ALLE EEE RER 7 nn 2 N Te rer >. Pte rer x in ru. 2} an cs ten are Pr ne Net tn R In ehr - TE TE a ut —— ee BE PR JENE N RE HE SEN PETE 5 ut ee " . rn vorm wir 1 nn nt Pound 194} HARVARD UNIVERSITY ji ln) NS uw LIBRARY OF THE MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY 9 an ner en u gi un mn u > : 5 £ u c = - ER AR Fenaeı RR. z - Ka: £ ME . a ji 2 er ” ; . Ä | : < : 3 e f ; \ x “ 3 | 'ö \ 3 = ER ne en, - z BE, Sr 5 zT . & \ % | a > ar% | $ | | E h- su | | u - P Pr I n* ts. n a Sr 2% AS 2} r änderungen Se sr x “ > u ndlung. ischen Inhal “ Isch 1 + i g dVei R E m 3 > en. es n.tl Ame : a ie > “1897. jr ’ sec x 7 Dr OR N un en A ‚Oo a | > u ; 7% Be =. $ nn v = P a o ee Den z bien er! Br; ,, \ j re 7 ir. rg = En ü - x - [-T7 ) L am z ; > 5 Rs TER 2 Pi 5 Ev fd} — HRR a a: ke u = 7 i er u SS er Be Br 8 Ei’ BER x ER Seen = 48 re N ya E er.d er a Br hol h Pa" Sr > Er, un ? BR ngs 7 D er nd n ; war e ‚ a * Em .# DS FE, Da | 2 ch wur ı 47 Ar “, j ; Ä + : | | $ ut ech “ ar 2 £ ie j t y ’ a Pe N 3 ie A Pr 3% , h sr v ER fe: a RR ni 2 le f- > j erich a » x nie * * a Be be 3 nd RT “@. ee - ise rg r 5 yp x Sy x x Fl F a [; Re F 1 “= + x s pe PETER BR: o dh s e Erg i } erzu. < i “a” u er Pe 3) a} ener a “ > 2 z a. rw ee n G Em. N 2 e es SO m Y DAR Aa ne yı N 2 N MN = RIBISEN Er 5 = = “= 72 RE ” erg An re we mild: a ART 3 % “ x Ks 4 X \ : f i ı a IV I j 1 y Ä FA f 4 |; > v a - - . ur \ 2 i Sa Vi A Achtundsechzigster Jahres-Bericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Gultur. En uh alt den Generalbericht über die Arbeiten und Veränderungen der Gesellschaft im Jahre 1890, Hierzu ein Ergänzungsheft botanischen Inhalts. ee ee ‘ Breslau. G. P. Aderholz’ Buchhandlung. 1891. 2 en ehr Inhalt des 68. Jahres- Berichtes. Allgemeiner Bericht Seite über die Verhältnisse und die Wirksamkeit der Gesellschaft im Jahre 1890, abgestattet vom General-Secretair, Bürgermeister Diekhuth......... 1 Ski, JE 215 Nase our 3 Seen nt lee re EEE Be Bericht des Custos der Herbarien......... 3 BERNER ONE ET He AED £ Bericht über die Kassenverwaltung im Jahre 1890 ..............22c2rencn. 10 Verzeichniss der Akademien, Vereine etc., mit denen die Schlesische Gesell- schaft im Schriftenaustausche steht .........: Re Ne RT 10 Wanderversammlung zu’ Brieg am. 15. Juni 1890 .. 2... 2 an unean en 19 Wissenschaftliche Vorträge, gehalten auf der Wanderversammlung zu Brieg: Cohn, Ferd.: Ueber Wärme - Erzeugung durch Schimmeipilze und Baolemelknye ne es hen DR IR Helene ER DR FREETEN RAR 23 Cohn, Herm.: Ueber eine neue Verwendung der Photographie zur Diasnese den: Augenkrankheiien 24: ea. en ar en 30 Kadenburg::Veber die kritische Temperatür.. 2.7... .. ...20....,, N. Malachowski: Beiträge zur Pathologie des Blutes................. 31 Müller: Beiträge 'zur Kenntniss des Sputums”. ... ..........unt:. Bee 29 Prantl:Weber’den Baum in den; Gartenanlagem. N ...2... cn... 22. 21 Röhmann: Ueber Versuche zur Therapie der Jodoformwirkung ..... 22 I. Medieinische Abtheilung. Sitzungen der medicinischen Section. Adler: Ein interessanter Fall von sensorischer Aphasie................... 70 Alexander: Bemerkungen zum Vortrage des Herrn Ponfick über Pancreas 18 Eger: Lymphangiectasie und Lxmphorrhagie im Bereiche des beiden grossen SCHEIBEN ART TE NDS HER RR ee 23 Fränkel, E.: Ein doppelt-mannskopfgrosses, granduläres Ovarialeystom mit zahlreichen Spontanrupturen, sowie Erguss und längerem,. unschäd> lichem Verweilen reichlicher Gallertmassen in der Bauchhöhle ....... 68 IV Inhalts - Verzeichniss. Freund, C. S.: Ueber einen Fall einer bisher noch nicht beschriebenen Form gs FOR -Nystagmus: „2.2 ara en EL RR Se 51 Freund, C. S. und Kayser: Ueber einen Fall von Schreckneurose mit Gehörs Atgomalıen ;. al ee Ne FR 58 Gläser: Demonstration frischer Präparate: a. serhornte Strietura Urelhrae.......n..- na. Be: 24 b. ein Haematom am Kehlköpie:...- „2... u 200... Eee 6 Hecke: Ueber die operative Entfernung von Hammer und Amboss behufs Heilung gewisser Formen von Eiterung und Caries der Paukenhöhle . 40 Hirt: Ueber die Bedeutung der Suggestionstherapie für die ärztliche Praxis 31 Hürthle: Ueber die Phasen der Herzkammerbewegung .................. 20 Jadassohn: Vorstellung eines Kranken mit einem Primäraffeet an der linken Tonsillen oe a er a ee 45 Janicke: Ueber Mixoedem mit Demonstration eines einschlägigen Falles... 19 Kabierske jun.: Ueber eine neue Pereussionsmethode und deren Bedeutung für ‘die Lungenspitzen- und Herzexceussion. .- -Serac.. weder una 6 Kayser: Demonstration einiger rhinologischer Gegenstände ............... 53 Kolaczek: Veber Nieren-Eystrpalinn mn 0 u a ee ee 25 Malachowski: Ueber einen verbesserten Apparat zur Punktion der PIEUrA en ne er a ee re re N ae 49 Müller, Fk.:. Zur "Kenntniss des Morbus. Bäsedowü..... .-.- cn. uecca.en 56 Neisser: Vorstellung von Kranken mit Lichen ruber, Pityriasis rubra, Favus und «Mytasıs Aungordescre. were tee eek ee 38 — Wann und wie sollen wir die Gonorrhoe behandeln?................ 64 — “Diseussion.über letzteren Vortrag... 2... ..2 0 2a 70. 82 Partsch: Demonstration eines Falles von traumatischem Gaumendefect, geheilt durch Zweizeriize Uranopläastik. 5%. „=. essen. 42 Donfick: Zur Pathologie der Panceregs.zn „0 0.0 ee ee 15. 18 HKosenbäach: Ueber Plasmodium Malanae.... 2. .uner.u rn m ernten 14 Rosin: Untersuchungen über das Indigoroth (Indirubin) ...... .......... z Tietze, A.: Kranken-Vorstellung: a. Sarkom am Kehlkopf-Eingange .......t.. au... BI ER 1 b. Frau nükigeheter Magenbtel EEE ee 2 c, Mann mit umfänglicher Nasen- und Wangenplastik .......... 3 d. Fall mit eigenartiger Gangrän an den Fingern....... ...... 3 Wernicke: Vorstellung von Kranken in der psychiatrischen Klinik........ 37 Sitzungen der Section für öffentliche Gesundheitspflege. Schmeidler: Ueber den gegenwärtigen Stand der Influenza in Breslau... 83 Simon: Zur Reform des Anmelde- und Desinfectionswesens bei den anzeige- pflichtigen Krankheiten . u. 14.2: u De. Da na: Sa. ; Inhalts - Verzeichniss. I. Naturwissenschaftliche Abtheilung. Sitzungen der naturwissenschaftlichen Section. Anderssehn:. Heber' DiAusion..- -....2 : =. 2.0. 00a en aaa an Bergmann: Ueber die Inductionswage und die Beobachtungen mit derselben Gürich: "Ueber die Schlammvulkane von Javar.2. m... 22m. san. dersane. Kassner: Eine neue Methode zur Darstellung von Sauerstoff für Unterrichts- le en ee RA Re RENT REN A: Kliche: Ueber angebliche Oxylsulfurete des Kupfers ...........22222222.. Kosmann: Ueber den Goldbergbau in Siebenbürgen. ..........:.:2mu 2... — Ueber die Nickelerze von Frankenstein in Schlesien.................. Kunisch: Ueber das Liegende der Kreideformation in Oberschlesien ..... Ladenburg: Ueber die Synthese von Alkaloiden..............erssscr00: — Weber die chemiseche-Natur.des Stickstioßs -..... 2.20.00 2uananeon one I EDET IT un BR N Langenhan: Mittheilungen über den oberen Jura von Hansdorf bei TONER ZN ee ENTER Poleck: Mittheilungen über die vorläufigen Resultate einer chemischen Untersuchung des ätherischen Oels der Lindera sericea ............. — Ueber türkisches und deutsches Rosenöl ............:ce2scecenornn Römer: Ueber Granitstücke mit Einschlüssen von feinkörnigem Gneiss aus einem Steinbruche von Laasan bei Saarau, und über gediegenes Eisen US GRONAU. AR RR EN EN EAN IR HE SIR SA NO Siehatf:, Zur Geschichte der ältesten Chemies . ..... 22. 20.4200 ac en — Ueber die elektrische Erregung des Glases beim Reiben mit Wolle... Semmler: Ueber indisches Geraniumöl von Andropogon Schönanthus B... Thümmel: Ueber die chemische Zusammensetzung des Rindermarks...... Trautschold: Ueber die dem Kaukasus vorliegende trachytische Berg- Brüppe! Beschtame rss nern LERPDH BIENEN NR Sitzungen der botanischen Section. Cohn, Ferd.: Ueber das Breslauer Herbar von Paolo Boccone... ........ — Demonstration sogenannter Sternschnuppengallert ................... — — von Caulerpa prolifera, australischen Meeresalgen etc............ zu a von»Samereien aus Hissarku. 2... un... aan ne an. ne ee — Ueber den wissenschaftlichen Nachlass des Wundarzts Knebel ........ = Vehenier Reizleitung bei Mimdsa,pudiea!. 2a: a aaa — Ueber die Monographie der Baltischen Bernsteinbäume von Conwentz — Demonstration von Pflanzenpräparaten aus Konstantinopel........... Fischer: Beiträge zur vergleichenden Morphologie der Pollenkörner ...... Ban pricht: ' Ueber, neue, Lanhmoose.:..... u... ln Mi el er VI Inhalts -Verzeichniss. Prantl: Demonstration der 9‘ Blüthen von Pandanus furcatus............ Schube: Ueber die Phytologia magna von Israel und Georg Anton Volck- Stenzel: Ueber die Fruchtformen des Bergahorus ... ......- „ser... ... —... Ueber zweizählige Orchideenblüthen .-. -...2.- 2.0.2. 2.2.2000 2 Wojinowie: Deber Thorea Tamosissima Bory 2: 1... 00. u er Br — Beiträge zur Morphologie, Anatomie und Biologie der Selaginella lepidophyda na ee ea > nee ehe . Re EL Sitzungen der Section für Obst- und Gartenbau. Beuchel: Ueber die Orchideen und ihren Werth als Schnittblumen ...... Gohn, Ferd.: Vergangenheit und Zukunft des Scheitniger Parkes......... Jettinger: Ueber die 12. allgemeine Versammlung des deutschen Pomologen- METEINE Se. RA Er NR a SEHEN Prantl: Bericht über den Ausflug der Section nach Kleinburg und Hartlieb tichter: Ueber diejenigen Bäume und Sträucher, welche sich in Städten am widerstandsfähigsten gegen Russ gezeigt haben ....:............ Schütze: ‚Bericht (über die. Ausstellung »zu ‚Oppeln .r. 2.72. .cn u. 0 Were 3 Sutter: Anlage von Muster-Obstgärten durch Pflanzung der anbauwerthesten Obstsorten und Bericht der Commission über diesen Antrag ......... Ill. Historisch-staatswissenschaftliche Abtheilung. Sitzungen der Section für Staats- und Rechtswissenschaft. Elster: Ueber die Geschichte des internationalen Socialismus............. a Grünhagen: Ueber die schlesischen Städte unter Friedrich dem Grossen.. Holz: . Deber./den ‚Beruf des/modernen Banguiers „apa nase IF nt en Petersen: Ueber Gefängnisskunde .. 7. er.2.22% 2 ae Baar | Rosenbaum: Die Silberbill der Vereinigten Staaten von Amerika, deren Rückwirkung auf die Münzverhältnisse Europas und deren Einfluss auf den europäischen wie asiatischen Waarenmarkt............»........ Schmidt: Ueber das Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Alters-Ver- sicherung Kom 22. In NSRN ee N NE Sitzungen der historischen Section. Pfotenhauer: Ueber berühmte Schlesier als Kaiserliche Pfalzgrafen...... Reimann: Ueber den Aufschwung des preussischen Berg- und Hüttenwesens in. den Jahren ITB3 1 TBB Hr Be PR a ek — Ueber die Stellung Friedrichs des Grossen zur Religion und Philosophie in. den Jahren 1736-1788: 2 22.22.22 ss rk are ua rt 108 111 103 106 105 107 34 43 36 42 17 49 >4 Inhalts - Verzeichniss. VIl Geographische Section. Seite Galle: Allgemeine Uebersicht der meteorologischen Beobachtungen auf der Königlichen Universitäts-Sternwarte zu Breslau im Jahre 1890........ 57 Nekrologe auf die im Jahre 1890 verstorbenen Mitglieder: Blow, Paul Commerzienraihr une Stadiralh”. . 2.2. 2.2 esse euer en ie. 17 Dintlos, Adolf: Protessoi Dr phil. ek med... 2... .+ 2.00. neueren, OR 1 Prinz CıaEzw Hobenlohe-Inzelfiingen‘, Durchlaucht: =... =... >... 6) Tansekhudol: Dr. med., Stabsarzt 2 DE... 2:2. nenn. 18 Kauffmann, Iuhası Commetzienrath#.. u N ee 15 Löwig, Carl, Dr. phil., Geheimer Regierungsrath und Professor ........... 7 eRoedern, Erdmann. -Assesso®r 3. D. AR... 2.220 Nee ehe 16 . Schlockow, Isaak, Dr. med., Sanitätsrath, Polizei- und Stadtphysikus..... 13 Schneider, F. A., Dr. phil., Geheimer Regierungsrath und Professor ....... 1) Renubenie Carl Anotheker. „2 te BEN ee a ee 6 Samınla,.Gh.H., Dr med... Geheimer Sanitätsrath ..........2......20.... 92 nme Gay Apotheken... 2. 2. 2 an a ee ae 20 Schlesische Gesellschaft für vaterländische Gullur. es gan ah a Hals Bescminsank mäbasdaieliov Pd 68. Jahresbericht. Allgemeiner Bericht. 1890. &ı NIE 20 Allgemeiner Bericht über die Verhältnisse und die Wirksamkeit der Gesellschaft im Jahre 1890, abgestattet in der allgemeinen Versammlung am 17. December 1890 von Bürgermeister Diekhuth, z. Z. General-Secretair. In der am 17. December 1889 unter dem Vorsitze ihres Präses, des Herrn Geheimen Medicinalraths Professor Dr. Heidenhain, abge- haltenen ordentlichen Generalversammlung der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur erstattete der General-Secretair, Bürgermeister Diekhuth, den vorgeschriebenen Verwaltungsbericht für das Jahr 1888. Darauf wurde von dem Herrn Schatzmeister, Stadt- und Commerzienrath Bülow, der neue Etat für 1890/91 zur Kenntnissnahme vorgelegt. Hierauf erfolgte die Wahl der 15 Mitglieder des Directorii für die Ver- waltungszeit der beiden Jahre 1890 u. 1891; es wurden zu Directoren gewählt die Herren: 1. Geheimer Medieinalrath Professor Dr. Heidenhain, 2. Geheimer Medicinalrath Professor Dr. Biermer, 3. Bürgermeister Dickhuth, 4. Geheimer Regierungsrath Professor Dr. Poleck, 5. Stadt- und Commerzienrath Bülow, 6. Geheimer Regierungsrath Professor Dr. Ferd. Cohn, 7. Geheimer Medicinalrath Professor Dr. Förster, 8. Geheimer Archivrath Professor Dr. Grünhagen, 9. Stadtrath v. Korn, 10. Commerzienrath F. W, Rosenbaum, 11. Ober-Regierungsrath a. D. Schmidt, 12. Dr. med. et phil. M, Traube, 13. Generalmajor z. D. Weber, 14, Geheimer Medicinalrath Professor Dr. Fritsch und 15. Commerzienrath Leopold Schöller, ) Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Am 30. December 1889 vereinigten sich die Direetoren zur Wahl des vollziehenden Ausschusses und wählten für die neue Verwaltungszeit die Herren: | 1. Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Heidenhain zum Vorsitzenden, 2. Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Biermer zu dessen Stellvertreter, 3. Bürgermeister Diekhuth zum ersten General-Secretair, 4. Geh. Reg.-Rath Professor Dr. Poleck zum zweiten General- Secretair und 5. Stadt- und Commerzienrath Bülow zum Schatzmeister. Einen schweren Verlust erlitt unsere Gesellschaft und insbesondere auch deren Präsidium durch den am 11. September 1890 plötzlich er- folgten Tod des Stadt- und Commerzienraths Herrn Paul Bülow, der seit 1866 der Gesellschaft angehört und seit 1879 das Amt ihres Schatz- meisters musterhaft geführt hatte. In der Präsidial-Sitzung vom 22. Sep- tember 1890 gedachte der Herr Vorsitzende in warmen Worten der Verdienste des Verstorbenen um die Gesellschaft. Darauf wurde an Stelle des Heimgegangenen Herr Dompropst Professor Dr. Kayser als Mitglied in das Direetorium und in der sich anschliessenden Sitzung des Directorii Herr Commerzienrath Rosenbaum zum Schatzmeister der Gesellschaft gewählt. Ausser dem oben Genannten verlor die Gesellschaft im Jahre 1890 durch den Tod das Ehrenmitglied Geh. Regierungsrath Professor Dr. Duflos und von wirklichen Mitgliedern die Herren: 1. Prinz Carl zu Hohenlohe-Ingelfingen, Durchlaucht, auf Klein-Droniowitz bei Lublinitz (Mitglied seit 1866), 2. Dr. med. Rudolf Jänsch (Mitglied seit 1873), 3. Commerzienrath Julius Kauffmann (Mitglied seit 1887), 4. Geh. Reg.-Rath Prof. Dr. Löwig (Mitglied seit 1853), 5. Graf v. Rödern (Mitglied seit 1861), 6. Polizei - Stadt - Physikus, Sanitätsrath Dr. med. Schlockow (Mitglied seit 1884), 7. Geh. Reg.-Rath Prof. Dr. A. Schneider (Mitglied seit 18831), 8. Apotheker Schubert in Mogwitz (Mitglied seit 1888), 9. Geh. Sanitätsrath Dr. Szmula in Zabrze (Mitglied seit 1889), 0, Apotheker Thümmel in Breslau (Mitglied seit 1880). Am 10. September 1890 endete ein sanfter Tod die langen Leiden des seit dem 1. October 1885 emeritirten Castellans der Schlesischen Gesellschaft, des Herrn Reisler. Seine trefflichen Eigenschaften, sein Eifer und seine Pflichttreue sichern ihm in der Gesellschaft, für deren Wohl er sich während seiner 33jährigen Amtsthätigkeit so hingebend bemüht hat, ein dauerndes Andenken. Ausgeschieden sind in diesem Jahre — meist wegen Verlegung des Wohnsitzes — 5 wirkliche einheimische und 5 wirkliche auswärtige Mitglieder. Allgemeiner Bericht. B3 Dagegen sind im Jahre 1890 aufgenommen worden: als wirkliche einheimische Mitglieder: Dr. med. Robert Asch, Kunst- und Handelsgärtnereibesitzer Dammann, Rittergutsbesitzer H. Frank, Privatdocent Dr. phil. Gerlach, Dr. med. Landmann, Privatdocent Dr. phil. Mez, Geheimer Mediecinalrath Professor Dr. Mikulicz, Professor Dr. Müller, Dr. med. Pfannenstiel, Assistent Dr. phil. Scholtz, Professor Dr. Sombart; als wirkliche auswärtige Mitglieder: Sanitätsrath und Kreisphysikus Dr. Adler, Kaufmann Emil Friedländer, Gartenbau-Direetor C. E. Haupt, Bürgermeister C. Heidborn, Fabrikbesitzer H. Haake, Stadtrath Schmidt, Apotheker Speer jun., Maurermeister Tietze, Apotheker Werner, Lehrer an der Landwirthschaftsschule Zahn, sämmtlich in Brieg; Schulvorsteher Max Limpricht in Rüdersdorf. Die Gesellschaft zählt mithin: 316 wirkliche einheimische Mitglieder, 153 wirkliche auswärtige Mitglieder, 35 Ehrenmitglieder, 152 correspondirende Mitglieder. Die Section für Obst- und Gartenbau besteht für sich aus 164 Mit- gliedern. Dieser unserer Section ist auch im Jahre 1890 seitens des Provinzial- Landtages der Provinz Schlesien eine Unterstützung von 1650 Mark ge- währt worden, wofür wir unseren Dank auch an dieser Stelle aus- sprechen. In der Präsidialsitzung vom 6. November 1890 wurde über den Antrag des Herrn Dr. med. Asch sen., „den einzelnen Sectionen das Recht zu gewähren, für einen ermässigten Beitrag die Mitgliedschaft bei einer einzelnen Section zu erwerben‘, verhandelt und beschlossen, diesen Antrag aufs Neue in Erwägung zu ziehen, sobald die Wohnungsfrage 1* 4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. der Gesellschaft erledigt sein würde. In derselben Sitzung wurde der hinterlassenen Wittwe des früheren Castellans eine jährliche Pension von 150 Mark auf Lebenszeit gewährt. Die Allgemeine Wanderversammlung der Schlesischen Gesellschaft fand am 15. Juni in Brieg statt. Damit war eine Besichtigung der gärtnerischen Anlagen des Königlichen Gartenbau - Directors, Herrn Haupt daselbst, verbunden, die den Theilnehmern gegen ein von der Kasse der Gesellschaft gezahltes Pauschale von 100 Mark gestattet wurde. Der ausführliche Bericht über diese Wanderversammlung findet in diesem Jahresberichte seine Stelle. Das Stiftungsfest der Gesellschaft ist am 13. December d. J. in althergebrachter Weise gefeiert worden. Dasselbe wurde eingeleitet mit einem durch Versuche erläuterten Vortrage des Herrn Professor Dr. Dieterici über die von Professor H. Hertz in Bonn entdeckten Strahlen elektrischer Kraft. Zum Jahresberichte für 1889 ist ein besonderes Ergänzungsheft nicht gegeben worden; doch erschien im Laufe des Jahres 1890 im Verlage von Max Müller hier die Geologische Uebersichtskarte von Schlesien von Dr. Georg Gürich, deren Herausgabe die Schlesische Gesellschaft durch 600 Mark unterstützte. Im Drucke begriffen ist ein Botanisches Ergänzungsheft, das dem 68. Jahresberichte beigelegt werden soll. Die Rechnung der Allgemeinen Kasse ist für das Jahr 1889 durch den Schatzmeister, Herrn Stadt- und Commerzienrath Bülow, und die der besonderen Kasse für 1889 durch Herrn Verlagsbuchhändler Mäx Müller ordnungsmässig gelegt worden; nach erfolgter Prüfung durch das Präsidium wurden die genannten Herren entlastet. Ueber die Thätigkeit der einzelnen Sectionen haben die Herren Secretaire Nachstehendes berichtet: Die medieinische Section (Secretaire: Geheimer Medicinalrath Professor Dr. Fritsch und Geheimer Medicinalrath Professor Dr. Ponfick) hat 18 Sitzungen gehalten und zwar am: 17. Januar, 31. Januar, 21. Februar, 28. Februar, 14. März, 28. März, 25. April, 2, Mai, 16. Mai, 23. Mai, 6. Juni, 20, Juni, 11. Juli, 18. Juli, 7. November, 21. November, 5. December und 12. December. Originalvorträge haben gehalten die Herren: Adler, Born, Eger, E.Fränkel, C,8.Freund, Fritsch, Gläser, Hecke, Hirt, Hürthle, Jadassohn, Janicke, Kabierske jun, Kayser, Kolaczek, v.Krzywicki, Littauer, Malachowski, Müller, A. Neisser, Partsch, Ponfick, Rosenbach, Rosin, A. Tietze und Wernicke. 1 Allgemeiner Bericht. Die Section für öffentliche Gesundheitspflege (Seeretaire: Geh. Medieinalrath Prof. Dr. Biermer, Geh. Mediecinalrath Prof. Dr. Förster und Bezirks-Physikus und Privatdocent Sanitätsrath Dr. Jacobi) hatte im Jahre 1890 zwei Sitzungen. In der ersten Sitzung am 7. Januar sprachen die Herren Jacobi, Schmeidler und Simon ‚Ueber Influenza‘. In der zweiten Sitzung am 28. November sprach Herr Simon „Zur Reform des Anmelde- und Bennugebmpi wenn: bei den en Krankheiten,“ Naturwissenschaftliche Section. (Secretaire: Geh. Bergrath Professor Dr. Römer und Geh. Regierungs- rath Professor Dr. Poleck.) Die Section hat im Jahre 1890 in sieben Sitzungen nachstehende Vorträge gehört: 1. Sitzung am 8. Januar: Bergmeister a. D. Dr. Kosmann sprach über die früheren und gegenwärtigen Verhältnisse des ungarischen Gold- bergbaues. 2. Sitzung am 29. Januar: Geh. Rath Professor Dr. Ladenburg theilte die Resultate seiner Arbeiten über die Synthese der Alcaloide mit. — Gymnasiallehrer Dr. Schiff gab Beiträge zur ältesten Geschichte der Chemie. — Privatdocent Dr, Gürich über die Schlammvulcane von Java. 3. Sitzung am 26. Februar: Bergmeister a. D. Dr. Kosmann über Nickelfunde in Schlesien. — Geheimrath Professor Dr. Ladenburg über die chemische Natur des Stickstoffs. — Wirklicher Staatsrath Pro- fessor Dr. Trautschold geologische Mittheilungen über den Betschtau und den Kaukasus. 4. Sitzung am 21. Mai: Gymnasiallehrer Dr. Schiff über die elektrische Erregung des Glases beim Reiben. — Apotheker Thümmel über die Zusammensetzung des Rindermark. — Geh, Rath Professor Dr. Poleek über die Bestandtheile des indischen Grasöls, Andropogon Schoenanthus L. auf Grund einer von Dr. Semmler ausgeführten Arbeit. 5. Sitzung am 2. Juli: Dr. Joh. Bergmann über die Inductions- waage,. — Dr. Kassner über eine neue, von ihm entdeckte Methode zur Darstellung des Sauerstoffs aus Ferridryankalium und Baryumsuper- 0xyd. — Geh. Rath Professor Dr, Poleck über Oxysulfide des Kupfers. — Dr. Kunisch über den Keuper, das Liegende der Kreideformation bei Oppeln. 6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Culiur. 6. Sitzung am 4. November: Geh. {Rath Professor Dr. Römer über Einschlüsse von feinkörnigem Gneis im Granit bei Laasan; über Einschlüsse von gediegenem Eisen im Basalt von Grönland. — Geh. Rath Professor Dr. Poleck über die chemische Natur des ätherischen Oels der Lindera serieia (Kuro-moji-Oel), einer in Japan wachsenden Laurinee. — Bezirks - Bevollmächtigter Langenhan über den oberen Jura von Hansdorf bei Inowraclaw. — Fabrikbesitzer Anderssohn theilte die Resultate seiner Diffusionsversuche mit. 7. Sitzung am 17. December: Fabrikbesitzer Anderssohn Ex- perimente über Diffusion von Flüssigkeiten. — Geh. Rath Professor Dr. Ladenburg über Imine. — Geh. Rath Poleck über türkisches und deutsches Rosenöl. — Geh. Bergrath Althans legte Photographien der Braunkohlenlager aus der Gegend von Halle vor. Die botanische Section (Secretair: Geh. Reg.-Rath Professor Dr. Ferdinand Cohn) hat im Jahre 1890 zehn Sitzungen gehalten; es trugen vor die Herren: Afrikareisender Beyrich: Ueber die Flora von Pondoland; Dr. Hugo Fiseher: Vergleichende Untersuchungen über die mor- phologische Structur des Pollen; Bürgerschullehrer G. Limpricht: Bryologische Mittheilungen ; Privatdocent Dr. Mez: Ueber Morphologie und Systematik der Bromeliaceen; Professor Dr. Prantl: Ueber die Familie der Cruciferen; Gymnasiallehrer Dr. Schube, Custos der Gesellschafts -Herbarien: Ueber die Geschichte der schlesischen Floren - Erforschung seit dem 16. Jahrhundert — über neue schlesische Phanerogamenfunde im Jahre 1889 — über die Phytologia magna der Doctoren Israel und Anton Volkmann zu Liegnitz; Ober-Stabsarzt Professor Dr. Schröter: Ueber Grubenpilze — über Pilzepidemien auf Raupen; Professor Dr. Stenzel: Ueber dreiflügelige Ahornfrüchte — über zweizählige Orchideenblüthen; Dr. phil. Woynowicz: Ueber Thorea ramosissima — über Ana- tomie, Morphologie und Biologie von Selaginella lepidophylla; Der Secretair der Section: Ueber Caulerpa prolifera — über Wärmeentwicklung durch Bacterien und Schimmelpilze — über Reiz- leitung bei Mimosa pudica — über die Bernsteinbäume (nach der Mono- graphie von Professor Conwentz) — verschiedene kleinere Mittheilungen und Demonstrationen. Allgemeiner Bericht. 7 Die Section für Obst- und Gartenbau (Secretair: Professor Dr. Prantl) hielt im Jahre 1890 elf Versammlungen ab; ausserdem wurde eine Ex- cursion in die Gärten der Herren Völker und Schottländer ausgeführt und wurde die Gratisvertheilung von Sämereien, wie in früheren Jahren, wieder ins Leben gerufen, Die Section für Staats- und Rechtswissenschaft (Secretaire: Professor Dr. Elster, Geh, Ober-Justizrath und Ober- Landesgerichts-Senatspräsident Rocholl, Ober-Reg.-Rath a. D. Schmidt und Commerzienrath Leopold Schöller) hatte im Jahre 1890 sieben Sitzungen: 1. Sitzung am 16. Januar. Ober-Regierungsrath a. D. Schmidt: Ueber das Gesetz, betreffend die Alters- und Invaliditätsversicherung vom 22. Juni 1889. 2. Sitzung am 13. März. Professor Dr. Elster: Geschichte des internationalen Socialismus, 3. Sitzung am 27. März. Bankier Albert Holz: Ueber den Be- ruf des modernen Bankiers. | 4, Sitzung am 29. Mai. Staatsanwalt Peterson: Ueber Gefäng- nisskunde. | 5. Sitzung am 30. October. Commerzienrath F, W. Rosenbaum: Ueber die Silberbill der vereinigten Staaten von Nordamerika, deren Wirkung auf die Münzverhältnisse Europas und deren Einfluss auf den europäischen wie asiatischen Waarenmarkt. 6. Sitzung am 4. December. Discussion über die Währungsfrage und die amerikanische Silberbill. 7. Sitzung am 18. December. Geheimer Archivrath Professor Dr, Grünhagen: Die schlesischen Städte unter der Herrschaft Friedrichs des Grossen. Die historische Section (Secretair: Director Professor Dr. Reimann) hat im Jahre 1890 sieben Sitzungen gehalten: 1) Am 23. Januar. Der Secretair: Ueber den Aufschwung des preussischen Berg- und Hüttenwesens in den Jahren 1783—1788. 2) Am 24. Februar. Archivar Dr. Pfotenhauer: Berühmte Schlesier als Pfalzgrafen, 3) Am 10. März. Geh. Archivrath Professor Dr. Grünhagen: Das Kriegsjahr 1758 in Schlesien, 8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 4) Am 13. October. Oberlehrer Dr. Krebs: Die Dänen in Ober- schlesien und die Erstürmung von Leobschütz am 22. November 1626, 5) Am 27. October. Der Secretair: Ueber die Stellung Friedrichs des Grossen zur Religion und Philosophie in den Jahren 1736—1738, 6) Am 10. November. Oberstlieutenant Rogalla von Bieber- stein: Neufehätel unter preussischer Herrschaft. 7) Am 24. November. Geh. Archivrath Professor Dr. Grünhagen: Ueber die kriegerischen Ereignisse in Schlesien während des bayerischen Erbfolgekrieges 1778/79. Die geographische Section (Seeretair: Geh. Regierungs-Rath Professor Dr. Galle) hat im Jahre 1890 keine Sitzungen gehalten. Als Beitrag für den zu veröffentlichenden Jahresbericht wurde von dem Secretair der Section wie bisher die Uebersicht der auf der Stern- warte zu Breslau ausgeführten meteorologischen Sa HURZEN ein- geliefert, Bericht über die Bibliothek. Die im Laufe des Jahres 1890 der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur zugegangene Litteratur wurde unter Nr. 1596 bis 2014 gebucht und gemäss dem Vertrage vom 15. Juni 1886 der König- lichen und Universitäts - Bibliothek hier übergeben; doch erfolgte die Ablieferung nicht in vier, sondern auf Wunsch der Verwaltung der Königlichen und Universitärs-Bibliothek nur an zwei Terminen, nämlich am 22. October 1890 und am 5. März 1891. In beiden Fällen fungirte Herr Custos Dr. Blau bei der Uebergabe als Vertreter der Königlichen und Universitäts-Bibliothek und bescheinigte den richtigen Empfang. Die akademischen Schriften (928) der Universitäten Berlin (11), Bonn (136), Breslau (62), Erlangen (184), Jena (81), Marburg (87), Rostock (49), Upsala (4), Utrecht (25), Wien (5), Würzburg (177) und Zürich (107) wurden nicht einzeln gebucht, sondern wie die zugegangenen - Österprogramme (18) der höheren Schulen Breslaus und Schlesiens nach der Stückzahl übergeben. Auch in diesem Jahre wurden die von der Buchhandlung Trewendt u. Granier hier abgelieferten Bücher des bota- nischen Lesecirkels dem Bestande der Bibliothek der Schlesischen Ge- sellschaft zugeschrieben und an die Königliche und Universitäts-Bibliothek abgeliefert. — Dem Schriftentausche sind im Laufe des Jahres bei- getreten: American Philosophical Society, Held at Philadelphia, Bergens Museum in Bergen, und die Grossherzoglich Badensche Universitäts- Bibliothek in Heidelberg. Allgemeiner Bericht. 9 Als Geschenkgeber haben sich im verflossenen Jahre um die Bi- bliothek verdient gemacht: die Königliche Regierung zu Breslau, der Magistrat der Haupt- und Residenzstadt Breslau, Professor A. Blytt in Christiania, Professor Dr. Conwentz in Danzig, Professor Dr. Geinitz in Dresden, Professor Dr. Goppelsröder in Mülhausen, Staatsrath v. Regel in Petersburg, Professor v. Sandberger in Würz- burg und Verlagsbuchhändler Max Müller hier. Den gütigen Gebern sei hiermit der wärmste Dank abgestattet. G. Limpricht, Bibliothekar. Bericht des Custos der Herbarien der Schlesischen Gesell- schaft für vaterländische Cultur. Der nach dem Weggange des Herrn Dr. Pax zu seinem Nachfolger gewählte Custos setzte zunächst das Ordnen des Herbars in der von Jenem eingeführten Weise fort. Aufgeklebt wurden die Melastomaceen und Cueurbitaceen, welche Herr Professor Cogniaux (Verviers) kritisch durchzusehen die Güte hatte, sowie die tropisch-amerikanischen Orchi- deen, welche sich noch bei demselben zur Benützung bei der Be- arbeitung dieser Familie für die Flora Brasiliensis befinden. Dann kamen die Cupuliferen an die Reihe, von denen den Haupttheil, die Gattung Quercus, Herr Cand. phil. Hellmann zur Bearbeitung über- nommen hat, ferner die Lauraceen und Cordiaceen, deren Sichtung Herr Dr. Mez freundlichst übernahm, dem auch die Bromeliaceen überlassen wurden, welche er für die Flora Brasiliensis bearbeitet. Die Sapinda- ceen wurden für Herrn Professor Radlkofer fertiggestellt, die Ulma- ceen einschliesslich der Celtideen für Herrn Cand. phil. Primer; die Gattung Alnus wurde von Herrn Cand phil. Callier durchgesehen. Endlich wurde noch der Haupttheil der Ranunculaceen aufgeklebt, an deren Sichtung der Custos selbst gegangen ist. | Da aber die bisher innegehaltene Weise nur sehr langsam zum Ziele führen konnte, auch die Verpackung der gereinigten und auf- geklebten Pflanzen in versiegelten Packeten mit manchen Unbequem- lichkeiten verknüpft ist, so beschloss das Präsidium der Gesellschaft auf Antrag des Custos, zur Aufbewahrung der Pflanzen Pappkästen an- fertigen zu lassen. In diesen sollen die Pflanzen, nachdem sie von dem Staube genügend befreit worden, vorläufig unaufgeklebt untergebracht werden; zugleich werden dabei die Nachträge eingeordnet werden. Die Gefässkryptogamen, im Ganzen 30 Kästen ausfüllend, wurden schon auf diese Weise untergebracht. 10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Ausser von den genannten Herren wurde das Herbar noch wieder- holt von Herrn Professor Hieronymus zum Studium von Pflanzengallen benützt. | In seinem Bestande hat das Pflanzenmaterial auch in diesem Jahre keine wesentliche Veränderung erfahren. Dr. phil. Theodor Schube. Bericht über die Kassenverwaltung im Jahre 1890. Zu dem Bestande der Kasse Ende 1889 von 1315,90 Mark traten an Kinnahmen im vergangenen Jahre 9806,53 Mark, wogegen verausgabt wurden 9761,46 Mark, so dass ein Ueberschuss von 1360,97 Mark ver- blieb. Angeschafft sind im verflossenen Jahr aus den Erträgen worden 2000 Mark 3/,proc. Schlesische Pfandbriefe.. Das Effecten- Conto be- läuft sich nunmehr per 1. Januar 1891 auf 45200 Mark und das Ver- mögen der Gesellschaft hat sich vermehrt um 2045,07 Mark, mithin im Ganzen 46 560,97 Mark betragend. Breslau, den 1. April 1891. F. W. Rosenbaum, z. Z. Schatzmeister. Verzeichniss der Akademien, Vereine u. Ss. w., mit denen die Schlesische Gesellschaft in Schriftenaustausch steht. Amerika. Litterarisches Institut des Staates Arkansas. American Academy of Arts and Sciences — Society of Natural History in Boston. Museum of Comparative Zoölogy at Harward College in Cambridge, Mass. Elisha Mitchell Seientifie Society in Chapell Hill, N. C. American Medical Association in Chicago. Academia Nacional de Ciencias in Cordoba (Argentinien). Universität des Staates in Jova City, Jova. Wisconsin State Agrieulturial Society — Wisconsin Academy in Madison. Royal Society of Canada in Montreal. Wisconsin Natural History Society in Milwaukee. M. A. Conklin, Director of the New-York Zoological-Gardens, New-York. Connecticut Academy of Arts and Sciences in New-Haven. Allgemeiner Bericht. 11 nn American Medical Association -— Academy of Natural Sciences of Philadelphia — American Philosophical Society, Held at Philadelphia. National-Museum in Rio de Janeiro. Deutscher wissenschaftlicher Verein in Santiago de Chile. Surgeon general of the U. St. Army — Smithsonian Institution in Washington. Asien. Geological Survey of India in Caleutta. College of Medicine, Imperial University, Tokyo, Japan. Australien. Royal Society of Vietoria — Vietoria Instituts — Botanischer Garten Office & Mines Melbourne Victoria in Melbourne. Portugal. Sociedale Broteriana in Coimbra. Commission des travaux geologiques du Portugal in Lissabon. Italien. Accademia R, delle Seienze dell’ Istituto di Bologna. R. Accademia econ.-agrar. dei Georgofili in Florenz. Societa di Letture e Conversazioni Scientifiche in Genua. R. Istituto Lombardo di Scienze e Lettere — Soecietä Italiana di Sceienze Naturali — Societä Crittogamologica Italiana in Mailand. Societ& dei Naturalisti di Modena. Zoologische Station in Neapel. Societä naturali et de oekonomiche in Palermo. Societa Toscana di Scienze naturali in Pisa. R. Accademia dei Lincei — Societä Geografica Italiana — Istituto Bo- tanico — R. Comitato geologico d’Italia in Rom. R. Istituto tecnico in Udine. R. Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti — L’Ateneo Veneto in Venedig. Accademia di Agricultura, Commereio ed Arti in Verona. Frankreich. Societ& des Sciences physiques et naturelles de Bordeaux. Societe nationale des Sciences naturelles et math&matiques in Cherbourg. Soeiet& Linneenne de Lyon in Lyon. Academie des Sciences et Lettres de Montpellier. Societ& des Sciences in Nancy, Societe G£ologique de France — Societ& nationale d’hortieulture de France in Paris. 12 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Grossbritannien und Irland. Cambridge Philosophical Society in Cambridge. Royal Society in Dublin. Royal Physical Society of Edinbourgh in Edinburg. Royal Society of London — Royal Microscopical Society — Society of Arts in London. Belgien. Acad&mie Royale de Medecine de Belgique — Societe Royale de bo- tanique de Belgique — Societe Royale malacologique de Belgique — Königl. Akademie der Wissenschaften — Redaction du Journal de Medecine, de Chirurgie et de Pharmacologie in Brüssel. Geologische Gesellschaft Belgiens — Societ& Royale des Sciences in Lüttich. Holland. Kon. Nederlandsche Akademie v. Wetenschappen in Amsterdam. Societe hollandaise des Sciencees — Teyler v. d. Hulst Fundation in Harlem. Maatschappy der Neederlandsche Letterkunde — Neederland. dierkundige Vereeniging — Niederländische botanische Vereinigung in Leiden. Universitäts-Bibliothek in Utrecht, Luxemburg. Institut R.-G.-D. de Luxembourg: Section des Sciences naturelles et math&matiques — Section historigque — Section de Botanique in Luxemburg. Dänemark. Acad&mie royale — Kgl. Universitäts-Bibliothek — Kgl. Nordiske Old- skrift Selskab — Botaniske Forening — Societe royale des Anti- quaires du Nord in Kopenhagen. Schweden. Kgl. Akademie der Wissenschaften — Kgl. Vitterhets historie och anti- quitets Akademie in Stockholm. Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften — Kgl. Universitäts-Bibliothek in Upsala. Norwegen. Bergens Museum in Bergen. Kgl. Frederiks Universität — Videnskabs Selskabet — Norske Nordhavs Expedition in Christiania. Tromsö Museum in Tromsö. Russland. Esthnische gelehrte Gesellschaft in Dorpat. Societas pro Fauna et Flora fennica in Helsingfors. Allgemeiner Bericht. 13 Societe des naturalistes in Kiew. Kurländische Gesellschaft für Litteratur und Kunst — Lettisch litterarische Gesellschaft in Mitau. Societ& Imp6riale des Naturalistes — Societe Imperiale d’Agrieulture in Moskau. L’Academie Imperiale des Scienees — Kaiserl. Bibliothek — Kaiserl. geographische Gesellschaft — Jardin Imperial de Botanique — Das geologische Comit& des Ministeriums der Reichsdomainen — Soeiete Entomologique de Russie in Petersburg. Naturforschender Verein — Gesellschaft für Geschichte und Alterthums- kunde der russischen Ostseeprovinzen in Riga. Schweiz. Naturforschende Gesellschaft — Historische und antiquarische Gesell- schaft in Basel. Schweizerische naturforschende Gesellschaft — Historischer Verein des Kantons Bern in Bern. Naturforschende Gesellschaft Graubündens in Chur. Thurgauisch naturforschende Gesellschaft in Frauenfeld. Naturforschende Gesellschaft — Historischer Verein in $t. Gallen. Societe d’histoire et d’arch&ologie — Schweizerische naturforschende Gesellschaft in Genf. Historisch-antiquarischer Verein in Schaffhausen. Universitäts-Bibliothek — Naturforschender Verein — Die antiquarische Gesellschaft in Zürich. Oesterreich - Ungarn. Gewerbeschule in Bistritz. K. K. Mährisch-Schlesische Gesellschaft zur Beförderung des Ackerbaues, der Natur- und Landeskunde — Naturforschender Verein — Historisch- statistische Section in Brünn. K. M. Termeszettudomänyi Tarsulat, Budapest. Deutscher Böhmerwaldbund in Budweis. Historischer Verein für Steiermark — Zoologisches Institut der K. K, Universität — Naturwissenschaftlicher Verein für Steiermark — K. K. Universitäts - Bibliothek — Das Joanneum — Akademischer Leseverein in Graz. Siebenbürgischer Verein für Naturwissenschaften — Verein für sieben- bürgische Landeskunde in Hermannstadt. Ferdinandeum für Tirol und Vorarlberg — K. K. landwirthschaftlicher Verein für Tirol und Vorarlberg — Naturwissenschaftlich-medieinischer Verein in Innsbruck. Naturhistorisches Landesmuseum von Kärnthen in Klagenfurt. 14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Medieinisch-naturwissenschaftliche Section des Siebenbürgischen Museums- Vereins — Ungarisches Botanisches Jahrbuch von Dr. Kanitz in Klausenburg. Akademya umiejetnosei — Physiographische Section der K.K. gelehrten Gesellschaft in Krakau. Städtische Archiv-Bibliothek in Kronstadt. Historischer Verein für Krain — Der krainische Musealverein in Laibach. Nordböhmischer Excursionsclub in Böhmisch-Leipa. Ungarischer Karpathen-Verein in Leutschau. Verein für Naturkunde in Oesterreich ob der Enns — Museum Franeisco- Carolinum in Linz. Kgl. Böhmische Gesellschaft der Wissenschaften — Kgl. Landeseultur- rath — Oesterreichischer Riesengebirgs-Verein — Naturhistorischer Verein „Lotos“ — Verein für die Geschichte der Deutschen in Böhmen — K. K. Deutsche Universität — Lesehalle der Deutschen Studenten in Prag. Verein für Naturkunde in Pressburg. Gesellschaft für Salzburger Landeskunde in Salzburg. Societä Adriatica di Sceienze naturali — Museo eivio di storia naturali in Triest. K. K. Akademie der Wissenschaften — K.K. geologische Reichsanstalt — K. K. Hof-Mineralien-Cabinet — K. K. naturhistorisches Hofmuseum — K. K. Universitäts - Bibliothek — K. K. landwirthschaftliche Ge- sellschaft — K. K. geographische Gesellschaft — K. K. zoologisch- botanische Gesellschaft — Oesterreichische Gesellschaft für Meteoro- logie — Central -Anstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus — Anthropologische Gesellschaft — Verein zur Verbreitung naturwissen- schaftlicher Kenntnisse in Wien. Deutsches Reich. Aachener Geschichtsverein in Aachen. Gesellschaft für die gesammten Naturwissenschaften — Geschichte und Alterthumsforschende Gesellschaft des Osterlandes in Altenburg. Annaberg-Buchholzer Verein für Naturkunde in Annaberg im Erzgeb. Historischer Verein für Mittelfranken in Ansbach. Historischer Verein für Unterfranken in Aschaffenburg. Naturhistorischer Verein — Historischer Verein für Schwaben und Neu- burg in Augsburg. Naturforschende Gesellschaft — Historischer Verein — Gewerbeverein in Bamberg. Historischer Verein für Oberfranken in Bayreuth. Kgl. Preuss. Akademie der Wissenschaften — Universitäts-Bibliothek — Geheimes Staatsarchiv — Kaiserl, Admiralität — Hydrographisches Allgemeiner Bericht. 15 Amt der Kaiserl. Admiralität — Kgl. Preuss. meteorologisches In- stitut — Kgl. Preuss. statistisches Bureau — Kgl. Preuss. geodätisches Institut — Kgl. Preuss. geologische Landesanstalt und Berg-Akademie — Kgl. Museum für Völkerkunde — Gesellschaft für-naturforschende Freunde — Deutsche geologische Gesellschaft — Botanischer Verein der Provinz Brandenburg — Berliner medieinische Gesellschaft — Gesellschaft für Erdkunde — Verein für Geschichte der Mark Bran- denburg — Verein zur Beförderung des Gartenbaues in den Kgl. Preuss. Staaten — Verein für die Geschichte Berlins — Juristische Gesellschaft Berlins — Verein „Herold“ — Physiologische Gesell- schaft in Berlin. Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität — Naturhistorischer Verein der preussischen Rheinlande, Westfalens und des Regierungsbezirks Osnabrück — Landwirthschaftlicher Verein für Rheinpreussen in Bonn. Landwirthschaftlicher Verein — Historischer Verein in Brandenburg a. H. Verein für Naturwissenschaft zu Braunschweig. Naturwissenschaftlicher Verein — Landwirthschaftlicher Verein in Bremen. Provinzial-Landwirthschafts-Verein in Bremervörde. Kgl. Universitäts- Sterawarte — Universitäts - Bibliothek — Verein für schlesische Inseetenkunde — Verein für das Museum schlesischer Alterthümer — Kaufmännischer Verein — Verein für Geschichte und Alterthum Schlesiens — Statistisches Amt der Stadt Breslau — Kgl. Oberbergamt — Schlesischer Forstverein — Handelskammer — Landwirthschaftlicher Centralverein — Gewerbeverein — Alter Turn- verein — Humboldt - Verein — Jüdisch - theologisches Seminar in Breslau. Centralstelle des landwirthschaftlichen Vereins im Grossherzogthum Baden — Naturwissenschaftlicher Verein in Carlsruhe in Baden. Verein für hessische Geschichte und Landeskunde — Verein für Natur- kunde in Cassel. Verein für Chemnitzer Geschichte — Naturwissenschaftliche Gesellschaft in Chemnitz. Naturforschende Gesellschaft — Hauptverein westpreussischer Landwirthe in Danzig. Verein für Erdkunde — Historischer Verein für das Grossherzogthum Hessen in Darmstadt. Gesellschaft für Botanik und Gartenbau — Naturwissenschaftliche Ge- sellschaft „Isis“ — Oekonomische Gesellschaft im Königreiche Sachsen — Verein für Erdkunde — Statistisches Bureau des Kgl. Sächsischen Ministeriums des Innern — Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Dresden. . Naturwissenschaftlicher Verein der Rheinpfalz „Pollichia“ in Dürkheim, 16 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Verein für Geschichte und Alterthümer der Grafschaft Mansfeld zu Eisleben. Naturwissenschaftlicher Verein in Elberfeld. Naturforschende Gesellschaft in Emden. Kgl. Akademie gemeinnütziger Wissenschaften — Verein für Geschichte und Alterthumskunde in Erfurt. Kgl. Bayerische Universitäts - Bibliothek — Physikalisch - medicinische Societät in Erlangen. Naturforschende Gesellschaft des Senckenbergischen Instituts — Verein für Geschichte und Alterthumskunde — Aerztlicher Verein — Physi- kalischer Verein in Frankfurt a. M. Naturwissenschaftlicher Verein des Regierungsbezirks — Historischer Verein in Frankfurt a. 0. Freiberger Alterthumsverein — Kgl. Bergakademie in Freiberg i. 8. Grossherzogl. Universität — Naturforschende Gesellschaft in Frei- burg i. B. Verein für Geschichte des Bodensees in Friedrichshafen. Verein für Naturkunde in Fulda. Oberhessische Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Giessen. Naturforschende Gesellschaft — Oberlausitz’sche Gesellschaft der Wissen- schaften in Görlitz. Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften und der Georg-August-Universität in Göttingen. Baltisch-landwirthschaftlicher Centralverein — Geographische Gesellschaft in Greifswald. Verein der Freunde der Naturgeschichte in Mecklenburg in Güstrow. Kaiserl. Leopoldinisch-Carolinische Akademie der Naturforscher — Kgl. Universitäts-Bibliothek — Verein für Erdkunde — Naturwissenschaft- licher Verein für Sachsen und Thüringen in Halle a. 8. Naturwissenschaftlicher Verein — Verein für naturwissenschaftliche Unterhaltung in Hamburg. Wetterauische Gesellschaft der gesammten Naturkunde in Hanau. Naturhistorische Gesellschaft — Historischer Verein für Niedersachsen — Kgl. Landwirthschafts-Gesellschaft in Hannover. Grossherzogl. Universitäts-Bibliothek — Naturhistorisch - medieinischer Verein in Heidelberg. Oekonomisch - patriotische Societät der Fürstenthümer Schweidnitz und Jauer in Jauer. Grossherzogl. Universitäts-Bibliothek — Medieinisch-naturwissenschaftliche Gesellschaft — Verein für thüringische Geschichte und Alterthums- kunde in Jena. Kgl. Universitäts- Bibliothek — Schleswig-Holstein-Lauenburgische Ge- sellschaft für vaterländische Geschiehte — Naturwissenschaftlicher Schlesische Gesellschaft für vaterländische Gultur. Brei Teer u. EWR obunNemnTere Hau @ltlaıdy2 T’® 68. Jahresbericht. Allgemeiner Bericht. 1890. ae hen. 2 lg A Ma ige 4 Verein für Schleswig-Holstein — Schleswig-Holstein-Lauenburgische Gesellschaft für Sammlung und Erhaltung vaterländischer Alterthümer in Kiel. Kgl. physikalisch-ökonomische Gesellschaft — Kgl. Universitäts-Bibliothek in Königsberg i. Ostpr. Botanischer Verein in Landshut a. Isar. Kgl. Sächsische Gesellschaft der Wissenschaften — Medicinische Gesell- schaft — Polytechnische Gesellschaft — Naturforschende Gesellschaft — Verein für Erdkunde in Leipzig. Naturhistorisches Museum der Stadt Lübeck. Naturwissenschaftlicher Verein — Alterthums-Verein in Lüneburg. Naturwissenschaftlicher Verein in Magdeburg. Mannheimer Verein für Naturkunde in Mannheim. Kgl. Universitäts - Bibliothek — Gesellschaft zur Beförderung der ge- sammten Naturwissenschaften in Marburg. Historischer Verein in Marienwerder Westpr. Verein für die Geschichte der Stadt Meissen in Meissen. Kgl. bayerische Akademie der Wissenschaften — Gesellschaft für Mor- phologie und Physiologie — Historischer Verein für Oberbayern — Landwirthschaftlicher Verein in Bayern in München. Westfälischer Provinzial -Verein für Wissenschaft und Kunst — Kol. Akademie — Verein für Geschichte und Alterthumskunde Westfalens in Münster i. Westf. Philomathie in Neisse. Germanisches National-Museum — Naturhistorische Gesellschaft — Ver- ein für Geschichte der Stadt Nürnberg in Nürnberg. Lahnsteiner Alterthumsverein in Oberlahnstein. Verein für Naturkunde in Offenbach. Philomatische Gesellschaft in Oppeln. Naturwissenschaftlicher Verein in Osnabrück. Historische Gesellschaft für die Provinz Posen in Posen, Landwirthschaftlicher Verein für die Mark Brandenburg in Potsdam. Zoologisch-mineralogischer Verein — Historischer Verein für die Ober- pfalz in Regensburg. Grossherzogl. Universitäts-Bibliothek in Rostock. Verein für Henneberg’sche Geschichte in Schmalkalden. 188) 18 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur., Grossherzogl. statistisches Bureau — Verein für mecklenburgische Ge- schichte und Alterthumskunde in Schwerin. Botanischer Verein „Irmischia“ — Redaction der Deutschen botanischen Monatsschrift — Verein zur Beförderung der Landwirthschaft in Sondershausen. Gewerbeverein in Sprottau. Gesellschaft für pommersche Geschichte und Alterthumskunde — Ento- mologischer Verein — Verein für Erdkunde — Polytechnische Ge- sellschaft iu Stettin. Kaiserl. Universitäts-Bibliothek in Strassburg i. E. Wissenschaftlicher Verein in Striegau. Ksi. Württembergisches statistisches Landesamt — Kgl. Württem- bergisches Polytechnikum — Kgl. Württembergische Centralstelle für die Landwirthschaft — Verein für vaterländische Naturkunde in Stuttgart. Copernieus-Verein für Wissenschaft und Kunst in Thorn. Naturwissenschaftlicher Verein in Trier. Verein für Kunst und Alterthum in Ulm und Oberschwaben in Ulm. Harzverein für Geschichte und Alterthumskunde — Naturwissenschaft- licher Verein des Harzes in Wernigerode. Nassauischer Verein für Naturkunde — Verein für nassauische Alter- thumskunde und Geschichtsforschung in Wiesbaden. Physikalisch-medieinische Gesellschaft — Kgl. Bayerische Universitäts- Bibliothek — Polytechnischer Centralverein — Historischer Verein für Franken und Aschaffenburg in Würzburg. Vorschuss-Verein und Grund-Credit-Verein in Zobten a. B. G. Limpricht. Wanderversammluug der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur zu Brieg, Sonntag, den 15. Juni 1890. nn Mit geringen Hoffnungen auf ein glückliches Gelingen ging die Schlesische Gesellschaft ihrer diesjährigen Wanderversammlung. entgegen. Denn kaltes regnigtes Wetter beherrschte die erste Woche des Juni, deshalb war es zu befürchten, dass die Theilnahme an der Excursion nach Brieg eine geringe sein werde. Aber am Morgen des für den Ausflug be- stimmten Sonntages hatte der Himmel eine so freundliche Miene ange- nommen, dass sich einige achtzig Mitglieder der Schles. Gesellschaft auf dem Centralbahnhofe einfanden, um der benachbarten Piastenstadt einen Besuch abzustatten. — Nach rasch zurückgelegter Fahrt wurden die Breslauer Gäste von dem Comite, welches in Brieg unter Vorsitz des Herrn Bürgermeister Heidborn im Interesse der Vorbereitungen für die Versammlung zusammengetreten war, auf dem Bahnhofe empfangen und über die herrliche Promenade der Stadt nach dem Gasthause zum goldnen Kruge geleitet, um daselbst einen vorbereitenden Vortrag des Herrn Gartenbau-Direetor Haupt über seine berühmten Treibhaus-Anlagen an- zuhören. Mit ausserordentlicher Liebenswürdigkeit führte Herr Haupt die Gesellschaft durch seine Warmhäuser, in welchen die herrlichsten Trauben und Pfirsiche, der Frühlingskälte zum Trotze, reiften, während an anderer Stelle die vielgestaltige Schaar der Orchideen das Auge wieder und wieder durch die phantastische Mannigfaltigkeit ihrer Formen und die bunte Pracht ihrer Farben fesselte. Inzwischen waren von Neisse fünf- zehn auswärtige Mitglieder der Schlesischen Gesellschaft unter Führung des Secretairs der Philemathie, Herrn Oberlehrer Rose angelangt. Ein gemeinschaftlicher Gang durch die Stadt führte an dem prachtvollen Renaissancebau des Piastenschlosses vorüber zum Ringe, zu dem Rath- hause mit den Sitzungssälen der städtischen Behörden und schliesslich zu dem Theater, in dessen Concertsaale die wissenschaftliche Sitzung bald nach 11 Uhr eröffnet wurde, 9* 0 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Herr Bürgermeister Heidborn begrüsste im Namen der Stadt die Schlesische Gesellschaft mit freundlicken Worten, auf welche der Präses dankend erwiderte. Auf Bitte des letzteren übernahm Herr Bürgermeister Heidborn das Tagespräsidium während der Vorträge, welche bis gegen 2 Uhr währten (efr. unten). Nachdem die Gesellschaft sich noch eine Stunde zerstreut, um die zahlreichen Sehenswürdigkeiten der Stadt in Augenschein zu nehmen, versammelte dieselbe sich um 3 Uhr zum Diner in den in bereitwilligster Weise zur Verfügung gestellten Räumen des Logengebäudes. Vor Be- ginn des Mahles nahm ein Brieger Photograph ein Gruppenbild der ge- sammten Versammlung im Garten auf, welches sich später als ausser. ordentlich gut gelungen herausstellte. Bei Tische eröffnete die Reihe der Reden der Präses mit einem Toaste auf Sr. Majestät. Herr. Landwirthschaftsschuidireetor Schulz bewillkommnete die Schlesische Gesellschaft im Namen der Loge, welche die Versammlung gastlich aufgenommen, und der Stadt. Herr Geheim- rath Prof. Cohn brachte einen humoristischen Toast auf die Stadt Brieg aus, Herr Oberlehrer Rose auf das Fest-Comite; ihm entgegnete Herr Bürgermeister Heidborn. Weitere Tischreden galten Herrn Gartenbau- Direetor Haupt und dem Gedeihen seiner genialen Garten-Anlagen, so- dann dem Dichter eines mit enthusiastischem Beifalle aufgenommenen Tischliedes u. s. f. Nach Beendigung des überaus angeregten Mahles durchstreiften die Theilnehmer nochmals verschiedene Theile der historisch so interessanten, reizvollen Stadt, um sich nach 6 Uhr im Garten der Actienbrauerei bei den Klängen eines trefflichen Concertes zu einem Abschiedstrunke zu vereinigen. Von wärmstem Danke für die liebenswürdige Gastlichkeit erfüllt, mit welcher die Bewohner Briegs ihren Besuch aufgenommen, trat die Schlesische Gesellschaft gegen 8 Uhr die Rückfahrt an. Wissenschaftliche Vorträge. l. Geheimer Bergrath Prof. Dr. Römer bespricht und empfiehlt die geologische Uebersichtskarte von Schlesien, herausgegeben vom -Privatdocenten Dr. Gürich. Dieselbe ist für Mitglieder der Schlesischen Gesellschaft für ”/, des Ladenpreises käuflich zu erhalten. 2. Prof. Ladenburg sprach über die kritische Temperatur und erläuterte seine Auseinandersetzungen durch einen Versuch, der gleichzeitig ausgeführt wurde. Bekanntlich steigt der Siedepunkt einer Flüssigkeit mit steigendem Druck, doch geht schon aus den Versuchen von Natterer hervor, der sich vergeblich bemühte, durch Druck allein den Wasserstoff zu verdichten, Wanderversammlung zu Brieg. 21 däss diese Abhängigkeit eine Grenze hat. Der Begriff der kritischen Temperatur konnte sogar schon aus viel älteren Versuchen von Cagniard de la Tour erschlossen werden. Aber erst die Arbeiten von Mendelejeff und namentlich von An- drews haben diese wichtige Frage aufgeklärt. Danach kann man sagen, dass für jede Flüssigkeit eine höchste Temperatur existirt, bei der sie sich ganz unabhängig vom Druck in Dampf verwandelt, und diese Temperatur nennt man eben den kritischen Punkt oder auch den absoluten Siedepunkt. Der Druck bei dem dieser Uebergang erfolgt, heisst der kritische Druck. Die Erscheinungen bei der kritischen Temperatur sind deshalb so bemerkenswerth, weil hier nicht, wie sonst beim Sieden einer Flüssig- keit, eine sprungweise Aenderung der Eigenschaften von Flüssigkeit zu Dampf stattfindet, sondern der Uebergang ist hier ein continuirlicher. So hat man z. B. in passenden Apparaten Flüssigkeiten über ihren absoluten Siedepunkt erhitzt, wo sie sich natürlich in Dampf verwandelten, dann wurde der Druck noch über den kritischen erhöht, wobei keinerlei Aenderung zu bemerken war. Wird nun die Temperatur bis unter den kritischen Punkt abgekühlt, so lässt sich auch absolut nichts wahrnehmen, namentlich kein Meniscus oder sonst ein Zeichen für eine Bildung von Flüssigkeit, und doch ist jetzt der Körper in den flüssigen Zustand über- gegangen, was unzweifelhaft daraus hervorgeht, dass sofort ein Meniscus sichtbar wird, sobald man den Druck bis unter den kritischen herab- gehen lässt, Offenbar ist aber durch Druckverminderung nicht Flüssig- keit, sondern Dampf entstanden. In anderer einfacher Weise lässt sich die Continuität des flüssigen und gasförmigen Zustands durch den vorgezeigten Versuch demonstriren, bei dem SO, in einer zugeschmolzenen Röhre im Anilindampf über seine kritische Temperatur erhitzt wird. Man sieht, wie der Meniscus flacher und flacher wird und schliesslich verschwindet; man sieht den grossen Ausdehnungsco£fficienten des flüssigen Schwefeloxyds, an dem plötzlichen Verschwinden der ganzen Menge Flüssigkeit kann man die geringe Ver- dampfungswärme erkennen und endlich zeigt sich beim Abkühlen als erstes Zeichen der wiederkehrenden Flüssigkeit ein starker Nebel, der das obere Drittel der Röhre erfüllt und aus dem der Meniscus wieder hervortritt, 3. Prof. Dr. Prantl sprach über Den Baum in den Gartenanlagen. Der Baum ist, wie alle Pflanzen, in seiner Existenz vom Lichte ab- hängig; da alle nicht genügend beleuchteten Zweige absterben, so spricht sich der Lichtgenuss in der Form des Baumes aus; nur freistehende Bäume, welche von Nachbarn nicht beschattet werden, entwickeln die 32 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. normale Gestalt ihrer Krone, welche selbst wieder neben anderen Ur- sachen auch vom Lichtbedürfniss der betreffenden Species abhängig ist, wie ein Vergleich zwischen Eiche und Tanne lehrt. In der Landschafts- gärtnerei wird man für Entfernung beschattender Nachbarbäume oder deren Aeste Sorge tragen müssen. Es wird aber vielfach dadurch gefehlt, dass man Aeste quer ab- schneidet, Dadurch werden Reproductionsvorgänge angeregt, welche da- hin führen, die abgeschnittenen Theile wieder zu ersetzen und eine ganz abnorme Zweigbildung veranlassen, wie sie am ausgeprägtesten an ge- köpften Weidenstämmen zu sehen ist. Will man das vermeiden, so nehme man die Aeste von ihrer Basis an weg; die Wunde ist dann eine Längswunde des betreffenden Stammes und zu einem Ersatz des blätter- tragenden Gipfels ist kein Anlass gegeben. 4, Dr. Hürthle stellt einen 9jährigen Knaben vor, dem in Folge einer Verletzung ein Teil des Stirnschädels entfernt werden musste. Das Gehirn liegt an dieser Stelle, nur von Haut bedeckt, bloss und zeigt weithin sichtbare Pulsationen. Nach der geläufigen Erklärung dieser so- genannten Volumpulse des Gehirns werden diese auf einem rotirenden Cylinder registrirt, indem die pulsirende Stelle mit einer luftdicht ab- schliessenden Kappe bedeckt wird, deren Hohlraum mit einer Marey’schen Schreibe-Trommel in Verbindung steht. Bei dieser Aufzeichnung des Gehirnpulses lässt sich zeigen, dass derselbe durch psychische Einflüsse Veränderungen erfährt. Beispielsweise findet bei geistiger Thätigkeit (Lösung einer Rechenaufgabe) eine Zunahme des Gehirnvolums statt, welche auf grösseren Blutzufluss, hervorgerufen dnrch gesteigertes Er- nährungsbedürfnis des Gehirns, schliessen lässt. 5. Herr Dr. Röhmann: Versuche zur Theorie der Jodoformwirkung. Während sich das Jodoform in dem Streite, welcher vor einigen Jahren über seine Wirksamkeit entbrannte, ‘die ihm gebührende Stelle im Arzneischatze der Chirurgen bis heute siegreich behauptet hat, herrscht trotz einer ganzen Reihe experimenteller Untersuchungen noch durchaus keine Sicherheit darüber, in welcher Weise es seine Wirksamkeit ent- faltet. Man weiss nicht, ob es im Stande ist, die Erreger der Wund- infectionskrankheiten, die Bacterien, mit Sicherheit zu tödten oder ob es nur in der Art wirkt, dass es ihren Nährboden, die Wundfläche, für die Ansiedelung und Entwickelung ungeeignet zu machen vermag. Heyn und Roosnig hatten gezeigt, dass Jodoform auf die Culturen von Bacterien gepulvert, keine Abtödtung der niedern Organismen bewirkt. Diese Beobachtungen waren von den einen Autoren rückhaltslos be- stätigt, von anderen, wie Sattler und Neisser, nur insofern modifieirt worden, als sie zeigten, dass unter Bedingungen, welche im Wesentlichen Wanderversammlung zu Brieg. 33 denen von Heyn und Roosnig entsprechen, doch eine gewisse Einwirkung des Jodoform nicht zu verkennen war. Die Bacterien werden durch das Jodoform in ihrer Wachsthumsenergie und ihrer Schädlichkeit beeinträchtigt. Dem Vortragenden erschienen diese Versuche nicht ausreichend, um die günstigen Erfolge, welche die Chirurgen mit der Anwendung des Jodoforms hatten, zu erklären. Seiner Ansicht nach haftete denselben ein prinzipieller Fehler an. Das Jodoform, so meinte er, könne nur dann seine Wirksamkeit entfalten, wenn es zersetzt werde. Auf den Wunden findet eine derartige Zersetzung durch die lebenden thierischen Gewebe bezw. deren Produkte statt, in den erwähnten Versuchen waren die Bedingungen zu einer Zersetzung nicht gegeben. Es kam deshalb dem Vortragenden darauf an, ein Mittel zu finden, welches das Jodoform zersetzt, an sich die Bacterien nicht tödtet und sich in Bezug auf die Art der Wirkung mit den chemischen Prozessen, die auf einer Wunde stattfinden können, vergleichen lässt. Als solches erwies sich ihm Palladium, das durch Glühen im Wasserstoffstrome, die Fähigkeit erhält, Jodoform unter Bildung von Jodwasserstoffsäure zu zersetzen, Der Vortragende demonstrirt folgende Versuche: Je 3 mit 1 %,, Fleischextraet gefüllte, sterilisirte Reagensgläser wurden mit Proteus bezw. Staphylococcus oder Typhus geimpft. Eins dieser Reagensgläser blieb als Controllglas, ein zweites wurde mit wenig Jodoform, ein drittes mit Jodoform und einem Stück Palladiumwasser- stoffblech beschickt. Impfte man nun nach 24 Stunden aus diesen Reagensgläsern auf Gelatine, so zeigte es sich, dass die Bacterien in dem Controllglase auf dem neuen Nährboden gut gediehen, die Bacterien des Jodoformglases wuchsen ebenfalls, allerdings schwächer, im Gläschen, welches Jodoform und Palladiumblech enthalten hatte, waren die Bacterien getödtet worden, es wuchs nichts auf der Gelatine. Eine Ausnahme machte der Baeillus pyocyaneus, in sofern er noch in dem Gläschen, welches durch Palladiumwasserstoff zersetztes Jodoform enthielt, kräftig gewachsen war. Diese Versuche beweisen, .dass es thatsächliche Bedingungen giebt, in denen das Jodoform gewisse Bacterien zu tödten vermag. Weitere Untersuchungen haben jedoch zu entscheiden, ob die Wirkung des Palladiumwasserstoffs in den hier geschilderten Versuchen sich thatsächlich mit den auf einer Wunde herrschenden Verhältnissen vergleichen lässt, 6. Prof. Dr. Ferdinand Cohn sprach: Veber Wärme-Erzeugung durch Schimmelpilze und Bacterien. Dass die Pflanzen athmen, wie die Thiere, dass ihre Athmung im Wesentlichen in der Verbindung des aus der Atmosphäre aufgenommenen 24 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Sauerstoffs mit dem Kohlenstoff ihrer Kohlenhydrate besteht, und dass hierbei Kohlensäure gebildet und Wärme frei wird, ist zwar allgemein anerkannt, aber der Grad der durch die Athmung der Pflanzen zu er- reichenden Erwärmung wurde bisher viel zu niedrig angegeben (höchstens 1°,5 nach Sachs). Allerdings gleicht die Pflanzenathmung der von kalt- blütigen Thieren insofern, als die Athmungswärme in der Regel nur zur Wahrnehmung kommt, wenn durch Anhäufung einer grossen Anzahl der Wärmeverlust durch Ausstrahlung u. s. w. möglichst verringert wird. Die Erfahrungen bei der Malzbereitung, auf die schon vor 60 Jahren Göppert zurückgriff, beweisen jedoch, dass Haufen keimender Gerstenkörner sich in kurzer Zeit sehr stark erhitzen, wenn sie nicht durch häufiges Um- schaufeln abgekühlt werden. Zur genaueren Ermittelung der hierbei stattfindenden Vorgänge habe ich einen einfacher Apparat construirt, der dem Gerstensamen den zur Keimung erforderlichen Gaswechsel (Zutritt von SauerstoffundAusscheidung von Kohlensäure) ausreichend gestattet, aber den Wärmeverlust durch Ausstrahlung, Ableitung und Verdunstung möglichst vermindert. Er besteht aus einem durch einen Deckel verschliessbaren Blechkasten, dessen Wände siebartig durchlöchert sind, und der mit etwa 5 kg Gerste, welche 24 Stunden lang in Wasser gequellt worden war, angefüllt wird. Der Kasten, durch dessen Deckel ein langes Ther- mometer bis in die Mitte des Gerstenhaufen eingeführt worden, wird sodann in einen grossen Korb gestellt, und die Zwischenräume mit Watte dicht ausgestopft. Die Gerstenkörner beginnen binnen 24 Stunden zu keimen, und die Temperatur steigt rasch und stetig, nach 48 Stunden bis auf ca. 45°. Während dieser Zeit sind auch die Keimwürzelchen hervorgebrochen, und viele Halmtriebe sind hervorgesprosst und haben sich bis auf ein paar Centimeter verlängert. Sobald aber die Temperatur über 40 Grad gestiegen, hört alles weitere Wachsthum auf, die Keime beginnen abzusterben, und wenn 45° überschritten, sind fast sämmtliche Keimlinge abgetödtet. Man sollte nun erwarten, dass nach dem Absterben der Keimlinge auch alle weitere Temperaturerhöhung aufhören müsste. Dies ist aber durchaus nicht der Fall; vielmehr steigt die Temperatur im Keimhaufen ununterbrochen höher, anfangs langsam, dann rasch bis zu einem Maximum von 65 Grad; von da ab fällt sie wieder allmählich, bis sie nach etwa 14 Tagen der Lufttemperatur gleich geworden ist. Eine genauere Untersuchung der Gerstenkeimlinge lässt uns den Grund dieser auffallenden Thatsache erkennen. So lange diese in lebhaftem Wachsthum begriffen sind, finden sich keine Schimmelpilze zwischen ihnen; wenn aber bei einer Temperatur über 35° ihre Wachsthums- energie allmählich nachlässt, beginnt im Gerstenhaufen Schimmel zu über- wuchern, und zwar anfangs gemeine Schimmelpilze, besonders Penicillium. Sobald die Erwärmung aber 45 Grad überschritten, verschwindet dieser Pilz wieder, da er durch hohe Temperaturen ebenfalls getödtet wird; Wanderversammlung zu Brieg. 95 an seiner Stelle vermehren sich um so üppiger andere Schimmelpilze, die grade in hoher Temperatur das Optimum ihrer Entwickelung finden: vor allem Aspergillus fumigatus. Durch diesen Pilz, der sich von dem gemeinen Aspergillus glaucus durch die kurzen Conidienträger und durch die sehr kleinen blaugrünen Conidien leicht unterscheidet, werden die ge- tödteten Gerstenkeimlinge zuerst mit weissem Mycel zu zusammenhängenden Klumpen verfilzt; indem der Pilz sodann von der Oberfläche nach innen in Fructification übergeht, verwandelt sich das Mycelgespinnst in eine bläuliche stäubende Masse, Ich habe festgestellt, dass das Maximum der Temperatur da sich findet, wo das Aspergillusmycel in Fructification tritt, und dass mit dem Ausstreuen der Conidien und dem damit ver- bundenen Absterben des Mycels auch jede weitere Temperaturerhöhung im Gerstenhaufen aufhört; dass ferner Gerstenhaufen, bei denen durch Einbeizen in Kupfervitriol die Tödtung der anhaftenden Aspergillus- conidien gelungen, zwar durch die bei der Keimung der Samen ent- wickelte Athmungswärme sich bis auf etwa 40°, aber nicht höher er- hitzen; dass endlich, wenn ein Gerstenhaufen durch strömenden Wasser- dampf vollständig sterilirt ist, eine Temperaturerhöhung erst dann ein- tritt, sobald derselbe wieder mit Aspergillusconidien besät ist. Aus alledem ergiebt sich die Schlussfolgerung, dass, wenn in einem Gersten- haufen die Temperatur + 40°, d.h. die auf der Athmung der Keimlinge beruhende Erwärmung sehr bedeutend übersteigt und selbst nach dem Absterben der Keimlinge erst ihr Maximum erreicht, dies der Wärme zuzuschreiben ist, welche bei der Vegetation und Fructification gewisser Schimmelpilze, insbesondere des Aspergillus fumigatus, entwickelt wird. Es lässt sich leicht nachweisen, dass die Wärmeerzeugung durch den Asper- gillus an die Aufnahme sehr beträchtlicher Mengen von Sauerstoff und an die ebenso energische Abscheidung von Kohlensäure gebunden ist, Wird der Zutritt von atmosphärischem Sauerstoff völlig aufgehoben, so hört die Temperaturerhöhung sofort auf. Wir können annehmen, dass der Aspergillus nur als Sauerstoffüberträger wirkt: dass er die Fähigkeit besitzt, den Sauerstoff aus der Luft sehr energisch zu absorbiren und denselben auf die Kohlenhydrate der Gerstenkeimlinge zu übertragen, durch deren Verbrennung eben grosse Wärmemengen frei werden. Wahrscheinlicher aber erscheint mir jetzt die Annahme, dass der Asper- gillus durch Vermittelung eines ausgeschiedenen Ferments aus den Gerstenkeimlingen grosse Mengen von Kohlenhydraten in löslicher Form aufnimmt, welche er zum Theil als Baustoff für sein eigenes Wachsthum und für die Conidienbildung verbraucht; ein Theil jedoch der aufge- nommenen Kohlenhydrate wird von dem Pilz zur Unterhaltung seiner Athmung verbrannt, welche die unbedingte Voraussetzung für das Zustandekommen von Wachsthum und Fructification ist. Hiernach wären die Temperaturen über 40° auf die Athmungswärme von Schimmel- 36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. pilzen zurückzuführen, die eben bei so hohen Temperaturen das Optimum ihrer Entwickelung finden. Bekanntlich erhitzt sich auch feuchtes Gras, wenn es abgeschnitten und in dichten Massen zusammengehäuft ist, so stark, dass die Erwär- mung im Heuhaufen schon nach wenig Stunden mit der Hand fühlbar wird und dass grössere Heuschober zu rauchen beginnen und unter ge- wissen Umständen Selbstentzündung eintreten kann — wenigstens kann ich nach den mir von verschiedenen Seiten gewordenen Mittheilungen nicht mehr bezweifeln, dass solche Selbstentzündung von Heu thatsächlich vorkommt. Zur Untersuchung der hierbei stattfindenden Vorgänge habe ich in den oben beschriebenen Apparat frisch gemähtes Gras, welches aber nicht besonders angefeuchtet wurde, fest zusammengedrückt, sodass der Blechkasten etwa 3 kg Gras enthielt. Die Temperatur, welche bei Beginn des Versuches gleich der der Luft 18° betrug, stieg sehr rasch durch die Athmungswärme der Grashalme in 12 Stunden um 9°, in 24 Stunden um 12°, und so stetig weiter fort; sie hatte nach 8 Tagen 57° erreicht, 36° über der Temperatur der Luft. Bis zum 5. Tage waren die Grashalme grösstentheils noch grün geblieben, am 7. Tage waren sie jedoch schon fast alle braun geworden, und der ganze Gras- haufen verwandelte sich allmählich in eine schwarzbraune, nasse, stallmist- ähnliche Masse, die zuletzt bis auf die Hälfte des ursprünglichen Volumens zusammensank, einen deutlichen Düngergeruch entwickelte, stark alkalisch reagirte und aus der eine schwarze Jauche theils von selbst abtropfte, theils sich leicht ausdrücken liess. Die Entwickelung von Ammoniak liess sich schon vom 3. Tage ab in immer steigendem Maasse durch die Salmiaknebel vermittelst Salzsäure nachweisen. Nach- dem am 8. Tage das Maximum der Erhitzung überschritten war, trat allmählich Abkühlung ein, und am 12. Tage hatte die ganze Masse wieder die Temperatur der Luft angenommen. Wenn demnach in dem Grashaufen bei unseren Versuchen eine Temperatur erreicht wurde, welche die durch die Athmung der Halme erzeugte Wärme (35° — 40°) sehr erheblich überstieg, so waren es nicht Schimmelpilze, die hier sich überhaupt nicht entwickelten, sondern Bacillen, denen die thermogene Wirkung zukam. In der Feuchtigkeit zwischen den Halmen vermehrten sich in unendlicher Menge ausserordentlich rasch feine Stäbchen, wuchsen zu längeren oder kürzeren Fäden aus und erzeugten in ihren Gliedern elliptische, stark Licht brechende Sporen, worauf sie sich auflösten und die Sporen frei wurden. Waren am 6. Tage Bacillen und Sporen in ziemlich gleicher Zahl vorhanden, so waren am 8. Tage fast nur Sporen zu finden, und als von diesem Tage an die Abkühlung begann, war jeder Tropfen der jauchigen Flüssigkeit, in der die braun gewordenen Halme lagen, von Milliarden Sporen dicht erfüllt. Es konnte kein Zweifel sein, dass die Baeillen Wanderversammlung zu Brieg. 27 die Erreger der Gährung waren, welche in den gehäuften Grashalmen vor sich ging und die mit einer Entwicklung von Ammoniak verbunden war; dass die Gährung erregenden Bacillen bei ihrer Ver- mehrung grosse Mengen Sauerstoff verbrauchten und Kohlen- säure erzeugten und dadurch gleichzeitig Erzeuger von Wärme wurden, dass aber mit der Sporenbildung zugleich ihre Gährung-, wie ihre Wärme-erregende Thätigkeit zu Ende kam. Die Verwandlung der Grashaufen in eine stallmistähnliche, ammo- nikalische Masse legte es nahe, auch die Vorgänge zu untersuchen, welche bei der Fermentation des Stalldüngers stattfinden. Ich füllte unseren Apparat mit 6 kg frischem Pferdemist; das Thermometer stieg ausserordentlich rasch: bei einem besonders gelungenen Versuch im October vorigen Jahres in den ersten 24 Stunden um 12°, von 10,4° auf 22,4°; in den darauf folgenden 24 Stunden noch um 43°, auf 65,4, und am selben Tage, 5 Stunden später, 53 Stunden nach Beginn des Versuchs, bis auf 71°. Von da ab trat allmählich Abkühlung ein, so- dass nach 4 Tagen der Dünger wieder die Temperatur der Luft ange- nommen hatte. Während der raschen Erhitzung hatte der Dünger mit grösster Energie Sauerstoff absorbirt und enorme Mengen Kohlensäure entwickelt; nachdem das Maximum der Temperatur schon am dritten Tage erreicht war, hörte auch die Kohlensäure-Entwicklung und mit ihr gleichzeitig jede Wärmeerzeugung auf. Auch hier zeigte sich, dass die den Dünger durchtränkende Flüssigkeit schon im Beginn des Ver- suchs von feinen Bacillen wimmelte, die rasch in Fäden aus- wuchsen und in ihren Gliedern elliptische Sporen bildeten, sodann sich auflösten und die Sporen freiliessen; schon am dritten Tage fanden sich in der Feuchtigkeit des Düngers nur Bacillensporen, diese aber in unendlicher Menge. Bei Vergleichung der in den Grashaufen und der im Pferdemist als thermogene Organismen auftretenden Bacillen stellte sich heraus, dass dieselben unter einander und mit den bekannten Heu- bacillen identisch sind; Reinculturen bestätigten die Ueberein- einstimmung in der gesammten Entwickelungsgeschichte, Bekanntlich entwickeln sich Heubacillen in jeder Heuinfusion, und zwar aus“ schliesslich ohne fremde Bacterien, wenn die Heuinfusion vorher bis zum Kochen erhitzt ist, weil allein die Sporen der Heubaeillen der Siedehitze widerstehen. Unsere Untersuchungen geben nunmehr Klarheit über das Auftreten der Heubacillen und über ihre Fermentthätigkeit. Die Sporen der Heubacillen haften an den Grashalmen; wenn diese daher zusammen- gehäuft sind, so keimen die Sporen im feuchten Grashaufen, vermehren sich rasch und entwickeln durch ihre energische Athmung eine sehr be- trächtliche Erhitzung der ganzen Masse des Heu’s. Mit dem Heufutter 38 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. gelangen aber die Sporen der Heubaecillen auch in den Pferdemist; ihre Keim- kraft ist durch den Verdauungsprocess eben so wenig vernichtet, als bei den Sporen so vieler eoprophiler Pilze, die sich regelmässig im Pferdemist entwickeln; vielmehr entstehen im Dünger aus den gekeimten Sporen der Heubaeillen die Stäbehen und Fäden und vermehren sich mit be. sonderer Schnelligkeit; sie gehen schon nach wenig Stunden wiederum in Sporenbildung über. Mit dem Dünger aber gelangen diese Sporen auf Acker und Wiese, und mit dem Staube, den der Wind von der Ober- fläche des Bodens fortweht, an die Grashalme, resp. in das Heu; und so ist der Kreislauf der Heubaecillen klargestellt. Wenn wir demnach in der Respiration der wachsenden, sich ver- mehrenden und sporenbildenden Heubacillen die Quelle der Selbst- erhitzung feuchter Heuhaufen und Düngermassen erblicken, so bleibt noch die Frage: welches Material ist es, das durch die Athmung der Bacillen zu Kohlensäure verbrannt wird? Ich muss annehmen, dass die Kohlenhydrate der Grashalme, die ja auch in wenig verändertem Zu- stande den Hauptbestandtheil des Pferdedüngers bilden, durch die Fermentthätigkeit der Bacillen gelöst, und von ihnen als plastisches wie als Respirationsmaterial aufgenommen werden; dass die nämlichen Kohlenhydrate von den Bacillen auch für ihr eigenes Wachsthum als Nährstoffe verarbeitet werden, versteht sich von selbst. In den frischen Grashalmen mag es der Zucker sein, der hier in Betracht kommt; dass aber auch die Cellulose oder vielmehr die als Lignose zusammengefassten Verbindungen, welche in den verholzten Halmgeweben vorherrschen, bei diesen Vorgängen von den Bacillen gelöst und verbraucht werden, ist mir aus den Analysen den bei der Heu- und Düngerfermentation statt- findenden Veränderungen wahrscheinlich. Ich muss hier bemerken, dass im landwirthschaftlichen Betriebe bei der Bereitung von Sauerheu, Brandheu und Pressheu, wo sehr grosse Mengen Heu zusammengepresst und der Zutritt der Luft möglichst ab- geschlossen wird, zwar ebenfalls starke Erhitzung, aber gleichzeitig Bildung von Milch- und anderen organischen Säuren beobachtet wird, während in meinen Versuchen Ammoniak gebildet wurde. Späteren Unter- guchungen muss vorbehalten werden, die bei der sauren Gährung des Heu’s stattfindenden ana&robischen Vorgänge und die hierbei thätigen Gährungs- erreger zu studiren. In meinen Versuchen wurde auch niemals eine Temperatur erreicht, welche auch nur annähernd der zur Selbstentzün- dung erforderlichen gleichkam; ich vermuthe, dass, wenn letztere über- haupt eintritt, dies darauf beruhen mag, dass durch die Fermentation das Zellgewebe der Grashalme in eine lockere kohlenstoffreiche Sub- stanz umgewandelt wird, welche beim Auseinandermachen der erhitzten Heuhaufen Sauerstoff aus der Luft mit solcher Energie einsaugt, dass ein Wanderversammlung zu Brieg. 29 Glimmen und unter Umständen selbst ein Aufflammen des Heu’s ein- treten kann. Am Sehluss seines Vortrages sprach Prof. F. Cohn den Wunsch aus, in seinen Untersuchungen durch Zusendung von Proben solchen Heu’s, das in Selbstentzündung begriffen oder derselben nahe gewesen, so wie anderer in starker Selbsterhitzung begriffener Stoffe (Wolle, Baumwolle, Hadern, Kaffeeballen, geraspelte Farbhölzer u. dergl.) unterstützt zu werden, da viele noch unaufgeklärte Fragen durch Untersuchung und Reinceultur der hierbei thätigen, Gährung und Erwärmung erregenden Mikrophyten vielleicht der Lösung näher gebracht werden können. Zur Erläuterung des Vortrags war der in den Versuchen benutzte Apparat ausgestellt, der 2 Tage vorher mit 5 kg gequellter Gerste be- schickt worden war, und im Innern der gekeimten, aber bereits durch Aspergillus fumigatus überwucherten Gerste eine Temperatur von 62° zeigte. Prof. Friedrich Müller: Beiträge zur Kenntniss des Sputums. Die zähe Beschaffenheit, welche den Auswurf auszeichnet und seine Expectoration oft zu einer so schwierigen macht, ist bedingt durch den Gehalt an Mucin. Wenn man auch den Schleim des Sputums offenbar nicht als einen einheitlichen Körper auffassen kann, so ist doch sicher, dass derselbe beim Behandeln mit Mineralsäuren einen reducirenden Körper abspalten lässt, der aber nicht Traubenzucker zu sein scheint. Erwärmt man zähflüssiges Sputum langsam auf 60—70°, so nimmt es eine dünnflüssige milchartige Beschaffenheit an, indem der Schleim zer- stört wird. Diese dünne Beschaffenheit erlaubt, das specifische Gewicht des Sputums zu bestimmen, und es ergeben diese Bestimmungen, dass dasselbe meist überaus niedrig ist; und dass die Erhöhung desselben bis- weilen diagnostische Bedeutung gewinnen kann. Eine ganz analoge Ver- flüssigung des Sputums kommt zu Stande durch Bacterienwirkung im Verlauf der Bronchitis putrida.. Da sich bei Kranken mit putriden Sputis bisweilen Krankheitserscheinungen zeigten, die den Verdacht einer Auto- intoxication nahe legten, nämlich Kopfweh, Schwerbesinnlichkeit, Er- brechen, Rheumatoid-Erkrankungen, so wurde solches Sputum nach dem Brieger’schen Verfahren auf Toxine verarbeitet. In der That liess sich eine giftige Substanz nachweisen, die Mäuse tödtete, bei Kaninchen und Ratten einen Krankheitszustand hervorrief. Die mikroskopische Untersuchung des Auswurfs ergab, dass die farblosen Zellen desselben, ähnlich wie dies für den Eiter bekannt ist, zum bisweilen grössten Theil mehrere Kerne enthalten; doch kommen bei gewissen Krankheiten auch einkernige Zellen in etwas grösserer 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Menge vor. Die Färbung mit gewissen organischen Farbstoffen lässt es wahrscheinlich erscheinen, dass diese einkernigen Zellen grösstentheils Abkömmlinge von Epithelzellen darstellen. Ferner kann man aus solchen Färbungen den Schluss ziehen, dass die sogenannten Epithelioiden Zellen, welche mit den neuerdings viel genannten „‚Herzfehlerzellen‘“ iden- tisch sind, nicht Abkömmlinge der gewöhnlichen polynucleären Leukocyten darstellen. Färbung der Sputa mit sauren Farbstoffen nämlich, vorzugs- weise mit Eosin ergaben, dass in allen Sputis, denen eine eitrige Ent- zündung der Bronchialschleimhaut zu Grunde liegt, sogenannte eosinophile Leukoeyten in allerdings sehr geringer Zahl vorkommen, dass dagegen diese Zellen in gewissen Formen der Bronchitis und ganz besonders bei der Bronchiolitis-Exsudation des echten Asthmas in colossalen Mengen vorhanden sind, und hierbei bis zu 60%, aller ungefärbten Elemente ausmachen. Da die eosinophilen Zellen bisher ausser im Blut und im Knochenmark nur bei Entzündungen von Schleimhäuten, nicht aber bei Eiterungen anderer Körpergewebe, oder der serösen Häute aufgefunden werden konnten, so dürfte ihr Nachweis sowie auch ihre grössere oder geringere Reichlichkeit eine gewisse diagnostische Bedeutung bean- spruchen. Prof. Hermann Cohn sprach: Veber eine neue Verwendung der Photographie zur Diagnose der Augen- krankheiten. Die Hornhaut des Auges ist ein Convexspiegel und giebt kleine aufrechte Bilder von allen Gegenständen; diese liegen in der Pupille. Der Diminutivname Pupille kommt daher, dass ein Mädchen (pupa) sein Miniaturbild im Auge eines Anderen wahrnimmt. Kann man die Grösse der Spiegelbilder messen, so kann man auch den Krümmungsradius der Hornhaut berechnen. Da das Auge sich beständig bewegt, sind solche Messungen recht schwer. Ein von Helmholtz sehr geistreich ersonnenes Instrument, das Ophthalmometer, ist zu kostspielig, die Messungen für den Arzt wie für den Kranken zeitraubend und unbequem. Der Vor- tragende hat nun mit Magnesium die Reflexbilder photographirt; das "Momentbild ist fertig, bevor das Auge sich bewegen kann. An der Photographie lässt sich jetzt mit Leichtigkeit die Grösse des Reflex- bildes messen und aus Veränderungen desselben ein Schluss auf Er- höhung des Druckes im Auge ziehen und zwar bereits in einem Stadium, in welchem es bisher noch kein Mittel zur Erkennung der Krankheit gab. Auch Verzerrungen, welche die Bilder erleiden, wenn die Horn- haut unregelmässig gekrümmt ist, an Astigmatismus leidet, so dass z. B. Kreise als Ellipsen reflectirt werden, hat der Vortragende mit Magnesium aufgenommen; die betreffenden Photographieen wurden vorgezeigt. Wanderversammlung zu Brieg. 31 Herr Dr. Malachowski: Beiträge zur Pathologie des Blutes. Redner demonstrirt an mikroskopischen Präparaten von frischem und angetrocknetem Blut, sowie an Zeichnungen Veränderungen in der Gestalt der rothen Blutkörperchen, welche charakteristisch sind für se- cundäre Anämieen irgend welcher Art. Die rothen Blutzellen verlieren ihre biconcave Form, sie erscheinen grösser und dabei blasser als die normalen. Ferner senden sie Fortsätze aus, die alle möglichen Formen annehmen können, und sich auch ziemlich lebhaft hin und her schwingend bewegen. Diese Fortsätze können sich loslösen und frei in dem Plasma umherschwimmen. Man beobachtet dann häufig auch wurmförmige Be- wegungen an ihnen. Aus diesen abgesprengten Fortsätzen gehen dann durch Gestaltsveränderung die sehr reichlich in dem Blute vorhandenen Mikrocythen hervor. Es finden sich auch rothe Blutzellen von normaler und subnormaler Grösse, an denen obige Veränderungen der Form und Farbe zu sehen sind. Endlich ringförmige Blutzellen, welche einen Hohlraum in sich einschliessen. Charakteristisch für secundäre Anämieen ist die blassere Farbe auch der Mikrocythen. Bei der progressiven Anämie sind diese Gebilde im Gegentheil stärker hämoglobinhaltig als die normal geformten Zellen, also dunkler. In diesem Sinne sind sie von grosser Bedeutung für die Differentialdiagnose, welche bekanntlich stets sehr schwierig ist. Auch für die Prognose sind diese Erscheinungen von Bedeutung, indem alle Veränderungen zurückgehen, wenn die Grund- krankheit sich bessert. Die Bewegungen sind nicht selbständige Lebensäusserungen der rothen Blutzellen, wie Hayem annimmt. Redner stimmt mit Browiez überein, dass es sich um Molekularbewegung handelt. Denn diese sich bewegenden Fortsätze findet man in Präparaten, die vor Verdunstung geschützt sind, noch nach vielen Tagen. Redner hat sie noch nach 8 Tagen gesehen, zu einer Zeit also, in der von Leben in dem Präparat nicht mehr die Rede sein kann. Man kann diese Vorgänge sofort in dem frisch entnommenen Blute beobachten ohne heizbaren Objecttisch oder irgend welche andere Vorsichtsmaassregeln. Diese Veränderungen sind qualitativ vollkommen identisch mit denen, die man erhält, wenn man Blut plötzlich erhitzt (Salomon) oder mit concentrirter Harnstefflösung behandelt (Kölliker), und auch dieser Umstand spricht gegen die An- sieht, dass es sich um active Lebensäusserungen handelt. Redner glaubt, dass es sich bei diesen Formveränderungen der rothen Blutzellen handelt um eine Verminderung, wenn nicht einen Ver- lust ihrer Contractilität. Aber nicht dieser Umstand allein scheint die Erscheinung zu bedingen, sondern auch eine Aenderung in der Be- schaffenheit des Blutplasma; und sie ist denjenigen Veränderungen gleich 33 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. zu stellen, welche gesunde, rothe Blutzellen zeigen, sobald das Plasma z. B. am Rande eines Präparates verdunstet (Stechapfelform, Maul- beerform). f Auch eine Aenderung in der chemischen Zusammensetzung dieser erkrankten Zellen ist anzunehmen. Dafür spricht schon die blassere Farbe, welche auf einen verminderten Hämoglobingehalt hinweist. Browiez glaubte es auch daraus schliessen zu dürfen, dass die ver- änderten rothen Blutzellen sich gegen Farben anders verhalten, als die normalen. Er behauptet gesehen zu haben, dass sie z. B. mit 1 pCt. Gentianaviolettlösung sich anders färben, als die gesunden, ebenso auch die abgeschnürten Fortsätze, und zwar dunkler, fast so dunkel, als die weissen Blutkörperchen. Dem Redner ist es nicht gelungen, diese Reaction bestätigen zu können. In seinen Präparaten sind alle rothen Zellen, sesunde wie erkrankte, mit geringen Abweichungen gleichmässig gefärbt. Die beschriebenen Veränderungen der rothen Blutzellen kommen, wie schon gesagt, bei allen secundären Anämieen vor, und soweit dies für einzelne Erkrankungen noch nicht direct festgestellt ist, wird sich der Beweis durch fortlaufende Beobachtung leicht erbringen lassen. Am ausgeprägtesten sah Redner die Affection bei einem 13jährigen Knaben, der seit vielen Jahren an Hämophilie litt. In zweiter Reihe demonstrirt Redner Präparate des Plasmodium malariae. Diesen Organismus, von dem es jetzt feststeht, dass er die einzige Ursache der Erkrankung an Malaria ist, konnte man bisher in das zoologische System mit Sicherheit nicht einreihen. Man vermuthete, dass er in die Klasse der Protozo@en gehöre, konnte jedoch nicht be- weisen, dass er einen Kern besitze, was zu dieser Classification durch- aus nothwendig war. Redner konnte durch ein geeignetes Färbeverfahren in dem Plasmodium ein Gebilde isolirt färben, welches 1. constant vor- kam, 2. eine constante Lagerung hatte, 3. sich electiv färbte. Dieses Gebilde konnte sowohl in dem unsegmentirten Plasmodium gefunden werden, als auch in den segmentirten Formen in jedem einzelnen Seg- ment je eines. Diese Umstände in Verbindung mit der Thatsache, dass es auch mit Hämatoxylin sich dunkler färbt, als das übrige Protoplasma bestimmen den Redner, dieses Gebilde für den gesuchten Kern zu halten. -Damit wäre die Einreihung des Plasmodium malariae in die Klasse der Protozo@n gesichert. Kassen-Abschluss für das Jahr 18390. Allgemeine Kasse. Einnahme, An Bestand aus dem Jahre 1889 . An Zinsen von Werthpapieren: Pro I. Semester . I. ” „ An Beiträgen einheimischer Mitglieder: Pro I. Semester von 291 Mitgliedern & I M. » D. ” ” 295 rb) An Beiträgen auswärtiger Mitglieder: n Karten & 6 #, 11 Karten 3 M, 1 Katea AM = Jahres-Beitrag des Magistrats zu Breslau . Miethsbeitrag vom Gewerbe-Verein . 5 der Sparkasse . nn des Vereins für Geschichte 5) des Classischen Vereins . Aussergewöhnliche Einnahmen: Oekonom Petit. Aderholz’sche Buchhandlung . Gekaufte Schlesische Pfandbriefe 3'/, %, - Zinsen vom Baarbestand bei der Sparkasse und der städtischen Bank Ist eingekommen Werth- papiere M 43200 45200 Baar NM 1315 | 90 396 | 40 1258 | 50 2619 — 2655 ° — 855 | — 300 | — 640 | — 80 | — 100 | — 90 | — 227 2m) 49 | 63 DDR EAS Allgemeine Kasse. Ausgabe. Für Miethe inel. Wassergeld . Honorare und Remunerationen SER at Gehalt dem Castellan und Pension an Fr. Reisler . Heizung. Beleuchtung . Ber en Unterhaltung des Mobiliars und Neuanschaffungen . Feuerversicherungs - Prämie. Schreib-Bedürfnisse . Zeitungs-Inserate . Druckkosten . : Buchbinder-Arbeiten . Porto-Auslagen . Kleine Ausgaben . Anschaffung von Büchern Beihilfe zum bot. Lesezirkel . : Gekaufte 2000 Mark Schlesische 3), in Pfandbriefe . Zinsen an Kreusel für seine hinterlegte Caution. Bestand am Schlusse des Jahres 1890. 3Y, %, Oberschl. Eisenb.-Prioritäts-Oblig. Lit. E.. . 3", °% Prämien-Anleihe 4 %, Consolidirte Anleihe. 4 N ” ” 3 '; Yo ” 2 3, % Sehlesische Pfandbriefe Litt, Be 3 % by) „ Litt. D.. Schlesische Bankvereins-Antheilscheine . Ist verausgabt Werth- papiere M —e——————— u m 45200 Baar MR | 2260, 130, 1332 | 85 154 | 30 253 | 66 55 | 69 26 111| 45 222 | 60 1793 | 57 142 | 44 201 | 05 155 | 80 207 85 a 2021 | 20 18 | — | 1360 97 | 11122 43 F. W. Rosenbaum, z. Z. Schatzmeister der Gesellschaft. Kassen- Abschluss der Seetion für Obst- und Gartenbau für das Jahr 1890. ——_ mn nm Einnahmen. An Vortrag aus Rechnung 1889 Mitglieder-Beiträgen: 146 Beiträge für 1890. . . 1 Beitrag für 1891 ” Garten-Erträgnissen: Verkaufte Baumschul-Artikel Blumen und Gemüse . ” ” 374 ” 75 7 M— RA 6 ee) . 4959 M 81 A „ Subventionen: Subvention vom Schles. „ Zinsen: 3%, %, von 5000 MM Landschaftl. Central-Pfandbr. pr. I. und II. Sem. 1890 er 31, % von 3000 Sehlesische Dendbners pr. I. und II. Sem. 1890 4 %, von 3800 AM Preuss. 4 °), Console pr. T,2und@]Ie Sem? 18907 3';, % von 3000 M Oberschl. Ener, akt Litt. E. vom 1./10. 1889 bis 30./9. 1890 4 °%%, von 1500 4 Oberschl. Prioritäts - Oblig. Litt. F. vom 1./10. 1889 bis 31./3. 1890 . 3’, % von 1500 M Preuss. 3%, %, Consols vom 1/4. 1890 bis 30./9. 1890... . . 3'/, /, von 300 M Preuss. 34, %, Eonsbls vom 1./10. 1889 bis 30./9. 1890 Zinsen auf Rechnungsbuch der Schles, Tornesch Bank für 1890. - Zinsen auf einen von dem Prkeidium der GerelL schaft für die Section aufbewahrten Schuld- schein über 5900 ft, Rest bis 31./12. 1889 „ Lesezirkel: 24 Beiträge zum Lesezirkel für 1890, . „ Effeeten: Convertirte Preuss, 3'/, %, Consols. . 39 Provinzial-Ausschusse für 1890. 25 ” Effecten M 22500 1500 24000 Baar MR 2836 | 54 693 7° — 5334 | 56 1650 | — 7111| 25 12a — 11297 | 35 Effeeten Baar Ausgaben. M MA Für den Garten: Görtnergehalte, Heizung und Beleuchtung . . . 1599 M 42 % Arbeitslöhne . = 22000, 250: Dungstoffe . Ze 329... 5 Wildlinge, Edelreiser, Äfiereien 183 „ — 5 Baulichkeiten und Gerälhscheften 304 82%, Porti, Steuern, Drucksachen etec.. 204, 2; 7 487 71 „ den Lesezirkel: Journale . 1214 10% Colportage . 7, —y Buchbinderarbeit In22.2607°,, —_ 223 | 70 »„ Insgemein: Porti 51 M 95 % Inserate 28 5, — 9, Druckkosten, Kosten‘ Antheiln am Valresbench! für 1889 N ST re ODER EN Angeschaffte Werke. . .. . Bde Ver Beitrag zum Erovioriale Vene (Schlesiecher Gartenbau-Vereine für 1888—1890 . A077 620, Ehrenpreise für Ausstellungen ete,. TOENNEODO — 514 | 33 „ Eiffecten: Convertirte 4%, Oberschl. Priorität.-Oblig. Litt. F.. EN „ Bestand im Vortrage: 3", °% Landschaftliche Central-Pfandbriefe . 500 M — % °/, Schlesische Pfandbriefe . 3000 „ — 4 %/, Preussische Consols 3800 ,, — , 3 %/, Preussische Consols 1800 „ — , 3 % Oberschlesische Prioritäts- Obeeanen Litt, E. RE : 3000 „ — Schuldschein, von dem Präsidium des Baal schaft für die Section aufbewahrt . 5900 „ — ,„ |22500| 5687| 61 24000 | 11297 | 35 Dr. Schröter, z. Z. Vorsitzender des Verwaltungsvorstandes der Section Max Müller, z. Z. Kassenvorsteher für Obst- und Gartenbau, schlesische Gesellschaft für vaterländisehe Cultur. 68. 1. Jahresbericht. Medieinische 1890. Abtheilung. ei gar... 0 2 ae ae a Fe ra. Sitzungen der medicinischen Section. Sitzung vom 17. Januar 1390. 1) Herr Tietze stellt im Auftrage des verhinderten Directors der chirurgischen Klinik mehrere Patienten vor: a) Einen vor mehreren Monaten wegen Sarkom am Kehlkopf- Eingange operirten ca. 50 jährigen Mann, welcher völlig geheilt ist. Er ist jetzt im Stande, sich in seinem Berufe als Maschinenmeister ganz befriedigend zu verständigen und in alter Weise thätig zu sein. Die Stimme ist, wenn auch raub, so doch klar und deutlich. Im Anschluss hieran berichtet Herr T. über die in der Kgl. chirurgischen Klinik vom Jahre 1884 bis heute ausgeführten Exstirpationen des Kehlkopfs. Das Nähere bleibt einer eingehenden Arbeit vorbehalten. Bei der Discussion bemerkt Herr Kayser: Ich erlaube mir zu dem vorgestellten Fall von Kehlkopf-Exstirpation einige Bemerkungen zu machen, da ich den Fall vor der Operation in der Gottstein’schen Poliklinik behandelt habe. Der Kranke erschien daselbst am 3. Juni 1839 und klagte über Schlingschmerzen auf der rechten Seite nach dem Ohr zu ausstrahlend, Heiserkeit war nur in geringem Grad vorhanden. Die laryngoskopische Untersuchung ergab starke Schwellung und Röthung am rechten Aryknorpel und rechten Taschenband, das rechte Stimm- band, grösstentheils verdeckt durch das geschwollene Taschenband, war unbeweglich. Ausserdem zeigte sich von aussen zwischen dem rechten Schildknorpel und Zungenbein eine rundliche, harte, schmerzhafte Ge- schwulst. Die Diagnose wurde auf Perichondritis gestellt, wahrscheinlich bedingt durch eine Neubildung. Im weiteren Verlauf der Beobachtung machte ich einen Einstich in die Geschwulst am Aryknorpel, es kamen aber nur wenige Tropfen Blut heraus. Weiterhin versuchte ich zur Er- möglichung einer mikroskopischen Diagnose ein Stückchen der Geschwulst abzureissen. Allein die Geschwulst erwies sich als so hart, dass eine Ab- reissung ohne übergrosse Gewalt unausführbar war. Als nun im Juli 1889 die Geschwulst aussen und innen sich vergrösserte, wurde der Kranke 1 I Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. veranlasst, die Exstirpation vornehmen zu lassen. Im Ganzen gehört dieser Fall zu den verhältnissmässig günstigeren. Es wäre von Interesse zu erfahren, ein wie grosser Theil des Kehlkopfes entfernt worden ist, resp. ob auch Theile des Ringknorpels weggenommen wurden. Ausser der Einseitigkeit der Erkrankung scheint mir in diesem Falle von günstiger Bedeutung, dass die Neubildung ihren Ausgangspunkt im oberen Theil des Kehlkopfes oberhalb des Niveaus der Stimmbänder ge- nommen hat. Es scheinen mir Fälle soleher Art von vornherein für die Radicaloperation günstigere Chancen zu bieten. b) Eine Frau mit geheilter Magenfistel. Frau Caroline L. ging im October 1888 der Kgl. chirurgischen Klinik mit der Diagnose Rippencaries zu. Bei der Aufnahme zeigte sich eine derbe, haselnussgrosse, mit der Haut verwachsene, wenig verschiebliche Geschwulst über der 8. linken Rippe in der Gegend des Ueberganges vom Knochen in den Knorpel. Behufs Exstirpation wurde auf die Geschwulst eingeschnitten, kaum war jedoch der Schnitt etwa 1 cm tief geführt worden, als sich ein klaffendes Lumen zeigte, aus welchem sich eine schleimige Flüssigkeit und bald darauf Speisetheile entleerten. Es konnte keinem Zweifel unterliegen, dass der Magen eröffnet worden war, welcher auf eine zunächst unerklärliche Weise hier mit der Bauchwand verwachsen erschien. Patientin wurde auf Station aufgenommen, die Magenwunde nur durch einen Verband geschlossen und nach einiger Zeit der Versuch gemacht, dieselbe mittelst Plastik (gedoppelter Lappen) zu schliessen. Beide Lappen gingen jedoch durch Anätzung seitens des Magensaftes zu Grunde, die Magenfistel vergrösserte sich dadurch um mehr als das Doppelte, verkleinerte sich zwar in der Folgezeit wieder etwas durch Schrumpfung der Ränder, hatte aber im April 1889, als die Patientin durch Herrn Geheimrath Fischer auf dem Chirurgen- Congress vor- gestellt wurde, noch immer die Grösse von etwa einem Füntmarkstück. Bald darauf machte derselbe einen neuen Versuch, die Fistel zu schliessen. Seine Absicht war, einen Theil der begrenzenden Rippen zu reseeiren, den Magen hervorzuziehen, die Fistelränder anzufrischen und zu vernähen. Bei der Operation zeigte sich nun die interessante Thatsache, dass die Fistel von einem Knochenring umgeben war, welcher von der achten und neunten Rippe gebildet wurde, wobei es den Anschein hatte, als theile sich die achte Rippe und sende einen Fortsatz an die neunte heran, wodurch eine Figur entsteht, welche den von Joessel (Topogr. Anatom. II. Theil p. 27) abgebildeten Spaltbildungen an den Rippen ziemlich entspricht und gleichfalls wohl als congenitale Spaltung aufzu- fassen ist. — Im Uebrigen wurde nach dem vorher gefassten Operations- plan verfahren. Die Patientin überstand die Operation gut, konnte nach etwa fünf Wochen als geheilt entlassen werden und erfreut sich, wie I. Medieinische Abtheilung. 3 die heutige Vorstellung bestätigt, der besten Gesundheit und eines blühenden Aussehens. Irgend welche Beschwerden von Seiten des Magens sind nicht vorhanden. Bei der Diseussion macht Herr Ponfick im Hinblick auf die durch das demonstrirte Präparat veranschaulichten Verhältnisse des bei dieser Fisteloperation mitentfernten Knochenringes darauf aufmerksam, dass es sich hier nicht sowohl um eine congenitale, als eine erworbene Anomalie handle. Gewiss kämen erstere, ganz im HBinklange mit der Abbildung Jössel’s, an den oberen Rippen öfters vor, welche am Uebergange des knorpeligen Theiles in den knöchernen gablig sich theilend auseinanderwichen und so eine annähernd kreisförmige, scharf umrahmte Oeffnung innerhalb einer und der nämlichen Rippe erzeugten. Im vorliegenden Falle dagegen seien die Rippen an sich wohlgebildet, jedes Auseinanderweichen oder Sichspalten fehle. Dagegen gehe von der achten zur neunten Rippe eine brückenartige Spange hinüber, welche sowohl durch ihre schräge Richtung, wie durch die Unregelmässigkeiten ihrer Gestaltung ihre pathologische Entstehungsweise bekunde. Allerdings bewirke auch sie, dass ein fast rings umrahmter Spalt zu Stande komme, da eben die achte und neunte Rippe, stets schon sehr dicht aneinander schliessend, nur durch ein schmales Spatium von einander getrennt seien. Indess sei die auf der erworbenen und krankhaften Natur des Vorgangs beruhende grundsätzliche Verschiedenheit des vorliegenden Knochen-Präparates von jenen congenitalen Anomalien dennoch ganz un- verkennbar. c) Einen Mann mit umfänglicher Nasen- und Wangenplastik. Es handelt sich um einen Patienten, welchem ein seit 12 Jahren be- stehendes Carcinom, das sich vielleicht auf der Basis eines einfachen Ge- schwüres entwickelt hatte, die ganze rechte Nasenhälfte und einen Theil der Wange zerstört hatte. Nach Exeision der Geschwulst ist demselben eine Nasen- und Wangenplastik mittelst Stirn- und Wangenlappens mit sehr gutem Erfolge gemacht worden. Die Wundfläche an der Stirn wurde mit Thiersch’schen Implantationen innerhalb 8 Tagen überhäutet. d) Einen Fall von eigenartiger Gangrän an den Fingern. Der jüdische Lehrer N. aus Kalisch, 40 Jahr alt, will bisher immer gesund, nie luetisch infieirt gewesen sein. Vor einem Jahre stellten sich angeblich nach einer Erkältung heftige Schmerzen im Mittelfinger der rechten Hand ein, welche namentlich nachts auftraten und sich mit der Zeit zu einer enormen Höhe steigerten. Nach kurzer Zeit fing der Finger an, von der Spitze aus brandig zu werden und wurde schliesslich in Warschau amputirt. Nachdem Patient darauf von Beschwerden frei- geblieben war, begannen vor jetzt acht Wochen die Schmerzen in der 1*F 4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Hand von Neuem, erstreckten sich aber jetzt über alle Finger und strahlten bis zum Arm aus. Gleichzeitig stellten sich an der Innenseite des Daumens und Zeigefingers schwärzliche Verfärbungen ein, so dass Patient in der Furcht, dass sich ein ähnlicher Process wie früher ent- wickeln werde, die Hilfe der hiesigen Kgl. chirurgischen Klinik in An- spruch nahm. Bei der Untersuchung des schlecht genährten, schwächlich gebauten Individuums zeigen sich an der Spitze des Daumens und Zeigefingers die erwähnten schwärzlichen, gangränösen Partieen, am Daumen fast die Hälfte des Nagelgliedes einnehmend, am Zeigefinger sich nur über einen Theil der Fingerkuppe erstreckend. Ganz gleiche, aber nur punktförmige Stellen werden neben dem Nagel des vierten und fünften Fingers sicht- bar. Dieselben vergrösserten sich während der Zeit der Beobachtung, während sich in derseiben Zeit die Partie am Daumen deutlich demar- kirte. Die umgebenden Hautpartieen geröthet, Empfindlichkeit der- selben sehr gesteigert. Radialpuls ist am rechten Arme nicht fühlbar, dagegen Puls in der a. brachialis vorhanden. Der ganze Arm stark ab- semagert. Linker Arm und Hand normal. Ueber die Natur dieser Erkrankung ergiebt die weitere Untersuchung wenig Aufklärung; Herztöne rein, sichtbare Gefässe nicht sonderlich ge- schlängelt, Urin frei von Zucker, keine Zeichen von Lues, keine ner- vösen Störungen am Arme. Die Gangrän der Finger ist zweifellos Folge der nachgewiesenen Arterienerkrankung am Vorderarme, das Wesen derselben aber vorläufig noch unklar. Gleichwohl beansprucht der Fall insofern ein ganz be- sonderes Interesse, weil sich gerade in der Neuzeit die Aufmerksamkeit auf derartige Brandformen gerichtet hat, ohne dass man freilich in Bezug auf die Entstehungsweise immer zu befriedigenden Resultaten gekommen wäre, 2) Herr Glaeser demonstrirt einige frische Präparate: a) Verhornte Stricetura urethrae. Es handelt sich um einen 4ljährigen Mann, bei welchem sich in der pars cavernosa urethrae, etwa 1 cm vor dem bulbus, eine 2'/), em lange, ringförmige Strietur infolge von Gonorrhoe vorfand. Die gonorrhoischen Strieturen entwickeln sich bekanntlich in der srossen Mehrzahl der Fälle aus kleineren oder grösseren periurethralen Abscessen, welche in das Lumen der Harnröhre durchgebrochen sind, mehr oder weniger tiefe Geschwüre in derselben gebildet haben und schliesslich zur Vernarbung gekommen sind. Die Gestalt dieser Narben ist, dem Wesen des Processes entsprechend, meist strahlenförmig, die Anordnung fleck- und herdweise. Das Narben- gewebe kann sich auf die oberflächlichsten Schleimhautschichten be- ( I. Medicinische Abtheilung. schränken oder aber weiter in die Tiefe reichen je nach der Schwere der vorangegangen Entzündung und Nekrose. Ausser dieser Art von Narbenbildung kommen jedoch, wie schon Dittel hervorhebt, und neuerdings Neelsen besonders betont, auch fibröse Schwielen ganz ähnlicher Art vor, welche nicht aus einer voran- gegangenen Ulceration entstehen, sondern ihren Ursprung lediglich einer subepithelialen Infiltration der Schleimhaut verdanken. Die hierbei ausgewanderten Leukocyten fallen nun entweder der Resorption anheim: dann kommt es zu vollkommener Heilung, oder aber sie werden durch fixes Bindegewebe ersetzt, welches in narbige Schrumpfung übergeht. Auch diese Narben treten meist fleckweise auf; nur selten ergreift der Process grössere Strecken in gleicher Intensität, so dass man die Harnröhre einen oder mehrere Centimeter lang strieturirt findet, | Ein Fall der letzteren Art ist der vorliegende, bei welchem das ganze cavernöse Periurethralgewebe ringförmig auf eine Länge von 2!/, cm in fibröses Narbengewebe umgewandelt ist. Hohes Interesse bietet die bereits von zahlreichen Autoren erwähnte Veränderung der Epithelschieht über den chronisch entzündeten, narbig geschrumpften Schleimhautpartien. — Das Harnröhrenepithel, im normalen Zustand einem Cylinderepithel ähnlich und von den neueren Bearbeitern geradezu als einfaches Cylinderepithel gedeutet, verändert an den betroffenen Stellen seinen Charakter derart, dass an Stelle der cylindrischen Zellen mehrfach geschichtete Plattenepithelien treten. Die Zahl der Schichten ist eine wechselnde. Zuweilen nur doppelt oder dreifach, finden sich besonders über tiefen Narben zwanzig bis dreissig Zelllagen über einander. Niemals jedoch vermisst man in solchen Fällen eine Verhornung der obersten Zelllagen, ein Umstand, der allge- meineres pathologisches Interesse durch die Thatsache gewinnt, dass eine Umwandlung von Cylinderepithel in Plattenepithel unter dem Ein- fluss chronischer Entzündung oder vielmehr, wie Neelsen treffend be- merkt, unter dem Einfluss der Ernährungsstörung, welche für die Epi- thelien mit der Umwandlung ihrer gefässreichen saftigen Matrix in schwie- lieges Narbengewebe verbunden sein muss, an zahlreichen anderen Cylinderepithel tragenden Sehleimhäuten nachgewiesen worden ist. So findet man häufig auf Nasen- und Ohrpolypen, sowie bei chronischen Mittelohrkatarrhen auf der Paukenhöhlenschleimhaut Plattenepithel, über tuberkulösen Infiltraten und ausgeheilten Geschwüren der Trachea und Bronchien ausgedehnte Lagen von verhornten platten Zellen. Die Um- wandlung des eylindrischen Uterusepithels in Plattenepithel bei chronischer Endometritis beschrieb Zeller als Psoriasis uterina, und Schuchardt fand bei seinen Untersuchungen über Ozaena, dass in ausgesprochenen Fällen die Nasenschleimhaut völlig epidermoidisirt war. 6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. b) Ein Haematom am Kehlkopfe, welches ein hohes gerichtsärztliches Interesse beanspruchen darf. Bei einem Potator, der in einem Anfall von Delirium gewürgt worden war, fand sich das rechte Unterhorn des Schildknorpels fracturirt. Schon bei der äusseren Besichtigung konnte man die Druckmarken der Fingernägel in der Haut zu beiden Seiten des Kehlkopfes deutlich er- kennen. Nach der Herausnahme der Halsorgane zeigte sich eine blutige Durchtränkung des Gewebes im rechten Sinus pyriformis, ohne dass die Continuität der bedeckenden Schleimhaut unterbrochen war. In gleicher Weise war die Partie über dem linken lig. glottidis spurium blutig suffundirt. Erst nach dem Abpräparieren der bedeckenden Weich- theile wurde die fracturirte Stelle selbst gefunden. — Die Blutdurch- tränkung auf der linken Seite der inneren Kehlkopfwandung war da- durch entstanden, dass sich das Blut von der fracturirten Stelle aus in der Tiefe dicht über dem lig. erico-thyreoideum einen Weg auf die linke Seite gebahnt hatte und dort bis unter die Kehlkopfschleimhaut vorgedrungen war. — Offenbar war das Zustandekommen der Fractur durch die auffallend frühe und vollständige Verkalkung des Knorpels bei dem erst 31 jährigen Mann wesentlich begünstigt worden. Zum Schluss sei noch bemerkt, dass die Todesursache in einer Pneumonie bestand, welche indess nicht als Folge der erwähnten Fractur angesehen werden konnte. Sitzung vom 31. Januar 1390, Herr Kabierske hält einen Vortrag Ueber eine neue Percussionsmethode und deren Bedeutung für die Lungenspitzen- und Herzpercussion. Seit langer Zeit bin ich der Meinung gewesen, dass man die direete Pereussionsmethode, welcher die „Pereussion“ ihre Begründung ver- dankt, mit Unrecht vernachlässigt und ungerechter Weise nicht weiter aus- gebildet hat. Mein Bestreben war deshalb darauf gerichtet, die direete Percussionsmethode zu verbessern, indem ich sie zu einer instrumen- - tellen direeten Methode umzubilden versuchte. Das Instrumentehen, welches ich hierzu ersonnen habe, hat die Form einer Stimmgabel. Stiel wie Gabel sind aber aus dünnen ver- nickelten Stahlblech, der Stiel in einem walzenförmigen Griff eingelassen, der aus zwei breiten, mit Gummi überzogenen Scheiben besteht. Der abgerundete vorderste Abschnitt der beiden Gabelblätter ist etwas breiter, an der einen Seite mit je einem hakenförmigen Fortsatz versehen und ebenfalls mit einer Gummihülse überzogen. Die Grössenverhältnisse sind wie folgt: I. Medicinische Abtheilung. 7 Länge des Instrumentes 11 cm, Länge der Gabelblätter 7 cm, Höhe der Gabelblätter ',, cm, vorn 1 cm, Abstand der Gabelblätter 7 mm, Länge des Griffes 4 cm, Durchmesser der Scheiben 1'/, em. Ich betrachte meinen ‚„Percussor“‘, wie ich das Instrument nennen will, nicht als ein vollkommenes Instrument dieser neuen Methode, doch giebt er, wie ich hoffe, die Anregung zu weiteren Forschungen auf diesem wieder neu betretenen Wege, der schon nach diesen ersten Versuchen zu guten Resultaten zu führen verspricht. Die Vorzüge, welche ich der neuen Methode nachrühme, sind grössere Bequemlichkeit und grössere Genauigkeit. Man bedarf bei dieser Methode nur einer Hand, resp. nur zweier Finger. Die linke Hand lernt das Instrumentchen ebenso leicht handhaben wie die rechte, und somit bleibt eine Hand zum Schreiben und Anzeichnen immer frei. Das Instrumentehen, welches nur ca. 15 gr wiegt, kann mit Leichtigkeit nach allen Richtungen durch Drehung der Hand bewegt werden und nöthigt nicht zur Einnahme mühsamer Körperhaltungen und unbequemer Positionen wie sonst; beispielsweise bei der Untersuchung der hinteren unteren Thoraxabschnitte. Ferner wird damit auch die directe Be- rührung des Körpers mit den Händen vermieden, ein Umstand, der die Fingerpereussion unangenehm nnd aus antiseptischen Gründen wenig opportun erscheinen lässt, abgesehen davon, dass sie viel Uebung und Geschick vorausbedingt, den percutirenden Finger häufig schädigt und auch dem Kranken wenig angenehm ist. Die genaueren Percussionsresultate glaube ich mit meinem Pereussor dadurch zu erreichen, dass die verschiedenen Stellen der Körperoberfläche schneller auf einander untersucht, symmetrisch gelegene rascher verglichen und Schalldifferenzen somit leichter wahrgenommen werden können; vor allem aber glaube ich sie schon durch diephysikalische Ueberlegung plausibel machen zu können, dass die erschütterte Körperfläche bedeutend kleiner ist wie bei allen anderen bisher üblichen Pereussionsmethoden. Vergleicht man die erschütterte Fläche eines Plessimeters (18: 44 mm) mit der durch die hakenförmigen Fortsätze des „Percussors‘‘ fast punktförmig erschütterten Körperfläche (3: 4 mm), so ist die letztere 66 Mal kleiner. Erscheint uns nun aus eben solchem Grunde bislang die lineare Percussion als die subtilste aller Percussionsmethoden, so steht sie eben deshalb auch zurück gegen die neue Methode, welche eine 22 Mal geringere Fläche 44 x 2 2:2 Anschlagstellen der beiden Stimmgabelfortsätze liegende Fläche in gleicher Weise mit erschüttert wird, die erschütterte Fläche also grösser wie = 22) erschüttert. Nimmt man an, dass die zwischen den 8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. oben angenommen ist, da die Breite des Instrumentes 7 mm beträgt (7: 4), so ändert dies wenig an dem Hauptresultat dieser Ueberlegung, da en — 2 er Fr — 2) auch bei dieser An- nahme die Ueberlegenheit des neuen Instrumentes deutlich ersichtlich ist; man braucht dabei nicht erst darauf hinzuweisen, dass nach Fried- reich und anderen Autoren, 5—6 em Fläche im Umkreis des gewöhn- lichen Plessimeters mit erschüttert wird. Demnach dürfte man mit dieser Methode zu einer Verfeinerung der pereutorischen Untersuchungsmethoden zu gelangen hoffen. Mit be- sonderer Vorliebe habe ich sie deshalb bei der Untersuchung der Lungen- spitzen in Anwendung gezogen, welche, wie schon von anderer Seite betont worden ist, entschieden einer Reform bedarf. Viele vernach- lässigen sie fast gänzlich, weil sie die auscultatorischen Befunde für genügend erachten, vergessen aber darüber, dass der Befund un- bestimmter oder abgeschwächter Athemgeräusche einen völlig anderen Werth bekommt, wenn percutorisch eine Dämpfung nachgewiesen werden kann; übrigens die Athmungsinsufficienz kleiner Krankheitsheerde aus- cultatorisch oft nicht nachgewiesen werden kann, weil die Athmungs- geräusche des seitlich oder rückwärts gelegenen gesunden Lungengewebes dieselbe verdecken, Die Feststellung der oberen, vorderen und hinteren lateralen und medialen Grenzen ist von praktischen Aerzten wohl überhaupt nicht geübt worden, weil das Handwerkzeug dazu fehlt oder ungemein fein gehandhabt werden muss. So sind eigentlich erst in letzter Zeit von Krönig (Berlin) genauere Bestimmungen darüber gemacht worden, neue Angaben, die ich nach meinen Untersuchungen ziemlich bestätigen kann. Untersuchungen über die Verschieblichkeit der Lungenspitzen scheinen überhaupt nicht gemacht worden zu sein, da sie in den meisten Fällen nach Eichhorst percussorisch kaum nachweisbar sind. Zu dieser ungenügenden Untersuchung des für phthisische Erkrankung wichtigsten Lungenabschnittes kommt noch der technische Fehler des starken Per- eutirens; ein Vorgehen, bei welchem selbst die für Plessimeter - Per- cussion erkennbaren Dämpfungen wegen Erregung zu ausgedehnter Mit- erschütterungen nicht aufgefunden werden können. Die Feststellung der oberen Lungengrenzen und deren Verschieblich- keit, der Nachweis von Dämpfungen in den Spitzen ist aber von eminenter Bedeutung für die Diagnose der Phthise und deren prophylaktische Behand- lung. Gerade die Lungenspitzen sind ja zumeist die frühesten Ablagerungs- stätten des tuberceulösen Virus. Die katarrhalischen Absonderungen, welche sonst wohl das tuberculöse Virus mit Hilfe der Hustenstösse zum grossen Theile zu entfernen im Stande sein mögen, sind hier anfänglich geringer Art, und die Hustenanstrengungen begünstigen deren Entleerungen hier I. Medieinische Abtheiluug. 9 am wenigsten. Vielleicht finden die Bacillen gerade deshalb an diesen Stellen Gelegenheit, sich festzunisten und ihr vernichtendes Treiben zu entfalten. Andererseits ist kein Abschnitt der Lungen besser und leichter zu durchforschen und nirgends eine bessere Gelegenheit gegeben, das Eindringen, resp. die Wirkung der Tuberkelbacillen zu beobachten. Bevor noch katarrhalische Geräusche oder gar bronchiale Athemgeräusche zu beobachten sind, wird es ein Stadium geben, das sich als reactive Entzündung um die Infecetionskeime (Peribronchitis) darstellen muss. Bei ihm werden immer hyperaemische Zustände in weiterer Umgebung die Folge sein. Damit wird der betreffende Lungenabschnitt zu einem schlechteren Resonanzapparat und muss sich bei der Percussion durch verkürzten Schall unseren Sinnen bemerkbar machen. Solche Schall- differenzen müssen demnach vorhanden sein, ehe noch das Stethoskop einen pathologischen Befund machen lässt und ehe noch das Mikroskop in der Lage ist, den Auswurf auf Tuberkelbacillen zu durchmustern; weil solcher zu dieser Zeit fehlt und gewöhnlich nur ein kurzes, scharfes trocknes Hüsteln, meist zur Nachtzeit, zu beobachten ist. Der hyper- aemische Zustand und die weiterhin folgende Infiltration der Gewebe wird die Ausdehnung der Lungenspitzen beeinträchtigen; die noch später eintretenden Verkäsungen oder interstitiellen Schrumpfungen durch die Verminderung der lufthaltigen Lungensubstanz diese weiter verkleinern. In solehem Stadium müssen wir aber das Fehlen der Mobilität, Re- tractionen der Lungenränder, deutliche Asymmetrien der kranken resp. gesunden Lungenspitze wahrnehmen und bei Ausschlus eines pleuritischen Folgezustandes — der freilich nicht minder Beachtung verdient — die hohe Gefahr für den Kranken erkennen können, Noch zu diesem Zeitpunkt giebt die Auscultation, vorausgesetzt dass die Veränderungen nur kleinere Heerde ergriffen haben, selbst dem geübteren Ohre wenig Anlass, Verdacht zu schöpfen, und der Befund unbestimmten Athmens oder verschärften Inspiriums oder Exspiriums bei Abwesenheit katarrhalischer Geräusche dürfte gewiss nur Wenige be- denklich machen. Wie anders, wenn zu diesem Befunde der percus- sorische Nachweis der Dämpfung, der geringeren Spitzenbewegung (Mobilität) und der retrahirten Lungenränder hinzukommen würde. In welch’ anderer Bedeutung würde dann der auscultatorische Befund er- scheinen, mit welch’ anderem Ernste würde man nun prophylaktische Maassnahmen zu treffen genöthigt sein. Gelänge dieser Nachweis leicht auch für wenig geübte Ohren, er müsste unstreitig einen bedeutenden Fortsehritt in der Bekämpfung jener vernichtendsten Krankheit der modernen Culturvölker zur Folge haben. Sehen wir schon heute zu unserer grossen Freude, welche Fortschritte die moderne Phthisiotherapie gemacht hat, gelingt es ihr in den ersten, bisher erkennbaren Anfängen der Krankheit ihre Thätigkeit zu entfalten, welchen Triumph verspricht 10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. uns unsere ärztliche Kunst, wenn wir den Kampf gegen den tödt- lichen Feind lange Zeit früher schon mit allem Nachdruck aufnehmen können! — Ich glaube nun, diesem hohen Ziele mit meinem Percussor näher zu kommen. Monate lange Studien an einem grossen, besonders weiblichen Krankenmaterial haben mir die Gewissheit gegeben, dass man mit leichter Mühe Spitzendämpfungen auffinden kann, welche man mit der gewöhn- lichen Percussion vergeblich sucht; das in einigen Fällen mit negativem Auscultationsbefund beobachtete schnelle Schwinden derselben hat mir die Ueberzeugung aufgedrängt, dass es sich hierbei um hyperaemische Processe gehandelt haben könne. Mehrere andere Fälle, welche gleich- zeitig von anderen Öollegen beobachtet worden sind und trotz anfänglich mangelnder auscultatorischer Ausbeute eine perniciöse Entwickelung ge- nommen haben, zeigten mir wiederum, welche ernste Bedeutung solche Dämpfungserscheinungen zu beanspruchen haben. Meist finden sich solche Krankheitssymptome unter dem Bilde der Chlorose mit dyspeptischen und dyspnoetischen Erscheinungen, mit leichten nächtlichen Schweissen, Herzklopfen, kurzem - Hüsteln bei seltenem Auswurf. Auch die Bestimmungen der oberen Lungenränder erfolgen mittelst des Pereussors') ohne Mühe; ebenso ist damit die Mobilität der oberen Lungenspitzen — besonders in der Spalte zwischen Scalenus anticus und medius — bei schwacher Percussion unschwer nachzuweisen, Ich habe somit die feste Ueberzeugung, dass durch diese neue Methode, welche einer weiteren Vervollkommnung sicher fähig ist, der Spitzenpercussion eine neue Aufgabe von grosser Tragweite zufallen wird. Ihre positiven Befunde werden den Beginn zielbewusster therapeutischer Maassnahmen gegen die latente Phthise inauguriren zu einer Zeit, in welcher wir in den meisten Fällen noch werden Rettung bringen können. — Trotz alledem überschätze ich nicht die Bedeutung der Percussion. Nach meiner Meinung ist und kann die Percussion nur einen Wegweiser für die Auscultation abgeben. Die Percussion kann uns nur die veränderten Gewebsstellen nachweisen, die Auscultation hingegen, in welcher Weise diese erkrankt sind. Die Pereussion allein erlaubt nur eine Wahr- scheinlichkeitsdiagnose, schärft damit aber das Ohr des Auscultirenden, erhält den Arzt wachsam und kann dadurch grossen Segen stiften. Ein anderer Vorzug des Percussors ist dessen Eigenschaft als palpa - percussorisches Instrument. Die Osecillationen des erschütterten Gewebes pflanzen sich durch die federnden Theile des Instrumentchens gut fort; ein schwächerer Rückstoss wird daher leicht wahrgenommen. Das ist besonders wichtig bei der Percussion des Herzens, dessen Per- ‘) Nähere Mittheilungen sollen noch folgen. 1. Medieinische Abtheilung. ri cussionslinien sich nach dieser Methode anders, als man bisher annahm, bestimmen lassen. Mir war es bei meinen Untersuchungen speciell um die Feststellung der percussorisch nachweisbaren Grösse des normalen Herzens zu thun. Neuerdings habe ich auch das Herz vieler kranker Menschen untersucht: indess ist die Anzahl der Untersuchten noch zu klein, um den Anspruch erheben zu dürfen, solch’ hochbedeutsame Frage schon entschieden zu haben. Wenn ich trotzdem meine bisher gewonnenen Resultate mittheile, so geschieht es nur in der Absicht, zu neuen Untersuchungen Anstoss zu geben und Nachuntersuchern den Weg zu weisen, auf welchem ich diese Resultate gewonnen habe. Das Percussionsverfahren ist näm- lich ein dem gewöhnlichen entgegengesetztes. Percutirt man sonst leise, um die absolute Herzdämpfung zu finden, dagegen stark, um die relative Herzdämpfung zu umgrenzen, so ist in ersterem Falle gerade eine stärkere, in letzterem Falle eine leise, besser noch palpirende Per- cussion vorzunehmen, bei welcher das Instrument unbeweglich zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmt und bei steifem Handgelenk nur durch die Bewegung des Ellenbogengelenkes aus kurzer Entfernung von der Körperfläche gegen diese angedrückt wird. Es ist dies ein Vorgehen, wie es auf indireetem Pereussionswege schon von Wintrich geübt und von Ebstein und dessen Schülern methodisch ausgebildet werden ist: die tactile Empfindung unterstützt hier die akustische Sinnesempfindung. Die Nothwendigkeit solchen Vorgehens, wie es sich aus der Praxis ergeben hat, beruht wohl darauf, dass bei stärkerer Percussion mit dem Pereussor das Nachbargewebe zu kräftig miterschüttert wird. Die lebendige Energie überträgt sich eben unmittelbar auf die Körper- wandung ohne Energieverlust an Finger oder Plessimeter, dringt dadurch tiefer in die Gewebe, besonders unter der Anschlagstelle, erregt dann auch das Nachbargewebe in einem zur Grösse der percutirten Stelle unverhältnissmässig weiten Umfange. Ist daher das in der Tiefe gelegene luftleere Gewebe von lufthaltigem Gewebe überlagert, so stören dessen umfangreiche Mitschwingungen bei starker Percussion den durch ° das luftleere Gewebe bedingten kürzeren Schall; er wird verdeckt und geht unserer nicht genügend feinen Sinneswahrnehmung verloren. Ist die Energie des Anschlages dagegen geringer, so treten weniger Mit- schwingungen auf und so kann der wenn auch schwächere kürzere Per- cussionsschall eher wahrgenommen werden. Bei gleichzeitiger Palpa- pereussion wird die verminderte Elastieität des Rückstosses deutlich empfunden; das Instrument klebt förmlich an der Körperoberfläche, Immerhin bleibt die Untersuchung eine schwierige; denn sie erfordert ein feines Gefühl, ein scharfes Gehör, grosse Aufmerksamkeit, weil die _ Respirationsphasen ebenso verschiedenen Schall bedingen, wie die 12 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. wechselnden Contractionszustände des Herzens und ferner grosse Ge- nauigkeit, damit der Anschlag in möglichst gleicher Stärke vorgenommen wird. Letzteres ist unbedingt erforderlich, weil man sonst leicht irrt. Bei etwas schwächerem Anschlag zeigt sich nämlich sofort eine Intensi- tätsabnahme des Schalles, die auf luftleeres Gewebe schliessen lässt, ohne dass solches vorhanden ist. Die Percussion wird immer in senkrechter Linie auf die zu er- wartende Organgrenze hin ausgeführt und empfiehlt sich zur Controle auch hier die sprungweise Percussion. Ich habe mir redlich Mühe ge- geben, um alle Fehlerquellen auszuschalten: ich habe mit geschlossenen Augen pvercutirt, um mich durch eine vorgefasste Meinung von den Grenzlinien des Herzens nicht bestimmen zu lassen, habe mit verstopften Ohren palpaperecutirt; indessen meine Untersuchungsresultate bezüglich der Herzgrösse wurden dadurch keine anderen. Dieselben sind abweichend von den bisher als richtig angenommenen und werden zunächst — bis man sich überzeugen wird — wenig Glauben finden. Ihre Annahme würde eine Umwälzung unserer Anschauung von der Grösse des menschlichen Herzens bedeuten; denn nach ihnen ist dasselbe grösser, als die Anatomen bisher geglaubt und gelehrt haben und solchergestalt nachweisbar. Das ist be- fremdlich und Vielen wird gerade deshalb eine Täuschung vorzuliegen scheinen; doch wäre die Thatsache im Grunde erklärlich. Wir haben uns eben allzusehr daran gewöhnt, die Grösse des Herzens nach den exacten Untersuchungen der Anatomen und nach den eigenen Befunden an der Leiche vorzustellen. Darüber haben wir aber meist vergessen, dass das Herz ein Hohlmuskel ist, der im Leben von Blut durchströmt und bei jeder Diastole bedeutend ausgedehnt wird. Sind die indireeten Bestim- mungen Volkmann’s und Vierodt’s über die Blutmenge, welche bei jeder Systole in die Aorta geschleudert werden, richtig, so würde das Herz vor jeder Zusammenziehung ungefähr 575 gr Blut enthalten und demnach viel grösser als wir anzunehmen gewöhnt sind, sein müssen. Dieser Gedankengang findet durch meine Beobachtungen eine Be- stätigung. Nach diesen Untersuchungen hat die Dämpfungsfigur, welche ich für die palpatorische Umrisslinie des Herzens halte, eine ovale Figur, welche sternal links am unteren Rande der 2. Rippe, seltener im 2, Inter- costalraum beginnt, in schwach convexem Bogen nach der 3. Rippe zieht und von hier ziemlich senkrecht nach der 6. Rippe verläuft, nach innen von der Mamillarlinie. Nach rechts führt die Linie, sich schneller senkend, über das Sternum meist bis zur Mitte des knorpligen 'Theiles der 3. Rippe und weiter abwärts nach dem 5. Rippenknorpel. In dem untersten Abschnitt nähert sie sich dem Sternum wieder mehr, so dass sie mitunter einen spitzen Winkel mit der Leberdämpfung bildet. Am weitesten entfernt sie sich in der Höhe der 4, Rippe vom rechten I. Medieinische Abtheilung. 13 Sternalrande (3—5 cm). Das Herz würde demnach nach oben und rechts eine grössere Ausdehnung haben, als man bisher angenommen hat, ungefähr wie bei der Dämpfungsfigur der exsudativen Pericarditis (mittleren Grades), Letztere Thatsache dürfte für die aprioristische Be- trachtung dieser neuen Lehre von Bedeutung sein. Auf dem rechten Abschnitt des Manubrium sterni, über dessen Rand '„u—1 em hinausreichend, konnte ich fast immer einen matteren Schall finden, welcher vom oberen rechten „Herzrande‘ ziemlich senkrecht auf- steigt und wahrscheinlich mit den grossen Gefässstämmen zusammenhängt (Wintrich-Weil). In manchen Fällen verfolgte ich sogar bei starkem Exspirium eine hiervon ausgehende zweite Dämpfungszone, welche am obersten Abschnitt der eben erwähnten Dämpfung nach dem linken Schlüssel- bein hin verläuft. Ich habe eine grosse Anzahl von Beobachtungen auf- gezeichnet, indem ich die gefundenen Dämpfungsgrenzen des Herzens am Körper mit dem Faber’schen Hautstift!) genau bezeichnete und auf Pauspapier durchzeichnete. Die grösste Breitenausdehnung des Herzens, gemessen in der Höhe der 4. Rippe, beträgt nach diesen bisherigen Untersuchungen bei Kindern im Alter von 5—15 Jahren 8—12 cm; bei Frauen 13—14, bei Männern 15—17 cm. Durch ein zweites Maass — genommen von der vermutheten Abgangsstelle der grossen Gefässe bis zur Gegend der Herzspitze — maass ich die wahrscheinliche Länge des Herzens und fand diese bei Kindern 12—14, bei Frauen 15—17, bei Männern 18 cm und mehr. Die Entfernung der relativen von der abso- luten Dämpfung betrug in der Mitte des Sternum im Mittel 5—6 cm (pathol. 8 cm). Ich betone nochmals das Unabgeschlossene meiner Untersuchungen und meine Absicht, mit diesen Mittheilungen nur die Anregung zu neuen Forschungen zu geben, auf die Methode aufmerksam zu machen, nach welcher dabei geforscht werden soll. Bestätigen sich meine Be- obachtungen, so versprechen diese neben ihrer wissenschaftlichen Bedeutung sicher einen grossen Werth für die ärztliche Praxis. Gerade der Füllungszustand des Herzens, um nur auf einen neuen Gesichtspunkt hinzuweisen, dürfte dann sicher ein wichtiger Gegenstand der ärztlichen Untersuchung werden. Derselbe ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein wechselnder und, wie schon Piorry annahm, häufig die Ursache von Athembeklemmungen, Angstzuständen und nervösen Unruhen. Bevor die Befunde indess generalisirt werden können, bedarf es noch einer langen Reihe mühevoller Untersuchungen an gesunden, kräfti- gen Leuten; ferner der experimentellen Nachweise über die Ausdehnungs- !) Damit dieser besser zeichnet — gut zeichnet er nur auf fettiger Haut — wird er in einer Metallhülse getragen, welche am Ende Watte mit Lanolin enthält. Letzteres macht den Stift weicher und damit besser färbend. 14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. fähigkeit des Herzens und der gleichfalls experimentell an Leichen und Thiermaterial zu beweisenden grösseren Genauigkeit der neuen direeten instrumentellen Percussionsmethode. Schliesslich erwähne ich noch der Eigenschaft des Instruments, auch zur direeten Percussion verwandt werden zu können, indem der Griff desselben als gutes Plessimeter benützt werden kann. Als solches ist es werthvoll bei der Bestimmung absoluter Dämpfungen und bei der abdominalen Percussion. Zur besseren Einzeichnung der Befunde habe ich, nach Art der Skutsch’schen Beckenstempel, Stempel mit vorderen und hinteren Thoraxbildern anfertigen lassen!), die den Herren Collegen willkommen sein dürften. Sitzung vom 14. Februar 1890, 1) Herr Rosenbach demonstrirt das Plasmodium Malariae in seinen verschiedenen Entwickelungsstufen, die bei einem Falle von Intermittens tertiana zur Beobachtung kamen, und weist auf die grosse diagnostische und prognostische Bedeutung der Blutuntersuchung bei Malaria hin. Erst durch den Nachweis des Plasmodium wird die Diagnose der Malaria gegenüber anderen Erkrankungen, die mit intermittirendem Fieber einhergehen, sichergestellt; auch ist man im Stande, aus der Menge der im Blute enthaltenen Organismen mit Wahrscheinlichkeit einen Schluss auf die Schwere der Erkrankung und aus dem Fehlen oder aus der Verminderung ihrer Zahl in der paroxysmenfreien — apy- retischen — Zeit ein spontanes Abklingen der Anfälle zu erschliessen. Von einer grossen Bedeutung ist in dieser Beziehung auch vielleicht die Art der Körnchenbildung in den rothen Blutzellen, resp. die Art der Granulationen in den freien amöboiden Körpern; es scheint dem Vor- tragenden, dass, je schwärzer die Granula sind, d. h. je mehr sich wirklich schwarzes Pigment gebildet hat, auch die Schwere des Falles eine grössere ist, während in den Fällen, in denen weniger schwarzes oder rothbraunes Pigment als hellglänzende, nur bei Anwendung eines engen Diaphragmas als hell gefärbt erkennbare Körnchen sich in den Parasiten finden, die Erkrankung einen leichteren Charakter hat oder vielleicht spontan endigt, wie in dem vom Vortragenden beobachteten und der Demonstration zu Grunde gelegten Falle. Weitere Unter- suchungen in unseren Gegenden, wo ja die Malaria überhaupt eine geringere Schwere hat und wo die sogenannte Malaria-Cachexie gar !) Bei Herrn Instrumentenmacher Härtel. I. Mediecinische Abtheilung. 15 nicht vorkommt, dürften über die erwähnten Punkte definitiven Auf- schluss geben; denn es ist doch jedenfalls auffallend, dass die Beob- achter, deren Angaben auf Fällen, die in typischen Malariagegenden vorkommen, basiren, nur immer von schwarzem oder dem Hämoglobin ähnlichen Pigmente sprechen, wahrend der vorliegende Fall gerade durch die beschriebenen weissgelben oder grünlichgelben glänzenden Körnchen bei verhältnissmässig geringen Mengen rother oder schwärzlicher, als wirkliches Pigment zu bezeichnender Körperchen ausgezeichnet war. 2) Herr Ponfick hält einen Vortrag: Zur Pathologie des Pancreas. So mannigfaltig und so erfolgreich die Bemühungen der Physiologen bisher gewesen sind, über die Leistungen der Bauchspeicheldrüse, die ihr zufallende Rolle in der Kette der Verdauungs-Vorgänge Licht zu ver- breiten, so dürftig sind vergleichsweise die Ergebnisse auf pathologischem Gebiete. Wenngleich wir ja auch an ihrem Parenchym eine ganze Reihe krankhafter Veränderungen kennen, so sind wir doch gerade in Bezug auf das Pancreas noch recht weit davon entfernt, eine innere Congruenz zwischen dem an der Leiche erhobenen Befunde und den während des Lebens beobachteten sei es allzu unscheinbaren, ja ganz unmerklichen, sei es allzu vieldeutigen Erscheinungen herstellen zu können, Im Hinblick hierauf verdienen die in neuester Zeit von Minkowski nach Total-Exstirpation der Bauchspeicheldrüse gewonnenen Ergebnisse ein ungewöhnliches Interesse. Wird es durch diese Experimente doch ansser Zweifel gestellt, dass das genannte Organ neben dem bedeut- samen Einflusse, welchen es auf den Verdauungs-Vorgang ausübt, auch noch in anderen Richtungen wichtige Beziehungen unterhält, mittelst deren es auf den Gesammtstoffwechsel zurückwirkt. Denn wie anders wollte man die von dem genannten Autor festgestellte Thatsache deuten, dass die Entfernung der Drüse eine hochgradige und dauernde Glycosurie hervorruft mit allen für Diabetes mellitus wesentlichen Symptomen! Vollends wenn man diese Thatsache mit der weiteren zusammenhält, dass diese schweren Folgeerscheinungen ausbleiben, so lange nur ein wenn auch kleiner Bruchtheil noch zurückgelassen wird. In diesem Sinne ist esnunmehr sicherlich geboten, jeder wie immer gearteten Erkrankung der Bauchspeicheldrüse eine erhöhte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Ausser den chronisch sich entwickelnden Störungen, welche mit Rücksicht auf die Zuckerharnruhr ins Auge zu fassen sind, giebt es aber auch einige Veränderungen des Pancreasgewebes, welche weit rascher zu Stande kommen. In manchen derartigen Fällen muss zweifellos die 16 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Erkrankung gerade dieses sonst so passiv scheinenden Organs als Grund zu einem schweren Abdominalleiden, ja zuweilen als die unmittelbare Todesursache bezeichnet werden. Ueber ähnliche Beobachtungen ist zwar schon früher gelegentlich berichtet worden und der in Rede stehende Zustand unter dem Namen „Haematom‘“ oder „Haemorrhagische Oyste‘“ der Bauchspeicheldrüse be- schrieben worden. Aber erst in neuerer Zeit hat man diesen Fällen grössere Aufmerksamkeit zugewendet und zugleich versucht, in das Wesen eines so plötzlichen und bezüglich seiner Ursachen räthselhaften Ereignisses etwas tiefer einzudringen. Insbesondere ist dies jüngst von R. H. Fitz-Boston in einer lehrreichen Abhandlung geschehen, welche der Vortragende herumreicht. Gestützt auf eine Reihe interessanter Krankengeschichten entwirft Fitz ein zusammenhängendes Bild des Leidens, welches er eben dieses schnellen Verlaufes wegen als „‚Acute Pancreatitis“ bezeichnet. Auch nach den Erfahrungen des Vortr. sind die Erscheinungen, welche nach einem gewöhnlich etwas unklaren Stadium mehrseitiger Verdauungsstörung in den Vordergrund treten, öfter ganz acuter Natur, so sehr, dass sie nur auf einen plötzlichen, wie immer begründeten Durchbruch in die Bauchhöhle bezogen werden können. Dagegen ist die zu Grunde liegende Affection der Bauchspeicheldrüse nicht selten von langer Hand vorbereitet: einzig und allein dem schliesslichen Platzen eines bereits geraume Zeit vorhandenen Blutsackes ist es zuzuschreiben, dass jene Symptome einer plötzlichen Perforation zum Vorschein kommen. Schon seit vielen Jahren hat der Vortr. sein Augenmerk auf die Art des Zustandekommens jener sog. Hämatome gerichtet, deren Ursprung bis zu dem unter seiner Leitung verfassten Aufsatze von Balser') durchaus räthselhaft geblieben war. In der damals vertretenen, von Letzterem eingehend begründeten Auffassung, dass eine eigenthüm- liche Nekrose des subserösen wie des interacinösen Fettgewebes, welche heerdweise auftrete und weiterhin auf das eigentliche Parenechym der Drüse überzugreifen vermöge, die Ursache jener bis dahin dunklen “ Blutungen sei, ist er seitdem durch eine Reihe weiterer Fälle immer mehr bestärkt worden. Es ist jedoch keineswegs nothwendig, dass sich an das Absterben des Fettgewebes alsbald Hämorrhagien anschliessen. Vielmehr scheinen sich letztere erst dann hinzuzugesellen, wenn die im Gebiete der Nekrose allmählich erfolgende Erweichung eine zunehmende Lockerung des Gewebszusammenhanges nach sich gezogen hat. Noch ) Ueber Fettnekrose, eine zuweilen tödtliche Krankheit des Menschen, Virchow’s Archiv, Bd. 90, S. 520. Schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultar. GC SEE ET TE Te) I SEN ng Tee ur Kummum. 68. 19 Jahresbericht. Medieinische 1890. Abtheilung. eren T BUURUE MIO BUU_ AN IIU N ZRH UNEUTEREN BEE RENT N weniger ist es nothwendig, dass diese Blutungen sogleich umfangreich genug seien, um die Serosa zu sprengen und ein Extravasat in die Bauchhöhle hervorzurufen. Vielmehr kann sich der Erguss sehr wohl in der gewohnten Weise zurückbilden, nur einen Substanzverlust an Stelle des erst nekrotisch erweichten, dann blutig durchtränkten Gewebsbezirkes zurücklassend. Eben der so entstandene, mit Gerinnselresten ausgefüllte Hohlraum ist es, welcher die „haemorrhagische Pancreas - Cyste‘“ der Autoren darstellt und allen Anzeichen nach längere Zeit hindurch stationär bleiben kann. Erst auf Grund eines erneuten Blutergusses er- wächst daraus die geschilderte acute Symptomenfolge: Bersten der mehr und mehr verdünnten Decke des Sackes und Austritt von Blut in das Cavum abdominis. Der Vortragende erzählt einen derartigen, im Allerheiligen-Hospital beobachteten Krankheitsfall. Bei dem Ööljährigen Patienten war mit Rücksicht auf eine stetig zunehmende Gelbsucht ein den Ductus chole- dochus comprimirendes Gewächs des Magens oder Zwölffingerdarmes angenommen worden. Weiterhin traten unter den Erscheinungen der Perforation der muthmaasslich ulcerirten Wandung Zeichen von Peri- tonitis ein, die aber wieder zurückgingen. Hier erfolgte der Tod erst später unter zunehmender Erschöpfung und Bildung von Höhlenwasser- sucht. Die Section lehrte, dass sowohl die Zusammendrückung des Gallen- ganges, wie der einst vermuthete Durchbruch in die Bauchhöhle einer und der nämlichen Ursache ihre Entstehung verdankten: nämlich einem stark apfelgrossen Blutsack in Kopf und Körper des Pancreas. Derselbe hatte einestheils den Ductus so stark verengt, dass eine hochgradige Gallenstauung unausbleiblich wurde. Andererseits war er auf seiner Höhe geplatzt und hatte einen Theil seines Inhaltes in das Epigastrium ergossen, der allerdings durch eine lebhaft einsetzende adhaesive Ent- zündung rasch abgesackt worden war. Nach den früheren und Erfahrungen des Vortragenden, welche er unterdessen mehrfach zu bestätigen Gelegenheit gefunden hat, ist auch für den in Rede stehenden Fall kaum daran zu zweifeln, dass eine Nekrose einzelner Drüsenabschnitte den Ausgangspunkt für die Bildung jenes eystenähnlichen Haematoms des Pancreas gebildet habe. 18 Jahresbericht der Schles. Gesellschatt für vaterl. Cultur. 4. Sitzung vom 28. Februar 1890. 1) In der auf die heutige Sitzung verschobenen Discussion über vorstehenden Vortrag des Herrn Ponfick bemerkt Herr Alexander: Die Versuche von Minkowski und von Mering, über welche der Herr Vortragende eingehend berichtet hat, sind geeignet, auf die Patho- logie des menschlichen Diabetes mellitus ein neues, sehr erwünschtes Licht zu werfen. Denn die hepatogene Entstehung des Diabetes mellitus ist pathologisch - anatomisch gar nicht, die neurogene Entstehung nur unvollständig begründet. Jetzt kennt man wenigstens ein Organ, das Pancreas, dessen Entfernung aus dem Thierkörper einen dauernden Dia- betes mellitus hervorruft, der sich in jeder Beziehung dem menschlichen Diabetes mellitus ähnlich verhält. "Selbst die sogenannte leichte Form des Diabetes mellitus experimentell zu erzeugen, ist Minkowski ge- lungen. Ein Hund, welchem %,, der Pancreas entferut und nur /,, zurück- gelassen worden war, entleerte in seinem Harn nur dann Zucker, wenn er mit Kohlenhydraten gefüttert wurde. Auch in der neueren Litteratur des menschlichen Diabetes mellitus finden sich Beobachtungen, welche dafür sprechen, dass dem Pancreas eine Bedeutung für die Entstehung des Diabetes mellitus zukommt. Hanot und Chauffard haben 1882 in der Revue de medecine unter dem Titel: „Cirrhose hypertrophique pigmentaire dans le diabete suere““ über zwei Fälle von Diabetes mellitus berichtet, in welchen eine hyper- trophische Lebereirrhose bestand mit dunkler, zum Theil geradezu schwarzer Pigmentation der Leber, des Pancreas, des Herzens und auch der äusseren Haut. Die Kranken erinnerten beim ersten Anblick einiger- maassen an Morbus Addisonii. In dem einen anatomisch und histologisch sehr genau untersuchten Falle fand sich auch eine schwere Erkrankung des Pancreas (Cirrhose mit Pigmentation). Einen ganz ähnlichen Fall von Diabetes mellitus habe ich selbst beobachtet. Auch in diesem Falle fand sich bei der Section eine hypertrophische Lebereirrhose mit schwarzer Pigmentation des Leber- gewebes, der portalen Lymphdrüsen und des Panereas, welches ausser- dem von sehr derber Consistenz war. Gegenwärtig beobachte ich in der Klinik einen Fall von gewöhnlicher atrophischer Lebereirrhose, bei welchem plötzlich die Erscheinungen eines Diabetes mellitus auf- traten (anfänglich etwa 6 pCt. Zucker im Urin). In diesem Falle bin ich geneigt, eine intereurrente Erkrankung des Pancreas als Ursache für den Diabetes mellitus anzunehmen. BA AS UT - 1. Medicinische Abtheilung. 19 2) Herr ©. Janicke spricht: Ueber Myxoedem mit Demonstration eines einschlägigen Falles. Nach einem Referat über den jetzigen, besonders durch den Bericht des Londoner Comit6s zur Erforschung des Myxoedems präeisirten Stand der Myxoedemfrage demonstrirt Redner ein 14jähriges, sonst gesundes, hereditär nicht belastetes Mädchen, bei welchem nach einer vor 1'/, Jahren vorgenommenen partiellen Struma-Exstirpation Symptome einer Cachexia , thyreopriva aufgetreten sind. Die Operation der diffusen, ziemlich festen parenchymatösen, alle 3 Lappen betreffenden Struma war wegen Beschwerden, welche dieselbe für die Respiration machte, vorgenommen worden. Durch dieselbe wurden der rechte und mittlere Lappen ganz, der linke bis auf sein oberes Horn entfernt. Heilung verlief glatt, so dass die Patientin nach 14 Tagen das Hospital verliess. Ungefähr 3 Monate später stellte sich die Mutter mit dem Kinde in der Anstalt wiederum ein, weil sich an demselben eine eigenthümliche Schwellung des Gesichts, eine sonderbare, schwerfällige Sprache, sowie eine grosse Abgeschlagenheit der Glieder bemerklich mache. Die Unter- suchung bestätigte diese Angaben und stellte gleichzeitig fest, dass das etwa welschenussgrosse zurückgelassene Stück der Glandul. thyreoid. ver- kleinert sei. Die späteren Besichtigungen der kleinen Patientin liessen eine Zunahme der erwähnten Erscheinungen erkennen, das Verhalten der Haut des Gesichts und Halses war das oft beschriebene, ebenso verdickten sich die äusseren Decken der Extremitäten, dieselben waren hier trocken, abschuppend und produeirten keinen Schweiss. Die Lang- samkeit und Schwerfälligkeit der Sprache nahm zu, ohne dass eine Schwellung der Zunge oder des weichen Gaumens zu constatiren war, Auffallend war ferner eine gewisse Abnahme der geistigen Fähigkeit. Die Lehrer der Schule klagten darüber, dass das Kind schläfrig, un- achtsam, träge und schwer von Begriffen geworden sei. Die Untersuchung der inneren Organe, sowie des Blutes ergab nichts Abnormes, ebenso liess sich nichts finden, was für eine Läsion der in Rede kommenden Nerven des Halses sprechen konnte. Nach einem Aufenthalt in einem Lufteurort änderten sich die Erscheinungen in- sofern, als das Kind wieder lebhaft wurde, an Allem Antheil nahm, in der Schule gute Fortschritte machte und rascher und energischer in seinen Körperbewegungen erschien. Auch die Sprache besserte sich, ohne jedoch ihre Eigenthümlichkeiten ganz zu verlieren. Der Kropfrest ist fast ganz der Atrophie verfallen. Ob es sich bei der eingetretenen Aenderung zum Besseren um einen vorübergehenden Zustand handelt, muss die Zeit lehren. Vorerst wird man bei Betrachtung des Falles an das Köhler’sche Pseudomyxoedem erinnert. An der Discussion betheiligen sich die Herren Ponfick und Heidenhain. 9% 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 5. Sitzung vom 14. März 1890. 1) Herr Hürthle hält einen Vortrag: Veber die Phasen der Herzkammerbewegung. Der gegenwärtig üblichen Eintheilung der Herzrevolution liegen verschiedene Untersuchungsmethoden zu Grunde: 1. Messung der zwischen den beiden Herztönen liegenden Zeit (Volk- mann, Donders). 2. Registrirung des Druckablaufes in den Kammern und in der Aorta bezw. Carotis (Marey, Fredericg). | 3. Registrirung des Cardiogramms und der Herztöne (Landois, Martius, Edgren, Ziemssen u. A.). 4. Registrirung des Cardiogramms und Carotidenpulses (Baxt). Die durch diese Methoden gewonnenen Ergebnisse sind nun unter einander sehr abweichend; so zerfällt nach Marey und Fred£rieg die Systole, d. i. die Zeit, während welcher der Herzmuskel contra- hirt ist, in 2 Theile: eine Zeit, während welcher noch kein Blut aus der Kammer in die Aorta strömt (Anspannungszeit, Verschlusszeit) und eine Zeit, während welcher sich die Kammern entleeren (Austreibungs- zeit), die sich bis zum Ende der Systole erstreckt. Der Semilunar- klappenschluss erfolgt am Anfange der Diastole. Nach Baxt beginnt die Austreibungszeit mit dem Anfang der Systole und dauert etwa !/, derselben; °/, der Dauer der Systole bleiben die Kammern contrahirt, ohne Arbeit zu leisten (Zeit der rückständigen Contraction, systolische Verharrungszeit); in dieser Zeit schliessen sich die Semilunarklappen. Die übrigen Autoren unterscheiden Anspannungs-, Austreibungs-, und Verharrungszeit und verlegen den Semilunarklappenschluss theils in die Systole zwischen Austreibungs- und Verharrungszeit (Landois, Martius), theils in die Diastole (Edgren). Der Vortragende theilt nun seine eigenen in dieser Frage ange- - stellten Versuche mit, bei welchen folgende Methode in Anwendung ge- zogen wurde: mittelst zweier Manometer wurde gleichzeitig der Druck- ablauf in der linken Herzkammer und in der Aortenwurzel des Hundes registrirt, indem ein doppelläufiger Katheter durch eine Carotis eingeführt wurde, dessen eine Röhre in der linken Kammer, dessen andere in der Aortenwurzel mündete. Am Bilde des Druckablaufes in der Kammer lässt sich nun die Phase der Systole und Diastole des Herzens ablesen; die Zeitdifferenz zwischen dem Beginn der Systole und dem systolischen Ansteigen des Aortendruckes ergiebt die Anspannungszeit des Ventrikels und endlich dient die Ausmessung der absoluten Druckwerthe beider I. Medicinische Abtheilung. 21 Curven zur Bestimmung der Austreibungsperiode, bezw. Zeit der rück- ständigen Contraction. Denn das Blut bewegt sich vom Orte des höheren zum Orte des geringeren Druckes, muss also so lange aus der Kammer in die Aorta übertreten, als der Druck in der Kammer höher ist, als in der Aorta, und die Semilunarklappen müssen sich schliessen, sobald der Druck in der Kammer unter den Aortendruck sinkt. Da aber die während der Austreibungszeit vorhandenen Druckdifferenzen zwischen Kammer und Aorta möglicherweise so klein sind, dass sie innerhalb der Fehlergrenzen der an zwei Manometern abzulesenden Druckwerthe fallen, hat der Vortragende zur graphischen Registrirung der Druckdifferenz einen neuen Weg eingeschlagen. Das zu diesem Behufe in Anwendung gezogene Instrument, Diffe- rential-Manometer genannt, stellt eine hydrostatische Wage dar, welche in jedem Moment den Kammerdruck gegen den Aortendruck ab- wägt und die Druckdifferenz registrirt. Das Instrument wird demonstrirt; es besteht im Wesentlichen aus 2 kleinen Trommeln, deren Binnendruck je auf den einen Arm eines Wagebalkens einwirkt. Ist der Druck in beiden Trommeln gleich bei beliebiger absoluter Höhe, so bleibt der Wagebalken horizontal, wird er aber in der einen Trommel höher als in der andern, so entfernt sich der Wagebalken aus der Ruhelage. Die Grösse der Druckdifferenz wird nun bestimmt durch die Verbiegung einer Stahlfeder, welche mit dem einen Arm des Wagebalkens ge- lenkig verbunden ist und deren Verbiegung durch einen Strohhebel vergrössert aufgezeichnet wird; bei gleichem Druck in beiden Trommeln stehen Wagebalken, Stahlfeder und Schreibhebel horizontal, während bei ungleichem Druck der Schreibhebel sich über, bezw. unter die Hori- zontale stellt. Verbindet man nun die im Herzen mündende Katheterröhre durch ein Hebelrohr mit der einen Trommel des Differentialmanometers und ausserdem mit einem einfachen Manometer, ferner ebenso die in der Aorta mündende Röhre mit der zweiten Trommel des Differentialmano- meters und einem weiteren Manometer, so erhält man gleichzeitig 3 Curven, von welchen die eine den Druckablauf in der Kammer, die andere den in der Aorta und die dritte die Druckdifferenz zwischen beiden darstellt. An der letzteren erkennt man folgende Einzelheiten: Während der Diastole befindet sich der Hebel tief unter der Hori- zontalen und zeigt an, dass der Druck in der Kammer erheblich niedererer ist als in der Aorta. Mit dem Beginn der Systole erhebt er sich steil und schneidet die Horizontale durchschnittlich nach 0,04 Secunden; diese Zeit ist die Anspannungszeit des Ventrikels; gleich darauf, etwa 0,002 Sec. später, beginnt der Aortendruck zu steigen. Die Anspannungszeit hat keinen constanten Werth, sondern zeigte sich in den Versuchen des 232 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Vortragenden abhängig von der Höhe des Aortendruckes zu Beginn der Systole, ferner vom Ernährungszustand und besonders von der Inner- vation des Herzmuskels. Darauf hält sich der Hebel während der ganzen Dauer der Systole, etwa 0,20 Secunden, mit kleinen Schwankungen über der Horizontalen und schneidet diese zum zweiten Male am Ende der Systole. Es ist also bei der regelmässigen Herzthätigkeit während der ganzen Dauer der Systole, von der Anspannungszeit abgesehen, der Druck in der Kammer höher als in der Aorta d.h. die Austreibungszeit dauert bis zum Ende der Systole, und es bleibt keine Zeit der rückständigen Con- traction übrig. Der Schluss der Semilunarklappen kann natürlich erst nach der Austreibungsperiode erfolgen; ganz kurz, etwa 0,02 Secunden nach derselben tritt an der Aortencurve eine secundäre Welle (die dikrotische) auf, die, wie aus anderen Versuchen des Vortragenden hervorgeht, den erfolgten Klappenschluss anzeigt. Ueber Fälle von nicht normaler Herzthätigkeit, in welchen der Herzmuskel noch einige Zeit nach der Austreibungsperiode contrahirt bleibt, also eine Zeit der rückständigen Contraetion vorhanden ist, wird der Vortragende später berichten, Die Diastole zerfällt in eine Entspannungszeit der Muskelfasern, ge- kennzeichnet durch das Absinken des Druckes in der Kammer, auf oder etwas unter den Athmosphärendruck, das durchschnittlich 0,05 Secunden in Anspruch nimmt, und eine Zeit des Verharrens in der Erschlaffung, in welcher die Kammer sich füllt. Discussion. Herr Malachowski fragt, ob die Entspannungszeit als besonderer Abschnitt der Diastole bezeichnet werden könne und nicht vielmehr als die Zeit zu betrachten sei, welche die manometrischen Vorrichtungen zu ihrer Einstellung brauchen. Der Vortragende: Der Begriff der Entspannungszeit muss fest- gehalten werden, da diese unter verschiedenen Versuchsbedingungen erheblich wechselt; der Kammermuskel braucht in verschiedenen Fällen verschieden lange Zeit, um aus dem Zustande der Zusammenziehung in den der Erschlaffung überzugehen. Herr Alexander stellt die Frage, ob der Vortragende bei seinen Versuchen auch auf das Verhältniss des Herzstosses zu den verschiedenen Phasen der Herzthätigkeit Rücksicht genommen habe, namentlich mit Bezug auf die Angaben von Martius. Der Vortragende: Ich kann mich den Ergebnissen von Martius nicht anschliessen; denn die gleichzeitige Registrirung des Cardiogramms und der Carotiscurve, die ich beim Menschen vorgenommen habe, ergiebt I. Medicinische Abtheilung. 93 in Uebereinstimmung mit den Untersuchungen von Edgren, dass die dikrotische Welle in der Entspannungszeit der Ventrikel entsteht, und da diese Welle als Folge des Klappenschlusses zu betrachten ist, so trage ich kein Bedenken anzunehmen, dass auch beim Menschen die Austreibungsperiode bis zum Ende der Systole dauert und der Schluss der Semilunarklappen am Anfang der Diastole erfolgt. 2) Herr Eger demonstrirt eine Patientin mit Lymphangiectasie und Lymphorrhagie im Bereich der beiden grossen Schamlippen. Man findet die erwähnten Symptome unter den verschiedensten Ver- hältnissen: der wechselnde Ort, wie das ungleichartige anatomische, aetio- logische und klinische Verhalten gestalten das Krankheitsbild ungemein mannigfalti.. Während z. B. männliche Individuen in der Leisten- und Genitalgegend häufig Erweiterungen und Ausflüsse der Lymphbahnen zeigen, sind sie bei Frauen so selten, dass der vorgestellte Fall zu einer Gruppe von nur 2 in der Litteratur veröffentlichten hinzutritt. Diese 3 Fälle allerdings zeigen untereinander eine ausserordentliche Ueberein- stimmung bezüglich aller wesentlichen Erscheinungen. Es handelt sich um ein 29jähriges, fast zwerghaft gebildetes Mädchen mit den typischen Erscheinungen eines complieirten, sehr wahr- scheinlich angeborenen Vitium cordis. Sicher besteht eine Pulmonal- arterienstenose, die Erscheinungen an der Herzspitze lassen ein Offen- bleiben des Septum ventrieulorum wenigstens vermuthen. — Die Vulva ist hypertrophisch, klaffend, die Schamlippen prall, dicht besetzt mit wasserhellen Bläschen und pigmentirten warzenähnlichen Wucherungen. Oberhalb der Symphyse ziehen bis hinauf in die Unterbauchgegend Stränge, die aus perlschnurähnlich aneinandergereihten Bläschen be- stehen und die Oberhaut erheben. Gleiche Stränge ziehen sich auch nach aussen zur spina und crista ilei hin. Lymphdrüsen am Körper nirgends geschwellt. Sonst ist ausser leichter Lordose der Brustwirbel- säule nichts abnormes, der Urin ist frei von Eiweiss und Zucker. Das Hauptleiden ist im 8. Lebensjahre bemerkt worden, wird jedoch wohl schon früher bestanden haben. Aus den obenerwähnten Bläschen ent- leerte sich nämlich von Zeit zu Zeit, mitunter alle 8 Tage, mitunter seltener eine milchige Flüssigkeit in verschiedener Menge. Häufig werden grosse Unterlagen durchnässt; die Menge bei einer 4 Tage an- haltenden Lymphorrhagie im November vor. Jahres schätzt die Patientin auf 1',—2 Liter. Die Entleerung wird durch Körperbewegung gefördert, tritt jedoch auch unabhängig von ihr auf. Die Flüssigkeit ist milchig- trübe, auf dem Boden schwimmt gewöhnlich ein grosses Blutgerinnsel. Mikroskopisch besteht sie aus staubförmig vertheilten Fetttröpfehen, vielen rothen, wenig weissen Blutkörperchen. Die filtrirte Flüssigkeit 24 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. gerinnt beim Kochen; mit Kalilauge geschüttelt bildet sie 2 Schichten, deren obere milchweiss erscheint, während die untere serös ist. Das auffälligste Symptom sind die Bläschen, die sicher Varicen der Lymphgefässnetze der Cutis darstellen. Die Analogie der anderen, mikro- . skopisch untersuchten Fälle spricht dafür, dass die Erweiterung der Ge- fässe nicht allein auf die oberflächlichen sich beschränkt. Die Lymphorrhagie bietet keine Abweichung von anderen zahlreichen Fällen dar. Die früher häufig untersuchte Flüssigkeit lässt keinen Zweifel, dass es sich um Chylusbeimengungen handelt; man muss an einen rückläufigen Lymphstrom denken, welcher Beimengungen des Ductus thoracicus nach aussen führt. Die Lymphangiectasieen zu erklären ist schwer. Es spielen dabei neben örtlichen Gewebsstörungen der Gefässwände mechanische Kreis- laufsstörungen die Hauptrolle. Eine solche ist bei der Patientin durch den schweren Herzfehler, der den arteriellen Blutdruck herabsetzt, den Druck im venösen Gebiet und damit auch im Ductus thoracieus ausser- ordentlich steigert, gegeben. Analogien — Lymphstauungen, Lymph- gefässerweiterungen und -Ergüsse bei schweren Herzfehlern finden sich auch anderweitig in der Litteratur erwähnt. Für einen Zusammenhang beider Leiden spricht auch das lange Ausbleiben der üblichen Folge- erscheinungen eines so schweren Herzfehlers, das Fehlen von Oedemen, Stauungen in der Niere u. s. w.; es wird dies erklärlich, wenn man bedenkt, dass die zeitweis erheblichen Flüssigkeitsverluste das über- füllte Venensystem entlasten. Therapeutisch dürfte kaum etwas zu machen sein; Compression, Cauterisation, Abtragung hat in ähnlichen Fällen nichts genutzt; vielleicht ist die Anwendung von Ergotin nicht ganz von der Hand zu weisen. Der Vortrag wird anderen Orts ausführlich veröffentlicht. 6. Sitzung vom 28. März 1890. rin der Discussion, “welehe heute über den Vortrag des Herrn Eger eröffnet wird, bemerkt Herr Ponfick, dass die Ursache so weitverbreiteter Lymph- Angieetasieen, wie sie sich bei der vorgestellten Patientin ausgebildet hatten, im Allgemeinen auf zwei Ursachen zurückgeführt werden könnten: Einmal auf idiopathische Erkrankungen des Gefässsystems — und dazu müsse, nach den Darlegungen des Herrn Vortragenden, das demonstrirte Beispiel jedenfalls gerechnet werden — und sodann auf die Anwesen- heit eigenthümlicher Nematoden, der Filaria sanguinis hominis innerhalb der Blutbahn. Letztere Affeetion, welche nur in den Tropen erworben I. Medieinische Abtheilunsg. 25 werden kann, sporadisch allerdings auch in unseren Breiten, natürlich importirt, beobachtet worden ist, darf schon durch das Vorleben der Patientin als ausgeschlossen gelten. In einem von Herrn Ponfick genau untersuchten Falle war an- scheinend im Zusammenhange mit einer schweren Aorten-Insufficienz, eine hochgradige Erweiterung des Milchbrustganges mit con- seeutiver Schlängelung und streckweiser Ausdehnung des Lumens, sowie mit Sklerose der Wand eingetreten (eine lebensgrosse Abbildung des Präparates wird herumgezeigt). Offenbar im Anschluss hieran hatten sich sämmtliche abdominalen Lymphgefässe stark erweitert, besonders die der Nieren und der Harn- blase, Hiermit hing es denn auch jedenfalls zusammen, dass dem Harn seit längerer Zeit nicht nur Fett in grosser Menge beigemischt war, dass also ausgesprochenste Chylurie bestand; sondern dass auch eine grosse Zahl rother Blutkörperchen darin enthalten war. Ob diese abnormen Beimengungen auf diapedetischem Wege in die ableitenden Canäle ergossen werden oder ob etwa mittelst abnormer Communicationen zwischen dem Lymphgefäss- und dem harnabführenden Systeme, ist noch nicht genügend festgestellt. Unter allen Umständen muss als vermittelndes Moment eine Insufficienz der Lymphgefässklappen angenommen werden, wie sie sich aus der beträchtlichen Erweiterung aller Lymphstränge ja auch aufs Befriedigendste erklären lässt. Herr Eger findet in dem von Herrn Ponfick beobachteten Falle und in der entsprechenden Zeichnung eine Bestätigung der Annahme, dass es sich nicht um ein locales Leiden, eine Erweiterung der ober- flächlichen Hautlymphgefässe, handelt, sondern dass die Dilatation auch die tieferen Gefässe betrifft. Neben dem Ponfick’schen Falle sprechen dafür auch Beobachtungen von Petters, Rokitansky, Oppolzer und Cattani; in allen diesen Fällen bestanden neben ausgedehnten Lymphangiectasieen, die zum Erguss in Pleura, Peritoneum oder zu Chylurie geführt hatten, schwere Herzfehler. Dabei wird man aber immerhin eine krankhafte Disposition des Lymphgefässsystems annehmen müssen; denn bei der Häufigkeit der schweren Herzfehler müsste ohne eine solehe Annahme das Vorkommen von Lymphangiectasieen und Lymphorrhagieen offenbar häufiger beobachtet werden. 2) Hierauf hält Herr Kolaczek einen Vortrag: Ueber Nieren - Exstirpation. Nachdem der Vortragende eingehend auseinandergesetzt, wie die von Gross im Jahre 1885 statistisch auf 44,6 pCt. nachgewiesene Mor- talität dieser Operation durch einsichtige Beschränkung der Indicationen, Verbesserung der operativen Technik und vor Allem durch eine ge- wissenhaftere Berücksichtigung der Beschaffenheit der anderen Niere in 236 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. den letzten 5 Jahren auf etwa 32 pCt. herabgegangen ist, berichtet er über zwei von ihm selbst wegen Nierenvereiterung ausgeführte Nephreetomien. Der erste Fall betraf ein 21jähriges Dienstmädehen, das: etwa ein Jahr vor der Operation gonorrhoisch infieirt worden war. Es waren die bekannten Anzeichen einer solchen Infecetion der Reihe nach auf- getreten. Der Blasentenesmus und die Dysurie nahmen stetig zu, und doch begab sich Patientin erst 6 Wochen nach der Ansteckung vorüber- gehend in ärztliche Behandlung, ohne merklichen Erfolg. Die zunehmende Verschlimmerung des Allgemeinbefindens zwang die Patientin nach einem halben Jahre, ihre Dienststellung aufzugeben, Etwa zwei Monate später will sie bereits in ihrem Unterleibe eine Geschwulst wahrgenommen haben. Aber sie liess noch weitere drei Monate vorübergehen, ehe sie wieder ärztliche Hilfe aufsuchte, — K, stellte fest, dass P. ein elendes Aussehen, mässiges abendliches Fieber und einen ausgesprochenen Blasentenesmus mit starker Dysurie hatte, so dass sie alle 15 Minuten ihren Urin entleeren musste. Die Harnmenge in 24 Stunden betrug gegen 1600 gr. Der Harn selbst glich einer Eiter- emulsion, war reich an Eiweiss, aber frei von Nierenderivaten. Nach übrigens sehr schmerzhafter Auswaschung der Harnblase gelang es, durch anhaltenden Druck auf den abdominalen Tumor eine geringe Eitermenge in die Blase hineinzubefördern. Dieser Tumor nahm die rechte Bauchhälfte ein, trieb ihre vordere und hintere Wand unverkenn- bar vor, reichte in Nabelhöhe bis zwei Finger breit an die Mittellinie, verlor sich nach oben unter den Rippenbogen, liess nach unten über dem Poupart’schen Bande eine tympanitische Zone frei, fühlte sich elastisch derb an, zeigte aber eine gewisse Fluctuation. Es konnte dem- nach kein Zweifel bestehen, dass er der in einen Eitersack umgewan- delten Niere entsprach. — Da der Pawlick’sche Katheterismus nicht gelingen wollte, also die Ueberzeugung von der Integrität der anderen Niere nicht zu gewinnen war, so entschloss sich K. nach einer vierzehn- tägigen Beobachtung der Kranken zunächst zu einer Nephrotomie mittels des Simon’schen Längsschnittes. Nach Durchtrennung der Muskel- und einer dünnen Fettschicht prä- sentirte sieh in der Wunde eine gespannte, grauröthliche, von der Fett- umhüllung ausserordentlich leicht ablösbare Membran. Der Probepunktion; die guten Eiter ergab, folgte eine ergiebige Ineision, wobei das Messer eine etwa 3 mm dicke Schicht von Nierensubstanz trennte. Nach Abfluss von ca. 100 gr Eiter trat in der Höhle sofort eine zweite gleich gespannte Membran zu Tage, die incidirt ungefähr die gleiche Menge Eiter ausfliessen liess. In gleicher Weise wurden noch zwei andere Abscesse dieser Art breit gespalten. Nunmehr liess sich durch I. Medieinische Abtheilung. 2% bimanuelle Palpation feststellen, dass tiefer nach der Mittellinie zu noch ein Abscess vorhanden war. Derselbe wurde unter Leitung des Fingers mit einem dicken Troicart punktirt und darauf, da Eiter abfloss, vor- sichtig ineidirt. Nunmehr erschien die Geschwulst wenigstens um die Hälfte ihres früheren Volumens kleiner. Nachdem die Abscesshöhlen mit einigen in 5proc. Chlorzinklösung getauchten Tampons ausgewischt worden waren, folgte mehrfache Drainage und Verkleinerung der Wunde durch Naht. Dauer der Operation ungefähr eine Stunde. Keine Reaction. Bald nach der Operation mässigte sich rasch der Harndrang und der Urin wurde immer klarer, so dass er am dritten Tage von einem normalen sich kaum unterschied. Die ersten 14 Tage hindurch war die Eiterung aus der Wunde ziemlich stark, blieb jedoch ohne Urinbeimischung. Entlassung der Kranken Ende der dritten Woche mit einer durch einen dicken Drain wenig secernirenden Fistel, nachdem das Allgemeinbefinden sich sichtlich gehoben hatte. Obschon die Kranke angewiesen war, nach drei Monaten sich wieder einzufinden, erschien sie erst am 10. Mai 1888. Damals liess ihr Ernährungszustand nichts zu wünschen übrig; die Fistel aber fing an, ihr lästig zu werden und veranlasste sie, mit der vorgeschlagenen Radicaloperation sich einver- standen zu erklären. Aber erst 10 Wochen später stellte sich Patientin zu derselben ein. Nach mehrtägiger Beobachtung, wobei vor Allem die ganz nor- male Beschaffenheit des Urins festgestellt wurde, wurde mittels eines die bestehende Fistel durchsetzenden und nach vorn unter partieller Trennung des M. obliquus ascend. ziehenden Bogenschnittes die Niere ohne Schwierigkeit blosgelegt und mit den Fingern aus ihrem Lager isolirt, wobei sie hier und da einriss.. Nach Unterbindung des Stiels mit‘ diekem Seidenfaden und Durchtrennung desselben machte sich an zwei Stellen noch eine geringfügige Blutung bemerklich. Der Aus- stopfung der Wundhöhle mit lockerer Jodoformgaze folgte die Einführung eines dicken Drains, Naht des durchtrennten Muskels und der Haut- wunde, Die Reaction bestand während der folgenden drei Tage in einer abundanten Schweissabsonderung. Der Wundverlauf war fieberlos, die Erneuerung der Verbände alle 3—4 Tage nöthig. Durch die ersten 12 Tage betrug die tägliche Harnmenge 500—600 gr, stieg aber in der Folge allmählich bis zur Norm. Patientin verliess in der dritten Woche das Bett, in der sechsten mit wenig secernirender Fistel die Klinik. Die exstirpirte Niere bestand aus einem Complex von Abscess- höhlen; Parenchym war an der Peripherie noch in 1—4 mm dicken Schichten vorhanden; die Epithelien erwiesen sich als im fettigen Zerfall begriffen; besonders fiel die Atrophie der Glomeruli auf. Etwa drei 28 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Monate nach der Entlassung der Patientin erfolgte Verheilung der Fistel. Das Allgemeinbefinden ist andauernd gut. Im zweiten Falle handelte es sich um einen 5ljähr. Oekonomen, der in seinem 25. Lebensjahre an Schmerzen der linken Nierengegend, im 34. an Nierensand, im 44. an Hämaturie und Nierenkolik litt, bis schliesslich im November 1886 in der linken Bauchhälfte eine grössere Geschwulst entdeckt wurde. Durch Punetion entleerte damals der be- handelnde Arzt viel Eiter. Aber schon im Januar 1837 stellte sich ein paranephritischer Abscess derselben Seite ein. Er wurde ineidirt, und im folgenden April, da die zurückgebliebene Fistel nicht heilen wollte, eine Radicaloperation versucht, aber nicht vollendet. Im September 1883 wurde Patient an K. gewiesen. Trotz einer kurz vorher voraus- gegangenen Badecur von zwei Monaten Dauer erschien Patient hinfällig und schlecht genährt und litt an einer mässigen Blennorrhöe der Lungen. In der linksseitigen Lendengegend zwei Finger breit unterhalb der Darmbeincrista fand sich eine, dünnen, putriden Eiter mässig secernirende Fistel, weithin, besonders nach oben, von derben, dieken Gewebsmassen umgeben. In der entsprechenden Regio hypochondriaca liess sich bei tiefem Druck eine nach der Mittellinie hinziehende strangförmige, harte Masse, die vom Colon überlagert sich erwies, durchfühlen, wobei Patient Schmerzen empfand. Der in Tagesportionen von etwa 1200 gr abge- sonderte Urin enthielt kein Eiweiss und nur ganz vereinzelte Eiter- körperchen. — Wenn demnach auch der objective Befund im Verein mit der Anamnese die Auffassung der bestehenden Fistel als Urinfistel zuliess, so war doch die Möglichkeit, dass dieselbe einem vereiterten Echinococeussacke angehörte, nicht ganz von der Hand zu weisen. Desshalb beschloss K., bei der projectirten Operation zunächst den Fistelgang zu verfolgen, ausgehend von einem senkrecht angelegten Schnitte. Diese Aufgabe war mühsam und zeitraubend, da der Fistelgang Verästelungen hatte. Dabei musste auf den senkrechten ein weit nach vorn reichender horizontaler Schnitt gesetzt werden. Trotzdem wollte es lange Zeit nicht gelingen, den Eiterherd zu entdecken, bis schliesslich bei einem . Versuche, einen nach oben unter die Rippen hinstrebenden Gang mit dem Zeigefinger zu foreiren, eine Höhle entdeckt wurde, aus welcher sich bei Entfernung des Fingers eine Menge putriden Eiters ergoss und nach Spaltung dieses Ganges auch ein pflaumenkerngrosser Stein. Darauf wurde die Nierengrenze freigelegt und mit einiger Mühe und unter Zer- reissung des Sackes an einigen Stellen die ganze Niere bis auf den Stiel isolirt. Jetzt wurde wie beim ersten Falle verfahren, von jeder Spülung abgesehen und die Höhle nach Ablösung der sitzengebliebenen Nierenpartikel mit Jodoformgaze locker ausgestopft, Darauf folgte Drainage nnd Naht. I. Mediecinische Abtheilung. 39 Keine Reaction. Tägliche Urinmenge höchstens 900 gr. Die Lungen- verschleimung ging rasch zurück. Die Kräfte nahmen sichtlich zu. Verbandwechsel alle 4 Tage. Schnelle Abnahme der Eiterung. Ent- fernung des letzten Gazestücks am 15. Tage. Patient verliess in der vierten Woche das Bett: und wurde seitdem ambulant behandelt. Schluss der kaum noch nässenden Fistel im April 1839. Allgemeinbefinden vortrefflich. — Der exstirpirte Nierensack liess nur eine 1—2 mm dicke Parenchymschicht erkennen, Zum Schluss hebt der Vortragende noch die besonders interessanten Momente aus dem Verlaufe dieser Krankheitsfälle hervor, nämlich: die bemerkenswerth klare Aetiologie im ersten Falle, die Irritabilität der Harnblase nur infolge des sie passirenden Niereneiters, die vollständige Klärung des Urins nach Ableitung des Eiters aus der Niere mittels des Lumbalschnitts, weshalb die Nephrotomie eine gewisse diagnostische Bedeutung gewinne, und das Fehlen jeglicher Urinbeimengung in dem durch die Lumbalfistel abfliessenden Eiter, trotzdem in beiden Fällen noch eine Schicht Nierenparenchym vorhanden war. Der zweite Fall erscheint K. besonders dadurch lehrreich, dass er zeigt, wie viel schwie- riger der nephreetomische Eingriff sich gestaltet, wenn die rechte Zeit wenigstens für eine Nephrotomie versäumt wird. Endlich bestimmt der Vortragende seinen Standpunkt in der Pyo- nephrosenfrage dahin, dass die primäre Nephrecetomie zu Gunsten der Nephrotomie verlassen zu werden- verdient, weil letztere nach Küster’s Erfahrungen in vielen Fällen eine radieale Heilung herbeiführt und andererseits der Nachweis, dass die zweite Niere intact ist, so schwer, gegebenenfalls nicht ohne jegliche Lebensgefahr (Iversen’s sectio alta) zu führen ist. Die secundäre Nephrectomie dagegen ist angezeigt, wenn die Eiterung trotz aller Sorge für guten Abfiuss des Eiters nicht aufhören will und das Allgemeinbefinden nach der Nephrotomie sich nicht merklich bessert. Eine Hinausschiebung der Nierenexstirpation bis zu dem Zeitpunkte, wo in dem Allgemeinzustande des Kranken eine Verschlimmerung sich einzustellen beginnt, ist verwerflich, da eine solche schon der äussere Ausdruck einer eingetretenen Complication ist. In der sich hieran schliessenden Diseussion erklärt es Herr Fritsch für thatsächlich nicht richtig, die Ueberanstrengung einer Niere nach Entfernung der anderen für gefährlich zu halten. Ist die Niere gesund, so muthet man ihr nicht zu viel zu, wenn man sie die ganze Urinausscheidung besorgen lässt. Künstlich kann man die Urinausscheidung sehr steigern. 5000 gr Urin werden ganz ohne Schwierig- keit ausgeschieden. Ein Student, der z. B. in einer Sitzung 10 oder mehr Liter Bier vertilgt, entleert die Flüssigkeit ohne Störung des All- 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. gemeinbefindens. Jede Niere wird also pro die 2000 gr leicht aus- scheiden können, Nach einer Nierenexstirpation wird wenig Getränk ver- abreicht, die Ausscheidung steigt von 5—600 gr bald auf 800—1000 gr. Die eine Niere hat also lange nicht so viel Urin auszuscheiden, als sie physiologisch leisten kann. Simon hat seiner Zeit wohl die Nachwirkung der Chloroformnarkose für eine gelinde Uraemie aufgefasst. Redner hat, nachdem er mit richtiger Technik operirte, im letzten Falle auch nicht die Spur von uraemischen Erscheinungen beobachtet. Die Kranke lag vergnügt lächelnd im Bett und befand sich ohne eine Spur von Uebelkeit und Kopfschmerzen völlig wohl. Betreffs der Technik spricht Redner nur von Exstirpation normaler Nieren. Bei perinephritischen Abscessen resp. Abscessen in der Niere kann und wird die Operation unendlich schwierig sein. Anders bei normaler Niere. Diese zu exstirpiren, ist sehr leicht. Bei kleinen Personen räth F. den Schnitt schräg zu legen, so dass der Schnitt und die Wirbelsäule nach unten etwas mehr divergiren. Diese Schnittführung leistete in einem Falle von Rachitis und zu geringer Distance zwischen den falschen Rippen und der Crista ilei sehr gute Dienste. Die Niere selbst so aus dem Fett herauszulösen, wie es Simon em- pfahl, scheint F. nicht vortheilhaft. F. that es im ersten Falle. Im zweiten wurde die Niere vorgewälzt, besser mit zwei Fingern in die Wunde gebracht. Die Ligatur — ein starker Seidenfaden — fasste das Fett, das noch anhaftete, mit. Man vermeidet dadurch, dass Fettflocken, von der Ernährung gehemmt, als Fremdkörper in der Höhle zurück- bleiben. Bei gesunder Niere schneidet man, zunächst das ganze Nierenbecken an der Ligatur lassend, halbkreisförmig, parallel mit dem convexen Nierenrande, die Niere ab. Dann stutzt man den Rest zu. Auf diese Weise vermeidet man mit absoluter Sicherheit das Abgleiten der Ligatur., Ausspülen der Höhle ist sehr fehlerhaft. Das Wasser löst das lose Fett aus seinen Verbindungen und senkt sich bis unten ins Becken. Es ent- stehen heftige Schmerzen während der Heilung. Richtiger ist das Um- stopfen des Stumpfes mit Jodoformgaze, Die gewöhnliche Rückenlage ist sehr vortheilhaft. Der Verband bleibt 9—14 Tage liegen. F. operirte nur einmal einen Fall einer Pyelonephritis ohne es zu wollen. Ein lange beobachteter Tumor in der Leistengegend wurde wegen des fieberhaften Verlaufes, der Localität und der anamnestisch eruirten Stuhlbeschwerden als paratyphlitischer Tumor gedeutet. Da F. schon öfter mit vortrefflichem Erfolge solche Tumoren operirte, beschloss er auch hier operativ vorzugehen. Gleichzeitig hatte die Patientin Erscheinungen eines sehr starken Blasenkatarrhs. I. Medicinische Abtheiluug. 31 Bei der Ineision musste F. sehr tief gehen, endlich kam Eiter zum Vorschein. Kein Koth, kein charakteristischer Geruch. Es hörte nun mit einem Schlage Albuminurie, Pyurie und Tenesmus vesicae auf. Es zeigte sich, dass die stark dislocirte, auf der fossa ilei liegende Niere ineidirt war. Patientin wurde zunächst gesund, jedoch hörte F., dass die Fistel später wiederholt aufgebrochen wäre, In die Klinik kam Patientin nicht wieder. Auch in anderen Fällen konnte F. beobachten, dass die Angaben des Herrn Kolaczek betreffs des Tenesmus vesicae richtig sind. Bricht ein parametritisches Exsudat durch, so entsteht oft ganz plötzlich starker Tenesmus. Er verschwindet wieder, um jedesmal, wenn neuerdings Eiter in die Blase fliesst, wiederzukehren. Der Eiter, die in ihm be- findlichen Bacterien, bezw. ihre Zersetzungsproducte reizen die Blasen- schleimhaut ebenso, wie z. B. ein zu starkes Medicament. 7. Sitzung vom 25. April 1890. Herr Hirt spricht: Ueber die Bedeutung der Suggestionstherapie für die ärztliche Praxis. Nachdem der Vortragende darauf hingewiesen, dass die Suggestions- therapie zwar noch wenig studirt, aber doch sehr vielfach be- und oft genug scharf verurtheilt worden sei, gab er einige historische Daten. Mesmer sei unzweifelhaft als der eigentliche geistige Urheber davon zu bezeichnen, wenn auch seine Ansichten über den thierischen Magnetismus, das sogenannte magnetische Fluidum, den Einfluss des Magneten auf den Menschen, als falsch und verworren gelten müssten, Die von Mesmer entdeckte Thatsache, dass es durch längere Zeit hindurch fortgesetzes Streichen des Körpers gelinge, den Menschen in einen schlafähnlichen Zustand zu versetzen, und dass man in diesem Zustande günstig auf etwa vorhandene Krankheitsprocesse wirken könne, ist wahr. Auf sie ist die Suggestionstherapie in letzter Linie zurückzu- führen, wenn auch später Braid dargethan hat, dass es der Mesmer’schen Striche (,„passes‘‘) nicht bedürfe, sondern dass das starre Ansehen eines glänzenden Gegenstandes zur Herbeiführung des Schlafes (,„‚Hypnotismus‘‘) genüge, und wenn auch in allerneuester Zeit die Schule von Nancy (Liebeault, Bernheim) dasselbe lediglich durch die Aufforderung des Patienten, einzuschlafen, erreichen zu können behauptet („suggestion verbale‘‘). Die mannigfachen Verurtheilungen, welche der sogenannte „Hypno- tismus“ von Autoritäten wie Meynert, Ziemssen, Mendel u. A. erfahren, beziehen sich einmal darauf, dass die Procedur, welche mit dem Patienten vorgenommen werde, an sich schädlich, und dass der 32 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. durch die Manipulationen hervorgerufene Zustand als eine Art Krankheit, und zwar als eine Geisteskrankheit zu bezeichnen sei. Wenn man einen Menschen seines freien Willens beraube, ihn zu Dingen veranlasse, die er ohne die hypnotische Beeinflussung niemals thun würde, wenn man ihn um seine Persönlichkeit bringen und ihn nach Belieben in ein wildes Thier, ein kleines Kind, einen Verbrecher u. s. w. verwandeln könne, so sei dies ein gefährliches Ding und müsse nicht blos vom juristischen, sondern auch vom allgemein menschlichen Standpunkte gänzlich und bei schwerer Strafe verboten werden. Diesen Standpunkt nun theilt der Vortragende, soweit es sich um die tiefen Grade der Hypnose und um sogenannte posthypnotische Erschei- nungen handelt, vollständig. Auch er hält das sogenannte Hypnotisiren, wenn es in Laien- (und, wie es scheint, ganz hervorragend in Officiers-) Kreisen betrieben wird, für durchaus verwerflich und gesetzlich zu ver- bieten. Seine Untersuchungen haben aber erwiesen, dass es zur Herbeiführung therapeutischer Erfolge — und das ist ja der einzige Zweck der Suggestionstherapie — nur der leichtesten Grade von Beeinflussung bedarf, so zwar, dass der Patient überhaupt gar nicht einschläft, sondern nur leicht müde wird und das volle Bewusstsein, die volle Erinnerung an alles das, was mit ihm vorgenommen wurde, behält. Jede tiefere Beeinflussung ist vom therapeutischen Standpunkte aus durchaus zwecklos! Für das Herbeiführen eines solehen Zustandes, welcher niemals schädliche Folgen haben könne, seien die Ausdrücke „hypnotisiren, Hypnose, Hypnotismus‘ nicht anzuwenden, sondern durch „Beeinflussen, suggestive Beeinflussung, Erhöhung der Suggestibilität“ zu ersetzen; von Unvog sei hier überhaupt keine Rede, Vom physiologischen Standpunkte aus betrachtet, handelt es sich um eine Herabsetzung der Thätigkeit der Zellen der Grosshirnrinde; es ge- lingt, ohne dass das Sensorium dabei wesentlich in Mitleidenschaft gezogen würde, einzelne Regionen der Hirnrinde, d. h. die motorische, und inner- halb dieser wieder einzelne Rindenfelder, z. B. das des Oculomotorius, die der einzelnen Extremitäten, zu beeinflussen. Auch die Sensibilität kann durch Beeinflussung der Hirnrinde alterirt werden. Alles das aber ist, wie wiederholt betont wurde, für therapeutische Zwecke neben- sächlich und unnöthig — es genügt einfach, den Kranken durch eine nach Mesmer, Braid und Bernheim-Liebeault zu combinirende Methode in einen Ermüdungszustand zu versetzen und ihm während desselben wiederholt und eindringlich zu ver- sichern, dass die bisher vorhanden gewesene Erkrankung nunmehr verschwunden, d. h. durch den vom Arzte herbei- seführten Ruhezustand geheilt sei. Auflegen der Hand auf den erkrankten Körpertheil, Bestreichen und leiser Druck desselben bringen schlesische Gesellschalt für vaterländische Cultur. 68. 1. Jahresbericht. Medieinische 1890. Abtheilung. Ba 27.0 nn... ,BUB19R SSBHDiBNDar HAUBERTIE den Kranken rascher und zuverlässiger zu der Ueberzeugung der ein- setretenen Heilung. Der Vortragende geht dann zu der Beantwortung der Frage über, wie viele Menschen zu beeinflussen seien. Auf Grund seiner an 598 kranken Personen, unter denen sich 66 Kinder unter 14 Jahren befanden, ange- stellten Untersuchungen giebt er 66”, pCt. an; bei einem Drittel der Versuchsobjeete war eine zu therapeutischem Vorgehen geeignete Beein- flussung nicht zu erzielen. Männer sind leichter zu beeinflussen als Frauen, Kinder unter 9 Jahren gar nicht, zwischen 10 und 14 Jahren ausgezeichnet. Die Disciplin spielt eine Hauptrolle; wer im Leben ge- horchen gelernt hat, ist ceteris paribus am leichtesten zu beeinflussen, weil er dem Befehle, seine Gedanken nur auf den Act des Einschlafens zu concentriren, am schnellsten und vollständigsten nachkommt. Je unruhiger und aufgeregter das Individuum ist, desto völliger gelingt die Beeinflussung — hysterische Personen eignen sich so gut wie gar nicht dazu. Unter den Krankheiten, welche für die Suggestionstherapie günstige Aussichten bieten, seien die functionellen Neurosen, zunächst Neuralgien — Ischias vielleicht ausgenommen — habitueller Kopfschmerz, Schlaf- losigkeit, leichte psychische Verstimmungen, Grübelsucht, ferner die sogenannte traumatische Neurose, „Railway-spine‘‘ in erster Linie zu nennen; weniger gute Erfolge hat der Vortragende bei der Behandlung der Neurasthenie, der Vagusneurosen, des Stotterns, der Enuresis nocturna, des chronischen Alcoholismus gesehen. Aussichtslos ist die suggestive Behandlung der Epilepsie, der Morphiumsucht, des Schreibkrampfes. Dass alle die Krankheiten, bei denen anatomische Veränderungen vor- liegen, ohne Weiteres von der Suggestionstherapie auszuschliessen sind, versteht sich von selbst. Schliesslich erwähnt Herr Hirt, dass man wiederholtes Suggeriren wohl auch zu pädagogischen Zwecken, zur Ent- fernung unangenehmer Angewohnheiten, zur Hebung sexueller Verirrungen (Masturbation u. s. w.) benutzen könne. Die Verbindung der Suggestionstherapie mitandernHeil- methoden, namentlich mit der galvano-faradischen Behandlung und mit der Massage, ist auf das Dringendste zu empfehlen. Auf Antrag des Herrn Rosenbach wird die Discussion über den Vortrag auf die nächste Sitzung verschoben. 34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 8. Sitzung vom 2. Mai 1890. In der Discussion über den Vortrag des Herrn Hirt macht zunächst Herr Rosenbach eine Reihe allgemeiner Bedenken gegen die vorgetragenen Anschauungen geltend. Sodann bemerkt Herr B. Riesenfeld: Soweit mich meine Erfahrungen als Laryngologe dazu berechtigen, schliesse ich mich ganz den Ausführungen des Herrn Rosenbach an, dass die Suggestion keine vis medica sui generis sei, sondern dass sie in das Gebiet der psychischen Therapie gehöre, dass sie erziehlich wirke. Herr Hirt hat nicht bloss wiederholt der sogenannten hysterischen Aphonie Erwähnung gethan als einer Kehlkopfaffeetion, bei der die Sug- gestionstherapie glänzende Erfolge erzielte, sondern er hat diese Neu- rose, wahrscheinlich doch wohl wegen der grösseren Zahl der Fälle, die ihm zur Behandlung kamen, gewissermaassen in den Vordergrund gestellt. Neurosen sind es in der That in der weitaus grössten Zahl der Fälle, und zuletzt ist man gar nicht mehr erstaunt, bei der laryngoscopischen Untersuchung keine anatomische Laesion, sondern einen vollkommen normalen Kehlkopf mit anscheinend ganz intacter Muskulatur zu finden, Die Mittel, die uns zu Gebote stehen, um diese Neurose zu beseitigen und zwar mit einem Schlage, sind nun aber: 1. der Handgriffl. Er besteht darin, dass man dem Kranken plötzlich mit auseinander gespreiztem Daumen und Zeigefinger der rechten Hand so an den Hals fahren lässt, dass der Kehlkopf zwischen diesen Fingern liest und dass man ihn stark seitlich comprimirt, vielleieht auch den ganzen Hals strangulirt; 2. das Einführen der gewöhnlichen oder der electrischen Sonde oder des Pinsels in das Larynxinnere; 3. der Befehl, die Drohung oder Einschüchterung. Gerade diese letztere Methode erinnert mich an einen geradezu klassischen Fall. Es wurde mir ein Knabe von etwa 12 Jahren zugeführt, der seit 4 Wochen völlig aphonisch war. Eine Ursache war nicht nachweisbar; ebenso war Simulation ausgeschlossen, vielmehr gab der begleitende Vater seinem Sohne das Zeugniss eines guten Kindes, eines fleissigen Schülers, im Ganzen eines Knaben, der ihm noch nie wissentlich Kummer gemacht habe. Es waren verschiedene Versuche zur Beseitigung der Aphonie gemacht worden (so fand sich gegenwärtig die äussere Fläche des Halses zwischen beiden Sternocleidomastoidei im ganzen Umfange excorirt), indess ohne jeden Erfolg. Bei der Spiegelung zeigte sich der Kehlkopf ganz normal. Merkwürdig war die Thatsache, dass der Aufforderung „&“ zu phoniren, mit lauter Stimme entsprochen wurde, während Patient das Wort „Bär“ z. B. flüsterte. Der Vater, dem der Sachverhalt deutlich I. Medieinische Abtheilune. 35 gemacht wurde, verstand falsch und glaubte, der Knabe simulire, und als er in leicht begreiflicher Erregung für zu Hause den Stock in Aus- sicht stellte, war die Stimme plötzlich da. Nach meiner Ansicht wirkt eben auf die nämliche Weise die Sug- gestion nicht etwa als Schreckmittel, sondern sie beeinflusst die graue Hirnsubstanz. In welcher Weise dies geschieht, weiss natürlich auch ich nicht und muss die Untersuchungen hierüber den Neuropathologen und den pathologischen Anatomen überlassen. Vielleicht tritt ein Hemmungscentrum, das ausgeschaltet war, durch die Beeinflussung wieder in Function, vielleicht auch wird das durch die (Kmotions-) Neurose ge- störte Gleichgewicht in der molecularen Lagerung der Nervensubstanz durch Schaffung einer neuen Emotionsneurose wieder hergestellt. Herr Hermann Cohn: Da ich den neulichen Vortrag des Herrn Hirt selber leider nicht gehört habe, kann ich mich nur auf die Thesen beziehen, die er heute aufgestellt hat. Es scheint mir sehr wichtig, dass Herr Hirt den 3., 4. und 6, Hirn- nerven als solchen aufführte, bei dessen Erkrankung die Suggestion nichts ergebe. Die von diesen Nerven versorgten Muskeln können auch durch den electrischen Strom nicht beeinflusst werden, wie ich vor 25 Jahren hier in der Gesellschaft zeigte. Dass Suggestion von Nutzen sein könne bei hysterischen Am- blyopieen, glaube ich. Bei diesen dunklen Leiden, wo keine ophthal- moccopische Veränderung sichtbar, nützen oft die widersinnigsten Sug- gestionen. Mitunter genügt das blosse Anbrüllen: ‚Sie müssen diese Schrift lesen!“ Ich erinnere mich eines Mädchens, das in dem richtigen Masturbations-Alter stand und auf einem Auge $S = '/,,, Mur hatte, ich sagte ihr, dass bei diesem Leiden meist durch sehr kleine Löcher hin- durch viel besser gesehen würde. Natürlich sinkt ja aber die Sehschärfe bei ganz kleinen Oeffnungen, da die Beleuchtung sinkt. Als ich das Mädchen durch ein Loch blicken liess, das ich mit einer sehr feinen Nähnadel in eine Visitenkarte gestochen, bekam sie 8 —= °/,. In ähn- lichen Fällen habe ich 2 bis 3 graue Gläser über einander gelegt und gleichen Effect erhalten, indem ich den betreffenden hysterischen Frauen- zimmern einredete, dass sofort die Sehschärfe in die Höhe gehen werde. Dagegen halte ich die Suggestion für völlig aussichtslos bei Nicotin-Amblyopie, für welche sie College Hirt ebenfalls empfahl. Diese Krankheit zeichnet sich bekanntlich durch einen centralen und paracentralen Rothdefeect im Gesichtsfelde aus. Der Spiegel ergiebt allerdings keine Veränderungen an der Sehnervenpapille, doch ist eine retrobulbäre Neuritis vorhanden. Wie soll da eine Suggestion etwas ändern? Ich glaube, dass in diesen Fällen durch Suggestion das Skotom 38 36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. nicht um einen Grad sich verkleinern kann. Nur die Entfernung der Noxe, des Nicotins, kann hier Heilung bringen. Ich würde überhaupt bei allen hypnotischen Beobachtungen überaus skeptisch sein. Weiterhin bemerkt Herr Silbermann: Bei der Besprechung derjenigen Krankheitsgruppen, welche sich besonders für die Suggestionstherapie eignen, hat Herr Hirt bereits kurz darauf hingewiesen, dass durch dieselbe nur functionelle, nicht aber anatomische Läsionen beseitigt werden können. — Diese Be- obachtungen sind, wie ich aus eigener Erfahrung weiss, durchaus zu- treffend und eben deshalb möchte ich mir den Hinweis gestatten, dass unter Umständen der Suggestionstherapie auch eine gewisse differential- diagnostische Bedeutung zukommen dürfte. — Als Beispiel hierfür möchte ich den Klopsch’schen Fall anführen, den ich selbst wochenlang be- obachtet habe. Es handelte sich hier um monatelange, Tag und Nacht auftretende Hustenparoxysmen, die durch Narcotica durchaus nicht be- einflusst wurden. Bei dieser Sachlage liess sich im genannten Falle keineswegs mit Bestimmtheit entscheiden, ob eine Vagusneurose oder eine in den central gelegenen Lungenpartien vorhandene anatomische Veränderung, die zur Zeit durch die physikalische Untersuchung noch nicht nachweisbar, vorliege? Durch den so günstigen Effect der Sug- gestionstherapie wurde aber die Diagnose mit einem Schlage geklärt und damit musste die Annahme einer Erkrankung des Lungengewebes fallen. — Zum Schluss vertheidigt Herr Hirt nochmals den von ihm ver- tretenen Standpunkt, insbesondere gegenüber dem abweisenden Urtheile des Herrn Rosenbach. Die 9. Sitzung vom 16. Mai 1890 wird in dem stattlichen Hörsaale der neu erbauten Kgl. Frauenklinik, Maxstrasse 5, abgehalten. Herr Ponfiek dankt dem Direetor der Klinik, Herrn Fritsch, für die an die Versammlung erlassene Aufforderung, sich mit den Ein- richtungen der neuen Anstalt durch persönliche Anschauung bekannt zu machen. Zugleich hebt er nach einem kurzen Rückblick auf die Ent- stehungsgeschichte des Baues und die Fülle von Hindernissen, welchen der Gedanken einer Concentration sämmtlicher klinisch-medieinischer Anstalten begegnet sei, die Verdienste hervor, welche sich Herr Fritsch durch seinen rastlosen Eifer, seine Energie um dessen Verwirklichung erworben habe. Zum sichtbaren Zeichen der Anerkennung ersucht er die Versammlung, sich von ihren Sitzen zu erheben. I. Medicinische Abtheilung. 7 Nachdem dies geschehen, legt Herr Fritsch die Grundsätze dar, welche ihn bei dem Baue und der Einrichtung der neuen Anstalt geleitet haben. Sodann tritt er mit der Versammlung einen Rundgang an, auf welchem die einzelnen Räume und deren Bestimmung eingehend erläutert werden. Die 10. Sitzung vom 23. Mai findet in der neuen psychiatrischen Klinik in der Göppertstrasse statt. Der Direetor der Klinik, Herr Wernicke, stellt der Versammlung eine Reihe von Patienten vor. Zunächst entwickelt er an der Hand eines Schemas seine Auffassung von dem Zustandekommen derjenigen Symptome seitens des Bewegungsapparates der Geisteskranken, welche man früher als Attonität, wohl auch Melancholia attonita unterschieden, Kahlbaum aber zur Schaffung eines eigenen Krankheitsbildes, der Katatonie, verwerthet hat. Vortragender erkennt das grosse Verdienst Kahlbaum’s an, ohne seiner Meinung beizutreten, dass eine bestimmte Form der Geisteskrankheit dadurch charakterisirt werde. Die geschilderten Symptome bedeuten nur die Ausbreitung des den Geisteskrankheiten zu Grunde liegenden pathologischen Processes auf gewisse Localitäten. Sicher seien die Motilitätsstörungen transcorticalen Sitzes, sie könnten auch als Abulieen bezeichnet werdesn. Während aber der Wille unmöglich als etwas Localisirtes zu denken ist, sei diesen Abulieen meist doch eine gewisse Localisation eigenthümlich. Namentlich stellt sich dies heraus bei weiterer Untersuchung der willkürlich nicht bewegten Muskulatur. Hier sind zwei verschiedene Zustände zu be- obachten, welche wahrscheinlich die typische Reactionsweise transcortical selähmter Muskelgruppen repräsentirten: eine positive, in wächserner Biegsamkeit der Gelenke bestehend, und eine negative, welche das Symptom der Negativität oder des Negativismus bedingt. Die Musku- latur, sonst schlaff, wird bei Versuchen der passiven Bewegung in ent- gegengesetztem Sinne innervirt und zwar mit einer Kraft, welche mit dem Bemühen der passiven Bewegung zunimmt. Auch bei allgemeiner Regungslosigkeit zeigen diese beiden Symptome doch meist eine gewisse Localisation, so dass z. B. nur die Arme in wächserner Biegsamkeit verharren, die Beine aber nicht, oder der negativistische Widerstand nur bei Biegung, aber nicht bei Streckung des Kopfes hervortritt. Eine weitere Localisation zeigt sich darin, dass in seltenen Fällen eine hypochondrische Hemiplegie vorkommt, also derselbe Zustand, nur halb- seitig. Sicher aber giebt es keinen halbseitigen Willen, sondern nur halbseitig gesonderte Ausgangspunkte für die Willensbewegungen. Diese Erwägungen führen dazu, als Ort jener Störungen eine transcorticale Localität, welche schon selbst nach den Ursprungsarten des Projections- systems localisirt ist, in Aussicht zu nehmen. Nicht minder spricht 38 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. dafür eine andere Beobachtung. Einem Kranken, der das Symptom des Mutarismus geboten hat, gelingt es schliesslich, in einer gewaltsamen, gepressten Weise zu sprechen, unter allen Zeichen äusserster An- strengung, Anspannung des Halsmuskeln und an den Thorax gepressten, zusammengezogenen Armen. Eine solche Irradiation des Willensimpulses lässt darauf schliessen, dass das Bewusstsein ungewohnter Widerstände segen die beabsichtigte Bewegung vorhanden ist, dass dieselben von dem Bewusstsein wahrgenommen werden. Und das ist nur denkbar, wenn diese Widerstände nicht im Bereich des Willens selbst, sondern auf einer mehr peripher gelegenen Station sich geltend machen. Die besprochenen Symptome werden sodann an 4 Kranken demon- strirt. 11. Sitzung vom 6. Juni. Herr Albert Neisser demonstrirt mehrere Kranke, zunächst einen mit Lichen ruber behafteten Patienten. a. Nach einer kurzen Einleitung, in welcher derVortragende die mo- derne dermatologische Nomenclatur an dem Beispiel der verschiedenen Lichen -Erkrankungen bespricht, stellt derselbe einen 40 jährigen Mann mit Lichen ruber acuminatus vor. seit dem Jahre 1881 ist dies der erste Fall dieser Erkrankung, welcher auf der Klinik zur Beobachtung kam, merkwürdiger Weise 3 Wochen nachdem der Vortragende in seiner Privatpraxis an einem 3jährigen Kinde dieselbe Erkrankung beobachten konnte. Lichen ruber planus kam in 56 Fällen theils in der Hospital-, theils in der Privatpraxis zur Beobachtung. An der Hand des Falles werden die verschiedenen Symptome, welche den Lich. rub. acum. aus- zeichnen, dargelegt und die Berechtigung dieser Bezeichnung speciell an den an den Oberschenkeln und Unterarmen sichtbaren, ganz isolirt stehenden, festen, spitzen Knötchen nachgewiesen, während andererseits die Schwierig- keit aus den flächenhaft erkrankten Bezirken die Diagnose zu stellen, hervorgehoben wird. Letztere sind theils mit kleinsten, feinen, mehl- artigen Schüppchen bedeckt, theils (an den Handrücken) mit etwas srösseren Lamellen. Eine sehr wesentliche Störung des Allgemeinbe- findens ist nicht eingetreten, nur die Spannung der Haut (speciell im Gesicht) und das starke Jucken wird als sehr lästig geschildert. Redner geht dann auf die Beziehungen des Lich. rub. acum. zum Lich. rub. planus ein, welche er, wenn auch als verwandte, so doch immerhin streng zu scheidende Erkrankungen aufgefasst sehen möchte. Auch mit Bezug auf den vorliegenden Fall kann durch Vergleichung mit einem gleichzeitig vorgestellten Lich. rub. planus demonstrirt werden, dass auch die breiteren und flacheren derben Knötchen im acuminatus-Fall sich wesentlich unterscheiden von den eigenthümlich glänzenden und glatten I. Mediecinische Abtheilung. 39 Knötchen des Lich. rub. planus. Redner berührt sodann die in der jüngsten Zeit viel discutirte Frage über die Beziehungen der von De- vergil beschriebenen Pityriasis rubra pilaris zum Hebra-Kaposi’schen Lich. rub. acumin. Gerade der vorliegende Fall macht es sehr erklärlich, dass die — wahrscheinlich identischen — Processe so verschieden aufgefasst und bezeichnet werden konnten, Es ist wohl verständlich, dass eine einerseits mit allgemeiner Abschuppung einer gerötheten Haut und an- dererseits mit Localisation der primären Effloreseenzen an den Follikel- Oeffnungen einhergehende Erkrankung dazu führen kann, eine solche Affeetion als Pityriasis rubra pilaris zu beschreiben. Redner würde ohne Weiteres geneigt sein, die einerseits von Devergil, andererseits von Hebra-Kaposi beschriebene Krankheit als identisch zu bezeichnen, wenn nicht die ursprünglich von Hebra betonte Malignität der von Devergil beschriebenen Benignität widerspräche. Eine definitive Entscheidung in dieser Discussion scheint vor der Hand unmöglich, doch würde der Vortragende unter Umständen, falls sich die Identität der beiden Er- krankungen herausstellen sollte, die Bezeichnung Lichen rub, acumin. für viel geeigneter halten, weil letzterer Name einerseits die Primär-Efflores- cenz der Nomenclatur zu Grunde legt und andererseits nicht den Begriff „pilaris“ für die Benennung einer Krankheit einführt, in welcher die Erkrankung der Handfläche, also einer follikelfreien Region, geradezu charakteristisch ist, Nach einer kurzen Besprechung der Prognose und Therapie, stellt der Vortragende b. Eine Frau mit Pityriasis rubra (Hebrae) vor, Patientin zeigt in charakteristischer Weise die von Hebra beschriebenen Symptome: Köthung und grossblättrige, zarte Abschuppung bei fast unveränderter, eher sogar verdünnter Beschaffenheit der tieferen Hautschichten, Jucken und Brennen, Verlauf ohne jegliches Nässen, Spannung der Haut, speciell im Gesicht mit Ectropium-Bildung etc. ete. Nach einem kurzen Hinweis auf die verschiedenen Pityriasis- Formen und die sehr unzweckmässige Nomencelatur, da für ganz verschiedene Hautkrankheiten der Name Pity- riasis in Gebrauch sei, berichtet der Vortragende über noch zwei weitere Fälle von Pit. rubra, welche im Laufe der letzten zwei Jahre auf der Hautklinik behandelt wurden, Eine Patientin, welche auch seit Jahren mit der Krankheit behaftet ist, lebt noch, während ein Patient trotz sorgfältigster Pflege und Behandlung (in den letzten Wochen wesentlich im Wasserbade) an schnell verlaufender Lungentubereulose zu Grunde ging; bekanntlich die bisher bei den meisten Pityriasis-ruba-Fällen be- obachtete Todesursache. Als neu erwähnt der Vortragende einen Befund Jadassohn’s, welcher in den oberflächlich gelegenen Lymphdrüsen bei jenem Patienten Tuberkelheerde einerseits und andererseits eine eigen- thümliche in grossen Zellen befindliche periphere Pigmentirung nach- weisen konnte. "Die Tubereulose dieser Drüsen ist um so auffallender, 40 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. als sonst disseminirte Erscheinungen tubereulöser Art fehlten. Das Pig- ment in den Drüsen rührt wahrscheinlich her von einem auch in der Haut nachweisbaren Pigment, welches neben Mastzellen sich in verhält- nissmässig grossen Zellen in grosskörnigen Massen vorfindet und wohl analog den artificiell eingeführten Pigmentmassen bei Tätowirungen ver- schleppt wird. Es werden Präparate dieser Drüsen und der Haut demonstrirt. Uebrigens zeigt auch die vorgestellte Patientin deutlich fühlbare Cubital-, Axillar-, Peetoral- und Inguinaldrüsen. c. An einem sehr ausgebildeten Falle von Favus demonstrirt der Vortragende ein sehr einfaches Verfahren, welches gestattet, auch ganz vereinzelte Favusheerdchen oder solche, welche mitten unter Eezem- Borken sitzend, schwer erkennbar sind, zu unterscheiden. Betupfung mit Alcohol ergiebt eine sointensive, tiefe Gelbfärbung, dass jederzeit Favus-Massen von ähnlich gefärbten, vertrockneten, krustösen Auflagerungen zu unterscheiden sind. d. Endlich wird die bereits vor ca. °/, Jahren vorgestellte Patientin mit Mycosis fungoides wieder vorgestellt; die damals in leidlicbem Zustand befindliche Kranke ist heute sehr viel elender, die Tumoren sind zahlreicher und sehr viel grösser. Zur Zeit wird eine Phosphorkur gemacht, vorläufig ohne sichtbaren Erfolg. 12. Sitzung vom 20. Juni 1890. 1) Vor der Tagesordnung demonstrirt Herr Albert Neisser einen Patienten, welcher eine maculöse Roseola zeigt im Verein mit Urticaria factitia. 2) Darauf demonstrirt Herr Born die nach seinen Original-Modellen, welche nach der Plattenmodellir-Methode hergestellt wurden, von Herrn Ziegler in Freiburg i. Br. gefertigten und in den Handel gebrachten Copien. Im Anschluss hieran erläutert er seine Ansichten über die Ent- wicklung der Ostien und Scheidewände am Herzen, wie sie durch die vorliegende Modellserie verkörpert wird. 3) Herr Hecke spricht: Ueber die operative Entfernung von Hammer und Amboss behufs Heilung gewisser Formen von Eiterung und Caries der Paukenhöhle. Die Paukenhöhle zerfällt in zwei Bestandtheile, das eigentliche Tympanum, das durch das Trommelfell und einen schmalen, ringförmigen Knochenstreifen nach aussen begrenzt wird, und in den sogenannten Recessus epitympanicus. Derselbe schliesst sich an das eigentliche Tympanum nach hinten und oben an. Er zeigt im Frontalschnitt eine laterale, eine mediale und eine obere Wand, von denen die laterale und mediale nach dem eigentlichen Tympanum zu convergiren. Die laterale I. Medicinische Abtheilung. 41 Wand wird von einem Theil des os squamosum gebildet, das als ein Theil des Daches des äusseren knöchernen Gehörgangs beim Erwachsenen sehr dick ist. Die mediale Wand ist eine compacte glatte Knochen- masse, welche Bestandtheile der knöchernen Labyrinthkapsel enthält. Die obere Wand wird durch das Tegmen tympani gebildet, das hier be- sonders dünn ist und häufig Lückenbildungen zeigt. Der Recessus epi- tympanicus geht nach vorn und unten in das Tympanum proprium, nach hinten in die dreiseitige Mündung des Antrum mastoideum über; in ihm liest der Kopf und Hals des Hammers, sowie der Körper und kurze Fortsatz des Amboss. Durch einen complieirten Apparat von Bändern und Schleimhaut- falten wird zwischen Hammerkopf und Ambosskörper einerseits und Schläfenschuppe andererseits ein Raum gebildet, der von der eigentlichen Paukenhöhle bis auf eine kleine Communication abgeschlossen ist, die aber auch pathologisch verschlossen sein kann. Eiterungen in Folge von Caries, die sich in ihm abspielen, führen deshalb selten zum Durchbruch in die Paukenhöhle; es findet sich meist eine Fistel oberhalb des Pro- cessus brevis mallei, die häufig durch eine Granulations-Wucherung ver- stopft ist oder die ganze Membrana Shrapnelli ist zerstört. In anderen Fällen ist der Margo tympanicus in grösserer oder geringerer Ausdehnung durch die caries zerstört, so dass Hammerkopf und Hals frei zu Tage liegt. Hammer und bisweilen der Amboss wird in gleicher Weise von der Caries befallen, der Hammer meist zuerst über der Crista des Halses, später erst der Kopf. Am längsten bleiben die Gelenkflächen verschont. Der meist auch spät erst erkrankte Amboss wird an der lateralen Seite des Körpers gewöhnlich befallen. Die Diagnose wird durch die Sonden-Untersuchung begründet; man gelangt mit einer winklig gebogenen Sonde nicht nach vorn und innen, sondern nach Innen-hinten und nach Oben-aussen von der Perforations- Öeffnung in einen cariösen über dem Gehörgang liegenden Raum. Die eigentliche Paukenhöhle ist selten von dem Krankheitsprocess befallen; man hört bei Catheterismus tubae fast nie ein Perforations-Geräusch — wieder ein Beweis, dass der pathologische Vorgang in einem meist voll- ständig von der Paukenhöhle abgeschlossenen Raum verläuft. Bei ungünstigen Verhältnissen und kleiner Abflussöffnung in der Shrapnell’schen Membran ist durch die Eindieckung von Eiter mit ihren Folgen die Entstehung des Cholesteatoms sehr begünstigt. Die Prognose ist meist eine dubia zu nennen; bei Verlegung der Perforations-Oeffnung durch Granulations-Wucherungen und dadurch be- wirkte Eiterverhaltung kann sich der Process auf das äusserst dünne, häufig durchbrochene Tegmen tympani fortpflanzen und zu schweren Folgen im Gehirn führen. Auch bei leichteren Fällen treten häufig Kopfschmerzen, leichte Schwindelanfälle ein. Die Caries kann auch auf 43 Jahresbericht der Schles. Gesellschatt für vaterl. Cultur. das Antrum mastoideum und den Warzenfortsatz übergreifen und dort grössere Zerstörungen herbeiführen. Die Therapie muss sich darauf erstrecken, alle kranken Theile zu entfernen, sowie dem Eiter freien Abfluss zu verschaffen. Dies geschieht am besten durch die operative Entfernung des Hammers und meist auch des Amboss. Die Operation wird in der Weise ausgeführt, dass zuerst das Trommelfell rings umschnitten, dann die Tensorsehne durch ein Tenotom und die Verbindung zwischen Amboss und Steigbügel vor- sichtig durchtrennt wird — letzteres, um bei der Extraction von Hammer und Amboss den Steigbügel nicht zu beschädigen. Das abgelöste und freibewegliche Trommelfell mit dem Hammerzriff wird nun durch die Wilde’sche Schlinge gefasst und in Verbindung mit dem Hammer ex- trahirt. Schwieriger ist die Entfernung des Amboss, der ja dem Auge nicht sichtbar ist; dieselbe erfolgt durch ein kleines, winklig gebogenes Häkchen. Der Margo tympanicus wird durch einen kleinen scharfen Löffel zum Schluss abgekratzt. Die Operation wird durch eine sehr starke Blutung meist erheblich verzögert. Die Nachbehandlung muss nach streng chirurgischen Grundsätzen stattfinden und dauert meist mehrere Wochen und Monate. 13. Sitzung vom 11. Juli 1890. 1) Herr Partsch macht die Demonstration eines Falles von traumatischem Gaumendefect, geheilt durch zweizeitige Uranoplastik. Die Resultate der Uranoplastik fallen deshalb häufig nicht zufrieden- stellend aus, weil die mucös-periostalen Lappen nach ihrer Vereinigung durch die Nath an umschriebenen Stellen brandig absterben und dadurch die prima reunio vereitelt wird. Desto eher tritt dieser Uebelstand ein, je stärker bereits durch vorhergehende Erkrankungen, Geschwürs- und Narbenbildungen die Blutversorgung der Schleimhaut beeinträchtigt wird, Die gleichzeitige Ablösung der Lappen von ihrer Unterlage, ihre An- frischung und sofortige Vereinigung durch die Naht setzt eine zu be- trächtliche Störung der Circulation in den Lappen, als dass sie ohne nachhaltigen Schaden ertragen werden könnte. Nach dem Vorschlage J. Wolff’s umgeht man diesen Uebelstand am besten dadurch, dass man die Operation zweizeitig ausführt, die abgelösten mueös - periostalen Lappen erst dann durch die Naht aneinander bringt, wenn man ihnen Zeit gegönnt, sich von der Ablösung von dem harten Gaumen und mit der damit verbundenen Zerreissung von Ernährungsbahnen zu erholen und sich aus den an dem vordern und hintern Ende des Lappens ein- tretenden Gefässen genügend mit Blut zu versorgen. I. Medieinische Abtheiluug. 43 Auf diese Weise verbessert man die Aussicht auf eine gute primäre Vereinigung der anzulegenden Anfrischungsflächen sehr wesentlich. Es ermöglicht die Methode, nicht nur die abgelösten Lappen durch unter- geschobene Gazetampons allmählich so zu nähern, dass die Nähte ohne Spannung angelegt werden können, sondern sie gestattet auch, dass die Reinigung der Ablösungsflächen und eine Besetzung derselben mit guten Granulationen erfolgt, ohne dass durch die damit verbundene gesteigerte Wundsecretabsonderung die prima reunio der Anfrischung des Defectes ge- stört wird. Ein nicht zu unterschätzender Vortheil entspringt auch daraus, dass man die Änfrischung des Defectes, auf deren sorgfältiger Ausführung nicht zum kleinsten Theil der gute Erfolg beruht, vornehmen kann, ohne Behinderung durch Blutung, die selbst bei systematischer Compression doch noch von den Ablösungsflächen zu kommen pflegt. Dass man auf diese Weise selbst in schweren Fällen noch recht gute Erfolge erzielen kann, zeigt der vorgestellte Fall. Er betrifft einen 57 jährigen Patienten, der eine complieirte Comminutivfraetur des rechten Öberkiefers erlitten hat. Im September 1839 wurde dem Patienten bei seiner Arbeit als Schindelschneider von der Maschine ein Schindelstück so gegen den rechten Oberkiefer geschleudert, dass es dieht neben dem rechten Nasenflügel die Vorderwand des Knochens durchschlug, durch den harten Gaumen bis in die Mundhöhle drang und auch den weichen Gaumen verletzte. Patient bot sofort nach der Verletzung die Zeichen der Gehirnerschütterung, erholte sich aber aus derselben und machte ein mehrwöchentliches Krankenlager durch, von dem er nur anzugeben weiss, dass er längere Zeit sehr hoch gefiebert, wiederholt delirirt hat. In ein Krankenhaus überführt, wurden ihm ungefähr sechs Wochen nach der Verletzung sechs Knochensplitter vom Munde aus entfernt, Die Ver- letzung heilte aus mit einem Defeet des Alveolarfortsatzes des rechten Öberkiefers, sowie mit einem längsovalen Substanzverlust im harten und einem Defeet im weichen Gaumen. Wiederholte Versuche, durch Öbturatoren den Gaumendefect zu decken, scheiterten einerseits daran, dass der des rechten Alveolarfortsatzes und sämmtlicher Zähne bis auf den linken Eckzahn entbehrende Oberkiefer keinen rechten Halt für die Prothese bot, andererseits besonders daran, dass die von zahlreichen Narben durchsetzte und durch den Narbenzug verdünnte Schleimhaut des Gaumens den Druck des Obturators nicht ertrug. Als mir Anfang Juni 1890 der Patient zur Behandlung überwiesen wurde, zeigte er ausser einer strahligen Narbe auf der Vorderfläche der rechten Wange bis an die Wurzel des rechten Nasenflügels heranreichend, zum Theil auf die Oberlippe übergreifend, schon bei der äussern Be- trachtung, namentlich bei einer Blickrichtung von der Stirn nach dem Kinn, ein deutliches Eingesunkensein des rechten Oberkiefers. Dasselbe betraf nicht nur die Facialwand desselben; auch die Scheidewand zwischen 44 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Kiefer- und Nasenhöhle war medianwärts verschoben und dem nach links ausgebogenen Septum so nahe gerückt, dass der rechte Nasengang verengt war und den Luftstrom nur schwer passiren liess. Ohne Obtu- rator sprach Patient fast ganz unverständlich. Ein Schluck Wasser in den Mund gebracht, kam fast vollständig wieder zum rechten Nasenloch zurück. Der eingelegte Obturator sass nicht fest, sondern bewegte sich auf und ab, so dass ihn Patient zum Beissen gar nicht, zum Sprechen nur schlecht verwenden konnte. Bei geöffnetem Munde gewahrt man einen bis auf den linken Eck- zahn zahnlosen Oberkiefer. Seine rechte Hälfte entbehrt des Alveolar- fortsatzes fast ganz. Derselbe ist durch einen wenig sich erhebenden Wall angedeutet, über welchen sich die Schleimhaut vom Gaumen auf die Wange überschlägt. Dicht hinter dem vorderen Rande des Öber- kiefers findet sich etwas rechts von der Mittellinie ein 2 cm langer,, 1,5 em breiter Spalt, durch welchen die rechte untere Nasenmuschel in die Mundhöhle sieht. Die den Spalt umrahmende Schleimhaut ist dünn und zart. Die Ränder des Spaltes stehen nicht in derselben Höhe; der rechte ist steil aufwärts gezogen nach der Nasenhöhle zu, während der linke horizontal gerichtet ist. Die Schleimhaut in der Umgebung des Defectes weist zahlreiche, von dem Defect aus strahlig sich verbreitende Narbenzüge auf, die sich in den weichen Gaumen hinein fortsetzen. Der Defeet rückt mit seinem vorderen Ende bis auf 0,5 cm an den vorderen Rand des Oberkiefers heran. In der rechten Hälfte des weichen Gaumens fehlt ein keilförmiges Stück von 1,5 em Höhe und 0,5 cm Basisbreite. Der rechte Rand der Uvula setzt sich in den linken Rand des Defectes fort. Auch in der Nähe dieses Defectes ist die Schleimhaut narbig verändert. Um die Bedeutung dieses Defectes für den Patienten zu prüfen, verlegte ich temporär mit einem dünnen Blatt Papier die Oeffnung im harten Gaumen. Sofort sprach Patient vernehmlich und verständlich, Flüssigkeiten schluckte er ohne jedes Regurgitiren, so dass der Defeet im weichen Gaumen keine wesentliche Störung zu machen schien. Die Ernährung des Patienten hat sowohl durch das Krankenlager wie durch die mangelhafte Speiseaufnahme so beträchtlich gelitten, dass er seit der Verletzung 27 Pfd. abgenommen hat. Die übrigen Organe des Patienten sind gesund und weisen keine krankhaften Störungen auf. Nur klagt Patient darüber, dass er seit der Verletzung wiederholt heftige, mehrere Tage dauernde Anfälle von Hemicranie, die sich gewöhnlich bis zum Erbrechen steigern, habe durchmachen müssen. Nach gründlicher Reinigung des Mundes durch Bürsten und Aus- spülungen nahm ich am 14. Juni in Morphium-Chloroform-Narkose, die Patient aber sehr schlecht vertrug, bei herabhängendem Kopfe die Ab- lösung der mucös-periostalen Lappen vor. Dieselbe stiess dadurch auf I. Medicinische Abtheilung. 45 Schwierigkeiten, dass die Schleimhaut durch die vielen Narbenzüge fest verwachsen und brüchig war, und andrerseits durch die Verwerfung der Ränder des Defectes die Aneinanderlagerung der Schleimhautlappen wegen der starken Drehung, welche der rechte Lappen erfahren musste, nur mühsam gelang. Bei Ablösung des linken Lappens trat aus der Mitte des Lappens eine beträchtliche arterielle Blutung auf, welche auf Compression aber stand. Durch untergeschobene Jodoformgazetampons wurden nach gründlicher Säuberung der Mund- und Nasenhöhle durch Salieyllösung die Lappen in geeigneter Stellung erhalten. Der rechte Lappen wunde ungefähr in der Mitte oberflächlich gangränös. Sonst vertrug Patient die Operation recht gut, und die Lappen zeigten keine wesentliche Schwellung. Eine Stütznaht war nicht nöthig. Am 22. Juni wurde unter Cocainanästhesie bei Morphinisirung des Patienten die An- frischung und Naht vorgenommen. Die Anfrischung war besonders rechterseits, wo der Lappen stark abwärts gedreht werden musste, schwer. 5 Nähte vereinigten die Ränder des Defectes. Die Heilung erfolgte fast in der ganzen Ausdehnung per primam. Nur am rechten Wundrande kam entsprechend der Stelle, welche schon bei der Ablösung oberfläch- lich gangräneseirte, eine kleine Randgangrän zu Stande, welche jedoch so beschränkt blieb, dass ungefähr in der Mitte der lineär verheilten Narbe eine stecknadelkopfgrosse, vorläufig mit granulirenden Rändern besetzte Fistelöffnung zurückblieb, welche bei der Demonstration noch bestand, inzwischen aber völligt verheilt ist. Der Kranke wird vorläufig entlassen, da der Zahnersatz erst nach vollständiger Abschwellung der Gaumenschleimhaut gefertigt werden soll. 2) Herr Jadassohn stellt einen Patienten mit einem Primäraffeet an der linken Tonsille vor. Der Patient, ein 28jähriger Schuhmacher aus der Nähe von Breslau, war im Maid. J. wegen einer Gonorrhoe in der Behandlung der Derma- tologischen Klinik gewesen; damals war weder an Genitalien noch sonstwo irgend eine Spur von Syphilis an ihm zu entdecken. Nach Heilung der Gonorrhoe blieb er fort und stellte sich erst vor wenigen Tagen wieder vor — er klagte über Brennen und Jucken am Serotum, und die Inspection ergab, dass dort und auf der Haut des Penis eine Anzahl ganz frischer und charakteristischer, leicht nässender syphilitischer Papeln vorhanden war. Der Rumpf war übersät mit einer etwas gross- fleekigen Roseola von ebenfalls unzweifelhaft syphilitischer Provenienz — aber weder war am Penis ein Primäraffeet oder der Rest eines solchen zu constatiren (was man bei einem bisher unbehandelten Patienten mit einer so frischen Lues hätte erwarten dürfen), noch waren die Inguinaldrüsen in der charakteristischen Weise — ,„regionäre Poly- 46 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. und Scleradenitis‘ —- vergrössert. Dagegen fiel sofort, als sich die Untersuchung der Mundhöhle zuwandte, ein dickes Drüsenpacket am linken Unterkieferwinkel auf, welches diese ganze Gegend in weithin sichtbarer Weise hervortreten liess. Auf der Wangenschleimhaut fand sich reehts eine unscheinbare Plaque umqueuse — aber die Lippen, wie die ganze vordere Mundhöhle wiesen keine Stelle auf, die als Primär- affect hätte gedeutet werden können. Die linke Tonsille war leicht ge- schwollen und geröthet, und man konnte ohne Weiteres erkennen, dass dieselbe der Sitz eines — von vorn gleichsam in Profilansicht erscheinen- den — Geschwüres war. In seinem ganzen Umfange konnte man sich das letztere nur durch Beleuchtung mittels des Kehlkopfspiegels zu Ge- sicht bringen; man sah dann, dass die ganze innere, der Uvula zu- gewandte Seite der Tonsille, sowie ihr hinterer Abhang mit dem vorderen Rande des hinteren Gaumenbogens der Sitz eines recht tiefen, schmierig belegten Geschwüres mit scharfem und unregelmässigem, stark hervor- springendem Rande war, bei dessen Palpation man das Gefühl der ganz charakteristischen, specifischen Induration hatte. — Die rechte 'Tonsille war normal. — Die Anamnese ergab noch, dass der Patient erst seit etwa 8 Tagen Beschwerden beim Schlingen und zu gleicher Zeit das Jucken an den Genitalien bemerkt habe. Einer geschlechtlichen Ansteckung hat sich der Patient während der letzten Monate nur einmal und zwar vor etwa 6 Wochen ausgesetzt. Von ähnlichen Erkrankungen unter seinen Hausgenossen weiss er nichts zu melden. Der Vortragende begründet nun seine Anschauung, dass das be- schriebene Tonsillargeschwür den Primäraffeet, die Eingangspforte des syphilitischen Virus bei dem vorgestellten Patienten bilde. In erster Linie und eigentlich schon ausschlaggebend spricht dafür das Aussehen des Uleus, welches vollständig übereinstimmt mit den in der Literatur niedergelegten Beschreibungen von Tonsillarschankern und auch — mutatis mutandis — die bekannten Charakteristika der Sclerosen auf der äusseren Bedeckung aufweist; der harte erhabene Rand ist beiden gemein- schaftlich, der Grund allerdings auf der Tonsille tiefer und etwas mehr _ zerfressen, aber das hängt mit den Eigenthümlichkeiten der Localisation zusammen — exulcerirte Plaques nebmen kaum je diese Gestalt an. Dazu kommt in zweiter Reihe die ganz charakteristische Anschwellung der zu der Tonsille gehörigen regionären Lymphdrüsen, welche uns ja immer — besonders auch bei extragenitalen Sclerosen — gleichsam als Wegweiser zum Auffinden der Sclerosen oder ihrer Spuren dienen, und endlich ist auch das vollständige Fehlen eines Primäraffeetes und einer charakteristischen Drüsenschwellung an den Genitalien für die Diagnose des Tonsillarschankers zu verwerthen. I. Medicinische Abtheilung. 47 Während also die Diagnose ganz sicher ist, hat sich über das Zu- standekommen der Infection an dieser aussergewöhnlichen Stelle gar nichts eruiren lassen, so dass der Fall unter die leider allzugrosse Zahl von Infeetionen zu rubrieiren ist, bei welchen die Syphilis — abseits von ihren gewöhnlichen Wegen — in einer im Einzelnen nicht mehr verfolgbaren Weise ihren Eingang in den Organismus findet. Unter den extragenitalen Schankern, welche in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern im Allgemeinen relativ selten sind, nehmen — wie der Vortragende zum Schluss noch ausführt — die Tonsillar- schanker eine ganz besondere Stellung ein. Sie sind in Deutschland im Ganzen nur wenig beachtet und beschrieben worden, während neben der französischen vor allem die norwegische und die russische Literatur sehr reich an hierher gehörigen Publicationen ist. Zum Theil liegt das zweifellos an socialen Verhältnissen, zum Theil an der Häufigkeit sexueller Perversitäten, zum Theil aber — und das trifft besonders für Norwegen zu — an der Aufmerksamkeit, welche seitens der Aerzte dieser Locali- sation der Primäraffeete geschenkt wird. Vor Allem Böck ist es ge- wesen, der die Häufiskeit dieser Art der Infeetion betont und gemeint hat, dass ein grosser Theil der als „Syphilis d’emblee‘“ bezeichneten Fälle hierher gehöre. Aus statistischen Zusammenstellungen, mit welchen sich besonders russische Autoren beschäftigt haben, geht hervor, dass in der Häufigkeits- scala der extragenitalen Sclerosen die der Tonsillen eine sehr hohe Stelle einnehmen — so hat z. B. Pospelow unter 198 innerhalb 10 Jahre in Moskau beobachteten extragenitalen Sclerosen 49 an den Lippen, 46 im Rachen und von den letzteren nur 2 nicht primär an den Tonsillen localisirte, dagegen nur 3 an der Zunge, 1 am Zahnfleisch ge- funden. Da es aber doch zweifellos ist, dass die vorderen Theile der Mund- höhle weit häufiger -der unmittelbaren Gefahr, mit Syphilis infieirt zu werden, ausgesetzt sind, so müssten die Tonsillen aus anderen Gründen einen derartigen Prädilectionssitz bilden — denn eine direkte Infection, wie sie am häufigsten noch durch ärztliche Instrumente, bei der Kathe- terisation der Tuba Eustachii ete. zustande kommt, ist doch ein immer- hin recht seltenes Ereigniss. In den meisten Fällen handelt es sich nur um die Möglichkeit einer indireeten Uebertragung des Virus auf die Tonsillen, so z, B. beim ‚„Päppeln‘‘ der Kinder, bei vielfachen Infectionen durch Handwerks- oder Essgeräthe ete., bei denen allen der Ansteckungs- stoff selbst doch nur in die vorderen Theile der Mundhöhle deponirt wird. Pospelow hat gemeint, dass das syphilitische Contagium beim Schluckaet in die Lacunen der Tonsillen hineingepresst werde, dort liegen bleibe und „beim Ausbruch einer lacunären Angina oder bei mechanischer Desquamation der Hornschicht zu Tage trete‘ — während 48 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. “es von der glatten Oberfläche der Mundhöhlenschleimhaut zu rasch hin- weggespült werde, um hier eine Infection zu bedingen. Zu dieser Er- klärung Pospelow’s meint der Vortragende, dass, während die Frage, ob beim Schluckaet wirklich Speisereste in die Tonsillen hineingepresst werden, offen zu lassen sei, das Eine gewiss zugegeben werden müsse, dass die unebenen, vielfach zerklüfteten Oberflächen der Tonsillen zum Haftenbleiben des Ansteckungsstoffes die beste Gelegenheit gäben. Dass der letztere aber dort unthätig liegen bleibe, bis ihm nur gelegent- lich der Weg in den Organismus eröffnet werde, das erscheint a priori sehr unwahrscheinlich; vielmehr ist hier an eine andere Erfahrung zu erinnern, deren Kenntniss wir wesentlich Stöhr verdanken. Während nämlich die Mundhöhle überall mit einem festgeschlossenen geschichteten Pilasterepithel bedeckt ist, findet nach Stöhr’s Untersuchungen über den Balgdrüsen und vor Allem an der Oberfläche der Tonsillen eine fortwährende Auswanderung von Leucocyten statt; dadurch wird das Epithel von einer grossen Anzahl von, wenn auch mikroskopisch feinen, Gängen durchzogen, so dass es stellenweise förmlich wie durchlöchert aussieht. Ein festgeschlossenes Epithel bildet auf der Schleimhaut, wie auf der äusseren Haut einen sehr wirksamen Schutz gegen die Invasion von Mikroorganismen — einen Schutz, der nur durch energische mechanische Mittel, wie durch intensives Einreiben (was doch hier gewiss nicht in Frage kommt) überwunden werden kann. Diesen natürlichen Schutz be- sitzt die vordere Mundhöhle, den Tonsillen aber fehlt er, da ihr Epithel auch normalerweise massenhaft Lücken enthält. Durch diese können also die Syphilisbaeillen, wie viele andere Infeetionserreger, unmittelbar in das Gewebe eindringen; hier bedarf es nicht wie sonst zufälliger Läsionen, um die Ansiedelung und Propagation der Bacterien zu ermög- lichen. So kommen denn an den Tonsillen Unebenheit der Oberfläche und Discontinuität der Epithelialbekleidung zusammen und vermögen die Häufigkeit der Tonsillarinfeetionen gegenüber der Seltenheit von Primäraffeeten in den anderen Theilen der Mundrachenhöhle ausreichend zu erklären. Weit grösser aber als das theoretische ist das praktische Interesse, welches die Tonsillarinfeetionen darbieten: weil sie so oft und so lange unentdeckt oder unerkannt bleiben, bieten sie einmal eine eminente Ge- fahr für die Uebertragung der Syphilis im häuslichen Leben; dann aber sind sie auch für den Erkrankten selbst von grösserer Bedeutung als anders localisirte Selerosen. Denn ganz abgesehen von den oft recht bedeuten- den Beschwerden, die sie verursachen, wird eine mit einem Tonsillar- uleus anhebende Syphilis nur allzuhäufig lange verkannt; die beste Zeit für die Behandlung kann verloren gehen, die grade bei luötischen Affectionen oft so wichtige Anamnese wird unklar. Und endlich ist die Differentialdiagnose besonders gegenüber malignen Tumoren häufig recht sehlesische Gesellschaft für vaterländische Gultur. pa IWRTTEITG) 68. 1. Jahresbericht. Medieinische 1890. Abtheilung. @,e le 4 Fa ee Ru schwierig; der Arzt, welcher an Lues denkt, glaubt oft, diese durch den negativen Erfolg einer Jodkalitherapie ausschliessen zu können — Jod- kali aber richtet gegen einen Primäraffeet gar nichts aus — und so können wenn die Allgemeinerscheinungen übersehen werden oder spät auf- treten, auf Grund eines solchen diagnostischen Irrthums selbst lebens- gefährliche Operationen ausgeführt werden. 3) Herr von Krzywicki demonstrirt kurz das frische Präparat eines Krebses beider Schilddrüsenlappen. Der vorliegende Tumor ist nicht nur durch seinen sehr bedeutenden Umfang und die be- ginnende Verwachsung mit der äusseren Haut bemerkenswerth, sondern auch dadurch, dass die Lungen und Pleuren von zahllosen Metastasen durchsetzt sind. Als Grund der letzteren lässt sich mit seltener An- schaulichkeit eine Verwachsung der Wand der Vena jugularis interna mit der speckigen Gewebsmasse der Neubildung, an mehreren Stellen auch ein Hineinwuchern der letzteren in die Lichtung des Gefässes nachweisen, 4) Herr Malachowski spricht über: Einen verbesserten Apparat zur Punktion der Pleura. Der von dem Vortragenden demonstrirte Apparat lehnt sich zwar an den von Fürbringer in der Berl. kl. Wochenschr. 1888 beschriebenen an, stellt aber insofern eine wesentliche Verbesserung desselben dar, als das Exsudat dabei nicht mit irgend einer mechanischen Vorrichtung (Spritze ete.), sondern mit dem Munde angesaugt wird. Letzteres hält M, für einen unleugbaren Fortschritt, der noch nicht genügend gewürdigt werde. Indess auch abgesehen hiervon ist der F.’sche Apparat noch unhandlich, weil zu viel mit einem Quetschhahn manipulirt werden muss. Bei diesen Manipulationen ist allerdings die Möglichkeit, dass Luft in den Thorax angesaugt wird (bei negativem Druck), ausgeschlossen, wohl aber kann die schon aspirirte Flüssigkeit wieder zurücktreten. Dies giebt F. selbst zu, glaubt jedoch, dass das gleichgiltig sei, wenn man das Exsudat in eine „antiseptische‘“ Flüssigkeit aspirirt habe (1—2 pCt. Borsäure). Indessen hat Redner einen Fall beobachtet, bei dem entleertes Exsudat wieder in den Thorax angesaugt wurde und trotz sofort wiederholter Entleerung das im Thorax verbliebene Exsudat eitrig wurde. Demnach ist der Rückfluss selbst unter Beobachtung obiger ‚‚ÄAntisepsis“ nicht stets gefahrlos und muss desshalb streng vermieden werden. 50 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. M. hat, um dies zu erreichen und zugleich den Quetschhahn über- flüssig zu machen, ein Ventil in den Schlauch eingeschaltet, welcher Troieart und Auffangegefäss verbindet. Das Ventil besteht aus einem Säckchen von rothem Gummischlauch von ca. 3'), mm lichter Weite, dessen geschlossenes Ende schlitzförmig gespalten ist. Mit seinem offenen Ende ist es auf ein kurzes Glasrohr gestülpt und mit diesem in ein zweites ampullenförmig erweitertes Glasrohr eingefügt, so dass das ge- schlitzte Ende, ohne die Wand zu berühren, in der Ampulle liegt. Der ganze Apparat besteht aus einer Flasche mit doppelt durchbohrtem Gummipfropfen. Durch letzteren gehen zwei winklich gebogene Glas- röhren, von denen die eine dicht unterhalb des Gummipfropfens mündet. Ihr oberes Ende ist mit einem Schlauch armirt („Luftrohr‘‘). Das andere Winkelrohr reicht innerhalb der Flasche vermittelst eines Schlauch- stückes bis auf den Boden der Flasche. Ihr oberes Ende ist ebenfalls mit einem Schlauch armirt (,„Flüssigkeitsrohr‘), der nahe seinem oberen Ende unterbrochen ist durch das in ihn eingeschaltete, oben beschriebene Ventil. Dieses ‚„Flüssigkeitsrohr‘‘ trägt den Troicart. Soll der Apparat gebraucht werden, so wird zunächst Troicart. Flüssigkeitsrohr und Flasche durch Ansaugen mit etwas antiseptischer Flüssigkeit gefüllt (dieselbe kann des Ventils wegen nicht wieder aus dem Schlauch zurücktreten), sodann der Troicart eingestossen, das Stilet zurückgezogen und der Hahn des Troiearts geschlossen. Steht das Exsudat unter positivem Druck, so fliesst es sofort in eontinuirlichem Strome durch das Ventil in die Flasche. Herrscht negativer Druck, so muss das Exsudat durch Ansaugen an dem Luftrohr entleert werden. Ist das Auffangegefäss gefüllt, so wird der Pfropfen ohne weitere Vorsicht gelüftet, und die Flasche geleert. Soll die Operation beendet werden so wird ebenfalls ohne jede weitere Vorsichtsmaassregel der Troicart herausgezogen. In jedem Augenblick verhindert das Ventil das Rückströmen von Flüssigkeit. Es ist somit die Handhabung des Apparates die denkbar einfachste und sicherste. Der Apparat arbeitet sicherer als der F.’sche, leistet alles, was jeder bekannte Apparat leistet, ja nach mehr als alle bis- herigen, wie Redner an einem von ihm beobachteten Fall auseinandersetzt. Sodann demonstrirt M., dass das Ventil sich schon durch den Druck von 3—4 Tropfen Flüssigkeit öffnet, und dass es ferner trotz sehr starken negativen Druckes keinen Tropfen Flüssigkeit oder Luft zurücktreten lässt. Als Troicart benutzt M. den von dem Potain’schen Apparat her bekannten, dem er aus vielen Gründen den Vorzug giebt vor einem derart einfachen Troicart, wie ihn Fürbringer anwendet. Mit Rücksicht auf die Praxis ist der Gummipfropfen so gewählt, dass er auf jede Bier- flasche passt, so dass man nicht genöthigt ist, eine Flasche zur Operation mitzunehmen. Man kann den ganzen Apparat bequem in der Tasche mit sich führen, da er verpackt kaum mehr Platz einnimmt, als z. B. eine I. Medieinische Abtheilung. 51 kleine Verbandtasche. Der Preis ist möglichst gering. Er wird von der Firma Hermann Härtel mit einem Reserveventil ohne Troicart für 2,75 Mark geliefert, ein Potain’scher Troicart dazu, der auch durch jeden billigeren ersetzt werden kann, für 3 Mark. Zum Schluss spricht M. über den Zeitpunkt, in dem die Operation gemacht werden soll. Er spricht sich, abweichend von den allgemein angenommenen Vorschriften, dahin aus, dass man stets möglichst zeitig punktiren soll, wenn man dadurch auch denselben Fall wegen Wieder- ansammlung des Exsudates öfters operiren muss. Nur so könne man in jedem Falle wirksam den Folgen der Pleuritis (Compression der Lunge, starke Schwartenbildung ete.) vorbeugen. 5) Herr C. $S. Freund schildert: Einen Fall einer bisher nicht beschriebenen Form von Nystagmus. Kurz nach Pfingsten 1889, nach halbjähriger militärischer Dienstzeit, erwachte der bisher stets gesunde, 20jährige Patient am Morgen nach einer sehr anstrengenden Felddienstübung mit einem heftigen Zittern beider Augäpfel, welches begleitet war von starkem Augenflimmern mit Scheinbewegungen der umgebenden Gegenstände, sowie von Schmerzen „hinter“ beiden Augen. Ausserdem bemerkte er eine Abschwächung des Sehvermögens auf beiden Augen. Wegen des unveränderten Andauerns dieser Beschwerden — nur die Schmerzen ‚hinter‘ den Augen waren im Laufe von acht Wochen geschwunden — wurde Patient nach mehr- monatlichem Lazarethaufenthalte Ende October 1889 aus dem Militär- dienste entlassen. Mitte November gelangte er in die Beobachtung des Vortragenden und bot hinsichtlich seines Nystagmus folgendes Bild dar. Beide Bulbi bewegen sich in horizontaler Richtung hin und her in so zahlreichen kleinen Schwingungen, dass deren Frequenz nicht zählbar ist und es aussieht, als „zittern“ die Augen. Es besteht kein Hippus. Ohne Weiteres tritt keine Pause im Nystagmus ein; die Bewegungen scheinen andauernd an Schnelligkeit und Ausdehnung sich gleichzubleiben. Indessen wird ihre Frequenz wesentlich herabgesetzt in den seitlichen Endstellungen und bei Convergenzbewegungen. Eine sofortige Pause im Nystagmus tritt ein beim monocularen Sehacte. Der offne Bulbus zeigt dann auch nicht die geringste Spur von Spontanbewegungen. Im Mo- mente aber, in welchem beide Augen geöffnet sind, stellt sich das frühere Zittern sofort ein. In den seitlichen Endstellungen machen sich langsame, nystagmusartige Zuckungen und zwar nicht in horizontaler, sondern in verticaler Richtung geltend. Nebenbei tritt in kurzen Inter- vallen von 1—2 Secunden ein sehr schnelles, kurz andauerndes Vibriren an den oberen Augenlidern auf, also ein intermittirender, klonischer Blepharospasmus, welcher beim monocularen Sehacte und beim festen AF 59) Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Zukneifen der Augen sistirt, bei leichtem Augenschluss hingegen in ein andauerndes schnelles Zucken übergeht. — Während des mono- cularen Sehactes cessiren auch das Augenflimmern und die Scheinbe- wegungen der umgebenden Gegenstände. Im Uebrigen besteht normaler Augenbefund. Nur ist am rechten Auge 8 ?%,,0, Hyperm. 2,5 D., am linken Auge S ?°/,,, Hyperm. 3 D. Die Sehschwäche auf dem rechten Auge soll sich bereits drei Monate vor dem Nystagmus entwickelt haben. Eigenthümlich war das Verhalten des Nystagmus gegen den gal- vanischen Strom, Durch Kopfgalvanisation (an Stirn, Nacken, 4 bis 6 M., Aug. 5 Min.) wurde schon in der ersten elektrischen Sitzung eine wesentliche Verminderung und nach einer 2—5 wöchentlichen täg- lichen elektrischen Behandlung eine Heilung des N. erzielt. Der geschilderte Nystagmus ist — wegen der undulirenden Be- wegungen der Bulbi nach beiden Richtungen von einem Ruhepunkte aus — als ein sogenannter eigentlicher Nystagmus anzusehen. Er unterscheidet sich — wie Vortragender eingehend erörtert — von den sonstigen Formen von eigentlichem Nystagmus, speciell von dem bei multipler Sklerose beobachteten, für welche Krankheit sich im vor- liegenden Falle ebensowenig ein charakteristisches Symptom nachweisen lässt, wie für irgend eines derjenigen Leiden, bei welchen bisher nach der Literatur Nystagmus angetroffen worden ist. Das Cessiren des Nystagmus beim monocularen Sehaete ist — nach dem Wissen des Vor- tragenden — bei anderen Formen von Nystagmus ebensowenig be- schrieben worden, wie intermittirender, klonischer Blepharospasmus. Als Grundkrankheit in unserem Falle glaubt Vortr. einen Morbus Basedowi annehmen zu dürfen, insofern folgende Symptome nachweis- bar sind: Struma, Beschleunigung der Pulsfrequenz, Arythmie und zeitweiliges Aussetzen des Herzschlages, Anomalien der Schweisssecretion und typische, profuse, ohne Koliken verlaufende Diarrhoeen. Im Weiteren bemüht sich Vortr. den Nystagmus ebenso wie ein am rechten Auge nachgewiesenes relatives Skotom für Roth als Symptome der Basedow’schen Krankheit hinzustellen. Die bis- herige Litteratur kennt allerdings nur einen Fall von Morbus Basedowi mit Nystagmus — 1875 von Bramwell beschrieben — und der in diesem Falle beobachtete Nystagmus gleicht hinsichtlich seiner Form in keiner Weise dem unsrigen, das Vorkommen von Scotom bei dieser Krankheit ist von anderer Seite noch garnicht mitgetheilt worden — indessen drängt der weitere Verlauf unseres Falles zu obiger Annahme. Nach der Beseitigung des Nystagmus klingen nämlich auch allmählich die anderen genannten Symptome ab, darunter auch das Skotom. Augen- blicklich bestehen die Erscheinungen von Seiten des Herzens und die Struma nur noch in sehr geringem Grade. — I. Medicinische Abtheilung. 98 Hierauf zieht Vortr. eine Parallele zwischen dem Nystagmus und dem im vorliegenden Falle übrigens nicht vorhandenen, sonst bei Morbus Basedowi häufig anzutreffenden Marie’schen Symptome, dem Zittern der Extremitäten, das sich ebenfalls durch die Gleichmässigkeit und überaus hohe Frequenz seiner Schwingungen vor anderen Formen des Zitterns auszeichnet. — Schliesslich führt der Vortr. die Gründe an, welche ihn veranlassen, als voraussichtlichen Sitz der Krankheit, insbesondere des Nystagmus, die Kernregion der Medulla oblongata anzunehmen. — (Der Fall wird demnächst ausführlich veröffentlicht werden), 14. Sitzung vom 18. Juli 1890. 1) Herr Richard Kayser demonstrirt einige rhinologische Gegen- stände: a. Apfelgrosser Tumor aus dem Nasenrachenraum, fibröser Polyp. Der Tumor stammt von einem 23jährigen Mädchen, das ausser der gewöhnlichen Beschwerde der Nasen-Verstopfung vom Munde aus eine glatte, runde Geschwulst im Rachen sehen liess. Die rhinoskopische und digitale Untersuchung ergab, dass der Tumor mit einem dicken Stiel aus dem mittleren Nasengang der linken Seite entsprang. Die operative Entfernung geschah mit der Schlingenschnur von der Nase aus. Nach- dem die Schlinge durch den unteren Nasengang in den Nasenrachenraum geführt war, hielt ein Gehilfe den Schlingenfuss, und die Schlinge wurde unter Leitung des Fingers mit einer Kehlkopfpincette über die Circum- ferenz des Tumors geschoben bis an den Stiel, dann galvanokaustisch durchgebrannt, der Stiel in den nächsten Tagen noch völlig zerstört und die Kranke geheilt entlassen. b. Ein Zahn aus der Nase. Derselbe wurde aus der linken Nase eines 15jährigen Mädchens entfernt, welche seit mehreren Jahren einen übelriechenden Ausfluss aus der Nase und Verstopfung derselben hatte. Die Untersuchung ergab Schwellung der Schleimhaut mit granulösen Wucherungen in der linken Nase, und die Sonde stiess auf rauhen Knochen. Es wurde erst ein necrotisches Knochenstück entfernt. Dahinter aber zeigte sich ein weiss- licher Körper, der extrahirt wurde und sich als ein mehrfach incrustirter, kindlicher Schneidezahn erwies. Es trat vollkommene Heilung ein, nur blieb eine Perforation an der Grenze des knöchernen und knorpligen Septum narium zurück. Es ist wahrscheinlich, dass der Zahn vor Jahren in die Nase als Fremdkörper hineingesteckt wurde, möglicherweise auch in den Rachen gekommen und durch Brechbewegung in die Nase gelangt ist. Dass er 54 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. in die Nase hineingewachsen sei, erscheint, da er ganz locker dalag, kaum annehmbar. c. Einsenkung des Nasenrückens und Verwachsung einer Nasenöffnung nach Influenza. Ein 4jähriges Mädchen, das bis Anfang 1890 eine völlig normale Nase hatte, erkrankte im Januar 1890 zugleich mit seinen Geschwistern an Influenza, wie von ärztlicher Seite constatirt worden ist. Dabei zeigte der Schnupfen des Kindes sich besonders stark, es wurde nach Aussage der Mutter aus der rechten Nase massenhaft Eiter und Gewebsfetzen abgesondert. Eine ärztliche Behandlung fand nicht statt, sondern die Mutter spritzte auf eigene Faust die Nase aus. Allmählich liess der Ausfluss nach; jetzt bemerkte die Mutter, dass die Nase des Kindes eingesunken war ‘und dasselbe durch die rechte Nase keine Luft bekam. Die objective Untersuchung ergiebt, dass das Kind eine breite platte Nase hat mit eingesunkenem Nasenrücken, man fühlt an demselben nicht den scharfen Rand des Knorpels der Nasenscheidewand, sondern nur weiche, eindrückbare Haut. Blickt man in die linke Nasenhöhle, so ist alles normal, nur erscheint das Septum stark concav nach der anderen Seite, und beim Betasten des Septums mit der Sonde hat man nicht das harte Gefühl von Knorpel. Die rechte Nasenhöhle zeigt sich im vorderen Theil ca. ', cm von der äusseren Oeffnung vollständig zugewachsen Es besteht ein fester, narbiger Ring, der nur in der Mitte von einer feinen Oefinung durchsetzt ist. Der Luftstrom ist durch die rechte Nase völlig behindert. Allem Anschein nach ist es im vorliegenden Falle im An- schluss an die Influenza zur Geschwürsbildung in der rechten Nase ge- kommen, die zur Perichondritis mit Abstossung eines mehr oder minder grossen Stückes Scheidewand-Knorpel geführt hat. Die Geschwüre sind verheilt, aber die Aussenwand der Nase ist mit dem Septum verwachsen. Seltsam bleibt, dass die Perichondritis die Septum-Schleimhaut der linken Seite intact gelassen hat, und dass es nicht, wie es sonst immer geschieht, zu einer Perforation des Septums gekommen ist. d. Verkürzung des Gaumensegels mit verdeckter Spaltung des harten Gaumens. Ein 24jähriges Mädchen, das seit längerer Zeit an rechtsseitiger Ötorrhoe leidet, zeigt zugleich eine stark nasale Sprache. Als Ursache derselben ergiebt sich weder irgend welche Verstopfung der Nase oder des Nasenrachenraumes, noch eine Lähmung des weichen Gaumens, sondern eine Insufficienz des Gaumensegels.. Dasselbe hebt sich zwar beim A-sagen, erweist sich aber zu kurz, um den oberen Rachenraum abzu- schliessen. Bei der Rhinoscopia posterior, die sich in vorzüglichster Weise ausführen lässt, wird auch beim A-sagen der Einblick in den I. Medicinische Abtheilung. 55 Rachen nicht gestört, es bleibt zwischen Gaumensegel und hinterer Rachenwand ein freier Raum, die uvula ist kurz und in der Mitte ge- furcht. Untersucht man mit dem Finger den weichen und harten Gaumen, so fühlt man im hinteren Theil des letzteren in der Mitte eine breite, dreieckige, mit der Spitze weit nach vorn reichende Knochenlücke, die durch die Schleimhaut überspannt ist. Das Gaumensegel erscheint straff und kürzer als gewöhnlich. Durch Messung mit einem biegsamen Draht entlang der Gaumenwölbung findet man folgende Zahlen: Abstand des Schneidezahnrandes von der Wurzel der uvula = 58 mm (gegen 75 mm bei einem ungefähr gleichaltrigen normalen Mädchen), Abstand des Zahnrandes von der Spitze des keilförmigen Aus- schnitts = 30 mm, Abstand der Wurzel der uvala von der hinteren Rachenwand = 30 mm (gegen 15 mm normal). Dass es sich im vorliegenden Falle um eine angeborene Missbildung und nicht um eine krankhafte Zerstörung handelt, — das Mädchen ist im 7. Jahre an den Pocken, sonst nie krank gewesen — beweist, ab- gesehen von der Furchung der uvula, 1) die durchaus normale Beschaffen- heit der Schleimhaut, die nirgends Narben zeigt, 2) die Thatsache, dass die nasale Sprache von frühester Jugend an besteht, 3) dass von den 8 Geschwistern der Kranken zwei, ein älterer Bruder und eine jüngere Schwester, ein vollkommenes palatum fissum haben. e. Diagnostische Durchleuchtung der Highmorshöhle, Die von Voltolini neu belebte Methode der Durchleuchtung mittelst elektrischen Glühlichts hat die von V. für den Kehlkopf gehegten Hoffnungen, wie zu erwarten war, bis jetzt nicht erfüllt. Wenn Voltolini einen Fall von Kehlkopfpolyp mittheilt, den er nur bei Durchleuchtung operirt hat, so beweist das bloss, dass man bei einiger Uebung auch unter schlechten Lichtverhältnissen glücklich operiren kann. Dagegen scheint die Durchleuchtungsmethode für die Diagnostik der Highmorshöhle einigen Werth zu haben (Heryng, Seifert, Freuden- thal u. a.), was Voltilini selbst kaum angedeutet hat. In der That ist die Ausfüllung einer sonst mit Luft gefüllten Höhle durch eine solide Geschwulst oder, was am häufigsten vorkommt, durch Eiter eine so starke dioptrische Veränderung, dass eine unterscheidbare Helligkeitsdifferenz zu erwarten ist. Man kann sich von der Leistungs- fähligkeit der Durchleuchtungsmethode in folgender gleichsam ex- perimenteller Weise überzeugen. Erst durchleuchte man eine gesunde Person, indem man dieselbe das Glühlämpchen in den Mund nehmen lässt und es an die Mitte des harten Gaumens resp. bald an die rechte bald an die linke Hälfte desselben hält. Beide Gesichts- hälften werden dann in gleich hellem rosigen Lichte erscheinen. Sodann 56 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. durchleuchte man einen Kranken, bei dem aus anderen Zeichen ein Empyen der Higshmorshöhle diagnostieirt ist, so wird die kranke Ge- sichtshälfte dunkler erscheinen als die gesunde. Ferner kann man den- selben resp. einen anderen Kranken nach operirtem Empyen durchleuchten, nachdem die Höhle von der künslichen Oeffnung, die ich im unteren Nasengang (nach Mikuliez — Krause) gemacht habe, mit einer klaren Flüssigkeit ausgespritzt ist, und man wird eine, wenu auch nicht sehr srosse, Aufhellung gegenüber dem Licht-Effeet vor der Operation und Ausspritzung sehen. Schliesslich kann ınan auch in die gereinigte Höhle eine Jodoformemulsion einspritzen und die wieder eingetretene starke Verdunkelung erkennen. Jedenfalls ergiebt sich, dass die Durchleuchtungs- methode als diagnostisches Hilfsmittel bei den Erkrankungen der High- morshöhle zu verwerthen ist. Die mitgetheilten Fälle sind von mir in. der Prof. Gottstein’schen Klinik beobachtet und behandelt worden, 2) Herr Friedrich Müller hält einen Vortrag: Zur Kenntniss des Morbus Basedowii. Drei Fälle, in welchen die Basedowsche Krankheit in acuter Weise zum Tode führte, gaben Gelegenheit, sowohl intra vitam eine Anzahl ungewöhnlicher Symptome zu studiren, also auch post mortem eine ein- sehende pathologisch-anatomische Untersuchung auszuführen. Unter denKrankheitserscheinungen, welche die3 Fälle darboten, erschienen besonders solche bemerkenswerth, welche auf eine Functions- störung im Gebiet des Nervus vagus hinwiesen: neben hochgradiger Puls- beschleunigung auch Lähmungserscheinungen von Seiten der Kehlkopf- und Schlundmusculatur. Ausserdem wurden noch beobachtet: vorübergehende Augenmuskellähmungen und Andeutung von Facialislähmung. In einem Falle bestand concentrische Einengung des Gesichtsfeldes, Die beiden anderen Fälle zeigten psychische Erregungszustände und Delirien. Digitalis erwies sich als gänzlich unfähig, die Pulsfrequenz herabzusetzen, Chinin erzeugte in 2 Fällen regelmässig kurze Fieberanfälle, bisweilen unter Schüttelfrost. Ein Stoffwechselversuch, der in einem Falle angestellt wurde, ergab, dass die Nahrungsresorption in normaler Weise von Statten ging, dass aber die Kranke mit einer für gesunde weibliche Individuen ausreichen- den Nahrungsmenge sich weder auf ihrem Körpergewicht, noch auf ihrem Stickstoffgleichgewicht zu erhalten im Stande war. Die Patientin magerte trotz gesteigerten Appetits unaufhaltsam ab. Bei allen drei Fällen fand sich eine verschieden stark ausgeprägte braune Pigmentation des Ge- sichtes, z. Th. auch des Rumpfes und der Extremitäten. Die anatomische Untersuchung des Nervus sympathieus und seiner Ganglien ergab in keinem der drei Fälle irgend etwas Pathologisches. Da ausserdem von den Symptomen des morbus Basedowii manche sich I. Medicinische Abtheilung. 57 nur sehr gezwungen, andere gar nicht durch eine Erkrankung des Nervus Sympathicus erklären lassen, so erscheint es wenig berechtigt, die Basedowsche Krankheit auf eine Affeetion dieses Nervus zurückzu- führen. Für die ursprünglich von Filehne auf experimentellem Wege be- gründete, später von Sattler und neuerdings von Jendrassik ver- fochtene Ansicht, dass eine Erkrankung der medulla oblongata dem morbus Basedowii zu Grunde liege, sprachen in den mitgetheilten Fällen wichtige Gründe, besonders die Lähmungserscheinungen im Gebiet des Nervus vagus. Ausserdem stimmt mit dieser Anschauung überein die nicht seltene Complieation der Basedowschen Krankheit mit anderen Hirnnerven- lähmungen, z. B. des facialis, dann die Verbindung mit Diabetes. Die anatomische Untersuchung der medulla oblongata und des Hirn- stammes bis hinauf zum oberen Ende der Vierhügel ergab in einem Falle zahl- reiche Blutungen im Vaguskern und dem Gebiet der oberen Olive, sonst aber vollkommen normale Verhältnisse. Ausserdem fanden sich aber in einem Falle hochgradige, in einem anderen geringfügigere Degmerations- zustände im Nervus vagus (Halsteil). Auf diese letzteren Veränderungen dürften mit Wahrscheinlichkeit die Kehlkopf- und Gaumenlähmungen zu beziehen sein, vielleicht auch die Unwirksamkeit der Digitalis; da- gegen erscheint es unwahrscheinlich, dass die Blutungen im Gebiet des Vaguskerns mit der Krankheit in ursächlichem Zusammenhang stehen. Gegen die Ansicht Jendrassiks, dass dem Morbus Basedowii eine Poliomyelo-Encephalitis, besonders der medulla oblongata zu Grunde liege, spricht ferner, dass die bisher bekannten anatomisch nachweisbaren patho- logischen Veränderungen der medulla oblongata und des Hirnstammes Krankheitsbilder hervorriefen, die von den des Morbus Basedowii ver- schieden sind. Manche Umstände, so die fast regelmässig vorkommende psychische Erregung der an Basedowscher Krankheit Leidenden, ferner die häufige Combination mit Epilepsie, sprechen dafür, dass bisweilen auch centraler gelegene Veränderungen des Nervensystems eine Rolle spielen, Es ergiebt sich demnach der Schluss, dass die Basedowsche Krank- heit weder als eine Erkrankung des Sympathicus aufgefasst werden, noch auf einer anatomisch nachweisbaren Läsion der medulla oblongata allein beruhen kann. Der Morb, Basedowii ist als eine „Neurose“ auf- zufassen; doch sprechen gewisse Anzeichen dafür, dass dabei besonders auch funetionelle Störungen im Gebiet der medulla oblongata und des Vagus eine Rolle spielen. Bemerkenswerth ist schliesslich die Thatsache, dass bei allen drei obdueirten Fällen sich eine sehr grosse Anzahl geschwollener blaurother Lymphdrüsen im Gebiet von Hals und Brust vorfanden, 58 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 15. Sitzung vom 7. November 1890. Die Herren ©. S. Freund und Richard Kayser berichten: Ueber einen Fall von Schreckneurose mit Gehörs-Anomalieen. Herr Freund; Es handelt sich um einen bisher stets gesunden 45jährigen Bahnwärter, welcher seit über 22 Jahren im Eisenbahn- dienste beschäftigt ist. Am 20. August a. c. früh morgens 5 Uhr revidirte er während eines heftigen Gewitters seine Bahnstrecke. Plötz- lich fuhr ein Blitz in seiner nächsten Nähe, dicht neben ihm links, in die Erde und war unmittelbar gefolgt von einem heftigen Donnerschlage und von intensivem Schwefelgeruche. Patient war vor Schreck wie betäubt, verlor indessen nieht völlig sein Bewusstsein. Er versichert, genau angeben zu können, dass er dastand von hochgradiger Angst er- griffen, am ganzen Körper zitternd, mit gebeugten Knieen, die Hände vor dem Gesicht, weil er von der grellen Lichterscheinung wie geblendet war und ihm der Kopf sehr weh that. 4—5 Minuten lang will er an derselben Stelle wie festgewurzelt gestanden haben. Nachher löste sich die Starrheit und er ging — wenn auch sehr langsam —- nach seinem ca. 400 Schritt entfernten Wärterhäuschen zurück. Dabei hatte er Schmerzen in den Beinen und ein Wind „hauste‘“ in seinem Kopfe. Weder an der Haut noch an den Kleidern waren Verbrennungen nachweisbar. Um 6 Uhr beim Herannahen des erwarteten Eisenbahnzuges wunderte sich Patient, dass er nicht wie sonst schon aus grösserer Entfernung das Läutesignal hörte — er war an einer Secundärbahn stationirt — und das Wagengerassel erst wahrnahm, als der Zug dicht bei ihm vorbei- fuhr. Beim Eintritt in sein Wärterhäuschen hörte er nicht die Worte, welche Frau und Kinder zu ihm sprachen. Seiner Frau fiel ferner an ihm auf ein leichtes Zittern am ganzen Körper, eine stotternde, meckernde Sprache: Erscheinungen, welche ebenso wie das „Hausen‘ im Kopfe, am nächsten Tage nicht mehr vorhanden waren. Indessen wurden die Hörschwäche und ein Kriebel- und Taubheitsgefühl an den Füssen, Händen und am Gesicht von Tag zu Tag hochgradiser. Erst am 27. August liess er sich vom Dienste dispensiren. Seitdem Status idem. — Mitte September suchte er die Professor Gottstein’sche Ohren- poliklinik auf. Am 2. October wurde er auf Veranlassung des Herrn Dr. Kayser seitens des Vortragenden einer genauen Untersuchung hin- sichtlich seines Nervenstatus unterworfen. Kräftig gebauter Mann von mittlerem Ernährungszustande. Keine Störungen von Seiten der Brust- und Bauchorgane, speciell keine Be- schleunigung oder Unregelmässigkeit des Pulses, keine Dyspnoe, keine Blasenstörung. Keine Motilitätsstörungen von Seiten der oberen und unteren Extremitäten, speciell kein Zittern, keine Ataxie. Etwas er- höhte mechanische Muskelerregbarkeit. Lebhafte Kniephaenomene. Kein I. Medicinische Abtheilung. 59 Romberg’sches Symptom. Keine Störungen von Seiten des Facialis, Hypoglossus und der Augenmuskeln. Normal reagirende Pupillen, Normaler Augenhintergrund (Professor Magnus). Indessen ist am ganzen Körper die Empfindung für Berührungen völlig aufgehoben, ebenso für Druck, für Nadelstiche und faradische Ströme mittleren Grades. Nur ganz starker Druck oder festes Kneifen von Hautfalten, ferner sehr tiefe Nadelstiche werden wahrgenommen, aber nur als Berührung. Diese Störungen sind über den ganzen Körper ausgebreitet. Es finden sich nur ganz vereinzelte tleckweise Inseln, welche für tiefe Nadelstiche ein wenig schmerzempfindlich sind. Stärkste faradische Ströme — Doppelpinsel bei übereinandergeschobenen Rollen des secundären Stromes — werden etwas schmerzlich empfunden, Ferner hochgradige concentrische Gesichtsfeldeinengung, welche auf dem linken Auge noch stärker ist als auf dem reehten. Links absolute Taubheit. Rechts hochgradige Schwerhörigkeit; nur lautes Schreien wird dicht vor dem rechten Ohre gehört. Auf beiden Nasenlöchern vollständig aufgehobene Geruchsempfindung. Geschmacksempfindung hochgradig herabgesetzt auf beiden Zungenhälften. Die Zunge ist gegen Berührungen und Nadelstiche unempfindlich, ebenso die Wangen- und Nasenschleimhaut und der äussere Gehörgang. Die Cornealreflexe fehlen. Indessen reagiren hintere Rachenwand und Uvula mit Reflexbewegungen gegen Berührungen. An Stimme und Sprache kein auffälliger Befund. Es ist bemerkenswerth, dass die grosse Mehrzahl dieser Symptome trotz ihrer hochgradigen Ausbildung völlig latent geblieben sind, dass der Kranke sowohl wie sein früherer Arzt die Taubheit resp. Schwer- hörigkeit als einzige Krankheitserscheinung angesehen haben. Von dem Verdachte der Simulation und der Uebertreibung einzelner Symptome wurde der Kranke durch wiederholte Controluntersuchungen seitens erfahrener Specialärzte freigesprochen, welche obigen Status des Vortragenden in vollem Umfange aufrecht erhielten. Speciell die Existenz der concentrischen Gesichtsfeldeinengung wurde von Herrn Professor Magnus bestätigt. Bei fortgesetzter Untersuchung konnte ein absoluter Verlust der Tastvorstellungen, sowie des Gelenkgefühls und der Lagevorstellungen constatirt werden, Trotz dieser hochgradigen Sensibilitätsstörungen fehlte jede Andeutung von Ataxie und war die Coordination der Bewegungen ‘in keiner Weise beeinträchtigt. Ebenso seltsam ist die Thhatsache, dass trotz der hochgradigen concentrischen Gesichtsfeldeinengung das visuelle Örientirungsvermögen fast gar nicht gelitten hatte, ein Zusammentreffen, welches vom Vortragenden auch bei Fällen von traumatischer Neurose gefunden worden ist, — Nach einigen kurzen, wenig ergebnissvollen Versuchen mit der Hypnose und der Magnetotherapie wandte sich der Vortragende an die 60 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Behandlung des Kranken mittelst der Elektrotherapie und zwar mittelst des faradischen Pinsels in Gestalt der von Frankl-Hochwart (Wien) angegebenen Doppelpinsel-Elektrode. Er faradisirte so in über halbstün- digen Sitzungen mit den stärksten Strömen des secundären Stromes (2 Leclauch&e-Elemente) die ganze Körperoberfläche; nur die Ohren be- handelte er jedes für sich mit einer Plattenelektrode von ca. 20 cm Durchmesser (indifferente Elektrode im Nacken). Erst nach der dritten Sitzung (4mal wöchentlich 1 Sitzung) begann sich ein gewisser thera- peutischer Erfolg bemerkbar zu machen, nämlich ein gesteigertes Kriebel- gefühl. In der folgenden Sitzung stellte sich die Schmerzempfindung für Nadelstiche ziemlich gleichmässig über dem ganzen Körper wieder ein und wurde eine Verminderung der Schwerhörigkeit auf dem rechten Ohre, sowie eine geringe, aber deutliche Erweiterung der beiderseitigen Gesichtsfelder nachgewiesen. Im weiteren Verlaufe der Behandlung trat eine fortschreitende Besserung hinsichtlich dieser Symptome ein, besonders besserte sich die Hörschärfe des rechten Ohres (das linke blieb taub); ferner kehrte auch allmählich die Berührungsempfindlichkeit wieder, ebenso das Gelenkgefühl und die Tastvorstellungen, während die Lagevorstellungen andauernd alterirt blieben. Ein Wiedereintreten des Geruchsvermögens und eine Besserung der Geschmacksfunctionen wurde erst wahrgenommen, seitdem die Zunge resp. die Nasenschleimhaut faradisirt wurde und zwar erst nach Ablauf der dritten diesbezüglichen Sitzung. Gleichzeitig stellte sich wieder Berührungs- und Schmerz- empfindlichkeit der Zunge resp. Nasenschleimhaut ein. — Herr Kayser: Der Patient Langer kam am 11. September 1890 in der Gottstein’schen Poliklinik in meine Behandlung. Die Unter- suchung ergab geringfügige Veränderungen an den Trommelfellen, linkes Ohr vollkommen taub, rechts wird nur laute Sprache nahe am Ohre gehört. Durch Prüfung mit der Stimmgabel und Galton’schen Pfeife wird constatirt, dass bei Luftleitung vom rechten Ohr die höheren Töne wahrgenommen werden, tiefe aber nicht. Die Knochenleitung ist voll- kommen aufgehoben. Die leicht ausführbare Katheterisirung bleibt ohne Einfluss. Ferner zeigte sich totale Anaesthesie beider Trommelfelle, .der Gehörgänge, der Nasenschleimhaut ete., weshalb ich den Fall als traumatische Neurose auflfasste und zur neurologischen Behandlung Herrn Dr. Freund überwies. Im weiteren Verlauf besserte sich das Gehör auf dem rechten Ohr in merklicher Weise, auch tiefe Töne (ce) werden jetzt schoh wahrgenommen, links besteht die Taubheit fort, die Anaesthesie des Ohres hat kaum, die der Nase eine deutliche Besserung erfahren. Seit dem 22. October zeigt der Kranke ein objeetiv wahrnehm- bares Geräusch auf dem”linken Ohr bei festem Schluss der Augen. Man hört einen dumpfen Ton (Muskelton) und sieht zugleich, dass das I. Medieinische Abtheilung. 6i Trommelfell resp. der Hammergriff eine starke Bewegung nach innen macht. Führt man in die linke Ohröffnung luftdicht ein feines, einen Tropfen gefärbter Flüssigkeit enthaltendes Manometerröhrchen, so zuckt der Tropfen nach innen bei jedem Lidschluss. Es handelt sich also um eine Mitbewegung des tensor tympani mit dem orbieularis oculi, obwohl nach den Angaben der meisten Autoren der erstere vom Trigeminus und der letztere vom Facialis versorgt wird. Für die Fälle von Taubheit, die nach traumatischen Einwirkungen eingetreten sind, ist nach Angabe der Autoren charakteristisch, dass die Knochenleitung aufgehoben ist. Aehnlich verhält es sich bei der hyste- rischen Taubheit, die gleichfalls häufig mit Anaesthesien etc. verbunden ist. Interessant ist in vorliegendem Falle der Defect des Gehörs für tiefe Töne. Es ist als praktisch wichtig zu bezeichnen, dass der Kranke nach dem Unfall anscheinend die Taubheit als einziges Krankheits- symptom zeigte, bis dieselbe von mir als Theilerscheinung einer all- gemeinen nervösen Erkrankung constatirt wurde. Herr C. S. Freund bemüht sich hierauf, über die Pathogenese des Falles Klarheit zu erlangen. Ist der Kranke vom Blitze getroffen worden? Die durch Blitzschlag hervorgerufenen Anomalien sind nach Charcot und Nothnagel dadurch charakterisirt, dass sie plötzlich, unmittelbar und zwar sofort in maximaler Stärke auftreten, nie einen progredienten Verlauf nehmen, vielmehr schnell — zumeist im Laufe eines Tages — an Intensität abnehmen und gänzlich verschwinden. Hiernach kann man in unserem Falle als direete Blitzwirkungen hin- stellen das „Hausen“ im Kopfe, das leichte allgemeine Zittern und die stotternde Sprache (s. o.). Die übrigen Symptome hingegegen haben im Laufe der ersten acht Tage eine Steigerung ihrer Intensität erfahren, bezüglich des Hörvermögens und der Paraesthesien sind wenigstens un- trügliche diesbezügliche Angaben gemacht worden (s. o.). Als das ur- sächliche Moment dieser Haupterscheinungen betrachtet der Vortragende — unter Hinweis auf eine ähnliche Beobachtung Charcot’s — den hochgradigen Schreck, welchen der in unmittelbarster Nähe auf- getretene Blitzschlag auf den Kranken hervorgerufen hat. Wegen des Fehlens jeder sonstigen Einwirkung, etwa eines Traumas, bezeichnet er deshalb die Krankheit als Schreekneurose. Er fasst sie als eine funetionelle Neurose auf, weil ihr Symptomencomplex sich durch eine gröbere materielle Alteration irgend welcher Theile des Nervensystems nach der Localisationslehre nicht erklären lässt. — Im Weiteren analysirt der Vortragende den von Charcot einge- geführten Begriff der männlichen Hysterie und versucht diese Diagnose auch für den vorliegenden Fall in Anwendung zu bringen. Er stützt sich hierbei auf die frappante Aehnlichkeit zwischen den Gehörs- anomalien unseres Kranken und den bei Hysterischen beschriebenen, 63 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. ferner auf das stärkere Betroffensein der linksseitigen Sinnesorgane (linksseitige Taubheit, stärkere concentrische Gesichtsfeldeinengung auf dem linken Auge) unter Berücksichtigung des anamnestischen Momentes, dass der Blitzschlag links neben dem Patienten niedergefahren ist, Im Anschluss hieran knüpft der Vortragende einige Bemerkungen über die traumatischen Neurosen im Allgemeinen an und erörtert die Differenzen, welche zwischen Charcot und Oppenheim hinsichtlich der Rubrieirung und Pathogenese der traumatischen Neurose bestehen. Vortragender lässt die Einwände Charcot’s gegen die Selbständigkeit dieser Krankheit gelten und rubricirt sie als eine Hauptspecies unter den grossen Sammelbegriff der männlichen Hysterie. Andererseits hält er die Chareot’sche Anschauung von der Pathogenese der männlichen Hysterie nicht ausreichend für alle Fälle und glaubt dann sehr oft mit gutem Erfolge die Oppenheim’sche Erklärung in Anwendung bringen zu können. An der Hand seines eigenen, wenn auch nicht grossen, so doch sehr glücklich zusammengesetzten Materials glaubt der Vortragende 3 Hauptkategorien der männlichen Hysterie aufstellen zu dürfen. In der Mitte würden die Fälle mit Motilitätsstörungen und gleichseitigen sensitiven resp. sensoriellen Anomalien stehen (hierzu gehört auch die Majorität der von Oppenheim mitgetheilten Be- obachtungen), an dem einen Ende alle Fälle, in welchem — wie in dem vorliegenden — ausschliesslich die sensorisch -sensible Sphäre betroffen ist, an dem anderen diejenigen, in welchen lediglich Motilitätsstörungen vorliegen. Die Eigenheiten der dritten Kategorie illustrirt der Vor- tragende kurz an zwei Beispielen. Im Hinblick auf die gegen die traumatische Neurose geführte Polemik giebt Vortragender am Schlusse seiner Ausführungen die Er- klärung ab, dass er dieses Leiden für eine reelle, wirklich existirende Krankheit halte und den diagnostischen Werth der concentrischen Ge- sichtsfeldeinengung und der Anaesthesien anerkenne. 16. Sitzung vom 21. November 18%. i) Herr Rosin demonstrirt die Resultate seiner Untersuchungen über das Indigoroth (Indirubin). Die Veranlassung zu diesen Untersuchungen bildete die sogenannte Rosenbach’sche burgunderfarbene Reaction, die gewisse von diesem beschriebene Harne ergeben. Diese Reaction setzt sich aus einer ganzen Zahl von Farbstoffen zusammen, unter diesen hat schon Rosenbach eine rothe und eine braune Farbstoffeomponente unterschieden. Der rothe Antheil bildete nun den Ausgangspunkt der Untersuchungen. R. ver- muthete nämlich, dass derselbe Indigoroth sei und dass noch gewisse andere, bisher unbekannte oder anders benannte rothe Harnfarbstoffe I. Medieinische Abtheilung. 63 nichts anderes seien als Indigoroth, dass also dieser Farbstoff ein im Harn ziemlich verbreiteter sei. Was nun das Indigoroth betrifft, so ist es bisher ein überhaupt noch wenig untersuchter Körper gewesen. Man kannte sein Vorhanden- sein in der Natur nur im Pflanzenreiche, und auch da haben die Unter- sucher desselben, Berzelius undSchenck, trotz eingehender Darstellungs- versuche eine nur unreine Substanz gefunden. Es musste daher, wenn es bewiesen werden sollte, dass der Harnfarbstoff ein Indigoroth sei, erst das pflanzliche Indigoroth, das Vergleichsobjeet, rein und krystalli- sirt dargestellt und genau analysirt werden. Ausserdem kennt man seit Baeyer’s bahnbrechenden Untersuchungen einen künstlich dargestellten rothen Indigostoffl, dem er den Namen Indigoroth gegeben hatte in der Vermuthung, dass er mit dem pflanz- lichen, noch allerdings nicht rein dargestellten identisch sei. Es war wünschenswerth, dass auch mit diesem künstlichen, übrigens rein dargestellten und analysirten Farbstoffe der Harnfarbstoff überein- stimmte. Vor allem aber musste dieser selbst krystallisirt und absolut rein dargestellt werden. Es waren also folgende Aufgaben zu erfüllen: 1. das pflanzliche Indigoroth, sowie 2. die Harnfarbstoffe, die für Indigoroth gehalten wurden, rein und kıystallieirt darzustellen, 3. von beiden Farbstoffen eine chemische Analyse zu machen und die Identität hierdurch nachzuweisen, desgleichen wo- möglich noch eine Identität mit dem von Baeyer künstlich dargestellten zu beweisen und zu zeigen, dass alle 3 Körper Indigoroth seien. Alle diese Aufgaben haben nun eine befriedigende Lösung gefunden. Die Art der Darstellung sowohl des pflanzlichen als des Harnindigorothes, die also erst neu gefunden werden musste, wird anderwärts genauer beschrieben werden, ebenso das Ergebniss der beiderseitigen Analyse. R. geht nun auf die Frage näher ein, welche Harne enthalten denn viel Indigoroth? Die Antwort lautet: Alle, welche reich an Jodoxyd- verbindungen sind, zunächst also diejenigen von O. Rosenbach be- schriebenen, welche die burgunderfarbene Reaction zeigen, aber auch noch viele andere, übrigens pathologische Harne. Im normalen findet sich Indigoroth nur in Spuren. R. geht ferner auf sein Veihältniss zum Indigoblau ein, sowie zu gewissen andern Harnfarbstoffen, insbesondere dem für den menschlichen Harn noch hypothetischen Skatolfarbstoff. Genaueres auch darüber wird an anderer Stelle dargelegt werden. Sodann wurden die Krystalle des pflanzlichen und Harnindigorothes demonstrirt, sowie eine ganze Anzahl seiner Reactionen, Eigenschaften und Lösungsverhältnisse, welche von R. dafür festgestellt worden sind. 64 Jahresbericht der Schles. Gesellschatt für vaterl. Cultur. Ferner wird noch ein für die Frage der Bildung des Indigorothes in Harn und Pflanze wichtiges Ergebniss demonstrirt, nämlich die Bildung desselben aus Indigoblau durch einfache Sublimation. Es wird daran eine kurze Darstellung der Theorie der Enstehung des Indigorothes angeschlossen. Schliesslich weist der Vortr. noch darauf hin, dass sich bei der Darstellung des Indigorothes auch gewisse braune, noch unbekannte Farbstoffe bilden, welche weiterer Untersuchungen bedürfen. 2) Herr Albert Neisser spricht über die Frage: Wann und wie sollen wir die Gonorrhoe behandeln? Nach einer kurzen Einleitung, in der der Vortragende die un- geheure, statistisch gar nicht festzustellende, ja kaum zu schätzende Verbreitung einerseits, den jammervollen Zustand der gegenwärtigen Therapie dieser in den meisten Fällen chronisch werdenden, hygienisch daher um so gefährlicheren Infeetionskrankheit andererseits dar- legt, wendet er sich zu der Frage, auf welche Weise eine Besserung dieser Verhältnisse herbeizuführen sei. An der Hand einzelner Thesen stellt er die Hauptgesichtspunkte wie folgt auf: I. Die Gefahr der Gonorrhoe besteht beim Manne wie beim Weibe darin, 1. dass das gonorrhoische Virus und die von ihm angeregten Krankheitsprocesse nicht auf die ursprünglich infieirten Schleim- hautstelle localisirt bleiben, sondern beim Manne die für die Therapie schwer zugängliche Urethra poster., von da aus die Funicul. spermat. und Nebenhoden (Gefahr der Azoospermie!) befallen werden und Complicationen seitens der Prostata, Blase etc. auftreten können; beim Weibe Uterus, Tuben, Eierstöcke und die um- hüllenden Peritonealblätter in Mitleidenschaft gezogen werden; 2. dass in allen diesen Organen das Virus sich Monate und Jahre lang halten, also eine chronische Infectionsquelle sich herausbilden kann. II. Nur in den ersten Stadien nach der Infeetion befindet sich das Virus an so zugänglichen Orten (beim Manne:- Urethra anterior, beim Weibe: Urethra und Cervix), dass es leicht und — beim Manne — vom Patienten selbst (wichtig wegen der ungeheuren Verbreitung der Krankheit) behandelt werden kann. Die Verbreitung der Krankheit geht ja bekanntlich einerseits vom Orif. urethr. aus flächenweise über die Harnröhrenschleimhaut nach chlesische Gesellschaft für vaterländische Gultur. 7 E20) 68. 1. Jahresbericht. Medieinische 1890. Abtheilung. &,r Se hinten (Hinweis auf die grosse Häufigkeit der Gonorrh. urethr. poster. bei der bisherigen Behandlung), andererseits von der Oberfläche des Epithels zwischen die Epithelien in die Tiefe, woselbst das Gift (Bumm) in grösseren Massen nachweisbar ist. (Ein Uebertritt in die oberfläch- lichsten Schichten des Bindegewebes scheint nur selten, wenn überhaupt vorzukommen.) Diese tiefen Gonococcen-Herde scheinen durch Jahre hindurch der wesentlichste Ausgangspunkt für die spontanen „Reeidive‘ ganz unscheinbar gewordener Urethritiden zu sein. (Conf. Thesen VI u. VIII) II. Der Beginn der Gonorrhoe-Behandlung soll also möglichst früh nach der Infeetion stattfinden, denn es liegt auf der Hand, dass, je kürzer der infieirte Harnröhrenbezirk und je oberflächlicher die Gonorrhoe, um so leichter die zur Behandlung ver- wandten Medicamente die Gonorrhoe erreichen, abschwächen oder tödten können. Vortragender berührt kurz die Schwierigkeiten der Behandlung der Urethr. poster. Männliche Gonorrhoe. IV. Die beste Methode der Behandlung in diesem Stadium besteht in gut ausgeführten Injeetionen mit grosser Spritze und mit geeig- . neten Mitteln. Die grosse Bedeutung, welche die Methode der Behandlung hat, wird nicht in Abrede gestellt; denn bei der reichlichen Faltung der Harnröhrenschleimhaut muss darauf Bedacht genommen werden, dass die medicamentöse Flüssigkeit nicht blos die Oberfläche der Falten, sondern auch die in den ‚Nischen zwischen den Falten befindliche Schleimhaut und das daselbst befindliche Virus erreichen kann; eine mechanische Ausdehnung der Harnröhre ist daber absolut erforderlich. Der Vortragende verkennt nun nicht die grossen Vortheile, welche durch die Irrigationsmethoden irgend welcher Art nach dieser Richtung hin geboten werden, glaubt aber, dass aus praktischen Gründen im Allgemeinen die Injeetionsmethode, falls sie gut ausgeführt wird, als erste und wesentlichste zu bezeichnen sei, weil bei der ungeheuren Ver- breitung des Leidens die einfachste Methode auch zweifellos diejenige sei, welche am sichersten zur Ausführung gelange. Als selbstverständ- lich betrachtet er, dass der Arzt sich in jedem einzelnen Falle davon überzeugt, ob der Patient einspritzen kann oder nicht, 66 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Die gewöhnliche vom Vortragenden empfohlene Spritze hat einen conisch zugespitzten Ansatz, der mehr an das Orificium angepresst als in dasselbe hineingesteckt werden kann. Der Inhalt der Spritze beträgt 10 ccm (um durch das grössere Volumen der Injeetions- flüssigkeit eine Ausdehnung der Harnröhrenfalten zu erzielen). Die Spritze ist so kurz, dass der Patient bequem mit einer Hand dieselbe halten und den mit einem Ringe versehenen Stempel der Spritze mit dem Zeigefinger dirigiren kann. V. Geeignete Mittel sind solche, welche a) Gonococcen tödten, | b) die Schleimhaut nicht lädiren und die Entzündung möglichst wenig steigern. (Argentum nitr. 1 : 4000 — 1 : 2000. Schwache Rotter’sche Lösung. Sublimat 1 :30000 — 1:200000) werden am meisten empfohlen. Ungeeignete, gefährliche Mittel sind a) nur adstringirende Mittel(Gefahr der Gonococcen-Verschleppung bei frühzeitiger Injection), b) tief ätzende Mittel (Strieturen, periurethrale Abscesse ete.!). Redner verweist auf die von Friedheim im Archiv für Dermat. und Syphilis erschienene Arbeit, welche (fast erschöpfend) die ver- schiedenartigsten Mittel in ihrer Wirksamkeit der Gonorrhoe gegenüber kritisch beleuchtet. VI. Die Dauer der Behandlung ist nicht nach dem sehr oft Heilung vortäuschenden makroskopischen Befunde abzumessen. Jeden- falls muss bei den genannten Mitteln die Behandlung sehr lange — wenn auch sehr milde — fortgesetzt werden. Der Vortragende erklärt sich also gegen die abortive Methode im engeren Sinne des Wortes, welche durch stark ätzende Flüssig- keiten (Arg. nitr. 1:30) womöglich durch eine einmalige Injection eine radicale Behandlung anstrebt. Diese Behandlung sei zweifellos mit ge- wissen Gefahren verbunden: tiefere Aetzungen, Excoriationsbildungen, Beförderung von Strieturenbildung; gleichwohl sei indess der therapeutische Erfolg unsicher. Ebenso energisch vertritt der Vortragende aber einen möglichst frühzeitigen Beginn mit den von ihm empfohlenen bacterientödtenden Mitteln, um auf milde und unschädliche Weise die Verbreitung des sonorrh. Virus sowohl nach der Fläche, wie nach der Tiefe hin einzu- schränken, so lange es noch möglich ist. Den Einwand, dass durch frühzeitige Injeetionsbehandlung eine Verschleppung des Virus auf die I. Medicinische Abtheilung. 67 weiter nach hinten gelegenen Partien der Harnröhre stattfinden könne, lässt er nur für solche Mittel gelten, die Gonococcen nicht tödten. Als Beweis für seine Anschauung führt der Vortragende an, dass thatsäch- lich die Zahl der von der pars poster. ausgehenden Complieationen: Blasen- halscatarrh, Erkrankung des Samenstranges und des Nebenhodens bei seiner Behandlung ungleich spärlicher als sonst geworden ist. Den Hauptschwerpunkt aber legt er darauf, dass überhaupt aus der Gonorrhoe anter. nicht eine Gonorrhoe poster. und aus der acuten nicht eine chronische Gonorrhoe werde. VII. Nur die mikroskopische Controle des Secretes er- möglicht, in welchem Stadium die Gonorrhoe sich auch befinde, eine Kenntniss des augenblicklichen Krankheits-Status und eine dementsprechend richtige Therapie. Die makroskopische Besichtigung allein ist völlig werthlos. VIH. Die Behandlung der chronischen Urethritis hat zur Voraus- setzung die Diagnose chronische gonorrh. Urethritis oder chronische einfache Urethritis? Letztere ist in sehr vielen Fällen der (meist sehr unbequemen und sehr undankbaren) Behandlung nicht bedürftig, ausser wenn tiefere Schleimhautveränderungen (Endoscopie!) vorliegen. Der Vortragende setzt nur in den wesentlichsten Hauptzügen die Gründe für diese seine Anschauung auseinander und verweist auf seinen Vortrag: „Bedeutung der Gonococcen für Diagnose und Therapie‘ in den Verhandlungen der Deutsch. dermatol. Gesellschaft, Congress zu Prag, p. 133. Weibliche Gonorrhoe. IX. Zur Diagnostik und zur Beurtheilung des Status der weiblichen Gonorrhoe ist die mikroskopische Secretuntersuchung un- entbehrlich. X. Die Behandlung der frischen Urethral- und Cervical-Gonorrhoe ist möglichst zeitig und um so energischer vorzunehmen (übrigens viel schwerer als beim Manne), als die sonst sich anschliessenden Uterin- etc. Infeetionen nur mit der äussersten Mühe und oft nur durch die ein- greifendsten Methoden zu behandeln sind. XI. Ob die zur Zeit als gonorrhoische Erkrankungen auf- gefassten Entzündungen der inneren Genitalien wirklich gonorrhoische sind, bedarf noch sorgfältiger Nachuntersuchung. Der in letzter Zeit, namentlich von Sänger eingenommene Standpunkt muss als viel zu weitgehend bezeichnet werden. Im Hinblick auf die Bedeutung der angeregten Frage wird die Diseussion darüber vertagt. H* 68 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 17. Sitzung vom 5. December 1890. Vor der Tagesordnung demonstrirt: 1) Herr Ernst Fränkel ein an demselben Tage durch Laparotomie gewonnenes Präparat: Ein doppelt-mannskopfgrosses glanduläres Ovarialkystom mit zahlreichen Spontanrupturen, sowie Erguss und längerem, unschädlichem Verweilen reichlicher Gallertmassen in der Bauchhöhle. Es handelt sich um eine früher gesunde, 60 jährige Wittwe, bei der sich seit ungefähr einem Vierteljahre ohne besonders starke Beschwerden eine rasch zunehmende Auftreibung des Unterleibes entwickelt hatte; in den letzten 4 Wochen war die Zunahme des Leibesumfanges eine rapide. Seit 14 Tagen war Anasarca und Oedem der Bauchdecken hinzugetreten. Eine 8 Tage vor der Ovariotomie Seitens der heimath- lichen Aerzte vorgenommene Punetion mit mittelstarkem Troicart ergab, obwohl deutlich grosswellige Fluetuation zu fühlen war, an 2 Stellen der vorderen Bauchwand keinen Tropfen Flüssigkeit. Die abgemagerte, etwas kachektische Kranke zeigte bei der Auf- nahme (am 1. Decbr. 1890) bei sonst gesunden Organen starkes Anasarca, Oedem der Bauchdecken, erhebliche Anschwellung der beiderseitigen Inguinaldrüsen und eine gleichmässige Ausdehnung des Abdomen bis herauf zum Scerobiculus cordis. (Grösster Umfang des Unterleibes 120 em.) Nur dicht unter dem unteren Rippenrande rechts wie links ergab stärkeres Perceutiren eine schmale tympanitische Schallzone, sonst über- all, auch in den Lumbargegenden Dämpfung. Der Nabel war verstrichen (nieht blasig hervorgetrieben, wie bei starkem Asecites), grosswellige Fluctuation deutlich zu fühlen. Lagewechsel ergab keinen Schallwechsel. Trotz sehr starker Spannung der Bauchwand gelang es bei geeigneter Lagerung der Kranken einen distineten Tumor zu palpiren, dessen Kuppel bis an die Hypochondrien reichte und links leichter als rechts zu um- sreifen war. Colloidknarren war nicht zu fühlen. Der Uterus erwies sich bei combinirter Untersuchung derart lang ausgezogen (12 em mit der Sonde gemessen) und in die Höhe gezerrt, dass es trotz Anziehens des- selben mit einer Kugelzange zwei ins Rectum eingeführten Fingern nicht gelang, bis zu seinem Fundus vorzudringen und seine Verbindung mit dem Tumor, resp. den Stiel des letzteren zu fühlen. Mit Rücksicht auf die rasche Entwicklung der Unterleibsanschwellung, die Oedeme der unteren Extremitäten und Bauchdecken, die Kachexie und Drüsenschwellung, sodann auf das Fühlen resistenter, aus dem kleinen Becken sich erhebender Geschwulstmassen und dem entsprechende Dämpfungsverhältnisse, endlieh auf die scheinbar grosswellige Fluctuation und die dieser widersprechende Erfolglosigkeit wiederholter Punktionen mit I. Medicinische Abtheilune. 69 grösseren Troicarts wurde unter Deutung der gefühlten Wellenbewegung als Pseudofluetuation eines sehr weichen, gallertigen Tumors die Diagnose mit Wahrscheinlichkeit auf ein Gallerteareinom oder -Sarkom eines Ovarium gestellt und die Laparotomie am 5. Deebr. unternommen. Gleich nach Durchtrennung des verdickten, hyperämischen Bauch- fells stürzten enorme Mengen (8—10 Liter) colloider, zäher, in Aussehen und Consistenz ganz dem Aspie ähnelnde Massen aus der Bauchhöhle hervor, die durch ihr stets erneutes Vorquellen das Gesichtsfeld völlig verdeckten und durch das Schlüpfrigmachen der Hände des ÖOperateurs die Arbeit sehr erschwerten. Die Gallertmassen quollen aus zahlreichen grösseren und kleineren Oeffnungen eines Tumors mit grauer, sehr dünner und äusserst zerreisslicher Wandung, der von der rechten Kante des Uterus mit derbem Stiel ausging und nach oben bis an den unteren Rand der Leber und des Magens reichte, übrigens adhäsionsfrei und leicht zu entwickeln war. Nach der Unterbindung und Durchtrennung des Stiels schöpften mein Assistent (Herr College Dr. Rosenstein) und ich mit beiden Hohlhänden noch grosse Mengen von Gallertmassen aus der Bauchhöhle und dem kleinen Becken; eine vollkommene Entfernung der- selben war jedoch unmöglich, da sie ebenso zäh wie unsere Finger, auch die Därme und alle Organe der Bauchhöhle bis zur Zwerchfell- kuppel hinauf überzogen. Da diese Colloidmassen im Uebrigen schon seit mindestens 4 Wochen (seit dem rapiden Wachsthum des Tumors) in der Bauchhöhle ohne ersichtlichen Schaden verweilten, so war bei sonstiger Asepsis der Operation auf das weitere unschädliche Verhalten der zurückgelassenen Colloidreste, resp. ihre Resorption zu rechnen. So wurde denn die Oväriotomie in typischer Weise rasch vollendet. Nachtrag, 14. December 1890. Bei vollkommen fieberfreiem Heilungsverlauf wurden heut die Nähte aus der Bauchwunde entfernt und prima intentio constatirt. Der von Herrn Privatdocenten Dr. Kauf- mann, 1. Assistentem am pathol. Institut, gütigst untersuchte Tumor erwies sich als ein gutartiges Kystoma ovarii glandulare. Der Charakter als Kyst. glandulare war nur an wenigen Stellen zu erkennen, auch dort waren die Drüsenwucherungen durch fettige Degeneration stark verändert. Der Vortragende erinnert kurz an die bereits früher von Spiegel- berg (Archiv f. Gynaek. Bd. I) und ihm selbst (Breslauer ärztl. Zeit- schrift 1887, No. 2 und 3, Beiträge z. operat. Gynäk.) beschriebenen, analogen Fälle, deren Abbildungen er vorzeigt, und weist in diagnostischer Hinsicht auf die Bedeutung des Bestehens von Pseudofluctuation in der Bauchhöhle neben dem Gefühl resistenter, aus dem kleinen Becken emporwachsender Massen, ferner der Erfolglosigkeit wiederholter Punktionen trotz grosswelliger Fluctuation und endlich des auffallend raschen Wachsthums der Geschwulst für die Erkenntniss der Spontan- 70 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. ruptur mit folgendem Austritt colloider Massen in die Bauchhöhle hin. Dagegen betont er die Inconstanz des von ÖOlshausen als ein nicht un- wichtiges Zeichen stattgefundener Ruptur eines colloiden, proliferirenden Övarientumors angegebenen Colloidknarrens, das hier ebenso, wie in dem früheren Falle des Vortr. gefehlt hat. Auch Peptonurie, die Küstner als ein Symptom des Austritts von Colloidmassen in die Bauchhöhle bezeichnet, war hier nicht vorhanden. Der Fall wird a. a. O. noch aus- führlicher besprochen werden. 2) Herr Adler demonstrirt Einen interessanten Fall von sensorischer Aphasie. Es handelt sich um einen 47jährigen Kranken, welcher trotz gut erhaltener Hörschärfe vollkommen sprachtaub ist. Gesichts- und Tast- objecte werden sofort erkannt, ihr Name aber öfters nicht gefunden oder verstümmelt ausgesprochen. Die willkürliche Sprache ist fliessend und fehlerlos, das Nachsprechen völlig unmöglich. Current- und Druckschrift wird langsam, aber richtig gelesen, der Inhalt des Gelesenen aber wird zum grössten Theil nicht verstanden, Neigung spontan zu schreiben, ist nicht vorhanden. Sollen die Namen vorgezeigter Objecte aufgeschrieben werden, so geschieht dies langsam und mit vielfachen Unterbrechungen, da öfters ein Buchstabe nicht ge- schrieben werden kann. Nach Vorschrift des fehlenden Buchstabens, werden die folgenden richtig angefügt. Das Schreiben nach Dictat ist unmöglich. Copiren von Currentschrift ist erhalten, es können aber öfters Drucklettern nicht in Currentschrift umgesetzt werden. Das Gesichtsfeld ist auf beiden Augen beträchtlich concentrisch eingeengt. Das Orientirungsvermögen ist völlig ungestört. Der vorgenannte Symptomencomplex dürfte als eine Combination von subceorticaler mit theilweise ausgeglichener transcorticaler sensorischer Aphasie aufzufassen sein. 3) Hierauf wird die Discussion über den am 21. November gehaltenen Vortrag des Herrn Albert Neisser eröffnet. Herr Hermann Cohn: Auch die Augenärzte dürfen in der zur Erörterung gestellten Frage mitreden, da ja die Blennorrhoe der Neu- geborenen, wie Neisser bewiesen, nichts anderes als die Gonorrhoe der Erwachsenen ist. Gewiss ist die echte Gonorrhoea conjunctivae der Erwachsenen viel seltener, als die Blennorrhoea neonatorum. Unter 40,000 Kranken hatte ich 638 Blenn. neon., also eirca 16 pro mille, dagegen nur 47 Gonorrhoeen = 1 pro mille. Ich glaube aber nicht, dass die I. Medicinische Abtheilung. 71 histologische Beschaffenheit der Conjunetiva Erwachsenener dieses seltnere Befallen erklärt, sondern dass eben die Gefahr der Augengonorrhoe den Tripper-Kranken schon recht bekannt ist, Jede Conjunctiva antwortet aufs Schwerste bei der leichtesten Berührung mit Trippersecret, und die Hausärzte und Syphilidologen können gar nicht nachdrücklich genug die Tripperkranken vor Verunreinigung der Augen warnen. In diesem Jahre sah ich eine Justizräthin aus der Provinz, welche ihren tripperkranken Sohn gepflegt, ihm Umschläge gemacht und durch Unachtsamkeit eine Spur des Secretes in’s rechte Auge gebracht hatte. Am dritten Tage bereits war die ganze rechte Hornhaut infiltrirt, und es war schwierig genug, das linkeAuge durch consequenten Schlussverband, der bis dahin versäumt worden war, zu erhalten. Ich habe unter 40,000 Augenkranken, die ich in fast 25 Jahren behandelte, 734 Blennorrhoeen neonatorum verzeichnet = 15 pro mille. Eine genaue Curve (die vorgelegt wird) giebt die Abnahme der Fälle in diesen Jahren. Im ersten Lustrum kamen 17, im zweiten 19, im dritten 16, im vierten 12 und im letzten Jahrfünft nur 10%,, Fälle vor. Die anderen Augenkliniken sollten ähnliche Zusammenstellungen vornehmen. In der Privatpraxis war die Krankheit stets viel seltner als in der Armenpraxis. Unter 19,000 Privatkranken kamen netto 100 Blennorrhoeen zur Beobachtung, also ca. 5 pro mille; davon im ersten Lustrum 1866 bis 1870 9%,,, im zweiten 6, im dritten 5, im vierten 4, im fünften nur 3°,,. In den letzten 3 Jahren gab es jährlich nur einen Fall in der Privatpraxis. Diese hocherfreuliche Abnahme seit 1875 rührt wahrscheinlich davon her, dass 1871 die Augenheilkunde Gegenstand des Staatsexamens wurde, die praktischen Aerzte also über die Gefahr und die rechtzeitige und richtige Behandlung der Krankheit besser unterrichtet waren, als früher. Cred&s Prophylaxe, die ich für ganz vorzüglich halte, und die 1833 publieirt wurde, scheint in Breslau sehr wenig geübt zu werden, hat daher auch keinen wesentlichen Einfluss auf die Abnahme der Blennorrhoeen ghabt. Es wäre wohl zu wünschen, dass sie allgemein eingeführt würde: dann würde diese schlimme Krankheit ganz aus der Pathologie verschwinden. Ich möchte an die Geburtshelfer die Frage richten, ob jemals einer nur eine schädliche Folge bei dem Eingiessen eines Tropfens 2 procentiger Höllensteinlösung ins Auge des Neugeborenen gesehen habe. Mir ist niemals ein solcher Fall vorgekommen. Die typische Gonorrhoe der Bindehaut Erwachsener war und ist selten, unter 40,000 Fällen zähle ich 47, also etwa 1 pro mille. Auch diese dürften nicht existiren, wenn die Tripperkrauken mehr auf die Gefahr der Augengonorrhoe hingewiesen würden. — Von Iritis gonorrhoica sah ich in dem letzten Jahrfünft nur 3 Fälle. 722 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. $o sehr ich das Mikroskop und die Neisser’sche Entdeckung der Gonococcen schätze, so sind die mikroskopischen Untersuchungen grade bei der Augenblennorrhoe nicht absolut nothwendig. Die Krankheit ist klinisch so vorzüglich charakterisirt, dass sie kein Student, der sie einmal gesehen, verkennen kann, Diese paukenartige Schwellung der Lider, diese eitrige Seeretion kommen nirgends sonst vor. Uebrigens hat seit 1879, wo die Gonococcen entdeckt wurden, fast stets die mikroskopische Prüfung stattgefunden und ergab die Anwesenheit der Coccen. Und wenn wirklich in einem leichten dubiösen Falle eine Ver- wechselung mit mucopurulenten Katarrh der Bindehaut vorkäme, welche Bedeutung hätte das für die Therapie? Gar keine; in beiden Fällen wird Kälte und Argentum nitriecum mit grösstem Nutzen angewendet werden. Ich habe im Laufe der Jahrzente alles versucht: Sublimat, Carbol- säure, Resorein, übermangansaures Kali ete., aber stets bin ich wieder zum Argentum zurückgekehrt, das rechtzeitig und in schwachen Lösungen angewendet (1 pCt.), aber ja nie in Substanz! den schönsten Erfolg zeigt. Aber die Prophylaxe muss noch weiter gehen, als auf das Auge’ des Kindes. Die Scheide der Mutter muss so desinfieirt werden vor der Geburt, dass gar kein Gonococeus ins Auge beim Passiren der Vagina eintreten kann. Ich kannte eine Dame, die bestimmt als virgo intaeta in die Ehe trat, deren Mann aber vor Jahren eine Gonorrhoe gehabt, dem jedoch, da täglich nur eine einzige unstillbare Morgenthräne aus- gepresst werden konnte, der sehr tüchtige Speeialist die Verheirathung gestattet hatte, Die Frau bekam während der Flitterwochen einen ganz leichten Fluor albus; das erste Kind kam mit mässiger Blennorrhoe der Augen zur Welt. Es war im Jahre 1875, wo noch keine Gonococeen bekannt waren. Das zweite Kind hatte auch Blennorrhoe, Darauf sagte ich, als ich wieder die Entbindungsanzeige in der Zeitung gelesen, jedesmal meinem Assistenten, dass wir zu dem Kinde würden gerufen werden, — und so war es auch beim 3, und 4. Kinde. Erst als der Hausarzt die Vagina vor der 5. Geburt gehörig desinfieirte, trat keine Blennorrhoe mehr auf. Unsere ganze Aufgabe muss dahin gehen, die Blennorrhoeen der Augen völlig aus der Welt zu schaffen, in dem wir sie verhüten, — und das ist ganz gut möglich, Dem gegenüber weist Herr Neisser auf die Untersuchungen Kroner’s hin, der bekanntlich mit Zuhilfenahme des Blennorrhoe- Materials sämmtlicher Breslauer Augenkliniken den Nachweis führte, dass man zweifellos zwischen einer gonorrhoischen und einer nicht gonorrhoischen Form der Blennorrhoe unterscheiden müsse, Diese Untersuchungen sind um so werthvoller gewesen, als Kroner zu gleicher Zeit auch die Mütter der betreffenden Kinder auf Gonorrhoe I. Medicinische Abtheilunge. 73 untersuchte und eine ganz gesetzmässige Conformität der Befunde bei Müttern und Kindern eonstatiren konnte, Die Untersuchung auf Gonococcen hält Vortragender auch bei der Blennorrhoe für sehr werthvoll; mag auch die Therapie nicht so sehr verschieden sein, für die Prognose — jedenfalls bösartiger bei der sonorrhoischen Blennorrhoe — sei sie doch zweifellos sehr beachtenswerih. Die von Schmidt-Rimpler gemachte Angabe, dass die Prognose häufig umgekehrt, bei der gonorrhoischen besser sei, vermag Vortragender als allgemeinen Grundsatz nicht zu acceptiren, glaubt aber, dass doch in einzelnen Fällen durch zufällige Mischinfeetionen auch eine nicht sonorrhoische Blennorrhoe einen sehr bösartigen Verlauf annehmen kön ne Die Thatsache, dass die von Cred& eingeführte radicale Abortiv- behandlung der gonorrhoischen Conjunctivitis so ausgezeichnete Resultate liefere, ist übrigens ein strikter Hinweis auf die grosse Bedeutung, welche die örtlichen Verhältnisse auf den Erfolg therapeutischer Maass- nahmen ausüben. Ganz abgesehen davon, dass die Harnröhre eine 2procentige Argentum-Lösung absolut nicht vertrage, ist es wesentlich ‘das mechanische Moment, die Möglichkeit die Argentum-Lösung in jede Conjunctivalfalte hinein gelangen zu lassen, welche die ausgezeichneten Resultate der Cred&’schen Prophylaxe erklärt. Herr Ernst Fränkel weist zunächst auf das ziemlich analoge Verhalten der Gonorrhoe beim Manne und beim Weibe hin, wenn man der männlichen Urethritis anterior die Schleimhauterkrankungen von der Vulva bis zum inneren Muttermunde und der Urethritis posterior mit den sie oft complieirenden Entzündungen der Funical. spermatic. und Nebenhoden die Blennorrhoe der Körperhöhlenschleimhaut des Uterus mit seeundärer Erkrankung der Tuben, Ovarien und des Beckenperitoneums vergleicht. Er erblickt unter vollkommener Uebereinstimmung mit den Thesen I und Ill jedoch eine Lücke vom klinischen und anatomischen Standpunkte darin, dass in These II das gonorrhoische Virus nur als in der weiblicheu Urethra und Cervix sesshaft angesehen und demnach eine Kolpitis gonorrhoica geleugnet wird. Dieselbe ist als Vulvo- Vaginitis gon. bei Kindern sicher nachgewiesen, und es scheint schwer erklärlich, warum bei gleicher Structur des Scheidenepithels dieselbe bei Erwachsenen fehlen sollte. Auch ist a priori ein solches sprung- weises Vordringen der Gonococcen auf dem Wege von der Vulva zu den inneren Genitalien oder umgekehrt — bei primärer gonorrhoischer Infeetion der Cervix auf dem Wege zur Urethra — kaum wahrscheinlich. Zudem fand Schwarz (Halle) im Gegensatze zu Neisser und Bumm in nicht seltenen Fällen frischer, primärer Vaginitis bei Erwachsenen sichere, intracelluläre Gonococcen im Gewebe der erkrankten Partien, sowohl in als unter den tieferen Epithelschichten. Klinisch sah Fränkel 74 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. ebenso wie Schwarz u. A. in frischen Fällen die Vaginalschleimhaut in intensivster Weise erkrankt, während der Uterus noch vollkommen frei war, also von Reizung durch überfliessendes Uterussecret keine Rede sein konnte. Auch kann man in zahlreichen Fällen, wo das Scheidenepithel, sei es durch physiologische Hyperaemie (während der Menstruation, der Schwangerschaft oder des Wochenbetts), sei es durch chemische oder mechanische Reize (ätzende, .starke Vaginalinjectionen, Einlegen von Vaginalpessarien) gelockert, macerirt und abgelöst wird, das Recrudeseiren einer scheinbar ganz oder nahezu abgeheilten Gonorrhoe gerade an der Vagina beobachten und das Wiederauftreten einer Kolpitis mit diffuser oder fleckiger bis punktförmiger Hyperaemie und unter starker Desquamation des Epithels mit jauchender Ab- sonderung. Nicht selten findet man dann ebenso wie in frischen, pri- ımären Fällen von Kolpitis gon. die Scheidenpapillen stark geschwellt, für das Gefühl rauh, körnig, für das Auge makroskopisch als punkt- förmige, rothe Flecken, mikroskopisch als gewucherte Schleimhautpapillen mit fehlender Pflasterepithelbedeckung (Kolpitis granularis), entsprechend den fast ausnahmslos gonorrhoischen Papillarwucherungen auf der Schleimhaut der Vulva (Condylomata acuminata). Aus allen diesen Gründen möchte Redner an der Annahme einer Kolpitis gonorrhoica auch bei Erwachsenen festhalten und auch die Scheide als nothwen- digen Angriffspunkt für eine energische Behandlung in frühen Stadien bezeichnen. Gegenüber diesen Ausführungen des Herrn Fränkel betont Herr Neisser, dass er an die Existenz einer gonorrhoischen Kolpitis bei Erwachsenen unter keinen Umständen glauben könne. Die Thatsache, dass bei der Gonorrhoe kleiner Kinder die Vagina eine typische Stätte der Localisation sei und andererseits der Umstand, dass es bei Erwachsenen weder ihm und seinen Assistenten, noch den Herren Steinschneider und Asch, welche auf seiner Klinik untersucht hätten, gelungen sei, auch nur ein einziges Mal eine gonorrh. Vaginitis zu constatiren, seien zu eindeutig, als dass er den geringsten Zweifel an seiner Anschauung hätte, Als selbstverständlich setzt er voraus, dass bei derartigen Untersuchungen das zufällige Hineingelangen von Gonococcen in das Vaginalsecret, sei es aus der Urethra, sei es aus dem Cervicalsecret, vermieden werde. Das häufige Vorkommen von Cervicalgonorrhoen sei übrigens bei der Frau durch directe Infeetion ohne Weiteres erklärlich, ein Fortwandern von der Vulva zumCervix durch die Vaginalschleimhaut anzunehmen, sei alo überflüssig und könne nicht als Beweis für das Bestehen einer gonorrh. Vaginitis angesehen werden. Dass bei Gonorrhoe nebenbei auch wohl eine Vagi- nitis vorkommen könne, will Vortragender nicht leugnen, obgleich er selbst bei jungen, ganz frisch infieirten Personen noch nie eine derartige Vaginitis gesehen habe; dass sie bei alten Puellis publ., die schon lange I. Medieinische Abtheilung. 75 ihr Gewerbe treiben, nicht vorhanden sei, würde ja durch die Abhärtung der Vaginal-Schleimhaut wohl erklärlich sein. — Ferner erklärt sich Vortragender mit aller Entschiedenheit gegen den gonorrhoischen Charakter der Condylomata acum. Ganz abgesehen davon, dass noch nie Gonococeen innerhalb der Epithelschiehten der Papillome sich gefunden hätten, hat er zahlreiche Fälle von Papillomen gesehen, bei denen weder zur Zeit noch früher eine Gonorrhoe bestand. Herr Steinschneider verweist gegenüber der Behauptung, dass die Vagina gleichfalls und vorzugsweise Sitz der sonorrhoischen Er- krankung sei, auf seine im Jahre 1887 an der Klinik für Hautkrank- heiten vorgenommenen und in der Berliner klinischen Wochenschrift veröffentlichten Untersuchungen. Bei 56 gonorrhoisch erkrankten Puellis habe er wiedeholt, in jedem einzelnen Falle mindestens fünf- bis sechsmal, theils mit der Platinöse, theils mit dem stumpfen Löffel Seeret aus der Vagina entnommen, welche Tags vorher gründlich gereinigt und durch vor die Portio gelegte Wattetampons von der Cervix möglichst abge- schlossen worden war. In allen diesen 56 Fällen, in welchen die Urethra durchweg, die Cervix in ungefähr der Hälfte Gonococcen auffinden liess, sind in der Vagina niemals Gonococcen zu constatiren gewesen: ein Resultat, welches von Fabry auf Grund seiner an der Bonner Klinik vorgenommenen Untersuchungen im vollsten Maasse bestätigt worden ist, Man kann daher eine Kolpitis gonorrhoica bei Erwachsenen nicht leicht annehmen, Herr Pfannenstiel erklärt sich den scheinbaren Widerspruch zwischen den Dermatologen und den Gynaekologen betreffs der gonorrh. Kolpitis folgendermaassen: Die Dermatologen leugnen, wie sie selbst zugeben, gar nicht die Existenz der von den Gynaekologen hervor- gehobenen Entzündung der Scheide bei akuter Gonorrhoe, sie leugnen nur, dass diese durch Gonococcen hervorgerufen werde. Somit con- cediren die Dermatologen also eigentlich eine durch Gonorrhoe bedingte Kolpitis, d. h. eine Kolpitis gonorrhoica, ‚aber sie negiren eine — sit venia verbo — Kolpitis „‚gonococeica“. Darin stimmt Pf. auch voll- kommen mit ihnen überein. Er hält die Kolpitis auch nicht hervor- gerufen durch den Gonococcus Neisseri, sondern durch Mischinfection, welche überhaupt bei der Gonorrhoe eine grosse Rolle spielt. Die die Vagina bewohnenden Coccen, worunter auch Eitereoccen, dringen in die Scheide ein, nachdem diese durch das gonorrhoische Cervixsecret macerirt worden ist. Dass Herr Neisser bei akuter weiblicher Gonorrhoe die Kolpitis seltener angetroffen hat, als die Gynaekologen, erklärt sich Pf. aus der Verschiedenheit des Materials, welche dadurch bedingt ist, dass die chronische Gonorrhoe häufiger ist als die akute, und meist wenig Be- schwerden macht. Während nun die unter Controle stehenden Puellae 76 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. mit ihrer chronischen Gonorrhoe in die dermatologische Klinik geschickt werden auch ohne subjeetive Beschwerden, gehen die nicht unter Con- trole stehenden Frauen nur selten zum Frauenarzt wegen der gering- fügigen durch diese späten Stadien hervorgerufenen Beschwerden. Auf diese Weise sieht Herr Neisser im Verhältniss viel mehr chronische Gonorrhoeen, während die Gynaekologen verhältnissmässig mehr akute Fälle bekommen, Hierauf wird die weitere Verhandlung auf das nächste Mal vertagt. Herr Robert Asch übernimmt es, die Discussion über die Behandlungs- weise der weiblichen Gonorrhoe einzuleiten. 18. Sitzung vom 12. December 1890. Fortsetzung über den Vortrag des Herrn Albert Neisser über Gonorrhoe-Behandlung. Herrn Robert Asch scheint die Analogie, welche Herr Fränkel zwischen den weiblichen und männlichen, von der Gonorrhoe ergriffenen ÖOrganabschnitten findet, nicht glücklich gewählt. Man könne die In- fection des Endometrium nicht in Parallele mit der Urethritis posterior bringen, da das gonnorrhoische Virus nicht von der Urethra durch die Scheide sich auf die Cervix fortpflanze, sondern wohl direct, ganz analog dem physiologischen Wege, den das Sperma nehme, dessen infeetiöse Beimengungen an der Portio vaginalis abgelagert, auf die Schleimhaut der Cervix einwirken. Damit scheine auch dessen Frage, warum denn ein Zwischenglied auf dem Wege, den die Infeetion nehme — die Vagina — gerade frei bleiben sollte, erledigt. Eine Kolpitis kommt fast nur bei frisch Deflorirten oder Stuprirten (auch ohne Hymenzerstörung) vor; ob die Kolpitis bei älteren Deflorirten und Greisinnen gonorrhoisch sei, müsse noch dahin gestellt bleiben; eine Vaginitis gonorrh. finde sich wenigstens bei Prostituirten auch bei akuten ersten Gonorrhoen nicht. A. glaubt auch, dass man viel zu häufig nur eine Öerviealgonorrhoe annähme, ohne doch eine Infection der Corpusschleimhaut ausschliessen zu können. Wenn es auch wahr- scheinlich sei, dass die Infeetion häufig auf die Cervicalschleimhaut be- schränkt bleibe und angenommen werde, dass sie auf letzterer länger fortbestehe, so sei doch eine spontane Fortpflanzung auf das Cavum mit Sicherheit vorauszusetzen, da auch in unbehandelten Fällen eine Tuben: infection beobachtet werde. Die Annahme der isolirten Cervicalgonorrhoe rühre wohl noch aus der Zeit her, da man die Salpingitis gemeinhin als Parametritis auffasste. Eine wahre Parametritis sei wohl ausserhalb des Puerperium ungemein selten und viel häufiger Folge einer falschen Behandlung der lüöndometritis, als eine fortgeleitete gonorrhoische In- fection. I. Medicinische Abtheilung. a Herr Asch meint, dass die Versuchsanordnung, das Secret des Mannes einer gonorrhoisch inpfieirten Frau auf Gonococcen zu unter- suchen, für die von Nöggerath aufgestellte Behauptung nie entscheidend sein könne, ob die frische Gonorrhoe des Weibes von einer alten Gonorrhoe des Mannes herrühre. Denn a priori sei schon anzunehmen, dass der Mann Gonococcen habe, weil er sich ja an der infieirten Frau reinfieirt haben müsse oder könne. Das Bestehen einer alten Gonorrhoe beim Manne sei, trotz der Uebertragung des ‚„Omnis luöticus mendax“ auf die vorliegende Frage, durch eine geschickte und dabei taktvolle Anamnese in Abwesenheit der Frau meist zu eruiren. Herr Ernst Fränkel fragt den Vortragenden nach seiner Ansicht über die Dauer der Infectionsfähigkeit der männlichen Gonorrhoe. Wenn auch die ursprüngliche Nöggerath’sche Ansicht, dass jeder Tripper „unheilbar“ sei und noch nach langen Jahren infectiös wirken könne, als übertrieben jetzt allseitig zurückgewiesen sei, so habe doch jeder Gynaekologe nicht seltene Fälle beobachtet, wo ganz sicher intactae virgines nach ihrer Verheirathung mit einem scheinbar ge- sunden Manne, der vor Jahren an Gonorrhoe gelitten, selbst derartig erkrankt seien. Wenn auch über das Alter vieler derartiger Tripper, die von den Inhabern auf eine sehr entfernte Zeit zurückdatirt würden, aus bekannten Gründen sehr skeptisch geurtheilt werden müsse, so bleibe doch eine Anzahl unverdächtiger Fälle übrig, und Redner habe in Gemeinschaft mit Herrn Prof. Neisser in einer Untersuchungsreihe — die vorläufig allerdings noch viel zu klein sei, um bestimmte Schlüsse daraus zu ziehen — seinerseits bei den Frauen und Herr Prof. Neisser bei den Ehemännern die Uebereinstimmung der positiven oder negativen Gonocoecenbefunde ganz unabhängig von einander festgestellt. In zweiter Reihe fragt Redner den Vortragenden, ob es ihm nach seiner Behandlungsmethode gelungen sei, die für die Entstehung der häufigsten Art der männlichen Impotenz (Impot. generandi, Azoospermie) causalen Complieationen der Gonorrhoe seitens der Samenstränge und Nebenhoden in ihrer Frequenz herabzusetzen. Es sei diese Frage auch für die Gynaekologen von grosser Bedeutung, da sich nach der Ueber- zeugung Fränkel’s mehr als die Hälfte aller sterilen Ehen durch voraus- gegangene Sexualerkrankungen des Ehemannes erklären lassen, Schon heute sei die frühere missbräuchliche Muttermunds-Künstelei als Inbegriff jeder Sterilitätsbehandlung aus der Praxis der verständigen Gynaekologen verschwunden. Indessen werde noch häufig genug der Uterus für Mängel gestraft, an denen er nicht die geringste Schuld trage. Die weibliche Gonorrhoe führt an und für sich, wie ja die zahlreichen Fälle von Ophthalmoblennorrhoea gon. neonatorum beweisen, nicht zur Steri- lität. Erst wenn die Krankheit den inneren Muttermund überschritten hat, kann es entweder durch chron. Endometritis corporealis gon, zur TB Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Impotentia gestandi (wiederholte Aborte durch Erkrankungen der Decidua) oder zur absoluten Sterilität durch Veränderungen in den Adnexen und dem Beckenperitoneum kommen. Mit Rücksicht auf die vielfach ausgesprochene Ansicht, es könnten vielleicht in den tieferen Schichten des Vaginalepithels Gonococcen vor- handen sein, welche bei der Untersuchung der oberflächlich abgeschabten Massen übersehen würden, bemerkt Herr Jadassohn, dass nach den histologischen Untersuchungen von paraurethralen Gängen, wie Touton und er selbst sie vorgenommen, gerade auf Pflasterepithelien die Gono- coccen ganz vorzugsweise in den allerobersten Zelllagen vegetirten Der Nachweis derselben müsste also im Gegentheil in der Vagina be- sonders leicht sein. Wenn er bei den Erwachsenen gleichwohl nie gelingt, so liegt das offenbar nicht an der Untersuchungsmethode, sondern daran, dass eben die Vagina der Erwachsenen nicht gonorrhoisch — im eigentlichen Sinne — erkrankt ist. Zu der Debatte über die Blennorrhoe der Conjunetiva erwähnt Herr Jadassohn 2 von Dinkler publicirte Fälle, bei denen die Gonococcen auch in die Cornea und in die Iris eingedrungen waren und hier Eiterung erzeugt hatten — es handelt sich also bei so schweren Processen keines- wegs, wie man bisher wohl allgemein angenommen hat, immer um eine Mischinfection. Aus der von Herrn Fränkel erwähnten Untersuchungsreihe ist besonders ein Fall hervorzuheben, in dem es sich um eine frische Infeetion in den ersten Wochen der Ehe handelte; der Gatte, der ganz gesund zu sein glaubte, 11 Monate vor der Verheirathung die letzte Gonorrhoe gehabt hatte, und bei dem kaum eine Spur schleimigen Secrets zu exprimiren war, wies in diesem reichlich Gonococcen auf. Zu der These VII bemerkt Herr Jadassohn noch, dass es besonders darauf ankomme, die mikroskopische Untersuchung nicht sogleich nach den Injeetionen vorzunehmen — da erhalte man naturgemäss fast immer negative Resultate —, sondern 12 und mehr Stunden zu warten, ehe man das Secret entnehme. Auch ist gerade in den chronischen und viel behandelten Fällen ganz besonders auf die isolirt aus der Urethra posterior aufgefangenen Fäden zu achten; in diesen findet man oft auch dann Gonoeoccen, wenn sie im Secret der Urethra anterior wiederholt ver- misst wurden. Herr Chotzen hebt hervor, dass das Vorkommen einer K.olpitis sonorrhoiea noch nicht einwandsfrei genug nachgewiesen worden sei, um dieselbe als thatsächlich bestehend annehmen zu können. Aller- dings ist die Möglichkeit ihres Vorkommens nicht völlig von der Hand zu weisen. Vor einiger Zeit wurde in einem französischen medieinischen Jour- nale berichtet, dass nach einem Coitus per os eine gonorrhoische Ent- I. Mediecinische Abtheilung. 79 zündung der Mundhöhle auftrat und in dem Secrete Gonococcen nach- zuweisen waren. Ebenso wie die Mundhöhle ist auch die weibliche Scheide mit Plattenepithelien ausgestattet; ebenso wie im Munde ist es also auch in der Scheide möglich, dass die Gonococeen durch die Kittsubstanz der Plattenepithelien hindurch in die tieferen Bindegewebsschichten vor- dringen und dort eine gonorrhoische Entzündung hervorrufen, Eine derartige Kolpitis gonorrhoiea wird aber nicht als primäre, sondern nur als secundäre Erkrankung auftreten. Primär erkrankt die Cervix uteri und der Uterus selbst. Das eiterige Secret, welches aus diesen Partien durch die Scheide nach der Vulva herabfliesst, vermag leicht eine Maceration der obersten Scheiden- Plattenepithelien hervorzurufen. Hierdurch wird den von der Cervix herabschwimmenden Gonococecen die Möglichkeit gegeben, durch die unteren Schichten des beschädigten Scheidenepithels hindurch in das tiefer liegende Gewebe einzudringen und alsdann eine Kolpitis gonorrhoica zu erzeugen. Herr Neisser erwiedert: Ueber die Dauer der Infecetionsfähigkeit können, wie Vortragender schon früher in einem auf der Naturforscherversammlung in Strassburg gehaltenen Vortrage ausgeführt hat, keine für alle Fälle geltenden An- gaben gemacht werden. Vortragender hält zwar die Gonorrhoe zweifel- los für heilbar, wie er durch Beobachtung von früheren Patienten nach jahrelanger Verheirathung constatirt hat, glaubt aber andererseits über die Infectiosität der chronischen Urethritis nur durch die mikros- kopische Untersuchung der Secrete Aufschluss gewinnen zu können und zwar in jedem einzelnen Falle. Vortragender weist aber darauf hin, dass er in seinen früheren An- gaben viel zu wenig das nur in Flocken entleerbare Secret der Urethr. post. berücksichtigt habe und er verweist auf die von Jadassohn ge- machten Untersuchungen, welche gerade die grosse Häufigkeit, fast könnte man sagen, Regelmässigkeit der Urethr. post. bei jeder chronischen Urethr. festgestellt haben. Auf die Methodik derartiger Untersuchungen geht er nicht ein und verweist auch auf die diesbezüglichen Angaben Jadassohns. Wenn Noeggerath als Beweis für die Unheilbarkeit des Trippers angegeben hat, dass scheinbar ganz gesunde Männer Virgines intactae in der Ehe infieirt hätten, so muss Vortragender auf die Unzulänglich- keit der in den damaligen Zeiten gemachten Untersuchungen aufmerksam machen. Ja selbst modernen Untersuchungen gegenüber glaubt Vortr. berechtigt zu sein, bisweilen Zweifel an ihrer Richtigkeit zu äussern, weil dieselben sicherlich viel schwieriger sind, als die meisten sich vorstellen. 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Vortr. deutet noch einmal die Schwierigkeit der Differenzirung zwischen Gonococcen und ähnlichen Diplococcen an. Was den zweiten von Herrn Fränkel angeregten Punkt betrifft: Ob es gelinge die schwereren Complicationen, wesentlich seitens des Nebenhodens, durch die von Neisser empfohlene Methode zu verringern, so bejaht der Vortr. diese Frage mit Entschiedenheit. In den letzten Jahren hat er übrigens in einer ganzen Reihe von Fällen durch doppel- seitige Epididymitiden entstandene Azoospermie beobachten können, wobei er übrigens nicht immer der Epididymitis allein, sondern auch namentlich zu scharf angelegten Fricke’schen Verbänden die Schuld an dem schlechten Ausgange beimisst. Herrn Pfannenstiel vermag der Vortr. insofern nicht beizustimmen, als das polizeilich eingelieferte Material nicht blos ältere Puellae publ. nach langer Controlzeit umfasst, sondern auch ganz junge Personen, die heimlich der Prostitution sich ergeben, daher um so eher schwere acute entzündliche Vaginalprocesse hätten darbieten müssen. Vortr. versichert aber von Neuem auch nicht ein einziges Mal eine derartige Colpitis be- obachtet zu haben. Herr Mikuliez fragt den Vortr., welchen Effeet er durch die interne Verabreichung von Balsamieis bei Behandlung der Gonorrhoe erreicht habe. Für das Urethralleiden selbst hat er nie einen be- sonderen Einfluss wahrnehmen können, doch glaubt er sicher einen guten Erfolg bei den sog. gonorrhoischen Gelenkleiden gesehen zu haben. In der Gelenkflüssigkeit soleher gonorrh. infieirter Gelenke hat er übrigens auch Gonococcen nie gefunden und vermuthet deshalb, dass dieselben sich in der Synovial- Membrau befänden. Ferner fragt er an, wie der Vortr. sich betr. der Diätvorschriften verhalte. In Bezug auf die Infeetionsfähigkeit des Gonorrhoikers bemerkt Herr Chotzen, dass sie im Stadium der Abnahme der Harn- röhrenentzündung lediglich durch mikroskopische Untersuchung selbst der kleinsten, nur sehr mühsam aus dem Urin herauszufischenden Harn- fädchen festzustellen sei. Aber selbst wenn der Harn gar keine Fädchen mehr zeigt, lässt sich aus diesem Umstande doch noch nicht folgern, dass der Krankheitsprocess beendigt und das Vorhandensein von Gonococcen auszuschliessen ist. Es ist nothwendig, mit dem Guyon’schen Inhalator einige Tropfen einer starken (2 '/,—5 pCt.) Argentum nitricum-Lösung sowohl in die pars prostatica, als anterior urethrae einzuträufeln und abzuwarten, ob während der nächsten 2—3 Tage indem Harnröhrensecret, welches sich nach dieser reizendenEinspritzung einzustellen pflegt, Gonococcen noch nachzuweisen sind. Finden sich nach dieser Probe Gonococcen nicht mehr vor, so kann die Infeetionsfähigkeit des Kranken verneint und die Ausübung des Beischlafes wieder gestattet werden. schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur. ea or ee To 68. I. Jahresbericht. Mediecinische 1890. Abtheilung. nllaln WdE TE er IRA 2 ehe - er iehee 1 Die Behandlung der Gonorrhoe mit Ol. Santali habe ich bereits vor einigen Jahren begonnen, aber wegen der unangenehmen Nebenerscheinungen (Aufstossen und Nierenschmerzen), welche sowohl andere, als ich selbst zu verzeichnen hatten, bald wieder aufgegeben. In neuerer Zeit wurde die Marke Midy des Ol. Santali, welche aus dem Gebiete des Rajah von Misore stammen soll, als ein reines Präparat gepriesen, welches keinerlei unangenehme Nebenerscheinungen mache. Ich liess dieses Oel zusammen mit Salol nehmen: Ol. Santali (Marke Midy) Salol & 0,3 in caps. gelatin.; 2 x tgl. 2 Kapseln. Ich habe jedoch selbst nach Verbrauch von 40 bis 60 Kapseln eine Verminderung der Gonococcen nicht feststellen können. Es musste neben dieser inneren Behandlung noch eine locale mit Argentum nitrieum- Injeetionen eingeschlagen werden. Hingegen scheint im späteren Ver- laufe der frischen Gonorrrhoe, wo sich nicht mehr tropfenförmige Secretion, sondern nur noch vereinzelte Harnfäden finden, das Ol. Santali + Salol ein schnelleres Verschwinden der Fädchen zu be- wirken, als die alleinige Injection von Adstringentien. Was nun die Diät des Gonorrhoikers anlangt, so ist Herr Chotzen der Meinung, dass der Genuss von Alkoholieis nicht voll- kommen zu verbieten, nur vor dem übermässigen Genuss zu warnen sei, d. h. vor der Zufuhr einer solchen Menge, welche im Stande wäre, eine Beschleunigung der Herzthätigkeit zu bewirken. Denn durch die ver- mehrte Circulation kann zweifellos eine Steigerung der localen Entzündung hervorgerufen werden. Im Hinblick auf die künstliche Irritation der Urethra post, behufs der Wiedersichtbarmachung latenter Gonocoecen-Nester, bemerkt Herr Neisser, dass diese Methode, die von ihm schon vor Jahren be- schrieben worden ist, thatsächlich oft genug sichere positive Resultate liefert, auch da, wo die einfache Untersuchung Gonococcen nicht nach- weist. Betreffs der internen Behandlung mit Balsamieis hat der Vor- tragende nur auf die Stärke des Ausflusses und gewisse Reizerscheinungen der Harnröhre einen Effeet beobachten können. Ein Einfluss auf die Gonococecen ist nie constatirt worden. Er hält solche Medi- camente, welche das Secret auffällig vermindern, ohne die Gonococcen 6 82 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. zu tödten, vor der Hand für um so gefährlicher, als die von ihm für unumgänglich nothwendig gehaltene mikroskopische Secretuntersuchung ja noch lange nicht Allgemeingut aller Aerzte geworden ist. Die Diät anlangend, so zweifelt Herr Neisser nicht daran, dass eine sehr sorgfältig innegehaltene „antiphlogistische“ Diät von grossem Nutzen sei und versucht auch in den acutesten Stadien, diesbezügliche Ver- ordnungen durchzuführen. Aus praktischen Gründen aber geht er sehr bald dazu über, die Patienten geringe Quantitäten (wenn möglich ganz schweren) Bieres trinken zu lassen; er hat davon nie einen Schaden gesehen, vorausgesetzt dass das Bier möglichst kohlensäurefrei ist. Zum Schluss dankt der Vortr. für das Interesse, welches seitens der Versammlung der Discussion dieser Frage geschenkt worden ist. Er hofft, es sei ihm gelungen, namentlich für die Ansicht Anhänger zu ge- winnen, dass ohne mikroskopische Controle des Secrets eine wirklich gute und sichere Durchführung einer Gonorrhoe- Behandlung unmöglich sei. | I. Medicinische Abtheilung. 83 Sitzungen der Section für öffentliche Gesundheitspfiege. 1. Sitzung am 7. Januar 1890. Nachdem Herr Dr. Jacobi einige Bemerkungen „über die Ge- schichte der Influenza“ vorausgeschickt hatte, in welchen er be- sonders auch den scharfen Unterschied zwischen der Influenza bei Menschen und der Dengue sowie der Pferde-Influenza hervorhob, sprach ‘Herr Sanitätsrath Dr. Schmeidler: „Ueber den gegenwärtigen Stand der Influenza in Breslau.“ Nachdem der Vortragende erwähnt, dass er zu dem Referat über den gegenwärtigen Stand der Influenza-Epidemie in Breslau von Collegen aufgefordert worden sei, weil gerade die in der Stadt praktieirenden Aerzte besser in der Lage seien über denselben Auskunft zu geben, als die an den Hospitälern angestellten (es wurden ja bisher nur die schwersten Fälle in die Hospitäler aufgenommen), bemerkt er, dass die Epidemie, welche sich seit Anfang December 1889 erst in sporadischen, dann in zunehmend häufigeren Fällen gezeigt habe, seit den letzten 14 Tagen nach seiner und anderer beschäfligter Collegen Erfahrung um das 6- bis 10fache zugenommen habe. Die Ausdehnung derselben sei also jetzt sehr bedeutend, aber der Charakter bis auf einzelne Fälle gutartig, was zur Beruhigung der Bewohner Breslaus hier hervor- gehoben zu werden verdiene. Die Epidemie habe sich eigenthümlicher Weise zuerst mehr bei den wohlhabenden Bewohnern gezeigt und sei erst allmählich mehr in die ärmeren resp. Arbeiter-Kreise gedrungen, Kinder seien nach den Angaben aller von ihm befragten Collegen bis jetzt viel weniger befallen worden als Erwachsene; so seien u. A. bisher keine daran erkrankten Kinder in die stabile Abtheilung des Kaiser Wilhelm-Augusta-Hospitals (Prof. Soltmann) aufgenommen, sehr wenige in der Poliklinik desselben und ebenfalls sehr wenige in der Kinder- Poliklinik des Herrn Dr. Töplitz beobachtet worden. Allmählich würden wohl auch mehr Kinder befallen werden. Wie es beim Militair mit der Epidemie stehe, darüber werde der hier anwesende Herr Generalarzt Dr. Strube am besten Auskunft geben können. Ins Aller- heiligen-Hospital wurden bisher seit dem 12. December erst 41 Influenza- 84 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Kranke aufgenommen. Was nun den speciellen Charakter der gegen- wärtigen Epidemie anlange, so lassen sich wie in früheren dergl. die drei Hauptformen unterscheiden: die nervöse, die respiratorische und die gastrische oder Kopf-, Brust- und Bauchgrippe, welche natürlich vielfach combinirt vorkommen und je nach der individuellen Praedisposition zu Erkrankungen die betreffenden Organe der Patienten vorzugsweise be- fallen. Leute, die mit alten, chronischen Herz- oder Lungenleiden be- haftet seien, würden natürlich besonders schlimm mitgenommen und in ihrem Kräftezustande redueirt, was oft den Tod zur Folge habe. (Cfr. Biermer über Influenza.) Referent führt nun verschiedene Fälle mit besonders heftig auf- tretenden Einzel-Erscheinungen an, so den mehrfachen Beginn der blitz- artig auftretenden Erkrankung mit Convulsionen bei Kindern, mit den heftigsten Neuralgien verschiedener Gebiete, so der Intercostalnerven, welche sich zu Angina pectoris, der Lumbal- und Sacralnerven, welche sich bis zu heftigen stundenlang andauernden wehenartigen Schmerzen bei Frauen und zu Ischias bei beiden Geschlechtern steigerten und oft intermittirend wurden. Schwindel, grosse Benommenheit des Kopfes, Zerschlagenheit in allen Gliedern und lange nachher noch andauernde Mattigkeit und Schwäche seien als häufige Erscheinungen vorgekommen, Nicht selten kommen auch im Anschluss an die Influenza intermittirende Trigeminus-Neuralgien zur Beobachtung. in der respiratorischen Sphäre sei der Beginn mit heftigem Schnupfen nicht immer vorhanden gewesen, dagegen oft heftige Angina, Bronchitis, zuweilen mit Haemoptoe in Folge von Hyperaemie der Schleimhäute, Pleuritis, Pneumonie ete,; der Tracheal- katarrh war meist sehr hartnäckig. Die gastrischen resp. überhaupt Reizungen des Intestinal- Tractus waren oft sehr heftige und zeigten sich oft, sowohl in Erbrechen, als auch zuweilen heftigen Diarrhoen. Das Fieber trat meist sehr acut auf und stieg von 38,0 oft bis auf 40,5. Die Prodrome dauerten zuweilen auch mehrere Tage, so dass bei der unzweifelhaft vorhandenen und vielfach beobachteten Möglichkeit der Uebertragung durch Ansteckung die Incubation durchschnittlich 2—4 Tage zu betragen schien. Die Behandlung bestand u. A. hauptsächlich in der Darreichung von Antipyrin, welches Fieber und subjeetive Beschwerden meist rasch linderte, während Chinin dagegen gar nichts half, wie Referent aus eigener Er- fahrung bestätigen kann. Sodann stellte und begründete Herr Dr. Simon die folgenden Anträge: l. die Section beschliesst, die Aerzte Breslaus zur Aufstellung einer Influenza-Statistik aufzufordern; I. Medicinische Abtheilung. 85 2. mit der Ausführung dieses Beschlusses wird eine Commission betraut; 3, der Magistrat wird ersucht, die sächlichen Kosten zu übernehmen. In der Discussion führte zuerst Herr Generalarzt Dr, Strube aus, dass bei der Garnison in Breslau die Epidemie bereits am 10. December und zwar im Bürgerwerder begonnen habe. Bis Ende December 1889 waren 165 Mann erkrankt, bis zum 7. Januar d. J. 421 (= 17 pro mille). Die letzten Tage haben eine rapide Zunahme gezeigt. Die Fälle sind leichte. Alle gemeldeten Fälle sind wohl charakterisirte, da vor- her eine gleichmässige Auffassung vereinbart war. Sie hatten Schüttel- frost, hohes Fieber, nervöse Depression und wenig katarrhalische Er- scheinungen. Medicamentös erwies sich Chinin nicht so prompt wie Antipyrin und Antifebrin, indessen haben auch diese Mittel, wie die Parallelfälle zeigten, den typischen Verlauf nicht abzukürzen vermocht. Herr Stadtrath Dr. Steuer theilte mit, dass die städtischen Schulen schon um Weihnachten aufgefordert seien, Erhebungen über die Zahl der Erkrankungen aufzustellen. Nach den eingegangenen Berichten sind von 13650 Schulkindern bis zum 6. Januar ca. 600, von den Lehrern 31 erkrankt. Er habe den Eindruck, dass Breslau inselförmig von der Epidemie befallen worden sei. Der Südosten der Stadt habe früher ge- litten, die allgemeine Verbreitung datire seit den Weihnachtstagen. Er hat bei den neuralgischen Beschwerden Salol günstig wirken gesehen. Herr Dr. Kayser bestätigt nach dem statistischen Material der Krankenkassen, dass die Influenza erst in den Weihnachtstagen allgemein geworden sei. Ferner habe sich ergeben, dass besonders die Arbeiter, welche im Freien thätig sind, davon befallen würden. Herr Dr. Simm kann der letzten Bemerkung nicht beistimmen. Er habe die in geschlossenen Räumen Arbeitenden ebenso häufig erkranken sehen. Herr Dr. Töplitz fand in dem städtischen Arbeitshause ebenfalls, dass hauptsächlich die Männer erkrankten, welche draussen arbeiteten. Die Weiberstation blieb vollständig frei. Begonnen hat die Epidemie im Arbeitshause kurz nach Weihnachten. Nachdem noch die Herren DDr. Bidder, Neefe, Lion und Förster gesprochen, werden die Anträge Simon angenommen mit den Zusätzen, dass die Commission aus den 3 Secretairen, sowie den Herren Simon und Neefe bestehen und der Magistrat auch ersucht werden solle, das statistische Amt mit der Zusammenstellung der eingehenden Berichte zu beauftragen, ') !) Der Magistrat und die Aerzte haben den Wünschen der Seetion in an- erkennenswerther Weise entsprochen. Die Zusammenstellung der eingegangenen Berichte findet sich in dem Monatsberichte des statitischen Amtes für Januar 1890. 86 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 2. Sitzung am 28. November 1890. Herr Dr. Simon sprach über das Thema: Zur Reform des Anmelde- und Desinfectionswesens bei den anzeigepflichtigen Krankheiten. Der Vortragende führt an der Hand des gegenwärtig in Breslau be- stehenden Modus aus, wie das Anzeigewesen mehr einer leeren Formalität, einer blossen Erfüllung polizeilicher Vorschriften gleich zu erachten wäre und daher weder vom Publikum noch von den Aerzten mit be- sonderem Vertrauen angesehen würde. Das Anzeigen ansteckender Krankheiten hat nicht nur einen statistischen, sondern einen hervorragend prophylaktischen Zweck, zumal wenn das Desinfeetionswesen organisch mit dem Anmeldewesen verbunden wird, Deshalb müssten die An- meldungen sofort und ohne Zwischeninstanzen an eine Centralstelle ein- laufen und die Desinfeetion thunlichst von derselben Centralstelle aus veranlasst werden. Die Einführung einer Desinfecetionsordnung für Breslau steht vor der Thüre, und daher sei der Zeitpunkt, auch das An- meldewesen zu reformiren, günstig. -Vortragender verweist auf die englischen Gesundheitsämter — local boards of health — welche seit dem Jahre 1835 in England allgemein eingeführt sind, gegenwärtig über 1500. Nach einer eingehenden Schilderung der Entwickelung des engl. Medicinalwesens, speciell der zahlreichen meist eins auf das andere ge- pfropften Gesundheitsgesetze, in deren Labyrinthe zuerst Sander, Finckeln- burg und Götel die Pfadfinder gewesen, und der langen Kämpfe, welche nothwendig waren, um den Widerstand zu beseitigen, welchen das übertriebene Selfgovernment jeder Medieinalreform, die bei der Eigen- thümlichkeit der englischen Gemeindeformen zugleich eine Communal- reform involvirte, entgegensetze, folgt eine Beschreibung des heutigen englischen Regierungs- und Communal - Medicinalwesens, speciell des Localgesundheitsamtes in Salford-Manchester. Das Gesundheitswesen ist in England mit dem Armenwesen eng verbunden. Die Gesundheitsämter, an deren Spitze ein ärztlicher Gesundheitsbeamter, medical officer of health, steht, sind durchweg Organe der städtischen oder ländlichen (union) Selbstverwaltung, die nur in sofern unter einer staatlichen wissen- schaftlichen Controle stehen, als sie Viertel- und Jahresberichte an die Medicinal - Abtheilung des Ortsverwaltungsministeriums — Local sovernment Board — zu senden haben. Nur bei den vom Staate sub- ventionirten Gesundheitsämtern, was bei den meisten ländlichen (rural authorities) der Fall ist, hat derselbe sich das Bestätigungsrecht bei An- stellung und Kündigung der med. off. of health reservirt. Das Gesundheitsamt zu Salford, 220000 Einw., eines der am besten organisirten Englands, umfasst die gesammte Sanitätspolizei resp. Markt- polizei, Theile der Baupolizei und die Statistik. Das Amt besteht aus I. Medicinische Abtheilung. 37 dem ärztlichen Gesundheits-Beamten, 1 Oberinspector, 10 Gesundheits- Inspeetoren, 6 Schreibern, 8 Desinfeetoren. Es besitzt ein chemisches Untersuchungsamt, 1 grosse Desinfectionsanstalt, 4 Wagen für In- feetions-Erkrankte resp. zur Beförderung der zu desinfieirenden Gegen- stände,. Im Jahre 1889 wurden 38400 Inspectionsbesuche gemacht; hiervon betrafen 12980 die Infections-Krankheiten. Die Zahl der angemeldeten Fälle betrug 2476 (3 Flecktyphus, 1283 Scharlach, 691 Diphtherie, 485 Typhus, 14 Wochenbettfieber), die der Desinfeetion von Häusern und Wohnungen 2940, die der Bett-Wäsche und Kleidungsstücke 1324. - Die Stadt ist in.206 Med.-Bezirke getheilt, die jeder für sich medieinisch- statistisch bearbeitet werden. Nachdem Vortr. die Möglichkeit der Errichtung ähnlicher Institutionen im Rahmen unserer Communalverfassung auf Grund der bestehenden Ge- setzgebung eingehend erörtert, schlägt er folgende Thesen zur An- nahme vor: 1. Eine Reform des Anmelde- und Desinfectionswesens ist für Breslau unaufschiebbares Bedürfnis, 2. Es erscheint hierzu am zweckmässigsten, diesen Theil der Wohl- fahrtspolizei auf die Commune zu übertragen. 3. Hierzu muss im Falle der Ausführbarkeit sub 2 von der Commune, im anderen Falle vom Polizeipräsidium eine Centralbehörde ge- schaffen werden, an deren Spitze ein Arzt im Hauptamt als städt. Gesundheitsarzt, resp. als ständiger poliz. Mediecinalreferent zu stellen ist, 4, Diesem sind unter Anderem das Melde- und Infeetionswesen zu unterstellen, Eine ad hoc zu wählende Commission solle sich mit den zuständigen Behörden in Verbindung setzen. An den Vortrag schloss sich die folgende Diseussion: Herr Dr. Asch. Das Thema sei hier schon oft behandelt. Die Einführung des communalen Medicinalbeamten bedürfe eines legis- latorischen Actes. Bis jetzt habe sich auch unsere Polizeibehörde ge- weigert, sanitätspolizeiliche Befugnisse an die Stadtgemeinde abzutreten. Die Furcht der Commune vor Geldbewilligungen stehe ebenfalls Reformen entgegen. Herr Dr. Neefe. Seit 6—8 Jahren ist bereits eine erhebliche Besserung des Anmeldewesens durch die neuen Formulare herbeigeführt. Leider werden noch vielfach die Meldungen von den Aerzten unterlassen, wie er statistisch nachweisen könne, Die Ablehnung der frankirten Meldekarten musste erfolgen, weil die Polizei die Meldung bei dem Commissariate für nothwendig erklärte. Er halte gerade eine Decentrali- sation der Medicinalpolizei für wichtig und würde dafür stimmen, dass 88 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. unseren Armenärzten die Eigenschaft von Bezirks-Gesundheits- Beamten verliehen werde. Herr Polizei-Präsident Dr. Bienko. Herrn Dr. Asch müsse er entgegnen, dass der Polizei-Präsident gar nicht in der Lage sei, einen Theil seiner Befugnisse an die Stadtgemeinde abzutreten, selbst wenn er es wollte. Es schweben zur Zeit in Breslau und anderen grossen Städten Verhandlungen darüber, ob und in wie weit man gewisse Zweige der Polizeiverwaltuug übernehmen wolle; soweit ihm bekannt, bezögen sich diese Verhandlungen nicht auf die Sanitätspolizei. Ganz etwas Anderes aber sei es, und sei im Rahmen der gegenwärtigen Competenz verhältnissmässig vollkommen möglich, wenn der Polizei-Präsident sich mit der Stadt über zweckmässige Einrichtungen, speciell solche von be- sonderem sanitärem Werthe in Verbindung setze, damit letztere die er- forderlichen Mittel gewähre, Aerzte anstelle ete.. Er selbst beabsichtige gerade etwas derartiges in kürzester Zeit zu thun. Er wolle mit den in jeder Vorstadt neu zu etablirenden Polizeiwachen, wenn möglich, Sanitäts- stationen verbinden, in denen den in den Strassen Verunglückten, die bisher sofort ins Hospital transportirt wurden, die erste Hilfe zu leisten sei. Gewähre die Commune die zu diesem Zweck erforderlichen Mittel, so würde gewiss von keiner Seite Einspruch erhoben werden. Gewiss leide das Meldewesen an Mängeln, und er sei persönlich gern bereit, nach jeder Richtung hin entgegenzukommen. Zwar sei die Stadt verpflichtet, die sächlichen Kosten zu tragen. Wenn z. B. gewisse Maassnahmen zu treffen seien, die ohne ganz bestimmte Kosten nicht zu erledigen seien, so sei er berechtigt, diese zu zahlen und der Stadt zu liquidiren. Ein so dringendes Bedürfniss läge aber hier nicht vor, die Stadt würde hiergegen doch sehr begründeten Widerspruch erheben. Es komme also lediglich darauf an, ob die Stadt in der Lage sei, Mittel dafür zu bewilligen; er persönlich würde sehr gern entgegenkommen. Herr Dr. Asch ist ausserordentlich erfreut über den Ton, der uns entgegentritt, dass er nur sagen kann, er erwarte für die Zukunft das Beste, Der vom Herrn Polizei-Präsidenten ausgeführte Standpunkt sei ja derjenige, den die Aerzte anstrebten. Schliesslich wird auf den Antrag des Herrn Geheimrath Biermer eine Commission gewählt, welche die obigen Thesen durchberathen und darüber berichten soll. Die Commission besteht aus den Herren Asch, Flügge, Jacobi, Neefe, Neisser und Simon. Schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur yS 2) 68. TI. Jahresbericht. Naturwissenschaftliche 1890, Abtheilung. et en Ueber den Goldbergbau in Siebenbürgen. Von Dr. Kosmann. (Sitzung der Naturwissenschaftlichen Section vom 8. Januar 1890.) Während im Westen der ungarischen Monarchie der Goldbergbau bei Schemnitz und Kremnitz in sichtlicher Abnahme begriffen ist, hat sich seit mehreren Jahren deutsches Kapital vornehmlich den goldführenden Bezirken im Siebenbürgischen Erzgebirge zugewendet, wo eine srosse Anzahl von Goldbergwerken seit längerer Zeit theils in Fristen lag, theils nur schwach und von wenig kapitalskräftigen Gewerkschaften, so zu sagen in bäuerlichen Betrieben ausgebeutet wurde. Es ist nament- lich der Bezirk zwischen den Orten Zalathna und Abrudbanya, in welchem zahlreiche Erzvorkommen auftreten und welcher ausgezeichnet ist durch eine Menge von trachytischen Erhebungen, welche den eocänen Karpathen- sandstein durchbrochen und zu verschieden gearteten, theils porphyrischen, theils breecienartigen Sandsteinen umgewandelt haben. Sowohl die trachytischen Gesteine, welche durch von Hauer, Grimm, Posepny, Dölter eine eingehende Bearbeitung erfahren haben, wie der Karpathen- sandstein und seine der Zersetzung unterworfenen Derivate sind von Erzgängen durchsetzt. Eine übersichtliche Beschreibung dieses gold- führenden Bezirks hat vom Rath in den Verhandlungen des Natur- historischen Vereins für Rheinland und Westfalen 1875 und 1876 nieder- gelest. Meine Mittheilungen beziehen sich auf das Erzvorkommen von Vulkoj, einer Colonie am nordöstlichen Abhange der 1351 m hohen Corabia, in einem Seitenthale des grossen Thalwegs von Bucsum Poeni gelegen. Das hier auftretende Vorkommen goldführender Gänge ist dadurch bemerkens- werth, dass die sowohl im Trachyt wie im Karpathensandstein auf- setzenden Erzgänge in naher Nachbarschaft sich bei einander befinden und zu einander in naher Beziehung stehen, ja, dass sogar am Südabhang der Corabia eine Berührungszone vorhanden ist, in welcher die Erzgänge aus der trachytischen Formation in den Karpathensandstein hinübersetzen, wenngleich zur Zeit der unmittelbare Zusammenhang zwischen den Erz- 1 I Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Culiur. gängen beider Gesteinsbildungen noch nicht mit aller Evidenz hat ver- folgt und klar gelegt werden können. Der Aufbau des Siebenbürgischen Erzgebirges ist ausgezeichnet durch eine halbkreisförmige Anordnung der dasselbe zusammensetzenden Gesteine; es gilt dies nicht blos von der allgemeinen Ablagerung, der in ihrer Altersfolge über einander gelagerten Gebirgsmassen der sedimen- tären Gesteine, sondern auch die Erhebungen eruptiver Formationen schliessen sich mit ihren Ausläufern dieser halbkreisförmigen Anordnung an. So entsendet die Corabia als centrale Erhebung zwei mächtige Ausläufer, westlich den Berg Denilesti, östlich den Berg Vulkoj, die einen nach Norden geöffneten mächtigen Thalkessel bilden, in welchen hinein ein dritter Ausläufer, La Teu, sich hinein erstreckt. Die Rücken dieser letzteren Bergrücken erheben sich bis zu 1000 m Seehöhe, welche auch als die Höhenlage des Plateaus zu bezeichnen ist, aus welcher der Gipfel der Corabia ansteigt. Ungefähr !/), Kilometer westlich der Corabia erhebt sich die flache Anhöhe des Botesberges, welcher mit sanfter Ab- dachung nach einem südlich vorliegenden Thale abfällt, infolge dessen an dem Abhange Gelegenheit zur Gewinnung tieferer Sohlen durch An- satz und Heranbringen von Stollen gegeben ist. Das Gestein der Corabia ist ein Grünsteintrachyt, welcher der von Dölter benannten Gruppe der „Dacite‘ angehört, ein quarzführender Amphibol-Andesit, und setzen in demselben sechs goldführende Gänge oder Gangsysteme auf, welche in hor. 10—11 streichen und, soweit dies durch den Bergbau nachgewiesen ist, regelrecht in die Teufe niedersetzen. Durch einen von Norden her, in dem erwähnten Thalkessel bei der von französischen Pächtern des Bergwerks errichteten Colonie Hermania, an- gesetzten Stollen wurde noch ein jüngeres Trachytgestein von leber brauner Farbe, aber dem älteren Grünsteintrachyt in der Gesteinsbe- schaffenheit nahestehend, angefahren, welches durch die zahlreich -ein- gelagerten Hornblendekrystalle wie Schwefelkiespartikel ausgezeichnet ist. In sehr bemerkenswerther Weise traten nach Durchfahrung dieses Jüngeren Trachyts Conglomeratgebilde auf, in welchen sowohl Bruch- stücke von zersetztem und ausgelaugtem älteren Trachyt wie von Kar- pathensandstein eingeschlossen waren, Von den erwähnten sechs Gangsystemen, die als solche zu be- zeichnen sind, weil sie nicht nur die Ausfüliung einer einzigen Kluft bilden, sondern in der Scharung mit zahlreichen und zum Theil selbstständig sich entwickelnden Nebentrummen auftreten, sind die am stärksten bebauten, weil mächtigsten, und daher am besten bekannten, die dem östlichen Theile der Corabia angehörigen Gänge, die Jeruga- und die Butura-Kluft. Die erstgenannte Kluft setzt in der Mächtigkeit von 1,5—2 m bis zum Gipfel der Corabia hinauf und bestehen daselbst, aus den Zeiten der Römer her, mächtige Weitungen alter Tagebauten, sogen. Verhaue, in | li. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 3 denen die Römer das Freigold im Raubbau gewonnen haben, während die Pocherze mit dem darin vorhandenen fein vertheilten Golde und güldischen Eisenkiesen vernachlässigt wurden; diese sogen. Verhauerze stehen daher noch gegenwärtig der Gewinnung und Verpochung zu. Die Hauptlosungsstrecke für diese östlichen Gangsysteme ist der von Vulkoj am nordöstlichen Abhange her herangetriebene Peter-Paul-Stollen, welcher in nahezu 1000 m Seehöhe angesetzt, bei 500 m Länge die Jeruga an- gefahren hat. Der bereits erwähnte Hermania-Stollen ist in 907 m See- höhe angesetzt und nebst einigen Flügelörtern gegen 400 m lang ge- worden; derselbe hat zur Zeit nur die Butura-Kluft angefahren, hat aber durch die tiefere Lösung bewirkt, dass die in den oberen Sohlen ge- förderten Erze durch Rolllöcher in das nördliche Thal zu Tage gebracht werden können, wo in der Nähe unterhalb des Hermania-Stollenmund- loches ein grosses, mit Dampf betriebenes Pochwerk nach californischem System angelegt worden ist. Die Ausfüllung der Jerugakluft bildet ein dichtes, aber nie massig werdendes, sondern krystallinisch bleibendes Quarzgestein, welches überall in Höhlungen und Drusen auf deren Wandungen zu Krystallen ausge- bildet ist; in den grösseren Drusen sitzen diesen Bergkrystallen prächtige, zu grösseren Gruppen vereinigte Kalkspatkrystalle auf, fast durchgängig in der Gestalt langer, sehr stumpfwinkeliger Skalenoeder, welche sich aus flachen, stumpfen Rhomboedern aufbauen; an anderen Stellen treten zackige, ganz spitze Rhomboeder auf, und ist, wie fast überall auf den Erzgängen, die Mannichfaltigkeit der Kalkspathformen eine grosse. So- wohl der Augenschein, als auch die Inbetrachtnahme der chemisch- geologischen Bedingungen, dass Kieselsäure in neutralen Lösungen durch Kohlensäure ausgefüllt wird, lehren, dass die Kalkspäthe Producte späterer Bildung sind, nachdem die Ausscheidung der kieseligen Gangmasse und der von ihr eingeschlossenen güldischen Erze stattgefunden hatte. Und so ist es auch zu erklären, dass die Kalkspath führenden Theile der Klüfte, wie dies auch auf der vorzugsweise Kalkspath führenden Butura- kluft der Fall, weniger goldhaltig sind, als die aus reinem Quarz be- stehenden Gangmassen, Das Gold findet sich in der Jeruga, wie auf allen anderen Gängen, theils als sichtbares, im Gestein eingesprengtes oder in Höhlungen auf den Wandungen aufsitzendes Freigold, in Krystallen, blättrigen und haar- förmigen Gebilden, deren öfters bis zu 700 gr und mehr an einer Stelle entnommen werden; in der Hauptmenge kommt das Gold auf das feinste eingesprengt vor, so dass es nur durch Verpochen des Gangquarzes bis zum feinsten Staube unter gleichzeitiger Amalgamirung mit Quecksilber ausgewonnen werden kann; endlich ist die Gangmasse von fein einge- sprengtem Eisenkies (Pyrit) durchsetzt, welcher neben seinem Goldgehalt auch Bestandtheile von Silber, Kupfer und Blei führt. 1* 4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Das Freigold wie das Pochgold ist indessen nicht reines, sondern sogen. Crudogold, welches als Freigold durchschnittlich 70 pCt. Gold, 26—27 pCt. Silber, als Pochgold 60—65 pCt. Gold, 30—35 pCt. Silber enthält; der Rest besteht in Kupfer, Blei und Eisen. Je höher der Silbergehalt des Crudogoldes ist, desto schwerer amalgamirt, d. h. löst es sich im Quecksilber, einer desto grösseren Menge Quecksilber bedarf es mithin behufs vollständiger Amalgamirung.!) Der Gehalt an Schliechen beträgt 3 pCt. — Es enthalten nun die Jerugaerze 15—16 g Gold pro Tonne (zu 1000 ke), die Buturaerze 7—8 g, die aufbereiteten Schlieche 60 g pro t, daher Gold in den Schliechen 1,8 g pro t rohen Haufwerks. An Freigold wird 1 kg durchschnittlich pro Tonne Erz ge- wonnen; es dürfte die Menge desselben sich als höher herausstellen, wenn nicht eben dieses Freigold Gegenstand der Begehrlichkeit der Bergleute wäre, welche dasselbe in grossen Mengen entwenden und unter- schlagen, und mit tausend listigen Mitteln es heimlich aus der Grube zu schleppen trachten. In der Kleidung, in den Stiefeln, unter den Kopf- haaren, in den Ohren, selbst in ano suchen sie es zu verstecken; ja sie verschlucken sogar Stücke, um sie später beim Abgange wiederzufinden, und fügen sich damit die Ursachen zu den schmerzlichsten Darmkrank- heiten zu. Beim Verlassen der Grube werden daher alle Bergleute vom Hutmann untersucht, und wiewohl schwere Strafen auf den Golddiebstahl gesetzt sind, so vermögen die Arbeiter dennoch der Versuchung nicht zu widerstehen, Da die Erzgänge von Norden nach Süden aufsetzen und, wie oben erwähnt, die Corabia auf ihrer Südseite von dem Gürtel einer Be- rührungszone zwischen dem 'Trachyt und dem Karpathensandstein um- geben ist — eine Zone, die auch in verticaler Richtung halbkreisförmig nach Norden in die Tiefe setzt — so setzen die Gänge in ihrer streichen- den Fortsetzung an diesem Gürtel lettiger Schichten ab. Zwar haben die Gangklüfte selbst in diese Lettenschichten hinein sich verfolgen lassen, doch vorläufig ohne Erzführung. Um so grössere Bedeutung erhält daher die Thatsache, dass am Botesberge mit Quarz ausgefüllte Gangklüfte auftreten, die nicht allein soldführend sind, sondern ausserdem eine Fülle anderer, sehr edler Erze darbieten, wie Zinkblende, welche nicht nur goldhaltig ist, sondern auch Freigold führt, Kupferkies, Fahlerze (Tetraedrit), Bleiglanz, Eisenkies und vor allem werthvolle Tellurerze. Mit Ausnahme der letzteren sind jene anderen Erze zur Zeit ohne Bedeutung, so lange nicht die Möglichkeit besteht, Kohlen zur geeigneten Verhüttung derselben heranzuführen. Am oder im Botesberg treten vier Gangsysteme auf, von denen zur Zeit nur auf einem Bergbau umging. Die Klüfte sind auf 400 m streichende ') Vgl. Senhofer, Oesterr. Zeitschr. f. Berg- u. Hüttenwesen. 1887. S. 390. Il. Naturwissenschaftliche Abtheilung. ...9 0 2 Länge bekannt, indessen sehr schmal, 4—5 cm breit und stellen sich lediglich als eine symmetrisch vertheilte Verkleidung von dünnen Quarz- wänden dar, deren zugewendete Flächen mit Krystallen bedeckt sind in der Art, dass zwischen den Krystallendigungen ein schmaler Zwischen- raum verbleibt. So lange diese Bildung grösserer, 3—4 mm grosser, Krystalle vorhanden ist, ist der Gang goldleer; nur da, wo eigenthümliche Knoten in der Quarzmasse hervortreten, deren Oberfläche von wesentlich kleineren Krystallen bedeckt ist, findet sich Freigold vor und auf diese Knoten fahndet der Bergmann. Trotz dieses sporadischen Vorkommens werden auf etwa 50 qm verhauene Gangfläche 1000 g Freigold gewonnen und betrug die dermalige Goldgewinnung 2 kg per Monat. Das Freigold von Botes hat höheren Feingehalt als dasjenige von Vulkoj, nämlich 80 pCt. Gold neben 15—16 pCt. Silber. Die Tellurerze gehören der Species des „Petzit“ an, sind also Tellurgoldsilber mit 18—25 pCt. Gold. Die Ausgewinnung des Pochgoldes — das Freigold wird für sich in Handmörsern verpocht, in Trögen gesichert und verquiekt — geschieht im californischen Pochwerk unter schweren Pochstempeln innerhalb eines Pochtroges, während gleichzeitig Quecksilber löffelweise zugesetzt wird; das Amalgam setzt sich im Pochiroge in festen Krusten an. Der Poch- trog ist vorne durch ein feinmaschiges Brustsieb verschlossen, dureh welches die Pochtrübe ausfliesst, um auf Bühnen herabzufliessen, welche mit amalgamirten Kupferblechen bedeckt sind. Von hier gelangt die ab- fliessende Pochtrübe auf Planenherde, welche mit umlaufenden Kautschuk- decken ohne Ende bedeckt sind und seitlich in Schüttelbewegung ver- setzt werden, sogenannte Frue vanners. Auf diesen Herden werden die Schlieche ausgesondert, welche am Kopfende des Herdes durch Brausen in einen Sammeltrog gespritzt werden. Sie werden gesammelt und an die ärarische Silberhütte nach Zalathna abgeliefert, welche die Tonne mit 30 fl. einlöst. Das dort betehende Scheideamt nimmt auch alles Gold gegen Baarzahlung ein; das Kilogramm Crudogold wird mit 1040 bis 1100 fl. bezahlt. Von weit grösserer Leistungsfähigkeit als die Stampfwerke hat sich neuerdings die Jenisch’sche Kugelfallmühle erwiesen. Dieselbe verarbeitet ebenso viel Haufwerk, wie die 20 Pochstempel des Californiawerkes und stellen sich die Arbeitskosten pro Tonne auf '/, derjenigen des Stampf- werkes, nämlich auf 1 fl. anstatt 3 fl. Die Amalgamir-Vorrichtungen müssen hier andere sein, als wie sie der Pochtrog bietet; sie bestehen in kleinen Rührwerken, welche mit ihren Armen in kleinen, mit Queck- silber gefüllten Schalen stehen, über welche die Pochtrübe, die aus der Kugelmühle fliesst, geleitet wird. = SROER Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Ueber die Synthese von Alkaloiden. Von Geh. Rath Ladenburg. (Sitzung der Naturwissenschaftlichen Section vom 29. Januar 1890.) Da frühere Arbeiten zu dem Resultate geführt hatten, dass viele Pflanzenbasen als Abkömmlinge des Pyridins aufzufassen seien, wurde dieses als Ausgangsmaterial gewählt. Durch Erhitzen dieser Base mit Alkoholjodüren gelang es eine ganze Reihe substituirter Pyridine darzustellen, von denen einige mit Theer- ölbasen identisch sind. Weiter wurde ein Verfahren gefunden, um an das Pyridin selbst und an diese Pyridinabkömmlinge Wasserstoff zu addiren, wodurch aus dem Pyridin Piperidin (das Alkaloid des Pfeffers) und aus dem letzteren eine ganze Reihe von substituirten, bisher un- bekannten Piperidinbasen entstand. Dasselbe Verfahren der Wasserstoffaddition, in der Einwirkung von Natrium auf absoluten Alkohol bestehend, gestattete auch die Ueber- führung von Dicyanüren in Diamine. So wurden das Tetra- und das Pentamethylendiamin entdeckt, die sich in der Folge als mit zwei bei der Fäulniss des Fleisches entstehenden Basen, mit Putrescin und Cadaverin identisch erwiesen. Ferner gelang es, aus diesen Diaminen Ammoniak abzuspalten und so die Synthese des Pyrolidins und des Piperidins aus- zuführen. Schliesslich wendet sich der Redner zur Synthese des Coniins. Aus dem jetzt mit Hilfe der oben geschilderten Methode synthetisch zu- gänglichen &-Methylpyridin ward durch Erhitzen mit Paraldehyd das Allylpyridin dargestellt. Dieses geht bei der Behandlung mit Natrium und Alkohol in eine Base über, die fast dieselben Eigenschaften wie Coniin besitzt, sich aber davon durch ihre Unwirksamkeit auf den polarisirten Lichtstrahl unterscheidet, während das Coniin den polarisirten Lichtstrahl nach rechts dreht. Durch Verwandlung der optisch inactiven Base in das weinsaure Salz zerfällt diese aber in eine rechts- und eine linksdrehende Modification, von denen die erstere mit dem Coniin aus Schierling in jeder Beziehung identisch ist. Zur Geschichte der ältesten Chemie. Von Gymnasiallehrer Dr. J. Schiff. Unsere Kenntnisse über den Ursprung chemischer Forschungen sind bis vor kurzem sehr dürftig gewesen. In seinem jüngsten historischen Werke „Die Alchemie in älterer und neuerer Zeit, 1886‘, giebt H. Kopp Il. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 7 diesbezüglich etwa Folgendes an: Das Stammland dieser Wissenschaft sei Aegypten, wo seit dem 4. Jahrhundert nach Chr. Geburt über die Metallverwandelung geschrieben und als das hierzu nothwendige Präparat der Stein der Weisen bezeichnet wurde; die Gründe aber, die zum Glauben an die Transmutation geführt haben, seien die Gewinnung von Gold und Silber aus verschiedenartigen Stoffen, sowie die Herstellung von scheinbar den Edelmetallen gleichenden Legirungen gewesen. — Eine genauere Einsicht in die Entstehung der Chemie verdanken wir M. Berthelot. Die allgemeinen Ergebnisse seiner in hohem Grade be- merkenswerthen Forschungen hat dieser Autor theilweise schon in den „Origines de l’Alchimie, 1885“ veröffentlicht; seither hat er ausserdem seine Quellen, eine Anzahl in griechischer Sprache abgefasster Papyri und Manuscripte, nebst Uebersetzung und Erläuterungen in zwei grösseren Werken „Collection des Anciens Alchimistes Grees, 1837—1388° und „Introduction & l’Etude de la Chimie des Anciens et du Moyen Age, 1889“ herausgegeben. — Berthelot hat hiermit ein Material zusammen- getragen, welches einer zukünftigen systematischen Geschichte der ältesten Chemie als Grundlage dienen kann; er selbst hat eine solche jedoch bisher nicht geliefert. — Auch nach diesen neueren Untersuchungen ist Aegypten als die Heimath der Chemie oder wenigstens als das erste Land, in welchem diesbezügliche Schriften verfasst wurden, zu betrachten; aber diese Wissenschaft ist nicht, wie vielfach angenommen wurde, aus dem imaginären Problem der Metallverwandelung hervorgegangen, sondern aus rein praktischen Aufgaben, wie sie Metallurgie und Färberei, sowie die Darstellung von Gläsern und künstlichen Edelsteinen darbot. Ausser Gewerbtreibenden beschäftigten sich schon früh auch die Priester mit experimentellen Arbeiten; höchst wahrscheinlich waren die Serapistempel mit Laboratorien verbunden, und die ermittelten chemischen Recepte wurden theilweise mündlich überliefert, theilweise, von magischen Formeln begleitet, in monolithische Denkmäler eingegraben. Schliesslich wurden auch derartige Vorschriften — unseres Wissens zuerst in der Zeit, als griechische Bildung in Aegypten herrschend geworden war — gesammelt und auf Papyrus niedergeschrieben ; derartige Zusammenstellungen wurden jedoch später von den Römern, welche alle Geheimlehren planmässig verfolgten, vernichtet. Trotz dessen sind uns einige solcher Papyri er- halten geblieben; sie befinden sich gegenwärtig zu Leyden, wo seit etwa fünfzig Jahren ihre Veröffentlichung begounen hat, und stammen nach Inhalt und Form aus dem Anfang des dritten nachchristlichen Jahr- hunderts. Am wichtigsten von ihnen ist Papyrus X, auf dessen Er- klärung daher Berthelot den grössten Werth gelegt hat. Dieser ist gänzlich frei von mystischen Betrachtungen, zeugt aber von feinen that- sächlichen Kenntnissen. Die einzelnen Artikel, aus denen er besteht — über hundert an Zahl — enthalten klare Vorschriften über die Be- 8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. handelung der Edelmetalle, die Vermehrung des Gewichtes derselben durch fremde Zusätze, die Herstellung von gold- und silberähnlichen Legirungen u. s. w.; jedenfalls diente das Ganze zum Gebrauche eines Praktikers, der nicht sich selbst, sondern Andere täuschen wollte. Sehr viele der hier zusammengetragenen Recepte handeln über die Verwendung und Bereitung des Asems &oypov, worunter sowohl das Electrum, die natürliche Gold-Silberlegirung, als auch künstliche gleichartige Legirungen, sowie schliesslich ähnlich aussehende Nachahmungen aus Kupfer und Zink oder aus Zinn, Blei, Arsen, Quecksilber u. s. w. verstanden wurden. Dieses Asem, welches anfänglich als selbstständiges und zwar auch auf chemischem Wege darstellbares Metall galt, wurde — da es je nach seiner quantitativen Zusammensetzung bald dem Gold, bald dem Silber zu gleichen schien, sowie auch unter Umständen zur wirklichen Aus- scheidung dieser Edelmetalle diente — zu einem Ausgangspunkte für den Glauben an die Möglichkeit der 'Transmutation. Thatsächlich deuteten die späteren Alchemisten vielfach in solcher Weise die Vorschriften zur Bereitung des Asems, indem sie dieselben nur durch Zusatz unverständ- lieher magischer Formeln veränderten. Mehr als im Papyrus X tritt in zwei anderen der Leydener Papyri die uralte, wohl hauptsächlich durch chaldäische Einflüsse zu erklärende, Verbindung zwischen der Chemie und verschiedenen Geheimlehren hervor. Noch mehr aber als durch die Magie — oder wenigstens in einer uns verständlicheren Weise — ist unsere ursprünglich rein praktische Kunst dureh die griechische und die älteste christliche Philosophie beeinflusst worden, Hier wäre zurückzugehen bis auf Plato, welcher, ein so unter- geordnetes Daseinsprineip auch in seiner Lehre die Materie vorstellt, dennoch eine ausgedehnte, zu jeder Gestaltung bestimmbare, chaotische Masse, einen Urstoff oder ÜAn, eingeführt hatte. Auch bei Aristoteles findet sich diese Vorstellung ziemlich unverändert wieder. — Auf diese älteren Philosophen kommt Berthelot nur gelegentlich zu sprechen. Ein- sehend hingegen beschäftigt er sich mit ihren Nachfolgern aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten, welche theilweise selbst über die Chemie geschrieben haben, und die entweder zur neuplatonischen Schule gehören, wie Jamblichus und Proelus, oder zu den Gnostikern, wie Zosimus und Synesius. Aus dem Urstoff Platos ist jetzt der „Mercur der Philosophen“ geworden, welche Materie für die gemeinsame Grund- lage aller Metalle erklärt und besonders von Synesius und Olympiodorus um 400 nach Chr. zur Aufstellung der ersten chemischen 'Theorie benützt wird. Nächst den oben erwähnten, falsch verstandenen Erfahrungs- thatsachen hat diese Lehre am meisten zum Glauben an die Möglichkeit der Goldmacherkunst hingeführt. — Sammlungen von derartigen philo- sophisch-chemischen, mit Allegorie und Mystik durchsetzten Schriften aus der Zeit der Neuplatoniker und Gnostiker sind uns — zusammen II. Naturwissenschaftliche Abtheilung, 9 mit späteren Commentaren, welehe unter allen möglichen Namen, be- sonders unter dem des damals hochgefeierten Demokrit erschienen — erhalten geblieben, allerdings in Abschriften, welche erst viele Jahr- hunderte später angefertigt worden sind. Diese auf Pergament ge- schriebenen Manuscripte — besonders ein solches der St. Mareus- Bibliothek zu Venedig und zwei von der Pariser Nationalbibliothek, deren Erläuterung und erste Veröffentlichung wir Berthelot verdanken — sind nächst den Papyri von Leyden, mit denen sie theilweise inhaltlich übereinstimmen, die wichtigste Quelle für das Studium der alten Chemie. Erwähnt sei die hier sich vorfindende Zeichensprache. Je nach Farbe, Glanz oder anderen Eigenschaften gab man den sieben Metallen jener Zeit die Symbole der damals bekannten sieben Planeten; beispielsweise erhielt das an Blut erinnernde Eisen das astrologische Zeichen des Mars, das Kupfer dasjenige der seinen Salzen an Farbe ähnlichen Venus; des- gleichen wurde das Gold mit der Sonne, das Silber mit dem Mond, das Quecksilber mit dem Mercur verbunden u. s. w. Die als Derivate geltenden Stoffe erhielten das Symbol ihres Metalles unter Anfügung eines zweiten, welches das Vorkommen als Erz oder den zu seiner Ent- stehung führenden physikalischen oder chemischen Vorgang wie Schmelzen, Caleiniren, Rostbildung und Legirung ausdrückte. So findet sich in dem Manuscript von Venedig für das Eleetrum das combinirte Zeichen des Goldes und $ilbers, sowie für den Eisenrost dasjenige des Mars mit einem bestimmten Zusatze; ferner ist im Manuscript 2327 von Paris im Symbol des Zinnobers das des Quecksilbers und im Symbol des Grau- spiessglanzes das des Bleis, welch’ letzteres mit dem Antimon verwechselt wurde, enthalten. Für Mineralien und andere, besonders medicinische Stoffe wählte man einen oder mehrere Buchstaben des Namens als fest- stehende Abkürzung. — Ferner sind eine grosse Anzahl von Zeichnungen — ebenso wie die Blätter mit den Symbolen von Berthelot durch Photogravüre naturgetreu wiedergegeben — in den Manuscripten zu finden; dieselben stellen theilweise Geräthe vor, wie Destillirkolben, Kessel, Wasserbäder u. s. w., theilweise magische Figuren, die das Ge- heimniss der Metallveredelung versinnbildlichen sollen. Schliesslich sei noch erwähnt, dass Berthelot auch die chemische Analyse einiger authentischen Ueberreste der ältesten Culturen seinen geschichtlichen Forschungen dienstbar zu machen gesucht hat. Zwei von diesen Resten, der eine aus Mesopotamien, der andere aus Aegypten stammend, waren aus unlegirtem Kupfer hergestellt, woraus sich im Gegensatz zu der gewöhnlichen Annahme schliessen lässt, dass der Gebrauch dieses Metalls älter als der der Bronze sei. Ein drittes Bruch- stück von babylonischer Herkunft bestand sogar aus reinem Antimon, dessen Entdeckung gewöhnlich erst dem Basilius Valentinus im 15. Jahr- hundert zugeschrieben wird. 10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. um irren tee Le terre nn nn Ueber die Schlammvulkane von Java. Von Dr. Gürich. Aus einem ausführlichen Bericht des Dr. Schneider aus Soera- baya über die Schlammvulkane Kalang-anjar und Poelangan auf Java, welcher Herrn Geheimrath Prof. Dr. Ferd. Cohn zugegangen war, ent- nimmt Herr Dr. Gürich folgende Mittheilungen: Unmittelbar südlich von Soerabaya zwischen dem aus tertiären Kalken bestehenden Kendanggebirge im Norden und dem theilweise vulkanischen Ardyoenogebirge im Süden breiten sich die Deltaalluvionen des in die Strasse von Madoera mündenden Brantas aus. Eine halbe Meile vom Strande und ebensoweit von einander ent- fernt, erheben sich die genannten Schlammvulkane in der Mitte der Deltabasis. Der Kalang-anjar gleicht von Weitem einem Miniatur-Schneegebirge; wie eine eiförmige Blase mit weissem Gipfel überragt er einige ihn umgebende niedrigere Rücken. Sein östlicher Abfall ist steiler als der westliche. Seine Höhe schätzt Schneider auf mehr als 60°, ebenso wie Hagemann, der den Schlammvulkan 1866 gesehen hatte, und im Gegensatz zu Bleeker, der ihn 1845 nur 45° hoch, und zu Junghuhn, der ihn 1838 nur 35° hoch geschätzt hatte. Unter der Schlammdecke stehen Kalkbänke an, aus denen Schneider dieselben Versteinerungen angiebt, wie vom neotertiären Kendanggebirge, z. B. Cellepora gracilis, Cancellaria varicosa, Arca diluvii, Dendrophyllienarten ete. Der Scheitel der Blase ist eine flache Kugelkappe von 10° Durch- messer, der man sich indess wegen der Zähflüssigkeit des Schlammes nicht nähern kann. Die Temperatur desselben beträgt 40° C. Der überfliessende Schlamm hat um den Scheitel eine Art Rosette gebildet; von den Blättern derselben läuft die leichter flüssige Masse in schmalen mit schneeweissen Efflorescenzen eingesäumten Rinnen weiter ab. Der getrocknete Schlamm hat 2,7 spec. Gew., enthält in Wasser loslich 4.7.20 a MR ee Es 20 Theile, I. Salze AUT DET ne a 10 , nlkeläl te re nee Se dee ri 70 - Die Analyse ergab folgende Zusammensetzung: 100 in Wasser 100 in Salzsäure Er Bestandtheile lösliche Theile lösliche Theile 1? 100 unlöslichen enthalten: enthalten: Than; Chlor-Natrium....... 96,80 — — Chlor-Caleium 4. 3% 0,62 — _ Chlor-Magnesium .... 0,60 er > Jod-Magnesium ...... 0,56 — — Il. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 11 100 in Wasser 100 in Salzsäure Bestandtheile lösliche Theile lösliche Theile IN 100 umöslichen enthalten: enthalten: . Brom-Magnesium .... 0,28 un er‘ Kieselsäure:. „+... . 0,04 — 70,00 Thonerdesn: ataiu.is — 15,00 22,50 Käalkerder 1.7.45. BEL, — 30,00 -_— Masneaieusiein ui. — 25,00 = Eisengeydi.is. 2:6... u 25,00 2,50 Risenosydull:.....n%, Z— 5,00 E— EN ER EETT RRT, - — 1,00 N trons.n. Muldaterg.;. — = 2,00 Organische Stoffe... Nicht bestimmt! — 2,00 Manganlı.iaruin./a.n, Spuren! Spuren! Spuren! Dossause er nriel.n. Nicht bestimmt! Spuren! Spuren! Schwefelwasserstoff . Nicht anwesend! — — Aus der Analyse zieht Schneider den Schluss, dass der Schlamm trachytischen Ursprungs wäre und die Schlammvulkane auf trachytischen Spalten ständen. Der Poelangan ist eine halbe Meile nach NW. vom vorigen entfernt und besteht aus mehreren dicht nebeneinander stehenden Hügeln, von denen einige als erloschene Schlammvulkane anzusehen sind; andere befinden sich noch heute in Thätigkeit. Der Schlamm ist weniger zähe als am Kalang-anjar und enthält mehr Salze und überdies Kohlensäure und Schwefelwasserstoff. Im Gegensatz zu Junghuhn und Hagemann meint Schneider, die Schlammvulkane ständen nicht in Verbindung mit der See, wie auch der Wechsel der Gezeiten keinen Einfluss auf die Thätigkeit der Schlamm- vulkane hätte. Dagegen hat die Regenzeit insofern einen Einfluss, als durch vermehrtes Blasenaufwerfen im Krater eine kochende Bewegung entsteht, ohne dass aber die Temperatur merklich zunähme. Auf den Schlammhügeln mehrfach gefundene Ziegelsteine hatten Junghuhn veranlasst, eine complieirte Hypothese betrefis des Alters der Schlammvulkane aufzustellen. Die Oertlichkeit wäre zur Zeit der ihrem Alter nach bestimmbaren Ziegelanfertigung Seeboden gewesen, die Ziegeln wären von der Brandung dort hinabgerollt und später mit dem Schlammvulkane aus dem Meere gehoben worden. Schneider be- kräftigt die Angabe Hagemanns und bestätigt überzeugend, dass die Ziegeln erst später durch Menschenhand in ihre jetzige Lage gekommen wären. Neben dem Poelangan treten auch Petroleumquellen auf, die sich mit der Zeit ostwärts von dem Vulkan entfernen, da sie ihre Oeffnung nach und nach mit einer Kruste von Erdwachs verstopfen, müssen sie einen immer neuen Ausweg nebenbei suchen. 13 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. In der durch Kalang-anjar und Poelangan angegebenen nordwest- lichen Richtung weist Schneider auf eine Entfernung von einer Meile eine ganze Reihe von Jod- und von Petroleumquellen nach, er schliesst daraus, dass sie alle auf einer trachytischen Spalte stehen. Die Entstehung des Petroleums bringt er in Verbindung mit mehr- fach in jenem Gebiet vorhandenen Braunkohlenlagern, welche durch den Einfluss der in der Nachbarschaft oft stattgefundenen vulkanischen Eruptionen und Ergüsse das Petroleum geliefert hätten. Wenn demnach im Allgemeinen für die Existenz von Schlamm- vulkanen das Zusammentreffen mehrerer Umstände nöthig ist, nämlich dass ein aufsteigender Gasstrom in Verbindung mit einem emporquellen- den Wasserstrom eine geeignete weiche Gesteinsschicht antrifft, die eine Verarbeitung zu Schlamm gestattet, so werden diese Bedingungen am ehesten in vulkanischen Gebieten geboten. Wo ausströmende Kohlenwasserstoffgase die Hauptrolle spielen, da müssen Ablagerungen von organischen Substanzen dieselben liefern. Es ergiebt dies eine zweite Kategorie von Schlammvulkanen. Wenn diese zumeist auch an vulkanische Gebiete gebunden erscheint, so hat dies seinen Grund darin, dass jene Ablagerungen organischer Substanzen gerade durch vulkanische Ereignisse am ehesten zu einer rapideren Entwickelung von Kohlenwasserstoffen veranlasst werden, so wie es in dem vorliegenden Beispiele von Java mit den durch Lavaergüsse oder Tuffüberschüttungen verdeckten Braunkohlenlagern der Fall ist. Ueber die Nickelerze von Frankenstein in Schlesien. Von Dr. Kosmann. (Sitzung der Naturwissenschaftlichen Section vom 26. Februar 1890.) Im Bereiche des Gabbrogebirges und des dasselbe umgebenden Mantels von Serpentingesteinen, welche im südlichen Theile des Gebirgs- zuges der Hohen Eule und in dessen Vorbergen auftreten, sowohl auf seinem westlichen Abhange bei Neurode wie bei Grochau und Baum- garten auf der östlichen Abdachung und in dem nördlich auslaufenden Bergrücken bis Diersdorf, ist das Vorkommen nickel- (und kobalt-) haltiger Mineralien eine bekannte Thatsache. Bei der Untersuchung der grünen Kaolinitadern, welche das feuerfeste Schieferthonflötz auf der Rubengrube bei Neurode durchsetzen, wies ich bereits im Jahre 1885 darauf hin, dass die Färbung desselben von Kupfer- und Nickeloxyd herrühre, sowie dass diese grünen Schnüre auch im zersetzten Gabbro ll. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 13 auftreten.') Die gleichzeitig den Schieferthon durchschwärmenden Trümmer von Kupferkies sind stark kobalthaltig und tritt neben ihnen selbstständig Haarkies auf; Kobalt- und Nickelblüthe finden sich vielfach auf den Kluftflächen. Ebenso zeigt sich ein Nickelgehalt mit den Chromerzen im Harte- berg und Grochberg bei Grochau und gehören die Chromerze dem Ver- breitungsgebiete der Serpentine an. Da nun die Chromerze ganz in der Nähe der Magnesite auftreten und sich Chromeisen auch in den hier zu beschreibenden Nickelerzen eingesprengt findet, und da andererseits, wie nachstehend zu beschreiben, auch die Magnesite in ihren tiefer gelegenen Partien sich von Nickel gefärbt erweisen und die Ueberlagerung der Nickelerzzone bilden, so ist die Entstehung der Magnesite, der Chrom- und Nickelerze, sowie der weithin verbreiteten Chrysoprase und Halbopale unter dem gemeinsamen Gesichtspunkte einer aus der Zersetzung des Serpentins bezw. des Gabbros hervorgegangenen Umbildung zu betrachten, Schon im Jahre 1805 beschrieb Meinecke’) die „grosse Chry- soprasader‘‘ von Gläsendorf, in welcher der Chrysopras durch 1 pCt. Nickeloxyd grün gefärbt sei; der letztere zerfiel nach Meinecke’s Ansicht zu einer steinmarkartigen Masse (Pimelith), welche nach Klap- roth 35 SiO,, 38 H,O, 5 Al,O, und 15,6 NiO enthalte. Es war diese Ader sozusagen der Nachweis des anstehenden Vorkommens eines Ge. steines, welches damals an jener Stelle, d. h. an den Abhängen des Gumbergs zwischen Schräbsdorf, Protzan, Zülzendorf und Gläsendorf seit mehr als 50 Jahren oberflächlich gegraben und gewonnen wurde; noch jetzt sind am Südabhange des Gumbergs die zahlreichen Vertiefungen (Pingen darf man sie kaum nennen) der ehemaligen Duckeln der Chry- soprasgräbereien wahrzunehmen, In neuerer Zeit waren mit Pimelith oder grün gefärbtem Kerolith ausgefüllte Klüfte im Serpentin mehrfach beobachtet worden und waren schliesslich in den verschiedenen, an der Strasse von Frankenstein nach Diersdorf angelegten Steinbrüchen gangartige Vorkommen eines erdigen, grün gefärbten, glimmerführenden Minerals blossgelegt worden. Der- artige Ablagerungen von ganz analoger gangartiger Beschaffenheit waren seit längerer Zeit auch vom westlichen Abhange des Buchbergs bei Baum- garten (südlich Frankenstein) her bekannt, wo sie vorübergehend als Grün- erde gewonnen und zur Darstellung grüner Farberde verwendet wurden. Aus dem Zusammenhange dieser bekannten Thatsachen auf die regelmässige Ausbildung und Verbreitung Nickel führender Mineralien !) Jahresber. pro 1885 d. Schles. Gesellsch, f. vaterl. Cultur, S. 120. *”) Ueber den Chrysopras und die denselben begleitenden Fossilien in Schlesien. Erlangen 1805. — Quenstedt, Handbuch der Mineralogie, II. Aufl., S. 210. 14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. zu gesonderten Lagerstätten geschlossen und den Werth dieser, aus- schliesslich in Silieatverbindung auftretenden Fossilien erkannt zu haben, endlich auch die geognostischen und bergbaulichen Grundsätze ihres Vor- kommens und ihrer Aufsuchung festgestellt zu haben, ist das Verdienst des Bergingenieurs A. Reitsch, dessen Namen ich schon früher ge- legentlich der Entdeckung der anstehenden Chromerzgänge im Harteberg bei Grochau verdienstvollerweise nennen durfte. !) Es ist durch die Entdeckungen des Herrn Reitsch nicht etwa nur die mächtigere Entwiekelung der bisher nur an vereinzelten Stellen und als sporadische Ausfüllung schwacher Klüfte bekannten Nickelmineralien, sondern eine ganz neue Art der Ausbildung nickelhaltiger Lagerstätten in einem dem Zersetzungsbereich des Serpentins angehörigen Gebirge nachgewiesen worden, welche von solcher Mächtigkeit und aushaltender Regelmässigkeit der Lagerung sich erwiesen haben, dass man in der That deren Auftreten als dasjenige von „Nickelerzen‘“ bezeichnen darf. Auch sind die an jedem der unter sich zur Zeit noch ohne Zusammen- hang bestehenden Schurforte zu beobachtenden Begleitumstände von so typischer Beständigkeit und Wiederholung, dass sich aus denselben die bergmännischen Regeln zur Verfolgung der Lagerstätten ableiten lassen. Die zur Zeit bestehenden Aufschlüsse liegen in zwei räumlich ge- trennten Bezirken, welche, nördlich wie südlich von der Stadt Franken- stein in nahezu gleicher Entfernung von letzterer gelegen, ein nicht un- bedeutendes Verbreitungsgebiet der Nickelerze bekunden; sollten die- selben in der That keinen unterirdischen Zusammenhang haben — dessen Nachweis der Zukunft vorbehalten bleiben dürfte — so ist gleichwohl die Beschaffenheit des als Muttergestein der Nickelerze zu bezeichnenden Gebirges und der in demselben aufsetzenden Nickelerzlagerstätten eine derartige, dass deren Bildung auf dieselben geologischen Vorgänge und Bedingungen zurückzuführen ist. Allerdings zeigen sich in den beiden Bezirken relative Unterschiede in der Umbildung der Nebenproducte, d. h. der paragenetischen Mineralien darin, dass die aus der Zersetzung des Serpentins gleichzeitig herstammenden Magnesiaverbindungen in dem nördlichen Bezirke ausschliesslich in der Form von Silieaten (Pimelith, Kerolith, Steatit) vorkommen, während sie in den südlichen Bezirken, ausser den mit den Nickelerzen brechenden Magnesiasilicaten, vorwiegend in Magnesit, also in Carbonate umgewandelt sind und eine in massiger Verbreitung über dem Niekelmuttergestein auftretende Decklage bilden. In dem nördlichen Bezirke liegen an der Strasse Frankenstein- Diersdorf mehrere Steinbrüche, welche an der westlichen Abdachung der sich hier bis zu 370 bis 375 m Seehöhe erhebenden vier Serpentinkuppen angelegt sind; es sind dies, von Süden beginnend,. der Gumberg, der ı) Jahresber. pro 1887 d. Schles. Ges. f. vat. Cultur, S. 228. . II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 15 Gläsendorfer, der Tomnitzer, der Kosemitzer Mühlberg. Man bricht in diesen Brüchen, von denen auch H. Traube!) schon den „rothen Bruch“ bei Gläsendorf — besser bei Protzan — nennt, ein von Eisenhydroxyd braun bis roth gefärbtes Gestein, welches namentlich in der Nähe der Tagesobertiläche durch seinen Gehalt an Kieselsäure, die darin auch als Chalcedon ausgeschieden ist, eine grosse Härte und Zähigkeit annimmt und deshalb gern als Material für Strassenbauten in grossen Massen ge- wonnen wird. In gewisser Teufe unter Tage verliert sich die Härte des Gesteins, weil der Kieselsäuregehalt abnimmt, und geht dasselbe in einen bolusartigen Letten über. Dieses Gestein wird in dieser Gegend all- gemein als ‚‚rothes Gebirge‘ bezeichnet; dasselbe, augenscheinlich ein Zersetzungsproduct des Serpentins, dessen unversehrten centralen Partien es an- und aufgelagert ist, bildet das Muttergestein des Chrysopras und der Nickelerzgänge. Jene zum Strassenbau tauglichen oberen Partien des „rothen Gebirges‘ sind also nichts anderes als der „kieselige Hut‘ dieser ganzen Bildung, und ebenso bildet der Chrysopras, bezw. der mit- brechende Prasopal (wasserhaltiger und daher opalartiger Chrysopras) wie die Halb- und Milchopale, den kieseligen Hut der Nickelerzgänge.’) Wie ein solches Verhalten des gallertartig sich ausscheidenden Kiesel- säurehydrats aus dessen physikalischen Eigenschaften an und für sich abzuleiten, so hat sich auch im bestimmten Falle gezeigt, dass jedesmal, wenn der Nickelerzgang mittels eines abzusenkenden Schachtes ange- fahren werden sollte, in gewisser Teufe ($5—7 m unter Tage) eine Deck- lage, worin diese Kieselsäure-Mineralien in schichtenmässiger Anhäufung auftraten, zu durchbrechen war. In diesem rothen Gebirge treten nun die Nickelerzlager als Aus- füllung von Gaugklüften auf, welche meist in hor. 10—12 streichen; doch treten auch Gabelungen in einer dazu spiesseckigen bis quer- schlägigen Richtung auf. Die streichende Fortsetzung ist an den ver- schiedenen Stellen auf 20—35 m Länge verfolgt worden, ebenso das Niedersetzen in die Teufe bei ziemlich steilem Einfallen auf 10—15 m. Die bis unter den Rasen hochtretenden Gänge sind nahe zu Tage ver- drückt und dureh Nebengebirge stark verunreinigt; sie thun sich aber mit zunehmender Teufe auf oder schaaren sich und nehmen im Metall- gehalt beträchtlich zu; die Mächtigkeit wechselt daher von 0,40 bis über 2 m. In den bezeichneten Brüchen sind die Gänge durch die Stein- gewinnung blosgelegt worden; in dem südlichsten Bruche am Gumberge wurde ein 0,5 m breiter Gang auf 35 m Länge erschürft und im Schachte schon bei 5 m Teufe auf 1,5 m Breite sich erweiternd befunden, ') Beiträge zur Kenntniss der Gabbros, Amphibolithe und Serpentine des niederschlesischen Gebirges. Inaugural-Dissert. Greifswald 1884. ?) Diese Ausscheidungen erhärteter Kieselgallerte finden sich ebenso in grossen Mengen am Ausgehenden der Chromerzeänge bei Grochau. 16 Jahresbericht der Schles. Geseilschaft für vaterl. Cultur. In dem Abteufen waren mehrfache Schaarungen und zwischen diesen Gangtrümmern eine Neubildung von Magnesiaglimmer zu beobachten, welcher bei grösserer Anhäufung zur Enstehung eines neogenen Gneissgesteins das Material gegeben hat. Die Nickelerze bestehen ausschliesslich aus Silieatverbindungen; die Gangausfüllung ist eine ziemlich gleichartige, nur wenig von mechanischen Beimengungen ge- störte; die grüne Färbung vertieft sich mit zunehmendem Nickelgehalt, dessen Höhe weniger durch die sichtbaren Beimengungen (Eisenoxyd) als durch die wechselnden Mengen an chemisch verbundenen Magnesia- und T'honerdesilicat beeinträchtigt wird. Die Substanz der Erze, in der Nähe des Ausgehenden meist von lettiger Beschaffenheit, zeigt vorwiegend ein feinschuppig körniges Gefüge, talkartig anzufühlen, oder besteht auch aus feinsten Glimmerschüppehen, die im Letten mehr oder weniger stark vertheilt sind. Die Erze gehören daher vorwiegend der Species des Schuchardtits an; der Gehalt in denselben geht von 2,2—4,6 pCt. Ni. Höherprocentige Erze finden sich als Pimelith vor, mit einem Ge- halte von über 7 pCt.'); am Kosemitzer Mühlberge hat der neueste Fund einen Gehalt von 13 pCt. Ni nach Reitsch’s Analyse ergeben, In der Gangmasse der Erze des Gumbergs zeigen sich häufig Anflüge bis linsenförmige Ausscheidungen von lichtrosa Färbung und deuten ver- möge letzterer einen Kobaltgehalt an, wie die Analyse dies auch bestätigt; es ist dies die einzige Form, in welcher sich das Vorkommen des un- zertrennlichsten Begleiters des Nickels kennzeichnet, da sich in dem Niekelerz selber nur Spuren von Kobalt finden. In dem nördlicher gelegenen, dem sogenannten Olbrich’schen Bruch am Gläsendorfer Berge treten zwei Lager, je über 1 m mächtig, auf 20—25 m Länge auf, die in der ganzen Breite der Bruchwand bloss- gelegt und daher in ihrem Verhalten gut zu beobachten sind. Hier kommt das Erz neben zerreiblichem Schuchardtit in festerer Beschaffen- heit vor, einem ausgelaugten Serpentin ähnlich, aber noch 1,5—2 pCt, Ni enthaltend. Diese Stücke dürften mehr der Varietät des Garnierit zugehören. Sie sind bemerkenswerth durch die eingemengten Körner von Chromit, welcher sich mehrfach den Nickelerzen beigesellt findet. In dem weiter nördlich an der Strasse folgenden Dorn’schen Bruche sind 5 Gänge blossgelegt, 0,40 bis 1 m mächtig, deren Zusammenhang wegen der vorhandenen Geröllmassen aus der Brucharbeit noch nicht festgestellt werden konnte, sich aber auf 3 Gänge redueiren dürfte. Der nördlichste derselben wurde mit einer einfallenden Strecke verfolgt und in gutem Aushalten befunden. Nordöstlich von diesem Bruche in nahezu !) Nach den eigenen, z. Th. im amtlichen Auftrage ausgeführten Analysen meines Schlesischen Berg- und Hütten-Laboratoriums. schlesische Gesellschaft für vaterländische Gultur. zei mn Tactan Trarcanee a 68. 11. Jahresbericht. Naturwissenschaftliche 1890. Abtheilung. 9) 400 m Entfernung wurde auf der Anhöhe des Bergrückens ein 0,75 m mächtiger Erzgang dieht unter Tage auf 25 m Länge erschürft und mit seinem Abteufen verfolgt; hier wurde nach Durchbrechen der Chrysopras- lage der Gang am Schichtenkopf gefasst und in regelmässiger Lagerung befunden. Die hier beschriebenen Funde dehnen sich im Streichen über 2000 m aus und hat der letztgenannte Aufschluss die Breite dieser Zersetzungs- zone als über 500 m hinausgehend erkennen lassen. Bis zum Kosemitzer Mühlberge beträgt die streichende Länge insgesammt 4000 m. In dem südlich von Frankenstein gelegenen Bezirke haben bis jetzt 4 Aufschlüsse die Verbreitung der Nickelerze als die ganze Erhebung des Buchbergs einnehmend erwiesen. Als höchst bedeutsam ist die Ent- decekung zu bezeichnen, dass unter dem Magnesit, welcher bis zu 80 m Teufe niedersetzt, die Ablagerung des rothen Gebirges beginnt und dass mit dem Auftreten des letzteren sofort Bruchstücke von Chrysopras nnd lose Theile von Nickelerzen sich einfinden; es ist dies namentlich auf dem nördlichen Abhange des Berges der Fall. An anderer Stelle er- scheint der Magnesit in seinen tiefer gelegenen Partien von allmählig zunehmender, schön meergrüner Färbung. An dem dritten Punkte wurde von einem 10 m tiefen Schachte aus mit einer unter der Magnesitdecke her aufgefahrenen Strecke ein über 1,5 m mächtiger, steil niedersetzender Gang angefahren, dessen Masse theils aus Schuchardtit besteht, theils schalige talkartige Partien von Nickelgymnit aufweist; der Nickelgehalt beträgt 4,6 pCt. Der vierte Auf- schluss liegt am südlichen Abhange zu Tage, wo durch frühere Gräbereien ein über 2 m mächtiges, steil einfallendes Lager von Nickelerz (Garnierit) blossgelegt worden ist; dieser Punkt liegt von denjenigen am nördlichen Abhange gegen 1000 m im Streichen und über 400 m querschlägig (unter idealer Verlängerung der beiderseitigen Streichungslinien) entfernt. Der Zusammenhang der vorliegenden Aufschlüsse lässt ersehen, dass es sich in dem beschriebenen Verbreitungsgebiet nicht um vereinzelte nesterartige Ausscheidungen nickelhaltiger Thonmasnesiasilicate handelt sondern um die Ausbildung regelrecht und aushaltend verlaufender Gang- klüfte, auf welchen innerhalb der Zersetzungszone die Ausfüllung mit nickelhaltigen Silicaten durch Lateralseeretion sich aussonderte und durch 2 18 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. die Vereinigung und Anziehung gleichartiger Theile zur Ansammlung gelangte. Wenn daher zwischen dem Vorkommen des Chrysopras und den Nickelerzgängen ein Zusammenhang besteht, wie oben gezeigt, und wenn Meinecke die Chrysoprasader in ihrer Ausdehnung von nahe bei Wartha aus bis Kosemitz angiebt, so ist hier nicht zu viel gesagt, wenn’ vorläufig die streichende Ausdehnung der Nickelerzgänge vom Buchberge aus bis Kosemitz auf 10000 m angegeben wird, wobei, wie eben bereits bemerkt, dahin gestellt bleiben muss, ob zwischen den Gebieten südlich und nördlich Frankenstein.ein unterirdischer Uebergang besteht. Dass die vorliegenden Aufschlüsse hinreichend mächtig und auch aushaltend sind, um für einen nachhaltigen Bergbau die Grundlage zu schaffen, darüber dürfte kaum ein Zweifel bestehen. Mit diesem Berg- bau aber wird der Provinz Schlesien, wie der gesammten vaterländischen Industrie, die Aussicht auf die zukünftige Selbstständigkeit eines Betriebs- zweiges eröffnet, für welchen sie bis jetzt auf die Zufuhr zumeist fremden Materials angewiesen war. Die Nickelindustrie ist in dem letzten Jahr- zent für die Einfuhr von Erzen und Rohnickel lediglich auf die Ver- mittelung französischer Unternehmer angewiesen gewesen, welche die Erze (Garnierite) aus Neu-Caledonien heranbrachten. Die Erze von Frankenstein liefern kein minderwerthigeres Material, als jene neu- caledonischen Erze; dieselben aber nunmehr in einer von Eisenbahnen und Strassen durchzogenen Gegend zu besitzen, dazu in der nächsten Nähe der Bezugsquellen für Koks bei Gottesberg und Waldenburg, von feuerfestem Thon bei Neurode und Münsterberg und inmitten einer arbeitsamen Bevölkerung bei verhältnissmässig niedrigen Arbeitslöhnen, das sind Vortheile, welche diesem Bergbau und der sich anschliessenden Verhüttung der Erze an Ort und Stelle die Grundlage einer gedeihlichen Entwickelung gewährleisten. In derselben Sitzung sprach Herr Geh. Reg.-R. Prof. Dr. Ladenburg Ueber die chemische Natur des Stickstoffs. Die Frage, ob dieses Element drei- oder fünfwerthig sei, beschäftigt die Chemiker seit langer Zeit. V. Meyer glaubt die Entscheidung zu Gunsten der letzten Hypothese liefern zu können, durch Vergleich zweier Verbindungen, von denen die eine aus Jodmethyl und Diäthylamin, die andere aus Jodäthyl und Dimethylamin gewonnen war, und die keine Verschiedenheiten zeigten. Andererseits aber hat der Redner nachgewiesen, dass das Benzyl» triäthylammoniumjodür in 2 verschiedenen Zuständen existirt, von denen der eine gegen Jodwasserstoff beständig ist, der andere durch diese Säure Jodbenzyl abspaltet. Ganz in Uebereinstimmung mit dieser That- sache stehen die jüngst von Le Bel beobachteten verschiedenen krystallo- II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 19 graphischen Formen, welche das Isobutyltrimethylammoniumplatinchlorid annehmen kann, so dass der Stickstoff auch jetzt noch als ein drei- werthiges Element angesehen werden kann, Herr Staatsrath Professor Dr. Trautschold sprach über die dem Kaukasus (nördlich vom Elbrus) vorliegende trachytische Berggruppe Beschtau und deren Quellen, über die aus Kreideabsätzen aufgebauten Vor- berge des Kaukasus bei Kisslowodsk und über den 8500 Fuss hohen jurassischen schroff nach Süden abstürzenden Bermamüt. Zu der grossen Wladikawkas mit Tiflis verbindenden Grusinischen Heerstrasse über- sehend, berichtete der Vortragende über die durch den Torek am Nord- abhange, durch die Aragna am Südabhange blossgelegten Gesteine, und unterstützte seine Worte durch Vorlegung zahlreicher Photographien und Gesteinsproben, letztere dem Mineralien-Cabinet der hiesigen Universität überweisend. Herr Geh. Rath Professor Poleck theilte im Anschluss an den Vortrag des Dr. Kassner am 4. December v. J. über die von ihm entdeckten orthobleisauren Salze die von dem Candidaten der Pharmazie Herrn Kwasnik erhaltenen Resultate mit bezüglich der Beschleunigung der Aschenbestimmungen von Vegetabilien, Nahrungs- und Genussmitteln durch Beimischen einer gewogenen Menge bleisauren Kalks. Die Eigen- schaft desselben, beim Erhitzen mit verbrennlichen Körpern leicht Sauer- stoff abzugeben und dann beim Glühen an der Luft denselben ebenso leicht wieder aufzunehmen, macht ihn für Aschenbestimmungen überaus geeignet, da diese sich unter solchen Umständen in der Hälfte bis zu einem Viertel der sonst zu einer Veraschung nothwendigen Zeit voll- ziehen. Ueber die chemische Zusammensetzung des Rindermarks. Von Apotheker Thümmel. (Sitzung der Naturwissenschaftlichen Scetion vom 21. Mai 1890). 1860 veröffentlichte Eylerts (Archiv d. Ph. Bd. 154 p. 129) eine Untersuchung des Rindermarkes, nach welcher dasselbe ausser Oelsäure und Palmitinsäure eine neue, von ihm ‚‚Medullinsäuse‘ genannt, enthalten sollte. Letztere Fettsäure sei C,, H,, O, zusammengesetzt und habe den Schmpkt. 72,5°. Diese Angaben sind dann weiter in die Lehrbücher übergegangen. 9% 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Gewisse theoretische Bedenken gegen die Existenz der Medullin- säure veranlassten den Vortragenden zur Untersuchung des Rindermarks. Dabei hat sich herausgestellt, dass das Fett nur aus den Glyceriden der Oelsäure, Palmitinsäure und Stearinsäure besteht und keine andere Säure von höherem Kohlenstoff enthält, die Medullinsäure daher nicht existirt. Zu demselben Resultat ist nach dem neuesten Heft der Zeit- schrift f. phys. Chem. 1890, Bd. 14, pag. 390 auch P. Mohr in Innsbruck gekommen. Mark von altem Rind schmilzt bei 46°, von 2'/,jährigem Rind bei 37°, eine Differenz, die auf dem grösseren oder geringeren Gehalt an Olein beruht. Derselbe Einfluss dieses Glycerids macht sich auch bei der Feststellung der v. Hübl’schen Jodzahl (39,1—54,3), der Hehner’schen Zahl (93,4) und der Köttstorfer- Valenta’schen Zahl (193,1— 204) be- merkbar. Ueber die elektrische Erregung des Glases beim Reiben mit Wolle. Von Dr. J. Schift. In der Sitzung der naturwissenschaftlichen Section vom 16. October vorigen Jahres sind die vielfach widersprechenden Angaben der Lehr- bücher über diesen Gegenstand, sowie einige Spannungsreihen für die Reibungselektrieität besprochen worden. Als Berichtigung wäre nachzu- tragen, dass nicht — wie damals behauptet worden ist — die Ritter’sche, sondern die von J. ©. Wilcke in den Anmerkungen $ 41 zu seiner „Uebersetzung von Benj. Franklin’s Briefen von der Elektrieität, 1758“ aufgestellte Spannungsreihe die älteste sei; sie lautet: ,„—- Glas, wollnes Tuch, Federkiele, Holz, Papier, Lack, weisses Wachs, mattgeschliffenes Glas, Blei, Schwefel, die übrigen Metalle —.““ Dieselbe hat zwar wenig Beachtung gefunden; jedoch in der Frage, um welche es sich hier handelt, ist sie genauer als die meisten späteren, besonders als die Faraday’sche Reihe; dern sie besagt, dass durch Wolle gewöhnliches (glattes) Glas positiv, Ta zerliliffenen negativ erregt werde. Später hat W. Heintz (Pogg. Ann. 59 $. 305 ff,, 1843) versucht, den häufig anzutreffenden irrthümlichen Ansichten über das elektrische Verhalten des Glases entgegenzutreten. Er zeigte, dass dieser Stoff durch Erhitzen in Alkohol-, Wasserstoff- und Kohlenoxydflammen eine noch nach dem völligen Erkalten wirksame, allerdings sonst in keiner Weise wahrnehmbare Veränderung erleide, derzufolge er bei der Behandlung mit Wolle negative Elektrieität erhalte. Die Wärme ist jedoch nach den weiteren Untersuchungen desselben Forschers nicht die unmittelbare II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 21 u u ut, Ursache dieser Erscheinung, denn Glas, welches ohne Berührung mit den Flammengasen erhitzt worden war, behielt positive Erregbarkeit; ebenso wenig sind es die bei jenen Verbrennungen auftretenden Hauptproducte, wie durch Erhitzen von Glas in einer Atmosphäre von Wasserdampf oder Kohlendioxyd nachgewiesen wurde; wahrscheinlich aber wird diese, übrigens nur vorübergehende und bei energischem Abreiben wieder ver- schwindende, negative Disposition durch gewisse in den Flammen nebenher entstehende saure Gase hervorgebracht. Für diese Annahme spricht auch, dass nach den Beobachtungen von Heintz die Behandlung mit Schwefel-, Salz- und Salpetersäure dieselbe merkwürdige Veränderung in Glasstäben erzeugt. — Auch bei anderen Stoffen — besonders, wie schon Hauy wusste, bei Mineralien — wird die elektrische Erregbar- keit durch die Art der Oberflächen beeinflusst. So werden nach v. Kobell (Poggend. Ann. 118 $. 594 ff,, 1863) glatte Quarzflächen mit Wolltuch gerieben positiv, matte negativ; nach Naumann (Klemente der Mineralogie $. 146, 1874) gilt dasselbe auch für die Mehrzahl der Edel- steine. Ebenso ist das Erhitzen von Einfluss, und zwar wirkt das Hin- durchziehen durch Flammen (nach Heintz 1. ec. $. 513) auf Kalkspat, Gyps, Schwerspat und Bergkrystall in ganz derselben Weise wie auf Glas. Zu meinen eigenen Versuchen gebrauchte ich eine grössere Zahl an beiden Seiten zugeschmolzener Röhren aus leicht- und schwer- schmelzbarem (Natron- und Kali-) Glase, ferner einige Glasstäbe und einige für optische Zwecke bestimmte Flintglasgegenstände, Für das Resultat war die Verschiedenheit der Sorten, d. h. der chemischen Zu- sammensetzung, ohne Belang; nämlich sämmtliche Objecte, soweit ihre Oberflächen glatt waren, wurden durch Reiben mit Wolle positiv; auch bildete Flintglas nicht, wie man nach der Faraday’schen Spannungsreihe annehmen müsste, eine Ausnahme hiervon. — Ein Theil der Röhren und Stäbe wurde ferner mit Smirgelpapier tüchtig gerieben und nach sorgfältigem Abspülen mit Wasser dem freiwilligen Trocknen überlassen. Diese — natürlich mit sehr vielen Ritzen versehenen und daher nicht mehr glatten — Gläser wurden durch Wolle negativ elektrisch; und zwar war hierzu nicht nur eine bald wieder verschwindende Disposition — wie sie Heintz bei ähnlichem Verfahren beobachtet hatte — vor- handen, sondern der Versuch konnte beliebig oft und noch nach Wochen wiederholt werden, stets mit dem gleichen Erfolge, geradeso wie auch ‚sonst maties Glas immer negative Erregbarkeit hatte. — Um das Ver- halten von erhitztem Glase zu zeigen, kann man sich ebenso gut wie einer Spiritus- auch einer nicht leuchtenden Leuchtgasflamme bedienen. Die durch eine solche vielfach hindurchgezogenen Röhren und Stäbe wurden — und zwar am besten, wenn man sie noch recht heiss mit Wollstoff rieb — fast immer negativ; nur in seltenen Fällen blieben sie 33 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. unelektrisch, und zwar möglicherweise darum, weil Glas nach W. Beetz und Anderen (vergl. Pogg. Ann., Jubelband 1874 $. 23 ff.) bei gewissen erhöhten Temperaturen ein Leiter der Elektricität ist. Andere Gläser, die in Folge ihrer Oberflächenbeschaffenheit so wie so negative Tendenz hatten, zeigten diese nach dem Hindurchziehen durch Flammen in noch höherem Maasse. .Bei sämmtlichen soeben beschriebenen Versuchen kann das Resultat mit genügender Sicherheit vorausgesagt werden; dieselben eignen sich daher auch im Unterricht zur Demonstration der elektrischen Erregbarkeit von glattem, mattem und in Flammen erhitztem Glase. Ueber die Gründe, warum irgend ein Stoff durch ein und denselben Reiber je nachdem positiv oder negativ elektrisch gemacht werden kann, ist bisher nichts bekannt. Sicher erscheint nur, insbesondere für Glas, dass dieses entgegengesetzte Verhalten viel weniger auf chemischen als auf physikalischen Verschiedenheiten beruht. — Eine Regel für diese merkwürdige Erscheinung versuchte schon im vorigen Jahrhundert Coulomb zu geben. Derselbe meinte (vergl. Riess, Die Lehre von der Reibungselektricität, 2. Band $. 369, 1853), dass von zwei an einander geriebenen Flächen diejenige Neigung hat positiv zu werden, deren „integrirende Theilchen dabei die kleinste Bewegung um ihre Gleich- gewichtslage machen“, während „diejenige Fläche leicht negativ‘ wird, deren Molekeln in Folge von Wärme oder anderen Einflüssen „weiter von einander entfernt“ sind, mithin also wohl zu stärkeren Schwingungen veranlasst werden können. — Zu ähnlichen Vorstellungen gelangte später E. Becquerel (Pogg. Ann. 98 8. 509 ff, 1856), welcher folgende Momente zusammenstellt, durch welche die ‚negative Tendenz der Körper“ im allgemeinen erhöht wird: nämlich den Zertheilungszustand der Molekeln, Verstärkung der Reibung, Zunahme der Temperatur und matte Oberfläche. — Wenn auch diese Regeln keineswegs für alle Fälle, wo ein Stoff durch Reiben mit demselben zweiten sowohl positiv als negativ erregt werden kann, zutreffen, so geben sie immerhin — wie Riess sagt — einen gewissen Anhaltspunkt in dem Gewirre der hierbei eintretenden widersprechenden Erfolge. Ueber indisches Geraniumöl von Andropogon Schönanthus L. Von Dr. Semmler. Es wurden zwei verschiedene Rohöle untersucht, welche aus der Fabrik ätherischer Oele von Schimmel u. Co. in Leipzig stammten und in ihren Eigenschaften und ihrer Zusammensetzung nicht von einander abwichen, Diese Rohöle waren von olivengrüner Farbe, von angenehmem II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 33 Birnengeruch, nur in grosser Verdünnung an den Geruch von Rosen er- innernd. Das speecifische Gewicht betrug 0,8868—0,8371, die Reaction war eine schwach saure, die optische Activität fast gleich Null. Bei der fractionirten Destillation im Vacuum stellte es sich heraus, dass das Oel im Wesentlichen nur aus einem Bestandtheile besteht, welcher bei 17 mm Druck bei 120—122,5 Grad destillirt und 77,75 pCt. Kohlenstoff und 11,55 pCt. Wassersoff enthält, also der Formel C,, H,, © entspricht. Aus dem ganzen physikalischen und chemischen Verhalten, seiner Alkoholnatur ete. folgt, dass hier das Geraniol früherer Forscher vorliest, welche es jedoch in die Kategorie des Borneols mit ringförmiger Bindung der Kohlenstoffatome stellten. Ob dies der Fall, konnte neben dem ganzen chemischen Verhalten durch die Bestimmung des Molecular- brechungsvermögens des Geraniols entschieden werden. Dies letztere wurde zu 48,71 gefunden, während die Berechnung mit Zugrundelesung von zwei doppelten Kohlenstoffbindungen 48,66, also eine vorzügliche Uebereinstimmung giebt. Damit stimmt nun auch das chemische Ver- halten überein, da eine Molekel Geraniol 4 Atome Brom und Jod addirt. Unter solchen Umständen kann das Geraniol, ein Körper von der empirischen Zusammensetzung C,, H,, © mit zwei Aethylenbindungen, keine ringförmige Bindung besitzen, sondern es gehört in die Methan- reihe mit kettenförmiger Bindung der Kohlenstoffatome und zwar, da das Geraniol zweifellos ein Alkohol ist, in die Reihe der doppelt ungesättigten Alkohole C,H, „0. Diese Constitution wird bestätigt durch die That- sache, dass das Geraniol bei der Oxydation fast quantitativ eine Molekei Isovaleriansäure und bei der Behandlung mit Phosphorpentoxyd Terpene giebt, sowie die Leichtigkeit, womit das Geraniol einen Aether und ein Sulfid bildet, für die Natur des Geraniols ‘als eines primären Alkohols spricht. Dies Verhalten des Geraniols ist von fundamentaler Bedeutung, da hier die erste Verbindung aus der Reihe des Methans vorliegt, welche ihrer Zusammensetzung nach, C,, H,; O, sich den Campherarten anreiht, aber mit zwei Aethylenbindungen eine kettenförmige Aneinanderreihung der Kohlenstoffatome besitzt, welche jedoch durch Abgabe von Wasser sich leicht zum Terpenring schliessen. Die hier einschlagenden Unter- suchungen werden fortgesetzt. 4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Ueber die Inductionswage und die Beobachtungen mit derselben. Von Dr. Joh. Bergmann. (Sitzung der Naturwissenschaftlichen Section vom 2. Juli 1890). Tl, Die vorliegende Arbeit enthält Mittheilungen über eine Versuchs- anordnung und mit ihr angestellte Beobachtungen, welche in der Physik etwa vier Decennien bekannt war, als auf sie von Neuem die Auf- merksamkeit hingelenkt wurde. Unter der Bezeichnung ‚‚Inductionswage‘“ nämlich verband im Jahre 1879 E. Hughes einen Dove’schen Differentialinduetor mit dem Telephon!) und hat damit eine Reihe von Versuchen angestellt, welche nach ihrer Veröffentlichung in weiten Kreisen Interesse erregten. Im Wesentlichen hat man also in der Inductionswage ein Arrangement vor sich, bei welchem die secundären Rollen zweier Inductorien in der Weise mit einander verbunden sind, dass die in ihnen inducirten Ströme ent- gegengesetzte Richtung haben. Wenn sie dann einander gleich sind, so heben sie sich auf, und es besteht Stromgleichgewicht, während durch die primären Rollen ein eleetrischer Strom von veränderlicher Intensität hindurchgeht. Dieses Prineip bietet einen Weg dar, um die electrodynamischen Fernewirkungen oder, wenn man so will, das veränderliche magnetische Kraftfeld zu verwerthen zur Untersuchung indueirbarer Körper, so weit es sich handelt um ihr electrisches Leitungsvermögen und magnetisches Verhalten oder auch um Eigenschaften und Processe, welche Aenderungen darin bedingen, In dem angedeuteten Sinne hat man sich schon des Differential- inductors als Untersuchungsmittel bedient. So haben damit Unter- suchungen angestellt: Dove über den Einfluss, welchen verschiedene Arten von Eisen und Stahl, auch Nickel auf die Inductionserscheinungen ausüben?) und über den Magnetismus der sogenannten unmagnetischen Metalle; °) !) Philos. Magaz. (5) 8 S. 50. 1879. *) Ber. d. Berl. Akad. Jahrg. 1838 S. 97 und Jahrg. 1839 S. 72. ®) Pogg. Ann. Bd. 130 S. 325. 1841. II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 35 Toepler im Verein mit Ettingshausen über diamagnet-electrische Inductionsströme; ') Hughes über den Störungswerth — comparative disturbing value — der Metalle; ?) Chandler Roberts desgl. von einigen Legirungen ;?) Verfasser zusammen mit Oberbeck über die electrische Leitungs- fähigkeit der Metalle;?) Verfasser über das electrische Leitungsvermögen der Metalle nach starkem Erhitzen.) Bei allen diesen Unterschungen machte man von dem Compensations- prineip der Inductionsströme in gleicher Weise Gebrauch. Der zu unter- suchende metallische Körper wird in den Inductionsbereich eines In- duetoriums eingeführt, während Stromgleichgewicht besteht. In Folge dessen tritt eine Störung desselben ein; in dem vorher stromlosen seecundären Kreise sind wieder Inductionsströme vorhanden, und diese werden direct oder indirect dazu benutzt, um Schlüsse zu ziehen über die Beschaffenheit des störenden Körpers. Man übersieht nun, dass die Störungen des Stromgleichgewichtes verschieden sein können ihrer Intensität und Richtung nach, je nach dem von dem einen oder dem anderen Inductorium stärkere Inductionsströme ausgehen. Wenn man den Differentialinduetor als Untersuchungsmittel anwenden will, so muss deshalb die Möglichkeit gegeben sein, einmal die Störungen nachzuweisen, sodann aber auch sie der Intensität und Richtung nach zu bestimmen. Da hat man es aber überhaupt mit alter- nirenden Strömen zu thun, welche nicht ohne Weiteres gemessen werden können. Der Nachweis allein für das Vorhandensein von Störungen lässt sich leicht und ebenso sicher erbringen. Die Mittel hierzu waren an- fänglich dürftig, haben aber allmählich einen hohen Grad von Voll- kommenheit erreicht. Dove bediente sich unter Anderem der physio- logischen und thermischen Wirkungen der Inductionsströme, des Magne- tisirens einer Stahlnadel, theilweise auch des Galvanometers. Ausserdem führte er den Disjunetor ein, der in seiner ersten Form°®) für Rotation eingerichtet war. Den Disjunetor bildeten Toepler und Ettings- !) Ebend. Bd. 160 S.1. 1877. Siehe ausserdem die Abhandlung Toeplers in Bd. 154 S. 600. 1875. AI IS, DA ®) Philos. Magaz. (5) 8 S. 57. 1879. >) Wied., Ann. Bd. 31 8. 792. 1887. 5) Ebend. Bd. 36 S. 783. 1889. °) Ber. d. Berl. Akad. Jahrg. 1838 S. 22, 26 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. hausen weiter aus, trieben ihn mit einem Uhrwerk und konnten mit Erfolg als Prüfungsmittel ein Spiegelgalvanometer verwenden. Hughes ersetzte das Galvanometer durch das Telephon, eine Neuerung, welche den Disjunetor entbehrlich machte. Bei den beiden zuletzt angeführten Untersuchungen wurde von dem KEleetrodynamometer in der von OÖ. Fröhlich angegeben Form!) Gebrauch gemacht. Die geringe Em- pfindlichkeit für schwache Ströme erforderte dann noch ein kräftiges Hilfsinducetorium. Die Versuchsanordnung für dasselbe wurde gebildet von drei Stromkreisen, In dem ersten befanden sich ausser Kette und Strom- unterbrecher die primären Rollen der Inductionswage und diejenige des Hilfsinductoriums, in dem zweiten die secundäre Rolle des Hilfsinductoriums und die beiden festen Rollen des Electrodynamometers, in dem dritten die secundären Rollen der Inductionswage und die bewegliche Rolle des Electrodynamometers, Wollte man ausser dem Nachweis der Störungen des Stromgleich- sewichts aber auch Messungen ausführen, so waren die experimentellen Schwierigkeiten stets recht gross. Um sie zu überwinden, hat man ver- schiedene Wege eingeschlagen. Alle haben als Ziel die Erfüllung der Aufgabe, die Störungen in irgend einem Maasse auszudrücken. In dieser Beziehung haben Toepler und Ettingshausen ihren Beobachtungen unmittelbar die Ausschläge zu Grunde gelegt, welche das Galvanometer anzeigte, Hughes hat zwei Methoden angegeben, deren erste und haupt- sächlichste auf der Anwendung des Sonometers beruht. Dasselbe ist ein Differentialinductor, bei welchem die zwei secundären Rollen der Inductorien zu einer einzigen vereinigt sind. Eine Vorrichtung zum Messen soll das Sonometer werden dadurch, dass seine Inductionsrolle auf einem graduirten Stabe verschiebbar ist, an dessen Enden die in- dueirenden Rollen befestigt sind. Die Versuchsanordnung ist folgende: Die secundären Rollen der Inductionswage, diejenige des Sonometers und das Telephon werden zusammen in einen Stromkreis eingeschaltet. Ausserdem wird die Einrichtung getroffen, dass vermittels eines Schlüssels der inducirende Strom abwechselnd durch die primären Rollen der: In- ductionswage oder des Sonometers geschickt werden kann. Als Unter- brechungsvorrichtung für den inducirenden Strom dient ein Mikrophon mit einer darauf gesetzten Uhr, Um den Störungswerth etwa einer Metallplatte zu bestimmen, stellt man zunächst im Sonometer Stromgleichgewicht her, so dass das Telephon \) Elektrotechn. Zeitschrift Bd. 2 S. 14. 1881. (Siehe auch Pogg. Ann. Bd. 143 1871. S. 643.) II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. a7 schweigt. Nachdem dieses auch mit der Inductionswage geschehen, wird die Platte in eins ihrer Inductorien eingeführt; in Folge dessen zeigt das Telephon das Ticken der Uhr an. Danach geht man zur An- wendung des Sonometers über und verschiebt dessen Inductionsrolle auf dem Stabe so lange, bis das Tieken der Uhr im Telephon ebenso ge- hört wird, wie von der Inductionswage her. Die Anzahl der Theile auf der Sonometerscala, um welche die Rolle verschoben werden musste, silt dann als der gesuchte Werth. In der zweiten Methode erkennt man ein der Wägung analoges Verfahren wieder, welches auch Dove anwandte: nämlich die Störung, die ein Gegenstand in dem einen Inductorium veranlasst, zu compensiren durch metallische Massen, welche eingeführt werden in das andere In- duetorium, und aus der zur Compensation erforderlichen Quantität Schlüsse zu ziehen. Dove nahm zum Compensiren zuerst Eisendrähte, später auch solche aus anderen Metallen. Hughes bediente sich eines graduirten Zinkstreifens. Bei den mit dem Electrodynamometer ausgeführten Unter- suchungen wandte Verfasser das Compensationsverfahren ebenfalls an. Als compensirendes Material dienten hier kreisförmig ausgeschnittene Stanniol- blätter. Noch weitere Untersuchungsmethoden hat Lodge vorgeschlagen in seiner Abhandlung!): ‚On Intermittent Currents and the Theory of the Induction-balance.“ ‘ Ueber die Rollen sei beiläufig noch bemerkt, dass in Bezug auf die Zahl meistens vier gebraucht wurden, zwei primäre und zwei secundäre. Des Sonometers ist schon Erwähnung geschehen, welches aus drei Rollen besteht, nämlich zwei primären und einer secundären, Mit einem ähnlichen Arrangement experimentirte auch Feliei.2) Auch die Form der Rollen ist geändert worden. Ursprünglich waren sie gestreckt, Hughes hat ihnen eine mehr flache Gestalt gegeben. 2. Aus dem Gesagten lässt sich wohl schon der Schluss ziehen, dass es nicht ganz leicht ist, die Inductionswage als Untersuchungsmittel anzuwenden, gleichgiltig von welchen der erwähnten Hilfsmittel und Untersuchungsmethoden man Gebrauch machen will. Die Einführung des Telephons zunächst hat für quantitative Be- stimmungen trotz seiner grossen Empfindlichkeit für schwache Ströme noch keinen Vortheil gebracht. Obwohl es ein vorzügliches anzeigendes 1) Philos. Magaz. (5) 9 S. 193. 1880. ?) Felici, Memoire sur linduction elektrodynamique, Ann. de chim. et de phys. (3) 34 S. 64. 1852. 38 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Instrument ist, so erweisen sich die von Hughes vorgeschlagenen Methoden in ihrer vorliegenden Form als mit vielen Mängeln behaftet, so dass auch nur einigermaassen genaue Beobachtungen nach ihnen nicht angestellt werden können. Wendet man nach der ersten Methode das Sonometer an, so ist es selbst für ein gutes und geübtes Gehör schwer, zu constatiren, ob die Telephonangaben einander gleich sind oder nicht. Dieser Umstand hat aber eine grosse Ungenauigkeit in der Einstellung der Induetionsrolle auf der Sonometerscala zur Folge, so dass die Methode von vornherein eine nicht zu beseitigende Fehlerquelle in sich birgt. Die Nachtheile sind schon mehrfach hervorgehoben worden, Bertin!), der mit einer von Hughes selbst bezogenen Induetionswage Versuche anstellte, bemerkt, dass die Messungen, welche derselbe leicht fände, in Wirklichkeit seht schwer seien. Ferner weist Lodge?) hin auf die Schwierigkeiten, welche sich der Abschätzung der zu vergleichenden Telephonangaben entgegenstellen. Auch Hughes selbst erwähnt, dass er es schwer fände, Bruchtheile auf der Sonometerscala zu bestimmen wenn die Töne laut seien. Versucht man nach der zweiten Methode die Störungen des Strom- gleichgewichts mit einem Zinkstreifen oder mit anderem Material zu compensiren und aus der compensirenden Quantität Schlüsse zu ziehen, so erwachsen aus der Schwierigkeit, nach dem Gehör die Compensation beurtheilen zu müssen, gleichfalls erhebliche Ungenauigkeiten. Ausser- dem ist es nicht einmal immer möglich, das Telephon durch Com- pensation zum Schweigen zu bringen, Alle diese Mängel spiegeln sich wieder in den Resultaten, zu welchen Hughes nach seinen Methoden gekommen ist. Um nur Einiges zu erwähnen, so findet er z. B. für den Störungswerth von: Silber (rein). 472er en, Kupfer . „el ee, Akon. Be Bleis, Yoh:emlan len yon Quecksilber . . . 30, die Metalle untersucht unter sonst Stehen Trisklinden — all of the same size and form of an English shilling, and measured in millimetre- degrees, by the sonometer. Wenn man die Zahlen näher betrachtet, so lassen sie irgend welche allgemeine Deutung nicht zu, ebenso wenig auch die Reihen, welche !) Journ. de physique par d’Almeida, Bd. 9 S. 376. 1880. Desgl. Ann. de chim. et de physique (5) 19 S. 561. 1880. Ale II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 39 Chandler Roberts unter der Bezeichnung „Ablesungen an der In- ductionswage“ über die von ihm untersuchten Legirungen aufgestellt hat. Mit sehr viel besseren Erfolgen sind die Untersuchungen ausgeführt worden, bei denen Galvanometer und Disjunetor oder Eleetrodynamo- meter und Hilfsinduetorium gebraucht wurden, und die Störungen des Stromgleichgewichtes beobachtet werden konnten mit Scala und Fernrohr. Da” geht in allen drei Fällen aus den Abhandlungen hervor, dass die erhaltenen Resultate gut übereinstimmten mit denjenigen, welche früher nach ganz anderen Methoden gefunden worden waren. Immerhin bleibt aber auch hier noch Folgendes zu bemerken. Der von Toepler und Ettingshausen verbesserte und vermittels eines Uhrwerks in Gang zu setzende Disjunctor erforderte sehr grosse Vorsicht bei der Herstellung und viele Vorsichtsmaassregeln beim Betrieb, wenn damit brauchbare Resultate erzielt werden sollten. Hinsichtlich des Electrodynamometers zeigte sich, dass aus den Ablenkungen der beweglichen Rolle Schlüsse über das Verhältniss verschiedener Leitungs- fähigkeiten ohne Weiteres nicht gezogen werden konnten. Als ferner die Methode mit anderen Metallmassen zu compensiren angewendet wurde, machte sich der Mangel an Empfindlichkeit, welchen das Eleetro- dynamometer für schwache Ströme zeigt, in recht unwillkommener Weise fühlbar und konnte auch durch Hilfsinduetorien von beträchtlichen Dimensionen nach der angegebenen Versuchsanordnung nur in be- schränktem Maasse gehoben werden. 3.8: In Rücksicht auf die vielseitige Verwendbarkeit der Inductionswage als Untersuchungsmittel schien es deshalb angemessen, eine einfachere Form des Disjunctors mit ihr in Verbindung zu bringen, um dadurch die Messungen von Störungen des Stromgleichgewichtes möglicher Weise zu erleichtern, In der Wiener medieinischen Presse veröffentlichte nun vor Kurzem R. Lewandowski ') mehrere Abhandlungen unter dem Titel: „Die einfachste Methode zur Erzielung gleichgerichteter, galvanometrisch messbarer Inductionsströme.‘“ Ein dort angegebenes Mittel ?) hat Ver- fasser mit dem Stromunterbrecher nach Bernstein?) zu einem Disjunetor I) Wien. med. Presse Jahrg. 1888, No. 9 u. ff. Ferner Beibl. zu Wied. Ann. Bd. 12 S. 603. 1888. 2) In neuerer Zeit sind verschiedene Formen von Disjunctoren bekannt ge- worden, u. A. von Himstedt. Es reicht indessen über den Rahmen der Arbeit hinaus, darauf näher einzugehen. 3) Bernstein, Untersuchungen über den Erregungsvorgang im Nerven- nnd Muskelsysteme, S. 98. Heidelberg, Winters Buchhandl. 1871. 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. vereinigt und diesen mit der Inductionswage verbunden. In der weiter unten beschriebenen Form kommt zwar auch das von Dove ein- geführte Prineip zur Geltung. Jedoch ist nicht, wie nach Toepler und Ettingshausen ein Uhrwerk erforderlich, sondern der Betrieb geschieht electromagnetisch. Eine Ankündigung des Disjunctors '), erfolgte schon im Laufe des vorigen Jahres; nunmehr liegen mit Hilfe desselben an- gestellte Beobachtungen vor. Sie wurden ausgeführt mit neuen In- ductorien, und die Inductionswage setzte sich zusammen: 1) Aus einem Inductorium I, an welchem eine Rolle direet, die andere durch eine Führungsschraube in der Richtung der gemeinsamen Axe verstellbar war; 2) einem Inductorium II, an dem beide Rollen direet verstellt werden konnten; 3) dem selbstthätigen Disjuncetor. Dazu kam noch die Kette für die Stromquelle und das Galvanometer im secundären Kreise; ausserdem einige kleinere Utensilien, welche sich für die Versuche als zweckmässig erwiesen. Im Einzelnen lassen sich die Apparate mit wenigen Worten beschreiben. Fig‘ 1. Inductorium I hat die in Fig. i dargestellte Form. Auf dem Grundbrett G ist ein Körper PK angebracht, um als Führung zu dienen für zwei Schlitten S und S', welche die Drahtrollen tragen. PK ist fast der ganzen Länge nach durchbrochen und nimmt in die Durchbrechung die Schraube R auf, vermittels welcher der Schlitten $' verstellt wird. Die Zuleitungen zu den Drahtrollen bilden Klemmschrauben, wie es in der Figur angegeben ist. Sowohl zur sicheren Führung, als auch zur Be- festigung für den Fall, dass die Rollen in einer bestimmten Entfernung eingestellt bleiben sollen, ist in jeden Schlitten noch ein prismatisches Stück D eingefügt, welches von Aussen durch Anziehen zweier Schrauben gegen den Führungskörper gedrückt werden kann. Denkt man sich letzteren nicht durchbrochen und die Führungs- schraube R fort, so ergiebt sich das Inductorium II, welches keiner weiteren Erläuterung bedarf. ') Anmerk. auf S. 784 in Wied. Ann. Bd. 36. 1889. II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 1 Die primären Rollen haben je 469 Windungen von 1 mm starkem, die secundären 3054 und 3057 Windungen von 0.31 mm starkem Kupferdraht. Der Form und Grösse nach sind alle vier Rollen einander gleich und so hergestellt, dass auf den Seiten, welche sie einander zukehren, die dieleetrischen Schichten fehlen. Dadurch wird eine bessere Aus- werthung des Inductionsbereichs, resp. Kraftfeldes ermöglicht. Fig. 2. Der Disjunetor ist zunächst ein gewöhnlicher selbstthätiger Strom- unterbrecher mit Platinquecksilbereontact. Seine Einrichtung ist in Fig. 2 gezeichnet. Auf ein Brett A ist eine metallene Säule S auf- geschraubt, welche die zum Schwingen bestimmte Stahllamelle L trägt. Ueber L befindet sich ein Eleetromagnet E, darunter ein Quecksilber- näpfehen N auf einer Stellschraube, so dass es gehoben und gesenkt werden kann. Ein in L befestigter Platinstift vermittelt durch Ein- tauchen in Quecksilber den Stromschluss. Der Eisenkern von E kann durch Drehen an dem Schraubenkopf K gleichfalls gehoben oder gesenkt und dadurch in die geeignete Entfernung von der Lamelle gebracht werden. Die Lamelle lässt sich kürzer oder länger einstellen, so dass auch die Schwingungszahl geändert werden kann. Wenn der Unterbrecher in Thätigkeit ist, so Ban der treibende Strom von R durch N in L und die Säule $, von da über P durch den Electromagneten E nach Q. Um ihn als Disjuncetor gebrauchen zu können, ist die Einrichtung getroffen, dass die Lamelle ausser dem schon beschriebenen activen noch zwei weitere gewissermaassen passive Contacte schliesst und unterbricht, von welchen jeder für sich in einen Stromkreis ein- geschaltet werden kann. Die Quecksilbernäpfchen für diese passiven Contacte sind N, und N,; sie sind gleichfalls auf Stellschrauben an- 39 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. gebracht, um ihre Höhen verändern zu können. Die zugehörigen Platinstifte sind lanzettförmig zugespitzt und für die Zwecke des Reinigens ebenso wie die Quecksilbernäpfehen, abnehmbar. Die Leitung für einen Strom, welcher den einen Contact passirt, seht über R, N, Quecksilber und Platinstift, von da durch einen seitlich an L isolirt befestigten Draht, welcher in D, zum Vorschein kommt und nach Q,. R, und Q, bilden also die Zuleitungen zu diesem Contact. Für einen Strom, welcher den anderen Contact passiren soll, ist der Weg in ähnlicher Weise: R,, N, Quecksilber, Platinstift, sodann ein an der anderen Seite von L isolirt befestigter Draht, der sich in D, zeigt und nach Q, führt, so dass R, und Q, zu dem zweiten passiven Contact die Zuleitungen bilden. Ein Kork an der Stelle, an welcher die Drähte die Lamelle verlassen, schützt sie vor dem Ab- brechen. Während der Beobachtungen war der Disjunetor auf einem Bleiblock befestigt und auf sicherer Grundlage aufgestellt. Ferner wurde der Funken des activen, wie auch desjenigen passiven Contactes, durch welchen der indueirende Strom ging, durch eine vorgelegte Zweig- leitung von geeignetem Widerstande abgeschwächt. Trug man dann noch Sorge für 1) reine Platinstifte, 2) reines Quecksilber, 3) reine Näpfchen, so arbeitete der Disjunctor zu jeder Zeit so lange und völlig gleichmässig, als die Contacttheile rein waren und der treibende Accumu- lator nicht erschöpft war. 3b. Den indueirenden Strom lieferten in der Regel drei Accumulatoren. Alle Beobachtungen wurden ausgeführt mit Schliessungsströmen und zwar nach der in Fig. 3 auf folg. Seite angegebenen Versuchsanordnung. Im primären Kreise geht der Strom von der Kette K durch einen der passiven Contacte U, des Disjunetors, danach durch die primären Rollen der Inductorien I und Il und zur Kette zurück. Vor U, befindet sich noch der Zweig W, dessen Widerstand so gewählt wurde, dass der Unterbrechungfunken bei Tageslicht eben noch sichtbar war. In den secundären Kreis sind eingeschaltet: die secundären Rollen der Inductorien, der andere der passiven Contaecte U, und das Galvano- meter G, vor welehem sich der Commutator C befindet. Das Galvano- meter war ein Siemens’sches mit Spiegelablesung, 1500 Windungen und starker Kupferdämpfung, Um nach Herstellung der Verbindungen die Inductionswage für die Versuche einzurichten, wurden die Rollen von Inductorium II in einer gewünschten Entfernung befestigt, danach der Disjunetor in Thätigkeit schlesische Gesellschaft für vaterländische Gultar, oe — EFT 68. 11. Jahresbericht. Naturwissenschaftliche 1890. Abtheilung. EIRIEERED TION IE. IE ORTS YORE ET I TER Vi RSS gesetzt und ermittelt, ob im secundären Kreise die Inductionsströme entgegengeseizte Richtung hatten. u, — K Fig. 3. Für diesen rein qualitativen Versuch ist das Telephon als Prüfungs- mittel recht empfehlenswerth. Man schaltet es an Stelle des Galvano- meters ein und varlirt die Entfernung der Rollen von I vermittels der Führungsschraube, Waren die Rollen so mit einander verbunden, dass die indueirten Ströme entgegengesetzt gerichtet waren, so fand sich alsbald die Stellung heraus, für welche die Telephontöne ein Minimum zeigten oder in wenigen Fällen das Telephon schwieg, Dann wurde wieder das Galvanometer eingeschaltet und die letzte Correction vor- genommen während der Beobachtung mit Skala und Fernrohr. Mit Hilfe des Galvanometers liess sich ausserordentlich viel sicherer und bequemer, als mit dem Electrodynamometer, feststellen, ob Strom- gleichgewicht vorhanden war oder nicht. Trat ein Minimum der Telephontöne nicht hervor, so genügte es, die Zuleitungen zu einer beliebigen der vier Rollen zu vertausehen und darauf in der beschriebenen Weise zu verfahren. 34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. a Im Allgemeinen konnten nach diesen Vorbereitungen, welche sich aber auch ohne Zuhilfenahme des Telephons treffen lassen, die Störungen des Stromgleichgewichts durch inducirbare Körper, die in den Inductions- bereich eines Inductoriums eingeführt wurden, schon am Galvanometer beobachtet werden. Wegen des zeitlichen Verlaufs der inductionsströme waren die Ablenkungen unter sonst gleichen Umständen aber sehr ver- schieden gross, je nach dem Zeitraum, welcher zwischen der Herstellung von Contact U, und U, in Fig. 3 bei jeder Schwingung der Lamelle des Disjuncetors verging. Die Zeit hängt unter Anderem ab von der relativen Stellung beider Quecksilberoberflächen zu den Platinspitzen und kann leicht geändert werden, indem man etwa bei unveränderter Stellung von N, das andere Näpfchen N, hebt oder senkt. Auf diese Weise kann man auch während der Disjuncetor in Thätigkeit ist, das Zeitintervall ohne Mühe ändern. Um eine Uebersicht zu gewinnen, wurden die Schraubenköpfe, welche N, und N, in Fig. 2 tragen, mit Kreistheilungen versehen, die Stellung der Quecksilberoberfläche im primären Kreise unverändert ge- lassen, dagegen diejenige im secundären Kreise — Näpfchen N — um je zwei Zehntel der Theilung gehoben. Dann bewirkte eine sehr dünne Kupferplatte im Inductorium I folgende Ablenkungen im Galvanometer: Tabelle I. N, | % | N, | MR 0 A107 | 12 180 2 118 14 Be 4 88 16 194 6 1 143 18 192 8 160 20 1 152 10 an 22 Bea Die Ausschläge wachsen also allmählich bis zum Maximum —+ 194 bei der Stellung 16 von N,, von 18 an nehmen sie sehr schnell ab, um zwischen 20 und 22 negativ zu werden. Vor und bis zu 18 waren die Ablenkungen des Galvanometermagneten ausserdem constant, bei 20 zeigten sich Zuckungen um etwa 0,4 bis 1, nach 22 bis 3 Skalentheilen, im späteren Verlauf waren sie unregelmässig. Hiernach war es leicht, nach vorgenommener Reinigung der Contacttheile, Erneuerung des Queck- silbers, geänderter Aufstellung des Disjunetors und dergl. m. sich schnell über die geeignete Stellung der Quecksilbernäpfchen zu orientiren. Was die Schwingungszahl betrifft, so wurden alle Versuche bei derselben Länge der Lamelle angestellt. Die Amplituden betrugen in der Regel 8 mm. 4, Mit der Induetionswage in Verbindung mit Galvanometer und Dis- junctor hat Verfasser zunächst das eleetrische Leitungsvermögen bestimmt nt ne ii. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 35 von Kupfer, Zink, Zinn, Blei, auch Messing, bezogen auf Quecksilber von der Temperatur O° als Einheit. Die Untersuchung wurde ausgeführt an kreisförmigen Platten, welche aus gewalzten Blechen von ver- schiedenen Dicken ausgeschnitten worden waren. Sie wurden conaxial zwischen die Rollen der Induetorien gebracht, während die Entfernung der inneren Flächen 15 mm betrug. Die conaxiale Stellung liess sich leicht ie mit Hilfe zweier U-förmiger Behälter, wie einer in | in Fig. 4 gezeichnet ist. Sie waren aus er hergestellt, und der runde Theil des Ausschnittes bildete den Bogen eines Kreises von 85 mm Durchmesser, Standen die Be- hälter eonaxial zwischen den Rollen, so nahmen die in sie eingelassenen Platten von selbst die gewünschte Stellung ein. Die Zwischenräume zwischen Platten und Glaswänden in den Behältern wurden dann noch mit Pappstücken gefüllt, so dass Alles auch stets symmetrisch angeordnet war. Die Untersuchungsmethode war das Compensationsverfahren, und als compensirendes Material dienten kreisförmig ausgeschnittene Stanniol- blätter von gleichfalls 85 mm Durchmesser. Um die Blätter bequem zwischen die Rollen zu bringen, wurden deren 10, 10 andere, 20 und 50 auf einander gelegt und in dünnes, festes Papier eingehüllt. Die so entstehenden vier Combinationen konnten ebenso gebraucht werden, wie die Gewichtstücke bei einer gewöhnlichen Wage. Die Bezeichnung „eleetrischer Gewichtsatz‘‘ ist daher für sie wohl zutreffend. Vor dem Gebrauch wurde der Gewichtsatz geprüft, zu dem Zweck ein bezeichnetes Stück (10!) als Normalstück gewählt, ihm wegen der Blätterzahl der Werth 10 zuertheilt und damit die übrigen verglichen. Die Werthe waren dann: Stück (10°: =; 10,0 „ (10) 9,9 „ @0) = 19,7 REITER 0) 0) DEE 1107 Combinationen von weniger als 10 Blättern sind nicht zur Ver- wendung gekommen. Sie erwiesen sich auch nicht nothwendig, da die unter 10 liegenden Werthe mit grösserer Genauigkeit durch Interpolation ermittelt werden konnten. Die Bruchtheile der Stanniolblätter sind auf- zufassen als Bruchtheile ihrer Dicken. Die Untersuchung der zu bestimmenden Platten mit der Inductions- wage geschah in der Weise, dass zunächst, wie oben erläutert, Strom- gleichgewicht hergestellt wurde, so dass die Inductionsströme im secun- dären Kreise sich völlig aufhoben. Darauf wurde die Platte conaxial zwischen die Rollen eines Inductoriums gestellt, was zur Folge hatte, dass eine Störung des Stromgleichgewichtes eintrat und im Galvanometer sich ein entsprechender Ausschlag zeigte. Nun wurden zwischen die 3* 36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Rollen des anderen Inductoriums Stanniolblätter -— später auch schon bestimmte Platten — gebracht, die Störung annähernd compensirt, und dann noch ein weiteres Stück (10) oder (20) als Uebergewicht für die Interpolation hinzugefügt. Nach Art der doppelten Wägung wurden endlich Blätter und Platte mit einander vertauscht und die Beobachtungen noch einmal vorge- nommen. Die so ermittelte Summe der nahezu compensirenden Blätter und der durch Interpolation gefundenen bildeten dann den ‚‚Inductions- werth‘‘ der Platte. | Für die Untersuchung des Quecksilbers wurden zwei Gefässe aus Glas hergestellt von der Form, wie sie Fig. 5 zeigt. Die cylindrischen Hohlräume hatten 85 mm Durchmesser und verschiedene | Höhen. Die Gefässe wurden mit Quecksilber angefüllt, zwischen die Rollen der Inductorien gestellt, und die In- ductionswerthe der nunmehrigen Quecksilberplatten in gleicher Weise ermittelt, wie in allen übrigen Fällen. Im Ganzen sind 17 Platten untersucht worden. Wie sich aus ihren Inductionswerthen das electrische Leitungsvermögen herleiten lässt, er- giebt eine einfache Erwägung. Da die Platten gleiche Durchmesser haben und räumlich in dem Inductionsbereich dieselbe Stellung ein- nahmen, so sind die Induetionswerthe innerhalb gewisser Grenzen dem Produet aus der Dieke ö und der Leitungsfähigkeit A proportional. Be- rechnet man sie daher für irgend ein ö, so erhält man relative Werthe für die Leitungsfähigkeit. Es war also nothwendig, noch die Dicken der Platten zu kennen. Diese wurden ermittelt durch Wägung und zu dem Zwecke bestimmt: 1) der Durchmesser d an drei Stellen mit Hilfe eines Meyerstein’schen Comparators; 2) das Gewicht p; 3) das speeifische Gewicht s. Dann ist = 4pjd’ns. Die Tabelle II enthält unter J die Inductionswerthe der Platten, unter ö die berechneten Dicken in Millimetern, unter J/d die Inductions- werthe für i mm Dicke. Die Platten desselben Materials sind der Reihe nach mit A, B, C, D bezeichnet. Es fand sich: Tabelle II. Platte | J | ö in mm | J/ö Kupfer. A 53,8 0,094 572,4 B 50,3 0,091 571,6 Zink. A 1078 | 0,648 | 165,6 B 107,4 0,648 165,7 Ce 190,6 | 1,156 | 164,9 II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 37 noch: Tabelle II. a Zinn. A 29,9 0,513 18 B 82,5 1,036 79,6 © 122,7 1,523 80,6 D 32,0 0,403 79,4 Blei A 240 | 0484 ||. 498 B 50,0 1,016 49,2 C 12,0: | 1448 | 4.498 Messing. A| 669 | 0458 | 146,1 B 67,5 0,461 146,4 or | oo ol Quecksilber. A 60,19 5,5 10,94 B 111,12 10,3 10,79 Aus dieser Tabelle kann man schon ersehen, dass unter den Ver- suchsbedingungen die Inductionswerthe einzelner Platten desselben Materials den Dieken proportional sind. Für den allgemeinen Fall, dass gleichzeitig Platten von verschiedenen Dicken ö und verschiedenen Leitungs- fähigkeiten A compensirt werden, besteht die Proportionalität für die Summe der Producte ÖA. In dieser Beziehung wurde bereits hervorgehoben, dass an Stelle von Stanniolblättern für die Zwecke der Compensation beliebige Platten von bekanntem Inductionswerth gesetzt werden dürfen. Immerhin sei noch ein Versuch hierüber vollständig mitgetheilt, bei welchem die Platten Kupfer A und Zinn A zusammen bestimmt und dabei die Blei- platte A zur Compensation mit zu Hilfe genommen wurde. Das Beob- achtungsprotocoll gestaltete sich folgendermaassen: \ Stell. des Inhalt von Induetorium EL Con- trolle 1: | II links rechts (Sn A) (Cu A) (50) (10) (PbA) | 454,4 464,8 | 10,4 10,4 - - (50) (10) (Pb A) (20) | 462,8 457,2 | — 5,6 — 6,0 (50) (10) (PbA) (20) (Sn A) (Cu A) 454,6 465,0 + 10,44 10,4 (50) (10) (Pb A) - 463,0 456,8| — 6,2] — 6,2 \ \ Wenn man, was beim Galvanometer innerhalb weiter Grenzen ge- stattet ist, bei nahezu erfolgter Compensation die Beziehungen zwischen 38 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Culiur. den Ablenkungen im Galvanometer und der Zahl der Stanniolblätter darstellt durch eine lineare Function: y=a-bz, wo a den zu interpolirenden Werth, x die Skalentheile, y den nach Prüfung des Gewichtsatzes erhaltenen Werth des Uebergewichtes be- deutet, so ergiebt sich aus yy=arbz, Ja a — bx,, | dass X%ı Ya aa ı Zul a Im vorliegenden Falle findet sich mit Hilfe des Stückes (20) — 19,7 als Uebergewicht für a der Betrag 10,0, so dass man als Com- pensation hat: az Stück (50) = 49,7 ef. 8. 12. = Aw, = 9.8 Bleiplatte A = 24,0 Tabelle II. Interpol. a = 10,0 Summe —= 93,6. Entnimmt man den Inductionswerth für jede der beiden zusammen bestimmten Platten aus Tabelle II, so ist derselbe für Zinn A 39,9 für Kupfer A 53,8 Bunte 93,7. Beobachtung und Rechnung stimmen also überein bis auf etwa 0,1 pCt. Bevor dazu übergegangen wurde, die Leitungsfähigkeiten zu be- rechnen, war es nothwendig, noch zwei Correetionen zu berücksichtigen. Während die cylindrischen Hohlräume beider Quecksilbergefässe im Mittel 85 mm Durchmesser hatten, zeigten die ausgeschnittenen Platten mehrfach von diesem Durchmesser Abweichungen. Deshalb wurden Versuche angestellt mit Kupfer- und Zinnplatten, für welche d = 75, 85 und 95 mm war. Es ergab sich das früher schon 1. ce. mitgetheilte Resultat, dass die Inductionswerthe etwas schneller zunehmen, als die (Quadrate der Durchmesser. Nach den Versuchen wurden alle Inductions- werthe auf 85 mm als Normaldurchmesser reducirt. Was die andere Correetion betrifft, so ändern sich bekanntlich die Leitungsfähigkeiten des Quecksilbers, der anderen Metalle und der Le- sirungen nicht in gleicher Weise mit der Temperatur. Da diejenige des (Juecksilbers bei einer Temperatur von O° als Einheit gewählt war, so wurden die erforderlichen Factoren in Rechnung gebracht. Die Tem- peratur während der Versuche mit den Quecksilberplatten war 20,6°, In der folgenden Tabelle sind unter J, die corrigirten Quotienten J/ö enthalten, unter X die aus ihnen berechneten Leitungsfähigkeiten der untersuchten Platten, unter s auch ihre specifischen Gewichte angegeben. I II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 39 Tabelle III. Ben FREE re 4 SD A Kupfer. A 8,909 581,0 56,658 B 8,921 310,7 56,236 Zink. A 7.193 164,3 16,022 B 7,183 164,9 16,080 C |. 4103 164,4 16,032 Zinn. A IT 78,5 7,655 B 1,298 73.9 1,782 C 7,298 81,1 7,909 D 7,301 80,1 7,811 Blei. A IT322 7 \ 50,0 4,876 B 11,371 49,8 4,856 C j| 11,369 50,1 4,886 Messing. A 8,473 | 1470 13,700 B 8,478 146,4 13,644 C | 8,435 138,8 | 12,936 Quecksilber. p@A+ B=-ı=-1. Die Werthe von %, welche für Platten desselben Materials gefunden worden sind, kann man als gut übereinstimmend bezeichnen, die Grenzen nähern sich am meisten für Blei. Was die chemische Reinheit der untersuchten Metalle betrifft, ') so war das Zink stark bleihaltig, Kupfer, Zinn und Blei zeigten Spuren von Eisen. Dieselben waren nachgewiesen mit Hilfe von Rhodankalium und rührten vermuthlich von der Behandlung der Platten mit eisernen Werkzeugen her. Das Quecksilber war neu destillirt. Hiernach können die Werthe der Leitungsfähigkeit von Kupfer, Zinn und Blei als zutreffend angesehen werden, Bei den bisherigen über das elektrische Leitungsvermögen ausge- führten Untersuchungen ist in einigen Fällen hervorgehoben worden, ob die Angaben sich auf reine Metalle beziehen. Aus diesen Abhandlungen sind die hierher gehörigen Zahlen mit den arithmetischen Mitteln für A aus Tabelle III in der folgenden Tabelle vergleichend zusammengestellt. Dabei wurden benutzt: ) Herr Geh. Reg.-Rath Prof. Dr. Poleck hat die Güte gehabt, Proben in dem chemischen Laboratorium der hiesigen Universität analysiren zu lassen. 40 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 1) Die Beobachtungen, welche Matthiessen im Verein mit v. Bose ausgeführt hat !;) 2) die Untersuchungen von Benoit;?) 3) die Resultate von H. F. Weber;?) 4) die Zahlen, welche Verfasser im Verein mit Oberbeck er- mittelt hat.) Die unter 1) und 2) Genannten haben ihre Untersuchungen an Drähten angestellt. Die Resultate von H. F. Weber sind erhalten worden durch Beobachtung der dämpfenden Wirkung, welche massive Metallringe auf die Schwingungen einer Magnetnadel ausübten. Die übrigen noch erwähnten Zahlen sind gefunden mit Hilfe der Inductions- wage in Verbindung mit Electrodynamometer und Hilfsinduetorium. Tabelle IV. Leitungsfähigkeit verschiedener Metalle bei 0°, bezogen auf Queck- silber von derselben Temperatur als Einheit. Beobachter: Kupfer Zink Zinn Blei Matthiessen zus. mit v.‚Böse” . 2%. %60,96.hart 17,52 7,56 5,02 Benouar. 1. OMA 55,86 eich ni ar 5,237 4,819 H. EB. Weber &8k — 16,65 9,876 5,111 Verfasser zus. mit Oberbeck . 2: 54,87 15,93 9,045 4,688 Verfasser . . . 56,447 16,045 7,789 4,873 Die Werthe von Kupfer, Zinn und Blei der neuen Bestimmung liegen zwischen denjenigen, welche Matthiessen und von Bose und Benoit gefunden haben. Die Zahl für Zink erreicht diejenige von B&noit für hartes Zink nahezu. >. Die Leitungsfähigkeiten für dasselbe Metall mit den Zusätzen „hart“ und „weich“ zeigen ziemlich grosse Unterschiede. Es unterliegt keiner Frage, dass absolute Werthe der Leitungsfähigkeit für ein Metall nicht angegeben werden können, da letztere sich ändert mit der Moleeularstructur. Diese kann sich sehr verschieden gestalten, je nach- dem die Metalle gewalzt, gehämmert, geprägt, gegossen, auf electro- lytischem Wege dargestellt sind u. A. m. t) Pogg. Ann. Bd. 115 S. 393. 1862. ?2) Compt. rend. 76, S. 342. 1873. ®) Berl. Monatsber. 1880. S. #76. la, II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 41 Soweit die Structur modifieirt werden kann durch die Einwirkung hoher Temperatur, sind mehrere Untersuchungen angestellt, auf welche in der Eingangs erwähnten Abhandlung über diesen Gegenstand hin- gewiesen worden ist. Verfasser hat die Versuche fortgesetzt an den Kupferplatten und zweien, A und B, von Messing. Die Platten wurden zwischen Kupferblech gelest, geglüht und nach allmählicher Abkühlung noch einmal auf dieselbe Weise untersucht wie vorher. Die Resultate dieser Bestimmungen sind enthalten in Tabelle V und zwar mitgetheilt: unter J die Induetionswerthe, unter J, diejenigen für 1 mm Dicke mit Berücksichtigung der Correetion für den Durch- messer, unter s die specifischen Gewichte und unter A die Leitungs- fähigkeiten, wiederum bezogen auf Quecksilber von der Temperatur 0° als Einheit. Tabelle V. ee er | Kupfer. A 595,6 602,4 8,905 98,744 B 51,8 593,9 8,902 97,915 Messsing. A 66,5 | 145,6 8,508 13,560 B 67,3 143,6 8,483 13,384 Wenn man die vorstehenden Zahlen unter A vergleicht mit den entsprechenden in Tabelle III, so ist das Leitungsvermögen: Tabelle VI, Von Platte Vor dem Glühen Nachher Kupfer | A 56,658 58,744 B 56,236 57,915 Messing | A 13,700 13,560 B 13,644 13,384 Das Glühen hat also beim Kupfer eine Zunahme, bei dem Messing eine Abnahme des Leitungsvermögens” bewirkt. Die Aenderungen für die einzelnen Platten betragen: A B für Kupfer -+ 3,68 — 2,99 Procent, - Messing — 1,02 — 1,91 z Die frühere Untersuchung hatte unter Anderem für Kupfer gleich- falls eine Zunahme, für die Legirung Neusilber eine Abnahme ergeben. 6. Die vorstehenden Untersuchungen über das electrische Leitungs- vermögen sind angestellt worden an dünnen, kreisförmigen Platten unter Benutzung electrodynamischer Fernewirkungen. 49 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Da hierbei in den Leitern Ströme indueirt wurden, so war es nicht erforderlich, an ihnen irgend welche Eleetroden anzubringen, ein Um- stand, der einen grossen Vortheil bietet. Die Schwierigkeiten, die mit der Herstellung guter Contacte an körperlichen Leitern verknüpft sind und die sich eventuell aus ihnen ergebenden Fehlerquellen sind dadurch gänzlich vermieden. Es genügte die Einführung der Platten in den Induetionsbereich der Inductorien, und nur ihre räumliche Stellung zu den Rollen musste berücksichtigt werden. Unter den festen Platten hatte Zinn C die grösste Dicke, 1,5 mm, während für alle als Durchmesser 85 mm normal war. Dieser Durch- messer und auch das Maximum der Dicke waren selbstverständlich rein zufällig, und können Cylinder von sehr verschiedenen Höhen — Queck- silber B hatte 10,5 mm — und sehr verschiedenen Durchmessern ge- wählt werden, sodann auch Formen, welche von der cylindrischen gänzlich abweichen. Es mögen einige Beispiele folgen von Störungen des Stromgleich- gewichtes, welche verschiedene metallische Gegenstände in der In- ductionswage hervorbrachten. Tabelle VII. Inductionswerth Preuss. Krönunestjaler von Tool. er |, „a 2 aa Dreimarkstick von 1848..." 2 2m, er NA Turmakstlück von 1812.00 nn u a WON DER yon KODON.. em ee AM MERRN, MAI en RUE BR Hufelandthaler von 1833 . . .. u Neu-Braunschweiger Kupfermünze von "1854 nd Kriegs-Denkmünze von 1866. . . . . . 89,5 Kriegs-Auszeichnung „Eisernes Kreuz‘ von 187071. 33,7 Brondene (Danzenspiizet Al, . + ah che nr ad Eiserne Lanzensgpitze . . . . 3 - _ Störung des Stromgleichgewichtes im nen tebsans nahen Sinne wie vorher und so gross, dass die Skala aus dem Gesichtsfeld ging. Die Münzen standen alle conaxial zwischen den Rollen, das ‚‚Eiserne Kreuz‘ und die Lanzenspitzen symmetrisch zu der Axe des Kraftfeldes. Die nominell gleichwerthigen Münzen hatten verschiedene Prägung. Das Fünfmarkstück von 1888 war sehr viel besser erhalten, als dasjenige von 1874, Den indueirenden Strom für diese Versuche lieferten drei Accumu- latoren; der Unterbrechungsfunken war in der oben angegebenen Weise abgeschwächt. Die Inductionswerthe bedeuten wie früher die Zahl der Stanniolblätter von 85 mm Durchmesser, welche zur Compensation der durch die Gegenstände hervorgebrachten Störungen des Stromgleich- gewichtes erforderlich waren. 1. Naturwissenschaftlic he Abtheilung. 453 Würde man von diesen Stücken irgend eins herausgreifen und die Frage stellen: Welches ist sein electrisches Leitungsvermögen? so kann darauf gegenwärtig eine Antwort noch nicht gegeben werden, vielmehr ist in erfreulicher Weise erst erreicht worden, die Störungen des Strom- gleichgewichtes quantitativ und qualitativ leichter und sicherer zu er- mitteln, als es bisher möglich war. Eins lässt sich aber schon übersehen: dass die Inductionswage die Reihe der Mittel vervollständigt, welche gestatten, auf Grund physi- kalischer Untersuchungen analytische Beobachtungen anzustellen. So wird man von vornherein erwarten, dass bei metallischen Gegenständen von äusserlich gleicher Form und Grösse, aber verschiedenen elecetrischen Leitungsfähigkeiten auch die Inductionswerthe verschieden ausfallen müssen. Aus dem Museum Schlesischer Alterthümer hierselbst waren von der Direetion dem Verfasser für die Zwecke der Arbeit die beiden Lanzenspitzen, sodann noch eine Anzahl von Münzen und Medaillen gütigst anvertraut worden, von denen je zwei der Grösse und Form nach gleich waren, aber aus verschiedenen Metallen oder Legirungen be- standen. Die Inductionswerthe von je zwei solchen Stücken sind zu- sammengestellt in der nachstehenden Tabelle VIII. Inductions- Desgl. des werth Dupl. 1. Kaiser Leopold, Medaille von 1687 . . . 143,0 16,1 2.. Breslauer. Bestthaler von 1633 . .|\..N....., 78,2 11,2 34 Berdinand 5 Med. 34 ,@lR; Re N) 131,0 4. Karl v. Pokrinsen, Med. von 1744 . N 23 20,0 5. Maria Theresia, Krönmeskkinden von 1743. 42,2 34,8 6. Georg Aug. von Sachsen, Münze von 1614 78,2 47,4 7. Blüchermedaille vom-1$16 ‚x ze: %/ eo BIS6,S N 2 Die Duplicate von 1. und 2. waren Bleiabgüsse, dasjenige von 6. dem Klange nach zu urtheilen ein Falsificat, das Duplicat der Blücher- medaille bestand aus Eisen. Die Durchmesser der Stücke lagen zwischen 87 und 81 mm. Würde die Aufgabe gestellt sein, eine Münze, Medaille oder dergl, von einem imitirten Stücke aus anderem Metalle auf physikalischem Wege zu unterscheiden, so bietet sich für diesen Zweck in bekannter Weise zunächst das specifische Gewicht dar. Eine andere verwendbare Eigenschaft hat Dove!) beschrieben in einer kurzen Abhandlung: „Ueber die Nichtidentität der Grösse der durch Prägen und Guss in derselben Form von verschiedenen Metallen ı) Pogg. Ann. Bd. 110, S. 498. 1860, 44 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. erhaltenen Medaillen.‘ Dieselbe beruht auf der Öberflächenänderung der geprägten Stücke infolge elastischer Nachwirkung der Metalle. Am Schlusse der Abhandlung bemerkt Dove: ‚Die Krone des Hiero ver- anlasste die Anwendung des specifischen Gewichtes zur Prüfung einer Fälschung, das Stereoskop ist eine neue.‘ Eine weitere und vielleicht die beste Methode ist die Prüfung auf Grund des electrischen Leitungsvermögens, da dasselbe den Metallen und Legirungen in sehr viel verschiedenerem Grade zukommt, als z. B. das specifische Gewicht. Der höchste bekannte Werth hierfür — Platin, Iridium, Osmium — liegt zwischen 22 und 23, für das electrische Leitungsvermögen ist die Grenze etwa 65. Ausserdem nehmen gerade die Edelmetalle in den Reihen über die in Rede stehenden Eigen- schaften Stellen ein, welche die Zahlenunterschiede in den correspon- direnden Werthen noch erheblich vergrössern. Die analytische Untersuchung nur auf Grund physikalischer Be- obachtungen kommt in Betracht in den Föllen, in welchem Werth da- rauf gelegt wird, dass das gesammte Aeussere des fraglichen Gegen- standes in jeder Beziehung erhalten bleibe, so dass Feile und Prüfstein oder die Behandlung mit Chemikalien nicht erwünscht sind, und die chemische Analyse ausgeschlossen ist. Das specifische Gewicht kann dann als weiteres Kriterium dem electrischen Leitungsvermögen hinzu- . sefügt werden. Wie weit die Untersuchung von Metallen und Legirungen auf Grund des letzteren sich der Analyse allgemein dienstbar machen lässt, wird beurtheilt werden können, wenn hinlänglich Beobachtungsmaterial vor- liegt. Für diesen Zweck dürfte die Induetionswage Beachtung ver- dienen, da sie gestattet, für die Untersuchung andere Formen zu ver- wenden, als Drähte und ausserdem gewisse Metalle und viele Legirungen in Drahtform nicht ohne Weiteres zur Verfügung stehen. 1% Aus dem Verlauf der Beobachtungen und dem unter 2. Gesagten dürfte hervorgehen, dass man bei quantitativer Bestimmung mit der Inductionswage nach dem angewandten Verfahren dem Galvanometer den Vorzug zu geben berechtigt ist vor dem Teelephon und dem Electro- dynamometer. Versuche, welche auch mit dem Bellati-Giltay’schen Electrodynamometer') gemacht wurden, verliefen in quantitativer Be- ziehung resultatlos. !) Wied. Ann. Bd. 25, S. 325, 1885. II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 45 An das Vorstehende schliessen sich mehrere nahe liegende Fragen an, welche noch zu beantworten übrig bleiben. Können zunächst nicht anstatt der Compensationsmethode die directen Ablenkungen im Galvanometer zu Grunde gelegt werden? Es wurden ferner nur Schliessungsströme benutzt, und stets dieselbe Schwingungszahl. Wie gestalten sich die Versuche für Oeffnungsströme, wie für verschiedene Schwingungszahlen? Während der Beobachtungen schien es ausserdem mehrfach, namentlich wenn grössere Metallmassen sich in den Inductorien befanden, dass ge- wisse Verschiebungen des in Tabelle I, S. 11 charakterisirten Maximums eintraten. Sie mochten verschieden sein, je nachdem magnetische oder nicht magnetische, gut oder schlecht leitende Metalle die Störungen des Stromgleichgewichts verursachten. Sodann dürfte die Möglichkeit vorhanden sein, dass electro- dynamische Fernwirkungen sich mit vielleicht viel einfacheren Mitteln für analytische Zwecke verwenden lassen, als sie die Zusammenstellung einer Inductionswage erfordert. Ueber dies Alles seien weitere Unter- suchungen in Aussicht gestellt. Die Arbeit ist in dem physikalischen Cabinet der Universität in Breslau ausgeführt worden. Für dieselbe hat der Director des Institutes, Herr Prof. O. E. Meyer die Mittel zur Herstellung der Apparate be- willigt und ausgedehnte Räumlichkeiten für die Beobachtungen zur Ver- fügung gestellt. Hierfür fühlt sich Verfasser Herrn Prof. O. E. Meyer zu ehr- erbietigem Dank verpflichtet. Desgleichen sei der Dank ausgesprochen für die Unterstützungen durch Material und Hilfsmittel, welche dem Verfasser von öffentlicher und privater Seite zugewendet worden sind. Nachtrag, In den obigen Mittheilungen wurde die Verwendbarkeit der In- ductionswage für physikalische Zwecke berücksichtigt, welche quantitative Bestimmungen erfordert. Im Anschluss daran sei erwähnt, dass auch das Ziel erstrebt worden ist, sie der Chirurgie dienstbar zu machen, wobei ein sicherer qualitativer Nachweis von Störungen des Stromgleich- gewichtes ausreicht. Die Empfindlichkeit des Telephons nämlich lässt die Anwesenheit ‚auch solcher metallischer Gegenstände erkennen, welche nur geringe Dimensionen haben. Man hat deshalb daran gedacht, mit Hilfe der Inductionswage bei Schusswunden sich über das Vorhandensein und den Sitz des Projeectils in dem Körper des Verwundeten zu orientiren. 46 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. In dem Handbuch der Kriegschirurgie !) von H. Fischer geschieht nach Besprechung der verschiedenen Methoden. und Apparate, den electrischen Strom zur Ermittelung einer Kugel zu verwerthen, auf S. 661 kurz des Mikrophons von Hughes Erwähnung. Ueber ausgedehntere Versuche mit der Inductionswage berichtet A. G. Bell in der Abhandlung ?): „‚Upon the Electrical Experiments to determine the location of the Bullet in the body of the late President Garfield: and upon a successful form of Induction Balance for the painless detection of Metallie Masses in the Human Body.“ Sodann weist Klemen£it aufihre Brauchbarkeit in dieser Beziehung hin in der Arbeit®): „Ueber die Dämpfung e lectrischer Öscillationen.“ Die Methode, die Induetionswage zum Aufsuchen des Projectils in dem Körper des Patienten zu gebrauchen, würde auf der Anwendung electrodynamischer Fernwirkungen beruhen und deshalb irgend welche Berührung der Schusswunde mit Apparaten von vornherein ausschliessen. Eine neue Methode zur Darstellung von Sauerstoff für Unterrichtszwecke. Von Dr. Georg Kassner. Die interessanten oxydirenden Eigenschaften des Ferrieyankaliums veranlassten mich, dieses Salz zur Darstellung von Wasserstoffsuperoxyd zu benützen, Die zu diesem Zwecke von mir angestellten Versuche ergaben nun grade das Gegentheil der beabsichtigten Wirkung. Es ge- lang auf keine Weise, weder bei gewöhnlichem noch bei erhöhtem Luftdruck eine Oxydation des Wassers herbeizuführen, was ja nach Traube’s Ver- suchen ebenfalls als aussichtslos erschienen war, vielmehr fand ich, dass eine Lösung des rothen Blutlaugensalzes eine solche von Wasserstoff- superoxyd quantitativ unter Entwicklung von Sauerstoff zerlegt. Diese Reaction findet dann statt, wenn man der Mischung soviel Alkali bietet, als das Ferricyankalium gebraucht, um in Ferroceyankaliura überzugehen. Nachdem diese Umwandlung festgestellt war, lag es nahe, auch das Verhalten des rothen Blutlaugensalzes zur Stammsubstanz des Wasser- stoffsuperoxyds in’s Auge zu fassen, nämlich zum Baryumsuperoxyd. Zu diesem Zwecke brachte ich pälverförmiges, etwa Baryumsuperoxyd von 80 %, mit Wasser und einigen Krystallen Ferrieyankalium zusammen !) Deutsche Chirurgie, Lief. 17a 1882. 2) Americ. Journ. of science ser. 3 vol. 25. 1883. ®) Exner, Repert. Bd. 22, S. 594, 1886. il. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 47 und war nicht wenig erstaunt, als diese Mischung ohne weitere Erwärmung und ohne Zusatz von Alkali stark aufzubrausen begann und ebenfalls reinen Sauerstoff entwickelte. In dem Grade, als sich das Baryumsuperoxyd zersetzte, verschwand hierbei die goldgelbe Farbe des zur Lösung gekommenen Ferricyan- kaliums, bis die Mischung endlich ganz farblos wurde. Diese Entfärbung deutet darauf hin, dass das Ferrieyansalz zu Ferrocyansalz redueirt wird. Indessen besitzt das Ferrieyankalium keine Spur von Sauerstoff und seine Formel unterscheidet sich von der ihm im Eisen- und Oyangehalt äqui- valenten des Ferrocyankaliums, von der |Structur abgesehen, lediglich durch ein Minus von 2 Atomen Kalium, Wenn daher aus einer Mischung von Ferrieyankalium, Wasserstoffsuperoxyd aus freiem Kalihydrat Sauer- stoff entwickelt wird, so kann der chemische Prozess nur derart ver- laufen, dass das Aetzkali in Wasser, Kalium und Sauerstoff gespalten wird und das Kalium in die Molekel des Ferrieyankaliums unter Rück- bildung desselben zu Ferrocyankalium eintritt. Bei der Reaction zwi- schen Baryumsuperoxyd und Ferrieyankalium ist aber die Gegenwart von Alkali völlig unnöthig. Es folgt daraus, dass der Sauerstoff hier ganz allein nur aus dem Baryumsuperoxyd stammt und das hierdurch frei gewordene Atom Baryum in die Molekel des Ferrieyankaliums ein- tritt, um dadurch die Bildung eines Doppelsalzes von Ferrocyankalium- Baryum zu veranlassen, Thatsächlich entsteht bei dem Zusammenbringen von Baryumsuper- oxyd und Ferrieyankalium mit wenig Wasser ein deutlich krystallinisches Pulver, welches sowohl Baryum, als Kalium chemisch an Ferrocyan ge- bunden enthält, nach der Gleichung Fe, Cy,., K, + Ba0, = (FeCy,), K, Ba 42,0. Die hier geschilderte Reaction zwischen Ferrieyankalium und Baryum- superoxyd besitzt aber auch einen praktischen Werth, insofern sie das Mittel bietet, Sauerstoff in kleineren Mengen überall wo es nur sein mag und ohne Anwendung von Wärme oder umständlicher Apparate zu erzeugen. Man hat nur nöthig, eine in dem richtigen Molekular-Ver- hältniss hergestellte Mischung beider Körper, welche, trocken aufbewahrt, unbegrenzte Zeit haltbar ist, mit etwas Wasser zu übergiessen, um so- fort die Entwicklung von Sauerstoff hervorzurufen. Aus diesem Grunde empfiehlt sich die Anwendung des Verfahrens besonders zur Demonstration des Sauerstoffs und seiner Wirkungen in Schulen und Unterrichtsanstalten, in denen bekanntlich dem Lehrer meist nur unvollkommene Hilfsmittel zu Gebote stehen. In diesem Falle würde ein einfacher Kolben oder auch eine gewöhnliche Flasche, auf deren Boden man die trockene Mischung beider Stoffe schüttet und hierauf mit Wasser übergiesst, zur Anstellung eines Experimentes genügen. Das Nebenproduct obiger Reaction ist eine schwer lösliche und krystallinische 48 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. in u u Doppelverbindung von Ferrocyankalium-Baryum (Fe Cy,), K, Ba, welche man aufheben und gelegentlich in Ferricyankalium zurückverwandeln kann, wenn man nicht vorzieht, sie anzusammeln und an die Fabrik, von welcher obige Mischung bezogen wurde, zurückzugeben. Ueber angebliche Oxysulfurete des Kupfers. Von Dr. Theodor Kliche. In der Literatur finden sich nur drei Arbeiten über die Oxysul- furete des Kupfers. Pelouze') erhält bei der titrimetrischen Bestimmung des Kupfers mittelst Schwefelnatrium ein Product von der Zusammensetzung 5 CuS$. Cu ©. bei der Temperatur von ungefähr 75° C, In der Kälte entsteht Sulfid. Bei höheren Temperaturen als 75° oder 80° sollen höhere Oxy- sulfide entstehen. Auch beim Kochen einer Kupferoxydlösung mit Kupfer- sulfid bilden sich nach ihm unter Entfärbung der Kupferlösung dieselben Körper. Maumene?°) findet, dass bei der Einwirkung von concentrirter Schwefelsäure auf Kupfer zuerst Sulfür, dann aber Oxysulfurete Cu,S,0, Cu, $,O und Cu, SO entstehen. Diese Behauptung Maumene’s hat Pickering°) durch eine ausführliche Arbeit widerlegt und gefunden, dass nur Sulfür entsteht, welches allerdings einer weiteren Zersetzung durch die Schwefelsäure aber niemals unter Bildung von Oxysulfureten unterliegt. Die Körper enthalten niemals Sauerstoff. Pickering’s An- gaben konnten bis auf einige Punkte bestätigt werden. Bei der Pelouze’schen Kupferbestimmung wird die warme ammonia- kalische Kupferlösung bis zur Entfärbung mit Schwefelnatrium titrirt. In der farblos gewordenen Flüssigkeit bleibt aber Kupferoxydul in Lösung, weshalb die blaue Farbe bei Luftzutritt sofort wieder erscheint. Des- halb ist diese Endreaction nicht scharf genug und die Kupferbestimmungen sind ungenau. Mohr und Küntzel haben diese Methode abgeändert und erhalten, da sie beide das Kupfer vollkommen ausfüllen und demgemäss scharfe Endreactionen anwenden können, auch gute Resultate. Bei der Fällung soll nach Pelouze, wenn die Temperatur zwischen 50° bis 80° liegt und genau bis zur Entfärbung titrirt wird, die Verbindung 5 Cu 8. Cu OÖ entstehen, indem das zuerst gebildete Kupfersulfid Oxyd aufnimmt. Bei höheren Temperaturen soll noch mehr Oxyd aufgenommen werden. Die bei 75° angestellten Versuche ergaben jedoch sehr verschiedene !) Compt. rend. Bd. XXI p. 185. 1846. ?) Annal. de chimie et de physique Ser. III Tome XVIH. 1846. ®) Journal of the chemical soc. 1878. Vol. 33. p. 112. schlesische Gesellschaft für vaterländische Gultur. N FU SIT HRALSHTEE BORREL SEE FETTE BagS) 68. | I. Jahresbericht. Naturwissenschaftliche 1890, Abtheilung. hunger nr. wu Resultate, was seinen Grund darin zu haben schien, dass wohl über die Entfärbung hinaus Schwefelnatrium zugesetzt worden war und also aus der farblosen Lösung mehr oder weniger Oxydul als Sulfür mit in den Niederschlag übergegangen war. Wenn in einer Wasserstoffatmosphäre gearbeitet wurde, trat die Entfärbung allerdings schärfer ein, aber die Producte waren dennoch verschieden von einander. Durch mehr- fache Versuche stellte sich heraus, dass nicht nur die Temperatur, son- dern hauptsächlich die Concentration der betreffenden Oxydlösung von besonderer Wichtigkeit für die Zusammensetzung des Productes ist, Zugleich fand sich, dass das Filtrat auch bei Anwendung von Kupfer- nitrat, chlorid- oder Acetatlösung stets beträchliche Mengen von Schwefel- säure enthielt. Die Bildung der Schwefelsäure, sowie die Entstehung des in der ammoniakalischen Lösung bleibenden Kupferoxyduls ist nicht zu erklären, wenn die Annahme, Kupferoxyd lagere sich an das vor- handene Sulfid an, aufrecht erhalten wird, vielmehr wird aus dem vor- handenen, beziehungsweise durch Fällung entstandenen Sulfid der Schwe- fel theilweise abgespalten und durch das Kupferoxyd zu Schwefelsäure oxydirt, während aus letzterem Oxydul entsteht: 2CuS+6CuS0O, +7 H,O-+14NH, = Cu, $S+30u, 0 -+ 7(NH,), 80, Wurde Kupfersulfid mit ammoniakalischer Kupferoxydlösung im Glasrohr eingeschmolzen und auf 130 ° und höher erhitzt, so entsteht Sulfür von hellbrauner Farbe in äusserst feiner Vertheilung, keineswegs aber Oxysulfurete. Dieses Sulfür löst sich bedeutend leichter als jedes auf anderem Wege hergestellte Sulfür in Salzsäure auf, sodass es schon beim Uebergiessen mit derselben ein Chlorürhaltiges Filtrat giebt. Das- selbe Verhalten zeigen die durch Fällung mit Schwefelnatrium herge- stellten und von Pelouze als Oxysulfurete bezeichneten Producte, dass sie nämlich mit Salzsäure geschüttelt ein Chlorürhaltiges Filtrat geben, während das Filtrat durch Lösung des im Oxysulfuret enthaltenen Oxyds doch eine Chloridlösung geben müsste. Ein Gehalt von Oxydul ist aus- geschlossen. Wird ein solches Präparat längere Zeit mit Salzsäure be- handelt, so sinkt der Kupfergehalt, und der Gehalt an Schwefel nimmt zu. Aus diesen Thatsachen muss geschlossen werden, dass bei der Herstellung der Producte dem zuerst entstandenen Sulfid Schwefel entzogen wird und so der Körper allmählich aus Sulfid in Sulfür A 50 Jahresbericht der Schles. Geseilschaft für vaterl. Cultur. übergeht, welches letztere bei genügend langer Einwirkung, genügend hoher Temperatur und entsprechender Concentration der Lösung immer entsteht. Ferner fand sich, dass die Präparate sämmtlich Spuren von Sulfat und Wasser enthielten, welches letztere selbst bei hoher 'Tempe- ratur nicht zu vertreiben war. Bei genauen Analysen mit Wasser- bestimmungen stellte sich heraus, dass der an 100 °/, fehlende Rest dem zum Kupfersulfat gehörigen Krystallwasser und dem in der Schwefel- säure des Kupfersulfates enthaltenen Sauerstoff entspricht. Die Körper sind also Gemenge oder Verbindungen von Sulfid mit Sulfür in nach Art der Darstellung verschiedenen Verhältnissen. Dem Vorgang entspricht die Formel: 2Cu S+6CuS0O, + 7 H,O —+ 14 NH, = Cu, $S —+3Cu,0 — TANEI,HBONR Auch ein mittelst Natriumthiosulfat gefälltes Sulid wird in derselben Weise angegriffen. In saurer oder neutraler Lösung treten dieselben Erscheinungen auf, nur in geringerem Maasse, da hier das Oxyd kein Oxydul bilden und demgemäss keinen Sauerstoff abgeben kann. Der zur Oxydation des Schwefels nöthige Sauerstoff wird aus der Luft ge- nommen und die Oxydlösung wirkt hierbei nur als Sauerstoffüberträger. Auf Sulfür wirkt die Kupferoxydlösung nicht weiter ein. Bei der Einwirkung von concentrirter Schwefelsäure auf Kupfer entsteht neben Sulfat und Schwefeldioxyd auch ein Kupfersulfuret von zu- erst brauner, dann schwarzer Farbe. Alle Analysen, auch die von Mau- mene und Pickering zeigen übereinstimmend, dass dieses Product zuerst Sulfür ist. Später soll es aber sich in Oxysulfurete umwandeln. Diese Behauptung Maumene’s ist schon deswegen recht unglaublich, da die Öxysulfurete demnach von concentrirter heisser Schwefelsäure nicht an- segriffen werden dürften und sogar der Oxydgehalt bei längerer Kin- wirkung, der heissen Säure immer grösser werden soll. Pickering so- wohl, wie die eigenen Analysen konnten auf das bestimmteste nach- weisen, dass der Körper unverändert Sulfür bleibt, so lange noch metal- lisches Kupfer vorhanden ist. Ueber die Entstehung des Sulfürs sind die Ansichten getheilt. Jeden- falls entsteht es nicht durch Schwefelwasserstoff, denn derselbe lässt sich in keinem Falle nachweisen. Die einzig mögliche Annahme ist eben die, dass das Kupfer die Schwefelsäure nicht nur zu schwefliger Säure, sondern auch zu Schwefel reducirt und dieser Schwefel in statu nascendi sich mit dem Kupfer zu Sulfür vereinigt. Sobald alles Kupfer gelöst ist, zeigt der schwarze Körper je nach der Länge der Zeit der Einwirkung weitere Veränderungen nach folgen- den Gleichungen: Il. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 51 Cu,8-+2H,SO, =CuS -+CuS0O, +80, + 2H,0, CuS-+2H,S0, =8-- CuSO, + SO, + 2H,0 Diese Reactionen verlaufen gleichzeitig, nicht wie Pickering angiebt nach einander, denn während vor vollständiger Lösung des Kupfers nie- mals freier Schwefel sich zeigt, erscheint derselbe jedesmal als leichter Belag im Kolbenhals und Gasleitungsrohr, sobald das Kupfer gelöst ist. Die Schwefelsäure wirkt also auf das Sulfür unter Bildung von Sulfid und auf dieses unter Bildung von Schwefel ein. Dieser freie Schwefel erwies sich als in Schwefelkohlenstoff unlöslich und wurde erst durch Sehmelzen und langsames Erkalten darin löslich. Pickering glaubt, dass dieser Schwefel löslich sei, scheint aber keinen Versuch gemacht zu haben. Ein Präparat, welches 64 °, Cu und 36 %, 8 enthält (Sulfid hat die Zusammensetzung Cu 66,3 und 5 38,6), gab mit Schwefelkohlenstoff behandelt keinen Schwefel ab, nachdem das Product aber auf 125° er- hitzt und langsam erkaltet war, zog der Schwefelkohlenstoff den freien Schwefel aus und Sulfid blieb zurück. Die anderen Präparate, die weniger Schwefel als 33 °, enthalten, gaben auch nach dem Erhitzen auf 125° keinen Schwefel ab, sodass also angenommen werden musste, dass der thatsächlich doch vorhandene, bei der Zerlegung der Sulfurete entstandene freie Schwefel wieder chemisch gebunden worden ist, Dass das wirklich der Fall ist, zeigte einmal der Umstand, dass das grau- schwarze Präparat nach dem Erhitzen auf 125° eine blauschwarze, dem Kupferindig ähnliche Farbe annahm, zweitens aber entstand, wenn fein vertheiltes Sulfür innig mit Schwefel gemischt und auf 125° erhitzt wurde, Kupfersulfid. Demnach wird also bei der Einwirkung von Schwefelsäure auf Kupfer zuerst Sulfür gebildet, so lange noch Metall vorhanden ist, dann aber wird das Sulfür weiter angegriffen und der Niederschlag besteht aus einem Gemenge von Sulfür, Sulid und Schwefel. Die Untersuchungen zeigen also, dass die Körper, welche man bisher für Oxysulfurete des Kupfers hielt, solehe nicht sind, dass auch in derangedeuteten Weise keine Kupferoxysulfurete erhalten werden können und diese wahrscheinlich ebensowenig existiren, wie die Oxysulfide des Quecksilbers. Ueber das Liegende der Kreideformation in Oberschlesien theilte Herr Dr. H. Kunisch unter Vorlegung von Gesteinsproben mit, dass in einem Bohrloche der Portland-Cement-Fabrik (vormals A. Giesel) zu Oppeln das Liegende der Kreideformation erreicht und als Keuper er- kannt worden sei. Die bis zu einer Tiefe von etwa 30 m reichenden turonen Kreidekalke oder Kreidemergel und die darauf folgenden, un- A& 592 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. gefähr bis 73 m sich erstreckenden cenomanen Sande und Sandsteine werden unterlagert von einer annähernd 8 m mächtigen Lage rothbraunen und grüngeflammten 'Thones, welcher in seiner äusseren Erscheinung mit den typischen bunten Keuperthonen von Woischnik sehr gut überein- stimmt. Bei 831 m Tiefe beginnt ein dichter grauer Kalkstein mit nicht unbeträchtlichem Kieselsäuregehalt. Derselbe ist nicht unähnlich dem Woischniker Kalk, welcher als bezeichnende Einlagerung der Keuper- thone gilt. — Der Vortragende sprach schliesslich sein Bedauern dar- über aus, dass in jüngster Zeit an verschiedenen Stellen der Provinz im Auftrage von Privatpersonen Bohrlöcher zum Zweck der Wasser- gewinnung niedergebracht worden sind, deren geologischer Befund nicht in wünschenswerther Weise festgestellt und veröffentlicht worden ist. Ueber Granitstücke mit Einschlüssen von feinkörnigem Gneiss aus einem Steinbruche von Laasan bei Saarau, und über gediegenes Eisen aus Grönland. Von Dr. Römer. (Sitzung der Naturwissenschaftlichen Section vom 5. November 1890). Herr Geh. Rath Prof. Dr. Römer legte Granitstücke mit Einschlüssen von feinkörnigem Gneiss aus einem Steinbruche von Laasan bei Saarau vor, welche durch den Eigenthümer des Steinbruchs, Herrn Grafen L. von Pfeil-Burghauss zuerst beobachtet und dem Mineralogischen Museum gütigst eingesendet worden sind. Der Granit ist die gewöhn- liche hellfarbige, aus weissem Orthoclas, grauem Quarz und schwarzem Magnesia-Glimmer bestehende Art des Gesteins, welche in der Gegend von Striegau und Strehlen verbreitet ist. Die Einschlüsse bestehen aus einem feinkörnigen feldspatharmen in Glimmerschiefer übergehenden dunkelgrauem Gneiss. Sie sind plattenförmig und haben bei einer Dicke von 2 Zoll eine Grösse von 10 Zoll und mehr im Durchmesser. Die bemerkenswertheste Erscheinung dieser Einschlüsse, durch welche sie sich von ähnlichem Vorkommen unterscheidet, ist die scharfe Begrenzung, mit welcher sie gegen den einschliessenden Granit absetzen. Nament- lich an den Seiten erscheinen die Stücke gewöhnlich mit scharfen Kanten rechtwinkelig gegen die Schichtflächen des Gneisses abgebrochen. Von einer verändernden Einwirkung des Granits auf die eingeschlossenen Gneissstüicke durch theilweise Schmelzung ist auch an der Grenze der Letzteren nichts wahrzunehmen. Natürlich ist jedoch aus dem Vor- kommen der Gneissstücke auf das Anstehen des Gneiss in der Tiefe unter dem Granit zu schliessen. Der Granit hat bei seinem Hervor- ll. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 55 brechen aus der Tiefe im feuerflüssigen Zustande die Gneissstücke los- gerissen und an die Oberfläche gebracht. Nach einer gefälligen brief- liehen Mittheilung des Herrn Grammel, Directors der Herrschaft Laasan, sind ähnliche Einschlüsse in dem Granitbruche bei Laasan keineswegs selten, wie er auch durch Einsendung einiger anderer Exemplare bewies. Derselbe Vortragende legte ferner ein kürzlich für das Mineralogische Museum der Universität erworbenes Stück Basalt mit rundlichen Ein- schlüssen von gediegenem Eisen von Mellem-Fjord auf der Insel Disco an der Westküste von Grönland vor. Im Jahre 1870 entdeckte Norden- skiöld am Meeresstrande bei Ovifok unweit Godhavn auf der Insel Disco einige sehr grosse und mehrere kleinere Blöcke von gediegenem Eisen, Die 6 grössten dieser Blöcke wiegen 21000, 8000, 7000, 142,96 und 87 Klgr. Der grösste dieser Blöcke wurde nach Stockholm geschafft, während der nächstgrosse Block als Geschenk der schwedischen Regie- rung nach Kopenhagen gelangte. Da das Eisen dieser Massen Nickel enthält und Widmannstätten’sche Figuren zeigt, — Merkmale, welche bisher als ausschliesslich dem meteorischen Eisen eigenthümlich galteu — so hielt Nordenskiöld diese Massen auch für Meteoriten uud zwar für solche der miocänen Tertiärzeit, weil Stücke von Basalt den Blöcken anhaften und das Hervortreten des Basalts in die genannte Periode fällt. Die Blöcke sollten bei ihrem Niederfallen in den noch flüssigen Basalt eingehüllt und später aus demselben ausgewittert sein. Nun sind aber seitdem und namentlich durch K. 1, V.Steenstrup an mehreren Stellen auf der Insel Disco mächtige Bänke von Basalt aufgefunden worden, welche in ihrer ganzen Masse mit Körnern von nickelhaltigen gediegenem Eisen erfüllt sind. Nun konnte es nicht mehr zweifelhaft sein, dass das Eisen mit dem feuerflüssigen Basalt aus dem Erdinnern hervorgedrungen und also tellurischen Ursprungs ist. Für dieHypothese von dem metallischen Erdkerne, welche in der hohen 5,6 betragenden mittleren Dichtigkeit oder dem specifischen Gewichte der Erde ihre Hauptstütze hat, bietet das massenhafte Vorkommen von gediegenem Eisen in den Basalten ' Grönlands ein weiteres verstärkendes Moment. Mittheilungen über den oberen (weissen) Jura von Hansdorf bei Inowrazlaw in Posen. Von A. Langenhan. Ä Die schon vor einer längeren Reihe von Jahren durch Herrn Geh. Bergrath Dr. F. Roemer auch in dieser Zeitschrift ausgesprochene Ver- muthung, dass sich die oberjurassischen Ablagerungen des oberschlesisch- polnischen Jurazuges unter den Niederungen der Warthe und Netze bis in die Gegend von Inowrazlaw in Posen und darüber hinaus erstrecken 54 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. dürften, hat in neuerer Zeit weitere Stützen gewonnen. — Nachdem zunächst schon vor längerer Zeit bei Ciechocinek in Russisch - Polen (3 Meilen südöstlich von Thorn und ca. 4 Meilen östlich von Inowrazlaw) Kalk- und Dolomitschichten des oberen Jura erbohrt worden waren, wurden durch Oberbergrath Runge bei Barein, jetzt Wapienno genannt, 3 Meilen nordwestlich von Inowrazlaw, oberjurassische Kalke entdeckt (vergl. Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft, Bd. XXII, 1870, Seite 44—68) und in ihnen Terebratula trigonella nachgewiesen, Ferner wurden durch Berg-Assessor Schubert im Jahre 1875 in seiner Veröffentlichung über die nutzbaren Lagerstätten von Inowrazlaw!) die bei der Tiefbohrung nach Steinsalz durchteuften Kalklager mehrfach er- wähnt und ihr Auftreten unmittelbar unter dem Diluvium in nächster Nähe rings um die Stadt besprochen. — Obwohl bei diesen Bohrungen sicher zu deutende Petrefacten nicht zu Tage gefördert worden waren, nahm Assessor Schubert doch auf Grund des petrographischen Charakters die Uebereinstimmung des Inowrazlawer Kalkes mit dem von Barein- Wapienno an. Er hob ferner hervor, dass in der weiteren Umgebung von Inowrazlaw zwischen Kalkstein und Diluvium eine mächtige Schichten- folge tertiären Gebirges sich einschiebt, die aber nach Norden und Nordwesten hin sich bald wieder zu verlieren scheint, wie in neuerer Zeit mehrfach nachgewiesen werden konnte. Wie ich ferner vernehme, sind die Inowrazlawer Kalke durch die Untersuchung von Bohrkernen von Seiten des Herrn Branko mit Sicher- heit als jurassische Kalke bestimmt worden; die complieirten geologischen Verhältnisse von Inowrazlaw selbst können aber bei der hier vorliegenden Untersuchung nicht weiter berührt werden. Nach den Mittheilungen von Dr. Jentsch in seinem Berichte über „die geologische Durchforschung der Provinz Preussen“ im Jahre 1876 ?) zeigt sich in dem Kalkwerk Wapienno bei Krotoczin nahe Barein „unter einer 2—3 Meter dicken Lage Diluviallehm direct der Jurakalk, der bis zu 14—15 Metern unter der Oberfläche durch einen von fast senkrechten Wänden allseitig umgebenen Steinbruch gewonnen wird.“ Der Kalk ist an der Oberfläche zerklüftet, in geringer Tiefe fest und enthält in den liegenderen, weisseren Schichten die im Ganzen wenig häufigen Petre- facten, namentlich Rhynchonella lacunosa, ‚,‚das bei Wapienno entschieden häufigste Petrefact.“ In neuerer Zeit konnten nun bei Hansdorf unweit Pakosch, das etwa in der Mitte zwischen Wapienno und Inowrazlaw liegt, bezüglich 1) Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen im preussischen Staate; 23. Band. 2) Separatabdruck aus den Schriften der Physik. ökonomischen Gesellschaft zu Königsberg, Jahrgang 1876. II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 55 ähnlicher Ablagerungen Beobachtungen gemacht werden: An dem ge- nannten Orte treten unter einer 1'/, bis 2 Meter mächtigen Diluvial- bezw. Humusbedeckung ebenfalls oberjurassische Gesteine auf. Es wird daselbst in einem seit ca. 4 Jahren im Betriebe befindlichen Bruche in gleicher Weise wie in Wapienno bis zu einer Tiefe von gegenwärtig 15 Metern Kalk gewonnen und zwar in ausgedehnterem Maasse und mit maschinellen Hülfskräften, seitdem die Förderung und Verwerthung des Kalkes pachtweise von der Gogolin-Goradzer Kalk-Actien-Gesellschaft übernommen worden ist. Da die Mächtigkeit des Kalklagers nicht erbohrt worden ist, so lässt sich die Ausdehnung der Ablagerung in verticaler Richtung nicht verfolgen. Die horizontale Lage der Schichten zeigt sich in dem zur Zeit mehrere Morgen umfassenden Bruche aber der Hauptsache nach nicht gestört, so dass man mit Recht wohl annehmen darf, dass es sich bezüglich der Kalklager bei Wapienno und Hansdorf nicht um inselartige Relicte aus dem Jurameere handelt, sondern dass die letzt- erwähnten Lager die Fortsetzung des im Polnischen, östlich von Ino- wrazlaw, und dicht um letztere Stadt nachgewiesenen oberen Jura bilden. Die stellenweise Ueberlagerung durch tertiäre Formationsglieder, sowie durch das oft sehr mächtige Diluvium verhinderten es nur zeither, dass der Kalk noch an anderen Stellen erschlossen wurde. Der Hansdorfer Kalk zeigt sich dicht unter dem Diluvium, also in den obersten Schichten, vielfach zerklüftet und von gelblicher Farbe; je tiefer er liegt, desto reiner und gieichmässiger erscheint er; seine Farbe ist in den tieferen Lagen bläulich-weiss; sein Bruch splitterig. Auch bis zur Sohle hinab lassen sich von oben her Klüfte und Spalten verfolgen, deren Wandungen ebenfalls gelb erscheinen und theils mit Lehm, theils mit einem mergelartigen Gemenge von oben hereingespülter Erdmassen angefüllt sind, die allerhand Organismenreste der obersten Schichten des Jurakalkes, allerdings zumeist in zerbrochenem Zustande, erkennen lassen. Von Ost nach West durchzieht den Bruch eine auf der Sohle des- selben zur Zeit: erkennbare Schwefelkies- bezw. Markasit-Ader, welche sich früher von einer Centralstelle aus noch strahlenförmig verzweigt hat. In dieser Ader fanden sich an einigen Stellen höchst interessante trauben- und pilzförmige Schwefelkiesgebilde, untermischt und im Wechsel mit schönen, zum Theil glashellen oder auch milchweissen Kalkspath- krystallen in Skalenoederform und anderen Combinationen, Was nun speciell die in dem Hansdorfer Bruche vorkommenden Petrefacten anlangt, durch welche die Ablagerung ihre geologische Altersbestimmung erhält, so ist zunächst zu bemerken, dass in den Haupt- massen des verwerthbaren dichten Kalkes Versteinerungen überhaupt kaum zu entdecken sind, und dass es überdies schwer hielt, aus den 56 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. oberen Schichten und aus einigen Klüften eine grössere, einigermaassen befriedigende Collection von Jura-Petrefacten zu erlangen. Bänke bildend fand sich nicht eine einzige Muschel. Nur an einigen Stellen soll die 6—7 Centimeter Höhe erreichende Terebratula insignis nesterweise in Gesellschaft der etwas kleineren Terebratula bisuffareinata aufgetreten sein. Ich fand nur etwa 15 deutliche Exemplare, doch auch diese oft mit dem Gestein fest verwachsen oder hohl und mit Kalkspathkrystallen ausgefüllt, und dann in der Regel zerdrückt oder sehr zerbrechlich, Auch keine Ammonitenart zeigte sich häufiger. Nur an einzelnen Stellen konnte man einige Exemplare des Ammonites biblex in ver- schiedenen Altersstufen nahe bei einander beobachten, Um einen Vergleich mit anderen Juraablagerungen zu ermöglichen und namentlich die Hansdorfer Vorkommnisse denjenigen Polens und Süddeutschlands gegenüberstellen zu können, führe ich hier die sicher nachgewiesenen und dem eben besprochenen Formationsgliede des oberen Jura zweifellos angehörigen Vorkommnisse zunächst an: 1. Cephalopoden. Ammonites (Perisphinctes) biblex. Sow. ‘ Es fanden sich mehrere, bis etwa 30 cm grosse Exemplare und Bruchstücke nebst Abdrücken desselben. Der namentlich in den Moskauer Juraablagerungen vorzüglich erhaltene Ammonit kommt bei Hansdorf in den unteren Lagen verkalkt, in den oberen verkiest (die Schale durch Pyrit verdrängt) vor. Die Gabelung der Rippen am Rücken erscheint bei kleinen Exemplaren sehr regelmässig. Andere Planulaten konnten bis jetzt nicht beobachtet werden. Belemnites sp. (conf. hastatus; Blainv.) Es liegen nur zwei ganz kleine Exemplare vor, welche für eine genauere Species-Bestimmung nicht geeignet erscheinen. 2. Brachiopoden und Lamellibranchiaten: Rhynchonella sp. conf. lacunosa; Schloth. (Terebratula lacunosa; Quenst. etc.) 1 Obwohl die mir aus dem Hansdorfer Kalke bekannt gewordenen beiden Exemplare mit den süddeutschen Formen wegen der geringeren Zahl der Rippen nicht ganz übereinstimmen und mit Rücksicht auf die Schärfe dieser Rippen und die, wenn auch unbedeutende Unsymmetrie der Schalen vielleicht auch zu Terebratula inconstans, L. v. Buch, ge- stellt werden könnten, bin ich doch mit Rücksicht darauf, dass auch Dr. Jentsch die Rh. lacunosa als in Wapienno sehr häufig schildert, ge- neigt, die beiden Exemplare als mit der Rh. lacunosa identisch zu be- zeichnen, 1I. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 57 Terebratella loricata; d’Orb. (Terebratulites loricatus; Schlotheim ; | Megerlea loricata.) Ich fand 3 deutlich zu erkennende Exemplare, das grösste von ca. 2 cm Höhe mit ausserordentlich wohlerhaltener Structur. Terebratella (Megerlea) pectunculus; Schlotheim. Es fand sich ein sehr gut erhaltenes und zweifellos erkennbares Exemplar dieser Species vor. Man hat zwischen Terebratula pectuneulus; Schl. und Terebratula pectunculoides; Schl. (bezw. Terebratella pectun- euloides; d’Orb.), welch’ letztere Herr Geheime Rath F. Roemer auf Tafel 25, Nr. 2 der „Geologie von Oberschlesien“ aus den Kalkstein- schichten mit Rhynchonella Astieriana von Potok Zloty bei Janow ab- bildet, streng zu unterscheiden. Quenstedt sagt auf Seite 637 seines Werkes ‚‚Der Jura‘ über die Tere- bratula peetunculus, ‚es dürfte wohl kaum eine zierlichere Muschel als diese geben.“ Er erwähnt ferner, dass die T. peetuneulus y von pectun- eulus & durch die Kleinheit und Zartheit ihres Baues abweicht. Er schildert das Wesentlichste ihres Baues, die sieben Hauptrippen und die oft nur einseitig auftretenden Nebenrippen. — Während bei dem mir vorliegenden Hansdorfer Exemplare die Mittelrippe nur einseitig deut- lich ausgeprägt ist, zeigt sich die eine linke Zwischenrippe auf beiden Seiten scharf ausgebildet, während sie auf der rechten Seite fehlt. Ein Vergleich mit den von Quenstedt in seinem „Handbuch der Petre- factenkunde‘“, Tafel 55, Figur, 1 und 3, nebeneinander gestellten Ab- bildungen ergiebt, dass die Hansdorfer Form nicht der T. peetunculus &% (Lochen), sondern der T. peetunculus e am ähnlichsten ist, also der- jenigen von Nattheim entspricht. Terebratula bisuffareinata; Schloth. Dieser Species, der ‚„‚doppelwülstigen“, dürften die gemeinsam mit der folgenden Species in wenigen Exemplaren vorkommenden kleineren (2 bis 3 cm langen) Terebrateln angehören. Die in Quenstedts Jura, Tafel 79, Fig. 20, gegebene Stirnansicht einer T. bissuffareinata ent- spricht vollkommen derjenigen eines mir gehörigen Exemplars. Terebratula insignis; Zieten. Es liegen 4 Exemplare bis zur Grösse von 6 cm vor. Im Ge- steine fest eingewachsen fand ich sie noch häufiger. Die kleinere Klappe zeigt eine viel geringere Wölbung wie diejenige der vorigen Species. Östrea sp. Ein kleines Exemplar ist unzweifelhaft eine Ostrea, doch bieten sich zu ihrer genauen Bestimmung zu wenig Anhaltspunkte. Bem. Es liegen ferner mehrere sehr kleine Formen von Zwei- schalern mit feinster unregelmässiger Fältelung bezw. Bedeckung mit 58 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. feinen Schüppchen vor, die wegen der geraden Schlossleiste den in Quenstedt’s Jura abgebildeten Cranien nahe stehen dürften. Eechinoiden: Cidaris ecoronata. Goldf. Es wurden sowohl Interambulacraltafeln des Gehäuses, wie Theile des Kauapparates und eine Anzahl Stacheln gefunden, welche mit Be- stimmtheit dieser Art zuzurechnen sind. Cidaris sp. Es fanden sich 3 kleine, etwa einen Millimeter grosse, unter einander gleiche, vollständige Gehäuschen von Seeigeln mit deutlicher Schalenstructur, die aber doch mit Rücksicht auf die Winzigkeit der Wärzchen eine sichere Deutung nicht zuliess. Cidaris histrieoides. Qu. Von dieser Art fanden sich einige mit den in Quenstedts Jura übereinstimmenden Stacheln mit feinen Dornen. Crinoiden., Von Pentaerinus sp., Solanoerinus sp. und Tetracrinus sp. kamen in der schon vorhin erwähnten mergeligen Spaltenausfüllung zahlreiche kleinere Stiel- und Kelchglieder vor. Einige Kronentheile dürften zu Plieatoerinus zu rechnen sein. Spongien. Es konnten von den im weissen Jura so häufigen Spongien zeither nur kleine Bruchstücke, nicht ganze Individuen nachgewiesen werden. Bryozoen. Ceriopora sp. Die von Goldfuss in seinen Petref, Germ. charakterisirten kleinen Bryozoen-Stöckchen, welche Quenstedt im süddeutschen weissen Jura y und e vielfach fand und in seinem „Jura“ eingehend beschrieb, wurden auch im Hansdorfer oberen Jura von mir in zahlreichen Exemplaren erkannt und in solche Stämmchen mit deutlich erkennbaren Poren, aber ohne deutliche Längsleisten (Ceriopora clavata) und solche mit feineren Poren, aber deutlichen Längsleisten (Ceriopora striata) ge- schieden. — Die von mir im Lias vom grossen Seeberge b. Gotha früher gefundenen und gezeichneten, wie neuerdings von Herrn Geh. Medicinalrath Hasse hier als Aleyonaria Langenhani näher bestimmten kleinen Polypenstöckchen ohne deutlich erkennbare Poren habe ich bei Hansdorf nicht nachzuweisen vermocht. Foraminiferen., Von Foraminiferen, an denen allerdings die Ausbeute nur eine ge- ringe war, konnte ich die Gattungen: II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 59 Nodosaria, Dentalina, Cristellaria, Frondicularia, Textularia, und Cornuspira je in einer Anzahl von Exemplaren und Species nachweisen, Im Uebrigen kamen auch noch neben einigen Ostracoden-Schälchen einige zierliche Kalkrädchen [vergl. Chirodota vetusta (Schwager)] vor. Aus der vorstehenden Aufzählung der im Hansdorfer Kalke vor- kommenden organischen Einschlüsse ergiebt sich die Stellung, welche dieser Ablagerung in der Reihe der jurassischen Bildungen anzuweisen ist, mit ziemlicher Bestimmtheit: Als oberstes Glied des polnischen Jura- zuges führt Herr Geheime Rath Roemer die Schichten mit Rhynchonella Astieriana (Terebratula inconstans) an und sagt von ihnen, dass sowohl in palaeontologischer wie petrographischer Beziehung diese Schichten eine grössere Uebereinstimmung mit dem entsprechenden Gliede des süddeutschen Jurazuges zeigen, als alle tieferen Glieder mit den gleich- stehenden in Schwaben. Er hebt hervor, dass namentlich Terebratella pectunculoides, Tere- bratella loricata, Cidaris coronata und Andere auf den weissen Jura & Quenstedts mit Sicherheit hinweisen. Nun habe ich bei der Besichtigung des Hansdorfer Kalkes zwar Spongien-Lager vermisst und hornsteinartige Gebilde, wie sie den Schichten mit RhynchonellaAstieriana in Polen sowohl, wiedem schwäbischen Jura e eigenthümlich sind, nicht gerade in typischer Uebereinstimmung nachzuweisen vermocht, doch deuten andererseits das nicht gerade seltene Vorkommen verkiester Exemplare des Ammonites biblex, ferner das Vorhandensein der Terebratella loricata, Terebratella pectunculus, Cidaris coronata, Cidaris histricoides, Pentacrinus sp. Solanocrinus sp. und die Cerioporen etc. auf den schon erwähnten schwäbischen Jura e mit Sicherheit hin, so dass man wohl nicht fehlgeht, wenn man auch die Hansdorfer Kalke als dieser Abtheilung angehörig bezeichnet und im Uebrigen dieselben der untersten Stufe der Schichten Polens mit Rhynchonella Astieriana zu- rechnet, jener Abtheilung, in welcher auch in Polen die Terebratella loricata gefunden wurde, 60 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Vergleiche mit vermuthlich gleichalterigen Schichtenfolgen des norddeutschen Juras führen, wie es auch’ Dr. Jentsch und Andere hervorheben, weit weniger zu einem sicheren Ergebniss, so dass auch in diesem Falle eine grössere Uebereinstimmung des Polnisch-Posen’schen Juras mit den süddeutschen Juraablagerungen angenommen werden darf. Mittheilungen über die vorläufigen Resultate einer chemischen Untersuchung des ätherischen Oels der Lindera sericea (Kuro-moji-Oel). Geheimrath Prof. Dr. Poleck theilte die vorläufigen Resultate einer chemischen Untersuchung des ätherischen Oels der Lindera sericea (Kuro- moji-Oel), einer in Japan weit verbreiteten Laurinee, mit, welche der Assistent am pharmaceutischen Institut, Herr Kwasnik, ausgeführt hat. — Das ätherische Oel wird aus den Blättern dieses Strauches gewonnen, es ist von dunkelgelber Farbe, leichter wie Wasser, p. sp. 0,901 und besitzt einen feinen, kräftig aromatischen Geruch. Seine überaus geringe optische Activität wird hervorgerufen durch eine fast vollständige Neu- tralisation eines rechts und eines links polarisirenden Bestandtheils. Durch fractionirte Destillation und durch Behandlung mit metallischem Natrium wurden zwei Terpene isolirt, von denen das eine zwischen 175 bis 180° siedende den polarisirten Lichtstrahl rechts ablenkte und ein bei 104° schmelzendes Tetrabromid gab, wodurch seine Identität mit dem von Wallach beschriebenen Rechts-Limonen bewiesen war. — Das zweite, über 180 ° siedende Terpen war optisch inactiv, gab ein bei 124° schmelzendes Tetrabromid, ein bei 101° schmelzendes Nitrosochlorid und ein bei 50° schmelzendes Dichlorhydrat, wodurch dieses Terpen als Dipenten charakterisirt ist. — Neben diesen beiden 'Terpenen wurden noch zwei sauerstoffhaltige Bestandtheile nachgewiesen, das optisch in- active Terpineol und ein links drehendes Carvol. Das erstere ist eine angenehm nach Fliederblüthen riechende Flüssigkeit, C,, H,, O, welche bei 218° siedet, mit Chlorwasserstoff und Brom Wasser abspaltet und mit Jodwasserstoff eine schön krystallisirte Verbindung giebt. Terpineol wurde bisher im Oel der Cardamomen-Samen und im Kesso-Oel nach- “ gewiesen, einer in Japan einheimischen Valeriana. Der, andere, Sauer- stoff enthaltende Bestandtheil war links polarisirendes Carvol, welches durch seine in langen Nadeln schön krystallisirende Schwefelwasserstoff- verbindung als solches identificirt wurde und sich von dem rechts pola- risirenden Carvol des Kümmelöls nur durch seine entgegengesetzte optische Activität unterscheidet. — Schliesslich wurde noch auf die gegenseitigen Beziehungen dieser vier Bestandttheile des Oels hingewiesen, welche sich dureh moleculare Umlagerung in einander überführen lassen. II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 61 Ueber Diffusion, Ein experimenteller Vortrag von Fabrikbesitzer A. Anderssohn. (Sitzung der naturwissenschaftlichen Section am 17. December 1890. Das Ideal der Naturforschung ist in neuerer Zeit die Einsetzung der Einheit der Kräfte geworden, oder wenigstens strebt man an, die einheitliche Wirksamkeit der Kräfte zu ergründen gegenüber dem Dua- lismus: Anziehung wider Abstossung. Schon einer der grössten Naturforscher dieses Jahrhunderts, Alexander von Humboldt, stellt in prophetischer Weise den Satz auf: „Was durch die Berührung feuchter und ungleichartiger Theile erweckt, in allen Organen der Thier- und Pflanzenwelt umtreibt, was die weite Himmelsdecke donnernd entflammt, was Eisen an Eisen bindet und den stillen wiederkehrenden Gang der leitenden Nadel lenkt; alles, wie die Farbe des getheilten Licht- strahls, fliesst aus einer Quelle, alles schmilzt in eine ewige, allverbreitete Kraft zusammen.“ Aber erst das Werk Secchi’s „Die Einheit der Naturkräfte“ (deutsch 1876, zweite Auflage 1884), leitete die Forscher darauf hin, dass als Ursache zur Bewegung in ihrer Ursprünglichkeit, die Differenz der grösseren und geringeren Abstossung genüge, um als Resultat: Be- wegung der Körper zu erzielen. Da aber die Bezeichnung ,„Stoss“ stets eine plötzliche Bewegung in sich begreift und nicht alle Bewegungen plötzliche sind, so hat schon Secchi den mechanischen Druck mit dem Vorzeichen — als einheitliche Wirkungsart jeder Bewegung hingestellt und einfach durch Druckdiffe- renz der Körper erklärt. Durch Studium der neuen Werke gelangt man zu diesem unistischen Standpunkte, denn in Wirklichkeit genügt eine, wenn auch kleine Differenz des Drucks überall, also auch beim Wasser und bei den Gasen, um Molekularbewegung zu erzeugen. Wir haben es heute bei den Diffusionsversuchen hauptsächlich mit den Flüssigkeiten zu thun und deshalb führe ich nur noch aus dem grossen Werke Newtons „Mathematische Prineipien der Naturlehre‘ (deutsch 1872) das Kapitel „Von der in Flüssigkeiten fortgepflanzten Be- wegung‘‘ an, worin nur einzig und allein durchweg die Bezeichnung „Druck“ vorkommt, niemals dagegen das Wort „Anziehung.“ In dem Lehrbuche der Physik von Dr. J. Schucht, Leipzig 1870, ist folgender Lehrsatz enthalten ; 62 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. „Soll ein Theilchen irgend einer Schicht im Gleichgewicht sein, so muss nicht blos der Druck, den es von den oberen nach unten erfährt, aufgehoben werden durch den Gegendruck der unteren, sondern es muss auch, um nicht seitwärts zu fliessen, von und nach allen Richtungen einen gleichen Seitendruck empfangen, also von allen Seiten denselben Druck erleiden und ihn gleichfalls ausüben. Der Druck, den jedes ruhende Flüssig- Keitstheilchen im Innern erleidet und ausübt, ist ein allseitiger. Und der auf eine abgesperrte Flüssigkeit von aussen ausgeübte Druck pflanzt sich im Innern mit gleicher Stärke durch die ganze Flüssigkeit fort. Eine kleine Menge Luft nimmt im Wasser Kugelgestalt an, weil sie von allen Seiten gleich stark gedrückt wird.“ Auf der Basis der Hydraulik will ich meine Mischungsversuche aufbauen, um auf gesetzmässige Art zu beweisen: ob die Molekularanziehung zweier Flüssigkeiten die Mischbarkeit durch sich selbst vollzieht oder, ob, wie vorausgesetzt, irgend eine Druckdifferenz als Ursache zur Molekularbewegung und zur Ausgleichung beider Flüssig- keiten vorliegt. Zuerst prüfen wir den von Beilstein angegebenen Versuch, der in einem oben zugeschmolzenen Glasrohr besteht, welches unten offen, aber etwas umgebogen war. Beilstein füllte eine Salzlösung in dieses Glasrohr und hing das untere offene Ende in ein Wassergefäss. Bei diesem Versuche tauschten sich in kurzer Zeit das klare Wasser und die Salzlösung gegenseitig aus, sodass schliesslich beide Flüssig- keiten gleichen Salzgehalt hatten. Der Gegenversuch wird Ihnen hier gleich nebenbei ausgeführt, den Herr Professor Beilstein nicht beschrieben hat. In diesem Controlversuche ist das Verfahren direct entgegengesetzt, denn das klare Wasser ist anstatt der Salzlösung oben im Rohre, und die Salz- lösung unten im Glase. Im Uebrigen ist die Einrichtung genau dieselbe, nur umgekehrt wie im ersten Versuch. Nach der Voraussetzung der Anziehungshypothese müsste sich vermöge der Molekularanziehung eben- falls die Salzlösung mit dem Wasser mischen, denn die direete Berüh- rungsfläche ist genau dieselbe. Folgender Versuch mit zwei kleinen, unter sich durch Gummi- schlauch verbundenen Flaschen, oben gefärbter Spiritus, unten Wasser, zeigt keinerlei Austausch dieser zwei Flüssigkeiten, weil nach dem hy- draulischen Satz jedes Flüssigkeitstheilchen von oben, von unten und von allen Seiten vollkommen gleichen Druck erleiden und wiederum ausüben muss, wenn alle Theilechen im Gleichgewicht stehen sollen, II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 63 Diese Bedingung trifft nicht mehr zu, wenn ich den Versuch umkehre, das Fläschchen mit Wasser nach oben drehe und das mit Spiritus nach unten. Dann ist der Oberdruck des schwereren Wassers nicht gleich mit dem Gegendruck des Spiritus, deshalb beginnen die Molekule beider Flüssigkeiten sich gegenseitig zu bewegen, um sich in Gleichgewichts- zustand zu setzen, bis schliesslich das Gleichgewicht gänzlich erreicht ist. Um nun zu beweisen, dass nicht nur Spiritus und Wasser sich mit- einander in Flächenberührung befinden können und sich nicht gegenseitig vermischen, habe ich hier Rothwein, Milch, Kaffee, Zucker, Zucker- lösung und Kupfervitriol-Lösung mit Wasser mit zweierlei Wein auf- gestellt. Die specifisch schwereren Flüssigkeiten werde ich tropfenweise unter die leichtere bei jedem der Versuche bringen und bei grösster Vorsicht wird sich keine der Flüssigkeiten von selbst mit der anderen mischen, sondern es wird jede derselben, scharf abgegrenzt, mit einer Berührungsfläche von 20 gem von der anderen geschieden bleiben; der Rothwein über dem Wasser, die übrigen unter dem Wasser und der herbe Ungarwein über dem süssen Ungarwein. Kaffee, Milch, Zucker mischen sich bekanntlich sehr leicht und innig mit einander und mit Wasser, hier sehen Sie diese Flüssigkeiten ausnahmsweise streng von einander geschieden, ohne dass nur irgend eine molekulare Bewegung an den gegenseitigen Berührungsflächen zu bemerken ist. Dieser Zustand der Ruhe, des Gleichgewichts ist gerechtfertigt durch das hydraulische Gesetz, welches nur allein den + Druck als Ur- sache der Bewegung kennt, oder könnte man auch den Kaffee-, Milch- und Zuckerlösungs-Molekülen eine ihnen innewohnende Anziehungskraft zuschreiben ? Der herbe Ungarwein ist deshalb leichter als der süsse, weil der Zucker eine grössere Schwere bedingt und letzterer deshalb sich unter den leichteren Wein schichten muss. Nur das speeifische Gewicht und die Behutsamkeit, mit welcher das Untereinanderschichten tropfenweise vorgenommen wird, ist Ursache für die natürliche Lagerung der hier etwas verschieden schweren Flüssigkeiten. Alle diejenigen bekannten Molekularmischungen von Flüssigkeiten haben erwiesenermaassen ver- schiedenes specifisches Gewicht, wenn auch mitunter nur mit geringem Unterschied, — wie hier z. B. Wasser 1,0 und Kupfervitriol-Lösung 1,1—, aber diese geringe Verschiedenheit ist doch genügend, um, wie hier zu sehen, einen lebhaften Austausch zwischen diesen Flüssigkeiten her- beizuführen, wenn die schwerere Kupfervitriol-Lösung oberhalb steht und das klare Wasser unterhalb. Der Beweis dafür ist dadurch herbei- geführt, dass der Molekularbewegungsvorgang sofort ausbleibt, wenn der Controlversuch angestellt, nämlich die Stellung beider Flüssigkeiten umgetauscht wird, wie hiermit geschieht. Kann man hier noch be- 64 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. haupten, dass nur dann Molekularanziehung stattfindet, wenn die schwe- rere Flüssigkeit über der leichteren steht, dagegen die Anziehung aus einem unbegreiflichen Grunde ausbleibt, sobald derselbe Versuch um- gekehrt wird? Nein, soweit geht die Liebe zur Anziehung unmöglich, dass, wenn überzeugende Pro- und Contra-Versuche über eine Erscheinung wie die Diffusion vorliegen, dennoch die althergebrachte Anschauung festgehalten werden könnte. Wenn auch im neuesten Brockhaus der Artikel Diffusion keinen Zweifel mehr gestattet, dass Diffusion durch gegen- seitige Molekularanziehung erklärt wird, so werden sich die Forscher dabei nicht beruhigen, sondern jede Diffusions-Erscheinung fernerhin auf die bisher übersehene, aber vorhandene Druckdifferenz prüfen, mag diese herrschende Differenz im strömenden Aether, im Atmosphären- druck oder im specifischen Gewicht liegen. Unparteilichkeit auch in dieser Beziehung zeichnet bekanntlich die heutigen Naturforscher aus. Nachdem ich noch als bekannten, grossen Untersucher der Diffusion „Graham“ anführe, erinnere ich daran, dass derselbe gefunden hat: Die Diffusionsgeschwindigkeiten zweier Gase verhalten sich umgekehrt wie die Quadratwurzeln ihrer specifischen Gewichte (Brockhaus 1886). Ehe ich mit meinen Experimenten schliesse, möchte ich die bisherigen Versuche mit Blase oder Pergamentpapier noch erläutern und fange mit dem ältesten bekannten Versuche an. Man füllt eine Blase wie hier mit gefärbtem Alkohol und drückt dieselbe unter einen Wasserspiegel, oder auch, man füllt die Blase mit Wasser und taucht dieselbe dann vollkommen unter gefärbten Spiritus. In beiden Fällen tauschen die zwei Flüssigkeiten ihre Moleküle in einiger Zeit gegenseitig vollständig aus, sodass zuletzt in der Blase sowohl als in dem äusseren Gefäss eine gleichhaltige Wasser-Spiritus- Mischung resultirt. Bei diesem Vorgange meint man, dass keinerlei Druck als Veranlassung zu der Molekularbewegung durch die Blase vorliege, dass folglich keine andere Veranlassung als eine gegenseitige Anziehung der Moleküle anzunehmen übrig bleibt. Und doch übersieht man bei der ganzen Anordnung, wenn man sie kritisch prüft, dass hier gegen den Fundamental-Grundsatz für die Gleichgewichtserhaltung beider Flüssigkeiten verstossen ist; er lautet: „Soll irgend ein Flüssigkeitstheilchen in Ruhe, in seinem Gleichgewicht verharren, so muss nicht allein der Ober- und Unterdruck, sondern auch der Seitendruck von und nach allen Richtungen gleich stark auf das Flüssigkeitstheilchen sein.“ Prüfen wir nach diesem Satze die Theilchen an den Seiten der Blase innen und aussen, so finden wir natürlich, dass die dem Wasser benachbarten Spiritustheilchen nicht gleichen Druck untereinander be- sitzen, dass Wasser übt seitlich grösseren Druck auf den Spiritus aus, schlesische Gesellschaft für yaterländische Cultur. oT Sera HATTE SE DAL CETIEREN, a) 68. II. Jahresbericht. Naturwissenschaftliche 1890. Abtheilung. Br ea TIEn Abi VENMORK deshalb muss letzterer seitlich ausweichen und mit den Wassertheilchen den Platz austauschen. Ich glaube, dass man diese Deduction gelten lassen muss, denn man braucht nach dieser streng hydraulischen Untersuchung keinen an- deren Grund mehr in’s Feld zu führen für diese Diffusionsanordnung. Aehnlich wie auch voriger Versuch basirt der Vorgang der Dialyse, auf ungleichem Seiten- und Unterdruck, nicht aber auf einer Anziehungs- fähigkeit der Blase, wie viele glaubten, oder auf gegenseitiger Anziehung der Moleküle. | Allerdings führen die Anhänger der Anziehung Körper in’s Feld, welche, im Wasser gelöst, selbstständig sich aufblähen und durch das Aufsteigen ihrer Farbe Kenntniss davon geben, dass ihr scheinbar schwererer Körper im Wasser nach oben steigt. Bei diesen Stoffen, wie z. B. bei Kaliumpermangauat hat sich aber herausgestellt, dass ihr gebundener Gehalt an Gas sich mit der Zeit löst und der Gasgehalt die übrigen Theile mit empor reisst. Dieser Vorgang gehört doch keinesfalls zur Diffusion, sonst könnte man das Kalklöschen auch zur Molekularanziehung rechnen. Bei Diffusionen, wo beide Flüssigkeiten nur einen ausserordent- lich geringen specifischen Gewichtsunterschied besitzen, wie z. B. Wasser und Kupfervitriol-Lösung, gehört natürlich auch sehr wenig Ein- wirkung dazu, um ein Vermischen derselben zu bewerkstelligen. Bei solchen angestellten Versuchen genügt schon eine geringe Wärmezufuhr zu der Lösung, um dieselbe nach oben in Circulation zu versetzen. Dadurch steigt allmählich die schwerere gefärbte Lösung nach oben, während das klare, kältere Wasser nach unten fällt. Dergleichen leicht erklärliche Veranlassungen werden oft für Anziehung der Mole- küle gehalten. Im Jahre 1885 sind die vorgeführten Versuche schon gemacht und in den hier zu vertheilenden Druckschriften beschrieben worden. Ein Versuch mit Spiritus, welcher schon 4'/, Jahre über Wasser steht, ist vor einigen Tagen revidirt und gefunden worden, dass das benützte Wasser unterhalb dem Alkohol, genau geprüft, noch vollkommen ohne jede Mischung von Spiritus war. Mein Wunsch ist, dass die heutigen Versuche dazu dienen möchten, die Herren Naturforscher zu veranlassen, die strengste Untersuchung D 66 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. über diesen Gegenstand anzustellen, um entweder den Sitz und das Wesen der Anziehung bei der Diffusion zu erklären oder bei der Mole- kularbewegung überhaupt als einheitliche Ursache die Druckdifferenz wissenschaftlich ein für alle Mal festzustellen. In der Discussion über diesen Vortrag hob Herr Geheimrath Pro- fessor Ladenburg hervor, dass er durch die Auseinandersetzungen und Versuche des Herrn Vorredners die bisherigen Anschauungen über Diffusion, Dialyse und Osmose als durchaus nicht widerlegt betrachte. Im Gegen- theil müsse er, auch nach neueren eigens zu diesem Zweck angestellten und in der Sitzung erläuterten Versuchen, daran festhalten, dass dem specifisechen Gewicht und dem Druck entgegen Diffusion misch- barer Flüssigkeiten stattfinde. Die entgegengesetzte Meinung des Herrn Vorredners erkläre sich namentlich durch die unrichtige Deutung der angestellten Versuche. Herr Gymnasiallehrer Dr. Schiff bemerkte hierauf, dass die An- sicht des Vorredners, es entwickele sich bei der Auflösung des Kalium- permanganats in Wasser ein Gas, das die färbenden Theile dieses Salzes der Schwere entgegen in der Flüssigkeit aufsteigen liesse, eine irrthümliche sei, denn Kaliumpermanganat löse sich ohne jede Zersetzung in Wasser auf und könne daher in diesem Falle überhaupt kein Gas entwickeln. Ueber Imine. Herr Geheimrath Professor Dr. Ladenburg bemerkte in seinem Vortrage zunächst, dass er unter Iminen Basen verstehe, welche sich vom Ammoniak durch Vertretung zweier Wasserstoffatome durch ein Alkoholradical ableiten. Er hat auf die Existenz solcher Körper aus Analogie mit den Säureimiden geschlossen, und es ist ihm wirklich ge- lungen, solche Imine aus den ein Molekül Ammoniak mehr enthaltenden Diaminen darzustellen durch trockene Destillation ihrer Chlorhydrate. Zur Gewinnung der Diamine wurden die Dieyanüre mit Natrium und Alkohol redueirt. So wurden aus Trimethyleneyanür das Pentamethylen- diamin, aus Aethyleneyanür das Tetramethylendiamin erhalten, welche sich als identisch mit Cadaverin und Putresein, zweien bei der Fäulniss des Fleisches entstehenden Ptomainen erwiesen. Sie liefern bei der oben erwähnten Reaction das Penta- und Tetramethylenimin, die ihrer- seits identisch sind mit Piperidin und Pyrrolidin. Aus dem Trimethylen- diamin gewinnt man in ähnlieher Weise das Trimethylenimin, hier ent- steht aber gleichzeitig B Picolin. Aus dem Dimethylendiamin (Aethylen- diamin) dagegen ward eine Base erhalten, die ein Diimin ist und die sich als identisch mit dem Diäthylendiamin erwies. Vielleicht ist sie auch identisch mit dem von Schreiner isolirten Spermin. II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 67 Ueber türkisches und deutsches Rosenöl. Herr Geheimrath Professor Dr. Poleck sprach in seinem Vortrage über deutsches und türkisches Rosenöl und theilte die Resultate der neuesten chemischen Untersuchung desselben mit, Bekanntlich wird das für den europäischen Bedarf bestimmte Rosenöl fasst ausschliesslich in Bulgarien an den Südabhängen des Balkans gewonnen. Das persische und indische kommt nicht in den europäischen Handel. Der Mittelpunkt dieser bulgarischen Industrie ist die Stadt Kazanlik am südlichen Ausgange des Schipka-Passes, wo in ca. 120 Dörfern mit 2500 Destillirblasen, welche sich inmitten der Rosengärten befinden, die frischen Blüthenblätter einer Varietät der rosa centifolia verarbeitet werden. 1000 kg frische Blätter geben zwischen 160—400 Gramm Oel, im Jahre 1887 wurden 2400 kg ge- wonnen, der Preis eines Kilogramms beziffert sich gegenwärtig auf ca. 600 M. Wie bereits vor 3 Jahren der naturwissenschaftlichen Section mitgetheilt wurde, hat die bewährte Fabrik ätherischer Oele von Schimmel & Co. in Leipzig unter der umsichtigen Leitung ihres Chefs Herrn Fritzsche und mit ihrer grossartigen Einrichtung — nicht weniger als 76 Destillationsapparate, darunter solche von 25000 und 10000 Liter Inhalt, sind in Thätigkeit — vor ca. 4 Jahren die Gewinnung von Rosenöl aus deutschen Rosen in Angriff genommen, und ist ihr die Lösung dieses Problems vollständig gelungen. Im Jahre 1887 wurden bereits 2 kg Oel und 2000 kg Rosenwasser producirt, in diesem Jahr dagegen aus 23000 kg Blüthenblätter 4,5 kg Rosenöl von vorzüglicher Beschaffenheit. Vor 4 Jahren wurden 10 Hectaren, im vorigen Jahre dagegen 45 Hectaren mit Rosen bepflanzt. Diese letztere Anpflanzung liegt 8 Kilometer von Leipzig entfernt an einer Bahnstation und soll das Centrum des hier zu gründenden Rosendistriets bilden. Die Pflanzen haben den harten Winter auffallend gut über. standen und werden im nächsten Jahre bereits einen ansehnlichen Blüthenertrag liefern. Während der Blüthezeit kommen die Rosen täglich frisch gepflückt in die Fabrik und werden sofort verarbeitet, Obwohl die deutschen Rosen bedeutend ergiebiger an Oel waren, stellt sich doch das deutsche Oel im Preise höher, das Kilo deutsches Oel 1250 Mark gegen 600 Mark für das türkische, wodurch die Reinheit des letzteren wesentlich in Frage gestellt wird. Die Fabrik hofft je- doch, dass bei der in sicherer Aussicht stehenden grösseren Production die Preise des deutschen Oels immer mehr jenen des türkischen sich nähern werden. Das deutsche Oel, welches mit den vollkommensten technischen Einrichtungen durch Wasserdampf hergestellt wird, zeichnet sich durch einen weit feineren Wohlgeruch und etwas grösseren Gehalt an festen Bestandtheilen, Stearopten, aus, während das türkische bei 5*F 68 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Culiur. seiner primitiven Darstellung durch unmittelbare Destillation aus den Blasen einen damit zusammenhängenden, etwas unangenehm brenzlichen Beigeruch besitzt. | Aeltere eingehende Untersuchungen über die chemische Natur des Rosenöls sind nicht vorhanden. Herr Eckart hat daher das türkische und in erster Linie das deutsche Rosenöl zum Gegenstand einer che- mischen Untersuchung gemacht, mit welcher er seit längerer Zeit im Laboratorium des pharmaceutischen Institutes der Universität beschäftigt ist und deren bisherige Resultate der Vortragende mittheilte, um Herrn Eckart die Priorität derselben und das ungestörte Fortarbeiten zu sichern. Das deutsche Rosenöl ist bei gewöhnlicher Temperatur fest, von schwach grünlicher Farbe und überaus feinem Wohlgeruch., Es wird bei 28° C. flüssig, besitzt bei 21° C. ein specifisches Gewicht von 0,879 und enthält 28,9 pCt. Stearopten, das aus zwei festen Kohlen- wasserstoffen von verschiedenen Schmelzpunkten besteht. Bei einigen 70° fängt das Oel an zu sieden und giebt nach mehrfacher Rectifieation ca. 5 pCt. eines farblosen Destillats, welches constant bei 79° siedet und identisch mit Aethylalkohol ist, wie durch die Analyse, die Jodoform- reaction und die Bildung von Essigäther nachgewiesen wurde. Das vom Stearopten befreite Oel siedet constant bei 216°, besitzt ein specifisches Gewicht von 0,8813 b. 12° und polarisirt sehr schwach links. Es be- steht im Mittel aus 77,94 pCt. Kohlenstoff, 11,67 pCt. Wasserstoff und 10,39 pCt. Sauerstoff, welehe Zusammensetzung der Formel C,,H,,O entspricht. Dieser Körper macht die Hauptmasse des ÖOels aus, wenigstens konnte mit Sicherheit ein weiterer Bestandtheil desselben nicht nachgewiesen wezden. Diese Verbindung charakterisirt sich als ein primärer Alkohol mit zwei Aethylenbindungen, wie dies aus seiner wiederholt bestimmten Molekularrefraction, 49,49, hervorgeht. Mit metallischem Natrium entwickelt er Wasserstof, mit Chlor- und Jodwasserstoff giebt er C,, H,,Cl und C,,H,, J, aus denen durch Kaliumhydroxyd der Alkohol wiedergewonnen werden kann, mit Benzoe- säureanhydrid den Benzoesäureester, mit fünffach Schwefelphosphor ein Mercaptan. Bei der Oxydation mit Chromsäure wurde der Aldehyd C,, H,, 0 und die entsprechende Säure, C,,H,,;0,, erhalten, beide sind flüssig und flüchtig und lassen keinen Zweifel über ihre Entstehung aus einem primären Alkohol. Tiefer greifende Oxydation mit Kalium- permanganat, Wasserstoffsuperoxyd, sowie Spaltungsversuche im zu- geschmolzenen Glasrohr gaben Essigsäure, Ameisensäure, Kohlensäure und Oxalsäure. Eine dabei auftretende Säure mit höherem Kohlenstoff- gehalt und Buttersäuregeruch konnte ihrer geringen Menge wegen noch nicht identifieirt werden. — Phosphorpentoxyd und Zinkchlorid spalten li. Naturwissenschftliache Abtheilung. 69 aus dem Alkohol Wasser ab und veranlassen die Bildung von zwei Terpenen C,, H,,, die sich durch ihren Siedepunkt unterscheiden. Das ganze chemische Verhalten des flüssigen Antheils des deutschen Rosenöls, womit auch jenes des türkischen übereinstimmt, ist völlig analog dem Verhalten des von Dr. Semmler beschriebenen indischen Geraniumöls von Andropogon Schoenanthus L. und dessen Hauptbestand- theils des Geraniols.. beide Körper sind primäre Alkohole, ihre Alde- hyde sind, wie die unmittelbare Vergleichung ergab, identisch, ihre Molekularrefraction ist dieselbe, so zwar, dass auch in dem Rosenöl ein Körper mit zwei Aethylenbindungen und mit kettenförmiger Bindung der Kohlenstoffatome vorliegt, welche sich bei Abspaltung von Wasser zum Ring schliessen, sie sind Verbindungen, wie sie bisher in der Natur noch nicht nachgewiesen worden sind. Der Geheime Bergrath Herr Althans legte in derselben Sitzung eine Anzahl wohlgelungener Photographien von grossartigen Tagebauen von Braunkohlengruben in der Gegend von Halle a/S. vor, sowie ausserdem die von dem Bergwerksdirektor Schröder zu Grünberg i/Schl. verfasste Druckschrift „Gedenkblatt zum 50jährigen Bestehen der consolidirten Grünberger Gruben den 24. November 1890.“ Redner machte hierbei auf die bemerkenswerthen Gebirgsstörungen und Ueberschiebungen auf einigen der ersteren und namentlich auf den letzteren Gruben auf- merksam, welche nur durch Wirkungen des Druckes diluvialer Eis- massen zu erklären sind. 70 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Sitzungen der botanischen Section, Die botanische Section hat im Jahre 1890 zehn Sitzungen gehalten. In der ersten Sitzung vom 16. Januar theilte der Secretär Herr Prof. Dr. Ferd. Cohn mit, dass an Stelle des Herrn Dr. Pax, der als Custos an den Kgl. botanischen Garten in Berlin berufen worden ist, Herr Gymnasiallehrer Dr. Schube vom Präsidium als Custos des Herbariums und der übrigen naturwissenschaftlichen Samm- lungen der Schlesischen Gesellschaft erwählt worden ist. Derselbe stellt fest, dass ein aus der Breslauer Stadtbibliothek an die Gesellschaft überwiesenes Herbarium, welches Paolo Boccone gegen Ende des 17. Jahrhunderts an den Breslauer Rathsherrn Haunold geschickt hatte, nicht mehr aufzufinden ist. Wie schon L. C. Trevivanus 1831 erinnerte, besuchte Boccone (als Cistereienser den Namen Sylvius führend) Breslau im Jahre 1694, wo er besonders mit Haunold und Tralles verkehrte; 1697 gab er in einem an Haunold gerichteten Briefe die erste Beschreibung der Theepflanze, Professor Penzig hat neuerdings in dem unter seiner Leitung stehenden botanischen Institut der Königlichen Universität Genua ebenfalls ein Herbarium von Boccone aufgefunden und bearbeitet. Dr. Schube bemerkt, dass die in dem Breslauer Herbarium von Boccone enthalten gewesenen Pflanzen bereits von L. C. Trevi- ranus durchgesehen und in einem Katalog bestimmt worden sind. Herr Oberstabsarzt Dr. Schröter hielt einen Vortrag: „Ueber Grubenpilze.“ In der zweiten Sitzung vom 30, Januar legte Herr Oberstabs- arzt Dr. Schröter im Anschluss an seinen in voriger Sitzung gehaltenen Vortrag eine reiche Sammlung unterirdischer Pilze vor. Herr Dr. Schube hielt einen Vortrag: Die Geschichte der Schlesischen Florenerforschung seit Beginn des 16. Jahrhunderts, welcher vollständig in dem botanischen Ergänzungshefte dieses Jahres abgedruckt worden ist. Il. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 73 Der Secretär legte eine vom Lehrer Berge aus Zwickau eingesendete sogenannte Sternschnuppengallert vor, die, wie in allen früheren Fällen, aus gequollenen Froscheileitern bestand, Da in der gegenwärtigen Jahreszeit Froschkeulen in den Breslauer Restaurationen und vermuthlich auch in Sachsen eine begehrte Delicatesse sind, so dürfte der Ursprung dieser Gallertmassen wohl hiermit zusammenhängen. Vergleiche den Aufsatz des Referenten über Sternschnuppengallert, Abhandlungen der Schle- sischen Gesellschaft, Abtheilung für Naturwissenschaft und Medicin. 1868/69, 130—137. Herr cand. phil. Welislaw Wojinowi6 legte vor Exemplare von Thorea ramosissima Bory, die von ihm an Balken einer Badeanstalt in der Donau bei Belgrad in Serbien entdeckt worden ist. Diese Alge, die bisher nur aus Westeuropa bekannt war, ist von Professor Magnus in Hedwigia XXVII Nr. 2, 1889 von obigem osteuropäischen Standort nach einer Einsendung von Bornmüller ohne Nennung des Entdeckers besprochen worden, In der dritten Sitzung vom 13. Februar legte der Secretär das Programm der am 25. April 1890 in Berlin eröffneten allgemeinen grossen Gartenausstellung vor, in welchem die wissenschaftliche Seite des Gartenbaues nach allen Richtungen hin in einer musterhaft vielseitigen und gründlichen Weise berücksichtigt worden ist, so dass diese grossartige und glänzende Ausstellung auch für die wissenschaft- liche Botanik besonders werthvoll geworden ist. Herr Professor Dr. Prantl hielt unter Vorlegung der typischen Pflanzen einen Vortrag: Ueber die Familie der Cruciferen, welche derselbe in Band III, 2 der Pflanzen-Familien von Engler und Prantl monographisch bearbeitet hat. In der vierten Sitzung vom 27. Februar legte der Secretär vor: 1. Exemplare von Caulerpa prolifera, die in der Bucht von Neapel in 50 m Tiefe gesammelt und ihm von der zoologischen Station in Neapel übersendet worden waren. An den in 50°, Alkohol eingelegten Laubsprossen sind die von Janse in Pringsheims Jahrb. XXI 1890 beschriebenen grünen Protoplasmastränge mit blossem Auge erkennbar, 2. Eine Sammlung musterhaft eingelegter australischer Meeres- algen, Geschenk des Baron Ferd. v. Müller in Melbourne, der un- ablässig mit grösster Liberalität deutsche Forscher und Universitäts- Institute durch Mittheilungen aus der australischen Flora unterstützt. 3, Eine Anzahl Monstrositäten, gesammelt von Lehrer Bruno Schröder in Ochelhermsdorf bei Grünberg, welcher im Jahre 1888 3 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Epipogon aphyllus im Bulengrund (Eulengebirge), und in neuester Zeit Botrychium simplex bei Grünberg, neu für Schlesien, aufgefunden hat. Hierauf hielt derselbe einen Vortrag: Ueber Wärmeerzeugung durch Schimmelpilze und Bacterien. Das Referat über diesen Vortrag ist mit dem über das gleiche Thema in der Wanderversammlung vom 15. Juni 1890 zu Brieg gehaltenen verschmolzen und in dem Bericht über diese Versammlung abgedruckt worden. In der fünften Sitzung vom 13, März gab Herr Dr. phil. Hugo Fischer einen zusammenfassenden Bericht über seine: „Beiträge zur vergleichenden Morphologie der Pollenkörner.“ Jedes Pollenkorn stellt eine Zelle mit Kern, Plasma, Membran dar; letztere ist meist doppelt: die Intine, continuirlich dem Inhalt an- liegend, aus Cellulose bestehend, den Pollenschlauch treibend, und die Exine, in Reactionen einer Cuticula ähnlich, in Jod und alkoholischen Anilinlösungen intensiv gefärbt, wohl in allen submersen Blüthen fehlend. Die Exine ist gleichmässig dünn oder stärker entwickelt, in diesem Falle mit Verdünnungen (Austrittstellen) oder Löchern (Keimporen) ver- sehen; die Austrittstellen sind entweder rundlich, zu 1 bis vielen (1 bei den Gramineen, über 100 bei Althaea rosea), oder länglich, am trockenen Korn ‚Falten‘ bildend, zu 1 bis vielen (1 bei vielen Monocotylen, 3 pa- rallele bei den meisten Dicotylen — 1180 von 2214 untersuchten Pflanzen-Species), auch nicht parallel, Figuren bildend (Portulacca) oder spiralig bezw. ringförmig (Thunbergia u. a.); selten finden sich die so- genannten Deckel (1 bei Nymphaea, 35—4 bei Passiflora, 6—8 bei Cucurbita). Die Exine ist glatt (bei den meisten Windblüthlern) oder körmig, warzig, stachlich (Malvaceae), mit mehr oder weniger hohen Netzleisten (Lilium, Cobaea) oder mit hohen Stäbchen, die am Kopf (Pelar- gonium) oder in der Mitte (Geranium) verschmelzen; oder die Exine ist doppelt, seltener dreifach, die verschiedenen Lagen gewöhnlich durch Zwischenstäbehen verbunden; dieser Bau wurde an zahlreichen Arten, durch Färbung äusserst zarter Querschnitte mit Fuchsin, nachgewiesen, am mannigfaltigsten und complieirtesten bei den Compositen, wo meist durch eine Unterabtheilung die gleiche Form herrscht. Die grössten Körner finden sich bei Iris (I. squalens bis 0,250 mm), Crocus, Musa, Costus, Mirabilis, Hibiseus, Cucurbita, die kleinsten bei den Borragineen (Myosotis silvatica 0,006 mm lang, halb so breit). Die Form des frischen Kornes ist meist kuglig oder breit-ellipsoidisch, auch eylin- drisch, dreieckig u. s. w., die Gestalt des trockenen unregelmässig ge- schrumpft oder scharf gefaltet, spitz eiförmig, selten eingeschnürt, oder polyedrischh Die Färbung ist gewöhnlich gelb, seltner weiss, II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 713 braun, roth, durch ein die Exine durchtränkendes Oel; zuweilen enthält die Exine oder das Plasma einen rothen, blauen, grünen Farbstoff, der sich chemisch wie Anthocyan verhält. Verwachsung von Pollenzellen findet meist zu 4 (Juncaceae, Erica- ceae u. v. a.), auch zu 16 (Acacia) statt; zahlreiche Tetraden sind zu Pollinien vereinigt bei den meisten Orchideen, Pollinien ohne Gliederung in Tetraden hat Asclepias. Daneben kommt Verkittung der Pollenkörner vor (Cypripedilum) oder Verklebung durch Viscinfäden (Oenothereae, Rhododendron). Innerhalb der Art ist die Pollenform nur geringen Schwankungen ausgesetzt. Eine Gattung zeigt in ihren Species meist ähnliche, wenn- gleich zuweilen scharf unterschiedene Formen, manchmal aber auch solche, die von den nächstverwandten Arten grundverschieden sind, andrerseits herrscht oft durch grosse Familien der gleiche Typus; jeden- falls sollte die Beschaffenheit des Pollens in der systematischen Be- schreibung nicht vernachlässigt werden. Die hier referirte Untersuchung, welche im pflanzenphysiologischen Institut ausgeführt wurde, ist vom Vortragenden als Inauguraldissertation, Breslau, Max Müller (Urban Kern’s Verlag), 1890 mit 3 Tafeln veröffent. licht worden. Herr Dr. phil, Welislaw Wojinowie hielt einen Vortrag: Beiträge zur Morphologie, Anatomie und Biologie der Selaginella lepidophylla. 1. Die Sprossverkettung der 8. lepidophylla stellt eine Dichotomie in Gestalt eines Schraubels dar; die Gesammtheit der einen homodromen, aus der Diehotomie hervorgehenden Zweige bildet eine schwach gegen den Erdboden geneigte und wellenförmig gekrümmte Spirale Die rechten homodromen, sich kräftiger entwickelnden Auszweigungen des dichotomen Stengels bilden die strahlenförmig von der Spirale abgehenden Seitenäste. Dabei bleiben die, die Spirale aufbauenden homodromen Glieder nicht in einer Ebene, sondern jedes folgende Glied wächst gleichzeitig ein Stück nach oben, sich dabei spiralig drehend, wodurch eine Oylinderspirale als Hauptaxe zu Stande kommt. 2. Der Stengel besitzt einen mächtig entwickelten Sclerenchymring, dessen Zellen ungleich stark verdickt sind: die Zellen der organisch- oberen (bei Austrocknung concaven) Seite sind mächtiger entwickelt und haben stärker verdiekte Membranen, als diejenigen der Unterseite (bei Austrocknung convexen). 3. Die Zellen, welche die concave Seite des Stengels aufbauen, sind ausserdem in Curven angeorduet, welche parabelähnlich von der Mitte des Stengels zu seiner Peripherie aufsteigen; die Zellen der con- vexen Stengelhälfte sind dagegen in Längsreihen geordnet, welche der 74 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Axe parallel laufen. Diese Anordnung findet sich bei anderen Selaginella-. arten nicht. 4. In etwas vorgeschrittenem Alter führen die Wände der Zellen beider Seiten einen eigenthümlichen rothen Farbstoff, der sich mit der zunehmenden Verdickung der Zellenwände so vermehrt, dass die ältesten Zweige mit diesem Farbstoff vollständig durchtränkt erscheinen. d. Die Zusammenrollung der Aeste beim Austrocknen und ihre Wiederausbreitung bei Wasseraufnahme der Pflanze ist ein rein physi- kalischer Vorgang und beruht auf der Hygroseopieität der Zellmem- branen. Die stärker verdickten Zellen der organisch - oberen Seite geben mehr Wasser ab, resp. nehmen mehr davon auf, als diejenigen der organisch-unteren Seite; die erstere Seite verkürzt sich bezw. ver. längert sich daher stärker, als die andere, Die Zusammenrollung und Ausbreitung der Aeste wird noch durch die curvenartige Anordnung der Zellen an der organisch-oberen Seite gefördert. 6. Die Verbindungsfäden an der Peripherie des axilen Gefässbündels sind bei S. lepidophylia aus mehreren Zellen gebildet; als eine Endodermis- scheide können sie nicht aufgefasst werden. Eine Endodermisscheide ist vielmehr an der äussersten Schicht des Gefässbündels zu erkennen. 7. Die Blätter der dorsalen und ventralen Stengelseite zeigen ana- tomische Verschiedenheiten; bei den dorsalen Blättern ist ein typisches Pallisadenparenchym entwickelt, welches den ventralen fehlt. Beide Arten von Blätter besitzen eine besondere Epidermis mit Spaltöffnungen und zwar die dorsalen Blätter nur auf ihrer dem Stengel anliegenden, die ventralen dagegen auf beiden Seiten, jedoch in geringerer Zahl. 8. Die Wurzeln entstehen an unbestimmten Stellen auf der Ober- seite des Stengels adventiv, wachsen, von den Blättern bedeckt, bogen- förmig um denselben herum und verhalten sich erst auf der Rückseite des Stengels, an dem ihrem Ursprungsorte gegenüberliegenden Punkte, positiv geotrop. 8. 8. lepidophylla vermag Jahre lang als zusammengerollter Knäul in trockener Luft ein latentes Leben zu bewahren und durch Aufnahme von Wasser (ca. 50°), ihres Gewichtes) wieder zu activen Lebensthätigkeiten befähigt zu werden und sich von neuem weiter zu entwickeln, 10. Diese grosse Widerstandsfähigkeit gegen Austrocknen beruht darauf, dass der Zellinhalt eine grosse Masse von Oel enthält, welches einerseits als Reservematerial dient, anderseits dem Protoplasma der Zellen ein Schutzmittel gegen äussere Einflüsse gewährt. Auch diese Untersuchung ist im pflanzen-physiologischen Institut, unter Benutzung eines reichlichen von Herrn Carlos Steengrafe in Durango (Mexico) an das Institut eingesendeten Materials angestellt und als Inauguraldissertation, Breslau 1890, mit 3 Tafeln veröffentlicht worden. II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 75 Herr Dr. Schube legte neue Funde im Gebiete der schlesischen Flora aus dem Jahre 1889 vor, welche Herr E, Fiek, Cunersdorf bei Hirschberg, bearbeitet und zu denen er Nachträge geliefert hat; sie sind im Jahresbericht für 1889, botanische Section 8, 161—188 ver- öffentlicht worden, In der sechsten Sitzung vom 19. Juni hielt Herr Oberstabs- arzt Prof. Dr. Schroeter einen Vortrag: Ueber Pilzepidemien auf Raupen. Herr Professor Prantl legte einen eben im botanischen Garten zur Entwickelung gelangten männlichen Blüthenkolben von Pandanus furcatus vor, sowie die Fruchtkolben verschiedener Pandanusarten aus den Sammlungen des botanischen Gartens. Der Secretair legte eine Anzahl Sämereien vor, die Herr Geheim- rath Dr. Grempler aus Hissarlik mitgebracht hatte; sie stammen von zwei, in seiner Gegenwart ausgegrabenen grossen riyor von Troja, wobin sich derselbe als Mitglied der von Schliemann berufenen internationalen Conferenz Ende März dieses Jahres begeben hatte, In der siebenten Sitzung vom 30. October legte der Secretär ein Sendschreiben des Privatdocenten Dr. Weiss in München vor, be- treffend die Begründung der Bayrischen botanischen Gesellschaft zur Erforschung der Bayrischen Flora, und forderte die Mitglieder zur ‚Unterstützung dieses Unternehmens auf. Derselbe legte den wissenschaftlichen Nachlass unseres am 9. Sep- tember 1885 verstorbenen eifrigen Sectionsmitgliedes Wundarzt Carl Gottfried Knebel vor (vergleiche den Nekrolog im Jahresbericht der botanischen Section für 1885). Der Nachlass enthält nicht nur floristische Bemerkungen, sondern insbesondere auch Nachträge zu der im Jahre 1862 erschienenen, noch heut unentbehrlichen Synopsis Plantarum diaphoricarum von Dr. David Rosenthal, an der Knebel durch seine über Verwendung nutz- barer Pflanzen angelegten Sammlungen sich eifrig betheiligt hatte. Der Nachlass ist dem Seeretär durch den Schwiegersohn Knebel’s, Herrn Lehrer Tietze hier, übergeben worden und soll in seinen wesentlichen Bestandtheilen in der Gesellschaftsbibliothek aufbewahrt werden. Herr Conrad Beyrig hielt einen Vortrag: Ueber die Flora im Pondoland. Auf seinen mehrjährigen Reisen in Südafrika, von welchen derselbe erst vor Kurzem zurückgekehrt ist, hatte Vortragender Gelegenheit, im Pondoland sich längere Zeit aufzuhalten und die Flora dieser Länder 76 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. zu sammeln; ein Theil dieser sehr reichhaltigen Sammlung, jedoch noch unbestimmt, wurde der Section vorgelegt. Der Secretair hielt einen Vortrag: Ueber die Reizleitung bei Mimosa pudica. Bekanntlich tritt beim Einschneiden in ein Gelenk oder auch beim Durchschneiden eines Blattstiels der Mimosa pudica ein wasserklarer Flüssigkeitstropfen heraus. SchonMeyen fand, dass auch beim Einschneiden des Stengels bis auf’s Holz ein solcher Tropfen austritt, der sich mehr- mals erneut. Bei jedem Einschnitt treten gleichzeitig Reizbewegungen der Blätter ein, auch wenn jede Erschütterung vermieden wird. Der aus- tretende Tropfen wurde bisher für Wasser gehalten; man nahm aufGrund der Untersuchungen von Brücke, Sachs und Pfeffer an, dass das Wasser aus dem Xylem der Gefässbündel herstamme, indem in den Elementen desselben sich Wasser unter hohem Druck befinde, das beim Durch- schneiden derselben ausgepresst werde; die hierdurch ausgelöste Störung des hydrostatischen Gleichgewichts im Xylem veranlasse auch eine Druckschwankung im reizbaren Parenchym der Gelenke und löse da- durch deren Reizbewegungen aus. Umgekehrt werde bei einer jeden Reizung der Blätter, vermittelst Erschütterung oder Verletzung, aus den reizbaren Gelenkpolstern Wasser ausgepresst, das, in das Xylem übertretend und das hydrostatische Gleichgewicht im Wassergehalt desselben störend, die Fortleitung des Reizes von der unmittelbar be- rührten Stelle auf weitere Entfernung, also von einem Blättchenpaare zu den übrigen Fiederblättchen des nämlichen Blattes und selbst von einem Blatte zu anderen vermittle. Bei einem im Sommer 1889 mit Mimosa pudica angestellten Ver- suche, bei welchem die aus Einschnitten in den Stengel hervorquellenden Tropfen auf Glasplatten aufgefangen und unter dem Mikroskop beobachtet wurden, zeigte sich, dass diese Tropfen zwar anfangs völlig klar waren, doch in ganz kurzer Zeit sich aus ihnen unzählige kleine Körnchen aus- schieden, die rasch zu Prismen oder Säulen mit octoedrischer Zuspitzung ausschossen, sowie kleine Stäbchen, die zu Nadelbüscheln anwuchsen; in kurzer Zeit war der Tropfen ausgetrocknet und liess einen glänzenden, später röthlichen Fleck zurück, der ganz und. gar aus dendritischen Nadelbüscheln bestand; zwischen ihnen lagen feine Körnchen; im Wasser lösen sich die krystallischen Ausscheidungen wieder auf und krystalli- siren auf’s neue vom Rande aus, wenn das zugesetzte Wasser allmählich verdunstet. Die Krystalle lösen sich auch in Essigsäure, Salzsäure und Ammoniak; aus der salzsauren Lösung scheiden sich dann wieder tafel- förmige Krystallhaufen aus. Auch beim Durchschneiden von Blattstielen quellen die wasserklaren Tropfen hervor, und zwar aus beiden Schnittflächen; sie scheiden beim II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. IR Verdunsten des Wassers unzählige kleine Körnchen aus, die fast wie Mieroeoceen aussehen, aber bald zu grösseren Prismen und Nadelbüscheln anwachsen. Wird das Gelenk durchschnitten, so tritt der Tropfen nur aus der unteren Hälfte desselben, bis oberhalb des axilen Gefässbündels, - nicht an dem oberen Gelenkpolster hervor. Aus dem Stengel quellen die Tropfen beim Einschneiden bis an’s Holz, auch wenn die Blätter ab- gestorben oder abgefallen sind. Um die Herkunft der Tropfen, die hiernach sich nicht als reinesWasser, wie man bisher annahm, sondern als eine stark concentrirte Lösung eines oder mehrerer krystallinischer Stoffe herausstellte, zu ermitteln, begann der Vortragende das Studium der Anatomie von Mimosa pudica, die, wie ein Vergleich der Literatur ergab, bisher überhaupt noch nicht monographisch und erschöpfend untersucht worden war. Inzwischen ist die wichtige Arbeit von G. Haberlandt „Das reizleitende Gewebe der Mimosa pudica, Leipzig 1890,‘ erschienen, welche die hier angedeutete Lücke durch eine Reihe anatomischer und physiologischer Beobachtungen ausgefüllt hat. Haberlandt hat nicht nur die Natur der bei Ein- schnitten austretenden Tropfen als concentrirte Lösung erkannt, sondern es gelang ihm auch, im Eisenchlorid eine Reagens zu entdecken, welches, indem es eine violette Färbung hervorruft, die Flüssigkeit nicht blos in den ausgetretenen Tropfen, sondern auch im Innern der Zellen sofort er- kennen lässt. Haberlandt glaubt die chemische Beschaffenheit der Tropfen als wässrige und mit hoher osmotischer Kraft begabte Lösung eines Pflanzenschleims und eines Glycosid’s bezeichnen zu können. Mit voller Sicherheit gelang ihm der Nachweis, dass diese Flüssigkeit nicht, wie man bisher angenommen, aus dem durchschnittenen Parenchym der Gelenkpolster, noch auch aus dem Xylem der Gefässbündel herstamme, sondern dass sie in besonderen Zügen schlauchförmiger Zellen enthalten sei, welche den Phlo@mtheil des Gefässbündels, und zwar ihren Weichbast (Leptom) begleiten, in den Knoten sich netzförmig verbinden, als ein zusamenhängendes System aus den Nerven der, Fiederblättchen in die secundären und primären Blattstiele eintreten und von diesen als Be- gleiter der Blattspurstränge in die Gefässbündel des Stengels über- gehen. Haberlandt erblickt in diesen von Flüssigkeit strotzenden Schlauch- zellen das reizleitende System der Mimosa; in einfache Längsreihen über einander geordnet, sind sie durch Scheidewände getrennt, welche sich durch ungewöhnliche Zartheit, Dehnbarkeit und Hlastieität aus- zeichnen und ausserdem noch durch feine Poren siebartig durchbohrt sind, wodurch eine überaus rasche Fortpflanzung der Bewegungen in ihrer unter starkem Turgor stehenden Inhalts-Flüssigkeit bewirkt wird. Mit dem reizbaren Parenchym der Gelenke stehen die reizleitenden Zellen nieht in direeter Verbindung; vielmehr sind sie von diesen durch einen sehr 78 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. elastischen Collenchymstrang getrennt, dessen Zellwände ebenso, wie die des reizbaren Parenchyms selbst, durch feine Poren durchbohrt sind, so dass nicht nur die Protoplasten des Parenchyms, sondern auch die des Collenehyms unter sich vermittelst Plasmafäden in Verbindung stehen. Wird im Stengel bis zum Weichbast eingesehnitten, so entleeren die hierdurch geöffneten reizleitenden Schlauchzellen vermöge der höchst voll- kommenen KElastieität ihrer Seitenwände und der ausserordentlichen Filtrirbarkeit der transversalen Scheidewände bis auf 30—40 em Ent- fernung von der Schnittfläche ihre Flüssigkeit vollständig, die als Tropfen hervorguillt; die hierdurch veranlasste Druckminderung im gesammten System der reizleitenden Zellen löst an den primären Gelenken eine entsprechende Veränderung in dem elastischen Collenchym und von diesem auch in dem reizbaren Parenchym aus, welche die bekannten Bewegungen der Blätter vermittelt. Umgekehrt wirkt jede Reizung der Blätter, indem sie Veränderungen im reizbaren Parenchym auslöst, wie ein Stoss auf das elastische Collenchym, und dieser Stoss, indem er eine plötzliche Drucksteigerung in dem gesammten System der reizleitenden Zellschläuche herbeiführt, pflanzt sich im ganzen System wie eine Pulswelle fort und löst daher Bewegungen auch in weiterer Entfernung von der Application des Reizes aus, Wie bereits Haberlandt bemerkt, entspricht das von ihm als reiz- leitendes Gewebe der Mimosa pudica bezeichnete System den von De Bary zu den Secretionsorganen gerechneten „Secretionsbehältern‘ der Leguminosen, deren weite Verbreitung und mannigfaltige Vertheilung im Mark, Phlo&m und Blättern neuerdings P. Baccarini „Sul Systema secretore delle Papilionacee, Malpighia IV, fasc. 9,“ bei Papilionaceen nachgewiesen hat: Vortragender behält sich die kritische Erörterung der Haberlandt- schen Untersuchung bis zur Wiederholung seiner Versuche im nächsten Sommer vor. In der achten Sitzung vom 13. November sprach Herr Dr. Schube: Ueber die Phytologia magna von Israel und Georg Anton Volckmann. Die Erforschung der schlesischen Flora, die in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts so glänzend eingeleitet worden war, hat in der Folge- zeit nur sehr geringe Fortschritte gemacht. Nur noch einmal in den nächsten Jahren nach dem Erscheinen der Schwenckfeld’schen Werke hört man etwas über wichtige neue Funde im Gebiete der schlesischen Flora, dann fehlt für lange Zeit jegliche Nachricht über botanische For- schungen in Schlesien. Das wäre freilich kaum der Fall, wenn nicht den Mann, dem wir jene Bereicherungen der heimischen Pflanzenkunde II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 79 verdanken, Johannes Fleischer, ein frühzeitiger Tod dahin gerafft hätte. Ueber den Lebensgang des interessanten Mannes’ sind wir nur sehr unvollständig unterrichtet.!) Er war 1582 in Breslau geboren, be- suchte hier eine städtische Schule, allem Anschein nach das Elisabethan, da sein Vater Prediger an der Elisabethkirche war, widmete sich dann 3 Jahre lang auf der Universität zu Frankfurt dem Studium der Mediein und ging endlich nach Basel, woselbst er 1606 sich die Doctor- würde erwarb. Schon früh scheint er mit ungewöhnlichem Eifer die Gegenden, in denen er sich aufhielt, botanisch durchforscht zu haben: in der Umgegend von Frankfurt entdeckte er mehrere vorher noch nie beschriebene Pflanzen, wie Pulsatilla vernalis (L.) Mill. und Veronica scutellata (L.)?). Sehr ausgedehnte botanische Streifzüge scheint er auch in Schlesien unternommen zu haben, denn er hat sowohl die Öst- wie die Westsudeten durchwandert. Im Gesenke entdeckte er als erster Eriophorum alpinum L. an dem einzigen dortigen Standorte, der bereits damals „der Kessel‘ genannt wurde, sowie Juncus trifidus L., und im Riesen- gebirge sammelte er im Mummelgrunde Platanthera viridis (L.) Ldl., die aller“ dings wohl schon vor ihm Schwenckfeld über den Schneegruben entdeckt hatte. Höchst wahrscheinlich endlich ist auch er es, der zuerst Salvinia natans (L.) All.?) bei Breslau aufgefunden hat. Sehr ansehnliche Reisen unter- nahm er dann in der Schweiz; dadurch verdanken wir ihm u. a. die Ent- deckung zweier jetzt jedem Alpenwanderer bekannten Pflanzen, Oxyria digyna (L.) Cmpd. und Artemisia Mutellina Vill.*), die er am grossen St. Bernhard bez. auf der Gemmi sammelte. So können wir wohl mit Recht annehmen, dass er der Wissenschaft noch ungleich grössere Dienste geleistet hätte, wenn er seinen Plan, die damals eben erst besiedelte Colonie Virginia auf ihre Flora hin zu durehforschen, zur Ausführung hätte bringen können, Doch starb er schon kurze Zeit nach seiner Ankunft, 1608, erst 26 Jahre alt, in Jamestown, damals der einzigen Stadt der jungen Colonie. Die Ergebnisse seiner dortigen Forschungen, wenn er überhaupt solche an- gestellt hat, sind völlig verschollen, kam doch selbst die Nachricht von seinem Tode seinen Angehörigen erst 5 Jahre später zu; auch von seinen früheren Leistungen wäre nichts bekannt, hätte nicht sein wackerer Lehrer Bauhin in seinem Prodromos gewissenhaft darüber berichtet. !) Ueber seine Schicksale giebt Henelius v. Hennenfeldt’s Silesia togata, (Handschr. v. Klose, 177, I, 217—19) einigen Aufschluss, seine wissenschaftlichen Leistungen sind nur aus Bauhin’s npööponog theatri botanici, Basel, 1620, zu er- kennen. ”) Pulsatilla apis folio vernalis flore maiore bezw. Anagallis aquatica angusti- folia scutellata Bauh., 1. c. p. 9% und 119; vgl. auch p. 11 u. 13. ®) Juncus alpinus bombycinus, Junc. acumine refleco trifidus, Orchis palmata flore viridi, Lenticula palustris latifolia punctata Bauh., p. 23, bz. 22, 30 u. 153. #) Acetosa rotundifolia alpina und Absinthium alpinum incanum Bauh., p. 55 u. 71, vgl. auch p. 97. 80 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Die Stürme des dreissigjahrigen Krieges wirkten bekanntlich wie auf das geistige Leben Deutschlands im allgemeinen so auch auf das Schlesiens höchst nachtheilig ein, und so ist es denn nicht zu ver- wundern, dass wir über schlesische Botaniker aus der Zeit des Krieges selbst überhaupt nichts und über solche aus dem nachfolgenden Jahr- hundert nur herzlich wenig erfahren. Zwar kennen wir die Namen einiger Schlesier, die damals in grösserem oder geringerem Umfange bo- tanische Studien betrieben haben, dass aber erfolgreiche eigene Forschungen von ihnen angestellt worden seien, insbesondere solche, die der Er- kenntniss der heimischen Flora dienen sollten, lässt sich nur von sehr wenigen nachweisen.‘) Wirklich bedeutendes hierin haben wohl nur zwei dieser Männer geleistet, Israel Volekmann und sein Sohn Georg Anton. Ueber die Schicksale derselben ist mir nicht viel mehr be- kannt geworden, als was bereits Göppert hierüber angegeben hat;?) die Quellen hierfür?) sind leider sehr unergiebig, besonders soweit es sich um den Sohn handelt, der doch der weitaus hervorragendere war. Israel Volekmann war 1636 zu Nikolstadt unweit Liegnitz geboren, verlor noch während der Wirren des dreissigjährigen Krieges, kaum acht Jahre alt, seinen Vater, wurde von seinem Vormunde nach mehrjährigem Besuche der Liegnitzer Stadtschule 1650 auf das Elisabethan zu Breslau geschickt und ging 1655 zum Studium der Mediein nach Leipzig, das er Anfang 1660 verliess, um in Padua seine Lehrjahre abzuschliessen. Nachdem er die Doctorwürde erlangt, kehrte er nach Liegnitz zurück, wo er eine ausgedehnte ärztliche Praxis ausübte. Seine freie Zeit scheint er ausschliesslich dem Studium der Botanik gewidmet zu haben, denn er hat nicht nur sich bemüht, durch eigene Anschauung die Pflanzen- welt der nächsten Umgebung von Liegnitz sowie dann auch vieler anderer Gegenden Schlesiens, insbesondere der Gebirge, kennen zn lernen, sondern auch im Laufe der Jahre eine sehr stattliche Anzahl exotischer Pflanzen in seinem Garten zum Blühen gebracht und sorgfältig beobachtet. Bald hatte er denn auch eine so ansehnliche Pflanzenkenntniss sich erworben, dass er den Plan fassen konnte, eine Zusammenstellung von sämmtlichen ihm bekannten Pflanzen zu verfertigen, die er in Form eines colorirten Prachtwerkes zu veröffentlichen gedachte. Der nach der Natur angefertigten Zeichnung einer jeden Pflanze sollten die Synonyme der ihm bekannten früheren Autoren, sowie die Angaben derselben über medieinische oder sonstige Verwendbarkeit hinzugefügt werden. Nachdem er so in den Jahren von 1666—1685 5 Foliobände !) Vgl. besonders Göppert in den schl. Provinzialbl., 1832, Bd. 96, 197-209. 2), 18.4205; ®) Wahrendorff, liegnitzische Merkwürdigkeiten, Liegnitz, 1724; Zedler’s Universallexikon. IL, 393; 1746. Schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur Ga ne 68. 11. Jahresbericht. Naturwissenschaftliche 1890, Abtheilung. nut Ir 9 von durchschnittlich 400 Blättern zusammengebracht, trat er von 1686 an die Fortführung des Werkes an seinen Sohn Georg Anton ab. Dieser, der im Jahre 1664 geboren war und, wie es scheint, schon sehr jung sich den Doctortitel erworben hatte, trat ganz in die Fusstapfen seines Vaters; auch er unternahm ausgedehnte Reisen in Schlesien, widmete aber seine Aufmerksamkeit auch der Thierwelt und dem Mineralreich, daneben trieb er eingehende prähistorische, numismatische und heral- dische Studien. Auch nach seines Vaters Tode, der 1706 eintrat, setzte der Sohn das Pflanzenwerk fort und schloss es endlich im Jahre 1710, nunmehr 10 Bände stark, ab. Er veröffentlichte noch ein Werk über Schlesiens Mineralschätze und prähistorische Funde: Silesia subterranea, Leipzig, 1720, ferner verschiedene kleine Abhandlungen über Insecten, exotische Pflanzen u. a. in den „Breslauischen Sammlungen,‘ und war eben im Begriff, ein Werk über die schlesischen Städtewappen zu ver- öffentlichen, als ihn 1721 der Tod an dem Abschluss der Arbeit ver- hinderte. Für das Werk, an dem Vater und Sohn fast 50 Jahre gearbeitet hatten, hatte sich, wegen der hohen Kosten, welche die Herausgabe er- fordert hätte, wohl auch wegen gewisser Mängel, die ihm anhafteten, hauptsächlich wohl aber wegen des damals noch immer sehr geringen Interesses an derartigen Werken kein Verleger finden lassen; es verblieb in des Sohnes Händen, nach dessen Tode es vielleicht zu Grunde ge- gangen wäre, wenn es nicht kurze Zeit darauf in den Besitz der dres- dener Hofbibliothek gekommen wäre. Es ist leicht möglich, dass dann mehr als ein Jahrhundert Niemand es mit wissenschaftlichem Interesse betrachtet hat, von den schlesischen Botanikern wenigstens erwähnte es keiner mehr mit Ausnahme von G. H. Burghardt in seinem ‚‚Iter sa- bothicum.‘“ Die kurze Notiz des letzteren hierüber!) konnte indess Göppert bei seinen eifrigen Forschungen über die Geschichte der schlesischen Floristik nicht entgehen, und um sich Gewissheit über den Verbleib des Werkes zu verschaffen, wandte er sich an den älteren Reichenbach mit der Bitte um Nachforschungen. Dieser ent- sprach nun zwar derselben, scheint aber nur dem 1. Bande seine u t) Burghardt, Iter sabothicum oder Reise auf den Zobtenberg, Leipzig, 1736. p. 126. 6 89 Jahresbericht der Schles. Geseilschaft für vaterl. Cultur. Aufmerksamkeit gewidmet zu haben, denn nur über diesen hat er an Göppert berichtet, und doch hätte ihm der grosse Unterschied zwischen diesem und den letzten sofort in die Augen fallen müssen. Hätte Göppert erfahren, dass durchaus nicht, wie Reichenbach ihm schrieb, jegliche Auskunft über spontanes Vorkommen der Pflanzen fehlt, vielmehr ganz genau festgestellt werden kann, welche Pflanzen wildwachsend beobachtet wurden, so hätte er gewiss sich persönlich von dem Inhalte des Werkes zu überzeugen gesucht. So aber begnügte er sich mit der Veröffent- lichung der erhaltenen Mittheilungen, und ausser dem Namen des Buches erfahren wir dann wieder in keiner späteren „Geschichte der schlesischen Flora“ etwas davon. Ich konnte mir nun aber nicht denken, dass in einem so umfangreichen Werke gar nichts auf die heimische Flora Bezügliches sich finden solle, und suchte mich selbst an Ort und Stelle von dem Werthe des Werkes zu überzeugen. Der 1. Band nun freilich, den natürlich auch ich zuerst durchblätterte, war gerade nicht danach angethan, mich zu näherer Untersuchung zu er- muthigen, denn in buntem Gewirr finden sich zwischen den meist recht sauber ausgeführten Zeichnungen cultivirter Pflanzen eine Menge Ab- bildungen heimischer Pflanzen, von denen wenigstens ein Theil recht flüchtig ausgeführt ist und von strengen Richtern wohl gar als Sudeleien bezeichnet werden würde. Als ich aber dann, da ich hier jeglichen Aufschluss über den Plan des Werkes vermisste und solchen wenigstens in einem Schlussworte vermuthete, den letzten Band vornahm, änderte sich beim Anblick der in diesem enthaltenen Abbildungen, von denen einige kaum von einem Künstler übertroffen werden könnten, meine Meinung vollständig, zumal da hier wirklich auch ein Nachwort vor- handen ist. Georg Anton berichtet darin, nach einer etwas in die Breite gehenden Einleitung über den Werth und die Würde des botani- schen Studiums, wie sein Vater seit 1662 sich mit dem Gedanken des vorliegenden Werkes getragen, und welche Anstrengungen er zum Zu- standekommen desselben gemacht habe, wie dann er selbst, vom Vater von früh auf in dessen Studien eingeführt, das Werk von 1685 ab im Sinne desselben fortgeführt und zu diesem Zwecke Reisen nicht blos in der Nähe von Liegnitz, sondern auch mehrfach auf den Gröditzberg, Probsthainer Spitzberg, Zobten, die Striegauer Berge und das Riesen- gebirge unternommen habe. Sein Vater habe im allgemeinen nicht hervorgehoben, welche Pflanzen spontan und welche nur in Cultur von ihm beobachtet worden seien; er selbst habe aber dann nachträglich in den von jenem verfassten ersten 5 Bänden gleichwie auch in seinen eigenen Arbeiten die in Schlesien wildwachsenden durch ein beigefügtes Sternchen gekennzeichnet. Ferner habe er, gleich seinem Vater, den abge- bildeten Pflanzen ausser den Angaben über ihren Gebrauch noch eine Auf- zählung sämmtlicher bekannten Synonyme beigefügt. Er habe zwar auch ein II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 83 Pflanzenverzeichniss nach eigenen Grundsätzen über die Systematik angefer- tigt, doch aus Zweifeln an der Richtigkeit derselben von einer Veröffent- lichung Abstand genommen. Es folgten sodann ziemlieh ausführliche, doch für uns belanglose Abhandlungen über die Bezeichnungsweisen der Pflanzen, sowie deren einzelner Theile und zum Schluss eine Aufzählung der Pflanzengattungen nach dem Tournefort'schen Systeme, die indess für eine Herausgabe des Werkes werthlos bleiben musste, da keine Register für die sämmtlichen in den 10 Bänden abgebildeten Pflanzen mit Beziehung auf dies System angelegt waren. Durch jene Hervorhebung der wildwachsend beobachteten Pflanzen seitens des Sohnes sind wir also in Stand gesetzt, genau festzustellen, wie weit sich dessen Kenntniss der heimischen Flora erstreckt hat. Doch auch der ältere Volckmann scheint den Werth der Unterscheidung zwischen wildwachsenden und cultivirten Pflanzen wohl eingesehen zu haben ; bei einigen Riesengebirgspflanzen hat er ausdrücklich deren Ur- sprungsort angegeben und eine Zeitlang sogar den Versuch einer völligen Trennung der beiden Gruppen gemacht. Den 2. Band wenigstens theilte er in zwei Abtheilungen, deren zweite nur wildwachsende Pflanzen ent- halten sollte. Die Abbildungen der letzteren sind nun zwar, gleichwie in den andern von ihm ausgearbeiteten Bänden, oft recht flüchtig, lassen aber doch fast immer mit Sicherheit die gemeinte Pflanze erkennen. So ersehen wir denn, dass unser Freund das ganze Jahr hindurch von Ende Februar bis in den Spätherbst hinein seine freie Zeit neben der Pflege seiner bevorzugten exotischen Lieblinge den Forschungen nach den heimischen Gewächsen widmet und durch baldige Abbildung des gesammelten Materials, unter ziemlicher Innehaltung der chronologischen Reihenfolge, Rechenschaft üher seine Beobachtungen ablegt. Da er überall, auf Schuttplätzen und Brachen, zwischen Getreide und auf Stoppelfeldern, auf Wiesen und an Fluss- und Grabenrändern, in Ge- büschen und Wäldern beobachtet, so treffen wir natürlich eine grosse Mannigfaltigkeit des Materials an, und wenn auch die meisten Pflanzen zu den im Gebiete häufigen zählen, sind doch eine Anzahl von unserem Gewährsmann in Schlesien zuerst beobachtete darunter. Mit Sicherheit sind dies: Barbaraea siricta Andrz., Cucubalus baccifer L., Vieia tetra- sperma (L.) Mnch., Asitrantia maior L., Berula angustifolia (L.) Koch, Lac- luca Scariola L., Sonchus oleraceus L.; anscheinend auch noch Ranunculus sardous Ctz., Callitriche stagnalis Scp., Hieracium cymosum L. und Aspidium spinulosum Sw. Uebrigens sind auch schon in dem 1. Bande durchaus nicht, wie Reichenbach an Göppert berichtete, sehr wenige wild- wachsende Pflanzen abgebildet, sondern unter den ungefähr 400 Nummern gehören gegen 60 hierher. Der Umstand, dass auch Geum montanum L. und einige andre Gebirgspflanzen schon hier abgebildet sind, spricht dafür, das V. schon sehr früh auch im Riesengebirge botanisirt hat. 6* 84 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Hervorgehoben zu werden verdient auch, dass er den Pflanzenmiss- bildungen in erheblichem Grade seine Aufmerksamkeit schenkte; im 5. Bande finden sich Gallen an Eichen, Rüstern, Pappeln und Weiden abgebildet und im 2. Bande, II, 58 Glechoma hederaceum L. mit der Galle von Ailax Glechomatis. Viel wichtiger aber, wie schon bemerkt, sind die Arbeiten des Sohnes; seine Abbildungen zeichnen sich sämmtlich durch grosse Ge- nauigkeit aus, einige können geradezu als künstlerisch ausgeführt be- zeichnet werden. Dazu kommt, dass er in den letzten Bänden bei der grossen Mehrzahl sowohl der einheimischen wie der exotischen Pflanzen ausreichende Angaben über ihr Vorkommen macht, sowie dass er die Synonyme viel sorgfältiger als sein Vater untersucht hat, so dass er hierin nur selten gröbere Verstösse begeht. Wäre das ganze Werk in derselben Weise durchgeführt, so wäre es der Veröffentlichung sicher ebenso würdig gewesen als nur irgend eines der gleichzeitigen ähn- lichen. Besonders genau sind die Angaben über Standorte aus dem Riesengebirge und seiner Umgebung; hier finden wir: Thalictrum aquilegi- Jolium (IV, 308), Comarum palustre L. (IV, 323) und Pedicularis palustris L. (IV, 340) von Warmbrunn, Mulgedium alpinum (L.) Cass. von der Danielsbaude auf der höchsten Gebirgswiese (IV, 234: wohl die heutige Wiesenbaude!), Homogyne alpina (L.) Cass. (V, 97) und Melandryum rubrum Gcke. (1X, 190) von der oberen Baude, Bartschia alpina L. (IX, 43), Achillea Millefolium, v. alpestris W. Gr. (IX 277), Andromeda polifolia L. (IX, 47) vom kleinen Teich, letztere sowie Pedicularis sudetica Wild. (IX, 99) auch vom grossen Teich; von diesem allein auch noch Sweertia perennis L. und Veronica bellidioides L., aus dem Riesengrund Achyro- phorus alpinus Bluff (VIII, 208), vom Kämmel am Zugang zum Teufels- grund (dem heutigen Kammel oder Kameel) Empetrum nigrum L. (IX, 50) und Pulsatilla alpina (Z.) Del. (IX, 225), endlich ohne nähere Bezeichnung die letztere noch einmal (I, 367), wie überhaupt mehrere Pflanzen wiederholt abgebildet sind, dann Ranunculus aconitifolius L. (IV, 229), Actaea spicata L. (IV, 226), Geum montanum L. (I, 332), Arckangelica offieinalis Hfm. (IV, 191), Chaerophyllum hirsutum L. (IV, 298), Adeno- styles Alliariae Kern. (IV, 230), Petasites albus Mn. (V, 95), Carduus Per- sonata Iqun. (IX, 294), Centaurea Pseudophrygia Mey. (VII, 103), weiss- blüthige Campanula Trachelium L. und C. persicifolia (VI, 246 und 247), Gentiana asclepiadea (VI, 250), Primula minima L. (VI, 33), Rumex arifolius All. (I, 308), Salic Lapponum L. (VI, 224), Veratrum Lobelianum Bhdi. (VIII, 93), Lycopodium annotinum L. (IX, 340) und Ceterach offi- cinarum Wild. (IX, 338); letztere Angabe freilich ist recht unwahrschein- lich und beruht vielleicht auf einer Verwechslung mit Blechnum Spicant (L.) Wih., obgleich die Abbildung zweifellos Ceterach vorstellt. II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 55 Die Gesammtzahl der aufgeführten einheimischen Pflanzen, deren ich im Ganzen etwa 600 zählte, bleibt freilich hinter der Schwenck- feldt’schen bedeutend zurück, doch kommt dies nur daher, dass die Verfasser der Phytologia den Gräsern und Riedgräsern nur geringe Auf- merksamkeit geschenkt haben; auch habe ich die ziemlich zahlreich an- geführten Pilze ausser der Berechnung lassen müssen, da ich nur einige der- selben mit Sicherheit erkannte. Die Zahl der Arten, welche unsere Autoren für Schlesien zuerst beobachtet haben, ist gar nicht unbedeutend; mit Sicherheit sind als solche aufzuführen: Ranunculus divaricatus Schrk. (IV, 334), Barbaraea stricta Andrz. (II, 54), Erysimum hieracifolium L, (IV, 320), Teesdalia nudicaulis R. Br. (VII, 355), Dianthus deltoides L. (1, 128) Cucubalus baccifer L. (Il, 164), Radiola linoides Gm. (IV, 289), Vicia ietra- sperma (L.) Mnch. (IL, 98), V. sepium L. (I, 290), Epilobium parviflorum Schrb. (IX, 115), Portulaca oleracea L. (IV, 187), Sedum villosum L. (IX, 165), Astrantia maior (UI, 165), Berula angustifolia (L.) Koch (II, 40), Chaero- phyllum bulbosum L. (IV, 157), Carduus Personata Jqu. (IX, 294), Achyro- phorus uniflorus (Vill.) Bluff (VIII, 208), Lactuca Scariola L. (II, 76), Sonchus oleraceus L. (Il, 77), Monotropa Hypopitys L. (IX, 5), Datura Stramonium 1.1, 239), LDinarıa ‚minor, (L.) Dsf. (IV, . 292),, Z. EBlatine, (L.), Mill. (IX, 85), Veronica longifoka L. (IV, 255), V. spuria L. (IV, 256), V. bellidioides (IX, 3), Bartschia alpina L. (IX, 43), Galeopsis Ladanum L. (IX, 96). Utricularia vulgaris L. (IV, 333), Galanihus nivalis L. (I, 2) und Acorus Calamus L. (VI, 363). Zweifelhaft bleiben Ranunculus sardous Ctz. (II, 90), Geranium dissectum L. (I, 360), Myriophyllum verticillatum L. (IV, 327), Callitriche stagnalis Scp. (Il, 6), Hieracium cymosum L. (II, 101), H. Auricula L. (IX, 265), Veronica Tournefortü Gm. (Il, 1), Polygonum minus Hds. (IV, 310), Aspidium spinulosum Sw. (II, 136) und Ceterach offi- cinarum Wild. (IX, 338). Hierzu treten noch eine Anzahl Pflanzen, die sicher oder doch sehr wahrscheinlich nur verwildert beobachtet worden sind, nämlich Clematis Vitalba L. (IV, 207), Lepidium sativum L. (IV, 318), Althaea officinalis L. (II, 176), Vicia monanthos (L.) Koch (IX, 147), Semper- vivum arachnoideum L. (IV, 101), Specularia Speculum (L.) DC. (IV, 184), Ligustrum vulgare Z. (IV, 118), Linaria Cymbalaria (L.) Mill. (Il, 148) und Fagopyrum esculenium Mnch. (IV, 248). Von den oben genannten Pflanzen hat freilich wohl auch schon Schwenckfeld manche beobachtet, doch hat er sie nicht mit hinreichender Bestimmtheit von nahe ver- wandten Arten geschieden. — Auffällig ist, dass die Abbildungen einiger Pflanzen, die wenigstens in gewissen Theilen Schlesiens jetzt ziemlich häufig oder selbst gemein sind, wie Pastinaca officinalis L. und Asparagus officinalis L. ohne Sternchen gelassen sind, diese also anscheinend nicht wildwachsend beobachtet worden sind. Ausdrücklich muss ich noch bemerken, dass es mir leider bei der Kürze der mir in Dresden zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich 86 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. war, das gesammte Werk mit voller Gründlichkeft durchzusehen: ein genaueres Studium liefert vielleicht noch manchen interessanten Beitrag zur heimischen Pflanzerkunde. Aus dem Gesagten ergiebt sich wohl zur Genüge, dass wir in der Phytologia magna zwar kein Werk von hervorragendem allgemein wissenschaftlichem Werthe vor uns haben, doch ein solches, welches für die Erkenntniss der allmählichen Erforschung der schlesischen Flora von hohem Werthe ist, und gewiss wird sich in jedem Freunde der- selben der schon von Göppert geäusserte Wunsch regen, dass sich Mittel finden lassen möchten, es in sein Heimathsland wieder zurück zu erwerben. Herrn Oberbibliothekar Professor Schnorr v. Carolsfeld, der mir nicht nur in Dresden das gesammte Werk zur Verfügung stellte, sondern auch einige Bände desselben mir nach Breslau überliess, so dass ich sie in der Sitzung der botanischen Section vorlegen konnte, sowie Herrn Oberbibliothekar Professor Marggraff und Herrn Biblio- thekar Frenzel spreche ich für ihre freundliche Unterstützung meinen besten Dank aus. Herr Professor Stenzel knüpfte an seine früher gemachten Mitthei- lungen über Fruchtformen des Bergahorns, Acer Pseudoplatanus,') zunächst die Bemerkung an, dass auch beim Ahorn reiche Frucht- jahre mit ganz fruchtarmen wechseln, wie das von unseren Obstbäumen bekannt und vom Vortragenden auch bei der Fichte wiederholt in aus- gezeichneter Weise beobachtet worden ist. Während die sehr zahl- reichen Bäume des Bergahorns um Wölfelsgrund im Sommer 1888 mit Früchten dicht behängt waren, war im Sommer 1889 auf keinem der- selben auch nur eine Frucht zu entdecken. Ueberall unter ihnen namentlich an den Böschungen der Waldwege sprossten zahlreiche Keimpflanzen hervor, wahrscheinlich von vorjährigen Früchten ; denn die vielfach verbreitete Ansicht, dass diese mehrere Jahre im Boden liegen müssen, ehe sie keimen, bedarf gewiss mindestens einer erheblichen Einschränkung. Auch Wichura (diese Jahresber. 1856, S. 57) giebt an, dass Ahornfrüchte mindestens 2'/, Jahre dazu brauchen. Ich habe aber wiederholt an den noch an der Keimpflanze hängenden Fruchthüllen den Flügel so vollständig erhalten gefunden, wie er es sicherlich nach so langem Liegen — mindestens 3 Winter, nicht, wie !) Jahresbericht der schles. Ges. 1889, S. 150. Hier muss es heissen: $. 151, Zeile 8 von oben vierflügligen, statt vierstachligen. Ebenso in dem Bericht über gefüllte Blüthen von Cycelamen, das. S. 159, Z. 9 von oben 1889 statt 1890; 159, = 19 =» - Blumenkronzipfel statt -gipfel; « 159, = 14 von unten Staubbeuteln statt Staubbeutel. W II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 87 durch ein Versehen in der angeführten Stelle steht, 2 Winter — an der Oberfläche des nassen Waldbodens oder gar in demselben nicht mehr gewesen sein würde. Es wäre gewiss wünschenswerth, dass diese Frage durch Versuche einmal sicher festgestellt würde. Beim Spitzahorn, Acer platanoides, habe ich mich inzwischen durch fortgesetzte Beobachtungen davon überzeugt, dass die Früchte doch etwas veränderlicher sind, als ich früher annahm. Bei der grossen Mehrzahl stehen allerdings die Flügel unter sehr stumpfem, nicht selten unter gestrecktem Winkel von einander ab. Besonders bei jungen Früchten fanden sich aber unter einigen Bäumen der Breslauer Prome- nade die Flügel fast rechtwinkelig vorn gegen einander geneigt, während durch allmähliche Zurückkrümmung derselben beim Weiterwachsen dieser Winkel meist in einen ziemlich stumpfen überging und nur selten bis zur Reife nahezu erhalten blieb. Auch sind die Flügel bald linealisch, bald nach vorn stark verbreitert; ibr Rücken bald gerade, auch wohl etwas gewölbt, häufiger durch Rückwärtskrümmung des Endes hohl. Besonders merkwürdig aber war die Fruchtbildung in einer Blüthe deren Kelch noch deutlich genug die kaum halbreifen Früchte unten ringsum einschloss, um deren Ursprung aus einer Blüthe zu beweisen. Die eine war eine gewöhnliche Doppelfrucht, deren Flügel, noch etwas stärker gegen einander geneigt, als bei den anderen Früchten desselben Baumes unter der Liebichshöhe an der Breslauer Promenade, kaum einen rechten Winkel mit einander bildeten; über der Naht mit einem schon trockenen, aber zwei deutliche Narben tragenden Griffel. Die zweite Frucht dagegen war eine einfache und glich fast ganz einer der beiden Theilfrüchte der ersten. Das Auffallende war, dass sie in einer und derselben Ebene mit diesen stand und ihre Bauchnaht der Rücken- fläche der einen derselben zukehrte. Ihr flach linsenförmiges Frucht- fach war, so weit es sich an diese Rückenkante anlegte, geradlinig be- grenzt, dann aber nach vorn bis zum Vorderrande des Flügels hin ge- wölbt und trug hier einen dünnen Griffel mit einfacher Narbe. Es war daher im Umriss fast kreisruud. Nach aussen schloss sich ein, denen der ersten Frucht ganz ähnlicher Flügel an, welcher, seine Rück- seite nach aussen, seinen dünnen Bauchrand dem Rücken der anliegen- den Theilfrucht zuwendete und mit dieser etwa einen rechten, mit der anderen einen gestreckten Winkel bildete. Es schliesst sich diese Bildung an das von Buchenau bei Acer platanoides (Bot. Ztg. 1861, 8. 274, Anmerk.) beobachtete Vorkommen zweier parallel neben einander stehender, aus einer und derselben Blüthe entsprungener Früchte an und noch mehr dem von mir (dies. Jahresberichte 1889, $. 150) bei Acer Pseudoplatanus gefundenen zweier in eine Ebene fallenden Früchte an. Bei diesen beiden waren aber beide Früchte vollständige zweiflügelige 88 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Doppelfrüchte, während hier die eine Frucht nur ein Fruchtfach mit einem Flügel hat. Es ist nun nicht uninteressant, bei dieser zu sehen, wie die Neigung zur Bildung eines einseitigen Flügels, also einer ganz unsymmetrischen Frucht, beim Ahorn schon so erblich befestigt ist, dass auch eine einfache, für sich entwickelte Frucht nur nach einer Seite sich in einen Flügel fortsetzt. Endlich habe ich beim Feldahorn, Acer campestre, an ver- schiedenen Stellen unsere Promenade äreiflüglige Früchte gefunden, welche bis jetzt meines Wissens noch nicht beobachtet worden sind. Sie waren aber nicht seltener, als beim Spitzahorn, und mögen bisher nur übersehen worden sein. Bei einer noch ganz jungen Frucht an einem niedrigen Baum am Fusse der Liebichshöhe standen alle drei Flügel unter gleichen Winkeln von einander ab; der Griffel trug drei eingetrocknete und zurückgerollte, aber noch ganz deutliche Narben. Aehnlich war eine ältere von der Ziegelbastion. Bei einer dritten aber bildeten zwei Theilfrüchte einen gestreckten Winkel, und die dritte stand rechtwinkelig von ihnen ab — alles ähnlich wie bei den Früchten der beiden anderen einheimischen Ahornarten. Hierauf legte Geheimrath Ferdinand Cohn das soeben erschienene Werk von Prof. Dr. Conwentz: Monographie der Baltischen Bernsteinbäume, mit 18 Tafeln, Danzig 1890, vor. Dasselbe schliesst sich als dritter Band an die von Göppert und Menge zur Bearbeitung übernommene „Flora des Bernsteins und ihre Beziehungen zur Flora der Tertiär- formation und der Gegenwart.“ Göppert brachte ein Jahr vor seinem Tode (1883) den ersten Band dieses Werkes zur Veröffentlichung, der eine Monographie der Coniferen des Bernsteins lieferte und von 15 Tafeln erläutert ist. Die Bearbeitung der übrigen Phanerogamen übernahm Göppert’s Schüler und früherer Assistent H. Conwentz, der nach seiner Berufung als Director des westpreussischen Provinzial-Museums zu Danzig in den Besitz des dort befindlichen, überaus reichen Bernstein- materials gelangt war. 1886 erschien seine Bearbeitung der Angio- spermen des Bernsteins mit 13 farbigen Tafeln. Bevor jedoch die Kryptogamen als letzter Band des grossartigen, von der Naturforschenden Gesellschaft in Danzig mit Unterstützung des westpreussischen Provinzial- landtages herausgegebenen Prachtwerkes erschien, sah sich Conwentz zu einer monographischen Bearbeitung der Anatomie und Biologie der- jenigen Bäume veranlasst, deren Harz den baltischen Bernstein oder Suceinit darstellt. Es sind dies dem unteren Oligocaen angehörende Coniferen, unsern Fichten und Kiefern verwandt, deren Holz eine Unter- scheidung mehrerer Arten, wie sie Göppert versucht hatte, nicht ge- stattet und die daher von Conwentz sämmtlich als Bernsteinbäume II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 89 (Pinus succinifera) bezeichnet werden. Ausser Holz finden sich in Bern- stein Nadeln, Blüthen und Zapfen von Coniferen, unter denen fünf ver- schiedene Arten unterschieden werden konnten. Während die früheren Beobachter vom Holz der Bernsteinbäume nur unvollständige mikrosko- pische Bilder erlangen konnten, glückte es Conwentz, durch die zuerst von ihm für den Bernstein benutzte Methode der Dünnschliffe, Quer-, Radial- und Tangentialschnitte des Bernsteinholzes von grösster Voll- kommenheit zu erlangen, welche über seinen anatomischen Bau vielfach neue Aufschlüsse gewährten. Es ergab sich hierbei, dass das Holz der Bernsteinbäume ausnahmslos nur in mehr oder weniger verrottetem Zustande erhalten ist. Vergleichende Studien, die Conwentz in den noch erhaltenen Urwäldern Europas anstellte, ergaben als Ursache dieser Zersetzung die nämlichen Pilze, welche noch in der Gegenwart unsere Nadelwälder verwüsten und Zersetzungen des Holzes veranlassen. Ausserdem zeigten sich auch im Bernsteinholz Fressgänge von Insecten mit deren Mikrokoprolithen. Professor Conwentz hatte dem Vor- tragenden eine Anzahl dieser Dünnschliffe überlassen, welche unter dem Mikroskop demonstrirt werden konnten. Sie zeigten deutlich, dass die Tracheiden des Bernsteinholzes äusserst dünnwandig sind, indem ihre Verdickungsschichten durch die Hyphen parasitischer Löcherschwämme, besonders Trametes Pini, durchbohrt und dann aufgelöst waren. Von den parasitischen lassen sich die saprophytischen Pilze, die sich erst nachträglich im verrotteten Holze entwickelten, unterscheiden; ebenso die Frassspuren der Holzinsecten und die von Conwentz entdeckten eigenthümlichen Verschlüsse der mit Bernsteinharz erfüllten Harzgänge, welche sich in grosser Zahl im Holze nachweisen lassen. Diese Ver- schlüsse sind durch Thyllenbildung, d. h. durch Aussprossen des den Harzgang umkleidenden Zellgewebes, bewirkt. In der neunten Sitzung vom 27. November machte Professor Stenzel folgende Mittheilung über: zweizählige Orchideenblüthen, deren Bau er an stark vergrösserten Abbildungen, namentlich von Goo- dyera repens, von der auch getrocknete Pflanzen mit zweizähligen Blüthen vorgelegt wurden und an Diagrammen erläuterte, Nachdem ich im Sommer 1888 bei Wölfelsgrund eine zweizählige Blüthe bei Platunthera bifolia gefunden hatte, welche, wie es scheint, mit keiner der bis jetzt bekannt gewordenen zweizähligen Orchideenblüthen ganz übereinstimmte (diese Jahresber. 1888, S. 161 f.), habe ich in dem- selben Sommer sehr zahlreiche Blüthenähren von Orchis maculata ver- gebens nach einer ähnlichen Bildung durchsucht, und im Sommer 1889 fand ich fast alle Orchideen um Wölfelsgrund bereits verblüht. 90 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Erst in diesem Jahre konnte ich eine grössere Zahl der Btüthen von Goodyera repens durchsehen, welche in dem Walde zwischen dem Waldtempel und dem Schollenstein bei Landeck in der Grafschaft Glatz an mehreren Stellen sich über ganze Flächen ausgebreitet hat. An den etwa 200 geöffneten unteren Blüthen von 45 Aehren, an denen im Glase noch gegen 100 aufblühten, fand ich, Ende Juli, freilich keine Ab- weickung, und unter 1100 unteren und mittleren Blüthen in 106 weiteren Aehren fanden sich Anfang August zunächst auch nur 2, welche durch das vollständige Fehlen der Unterlippe, des Labellums, auffielen. Bei den regelmässigen Blüthen war der Fruchtknoten gar nicht oder nur so wenig gedreht, dass die Blüthen nicht, wie die unserer meisten Orchideen umgewendet waren, sondern dass die ursprüngliche Unterlippe auch unten stand. Sie ist von den aussen fein behaarten Kelchblättern nicht nur, wie auch die beiden oberen Blumenblätter, durch ihre kahle Oberfläche unterschieden, sondern auch durch die sackartige Aushöhlung ihres breiten unteren Theils, welcher so eine Art kurzen Sporns bildet, an welchen sich nach vorn nur eine kleine, nach unten gebogene Spitze ansetzt. Die beiden seitlichen Kelchblatter sind nun auch, so weit sie sich an den sackartigen Sporn aussen anlegen, nach unten halbkreis- förmig verbreitert und hohl, so dass sie ihn ganz einschliessen, und vorn plötzlich in eine lanzettliche Spitze verschmälert. Die beiden kahlen und sehr zart durchscheinenden oberen Blumenblätter aber sind nach oben gewendet und berühren einander dort nicht nur der ganzen Länge nach mit den Rändern, sondern liegen auch so dicht an der Innenfläche des oberen Kelchblattes an, dass man sie von demselben besonders loslösen muss. Von diesen 6 Blättern fehlte nun in den beiden oben berührten Blüthen die Unterlippe spurlos, während die 3 Blätter der Oberlippe oder des Helmes nicht verändert waren und auch der Frucht- knoten wie gewöhnlich von 3 Fruchtblättern gebildet war. Dass aber die Unterlippe nicht etwa bloss durch einen Zufall abgebrochen oder durch ein Insect abgefressen worden war, ging nicht allein daraus hervor, dass keine Spur eines Ueberrestes oder auch nur einer Narbe an ihrer Stelle zu finden war, sondern mehr noch daraus, dass die beiden unteren Kelchblätter bei der einen Blüthe kaum merklich, bei der anderen gar nicht nach unten verbreitert, sondern gleichförmig eilanzettlich und nur so flach gewölbt waren, wie das obere Kelch- blatt. Hieraus geht mit Sicherheit hervor, dass die Unterlippe ent- weder gar nicht angelegt worden oder schon in der ersten Anlage ver- kümmert ist. Nach einigen Tagen war eine Menge weiterer Blüthen aufgeblüht, und unter diesen auch 3 zweizählige, scheinbar endständige Blüthen; da sie aber von einem Tragblatt gestützt waren wie die anderen und die Spirale der Blüthenähre nach oben abschlossen, sind sie wohl nur il. Naturwissenschaftliche Abtheilung, 91 als die obersten Seitenblüthen aufzufassen. Sie waren, wie die obersten Blüthen in der Regel, etwas kleiner als die vorhergehenden, sonst aber ganz regelmässig ausgebildet. Die Oberlippe war etwas schlanker, unterschied sich aber sonst nicht von der der gewöhnlichen Blüthen. An das äussere fein behaarte Kelchblatt waren innen die zwei seitlich stehenden, aber nach oben zusammenneigenden Blumenblätter fest an- gedrückt und berührten sich der ganzen Länge nach mit den einander zugewendeten Rändern in einer senkrechten geraden Linie, während der Aussenrand stark gekrümmt war, so dass beide Blätter auch hier deutlich ungleichseitig ausgebildet waren. Sie lagen so eng aneinander, dass man von vorn das hinter ihnen stehende obere Kelchblatt so wenig wie in der gewöhnlichen Blüthe sehen konnte. Diesem gerade gegen- über, also an der Stelle der Unterlippe, stand das zweite Kelchblatt, dem oberen ganz ähnlich gebildet; hinter ihm, wie gewöhnlich, die Narbe mit dem Staubgefäss. Der Fruchtknoten dagegen ist wieder nur von 2 Fruchtblättern gebildet, einem etwas schmäleren unter dem oberen, einem etwas breiteren unter dem unteren Kelchblatt, daher mit 2 seitlichen Samenträgern, Diese Blüthen stimmen demnach mit der anfangs erwähnten zwei- zähligen untersten Blüthe einer Aehre von Platanthera bifolia überein: die beiden Kelchblätter median oben und unten; die beiden Blumen- blätter seitlich, aber oben zusammenneigend, nur 1 Staubgefäss, aber ein zweizähliger Fruchtknoten. Sie sind daher bis auf das Staubgefäss durchgehend zweizählig, aber noch ausgesprochen zweilippig oder zygo- morph, wodurch sie sich von allen anderen zweizähligen Orchideenblüthen mit medianem Kelch und transversalen Blumenblättern unterscheiden; denn selbst bei den von Röper beobachteten obersten Blüthen von Orchis latifolia scheinen die quer stehenden Blumenblätter auch seitlich abstehend und die Blüthe, mit Ausnahme des einen Staubgefässes, pe- lorisch gewesen zu sein; wenigstens erwähnt er nichts von einem Zu- sammenneigen derselben nach oben. Indess giebt er auch das Gegentheil ' nicht an, und wenn eine grössere Zahl solcher Blüthen bei dieser Art gefunden werden sollte, würden wir wohl annehmen können, dass sie mit jenen in diesem Punkte übereinstimmen. Dass aber bei den tropischen Baum-Orchideen die zweizähligen Blüthen meist aktinomorph sind, namentlich ihre Blüthenhülle, rührt vielleicht daher, dass sie nicht so streng, wie die der Erd-Orchideen, gegen die Schwerkraft orientirt sind, was sich dann bei einer einmal eintretenden Störung der angeerbten Symmetrie geltend macht. Ihre Stelle unter den bisher bekannt gewordenen zweizähligen Orchideenblüthen würde sich in folgender Uebersicht anschaulich machen lassen, wenn wir mit Magnus, welchem wir die Beobachtung der 99 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. grössten Zahl an solehen verdanken, den obersten Eintheilungsgrund von der Stellung der Perigonblätter hernehmen: A. Kelchblätter median, Blumenblätter lateral. I. Blumenblätter den gewöhnlichen oberen Bl.') gleich, nach oben ° zusammenneigend und symmetrisch; die Blüthenhülle demnach nicht pelorisch, sondern zygomorph, der gewöhnlichen dreizähligen Blüthe noch am nächsten stehend. Goodyera repens; Platanthera bifolia; (Orchis latifolia? beobachtet von Röper.) II. Blumenblätter den gewöhnlichen oberen gleich, einander entgegen gerichtet, daher die Blüthenhülle pelorisch. 1. Ein (oder kein) Staubgefäss. (Orchis latifolia? n. Rö per.) Brassia Lorreana (n. Penzig); B. Keiliana (n. Freyhold), Wahrscheinlich gehören hierher noch manche der be- bekannt gewordenen zweizähligen Blüthen; doch ist in der Beschreibung derselben bald der eine, bald der andere hier in Betracht kommende Umstand nicht angegeben; so bei Aerides quinguevulnerum (n. Magnus); Cattleya cf. Forbesü (n. » Dumortier); Epidendron cochleatum (n. Magnus); Calanthe vestita (M. Masters); Odontoglossum Alexandrae (n. dems.). 2. Zwei Staubgefässe: Cypripedium candidum (n. Asa Gray); die einzige bekannte durchgehend zweizählige Orchideenblüthe: 2 mediane Kelchbl., 2 transv. Blumenbl., 2 mediane Staminodien, 2 transv. Staubgefässe, 2 mediane Fruchtblätter. III, Blumenblätter gleich der gewöhnlichen Unterlippe gestaltet; Blüthenhülle pelorisch. Phajus Wallichü (n. Magnus); Cattleya Perrini (n. dems.); Epidendron Stamfordianum (n. dems.); E. falcatum (n. dems.); E. armeniacum (n. dems.); E. cochleatum (n. dems.). Vielleicht gehören hierher auch die von Prillieux beobachteten Blüthen von E. Stamfordianum und Cattley amethystina. B. Kelchblätter lateral, Blumenblätter median. I. Blumenblätter ungleich, nur das untere gleich der gewöhnlichen Unterlippe; Blüthenhülle zygomorph. “is; *) Ich bezeichne die Lage der Blüthentheile nach ihrer Lage in der natür- lichen, gewöhnlich umgewendeten Blüthe. Il. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 95 1. Staubgefäss fehlt. Epidendron Stamfordianum (n. Magnus); E. cochleatum (n, dems.); Phajus Wallichii (n. dems.). 2. Staubgefäss 1. Cypripedium Sedeni (n. Moore). 3. Staubgefässe 3, Cypripedium barbatum (n. Magnus). II. Blumenblätter gleich, beide wie die gewöhnliche Unterlippe ge- staltet; Blüthenhülle pelorisch. Odontoglossum tripudians (n. M. Masters). Diese Zusammenstellung kann einen Ueberblick über die wich- tigsten Formen dieser Blüthen geben; leider wird sie weder vollständig noch überall sicher sein; denn vielfach fehlen Angaben namentlich über die Staubgefässe und den Fruchtknoten, zuweilen selbst darüber, ob die Blüthentheile median oder lateral gestellt sind, und nur für Brassia Lorreana ist es mir durch die bekannte Gefälligkeit des Herrn Prof. Penzig in Genua gelungen, die erbetene Auskunft zu erlangen. Vielleicht kann ich später einmal eine vollständige Uebersicht geben, in welcher dann auch die unvollständig bekannten Fälle und die nöthigen Literatur- nachweise ihren Platz finden würden. Hierauf legte Herr Bürgerschullehrer Limpricht mehrere neue Moose vor: Andreaea Huntü Limpr., von F. Kern im Riesengebirge am Aupafall gesammelt; Limnobium eugyrium Br. u. Sch., zuerst von Victor Schiffner an der Kesselkoppe, darauf von F. Kern am Aupafall ge- funden. Grimmia Ryani Limpr., eine norwegische Art, von Kaurin und Ryan bei Jotunheimen nahe Leirungsboden in Norwegen entdeckt. Endlich ein Polyirichum (Pogonatum) decipiens Limpr.; aufgefunden wurde diese Art im Riesengebirge bei Marienthal von Fräulein Helene Lettgau, welche sich seit längerer Zeit in wissenschaftlicher Weise mit der Moosflora unserer Provinz beschäftigt und Herrn Limpricht bei seiner Bearbeitung der Moose für die Rabenhorst’sche Krypto- gamenflora von Deutschland u. s. w. schon vielfach schätzbare Dienste geleistet hat. Auch das hiesige botanische Museum ist dieser Dame, sowie Frl. Dyrenfurth zu Danke verbunden für die geschmackvolle und lehrreiche, äusserst sorgsam ausgeführte Aufstellung der Moose in der für die Kryptogamen bestimmten Abtheilung. Hierauf wurden der Section durch Herrn Professor Ferdinand Cohn mehrere soeben erschienene Arbeiten von jüngeren Forschern vorgelegt, die in Breslau studirten, während dieser Zeit an den Sitzungen der botanischen Section theilnahmen und in ihnen fruchtbare Anregung und mancherlei Förderung empfingen. Von Dr. Oscar Kirchner, Professor der Botanik an der landwirthschaftlichen Akademie Hohen- 94 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. heim: Die Krankheiten und Beschädigungen unserer landwirthschaftlichen Culturpflanzen, ein Buch, welches für alle, die sich mit der Cultur der landwirthschaftlichen Gewächse befassen, von hohem Werthe ist, da es sich nicht darauf beschränkt, zu lehren, wie man die Krankheiten er- kennt, sondern überall mit erprobten Mitteln zur Bekämpfung derselben an die Hand geht. Ferner den ersten Band einer von Prof. Penzig in Genua mit einem staunenswerthen Aufwand von Fleiss und Gelehr- samkeit geschriebenen Pflanzen-Teratologie, welche alle bisher beschrie- benen Bildungsabweichungen der polypetalen Dikotyledonen ausführlich und mit erschöpfenden Literaturnachweisen behandelt. Endlich ein werthvolles Hilfsmittel zum Studium der Bacterienkunde: Wandtafeln für Bacterienkunde von Dr. Walter Migula in Karlsruhe i. B., von dem vor Kurzem im Verlage von Paul Parey ein treffliches Büchlein unter dem Titel ‚Bacterienkunde für Landwirthe‘“ in leicht fasslicher Darstellung erschienen ist. Schliesslich legte Professor Cohn vor: 1) Ein Stück Rinde vom Mammuthbaum Sequoia gigantea (Endl.) Lindl., 25 cm dick, und aus braunem Parenchym und in dasselbe eingelagerten Zonen langer, stark verdickter und getüpfelter braunwandiger Bastfaser- zellen gebildet, dessen Besitz Herr Professor Buchenau in Bremen für das botanische Museum zu vermitteln die Güte hatte. 2) Einige vom Vortragenden aus Constantinopel mitgebrachte Pflanzenpräparate, deren Bestimmung er Herrn Prof. Paul Ascherson verdankt, nämlich: die zusammengesetzten Dolden von Ammi Visnaya L., im Orient, auch in Griechenland, als Zahnstocher von gewürzigem Geschmack benutzt, | Aeste von Salvadora persica L., deren harte Gefässbündel pinselartig an einem Ende ausgefasert und in diesem Zustande als Zahnbürsten im Orient benutzt werden, da der Islam den Gebrauch der Schweins- borsten verbietet, die menschenähnliche Zauberwurzel, Alraun (türk.AdamTschotschi), eine in menschlicher Gestalt roh zugeschnittene, aussen braune Wurzel, angeblich von einer Mandragora, wie sie in den Bazaren von Stambul, Brussa, auch in Rhodus, Syrien, Esypten und anderwärts im Orient verkauft werden. Vergleiche über Mandragora und Alraun den Aufsatz des Vortragenden im Jahresbericht der schlesischen Gesellschaft für 1887, botanische Section, $. 285 und P. Ascherson in Ver- handl. Bot. Ver. Prov. Brandenburg. XXI. 1890, $. XXXVI. In der zehnten Sitzung vom 12. December legte der Secretair eine Anzahl neuer und neuester Medicinal-Droguen vor, welche bei der im August 1890 zu Berlin stattgefundenen Ausstellung des I. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 95 X. internationalen medicinischen Congresses auf Veranlassung des Kaiserl, Reichsgesundheitsamtes von der Firma Gehe & Co. in Dresden aus- gestellt waren. Die Herren Gehe & Co. hatten die Freundlichkeit, mit sewohnter Liberalität dem Vortragenden von dem grössten Theil dieser Droguen Proben für das botanische Museum zu überlassen. Derselbe zeigte einen Stamm von der im Habitus an eine Dracaene erinnernden, riesigen Juncacee Südafrikas, Prionium serratum, welcher vom Professor Buchenau (Bremen) dem hiesigen botanischen Museum zum Geschenk überwiesen worden ist. Herr Privatdocent Dr. Mez hielt einen Vortrag über: Morphologie und Systematik der Bromeliaceen. 96 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Bericht über die Verhandlungen der Section für Obst- und Gartenbau. Von Prof. Dr. Prantl, erster Secretair der Section. Die Section für Obst- und Gartenbau hat im Jahre 1890 11 Sitzungen abgehalten und einen Ausflug veranstaltet. Besonderes Interesse nahm die Frage der Errichiung von Obst- mustergärten in Anspruch, angeregt durch folgenden, von Herrn Landes- Bauinspector Sutter gestellten Antrag: Breslau, den 4. Februar 1890. Dem hochgeehrten Vorstande erlaube ich mir im Anschluss an die bisherigen Verhandlungen in der Section wegen endlicher Ausführung des in der Sitzung am 4. März v. J. nach Erstattung des Referates über „Anlage von Muster-Obstgärten durch Pflanzung der anbau- werthesten Obst-Sorten“ von der Section gefassten Beschlusses folgenden Antrag ergebenst zur Berathung einzusenden: 1. Die hochgeehrte Section wolle beschliessen, dass durch ihre Organe im Norden und im Süden von Breslau je ein Stück geeig- netes Land mit warmem tiefgründigem humosem Boden von je 12 bis 16 Morgen oder 3 bis 4 Hectar Grösse zur Anlage von Obst-Muster-Gärten als Eigenthum der Section angekauft werde — und 2. dass diese beiden Gärten dem Referate des (unterzeichneten) Landes-Bauinspeetor Sutter vom 4. März 1889 entsprechend nach allen Regeln der Gartenbau-Kunst durch ihren Seetionsgärtner — oder wenigstens unter seiner Leitung — angelegt und mit be- wirthschaftet werden, weil die örtliche Lage und der Untergrund in dem alten Sections-Garten zu Scheitnig zur Erzielung von normalmässig ausgebildeten wohlschmeckenden Früchten sich als ungeeignet herausgestellt hat. Begründung. Zur Begründung meines vorstehenden Antrages verweise ich auf die in meinem Referate vom 4. März v. J. nachgewiesene Nothwendigkeit und sehlesische Gesellschaft für vaterländische Cultır. @c =A@SIDIE IN Diyısn Dsmell aaa oo 05 68. II. Jahresbericht. Naturwissenschaftliche 1890, Abtheilung. RI sichere gute Verzinsung des Anlage-Capitals und auf meine dort wieder- gegebenen, dem Herrn Minister der Landwirthschaft gemachten Vor- schläge. Aber auf Grund meiner im vergangenen Jahre gemachten Erfahrungen über die vorjährige Obst-Ernte und über die Auswahl des für eine solche Anlage geeigneten Landes füge ich noch folgende neue Gründe hinzu, weshalb gerade die Section selbst eine solche Anlage machen muss — und weshalb diese Muster-Gärten in nicht zu grosser Entfernung von Breslau liegen möchten. A. Es ist mir zwar durch meine Bemühungen gelungen, den Ritter- gutsbesitzer Herrn Baron von Öbernitz auf Machnitz im Kreise Trebnitz zu bewegen, dass er auf einem vorzüglich geeigneten Garten-Terrain eine grössere neue Obstbaum-Pflanzung anlegen will unter Verwendung der aus uuserem Sections-Garten zu be- ziehenden Bäume. Ich bin sogar ein zweites Mal mit unserem Seetions-Gärtner Jettinger in Machnitz gewesen, Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, dass in solcher Verbindung mit einem Gutsbesitzer, welcher nur einzelne Obst- sorten nach seiner Bestimmung pflanzen will, niemals ein Muster- Obstgarten zu Stande kommen wird in solcher Weise, dass er als ein Lehr-Mittel angesehen werden kann. Ein solcher Garten soll aber alle 20 Obst-Sorten von Aepfeln, Birnen, Kirschen und Pflaumen enthalten, wie sie von der Section und dem Verbande der Gartenbau-Vereine zum Anbau ausgewählt und empfohlen sind. Der Muster-Obstgarten muss also von Breslau aus leicht er- reichbar sein, auf dem besten für eine gedeihliche Früchte-Ent- wickelung geeigneten Boden und zu vollständig freier Verfügung der Section stehen, und deshalb muss derselbe unbedingt Eigen- thum der Section und der schlesischen Gesellschaft für vater- ländische Cultur werden. Von dem Garten ist vorher, von der Anlage ein genauer Plan für seine Eintheilung und Bepflanzung durch einen Sach- verständigen auf Kosten der Section zu entwerfen, und dazu ist ein Kosten-Anschlag aufzustellen und dann nur eine Person mit der Ausführung des Projeetes nach Genehmigung des Projectes d 98 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. durch den Vorstand der Gesellschaft zu beauftragen und die Mittel hierzu bereit zu stellen. Nur auf diese Weise kann eine einheitliche Ausführung eines wirklichen Muster-Gartens zu Stande kommen. . Als geeignetes Land für die Anlage von sicher dem Zweck ent- sprechenden Gärten kann ich nach Rücksprache mit dem die Bodenverhältnisse kennenden Herrn Gartenbau-Ingenieur Richter vorschlagen: 1. Ein Stück hochgelegenes Ackerland in der Nähe der Eisen- bahn-Haltestelle Woischwitz von der Zobtener Eisenbahn, und 2. die städtische sogenannte Füller-Insel neben dem Schiesswerder- Garten. Von diesen beiden Grundstücken ist nicht zu befürchten, dass die zu erbauenden Obst-Früchte zu sehr von dem Russ und Rauch der Stadt Breslau leiden, oder, dass sie in kürzerer Zeit wegen Verwendung zu Häuser-Bauten wieder kassirt werden müssten. . Die zum Ankauf und zu der Bewirthschaftung dieser 2 Muster- Gärten erforderlichen Geldmittel müssen z. Th. aus den bereiten Mitteln der vaterländischen Gesellschaft, oder durch zu erbittende Zuschüsse von der Stadt Breslau, von dem Herrn Ober-Präsi- sidenten — und vielleicht von dem landwirthschaftlichen Central- Verein und von der Königl. Universität herbeizuschaffen gesucht werden. Die Kosten der Bewirthschaftung aber und die Zinsen des Anlage-Capitals können wohl mit Sicherheit durch den Anbau der zwischen die Obst-Bäume zu pflanzenden Johannisbeeren, Stachelbeeren, Himbeeren, Rosen, Erdbeeren und Gemüse gedeckt werden. Wie ich von dem Liqueur-Fabrikbesitzer Herrn Hermann Seidel auf der Thiergartenstrasse hierselbst auf meine Erkundigung nach der Benutzung eines ihm vor 2 Jahren übergebenen Receptes zur Johannisbeer-Wein-Bereitung erfahren habe — hat derselbe im vorigen Jahre schon 17 000 Liter Johannisbeer-Wein fabrieirt und bis jetzt gegen 14 000 Liter dieses Weines in grossen Posten an Zwischenhändler verkauft. Derselbe hat sich mir gegenüber auch bereit erklärt, jedes noch so grosse Quantum reifer Johannisbeeren zu gutem Preise abzukaufen und empfiehlt er den Massen-Anbau. Wenn daher mit Herrn p. Seidel ein Abschluss gemacht wird und in den Muster-Gärten zur Zwischenpflanzung nur Johannis- beeren gewählt werden, so ist der Absatz derselben schon ge- sichert und lässt sich eine gute Verzinsung der Gärten erhoffen, II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 99 bis der Obst-Verkauf von den Hochstämmen oder Halbhochstämmen lohnender werden wird. Den hochgeehrten Sections-Vorstand bitte ich hiernach meinen vor- stehenden Autrag vervielfältigen zu lassen, wenn derselbe als zweck- mässig angenommen wird — und die Ausführung des Projectes in die richtigen Wege zu leiten. Hochachtungsvoll empfiehlt sich des hochgeehrten Vorstandes sehr ergebenster Sutter, Landes-Bauinspector und Hauptmann a. D. Dieser Antrag wurde in der 3., auch von auswärtigen Mitgliedern besuchten Sitzung einer eingehenden Berathung unterzogen und schliesslich einer Commission von 6 Mitgliedern überwiesen, bestehend aus den Herren Baumschulbesitzer Behnsch, Kunst- und Handelsgärtner Dammann, Professor Dr. Prantl, Gartenbau-Ingenieur Richter, ObergärtnerSchütze und Landesbauinspector Sutter. Diese Commission besichtigte zunächst den gegenwärtigen Sections- Garten in Scheitnig und kam zu folgendem Ergebniss: Zur Erzielung normal ausgebildeter Früchte sind die Boden-Ver- hältnisse ungünstig, indem der ohnehin schwere Boden in Folge des lettigen Untergrundes die Feuchtigkeit zu lange an sich hält und so den Wurzeln der Obstbäume nachtheilis werden kann. Die Lage des Grundstücks ist im Norden und Osten ganz frei, mit- hin den kalten Winden ausgesetzt; die Abflachung nach Norden beträgt bei 100 Meter '/, Meter. Die daraufstehenden älteren etwa 15- bis 18jährigen Obstbäume haben einen gesunden, starken Holzwuchs, sind reich mit Fruchtholz garnirt und an den daran befindlichen Fruchtkuchen war die frühere Fruchtbarkeit zu erkennen. Die jungen Schulbäume haben ein vortreffliches Wachsthum. Die im hintern Teil des Gartens vor 20 Jahren gepflanzten Zwergobstbäume (auf Wildling veredelt) zeigen je nach der Sorte einen mehr oder minder kräftigen Wuchs, sind mit Fruchtspiessen gut besetzt, haben aber nach Aussage des Secetionsgärtners Herrn Jettinger bisher sehr wenig Früchte getragen, und die wenigen sollen fleckig gewesen sein. Es wurden in Folge dieser Wahrnehmungen sowohl die Kasten be- rechnet, welche die Ausführung des Sutter’schen Projectes verursachen würde, als auch jene Kosten, durch deren Aufwendung der Sections- garten zu Scheitnig dem Sutter’schen Project entsprechend umgestaltet werden könnte. Die Ausführung des Sutter’schen Projectes würde, abgesehen von den späteren Unterhaltungskosten, erfordern: 7# 100 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vater .. Cultur. 12 Morgen Land & 1500 M. ........ . 18000 M. Umwährung‘ desselben .t.).;. . 2. Bi. mal 5000 = Gärtnerwohnung ...... AV 23. 6000 Resulirung/(des Terrains... N eier 2000 = Summa 31000 M. Andererseits müssten im sSectionsgarten zu Scheitnig, wenn der- selbe als Obst-Mustergarten betrieben werden soll, folgende Arbeiten ausgeführt werden: I, Das ganze 16 Morgen grosse Grundstück ist zu drainiren, um den Boden trockener zu legen; für Abflusswässer ist ein 5 Meter tiefer Graben vorhanden; auch Luft-Drainage wurde empfohlen. An der Nord- und Ostgrenze ist eine hochwerdende Pflanzung von Laubbäumen und Sträuchern anzubringen, um Schutz gegen Winde zu gewähren. Die neu zu pflanzenden Obstbäume sind auf 0,50 cm hohe Dämme zu pflanzen; durch diese Aufhöhung kommen die Wurzeln iu eine trockenere Lage und der Baum erlangt die Fähigkeit, bessere, schmackhaftere Früchte zu erzeugen. Die Baumlöcher sind 2 Meter weit und 1 Meter tief auszugraben, mit 2 Kubikmeter besserer Erde und 1 Kubikmeter vorhandener Erde anzufüllen. Um die Gärtnerwohnung und das Glashaus ist ein 11), Morgen grosses, von Ost und West durch Schutzhecken zu umwährendes Stück Land mit auf Douein und Quitte veredelten Formobst- bäumen zu bepflanzen, um auch die edelsten, zarteren Obstsorten zur Anpflanzung zu bringen. Diese Anlage liefert früher Früchte. An den Formbäumen kann später der Baumschnitt demonstrirt werden. Das Land ist wie folgt, einzutheilen: 6 Morgen sind den hoch- und halbstämmigen Obstbäumen einzuräumen, 2 Morgen den Formobstbäumen inel. Gebäude und Kästen, 1 Morgen zu Versuch- zwecken und zur Nachzucht. Das übrige Land wäre vorläufig noch in der alten Verfassung zu belassen. Die Zeit der Abräumung der Obstquartiere im Sectionsgarten könnte auf 3 Jahre bemessen werden. Zur Anpflanzung sollen in erster Reihe die von Herrn Landesbau- inspector Sutter zum Anbau in Schlesien vorgeschlagenen Sorten gewählt werden, ausserdem eine Anzahl edler Sorten, welche auf Zwergstamm und am Spalier noch eine gute Ausbildung erlangen. Zur Bepflanzung werden vorgeschlagen: 30 Birnen zu je 5 St. (je 2 Hochstamm, 1 Pyramide auf Wild- ling, 2 auf Quitte), 30 Aepfel zu je 5 St. (je 2 Hochstamm, 3 auf Doucin veredelt), II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 101 Tr 20 Pflaumen zu je 5 St. (3 Halbstamm, 2 Pyramiden), 20 Kirschen zu je 5 St. (2 Hochst., 1 Halbst., 2 auf Mahaleb). Die Pflanzweite ist zu 20—25 Fuss angenommen. Kosten-Anschlag vorstehenden Reform-Projectes: Bun MIND a N le RS Laie 600 M. SAMorsenm Rajolen. zwi 10. Mae 864 „, Dünger, 5 Fuhren zu 15 M. pro Morgen ... 600 „ Tlauırungs-Arbeiten er re ne &00 7, 264 hochstämmige Obstbäume ä 1,50 M.... 396 „, 2641 Baumlöcher 2150 7M. Wird, Pl aa 528 Kubikmeter Gartenerde, inel. Fuhrlohn &3M. 1584 „, 264 Baumpfähle und Bänder a 0,40 M..... 100 ,, 1800 Johannis-und Stachelbeersträucher a 0,350M. 540 „, 236iFormbäume «2,00 M. 7. 0, RIES 472 ,, Drahtspaliere in dem Formobst-Garten .... 200 „, 100 Kubikmeter gute Gartenerde für den Form- abstsantem)a14208) WO ENBLIL I HAEGO ZUR 300. Für Neu-Anschaffungen von Obstsorten, Zier- bäumen, Sträuchern, Heckenpflanzen, Erdbeer- pflanzen etc. zur Belehrung, zum Vergleichen, zum „kieiserabgeben .u..8.Aw.i2 . „I „ dmacnan 5004:;; Summa 7088 M, Die Commission spricht schliesslich den Wunsch aus, sofern sich die Stadt oder Private für ein solches Unternehmen interessiren und am südlichen Ende des Weichbildes einige Morgen Land zur Verfügung stellen würden, sei der Section zu empfehlen, auch in diesem Theile der Umgebung Breslau’s eine Obst-Musteranlage in’s Leben zu rufen. Der Bericht der Commission wurde in der 4. Sitzung entgegen genommen und es beschloss die Versammlung diesen Ausführungen ent- sprechend, von der Erwerbung eines neuen Areals abzusehen, vielmehr vorstehendes Project der Umgestaltung des Seetionsgartens zu Scheitnig zur Ausführung zu bringen. Da indess der mit der Stadtgemeinde be- stehende Vertrag hinsichtlich des Grundstückes im Jahre 1897 abläuft, so wurde beschlossen, vorerst das Präsidium der Gesellschaft zu er- suchen, bei der städtischen Verwaltung die pachtfreie Ueberlassung des Grundstückes auf weitere 30 Jahre zu erwirken. — Herr Landesbauinspector Sutter hatte ferner den Antrag gestellt, die Section wolle an die Staatsregierung die Bitte stellen 1) dass die- selbe bei der Regierung des Königreichs Italien Vorstellungen darüber erhebe, dass die Singvögel bei ihrem Durchzuge durch Italien nicht mehr weggefangen und getödtet werden dürfen; 2) dass die schon be- stehenden Gesetze zum Schutze der Singvögel möglichst erweiterte An- 102 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. nn nenn ns nu wendung und alljährliche Hinweisung auf deren Beachtung finden möchten, — Dieser Antrag wurde jedoch in der 10, Sitzung, obwohl dessen Absicht allgemein sympathisch aufgenommen wurde, wegen vorauszu- sehender Erfolglosigkeit abgelehnt. — Die in früheren Jabren üblich gewesene Gratisvertheilung von Sämereien wurde insbesondere mit Rücksicht auf die auswärtigen Mit- glieder durch einen in der 9. Sitzung gefassten Beschluss wieder zur Ausführung gebracht. Nachdem auf Einladung des Provinzial-Verbandes der schlesischen Gartenbauvereine im Herbste 1892 die allgemeine Versammlung des deutschen Pomologenvereins in Breslau stattfinden wird, hat die Section im Einvernehmen mit dem Centralverein und dem Handelsgärtnerverein begonnen, eine um jene Zeit stattfindende schlesische Obst- und Garten- bauausstellung vorzubereiten; in das zu diesem Zwecke gebildete Comite wurden in der 5, bezw. 7, Sitzung gewählt die Herren Geheimer Re- sierungsrath Professor Dr. Cohn, Commissionsrath Milch, Professor Dr. Prantl, Gartenbauingenieur Richter und Oberstabsarzt Dr. Schröter. Mit den übrigen gärtnerischen Vereinen der Provinz trat die Section in Berührung in der zu Liegnitz im Februar 1890 abgehaltenen Delegirten- Versammlung der schlesischen Gartenbauvereine; ferner stiftete die Section einen Ehrenpreis für die Ausstellung des Oberschlesischen Gartenbauvereins zu Oppeln und bestimmte denselben für Obstsortimente, wie sie in den $$ 80, 82, 83 des Programms vorgesehen waren. Aus den einzelnen Sitzungen ist ferner folgendes zu berichten: Die 1. Sitzung fand am 6. Januar statt. Da der erste Secretair durch Krankheit an der Theilnahme verhindert war, begrüsste der 2. Secretair Herr Garteningenieur Richter die erschienenen Mitglieder und ersuchte um recht rege Betheiligung an der Thätigkeit der Section. Hierauf sprach Herr Geh. Regierungsrath Professor Dr. F. Cohn: Ueber hervorragende Gärten vom 16. bis 18. Jahrhundert in Breslau. In der 2. Sitzung am 10. Februar begrüsste Herr Oberstabsarzt Dr. Schröter den 1. Secretair Prof. Dr. Prantl; dieser dankte für die auf ihn gefallene Wahl und bittet um freundliche Unterstützung. — Herr Buchhändler Müller erstattete hierauf den Kassenbericht; nach Prüfung desselben wurde dem Verwaltungs-Vorstande Decharge ertheilt. Zu Mitgliedern des Verwaltungs-Vorstandes wurden gewählt die Herren Oberstabsarzt Dr. Schröter, Buchhändler Müller und Kunst- und Handelsgärtner Dammann, welche die Wahl annahmen. Sodann sprach Professor Dr. Prantl: Ueber die Coniferen unserer Gärten. Dre Ts II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 103 Die 3. Sitzung den 3. März, sowie die 4. den 31. März waren den Verhandlungen über den Antrag des Herrn Landesbauinspector Sutter betr, Anlage zweier Obstmustergärten gewidmet, worüber oben bereits berichtet wurde. In der 5. Sitzung den 5. Mai hielt nach Erledigung einiger ge- schäftlicher Angelegenheiten Professor Prantl den Schluss seines Vor- trages: Ueber die Ooniferen unserer Gärten. In der 6. Sitzung, welche den 2. Juni im Sectionsgarten zu Scheitnig abgehalten wurde, machte Herr Jettinger auf eine ganz hervorragende neue Erdbeere „Laxton’s noble‘‘ aufmerksam, welche nach dem Urtheile der Anwesenden die grösste Verbreitung wegen ihrer grossen und reich- lichen Früchte verdient. Ferner berichtete Herr Sectionsgärtner Jettinger Veber die 12. allgemeine Versammlung des deutschen Pomologenvereins am 22.—30. September 1889 zu Stuttgart. Die 12. allgemeine Versammlung des Deutschen Pomologenvereins, welcher in den Tagen vom 22.—30. September v. J. seine Berathungen in Stuttgart hielt, war, wie das früher zu geschen pflegte, auch diesmal mit einer Ausstellung von Obst, Obsterzeugnissen, Obstbäumen, Gemüse etc, verbunden. Die Ausstellung war um so glänzender ausgestattet, als sie zugleich das letzte Glied in der Kette der vielen Festlichkeiten bildete, welche zur Feier des 25jährigen Regierungsjubiläums des Königs von Württemberg veranstaltet waren. Die gehegten Befürchtungen, dass in Folge der allgemeinen Missernte an Obst die Ausstellung nur spärlich beschiekt werden würde, sind nicht eingetroffen; aus allen Gauen Deutsch- lands haben vereinte Kraft und vereinter Sinn dennoch etwas Prächtiges und Nützliches geschaffen zur Belehrung und Freude für Jedermann. Als Ausstellungslocal war die sog. Gewerbehalle gewählt, ein Saal- bau mit vorzüglichen Lichtverhältnissen, sowohl in seinen Parterre- räumlichkeiten als auch auf den von Säulen getragenen Gallerien. Die Eingänge waren von lebenden Pflanzen in prächtige Haine umgewandelt; inmitten des Saales wirkte eine mächtige Fontaine belebend und er- frischend und den Hintergrund bildete wiederum ein Palmenhain, in welchem die Büsten der Majestäten standen, während die ganze Hinter- wand in sinniger Weise mit Früchten aller Art und dem Landes- und Stuttgarter Stadtwappen verziert war. Hervorzuheben ist hier besonders wie man es dort versteht, aus dem einfachsten Material, wie reifen Maiskolben, Aepfelfrüchten in den mannigfachsten Farbenabstufungen — ja selbst die Speisezwiebel in ihrer verschiedenen Färbung muss sich dem Dekorateur dienstbar machen — verbunden mit Tannengrün recht wirkungsvolle Mosaikbilder zu schaffen. Die Art der Aufstellung der 104 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Obstsorten wie dieselbe früher allgemein beliebt war, auf flachen Tischen, welche Art für das Auge ermüdend wirkte, war diesmal slücklich umgangen, indem man dieselbe in pyramidenartig doppelseitigen Stellagen anbrachte, welche den Saal umgrenzten und zugleich sechsmal durchquerten, jedoch so, dass genügend Raum gelassen wurde selbst für eine grössere Zahl von Besuchern der Ausstellung. Wie bei den früher stattgehabten Ausstellungen das Bestreben vor- herrschte möglichst reichhaltige Sortimente vorzuführen, so waren die Aussteller diesmal bestrebt, sich streng an das Programm mit der vor- geschriebenen Sortenzahl zu halten. Wie schwer dies aber in dem obstarmen Jahr noch war, beweist der Umstand, dass die erste Programm-Nr. — Kernobst betreffend — nur ein Aussteller zu erfüllen im Stande war. Es muss hier bemerkt werden, dass nur selbstgezogenes Obst in Betracht kam und die Unsitte, Sortimente von allen Seiten zusammengetragen, auszustellen, verpönt war. Was durch einmüthiges Zusammenwirken erreicht werden kann, bewiesen die in nahezu 20 an der Zahl vertretenen Württembergischen Bezirksobstbauvereine, welche collectiv ausstellten und neben den programmmässig vorgeschriebenen, auch noch die in den betreffenden Bezirken localen Sorten, welche hauptsächlich zur Obstweinbereitung dienen, vorführten. Besonders erwähnen möchte ich die Leistungen des land- wirthschaftlichen Centralvereins für Lithauen u. Masuren. Dieser Verein hatte ein Kernobstsortiment ausgestellt, worunter namentlich die Aepfel eine Vollkommenheit in Grösse und Färbung zeigten, wie solche zum zweitenmal auf der Ausstellung nicht zu finden waren. Diese Leistung wurde auch von den Preisrichtern dementsprechend gewürdigt. Bei den ausgestellten Weintrauben dominirte, wie vorauszusehen, das Schwabenland. Der vergangene warme Sommer war der Ent- wickelung der Weintrauben besonders günstig; es waren nur Trauben aus Freilandkulturen um Wettbewerb zugelassen. Auch hier waren es wieder die vereinigten Ausstellungen der verschiedenen Winzerelubs oder die Königl. Weinberge, welche wirklich Vorzügliches leisteten; aber dennoch machte ein Berliner Kultivateur diesen Ausstellern scharfe Coneurrenz. Derselbe wurde auch mit dem 2. besten Preis für seine Leistungen ausgezeichnet. Als Vertreter des Gemüsebaues traten mehrere sog. „Güterbesitzer- Vereine“ mit in den Wettbewerb. Sowohl frisches als getrocknetes Gemüse zeugten von hoher Leistungsfähigkeit auf diesem Gebiet. Ausserhalb des Ausstellungslocals, wenige Schritte entfernt davon hatten auf terrassenförmig aufsteigendem Gelände die Obstbaumzüchter die Producte ihrer Baumschulen in wohlgeordneter Weise aufgestellt. Kine stattliche Zahl von Preisaufgaben — einige 30 — wurden von den Bewerbern mehr oder minder glücklich gelöst. Die Aussteller 1I. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 105 überboten sieh in Erfindung neuer Baumformen; neben der regelrecht symmetrisch gezogenen Form konnte man wahre Cabinetstücke von Ver- renkungen sehen, welche auch als nicht fördernd auf den Obstbau wirkend von dem Preisgericht in richtiger Weise gewürdigt wurden. — Zum Schlusse muss ich noch die Bemühungen des dortigen Localeomite erwähnen, welches den Besuchern der Versammlung in dankenswerther Weise den Aufenthalt so angenehm als angänglich zu machen suchte. Ein Extrazug brachte uns mittelst der Panoramabahn nach dem sog. „Hasenberg‘‘ mit Aussichtsthurm, von wo aus man die Stadt nach allen Seiten hin übersehen kann. — Ein zweiter Ausflug galt per Zahnradbahn dem landwirthschaftlichen Institut „„Hohenheim‘‘ mit seiner Musterwirth- schaft. Nach Besichtigung der Anstalt und der sehr reichhaltigen Samm- lungen wurde den Besuchern in den Räumlichkeiten des Instituts ein „„Freibier‘‘ gewährt, welches die Versammlung, da es allmählich sich in einen „Freiwein‘‘ verwandelte, bis lange nach eingebrochener Dunkel- heit zusammenhielt. Zu dem in dem benachbarten Kannstadt alljährlich stattfindenden Landwirthschaftlichen Ausstellungs- und Volksfest waren den Mitgliedern der Versammlung in zuvorkommenster Weise Plätze reservirt. Auch der Kgl. ,„Wilhelma‘ in Kannstadt wurde ein Besuch abge- stattet. Es ist dies ein am nördlichen Fusse des ‚‚Rosensteinhügels“ gelegener Gebäudecomplex von orientalischer Pracht in maurischem Stil inmitten herrlicher Gartenanlagen, Sommer- und Winterwohnung eines maurischen Grossen darstellend. Für den Fachmann sind dort die grossartigen Gewächshausbauten mit ihren werthvollen Pflanzenschätzen von Interesse, aber ebenso die prachtvollen Exemplare von Nadelhölzern nordamerikanischer Abstammung. Hoffen wir, dass die 13. allgemeine Versammlung des deutschen Pomologenvereins, welche im Jahre 1892 hier in Breslau stattfindet, ebenso zahlreich von dessen Mitgliedern wie in Stuttgart, besucht werde und das Ganze einen gleich günstigen Verlauf wie dort nehmen möge. In der 7. Sitzung, den 7. Juli, im Sectionsgarten zu Scheitnig hielt Herr Oberstabsarzt Dr. Schröter einen Vortrag: Herbsttage auf Corfu. In der 8. Sitzung, den 1. September, welche unter dem Vorsitze des 2. Secretärs Herrn städt. Obergärtner Richter stattfand, referirte Herr Obergärtner Richter aus der Frankfurter Handelszeitung Ueber diejenigen Bäume und Sträucher, welche sich in Städten am widerstanäsfähigsten gegen Russ gezeigt haben. Es seien vor Allem Platanen, Acer dasycarpum, Ulmus montana und Quercus rubra zu empfehlen, hingegen weniger Tilia platyphylla, 106 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Am 25. September veranstaltete die Section einen Ausflug nach Kleinburg und Hartlieb zur Besichtigung der Gärten des Fabrikbesitzers Völker und der Hartlieber Obstanlage und des Parkes. Trotz des Alles durehdringenden Sprühregens hatte sich doch eine reiche Mitglieder- zahl der Section im Kleinburger Kaffeehause eingefunden, um die ge- nannten, rühmlichst bekannten Gartenanlagen zu sehen. Der Völker’sche Villengarten von etwa 2,5 Hectar Fläche steht in seiner glücklichen Eintheilung in Luxus-, Obst- und Gemüsegarten, und durch seine muster- giltige Sauberkeit unter den Kleinburger Villengärten oben an, Durch die Güte der liebenswürdigen Besitzerin war Gelegenheit geboten, eine hübsche Sammlung selbst geernteter Früchte nicht allein zu sehen, sondern auch die Güte der saftreichen Birnen zu probiren, Diese kleine Obst- schau war auf der überdeckten Hausterrasse aufgebaut, von welcher sich ein herrlicher Blick in den in aller Farbenpracht prangenden Garten bot, in dessen Mitte ein Springbrunnen die Landschaft belebte. Ueppige Bananen (Musa Ensete) und Fächerpalmen wechselten mit dem mannshohen Pampasgras (Gynerium argenleum) und der Gymnotrix latifoka ab; im Vordergrunde dagegen hatte der Leiter der Gärtnerei Herr Tannhäuser, Teppich- und Blumenbeete in harmonischen Farben und klaren Zeichnungen hergestellt, die ihres Gleichen suchen. Einen würdigen Abschluss fand diese farbige, tropische Scenerie in den dunkel- srünen Nadelholzpartien, in denen die beiden sechs Meter hohen Pracht- exemplare von Abies Nordmanniana besonders auffielen. Auch für die Tafel war durch den Anbau des vorzüglichsten Obstes, wie Wein, Pfirsich, Birnen u. s. w. gesorgt, und im Gemüsegarten zeigten die zarten Oberrüben, lockende Radieschen und festen Salatköpfe, dass auch ihrer zur rechten Zeit gedacht worden war, um auch im Herbst noch- mals die Küche mit frischem Gemüse zu versorgen. Mit Dank schieden die Besucher von der so liebenswürdigen Besitzerin, welche mit regstem Interesse und Verständnis für die edle Gartenkunst die Ausführungen all’ des Gesehenen persönlich überwacht. Durch das für den späteren Südpark bestimmte Terrain ging es nun dem nahen Hartlieb zu, wo Obergärtner Bretzel, welcher bei dem noch immer anhaltenden Regen fast die Hoffnung auf unseren Besuch aufgegeben hatte, nicht wenig über so zahlreiche Betheiligung überrascht war. Schon beim Eintritt in den Obst- und Gemüsegarten mussten die Gäste unbedingt an den diesjährigen Berichten eines obstarmen Jahres zweifeln, sahen sie ja doch an einer etwa 15 Meter hohen, kräftigen Pyramide mindestens zwanzig verschiedene Birnensorten in solcher Menge hängen, dass die Aeste zu brechen drohten. Interessant war es zu hören, dass auf diesem einen Baume gegen achtzig verschiedene Birnensorten veredelt seien. Staunenswerther noch war die von Herrn Bretzel vorbereitete Obstaus- stellung, die wohl gegen 60 verschiedene Birnen- und 40 Aepfelsorten Il. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 107 zeigte. Durch ganz besondere Grösse fielen Diel’s, Gellert’s und Hardenpont’s Winter - Butterbirnen auf; eine Triomphe de Jodoigne wog 600 Gramm, ein Beispiel mehr, dass im lieben Schlesien schon Obst wächst und gedeiht, wenn es nur richtig gepflegt wird. Ein Rundgang durch die Gewächshäuser, das Ananas- und Gurkenhaus, zeigte die 50 bis 80 cm langen Schlangengurken ‚‚Preskott's Wunder“ welche für die Monate October, November noch einen reichen Ertrag versprachen. Vom Obst- und Gemüsegarten, durch die Dorfstrasse getrennt, liegt der etwa acht Hectar grosse Park, eine im landschaftliche Stile gehaltene Anlage. Zuerst wurde der regelmässig angelegte Rosengarten besucht, wo trotz des nahenden Herbstes noch alles in Blüthenfülle prangte. Zierliche Festons verbinden die Hochstämme und sind mit wurzelechten und Thee- rosen unterpflanzt; Rankrosen bekleiden die kuppelförmigen Lauben und ein balsamischer Duft durchwehte die Luft. Vor der hinteren Schlosstreppe bot sich ein landschaftliches Bild von überwältigender Wirkung dar; von jeglichem Blumenschmuck abgesehen, war, durch coulissenartige Bepflanzung, hier hainartig, dort geschlossene Pflanzpartien bildend, eine effectvolle Wirkung erreicht, die durch den dunkelgrünen Rasen noch erhöht wurde. Auf der Westseite liegt ein vertieftes Rasenstück, durch eine Hainbuchenhecke abgeschlossen, von hochstämmigen Rosen umrahmt und an der Basis von zwei kaukasischen Flügelnüssen, Pterocaryen, flankirt, an welches sich ein kleiner Weiher anschloss, an dessen Ufern Neuseeländischer Flachs, Phormium tenax, Musen und andere üppige Blattpflanzen sich mächtig entwickelt hatten. Auf der Vorderseite des Schlosses dagegen, ein 11 m im Durchmesser haltende Fontaine um- schliessend, prangten Teppich- und Blumenbeete in herrlicher Pracht, abwechselnd mit indischem Blumenrohr, Canna, dem Wunderbaume, Ricinus, Gynerium, Phormium u. a. m. — Die einbrechende Dunkelheit setzte leider nur zu rasch dem Rundgange ein Ziel. Auf’s höchste jedoch waren alle Theilnehmer des Ausfluges von dem Gesehenen be- friedist und bestärkt in der Hoffnung, den Mitgliedern des in Breslau 1892 tagenden Deutschen Pomologen-Vereins zeigen zu können, dass in Schlesien auch Obst in den besten Tafelsorten in hervorragender Güte, gleich dem in Süddeutschland gezogenen, gedeiht. In der 9. Sitzung, den 6. October berichtete Herr Obergärtner Schütze Ueber die Ausstellung zu Oppeln. Redner hob besonders die vom k. pomologischen Institut zu Proskau _ ausgestellten Früchte und Pflanzen hervor, worunter eine werthvolle Sammlung von Anectochilus sich befand, gedachte auch der anderen hervorragenden . Aussteller, wie der Graf Renard’schen, Wiegschützer, Raudtener und Halbendorfer Gartenverwaltungen; durch Marktpflanzen 108 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. waren Nagel und Ranft aus Breslau am besten vertreten; schöne Cyclamen hatte Barth-Breslau, prächtige . Begonien Göschke- Köthen ausgestellt. In der 10. Sitzung, den 9. November, wurde der Etat für 1891 festgestellt. Herr Obergärtner Schütze hatte eine schöne Sammlnng von Orchideen ausgestellt und sprach eingehend über deren Cultur; besonders hervorgehoben seine Calileya Mendelü, CO. masxima, Oncidium varicosum, Plaeone praecox. Herr Obergärtner Beuchel zeigte ebenfalls Orchideenblüthen vor nnd sprach über: Die Orchideen und ihren Werth als Schnittblumen. In dem verflossenen Jahrzehnt hat sich wohl kaum eine Pflanzen- gattung so empor geschwungen als die der Orchideen, und es sind in den letzten Jahren nicht nur wie früher nach England, sondern auch zu uns nach Deutschland ganze Importationen an Cultivateure und Händler gelangt, so dass sich die Pflanze fast in jeder Gärtnerei eingebürgert und beliebt gemacht hat. In Folge der Masseneinführung sind die Preise bedeutend herabgesetzt worden, so dass auch der weniger Bemittelte sich deren Anschaffung gestatten kann. Die Orchideen besitzen ein grosses geographisches Verbreitungs- gebiet und unsere meist in Kultur befindlichen Pflanzen stammen grössten- theils aus den gemässigten und heissen Zonen Amerika’s; weniger kommen sie in Australien, Ceylon, China, Java, Indien, auf den Philip- pinnen etc. vor. Man theilt diese Pflanzen in Erd- und Luft-Orchideen; erstere pflanzt man in gewöhnliche Töpfe in eine extra für sie bereitete Erde und zwar sagt ihnen eine Mischung von Heideerde, Lauberde, Sphagnum, Holzkohle, etwas klein zerschlagene Ziegelstücken oder Topfscherben und eine Zusetzung von getrocknetem Kuhdünger, besonders zu; diesen gehören Cypripedien, Oymbidien, Disa, Masdevallien, Sobralien etc. an. Die Luft- oder epiphytischen Orchideen pflanzt man entweder in extra für sie herge- stellte, durchbrochene Töpfe, Holzkästen, auf Korkstücken, einige befestigt man sogar nur an Brettstücke z. B. Cattleya citrina Ldl., Odontoglossum coronarium Ldl., (0. candelabrum Hort. Lind.), Oncidium Jonesianum Rehb. f., O. Limminghii E. Morr. u. dgl. mehr; zn dieser Gruppe zählt man die Cattleyen, Dendrobium, Laelien, Phalaenopsis, Vandeen etc. Die bulbentragenden Genera (Cattleyen, Dendrobien, Chysis etc.) erfordern während ihrer Wachsthumsperiode reichlich Zufuhr von Wasser, auch wird ihnen von Zeit zu Zeit ein Dungguss sehr willkommen sein, dagegen wollen diese in ihrer Ruhe- oder Trockenperiode sehr vorsichtig begossen sein, man giebt ihnen nur soviel Wasser, dass die Bulben nicht einschrumpfen. II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 109 Die Cultur dieser Pflanzen ist bei weitem nicht so schwierig, als allgemein befürchtet wird und man findet nicht nur allein in jeder Fach- zeitschrift, sondern auch in Volksblättern, und neuerdings auch häufig in bessern Zeitungen genaue Angaben derselben, so dass nicht allein Gärtner, sondern viele Pflanzen-Liebhaber damit vertraut sind. Für das Kalthaus, in dem man die Temperatur von 4—10° R. hält, und das fast in jeder Herrschafts- nnd Handelsgärtnerei. zu finden ist, hat man eine ganz stattliche und schönblühende Collection z. B. ein Theil der Cypripedien, Disa, Masdevallien, Odontoglossen, Phajus u. dgl. m, Das Temperirte- oder Warmhaus, bei einer Temperatur von 10—16°R., fasst die meisten Pflanzen dieser Familie und zwar: Cattleyen, Coelogynen, die Cypripedien der heissen Zone, Dendrobien, Laelien, Lycasten, Maxil- larien, Stanhopeen u. s. w.; nur für einige Arten ist es gut, ein extra warmes Haus von 12—20° R. zu halten, es sind dieses die Ansellien, Anectochilus, Phalaenopsis, Vandeen ete., doch gedeihen auch diese in der Temperatur des vorher angeführten Raumes, nur tritt ihr tropischer Charakter nicht so deutlich zu Tage als in der zuletzt angeführten Temperatur. Die Blume dieser Pflanzen, die sich in Folge der Massenculturen zu einer Modeblume emporgeschwungen hat, kann mit Recht der Rose gegenübergestellt werden und drängt diese in vielen Beziehungen in den Hintergrund, nicht nur allein indem einzelne Blumen unvergleichlich schön in Farbe und Form sind, sondern auch hauptsächlich der langen Haltbarkeit wegen. Es giebt Blumen, die sich abgeschnitten 4—6 Wochen und noch länger halten, folgedessen von unschätzbarem Werth für Handels- gärtner sowie für Blumenhändler sind und darin wohl einzig dastehen. Ich nenne hier zuerst Cymbidium Lowianum Rchb. f., ein Theil der Cypri- pedien, Oncidium Cavendishi Bat., Vanda Cathcartü Ldl.; letztere 2 Species welken überhaupt nicht, sondern werden schwarz und behalten auch ziemlich ihre Blüthenform, und deren giebt es noch viele. Diesen reihen sich Odontoglossen, namentlich ©. crispum Ldl., Pescatorei Lind., Rossi majus Hort. etc, an, ferner: Cattleya guttata Ldl., intermedia Grah., auch Harrisoniae Ldl., Lycasten, Maxillarien, Oncidien u. dgl. m. Eine Rispe von Odontoglossum crispum Ldl., das mit Recht die Perle der Orchideen genannt wird, als Busen- oder Haarschmuck mit etwas zierlichem Adiantum ist das Schönste, was es in diesem Genre giebt; nur verträgt diese, so- wie wohl überhaupt die reinweissen Orchideenblüthen mit wenigen Aus- nahmen, das allzuviele Spritzen oder gar in’s Wassertauchen nicht, da sie ganz gläsern werden und nie wieder ihre volle Schönheit zurück ‚ erlangen. Dagegen giebt es viele Blumen, hauptsächlich die leicht welkenden und die braun- oder gelbfarbigen, die sich wiederholt in frischem Wasser, in das man sie über Nacht legt, vorzüglich erholen und so schön als frisch geschnitten aussehen, ich nenne hier in erster 110 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Reihe Odontoglossum triumphans Rehb. f., Od. vexillarium Rehb. f., Ansellia africana Ldl., Coelogyne Massangeana Rehb. f., Vanda tricolor Ldl. Den herrlichen Cattleyen der Labiata-Gruppe kommt an Schönheit und edler Form wohl kaum eine Blume gleich, eine solche Blüthe von Trianae, Mossiae, Mendeli oder Gaskelliana ete. in einem Strauss, oder einige in eine zierliche Vase oder Glas mit etwas Adianlum cuneatum zusammen gestellt ist die schönste Zierde, oder auch ganze Tuffs in grössere Arrangements mit passenden Farben sinnig zusammengestellt, ist unübertroffen schön; mögen auch die anderen Blumen minderwerthig sein, was sich an deren Seite nicht geziemt, man wird es übersehen, indem sich das Auge immer wieder dieser edlen Blume zuwendet. Nächst diesen sind die werthvollsten zur Binderei: Odontoglossen, Oncidien, Dendrobien, Maxillarien, Phalaenopsis, Vanda, Laelien, Cypripedien, Cymbidien, Lycasten, Coelogyne cristata u. dgl. m. Zycaste Skinneri Ldl., die sehr dankbar blüht und viel verbreitet ist, hat eine Blüthendauer von 4—6 Wochen, abgeschnitten 10—14 Tage, nur muss man die Blume vor Wasser schützen, da diese leicht schwarz- fleckig wird, dann besitzt diese noch die unangenehme Eigenschaft, sie bricht sehr leicht, wogegen andere Orchideenblumen sehr nachgiebig sind; ferner eignet sie sich weniger in Arrangements für den weiten Transport, da sie in der geschlossenen Kiste in der sich feuchte Luft von den andern angefeuchteten Blumen ansammelt, ebenfalls fleckig wird; dagegen wird sie lose mit einigen Caitleyen, schönen Odontoglossen, Oncidien-Rispen zusammengestellt und mit ihren langen Stielen in’s Wasser gesetzt, stets ihren Platz behaupten. Nach dieser Species, oder vielmehr noch verbreiteter und viel länger in Cultur sind die Stanhopeen, welche zur Binderei wenig oder gar nichts taugen, zunächst ist die Form der Blume dazu wenig geeignet, denn der überaus starke, betäubende Geruch und zum Schluss „sie welkt zu leicht“; an der Pflanze hält sich die Blume 6—8 Tage. So schön verschiedene Orchideen-Blumen an der Pflanze, und auch von ziemlich langer Blüthedauer sind, ebenso werthlos sind sie abge- schnitten z. B. Masdevallia Chimaera Reichb. f. welkt sofort und erholt sich auch nicht wieder, ferner Oncidium Papilio Ldl. und Onc. Kramerianum Rcehb. f., diese erholen sich zwar im Wasser ohne fleckig zu werden, ist aber insofern werthlos, weil man den Stiel, an dessen Spitze sich Jahre hindurch neue Blumen entwickeln, nicht mit abschneiden kann oder darf ohne sich zu schädigen, und die kurzgepflückte Blume, an Draht befestigt, ist nach wenigen Stunden welk. Sobralia macrantha Ldl., hält sich höchstens 6—10 Stunden, erholt sich zwar noch einmal in frischem Wasser, ist aber ebenso schnell wieder hin, dann Thunia Marshalliana Rchb. f., T. alba Reichb. f., Calanthe oestica Ldl. u. dgl. m. II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 111 Wer sich Orchideenpflanzen für den Schnitt anschafft, sei sorgfältig in der Wahl und kaufe nicht blindlings darauf los, denn wir haben sehr viele gute und ertragsfähige Sorten, aber auch ebenso viele minderwerthige, die nur ihren Platz in grossen Sammlungen und botanischen Gärten haben sollten, aber hauptsächlich kaufe sich Niemand frisch importirte Waare, die er nicht kennt, wenn sie was bringen soll, sondern wende sich an reelle Firmen und Kenner, wenn auch die Pflanzen vielleicht etwas theurer sind, man kann aber viel früher auf Blumen rechnen. Es finden sich zwar hin und wieder unter Importen einige gute Varietäten, doch sind diese, ehe sie deutschen Boden betreten, meist so sortirt, dass man nur auf einen geringen Procentsatz rechnen darf, vorausgesetzt man hat selbst Sammler oder einen zuverlässigen Importeur an Ort und Stelle. In der 11. Sitzung, den 1. December, hatte Herr Obergärtner Schütze eine prächtig blühende Poincettia pulcherrima ausgestellt. Herr Geheimer Regierungsrath, Professor Dr. Cohn sprach über Vergangenheit und Zukunft des Scheitniger Parkes. Wenn die Blüthe einer Stadt von den Annehmlichkeiten mitbedingt wird, die sie ihren Bürgern gewährt und durch die sie Fremde zum Besuch, auch wohl zur Niederlassung einladet, so stehen ohne Zweifel die Öffentlichen Anlagen hier in erster Reihe. Unser Breslau hat für solche Anlagen im Innern der Stadt (abgesehen von der Promenade) nur wenig Raum, wenn auch in Zukunft wohl noch mancher leere Platz in einen Square umgewandelt, noch manche Strasse mit Baumreihen bepflanzt werden könnte. Dagegen hegt Breslau in seinem Scheitniger Park ein Besitzthum, welches sich jeder ähnlichen Anlage in anderen Grossstädten an die Seite setzen kann, und das jährlich Hunderttausenden körperliche und geistige Erfrischung gewährt. Seit mehreren Jahrzehnten bemüht sich die Stadt, dieses Besitzthum auf das sorgfältigste zu pflegen, zu verschönern und zu vergrössern, und wir können mit Sicherheit hoffen, dass auch die zukünftigen Generationen sich die Erhaltung und Vervollkommnung des Scheitniger Parkes werden angelegen sein lassen, Es ist nicht ohne Interesse, die geschichtliche Entwickelung zu ver. folgen, durch welche Scheitnig zum öffentlichen Schmuck- und Volks- garten Breslaus geworden ist, Scheitnig') ist eine uralte Ansiedelung, vielleicht älter als Breslau. Die heitere Welt, welche an milden Sommerabenden sich auf der !) Nach gütiger Mittheilung meines Collegen, Prof. Nehring, ist der Name Scheitnig slawischen Ursprungs: Szezytniki (Stitniki), und bedeutet wahrscheinlich Dorf der Hörigen, die für den Herzog die Schilde (Szczyt, Seit) zu machen hatten. Aehnliche Ortsnamen, welche Ansiedlungen von Schildmachern bedeuten, sind 112 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. schönen Wiese des Scheitniger Parkes erquickt, ahnt nicht, dass in grauer Vorzeit auf dieser nämlichen Wiese Todte niedergelegt wurden, denen man nach damaliger Sitte eine Anzahl Bronzegeräthe mit in’s Grab gab. Unser schlesisches Alterthumsmuseum bewahrt drei grosse Bronceringe, vermuthlich zu einem :colossalen Broncekessel gehörend, und 6 Broncemeissel (Kelte), die auf der Scheitniger Parkwiese aus- gegraben worden sind. Wir wissen nur, dass diese Gegenstände länger als ein Jahrtausend in der Erde ruhten; aber ob es nicht 1500, ob es nicht 2000 Jahre oder mehr gewesen, ob jene Menschen eine germanische oder eine slawische Sprache gesprochen, darüber haben wir nur Ver- muthungen, aber keine geschichtliche Ueberlieferung. Die erste be- glaubigte Nachricht über Scheitnig stammt aus dem Jahre 1259. Noch nicht zwei Jahrzehnte waren verflossen, seit die Mongolen Schlesien verwüstet und auch Breslau in Asche gelegt hatten, bis die verheerende Sturmfluth sich an den Wällen von Liegnitz in der denkwürdigen Schlacht von Wahlstatt am 9. April 1241 brach. War Breslau vor dem Brande kaum mehr als ein polnisches Dorf gewesen, so erstand es jetzt aus der Asche als eine völlig neue deutsche Stadtgründung von grossartigster Anlage. Breslau wird daher im nächsten Jahre die Feier seines 650jährigen Bestehens als deutsche Stadt zu begehen haben. Unter den aus dem Westen Deutschlands eingewanderten Familien, welche vornehmlich den Grosshandel betrieben und bald die herrschenden Ge- schlechter der Stadt wurden, befand sich auch die Familie Slup (Schlaup); einem unter ihnen, dem Herzoglichen Münzmeister Heinrich von Slup') verkaufte Herzog Heinrich IV. von Breslau 1259 sein Dorf Scheitnig (Schitnie) mit dem dazu gehörigen Goy?) für 100 Mark Silber und zwei Stitari in Kroatien, Stitary in Böhmen und Mähren (in Mähren auch Schiltern). Der Name Szczytniki (Seitniki) findet sich auch im ehemaligen Grosspolen (Kreis Gnesen) vor (Urkunden von 1319, 1357 und 1368), sowie im ehemaligen Kleinpolen in der Nähe von Krakau bei Bochnia (Urkunde von 1243). !) Nach der von Herrn Stadtbibliothekar Prof. Dr. Markgraf, der mich bei diesen Studien mit gewohnter Hilfsbereitschaft durch historische Nachweise freund- lichst unterstützte, gegebenen Auskunft, wird Henricus de Slup, der monetarius des Herzog Heinrich IV. schon im Jahre 1954, als zum ersten Male in der nicht lange vorher zu deutschem Recht ausgesetzten Stadt Breslau die Schöffen genannt wurden, unter diesen aufgeführt; sein Sohn Nicolaus sass 1291 unter den Breslauer Rathmannen. Nach 1334 erstreitet sich Heinrich Slup den Mitbesitz eines Antheils von Scheitnig gegen seinen Vater Heinrich; zum letzten Male wird ein Franco Slup 1355 im ältesten städtischen Rechnungsbuch erwähnt; seitdem findet sich der Name dieser Familie nicht mehr, der vermuthlich von einem der gleichnamigen Dörfer Slup oder Schlaup (von dem polnischem Slup, Pfahl), so s. ö. von Jauer und n. ö. von Neumarkt, abgeleitet ist. ”) Nach einer Urkunde des Bisthum Breslau, I, herausgegeben von Grünhagen und Korn, 1864, aus dem Copialbuch des Breslauer Domarchiv aus dem XV, Jahr- sehlesischt Gesellschaft für vaterländische Gultar. ERS ETIT 0. hmm Wernau tr 68. 11. Jahresbericht. Naturwissenschaftliche 1890, Abtheilung. RL MIT 9 Mark Gold zu Erbrecht und zugleich mit dem Rechte, in der Oder mit kleinen Netzen zu fischen; er befreite ihn und die Dorfleute, da sie oft durch die Ueberschwemmung der Oder litten, von den Lasten, denen die polnischen Unterthanen des Herzogs sonst unterworfen waren. Das Wort Goy ist polnischen Ursprunges (Gay) und bezeichnet einen kleinen Laubwald; es ist in Schlesien noch heute an mehreren solchen Wäldern haften geblieben. So giebt es einen Goy bei Protsch, bei Kapsdorf; in unmittelbarer Nähe von Breslau erinnern die Dörfer Dürrgoy und Goywice (Gabitz) an den ehemaligen Wald. Ohne Zweifel bedeckte ehemals der grosse Oderwald, hauptsächlich aus Eichen be- stehend und von feuchten Wiesen unterbrochen, das ganze weite Thal- beeken, welches im Süden von der dicht hinter der Stadt ansteigenden diluvialen Bodenschweile, im Norden von denAusläufern des Trebnitzer Höhenzuges begrenzt wird und das damals bei jedem Hochwasser in einen srossen See verwandelt wurde, wie dies jetzt nur noch bei ausser- gewöhnlichen Ueberschwemmungen (zuletzt im Jahre 1854) geschieht; nur wenige der höher gelegenen Bodenerhebungen ragten über Hoch- wassermarke und eigneten sich deshalb, wie die Breslauer Dominsel, zu dauernder Ansiedelung. Beim Zurücktreten des Wassers wurde dieses Waldgebiet von einer Anzahl Flussarme durchzogen, in denen sich die Oder mit der Weide und der Ohle netzartig verband und die ein Labyrinth von waldigen Sumpfinseln einschlossen; die meisten dieser Flussarme sind jetzt zugeschüttet, in Wiese und Feldflur umgewandelt oder mit Gebäuden bedeckt und haben nur in vereinzelten Lachen die Spur ihres ehemaligen Laufes zurückgelassen. Ursprünglich reichte der herzogliche Jagdwald von Scheitnig nicht bloss bis an die Oder, sondern über deren linkes Ufer hinüber bis in die Gegend von Pirscham (Czupernik). Im Jahre 1315 findet sich ein Theil von Scheitnig im Besitz des Heinrich von Waldow; dieser verkauft am 2. Juli 1318 sein Gut Scheitnig an die Stadt Breslau als Lehensbesitz für 300 Mark Königsgroschen. Seit dieser Zeit befindet sich Scheitnig mit seinem Walde in städtischem Besitz. - hundert, 203a, deren Kenntniss ich der Güte des Prof. Nehring verdanke, schenkte Herzog Heinrich II. von Breslau seinem Leibarzt, Meister Nicolas, das Dorf Pretiwonono mit allem Lande zwischen der Oder und Scithniki, was früher Eich- wald gewesen (ubi quercetum fuerat, quod vulgo Gay appellatur). 114 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Während des 14. und 15. Jahrhunderts haben die Rathmannen der Stadt Breslau damit zu thun, die Grenzen ihres Gutes Scheitnig durch Verträge gegen Pirscham, das noch im Besitz der Familie Slup geblieben war, und gegen den Klosterwald vom Leerbeutel, der dem Kloster zum Sande gehörte, festzustellen. Allmählich war im Dorfe Scheitnig eine Anzahl Gärten angelegt worden, die der Stadt zinsten. 1533 waren 33 solcher Gärten ausgesetzt; 1614 wurden nur 12 Gärten gezählt, die abgesehen von den Wohn- und anderen Gebäuden zusammen auf 2440 Thaler taxirt waren. Nicht wenige von den Gärten in Scheitnig gingen mit der Zeit in den Besitz von Breslauer Patrizierfamilien über, die sich hier ihre Villen erbauten, und im Sommer ausserhalb der Festung in der Nachbarschaft des schönen Waldes sich am Genuss der freien Natur und an heiterer Geselligkeit erfreuten. Seit der Renaissance, wo die steigende Cultur und der gesicherte Landfrieden die Bürger ausserhalb der Stadtmauern in’s Freie hinauslockten, wird den Breslauern eifrige Gartenpflege nachgerühmt. Stenus am Anfange des 16., Henel am Anfange, Caspar Neumann am Ende des 17. Jahrhunderts finden nicht Worte genug, um den Reichthum der Breslauer Gärten an schönen kostbaren Gewächsen zu rühmen; unsere Gegenwart dürfte in dieser Hinsicht kaum vor Alt-Breslau etwas voraus haben. Schon in der ersten Schilderung deutscher Gärten, die der berühmte Humanist von Zürich, Conrad Gessner, in seinem Briefe „de hortis Germaniae‘‘ 1561 bekannt machte, wird ein Breslauer Garten, der des Johann Woyssel, serühmt') und ein Verzeichniss seiner botanischen und pomologischen Seltenheiten veröffentlicht; der auf dem Grundstück des heutigen Pariser Gartens auf der Weidenstrasse um 1585 angelegte Garten des Breslauer Arztes Laurentius Scholz wurde von schlesischen und auswärtigen Poeten, selbst von Ausländern als eine Schöpfung besungen, der nur der botanische Garten von Padua sich vergleichen lasse.?) Eine Orangerie wie sie am Änfange des vorigen Jahrhunderts in dem an der Garten- strasse gelegenen Scultetus’schen Garten aufgestellt war, ist heut in ganz Schlesien nicht mehr zu finden, Den grössten und schönsten unter den Gärten von Scheitnig besass seit dem Jahre 1782 der damalige Erbprinz, später (seit 1796) Fürst von Hohenlohe-Ingelfingen aus der katholischen Linie Waldenburg- Bartenstein, der um jene Zeit auch der Breslauer Fürstbischof angehörte. Der Prinz hatte im siebenjährigen Kriege bei der Reichsarmee gedient, war aber dann 1768 in die preussische Armee als Major im Regiment ) „Hortus copia, varietate, elegantia et raritate stirpium omnis generis summe commendatur.“ ”) Vgl. des Vortragenden Aufsatz: „Laurentius Scholz von Rosenow, ein Arzt und Botaniker der Renaissance“. Deutsche Rundschau April 1890. il. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 115 Tauentzien eingetreten. 1786 wurde er General und Commandeur dieses Regiments, das in Neisse seine Garnison hatte, aber von König Friedrich Wilhelm IH. nach Breslau verlegt wurde; 1792 wurde er Gouverneur von Breslau. In den durch die französische Revolution eröffneten Kriegen hatte er sich ausgezeichnet; und 1794 den Sieg von Kaisers- lautern davongetragen. Aber bei der Schlacht von Jena, wo der Fürst den Oberbefehl führte, wurde ihm die Niederlage zur Last gelegt; unmittelbar darauf, am 28. October 1306, wurde er zu der unglück- lichen Capitulation von Prenzlau, dem Sedan Altpreussens, gezwungen, Diese Katastrophe, die mit dem moralischen auch den finanziellen Ruin des Fürsten herbeiführte, griff auch entscheidend in das Schicksal von Scheitnig ein. Der Prinz hatte sich im Jahre 1782 mit einer reichen Erbin, Anna Luise, der Tochter des Reichsgrafen von Hoym, vermählt, die ihm die Herrschaft Slawentzitz in Oberschlesien zubrachte. Die jungen Gatten, eines der schönsten Paare in Preussen, residirten im Winter zu Breslau in ihrem Palais auf der Albrechtsstrasse, im Sommer in ihrer Villa zu Scheitnig, wo sie durch Zusammenkauf mehrerer Gärten eine grosse Besitzung erworben hatten. Der Prinz liess 1789/90 vom Dom aus nach seiner Villa eine schnurgrade Pappelallee, die heutige Fürstenstrasse, anlegen und über den jetzt als alte Oder bezeichneten, doch erst im Anfang des 16. Jahrhunderts gegrabenen Canal, über den nur ein Steig geführt hatte, die nach ihm benannte Fürstenbrücke (1790) erbauen, Es war in der That ein fürstlicher Besitz, den sich das junge Paar hier seschaffen hatte; ein grosser, sauber gezeichneter Plan, der jetzt in der Breslauer Stadtbibliothek aufbewahrt wird, „dem besten Vater von seinem gehorsamen Sohn August 1800 gewidmet‘, und eine Anzahl Abbildungen von dem Breslauer Kupferstecher Endler geben uns eine Anschauung dieser fast bis auf die letzte Spur zu Grunde gegangenen Anlage. An das Fürstliche Wohrhaus schloss sich eine ganze Reihe von Baulichkeiten, Stallungen und Wagenremisen, Billardhaus und Theater, eine stolze Orangerie war in dem noch heute erkennbaren Halbrund vor der Villa aufgestellt. Hinter derselben breitete sich ein grosser Garten aus in dem symmetrischen Style des Rococo, den wir gewöhnlich als französischen bezeichhen; regelmässige Vierecke, bald quadratisch, bald mehr in die Länge gezogen, wurden durch Baumalleen getrennt und theils mit Blumenparterres, theils mit Heckenspalieren besetzt; das grösste dieser Vierecke, das bis vor wenig Jahren als Spielplatz benutzt wurde und jetzt mit Rasen geschmückt ist, diente dem Fürsten als Reitbahn. | Der Prinz hatte sich von dem Breslauer Magistrat die Erlaubniss ausgewirkt, in dem hinter seinem Garten gelegenen städtischen Walde, 116 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Culiur. der damals den Numen Briskewald') führte, Gänge aushauen zu lassen; indem er seinen eigenen „Fürstengarten“ mit dem Scheitniger Stadtwald durch Anpflanzungen in Verbindung setzte, wurde er der Schöpfer des Scheitniger Parks. Denn seit der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte man auch in Deutschland angefangen; dem Vorbild Englands folgend, die regelmässigen Zeichnungen in den Gärten aufzugeben, in der richtigen Erkenntniss, dass Symmetrie und gerade Linie der Natur widersprechen; man hatte die geschorenen Hagedorn- und Taxus-Hecken, die künstlich zugestutzten Buchsbaumfiguren beseitigt, ‚da Verstümmelung der Natur nicht Schönheit sein könne‘; man hatte sich nunmehr die Aufgabe gestellt, im Garten schöne Landschaften darzustellen. Zuerst hatte der neue Gartenstyl im Hannöverschen (Harbke) Fuss gefasst, das durch seine politische Verbindung mit England den englischen Neuerungen am leichtesten zugänglich war; 1768 wurde der berühmte Park von Wörlitz (Dessau) in Angriff genommen; seit 1776 wurde unter Goethe’s Leitung der Park von Weimar geschaffen. In Schlesien scheint der allmächtige (seit 1770) dirigirende Minister Graf Hoym der erste gewesen zu sein, der auf seinem Gute Dyhernfurt den regelmässigen Schlossgarten durch Anpflanzung einheimischer und amerikanischer Schmuckbäume mit einem nahen Walde verband, in dem Teiche, Mühlen, Häuser, Anhöhen zerstreut lagen, und so den ersten englischen Park schuf, wo er „durch Zusatz der Kunst zur Erhöhung der natürlichen schönen Lage des Ortes bei- zutragen suchte.“ Der eigentliche Urheber des Parkes von Dyherpfurt, dessen Schönheit wir ja fast unverändert noch heute bewundern können, war Schlesiens grösster Architekt Karl Gotthard Langhans gewesen. Geboren 1733 zu Landshut, war er 1775 Kriegs- und Oberbaurath in Breslau geworden, wo er das bei der Belagerung der Stadt im Jahre 1760 in Brand geschossene Hatzfeldische Palais, den heutigen Ober- präsidialpalast, neu aufbaute; 1785 als Direetor des Oberhofbauamtes nach Berlin berufen, hat er hier in der Erbauung des Brandenburger Thors das erste Vorbild der Rückkehr aus den überladenen und über- künstelten Formen des Barocco und des Rococo zu den edleren und !) Prof. Markgraf hat festgestellt, dass der ältere Theil des heutigen Scheitniger Parks bis an die Grenze von Leerbeutel früher den Namen der Briske, Brieske, Brüske, Bruszke, Pruske oder Pruszke führte, so in dem 1761 vom Kriegsrath Neuwertz gezeichneten Plan von Scheitnig. Dieser Name hängt offenbar mit dem der gleichnamigen Familie zusammen, welche von 1547 bis in die preussische Zeit in den Schöffenbüchern von Scheitnig häufig erwähnt wird und oft das Schulzenamt inne hatte. Ob aber die Familie ihren Namen von der Oertlichkeit hatte, oder umgekehrt, ist nicht zu ermitteln; wahrscheinlicher ist das erstere. Die Briske umfasste den Eichwald und die Wiese, von der ein Theil mit der Zeit unter den Pflug gebracht wurde; erst 1858 kaufte die Stadt das letzte, bis dahin als Acker benutzte, 3 Morgen grosse Stück zur Abrundung der Parkwiese, il. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 417 einfacheren Gestaltungen des griechisch- römischen Baustils hingestellt. Wir Schlesier müssen Langhans auch dafür dankbar sein, dass er durch seine Pläne für den Park von Dyhernfurt in unserer Provinz das erste Vorbild für die Landschaftsgärten geschaffen hat. Der Verfasser eines 1785 veröffentlichten, zweibändigen Buches: „Von Schlesien vor und nach 1740‘ weiss seiner Begeisterung für die neuen Anlagen von Dyhernfurt keinen besseren Ausdruck zu verleihen als durch den Aus- ruf: „Natur und Langhans!“, wie einst Pope über den Park von Stowe und dessen Gartenkünstler gesagt hatte: „Immensity and Brown!“ Wir glauben nicht zu irren, wenn wir auch in den Anpflanzungen, durch welche Prinz Hohenlohe seinen eigenen symmetrischen Garten mit dem städtischen Eichwalde von Scheitnig in Verbindung setzte, den Ein- fluss von Langhans erkennen. Den Mittelpunkt der ganzen Anlage bildet hier, wie in allen englischen Parken, die grosse Wiese, deren Vollblick heute leider durch das Restaurationsgebäude durchschnitten ist; ein geschlängelter Weg umkreist dieselbe und bietet in seinen Aus- buchtungen stets abwechselnde, malerische Bilder. Ein Wasserlauf, der in den letzten Jahren fast ganz nach der ursprünglichen Zeichnung wiederhergestellt worden ist, durchzieht den Park und bildet zum Theil seine Grenze — bald als Waldbach sich durch das Gehölz windend, bald sich seeartig verbreiternd. Der Theil südlich von der Wiese ist von geradlinigen parallellaufenden Alleen durzogen; die nördliche Hälfte zeigt nur krummlinige Wege, wie sie dem modernen Parkstil entsprechen. Runde Plätze, mit Ruhebänken versehen, unterbrechen die Einförmigkeit; in ihrer Mitte ist eine kunstvolle Vase, eine antike Statue oder eine Büste aufgestellt. Denn überall zeigt sieh die Nachwirkung des durch Winkel- mann nnd Lessing geweckten Interesses für die antike Kunst; der Prinz hat sich durch den Gipsgiesser Echtler Abgüsse der berühmtesten klassischen Bildwerke anfertigen lassen und diese damals noch seltenen Kunstwerke, die mediceische Venus, den Laakoon, den Mars, den Hermaphrodit, den Borghesischen und den sterbenden Fechter, an passenden Plätzen seines Parks vertheil. Von dem Bildhauer Stein hat er dann auch‘ die Büsten der preussischen Könige und ihrer be- rühmtesten Generale ausführen lassen; Friedrich dem Grossen ist sogar eine Statue errichtet. Ein von Säulen getragener Rundtempel nach dem Vorbilde des Sibyllentempels von Tivoli krönte den noch heute vor- handenen kleinen Schlangenberg an der Nordspitze des Parkes und bildete einen fernhin sichtbaren „point de vue‘‘ für mehrere Alleen und Waldwege. Denn überall ist dafür Sorge getragen, dass im End- - punkt oder im Kreuzungspunkt zweier Alleen ein Bild- oder Bauwerk die Augen auf sich ziehe. Solcher Baulichkeiten, die nach dem Ge- schmack jener Zeit keinem Park fehlen durften, ist eine ganze Anzahl errichtet; wir finden eine Einsiedelei, einen Kiosk, ein paar Vogelhäuser, 118 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. eine Ruine, ein japanisches Haus und am Südrande des Parkes auf einer Anhöhe eine mit Strohschobern gedeckte otaheitische Hütte, wo man sich in das durch die Cook’sche Reisebeschreibung in die Mode ge- kommene Paradies der Südsee träumen und zugleich die hübsche Aus- sieht auf die Fluren bis zum Zobten. geniessen konnte. An der alten Oder, deren Dämme eine Pappelallee schmückte, war sogar ein Pharus als Aussichtswarte erbaut. Prinz Hohenlohe war ein „grand seigneur‘ im Sinne der guten alten Zeit: ritterlich, durch Herzensgüte, Freigebigkeit, Gastfreundschaft allbeliebt; seine Gemahlin geistvoll und kokett. Sie machten das srösste Haus in Breslau. Feste aller Art, Bälle, Concerte und Komödien er- sötzten die vornehme Gesellschaft, die sich in der Scheitniger Villa zu- sammenfand. Seine Glanzzeit erlebte Scheitnig im September des Jahres 1790, als König Friedrich Wilhelm II. als Gast des Prinzen in dessen Villa längere Zeit verweilte; in seiner Gesellschaft befand sich auch der Herzog von Weimar, Karl August und Goethe. Der drohende Aus- bruch eines Krieges mit Oesterreich war durch den Congress von Reichen- bach verhütet worden; rauschende Feste, deren Schauplatz der Scheitniger _ Park war, feierten den Friedensschluss. Goethe gedenkt in den „Annalen vom Jahre 1789“ seines Aufenthalts in Breslau, „wo ein soldatischer Hof und zugleich der Adel einer der ersten Provinzen des Königreichs glänzten, wo man die schönsten Regimenter unaufhörlich marschiren und manövriren sah.“ Fürst Hohenlohe hatte keineswegs die Absicht, die von ihm aus- geführten Anlagen in Scheitnig für sich selbst und für seine hochadelige Gesellschaft zu reserviren; er wollte vielmehr für ganz Breslau einen öffentlichen ,„„Vergnügungs- und Lustwandlungsort“ schaffen, wie ihn Wien in dem von Kaiser Josef „der ganzen Menschheit‘ eröffneten Volks- garten, Dresden im Grossen Garten, Berlin im Thiergarten besassen. Doch fanden seine wohlgemeinten Absichten bei den guten Breslauern wenig Verständniss. Der Philosoph Johann Gottlieb Fichte, der im Jahre 1791 in Breslau war, spricht sich nicht nur über den Scheitniger Park selbst, soudern noch mehr über das Verhalten der Breslauer in demselben sehr geringschätzig aus. Während er die Promenade über den Weidendamm, die schon im 16. Jahrhundert als Philosophenweg (via Philosophorum) bezeichnet wurde, ‚für eine platte Gegend wirklich schön‘‘ findet, schreibt er: ,‚Gestern ging ich nach Scheidenicht (!) in den Prinzlich Hohenlohe’schen Garten — überall blickt Aermlichkeit hervor! Statuen von Holz, aus denen man Stücke herausschneidet und die auch sehr hölzern gearbeitet sind, so unter anderen eine sehr steife von Friedrich II. Eisenketten, aus Weiden geflochten, die man zerreisst! Der Garten selbst ist voll Schnickschnack, man ist mehr in einer Samm- lung elender Büsten als in einem Garten; doch ist das Wäldchen dabei II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 119 sehr hübsch. Ein hässlicher Zug im Charakter der Breslauer — sie zerritzen diesem guten Prinzen, der nichts von ihnen verlangt, die Marmortische, zerschneiden seine Statuen, zerreissen seine Ketten u. s. w.‘“ Am wenigsten Verständniss hatte das Breslauer Publikum für die an- tiken Statuen; es nahm Aergerniss an der celassischen Nacktheit und verstümmelte dieselben, sodass sie entfernt werden mussten. Den, ster- benden Gallier mit dem Halsring hielt man für den Schulzen von Ka- wallen, der wegen eines Verbrechens gehängt worden war, die Medi- ceische Venus für seine Geliebte; in dem Laokoon glaubte man einen früheren Besitzer des Gartens zu erkennen, der sich mit seinen Söhnen im Schwarzwasser gebadet hatte und, da Kaltbaden nach der Volksmeinung eine Sünde war, zur Strafe von Schlangen aufgefressen wurde! Der Fürst hatte, um seiner Verehrung für Friedrich Wilhelm I. einen würdigen Ausdruck zu verleihen, am Nordostende der Parkwiese, nach dem Vorbild der Trajanssäule in Rom, eine hohe Säule aus Holz aufrichten lassen, deren Capitäl die Statue des Königs trug; um den Säulenmantel wand sich in spiraligen Streifen eine Reihe von Reliefs, in denen die Heldenthaten dieses Königs dargestellt sein sollten; an den Seiten des Postaments befanden sich Reliefs mit Kriegstrophäen. Im Sommer 1805 ging die Königssäule in Flammen auf, ob durch Zufall oder absichtlich in Brand gesteckt, konnte nicht ermittelt werden. Der Fürst liess die Säule mit der Statue von neuem herstellen, diesmal von Grund aus massiv aufgemauert; so steht sie noch heut im Scheitniger Park — das einzige grössere öffentliche Denkmal, das Friedrich Wilhelm II. zutheil geworden ist. An Stelle der plastischen Reliefs sollten die Thaten des Königs nunmehr durch Malerei auf der Säule verewigt werden; aber die Ereignisse des Jahres 1806 hinderten die Ausführung, Im December dieses Jahres erschien das französische Belagerungsheer, hauptsächlich aus Bayern und Würtembergern be- stehend, vor Breslau; die Stadt wurde einem mehrtägigen verheerenden Bombardement ausgesetzt. Die feindlichen Truppen biwakirten im Scheitniger Park; die griechischen Tempel, die idyllischen Hütten wurden zu den Wachtfeuern verbraucht. Nach dem Tilsiter Frieden zog sich Fürst Hohenlohe auf sein Gut Slawentzitz zurück, wo er 1818 starb. Was im Scheitniger Park die Kriegsstürme überdauert hatte, ging nun vollends zugrunde. Im Jahre 1815 wurden die dem Fürsten gehörigen Besitzungen in Breslau und Scheitnig subhastirt und unter mehrere Käufer zersplittert; einen Theil, den eigentlichen Fürstengarten, erstand der Bankier Weigelt. 1837 wurde dieser Garten, nachdem wieder ein Stück von ihm abgetrennt worden, an den Gastwirth Molke, den Besitzer des Hotels de Pologne (jetzt „König von Ungarn“), ver- kauft, der denselben als Kaffeegarten einrichtete und an den Kaffeewirth 120 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Hoffmann verpachtete. Zwei Jahre später, 1839, verkaufte Molke den Fürstengarten an den Dr. med, Jul. Bürkner, der in demselben die erste schlesische Wasserheilanstalt einrichtete. 1841 gelangte der Garten wieder als Villa in den Besitz von Frau Caroline Rutsch; diese ver- kaufte ihn im Jahre 1854 an die Stadt Breslau für den Kaufpreis von 16000 Thaler, Zunächst wurde der. Fürstengarten wieder als öffentlicher Kaffee- garten verpachtet, in dem die Breslauer „beau monde‘ sich Sonntags mit Vorliebe zusammenfand, um dann in dem anstossenden Walde zu lustwandeln. Dieser war nach der Auflösung der fürstlichen Besitzungen wieder in das Eigenthum der Stadt zurückgekehrt; aber sich selbst überlassen, waren die Baumpflanzungen zu undurchdringlichen Dickichten verwildert; auf den Rasenflächen, die, ausgebrannt und zertreten, einen trostlosen Anblick boten, hatten sich Caroussels und Kaffeebuden angesiedel. Zwar hatte schon im Jahre 1823 eine Verschönerungs- commission die Wiederherstellung der Parkanlagen befürwortet, und Stadtrath Knoblauch war gleichzeitig für den allmähligen Ankauf der im Park zerstreuten Privatgrundstücke eingetreten, um aus dem- selben wieder ein zusammenhängendes Ganzes herzustellen; im Jahre 1846 wurde eine Erneuerung der Wege und Alleen in Angriff‘ genommen und umfänglichere Culturen vorbereitet. Doch erst im Jahre 1862 wurde von der städtischen Promenadendeputation unter Zugrundelegung eines von Lenn& entworfenen Planes die Neugestaltung des Parkes aus der Verwahrlosung, in die er verfallen war, ernstlich in die Hand genommen, und es wird nunmehr seit nahezu 30 Jahren unablässig an seiner Ver- schönerung und Vergrösserung gearbeitet. Wenn so unsere Stadt in den Besitz eines Parkes gekommen ist, an dessen Genuss alle Volks- klassen in gleichem Maasse theilnehmen, so ziemt es sich auch, der Männer dankbar zu gedenken, die mit Hingebung und Aufopferung sich dem Werke gewidmet haben. Wenn wir hier zuerst an den unvergesslichen Göppert erinnern, der nimmer müde wurde, in Wort und Schrift zur Verschönerung des Parks wie der Promenaden anzuregen, so ist seinen gemeinnützigen Bestrebungen die öffentliche Anerkennung schon dadurch ausgesprochen worden, dass die jüngste Erweiterung des Parkes den Namen des Göpperthains erhalten hat. Neben ihm dürfen wir aber auch der Männer nicht vergessen, die thatkräftig die Ausführung des schönen Werkes in ihre Obhut nahmen: des früheren Oberbürgermeisters Elwanger, der, selbst ein Kenner und Pfleger der Gartenkunst, wohl den ersten Anstoss zur Neugestaltung des Parks gegeben hat, sowie seines NachfolgersHobrecht; dann insbesondere der Stadträthe, die nacheinander mit gleicher Liebe und gleicher Sachkenntniss die neuen Anlagen för- derten und überwachten: der Herren Trewendt, Fintelmann und Eichborn, die schon dahin geschieden sind, und des Stadtraths Kern, II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 191 gegenwärtig die Oberleitung des Scheitniger Stadtparks in der Hand der hat. Auch des wackeren Parkinspectors Heinze muss hier anerkennend gedacht werden, dem seit 25 Jahren die gärtnerische Pflege des Parkes anvertraut ist. Was seit 1862 für Scheitnigs Park geschehen, ist unserer Gene- ration noch in so lebendiger Erinnerung, dass es genügt, hier nur auf die wichtigsten Veränderungen hinzuweisen. Zuerst fiel der Zaun, der Fürstensgarten von dem alten Briskewalde getrennt hatte; in ersterem wurde alles beseitigt, was an den ehemaligen Kaffeegarten erinnerte, gleichzeitig aber wurden auch die letzten Spuren der ursprünglichen symmetrisehen Anlage ausgetilgt. Nur die geraden Alleen in der süd- lichen Hälfte des Parkes, die im Verlaufe eines Jahrhunderts zu grosser Schönheit herangewachsen waren, wurden beibehalten, im ganzen übrigen Park die geschlängelten Wege des Landschaftsgarten hergestellt. Alle Baulichkeiten der ehemaligen Fürstenvilla wurden abgerissen, bis auf ein einziges Häuschen, welches einst als Billardhaus gedient hatte. Durch Abholzung des niedrigen Gestrüpps wurden die alten, schönen Bäume frei gestellt und ihnen wieder Luft und Licht zugänglich ge- macht; besonders den herrlichen, alten Eichen ward möglichste Pflege zu theil. Die Wiese wurde von den Buden und Caroussels, die sich auf ihr eingenistet, gesäubert; mit sammtgrünem Rasen bedeckt, der, dank der sorgsamen Pflege, der regelmässigen Bewässerung und Düngung sich jedem englischen „Parklawn‘ an die Seite setzen kann, bietet sie jetzt zu allen Jahreszeiten ein in Breslau früher unbekanntes, Herz und Auge erfrischendes Bild dar; ihre Ränder wurden mit ausgewählten Schmuckgehölzeu eingefasst. Während durch Regulirung der Oder- dämme der Park gegen die früher alljährlich drohende Ueber- schwemmungsgefahr erfolgreich geschützt wurde, erhielt derselbe durch die nicht ohne grosse Mühe und Kosten erreichte Herstellung eines stetig fliessenden Wasserlaufs, der sich an zwei Stellen zu schönuferigen Seen erweitert, eine neue Zierde. Nachdem durch Ankauf oder Um- tausch einer Anzahl Enclaven Raum für neue Anlagen gewonnen war, konnte nicht nur die Verbindung des Parks mit dem schönen, früher als Bandewäldchen!) bezeichneten Eichenhain im Süden durch eine um den See kunstvoll gruppirte Anpflanzung hergestellt, sondern auch die Erweiterung des Parkes über die Schwoitscher Chaussee hinaus bis !) Der Name Bandewäldchen findet sich bereits in der Neuwertz’schen Karte von 1761; seine Bedeutung ist nicht ermittelt. 1838 wollte der Gastwirth Molke die Eichen des Bandewäldchen, da dasselbe ausser Verbindung mit dem Haupt- walde stände und nie von einem Spaziergänger besucht werde, niederschlagen lassen; glücklicherweise versagte der Magistrat die Genehmigung. Schon 1762 hatte der Kriegsrath Neuwertz beim Magistrat den Antrag gestellt, die Eichen im „Briskewäldchen‘ wegzunehmen, weil sie durch ihren Schatten die Aecker und 9 1232 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. nahe an die Oder, wie in den Zeiten Herzog Heinrichs, ins Werk ge- setzt werden, wozu die grosse am Östende des Parkes neu angelegte städtische Baumschule das erforderliche massenhafte Material an Bäumen und Sträuchern hergab. Nachdem zu beiden Seiten der Passbrücke das Birkenwäldchen und die König Wilhelms-Anlagen, sowie die land- schaftliche Umrahmung des Rennplatzes schon früher zur Vollendung gebracht waren, bilden der grosse See mit der Eich bornbrücke und die Anlagen des Göpperthains den Abschluss der bisherigen Arbeiten zur Erweiterung und Verschönerung des Scheitniger Parks. Sollen hiermit diese Arbeiten für alle Zeiten abgeschlossen sein und der Zukunft nur die Erhaltung des heut Bestehenden obliegen? Wir glauben dies nicht, hoffen vielmehr, dass in nicht ferner Zeit unsere Stadt an neue Aufgaben herantreten wird, durch welche der Park erst zu einem wahren Volksgarten gemacht werden wird. Wir denken dabei nicht blos an Verbesserungen in den bereits bestehenden Anlagen; durch srössere Abwechselung in der Anpflanzung von Bäumen und Sträuchern verschiedenartiger Belaubung, durch Lichtung allzu dicht gewordener Gehölze, durch Freistellung besonders schöner Baumformen, durch Schaffung unbehinderter Ausblicke in die Umgebung wird die hier und da hervortretende Einförmigkeit der neuen Anlagen leicht vermieden werden. Aber besonders zu berücksichtigen scheint uns, dass bisher der Park in seinen Anlagen nur auf eine Eintrittsstelle berechnet war: von der Fürstenbrücke aus. Seit einer Reihe von Jahren hat sich jedoch die Thiergartenstrasse mit der Passbrücke als der von Wagen wie von Fussgängern am häufigsten benutzte Zugang zum Park herausgebildet, Hier ist durch die von Fintelmann aus Nadelgehölz geschaffenen König Wilhelms-Anlagen bereits ein Anfang gemacht, der uns aus dem auf- regenden Getriebe der Grossstadt in die erfrischende und beruhigende Stimmung der Waldnatur versetzt. Aber dieser erhebende Eindruck wird alsbald durch die kahle Fläche der Rennwiese- unterbrochen, die das ganze Jahr wüst liegt, um nur für wenige Tage lebhafterem Ver- kehr Raum zu gewähren. Schon längst hat sich in unserer Bevölkerung der Wunsch ausgesprochen, dass der Rennplatz hinter die Obstbaum- schule der Schlesischen Gesellschaft verlegt, die bisher für die Rennen benutzte Wiese dagegen in die Anlagen des Scheitniger Parks hinein- gezogen werden möchte, Auf dieser weiten Fläche, die heute in ihrer Verödung das freundliche Bild von Scheitnig entstellt, würden in wenig Jahren durch die Gartenkunst eine Reihe lieblicher Landschaften er- Wiesengründe beeinträchtigten! Eine einzelne prachtvolle Eiche an der alten Oder, welche allein dem Schicksal ihrer Schwestern entgangen war, rettete der Magistrat 1865 auf Antrag des Oberbürgermeisters Hobrecht vor dem auch ihr angedrohten Untergang, indem er sie sammt der von ihr beschatteten Parzelle ankaufte. Il. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 1233 wachsen, wie sie der benachbarte Zoologische Garten in den letzten 25 Jahren aus ähnlicher Haidegegend geschaffen hat; hier wäre auch Platz für die Erfüllung mancher Wünsche, die bisher noch nicht ge- nügend berücksichtigt werden konnten: für eine Fahrstrasse zu aus- gedehnteren Spazierfahrten im Freien, für Spielplätze der Kinder und Erwachsenen, für ein neues Restaurationsgebäude, da das einzige im Park vorhandene schon längst nicht mehr für die Menge der im Park Erholung Suchenden ausreicht. Durch die neuen Anlagen auf der Renn- wiese würde aber auch der Scheitniger Park zu einem zusammenhängen- den Ganzen sich ausgestalten, das an Grösse, Mannigfaltigkeit und Schön- heit in keiner Weise hinter dem Bois de Boulogne von Paris, dem Englischen Garten von München, dem Berliner Thiergarten oder dem Wiener Prater zurükstehen würde. Hoffen wir, dass es den städtischen Behörden gelingen möge, die für die hier angeregte Vollendung des Scheitniger Parks erforderlichen Geldmittel flüssig zu machen. Keine Ausgaben verinteressiren sich so gut, wie die für öffentliche Anlagen, denn sie tragen ihre Zinsen in der geistigen Erfrischung und der ge- förderten Gesundheit der gesammten Bürgerschaft. y 2 a ee ee I NR An ga | a ei molschor län ae Pussdoilhiel ol Wr sand Ihn oe les e Srshe guabiaktoie BERN ET RR ET Be 0 1230 wagen is Re ssrloik: girl LMtickbt rn oisseee Neu A Antike ui alla Alva, um De dere Verein ME IE het giurdba DVB BB A aaa ee en Lake a a ee Varta a Beier nein iss ns Ale Ba c w Aue 77 2. 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Jahresbericht. Historisch - staatswissenschaftliche 1890. Abtheilung. Ueber das Gesetz, betreffend die Invaliditäts- und Alters- versicherung, vom 22. Juni 1889. Von Öber-Regierungs-Rath a. D. Schmidt. (Sitzung der Section für Staats- und Rechtswissenschaft vom 16. Januar 1890.) Anschliessend an einen knappen systematischen Leitfaden, den er für seine Zuhörer unter theilweiser Benutzung der Gebhard-Geibel’schen Broschüre zum leichteren Verständniss des Gesetzes ausgearbeitet und mit dem Texte des letzteren verbunden hatte, gab der Vortragende zu- nächst eine allgemeine Charakteristik des ‚von der Parteien Gunst und Hass verwirrten“ Gesetzes. Den Einen bietet es zu viel, den Anderen zu wenig. Jedenfalls ist der Umfang seiner socialpolitischen Bestre- bungen von keinem anderen Gesetze dieses Gebietes erreicht worden. Das Ausland kann dem Gesetze keine analoge Schöpfung an die Seite stellen, und auch im Inlande haben nur vereinzelte Ansätze ver- wandter Art bestanden (auf Grund einiger Berggesetze für Bergarbeiter die Knappschaftskassen, auf Grund einiger Fabrik- und Arbeitsordnungen für einzelne industrielle Etablissements oder Verkehrseinrichtungen, ins- besondere seit einigen Jahren für die Reichs-, sowie die königlich preussischen, die königlich sächsischen und die königlich bayerischen Staatseisenbahn-Verwaltungen, von Privat-Versicherungsanstalten, so viel bekannt, nur die Allgemeine Magdeburger Versicherungs- Gesellschaft in geringem Umfange). Allerdings wird ein grosser Theil der Versicherten Beiträge zahlen müssen, ohne jemals baaren Gewinn aus dem Versicherungsverhältniss zu erzielen. Im Beharrungszustande (nach ungefähr 80 Jahren) werden voraussichtlich auf 100 Versicherte etwa 11 Invaliditäts-- und ein Altersrentner kommen. Aber auch die übrigen Versicherten gehen keineswegs leer aus, sondern haben während der Dauer der Versicherung das beruhigende Gefühl gehabt, gegen die Gefahren der Invalidität und des hohen Alters eintretendenfalls geschützt zu sein. Dass dieser Anspruch ein wohl erworbener, rechtlich erzwingbarer ist, erhebt ihn weit über 1 9) Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. das Niveau einer blossen Armenunterstützung und verleiht ihm eine er- ziehliche Rückwirkung auf die gesammte sittliche Lebensführung des Versicherten. Gegen dieses socialpolitisch hochbedeutsame Moment muss der pecuniäre Vortheil verminderter Armenpflegekosten, der alierdings eintreten wird, nur von untergeordneter Bedeutung erscheinen. Am aller- wenigsten lässt sich die vom Socialdemokraten Grillenberger aufgestellte Behauptung rechtfertigen, dass das Gesetz nur ein Stück verschlechterter Armenpflege sei. Nach dem Ausspruche des Staats-Secretairs Dr. v. Böt- ticher soll durch die socialpolitische Gesetzgebung dem Arbeiter das drückende und vielfach entehrende Gefühl genommen werden, der Armen- pflege für Fälle der Erwerbsunfähigkeit unterworfen zu sein, mag diese in Krankheit, Unfällen oder Alter ihren Grund haben. Diese Gesetz- gebung will mit einem Worte immer mehr dem Ziele näher kommen, die Armenpflege womöglich ganz entbehrlich zu machen. Zu den einzelnen Gesetzesbestimmungen und deren Entwiekelung übergehend, beleuchtete der Vortragende ji. Den Umfang der Versicherung. 1. Versicherungspflichiige. Zu dem so weit wie möglich gezogenen Kreise der Versiche- rungspfliehtigen gehören auch die weiblichen Arbeiter. Ihre Aus- schliessung enthielte nicht blos eine Ungerechtigkeit, insofern sie als Arbeiterinnen den gleichen Gefahren der Erwerbsunfähigkeit ausgesetzt sind wie die Männer, sondern es würden auch die Arbeitgeber zur Er- sparung von Versicherungsbeiträgen für die männlichen Arbeiter mehr weibliche Kräfte in ihren Betrieben verwenden. Man hat gegen die Versicherung der weiblichen Personen aus dem Arbeiterstande haupt- sächlich eingewendet, dass dieselben durch ihre Verheirathung nicht nur der Wohlthaten des Gesetzes verlustig gehen, sondern auch ebenso wie ihre Arbeitgeber die Versicherungsbeiträge umsonst gezahlt haben würden. Aber unter den 3563527 Arbeiterinnen und weiblichen Dienst- boten im Deutschen Reiche befindet sich ein grosser Theil solcher, welche gar nicht heirathen, und Viele, welche zwar heirathen, aber Arbeiterinnen bleiben. Ansserdem bestimmt der $ 30, dass weiblichen Personen, welehe eine Ehe eingehen, bevor sie in den Genuss einer Rente gelangt sind, ein Anspruch auf Erstattung der Hälfte der für sie geleisteten Beiträge zusteht, wenn die letzteren für mindestens 5 Bei- tragsjahre entrichtet worden sind. Der darauf folgende $ 31 trifft in gleicher Weise Fürsorge für die hinterbliebenen Wittwen und Waisen- kinder unter 15 Jahren. Und so ist in diesen $$ 30 und 31 der Anfang mit der Wittwen- und Waisenversorgung des Arbeiterstandes gemacht. Wenn von Seiten der Socialdemokraten und Deutschfreisinnigen gerade diese Art der Arbeiterfürsorge für viel wichtiger als die Invaliditäts- II. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung. 5) und Altersversicherung erachtet worden, so ist hierbei freilich die finanzielle Belastung ausser Acht gelassen, die bei nur 60 Mark Wittwen- und 30 Mark Waisenrente auf 120—130 Millionen Mark jährlich zu veranschlagen sein würde. Dem Gedanken, blos die Arbeiter der Grossindustrie in die Invaliditäts- und Altersversicherung einzubeziehen, steht der ausserordent- lich lebhafte Personenwechsel zwischen den einzelnen Zweigen der Gross- industrie, dem Handwerk und der Landwirthschaft entgegen. Zur Be- gründung dieses Haupteinwandes gegen den Antrag Hitze, Freiherr v. Hertling und Biehl, welcher nur den im $ 1 Absatz 1 des Unfall- versicherungs- Gesetzes vom 6. Juli 1884 genannten Personen eine In- validen- und Altersrente gewähren wollte, führte der Abgeordnete Dr. Buhl aus den Mittheilungen des Vereins zur Wahrung der wirth- schaftlichen Interessen die Thatsache an, dass in den Krupp’schen Werken im November 1887 von 450 neu aufgenommenen Arbeitern nur 34 aus den rheinisch-westfälischen Hütten- und Walzwerks- Berufs- genossenschaften und 41 aus verwandten Berufen entnommen wären, während der ganze Rest aus den verschiedensten fremden Berufen her- rührte, Maurern, Anstreichern, Zimmerleuten, Schuhmachern, Metzgern, Fuhrleuten u. s. w. Wie der Antrag Hitze und Genossen in der Beschränkung der Versicherungspflicht, so schoss der von Bebel und Genossen in ‘der Ausdehnung derselben über das Ziel. Hiernach sollten auch selbst- ständige Handwerker und sonstige Unternehmer, deren Einkommen oder regelmässiger Arbeitsverdienst 2000 Mark nicht übersteigt, in den Kreis der’ Versicherungspflichtigen gezogen werden. Regierungsseitig war schon in den Motiven zur Gesetzesvorlage vom 22. November 1888 zugestanden worden, dass es Unternehmer kleinerer Betriebe gebe, deren Lebenslage sich nicht als günstiger bezeichnen lasse, wie die der Arbeiter, immerhin bildeten aber diese Fälle nicht die Regel; die Verhältnisse lägen viel- mehr in den einzelnen Betriebszweigen und örtlichen Bezirken sehr ver- schieden. Dem socialdemokratischen Antrage gegenüber konnte daher mit Recht betont werden, dass die zwangsweise Einbeziehung solcher kleinen Unternehmer nothwendig zu der Frage führe, wem die Ver- sicherungsbeiträge für dieselben, die sonst den Arbeitgebern zur Last fallen, auferlegt werden sollten. Das Reich damit zu belasten, wie Seitens der Antragsteller gewünscht werde, bringe eine nicht zu recht- fertigende Ungleichheit in die Heranziehung der Unternehmer. Der kleine Betriebsunternehmer würde also den Beitrag des Arbeiters wie des Arbeitgebers zu zahlen haben, und das würde seine Leistungsfähigkeit oft genug übersteigen. Hiernach erscheint der Umfang der Versicherungspflicht, wie solcher im $ 1 des Gesetzes bestimmt ist, gerechtfertigt. 1* 4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Der $ 2 macht es dagegen erst vom Beschluss des Bundesraths abhängig, ob auch der Versicherungszwang auf die dort näher bezeich- neten zwei Kategorien kleinerer Gewerbetreibenden ausgedehnt werden soll. Wie ausserordentlich verschieden deren Verhältnisse liegen, ist namentlich mit Bezug auf die Weber in Schlesien vom Reichstags-Ab- geordneten Dr. Websky bei der zweiten Plenarberathung des Gesetzes eingehend dargethan. Die Hausgewerbetreibenden im Erzgebirge und Thüringen sind wie die schlesischen Weber meistentheils in der kümmer- lichsten Lage und schlechter als die Fabrikarbeiter daran; im Gebiete der rheinisch - westfälischen Industrie sind dagegen viele wohlsituirte kleine Fabrikanten nach der gewöhnlichen Begriffsbestimmung nichts anderes als „Hausgewerbetreibende‘ im Sinne des $ 2 Nr. 2 — darunter Schmiedemeister, welche 5 oder 6 Gesellen beschäftigen. Mit vollem Rechte bestimmt daher der letzte Absatz des $ 2, dass je nach der Verschiedenheit der Verhältnisse der Bundesrath darüber entscheidet, ob und inwieweit Gewerbetreibende, in deren Auftrag und für deren Rech- nung von Hausgewerbetreibenden gearbeitet wird, gehalten sein sollen, Rücksichts dieser Hausgewerbetreibenden und ihrer Gehilfen, Gesellen und Lehrlinge die im Gesetze den Arbeitgebern auferlegten Verpflich- tungen zu erfüllen. Die im $ 4 bestimmten Ausnahmen von der Versicherungspflicht beruhen auf der selbstverständlichen Erwägung, dass den darin bezeich- neten Personen die Fürsorge, welche das Invaliditäts- und Alters- versicherungsgesetz in Aussicht stellt, bereits anderweitig und zum Theil in weitergehendem Umfange zu Theil wird. Die Gesammtzahl der hiernach kraft Gesetzes versicherungspflichtigen Personen ist auf der Grundlage der Berufsstatistik vom 5. Juni 1882 für das Jahr 1889, wo das Gesetz vom Reichstage berathen wurde, auf 7322000 männliche und 3 696 000 weibliche zusammen 11018000 Personen berechnet worden. Die Zahl derjenigen Personen, auf welche der Bundesrath die Ver- sicherungspflicht erstrecken darf, mag weitere 4—5 Millionen betragen. 2. Freiwillige Versicherung. Neben der Versicherungspflicht kennt das Gesetz eine freiwillige Betheiligung an der Versicherung. Es soll nämlich nach den Motiven des Gesetzentwurfs, wie solcher aus den Commissionsberathungen hervorgegangen ist, das Prineip des Versicherungszwanges durch Ein- führung des Prineips der Freiwilligkeit eine gewisse Ergänzung erfahren, und zwar: Ill. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung. 5 a. In Form der freiwilligen Fortversicherung. Schon die Vorlage der verbündeten Regierungen war von der Er- wägung ausgegangen, dass diejenigen Personen, welche aus jeder die Versicherungspflicht bedingenden Beschäftigung zeitweise oder (wie z.B. durch Etablirung als selbstständiger Gewerbetreibender) dauernd aus- scheiden, billigerweise nicht genöthigt werden könnten, das aus der bisherigen Beschäftigung entsprungene Verhältniss zur Versicherungs- Anstalt ohne Weiteres abzubrechen; denn sie hätten bereits Beiträge geleistet und hierdurch einen eventuellen Anspruch erworben. Nach $ 117 sind daher Personen, welche aus dem versicherungspflichtigen Verhältniss ausscheiden, berechtigt, dasselbe freiwillig fortzusetzen. b. In Form der Selbstversicherung. Diese zweite Art der freiwilligen Versicherung verdankt ihre Ent- stehung dem Antrage der Abgeordneten Gebhard, Geibel und Struck- mann. Sie ist nach $ 8 den kleinen Gewerbetreibenden des $ 2 gestattet, soweit diese nicht schon durch den Bundesrath der Versiche- rungspflicht unterworfen worden sind. Die regierungsseitig vom Director im Reichsamte des Innern Bosse gegen die Selbstversicherung geltend ge- machten Bedenken bestanden darin, dass die Gefährdung und Belastung der Versicherungs - Anstalten um so grösser sein würde, je näher der Termin, wo von dieser freiwilligen Versicherung Gebrauch gemacht werde, an dem Zeitpunkte des Eintritts der Invalidität liege. Es könne sehr leicht kommen, dass die Versicherungs - Anstalten mehr zahlen müssten, als sie von den der Selbstversicherung Angehörigen eingenommen hätten. Die letzteren dürfen daher nach dem obengedachten $ 8 noch nicht das 40. Lebensjahr überschritten haben und nicht bereits dauernd erwerbsunfähig sein, Bei beiden Formen der freiwilligen Versicherung lässt sich nicht die Gefahr für die Versicherungs-Anstalten verkennen, dass die Wohl- that des Gesetzes missbräuchlich anderen Personen zu Nutze kommt, als für welche sie eigentlich bestimmt ist; ein versicherungspflichtiges Arbeitsverhältniss lässt sieh auf kurze Zeit (vielleicht nur einige Tage) fingiren; die freiwillige Fortsetzung der Versicherung kann dann in einem Alter erfolgen, wo der Eintritt der Invalidität in naher Aussicht steht. Daher ist im $ 117 bestimmt, dass auf die fünfjährige Wartezeit der Invalidenrente ‘die zum Zwecke der Fortsetzung oder Erneuerung des Versicherungsverhältnisses freiwillig geleisteten Beiträge nur dann zur - Anrechnung kommen sollen, wenn für den Versicherten auf Grund der Versicherungspflicht oder der Bestimmung des $ 3 für mindestens 117 Wochen (d. i., da 47 Wochen auf ein Beitragsjahr gerechnet werden, annähernd die Hälfte der Wartezeit) Beiträge geleistet worden sind. 6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Selbstverständlich müssen bei jeder freiwilligen Versicherung die vollen Beiträge, also sowohl die dem Arbeitgeber als die dem Ver- sicherten zur Last fallende Hälfte der Beiträge, an die Versicherungs- anstalt entrichtet werden, und zwar, wie der Absatz 1 des $ 117 be- stimmt, für die Lohnklasse II. Nach Absatz 2 daselbst können auch während eines Kalenderjahres insgesammt mehr als 52 Beitragswochen niemals in Anrechnung gebracht werden. Ausserdem ist als Aequivalent für die 50 Mark, welche das Reich zu jeder Rente zuschiesst, gleich- zeitig für jede Woche Beitragsleistung ein weiterer Beitrag in Form einer Zusatzmarke von 80 Pfennigen beizubringen (vgl. $ 117 Absatz 1 in Verbindung mit $ 121 letzter Absatz). Von diesen Zusatz- marken sind nur folgende Befreiungen festgesetzt: &. Selbstständige Betriebsunternehmer, welche regelmässig nicht mehr als einen Lohnarbeiter beschäftigen, sind, nachdem für dieselben auf Grund der Versicherungspflicht während mindestens 5 Beitrags- jahren Beiträge entrichtet worden sind, im Falle der Fortsetzung oder Erneuerung des Versicherungsverhältnisses von der Beibringung der Zusatzmarke befreit (vgl. $ 118). ß. Wird ein zwischen einem Versicherten und einem bestimmten Arbeitgeber bestehendes Arbeits- oder Dienstverhältniss ($ 1) derart unterbrochen, dass ersterer aus der Versicherungspflicht vorüber- gehend ausscheidet, so kann für einen vier Monate nicht über- steigenden Zeitraum das Versicherungsverhältniss auch ohne Bei- bringung von Zusatzmarken dadurch freiwillig aufrecht erhalten werden, dass der Arbeitgeber oder Versicherte die bisherigen Bei- träge fortentrichtet (vgl. $ 119). Die Ausnahme zu «& soll kleine Gewerbetreibende begünstigen, denen ohne Befreiung von der Zusatzmarke die Aufbringung der Beiträge zur freiwilligen Fortsetzung ihrer ursprünglichen Zwangsversicherung schwer, wo nicht unmöglich sein würde. Die Ausnahme zu ß berücksichtigt da- gegen in wohlwollender Absicht die vielen sogenannten Saisonarbeiter, die, wie z. B. die Maurer, einen Theil des Jahres in ihrem versicherungs- pflichtigen Arbeitsverhältniss unbeschäftigt sind. Ob von den beiden Formen der freiwilligen Versicherung ein grosser socialpolitischer Vortheil zu erwarten ist, steht dahin. Es ist namentlich bezweifelt worden, dass Diejenigen, welche aus dem versicherungspflich- tigen Arbeiterstande in den selbstständiger Gewerbetreibenden übergehen (zumal in den ersten Jahren nach diesem Uebergange, wo sie alle Kraft daran setzen müssen, um sich zu erhalten), im Stande sein werden, ausser den Beiträgen der Arbeiter noch den der Arbeitgeber, in der Regel aber noch ausserdem 80 Pfennige wöchentlich für die Zusatzmarke zu zahlen. Beruht der Austritt aus der Versicherungspflicht vollends auf der Arbeits- III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 7 losigkeit, so ist die freiwillige Aufbringung der Beiträge erst recht schwierig, wo nicht unmöglich. IE Um den Folgen der Arbeitslosigkeit in Bezug uuf die Abminderung oder den Verlust der Rente möglichst zu be- segnen, enthält das Gesetz folgende Bestimmungen: 1. Laufende Beiträge kommen nur für einen Bruchtheil des Jahres, nämlich 47 Wochen, in Betracht, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob diese Beitragswochen in dasselbe oder in verschiedene Kalender- jahre fallen (vgl. $ 17). Dadurch kann wenigstens eine gelegent- liche Arbeitslosigkeit von geringerer Dauer unschädlich gemacht werden. 2. Unterbrechungen, welche durch bescheinigte, mit Erwerbsunfähig- keit verbundene, mehr als 7tägige und nicht über ein Jahr dauernde, unverschuldete Krankheit nach dem nicht lediglich vor- übergehenden Eintritt in ein die Versicherungspflicht begründendes Arbeits- oder Dienstverhältniss, sowie durch Leistung von Militair- diensten veranlasst werden, haben keine nachtheilige Folgen für die Bemessung der Rente. Die Ausfälle an Beiträgen übernimmt (und zwar in der II. Lohnklasse) in dem ersten Falle die betreffende Versicherungsanstalt und im zweiten das Reich (vgl. $ 17 Absatz 2 in Verbindung mit $ 23 Absatz 1). 3. Die aus einem Versicherungsverhältniss sich ergebende Anwart- schaft erlischt zwar, wenn während 4 aufeinanderfolgender Kalenderjahre für weniger als insgesammt 47 DBeitragswochen Beiträge auf Grund des Versicherungsverhältnisses oder freiwillig entrichtet worden sind. Die Anwartschaft lebt aber wieder auf, sobald das Versicherungsverhältniss in der einen oder anderen Weise erneuert und darnach eine Wartezeit von fünf Beitragsjahren zurück- gelegt ist (vgl. $ 32). Ill. -Gegenstand der Versicherung konnte sowohl für den Fall des Alters als der Invalidität nur eine Rente sein, da eine Capitalabfindung keine Garantie für die Erfüllung des Zwecks bietet. Die mit Vollendung des 70. Lebensjahres auch ohne Nachweis der Invalidität zu gewährende Altersrente wird nach den statistischen Er- hebungen nicht weniger als 115000 Personen mit einem Kostenaufwande von etwa 14 Millionen Mark zu gute kommen und bedeutet daher keines- wegs einen werthlosen Schmuck des Gesetzes. Bei den Berathungen des letzteren hat man nicht nur die Höhe der Altersrente bemängelt, sondern auch die Altersgrenze, die nach den eingebrachten Amendements 8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. und auch nach dem Commissionsentwurfe erster Lesung mindestens bis zum 65. Lebensjahre ermässigt werden sollte, besonders im Hinblick auf die landwirthschaftlichen Arbeiter, die nicht selten bis in ihr hohes Alter von mehr als 70 Jahren rüstig und arbeitslustig bleiben. Fürst von Hatzfeldt-Trachenberg hielt es für nicht unwahrscheinlich, dass durch die Herabsetzung der Altersgrenze für die Altersrente an der In- validenrente erspart werden würde, und betonte dabei mit vollem Recht, dass man auf die moralische Wirkung einer umfänglicheren Ge- währung der Altersrente nicht genug Werth legen könne. Gleichwohl entschieden finanzielle Bedenken für die gegenwärtige Beschränkung, da schon bei dieser die Altersrente 4 pCt. der Gesammtbelastung in An- spruch nehmen wird. Sicher ist es auch eine weise Politik, mit den Verheissungen des Gesetzes, bevor über dessen Ausführbarkeit und Be- währung praktische Erfahrungen gesammelt sind, zurückhaltend zu sein und die weiter gehende Erfüllung seiner wohlthätigen Absichten der Zukunft vorzubehalten. Gegen die Ausdehnung des Gesetzes auf Halbinvalide sprach ebenu- sowohl die Höhe der finanziellen Belastung, die sich nicht einmal annähernd übersehen lässt, als die bei den Militairinvaliden erfahrungsmässig hervor- setretene Schwierigkeit, den Begriff der Halbinvalidität festzustellen. Diese Schwierigkeit hat sich auch hinsichts der Merkmale der Erwerbsunfähigkeit als Bedingung der Invalidenrente gezeigt. Wenn die Vorlage der verbündeten hegierungen dieselbe erst für den Fall angenommen hatte, dass der Versicherte nicht einmal das ursprüng- lich beabsichtigte Mindestmaass der Invalidenrente, d. i. 72 Mark, verdiente, so erklärte sich dagegen das einstimmige Urtheil der Reichstags-Commission. Diese erwog, dass einerseits die ganze bis- herige Lebenshaltung des zu Invalidisirenden und andererseits die Preis- verhältnisse des Orts, wo derselbe seine Rente zu verzehren gedenkt, für die Zulänglichkeit oder Unzulänglichkeit der ihm noch verbliebenen Erwerbsfähigkeit massgebend sei. Auf die Tüchtigkeit zu dem bisherigen Berufe im Sinne der socialdemokratischen Partei konnte es nicht an- kommen, da das vorliegende Gesetz den ganzen Arbeiterstand umfasst, und daher z. B. die Invaliditätsfrage eines Bergmannes für seine Berufs- genossenschaft einer anderen Beurtheilung unterliegt als für die Ver- sicherungsanstalt. Hiernach ist der für die praktische Anwendung aller- dings zu complieirte Maassstab im $ 9 Absatz 3 festgesetzt worden. Der vom Reichstagsabgeordneten Gamp erhobene Einwand gegen die Wahl des „Beschäftigungsorts“ an Stelle des von diesem oft (namentlich in der Nähe grosser Städte) verschiedenen Wohnorts erscheint nicht unberechtigt, da die Preisverhältnisse in den beiden Orten sehr ver- schieden sein können. Man kann sich indessen bei der Erwägung be- ruhigen, dass die in Zahlenverhältnissen ausgedrückten Merkmale der III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 9 Invalidität nur Anhaltspunkte für das vernünftige Ermessen der beson- deren Umstände jedes Falles sein sollen. Mit Rücksicht auf lange andauernde, aber nicht immer unheilbare Ursachen der Invalidität, wie Geisteskrankheit, Nervenleiden, Frauen- krankheit, ist die Regierungsvorlage auf Vorschlag der Reichstags- Commission dahin vervollständigt, dass Invalidenrente auch derjenige nieht dauernd erwerbsunfähige Versicherte, welcher während eines Jahres ununterbrochen erwerbsunfähig gewesen ist, für die weitere Dauer seiner Erwerbsunfähigkeit erhalten soll. Diese Bestimmung schlägt die Brücke zum Krankenkassengesetze, aber freilich nicht in ausreichendem Maasse. Das letztere verpflichtet die Kranken- kasse nur zu 13 wöchentlicher Fürsorge für ihre Kranken. Wer zur Fürsorge für die weiteren 39 Wochen bis zur Vollendung des Jahres einzutreten habe, bestimmt das Gesetz nicht. Anträge auf Ausfüllung dieser Lücke durch das Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz selbst mussten regierungsseitig zurückgewiesen werden, um demselben den Charakter der Invaliden-Fürsorge zu erhalten und nicht den der Krankenfürsorge beizumischen, die eine für die Invaliditäts- Versicherungs- anstalten unausführbare örtliche Ueberwachung nothwendig mache. Andererseits den Krankenkassen diese Verpflichtung aufzuerlegen, verbot sich durch finanzielle Rücksichten auf die Arbeitgeber, die sich namentlich bei den Fabrikkassen geltend machen würden. Die mit Rücksicht auf den Dritttheilbeitrag der Arbeitgeber schon jetzt hervorgetretene Scheu vor der Annahme älterer oder kränklicher Arbeiter würde dann um so grösser werden. Jedenfalls ist nach den Reichstagsverhandlungen über diesen Punkt eine Vervollständigung der Gesetzgebung, vermuthlich in Form einer Krankenkassen - Novelle, zu Gunsten der Reconvalescenten zu erwarten. IV. Wartezeit. Dass die Wartezeit, welche neben der Leistuug von Beiträgen die Voraussetzung jedes Anspruchs ist, bei der Invalidenrente fünf, bei der Altersrente dagegen dreissig Beitragsjahre beträgt, ist dadurch begründet, dass die Erreichung des 70. Lebensjahres von einem Jeden nach Maass- gabe seines jeweiligen Lebensalters leicht berechnet werden kann, so dass die Altersrente viel leichter ein Gegenstand der Speeulation sein würde. Die in den $$ 156 ff. getroffenen Uebergangsbestimmungen, welche die Wartezeit wesentlich abkürzen, sollen gleich nach dem Inkrafttreten des Gesetzes dessen wohlthuende Wirkungen den betheiligten Arbeiter- kreisen fühlbar machen und haben wegen Beschaffung der dazu erforder- lichen Bescheinigungen, um deretwillen durch kaiserliche Verordnung vom 30. December 1889 die $$ 18 und 140 in Kraft gesetzt sind, schon Jetzt eine hohe praktische Bedeutung. 10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. V. Bemessung der Rente. 1. Betrag. Der vom Vortragenden unter Hinweis auf seinen Leitfaden zahlen- mässig beleuchtete Betrag der Invaliden- und Altersrente erfuhr auch gegenüber seiner Charakterisirung durch den Socialdemokraten Singer als ein blosser „‚Bettelpfennig“ die genügende Würdigung. Insbesondere wurde hinsichts der Altersrente bemerkt, dass sie gar nicht dazu be- stimmt sei, ein Existenzminimum zu schaffen. Ihr Empfänger könne noch vermöge seiner Arbeitsfähigkeit für seine Existenz selber sorgen und bekomme die Rente nur als einen Zuschuss, um sein höheres Lebens- alter behaglicher zu machen. Dass die Invalidenrente nicht immer die Armenpflege überflüssig machen würde, muss ja zugestanden werden, aber in wie vielen anderen Fällen wird der Arbeiter der drückenden Nothwendigkeit überhoben sein, sich zur Bitte um öffentliche Armenpflege zu entschliessen ! 2. Grundlage derselben. Die wichtige Frage, auf welcher Grundlage die Rente festgesetzt werden soll, wurde durch alle ihre Wandlungen von der ursprünglich be- absichtigten und auch während der Reichstagsverhandlungen, besonders vom Abgeordneten Grafen von Mirbach-Sorquitten vertheidigten Einheits- rente durch das von den verbündeten Regierungen proponirte Ortsklassen- system bis zu dem auf Vorschlag der Reichstags-Commission adoptirten Lohnklassensystem nach den Gründen für und wider erörtert. Ein Blick auf $ 22 lehre, dass wenigstens annähernd dem Prineipe, die Höhe der Beiträge und Renten nach den individuellen Lohnverhältnissen der Ver- sicherten zu regeln, Rechnung getragen sei, während bei dem regierungs- seitig vorgeschlagenen Ortsklassensystem die Arbeiter eines und desselben Ortes eine unterschiedlose Masse hinsichtlich ihrer Pflichten und Rechte bildeten. Wichtig ist, dass Arbeitgeber und Versicherter sich über den für die Einschätzung in eine der vier Lohnklassen maassgebende Jahres- arbeitsverdienst vereinigen können. Wegen der Gefahr aber, dass beide Theile aus gewinnsüchtiger Absicht einen zu geringen Betrag verein- baren, ist je nach der Verschiedenheit der Betriebe, denen die Ver- sicherten angehören, auf gewisse, schon durch das Krankenkassen- und Unfallversicherungsgesetz bewährte Minimalsätze zürückgegriffen worden, unter welche die Vereinbarung nicht heruntergehen darf. Dieselben Sätze finden auch in den Fällen Anwendung, wo die Vereinigung nicht zu Stande kommt. An den eoncreten Verhältnissen der Breslauer Krankenkassen ver- anschaulichte der Vortragende die misslichen Folgen, welche die An- IH. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 41 wendung der Nr. 5 des $ 22 auf die nicht unbeträchtliche Zahl der den sog. freien Krankenkassen angehörigen Versicherten haben würde. Es sei dies aber eine unvermeidliche Folge der in den Rahmen des Gesetzes nicht passenden Organisation dieser Kassen. VI Träger der Versicherungsbeiträge ist ausser dem Versicherten und Arbeitgeber, welche die Wochenbeiträge zu gleichen Theilen aufbringen, das Reich (vgl. $ 19). Die zum Gesetz erhobene moralische Pflicht des Arbeiters, im Bewusstsein der Verant- wortlichkeit für die Ausgestaltung seiner Zukunft aus eigenen Kräften beizutragen, ist nicht zu bezweifeln, ebensowenig die des Arbeitgebers, vermöge des durch den Arbeitsertrag bedingten Solidaritätsverhältnisses zu seinem Arbeiter für dessen geminderte Arbeitskraft in Form eines Antheiles am Versicherungsbeitrage Ersatz zu gewähren. Viele An- fechtungen hat aber die Betheiligung des Reichs erfahren. Man hat die wachsende Unzufriedenheit der Steuerzahler, insbesondere in der von den indirecten Steuern vorzugsweise betroffenen Volksschichten, die sich steisernde Begehrlichkeit der arbeitenden Klasse und das Einlenken des Staates in eine sozialistische Strömung eingewendet. Die allerdings in sicherer Aussicht stehende finanzielle Mehrbelastung des Reichs wird aber nur auf die Matrikularbeiträge zurückwirken, deren Aufbringung die dem Reiche aus den indirecten Steuern zufliessenden Einnahmen nicht berührt. Unberechtigte Ansprüche des Arbeiterstandes wird hoffent- lich ein so wohl organisirtes Staatswesen wie das des Deutschen Reichs mit starker Hand zurückzuweisen im Stande sein. Endlich ergänzt zwar das Reich den von den Arbeitgebern zu zahlenden Arbeitslohn, tritt also helfend in ein privatrechtliches Verhältniss ein; aber diese Hilfe ist bei der schon durch die Kranken- und Unfallversicherung bedingten Be- lastung der Arbeitgeber, zumal mit Rücksicht auf die Erhaltung ihrer Coneurenzfähigkeit gegenüber dem Auslande und mit Rücksicht auf die Thatsache, dass kaum der sechste Theil der Versicherten in Gross- betrieben, der bei weitem überwiegendste Theil vielmehr in kleinen Handwerks- und landwirthschaftlichen Betrieben mit weniger als fünf Arbeitern beschäftigt wird, eine Nothwendigkeit. Ohne die Beihilfe des Reichs würden insbesondere die Beiträge der Arbeitgeber von mittleren und kleinen Betrieben unerschwinglich werden. Das Reich entspricht also einem ailgemeinen und nicht blos dem besonderen Interesse des Arbeiters und Arbeitgebers, wenn es mit seinem Zuschusse zur In- validitäts- und Altersrente die gesammte Erwerbs- und Gesellschafts- ordnung stützt, zumal da es hiermit zugleich die durch ihre ungleich- mässige Vertheilung drückenden Armenlasten auf breitere Schultern legt. Der Reichszuschuss macht es auch allein möglich, von den Verschieden- heiten im Lebensalter und Gesundheitszustande der Versicherten hinsichts 9 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. ihrer Beiträge abzusehen. Die Angehörigen derselben Lohnklasse er- halten ohne Rücksicht auf ihre Altersverschiedenheit für gleiche Bei- träge gleiche Rentenansprüche. Dadurch werden, namentlich beim Be- sinn der neuen Organisation, die höheren Altersklassen in einer Weise begünstigt, die sich schwer rechtfertigen liesse, wenn nicht der Reichs- zuschuss ausgleichend hinzuträte, der, wenigstens theilweise, auch noch den jüngeren Klassen zu gute kommt. Erst in dem etwa nach 80 Jahren eintretenden „‚Beharrungszustande“, wo die Zahl der die Renten neu erlangenden und der die Renten fortbeziehenden die gleichmässige Höhe erreicht haben wird, wird auch die relative Mehrbelastung der jüngeren Klassen verschwinden, da dann der bei weitem grösste Theil der ver- sicherten Arbeiter aus solchen bestehen wird, die in einem der untersten Grenze der Versicherungspflicht, dem 16. Lebensjahre, nahe stehenden Alter ihre Beitragszahlungen begonnen haben. VLO,..Höhe der Beiträge und, Renten, Die nach $$ 20 und 96 zunächst für eine 10jährige Periode vom Inkrafttreten des Gesetzes festgesetzten Wochenbeiträge, die zur Hälfte dem Arbeitgeber und zur Hälfte dem Versicherten zur Last fallen, be- tragen: in Lohnklasse I . . . 14 Pfennige, - 2 ID. ne BD z = = Illapin Aetanr2d - z z IV’ Zee a z die entsprechenden Renten dagegen, und zwar: A, Die Invalıdenrente 1. vom Reiche . . 50 M. (vgl. $ 26 vorletzter 2. von der Versiche- Absatz), | rungsanstalt als Grundbetrag . . 60 = Diese 110 Mark vermehren sich mit jeder vollendeten Beitrags- woche um bezw. 2, 6, 9 und 13 Pfennige (vgl. $ 26 Abs. 1). zusammen in jedem Falle 110 M. B. Die Altersrente besteht: 1. aus dem Reichszuschusse von 50 M. (vgl. wieder $ 26 vorletzter Absatz) und 2. aus einem ebenfalls mit jeder vollendeten Beitragswoche sich steigernden Satze von bezw. 4, 6, 8 und 10 Pfennigen. Dabei werden 1410 Wochen (= 30 Beitragsjahre) in Anrechnung gebracht, und zwar dergestalt, dass, wenn für einen Versicherten für mehr als 1410 Beitragswochen in verschiedenen Lohnklassen entrichtet sind, für die Berechnung diejenigen 1410 Beitragswochen in Ansatz ge- II. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 13 bracht werden, in denen die höchsten Beiträge entrichtet worden sind (vgl. $ 26 Absatz 2). Bekamntlich ist die Frage über die Bemessung der Versicherungs- beiträge und Renten eine der allerbestrittensten gewesen und wiederholt den Vorberathungen der Reichstagscommission vom Reichstage über- wiesen worden, bis sie nach dem von dem Grafen Adelmann und anderen Reichstagsmitgliedern gestellten Antrage in der jetzt giltigen Höhe und Abstufung entschieden worden ist. Dieser Festsetzung ist, insbesondere von dem deutschfreisinnigen Abgeordneten Schmidt-Elberfeld, zum Vor- wurf gemacht: a. Dass den Beiträgen nicht gleiche Gegenleistungen gegenüberstehen. Allein das ist eine nothwendige Folge des gleichen Grundbetrages von 110 M., der für alle Invalidenrenten festgesetzt ist, bezw. des gleichen Reichszuschusses von 50 M. für alle Altersrenten, gleich- viel in welcher der vier Lohnklassen und in welchem Alter des Ver- sicherten sie entstehen. Wäre ein solcher Grundbetrag nicht fest- sesetzt worden, sondern richtete sich die Höhe der Rente allein nach Anzahl und Höhe der Beiträge, dann würden in den ersten 30 Jahren die Renten der niedrigen Lohnklassen viel zu gering sein. Wenn übrigens auch Leistung und Gegenleistung bis etwa zum 30. Beitragsjahre zu Ungunsten der höheren Lohnklassen und von da ab zu Ungunsten der niederen im Verhältniss stehen, so kann es doch zur Genugthuung gereichen, dass nach 30 jähriger Bei- tragszeit, wo voraussichtlich die meisten Invaliden entstehen werden, in allen vier Lohnklassen das Verhältniss der Beiträge zur Invaliden- rente gleichmässig wie 1: 1,4 ist. b. Der Berechnung der Beiträge ist die Unsicherheit der rechnerischen Grundlage entgegengehalten worden. Um die Berechtigung dieses Einwandes zu prüfen, muss vorausgeschickt werden, dass nach der Denkschrift zur Regierungsvorlage die statistischen Grundlagen für die versicherungstechnischen Berechnungen folgende sind: | 1. Die Invalidentafel, welche die Invaliditäts-Wahrscheinlichkeit in jedem Lebensjahre (vom 16ten ab) nachweist, und zwar auf Grund längerer Erfahrungen über die Invaliditätserscheinungen bei den Knappschaftskassen, Eisenbahnbeamten, Eisenbahn- arbeitern, Maschinenbau- und Metallarbeitern, endlich auf Grund einer vom Rechnungsrath Behm aufgestellten Invaliditätstafel für Arbeiter verschiedener Berufszweige, die im Reichsamte des Innern beruht. 2. Die Sterbetafeln, und zwar &. eine Sterbetafel für invalid gewordene Personen und ß. eine Tafel der Wahrscheinlichkeitswerthe für Active, ohne vorherige Invaliditätserklärung zu sterben, 14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. beide deswegen, weil die statistischen Erhebungen bedeutende Unterschiede in der Sterblichkeit gleichaltrig invalid gewordener und activer Personen, sowie in der Zu- bezw. Abnahme der Sterblichkeit für beide Kategorien ergeben. . Die sog, Altersvertheilung, d. i. die Gruppirung der zu ver- sichernden Personen nach dem Lebensalter, von dem 16. als dem Beginn der Versicherungspflicht ausgehend. Für die Alters- vertheilung der versicherungspflichtigen Reichsbevölkerung, die nach dem statistischen Gesetze der grossen Zahlen verhältniss- mässig auch für grössere Theile des Deutschen Reichs (wie es die Bezirke der etwa 30 Versicherungs-Anstalten sein werden) anwendbar erscheint, ist die schon erwähnte Berufsstatistik vom 5. Juni 1882 direct maassgebend. Auf Grund der vorstehenden Rechnungsgrundiagen lässt sich er- mitteln: die wahrscheinliche Zahl und Lebensdauer der jährlich in jeder Altersstufe entstehenden Invaliden und die voraussichtliche Zahl der jährlich in das 71. Lebensjahr ein- tretenden Activen, sowie die wahrscheinliche Dauer ihrer ferneren Erwerbsfähigkeit. Die Beiträge der übrigbleibenden Activen sollen nach $ 20 decken: die Verwaltungskosten jeder Versicherungsanstalt, die auf eine Mark für den Kopf der Versicherten nach den Erfahrungen bei der Unfallversicherung ausgiebig angenommen sind, die Rücklagen zur Bildung eines Reservefonds, der nach $ 21 für die erste Beitragsperiode mindestens Y, (nach statutarischer Bestimmung der Versicherungsanstalt auch auf mehr, bis zu °/,) des Kapitalwerths der in dieser Periode der Anstalt voraussichtlich zur Last fallenden Renten betragen soll, die durch Erstattung von Beiträgen nach $$ 30 und 31 vor- aussichtlich entstehenden Aufwendungen, und den Kapitalwerth der von der Versicherungsanstalt aufzu- bringenden Antheile an denjenigen Renten, welche in dem be- treffenden Zeitraume voraussichtlich zu bewilligen sein werden, d. i. zunächst für die zehnjährige Periode nach Inkrafttreteu des Gesetzes und dann von fünf zu fünf Jahren (vgl. $ 20 Abs. 1). Dies ist das Kapitaldeckungsverfahren, bei welchem das durch die Beiträge aufgebrachte Kapital nach Ablauf der betreffenden Periode so gross sein müsste, dass aus den Zinsen desselben diejenigen Personen, welchen während dieser Periode Renten zugesprochen wären, letztere II. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 15 für die ganze Dauer ihres Lebens erhielten, wenn auch noch während desselben das Gesetz aufgehoben würde. Diesem Verfahren ist auf Vor- schlag der Reichstags-Commission der Vorzug vor dem regierungsseitig vorgeschlagenen Prämiendeckungsverfahren gegeben, bei welchem durch die Versicherungsbeiträge für jeden Versicherten das Risiko auch über die betreffende Periode hinaus zu decken ist. Allerdings nimmt das Kapitaldeckungsverfahren im Gegensatz zu dem Prämiendeckungsverfahren in Folge der bis zum Beharrungszustande sich steigernden finanziellen Belastung der Versicherungs-Anstalten die Zukunft zu Gunsten der Gegen- wart in Anspruch, jedoch nicht in dem Maasse, wie das von einigen Reichstagsmitgliedern empfohlene Umlageverfahren, welches den jedes- maligen Bedarf durch die Beiträge aufbringt. Jedenfalls ist es ein ent- schiedener Vorzug des Kapitaldeckungs- vor dem Prämiendeekungs-Ver- fahren, dass die übermässige Kapitalansammlung verhütet wird, die bei dem letzteren im Beharrungszustande auf 2'/, Milliarden anzunehmen ist, bei dem ersteren dagegen nur auf 1 Milliarde. Ueberdies gestalten sich die Beiträge beim Kapitaldeckungsverfahren nicht unwesentlich niedriger. Nun giebt es zwar ausreichende statistische Unterlagen für die sonstigen bei der Berechnung der Versicherungsbeiträge in Betracht kommenden Factoren, insbesondere auch für die nach dem letzten Absatz des $ 20 zu berücksichtigenden Ausfälle in Folge von Krankheiten, so- wie in Folge von Rückerstattungen an Beiträgen gemäss $$ 30 und 31. Es fehlt aber an aller Kenntniss der Altersgruppirung der zu ver- sichernden Personen für die einzelnen Lohnklassen. Man könnte freilich versucht sein, auch für diese die Altersgruppirung zu verwenden, welche für die Gesammtheit der Versicherten im Reiche gilt. Diese kann jedoch zwar ohne Bedenken auf die Gesammtheit der Versicherten in den ein- zelnen Versicherungsanstalten übertragen werden, nicht aber auf die Versicherten jeder Lohnklasse. Denn ohne Zweifel werden, wie die Motive zur Festsetzung der gegenwärtigen Beiträge ausführen, die höheren Lohnklassen vorzugsweise Personen aus den Altersjahren 3060 auf- weisen. Musste man trotzdem die durchschnittliche Alterscombination aller Lohnkiassen verwerthen, so war zum mindesten dadurch ein Aus- gleich zu schaffen, dass man dem Rechnungsergebnisse für die höheren Lohnklassen besondere Sicherheitsfactoren hinzufügte, deren angemessene Höhe sich immerhin annähernd schätzen lässt. Dies ist nach Maassgabe der mittleren Invaliditätsziffern für diejenigen Alters- und Berufsgruppen geschehen, die (wie die grösseren Gefahren ausgesetzten Bergleute und Eisenbahnbetriebsbeamten) in den höheren Lohnklassen in Betracht kommen. Der organisatorische Theil des Gesetzes ist von dem Vortragenden um so mehr einem späteren Vortrage vorbehalten worden, weil es für denselben vielfach noch an den Ausführungsbestimmungen fehlt. Zum 16 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Schluss fasste er seine Ausführungen dahin zusammen, dass das Inva- liditäts- und Altersversicherungsgesetz eine hervorragende Signatur unserer Zeit für die Lösung der socialen Frage sei. Nach den leitenden Grund- sätzen der Gesetzgebung im vorigen Jahrhundert, die am deutlichsten zur Zeit der französischen Revolution in der „Declaration der Menschen- rechte“ vom 4. August 1789 hervortraten, kam man im öffentlichen Rechte über die Rechtssphäre der einzelnen Persönlichkeit nicht hinaus, während unsere heutige Anschauung von der Ueberzeugung beseelt ist, dass die politische und humane Gemeinschaft Wirklichkeiten von einem dem Einzeldasein übergeordneten Werthe seien. Der Charakterbildung zu einem Willen gilt es, der in seiner Gesammtheit den Staat zu einer Schöpfung werkthätiger Nächstenliebe macht und vor Allem das Wohl der Minderbegüterten möglichst fördert. In diesem Sinne giebt die Entstehungsgeschichte des vorliegenden Gesetzes ein rühmliches Zeugniss von dem die Aufgaben unserer Zeit richtig würdigenden Streben aller sesetzgeberischen Factoren. Wie bald die Wohlthaten des Gesetzes auf allgemeine Anerkennung zu rechnen haben dürften, ist abzuwarten. Vor der Hand werden die Lasten, die es auferlegt, fühlbarer sein, und namentlich werden auch den mit der Durchführung betrauten Behörden schwierige Aufgaben er- wachsen. Je länger es aber in Geltung sein wird, desto mehr wird sein hoher Werth empfunden werden. Freilich nur, wenn die Erkenntniss sich mehr und mehr Bahn bricht, dass die Verschiedenheit des Besitzes göttlicher Ordnung sei, und Jeder sich mit dem Platze, auf den ihn die göttliche Vorsehung gestellt, zu begnügen habe, um von da aus im berechtigten Streben weiter zu kommen. Ohne das Gemeingut reli- siöser Gesinnung, aus welcher alle wahre Sittlichkeit fliesst, und der sich in der Gegenwart leider die breiten Schichten des Volkes vielfach abgewendet haben, wird auch der so hochsinnig gedachten socialpoli- tischen Gesetzgebung die Lösung der socialen Frage nur unvollkommen gelingen. sehlesische Gesellschaft für vaterländische Gultur. 68. III. Jahresbericht. Historisch - staatswissenschaftliche 1890. Abtheilung. EI Be EEE FREE EEE IRRE Die Silberbill der Vereinigten Staaten von Amerika, deren Rückwirkung auf die Münzverhältnisse Europas und deren Ein- fluss auf den europäischen wie asiatischen Waarenmarkt. Von Commercienrath F. W. Rosenbaum. (Sitzung der Section für Staats- und Rechtswissenschaft vom 30. October 1890.) Zu den interessantesten Erscheinungen auf dem Gebiete der Volks- wirthschaft gehört die Silber-Bill, die am 13. Juli d. J. von den gesetz- sebenden Factoren in Washington decretirt worden ist. Dieselbe bezweckt bekanntlich die Rehabilitirung des Silbers in seiner Werth-Relation zum Gold. Die Silber-Bill hat in der Mac-Kinley- Tarif-Bill und der Pensions-Bill Geschwister. Gemeinsam hat sie mit den letzteren beiden die Rigorosität den Interessen des amerikanischen Volks gegenüber nach allen drei Richtungen, während die Tarif-Bill die vollendete Rücksichtslosigkeit gegen das Ausland documentirt. Heute schon bemerken die Amerikaner, wie tief einschneidend die Tarif-Bill sich gestaltet. Nach Eröffnung derselben brachten die amerikanischen Zeitungen Hunderte von Annoncen, die Preiserhöhungen aller nur denk- baren Artikel meldeten, und es unterliegt keinem Zweifel, dass die Emanirung dieser drei Bills die nächsten Wahlen, die in drei Jahren stattfinden, stark beeinflussen wird. Man muss dieselben als eine Zahlung der Regierung an die Gross-Industrie und Minenbesitzer für die letzten Wahlen betrachten. Zu jener Zeit, als die Wahlen stattfanden, haben diese beiden Faetoren Millionen an Geld für den republikanischen Ausfall der Wahl- vorgänge geopfert, es sind ihnen dafür ganz positive Versprechungen gemacht worden, die nun ihre Erfüllung gefunden haben und jetzt, kurz vor den neuen Wahlen sollen diese Verfahren offenbarerweise erneut der republikanischen Partei dienen, es ist aber zu hoffen, dass das Gegentheil eintreten wird und dass das amerikanische Volk sich auf- raffen wird, endlich zu sehen, dass bei der republikanischen Partei seine Interessen schlecht gewahrt sind. Was nun die der drei Bills anlangt, welche uns heute beschäftigt, so ist die Idee, die Werthrelation des Silbers zu rehabilitiren, eine kühne und 2 18 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. grossartige, deren Durchführung auch nur dem amerikanischen Volke möglich durch seine eminenten Staats-Einnahmen, die nach keiner Rich- tung hin durch jene enormen Opfer für militairische Zwecke geschmälert werden, zu denen wir im Interesse unserer Sicherheit gezwungen sind. Die Kühnheit des Gedankens, die Werthrelation zwischen Gold und Silber, die bis zum Jahre 1873 1 Theil Gold = 15'/, Theil Silber war, dann auf ein Theil Gold zu 22'/, Theil Silber herab sank, wieder zu heben, erhellt aus der Thatsache, dass in der Culturwelt allein 10 Milli- arden Silber in Münzen und Barren liegen, welche durch den Fall des Silbers nahezu 33'/, %,, also 3 Milliarden gesunken waren. Es erhellt weiter aus der Thatsache, dass die Silber-Production in den letzten elf Jahren von 1878—89 1075 Millionen Unzen fein Silber betrug. Von dieser Production gehören Amerika 456 Millionen Unzen an. Die Differenz des niedrigsten Curses von Silber mit 41 Pence bis zu dem Satze der alten Werthrelation mit 60 Pence beträgt volle 1660 Millionen Mark. Solche Zahlen charakterisiren die Grossartigkeit der neuen Bill. Zu derselben selbst übergehend ist es nothwendig einen Rückblick auf die Währungslage vor 1870 zu werfen. Es ist bekannt, dass England im Jahre 1813, nach den traurigen Erfahrungen seiner Papierwirthschaft, die Goldwährung einführte, die übrigen Culturstaaten blieben unverändert auf dem Standpunkte der Doppel-Prägung von Gold und Silber, und Frankreich, das volle freie Prägung gestattete, bildete den Regulator dieser sozusagen Doppel- währung. Bis 1840 war die Production von Gold und Silber ziemlich gleich. Die, Eröffnung der Goldfelder, die sich Anfang der vierziger Jahre vollzog und die aus Californien und Australien ungekannte Quan- titäten des edlen Metalles förderte, brachte in die bisherige Ruhe der Metall-Produetion und Consumtion eine wesentliche Veränderung. Die Production von Gold stieg auf die dreifache Höhe gegen Silber und die Frage war nicht selten, ob es möglich sein werde, die Werthrelation zwischen Gold und Silber fest zu halten und ob sich dieselbe nicht zu Ungunsten des Goldes gestalten werde. Die Production von Gold nahm dann später wieder ab und das Gegentheil, die Production von Silber gewann eine ausserordentliche Ausdehnung, immer neue Quellen eröffneten sich, so dass Ende der sechziger Jahre die hervorragendsten National-Dekonomen von Frankreich ernstlich der Frage zutraten, die dann im Jahre 1868 auch die Regierung ganz für sich einnahm, die Gold-Währung in Frankreich einzuführen. Für diesen Zweck waren alle Vorbereitungen getroffen. Da kam der frevelhaft uns aufgezwungene grosse französische Krieg, die deutschen Fahnen gingen siegreich von Platz zu Platz, unsere deutschen Brüder eroberten in ihrem heiligen Kampfes-Eifer das französische Ge- biet und stürzten den Cäsarismus; unser siegreicher, hochseliger Helden- II. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 19 kaiser proclamirte zu Versailles die Einheit unseres Vaterlandes und dietirte die schweren Opfer, die das überwundene Frankreich uns als Kriegs-Entschädigung zu zahlen hatte. Da kam der ersehnte Moment für Deutschland, und eine verständniss- volle Staats - Regierung fand sich bereit, in unserem Vaterlande die Gold-Währung herzustellen. Der Geheime Regierungsrath Soetbeer in Göttingen ist es in erster Linie, der vollste Anerkennung verdient. Seiner grossartigen Anregung gelang es, dass Deutschland den grössten Theil seines Silberbesitzes rasch los wurde und durch die Kriegs-Ent- schädigung gewannen wir die Möglichkeit, die Gold-Währung bei uns aufzubauen. Wir zogen 1081 Millionen in Thalerstücken ein und resul- tirte hierbei ein Münzgewinn von 43 Millionen Mark. Leider waren die leitenden Kräfte des Berliner Finanz-Ministeriums etwas zu vorsichtig, man verkaufte nicht rasch genug, und so bleibt uns immerhin noch ein Besitz von praeter propter 400 Millionen Mark in Thalerstücken, allein von diesen können wir immer 1—200 Millionen für uns zur weiteren Aus- prägung von Scheidemünzen rechnen, da mit dem starken Anwachsen der Bevölkerung Deutschlands weitere Prägungen nothwendig sind. Die anderen ca. 1—200 Millionen werden wir, anstatt bei denselben nahezu 33", °%, zu verlieren, wenn, was nicht zu verneinen, die Silberbill be- stehen bleibt, fast zum vollem Betrage verkaufen können. Es ist nun Deutschland von allen Seiten der Vorwurf gemacht worden, dass es an dem Zusammenbruche des Silberwerthes schuld sei. Das ist aber nur sehr eingeschränkt der Fall. Es bestand und besteht heute noch zwischen den romanischen Völkern Frankreich, Italien und der Schweiz, wie Belgien, eine Münzconvention, der lateinische Münzen- bund genannt. Diese Völker prägten 5 Francs-Stücke in beliebigen Summen aus und besassen Ende der sechziger Jahre bereits 5000 Millionen Francs. Das schwierige dieser hochgeschraubten Situation erkannte der Münzenbund längst, und wenn nicht Frankreich, wie ich schon erwähnt habe, die freie Prägung stets durchführte, wäre der Bestand der latei- nischen Convention längst zu Bruch gegangen. Als nun Deutschland die Goldwährung einführte, demgemäss nicht nur starke Posten von Silber abstiess, sondern auch neues Silber für Prägungszwecke nicht mehr brauchen konnte, war dem lateinischen Münzenbunde klar, dass auch er mit weiteren Prägungen nicht vorgehen dürfe, dieselben wurden auch sistirt und das Quantum Silber, das für Prägungszwecke der lateinischen Union gebraucht wurde, war also auch nun frei. Dazu kam eine Minderaufnahme von Silber nach Asien und vor allen Dingen eine so vermehrte Production in Silber selbst, dass die Preise von Jahr zu Jahr zurückgingen und in ihrem niedrigsten Punkte auf 41 Pence pro Unze gegen einen Normalpreis von 60 Pence fiel. 9* 0 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Wenn der Standpunkt Deutschlands nach dieser Richtung hin der Silberbill gegenüber gekennzeichnet wird, dürfte es interessant sein, die übrigen Völker in ihrem Interesse der Silberfrage gegenüber zu skizziren. Wir werden dieselben am besten in drei Gruppen formen, in die erste jene Länder nehmen, wie Deutschland, England, Skandinavien, Holland, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Belgien, die Schweiz, Rumänien und die Vereinigten Staaten, also jene Völker, die feste Währung haben, dann die Volksstämme Asiens, die nur Silberwährung kennen, und zum Schluss unsere beiden grossen Nachbarstaaten, Russland und Oesterreich mit Zwangs-Papiercours. Was nun England anlangt, so hat dies seit Einführung seiner Gold- währung von 1816 fest an derselben gehalten und sich nach keiner Richtung um die maasslosen Verluste gekümmert, die seine Colonien, in denen Silberwährung herrschte, erlitten haben. Das Eintreten so mancher hervorragender Finanzmänner Englands in den letzten Decennien für die Einführung der Doppelwährung in England ist überwiegend zu- rückzuführen auf die berechtigte Rücksicht, die die Colonien Englands vom Mutterlande verdienen. Allein alle jene Versuche blieben frucht- los, im Gegentheil, die Vortheile in der Zwitterstellung zu den Tochter- ländern waren finanziell für englische Importeure und Exporteure nur vortheilhaft. Dieser Gegenstand wird uns unter Indien eingehender be- schäftigen. Frankreich und den lateinischen Münzenbund habe ich bereits genau gekennzeichnet, Frankreich an der Spitze versuchte wiederholt, die Silber-Convention zu kündigen, allein die genannten vier Staaten sahen immer wieder ein, dass die Durchführung einer Kündigung auf unüber- windliche Schwierigkeiten stossen müsste, da bei einem Besitze von 5 Milliarden Frances es sich um einen Verlust von ca. 1600 Millionen Frances gehandelt haben würde, wenn es zu einer Einlösung der 5-Francs- Stücke hätte kommen sollen. Italien, die Schweiz und Belgien haben nicht die Mittel besessen, die Einlösung zu bewirken, ganz abgesehen davon, dass, wenn eine so grosse Menge von münzbarem Silber an den Markt geworfen wird, der Preis desselben nicht mehr 41 Pence, sondern wahrscheinlich 35 oder noch weniger geworden wäre. Sehr interessant nach dieser Richtung hin ist die 'Thatsache, dass die kleine Schweiz es verstanden hat, doch ihren eignen Weg zu gehen. Hieraus erhellt, dass man seitens der übrigen drei Staaten nicht gewagt hat, schroffste Miene zu zeigen. Nicht minder bemerkenswerth ist es, dass. in jener Periode Italien verstanden hat, durch Aufnahme von 400 Millionen Gold seinen Cours auf pari zu bringen, Ich bitte, hierbei besonders zu bemerken, dass, während auf der einen Seite man nicht glaubte, die Auflösung der Münz- III. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung. .21 Convention vollziehen zu dürfen, auf der anderen sich eine so bedeutende Transaction ruhig, schnell und ohne Schwierigkeit vollzog. Ich werde im späteren Verlauf meiner Ausführung noch zeigen, dass es mit der Golddecke, von der man behauptet, sie sei gar zu eng und gar zu begrenzt, um viel unter sich zu bergen, gar nicht so schlimm ge- stellt ist. Dasselbe Verhältniss, das wir in England in seiner Stellung zu den Colonien sahen, finden wir ganz genau auch in Holland verkörpert, Mit derselben Rücksichtslosigkeit, mit der sich England Indien gegenüber- stellt, steht Holland seinen Colonien in Ost-Asien gegenüber. Von der Prägung in Holland vom Jahre 1840—74 mit ca. 800 Millionen Gulden sind 340 Millionen in Batavia eingeführt worden, und die Klagen der Colonien über die Minderwerthigkeit des Silberbesitzes sind nur zu oft dem Mutterlande gegenüber ausgesprochen worden, ohne dort die leisesten Sympathien zu finden. Unbekümmert um deren Verluste sandte man, was irgend möglich war, hinüber und häufte in den asiatischen Colonien verlustbringendes Metall auf. Das kleine Rumänien, dessen grossstaat- licher Aufbau sich so ausserordentlich wirkungsvoll vollzog, hat noch in den letzten Monaten bei sich die Goldwährung eingeführt und nicht ungünstig 25 Millionen Lei Silber durch ein Wiener Haus zum Verkauf gebracht. So sehen wir, dass überall die Culturstaaten bereit stehen, den Silberbesitz abzustossen und dies lässt wohl erwarten, dass man seitens der bezüglichen Regierungen ein Einvernehmen darin suchen wird, ge- meinsam zu handeln, um den Preis des Silbers möglichst hoch zu er- zielen. Für’ alle diese Staaten wird Amerika nun den schützenden Engel abgeben und die bereits als unvermeidbar angesehenen Verluste zum Ausgleich bringen. Interessanter wie für Europa ist die Silberfrage für Asien, Wir müssen hier von ganz anderen Verhältnissen ausgehen, wie bei der Beurtheilung der europäischen Völker. Das indische und das chinesische Volk ist fast ausschliesslich bitter arm, wenige Personen er- heben sich über den Standpunkt, nur für des Tages dringendes Bedürf- niss zu sorgen und zu arbeiten, Besitz ist nur bei den Fürsten und in deren Schatzkammern zu finden. Die Anforderungen der Inder und Chinesen sind so kleine, dass eine Hand voll Reis pro Tag genügt. Die Arbeitskraft eines gewöhnlichen Mannes wird mit 10, eines mehr leistungsfähigen -mit 20 Pfg. pro Tag bezahlt und was diese Leute ver- dienen, thesauriren sie, d. h. sie vergraben die Münzen. Dadurch ist Asien so überaus aufnahmefähig für Silber, der Netto-Import dieses Metalles stellte sich in den letzten 10 Jahren wie folgt: 232 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. 187980: nun er 20 ‚178697:000 Rupien, 1880-817 Haclalısiaulor „sudo 188925000 E 1881-82 1.200 aeg. a DD OO z 1832-3, 4,0: Yale ara 72000 - 1883-84; 2 ne AOELIOD = 18384—85: win Welenhinue, 27256 000 - 1889-869 ,nyiye, nen. HIEENCCMEN 5 1BB0—87 Alaska, Msn 180.0 EIEARDDN UUU - IB 7-88 Azaız Mt u RRI2RETUHU - 1883 --89 5.01 19,2,466.000 E Die Totalsumme beläuft sich also auf 755 Mill,, PR Durchschnitt per Jahr ist 75,5 Mill. Rup. gegen 383,7 Mill. von 1859 bis 1873 und 68,7 Mill. von 1874 bis 1889. Was die Ausprägungen in Indien anlangt, so waren dieselben während der letzten 10 Jahre wie folgt: 1879-80 2 2 2.2.2. 102 500 000 Rupien, 188. el 3 400g > iss, da NISBy 00.000 99 - ER PT EA La Be El De ns. er ehr aa VB nr EN BU 000, BB et ab MeriBR IER.0OU. > [B36 87, no: less etaenf rbEEDRRDR 1BBT 88, ee 188839. War a TEE Der Totalbetrag stellt sich auf 656 Millionen Rupien, der jährliche Durchschnitt auf 65,6 Millionen, d. h. merkwürdiger Weise genau auf dieselbe Ziffer der Ausprägungen von 1874 bis 1888, gegen 70 Millionen von 1859 bis 1860. Trotz der ungleichen Jahresziffern haben wir auch hier keine grossen Abweichungen im Ganzen vor uns. Rechnet man den ganzen Betrag der Silberprägungen in Indien von 1835, dem Jahre der Einführung des jetzigen Münzsystems, bis zu 1888 zusammen, so erhält man die enorme Ziffer von 3100 Mill. Rupien. Ein sehr wesentlicher Factor für den Bedarf Indiens in Silber oder, besser gesagt, für den Minderbedarf in effectivem Metall sind die Re- gierungstratten, die sogenannten Couneilbills. Die Regierung von England hat für Anleihen, für Pensionen an indische Beamte, für staatliche Ver- pfliehtungen u. s. w. grosse Beträge jährlich zu zahlen. Diese Re- gierungstratten und ihre Coursentwickelung stellen sich recht eclatant dem Auge dar in folgenden Zahlen: II. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung, 23 Jahr Betrag ‚ Cours Betrag in £ in Doll. in Rupien 1879—80 . 15261000 19,96 183400 000 1880—81 . 15239000 19,96 183 200 000 1881—82 . 18412000 19,89 221 900 000 1882—83 . 15120000 19,52 158 800 000 18835 —84 . 17599000 19,54 216 200 000 1884—85 . 13758000 19,31 171 000 000 18855—86 . 10292000 18,25 135 300 000 1886—87 . 12136000 17,44 167000 000 1887—88 . 15358000 16,89 218 100 000 1888—89 14 262 000 16,38 208 900 000 Im Durchschnitt wurden also jährlich 180 100000 Rupien auf Indien gezogen, welche 14744 £ einbrachten. Die Handelsbilanz zu Gunsten Indiens stellte sich dabei einschliess- lich der Regierungsgeschäfte im Durchschnitt der letzten 10 Jahre auf 168 700 000 Rupien per Jahr. Der Cours in Pence ausgedrückt, zeigt, dass die Rupie im Jahre 1879 noch nahezu 20 Pence (12 Pence bekanntlich 1 Schilling) betrug, während in den letzten Jahren die Preise schon bis 16 Pence herabge- gangen sind. Es erhellet, dass die Prägung von 70 Millionen Ru- pien in Indien einen sehr wesentlichen Factor für die Beurtheilung der Silberfrage in sich schliesst, denn in dieser Ausprägung und der Prägung der amerikanischen Dollars, auf die ich später zu sprechen kommen werde, beruht ja, nächst dem Verbrauch von ca. 500000 Kilo für Kunstzwecke, in den letzten Jahren die ausschliessliche Verwendung von Silber, nachdem für Prägungszwecke in Europa nur Oesterreich noch kleinen Bedarf gezeigt hat. Was nun China anlangt, so finden wir in diesem ausgedehnten Lande mit seinen Hunderten von Millionen Einwohnern insofern eine wesentliche Verschiedenheit, als China selber Münzen gar nicht prägt, sondern das Metall in Barren hat und man nach Bedarf Stücke der Barren trennt und damit Zahlung leistet. Die Versorgung von China mit seinem grossen Silberbedarf findet überwiegend von San Franeisco und London aus statt. Der Londoner Markt muss für die Folgezeit seine Stellung absolut einbüssen und dieselbe nun an Newyork abtreten, das ja, da Amerika die Rehabilitirung des Werthes in die Hand genommen, nun auch die Berechtigung zur Führung des Marktes vollendet in Anspruch nehmen darf. Wir kommen nunmehr zur dritten Gruppe, zu Russland und Oester- reich, und damit so recht eigentlich zu den für uns speciell interessanten Gebieten. 24 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Bekanntlich haben beide Länder Papier-Zwangscours, beide haben wiederholt versucht, einen festen Cours einzuführen. Namentlich hat Russland nach der Richtung hin zweimal grosse Anstrengungen gemacht und beide Mal seine Bemühungen unter schweren Opfern als unmöglich erfüllbar gesehen. Wenn wir diese beiden Länder in ihrer Münzwährung beurtheilen, so tritt eine eigene, principielle Frage an uns heran, über die so oft discutirt worden ist, die Frage, ist es vortheilhaft für ein Land, wenn es variirenden Cours hat und dem Auslande gegenüber bei gedrücktem eigenen Cours leistungsfähig für den Export wird. Es kann keinem Zweifel unterliegen und ist nur zu bejahen, dass ein ungünstiger Cours die Exportfähigkeit des Volkes heben muss. Wir sehen dies in Russ- land bei dem Getreide-Export unendlich oft verkörpert. Wenn der Cours des russischen Rubels auf 150 steht, so ist Russland natürlich ganz überaus leistungsfähig dem Auslande gegenüber und wird die Land- wirthschaft des Nachbarstaates auf das empfindlichste schädigen. Welche traurige Lage aber repräsentirt das russische Volk in diesem dauernden Wandel seiner Course. Wenn wir die letzten Jahre und den Rubeleours in denselben betrachten, so finden wir Ende 1875 einen Cours von 264 Mk. pro 100 Rubel, STATS 6 2 22200 2. Be 5 1878 = RN Te hu 2 1880 = e 6 DU = re - 1883 , - EOT Si zit s 1886 - z anıI90 : N x ET ds 2 ER Ep are 2 1888 - - a ee - - 1889 - - -,919. ER - - heute nahezu E z =. 290, Wenn wir aber z. B. das Jahr 1839 für sich betrachten, so finden wir den höchsten Cours im September mit 220, den niedrigsten im März mit 162. Nehmen wir nun an, dass die Landwirthschaft in Russland im Frühjahr 1889, wo der Cours 162 stand, sich darauf einrichtete, äusserst export- fähig zu sein, und alle Maassnahmen dafür trifft, im September aber, wo der Cours plötzlich 220 steht, plötzlich findet, dass die Erwartungen um 33%/, pCt. verschlechtert sind, muss dann nicht ein Volk auf das Empfindlichste leiden? Die Interessen der Völker sind schlecht gewahrt, wenn sie durch die Regierung dem Zwangscourse unterliegen und Factoren unterworfen sind, die den Cours des Landes bald in die Höhe treiben, bald, wie es oft gesehieht, durch Interessen-Politik aller Art ihn wieder in den III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 35 Staub herabziehen. Dabei ist es hochinteressant zu constatiren, dass gerade Russland nebst Frankreich im Besitze der grössten Quantität Gold ist. Russland produeirt in dritter Reihe Gold, wie wir denn gleich näher sehen werden, Seine Production von 1851—-89, deren Beträge in Gold der Regierung abgeliefert worden sind, ist in dieser Zeit 1200000 Kilo gleich 3300 Millionen Mark. Petersburg prägt durch- schnittlich in den letzten Jahren 25 Millionen Rubel pro anno und be- sitzt 6—700 Millionen Rubel Gold, ein Quantum, das es unendlich mehr befähigt, eine feste Währung einzuführen, wie Oesterreich. Letzteres dagegen steht wieder Russland wesentlich voran durch die Thatsache, dass seine Course sich nur um 10 pCt. unter Pariwerth be- ziffern, also bei ihnen die Empfindlichkeit der Rückschläge im Course für das Volk viel weniger fühlbar ist. In neuerer Zeit hat nun sowohl Russland, wie Oesterreich den Ge- danken stark ventilirt, eine feste Münzwährung auf Basis neuer Münzen durchzuführen, und zwar denkt man in Russland daran, ein neues Werth- stück zu ungefähr 3 Fres. zu gründen, und in Oesterreich will man ein solches von 2 Fres. schaffen. Es unterliegt gar keinem Zweifel, dass, wenn die russische Regierung heute ihren Rubelcours pari machen will, d.h. also auf 3,24 Mk. per Rubel fixiren will, die russischen volkswirth- schaftlichen Verhältnisse eine entsetzliche Krisis zu überstehen hätten. Der Rubelcours ist seit Menschengedenken immer annähernd 25 pCt. mehr oder weniger wie 2 Mk. gewesen. Auf diesem ungefähren Werth- verhältniss haben sich die wirthschaftlichen Verhältnisse Russlands auf- gebaut, und eine volle Erhöhung des Rubelcourses auf 3,24 Mk. würde alle jetzigen Verhältnisse über den Haufen werfen. Man würde zu dem allerhöchsten Hinaufschrauben der Zölle veranlasst werden, um nur einigermaassen die Schutzzollpolitik fest zu halten. Die Concurrenz- fähigkeit des russischen Volkes auf allen Gebieten seiner Productivität würde dem Auslande gegenüber in Frage gestellt sein. Der schlagendste Beweis hierfür ist, dass die Steigerung des Rubelcourses, die im Laufe des letzten Jahres sich vollzog, der russischen Regierung schon Veranlassung gegeben hat, ihre Zölle um 20 pCt. zu erhöhen, damit die Höhe des Schutzzolles gegen früher der Industrie unverändert gewahrt bleibe. Der Professor Tietzel und der Geh. Regierungsrath Soetbeer haben in neuerer Zeit für eine feste Währung in Russland hochinteressante Anregungen geliefert, ich glaube, dass Russland augenblicklich der Frage noch fern bleiben muss. Die Durchführung der Goldwährung ist für Russland, also ungefähr 100 Millionen Menschen gegenüber, die einen entsprechenden Betrag gegen uns in Deutschland, von mindestens 4000 Millionen Gold besitzen müssten, nicht möglich. Heute aber, wie der vortreffliche National-Oekonom in Göttingen vor Jahr und Tag 36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. anregte, die Silberwährung in Russland einzuführen, ist ebenso nicht durchführbar, bis die Verhältnisse Amerika’s sich geklärt haben, und leider ist eine solche Klärung wohl kaum für die nächsten Jahre zu erwarten. Niemand, der auf dem Gebiete, das ich bespreche, sich einigermaassen zu Hause fühlt, wird sich aber verschweigen dürfen, dass in 10 Jahren spätestens die grosse Silberfrage wieder acut wird und dass dann das Ende des weissen Metalles ein trostloses sein muss. Ich möchte nun, ehe ich zur Beurtheilung des wichtigsten Punktes meines Vortrages übergehe, ein Bild der Silber-Production, der Einfuhr und Ausfuhr von Silber und des Verhältnisses der einzelnen Staaten, dieGold und Silber produeiren, geben. Die Zahlen sind theils den Mittheilungen des Herrn Geheimrath Soetbeer, theils dem hervorragenden National- Oekonom Ottomar Haupt und die Zahlen aus 1883—86 dem vortreff- lichen Münzstatistiker Kimball entlehnt. Die Gruppirung dieser Zahlen ist so überaus informirend, dass ein weiteres Wort darüber überflüssig. Interessant bleibt aus den Mittheilungen Haupt’s die Thatsache, dass die Production von Silber 1887 mit 3 Millionen Kilo ein Plus von 200000 Kilo liess, das als Ueberschuss über den Bedarf gerechnet werden muss, während das Jahr 1888 mit 3'/, Millionen Kilo Production einen Ueber- schuss von nahezu 500000 Kilo bringt. I. Silberproduction. Silberausmünzungen in den Vereinigen Staaten. Vorrath von Standard- Silberordollars. BT Elle Silberaus- Vorrath an en in de ünzung i - Jahr überhaupt Ver. Staaten 9 en ie Unzen f, Unzen f. Dollars Dollars 1878 73 476 000 34 960 000 28 518 850 — 1879 74 250 000 31 550 000 27 569 776 50 055 650 1880 74 791 000 30 320 000 27 411 694 77 453 005 1881 78 890 000 33 260 000 27 940 164 105 380 980 1882 86 470 000 36 200 000 27973 132 132 955 080 1883 89 177 000 35 730 000 29 246 968 161 425 119 1884 81 497 000 37 800 000 28 534 867 189 561 994 1885 91 652 000 39 910 000 28 962 176 218259761 1886 93 276 000 39 440 000 32 086 710 249 683 647 1887 96 189 000 41 260 000 35 191 081 283 295 357 1888 110 086 000 45 780 000 33 025 606 315 286 190 1889 126 000 000 50 519 000 35 496 683 349 938 001 Die declarirte dortige Edelmetall-Einfuhr hat sich seit 1878 wie folgt verhalten: Fiscealjahre end. 30. Juni 1878 1879 1880 1881 1882 1883 1884 1885 1886 1887 1888 1889 III. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung. Einfuhr Doll. 13 330 000 5 625 000 80 758 000 100 031 000 34 377 000 17 734 000 22 831 000 26 692 000 20 743 000 42 911 000 43 934 000 10 372 000 Gold Ausfuhr Doll. 9 204 000 4 588 000 3 639 000 2 565 000 32 588 000 11 601 000 41 082 000 8 478 000 42 952 000 9 701 000 18 376 000 60 033 000 Silber Einfuhr Doll. 16 491 000 14 671 000 12 276 000 10 544 000 8 095 000 10 755 000 14 595 000 16 551 000 17 850 000 17 260 000 15 404 000 24 682 000 27 Ausfuhr Doll. 24 536 000 20 410 000 13 504 000 16 842 000 16 830 000 20 219 000 26 051 000 33 753 000 29 511 000 26 297 000 28 038 000 36 717 000 Nach Kimballs neuester Zusammenstellung ist die Edelmetallproduetion der Welt in den Jahren 1883—1886 wie folgt anzunehmen: Gold. Länder: 1883 1884 1885 1386 Kg. f. Kg. f. Ka. f. Kg. f. Vereinigte Staaten 45 140 46 344 47 848 52 663 Australasien 40 852 42 558 41 287 39 761 Russland 30.272 32,313 38.125 30 872 China (am Amur) 8 057 9.362 6 997 5 492 Colombia 5 802 5 802 3 762 3 762 Venezuela 5023 7033 7033 +:5:020 Oesterreich-Ungarn 1 638 1 658 1 664 1 664 Mexico RR 1 438 1 780 1 304 924 Territorium von Canada 1 435 1 435 1080 1 000 Afrika ur di. a ROTE 1,250 2 083 2.163 DraBihlen, ch yeah 952 952 1 204 1 502 Andere Länder PEN Mer |; 1:930 2.555 2 274 Zusammen 143 533 153017 154942 147097 Werth in Millionen Mk, 400,5 426,9 432,3 410,4 Wenn diese Angaben bezw. Abschätzungen als annähernd zutreffend gelten dürfen, so hätte die Goldgewinnung im Jahre 1886 gegen diejenige in den beiden vorangegangenen Jahren eine Abnahme erfahren, wäre jedoch immer noch bedeutender, als 1883, und könnte keinenfalls ein wesentlicher Rückgang der Goldgewinnung in letzter Zeit behauptet werden, Es würde offenbar hier zu weit führen, in betreff einzelner Theile obiger Zusammenstellung abweichende Schätzungen vorzulegen und zu ER 28 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. begründen; dies mag später anderswo geschehen. Im Grossen und Ganzen dürfen diese Angaben als maassgebend betrachtet werden. Silber. Länder: 1883 1884 1885 1886 Kg. f. Re. f. Kg. f. Kg. f. Vereinigte Staaten. . 1111646 1174206 1241578 1227141 Mexico . 711 480 695 870 7712 670 794 033 Bolivia . 384 985 384 985 384 985 384 985 Chile 160 000 160 000 180 342 180 342 Deutschland 142 700 160 000 142 340 156 400 Spanien 54 335 54 335 54 335 54 335 Öesterreich-Ungarn . 48 700 49 300 50 310 50 310 Peru R 45 909 45 909 47 840 96 246 Andere Länder 109 442 120 120 187 609 193 383 Zusammen 2769197 2804725 3062009 3137175 Werth in Millionen Mk. 415,4 420,7 440,9 420,4 Nunmehr gehen wir zu Amerika über. Ich habe Eingangs meiner Ausführungen gesagt, dass die Silberbill die Rehabilitirung der Werths- relation von Silber zu Gold, die um 33%), zu Ungunsten des Silbers sich verändert hat, bezweckt! Amerika hatte im Jahre 1873 mit sehr richtigem Instinet empfunden, dass die Zukunft des Silbers eine verlorene sei und hatte nach Deutschland sofort auch die Goldwährung eingeführt, allein nach wenigen Monaten schon traten die Silber-Barone und reichen Minenbesitzer nörgelnd und nagend an dieser Goldwährung an das Repräsentanten-Haus um Auf- hebung der Goldwährung heran. Was diese Leute an Geld geopfert, übersteigt alle europäischen Begriffe. Sie haben nicht nur im Repräsen- tenhaus ihre gekauften Stimmen gehabt, sie haben nicht nur Millionen für die Beeinflussung von Zeitungen ausgegeben, nein, sie haben auch in Europa Agenten besessen und haben auch in Berlin ihren Einfluss auszuüben gewusst. Nicht die agrarischen Bestrebungen allein haben in Deutschland an der Goldwährung zu rütteln versucht, sondern es sind viele von Amerika bezahlte Kräfte in diesen Bemühungen auch dienst- bar gewesen. Den vereinten Anstrengungen gelang es im Jahre 1878 endlich, entgegen der eingeführten Goldwährung die Bland-Bill durchzu- führen. Die Bland-Bill von 1878 hat mit der Silber-Bill von 1890 viel ge- meinsam. Der Bland-Bill gemäss war der Schatzmeister Amerikas an- gewiesen, pro Monat 2—4 Millionen Dollars auszuprägen. Es ist niemals über 2 Millionen thatsächlich geprägt worden, denn diese Summen schon waren in die Canäle des Volkslebens nur schwer hineinzuführen. Hier- III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 29 bei sei erwähnt, dass es ein Irrthum ist, wenn man da und dort in Zei- tungen liest, dass nur ein kleiner Theil der geprägten Dollars im Volke sei. Es ist richtig, dass von den 360 Millionen Dollars in Silber aus- geprägt nur 60 Millionen circuliren. Die übrigen 300 Millionen liegen in den Schatzkellern von Washington, für deren Werth sind aber Certi- ficate ausgegeben und diese eirculiren im Publikum genau so, wie unsere Noten. Während bei der Bland-Bill also 2—4 Millionen pro Monat aus- geprägt werden mussten, sind nach der neuen Silber-Bill 4‘, Millionen Unzen monatlich auszuprägen, d. h. also jährlich 54 Millionen Unzen, so dass die jetzige Ausprägung nur 10 pCt. höher ist, wie der höchste Satz, den die Bland-Bill vorschrieb, in Wahrheit sich aber weit über das Doppelte stellt, als bisher ausgeprägt wurde. Abweichend von der Bland-Bill wird nun bestimmt, dass im Handel und Verkehr die Silber-Dollars genommen werden müssen. Der Wortlaut der Vereinigten Staaten-Bill von 1890 bestimmt, dass die Dollars und die Certificate ein gesetz- liches Zahlungsmittel zur Bezahlung aller öffentlichen und Privatschulden sein sollen. Sie werden an allen öffentlichen Kassen für Zölle, Steuern und öffentliche Abgaben in Zahlung angenommen. Thatsächlich hat bis- her der Grosshändler nie andere Transaction nach Emanirung der Bland- Bill gekannt, als Zahlung in Gold, und während die Bland-Billdurch Prägung von monatlich 2 Millionen Silber-Dollars nur den Preis des Silbers etwas mehr unterstützen wollte, betont die neue Silber-Bill ganz ausdrücklich und nennt es die ausgesprochene Politik dabei, die Preise von Gold und Silber auf gegenseitiger Parität nach dem bestehenden oder event. nach einem durch ein späteres Gesetz zu bestimmenden Verhältniss zu erhalten. Wenn wir uns nun die Finanzlage der Vereinigten Staaten, die doch bei der ganzen Beurtheilung dieser Frage ein sehr mitsprechender Factor ist, ansehen, finden wir eine ohne Gleichen dastehende glück- liche Situation, die sich wohl jedes Volk der Erde als bei sich zu Hause be- stehend wünschen möchte. Die Vereinigten Staaten hatten nach dem Secessionskriege 1865 eine Schuld von 2400 Millionen Dollars, also 10 Milliarden Mark mit 151 Millionen Zinsen. Heute sind die Schulden auf wenig über 800 Millionen herabgemindert mit 25 Millionen Zinsen. Der Ueberschuss der Einnahmen Amerika’s bezifferte sich im Jahre 1881 auf 100 Millionen Dollars 1882 = 145 E - 188501.J4) 29563 E < 1886 =: 93 E E 1887 = 103 - - 188 ie ll E - 18T IT = Ir 2 - 1890 Fe 94 z z 30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. immer vom Juni bis Juni des nächsten Jahres gerechnet. Diese grossen Ueberschüsse sind nun für ein Land wie Amerika durchaus keine An- nehmlichkeit, denn eine Anlage derselben in Werthen würde eine Steigerung der Anlage-Papiere bedingen. Es war also ein wohlwollendes Entgegenkommen der amerikanischen Regierung für alle jene Möglich- keiten von vornherein gewährt, die die Staats-Einnahmen herab setzen. Hiermit komme ich nun zu der eigentlichen Beleuchtung der drei neuen amerikanischen Bills. I. Die Kinley-Tarif-Bill, die die Industrie unseres Vaterlandes so tief schädigt und einzelne, wie die Wollwaren-Industrie in Sachsen ge- radezu vernichtend trifft. Durch die Kinley-Bill werden die Zoll-Ein- nahmen Amerika’s vermindert, denn die Industrie Amerika’s wird auf das äusserste stimulirt und angeregt werden, und das Ausland wird weniger Waaren nach Amerika hereinsenden. II. Die Silber-Bill Amerika’s erfordert von dem amerikanischen Volk eminente Opfer, es gilt nicht nur, die eigne Production um 33', Procent im Werthe zu erhöhen, sondern Amerika steigert mit dem höheren Werthe, den es dem Silbermetall giebt, aber auch den Silber- bestand aller Völker der Erde, resp. nimmt allen Völkern der Welt die Verluste, die sie seit dem Jahre 1870 auf den Silberbestand sich mehr oder minder in Anrechnung bringen mussten, hinweg. Wenn man diese beiden Bills noch mit ruhigem Auge betrachten konnte und von einem schnöden Egoismus dirigirt ansah, so ist III. die Pensions-Bill, die dritte neue Bill Amerika’s, eine Schmach für das Land, wie sie grösser gar nicht zu denken und der Amerikaner müsste er- röthen, wenn er sieht, wie die Regierung mit dem Vermögen des Volkes umgeht, andererseits würde aber die Creirung dieser letzten Bill unverständlich sein, wenn nicht, wie ich oben ausgeführt habe, mehr oder minder hierbei Wahlabsichten zu Grunde lägen. Wenngleich die Pensions-Bill mit meinem Vortrage nichts zu thun hat, gestatte ich mir doch diese kleine Abweichung, da nur wenige meiner Hörer mit der Pensions-Bill und ihrem Wesen vertraut sein können. Als der amerika- nische Secessionskrieg zu Ende war, war man äussert liberal den Ve- teranen und Invaliden aus dem Kriege gegenüber und nahm auch die Veteranen und Invaliden aus den mexikanischen Kriegen gleich mit in die Pensions-Bill hinein. Die Pensionen vom Jahre 1878 betrugen damals 29 Millionen Dollars. Nun hätte naturgemäss von Jahr zu Jahr eine Veringerung dieser Pensionsausgaben stattfinden müssen, allein was geschah? Durch die neue Pensions-Bill sind die Pensionen für jene Kriegsveteranen und Kriegsinvaliden bis Januar 1865 auf 140 Millionen Dollars gestiegen. Noch illustrirender und schlagender ist es aber, wenn ich erwähne, dass, während in Deutschland für Pensionen aus unserem glorreichen Kriege vom Jahre 1970 in diesem Jahre 26 Millionen Mark bezahlt III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 31 werden, in Amerika jetzt 588 Millionen Mark in Ausgabe gestellt sind, dabei werden diese Pensionen in Silber-Certificaten gezahlt, was für die Einführung dieser nunmehr so überaus erweiterten Zahlungsform von Wichtigkeit ist. Ueber die Münzstatistik und den Besitz von Gold und Silber in ausge- prägter Form bietet folgende Zusammenstellung eine sehr interessante Illustration, Gold Silber Frankreich 3 800 000 000 Fres. 3 700 000 000 Fres. England 2 700 000 000 = 540 000 000 = Deutschland 2 900 000 000 = 1 820 000 000 = Amerika 3 520 000 000 = 1 950 000 000 = Während wir in Europa mit unserem Silberbesitz im Laufe der nächsten Jahre unweigerlich sehr zurückgehen werden und dies nament- lich in Frankreich der Fall sein wird, wird sich der Silberbesitz in Amerika innerhalb von 10 Jahren um 4000 Millionen vermehren. Die Situation wird sich so stellen, dass wenn, was unweigerlich ein- treten muss, der ganze künstliche Preis des Silbers zusammenbrechen wird, Amerika die Kosten dieses Zusammenbruches in erster Linie zu tragen hat. Dies sieht das Volk auch vollendet ein und die Urtheile desselben sind für die amerikanische Regierung vernichtend. Ich ge- statte mir, aus der New-Yorker Handelszeitung, einem sehr achtbaren Blatte, folgenden kleinen Ausschnitt zu unterbreiten, der so recht deut- lich kennzeichnet, wie man in Amerika das ganze Vorgehen in der Silberbill beurtheilt. „Die gegenwärtige Campagne ist eine Campagne der „Silberkönige‘. Sie wissen ganz genau, was sie wollen. Sie besitzen ein Produkt, welches sie a tout prix auf den Markt werfen wollen. Verächtlich lachen sie über die Idee, dass es sich um Partei-Neigungen handele. Bald passt es ihnen, dem demokratischen Programm unterthänige Ehr- furcht zu bezeugen, bald versichern sie die Republikaner, dass sie in un- verbrüchlicher Treue zu ihrer Fahne schwören. In der Kunst des po- litischen Schachers sind sie Meister. In Wirklichkeit kümmern sie sich keinen Pfifferling und haben sich, während der letzten 10 Jahre, keinen Teufel um die Partei, welche das Heft in Händen hatte, gekümmert, sobald sie nur beide dazu benutzen konnten, dem Publikum in zwingender Weise begreiflich zu machen, es solle das Produet ihrer Minen nehmen. Sie bilden eine geschlossene Liga, und ihre seit Jahren fortgesetzte „Minir-Arbeit‘“ fängt an, ihre Früchte zu tragen. Die Bevölkerung, im Ganzen genommen, unterstützt diese Herren nicht im Mindesten; aber auch Männer, denen die Ehre und die Pro- sperität der Nation am Herzen liegt, wollen mit ihnen nichts zu thun haben. Für die Union ist es aber Zeit, die aus dem Gebahren der „Silberkönige‘“ resultirende Gefahr sich begreiflich zu machen und da- BB) Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. gegen energisch zu protestiren. Ein tiefer Abgrund von Unehre und Ruin ist es, in welchen diese Männer uns stürzen wollen. Wenn die finanzielle Unehre in Washington sich in ihren Repräsentanten derart breit macht, um kein edleres Motiv anzuerkennen, als den Wunsch, das Vermögen einiger weniger Millionäre auf Kosten eines jeden Mannes, der sein Brod im Schweisse seines Angesichts verdient, mehr und mehr zu vergrössern, dann ist wahrlich die Zeit gekommen, wo die öffentliche Meinung hervortreten muss, um die „Silber- Verschwörer“ einzuschüchtern. Dem Congress aber müsste beigebracht werden, wie das Land über gänzliche Freigebung der Silber-Prägung, mit Hintan- setzung aller Geschäfts-Interessen, lediglich zum Heil und Frommen der Bonanza-Könige, denkt!“ — Eines Commentars zu diesen Auslassungen bedarf es wohl nicht. Ich habe die Pflicht, um objeetiv zu sein, nun auch noch jene Mo- mente vorzuführen, die die amerikanische Regierung für sich bei Ema- nirung der Silber-Bill in Anspruch nimmt. Sie will die Silber-Industrie in Amerika, die noch nicht die Hälfte der Gesammtproduction der Welt ausmacht, unterstützen, will den alten Werth von Gold und Silber zur Parität bringen. Dann aber wünscht sie und hofft durch den ver- mehrten Umlauf von Silber, resp. Silber-Certifieaten, eine Steigerung aller Preise hervorzurufen, das hat sie erreicht, aber damit auch eine freundliche Beurtheilung der Bill seitens des amerikanischen Volkes längst verwirkt. Berechtigter ist ein weiterer Grund der amerikanischen Regierung damit, dass man durch die Erhöhung des Silberpreises einen Schutz gegen die Concurrenz von Indien herbeiführen will. Der er- höhte Silberpreis muss die Concurrenz Indiens auf das Aeusserste herab- drücken und nach dieser Richtung hin wird auch für Deutschland ein Vortheil wohl resultiren, dann aber, und das wäre ein durchaus maass- gebender Factor, meint die amerikanische Regierung, dass die jährliche Steigerung der Bevölkerung ein erweitertes Zuführen von Münzmaterial erheische. Der jetzige Umlauf der amerikanischen Dollars beziffert sich auf 1426 Millionen. Man schätzt den Nutzen der amerikanischen Arbeit auf 3 pCt. pro anno und meint damit jährlich 42 Millionen in neuem Münzmaterial in die Canäle des Volkslebens einführen zu dürfen. Es ist nicht zu leugnen, dass die Regierung mit diesem Gesichtspunkte sich wenigstens einigermaassen entlastet hat. Es erübrigt sich noch für mich, die interessante 'Thatsache zu be- rühren, wie die Verhältnisse des Silbermarktes sich nach Bekanntwerden der neuen Silber-Bill gestaltet haben. Die Staatsregierung von Amerika hatte eine Reihe von hervor- ragenden Finanzmännern in New-York zu einer Conferenz eingeladen, um mit ihnen über die Frage der Silber-Bill zu sprechen. Es war da- bei die Zukunft des Silberpreises selbstredend berührt worden und alle Schlesische Gesellschaft für vaterländische Cult. Se 7 wg a Ta 68. IEI. Jahresbericht. Historisch - staatswissenschaftliche 1890. Abtheilung. Ent DE 22 22 WE 16 <> EEE RE ERREENTR jene mit den Verhältnissen des Landes, der Finanzwirthschaft und des Handels vertrauten, hervorragenden Financiers und Bankiers waren der Meinung, dass der Silberpreis langsam aber sicher von dem damaligen Werthe von 46—48 Pence auf 54—55 steigen werde. Bekanntlich ist der Spannpunkt, bis zu welchem der Schatzmeister laut der Silber-Bill seinen Metallankauf zu vollziehen hat, 60 Pence. Dass der Silberpreis sich rasch bis auf diese Höhe heben würde, nahm niemand an. Wenn je im Leben sich Sachverständige getäuscht haben, war es im vorliegen- den Falle Amerika. Als die Silber-Bill in naher Voraussicht und deren Annahme ziemlich sicher war, stieg der Preis auf 49 Pence. Kaum war die Bill als per 13. August in Kraft tretend veröffentlicht, als eine ganze Reihe von Syndikaten, Pools genannt, entstand, die nun mit dem Ankauf von Silber begannen und den Preis bis auf 54 Pence trieben. Mit grossem oder kleinen Capital ausgerüstet, versuchten sie, alles Ma- terial, was in Silber an den Markt drängte, aufzunehmen, allein nach wenigen 14 "Tagen mussten sie einsehen, dass es auch nicht entfernt möglich, jene Quantitäten zu absorbiren, die angeboten wurden. Eine grenzenlose Krisis bildete sich in New-York. Der Discont stieg auf 12 pCt., ein Syndikat nach dem andern brach zusammen, Millionen verschlingend und jeder Tag brachte neue Offerten mit a la Baisse sich überstürzenden Preisrückgängen. Mexico und Venezuela sandten enorme Quantitäten von Silber-Dollars, und Rumänien warf durch die Herren Gebrüder Thorch in Wien 25 Millionen Francen in Silber zum Ueberfluss an den Markt. Eines aber, und das ist viel wichtiger, hatte man vergessen, es hatten sich in aller Stille, darauf rechnend, dass Silber steigen würde, srosse Lager an allen Ecken und Enden Amerika’s angesammelt, die nun plötzlich zum Vorschein kamen. Aber nicht nur dieses, bereits vorhandene Silber drückte den Markt, sondern auch die unendlich ge- steigerte Production, die sich schon im März, bei den ersten Hofinungen auf dis neue Silber-Bill eingestellt hatte. Alle Silberminen arbeiteten fieberhaft, Erze, die bei den niedrigen Preisen zur Verhüttung nicht lohnten, wurden nunmehr rentabel und der Schatzsecretär von Amerika war in der glücklichen Lage, seine Käufe zu immerfort fallenden Preisen vollziehen zu können. Während er am 1. October noch 225 000 Uz. & 114 kaufte, erwarb er am 20. October 650 000 Unzen mit 109 und 3 34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Culiur. während am 1. October der Silberpreis noch 54 Pence per Unze stand, ist derselbe heute auf 47 herabgesunken. Es unterliegt nun keinem Zweifel, dass auch diese Situation eine vorübergehende sein wird. Es mögen zwei, drei, vier Monate dazu gehören bis der Preis des Silbers wieder steigt, er wird aber unweigerlich im Laufe der nächsten Jahre dem Spannpunkte von 60 Pence näher treten. Amerika ist zu reich, als dass es sich nicht den Luxus der Silber-Bill gestatten könnte und nur ein Moment kann in die Thatsache eine Aenderung bringen, das ist die Möglichkeit, dass das erregte, amerikanische Volk, das bei seiner hohen Betriebsamkeit und Arbeitsamkeit, doch einen ausgeprägten Sinn für Gelderwerb und Geldbesitz hat, seine Interessen unter den republikanischen Händen nicht mehr gewahrt sieht und einen demokra- tischen Präsidenten wählt. Wir Deutschen werden unseren kleinen Besitz in Silber bis dahin los sein und können der Entwiekelung dieser hochinteressanten national- . ökonomischen Frage mit Ruhe entgegensehen, dankbar unseren leitenden Staatsmännern und unserem hochseligen Kaiser Wilhelm, dass seiner Zeit für unser Vaterland die Goldwährung eingeführt wurde. Ueher die Geschichte des internationalen Socialismus. Von Professor Dr. Elster. (Sitzung der Section für Staats- und Rechtswissenschaft vom 13. März 1890.) Der Vortragende ging zunächst kurz auf den Lebenslauf von Carl Marx ein, der Jahrzehnte hindurch die internationale Bewegung geleitet hat. Marx, welcher am 5. Mai 1818 zu Trier geboren wurde, war, nachdem er die Redaction der „Rheinischen Zeitung‘ niedergelegt hatte, im Herbst des Jahres 1843 nach Paris übergesiedelt, um hier gemeinsam mit Arnold Ruge die „Deutsch-französischen Jahrbücher“ herauszugeben. Schon damals kam Marx mit dem „Bunde der Communisten‘ in Be- rührung, der ersten beachtenswerthen internationalen socialistischen Ver- einigung, ohne demselben aber beizutreten. Aus Frankreich 1845 aus- gewiesen, begab sich Marx nach Brüssel, wo er unter anderem, unter- stützt durch seinen Freund Friedrich Engels, den deutschen Arbeiter- Bildungsverein begründete. Durch die hier entwickelte Thätigkeit wurde die Centralbehörde des „Bundes der Communisten“ in London auf Marx aufmerksam und verhandelte mit ihm wegen seines Eintritts in den Bund. Nachdem dann im Herbst 1847 auf einem in London abgehaltenen Bundescongress das von Marx und Engels verfasste „Manifest der com- II. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 35 munistischen Partei‘ nach längeren Debatten angenommen worden war, trat Marx in den Bund ein, dessen Leitung von dem Zeitpunkte an in seinen Händen lag. Prof, Elster kennzeichnete darauf den Inhalt des communistischen Manifestes und die weiteren Schicksale des Bundes bis zu seiner Auf- lösung im Jahre 1852. Auf erweiterter Grundlage suchte Marx später den Bund der Communisten in der „Internationalen Arbeiter- Association“ wieder aufzurichten. Nachdem während der Weltausstellung in London im Jahre 1862 die ersten Verbindungen, besonders zwischen französischen und englischen Arbeitern, angeknüpft worden waren, erfolgte am 28. September 1864 die Begründung der ‚Internationalen Arbeiter- Association“. Auch hier machte sich in Allem der Einfluss von Marx geltend. Aber die Inaugural-Adresse der Arbeiter-Association war, ver- glichen mit dem communistischen Manifest, viel zurückhaltender, viel harmloser, und erst allmählich ging man zu jenen Forderungen über, die in dem communistischen Manifest ohne Weiteres vorgebracht waren, Die Internationale, welche ähnlich organisirt war, wie der Bund der Communisten, hielt jährlich ihre Congresse ab, auf welchen die ver- schiedensten Fragen erörtert wurden. Im Jahre 1872 kam es auf dem Congress im Haag zwischen den Bakunisten und den Marxisten, oder vielmehr zwischen den Anarchisten und den Soeialisten, zu ernsten Aus- einandersetzungen, welche die Auflösung der Association zur Folge hatten. Der Vortragende schilderte eingehend die Forderungen Bakunin’s und wies auf die Erweiterung des tactischen Programms des Anarchis- mus durch Netschajew hin, welcher, während Bakunin den Mord u. s. w. verurtheilte, zuerst die Attentate, Putsche, Krawalle als Mittel der Pro- paganda ins Werk zu setzen angeregt habe. Infolge der Verhandlungen auf dem Congress zu Haag schieden die Bakunisten aus der „Inter- nationalen Arbeiter-Association‘‘ aus, indem sie eine neue Internationale begründeten. Als auch diese nach dem Tode Bakunin’s im Jahre 1876 zu zerfallen drohte, beschloss man, einen Weltcongress in Gent abzu- halten, um die verloren gegangene Einheit der proletarischen Welt- bewegung wieder herzustellen. Zu der erstrebten Einigung zwischen den beiden Parteien kam es aber auf diesem 1877 abgehaltenen Congresse nicht. Gegenwärtig sind die Socialdemokraten der verschiedenen Länder in Anarchisten und Gemässigtere gespalten. Wohl unterhalten sie auch heute noch internationale Verbindungen, aber eine einheitliche Organisation, wie sie in der internationalenAssociation vorhanden war, besteht nicht mehr. An den vorstehend nur im Umriss skizzirten Vortrag schloss sich eine weitere Besprechung, an welcher sich u. a. die Herren Amtsgerichts- Rath Lühe, Commerzienrath Molinari, Staatsanwalt Peterson, Re- gierungsrath Graf Deym betheiligten. 3*+ 36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Ueber den Beruf des modernen Banquiers. Von Albert Holz. (Sitzung der Section für Staats- und Rechtswissenschaft vom 27. März 1890.) In der Einleitung wurde darauf hingewiesen, dass die Jünger der Wissenschaft einen Stützpunkt für ihre Studien in der Geschichte der Entwickelung der Wissenschaft besitzen, dass ihr Lebensberuf ihnen bereits auf der Hochschule verschönt werde, durch anregenden Umgang und durch mancherlei Privilegien, die man ihnen von Alters her ein- geräumt habe. Der Kaufmann allein stehe einigermaassen isolirt da; zwar gebe es auch eine Handelswissenschaft, aber nicht in dem Sinne, wie man die Wissenschaft überhaupt aufzufassen habe, „als ein Compen- dium gewisser empirischer Gesetze, welche sich organisch entwickelt haben und den Grundstein bilden für die immer weiter fortschreitende Erforschung bestimmter theoretischer Wahrheiten, um diese in eine Reihe sich ergänzender Systeme zusammenzufassen und sie praktisch nutzbar zu machen für die unendlich verschlungenen Wege der gewaltigen Culturarbeit“. Auch sei die Würdigung hervorragender Männer in der Kaufmannswelt wenigstens bei uns in Deutschland nicht immer vollem Verständniss für die erforderlichen geistigen und moralischen Fähigkeiten begegnet, zum Theil auch verdunkelt worden, durch eine tiefeingewurzelte idealistische Grundanschauung, welche den Erwerb als Endzweck einer Berufsthätigkeit perhorreseirt, wie denn der materielle Erfolg überhaupt nicht immer sympathisch nach Aussen zu wirken pflege. Das moderne Banquierthum fusst auf dem Geldwechsel, wie er sich im mittelalterlichen, gewerbeblühenden Italien entwickelt hat. Zur Prüfung der verschiedenen Edelmetalle und Münzen, welche auf den da- maligen Messen zusammenströmten, wurden die Goldschmiede jener Zeit herangezogen, aus denen der Stand der Geldwechsler hervorging und von ihrem Tische, welchen sie mit sich führten, der banca, Bankhalter oder Banquiers genannt wurden. Aus dem Gewerbe der Aufbewahrung der ihnen anvertrauten Edelmetalle entwickelte sich das sogenannte „Depositengeschäft“ und in Verbindung hiermit die Geschäftsart, die Valuta solcher Werthgegenstände und Münzen bei auswärtigen Banquiers zur Erhebung anzuweisen, wodurch die noch heute wichtigsten schriftlichen Werthvermittelungszeichen „‚die Anweisung und der Wechsel‘‘ entstanden. Die vielfache Betheiligung an dem Depositengeschäft machte es möglich und bequem, gegenseitige Forderungen durch Uebertrag von einem Conto auf das andere auszugleichen, sodass gewissermaassen ein Kreislauf (Giro) entstand und so die Grundlage des Giro-Verkehrs und der Giro-Banken bildete. III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 37 Durch die geschäftlichen Beziehungen mit den Staaten wurden den Banken gewisse Privilegien verliehen, welche zur Ausgabe von Bank- noten und Gründung von Noten-Banken führten. Gegenwärtig existiren im deutschen Reiche 16 solcher Notenbanken mit einem Grundcapital von 262 932 000 M., deren Activa Ende 1889 insgesammt 1 924 359 000 M, betrugen, Nächstdem wurde einer trefflichen Einrichtung Erwähnung gethan, welche im 16. Jahrhundert in Lyon entstand und sich bis heute aus- nehmend gut bewährt hat, nämlich des „Clearingwesens“, bei welchem der Ausgleich täglicher Forderungen seitens einer Gemeiuschaft von Kaufleuten durch Compensation erfolgt, sodass überschüssige Aus- und Einzahlungen, Ablieferungen und Entgegennahme von Wertheffecten ver- mieden, und somit Zinsverluste und zeitraubende Manipulationen beseitigt werden. Gewaltige Fortschritte machte das Bankwesen, seitdem die Völker durch die technischen Vervollkommnungen einander näher ge- rückt sind, der Wohlstand und die Lebensansprüche der Einzelnen — also der standard of life — sich erhöht und mit dem Wachsthume des Nationalreichthums die allgemeine Sparfähigkeit eine so bedeutende Aus- dehnung gewonnen hat. Einen Begriff von derselben wird man durch die Thatsache erhalten, dass die Einzahlungen lediglich bei den schlesischen Sparkassen am 1. April 1889 die Höhe von 233 060737 M. erreicht haben. „Wenn Sie — so bemerkte der Vortr. — im Geiste zusammenfassen, welche Vorgänge sich heutzutage an dem grossen Wirthschaftskörper des Erdenrundes abspielen, um die gesteigerten Lebensbedürfnisse der Völker zu befriedigen, wenn Sie bedenken, dass sich alljährlich ein gewaltiger Verkehrsstrom entwickelt, sobald der Erntesegen die Länder beglückt und die Völker sich anschicken, die Ackerproducte ihrer Heimath nach den grossen Stapelplätzen des Handels zu entsenden; wenn Sie erfassen wollen, wie Jahr aus Jahr ein in unermüdlicher Arbeit die Fabrikthätig- keit die gewaltigsten Hebel in Bewegung setzt, um Erzeugnisse des Gewerbe- und Kunstfleisses fertigzustellen, deren Gebrauch Nothwendig- keit, Gewohnheit und verfeinerter Geschmack erheischen, so werden Sie eine Vorstellung davon erhalten, welch ein complieirter Apparat erforder- lich ist, um die Organisation dieser Gütervertheilung bis in die ent- ferntesten Stätten des Culturlebens im Gange zu halten. Wohl spielen bei diesem unendlichen Getriebe Dampfschifffahrt und Eisenbahnen, Telegraphen- und Telephonwesen eine grossartige Rolle; nimmer aber könnte dieser bewunderungswürdige Fortschritt des Ver- kehrslebens erreicht und bewältigt werden, wenn nicht bahnbrechend das Bankwesen vorgearbeitet hätte, Greift dieses doch in den Organismus des grossen Wirthschaftskörpers ebenso allseitig vermittelnd ein, wie 38 . Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. das Nervensystem in den Organismus des Menschenkörpers. Der Credit- brief des Banquiers ist der Mittler gewesen für den Verkehr der über- seeischen Producte, ein Culturträger, dessen Würdigung nicht allseitig erfasst worden ist. Die Production hat das Bestreben, den Werth für ihre Waaren so rasch als möglich in Besitz zu nehmen und nicht zu warten, bis sie in die Kreise der Consumption gelangt und verbraucht sind; die Abkürzung des Zahlungsverfahrens bewirkt nun im Gross- und Kleinverkehr der Wechsel. Im ersteren sind die Tratten im Verein mit dem sog. Frachtbriefe (Connaissement) die Begleiter der Waaren; in den Epochen, besonders der alljährlich wiederkehrenden Ausfuhr-Bewegungen zur Zeit der Ernten, auch sonst im Austausch der Fabrikationsproducte kommen die Banquierstratten als Zahlmittel auf den Weltmarkt und bilden den Barometer für den Goldverkehr und die Handelsbilanzen der Länder. Die Vermittelung dieses Goldverkehrs, in welchen wir seit Schaffung der Goldwährung direct einbezogen sind, sowie des Grossgeldverkehrs überhaupt haben in jüngster Zeit vermöge der Capitalassociation die Banken an sich gezogen. Die Hauptaufgabe der Regulirung des Goldumlaufes ist bei uns der Reichsbank zuge- fallen, welche mit anzuerkennender Exactheit fungirt, unterstützt von dem Rathe sach- und fachkundiger Banquiers. Auch unter den Letzteren dienen viele Firmen dem Grossverkehr; die Hauptaufgabe des Privat- banquiers wird aber heutzutage da zu suchen sein, wo es darauf an- kommt, Handel und Wandel eine unabhängige schnelle Entscheidung fordernde Stütze zu gewähren und durch combinatorischen Verstand, durch weiten Blick, durch eine traditionell praktische Erfahrung auch in schwierigen Fällen sachgemässen, thatkräftigen Rath zu ertheilen. Da, wo diese Auffassung der Berufsaufgabe Platz gegriffen hat, besonders in den respectablen, altbewährten Sphären der Banquierwelt, ist denn auch der Banquier von jeher durch Generationen hindurch der eng vertraute Berather ganzer Familien geworden und geblieben, denen er in wichtigen Geldangelegenheiten und auch auf anderen internen Gebieten treu zur Seite steht. Der Privatbanquier muss also zum Privatpublicum in einem gegen- seitig vertrauensvollen Verhältnisse stehen; er hat dessen Geld- und Creditwesen zu vermitteln, woraus sich dann die perspectivischen Be- ziehungen ergeben, welche er zum Staate, zu den staatlichen und privaten Geldinstituten, zur Industrie- und Handelswelt, zur Landwirthschaft und zur Gesellschaft überhaupt unterhält. Eine Seite der Geldvermittelung bildet die Umwechslung fremder Münzen und Noten, mit welcher sich hauptsächlich die Inhaber offener Wechselgeschäfte befassen; auf Gold lautende Banknoten haben in normalen Zeiten einen höheren Werth, als die entsprechenden Gold- münzen, weil sie transportabler und umlaufsfähiger sind. Ein fernerer III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 39 Zweig des Banquiersgeschäftes ist die Einziehung von Wechseln auf auswärtige Plätze, oft unter Ausgabe bestimmt normirter Inkasso-Tarife. Diese Thätigkeit hat seit Einführung des Postauftragsverkehrs eine wesentliche Einschränkung erlitten. Eine fernere wichtige Art der Geld- vermittelung besteht in der Empfangnahme und Ablieferung von Geldern für dritte Personen, z. B. für Gutsbesitzer in der Umgegend; der Banquier zahlt entweder nach Maassgabe eines vorhandenen Guthabens oder auf Grund von Sicherheiten, zumeist soliden Staatspapieren und guten Hypo- theken. Die Beleihung (Lombard) der Staatspapiere erfolgt je nach der Beurtheilung ihrer Qualität und Coursfähigkeit zu einem grösseren oder geringeren Procentsatze ihres Courswerthes; hierbei beobachtet die Reichsbank gewisse begrenzende Normen, an welche sich zwar manche Hypothekenbanken, nicht aber die Effeetenbanken und Banquiers zu binden pflegen. Unbedeckte, sogenannte Blanco-Credite, gewährt der Privatbanquier nur in Ausnahmefällen. Bezüglich der Hypotheken-Unterlagen ist zu bemerken, dass kleine Hypothekenbriefe, sofern sie nicht pupillar sicher sind, auf grosse Grundstücksobjecete nicht gern als Unterpfand genommen werden. Im Falle der Banquierkunde ein baares Guthaben besitzt, wird ihm solches verzinst; der Zinssatz im Credit ist natürlich ein niedrigerer, als für das Debet eines Contos; beide Raten richten sich nach der allgemeinen Lage des Geldmarktes; ihre Differenz bei gleichzeitig "ausgebildeter Depositen- und Lombard-Kundschaft bildet einen soliden Zinsgewinn als Entgelt für die haftpfliehtige Nutzbarmachung müssiger Capitalien durch deren Verfügungsstellung an den capitalbedürftigen Gewerbetreibenden. In dem Geschäftsverhältniss des Banquiers zum Waarenkaufmann und zum Fabrikanten tritt der Wechseldiscontverkehr in den Vordergrund, bei welchem eine strenge Prüfung obwalten muss, ob der in Discont gegebene Wechsel auch thatsächlich auf einem vollzogenen soliden Waarengeschäfte beruht; sogenannte Finanz- oder Reitwechsel werden daher von umsichtigen Banquiers grundsätzlich zurückgewiesen; die Praxis verleiht ein richtiges Gefühl für die Beurtheilung des Ursprunges; Ausnahmen geschehen nur in Fällen, in denen die Vermögenslage als eine günstige sowohl beim Giranten, als auch beim Acceptanten notorisch ist. Die Rückdiseontirung der Wechsel zu einem billigeren Zinsfusse gewährt den geschäftlichen Vortheil. Grössere Banquiers lassen einen grossen Theil ihrer Wechsel bis zum Verfalltage ablaufen, um selbst die vollen Zinsen zu geniessen. — Wechsel- ebenso wie Lombardbestände bilden die Reserven für Zahlungsverpflichtungen aus den Depositengeldern, Banken und hervorragende Bankhäuser lassen auch Wechsel auf sich ausstellen (trassiren) meist gegen genügende Unterlage, sei es in Effecten oder marktgängigen Waaren; doch achten sie darauf, dass ihre Accept- verbindlichkeiten im Verhältniss zu ihrem Gesammtumsatze nicht allzu- 40 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. sehr überhandnehmen; wo dies bei Banken in deren Jahresbilanz allzu- sehr hervortritt, wird das Verfahren der Bankleitung abfällig beurtheilt und schädigt den Actionscredit des Instituts. Der Vortheil des Trassanten liegt in der Möglichkeit, derartige Wechsel unter der Bankrate, zum sog. Privatdiscont in Geld umzusetzen, der Gewinn der Acceptanten liegt in der ihm gewährten Accept-Provision. Ein wichtiger Zweig des bankgeschäftlichen Verkehrs ist die Besorgung des An- und Verkaufes von zinsbringenden Staatspapieren für Rechnung von Behörden, Cor- porationen und Privaten, bei welchen die Hauptaufgabe des Banquiers darin besteht, neben möglichst grosser Sicherheit der Fundirung einen guten Zinsgenuss zu beschaffen. Diese Berufsthätigkeit ist in den letzten Jahren eine überaus schwierige geworden, da der Uebergang der meisten heimischen Eisenbahnen in Staatsbesitz dem Publikum ein grosses, solides Anlagegebiet entzogen, andererseits durch Conversion der inländischen Staats-, Provinzial- und Communalanleihen ihm der jährliche Zinsertrag sehr geschmälert worden ist, was bedauerlicherweise zur Folge hatte, die Neigung für die Anlage in auswärtigen, weniger sicheren Staats- renten und in Actien industrieller Gesellschaften zu steigern. Die Rente der letzteren ist erfahrungsmässig eine schwankende, abhängig von den Conjuneturen der betreffenden Industriezweige und durch deren Wechsel oft stark beeinträchtigt, wodurch natürlich auch der Kapitalwerth des Effeets bedeutend ermässigt wird; daher werden Industriewerthe nicht nach dem Ertrage eines einzelnen Betriebsjahres capitalisirt, sondern nach der Durchschnittsrente mehrerer Betriebsepochen, wobei auf die Liquidität der Unternehmungen, die Höhe der Abschreibungen auf die Buchwerthe, auf den Stand der Reserven, sowie endlich auf die Ge- staltung der nächsten Conjuneturverhältnisse Rücksicht genommen wird. Der Banquier besorgt die ihm übertragenen Effectenaufträge an den heimischen und auswärtigen Börsen, welche die Centralpunkte des Geld- handels und des Ideenaustausches über die allgemeinen Verhältnisse dar- stellen, und daher vermöge der Feinfühligkeit in deren Beurtheilung oft das Barometer für die Entwickelung der kosmopolitischen Situation ab- geben. Durch Regulirung von Angebot und Nachfrage erfüllen die Börsen den Zweck, brachliegende Kapitalien heranzuziehen und wirthschaftlichen Aufgaben dienstbar zu machen. Ohne deren Mitwirkung gäbe es keine Eisenbahnen, da nur durch Vermittelung der grossen Effectenmärkte die Actien untergebracht werden konnten. Ueber das an den Börsen stattfindende sogenannte Zeit- oder Ultimo- Geschäft zu sprechen, geht über den Rahmen des heutigen Vortrages hinaus und bleibt es einer geeigneten Gelegenheit vorbehalten, sowohl hierauf, wie auf gewisse Ausschreitungen des Gründerthums zurück- zukommen, welche dem gesammten Banquierstande zum Vorwurf gemacht III. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung. 41 worden sind. Bemerkt sei nur, dass dem Eingreifen intelligenter, kapitalkräftiger und solider Banquiers bei der Begründung von Eisen- bahnen, Schifffahrts- und anderer Transport-Gesellschaften und industri- eller Etablissements das Vaterland viel zu danken hat.“ Der Vortragende gedachte hierbei der Gründung der Oberschlesischen Eisenbahn, welche für das Wachsthum der Stadt Breslau und das Gedeihen der Provinz Schlesien von so umfassender Bedeutung geworden ist, und der heimischen Finanzmänner, denen als geistigen Urhebern und Förderern dieses Unternehmens ein Ehrenplatz in der Verkehrsgeschichte Schlesiens gebührt. „Wie segensreich die Epigonen derselben in den Finanz-Com- missionen und anderen Verwaltungs- Abtheilungen der Oberschlesischen Eisenbahn mitgewirkt haben, waren wir selbst in der Lage, aus der Nähe zu beurtheilen; es ist zu bedauern, dass durch die Verstaatlichung der Eisenbahnen die Mitarbeit und das Interesse der Kaufmannschaft an den technischen Fragen des Eisenbahnwesens allmählich verloren geht.“ Nachdem die wirthschaftliche Aufgabe der Arbitrage — eines wichtigen Zweiges des Banquiergeschäftes — in der Hauptsache dahin noch erörtert war, dass sie die Preise nivellirt, indem sie zu ermitteln sucht (arbitrari), welche Geldsorte, welcher Wechsel, welches Effect an fremdem Orte am billigsten zu beschaffen, am besten zu verwerthen ist, kam Herr Holz noch auf einen wichtigen Punkt der Börse zu sprechen, nämlich auf ihre nicht zu unterschätzende Bedeutung zur praktischen Verwerthung des Staatscredits, indem sie die grossen Summen von Reichs- anleihen (am Schluss des Etatsjahres 1887/88 851 229 000 M. betragend) und die verschiedenen Staatsanleihen absorbirt und in die Canäle des Anlagepublikums leitet. Bei der Emission dieser Staatsanleihen be- theiligen sich sogenannte Banquier-Consortien, welche der Staatsregierung einen bestimmten Cours und die pünktlichen Ratenzahlungen der Valuta gewährleisten und dann den Vertrieb der Anleihen auf eigene Gefahr hin übernehmen — nicht immer mit schliesslichem Gewinn. Oft haben hervorragende Finanzmänner dem Staate schätzenswerthe Dienste ge- leistet; erinnert wurde an die Mitwirkung des Herrn v. Bleichröder bei der Festsetzung der französischen Kriegsentschädigung sowie an seine und desHerrn v. Hansemann geniale Ordnung der rumänischen Eisenbahn-Anleihe, Die Anleihegeschäfte der Grossbanquiers mit auswärtigen Staaten haben oft eine politische Bedeutung, meist aber sind sie bahnbrechend für einen folgenden Güter-Austausch. An der sich an den Vortrag anknüpfenden lebhaften Besprechung betheiligten sich u. a. Regierungsrath Herrmann, Reichsbankdirector Mannowsky, Consul Friedlaender und Banquier Bruck. Der Vor- sitzende der Section, Professor Dr. Elster, welcher schon zu Beginn der Sitzung den Umstand als erfreulich bezeichnet hatte, dass ein 492 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Praktiker sich bereit gefunden habe, seine in der Praxis gewonnenen Erfahrungen mitzutheilen, dankte, nachdem er sich gleichfalls rege an der Debatte betheiligt hatte, dem Vortragenden dafür, dass er seiner bezüglichen Anregung Folge gegeben habe. Ueber Gefängnisskunde. Von Staatsanwalt Peterson. (Sitzung der Section für Staats- und Rechtswissenschaft vom 29. Mai 1890.) Der Vortragende führte zunächst aus, dass in der Art der Voll- streckung zwischen Zuchthausstrafe, Gefängnissstrafe und sogenannter qualifieirter Haft wesentliche Unterschiede nicht vorhanden seien und dass dies als etwas recht Bedenkliches angesehen werden müsse. Es sei insbesondere lebhaft zu bedauern, dass noch jetzt in vielen deutschen Strafanstalten sowohl Zuchthaus- als Gefängnissstrafen unter dem näm- lichen Dache vollstreckt würden. Der Vortragende erörterte dann die Zwecke der Strafen und hob hervor, leider sei in neuerer Zeit der Ab- schreckungszweck allzusehr in den Hintergrund gegenüber dem Besse-" rungszweck getreten; dies entspreche weder der heutigen noch der früheren Volksanschauung. Die Strafe müsse hart sein, wenn sie wirken solle, nur bezüglich der jugendlichen Verbrecher habe der Staat die Pflicht der Erziehung. Im weiteren Verlaufe des Vortrages wurden die Vortheile und die Nachtheile des Einzelhaftsystems gegenübergestellt, und es wurde betont, dass die durchgängige Anwendung dieses Systems sehr bedenklich sei; am besten sei es vielleicht, die Sträflinge während des Tages unter scharfer Aufsicht gemeinsam arbeiten zu lassen, dagegen sie des Nachts stets zu isoliren. Redner theilte schliesslich einige Grundsätze und Er- fahrungen über die Ernährung, Beschäftigung und Beaufsichtigung der Ge- fangenen mit. Er bemerkte namentlich, die Sträflinge müssen stets viele und kräftige Ernährung erhalten, um für harte Arbeit geeignet zu bleiben. In der sich anschliessenden, sehr lebhaften Erörterung trat auch die Ansicht hervor, dass die Congresse der Vertreter der sogenannten Ge- fängnisswissenschaft im In- und Auslande neuerdings sehr anfechtbare Theorien über Besserungs- und Zurechnungsfähigkeit der Sträflinge zu Tage gefördert hätten. Ueber die Silberbill Sitzung der Section für Staats- und Rechtswissenschaft vom 30. October 1890 siehe oben S. 17 ff. II. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 43 In der am 4. December abgehaltenen Sitzung der Section wurde die Discussion über die Währungsfrage und die amerikanische Silberbill im Anschluss an den oben (Seite 17) gekennzeichneten Vortrag des Commerzienraths Rosenbaum fortgesetzt. Der Vorsitzende, Professor Dr. Elster, leitete die Verhandlungen kurz ein, indem er über die gegenwärtigen Währungszustände und über ‘ die Production der Edelmetalle sprach. Die Discussion, an der ausser dem Vorsitzenden die Commerzien- räthe Molinari und Rosenbaum, die Kaufleute Haber und Holz sowie Professor Sombart sich betheiligten, drehte sich fast ausschliess- lich um die Frage, wie sich der Weltmarktpreis des Barrensilbers unter dem Einfluss des neuen Gesetzes stellen werde. Die Ansichten gingen vielfach auseinander; allein von allen Seiten wurde auf die grosse Be- deutung der Silberbill nachdrücklichst hingewiesen, gleichzeitig aber auch allgemein die Auffassung vertreten, dass speciell Deutschland die Ent- wickelung der Dinge mit grösster Ruhe ansehen könne, Ueber die schlesischen Städte unter Friedrich dem Grossen. Von Geh. Archivrath Grünhagen. (Sitzung der Section für Staats- und Rechtswissenschaft vom 18. December 1890.) Als König Friedrich II. von Schlesien Besitz ergriff, besass das- selbe etwa 160 Städte und Marktflecken. Zwischen diesen Ortschaften bestand eine bedeutende Verschiedenheit; was den Wohlstand anbetraf, so herrschte ein grosser Abstand zwischen den mächtig emporgekom- menen Sitzen des schlesischen Leinwandhandels und etwa den ober- schlesischen Grenzstädtchen, wo in strohgedeckten Holzhütten halb- polnisches Volk hauste, das seinen Acker mühsam baute und von In- dustrie nicht viel mehr als das Branntweinbrennen kannte. In Bezug auf politische Selbständigkeit mochte der Unterschied noch grösser sein zwischen der sich einer grossen Selbständigkeit erfreuenden Hauptstadt Breslau. und irgend einem unter der Botmässigkeit eines Grundherrn stehenden Weberstädteben im schlesischen Gebirge. Die 160 Ortschaften waren fast zur Hälfte mittelbare Städte, d. h. solche, die einen Grund- herrn hatten. Grundherren waren u. a. die Herzöge von Lobkowitz, die Grafen Auersperg, die Herzöge von Oels, das Bisthum, das eine grosse Reihe von Städten besass, Stifter und Klöster und eine Reihe von Standes- herren und sonstigen Vornehmen. Auch unter den mittelbaren Städten 44 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. gab es einige, die von Alters her ihre Privilegien aufzuweisen hatten, aber im Grunde und bei der Mehrzahl war der Wille u Grundherrn durchaus herrschend. Was die anderen Städte anbelangt, die auf Grund ihrer weit aus dem Mittelalter herrührenden Privilegien eine gewisse Selbständigkeit behaupteten, so zeigte sich auch bei ihnen eine grosse Mannigfaltigkeit, in dem einen Hauptpunkte aber, auf den es hier ankommt, nämlich in Bezug auf die Anstellung ihrer Beamten und ihrer Verwaltungen, eine Uebereinstimmung, die merkwürdig genug ist. Die Constituirung des Magistrates erfolgte nämlich ziemlich übereinstimmend in der seltsamen Weise, dass die Consuln alljährlich wechselten, und dass an einem be- stimmten Tage die Consuln, d. h. der regierende Magistrat abtraten, nachdem sie selbst vorher einen neuen Magistrat gewählt hatten. Diesem neu von ihm gewählten Magistrate legte der alte Magistrat seine Rech- nung ab. Der neue Magistrat wählte dann die Schöffen, die die Rechts- pflege ausübten, und in der Regel wählte er die eben abgetretenen Consuln dazu; diese wurden im nächsten Jahre wieder Rathsherren, und . so bildete sich ein ganz stetiger Turnus aus, so dass immer dieselben Personen ein Jahr auf der Schöffenbank und ein Jahr am Rathstische sassen. Diese Form war einst im Anfange des 13, Jahrhunderts den Bres- lauern von Magdeburg aus überkommen und hatte sich mit dem Magde- burger Recht hier verbreitet. Bei diesem Modus war die Wahl ebenso wie die Rechnungslegung nur Schein und Täuschung, es blieb Alles im Kreise der Vetterschaft, und so herrschte eine Oligarchie der aller- schlimmsten Art. Bei dieser sonderbaren Städteverfassung waren die Regierenden gar nicht so schlecht daran. Sie hielten sich einige juristisch gebildete Beamte, Stadtschreiber, Syndiei, die die Rechtsprechung be- sorgten und auch sonst die Hauptarbeit hatten; sie selber aber, die keine Besoldung bekamen, verwalteten die Stadtgüter und die Forsten, d. h, sie hielten sich Equipagen auf Kosten der Stadt und gingen auf die Jagd, fuhren hinaus und wussten ganz genau, woher für ihre Küche das Wild und die Fische geschafft werden mussten. Sie waren nicht engherzig, die Vetterschaft bekam auch etwas davon ab, und wenn dabei die Stadtgüter nicht wesentliche Erträge leisteten, so ging das Niemanden etwas an. Die österreichische Regierung liess das alles geschehen; über das Einfordern von Steuern hinaus war sie wenig geneigt zu regieren. Es gab nur einen Punkt, in dem die Regierung eifrig energisch wurde: da nämlich, wo sie durch intolerante Rathgeber zur Verfolgung der Andersgläubigen gedrängt wurde. Im 17. Jahrhundert war in Schlesien eine Reaction eingetreten, die den Protestanten im grössten Theile der Provinz ihre Kirchen kostete. Um diese Zeit wurde auch das Prineip geltend gemacht, dass überall in ganz Schlesien — mit Ausnahme einiger III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 45 Fürsten und der Stadt Breslau, die eine besondere Stellung einnahm — in den Städten nur katholische Magistrate geduldet werden sollten. Das wurde verlangt und consequent durchgeführt. So kam es, dass die oben geschilderten Verhältnisse nur noch in den wohlhabenden ober- schlesischen und wesentlich von Katholiken bewohnten Städten sich er- halten konnten; in den protestantischen Städten aber, denen katholische Magistrate octroyirt wurden, gestalteten sich die Verhältnisse höchst unerquicklich und führten zu fortwährenden Misshelligkeiten zwischen Magistrat und Bürgerschaft. So standen die Dinge, als der Umschwung kam und die Preussen einrückten. Der König hatte in der Proclamation, welche beim Ein- rücken verbreitet wurde, gesagt, er würde Jedermann bei seinen her- gebrachten Rechten belassen, und hierauf stützten nun insbesondere die protestantischen Städte die Hoffnung, das frühere bequeme Leben würde weitergehen. In Breslau sagte ein Mann aus dem Volke, als er die österreichischen Wahrzeichen mit den preussischen vertauschen sah: „Nun, uns kann es am Ende recht sein, und schliesslich ist es wohl auch gleichgiltig, ob wir einen doppelten oder einen einfachen Adler haben; im Gegentheil, der einfache wird vielleicht weniger fressen!“ Die Leute aber, die so dachten, verkannten allerdings den König durch- aus. König Friedrich war weit entfernt davon, seinen Willen gleich mit Gewalt durchzusetzen, aber es fehlte ihm auch jedes Verständniss für den beschränkten mittelalterlichen Weichbildstandpunkt, von dem aus damals der schlesische Bürger die Welt ansah, für diesen fingen schon vor dem Thore die ‚Fremden‘ an, und er war nichts weiter als Bürger dieser einen Stadt. Kaum dass man sich überhaupt als Schlesier fühlte; von der Idee einer Anhänglichkeit an den Staat, dem man an- gehörte, war weder bei Katholiken noch bei Protestanten die Rede. Für den König aber, der ganz in der Hingebung an den Staat lebte, war es selbstverständlich, dass sich jeder nur als Glied eines grossen Ganzen betrachten dürfte. Wenn er Privilegien bestätigte, so fügte er immer als selbstverständlich hinzu: „soweit das nicht dem allgemeinen Besten im Wege steht‘; diese Beschränkung wurde immer gemacht, und wenn sie in der Proclamation fehlte, so hat er selbst sicherlich keinen Augen- blick gezweifelt, dass sie selbstverständlich wäre. Bei der Bestätigung der Städteprivilegien hat er sie in jedem einzelnen Falle ausdrücklich hinzugefügt. Er hätte niemals eine solche uncontrolirte Art der Stadt- regierung geduldet; dazu kam, dass er während des Krieges in den Städten, die nicht befestigt waren, aber Magazine hatten, der Treue der städtischen Obrigkeiten versichert sein musste. Er sorgte gleich von vornherein dafür, dass nicht ganz zuverlässig erscheinende Leute durch andere ersetzt wurden. Im Gedanken an die schiefe und ungünstige Stellung der schlesischen Magistrate liess er der Stadt Breslau sagen, 46 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. sie solle einen neuen evangelischen Magistrat wählen, und war sehr überrascht, als er hörte, dass seit der Reformation vom Oberbürger- meister bis herab zum untersten Nachtwächter alle Beamten noch nie anders als evangelisch gewesen seien. Hier setzte er dann im September 1741 einen geborenen Schlesier Namens Blochmann als Rathsdirector ein und bestimmte ihn zum eigentlichen Dirigenten der Stadt, und das gleiche führte er allmählich auch in den anderen schlesischen Städten durch. Er erklärte, sogar die Ernennung der städtischen Beamten stände beim König. Die Praxis wechselte im Laufe seiner Regierung; allmäh- lich, als die Verhältnisse ruhiger waren, räumte er den Gemeinden wieder das Vorschlagsrecht ein und behielt sich nur das Bestätigungs- recht vor, da er sich nicht des ganzen Einflusses begeben wollte. Bei den mittelbaren Städten, bei deren Mehrzahl die Grundherren die Ma- gistrate bestimmten, liess er diese ruhig bestehen. Er ging aber nun weiter. In Breslau und in Glogau hatte er zwei Verwaltungsbehörden eingesetzt; jede dieser beiden Kammern hatte eine Anzahl Steuerräthe, und von diesen Steuerräthen hatte jeder eine Anzahl von Städten als specielle Aufsichtsobjeete. Diese Steuerräthe waren für die Verwaltung, d. h. vor allen Dingen für die Rechnungsführung der Städte verant- wortlich. Jetzt wurden Anordnungen getroffen, von denen man zur österreichischen Zeit keine Idee gehabt hatte. Wer Kassen hatte, musste jetzt Caution stellen; unter Aufsicht der Steuerräthe wurden genaue Etats festgesetzt, an welche die Behörden bei einem Spielraum von zehn Thalern gebunden waren; für weitere Ueberschreitungen waren sie regresspflichtig. Es wurde sogar den Städten genau vorgeschrieben, welche Ueberschüsse sie nach den Rechnungs-Entwürfen erzielen und an die königlichen Kassen abführen mussten; konnten sie diese Ueberschüsse nicht herauswirthschaften und abliefern, so waren sie auch hierfür regress- pflichtig. In den kleineren und kleinsten Städten, wo die Bürgermeister ein jährliches Gehalt von zwanzig bis dreissig Thalern und geringe Sporteln bezogen und deshalb einen Handel oder ein Gewerbe als Haupt- erwerb betrieben, fehlte natürlich den Stadtoberhäuptern zumeist die Fähigkeit, Etats zu entwerfen und Acten zu führen, und so stiess hier die Reform auf grosse Schwierigkeiten. Die Leute waren zu arm, um fähige Magistratsbeamte halten und besolden zu können. Im Jahre 1750 wurde ein durchgreifender Wandel geschaffen. Der König beschloss, die Bürgermeister und alle die Verwaltungen, die von den Grundberren er- nannt worden waren, unangetastet zu lassen; er wollte mit diesen nicht in Conflict gerathen und hatte ihnen sogar die Gerichte erster Instanz gelassen. Aber er gründete jetzt für diese Städte neue Posten in Gestalt sogenannter Polizei-Bürgermeister, die er selbständig mit einem Gehalt von 100 bis 120 Thalern ausstattete, und die allen geschäftlichen Ver- kehr mit den übergeordneten Behörden zu besorgen hatten, so dass die III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 47 anderen Bürgermeister sehr in den Hintergrund traten. Seit 1770 gab es auch noch Justiz-Bürgermeister, die die Rechtsprechung zu er- ledigen hatten, und diese scharfe Trennung von Verwaltung und Justiz war einer der grössten Fortschritte. Schliesslich wurden seit 1776 auch noch Feuer-Bürgermeister angestellt. Der König hatte nämlich betrüb- liche Erfahrungen mit den Bränden gemacht; es war ein Gegenstand, der ihm grosse Sorge bereitete, dass alljährlich durchschnittlich zwei der schlesischen Städte fast ganz niederbrannten. Während seiner ganzen Regierung führte er einen erbitterten Kampf gegen die Schindel- dächer, hölzernen Schornsteine und Fachwerkhäuser — nicht ganz glück- lich, denn der Feind, den er zu besiegen hatte, war unüberwindlich: die Armuth. Im Jahre 1776 schuf der König eine neue Feuerlöschordnung und traf die Verordnung, dass in allen Garnisonstädten — es waren deren achtzig — der Befehlshaber der Garnisontruppe gieichzeitig Feuer-Bürger- meister sein sollte; in den Städten ohne Garnison musste ein gedienter Militair dies Amt übernehmen. Das österreichische Steuersystem, das auf einer Gesammteinschätzung des Vermögens und Einkommens beruhte, ersetzte der König zuerst durch eine allgemeine und später durch die Städte-Aceise, welch’ letztere sich gut bewährte. Den Städten war eigentlich versprochen worden, sie sollten nur diese indirecte Steuer der Accise bezahlen, die insgesammt in Schlesien 600 000 Thaler ein- brachte. Ursprünglich wollte man der besseren Controle wegen nur die mit Mauern umgürteten Städte accisbar machen, aber es ging dann auch ohne die Mauern, und so wurden schliesslich 130 Städte aceisbar. Bald aber wurde eine zweite und fühlbarere directe Steuer nothwendig zur Erhaltung des Militairs. Der König hatte den Plan gehabt und ihn aus- geführt, nahe an 40 000 Mann Militair hier zu halten. Achtzig Städte waren damit belegt und zwar wegen der geringen Zahl und mangelhaften Einrichtung der Kasernen durch Einquartierung. Um die Last derselben gleichmässig zu vertheilen, mussten alle Bürger die sogenannte Servis- steuer entrichten und aus der hiervon gebildeten Kasse wurden die Ver- gütungen für die Einquartierungen gezahlt. Der Servis betrug in Schlesien 250000 Thaler. Schon 1742 hatte der König unter den Städten eine auf Gegenseitigkeit beruhende Feuerversicherung einge- richtet, wobei nach jedem Brande der Schaden abgeschätzt und durch Umlage dem Geschädigten vergütet wurde. Alle die wohlthätigen Ein- richtungen aber erhöhten für den Einzelnen die Steuern, und so klagte denn schliesslich ein Zeitgenosse, ,‚die preussischen Hosen sässen doch noch enger als die böhmischen“. Bei der Enge und Knappheit der Ver- hältnisse wurde die Genauigkeit des Königs vielfach schwer empfunden und ihm nachgetragen. Trotz alledem liess sich der Segen der neuen Ordnung und Wirthschaftsweise nicht verkennen; so z. B. brachten ober- schlesische Stadtgüter in den ersten Jahren der preussischen Herrschaft 48 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. um 100 pCt. höhere Erträge als früher. Als die Breslauer dem Könige einmal schrieben, es wäre gegen ihre Privilegien, Ueberschüsse abzu- liefern, da erwiderte er ihnen, es werde auch jetzt manches von staats- wegen geleistet, was sie früher aus eigenen Mitteln hätten leisten müssen. Im Allgemeinen haben auch die Breslauer den grössten Vortheil von den neuen Verhältnissen gehabt. Der Etat von Schlesien bezeichnet als Summe der Ueberschüsse aus den Kämmereien einen Betrag von 22000 Thalern, und nachweislich hat der König von 1764 an alle Jahre 50 000 Thaler aus seinem Dispositionsfonds zum Aufbau der durch den Brand zerstörten schlesischen Städte gegeben. Die Provinz hat eine strenge und harte Schule unter Friedrich durchgemacht, aber die städti- schen Verwaltungen haben dabei gelernt, sparsam und sorgsam mit an- vertrautem Gute umzugehen; erst dadurch sind sie reif zur Freiheit ge- worden, „und deshalb denke ich‘, schloss der Redner, „dürfen wir über die strenge und harte Schule, in die der König von Preussen uns ge- nommen hat, kein zu hartes Urtheil fällen.‘ Der Vorsitzende, Ober-Regierungsrath a. D. Schmidt, dankte dem Vortragenden im Namen der Versammlung und theilte aus seinem eigenen Werke, der „Geschichte der Stadt Angerburg“, einige interessante Ana- loga aus der Friederieianischen Zeit mit. Bezüglich des Vortrages von Geheimrath Grünhagen bemerkte er insbesondere, dass sein Inhalt von Neuem beweise, wie Preussen recht eigentlich durch seine Könige gross geworden sei. Von Seiten der Buchhandlung von Wilhelm Köbner waren in jeder Sitzung die neueren Erscheinungen auf dem staats- und speciell volkswirthschaftlichen Gebiete zur Ansicht ausgelegt. Für die Mitglieder der Section ist ein besonderer staats- und rechts- wissenschaftlicher Lesezirkel begründet worden. In Umlauf kamen im Jahre 1890 folgende Zeitschriften: 1. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik. 2. Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirthschaft im deutschen Reich. 3. Vierteljahrsschrift für Volkswirthschaft, Politik und Culturgeschichte, 4, Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. Archiv für sociale Gesetzgebung und Statistik. . Zeitschrift für die gesammte Strafrechtswissenschaft. . Preussische Jahrbücher. . Bayrische Handelszeitung (Beilage zur Münchener „Allgemeinen Zeitung‘). © II DU sehlesische Gesellschaft für vaterländische Gultur. Bee te role sag, Koeerra 68. 111. Jahresbericht. Historisch - staatswissenschaftliche 1890. Abtheilung. CE en ne, TR ER Sitzungen der historischen Section. In der ersten Sitzung am 23. Januar hielt Herr Director Dr. Reimann einen Vortrag Veber den Aufschwung des preussischen Berg- und Hüttenwesens in den Jahren 1783—1788. Dieser Vortrag bildete die Fortsetzung eines andern, welcher die Thätigkeit des Ministers v. Heinitz im preussischen Staatsdienst in den vorhergehenden Jahren behandelt hatte. Zuerst aus diesem soll eine Mittheilung gemacht werden. „Die Seehandlung, schrieb Friedrich am 21. Januar 1782 an den Herzog von Braunschweig, stand im Begriff Bankrutt zu machen. Ich habe mich noch zu rechter Zeit vor den Riss gestellt.... Der Schurke — der Minister v. Görne — ist verhaftet, und ich muss jetzt einen finden, welchen ich mit Sicherheit an die Spitze dieser wichtigen Hand- lung setzen kann.‘*) Die Wahl des Königs fiel auf Heinitz, welchem er das fünfte De- partement des Generaldirecetoriums übergab. Dasselbe umfasste die Handels-, Manufactur- und Fabrikensachen und brachte damals viel Arbeit; denn der Minister musste zuerst hier Ordnung schaffen, Etats anlegen und das Kassenwesen regeln. Er ging alsdann auf die Frank- furter Messe, studirte den Verkehr dort und reichte nach seiner Rück- kehr dem Könige die Bilanz ein. Friedrich, welcher an eine glänzendere Aufstellung gewöhnt war, befahl dem Minister, die seinige zu recht- fertigen. Offenbar war das Verhältniss der Ausfuhr zur Einfuhr nicht so günstig wie früher gewesen, Heinitz gehorchte.e Dann musste der Kammerdirector eine Bilanz machen; er that es natürlich nach der alten Art und erwarb sich die Zufriedenheit des Königs. „Ich begnügte mich, schreibt Heinitz, die Wahrheit gesehen und gesagt zu haben.“ Am Ende des Jahres dankte Friedrich dem Minister sehr höflich für seine Verwaltung; aber er redete nicht mehr vom 5. Departement, _ sondern nur von dem der Bergwerke und Hütten und versprach die Summe, die Heinitz für die Verbesserung derselben verlangt hatte, zu *) Ranke 31/32, p. 461. 50 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Trinitatis zu zahlen. Der Minister glaubte, dass Friedrich, den Ein- flüsterungen und Wünschen eines Amtsgenossen folgend, einem Inländer diese Stelle gegeben hätte. Jedoch als letzterer, ein Herr v. Bismark, am 7. Februar 1783 starb, wendete sich der König abermals an Heinitz und übertrug ihm ausser dem fünften Departement noch die Zoll- und Acceisesachen. Nun hatte der Minister im vorigen Jahre nach den Ur- sachen geforscht, welche den Rückgang in Frankfurt herbeigeführt haben könnten, und war dabei auf die, wie er sagte, einengende Verwaltung der Regie gestossen. Da waren 71 Aceisebeamte drei Wochen lang damit beschäftigt gewesen, 54 Register anzufertigen und die Richtigkeit von mehr als 34000 Zetteln über gemachte Verkäufe zu bescheinigen. Wie leicht, meinte der Minister, konnte durch einen solchen Unter- beamten ein Kaufmann die Kunden eines andern erfahren und davon Nutzen ziehen? Jetzt also trat er dem Zoll- und Accisewesen noch näher und machte seine Erfahrungen. Der Leiter der Regie, de Launay, schien ihm nicht sowohl das Beste des Staates zu Herzen zu nehmen, als für die Vermehrung der Einkünfte zu sorgen. ’ Im Juni, wo die Minister zum Könige zu kommen pflegten und über die Angelegenheiten ihres Departements mit ihm sprachen, machte Heinitz mehrere Verbesserungsvorschläge, z. B. rieth er, anstatt die spanische Wolle zu kaufen, solle man lieber Schafe von dort kommen lassen, um die einheimische Wolle zu verfeinern, man werde dann die 55655 Thaler, welche man jährlich nach jenem Lande schicken müsse, behalten können. Dem Minister fiel es auf, dass der König von dem 4. Departement der Zoll- und Accisesachen gar nicht mit ihm gesprochen hatte. Er setzte sich also nach seiner Rückkehr hin und verfasste einen Bericht gegen die Regie, welche dem Könige falsche Angaben gemacht hätte, Er verglich die Höhe der Steuern und Zölle während der Jahre 1765/66 und 1780/81, wobei er nicht vergass, diejenigen Einnahmen bier abzu- ziehen, welche dort noch nicht vorhanden gewesen waren. Nach seiner Aufstellung waren 1765/66 in die Kassen des Königs 4525456 Thaler geflossen und 1780/81 nur 4312582 Thaler, also 212874 Thaler weniger. Er behauptete sogar, dass der Ausfall im nächsten Jahre noch stärker sein würde. Nicht wenig ärgerte ihn auch, dass Friedrich das Gehalt von mehreren unteren Zoll- und Aceisebeamten, sogar von Kalkula- toren, mit dem seichten Bemerken gestrichen: Newton habe nur einen einzigen gehabt. „Ich wage diese Vergleichung, schrieb er am 17. Juni 1783 an den König, Ew. Majestät zu übersenden. Sie beweist, dass die gegenwärtige Regie kostspieliger ist und dass die deutschen Finanz- männer sparsamer sind. Die oberen Beamten haben gerade so wie in Frankreich Sorge getragen, sich vollauf bezahlt zu machen, während die Unterbeamten, welche doch die eigentlichen Triebräder sind, um die III. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung. 51 ganze sehr zusammengesetzte Maschine in Gang zu bringen, zu wenig bekommen. Nach meiner Ansicht liessen sich hier beträchtliche Er- sparnisse machen, und Ew. Majestät kann mehr Einnahmen haben, wenn Sie nicht vorziehen bei verschiedenen Artikeln die Zölle zu er- mässigen, weil sie den Handel und die Industrie Ihrer Unterthanen beschweren.‘ Die Zusendung konnte dem Könige nur missfallen; aber er wurde diesmal nicht so ausfällig, wie vor 17 Jahren gegen Blumenthal und Hagen; er schickte nur den Bericht mit dem Bemerken zurück, dass derselbe nicht verständlich wäre, und als Heinitz ihn nach Aenderung einiger Ausdrücke von neuem eingereicht hatte, da antwortete Friedrich: er brauche das Gutachten des Departements nicht und könne dasselbe missen. Dennoch behielt Heinitz die Leitung der Handels- und Manufactur- sachen, und er erstattete wieder am 8. December einen Bericht über dieses Departement. Eine Tabelle gab über die damalige Höhe der Aus- und Einfuhr und des Durchgangshandels der verschiedenen Pro- vinzen Nachricht. In der Mark Brandenburg allein war danach die Einfuhr grösser als die Ausfuhr. In den Erläuterungen, die Heinitz dazu gab, nennt er die Krefelder Seidenfabrik die ohne Zweifel best- eingerichtete in Europa. Wiederum empfahl er, spanische Böcke kommen zu lassen. Für Ostpreussen verlangt er: diese Provinz müsse nicht durch eine strenge Zollregie eingeengt werden, sondern alle Frei- heit im Handel haben, damit ihn die Städte der Nachbarländer nicht an sich ziehen. Das Gleiche fordert er für den Transithandel West- preussens, welcher sich besonders in Elbing festgesetzt habe und über eine Million betrage, und eben so der Neumark und Pommerns, welches über 400 000 Thaler mehr aus- denn einführe. Schlesien verkaufte damals nach der Angabe des Ministers für 3415000 Thaler Leinenwaaren, für 1234000 Thaler Wollenwaaren in andere Provinzen und Länder, und die Ausfuhr überstieg die Einfuhr um 1700000 Thaler. „In der Folge, berichtete der Minister weiter, wird es mehr Gegenstände aus dem Mineralreiche versenden können, Das Gedeihen dieser Provinz ist offenkundig und wird niemals Schaden erleiden, wenn man gewisse Artikel, mit Ausnahme von Baumwolle, Wolle und Seide, ungehindert einlässt, und da es einen Durchfuhrhandel von mehr als 1200000 Thalern hat, muss aller Zwang schaden und jeder Verkehr mit den Nachbarn begünstigt werden.‘ Heinitz wich hier sehr in seinen Ansichten von denen Friedrichs ab; dennoch wird ihm das fünfte Departement nur auf sein wiederholtes Gesuch am Ende des Jahres 1783 abgenommen. Die Grundsätze, die ihm in dieser Angelegenheit zur Richtschnur dienten, waren folgende: er hat kein Verbot vorgeschlagen und sich bemüht, den Verkehr mit _ 52 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. den Nachbarn zu erneuern, um von ihrer Industrie Nutzen zn ziehen und einen gegenseitigen Austausch der Bodenerzeugnisse und Fabrikate herbeizuführen. | Vorstehende Darstellung beruht auf dem M&moire sur ma gestion du 4. et 5. departement. Berlin 1788. Decker et fils. Für die Zahlen- angaben ist nur ein leerer Raum gelassen, der in dem Exemplare des Hausarchivs handschriftlich ausgefüllt ist. Herr Archivrath Dr. Gross- mann hat die Güte gehabt, mich auf dieses M&moire aufmerksam zu machen. Aus dem zweiten Vortrage möge Folgendes mitgetheilt werden: „Die Natur, schreibt Heinitz in einem Bericht vom 10. October 1786, hat den schlesischen Gebirgen weniger Gold und Silber, welche Metalle, wie wir an Spanien ein Beispiel haben, selten einen Staat bereichern, dagegen Eisen, Kupfer, Zinn, Blei, Steinkohlen und andere Mineralien in so grosser Güte und Menge gespendet, dass nicht allein Schlesien und Glatz, sondern auch benachbarte Provinzen damit versorgt werden können. Durch Erzeugung dieser Metalle und Mineralien kommt viel mehr Gold in Umlauf, als durch Gold- und Silberbergwerke. Es werden mehr Menschen dabei beschäftigt, und die Industrie in anderen Fabriken und Manufacturen wird dadurch sehr befördert, wie solches England beweist, als dessen Natur mit der schlesischen, selbst nach dem Zeugniss von Engländern, viel Aehnliches hat.‘ Also schrieb Heinitz, welcher nicht allein Bergmann, sondern auch Nationalökonom war, in dem Briefe vom 10. October 1786. In einem andern vom 22. August 1783 vergleicht er die beiden Provinzen des preussischen Staates, die in Bezug auf Berg- und Hüttenwesen hier hauptsächlich in Betracht kommen, und urtheilt, in den westphälischen Gebieten seien die Fabrikanstalten zahlreicher und ausgedehnter, dagegen habe der schlesische Bergbau einen grösseren und beträchtlicheren Um- fang; er liefere vierundzwanzigerjlei Producte, die einen jährlichen Werth von 800000 Thalern an Ort und Stelle haben, ganz abgesehen von Kalk und Torf, die Privatleuten gehören, welche darüber keine Rechnung ablegen dürfen. Zählte man hierzu noch die Frachtlöhne, welche bei der Versendung bis an die Grenze ausgegeben und von schlesischen Fuhrleuten und Schiffern verdient wurden, so ergab sich eine Gesammtsumme von einer Million Thaler, die im letzten Jahre durch den schlesischen Bergwerks- und Hüttenbetrieb in Umlauf gesetzt worden waren. Er beschäftigte 2590 Arbeiter, die Zahl der Tagelöhner, Holzhauer, Köhler und Fuhrleute betrug 8776 Mann, diese 11366 Fami- lien waren wenigstens 45000 Köpfe stark, und so viel Menschen fanden also Brot und Unterhalt. Kann man es dem Minister verargen, wenn er bei dieser Gelegen- heit auf die Zeit, wo er in preussische Dienste getreten war, einen ver- III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 53 gleichenden Rückblick wirft? „Seit 10 Jahren, schreibt er, hat sich diese Nationalindustrie von Schlesien mehr als verdoppelt; denn im Jahre 1777/78 war der Werth der Producte 380967 Thaler, die Fracht- löhne betrugen 69058, zusammen 450 025 Thaler. Die Zahl der eigent- lichen Berg- und Hüttenarbeiter war damals nur 1410 und jetzt 1180 mehr; die letzteren waren grösstentheils aus fremden Ländern nach Schlesien gezogen und hatten die Bevölkerung und den Wohlstand dieser Provinz vermehren helfen,‘ In der zweiten Sitzung am 24. Februar sprach der Kgl. Ar- chivar Dr. Pfotenhauer: Ueber berühmte Schlesier als Kaiserliche Pfalzgrafen. Nach einer längeren Einleitung, welche die ursprüngliche Bedeu- tung des Reichspfalzgrafen-Amtes und die im Laufe der Zeiten erfolgten tiefgreifenden Umwandlungen desselben behandelte, machte Redner die- jenigen Befugnisse namhaft, welche als Kaiserliche Reservatrechte von Haus aus den sogenannten Pfalz- oder Hofgrafen des heiligen römischen Reichs im 16. und den nächstfolgenden Jahrhunderten gewissermaassen als Reste der alten Machtvollkommenheit übriggeblieben waren. Diese Rechte waren vorzugsweise folgende: Creirung von Notaren, Magistern und Baccalaureen, Legitimirung unehelich Geborener, Restituirung in integrum, Krönung von Dichtern mit dem Lorbeer und — was in der Folge von weittragendster Bedeutung wurde — Verleihung von Wappen an Bürgerliche. Dieser Privilegien waren die Pfalzgrafen sammt und sonders, die Inhaber des (erblichen) grossen wie des kleinen „Comitivs“ theilhaftig, doch mit dem Unterschied, dass erstere sogar auch Nobili- tirungen und Weiterverleihungen der (kleinen) Pfalzgrafenwürde an Andern vornehmen durften. Selbstredend war der Besitz des Pfalzgrafen- Amtes für die Betreffenden die Quelle reichlicher Einkünfte, wofür Vor- tragender verschiedene Nachweisungen, zumal auf Grund von Gebühren- taxen aus dem 17, Jahrhunderte beibrachte. Die Reihe der bisher nachweisbaren Kaiserlichen siebenundzwanzig Pfalzgrafen in Schlesien eröffnet der bekannte Ritter Nicolaus von Popplau, der 1483 von Kaiser Friedrich III. creirt wurde. Von den Landsleuten desselben, welche die gleiche Würde durch Kaiserliche Gnade erhielten, seien hier genannt: Crato v. Kraftheim, Nico- laus Henel v. Hennenfeld, Dr. Reinhard Rosa und Georg Schönborner v. Schönborn, welch’ Letzterer seinen Günstling An- dreas Gryphius mit einem Schlage zum Poeta laureatus, Magister der freien Künste und (als Inhaber des „grossen Comitivs“) auch zum Edelmann creirte, 54 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. In der dritten Sitzung am 10. März hielt der Geh. Archivrath Prof. Dr. Grünhagen einen Vortrag: Das Kriegsjahr 1758 in Schlesien. Derselbe wird in dem 2. Theile der Geschichte Schlesiens unter Friedrich dem Grossen abgedruckt werden. In der vierten Sitzung am 13. October las der Oberlehrer Dr. Krebs über: Die Dänen in Oberschlesien und die Erstürmung von Leobschütz am 22. November 1626. Abgedruckt in der Zeitschrift für Geschichte und Alterthum Schlesiens. (1391.) In der fünften Sitzung am 27. October hielt Herr Director Dr. Reimann einen Vortrag: Ueber die Stellung Friedrichs des Grossen zur Religion und Philosophie in den Jahren 1736—1738. Ich theile daraus die Einleitung mit. Im Jahre 1784 hat Kant die Frage: „Was ist Aufklärung?‘ dahin beantwortet, sie sei der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschul- deten Unmündigkeit, und ihr Wahlspruch laute: Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Letzteres hat Friedrich der Grosse sethan und zwar in einem solchen Maasse, dass er allen Autoritäts- glauben wegwarf. Er nannte sich eben deswegen Philosoph, welches Wort in der französischen Sprache besonders des 18. Jahrhunderts auch einen Mann bezeichnet, der die christliche Offenbarung leugnet, es ist in diesem Sinne mit Freidenker zu übersetzen. Schöpferisch thätig ist Friedrich auf dem Felde der Philosophie nicht gewesen. Daher hat ihm auch Zeller mit Recht keine Be- sprechung in seiner Geschichte der deutschen Philosophie gewidmet. Dagegen muss man allerdings über seine Stellung zur Religion und Phi- losophie ins Klare zu kommen suchen. Nun hat Ranke, der hoch- berühmte Geschichtschreiber, eine ganz vorzügliche Schilderung der späteren Jugendjahre Friedrichs Il. gegeben, die ich früher mit dem grössten Entzücken gelesen; aber als ich an die Quellen selbst heranging, da be- merkte ich zu meinem schmerzlichen Erstaunen, dass er durch kleine Wendungen und indem er viele Stellen der Briefe ganz ausser acht liess, den Kronprinzen gläubiger gemacht hat, als er gewesen ist, Man stösst hier auf die nämliche Absichtlichkeit wie bei dem, was der Alt- meister über den Ursprung der ersten polnischen Theilung geschrieben, ” I eh a re ee Me an: nn er III. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung. 55 Unbefangener als Ranke geht Koser zu Werke, der ein besonderes Buch über Friedrich als Kronprinz im Jahre 1886 veröffentlichte; doch hat er diesem wichtigen Gegenstande nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die er unstreitig verdient. Allerdings weiss Koser mit einem gewissen Geschick passende Stellen aus den Briefen Friedrichs in seine Darstellung einzuflechten, und er befriedigt ohne Zweifel den gewöhn- lichen Leser; aber er dringt nicht in die Tiefe. Zu statten ist ihm ge- kommen, dass er von dem folgenden Werke wenigstens den ersten Ab- schnitt gekannt hat, In demselben Jahr 1886 erschien Zeller's Buch „Friedrich der Grosse als Philosoph.“ Der Verfasser hat seinen Gegenstand mit ausserordentlicher Gründlichkeit studirt und ein dankenswerth be- lehrendes Buch ohne Schönfärberei geschrieben. Aber die Anlage des- selben muss ich für verfehlt erachten. Es werden nämlich darin die Ansichten über die Hauptfragen der Philosophie einzeln hinter einander und zwar jedesmal bis zum Tode des Königs dargestellt, z. B. über das Dasein Gottes, das Wesen Gottes, das Verhältniss zum Vorsehungsglauben, über den Determinismus, den Zufall, Optimismus und Pessimismus. Bei dieser Anordnung kann man unmöglich eine klare Vorstellung von den verschiedenen Stufen der Entwickelung gewinnen, und es ist z. B. sehr schwer, sich ein deutliches Bild von den Ansichten zu verschaffen, welche der Kronprinz gehabt hat, bevor er den Thron bestieg. Der Antimacchiavel verfolgt den Leser beinahe durch das ganze Buch. Die Ideen stehen doch unter einander in einem gewissen Zusammenhang, sie werden aber von Zeller zerrissen vorgeführt. Die Darstellung selbst ist unlebendig und formlos. Zu 182 Seiten Text gehören 114 Seiten Anmerkungen, von denen der grösste Theil richtig und leicht im Text eine Stelle gefunden haben würde. Endlich in der auswärtigen Politik und in dem, was Friedrich für den Unterricht gethan, hat er nicht als Philosoph, sondern als Staatsmann gehandelt. Und auf wie unsicherem Boden steht hier Zeller! Was er auf Seite 123 und 253 über die erste Theilung Polens vorbringt, enthält grobe Irrthümer. Wenn aber einmal diese Punkte gleichfalls behandelt werden sollten, damit man sehen könnte, wie sich der Philosoph auf dem Throne praktisch be- währt hat, so musste die gesammte innere Verwaltung und die Rechts- pflege auch in den Kreis der Betrachtung gezogen werden. Wenn diese Urtheile richtig sind, so ist es wünschenswerth, dass ein neuer Versuch gemacht werde, die Stellung, welche Friedrich der Grosse zur Religion und Philosophie als Kronprinz und als König ein- genommen hat, ohne jede Nebenrücksicht aus den Quellen mit einiger Ausführlichkeit darzulegen, und das ist meine Absicht gewesen, 56 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. In der sechsten Sitzung am 10. November las der Oberst- lieutenant Rogalla v. Biberstein einen Aufsatz: Ueber Neufchätel unter preussischer Herrschaft. In der siebenten Sitzung am 14. November hielt der Geh. Archivrath Prof. Dr. Grünhagen einen Vortrag: Ueber die kriegerischen Ereignisse in Schlesien während des bayerischen Erbfolgekrieges 1778/79. Derselbe wird gleichfalls a, a. O. seine Stelle finden. Geographische Section. Allgemeine Uebersicht der meteorologischen Beobachtungen auf der königlichen Universitäts-Sternwarte zu Breslau im Jahre 1890, mitgetheilt von Dr. J. G. Galle, zeitigem Secretair der Section, Höhe des Barometers über dem Ostseespiegel bei Swinemünde = 147,08 m. I. Barometerstand, 1I. Temperatur 1890. redueirt auf 0° Celsius, der Luft in Graden nach in Millimetern. Celsius. © © E ) 2 ) © i [7 © ee ae as mm mm mm a 0 0 Januar .... 7 765,5 |ı 23 | 723,2 | 749,76 26 938| 31 |— 48 1,75 Februar ...| 19 | 623 | 26 | 44,0 | 56,30 I 10 341 2 |—- 92— 2,50 März «0% 10 | 59,0 6 | 32,7 | 46,44 | 29 2230| 5 I—145 5,76 ADHl. 3: ... 21 | 56,5 8 | 336 | 4434| 17 2325| # | 08 89 Man... 16 53,0. |.13-| 35,0.| 45,25 [20. 22] 26,9 | 1 6,2) 15,55 Juntt. sn... 4 ı 53,8 | 13 | 40,6 |. ,79 5) DR 3,81 15,05 Juli...:.% 14 | 54,0 1 36,7 | 47,28 18 32,9 | 27 7,2] 18,09 August....| 4 | 3538| 26 | 386 | A737 | 19 | 335 | 31 8,1| 20,20 September . [18.26 | 57,9 | 12 | 442 | 53,02 23 99,7.,1.18 5,61 13,82 Oetober 314.23. 159,6 | 26°) 321° 4848 1 23,8 | 36 I— 3,8 8,02 November. | 19 | 60,3 | 24 | 21,5 | 46,18 2 12,4 | 27 |ı—152]| 3,06 = December .| 31 | 64,6 3 | 39,& | 53,38 2 1,5 | 31 |— 20,2)— 6,66 Nov. Jan. 765,5 9A, Jahr 7. 721,5 | 748,80 58 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Ill. Feuchtigkeit der Luft. IV. Wolken- 18. a. absolute, b. relative, , bildung und in Millimetern. in Procenten, Niederschläge. re 5) ) er) E Sag > > Du - Monat Sign E E 5 s|l2|3 E 5 5 2 E Er 3|& Bu Ela|l8 slels|e|# |533 a2 ale E22 are res | ge. Dr mm mm mm Januar ...| 26 6,5| 31 | 3,0| 4,47 öfter 1100| 28 |54| 84,51 — |18| 13 | 32,60 Februar ..| 25 | 43| a7 | 1,8| 3,11 |11.25 100) 97 a8lsı5l 3 |ı3| 12 | 3,63 März ..... a3 | 82| 5 |14| 5042| 5 100] 24 |32I71,0| 4119| 8 | 954 April...) 25 | 95| 4 | 28|5,95| ı3 | 9715. 7 /32|69,9| 1 1a) 15 | 79,31 Mai 19 |11,8| 31 | 3,3 sn 1 | 96117.31128| 66,9] 2 |19| 8 | 45,28 Juni ...:\ 27 146 | ı | #0! 8,821 13 | 98 5 [a6 69,6| — |13) 17 |100,67 I ıs | 150| 35 | 5,9110,10|| ı8 |100] 18 132 65,9| 5 117| 9 | 99,98 August...| 6 | 15,7| 98 | 7,1111,57)14.26| 96 19 127) 66,6| 5 |18| 8 |118,00 September| 25 | 1293| ı2 |65| s,sı|| 3 1100| 29 138|75,7| 7 | 9| 14 [103,30 October ..| 1 | 11,9! 30 | 2,8| 6,29 14 1100| 30 |36|74,7| 3 14 14 | 9429 November | 22 | 7,4| 27 | 1,3| 5,97 öfter 100° 3 1581 87,61 — | 6| 4 | 87,63 December | 4 | 44| 31 | 0,9| 2,64 öfter 1001 9 1681 89,8] 4 |10| 17 | 8.08 Jahr nen bul nr 0 6,73 öfter 1100) 408" 27\ 75,8] 36 1170| 159 [711,54 V. Herrschende Winde. Januar. Die beobachteten Windesrichtungen ergaben eine ziemlich gleichmässige Vertheilung zwischen Südost, Süd, Südwest, West und Nordwest. Februar. Vorherrschende Windesrichtungen Südost und hiernächst Nordost. März. Von den Windesrichtungen waren die südöstlichen gegen die westlichen (Süd- bis Nordwest) weit überwiegend. April. Von den Windesriehtungen waren Nordwest und Südost vor- wiegend, in etwa gleicher Anzahl, jedoch kamen auch alle übrigen Richtungen vor. Mai. Die östlichen Windesrichtungen, insbesondere Südost, waren über- wiegend gegenüber den nordwestlichen und westlichen, Juni. Von den Windesrichtungen war West bei weitem vorherrschend, hiernächst folgten Nordwest und Südwest, alle übrigen Richtungen nur vereinzelt. Juli. Von den Windesrichtungen kamen am häufigsten West, Südwest und Südost vor, III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 59 August. Die Vertheilung der verschiedenen Windesrichtungen war fast eine gleichmässige, nur Nordost, Ost und Nordwest kamen etwas seltener vor. September. Von den Windesrichtungen waren Nordwest, West und Nord vorherrschend, hiernächst folgten Südost und Ost. October. Von den Windesrichtungen waren die aus West weit über- wiegend, hiernächst folgten Südwest und Nordwest. November. Die Windesrichtungen vertheilten sich sehr gleichmässig unter West, Süd, Südwest und Ost, die anderen vier Richtungen waren seltener, sehr häufig fand auch Windstille statt. December. Südost- und Ostwinde waren vor den übrigen Richtungen weit überwiegend. VI. Witterungs-Charakter. Januar. Der Luftdruck war im Mittel normal, erhob sich jedoch um den 7. zu einem hohen Maximum und sank am 23. zu einem sehr tiefen Minimum herab. Dagegen war die Temperatur eine stetig und ungewöhnlich hohe, fast um 5 Grad das Mittel überschreitend und nur an einem einzigen Tage (dem 31.) unter ihrem Normal- werth. Feuchtigkeit und Niederschläge waren nahe normal, letztere bestanden zum grösseren Theile aus Regen. Das Wetter war vorwiegend trübe, kein einziger Tag ganz heiter. Februar. Der Luftdruck war bei vorherrschend östlicher Windes- richtung in diesem Monate ein ungewöhnlich hoher, mit einer Abweichung vom Mittel um 7 mm und den hohen Luftdruck vom vorigen December noch übertreffend.. Nur an 2 Tagen, am 27. und 28., war der Barometerstand etwas unter dem Normalwerthe. Ausserdem zeichnete sich der Monat durch ein äusserst geringes Quantum der Niederschläge aus, welches nur '/), des Normal- werthes betrug und aus einem geringen Schneefall am Ende des Monats sich ergab. Die Temperatur war mit geringen Schwankungen etwa 1 Grad unter der normalen. März. Die ersten 6 Tage des März fingen mit strenger Kälte an, so dass das Temperatur-Minimum das der vorhergehenden Winter- monate übertraf. Alsdann trat jedoch eine so stetige Erhöhung der Temperatur über der normalen ein, dass das Monatsmittel den Durchschnittswerth der März-Wärme noch um 4 Grad über- stieg. Die sommerliche Wärme am 29. blieb mit ihrem Maxi- mum von 22°0 nur um 0°%2 gegen die am 30. März 1872 hier beobachtete Wärme von 22°,2 zurück, die grösste Märzwärme seit 1790. Der Barometerstand war etwas niedriger als im Durchschnitt, mit mehreren nicht unerheblichen Schwankungen, 60 April. Mai. Juni. Jul. Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. An Niederschlägen fiel zwar am Anfang des Monats etwas Schnee und hin und wieder etwas Regen, der Gesammtbetrag erreichte jedoch kaum ein Drittel des Normalwerthes, und die Trockenheit war daher nur wenig von der des vorhergehenden Monats Fe- bruar verschieden. Der Luftdruck war in diesem Monate vorwiegend niedrig, über dem Mittel nur an 10 Tagen. Dagegen waren Wärme und Feuchtigkeit etwas über den normalen Werthen. In Betreff der Niederschläge hat dieser Monat annähernd nachgeholt, was die beiden vorhergehenden überaus trockenen Monate zu wenig er- geben hatten, indem die Regenhöhe mehr als das Doppelte des Normalwerthes betrug. Auch zwei Gewitter kamen vor, die je- doch in einiger Entfernung von Breslau vorüberzogen. Das Wetter war in diesem Monate vorwiegend schön und warm; die Temperatur erlitt einen merklichen Rückfall nur in den letzten 6 Tagen des Monats. Der Luftdruck war niedrig, den Mittel- werth nur an 9 Tagen etwas überschreitend. Bei der theilweis recht hohen Wärme kamen wiederholt elektrische Erscheinungen vor, zwei Nah-Gewitter und ein Fern-Gewitter, 5 Mal wurde Wetterleuchten wahrgenommen. Das Quantum der Niederschläge blieb etwas unter dem Mittelwerthe. Der Ende vorigen Monats stattgehabte Rückgang der Tem- peratur setzte sich auch in diesem Monat mit geringen Unter- brechungen bis zum Ende fort, so dass das Monatsmittel sich um 1'/, Grad tiefer als im Durchschnitt stellt. In den ersten Tagen fanden an mehreren Orten in der Provinz Nachtfröste statt. In engem Zusammenhange mit diesem sehr andauernd kühlen Wetter und dasselbe zum Theil bedingend waren häufige Regenfälle und vorwiegend bedeckter Himmel, so dass kein einziger Tag wolken- los war. Die Regenmenge überstieg den Durchschnittswerth um mehr als die Hälfte und ohne Regen blieben nur 5 Tage. Der Luftdruck war häufiger unter als über dem Mittel, die Tem- peratur war unter mancherlei Schwankungen im Mittel normal, ebenso die Feuchtigkeit, die ihr Maximum und ihr Minimum an einem und demselben Tage, dem 18., erreichte, wo das Maximum der Wärme stattfand und dann am Abend ein starkes, abkühlendes Gewitter folgte. Regenfälle waren auch in diesem Monate wie im vorigen häufig, und das Quantum des Regens war um ein Dritttheil grösser als im Durchschnitt. August. Das Wetter des August war in den ersten drei Wochen un- gewöhnlich warm, schön und sommerlich. Indess waren Gewitter mit theilweis sehr ergiebigem Regen dabei ziemlich häufig, auch III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 61 folgten in der vierten Woche, wo die Temperatur sich sehr abkühlte, ebenfalls noch starke Regen, so dass das Quantum der Nieder- schläge den Durchschnitt um die Hälfte überstieg. Die Wärme blieb bis zum 21. stetig über dem Mittel und sank unter das- selbe überhaupt nur an 5 Tagen. Der Luftdruck war in der warmen Zeit nur geringen Schwankungen unterworfen und kam zu einem tieferen Sinken erst in der letzten Woche. September. Der diesjährige September zeichnete sich durch häufigen und zum Theil anhaltenden Regen aus, so dass die Menge des- selben mehr als das Doppelte des Normalwerthes betrug. Doch war die Woche vom 17. bis 23. davon ausgenommen, während welcher der Himmel nahezu ununterbrochen klar und wolkenlos war bei südöstlichen und östlichen Winden, während in der übrigen Zeit die nordwestlichen Winde vorherrschend waren, Die Wärme war zwar im Mittel normal, blieb aber bis zum 18. unter dem diesen Tagen entsprechenden Normalwerthe, von wo ab sie in Folge der anhaltend heiteren Tage dann stetig über demselben blieb. Sehr mässigen Schwankungen war der Luftdruck unterworfen, der stetig ein hoher war, auch in dem regenreichen Theile desMonats, und etwas unter dem Mittelwerth nur an 3 Tagen sich befand. October. Regen kam zwar in diesem Monate eben so häufig vor, als in dem vorigen, jedoch in viel geringeren Mengen, ‚so dass das Quantum des ganzen Monats um etwa ein Drittel gegen den Normalwerth zurückblieb. In der zweiten Hälfte des Monats kamen an 6 Tagen Nachtfröste vor, an 2 Tagen zeigten sich Schneeflocken. Im Mittel war die Wärme wenig unter der nor- malen, ebenso die Barometerhöhe, welche letztere jedoch in der dritten und vierten Woche zwei starken Schwankungen unter- worfen war. November. Der Luftdruck war starken Schwankungen unterworfen, in den ersten 12 Tagen tief, in den folgenden 8 Tagen hoch und dann von neuem tief und besonders am 24, zu einem selten tiefen Minimum herabsinkend.. Die Temperatur war in den ersten 24 Tagen eine sehr gleichmässige, den Mittelwerth wenig über- schreitend, worauf dann eintretender Osiwind plötzlich eine mehrere Tage andauernde Kälte brachte. Die Feuchtigkeit der Luft war gross, und entsprechend ergab sich auch ein grosses Quantum von Niederschlägen, mehr als das Doppelte des Mittel- werthes. Die Niederschläge bestanden meist aus Regen, mit dem Eintritte der Kälte am 25. fiel indess auch Schnee, jedoch in mässiger Höhe, 62 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. December. Der Monat zeichnete sich durch anhaltende und zurm Theil starke Kälte aus und war nahe ebenso kalt wie der December von 1879. Nur an zwei Tagen (am 2. und 4.) erhob sich das Thermometer des Mittags über den Gefrierpunkt und nur an einem Tage (am 22.) war die mittlere Temperatur über deu nor- malen. Besonders streng war die Kälte in der letzten Woche. Die Niederschläge bestanden nur in Schnee und kamen zwar an 16 Tagen vor, aber immer nur in geringen Quantitäten, so dass die Höhe der vorhandenen mässigen Schneedecke während des ganzen Monats nicht sehr zunahm und das Quantum des Nieder- schlages nur '/; des Normalwerthes betrug. Der Luftdruck war meist hoch, besonders während der Kälteperiode der letzten Woche. schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur. SED S Tırllartommyt man nrag ET RT 68. Jahresbericht. Nekrologe. 1890. &us IE 2u® Nekrologe auf die im Jahre 1890 verstorbenen Mitglieder der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur. Professor Dr. phil. et med. Adolf Duflos. Am 9. October 1889 starb zu Annaberg im Erzgebirge der Geh. Regierungsrath, emeritirte Professor der Chemie und Director des phar- maceutischen Instituts Dr. phil. et med. Adolf Duflos im 88. Lebens- jahre, eine in den Universitäts- wie in den medicinischen und pharma- ceutischen Kreisen von Breslau und Schlesien und in der wissenschaft- lichen Welt weit über diese Grenzen hinaus als Gelehrter, akademischer Lehrer und als Mensch hochgeachtete Persönlichkeit. Duflos wurde 1802 zu Artenai bei Orleans in Frankreich geboren; er verlor schon früh seine Eltern und erhielt im Hause seines Onkels, eines französischen Militairarztes, die erste Erziehung. Sein Onkel mar- schirte 1813 mit der französischen Armee nach Deutschland, liess aber beim weiteren Vorrücken derselben den jungen Duflos in Torgau zurück und übergab ihn der Obhut des dortigen Rectors am Lyceum, M. Bene- diet, der nach dem bald erfolgten Tode des Onkels für die weitere Erziehung der ohne jeden Verwandten dastehenden Waise wahrhaft väterlich sorgte. Im Familienkreise der Nachkommen dieses hoch- herzigen Mannes verlebte er auch seine letzten Lebensjahre. Eine früh sich entwickelnde Neigung zu den Naturwissenschaften führte den jungen Duflos der pharmaceutischen Laufbahn zu, die er 1815 in der Apotheke in Annaberg begann. Er blieb dort sechs Jahre und erhielt dann in der Apotheke des Medicinal-Assessors Olearius in Breslau eine Stellung, die insofern von grosser Bedeutung für seine weitere Entwickelung wurde, als das umfangreiche Apothekengeschäft mit einer fabrikmässigen Darstellung von Chemikalien verbunden war deren Ueberwachung ihm vorzugsweise zufiel. Er blieb hier acht Jahre und folgte dann einem Rufe nach Halle als Hilfslehrer an das pharma- ceutische Institut des Professors Schweigger-Seidel, wobei er gleich- zeitig die Vorlesungen der Universität besuchte. 1833 nach Breslau 1 ) Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. zurückgekehrt, gründete und leitete er eine chemische Fabrik, die sich vorzugsweise mit der Darstellung pharmaceutischer Präparate beschäftigte. Dabei unterrichtete er zeitweilig als Lehrer der Chemie am Friedrichs- Gymnasium in Breslau und hielt private Curse, in denen er junge Pharmaceuten durch Vorträge und Anleitung zu analytischen Arbeiten in die Chemie einführte. Schon vor dieser Zeit hatte er sich literarisch bekannt gemacht, bereits im Jahre 1824 durch eine bemerkenswerthe Abhandlung über die Theorie der Aetherbildung in Buchner’s Reper- torium, an welche sich die Mittheilung einer Anzahl werthvoller che- mischer Arbeiten anschloss, die in verschiedenen Fachzeitschriften ver- öffentlicht wurden. Im Jahre 1835 erschien sein Handbuch der pharma- ceutisch-chemischen Praxis in einem Bande, im Jahre 1839 mit ver- mehrtem Inhalt in zwei Bänden. Diese Vielseitigkeit und die wissen- schaftliche Bedeutung seiner Arbeiten veranlasste im Jahre 1841 die philosophische Facultät der Universität zu Breslau, ihn zum Dr. phil. honoris causa zu ernennen und ihm im März 1842 die Habilitation als Privatdocent der Chemie zn gestatten, wobei seine bisherige wissen- schaftliche Thätigkeit die vollste und wärmste Anerkennung fand. Man freute sich, so heisst es in einem Actenstück der Facultät, ‚einen so vorzüglichen Mann für die Universität erworben zu haben, welcher von Allen, die ihn kennen, wahrhaft geliebt und geachtet wird, indem er mit echt wissenschaftlichen Verdiensten Charaktereigenschaften ver- einigt, die besonders in akademischen Verhältnissen zum gedeihlichen Zusammenwirken von grosser Wichtigkeit sind.‘ "Seine Habilitations- schrift behandelte: ,‚Die chemische Natur der gebräuchlichsten Nah- rungsmittel, ihre Verfälschung und die verschiedenen Methoden ihrer Entdeckung,“ Ihr Inhalt war unter dem Titel: „Die wichtigsten Lebens- bedürfnisse, ihre Echtheit und Güte u. s. w.“ bereits 1841 im Buch- handel erschienen und dieses Werk, welches gewissermaassen als grund- legend für die gegenwärtigen Untersuchungs - Methoden der Nahrungs- mittel angesehen werden kann, wurde mit vermehrtem Inhalt 1846 neu aufgelegt. Seine Antrittsrede hielt er am 27. April 1842: „Ueber die Prineipien der Chemie.‘ Die Universität Breslau war bei ihrer Stiftung am 3. August 1811 als Erbin der alten Jesuiten-Universität Leopoldina in den Besitz einer eigenen Apotheke gelangt, deren Privilegium aus dem Jahre 1705 datirte. Als die Universität im Jahre 1811 ihren Besitz antrat, war die Apotheke verpachtet und blieb dies auch bis zum Jahre 1843. Aber schon vorher war ein Antrag der medicinischen Facultät an das Ministerium gelangt, welche im Interesse des medieinischen und pharmaceutischen Studiums die eigene Verwaltung der Apotheke unter einem Docenten zur Ver- wirklichung jener wissenschaftlichen Zwecke wünschte und dabei als Verwalter bereits Duflos in Aussicht nahm. Diese Anträge wurden im Nekrologe. 3 April 1843 genehmigt; Duflos wurde zum Administrator ernannt und damit das pharmaceutische Institut der Universität begründet. Nun be- gann seine überaus fruchtbare akademische Wirksamkeit. Seine Vor- lesungen erstreckten sich bald über alle Gebiete der Chemie und fanden eine so allseitige günstige und volle Anerkennung, dass bereits im Jahre 1846 von der philosophischen Facultät seine Ernennung zum Professor extraordinarius beantragt wurde und im März desselben Jahres auch erfolgte. Die von Jahr zu Jahr sich steigernden Schwierigkeiten in der Ver- waltung der Universitäts-Apotheke und die grosse doppelte Verantwort- lichkeit des Administrators gegenüber der Rechnungsbehörde des Staats einerseits und dem Publikum andererseits lasteten immer schwerer auf der wissenschaftlichen und Lehrthätiskeit von Duflos, so dass er im Jahre 1853 zu dem Entschlusse kam, seine Entlassung aus dem Staats- dienste zu nehmen. In einer für ihn überaus ehrenden Weise bot die Universität alles auf, um ihn festzuhalten, und dies gelang auch, da das Ministerium bereitwillig auf seine theilweise Entlastung durch Bewilli- gung eines Stellvertreters in der Verwaltung der Apotheke einging. Eine Sammlung seiner Collegen, Freunde und Schüler zu einem Ehren- geschenk, welches ihm am 27. December 1853 durch ein Comite, be- stehend aus den Professoren Göppert, Kirchhof und Middeldorpf und dem Kaufmann Liebich (Begründer der nach ihm benannten Anlage auf der Promenade), überreicht wurde, und eine damit verbundene Festlich- keit, an welcher über hundert Personen theilnahmen, waren der warme Ausdruck des Dankes für sein Bleiben. Und in der That war dieser Dank voll berechtigt; denn sein Gehen wäre nicht nur ein herber Ver- lust für die Universität, an welcher seine Lehr- und seine literarische Thätigkeit sich immer fruchtbringender entwickelt hatte, sondern ein gleich grosser für die Provinz gewesen, in welcher es damals kaum einen der neueren chemischen Industriezweige gab, zu dessen Gründung und Entwickelung Duflos nicht durch seine wissenschaftliche Unter- stützung auf das Wesentlichste beigetragen hätte. Im Jahre 1859 wurde Duflos zum ordentlichen Professor ernannt, während gleichzeitig das Privilegium und die Waarenbestände der Uni- versitäts-Apotheke verkauft und deren Räume ausschliesslich für die Zwecke des pharmaceutischen Instituts bestimmt wurden. Als im Jahre 1855 in Breslau eine delegirte pharmaceutische Staatsprüfungs - Com- mission errichtet wurde, steigerte sich von Jahr zu Jahr die Frequenz der hier studirenden Pharmaceuten aus allen Theilen Norddeutschlands; damit aber erwuchsen auch grössere Ansprüche an die akademische Thätigkeit von Duflos, die nicht ohne Einfluss auf seine Gesundheit blieben. Ein, wie es schon damals schien, verhängnissvolles Augen- leiden, welches sich in seinen letzten Lebensjahren bis zur Erblindung 1* A Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. steigerte, machte ihm Schonung und damit sein Zurückziehen vom Lehr- amt und namentlich von den Arbeiten im Laboratorium zur ernsten Pflicht. Er nahm Ostern 1866 seinen Abschied, wobei er „in Aner- kennung seiner langen treuen Dienste‘‘ den Charakter als Geheimer Regierungsrath erhielt. Die medicinische Faeultät hatte ihn bereits am Universitäts-Jubiläum am 3. August 1861 durch Ernennung zum Doctor medicinae honoris causa geehrt. Seine zahlreichen Freunde und dank- baren Schüler sicherten sein dauerndes Andenken an der Universität durch Stiftung eines Stipendiums für studirende Pharmaceuten, welches seinen Namen trägt. Eine reichgesegnete akademische und gemein- nützige Thätigkeit fand damit ihren Abschluss, aber nicht die literarische. Noch im Jahre 1880 erschien die sechste Bearbeitung seines chemischen Apothekerbuchs, während schon vorher im Jahre 1871 und 1873 zwei Ergänzungsbände zu den früheren Auflagen hinzugetreten waren, welche er in Annaberg, wohin er sich in die Familie seines väterlichen Er- ziehers zurückgezogen, vollendet hatte. Die wissenschaftlichen Arbeiten von Duflos gehören dem Gebiete der angewandten, in erster Linie jenem der pharmaceutischen und der mit ihr eng verbundenen analytischen Chemie an, ferner der Lehre von den Giften und der Untersuchung der Nahrungsmittel, sie erstrecken sich aber auch auf die verwandten Gebiete der technischen und land- wirthschaftlichen Chemie. Sein Hauptwerk, das chemische Apotheker- buch, Theorie und Praxis der in pharmaceutischen Laboratorien vor- kommenden pharmaceutisch - technischen und analytisch - chemischen Arbeiten, dessen erster Theil 1835, der zweite 1839 in Breslau er- schien, erlebte, wie bereits erwähnt, in beständiger Vermehrung und Sichtung seines Inhalts sechs Auflagen. Es war dies seiner Zeit das beste und ausführlichste Lehrbuch zum Studium des chemischen Theils der Pharmacie, sein für den Pharmaceuten wie für den Chemiker gleich werthvoller Inhalt beruht auf den eigenen zuverlässigen Untersuchungen des Verfassers und seiner umsichtigen experimentellen Kritik fremder Arbeiten, es enthält eine grosse Menge neuer Beobachtungen, die zum Theil eine ausgedehnte Verwerthung in der chemischen Analyse und bei der Darstellung chemischer Präparate gefunden haben. Aehnliches gilt auch von den meisten seiner anderen Werke, jedes bezeichnet einen Fort- schritt auf dem betreffenden Gebiete, enthält eine selbstsändige För- derung desselben. Seine im Verein mit A. G. Hirsch herausgegebene Schrift: „Das Arsen, seine Erkennung und sein vermeintliches Vor- kommen in organischen Körpern, Breslau 1842‘ behandelt experimentell die damals brennende Frage des Nachweises minimaler Mengen von Arsen und verneint sein normales Vorkommen in dem menschlichen Knochengerüst, Das im Jahre 1846 in zweiter Auflage erschienene Werk: „Die wichtigsten Lebensbedürfnisse, ihre Echtheit und Güte“ Nekrologe. 5 u. s. w. kann, wie schon erwähnt, in seinem wesentlich vermehrten Inhalt als grundlegend für die gegenwärtigen Untersuchungsmethoden der Nahrungsmittel angesehen werden. Als weitere Werke sind noch zu nennen: ÖOekonomische Chemie von A. Duflos und A. Hirsch, 2 Bände, Breslau 1842 und 1843. — Anweisung zur Prüfung chemischer Arzneimittel u. s. w. von A. Duflos, 1849 Breslau in erster und 1873 in vierter Auflage. — Die Chemie in ihrer Anwendung auf das Leben und die Gewerbe, 2 Theile, 1852 und 1854. — Pharmakologische Chemie, die Lehre von den Arzneimitteln und Giften u. s. w., Breslau 1842 und 1848, zweite Auflage in 2 Bänden. — Die Prüfung chemischer Gifte, ihre Erkennung im reinen Zustande und ihre Ermittelung in Ge- mengen, Breslau 1867, erschien 1872 mit sehr vermehrtem Inhalt als „Handbuch der angewandten gerichtlich-chemischen Analyse der che- mischen Gifte.‘ In diesen umfangreichen Werken sind die Resultate der zahlreichen chemischen Originalarbeiten verwerthet, welche Duflos seit dem Jahre 1824 in den verschiedenen Fachzeitschriften, in Buchner’s Repertorium, Schweigger’s Journal, Kastner’'s Archiv, Poggendorf’s Annalen und im Archiv der Pharmacie veröffentlicht hat. Als Docent vertrat Duflos dieselben Gebiete seiner literarischen Arbeit, denen sich in der ersten Zeit seiner akademischen Thätigkeit noch einzelne auf dem Gebiet der theoretischen Chemie liegende Vor- lesungen anschlossen. Seine ausgezeichnete Lehrbefähigung sprach sich in dem klaren und lebendigen Vortrage aus, welcher durch ein unge- wöhnliches experimentelles Geschick unterstützt wurde, Er besass im hohen Grade das Vertrauen seiner zahlreichen Zuhörer, welche er durch sein liebenswürdiges, zuvorkommendes Wesen an sich zu fesseln wusste. Duflos war unverheirathet, seine ganze Zeit gehörte seinem Lehr- amt und seiner wissenschaftlichen und literarischen Arbeit, Er stand sehr früh auf, Winter und Sommer fand ihn um 5 Uhr Morgens am Arbeitstisch, er lebte sehr regelmässig und zurückgezogen, war aber im Freundeskreise ein heiterer und anregender Gesellschafter. Sein biederer, zuverlässiger Charakter, die stete Bereitschaft, mit den Früchten seiner Arbeit und seiner umfassenden Belesenheit überall rathend und helfend einzutreten, hatten ihn seinen Collesen werth und theuer gemacht, er besass wie kaum ein anderer die Hochachtung und Liebe seiner Amts- genossen, die ihn mit aufrichtigem Bedauern so früh aus ihrem Kreise scheiden sahen. Dies galt vor Allem auch von der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur, in welche er im Jahre 1827 aufgenommen wurde. Er führte sich durch eine Anzahl von Vorträgen über ebenso wichtige wie interessante chemische Tagesfragen ein und entwickelte überhaupt 6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. eine so fruchtbringende Thätigkeit, dass, als er, wie bereits erwähnt, im Jahre 1830 Breslau verliess, dies in dem Bericht der naturwissen- schaftlichen Section mit den Worten mitgetheilt wurde, „es ist der zu bedauernde Verlust zu erwähnen, den die Section durch den Abgang des Herrn Chemikers Duflos nach Halle erlitten hat, der einer ihrer thätigsten Mitglieder war und wegen seiner Anspruchslosigkeit und Humanität, mit der er von seinen, auch im Auslande anerkannten gründ- lichen Kenntnissen Gebrauch machte, allgemeine Achtung und Liebe genoss.‘ Nach seiner Rückkehr nach Breslau nahm Duflos seine erfolgreiche Thätigkeit in der Schlesischen Gesellschaft, in erster Linie in ihrer naturwissenschaftlichen. Section wieder auf. Das von dem Präsidium im Jahre 1866 herausgegebene Verzeichniss der Schriften der Schle- sischen Gesellschaft führt nicht weniger als 60 Vorträge von Duflos auf, von denen die meisten vollständig in den Verhandlungen der Ge- sellschaft abgedruckt sind, unter ihnen die chemischen Analysen des Meteorsteins von Braunau und der Meteormasse von Seläsgen, mehrerer schlesischen Mineralquellen u. s. w., sowie Mittheilungen über viele andere interessante Gegenstände. Mit gleichem Erfolg war Duflos an den von der Gesellschaft veranlassten öffentlichen eyklischen chemischen Vorträgen betheiligt. Als er im Jahre 1866 Breslau verliess, ernannte ihn die Schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur zu ihrem Ehrenmitgliede; sie verlor in ihm eines ihrer besten und fruchtbarsten Mitglieder. Apotheker Carl Schubert wurde am 2. September 1837 zu Ott- machau geboren, wo sein Vater Deposital- und Salarien-Kassen-Rendant war. Er besuchte das Gymnasium zu Leobschütz, wohin sein Vater 1850 versetzt worden war, und kam wegen Versetzung des Vaters im Jahre 1853 auf das Gymnasium in Neisse, das er im Juni 1854 als Secundaner verliess, um als Lehrling in die Stadt-Apotheke zu Münster- berg einzutreten. Hier bestand er im Februar 1858 die Gehilfennrüfung und conditionierte sodann bis zu seinem Eintritte in die Dispensir-An- stalt des Garnison - Lazareths zu Neisse in Ottmachau und Patschkau. Nachdem er seiner Militairpflicht als einjährig-freiwilliger Pharmaceut genügt hatte, receptirte er noch ein Jahr in Freistadt und bezog Ostern 1862 die Universität Breslau, wo er nach Ablauf eines Jahres die vor- geschriebenen Staatsprüfungen für Pharmaceuten mit dem Prädiecate „gut‘“ bestand. Er war sodann Gehilfe in Wriezen a. O. und in Berlin. Vom 21. März bis 3. November 1864 war er bei dem stehenden Kriegs- Lazarethe in Kiel beschäftigt und erhielt in Anerkennung seiner pflicht- getreuen Theilnahme an dem Feldzuge des Jahres 1864 die Kriegs- Denkmünze für Nicht-Combattanten. Von Neujahr 1865 ab conditionirte Nekrologe. 7 er noch 2!/, Jahre in Hamburg und °, Jahre in Gross-Strehlitz. Darauf erhielt er im Jahre 1870 die Concession, in Mogwitz bei Neisse eine Apotheke zu errichten, welche er am 23. December 1871 eröffnete und bis zu seinem Tode verwaltete. Er starb am 1. Februar 1890 infolge einer Lungenentzündung. Ihm wird nachgerühmt, dass er stets für die Armuth ein mitfühlendes Herz und eine zum Geben offene Hand hatte. Der Schlesischen Gesellschaft hat er seit 1883 angehört. Dr. phil. Carl Löwig, Geheimer Regierungsrath, Professor und Direetor des chemischen Laboratoriums der hiesigen Universität, wurde am 17. März 1803 zu Kreuznach geboren und erlernte dort auch die Pharmacie. Im Alter von 20 Jahren begann er in Heidelberg Chemie zu studiren und wurde dort 1825 auf zwei Jahre Assistent. Gmelin’s. . Darauf übernahm er die Apotheke in seiner Vaterstadt, wo er sich als- bald mit eingehenden wissenschaftlichen Untersuchungen beschäftigte. Das damals von dem Pariser Chemiker Antoine Jeröme Balard entdeckte Brom nebst seinen Verbindungen unterwarf Löwig in einer grundlegenden Arbeit einer genauen Beschreibung. Er hatte sich dadurch den ersten Meistern seines Faches würdig angereiht. Nichtsdestoweniger glaubte er seine chemischen Studien noch in Berlin unter Mitscherlich vervoll- ständigen zu müssen. In Heidelberg habilitirte er sich 1830 an der Universität und drei Jahre später wurde er Professor der Chemie in Zürich. In der Schweiz, wo er 20 Jahre weilte, nahm er die Gelegen- heit wahr, verschiedene Schweizer Mineralwässer zu untersuchen; auf Grundlage dieser Untersuchungen baute er später weiter, um hinsichtlich der Bestandtheile und der Entstehung von Mineralquellen im Allgemeinen wichtige wissenschaftliche Resultate festzulegen, die insbesondere der Mediecin zu Gute kamen. Darauf siedelte Löwig als Nachfolger Bunsen’s, der nach Heidelberg ging, nach Breslau über, und hier war er durch 36 Jahre eine Zierde unserer Universität, ein Vorbild bürgerlicher Tugenden, hochverehrt von seinen Schülern, allgemein geschätzt von Allen, die mit ihm in Berührung kamen. Seine ausgedehnte Lehrthätig- keit liess dem verdienten Manne immer noch Zeit, öffentlichen gemein- nützigen Angelegenheiten seine Kräfte zu widmen. Insbesondere war der Dahingeschiedene ein eifriger, begeisterter Förderer aller Kunst- bestrebungen, zumal der musikalischen. Als langjähriges Vorstands- mitglied des Breslauer Orchester -Vereins hatte er Gelegenheit, sein Interesse für die Pflege der Musik Jahr aus Jahr ein thatkräftig und mit selbstloser Hingabe zu bewähren. Als Staatsbürger verfolgte er die politische Entwickelung in Preussen und in Deutschland mit lebhaftester Theilnahme; allzeit blieb er ein fester liberaler Mann. Löwig hat einen wesentlichen Antheil an der Förderung und dem Ausbau der Chemie im neunzehnten Jahrhundert, Seine Hauptwerke sind: Lehrbuch der 8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. um nn nn nn Chemie (1832); Ueber die Bestandtheile und Entstehung der Mineral- quellen (1837); Chemie der organischen Verbindungen (1839); Ueber Bildung und Zusammensetzung der organischen Verbindungen; Grundriss der organischen Chemie (1852); die Festschrift „Jer. Benjamin Richter, der Entdecker der chemischen Proportionen,‘ und seine letzte wissen- schaftliche Veröffentlichung: Ueber Arsenikvergiftung und Mumification., Der Schlesischen Gesellschaft hat Löwig seit 1853 als Mitglied angehört und in ihren Schriften publicirte er im 31. Jahresberichte: Ueber die organischen Verbindungen; Ueber einige Stibäthyl-Verbindungen; Ueber Methplumbäthyl; im 33. Jahresberichte: Ueber die Anwendung des Wassers als Nutzmaterial, indem man dasselbe durch glühende Kohlen zersetzt; im 35. Jahresberichte: Ueber die akustischen Versuche des Grafen v. Schaffgotsch; im 38. Jahresberichte: Ueber die verschiedenen Zustände des activen Sauerstoffs; im 45. Jahresberichte: Ueber die Wir- kung der Stoffe, welche zum Desinfieiren bis jetzt in Vorschlag gebracht wurden; und in den Abhandlungen für Naturwissenschaften und Mediein 1861 und 1862: Ueber die Producte, welche durch Einwirkung des Natrium-Amalgams auf Oxaläther gebildet werden. Gross ist die Anzahl der Schüler aus allen Theilen Deutschlands, die Löwig ausgebildet hat. Sie alle bewahren ihm ein dankbares An- denken. Dauernd im Gedächtnisse gehalten zu werden verdient, was Löwig der schlesischen Industrie als unterrichteter Rathgeber gewesen ist. Nach einem Unfalle im hiesigen Zoologischen Garten konnte sich Löwig nieht mehr erholen; er legte seine Lehrthätigkeit an der Uni- versität nieder und starb, nachdem er an seinem 87. Geburtstage in der Vorahnung seines nahen Todes von seinen Freunden gefasst und ergeben Abschied genommen hatte, am 27. März 1890 in Breslau. Prinz Carlzu Hohenlohe-Ingelfingen, Durchlaucht, wurde als ältester Sohn des Prinzen Adolf zu Hohenlohe-Ingelfingen und der verstorbenen Prinzessin Louise, geborenen Prinzessin zu Hohenlohe- Langenburg, am 19. November 1820 zu Garnberg in Württemberg ge- boren. Derselbe genoss seine Erziehung im elterlichen Hause, bis er im Jahre 1837 die Universität Breslau bezog, woselbst er bis 1840 den Studien oblag. Er trat im letztgenannten Jahre als Lieutenant in das in Potsdam garnisonirende 1. Garde-Ulanen- (Landwehr-) Regiment ein, wurde im Jahre 1844 persönlicher Adjutant Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Carl von Preussen und arbeitete, so lange dieser comman- dirender General des IV. Armeecorps war, im Generalceommando des Corps. Im Jahre 1848 nahm er seinen Abschied aus seinen militairischen Verhältnissen. Im Jahre 1854 wurde er von den Ständen des Lubli- nitzer Kreises zum Landrath gewählt, und als solcher wurde er 1864 zur Dienstleistung beim Civilgouvernement in Jütland und Schleswig, Nekrologe. 9 ferner 1866 beim Oberpräsidium in Schlesien und 1870/71 beim Gou- vernement in Rheims verwandt. Im Jahre 1873 nahm er seinen Abschied als Landrath. Sein Tod erfolgte am 1. Mai 1890 in Berlin. — Er war Mitglied im Aufsichtsrathe verschiedener Gesellschaften, wie Lebens- versicherung Friedrich Wilhelm, Gothaer Grunderedit-Bank, Schlesischer Bankverein u. s. w., ausserdem war er Mitglied des Provinzial-Landtages und des Provinzial- Ausschusses. Der Schlesischen Gesellschaft hat er seit 1866 als wirkliches Mitglied angehört, Friedrich Anton Schneider, Dr. phil., Geheimer Regierungs- rath, ord. Professor der Zoologie und Director des zoologischen Museums der hiesigen Universität, wurde am 13. Juli 1831 in Zeitz geboren als Sohn des Kauf- und Handelsherrn K. F. Schneider und dessen Ehefrau Friederike Wilhelmine, geb. Müller. Im vierten Lebensjahre erhielt Anton eine Stiefmutter, der er stets in reinster kindlicher Liebe ergeben war. Er besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt, doch war bei seiner Kränklichkeit die Schullaufbahn keine ganz regelmässige. Dessen- ungeachtet überwand er durch sein leichtes Auffassen und rasches Denken jede Schwierigkeit und konnte zu Michaelis 1849 mit dem Zeugniss der Reife die Universität Bonn beziehen. Hier widmete er sich dem Studium der Mathematik und der Naturwissenschaften, doch war es ein Colleg bei Professor Troschel, welches ihn bald für die Zoologie gewann. 1851 ging Schneider nach Berlin und fand in Johannes Müller den bis an das Lebensende hochverehrten Lehrer und Freund, der für seine fernere Entwickelung und Richtung maassgebend werden sollte. Als Schneider 1354 in Berlin zum Dr. phil, promovirt hatte, starb plötzlich der Vater, und nun trat Anton an dessen Stelle mit vollständiger Zurück- setzung seiner Interessen und Laufbahn. Es galt, der Mutter und den minderjährigen Geschwistern die Zukunft zu sichern, und so stellte sich der Doctor an die Spitze des väterlichen Geschäftes und führte es selbst- ständig fort, bis er sah, dass seine persönliche Gegenwart nicht mehr nöthig war. Erst dann kehrte er nach Berlin zurück, behielt aber bis zu des Bruders Grossjährigkeit die Zügel in den Händen. Inzwischen begleitete er Johannes Müller auf einer wissenschaftlichen Reise nach Norwegen. Auf der Rückreise sank das Schiff infolge eines Zusammen- stosses; doch wurden Müller und Schneider gerettet, letzterer, nachdem er 1', Stunden, an einen Hühnerkasten geklammert, auf dem Meere getrieben hatte. Langer Jahre bedurfte es, ehe Schneider diese grausigen Eindrücke überwand. Nach verschiedenen Reisen nach Neapel habili- tirte er sich 1859 als Privat-Docent in Berlin. Dort arbeitete er als Custos am zoologischen Museum und erwarb sich grosse Verdienste durch das Ordnen der Rudolphi’schen Sammlung (Nematoden). 1861 finden wir ihn eifrig arbeitend in Helgoland, und eine seiner schönsten Ent- 10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. deekungen, die über die Metamorphose der Actinotrocha branchiata, dankt diesem Aufenthalte ihr Entstehen. — 1869 wurde Schneider als Ordinarius nach Giessen berufen, und die 12 Jahre seiner dortigen Wirk- samkeit gehören zu den schönsten und glücklichsten seines Lebens. Mit seiner Berufsthätigkeit konnte er vollkommen zufrieden sein, soweit das eben ein Mann sein kann, der grosse Ansprüche an sich selbst zu machen gewohnt ist. Die Zahl seiner Zuhörer war zwar nicht gross, da sie meist aus Medieinern bestand, welche des Examens wegen diese Fächer hören mussten, aber stets hatte er Schüler, welche sich immer bewusst blieben, dass sie ihm unendlich viel zu verdanken hatten, und immer war er ein milder, rücksichtsvoller Examinator. Sein Vortrag war einfach, unmittelbar, ganz seiner eigenartigen, lebendigen Persön- lichkeit entsprechend, fesselnd und geradezu hinreissend, wenn er warm wurde. Er sprach auch bei anderen Anlässen vielfach und meist ausser- ordentlich wirkungsvoll, da ihm die Rede in jeder Form, von der ein- fachen Plauderei bis zur feierlichsten Steigerung, in seltenem Maasse zur Verfügung stand. Dagegen war er schwer im schriftlichen Aus- drucke, da er eine instinetive Abneigung gegen das Mechanische des- selben hatte, und deshalb gehörte er auch nicht eben zu den Viel- schreibern. Hier in Giessen veröffentlichte‘ er namentlich Untersuchungen über Plathelminthen und über vergleichende Anatomie und Entwicklungs- geschichte der Wirbelthiere.. — Nicht unerwähnt möge hier bleiben, dass er 1870 längere Zeit als freiwilliger Krankenpfleger in Frankreich weilte und die Kriegsdenkmünze für Nichteombattanten erhielt. Nach- dem er, inzwischen Rector geworden, einen ehrenvollen Ruf nach Mar- burg abgelehnt hatte, ging er Ostern 1881 nach Breslau in vielfach andere Berufsverhältnisse. Dieser Ortswechsel bildete einen Wende- punkt in Schneider’s Leben. Er, der trotz seines reichen Gefühles und seines Familiensinnes bisher einsam geblieben war, hatte nun endlich die Gefährtin seines Herzens gefunden, die er bald als Gattin in sein neues Heim führte, in welchem beide die glücklichste Häuslichkeit schufen. Hier in Breslau entfaltete er auch bald nach seiner Ueber- siedelung ein reges wissenschaftliches Leben. Er verstand es, seine Zuhörer für die Zoologie zu begeistern und bildete sich eine grosse “ Anzahl von Schülern heran. Stets stand er diesen mit Rath und That zur Seite, wenn es galt, ihre wissenschaftlichen Arbeiten zu fördern. Er besass eine seltene Beobachtungsgabe und wandte, wie wenige seiner Fachgenossen, sein Interesse den verschiedensten Zweigen der Zoologie zu. Seine Studien erstreckten sich ebenso auf die Systematik, wie auf die Anatomie, Entwicklungsgeschichte und Histologie der Thiere, und überall hat er bahnbrechende Untersuchungen veröffentlicht. Hervor- sehoben sei nur, dass er es war, der zuerst auf die Bedeutung der karyokinetischen Kerntheilungsfiguren aufmerksam gemacht hat, Im Nekrologe. 11 Jahre 1883 gründete er die Zeitschrift „„Zoologische Beiträge‘ und legte hierin seine eigenen Arbeiten oder die unter seiner Leitung entstandenen nieder. Schneider’s segensreiche Thätigkeit als Forscher und Lehrer wurde geehrt und belohnt durch die Verleihung des Rothen Adlerordens IV. Klasse (1888) und die des Titels eines Geheimen Regierungsrathes; ausserdem wählte ihn das Vertrauen seiner Collegen 1886 zum Rector der Universität und später zum Decan der philosophischen Facultät. — An der Seite seiner liebenswürdigen und geliebten Gattin wurde sein Haus ein Muster herzlicher Gastlichkeit, und wer das Glück hatte, Schneider als Freund nahe zu treten, fühlte sich nicht allein durch den Verkehr mit dem vielseitig gebildeten Manne angeregt, sondern zugleich von der Fröhlichkeit und dem offenen Sinne der beiden Gatten ange- heimelt. — Schlagfertig in seiner Rede, manchmal auch aufbrausend, fand er, wenn er verletzt zu haben glaubte, bald wieder Worte und Wege zur Versöhnung, die von seinem warmen, feinen Fühlen Zeugniss ablegten. In engstem Freundeskreise glänzte er durch Witz und launige Erzählungen, stets aufgelegt zu scherzhafter Rede und Gegenrede, dabei eifrig theilnehmend an jedem ernsten Gespräch. — Er arbeitete unab- lässig. Kein Misserfolg, kein Verdruss konnte ihm die Freude an der Arbeit rauben, denn sein Grundsatz war: Kein Tag ohne wissenschaft- liche Arbeit und wenn auch noch so wenig. Er umfasste mit seinen Interessen und seiner Kenntniss selbst die entlegensten Gebiete der deutschen und der fremden Litteratur, sowie er, wenngleich als Natur- forscher theoretisch ein Gegner des Gymnasiums, doch eine solche Liebe zur antiken Litteratur und ein solch’ feinsinniges Verständniss für antike Kunst hatte, dass seine Freunde oft lebhaft bedauerten, dass ein solcher Mann nicht Philologe oder Litteraturhistoriker geworden! — .Auch am öffentlichen Leben und an der Politik nahm er lebendigen Antheil, weil er -glaubte, dass die darauf verwandte Zeit ein Tribut sei, welchen der Gelehrte dafür zu entrichten habe, dass er still und ungestört arbeiten könne. Dem entsprechend, so bedürfnisslos und einfach er selbst war, gab er gern und reichlich für öffentliche Zwecke, und in seinem gut- herzigen Sinne erfreute er oft, ohne dass die Linke wusste, was die Rechte that; denn der Gegenstand seines nie ermattenden Interesses war eben der Mensch. — Anfang November 1889 wurde Schneider von einer tückischen Krankheit befallen, von welcher er sich trotz des Auf- enthaltes an der Riviera nicht mehr erholte, sondern am 30. Mai 1890 dahingerafft wurde; zu früh für seine Schüler, die mit ihm nicht nur den anregenden Lehrer, sondern auch ihren wirklich väterlichen Freund, der stets für ihr Wohl und Fortkommen alle seine Kräfte ein- setzte, zu Grabe getragen haben; zu früh für die Wissenschaft, die einen ihrer glühendsten Verehrer, einen ihrer begabtesten Vertreter und einen ihrer thatkräftigsten Förderer verloren hat. ‚Daher ge- 12 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. stalteten sich auch die Trauerfeierlichkeiten bei Ueberführung der Leiche zum Öberschlesischen Bahnhofe behufs Beisetzung in Bremen zu einer erhebenden Feier. Verzeichniss der Abhandlungen des Herrn Geh. Regierungsrathes Professor Dr. A. Schneider, zusammengestellt durch Herrn Privatdocent Dr. Emil Rohde. Beiträge zur Naturgeschichte der Infusorien (Dissertation), Müller’s Archiv 1854. Ueber die Bewegungen der Samenkörperchen der Nematoden (Monatsberichte der Akademie der Wissensch. Berlin 1856). Ueber die Entwickelung der Phyllirhoe bucephalum (Müller’s Archiv 1858). Ueber zwei neue 'Thallassicollen von Messina (Ebendas.). Ueber einige Parasiten der Holothuria tubulosa (Ebendas.). Ueber die Seitenlinie und das Gefässsystem der Nematoden (Ebendas.). Bemerkungen über Mermis (Archiv von Reichert und Du Bois-Reymond 1860). Ueber die Muskeln und Nerven der Nematoden (Ebendas.). Einige Bemerkungen zu ©. Schmidt’s Untersuchungen über Turbellarien von Corfu und Cephalonia (Ebendas. 1861). Ein Fall simulierter Helminthiasis (Ebendas. 1862). Ueber die Metamorphose der Actinotroclıa branchiata (Ebendas.). Neue Beiträge zur Morphologie und Anatomie der Nematoden (Ebendas. 1863). Ueber die Muskeln der Würmer und ihre Bedeutung für das System (Ebendas. 1864). Entstehung der Eingeweidewürmer (Annalen der Landwirthschaft 1864). Beiträge zur Kenntniss der Protozoen (Zeitschr. f. wiss. Zoologie 1864). Beiträge zur Kenntniss der Radiolarien (Ebendas.) Bemerkungen dazu (Ebendas.). Ueber eine Nematodenlarve und gewisse Verschiedenheiten in den Geschlechts- organen der Nematoden (Ebendas.). Ueber Hämatozoen des Hundes (Archiv von Reichert und Du Bois-Reymond 1865), Monographie der Nematoden (Berlin, Reimer 1866). Zur Kenntniss des Baues der Radiolarien (Archiv von Reichert und Du Bois- Reymond 1867). Ueber Bau und Entwicklung von Polygordius (Ebendas.’ 1868). Ueber den Bau der Acanthocephalen (Ebendas.). Zur Entwicklungsgeschichte und systematischen Stellung der Bryozoen und _ Gephyreen (M. Schultze’s Archiv für mikroskop. Anatomie, V, 1869). Entwicklung des Echinorhynchus gigas (Oberhessische Gesellschaft 1871). Entwicklung von Petromyzon (Ebendas. 1873). Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere (Muskeln) (Ebendas. 1873). Ueber den Bau des Amphioxus lanceolatus (Ebendas. 1877). Untersuchungen über Plathelminthen (Giessen 1873). Beiträge zur vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Wirbel- thiere (Berlin, Reimer 1879). Ueber die Auflösung der Eier und Spermatozoen in den Geschlechtsorganen (Zoolog. Anz. 1880). | Ueber die Nerven des Amphioxus, Ammocoetes und Petromyzon (Ebendas.). Ueber die Entwicklung der Sphaerularia Bombi (Zoologische Beiträge, Band I, Heft 1. 1882). Nekrologe. 13 Ueber die Begattung der Knorpelfische (Ebendas.). Ueber die Zähne der Hirudineen (Ebendas.). Ueber die Entwicklung der Geschlechtsorgane der Insecten (Ebendas.). Neue Beiträge zur Kenntniss der Plathelminthen (Ebendas. Bd. I, Heft 2, 1883). Nachträgliche Bemerkungen über „Das Ei und seine Befruchtung‘ (Ebendas.). Ueber die Anlage der Geschlechtsorgane und die Metamorphose des Herzens bei den Insecten (Ebendas.). Berichtigung, betreffend die Zähne der Hirudineen (Ebendas.). Das Ei und seine Befruchtung (Breslau, J. U. Kern 1883). Fortgesetzte Untersuchungen über Sphaerularia Bombi (Zoologische Beiträge, Band I, Heft 3). ‚Die Entwicklung der Geschlechtsorgane der Insecten (Ebendas.) Chironomus Grimmii und seine Parthenogenesis (Ebendas.). Ueber die Flossen der Dipnoi (Zoolog. Anzeiger 1886). Ueber den Darm der Arthropoden (Ebendas. 1887). Ueber den Darmkanal der Arthropoden (Zoolog. Beiträge, Bd. I, Heft 1, 1887). Ueber Dipnoi und besonders die Flossen derselben (Ebendas.). Ueber das Sarcolemma (Ebendas. 1888). Zur frühesten Entwicklung besonders der Muskeln der Elasmobranchier. Studien zur Systematik und zur vergleichenden Anatomie und Histologie der Wirbelthiere (Fragment, 5 Tafeln). Aus dem Nachlass veröffentlicht 1890. Isaae Schlockow. Am 2. Juli 1890 starb im kräftigsten Mannes- alter plötzlich bei Ausübung seines Berufs in Folge Herzschlag der Königliche Sanitätsrath, Polizei- und Stadtphysikus in Breslau, Dr. med. Schlockow. Derselbe wurde am 29. Juli 1837 in Lublinitz (Regierungs- Bezirk Oppeln) geboren, wo sein Vater Kaufmann war. Seine Schul- bildung genoss er auf dem Gymnasium zu Oppeln, woselbst er im Jahre 1856 das Zeugniss der Reife erhielt. Darauf studirte er in Breslau Mediein, promovirte am 5. December 1860 auf Grund einer inhaltreichen experimentellen Dissertation: De chinini sulfuriei vi physiologica experi- menta nonnulla, und absolvirte die ärztliche Staatsprüfung im Winter 1360/61 mit dem Prädicat ‚sehr gut“. Nachdem er als Einjährig-Frei- williger und als Assistenzarzt beim Schlesischen Jäger-Bataillon Nr. 5 in Görlitz seiner militairischen Dienstpflicht genügt, liess er sich im Jahre 1863 in Nicolai (Oberschlesien) nieder und praktieirte daselbst bis zum Jahre ‚1866. Er nahm an dem österreichischen Feldzuge, insbe- sondere an der Schlacht von Königgrätz Theil und übersiedelte nach seiner Rückkehr aus demselben nach Rosdzin (Kreis Kattowitz), wo er zum Knappschaftsarzt gewählt war. Bei Beginn des Feldzuges gegen Frankreich wurde er zur mobilen 1. Fuss-Abtheilung des 6. Schlesischen Feld-Artillerie-Regiments einberufen und im August 1870 zum Stabsarzt ernannt. Vorübergehend fungirte er als Regimentsarzt des 2. Schles. Husaren-Regiments Nr. 6. Bei der Beschiessung von Pfalzburg, der Belagerung von Paris und in den Schlachten von Orleans und Le Mans sowie in einigen kleineren Gefechten war er als Truppenarzt thätig und wurde mit dem Eisernen Kreuze Il, Klasse am weissen Bande ausge- 14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. zeichnet. Im October 1873 wurde ihm die commissarische und nach Ablegung der Physikatsprüfung mit dem Prädicat „gut“ im Herbst 1874 die definitive Verwaltung der Kreiswundarztstelle des Kreises Kattowitz mit dem Wohnsitz in Schoppinitz übertragen. Im Herbst 1876 bereiste er Westfalen, Rheinland und Belgien, um die dortigen sanitären Ein- richtungen auf dem Gebiete der Industrie kennen zu lernen. Bei der 75. Jahresfeier ihrer Stiftung, im December 1878, ernannte ihn die Schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur zu ihrem correspon- direnden Mitgliede. Anfang October 1880 siedelte er nach Breslau über und wurde auf Grund hervorragender Verdienste um die Organisation des ärztlichen Standes zum Ehrenmitgliede des Vereins der Aerzte Ober- schlesiens ernannt. Gleichzeitig wurde ihm der Charakter als Sanitäts- rath verliehen. Im Jahre 1883 wurde er zum Kreiswundarzt des Land- kreises Breslau und im Juli 1885 zum Polizei-Stadtphysikus in Breslau ernannt. Neben seiner ausgedehnten Privatpraxis hat er die mit jener amt- lichen Stellung verbundenen zahlreichen Arbeiten mit allseitig anerkannter Gründlichkeit und Pflichttreue ausgeführt. Unter seinem hygienischen Beirathe und zum Theil aus seiner Initiative hervorgegangen, sind zahlreiche Verbesserungen auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege der Stadt Breslau im letzten Jahrzehnt ins Leben gerufen. Er war Ver- treter des Medieinalraths für den Regierungsbezirk Breslau und wurde in Anerkennung seiner hervorragenden öffentlichen Wirksamkeit im Januar 1839 mit dem Rothen Adlerorden decorirt. — Die litterarische Thätigkeit Schlockow’s bewegte sich hauptsächlich auf dem Gebiete der Hygiene und gerichtlichen Medicin, der Krankheits- und Sterblichkeits- Statistik. Ausser der obenbezeichneten Dissertation sind zu nennen eine interessante Arbeit über „Mord durch Erschiessen“, welche in Eulen- burg’s Vierteljahrsschrift für gerichtliche Mediein, N. F., Bd. XXVI, Heft 2, erschienen ist. Der jahrelange Aufenthalt in Oberschlesien gab ihm Gelegenheit, die Krankheiten der Bergleute su studiren. Bereits im Jahre 1876 erschien seine kleine aber epochemachende Schrift: „Der oberschlesische Industriebezirk mit besonderer Rücksicht auf seine Cultur- und Gesundheitsverhältnisse.‘“ Seine reichen Erfahrungen aber in Bezug _ auf Morbidität und Hygiene der Bergarbeiter hat er in einem grossen Werke niedergelegt, welches im Auftrage des preussischen Ministers für Öffentliche Arbeiten im Jahre 1881 gedruckt wurde. Dieses Werk, das Schlockow’s Namen weithin bekannt gemacht hat, führt den Titel: „Die Gesundheitspflege und medieinische Statistik beim preussischen Bergbau.“ Eine weitere sehr werthvolle Arbeit über ‚‚die Verbreitung der Tubereulose in Deutschland und einige ihrer Ursachen“ hat er im 23. Jahrgang (1883) der Zeitschrift des Königlichen preussischen sta- tistischen Bureaus folgen lassen, in welcher besonders der Einfluss der Nekrologe. 15 verschiedenen Industrien auf die Häufigkeit der Tubereulose in grossen Zahlen vorgeführt wurde. Schlockow verdanken wir auch die erste Beobachtung eines eigenartigen Rückenmarkleidens der Zinkhütten- arbeiter, die Anregung zur Begründung bezw. Reform der ärztlichen Hilfs- und Unterstützungskassen sowie eine Reihe kleinerer Arbeiten, welche in verschiedenen Wochen- und Vierteljahrsschriften enthalten sind. In den letzten sieben Jahren beschäftigte er sich hauptsächlich mit der Fertigstellung seines grossen zweibändigen Werkes: „Der preussische Physieus. Anleitung zum Physicatsexamen, zur Geschäfts- führung der Mediceinalbeamten und zur Sachverständigen-Thätigkeit, zu- gleich ein Hilfsbuch für Verwaltungsbeamte und Richter.“ Dasselbe erschien 1886 in erster und 1889 wesentlich erweitert in zweiter Auf- lage. — Alles, was Schlockow geschrieben, ist klar und treffend, er war kein Freund der Phrasen und überflüssigen Worte; nüchterne Be- obachtung, skeptische Kritik und ein wahrhafter Bienenfleiss zeichnen alle seine wissenschaftlichen Arbeiten aus. So gründlich und regsam wie als Schriftsteller war er auch als Arzt; seine grosse Ruhe und seine innige Theilnahme am Krankenbette mussten Vertrauen einflössen, — Seit 1871 lebte er in glücklichster Ehe mit einer Tochter des prakt. Arztes Dr. Lustig aus Myslowitz. Ausser der Wittwe hat er einen Sohn und eine Tochter hinterlassen. — Durch seinen frühzeitigen Tod sind grosse Hoffnungen zerstört worden, die auf den mit vortrefflichen Geistes- und Charaktereigenschaften ausgerüsteten Medieinalbeamten und Arzt gesetzt wurden. — Der Schlesischen Gesellschaft hat der Ver- storbene seit 1884 angehört. Julius Kauffmann, Königlicher Commerzienrath, wurde am 10. April 1823 zu Schweidnitz geboren, wo sein Vater die heute einen Weltruf geniessende Textilfirma Meyer Kauffmann in kleinen Anfängen begründete. Er war der drittälteste von sechs Brüdern, von denen drei ihm bis zu seinem Lebensende als Mitarbeiter treu zur Seite gestanden haben. Julius besuchte das Gymnasium in Schweidnitz und verliess dasselbe, nachdem er ein halbes Jahr in Prima gesessen hatte, um in das elterliche Geschäft einzutreten. Wie in der Schule, so avancirte er auch im Comptoir sehr schnell. Noch sehr jung an Jahren machte er ausgedehnte Geschäftsreisen. Die Erbauung der Tannhausener Weberei von 1852 bis 1854 fand namentlich unter seiner Leitung statt; bald darauf folgte die Begründung des Etablissements in Marklissa, 1859 die Uebernahme der inzwischen umgebauten und erweiterten Baumwoll- spinnerei in Breslau, dann die Errichtung des Etablissements in Eisers- dorf, endlich 1888 die käufliche Uebernahme und Wiederinbetriebsetzung der grossen vormals Reichenheim’schen Etablissements zu Wüstegiers- dorf. — Unausgesetzt wusste der Verstorbene neben seinen weitver- 16 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. zweigten geschäftlichen Interessen auch den öffentlichen wirthschaftlichen Angelegenheiten den reichen Schatz seiner Erfahrungen und seine ausser- ordentliche Arbeitskraft zu widmen. Er war Mitglied der Textilenqu&te im Jahre 1878, Mitbegründer des Verbandes schlesischer Textil- industrieller und der Schlesischen Textilberufsgenossenschaft, stellver- tretender Vorsitzender der letzteren, Mitglied des Volkswirthschafts- rathes, stellvertretendes Mitglied des Verkehrsausschusses der Deutschen Eisenbahnen, Vicepräsident der Handelskammer zu Schweidnitz, Mitglied der Kreisverwaltung und Inhaber noch vieler anderen Vertrauensämter. Grossartig sind die Wohlfahrtseinrichtungen, die er an den Stätten seiner Gewerbsthätigkeiten geschaffen, wie das Annastift zu Tannhausen, das er zum Gedächtniss seiner 1881 verstorbenen Gemahlin ins Leben rief, ferner das Siechenhaus zu Wüstegiersdorf und die damit verbundene Pflegeanstalt für Säuglinge, die zweite Krankenkasse und das Carolinen- stift. Niemals wurde ein alter, arbeitsunfähig gewordener Arbeiter von den Meyer Kauffmann’schen Fabriken hilflos seinem Schicksale über- lassen; die Geschäftsinhaber betrachteten es als ihre Pflicht, in der einen oder anderen Weise für ihn zu sorgen. Noch in den letzten Tagen seines Lebens reiste er, obgleich schwer krank, von Wüstegiers- dorf nach Breslau, um hier in einer Sitzung für die Rentenansprüche eines ihm bekannten Arbeiters einzutreten. In dieser Sitzung ver- schlimmerte sich seine Krankheit auffällig und schon 8 Tage später er- folgte der Tod am 23. Juli 1890 in Breslau. Die zahlreichen Nachrufe betrauern in dem Verstorbenen einen der hervorragendsten Industriellen unserer Provinz, einen Gewerbetreibenden von ungewöhnlicher kauf- männischer Befähigung, einen nimmer ermüdenden Vertreter der Öffent- lichen wirthschaftlichen Interessen, einen guten und gerechten Chef, das Vorbild eisernen Fleisses und treuester Pflichterfüllung, ein Herz voll warmer Menschenliebe, überall fürsorglich helfend seinen Arbeitern und deren Hinterbliebenen. Der Schlesischen Gesellschaft hat der Dahin- geschiedene seit 1837 angehört. Graf Erdmann von Roedern, Assessor a. D. und Ritter des Johanniter-Ordens, wurde am 24. Januar 1826 in Glumbowitz, Kreis _ _Wohlau, in Schlesien geboren. Sein Vater war Graf Erdmann von Roedern, Kriegs- und Domainen-Rath a. D. und Besitzer der Herrschaft Glumbowitz, verheirathet mit Gräfin Natalie, geborenen Gräfin Henckel von Donnersmarck. Seine wissenschaftliche Ausbildung erhielt er auf dem Magdalenen-Gymnasium in Breslau und auf der Ritter-Akademie in Liegnitz. Darauf studirte er auf den Universitäten Heidelberg und Breslau und bestand das erste und zweite juristische Examen. Nach- dem er früher sein Jahr als Freiwilliger abgedient hatte, wurde er 1848 als Landwehr-Offizier eingezogen und machte den Feldzug im Gross- Nekrologe. fi herzogthum Posen gegen die Insurgenten mit. Dann trat er in den activen Dienst bei dem Kaiser-Franz-Regiment in Berlin über, nahm jedoch nach zwei Jahren seinen Abschied, um sich wieder der juristischen Laufbahn zu widmen. Nachdem er einige Jahre als Assessor in Breslau gearbeitet hatte, nahm er am Anfange des Jahres 1862 wegen Kränk- lichkeit seinen Abschied. Seit dieser Zeit verblieb er, nur der Wissen- schaft lebend, bis zu seinem am 1. August 1890 erfolgten Tode in Breslau. Von Jugend auf ein grosser Naturfreund und passionirter Jäger, hatte er sich die Ornithologie zum Specialstudium gewählt. Er besass die kostbarsten ornithologischen Werke und eine der grössten und besten Eiersammlungen; letztere verkaufte er, als seine Sehkraft immer schwächer wurde, schon vor einigen Jahren an Baron von Rothschild in London. Graf von Roedern war ein liebenswürdiger, stets sich gleich- bleibender Charakter; streng conservativ gesonnen, verkehrte er mit allen Ständen und hatte, was man selten finden wird, nur Freunde und gar keine Feinde, Der Schlesischeu Gesellschaft hat er seit 1861 an- gehört. | Paul Bülow, Königlicher Commerzienrath und Stadtrath, wurde am 25. April 1830 in Breslau als Sohn eines Handelsherrn geboren, der gleichfalls dem Breslauer Magistrats-Collegium angehört hat. Auch der Sohn widmete sich dem Kaufmannsstande und wurde bald der Chef eines angesehenen Handelshauses, von dessen Leitung er sich später zurückzog, um seine Zeit und Kraft ausschliesslich gemeinnützigen Be- strebungen und der Verwaltung von Ehrenämtern zuzuwenden. Nach- dem er bereits zehn Jahre lang Mitglied der Stadtverordneten-Versamm- lung gewesen war, wurde er am 14. September 1878 zum Stadtrath sewählt und hat als solcher dem Magistrats-Collesium bis zum Tode angehört. In dieser Stellung hat er insbesondere in den ihm über- tragenen Aemtern als Obervorsteher des Hospitals zu St. Bernhardin, als Decernent für die städtische Bank und die städtische Sparkasse und als Vorsteher der Knorr’schen Stiftung grosse Umsicht und Gewissen- haftigkeit bewiesen und der Stadtgemeinde durch geschickte Leitung dieser bedeutenden und rasch sich entwickelnden Institute erheblich ge- nützt. Ebenso bewährte er seine ausserordentliche Umsicht und Arbeits- kraft als Mitglied des Stadtausschusses. Die Breslauer Kaufmannschaft gab ihm vollauf Gelegenheit, seine reichen Erfahrungen in einer Reihe von Vertrauensstellungen zu verwerthen. Als langjähriges Mitglied der Handelskammer vermochte der Dahingeschiedene nach vielen Richtungen hin fruchtbringend für die Interessen des Handelsstandes zu wirken. Auch dem Institute der Handelsrichter gehörte er seit Begründung des- selben an. Er war auch betheiligt an der Leitung einer grossen Anzahl industrieller Gesellschaften und kaufmännischer Unternehmungen: er war 2 18 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Vorsitzender im Aufsichtsrathe der Actien - Gesellschaft „Waggonfabrik Gebrüder Hofmann u. Co.“, der Oppelner Portland - Cement - Fabriken (vormals F. W. Grundmann) und der Breslauer Wechsler-Bank; ferner war er stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrathes der Schle- sischen Feuerversicherungs-Gesellschaft, Mitglied des Verwaltungsrathes der Schlesischen Lebensversicherungs-Actien-Gesellschaft und Vorstands- mitglied der Kaufmännischen Zwinger-Ressourcen-Gesellschaft. Besonders als Schriftführer des schlesischen Verbandes der vaterländischen Frauen- vereine und zugleich des hiesigen Zweigvereins entfaltete er eine un- gemein erfolgreiche Wirksamkeit, und hauptsächlich seiner Fürsorge ist das Entstehen und Gedeihen des Augustahospitals zu danken; hier war sein Augenmerk besonders dahin gerichtet, oute Krankenpflegerinnen auch für andere Hospitäler heranzubilden. Von der Vielseitigkeit seiner Interessen legt der Umstand Zeugniss ab, dass er dem Vorstande des Schlesischen Kunstvereins angehörte; auch war der Heimgegangene seit 1866 Mitglied der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur und verwaltete seit 1879 als Mitglied des Präsidiums das Schatzmeister- amt musterhaft. Bülow war unvermählt, aber dass er einen reichen Schatz an treuer, aufopfernder Liebe zu vergeben hatte, das haben seine zahllosen Freunde erfahren und auch Viele, die ihm im Leben sonst nicht näher standen. Hilflosen und 'Bedrängten war er ein allzeit hilf- reicher Tröster und Berather, schwierige Verhältnisse wusste er mit zarter und geschickter Hand zu entwirren und zu ordnen. Erschütternd wirkte sein jähes Ende mitten im grössten Festjubel unserer Stadt auf alle Gemüther. Auf dem Wege zu der Ehrenpforte am Schweidnitzer Stadtgraben, wo Bülow als Magistratsmitglied am Mittage des 11. Sep- tember 1890 an dem Empfange der Kaiserlichen Majestäten sich zu be- theiligen gedachte, wurde er auf der Promenade nahe der Schweidnitzer Thorwache von einem Herzschlage betroffen, musste besinnungslos in die Wache getragen werden und starb hier nach wenigen Minuten. — Der Verstorbene war des grossen Vertrauens, das seine Mitbürger in ihn setzten, in jeder Beziehung würdig. Er war ein treuer Sohn seiner Vaterstadt, an der er mit ganzer Seele hing. Offen und liebenswürdig, schlicht und treu in seinem Wesen, reich an Kenntnissen und Erfah- rungen, klar im Urtheil, in selbstloser Hingabe jedem edlen Streben zu- gethan und förderlich, hat er sich durch sein Leben und Wirken in aller Herzen ein dauerndes Denkmal gesetzt. Breslau hat einen Bürger verloren, der sich um seine Vaterstadt wohl verdient gemacht hat. Dr. med. Rudolf Jänsch wurde am 23. Mai 1839 zu Ulbersdorf bei Hainau als Sohn des Rittergutsbesitzers Ferdinand Jänsch geboren. Er besuchte von 1850 ab die Realschule am Zwinger in Breslau und von 1854 ab das Gymnasium zu Schweidnitz, von wo er am 1. October Nekrologe. 19 1858 die Universität Breslau bezog, um sich dem Studium der Mediein zu widmen. Nachdem er auch ein Winter-Semester in Berlin zugebracht, kehrte er nach Breslau zurück, promovirte hier am 9. August 1862 und approbirte als praktischer Arzt am 25. Februar 1863. Hierauf diente er hier als einjährig - freiwilliger Arzt und war vom 1. April 1864 bis 1867 Assistenzarzt bei der Königlichen geburtshilflichen Klinik. In- zwischen machte er die Feldzüge mit, vom 1. Juni 1864 an als Unter- arzt, später als Assistenzarzt beim 1. Schlesischen Grenadier-Regiment Nr. 10, Am 24. December 1864 kehrte er aus Jütland zurück und trat in die ihm reservirte Assistentenstelle wieder ein. 1866 machte er den Feldzug als Assistenzarzt beim 2. schweren Feldlazareth des VI. Armee- Corps mit und war mit der 2. Section dieses Lazareths vier Wochen auf dem Schlachtfelde von Königgrätz thätig und später einige Wochen als Arzt du jour im Cholera-Lazarethe zu Brünn etablirt, wo damals 1300 Personen starben. Auch nach diesem Feldzuge trat er wieder in seine Stelle an der Klinik zurück. Vom 1. April 1867 ab war er Volontair-Arzt des verstorbenen Sanitätsrathes Dr. Methner, des diri- girenden Arztes an Bethanien hier, und assistirte demselben besonders bei chirurgischen Operationen. Den Feldzug 1870/71 machte er als Assistenzarzt beim 5. Feldlazareth des VI, Armee-Corps mit und war selbständiger Arzt im Lazareth von Sevigny durch 4 Monate, später auch während der Waffenruhe zu Bouvins. Im Besitze der Kriegsdenk- münzen von 1864, 1866 und 1870/71 erhielt er 1873 das Patent als Stabsarzt und 1875 die 2. Klasse der Landwehr - Dienstauszeichnung. Auf sein Gesuch wurde ihm 1876 der Abschied aus dem Militairdienste mit der Erlaubniss zum Tragen der Uniform in Gnaden gewährt. Dr. Jänsch war seit 1871 als praktischer Arzt in Breslau thätig, hoch- geachtet, viel begehrt und beliebt in den weitesten Kreisen. Am 16. August 1875 führte er den Kaiserschnitt an einer Lebenden während der Geburt aus. Da die Mutter an einer unheilbaren Gebärmutter- Krankheit litt und starb, hat er sich des Kindes — dasselbe lebt noch — warm angenommen und dasselbe dauernd mit Rath und That unterstützt. Nachdem er nur kurze Zeit (seit 1832) das Glück der Ehe, den Besitz einer geliebten Gattin und blühender Kinder genossen, war er .im Herbste 1890 zu leidend, um seine Praxis in vollem Umfange ausüben zu können, da ereilte ihn am 10. November, nachdem er des Morgens noch als Arzt thätig war und den Nachmittag heiter im Kreise der Seinen verbrachte, am Abende unerwartet der Tod. Litterarisch thätig war Jänsch nur in früheren Jahren, wie mehrere Aufsätze in der Berliner klinischen Wochenschrift und in Virchow’s Archiv für pathologische Anatomie (z. B. Ueber die Blasen-Gebärmutterfistel — über einen Fall von Schwangerschaft in einem rudimentären Gebärmutterhorn — über den Kaiserschnitt) bekunden, später fand er bei der fast nicht zu be- 230 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. wältigenden Praxis keine Zeit, seine Aufzeichnungen der Oeffentlichkeit zu übergeben. Der Schlesischen Gesellschaft hat er seit 1873 angehört. Apotheker Carl Thümmel. Am 27. December 1890 wurde völlig unerwartet der Apotheker Carl Thümmel durch einen Herz- schlag seiner Familie, seinen zahlreichen Freunden und seiner frucht- baren wissenschaftlichen Thätigkeit entrissen. Den Abend vorher ver- brachte er ahnungslos im traulichen Kreise seiner Familie und seiner Verwandten, und als er wenige Tage vorher, des Weihnachtsfestes wegen, seine Arbeiten im Laboratorium des pharmaceutischen Instituts unter- brach und dabei Pläne für neue Arbeiten entwarf und besprach, da lag der Gedanke fern, dass ihn der gewohnte, ihm liebgewordene Arbeits- platz nie mehr wiedersehen würde. Am Morgen seines Geburtstages, der gleichzeitig sein Todestag werden sollte, um 5 Uhr, verlor er plötz- lich die Besinnung und Sprache, erholte sich aber wieder für kurze Zeit, um dann nach lebhaften Phantasien, deren Gegenstand seine wissenschaft- lichen Arbeiten waren, um 2‘, Uhr einen sanften Tod zu finden, CarlJohann Friedrich Thümmel wurde am 27. December 1827 in Croessin, Kreis Belgard in Pommern, geboren als der älteste Sohn des dortigen Pastors Thümmel. Im Alter von zehn Jahren verlor er seinen Vater; nachdem er die nothwendige Schulbildung sich erworben hatte, trat er im October 1842 als Lehrling in die Apotheke zu Polzin ein, eonditionirte dann in verschiedenen Apotheken und bezog im Jahre 1849 die Universität in Berlin, wo er seinen pharmaceutischen Studien oblag, Chemie bei H. Rose und Mitscherlich, Physik bei Magnus und Botanik bei Link hörte, Im Herbst 1850 bestand er mit sehr gutem Erfolge die pharmaceutische Staatsprüfung, Nachdem er noch in mehreren Apotheken als Gehilfe thätig gewesen war, kaufte er 1855 die Apotheke in Krojanke in Westpreussen, die er nach 3'/,jährigem Besitz durch Kauf mit der Apotheke in Briesen in Westpreussen ver- tauschte, woselbst er 22 Jahre blieb. Als Apotheker hochgeschätzt, wurde er es nicht minder durch seine gemeinnützige Thätigkeit in städtischen Angelegenheiten, die er zuerst als Stadtverordneten-Vorsteher und dann als commissarischer Bürgermeister so trefflich leitete, dass er zum Ehrenbürger der Stadt ernannt wurde, als er im Jahre 1880 Briesen verliess und nach Breslau übersiedelte. Thümmel verlegte nicht blos im Interesse der Erziehung seiner heranwachsenden Kinder seinen Wohnsitz nach Breslau, sondern nament- lich wohl auch, um hier Anknüpfungspunkte für seine wissenschaftlichen Neigungen und besonders für eine chemische Thätigkeit zu finden. Er besuchte zunächst die Vorlesungen des pharmaceutischen Instituts der Universität und belegte in dessen Laboratorium einen Platz, um sich mit den neueren Untersuchungsmethoden bekannt zu machen, aber schon Nekrologe. 21 nach wenigen Semestern trat er in die Reihe der ständigen Mitarbeiter des Instituts, Mit dem Feuereifer eines Jünglings und der zähen Arbeits- kraft und Ausdauer des reifen Mannes hatte er in kurzer Zeit die ihm damals noch fremde Maass-Analyse bewältigt, sich mit der Elementar- Analyse, Dampfdichte-Bestimmungen u. s. w. vertraut gemacht und sein experimentelles Geschick in der Darstellung seltener Präparate für die Sammlungen des Instituts verwerthet. Seine eigentliche wissenschaftliche Arbeit begann mit der Theil- nahme an den Vorarbeiten für die zweite Ausgabe der Deutschen Phar- makopöe, für welche dem pharmaceutischen Institut die Bearbeitung der Präparate des Eisens, Aluminiums, Mangans, Zinks, Silbers, Goldes und Bleies zugefallen war. Die Theilnahme an diesen Arbeiten war die nächste Veranlassung zu seiner ersten wissenschaftlichen Veröffentlichung 1884: „Zur Kritik der Prüfungsmethoden der Pharmakopöe“, dann „Ueber den Chlorkalk der Pharmakopöe‘ und 1885 „Ueber die Prüfung von Natrium bicarbonicum‘“, Die Prüfung dieses letzteren Präparates mit Quecksilberchlorid - Lösung veranlasste seine umfangreiche experi- mentelle Arbeit über ‚.Die Oxychloride und -Bromide des Quecksilbers‘*, welche bei einer kritischen Beleuchtung der vorhandenen Arbeiten diese unter neuen Gesichtspunkten sichtete und dabei zu interessanten neuen Resultaten gelangte, eine treffliche Leistung, die später im Jahre 1889 noch eine Fortsetzung fand. Die Aufhellung des chemischen Vorganges bei der Gutzeit’schen Arsenprobe veranlasste den Leiter des Instituts zu einer Untersuchung, an deren experimentellem Theil sich Thümmel ebenso lebhaft betheiligte, wie später an der Untersuchung des inter- essanten Verhaltens des Aethyläthers gegen Quecksilbermonoxychlorid- Lösung, die zur Entdeckung des Vinyl-Alkohols führte. Einen gleichen Antheil hatte er an den analytischen Arbeiten der vom Institut unter- nommenen Untersuchung des Hausschwammes und seiner Verbreitung. Es folgten dann von seiner Seite selbständige Arbeiten 1887: „Ueber das Verhalten des Quecksilberchlorids gegen Ammonbicarbonat“, ferner „Ueber Ammoniumbromid‘“; 1890: „Ueber die Zusammensetzung des Rindermarks‘“, Die vorstehenden Arbeiten sind sämmtlich im Archiv der Pharmacie veröffentlicht. Seine Untersuchung des fetten Oeles der Schleichera trijuga (Makassar-Oel) wird von befreundeter Seite zu Ende geführt werden. Seine letzte Arbeit waren die „Bemerkungen zu dem Arzneibuch für das Deutsche Reich“ in der ‚Pharm. Zeitung‘, eine experimentelle Kritik, die er in kurzer Zeit fertiggestellt hatte, Alle experimentellen Arbeiten Thümmel’s tragen den Stempel exacten Forschens, er begnügte sich nie mit blossen qualitativen Re- actionen, sondern suchte, wenn irgend möglich und dann meist mit Erfolg, ihren Verlauf quantitativ festzustellen. Sein wissenschaftlicher PD) Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Eifer scheute vor keiner Schwierigkeit in der Durchführung begonnener Arbeiten zurück, deren Resultate er dann mit einer fast peinlichen Gewissenhaftigkeit zu sichern verstand. Er war bei der Herausgabe mehrerer Sammelwerke und Commentare thätig. So war er Mitarbeiter der Encyklopädie der gesammten Pharmacie, des Commentars zum Arzneibuch für das Deutsche Reich und eines Waarenlexikons der che- mischen Industrie und Pharmacie, wozu ihn seine gründlichen Kenntnisse und seine grosse Belesenheit überaus geeignet machten. Schon früher Mitglied der Königlichen physikalisch - ökonomischen Gesellschaft in Königsberg, gehörte er in Breslau der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur an, in deren naturwissenschaftlichen Section er die Resultate seiner Arbeiten in klarer, durchsichtiger Darstellung zum Vor- trag brachte. Er besass ein ausgesprochenes Lehrtalent und verwerthete dies mit dem besten Erfolge in dem regelmässigen Unterricht, den er in der Chemie den Lehrlingen der Breslauer Apotheken ertheilte Ein von ihm vorbereitetes kurzes Lehrbuch der Chemie für diesen Zweck harrt noch der Herausgabe. Mit Leib und Seele Apotheker, betrachtete er die Förderung der wissenschaftlichen Interessen der Pharmacie als seine Lebensaufgabe, für welche er alle seine Kräfte einsetzte in Lebens- jahren, wo andere bereits zu arbeiten aufhören. Thümmel stand hier in weiten Kreisen in hoher Achtung. Seine Familie besass in ihm den liebevollsten, um das Wohl der Seinigen zärtlich besorgten Vater, seine Freunde schätzten in ihm den Mann mit einem warmen Herzen, aber auch seinen entschiedenen, zuverlässigen Charakter, seine Selbstlosigkeit und Öpferwilligkeit, seine Liebens- würdigkeit im persönlichen Verkehr, und seine Fachgenossen haben volle Ursache, ihn als eine Zierde ihres Standes anzusehen, der ihnen und seiner wissenschaftlichen Arbeit viel zu früh entrissen worden ist. Geheimer Sanitätsrath Dr. med. Carl Rudolf Hans Szmula wurde geboren am 12. Mai 1828 in Pschow, Kreis Rybnik, als Sohn des Gutsbesitzers Carl Szmula und dessen Ehefrau Franziska, geb. Siebler. Er besuchte die Gymnasien zu Leobschütz, Brieg und Neisse und verliess letzteres im Jahre 1847 mit dem Zeugniss der Reife. Darauf studirte er in Breslau, Göttingen und Berlin Mediein. Neben der eifrigen Pflege des Studiums fand er auch Zeit, die reinen Freuden des Studentenlebens zu geniessen; so gehörte er in Breslau dem Corps „Silesia‘““ und in Göttingen den Studentencorps ,‚Saxonia‘“ und „Saxoborussia“ an. In Göttingen war es der epochemachende Chemiker Wöhler und in Berlin der berühmte Mineraloge Mitscherlich, welche den hochbegabten Studenten mächtig anzogen. Nachdem Szmula am 17, März 1875 in Berlin zum Dr. med. promovirt hatte, bestand er hier auch die medicinischen Staats- prüfungen. Besondere Verhältnisse bewirkten es, dass er die Absicht, die wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen, aufgab, um sich als prakti- Nekrologe. 23 scher Arzt in Oberschlesien niederzulassen. Hier wirkte er zuerst in Tost, Beuthen und Laurahütte, bevor er sich im Jahre 1858 dauernd in Zabrze niederliess. Im Jahre 1862 ging Szmula nach Wien, um ein halbes Jahr Augenheilkunde zu studiren. Den Feldzug von 1866 machte er als Assistenzarzt 1. Klasse mit, und im Feldzuge 1870/71 fungirte er als Stabsarzt und Führer des Lazareths Nr. 7. Für seine Leistungen als Operateur im letzten Feldzuge wurde ihm seitens des Johanniter- Ordens ein grosser Operationskasten geschenkt. Welchen Ruf der Ver- storbene sich in Oberschlesien sehr bald erworben, ergiebt sich am Besten aus der schnellen Beförderung. Am 138. Januar 1871 erhielt er den Titel eines Königlichen Sanitätsraths, seit 1873 war er als Kreis- physikus thätig, und 1875 wurde er Oberarzt des Oberschlesischen Knappschaftsvereins. Er war Gründer und erster Vorsitzender des Kriegervereins Zabrze, Mitbegründer des Vereins der Aerzte Öber- schlesiens und Mitglied des evangelischen Gemeinde-Kirchenraths und Schulvorstands von Zabrze. Trotz der hohen Anforderungen, welche ihm sein Beruf und seine sonstigen Beziehungen auferlegten, arbeitete er eifrig an seiner Fortbildung durch TTheilnahme an den internationalen ärztlichen Congressen zu London, Kopenhagen, Berlin, wie auch an den Versammlungen deutscher Naturforscher und Aerzte. Seit Bildung der deutschen Aerztekammer im Jahre 1887 gehörte er zum Geschäfts-Aus- schusse des deutschen allgemeinen Aerztebundes. Zu seiner allgemeinen Bildung trugen neben der Beschäftigung mit verschiedenen Sprachen, wie englisch, italienisch, türkisch, spanisch, verschiedene längere Reisen nach England, Irland, Schottland, Türkei und Griechenland, Nordafrika, Schweden und Norwegen, Frankreich und mehrfacher Aufenthalt in Ober- und Unter-Italien und Sicilien bei, und nie begab er sich auf eine Reise, ohne vorher sich mit Sprache, Sitten und Gebräuchen des Landes und Volkes vertraut zu machen. An weiteren Decorirungen wurden ihm seitens Sr, Majestät der Rothe Adler-Orden IV. Klasse im Frühjahre 1887 und im Herbste 1890 Verleihung des Charakters eines Geheimen Sanitätsraths zu Theil. Bei Ausübung seines Berufes erlag er am 27. December 1890 einem Schlagflusse. Die Kunde von seinem plötzlichen Hinscheiden erregte in den weitesten Kreisen Oberschlesiens die schmerzlichste Theilnahme, und die Trauerfeierlichkeit an der Be- erdigung bot einen herrlichen Ausdruck der Liebe und Verehrung, welche der Verstorbene sich im Leben erworben hatte. Trotz der grimmigsten Kälte fehlte an diesem Tage Keiner aus Zabrze und Umgegend, der es irgend möglich machen konnte, sich dem Leichenzuge anzuschliessen. Be- hörden und Vereine betraueren in zahlreichen Nachrufen den allverehrten Collegen und pflichtgetreuen Beamten, rühmen sein hervorragendes Wissen, sein erfolgreiches Wirken und seine seltenen Charakter- und Geistesgaben. Der Schlesischen Gesellschaft hat der Verstorbene seit 1889 angehört, )4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Der wärmste Dank sei zum Schlusse noch den Hinterbliebenen und Freunden unserer verstorbenen Mitglieder dargebracht, insofern als sie durch umfassende Mittheilungen die Abfassung dieser Nekrologe ermög- lichten. Zum Theil wurden für diesen Zweck die Albumblätter der Schlesischen Gesellschaft, zum Theil die Biographien und Nachrufe in den Tageblättern benützt. Die Nekrologe auf Professor Duflos und Apotheker Thümmel hat Geheimrath Professor Dr. Poleck im Manu- scripte eingesendet. 6. Limpricht. Druck von Grass, Barth & Comp. (W. Friedrich) in Breslau, Fr a A 4 Dr Een "Verzeichnies & = "santiche von der Shles. Gesellschaft für water] -Cultmr ea | Nu | 1. Einzelne Schriften. ee ur ee Zwei Reden, gehalten von dem Reg.-Quartiermstr. Müller und Brort welche bei. ler A Feier des 'Stiftungstages der, Gesellschaft zur. Beförderung der u und. Ind E Schlesiens, am 17. December 1804. 8°, 48 Seiten.‘ Me An, die Mitglieder der Gesellschaft zur Beförderung der Miturkenne‘ ‚und Indus x und-an sämmtliche, Sehlesier, von Rector Reiche, 1809. ‚80.928. Be Oeffentlicher Actus der Schles. Gesellschaft f.. vater]. Cultur, Benglens am 19. Dei Bo „Feier, ihres‘ Stiftungsfestes, 808 Ru Joh. ‚George Thomas,’Handb. d. Literaturgoschichte. Y. ‚Schlesien, 1824. 03 er Tr Preisschrift. a Beiträge zur Entomologie, verfasst von den Nitälesrn der ‘entom. Sestion, mit Kpft. + Die schles. Bibliothek der Schles. Gesellschaftv. K. G. Nowack. 8°. 1835, oder" später ers Mi - Denkschrift der Schles. Gesellschaft zu ihrem 50jähr. ‚Bestehen, enthaltend’ die Geschic} ‚Schles. Gesellschaft und Beiträge zur Natur- „und ‚Geschichtskunde Schlesien Mit 10 lithogr. Tafeln. 40,.982.8. Rn . Dr. J. A.Hoennicke, Die Minerälquellen der Provinz Sahlenien, 1857. go, 1668, ‚gche Dr..J. G. Galle, Grundzüge der schles. Klimätologie, 1857... 40. 137: ‘8. Dr. J. Kühn, Die zweckmässigste Ernährung ‚des Rindyiehs, 1859. 89, 242 8., gekt. i Si RE Lebert, Klinik des acuten Gelenkrheumatismus,' Gratulationsschrift Zum ee 5 di Jubiläum des Geh. San.-Raths Dr. Änt. Krocker. ‚Erlangen 1860. 8°. 149. 5 Dr. Ferd. Römer, Die fossile Fauna der silurischen Diluvialgeschiebe von- ‚Sadewitz b in. Schlesien, mit'6 lithogr. u. 2 Kupfer- Tafeln. 4861. 4°. 708.» ° - Lieder. zum Stiftungsfeste der entomologischen und botanischen Seetion der. Schles. Ges ..sals Manuscript gedruckt. 1867,.8% 292° 8... , Verzeichniss der in den Schriften der Scehles.- Gesellschäft , Dr 18041863 ieh, ent en Aufsätze in alphab. ‘Ordnung von Letzner. 1868. Be 2 ,»* 0." Fortsetzung der in den Schriften der Schles. Gesellschaft für El Cultur von 1864 bis 18‘ enthaltenen Aufsätze, geordnet’ nach‘den Verfassern in alphab. Ordn. von Dr. Sch General-Sachregister der in den Schriften der Schles. Gesellschaft für vaterl. Oultur bis 1876 inel, ‚enthaltenen Aufsätze, geordnet‘ in‘ alphab. ee von Dr. u - ->..2% Periodische ‘Schriften. ae je Verhamdiangir der Gesellschaft £. Naturkunde u. Industrie Schlesiens.. 8 "Ba. Ei u, a 21. ee Hft..2,'112.8. 1806. Desgl, Bd. 1), 37 Heft. 1807. WR En SL Correspondenzblatt der Schlesischen Gesellschaft für, ‚vaterländische ‚Caltur, 40, Bi „Wahrg. 1, 1810, 96 8. Jahrg. II, 1812, Ib: Jahrg. V, art, lu. le Se IL, 1811, do. „ IV. 1813,Hft.10.2je968. |, VL: ‘1815 „Bit. 1, ae 0 Cotrespondenz der Schles. Gesellschaft £, vaterl; Cultur. 8°, Bd.. L, "362 S. ei Mild Br 1820. Desgl. Bd. Ib (Heft 1), 80 8. mit Abbild., 1820: : Bulletin der naturwissenschaftl. Section ‘der. Bes. Gesellschaft 1-11, 1893, 8, an ld. do. "do. = * 7 1-210,:1824, 80 Er FANE ‚Uebersicht der Arbeiten (Berichte sämmtl. Sectionen) und Veränderungen | "der Schles. ;..Gesel ER für vateri. Cultur: | Jahrg. 1849, Abk. 1, 1808; 11,398. |. ee Jahrg. 1824. 55 Seiten, 4., N - u.44 S. met, Beobacht. Br 582... BA.) A 3 1850, ‚Abibeil, I, 204 8., EIER ART Abth. II, 36.8... | BT, RO de » 1851. 194 Seiten. Ai IR TZE, #98 N TE st ; IP 1.70 NR RER Ba 1854288 4, 20. Ir 22881, 96:05, .N240, % 1983103. 5. 0 ae, 7.886, Die 6 0 RBB, 106, 5. 240‘ 2 TBIT BUT 5 6 48 FE TBSA A378, SS, lBeR DR ae, ». "1838. 146 , ...A° gg ie "1839.26 „2 4% „2862. 162 Seit. 8°. nebstı 80 15T’. A, 6 „ Abhandl, 416 S. „ 184188: 4, „1863, 156 ‚Seiten. 8°. ’ | h „',.1842..226 „ 4°, „ . . 1864.-266 Seiten. 8°, nebst i E8% h BT ER, par VE >» ‚Abhandl. 266 S, 4.1884. XLI 0.402 Ma 1:77 1977 er „1865, 218 Beit, 8°. nebst. "n. „1885, XVIu.448 „. 1845. 165 4°. nebst Abhandl. 69 $S, » ae . E ' a meleorol. Beob. „ „1866. 267 Sei er nebst - - ,„.. 1886; PR u Ba 846.- 320 Seit, 4°, mebst Abhändl. 90 $,:. „ . ..n.Erz-He 3 4 41.8, meteorol, Beob. „1867. 278 Seit, 8°. nebst „1887. Xi. u. All Sen, ® „. 1847. 404 Seit. 40, nebst Äbhandl. 191 8, „. 1888. XX u! BULLS -, 44 S, meteorol. Beob, „» . 1868. 300. Seit...8°." nebst.) u 4, 1889, MN: u.287,Se : „ 1848, 248:Seiten, 4°, Abhandl. 447 8. h a y ro ÜAtitslieder- Verzeichniss in 8%-von 1805 und ‚it 1810 alle zwei ‚Jahre erschiönen. Dr f ug 5 Fir ae de. Et | Air u 1 \ " FY % ke 7. er Kr 11; % 11 I 2.4 . . - \ \ ” » > on . .. = m En a en v » N Eee EN = nd - un A is ei.‘ d z & na POOBEeR tn . ru x nn RAN En PERLE EUREN ns PN N . . art ee Te IE EEE ERTL rs N ; ee RT TEIEIDRE NEN nr ER ern eh meter en v . ur . > nern .. ee i — j E E mn - - m Dr >. B vun. un. ir £ en . R - . vo eo N: An ne — 4 aan ars ri > ve - 4 a w. ah er. Br . en . Er re ee an ie BL me nee . - - P a, ”