bald nach den Sommerferien 1912 erkrankte Hirzel und wurde bettlägerig. Es handelte sich um eine nicht völlig aufgeklärte In- fektionskrankheit (Septichämie ?), die schwere Schüttelfröste und be- denkliche Fieberanstiege auslöste, wodurch die Herztätigkeit stark geschädigt wurde. Zwar ließ ihm die Krankheit Pausen, in denen er sich merklich erholte , so daß man glaubte , seine zähe Natur werde den tückischen Keimen Widerstand leisten. Gelegentlich konnte er kleine Ausgänge in seinen Garten und Ausfahrten unter- nehmen; doch reichte er 1914 sein Abschiedsgesuch ein. Der Antritts- rede seines Nachfolgers Jensen ^) in der Aula der Universität (29. Oktober 1913) konnte er beiwohnen. Jena hat er aber seit dem Herbst 1912 nicht mehr verlassen^); in dem letzten Jahre war ihm das Treppen-

^) B. V. Hagen, WfklPh. 1909, Nr. 51 Sp. 1392-96. ^) Für Jensen wurde zunächst ein p]rsatzordinariat eingerichtet. ') Als Kranker hat er den Einzug in sein eigenes Haus (Sedanstrafse 14) im Frühjahr 1913 erleben müssen.

Rudolf Hirzel. 79

steigen verboteu, so daß er nicht mehr in seine Studierstube zu den geliebten Büchern konnte. Den Weg des ewigen Lesens und Lernens ging er indessen, der tückischen Krankheit zum Trotz, unentwegt weiter, ärztliche Verbote mit dem ihm eigenen Lächeln völlig außer Acht lassend. Auch als bettlägeriger Fieberkranker hat er, soweit es sein Zustand erlaubte , schwer gearbeitet. Seine beiden letzten Abhandlungen, die er noch erlebt hat, die o'coia ^) und „Die Person" ^), hat er vom Krankenbett aus in die Öffentlichkeit geschickt. Ob- wohl er mir die Herausgabe beider Manuskripte anvertraut hatte, nahm er an der Drucklegung lebendigsten Anteil und versah die Bogen im Bett mit zahlreichen Bemerkungen. Es war bewunderns- wert, mit welcher Energie und geistiger Schärfe er auch an Tagen schwerer Anfälle sich in die Gedankengänge des Manuskriptes fand. In der Abhandlung über ovoia wird in vorbildlicher Beweisführung gezeigt, wie die konkrete Bedeutung des Wortes „Besitz, Anwesen" das Ursprüngliche ist, und wie sich ganz allmählich der philosophische Terminus „Wesen" „Substanz" herausbildete, der von Piaton und Aristoteles an in der Philosophie sich behauptete , während sich in der Volkssprache bis ins Neugriechische hinein die alte Bedeutung von ovoia = Besitz, Vermögen erhielt. Handelte es sich in dieser Arbeit also um die Begriffe Vermögen, Wesen, Substanz, so unter- sucht die von 1914 Begriff und Namen der „Person". Hirzel be- kennt auf Seite 4 selbst, in den Spuren Trendelenburgs zu wandeln, dessen Aufsatz „Zur Geschichte des Wortes Person" R. Eucken in den Kantstudien (1908) herausgegeben hat, und dessen Hörer Hirzel im S. S. 1867 in Berlin gewesen war^). „In weiterem Umfange, als Trendelenburg wollte", wird hier einer geschichtlichen Entwicklung des Namens und Begriffs der Person nachgespürt , wobei aai/ja, ipvx^, qiiaig, r^d-og, yMQÖia, '/,e(faXiq, tzqÖowtiov und schließlich das lateinische persona bis in die juristischen und theologischen Spekula- tionen nachchristlicher Jahrhunderte verfolgt werden. Besonders eifrig hat dann endlich Rudolf Hirzel an dem Werke gearbeitet, dessen Abschluß er nicht mehr erleben sollte, und das Fragment ge- blieben ist. G. Goetz hat das nicht hoch genug zu preisende Ver- dienst, die Abhandlung, so wie sie sich im Nachlaß vorfand, heraus- gegeben zu haben. Die warmen Worte der Dankbarkeit, die er am

1) 1913 erschienen im Philologus 72 (N. F. 26) S. 42—64.

2) 1914. Die Person. Begriff und Name derselben im Altertum. Ber. d. Bayr. Akad. d. Wiss. philos.-philol. und bist. Kl., 54 S.

^) Über Trendelenburgs Wirkung vgl. jetzt Ed. Spranger, in dem Teubnerschen Sammelbande „Vom Altertum zur Gegenwart" (1919) S. 73 f.

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Rudolf Hirzel.

3. Januar 1918 dem am 30. Dezember 1917 heimgegangenen Kollegen im Namen der philosophischen Fakultät und im eigenen bei der schlichten Trauerfeier in der Leichenhalle des Friedhofes in Jena wid- mete, hat er damit in die Tat umgesetzt. Das 100 Seiten umfassende Fragment ist in hohem Maße geeignet, das Andenken Hirzels unter Forschern und Freunden lebendig zu erhalten und enthält nach ein- leitenden Bemerkungen über Realität und Macht des Namens sehr wertvolle Sammlungen über Namenlosigkeit und Anfänge der Namen- gebung sowie über alle die zahllosen Zufälligkeiten, die sich mit dem Namen an das betreffende Individuum heften. Ein echter Hirzel ist dieser letzte Versuch unseres Meisters zugleich ein schönes Zeichen jener Geistesfrische und -klarheit, die auch in schweren Zeiten und trüben Stunden ihm geblieben war. Den Weltkrieg hat er mit stets gleichbleibendem Interesse in allen Phasen seiner Entwicklung verfolgt; als er starb, hatten wir den Gegner im Osten besiegt und verhandelten mit ihm in Brest-Litowsk. Den Zusammenbruch Deutschlands hat er nicht mehr erlebt ; die Schmach des Vaterlandes blieb dem Kämpfer von Sedan und Paris erspart. Aufrecht und unangefochten ist er seinen Weg bis zuletzt ge- gangen und hat auch vor den Pforten des Hades nicht gebangt. Mit Platou hatten seine Studien begonnen, ihm haben letzten Endes alle seine Arbeiten gegolten; im Sinne der platonischen Akademie hat er als Lehrer gewirkt, den Universitäten Leipzig und Jena zur Zierde. Und auch seine Lebensauffassung war schließlich die des platonischen Sokrates: o d' avE^iTaavog ßiog ov ßicozog av^giOTtci).

Ich aber glaube diesen ersten Versuch einer Würdigung des Lebens und Wirkens von Rudolf Hirzel nicht besser abschließen zu können als mit den Worten Gustav Freytags, die ich im Namen seiner alten Schüler dem edlen Manne an seinem Sarge nach- gerufen habe :

„Tüchtiges Leben endet auf Erden nicht mit dem Tode; es dauert im Gemüt und Tun der Freunde!"

r

S

Otto Lautensach.

Geb. 20. September 1851, gest. 18. Februar l'.il9.

Von Hans Meltzer iu Hannover.

Es war um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts, da zog' ♦'in leichtherziger Wanderbursch namens Friedrich Lautensach in Stralsunds Toren ein und gewann die Hand der Tochter eines reichen Senators, die ihm 14 lebendige Kinder schenkte. Da er aber am Arbeiten aucli jetzt noch keine Freude bezeigte, so brachte er das schöne Vermögen seiner Frau durch und geriet in v<illigen Vermögens- zerfall', das Ende vom Liede war, daß er sich im Sturm- und Drang- Jahr 1848 selbst das Leben nahm.

In bitterer Armut wuchs die Schar der Nachkommen ohne höhere Schulbildung auf. Nur ein Sohn eignete sich als Kaufmannslehrling, nicht selten iu tiefer Nacht lernend gleich Schliemann, die Grund- lagen höheren Wissens an und erwarb sich vor allem vortreffliche Kenntnisse in den nordischen Sprachen. Sie befähigten ihn dann, <las verantwortungsvolle Amt eines Hafenrendanten und Dolmetschers vor Gericht in Stralsund zu bekleiden.

Von diesem strebsamen und gediegenen Manne, der es darauf ab- gelegt zu haben schien, ein Schulbeispiel für den Gegensatz zwischen Vätern und Söhnen zu liefern, stammt unser am 20. September 1851 geborener Otto Adolf Friedrich Lautensach ab; von ihm hat er des Lebens ernstes Führen geerbt. In seiner Jugend war er das, was man gern einen Musterknaben und Muttersöhnchen nennt. Seine Begabung ging nicht nach der Seite leichten Hervorbringens, und er war nichts weniger als ein Überflieger; zumal die Mathematik pi-eßte ihm Tiänen ab, aber sein unablässiger Eifer trug ihm mehr- fach den Preis ein, den das Gymnasium seiner Vaterstadt „dem Fleiß und den guten Sitten" gestiftet hatte.

Ehe er Ostern 1871 die Reifeprüfung mit Ehren bestand, meldete er sich freiwillig zur Teilnahme am Kriege gegen Frankreich, wurde aber zu seinem Leidwesen wegen seiner damals hochgi-adigen, erst später durch einen gelungenen augenärztlichen Eingriff erfreulich gemilderten Kurzsichtigkeit zurückgewiesen. So bezog er statt dessen die Hoch- schule, zuerst in Leipzig, wo Georg Curtius einen starken Ein- Nekrologe 1919. (.Jahresbericht f. Altertumswissenschaft. Bd. 181 B.) ^

, 82 Otto Lauteusach.

druck auf ihn machte und ihn nicht bloß zur Beschäftigung mit dem Sanskrit anregte, sondern seine Studien für alle Zeit in das grammati- sche Fahrwasser lenkte. Dann ging er nach Berlin und schließlich nach Greifswald ; hier fesselte ihn vornehmlich die jugendsprühende Persönlichkeit Ulrich vo n Wil am o w i t z -M ö 1 1 e n d o r f f s, dem es damals gelegentlich zustieß, daß er von den Studenten mit einem der Ihrigen verwechselt wurde. Sein Gönner aber war A d. K i e ß 1 i n g , bei dem er mit einer kniffligen grammatischen Arbeit über Horaz promovierte.

Nach kurzer Vorbereitung auf den Leln'erberuf in Stralsund und Greifswald wurde er an das Gymnasium Ernestinum in Gotha be- rufen und ist dieser vorzüglichen Anstalt zeitlebens treu geblieben, hochgeschätzt von seinen Kollegen und Direktoren, besonders soweit diese das Hauptgewicht nicht auf Schliff und Gewandtheit des Auf- tretens, sondern auf Tüchtigkeit und Gelehrsamkeit legten, so z. B. dem Bearbeiter der römischen Altertümer, Marquardt, dem Grä- zisten von Bamberg und dem Latinisten A n z. Der ihm übertragene Unterricht in Deutsch, alter Geschichte, Griechisch und Lateinisch beschränkte sich im wesentlichen auf die unteren und mittleren Klassen. Mag man es bedauern, daß es ihm nicht vergönnt war, seine umfassende Beherrschung insbesondere der hellenischen Geistes- welt auch gereifteren Schülern zugutekommen zu lassen, so muß man doch zugeben, daß seine Eigenschaften als Lehrer und Erzieher ihn für die Leitung gerade des mittleren Knabenalters wie vorher- bestimmt erscheinen ließen. Zwar verschmähte er auch äußere Mittel wie Schelten und Schlagen nicht grundsätzlich, in erster Linie aber übte er schon durch die bis zur Härte gehende Strenge seines Wesens und die gelegentlich wohl über das Maß hinaus gesteigerte Unerbittlichkeit seiner Forderungen einen geradezu zwingenden, ja hypnotisierenden Einfluß auf die Seelen der Schüler aus, so daß sie einerseits mit unbeirrbarem Vertrauen in seine nie wankende Gerechtigkeit, ander- seits aber doch mit einer gewissen Angst an ihm emporsahen. Er war ein ausgesprochener Gegner aller Zugeständnisse, für ihn baute sich die Erziehung nicht auf Nachgiebigkeit des Lehrers, sondern auf Unterordnung des Schülers auf; niemals hätte er sich mit der im Augenblick herrschenden Neigung, beide Teile auf die- selbe Stufe zu stellen, befreunden können, weil er in ihnen die Untergrabung aller Zucht erblickt hätte. Und er hatte ein Recht auf diesen Standpunkt. Denn was er von anderen verlangte, das er- füllte er selbst. In ihm lebte ein völlig kantisches Pflichtgefühl, aus dem heraus er keine Schonung seiner Kräfte kannte und sich

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Otto Lautensach. 83

bis zu deren völliger Erschöpfung ausgab, so daß er einmal infolge nervöser Überanstrengung anderthalb .Tahre lang seinen Dienst aus- setzen mußte. "Was man Lebensgenuß nennt, spielte bei ihm, dem jede Form des Epikureismus schrnft" ablehnenden Spartaner, in der sinnlichen Bedeutung des Wortes gar keine und in der ästhetischen nur eine unbedeutende Rolle; selbst die deutsche Literatur trat bei ihm zurück, und übrig blieb fast nur eine begeisterte Vorliebe für Fritz Iveuter, dessen Scl)ö])fungen er mit Mcüsterschaft vortrug. Oftenbarte sich in diesem Zuge dem Tieferblickenden die Tatsache, daß die stachlige Schale einen vielleicht verkümmerten, aber um so echteren Kern deutschen Gemütes und Humors barg, so wurde dieser Eindruck verstärkt durch die Beobachtung, mit welch unmittelbarer, nicht auf wissenschaftlicher Grundlage ruhender Liebe er an den grünen Bergen seiner thüringischen zweiten Heimat hing: in ihnen suchte er aufweiten Ferienwanderungen seine regelmäßige Erholung, freilig nicht, ohne auch hierher seine gelehrten Arbeiten mitzunehmen. Ein Mann von solcher Geistesart konnte kein Stern der großen Gesellschaft sein, ganz abgesehen davon, daß er sich aus Sparsamkeit in der Kleidung mehr als einfach trug und von weltläufigen Formen keine sehr hohe Meinung hegte ; als schopenhauerscher vir soJitarws, als öioy.oXog ohne die versöhnliche Gabe ausgleichenden Scherzes, war er paiicorum liominiim, nonmmquam unius^ stieß manchen vor den Kopf und war mit seiner prinzipienfesten Selbständigkeit nicht immer ein bequemer Untergebener und Kollege. Geselligkeit gab es für ihn eigentlich nur im Kegelkränzchen und im Turnklub, die er wohl aber auch deswegen besuchte, weil er die in ihnen be- triebne Leibesübung für zuträglich hielt. Wirklichen Verkehr pflegte er im Grunde nur mit seinen Familienangehörigen. 1882 hatte er in Clara Hellmundt eine ihm treuergebne und willig hinter ihm zurücktretende Lebensgefährtin heimgeführt, die ihm zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter, schenkte. Tiefdurchdrungen von der sittlich-erzieherischen Bedeutung der Ehe war er ein musterhafter Gatte lind Vater, wenngleich seiner ganzen Art entsprechend mit einer aus- gesprochenen Hinneigung zu patriachalischer Vorherrschaft des Mannes und nicht völlig ohne Anklang an das goethische Wort : Wohnt die Furcht nur im Gemüte, ist die Liebe auch nicht fern I Gänzlich abhold war er der landesüblichen Vereinsmeierei und beteiligte sich nicht am öffentlichen politischen Treiben. Für sich huldigte er einer nationaliberal gefärbten Auffassung der staatlichen Dinge, denen er mit einer gewissen Abstraktheit gegenüberstand. Von den Errungenschaften der Jetztzeit war er nicht sonderlich erbaut und dachte skeptisch über

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84 Otto Lautensach.

eine Art des Fortschritts, ilie sich großenteils auf die Entfesselung des Einzelmeuschen und seine Loslosung vom Ganzen aufbaut. Der in unseren Tagen so weitverbreitete, ungezügelte Individualismus verstieß nicht bloß gegen sein unerschütterliches Festhalten an der Autorität, sondern veidotzte schon seinen an Pedanterie grenzenden Ordnungssinn.

Unserer Skizze würde ein hervorstechender Zug fehlen, wollten wir nicht sprechen von Otto Lautensachs wissenschaftlicher Tätigkeit, die seit 1885 wie ein nichtabreißender Faden sein ganzes Leben durchzieht, und die er neben dem mühsamen Wirken im Beruf, ganz besonders aber in der Ferienmuße ohne Aussetzen vollbracht hat. Kennzeichnend für die Sicherheit seiner Selbstbeurteilung ist die scharfe Begrenzung des von ihm erwählten Gebietes. Er war sich von vornherein bewußt, daß es sich für ihn nicht um philosophische und kulturhistorische Fragen großen Stils, sondern um die Ermittlung zur verlässigen Stoffes handle. Er hätte mit Newton sagen können: liypotheses non finyo! oder mit Kirchhoff, beschreiben wolle er, nicht erklären ; Pünktlichkeit der Beobachtung, Klarheit der Anordnung, Zähigkeit in der Verarbeitung sind die seinem eigensten Wesen entsprechenden Tugenden, die hier zu Wort kommen. Einer Anregung von Fr. Blaß folgend, hat er sich deshalb die Aufgabe gestellt, unsere Grundlage für die sprachgeschichtliche und sprachstatistische Behandlung der griechischen Sprache dadurch zu erbreitern und zu vei'stärken, daß er eine möglichst vollständige Sammlung der Tatsachen auf dem Ge- biete der Formenlehre des Zeitworts zustande brachte unter be- sonderer Berücksichtigung der attischen Inschriften, vor allem aber der Tragiker. In die Augen springend ist die philologische Akribie, womit Lautensach die textkritischen und metrischen Hilfen ausgenützt hat ; daß er sich hierbei der besten und neuesten Veröffentlichungen bedienen konnte, verdankte er dem nicht genug zu rühmenden Ent- gegenkommen der Gothaer Bibliotheken, deren reiche Schätze ihm unbeschränkt zur Verfügung standen und die mit außerordentlicher Bereitwilligkeit alle Bücher, auch entlegenerer Art, anschafften, deren er zu seiner eine unendliche Fülle von Einzelheiten erfordernden Kleinarbeit bedurfte. Mehr Rahmenwerk sind die besonders in den späteren Abhandlungen beigegebenen Anführungen aus den griechi- schen Nationalgrammatikern, und arabeskenartig schlingen sich um das Ganze Hinweise auf die vergleichende Sprachforschung, mit deren Vertretern, wie vor allem dem im Tode ihm so rasch ge- folgten K. Brugmann, er dauernde Beziehungen unterhielt.

Suchen wir die Bedeutung von Lautensachs Arbeiten abzuschätzen, so werden wir urteilen, daß seine Absicht gelungen ist, neues ge-

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Otto Lautcnsach. 85

sichertes Tatsachenmaterial zu liefern, und daü seine Schriften so- wohl für den Systematiker der historischen Gi'ammatik als für den Herausgeber alter Schriftsteller als für den indogermanischen Sprach- forscher Fundstätten sind, die er nicht unbeachtet lassen darf. Ge- wiß, er selbst mit der unerbittlichen Wahrhaftigkeit, die er niclit bloß geg'en andere, sondern auch gegen sich anwandte, würde wohl mit seinem Horaz gesagt haben: opcrosa parvus cariiiwa fmgo! Aber mit mindestens ebendemselben Rechte könnten wir ihm Lessings Satz entgegenhalten, daß sich seines Fleißes jedermann rühmen darf. Am treffendsten kennzeichnen sein Verdienst vielleicht die bescheiden- stolzen Verse am Schluß von Schillers Gedicht „Die Ideale" :

„Beschäftigung", die nie ermattet,

Die laugsam schafft, doch nie zerstört,

Die zu dem Bau der Ewigkeiten,

Zwar Sandkorn nur für Sandkorn reicht,

Doch von der großen Schuld der Zeiten

Minuten, Tage, Jahre streicht."'

Bei einem zusammenfassenden Rückblick auf Otto Lautensachs Gesamtpersönlichkeit erhalten wir den Eindruck einer schwer- blütigen, herben, viel mit sich selbst ringenden, aber unbedingt zu- verlässigen, wahren und arbeitsamen Seele. Von den sieben Grund- tugeuden, welche die Sittenlehre der Alten und des Urchristentums aufgestellt hat (avögeia, dr/Mioovvi], oocfia, oioq^QOOcvTq uiOTtg, dyaTTr^, elrcig), wogen die ersteren, die des Willens und des Verstandes, weit über die letzteren, die des Gefühles, vor: in ihm war nichts Weibliches, sondern alles straffe, bis zum Männischen gesteigerte ^lännlichkeit. Vom Gesichtspunkt des philologischen Standes aus betrachtet war er in seiner Abkehr von jedem Äußer- lichen und seiner Hinwendung zu den inneren Werten ein typischer Vertreter jenes alten Geschlechtes deutscher Gymnasiallehrer, wie es seit den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts mehr und mehr zur Neige geht. Mag man auch die Bestrebungen des Nach- wuchses, sich loszumachen von den Einseitigkeiten und manchmal Schrullen der Vorfahren und sich gewandter einzufügen in den Rahmen der Gegenwart, mit gebührender Anerkennung verfolgen, so wird man doch wünschen dürfen, zumal im Hinblick auf die uns drohende Zukunft, daß die sok ratische Fähigkeit, sein Genügen im ein- fach Menschlichen, besonders in Beruf, Wissenschaft, Haus, Freundes- kreis und Natur zu linden, Wieder höher im Preise steigen möge : Lehrer von solcher Gesinnung werden am ehesten dazu beitragen, daß die ihnen anvertraute Jugend den rechten Sinn bekomme für

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Otto Lautensacb.

den "Wiederaufbau des nicht zuletzt durch rücksichtslose Selbstsucht uud rohe C4enußgier in den Abgrund gestürzten Vaterlandes, Jeden- falls würden sie im Sinne Otto Lautensachs handeln, dessen Leben eine einzige große Pflichterfüllung gewesen ist, und von dem man mit J. G. Fichte sagen kann, daß deutsch sein und Charakter haben ohne Zweifel dasselbe sei I

Schriftenverzeiclmis.

1878: 1. Analecta Horatiana Grainmatica. Diss. Stralsund.

1887: 2. Verbalflexion der attischen Inschriften. Programm Gym- nasium Ernestinum. Gotha.

1806 : 3. Grammatische Studien zu den griechischen Tragikern und Komikern. I. Personalendungen. Desgl.

1899 : 4. Grammatische Studien zu den griechischen Tragikern und Komikern. Augment und Reduplikation. Hannover und Leipzig.

1905: 5. Asigmatische Aoriste mit « statt o und f bei den Tragikern und Komikern. Festschrift A.V.Bamberg. Gotha. S. 70 89.

1911: 6. Die Aoriste bei den attischen Tragikern und Komikern, Gr»ttingen. Forsch, z. griech. u. latein. Grammatik. Heft 1.

1912: 7. Der Gebrauch des Aor. Med. u. Aor. Pass. bei den atti- schen Tragikern und Komikern. Glotta lU. S. 221 236.

1918: 8. rcYiv!f/j] nr^vh.ri^ 7iv^i]v.iL.o} TrrjviYuCa). Glotta IV. S. 208.

1916: 9. Grammatische Studien zu den attischen Tragikern und Komikern. Konjunktiv, Optativ und Imperativ. Glotta VII. S, 92 116, Vm. S. 168—196. IX. S. 69—94.

Nachgelassene Schriften.

1. Grammatische Studien zu den attischen Tragikern und Komikern. Infinitiv uud Partizipium.

2. Die sogenannte attische Deklination bei den attischen Tragikern und Komikern.

3. Metaplastische Nominalbildungen bei den attischen Tragikern und Komikern.

Alfred Curt Immanuel Schöne.

Geb. 16. Okt. 1836, gest. 8. Jan. 1918. Von Rudolf Eliwald in Gotha.

Um die Wende des Jahres 1917 sind zwei Philologen gestorben, die, so verschieden die Gebiete waren, die sie vertraten, doch jeder auf seinem Gebiete Großes geleistet liaben : am 30. Dezember 1917 ist Eudolf Hirzel, am 8. Januar 1918 ist Alfred Schöne gestorben. Aber während Rudolf Ilirzel, außer dem in diesem Hefte enthaltenen Nekrolog von Dr. Benno von Hagen, den verdienten Nachruf von Alfred Körte schon erhalten hat, ist über Schönes Leben und Arbeiten noch kein Bericht geliefert worden. Die Störungen des Krieges und die neueingesetzte Arbeit der Friedenstätigkeit hat die Berufensten verhindert, dem Geschiedenen diesen Tribut zu zollen. So habe ich mich entschlossen, dem Freunde den Nekrolog zu schreiben, zu dem ich mich berufen fühle, nicht als ob ich seinen großen Arbeiten nahegestanden hätte oder weil ich mir eine seinen hervorragenden Kräften entsprechende Kraft zuschriebe, sondern weil ich schon 1869 sein Schüler, seit 1875 sein Freund gewesen bin imd er seit diesem Jahre mit immergleicher Treue in guten und bösen Tagen zu mir gestanden und er mein Lehrer für das Leben und für meine Arbeiten gewesen ist. Ich habe manchem Freunde das letzte Wort nach- gerufen , mit einem dankerfüllteren und verehrungsvolleren Herzen noch keinem.

Seine Jugend ^) verlebte xVlfi-ed Curt Immanuel Schöne (geb. 16. Okt. 1836) in Dresden im Elternhause. Sein Vater, Direktor der Dresdner Eatstöchterschule, der schon 1846 sein Amt gesundheitshalber nieder- legte, starb im Januar 1849, so daß die Erziehung Alfreds und seines 8^/2 Jahre jüngeren Brudei-s Richard (geb. 5. Februar 1840) der Mutter (geb. von Schierbrand) allein zufiel; diese hat ihre unverbrüchliche Pflichttreue und ihre entschieden erzieherische Be- gabung mit sorglicher Liebe in den Dienst der Söhne gestellt. Schöne hat immer mit rührender Verehrung ihrer gedacht: ihr verdankt er eine von Kindesbeinen an gepflegte Fertigkeit im Ge- brauch des Französischen, die ihm in späteren Jahren sehr wertvoll

^) Nach brieflichen Mitteilungen des Geh. Rats K. Schöne.

gg Alfred Curt Immanuel Schöne.

geworden ist und viel beigetragen hat zu seinem nngewöhnlicheu Verständnis für französisches Wesen und französische Literatur. Die Söhne besuchten zunächst die Dresdener Kreuzschule, doch mußte Alfred infolge eines Flechtenleidens, das ihm die Kinder- nnd Knabenjahre sehr verbitterte, und erst in den Entwicklungs- jahren ganz überwunden wurde, der auch jetzt noch blühenden Heilanstalt des Hofrats Veiel in Cannstatt bei Stuttgart übergeben werden, wo sich das Leiden erheblich besserte und er in dem Hause des treftlichen Arztes die ersten und stets treu bewahrten Eindrücke von süddeutschem Leben empfing; dort ist er auch konfirmiert worden. Nach seiner Rückkehr kam er für einige Jahre nach der Meißener Fürstenschule : hier mag er die ersten Anregungen für die später so gehaltvoll wirkende Liebe für Lessing erhalten haben. Den Abschluß seines Schullebens machte Schöne auf der Dresdener Kreuzschnle; hier hat er,_ namentlich in Prima, die stärksten und anregendsten Eindrücke während seines ganzen Schullebens empfangen. Der von Jakob Grimm wie von Tj-eitschke mit hoher Anerkennung genannte Eektor Klee, von dem Schöne oft mit freu- digem Danke sprach, übte dort nicht nur durch den Unterricht in den alten Sprachen, sondern vor allem durch seinen die dichterischen Persönlichkeiten geistvoll erfassenden und ihre Werke mit glück- licher Vertiefung erläuternden Unterricht auf die begasten Schüler einen weit über die Schule hinausreichenden Einfluß aus.

1856 bezog Schöne die Universität Leipzig, um, wohl vor allem durch Klee angeregt, Philologie zu studieren. Freilich fand er in Leipzig nicht, was er suchte und hoffte.- AV estermann , bei dem unzweifelhaft am meisten zu lernen Avar, war seinen Studenten wenig zugänglich, Nitzsch, schon fast ein Siebziger, war vorzeitig gealtert. Klotz für die Jugend ganz unfruchtbar. Bursian, der sich in den Studienjahren Schönes in Leipzig habilitierte, war die ein- zige junge und frische philologische Kraft, Zarncke war durch seine Gesundheit mehrfach in seinen von Schöne erfolgreich und dankbar besuchten Vorlesungen gestört, Overbeck gewährte durch seine archäo- logischen Übungen und Vorlesungen die erste Anregung zu diesen Studien. Am meisten Einfluß hatte auf Schöne der Philosoph Weiße, an den er durch Klee und durch die Witwe des Philosophen Solger^ mit der seine Mutter befreundet war, empfohlen wurde.

Schöne hatte keine besondere Neigung für die metaphysischen und spekulativen Gebiete, um so mehr zogen ihn Weißes ästhetische und religionsphilosophischen Anschauungen an, die oft mehr durch seine Gespräche als durch seine Vorlesungen dem jugendlichen

Alfred Curt Immanuel Schöne. 89

Verstäuduis zugänglich wurden. Sie berührten unglaublich um- fassende Gebiete der Literatur und Geschichte, die Weiße aus eigenen selbständigen Studien völlig beherrschte. So gab er diesen Interessen, die oft nur aus einer dem Zufall preisgegebenen Lieb- haberei gepflogt werden, eine tiefere Grundlage und gewiihnte seine jungen Freunde, sich ihnen mit Ernst und innerer Ver- antwortung zu widmen. Auch der mit "VVeiße eng befreundete Fechner übte auf Schöne einen von diesem oft erwähnten Einfluß, Von bleibendem AVert für sein ganzes Leben waren für Schöne seine Beziehungen zu Friedrich Polle. Dieser, der ursprünglich Kellner wai-, hatte in der Kreuzschule in Dresden seine Maturitätsprüfung nachgeholt : Schöne wurde mit ihm bekannt, und es entwickelte sich eine Verbindung zwischen beiden, die zur Freundschaft wurde und zu engem Zusammenleben führte: Polle und Schöne wohnten zu- sammen. Unvergeßlich werden mir die Tage sein, in denen ich ihre Freundschaft selbst in Lauenstein im Erzgebirge 1887 kennen gelernt habe.

Stark wirkte auch auf Schöne schon in seinen Studentenjahren das Leipziger Musikleben, in das er durch die Beteiligung an dem 3[ännergesangverein der Pauliner und den Chorübungen im Hause der Frau Frege auch weiteren Einblick gewann.

Nach nahezu vierjährigem Studium legte er 1859 die Ober- lehrerprüfung ab und promovierte kurz darauf mit einer Arbeit über Sophokles' Trachinierinnen ; diese erschien nach damaligem Gebrauch nicht im Druck, hatte aber auch als Examenarbeit ge- dient.

Von Leipzig kehrte Schöne in das Haus der Mutter zurück. In Dresden fand er gleich eine Beschäftigung als Hilfslehrer, dann als ordentlicher Lehrer an der Kreuzschule, wo er wieder zu seinem früheren Lehrer, dem unvergeßlichen Kektor Klee, in das anregendste Verhältnis trat. Er fand viel Freude am Unterrichten, da er von Natur entschieden pädagogische Begabung besaß und die Jugend zu fesseln verstand; trotzdem fühlte er bald, daß ihm diese Tätigkeit, die ihn noch auf Jahre hinaus nicht zu selbständiger wissenschaft- licher Arbeit hätte kommen lassen, keine dauernde Befriedigung gewähren würde, wie er sie in dem Berufe des Universitätslehrers zu finden hoffte. Dazu kam das Verlangen, seine in Leipzig in mancher Beziehung unvollständig gebliebene philologische Ausbildung noch auf einer anderen Hochschule zu ergänzen. Seine Wahl fiel auf Bonn , die damalige Hochburg philologischer Studien , wo die Meister exegetischer und kritischer Methode, Ritschi und Jahn,

90 Alfred Curt Immanuel Schöne.

wirkten. Im Herbst 1861 ging er dorthin. Ritschi und Jahn standen damals auf der Höhe ihrer Wirksamkeit. In seinem Ent- schluß war Schöne bestärkt worden von Klee, der von Leipzig her mit Haupt, Mommsen und Jahn befreundet war und Jahn besonders nahe stand. Dieser, der 1856 1859 seinen Mozart zum ersten !Male hatte erscheinen lassen , übte durch seine musikalische Be- ziehung auf den jungen Gelehrten besondere Anziehung aus.

Die llort'nung, mit der er Bonn bezogen hatte, täuschte Schöne nicht. Den stärksten und nachhaltigsten Einfluß gewann auf ihn wohl Jahn, namentlich durch seine lebendige und umfassende Kenntnis unserer klassischen Musik und Literatur^ auch Ritschis Lehrtätigkeit machte auf Schöne einen tiefen und nachhaltigen Eindruck : er war es, der ihn zur Bearbeitung des Hieronyraus anregte und ihm die Wege zur Durchführung dieses damals auch von Mommsen lebhaft betriebenen Planes ebnete. Die Arbeit wurde sogleich in Bonn in Angriff' genommen und in Leipzig fortgesetzt, wohin sich Schöne wandte, in der Hoff'nung, sich dort an der Uni- versität habilitieren zu können.

Die Leipziger Verhältnisse hatten sich seit Schönes Studien- jahren sehr verändert. Nitzsch war schon 1861 gestorben und durch Georg Curtius ersetzt worden ; Westermanns Gesundheit war sehr erschüttert, so daß er schon 1861 ganz von seiner Lehrtätigkeit zurücktrat; Bursian hatte 1861 einen Ruf als Professor der Philo- logie und Archäologie nach Tübingen erhalten. Mit den Quaestionum Hieronymianarum capita selecta ^) habilitierte sich Schöne 1864: es war dies die er.ste Frucht seiner Vorarbeiten für die Ausgabe der Chronik. Die rühmende Anzeige, die ihnen Alfred von Gutschmid in Zarnckes Zentralblatt zuteil werden ließ, war nur die gerechte Würdigung, die sie vollauf verdienten; mit dieser Arbeit eröffnete Schöne seine Tätigkeit für Hieronymus, die ihn fast sein ganzes Leben beschäftigen sollte. An der Universität fand er bald eine erwünschte Tätigkeit, die sich mehr und mehr den griechischen Studien und Thucydides zuwandte. Seine Übungen über griechische Realien fanden fruchtbare Teilnahme: ich bin selbst sein Schüler in diesen Stunden gewesen und weiß , was wir seiner peinlich gewissenhaft

^) Die früheste wissenschaftliche Betätigung Schönes ist, soviel ich sehe, der Aufsatz über l'lautus und über die „Trunkene Alte" des Myron (Archäolog. Zeitung XX [1862J 83:3 ff.): für dieses Werk nimmt er eine Ver- wechslung von (xuowvig und /.tvQwvos an, eine Vermutung, deren Ilichtigkeit so schlagend ist, daß sie von Overbeck, Die antiken Schriftquellen (Leipzig 1868), 103, sofort als erwiesen angenommen wurde.

Alfred Curt Iminamiel Schöne. 91

voi'bereiteten und mit Khiglicit und Schärfe geleiteten Führung zu danken hatten. Damals hat er seine, auch in Beziehung mit den Ilieronymusstudien stehenden, schönen „Untersuchungen über das Leben des Sappho'" verfaßt, die in den Symbnla j)hilologorum Bou- nensium erschienen ; in ihnen setzt er eine mustergültige Arbeit über die (Quellen des Suidas ein, behandelt die Geschichte von Lesbos und Periander und gibt eine sehr ansprechende Ergänzung des Marmor Pariuni.

Von großer Bedeutung war damals das ganze bürgerliche und politische wie das wissenschaftliche und künstlerische Leben Leipzigs. Die politischen Ereignisse der Zeit mit ihren Hoffnungen und Sorgen führte patriotisch denkende und fühlende Männer ver- schiedenster Berufe und Anschauungen in gegenseitiger Anregung zusammen : in den Abendstunden trafen sich bei Kitzing, von Freytag zusammengehalten, Karl Mathy, der an der Spitze der Allgemeinen Deutschen Kreditanstalt stand, Julian Schmidt, Moritz Busch und Julius Eckardt, die Männer der Grenzboten, Salomon Ilirzel, der Bürgermeister Stephani, der englische Konsul Crowe, der Physiologe Ludwig, Heinrich von Treitschke, Max Jordan, der spätere Direktor der Berliner Nationalgalevie ; zu diesem Kreise gehörte auch Schöne, der mit Jordan und Eckardt besonders nahe befreundet war. Oft hat er mir von diesen Zusammenkünften erzählt , in denen ernstes Gespräch und heitere Laune die Genossen vereinte. Den lebhaftesten Eindruck hat auf Schöne der Abschied Treitschkes gemacht; bei diesem bot Frey tag den Scheidegruß, indem er Treitschke zurief: „Der arme Kitzing gleicht jetzt ohne sein Verschulden dem trotzigen Kriegs- fürsten aus arger Zeit, dem einer seiner Generale nach dem anderen abfiel. Der aber jetzt von ihm geht ist der Max Piccolomini !" Die in dem Kitzingkreis Versammelten waren alle Anhänger der preußi- schen Hoffnungen, die, von solchen Männern getragen, bald die glänzendste Verwirklichung finden sollten.

Eine nahe Freundschaft verband Schöne auch mit dem Musiker Franz v. Holstein und seiner Frau, Avie er denn das Leipziger ^lusikleben jetzt wieder mit dem größten Interesse verfolgte: auch zu der von ihm hochverehrten Klara Schumann und mit Brahms hatte er Beziehung. Er hatte zudem das Glück, mit dem ehrwürdigen Moritz Hauptmann in Verkehr zu kommen und dessen Unterricht zu genießen : ihm hat er nach dessen Tode (3. Jan. 1868) in der Herausgabe seiner Briefe au Franz Hauser das schönste Denkmal bewundernder Pietät gesetzt, nachdem er ihn und seiner Gemahlin zu ihrer am 27. November 1866 gefeierten silbernen Hochzeit mit

92 Alfred Curt Immanuel 8chöue.

dem Abdruck einer Anzahl Beethovensclier Briefe begrüßt hatte ^) ; daß er damals auch ein Heft von zwölf Liedern (Leipzig, Breitkopf & Härtel) mit gemütvollen und erquickenden Melodien herausgab, den 23. Psalter vertonte, seiner Mutter zu Ehren, der am Tage seiner Verheiratung und am Tage seines Todes erklang, und auf dem Gebiete der Musik vielfach journalistisch tätig war, zeigt, wie sehr ihn in diesen Jahren musikalische Interessen beschäftigten. Auch mit dem aus dem Baltikum stammenden Dr. Julius Eckardt, der in seinen „Lebenserinnerungen" Schönes öfters Erwähntmg tut, trat ei*, Avie schon erwähnt, in nahe Beziehung. Dieser, damals in den Grenzboten tätig, redigierte S2)äter eine Hamburger Zeitung und trat in den Dienst des Hamburger Senats und ging schließlich in den Reichsdienst über. Schöne hat mit Eckardt zusammen die Reise zur ersten Pariser Weltausstellung unternommen, die Zeit reichlich mit Vergleichung von Hieronymushandschriften benutzend. Auch mit seinen Oheimen v. Schierbrand, deren einem (Wolf v. Schier- brand, dem holländischen Generalleutnant) er zum 80. Geburtstag des anderen (Gurt v. Schierbrands, des Kaufmanns) ein schönes Erinnerungsbuch widmete, hat er in traulichem Vorkehr gestanden.

Im Mittelpunkt aber seiner Arbeit stand und blieb Hieronymus, für den er wegen des von ihm für Hieronymus zuerst benutzten Araandinus von Leipzig aus eine Reise nach Valenciennes unter- nahm. Diese Studien brachten ihn in nähere Verbindung mit Alfred V. Gutschmidt in Kiel, dem er Zeit seines Lebens verehrungs- voll ergeben geblieben ist, und mit dem damals in Schleusiugen (1866 1868) weilenden Paul de Lagarde, mit dem er lebhaften Briefwechsel unterhielt und eine Freundschaft schloß , die bis zn Lagardes Tode ununterbrochen gewährt hat. 1866 erschien der zuerst gedruckte zweite, Theodor 3Iommsen und Friedrich Ritschi gewidmete Band des Hieronymus. Seine literarischen Erfolge und seine Wirksamkeit in den Vorlesungen brachten ihm die Ernennung zum Professor extraordinarius^).

So sind die Leipziger Jahre für Schöne reich belebend und fruchtbar geworden, und allen Kreisen, in denen er stand, war er dankbar für die mannigfaltigen Anregungen , die er mit offener Seele genoß und verwertete: allen hat er mit eigenen Gaben gelohnt, und es ist selbstverständlich, daß ihm der Abschied schwer wurde.

') Die Oi'iginale hatte er von Otto Jahn erhalten.

") Mit PoUe zusammen gab er 1869 die in Fleckeisens Jahrbüchern erschienenen Bemerkungen zu Lycurgs Leocratea heraus; 1866 war von ilnn ebemla S. löl ff. ein Aufsatz über Sallusts Empedoclea erschienen.

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Für deu 1. Oktober 18G1) war er nach dem Ab^^aug- IL Keils nach Erlangen für Philologie und alte Geschichte als Ordinarius berufen. Am 18. Juni 1870 trat er mit der Abhandlung- der Analecta jdiilologica historica De. rerum Alexandri Magni scriptoruni inprimis Arriani et Plutarclii fontibus (Leipzig-, 1'eubner) in die Fakultät ein. Diese für die Alexandergeschichte methodiscli vor- treffliclie Arbeit wurde zur Zeit ihrer Entstehung mit vielem liei- fall aufgenommen: aber sie ist immer noch als ein A'orstoß auf dem Gebiete von besonderer Bedeutung. Einen ]\[onat später wurde Schöne auch die Vertretung der alten Geschichte offiziell übertragen, aiich übernahm er die Leitung des philologischen und des historischen Seminars. Doch sollte er in Erlangen nicht warm werden : es fehlte ihm die gemütlich erheiternde und erhebende Seite des Leipziger Aufenthalts; es kam anderes hinzu, das den Erlanger Aufenthalt zur unglücklichsten Zeit seines Lebens machte. Schon vom No- vember 1872 bis Ostern 1873 verlebte er einen längeren Urlaub in Rom, und im Dezember 187-t erhielt er seine Entlassung aus dem bayrischen Staatsdienst. Doch für seine literarische Betätigung war diese Zeit nicht ohne Ertrag. 1870 gab er den Briefwechsel zwischen Lessing und seiner Frau mit einem gediegenen, an feinen literarischen Beobachtungen reichen Vorwort heraus, 1871 die schönen Briefe Moritz Hauptmanns an Franz Hauser, und endlich veröffentlichte er seine für Vorlesungen bestimmte Ausgabe des ersten und zweiten Buches des Thucydides nach dem Text von Bekker , eine höchst dankens- Averte Leistung in Beziehung auf das kritische Material zum Text lind den Schollen und die Sammlung- der Stellen, die Zitate aus Thucydides bringen. Auch schrieb er in Erlangen die schönen Miscellen über Sallust darunter die treftliche Emendation nach cod. P Cat. 3,5 ac me, cum ab reliquis malis moribus dissentirem, nihilo minus honoris cupido eadem, quae ceteros, fama atque invidia vexabat, zu Herodot 1, 91, zu Eur. Phoenis. 117 zu Galen de libris propriis prooem. im Hermes 1879, und den Aufsatz über die Biographien der zehn attischen Eedeu in Fleckeisens Jahrbüchern.

Im Frühjahr 1875 siedelte er nach Gotha über, das er Avegen seiner Bibliothek als Aiifenthaltsort ausgesucht hatte. Hier trat er in nähere Beziehung zu Otto Schneider, dorn bekannten Herausgeber des Nicander und Callimachus, und einem Kreis jüngerer Philologen, zu denen außer mir der gelehrte und charaktervolle Gustav Gilbert lind der liebenswürdige Neuphilologe Felgner gehörten. Im Herbst 1875 war er wieder in Paris, wo er die Excerpta barbari (s. Hie- ronymus I, 177 239) im August und September abschrieb, im

94 Alfred Ciirt Immanuel Scliöue.

Winter 1875 1876 von da aus in Florenz, wo er regen Verkehr mit Vitelli, Theodor Heyse, Karl Hillebrandt pflog und den Lau- reutiauus des Thucydides kollationierte, dann wegen des Vaticanus zu Thucydides in Rom, wo er besonders mit Mau verkehrte, und dann von neuem wegen Cod. Thucydidis A in Paris.

Es ist staunenswert, was er in dieser Zeit des Gothaer Aufent- lialts an schriftstellerischer Arbeit vollendet hat; auf allen bisher berührten und behandelten Gebieten seines Wirkens und Forschens hat er Leistungen zu verzeichnen, die seinem Namen in der Philo- logie und Literatur dauernden Wert schaffen. Er gab zunächst 1875 nach neunjähriger, mühevoller Arbeit den ersten Band seines Hieronymus, Alfred von Gutschmid gewidmet, heraus. Dieser ent- hält die armenische Übersetzung des ersten Buches der Canones des Eusebius in der Bearbeitung Petermanns nebst den griechi- schen Bruchstücken des Eusebius , wobei Schönen die Hilfe Lagardes, wie für das ganze Werk die Unterstützung Gutschmids zu gute kam, nebst ergänzenden Nachträgen zum Hieronymus» Weiter publizierte er seinen reichhaltigen Thucydides-.Tahresbericht, der neben einer treffenden Wertung des Müller-Strübingschen Buches eine Kritik der chronologischen Festlegung der Bücher des Thucy- dides enthält nnd durch die Bevorzugung von C eine neue Fixierung seiner handschriftlichen Grundlage gibt. Einen besonderen Aufsatz (Hermes 1877, 472 ff.) schrieb er über die bei den Ausgrabungen am Südabhang der Akropolis gefundene Inschrift, die den bei Thucydides V 47 wiederholten Vertrag zwischen Athen, Argos, Elis und Mantineia im ursprünglichen Text brachte und grundlegende Bedeutung für die Emendation des Thucydides hat; ich besinne mich noch lebhaft auf die schwierigen Untersuchungen, die Schöne zu den meist mit den gleichzeitigen Versuchen Kirchoflfs stimmenden Resultaten führten. In Gotha begann er endlich auch die wertvolle Einleitung zu schreiben, mit der er den die antiquarischen und bildenden Künste enthaltenden Band Lessings geschmückt hat.

Nicht lange sollte der Aufenthalt in Gotha dauern. Die Be- arbeitung des XII. Bandes der Inscriptiones Latinae ließ den Aufent- halt eines deutschen Gelehrten in Paris wünschenswert erscheinen, der den vielfachen Interessen der Deutschen auf diesem Gebiete zu Gebote stände. Nach langen Verhandlungen wurde für diesen Posten Schöne als geeignetste Persönlichkeit ausersehen; angeschlossen an die deutsche Botschaft und zu gleicher Zeit zur Förderung deut- scher Gelehrten und deutscher Arbeiten bestimmt, weilte er vom Herbst 1877 bis zum Sommer 1884 in der Seinestadt. Wie er

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seine Stellung ausgefüllt, hat nicht nur der Dank, den Hirschfeld in der Vorrede zu dem Inschriftenband ausspricht, sondern auch die warme Anerkennung derer, die mit ihm in Berührung kamen, be- zeugt.

Nur kurze Eidiolungs- und Dienstreisen haben den Aufenthalt in Paris unterbrochen: so reiste er nach Tours, Avranches, Marseille und London, und öfters in die Heimat, Mit den Reisen nach Berlin verband er, wenn es sich irgend ermöglichen ließ, einen Aufenthalt in Leipzig, Dresden und Gotha.

Die Arbeit, die er zu leisten hatte und die er in mustergültiger Weise geleistet hat, war reichlich und mannigfaltig genug: zunächst und hauptsächlich galt sie dem Corpus Inscrij)tionum. Der Verkehr mit Hirschfeld und Mommsen nahm ihn in erster Linie in Anspruch; aber auch die Wiener Kirchenväter und die Monumenta Germaniae, gelegentlich auch archivalische Forschungen über Ludwig XIV. ver- langten seine Hilfe und üntei-stützung. Dazu kamen die eingehenden Berichte, die er über alle möglichen Gegenstände und Einrichtungen abfassen mußte, so auch einer über den Unterricht in der National- ökonomie in den französischen Volks- und Bürgerschulen für Gotha, um den sich Hohenlohe an ihn wandte. Über dem allen aber ver- sagte der vielgewandte Mann sich Freunden und Schülern für ihre Interessen nicht: so verglich er für Lagarde den Codex Sarravianus (cf. Semitica II), für mich Teile des Turonensis von Ovid, eine Schrift Galens für Hans Marquardt, den Corveyer Palimpsest des Genadius für Wilhelm Herding.

Viel Zeit nahm der Verkehr mit maßgebenden Persönlichkeiten in Anspruch; auch der Umgang mit anregenden Kreisen der Pariser Gelehrten war ebenso genußbringend wie zeitraubend. Zu Delisle, Fröhner, Graux, Bonnet, Weil, Blade, Heron de Villefos, den Pastoren Monod und Vallette, dem Assyriologen Oppert, an den ihn Lagarde empfohlen hatte, hatte er nähere Beziehung. Daß die deutschen philologischen Parisbesucher bei ihm freundliche Aufnahme und Förderung fanden, versteht sich von selbst: Klügmann, Wilmanns, Treu, Usener, Waitz, Eeifferscheid, Franz Rühl, Thorbeke, Mendelsohn erneuerten ihre Bekanntschaft oder knüpften neue Beziehungen an.

Die politischen, immer neue Verwicklungen bietenden franzö- sischen Verhältnisse fanden an ihm einen aufmerksamen und ein- sichtigen Beobachter: mehr als ein interessanter Bericht im Neuen Reich und in der Nationalzeitung brachte den Beweis seines vollen Verständnisses. Der Fürst Hohenlohe gab ihm vielfach Beweise seiner Schätzung und seines Vertrauens und förderte ihn mit Rat

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und 'I'at in der Erfüllung seiner Aufgaben, die nicht ohne Zeichen amtlicher Anerkennung blieb. Auch von den Mitgliedern der Bot- schaft erfuhr er im Laufe der Jahre vielfach wertvolle Förderung.

Auch für Berlin war sein Aufenthalt erfolgreich : er vermittelte für die Bibliothek den Anhang des musikalischen Nachlaß Cherubinis, über den schon 1843 verhandelt worden war, und sein Bericht über die Hamilton-Bibliothek, die er in London einsah, hatte den Erfolg, daß auch der wissenschaftliche Teil derselben nach Berlin kam; zwei kleine jNLarmorstatuetten wui-deu von ihm gleichfalls erworben. Das Wichtigste aber, wobei er beteiligt war, ist die Erwerbung der Manessischen Liederhaudschrift, die an Baden geschenkt wurde: sie wurde auf dem Wege über London, wo Schö'ne sie auf der deutschen Botschaft in Empfang nahm, an Deutschland übergeben. Der großen Weltausstellung 1878 konnte er nicht viel Zeit widmen, doch machte die Exposition retrospective mit ihren unermeßlichen Schätzen der französischen Privatsammluugeu den größten Eindruck auf ihn.

Ohne Ertrag seiner eigenen Arbeit blieb indessen der Pariser Aufenthalt auch nicht. Er vollendete im Dezember 1877 seinen Lessingband ^), verfaßte die gelehrte, ebenso für den Text des Iso- crates wie die Papjrusforschung ertragreiche Arbeit über den Marseiller Papyrus, um den er seine Eeise nach Marseille unter- nommen hatte, und den er in dem, dem Andenken Graux' be- stimmten Band veröffentlichte^), sandte an den Hermes 1882 seine Miszellen über Thucydides u. a., hielt gegen Ende seines Pariser Aufenthalts die glänzende Rede über Friedrich den Großen und seine Stellung zur deutschen Literatur, die, ebenso wegen des literar- geschichtlichen Inhalts wie wegen des nationalen Gehalts ein Meister- stück, den lebhaftesten Beifall im deutschen Turnverein fand. Vieles so ein Aufsatz über einen Papyrus des Theocrit, den er für die Revue de philologie versprochen hatte, und die Vollendung des Zonaras, den die preußische Akademie plante kam nicht zu- stande.

^) Bald darauf veröfientlichtc er im Neuen Keich 1878 Nr. 5 seine treffliche, an frachtbaren Gesichtspunkten reiche Rezension der englischen Lessing-Biographie von Sime; diese Rezension ist das Muster einer gerechten AVürdigung eines von einem Ausländer über einen Nationalheros ge- schriebenen "Werkes.

") Die beiden am meisten berechtigten Beurteiler Friedrich Blaß (Fleck- eisens Jahrb. 1884, 417 ff.) und Bruno Keil (Hermes XIX 596 ff.) haben die Gediegenheit der Arbeit dankbar anerkannt, und wenn sie auch der Anschauung Schönes nicht beistimmten, doch die Fülle der Gelehrsamkeit und den Reichtum der Anregung, den seine Scbrift bietet, voll ge w ürdig t.

Alfred Curt Immanuel bcböiio. 97

Aber ganz unerwartet und zuerst verborgen trat er damals auf einem ganz neuen Gebiete literarischer Betätigung auf: er schrieb eine Novelle. Auf einer Erholungsreise im November 1878 ver- faßte er den Blauen Schleier, den er 1880 bei C. Windaus in Gotha Pseudonym unter dem Namen A. Koland herausgab. Diese Perle deutscher Schriftstellerei ist unter seinem Namen 1884 in den Neuen deutschen Novellenschatz aufgenommen worden ^). „Der Ver- fasser", sagt Paul Heyse zur Einführung, „hat vorher und nachher keine anderen Novellen veröffentlicht. Um so merkwürdiger und der Aufbewahrung in unserer Sammlung werter dünkt uns dieser Erstling, der sofort mit sicherer Meisterschaft eine Aufgabe löst, die wahrlich nicht zu den alltäglichen gehört. . . . Die feine Kunst, mit welcher der Übergang aus dem Realen in das Gespenstische verteilt ist, das Halbdunkel, das nach Lösung des Kätsels zurück- bleibt, zeugen von einem Talent, dessen weiterer Entfaltung wir mit hohem Interesse entgegensehen würden, wenn andere Lebensaufgaben den Dichter nicht allzu ausschließlich in Anspruch genommen hätten."

Unter einer Sturmflut von Arbeiten und viel Geselligkeit ging der Winter 1884 zu Ende. Schöne war tief besorgt um seine Zu- kunft. Seine Aufgabe in Paris neigte sich ihrem Ende zu ; es hatte sieh wohl manche Aussicht auf eine Verwendung in Deutschland gezeigt, aber schließlich hatten sich alle in nichts aufgelöst. Da traf Mitte März 1885 die Nachricht bei ihm ein, daß er an der Göttinger Bibliothek als erster Bibliothekar angestellt sei und am 1. Juli antreten solle. Es war kein glänzendes Los, das ihm be- schieden war. „Aber", schrieb er mir am 19. Mai 1884, „ich muß fragen, ob ich ein Kecht hatte, auf mehr zu hoff'en, und ich will zufrieden darüber sein, daß ich endlich wieder ein Amt habe mit festen Pflichten und Rechten und Pensionsberechtigung, vor allem im preußischen Staatsdienst und wieder in Deutschland " Das Miß- liebige und Schwierige der neuen Stellung^), die als Einschiebung natürlich manchem unlieb sein mochte, wurde rasch beseitigt durch den Eigenwert seiner vortrefflichen Persönlichkeit, vor dem alles Kleinliche und Übelwollende zerstob. Der nach Leipzig berufene Gebhard, dessen Nachfolger er war, hatte gut vorgearbeitet; Otto Gilbert, der bald nachher die Leitung der Bibliothek in GreifswalJ übernahm, wurde durch Ernennung zum Extraordinarius ausgesöhnt; Lagarde erschöpfte sich förmlich, um seinen Ruhm zu verkünden.

*) Der Blaue Schleier ist auch aufgenommen in den Globus- Verlag. 2) Nach brieflichen Mitteilungen Scbemanns. Nekrologe 1919. (Jahresbericht f. Altertumswissenschaft. Bd. IslB.) 7

98 Alfred Curt Immanuel Schöne.

Das Gewinnende an Schönes Persönliclikeit tat natürlicli das Beste : sie zerstreute alle Vorurteile. Sehr bald war er im Kollegium all- gemein geschätzt. Seine Liebenswürdigkeit, sein Witz und seine Schlagfertigkeit machten ihn in vielen Familien zu einem willkommenen Gesellschafter, während die näher in sein Wesen Eingedrungeneu sich vor allem auch an der Feinheit seines Geistes und seinen reichen und vielseitigen Kenntnissen erfreuten. Mit gar manchem,, wie Schemanu, verband ihn auch die Älusik.

Seine bibliothekarische Tätigkeit hatte natürlich ihre Schatten. So sehr ihn seine ungemeine Vertrautheit mit Handschriften und seine bibliographischen Kenntnisse der geistigen Seite des Biblio- thekarberufes gewachsen zeigte, so wenig lag ihm die mechanische Art und Weise, die damals in dem Betrieb der preußischen Biblio- theken eingeführt wurde, und Wilmanns hielt auf diese auch bei seinem nur drei Jahre jüngeren Kollegen. Doch änderte sich auch dieses, als 1886 Wilmanns die Berliner Bibliothek übernahm und Diatzko an seine Stellp trat: ihn hat Schöne als den ihm gegen- über immer gleichbleibenden „gentleman" gerühmt. Bei den von diesem eingeführten Monatszusammenkünften zeichnete sich Schöne durch seinen Humor au'^., der gelegentlich sich auch durch launige Ansprachen kundgab. Ich habe ihn in Göttingen selbst mehrfach besucht, und tiefen Eindruck hat auf mich der Abend gemacht, den ich bei ihm mit meinem alten Kollegen Hermann Wagner, Moritz Heyne und Paul de Lagarde verlebt habe; Lagardes Liebenswürdigkeit, sprühende Gelehrsamkeit und die Fülle der auf tiefster Kenntnis der Persönlichkeiten beruhende Unterhaltung lernte ich bewundern ; und die freundliche Herzlichkeit gegen das alte Dienstmädchen, das seine Frau Schönen als Haushälterin vei'schafft hatte, war charakter- istisch für den großen Mann.

In Göttingen, wo Schöne bis September 1887 blieb, verwendete er seine knapp bemessene freie Zeit besonders auf Thucydides; er schrieb zahlreiche Rezensionen, wie über Flachs Marmor Parium ui^ Seeks Symmachus; er hielt einen Vortrag über den Königs- leutuant, edierte zum zweiten Male seinen Briefwechsel Lessings mit seiner Frau: vor allem verfaßte er zum 150jährigen Jubiläum Göttingens die Festschrift der Universitätsbibliothek : Die Universität Göttingen im Siebenjährigen Kriege , wertvoll nicht nur durch das materiell in dem Bericht Gebotene, sondern vor allem durch ihr Vorwort und die gegebenen Anmerkungen und Nachweise aus den Archiven der Universität, dem Königlichen Staatsarchiv zu Hannover und dem städtischen Archiv zu Göttingen.

Alfred Curt Immanuel Schöne. 99

Das war zugleich der Abscbiedsgruß , mit deui er Göttingen Lebewohl sagte ; denn endlich bot sich , nachdem viele Versuche, auch ziUetzt ein auf Straßburg gerichteter, gescheitert waren, die Aussicht, wieder in die akademische Laufbahn als Universitätslehrer einzutreten, an der doch sein Herz hing: die Fakultät in Königs- berg hatte ihn an Stelle H. Jordans denominiert, und der Minister hatte ihn berufen.

Vom Herbst 1887 bis Sommer 1892 lehrte Schöne in Königs- berg; er hatte viel unter dem Klima zu leiden, gegen das er im Sommer 1891 durch einen Aufenthalt in Ems, im Frühjahr 1892 durch einen Aufenthalt in Wiesbaden sich zu kräftigen suchte. Die Königsberger Kollegen jeep, G. Ilirschfeld, Ludwig, der liebenswürdige, zuverlässige, etwas verschlossene Mann, und Franz Rühl, den er von Paris her kannte, kamen ihm freundlich entgegen; Friedländer, den er um so lieber gewann, je länger er mit ihm verkehrte, zeigte ihm herzliche Freundschaft, die Juristen Güterbock , Zorn und Paul Krüger und der Philosoph Walter, 1er schon wegen seines Vaters, des Generalsuperintendenteu von Livland, Ferdinand Walter, durch Mitteilungen seines Freundes Eckardt ihm vertraut war , und der Kunsthistoriker Dehio sowie Prof. Baumgart nahmen ihn freundlich auf. In der seit 1815 bestehend*»\i „Montagsgesellschaft" fand er einen seine Ansprüche auf geistige Anregung voll befriedigenden Verkehr. Im ersten Semester las er über Lycurgs Leocratea und Gicero in Verrem IV; im Seminar behandelte er Sallusts Reden und Briefe, im nächsten Semester römische Staatsaltertümer und Gaesar. Daß diese Kollegien viel Arbeit schufen und, da er in ihnen zum Teil ganz neue Stoffe behandelte, ihm viel Mühe machten, ist begreiflich.

Schon kurz nach seiner Ankunft mußte er zu einem guten Zweck einen Vortrag halten : er wählte dazu den Königsleutnant in neuer Bearbeitung ^) ; auch zum Krönungsfest war er der Festredner. Dazu kamen die Abhaltung der Examina und zahlreiche Sitzungen in der Fakultät, so daß ihm wenig Zeit zu eigenen Arbeiten blieb: außer gelegentlichen zahlreichen Rezensionen über neue Werke der klassischen Literatur und der Philologie, unter denen die ein- gehenden und an fruchtbaren Bemerkungen ertragreichen Be- sprechungen über Thucydides-Literatur, vor allem über Rutherfords

1) Anläßlich von Martin Schubarts Fran^ois de Theas, Comte de Thoranc (München 1S96', hat er später in der Deutschen Rundschau das in den beiden Vorlesungen Behandelte genauer bearbeitet herausgegeben. Auch in diesem Aufsatz spendet er eine Menge neuen Materials in der

erfreulichen Form des litererischen Essays.

7*

IQO Alfred Ciirt Iniraanuel Schöne.

Ausgabe des R^. Buches sicli finden, und die Besprechung des Buches seines Freundes Polle : Wie denkt das Volk über die Sprache? in der Zeitschriftenliteratur, hat der immer tief in der Arbeit und in neuen Plänen sitzende Mann in Königsberg nichts geschrieben: nur die eindrucksvolle Rede: Über die Entwicklung unseres Nationalbewußtseins, die in einer zweiten Auflage erscheinen mußte, und die schon erwähnte Schrift über seinen im holländischen Dienst in Java ergrauten Onkel, der 1888 gestorben war, hatte er in Königsberg zu verfassen Zeit gefunden. Von der 1889 zum Krönungstage gehaltenen Rede über das Wachsen und Werden des Römischen Reiches habe ich kein Exemplar zu Gesicht bekommen.

So verliefen die Königsberger Jahre in stiller Arbeit und an- regender Geselligkeit, nur daß das weite Getrenntsein von denen, mit denen er am liebsten zusammen war , mit den Verwandten in Berlin und den Freunden im Reich, ihm bittere Empfindungen brachte. Erfreulich kam ihm deshalb der Ruf nach Kiel ; durch die Umsiedlung kam er doch wesentlich näher an diese heran.

In Kiel ist er von 1892 bis zu seinem Ende geblieben. 1895 erhielt er den Titel als Geh. Regierungsrat, 1902 trat er in den Ruhe- stand, bei seinem Abschied geehrt durch einen dankbaren Gruß seiner Schüler. In Kiel hat er sich auch 1893 einen eigenen Hausstand gegründet durch seine Ehe mit Margarete geb. Eckardt, einer Frau von ebenso großer Herzensgüte als seltener Gemütstiefe und Bildung, die ihm nicht nur ein glückliches Leben im Hause, sondern auch einen befriedigenden Ersatz für die Mühen und Schwierigkeiten der amtlichen Tätigkeit bot und seineu häuslichen Verkehr mit allen Vorzügen einer gesegneten Persönlichkeit erfüllte. Der Verkehr mit vertrauten und gleichgesinnten Genossen , wie mit seinem Kollegen Ivo Bruns, den er von Paris her kannte, und den er leider schon 1901 verlor, dem Oberlandgerichtspräsidenten Beseler, dessen geistig bedeutende, liebenswürdige Gattin eine Tochter Moriz Haupts war, mit dem Amtsnachfolger Beselers Andrae, dem Germanisten Gering, dem Philologen Bickel, dem Lehrer des Staatsrechts und Parlamentarier Hänel , dem Archäologen Sauer, dem Mediziner Quincke , dem Kunsthistoriker C. Neumann , den Theologen Baumgarten und von Schubert, dem Historiker Fester, der zu seinem Leidwesen nur zweieinhalb Jahre in Kiel blieb, bot reiche Gelegenheit zu geselligem Umgang und ließ ihn die durch die Koterien und die Machtverhältnisse bei Besetzung von Amtsstellen und durch mißliche Verhältnisse in Universitätsangelegenheiten erwachsenden Schwierigkeiten vergessen. Obgleich er durch Ge-

Alfred Cuit Iminaimel Schöne. 101

sundlieitsstörungen öfter zum Aufenthalt in Bädern gezwungen war, gab er docli den Gedanken, Kiel zu verlassen, auf, und als sein Bruder in dem bei Lübeck gelegenen Ostseebad Timmendorf ein Haus zum Sommeraufenthalt erworben hatte , war er auch diesem liebsten Genossen nahegerückt. Im Frühjahr 1902 zeigte er seiner Frau Rom, 1906 feierten wir seinen 70. Geburtstag in St. Goar, woran anschließend er mit seiner Frau nach Paris reiste.

AVie er in Gotha in der Arbeit Trost gefunden, so erhöhte in Kiel gesteigei'te Arbeitslast seine Arbeitslust und Arbcitsfreiidigkeit. Er schrieb seine kostbaren, ebenso gedanken- wie erfolgroiclieii Reden über das historische Nationaldrama der Römer, die Fabula praetexta, über die Alkestis des Euripides, in der er die auffallende Bezeichnung des Stückes als Satyrdrama durch Heranziehung des gleichnamigen Stückes des Phrynichus als eine Travestie zu er- weisen suchte , über die Ironie in der griechischen Dichtung, insbesondere bei Homer, Aischylos und Sophocles , wobei be- sonders des Sophocles Odipus Rex eine überzeugende Behandlung erfährt, und über die beiden Renaissancebeweguugen des 15. und 18. Jahrhunderts: in ihr setzt er mit überzeugender Beredsamkeit die Macht der römischen Literatur auf das 15. Jahrhundert und die umgestaltende und erneuernde Kraft der hellenischen "Welt auf das 18. Jahrhundert auseinander und erweist so die befruchtende Kraft des Altertums. Weiter verfaßte er die Universitätsprogramme 1894, 1896 und 1898; in den Coniectanea critica 1894 setzt er in über- zeugender Weise die notwendige Änderung zahlreicher Klassiker- stellen auseinander und gewinnt mit der Deutung des byzantinischen ßix als Sita' den Übergang zur Einladung zu Kaisers Geburtstag; in den Programmen von 1896 und 1898 gab er nach dem codex Seitenstettensis Plutarchs Solon I XII und XIU XXXII muster- gültig in neuer Fassung heraus. Vor allem aber veröffentlichte er 1900 sein vortreffliches, mit alten Irrtümern und neuen Vorurteilen aufräumendes Buch Die Weltchronik des Eusebius in ihrer Be- arbeitung dui'ch Hieronymus (Berlin, Weidmann), mit dem er seinem Bruder zum 60. Geburtstag eine würdige Gabe bot.

Schon 18t»7 und 1875 hatte er selbst in den Göttinger Gelehrten Anzeigen die beiden Bände seines Hieronymus besprochen, um eine Ein- führung in die Bücher zu geben und die Schwierigkeiten des Verständ- nisses ihrer außerordentlich verwickelten Aufgabe zu erleichtern. Das Jahr 1889 brachte die Auffindung eines neuen, an Alter und Wichtig- keit alle anderen übertreffenden codex : nach Oxford war diese allerdings schon von Pontanus benutzte Handschrift gekommen, Avelche

102 Alfred L'iii't Immanuel Schöne.

jetzt Momnisen durch Nicliolsou bekannt wurde. Im 24. Band des Hermes wies Mommsen auf sie in einem vorläufigen Bericht hin; durch seine Vermitthing erhielt Schöne eine Collation des Codex und erklärte sich zunächst zu einer Neubearbeitung der Chronik bereit, trat aber in der Folge von diesem Vorhaben zurück, um in einer selbständigen Arbeit seine über die Chronik inzwischen angestellten Untersuchungen zu veröffentlichen. Diese begann er mit den Chronici libri des Eusebius, der Chronographia und den Canones, um dann zu den Handschriften des Hieronymus überzu- gehen. Er bespricht den Amandinus, den er früher selbst gefunden hatte, den Leidensis, den Bernenis, Fieheriauus, den Petavianus, die Fragmenta Petaviana (die schöne Arbeit von L. Traube über den codex Floriacensis vom Jahre 1902 gibt die von Schöne ge- fundenen Resultate in erweiterter Fassung wieder), den Middle- hillensis, den Fuxensis (Montpellier), den Schöne nicht selbst ver- glichen hat, dessen Abschrift aber, den codex Regln ensis, er von seinem Bruder kollationiert erhalten hatte, den Middlehillensis 1872, den Londinensis. den Leidensis c. Zu diesen codd. tritt nun als ältester, nach Mommsen auch als wei'tvollster cod. der Oxoniensis ^).

Nachdem er die unrichtige Bewertung der Handschriften durch Scaliger und die Interpolation in der Vorrede des Hieronymus, die er schon in den (^uaestiones gefunden, noch einmal erwiesen, kommt Schöne nach sorgsamer Einzeluntersuchung zu dem Resultat, daß die guten codd. in Anordnung und äußerer Einrichtung sowie im Wortlaut miteinander stimmen, daß von Olymp. 65 an der einzelne Kopist mehr Freiheit gewinnt und die Genauigkeit allmählich gelockert und zuweilen gänzlich aufgegeben wird. Entscheidende Bedeutung legt Scheine auf des Hieronymus Geständnis, daß er sein ojms tmnul- tuarhim mit größter Schnelligkeit seinem notarius in das schon an- gelegte Schema hineindiktiert habe, und stellt eine Anzahl Stellen zusammen, in denen Hieronymus bei einer zweiten Bearbeitung seine Verbesserungen einsetzte: so erklärt er vor allem das Athlamos. cuairrit (AA 2263) als erste Fassung, die durch das qitadraginta missus. cucurrernnt ersetzt wird ; das Schwanken von Epimenides emendavit und subvcrtit (yta^aigei und VMiyaiQEi: AA 1423), die Vertauschung von Probus und Equitius (AA 2388), die Auslassung der Melania (AA 2390), die Änderung in der Erwähnung des Rufinus (AA 2393). Diese Stellen scheinen zu beweisen, daß Hieronymus Änderungen in suis cxemplarihus . von denen die

^) Ich Lenierkc, dal» die Kollalionsexeiiiphue zum Hieronymus sämtlich nach dem Willen Schönes der Gothaer P.ibliothek ühergelien worden sind.

Alfred Curt Immanuel Schöne. 103

exemplaria Romana , rl. li. die in Rom liergestcllten Exemplare eine besondere Klasse bilden, eingesetzt habe und diese von den ohne sein Zutnn gemachten Privatexemplaren zu nnterscheideu sind. Auf diese Unterschiede hin, in Verbindung mit sorgfältig festgestellten Eigentümlichkeiten der Schemata, kommt Schöne zu der Filiation der Handschriften : zu der ersten Klasse ge- hören der Oxoniensis, Berolinensis, Middlehillensis, dann der Ainau- dinus, Petavianus, Fragmenta Floriacensia, während der Bongarsianus, Fuxensis (Reginensis) und Londinensis, der älteste Vertreter des spatium liistoricuni . der codex Leidensis die zweite Gattung ver- treten. Bei dieser Erörterung finden die tadelnden Bemerkungen Mommsens ihre in der Form würdige, in der Sache scharfe Zurück- weisung: eine Neubearbeitung des Hieronymus ist nicht nur wegen der Neuauffindung des Oxoniensis, sondern auch wegen dieser von Schöne aufgefundenen Entwicklungsstufen notwendig. Weiter be- spricht er S. 131 227 in klar angelegter Untersuchung, bei der sich auch Nichtbenutzung des Ammiauus Marcellinus durch Hiero- nymus herausstellt, noch 19 Fälle, in denen sich Varianten der verschiedenen Verfertiger als Textänderungen des Hieronymus er- weisen lassen •, die weiteren Untersuchungen behält er einem tüch- tigen Neubeai-beiter vor. Nachdem er sodann in der genauer fest- gestellten Biographie des Hieronymus für die Abfassung der ersten Bearbeitung der Chronik die Zeit bis ungefähr Sommer o81, für die zweite die Zwischenzeit zwischen dem Concilium zu Konstantinopel und dem zu Rom 381 382 festgestellt hat, bespricht er im letzten Kapitel seines Buches die Originalvorlage der Libri Chronici des Eusebius selbst, in der er gleichfalls zu einer neuen Auffassung gelangt. Auch sie haben eine zweifache Bearbeitung erfahren, die erste haben wir in der armenischen Übersetzung, für die die Auf- ündung der Handschrift von Etschniadzin nicht viel Neues erbringen wird, die zweite in der Übersetzung des Hieronymus und in der syrischen Chronik.

Mit diesem tiefgründigen Buch hat Schöne die über ein Menschenalter nie aufgegebenen, wenn auch öfter unterbrochenen Studien für Hieronymus, der seit Scaliger, wenn nicht unbeachtet ge- blieben, so doch nie mit Ausdauer und Erfolg behandelt worden war, abgeschlossen und ein Werk geschaffen, das jeder, der die von ihm begangenen und gangbar gemachten Wege wieder betritt, nötig hat, um sich zurechtzufinden. Der Name Schöne ist mit Hieronymus auf immer verbunden.

Außerdem hatte er in Kiel schon zwei Jahre vorher auch den

104 Alfred Ciirt Immanuel Schöne.

33. Band der Sopliienansgabe von Goethes Werken fertig gestellt, die Canipagne in Frankreich 1792, eine Arbeit, auf der die neue Ausgabe von Roethe beruht. Jlit welchem Eifer und Avelcher Sorg- falt Schöne gearbeitet hat, jceigten die 45 Seiten umfassenden Er- klärungen; trotzdem war der Band das einzige Werk, das er gegen mißgünstige Kritik zu verteidigen hatte und mit einem für den Gutgesinnten vollen Erfolg verteidigt hat (Zeitschr. für deutsche Philo]. XXXII, S. 288 fr.). Seine Mitarbeiterschaft an der Goethe- ausgabe aber hatte ihm die Einladung zur Einweihung des Goethe- Schiller-Archivs zu Weimar am 28. Juni 1896 gebracht; diese hat er in einem weihevollen Aufsatz in der Rodenbergschen Deutschen Rund- schau geschildert , der ihm die rückhaltlose Billigung der Besten eintrug.

Es bleibt noch ein Werk zu erwähnen, mit dem er zum zweiten Male vor das Publikum trat: Lessings Werke, 17. Teil, Schriften zur antiken Kunstgeschichte, die er nach der Hempelschen Ausgabe von 1878 im Deutschen Verlagshaus Bong & Co. im Oktober 1910 herausgab. Mag diese Schrift auch in manchen Stücken die erste Ausgabe wiederholen, so ist sie doch ein völlig neues Buch geworden; man vergleiche nur das letzte Kapitel, in dem er die berühmte Stelle Lessings besprochen hat : Was ist denn Bauernstolz, wenn das nicht Bauernstolz ist? Diese Schrift, bei deren Abfassung er schon mannigfache Leiden zu bestehen hatte, ist das letzte Werk, das er geschaffen hat: er hat es mit vieler Mühe zustande gebracht, seine Arbeitskraft war schon erlahmt.

Von 1910 an beginnt schon seine sonst so klare Schrift zitternd zu werden; am 3. Juni 1915 habe ich die letzten Zeilen mit Grüßen von ihm empfangen ; mit Schmerz sah ich die Veränderung der Züge. Am 16. Oktober 1916 wurde Schöne noch eine große Freude und Befriedigung zuteil, als ihm die Kieler theologische Fakultät das theologische Doktordiplom überbrachte, den schönsten Lohn für seine unvergänglichen Verdienste um den Hieronymus.

In den Jahren nach Aufgabe seiner Lehrtätigkeit hatte Schöne sich noch reichlich mit neuen Aufgaben beschäftigt : eine sollte über die Abecedarien und griechische und lateinische Syllabarien handeln, in der auch über Lesen und Schreiben, über elementum, über Zauberformeln u. a. die Rede sein sollte, eine andere über Palinodie und Verwandtes. In den letzten Jahren beschäftigte ihn das nicht mehr; er las noch vielerlei, aber die Schwäche des Gedächtnisses, das Versagen der Hand und der Augen hinderte die Arbeit; es war wehmutsvoll, den starken Mann in dieser geistigen Schwäche zu

Alfred Gurt Immanuel Schöne. 105

sehen, von der er allerdings nichts merkte, und in der er dahin- schwand. Am 8. Januar 1918 ist er, bis zum letzten Augenblick umhegt und gepflegt von aufopferndster Liebe und Sorgfalt , sanft und schmerzlos aus dieser Welt der Schmerzen geschieden.

Schöne hatte ein außerordentlich reiches, vertieftes Wissen von den Werken der klassischen Literatur und der Welt des XVIIL Jahr- hunderts; staunenswert war seine Vertrautheit mit den Schätzen der Zeiten, die die klassische Periode geschaffen haben, und sie mit jenen in Beziehung zu setzen und in nationalem Sinn zu verknüpfen, war seine Lieblingsbeschäftigung. Dazu hatte er sich von früh auf eine glänzende Bibliothek geschaffen, in der alles vorhanden war, was er brauchte: HieronA'mus neben Thucydides, Tacitus ^) neben Cicero, Goethe neben Lessing. Und wie lebte er mit und in seineu Büchern? Fast jeder Band trug Notizen von seiner Hand, fast jedes Heft war mit Randbemerkungen beschrieben; eine Hand- bibliothek von mehr als 3000 Nummern bildete seinen nächsten Umgang, fast jedes Stück in Umschlag und versehen mit der Zu- schrift des Verfassers ; dazu kamen Kollationen von Handschriften des Hieronymus, Thucydides, Plutarch u. a. Nachdem er schon einmal einen Teil seiner Bücher verkauft hatte, umfaßte die von Lipsius und Tischcr erkaufte Sammlung nach seinem Tode noch zirka 10 000 Werke, die in drei Katalogen verzeichnet ein Euhmeszeichen seines sammelnden und suchenden Fleißes und seines auf keinem Punkte versagenden Interesses sind. Als sorgfältiger Sammler war er auch (ün sorgsamer Briefschreiber, der genau über jedes Schreiben Rechenschaft abzugeben imstande war. Und wie vielseitig war seine Korrespondenz !

Alfred Schöne war ein reicher Geist, dem die Fülle des Aus- drucks zu Gebote stand; er war ein fester und gerader Mann: eine von ihm verteidigte Meinung galt ihm in alle Wege. Er war offen und zuverlässig : was er zugesagt hatte, dessen konnte man von ihm sicher sein. Was ihn besonders seinen Freunden wert machte, er war treu wie Gold : wen er einmal angenommen , konnte auf ihn rechnen für und für. Jordan, Dilthey, von Holstein, Lagarde, Polle und ich können dafür als Zeugen gelten ; vor allem seinem Bruder war er mit einer Liebe zugetan, die vorbildlich ist. Es war eine Freude, zu sehen, wie er seine Frau verehrte, und wie sie alles tat,

*) Er hat, obgleich er über Tacitus' Dialogus öfter gelesen, diesen nicht, wie man nach der Angabe des Katalogs II n. 2996 erwarten könnte, heraus- gegeben. Der 1899 in Dresden von A. Schöne edierte gehört einem gleich- namigen Autor, der mit dem Kieler Professor nichts zu tun hat.

106 Alfred Curt Immanuel Schöne.

um diese Verehrung zu verdienen. Er war, wie Scbemauu in der Biographie von Lagarde sagt, einer der wertvollsten, feinsinnigsten und sympathischsten Humanisten, welche das Zeitalter Lagardes aufzuweisen hat. Er lebte in der klassischen Literatur und in der des 18, Jahrhunderts. Bei seiner vielseitigen Begabung war er der beste Gesellschafter, ein ausgezeichneter Erzähler, ein vortrefflicher Unterhalter, der in seiner satirischen Haltung freilich wohl manchen verletzt hat, in seiner politischen Gesinnung ein freudiger Bekenner des Preußen- und Deutschtums, wie es Bismarck den Seinen ge- schaffen. 'In seiner stimmungsvollen Seele, sagte Otto Baumgarten an seinem Sarge, war heiliges Schönheits- und ehrfürchtiges Heilig- keitsgefühl vereint. Die Antike und das Christentum , der Geist Piatos und Luthers, das Staatsgefühl der Römer und Bismareks, der kritische Geist Lessings, das Lebensgefühl Goethes und die ewige Friedenssehnsucht entschiedenen Christentums waren in ihm zu einer Harmonie gekommen, die durch sein ganzes gehaltenes und beredtes Wesen hiudurchstrahlte und ihm seine anmutige Art, sich zu geben, verlieh, die uns so oft beglückte. Auf dem Grunde dieser schönen Humanität lag die Ehrfurcht vor dem Heiligen, dem er sein Leben, seine Freude, seine Leiden, die Führung des eigenen und des Lebens seines Volkes dankte und überließ.' Equidem antiquiorum sum hominum, sagt er einmal von sich, und es ist wahr, er hat Enttäuschungen bitterster Art erlebt an Volk und Vaterland, aber das Schlimmste und Fux'chtbarste zu erleben ist ihm durch den Toi erspart geblieben. Darum scheide ich von ihm mit dem Spruch des Philitas :

Ol) y.laict) ^eivcov ae (piXalxaxE' noX/.a yaq e'yvco^ y.a?M, '/M'/Mv d' av gol /^olgca' i'retue i^eog.

Alfred Ciirt Iiiiiiianuel Schöne. 107

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Zwölf Lieder für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte, komponiert und Herrn Hauptmann gewidmet von A. S., Leipzig, Breitkopf & Härtel.

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Eusebi Chronicorum libri duo edidit A. S. vol II Eusebi Chronicornm quae supersunt edidit A. S. Armenicam versionera

108 Allred Curt Immauuel Schöne.

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logus de orotoribus : Rh. Mus. 1870, 637 640. Die Biographien der zehn attischen Redner: Fleckeisens Jahrb»

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n. 51 !Morgenausg. Eine Win terf ahr t du r ch Sizilien: Ebenda. 28. März 1873

n. 147 Morgenausg. Jahresbericht über die griechischen Historiker mit

Ausnahme von Herodot und Xenophon von 1873 bis 1876 von

A. S. I: Thucvdides: Bursians Jahresbericht II, III, I, p. 811

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PA Jahresbericht über die Fort-

3 schritte der klassischen

J3 Altertumswissenschaft

Bd. 178-181

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