HARVARD UNIVERSITY.

LIBRARY

OF THE

MUSEUM OF COMPARATIVE ZOÖLOGY.

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J ahres-Bericht

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den Generalbericht über die Arbeiten und Veränderungen = er N >= : ‚der. ‚Gesellschaft ;

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A Hierzu ein Ergänzungsheft bibliographischen Inhalts.

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Siebzigster

Jahres-Bericht

der

chlesischen Gesellschaft

für vaterländische Gultur.

BEntha,rt

den (eneralbericht über die Arbeiten und Veränderungen der Gesellschaft

im Jahre 1898.

Hierzu ein Ergänzungsheft bibliographischen Inhalts.

Breslau. G. P. Aderholz’ Buchhandlung. 1893.

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Inhalt des 70. Jahres- Berichtes.

Allgemeiner Bericht

über die Verhältnisse und die Wirksamkeit der Gesellschaft im Jahre 1892,

abgestattet vom General-Secretair, Geh. Regierungsrath Diekhuth... Barrelit DDer 'uie BIDlLotmeRrt er. na en N AT NE N Bertchie übererlier Herbanien. 2.02. zu 000 ran Ben ae are ehe ae ho Bericht über die Kassenverwaltung im Jahre 1892...........e.e.ece2eccnns

Verzeichniss der Gesellschaften ete.,, mit denen die Schlesische Gesellschaft

0 Schrmtenaustauseh- stehts... in len. Sea I

Wanderversammlung zu Jauer am 26. Jam 1892. „mn en Wissenschaftliche Vorträge, gehalten auf der Wanderversammlung zu Jauer: Chun, C.: Ueber die pelagische Thierwelt in grossen Meerestiefen .... Cohn, Herm.: Demonstration einiger Apparate für die Hygiene des

Gerward: Weber. die Räteriauna der Hessberge... u... .. 202. 2... Gürich: Ueber den geologischen Bau der Berge bei Jauer.......... Neisser: Ueber die sogenannten „Psorospermosen“ der Haut ........ Schröter: Ueber angeblich giftige Johannis- und Stachelbeeren..... Rosenfeld: Ueber die Aetiologie des Diabetes mellitus..........-.:. Röhmann: Ueber die diastatische Wirkung des Blutes. .-..........

I. Medieinische Abtheilung.

Sitzungen der medicinischen Section.

Adler: Ein Fall von traumatischer Halbseitenläsion im Halsmark ......... Asch, R.: Ueber die operative Behandlung der Salpingo-Oophoritis ....... Beine rUeBer Syria semawelle.. 2.un u. DER EN ERMIRENRER DPD. Born: Bericht über die Sitzung der 5 Secretaire der medicinischen Section.

Seite

1 2 8 8

IV Inhalts -Verzeichniss.

Brieger: Zur Pathologie und Therapie der Sinusthrombose bei Mittelohr- S eItETUNBEN- Aa aaa ee en ee te De ee Een 26 Fränkel: Aseptische Geburtshilfe oder geburtshilfliche Antiseptik? ........ 27 Demonstration eines Präparats von Ovarialcareinom ..........:...0.. 60 Fritsch. Weber. Ventrohxation - ....0.4: 2 22 02er ee ee Hecke: Ueber die operative Freilegung der Paukenhöhle behufs Heilung von chronischen Eiterungen ete. .....:..,.... ee ee ERSERUEN 46 Henle: Ueber einen, Fall von Tumor,am Hals...» - . - „2... 2.e 2. „mn 50 Hirt: Ueber eine an einer Dorfschule (Gross-Tinz) beobachtete Epidemie von hysterischen Krampfen - 2.37.02... abe ae Se A 96 Hürthle: Ueber die Erklärung des Cardiogramms mit Hilfe der Herztöne und über eine Methode zur mechanischen Registrirung der Töne..... 59 Jacob: Die Beziehungen der arbeitenden Muskeln zum Herzen ............ 583 Martin, E.: Vorstellung eines Falles von Tumorbildung in einer über- zähligen Brustdrüse und Demonstration eines wegen Tuberculose resecirten. CHecuMmS .- „un Lens ran ae 51 Mikulicz: Der heutige Stand der Kropfbehandlung...-- 2.2... nr... .00zs 21 Müller :- Deber Teterus.n "2.2: „esse een ae Sr ne ee 1 Neisser: Deber lichen serophulosorum 7 2..- u... 2. 0% Sue ann ee 20 Riegner: Ueber einen Fall von Resection beider Oberkiefer wegen Enchon- Ürommsr. a ee U EEE 2 6 Ueber einen Fall von Exstirpation der traumatisch zerrissenen Milz... 61 Schmidt, Ad.: Demonstration mikroskopischer Präparate................. 14 Silbermann: Carbolsäurevergiftung bei Säuglingen............... ....... 23 Simm: Ein Fall.yon Addisonscher Krankheit... -.. ap u... . 2 25 42 Sitzungen der Section für öffentliche Gesundheitspflege. Bender: Deber.die Cholera rer. 2 un a. a .. AO Bienk 0: Veber die Cholera Bpzer u R 103. 106 Bitter: Ueber die Cholera ..... REN ET EL EEE TE EEE 98 Cohn, Herm.: Ueber die Augen“der Müsiker.-...7..:... u. see 93 Flügge: Eine Kritik der bisherigen prophylaktischen Maassnahmen gegen die »Chalera.. u... 2. Sr De ee RR eye el 2 SS 112 9ac0b1: Weber die Cholera 2.7 2: 200. 0. 00 ee ee ee a 101 Kayser: Ueber die (Cholera. 22... He 20 an a RE 111 Ponfick: Deber die Lholerass.r.2- usb: 30 were 96 1. Naturwissenschaftliche Abtheilung. Sitzungen der naturwissenschaftlichen Section. Althans, Deher..die nordische Eiszeit. „„n.aA 0. ana ee 1i

Ueber die Beziehungen der Basalte in den Vorbergen des Isergebirges

ZU Z Eee Be ee ee RE te 19

Inhalts - Verzeichniss,

Althans: Ueber einen Quarzkantner aus dem Katzengebirge .............. Ueber die für die Weltausstellung von Chicago von dem hiesigen Königl. Oberbergamte: gelieferten Beiträge »rr...... nn el Hop. Galle: Allgemeine Uebersicht der meteorologischen Beobachtungen auf der Königl. Universitäts-Sternwarte zu Breslau im Jahre 1892............ Gürich: Ueber die quartäre Säugethierfauna von Venezuela und über nordamerikanisches Mastodentenn ta. na ei arlolbr Ueber Monograptus priodon und’ über Silur und Devon des polnischen

N RES LEN ER Se NLA ORTE BR IRENER N RESERTERRERICEIRR: = 7,871 Ueber ein neues Vorkommen von Lias und oberen Jura auf der Insel Rotti bei Timor und über diluviale Knochen von Münsterberg ....... Ueber neuere Pubicationen zur Geologie Schlesiens ................. Kunisch: Ueber neue Beiträge zur paläontologischen Kenntniss des ober- Sehlesisehem‘ Muschelkalkes 11H. il. la nanms is. oral} >5% Kadenburg. Ueber. das, Hyosan.: . Aserlaaı ed -andaa HT oderrusblo} : Ueber das Isoconiin und den asymmetrischen Stickstoff ......... SIR? Meyer, 0. : Weber. den Drebstrom. .....02....-.24..22.22.22 2 :H6HroKa Michael: Veber; Genomap und. Turonrbei, Cudowa =. 442107 .- 22. %25% Mille Weber. Verrugand: ........-:...0.22 hl Alerniligerashssu 1adsll Tl Poleck: Ueber die Haltbarkeit von Kaliumpermanganatlösungen .........- Mittheilungen der Resultate einiger wissenschaftlichen Arbeiten des pharwseeutischen, Tnstitutscalas A: 35% anrmeidlsstsdtt ih ad -I>r Ueber eiue neue krystallisirte Eisen-Wolfram - Legirung ............-. Raciborski: Ueber ein neues fossiles Lebermoos ...........:. 2... 2... Runge: Mineralegische, Mittheilungen....... 1... 3Prupf nor Hart - Schiff: Ueber die theoretischen Vorstellungen der Chemiker des 13. Jahr- Va re N SE ER RE VATER N —t Ueber ein Vorkommen von Gyps-Krystallen in der Nähe der Stadt Posen v. Trautschold: Ueber die Bewegungen des Erdoceans während der SEOlOBISChHeN: Perioden. re. ame ae: arten are re a ee eg Wolffenstein: Ueber die Einwirkung des Wasserstoffsuperoxyds auf

TEN N RE EEE u Sn 2 2 ee ee

Sitzungen der botanischen Section.

Auerbach: Ueber den Gang und die Resultate seiner auf die Ermittelung tinctioneller Differenzen in den Zellkernen höherer Thiere gerichteten ÜBiessrenumsene a m a een ee en ehe

Cohn, Ferd.: Das Herbar von Georg Rudolph, Herzog in Schlesien zu Liegnitz und Brieg, aus dem, Jahn 1612 12.2000. Hi ante ash

Demonstration von 2 Stammabschnitten des westindischen Spitzenbaums

40

1

49

60

VI Inhalts - Verzeichniss.

Cohn, Ferd.: Ueber das projectirte Beinert-Denkmal zu Charlottenbrunn... Ueber Entstehung von Kalk- und Kieselgestein durch Vermittelung von Algen. »xa.: nun» v2 DREH E Bari OEE RR aa au:

Demonstration von Zweigen der Buche mit rothen, gezähnten Blättern Fiek & Schube: Ergebnisse der Durchforschung der schlesischen Phane- rögßarhenflor&: imidahre 4899 an. alla „nern aba yuie Gerhardt: Poa Figerti (nemoralis X compressa) nov. hybr. .............. Prantl: Ueber das System der Monocotyledonen, insbesondere die Gruppe Harınasaec nr nn DER En me se ee Be en BO Priemer: Untersuchungen über die Anatomie der Ulmaceen .............. Rosen: Ueber die chromatischen Eigenschaften der Nucleolen und der Sexualzellkerne beiden Tdliaceen:s.). 2:2. var 2. Sir

‚Weber Versuche: mit Topfpflänken un. nur nn. ea. Runge: Ueber ein neues Vorkommen der Stigmaria ficoides auf der Stein- kohlengrube..Piesberg bei, Osnabrück ; . .,. 2.1.1043. Kl. HIER RE Schottländer: Ueber histologische Untersuchungen über Sexualzellen bei Kryptogamen. ne van sa 5 ns TRADE Schröder, Br.: Vorläufige Mittheilung neuer schlesischer Algenfunde ..... Schröter: Ueber südamerikanische.Pilza 2... .. =... .DORENENE RER Ueber einen in der Nähe von Grünberg gewachsenen Polyporus TORUBSUS:H BARRIERE OR AH AERO IE Stenzel: Ueber die Artberechtigung von Asplenium germanicum Weis..... Ueber einige Bildungsabweichungen.............22.2c0ceneneeenennn v Trautschold: Sammlung getrockneter Pflanzen von Abazzia (Istrien) .. —. "Pflanzen von Tarvis «na. ARTEN RE BEE DIRTHE E

Sitzungen der Section für Obst- und Gartenbau.

Schröter: Ueber eine Reise des Herın E. Frank nach den Azoren und der Küste yon Marokko; 7... ee al ee a Schütze: Ueber die Chrysanthemum-Ausstellung in Liegnitz............... Sutter: Vorschläge zur zweckmässigen Bepflanzung unserer Strassen in DEHIESIEN wu ae nl a ee RS ER NE

Seite 75

77 84

84 54

82 65

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48 67 97

13 45 65 s0 S1

110 131

III. Historiseh-staatswissenschaftiche Abtheilung.

Sitzungen der Section für Staats- und Rechtswissenschaft.

Elster: Ueber die Neuordnung der Gewerbe-Inspection in Preussen........ Eras: Ueber Gesellschaften mit beschränkter Haftung. ..........c.2.......

Grünhagen: Ueber die Steuerverhältnisse Schlesiens vor hundert Jahren. .

Inhalts - Verzeichniss.

Keil: Ueber Schwierigkeiten bei dem Inkrafttreten der Landgemeinde-Ordnung Ueber das Termin- und Differenzgeschäft an der Börse.............. Schmidt:’Ueber die Arbeiterwohnungsfrage. ..imerre.. essen Wagner: Ueber die statistischen Grundlagen und Ergebnisse des Invaliditäts- und" Altersversicherungsgeseizen. nme nee ana man

Sitzungen der historischen Section.

Reimann: Ueber den Ausbruch des Krieges zwischen Russland und der Pfortegime Jahre 1782: 2... Hr a 2 1} EN ER IN ER Katharina Il. und Joseph II. im Bunde gegen die Türken 1788.......

Nekrologe

auf die im Jahre 1892 verstorbenen Mitglieder.......

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schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur,

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do. Jahresbericht. Allgemeiner Bericht. 1892.

Allgemeiner Bericht über die Verhältnisse und die Wirksamkeit der Gesellschaft im Jahre 1892 abgestattet

in der allgemeinen Versammlung am 5. December 1892 von

Dickhuth, Geh. Regierungsrath,

z. Z, General-Secretair,

In der am 2. Januar 1892 unter dem Vorsitze ihres Präses, Herrn Geheimen Medicinalraths Professor Dr. Heidenhain, abgehaltenen ordentlichen Generalversammlung der Schlesischen Gesellschaft für vater- ländische Cultur wurde zunächst der im Laufe des verflossenen Jahres verstorbenen Mitglieder gedacht, und die Versammlung erhob sich zu Ehren der Verewigten. Darauf erstattete der Präses in Vertretung des General-Secretairs den Verwaltungsbericht für das Jahr 1891. Von der Mittheilung des Etats für die Verwaltungsperiode 1892/93 musste abge- sehen werden, weil in Folge des erst kürzlich erfolgten Todes des bis- herigen Schatzmeisters, Herrn Commerzienrath F.W. Rosenbaum, und der noch ausstehenden Neuwahl eines Schatzmeisters die vollständige Aufstellung des Etats nicht zu ermöglichen war; dafür gab der Präses im Allgemeinen eine Uebersicht der Finanzlage der Gesellschaft.

Hierauf erfolgte die Wahl der 15 Mitglieder des Directorii der Ge- sellschaft für die Verwaltungszeit 1892/93; es wurden statutengemäss zu Directoren gewählt die Herren:

1. Geheimer Medieinalrath Professor Dr. Heidenhain, . Geheimer Medicinalrath Professor Dr. Biermer, . Bürgermeister Dickhuth, Geheimer Regierungsrath Professor Dr. Poleck, . Kaufmann und Fabrikbesitzer Max Wiskott, . Geheimer Regierungsrath Professor Dr. Ferd. Cohn, . Geheimer Medicinalrath Professor Dr. Förster, . Geheimer Medieinalrath Professor Dr. Fritsch, . Geheimer Archivrath Professor Dr. Grünhagen,

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) Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

10. Staatsanwalt Dr. jur. Keil,

11. Ober-Regierungsrath a. D. Schmidt,

12. Domprobst Professor Dr. Kayser,

13. Geheimer Commerzienrath Leopold Schöller,

14. Generalmajor z. D. Weber und

15. Geheimer Regierungsrath Professor Dr. Ladenburg.

In der sich anschliessenden Directorialsitzung wählten die Herren Direetoren in den vollziehenden Ausschuss für die neue Verwaltungs- periode die Herren:

1. Geheimen Medieinalrath Prof. Dr. Heidenhain als Präses,

2. Geheimen Mediecinalrath Prof. Dr. Biermer als Vicepräses,

3. Bürgermeister Diekhuth zum ersten Generalsecretair,

4. Geheimen Regierungsrath Professor Dr. Poleck zum zweiten General-Secretair und

5. Kaufmann und Fabrikbesitzer Max Wiskott zum Schatzmeister.

Einen schweren Verlust erlitt die Gesellschaft und insbesondere auch deren Präsidium durch den am 25. Juni erfolgten Tod des Vice- präses, Herrn Geheimen Mediecinalraths Professor Dr. Biermer.

An seine Stelle wurde in der Präsidial-Versammlung vom 10. October 1892 Herr Oberbürgermeister Bender zuerst zum Mitgliede des Direetorii und darauf in der sich anschliessenden Directorialsitzung zum Vicepräses der Gesellschaft gewählt. In derselben Sitzung erfolgte auch die Wahl des Herrn Banquier Albert Holz zum Rechnungsrevisor der Gesell- schaft, welches Ehrenamt Herr Geheimer Regierungsrath Professor Dr. Galle vor langen Jahren gütigst übernommen hatte, wofür ihm hier seitens der Gesellschaft der wärmste Dank ausgesprochen sei.

Durch den Tod verlor die Gesellschaft im verflossenen Jahre

von einheimischen Mitgliedern die Herren:

. Geheimer Medicinalrath Professor Dr. Biermer, . Stadtrichter a. D. Friedländer,

. Dr. med. Paul Lion,

. Geheimer Bergrath von Tschepe und

. Geheimer Regierungsrath Martins;

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von auswärtigen Mitgliedern die Herren:

l. Dr. med. Fellsmann, Dittmannsdorf,

2. Oberbürgermeister von Forckenbeck, Berlin,

3. Geheimer Sanitätsrath Dr. Krause, Liegnitz, und

4. Geheimer Sanitätsrath Dr. Schirmer, Grünberg i. Schl.

Ausgeschieden sind in diesem Jahre 1 einheimisches Mitglied und 6 auswärtige Mitglieder.

Allgemeiner Bericht.

Dagegen sind im Jahre 1892 aufgenommen worden

als wirkliche einheimische Mitglieder die Herren:

. Dr. phil, Julius Abel,

. Dr. med. Arthur Adler,

. Privatdocent Dr. phil. Felix Ahrens,

. Dr. phil. Hans Alexander,

. Kaufmann Reinhold Auras,

. Geheimer Justizrath Biernacki,

„Dr. med. Oskar Brieger,

. Rentier Louis Burgfeld,

„Dr. med, 8. Creutizberger,

. Kaufmann J. Ehrlich,

. Dr. med. Adolf Goldstein,

. Kaufmann A. Goldstein,

. Kaufmann J. Goldstein,

. Oberstabsarzt Dr. Gellner,

. Generallandschafts-Syndikns Grützner,

. Mathematiker A. Hartmann,

. Apotheker V. Hellmann,

. Privatdocent Dr. med. Hürthle,

. Primärarzt Dr. Jadassohn,

. Direetor der med. Klinik Professor Dr. Kast, 21. 22. 23. . Generalarzt Dr. Kirchner,

. Dr. med. Georg Kobrak,

. Staatsanwalt Koblisk,

. Oberstabsarzt Dr. Küntzel,

iDrämed. ‚Walter Kruse;

. Dr. med. Paul Landsberg,

. prakt. Stenograph Max Langer,

. Dre) med. Lasker,

. Dr. med. Felix Loewenhardt,

. Oberstabsarzt und Garnisonarzt von Breslau Dr. Meilly, . Wirklicher Geheimer Bergrath Meitzen,

. Berghauptmann H. Pinno,

. Dr. phil. Gotthold Prausnitz,

. Fabrikbesitzer Dr. phil. Prommnitz,

. Badearzt Dr. med. J. Rosenthal,

. Regierungsrath Rüdiger von Haugwitz,

. Stadtrath E. Sachs,

. Apotheker H, Sachs,

Dr. phil. Georg Karau, Geheimer Baurath Fr. Keil, Stabsarzt Dr. Kiesewalter,

1*

4 | Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

42. Dr. phil. Georg Schneidemühl, 43. Dr. phil. P. Schottländer,

44. Oberstabs- und Regimentsarzt Dr. Schulte, 45. Obergärtner J. Schütze,

46. Kaufmann Hugo Schweitzer,

47. Partikulier Simon Schweitzer, 48. Königl. Oekonomierath Stoll,

49. Dr. med. Friedrich Weinhold, 0. Dr. med. M. Wertker,

5l. Redacteur Wittschewsky,

52. Professor Dr. F. Wohltmann,

53. Dr. phil. Richard Wolffenstein, 54, Dr. phil. Conrad Wutke;

als wirkliche auswärtige Mitglieder die Herren: 1. Lieutenant und Rittergutsbesitzer Creydt, Jauer, 2. Sanitätsrath und Stabsarzt der Landwehr Dr. Dorn, Jauer, 3. Dr. med. Fröhlich, Jauer, 4. Ober-Regierungsrath von Gräbenschütz, Liegnitz, 5. Dr. med. Günter, Jauer, 6. Guercke, Stadtrath und Buchhändler, Jauer, 7. Dr. Georg Hasse, Saarau, 8. Director Dr. Arnold Heintz, Saarau, 9. Dr. med. Herrnstadt, Reichenbach i. E., 10. Direetor Kepp, Zuckersiederei Alt-Jauer, 11. Banquier O. Knapp, Jauer, 12. Rechtsanwalt Kühn, Jauer, 13. Bürgermeister Lindemann, Jauer, 14. Stadtrath und Kaufmann Mager, Jauer, 15. Prorector und Professor Dr. Münscher, Jauer, 16. Professor Dr. Noss, Jauer, 17. Apotheker Arthur Presting, Domslau, 18. Landschafts-Syndieus Pritsch, Jauer, 19. Dr, med. Rieger, Brieg, 20. Dr. med. Schmidt, Jauer, 21. Lehrer Scholtz II, Jauer, 22. Dr. med. Paul Schüller, Domslau, 23. Dr. med. Tornier, Obernigk und 24. Dr. med. et phil. Traube, Berlin, Die Gesellschaft zählt mithin: 343 wirkliche einheimische Mitglieder, 151 wirkliche auswärtige Mitglieder, 30 Ehrenmitglieder und 143 correspondirende Mitglieder,

Allgemeiner Bericht. h)

Die Section für Obst- und Gartenbau besteht für sich aus 152 Mit- gliedern.

Dieser unserer Section ist auch im Jahre 1892 seitens des Pro- vinzial-Landtages der Provinz Schlesien eine Unterstützung von 1650 Mark gewährt worden, wofür wir unseren Dank auch an dieser Stelle aussprechen,

Im Laufe des Jahres 1892 haben stattgefunden: 4 Präsidial- und 3 Directorial-Sitzungen, 2 ordentliche und 1 ausserordentliche General- Versammlung, eine Wanderversammlung und 3 allgemeine Versamm- lungen.

In der Präsidial-Sitzung am 22. April d. J. macht der Präses die erfreuliche Mittheilung, der Ausschuss der Provinzial-Verwaltung von Schlesien habe das Directorium der Schlesischen Gesellschaft benach- richtigt, dass der Provinzial-Ausschuss aus dem Dispositionsfonds vom 1. April 1892 bis dahin 1893 der Schlesischen Gesellschaft eine Unter- stützung von 3000 Mark bewilligt und in sichere Aussicht stellt, die Summe als ständigen Betrag in den Etat der Provinz aufzunehmen, dabei die Erwartung ausspricht, dass die Höhe der Mitgliederbeiträge ermässigt werde.

Infolgedessen hat die am 10. Mai d. J. stattgefundene ausserordent- liche General-Versammlung beschlossen: den jährlichen Beitrag für ein- heimische Mitglieder von 18 Mark auf 10 Mark herabzusetzen und diese Herabsetzung schon zum 1, Juli d. J. eintreten zu lassen. Dieser Beschluss wurde unterm 30. Juli 1892 (O0. P. L. 6245) durch den Oberpräsidenten der Provinz Schlesien bestätigt und Absatz 3 $ 4 des Statuts vom 11. November 1878 dahin abgeändert:

„Der Aufgenommene übernimmt die Verpflichtung, einen fortlaufenden jährlichen Beitrag, sofern er in Breslau wohnt, von 10 Mark, sofern er nicht in Breslau wohnt, von 6 Mark zu entrichten, welcher Beitrag auch im Falle des Ausscheidens, jedenfalls für die dann laufende Etatsperiode zu zahlen ist,“

In der Präsidial-Sitzung vom 7. März 1892 wurde auf das vom 26. Februar d,. J. datirte Schreiben des Vereins christlicher Kaufleute; des Besitzers der von der Schlesischen Gesellschaft gemietheten Räume, beschlossen, fortan auf den nach dem Rossplatz gelegenen Theil der Räume zu verzichten und die bisherige Gesammtmiethe von 1800 Mark weiter für den nach dem Blücherplatz und dem Hofe gelegenen Theil der früheren Räume allein zu zahlen. Weiter wurde beschlossen, die der Gesellschaft gehörenden Mineralien- und Conchylien-Sammlungen in Folge der jetzigen Raumbeschränkung zu verkaufen, was bereits er- folgt ist,

6 Jahresbericht der Schles, Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Die allgemeine Wanderversammlung der Schlesischen Gesell- schaft fand am 26. Juni zu Jauer statt, damit war ein Ausflug zu Wagen nach der an Naturschönheiten reichen Moisdorfer Schlucht verbunden.

In der Allgemeinen Versammlung

1) am 22. Januar d, J. hielt der Director des städtischen Elek- trieitätswerkes, Herr B. Leitgebel, einen mit Demonstrationen begleiteten Vortrag über die Erzeugung und Vertheilung der Elektrieität in Elektrieitätswerken;

2) am 14. März d. J. hielt Herr Geh. Rath Professor Dr. Laden-

burg einen Vortrag über den chemischen Bau der Materie;

3) am 7. November d. J. sprach Professor Dr. Prantl über die

Jugendformen der Pflanzen;

4) am 5. December d. J. hielt Herr Amtsgerichtsrath Dr. Lunge

einen Vortrag über Siam mit Demonstration siamesischer Objecte.

Das Stiftungsfest der Gesellschaft wird am 17. December d. J. gefeiert und durch einen Vortrag des Herrn Privatdocent Dr. Semrau über die Jugendwerke Michel Angelo’s eingeleitet werden.

Zum Jahresberichte für 1891 (69. Jahresbericht) wurde als Er- gänzungsheft ausgegeben: Professor Dr. J. Partsch, Literatur der Landes- und Volkskunde der Provinz Schlesien, Heft I (92 Seiten).

Die Rechnung der Allgemeinen Kasse für das Jahr 1891 ist durch den Schatzmeister, Herrn Kaufmann und Fabrikbesitzer Max Wiskott, und für die besondere Kasse der Section für Obst- und Gartenbau für 1891 durch Herrn Verlagsbuchhändler Max Müller heut ordnungs- mässig gelegt worden und die genannten Herren wurden nach erfolgter Prüfung durch das Präsidium entlastet.

Ueber die Thätigkeit der einzelnen Sectionen haben die Herren Secretaire berichtet:

Die medieinische Section (Secretaire: Geh. Medicinalrath Professor Dr. Ponfick, Geh. Medieinal- rath Professor Dr. Fritsch, Geh. Mediecinalrath Professor Dr. Mikulicz, Prosector Professor Dr. Born und Privatdocent Dr. Buchwald) hielt im Jahre 1892 14 Sitzungen.

Die Section für Öffentliche Gesundheitspflege (Secretaire: Professor Dr. Flügge, Sanitätsrath und Bezirks- Physikus Dr. Jacobi und Professor Dr. Herm. Cohn)

hielt im Jahre 1892 3 Sitzungen, Die naturwissenschaftliche Section

(Seeretaire: Geh. Regierungsrath Professor Dr. Poleck und Professor Dr. Hintze) hielt im Jahre 1892 8 Sitzungen.

Allgemeiner Bericht. 7

Die botanische Section

(Secretair: Geh. Regierungsrath Professor Dr. Ferdinand Cohn) hielt im Jahre 1892 9 Sitzungen.

Die Section für Staats- und Rechtswissenschaft

(Secretaire: Professor Dr. Elster, Staatsanwalt Dr. jur. Keil, Ober- Regierungsrath a. D. Schmidt und Geh. Commerzienrath Leopold Schöller)

hielt im Jahre 1892 6 Sitzungen.

Die historische Section

(Seceretair: Director Professor Dr. Reimann) hielt im Jahre 1892 3 Sitzungen,

Die Section für Obst- und Gartenbau

(Secretaire: Professor Dr. Prantl, Garten-Inspector Richter) hielt im Jahre 1892 8 Sitzungen.

Bericht über die Bibliothek.

Die im Laufe des Jahres 1892 der Schlesischen Gesellschaft zuge- gangene Literatur setzt sich wie in früheren Jahren zusammen: aus den Gegensendungen der Akademien, Gesellschaften etc, mit denen die Schlesische Gesellschaft in Schriftenaustausch steht, ferner aus Ge- schenken von Behörden und Privatpersonen und aus den von der Buch- handlung Trewendt & Granier hier abgelieferten Schriften des bota- nischen Lesezirkels.

Diese Zugänge zur Bibliothek wurden nach laufenden Nummern gebucht und gemäss dem Vertrage vom 15. Juli 188€ den Vertretern der Königlichen und Universitätsbibliothek an vier Terminen zur Ver- waltung übergeben, nämlich: 1. am 13. Januar 1892 Herrn Custos Dr. von Hagen No. 2381 bis No. 2507,

2. am 27. April 1892 Herrn Custos Dr. Leopold Cohn No. 2508 bis No. 2696,

3. am 19. October 1892 Herrn Custos Dr. Leopold Cohn Nr, 2697 bis No. 2896,

4. am 25. Januar 1893 Herrn Custos Dr. Leopold Cohn Nr. 2897 bis No. 3095.

Im Laufe des Jahres sind dem Schriftenaustausch unserer Gesellschaft neu zugetreten:

8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

1. Akademische Lesehalle in München,

2. Redaction der naturwissenschaftlichen Wochenschrift von Dr. H. Potoni& in Berlin,

3. Gesellschaft zur Förderung Deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Prag,

4, Fauna, Verein Luxemburger Naturfreunde in Luxemburg, und

5. Alterthums-Verein zu Worms,

Breslau, am 5. December 1892. G. Limpricht.

Bericht über die Herbarien der Gesellschaft.

Die Einordnung der Nachträge zu dem Hauptherbar und die Unter- bringung desselben in Kästen wurde in diesem Jahre vollendet; die Zahl der letzteren beträgt nunmehr 450. Ferner sind jetzt die gesammten Gefässkryptogamen des Hauptherbars anfgeklebt; ein Theil derselben befindet sich zur Durchsicht bei Prof, Prantl.

Von andern Benützern der Sammlungen ist noch Rent. Scharlok (Graudenz) zu nennen. Breslau, den 31. December 1892.

Dr. phil. Theodor Schube.

Bericht über die Kassenverwaltung im Jahre 1892.

Zu dem Bestande der Kasse Ende 1891 von 1602,80 Mark traten an Einnahmen im vergangenen Jahre 10 171,60 Mark, wogegen veraus- gabt wurden 11 482,35 Mark, so dass ein Ueberschuss von 292,05 Mark verblieb. Dagegen konnten aus den Erträgen 3000 Mark 31/, procentige Posener Pfandbriefe angeschafft werden. Das Effecten-Conto beläuft sich nunmehr per 1. Januar 1893 auf 48 200 Mark, wogegen sich das Ver- mögen der Gesellschaft um 1689,75 Mark vermehrt hat, mithin im Ganzen 48 492,55 Mark betragend.

Breslau, den 16. Mai 1893.

Max Wiskott, z. Z. Schatzmeister.

Kassen-Abschluss für das Jahr 1892.

Allgemeine Kasse.

Einnahme.

An Bestand aus dem Jahre 1891 .

An Zinsen von Werthpapieren: pro I. Semester . I.

vb) An Zinsen vom Baarbestand bei der städtischen Sparkasse.

An Beiträgen einheimischer Mitglieder: pro I. Semester von 284 Mitgliedern a 9 M.

Il 273 a B) Dress

An Beiträgen auswärtiger Mitglieder: 151 Karten 6 M.

Beitrag vom Provinzial-Ausschuss (jährlich 3000 #) vom 2 92 be-

ginnend, mithin auf °, Jahre Jahres-Beitrag des Magistrats zu Breslau . o Mieths-Beitrag vom Gewerbe-Verein bis 30./6. 92.

5 vom Verein für Geschichte . Zahlung von H. Wagner für die verkaufte Mineraliensammlung . Erlös für diverse alte Gegenstände .

» verkaufte Conchylien.

Aussergewöhnliche Einnahmen:

Zahlung der Aderholz’schen Buchhandlung für 10 Jahresberichte und Ergänzungshefte

Erlös für 1 Exemplar GeneHsehafeschrift

Entschädigung für Heizung und Beleuchtung . Neu erworben:

3000 # 3°, %, Posener Pfandbriefe .

Ist eingekommen

Werth- papiere M

45200

3000

48200

Baar

NM

1602

62

21

11774

a

80

40

Allgemeine Kasse.

Ausgabe.

Für Miethe an den Verein christl. Kaufleute inel, Wassergeld

Honorare und Remunerationen

Gehalt an den Castellan .

Pension an Frau Reisler

Heizung.

Beleuchtung . a Prämie Schlesische Feuerversicherung . Unterhaltung des Mobiliars. . Schreib-Bedürfnisse .

Zeitungs-Inserate .

Druckkosten . ee Anschaffung von Büchern und Journalen . Buchbinder-Arbeiten .

Porto-Auslagen .

Kleine Ausgaben .

Zinsen an Castellan Kreusel für seine hinterlegte Cantion. :

gekaufte nom. 3000 Mark 3'/, %, Posener Pfandbriefe.

Bestand am Schlusse des Jahres 1892. 31, %/%, Oberschl. Eisenb.-Prioritäts-Oblig. Litt. E.

3"), % Prämien-Anleihe . 4 %, Consolidirte Anleihe.

4 %h . 3 Io DD) D

31), %, Sehlesische Pfandbriefe Litt, ande 3 '; % >) Litt. D..

Schlesische Bankvereins-Antheilscheine . Neu erworben: 31), % Posener Pfandbriefe.

Ist verausgabt

48200

Baar

N % |

1860 | 330 | 1200 | 150 | 244 | 50 211 | 80 26 | 44 | 95 31 | 50 189 | 80 3326 | 59 225 | 80 222 | 56 292 | 59 234 | 25 18 | 2874 | 05 292 | 05 11774 | 40

Max Wiskott, z. Z. Schatzmeister der Gesellschaft.

Kassen- Abschluss der Seetion für Obst- und Gartenbau für das Jahr 189.

Fri

nn nn nee m

Effecten Einnahmen. 2 An Vortrag aus Rechnung 1891 19600 Mitglieder-Beiträgen: 29gBeiträgp dür 1892 IE ENEEREIRER REN Garten-Erträgnissen: Verkaufte Baumschul-Artikel . . . .....3174 M 58 % 5 BlumennundGremüse. . 2. 2.22.3602 ,,.407, = Subventionen: Subvention vom Schles. Provinzial-Ausschusse für 1892. . . . = Zinsen: 31, %, v. 1./10. 1891 bis 30./9. 1892 von 3000 AM Oberschl. Prioritäts-Obligationen Litt.E.. . 15 M % 3, °, vom 1,10. 1891 bis 30./9. 1892 von 1800 M Preuss. 3%, %, Consols ... . 6 4%, für 1892 von 5000 A Schlesische Erbe eredit-Pfandbriefe. . . . 200.2, m. 4 %, für 1892 von 3800 M Brousdisches 4 1 Konsolen 2 Da 3, °%) für 1892 von 5000 nn each. CentialBfandbriefe = 0 el 3, % für 1892 von 3000 4 Schlesische Pfandbriefe . . . 105 „u ,„ Zinsen auf Bechnüngehneh der Schles, handsol Bank Va ee, 0138010, = Lesezirkel: 22 Beiträge zum Lesezirkel fir 189%, +. -. -. +. lsah alsihsr ng »„ Verschiedenem: Antheil am Ueberschuss des Obstmarktes im Hienbat- 1892... =... 2 I AM— Rückzahlung des ro za, Nerbendas Schles. Gartenbau-Vereine für in früheren Jahren zu welerhobene Beiträge . . 2... .. Gas 20,,r; > Effecten: Für gekaufte 4 %, Schlesische Bodeneredit-Pfandbriefe . . . . | 2000 21600

Baar M u 4645| 11 5560| Sr 98 1650 | 838 | 10 66| 56 | 20 39

11592 |

Ausgaben,

Für den Garten:

Görtnergehalt, Heizung und Beleuchtung 1670 HM 17 8%

Arbeitslöhne . 2603 02, Ad:

Dunsstoffe . : 405: 5,70

Wildlinge und Beeren 5 439 1 erden

Baulichkeiten und Geräthschaften 400,0, Une

Porti, Steuern, Drucksachen ete.. 1172, 4008 den Lesezirkel:

Colportage . : 2M %

Buchbinderarbeit anal Diner schen : 10 008 >; Insgemein:

Gekaufte 2000 MA 4°, Schlesische Bodeneredit-

Pfandbriefe . 2035 M 65 %& Porti RN sy Inserate . Don Lo 0ER Druckkosten- laıkea., am Jalmesb rich, für 1891 10SMEM 03 #5 Angeschaffte Werke. 6 De Beitrag zum Provinzial-Verband Bahler Car tenbau-

Vereine und zum Deutschen Pomologen-Verein 24 25 Gratis-Sämereien-Vertheilung an Mitglieder . NO Weiterer Vorschuss zu den Kosten der Aus-

stellung Breslau 1892/93 EL nen, Verschiedenes. Damen So,

»„ Bestand im Vortrage: 31%, "% Oberschles. Prioritäts-Obligat. Litt. E.. 300 4 % 3"), %, Preussische Consols 3 1800 ,„ 4 °%, Sehlesische Bodenceredit- Pfandbuiers‘ 5000 ,, 4 %, Preussische Consols ß 3800 3'/, °%, Landschaftliche Central- Pfandbriefe . 5000 ,„ 31, °% Sehlesische Pfandbriefe . 3000

Dr. Schröter, z. Z. Vorsitzender

Effeeten

21600

21600

Max Müller, z. 2. Kassenvorsteher des Verwaltungsvorstandes der Section für Obst- und Gartenbau.

11592

Baar

I Me S.

9752| 52

70

2546 | 91

3185 | 26

Verzeichniss

der Akademien, Vereine u. s. w., mit denen die Schlesische Gesellschaft in Schriftenaustausch steht.

Amerika.

Litterarisches Institut des Staates Arkansas.

American Academy of Arts and Sciences Society of Natural History in Boston.

Museum of Comparative Zoölogy at Harward College in Cambridge, Mass.

Elisha Mitchell Scientifie Society in Chapell Hill, N. C.

American Medical Association in Chicago.

Academia Nacional de Ciencias in Gordoba (Argentinien).

Universität des Staates in Jova City, Jova.

Wiseonsin State Agriculturial Society Wisconsin Academie in Madison.

Royal Society of Canada in Montreal.

Wisconsin Natural History Society in Miiwaukee.

M. A. Conklin, Director of the New-York Zoological-Gardens, New-York.

Connecticut Academy of Arts and Sciences in New-Haven.

American Medical Association Academy of Natural Sciences of Philadelphia American Philosophical Society, Held at Philadelphia.

National-Museum in Rio de Janeiro.

Deutscher wissenschaftlicher Verein in Santiago de Chile.

Surgeon general of the U. St. Army Smithsonian Institution in Washington.

Asien.

Geological Survey of India in Calcutta. College of Medicine, Imperial University, Tokyo, Japan.

Australien. Vietoria Instituts Botanischer Garten Office & Mines Melbourne Vietoria in Melbourne. Portugal. Sociedale Broteriana in Coimbra. Commission des travaux geologiques du Portugal in Lissabon.

10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Italien. Accademia R. delle Scienze dell’ Istituto di Bologna. R. Accademia econ.-agrar. dei Georgofili in Florenz. Societä di Letture e Conversazioni Seientifiche in Genua. R. Istituto Lombardo di Sceienze e Lettere Societä Italiana di Scienze Naturali Societä Crittogamologieca Italiana in Mailand. Societä dei Naturalisti di Modena. Zoologische Station in Neapel. Societä naturali et de oekonomiche in Palermo. Societ& Toscana di Sceienze naturali in Pisa.

R. Accademia dei Lincei Societä Geografica Italiana Istituto Bo- tanico R. Comitato Geologico d’Italia in Rom.

R. Istituto teenico in Udine.

R. Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti L’Ateneo Veneto in Venedig.

Accademia di Agricultura, Commercio ed Arti in Verona.

Frankreich.

Societe des Sciences physiques et naturelles de Bordeaux.

Societe nationale des Sciences naturelles et mathematiques in Cherbourg.

Societe Linneenne de Lyon in Lyon.

Acad&mie des Sciences et Lettres de Montpellier.

Soeiete des Sciences in Nancy.

Soeiete Geologique de France Societe nationale d’horticulture de France in Paris.

Grossbritannien und Irland.

Cambridge Philosophical Society in Cambridge.

Royal Society in Dublin.

Royal Physical Society of Edinbourgh in Edinburg.

Royal Society of London Royal Microscopical Society Society of Arts in London.

Belgien.

Acad&mie Royale de Medecine de Belgique Societe Royale de bo- tanique de Belgique Societ& Royale malacologique de Belgique Königl. Akademie der Wissenschaften Redaction du Journal de Medeeine, de Chirurgie et de Pharmacologie Königl. Sternwarte in Brüssel.

Geologische Gesellschaft Belgiens SocieteE Royale des Sciences in Lüttich.

Allgemeiner Bericht. 11

Holland. Kon. Neederlandsche Akademie v. Wetenschappen in Amsterdam. Soeiete Hollandaise des Sciences Teyler v. d. Hulst Fundation in Harlem. Maatschappy der Neederlandsche Letterkunde Neederland. dierkundige Vereeniging Niederländische botanische Vereinigung in Leiden. Universitäts-Bibliothek in Utrecht.

Luxemburg. Institut R.-G.-D. de Luxembourg: Section des Sciences naturelles et math&matiques Section historigque Section de Botanique Fauna, Verein Luxemburger Naturfreunde in Luxemburg.

Dänemark. Acad&mie Royale Kgl. Universitäts-Bibliothek Kgl. Nordiske Old- skrift Selskab Botaniske Forening Societe Royale des Antiquaires du Nord in Kopenhagen.

Schweden. Kgl. Akademie der Wissenschaften Kgl. Vitterhets historie och anti- quitets Akademie in Stockholm. Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften Kgl. Universitäts-Bibliothek in Upsala. Norwegen. Bergens Museum in Bergen. Kgl. Frederiks Universität Videnskabs Selskabet Norske Nordhavs Expedition in Christiania. Tromsö Museum in Tromsö.

Russland.

Esthnische gelehrte Gesellschaft in Dorpat.

Societas pro Fauna et Flora fennica in Helsingfors.

Societe des naturalistes in Kiew.

Kurländische Gesellschaft für Litteratur und Kunst Lettisch litterarische Gesellschaft in Mitau.

Soeiet& Imperiale des Naturalistes Societ&e Imperiale d’Agriculture in Moskau.

L’Acadömie Imperiale des Sciences Kaiserl. Bibliothek Kaiserl. geographische Gesellschaft Jardin Imperial de Botanique Das geologische Comite des Ministeriums der Reichsdomainen Soeiete Entomologique de Russie in Petersburg.

Naturforschender Verein Gesellschaft für Geschichte und Alterthums- kunde der russischen Ostseeprovinzen in Riga.

12 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Schweiz. Naturforschende Gesellschaft Historische und antiquarische Gesell- schaft in Basel. Schweizerische naturforschende Gesellschaft Historischer Verein des

Kantons Bern in Bern.

Naturforschende Gesellschaft Graubündens in Chur.

Thurgauisch naturforschende Gesellschaft in Frauenfeld.

Naturwissenschaftliche Gesellschaft Historischer Verein in $t. Gallen.

Soeiete d’histoire et d’arch&ologie Schweizerische naturforschende Gesellschaft in Genf.

Historisch-antiquarischer Verein in Schaffhausen.

Universitäts-Bibliothek Naturforschender Verein Die antiquarische Gesellschaft Schweizerische Botanische Gesellschaft in Zürich.

Oesterreich - Ungarn.

Gewerbeschule in Bistritz.

K. K. Mährisch-Schlesische Gesellschaft zur Beförderung des Ackerbaues, der Natur- und Landeskunde Naturforschender Verein Historisch- statistische Section in Brünn.

K. M. Termeszettudomänyi Tarsulat, Budapest.

Historischer Verein für Steiermark Zoologisches Institut der K. K. Universität Naturwissenschaftlicher Verein für Steiermark K. K. Universitäts-Bibliothek Das Joanneum Akademischer Leseverein in Graz.

Siebenbürgischer Verein für Naturwissenschaften Verein für sieben- bürgische Landeskunde in Hermannstadt.

Ferdinandeum für Tirol und Vorarlberg K. K. landwirthschaftlicher Verein für Tirol und Vorarlberg Naturwissenschaftlich-medieinischer Verein in Innsbruck.

Naturhistorisches Landesmuseum von Kärnthen in Klagenfurt.

Medieinisch-naturwissenschaftliche Section des Siebenbürgischen Museums- Vereins Ungarisches Botanisches Jahrbuch vonDr.Kanitz in Klausenburg.

Akademya umiejetnosei Physiographische Section der K. K. gelehrten Gesellschaft in Krakau.

Städtische Archiv-Bibliothek in Kronstadt.

Historischer Verein für Krain Der krainische Musealverein in Laibach.

Nordböhmischer Excursionselub in Böhmisch-Leipa.

Ungarischer Karpathen-Verein in Leutschau.

Verein für Naturkunde in Oesterreich ob der Enns Museum Franeisco- Carolinum in Linz.

Kgl. Böhmische Gesellschaft der Wissenschaften Kgl. Landescultur- rath Oesterreichischer Riesengebirgs-Verein Naturhistorischer Verein „Lotos“ Verein für die Geschichte der Deutschen in

Allgemeiner Bericht. 13

Böhmen K. K. Deutsche Universität Lesehalle der Deutschen Studenten Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Litteratur in Prag.

Verein für Naturkunde in Pressburg.

Gesellschaft für Salzburger Landeskunde in Salzburg.

Societä Adriatica di Scienze naturali Museo eivio di storia naturali in Triest.

K. K. Akademie der Wissenschaften K.K. geologische Reichsanstalt K. K. Hof-Mineralien-Cabinet K. K. naturhistorisches Hofmuseum K.K. Universitäts-Bibliothek K. K, landwirthschaftliche Ge- sellschaft K. K. geographische Gesellschaft K. K. zoologisch- botanische Gesellschaft Oesterreichische Gesellschaft für Meteoro- logie Central-Anstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus Anthropologische Gesellschaft Verein zur Verbreitung naturwissen- schaftlicher Kenntnisse in Wien.

Deutsches Reich.

Aachener Geschichtsverein in Aachen.

Gesellschaft für die gesammten Naturwissenschaften Geschichts- und Alterthumsforschende Gesellschaft des Osterlandes zu Altenburg.

Annaberg-Buchholzer Verein für Naturkunde in Annaberg im Erzgeb.

Historischer Verein für Mittelfranken in Ansbach.

Historischer Verein für Unterfranken in Aschaffenburg.

Naturwissenschaftlicher Verein für Schwaben und Neuburg (a. V.) Historischer Verein für Schwaben und Neuburg in Augsburg.

Naturforschende Gesellschaft Historischer Verein Gewerbeverein in Bamberg.

Historischer Verein für Oberfranken in Bayreuth.

Kgl. Preuss. Akademie der Wissenschaften Universitäts-Bibliothek Geheimes Staatsarchiv Kaiserl. Admiralitätt Hydrographisches Amt der Kaiserl. Admiralität Kgl. Preuss. meteorologisches In- stitut Kgl. Preuss. statistisches Bureau Kgl. Preuss. geodätisches Institut Kgl. Preuss. geologische Landesanstalt und Berg-Akademie Kgl. Museum für Völkerkunde Gesellschaft für naturforschende Freunde Deutsche geologische Gesellschaft Botanischer Verein der Provinz Brandenburg Berliner medieinische Gesellschaft Gesellschaft für Erdkunde Verein für Geschichte der Mark Bran- denburg Verein zur Beförderung des Gartenbaues in den Kgl. Preuss. Staaten Verein für die Geschichte Berlins Juristische Gesellschaft Berlins Verein „Herold“ Physiologische Gesell- schaft Expedition der Naturwissenschaftlichen Rundschau von Dr. W. Sklarek Redaction der naturwissenschaftlichen Wochen- schrift von Dr. H. Potoni& in Berlin.

14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität Naturhistorischer Verein der preussischen Rheinlande, Westfalens und des Regierungs- bezirks Osnabrück Landwirthschaftlicher Verein für Rheinpreussen in Bonn.

Landwirthschaftlicher Verein Historiseher Verein in Brandenburg a. H.

Verein für Naturwissenschaft zu Braunschweig.

Naturwissenschaftlicher Verein Landwirthschaftlicher Verein in Bremen.

Provinzial-Landwirthschafts-Verein in Bremervörde.

Kgl. Universitäts-Sternwarte Universitäts-Bibliothek Verein für schlesische Inseectenkunde Verein für das Museum schlesischer Alterthimer Kaufmännischer Verein Verein für Geschichte und Alterthum Schlesiens Statistisches Amt der Stadt Breslau Kgl. Oberbergamt Schlesischer Forstverein Handelskammer Landwirthschaftlicher Centralverein Gewerbeverein Alter Turn- verein Humboldt-Verein Jüdisch-theologisches Seminar in Breslau.

Centralstelle des landwirthschaftlichen Vereins im Grossherzogthum Baden Naturwissenschaftlicher Verein in Carlsruhe in Baden. Verein für hessische Geschichte und Landeskunde Verein für Natur-

kunde in Gassel.

Verein für Chemnitzer Geschichte Naturwissenschaftliche Gesellschaft Chemnitz.

Naturforschende Gesellschaft —— Hauptverein westpreussischer Landwirthe in Danzig.

Verein für Erdkunde Historischer Verein für das Grossherzogthum Hessen in Darmstadt.

Gesellschaft für Botanik und Gartenbau Naturwissenschaftliche Ge- sellschaft ,‚Isis Oekonomische Gesellschaft im Königreiche Sachsen Verein für Erdkunde Statistisches Bureau des Kgl. Sächsischen Ministeriums des Innern Gesellschaft für Natur- und

Heilkunde in Dresden.

Naturwissenschaftlicher Verein der Rheinpfalz „‚Pollichia“ in Dürkheim.

Verein für Geschichte und Alterthümer der Grafschaft Mansfeld zu Eisleben.

Naturwissenschaftlicher Verein in Elberfeld.

Naturforschende Gesellschaft in Emden.

Kgl. Akademie gemeinnütziger Wissenschaften Verein für Geschichte und Alterthumskunde in Erfurt.

Kgl. bayerische Universitäts-Bibliothek Physikalisch - medieinische Societät in Erlangen. Naturforschende Gesellschaft des Senckenbergischen Institus Verein

für Geschichte und Alterthumskunde Aerztlicher Verein Physi- kalischer Verein in Frankfurt a. M.

Allgemeiner Bericht. 15

Naturwissenschaftlicher Verein des Regierungsbezirks Historischer Verein in Frankfurt a. 0.

Freiberger Alterthumsverein Kgl. Bergakademie in Freiberg i. S.

Grossherzogl. Universität Naturforschende Gesellschaft in Frei- burg i. B.

Verein für Geschichte des Bodensees in Friedrichshafen.

Verein für Naturkunde in Fulda.

Oberhessische Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Giessen.

Naturforschende Gesellschaft Oberlausitz’sche Gesellschaft der Wissen- schaften in 6örlitz.

Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften und der Georg-August-Universität in Göttingen.

Baltisch-landwirthschaftlicher Centralverein Geographische Gesellschaft in Greifswald.

Verein der Freunde der Naturgeschichte in Mecklenburg in Güstrow.

Kaiserl. Leopoldipisch-Carolinische Akademie der Naturforscher Kgl. Universitäts-Bibliothek Verein für Erdkunde Naturwissenschaft- licher Verein für Sachsen und Thüringen in Halle a. 8.

Naturwissenschaftlicher Verein Verein für naturwissenschaftliche Unter- haltung in Hamburg.

Wetterauische Gesellschaft der gesammten Naturkunde in Hanau.

Naturhistorische Gesellschaft Historischer Verein für Niedersachsen Kgl. Landwirthschafts-Gesellschaft in Hannover.

Grossherzogl. Universitäts- Bibliothek Naturhistorisch - medieinischer Verein Historisch-philosophischer Verein in Heidelberg.

Oekonomisch-patriotische Societät der Fürstenthimer Schweidnitz und Jauer in Jauer.

Grossherzogl. Universitäts-Bibliothek Medicinisch-naturwissenschaftliche Gesellschaft Verein für thüringische Geschichte und Alterthums- kunde in Jena.

Kgl. Universitäts- Bibliothek Schleswig-Holstein-Lauenburgische Ge- sellschaft für vaterländische Geschichte Naturwissenschaftlicher Verein für Schleswig-Holstein Schleswig-Holstein-Lauenburgische Gesellschaft für Sammlung und Erhaltung vaterländischer Alterthümer in Kiel.

Kgl. physikalisch-ökonomische Gesellschaft Kgl. Universitäts-Bibliothek in Königsberg i. Ostpr.

Botanischer Verein in Landshut a. Isar.

Kgl. Sächsische Gesellschaft der Wissenschaften Medieinische Gesell- schaft Polytechnische Gesellschaft Naturforschende Gesellschaft Verein für Erdkunde in Leipzig.

Naturhistorisches Museum der Stadt Lübeck.

16 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Naturwissenschaftlicher Verein Museumsverein für das Fürstenthum Lüneburg in Lüneburg.

Naturwissenschaftlicher Verein in Magdeburg.

Mannheimer Verein für Naturkunde in Mannheim.

Kgl. Universitäts-Bibliothek Gesellschaft zur is der ge- sammten Naturwissenschaften in Marburg.

Historischer Verein in Marienwerder Westpr.

Verein für die Geschichte der Stadt Meissen in Meissen.

Kgl. bayerische Akademie der Wissenschaften Gesellschaft für Mor- phologie und Physiologie Historischer Verein für Oberbayern Landwirthschaftlicher Verein in Bayern Akademische Lesehalle in München.

Westfälischer Provinzial- Verein für Wissenschaft und Kunst Kgl. Akademie Verein für Geschichte und Alterthumskunde Westfalens in Münster i. Westf.

Philomathie in Neisse.

Germanisches National-Museum Naturhistorische Gesellschaft Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg in Nürnberg.

Lahnsteiner Alterthumsverein in Oberlahnstein.

Verein für Naturkunde in Offenbach.

Philomatische Gesellschaft in Oppeln.

Naturwissenschaftlicher Verein in Osnabrück.

Historische Gesellschaft für die Provinz Posen in Posen.

Landwirthschaftlicher Verein für die Mark Brandenburg in Potsdam.

Zoologisch-mineralogischer Verein Historischer Verein für die Ober- pfalz in Regensburg.

Grossherzogl. Universitäts-Bibliothek in Rostock.

Verein für Henneberg’sche Geschichte in Schmalkalden.

Grossherzogl. statistisches Bureau Verein für mecklenburgische Ge- schiehte und Alterthumskunde in Schwerin. Botanischer Verein „Irmischia“ Verein zur Beförderung der Land-

wirthschaft in Sondershausen.

Gewerbeverein in $prottau.

Gesellschaft für pommersche Geschichte und Alterthumskunde Ento- mologischer Verein Verein für Erdkunde Polytechnische Ge- sellschaft in Stettin.

Kaiserl. Universitäts-Bibliothek in Strassburg i. E.

Wissenschaftlicher Verein in Striegau.

Kgl. württembergisches statistisches Landesamt Kgl. württem- bergisches Polytechnikum Kgl. württembergische Centralstelle für die Landwirthschaft Verein für vaterländische Naturkunde in Stuttgart.

Copernieus-Verein für Wissenschaft und Kunst in Thorn.

Allgemeiner Bericht. 17

Naturwissenschaftlicher Verein in Trier. Verein für Kunst und Alterthum in Ulm und Oberschwaben in Ulm.

Harzverein für Geschichte und Alterthumskunde Naturwissenschaft- licher Verein des Harzes in Wernigerode. Nassauischer Verein für Naturkunde Verein für nassauische Alter-

thumskunde und Geschichtsforschung in Wiesbaden.

Alterthumsverein zu Worms.

Physikalisch-medieinische Gesellschaft Kgl. bayerische Universitäts- Bibliothek Polytechnischer Centralverein —- Historischer Verein für Franken und Aschaffenburg in Würzburg.

G. Limpricht.

Wanderversammlung

der Schlesisechen Gesellschaft für vaterländische Cultur zu Jauer

Sonntag, den 26. Juni 1892.

Eine erhebliche Zahl von Mitgliedern der Schlesischen Gesellschaft traf Sonntag, den 26. Juni, von Breslau, Schweidnitz, Reichenbach, Liegnitz u. s. f. in Jauer ein, um daselbst die diesjährige Wander- versammlung abzuhalten. Für dieselbe die Vorbereitungen zu treffen, war ein Orts-Comite zusammengetreten, bestehend aus den Herren Stadt- rath Guercke, Apothekenbesitzer Harttung, Kreisphysikus Dr. La Roche, Bürgermeister Lindemann, Professor Dr. Noss, Landschafts- Syndicus Pritsch, Landrath Freiherr von Richthofen und Lehrer Scholtz. Der Unermüdlichkeit und Umsicht, mit welcher die genannten Herren nach allen Seiten hin für die Versammlung gesorgt hatten, dankt diese ihren erfreulichen Verlauf.

Nach einem Gange durch die Stadt und eingenommenem gemein- schaftlichem Frühstück begann im Gesellschaftshause um 12 Uhr die Sitzung, welche der Präses mit einigen Worten des Andenkens an den soeben verstorbenen Kammerherrn von Prittwitz auf Moisdorf er- öffnete. Seit langen Jahren Mitglied der Schlesischen Gesellschaft, hat derselbe für ihre Bestrebungen stets das lebhafteste Interesse bethätigt. Die Anwesenden ehrten den Verblichenen durch Erhebung von ihren Sitzen.

Sodann bewillkommnete Herr Bürgermeister Lindemann die Ge- sellschaft in freundlichster Weise im Namen der städtischen Behörden. Der Präses erwiderte die überaus wohlwollende Ansprache mit Worten des herzlichsten Dankes an die zahlreich anwesenden Bewohner der Stadt sowie an die Mitglieder des Comites, und legte kurz die Ziele der Schlesischen Gesellschaft dar,

„Unsere Gesellschaft hat, gemäss ihrer Stiftungsurkunde, eine doppelte Aufgabe. Sie will den wissenschaftlich interessirten Elementen Breslaus einen Mittelpunkt für ihren wissenschaftlichen Verkehr schaffen. In welchem Umfange dieser Aufgabe genügt wird, dafür legen unsere jährlichen Sitzungsberichte Zeugniss ab,

Wanderversammlung. 19

Aber wir haben noch ein anderes Ziel unverrückt im Auge: die Förderung der Kenntniss von Land und Leuten in unserer Provinz, die wissenschaftliche Durchforschung des schlesischen Heimathlandes in Gegenwart und in Vergangenheit. Auch in dieser Beziehung ist seitens unserer Gesellschaft im Laufe von 9 Jahrzehnten Vielerlei geschehen, was sich in unseren Druckschriften veröffentlicht findet.

Ein systematischer Fortschritt auf dem viel verzweigten Gebiete der Landeskunde setzt die Kenntniss dessen voraus, was bereits auf demselben an Arbeiten und Forschungen nach den verschiedenen Rich- tungen hin vorliegt.

Eine erschöpfende Uebersicht über die Literatur der Landeskunde war ihrer weiten Zerstreuung wegen bisher schwer zu erreichen,

Um hier günstigere Bedingungen für die Arbeit zu schaffen, hat die Schlesische Gesellschaft mit Freude ihre bescheidenen Mittel zur Dis- position gestellt. Sie hat die Kosten für die Herausgabe eines voll- ständigen Verzeichnisses der Literatur der schlesischen Landeskunde übernommen, dessen Zusammenstellung Herr Professor Partsch mit ausserordentlichem Aufwande an Zeit und Mühe besorgt hat. Dieses für die Zwecke provinzieller Forschung unentbehrliche Hilfswerk nimmt einen ungeahnten Umfang an. Soeben ist als Ergänzungsheft zu unserem Jahresberichte der erste Theil erschienen, welchen ich dem Orts-Comite zu überreichen die Ehre habe. Zwei andere Theile werden in den nächsten beiden Jahren folgen.

Werfen Sie einen Blick in dieses erste Heft, so werden Sie darüber erstaunen, was in Schlesien bereits an landeskundlicher Literatur vor- handen ist. Nimmt doch allein die Aufzählung der Schriften über die Oder volle 7 Seiten ein.

Bei der Abfassung des mühevollen Werkes hat Herr Professor Partsch wesentliche Unterstützung erfahren theils durch Breslauer Ge- lehrte (namentlich durch Herrn Professor Markgraf, Herrn Custos Dr. Wendt), theils aber auch durch Forscher in der Provinz: durch Herrn Seminardirector Dr. Volkmer in Habelschwerdt, durch die Herren Dr. Scholz, Dr. Regell und Oberstlieutenant Mitschke zu Hirschberg.

Auf Unterstützung durch landeskundige Männer in der Provinz sind wir bei unseren Arbeiten vielfach angewiesen. Um sie uns zu sichern, um dafür Freunde zu werben, suchen wir bei unseren Wander- versammlungen Verbindungen anzuknüpfen. Lassen Sie, meine Herren, mich hoffen, dass, wenn wir gelegentlich auch in Ihrem Kreise mit der Bitte um Förderung erscheinen, wir nicht vergeblich an die Thür klopfen, sondern ebenso freundliche Aufnahme finden, wie an dem heutigen Tage.

Ich kann nicht schliessen, ohne in dem weiteren Kreise der heutigen Versammlung dankbar der hohen Provinzialverwaltung zu gedenken,

2%

20 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

welche uns durch ihre Liberalität eine wichtige Reform in unserer Ver- waltung ermöglicht hat.“

Nunmehr ceonstituirte sich das Tagespräsidium; Herr Bürgermeister Lindemann übernahm den Vorsitz, die Herren Apotheker Harttung und Professor Noss von Jauer, Oberbürgermeister Bender und Geh. Rath Professor F. Cohn von Breslau fungirten als Beisitzer, die Herren Dr. Jadassohn und Dr. Kunisch als Schriftführer. Die wissenschaft- liche Sitzung währte bis 2 Uhr. (Die Vorträge s. unten.)

Nach Schluss derselben begab die Versammlung sich in das festlich seschmückte Concerthaus, dessen geräumiger Festsaal gegen 120 Theil- nehmer zu heiterem Festmahle vereinigte. Bei demselben folgte auf den durch den Präses ausgebrachten Kaiser-Toast ein Trinkspruch auf die Schlesische Gesellschaft, ausgebracht durch Herrn Professor Noss, welchen Geh. Rath Professor F. Cohn mit einem Toaste auf die Stadt Jauer erwiderte. Geh. Rath Professor Poleck widmete dem Comite Worte des Dankes, auf welche Herr Bürgermeister Lindemann ant- wortete, in liebenswürdigster Weise der Bestrebungen der Schlesischen Gesellschaft gedenkend. Ganz besonders trugen zur Erhöhung der Stimmung die von Herrn Professor Noss und von Herrn Öberstabsarzt Dr. Schröter gedichteten Tischlieder bei.

Unmittelbar nach aufgehobener Tafel begab die Gesellschaft sich in 30 von Besitzern der Stadt und Umgegend in liebenswürdigster Weise zur Disposition gestellten Wagen nach Moisdorf, um einen Spaziergang durch den herrlichen Waldgrund nach der Gemskirche anzutreten. Ein vorübergehender Regenschauer war nicht im Stande, die Gemüthlichkeit zu stören, welche sich an dem Rastorte bei einem Trunke frischen Bieres unter den hochragenden Bäumen entwickelte. Auf dem Rück- wege wurde unter der von dem verstorbenen Kammerherrn von Prittwitz gepflanzten „Göppert-Eiche“ des langjährigen, unvergesslichen Leiters der Schlesischen Gesellschaft gedacht, während Breslauer Studirende einen Lorbeerkranz unter dem Gedenkbaume niederlegten.

Wenn der ganze Verlauf der Versammlung als ein nach jeder Richtung hin gelungener gelten darf, so verdankt die Schlesische Gesell- schaft den glücklichen Erfolg wesentlich den unermüdlichen Mitgliedern des Orts-Comites, was bei dem Abschiede auf dem Bahnhofe der Präses der Gesellschaft in kurzen warmen Worten nochmals zum Ausdrucke brachte.

Vorträge.

Herr Professor Carl Chun:

Ueber die pelagische Thierwelt in grossen Meerestiefen.

Die Erkenntniss, dass thatsächlich die Tiefen der Oceane bevölkert sind, ist erst eine Errungenschaft der letzten Jahrzehnte; sie ging aus

Wanderversammlung. 21 dem begreiflichen Bestreben hervor, Aufschluss über irdische Regionen zu erhalten, in welehe nie der Mensch vordringen wird. Wenn kühne Entdeekungsreisende unser geographisches Wissen zu erweitern suchen, so haben wir die Ueberzeugung, dass trotz der sich aufthürmenden Hindernisse es gelingen wird, allmählich eine ausreichende Kenntniss von dem Öberflächenrelief der Erde zu gewinnen. Ganz anders, wenn der Bann vorgefasster Meinungen den Forschungstrieb in unbekannte Regionen lahm legt. Und eine solche vorgefasste Meinung war es, welcher ein talentvoller englischer Zoologe, Eduard Forbes, auf der British Association im Jahre 1841 Ausdruck gab, indem er auf Grund seiner Untersuchungen im Mittelmeer darzulegen suchte, dass unterhalb einer Tiefe von 300 Faden thierisches Leben nicht mehr vorkomme und überhaupt nicht mehr vorkommen könne. Rasch fand seine Ansicht all- gemeinen Beifall, rasch erkaltete das kaum erst grweckte Interesse für Tiefseeforschungen. Und doch war es kein Geringerer als John Ross, der bereits zu Anfang des Jahrhunderts, 1818, auf seiner Polarfahrt in der Baffinsbay aus einer Tiefe von 1000 Faden Schlamm hob, in dem er lebende Schlangensterne (Asterophyton Linckii) nachwies. Sein Fund gerieth aber in Vergessenheit, und es bedurfte der stillen Thätigkeit nordischer Forscher, um allmählich Zweifel an der Forbes’schen Abyssustheorie wachzurufen. Doch noch von einer anderen Seite sollte die Anregung zu Tiefseeforschungen kommen. In den fünfziger Jahren wurde die Legung der transatlantischen Kabel geplant. Eifrig war man bemüht, die Tiefen zu lothen, bevor die Kabel versenkt wurden. Schon bei diesen Vorarbeiten ergaben sich unzweideutige Beweise für die Existenz einer Fauna in Tiefen von mehr als 1000 Faden; noch drastischer mehrten sich die Beweise, als das erste transatlantische Kabel, welches 1858 gelegt wurde, riss und bald darauf dem Sardinien und Algier verbindenden Kabel dasselbe Schicksal widerfuhr. Beide Kabel wurden wieder aufgefischt, auf beiden hatten sich Thiere ange- siedelt. Drei Jahre hatten genügt, dass auf dem mittelländischen Kabel in einer Tiefe von 3600 m Vertreter von 15 Thierarten festsitzend ge- funden wurden. Diese Funde erregten allgemeines Aufsehen. Lehrten sie doch eine Geschmeidigkeit und Anpassungsfähigkeit des thierischen Organismus an Existenzbedingungen kennen, die Alles überbot, was wir bisher von der geographischen Verbreitung thierischer Organismen in anscheinend dem Leben feindlichen Regionen wussten. Die gefeiertsten Biologen, Ehrenberg, Huxley und Milne Edwards, äusserten sich in Gutachten über die Tiefseeproben und stimmten alle darin überein, dass bei systematisch betriebenen Tiefseeforschungen eine neue Welt dem Zoologen sich eröffnen würde, Der richtige Mann, welcher mit umfassendem Wissen und nie versagender Begeisterung die neue Aera inaugurirte, fand sich denn auch bald in dem Edinburger Professor

22 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Wyville Thomson. Angeregt durch die Funde, welche Sars an den Lofoten gemacht hatte, wusste er gemeinsam mit seinem älteren Freunde Carpeuter, dem Vicepräsidenten der Royal Society, es zu erreichen, dass zwei kleinere Marineschiffe zur Verfügung gestellt wurden. Von 1868—1870 wurden eine Reihe von Lothungen und Dretschzügen um das Inselreich, längs der Küste von Spanien und im Mittelmeer aus- geführt. Mit ihnen war der Grund zu unseren neueren Anschauungen gelegt. Nun trat an Stelle der phantastischen Gestalten, mit denen man die Tiefsee bevölkerte, eine Fauna, so üppig, so farbenprächtig und reiz- voll, dass man die Begeisterung begreifen wird, mit der ein Mitglied des Parlamentes auftrat und es als Ehrenpflicht Englands bezeichnete, eine Expedition in grossem Stile auszurüsten, welche die Tiefen der ge- sammten Oceane in den Kreis ihrer Thätigkeit ziehe. Einstimmig wurde der Antrag angenommen. Im December 1872 verliess die Corvette „Challenger“ England mit einem Stabe gewiegter Forscher an Bord unter Leitung von Wyville Thomson; nach fünf Jahren kehrte sie zurück. Was sie leistete, ist eine wissenschaftliche Grossthat, die sich würdig den Ergebnissen der glanzvollsten Expeditionen zur Seite stellt. Die 30 voluminösen Quartbände, in denen bis jetzt die Ergebnisse der Expedition, bearbeitet von Gelehrten aller Nationen, niedergelegt sind, sprechen eine so beredte Sprache, dass für die neue Periode, in welche die Oceanographie und Zoologie eintraten, kein würdigerer Ausgangs- punkt denkbar ist.

Zwei Drittel der Erdoberfläche sind in den beiden letzten Jahr- zehnten uns neu erschlossen, ja geradezu neu entdeckt worden. Niemand hat mit eigenen Augen die unterseeischen Gründe geschaut, und doch sind wir über das Relief des Meeresbodens, über die Beschaffenheit des Tiefseeschlammes, über die chemischen und physikalischen Eigenschaften des Tiefseewassers und vor Allem über die Fauna, welche hier lebt und webt, an manchen Stellen besser orientirt als über die geologische Ge- staltung und über die Organismenwelt grosser Länderstrecken. Wir überzeugen uns, wie allmählich von der Küste her die Thiere in die Tiefe einwanderten; wir verfolgen Schritt für Schritt die Anpassungen, welche an den gewaltigen Druck, an die Dunkelheit und an den Aufent- halt in eisigkalten Regionen erfolgten; wir beobachten neben Arten, welche ihre nächsten Verwandten in oberflächlichen Regionen auf- weisen, auch solche, die man bisher nur als Leitfossilien alter Schichten- complexe kannte. Zum Erstaunen des Zoologen und Paläontologen sind in wundervollem Formenreichthum Glasschwämme und Seelilien lebend in der Tiefe gefunden worden, für deren Existenz nur die Schalenreste paläozoischer Arten Beweise abgeben. Sie haben sich dort unten, wo unter monotonen Existenzbedingungen der Pulsschlag der oberflächlichen Umgestaltungen sich kaum fühlbar macht, aus einer Zeit herübergerettet,

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für die der Geologe freigebig Millionen von Jahren zur Verfügung stellt. Wie ernähren sich nun die Tiefseethiere, wie vermögen sie ihre Beute wahrzunehmen, wie pflanzen sie sich fort? Auf diese Fragen vermögen wir entweder gar nicht oder nur mit Reserve zu antworten. Es ist klar, dass solche Fragen erst dann der Lösung entgegengebracht werden können, wenn wir sicheren Aufschluss über das Vordringen von marinen pflanzlichen Organismen und frei schwimmenden, sogenannten pelagischen Thieren in verticaler Richtung bis zu tieferen Wasserschichten erlangen. Die Gesammtheit dieses an der Oberfläche treibenden organischen Materials wurde von Vietor Hensen als „Plankton“ bezeichnet. Die „Challenger“-Expedition hat gelehrt, dass dem Plankton eine ungeahnte Wichtigkeit für den Aufbau der Erdrinde zukommt. Die Schalenreste der oft mikroskopisch kleinen Organismen rieseln nach dem Absterben der Weichtheile auf den Meeresboden nieder und häufen sich dort im Laufe der Zeit zu hohen Bänken an. Der Meeresboden ist eine riesen- hafte Grabstätte für Alles, was an der Oberfläche lebt und webt. Milliarden von Leichen sickern täglich und stündlich in die Tiefe und gleichzeitig mit ihnen die feinen Schlammpartikel, welche die Flüsse an- schwemmen, der kosmische Staub, vulcanische Asche, die festeren Ge- schiebe, welche von dem Eisberge weit über die arktischen und ant- arktischen Meere zerstreut werden. All dies organische und anorganische Material wird bei dem gewaltigen Druck und vielleicht auch unter thätiger Mitwirkung der im Tiefseewasser reichlicher absorbirten Kohlen- säure zersetzt und metamorphosirt, bis schliesslich der für die grössten Tiefen charakteristische rothe Thon übrig bleibt.

Ueber die Vertheilung der pelagischen Organismen suchte man von zwei Seiten Aufschluss zu erhalten, indem man nämlich einerseits das Quantum organischer Substanz an der Oberfläche des Meeres bestimmte, andererseits über das Vordringen pelagischer Organismen in tiefere Schichten gesicherte Vorstellungen sich verschaffte. Den Bestrebungen, welche darauf hinausgehen, über die Productionskraft der Oberfläche an organischer Substanz Aufschlüsse zu erhalten, gelten vorwiegend die Untersuchungen Victor Hensen’s. An der Hand sinnreicher Apparate, welche im Laufe der Zeit derart vervollkommnet wurden, dass sie mit wünschenswerther Genauigkeit functioniren, hat er nachgewiesen, dass die Gesammtproduction der Ostsee an organischer Substanz im Laufe eines Jahres etwa °/, der Production einer Wiese gleicher Oberfläche ausmacht. Weit geringer stellt sich nach den Ergebnissen der Plankton- Expedition die Production des freien Oceans an organischer Substanz heraus, aber immer noch bedeutend genug, um es begreiflich erscheinen zu lassen, dass die niederrieselnden Skelettmassen im Laufe der Jahr- hunderte sich zu hohen Bänken auf dem Meeresgrunde ansammeln. Einen bedeutenden Procentsatz des schwimmenden Materials machen

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niedere pflanzliche Organismen, nämlich Diatomeen, Algen und chloro- phyliführende Flagellaten aus. Sie bilden die Nahrung der pelagischen Thiere, vor Allem der Urthiere (Protozoen), der Myriaden kleiner Kruster (Copepoden), der schwimmenden Tunicaten und Flimmerlarven. Sie fallen wieder den Quallen, Schwimmpolypen, Würmern, den grösseren Crustaceen, den Mollusken und den Legionen von Fischen zur Beute, bis in immer weiteren Kreisen die organische Substanz in den Giganten der pelagischen Lebewelt, nämlich in den Haien, Walen und Riesen- formen von Tintenfischen aufgespeichert wird. Wie ist nun überhaupt thierisches Leben in Regionen denkbar, in welche nie ein Lichtstrahl hingelangt? Kann sich überhaupt da, wo niedere Pflanzen nicht mehr zu assimiliren vermögen, wo also die „Urnahrung“ fehlt, eine thierische Lebewelt entfalten? Die Experimente über das Vordringen des-Lichtes im Seewasser haben gelehrt, dass in Tiefen von 460—550 Metern empfindliche photographische Platten trotz stundenlanger Exposition nicht mehr vom Lichte angegriffen werden; die Erfahrung zeigt denn auch, dass unterhalb 300—400 Metern festsitzende Pflanzen, nämlich Algen und Florideen, nicht mehr vorkommen. Da nun trotzdem die Tiefseeexpedition eine üppige abyssale Fauna in Tiefen von mehreren Tausenden von Metern nachwiesen, so bleibt nur die eine Annahme übrig, dass es die von der Oberfläche herabrieselnden Organismen sein müssen, welche entweder lebend oder wenigstens noch in geniessbarem Zustande der abyssalen Fauna zur Nahrung dienen. Weit reichlicher müsste indessen die Nahrungsquelle für abyssale 'Thiere fliessen, falls nicht nur die Oberfläche, sondern auch die tieferen Wasserschichten schwimmende Thiere bergen. Bereits auf der „Challenger“-Expedition suchte man der Frage nahe zu treten, ob die tieferen Wasserschichten von schwimmenden Organismen belebt seien. Man versenkte die offenen Schwebnetze in mehrere Tausende von Metern und fand in ihnen pela- gische Thiere, welche an der Oberfläche nie oder nur selten beobachtet wurden. Während einige Forscher sich auf Grund dieser Befunde der Annahme zuneigten, dass es keine Grenze in verticalem Sinne für die Verbreitung von Organismen gebe, so hoben doch andere mit Recht hervor, dass diese erst in der Nähe der Oberfläche in die Netze ge- rathen sein könnten, und dass die Anwendung offener Netze keine sichere Bürgschaft für die Annahme einer pelagischen Tiefseefauna ab- gebe. Man construirte nun selbstthätig wirkende Schliessnetze, die sich auch auf der Plankton-Expedition bewährten. Das wesentlichste und wichtigste der mit dem Schliessnetze gewonnenen Ergebnisse dürfte nun der Nachweis sein, dass die so ungemein zarten pelagischen Thiere die gesammte Wassermasse in verticaler Richtung durchsetzen. Die Plankton- Expedition hat in umfassender Weise die Ergebnisse früherer Unter- suchungen bestätigt und zudem noch den Nachweis erbracht, dass selbst

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Tiefen von 3500 Metern schwimmende thierische Organismen bergen. Allerdings zeigt es sich, dass bei zunehmender Tiefe die Menge nicht nur der einzelnen Individuen, sondern auch der Thierarten erheblich abnimmt. Nur in der Nähe der Continente und grösseren Inseln stauen sich die pelagischen Organismen auch in grösseren Tiefen in beträcht- licher Zahl an,

Die schwebenden Tiefseethiere setzen sich nun einerseits aus Formen zusammen, welche auch an der Oberfläche häufig gefunden werden, andererseits aber aus Arten, die bisher nie oder nur selten in belichteten Regionen beobachtet wurden. Neue Typen von Thierformen sind bis jetzt ebensowenig in tieferen Schichten nachgewiesen worden wie unter den abyssalen festsitzenden Thieren, Viele dieser pelagischen Tiefsee- thiere nehmen indessen durch ihre in der Organisation sich aussprechende Anpassung an das Leben in kalten dunklen Regionen, in denen sie unter dem Drucke von mehreren Hunderten von Atmosphären stehen, be- sonderes Interesse in Anspruch. Oberhalb 1000 Meter wird die Fauna immer reichhaltiger, je näher die Züge der Oberfläche rücken. Was nun zunächst die Ernährung dieser Tiefseeformen anbelangt, so zeigen die Schliessnetzzüge neben lebenden Formen auch in Zersetzung befind- liche, von der Oberfläche niedersickernde Organismen. Sie werden offenbar von vielen nicht räuberisch lebenden Tiefseeformen gefressen, Ja selbst lebende pflanzliche Organismen stehen den Tiefseeformen zur Verfügung. Die Plankton-Expedition wies in Tiefen von 2000 bis 1000 Metern zahlreiche Exemplare einer grünen chlorophyllführenden Alge nach. Immerhin ist in diesen finsteren Regionen vielen räuberisch lebenden Thierformen der Erwerb der Nahrung ausserordentlich er- schwert. Gerade die in grösseren Tiefen immer spärlicher fliessende Nahrungsquelle mag es hauptsächlich bedingen, dass auch eine all- mähliche Abnahme der Individuen- und Artenzahl erfolgt. Denn es ist kaum anzunehmen, dass Individuen, welche einen Druck von 100 Atmo- sphären in etwa 1000 Metern Tiefe zu ertragen im Stande sind, nicht auch einen doppelten oder vierfachen auszuhalten vermöchten. Ebenso- wenig kann die Annahme der Helligkeit und der Temperatur eine Ver- minderung der Zahl in grösseren Tiefen bedingen, da ja in einigen Hunderten von Metern unterhalb der Oberfläche bereits Dunkelheit herrscht und eine Temperatur beobachtet wird, welche bis zu den grössten Tiefen eine nur unwesentliche Abnahme zeigt. Einen deut- liehen Wink für die Schwierigkeit des Nahrungserwerbes giebt die geradezu monströse Ausstattung mancher Tiefseeformen mit Spürorganen, wie sie der Vortragende an Zeichnungen von einigen Crustaceen er- läuterte. So giebt es Arten, die mit enorm verlängerten äusseren Fühlern ausgestattet sind, welche den Körper um das Zehnfache an Länge überbieten. Oft sind sie mit Borsten ausgestattet, deren jede

26 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. einzelne wiederum mit feinen Sinneshärchen besetzt ist. Andere haben gewaltige Raubfüsse, welche mit Scheerenhänden enden. Dass ein Sinnesorgan bei gleichzeitiger Rückbildung sonstiger Orientirungsapparate eine übermächtige Ausbildung erlangt, ist eine dem Zoologen häufig entgegentretende Thatsache. Thatsächlich sind viele pelagische Thier- formen blind, während ihre an der Oberfläche lebenden Verwandten mit wohl entwickelten Augen ausgestattet erscheinen. Dass thatsächlich eine allmähliche Rückbildung der Augen mit der Anpassung an das Leben in der Tiefe Hand in Hand geht, zeigen grosse Familien pelagischer Organismen. Um so auffälliger erscheint aber die Thatsache, dass neben blinden oder mit rudimentären Augen ausgestatteten pelagischen Tiefsee- formen auch solche mit ungewöhnlich grossen und fein eonstruirten Augen auftreten. Gerade die auf den Zeichnungen dargestellten räube- rischen Sergestiden und Schizopoden zeigten Augen von beispiellos hoher und feiner Ausbildung. Es ist das eine Thatsache, welche den ersten Erforschern der auf dem Meeresboden lebenden abyssalen Fauna sofort bei vielen Vertretern der Crustaceen und Fische auffiel. Man war rasch mit der Annahme bei der Hand, dass für unsere Augen nicht wahrnehm- bare grüne oder ultraviolette Strahlen bis auf den Boden des Meeres vordringen und den auf solche Strahlen reagirenden Tiefseeaugen eine Örientirung ermöglichen. Der Physiker ist uns freilich bis jetzt den Beweis, dass unterhalb 500 Metern eine Perception von aus der Ober- fläche vordringenden Strahlen stattfinde, schuldig geblieben. Bevor er nicht mit aller Schärfe geführt wird, bleibt uns nur die Annahme übrig, dass Licht den Tiefseethieren zur Verfügung stehen müsse, welches in der Tiefe erzeugt wird. Die Vorstellung, dass dieses Licht von den Thieren selbst produeirt werde, ist um so ansprechender, als thatsäch- lich eine grosse Zahl, ja, wie wir jetzt behaupten können, die über- wiegende Mehrzahl der Tiefseethiere mit Leuchtorganen ausgestattet ist. Bald phosphoreseirt der ganze Organismus schwach bläulich oder grün- lich, bald strahlen unregelmässig über den Körper verbreitete Drüsen ein intensives Licht aus, bald treten symmetrisch vertheilte Leuchtorgane mit Hohlspiegeln und Pigmentbechern auf, Derartige complieirt ge- staltete, oft auffällig grosse Organe finden sich sowohl bei vielen Tief- seefischen wie bei spaltfüssigen Krebsen direet unterhalb der Augen in Gestalt von Blendlaternen. Wer je die wundervolle Phosphorescenz, welche von den Leuchtorganen der genannten Formen ausstrahlt, mit eigenen Augen geschaut hat, wer sich je an dem magischen Anblick geweidet hat, wenn bei Nacht die von pelagischen Organismen wimmeln- den Netze wie glühende Ballons der Oberfläche nahe kommen der wird nicht daran zweifeln, dass auffällig vergrösserte und fein organi- sirte Augen für Tiefseebewohner von besonderem Werthe sind. Zum Schlusse wies der Redner darauf hin, dass wir noch in den ersten An-

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fängen unserer Kenntnisse über das Getriebe der pelagischen Organismen an der Oberfläche und in den grossen Tiefen stehen; es sei ausser- ordentlich wünschenswerth, dass auch in unserem Vaterlande das Inter- esse für Tiefseeforschungen einen Widerhall in den maassgebenden Kreisen und bei den breiten Schichten des Volkes finden möge, damit wir hinter den anderen Nationen nicht zurückstehen und uns einen Ehrenplatz in der Erforschung jener Regionen sichern, über denen so lange der Schleier des Unzulänglichen und Geheimnissvollen schwebte,

Professor Neisser (Breslau): Ueber die sogenannten ‚„Psorospermosen‘ der Haut.

Im Laienpublikum herrscht schon lange die Vorstellung, dass manche kleine Hautgeschwülste, speciell die bekannten Warzen an den Händen u. 8, w. ansteckender Natur sind; der Nachweis des ansteckenden Agens ist bei diesen noch nicht geglückt, aber in der That spricht sehr viel dafür, dass sie durch Ansteckung erworben werden. Bei anderen Haut- krankheiten aber sind neuerdings Gebilde gefunden worden, die von Vielen als zu den kleinsten Lebewesen, zu den Psorospermien, Gregarinen oder Coceidien gehörig angesehen worden sind. Dieselben sind sehr schwer von den Zellen des menschlichen Epithelgewebes, zwischen denen sie liegen, zu unterscheiden, weil sie keine charakteristische Farben- reaction, wie die Bacterien, geben; auf der anderen Seite sehen sie aber den erwähnten Protozoen sehr ähnlich und es sind Degenerationsproducte der Epithelzellen, welche ein gleiches Aussehen haben, bei anderen Processen kaum bekannt. Zu den Krankheiten, welche hier in Frage kommen, gehört die von dem berühmten englischen Chirurgen Paget zuerst beschriebene und nach ihm benannte Krankheit der Brustwarzen, eine erst in letzter Zeit genauer charakterisirte eigenartige Haut- erkrankung (Psorospermosis follieularis vegetans oder Keratosis follieularis), vor Allem aber das „Mollusecum contagiosum“ eine kleine Haut- geschwulst sicher ansteckender Natur, bei der die charakteristischsten und typischsten solcher psorospermienähnlichen Gebilde gefunden worden sind. Die Frage, ob es sich bei allen diesen Formen wirklich um Lebewesen handelt, hängt eng zusammen mit der viel wichtigeren und jetzt ganz allgemein erörterten, ob auch der Krebs ansteckender Natur ist, ob gewisse im Krebsgewebe sehr häufig nachzuweisende „Zell- einschlüsse‘‘ parasitärer Natur sind. Diese Frage ist der Entscheidung noch viel ferner, als die erst besprochene. Die schwierigsten, allgemein- pathologischen Erörterungen knüpfen hier an, und es ist zu hoffen, dass gerade die Untersuchungen bei den erwähnten Hautkrankheiten zu Fort- schritten auf diesem Gebiete führen und dass sich schliesslich an alle diese theoretisch sehr bedeutungsvollen Forschungen auch praktische Erfolge anschliessen werden. Der Vortrag wurde durch Mikrophoto-

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sramme und Wachsnachbildungen (aus Baretta’s Atelier in Paris) illustrirt.

Herr Privatdocent Dr. Gürich berichtet, anknüpfend an die Schil- derung des Untergrundes der Liegnitzer Gegend, welche Ferd. Roemer bei Gelegenheit der letzten Wanderversammlung der Schlesischen Gesell- schaft in Liegnitz gegeben hatte, über den geologischen Bau der Berge bei Jauer. Er besprach die Lage des Ortes in der Nähe der Scheide- linie zwischen der diluvialen Ebene und dem Gebirge. Es wurde darauf das Schiefergebirge von Mertschütz-Damsdorf, die Zusammensetzung des Bober-Katzbach-Gebirges aus Thonschiefern und Grünschiefern mit ein- gelagerten Diabasen (Grünsteinen), krystallinischen Kalken und Kiesel- schiefern erwähnt. In den letzteren haben sich bei Schönau die ein- zigen bestimmbaren Versteinerungen, Graptoliten gefunden, auf Grund deren das Alter der Schiefer mit Sicherheit als silurisch bestimmt werden kann.

Für jünger als die Schiefer wird der Granit von Striegau, dessen Vorzüge hervorgehoben werden, angesehen, da am Ostfusse des Streit- berges die Schiefer im Contact mit dem Granit eine weitgehende Um- wandlung erlitten haben. Jüngere Formationen, so namentlich das Stein- kohlengebirge fehlen in der Umgegend von Jauer. Erst das Roth- liegende tritt im NW. des Bober-Katzbach-Gebirges auf und reicht von hier aus in Form eines schmalen Armes quer durch den Rand des Ge- birges, der in Folge dessen hier zwischen Kauder und Falkenberg eine Scharte zeigt.

Die nächst jüngeren Bildungen bei Jauer sind Basalt und Basalt- tuffe; ersterer tritt an hervorragenden Punkten des Gebirgsrandes: Raths- berg, Breiteberg bei Moisdorf, Hessberg, Wilmannsdorfer Höhe ete. auf, sowie auch auf isolirten Erhebungen im Diluvium: Weinberg bei Kolbnitz, Höhen bei Bremberg, Hennersdorf etc. und endlich in einzelnen Kuppen im NO, von Jauer bei Nicolstadt.

Die Basalttuffe bei Hennersdorf enthalten miocäne Pflanzen, so namentlich einen Farn: Woodwardites Münsterianus. Anhäufungen von Braunkohlenstämmen haben Veranlassung zu Braunkohlen-Versuchsbauen gegeben. Auch sonst ist Jauer reich an Erfahrungen in Erfolgen und und Enttäuschungen im Bergbau. Erwähnt wurden: der Kupferbergbau bei Hasel, die Eisensteinlagerstätte von Wilmannsdorf und der Bergbau auf Fahlerz, Kupferkies und Bleiglanz haltige Quarz- und Spateisenstein- lagerstätte von Kolbnitz.

Die Goldsandlager von Nicolstadt, bei deren Ausbeutung heutzutage die Kosten den Ertrag um das Fünffache übersteigen würden, gehören dem Diluvium an. Es wurde dann ein neuer Fund von diluvialen Säugethierknochen: Rhinoceros tichorhinus und Equus fossilis aus einer

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Thongrube von Münsterberg mitgetheilt. Solche Funde kommen in der Provinz häufiger vor; von Jauer sind sie noch nicht bekannt. Der Vor- tragende spricht daher die Bitte aus, es möchten doch in Zukunft eventuelle Funde dem Mineralogischen Museum der Universität über- wiesen werden. Nicht minder empfehlenswerth wäre es, die Resultate aller Tiefbohrungen aus der Gegend von Jauer mit den dazu gehörigen Belegstücken dem Mineralogischen Museum mitzutheilen, da über die speciellen Untergrundsverhältnisse des Ortes noch gar nichts bekannt ist.

Herr Professor Hermann Cohn (Breslau):

demonstrirt einige Apparate, welche für die Hygiene des Auges von Bedeutung sind, und zwar ein Pult, das er in der auch sonst hygienisch ausgezeichnet geleiteten Schule des Herrn Dr. Beier in Wien zuerst gesehen hat; dasselbe befindet sich auf dem Tisch jedes Kindes und dient dazu, das Buch in der richtigen Entfernung vom Auge zu halten. Ferner ein sehr einfaches Instrument, das Herr Dr. Schubert ip Nürnberg construirt hatte, um die Schiefstellung des Kopfes und der Schultern der Kinder beim Schreiben zahlenmässig festzustellen. Nur durch solche Messungen kann man in zuverlässiger Weise die Vor- und Nachtheile der einzelnen Schriftarten ete. erweisen; Schubert hat mit diesem Instrument z. B. gefunden, dass die schlechte Haltung bei Steil- schrift häufiger ist, als bei Schrägschrift. Nur durch regelmässig und consequent durchgeführte Messungen bei allen Schulkindern lässt sich eine Entscheidung aller hier in Betracht kommenden Fragen herbei- führen.

Redner demonstrirt ferner einen sehr einfachen Apparat, welchen Herr Sanitätsrath Dürr (Hannover) angegeben hat, um zu verhindern, dass die Kinder den Kopf zu tief herabbeugen; bei dem bisher viel ge- brauchten Kopfhalter von Kallmann (Breslau) war eine seitliche Be- wegung des Kopfes ausgeschlossen; Dürr’s Apparat besteht wesentlich aus einem in bestimmter Höhe über dem Pult angebrachten Stab, der seitliche Bewegungen, nicht aber solche nach vorn gestattet. Endlich zeigt der Vortragende eine Anzahl von verschieden construirten Schutz- brillen für Steinarbeiter ete,, die von Simmelbauer, Wendschuh, Dr. Schubert etc. angegeben worden sind und durch deren Anwendung die Zahl der Verletzungen in bestimmten Bergdistrieten schon wesentlich vermindert worden ist. Gerade durch unsere neue Unfallversicherungs- gesetzgebung ist das Interesse für zwangsweise einzuführende Schutz- maassregeln gesteigert worden; bei der grossen Abneigung der Arbeiter, Schutzbrillen zu tragen, sollten in der That bei Unfällen, welche durch eine Vernachlässigung der hygienischen Forderungen der Verwaltung zu Stande kommen, die Invaliditätsansprüche nicht anerkannt, freie Be- handlung ete. aber müsste natürlich auch dann gewährt werden,

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Herr Lehrer Gerhard aus Liegnitz sprach: Ueber die Käferfauna der Hessberge,

welche sich auf 1500 Arten beziffert, schilderte einen bezüglichen Aus- flug und legte die dabei gesammelten Käfer vor. Besonders hervor- gehoben wurden: Carabus intricatus, Kallistus lunatus (unter Steinen), Hydroporus platynotus und Agabus Silesiacus (im Wasser), Hydrophiliden (im Wassermoos), Elmiden (im schnell fliessenden Wasser), Stenus glacialis (im Moos am Basalt), Staphyliniden (in zersetzten Milch- reizkern). Die weitere Aufführung der häufigsten Käfer, welche vor- zugsweise an Baumstämmen, Laub und Blüthen beobachtet worden sind, musste wegen vorgeschrittener Zeit unterbleiben.

Herr Oberstabsarzt Prof. Dr. Schroeter berichtete

Ueber die vom Marine-Stabs-Apotheker Milch aus Wilhelmshaven eingesandten Johannis- und Stachelbeeren,

deren Genuss schwere Erkrankung und den Tod mehrerer Kinder zur Folge gehabt hatten. Der Vortragende fand auf den Beeren als röth- lichen Ueberzug Aecidium grossulariae, einen Rostpilz, welcher sonst nur auf den Blättern der genannten Pflanzen vorzukommen pflegt. Ob dieser Pilz der Krankheitserreger war oder nicht, steht nicht ganz fest; das Experiment an Kaninchen hat kein sicheres Ergebniss geliefert. Die Möglichkeit, dass der Pilz in den Beeren eine derartige Zersetzung hervorgerufen hat, dass giftige Fäulnissproducte entstanden sind, und diese die Krankheits- bezw. Todesursache waren, ist nicht ausgeschlossen. Wie übrigens neuere Forschungen ergeben haben, sollen auch mehr- fach bei Vergiftungen durch Genuss von Morcheln faulende Albumin- stoffe der letzteren als Todesursache erkannt worden sein.

Herr Dr. Rosenfeld (Salzbrunn):

Ueber die Aetiologie des Diabetes mellitus.

Bei der scheinbar immer häufiger werdenden Zuckerkrankheit sind zwei Fragen auseinanderzuhalten: 1) Die Ursache des Siechthums, zu welchem die Krankheit führt, scheint nach den Untersuchungen Koch’s, Pettenkofer’s ete. der Zuckerverlust zu sein, welcher bei langer Dauer zum Verbrauch des eigenen Organeiweisses und -Fettes und damit zum „Verhungern‘“ führt. 2) Die Ursache der Krankheit selbst war bisher noch sehr dunkel. Durch die Untersuchungen Minkowski’s ist in neuerer Zeit erwiesen worden, dass wenigstens ein grosser Theil der Fälle von Zuckerkrankheit auf einer Erkrankung der Bauchspeicheldrüse beruht; denn Minkowski hat durch Ausschneiden dieses Organes bei 'T'hieren die Krankheit künstlich hervorrufen können. Es scheint sich um den Ausfall einer von der Bauchspeicheldrüse gelieferten und aus dieser in die Saft- und Blutbahn übergehenden Substanz zu handeln, Diese be-

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wirke normalerweise die Verbrennung des Zuckers im Körper; ihr Ver- lust verhindere also diesen Process und dadurch werde dann der Zucker unverwerthet abgeschieden. Diese Auffassung Minkowski’s hat mehr- fache Opposition erfahren; speciell H&don hat zwar das Siechthum, nicht aber den Diabetes bei seinen Thieren beobachtet. Redner selbst hat bei seinen Versuchen immer Diabetes bis zum Ende des Siechthums beobachtet; nur in einem Falle fehlte derselbe, in diesem aber war eine Eiterung eingetreten, nach deren Aufhören der Diabetes wieder begann; daraus glaubt R. schliessen zu können, dass die Eiterung es ist, welche in seinem und wohl auch in den Fällen H&edon’s den Diabetes auf- sehoben hat.

Versuche, durch Einheilung der Bauchspeicheldrüse in die Haut ete. von Thieren vor oder nach der Entfernung der Drüse das Auftreten der Krankheit zu verhindern, sind nicht gelungen.

Herr Dr, Röhmann (Breslau): Ueber die diastatische Wirkung des Blutes.

Die Diastase, welche in der keimenden Gerste, im Speichel, im Dünndarm- und Bauchspeicheldrüsenseeret vorkommt und das Mittel ist, durch das die in unseren Nahrungsmitteln enthaltene Stärke in leicht resorbirbare Stoffe übergeführt wird, kommt auch im Blute vor; die hier vorhandene Diastase aber führt nicht nur zur Umwandlung der Stärke in Dextrine und Maltose, sondern zur vollständigen Fermentirung in Traubenzucker. Redner hat jetzt Stärke in grösserer Menge durch Blut fermentirt, und demonstrirt den sich dabei bildenden Traubenzucker,

sowie die sich bildenden Zwischenproducte die Dextrine (Erythro-, Porphyro-, Achroodextrin).. Welche Bedeutung die Diastase des Blutes für den Organismus hat, lässt sich noch nicht sagen es ist aber zu

vermuthen, dass zwischen diesem Ferment und den in den Organen vor- handenen Kohlenhydraten (Glycogen) eine Wechselbeziehung besteht.

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Sehlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur.

eg 0. T: Jahresbericht. Medieinische 1892. Abtheilung. &t Ste U AID URN PRINT 2,9

Sitzungen der medicinischen Section im Jahre 1892.

1. Sitzung vom 15. Januar 1892. Vorsitzender: Herr Prof. Dr. G. Born. Schriftführer: Herr Dr. Gaupp.

1) Herr Friedrich Müller spricht Ueber Icterus.

Durch die Forschungen der letzten Jahre ist die alte und vieldiscutirte Frage über den hepatogenen und haematogenen Ieterus ziemlich ein- stimmig dahin entschieden worden, dass es einen haematogenen Icterus im Sinne der früheren Autoren nicht giebt, dass der Entstehungsort des Gallenfarbstoffes auch bei Vergiftungen und Zerstörungen des Blutes in der Leber zu suchen ist, dass die kleinen Mengen von Haematoidin, welche sich in alten Blutextravasaten bilden können, nicht zur Gelbsucht führen.

Neben diesem Streit über den haematogenen und hepatogenen Icterus geht einher die Frage vom Urobilinieterus, und mit dieser beschäftigen sich die Untersuchungen, über welche ich Ihnen heute berichten will.

Man versteht darunter jene Form von Gelbsucht, bei welcher der Harn nicht die gewöhnliche Gallenfarbstoffreaction giebt, sondern bei Unterschiehtung mit Salpetersäure nur einen braunen Ring erkennen lässt, und bei welcher sich statt des Bilirubins dessen Reductionsproduct, das Urobilin, im Urin vorfindet, Diese Art des Ieterus findet sich bei manchen Leberkrankheiten, z. B. der alkoholischen Cirrhose, dann bei Herzfehlern, bei Lungenentzündung, bei gewissen Vergiftungen, z. B. der Bleivergiftung. Man nahm an, dass bei diesen Krankheiten das Urobilin die schmutzig gelbliche Hautfärbung veranlasse; doch ist diese Ansicht bestritten worden.

Es ıst die Frage zu entscheiden: giebt es überhaupt einen Urobilin- icterus, bei welchem die Hautfärbung durch Urobilin und nicht durch Bilirubin bedingt ist, dann die zweite Frage: woher stammt das im Harn nachweisbare Urobilin, und schliesslich: welche diagnostische Be- deutung kommt ihm zu.

Nach den Untersuchungen von Maly ist das Hydrobilirubin ein Reductionsproduet des Bilirubins, das durch Natriumamalgam aus dem letzteren gebildet wird. Aber nicht nur durch Natriumamalgam findet

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) Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

diese Umwandlung des Bilirubins zu Hydrobilirubin statt, sondern es . bildet sich auch durch die reducirende Wirkung der Fäulnissbacterien: Lässt man Galle oder auch reines Bilirubin mit Peptonlösungen unter Wasserstoffatmosphäre, also in sogenannten anaerobischen Culturen mit Kothbacterien faulen, so verschwindet nach etwa 2 Tagen das Bilirubin allmälig und statt dessen tritt eine grosse Menge Hydrobilirubin auf. Es ist darnach wahrscheinlich, dass auch im Darm durch Fäulnissprocesse Bilirubin zu Hydrobilirubin redueirt wird. Die wichtigste Stätte dieser Hydrobilirubinbildung dürfte im Diekdarm zu suchen sein, und zwar schon von den obersten Abschnitten desselben an. Es finden sich aller- dings bereits in der oberen Hälfte des Dünndarms kleine Mengen von Hydrobilirubin neben dem gewöhnlichen Gallenfarbstoff, ebenso wie ja auch in der Galle und im galligen Erbrochenen; in den unteren Ab- schnitten des Dünndarms ist der Hydrobilirubingehalt des Chymus (auf Trockensubstanz berechnet) ein grösserer als in den oberen, aber er ist doch noch gering im Verhältniss zu dem des Blinddarminhaltes und der Faeces. Neben dem Hydrobilirubin findet sich im Koth aber sehr häufig noch in wechselnder Menge Gallenfarbstoff vor, welcher der Reduction nicht oder nicht so weit unterlegen ist, und der sich nach Behandlung des sauren alkoholischen Extractes mit Chlorzink und Ammoniak als Choleeyanin auf spectralanalytischem Wege nachweisen lässt. Ver- gleichende Untersuchungen haben mir ergeben, dass zwischen diesen beiden Pigmenten meist ein gewisses gegensätzliches Verhältniss besteht. Ein hydrobilirubinreicher Koth zeigt meist nur schwach Cholecyanin- reaction, ein Koth, der viel Cholecyanin nachweisen lässt, giebt oft gar keinen Hydrobilirubinstreifen. Dieses letztere Verhalten trifft man bis- weilen in den erbsenfarbigen diarrhoischen Typhusstühlen, ausserdem fast constant im Koth des Hundes. Das Hydrobilirubin ist offenbar identisch mit dem Urobilin des Harns. Einige neuere Autoren haben die Identität dieser beiden Farbstoffe geleugnet, indem sie besonders auf die Angaben Mac Munns hinwiesen, Meine Untersuchungen haben mir bis jetzt noch nicht den geringsten Unterschied zwischen dem Urobilin des Harns und dem Hydrobilirubin des Kothes erkennen lassen und haben mir auch nicht erlaubt, die Angaben Mac Munns zu bestätigen, der zwischen dem „normalen Urobilin“ des gesunden Menschen und dem „febrilen Urobilin“ bei Fiebernden bei Herz- und Leber-Kranken Unterschiede auf- gestellt hat. Es wird deshalb im Folgenden das Urobilin als identisch mit dem Hydrobilirubin und als ein einheitlicher Körper angenommen werden.

Auch vom Choletelin hat man angegeben, dass es mit dem Hydro- bilirubin identisch sei. In der That erhält man durch Behandlung reinen Bilirabins mit Jod und darauf mit Salpetersäure einen Farbstoff, der mit dem Hydrobilirubin die grösste Aehnlichkeit zeigt. Es erscheint sehr merkwürdig, dass sich also aus dem Bilirubin sowohl durch Oxydation

I. Medicinische Abtheilung. 3

als Reduction derselbe Farbstoff bilden sollte. Ob aber im lebenden Körper eine Choletelinbildung vorkommt, erscheint deswegen zweifelhaft, weil die stark gefärbten Zwischenstufen der Oxydationsreihe meines Wissens nicht beobachtet werden. Die künftige Forschung wird sich mit diesen Umwandlungsproducten des Gallenfarbstoffes noch eingehender beschäftigen müssen,

Um den oben gestellten Fragen näher zu treten, war es vor allem nothwendig, Methoden zu finden, mittelst deren Gallenfarbstoff und Hydrobilirubin von einander getrennt und einzeln nachgewiesen werden konnten, dann auch einen Weg zu finden, um die Menge des Hydro- bilirubins in Harn und Koth quantitativ zu bestimmen, Nach lange vergeblichen Bemühungen glaube ich jetzt in den Besitz solcher Methoden gelangt zu sein, doch ist hier nicht der Ort, sie zu beschreiben, es genüge zu sagen, dass die quantitative Bestimmung des Hydrobilirubins nach Isolirung und nach Auflösung des Farbstoffs in saurem Alkohol auf spectralanalytischem Wege möglich ist. Nachdem ich früher diese Be- stimmungen mittelst des Vierordt’schen Spectrophotometers ausgeführt hatte, war es mir hier in Breslau durch die liebenswürdige Unterstützung von Herrn Prof. Dieteriei ermöglicht, das Glansche Speetrophotometer zu benützen, das viel leichter und viel genauer zu beobachten gestattet.

Mit diesen Methoden war es möglich, zuerst die Mengen von Hydro- bilirubin zu bestimmen, die bei gesunden Menschen in Harn und Koth erscheinen, und dann damit das Verhalten unter pathologischen Zuständen zu vergleichen.

Wählt man, wie üblich, den Exstinetionscoeffieienten («) als directen Ausdruck der Concentration des Farbstoffs, so ergab sich, um einige Beispiele zu nennen:

Im Harn von Gesunden

© 0,134 e—= (004 ') Tagesmenge 14,8 mer, &, == 0,1459 —='0,00795 - 13,315: - & 0,0540. ce 0.002972 - 12,95 = @ 0,0841 e 0,004637 h 20,256 - & Suuren ce spüren - Spuren

bei mehrtägigem Hunger betrug

«@ 0,09895 ce = 0,00546 Tagesmenge 9,2303.

Unter pathologischen Verhältnissen fand sich vielfach eine Ver- mehrung des Hydrobilirubingehaltes.

Be ber’Porenniomerohne leterus" nn. 2.0. 0 ua. N. 3.0, z - MuNeterue oe ren eların nad 200, REN ELDER N ee een, 08,

!) Der Berechnung des Concentrationsgrades c = Millisramm im Cubikcenti- meter habe ich die von Vierordt angegebene Zahl A —= 0,0552 zu Grunde gelegt.

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4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

bei vorgeschrittener Phthise mit Fieber . . . sole, - eineranderen Phthise mit Fieber ohne Spur von Teködk a 3,64, - ‚einem Fall von Sepsis 'puerperalis. Wu. 1a =4,0,

z - z -tiBleivergiftungrü.euen I EM} bei Herzfehlern z. B.:

einem Fall von Mitralstenose mit leichtem Ieterus . «= 1,04, - - = Mitralinsufficienz ohne Iceterus. . . «= 2,401, - - = Mitralstenose mit Lungeninfaret und darnach sich entwickelndem Icterus anfangs . . «= 1,200, 3. Lage "späler, 7 HR NER re. tee er bei einem Fall von EN u RIO Bun ai Verse = = = = = n A : H r . h . . = 12,006, bei einem Fall von Hirntumor . . 2 2 2.2.2.2 = 12,98, bei atrophischer Lebereirrhose, . 211. 11.) 11. u. @ = 14,289, mit Andeutung von Icterus . . ei)... bei hypertrophischer Lebereirrhose mit ER Teberus. | Ale N : ; , a 2,948, bei hypertrophischer Tcherniteoen it naht suckem Teterusr’;, 2%. er TE bei Lebercareinom En Kent Tores ea 0; a 3,520,

bei einem Fall von Lebercareinom mit sich entwickeln- dem leterus anfangs . . . ee a |)... als der Icterus stark a: war, enthielt der Harn gewöhnlichen Gallenfarbstoff, eh nur wenig Hydrobilirubin, nämlich . . . . 008238:

Bei einem Fall von Careinom des Pankraks fand Ab anfangs viel Hydrobilirubin im Harn und Koth, bald entwickelte sich starker leterus, das Hydrobilirubin verschwand aus Harn und Koth vollständig.

Bei einem Fall von Gallenblasencareinom, das mehrere Monate zu absolutem Verschluss des Ductus Choledochus geführt hatte, war bei wiederholter Untersuchung weder im Harn noch im Koth Hydrobilirubin nachweisbar.

Bei einem Fall von Icterus catarrhalis, bei welchem der Koth nur wenig Hydrobilirubin enthielt, war im Harn « = 0,1426

& == 0,174 a —= 0,0555.

Bei einem Fall von Gallensteinkolik mit geringem Hydrobilirubin- gehalt der Faeces waren im Harn nur Spuren dieses Farbstoffs zu finden.

Bei einem Fall von Icterus catarrhalis waren weder im Harn noch im Koth Spuren von Hydrobilirubin nachweisbar.

Aus dieser Zusammenstellung lässt sich entnehmen, dass das Auf- treten von Ieterus mit dem des Hydrobilirubin in keinem geraden Ver-

I. Medicinische Abtheilung. 5

hältniss steht; einerseits finden sich oft grosse Mengen von Hydrobili- rubin bei Kranken, die keine Spur von Ieterus haben (Phthisis, Scarlatina), andererseits gehen gerade die stärksten Formen von Gelbsucht ganz ohne Urobilinurie einher.

Ist schon dadurch der Zusammenhang der Urobilinurie mit Gelbsucht in Frage gestellt, so wird derselbe noch unwahrscheinlicher durch folgende Untersuchungsreihe, die von Dr. Dietrich Gerhardt angestellt worden ist: ')

Bei einer Anzahl von Kranken, deren Hautfarbe, Harn und Koth während des Lebens beobachtet worden war, wurden bei der Obduction die Gewebsflüssigkeiten, bes. das Blutserum und die Transsudate auf Gallenfarbstoff und Hydrobilirubin untersucht. Es ergab sich, dass Blut und Transsudate in denjenigen Fällen Hydrobilirubin enthielten, bei welchen es intra vitam im Harn reichlich vorhanden war, sowohl bei ieterischen Patienten als auch bei solchen, die keine Spur von Gelb- färbung der Haut dargeboten hatten, dass aber gewöhnlicher Gallenfarb- stoff, Bilirubin, nur dort nachweisbar war und jedesmal gefunden wurde, wo leterus, wenn auch nur leichtesten Grades, vorhanden war. In zwei Fällen von hochgradiger Gelbsucht bei absolutem Verschluss des Gallen- ganges fand ich in Blut, Transsudaten und Galle nur Bilirubin und keine Spur von Hydrobilirubin.

Somit war erwiesen, dass die Anwesenheit von Hydrobilirubin in den Körpersäften und im Harn nicht zum leterus führt, dass vielmehr Ieterus stets an die Anwesenheit von gewöhnlichem Gallenfarbstoff ge- bunden ist, dass also ein Urobilinieterus, d. h. Gelbfärbung der Haut durch Hydrobilirubin nicht existirt.

Woher stammt das Hydrobilirubin, das bei manchen Kranken in so grosser Menge in Gewebsflüssigkeiten und Harn nachweisbar ist? In dieser Frage stehen sich sehr verschiedene Ansichten schroff gegenüber. Die einen (z.B. Kiener und Engel) verlegen die Entstehung des Hydrobili- rubins in die Gewebe und in das Blut und erklären damit die Uro- bilinurie bei Haemorrhagien. Andere, namentlich französische Autoren, Hayem, Dreyfuss-Brissac, Poncet, Tissier, nehmen an, dass die Leber die Bildungsstätte des Hydrobilirubins sei, und dass gewisse Störungen der Leberfunctionen, eine „Insuffisance h&patique‘‘ die Ursache sei, dass nicht Bilirubin, sondern Urobilin in grösserer Menge gebildet werde.

Leube, der auf Grund einer ganz anderen Versuchsanordnung als der oben dargestellten, gleichfalls die Existenz eines Urobilinieterus

!) Dietrich Gerhardt: Ueber Hydrobilirubin und seine Beziehungen zum Icterus. Inauguraldissertation, Berlin 1889 dieser Arbeit sind auch eine Reihe der oben angeführten Harnuntersuchungen entlehnt.

6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

leugnet und Gelbsucht stets auf die Anwesenheit von Bilirubin in den Geweben zurückführt, legt den Gedanken nahe, es werde der in den Geweben und im Blut angehäufte Gallenfarbstoff in den Nieren zu Urobilin reducirt.

Um diese letztere Theorie zu prüfen, habe ich bei einer Anzahl von Hunden nach dem Tod durch Verbluten, die Niere herausgenommen und durch das noch lebenswarme (,überlebende‘“) Organ das Blut des- selben Thieres eirculiren lassen, nachdem eine grössere oder geringere Menge reinen Bilirubins zugesetzt war. Vier dieser Versuche gelangen; es wurde von der überlebenden Niere Harn secernirt, aber weder in diesem Harn, noch in dem Blut, das stundenlang durch die Niere gekreist hatte, war auch nur eine Spur von Hydrobilirubin nachweisbar. Es hatte also die Niere den im Blut kreisenden Gallenfarbstoff nicht in Urobilin verwandelt.

Würden diese Versuche positiv ausgefallen sein, d. h. hätte sich nach der Durchströmung der Niere in Blut oder Harn Urobilin gefunden, so wären sie beweisend gewesen, das negative Resultat hat keine grosse Beweiskraft, denn die überlebende Niere verhält sich doch nicht ganz so wie eine lebende, und die Niere des Hundes anders als wie die des Menschen.

Die Ansicht von der Bildung des Urobilins in der Niere wird viel schwerer erschüttert durch folgende Beobachtung am Menschen: Bei mehreren Kranken (mit Herzfehlern, Lebereirrhose, Pneumonie), welche reichlich Urobilin im Harn zeigten, wurde dieser Farbstoff auch in den durch Punction entleerten Aseitesflüssigkeiten, in dem durch die Trichter- drainage erhaltenen Oedem-fluidum der Extremitäten, ja auch, bei einer Pneumonie, im Aderlassblut gefunden. Würde das Hydrobilirubin erst in der Niere gebildet, so wäre es nicht möglich, die Anwesenheit dieses Farbstoffs in den Gewebsflüssigkeiten zu erklären.

Viel Bestechendes hat die, hauptsächlich von französischen Forschern vertretene Ansicht, dass das Hydrobilirubin in der Leber gebildet werde; krankhafte Processe der Leber sollen mit vermehrter Production von Hydrobilirubin einhergehen, Stauungen der pathologischen hydro- bilirubinreichen Galle sollen zu Resorption und Ausscheidung des Farb- stoffs durch die Nieren führen. Einen Beweis für diese Ansicht könnte man darin erblicken, dass die menschliche Galle meist eine gewisse Menge Hydrobilirubin neben dem gewöhnlichen Gallenfarbstoff nachweisen lässt. Wenn auch bei Untersuchung der port mortem aus der Gallenblase entleerten Galle der Einwurf gemacht werden kann, es möchte sich um eine portmortale Bildung von Hydrobilirubin gehandelt haben, so trifft dieses Bedenken doch nicht zu für das gallenhaltige Erbrochene. In galligem Erbrochenem habe ich bei den verschiedensten Krankheiten,

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gleichgiltig ob sie mit vermehrter Urobilinurie einhergingen oder nicht, constant Hydrobilirubin nachweisen können,

Ausserdem spricht für die Bildung des Hydrobilirubins in der Leber noch die Erfahrung, dass bei der aleoholischen Lebereirrhose zwar nicht constant, aber meistens eine recht erhebliche Vermehrung des Urobilins im Harn gefunden wird.

So beweiskräftig diese Gründe auch erscheinen mögen, so müssen doch gegen die Theorie von der Entstehung des Hydrobilirubins in der Leber gewichtige Bedenken erhoben werden auf Grund folgender kli- nischer Erfahrungen:

Wenn ein über mehrere Tage anhaltender vollkommener Verschluss des Duetus choledochus zu Stande kommt, gleichgiltig ob durch Catarrh oder Steine oder durch Neubildungen, so verschwindet, wie ich mich oft überzeugt habe, das Hydrobilirubin aus den thonfarbigen Stühlen voll- kommen. In diesen Fällen lässt sich alsdann auch im Harn kein Uro- bilin mehr nachweisen. Tritt unter zunehmendem lIceterus ein solcher Gallengang-Verschluss langsam ein, so nimmt das Hydrobilirubin in Koth und Harn gleichzeitig ab, um von dem Tage ab zu verschwinden, wo der Gallenabschluss ein absoluter geworden ist. Löst sich aber ein solcher Verschluss wieder, wird der Stuhl wieder gallenhaltig, so tritt an demselben Tage auch Hydrobilirubin im Harn wieder auf. Bei zwei Fällen mit absolutem Gallengangverschluss durch bösartige Neubildung erwies sich nicht nur Harn und Koth frei von Hydrobilirubin, sondern es konnte auch nach dem Tode in der Galle und in den Trans- sudaten kein Hydrobilirubin aufgefunden werden. Diese Erfahrungen sind kaum vereinbar mit der Lehre von der Hydrobilirubinbildung durch „Insuffisance hepatique“, denn wie sollte man es erklären, dass dieselbe Leberkrankheit dann zu Urobilinurie führt, wenn der Gallezufluss zum Darm erhalten ist, dann aber nicht, wenn der Choledochus ganz unwegsam ist. Die ‚‚Insuffisance‘‘ kann doch dadurch nicht aufgehoben worden sein. Auch die Beziehungen der Urobilinurie zur Gallenstauung in der Leber (bei Herzfehlern, Pneumonieen, Lebereirrhosen) werden durch diese Erfahrungen zweifelhaft. Wenn Stauung der Galle in der Leber zu ver- mehrter Ausscheidung des Hydrobilirubins durch den Harn führt, warum nimmt dann die Urobilinurie ab, sobald diese Stauung eine hochgradige wird, warum verschwindet das Hydrobilirubin aus dem Harn und aus der Galle, sobald die Ueberfüllung der Gallengänge bei vollkommenem Choledochusverschluss den höchsten Grad erreicht hat. Quincke glaubt das Versiegen der Urobilinausscheidung bei manchen Fällen von gänz- licher Gallenstauung und starker Ablagerung in den Geweben deuten zu müssen durch eine Hemmung der Umsetzung in Folge zu reichlicher Ab- lagerung von Bilirubin in den Geweben. Gegen diese Anschauung spricht aber, dass das Auftreten und Verschwinden des Urobilins im Harn

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nicht abhängig ist von dem geringeren oder grösseren Grade des leterus, sondern vom Öffensein oder Verschluss des Choledochus, dass ferner unmittelbar nach Wiederdurchgängigwerden eines vorher verschlossenen Gallenganges sofort starke Urobilinurie auftritt, obwohl die Gewebe noch mehrere Tage ganz mit Gallenbestandtheilen durchtränkt sind.

Uebrigens ist diese wiederholt constatirte Erfahrung vom Ver- schwinden der Urobilinurie bei Choledochus-Verschluss auch unvereinbar mit der Theorie von der Hydrobilirubinbildung in der Niere. Es ist nicht wohl anzunehmen, dass die Nieren mit einem Male vollständig die Fähigkeit verlieren sollten, den ihnen durch das Blut zugeführten Gallen- farbstoff zu reduciren, wenn keine Galle mehr zum Darm zufliesst, während sie einige Tage nachher grosse Mengen desselben Farbstoffs bilden können. \

Diese Erfahrungen lassen sich, wie ich glaube, am besten so deuten, dass das Hydrobilirubin im Darm aus dem Gallenfarbstoff gebildet wird, dass es dann vermehrt ist, wenn viel Gallenfarbstoff in den Darm ergossen und dort redueirt und resorbirt wird, dass es dann fehlt, wenn der Darm acholisch ist.

Als eine Prüfung auf die Richtigkeit dieser Theorie habe ich fol- gendes Experiment unternommen:

Bei einem Manne mit hartnäckigem hochgradigem lIeterus, in. dessen entfärbtem Koth und dunkelbraunem Urin keine Spur von Hydrobilirubin aufzufinden war, wurde durch die Schlundsonde während einiger Tage Schweinegalle in den Magen eingeführt. Die Schweinegalle, welche als hydrobilirubinfrei befunden wurde, konnte in Mengen von 25 bis 125 gr zugeführt werden, ohne dass der Kranke bedeutende Beschwerden bekam. Am 2ten Tag des Versuches liess sich in den Faeces Hydrobilirubin und auch etwas unveränderter Gallenfarbstoff nachweisen und die Menge dieser Farbstoffe nahm noch zu mit steigender Gallenzufuhr. Auch im Harn war vom dten Tage an Hydrobilirubin in nicht unbeträchtlicher Menge (nach Entfernung des Bilirubins) nachweisbar und zwar bis einen Tag nach Aussetzen der Gallenfütterung. Im Koth liessen sich noch zwei Tage nach Aufhören der Gallenzufuhr Hydrobilirubin erkennen, von da ab fehlte der Farbstoff wieder in Harn und Koth, bis nach 12 Tagen dasselbe Experiment wieder begonnen wurde. Da der Kranke aber diesmal kurz nach der Gallenzufuhr heftige Kolikschmerzen mit Auf- treibung des Leibes bekam, so musste der Versuch abgebrochen werden.

Es ist ja möglich, dass ein unglücklicher Zufall zum vorübergehen- den Auftreten von Hydrobilirubin gerade während der Gallenfütterung geführt hat; eine Wiederholung des Versuchs wird darüber Aufschluss bringen. Wenn wir aber einen solchen unwahrscheinlichen Zufall nicht annehmen, dann spricht das Ergebniss des Versuches sehr entschieden

I. Medicinische Abtheilung. 9

für die Entstehung des Hydrobilirubins im Darm und gegen die Bildung dieses Farbstoffes in der Leber und den Geweben.

Wenn die Annahme richtig ist, dass Fäulnissprocesse im Darm die Ursache der Hydrobilirubinbildung sind, dann dürfte bei vollständigem Fehlen aller Fäulnissvorgänge im Darm Hydrobilirubin weder im Koth noch im Urin auftreten, auch wenn reichlich Galle ergossen wird. Es dürfte alsdann ebensowenig Hydrobilirubin beobachtet werden, als wie bei vollständiger Absperrung der Galle vom Darm.

Der Entscheidung dieser Fragestellung konnte ein besonderes Gewicht beigelegt werden. Ein solcher Zustand, dass Galle in den Darm zufliesst, dass aber keine Darmfäulniss stattfindet, kommt nur vor im intrauterinen Leben und bei den Neugeborenen. Kurz nach der Geburt treten, wie Escherich gezeigt hat, bereits die ersten Fäulnisserreger in den Magen- darmcanal des Kindes ein. Das Meconium enthält massenhaft Bilirubin, aber keine Spur von Hydrobilirubin. Der während oder kurz nach der Geburt entleerte Harn der Neugeborenen liess gleichfalls keine Spur von Hydrobilirubin erkennen.') Bereits am dritten Lebenstage fand sich sowohl im Stuhl als im Harn der Säuglinge Hydrobilirubin vor,

Die oben ausgesprochene Ansicht von der Bildung des Hydrobili- rubin im Darm würde auch erfordern, dass ein gewisser Parallelismus zwischen dem Hydrobilirubingehalt des Harns und dem des Kothes besteht. Ein solcher Parallelismus lässt sich auch in der That nachweisen, aber nur für die extremen Fälle; in den Mittelstufen entspricht nicht jedesmal einer vermehrten Urobilinurie auch ein grösserer Gehalt des Kothes an diesem Farbstoff. Es kann das aber auch nicht verlangt werden, es lässt sich ja doch auch z. B. bei vermehrter Indicanausscheidung nicht jedesmal eine grössere Indolmenge in den Faeces nachweisen, und es würde niemand einfallen, aus einem grösseren oder geringeren Fettgehalt des Stuhles zu schliessen, dass viel oder wenig Fett resorbirt worden ist. Ein solcher Parallelismus kann deswegen nicht erwartet werden, weil Bildung und Resorption des Farbstoffs nicht immer gleichen Schritt hält.

Einige Beispiele mögen das Gesagte illustriren:

Bei einem gesunden Menschen, den Herr Assistenzarzt der Poliklinik Dr. Boltz auf meine Veranlassung untersuchte, fanden sich im Koth nur Spuren von Hydrobilirubin; der Gallenfarbstoff war als Choleeyanin nachweisbar; auch der Harn enthielt nur Spuren von Urobilin.

Bei einem anderen gesunden jungen Mann enthielt der Stuhl im Tag bei reiner Milchnahrung ...... . 89,45 Milligramm Hydrobilirubin, - = bei nahezu reiner Eiweissnahrung 83,004 z 2 Ber‘ Harn ‚enthlellr.-Eishke 2 dur 20,065 . -

!) Die Herren Assistenten der geburtshilflichen Klinik in Bonn hatten die Liebenswürdigkeit, während mehrerer Monate den Harn der Neugeborenen für mich zu sammeln.

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Bei einem Fall von schwerem Herzfehler waren im Tag nachweisbar im Stuhl 104,922 Milligramm Hydrobilirubin, im Harn 21,65 z z Bei einem Falle von hypertrophischer Lebereirrhose fand sich im Stuhl 187,6 Milligramm Hydrobilirubin, im Harn 93,47 E E also im Stuhl das 2- bis 3fache des bei normalen bisher Beobachteten.

Beim Hunde und bei der Katze liess sich im Harn nur spurenweise, oft gar nicht Hydrobilirubin nachweisen, den Harn dieser Thiere habe ich bisher immer frei von diesem Farbstoff gefunden.

Dass bei vollkommenem Gallenabschluss sowohl Stuhl als Urin hydrobilirubinfrei sind, ist oben schon erwähnt; als bei einem Kranken nach mehrwöchentlichem absoluten Gallenabschluss vom Darm der Koth wieder eine geringe gallige Färbung annahm und eine, anfangs sehr geringe, Hydrobilirubinreaction zeigte, war auch im Harn eine Spur von Urobilin nachweisbar; nach einigen Tagen hatte sich in Stuhl und Harn die Menge des Hydrobilirubins gleichzeitig bedeutend gesteigert.

Bei einem Kranken mit Bleikolik und leichtem Ieterus war in den ersten Tagen in dem dunkelbraunen Urin nur 10,988 Milligramm Hydro- bilirubin nachweisbar.

Als nach einigen Tagen die Gelbsucht verschwand, war

im Harn 29,106 Milligsramm Hydrobilirubin, im Koth 1942,0 z = vorhanden, also im Harn das 3fache des vorigen, im Koth das 20fache des normalen.

Die Annahme, dass das Hydrobilirubin ursprünglich aus dem Darm stammt, macht auch verständlich, warum jedesmal nach einer Gallen- stauung, z. B. nach einem lcterus catarrhalis, nach einer Gallenstein- kolik starke Urobilinurie auftritt. Die Menge von Galle, welche sich nach einer derartigen Retention in den Darm ergiesst, ist abnorm gross, damit dürfte auch die Bildung und Resorption des Hydrobilirubin im Darm grösseren Umfang annehmen. Die vermehrte Urobilinurie bei manchen Herzfehlern kann vielleicht damit in Zusammenhang gebracht werden, dass bei den Obductionen solcher Fälle oft die Galle abnorm mit Farbstoff überladen vorgefunden wird. Eine ähnliche „Pleiochromie“ müsste auch bei jenen Fällen von Lebereirrhose angenommen werden, welche mit starker Urobilinurie verlaufen; doch gebe ich zu, dass ein Beweis dafür noch nicht erbracht ist, und dass hier überhaupt einer der schwierigsten Punkte in der Lehre von der Hydrobilirubinbildung und Ausscheidung vorliegt.

Die klinische Erfahrung lehrt, dass Urobilinurie nicht nur bei Leber- und Gallengangs-Krankheiten vorkommt, sondern auch bei Resorption von Blutergüssen, z, B. nach Haemorrhagien in das Cerebrum und

I. Medicinische Abtheilung. 11

in die Hirnhäute, in das Unterhautzellgewebe und die Haut, in die Pleura- und Peritonealhöhle, bei Scorbut und Purpura, ferner beim haemorrha- gischen Lungeninfaret; dann findet sich Urobilinurie höheren Grades auch oft bei Infeetionskrankheiten, die mit Schädigung des Blutes und rasch auftretender Anaemie einhergehen, sowie bei der Einwirkung von Blut- giften, z. B. grosser Dosen von Antifebrin. Man hat diese Erscheinung so deuten wollen, dass das der Zerstörung anheimfallende Blut in den haemorrhagischen Herden oder in den Geweben zu Hydrobilirubin ver- wandelt werde, und als Stütze für diese Ansehauung wird die freilich noch nicht ganz sichergestellte Angabe geltend gemacht, dass durch Re- duction aus Blutfarbstoff ein dem Hydrobilirubin ähnlicher Körper gewonnen werden kann. Es lebte also in dieser Form die alte, bereits todt ge- glaubte Theorie vom haematogenen Icterus wieder auf.

Wenn nun auch diese Annahme nicht ohne weiteres zurückgewiesen werden kann, so dürften doch noch nicht genügende Beweisgründe für sie vorhanden sein. Viel näher liegt es, nach Analogie der bekannten Versuche von Afanassiew und Stadelmann zu schliessen, dass bei Zerstörung grösserer Mengen von Blut, also bei den Zuständen, die man als Blutdissolution bezeichnet, oder bei Resorption grösserer Blutergüsse der aus den Blutkörperchen frei gewordene Blutfarbstoff in der Leber zu Gallenfarbstoff umgewandelt wird, dass Polycholie, oder besser gesagt eine abnorm reichliche Bildung von Gallenfarbstoff (Pleiochromie) die Folge ist. Diese massenhafte Gallenergiessung würde dann wiederum im Darm zu vermehrter Hydrobilirubinbildung und -Re- sorption führen. Ist die Menge der von den Leberzellen gebildeten Galle zu gross, um durch die Gallengänge in den Darm abgeführt zu werden, läuft die Leber über, wenn man so sagen darf, so kommt es neben der vermehrten Gallenergiessung in den Darm auch noch zum lIeterus.

Als eine Stütze für diese Auffassung sehe ich die Erfahrung an, dass bei vollkommenem Gallengangverschluss auch Krankheiten, die sonst mit vermehrter Urobilinurie verlaufen, z. B. Krebskachexien, Blutungen, nicht zum Auftreten von Hydrobilirubin führen. Doch müssen hier noch weitere klinische Erfahrungen gesammelt werden: Beobachtungen von haemor- rhagischen Infarcten, von multiplen Blutungen, von Pneumonieen und ähnlichen Zuständen während vollständigen Gallenabschlusses vom Darm werden die Entscheidung in dieser Frage bringen. Dagegen hat sich mir das Thierexperiment an Hund und Katze (Kaninchen sind aus anderen Gründen unbrauchbar) als unzulänglich erwiesen, da bei diesen Thieren Bluteinspritzungen keine Urobilinurie zur Folge haben.

Fasse ich die bisher vorliegenden Thatsachen zusammen, so stehe ich nieht an, die Entstehung des Hydrobilirubin im Darm als die allein sicher bewiesene anzunehmen, und die Urobilinurie durch Resorption des im Darm gebildeten Hydrobilirubins zu erklären. Diese Annahme erklärt

12 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

uns ohne Zwang die bisher beobachteten klinischen Erscheinungen. Doch ist zugegeben, dass durch die oben erwähnten Erfahrungen und Experimente auch die Möglichkeit einer Entstehung des Hydrobilirubins in der Leber und in anderen Geweben des Körpers noch nicht als un- möglich erwiesen worden ist.

Wir haben in den letzten Jahren schon für manche Stoffe des Harns die Entstehung aus Fäulnissproducten des Darmes anerkennen müssen, es sei nur an Phenol, Indican, ja auch an das Cystin erinnert, und vielleicht werden wir in Zukunft noch mehr pathologische Producte und Agentien aus den im Darm ablaufenden Zersetzungen herzuleiten lernen.

Nimmt man die vorgetragene Anschauung von der Entstehung des Hydrobilirubin als richtig an, so schrumpft freilich die diagnostische Bedeutung dieses Farbstoffs sehr zusammen; man wird die Annahme eines eigentlichen Urobilinieterus ganz verlassen müssen, und es wird auch dann nicht mehr gestattet sein, die Urobilinreaction des Harns als Zeichen einer geheimnissvollen Insuffisance hepatique zu erklären. Da- gegen wird die Regellosigkeit, mit welcher die Urobilinurie bei derselben Krankheit bisweilen erscheint, bisweilen fehlt, leichter verständlich.

Doch wird uns immerhin das reichlichere Auftreten des Urobilins im Harn bisweilen den einen oder anderen diagnostischen Fingerzeig geben können. So kann bei Zweifeln, ob Gallenstein- oder Nierenstein- kolik vorliegt, eine starke Urobilinreaction in dem nach dem Anfall ent- leerten Harn zu Gunsten der ersteren Annahme sprechen; es kann der Nachweis reichlichen Hydrobilirubins im Harn auf das Vorhandensein von Blutergüssen hindeuten, von haemorrhagischen Apoplexieen, von Haematom der Dura mater, von Lungeninfareten, von Blutergüssen in und um die weiblichen Geschlechtsorgane; auch wird bei bestehenden peri- tonealen und pleuralen Ergüssen der Verdacht erweckt werden, dass sie haemorrhagische sind.

Vor allem aber wird aus dem Auftreten des Hydrobilirubins im Koth und auch im Harn stets der Beweis geliefert, dass der Gallenzufluss zum Darm erhalten ist, die Abwesenheit des Farbstoffs aber mit Sicherheit dafür sprechen, dass der Ductus choledochus verschlossen ist.

Der Nachweis des Hydrobilirubins in den Dejectionen und im Darm- inhalt ist leichter zu führen, als der anderer Gallenbestandtheile, z. B. der Gallensäuren, und es lässt sich durch die Untersuchung des Darm- inhaltes der Leiche auf Hydrobilirubin leichter und sicherer der Nachweis führen, ob intra vitam Galle in den Darm ergossen wurde, als durch die übliche pathologisch-anatomische Methode des Ausdrückens der Gallenblase.

Discussion.

Herr Geheimrath Heidenhain meint, dass die Ansicht des Vor- tragenden von der Bildung des Urobilin im Darm wohl das Richtige zu

I. Medicinische Abtheilung. 13

treffen scheine, weist aber auf die Thatsache hin, dass schon die frische Galle des Menschen Urobilin enthalte. Es ergiebt sich dann die Frage: Ist hier das aus dem Darm resorbirte Urobilin wieder in der Leber aus- geschieden und liegen Experimente vor, die speciell die Beantwortung dieser Frage zum Zweck haben?

Herr Professor Müller bestätigt die Thatsache, von deren Richtig- keit er sich selbst an mehreren Fällen von galligem Erbrechen und am Gallenblaseninhalt, der bei Obductionen erhalten worden war, überzeugen konnte, und pflichtet seinerseits der Annahme einer Resorption aus dem Darm und die Wieder-Ausscheidung in der Leber bei. Thierexperimente liegen nicht vor.

Herr Geheimrath Heidenhain: Ein direeter Beweis für die En stehung des Urobilin durch Fäulniss im Darm könnte geliefert werden, wenn man den ganzen Darm, wie es Baumann gethan hat, mittelst Calomel desinficirte.

Ist die Fäulniss wirklich die Ursache der Bilirubin-Reduetion, so müsste alsdann das Urobilin aus dem Harn verschwinden.

Herr Professor Müller erklärt, dass es ihm weder durch Calomel noch durch Campher gelungen sei, eine vollständige Desinfection des Darmes beim Menschen zu erzielen.

(Criterium: Der Nachweis der gepaarten Schwefelsäure) Die grossen Mengen Calomel, die Baumann seinen Hunden gegeben hat, sind bei Menschen unanwendbar.

2) Herr Born giebt einen Kurzen Bericht über die Sitzung der 5 Secretaire der medicinischen Section

am 5. Januar 1892 und die in derselben gefassten Beschlüsse.

Der Bericht lautet:

Die Sitzungen der medicinischen Section finden an von vornherein festgesetzten Freitagen in etwa l4tägigen Intervallen statt (2 Monate Sommerferien).

Die Herren Secretaire leiten abwechselnd die Sitzungen (alphabetische Reihenfolge),

Vorträge sind bei dem geschäftsführenden Secretair Herrn Professor Born schriftlich anzumelden. Derselbe hat für den Druck und die Uebersendung der Tagesordnung, die bis zum Dienstag vor dem betr. Freitag in den Händen der Mitglieder sein soll, zu sorgen.

Je nach Bedarf (zur Fortführung einer Discussion oder dergl.) können an den Freitagen zwischen den festgesetzten Sitzungstagen noch andere Sitzungen eingeschoben werden,

Unter die Tagesordnung wird regelmässig hektographirt resp. gedruckt:

1) Die Anweisung: ‚Vorträge sind bei dem Geschäftsführer Herrn Professor Born (Wallstrasse 8) schriftlich anzumelden,“

14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

2) Die Uebersicht über die für die folgenden Sitzungen angemeldeten Vorträge.

An den Freitagen zwischen den in der alten Börse abgehaltenen Sitzungen finden je nach dem vorliegenden Materiale Sitzungen mit kli- nischen Demonstrationen in den Anstalten selber statt. In diesen führt jedoch, unabhängig von der sonst innegehaltenen Reihenfolge, der Director der betreffenden Klinik den Vorsitz. Auch zu diesen Sitzungen lässt der Geschäftsführer die Einladungen ergehen, jedoch ohne Angabe der Tages- ordnung.

Alle Assistenten an hiesigen Kliniken, Krankenhäusern und medi- einischen Instituten sind ohne Weiteres zur Theilnahme an den Sitzungen der medieinischen Section berechtigt und bedürfen keiner besonderen Einführung als Gäste. |

Anträge der Secretaire.

1) Ueber die Protokollirung der Discussion. Jedem Secretair soll ein Schriftführer beigegeben werden, welcher die Aufgabe hat, in der Sitzung, in der der betreffende Secretair den Vorsitz führt, einen kurzen Abriss des von jedem Discussionsredner Gesprochenen niederzuschreiben. Dieser Abriss wird am Tage nach der Sitzung dem Redner zur Correetur zugestellt. Falls nach 48 Stunden keine Correctur erfolgt, wird ange- nommen, dass der Redner mit dem Niedergeschriebenen einverstanden ist.

Die Vorträge und die Discussion über dieselben, letztere in der oben angedeuteten, abgekürzten Form, werden in den Jahresberichten der Gesellschaft abgedruckt. Die Secretaire behalten sich vor, für eine rasche Veröffentlichung der Sitzungsberichte in einer oder mehreren angesehenen medicinischen Zeitschriften zu sorgen.

2) Die Secretaire bitten die Versammlung, darüber zu berathen resp. zu beschliessen, ob die bisherige Stunde für die Sitzungen beizubehalten ist, oder ob dieselben auf 8 Uhr Abends zu verlegen sind.

Diese Vorschläge und Anträge der Secretaire finden die Billigung der Versammlung, nur die Abstimmung über die Frage der Verlegung der Sitzungsstunden wird vertagt.

2. Sitzung vom 29. Januar 1892.

Vorsitzender: Herr Dr. Buchwald. Schriftführer: Herr Dr. Drewitz.

1) Herr Dr. Ad. Sehmidt demonstrirt mikroskopische Präparate aus der Lunge einer Patientin, welche während eines asthmatischen Anfalles gestorben ist. Aus denselben ergeben sich einige Anhaltspunkte über die bisher unbekannte Bildungsweise der Curschmann’schen Spiralen. Es lässt sich zeigen, dass dieselbe nicht an einen bestimmten Ort in dem Bronchialsystem gebunden ist. Vielmehr werden die Spiralen während der ganzen Passage des Schleimes durch die Lufiwege allmählich ge-

I. Medicinische Abtheilung. 15

bildet. Die Ursache sind wahrscheinlich die Wirbelbewegungen der Exspirationsluft, welche sich nur unter grossem Druck einen Wes durch die vollständig mit Schleim verlegten Bronchien bahnen kann.

2) Herr Fritsch:

Ueber Ventrofixation.

Der Vortragende bemerkt zunächst, dass in der Pessarbehandlung, wie sie Schultze in Jena gelehrt hat, ein ganz enormer Fortschritt lag, dass aber andrerseits doch Fälle existiren, bei denen die Pessar- behandlung nicht von Erfolg gekrönt wird. Auch habe die Pessar- behandlung, namentlich bei armen Frauen, grosse Schwierigkeiten. Die lange Dauer, der häufige Wechsel der Instrumente, die schädlichen Folgen bei nicht controlirten Fällen hätten oft den Gynäkologen ge- zwungen, von der Pessarbehandlung abzustehen. Dann sei eben nichts mehr zu machen gewesen. Deshalb sei es ein grosses Verdienst Ols- hausen’s, eine Therapie bezw. eine Operation erfunden zu haben, mit der man auch in diesen verzweifelten Fällen Heilung erzielen kann, Dies sei die Ventrofixation. Es wird der Leib zwischen Nabel und Symphyse eröffnet, der Uterus wird hervorgeholt und mit einigen Nähten festgenäht.

Die Indication bestehe dann, wenn es unmöglich sei, durch fort- gesetzte manuelle Versuche (Massage) den Uterus mobil zu machen. In diesen Fällen sei es nothwendig, die Adhäsionen zu durchtrennen, eventuell erkrankte Adnexe zu entfernen.

Der Vortragende giebt aber auch zu, dass bei völlig beweglichem Uterus die Operation gerechtfertigt sei. Hier bestehe dann eine Indi- cation, wenn das Pessar nicht vertragen würde, keinen Halt fände und wenn trotzdessen die Beschwerden den Lebensgenuss und die Arbeits- fähigkeit raubten.

Namentlich bei armen Frauen und Mädchen sei es gerechtfertigt, die Operation behufs Erlangung der Arbeitsfähigkeit zu machen, Die Resultate seien allgemein günstige, ja es sei festgestellt, dass Frauen nach der Operation coneipiren und glücklich gebären könnten, und dass danach der Uterus noch in normaler Anteversionsstellung gefunden werde,

Somit sei es als ein Fortschritt zu begrüssen, dass Olshausen eine neue Operation erfunden habe, durch welche Frauen gesund gemacht werden, die früher ungeheilt und arbeitsunfähig geblieben seien.

Im Anschluss an den Vortrag von Geheimrath Fritsch und eine Demonstration von Dr. Gläser bemerkt Herr Privatdocent Dr. Fränkel: Wie die Chirurgen die langdauernde, unzulängliche Behandlung der Brüche mit Bändern durch operative Eingriffe zu umgehen suchen, so sind auch wir Gynäkologen bemüht, die Heilung der Retroflexion schneller und sicherer als durch die Pessarbehandlung operativ zu erzielen.

16 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

So schlimm aber, wie Geheimrath Fritsch scherzhaft andeutete, ist die Pessarbehandlung nicht. Konnte ich doch schon im Jahre 1886 über 24 Fälle geheilter Retroflexion unter 1000 berichten, während ich in dem 2. Tausend nahe an 48 Heilungen zu verzeichnen habe, Bei allmählicher Verkleinerung der Pessare gelingt, wenn Patientin die Ausdauer besitzt, die Heilung durch eine Parametritis posterior in 31/,—4 Jahren, immer- hin eine Zeitdauer, die unter Umständen ein schnelleres operatives Vor- gehen nahelegt. Auch ich verwerfe mit Geheimrath Fritsch die Alexander’sche Operation, die eine neue pathologische Stellung des Uterus mit ihren Folgen (Abort etc.) schafft, und neige mehr zu der Ventrofixation, wie sie durch Köberle inaugirt ist, allerdings mit der Leopold’schen Modifieation. Auf letztere Weise habe ich 7 Mal operirt. Einen dieser Fälle habe ich vor 3 Jahren vorgestellt. Noch jetzt liegt bei dieser Frau, die sich den schwersten häuslichen Arbeiten unterziehen muss, der Uterus correct.

Aber, meine Herren, die Ventrofixation führt nicht zu physiologischen Lagerungs-Verhältnissen. Denn wenn auch Ziegenspeck angiebt, dass die Retroflexion durch ante- oder paracervicale Narben hervorgerufen wird, zu deren Heilung die eingreifende Operation nach Freund- Frommel vorgenommen wird, so sind dies die selteneren Fälle. In den meisten fällt der Uterus zurück durch Erschlaffung der Retractores. Gegen diese Art von Retroflexionen hat auf der vorigen Natur- forscher-Versammlung Sänger eine ungemein empfehlenswerthe Methode angegeben, die auf der Umstechung beider Douglas’scher Falten von der Scheide aus beruht (Retrocervicale Fixation). Bedingung ist nur, dass der Uterus gut reponibel ist. Die Operation ist nicht schmerzhaft, man vermeidet die Chloroform -Narkose. Ein Vorfall von Darmschlingen ist nicht zu befürchten.

Meine Herren! Jede Laparotomie ist in ihren Folgezuständen un- berechenbar und daher kein gleichgiltiger Eingriff. Ich möchte daher vorschlagen:

Die Ventrofixation bleibt auf jene Fälle beschränkt, bei denen der Uterus durch perimetritische Adhäsionen absolut irreponibel ist. Finden sich in diese eingebettet Tuben oder ÖOvarien, so ist gleichzeitig die Salpingo-Ovarioectomie anzuschliessen. Haben parametrane Narben oder subseröse Schwielen eine sogenannte relative Irreponibilität hervor- gerufen, so muss erst versucht werden, durch Massage nach Thure Brandt den Uterus reponirbar und retinirbar zu machen. Anderenfalls tritt auch hier die Ventrofixation ein.

Bei beweglichem Uterus operire man nach Sänger.

Geheimrath Mikuliez: Ich möchte mir die Frage erlauben, ob die Erfahrungen so weit zurückreichen, dass man dieser oder jener Operation eine gewisse Berechtigung zusprechen kann. Herr :Fränkel

1. Medicinische Abtheilung. t7 hat einen Vergleich zwischen der operativen Behandlung der Retro- flexionen und der der Hernien gezogen. Nun wir Chirurgen wissen, dass die Verwachsungen zwischen Bauchwand und inneren Organen, z. B. Darm nur relativ kurze Zeit bestehen. Es bildet sich eine Art Ligament, das allmählich immer dünner und dünner wird und zuletzt verschwindet. Auch bei der Radicaloperation der Hernien nach Macewen, die doch gewiss alle Bedingungen für eine ausgiebige Verwachsung in sich trägt, treten Recidive ein. Ich glaube also nicht, dass wir die Bruchbänder werden ganz entbehren können. Doch können ja die Verhältnisse bei der Ventrofixation des Uterus günstiger liegen als beim Darm. Wenn jedoch die Kräfte, die den Uterus in seine abnorme Lage hineingedrängt haben, weiter wirken, so wird, fürchte ich, stets der alte Zustand wieder eintreten. Ich spreche nicht gegen die Operation, aber ich meine, dass über die Zweckmässigkeit der einzelnen Methoden sich jetzt schon kaum wird etwas Bestimmtes sagen lassen.

Privatdocent Dr. Fränkel: Bei Wiederholung des Kaiserschnittes an derselben Person hat man nicht selten recht feste Verwachsungen zwischen Uterus und Bauchwand gefunden. Wie schon Geheimrath Fritsch mittheilte, hat eine Frau, deren Uterus ventrofixirt war, nicht nur coneipirt, sondern auch ausgetragen und ohne Störungen entbunden. Der Uterus lag auch nach der Entbindung normal. Einen ähnlichen Fall, den ich 4 Jahre controliren konnte, habe auch ich zu verzeichnen. Eine derartige Dauer der Heilung giebt uns für den Eingriff eine gewisse Berechtigung. Selbstverständlich muss auf die die Retroflexionen ver- anlassenden oder complicirenden Veränderungen in der Umgebung des Uterus Narben, Cervixrisse, Verfall der Blasenwand bei der Operation Rücksicht genommen werden. Betonen möchte ich, dass je mehr die Frau sich dem klimacterischen Alter nähert, desto weniger eine Operation angezeigt ist.

Dr. Asch jun. bemerkt in Bezug auf die Dauererfolge der Ventro- fixation, dass er zufällig vor kurzer Zeit Gelegenheit hatte, eine Patientin, an der vor etwa 4 Jahren die Operation durch Fritsch ausgeführt worden war, zu untersuchen und sich von der dauernd guten Lage des Uterus zu überzeugen.

Nicht nur parametrane Narben und peritoneale Fixationen geben einen Hinderungsgrund für die erfolgreiche Reposition des retroflectirten Uterus; bei mässigem linksseitigen Cervixriss blieb das leicht reponible Organ nie in richtiger Stellung, sondern retroflectirte über jedes Pessar, bis der Riss (durch Lappenspaltung) vereinigt war; nach der Heilung hielt ein stark gebogenes Celluloidpessar, das sich vorher als untauglich erwiesen hatte, den Uterus in normaler Lage.

Einen Grund für die Verlagerung des Uterus sieht A. auch in der durch vorhergegangene Operationen verursachten Verkürzung des Lig.

18 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

latum in sagittaler Richtung. In einer Reihe von Fällen beobachtete er nach Ovariotomien oder Castrationen, gerade bei leichten Operationen, bei denen der Stiel, sei es des Tumor, sei es der Adnexa, mit einem oder zwei Fäden unterbunden wurde, nachher obne sonst ersichtlichen Grund Retroflexion des Uterus, die übrigens manchmal noch genügende Beschwerden zu verursachen im Stande ist, zumal bei Virgines, bei denen eine Pessarbehandlung sehr erschwert ist. A. operirt deswegen so, dass Tube und Ovarium einzeln abgebunden und die Blätter des Lig. latum durch Knopfnähte oder, wo keine Spannung dadurch entsteht, durch fortlaufende Naht vereinigt werden. In mehreren so operirten Fällen blieb der leichtbewegliche Uterus in Anteflexio-versio.

Nach Entfernung der erkrankten Adnexe, der Salpingo-Oophoreetomie, in denen ja meist noch eine Perimetritis besteht oder Adhäsionen vor- handen waren, näht A. den Fundus uteri stets an die Bauchdecken und zwar einfach mit 2 starken Seidenfäden, die durch die Bauchdecken und quer durch den Fundus mit Vermeidung des Cavum gelegt sind.

3) Abstimmung über die Frage in Betreff der Verlegung der Sitzungsstunden.

Die Versammlung beschliesst mit grosser Majorität, die bisherigen Sitzungsstunden beizubehalten.

3. Sitzung vom 12. Februar 1892. Vorsitzender: Herr Geheimrath Fritsch. Schriftführer: Herr Dr. Rob. Asch.

Vor der Tagesordnung demonstrirt Herr Dr. Asch

einen durch Vaginal-Exstirpation gewonnenen Uterus einer Patientin, bei der er im October 1890 die beiderseitigen Adnexa wegen chronischer Salpingo-Oophoritis entfernt hatte, und

Herr Dr. Kendscher

das Präparat eines nahe der Cardia sitzenden Ulcus ventriculi, das Herr Geheimrath Mikuliez vor 3 Monaten mit Erfolg exstirpirt hatte.

1) Herr Dr. Asmus:

Ueber Syringomyelie.

Vortragender bespricht nach einer historischen Einleitung einen Fall von Syringomyelie bei einer jüngeren Hysterica, die auf der Königlichen Klinik für Hautkranke wegen frischer Lues behandelt wurde, Bei Leb- zeiten war der Fall nicht mit Bestimmtheit als Syringomyelie _ dia- gnostieirt worden, die Section hatte aber den Beweis geliefert, dass die an Brust, Rücken und Armen vornehmlich rechts entstandenen zahl- reichen Eruptionen von Blasen auf eine Höhlenbildung in der grauen

I. Medicinische Abtheilung. 19

Substanz des Rückenmarks zurückzuführen waren. Der Vertheilung der Hautaffeetion entsprechend, breitete sich die Höhle besonders im Hals- mark und oberen Brustmark aus und zwar nach rechts hin aus. Analgesie und 'Thermanaesthesie bei intactem Tastsinn waren nicht so ausgesprochen gewesen, wie dies in den typischen Fällen von Syringomyelie beobachtet wird.

Die mikroskopische Untersuchung des Rückenmarks ergab im Wesentlichen folgendes: Im Cervicalmark lag ein normaler Centralkanal vor, um den besonders nach hinten zu eine Ausbreitung von Gliagewebe zu constatiren war. In letzterem fand sich neben kleineren Degene- rationsberden eine grössere Höhle, die mit dem Centralkanal ver- schiedentlich eommunieirte, ohne jedoch eine Epithelauskleidung wie jener zu besitzen. An zahlreich angefertigten mikroskopischen Sagittal- schnitten des Halsmarks liess sich dies Verhältniss der Höhle zum Centralkanal demonstriren.

Im Brustmark bestanden Höhle und Centralkanal nicht mehr neben- einander, sondern es lag nur noch ein Hohlraum vor, der an verschiedenen Stellen der Wand, namentlich vorn, Epithel trug. Auch hier war die Höhle von Gliagewebe umgeben. Bei der Beantwortung der Frage nach der Entstehung der Höhle kommen zwei, im Folgenden anzuführende Deutungen in Betracht, von denen der Vortragende mehr zu der ersten neigt.

Nach der von Schultze und Anderen vertretenen Anschauung sind es Degenerationsvorgänge in Gliamassen, die zum Zerfall und dadurch zur Höhlenbildung führen. Indem der Zerfall in dem beschriebenen Halsmark nach der Peripherie hin fortschritt, musste er schliesslich den Centralkanal erreichen und so die Communication herstellen. Während im Halsmark noch verschiedene Schranken zwischen beiden Hohlräumen stehen geblieben waren, ist es im Brustmark zur vollständigen Ver- einigung beider Höhlensysteme gekommen, wobei sich an verschiedenen Stellen das Centralkanalepithel auf die Höhlenwand fortgesetzt hat. Die Möglichkeit wurde dabei nicht ausgeschlossen, dass die so entstandene Höhle durch Flüssigkeitsansammlung passiv erweitert worden sei, indem sich mit dem Gliazerfall eine stärkere Flüssigkeitsvermehrung verbinde.

Die zweite Erklärung geht von dem Standpunkte aus, dass der Rückenmarkshöhle ursprünglich ein Hydromyelus zu Grunde gelegen habe. Da in unserem Falle im Halsmark keine Centralkanalerweiterung vorliegt, so wäre die Höhle des Cervicalmarks als ein Divertikel der Dorsalmarkhydromyelie aufzufassen, welches Divertikel an verschiedenen Stellen in den Centralkanal eingebrochen ist.

Ein zu Hydromyelus disponirendes Moment war in dem beschriebenen Fall nieht vorhanden und da beglaubigte Beobachtungen vorliegen, bei

denen ähnliche Höhlen in Gliamassen entstanden waren, ohne dass eine g*

20 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Communication mit dem Centralkanal für Hydromyelie sprach, so möchte Vortragender an dem zuerst angedeuteten Erklärungsversuche festhalten.

Zum Schlusse sei kurz erwähnt, dass die Untersuchung der peri- pheren Nerven der Arme sowie der Haut keine wesentlichen Resultate ergeben hat, so dass demnach der Sitz des Leidens in das Rückenmark zu verlegen ist.

Discussion: Herren Prof, Neisser, Dr. Asmus, Geheimrath Heidenhain, Dr. Neuberger.

2) Herr Prof. Neisser spricht: Veber Lichen scrophulosorum.

Nach kurzer Schilderung des klinischen Bildes und der früheren mikroskopischen Befunde berichtet er über Jacobi’s (Freiburg i. B.) Untersuchungen, der in einzelnen exeidirten Stücken das typische Bild miliarer Tuberkel mit epithelioiden und Riesenzellen, in einem Schnitt auch Tuberkelbaecillen nachweisen konnte, so dass der genannte Autor zu dem Schlusse kam, man hätte in dieser Hautaffeetion nicht einen Lichen serophulosorum, sondern L. serophulosus zu sehen, eine echte Form der cutanen ‘Tuberkulose.

Der Vortragende hat selbst in zwei bei Lupösen beobachteten Lichen seroph.-Fällen diese Untersuchungen controliren und die histologischen Funde Jacobi’s bestätigen können. Herumgegebene Zeiehnungen illustriren die Ausführungen. Tuberkelbacillen hat er nicht gefunden, ein negatives Moment, welches aber bei der grossen Spärlichkeit der Bacillen wenig beweisen kann. Dagegen war in beiden Fällen eine typische, sehr hochgradige Local-Reaction an allen vom Lichen besetzten Hautflächen vorhanden. Ausserdem spricht nach Ansicht des Vor- tragenden für den tuberkulösen Charakter der Lichen-Papel das Abheilen derselben mit kleinen oberflächlichen dellenartigen Vertiefungen, die eine Andeutung des in der Tiefe gebildeten Substanzverlustes sind, der bei einfacher entzündlicher Knötchenbildung sonst fehlt.

Redner verweist sodann auf die Verwandtschaft dieses mikro-papu- lösen Tuberkulodermas mit dem kleinpapulösen Syphilid, auf die Schwierig- keit der Deutung des Riesenzellenbefundes, welcher auch bei den klein- papulösen Syphiliden gemacht worden sei, schliesslich auf die verhältniss- mässig leichte Heilbarkeit des Lichen scroph. durch externe Chrysarobin- behandlung,

Schliesslich betont er, dass wahrscheinlich öfter durch Lichen- Eruptionen bedingte Local-Reactionen nach Tuberkulin-Injectionen mit sogenannten Tuberkulin - Exanthemen verwechselt worden seien. Im grossen Ganzen sei also auch er geneigt, den Lichen scrophulosorum als einen Lichen scrophulosus, als ein Tuberkuloderma mikropapulosum auf- zulassen.

I. Medicinische Abtheilung. 21

4. Sitzung vom 26. Februar 1892. Vorsitzender: Herr Geheimrath Ponfick. Schriftführer; Herr Dr. Martini. Vor der Tagesordnung demonstrirt Herr Geheimrath Mikuliez einen 62jähr. Patienten, welcher mit einem Pylorus-Carcinom behaftet ist. Die Geschwulst ist gut abgrenzbar und wäre leicht zu operiren, wenn nicht schon lenticuläre Metastasen in der Haut des Ab- domens vorhanden wären.

Sodann hält derselbe seinen angekündigten Vortrag: „Der heutige Stand der Kropfbehandlung.‘ Der Vortrag erscheint an einem andern Orte in extenso.

Herr Dr. Riegner berichtet über einen Fall von Kropfexstirpation, welcher nach glücklicher Beendigung der Operation dadurch tödtlich endigte, dass die Trachea, welche weich wie ein Gummischlauch ge- worden war, durch unzweckmässige Kopfhaltung abknickte und colla- birte. Derselbe verlangt demgemäss, dass während und nach der Operation eine bestimmte Lage des Patienten innegehalten wird, welche am Wenigsten seine Athmung behindert. Auch bestätigt er, dass die parenchymatöse Jodinjeection durchaus kein indifferenter Ein- griff sei. | Herr Prof. Richter erinnert daran, dass die Form der Kröpfe nach Gegenden eine durchaus verschiedene sei und wünscht zu erfahren, welche Art in Breslau besonders häufig sei.

Herr Geh.-Rath Mikulicz erwidert zunächst auf die letzte Frage, dass in Gegenden, wo Kropf selten sei, die unangenehmere diffuse Form, die schwerer zu operiren sei, vorherrsche. So habe er es in Breslau und Königsberg gefunden; in Krakau und Wien seien, wie auch in den Alpen, Kropfknoten häufiger.

Was nun eine allmähliche Erweichung der Trachea, einen Schwund ihrer Knorpel beträfe, so betont Herr Mikulicz, dass er derartiges nie sesehen habe und berichtet über zwei Fälle aus der Billroth’schen Klinik, welche durch Lufteintritt in die eröffneten venösen Bahnen in der geschilderten Weise tödtlich verliefen. Natürlich ist es erforderlich, dass der Kopf während und nach der Operation in der Lage fixirt wird, welche am freiesten die Athmung gestatte,

Herr Dr. Janicke stellt sodann ein 16jähr. Mädchen vor, bei welchem sich im Anschluss an eine Kropfexstirpation das linke Horn der Schilddrüse blieb stehen, atrophirte aber nachher ein mässiger Grad von Cachexie entwickelt hatte, welche seit zwei Jahren keine Fortschritte macht. Das Mädchen zeigt etwas schlaffe, gedunsene Gesichtszüge, das Kopfhaar ist dünn geworden und an den unteren Extremitäten ist eine

3 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

leichte Ernährungsstörung der Haut aufgetreten, die sich als ein mässiger Grad von Ichtyosis präsentirt.

Herr Dr. Kolaczek wünscht noch über die Behandlung maligner Strumen eine Discussion.

Herr Geh.-Rath Mikulicz entgegnet, dass ja bei dieser Form alle Bedenken entstünden, welche bei bösartigen Tumoren überhaupt auf- träten. Er begnüge sich meist mit einer keilförmigen Excision, wenn der Tumor schon weit vorgeschritten wäre, aber dennoch eine Opera- tion nothwendig erscheine.

Wäre indessen die maligne Neubildung gänzlich zu exstirpiren, so nähme er ohne Rücksicht auf eventuell nachfolgende Cachexie das ganze Organ heraus.

Wegen vorgeschrittener Zeit wird die Fortsetzung der Discussion bis zur nächsten Sitzung vertagt.

Der angekündigte Vortrag des Herrn Dr. Silbermann:

„Ueber Carbolsäure-Vergiftung bei Säuglingen“ soll wegen der vorgerückten Zeit in der nächsten Sitzung gehalten werden.

5. Sitzung vom 11. März 1892. Vorsitzender: Herr Geh.-Rath Mikulicz. Schriftführer: vacat.

I. Vor der Tagesordnung: a. Herr Privat-Docent Dr. Kaufmann: !) Carcinom-Metastase am Halse des Oberschenkels ; Fractur. 2) 35jähr. Phthisica, Perichondritis des Kehlkopfs. Abscess um den Oesophagus. Perföration in denselben. 3) Tertiäre Lues im Kehlkopf, Stridor ete. Careinom der kleinen Curvatur des Magens. 4) Medullarkrebs des Magens in kolossaler Entwicklung. b. Herr Dr. Martini: Rectal-Lues, Strietur; periproctitischer Abscess mit Perfo- rationen. Amyloid. Diseussion: Herr Neisser, Ponfick, Mikulicz.

II. Fortsetzung der Discussion: ‚Der heutige Stand der Kropf- behandlung.“

1) Herr Müller (Beziehung des Morbus Basedowii zur Kropf- behandlung).

2) Herr Ponfick (wie sind die Fälle plötzlichen Todes zu deuten Herztod).

3) Herr Born (Embryologisches).

4) Herr von Noorden (Tübingen, Fall von Kropftod) Tracheal- veränderung in Tübingen nie gesehen. Auffallend wenig

I. Medicinische Abtheilung. 233 Verkalkung in Schlesien, in Tübingen fast regelmässig. Schwierigkeit der Tracheotomie bei malignem Struma. Eis- behandlung nach Wöllfler. 5) Herr Riegner: Kropftod Erklärung: Herz- oder Chloro- formtod’?

Herr Dr. Silbermann spricht über Carbolsäurevergiftung bei Säuglingen

und erwähnt zunächst die beiden von ihm beobachteten Vergiftungen, die wegen ihres Krankheitsverlaufes recht bemerkenswerth erscheinen. In dem ersten dieser Fälle handelt es sich um einen dreiwöchentlichen kräftigen Knaben, das zweite Kind gesunder und in den besten hygi- enischen Verhältnissen lebender Eltern, der bis zum 17. Lebenstage an der Ammenbrust vorzüglich gedieh. An diesem Tage zeigte sich am rechten Oberschenkel eine Zweimarkstück grosse, geröthete und etwas fluetuirende Geschwulst, eine Phlegmone der Haut, auf welche die Amme ohne Jemanden um Rath zu fragen, 2procentige Carbolwasserumschläge applieirtee. Während nun am folgenden Tage der Knabe noch ganz wohl war, stellten sich 48 Stunden nach Anwendung dieser Umschläge zu einer Zeit, wo das Kind vom Vortragenden zum ersten Male gesehen wurde leichter Ikterus, Cyanose und allgemeine Körperunruhe ein ausserdem wurde die dargereichte Brustnahrung fast völlig verweigert. Die nunmehr vorgenommene Krankenuntersuchung ergab normale Herz- töne, raschen und fadenförmigen Puls, stark beschleunigte Respiration und eine Temperatur von 36° C. Die Nabelwunde zeigte nichts Ab- normes in ihrem Verhalten. Es wurden jetzt die Carbolumschläge durch solche von essigsaurer Thonerde ersetzt, ferner Exeitantien ver- ordnet und die abgespritzte Ammenbrust mit dem Löffel eingeflösst. Die folgende Nacht verläuft sehr unruhig. Das Kind schreit oft sehr stark und lässt gegen Morgen etwa 50 Gramm eines dunkelgrünen Urins (Carbolurinp). Am nächsten Tage zeigte sich starke Zunahme des Ikterus, ferner Hämoglobinurie und als drittes, sehr beunruhigendes Symptom, eine sehr bedeutende Reflexerregbarkeit des Kranken. Die jetzt am Kranken- bette vorgenommene Blutuntersuchung ergab zahlreiche geschrumpfte rothe Blutscheiben, wenige Blutschatten und eine auffällige Zerfliesslich- keit des Leukocyten. In 0,6proec. Kochsalzlösung quollen viele ver- schrumpfte Erythrocyten rasch auf, andere entfärben sich rasch. In schwachen Methylviolettelösungen färben sich einzelne rothe Scheiben blau, die Leukocyten dagegen, die in der Norm durch diesen Farbstoff intensiv gefärbt werden, nehmen denselben jetzt theilweise nur sehr schwach, theils gar nicht an. Im weiteren Krankheitsverlaufe erholte sich das Kind unter Darreichung von Exeitantien unter erhöhtem Nahrungsbedürfniss so bedeutend, dass gegründete Hoffnung vorhanden

94 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

war, den Knaben zu erhalten. Da plötzlich wurde durch eine aus der phlegmonösen Hautpartie auftretende sehr starke Blutung ein erneuter Collaps des Kranken herbeigeführt, dem der exitus lethalis folgte. Bei der Autopsie, die sich auf Brust und Bauchhöhle beschränken musste, wurde nun das rechte Herz, die Pulmonalis, die beiden Cavae, die Pfortader und ihre Zweige sehr erweitert und strotzend mit Blut gefüllt gefunden, während das linke Herz nebst der Aorta und ihren Zweigen auffallend leer waren. Die Lungen sind lufthaltig, von sehr verschiedener Farbe, indem hellrothe Partien mit dunkelbraunen ab- wechseln, die Pleuren mit zahlreichen Blutungen bedeckt. Herzmuskel blassgelb, stark verfettet, Klappen normal. In den feineren Verzweigungen der Pulmonalis zahlreiche gemischte Thromben. Milz sehr gross, brüchig, sehwarzbraun, Leber mässig vergrössert, graugelb, Parenchym trüb und verwaschen; die interlobulären Gefässe und Gallengänge sehr stark ge- füllt und in Folge dessen sehr erweitert. Umbilicalgewebe und Ge- fässe normal; die Schleimhaut des Magens und des Dünn- und Dick- darmes zeigt starke Schwellung und zahlreiche linsengrosse Blutungen. -— Die Nieren sind von sehr buntem Aussehen, zum Theil ganz blass, theils wieder schwarzblau. In dem Tubulis contortis und rectis zahlreiche Hämoglobincylinder. Die mikroskopische Untersuchung von Herz, Leber und Nieren es wurden nur frische Gefriermikrotomschnitte angefertigt ergab eine ganz auffallende Blutfülle in den feineren Arterien, Venen und Capillaren der genannten Organe; dieselben stellten sich theils als einfache Stauungen, theils aber als Stasen und gemischte Thromben dar. Die Epithelien der Leberzellen und Harnkanälchen be- finden sich vielfach im Zustande der Verfettung und Nekrose.

Der zweite Fall von Carbolsäurevergiftung betrifft ein 6wöÖchentliches Mädchen, bei dem die Mutter, da es an intertrigo ad nates litt, 3 proc. Carbolwasserumschläge angewandt hatte. Auch hier stellten sich etwa 36 Stunden nach Application dieser Umschläge Ikterus, Cyanose, grosse Körperunruhe, allgemeiner Colaps und schliesslich Hämoglobinurie ein. Puls klein und jagend, Respiration stöhnend, Temperatur subnormal (36,2° C.). Die Blutuntersuchung ergiebt bei diesem Kranken im Grossen und Ganzen dieselben Veränderungen wie im ersten Falle, nur waren sie viel intensiver und hatten in Folge dessen zu einem ausserordentlich tiefen Kräfteverfall geführt. Unter diesen Umständen entschlossen wir uns, nachdem Exceitantien sowie die Ernährung durch die Schlundsonde ohne Erfolg geblieben waren, zur versuchsweisen Anwendung von Koch- salzklysmen, denen geringe Mengen Cognac beigemischt waren, und diese Medication war offenbar von bester Wirkung. Es hoben sich nun Puls und Athmung, das Nahrungsbedürfniss besserte sich und die schon tage- lang fast sistirende Harnseeretion kam wieder in Gang. In der Folgezeit hob sich der Kräftezustand sehr bedeutend, der Ikterus verschwand, das

I. Medicinische Abtheilung. 25 Körpergewicht vermehrte sich und acht Tage später befand das Kind sich ausser jeder Lebensgefahr.

Der Vortragende weist nun darauf hin, dass Ikterus und Hämo- slobinurie, die in diesen beiden Fällen von Carbolsäurevergiftung auf- traten, im Allgemeinen nur äusserst selten im Verlaufe der genannten Intoxieation beobachtet worden sind und dass dies in der Art der durch Phenol bedingten Blutschädigung seinen Grund hat; dasselbe schädigt bekanntlich in erster Reihe die Leukocyten, ferner bewirkt es Veränderungen der Erythrocyten, die zumeist in Schrumpfung, nicht aber in Aus- laugung derselben bestehen und deshalb auch nieht zum Uebertritt von Hämoglobin in das Plasma führen. Unter solchen Umständen kann es aber auch nicht zur Entstehung von Hämoglobinurie und Ikterus kommen. Die genannten Symptome entwickeln sich bei der Phenolvergiftung nur bei Individuen, deren Erythrocyten, wie bei Säuglingen, Wöchnerinnen, Anämischen besonders wenig resistent sind, indem es hier zu einer in- und extensiveren Auslaugung des Blutes kommt. Am Schlusse seiner casuistischen Mittheilungen geht der Vortragende noch etwas näher auf die Theorie der Carbolwirkung ein und betont, dass er auf Grund seiner klinischen und experimentellen Erfahrungen der Ansicht ist, dass die bei der acuten wie subacuten Form der genannten Intoxi- cation auftretenden Krankheitserscheinungen grossen Theils durch die blut- schädigenden Eigenschaften des Phenols bedingt seien.

Discussion:

Herr Neisser und Buchwald werfen die Frage nach der Theorie der Carbolsäurevergiftung auf.

Herr Mikulicz betont die Gefahr der Hautresorption und regt die Frage an, ob die Parenchym-Veränderungen alle seeundärer Natur sind.

Herr Riesenfeld betont die grosse individuelle Verschiedenheit bei Säuglingen wie bei Erwachsenen.

Herr Müller fragt, ob die Cyanose und der Ikterus nur auf Circu- lationsstörungen oder auf Hämoglobin-Veränderungen beruhen.

Herr Silbermann betont, dass auch bei den akuten Vergiftungen bereits in vivo Blutveränderungen vorhanden sind, während andere Gewebsstörungen fehlen.

Die bei akutem Carbolismus auftretende Hirnlähmung leitet der Vortragende ebenfalls von der Blutalteration der Cyanose und den Ikterus von den Circulationsstörungen und den Hämoglobinveränderungen ab.

Herr Neisser fragt, ob die Circulationsstörung stets primär oder ob nicht die Zellstörung als primär aufzufassen ist.

Herr Kaufmann führt seine Erfahrungen bei Sublimatvergiftung an.

Herr Silbermann vertritt nochmals seinen obigen Standpunkt.

36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

6. Sitzung vom 25. März 1892. Vorsitzender: Herr Prof. Born. Schriftführer: Herr Dr. Gaupp. Tagesordnung: Herr Dr O; Brüeger: Zur Pathologie und Therapie der Sinusthrombose bei Mittelohreiterungen.

Vortragender erörterte nach einer kurzen Besprechung der Aetiologie und Symptomatologie an der Hand eines Falles, in welchem die Eröffnung der sinus vorgenommen wurde, besonders die Frage der operativen Be- handlung der Sinusphlebitis. Die Schwierigkeit, die Sinusthrombose sicher zu erkennen, falle bei deren operativer Behandlung schwer in’s Gewicht; die genaue Diagnose, besonders auch hinsichtlich des Sitzes der Thrombose, sei eine unerlässliche Vorbedingung für die Vornahme eines operativen Eingriffs. Jedenfalls sei aber dann die bisher übliche, von Sehwartze besonders empfohlene Behandlungsmethode, welche sich mit der Eröffnung des Antrum mastoideum begnügte, dahin zu er- weitern, dass der sinus freigelegt und eröffnet werde. Nach dem Vor- schlage Zaufal’s sei daran dann die Unterbindung des jugularis anzu-

schliessen. Discussion:

Herr Hecke: Es kommt häufig vor, dass man bei operativen Eingriffen am Trommelfell und an der Paukenhöhle, z. B. bei Paracentesen, galvanokaustischen Aetzungen sehr bedeutende Blutungen bekommt, Ich frage deshalb den Herrn Vortragenden, ob nicht hier ebenfalls eine derartige Blutung bei der galvanokaustischen Paracentese des Trommel- fells entstanden sein kann und ob bestimmt eine Verletzung des Bulbus der Vena jugularis angenommen werden muss.

Ich habe bei einem jungen Mann von 17 Jahren im Anschluss an eine galvanokaustische Zerstörung eines Polypen-Restes der Pauken- schleimhaut hohes Fieber mit Schüttelfrost entstehen sehen; ich machte die Aufmeisselung des Warzenfortsatzes; das Fieber liess zwar etwas nach, es entwickelte sich aber unter stetem hochgradigen Ansteigen der Temperatur ein Abscess des linken Sternoclavicular-Gelenks eine beider- seitige seröse Schultergelenks-Entzündung und seröse Pleuritis. Der Kranke wurde geheilt mit gutem functionellen Resultat. Was das Vor- kommen von Streptococcus pyogenes anbelangt, so habe ich bei einem Kranken mit spontan entstandener Otitis media purulenta, Schüttelfrösten und Entzündung des Ellenbogengelenks sowohl in dem Eiter aus dem aufgemeisselten processus mastoideus, als auch in dem Sekret aus dem ineidirten Ellenbogengelenk Streptococcus pyogenes nachweisen können. Thier-Impfungen wurden mit dem Eiter allerdings nicht vorgenommen, aus denen man weitere Schlüsse hätte ziehen können.

Der betreffende Kranke wurde geheilt.

I. Medicinische Abtheilung. 937

7. Sitzung vom 8. April 1892. Vorsitzender: Herr Dr. Buchwald. Schriftführer: Herr Dr. Asch jun. Herr Dr. E. Fränkel spricht über:

„Aseptische Geburtshilfe oder geburtshilfliche Antiseptik

Sind wir zur inneren Anwendung von antiseptischen Mitteln vor, während und nach der Geburt verpflichtet, ja sind wir überhaupt dazu berechtigt? Genügt es, vielleicht mit einigen Modificationen und Ein- schränkungen, diejenige Methode beizubehalten, die man als Antiseptik in der Geburtshilfe zu bezeichnen gewöhnt ist, oder müssen wir be- strebt sein, die in der Chirurgie herrschenden Grundsätze der Aseptik auch auf die Geburtshilfe zu übertragen? Die Berechtigung dieser Frage liegt in der seit Einführung der Antiseptik in die Geburtshilfe nur relativ wenig, um Bruchtheile von Procenten, herabgeminderten Sterblichkeit der Wöchnerinnen, wie dies die grossen Statistiken von Winckel, Böhr, Ehlers, Hegar und Dohrn ergeben. Auch die Einführung der obli- gatorischen Anzeigepflicht für Aerzte und Hebammen die übrigens, wie jeder in der Praxis Stehende weiss, meist recht lax und unter - allerlei Rücksichtnahmen geübt wird hat hier nur wenig Wandel ge- schaffen. Das Eine allerdings ist durch strenge Durchführung der anti- septischen Grundsätze erreicht worden, dass in den früher so verpönten und gefürchteten Gebäranstalten und Kliniken die Mortalität und Mor- bidität im Wochenbette auf ein Minimum gesunken ist. Aber da das Gros der Entbindungen, etwa 94 Procent, der privaten Geburtshilfe an- heimfällt, so kann eine, wenn auch noch so eclatante Besserung der 6 Procent in Anstalten niederkommenden Frauen nur wenig an dem Ge- sammtresultate ändern. Ja selbst zur Entscheidung der Frage, ob zur Verhütung des Wochenbettfiebers in jedem Falle ausser strengen sub- jeetiver Desinfection eine vorbeugende äussere und vor Allem innere, Vagina und Cervix reinisende Anwendung von Antiseptieis nöthig sei, oder ob bei regelmässigen Geburten die Scheidenausspülungen unter gleichzeitiger Einschränkung der inneren und grösstmöglicher Ver- werthung der äusseren Untersuchung entbehrlich seien, oder ob man sogar unter möglichstem Ausschluss der Antiseptica der reinigenden Kraft des Wassers und der Seife allein vertrauen könne, werden die klinischen Beobachtungen und Statistiken, die sich, je nach dem wissen- schaftlichen Standpunkte ihres Verfassers, oft diametral widersprechen, nicht führen. Thatsache ist, dass trotz aller Antiseptik schwere In- fectionen in der Privatpraxis, sei es durch Schuld der Hebamme, des Arztes, der Wöchnerin oder ihrer Umgebung, noch immer relativ häufig vorkommen, und zwar meist grade in solchen Fällen, die sich durch einen leichten und glücklichen Geburtsverlauf ausgezeichnet haben. Gewiss ist es richtig, was Hofmeier (Deutsche med. Wochenschr. 1891,

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Nr. 49, Zur Prophylaxe der Wochenbetterkrankungen) sagt, dass Rein- lichkeit und Desinfeetion in rechter Weise angewandt, auch bei Kreissenden nicht schaden können; aber sehen wir nur genauer zu, wie dies „in rechter Weise“ in der Privatpraxis oft verwirklicht wird; dann wird uns der Widerspruch zwischen den vorzüglichen Resultaten der Geburtshilfe in der Klinik und unter privaten Verhältnissen bei schein- bar derselben Behandlung der Kreissenden nicht Wunder nehmen. Be- rücksichtigen wir also, dass die trotz Einführung der Antiseptik in die Geburtshilfe noch immer erschreckend hohe Wöchnerinnensterblichkeit (ca. 0,8 pCt.) fast allein auf Rechnung von Infeetionen während und nach der Entbindung zu setzen ist denn die sog. unvermeidlichen Todesfälle bei schweren Entbindungen, wie Eklampsie, Placenta praeria, Extrauterinschwangerschaft, Uterusrupturen ete. betragen nach Böhr höchstens 2 pCt. aller puerperalen Todesfälle —, erwägen wir ferner, dass eine nicht kleine Anzahl von Wöchnerinnen der schädlichen Ein- wirkung der Desinfieientien erliegen und dass aus diesem Grunde die in der Klinik zulässigen wirksamen inneren Desinfeetionsmethoden (z. B. vaginale und cervikale Sublimat- Ausspülungen und Ausreibungen) im Privathause in den Händen der Hebamme entweder unstatthaft oder, wenn gemildert (z. B. in Form 2procentiger prophylaktischer Carbol- waschungen und Ausspülungen) angewandt, zu einer schädlichen Schein- antiseptik führen, berücksichtigen wir endlich, dass, wenn wirklich die pathogenen Scheidenkeime in einer gewissen ceonstanten Zahl von Fällen und nicht wie wir es annehmen äussere wechselnde Ursachen für das Wochenbettfieber verantwortlich zu machen wären, alsdann die Statistiken nicht so enorme Zahlenunterschiede zeigen dürften, sondern viel constantere Zahlen ergeben müssten, erwägen wir alles dies, so bleibt für die Selbstinfeetion durch virulent gewordene Scheidenkeime und die damit stehende und fallende prophylaktische innere Desinfeetion fast nichts mehr übrig (Bumm, Zur Frage der inneren Desinfection Kreissender. Centralbl. f. Gynaek. 1892, Nr. 9). Daran ändert es nichts, wenn auch innerlich nicht untersuchte und nicht ausgespülte Fälle fiebern oder wenn, wie neuerdings von Frommel (Zur Prophylaxe des Wochenbettfiebers, Deutsche medieinische Wochenschrift 1892, Nr. 10) bei strenger subjeetiver und objectiver, nur äusserer Desinfeetion und innerer Untersuchung schwere Infectionsfälle beobachtet wurden. Damit ist noch nicht der Beweis geliefert, dass es grade die versäumte Ab- tödtung der virulent gewordenen Scheidenkeime war, welche das Fieber verursachte; denn mit der Unterlassung des Ausspülens und der inneren Untersuchung ist, wie Bumm hervorhebt, nur eine Quelle der äusseren Infeetion beseitigt. Viele andere Gelegenheiten, die trotz sorgfältigster Controle aller Betheiligten und aller begleitenden Umstände im einzelnen Falle nicht immer ermittelbar sind, bestehen fort, z. B. Berührung der

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äusseren Genitalien während und nach der Geburt, ihre Verunreinigung durch Faeces, verschiedene Infeetionsmöglichkeiten von aussen während des Wochenbettes. Wenn es also vorwiegend äussere Ursachen sind, auf welche die Entstehung des Wochenbettfiebers zurückzuführen ist, so muss man diese in der Geburtshilfe wie in der Chirurgie durch Ein- führung aseptischer Maassregeln zu bekämpfen suchen. Die Praxis ist in der Erfüllung dieser Forderung der Theorie weit vorausgeeilt, so dass das, was jetzt erst als Resultat der neuesten bakteriologischen For- schungen unser wissenschaftlich begründetes Eigenthum geworden ist, schon vor einem Vierteljahrhundert und früher, allerdings rein empirisch, erfolgreich ausgeübt wurde. Beim Rückblick auf eine mehr als 25jährige geburtshilfliche Thätigkeit ist es mir in lebhafter Erinnerung, wie mein verstorbener Lehrer Spiegelberg, als er 1865 die Leitung der Breslauer geburtshilflichen Klinik übernahm, durch eine Reihe von Maassnahmen die fast durchweg den Forderungen der heutigen Aseptiker entsprechen, den Augiasstall der alten (jetzt glücklich beseitigten) Breslauer Klinik zu reinigen und Wandel in den daselbst fast jedes Semester wieder- kehrenden Puerperalfieberepi- und endemien zu schaffen suchte. Er stand nach einem längeren Aufenthalte in England noch unter dem Einflusse der grossen Dubliner Schule und führte mit jugendlicher Energie in seiner Klinik die Grundsätze der peinlichsten subjectiven und objeetiven Sauberkeit, der möglichsten Einschränkung der inneren und der vorzugs- weisen (im Falle von Endemien ausschliesslichen) Ausübung der äusseren Untersuchung, der naturgemässen und schonenden Behandlung des ganzen Geburtsactes und besonders der Nachgeburtsperiode, der Herabminderung der Operationsfrequenz und der Sorge für andauernde Retraction des Gebärorgans nach Vollendung der Geburt durch. Herr Professor Leopold, der ja neuerdings diese Grundsätze erfolgreich verficht, wird sich aus seiner Volontärarztzeit an der Breslauer Klinik zu erinnern wissen, wie wir damals in jedem normalen und pathologischen Geburtsfalle bestrebt waren, zunächst allein durch die sorgfältigste äussere Untersuchung die Diagnose zu stellen, und wie das Touchiren nur möglichst selten und zur Vervollständigung der Palpations-Diagnose ausgeübt wurde. Die klinischen Journale von 1865—72, die sicher noch vorhanden sind, ent- halten darüber genaue Aufzeichnungen. Der Erfolg dieser Maassregeln war dann auch, wie die von mir als Assistent in der Prager Viertel- Jahrsschrift und in der Deutschen Klinik (Berlin, Dr. Göschen, 1868 und 1870) veröffentlichten Jahresberichte der Breslauer geburtshilflichen Klinik bewiesen, eine sehr erhebliche Herabminderung der Mortalität und Morbidität und trotz des Fortbestandes der äusseren ungünstigen Verhältnisse in dem alten, ungeeigneten Hause das gänzliche Verschwinden grösserer Puerperalendemien, die vorher fast alljährlich zu einer Schliessung der Anstalt gezwungen hatten. Es folgte dann, vom Beginn der 70er

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Jahre an, die antiseptische Aera, die wir in ihrer Entwickelung und auch in ihren Uebertreibungen ich erinnere nur an das Gebären unter Carbolspray, an die permanente Irrigation des puerperalen Uterus auch nach normalem Geburtsverlauf u. s. w. mehr oder weniger fast Alle mitgemacht haben und endlich, ungefähr seit 1888, die naturgemässe Reaction und der Uebergang zu der in der Chirurgie vorbereiteten Richtung der Asepsis, wie sie für die Geburtshilfe neuerdings, besonders von Leopold, Merman, Szabo und J. Veit vertreten wird. Der Letztere geht sogar in consequenter Durchführung seiner Prineipien in einem jüngst in der Berliner Gesellschaft f. Geburtsh. und Gynaek. (Sitzung vom 11. März 1892, Centralbl. f. Gynaek. Nr. 16, pag. 317) gehaltenen Vortrage so weit, dass er neben der Beschränkung der inneren Unter- suchung nach ganz bestimmten Indicationen die Reinlichkeit obenan stellt und eine strenge Desinfeetion nur da und nur in der Ausdehnung verlangt, wie sie wirklich nothwendig ist. Eine solche ist für die Hand des Geburtshelfers und der Hebammen ebenso wie für die äusseren Ge- schlechtstheile nur nöthig vor jeder inneren Untersuchung, kurz vor dem Austritt des Kindes und vor jeder Operation; eine Desinfeetion der inneren Geschlechtstheile ist unter normalen Verhältnissen überhaupt nicht nöthig. Desinfieirt man nur das und nur da, was resp. wo wirklich nöthig, benutzt man in möglichst grosser Ausdehnung die steri- lisirende Kraft des Wassers, so kann man als besonders wichtig immer Werth auf die Reinlichkeit der Anzüge der Hebammen, die der Hände und die der Wäsche in der Umgebung der Kreissenden legen.

Man sieht aus dieser jüngsten Aeusserung des consequentesten Ver- treters der Aseptik in der Geburtshilfe, dass die Anschauungen seit 25 Jahren einen Cirkel, aber wie ich glaube keinen fehlerhaften durchlaufen haben: vor der empirischen Sauberkeit der vorantiseptischen Zeit sind wir durch die Anti- zur Aseptik und in dieser wieder zur zielbewussten strengsten Reinlichkeit im bakteriologischen Sinne vor- seschritten.

Es stehen sich in der Geburtshilfe augenblicklich noch zwei Parteien ziemlich schroff gegenüber, deren Sieg von der Lösung der entscheiden- den Frage abhängt, ob die das Puerperalfieber erzeugenden Keime stets während oder nach der Geburt von aussen in die Genitalien eingeführt worden sind (Oontact- oder Ausseninfection, directe Infection), oder ob solche Spaltpilze schon vorher in den Genitalien gehaust haben können. (Selbstinfeetion, spontane oder indireete, Scheideninfeetion.) Die Mehr- zahl der Autoren giebt allerdings die letztere Infectionsmöglichkeit theoretisch zu, widerspricht aber den Schlussfolgerungen und Forderungen für die Praxis, die aus den bisherigen bakteriologischen Untersuchungen der Genitalseerete gezogen werden und im Wesentlichen auf eine prophy- laktische, streng durchgeführte Desinfection des Genitaltraetus Kreissender

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von der Vulva bis zum inneren Muttermunde hinauslaufen. Der einzige Weg zur Entscheidung dieser Streitfrage, ob das Scheidenseeret an sich eine Infectionsgefahr für die Kreissenden bedingt und ob die auffallenden bakteriologischen Befunde, besonders Steffeck’s und Winter’s, die in 40—50 pCt. der Fälle in demselben pathogene Keime fanden, eine Ver- schärfung der inneren oder Scheidendesinfecetion verlangen, ist die Er- weiterung unserer Kenntnisse von den im Vaginalseeret vor dem Ge- burtsbeginn vorkommenden Spaltpilzen.

Einen grossen Fortschritt auf diesem Gebiete verdanken wir den sorgfältig durchgeführten, jüngst in einer Monographie zusammengefassten Untersuchungen Döderlein’s (Das Scheidenseeret und seine Bedeutung für das Puerperalfieber, Leipzig 1892), der zunächst den Beweis lieferte, dass die nach Kehrer, Winter und Steffeck so häufige Anwesenheit pathogener Organismen im Genitalcanal nicht für gesunde Frauen mit normalem Secret, sondern nur für solche mit pathologisch veränderter Absonderung zutreffend sei. Döderlein stellte in dieser Arbeit zuerst und endgiltig den Begriff des normalen Genitalsecretes fest. Man sprach bisher wohl immer vom Genitalcanal des ‚gesunden‘ Weibes, aber was war darunter zu verstehen? Der bekannte Ausspruch Bokelmann’s dass die gesunde normale Kreissende a priori als aseptisch anzusehen sei, bedurfte einer präciseren Fassung und diese verlieh ihm Döderlein, indem er als normales Scheidensecret bei Schwangeren jenes bezeichnete, welches beı stark saurer Reaction die bacteriologisch von ihm genau beschriebenen Scheidenbacillen und in einzelnen Fällen den Soorpilz (Monilia candida Bonorden, Plaut) enthält, ausserdem aber keine oder nur vereinzelte saprophytische Keime und insbesondere weder in Cultur noch bei subeutaner reichlicher Infusion pathogene Keime nach- weisen lässt. Im normalen Scheidensecret bestehen, wie Bumm mit Recht betont, ähnliche Schutzvorrichtungen wie in der Mundhöhle, welche die Ansiedlung septischer Keime erschweren und uns erklären, warum In- feetionen daselbst so selten erfolgen. Es sind dies nach Döderlein’s Ver- suchen die Scheidenbacillen bezw. ihre Stoffwechselproducte, zu welchen als wirksamer Theil besonders die Säure zu rechnen ist, die ein Hinder- nissmittel für die Entwicklung der Strepto- und Staphylococcen darstellt. Im Gegensatz zum normalen Secret stellt das pathologische nach Döder- lein einen mehr oder weniger dünnflüssigen, gelblichen bis gelbgrün- lichen, nicht selten von kleinen Gasblasen massenhaft durchsetzten, schaumigen oder mit zähem, gelben Schleim vermengten Eiter dar, der meist schwach sauer, nicht selten neutral oder alkalisch reagirt und an eigentlichen Bacterien und Coccen, darunter auch pathogenen, reich ist Dieses krankhafte Seeret findet sich in erster Reihe bei Schwangeren mit Erosionen der Portio, eitrigem Cervicalkatarrh, spitzen Condylonen, Vaginitis granulosa, muss aber auch in solchen Fällen, welche keine

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derartigen pathologisch-anatomischen Veränderungen erkennen lassen, als abnorm bezeichnet werden, da sich die Beschaffenheit und das Wesen des Seerets in nichts von dem bei ausgezeichneten Krankheitssymptomen vorkommenden unterscheidet. Döderlein fand nun in dem stark ge- mischten Untersuchungsmaterial der Leipziger Klinik unter 195 Schwan- geren 108 55,5 pCt. mit normalem Secret und 87 44,6 pCt. mit pathologischer Absonderung. Für die überwiegende Mehrzahl der Fälle, für alle Schwangeren, die mit normalem Secret zur Geburt kommen, ist somit bei Ausschluss einer von aussen bewirkten Infection ein normales Wochenbett gesichert, sofern nicht Spätinfeetion im Wochenbett erfolgt. Es ist also die prophylaktische innere Desinfeetion so lange überflüssig, ja schädlich, als von aussen keine Krankheitserreger in die Geburtswege eingeführt werden. Dies kann vermieden werden durch Unterlassen der inneren Untersuchung oder durch strengste subjecetive und äussere Des- infeetion der Kreissenden. Unter den 87 Fällen mit abnormem $Becret konnte Döderlein in 3 Fällen neben anderen Keimen den Streptococeus pyogenes aufzüchten, der nach übereinstimmenden Beobachtungen in der überwiegend grossen Mehrzahl aller Fälle von puerperaler Wundinfeetion gewöhnlich die Rolle des Infectionsträgers spielt. Berechnet man die Häufigkeit des Vorkommens von Streptocoecen auf die Gesammtzahl der von Döderlein untersuchten Schwangeren, so ergiebt sich ein Procent- verhältniss von 4,1 pCt., während sich im pathologischen Scheidenseeret 9,2 pCt. Streptococcen ergeben. Der Nachweis der letzteren im Scheiden- secret mittelst des Culturverfahrens allein genügt jedoch noch nicht, um den Schluss zu rechtfertigen, dass die betreffenden Individuen in höherem Maasse gefährdet wären, im Puerperium zu erkranken. Es muss noch die Virulenz der aus der Scheide gezüchteten Streptococcen durch Thier- versuche mit den Streptococcen-Reineulturen geprüft werden. Von den sieben so geprüften Culturen verschiedenen Ursprungs erwiesen sich nur fünf als pathogen, während in zwei Fällen den Streptococcen kein viru- lenter Charakter zukam. Die Uebertragung derselben subeutan und ins Ohr von Kaninchen verlief ohne jeden Erfolg, ebenso wie die directe Einverleibung in die Peritorealhöhle mittelst Laparotomie. Für fünf von den aus der Scheide gezüchteten Streptococeen, also nur bei etwas mehr als 53 pCt. aller von Döderlein untersuchten Schwan- geren war allerdings die Virulenz der aus der Scheide ge- züchteten Streptococcen und somit die Möglichkeit nach- gewiesen, durch sog. Selbstinfeetion, ohne äussere Infection während und nach der Geburt am Kindbettfieber zu er- kranken.

Rechnet man von diesem an und für sich schon sehr niedrigen Procentsatz die Wirkung der natürlichen Schutzvorrichtungen ab, die während der Geburt dem Eindringen der pathogenen Keime in die

I. Medicinische Abtheilung. 33 Wunden des Genitalcanals und der Aufsaugung ihrer Stoffwechsel- producte entgegenwirken: Abhebung und Herausbeförderung der auf der Schleimhautoberfläche haftenden Keime durch die reichliche serös- schleimige Absonderung aus Cervix und Vagina während der Geburt, Fortschwemmen der spaltpilzhaltigen Secretmassen durch das ab- fliessende Fruchtwasser und Blut, mechanische Reinigung des ad maximum erweiterten und durch die Dehnung glattwandigen Genitalrohrs durch den mit Vernix überzogenen Fruchtkörper (Kaltenbach), so wird sich selbst bei Vornahme innerer Untersuchungen bei gründlicher subjeetiver und nur äusserer objectiver Desinfection, also ohne innere Ausspülungen, der Mortalitäts- und Morbiditätssatz noch wesentlich niedriger stellen als obige 3 pCt. In der That fanden Leopold und Goldberg (Deutsch. med. Wochenschr, 1892, Nr. 13) dieselbe in der Dresdener Klinik im Jahre 1890 zu 1,18 pCt., im Jahre 1891 zu 1,61 pCt. (Gestorbene und Ge- nesene) und Mermann (Centralbl. f. Gynaek. 1892, Nr. 11), der noch weiter als Leopold geht und trotz innerer Untersuchung in keinem ein- zigen Falle, auch bei operativen Eingriffen nicht, irgend eine vaginale Desinfection vor, während oder nach der Geburt vornimmt, hat jetzt eine fortlaufende Reihe von 700 Geburten ohne Infeetionstodesfall und eine Morbidität von 6 pÜt., also die bis jetzt als besterreichbar gelten- den Resultate durch eine ausschliesslich subjeetive Antisepsis erzielt. So kommen wir denn, unter Anerkennung der Döderlein’schen An- schauung, dass in der Geburtshilfe des Privathauses eine Berücksichtigung des Scheidensecretes zur Bestimmung der antiseptischen Vorsichtsmaass- regeln sowohl bei physiologischen wie bei pathologischen Geburten im Allgemeinen nicht ausführbar sein wird, auch zur Uebereinstimmung mit seiner Schlussfolgerung, dass für die physiologischen Geburten im Privat- hause bei dem nur sehr vereinzelten Vorkommen von pathogenen, viru- lenten Keimen im Scheidensecret dieses letztere als Infeetionsquelle ver- nachlässigt werden kann, wenn nur die Vermittlung einer Infeetion aus- geschlossen wird durch Unterlassen bezw. Einschränkung der inneren Untersuchung. Trotzdem also in sehr vereinzelten Fällen die Keime des eitrigen Vaginalsecrets sich als virulent und deshalb nicht unschädlich erwiesen haben, wäre es doch nicht gerechtfertigt, deshalb für die Prophylaxe des Puerperalfiebers bei physiologischen Geburten im Privat- hause generelle Desinfectionsvorschriften der Scheide für nöthig zu er klären. Man würde damit für die Privatpraxis, die mehr als 94 pCt. aller Geburten umfasst und fast ausschlieslich in den Händen der Heb- ammen ruht, diesen letzteren eine Waffe von grösserer Gefährlichkeit als das zu bekämpfende Uebel in die Hand geben. Man kann sich mit Döderlein, Leopold und J. Veit darin einverstanden erklären, dass das Wichtigste, wenn auch für die Privatpraxis nur schwer, durch eine sorg- fältigere Ausbildung der Aerzte und Hebammen durchführbare Abwehr- 3

x:

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mittel gegen das Kindbettfieber neben der peinlichsten subjeetiven Anti- sepsis, sowie Reinigung der Kreissenden und ihrer äusseren Genitalien in der möglichsten Einschränkung der inneren Untersuchung mit ihren Gefahren und dem thunlichsten Ersatz derselben durch die äussere be- steht. Ob es möglich sein wird, hierin so weit zu gehen, wie J. Veit, muss der späteren Erfahrung überlassen bleiben; vorläufig scheint der eingeschlagene Weg der richtige zu sein.

Wollen wir aber ernstlich für die Zukunft die Verwirklichung der Forderung der thunlichsten Beschränkung der inneren und grösstmöglichen Verwerthung der äusseren Untersuchung, so giebt es nur ein Mittel: die systematische Einübung dieser Methode in Lehranstalten für Aerzte und Hebammen, selbstverständlich ohne deshalb die Erlernung der inneren Untersuchung zu vernachlässigen. Es besteht bei den meisten klinischen Lehranstalten ein Zwiespalt zwischen den intra muros geübten Des- infectionsmethoden und den für die Privatpraxis empfohlenen Vorschriften. Es muss auf Studirende und besonders auf Hebammen, deren Verständniss für die Forderungen der Antiseptik nach der Art ihrer Vorbildung ja kein grosses sein kann, gradezu verwirrend wirken, wenn ihnen, z. B. in der Klinik prophylaktische vaginale Sublimatausspülungen und Aus- reibungen in jedem regelmässigen Geburtsfalle als nothwendig gelehrt werden, während ihnen dieselben im Privathause entweder verboten (z. B. in Sachsen, Lehrbuch der Geburtshilfe für die Hebammen Sachsens von Cred&e und Leopold, V. Auflage, Leipzig, Hirzel 1892) oder wie in Preussen (Anweisung für die Hebammen zur Ver- hütung des Kindbettfiebers vom 22. November 1882) wenigstens nicht direct vorgeschrieben sind. Aus diesem Grunde möchte ich mich auch mit der von Döderlein für die Gebäranstalten vorgeschlagenen Trennung der zur Geburt kommenden Frauen in solche mit normalem und solche mit pathologischem Secret, von denen die ersteren ohne innere Desinfeetion für die Touchirübungen verwendet werden können, die letzteren dagegen entweder vor dem Touchiren bewahrt oder durch eine geeignete locale Behandlung der Scheide von den im pathologischen Secret liegenden Gefahren geschützt werden müssen, für die Privat- praxis vorläufig nicht einverstanden erklären; diese wohl in der Klinik durchführbare subtile Unterscheidung wird im Privathause in den Händen der Hebamme und zahlreicher Aerzte zu einer Zwiespältigkeit in der Desinfectionsmethodik und zu schädlicher Polypragmasie führen. Es bleibt dann auch immer noch die grosse Anzahl derjenigen Personen übrig, die als Kreissende in die Anstalt eintreten und bei denen (wie in der Privatpraxis) vorher das Scheiden- secret nicht untersucht werden konnte; für diese liegt dann ebenso der Schutz nur in der möglichsten Einschränkung der inneren Untersuchung neben subjectiver Antisepsis und genauer Säuberung der äusseren Ge-

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schlechtstheille und ihrer Umgebung. Selbstverständlich aber machen sich im Privathause wie in der Gebäranstalt zielbewusste innere Des- infeetionsmaassregeln nöthig, sobald zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken eine eingehendere Berührung der inneren Genitalien vorzu- nehmen ist, wodurch die in einer bestimmten, wenn auch nur sehr ge- ringen Anzahl von Fällen vorhandenen pathogenen Keime in den Uterus der Kreissenden verschleppt werden können; ebenso, wenn in einem Falle Infeetion bereits stattgefunden hat oder wahrscheinlich ist. In diesem Punkte möchte ich also nicht so weit wie Merman gehen, der selbst vor operativen Eingriffen eine vaginale Desinfection nicht vor- nimmt. Für das Wochenbett ist es ja von allen Seiten jetzt aner- kannt, dess die inneren Genitalien in regelmässigen Fällen ein noli me tangere bilden sollen und dass nur bei fieberhaften Processen oder ge- fahrdrohenden Blutungen innere Eingriffe, speciell intrauterine und vagi- nale Ausspülungen, unter denselben antiseptischen Vorsichtsmaassregeln wie während der Geburt erlaubt sind.

Uebertragen wir diese theoretischen Erwägungen in’s Praktische, so möchte ich in Anlehnung an die Vorschläge von Ahlfeld (Verhandl. der deutschen Gesellsch. f. Gynaek., IV. Congress, pag. 31 u. f.) und J. Veit (l. e.) folgende Maassregeln für die Durchführung der Aseptik im Privat- hause wie in der Gebäranstalt für regelmässige Geburten empfehlen: Bei Beginn der Geburt wird zunächst ein Einlauf in den Mastdarm und alsdann in der Klinik, wie in wohleingerichteten Häusern ein Bad ge- seben; in der Hütte des Armen muss man sich auch ohne das letztere behelfen. In diesem Falle ist aber die von Ahlfeld geforderte Reini- gung der Frau ausserhalb des Bettes, auf einem Stuhl sitzend, falls das Geburtsstadium dies noch zulässt, um so mehr nöthig, als die Her- stellung eines sauberen Bettes mit Unterlage nur so sich ermöglichen lässt. Kann die Kreissende das Bett nicht mehr verlassen, so ist ihre Säuberung in Quer- resp. Seitenlage vorzunehmen. Es müssen der Unter- bauch, Schamberg, Schamlippen, Damm, After in weiter Umgebung und die Oberschenkel, sowie auch die Hände mit Wasser, das Y, Stunde gekocht hat, mittelst ebenso ausgekochter Mulltupfen und Seife zunächst energisch abgerieben und abgeseift werden; alsdann wird mit gekochtem Wasser nachgespült und nun erst eine Nachreinigung der äusseren Theile mittelst eines in desinficirende Lösung getauchten, gleichfalls aus- gekochten Handtuches vorgenommen. Wenn die Hebamme bezw. der Arzt gleich bei ihrer Ankunft bei der Kreissenden in einem grossen Topfe mehrere Liter Wasser, einige grössere, sowie zahlreiche kleinere, za Tupfern und Tampons geeignete Stücke Verbandmull, sowie einige Handtücher (die gleichzeitig zu Unterlagen dienen können) auskochen lassen, so wird durch die Forderung, die sterilisirende Kraft des kochen- den Wassers in erster Reihe zur Aseptik in der Geburtshilfe zu verwenden,

BE

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auch kein unnützer Zeitverlust herbeigeführt. Betreffs der Frage, ob es möglich und rathsam ist, mit Wasser und Seife allein eine Asepsis der äusseren Geschlechtstheile zu erzielen, möchte ich mich der diesbezüg- lichen Empfehlung Veit’s selbst dann nicht anschliessen, wenn ich mit seiner Forderung, bei regelmässigen Geburten nur unter ganz bestimmten Indieationen innerlich zu untersuchen, völlig einverstanden wäre. Augen- blicklich und wohl noch für eine Reihe von Jahren ist bei der unge- nügenden Ausbildung der Aerzte und Hebammen in der Technik der äusseren Untersuchung dieses Desiderat undurchführbar und es dürfte bei äusserster Einschränkung der inneren Untersuchung wenigstens eine solche beim Geburtsbeginn und eine fernere nach dem Blasensprunge zu concediren sein.

Wenn also die innere Untersuchung auch bei physiologischen Ge- burten nicht ganz zu beseitigen ist, so muss für eine vorangehende pein- lich strenge Desinfeetion der äusseren Genitalien gesorgt werden und hier- für scheint mir Wasser und Seife allein ohne nachfolgende Anwendung von Antiseptieis nicht ausreichend zu sein, wie auch die Erfahrungen von Leopold und Goldberg (Archiv f. Gynaek. Bd. XL. p. 467) dies für die Desinfection der Hände festgestellt haben. Zu dieser rein äusseren Des- infection halte ich es aber für zulässig, auch den Hebammen das an- erkannt sicherste Desinfeetionsmittel, Sublimat, in die Hände zu geben. In Form der Angerer’schen Pastillen ist dasselbe bequem transportabel, gut dosirbar, leicht löslich und vor jeder Verwechslung geschützt, Vor- züge, die man der Carbolsäure nicht nachsagen kann. Wenn es den Hebammen nur streng verboten ist, innere Ausspülungen zu machen, so ist das Sublimat als einheitliches Desinficiens für ihre Hände und die äusseren Geschlechtstheile der Kreissenden allen anderen, auch dem Creolin und Lysol, vorzuziehen; der allgemeinen Anwendung der letzteren steht schon ihre Eigenschaft als Geheimmittel im Wege.

Dass durch äusseres Abwaschen der Schamlippen und des Dammes dieselben brüchig und spröde werden, habe ich nicht bestätigt gefunden; wohl aber fiel mir dies an der Schleimhaut der Scheide bei Sublimat- ausspülungen und Ausreibungen derselben und beim Touchiren mit den in wässrige Sublimatlösung getauchten Fingern auf. Die Möglichkeit der Entstehung von Dammrissen, vor denen man ja besonders bei Erst- gebärenden nie sicher ist, ist ein fernerer Grund zur strengen Des- infeection der äusseren Genitalien, schliesst aber das prophylaktische äussere Abreiben derselben mit den in ', proc. Sublimatlösung ge- tauchten Mulltupfen und dieselbe Manipulation beim Durchschneiden des Kopfes nicht aus, da nach dem oben Gesagten die rein äussere Anwen- dung des Sublimats weder toxisch wirken, noch durch Brüchigmachen der Gewebe zur Entstehung eines Dammrisses prädisponiren kann. Hin- gegen möchte ich das von Ahlfeld empfohlene Auswaschen der bei Aus-

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einanderhalten der Schamlippen zugängig gemachten Theile des Genital- schlauchs allein durch Mulltampons, Wasser und Seife besorgt wissen; Sublimat soll eben nur auf epidermoidale Gebilde angewendet werden. Nach Bekleidung der Frau mit frischer Wäsche wird sie jetzt zu Bett gebracht.

Ebenso wichtig wie die Asepsis der äusseren Geschlechtstheile ist die Herrichtung eines aseptischen Geburtslagers. Ich sagte schon, dass ich dazu nicht die kleine Unbequemlichkeit oder Gene für die Kreissenden scheue, dieselben aus dem Bett heraus zu nehmen, sie nach Ahlfeld’s Vorschlag auf einem Stuhl sitzend zu säubern und während dieser Zeit das Kreissbett entsprechend herzurichten. Jeder, der längere Zeit Assistenzarzt einer geburtshilflichen Poliklinik war oder Land- oder Armenpraxis treibt, weiss in welchem unglaublichen Zustande meist die Betten sich befinden und wie leicht bei der Geburt oder im Wochenbett Ausseninfeetion von hier vermittelt werden kann.

After, Damm, Vulva und Mons Veneris werden mit einer dicken in sterilisirtes Wasser getauchten Mulleompresse bedeckt, die durch- bluteten Unterlagen unter Gesäss und Öberschenkeln durch reine, in Sublimatlösung getauchte und gut ausgewundene Handtücher oder zu- sammengefaltete Bettlaken ersetzt. Man hilft sich am besten dadurch, dass man ein oder mehrere ausgekochte und in Sublimatlösung (1 : 2000) getauchte Handtücher unter das Hintertheil und die Oberschenkel der Frau, der ganzen Breite des Bettes nach, legt und falls das Deckbett sehr schmutzig und nicht durch ein reines zu ersetzen ist, auch die äusseren Geschlechtstheile durch ein in dieselbe Lösung getauchtes, zusammengefaltetes, noch triefendes Handtuch schützt, welches so vor- gelegt wird, dass es den After, die Vulva und den Schamberg bis über die obere Grenze des Haarwuchses hinauf vollkommen bedeckt.

Ueber die subjecetive Reinigung der Hände der Hebammen und des Arztes brauche ich nach den Fürbringer’schen Untersuchungen nichts mehr zu sagen. Nur kann zur Vereinfachung der Procedur die Alkohol- waschung der Hände ohne Schaden weg bleiben. Fast wichtiger als die Spirituswaschungen erscheint mir ein sorgfältiges Ab- und Ausreiben der Nägelfalze und Nägel mit in Sublimatlösung getauchten Mulltupfern, Der Vorzug des Sublimats vor allen andern Mitteln für die Desinfection der Hände dürfte wohl kaum bestritten werden; es giebt nur wenige Personen, deren Haut gegen häufige Sublimatwaschungen durch Ekzem u. s. w. reagirt. Mindestens ebenso häufig findet man eine solche Empfindlichkeit der Haut gegen Carbolsäure, die ausserdem, ebenso wie Creolin und Lysol, durch den lange anhaftenden Geruch störend wirken. Dass ich für die Hände ebenso wie für die äusseren Geschlechtstheile der Kreissenden die Bürsten durch Mull- oder Wattetampons ersetzt wissen will, wird Jeder billigen, der sich überzeugt hat, wie grade

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chirurgische Nagelbürsten wahre Brutstätten pathogener Keime sind und der weiss, wie selten wegen der raschen Verderbniss durch wiederholtes Auskochen dieselben von Hebammen dieser nothwendigen Procedur unter- worfen werden. Der nunmehr vorgenommenen äusseren Untersuchung folgt eine nochmalige strenge subjeetive Desinfektion zur inneren Exploration. Dass die letztere unter Leitung des Auges vorgenommen werden soll, indem der Finger bei blossgelegten Genitalien mit Ausein- anderziehen der Schamlippen eingeführt wird, darüber sind jetzt nach Ahlfeld’s Vorgang fast Alle einig, Olshausen, Dührssen und J. Veit sprachen sich in der Discussion der Berl. geburtshf. Gesell- schaft (Centralbl. f. Gyn. 1892 Nr, 21 pag. 406) übereinstimmend in diesem Sinne aus, und es ist auch nicht abzusehen, warum man diese Maassregel, deren Durchführung bei Katheterismus von Kreissenden und Wöchnerinnen die früher so häufigen Blasenkatarrhe wesentlich beschränkt hat, nicht schon längst auf das Touchiren übertragen hat. Auch nach der inneren Untersuchung, die bei regelmässigem Geburtsverlauf wie oben erwähnt nur beim Geburtsbeginn und nach dem Woasser- abfluss vorzunehmen ist, findet keine innere Ausspülung statt, Nach Abnabelung des Kindes werden die äusseren Genitalien mit gekochtem Wasser und Mulltupfern gereinigt, dann nochmals gründlich ebenso nach der Ausstossung der Nachgeburt, und alle etwa vorhandenen Einrisse sorg- fältig durch die Naht mit Catgut vereinigt. Stovftücher und Unterlagen werden in den ersten 3 Tagen des Wochenbetts mal, von da an bei normalem Verlauf nur 2mal gewechselt; jedesmal werden dabei die Genitalien ebenso wie die Unterbauch- Schenkel und Aftergesend mit sterilisiriem Wasser, Mulltupfern und Seife abgewaschen. Ich ziehe das Abwaschen der äusseren Genitalien auch im Wochenbett dem Abspülen vor; die bekannten Gründe, die bei der Geburt gegen die aseptische Zuverlässigkeit des Hebammenirrigators sprechen, gelten auch im Puerperium gegen die Anwendung dieser In- fectionsträger. Ob man zum Abwaschen resp. Abspülen irgend welche desinfieirende Lösung verwenden will, ist persönliche Geschmackssache. Für nöthig halte ich eine solche, wenn man wie vorangegeben streng aseptisch verfahren ist, nicht; nicht selten habe ich auch von durch Hebammen oder unvorsichtige Aerzte vorgenommenen Carbol- abspülungen der äusseren Genitalien arge Verbrennungen der letzteren und ihrer Umgebung entstehen sehen. Täglich mehrmaliges Reinigen der Hände der Wöchnerin mittelst Wasser, Bürste, Seife und Nägelputzer ist im Wochenbett ebenso nöthig, wie bei der Entbindung; so mancher Fall von ‚Selbstinfeetion‘“ findet seine Erklärung in der Vernachlässigung dieser Maassregel. Injectionen in die Vagina oder den Uterus werden im physiologischen Wochenbett gar nicht, überhaupt nur bei ganz speciellen Indicationen und nur vom Arzte gemacht, Zur Controle des

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aseptischen, fieberlosen Verlaufes des Wochenbettes ist in den ersten 10 Tagen Früh und Abends regelmässig die Temperatur zu messen.

Ausdrücklich möchte ich nochmals betonen, dass ich auch für die Fälle mit nach Döderlein pathologischem Scheidensecret bei sonst regelmässigem Geburtsverlauf keinerlei prophylaktische Ausspülung, weder vor, während, noch nach der Geburt befürworte. Lässt man erst diese Ausnahme zu, dann öffnet man bei der in der Praxis schwierigen und oft fraglichen Differentialdiagnose zwischen normalem und pathologischem Scheidensecret einer schädlichen Polypragmasie Thür und Thor. Den Fehler, den man begeht, indem man die wie oben gezeigt ver- schwindend selten im pathologischen Genitalseecret vorkommenden virulenten, pathogenen Keime nicht vorbeugend zerstört, wird dadurch ausgeglichen, dass man durch die Unterlassung der inneren Ausspülungen und Ausreibungen in viel zahlreicheren Fällen keine Infeetionskeime von aussen einführt. Schliesslich ist auch der für die Nothwendigkeit der Vaginalausspülungen für die Prophylaxe der Augenblennorrhoen her- vorgehobene Grund durch die Erfahrungen Mermann’s (Centralbl. f. Gynaek. 1892, Nr. 11, pag 210) widerlegt worden, der unter 200 ohne jede Ausspülung behandelten Geburten, nur 2 ganz leichte Blennorrhoeen hatte, die nach 3- und 4tägiger Behandlung vollständig geheilt waren, trotzdem in seiner Anstalt nur Auswaschungen der Augen nach der Ge- burt des Kopfes mit ausgekochtem Wasser gemacht wurden. Unter den vorhergegangenen, ebenso behandelten 400 Geburten hatte er sogar nur 1 leichte Blennorrhoe, und nur unter den ersten 200 Geburten, als das Crede’sche Verfahren geübt wurde, kamen 5 Fälle von Conjunetivitis vor. Also auch hier Asepsis an Stelle der Antisepsis!

Die letztere bleibt nur noch in Wirksamkeit, bei pathologischen Geburten. Hier möchte ich, abweichend von Mermann und in Uebereinstimmung mit Leopold und fast allen Klinikern des In- und Auslands, besonders vor operativen Eingriffen die innere Desinfeetion nicht missen. Zunächst ruht dieselbe ja hier in der Hand des Arztes, dem wir das Verständniss für ihre Nothwendigkeit im einzelnen Falle, sowie die Strenge und dabei doch möglichst schonende und unschädliche Durchführung vertrauensvoll überlassen können. Ich glaube zwar nicht, dass bei regelwidrigen, sich in die Länge ziehenden und schliesslich operativ beendigten Geburten die pathogenen Keime im Scheidenseeret leichter, als bei normalen Fällen virulent werden und in die Gewebe eindringen können; wir wissen überhaupt noch nicht, unter welchen Bedingungen facultativ pathogene Keime in den activ virulenten Zustand übergeführt werden. Es ist also nicht, um der Selbstinfeetion vorzu- beugen, wenn wir vor operativen, besonders intrauterinen Eingriffen, die innere Desinfection empfehlen, sondern nur, weil mit der Verlängerung der Geburtsdauer häufigere innere Untersuchungen und Ein-

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griffe und damit fast unvermeidlich äussere Infection ver- bunden sind, Diese letztere also sollmöglichst unschädlich gemacht werden, und hierzu scheint mir das in der Würzburger Klinik (Hofmeier, zur Prophylaxis der Wochenbetterkrankungen, Deutsch. med. Wochenschrift 1891, Nr. 49) jetzt geübte Verfahren am geeignetsten: Nach sorgfältiger Reinigung und Desinfection der äusseren Genitalien wird Scheide und Cervix unter sanftem Abreiben mit 1 oder 2 Fingern mit Sublimat 1:2000 desinfieirt und diese Desinfection nach jeder inneren Uhnter- suchung 2—3stündlich wiederholt. Von Ausspülungen nach der Geburt und im Wochenbett wird völlig abgesehen.

Noch ein dritter, von Bumm (Zur Frage der inneren Desinfeetion Kreissender, Centralbl. f. Gynaek. 1892, Nr. 9, pag. 163) sehr überzeugend dargelegter Grund scheint mir für die Nothwendigkeit der prophylaktischen inneren Desinfection bei pathologischen Geburten zu sprechen: die Ge- fahr, dass Fäulniss keime, die zweifellos im Scheidensecret vieler Schwangern vorkommen, durch intrauterine Eingriffe in die Uterushöhle verschleppt werden und zu einer Zersetzung der normaliter keimfreien Uteruslochien, zu putrider Endometritis, Zerfall der Thromben an der Placentartselle und zu schweren Formen der Allgemeininfection führen können. Bei normalen Geburten gelangen diese Fäulnisskeime nicht in die Uterushöhle; sie bleiben unschädlich in der Scheide und brauchen nicht durch innere Ausspülungen vernichtet zu werden. Wohl aber können sie und dies bezeichnet Kaltenbach mit Recht als eine Form der Selbstinfection auch ohne vorausgegangene intrauterine Eingriffe bei protrahirten Geburten Zersetzung des Fruchtwassers, bei abgestorbener Frucht und bei Placentarretention Fäulniss im Uterus und Intoxicationsfieber be- dingen. Auch hier sind innere Ausspülungen nöthig, um das Aufsteigen der Fäulnisskeime von der Scheide aus in die Uterushöhle hintanzu- halten. (Bumm, 1. ce.) Die Hauptsache ist und bleibt aber allerdings, wie der eben citirte Autor treffend bemerkt, die möglichst schleunige Entfernung der zersetzungsfähigen Massen, da so lange solche sich in der Uterushöhle befinden sich trotz aller inneren Desinfeetion die Fäulniss nicht aufhalten lässt. Dass uns für die Nothwendigkeit der inneren Desinfection bei länger dauernden Geburten regelmässig fort- gesetzte Temperaturmessungen der Kreissenden einen werthvollen Anhalt geben, braucht wohl hier nicht besonders hervorgehoben zu werden.

Wie die normale Wöchnerin gleich der gesunden Kreissenden von inneren Berührungen, sei es durch Untersuchung oder Desinfeetions- bestrebungen möglichst befreit bleiben soll, so hat bei der erkrankten Wöchnerin jeder inneren Untersuchung (die nur durch fieberhafte Pro- cesse oder gefährliche Blutungen indieirt ist) und jedem Eingriff eine strenge subjective Desinfection, alsdann eine solche der äusseren Geni- talien und ihrer Umgebung und endlich der Scheide stattzufinden, der

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letzteren besonders sorgfältig vor Uterusausspülungen, um nicht pathogene Keime mit Finger und Katheter in die vielleicht noch keimfreie Uterus- höhle zu verschleppen. So sehr ich für Gebärende das Sublimat empfehle, so dringend möchte ich vor seiner Anwendung, auch in schwachen Lösungen, im Wochenbett warnen. Die Resorptionsfähigkeit ist eine so erhöhte, dass selbst bei den niedrigsten, noch wirksamen Üoncen- trationsgraden und bei sofortigem und vollständigen Wiederabfluss der Spülflüssigkeit schwere Intoxication beobachtet worden ist. Ich ziehe aus diesem Grunde dem Sublimat und der (wenn auch in geringerem Grade lebensgefährlichen) Carbolsäure für das Wochenbett Creolin bezw. Lysol vor. Aus demselben Grunde wende ich diese Antiseptica auch zur inneren, prophylaktischen Ausspülung vor intrauterinen Placentar- lösungen an.

Zur Discussion sprechen:

Herr Nesemann: „Herr College Fränkel hatte den von Boehr und Ehlers gefundenen Procentsatz der Mortalität bei Wochenbettfieber angegeben und sich ungefähr dahin geäussert, in Wirklichkeit werde der Procentsatz sich noch höher belaufen, da nicht alle Todesfälle in Folge von Wochenbettfieber zur Anzeige gelangten. Dazu möchte ich erwähnen, dass Boehr und Ehlers bei Aufstellung ihrer Zahlen schon auf die Unzulänglichkeit der Statistik Rücksicht genommen und daher die durch dieselbe gegebenen Zahlen entsprechend erhöht haben.

Herr College Fränkel berührte dann die Mängel des Meldewesens bei Puerperalfieber. In Betreff der Mangelhaftigkeiten der durch die ärztlichen Meldungen gewonnenen Statistik muss ich demselben völlig beistimmen; meine persönliche Ansicht geht auch dahin, dass die ärzt- liche Anzeigepflicht bei Puerperalfieber als nicht wirksam vielleicht am besten ganz fortfiele.,

Die mangelhaften Meldungen sind wohl auch darauf zurück zu führen, dass der Begriff des Wochenbettfiebers kein fest umschriebener ist.

Die rheinische Aerztekammer hat in einer ihrer Sitzungen, wie mir durch Collegen Grandhomme in Frankfurt a. M. auf meine Anfrage ich habe mich schon seit längerer Zeit für diesen Gegenstand interessirt mitgetheilt worden, dahin Stellung genommen, dass sie die Fassung ‚„Wochenbett- resp. Kindbettfieber‘‘ für die Anzeigepflicht auf- gehoben wissen will, da dieselbe leicht zu Missdeutungen Veranlassung geben könne,

Dieser Ansicht möchte ich mich besonders mit Rücksicht auf die Hebammen anschliessen, da man doch von diesen nicht verlangen kann, darüber im gegebenen Falle zu urtheilen, ob Kindbettfieber vorliegt oder nicht, wenn die Diagnose desselben selbst unter Aerzten zu Controversen Veranlassung giebt,

49 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Es wäre von den Hebammen statt dessen vielleicht jeder Fall einer fieberhaften Erkrankung im Wochenbette anzuzeigen.

Ferner betheiligen sich an der Discussion die Herren DDr. Stein- schneider, Buchwald, M. Freund, Asch jun.

Zum Schluss bemerkt Herr Dr. Fränkel, dass es ihm bekannt ist, dass Boehr und Ehlers mit Rücksicht auf die Mängel des Melde- wesens nach vergleichenden Berechnungen statt 100 Todesfälle am Wochenbette 113 in ihrer Statistik angenommen haben, glaubt aber, dass auch diese Ziffer noch nicht die Wirklichkeit erreicht. Mortalität und Morbidität der Wöchnerinnen würden sich viel leichter übersehen lassen, wenn die Hebammen zur Führung von Tagebüchern verpflichtet wären.

Fränkel pflichtet ferner Herrn Nesemann darin bei, dass bei den zur Zeit noch bestehenden, sehr grossen Differenzen über den Begriff des Wochenbettfiebers dieses Wort aus dem Gesetz über die Anzeigepflicht eliminirt und statt dessen von der Hebamme, die zu täglich zweimaligen Temperaturmessungen zu verpflichten sei, jeder Fall von fieberhafter Erkrankung im Wochenbette sofort angezeigt werden müsse. Sache des alsbald zuzuziehenden Arztes sei es dann, festzustellen, ob es sich um eine fieberhafte, vom Genitalapparate ausgehende Wundkrankheit des Wochenbettes, i. e. Puerperalfieber, handle. Fränkel steht in dieser Hinsicht auf dem Standpunkte Ahlfeld’s, der jedes Fieber im Wochen- bette in der Regel als ein puerperales ansieht, wenn es nicht gelingt, bei vollständigem Mangel jeder Affection an den Genitalien eine Er- krankung eines anderen Organs bestimmt nachzuweisen.

8. Sitzung vom 6. Mai 1892. Vorsitzender: Herr Geheimrath Fritsch. Schriftführer: Herr Dr. Pfannenstiel. Tagesordnung: 1) Herr Dr. Simm: Ein Fall von Addison’scher Krankheit.

Meine Herren! Es ist nicht meine Absicht Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen für einen wissenschaftlichen Vortrag über morbus Addisonii, ich beabsichtige vielmehr lediglich Ihnen einen hochgradig ausgebildeten Fall dieser Krankheit vorzustellen, einmal, weil ich glaube, dass bei der relativen Seltenheit derselben es vielen Collegen erwünscht sein dürfte einen derartigen Kranken zu sehen, und dann, weil der betreffende Fall einige interessante Momente bietet, die ich der Mittheilung für werth erachte.

Ueber die Krankheit selbst will ich in aller Kürze erwähnen, dass, seitdem Addison im Jahre 1855 dieselbe zuerst beschrieben, trotz viel- facher nachheriger Publieationen die Symptomatologie, wie sie Addison

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gegeben, keine wesentliche Erweiterung oder Einschränkung erfahren hat. Streitig ist im Laufe der Jahre nur die Frage geworden, ob der Symptomencomplex des morbus Addisonii stets auf einer Erkrankung der Nebennieren beruht, oder ob eine Erkrankung des Sympathicus resp. derjenigen Ganglien, die in der Umgebung der Nebennieren liegen, oder ob beides vereint die Ursache sei. Es sind nämlich in den letzten Jahren wiederholt Fälle beobachtet worden, bei denen in vivo unzweifel- haft morbus Addisonii vorhanden war, bei denen aber trotzdem bei der Section die Nebennieren völlig gesund gefunden wurden. Man neigt deshalb jetzt mehr zu der Ansicht, dass die Erkrankung der Neben- nieren bei morbus Addisonii nebensächlich, die Erkrankung der Ganglien des Sympathicus dagegen die Ursache für das Symptomenbild bei morbus Addisonii sei. Diese Frage hier zu erörtern kann schon um deswillen nicht meine Aufgabe sein, weil der Fall bei Lebzeiten in dieser Richtung nicht zu verwerthen ist; ich werde jedoch dem Kranken meine Auf- merksamkeit auch weiter schenken und denke post mortem nach event, stattgehabter Section nach dieser Richtung hin weitere Mittheilungen machen zu können.

Bevor ich jetzt den Kranken demonstrirend die Symptomatologie bespreche, will ich kurz anamnestisch Folgendes erwähnen. Der Kranke stammt aus einer hereditär schwer belasteten Familie; über seinen Vater habe ich nur erfahren können, dass derselbe, als unser Patient sechs Monate alt war, nach kurzer Krankheit gestorben ist. Seine Mutter ist vor vielen Jahren im hiesigen Hospital an Lungentuberkulose, sein einziger Bruder in der vorigen Woche in Berlin an Kehlkopfschwindsucht gestorben. Er selbst hat als Kind von vier Jahren eine schwere Krank- heit vielleicht eine Meningitis nach den Symptomen überstanden, die Kinderkrankheiten leicht und normal gehabt, und ist bis zum Jahre 1882 sonst völlig gesund gewesen. In diesem Jahre wurde er, 18 Jahre alt, zum Militär eingezogen und bekam aus Anlass der ersten Schiess- übung Krämpfe mit Bewusstlosigkeit, derentwegen er 4—5 Wochen im Lazareth liegen musste. Die übrige dreijährige Dienstzeit hat er als Musiker ohne jegliche fernere Störung durchgemacht und ist bis zum Jahre 1890 stets völlig gesund gewesen. Im Frühjahr dieses Jahres bemerkte er selbst und seine Umgebung im Gesicht gelblich - braune, stecknadelkopf- bis hirsekorngrosse Flecken, die allmählich zahlreicher und grösser wurden und dem Kranken ein eigenthümliches Aeussere ver- liehen. Im December 1890 consultirte er mich zum ersten Male wegen einer Pharyngitis, schon damals fiel mir der eigenthümliche Teint auf, und konnte ich bei genauerer Besichtigung morbus Addisonii diagnosti- eiren. Es ist der Fall schon wegen seiner Dauer recht interessant; die meisten Kranken gehen in spätestens 6—8 Monaten nach gestellter Diagnose an Jnanition zu Grunde, und nur 3 oder 4 Fälle sind in der

44 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Litteratur erwähnt, bei denen eine Beobachtungsdauer von 2 Jahren und darüber verzeichnet ist. Unser Kranker leidet seit 1890 sicher an morbus Addisonii, und ist seit 14, Jahren bereits diagnostieirt. Nunmehr werde ich die Symptomatologie besprechend Ihnen den Kranken vorstellen. Das Hauptsymptom bei morbus Addisonii ist stets eine eigenthümliche Verfärbung der Haut, ausgehend von den dem Licht ausgesetzten, unbedeckten Körperstellen: Gesicht, Hals, Nacken und Handrücken, und allmählich fortschreitend über den ganzen Körper; die Haut bekommt ein schmutzig hell- bis dunkelbraunes Aussehen, wie Sie es bei dem Patienten in hohem Grade entwickelt finden, besonders markant ausgebildet im Gesicht, Händen und Rücken. Die Pigmentirung der Haut ist besonders an den Körpertheilen sehr hochgradig, die schon normaler Weise pigmentirt sind, d. h. an Brustwarzen, scrotum, penis, - After und umliegende Haut, sowie in der Achselhöhle. Bei unserem Patienten hier sind die Brustwarzen tief schwarz pigmentirt, auch ist der Warzenhof fast noch einmal so gross als normal, besonders interessant ist aber das Aussehen von scrotum und penis, die tiefschwarz pigmentirt dem eines Negers gleichen; auch die Glutaealhaut ist tief dunkel.

Die Verfärbung ergreift nicht allein die äussere Haut, sondern geht auch auf die sichtbaren Schleimhäute: Lippen, Zahnfleisch, Zungen- und Wangenschleimhaut über. Sie sehen bei dem Patienten die Lippen voll- ständig graublau verfärbt, am Zahnfleisch, Wangenschleimhaut und Zunge zahlreiche graublaue grössere und kleinere Plaques. Erwähnen möchte ich an dieser Stelle, dass sowohl die Verfärbung der Haut, als auch die der Schleimhäute zur Zeit viel weniger intensiv ist als vor eirca 3 bis 4 Wochen. Es ist eine eigenthümliche Erscheinung bei dem Patienten, die ich in der Litteratur nirgends erwähnt gefunden habe, dass die Ver- färbung bei der Arbeit intensiver wird, bei Ruhe dagegen bedeutend abnimmt. Der Kranke machte mich zuerst selbst darauf aufmerksam, indem er glaubte, dass es beginnende Heilung sei, und erzählte mir, dass er im vorigen Jahr bei Gelegenheit einer zwölftägigen militärischen Uebung, von der er nicht befreit werden konnte, trotzdem er meist revierkrank war, doch, in Folge der Anstrengung, im Gesicht wie ein Mohr ausgesehen habe. Ich selbst war anfangs gegen diese Angabe misstrauisch, fand aber bei genauer Beobachtung ein starkes Erblassen der Verfärbung, besonders an den dunkler pigmentirten Stellen, sowie auch besonders an den Schleimhäuten während der Ruhe eintreten. Eine Erklärung für diese Erscheinung vermag ich nicht zu geben, man wird wohl die stärkere Bluteireulation bei der Arbeit zur Erklärung heran- ziehen müssen, immerhin bleibt es dunkel, wie das Pigment, das in den tiefen Schichten des rete Malphigi eingebettet ist, während der Ruhe verschwinden kann.

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Frei bleiben von der Verfärbung stets die Conjunetivae bulbi, sowie die Fingernägel, wie dies auch in diesem Fall sehr schön sichtbar ist, dagegen kann ich nicht bestätigen, dass die Handteller und Fusssohlen frei bleiben; in meinem Falle sind dieselben, wie Sie sich überzeugen können, gleich pigmentirt wie die übrige Haut. Dagegen ist es im vor- liegenden Falle recht interessant zu beobachten, dass an der Innenseite des rechten und linken Oberarmes, sowie des rechten und linken Ober- schenkels stets eine vollständig correspondirende, symmetrische, ziemlich grosse Hautstelle vollständig frei geblieben ist, die sich in einer scharfen Linie abgrenzt von der pigmentirten Haut.

Von anderen Symptomen bei morbus Addisonii werden von allen Autoren erwähnt: 1) allgemein nervöse Symptome, die sich äussern in - Schlaflosigkeit, Kopfschwindel, Krämpfen ete., Symptomen, die bei diesem Patienten bis jetzt gar nicht vorhanden sind. Dagegen ist eine allgemeine Asthenie Kraftlosigkeit, die gleichfalls in allen Fällen, besonders hoch- gradig sub finem vitae beobachtet wird, auch bei diesem Patienten ziemlich stark schon seit längerer Zeit vorhanden. Derselbe fühlt sich, obgleich das Allgemeinbefinden scheinbar gut ist, ausser Stande auch nur leichte Arbeit zu verrichten.

2) Erscheinungen von Seiten des Gastro-Intestinaltraetus, Uebelkeit, Schmerzen in der Tiefe des Abdomens, sowie besonders Erbrechen und heftige Diarrhöen belästigen die Kranken in hohem Grade, und be- schleunigen meist das Ende. Bei der Section findet man Magen- und Darmschleimhaut meist normal, und es ist daher sehr wahrscheinlich, dass auch diese Symptome von einer Erkrankung des Sympathicus bedingt sind... Auch dieser Kranke leidet häufig an Erbrechen, und begiebt sich stets allein wegen dieses Symptomes in Behandlung, dagegen sind Diarrhöen bisher nicht oder nur sehr mässig vorhanden gewesen,

Erwähnen möchte ich nur noch, dass der Urin, wie in allen Fällen von morbus Addisonii, vollkommen normal ist, derselbe ist hellgelb, 1015 speeifisches Gewicht, und frei von Eiweiss und Zucker.

Die Prognose bei morbus Addisonii ist stets lethal, es ist in der Litteratur bisher kein Fall von Heilung mitgetheilt, die Therapie kann stets nur eine rein symptomatische sein, zugleich versuchend eine Kräftigung des Körpers zu bezwecken. Gegen das Erbrechen gebe ich ein China- Dekokt, das dem Patienten scheinbar sehr gut thut, ich glaube jedoch, dass die Enthaltung von jeglicher Arbeit wichtiger und wirksamer ist als Mediein.

Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass in derartigen Fällen differential-diagnostisch nur die Argyrie in Betracht kommen kann, Ab- gesehen davon, dass bei letzterer Krankheit die Verfärbung der Haut niemals so hochgradig wird wie im vorliegenden Fall, ist hauptsächlich

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der Umstand entscheidend, dass der Patient niemals argentum nitricum gebraucht hat, deshalb von einer Argyrie nicht die Rede sein kann.

An der Discussion betheiligten sich die Herren DDr. Buchwald; Kleinwächter, Richter, Simm.

2) Herr Dr. Hecke spricht:

Ueber die operative Freilegung der Paukenhöhle nach Ablösung der Ohrmuschel behufs Heilung von chronischen Eiterungen, Cholesteatom und Caries.

Die operative Eröffnung des Warzenfortsatzes und des Antrum mastoideum zur Beseitigung chronischer Eiterungen, sowie von Chole- steatom und Caries der Paukenhöhle ist seit drei Decennien immer mehr in Aufnahme gekommen; man hat dann besonders im letzten Decennium häufig die Entfernung der erkrankten Gehörknöchelehen Hammer und Ambos hinzugefügt, weil durch die Lage derselben im oberen Theil der Paukenhöhle dem Recessus epitympanicus oder Kuppelraum die Eiterung nach einfacher Aufmeisselung des Wearzenfortsatzes und Eröffnung des Antrum mastoideum fortbestand und trotz lange Zeit fortgesetzter Durchspülungen eine Heilung nicht erzielt werden konnte,

Die Eiterung wurde ausserdem noch häufig durch eine Caries der äusseren knöchernen Wand des oberen Theils der Paukenhöhle des Recessus epitympanicus unterhalten.

Vor ungefähr 2 Jahren hat Dr. Stake in Erfurt ein Verfahren angegeben, durch das es gelingt, die Paukenhöhle in allen ihren Räumen weithin freizulegen und alle kranken Partien zu entfernen. Die Weich- theile hinter der Ansatzstelle der Ohrmuschel werden durch einen bogen- förmigen Schnitt bis auf den Knochen durchtrennt; der Schnitt muss nach vorn bis in die Schläfengegend reichen; das Periost wird nach dem Gehörgang zu zurückgeschoben, oben wird die Wurzel des Joch- bogens weit nach vorn entblösst. Der häutige. Theil des Gehörgangs wird durch ein schmales Raspatorium von dem knöchernen Theil allseitig abgelöst und nachdem er in der Tiefe nur festhängt, dort möglichst nahe am Trommelfell durchtrennt, herausgehebelt und zusammen mit der Ohrmuschel durch einen Wundhaken nach vorn gezogen. Man übersieht nun den knöchernen Gehörgang, an dessen innerer Umrandung meist noch kleine Reste des abgetrennten und herausgehebelten häutigen Gehörgangs sitzen, sehr gut; desgleichen sind Trommelfell uud Gehör- knöchelehen bei directem Licht sehr gut zu übersehen nach vorheriger genauer Blutstillung. Es werden nun zuerst die Trommelfellreste und der Hammer, wenn er sichtbar und nicht nach oben verschoben ist, entfernt; dann wird unter dem Schutze einer gebogenen breiten Sonde die äussere knöcherne Wand des Recessus epitympanicus fortgemeisselt

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und zwar so, dass nunmehr die obere knöcherne Gehörgangswand in das die obere Wand des genannten Recessus bildende Tegmen tympani übergeht und keine knöchernen Vorsprünge stehen bleiben; ebenso wird nach hinten der Recessus bis zum Aditus ad antrum mastoideum durch einige Meisselschläge unter Leitung der Sonde eröffnet. Letztere wird, nachdem man jetzt schon den Amboss bequem und leicht entfernen konnte, in den Aditus ad antrum eingeführt, dann wird von der hinteren Gehörgangswand soviel weggeschlagen, dass das Antrum weit eröffnet ist und eine genaue Untersuchung durch die Sonde möglich ist. Nun wird die vom Antrum nach aussen gelegene Knochenmasse und der Rest der hinteren Gehörgangswand fortgenommen und dadurch eine breite Communication zwischen Gehörgang, Paukenhöhle und Antrum mastoi- deum gewonnen. Ich selbst habe dies» letztangegebene Abmeisselung der knöchernen hinteren Gehörgangswand nur an denjenigee Fällen aus- geführt, wo die typische Aufmeisselung des processus und Antrum mastoideum von aussen her durch eine Vorlagerung des Sinus transversus behindert war; sonst habe ich stets die Aufmeisselung zuerst gemacht und durch Fortnahme derhinteren Gehörgangswand nachher die breite Verbindung zwischen Paukenhöhle, Antrum mastoideum und Gehörgang hergestellt.

Bei der Entfernung der hinteren Gehörgangswand muss man darauf achten, dass in der Tiefe des Operationsfeldes noch eine schmale Leiste zwischen Gehörgang und Antrum bestehen bleibt, da sonst der Facialis leicht verletzt wird; nach aussen kann man soviel fortnehmen, dass. die untere Gehörgangswand direct in die untere Wand des Antrum mastoideum und des angelegten Meisselkanals übergeht.

Den Stapes bekommt man selten zu Gesicht, da er meist in der verdickten Paukenschleimhaut tief eingebettet liegt. Ich habe ihn noch nie bei der Ausführung dieser Operation gesehen und nur bei Gelegenheit einer Exeision des cariösen Hammers vom Gehörgang aus in Verbindung mit polypösen Wucherungen der Paukenhöhle bei deren Entfernung durch Pincette und Schlinge extrahirt; wahrscheinlich war er schon gelockert und in Granulationen eingebettet.

Nachdem man in der genannten Art die Höhle von allen Seiten freigelegt hat, kann man alles Krankhafte in schonender Weise mit Pincette oder Löffel entfernen Cholesteatom-Massen, polypöse Wucherungen, cariöse Stellen des Knochens; der letztere liegt dann meist glatt zu Tage. Ich suche nachher einen gesunden Hautlappen in die Tiefe zu verpflanzen und zwar am besten auf die aufgemeisselte Knochenfläche des Antrum mastoideum. Dazu habe ich meist einen zungenförmigen schmalen Lappen von der hinter dem bogenförmigen Hautschnitt gelegenen Hautpartie verwendet, ihn möglichst mobilisirt und dann in die muldenförmige Meisselfläche hineingelegt und durch Tamponade befestigt.

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Ebenso bilde ich je nach der Verwendbarkeit des häutigen Gehör- gangs einen Lappen aus dem letzteren und suche ihn durch Tamponade an die Meisselfläche anzudrücken, eventuell durch Näthe zu befestigen. Die Wundhöhle wird nicht ausgespült, sondern nach Austrocknung mit Watte und Jodoform-Gaze mit Jodoform-Pulver bestäubt und nun aus- giebig nach allen Seiten mit Gaze ausgestopft, wobei man besonders darauf achten muss, dass der aus dem Gehörgang gebildete Lappen und der hintere Hautlappen fest auf der Unterlage aufliegen. Genäht wird nur oberhalb der Ohrmuschel, hinter derselben nicht. Der Verband kann mehrere Tage liegen bleiben, und wird, ohne auszuspülen, erneuert. In der nächsten Zeit bei beginnender Granulation der Knochenhöhle und Weichtheile wird die Secretion reichlicher, der Verbandwechsel häufiger erforderlich; das Ausspülen der Wundhöhle ist jetzt sorgfältig vor- zunehmen. Man muss besonders darauf achten, dass die in der Tiefe der Wundhöhle entstehenden Granulationen nicht zu stark wuchern und muss sie ausgiebig ätzen; unter Spiegelbeleuchtung muss man stets controliren, dass dieselben nicht den Recessus epitympanicus und Aditus ad Antrum ausfüllen und verengern, oder sich über den Hautlappen erheben; von letzterem aus muss die Epidermisirung der Knochenhöhle glatt erfolgen, ohne dass Buchten in der Tiefe entstehen, hinter denen sich die Eiterung verhalten könnte. Ebenso empfiehlt es sich, die Haut- wunde in den ersten Wochen weit offen zu erhalten, da man 'von ihr aus ..besser alle Theile der freigelegten Paukenhöhle übersehen und die Ueberhäutung controliren kann, als vom Gehörgang aus.

Die Tamponade ist bei manchen Kranken sehr schmerzhaft und erst zu ermöglichen nach vorheriger Einlage eines mit Cocainlösung getränkten Wattepfropfes. Ich erziele nun durch die Ausführung der Operation und die Behandlung nach Entfernung aller pathologischen Processe ein- mal eine Ueberpflanzung gesunder Epidermis in die Paukerhöhle, von der aus die Nebenräume sich weiter auskleiden und zweitens die Herstellung einer dauernden Communication zwischen Gehörgang und Antrum mastoi- deum. Letzteres ist deshalb sehr wichtig, weil man stets genau von aussen controliren kann, ob in der Tiefe sich ein neuer Erkrankungsherd findet.

Ich habe bis jetzt 23 Kranke operirt, von denen der eine an Meningitis gestorben ist. Das Tegmen tympani war in Folge der lang dauernden Eiterung sehr brüchig und durch Caries vorher zerstört. Bei einem anderen Kranken schritt die Caries nach vorn auf den Oberkiefer fort und zerstörte das Schläfenbein derartig, dass von der Squama nur ein halbmondförmiger oberer fingerbreiter Rand und der vorderste Theil erhalten blieb; von Os petrosum ist nur der medialste Theil mit dem Canalis caroticus und dem Porus acustieus internus verschont und erhalten geblieben, der Tod erfolgte an Hirnabscess 7 Monate nach der Operation, Von den anderen 21 Öperirten sind bis jetzt 6 geheilt, darunter

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drei Fälle von Cholesteatom, drei mit Caries. Gebessert ist ein Kranker mit Cholesteatom; zeitweise tritt eine geringe Absonderung aus der Paukenhöhle wieder ein,

In Behandlung stehen noch 12 Kranke, darunter 8mal Cholesteatom, 4mal Caries.

Der Behandlung entzogen haben sich zwei Kranke; der Grund war in der Schmerzhaftigkeit bei der Tamponade der Wundhöhle zu suchen. Die Heilungsdauer betrug in den günstigen Fällen 3 Monate, sonst 4 bis 5 Monate, bei einem sehr ausgedehnten Cholesteatom 7 Monate; dasselbe war durch ausgedehnte Caries mit polypösen Wucherungen, die sich immer auf’s Neue wieder bildeten, complieirt. Bei einer jetzt noch in Behandlung stehenden Kranken mit sehr ausgedehnter Caries der Paukenhöhle und Tuberculose der Lungen besteht eine umschriebene Caries der madialen Wand der Paukenhöhle, die Nebenräume sind schon ‘lange mit Epithel ausgekleidet. Das Allgemeinbefinden hat sich gebessert, die Kopfschmerzen haben nachgelassen, das Lungenspitzen-Infiltrat ist nieht fortgeschritten, Pleuritiden nicht mehr aufgetreten.

Was das functionelle Resultat betrifft, so ist meist eine Hörver- besserung erzielt worden, eine Verschlechterung trat nie ein. Die Vor- theile sind also: 1) vollständige Freilegung aller sonst sehr versteckt liegenden Nebenräume der Paukenhöhle, 2) Abkürzung der Heilungs- dauer im Vergleich zur einfachen Aufmeisselung des Warzenfortsatzes und die Möglichkeit, nach Anlegung einer dauernden hinteren Oeffnung die Paukenhöhle stets controliren und überwachen zu können,

Die zur Vorstellung gelangenden Kranken sind:

1) 20jähriges Mädchen mit sehr ausgedehntem Cholesteatom der Paukenhöhle und des Antrums; Eltern und Geschwister sind an Lungen- Tubereulose gestorben. Im Eiter keine Tuberkelbaeillen. Heilung nach 3 Monaten.

2) 22jähriges Mädchen mit sehr ausgedehntem Cholesteatom und Caries; protahirter Verlauf. Heilung nach 7 Monaten; sehr weite Communication,

3) 18 jähriger, kräftiger, junger Mann. Vor 2'/, Jahren wurde wegen Caries der Paukenhöhle die Aufmeisselung des processus mastoideus und Antrum mastoideum gemacht; die Eiterung blieb trotz regelmässiger Durchspülung antiseptischer Flüssigkeiten übelriechend, zeitweise heftige Kopfschmerzen; vor 1'/), Jahren wurde der cariöse Hammer und Amboss entfernt und da die Biterung noch nicht nachliess, im December 1891 die Fortnahme der hinteren und oberen Gehörgangswand ausgeführt. Heilung nach 3'/, Monaten.

Eine Diseussion findet nicht statt. 2473 - 4

50 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

9. Sitzung vom 20. Mai 1892. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Mikulicz. Schriftführer: Herr Dr. Tietze. Vor der Tagesordnung:

Herr Prof. H. Cohn: Vorstellung eines durch Verbrennung ent- standenen Falles von Symblepharon, der durch Einpflanzung von Kaninchen- bindehaut geheilt ist.

Diseussion:

Herr Dr. Buchwald: Ist der Defect wirklich durch Kaninchen- bindehaut ausgefüllt oder ist das fragliche Epithel von den Grenzpartien des menschlichen Epithels gebildet?

Prof. Cohn glaubt, es handle sich um das Anheilen der Kaninchen- conjunctiva.

Dr. Löwenhardi bestätigt die Erfahrungen von Dr. Buchwald

Prof. Mikulicz stellt sich nach seinen Erfahrungen eher auf Seite von Dr. Buchwald.

Herr Dr. Rieger: Fall von Milzruptur. (Exstirpation der Milz.

Demonstration des Präparates.) Tagesordnung: Dr. Henle stellt einen Fall von Tumor am Hals

vor, der als Lymphosarcom gedeutet werden muss; die Diagnose wird durch mikroskopische Untersuchung einiger mit der Probepunctionsspritze entnommenen Partikel bestätigt. Die Frau kam in die Klinik, nachdem vorher die Diagnose auf Abscess gestellt und eine, natürlich erfolglose Ineision gemacht war. Im Anschluss an diese war aber eine schnelle Vergrösserung und zugleich Erweichung, also wohl eine wenig virulente Infeetion des Tumors erfolgt.

Auffallend ist bei dem Krankheitsbild der Blutbefund: Hochgradige Leukoeytose und besonders sehr starke Vermehrung der eosinophilen Zellen.

Da an eine Leukaemie nicht zu denken ist, wegen Fehlens jeder anderen dafür sprechenden Erscheinung, muss es sich offenbar um eine Leukocytose handeln. Vermuthlich steht dieselbe mit dem rapiden Zerfall des Tumors und Resorption der dadurch gebildeten Producte in Ver- bindung. Dafür spricht eine jetzt eintretende Abnahme der Leukocyten- zahl, die mit dem Aufhören weiteren Zerfalls des Tumors Hand in Hand zu gehen scheint.

Discussion:

Herr Troje: Versuch einer Erklärung des Blutbefundes.

Herr Neisser bezweifelt gegenüber Dr. Troje die Wichtigkeit des Befundes der eosinophilen Zellen und bestreitet namentlich, dass daraus eine Mitbetheiligung des Knochenmarkes geschlossen werden muss,

on us

1. Medicinische Abtheilung.

Herr Silbermann fragt an, ob auf Peptonurie untersucht worden ist? Herr Henle: Nein.

Dr. E. Martin:

1. Vorstellung eines Falles von Tumorbildung in einer überzähligen Brustdrüse.

Bei der 32jährigen Frau, die nie schwanger gewesen ist, findet sich unter der 1. schlaff herabhängenden Mamma eine wohl charakterisirte überzählige Brustdrüse mit Warze, Warzenhof und deutlich fühlbarem Drüsenkörper. Dieselbe liegt der Mittellinie etwas näher als die |. Mamma. In gleicher Höhe mit der supernumerären Brustdrüse findet sich medianwärts ein anscheinend nicht mit ihr in Zusammenhang stehen- der etwa gänseeigrosser unter normaler Haut wohl verschieblicher Tumor von derb elastischer Consistenz und glatter Oberfläche. Der Tumor ist im Laufe der letzten 3 Jahre ganz allmählich entstanden, ohne besondere Beschwerden zu machen.

Für ein Lipom ist die Consistenz des Tumors zu derb und die Oberfläche zu wenig gelappt. Es erscheint wahrscheinlicher, dass die Geschwulst in genetischem Zusammenhang mit der überzähligen Mamma steht.

Nachtrag: Durch die in den nächsten Tagen vorgenommene Exstir- pation des Tumors im Zusammenhang mit der überzähligen Mamma wird diese Vermuthung bestätigt. Die gut ausschälbare Geschwulst steht mit der Brustdrüse durch einen bindegewebigen Strang in Verbindung, in dem sich zweifellos Milchgänge mikroskopisch nachweisen lassen, Der Tumor selbst ist ein typisches Adenofibrom. Man darf also wohl annehmen, dass die Geschwulst von einem aberrirenden Drüsentheil der überzähligen Mamma ihren Ursprung genommen hat.

2. Demonstration eines wegen Tuberculose resecirten Coecums.

Das vorliegende Darmpräparat, welches vor wenigen Tagen durch die Laparotomie bei einer 31jährigen Patientin der chirurgischen Klinik von Herrn Geheimrath Mikuliecz gewonnen wurde, besteht aus dem untersten, 8 cm langen Abschnitt des Ileum, dem Coecum, processus ver- miformis und dem untersten Theil (12 cm) des Colon ascendens nebst dem Mesenterium dieser Darmtheile. Die Blätter des Mesenterium um- schliessen ein über gänseeigrosses Packet von theils erweichten, theils noch consistenten Lymphdrüsen. Die grössten haben den Umfang einer Wallnuss. Die Drüsen sind meist erweicht oder verkäst. Auf diesem Conglomerat von Drüsen liegen vorne die Darmtheile eng auf und bieten nach ihrer Eröffnung in der Längsrichtung von vorn einen sehr eigen- thümlichen Anblick dar.

Die Bauhin’sche Klappe ist vollkommen durch Ulcerationen zerstört und stark verengt, sodass man knapp mit dem kleinen Finger durch

A

592 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

dieselbe vom lleum aus in den Dickdarm vordringen kann. Die Ge- schwüre besitzen theils unterminirte, theils derbe Ränder, einen grau- röthlichen, mit schmutzigem Belag versehenen Geschwürsgrund, in dem stellenweise kleinste grauweisse Pünktchen sichtbar sind. Bei der Pal- pation fühlt sich die Darmwand an der Stelle der Ulcerationen derb an. Die Geschwüre der Klappengegend setzen sich auf die angrenzenden Diekdarmtheile fort, zunächst nach rechts (in situ gedacht) auf den Ueber- gangstheil zwischen Coecum und Colon ascendens, ferner direct nach unten auf das Coecum, wo sich ein sehr tiefes, etwa 10-Pfennigstück grosses Uleus findet. Im Coecum weiter abwärts mehrere kleinere, im Colon ascendens etwa 6 cm oberhalb der Klappe eine ähnliche 20-Pfennigstück grosse Ulceration. Im Coecum ist die Infiltration der Darmwand besonders deutlich. Im Dünndarm sieht man zwei kleine isolirte Geschwüre von der gleichen Beschaffenheit.

Das Aussehen der verkästen und vergrösserten Drüsen, sowie die Eigenart der Ulcerationen lassen einen Zweifel an der tuberculösen Natur der Affeetion nicht aufkommen,

Zur Ergänzung der Beschreibung des Präparates seien die wichtigsten Daten aus der zugehörigen Krankengeschichte angeführt: Die Frau H. aus Breslau ist hereditär in keiner Weise tuberculös belastet und war bis vor 6 Jahren angeblich stets gesund. Erst seit dieser Zeit leidet sie an Husten, der zeitweise durch ärztliche Behandlung beseitigt wurde, aber schliesslich doch stets wiederkehrte. Seit etwa einem halben Jahr stellten sich Verdauungsbeschwerden ein, abwechselnd Verstopfung und Durchfälle. Meist bestehen die letzteren und sind oft mit schneidenden Leibschmerzen verbunden, die vorzugsweise nach unten und rechts vom Nabel localisirt sind, jedesmal nur einige Minuten dauern und nach erfolgter Defäcation verschwinden. In den letzten Jahren ist Patientin sehr abgemagert. Die Magenfunctionen waren stets be- friedigend. Vor kurzer Zeit entdeckte Herr Dr. Kleinwächter einen Tumor in der lIleocöcalgegend, von dem die Patientin selbst keine Ahnung gehabt hatte, und sandte sie uns zu.

Bei der Aufnahme wurde constatirt, dass die linke Lungenspitze der schlecht genährten Frau die Zeichen eines chronischen Katarrhs bot. Weder in dem spärlichen schleimig-schaumigen Sputum, noch in den breiigen Stühlen gelang es Tuberkelbaeillen nachzuweisen. Im Urin kein Eiweiss, ziemlich reichlich Indican (Jaffe’sche Probe). Die oben beschriebenen Schmerzanfälle wurden auch in der Klinik beobachtet; nie war dabei besonders lebhafte Peristaltik, nie plätschernde oder spritzende Geräusche zu constatiren. Bei der Palpation des nicht auf- getriebenen Abdomens fühlte man über dem rechten Ligamentum Poupartii unter intaeten verschieblichen Bauchdecken einen birnförmigen, über gänseeigrossen Tumor. Derselbe ist bei der Betastung in mässigem

I. Medicinische Abtheilung. 53

Grade schmerzhaft. Er zeigt derbe Consistenz, eine glatte, grobhöckerige Oberfläche und scheint aus mehreren rundlichen Knollen zusammen- gesetzt zu sein.

Der Tumor ist sehr beweglich, er lässt sich nach oben bis fast zum Leberrand, nach unten so weit in’s Becken verschieben, dass man bei bimanueller Untersuchung per vaginam den untersten Pol vom vorderen Scheidengewölbe fühlen kann, nach der Mittellinie zu sind nur geringere Excursionen möglich. Ein Zusammenhang mit den Genitalien liess sich nicht nachweisen.

Die Diagnose wurde mit Wahrscheinlichkeit auf Darmtuberculose gestellt, die Möglichkeit eines Darmcarcinoms offen gelassen.

Bei der am 7. Mai 1892 von Herrn Geheimrath Mikulicz vor- genommenen Laparotomie schien zuerst vieles für einen malignen Darm- tumor zu sprechen, bald erwies sich aber die Wahrscheinlichkeits-Diag- nose als richtig, Nach der Entfernung des Coecums mit den angrenzen- den Theilen des Colon und Ileum und dem intermesenterialen Drüsen- packet wurde das lIleum mit dem Colon ascendens durch die circuläre doppelreihige Czerny-Lembert’sche Kopfnaht vereinigt, nachdem vor- her das kleinere Ileumlumen durch eine kleine Längsineision dem grösseren Colonlumen congruent gemacht war.

Es handelt sich also um einen Fall von Coecum-Tuberculose, auf- retend unter dem Bilde einer Darmstenose mit Tumorbildung. Die theilweise ausheilenden tuberculösen Geschwüre führen zu einer stenosirenden Schwielenbildung. Erst in den letzten Jahren ist das klinische Bild dieser Blinddarmaffeetion genauer festgestellt worden, nachdem zunächst mehrfach derartige Darmtumoren als Carcinome an- gesprochen und operativ entfernt worden waren. Seitdem sind eine Reihe von Fällen richtig diagnostieirt und operirt worden, so von Czerny, Billroth ete. Im Ganzen finden sich in der Litteratur 13 Fälle von Resection des Coecums wegen Tuberceulose, König hat in aller- jüngster Zeit als besonders charakteristisch für die tuberceulösen Darm- stenosen den eigenthümlichen Ablauf der Kolikanfälle hingestellt. Nach ihm tritt zum Schluss der Kolik nach vorhergehendem Plätschern im Leibe ein Geräusch auf, wie es beim Entleeren einer Spritze entsteht.

Das Symptom fand sich bei unserem Falle nicht. Es handelte sich offenbar um ein früheres Stadium der Affection, wo die Stenose noch relativ unbedeutend war. Auffallend war die ausgedehnte Drüsenent- wickelung im Mesenterium.

3) Herr Dr. Jacob (Cudowa) spricht über:

Die Beziehungen der arbeitenden Muskeln zum Herzen.

(Der Bericht wird sich darauf beschränken, die wesentlichsten Thatsachen des Vortrags wiederzugeben.)

54 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Darnach ist die stürmische Herzthätigkeit, welche durch starke Muskelarbeit hervorgerufen wird, eine notorische, altbekannte Thatsache. Jedoch fehlt bis heute die Brücke, welche die Kluft zwischen Ursache und Wirkung aufhebt.

Die Arbeit von Asp, welche sich mit Reizung des splanchnicus und der Muskelnerven beschäftigt, berührt zwar einen Theil der einschlagenden Fragen, sie ergiebt bald Verlangsamung, bald Beschleunigung der Puls- frequenz neben gesteigertem Blutdruck durch Reizung sogenannter reiner Muskelnerven, sie stellt die Vermuthung auf, dass Erregung sensibler Muskelnerven eine Beschleunigung der Herzfrequenz bewirke; allein es bleibt unentschieden, ob dies von Erhöhung des Blutdrucks oder von Nervenreflex bewirkt wird; die Experimente beweisen also nichts, ihre Ergebnisse sind rein zufällig und nicht in der Hand des Experimentators.

Vortragender reizte faradisch den plexus lumbalis in continuo am chloralisirten und unvergifteten, aufgebundenen Kaninchen und ahmte so den natürlichen Vorgang der Muskelarbeit nach. Das Thier empfand dabei keinen Schmerz und sträubte sich nicht. Es gelang ihm stets, die Pulsfrequenz zu beschleunigen. Der Blutdruck war dabei meist nicht erhöht. Die Pulsgrösse, welche mit dem Gad’schen Pulswellenschreiber sich recht gut ermitteln liess, war erheblich vergrössert und nur dann kleiner, wenn die Reizung den Blutdruck erheblich erhöhte.

Um den Einwand zu beseitigen, dass Vermehrung der Athmung oder willkürliche Muskelarbeit das Resultat beeinflusst haben könne, wurde das Thier curaresirt. Unter dem Einfluss des Curare trat aber eine erhebliche Steigerung des bisher normalen Blutdrucks ein und die vermehrte Pulsfrequenz ging in verlangsamte über. Durchschneidung des vagus ergab, dass das Curare denselben reizt.

Abgesehen von anderen Widerständen, welche wie der der Abkühlung des Thiers, beseitigt werden mussten, gelang es durch Verdoppelung der bisherigen Stromstärke sowohl bei Reizung in der Continuität als auch am centralen Ende durchschnittener Muskelnerven und durch Ein- schaltung einer grösseren Anzahl derselben den Vagusreiz zu überwinden und das Experiment wie am unvergifteten Thiere herzustellen.

Es wurden, um die durch Curare gesetzte Erhöhung des Blutdrucks auszuschliessen und als Ursache der vermehrten Pulsfrequenz zurück- zuweisen, beide splanchniei durchschnitten und danach ein Kritik und Aesthetik gleichbefriedigendes Pulscurvenbild erzeugt. Es ergab sich somit durch Muskelarbeit wie durch centrale Reizung sensibler Muskel- nerven eine Steigerung der Herzarbeit in Frequenz und Grösse des Puls- volumens. Es war auch die Reizung sensibler Muskelnerven, welche reflectorisch auf's Herz übertragen wird, als die Quelle des interessanten, bedeutungsvollen Phänomens erwiesen,

I. Medieinische Abtheilung. 55

Um auch den etwaigen Antheil des Stoffwechsels der Muskeln an unserem Phänomen zu ermitteln, wurden die peripherischen Enden durch- schnittener Muskelnerven gereizt und somit die Muskeln in Contraction versetzt. Es zeigte sich keine Spur einer Pulsbeschleunigung, eher eine Verminderung, dagegen ein tiefes Absinken des vasomotorischen Blutdrucks und dadurch bewirkte Erhöhung des Pulsdrucks; eine sehr ansprechende Bestätigung der Lehre, welche den Blutstrom des arbeitenden Muskels sich sehr verbreitern bezw. beschleunigen lässt, und die, wie bekannt, von R. Heidenhain und Ludwig in die Physiologie eingeführt wurde,

10. Sitzung vom 28. October 1892. Vorsitzender: Herr Professor Born. Schriftführer: Herr Dr. Gaupp. Tagesordnung:

1) Herr Dr. Adler: Ein Fall von traumatischer Halbseitenläsion im Halsmark.

Der 56jährige Zimmermann N. hat am 4. Juni c, a. durch einen herabfallenden Balken wahrscheinlich eine Fractur des III. Halswirbels erlitten.

Er zeigt auf der linken Körperhälfte eine spastische Lähmung des Armes und Parese des Beines, auf der rechten (nach oben fast bis- zur Schulterhöhe reichend) Verlust der Schmerz- und Temperatur empfindung und geringe Herabsetzung des Tast-, Druck- und Widerstands- gefühls. Am linken Arm tritt bei kalter Aussentemperatur eine erbeblich stärkere Temperaturerniedrigung wie an den übrigen Körpertheilen ein; der sogenannte Muskelsinn zeigt sich an den linksseitigen Extremitäten nicht gestört. Seit 3 Wochen erfolgt bei stärkeren Körperbewegungen und im Bett profuser Schweissausbruch auf der gesammten rechten Körperhälfte,

Am rechten Arm und Bein bestehen sehr schmerzhafte Paraesthesieen, während in den linksseitigen Extremitäten, der linken Rumpfhälfte und im rechten Bein bei brüsken Bewegungen Streckkrämpfe auftreten.

Der vorliegende Symptomencomplex ist charakteristisch für eine Halbseitenläsion im Halsmark; und zwar ist, wie aus der Vertheilung und Ausdehnung der motorischen und sensiblen Störungen hervorgeht, die linke Markhälfte zwischen IV. und V. Cervicalnervensegment betroffen.

Die Lähmung des linken Arms und die Herabsetzung der Sensibilität auf der rechten Körperhälfte dürften spontan eine Rückbildung nicht erfahren; der Erfolg eines eventuellen operativen Eingriffs lässt sich mit Sicherheit nicht voraussagen.

Discussion:

Herr Geheimrath Heidenhain: Haben die Krämpfe der beiden

unteren Extremitäten gleichen Charakter?

56 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Herr Adler: Ja, beiderseits Streckkrämpfe.

Herr Heidenhain: Im Thierexperimente ist es oft beobachtet, dass nach halbseitiger Durchschneidung des Rückenmarkes bei Reizung desselben oberhalb der Läsionsstelle Streckkrämpfe auf der lädirten Seite auftreten. Die Lähmungserscheinungen gehen nach einigen Monaten vor- über, Die Erklärung für diese Erscheinungen liegen in dem Vorhanden- sein der motorischen Fasern, die noch im Mark von einer Seite auf die andere treten. Diese werden offenbar allmählich geübt. Wahrscheinlich bestehen dieselben auch beim Menschen, und somit sei eine weitere Besserung des Falles noch wahrscheinlich.

Herr Adler glaubt nicht, dass die Lähmung des Armes sich noch verringern wird; die Bewegungsfähigkeit des Beines sei bereits viel besser geworden.

Herr Malachowski fragt nach dem Vorhandensein vasomotorischer Störungen und berichtet über einen analogen Fall.

Herr Adler: Die Herabsetzung der Hauttemperatur am linken Arm dürfte vorzüglich durch vasomotorische Störungen bedingt sein, wenn sie auch zum Theil Folge der Lähmung sein mag.

2) Prof. Dr. Hirt spricht

über eine von ihm an einer Dorfschule (Gross-Tinz bei Liegnitz) beobachtete Epidemie von hysterischen Krämpfen.

Im Laufe von 4 Wochen waren von 38 kleinen, zwischen 9 und 12 Jahren alten Mädchen 20 theils an hysterischem Zittern theils an Krämpfen erkrankt, dergestalt, dass eine ganze Reihe während der Anfälle das Bewusstsein verloren und aus der Schule entfernt werden mussten, Von den 32 in demselben Klassenzimmer anwesenden Knaben erkrankte nicht ein einziger. Ueber die Natur der Krankheit konnte von Anfang an ein Zweifel nicht bestehen, keine andere Affection als eben Hysterie war anzunehmen. Die Ursache blieb völlig dunkel, da 1) die Schul- räumlichkeiten in Bezug auf hygienische Anforderungen nichts zu wünschen übrig liessen und 2) alle erkrankten Kinder vorher durchweg gesund ge- wesen waren und nicht aus hereditär belasteten Familien stammten. Dass die Art des Unterrichtes belanglos war, konnte durch den Vortragenden im Dorfe resp. in der Schule selbst festgestellt werden; auch war der Schulschluss zunächst ohne wesentlichen Einfluss auf die Epidemie, indem noch während der Ferien Anfälle vorkamen und auch ganz kleine, noch nicht schulpflichtige Kinder daran erkrankten. Demgemäss ist man gezwungen, in der ausserordentlichen Hitze des Monats Juni ein prädisponirendes Moment für das Zustandekommen der Hysterie zu erblicken, ohne damit natürlich irgendwie das Entstehen einer Epidemie und der Art, wie die Ansteckung von Kind zu Kind vor sich ging, zu erklären. Man kann dieselbe nur als eine Art Autosuggestion auf-

I. Medicinische Abtheilung. 57 fassen, eben so wie das Gähnen ansteckt man sieht es von Ändern, man überredet sich, man müsse es nachahmen und gähnt ebenfalls.

Warum gerade 20 Mädchen erkrankt sind, warum nicht mehr und warum nicht alle, lässt sich nur mit Zuhilfenahme der sogenannten in- dividuellen Prädisposition erklären. Auch das Fernbleiben sämmt- licher Knaben ist, nachdem doch erwiesen ist, dass die Hysterie im männlichen Geschlechte und besonders unter Knaben sehr häufig vor- kommt, schwer zu verstehen; es scheint doch, dass unter gewissen Ver- hältnissen das weibliche Geschlecht hierzu mehr als das männliche prädisponirt ist.

Die Behandlung bestand in der Darreichung relativer grosser Brommengen, welche sich in einzelnen Fällen hilfreich zeigten; zwei schwere Fälle, in denen es zu ausgebildeten hystero-epileptischen Anfällen mit völliger Amnesie kam, wurden vom Vortragenden durch Suggestion be- handelt und in einer resp. zwei Sitzungen geheilt. Den im zweiten Stadium (nach Forel) der Hypnose befindlichen Kindern wurden suggerirt, dass niemals mehr ein Anfall wieder kommen könne und thatsächlich ist auch keiner mehr eingetreten. Nach Wiederaufnahme des Schulunterrichts am 20. October ist keine Erkrankung mehr vorgekommen, die Mädchen sind alle gesund. Aehnliche wie die beschriebene Epidemie kennt der Vortragende nur zwei; eine ist von Palmer in Bieberach in Württem- berg, eine zweite von Kirchgässer in Mettlach beobachtet worden. Dort waren aber die hygienischen Verhältnisse der Schulen sehr schlecht und konnten ätiologisch verwerthet werden, was im vorliegenden Falle eben nicht möglich ist. Die Beobachtung erscheint demnächst in extenso in der Berliner klinischen Wochenschrift.

Discussion:

Herr Sanitätsrath Dr. Richter: Schon Boerhave hat eine Epidemie beschrieben und durch eine Art von Suggestion (mit Glüheisen) geheilt.

Herr Dr. Silbermann bemerkt, dass er vor einigen Jahren einen gleichen Symptomencomplex wie den soeben geschilderten, bei Ge- schwistern beobachtet und hierbei als ursächliches Moment Onanie festgestellt habe. Auf Grund dieser Erfahrung richtet Herr Silber- mann an den Herrn Vortragenden die Frage, ob bei den kranken Mädchen der betreffenden Dorfschule eine Untersuchung der Genitalien statt- gefunden und etwa eine auffällige Vergrösserung der Clitoris constatirt worden sei?

Herr Hirt verneint dies; eine derartige Untersuchung habe nicht stattgefunden.

Herr Dr. Pfannenstiel geht in Kürze auf die vom Redner gestreifte Frage des aetiologischen Zusammenhangs zwischen Hysterie und Ver- änderungen an den ÖOvarien ein. Er hält die von den Neurologen nach

58 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

dem Vorgange von Charcot zur Doctrin erhobene Anschauung, dass in den Ovarien eine hysterogene Zone zu suchen sei, für absolut unbewiesen, bezw. die angeführten Beweise für nicht stichhaltig.

Die Erfahrungen, welche, die Gynäkologen mit der Castration bei Hysterie im Laufe der letzten 10 Jahre gemacht haben, sprechen sehr zu Ungunsten dieser Operation. Die Erfolge sind ganz unzuverlässig und, wo sie günstige sind, können sie auch als Suggestionswirkung ge- deutet werden,

In Zusammenhang damit steht die Thatsache, dass man bei der Castration hysterischer Frauen in der Regel keine pathologischen Ver- änderungen an den Eierstöcken findet, oft selbst nicht einmal eine Hyperämie dieser Organe. Pfannenstiel hat in allen Fällen von Castration, in denen wegen Hysterie operirt wurde, an der Breslauer Frauenklinik die Ovarien genauer untersucht und nur einmal pathologische Zustände gefunden. Hier lag beginnende Geschwulstbildung vor (ober- flächliches papilläres Adenom beiderseits). Der Erfolg in Bezug auf die hysterischen Anfälle war in diesem Falle zunächst günstig. Später kehrten dieselben in ungeschwächtem Maasse wieder und wurden durch eine Scheinlaparotomie zum zweiten Male gehoben. Die Operation hatte also hier nur durch „Suggestion“ gewirkt. Findet man demnach bei Hysterie Erkrankungen der Ovarien, so brauchen diese nicht als Hysterie- erzeugend aufgefasst zu werden. |

Und was den von den Neurologen als „Ovarialgie‘‘ gedeuteten Schmerz in der Unterbauchgegend hysterischer Frauen und Mädchen an- langt, welcher spontan oder bei Druck vom Hypogastrium aus auf die vermeintliche Ovariengegend sich kundgiebt, so hat dieser nach Pfannen- stiel’s Anschauung mit den Ovarien gar nichts zu thun. Bekanntlich kann man durch einen derartigen Druck hysterische Anfälle zuweilen coupiren, eine Thatsache, von der sich Pfannenstiel in zahlreichen Fällen selbst überzeugt hat. Aber bei diesem Druck ist es ganz gleich- gültig, welche Stelle der Unterbauchgegend gewählt wird, ob höher oben oder tiefer unten. In der Regel trifft derselbe, in der Weise wie ihn die Neurologen und zwar ganz wirksam ausüben, überhaupt gar nicht in die Ovariengegend, sondern eine Stelle oberhalb der Linea innominata seitlich von der Wirbelsäule, wo aber die Ovarien gar nicht liegen. Pfannenstiel hält es überhaupt für sehr schwierig, durch Druck auf die Unterbauchgegend die in der Tiefe des kleinen Beckens gelegenen und nur durch die combinirte Untersuchung tastbaren Eierstöcke zu treffen,

Er ist demnach der Meinung, dass in den Ovarien ein hysterogener Herd wohl nicht zu suchen ist.

Herr Hirt erwidert hierauf, dass der Herr Vorredner doch wohl nur eine persönliche Anschauung entwickelt habe; die Zahl der Gynä-

I. Medieinische Abtheilung. 59

kologen, welche den Zusammenhang zwischen Ovarien-Erkrankung und dem Auftreten hysterischer Zustände anerkenne und demgemäss event. operativ vorgehe, sei eine immer noch recht ansehnliche. Man bedürfe der Autorität Charcot’s nicht, um dies zu bestätigen, es genüge viel- mehr festzustellen, dass die Castration bei Hysterie erwiesenermaassen manchmal wenn auch freilich nicht immer von Erfolg begleitet sei.

Herr Bielschowsky berichtet über eine kleine Epidemie von Hysterie unter Knaben.

Herr Medieinalrath Richter: Werden die hystero - epileptischen Anfälle bei Männern auch durch Druck auf die der Ovarialgegend ent- sprechenden Gegend coupirt?

Herr Hirt: Nein, wohl aber durch Druck auf die Testikel.

11. Sitzung vom 11. November 1892, Vorsitzender: Herr Geh. Rath Fritsch. Schriftführer: Herr Dr. Pfannenstiel

Vor der Tagesordnung macht der Geschäftsführer, Herr Prof. Dr. Born die Mittheilung, dass behufs schnelleren Abdrucks der Verhand- lungen der Section Unterhandlungen mit der „Deutschen medieinischen Wochenschrift‘‘ angebahnt sind. Bis zum Abschlusse dieser Verhand- lungen sollen die Vorträge der Section mit den Discussionsbemerkungen möglichst unmittelbar nach den Sitzungen zum Abdrucke im Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft gelangen.

Herr Heidenhain bemerkt ergänzend, dass den Vortragenden 50 Separatabdrücke gratis zur Verfügung gestellt werden.

Tagesordnung: Herr Dr. Hürthle: |

Ueber die Erklärung des Cardiogramms mit Hilfe der Herztöne und über eine Methode zur mechanischen Registrirung der Töne.

Nach einer kritischen Uebersicht über die Registrirung des Herz- spitzenstosses mittelst des Lufttransmissionsverfahrens, sowie über die sogenannte akustische Markirmethode der Herztöne bespricht der Vor- tragende eine neue Methode zur Registrirung der Herztöne. Bei der- selben wirken die Töne auf ein sehr empfindliches Mikrophon, welches am Ende eines Stethoskops angebracht ist. Das Mikrophon wird von einem elektrischen Strom durchflossen, in dessen Kreis die primäre Rolle eines Inductionsapparates eingeschaltet ist; verbindet man mit der secundären Rolle ein Telephon, so lassen sich die Herztöne telephonisch auscultiren, Man kann die indueirten Ströme aber auch zur Erregung eines Froschmuskels benützen, welcher seine Zuckung auf dem Kymo- graphion markirt. Auf diese Weise lassen sich Cardiogramm und Herz- töne gleichzeitig auf mechanischem Wege registriren und die exacte

60 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Registrirung der Töne ermöglicht es, dieselben zur Erklärung des Cardio- sramms zu benutzen.!)

12. Sitzung vom 25. November 1892. Vorsitzender: Herr Dr. Buchwald. Schriftführer: Herr Dr. Drewitz. Tagesordnung: 1) Herr Geh. Rath Mikulicz: „Zur Behandlung der Verengerungen des Kehlkopfes und der Luftröhre.‘“

2) Herr Prof. Kast: „Ueber Erkrankungen des Duodenums.“ Die Vorträge werden an einem anderen Orte veröffentlicht werden.

13. Sitzung vom 9. December 1892. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Mikulicz. Schriftführer Herr Dr. Tietze. Vor der Tagesordnung:

Herr Dr, Martini: Demonstration eines Präparats von Tonsillar- carcinom, welches durch Arrosion der Carotis Verblutung hervor- gerufen hat.

Derselbe: Demonstration eines Falles von Verblutung durch Arrosion der A. coronaria ventr. durch ein Ulcus pepticum,

Diseussion: Herr Mikuliez,

Herr Dr. Fränkel:

Demonstration eines Präparates von Ovarialcarcinom.

47 jährige Patientin, seit 9 Jahren nicht mehr entbunden. Seit einiger Zeit Blutungen aus dem Uterus, hinter demselben ein Tumor zu fühlen. Beide Brüste vergrössert, enthalten Colostrum. Diagnose: Ex- trauteringravidität? Laparotomie am 9. 12. Bei Eröffnung der Bauch- höhle stürzt eine äusserst reichliche Menge von blutiger Ascites heraus. der Tumor in Douglas erweist sich als Careinom. Exstirpation.

Herr Primärarzt Dr. Riegner stellt

einen Fall von Resection beider Ober-Kiefer wegen Enchondroms vor. Das Leiden begann bei der 43 Jahr alten Frau vor 3 Jahren mit Verstopfung der Nase, dann gesellten sich linksseitige Infraorbites- neuralgien hinzu, vor 2 Jahren trat eine Geschwulst unter der Oberlippe und am Gaumen ein und im letzten Jahre trat das linke Auge aus seiner Höhle und erblindete. Der knochenharte, als Enchondrom an- gesprochene und durch die spätere mikroskopische Prüfung als solcher bestätigte Tumor war von der Schädelbasis ausgegangen, hatte beide

Y) Der Vortrag ist ausführlich in der „Deutschen med. Wochenschrift“ 1893 veröffentlicht.

I. Medicinische Abtheilung. 61

Nasenhöhlen durchwachsen, war durch die Mitte des Alveolarfortsatzes nach vorn, durch den ganzen harten Gaumen nach unten durchgebrochen, reichte nach hinten bis zur hinteren Pharynxwand, seitlich in beide Highmorshöhlen hinein, ohne jedoch deren vordere Wand hervorgewölbt zu haben, und hatte das linke Auge durch einen in die Orbita ge- sandten Fortsatz fast vollständig nach aussen luxirt. Der Augenspiegel ergab atrophia nervi optiei. Es wurde von jedem Mundwinkel ein bogenförmiger Schnitt nach dem Jochbein geführt, weiche und knöcherne Nase von innen her losgetrennt und so ein grosser die letztere ent- haltender Lappen gebildet, der nach oben über die Stirne geschlagen wurde. Dadurch war ein bequemer Zugang geschaffen zur Resection beider Oberkiefer und Entfernung des Tumors mit seinen verschiedenen knotigen Auswüchsen und Fortsätzen. Die Schleimhaut des harten Gaumens liess sich von einem hart am Alveolarrande geführten Schnitte aus leicht und in ganzer Ausdehnung von der Tumoroberfläche ablösen, und nach vollendeter Resection an die Wangen- und Oberlippen-Schleim- haut annähen, so dass ein vollkommener Abschluss zwischen Mund- und Nasenhöhle hergestellt werden konnte. Sowohl diese Schleimhautnath wie die Näthe des mit der Nase wieder herunter geklappten Gesichts- lappens heilten per primam. Patientin athmet frei durch die Nase und kann gut schlingen. Das linke Auge liegt wieder in der Orbita. Da es sich um ein reines Enchondrom handelt, ist die Recidiv - Prognose günstiger zu stellen. Die Operation wurde ohne palliative Tracheotomie und nicht bei hängendem Kopf ausgeführt. Nur im Beginn und zum Schluss der Operation (Nathanlegung) wurde Patientin chloroformirt, Sie gab an, nichts gefühlt zu haben.

Tagesordnung: 1) Herr Dr. Riegner: | Ueber einen Fall von Exstirpation der traumatisch zerrissenen Milz.

Ausgedehnte Zerreissungen der Milz haben bisher immer zum Tode durch Verblutung geführt. Wiederholt hat man deshalb die Frage er- wogen, ob derselbe nicht durch sofortige Laparotomie und Exstirpation der rupturirten Milz in geeigneten Fällen abzuwenden sei. Nussbaum spricht sieh in seiner Monographie über die Verletzungen des Unter- leibes darüber folgendermaassen aus: „‚Ist der Zustand so desperat, die Blutung so vehement, dass wir durch eine Compression an die Möglich- keit der Rettung nicht denken können, so fragt es sich, ob die äusseren Verhältnisse und der Verstand der Umgebung nicht das Aeusserste zu versuchen erlauben; ob wir nicht versuchen sollen, die gegenwärtig in ihren Gefahren so sehr herabgesetzte Laparotomie zu machen, die Ge- rinnsel herauszuwaschen, die Gefässe der Milz zu unterbinden und die Milz wegzunehmen. Es wird sich selten treffen, dass ein Operateur mit

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dem antiseptischen Apparat sofort zur Stelle ist, wenn eine solche Ruptur mit Blutung das Leben rasch bedroht, aber die Frage muss doch ventilirt werden, ob man unter den gegebenen Verhältnissen dem sicheren Sterben zuschauen soll, oder rasch die Milzexstirpation machen darf? Wenn eine gänzliche Aussichtslosigkeit vorhanden ist, den Kranken ohne Milz- exstirpation zu retten, so glaube ich, darf an diesen letzten Versuch ge- dacht werden.‘“ Diesen klassischen Worten ist, soweit ich aus der Litteratur, auch des letzten Decenniums, ersehe, bisher noch keine praktische Folge gegeben worden. Es dürfte daher schon vom rein chirurgischen Standpunkte Sie interessiren, abgesehen von einigen phy- siologischen Fragen, die sich daran knüpfen werden, wenn ich Ihnen heute einen Knaben vorstelle, dem ich vor nahezu 7 Monaten die voll- ständig quer durchrissene Milz durch Laparotomie entfernt habe.

Der 14jährige Arbeitsbursche Arthur Grottke stürzte am 17. Mai Abends in Folge des Bruchs einer Strebe vom Baugerüst des dritten Stockwerks auf das des ersten hinab und schlug dabei mit dem Unter- leibe auf ein Brett auf. Er wurde sofort auf meine Abtheilung im Aller- heiligenhospital transportirt und bot hier folgenden Status. Der für sein Alter schwächliche Knabe sieht blass aus, stöhnt viel und klagt über heftige Schmerzen im Unterleibe. Er erbrieht mehrmals bräunliche wässrige Massen, in denen im Gegensatz zu der Angabe, dass bald nach dem Sturz einmal blutiges Erbrechen dagewesen sein soll, jetzt keine Blutspuren mehr gefunden werden. Der Puls ist klein und beschleunigt (110 in der Minute), die Athmung erfolgt oberflächlich und stossweise. Der Leib ist nicht aufgetrieben, auf Druck überall sehr empfindlich, zeigt nirgends eine abnorme Dämpfung. An der linken Brustseite finden sich mehrere Hautabschürfungen, über dem linken Knie einige Sugil- lationen, sonstige Verletzungen sind weder am Rumpf noch an den Ex- tremitäten zu constatiren. Am nächsten Morgen (18. 5.) hatte die Blässe auffallend zugenommen. Es besteht häufiges Aufstossen. T. 36, 5. Der Puls ist noch elender und frequenter geworden (120), die Athmung vorwiegend costal. Auf der Höhe der kurzen Inspiration erfolgt sofort eine active Exspiration mit Contraction der Bauchmuskeln. Zwischen den einzelnen Respirationsphasen sind längere Pausen. Der Umfang des Leibes hat deutlich zugenommen. Der Magen ist aufgetrieben und zeichnet seine Contouren deutlich durch die Bauchdecken ab. Schon die leiseste Palpation und Percussion des Leibes ist überall äusserst schmerzhaft. Die Leberdämpfung reicht von der 4. Rippe bis Quer- finger breit unter den Rippenbogen. Die ganze regio hypogastrica er- giebt gedämpften Percussionston bis zu einer 3 Finger breit unter dem Nabel liegenden Horizontalen. Auch in den seitlichen abhängigen Partien ist deutliche Dämpfung nachzuweisen, namentlich auf der linken Seite, wo dieselbe nach vorn bis zur Mitte zwischen vorderer

I. Medicinische Abtheilung. 63 Achsillarlinie und Mamillarlinie reicht und nach oben ohne Unter- brechung in die Region der Milzdämpfung übergeht. Da Patient seit der Aufnahme noch keinen Urin gelassen hat, wird derselbe mit dem Katheter in der Quantität von 100 Gramm entleert. Er ist klar, von saurer Reaction, ohne Blut- und Eiweissgehalt, sedimentirt bald nach dem Erkalten sehr stark.

Die zunehmende Blässe, der stetig elender und frequenter werdende Puls (schliesslich 140) im Verein mit der Dämpfung in den abhängigen Partien des Leibes machten jetzt die Annahme einer intra-abdominellen Blutung in Folge von Ruptur eines der grösseren Unterleibsorgane zur Gewissheit und erforderten entschiedenes Eingreifen, wenn man dem sicher drohenden Verblutungstode entgegentreten wollte. Es konnten wesentlich nur in Frage kommen die Leber und die Milz. Locale Schmerz- haftigkeit und subjective Empfindungen des Knaben gaben keinen An- haltspunkt. Für Verletzung der Leber sprach nur deren vergrösserte Dämpfung, für Ruptur der Milz als das Wahrscheinlichere die Haut- abschürfungen an der linken Seite und die ausgedehntere, höher hinauf- reichende Dämpfung in der linken Abdominalhälfte.

Unter aseptischen Cautelen wird der Bauch in der Mittellinie durch grossen Schnitt eröffnet. Es stürzen sofort etwa anderthalb Liter dünn- flüssigen, lackfarbenen Blutes hervor. Dadurch wird die Uebersicht trotz raschen Auftupfens mit sterilen Compressen sehr erschwert, doch scheint es, als ob das Blut mehr vom rechten Hypochondrium her unter der Leber hervorsickert. Daher langer Querschnitt nach rechts unter dem Rippenbogen. Hinter der Leber finden sich reichliche Blutgerinnsel und dünnilüssiges Blut, eine Verletzung derselben ist indess nicht zu constatiren. Jetzt werden die Därme aus der Bauchhöhle geholt, in Compressen von warmer sterilisirter Kochsalzlösung gepackt und nach rechts hinübergelagert. In der linken Bauchseite sieht man entsprechend der oben erwähnten Dämpfung grosse Massen schwammiger Blutgerinnsel, darunter einige als solche deutlich erkennbare Partikelchen der Milz. Zur rascheren Freilegung und Exstirpation der letzteren wird nun auch links oben ein Querschnitt gemacht. Die Milz zeigt sich in der Mitte vollkommen quer durchtrennt. Die untere Hälfte liegt ohne Zusammen- hang mit der oberen und mit den Gefässen frei in der Bauchhöhle und wird ohne Weiteres entfernt. Die obere Hälfte hängt noch zum Theil an dem Lig. phrenico-lienale und den nicht durchrissenen Hilusgefässen und wird nach Unterbindung der letzteren herausgeholt. Weder aus den Milzwunden noch aus den rupturirten Gefässen schien es im Moment der Freilegung mehr zu bluten. Alle noch sichtbaren z. Th. gequetschten Gefässlumine werden sorgfältig ligirt. Eine schnelle Durehmusterung der anderen Bauchorgane ergiebt deren Intactheit. Auch das Peritoneum parietale ist überall glatt und glänzend. Nach möglichst rascher Ent-

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fernung der Blutgerinnsel und Reposition der Därme werden sämmtliche Bauchschnitte durch einfache Nath vollkommen geschlossen und ein comprimirender Verband angelegt. Inzwischen waren an beiden Armen und Oberschenkeln je 300 Gr. 0,6proc. Kochsalzlösung subeutan infundirt worden. Danach bessert sich der zuletzt kaum fühlbare Puls rasch, bleibt aber klein und sehr beschleunigt. Die Beine werden eingewickelt und hochgelagert. Bald nach der Operation kam der Patient zu sich und klagte über heftige Schmerzen im Leibe. Oefter dargereichte kleine Mengen Wein behielt er bei sich. Die Nacht wenig Schlaf, Am nächsten Morgen (19. 5.) war die Zunge stark belegt aber feucht, der Leib noch schmerzhaft, aber nicht aufgetrieben. Der Puls sehr klein und bis auf 160 Schläge beschleunigt, weshalb Digitalis verabreicht wurde. Danach besserte sich der Puls erheblich und war am 20. 5. früh auf 120 Schläge sesunken. Geringe Temperaturerhöhung. Alles Gereichte (Eierbrühe, Fleischsaft, Wein) wird behalten. Subjectives Befinden leidlich. Am 21. 5. klagte Patient über heftige Schmerzen im linken Beine, Nach Entfernung der Binden- und Watteeinwickelung zeigt sich der linke Fuss und die untere Hälfte des Unterschenkels blauschwarz verfärbt, kalt und unempfindlich, im Fussgelenk ein starker Erguss. In den nächsten Tagen stieg die Temperatur (wohl in Folge der beginnenden Fuss- gangrän) auf 39 bis 39,5. Der Puls war jedoch voll und kräftig, 112 in der Minute. Dabei besserte sich der Allgemeinzustand und das sub- jeetive Befinden fortschreitend. Nur zeitweise wurde noch über Leib- schmerzen geklagt. Die Nahrungsaufnahme war ausreichend, auch con- sistentere Sachen wurden gut vertragen. Stuhlgang erfolgte spontan ziemlich regelmässig. Bei einem schon am 23. 5. wegen Beschmutzung mit Urin nothwendig gewordenen Verbandwechsel waren die Wunden trocken und reactionslos gefunden worden. Nur ein Stichcanal secernirte etwas, weshalb die betreffende Nath gelöst wurde.

Am 30. 5. (12 Tage nach der Operation) wurden sämmtliche Näthe entfernt. Die Hautränder sind oberflächlich an einzelnen Stellen nekrotisch geworden, sämmtliche Bauchschnitte in der Tiefe jedoch fest geschlossen. Die Temperatur war schon vorher wieder zur Norm zurückgekehrt, der Puls war zwar kräftig, blieb aber andauernd be- schleunigt (112—116). Am linken Fuss und Unterschenkel war der Befund ein wechselnder. Anfangs gingen Circulations- und Sensibilitäts- störung wieder theilweise zurück, die Hautfarbe wurde an einzelnen Partien ganz normal und es bestand die Hoffnung, dass die Gangrän sich auf die Zehen beschränken würde. Es wurde deshalb und weil man dem Knaben einen grösseren operativen Eingriff noch nicht zu- muthen mochte, zunächst exspectativ verfahren. Schliesslich mumifieirte aber doch der ganze Fuss, an der Wade stellte sich in Handtellergrösse tiefgreifende feuchte Gangrän ein, auch an der Vorderfläche des Unter-

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schenkels wurden einzelne Hautpartien nekrotisch. Dabei hatte Patient heftige Schmerzen im Bein, schlief schlecht und fing wieder an zu fiebern. Daher wurde am 13. 6., nicht ganz 4 Wochen nach der ersten Operation, der linke Oberschenkel nach Gritti amputirt ohne An- wendung des Esmarch’schen Schlauches,

Im Amputationsschnitt fand sich an der Gefässscheide eine bohnen- grosse, etwas hyperämische Lymphdrüse. Schon am 11. 6. hatte man in beiden Leistenbeugen bohnengrosse Lymphdrüsen gefühlt, doch dem Befunde namentlich links wegen der demarkirenden Entzündung am Bein keinen grösseren Werth beigelegt.

Am 15. Juni wurden jedoch auch in beiden Achselhöhlen einige bohnengrosse Drüsen constatirt. In den nächsten Wochen schwollen die vorher nicht palpablen Cervicaldrüsen beiderseits zu erheblichen Packeten an und wurde rechts auch eine haselnussgrosse Cubitaldrüse fühlbar. Der Verlauf nach der Amputation war giatt, bald darnach ging die Temperatur zur Norm zurück. Die Amputationswunde vernarbte per primam und die Patellarsägefläche verheilte fest mit dem Femurknochen, so dass ein sehr brauchbarer Stumpf resultirte. In der siebenten Woche stand der Patient auf und ging zunächst mit Krücken umher, nachdem sein Kräftezustand und Allgemeinbefinden sich jetzt rasch gehoben hatten. Ende August konnte die künstliche Prothese angelegt werden. Gleich- zeitig wurde zur Stütze der ausgedehnten Bauchnarben ein festes Unter- leibscorsett applieirt. Der genaueren weiteren Beobachtung halber und um ihn besser ernähren zu können, als seine häuslichen Verhältnisse es gestatteten, wurde der Patient noch bis zum 17, October im Hospital be- halten.

M. H.! Der Knabe ist, wie Sie sehen, jetzt in ganz gutem Er- nährungszustande und hat eine leidlich gesunde Gesichtsfarbe, Er läuft mit seinem Stelzfuss munter umher und hat keinerlei Beschwerden mehr. Seine Functionen sind sämmtlich in Ordnung. Das grosse Narbenkreuz am Unterleibe zeigt hier und da trotz Anlegung des Bauchgurts kleine herniöse Ausstülpungen, die indess keine Störungen machen. Sie sind wohl erklärlich durch die Schnelligkeit, mit welcher die Bauchwunden genäht werden mussten. Zur Etagennath blieb keine Zeit. Die Leber ist nicht vergrössert, der Leib ist schmerzlos, weich und gut durchzutasten. Man kann dabei einzelne vergrösserte Mesenterialdrüsen deutlich fühlen Sämmtliche äussere Lymphdrüsenplexus (cervicale, axillare, cubitale und inguinale) sind etwa in der Ausbreitung und Grösse wie bei Lues. geschwollen. Nur die Achseldrüsen sind jetzt weniger deutlich zu fühlen, wie früher. Die Schilddrüse ist etwa pflaumengross zu palpiren und daher wohl sicher etwas über die Norm vergrössert, da sie für ge- wöhnlich überhaupt schwer durchzutasten ist. Doch ist ihre Unter-

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suchung in der Anfangszeit der Beobachtung leider versäumt worden, sie kann also schon früher denselben Umfang gehabt haben.

M. H.! Der Fall bietet vom chirurgischen und physiolo- gischen Standpunkt aus manches Beachtenswerthe. Lassen Sie mich das rein Chirurgische vorwegnehmen. Milzverletzungen sind keine zu seltenen Ereignisse. Interessant sind die Vorfälle der Milz, welche durch verhältnissmässig kleine, von den verschiedenartigsten Gewalt- einwirkungen, meist freilich von Messerstichen hervorgebrachte Wunden zu Stande kommen, wahrscheinlich wesentlich unter dem Einfluss der Zwerchfellcontractionen. Ledderhose hat in seiner neuesten Zu- sammenstellung (chirurgische Erkrankungen der Bauchdecken und der Milz, 1890) deren 32 gezählt, wovon 28 durch partielle oder totale Resection geheilt, 4 reponirt wurden mit nur einem günstigen Ausgange. Ein grosser Theil dieser Beobachtungen fällt noch in die vorantiseptische Zeit, beweist also ganz besonders die Zweckmässigkeit und Ungefähr- lichkeit der Exstirpation im Gegensatz zur Reposition der prolabirten Milz. Rupturen von (durch Leukämie, Malaria) erkrankten Milzen scheinen besonders in Gegenden, wo pernieiöse Intermittens herrscht, gar keine seltenen Ereignisse zu sein. Playfair allein hat beispiels- weise in Ostindien in 21, Jahren mehr als 29 Fälle gesehen. Sie ent- stehen schon durch leichte Traumen, selbst durch den Geburtsaect, manch- mal spontan. Für uns kommen hier indess nur die Zerreissungen gesunder Milzen in Betracht. Nussbaum-Mayer haben davon 23 zu- sammengestellt, welche bis auf einen Fall alle tödtlich endeten. Ver- anlassung geben meist mit grosser Heftigkeit und mehr isolirt auf die Milzgegend einwirkende Gewalten, z. B. ein darüber gehendes Rad, in meinem Falle Aufschlagen auf ein Brett nach Sturz aus 2 Stock Höhe. Eine sichere Diagnose wird selten gleich im Anfang möglich sein, wenn nicht äussere Verletzungen deutlich auf die Milzgegend hinweisen. Bei unserem Patienten waren nur leichte Hautabschürfungen an der linken Brustseite vorhanden. Auch der locale Schmerz wird, wie im vorliegenden Falle, gewiss oft vermisst und durch über den ganzen Leib verbreitete Empfindlichkeit verdeckt werden. Die Shokerscheinungen sind allen schweren Bauchverletzungen gemeinsam. Zu Peritonitis werden Milzverletzungen, da sie nur Austritt von Blut in die Bauch- höhle veranlassen, wohl meist nicht führen, im Gegensatz zu den Rupturen der Gallenwege, des Darms- und Harnapparats. Der Mangel peritonitischer Symptome könnte daher die Differentialdiagnose von letzteren unterstützen, aber die Erscheinungen, die unser Knabe bei- spielsweise bot, Schmerzhaftigkeit des ganzen Leibes, Aufstossen und Erbrechen, schneller kleiner Puls, schmerzhafte, unterdrückte costale Respiration, Erguss in die Bauchhöhle konnten ebensogut als durch be- ginnende diffuse Bauchfellentzündung veranlasst angesprochen werden,

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Nur Ansammlung von freiem Gas im Abdomen, Verschwinden der Leber- dämpfung würden die Diagnose einer Darmruptur sichern, und der Mangel dieses Symptoms liess mich im vorliegenden Falle auf das Niehtvorhandensein einer solchen Complication hoffen. Das Fehlen von Blut im Urin sprach gegen eine Verletzung der Niere oder Blase. Das einzig diagnostisch wesentlich in Betracht Kommende wird immer sein und war auch hier der Nachweis einer stetig zunehmenden intraabdo- minellen Blutung, d. h. ständiges Kühler- und Blässerwerden der Haut und zunehmende Frequenz und Kleinheit des Pulses, eventuell cerebrale Zeichen acuter Anämie, bei gleichzeitiger Constatirung eines mehr und mehr steigenden Ergusses in den abhängigen Partien der Bauchhöhle. Bei meinem Patienten war noch besonders für die Diagnose zu ver- werthen das Höhersteigen der Dämpfung in der linken Leibeshälfte und das Hinaufreichen derselben bis zur Milzgegend.

Gegen ausgedehnte Milzzerreissungen wird jede andere Therapie machtlos sein und den schliesslichen Tod durch Verblutung nicht hindern können. Principiell muss daher heutzutage, wenn irgend möglich, die Laparatomie und die Entfernung der Milz als einzig mögliches Heilmittel angestrebt werden. Freilich wird dazu manchmal nicht einmal die Zeit gelassen werden, denn einzelne Verletzte sind in wenigen Stunden, ja Minuten gestorben. Es werden nicht alle Fälle so günstig liegen, wie der meinige, wo offenbar in Folge einer Art Torsion und Quetschung der Hilusgefässe durch die scharf und isolirt einwirkende Gewalt die Hauptblutung erst 12 Stunden nach dem Unfall (nach Aufhören der Shokwirkung) erfolgte und auch dann nur allmählich zunahm. Gewiss wirkte ferner günstig der Umstand, dass die ganze untere Hälfte der Milz auch von den zuführenden Gefässen vollkommen abgetrennt und damit als Quelle der Blutung ausgeschaltet war. Ein unvoll- kommener Durchriss hätte sicher eine schneller eintretende und an- haltendere Hämorrhagie erzeugt. Gleichzeitige Verletzungen anderer Bauchorgane (solche der Leber sind namentlich häufig mit Milzrissen zusammengefunden worden), die ja durchaus nicht immer diagnostisch auszuschliessen sind, werden den Erfolg des Eingriffs natürlich oft er- heblich trüben, doch darf diese Erwägung von einer Operation nicht abhalten, welche den einzig möglichen Rettungsweg bietet. Auch in dieser Beziehung hatte ich oder vielmehr mein Patient Glück. Die Milz war in der That das allein verletzte Organ in der Bauchhöhle.

Die Operation muss, wenn einmal beschlossen, möglichst schnell und unter aseptischen Cautelen ausgeführt werden. Antiseptica, in die Bauch- höhle gebracht, würden hier aus naheliegenden Gründen ganz besonders schädlich sein.

Grosser Median- und oberer Querschnitt nach links sind absolut er- forderlich, um rasch über die Situation in’s Klare zu kommen und die

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verletzte Milz herauszuholen, auch die massigen Gerinnsel möglichst zu entfernen. Es wird sich dazu vielleicht auch, wie ich es gethan habe, ein Auspacken der Därme empfehlen, wobei diese selbst und ihr Mesenterium auf etwaige Einrisse gleichzeitig am raschesten controllirt werden können. Selbst ein Querschnitt nach rechts kann, wie in meinem Falle, nothwendig werden, um die untere Fläche der Leber zu besichtigen und die dort angesammelten Gerinnsel herauszuholen.

Die Milz-Exstirpation selbst ist unter solchen Verhältnissen der am leichtesten auszuführende Act. Da Verwachsungen bei gesunden Milzen selten vorhanden sein werden, handelt es sich einfach um Unterbindung des Stiels und Ligirung etwa sonst noch vorhandener, allerdings mög- lichst sorgfältig aufzusuchender Gefässlumina. In der Nachbehandlung der ersten Tage werden Excitantia und namentlich, wie auch hier, Füllung des leeren Kreislaufs durch subeutane oder intravenöse Koch- salzinfusionen die Hauptrolle spielen.

Specielles chirurgisches Interesse bietet der vorliegende Fall auch dadurch, dass der arme Knabe kaum 4 Wochen nach glücklich über- standener Milzexstirpation in Folge von Gangrän an Fuss und Unter- schenkel noch eine Oberschenkelamputation über sich ergehen lassen musste und auch diesen Eingriff gut überwunden hat. Für die Ent- stehung der Gangrän ist ein direetes Trauma als Ursache auszuschliessen. In den ersten Tagen der Beobachtung war keine Verletzung der betreffen- den Theile zu bemerken. Es kann sich vielmehr nur um spontanen Brand und zwar durch Venenthrombose handeln. An dem amputirten Gliede fand sich in der vena tibialis postica, etwas oberhalb der Ferse beginnend, eine thrombotische Füllungsmasse, während die bis zum Lis- francschen Gelenk präparirten Arterien sich als normal und im Lumen offen erwiesen. Zum Zustandekommen des Circulationhindernisses haben offenbar verschiedene Ursachen zusammengewirkt: die enorme Ischämie, die durch die Umstände gebotene lange Hochlagerung und (allerdings über Watteunterlage gemachte) Einwicklung, vielleicht auch die subcutane Infusion am Oberschenkel mit der nachfolgenden Massage.

Jedenfalls verschaffte uns die Amputation die Gelegenheit zu einer für die Milzfrage wichtigen Untersuchung, und dies führt mich schliess- lich zu einigen physiologischen Bemerkungen, die ich noch an den Fall anknüpfen möchte,

Bekanntlich ist jetzt sicher erwiesen, nicht nur durch zahlreiche Thier- experimente, sondern auch durch eine ganze Reihe von längeren Be- obachtungen an Menschen, welchen die nahezu oder ganz gesunde Milz (Wandermilz, hypertrophische Milz) exstirpirt wurde, dass dieses Organ nicht absolut zur Fortdauer des Lebens nothwendig ist. Ueber die Function der Milz als Blutbereitungsstätte und das vieariirende Eintreten anderer Organe nach Fortfall jener ist man hingegen noch weit entfernt

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eine Einigung erzielt zu haben. Eine besonders von Neumann und Mosler gestützte Annahme geht, wie sie wissen, dahin, dass das Knochenmark die Milz vertrete und erhöhte blutbildende Qualität ge- winne. Es war daher gewiss interessant, dass uns Gelegenheit geboten wurde, 4 Wochen nach Entfernung der Milz das Knochenmark des be- treffenden Individuums in dem amputirten Gliede direet zu untersuchen, Herr Geheimrath Ponfick hatte die Güte mir mitzutheilen, „dass die makroskopische Betrachtung wie die vorläufige mikroskopische Prüfung des Knochenmarks ausser leichter Hyperämie des ganz fettigen Marks keine wesentlichen Unterschiede vom normalen ergeben haben, selbst nicht an den kurzen Knochen der Fusswurzel“,

Vor einigen Tagen ging mir dann auf meine Bitte noch folgender Bericht zu.

„Eine neuerdings an den gehärteten und zum Theil entkalkten Knochen vorgenommene Prüfung hat für das Mark selber die zurück- haltende Deutung der ersten vorläufigen Befunde bestätigt. Dagegen liess sich an den Balken des knöchernen Gerüstes der spongiosa nicht verkennen, dass eine sehr lebhafte Wucherung seitens des Gewebes, besonders seitens der Gefässe des Marks stattgefunden hatte; so stark, dass vielfach Verschmälerung der Balken in ungleichmässiger Weise und auch dadurch Lockerung derselben eingetreten war, dass die Haversischen Canäle breiter geworden. Vor Allem an der Grenze des Intermediärknorpels aber sieht man grosse Strecken weit das junge Mark in dessen bis dahin gefässlose Grundsubstanz vordringen, die Knorpel- höhlen eröffnen, in sie hineinwachsen u. s. w, Auch hier sind die sonst so gradlinigen Grenzen sehr ungleichartig, wellig u. s. w., so dass der frische und krankhafte, wenngleich reparatorische Charakter überzeugend entgegentritt. Ich zweifle sonach nicht, dass diese Erscheinungen auf lebhaftere Neubildungsvorgänge im Mark hinweisen, als sie unter ge- wöhnlichen Umständen selbst unter Berücksichtigung des jugendlichen Alters erwartet werden dürfen. Denn offenbar sind bereits bedeut- same Usuren am Knochen selber dadurch hervorgerufen worden,“

Auffallende, der bei Leukämie ähnliche Veränderungen, wie sie Neumann und Mosler bei entmilzten Thieren beschrieben haben, das möchte ich doch noch besonders hervorheben, fanden sich also hier, wenigstens 4 Wochen nach der Operation, nicht vor. Doch geht immer- hin aus den letzten Untersuchungen hervor, dass das Knochenmark an den Reparationsvorgängen nach Ausfall der Milz einen nachweisbaren An- theil genommen hat. j

Die aufgestellten mikroskopischen Präparate werden Ihnen das sehr schön demonstriren.

Eine zweite Hypothese nimmt an, dass die Schilddrüse vicariirend für die exstirpirte Milz eintritt. Gestützt wird dieselbe einmal durch

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Thierexperimente, die Bardeleben schon im Jahre 1841 gemacht hat. 2 Hunde und 2 Kaninchen, denen er Milz und Schilddrüse exstirpirte, starben. 3 Hunde, denen er nur die Milz entfernte, genasen. Directe Schilddrüsenschwellungen bei der Milz beraubten Thieren sind allerdings (z.B. auch von Zesas) nicht beobachtet worden. Ebensowenig ergaben die darauf hin von Tauber angestellten Experimente Anhaltspunkte für einen functionellen Zusammenhang zwischen Schilddrüse und Milz. Da- gegen liegen 2 Beobachtungen am Menschen vor, welche dafür zu sprechen scheinen. Erstens hat Cred& einen Fall beschrieben (Archiv für klin. Chirurgie. Band 28), in welchem 4 Wochen nach Exstirpation einer Milzeyste mit relativ noch reichlichem gesundem Milzgewebe eine deutlich sichtbare, schmerzhafte, teigige Anschwellung der ganzen Schild- drüse eintrat, die in Schwankungen fast 4 Monate bestand, um zu einer Zeit zu verschwinden, wo auch die allgemeine Kräftigung so weit vor- geschritten war, dass der Patient wieder seine Profession aufnehmen konnte. Der Autor ist daher geneigt, der Schilddrüse neben dem Knochen- mark eine hervorragende Rolle in der Vertretung der Milz zuzuweisen, Dann hat Ceci (Wien, Kl. Wochenschrift 1889, II. 424) nach seiner Milzexstirpation eine mit Fieber, Abmagerung und gleichzeitiger erheb- licher Mandelvergrösserung einhergehende Schilddrüsenschwellung gesehen, die sich nach und nach wieder zurückbildete.e Von andern Seiten (Czerny, Billroth, Albert, Trendelenberg) wo man besonders daraufhin beobachtete, ist indess jede Kropfbildung vermisst worden. Bei meinem Patienten ist nun zwar auch, wie sie gesehen haben, eine geringe Vergrösserung der glandula thyreoidea gegenwärtig vorhanden. Leider ist aber früher verabsäumt worden, specieller darauf zu achten, Indess wäre bei der häufigen Untersuchung der Halsdrüsen eine grössere Anschwellung der Schilddrüse wohl nicht übersehen worden und jeden- falls ist dieselbe nie schmerzhaft gewesen. Ich muss daher die Be- theiligung der Schilddrüse bei der Stellvertretung der Milz für meinen Fall dahin gestellt sein lassen, möchte ihr aber einen erheblichen An- theil jedenfalls nicht zuerkennen. Dagegen bin ich wohl berechtigt, dies für die Lymphdrüsen in Anspruch zu nehmen, deren ausgebreitete und allgemeine Anschwellung ich Ihnen vorhin demonstrirt habe. Die- selbe begann auch in meinem Fall etwa 4 Wochen nach der Milz- exstirpation mit dem Inguinal plexus, breitete sich rasch über den ganzen Körper aus und scheint erst jetzt nach 7 Monaten mit dem Abschwellen der Achseldrüsen ihren Rückgang antreten zu wollen. Freilich haben die Thierexperimente nicht durchweg die Annahme einer vicariirenden Rolle der Lymphdrüsen zu stützen vermocht. Mosler (Deutsche med. Wochenschrift, 1834, No. 22) und Ponfick (nach mündlicher Mittheilung) beobachteten keine constante Hyperplasie der Lymphdrüsen. Zesas (Langenbecks Archiv, Band 28, Heft 1) fand allein die Mesenterial- und

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Bronchialdrüsen stark geschwollen und hyperämisch. Nur Winogradoff (nach Ledderhose chirurg, Krankheiten der Milz 1890) constatirte eine Vergrösserung aller Lymphdrüsen, besonders am Hals und Mesenterium. Dagegen hat Ozerny (Wiener med. Wochenschrift 1879) was mir für die menschliche Physiologie viel wichtiger erscheint von der 2. Woche nach Exstirpation einer Wandermilz an zuerst die Inguinal- dann die Cervicaldrüsen viele Wochen lang geschwollen und schmerzhaft ge- funden. Erst nach 3 Monaten waren sie wieder zurückgegangen. Grade die Exstirpation einer gesunden Milz beim Menschen und noch dazu bei einem jugendlichen im Wachsthum begriffenen, vermag wohl zur Lösung der Frage über die Function der menschlichen Milz mehr Aufschlüsse zu bringen, als Thierversuche, wenn der Operirte längere Zeit beobachtet werden kann.

Wenn also die letzt erwähnten Befunde fast die, Dignität eines physiologischen Experimentes am Menschen beanspruchen können, gilt dies leider nieht von den Blutuntersuchungen, die gleich von Beginn an mit freundlichster Unterstützung des Herrn Dr. Bender, Assistenten der dermatologischen Klinik, von uns angestellt wurden, und von welchen ich in der Krankengeschichte nichts erwähnt habe, um sie hier kurz im Zusammenhange mitzutheilen. Der Werth derselben für die Beurtheilung der Milz als blutbereitendes Organ wird nämlich erheblich geschmälert wenigstens für die erste Zeit der Beobachtung durch den Ein- fluss, welchen der kolossale Blutverlust als solcher auf die Zusammen- setzung des Blutes ausüben musste.

Bei entmilzten Thieren hat man ziemlich übereinstimmend eine Vermehrung der weissen Blutkörperchen beobachtet, mitunter gleich- zeitige Verminderung der rothen. Zesas fand den Beginn der Blutver- änderung in der 4. Woche nach der Splenectomie. Von der 8. Woche ab ging dieselbe wieder zurück. Ueber die durch Milzexstirpation herbeigeführte Veränderung in der Zusammensetzung des Blutes beim Menschen existiren noch nicht genügend zahlreiche und ausreichende Beobachtungen um ein sicheres Urtheil zu ermöglichen, zumal die Angaben einander mitunter direet entgegenstehen, So haben Czerny (s. 0.), Witzel-Trendelenburg (Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. 24. Band, $. 332) u. A. gar keine Veränderung constatiren können. Horoch - Albert (14. Congress der deutschen Chirurgen) fanden gar eine Vermehrung der rothen, Abnahme der weissen Blutkörperchen. Billroth-Hacker (13. Chirurgencongress) konnten 3 Wochen nach der Operation nur eine geringe Vermehrung der weissen Blutkörperchen wahrnehmen. Eine Anzahl von Autoren hat dagegen Vermehrung der weissen Blutkörperchen mit gleichzeitiger Verminderung der rothen und entsprechender Abnahme des Hämoglobingehaltes gefunden, welche Ver- änderungen nach Verlauf von Wochen oder Monaten allmählich wieder

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rückgängig wurden. Besonders genau und lange hat Cred& seinen bereits oben erwähnten Fall in dieser Beziehung beobachtet. ‚Vom 8. Tage nach der Operation an liess sich eine deutliche Vermehrung der weissen Iymphogenen Blutkörperchen und der kleinen rothen, z. Th. kernhaltigen, aus dem rothen Knochenmark stammenden Mikrocyten nach-

weisen, neben dem Ausfall der lienogenen weissen Körperchen und _ einer Abnahme der rothen Blutkörperchen. Nach zwei Monaten war das Maximum der Blutentartung erreicht bei einem Verhältniss der weissen zu den rothen Blutkörperchen wie 1:3—4.“ Dann allmähliche Rückkehr zur Norm innerhalb 4'j, Monaten. Er schliesst aus diesen Befunden, dass der Milz wesentlich die Rolle zufällt, die in den Lymph- drüsen gebildeten weissen Blutkörperchen in rothe umzuwandeln. Nach Entfernung der Milz müssten daher die rothen weil nicht ausreichend neugebildet —. abnehmen, die weissen dagegen so lange zunehmen, bis ein anderes Organ sie in rothe umbildet. Dieses ist, wie wir oben sahen, nach seiner Beobachtung die Schilddrüse (neben dem Knochen- mark), während er den Lymphdrüsen jede vicariirende Thätigkeit ab- spricht; diese brauchten nur normal weiter zu produciren.

Die Blutuntersuchungen bei meinem Patienten haben nun, ganz kurz resumirt, im Wesentlichen Folgendes ergeben '.. Der Hämoglobingehalt, mit dem Fleischl’schen Hämoglobinometer bestimmt, war am 1. Tage nach der Operation in Folge des kolossalen Blutverlustes auf 20 pCt. gesunken, betrug am 4. Tage 35 pCt., am 21. Tage 40 pCt. und stieg dann allmählich bis 80 pCt. (bei der vor einigen Tagen vorgenommenen Untersuchung). Die mit dem Thoma-Zeiss’schen Apparat angestellten Zählungen ergaben gleich in den ersten Tagen 2500000 rothe und 25 000 weisse Blutkörperchen auf 1 cmm. Die rothen waren also gegen die Norm (5 000 000) um die Hälfte vermindert, die weissen um das 3—5fache pro cmm (im gesunden Blut 5—10000) vermehrt. Das Ver- hältniss der weissen zu den rothen ergab sich also wie 1:100 gegen- über 1:400 im Normalzustande. Während nun die absolute Zahl der rothen Blutkörperchen ziemlich rasch zunahm, so dass sie schon nach 8 Wochen fast die Norm erreicht hatte, hat sich die absolute Zahl der weissen Blutkörperchen, wie noch eine vorgestern vorgenommene Zählung ergab, auch bis jetzt noch nicht vermindert, sie betrug 25000 pro cmm. Das relative Verhältniss der weissen zu den rothen (25 000 zu 4700000) ist gegenwärtig noch 1:180. Auch die nach Ehrlichs Angaben gemachte Färbung und Fixirung der Blutpräparate ergab gleich in den ersten Tagen eine erhebliche acute Leukocytose. Es waren zu-

!) Genaueres über die bisherigen und noch weiter fortzuführenden Blutunter- suchungen soll in einer ausführlichen Arbeit eines meiner Assistenten über den Fall später veröffentlicht werden.

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nächst sämmtliche Formen der weissen Blutkörperchen ziemlich gleich- mässig vermehrt. In weitaus grösster Anzahl fanden sich jedoch neutro- phile, meist polynucleäre Zellen. Auch einzelne eosinophile waren vor- handen, doch keinesfalls in auffallender zu irgend einem Schluss auf vicariirendes Eintreten des Knochenmarks berechtigender Menge,

Nach Ablauf eines Monats hatte sich das Verhältniss der verschie- denen Formen der farblosen zelligen Elemente des Blutes zu einander dahin geändert, dass die (aus den Lymphdrüsen stammenden) Lympho- cyten, einkörnige, kleine weisse Blutkörperchen, die meist gekörnelt waren, bei weitem an Zahl überwogen. Noch jetzt besteht (entsprechend der oben erwähnten direeten Zählung) eine bedeutende Vermehrung der weissen Blutkörperchen, doch haben die Lymphocyten an Menge ab- genommen, es sind wieder mehr polynucleäre Zellen vorhanden und zwar neben den gekörnten Formen auffallender Weise auch viele mit ganz homogenem Protoplasma.

Kernhaltige rothe Blutkörperchen, sowie Schattenbildungen, über- haupt grobe Veränderungen an den rothen Blutkörperchen sind bei den zahlreichen Untersuchungen niemals gefunden worden.

Sie sehen also, m. H., auch die Ergebnisse der Ihnen hier in groben Umrissen gegebenen Blutuntersuchungen, von denen einige typische Prä- parate aus den 3 Hauptstadien zur Ansicht aufgestellt sind, stimmen mit der sonstigen klinischen Beobachtung recht gut überein. Etwa 4 Wochen nach Entfernung der Milz treten gleichzeitig mit der allgemeinen Ver- grösserung der Lymphdrüsen, die aus ihnen stammenden Lymphocyten in auffallender Menge auf und beginnen erst jetzt mit der Abschwellung eines Theiles der Lymphdrüsen an Zahl abzunehmen und den (normaler Weise zu 75 pCt. vorhandenen) polynucleären Formen Platz zu machen. Auch die Blutuntersuchung unterstützt daher die Annahme, dass in meinem Fall wesentlich die Lymphdrüsen vicariirend für die Milz ein- getreten sind. Das Fehlen einer auffallenden Vermehrung der eosino- philen weissen Blutzellen spricht vielleicht auch gegen eine sehr erheb- liche Betheiligung des Knochenmarks, ebenso wie ja auch die directe mikroskopische Untersuchung des letzteren dafür keine wesentlichen Anhaltspunkte ergeben hat, wenn sie allerdings auch auf lebhaftere Neubildungsvorgänge im Marke hinweist,

Der Reparationsprocess ist noch nicht vollendet, wie die jetzt noch bestehende Leukocytose und allgemeine Drüsenschwellung beweisen. Der Fall ist also noch nicht abgeschlossen und bedarf noch weiterer Beobachtung.

Trotzdem glaube ich nieht Unrecht gethan zu haben, wenn ich schon heute Ihnen darüber berichtet habe.

74 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

2) Herr Dr. Robert Asch:

Ueber die operative Behandlung der Salpingo-Oophoritis.

M. H.! Die sich stetig weiter entwickelnde Technik der Bauch- operationen hat in letzter Zeit den Gynäkologen ein Gebiet heilsamster Eingriffe eröffnet, in dem neben der Operation der Extrauteringravidität die Entfernung der vereiterten Adnexa im Mittelpunkt allseitigsten Interesses steht. Es ist noch nicht gar zu lange her, dass die Frau, deren centralwärts vom Uterus gelegenen Generations-Organe infectiös erkrankt waren, als eine für unheilbar geltende Sieche angesehen wurde, bei der das ärztliche Können sich mit den Triumphen bescheiden musste, durch symptomatische Behandlung eine Besserung wenigstens für einige Zeit zu erzielen und der „beständig kranken Frau‘ wie sie Schröder genannt hat, das Leben möglichst erträglich zu gestalten. Es lag das aber nicht sowohl an der mangelnden Operations-Technik, als vor Allem an der seltener gestellten genauen Diagnose.

Ich kann mich heut mit der Aetiologie und Diagnose der besagten Krankheit um so eher möglichst kurz abfinden, als Herr Dr. Fränkel Ihnen diesen Theil des Gebietes zu anderer Zeit ausführlich zu erörtern gedenkt. Aus demselben Grunde werde ich auch auf anatomische Be- trachtungen nur soweit eingehen, als es die Schilderung des jeweiligen Öperationsverfahrens erfordert, also auch jede Erörterung sich auf- drängender histologischer und bacteriologischer Fragen vermeiden.

Nur das Eine will ich zur Diagnose hier erwähnen, dass sie zum grössten Theil abhängig ist von der Uebung im bimanuellen Unter- suchen und von der möglichst genauen Aufnahme der Anamnese. Wie die Gynäkologie im Allgemeinen nach dieser Richtung hin ihr Fort- schreiten merken lässt, so hat wohl auch jeder Gynäkologe an sich er- fahren, wie die früher so häufige Para- und Perimetritis ihm immer seltener zu werden schien und er dabei im umgekehrten Verhältniss immer häufiger sich Adnexerkrankungen gegenüber sah, die sich deutlich von dem verschwommenen Bilde der „Zellgewebsentzündung‘‘ oder „beckeneiterung‘ abhoben.

Die Wichtigkeit dieser Differenzialdiagnose ist wohl heut kaum noch zu leugnen oder zu verkleinern.

Es ist doch, ganz abgesehen von der wissenschaftlichen, theo- retischen Seite, für die Therapie nicht ohne Belang, ob man es mit der Anschwellung bezw. Einschmelzung des extraperitoneal gelegenen para- metranen Bindegewebes zu thun hat, oder mit einer meist zur Functions- unfähigkeit führenden Erkrankung intraperitoneal gelegener Organe. Auch von wesentlichster Bedeutung muss ich es ansehen, ob im Douglas ein vielleicht abgesaektes peritoneales Exsudat oder eine verlöthete mit Eiter gefüllte Tube liegt.

I. Medicinische Abtheilung. 75

Wie wir die Kenntniss der Salpingo-Oophoritis mehr dem Operations- tisch danken, als dem sonstigen Nährboden moderner wissenschaftlicher Mediein, dem Obductionshause, so verdanken wir umgekehrt auch wiederum die Möglichkeit operativer Hülfe der genau gestellten Diagnose.

Damit ist aber noch keineswegs gesagt, dass man bei sicher ge- fundener Salpingo-Oophoritis nun auch sofort zur Vornahme einer Operation gezwungen ist, etwa wie bei einer Ovarialcyste oder irgend einer noch operativ entfernbaren malignen Neubildung. Es handelt sich hier noch im Wesentlichen um die Erledigung mehrerer Gesichtspunkte. Erstens: in wie weit trägt die bezügliche Erkrankung zu den Beschwerden der Patientin bei? Zweitens: rechtfertigen die Beschwerden, die von der Erkrankung der Adnexa ausgehen, einen operativen Eingriff über- haupt, beziehungsweise eine zu den gefährlichen zählende Operation? Was die erste Frage anlangt, so wird sich deren Beantwortung meist erst nach einiger Zeit der Beobachtung geben lassen; immerhin ist ja die Entzündung und Vereiterung der Tuben und Ovarien nur eine Theil- erscheinung in dem Gesammtkrankheitsbilde; das aber steht schon von vornherein fest, dass die erheblichen Schmerzen, die Unfähigkeit zu Arbeiten oder auch nur den häusslichen Berufsgeschäften nachzugehen, das eigentliche Krankenlager und Siechthum der Frau erst mit dem Ergriffensein der Anhänge bezw. des Perimetriums anhebt.

Auch bei den scheinbar puerperalen Adnexerkrankungen handelt es sich ja nur zu oft um gonorrhoische Infeetion, die, zu gleicher Zeit mit der Conception oder nach eingetretener Schwangerschaft aecquirirt, im unterhalb der Frucht sitzenden Abschnitt der Gebärmutter, als soge- nannte Endocervieitis vorhanden war. Nach erfolgter Ausstossung der Frucht am normalen oder vorzeitigen Ende der Schwangerschaft kommt es dann zu einer Infection der freigewordenen Uterushöhle und in diesen Fällen grade nicht selten zur Fortpflanzung der Schleimhautentzündung auf Tuben und Ovarien bezw. aufs Peritoneum. Das sind die Fälle von Wochenbettfieber, die wohl zumeist zu der Annahme einer Selbst- infeetion geführt haben. Hier bedarf es zur Infeetion weder eines In- straments noch des touchirenden Fingers. Häufig nimmt die Er- krankung gerade hier eine Gestalt an, die eine Verwechslung mit Para- metritis gestattet oder die Diagnose einer Parametritis wirklich recht- fertigt. Es kommt zu ein- oder doppelseitigen fluctuirenden Abscess- höhlen, die entweder eine Pyosalpinx darstellen, die sich in das auf- gelockerte Gewebe im Ligamentum latum entwickelt hat, oder als eine wirkliche Einschmelzung des parametranen Bindegewebes aufzufassen sind. Fast ausnahmslos kommt es aber auch hierbei zur Fortpflanzung des infeetiösen Virus auf die Serosafläche des Peritoneums sei es durch das ostinm abdominale tubae oder durch die penetrirende Entzündung vom Uteruscorpus aus oder durch die Wand der Tuben. Der End-

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effect solcher Peri- und Parametritis sind Verwachsungen, und als Folge davon Lageveränderungen des nachgiebigen Uterus. Den Eintritt einer Retroflexion bedingen dabei verschiedene Einzelheiten während des Ver- laufs der Abheilung; so die narbige Verkürzung der Ligamenta lata und vor allem die Eindiekung und Resorption postuteringelegener, durch Adhä- sionen abgesackter Exsudate, deren Endresultat eine Verlöthung des fundus uteri mit dem Peritonealüberzug der hinteren Beckenwand ist. Auch die durch das längere Wochenbett selbst verlängerte Rückenlage der Frau kann ohne Adhäsionen zur Ausbildung einer Retroflexio, die dann als leicht reponible resultirt, führen. Sind dabei die seitlichen Bänder des Uterus narbig verkürzt, so sehen wir den reponirten Uterus, ohne dass ihn Adhäsionen nach hinten ziehen, häufig, nachdem ein Pessar ihn Monate lang in richtiger Lage erhalten hat, bald nach Entfernung des- selben in seine fehlerhafte Lage zurücksinken. Die Beschwerden sind hier nicht durch den manchmal recht gut abgelaufenen Process in den Adnexen oder den Parametrien, sondern durch perimetritische Adhäsionen oder die Lageveränderung des Uterus hervorgerufen.

Solche Frauen können oft durch palliative symptomatische Behand- lung, resorptionsbefördernde Curen, Pessare u. s. w. ihrer Beschwerden bis zum Vergessen der trotzdem fortbestehenden Krankheit enthoben werden. Immerhin wird dies zumeist nur bei Frauen der Fall sein, denen ihre sociale Lebensstellung grosse Schonung und die Anwendung lange dauernder Behandlungsweisen gestattet.

Auch hin und wieder eintretende Recidive, neu aufflammende Peri- metritiden gelegentlich der Menstruation oder irgend einer äusseren Schädlichkeit können durch geeignete Maassnahmen im Beginn der Neu- erkrankung oft zur schnellen Wiederkehr zu dem alten, leidlich erträg- lichen Zustand zurückgeführt werden.

Anders bei Frauen der arbeitenden Klasse und bei den Formen sonorrhoischer Erkrankung der Adnexe, dis sich ausserhalb des Wochen- betts ausgebildet haben, Sei es nun, dass die Gonococcen, welche eine längere Zeit im Cervix gesessen, ehe sie den Weg in die höher ge- legenen Abschnitte des Genitaltracts offen gefunden hatten, an Virulenz eingebüsst haben, sei es, dass die Involutionsveränderungen des Wochen- betts einen günstigeren Verlauf der Infeetion hervorrufen; erfahrungs- semäss führen gonorrhoische Processe im Wochenbett nicht zu so schweren und eingreifenden Veränderungen, als ausserhalb des Puer- perium durch die ascendirende Gonorrhoe an Tuben und Ovarien her- vorgerufen werden. Ebenso wie es der Erfahrung entspricht, dass Wochenbettfieber, die der Gonococceninvasion ihre Entstehung ver- danken, prognostisch günstiger sind, als solche auf anderweitiger In- fection beruhende, so kann man auch die Adnexerkrankung, vom Wochen-

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bett herrührend, auch wenn sie gonorrhoischer Natur ist, als leichter reparabel auffassen, als die ausser-puerperal entstandene.

Natürlich erleidet dies auch mancherlei Ausnahmen durch die be- gleitenden Umstände der Erkrankung. Ich komme später auf einen Fall zurück, der Das erläutern kann.

Der Vorgang, wie er sich nun ohne complieirende Schwangerschaft bei ascendirender Gonorrhoe abspielt, ist nun meist ein anderer. Der Eiterungsprocess setzt sich von der Uterusschleimhaut auf die der Tube einer oder beider Seiten fort, gelangt zum Fimbrien-Ende und ruft dort eine locale, mehr oder weniger ausgedehnte Perimetritis, Perisalpingitis und Peri-Oophoritis hervor; hin und wieder entsteht auch eine echte Oophoritis, ein Ovarialabscess, vielleicht wenn das Platzen eines Graaf’schen Fol- likels grade hiermit zusammenfällt.

Die verschiedenen Formen der Adnexvereiterung, die hierbei beobachtet werden, sind schon aus der ursprünglichen Beweglichkeit der Organe, die freilich von jetzt an meist dauernd lahmgelegt ist, erklär- lich, sowie aus den Phasen ihrer physiologischen Function. Auch, ob die Erkrankung schon Recidive gezeitigt hat, die immer neue bisher unversehrte Felder des Peritoneum ergreifen und in das Bereich unent- wirrbarer Verwachsungen ziehen, ist für die Beurtheilung der schweren Schädigung, die dieser Complex von Abscessen und verwachsenen Organen für die Trägerin ausmacht, nicht ohne Belang.

Auch bei grösster Schonung während des acuten Stadium, auch bei sofortiger Pflege und der Anwendung passender Linderungsmittel, auch ohne die Nothwendiskeit häuslicher oder beruflicher Thätigkeit sind solche Frauen einem Siechthum verfallen, das, ganz abgesehen von den stets quälenden Schmerzen und der steten Erinnerung an das Kranksein, durch die dauernde Gefahr erneuter Peritonitis eine auch e&ingreifende Operation in vielen Fällen rechtfertigt. Bei Frauen der arbeitenden Klasse ist dies natürlich in erhöhtem Maasse der Fall.

Noch eine andere Betrachtung führt uns oft zur Rechtfertigung einer Operation.

Die Gonorrhoe des Uterus ist oft ohne Entfernung der einmal er- krankten Adnexe nicht zu heilen; sei es nun, dass von oben her immer neues infectiöses Material in das behandelte und vielleicht im Heilen begriffene Cavum Uteri aus den Tuben kommt und jede Bemühung, die Schleimhaut gonococcenfrei zu machen, illusorisch werden lässt, sei es, dass jeder Versuch einer Uterus-Behandlung durch erneutes Aufflackern des perimetritischen Processes vorzeitig unterbrochen wird,

Ein Speecialgebiet für die Indication eines operativen Eingreifens liefert die polizeilich beaufsichtigte Prostitution; die Puellae kommen gonorrhoisch infieirt ins Hospital und dürfen nur „‚geheilt‘‘“ entlassen werden; ist die Heilung, wie eben ausgeführt, unmöglich, so bleibt die

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Operation als ultima ratio unvermeidlich; ein weiteres Eingehen auf .diese etwas heikle social-polizeiliche Frage dürfte hier zu weit führen; sie wird wohl noch lange ihrer Erledigung harren.

Jedenfalls kann in diesen und den oben skizzirten Fällen sich eine Operation auch ohne bedeutende Beschwerden von Seiten der Salpingo- Oophoritis als nothwendig und zur Heilung des Gesammtprocesses un- entbehrlich erweisen.

Im acuten Stadium, bei der ersten Ausbildung von perimetritischen Abscessen oder Exsudaten ist eine Operation nicht häufig nothwendig, wenigstens werden operative Eingriffe, wie sie von allgemeinen chirur- gischen Gesichtspunkten aus manchmal vorgenommen werden müssen, nicht mit der Operation, die zur Radicalheilung führen soll, zu ver- gleichen sein. Es wird sich hier meist nur um Ineisionen in abge- schlossene Abscesshöhlen handeln, wenn zu hohe oder zu andauernde Temperatursteigerungen dazu zwingen, oder ein Durchbruch droht; findet dieser voraussichtlich nach einer ungefährlichen Seite hin statt, so wird man ihn durch Incision beschleunigen oder die spontane Oeffnung für den Abfluss genügend vergrössern; droht er nach einem dadurch neu gefährdeten Organe (Blase ete.), so wird man ihn zu vermeiden suchen, durch Ablenkung des Eiters auf günstigere Bahnen. Im Allgemeinen trägt dieses Vorgehen meist nur zur schnellen Erleichterung des Zu- standes der Patientin, zur Abwendung grösserer Gefahren bei, selten oder nie zur Heilung der Salpingo-Oophoritis. Es ist wichtig, das zu trennen. Es handelt sich doch hier um Organerkrankungen, die durch ihr fortdauerndes Bestehen Gefahren und Beschwerden zur Folge haben und deren Heilung unsern vorläufigen Hülfsmitteln noch nicht zugänglich ist; um also die von den erkrankten Organen ausgehenden Folgen zu beseitigen, ‚ist es nothwendig, die Organe zu entfernen, was um so eher zu rechtfertigen ist, als ihr Verlust weder eine Gefahr für das Leben der Patientin, noch eine Beeinflussung ihrer sonstigen Lebensfunetionen bedingt; die Fortnahme funetionsunfähig gewordener Körpertheile aber, sofern sie auf die äussere Form und das Aussehen keinen Einfluss aus- üben, ‚„Verstümmelung‘‘ zu nennen, dürfte wohl zum mindesten etwas gesucht erscheinen.

Die ganze Debatte, die sich in letzter Zeit, hauptsächlich von fran- zösischen Autoren angeregt, über Beckeneiterungen entsponnen hat, scheint mir kaum Bezug auf die wohl umschriebene Form der hier zu besprechen- den Krankheit der Uterusadnexe zu haben. Es handelt sich aber hier nicht sowohl um verschiedene Erkrankungen, sondern hauptsächlich um verschiedene Stadien derselben Erkrankung und die Frage müsste nicht ge- stellt werden: kann man Adnexerkrankungen durch vaginale Ineision heilen oder soll man laparatomiren, sondern höchstens: soll man da, wo man nur durch eine Laparatomie vollständige Heilung erzielen kann,

I. Medicinische Abtheilung. 79

durch vorläufige Incision oder andere Eingriffe das Stadium, in dem eine Radicalheilung mit Erfolg noch nicht angestrebt werden kann, ab- zukürzen suchen bezw. der Patientin erleichtern? Eine Incision wäre hier gleichzustellen etwa der Anlegung eines Anus präternaturalis bei incarcerirter gangränoser Hernie im Gegensatze zur Radicaloperation, nur dass in diesen Fällen die Operation einer Indicatio vitalis entspricht. Im acuten Stadium einer Salpingo-Oophoritis aber ist der Eingriff in den meisten Fällen vermeidbar. Sehen wir nach dem Hauptgrund der Be- schwerden und Gefahren, die durch die besagte Erkrankung hervor- gerufen werden, so sind es die Verwachsungen im Becken und mit den darüberliegenden Darmschlingen und das stete Vorhandensein einer Eiterung in der Tube, das zu neuen Ausbrüchen Anlass geben kann und giebt. Dann ist es unsere Aufgabe, solange wir keine andern Mittel haben der Eiterung Stillstand zu gebieten: die Verwachsungen zu lösen und die eiternden Organe zu entfernen. Ist das in dem Stadium, in dem wir die Patientin in Behandlung bekommen, noch nicht ausführbar, so heisst es: abwarten.

Es giebt ja, wenn auch recht vereinzelte Fälle, in denen man mit einer Hülfsoperation auskommt; diese grenzen aber an die Kategorie der Fälle, in denen unter Umständen, wie oben geschildert, eine Öpe- ration überhaupt überflüssig erscheint. Ein Beispiel mag dies erläutern,

Eine Dame, deren Lebensstellung ihr jede Schonung und Pflege ge- stattet, deren sexuales Leben durch die geplante Trennung von ihrem Gatten sein vorläufiges Ende erreicht zu haben scheint, bekommt im Verlauf einer Gonorrhoe eine Tubeneiterung und zwar erkrankt nur die linke Seite. Voraufgegangen war während ihres virginalen Lebens eine Perityphlitis, die zur Verlötung mit der rechten Uteruskante geführt hatte, die seit Jahren beschwerdelos bestand. Zufällig ist die Form der Erkrankung eine reine Pyosalpinx. Man muss sich hier den Vorgang so vorstellen, dass das abdominale Ende der Tube verklebt, ehe es zu einer Oophoritis oder Perimetritis gekommen ist; das entzündliche Stadium läuft in einigen Wochen ab, Urethra und Uteruscavum zeigen sich bei wiederholten Untersuchungen klinisch und bacteriologisch geheilt, aber die linke Tube stellt einen beweglichen Sack mit Eiter gefüllt dar, der noch erhebliche Beschwerden verursacht; das bisherige Freibleiben der rechten Adnexe lässt bei dem inzwischen abgelaufenen infeetiösen Process hoffen, dass diese nicht mehr gefährdet seien und es gilt nur den Eiter zu entfernen; ich incidirte ins linke Scheidengewölbe, bohrte mich bis auf den mir entgegengedrückten Sack, ineidirte diesen, nähte ihn an, spülte aus und drainirte. Es fand keine neue Eiterung in der Tube mehr statt, der Process war eben abgelaufen und die Dame wurde nach drei Wochen geheilt entlassen, ohne Beschwerde und wie ich glaube

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auch ohne Gefahr für ihr ferneres Befinden; spätere Nachrichten be- stätigten dies. |

Doch so günstig liegen die Fälle höchst selten: Ein bisher un- operirter Fall, den ich seit langem recht genau zu beobachten in der Lage bin, mag dies erläutern. Bei einer Frau mit doppelseitiger Adnex- erkrankung war es zum Durchbruch der linken Pyosalpinx ins Scheiden- gewölbe gekommen. Die Oeffnung wurde erweitert und die Eiterhöhle drainirt. Lange nach der Heilung bot sich mir folgendes Bild dar. Neben dem anteflectirten Uterus findet sich rechts ein cystischer auf Druck nur wenig empfindlicher, beweglicher Tumor mit wulstiger Oberfläche; nach innen und unten von dieser mit Flüssigkeit gefüllten Tube lag das schein- bar gesunde Ovarium. Links dagegen liegen Ovarium und Tube in Ad- häsionen dem Scheidengewölbe an und verursachen fortwährende Schmerzen. Eine Gonorrhoe der zugänglichen Schleimhäute besteht nicht mehr; die Schmerzhaftigkeit konnte durch faradische Behandlung in ziemlich kurzer Zeit beseitigt werden, der Tumor rechts verkleinerte sich nach einer Reihe von negativen Galvanisationen im Verlaufe von 4 Wochen etwas und verlor seine Druckempfindlichkeit.

Das subjective Wohlbefinden der Patientin liess sie eine Operation ver- weigern; eine nach einigen Monaten erneut auftretende Schmerzhaftigkeit auf der linken, entleerten Seite wich wieder rasch einer faradischen Be- handlung, aber nach einem Jahre entstand gelegentlich eines Sprunges von einem Wagen eine neue Entzündung der rechten Seite mit deutlicher Vergrösserung des Tumors, die ein wochenlanges ziemlich schweres Krankenlager zur Folge hatte. Nach Ablauf desselben wurde die noch restirende Schmerzhaftigkeit wiederum rasch durch eine galvanische Behandlung beseitigt.

Der sichtbare symptomatische Erfolg dieser Behandlung verhindert die Patientin auch heute noch in eine Operation zu willigen; sie verrichtet übrigens recht schwere Arbeit und hat nur in letzter Zeit über zu häufig eintretende und zu lang dauernde Menstruationen und zeitweilige Schmerzen in der linken Seite zu klagen. Man sieht daraus, dass die Beschwerden, denn auch die Menorrhagien sind darauf zurückzuführen, durch die Entleerung keineswegs beseitigt sind, da sie von Adhäsionen herrühren und die Gefahren fortbestehen, auch wenn der Eitersack frei beweglich und lange Zeit hindurch unempfindlich ist.

Die Hauptplage der Patientinnen wird aber durch die den Darm betreffenden Adhäsionen hervorgerufen. Verwachsungen mit dem an sich gesunden Processus vermiformis oder mit andern Darmabschnitten lassen jede Bewegung der Därme, ja des Körpers überhaupt schmerzhaft werden. Schmerzanfälle zu bestimmten Tageszeiten trotz Ruhelage und sonst ab- gelaufenem Process lassen mit ziemlicher Sicherheit auf Darmadhäsionen schliessen.

I. Medicinische Abtheilung. 81

Ich verdanke der Liebenswürdigkeit von Herrn Sanitätsrath Riegner unter vielen andern auch die Beobachtung und operative Erledigung eines Falles, der diesen wesentlichen Punkt deutlich demonstrirt. Die Frau hatte ein postpuerperales rechtsseitiges Exsudat, welches durch Ineision in der Inguinalfalte entleert worden war, trotz der Abheilung desselben aber dauernde, quälende Schmerzen in dieser Seite; beim Untersuchen zeigte sich eine mässige Vergrösserung der rechten Adnexe und Ver- diekung des Lig. latum, darüber ein fingerdicker höchst schmerzhafter Strang, der nach oben zog. Bei der Laparatomie zeigte sich der über- mässig lange processus vermiformis mit Tube und dem Lig. latum ver- wachsen bis an die Basis der Vorderfläche des letzteren gezogen; eine abgelaufene Salpingo-Oophoritis mit einem Haematom am Ovarium. Nach Entfernung des aus seinen Adhäsionen gelösten Wurmfortsatzes durch Herrn Sanitätsrath Riegner resecirte ich das Lig. latum mit Tube und Övarium; die Patientin verliess schmerzfrei das Hospital. Ich fand die rechte Seite auch bei späterer Untersuchung frei und unernpfindlich.!)

Es konnte kein Zweifel darüber bestehen, dass die in diesem Fall besonders quälenden Schmerzen hauptsächlich durch die Residuen der Entzündung, durch die Verwachsungen hervorgerufen waren.

Alle diese Betrachtungen drängen uns mit Nothwendigkeit zu dem Schlusse, dass die operative Behandlung der Salpingo-Oophoritis, wenn sie durch das Fehlschlagen aller andern Methoden, sowie durch die oben gekennzeichneten Begleitumstände überhaupt bedingt ist, eine Heilung des qualvollen und gefährlichen Zustandes nur erzielen kann, wenn sie sich bestrebt, die nutzlosen und irreparabel erkrankten Organe voll- ständig zu entfernen. Während die undurchgängige Tube ihren Funetionen nie wieder genügen kann, sei es, dass ihr Lumen aufgehört hat zu existiren, sei es dass sie nach Verschluss des abdominalen Endes zur Hydro- oder bei noch fortdauerndem Process zur Pyosalpinx ge- worden ist, ruft grade die, auch bei schwerer Krankheit des Organs nicht oder höchst selten erlöschende, fortdauernde Function des Ovarium stets neue Beschwerden, neue Gefahren hervor. Dazu gewährt die Ent- fernung dieser nach jeder Richtung zwecklos gewordenen Organe die Möglichkeit, die Verwachsungen zu lösen, dem immer von neuem auf- flackernden Process Einhalt zu thun, eventuell auch den durch die Ver- zerrungen dislocirten Uterus in normaler oder annähernd normaler Lage

ı) Einige Wochen, nachdem ich Obiges geschrieben, bekam Patientin eine acute linksseitige Salpingo-Oophoritis; bei der vorausgegangenen Operation waren die Anhänge dieser Seite durchaus normal befunden worden: im Anschluss an die Neuerkrankung traten erneut heftige Schmerzen und grosse Druckempfindlichkeit auch in der Gegend des Coecum auf; bis jetzt ist es nicht gelungen, die neuen Beschwerden der Patientin durch Palliativnıaassnahmen zu beseitigen; es dürfte sich eine zweite Laparatomie als nothwendig erweisen.

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zu fixiren und auch damit ein gut Theil der Folgeerscheinungen dieser für die Frau so grausamen Erkrankung zu beseitigen. Auf die Be- handlung des Uterus komme ich später noch zurück.

Was nun die Entfernung der Adnexe anbelangt, so giebt es wohl kaum ein operatives Gebiet, das bei der Gemeinsamkeit seiner Grund- züge sich so verschieden im Einzelnen je nach der Beschaffenheit des Falles gestaltet. Zunächst ist, wie schon gesagt, das Stadium der Er- krankung von Einfluss.

Im acuten Stadium ist meiner Meinung nach eine Radicalbehandlung nicht am Platze. Der einzige Fall, in dem es mir nicht gelang, die Adnexe zu entfernen, betraf eine wohl zu früh operirte Frau. Ihre Be- schwerden waren erheblich, die Temperatur dauernd erhöht, die Ana- mnese liess einen genauen Ueberblick darüber, ob es sich um ein Recidiv oder eine seit längerer Zeit bestehende Salpingo - Oophoritis handle, nicht zu und beiderseitig waren schmerzhafte Tumoren zu fühlen; die Frau drängte zur Operation; der Versuch aber, die Adnexe zu entfernen, scheiterte bei der Laparatomie daran, dass man es mit einem Knäuel von Abscessen zu thun hatte, die sich weder differenziren noch vollständig entfernen liessen; bei jedem Tieferdringen floss neuer Eiter über das Operationsfeld.. Nun wurde nach möglichster Eröffnung aller Abscesse von oben her das Scheidengewölbe beiderseits durchstossen und mit Gaze, die oben über die Abscesse ge- legt war, und zur Scheide herausgeleitet wurde, drainirt. Die Frau verliess nach mehrwöchentlicher Convalescenz gebessert das Hospital. Es ist die Frage, ob eine vaginale Incision genügt hätte; man hätte kaum in gleicher Weise alle Abscesse eröffnen können, wie bei der freien Uebersicht bei der Laparatomie; die Aussicht, radical zu heilen, war eben durch das zu frühzeitige Operiren genommen, wenn auch die Möglichkeit, dies zu erreichen, die Art des operativen Vorgehens recht- fertigen konnte.

Abgesehen von diesem für die Entfernung ungeeignetsten Stadium der Erkrankung eignet sich auch die Zeit eingetretener frischer Recidive wenig zur Vornahme der Radicaloperation; am kesten operirt man in den Zwischenstadien.

Hier sind es vor allem Zufälliskeiten im Verlauf der Erkrankung, Varianten in der Gestalt!) und Lage dieser Organe, ja die physiologischen Zeitabschnitte, in denen gerade das Virus seinen Weg vom Uterus aus in dieses Thor des Bauchraums gefunden hat, die die Fälle so ver- schieden gestalten, dass sich ein Typus der Operationstechnik nicht wohl

») Ich möchte hier vor allem auf die von Freund hervorgehobene Verschieden- heit gerader und gewundener Tuben hinweisen.

I. Medicinische Abtheilung. 83 geben lässt. Fast bei jeder Operation sieht man sich neuen, wenn auch nicht unerwarteten Verhältnissen gegenüber, die das individualisirende Vorgehen hier zur zwingenden Nothwendigkeit machen. Fast ausnahms- los aber sind die Schwierigkeiten nicht unüberwindbar, und je mehr Fälle man zu operiren Gelegenheit hatte, desto öfter wird man sich ein- gestehen, dass dieser oder jener früher für unvollendbar gehaltene Fall bei einiger Erfahrung mehr auch glücklich zum Ende hätte geführt werden können.

Ich muss sagen, dass eine Reihe von erst in neuerer Zeit ver- öffentlichten Fällen von „Pyocele periuterina“, bei denen sich der Operateur nach Eröffnung der Bauchhöhle mit Ineision und Drainage begnügt hatte, nach ihrer ziemlich ausführlichen Beschreibung mir doch den Eindruck machten, dass sie wenig verschieden von Fällen seien, bei denen es mir mit einigem Bemühen gelungen war, die Geschwülste, die ein Conglomerat von Eitersäcken, vereiterten Organen, Schwarten und Narbengewebe darstellen, radical zu entfernen.

Die gemeinsame Schwierigkeit aller Adnexoperationen ist die Lage des Operationsfeldes im Becken und die durch die Verzerrungen und Verwachsungen, durch den Verlust der normalen Oberfläche und der gewohnten Gestalt der Organe erschwerte Orientirungsmöglichkeit. Auch die aufgehobene Bewegungsfähigkeit der Organe, die Unmöglichkeit ihrer Verlagerung zwecks besserer und bequemerer Zugänglichkeit lässt im Anfang manchmal an der Ausführbarkeit zweifeln.

Zunächst kann ich dringend die Trendelenburg’sche Beckenhoch- lagerung empfehlen: nur so ist es möglich, in situ und unter Controle des Auges zu operiren. Fallen auch die Därme nicht immer so aus dem Becken zurück wie bei normalem Peritoneum, so kommen doch serade durch den Zug der Därme aus dem Becken heraus Adhäsionen trefflich zur Kenntniss. Bei allen diesen Operationen muss man sich mehr oder weniger zunächst den Weg durch Lösung des am oberen Becken- ring verwachsenen Netzes und einiger Darmschlingen bahnen. Trockne sterilisirte Gazeservietten halten die gelösten und ins Abdomen zurück- geschobenen Intestina am besten zurück. Man sieht in solchen Fällen manchmal netzförmige Gewebe vom Omentum und den Därmen den Fundus Uteri und über diesen weg die ganze Blase überziehen. Nächst- dem ist der Fundus meist noch nach hinten mit der hinteren Beeckenwand, dem Promontorium, verlöthet, ganz abgesehen von den Verwachsungen der Tumoren mit dem Uterus und den anderen Organen,

Man löse nun zunächst nur die Verwachsungen, die an der Möglich- keit, das specielle Operationsfeld zu übersehen und den zu entfernenden Tumor zu umgreifen, hindern.

Das weitere Vorgehen hängt nun von der Verschiedenheit des Tumors ab, die ihrerseits, wie wiederholt angedeutet, einer Reihe von

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Begleitumständen bei der Ausbildung des Krankheitsbildes ihr Entstehen verdankt.

Schon oben habe ich betont, dass es für die spätere Gestalt des erkrankten Adnexsystems von grossem Einfluss ist, ob die Infeetion die Tube im Stadium des Wochenbetts, sei es am normalen, sei es am vorzeitigen Ende der Schwangerschaft, ergreift. Die Rückbildung der ausgefalteten Lig. lata ist meist noch nicht so vorgeschritten, dass die Tube wieder ihre frühere Unabhängigkeit von diesem Bandapparat er- reicht hat. Der Tumor entwickelt sich dann meist zwischen die Blätter des Ligaments. Dasselbe kann, wie es scheint, auch ausserhalb des Puerperium bei Frauen, die oft oder kurz vor der Infec- tion geboren oder abortirt haben, orköknneh‘

Diese Fälle schaffen Tumoren, die manchmal aus dem Lie latum ausgeschält werden ee

Andererseits besteht auch oft, und das sind wohl die Fälle, die zur früheren Annahme von der Mischinfection bei allen Salpingitiden Anlass gegeben haben, neben der Entzündung und Vereiterung der Tube eine Infiltration des parametranen Bindegewebes; diese Verdiekung kann sich auch, wie ich das bei einzelnen Operationen zu sehen Ge- legenheit hatte, bis ins Lig. rotundum erstrecken.

In diesen, wie in den vorher skizzirten Fällen, soweit ein Aus- schälen unmöglich ist, empfiehlt es sich, das ganze Ligamentum latum und eventuell das Lig. rotundum mit zu reseceiren. Je nachdem die Ent- faltung des Ligaments bis zum Becken reicht, beginnt man dabei mit der Loslösung an der centralen oder an der peripheren Seite des Ligaments, Immer ist ein schrittweises Unterbinden und Durchtrennen nothwendig. Die Blutung ist dabei gering, man behält das augenblickliche Operations- feld in Sicht und wird sich so vor unangenehmen Ueberraschungen am besten bewahren. Den Rest der Ligamenta lata bezw. den Beginn ge- sunden Peritoneums vernäht man am besten mit fortlaufendem Catgut- faden. Nur unterbinde man nicht zu grosse Partien und er- strecke die fortlaufende Naht immer nur auf wenige Stiche.

Man erhält so eine reine Nahtlinie anstatt einer fetzigen, zu neuen Adhäsionen führenden Fläche. Durch zu lange fortlaufende Nähte und zu grosse Partien-Ligaturen werden Verziehungen hervorgerufen, die bei der späteren Narbenverkürzung noch verstärkt werden; diese Methode schützt am besten vor den von manchen Autoren beklagten späteren Störungen und Beschwerden nach Salpingo-Oophorectomien.

Hat sich der Tumor mehr unter perimetritischen Entzündungen und somit Verwachsungen ausgebildet, so muss man natürlich mit dem Aus- schälen aus den Adhäsionen vorsichtig sein, aber auch nicht zu ängst- lich davor zurückschrecken; es kommt eben darauf an, Was verwachsen

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ist. Die meist zu beobachtenden Verwachsungen der Hinterfläche der Tube mit der Rückfläche des Corpus uteri kann man dreist durchtrennen ohne Blutung und Verletzung von Organen fürchten zu müssen. Auch die zurückgelassene Fläche ist nicht so gefährlich; Blutungen führen noch nicht ohne Weiteres zu neuen Adhäsionen; zudem sind sie aus den getrennten Adhäsionen zumeist gering und stehen auf vorüber- gehende Tamponade. Auch bei den Darmadhäsionen kann man dreist losschälen, muss aber jedes gewonnene Stück Weges nach der Trennung genau besichtigen; die Serosa ist oft so verändert, das man eigentlich auch hier nur innerhalb von schwartigen Auflagerungen trennt. Scheint irgendwo der Darm gefährdet, so übernäht man die Stelle sofort mit oberflächlichen Fäden (nach Lembert). Von den oft vorhandenen Ad- häsionen mit der Blase gilt dasselbe, wie von denen mit dem Uterus; sie lösen sich leicht und lassen wenig gefährdete Flächen zurück. Findet, wie das hier öfter der Fall, hie und da doch eine stärkere Blutung an einer Stelle statt, so unterbindet man nach vorherigem Fassen des Gefässes dasselbe isolirt. Ein Umstechen ist hier weniger am Platze weil jeder Stich aufs Neue blutet und Verzerrungen möglichst zu ver- meiden sind. Ist der Tumor gelöst, so beginnt man mit dem oben ge- schilderten Abbinden und Durchtrennen seiner natürlichen Uebergänge auf die Nachbarschaft. Bei diesen intraperitoneal entwickelten Tumoren ist zudem meist nur ein Abbinden an der uterinen Seite nöthig. Die Durch- trennung des uterinen Endes der Tube führt man am besten mit dem Paqu&lin aus, wenn noch irgend welcher Verdacht auf bestehende In- fectionsgefahr vorhanden ist. DBrandschorfe sind im Peritonealraum keineswegs, wie man das früher annahm, zu fürchten. Sonst übernäht man auch diesen Stumpf nach Exeision des sich vorwölbenden Tuben- endes mit Peritoneum.

Am Schwersten gelingt die Ausschälung des Tumors in der Tiefe, sei-es des Douglasischen Raumes oder der seitlichen Partien des Beckenbodens. Es ist dies, wie ich mich oft überzeugt habe, die Stelle, an der das Fimbrienende der Tube verwachsen ist. Dabei kommt es fast immer zum Austritt kleiner Mengen Eiter. Es hat dies manchen Operateur zu der Annahme geführt, dass ihm die Pyosalpinx geplatzt sei, und man findet das in vielen Operationsgeschichten als ständiges Ereigniss wieder. Dies beruht wohl oft auf einem Irrthum. Nicht der Tubensack ist eingerissen und Eiter ausgetreten, sondern man hat einen Abscess geöffnet, den man als perisalpingitisch bezeichnen muss. An dieser Stelle hat die erste Infecetion des Peritonealraums durch den aus der Tube austretenden Eiter und damit die erste Verlöthung statt- gefunden. Die Eröffnung dieses Abscesses, der meist wenig Eiter ent- hält, ist kein vermeidbares Ereigniss, sondern eine zur Radicalentfernung gehörige Nothwendigkeit. Die Verschiedenheit der Bedeutung dieses

86 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Eiteraustritts, die ihm von verschiedenen Autoren beigelegt wird, basirt wohl auf diesem Irrthum, Platzt die Pyosalpinx, dann kann das die Heilung stören, ja zu neuer schlimmer Sepsis Anlass geben; sind es nur die restirenden Eitermengen, deren Gefahr das Peritoneum schon früher durch Abkapselung überwunden hat, so findet man den Heilungsverlauf kaum durch geringste Temperatursteigerungen gestört.

Dass das eben Gesagte keine willkürliche Annahme ist, davon kann man sich oft durch nachherige Betrachtung des Präparates überzeugen. Aber auch schon während des Operirens merkt man es daran, dass sich der Tubensack beim Erscheinen dieses Eiters nicht verkleinert. Jeden- falls gehört ein wirkliches Einreissen der Pyosalpinx zu den seltenen Ereignissen. i

Diese Verwachsungsstelle des Abdominalendes der Tube mit dem Peritoneum ist übrigens, wie ich mich durch den Vergleich häufiger ge- nauer Touchirbefunde mit dem ÖOperationsbild in mehreren Fällen über- zeugt habe, meist die schmerzhafteste Stelle der gesammten Organ- erkrankung. Bei vorsichtigstem Touchiren löst die blosse Berührung dieser Stelle oft einen heftigen, stechenden Schmerz aus, während die bimanuelle Untersuchung des übrigen Tumors sogar bei gelindem Druck und genauer Abtastung nur einen leicht erträglichen dumpfen Schmerz verursacht.

Flottirte das Fimbrienende der Tube zur Zeit, als die Infeetion bezw. die Eiterung es erreichte und überschritt, nicht frei im Peritoneum, sondern lag dem Ovarium an, Verhältnisse, wie sie durch die Phasen der ÖOvulation bedingt sind, so ist die Infection des Ovarium wohl die unmittelbare Folge. Es entsteht eine innige Verwach- sung der Tube mit dem Ovarium, letzteres abscedirt, die Tube wird durch die fortschreitende Eiterproduction dilatirt und ihr Lumen bildet mit den meist mehrkammerigen Abscesshöhlen des Ovarium jenes un- entwirrbare Labyrinth von Höhlen, bei denen man nur schwer noch unterscheiden kann, ob ihre Wandungen dem einen oder andern Organe angehören. Diese Höhlen bergen manchmal verschiedenen Inhalt; seröse, eitrige, blutige Flüssigkeit finden sich in ihnen.

In diesen Fällen fällt die Ablösung des Fimbrienendes weg und damit die Eröffnung oben besprochenen Abscesses.

Mehrfach habe ich grade in diesen Fällen, wo eine stärker ent- wickelte Peri-Oophoritis Platz gegriffen hat, Haematome angetroffen, die in oder noch häufiger gegen Ende der Menstruation entstanden waren und den zu entfernenden Tumor grösser erscheinen liessen, als er sich nachher herausstellt denn diese können bei der Operation leicht platzen, da ihre Wandung, aus Adhäsionen oder Fibringerinnseln be’ stehend, nur dünn ist, ein Ereigniss, welches keinerlei Einfluss auf den Verlauf der Operation oder der Convalescenz ausübt.

I. Medicinische Abtheilung. 87

In anderen Fällen, in denen die Erkrankung wohl langsamer in der Tube vorgedrungen und mehr unter dem Bilde der interstitiellen Sal- pingitis verlaufen ist, findet man das Knde der in ihrer ganzen Länge verdickten und theilweise ihres Lumens verlustig gegangenen Tube weder mit dem Parietalperitoneum noch mit dem Ovarium verwachsen und ihre Absetzung ist demgemäss einfacher. Oft findet man in solchen Fällen die Tube aber auch in ihrer ganzen Länge der Hinterwand des Uterus angelagert mit dem Abdominalende im Douglas sitzend.

Ich fand dies in einem Falle linkerseits, in dem rechts die Er- krankung zu einem Tuboovarialeystensystem geführt hatte. Von der so dem Rücken des Uterus anliegenden Tube, die auf Daumenstärke aus- gedehnt und verdickt war, lag wohl 3 Querfinger weit entfernt am Beckenrande das normal aussehende Ovarium, das wegen der noth- wendigen Entfernung des übrigen Tuboovarialsystems mit entfernt wurde. Bei der nachherigen Untersuchung fand sich auch in diesem ein kaum erbsengrosser Abscess.

Fälle nun, in denen die Tuben keine gemeinschaftlichen Tumoren mit dem Ovarium gebildet haben, können bei Verschluss des Abdominal- ostiums und Erhaltung der Höhle, wenn die Infection dort eine weitere Eiterproduction hervorruft, zu echter reiner Pyosalpinx führen, Eiter- säcke, deren Entfernung relativ leicht ist, bei denen man aber am meisten auf die Behandlung des Stiels Rücksicht nehmen muss; wenn auch der uterine Anfangstheil der Tube fast nie dilatirt ist, so findet man doch hier im engen Lumen Eiter und muss folgerichtig den Stiel als etwas die Reconvalescenz Gefährdendes behandeln; leicht können sich von hier aus neue Peritonitiden entwickeln und diese Fälle sind es wohl, die die Dauererfolge der Salpingo-Oophoreetomie in Misscredit gebracht haben. Man brennt dann mit dem Paqu&lin tief hinein und unterbindet nochmals oder übernäht.

Es führt das zu der weiteren Frage, ob es nicht gerathen sei, nach doppelter Absetzung der Adnexe auch den für die Function unwesent- lichen Uterus, der in diesen Fällen oft noch mit erkrankt, d. h. noch nicht abgeheilt ist, mit zu entfernen.

So falsch mir das Vorgehen erscheinen will, wie es von einem Theil der Pariser Schule in jüngster Zeit angerathen und von einigen wenigen Gynäkologen Deutschlands auch befolgt worden ist, nämlich bei doppel- seitiger Adnexvereiterung bezw. Beckeneiterung den Uterus vaginal zu entfernen, um dem Eiter guten Abfluss zu verschaffen, die erkrankten Organe aber zu belassen, so ideal scheint mir die Radicaloperation be- sagter Krankheit, wenn man darunter auch die Entfernung des Uterus bei Entfernung der Adnexe versteht. Nur wird die Operation dadurch bedeutend vergrössert und gewinnt an Gefährlichkeit.

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Ich habe die gleichzeitige Exstirpation des Uterus in einem Falle ausgeführt, in dem die Adnexoperation nicht besondere Schwierigkeiten bot, der Uterus aber mit seiner ganzen Rückfläche an der hinteren Beckenwand verwachsen war. Nach vorheriger Ablösung der Portio vom Scheidenansatz und Umstechung der hierdurch freigewordenen para- metranen Gefässe und Tamponade des Uterus, löste ich bei der Lapara- tomie die Lig. lata mit den Tuben und Övarien beiderseits an der Um- schlagstelle des Ligamentperitoneum auf den Beckenrand vom Lig. in- fundibulo - pelvicum bis an den Uebergang auf den Uterus in oben- beschriebener Form schrittweise ab und vereinigte den Rest der Peri- tonealblätter durch fortlaufende Naht. Dann präparirte ich den Uterus mit den anhängenden Tumoren unter andauerndem Zug aus dem Scheidenansatz und übernähte auch diese Stelle nach Abtragung des Uterus mit fort- laufender Naht, so dass das Peritoneum der Excavatio vesicouterina an das des Douglasischen Raumes zu liegen kam. Die dünne cervix der nullipara war dabei durchgerissen, so dass ich nachher den Stumpf noch durch die Vagina entfernen musste. Die Patientin ging am dritten Tage p- op., nachdem sie sich die erste Zeit wohl befunden hatte, im Collaps zu Grunde und ich glaubte, dass sich eine Peritonitis, ausgehend von der Scheidenwunde bei der Section finden werde.

Zunächst schien sich diese Vermuthung auch zu bestätigen; es fand sich Eiter in der Beckenhöhle. Auffallend aber war es, dass die Naht- linie rein und noch wie bei beendigter Operation aussah. Die noch vorhandenen Beckenorgane wurden im Zusammenhang entfernt und ein liebenswürdiges Schreiben von Herrn Geh. Rath Ponfik klärte mich über die nach genauerer Untersuchung gefundene Ursache des unglück- lichen Ausgangs auf. Eins von drei über dem Sphincter tertius sitzen- den Rectalgeschwüren hatte die Wand des Rectum usurirt und durch seine Perforation Anlass zu. der tödtlichen Peritonitis gegeben.

Es ist die Annahme nicht von der Hand zu weisen, dass diese Ulcerationen im Rectum auf einer Infection per contiguitatem von der Perimetritis her beruhten, sowie, dass der nach der Operation erfolgte Durchbruch im Zusammenhang mit der letzteren die foudroyante tödt- liche Peritonitis hervorgerufen hat; wäre der Durchbruch vor der Ent- fernung des Uterus und der Adnexa erfolgt, der Rectalinhalt hätte an dieser Stelle das Peritoneum vielleicht nicht frei, sondern durch Ad- häsionen abgeschlossen, getroffen.

Diese hochsitzenden Ulcerationen konnten um so weniger vermuthet werden, als Erscheinungen von Seiten des Mastdarms ihre genügende Erklärung in einem direct über dem After sitzenden, mit grösster Wahr- scheinlichkeit auf gonorrhoischer Infeetion beruhenden Uleus zurück-

geführt werden konnten. Die zwischenliegende Strecke zeigte sich gesund.

I. Medicinische Abtheilung. 89

Abgesehen von diesem Todesfall, der im direeten Anschluss an die Operation, wenn auch nicht unbedingt als Folge derselben eintrat, habe ich noch einen unglücklichen Ausgang nach einer Salpingo-Oophorecto- mirten zu beklagen. Die Operirte genas von der Operation, bekam aber 3—4 Wochen später, nachdem sie schon seit 8 Tagen das Bett verlassen hatte, erneute Erscheinungen von Peritonitis. Ein Abscess durchbrach die Bauechwunde im unteren Winkel, es bildete sich eine eitrige Peritonitis mit Darmfisteln und Pneumoperitoneum aus, als deren Ursache sich ein Gazetampon, der bei der Operation vergessen worden war, vorfand.

Dieses unglückliche Ereigniss war trotz des Zählens der Tampons vor Schluss der Bauchwunde eingetreten, wahrscheinlich dadurch, dass ein grösserer Tampon von einem der Betheiligten zerschnitten worden war; ich wusste davon nichts und begnügte mich mit dem Ergebniss der Zählung und dabei, dass ich bei der Besichtigung und Betastung des Abdomens keinen Tampon mehr vorfand. Nach der Entfernung des Tampons besserte sich der Zustand der Kranken zunächst, doch starb sie nach langem Krankenlager 3 Monate nach der Operation unter zu- nehmender Entkräftung. Von hohem Interesse ist es, dass sich in dem, aus der Bauchwunde dringendem Eiter typische Gonococcen fanden.

Hier hat wohl der an sich sterile Tampon, weil vorher schon In- fection bestanden hat, das Reeidiv gezeitigt und dessen verderblichen Verlauf verschuldet.

Diese beiden Todesfälle, die ja eigentlich nicht als direete Folge der Operation aufgefasst werden können, abgerechnet, sind die übrigen zwanzig von mir Öperirten glatt genesen und von ihren quälenden und gefahrvollen Leiden befreit geblieben.

Bedenkt man, dass diese Mortalität von 2 auf 22 eine Operation betrifft, deren Technik noch mit jedem Fall wächst, die zu den schwersten in der Bauchchirurgie gehört, so wird auch Das nicht zur Verwerfung der Operation beitragen.

Dazu kommt, dass überhaupt nur diejenigen Kranken zur Operation kamen, bei denen man auf anderweite Hülfe verzichten musste.

Ich möchte hier erwähnen, dass diese 22 Operirten auf 107 Frauen zu rechnen sind, bei denen ein- oder doppelseitige Salpingo-Oophoritis festgestellt war.

Nur auf einen Punkt im Anschluss an die postulirte Entfernung des Uterus muss ich noch hinweisen.

Ich war bisher in vier Fällen genöthigt, nach früher vorausgegangener Laparatomie den Uterus vaginal zu entfernen; drei davon betrafen vorher Salpingo-Oophorectomirte.

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Es ist dies immerhin ein gewichtiger Grund mehr, die gleichzeitige Entfernung des Uterus bei Exstirpation der Adnexe anzustreben. Doch kann ich andererseits versichern, dass sich die vaginale Uterusexstir- pation nach der bei der Laparatomie voraufgegangenen Resection der Lig. lata so leicht gestaltet, dass man für die Verminderung der Gefahr die Unannehmlichkeit, die Patientin zwei Operationen zu unterwerfen, mit hinnehmen kann.

Einmal geschah die nachfolgende vaginale Uterusexstirpation wegen fortdauernder Beschwerden auf Anrathen von Herrn Geh. Rath Fritsch, der ebenso wie ich, annahm, dass die Klagen der Patientin durch perimetritische Beschwerden hervorgerufen seien.

Ein anderes Mal verursachte eine Ligatur des Lig. lat. am Becken- rande, um die sich ein haselnussgrosses plastisches Exsudat gebildet hatte, erhebliche Beschwerden, vor allem unvermeidbares Hinken, wahr- scheinlich dadurch, dass ein Druck auf die Cruralnerven ausgeübt wurde. Ich zog den Knoten nach Exstirpation des Uterus in die Vaginalwunde, entfernte die darin, wie vermuthet, gefundene Ligatur und die Beschwerden sistirten; die Kranke ist völlig hergestellt.

Der dritte Fall betraf ein Dienstmädchen, das seit der Entfernung der Adnexe an fortdauernden Uterusblutungen litt, die mit erheblichen Schmerzen einhergingen. Da die üblichen Mittel versagten, das Mädchen mehr und mehr herunterkam und dringend die volle Herstellung ihrer Arbeitsfähigkeit verlangte, entschloss ich mich zur Entfernung des Uterus. Einige Schwierigkeiten erwuchsen mir dabei dadurch, dass ich hier nach der Salpingo-Oophorectomie den Fundus Uteri in den untern Bauch- wundenwinkel fixirt hatte; die Verwachsung war so fest geworden, dass ich unter Leitung der Finger mit langer Scheere den Strang durch- trennen musste, um den Uterus umstülpen zu können. Die Blutung war unwesentlich. Auch diese Patientin befindet sich vollkommen wohl.

Es bliebe also immer noch die Frage bestehen, ob man, um eine Rückwärtslagerung der ihrer seitlichen Haltebänder beraubten Gebär- mutter zu verhüten, den Fundus ventrofixiren soll, auf die Gefahr hin, sich bei einer eventuell später nothwendig werdenden Exstirpation dieses Organs unnöthige Schwierigkeiten zu bereiten.

Im Allgemeinen wird man sich nach dem Falle richten; konnte man bei der Salpingotomie die Lig. rotunda erhalten, so wird man wohl von der besonderen Fixation absehen können. Ohne die Function dieser Bänder überschätzen zu wollen, glaube ich doch, dass sie, da jeder fernere puerperale Einfluss fehlt, das Organ vor dem Hintenüberfallen schützen werden; zudem habe ich, seitdem ich bei der Resection der Lig. lata alle Massenligaturen vermeide und in der oben beschriebenen Weise jede Verzerrung und Verkürzung zu umgehen suche, später häufig den

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Uterus in normaler Lage verharrend befunden. Grade nach Castrationen und leichten Ovariotomien, bei denen man ja bei der Stielbildung durch Massenligaturen weniger auf diesen Punkt geachtet hat, habe ich Retro- flexionen als Folgeerscheinung beobachtet.

Wenn ich es also auch für das Ideal der Radicaloperation bei doppelseitiger Salpingo-Oophoritis halte, Adnexa und Uterus zusammen zu entfernen, so wird man doch bei der immerhin meist längere Zeit in Anspruch nehmenden Salpingo-Oophoreetomie die gleichzeitige Entfernung des Uterus vom Abdomen aus wegen der gesteigerten Gefahr und der Verlängerung der Operationsdauer vorläufig noch vermeiden oder auf leichte Fälle beschränken und in den meisten Fällen abwarten, ob später die relativ ungefährliche Vaginalexstirpation sich als nöthig er- weist. Im Uebrigen wird man sich auch hier nach den Begleitumständen richten müssen und vor Allem die ehrliche Beantwortung der Frage an- streben: wie mache ich die Kranke am schnellsten und sichersten gesund und arbeitsfähig.

14, Sitzung vom 16. December 1392. Vorsitzender: Herr Geh. Rath Ponfick. Schriftführer: Herr Dr. Martini. Herr Prof. Neisser stellt einen jungen Mann vor, der einen syphi- litischen Primäraffeet auf der Bindehaut des rechten Bulbus trägt; indo- lente Schwellung der Lymphdrüsen über der rechten Parotis und Exanthem.

Herr Dr. Jadassohn zeigt einen alten Mann, der einen Herpes zoster im Bereiche der rechten brachialis int. trägt, dessen Aetiologie interessant. Arsenbehandlung wurde als Ursache angesehen, die wegen eines Ekzems eingeleitet war.

Herr Dr. Martini demonstrirt

1) Rachen, Oesophagus und Magen eines 20jähr. Mädchens, welches conc. Schwefelsäure getrunken hatte und 36 Stunden darnach an eitriger Peritonitis gestorben war. Starke Verätzung im Rachen und Magen mit Perforation oben im Fundus, dagegen fast völliges Freibleiben des Oesophagus.

2) Oesophagus und Magen eines 1'/,jähr. Kindes, welches Natron- lauge, die in einer Tasse stehen geblieben war, getrunken hatte. Starke Stenose oberhalb der Cardia, die kaum für dünne Sonde passirbar ist. Magen frei.

3) Ein Situspräparat von Colloidkrebs des Magens, der eine enorme Aussaat tuberkelähnlicher Knötchen auf dem Peritoneum gesetzt hatte.

Tagesordnung:

Herr Dr. Robert Asch: Fortsetzung seines unter voriger Sitzung vollständig abgedruckten Vortrages.

92 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Discussion:

Herr Geh. Rath Fritsch betont, dass viele Tubenerkrankungen nicht sonorrhoischer Natur wären (Aborte etc., unsaubere Tamponade) und dass die Trippernatur heute viel zu häufig angenommen würde. Was die Exstirpation der Tubensäcke etc. anlangt, steht Herr Fritsch eben- falls auf dem Standpunkte des Vortragenden.

Herr Dr. Steinschneider glaubt, dass Gonococcen auch durch die Tubenwand hindurchtreten könnten und nicht allein durch das Fimbrienende.

Herr Geh. Rath Fritsch ist der Meinung, dass die Infection der Bauchhöhle fast stets durch das Fimbrienende geschehe.

Sitzungen der Section für öffentliche Gesundheitspflege im Jahre 1892.

In der ersten Sitzung am 3. März sprach Herr Professor

Dr. H. Cohn Veber die Augen der Musiker.

Nach der Ansicht von Stilling') scheint es keinem Autor bisher aufgefallen zu sein, dass die Musiker so häufig kurzsichtig werden. „Man betrachte sich nur, sagt er, aufmerksam irgend ein Theater- oder Curorchester, und man wird sich leicht von der Richtigkeit überzeugen. Ich habe mich selbst so viel mit Musik abgegeben, dass ich mir ein maassgebendes Urtheil über die Natur dieser Beschäftigung erlauben darf. Ich kenne auch die Musiker und habe immer viele persönliche Bekannte unter ihnen gehabt, von denen ein grosser Theil kurzsichtig ist, und zwar mit dem Charakter der erworbenen Arbeitsmyopie.‘

Bekanntlich hatte Stilling die Theorie aufgestellt, dass die Haupt- schuld an der Entstehung der Kurzsichtigkeit die Thätigkeit des Roll- muskels, des oberen schiefen Augenmuskels, trägt, welcher das Auge nach unten drehen hilft,

Nach Stilling’s Ansicht hängt die Entstehung der Kurzsichtigkeit wesentlich vom Verlaufe dieses Muskels, der nach seinen interessanten anatomischen Untersuchungen mannigfach variirt, ab. Wenn die Augen- höhle hoch, die Rolle hoch und dabei der Rollmuskel steil zum Aug- apfel herabsteige, übe er einen geringeren Druck auf denselben aus, als wenn die Augenhöhle niedrig und der Rollmuskel flach auf den Augapfel gelangt. Die Myopie wäre also nach Stilling nur eine Folge des Baues der Augenhöhle, d. h. eine Racenfrage.

Diese Theorie kam natürlich den Lehrern und Behörden sehr er- wünscht. Da die Myopie nicht Folge der Naharbeit, sondern des Schädel- baues sein sollte, wären ja alle unsere Bemühungen für Schulhygiene und Augenhygiene überflüssig. Wer eine niedere Augenhöhle hat, wird doch kurzsichtig, wer eine hohe hat, bleibt normal.

1) J. Stilling, Untersuchungen über die Entstehung der Kurzsichtigkeit. Wiesbaden 1887, p. 166.

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Nun ist allerdings, wie ich in meinem Lehrbuch der Hygiene des Auges (Wien 1892) pag. 289—295 nachgewiesen, die ganze geistreiche Hypothese von Stilling neuerdings durch die Untersuchungen von Schmidt-Rimpler, Seggel,Bär, Kirchner, Fiziaund Krotoschin bereits völlig widerlegt.

Indessen ist es doch nützlich, auch die folgenden Untersuchungen über die Augen der Musiker zu veröffentlichen, die die Vermuthungen von Stilling nicht bestätigen.

Seiner Theorie zu Liebe findet Stilling die Ursache der Kurz- sichtigkeit darin, dass die Anstrengung, die das Notenlesen erfordert, besonders auf das „Nachuntensehen“ hinausläuft. Desshalb finde man Myopie ganz unabhängig von dem gespielten Instrumente, „Der Paukenschläger und der Contrabassist“, sagt Stilling, „wird ebenso kurzsichtig, wie der Clavier- und Violinspieler“‘,

Stilling meint, dass die Ansprüche, die beim Notenlesen an das Auge gemacht werden, sehr geringe seien; denn die Distanz ist mindestens ”/, Meter, die Notenköpfe sind leicht zu entziffern; man kennt die Noten bald auswendig wegen der Regelmässigkeit der Accordfolge; trotzdem werde die Nothwendigkeit, den Blick fortwährend nach unten zu richten, nicht aufgehoben.

Demgegenüber beobachte man bei Uhrmachern nicht Myopie, weil sie die Augen länger auf dieselbe Stelle richten. ,‚‚Genauere statistische Untersuchungen würden sicher darthun, dass ein Gewerbe, welches an- haltende Naharbeit erfordert, umsomehr zu Myopie disponirt, je weniger die Augendrehungen durch Kopfdrehungen ersetzt werden können, be- sonders beim Sehen von oben nach unten‘.

Diese statistischen Untersuchungen fehlten nun freilich bisher bei den Musikern.

Die allgemeine Bemerkung, dass man in dem Orchester viele Leute mit Brillen sieht, hat meines Erachtens wenig Werth: man sieht ja nicht, wie viele Musiker Convex- und wie viele Concavbrillen tragen,

Ferner weiss man nicht, wie viele Musiker schon auf der Schule kurzsichtig waren, und ob wirklich gerade durch ihren Beruf die Myopie entstanden oder vergrössert worden. Auch darf man nicht vergessen, dass viele Musiker, namentlich die berühmteren, jahrelang theoretische Studien machen, bei denen sie ihre Augen, auch ohne gerade ein Instru- ment zu spielen, anstrengen. Ferner kann man oft genug beobachten, und zwar gerade bei den bedeutenderen Künstlern, aber auch bei mittel- mässigen Musikern, dass sie beim Spielen gar nicht heruntersehen, weder auf die Noten, noch auf ihre Instrumente, sondern auswendig spielen und dabei gerade aus oder sogar nach oben blicken. Auf eine im Theater oder Concert von Weitem gestellte Diagnose lege ich keinen Werth.

I. Medicinische Abtheilung. 95

Auch auf eine schriftliche Anfrage bei den Mitgliedern eines Orchesters ist nichts zu geben; viele notiren, dass sie Concavgläser tragen, während die Controle ergiebt, dass sie sich der Convexgläser bedienen. ') |

Ich habe jetzt eine statistische Untersuchung der Augen der Musiker begonnen, die sich auf alle in Breslau thätigen Berufsmusiker er- strecken soll.

Die erste Vorprüfung der Capelle des Breslauer Orchester- Vereins, welche aus 62 vorzüglichen, meist Jahrzehnte lang bereits thätigen Musikern besteht, ergab freilich nur 25 Normalsehende und 37, d. h.60 pCt. Abnorme.

Diese 37 abnorm sehenden Herren wurden einzeln von mir in meiner Wohnung in aller Ruhe geprüft; keineswegs waren sie alle kurz- sichtig, 3 waren übersichtig, 8 hatten Astigmatismus, 6 waren augen- krank (hatten Staar, Hornhautflecke, Schielen, Sehschwäche) und nur 20 waren Myopen. Es wäre aber ganz unrichtig, in Folge dessen zu sagen: „20 32 pCt. sind in Folge des Musiecirens kurzsichtig geworden.‘ Denn bei der sorgsamen Nachforschung ergab sich, dass bereits 9 von den 20 Myopen auf der Schule kurzsichtig waren und an der Wandtafel nichts erkennen konnten. Einer von ihnen musste in Plauen als Schulknabe auch viele Stunden täglich 700 Nadeln der Stick- maschine einfädeln und erwarb dabei seine Myopie.

Der Zehnte war 3 Jahre als Schreiber bei einem Rechtsanwalte in einem dunklen Zimmer angestellt und ging erst dann, kurzsichtig bereits, zum Cellospiel über. Vier andere hatten bemerkt, dass sie bei jahrelangem, allnächtlichen Notenschreiben die Myopie bekamen.

Also bleiben nur 6 Musiker, 4 Violin-, 1 Viola-, 1 Cellospieler, die vielleicht beim Musiciren kurzsichtig wurden, d. h. nur 9,7 pCt.

Auch die Grade dieser Myopien waren geringe; sie betrugen 1,5 bis 2,75 m. Man sieht also, wie sorgsam derartige Befunde analysirt werden müssen, damit man nicht einem Berufe die Ursache zuschiebt, ohne dass sie von ihm herrührt.

Bei den Schriftsetzern?) und Lithographen’°) konnte ich schon vor 24 Jahren feststellen, dass ihr Beruf zur Myopie führe. Von den 132 Schriftsetzern waren (nach Abzug der bereits kurzsichtig in die Lehre getretenen) 35 pCt., von den 27 Lithographen 37 pCt. kurzsichtig geworden,

!) Wie unklar diese Begriffe noch dem grösseren Publikum sind, sah ich öfters daran, dass sogar „Convex“ und „Concret‘ verwechselt wurden.

”)H. Cohn. Die Augen der Breslauer Schriftsetzer. Berl. klin. Wochen- schrift 1868, No. 50.

»)H. Cohn. Die Augen der Uhrmacher, Goldarbeiter, Lithographen und Juweliere. Centralbl. f. Aug. April 1877.

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Das sind also augengefährliche Berufe; von den Musikern mit 9 pCt. kann ich dies nicht sagen.

Jedenfalls ist es bis jetzt nicht erwiesen, dass gerade das Ab- wärtssehen der Musiker Myopie erzeugt. Weitere mit Kritik anzustellende Prüfungen sind zur Entscheidung der Frage nöthig.

Herr Dr. E. Stern beantragt: ‚Die Section wolle zu jeder Sitzung namentlich einladen.‘‘ Der Antrag wird angenommen.

Sodann erfolgte die Wahl der Secretäre für die Periode 1892/93. Es wurden gewählt die Herren Flügge, Jacobi und H. Cohn.

In der zweiten Sitzung am 2. September hielt zuerst der Vor- sitzende, Herr Sanitätsratlı Dr. Jacobi die folgende Ansprache:

M. g. H.! Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gestatten Sie mir, Sie an den schweren Verlust zu erinnern, den unsere Section seit ihrer letzten Sitzung erlitten hat. Die Herren Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Biermer und prakt. Arzt Stadtverordneter Dr. Lion sind uns durch den Tod entrissen worden. Herr Biermer war der Gründer dieser Seetion und ist bis kurz vor seinem Ende in ihrem Vorstande verblieben. Er hat durch seinen reichen Geist, seine grosse Erfahrung, seinen un- gewöhnlich klaren Blick und durch sein kerniges, oft humorvolles Wort unsere Versammlungen in hohem Grade belebt und gefördert. Herr Lion war ebenfalls von Beginn an ein hochgeschätztes und thätiges Mitglied unserer Gesellschaft. Schon in der zweiten Sitzung der Section vom 5. März 1875 hielt er einen grossen und bedeutsamen Vortrag über die Kanalisationsfrage in Breslau und bald darauf einen nicht minder wichtigen über die Contagienhausfrage. Er war der rührigsten Kämpfer einer auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege in Breslau. Ich bitte Sie, zum Zeichen ehrenden Gedenkens sich von Ihren Plätzen zu erheben.

Es folgten sodann drei Referate Ueber die Cholera.

Der erste der Redner, Herr Geh. Rath Prof. Dr. Ponfick, weist auf den gewaltigen Fortschritt hin, welchen die Methoden zur Verhütung der Cholera in der jüngsten Zeit erfahren haben. Der Grund dieses Umschwungs liegt in der Entdeckung des Kommabacillus durch Robert Koch im Jahre 1885 und in der dadurch gewonnenen Möglichkeit so- fortiger Feststellung des verderblichen Charakters jedes zweifelhaften Erkrankungsfalles. Gestützt auf die zunehmende Einsicht in die Lebens- bedingungen des Eindringlings verdanken wir ihm aber zugleich die Kenntniss derjenigen Mittel, welche zu dessen Fernhaltung und wenn nöthig, Zerstörung anzuwenden sind, Leider giebt es ja auch heute noch

I. Medicinische Abtbeilung. 97

kein absolutes Vernichtungsmittel für den Schmarotzer, wenn er erst durch unseren Mund eingedrungen ist und sich im Körperinneren durch fabelhafte Vermehrung millionenfach vervielfältigt hat. Denn gerade die wirksamsten der zu empfehlenden Arzneistoffe sind derart, dass sie, in hinreichenden Dosen angewendet, unseren Organismus selber würden schädigen müssen. Im Hinblick darauf ist die Fernhaltung der Krankheit die oberste Aufgabe der Öffentlichen Gewalten. Aber auch jeder Einzelne unter uns hat wichtige Pflichten zu erfüllen: nämlich sowohl in der sanzen Lebensweise alle Gesundheitsregeln jetzt doppelt gewissenhaft zu beobachten, als im Bereich von Haus und Hof aufs sorgfältigste darüber zu wachen, dass sich sämmtliche Wohn- wie Nebenräume in tadellosem Zustande befinden. Unter allen dem Kommabaeillus innewohnenden Eigenschaften ist die Neigung, durch Austrocknen seine Wachsthumsfähig- keit schon innerhalb weniger Stunden einzubüssen, bei längerem Mangel an Feuchtigkeit ganz abzusterben, unstreitig die weittragendste. Denn da er weder bei uns heimisch ist noch frei entstehen kann, sondern uns aus seiner fernen Heimath Ostindien erst schrittweise zugeführt werden muss, ehe er hier Schaden zu stiften im Stande ist, so bedarf das Gift immer erneuter Berührungen mit Menschen, um sich lebenskräftig zu erhalten. Die weiten Land- und Meeresstrecken, welche uns von Indien trennen, sind eben allzu ausgedehnt, um das Gift, sobald es nach Aussen gelangt, nicht auf irgend eine Weise der Vertrocknung auszusetzen. Nicht also durch Luftströmungen oder andere unbelebte Medien, wie bei so vielen anderen ansteckenden Krankheiten vollzieht sich hier die Aus- breitung; sondern ganz überwiegend durch zugereiste Menschen, inner- halb deren Körper sich das Gift ungemessen zu vermehren vermag, während es ausserhalb desselben seine zerstörende Kraft nur für eine beschränkte Zeit zu bewahren im Stande ist,

Im Bewusstsein dessen legen alle von den Behörden ergriffenen Maassregeln mit Recht das Hauptgewicht auf Isolirung aller, sei es be- fallenen, sei es verdächtigen Personen und auf die Zerstörung des Giftes an den von ihnen unmittelbar benutzten Räumen und Gegenständen durch eines der zahlreichen, zu diesem Zwecke verfügbaren Desinfeetionsmittel. In zweiter Linie hat die uns umgebende Temperatur einen erheblichen, wenngleich minder maassgebenden Einfluss auf den Fortbestand des An- steckungsstoffes. Zwar vernichtet sogar Einfrieren die Lebensfähigkeit des Baeillus nicht durchaus im Einklang mit der mehrfach gemachten Erfahrung, dass herrschende Epidemien ungeachtet 20 ° Kälte (wie 1830 in Moskau) fortbestanden. Allein die Wachsthumsfähigkeit des Pilzes bleibt doch bis zu Temperaturen von etwa 16° Wärme ungemein ge- hemmt. Auf der anderen Seite hört der Bacillus, der bei 30—40° C., also gerade bei Blutwärme am üppigsten gedeiht, bei mehr als 50° C. ganz zu wachsen auf, um bei noch höheren Steigerungen abzusterben,

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Ebensowohl durch Erhitzen in siedendem Wasser als auch im Dampf- Desinfeetionsapparat sind wir also im Stande, alle Keime aufs vollständigste abzutödten.

Was nun die Empfänglichkeit der einzelnen Individuen gegenüber dem Ansteckungsstoffe anlangt, falls er trotz aller jener Vorsichtsmaass- regeln unserem Körper ungeschwächt einverleibt wird, so kommt dabei, abgesehen von einer gewissen persönlichen Anlage, hauptsächlich das Wechselverhältniss in Betracht, welches sich zwischen dem Bacillus und der chemischen Reaction der ihn in unserem Innern aufnehmenden Medien geltend macht. Da er nämlich durch Säuren in seiner Weiterentwiekelung beeinträchtigt, durch stärkere Concentrationen wohl selbst abgetödtet wird, so ist es einleuchtend, dass alle Zustände unserer Verdauungs- organe, welche, wie der Magen-Katarrh, mit einer Abnahme des normalen Gehalts des Magensaftes an freier Salzsäure verbunden sind, die Heftig- keit der Erkrankung steigern müssen. Denn in solchen Fällen wird der Eindringling sofort im Magen beginnen können, eine schrankenlose Ver- mehrung zu entfalten. Aus einem ähnlichen, nur gewissermaassen um- gekehrten Grunde steigert eine zufällig bereits vorhandene Schwäche des Dünndarms, wie sie mit Durchfall ausnahmslos verbunden ist, aber auch bei anderen länger bestehenden Darmleiden nicht fehlt, die Gefahr der Ansteckung. Denn die Ausschwitzungen, welche bei solchen Patienten in die Liehtung des Darmes ergossen werden, bilden den denkbar trefflicnsten Nährboden für die Schmarotzer und zeitigen somit in un- glaublich kurzer Frist endlose Generationen neuer Mikroorganismen. Mit Rücksicht hierauf ist es in Zeiten drohender Cholera ein dringendes Gebot, die Verdauungsorgane aufs sorgsamste zu schonen, indem man mässig und geregelt lebt und nur leicht verdauliche Speisen zu sich nimmt. Nicht minder verständlich wird aber die Mahnung sein, dass in solcher Zeit jede, auch die leichteste „Verstimmung‘‘ des Magens oder Darmes ernste Aufmerksamkeit und sofortige ärztliche Behandlung verdient.

Hierauf sprach Herr Privatdocent Dr. Bitter:

Die Verbreitung der Cholera findet bekanntlich dadurch statt, dass durch mit Cholera behaftete Personen oder mit bacillenhaltigen Dejectionen beschmutzte Wäschestücke oder sonstige Gegenstände das Infeetions- material von Ort zu Ort getragen wird. Aber nicht an jedem Orte, an welchen ein Cholerakranker gelangt, kommt es zum Ausbruche einer Epidemie. Bei den mannigfachen Zügen der Cholera über Europa sind viele Städte bis jetzt ganz verschont geblieben, andere nur in geringem Umfange befallen, während in der nächsten Nachbarschaft oft die Cholera in bedeutendem Maasse wüthete. Die Beobachtung derartiger örtlicher Differenzen in der Verbreitung der Cholera sowie auch anderer epidemisch auftretender Infectionskrankheiten hat zur Aufstellung des Begriffes der

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örtlichen Disposition geführt. Es sollten gewisse locale Verhältnisse den einen Ort geeignet zur Ausbreitung der Seuche machen, an andern sollten entgegengesetzte Verhältnisse die Ausbreitung verhindern. Von Petten- kofer ist als hauptsächlich in dieser Richtung wirksames Moment der Boden bezeichnet worden. Auf felsigen und lehmigen Grund gebaute Städte sollten immun sein, dagegen die auf porösem Boden angelegten Städte eine besondere Empfänglichkeit zeigen. Die Anhänger dieser Theorie, die sogenannten Localisten, stellen sich das Zustandekommen einer Infeetion bei epidemischen Krankheiten so vor, dass die von Kranken abgeschiedenen Infectionserreger nicht im Stande sind, direet einen Ge- sunden zu infieiren, sondern dass sie zu dem Zwecke erst einen Reifungs- process im Boden durchmachen müssen. Dieser Reifungsprocess finde in den tieferen Bodenschichten und besonders in Bodenschichten statt, welche stark mit organischen Substanzen imprägnirt seien. Dem Hineingelangen von Cholerabacterien in die Tiefe sowohl als auch der Imprägnirung mit organischer Substanz biete aber der poröse Boden weit günstigere Chancen als der feste, speciell der Felsboden. Abgesehen nun davon, dass nicht alle bisher an Choleraepidemien immun gebliebenen Städte auf undurch- lässigem Boden liegen, dass ferner eine ganze Reihe von auf Felsboden gebauten Städten, speciell in Indien, von ausgedehnten und wiederholten Choleraepidemien heimgesucht wurden, lässt sich auch aus den uns bekannten Lebenseigenschaften des Koch’schen Cholerabaeillus die Un- haltbarkeit der Bodentheorie beweisen. Wenn thatsächlich Cholera- Dejectionen in den Boden gelangen, so können sich die Bacillen hier nicht vermehren. Dazu fehlt es ihnen an dem nöthigen Nährmaterial und oft auch an der nöthigen Temperatur, Und selbst wenn Nährmaterial vorhanden wäre, so würde doch die Coneurrenz der überall vorhandenen und wuchernden Fäulnissbacterien die Vermehrung unmöglich machen. Diese Concurrenz der Fäulnissbaeterien wirkt sogar schon einer längeren Conservirung der Cholerabaeillen im Boden hindernd entgegen. Aber selbst angenommen, die Erreger der Cholera könnten im Boden wachsen oder sich längere Zeit conserviren (also den Pettenkofer’schen Reifungs- process durchmachen), so bleibt noch zu erklären, wie sie vom Boden aus wieder eine Infection bewirken sollen.

Da es als festgestellt betrachtet werden kann, dass die Infeetion nur durch den Mund erfolgt, so müssten die Bacillen aus dem Boden zum Munde gelangen. Die in dieser Beziehung zu Gebote stehenden Transportwege sind aber sehr beschränkt. Direete Berührung wird wohl nur in seltenen Fällen in Frage kommen. Für eine ausgedehnte Infeetion zahlreicher Menschen, wie sie bei einer Epidemie vorkommt, müsste man, wie es die Localisten zum Theil thun, annehmen, aass die Bacillen dureh Luftströmungen aus dem Boden heraus und mit der Athmungsluft in den Menschen gelangten.

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Aber gerade auf diesem Wege ist ein Transport der Cholerakeime so gut wie unmöglich. Den Uebergang in die Luft verhütet die enorme Empfindlichkeit des Cholerabaeillus gegen das Austrocknen. Um in die Luft zu gelangen, müsste der Baecillus absolut trocken sein, denn nur trockenes, staubförmiges Material kann durch Luftströmungen fortgeführt werden; das ist durch zahlreiche Experimente als sicher festgestellt zu betrachten. Der trockene Cholerabaeillus aber ist nicht mehr lebens- fähig. Man kann nach dem eben Ausgeführten mit Sicherheit sagen, dass die Bodentheorie im Sinne der Localisten zur Erklärung der örtlichen Disposition völlig unhaltbar ist. Die örtlichen Differenzen erklären sich vielmehr einestheils aus Verschiedenheiten, welche in den Städten in Bezug auf allgemeine Reinlichkeit, auf Lebensgewohnheiten, auf Bezug von Trinkwasser, Nahrungsmitteln ete. bestehen, theils auch aus Zufällig- keiten, welche in mannigfacher Weise wirksam sein können. Hinsichtlich der Lebensgewohnheiten bieten die in Indien lebenden Engländer ein typisches Beipiel.e. Während beim Wüthen der Epidemien in Bombay und Caleutta die Eingeborenen zahlreich der Seuche zum Opfer fallen, weil sie unreinlich sind und in der Wahl ihres Trinkwassers und ihrer Nahrungsmittel nicht genügend sorgsam sein können, bleiben die überaus reinlichen Engländer, welche alle ihre Nahrungsmittel nur gekocht ge- niessen und auf gutes Trinkwasser halten, meist von der Seuche ver- schont. Es liessen sich leicht noch mehrere derartige Beispiele anführen.

Es soll zum Schluss noch mit einigen Worten eines Mediums ge- dacht werden, welches auf die epidemische Ausbreitung der Cholera von grossem Einfluss sein kann, des Trinkwassers. Dass dieses eine bedeutende Rolle bei der epidemischen Ausbreitung der Seuche spielt, ist nicht zu bezweifeln und durch zahlreiche Beispiele (z. B. Caleutta) als sicher erwiesen zu betrachten. Zwar vermögen sich die Cholera- bacillen im allgemeinen im Wasser nicht zu vermehren, aber sie können sich längere Zeit darin lebensfähig erhalten. Es muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass die Gefahr, welche das Wasser bietet, viel- fach überschätzt wird. Die Gefahr ist einzig und allein gegeben durch die Möglichkeit, dass Cholerabacillen in die Brunnen oder in das Leitungs- wasser gelangen. Das kann aber nur geschehen bei mangelhaften Brunnenanlagen oder bei schlechten Flusswasserleitungen (Entnahme des Wassers aus von den Anwohnern verunreinigten Flüssen, eventuell noch ohne Filtration). Gut angelegte und absolut dicht bedeckte Brunnen bieten keine Gefahr, denn die Vorstellung, dass die Bacillen durch den gewachsenen Boden ins Grundwasser gelangen, muss auf Grund unserer Versuche über die Filtrationskraft des Bodens als unhaltbar aufgegeben werden. Bei Flusswasserleitungen, auch solchen mit guter Filtration, ist die Gefahr nie ganz ausgeschlossen, da in den Fluss immer einmal Cholerabacillen gelangen können, und auch die besten Sandfilter diese

I, Medieinische Abtheilung. 101 nicht immer sicher zurückhalten. Man wird daher gut thun, das Wasser aus Flusswasserleitungen in Epidemiezeiten vor dem Gebrauch zu kochen.

Als dritter Referent sprach Herr San.-Rath Dr. Jacobi:

Die jetzt herrschende Pandemie der Cholera ist der sechste Zug der Seuche aus ihrer indischen Heimath nach Europa. Während die vierte und fünfte den Seeweg über Aegypten nahm und in die Häfen des Mittelmeeres einfiel, ist die Cholera dieses Mal wieder die alte Strasse über Persien und das Caspische Meer nach Süd-Russland gekommen, Sie war 1886 zum letzten Male in Europa, 1874 zum letzten Male in Deutschland, mit Ausnahme einer kleinen Epidemie mit 14 Todesfällen in den Dörfern Gonsenheim und Finten bei Mainz und eines zugereisten Kranken in Breslau, beides im Jahre 1886. Im Frühjahr 1892 entbrannte im nördlichen Indien eine ausserordentlich heftige Epidemie, der in Britisch-Indien mindestens 20000 Personen erlegen sind. Ueber Kaschmir verbreitete sich die Seuche dann durch Afghanistan nach Persien, durch- brach die russische Grenzsperre, gelangte an die Ostküste des Caspischen Meeres und schon im Juni zu Schiffe nach dem verkehrsreichen Baku. Von hier kam sie mit der transkaukasischen Eisenbahn nach Tiflis und an das Schwarze Meer und auf dem Seewege zur Wolga, die sie auf- wärts über Astrachan, Ssaratow, Ssamara, Kasan bis Nishnij-Nowgorod verfolgte. Vom Schwarzen Meere aus drang sie in das Gebiet des Don ein, wo sie besonders heftig hauste, und in das Gebiet des Dniepr. Im August kamen schon in Moskau einige Erkrankungsfälle vor, doch mehr entfaltete sich die Seuche in der Umgebung dieser Stadt. Bald hörte man auch von Fällen in St. Petersburg, Kronstadt und Mitte des Monats in der finnischen Hafenstadt Wiborg. Inzwischen hatte sich auch im Westen Europas, in der Umgebung von Paris, seit dem Mai eine auf- fällige Zahl choleraähnlicher Erkrankungen gezeigt. Bis zum 20. Juli berichtete man von 587 Erkrankungen mit 323 Todesfällen. Allmählich musste zugestanden werden, dass es sich hier vielfach um wirkliche Cholera handelte. Le Havre hatte am 18. August 12 Erkrankungen, am 28. August 60 Erkrankungen mit 24 Todesfällen. Auch in Antwerpen und Amsterdam zeigte sich der böse Gast.

Trotzdem waren wir bis Mitte August verhältnissmässig wenig beunruhigt. War doch auch in den Jahren 1884, 1885 und 1886 Deutsch- land fast vollständig freigeblieben, während grosse Epidemien in Italien, Spanien und Frankreich wütheten. Da wurden wir furchtbar überrascht, als in Hamburg mit rapidem Anwachsen eine grosse Epidemie aufloderte. Die Zahlen werden verschieden angegeben; nach einem Berichte stieg die Zahl der Erkrankungen am Tage bis auf 806 am 27. August, nach einem anderen nur bis auf 515 am 26. August, die Zahl der Todesfälle am Tage bis auf 261 am 26. August. Zum Vergleiche führe ich an, dass in Breslau mit seinen 169000 Einwohnern die grosse Cholera-

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Epidemie des Jahres 1866 im ganzen August 3792 Erkrankungen brachte, und am schlimmsten Tage, dem 11. August, 229 neue Erkrankungen und 172 Todesfälle gemeldet wurden. Hamburg mit seinen Vororten hat bekanntlich mehr als eine halbe Million Einwohner. Man nimmt an, dass in Hamburg am 16. August bereits Cholerafälle vorgekommen sind; die amtliche Feststellung erfolgte am 19. August, am gleichen Tage auch in Altona. Von Hamburg und Altona sind Funken über ganz Nord- deutschland geflogen, glücklicherweise ohne bis jetzt gezündet zu haben. Diese Hamburgische Epidemie hat nun nicht bloss in Hamburg, sondern weit darüber hinaus eine grosse Panik veranlasst. Man hatte dergleichen in einer deutschen Stadt nicht mehr für möglich gehalten. Wir wollen auf die Sanitätsverwaltung Hamburgs keinen Stein werfen, vielmehr ab- warten, was wissenschaftliche Nachforschungen ergeben werden. Aber die Ueberzeugung muss vorläufig unerschüttert bleiben, dass eine so be- deutende Cholera- Epidemie nicht mehr möglich ist, wo eine moderne hygienische Cultur besteht, d. h. gesundheitsgemässe Einrichtungen und saubere Lebensgewohnheiten. Mit Recht sagt Pettenkofer und sagen die Engländer, die beste Prophylaxe gegen die Cholera ist, einen Ort für Cholera immun zu machen. Hat doch Altona, eine Stadt von 143000 Ein- wohnern, trotz seiner Nähe und Lage unterhalb Hamburg, bis jetzt höchstens 27 Erkrankungen am Tage gehabt. Wir dürfen daher hoffen, dass auch unsere Stadt, selbst wenn die Seuche hier Fuss fassen sollte, keine bedeutende Epidemie erleiden wird. Breslau hat sich ge- sundheitlich seit 1866/67 ausserordentlich entwickelt. Ich weise hier auf die Kanalisation, die in den 60er Jahren begann, das Wasserhebe- werk, das 1871 eröffnet wurde, und ferner auf die bedeutende Besserung der Wohnungsverhältnisse hin. Die Cholera-Epidemie von 1873 hat hier nur 58 Erkrankungen veranlasst. Die ungewöhnliche Hitze der letzten Wochen hat allerdings die Zahl der Todesfälle in Folge von acutem Magendarmkatarrh und Brechdurchfall, wie das gewöhnlich ist, gesteigert, aber nur ein Erwachsener ist in Folge von Brechdurchfall gestorben. Sorgfältigste Untersuchungen stellten fest, dass in keinem dieser Fälle bisher Cholerabacillen vorhanden waren.

Indessen wäre dieser Optimismus Leichtsinn, wenn er die Vornahme energischer Schutzmaassregeln hemmte. Es sind solche bei uns bereits in weitgehender Weise theils ausgeführt, theils vorbereitet. Ich will hierauf nicht eingehen, sondern nur in zwei Punkten übertriebene Vor- stellungen auf ein richtigeres Maass zurückzuführen versuchen. Es be- trifft dies die Zahl der nothwendigen Krankenbetten in den Cholera- Hospitälern und die Zahl der Transportmittel für Cholerakranke. Eine gewisse Schätzung des Bedürfnisses ist hier wohl möglich. Nehmen wir an, wir haben eine so grosse Epidemie zu erwarten, wie die von 1866, was ja höchst unwahrscheinlich ist, so würde, da Breslau damals halb

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so gross war wie heute, die Zahl der Kranken jetzt ungefähr doppelt so gross sein wie damals. Wir hatten 1866 drei Cholera-Hospitäler, und zwar zwei Miethshäuser und eine Holzbaracke, zusammen mit 230 Betten. Es wird in den Berichten nirgends angedeutet, dass diese Zahl nicht genügt habe, es ist auch bei der langen Dauer der Epidemie zweifellos, dass im Falle des Bedarfs noch mehr Betten beschafft worden wären. Demgemäss würden wir heute mit 460 Betten selbst für eine grosse Epidemie genügend ausgerüstet sein. Es darf ja nicht übersehen werden, dass von den Erkrankten nur ein Theil, 1866 etwas mehr als der dritte Theil, in das Krankenhaus kommt. Selbst Berlin hat zunächst nur 300 Betten bereit gestellt und für den Nothfall 800 in Aussicht genommen. Ferner erkrankten 1866 am bösesten Tage 229 Personen, das wären jetzt 458, und würde hiervon selbst die Hälfte in das Hospital gefahren, so sind dazu höchstens 22 Krankenwagen nothwendig, da jeder Wagen am Tage zehn Abholungen besorgen kann. Berlin hat sich zunächst nur 12 und für den Nothfall 48 Krankenwagen gesichert.

Hieran knüpfte sich folgende Discussion:

Herr Polizei-Präsident Dr. Bienko:

Wenn ich mir nach den drei wissenschaftlichen Vorträgen der Herren Vorredner erlaube, vor dieser hochansehnlichen Versammlung das Wort zu ergreifen, so hat dies in einem besonderen Umstande seine Veranlassung. Es ist während der letzten Tage von verschiedenen Seiten eine gewisse Beunruhigung in die Bevölkerung hineingetragen worden dadurch, dass die Maassnahmen der Behörden gegenüber der drohenden Choleragefahr als äusserst mangelhaft und unzureichend dargestellt worden sind. Es liegt uns fern, derartige Angriffe hier polemisch zu kritisiren; es würde dies auch hier nicht der geeignete Ort sein. Es richtet sich ein solches Vorgehen, das mit einem werkthätigen Interesse für das öffentliche Wohl nichts gemein hat, selbst und wird von dem einsichts- vollen Theile der Bevölkerung bald durchschaut und auf seinen wahren Werth zurückgeführt werden. Immerhin bleibt leider die bedauerliche _ Thatsache bestehen, dass die abfälligen Urtheile über die hiesigen behörd- lichen Maassnahmen, die sogar telegraphisch den auswärtigen Blättern übermittelt worden sind, merkliche Beunruhigungen des Publikums her. beigeführt haben, und es dürfte daher erwünscht sein, wenn ich in einer so zahlreichen Versammlung wie die heutige über die von den zu- ständigen Behörden getroffenen Maassnahmen kurz Bericht erstatte. Die sanitätspolizeiliche Thätigkeit muss sich vorwiegend nach drei Richtungen bewegen: 1. Der Einschleppung der Seuche von auswärts muss vorgebeugt werden. Unsere Wasser- und Wohnungsverhält- nisse sind nicht ungünstig. Es ist mithin nicht wahrscheinlich, dass die Cholera hier spontan ausbrechen sollte, ohne von aussen eingeschleppt

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zu sein. Um letzteres zu verhüten, sind seit geraumer Zeit auf den Bahnhöfen die allereinschneidendsten Control- und Absperrungsmaass- regeln getroffen worden. Für Aerzte und Desinfectoren ist auf den drei bier in Betracht kommenden Bahnhöfen gesorgt. Alle von Hamburg kommenden Personen, deren Zahl übrigens erheblich grösser ist, als man glaubt es handelt sich mitunter um mehrere hundert Personen werden sorgfältig ärztlich untersucht, desinfieirt und bis zur Weiterfahrt vollständig isolirt. Die Endstationen werden telegraphisch von dem Eintreffen der Weiterreisenden benachrichtigt. Hier in Breslau sind von den aus Hamburg direct Angelangten bisher nur wenige etwa 16 bis 18 verblieben. Diese sind natürlich als die gefährlichsten Elemente zu betrachten. Ihre Personalien sowie ihr Verbleib werden aufs Ge- naueste festgestellt, die ärztliche Untersuchung und Desinfection bezüglich ihrer wird mit besonderer Sorgfalt vorgenommen. Die Revier-Com- missariate werden sofort angewiesen, das Eintreffen zu constatiren und die Eingetroffenen dauernd unter der strengsten Controle zu halten. Um die Verhandlungen mit den Betreffenden auf den Bahnhöfen möglichst zu beschleunigen, habe ich neuerdings die hierzu geeigneten Formulare drucken lassen. Bisher ist irgend ein Krankheitsfall bei einem der Ham- burger Ankömmlinge nicht vorgekommen. 2. Eine besondere Für- sorge muss der Reinhaltung und Desinficeirung der Grund- stücke zugewendet werden. Es ist dies in einer so grossen Stadt wie Breslau einer der schwierigsten Punkte, Aber es ist schon vor vielen Wochen demselben die vollste Aufmerksamkeit zugewendet worden. Ich habe den strieten Befehl gegeben, dass die Polizeicommissarien und Revierschutzleute sich in allererster Linie der Controle der Salubrität der Grundstücke widmen, und dass alle anderen nicht dringenden Dienst- geschäfte bis auf weiteres ruhen sollen. Sehr bald nach meiner vor zehn Tagen erfolgten Rückkehr habe ich zu diesem Zweck eine beson- dere Colonne unter einem Polizei-Commissarius eingerichtet, die die Pflicht hat, diejenigen Grundstücke, welche als Stätten der Unsauberkeit und des Schmutzes bekannt sind, unablässig zu revidiren und unverzüglich eventuell zwangsweise alles vorzunehmen, was zur Herstellung der Salu- brität nöthig ist. Das Ergebniss der angedeuteten polizeilichen Thätig- keit ist, wie ich durch zahlreiche persönliche Revisionen festgestellt habe, durchaus günstig und erfolgreich gewesen. Immerhin wird diesem überaus wichtigen Punkte noch. eine erweiterte Fürsorge zugewendet werden müssen. Ich habe daher unmittelbar nach der kürzlich erfolgten Rückkehr des Herrn Oberbürgermeisters das Nöthige in die Wege ge- leitet, dass zehn sogenannte Special-Sanitätseommissionen nach Maassgabe der Bestimmungen des $ 4 der Cabinetsordre vom Jahre 1835 alsbald in Funetion treten. Eine, wie ich höre, schon in den nächsten Tagen zusammentretende ausserordentliche Stadtverordneten - Sitzung wird die

I. Medicinische Abtheilung. 105 erforderlichen Wahlen vornehmen. Die Commissionen werden bestehen aus je einem Polizei-Commissarius, einem Arzte, einem Apotheker und drei bis vier von der städtischen Vertretung gewählten bürgerlichen Mitgliedern, 3. Endlich ist von hervorragender Wichtigkeit die Bereitstellung der erforderlichen Krankentransport- mittel und Krankenanstalten. Ueber diese Punkte hat die am 15. August zusammengetretene Sanitäts - Commission die nöthigen Be- schlüsse gefasst. Mit einem gewissen Wohlbehagen ist in den Blättern eine Kritik daran geübt worden, dass Breslau zur Zeit nur drei Kranken- wagen besitze. Dies Factum ist eben so richtig, als es unbestreitbar ist, dass eine so kleine Zahl von Wagen für den Fall des Ausbruchs einer Epidemie unzureichend sein würde. Es ist indess, abgesehen da- von, dass die städtische Behörde eine Vermehrung der Wagen in Angriff genommen hat, durch Vereinbarung mit der Militairbehörde vorgesorgt worden, dass für den Fall eines unerwartet und plötzlich hervortretenden Nothstandes eine beliebig grosse Zahl von Militair-Sanitätswagen aus- hilfsweise zur Verwendung gelangen kann. Im übrigen dürfte es wohl als unzweifelhaft bezeichnet werden können, dass in einer Stadt wie Breslau jeden Augenblick so viele für den Transport von Kranken ge- eignete Wagen beschafft werden können, als erforderlich erscheint. Von der Stadtgemeinde zu verlangen, dass sie schon jetzt, wo die Wahr- scheinlichkeit einer ganz aussergewöhnlich grossen Epidemie durchaus nach keiner Richtung hin vorliegt, einen enormen Wagenpark aufstellt, wird ernstlich wohl Niemandem in den Sinn kommen, der mit praktischer Verwaltung auch nur oberflächlich vertraut ist. Die Wagenfrage darf also zu keinerlei Besorgniss Veranlassung geben. Dass gestern bei der Abholung eines Kranken der Wagen ohne Bett und ohne Krankenwärter vorfuhr, ist gewiss ein höchst bedauerliches Versehen des betreffenden Kutschers, möchte wohl aber kaum dazu angethan sein, zu einem sensationellen Ereigniss aufgebauscht zu werden, wie es in einzelnen Blättern leider geschehen ist. Die früher durch örtliche Verhältnisse herbeigeführte Einrichtung, dass Wagen und Bespannung nicht auf dem- selben Grundstücke vereinigt waren, war ja keine zweckmässige; es ist dieselbe daher von mir auch sofort an dem ersten Tage nach meiner Rückkehr beseitigt worden. Was die Bereitstellung der Krankenhäuser bezw. Betten anlangt, so waren bereits am 25. v. M., wie ich persönlich feststellte, im Wenzel Hancke’schen Krankenhause 62 Betten zur Auf- nahme Choleraverdächtiger fix und fertig, desgleichen im Allerheiligen- Hospital 50, zusammen also 112 Betten. In spätestens 24 Stunden können im Wenzel Hancke’schen Krankenhause weitere 100 Betten bereit stehen. Zwei Pavillons für Cholerakranke auf demselben Grundstücke sind im Bau begriffen. Die unverzügliche Herstellung von zwei Holz- baracken zu je 50 Betten auf einem städtischen Grundstück auf der

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Göppertstrasse ist bereits beschlossen worden. Ich wüsste deshalb nicht, was im Augenblicke noch weiter geschehen könnte. Möchten diese Aus- führungen dazu beitragen, die Befürchtungen, welche durch tendenziöse Mittheilungen in der Presse hervorgerufen worden sind, als grundlos darzustellen.

Der Schriftführer des Breslauer Aerztevereins, Herr Dr. Heinrich Sachs, erwiderte hierauf Folgendes:

Wir alle haben Ursache, dem Herrn Polizei-Präsidenten in hohem Grade dankbar zu sein für seine Mittheilungen. Ich hätte es nur für wünschenswerth gehalten, dass von alledem uns nicht erst heute Kenntniss gegeben worden wäre, sondern schon vor einer ganzen Reihe von Tagen. Der Herr Präsident ist von den Mittheilungen der Presse ausgegangen. Diese schlossen sich an einen Bericht an, den ich beauftragt war, über die Sitzung des Aerztevereins den Zeitungen zu senden. Bei jener Ver- sammlung hat es sich herausgestellt, dass nicht allein das grosse Publikum beunruhigt war, sondern dass eine hochgradige Beunruhigung unter den Breslauer Aerzten stattgefunden hatte, die sich durch einen elementaren Ausdruck des Unwillens kennzeichnete, so dass ich den Bericht noch habe bedeutend mässigen müssen, um überflüssige Be- unruhigung fernzuhalten. Diese kam daher, dass wir von alledem nichts erfahren hatten, was gethan worden war. Wenn vor dem Ausbruche der Hamburger Epidemie den Behörden wären Vorwürfe gemacht worden, so hätte vielleicht eine gewisse Enttäuschung platzgegriffen. Bei uns liegen die Verhältnisse besser als dort. Aber wir erfuhren nichts und konnten uns daher allen möglichen Muthmaassungen hingeben, dass hier nicht Alles in Ordnung sei. Dazu kamen aber auch viele Beobachtungen, die in der Versammlung vorgetragen wurden. Ich kenne zwei Personen, die von Hamburg im Anfange dieser Woche hierher kamen, die ohne jede Revison den Bahnhof verliessen, allerdings zweiter Klasse gefahren waren. Vielleicht kann uns der Herr Polizei-Präsident heute Auskunft geben, ob jetzt in allen Klassen revidirt wird. Ich gebe zu, dass in letzter Zeit wesentliche Vorkehrungen getroffen wurden. Im Namen der Breslauer Aerzte möchte ich bitten, dem Publikum von Allem, was geschieht (nicht blos vom ersten sicheren Cholerafalle), möglichst frühzeitig Kunde zu geben. Das ist das sicherste Mittel gegen die

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Beunruhigung.

Herr Polizei-Präsident Dr. Bienko entgegnet:

Auf die eben an mich gerichtete Frage bemerke ich, dass die Unter- suchung der aus Hamburg kommenden Reisenden auf alle Wagenklassen ausgedehnt wird. Selbstverständlich aber beschränkt sie sich auf die- jenigen Personen, von welchen die Polizei weiss, dass sie aus Hamburg kommen, und es ist unausbleiblich, dass manche Reisende dadurch, dass

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sie Umwege einschlagen, sich der Controle entziehen. Bezüglich der übrigen Ausführungen des Herrn Vorredners bemerke ich, dass zahlreiche Mittheilungen über die Anordnungen der Behörden durch die Tages- blätter gebracht worden sind. Wünschte der Verein Breslauer Aerzte ganz specielle Informationen, so konnte er dieselben, da die beamteten Aerzte Mitglieder des Vereins sind, durch diese aufs Leichteste erlangen. Ex offiecio diesem oder anderen Vereinen über die behördlichen Maass- nahmen orientirende Berichte zu erstatten, habe ich keine Veranlassung, abgesehen davon, dass es mir an der hierzu nöthigen Zeit fehlen würde, Im Uebrigen bin ich von früh bis spät bereit, Jedermann, der ein be- rechtigtes Interesse dazu hat, Auskunft zu ertheilen, wie ich mich auch bereit erklärt habe, jeden Vorschlag der am 29. v. M. gebildeten Aerzte- Commission aufs Eingehendste zu prüfen und wichtigen Sitzungen der- selben entweder selbst beizuwohnen oder meinen Decernenten zu ihnen zu entsenden. Ich kann schliesslich aber nicht umhin, darauf hinzu- weisen, dass trotz der angeblich so eminent dringenden Gefahr und der angeblich so ausserordentlich mangelhaften Maassnahmen der Behörden weder der Aerzteverein in seiner Sitzung vom 29, v. M., noch die ad hoc gebildete Aerzte-Commission bisher irgend einen positiven Vorschlag formulirt und mir unterbreitet hat. Die Deputation des Aerztevereins, die mich gestern mit ihrem Besuche beehrte, hat meine directe Frage, ob sie mir irgend welche Maassnahmen vorzuschlagen habe, mit einem einfachen ‚‚Nein‘‘ beantwortet,

Hierauf ergriff wieder Herr Dr. Heinrich Sachs das Wort zu folgenden Ausführungen:

Ich danke für die Bereitwilligkeit des Herrn Präsidenten. Es wäre aber eigentlich richtig gewesen, in der Presse von selbst dem Publikum alle Maassnahmen bekannt zu machen, ohne dazu getrieben zu sein. Da wir trotz allen Wartens nichts erfahren haben, und da die Verhältnisse in Hamburg uns warnten, so sind wir im Aerzteverein vorigen Montag zusammengetreten und haben die Fragen besprochen. Dienstag wurde die Cholera-Commission gewählt, Mittwoch hat sie getagt und vielerlei be- rathen. Zunächst hat sie den Behörden ihre Permanenz angezeigt und gefragt, ob diese geneigt seien, mit uns zu arbeiten. Positive Vorschläge werden wir bald einreichen.

Herr Oberbürgermeister Bender entgegnete hierauf etwa Folgendes:

Die Organe der städtischen Behörden für diesen Fall sind wesent- lich aus ärztlichen Sachverständigen zusammengesetzt. Die Hospital- Commission besteht fast nur aus Aerzten und Docenten, Allerdings sind einige verreist. Wir sind ja in den Ferien. Die Hospital-Commission hat schon vor 5 Wochen die Beschlüsse gefasst, die der Herr Polizei- Präsident als Punkt 3 angeführt hat, betreffend die Fürsorge für die

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Kranken und deren Abholung. Dies vor Allem sind die Aufgaben, wo der Geldbeutel der Stadt in Frage kommt. Ich kann versichern, dass durch finanzielle Bedenken, und bei dem Nebeneinander von Magistrat und Polizei durch Reibereien oder Competenz-Bedenken keine Störung eintreten wird. Die städtische Commission ist so gross, dass das, was dort von fast 30 Herren beschlossen worden, gewiss Allgemeingut der Oeffentlichkeit geworden ist. Ich habe mich daher gefragt, wie es möglich war, in einer Aerzteversammlung uns zum Vorwurf zu machen, dass wir nicht genug Transportmittel hätten. Selbst wenn wir nicht die Wagen vom Militair hätten, so liesse sich in zwei Tagen doch eine grosse Zahl von Wagen hier beschaffen. Es ist wenig ermuthigend für uns, und namentlich für die unteren Organe, auf deren aufopfernden Eifer wir jetzt besonders rechnen müssen, wenn wir fortwährend an- gegriffen werden. Die Angriffe sind inhaltslos.. Wenn in einem Falle von vielen der Kutscher des Transportwäagens ohne Bett vorfuhr, so be- ruht das auf dem mangelhaften Functioniren im Anfange und auf einer gewissen Erregung des Mannes. Die alte Vertheilung von Pferd und Wagen in verschiedene Locale ist mit einem Federstriche zu ändern und ist geändert. Wenn die Beschlüsse der grossen Sanitäts-Commission vom 15. August nicht bekannt geworden sind, so liegt das eben daran, dass wir Ferien-haben. Wenn aber der Breslauer Aerzteverein zusammen- tritt und Kritik übt und das Recht zur Kritik bestreite ich ihm durchaus nicht so darf er sich nicht dahinter verstecken, dass er nicht weiss, was geschehen ist, In dem Berichte stand aber ganz all- gemein: „Für hygienische Zwecke ist kein Geld in Breslau vorhanden.‘ Wenn aber neuerdings über hohe Ausgaben in der städtischen Ver- waltung geklagt wird, so liegt der Grund eben in den riesigen Aus- gaben auf hygienischem Gebiete; ich erinnere an die Irrenanstalt, die Kanalisation, die Schulbauten etc. Selbstverständlich werden diese Wünsche befriedigt, und zwar so gern als möglich. Was die Hospital- Direetion gewünscht hat, ist immer erfüllt worden, und diese Sanitäts- behörde besteht ja überwiegend aus Aerzten. Wir thun Alles, was hygienisch verlangt wird; an Bagatellen sollte man daher heute nicht kritisch anknüpfen. Das beunruhigt nur die Bevölkerung und schwächt die Leistungsfähigkeit der ausführenden Organe. Die Be- schlüsse, die wir fassen, jedesmal in den Zeitungen bekannt zu geben, geht nicht an; die gestrigen Beschlüsse werden erscheinen. Wohl nur die Ueberraschung und ein gewisser krankhafter Trieb zur Thätigkeit hat die Ursache zu den vielen Klagen gegeben. Ich nehme gern jeden Rath an. Was wir in den letzten Tagen beschlossen haben, deckt sich mit dem, was wir vor 6 Wochen vorbereiteten, 300 Cholerakranke könnten wir nöthigenfalls in drei Stunden aufnehmen. Die einmal bestehenden amtlichen Organe sind

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für gewöhnlich eine bessere Stütze, als die ad hoc einberufenen Com- missionen.

Nunmehr ergriff der Vorsitzende des Breslauer Aerztevereins, Herr Dr. Theodor Körner, das Wort zu folgenden Ausführungen:

Ich hatte nicht geglaubt, dass es aus Anlass der heutigen Sitzung zu einer solchen Debatte kommen würde, Nachdem aber der Herr Oberbürgermeister uns Aerzten den Vorwurf gemacht hat, wir hätten durch das Referat, welches über die Sitzung des Breslauer Aerztevereins vom 29. v. M. allen Zeitungen gleichlautend zugegangen ist, Be- unruhigung in die Bevölkerung getragen, und nachdem er dieses Referat in gleiche Linie gestellt hat mit den unbegründetsten Gerüchten, die von irgend einem Localreporter in manchen Zeitungen heutzutage abgelagert werden, sehe ich mich doch, um diesen Vorwurf zurückzuweisen, zu einem kurzen historischen Rückblick gezwungen. Als im Juli die Cholera in Russland immer mehr um sich griff, hat das preussische Ministerium in anerkennenswerthester Weise eine Belehrung verfasst über das Wesen und die Verbreitung der Cholera und daran anknüpfend „Rathschläge an praktische Aerzte wegen Mitwirkung an sanitären Maassnahmen gegen die Verbreitung der Cholera.“ Und so viel war dem Königlichen Ministerium an dieser Mitwirkung gelegen, dass es die Öberpräsidenten beauftragte, diese Rathschläge durch die Aerztekammern an sämmtliche Aerzte gelangen zu lassen. So hat der hier anwesende Herr Oberpräsident durch Vermittelung des Vorsitzenden der schlesischen Aerztekammer in vier Tagen, Dank ihrer vorzüglichen Organisation, sämmtliche schlesischen Aerzte in den Besitz dieser Mittheilungen ge- bracht. Als nun Anfang August die Cholera unserer Grenze immer näher rückte, legte ich dem Vorstande des Breslauer Aerztevereins die Frage vor, ob wir nicht öffentlich Stellung nehmen sollten. Und soweit waren die Herren im Vorstande entfernt von der Lust, Beunruhigung in die Bevölkerung zu tragen, dass diese Anfrage abgelehnt wurde, weil wir glaubten, es sei von den betreffenden Behörden ja Alles geordnet und wir würden s. Z. schon von Allem in Kenntniss gesetzt werden. Davon, dass man am 15. August die auf einer Verordnung vom Jahre 1335 beruhende Sanitäts-Commission unter dem Vorsitz des Herrn Polizei- Präsidenten einberufen würde, ist wohl Niemandem ausser den Be- theiligten etwas bekannt geworden, so wenig wie von den gefassten Beschlüssen. Da kam im letzten Drittel des August die Hamburger Katastrophe. Das änderte mit einem Schlage die Sachlage. Hatten wir Aerzte bis dahin alle die unzähligen vom Publikum an uns gerichteten Anfragen in beruhigendem Sinne beantwortet, dass bei der Sorgfalt unserer deutschen Behörden jeder etwa eingeschleppte Fall voraussicht- lieh sogleich ermittelt, unschädlich gemacht und dadurch der Weiter-

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verbreitung vorgebeugt werden würde, so mussten wir uns jetzt sagen, nachdem in der zweitgrössten Stadt Deutschlands durch das leichtfertigste Vertuschungs- und Vernachlässigungssystem die Krankheit verheimlicht worden (denn, meine Herren, niemals steigt in wenigen Tagen die Cholera von einigen eingeschleppten Fällen zu solcher Höhe, sondern wochenlang muss sie schon dort bestanden haben), wir mussten uns jetzt sagen, dass wir in kürzester Zeit die Krankheit auch in unseren Mauern sehen könnten. Da hat der Herr Polizei-Präsident ganz Recht gehabt, wenn er vorhin sagte, bei den heutigen Verkehrsverhältnissen ist eine einigermaassen sichere Absperrung nicht mehr möglich. Jetzt also berief ich am vorigen Montag eine Versammlung der Breslauer Aerzte, welcher gegen 200 beiwohnten. In dieser Versammlung wandten wir uns an die Herren Collegen, welche als beamtete Aerzte oder Mitglieder der Sanitäts-Commission in der Lage waren, uns über die Maassnahmen der Behörden aufzuklären, auf deren Mittheilung seitens der Behörden wir bisher vergeblich gehofft hatten. Und da, meine Herren, wurde der so- genannte Beunruhigungsbacillus in unsere Gemüther getragen, als wir hörten, dass zwei Desinfectionswagen und sieben Desinfecetoren für die Stadt Breslau vorräthig seien, dass natürlich Alles das im Bedarfsfalle vermehrt werden würde. Ich weiss nicht, ob der Herr Oberbürgermeister schon als erwachsener Mann eine schwere Choleraepidemie durchgemacht hat, ich glaube es kaum, sonst würde er wissen, wie gross der Unter- schied ist zwischen der Furcht einer Bevölkerung vor einer Epidemie und der Angst während derselben. Eine sich fürchtende Bevölkerung nimmt sich in Acht, befolgt die vorgeschriebenen Maassregeln, kurzum, ist in jeder Beziehung besser daran, als eine leichtfertige. Wenn aber die Angst da ist, da ist das ganz anders. Ich muss nochmals kurz auf die breitgetretene Wagenfrage zurückkommen. Der Herr Oberbürger- meister meint, wir werden in der Noth jeden Augenblick so viel Wagen haben als wir brauchen. Ja, sollen wir Droschken nehmen? Sie Alle, meine Herren, haben ja wohl den sehr ruhig und klar geschriebenen Brief eines Wiener Arztes aus Hamburg welesen, den heute früh die Schlesische Zeitung brachte, Da sehen Sie, wie in dem reichen Hamburg, welches vor einigen Tagen eine halbe Million Mark für die Unter- drückung der Seuche bewilligt hat, die Krauken in offenen Landauern, welche das Publikum auf der Strasse anhält, nach den Hospitälern be- fördert werden. Die Behörden sind scheinbar so empfindlich über ein- zelne Punkte, welche in der damaligen Sitzung berührt wurden, aber, meine Herren, bis heutigen Tages weiss noch kein Mensch, von wem z. B. die Verordnung ausgegangen ist, die Häuser an der Strassenfront mit Carbolkalk zu bestreuen. Niemand hat uns sagen können, wer das angeordnet hat, und wenn wir da hervorheben, dass man das doch nicht als geeignete Desinfectionsanordnung betrachten könne, wenn einfach

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die unteren Polizeiorgane den Haushältern befohlen, Carbolkalk dahin zu streuen, so ist das, Herr Oberbürgermeister, doch gewiss nicht darum gethan, wie Sie sagen, „den unteren Organen die Berufsfreudigkeit gerade zu einer Zeit zu nehmen, wo sie derselben so dringend bedürfen‘, sondern es ist eine berechtigte Kritik, andernfalls müsste man eben nur schweigen. Und wenn der Oberbürgermeister gesprochen hat von den vielen Betten, die für alle Fälle zur Verfügung gestellt werden könnten, ja, meine Herren, da habe ich zweierlei zu sagen: Einmal ist die Be- rechnung, die Herr Sanitätsrath Jacobi in seinem Vortrag aufgestellt hat, wobei er die damaligen Verhältnisszahlen einfach mit 2 multiplicirte, absolut unhaltbar, denn, wenn 1866 kaum ein Drittel der Erkrankten in die Hospitäler kam, so lag das daran, dass diese Hospitäler einfach leer- stehende neugebaute Wohnhäuser waren, sehr mangelhaft eingerichtet und auch so nicht mehr Platz bietend. Ausserdem sind unsere vor- hapdenen Hospitäler nicht etwa theilweise als Cholera-Hospitäler zu ver- werthen, weil sonst erfahrungsgemäss in einem solchen von Cholera- und anderen Kranken belegten Hospital völlig doppelte Verwaltung ein- gerichtet werden müsste. Ich glaube, um zu schliessen, es liegen zwei Eventualitäten vor: Entweder, wie wir Alle auch jetzt noch hoffen, wird es zwar nicht gelingen, die Cholera völlig fern von uns zu halten, aber durch die energisch getroffenen Maassregeln gegen die ersten Fälle wird es gelingen, eine ausgedehnte Epidemie zu verhüten, dann haben Sie Recht, Herr Oberbürgermeister, dann sind alle zu weitgehenden Ein- richtungen unnöthig gewesen, oder es gelingt uns das nicht, und dann fürchte ich, könnten wir zu spät bereuen, nicht genug gethan zu haben.

Herr Oberbürgermeister Bender erwiderte auf diese Ausführungen etwa Folgendes:

In einer Zeit wie der jetzigen muss der ärztliche Stand sich mög- lichst lediglich auf den Boden der Thatsachen stellen. Wenn aber dort unter Hinweis auf alle möglichen Einzelklagen und gleichzeitig mit völlig grundlosen Beschwerden der Zeitungen gesagt wird, wir haben für hygienische Zwecke in der Stadtverwaltung kein Geld, so ist das ein sehr empfindlicher und nicht durch die Thatsachen begründeter Angriff. Sachliche Kritik werde ich stets gern annehmen, Jetzt im Augenblick alle die Maassregeln voll ins Werk zu setzen, die im Falle einer hoch- gradigen Epidemie nothwendig sein würden, erscheint mir nicht nöthig, Man kann Manches, was man im Augenblicke schaffen kann, auch dem Augenblick überlassen, wo es wirklich nothwendig sein wird.

Hierauf ergriff noch Herr Dr. Kayser das Wort. Derselbe ver- misste in den gehörten Mittheilungen das Datum, von dem an die Des- infeetoren, Wagen u. s. w. in genügender Zahl beschafft seien. Am Montage habe man nur von einem Arzte auf dem Bahnhofe, zwei Wagen

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und sieben Desinfeetoren gewusst. Man habe also nur bona fide ge- handelt, und die Behörden möchten also nicht empfindlich sein.

In der zweiten Sitzung am 9. September gab Herr Prof. Dr. Flügge Eine Kritik der bisherigen prophylaktischen Maassnahmen gegen die Cholera.

Redner betont von vornherein, dass er durchaus mit den vom Kaiser- lichen Gesundheitsamte und vom preussischen Cultusministerium empfohlenen Maassnahmen einverstanden sei; offenbar sind diese Behörden von unseren ausgezeichnetsten Sachverständigen berathen. Viele Behörden und städtische Verwaltungen sind aber von jenen officiell empfohlenen Maassnahmen abgewichen oder sind weit über dieselben hinausgegangen. Derartige locale prophylaktische Bestrebungen besonderer Art hat Redner auf der Reise, von der er soeben zurückgekehrt ist, mehrfach beobachten können, und diese sollen vorzugsweise im folgenden einer fachmännischen Kritik unterworfen werden. Die prophylaktischen Maassnahmen gegen Cholera erstrecken sich:

1. auf die Hinderung der Einschleppung des Krankheitskeims. Von Grenzsperren und Landquarantänen ist man eigentlich zurückgekommen. Sie helfen nur dann gründlich, wenn sie rigoros gehandhabt, d. h. wenn auf die Flüchtlinge geschossen wird; und das ist heutzutage unzulässig. Verfuhr man weniger streng, so stand gewöhnlich der Nutzen nicht im Verhältniss zu dem Aufwande au Mühe und Kosten. Dennoch kommt man angesichts eines so isolirten und intensiven Seuchenherdes, wie wir ihn jetzt in Hamburg haben, auf den Gedanken, ob nicht doch Absperr- maassregeln an seinen Grenzen von Nutzen sein könnten. Selbstver- ständlich ist auch da nicht an rigorose Absperrung zu denken. Aber recht wohl könnte das Flüchten aus der durchseuchten Stadt nach Möglichkeit erschwert werden, und damit wäre für das umliegende Reich schon viel gewonnen. Es ist ja in der That in keiner Weise zu recht- fertigen, dass die reichen Leute in solcher Epidemiezeit davonlaufen, ihre ärmeren Mitbürger die ganze Calamität allein durchmachen lassen und dabei die gefährlichen Keime über das ganze bisher seuchenfreie Land verstreuen. Kräftige beschränkende Maassregeln in dieser Richtung dürften bei der Vorbereitung des angekündigten Seuchengesetzes wohl in Erwägung zu ziehen sein. Sind die kranken und die gesunden Flücht- linge aus dem Seuchenherd heraus, so muss man überall im Reiche An- stalten treffen, um sich der Einschleppung zu erwehren. Vom Gesundheits- amt ist in sehr zweckmässiger Weise angerathen, dass die Reisenden vom Zugpersonal unauffällig beobachtet werden. Verdächtige werden den auf zahlreichen Stationen anwesenden Aerzten vorgeführt und, falls diese sich veranlasst sehen, den Verdacht aufrecht zu erhalten, in ein

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Isolirspital gebracht und dort ärztlich beobachtet. Kleidung und Gepäck der Verdächtigen wird vorschriftsmässig desinfieirt, d. h. ein geschulter Desinfeetor scheidet die Gegenstände aus, die nicht in heissen Dampf kommen dürfen, desinfieirt diese mit Sublimat oder Carbol, entfernt die Reste des Desinfieiens möglichst, und bringt dann die übrigen Sachen in den Desinfeetionsofen. Ein Desinfeetor hat mit dem Gepäck eines Einzelnen in solcher Weise ein bis zwei Stunden und mehr zu thun; dafür tritt aber auch keine nennenswerthe Beschädigung der ÖObjecte ein und die Abtödtung aller anhaftenden Keime ist sicher. Ergiebt die Beobachtung des Verdächtigen innerhalb 24 Stunden keinerlei charakte- ristische Krankheitssymptome, so erhält derselbe seine desinfieirten Sachen zurück und wird einstweilen aus dem Spital entlassen, aber sein Gesundheitszustand wird noch vier Tage unauffällig eontrolirt. Treten Cholerasymptome auf, so erfolgt die Ueberführung auf die Kranken- abtheilung, und das benutzte Bett und dessen Umgebung werden sorg- fältig desinfieirt. Manche Städte sehen Jeden als verdächtig an, der aus dem durchseuchten Gebiet zureist, und wenden das eben beschriebene Verfahren auf jeden Choleraflüchtling an. An Orten, die lebhaften Ver- kehr mit dem durchseuchten Gebiet unterhalten, erfordert das zu kost- spielige Einrichtungen. Gewöhnlich begnügt man sich daher damit, dass alle gesunden Reisenden, die aus einem Seuchenort kommen, polizeilich notirt und fünf Tage lang täglich wenigstens einmal durch einen Arzt oder Physikus auf ihren Gesundheitszustand untersucht werden. Selbst- verständlich gelingt es der Polizeibehörde nicht, alle solehe Flüchtlinge kennen zu lernen; wer seine Reise in geschickter Weise unterbricht, kann sich der Controle entziehen. Die genannten Maassregeln sind durch- aus rationell, und ihre Leistungen stehen im Verhältniss zu den Mühen und Kosten, die sie mit sich bringen, Nun sind aber vieler Orten ganz andere, gar nicht zu vertheidigende Maassnahmen eingeführt; vielfach wird die Desinfection eines Theils der Reisenden oder gar aller Reisenden und ihres ganzen Gepäcks in primitiver, oberflächlicher und völlig un- zureichender Weise vorgenommen. Die Desinfection der Reisenden geschieht dann entweder so, dass dieselben Chlordämpfen oder Carbol- dämpfen eine Zeit lang ausgesetzt werden; oder sie werden mit Carbol- lösung oder Sublimatlösung besprengt und bespritzt. Die infieirten Stellen sitzen ja aber im wesentlichen nicht auf der äusseren Oberfläche der Kleider, sondern auf deren innerer Seite und am Körper, und selbst die äussere Seite der Kleider wird bei dieser Art der Desinfeetion erwiesener- maassen durchaus ungenügend desinficirt. An einzelnen Orten werden weiche Bürsten in Sublimatlösung eingetaucht und die Kleider mit letzterer förmlich durchtränkt. Das ist immer noch ungenügend und setzt dabei die so Behandelten zweifellos der Gefahr einer Vergiftung durch Sublimat aus. Diese oberflächliche Menschendesinfection ist schon so oft lächerlich A; 8

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gemacht; eine drastische Illustration dazu liefert das bekannte Erlebniss Koch’s im Jahre 1885. Koch hatte damals Jie Cholera in Toulon studirt und brachte Cholera-Reineulturen mit, die er in der inneren Rock- tasche trug. An der schweizer Grenze wurde er desinfieirt, und zwar, da man ihn erkannte und wusste, dass er mit Cholerakranken zu thun gehabt hatte, mit ganz besonderer Sorgfalt. Trotzdem zeigten sich die Kommabaeillen der Reinculturen in allen Lebenseigenschaften völlig unversehrt. Das Gepäck wird auf einigen österreichischen Stationen ohne weiteres in strömenden Dampf gebracht und dann total ruinirt; man könnte es eben so gut gleich verbrennen. An anderen Stationen werden die Koffer geöffnet und der Inhalt stark mit Sublimat imprägnirt; daraus entsteht zweifellos Vergiftungsgefahr, während die Desinfeetion unzureichend bleibt. An vielen Stationen durchsucht ein Arzt die ge- öffneten Koffer, wobei er, ohne sich dazwischen zu desinfieiren, von einem in den anderen langt; aus einigen Koffern holt er dann ein schmutziges Hemd oder dergleichen hervor, behauptet, das sei verdächtig und legt es einstweilen bei Seite. Die „verdächtigen‘“ Sachen werden dann verbrannt. Das alles ist unwürdige Comödie. Derartiges war früher zulässig, wo man gar nicht wusste, was geschehen soll und was unsere Mittel leisten. Jetzt wissen wir aber bestimmt, dass diese Art der Menschen- und Gepäckdesinfeetion nicht das leistet, was wir erwarten müssen, und dann ist dieselbe in keiner Weise zu rechtfertigen. Die betreffenden Behörden haben ja zweifellos nach dem Rath von angeblich sachverständigen Aerzten gehandelt; aber diese Aerzte stehen dann nicht auf dem Niveau hygienischer Ausbildung, wie wir es von solchen Be- rathern erwarten müssen. Halte man sich nur genau an die vom Gesundheitsamt empfohlenen Maassregeln. Diese sind consequent und zweckentsprechend. Auch diese Maassregeln bringen ja für die Reisenden und insbesondere für die Choleraflüchtlinge viel Unannehmlichkeiten mit sich. Aber es schadet gar nicht, wenn eben das Flüchten aus Cholera- orten mit Unannehmlichkeiten verbunden ist. Nur lassen sich diese viel leichter ertragen, wenn man wenigstens weiss, dass es sich um rationelle, die Gesunden wirklich schützende Maassregeln handelt, als wenn man unter unwirksamen Scheinmaassregeln leiden muss.

2. Trotz aller Sperren und Controle werden hier und da Cholera- kranke durchschlüpfen oder Flüchtlinge an bis dahin seuchefreien Orten erkranken. Dann muss vor allem schleunigste Meldung der Erkrankung erfolgen. Dafür ist überall gute Vorsorge getroffen. Ferner muss baldigst constatirt werden, ob ein Fall von asiatischer Cholera vorliegt, oder ob es sich nur um einheimischen Brechdurchfall handelt. Für die Ent- scheidung dieser Frage ist die bacteriologische Untersuchung der Dejectionen von grösster Wichtigkeit. Medieinalbeamte und hygienische Institute führen dieselbe so schleunig als möglich aus, und werden dadurch nicht

I. Medieinische Abtheilung. 115 unerheblich in Anspruch genommen. $o wurden z. B. dem hiesigen hygienischen Institut innerhalb der letzten drei Wochen 23 verdächtige Dejeetionen eingesandt. Weiter muss dann möglichst bald Isolirung des Erkrankten erfolgen, am besten durch Ueberführung in ein Isolirspital, insbesondere wenn es sich um die ersten Krankheitsfälle am Orte handelt. Es ist aber dabei wohl zu berücksichtigen, dass wir es nicht nur mit dem Schutz der Gesunden, sondern zunächst mit der Behandlung des Kranken zu thun haben, mit dem nicht von vornherein wie mit einem willenlosen, todten Object umgesprungen werden soll. Womöglich soll er durch Zureden und gütliche Vorstellungen veranlasst werden, in seine Ueber- führung nach dem Spital zu willigen; und das wird er um so leichter thun, je besser die Spitaleinrichtung und die Spitalpflege ist. In dieser Beziehung ist es daher von grosser Wichtigkeit, dass für die Isolir- spitäler reichlicher Raum, reichlichstes ärztliches und Pflegepersonal vorgesehen wird. Der Kranke muss die Ueberzeugung haben, dass er im Spital bessere Pflege und bessere Heilbedingungen findet als zu Hause. Werden primitive Anlagen mit ungenügendem Personal eingerichtet, dann entsteht eine grosse Gefahr: eine Panik vor der Ueberführung ins Lazareth. Die Menschen fürchten, dort vernachlässigt zu werden und unter Sterbenden und Leichen einem trostlosen Ende entgegen zu gehen; und die Folge davon ist, dass sie möglichst die Erkrankungen verheimlichen resp, dass dieselben erst in den spätesten Stadien event. durch die Umwohnenden zur Meldung gelangen. Dann ist aber immer schon uncontrolirbare, massenhafte Ausstreuung von Keimen erfolgt, und das ist es, was gerade vorzugsweise vermieden werden muss. Es muss also im Publikum das Vertrauen zu einer guten Hospitalbehandlung auch bei Cholerafällen er- halten bleiben. Hierorts ist ja dafür, wie mir scheint, vorläufig genügend gesorgt. Im Nothfall können Schulen und Turnhallen mit herangezogen werden, die sich recht wohl in ein Choleraspital verwandeln lassen, Iu der Richtung ist jeder Nothstand zu vermeiden, wenn nur der Anfang der Epidemie beachtet und einer Massenverbreitung durch die Wasser- leitung vorgebeugt wird. Nur wenn diese beiden Momente vernach- lässigt werden, kann es zu solcher Calamität kommen wie jetzt in Hamburg. Wohnt der Kranke so, dass er im Hause abgesperrt werden kann, so belässt man ihn event. im Hause. Diese Möglichkeit ist auch nach den Veröffentlichungen des Gesundheitsamtes keineswegs aus- geschlossen. Nur müssen wir dann verlangen, dass die Absperrung und die Desinfeetion während der Krankheit richtig durchgeführt wird, und dafür ist es nöthig, dass ein geschulter Desinfeetor entweder fortdauernd die Pflege übernimmt, oder die Angehörigen instruirt und von Zeit zu Zeit controlirt. Glücklicherweise sind die Eigenthümlichkeiten des Choleracontagiums der Art, dass die Prophylaxis leichter gelingt als bei anderen ansteckenden Krankheiten; viel leichter als bei Pocken, Fleck-

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116 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

typhus, Scharlach, weil das Contagium nicht flüchtig ist; leichter aber auch als z. B. bei Typhus, weil das Choleracontagium das Austrocknen nieht verträgt und nur im feuchten Zustand resp. in sichtbaren dickeren Schiehten lebendig bleibt. Im wesentlichen haben die Pfleger nur dafür zu sorgen, dass die Dejectionen sogleich desinfieirt werden und dass die beschmutzte Wäsche in Desinfeetionslösung gelegt wird; die Pfleger müssen ferner Kittel tragen und diese und ihre Hände mit Desinficientien ab- waschen, wenn sie mit dem Kranken in Berührung waren; und insbesondere dürfen sie die Hände nicht an den Mund resp. an Nahrungsmittel bringen ohne gründliche Desinfection. Das alles ist gewiss nicht schwierig, und wir sehen daher was manchem so sehr auffällt dass Aerzte und Pfleger meist ganz von Ansteckung verschont bleiben. Viele glauben daraus schliessen zu dürfen, dass die Cholera überhaupt nicht anstecke. Das ist aber ganz falsch. Denn wir sehen, dass, wenn jene Vorsichts- maassregeln unterlassen werden, ungeschulte Pfleger, Angehörige u. s. w. sehr leicht angesteckt werden. Jene Maassregeln sind aber auch von den Angehörigen leicht zu lernen. Freilich müssen die einzelnen Hand- sriffe gezeigt, und die Ausführung muss controlirt werden. Dazu sind eben die Desinfectoren geeignet, die auch aus anderen Gründen in grösserer Zahl vorhanden sein müssen. Im Ganzen werden übrigens die Fälle, wo der Kranke in der Wohnung verbleiben kann, sehr selten sein, be- sonders hier, wo wir lauter Miethskasernen haben. In anderen Gegenden, wo vorwiegend kleine Häuser, selbst für Arbeiter gebaut werden, lässt sich eher davon reden.

3. Mit der Ueberführung des Kranken ist noch nicht alles geschehen, was erforderlich ist. Zunächst müssen noch die Räume, welche der Kranke bewohnt hatte, desinfieirt werden. Das sollte nie dem Publikum überlassen bleiben; hier kann nur eine planvolle, sachgemässe Desinfection durch geschulte Desinfectoren helfen. Zu dem Zwecke haben wir eine grössere Zahl von Desinfections-Colonnen und Desinfectionsöfen. Sollte das bei weiterer Ausdehnung der Epidemie nicht ausreichen, so müssen wir freiwillige Desinfeetoren aufrufen. Studenten, die Mitglieder des Rothen Kreuz-Verbandes, Feuerwehrleute würden eventuell in Aussicht zu nehmen sein. Die Ausbildung speciell für die Desinfeetion bei Cholera kann in wenigen Tagen geschehen. Weiter muss erwogen werden, dass bei den Anfängen der Krankheit richtige desinfecetorische Behandlung der Abgänge noch nicht eintritt. Die in dieser Zeit vom Kranken ab- geschiedenen Keime müssen möglichst durch gute Einrichtungen zur Ent- fernung der Abfallstoffe mechanisch beseitigt und der Berührung mit Menschen entzogen werden. Unterirdische Kanäle mit rascher Fort- schwemmung sind das beste. Aber die Leitungen müssen dicht, die Ausgüsse in Ordnung und hinreichend an Zahl sein. Senkgruben müssen gut gedichiet und namentlich gut gedeckt sein; am gefährlichsten sind

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alle offenen Rinnsale und stagnirende Abwasseransammlungen in Hof und Strasse. Es ist gut, wenn alle diese Einrichtungen durch besondere Commissionen revidirt werden. Vielfach habe ich allerdings beobachtet, dass diese Commissionen nichts besonderes leisten, weil sie von un- richtigen Gesichtspunkten ausgehen. Sie berücksichtigen zu sehr die üblen Gerüche; nur diesen gehen sie nach und beseitigen dann altehr- würdige Dreckhaufen und lassen Senkgruben räumen, denen das seit vielen Jahren nicht passirt war, Der Gestank aber hat mit der Cholera an sich gar nichts zu thun, und der alte Dreckhaufen- oder der alte Senkgrubeninhalt ist nicht etwa eine Brutstätte für die Cholerabacillen, sondern dieselben gehen darin nur schneller zu Grunde, Jene Ansamm- lungen sind nur dann für uns von Bedeutung, wenn sie durch die auf dem betreffenden Grundstücke geübten Methoden der Abfallentfernung entstanden sind. Vermuthlich wird dann mit Choleradejectionen dort ebenso verfahren werden, und auch diese werden also eben so offen und den Menschen und Thieren zugänglich daliegen wie jener Dreck. Darin liegt dann die Gefahr, der wir dadurch begegnen müssen, dass wir gute unterirdische Abwege für die Abfallstoffe schaffen. Sind die aber an- gelest, dann ist im Grunde ein alter Dreckhaufen ganz gleichgiltig. Es ist nothwendig, das richtig auseinander zu halten, weil sonst oft das Wichtige über dem Nebensächlichen versäumt wird; z. B, eine alte, gut gedeckte, niemand störende Grube wird geleert, während nebenbei offene Rinnsale, die zufällig nicht stinken, bestehen bleiben. Ferner wird bei diesen Revisionen vielfach alles mögliche mit Desinfectionsmitteln begossen und bestreut. Warum, ist eigentlich unverständlich. Es ist ja noch kein Cholerakeim da, und die Desinfeetionsmittel sollen doch da nicht auf der Lauer liegen, bis er kommt. Im richtigen Moment würde es dann doch an ausreichender Wirkung fehlen. Oder will man die harmlosen Fäulnisserreger abtödten? Das wäre schade ums Geld. Oder will man die Gerüche beseitigen? Das hat zwar nichts mit der Cholera zu thun, aber ist ja an sich sehr lobenswerth und aus anderen hygienischen Motiven entschieden zu empfehlen. Dann aber nehme man doch Desodorantien, die wirklich die Gerüche binden oder zerstören, und nicht das noch schlimmer riechende Carbol. Im Ganzen wird jetzt offenbar eine starke Vergeudung mit Desinfeetionsmitteln getrieben. Auch in den Zeitungen wird das Publikum immer wieder zu planlosem Giessen und Streuen von Desinfectionsmitteln aufgefordert. Fast könnte man auf die Idee kommen, dass die Fabrikanten dahinterstecken. Jedenfalls ist diese Vergeudung von Desinfeetionsmitteln nieht unbedenklich; sie werden immer rarer und theurer für die Zeit, wo wir ihrer wirklich bedürfen. Das richtigste ist jedenfalls, wenn die Desinfection so wenig als möglich vom Publikum und so viel als möglich durch die geschulten Desinfeetoren

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ausgeführt wird, die an der richtigen Stelle mit den richtigen Mengen von Desinfeetionsmitteln vorgehen.

4. Manche Keime entziehen sich immerhin sowohl der Desinfeetion wie der mechanischen Beseitigung. Wie können wir uns gegen diese schützen? Wir müssen zu hindern suchen, dass sie auf irgend einem Wege in den Mund von gesunden Personen gelangen; denn das ist ja der einzige Infeetionsmodus. Ein solcher Transport kann sich theils durch direete Berührungen der Dejeetionen vollziehen. Pfleger, Wäscherinnen, Aerzte, Desinfeetoren sind diesen Berührungen ausgesetzt, können sich aber, wie erwähnt, bei richtiger Schulung leicht schützen. Oft geschieht aber der Transport auf Umwegen und führt die Keime heimlich zum Menschen; so besonders durch Vermittelung des Trinkwassers. Um Brunnen bilden sich oft oberflächliche Rinnsale, durch welehe Abwässer in den Brunnen gelangen. In Cholerazeiten können so Spülwässer von Cholerawäsche, von den Gefässen, die der Kranke benutzt hatte u. s, w. in den Brunnen gerathen; die Erreger bleiben im Wasser lange Zeit lebendig und können von da aus zahlreiche Menschen gefährden. Revision der Brunnen, wo sich noch solche finden, ist daher in Cholerazeiten sehr anzurathen. Nicht etwa bedarf es der chemischen Untersuchung des Wassers, die über die Infectionsgefahr wenig auszusagen vermag; sondern es muss hauptsächlich die Anlage und die Umgebung des Brunnens mit sachverständigem Blick gemustert werden. Liegt der Brunnen hoch, fern von Gruben, ist sorgfältig gedeckt, oder handelt es sich um einen tief reichenden eisernen Röhrenbrunnen, so ist das Wasser unverdächtig, selbst wenn es viel Chlor und Salpetersäure enthält. Gedeckte Grund- und Quellwasserleitungen bieten gar keine Infectionsgefahr, und die mit solchen Anlagen versehenen Städte haben in Cholerazeiten dadurch einen vorzüglichen Schutz gegen eine stärkere epidemische Ausbreitung der Krankheit. Flusswasserleitungen werden dagegen leicht inficirt durch hinein- gelangende Abwässer, durch Schiffer ete., und nur centrale Sandfiltration kann dann einen gewissen Schutz gewähren. Dieser Schutz besteht aber nur bei sorgfältigstem und vorsichtigem Betriebe der Filter und es ist fortgesetzt aufzupassen und der Betrieb zu controliren, wenn solche Massen- infeetionen wie vor drei Jahren bei der Typhusepidemie in Liegnitz oder jetzt in Hamburg vermieden werden sollen.

Daneben können die Keime auch durch Nahrungsmittel (Milch, Grün- kram, Fleisch etc.) Verbreitung finden, besonders wenn in der Familie des Händlers Erkrankungen vorkommen. Bei jeder Meldung ist daher darauf zu achten, ob der Fall ein solches Geschäft betrifft; ist es so, dann hat sofort ein Medieinalbeamter zu revidiren, ob ausreichende Ab- sperrmaassregeln getroffen werden können oder ob gar der Verkauf zu sistiren ist. Das fasst auch das Gesundheitsamt in’s Auge. Aber gleich- zeitig wird dort die Nothwendigkeit einer Entschädigung betont; und

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das ist wünschenswerth, um Verheimlichungen vorzubeugen. Vielfach werden Leichen als eine besondere Gefahr angesehen. Das ist unrichtig, Eingesargte oder in Tücher, die mit Carbol oder Sublimat getränkt sind, eingehüllte Leichen verstreuen keine Keime mehr; und später gehen die Keime bald zu Grunde. Aber der Ort, wo die Krankheit abgelaufen, ist gefährlich und darf daher nicht vom Leichengefolge betreten werden; und die Wohnung muss sobald als möglich desinfieirt werden, deshalb soll die Leiche baldigst, aber ohne Ueberstürzung, nach der Leichenhalle gebracht werden. Von da kann das Begräbniss selbstverständlich in einfachster, aber durchaus in sonst üblicher Weise erfolgen. Für Ein- führung der Feuerbestattung sprechen nebenbei gesagt hygienische Motive durchaus nicht.

5. Kommt noch die Disposition des Einzelnen in Betracht, die durch Regelung der Lebensweise etc. bekämpft werden kann. In dieser Richtung hat das Gesundheitsamt sehr praktische Anleitungen gegeben, denen nichts hinzuzufügen ist. Im Ganzen braucht uns die Cholera nicht mehr als so schreckliches Gespenst zu erscheinen, wenn wir nur uns nach allen Seiten hin gut vorbereiten und dabei im Publikum das Ver- trauen zu erhalten wissen, dass die Behörden und Aerzte für eine humane Behandlung der Erkrankten und für einen kräftigen Schutz der Gesunden Sorge tragen werden. Hinweise auf frühere Epidemien brauchen uns nicht zu schrecken. Durch die Entdeckung des Krankheitserregers, durch die Erkenntniss seiner Lebenseigenschaften und durch die epidemiologischen Erfahrungen, die sich mit jener Erkenntniss decken, sind wir der Cholera gegenüber in einer völlig veränderten Situation. Früher lebten wir unter der Herrschaft jener eigenthümlichen Anschauungen, wonach die Cholera nicht ansteckend sein und nie durch Wasser übertragen werden sollte, wonach Sperrmaassregeln und Desinfection überflüssig sein und nur geheimnissvolle Bodeneinflüsse die Ausbreitung der Cholera beherrschen sollten. Jetzt wissen wir dagegen mit Bestimmtheit, dass wir es mit einer contagiösen Krankheit zu thun haben, wir wissen, wo wir die Infeetionsquellen und die Transportwege für die Keime zu suchen haben, und kennen die Mittel, um jene zu vernichten und diese abzuschneiden, Alle Maassnahmen werden jetzt einmüthig nach diesem selben Plane in ganz Deutschland und auch in den angrenzenden Ländern durchgeführt, und deshalb ist wohl zu hoffen, dass die Epidemie nicht annähernd mehr die allgemeine Ausbreitung erfahren wird wie früher. Nur auf- passen, vorsorgen und die Anfänge der Epidemie beachten müssen wir; und dass dazu in unserer Stadt seitens unserer Behörden alles Erforder- liche geschieht, dazu dürfen wir volles Vertrauen haben.

An den Vortrag schloss sich folgende Discussion an:

Herr Prof. Dr. Hirt hält nach den Ausführungen des Vortragenden die Desinfeetion der Reisenden auf den Bahnhöfen nicht nur für über-

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flüssig, sondern sogar direct für schädlich, weil sie in dem Desinfieirten und im Publikum den Gedanken erwecke, dass derjenige, welcher auf dem Bahnhofe desinfieirt worden, nun auch wirklich keinen Ansteckungs- stoff mehr übertragen könne. Das sei durchaus irrthümlich. Die Des- infeetion eines bekleideten Menschen nütze gar nichts, das Besprengen nnd Begiessen mit Sublimatlösung gewähre wenig oder gar keinen Schutz, und man könne für sicher halten, dass derjenige, welcher mit keim- und lebensfähigen Bacillen in das Desinfectionslocal gekommen sei, das- selbe mit eben denselben keim- und lebensfähigen Bacillen wieder ver- lasse. Nach der Ansicht des Redners genügt es nicht, Leute, die aus verseuchten Orten kommen, zu desinficiren und sie dann zu entlassen, event. in Wohnungen, die notirt wurden, um sie zu überwachen, sondern man müsste sie überhaupt verhindern, die ihnen etwa anhaftenden An- steckungsstoffe weiter zu tragen. Und dies sei einzig und allein mög- lich, wenn man sie in eigens dazu bestimmte Räume brächte und hier zwei bis drei Tage unter ärztlicher Beobachtung hielte, dergestallt, dass jeder Verkehr mit der Aussenwelt abgesperrt würde. Nur eine solche (Quarantäne, die eine so grosse Commune wie Breslau für Leute, die authentisch aus durchseuchten Orten zugereist kämen, leicht errichten könnte, gewähre einigermaassen Schutz gegen die Einschleppung. Voll- ständig könne dieser Schutz auch dadurch nicht erreicht werden, weil noch hundert andere Wege für Uebertragung von Cholerakeimen (durch Packete, Waaren etc.) offen blieben. |

Hierauf führte Herr Prof. Dr. Rosenbach folgendes aus: Der eben gehörte Vortrag war nach mehreren Richtungen hin sehr lehrreich, denn er zeigt, wohin wir steuern, wenn sich die heut geltenden wissenschaft- lichen Theorien noch weiter in Thaten umsetzen sollten; er zeigt ferner klar die Widersprüche zwischen Theorie und Praxis. Auf die Schwierig- keiten, die sich bei Aufstellung und Ausführung der theoretischen For- derungen ergeben, vermag nichts ein besseres Licht zu werfen, als der Vorschlag des Herrn Vortragenden, zwischen den Gesunden und Ver- dächtigen, die aus einem Seuchenherde kommen, in der sanitätspolizei- lichen Behandlung einen Unterschied zu machen und, wenn ich recht ver- standen habe, von der gewöhnlichen Desinfeetion Gesunder ganz Abstand zu nehmen. Einen Punkt des Vortrages begrüsse ich allerdings mit Dank, nämlich die Aufforderung, der drohenden Gefahr ruhig entgegenzusehen, obwohl ich der Ansicht, dass uns diese Beruhigung auf Grund der Ent- deekung des Kommabaeillus und der dadurch ermöglichten Maassnahmen erwachse, nicht zu theilen im Stande bin. Ich glaube vor allem, dass die Forderungen, welche die heutige Hygiene bei den sogenannten an- steckenden Krankheiten stellt, die Tugend der Nächstenliebe und Huma- nität in einer mehr als schroffen Weise vernachlässigen und Eingriffe in die persönliche Freiheit verlangen und ausführen, wie sie schlimmer nicht

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gedacht werden können. Auch wenn man überzeugt ist, dass der Einzelne der Gesammtheit Opfer zu bringen habe, so muss man es auf’s Tiefste bedauern, wenn man die im angeblichen Interesse der noch nicht ver- seuchten Orte getroffenen Schutz- und Abwehrmaassregeln betrachtet. Man verweigert allen Flüchtlingen, sogar gesunden Personen, die Gast- freundschaft, man zwingt Leute, kranke und gesunde, ihre Wohnungen zu verlassen und sich Proceduren auszusetzen, die selbst für den An- hänger der Desinfeetion übertrieben und vor allem nutzlos erscheinen müssen. Man hat die Furcht vor Ansteckung eben auf Grund der so- genannten Bacillentheorie so übertrieben, dass sich bereits überall die Folgen dieser Furcht in unliebsamer Weite bemerklich machen. Doch ich will über diesen Punkt nicht weiter sprechen. Jeder versetze sich nur selbst in Situationen, wie sie von den Zeitungen so drastisch ge- schildert werden, und er wird vielleicht vor der Härte der Forderungen der modernen Gesundheitswissenschaft zurückschrecken. Welches sind denn die Consequenzen der heutigen Theorien? Da der Bacillus in Feuchtigkeit gedeiht, so kann er überall haften, und jeder aus einem aAer- dächtigen Orte Kommende, er mag gesund oder krank sein, ist darum verdächtig, Träger der Ansteckung zu sein, denn er kann ja an sich, auf sich oder in sich die Erreger der Krankheit tragen. Daraus folgt eigentlich, dass auch der Gesunde so lange gereinigt und desinfieirt werden muss, bis jede Furcht vor Uebertragung geschwunden ist. Doch weiss eigentlich Niemand zu sagen, wie lange diese Ansteckungsmöglich. keit dauern kann. Da z. B. in einem aus Berlin berichteten, tödtlich verlaufenen Falle, der den Zusammeuhang der Erkrankung mit einer In- fection in Hamburg beweisen soll, nach meiner Rechnung die Symptome der Erkrankung mindestens sechs Tage ganz verborgen geblieben sind, so müsste eine strenge Quarantäne von mindestens sieben Tagen für alle aus einem verdächtigen Orte kommenden Personen angeordnet werden, denn auch der Gesunde kann ja, wie erwähnt, in sich oder auf sich bereits den Keim tragen. Diese Consequenzen mag aber auch der Herr Vortragende nicht ziehen und er macht deshalb einen strengen Unterschied zwischen Verdächtigen und Gesunden; bei diesen hält er die bis jetzt angewendete oberflächliche Desinfecetion, wenn ich recht ver- standen habe, für ganz unnütz, während er die Verdächtigen einer Iso- lirung und energischen Desinfecetion des Körpers, nicht blos der Kleider, unterziehen will. Das ist der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis; denn sind die Bacterien die Ursache, dann muss die Quarantäne eben bei Gesunden und Kranken mit aller Strenge gehandhabt werden, wie dies meines Wissens nur im Orient und in den überseeischen Häfen geschieht. Wenn also die bisher gehandhabten, von dem Herrn Vortragenden in ihrer Unzulänglichkeit so drastisch geschilderten, desinfeetorischen Maass- nahmen bezüglich der Kleidung und des Gepäcks nichts helfen, wenn ein

122 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

anscheinend Gesunder in sich und auf seinem Körper die Bacillen ver- schleppen kann, so ist es unzweifelhaft, dass trotz aller Maassregeln, und da zudem doch genug Personen der Desinfeetion überhaupt entgehen, Krankeitserreger eigentlich in grossen Massen bereits verschleppt sein müssten. Da Hamburg ein Seucheherd ist, da Bacillen so leicht au- zunehmen und zu übertragen sind, so wäre es doch höchst wunderbar, wenn nur die wenigen wirklich Erkrankten Träger des Contagiums ge- wesen wären. Da wir aber bis jetzt glücklicherweise bei uns weder von Endemien noch von Epidemien etwas gehört haben, so liegt vielleicht der Schluss nahe, dass entweder die Bacillen nur von Kranken verschleppt werden, oder dass überhaupt die Bacillen nicht die einzige oder wesent- liche Ursache der Erkrankung sein können. Jedenfalls ist die Ansicht, dass sie ausschliesslich die Ursache einer Epidemie seien, bisher nicht gestützt worden. Wenn wir uns rühmen, durch unsere Maassnahmen, eben weil wir jeden einzelnen Fall unterdrücken konnten, auch die Weiterverbreitung zur Epidemie verhindert zu haben, so machen wir uns einer vielleicht verzeihlichen, aber doch immerhin falschen Schluss- folgerung schuldig. Nicht weil wir ein paar Menschen isolirt und einen Bruchtheil aller in Betracht kommenden desinfieirt haben, sind wir von der Cholera verschont geblieben, sondern weil bei uns die wesentlichen Bedingungen für die Erkrankung und überhaupt für die Epidemie nicht vorhanden sind. Die sogenannten „Funken“ konnten eben nicht Feuer erregen, weil der empfängliche Boden fehlte, weil unsere Existenz- bedingungen eben noch keine Veranlassung zur Erkrankung bieten und hoffentlich nicht bieten werden. Wenn in einem Dorfe, das nur Stroh- dächer besitzt, ein Brand ausbricht, der auf den ursprünglichen Herd beschränkt bleibt, weil die Dächer von einem kurz vorher eingetretenen Regen noch durchnässt sind, so wird Niemand das Verdienst in Anspruch nehmen können, die verschonten Dächer dadurch gerettet zu haben, dass er alle Funken auslöschte, die umherflogen; denn jedermann weiss, dass nasse Dächer überhaupt nicht in Brand gerathen können.

So liegen die Thatsachen bei der diesjährigen Cholera-Epidemie. Italien, das sonst stets Epidemien zeigte, ist verschont geblieben, ohne dass man von besonderen Maassregeln gehört hätte, obwohl Frankreich wahrscheinlich schon den ganzen Sommer hindurch verseucht war. Wir sind verschont geblieben nicht wegen unserer Maassregeln, sondern weil die Bedingungen für die Entstehung der Erkrankung nicht erfüllt sind und hoffentlich nicht erfüllt werden. Ob man an die Wirkung der Bacillen glaubt oder nicht, die Thatsachen beweisen, dass selbst bei Annahme dieser Möglichkeit noch eine ganze Reihe von Vorbedingungen erfüllt sein müssen, ehe der gefürchtete Baeillus sein unheilvolles Werk thun kann. Ich kann mich hier nicht auf eine weitere Darlegung der Gründe einlassen, die mich dazu geführt haben, den Bacterien bei der

I. Medicinische Abtheilung. 123 Entstehung von Krankheiten nur eine ganz untergeordnete Bedeutung, wie vielen anderen Schädlichkeiten, zuzuschreiben, ich habe die aus- führliche Begründung an anderem Orte gegeben. Hier möchte ich auf die Gefahr hin, als unwissenschaftlich bezeichnet zu werden, nur meiner Ueberzeugung Ausdruck geben, dass die Entstehungsbedingungen der Cholera zwar noch nicht aufgeklärt sind, dass man aber mit grosser Sicherheit aussprechen darf, dass kein specifischer Krankheitserreger die Ursache dieser Geissel der Menschheit ist, sondern dass ein Mikrobium im günstigsten Falle als Begleiterscheinung bei einer Reihe der schwersten Fälle von Erkrankungen auftritt, Es ist ferner meine Ueberzeugung, dass eine direete Ansteckung von Mensch zu Mensch, namentlich an nicht verseuchten Orten, überhaupt nicht vorkommt, und dass die Gefahr der Ansteckung an verseuchten Orten nur dadurch gegeben ist, dass eben jeder an einem solchen Orte mehr oder weniger den Einwirkungen unter- worfen ist, welche die Ursache der Erkrankung sind. Die Gefahr haftet am Orte und an den Lebensbedingungen im Allgemeinen, nicht an einem speeifischen Contagium, das eben nur eine secundäre Rolle wie viele andere Schädlichkeiten spielen kann. So wenig also wie man Gefahr läuft, sich an einem Cholera-Kranken anzustecken, so wenig hat man das Recht, nach den bisherigen (einwurfsfreien) Untersuchungen eine be- stimmte Schädlichkeit, z, B. das Wasser als die alleinige Ursache der Erkrankung anzuschuldigen. Das Bestreben, stets im Wasser die Schäd- lichkeit zu finden, entspricht weniger dem Zwange der Thatsachen, als dem Wunsche, doch etwas Greifbares als den Erreger alles Uebels hin- zustellen. Es ist aber nicht unbedenklich, dort ein sicheres Wissen an- zunehmen, wo wir gerade recht viel Grund haben, unvoreingenommen nach Wahrheit zu suchen. Dass das Wasser Schädlichkeiten bergen kann, ist zweifellos, aber sie sind für den gesunden Menschen ganz un- bedeutend. Namentlich ist es ungerechtfertigt, steis Bacterien als die Träger der Schädlichkeit anzusehen, da zweifellos chemisch wirkende und durch die Methoden der Chemie nachweisbare Stoffe bei der Schädi- gung, die der Mensch durch den Wassergenuss allenfalls erfahren kann, eine sehr bedeutsame Rolle spielen. Man ist meines Erachtens mit Un- recht jetzt dazu übergegangen, nur auf Grund bacteriologischer Unter- suchungen Wasser als schädlich oder unschädlich zu erklären, weil man im Suchen nach greifbaren, d. h. leicht nachweisbaren Verunreinigungen den grossen Einfluss übersieht, den die stete Summirung kleinster Schäd- lichkeiten für unsere Lebensverhältniese mit sich führt. Jedenfalls muss man auch hier vor einseitiger Schätzung der Forderungen und Leistungen der Bacteriologie gegenüber den Resultaten chemischer Prüfung gewarnt werden. Ich verhehle mir nicht, dass die hier in Kürze vorgetragenen Ansichten in dieser Versammlung nicht getheilt werden, da sie mit den Dogmen einer modernen Richtung, die für sich absolute Zuverlässigkeit

134 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

in Anspruch nimmt, nicht in Uebereinstimmung stehen. Das kann mich aber nicht verhindern, meiner Ueberzeugung Ausdruck zu geben, dass 1) die moderne Bacterienfurcht zu einer Vernachlässigung der Gesetze der Humanität und Menschenliebe führt, dass sie 2) die Furcht vor An- steckung in höchst unerfreulicher und bedrohlicher Weise nährt, dass sie 3) in ihren äussersten Consequenzen zu schweren Belästigungen des Ein- zelnen und der Gesammtheit führt und dass 4) alle Opfer, die gefordert und gebracht werden, nicht im Verhältniss zu der Richtigkeit und Beweis- kraft der Anschauungen stehen, aufGrund deren sie verlangt werden. Gerade der bisherige Verlauf der Epidemie in Europa liefert für den, der vor- urtheilsfrei sehen will, Beweise genug dafür, dass die Entdeckung des Kommabaeillus weder den Gang noch die Art der Erkrankung einiger- maassen sicher erklärt und dass sie desshalb mit Unrecht zur alleinigen Grundlage von einschneidenden Maassnahmen gemacht wird. Man kann ein warmer Freund der Hygiene sein, die die Besserung der Lebens- verhältnisse des Menschen anstrebt, und sich doch in der Lage sehen, gegen die Richtung der Hygiene, die als Bacteriologie nur einen Kampf gegen Bacterien unternimmt, Stellung zu nehmen.

Herr Professor Dr. Flügge: Die Auschauungen des Herrn Vor- redners haben mich allerdings etwas in Erstaunen gesetzt. Sie waren vor einigen Jahren nicht ganz selten, aber im Laufe des letzten Jahr- zehnts sind ziemlich Alle, auch die der Monchener Schule Angehörigen, bekehrt worden. Das ist geschehen zum Theil durch die Entdeckung des Bacillus, aber wesentlich dadurch, dass eine Reihe von Epidemien sorgsam beobachtet wurde. Man suchte das Verhalten des Baecillus mit der Epidemie in Einklang zu setzen und dadurch ist die Uebereinstim- mung fast Aller entstanden. Die epidemiologischen Untersuchungen sind ja von Koch in Indien selbst gemacht, über die österreichische Epidemie sind sie von Gruber angestellt und auf dem Hygienischen Congress zu Wien sind ausführliche Verhandlungen hierüber geführt worden. Ich möchte Herrn Professor Rosenbach fragen, ob ihm alle diese Arbeiten und Verhandlungen genau bekannt sind. Sollte dies nicht sein, so würde ich verstehen, wenn der Vorredner auf dem alten Standpunkt steht. Hat er sie aber gelesen, so muss ich verzichten, mit ihm in Harmonie zu kommen.

Herr Professor Dr. Rosenbach: Ich sagte ja voraus, dass man mir diese Vorwürfe machen würde. Ich habe die Sachen gelesen und zwar ganz unbefangen gelesen. Ich halte die Hervorhebung, dass die Bacterien allein die Ursachen seien, die alles Böse hervorrufen, für un- richtig. Man wird später allgemein dieser Ansicht werden. Ich spreche hier von anderen als Cholera-Epidemien und ich sage, die Lehre von der Ansteckung ist noch ein grosses X und Fragezeichen. Wir sehen hier

I. Medicinische Abtheilung. 125

in Breslau Scharlach, Masern, Diphtherie plötzlich erlöschen, und plötz- lich steigt wieder die Curve und wir haben die schönste Epidemie trotz aller Anmeldungen und Desinfectionsmaassregeln. Das grosse X ist ge- blieben wie früher. Hier ist nicht der Ort, wissenschaftlich darüber zu disputiren, aber privatim und schriftlich bin ich dazu bereit.

Herr Dr. Buchwald fragt, ob man etwas gegen die Sendungen aus Hamburg thun könne. Bezüglich der Packete werde keine Controle ausgeübt. Er möchte fragen, ob im Reichs-Gesundheitsamt Bedenken hierüber geltend gemacht worden sind. Früher seien die aus Indien kommenden Briefe und Packete desinficirt worden. Packete aus Ham- burg würden jetzt kaum mehr abgeholt.

Herr Professor Dr. Flügge erwidert, dass die Sache wohl in Er- wägung gezogen worden sei. Man hätte gewünscht, dass Lebensmittel und schmutzige Wäsche einer Controle hätten unterworfen werden sollen. Aber dazu hätte man sämmtliche Packete öffnen und desinfieiren müssen. Der grösste Theil von Sendungen, die desinfieirt würden, würde ganz unbrauchbar werden. Es sei dies nicht möglich und die ganze Hygiene habe nur mit Möglichkeiten zu rechnen. Vollständige Sperrmaassregeln aber liessen sich nicht durchführen. Diese weiter auf Packetsendungen auszudehnen, halte er für unausführbar.

Herr Sanitätsrath Dr. Jacobi stimmt Herrn Professor Flügge darin bei, dass Maassregeln zu vermeiden seien, welche hochgradig belästigen, ohne sicheren Schutz zu gewähren. Deshalb müsse er auch Herrn Pro- fessor Hirt widersprechen. Quarantänen, wie sie dieser verlange, seien zur Zeit unmöglich und auch im Prineip zu verwerfen. Wollte man alle Zureisenden thatsächlich fünf Tage in eine Quarantäneanstalt ein- sperren, so würde sich eine noch viel grössere Zahl der Controle zu entziehen wissen. Das sei nicht zu verhindern. Bei uns werde jeder der Krankheit Verdächtige auf dem Bahnhofe sofort isolirt und mit dem Krankenwagen in’s Hospital geschickt. Alle anderen aus Choleraorten Kommenden, die gesund eintreffen, würden durch mindestens fünf Tage polizeilich und ärztlich in ihren Wohnungen beobachtet. Die Desinfection der Letzteren auf den Bahnhöfen sei allerdings eine schwierige Frage. Befriedigen würde sie nur, wenn man Bäder und Desinfeetionsapparate zur Stelle hätte, obwohl auch damit volle Sicherheit nicht gegeben wäre. Dass aber die jetzt geübte Desinfeetion nicht zu sehr belästige, sei an- geordnet. Mit Recht verlange Herr Prof. Flügge beim polizeilichen Schliessen eines Verkaufslocals wegen ansteckender Krankheit die Ent- schädigung des Besitzers. Aber diese Entschädigungsfrage bedürfe vor- erst der Regelung durch das Gesetz.

Herr Professor Dr. Hirt bleibt auch nach den Ausführungen des Herrn Sanitätsraths Dr. Jacobi durchweg auf seiner Anschauung von

126 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

der Nothwendigkeit und der Möglichkeit der Isolirung der aus durch- seuchten Gegenden zugereisten Passagiere stehen. Er betont noch nach- träglich, dass die von ihm vorgeschlagene Maassregel sich nicht etwa blos gegen schon Erkrankte oder auch nur Choleraverdächtige, sondern auf alle Passagiere aus durchseuchten Städten unterschiedslos richten müsse. Es handle sich hierbei um absolute Verhinderung des Verkehrs mit der Aussenwelt, bis man die Ueberzeugung gewonnen habe, dass eine Infection des Beobachteten nicht stattgehabt habe. Liesse sich diese Maassregel an dem Bestimmungsorte des Reisenden aus irgend einem Grunde nicht ausführen, dann müsste am Orte der Abreise die ärztliche Ueberwachung während einer bestimmten Zeit stattfinden. Die Rück- sicht auf die persönliche Freiheit könne in so gefahrvoller Zeit keine Rolle spielen.

Hierauf führte Herr Oberbürgermeister Bender Folgendes aus: Die Desinfeetion der Reisenden auf den Bahnhöfen beruht auf landespolizei- licher Anordnung. Die örtlichen Gemeindebehörden haben darauf keinen Einfluss. Wenn nun von Herrn Professor Hirt auf die Mangelhaftigkeit des dabei geübten Verfahrens vom wissenschaftlichen Standpunkte hin- gewiesen ist, so glaube ich vom Standpunkt des Verwaltungsbeamten hier hervorheben zu sollen, dass die Praxis gerade auf dem Gebiete der Desinfection von der Wissenschaft einigermaassen im Stiche gelassen war. Wir besassen bisher keine feststehenden, wissenschaftlich an- erkannten Vorschriften über die in den verschiedenen Fällen vorzu- nehmende Art der Desinfecetion. Die Verwaltung war also vielfach ge- nöthigt, im einzelnen Falle den Rath der ihr zur Verfügung stehenden Aerzte in Anspruch zu nehmen. Wenn deren Ansichten dann auch nicht gerade so weit auseinandergingen, wie heute die der Herren Professoren Flügge und Rosenbach, so begegnete man doch vielfach Meinungs- verschiedenheiten über das, was nothwendig und nützlich wäre, und man gelangte dann allerdings wohl zu Maassregeln, die, von der einen Seite empfohlen, die Kritik oder gar den Spott der andern Seite heraus- forderten. Es ist daher vom Standpunkte der Verwaltung mit Freuden zu begrüssen, dass in den soeben erlassenen Vorschriften des Reichs- Gesundheitsamtes eine festere Grundlage für die praktische Stellung- nahme diesen Fragen gegenüber gegeben ist. Dass diese Vorschriften von der Praxis werden beachtet werden, ist selbstverständlich. Dennoch werden wir kaum erwarten dürfen, dass die von Professor Hirt vor- geschlagenen einschneidenden Quarantäne-Maassregeln überall zur Durch- führung gelangen. Eine Quarantäne denn das wäre das geforderte Verfahren mag ja in grossen Städten und Bahnstationen, wie Berlin und Breslau, durchführbar sein. Wie aber auf kleinen Bahnhöfen? Wenn ein Hamburger z. B. in Mochbern oder Lissa aussteigt? Soll man auch dort Quarantänehäuser zur Isolirhaft und Desinfections-

I. Medicinische Abtheilung. 127 anstalten etc. bauen? Oder soll man alle Verdächtigen zunächst nach den mit solchen Anstalten versehenen grossen Städten weisen? Das wäre für uns eine grosse Gefahr. Wenn die Quarantäne nothwendig ist, um die weiteren Kreise zu schützen, dann scheint mir doch der zu An- fang von Herrn Professor Flügge gemachte Vorschlag der einzig richtige und vor allem der einzig durchführbare zu sein: die Quarantäne an das Thor derjenigen Stadt zu legen, welche von der Seuche befallen ist. Nur da lässt sich eine Absperrung auch mit einiger Sicherheit her- ‚stellen, und da wird auch die immerhin anzuerkennende Härte der Maass- regel leichter ertragen werden. Ich bin übrigens dem Herrn Vortragenden namentlich dafür dankbar, dass er vom streng wissenschaftlichen Stand- punkte aus das Unnöthige, ja Nachtheilige vieler bisher für nothwendig erachteter Maasregeln, Eingriffe, Ausgaben etc. betont hat. Nichts kann sicherlich beruhigender wirken und nichts förderlicher für eine wirksame Bekämpfung der Gefahr durch die Verwaltung sein. Ich maasse mir im Uebrigen zwar kein theoretisches Urtheil über das Wesen der Seuche an. Gegenüber Herrn Professor Rosenbach möchte ich aber doch betonen, dass die Bacillen-Theorie gerade für uns Laien etwas ungemein Beruhigendes hat. Gegenüber unbekannten Gefahren mag man Unruhe und Grauen empfinden. Wenn wir aber überzeugt sind, die Ursache der Krankheit zu kennen, so sind wir ruhiger und vertrauen den Mitteln, welche geeignet sind, jene Ursachen einzuschränken oder zu beseitigen.

Zum Schluss nahm Herr Bankier Alb. Holz das Wort, um durch einen statistischen Vergleich der hiesigen mit den Hamburger Verhält- nissen darzuthun, dass insbesondere unsere Wohnungs- und Strassen- polizeilichen Einrichtungen grösstentheils bessere sanitäre und hygienische Zustände in unserer Stadt gewährleisten, wodurch für den Fall einer Cholera-Epidemie ein bedeutsames Moment zur Beruhigung bezüglich ihrer Ausbreitung in Breslau gegeben erscheine.

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schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur.

70. II. Jahresbericht. Naturwissenschaftliche 1892. Abtheilung.

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Sitzungen der naturwissenschaftlichen Section im Jahre 1892.

Sitzung am 10. Februar 1892.

Ueber die Bewegung des Erdoceans während der geologischen Perioden.

Von dem Kaiserlich Russischen Wirklichen Staatsrath Professor Dr. von Trautschold.

Gleich beim Eingange der Besprechung dieses Gegenstandes erklärte sich der Vortragende gegen die Annahme, dass die Erde ein in glühen- dem Flusse befindlicher Himmelskörper sei, nur mit einer verhältniss- mässig dünnen Kruste bedeckt. Wenn dem so wäre, würde die Ab- plattung bei der Umdrehungsgeschwindigkeit der Erde an den Polen weit grösser sein, als sie ist. Auch machte der Redner geltend, dass keine Verbindung zwischen dem vermeintlichen flüssigen Erdkern und der Erdrinde vorhanden sei und dass die Verflüssigung der Lawen und eruptiven Massen innerhalb der vorzugsweise aus Silikaten be- stehenden Erdrinde vor sich gehe, denn die eruptiven Massen bestehen auch aus Silikaten, wie die Erdrinde. Würden bei den Eruptionen flüssige Massen des Erdinnern auf die Oberfläche der Erde gebracht werden, so müssten sie ein höheres specifisches Gewicht haben als 2,5 (das der Silikate), da das specifische Gewicht der Erde 5,5 sei. Der Vortragende ging dann auf seine persönlichen Studien im europäi- schen Russland über, und wies nach, dass sich die See allmählich von den überall dort horizontal gelagerten Sedimenten zurückzog, so dass gegen die Mitte der permischen Periode fast ganz Russland Festland wurde und es blieb bis zur Mitte der Juraperiode. Darauf wurde ein grosser Theil von Russland, namentlich der östliche und centrale Theil wieder unter Wasser gesetzt, das aber zu Ende der Juraperiode im Norden sich wieder zurückzog, in der Südhälfte Russlands aber von dem Kreidemeer abgelöst wurde. Dieses Kreidemeer hinterliess in Central- russland nur dünne Absätze, dann wich es von hier allmählich nach

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I Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Süden und Südost zurück und machte dem tertiären Meere Platz, das den weiteren Rückgang nach Süden fortsetzte, wie auch das Quartär, bis der Continent die Form annahm, die er jetzt noch hat. Die An- hänger der säcularen Hebungen und Senkungen suchen diesen wieder- holten Rückzug und das dazwischen wieder erneute Ueberfluthen durch Hebung und Senkung der Erdrinde zu erklären. T. spricht sich da- gegen aus, weist auf die zahlreichen in allen Erdtheilen auftretenden unter sich und mit dem Meeresspiegel parallelen Strandlinien hin und stellt namentlich den Vergleich zwischen dem nordamerikanischen Continent und Russland in den Vordergrund, durch den er den Beweis liefert, dass nur das beweglichere Element, das Wasser, die Ursache der grossartigen Entblössung des Meeresbodens und der wiederholten Ueberfluthung sein kann. In Nordamerika nämlich folgen sich wie in Russland auf aus- gedehnten Räumen die horizontal gelagerten Sedimente vom Silur bis zum mittleren Perm ununterbrochen aufeinander. Dann tritt wie in Russ- land eine Lücke in den Meeresabsätzen ein. Landbildungen halten an bis zur Mitte der Juraperiode, zu welcher Zeit eine theilweise Ueber- fluthung des Continents durch das Jurameer stattfindet; auf das Meer mit der jurassischen Fauna folgt das Kreidemeer und zu Ende der Kreideperiode erfolgt ein Rückzug des Kreide- und tertiären Meeres, der bis auf den heutigen Tag andauert. Dieselben Verhältnisse wie in Russland vollzogen sich danach in Nordamerika und zieht man die Gleichzeitigkeit dieser Vorgänge in Betracht und die Entfernung der beiden Continente von einander, so kann es nicht zweifelhaft bleiben, dass hier nicht die Hebungen und Senkungen der Erdrinde wirksam waren, sondern das Vor- und Rückschreiten des Oceans. Die Meinung, dass die Erde sich bewege, oscillire, und dass das Meer feststehe, dass das Niveau des Oceans sich nicht ändere, ist irrig. Schon die locale Attraction hoher Gebirgs- oder Eismassen bewirkt eine Hebung des nahen Meeres, wie denn nach Faye eine Eismasse von 1000 Meter Höhe ein Anwachsen des Wassers um 24 Meter nach sich zieht.

Ueber die theoretischen Vorstellungen der Chemiker des 13. Jahrhunderts.

Von Gymnasial-Oberlehrer Dr. Jul. Schiff.

Das 13. Jahrhundert ist für das christliche Abendland als die Blüthezeit der gewöhnlich mit dem Namen Alchemie bezeichneten chemi- schen Richtung zu betrachten. Nicht als ob nach dem Ablauf desselben ein Nachlassen in den Bestrebungen, Gold und Silber künstlich darzu- stellen, eingetreten wäre. Dieselben verbreiten sich vielmehr von da an immer weiter; und erst seit dem Auftreten von Paracelsus, d. h. im

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 3

Anfang des 16. Jahrhunderts, beginnt sich eine andere Auffassung des Zweckes chemischer Untersuchungen bei einigen besonders vorgeschrittenen Geistern zu zeigen. Aber wenn wir von den Arabern absehen, so be- gegnen uns die ausgezeichnetsten Chemiker des Mittelalters Männer, welche der Nachwelt ausser ihren vielfach phantastischen Ideen auch eine grosse Menge neuer Thatsachen und Forschungsmethoden überliefert haben im 13. Jahrhundert. Unter ihnen ragen nach dem einstim- migen Urtheile der Zeitgenossen wie der späteren Alchemisten am meisten hervor der Deutsche Albertus Magnus (+ 1280), der Engländer Roger Baco (F um 1290), der aus Südfrankreich oder Nordspanien stammende Arnoldus Villanovanus (F um 1312) und der Spanier Raymundus Lullus (+ um 1315). Die sehr zahlreichen, allerdings theil- weise untergeschobenen Schriften dieser Männer haben auf Jahrhunderte hinaus einen maassgeblichen Einfluss ausgeübt, allerdings nicht immer in förderndem Sinne. In das Verständniss dieser „Philosophen‘‘ wie sie sich selbst gewöhnlich bezeichnen einzudringen, ist bekanntlich sehr schwierig. Zu der beabsichtigten Dunkelheit, welche den ‚‚Igno- ranten‘“ abschrecken soll, tritt der stete Gebrauch von Allegorieen und Citaten, sowie von frommen Bitten und Betheuerungen, störend hinzu. Sehr oft wissen wir ferner nicht, was ihre Namen bedeuten sollen; unter einunddemselben Worte wie ,„sal“, „spiritus“, „nitrum‘‘ u. s. w. werden sehr verschiedenartige Stoffe begriffen, und umgekehrt gebraucht oft derselbe Verfasser für einunddieselbe Substanz mehrerlei Namen.

Im folgenden sollen die theoretischen Anschauungen der genannten grossen Alchemisten welche weit einfacher und daher auch klarer als ihre langen Vorschriften zu praktischen Arbeiten sind kurz ge- schildert werden. Dieselben beziehen sich ausschliesslich auf das Haupt- problem jenes Zeitalters, nämlich die ‚„‚Transmutation‘ oder Verwandelung der gemeinen in die edelen Metalle. Zu Grunde gelegt sind einige Ab- handlungen, welche als echt betrachtet werden dürfen und welche kürz- lich von Alb. Poisson in französischer Uebersetzung neu herausgegeben und hierdurch in dankenswerther Weise leicht zugänglich gemacht worden sind (Cing Traites d’Alchimie des plus grands Philosophes, Traduits du Latin en Francais par Alb. Poisson, Paris 1890).

Albertus Magnus lehrt in der Schrift „Compositum de compo- sitis, alle Metalle seien Verbindungen zweier Principien, des Mercurs und des Sulfurs, wobei man aber das Quecksilber und den Schwefel der Philosophen nicht mit den entsprechenden unreinen irdischen Stoffen verwechseln dürfe. An einer Stelle nennt er sogar noch als dritten, allerdings unwichtigen Bestandtheil, das Arsenik, welches im wesent- lichen dieselbe Natur wie der Schwefel habe, nur sei es weniger feucht und schwerer sublimirbar. Dass die einzelnen Metalle trotz der-

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4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

selben Grundstoffe untereinander verschieden seien, rühre wie er mehrfach sagt von der sehr ungleichen Digestion und Erhitzung her, welche bei ihrer Entstehung im Erdinneren stattgefunden habe. Doch ist dies nicht die alleinige Ursache. .,‚Die Metalle‘, so äussert er ein anderes Mal, ‚weichen von einander ab gemäss der Reinheit oder Un- reinheit der materia prima, d. h. des Schwefels und des Mercurs, und auch gemäss dem Grade des Feuers, welches sie erzeugt hat‘. Gold wird als das vollkommenste Metall bezeichnet; am nächsten stehe ihm Silber, welches sich von ihm nur durch Farbe und Gewicht unterscheide. In einem der in dieser Abhandlung vorkommenden Recepte wird auch das verschiedene Verhalten beider Edelmetalle gegen Salpetersäure be- sprochen; jedoch wird diesem Umstande keine theoretische Wichtigkeit beigelegt, entsprechend dem Zeitgeiste, welcher stets den Thatsachen seringere Bedeutung beilegte als vorgefassten und überlieferten Mei- nungen. Dass sich alle Metalle in Gold überführen lassen welchem sie ja auch, wenigstens qualitativ, in der Zusammensetzung gleichen wird als selbstverständlich betrachtet. Das hierzu dienende Präparat ist der Stein der Weisen, dessen Darstellung gewöhnlich das „Magiste- rium‘ genannt wird. Mittels desselben wird den Metallen ihr Speecifisches entrissen und werden sie so behandelt, wie die Natur selbst bei der Erzeugung von Gold und Silber verfahre. Ueberhaupt wird dem Jünger der Kunst nächst der zum Gelingen unbedingt nothwendigen frommen Gesinnung wiederholt gepredigt, die Natur zur Lehrmeisterin zu nehmen. Als Ausgangspunkt für die praktische Arbeit wird Quecksilber vorge- schlagen. Im Allgemeinen sind bei dem grossen Werke vier Stufen zu unterscheiden: nämlich Zerlegen, Waschen, Redueiren und Fixiren. Das Zerlegen und Waschen soll aus den angewandten Stoffen die reinen Elemente Mercur und Sulfur erzeugen; durch die beiden anderen Pro- cesse sollen diese verbunden und festgemacht werden. Schliesslich er- halte man als Ergebniss der nach diesem Schema auszuführenden im Einzelnen beschriebenen, aber nicht immer verständlichen Arbeiten anfänglich das weisse und schliesslich das rothe Klixir. Ersteres habe die Fähigkeit, 100 Theile Quecksilber in Silber, letzteres eine gleiche Menge Quecksilber und Silber in Gold zu verwandeln. Ferner sei es möglich, diese Präparate in noch vollkommenere „Medieinen“ über- zuführen, derart, dass man sogar beliebig grosse Mengen der unvoll- kommenen Metalle transmutiren könne. |

Roger Baco’s Schrift „Speculum Alchemiae“ ist rein theoretisch ; aber gerade weil sie von dunkelen Recepten gänzlich frei ist, treten die allgemeinen Vorstellungen der Zeit in ihr recht klar hervor. Ueber- haupt entspricht sie nach Inhalt wie Darstellung durchaus der durch die geschichtliche Kritik gestützten Ueberlieferung, gemäss welcher der Ver- fasser als einer der ersten unter den mittelalterlichen Forschern be-

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 5

trachtet wird. Er beginnt mit einer Definition der Alchemie, sie sei „die Wissenschaft, welche eine gewisse Mediein zu bereiten lehre, die, auf die unvollkommenen Metalle geworfen, ihnen im Augenblicke der Projection die Vollkommenheit gebe“. Was die Zusammensetzung der Metalle betrifft, so weicht Baco nur insofern von Albertus Magnus ab, als er das Arsenik niemals erwähnt. Gold gilt ihm allein als wahres Metall. Die Natur sei stets auf dessen Erzeugung ausgegangen, allerdings habe sie nicht immer ihren Zweck erreicht. Aus Unreinheiten der Urstoffe, nämlich des philosophischen Mercurs und Schwefels, er- kläre sich die Entstehung der gemeinen Metalle, welche nach abnehmender Vollkommenheit folgende Reihe bilden: Silber, Zinn, Blei, Kupfer, Eisen. Quecksilber scheint ihm nicht als ein Metall, sondern als die niedrige, natürlich vorkommende Form des Mercurs der Weisen zu gelten. Zur Ausführung der Transmutation hält auch Baco den Stein oder das Elixir für nothwendig. Dieses dürfe gleichfalls nichts als Quecksilber und Schwefel enthalten. „Zwei Prineipien‘ so heisst es „setzen alle Metalle zusammen, und nichts kann sich mit den Metallen vereinigen oder sie umformen, wenn es nicht selbst aus diesen Prineipien zu- sammengesetzt ist. Daher zwingt uns die vernünftige Ueberlegung, zur Materie unseres Steines Mercur und $ulfur zu nehmen“. Es sei jedoch nicht empfehlenswerth, das Präparat unmittelbar aus seinen Bestand- theilen mischen zu wollen, da wir das nothwendige Verhältniss derselben gar nicht kennen; vielmehr möge man von den Metallen, in denen die beiden Grundstoffe schon ‚„‚eoagulirt‘‘ seien, ausgehen. Eine bestimmtere Angabe für den Beginn des grossen Werkes fehlt; nur werden organi- sche Stoffe, sowie Gold und Silber aus theoretischen Gründen verworfen, Aehnlich wie Albertus Magnus betont auch Baco vielfach, man müsse die Natur beobachten und ihr selbst bei der Wahl der Hitzegrade und der Gefässe zu folgen suchen. Die Natur nämlich erzeuge im Erd- inneren durch langes Kochen aus gröberen Elementen Mercur und aus fetten Erdtheilen Sulfur und mische aus beiden, wiederum vermittelst anhaltenden Kochens, die verschiedenen Metalle. Deshalb wird auch für die Laboratoriumsarbeit tage- und wochenlanges Erhitzen anempfohlen- Auch wenn man das Elixir erhalten habe, müsse man es drei Tage hindurch mit dem zu transmutirenden Metall erwärmen,

Viel stärker als bei Albertus Magnus und Baeco tritt der mysti- sche Zug der Alchemie in der Abhandlung ‚Semita semitae‘“ von Arnoldus Villanovanus und in des Raymundus Lullus ‚Olavi- cula“ hervor. Insbesondere ist die Schrift des Letztgenannten welchen H. Kopp in seiner Geschichte der Chemie mit Recht einen der excen- trischsten Menschen seiner Zeit und gleichzeitig den Götzen aller Alche- misten nennt reich an geheimnissvollen Bildern, Redensarten und Citaten. Arnoldus betrachtet, seinen Vorgängern im wesentlichen

6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. folgend, den philosophischen Mercur als den Grundstoff oder Samen, welcher je nach dem Grade seiner „Sulfuration“ die verschiedenen Me- talle erzeuge. Die zur Veredelung nothwendige Medicin bezeichnet er theilweise als Stein, theilweise als eine eigenartige und heilige Flüssigkeit.

Um die in dieser verborgenen, ganz unbegrenzten Fähigkeiten klarer zu machen, erinnert er mehrfach an die schrankenlose Vermehrungs- fähigkeit pflanzlicher Keime. Ueberhaupt vergleicht er die Vorgänge des grossen Werkes bis in’s Einzelne mit der Entstehung organischer Wesen; er spricht von der Vermischung des Männlichen und Weiblichen, von der Geburt des Elixirs, von seiner Ernährung, bis man es zum Zustande der Vollkommenheit geführt habe. Ebenso dunkel und noch reicher an Allegorieen sind die Lehren und Vorschriften des Raymun- dus Lullus. Von der Zusammensetzung der Metalle hat er im übrigen die gleiche Ansicht; doch hält er ausserdem bei deren natürlicher wie künstlicher Erzeugung eine Einwirkung der Gestirne für sehr wesent- lich. „Die Sonne‘ sagt er „ist der Vater aller Metalle, und der Mond, obgleich er sein Licht von der Sonne empfängt, ihre Mutter. Von diesen beiden Planeten hängt das ganze Magisterium ab.“ Sehr ein- gehend spricht Lullus ferner von der Darstellung und den Eigenschaften des reinen Mercurs und Schwefels; auch versichert er, alle beschriebenen Arbeiten selbst ausgeführt zu haben.

Schliesslich sei darauf hingewiesen, dass die geschilderte Lehre dieser vier Alchemisten, derzufolge die künstliche Darstellung von Gold und Silber als ausführbar angesehen werden musste, schon von den Arabern begründet worden ist. Bereits Geber, welcher im 8. Jahr- hundert in Spanien lebte der „magister magistrorum“, wie ihn Baco, „paganus ille philosophus“, wie ihn Lullus nennt nahm die gleiche Constitution der Metalle an, um durch diese Hypothese die Möglichkeit der Transmutation zu erklären. Auch der Gedanke des Steins der Weisen findet sich bereits bei diesem und den übrigen arabischen Alchemisten.

Sitzung am 16. März 1892.

Ueber Genoman und Turon bei Cudowa in Schlesien. Von

Dr. phil. Richard Michael.

Der Vortragende sprach unter Vorlegung einer von ihm im Maass- stabe 1:25000 aufgenommenen geologischen Karte und einer Anzahl von Gesteinsstücken und Versteinerungen über Cenoman und Turon bei Cudowa in Schlesien; er hatte im vorigen Sommer die Ablagerungen der

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 7

Kreideformation im nordwestlichen Theile der Grafschaft Glatz in der Gegend der Orte Lewin und Cudowa und Hronow in Böhmen untersucht.

Die Ablagerungen der Kreideformation in der Grafschaft Glatz sind ein Theil der zusammenhängenden gleichen Ablagerungen in Böhmen und Sachsen, in denen ausschliesslich die obere Stufe des eretaceischen Schichtensystems, ‚die obere Kreide‘ entwickelt ist; seit den Aufnahmen zur geognostischen Karte des niederschlesischen Gebirges von Beyrich, Rose, Roth und Runge sind sie nicht mehr Gegenstand der Bearbeitung gewesen. Bislang wurden sämmtliche Schichten der Glatzer Kreide mit Ausnahme einiger weniger im Neissethal anstehender zur Cenomanen Stufe der oberen Kreide gestellt. Auf Grund neuer Aufschlüsse und einiger glücklicher Funde von Petrefacten, die aus dieser Gegend bis- lang in der Litteratur überhaupt noch nicht bekannt waren, konnte der Vortragende sowohl den paläontologischen Beweis für das cenomane Alter eines Theiles der Glatzer Kreide erbringen, als auch zeigen, dass in ihr auch die mittlere Stufe der oberen Kreide, das Turon, vertreten ist.

Der Vortragende unterscheidet in der Kreidescholle von Cudowa folgende Glieder:

1) die entkalkten Pläner von Cudowa,

2) die Pläner,

3) den Plänersandstein,

4) den glaukonitischen spongitenreichen Gudtersandsteih,

5) den groben kalkigen Sandstein von Cudowa und die groben kal- kigen Sandsteine von Gross-Georgsdorf bei Cudowa und Klein- Georgsdorf bei Lewin.

Bemerkenswerth ist namentlich der Umstand, dass eine bislang nicht gekannte kalkige Facies den tiefsten Horizont einnimmt, zumal im übrigen Nieder- und Oberschlesien die Schichten der Kreideformation mit rein sandigen Gebilden oder Conglomeraten mit kieseligem Bindemittel be- ginnen. Das weitaus verbreitetste und mächtigste Glied sind die in ihren petrographischen Eigenschaften ungemein wechselnden thonigen Kalk- steine, die Pläner, Die entkalkten Pläner und die Pläner, dem Alter nach nicht verschieden, entsprechen den cenomanen plänerartigen Ge- steinen der älteren Karte; sie gehören aber, wie das Vorkommen von Inoceramus labiatus, Inoceramus Brongniarti, Rhynchonella plicatilis, Pecten Dujardini, Peeten pulchellus und Micraster ceortestudinarium be- weist, zum Turon. Von den 15 Arten von Versteinerungen im Turon finden sich nur 2 unter den 45 cenomanen wieder; ausserdem sind Turon und Cenoman auch durch eine in den hangenden Schichten des jüngsten cenomanen Gliedes, des Plänersandsteines auftretende Glaukonitbank scharf geschieden. Im Plänersandstein fanden sich 25 Arten, am häufigsten Exogyra columba, Ostrea carinata, Pecten asper, Pecten laminosus, Janira longicauda und Lima pseudocardium; er enthält bereits Formen,

8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

die anderwärts auch in jüngeren als cenomanen Ablagerungen vor- kommen; namentlich ist er aber interessant durch das Vorkommen eines Belemniten, des Aetinocamax plenus, auf dessen Auftreten hin im nord- westlichen Deutschland eine besondere, dem Turon als unterstes Glied zugerechnete Zone aufgestellt werde. Von untergeordneter Bedeutung ist der durch grobes Korn, Glaukonitgehalt und das massenhafte Vor- handensein von eylindrischen Wülsten, die bald als Reste von Schwäm- men, bald als algenähnliche Körper gedeutet wurden, ausgezeichnete glaukonitische spongitenreiche Quadersandstein. Er entspricht dem unteren Quadersandstein der älteren Karte und führt Peeten asper, Ostrea cari- nata und Exogyra columba. Nordöstlich von Cudowa, wo die Schichten- folge am vollständigsten ist, folgt unter ihm der grobe kalkige Sand- stein von Cudowa, ausgezeichnet durch Rhynchonella eompressa, Pecten, Fragmente und Haifischzähne, die zu den Gattungen Pyknodus, Corax und Oxyrhina gehören. Während man in allen erwähnten Gliedern, namentlich den Turonen, Petrefacten nur selten findet, unterscheidet sich der nur in geringer Ausdehnung und Mächtigkeit entwickelte grobe kalkige Sandstein von Gross-Georgsdorf bei Cudowa durch das Vor- kommen zahlreicher Petrefacten; es wurden bisher 30 Arten nachgewiesen, unter ihnen besonders in massenhafter Individuenzahl die typisch-ceno- manen Formen: Cidaris vesiculosa, Caprotina semistriata, Exogyra columba, Ostrea carinata, Pecten acuminatus, Pecten asper, Janira longi- cauda, Serpula gordialis, Terebratula phaseolina, Rhynchonella compressa u. a. m.

Die Versteinerungen sind in allen Schichten schlecht erhalten.

Ueber die quartäre Säugethierfauna von Venezuela und über

nordamerikanische Mastodonten.

Von Privatdocent Dr. Gürich.

Posttertiäre Ablagerungen mit Resten grosser Säugethiere sind von Venezuela nur durch wenige Literaturangaben bekannt; der Botaniker Karsten und der Geograph Sievers, beide deutsche Reisende, und der bekannte Naturforscher Ernst, ein Schlesier von Geburt, Professor der Naturwissenschaften an der Universität in Caracas, haben solche Funde publieirt, aus denen ersichtlich ist, dass die Fauna dieser Ablagerungen übereinstimmt mit jener eigenthümlichen südamerikanischen Thiergesell- schaft, wie sie von Burmeister aus den Pampaslehmen der La Plata- Staaten, von dem Dänen Lund aus den brasilianischen Höhlen und von

Braneco aus den Hochthälern der Cordilleren von Ecuador beschrieben worden ist,

ll. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 9 Der Vortragende hatte Gelegenheit, zwei der hauptsächlich bekannten Fundstellen in Venezuela zu besuchen und Einiges daselbst zu sammeln, In San Juan de los Morros bei Villa de Cura, wurden bei den Bauten zur Fassung einer heissen, Schwefelwasserstoff exhalirenden Quelle zahl- reiche Reste jener grossen Säuger gefunden, welche in das Museum von Caracas gebracht wurden. Die Thiere waren hier augenscheinlich in den Sumpf gerathen, welcher die schon zur älteren Diluvialzeit vorhandene Quelle umgab.

Die andere Fundstelle ist eine Los Lombreros genannte Oertlichkeit bei dem Gehöfte La Burrera unterhalb des Cordillerendorfes Barbacoas bei Tocuyo bei ca. 1400 m Meereshöhe.

In dem dortigen hochgelegenen, tief in die Felsen der untern Kreide- formation einschneidenden Andenthale kann man Reste mehrerer alter Terrassen erkennen; in den lehmigen, hin und wieder geröllreichen Ab- lagerungen derselben haben sich zahlreiche Knochen gefunden, welche aber bei der Festigkeit des Lehmes nur sehr schwierig unverletzt zu gewinnen sind.

Die Reste von Barbacoas sind nicht so gut erhalten, als die aus dem feinerem Schlamm der Schwefelquellen von San Juan de los Morros.

Der Vortragende konnte folgende Reste vorlegen:

Von den grossen, dem Rhinoceros an Massigkeit gleichenden nächsten Verwandten der Faulthiere, Megatherium, zwei Backzähne des Unter- kiefers, den zweiten und den vierten, sowie mehrere charakteristische Fragmente der plumpen Extremitäten.

Von den zu derselben Thiergruppe der Zahnarmen gehörigen Glyptodonten zahlreiche Knochenplatten des eigenthümlichen starken Panzers, welcher diese Thiere beschützte und sie wie riesige Schild- kröten erscheinen liess,

Von San Juan stammt ein gut erhaltenes Fersenbein eines Mastodon, jenes dem Elephanten verwandten Rüsselthieres, sowie ein vorletzter unterer Backzahn. Aus Südamerika kennt man nur zwei Arten von Mastodon, beide aus den quartären Ablagerungen und beide in ihrer Zahnbildung der deutschen mittelmiocänen Art Mastodon angustidens sehr ähnlich. Aus Nordamerika kennt man nur vereinzelte Mastodon- vorkommnisse aus dem Verwandtschaftskreise dieser Art, Der Vor- tragende legt die hintere Hälfte eines letzten Unterkieferzahns vor, der aus den miocänen Ablagerungen der Phosphatbaggereien an der Küste von Süd-Carolina stammt.

Das Vorkommen von Formen jener eigenthümlichen südamerika- nischen Edentatenfauna in Nordamerika und andererseits dasjenige von Mastodonten in Südamerika gestattet einen Schluss auf die zeitweilige Verbindung dieser beiden Landeomplexe, die höchst wahrscheinlich zur

10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. miocänen Zeit und zwar über die Antillen, nicht über Centralamerika stattgefunden hat, aber nur von geringerer Dauer war; zur quartären Zeit war diese Verbindung wieder unterbrochen.

Mineralogische Mittheilungen. Von Geh, Bergrath a. D. Dr. Runge.

Der Vortragende legte Exemplare eines schönen, weissen, sehr gross- blätterigen Kalkspaths aus der Gegend von Hagen in Westfalen vor, welcher dort vor einigen Jahren in grösseren Mengen gewonnen, zu feinem weissem Mehl gemahlen und angeblich bei der Zuckerfabrikation, sowie bei der Fabrikation von Stearinkerzen verwendet wurde. Dieser Kalkspath, welcher ein grosses Nest im Kohlenkalk bildet, zeigt deutlich die 3 Blätterdurchgänge des Grundrhomboäders; ausserdem aber Ab- lösungen nach den Flächen des ersten stumpferen Rhombo&ders, welche indess keinem Blätterdurchgange entsprechen, sondern durch eine Zwillings- bildung bedingt zu sein scheinen.

Ferner legte derselbe sehr schöne Spaltungsgestalten der Zinkblende von Selbeck unweit Mülheim an der Ruhr vor. Dieselben lassen alle 6 Blätterdurchgänge der Zinkblende sehr deutlich erkennen, so dass die Formen des Granatdodecaeders, des Rhomboeders und des Quadrat- okta&ders zur Erscheinung gelangen.

Hieran knüpfte der Vortragende einige allgemeine Bemerkungen über Blätterdurchgänge in ihrer Beziehung zur Krystallform des be- treffenden Minerals und wies endlich auf die grosse Bedeutung der so- genannten äusseren Kennzeichen der Mineralien neben der chemischen Zusammensetzung für das mineralogische Studium und besonders die Untersuchungen im Terrain hin.

Anknüpfend bemerkte Professor Dr. Hintze in Bezug auf die oben erwähnten Absonderungsflächen nach dem stumpferen Rhomboeder des Kalkspaths, dass nach den im Jahre 1879 veröffentlichten Untersuchungen von Baumhauer jenen Absonderungsflächen der Charakter sogenannter Gleitflächen zukommt und dass durch Druck eine Zwillingsbildung nach diesen Gleitflächen hervorgebracht werden kann, so dass also solche Zwillingsbildung nicht als die Ursache, sondern als die Folge jener eigen- thümlichen Structurverhältnisse anzusehen ist.

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 1

Sitzung am 18. Mai 1892.

Ueber die nordische Eiszeit. Von Geh. Bergrath Althans.

Der Vortragende sprach über die muthmaasslichen Grenzen der ersten und zweiten Bedeckung durch nordisches Gletschereis und deren Unter- scheidungsmerkmale innerhalb der viel weiter südwärts reichenden, meist sehr mächtigen Ablagerungen von in der Regel nordischen Blöcken, Ge- schieben, Kies und Sand, welche von Gletscherströmen oder von driften- den Eisbergen bis über 400 Meter Meereshöhe an die Gehänge der Sudetenkette in Schlesien hinaufreichen. Die ältere Eisbedeckung hat sich weiter südlich erstreckt als die jüngere. Bei beiden war das nörd- liche Europa und Nordamerika tief unter dem Meeresspiegel versenkt. Dazwischen liegt eine Periode der völligen Trockenlegung der nördlichen Continente in einem Steppenklima. Die End- und Randmoränen der älteren Eiszeit sind in Schlesien wie anderwärts verwaschen und ver- wischt, und treten daher wenig an der Oberfläche erkennbar hervor. Für die zweite Eiszeit sind sie in den letzten Jahren von der Mecklen- burgischen Grenze bis zur Oder bei Freienwalde und von dort bis Danzig nachgewiesen. Weiter südlich reichen sie nach Ansicht des Vortragenden bis in die Gegenden von Obernigk, Trebnitz und Bernstadt, doch bleibt hier sowohl westwärts nach der Mark als ostwärts nach Polen und über- haupt bezüglich der Lage der Grenzschuttwälle das Wesentliche noch zu erforschen. Für die erste Eiszeit liegen sichere Nachweise darüber vor, dass die Eisgrenze bis nahe an Zittau und an das benachbarte Fried- land und an Friedeberg, Hirschberg, Rabishau an die hohe Golge ge- reicht und den Zobten und Rummelsberg überströmt hat. In Ober- schlesien ist die durch den Blocklehm der Grundmoränen bezeichnete Grenze bestimmt durch den Lauf der Rudka aufwärts bis zum Sohrauer Wasser nördlich von Czernitz und Rybnik und südlich von Sohrau nach- gewiesen. Südlich von dieser Grenze findet sich nur eine nach Süden verschwächte Auflagerung von Kies, Sand und Löss mit vereinzelten Blöcken, unter welchen die ursprünglichen, d. i. voreiszeitlichen Thal- auswaschungen der Tertiärschichten in ihren vielfach verzweigten Schluchten noch ganz deutlich auf den Messtischblättern der Landes- aufnahme und den oberbergamtlichen Specialkarten hervortreten. Auch in den Vereinigten Staaten von Nordamerika ist ein solches, dort aber rings von Moränen umschlossenes, eisfrei gebliebenes Gebiet nachgewiesen, worin die uralten Thäler der Silurperiode noch unversehrt erhalten ge- blieben sind.

12 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Ueber die Form der Zellenmündung von Monograptus priodon

und über Silur und Devon des poinischen Mittelgebirges. Von

Privatdocent Dr. Gürich.

Der Vortragende besprach die Form der Zellenmündung von Monograptus priodon. Nach Barrande und «den übrigen älteren Autoren stellt die Zelle von Mon. priodon ein nach oben und aussen gerichtetes, sich stark verjüngendes Rohr dar, dessen äusseres Ende nach unten zurückgekrümmt ist; die Mündung bildet dann eine kleine kreisrunde Abstutzung des Schnabels, ist also nach unten gerichtet. Nach Jäkel wäre die Zelle eine schräg aufwärts gerichtete Röhre, deren der Axe des Stammes ungefähr parallele äussere Mündung von einem deckelartigen Fortsatze der oberen Zellwandung überdeckt wäre, Der Vortragende hatte gutes Material aus Diluvialgeschieben und aus dem Silur von Böhmen zur Verfügung und gelangte durch successives An- schleifen, durch Anätzen und durch Präpariren der Stücke mit der Nadel zu dem Resultate, dass die alte Darstellung in der That falsch ist, dass aber auch die Jäkel’sche Auffassung kein richtiges Bild von dem Sach- verhalte giebt. Ein „deckelartiger Fortsatz“, muss man annehmen, stände nur an seiner Basis mit der Zellenwand im Zusammenhang, hätte aber ausser einem freien Aussenrande auch noch freie Seitenränder. Das ist aber nicht der Fall; die Zelle von Monogr. priodon stellt vielmehr eine subeylindrische Röhre dar, deren äusseres Ende stark zurückgekrümmt ist, aber anders als Barrande es auffasst; die Krümmung ist enger, fast ausschliesslich von der oberen Zellenwandung gebildet, während die untere nur wenig daran betheiligt ist. Eine starke Verjüngung der Zelle, wie Barrande sie annimmt, findet nicht statt. Die Zellmündung ist ungefähr senkrecht zur Richtung der Graptolithenaxe gestellt, quer elliptisch, fast so breit wie der Graptolithenstock dick ist und in un- verletztem Zustande ganzrandig, meist aber durch Runzelung lappig.

Jäkel’s Forderung, die beiden Gruppen von Monograptus-Arten, diejenigen mit nach oben gerichteter Mündung man kann sie als Monograpti ereeti bezeichnen und diejenigen mit zurückgekrümmter Mündung die man Mon. reversi nennen kann generisch zu trennen, ist wohl berechtigt, nur ist nach den obigen Ausführungen der von Jäkel für die Monogr. reversi gewählte Gattungsname Pomatograptus nicht als geeignet anzusehen.

Sodann berichtete derselbe über die von ihm bisher im polnischen Mittelgebirge unterschiedenen Horizonte des $ilur und des Unterdevon, über die Verbreitung und die Fossilführung derselben. Der einzige bekannte untersilurische Horizont „Bukowka-Sandstein‘‘ stimmt

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 13 weniger nach der Gesteinsbeschaffenheit als nach seinen organischen Ein- schlüssen mit gewissen Schichten des baltischen Unter-Silur überein (Glaukonit- und Vaginaten-Kalk). Im Ober-Silur finden zwei Horizonte ein Graptolithenschiefer mit Climacograptus scalaris und ein Bey- richiengestein in sandiger Facies ihre Aequivalente in den süd- skandinavischen Silurablagerungen; ein dritter Horizont dagegen Car- diolaschiefer führt zahlreiche, für die gleichalterigen böhmischen Ab- lagerungen bezeichnende Ostracoden.

Im Unterdevon stimmen die Sandsteine der Gora Wisniowka und G. Miejska völlig mit dem Spiriferensandsteine der oberen Coblenzstufe am Harze und am Rheine überein. Ein von diesem dem Alter nach wenig verschiedener Horizont zeigt eine gewisse facielle Aehnlichkeit mit den an Placodermenresten reichen Schichten des Old Red am Ladoga-See.

Ueber neue Beiträge zur paläontologischen Kenntniss des oberschlesischen Muschelkalkes. Von Realschul-Öberlehrer Dr. Kunisch.

Der Vortragende lieferte neue Beiträge zur paläontologischen Kennt- niss des oberschlesischen Muschelkalkes, wobei er hervorhob, dass sich um letztere in der jüngsten Zeit an Ort und Stelle Herr Betriebsinspeetor Kubatzek-Gogolin und Herr Rathsherr Kluezny-Krappitz ganz be- sonders verdient gemacht haben. Der Vortragende legte eine Kalk- steinplatte von etwa 60 em Länge und 20 cm Breite vor, welche auf der Oberseite einen grossen Theil des Rumpf- und Gliedmaassenskelettes eines Sauriers (Nothosaurus spec.) aufweist und sich an die durch die Literatur bis jetzt bekannter gewordenen 10 Saurierplatten des Muschel- kalkes (Vergl. Zeitschr. d. deutsch. geolog. Gesellsch., Jahrgang 1888, Seite 672) würdig anschliesst. Alsdann zeigte er vier Unterkiefer von Saurichthys Ag., jener eigenthümlichen, bisher zu den Fischen gezählten Thiergattung, von welcher man ausser den langgestreckten, vogelschnabel- ähnlichen, mit konischen Zähnen besetzten Unterkiefern so gut wie gar nichts kennt. Durch sehr vorsichtige Bearbeitung dieser Versteinerungen mit Hammer, Meissel und Präparirnadel ist es dem Vortragenden ge- lungen, die in Gesteinsmasse eingebetteten organischen Reste derartig freizulegen, dass die Besichtigung des Unterkiefers von allen Seiten er- möglicht wurde. Das kleinste vollständige Exemplar besitzt eine Länge von 12,5 cm, während das grösste, aber nur fragmentarisch erhaltene Exemplar 17 em lang ist und im unverletzten Zustande sicherlich we- nigstens 20 cm in der Länge gemessen haben muss. Die Versteinerungen werden nach ihrer endgültigen Bearbeitung in den Besitz des Mineralo- gischen Museums der hiesigen königl. Universität übergehen,

14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Ueber die Haltbarkeit von Kaliumpermanganatlösungen. Von

Professor Poleck.

Der Vortragende theilte die Resultate mit, welche der Assistent am pharm. Institut H. Dr. Grützner bezüglich seiner Untersuchung der Haltbarkeit von Kaliumpermanganat-Lösungen verschiedener Concentration erhalten hatte. Wässrige Lösungen von 1 Gr. und 3 Gr. im Liter wurden in nach Art der Spritzflaschen eingerichteten Flaschen vor atmosphärischem Staub geschützt, theils im zerstreuten Tageslicht, theils im Dunklen auf- bewahrt. Die dem zerstreuten Tageslicht ausgesetzte Lösung von 1 zu 1000 hatte sich 1 Jahr lang unverändert gehalten, nach 1'/, Jahren nur 2,61 °/, ihres Gehaltes eingebüsst, während die im Dunkeln aufbe- wahrte Lösung in dieser Zeit fast unverändert geblieben war, nur 0,94°/, ihres Gehaltes eingebüsst hatte. Noch günstiger war das Resultat bei der Lösung 3 zu 1000, welche auch im zerstreuten Tageslicht nach 1!/, Jahren an ihrem Gehalt nichts verloren hatte. Ebenso liegen frühere Erfahrungen vor, dass selbst °/ „, procentige Lösungen bei dieser geeig- neten Aufbewahrung mehrere Monate lang unverändert in ihrem Gehalt geblieben sind. Es besitzen daher vor atmosphärischem Staub und direetem Sonnenlicht geschützte Kaliumpermanganat-Lösungen eine grosse Haltbarkeit, ihre Titerstellung mit Ammon-Ferrosulfat ist ebenso einfach, wie rasch ausführbar. Die Unkenntniss dieser Verhältnisse kann wohl der einzige Grund gewesen sein, die Anwendung des Kaliumpermanganats von der Gehaltsbestimmung der Ferropräparate der 3. Auflage des deut- schen Arzneibuchs auszuschliessen und in mehreren Fällen, so bei Ferrum pulveratum und reductum durch ungeeignete gradezu falsche Methoden zu ersetzen und anderseits die nothwendige Gehaltsbestimmung analoger Präparate zu unterlassen.

Sitzung vom 6. Juli 1892.

Ueber das Hyosein.

Von

Geh. Rath Professor Dr. Ladenburg.

Der Vortragende erinnert zunächst daran, dass er dieses Alkaloid

vor 12 Jahren in den Rückständen der Hyoseyamindarstellung gefunden und für dasselbe nach Analyse einer Reihe von Salzen die Formel C,.H,;NO, aufgestellt habe, welche auch die Untersuchung der Spaltungs- producte, als welche sich Tropasäure C,H,,O, und Pseudotropin C,H,,NO ergeben hatten, bestätigt wurde. Das Hyosein wird seit jener

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 15

Zeit fabrikmässig dargestellt, da es eine nicht unwichtige therapeutische Verwendung gefunden hat.

Neuerdings ist nun in der Scopoliawurzel ein Alkaloid aufgefunden worden, welches sehr grosse Aehnlichkeit mit dem Hyosein zeigt, dessen Analysen aber auf die Formel C,.H,,NO, führen. Da nun aber dieses Scopolamin sich auch im Hyoscyamus findet, so ist die Vermuthung aus- gesprochen worden, dass das Scopolamin mit dem Hyosein identisch sei.

Der Vortragende hat nun eine Reihe neuer analytischer Bestimmungen ausgeführt und aus diesen, sowie aus einigen krystallographischen Messungen, für welche er Herrn Dr. Milch zu besonderem Dank verpflichtet ist, geht hervor, dass diese Ansicht unrichtig ist. Dagegen hat es sich gezeigt, dass die Handelswaare „Hyosein‘“ Scopolamin enthält, was übrigens der therapeutischen Verwendung keinen Eintrag thut, da beide Alkaloide fast dieselbe Wirkung haben.

Schliesslich schlägt der Vortragende vor, für solehe Körper, welche bei nahezu gleichen Eigenschaften eine verschiedene Zusammen- setzung besitzen, die Bezeichnung isidiom (von loog und (ölwu«x) anzunehmen,

Ueber die Einwirkung des Wasserstoffsuperoxyds auf Piperidin.

Von

Dr. R. Wolffenstein.

Der Vortragende sprach über die Einwirkung des Wasserstoff-

| i „der Grundsubstanz vieler Alkaloide.

superoxydsaufPiperidin: i | 2 2

Bei gemässigter Einwirkung entsteht dabei durch Sprengung des Piperidin- CH, Em 5

| ‚eine bei 39° schmelzende, H,C CHO

N

NH,

starke Reductionswirkungen ausübende Substanz, von intensivem Geruch.

Sie bildet ein bei 145° schmelzendes salzsaures Salz, von ungemeinem

Krystallisationsvermögen, das, wie Herr Professor Hintze die Güte hatte

zu untersuchen, im monoklinen System krystallisirt. Erhitzt man diesen

Aldehyd mit Aetzkali, so tritt unter Wasserabspaltung wieder Ring- CH,

H,0/ \NCH

ringes der Amidovaleraldehyd

schliessung ein und es bildet sich das Tetrahydropyridin:

16 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

das, wie aus seinem ganzen Verhalten hervorgeht, die vorstehende Con- stitution besitzen muss. Es ist eine piperidin- und zugleich spermaartig riechende Flüssigkeit, die sich als starke Base charakterisirt und Neigung zur Polymerisation zeigt. Oxydirt man das Piperidin in an- haltenderer Weise mit Wasserstoffsuperoxyd, so erhält man nur Glutärsäure CH, H,C/ \CH, u Er ist es also bei der blossen Aufsprengung des Piperidinringes nicht geblieben, sondern es hat noch eine Oxydation der endständigen Glieder stattgefunden.

Als drittes Reactionsproduet konnte, wenn auch in geringerer Aus- CH,

vet NcH,

HC COH 2 N N und sich dadurch vorzugsweise von dem schon bekannten «-Piperidon CH,

N.cH, | 5 unterscheidet. Jenes stellt daher die Lactimform, dieses

oder Derivate derselben. Zur Bildung dieser Säure

beute, ein Piperidon erhalten werden, das bei 129° schmilzt

die Lactamform vor.

Ueber ein neues Vorkommen von Lias und oberen Jura auf der Insel Rotti bei Timor in Ostindien und über einen Fund von diluvialen Knochen aus der Thongrube von Münsterberg.

Von Privatdoceut Dr. Gürich.

Der Vortragende berichtete über ein neues Vorkommen von Lias und oberen Jura auf der Insel Rotti bei Timor in Ost- indien. Dasselbe ist von grösserem Interesse, weil vom malayischen Archipel bisher jurassische Ablagerungen noch nicht bekannt waren und demgemäss die geltenden Anschauungen von der Vertheilung von Land und Meer zur Jurazeit dadurch nicht unwesentlich modifieirt werden.

Der deutsche Arzt, Dr. Schneider in Soerabaya auf Java, dem man schon manche werthvolle wissenschaftliche Beobachtung verdankt, hatte Herrn Geheimrath Roemer eine Reihe von Gesteinsproben und einige Versteinerungen von der Insel Rotti bei Timor zugeschickt. Die Sendung kam erst nach dem Tode Ferd. Roemers hier an; der Nachfolger des-

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 17

selben, Herr Prof- Dr. Hintze, gestattete dem Vortragenden die Unter- suchung der interessanten Sendung. Die Versteinerungen sind aus- schliesslich Ammoniten und Belemniten; die Erhaltung der Bruchstücke ist eine mangelhafte, trotz dessen konnte mit Sicherheit folgendes fest- gestellt werden. Von Ammoniten liegen vor: Arieticeras cf, spiratissi- mum Quenstedt, Ar. geometricum Oppel, Psilonoticeras ef. plicatum Qu., ausserdem in weniger deutlichen Fragmenten: Lytoceras sp, und Coe- loceras sp. Von diesen Arten weisen die ersten drei mit Sicherheit auf den unteren Lias. Die nächsten bekannten Liasfundpunkte mit einer ähnlichen Arietiten-Fauna liegen auf Neuseeland, auf Japan und am Kaukasus. Nach dem augenblicklichen Standpunkte unserer Kenntnisse ist es nun schwierig, sich ein Bild von der Verbindung des Lias-Meeres zwischen dem Kaukasus und dem ostindischen Archipel zu entwerfen.

Die Belemniten von Rotti sehen äusserlich wie der mitteljurassische Bel. canalieulatus aus, eine genauere Untersuchung zeigt aber, dass sie zu der Gruppe der Bel. absoluti gehören. Der nächste Verwandte, viel- leicht sogar identisch, ist Bel. Gerardi Oppel aus den Spiti-Schiefern am Himalaya. Letztere gehören nach dem russischen Geologen Nikitin dem weissen Jura oder Malm an. Demnach muss ausser unterem Lias auch noch oberer Jura auf Rotti anstehen. Schneider giebt an, die Ver- steinerungen in einem blauen 'Ihon gefunden zu haben. Das Zusammen- vorkommen aller dieser verschiedenen Versteinerungen von verschiedener Erhaltung in derselben Schicht ist aber höchst verdächtig. Hierfür wird der Schlüssel geliefert durch eine im Maiheft dieses Jahres von Peter- manns Mittheilungen publiierten Arbeit des Utrechter Geologen Wich- mann, welcher Rotti ebenfalls besucht hatte. Auch er fand ähnliche Versteinerungen, giebt dieselben aber als Auswürflinge eines Schlamm- vulkans an; auf diese Weise lässt sich das Zusammenvorkommen von Versteinerungen verschiedenen Alters in demselben Gesteine dem blauen Thon Schneiders sehr wohl erklären. Durch dieses Vor- kommen von Jura auf Rotti wird der jurassische sino-australische Con- tinent, dessen Existenz Neumayr bei Gelegenheit seiner Studien über die geographische Verbreitung der Juraformation angenommen hatte, von Westen aus nicht unerheblich eingeschnürt.

Derselbe Vortragende berichtete über einen neuen Fund von diluvialen Knochen aus der Thongrube von Münsterberg. Dieselben gelangten durch die Vermittelung der Leitung des Museums für Schlesische Alterthümer in das Mineralogische Museum. Die Knochen- reste rühren von dem diluvialen Nashorn und dem diluvialen Pferde her. Von Equus fossilis Rütimeyer liegen vor: eine linke tibia, ein rechter radius, ein beschädigter Metatarsalknochen und 4 Zähne nämlich vom Öberkiefer: rechter Prämolar 1, linker Molar I, vom Unterkiefer: rechter Prämolar 1 und linker Prämolar 3. Die Knochen sind verhältnissmässig

18 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

schlank und etwas kleiner als bei dem lebenden Pferde von Mittelgrösse ; die Kaufläche der Zähne ist, wie gewöhnlich, länger und schmaler als bei dem lebenden Pferde. Diluviale Pferdereste werden in Schlesien oft gefunden, jedoch muss man bei deren Bestimmung sehr vorsichtig sein, da Funde recht jugendlichen Alters denselben mitunter sehr ähnlich sein können. Nur die Lagerstätte ist hierbei ausschlaggebend.

Von Rhinoceros tichorhinus liegen von demselben Fundort vor: ein distales, stark beschädigtes Ende einer tibia und die rechten vorderen Mittelfussknochen III und IV. Letztere gehören demselben Individuum an und es ist demnach wahrscheinlich, dass die übrigen Theile der Ex- tremität sich ebenfalls in der Nähe befunden haben werden.

Da solche Funde von diluvialen Resten grosser Säuger von hohem Interesse sind, wäre es sehr wünschenswerth, wenn allenthalben in unserer Provinz auf solche Vorkommnisse geachtet, die Lagerstätie untersucht, die Knochen sorgfältig gesammelt und dann zur wissenschaft- lichen Verwerthung nach dem Breslauer Mineralogischen Museum ge- bracht würden.

Sitzung am 12. October 1892.

Ueber den Drehstrom. Von Geh. Rath Professor Dr. 0. E. Meyer.

In dieser Sitzung, welche im physikalischen Institut der Universität stattfand, erläuterte Prof. Dr. ©. E. Meyer das Wesen der Verkettung elektrischer Wechselströme, welchen von Drobrowolski den Namen Dreh- strom gegeben hat. Er schioss sich dahei an einen Vortrag an, der von F. Braun in Tübingen gehalten worden und auch im Druck er- schienen ist. In einigen einleitenden Worten über dynamoelektrische Maschinen für Gleichstrom und für Wechselstrom erinnerte er an den Begriff des magnetischen Feldes, welches für Gleichstrom eine sich stets gleich bleibende Stärke der erregenden Kraft zeigt, während bei Wechsel- strom-Maschinen die Kraft nach Stärke und Richtung in regelmässiger Periode wechselt. Bei dem Drehstrom wird dieser Wechsel so zu Stande gebracht, dass das constante Magnetfeld sich mit unveränderlicher Ge- schwindigkeit im Raume herumdreht. Um dieses Verhalten zur An- schauung zu bringen, wurden die von W. Weiler beschriebenen Ver- suche mit den Ferraris’schen Doppelspulen und dem Tesla’schen Ringe ausgeführt, wozu eine kleine Accumulatorenbatterie den Strom lieferte. Ferner wurde eine Gramme’sche Maschine, an welcher die Strom- ableitung in der von F. Braun beschriebenen Weise abgeändert war, als Drehstrom-Erreger zu denselben und ähnlichen Versuchen benützt,

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 19

Endlich wurden die Einrichtungen beschrieben, durch welche 1891 die Uebertragung elektrischer Kraft von Lauffen bis Frankfurt a. M. mittelst Drehstroms gelang.

Sitzung am 26. October 1892.

Ueber die Beziehungen der Basalte in den Vorbergen des Isergebirges zur Eiszeit.

Von

Geh. Bergrath Althans.

Der Vortragende, Geheimer Bergrath Althans, sprach über das Auftreten von Basalten in den Vorbergen des Isergebirges zwischen Greiffenberg, Friedeberg, Marklissa und Langenöls, als Merkmalen der nordischen, hier bis an das Isergebirge heranreichenden Eisbedeckung und der Richtungen der diese bildenden Gletscherströme. Auf einer nach Messtischblättern colorirten Höhenschichtenkarte wurde das be- merkenswerthe Relief dieser Gegend vorgeführt und eine Darstellung der Basaltdurchbrüche und der vom Redner aufgefundenen, von diesen Basalt- köpfen durch die Gletscherströme weithin über Berg und Thal ver- schleppten Basaltblöcke und deren nach Süden verstreute Verschleppungs- wege gegeben.

Der Vortragende erwähnte, dass gleichzeitig mit dieser ersten, am weitesten vorgedrungenen nordischen continentalen Eisbedeckung nach Professor Berendt auch das Riesen- und Isergebirge völlig vergletschert gewesen, dass also die nordischen und die sudetischen Eisströme zwischen Hirschberg und Friedeberg zusammengeflossen seien.

Die an Naturschönheiten reiche Schlucht des Queisflusses zwischen Greiffenberg und Marklissa, in über 400 m hohe Bergzüge wild einge- rissen, verdankt den Gletscherwassern dieser Zeit ihre Entstehung und die Wildheit des Wasserlaufs wie der Bergklippen.

Das nördlich von der Queisschlucht gelegene Hochland ist, aus- gehend von den Basaltbergen bei Wingendorf und beim Bahnhof Langen- öls, mit zahllosen Basalt-Findlingen überstreut, aber auch die, herrliche Aussicht nach dem nahen Gebirge bietenden Basaltberge Rietstein und Greiffenstein waren wie südlich davon verschleppte Basaltstücke nachweisen von der Nordlandeisdecke überfluthet.

Die an Basalt-Findlingen vorkommenden, durch mitgewanderte härtere Quarzite eingekratzten zahlreichen Schrammen mit ihren sehr verschieden tief verwitterten Narben beweisen eine überaus lange, auf Jahrtausende zu schätzende Wanderung in der Grundmoräne und lassen damit auf eine über hunderttausend Jahre zu schätzende Periode der ersten Eiszeit schliessen,

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90 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Mittheilung der Resultate einiger wissenschaftlicher Arbeiten des pharmaceutischen Instituts der Universität.

Von

Geh. Rath Professor Dr. Poleck.

Die erste Mittheilung betraf das Jalapin, den wirksamen Bestand- theil der sogenannten Jalapenstengel, der Wurzel der Ipomoea Oriza- bensis Led. Dieser Körper ist, wie das in der officinellen Jaiape enthaltene Convulvulin, ein Glycosid, und zwar das Anhydrid der zwei- basischen Jalapinsäure. Es zerfällt beim Erhitzen mit Säuren oder Basen in Zucker und die einbasische Jalapinolsäure, die, wie das Jalapin selbst, bei der Oxydation mit Kaliumpermanganat in Iso- und Oxisobuttersäure übergeführt wird. |

Die zweite Mittheilung betraf die Zusammensetzung des ätherischen Oels des Knoblauchs, welche durch Dr. Semmler ermittelt worden war. Das Oel, von schwach bräunlich gelber Farbe und furchtbar widrigen und lange haftenden Geruch ist nur in geringer Menge in den Zwiebeln von Allium sativum L. enthalten. . Die Fabrik von Schimmel u. Co. in Leipzig erhielt aus 900 kg Zwiebeln nur 800 gr 0,09 pCt. Ausbeute. Das Oel ist schwerer wie Wasser, optisch inactiv und enthält weder ein Terpen, noch einen sauerstoffhaltigen Bestandtheil. Es besteht in der Hauptmenge aus zwei Disulfiden, ca. 6%, C,H,S—SC,H, und ca. 60, C,H,S—SC,H,, den Rest bilden höhere Sulfide derselben Radicale, welche sämmtlich durch Zinkstaub zu Monosulfiden reducirt werden. Es enthält daher das Oel kein Schwefelallyl.

Das später von Dr. Semmler untersuchte Zwiebelöl von Allium Cepa L. war von dunkelbrauner Farbe, schwerer wie Wasser, optisch activ und von intensiver Riechkraft, denn 5000 kg Zwiebeln hatten bei der Destillation nur 233 gr —= 0,005 %, geliefert. Dieses Oel enthält als Hauptbestandtheil das Disulfid C,H, S—SC,H,, wie es scheint den- selben Körper, der als der flüchtigere Bestandtheil im Knoblauchöl vor- kommt. Die Analogie dieser Oele mit dem ätherischen Oel der Asa foetida, des Teufelsdrecks, das nach Dr. Semmlers Untersuchung Disulfide anderer Radicale von ähnlichem Geruch wie jener des Knob- lauchs enthält, erklärt den in manchen Gegenden noch herrschenden Ge- brauch, die Asa foetida anstatt des-Knoblauchs als Gewürz zu benutzen.

Derselbe Vortragende theilte ferner mit, dass die von der Fabrik ätherischer Oele von Schimmel u. Co. in Leipzig unter der umsichtigen Leitung ihres Besitzers Herrn Fritzsche vor ca. 6 Jahren in Angriff ge- nommene Gewinnung von Rosenöl aus deutschen Rosen immer grössere Dimensionen annehme und vorzüglich gedeihe. Die in dem 3 km von Leipzig entfernten Gross-Miltitz angelegten, mehr als 50 Hektare um- fassenden Anpflanzungen einer Varietät der Centifolien haben sich im

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 91

Sommer dieses Jahres üppig entwickelt und einen Ertrag von vorzüg- licher Beschaffenheit geliefert. Eine Fabrikanlage inmitten der Rosen- gärten, die auf die Verarbeitung von einer Million kg Rosen eingerichtet ist, gestattet die Destillation an Ort und Stelle ohne weiteren Transport der Blätter, wobei ein Oel von weit feinerem, duftigeren Geruch und geringerem Gehalt an dem geruchlosen Stearopten erhalten wurde. Da- bei stellte sich die interessante Thatsache heraus, dass das auf diese Weise gewonnene Oel keinen Aethylalkohol enthielt, während in den vorhergehenden Jahren der Transport der Rosen nach Leipzig genügt hatte, nicht unbeträchtliche Mengen dieses Alkohols durch einen noch näher zu studirenden Gährungsvorgang in den Rosenblättern zu erzeugen. Dadurch erhält die zuerst von Dr. Eckart in dem Laboratorium des Vortragenden gemachte Beobachtung von der Anwesenheit dieses Alkohols im Rosenöl ihre volle Bestätigung.

Ueber eine neue krystallisirte Eisen-Wolfram-Legirung. Von

Geh. Rath Professor Dr, Poleck.

Vor einiger Zeit erhielt das pharmaceutische Institut zu Breslau aus der Biermann schen Metallindustrie in Hannover ein grösseres Stück einer Eisen- Wolfram-Legirung mit einem Gehalt von 80 pCt. Wolfram. Der Director der Fabrik, Herr Rehboch, hatte die Güte mitzutheilen, dass die betreffende Legirung auf elektrolytischem Wege aus dem besten böhmischen Wolframstufenerz (Wolframit) erhalten worden sei, dass man aber die Fabrikation dieser an Wolfram so reichen Verbindung aufgegeben habe, weil die Herstellungskosten auf diesem Wege sich für eine Verwerthung derselben in der Industrie zu hoch stellten. Ueber das Verfahren der Herstellnng äusserte sich Herr Reh- boch nicht eingehender.

Das betreffende, ca. 600 g schwere Stück war von ausgezeichnet krystallinischem Gefüge, mit einzelnen Drusenräumen durchsetzt, in denen sich zwar sehr kleine, aber doch gut ausgebildete Krystalle erkennen liessen. Die Krystalle sowohl, wie die krystallinische Grundmasse, be- sassen eine silbergraue Farbe!, einen grossen Glanz, grosse Härte und ein hohes specifisches Gewicht. Es gelang, eine wenn auch nur kleine Menge der Krystalle zu isoliren, sie krystallographisch zu bestimmen und zu analysiren.

Herr Prof. Hintze hatte die Güte, die krystallographische Be- stimmung zu übernehmen und die Messungen im mineralogischen Institut der Universität durch Herrn Privatdocenten Dr. Milch ausführen zu lassen, wofür ich beiden Herren hier meinen verbindlichsten Dank aus- spreche,

99 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

„Die Krystalle der Eisen-Wolfram-Verbindung stellen flache trigo- nale Prismen mit Basis dar. Durch die Messungen wurde der Prismen- winkel genau zu 60° und die Neigung von Prisma zur Basis zu 90° gefunden. Da keine anderen Flächen beobachtet werden konnten, muss es unentschieden bleiben, ob die jedenfalls im hexagonalem System krystallisirende Substanz in die trapezo&@drisch-tetarto@drische Abtheilung gehört, oder ob das trigonale Prisma durch Zusammenwirken der rhom- boedrischen Hemiedrie mit Hemimorphie nach der Hauptaxe hervor- gebracht wird. Zuweilen erscheinen zwei Krystalle symmetrisch nach einer Fläche des trigonalen Prismas verwachsen. Eine Spaltbarkeit wurde nicht beobachtet.

Bemerkenswerth ist die Härte der Krystalle, welche den Topas mit grosser Leichtigkeit ritzen und ungefähr dieselbe Härte, wie der Korund besitzen.‘

Die chemische Untersuchung der Krystalle, die von dem Assistenten am pharmaceutischen Institut Herrn Dr. Grützner ausgeführt wurde, wies Eisen und Wolfram nach, während die Hauptmasse der Legirung nicht unbeträchtliche Mengen Kohlenstoff chemisch gebunden enthielt.

Die Legirungen des Wolframs sind bisher nur wenig untersucht worden. In dem Lehrbuch der Chemie von Berzelius findet sich eine Notiz, wo es heisst: mit anderen Metallen lässt sich das Wolfram zusammen- schmelzen und einige seiner Legirungen behalten einen gewissen Grad von Geschmeidigkeit, wie jene mit Blei und Kupfer. Im Jahre 1853 nahm Muchet in England ein Patent auf die Anwendung des Wolframs bei der Stahlfabrikation, durch welches dem bis dahin als werthlos be- trachteten Metall, dessen Erze auf die Halden geschüttet und kaum als Wegepflasterungsmaterial benutzt wurden, in kurzer Zeit ein nicht un- bedeutender Werth beigelegt wurde. Bernoulli hat dann Legirungen mit Eisen, Kupfer, Blei, Antimon, Wismuth, Kobalt, Nickel, Silber und Gold darzustellen versucht.

Sein Hauptaugenmerk richtete er jedoch auf die technisch wichtigste Legirung von Wolfram mit Eisen. Nach seinen Versuchen lässt sich Eisen in jedem Verhältniss mit Wolfram legiren, bis man unter Zusatz von 80 pCt. Wolfram eine bei heftigster Weissglühhitze umschmelzbare Masse erhält. Bernoulli erhielt auf diese Weise beim Glühen von kohlenstoffhaltigem Eisen mit 80 pCt. Wolframsäure keinen Regulus, sondern nur eine unregelmässige, sich an die Wände anlegende, blasige Masse, die im muschligen Bruch eine schöne silberartige weisse Farbe zeigte und so hart war, dass sie Glas und Quarz mit Leichtigkeit ritzte. In neuester Zeit hat „Biermann’s Metall-Industrie‘“‘ in Hannover die Herstellung dieser Legirungen in den verschiedensten Procentsätzen in die Hand genommen, wie sie auch eine Menge anderer interessanter Legirungen wie Ferro-Chrom, Ferro-Molybdän u. A, in den Handel bringt.

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 23

Zur vorläufigen Auswahl der Methode, welche sich am besten zur quantitativen Bestimmung des Wolframs neben dem Eisen eignen würde, wurde ein Theil der Grundmasse der Legirung höchst fein gepulvert, gebeutelt und mit Königswasser längere Zeit erwärmt. Mit Zunahme des Lösungsprocesses wuchs auch die Menge der ausgeschiedenen Wolframsäure, sie legte sich jedoch so fest an die Gefässwandungen an, dass eine quantitative Bestimmung unmöglich wurde. Ausserdem zeigten sich in der mit gelbgrünlicher Farbe ausgeschiedenen Wolframsäure schwarze Pünktchen unaufgeschlossener Substanz, welche, durch die sie einhüllende Wolframsäure geschützt, selbst durch längeres Kochen mit Königswasser nicht in Lösung zu bringen waren.

Dagegen führte das Aufschliessen mit Natrium-Kaliumcarbonat zu befriedigenden Resultaten. Das staubfeine Pulver wurde mit annähernd der zehnfachen Menge des Carbonats innig gemischt und geschmolzen, Durch Behandeln der Schmelze löste sich das Alkali-Wolframat auf, das Eisen blieb auf dem Filter zurück. Nach seinem Auflösen in Salzsäure blieb ein Rückstand, der neben Kohlenstoff immer noch kleine Mengen unaufgeschlossener Substanz enthielt, erst durch wiederholtes Schmelzen mit dem Carbonat konnte vollständige Aufschliessung erzielt werden. Diese Aufschliessung der Legirung wird aber wesentlich erleichtert, wenn vorher ihr feinstes Pulver im Platintiegel geglüht wird, sie bläht sich auf, oxydirt sich und durch diesen Process wird diese ungemein harte und speeifisch schwere Substanz so aufgelockert, dass sie dann durch einmaliges Schmelzen mit Natriumkaliumcarbonat vollständig aufge- schlossen wird. In der wässerigen Lösung der Schmelze wurde, nach dem Neutralisiren mit Salpetersäure durch Mercuronitrat das Wolfram als flockiges, gelblich-weisses Mercurowolframat gefällt. Nach 24stün- digem Stehen wurde der Niederschlag abfiltrirt, mit verdünnter Mercuro- nitratlösung ausgewaschen, getrocknet und nach dem Glühen als Wolfram- säure gewogen. Das beim Auslaugen der Schmelze auf dem Filter ge- bliebene Eisenoxyd wurde unter Zusatz von einigen Körbchen Kalium- chlorat in Salzsäure gelöst und als Eisenoxyd bestimmt.

Analyse der isolirten Krystalle: Gef. Proc.: Fe 13.07, W, 86.40.

Durch Division der vorstehenden Procentzahlen durch die ent- sprechenden Atomgewichte erhält man als einfachstes Verhältniss 0.2335 Fe und 0.4695 Wo, das ziemlich genau einem Atomgewicht Eisen und zwei Atomgewichten Wolfram entspricht.

Die Zusammensetzung der Krystalle wird daher durch die Formel Fe Wo, ausgedrückt, sie enthalten nur Spuren von Kohlenstoff.

Die unbedeutende Menge des Untersuchungsmaterials gestattete leider nur diese eine Analyse.

24 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Die Analyse der krystallinischen Hauptmasse der Legirung, die jedoch keine ausgebildeten Krystalle zeigte, führte zu nachstehenden Resultaten.

Gef. Prof.: W, 783.73, Fe 15.94 C. 5.03, Summa 99,70.

Der Kohlenstoff wurde durch Verbrennen im Sauerstoffstrom bestimmt.

Berechnet man das einfachste Verhältniss der Atomgewichte des Wolframs, Eisens und des Kohlenstoffs, so erhält man die Zahlen

0.4288 Wo : 0.2846 Fe: 0.4191 C.

Diese entsprechen ziemlich genau dem Verhältniss 3: 2:3 und da- mit einer chemischen Verbindung Wo, Fe, C, von krystallinischer Be- schaffenheit und fast gleicher Härte wie die isolirten Krystalle Das specifische Gewicht der Hauptmasse betrug in zwei Versuchen 12.92 und 13.04.

Es liegen daher hier zwei noch nicht bekannte Legirungen des Wolframs mit dem Eisen in einfachen Atomverhältnissen vor, die eine krystallisirt, Fe Wo,, dem Schwefelkies Fe 5, entsprechend, die andere krystallinisch, Fe, Wo, C,, mit chemisch gebundenem Kohlenstoff, und ferner die interessante Thatsache, dass aus dieser letzteren Verbindung, der krystallinischen Grundmasse, die an Wolfram reichere und kohlen- stofffreie Verbindung herauskrystallisirt ist.

Ueber Verrucano.

Von

Privatdocent Dr. Milch.

Der Vortragende zeigte zunächst auf Grund der älteren Literatur dass der ursprünglich den Monti Pisani entnommene Localname ‚‚Verru- cano‘“ von A. Escher von der Linth und Studer auf alpine Gesteine übertragen und im Laufe der weiteren Entwickelung der geologischen Forschungen von ihnen und anderen für sehr verschiedene Gesteine und Gesteinscomplexe angewandt wurde, so dass gegenwärtig „Verrucano‘ in verschiedenen Gebieten und sogar in einem und demselben Gebiet bei verschiedenen Forschern durchaus verschiedene Gesteine bezeichnet. Auf sein Arbeitsgebiet, den Verrucano der Cantone Glarus und Grau- bünden übergehend, zeigte er, wie nach den Untersuchungen A. Eschers und A. Heims in diesen Gebieten durch die Runzelung der Erdrinde und die dadurch bewirkte Entstehung liegender Falten eine Ueberlagerung der jüngeren Schichten durch die älteren, hier spec. Verrucano genannten Gesteine sich herausgebildet habe und wie sich diese Verhältnisse durch Vor- und Rückfaltung über ein Senkungsfeld noch verwickelter gestaltet haben. Er besprach sodann die von ihm untersuchten Eruptivgesteine aus dem Verrucano dieses, gewöhnlich als ‚Glarner Doppelfalte‘‘ be- zeichneten Gebietes, Die schon lange anstehend bekannten Melaphyre

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 35

der Glarner Freiberge (Kärpfgruppe) erwiesen sich zum grössten Theil] als Olivinweiselbergite, doch treten auch Navite und Olivintholeiite hier auf. Besonderes Interesse boten die durch den Gebirgsdruck in Folge des Faltungsvorganges an den Melaphyren hervorgebrachten Verände- rungen: die Eruptivgesteine werden schiefrig, verändern ihre ursprüng- liche mineralogische Zusammensetzung und werden Sedimentgesteinen, die von den gleichen Kräften verändert sind, überaus ähnlich. That- sächlich gelang es, auch Gesteine, die bisher für Sedimente galten, als veränderte Melaphyre zu erkennen.

Anstehende Quarzporphyre waren bisher in der Glarner Doppelfalte nicht bekannt; dem Vortragenden gelang es jedoch, sie in verändertem Zustande anstehend in weiter Verbreitung nachzuweisen. Auch sie sind durch den Gebirgsdruck schiefrig geworden und ähneln den durch die gleichen Ursachen veränderten Sedimenten in hohem Grade; doch sind sie bis zu einem bestimmten Grade der Umwandlung durch mikro- skopische Untersuchung zu unterscheiden. Der Nachweis von anstehenden Quarzporphyren ist wichtig, weil er die bisher räthselhaft gebliebene Herkunft der zahllosen Quarzporphyrgerölle im Verrucanoconglomerat erklärt.

Im Uebrigen liess sich nachweisen, dass die Eruptivgesteine an den Stellen der Falten am stärksten verändert sind, wo Druck und Zug be- sonders stark auf die Gesteine einwirkten; die stärkst veränderten Ge- bilde liegen stets in den Mittelschenkeln der liegenden Falten.

Sitzung am 23. November 1892.

Ueber ein Vorkommen von Gyps-Krystallen in der Nähe der Stadt Posen.

Von

Gymnasial-Oberlehrer Dr. Schiff.

Der Vortragende legt eine Anzahl von Gypskrystallen vor, welche zu Morasko, 10 km nördlich von Posen, gefunden wurden. Dieselben entstammen wie aus den dankenswerthen Mittheilungen des Herrn Rittergutsbesitzers von Treskow auf Morasko hervorgeht einem umfangreichen Thonlager, welches an derartigen Einschlüssen ziemlich reich ist. Auch von dem Material dieses Lagers wurden eine Anzahl Proben gezeigt; dasselbe ist ein recht reiner Thon von grauer, röth- licher oder gelbbrauner Farbe und, wie aus seinem Verhalten beim Uebergiessen mit Salzsäure hervorgeht, von nur sehr geringem Kalk- gehalt. Die vorgelegten Gypskrystalle waren fast wasserhell, rings- herum ausgebildet und theils einzeln, theils zu Gruppen vereinigt. Die

36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

einzelnen Individuen, sowie die grösseren aus den Gruppen zeigen die bekannte zehnflächige Combination der verticalen Säule mit dem Klino- pinakoid und der negativen Hemipyramide. Die kleineren Krystalle der Gruppen sind hingegen meist Zwillinge und lassen am freien Ende die ausspringende vierflächige Zuspitzung hervortreten. Sämmtliche grösseren Krystalle erscheinen durch die bedeutende Ausdehnung des Klinopinakoids tafelartig. Die Kanten sind wenig scharf, besonders gilt dies für die oberen und unteren Endflächen. Ferner sind die Prismenflächen meist längsgestreift und zeigen, wie in noch höherem Grade die Abstumpfungen der scharfen Säulenkanten, vielerlei Störungen, besonders Vertiefungen, die sich nach innen zuspitzen. Bekanntlich finden sich derartige Gyps- vorkommnisse ziemlich häufig in Thonlagern eingeschlossen und dürfen wohl als primäre Bildungen derselben angesehen werden.

Ueber ein neues fossiles Lebermoos.

Von

Dr. von Raciborski.

Auf Grund der Descendenztheorie sind wir geneigt, die Moose als eine ältere Gruppe als die der Farne aufzufassen. Leider vermochte die Palaeontologie keine Beweise für diese Meinung beizubringen. Fossile Muscineen gehören zu den allerseltensten Erscheinungen. Am häufigsten sind sie noch in baltischen Suceiniten zu finden; da begegnen wir aber sehr hoch differeneirten Formen, welche mit den jetzt lebenden höchst verwandt sind, so dass wir doch annehmen dürfen, die Moose haben auch den älteren Formationen nicht gefehlt.

In der That hat B. Renault ein Laubmoos in dem französischen Carbon von Commentry: Museites polytrichaceus gefunden.

Was die Lebermoose anbelangt, so wurden bis vor Kurzem die zwei fossilen Marchantiaarten, welche Marquis G. Saporta in tertiären (palaeocaenen) Süsswasserkalken von S6zanne abgebildet hat, als älteste betrachtet. Doch gelang es mir vor vier Jahren in den viel älteren, jurassischen, feuerfesten Thonen der Krakauer Umgebung ein fossiles Lebermoos aufzufinden; jetzt habe ich ein noch älteres im hiesigen mineralogischen Museum angetroffen.

Die Pflanze stammt aus Ellguth bei Woischnik in Oberschlesien. In den dortigen Süsswasserkalken, welche dem Mittelkeuper angehören, hat F. Roemer zwei Farne, Clathropteris platyphylla und Neu- ropteris remota gefunden und abgebildet, eine dritte Pflanze, die sich auf einem Stücke mit Clathropteris zusammen befindet, hat er nicht mehr erwähnt, doch als Thaumatopteris Münsteri ß. longissima etiquettirt.

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 97

Die Pflanze hat mit Thaumatopteris nichts Gemeinsames. Dorsi- ventral gebaute, thallusähnliche Stämmchen, welche reich dichotom ver- zweigt sind, bis 5 mm breit, linear, an der Oberfläche in der Mitte mit einer schmalen Rinne, ohne Spur von Seitennerven versehen sind, kann ich nur mit manchen Lebermoosen aus den Familien der Marchantiaceen, Metzgerieen oder Diplomitrieen vergleichen. Höchst ähnlich ist z. B. die vom Schimper abgebildete Marchantia linearis Lindley aus Nepal.

Ich nenne diese oberschlesische Pflanze, welche die älteste jetzt bekannte Lebermoosart darstellt, zu Ehren ihres hoch verdienten unver- gesslichen Sammlers Palaeohepatica Roemeri.

Am Schlusse erlaube ich mir, dem Herrn Prof. Dr. Hintze, welcher die phyto palaeontologische Sammlung des hiesigen Museums mit grosser Liberalität mir zu benutzen erlaubt hat, an dieser Stelle meinen Dank auszusprechen,

Ueber neuere Publicationen zur Geologie Schlesiens.

Von Privatdocent Dr. Gürich.

Von den Festschriften zum deutschen Bergmannstage, der am 5. September v. J. in Breslau tagte, wurden als geologisch wichtig folgende vorgelegt:

R. Althans, Die Erzformation des Muschelkalks in Ober- schlesien. Im Text und auf den beigefügten Karten finden die neueren überaus wichtigen bergbaulichen Aufschlüsse eingehende Berücksichtigung. Von besonderem Interesse sind die Resultate der Arbeit für die Palaeo- physiographie des Gebietes, indem bei Besprechung der Entstehung der Erzlager die karstähnlichen geologischen Erscheinungen im oberschle- sischen Muschelkalkgebirge nachdrücklich hervorgehoben werden; durch dieselben finden die nachträglichen Umlagerungen der Erzmassen und die definitive Gestaltung der Lagerstätten eine ausreichende Erklärung. In Ergänzung hierzu wird in dem von |

Fr. Bernhardi herrührenden Texte: Zur Karte der Beuthener Erzmulde mit Entschiedenheit die ursprünglich flötzartige Natur der Lagerstätte betont und zugleich ein interessanter Erklärungsversuch für die Entstehung der Lagerstätte gemacht, indem Bernhardi dieselbe weniger auf ein constantes Herbeiströmen von Metallsalzlösungen etwa aus Mineralquellen, als auf das constante Herbeiströmen des Fällungs- mittels zurückführt; als ein solches werden die aus dem unterlagernden Steinkohlengebirge kommenden gasförmigen Kohlenwasserstoffe und Schwefelwasserstoff aufgefasst.

Ueber ein niederschlesisches Gebiet handelt eine Arbeit von

38 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

B. Althans, Ueber Riegelbildungen im Waldenburger Steinkohlengebirge. Diese Riegel sind eigenthümliche, mit Trümmer- gesteinen angefüllte, zum Theil schlotartige, zum Theil furchenartige Lücken in den Steinkohlenflötzen, von denen namentlich die ersteren theilweise bedeutende Tiefen erreichen. Die Entstehung durch fliessen- des Wasser am Schlusse der Carbonzeit wird als die wahrscheinlichste Erklärung angenommen.

Von grösster Wichtigkeit für die Geologie Schlesiens ist das Er- scheinen des ersten Blattes der geologischen Landesaufnahme in Schlesien:

Geologische Specialkarte der Umgebung von Salzbrunn (1:25000) mit einem Bande Text von E. Dathe, ebenfalls als Fest- schrift dem Bergmannstage gewidmet. Besonders erwähnenswerth sind die Auffindung eines devonischen Horstes, die Durchführung einer speciellen Gliederung des Culm und die ausführliche Darstellung der Lagerungsverhältnisse desselben. Aus derselben ergiebt sich mit Evidenz die ungleichförmige Ueberlagerung des Culm durch das productive Steinkohlengebirge. Von Interesse ist, dass in einigen Culmconglomeraten Gerölle von Gesteinen, einem Variolit und einem rothen Granit, von denen Proben der Section vorgelegt wurden, vorkommen, die anstehend aus jenen Gebieten, ja aus dem ganzen schlesischen Gebirge bisher nicht bekannt sind. Besonders eingehend sind auch die Verwerfungen und Störungen in dem Gebiete mit Rücksicht auf die Quellen von Salzbrunn behandelt.

Ausführlicher wendet sich dann der Referent gegen eine Arbeit von G. Berendt:

Gletschererscheinungen im Riesengebirge. (Jahrbuch der Königl. Pr. Geolog. Landesanstalt 1891.) Berendt nimmt die Existenz eines grossen diluvialen Gletschers an, der von der Tafelfichte bis in das Thal von Schreiberhau und Warmbrunn gereicht haben soll. Maass- gebend für diese Auffassung war die Auffindung von „Gletschertöpfen“ auf dem Adlersteine am Vitriolwerk in Schreiberhau; leicht konnte Berendt aus der Litteratur die grosse Verbreitung dieser früher als archäologische Objecte betrachteten sog. Opfersteine nachweisen, die er sämmtlich als Gletschertöpfe erklärt. Auffällig ist jedoch nach Meinung des Referenten, dass sich all diese Vorkommnisse im Granitgebiete be- finden, und dass einige von der Höhe des Kammes (Reifträger) weit oberhalb des Berendt’schen Gletschers bekannt sind; dadurch wird die ganze Annahme verdächtig. In den Thälern kommen unzweifelhafte Strudellöcher vor, die zu ihrer Erklärung keiner Gletscher bedürfen. An freistehenden Klippen und den Felsen des Kammes können sie nur durch eine eigenthümliche, in der Structur des Granits begründete Form der Verwitterung und der Erosion durch die Atmosphärilien erklärt werden. Besonders macht auch das Vorkommen von armsesselartigen

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 39

Aushöhlungen an den Kanten grosser Felsblöcke diese Erklärung plau- sibler. Behrendt sucht auch nach anderen Beweisen für seinen Gletscher: Blockanhäufungen , die grossen ‚Steine‘, die allenthalben im Granit unseres hiesengebirges bekannt sind, sind lediglich Verwitterungs- erscheinungen dieses Gesteins. Die Annahme von der Verbreitung der . Grundmoräne dieses Gletschers, welche sich Berendt auf Grund von Schottky’s Arbeit: das Diluvium des Hirschberger Thales, bildet, ist auf eine ungenaue oder irrige Deutung der Ausführung Schottiky’s zurück- zuführen. Blockwälle im Zackenthale, die Berendt ebenfalls anführt, sind in einem Wildbache auch ohne Gletscher möglich, Auch müsste der grösste Theil des fraglichen Gletschers einen Abfluss durch das Iserthal gefunden haben; für das Zackenthal bliebe also nur ein kleiner östlicher Rest der Gletschermasse.

J. Partsch endlich, ein Autor, dessen genaueste Kenntniss des fraglichen Gebietes und dessen maassgebendes Urtheil über den Gegen- stand unbestreitbar sind, hat, wie aus seinem Werke: die Gletscher der Vorzeit, zu entnehmen ist, Gletscherspuren im Zackenthale nicht nachzuweisen vermocht.

Wenn nun auch zugegeben werden muss, dass ein diluvialer Schreiberhauer Gletscher klimatologisch möglich war, so ist doch daran festzuhalten, dass ein solcher physiographisch unwahrscheinlich und geologisch nicht genügend begründet ist.

Ueber einen Quarzkantner aus dem Katzengebirge. Von Geh. Bergrath Althans,

Der Vortragende sprach über einen seltsam geformten dicken Kiesel- stein aus der von diluvialem Decksand überlagerten südwestlichen Ab- dachung des Katzengebirges, welcher auf dem Wege von Riemberg nach dem Stadtforst zu dem dort bekannten, jetzt „‚Römerstein“ benannten grossen erratischen Block von Herrn Dr. Asmus gefunden worden ist. Dieser 16 cm lange Stein ist zu einer vielkantigen, etwas gewölbten Pyramide geworden, aus welcher vier Kanten schärfer hervortreten. Be- kanntlich wird angenommen, dass derartige Kantner durch den vom Winde angeblasenen Sand geschliffen und scharfkantig geworden sind. Hier wird durch die ursprünglich löcherige Beschaffenheit des Steins diese Annahme augenscheinlich erwiesen. Von jedem Loche des Steins ziehen sich tiefer ausgeschliffene Hohlflächen offenbar der Richtung des Sandstrahls folgend nach der Spitze der Pyramide. Der in der jeweilig herrschenden Windrichtung geblasene Sandstrahl fand seine besten Angriffspunkte an den Löchern der Windseite, während hierbei die unter dem Winde liegende Seite des Steins geschützt lag. Jeder örtlich vorwiegenden Windrichtung entspricht eine Pyramidenfläche,

30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Einen trefflich passenden Beitrag zu dem Gegenstande des Vortrags brachte Herr Dr. Kunisch in einem niedlichen, nur wallnussgrossen Dreikantner aus diluvialen Kiesablagerungen von Steinkirche bei Strehlen einem eisenhaltigen Kiesel, welcher die als typisch geltende Wind- schleifung zu einer fast regelmässigen dreiseitigen Pyramide zeigt. In einigen Bemerkungen zu dem Vortrage des Herrn Dr. Gürich ver- trat Geh. Bergrath Althans gegenüber Zweifeln des Vortragenden an der Richtigkeit der in der Berendt’schen Arbeit entwickelten Ansichten über die Riesengebirgs-Gletscher-Spuren die Anschauungen Berendts.

Sitzung am 7. December 1892.

Ueber die für die Weltausstellung zu Chicago von dem hiesigen Königlichen Oberbergamte gelieferten Beiträge. Von Geh. Bergrath Althans.

Der Vortragende erläuterte einige für die Weltausstellung zu Chicago von dem hiesigen Königlichen Oberbergamte gelieferte Beiträge. Die oberbergamtliche, im Verlage von Simon Schropp (Neumann) in Berlin herausgegebene Karte des oberschlesischen Bergwerks-Areals ist dazu benutzt, in verschiedenen Farben die bergbaulichen Aufschlüsse in den einzelnen Flötzzügen des oberschlesischen Beckens übersichtlich -aufzu- tragen. Ein 8 Meter langer Gebirgsdurchschnitt zeigt von Norden nach Süden die Ablagerung der Zink-, Blei- und Eisenerze des Muschel- kalks über den mächtigen Sattelflötzen in der Beuthener Mulde, das Heraustreten dieser Flötzgruppe im Industriebezirke zwischen Beuthen und Antonienhütte und deren tiefe Einsenkung nach Süden unter den bei Nikolai bekannten jüngeren Flötzzug,. An einer von ihm ent- worfenen Schautafel entwickelte der Vortragende die Vorzüge einer von ihm herrührenden Methode, statistische Reihen kleinster und grösster Zahlenwerthe in Quadratflächen derart übersichtlich zusammenzustellen, dass die spiralförmig geordneten Einzelquadrate sich fortlaufend summiren und so die Gesammtsumme ihrer Zahlenwerthe in einem Endquadrate ergeben. In dieser Weise vereinigt die Tafel in einem Gesammtbilde die historische Entwickelung der Steinkohlenproduetion Schlesiens seit dem Jahre 1770 von damals 10000 Tonnen (zu 1000 kg) bis zu 21 Millionen Tonnen im Jahre 1891, also zu einer Gesammtausbeutung von 395 Millionen Tonnen in 122 Jahren, mit der Steinkohlenproduction

aller Welttheile in den betheiligten Hauptländern 473 Millionen Tonnen und mit der Braunkohlenproduction der Staaten Europas 37 Millionen Tonnen. Ihre Fähigkeit zu vielseitiger Gliederung

nach verschiedenen Eintheilungszwecken in übersichtlicher Darstellung empfiehlt die auf dem bekannten Lehrsatze des Pythagoras beruhende Methode zu mancherlei Gegenständen der Statistik.

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 31

Ueber das Isoconiin und den asymmetrischen Stickstoff. Von Geh. Rath Professor Ladenburg.

Den Ausgangspunkt der folgenden Untersuchungen bildet eine Beob- achtung, die ich vor etwa acht Jahren machte. Schon als die ersten, sehr kurz gehaltenen Mittheilungen über das Conyrin erschienen, ver- suchte ich, da ich mich damals schon mit der Synthese des Coniins beschäftigte, diese Verbindung darzustellen. Die erhaltene Base reinigte ich durch das Platinsalz, indem ich dasselbe durch Waschen mit Aether- alkohol, in welchem das Coniindoppelsalz leicht löslich ist, von diesem trennte. Ich erhielt so ein sehr gut krystallisirendes Platindoppelsalz, dessen Analysen aber auffallenderweise nicht auf Propylpyridinplatin, sondern auf Propylpiperidinplatin stimmten. Ich hatte damals diese Be- obachtungen nicht weiter verfolgt, sondern mich begnügt, mir die be- treffenden Präparate aufzubewahren und einige Notizen in meine Tage- bücher zu bemerken.

An diese Versuche, die mir längst aus dem Gedächtniss ent- schwunden waren, wurde ich kürzlich wieder erinnert, als ich die in meinem Laboratorium gefundenen Thatsachen über die Piperidincarbon- säuren mit denen anderer Forscher verglich. Ich kam so nämlich auf die Möglichkeit von Stereo-Isomerie in dieser Reihe, und da trat plötz- lich jene Beobachtung wieder in mein Bewusstsein, und der Wunsch, jene Isomerie etwas näher zu untersuchen, ward angeregt.

Mit Hilfe der noch vorhandenen Notizen und Präparate ward es nicht schwer, die früheren Beobachtungen zu bestätigen und durch neue, weit eingehendere zu ergänzen.

Ich fand bald eine Methode, die neue Base, die ich früher schon Isoconiin genannt hatte, welchen Namen ich vorläufig beibehalten will, in genügender Ausbeute, 25 pCt. vom angewandten Coniin, zu erhalten, Man braucht nur das Chlorhydrat der Schirlingbase mit '/), des Gewichts an Zinkstaub unter Zusatz von wenigen Tropfen Wasser zu destilliren. Die Trennung der im Destillate befindlichen drei Basen, des Coniins, Isoconiins und Conyrins, bietet keine besonderen Schwierigkeiten. Doch bemerke ich, dass die Darstellung der Nitrosamine keine vollständige Trennung von Conyrin ermöglicht, sondern dass diese erst durch Ab- dampfen in neutraler Lösung bewirkt wird, Die Trennung von Coniin und Isoconiin beruht auf dem ganz verschiedenen Verhalten der ent- sprechenden Platinsalze gegen Aetheralkohol (2 Vol. Aether auf 1 Vol. Alkohol), indem sich Coniinplatin spielend löst und Isoconiinplatin ganz unlöslich ist.

Das Isoconiin ist eine farblose flüssige Base, die mit dem Coniin die grösste Aehnlichkeit zeigt. Der Siedepunkt derselben liegt unter

32 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

750mm5 Druck bei 164°5, während unter genau denselben Bedingungen Coniin bei 165° siedet (die corrig. Siedepunkte sind 167%2 und 167°7). Die Zusammensetzung C,H,,N der neuen Base wurde durch die folgenden Analysen bestätigt: Base: C,H,,N

Gefunden Berechnet 16) 75.94 15,59 H 13.53 13.38 Chlorhydrat: C,H,„NHCI Gefunden Berechnet C 58.75 58.75 H 11437 11.01 Cl 21.67 21.66 Platindoppelsalz: (C,H, .NHCI),PtC1, Gefunden Berechnet C 29.03 28.96 H SRER) 5.43 Pt 29.29 2933

Das specifische Gewicht des Isoconiins wurde bei zu 0.8595, bei 20° zu 0.8425 gefunden, während ich früher für Coniin 0.8626 und 0.845 angegeben habe. Der Geruch ist dem des Coniins sehr ähnlich, doch finde ich ihn ammoniakalischer. Der Schmelzpunkt des. Chlor- hydrats liegt bei 216—217°, der des activen Coniins ist früher zu 217 bis 218° bestimmt worden. Der Hauptunterschied im Verhalten beider Basen liegt in den Platindoppelsalzen, von denen, wie erwähnt, das des Isoconiins in Aetheralkohol unlöslich ist. Dasselbe lässt sich leicht in schönen durchsichtigen, gut ausgebildeten Krystallen gewinnen, die Herr Dr. Milch krystallographisch bestimmte. Danach gehört es dem rhom- bischen System an.') Der Schmelzpunkt des Salzes liegt bei 168°.

In dem Verhalten gegen Goldchlorid, Jodkadmiumkalium, Pikrin- säure und Sublimatlösungen zeigt das Isoconiin keinerlei Unterschiede von Coniin.

Die bemerkenswertheste Eigenschaft der neuen Base liegt in dem Verhalten gegen polarisirtes Licht. Sie besitzt nämlich ein bedeutendes Drehungsvermögen nach rechts, das aber doch wesentlich geringer ist, als das des Coniins. Es beträgt 8°19, während das des letzteren früher zu 13079 bestimmt wurde. (Der Versuch wurde mit der Base selbst im Deeimeterrohr angestellt. Der beobachtete Drehungswinkel betrug 6°9 als Mittel aus drei Beobachtungen.)

Diese Thatsache hat mich sehr überrascht, und ich habe zunächst geglaubt, sie durch eine Beimengung von inactivem Coniin erklären zu sollen. Denn wenn auch das Platiusalz des Isoconiins durch Waschen

!) Die Messungen werden a. e. a. OÖ. publieirt.

li. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 353

mit Aetheralkohol, bis dieser ganz farblos ahläuft, vom Doppelsalz des 'inactiven und linksdrehenden Coniins, die darin leicht löslich sind, ge- trennt werden kann, so war doch die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass bei der Abscheidung der Base aus dem Doppelsalz inactives Coniin gebildet werden könne. Um diese Frage zu erledigen, wurde das Isoconiin wieder in Chlorhydrat verwandelt, dies zur Trockne gebracht und eine bestimmte Menge davon in Platindoppelsalz übergeführt und eingedampft. Dieses wurde nun mit Aetheralkohol von Neuem gewaschen, wobei eine kleine Menge in Lösung ging, die in Chlorhydrat umgewandelt und gewogen wurde. Danach waren 15 pCt. Coniin entstanden. Bei einem zweiten Versuch derselben Art wurde das aus der Base gewonnene trockene Chlorhydrat längere Zeit auf dem Wasserbad erwärmt und dann 1—2 Stunden mit Wasser gekocht, ehe es in Platinsalz verwandelt wurde. Beim Auswaschen mit Aetheralkohol gingen hier 26 pCt. in Lösung. Danach darf man also annehmen, dass dem Isoconiin höchstens 20 pCt, Coniin beigemengt sind. (Eigentlich nur 10 pCt., denn bei der Rückverwandlung der Base in Platinsalz wird wohl ebensoviel Coniin entstehen, wie bei der Herstellung der Base aus dem Salz.) Wäre nun dieses Coniin inactiv, so würde der Rest, wenn er noch das Drehungsvermögen des Coniins besässe, ein solches von etwa 11°, also ein wesentlich höheres als das des Isoconiins zeigen müssen.

Ich habe aber noch durch besondere Versuche erwiesen, dass das als Nebenproduct auftretende Coniin fast genau das Drehungsvermögen der ursprünglichen Base zeigt.!)

Es kann also keine kede davon sein, die Veränderungen des Drehungsvermögens, bei der Verwandlung des Coniins in Isoconiin Ver- unreinigungen zuzuschreiben. Im Gegentheil scheint mir die Thatsache erwiesen, dass das Isoconiin wesentlich anders auf polarisirtes Licht wirkt als Coniin,

War auch hierdurch die Art der Isomerie der beiden vielgenannten Körper als Raumisomerie wahrscheinlich gemacht, so fiel mir doch die Aufgabe zu, nachzuweiseu, dass zwischen den beiden Verbindungen keine Structurverschiedenheiten bestehen, namentlich dass nicht etwa die Ver- wandlung der Propylgruppe in das Isopropyl als Ursache der Ver- chiedenheit angenommen werden könne. Diesen Nachweis konnte man, führen durch Darstellung des bisher unbekannten R-«- Isopropylpiperidin

!) Auch habe ich mich durch den Versuch überzeugt, dass bekannte Gemenge von Coniin und Isoconiin eine Drehung zeigen, die fast genau der Summe der Drehungen der Gemengtheile entspricht, was mit früheren ähnlichen Beobachtungen übereinstimmt. (Vergl. Landolt, Das optische Drehungsvermögen organischer Substanzen.

IER2 /3

34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Allein selbst wenn hier die Verschiedenheit mit dem Isoconiin erwiesen wäre, was ich mir für spätere Versuche vorbehalte, so hätte der Ein- wand, dass dieses mit B-R-Isopropylpiperidin identisch sei, schwerlich widerlegt werden können, da vorläufig zu dessen Gewinnung keine Methode bekannt ist.

Ich habe daher einen anderen Weg eingeschlagen, um die Frage ob Structurisomerie vorliegt oder nicht, zu entscheiden. Ich versuchte, das &-Pipecolin, welche sich früher aus dem «-Picolin durch Reduction gewonnen hatte, durch Destillation mit Zinkstaub einer ähnlichen Um- wandlung za unterwerfen wie das Coniin, da die Anzahl der möglichen structurisomeren Verbindungen hier weit geringer ist und durch bekannte Körper repräsentirt wird. Der Versuch wurde wie beim Coniin ausge- führt und das Product wie dort gereinigt. Das erhaltene Chlorhydrat schmolz bei 208—210°, während ich für reinstes Pipecolinchlorhydrat 207—208° fand. (Früher war der Schmelzpunkt zu niedrig angegeben worden.) Das Platindoppelsalz krystallisirt in ebensolchen durchsichtigen Tafeln wie das des Pipecolin’s. Der Schmelzpunkt wurde bei 201—203° sefunden, während der des unveränderten Pipecolinplatins bei 199—-200° liegt! Auch die Löslichkeit beider Salze war nahezu dieselbe. In Aetheralkohol waren beide unlöslich, in 100 Th. Wasser lösten sich 26 bez. 27 Th. der Salze bei 20%. Danach schien das Ausgangsmaterial durch die Reaction unverändert geblieben, und es entstand die Frage, ob nicht, angesichts dieser Thatsache, das Isoeoniin doch als eine Iso- propylverbindung anzusprechen sei. Eine nähere Ueberlegung führte aber dazu, den eben beschriebenen Versuch als für die Frage nicht be- weisend zu erklären. Es konnte doch immer erst das R-«- Pipecolin als mit dem Coniin analog betrachtet werden, während zu dem Versuch ge- wöhnliches inactives «-Pipecolin benutzt worden war. So unwahrschein- lich es auch zunächst erschien, dass die Reaction mit Zinkstaub sich in ihrem Verlauf durch die Anwendung physikalisch oder optisch isomerer Körper ändere, es liegen hierüber übrigens fast keine Beobachtungen vor —, war die Frage einmal aufgeworfen, so musste der Versuch ent- scheiden.

Ich habe deshalb die Zinkstaubreaetion 1. mit inactivem Coniin, 2. mit rechtsdrehendem Pipecolin wiederholt.

1. Zu diesem Versuch diente synthetisches inactives Coniin, welches aus &-Picolin nach der von mir früher angegebenen Methode hergestellt worden war.') Die Reaction wurde genau unter denselben Bedingungen ausgeführt, wie die oben beschriebene mit R-Coniin. Das vom Conyrin möglichst vollständig getrennte, aus dem Nitrosamin regenerirte Chlor- hydrat wurde in Platindoppelsalz verwandelt, dieses möglichst voll-

') Ann. Chem. 947, 1.

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 35 ständig eingedampft und nun mit Aetheralkohol behandelt, Es löste sich ziemlich rasch Alles, bis auf eine kleine Menge eines gelben Pulvers, das sich auch in Wasser unlöslich zeigte und bei näherer Untersuchung als Platinsalmiak erwies. Es war also keine Spur von Isoconiin entstanden, während nach den angewandten Mengen und der beim Coniin beobachteten Durchschnittsausbeute 38 Platinsalz hätten ent- stehen sollen,

2. Das «-R-Pipecolin wurde nach der von mir früher angegebenen Methode gewonnen.') Dabei zeigte es sich, dass es sehr leicht ist, rechtsdrehendes Pipecolin zu gewinnen, dass es aber verhältnissmässig schwierig, zeitraubend und mit grossen Verlusten verknüpft ist, wenn es sich um die Darstellung von chemisch reinem R-Pipecolin handelt. Ich glaube dies jetzt einigermaassen erreicht zu haben, indem ich das zuerst abgeschiedene Bitartrat umkrystallisirte und die daraus gewonnene Base abermals in weinsaures Salz verwandelte u. s. w. Schliesslich ward ein Drehungswinkel von 29°.29 im Decimeterrohr beobachtet, woraus sich das Drehungsvermögen zu 34 °.62, also wesentlich höher als früher angegeben, berechnet.

Das Chlorhydrat dieses R-Pipecolins ward nun auch mit !/, seines Gewichtes am Zinkstaub destillirt und das Produet in durchaus gleicher Weise wie beim R-Coniin und inactiven Pipecolin weiter behandelt. Die Trennung der vorhandenen Piperidinbasen von den Pyridinbasen geschah wieder durch Darstellung des Nitrosamins, welches aus der sauren Lösung durch Aether ausgeschüttelt wurde, wonach die ätherische Lösung wieder mit verdünnter Salzsäure geschüttelt wurdee, um kleine Mengen von in den Aether übergegangenen Picolin zu entfernen. Das Nitrosamin wurde dann wieder in Chlorhydrat verwandelt und dieses wiederholt abgedampft und in Platinsalz übergeführt. Dies wurde durch mehrfaches Umkrystallisiren zu reinigen versucht.

Das schliesslich erhaltene Platinsalz, dessen Einheitlichkeit aller- dings nicht sicher steht, wurde in trüben Prismen oder in Warzen er- halten, die selbst an feuchter Luft zu verwittern scheinen und zu einer glanzlosen Masse nach und nach zerfallen. Der Schmelz- und Zersetzungs- punkt liegt bei 203°. Die Zusammensetzung wurde durch eine Platin- bestimmung controlirt:

Gefunden Berechnet für (C,H,, NACI, PtCl,

Pto Bu 32.03 Das R-Pipecolinplatin dagegen bildet bei langsamer Verdunstung durch- sichtige, schön ausgebildete Prismen oder weiche seideglänzende Nadeln, die selbst bei längeren Liegen an der Luft ihren starken Glanz beibe- halten und bei 193% schmelzen. Auch die Löslichkeit beider Salze

t) Ann. Chem. 247,1.

36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

wurde etwas verschieden gefunden. Es lösen nämlich 100 Th. Wasser bei 190%: 14.6 Th. R-«-Pipecolin, während unter denselben Bedingungen 17.2 Th. des veränderten Salzes gelöst werden.

Jedenfalls sprechen diese Beobachtungen dafür, dass nicht mehr der ursprüngliche Körper vorliegt. Dies habe ich auch noch in anderer Weise zu bestätigen gesucht.

Das Product der Zinkstaubreaction wurde, nachdem es von dem gebildeten Kohlenwasserstoff und Picolin sorgfältig getrennt war, in Base verwandelt und diese nach peinlichem Trocknen und Destillation auf ihre optische Activität untersucht. Der Drehungswinkel fand sich im Decimeterrohr zu 2603, also niedriger als der von reinem R-Pipecolin. Trotzdem hat die Base genau die Zusammensetzung des Pipecolin, wie folgende Analyse zeigt:

Gefunden Berechnet iür C,H,,N CH 02.65 12.72 H 13.20 13.13

Die Annahme, dass die Verminderung des Drehungsvermögens durch die Anwesenheit von inactivem Pipecolin bedingt ist, erscheint nach dem Versuchen beim Coniin sehr unwahrscheinlich.

Dadurch glaube ich den Nachweis wirklich erbracht zu haben, dass auch hier eine dem Isoconiin entsprechende Isoverbindung entsteht. Damit aber fällt die Hypothese, dass das Isoconiin eine Isopropyl- verbindung sein könne. Ich glaube sogar behaupten zu dürfen, dass die hier beschriebenen Umwandlungen nicht durch Structurverschiedenheit erklärt werden können. Bei einer solchen Auffassung bliebe es voll- ständig unverständlich, warum nur die optisch activen Körper derartige Isoverbindungen zu bilden im Stande sind, und auch die Erklärung der Veränderungen des Drehungsvermögens würden dieser Ansicht sehr grosse Schwierigkeiten bereiten. Fig. 1. Ich glaube daher diese Isomerie als Stereo- „H Isomerie auffassen zu müssen. Betrachtet C man aber die Formel des Coniins (Fig. 1), \N so findet man darin nur einen, den mit » be- H\ \ ‚H zeichneten, asymmetrischen Kohlenstoff. Nach Ne \e/ der herrschenden Theorie sind also ausser H | Ny der racemischen Verbindung nur 2 Isomere CH, möglich. Es muss daher die Theorie er- IL weitert werden, ern Pi Die folgenden Vorstellungen gebe ich in Form einer Hypothese, die mir aber wahr- NH scheinlich erscheint, weil sie den beobachteten Thatsachen in genügender Weise Rechnung trägt, doch bedarf sie noch weiterer Bestätigung.

iS i vv

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 37

Es soll nämlich die Annahme gemacht werden, dass in dem Piperidin und ähnlichen ringförmigen Gebilden, die Valenzen des Stickstoffs nicht in einer Ebene liegen, so dass schon bei den Monosubstitutionsproducten des Piperidins durch die Lage der 3., nicht dem Ring angehörenden Valenz des Stickstoffs, Asymmetrie und optische Activität hervorgerufen bez. verändert werden können.

Am einfachsten gestalten sich die Verhältnisse, wenn man annimmt, dass die den Ring bildenden Atome und die dazu nöthigen Valenzen in einer Ebene liegen, welche ich die Ebene des Rings nennen will. Es werden dann die H-Atome der CH,-Gruppen auf zwei verschiedenen Seiten der Ringebene zu liegen kommen, welche eben dadurch verschieden sind, dass einer der zwei &-Kohlenstoffatome ein Alkyl enthält.‘) Es wird nun die dem Ring nicht angehörende Valenz des Stickstofis, die ich der Kürze wegen die räumliche Valenz desselben nennen will, ent- weder auf derselben Seite mit dem Alkyl oder auf der entgegengesetzten Seite zu liegen kommen, d. h. man wird auch hier, wenn man sich der von Baeyer eingeführten Nomenclatur bedient von Cis- und von Trans- verbindungen sprechen können.

Diese Gedanken lassen sich an Modellen sehr anschaunlich zeigen. Man kann sie aber auch durch schematische Zeichnungen leicht ver- ständlich machen.

Bei den hier gewählten Zeichnungen ist angenommen, der Ring sei an einer Stelle aufgeschnitten und auf die Ebene des Papiers aufgerollt.

Fig. 1, Eitet Eibyie Ein Hi, 0f ai ACER: ea an or

H H H H H

Fo, 2, H H H H H FE REI EREN 9 INES OT,

HAREDIK ED Eraser

Es ist ferner die durchaus willkürliche Annahme gemacht, es gehörten die schon länger bekannten Rechts- und Linksverbindungen der Cisreihe an. Dann stellt Fig. 1 das Rechtspipecolin und Fig. 2 das Linkspipe- colin dar, die nnr der Einfachheit wegen statt der Propylverbindungen gezeichnet sind, Die optische Activität der beiden Körper werde durch die Summe der Wirkungen erklärt, welche der asymmetrische Kohlen- stoff ©» und der asymmetrische Stickstoff hervorgerufen.

Die von mir entdeckten und hier beschriebenen Isoverbindungen entstehen nun meiner Ansicht nach dadurch, dass die Cisstellung in eine Transstellung übergeht, so dass Fig. 3 und Fig. 4 die Anschauung für

!) Der Einfachheit wegen will ich vorläufig nur von «-substituirten Piperidinen sprechen, für welche allein die Theorie geprüft ist. Ich bemerke jedoch, dass meiner Ansicht nach bei den ß-Verbindungen ähnliche Verhältnisse sich finden werden, worüber demnächst berichtet werden soll. Auf die y-Verbindungen komme ich weiter unten.

38 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Fig. 3. H H H H CH; erh N rc RE? 5 BOETE 5 ARnanGe 5 MAT EB

Fig. 4. su MH HB» mV u H Ellen EINE re dan Br m CH,

Rechts- und Links-Isopipecolin verdeutlichen sollen. Das geringere Drehungsvermögen dieser Verbindungen erklärt sich dadurch, dass jetzt die Wirkungen der asymmetrischen Atome entgegengesetzt sind und daher das beobachtete Drehungsvermögen als Differenz derselben er- scheint.

Soweit besteht also vollständige Uebereinstimmung zwischen Theorie und Experiment. Etwas anders gestaltet sich die Sache, wenn wir jetzt auf die Versuche mit den racemischen Verbindungen eingehen. Das inactive Pipecolin muss als eine Verbindung von R- und L-Pipecolin (Fig. 2 und 3) angesehen werden. Bei der Destillation mit Zinkstaub wird daraus wahrscheinlich die racemische Isoverbindung entstehen, die als eine Aneinanderlagerung der Spiegelbilder Fig. 3 und 4 aufgefasst werden muss, aber bis jetzt noch hypothetisch ist. Diese neuen racemischen Verbindungen werden den zur Reaction benutzten viel näher stehen müssen, als der Rechtskörper dem darnus gebildeten Rechts-Isokörper, schon weil beide optisch inaetiv sind. Sie werden aber untereinander nicht identisch sein können und so finden wohl die kleinen Differenzen in den Eigenschaften, wie sie oben bei dem Versuch mit dem racemischen Pipecolin geschildert sind, und andere, die hier noch nicht erwähnt wurden bei dem Versuch mit inactivem Coniin, ihre Erklärung. In einem Punkt aber müssen sich die beiden racemischen Verbindungen sehr wesentlich unterscheiden, wenn sich diese Anschauungen bestätigen sollten: die inactive Isoverbindung muss auch spaltbar sein, sie darf aber nicht in die bekannten R- und Z-Verbindungen, sondern soll in die erst nach dieser Theorie möglichen und nur zum Theil hier beschriebenen R-Iso- und L-Isokörper zerfallen. Hier muss also das Experiment erst die Folgerung der Theorie bestätigen.

Auch ist dies nicht die einzige Aufgabe, die dem Experimentator noch zu lösen bleibt. Es ergeben sich aus den vorgetragenden An- schauungen eine ganze Reihe von näher und entfernter liegenden Folge- rungen, die dem Versueh zugänglich sind. Von diesen will ich nur einige hier anzuführen mir erlauben.

Die Ausdehnung der Versuche auf die ß-Reihe des Piperidins und die Hydrochinoline ist selbstverständlich., Debei sind in der letzteren Reihe einige Versuche auszuführen, welche von entscheidender Wichtig- keit werden können,

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 39

Die y-Derivate des Piperidins, die nach der van’t Hoff-Le Bel’schen Theorie keine Raumisomerie gestatteten, müssen in eine Isoform ver- wandelt werden können. Die ringförmigen Gebilde mit zwei Stickstoff- atomen, wie z. B. das von mir und Abel entdeckte Piperazin, das bereits eine Rolle als Arzneimittel spielt, ferner die Dipiperidyle und viele ähnliche Körper müssen in zwei isomeren Formen auftreten können, und last not least Ammoniakderivate, die nicht geschlossene Ketten bilden, könnten sich auch durch die Asymmetrie des Stickstoffis, in optisch active Modificationen spaltbar erweisen.

Diese letztere Folgerung ist nicht als eine nothwendige, wohl aber als eine mögliche Consequenz der hier vorgetragenen Hypothese zu be- trachten,!) Und hier begegne ich mich mit den Vorstellungen Le Bel’s der, schon voriges Jahr einer solehen Möglichkeit Rechnung tragend,”) sie experimentell aber ohne Erfolg zu bestätigen suchte. Auch ich habe bisher nach dieser Richtung nur negative Versuche aufzuweisen. Doch habe ich neue Versuche in Angriff genommen, über die ich viel- leicht später etwas berichten kann.

Hier soll noch ein Punkt zur Sprache gebracht werden, der einer näheren Aufklärung bedarf. Es giebt Verbindungen, die keinen asym- metrischen Kohlenstoff, wohl aber einen asymmetrischen Stickstoff, der einem Ring angehört, besitzen. Diese müssten, entsprechend obigen Vorstellungen, als racemische Körper aufgefasst werden und sich als spaltbar erweisen. Die bisher, namentlich beim Tetrahydrochinolin an- gestellten Versuche, sind aber ganz erfolglos geblieben, obgleich die- selben bei sehr verschiedenen Temperaturen ausgeführt wurden.

Hier sei ferner ausdrücklich betont, dass schon etwa vor drei Jahren Hantzsch und Werner’) die Idee eines asymmetrischen Stick- stoffs ganz allgemein ausgesprochen haben, namentlich um durch dieselbe die Isomerie bei den Oximen erklären zu können. Später hat aber Werner diese Auffassung dabin verändert,‘) dass optische Isomerie bei Ammoniakderivaten nicht möglich sei, weil derartige Moleeüle nur dann stabil sein könnten, wenn die drei am Stickstoff gebundenen

1) Man kann sich vorstellen, dass die Bindungen durch die Stickstoffvalenzen so labil sind, dass im Allgemeinen eine asymmetrische Form eines Molecüls nicht in Erscheinung tritt. Anders ist es bei den Piperidinen, Hydrochinolinen und ähnlichen Ammoniakderivaten, wo zwei Valenzen des Stickstoffs durch die Ring- bildung gewissermaassen festgelegt sind.

2) Comptes rendus, 112, 11; vergl. auch Krafft, Ber. chem. Ges. 1890, 2780.

3) Ber. chem. Ges. 23, 11 u. s. w.; vergl. ferner: Willgerodt, Journal für prakt. Chemie 37,449; Burch und Marsh. Journ. chem. Soc. 1889, 656; Bischoff, Ber. chem. Ges. 1890, 1967 u. s. w.

“) Vierteljahrsschrift der Züricher naturforsch. Gesellschaft. Bd. 36.

40 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Sadicale mit diesem selbst in einer Ebene liegen, und dem hat sich Hantzsch angeschlossen.!)

Andererseits hat Le Bel in der schon oben eitirten Abhandlung experimentell die Spaltung asymmetrischer Ammoniakderivate (das heisst solcher, die drei verschiedene an N gebundene Radicale enthalten), aber mit negativem Erfolg versucht. Dagegen ist ihm die Spaltung eines Salmiakderivats, des Methylaethylpropylisobutylammoniumchlorids in zwei optische Isomere gelungen.

Es darf daher schliesslich darauf hingewiesen werden, dass als neue Resultate dieser Untersuchung das Folgende erscheint:

1. Chemische Reactionen können durch optische Isomerie wesent- lich beeinflusst werden.

2. Bei gewisssen Ammoniakderivaten ist die Asymmetrie des Molecüls und die optische Activität durch die Asymmetrie des Stickstoffsmit bedingt.

Allgemeine Uebersicht der meteorologischen Beobachtungen auf der Königl. Universitäts-Sternwarte zu Breslau im Jahre 1892. Mitgetheilt von Dr. J. G. Galle.?)

Höhe des Barometers über Normal-Null des Meeresspiegels 147,03 m.

I. Barometerstand, li. Temperatur. 1892. redueirt auf Celsius, der Luft in Graden nach in Millimetern. Celsius. 8 ® & = B © En S = = a = a en o| | Srdice me ninmze En, Sie Bi 8 : S Be E Ö = = BB 122 E00 = E ae E mm mm mm a {0} Januae!!. 2hr49%.|760,3 6 | 731,2 | 745,07 | 30 90 | 22 1— 180, 2,29 Februar ...| 25 | 56,4 17 | 280 | 43,70 | 22 9,9 17 9,5 0,65 Marzre.n u 19° 1. 65,1 11 | 30,0 | 49,37.|. 28 94 4 |— 11,1 1,13 PpEile..n.. 9. 22 | 56,3 13 | 348 | 47,46 6 21,6 9 I— 2,8 7,94. ar len 2 |565| 5| s66| asse| a9 | 3242| 7 11 1352 Junker 28.)"55,5 | "23 10209 479547 29 30,1 14 8,1 168 a 29 | 5555| 12 | 3992| 75 2 | 7! | 77 1832 August....| 16 | 53,4 2. 4,2. 48.13 19 36,7 6 8,1): 21,33 September.| 18 | 55,7 4 | 41,6 | 50,14 116. in 28.0 1.19 6,61 16,92 October ... | 27 896.1 22 33,2 | 45,64 2 2321 27|— 15 8,61 November ..| 26 | 64,4 2 | 41,1| 54,87 1 ren 27 i— 11,9 1,67 December .| 17 57,9 6 | 30,8 | 46,79 19 8,4 25 |— 15,5) 1,90 u März Febr. Aug. Jan Jahı 19. 765,1 17. 728,0 | 749,97 19. 36,7 99, B 150 8,63

Y) Zeitschr. phys. Chemie X., 2.

?) Zusammengestellt wie in den vorhergehenden Jahresberichten seit 1888 von Herrn G. Rechenberg.

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 41

IH. Feuchtigkeit der Luft. | IV. Wolken- 1832. a. absolute, | b. relative, bildung und

in Millimetern. | in Procenten, Niederschläge. 3 ERBE 3 3 218 © zZ o5 12) n | © oO 12) N > = = uns 5 s|3S|.-8 |2|3 BI |dgaz

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Febr. Ps! Reg: |

V. Herrschende Winde.

Januar, Die westlichen Winde (West und Südwest) kamen in diesem Monat nahe gleich oft wie die östlichen (Ost und Südost) vor, die übrigen Richtungen theils gar nicht, theils nur vereinzelt.

Februar. Die vorherrschenden Windesrichtungen waren Südost und hier- nächst West, erstere in der zweiten, letztere in der ersten Hälfte des Monats.

März. Der Wind wehte am häufigsten aus Nordost, hiernächst folgten die Richtungen Südost, Nordwest, Süd.

April. Vorherrschende Windesrichtungen waren West und Nordwest, Ost und Südost kamen indess ebenfalls häufiger vor,

Mai. Von den Windesrichtungen war keine sehr bestimmt vorherrschend, am häufigsten wurde zwar West verzeichnet, jedoch über Nord- ost, Nordwest, Südwest, Südost nicht sehr überwiegend.

Juni. Die nordwestlichen Windesrichtungen (Nordwest, West, Nord) waren vor den übrigen sehr überwiegend. |

Juli. Vorherrschende Windesrichtungen waren Nordwest und West, doch kamen auch die angrenzenden Richtungen Nord und Südwest, und die Ostrichtung öfter vor.

August. Der Wind wehte am häufigsten aus West, hiernächst aus Süd, Nordwest und Südost und meist mit geringer Stärke.

42 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

September. Die Windstärke war während des ganzen Monats gering, bei 18 Beobachtungen wurde Windstille verzeichnet, am häufigsten kamen die Richtungen Südost, Südwest, West und Nord vor.

October. Von den Windesrichtungen waren die südlichen und die diesen nahe liegenden während des ganzen Monats vorherrschend.

November. Südost- und Ostwinde waren die vorherrschenden, seltener West, Südwest und Süd,

December. Von den Windesrichtungen waren West und Nordwest vorherrschend, Süd und Südost seltener.

VI. Witterungs-Charakter.

Januar. Der Luftdruck war vorwiegend niedrig und nur an 8 Tagen über dem normalen Werthe, die Temperatur dagegen war etwas höher als im Mittel. Eine Periode stärkerer Kälte fand nur vom 14. bis 22. statt. Niederschläge, besonders Schnee, waren häufig und der Betrag derselben überstieg das Doppelte des Normal- werthes. Die Schneedecke, welche vom 10. ab sich bildete, war indess nicht eben hoch und stieg nur für einige Tage etwas über 10 cm, auch löste sich dieselbe in Folge einiger warmen mit Regen verbundenen Tage am Schlusse des Monats ganz auf.

Februar. Der Luftdruck war in diesem Monat ein ungewöhnlich nie- driger und überstieg nur an 7 Tagen den Mittelwerth. Dagegen war die Temperatur vorwiegend hoch und nur vom 14. bis 19. fand etwas strengere Kälte statt. In der Zeit vom 20. bis 27. folgte eine Reihe fast ganz heiterer Tage mit milder Temperatur und ohne alle Niederschläge, wobei die nur vom 8. bis 20. an- dauernde wenig hohe Schneedecke dann ganz verschwand.

März. Der Luftdruck war vorwiegend hoch, bewegte sich jedoch in starken Schwankungen, von einem Minimum am 11. zu einem sehr hohen Maximum am 18. emporsteigend, und mit einer erneuten Schwankung in der zweiten Hälfte des Monats. Die Temperatur sank in der ersten Woche tief unter den Mittelwerth und auch später war das Wetter vorwiegend winterlich und kalt, Erst gegen Ende des Monats, vom 26. bis 28., traten vorübergehend drei warme Tage ein. Die Niederschläge bestanden vorwiegend aus Schnee, so dass sich vom 8. bis 16. noch eine ansehnliche Schneedecke bildete. An dem wärmsten Tage, dem 28., wurde des Abends in Nordwest Wetterleuchten beobachtet und es wurde in den folgenden Tagen aus dieser Richtung das Vorkommen von Gewittern gemeldet,

April. Fast die ganze erste Hälfte des Monats zeichnete sich durch meist ganz klares Wetter ohne alle Niederschläge aus, in der zweiten Hälfte waren dagegen nur wenige Tage ganz ohne Regen, sodass die normale Regenhöhe des April noch etwas überschritten

Mai.

Juni,

ml ı:

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 43

wurde, auch die Wärme in dieser zweiten Hälfte unter den Mittel- werth sank. Im Durchschnitt waren sowohl Wärme als Luftdruck normal, die Feuchtigkeit der Luft dagegen gering,

Der Luftdruck bewegte sich in mässigen Schwankungen. Stärker waren die Schwankungen der Wärme, die in den ersten 23 Tagen sich nur selten über den Mittelwerth erhob und zum Theil tief unter demselben stand, die dann aber in den letzten 8 Tagen den- selben so sehr überschritt, dass das Gesammt-Mittel noch über den Durchschnittswerth des Monats sich stellte. Der Betrag des Regens war etwas über dem normalen Werthe und vertheilte sich fast ausschliesslich auf die ersten drei Wochen. Die dann folgen- senden ungewöhnlich warmen und trockenen Tage waren zum Theil ganz wolkenlos und zwar vom 27, bis 29. ganz ununter- brochen, wie dies hier ungemein selten zu verzeichnen ist.

Der ganze Monat war vorwiegend warın; nur kurze Perioden, wie vom 5. bis 7. (die Pfingstage) und vom 14. bis 16. waren verhältnissmässig kalt. Der Luftdruck bewegte sich nur in ge- ringen Schwankungen. Regentage waren zahlreich, auch Gewitter, von denen jedoch die Mehrzahl in einiger Entfernung vorüberzog. Die Menge des Regens überstieg etwas den Durchschnittswerth. Die Bewölkung war sehr veränderlich und kein einziger Tag konnte als ganz heiter bezeichnet werden.

Der Luftdruck zeigte nur mässige Schwankungen, ebenso die Temperatur, Die Feuchtigkeit der Luft war eine ungewöhnlich geringe und entsprechend auch die Regenmenge, die nur ein Drittheil des Durchschnittswerthes erreichte. Hiervon fiel die Hälfte an einem Tage, dem 15., während die sonstigen Regen geringfügig waren. Der gesammte Witterungs-Charakter desMonats konnte als schön, warm und trocken bezeichnet werden, obwohl ein ganz wolkenloser Himmel nur an wenigen Tagen vorkam.

August. Der Luftdruck war in diesem Monate nur geringen Schwan-

kungen unterworfen. Dagegen war die Wärme während der grösseren Hälfte des Monats eine so ungewöhnlich hohe, wie solche in gleich langer Dauer seit 1791, wo die Beobachtungen auf der hiesigen Sternwarte beginnen, während des ganzen Jahr- hunderts sonst nicht vorgekommen ist. Zwar wird das Maximum

der Wärme von + 36,7 am 19. August von der höchsten Juli- temperatur der Jahre 1841, 1842 und 1870 noch um ein Weniges übertroffen, indess waren dieses nur einzelne besonders heisse Tage und umfassten keine so lange Periode nahe gleich hoher Wärme, wie sie vom 13. August ab in diesem Jahre bei meist unbewölktem Himmel 3 Wochen hindurch bis zum 3. September stattgefunden hat. Ebenso abnorm war die grosse Trockenheit

44 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

der Luft, im Duichschnitt um den ganz ungewöhnlichen Betrag von 17 pCt. von dem normalen Stande abweichend. Entsprechend gering waren die Niederschläge, die fast nur ', des Normal- werthes betrugen und die fast ausschliesslich von einem am 1. August gefallenen Gewitterregen herrührten, so dass im ganzen übrigen Monate eine anhaltende Dürre herrschte, noch verstärkt durch einen in seltenem Maasse wolkenlosen Himmel, so dass nur 2 ganz trübe Tage zu verzeichnen waren.

September. Die ungewöhnlich lang andauernde grosse Hitze des dies- jährigen August setzte sich noch bis einschliesslich den 3. Sep- tember fort, von wo ab eine plötzliche Erniedrigung der Tem- peratur unter den Normalwerth bis zum 9. stattfand. Vom 10. ab hob sich dieselbe von neuem und überschritt bis zum Ende des Monats (mit Ausnahme des 18. und 19.) in ähnlichem Maasse die entsprechenden Normalwerthe wie im August. Die Mittel- Temperatur des ganzen Monats war um mehr als 3 Gr. höher als im vieljährigen Durchschnitt. Die relative Feuchtigkeit der Luft war um 3 pCt. geringer als im Durchschnitt, doch erreichte das (Juantum der Niederschläge sehr genau den normalen Werth. Der Luftdruck bewegte sich in geringen Schwankungen, die sich nur wenig von dem Mittel entfernten.

October. Der Luftdruck erhob sich bei dem vorherrschenden Südwinde nur an 6 Tagen etwas über den normalen Werth, so dass das Monatsmittel ein niedriges war. Die Wärme war im Mittel nor- mal, anfangs höher, dann aber vom 18. bis 28. tiefer als die Normalwerthe, zuletzt folgten noch 5 wärmere Tage. Der Betrag der Niederschläge überstieg den Normalwerth um die Hälfte.

November. Der Luftdruck war im Gegensatz zu dem vorigen Monate fast ununterbrochen hoch und nur an den 3 ersten und dem letzten Tage unter dem Normalwerthe, die Temperatur dagegen war niedrig, über dem Mittel nur an den ersten 9 Tagen. Das Wetter war vorherrschend trocken, trübe und neblig, die Niederschläge betrugen wenig über die Hälfte des Normalwerthes.

December. Der Luftdruck war niedrig, besonders in der ersten Hälfte des Monats, in der zweiten wechselnd. Auch die Temperatur war meist niedrig, jedoch ohne besonders starke Kältegrade, und in den Tagen vom 12. bis 22. war dieselbe über dem Mittel. Niederschläge, besonders Schnee, waren häufig. Die Höhe der Schneedecke hob sich von 6 em am 5. bis zu 21 cm am 8., ver- schwand jedoch bereits wieder am 18. Erst am 30. und 31. fiel von Neuem etwas Schnee. Der Gesammtbetrag der Niederschläge war fast das Doppelte des Durchschnittswerthes. Das Wetter war sehr anhaltend trübe und kein einziger ganz heiterer Tag zu verzeichnen,

Sitzungen der botanischen Section im Jahre 1892.

In der ersten Sitzung vom 14. Januar sprach Professor Dr. Stenzel

über die Artberechtigung von Asplenium germanicum Weis.

Er wurde zu einer erneuten Behandlung der Frage, ob Asplenium germanicum eine eigene Art oder ein Bastard und zwar von A, Tricho- manes und A. septentrionale sei, durch mehrere neuerdings gemachte Be- obachtungen über das Zusammen-Vorkommen dieser drei Arten angeregt.

Um Wölfelsgrund, wo unsere gewöhnlichen Farne, oft in grosser Ueppigkeit, vorkommen, fand er anfangs weder in Felsritzen noch zwischen Felsgeröll das an solchen Stellen der Hügel- und niederen Bergregion sonst häufige A. septentrionale. Nur an der unteren Grenze des Berglandes gegen die Glatzer Ebene fand er es später an einer Steinmauer nahe unterhalb der Kapelle Maria im Schnee am Fahrwege nach Wölfelsgrund in grosser Menge und im folgenden Jahre sparsamer an Felsen, welche nahe an den Weg rechts herantreten, der sich von der Urnitzmühle nach Maria im Schnee anfangs in einer Schlucht hinaufzieht. Hier wuchs es an mehreren Stellen mit A. Trichomanes vermischt und zwischen ihnen ein Paar Stöcke von A. germanicum. Der eine war mit A, Trichomanes so verfilzt, dass er sich ohne Ver- letzung nicht wohl hätte von ihm trennen lassen; er wurde neben den von derselben Stelle entnommenen begleitenden Arten der Section vorgelegt. i

Von Landeek aus besuchte er später den grauen Stein, von welchem A. germanicum schon angegeben war, und fand es hier auf dem Basaltkamme, welcher als eine steil abfallende Mauer den Gneis durch- brochen hat und den Rücken des Berges bildet, wie er erwartet hatte, zwischen noch zahlreicheren Pflanzen von A. Trichomanes und A. septen- trionale. An keiner dieser Stellen wuchs A. Rula-muraria.

Milde sagt nun freilich, zu A. Trichomanes stehe A. germanicum in gar keiner Beziehung (Höhere Sporenpflanzen Deutschlands, $. 34); und in der That sind beide schon auf den ersten Blick so verschieden, und noch mehr A. Trichomanes von A. septentrionale, dass eine Kreuzung der beiden letzteren ganz ausgeschlossen erscheint. Wenn man aber ein

46 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Blatt von A. germanicum zwischen je eines von den beiden anderen Arten legt, so findet man doch, dass es fast in allen Stücken zwischen diesen die Mitte hält. Diese Vergleichung wurde an neben einander genau nach der Natur gezeichneten, aber auf '/, m Länge vergrösserten einzelnen Blättern der drei Arten erläutert. Wir heben nur die Punkte hervor, in denen A. Trichomanes und A. septentrionale am meisten von einander abweichen. |

Die Spreuschuppen, welche bei A. Trichomanes das, wie bei den anderen Arten, kurze, dünne, kriechende Stämmcehen zwischen den Blatt- stielen und Wurzeln besetzen, haben dadurch, dass die mittleren Zell- reihen stark verdiekte Wände mit engem Lumen haben, einen deutlichen Scheinnerv; bei A. septentrionale fehlt dieser und bei A. germanieum sind nur die Randzellen dünnwandiger als die übrigen,

Bei A. Trichomanes ist der Blattstiel ganz kurz, glänzend dunkel- braun wie die Blattspindel bis nahe unter der grünen Spitze, beide sind auf der oberen Seite mit einer Längsrinne versehen und seitlich geflügelt; bei A. germanicum ist der Blattstiel etwa 1'/, mal, bei A. septen- trionale 2—3 mal so lang als die Spreite, bei dem ersten in der unteren Hälfte, bei dem letzteren nur ganz am Grunde braun, sonst bei beiden grün und wie die Spindel zwar mit einer Längsrinne, aber ungeflügelt.

Die Blattspreite ist bei A. Trichomanes einfach gefiedert, jeder- seits mit 15—30, aus breit keilförmigem, ganzrandigen Grunde rund- lichen, kerbzähnigen Fiedern. A. septentrionale hat meist nur eine End- und eine Seitenfieder, zu denen öfter noch eine oder zwei hinzutreten; sie sind spitz-keilförmig, fast linealisch, vorn und unter der Spitze mit einigen oft ziemlich langen Zähnen. A. germanicum hält zwar in der Zahl der Fiedern einigermaassen die Mitte, indem jederseits 2—5 da sind; ebenso in der Form, welche spitz-keilförmig aber vorn noch ziem- lich breit ist, mit einigen kleinen Zähnen. Aber die beiden untersten Fiedern sind oft, bei der Form montanum, länger gestielt, und tragen noch 1—-2 Seitenfiedern, die nächsten noch einen mehr zahnartigen Ab- schnitt an ihrem inneren Rande. Das Blatt ist also mehr zusammen- geseszt, als das der beiden anderen Arten, und dies ist wohl der einzige Punkt, welcher sich nicht ohne Schwierigkeit aus der Vermischung der letzteren erklären lässt. Indess sind die Blattzähne bei A. septentrionale lang und spitz, und von ganz anderer Art, als die Kerbzähne von A. Trichomanes. Die unterhalb der Spitze stehenden nähern sich schon selbstständigen Blattabschnitten und zuweilen stehen sie solchen ganz nahe, indem sie nicht weit über dem Grunde der Fieder sich von dieser trennen und sich ihr an Grösse wenigstens annähern. Sehen wir nun, dass, je mehr Seitenfiedern sich ausbilden, die untersten um so mehr die Neigung haben, sich zu theilen, so rührt die stärkere Zerteilung des

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 47

Blattes bei A. germanicum vielleicht daher, dass es durch die Einwirkung von A. Trichomanes mehr Seitenfiedern bildet.

Die Verschiedenheiten in der Zahl, Vertheilung und Gestalt der Fruchthäufchen lassen sich auf die verschiedene Grösse und Gestalt der Fiederblättehen und den dadurch bedingten Verlauf der Nerven zurückführen,

Eine nachträgliche Untersuchung der Sporen hat ergeben, dass diese an der stattlichen Pflanze von Wölfelsgrund noch nicht reif, an denen vom grauen Stein bei Landeck aber nicht regelmässig ausgebildet waren, wie das auch Luerssen (Farnpflanzen in Rabenhorst’s Krypto- gamenflora III $. 245) als Regel angiebt. Sie waren unregelmässig eckig und runzelig, manche länglich und gebogen, oft mit dunkelbraunem Inhalt und allem Anscheine nach nicht keimfähig, während die gleich- zeitig daselbst gesammelten Pflanzen von A. Trichomanes und A. septen- trionale regelmässige länglich runde, hellere Sporen mit netzförmigen Leisten hatten, die am Rande knotenförmig vorsprangen.

Die Möglichkeit, dass unsere Pflanze aus einer Kreuzung dieser beiden Arten hervorgegangen sei, ist deshalb kaum von der Hand zu weisen. Ihr Vorkommen giebt dieser Annahme sogar einige Wahr- scheinlichkeit. Es wäre daher sehr zu wünschen, dass Alle, welche sie künftig finden, auch an schon bekannten Standorten, zusähen, in Be- gleitung welcher anderen ihr verwandten Arten sie sich an dem Stand- orte befindet, was bisher oft nicht mit angegeben worden ist. Ferner würde eine noch vollständigere anatomische Untersuchung, als sie schon, namentlich durch Luerssen (a. a. OÖ. S. 240 ff. und bei den verwandten Arten) angebahnt worden ist, vielleicht noch manche für oder wider sprechende Thatsachen ergeben, wenn Wurzel, Stämmchen, Blatt- stiel und Blattspindel, Oberhaut aller Theile des Blattes, Fruchthäufchen bis auf die Sporen immer im Vergleich mit den beiden vermuthlichen Stammarten berücksichtigt würde.

Einen Beweis könnte freilich nur die Erziehung von Pflanzen des Asplenium germanicum aus einer gemischten Aussaat von Sporen des A. Trichomanes und A. septentrionale von Standorten, an denen A, ger- manicum fehlt, liefern.

Dr. Rosen berichtet, dass schon vor Jahren in Strassburg Versuche angestellt worden seien, die Bastardnatur des A. germanicum experimentell zu erweisen, dass jedoch diese Versuche das erwartete Resultat nicht ergeben hätten und daher auch nicht bekannt gemacht worden seien.

Nachschrift. Im Sommer 1892 hat Prof. Stenzel unter den zahlreichen Stöcken von A. septentrionale an der Steinmauer unterhalb der Kapelle zu Maria im Schnee, auch an solchen Stellen, wo sie neben A. Trichomanes wuchsen, kein A. germanicum gefunden. Die (vermuth- liche) Kreuzung kommt also auch in der Natur nicht überall zu Stande,

48 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

wo das wohl geschehen könnte. Dies hat auch nichts Auffallendes, da wir die besonderen Bedingungen, unter welchen sie stattfindet, noch nicht kennen. Dagegen spricht doch entschieden für den Ursprung des A. germanicum aus einer solchen Kreuzung, dass es der Vortragende an den sehr zahlreichen, weit auseinander liegenden Stellen, wo A. Tricho- manes um Wölfelsgrund allein wächst, nirgends gefunden hat, an der ersten Stelle aber, wo er es in diesem Sommer mit A. septentrionale antraf, mehrere, z. T. sehr kräftige Stöcke desselben wuchsen. Es war dies an einem Felsen am rechten Ufer der Wölfel oberhalb der Urnitz- mühle, aber immer noch eine ganze Strecke von dem früher erwähnten Felsen am Aufstiege nach Maria im Schnee entfernt.

Hierauf sprach Cand. phil. Paul Schottländer über histologische Untersuchungen über Sexualzellen bei Kryptogamen.

Anschliessend an die Untersuchungen von Professor L. Auerbach, der bei den Wirbelthieren einen auffallenden Gegensatz in der Färbung der Kerne der männlichen und weiblichen Sexualzellen, resp. der Köpfe der Spermatozoen einerseits und der Keimbläschen andererseits, con- statirle, dergestalt, dass bei vollkommen gleicher Behandlung beider mit rothen und blauen Farbstoffen, die gleichzeitig oder nacheinander ein- wirkten, die männlichen Kerne sich blau, die weiblichen roth färbten, untersuchte Vortragender im hiesigen pflanzenphysiologischen Institut in dieser Beziehung die männlichen und weiblichen Sexualzellen einiger Kryptogamen und erhielt folgende Resultate:

1. Aneura pinguis. In den Spermatozoenmutterzellen findet man central gelagert den bei der angewandten Färbemethode gleichmässig blaugefärbten Kern, welcher feine rothe Pünktchen zeigt, das Zellplasma ist schwach roth. Später rückt der Kern an den einen Pol der Zelle, die Hauptmasse des Plasmas an den andern; nunmehr treten im Innern des Kernes hellere Räume auf, herrührend von einer sich entwickelnden Formveränderung, welche dahin führt, dass das Plasma vom Kern wurst- förmig umwallt wird. Das reife Spermatozoon die Zwischenstadien wurden noch nicht beobachtet besteht aus rother Grundsubstanz mit blauen, anfangs zu Spiralen aufgezogenen Ringen, von welchen später mitunter mehrere verschmelzen. Am vorderen Ende des Spermatozoon sind zwei schwach rothgefärbte Geisseln, am hinteren ein gleichfalls schwach rothgefärbter Rest von Zellplasma, der Blase entsprechend, die das Spermatozoon mit sich herumführt, bevor es in das Archegon ein- dringt. Archegonien von Aneura konnten nicht untersucht werden.

2. Gymnogramme chrysophylla. In den jungen Antheridien ist das verdichtete Plasma des Archespors intensiv roth gefärbt, die Kerne zeigen meist zwei grosse rothe Nucleolen und eine fein vertheilte blaue Substanz. Sie entsprechen in diesem Stadium ganz den Kernen der

Ii. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 49

Wandzellen,. Später verschwinden die Nucleolen und die Spermatozoon- zellen zeigen einen uhrfederartig zusammengerollten, rein blauen Kern, umgeben von einer dünnen, rothgefärbten Plasmahülle. Desgleichen sieht man innerhalb der Windungen des Kernes roth gefärbtes Plasma. Die ausschlüpfenden Spermatozoen stellen ein Spiralband dar, dessen Kanten dicker sind, als die Mitte, so dass sein Querschnitt nicht elliptisch, sondern hantelförmig ist. Dieses intensivblaue Spiralband beschreibt 2'), Windungen. Am vorderen Ende sitzen die rothgefärbten Geisseln, am hinteren eine rothe feine Membran aus Protoplasma. Die Blase, welche vor dem Eindringen ins Archegon abgeworfen wird, ist gleich- falls roth gefärbt. Die Archegonien stossen, wie bekannt, beim Oeffnen die zu Schleim degenerirten Kanalzellen aus. Dieser Schleim färbt sich intensiv blau. Die Eizelle ist sehr substanzarm und erscheint von feinen rothen Körnchen durchsetzt; rothe Nucleolen liessen sich in einzelnen Fällen constatiren, doch ist auch das Vorhandensein von blau gefärbten Inhaltskörpern nicht zu bestreiten. Eingehendere Untersuchungen enthält die Inaugural-Dissertation des Vortragenden: Beiträge zur Kennt- niss des Zellkerns und der Sexualzellen bei Kryptogamen. Breslau 1892; und in Cohn: Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Bd. VI. Heft 2, S. 266 bis 304.

Professor Dr. Leopold Auerbach berichtete kurz

über den Gang und die Resultate seiner auf die Ermittelung tinctioneller Differenzen in den Zellkernen höherer Thiere gerichteten Untersuchungen.

Der Thatbestand ist folgender: Es lässt sich eine grosse Anzahl von Combinationen rother und blauer Kernfarbstoffe aufstellen, welche alle das gemeinsame haben, dass sie im Kern gewisse Bestandtheile blau, andere roth färben, weshalb dieselben als kyanophil und erythrophil bezeichnet werden. Bei gewöhnlichen Kernen hat Vortragender das gleichzeitige Vorkommen beider Substanzen nachgewiesen, während bei Anwendung irgend eines der betreffenden Farbgemische auf die Sexual- zellen der Wirbelthiere die Kerne der Samenzellen blau, die der Ei- zellen roth gefärbt werden. Danach erscheinen die Kerne der vege- tativen Zellen als zwitterig, indem sie sowohl erythrophile als auch kyanophile Substanz führen, die Kerne der Sexualzellen dagegen ein- geschlechtig, theils männlich (blau), theils weiblich (roth).

Zwei Fragen schliessen sich nun naturgemäss an, nämlich einmal, ob die erwähnten Resultate, welche an den Sexualzellen von 10 Wirbel- thierarten aus verschiedenen Abtheilungen gewonnen wurden, allgemeine Giltigkeit haben, und zweitens, ob die beiderlei Sexualstoffe mit den in vegetativen Kernen zu beobachtenden erythrophilen und kyanophilen Substanzen thatsächlich identisch sind. Während Redner selbst zur Zeit mit der Lösung der letzteren Frage beschäftigt ist, giebt das von Herrn 7693 %

50 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Schottländer mitgetheilte Resultat eine erwünschte Bestätigung der ersteren aus einem ganz anderen Gebiete des organischen Reiches.

Auf einen Einwurf des Dr. Rosen, dass man bei Pflanzen analoge Färbungen der Kerne und ihrer Bestandtheile erzielen könne, wie die besprochenen, dass man aber die Vertheilung von Roth und Blau will- kürlich umkehren könne, entgegnet Professor Auerbach, es beweise dies doch nur, dass die Bezeichnungen ‚„erythrophil“ und ‚„kyanophil“, welche er selbst nur in Bezug auf eine bestimmte Methode angewandt habe, keinen Anspruch auf absolute Giltigkeit besitzen; die Hauptsache, die tinetionelle Differenz bleibe. Uebrigens habe er neuerdings eine Färbemethode gefunden, bei welcher ein nachträgliches Auswaschen mit den dabei möglichen Störungen wegfalle. Zu den Gliedern der blauen Farbstoffreihe gehören, wie er nachgewiesen, neben sogenannten basischen auch saure (z. B. Acetinblau) und zu denen der rothen Reihe neben sauren auch basische Farbstoffe (z. B. Rosanilinsalze).

Prof. Auerbach und Herr Schottländer demonstrirten die von ihnen besprochenen Verhältnisse an mikroskopischen Präparaten.

In der zweiten Sitzung am 28. Januar sprach Geh. Bergrath Dr. Runge

über ein neues Vorkommen der Stigmaria ficoides auf der Steinkohlen- grube Piesberg bei Osnabrück.

Daselbst findet sich über dem 68 em mächtigen Steinkohlenflötze Zweibänke eine 65 em mächtige Lage wilden, sandfreien Schieferthons, welche mit zahlreichen, mehrfach diehotomirenden Zweigen von Stigmaria fieoides erfüllt ist. Die Neigung der Gebirgsschichten gegen den Horizont beträgt 19 Grad und die Stigmariazweige breiten sich bis mehrere Meter weit parallel der Schichtung aus. Diese Stigmariazweige haben sich wiederholt bis zu einem centralen Vereinigungs- oder Ausgangspunkte verfolgen lassen, von welchen aufrechte Stämme von 1—1'), m Durch- messer sich erheben, die über jenem sandfreien Schieferthon lagernden Schichten von sandigem Schieferthon und Sandstein rechtwinklig durch- schneiden, und sich bis zu 2 m Höhe, d. h. bis an eine Conglomerat- schicht verfolgen lassen, in welcher sie nicht mehr zu erkennen sind. Dieses Vorkommen ist seit Anfang der 70er Jahre bekannt und es sind 10 derartige Stämme bis jetzt beobachtet worden. Zwei sehr schöne solche Stämme sind im Zusammenhange mit ihren Stigmaria-Verästelungen am unteren Ende mit vieler Mühe wohlerhalten zu Tage gefördert, und der eine im städtischen Museum in Osnabrück, der andere im Museum der Königl. Bergakademie zu Berlin sehr instructiv aufgestellt, so dass sie der Beobachtung und wissenschaftlichen näheren Untersuchung jeder- zeit zugänglich sind,

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 51

Dieses Vorkommen ist wichtig für die Beantwortung der immer noch in mehrfacher Beziehung sehr zweifelhaften Stigmarienfrage. Das- selbe weist unwiderleglich nunmehr zum ersten Male auch in Deutsch- land nach, dass die sich stets parallel der Schichtung, d. h. also ursprünglich in horizontaler Richtung ausbreitende Stigmarien-Pflanze stellenweise aufrecht stehende verticale Stämme hervorgetrieben hat.

Bereits in den 40er Jahren dieses Jahrhunderts ertönte von England her das Signal, dass die Stigmaria nur die Wurzeln der bekannten Sigillarien seien. Göppert konnte sich lange nicht mit dieser Ansicht befreunden, und zwar besonders deshalb nicht, weil nach seinen, noch heute maassgebenden Untersuchungen die Stigmarien und Sigillarien in Niederschlesien und in Oberschlesien eine doch recht verschiedene Entwickelung zeigten. Während in Niederschlesien die Stigmaria so ausserordentlich stark hervortritt, dass einzelne Flötze des liegenden Flötzzuges, welcher sich von Salzbrunn über Altwasser nach Charlotten- brunn verfolgen lässt, fast nur aus Stigmaria zu bestehen scheinen, in dem man aus jeder Schichtungsfläche der vorwiegend schiefrigen Kohle bei einiger Aufmerksamkeit die charakteristischen runden Narben der Stigmaria in regelmässiger Quincunx-Stellung erkennen kann, kommt die Stigmaria in Oberschlesien allerdings auch häufig vor; aber sie tritt daselbst doch im Vergleich mit Niederschlesien ganz auffallend gegen andere Steinkohlenpflanzen, besonders die Sigillarien, zurück: dergestalt, dass in Oberschlesien, besonders in der Gegend von Mokrau, Nicolai und Örzesche, ganze Steinkohlenflötze von mehreren Metern Mächtigkeit ausschliesslich aus Millionen flach zusammengedrückter, eng über- einander liegenden Sigillarien - Stämme bestehen. Auch Leopold v. Bach sagte in seiner drastischen Weise: „Die Wurzeln der ober- schlesischen Bäume können doch unmöglich in Niederschlesien gefunden werden.‘ Später glaubte Göppert allerdings am unteren Ende einiger oberschlesischer Sigillarien-Stämme einige Stigmaria-Narben zu erkennen und so den Uebergang der Sigillarien- Skulptur in Stigmaria bestätigen zu können. Seit Anfang der 60er Jahre bis zu seinem Tode hat er auch auf diesem Standpunkt gestanden, dass die Stigmaria nur die Wurzeln der Sigillaria seien. |

Der Vortragende hat diese ihm von Göppert gezeigten angeblichen Stigmaria-Narben indess nicht als solche anerkennen können; und heute noch ist diese so interessante Frage sehr zweifelhaft. Auch an den breiten Stämmen des Osnabrücker und Berliner Museums hat der Vor- tragende zwar die horizontalen, vom unteren Stammwerk auslaufenden dichotomierenden Organe als echte Stigmaria ficoides erkannt; an dem aufrechten Theil der Stämme hat derselbe aber, obwohl an einigen Stellen noch Kohlenrinde erhalten ist, trotz aufmerksamster Prüfung nicht die Skulptur von Sigillaria oder Lepidodendron oder einer anderen

AF

59 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. ihm bekannten Steinkohlenpflanze erkennen können; überhaupt hat der- selbe, so viele Tausende von Stigmaria, Sigillaria und Lepidodendron ihm begegnet sind, noch niemals Gelegenheit gehabt, eine unzweifelhafte Stigmaria in Verbindung mit einer unzweifelhaften Sigillaria oder einem Lepidodendron oder einer anderen ihm bekannten Steinkohlenpflanze zu beobachten.

Der Vortragende legte einige Zeichnungen und Belegstücke vor, welche auf die interessante Frage Bezug hatten, und machte schliesslich auf einen von ihm in Begleitung Göppert’s in den 40er Jahren ge- sammelten, höchst interessanten, wohlerhaltenen Centralstock einer Stigmaria aufmerksam, welcher, in Schatzlar gefunden, sich heute noch im mineralogischen Cabinet der hiesigen Universität befindet, und dem Osnabrücker Vorkommen völlig entspricht; nur dass sich auf der oberen Seite des kreuzförmigen Stückes, an Stelle des aufrecht stehenden Stammes, eine kreisrunde Bruchfläche befindet. Vergl. das Buch des Vortragenden: Das Ruhr-Steinkohlenbecken, bearbeitet von Dr. Wil- helm Runge, Geh. Ober-Bergrath; mit einem Atlas von 12 Tafeln, Berlin 1892,

Im Anschluss an diesen Vortrag berichtete Prof. Dr. Stenzel

über die Untersuchungen von Grand-Eury in Bezug auf Stigmaria und Sigillaria. Realschullehrer G. Limpricht legte als neue deutsche Moose aus dem Bodensee vor: Fissidens grandifrons, Bryum pseudotriguetrum, Hypnum Gerwigü.

In der dritten Sitzung vom 1l. Februar legte Prof. Prantl eine kürzlich erschienene Abhandlung von Murbeck vor, welche das in der vorletzten Sitzung durch Prof. Stenzel besprochene Asplenium germanicum zum Gegenstande hat, und zeigte an der Hand der dort mitgetheilten, von Stud. pharm. Appel nachuntersuchten und erweiterten anatomischen Befunde, dass der Annahme nichts im Wege steht, ge- nannter Farn sei kein Kreuzungsproduct, sondern eine selbstständige Art aus der Gruppe des A. septentrionale.

Derselbe legte einen von Wichura in Japan gesammelten Farn- bastard, Microlepis strigosa > marginalis, vor.

Dr. Rosen sprach über die chromatischen Eigenschaften der Nucleolen und der Sexualzellkerne bei den Liliaceen. In ruhenden Kernen von Scilla sibirica lassen sich zweierlei Kern- körperehen unterscheiden, von welchen die einen bei Doppelfärbungen vorwiegend rothe, die anderen blaue Farbstoffe aufnehmen, und welche

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 53

daher als „erythrophil“ und „kyanophil‘“ im Sinne Auerbach’s zu be- zeichnen sind. Für die erythrophilen wird der Name Eunuceleolen, für die kyanophilen Pseudonucleolen vorgeschlagen. Kyanophile Nucleolen wurden bei anderen Liliaceen nicht beobachtet, dafür ist aber hier das chromatische Gerüstwerk (wie wohl stets) kyanophil. Bei der Kern- theilung erweisen sich die chromatischen Elemente, d. h. der Kern- faden und seine Segmente als kyanophil, die Nucleolen, Spindel- und Verbindungsfäden, sowie die Zellplatte als erythrophil.

In den Pollenkörnern von Hyacinthus orientalis erwiesen sich die beiden Kerne als chromatisch verschieden; die kleineren generativen Kerne, welehe als männliches Element die Befruchtung der Eizelle be- wirken, sind kyanophil, wie die Köpfe der Spermatozoen bei den Wirbel- thieren; der vegetative Kern des Pollenkorns ist dagegen erythrophil. Hierin gleicht er ganz dem Eikern, sowie übrigens sämmtlichen Kernen des Embryosackes. Demnach wäre, für die untersuchten Fälle wenigstens, Kyanophilie das Charakteristikum der männlichen, Erythrophilie das der weiblichen Sexualkerne,. Es besteht in dieser, sowie in mehreren anderen, hier nicht näher zu besprechenden Verhältnissen eine über- raschende Uebereinstimmung mit den Befunden Auerbach’s an den Sexualzellen der Wirbelthiere. Bezüglich der erythrophilen Eigenschaften des Eikerns konnte festgestellt werden, dass dieselben sich schon lange vor der Bildung des eigentlichen Eikernes an dem Kern der sogenannten Embryosackmutterzelle deutlich erkennen lassen, bei Tulipa beispiels- weise schon Anfangs Februar an im Freien wachsenden Exemplaren; während der generative Kern des Pollenkorns erst kurz vor der Reife desselben kyanophil wird. Allerdings findet auch dies schon einige Zeit vor dem Aufblühen statt, da der Pollen der Liliaceen sehr früh- zeitig zu reifen pflegt. Eine ausführliche Darstellung der Beobachtungen des Vortragenden ist in Cohn’s Beiträgen zur Biologie der Pflanzen, Band V pag. 443, erschienen.

Professor Auerbach erkennt die erfreuliche prineipielle Ueber- einstimmung des nun auch an den Sexualzellen der phanerogamen Pflanzen Ermittelten mit seinen eigenen Befunden an Thieren an. Er bestreitet, dass die kyanophilen Innentheilchen einfach als Nuclein anzusprechen seien, da auch in den erythrophilen ein Gehalt von Nuclein vorkomme. Die Chemie habe bereits mehrere Abarten des Nuclein erkannt, und es mögen diese auf die verschieden färbbaren Körperchen vertheilt sein. Letztere differentiell zu bezeichnen, sei wohl rathsam, hingegen zu be- zweifeln, ob sich gerade der Ausdruck Pseudonucleolen empfehle.

Schliesslich spricht Professor Auerbach noch die Vermuthung aus, dass in der Entwickelung der Phanerogamen die Aussonderung der männlichen Keimsubstanz schon bei derjenigen Zelltheilung beginne, welche die Anlage des Embryosackes liefert, Zu dieser Meinung sei

54 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

er durch die vorliegenden Präparate und Zeichnungen des Herrn Dr. Rosen veranlasst, in welchen sich die innersten, den Embryosack umgebenden Zellen des Nucellus mit besonders reichlicher kyanophiler Kernsubstanz ausgestattet zeigen.

In der vierten Sitzung vom 25. Februar berichtete Gym- nasiallehrer Dr. Schube über die von Apotheker E. Fiek und ihm zusammengestellten

Ergebnisse der schlesischen Florendurchforschung im Jahre 1890.

Dieselben sind inzwischen im Jahresberichte der Schles. Gesellschaft für 1891, Botan, Section S. 37”—129 (Separat-Abdruck $. 19—61) erschienen.

Der Vortragende legte eine Anzahl interessanter Pflanzen von neuen schlesischen Standorten vor, welche von H. Callier, Lehrer Schröder in Ochelhermsdorf und Anderen eingesandt worden waren,

Sodann berichtete der Vortragende

über die Ergebnisse der Durchforschung der schlesischen Phanerogamen- flora im Jahre 1891,

zusammengestellt von E. Fiek, mit Nachträgen von Th. Schube, welche ebenfalls im Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für 1891, Botan. Section $. 155—180 (Separat-Abdruck $. 87—112), zum Abdruck gebracht worden sind, insbesondere auch über seine eigenen Funde, die Ergebnisse seiner Ferienreise von 1891, welche von Brieg aus nach Oberschlesien und den Beskiden, sodann in das Riesengebirge geführt und eine stattliche Anzahl neuer Fundorte für interessante und seltenere schlesische Pflanzen ergeben hatte.

Ferner legte derselbe vor eine Abhandlung unseres correspondirenden Mitgliedes, Lehrer Julius Gerhardt in Liegnitz,

über Poa Figerti (nemoralis >< compressa) nov. hybr.

Vor Jahren schon fiel mir unter den Varietäten der Poa nemoralis L. eine der Varietät firmula Gaud. ähnliche Form auf, welche ich in meiner 1885 erschienenen Flora von Liegnitz wegen ihrer zusammen- gedrückten Stengel als var. subcompressa m. einführte.e Auch Rudolph v. Uechtritz-Breslau neigte sich dieser Ansicht zu und nahm sie als Subvarietät von firmula. Nachdem ich durch eine längere Reihe von Jahren meine Beobachtungen eingestellt, bot sich mir im Vorjahre durch einen vierwöchentlichen Aufenthalt in Lähn, dem landschaftlich so reizend gelegenen Boberstädtehen, Gelegenheit, der Pflanze wieder näher zu treten. Reichliches Material boten namentlich die mit Rasen belegten alten Ringmauern des katholischen Kirchhofs, sowie dem Bober zu- gewendete, steile Abhänge eines Schiefergesteins oberhalb des dortigen Schiesshauses. Das früher von mir auf den Dorfmauern von Hermanns-

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 55

dorf, Kreis Jauer, gesammelte Material erwies sich als mit dem in Lähn gefundenen vollständig identisch. An beiden Fundorten wachsen gleichzeitig Poa nemoralis L. und Poa compressa L., und zwar in den vulgären Formen, doch in verschwindend geringer Menge gegenüber der von mir als hybrida angesprochenen, massenhaft auftretenden Form. Da erfahrungsgemäss Hybride dort, wo sie ungestört sich vermehren können, dies nicht selten auf Kosten ihrer Stammeltern thun, ja die- selben oft gänzlich verdrängen (Carex-, Hieracium-, Alopecurus-Bastarde u. a.), so lag mir der Gedanke an die Möglichkeit nahe, dass auch im vorliegenden Falle die Natur ein Gleiches gethan, und ich kam dann nach eingehender Untersuchung zu der Ueberzeugung, dass die in Frage stehende Form recht wohl als Kreuzung zwischen den vorgenannten Arten, der Poa nemoralis L. und Poa compressa L. anzusehen sei, um so mehr, als sie auch den schwankenden Charakter der Hybriden zeigt, also bald mehr der einen, bald mehr der anderen Stammart zuneigt.

Indem ich dieselbe Poa Figerti nenne, ehre ich damit den Entdecker zahlreicher Hybriden, meinen scharfsichtigen einstigen Schüler, jetzigen Freund, Fach- und Berufsgenossen, Herrn Gymnasial-Vorschullehrer Figert von hier.

Der besseren Uebersicht wegen lasse ich nun die Resultate meiner Untersuchungen in tabellarischer Form folgen.

Poacompressa L.|Poa nemoralis L.| Poa Figerti m.

1. Allgemei-} Wuchs locker rasen-|Wuchs nicht oderkaum| Wuchs locker bis

nes. förmig mit längeren] rasenformig, dann| mässig dicht rasen- Ausläufern. Pflanze| mit sehr kurzen Aus-| förmig, mit kurzen graugrün. läufern. Pflanzegras-| Ausläufern. Pflanze grün. etwas dunkler grün als die vorher- gehende. 2. Stengel. |AmGrunde inlängerem|Am Grunde sehr kurz| Am Grunde kurz bogig a. Richtung:| Bogen aufsteigend,| bogig aufsteigend,| aufsteigend, dann dann aufrecht. dann bald aufrecht.| bald aufrecht. b. Theilung:| Astlos. Oft am Grunde des] Astlos.

Stengels mit einem oder einigen auf- rechten Aesten.

c. Form: |Bis an die Inflorescenz|Bis an die Inflorescenz | Bis zum obersten Inter-

zweischneidig zu-| rund. nodium _ zweischnei- sammengedrückt. dig, von da bis zur

Inflorescenz rundlich

zusammengedrückt.

d. Höhe: |Bis 40 cm. Bis 80 cm. Meist 50 und bis 60 cm. e. Dicke: |ImVerhältnisszurHöhe|ImVerhältniss zur Höhe | ImVerhältniss zur Höhe dick. dünn. etwas dicker als die

| vorhergehende Art.

56 3. Blätter. a. Scheide:

gestreift; alle Schei- denkahl,etwaslocker anliegend; oberste Scheide immer län- ger als ihre Fahne.

Mitte und neben dem Seitenrande deutlich tiefer gestreift; alle Scheiden eng anlieg., sporadisch mit winzig. Zähnchen; oberste Scheide so lang oder kürzer alsihreFahne.

b. Fahne des|Das darüber liegende|Das nächst höhere In-

vorletzten Blattes: c. Blatt-

häutchen:

4. Inflores- cenz.

a. Allgemei-

nes.

Internodium überragend.

wenig

vortretend, meist wie abgestutzt.

einseitig entwickelt, nach dem Verblühen wenig oder nicht zu- sammengezogen.

ternodium bedeutend überragend.

Kurz, selten etwasmehr| Wie bei compressus.

Rispe gedrungen, oft|Rispe locker, allseitig

entwickelt, sparrig, oft schlaff überhän- gend,nach derBlüthe zusammengezogen.

b. Unterster | Ein- bis fünfästig, doch |Ein- bis fünfästig, meist

Quirl:

meist weniger ästig, gewöhnlich ein Ast doppelt so lang als der nächstlängste desselben Quirls; nicht grösser, oft im Umfange kleiner als der darüber stehende Quirl.

fünfästig; längster Ast etwa 1'/,mal so lang als der nächst- längste desselben Quirls; umfänglich meist grösser als der folgende Quirl.

c. Aehrchen:|Drei- bis zehnblüthig.|Drei- bis fünfblüthig.

d. Blüthen- Deckblätter:

der weisshäutigen, stumpfen Spitze ent- weder nur gelb oder dahinter noch violett angelaufen; Mittel- und Randnerv höch- stens im Basaldrittel dicht u. kurz seiden- artig behaart; die Haare anLängewenig verschieden.

Grün, nicht selten vor] Von derselben Farbe

und Zeichnung wie compressa ; Spitze we- niger stumpf; Mittel- u. Randnerven meist erst von der Mitte ab nach der Basis hin dicht und seiden- artig behaart, die unteren Haare oft bedeutend länger, Zotten bildend.

e. Aehrchen-|[,anzettlich, meist von|Form und Färbung wie

Hüllblätter:

der Spitze bis zur Basis am Seitenrande hin blau angehaucht, | oft bis nahe zur Spitze des nächsten Blüthchens reichend.

bei compressa, etwa das Spitzendrittel der dahinter Blüthe freilassend.

Das

Wie bei

Rispe locker,

stehenden|

Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Fast gleichmässig tief;Nahe der kielförmigen}Wie bei nemoralis ge-

streift u. anliegend, kahl ; oberste Scheide meist länger als ihre Fahne.

nächst höhere Internodium wenig überragend.

den beiden Vorhergehenden.

selten etwas schlaff, allsei- tig entwickelt, spar- rig, nach der Blüthe wenig oder nicht zu- sammengezogen.

Ein- bis fünfästig, zum

öftersten vierästig; längster Ast etwa 1!/,mal so lang als der nächst‘ längste desselben Quirls, um- fänglich meist grös- ser als der folgende Quirl.

Drei- bis sechsblüthig. Färbung, Zeichnung u.

Behaarung wie bei nemoralis ‚Deckblatt- spitze stumpflich.

Form und Färbung wie

bei Vorsteh., nur etwa !/, der Länge des dahinter stehen- den Blüthchens frei- lassend.

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 57

f. Beweh- |Oberer Theil der Ris-|Bewehrung wie beilBewehrung wie bei rung: penaxe alle Aeste!l compressa, doch sind| compressa, auch was und alle Mittelnerven| die feinen Spitzen] die Bildung der Zähn- der Deck- und Hüll-| der Zähne, nament-)| chen anlangt. blätter in ihrer Axi-| lich an den Aesten calhälfte mit sehr] der Quirle, fast im- kurzen, schief zur|j mer deutlich länger Spitze gerichteten,} als der Basaltheil. abstehenden Zähn- chen, deren feine Spitze kaum halb so lang ist, als die ver- breiterte Basalhälfte.

Die Samenentwickelung der hybriden Form bedarf noch weiterer

Beobachtung; es gelang mir noch nicht, ausgebildete Samen aufzufinden.

Ueber die Verbreitung der Pflanze lässt sich Weiteres noch nicht angeben, doch ist zu vermuthen, dass ihr Vorkommen bei der Häufigkeit der Stammeltern öfters nachgewiesen werden wird.

Ober-Stabsarzt Professor Dr. Schröter gab über seine Bearbeitung der ihm zugegangenen südamerikanischen Pilze eine vorläufige Mittheilung. |

Bis vor wenigen Jahrzehnten war die Pilzvegetation Südamerikas wenig bekannt, ausser der Bearbeitung der Pilze in Gay’s Flora von Chile durch Montagne und einer Aufzählung der bis dahin bekannten Pilze von Brazil durch Berkeley und Cooke bestanden nur spärliche, zerstreute Mittheilungen über einzelne Pilze aus diesem Gebiete.

Dieser Thatbestand erfuhr eine wesentliche Aenderung, als neuer- dings europäische geschulte Botaniker in Südamerika selbst die Er- forschung der dortigen Pilze übernahmen, Namentlich geschah dies in umfassender Weise durch Spegazzini, einen Schüler Saecardo’s, welcher die von ihm und Anderen in Argentinien, Patagonien, Feuerland, Paraguay, Süd-Brasilien, Uruguay gesammelten Pilze bestimmte und in der sorgfältigen Saccardo’schen Weise beschrieb. BReichhaltiges Material lieferten auch die Sammlungen von E. Ule in $Süd-Brazil, welches theilweise von G. Winter bestimmt und z. Th. von diesem und neuerdings von OÖ. Pazschke ausgegeben wurden. Weitere viel- versprechende Mittheilungen stehen noch in Aussicht, seitdem v. Lager- heim als Professor der Botanik in Quito wirkt und der Erforschung der dortigen Pilze seine besondere Aufmerksamkeit widmet, und A. Moeller es unternommen hat, die Pilze der Urwälder von Süd- Brazil nach der gründlichen Methode seines Lehrers O. Brefeld zu erforschen.

58 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Vortragender wurde auf die Untersuchung südamerikanischer Pilze zunächst dadurch geführt, dass er die bedeutende Sammlung argenti- nischer Pflanzen von Professor Hieronymus in Bezug auf die zufällig mit eingesammelten parasitischen Pilze durchsehen konnte. Dieses Her- barium-Botanisiren ergab eine unerwartet reichliche Ausbeute an inter- essanten Formen, und diese erhielten einen weiteren Zuwachs durch Mit- theilung einer Anzahl von Professor Hieronymus selbst eingesammelter Pilze. Derselbe überliess auch in freundlichster Weise dem Vortragenden einige Decaden der von Spegazzini ausgegebenen und eine Sammlung der von Balansa in Paraguay bezw. Süd-Brazil gefundenen Pilze. Ganz bedeutend wurde diese Sammlung dadurch vermehrt, dass nach dem Tode G. Winter’s Vortragender an dessen Stelle als Bearbeiter der von E. Ule in Brazil gesammelten Pilze trat. Die Bearbeitung dieses gesammten Materials ist jetzt bis zu einem gewissen Abschluss gediehen und die Mittheilung der Ergebnisse wird nun abschnittsweise erfolgen.

Die jetzige Mittheilung umfasst die Myxomyceten, Phycomyceten und Ustilagineen.

Von Myxomyceten sollte man nach dem feuchten und warmen Klima, dem Reichthum an vegetabilischen Verwesungsstoffen in den Urwäldern Südamerikas von dort eine grosse Fülle erwarten. Vielleicht liegt nur in der Schwierigkeit der Erhaltung dieser sehr gebrechlichen Organismen der Grund, dass verhältnissmässig nur wenig darüber bekannt ist. Die Sammlung des Vortragenden enthält 16 Arten, sämmtlich aus Brazil. Grösstentheils sind es Formen, welche auch in Mittel-Europa häufig vor- kommen, als neu werden in Anspruch genommen: 1. Arcyria tenuis (der A. pomiformis Roth sehr nahe stehend); 2. Lamproderma inconspicuum, eine sehr kleine Form aus dieser Gattung; 3. Didymium intermedium, eine Mittelform zwischen D. macrospermum Rostr., von diesem durch den Mangel des Säulchens, und D. commutabile Berk. et Br., von diesem be- sonders durch die Grösse und Beschaffenheit der Sporen verschieden.

Diese Organismen werden eingehend an Ort und Stelle studirt werden müssen. Das Gleiche gilt auch für die unscheinbaren und zum Theil schwer conservirbaren Phycomyceten, über welche gerade aus Be- obachtungen in den Tropen noch wichtige Aufschlüsse zu erwarten sind. Die Sammlung des Vortragenden enthält aus dieser Abtheilung zwei auch in Mittel- Europa häufige Synechytrien (S. Taraxaci De By. et Wor., S. Stellariae Fuck.),; 8 Cystopus-Arten, von denen 5 bekannte europäische Arten sind (CO. candidus Pers., ©. Portulacae DC., C. Bliti Biv., C. Are- nariae Wallr., ©. Tragopogonis Pers.), an denen die neuen Nährpflanzen von Interesse sind, eine bisher nur in Amerika gefunden ist (C. Ipomaeae Schwein.), zwei als neu anzusehen sein dürften; 4. CO. Nyctaginearum; 5. 0. Brasiliensis, auf Soliva anthemidifolia, von C. Tragopogonis durch die feine engmaschige Zeichnung der Oosporen verschieden; 2 Peronospora-

II. Naturwissenschaftliche: Abtheilung. 59

Arten (P. nivea Ung. und P. Alsinearum Casp.). Hier sind auch noch 2 Protomyces - Arten anzuschliessen, der bekannte Prot. macrosporus (auf Bowlesia tenera), und eine neue Art. 6. Prot. giganteus, von Prot. macro- sporus Thüm., habituell besonders durch die mächtigen Schwielen, welche er an der Nährpflanze (Hypochaeris sp.) hervorruft, verschieden.

Verhältnissmässig reich ist die Abtheilung der Ustilagineen vertreten, aus welcher 35 Arten vorgelegt werden. 12 derselben kommen auch in Europa häufig vor, zum Theil finden sie sich aber hier auf anderen Nährpflanzen, z. B. Ustilago utrieulosa und Sphacelotheca Hydropiperis auf Polygonum acre, Entyloma Linariae auf Veronica peregrina. Nnr aus Süd- Amerika bekannt (grösstentheils erst von Spegazzini beschrieben) sind 11 Arten, eine (Urocystis Hypoxydis Thaxter) auf Hypox. procumbens ist erst vor kurzer Zeit aus Nord- Amerika bekannt geworden. Als neu dürften 12 Arten anzusehen sein: 7. Ustilago culmiperda, auf Andropogon macrurus; 8. U. Macruri, auf derselben Pflanze; 9. U. axicola, auf Fim- bristylis; 10. U. Hieronymi, auf Boutelona ciliata (Argentinien); 11. U. verrucosa, auf Paspalum distichum; 12. U. ? nitens, in den Früchten einer Scleria, durch sehr grosse, glänzend braune Sporen ausgezeichnet, viel- leicht in die Gattung Tilletia gehörend, was aber nur nach Kenntniss der Keimung festzustellen ist; 13. Tolyposporium minus, in den Früchten einer Graminee; 14. Urocystis Ulei, in den Blattstielen und Ausläufern von Oxalis violacea; 15. U. Hieronymi, auf Solanum sp. aus Argentinien, sehr eigenthümliche, einer kleinen Gurke ähnliche Auftreibungen veranlassend; 16. Doassansia aquatica, in Blättern und Stengeln von Callitricha sp.; 17. Schizonella Paspali, auf Paspalum sp.; 18. T'hecaphora Montevidensis, in den Früchten von Spermacoce radicans von Montevideo.

Als sehr merkwürdiges Schaustück wurde ein von E. Ule in einem Urwalde bei Blumenau gesammelter gewaltiger Hexenbesen auf Cissus vorgelegt, welcher durch Schizonella Cissi (DC.) veranlasst wird. Die Sprossen sind in einer solchen Weise umgeformt, dass es nicht möglich sein würde, aus ihr die Nährpflanze zu erkennen, auch sind Blattstellung und alle Theile des Blattes, besonders die Blattstiele, in denen der Pilz seine Sporen bildet, in solcher Weise verändert, dass es sehr schwer wird, dieselben richtig zu deuten.

Als zweifelhafte Uredinee muss Ustilagiopsis compactiuscula Speg., in den Früchten eines Grases vorkommend, angesehen werden, der Pilz scheint vielmehr eine Sphacelia-Form zu sein, ähnlich wie die von Clavi- ceps purpurea. Auch ein eigenthümlicher, in den Blättern einer Arau- caria von E. Ule in Brazil entdeckter Pilz, 18. Dleiella paradoxa n. sp., welcher am Grunde der Nadeln als braune Staubmasse hervortritt, die aus grossen, kugeligen, glänzend braunen Sporen besteht, dürfte kaum als Uredinee zu betrachten sein, doch ist über dessen Stellung nur nach

60 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Untersuchung jüngeren Materials, welches in Aussicht gestellt ist, Ge- wissheit zu erlangen.

Durch Bestimmung der Nährpflanzen, welche gerade für die Perono- sporeen, Ustilagineen und Uredineen von besonderer Wichtigkeit ist, wurde Vortragender von den erfahrenen Kennern der südamerikanischen Flora, Professor Hieronymus und Dr. Metz, in dankenswerthester Weise unterstützt.

Prof. Ferdinand Oohn legte vor:

Das Herbar von Georg Rudolph, Herzog in Schlesien zu Liegnitz und Brieg, aus dem Jahre 1612.

Das Herbar wird in der Ritterakademie zu Liegnitz aufbewahrt und ist dem Vortragenden auf seine Bitte durch den Bibliothekar der Aka- demie, Professor Dr. Pfudel, zu näherer Untersuchung freundlichst zu- gesandt worden. Das Herbar bildet einen starken Folianten in weissem Ledereinband, der mit eingepressten Ornamenten verziert ist; die Initialen des Besitzers (G. R. H. J. 8. Z. L. U. B. 1612) sind auf dem Vorder- deckel eingeprägt, auf dem Rücken ist dasselbe als Kräuterbuch be- zeichnet. Die Blätter, starkes Schreibpapier, zeigen das Wasserzeichen des Fürstenthums Liegnitz; nur das erste Drittel ist benutzt, die übrigen leer; sie sind stark wurmstichig. Die Pflanzen sind sehr sorgfältig ein- gelegt, namentlich die Blumenblätter faltenlos ausgebreitet; sie sind offenbar unter starkem Druck und Anwendung von Wärme ganz dünn gepresst, die grüne Farbe der Blätter und theilweise auch die der Blumen ist meist erhalten; sie sind auf der Unterseite mit Leim auf das Papier festgeklebt, so dass sie fast wie gemalt aussehen; es ist dies die Methode, die bei allen alten Herbarien angewendet wurde. Dabei wurden allzu dichte Aeste weggeschnitten, andere, der Schönheit wegen, oft ganz willkürlich angeklebt; Wurzeln fehlen, doch ist bei vielen Pflanzen der Erdboden oder bei Bäumen der Stamm durch Malerei angedeutet. Auf jedem Blatt findet sich in der Regel nur eine, doch mitunter auch 2—3 Pflanzen; auf zwei Blättern sind künstliche Bilder (ein Hirsch und ein Baum) aus Moosen und Flechten zusammengesetzt. Namen fehlen, bei einigen Pflanzen sind jedoch kleine Zettel mit der lateinischen Be- zeichnung aus dem 17. Jahrhundert beigelegt. Im Jahre 1880 hat Major Elbrandt mit Unterstützung des Lehrers Gerhardt in Liegnitz die jetzt üblichen Namen zugefügt. Unter den Pflanzen ist wohl keine, die nicht zur Zeit in Deutschland, sei es wildwachsend oder in Gärten gezogen, vorkam; einige (Lorbeer, Feige, Limone) sind vermuthlich in Gewächshäusern gezogen; ein Seetang (Fucus vesiculosus) mag von der Nord- oder Ostseeküste stammen; auf dem nämlichen Blatt ist auch Marchantia polymorpha aufgeklebt. Die Pflanzen sind keineswegs nach der Reihen-

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 61

folge ihrer Blüthezeit geordnet; indess ist auch keine systematische An- ordnung erkennbar; jedoch stehen die Bäume beisammen (Pinus silvestris, Thuja occidentalis, Juniperus virginiana, Taxus, Fagus, Castanea, Populus alba, Cydonia, Acer platanoides, Pirus Aucuparia, Pirus Malus, Morus alba; Quercus pedunculata folgt ein Paar Blätter später; ebenso stehen Echium, Anchusa, Borrago hinter einander, desgleichen Euphorbia platyphyllos, Cy- parissias und Esula, ebenso Melilotus albus, offieinalis, Medicago falcata, Lotus uliginosus und Trifolium procumbens, arvense und hybridum; dann folgen aber auf einem Blatt Fieberklee, Sauerklee und Bergklee (Meny- anthes, Oxalis Acetosella und Trifolium montanum); weiter Convolvulus arvensis und Polygonum Convolvulus, Oyclamen europaeum und Asarum. Von Kryptogamen sind zu erwähnen von Pilzen: Lycoperdon; von Flechten: Usnea barbata florida, U. hirta, Peltigera polydactyla, Ramalına furfuracea. Parmelia physodes, Physcia parietina, Cladonia rangiferina, Clad. degenerans, Clad. fimbriata, Clad. coccifera, Sticta pulmonaria; von Leber- moosen: Frullania dilatata, Marchantia polymorpha, Jungermannia spec.; von Laubmoosen: Ulota crispa, Hypnum splendens, Ceratodon purpureus, Dicranum undulatum; von Farnen: Botrychium Zunaria, Asplenium Ruta muraria, A. Trichomanes, Aspidium Filixc mas., Polystichum Fils femina, Pieris aquilina.

Herzog Georg Rudolph, der ehemalige Besitzer, vielleicht auch An- fertiger des Herbars, gehörte zu den letzten Gliedern des uralten, 1675 erloschenen Geschlechtes der Piasten, die sich im Gegensatz zu ihren rohen, zuchtlosen Vorfahren durch Begabung und insbesondere durch humanistische Bildung auszeichneten. Er war 1595 zu Ohlau geboren als Sohn des Herzogs Joachim Friedrich von Brieg, der gleich seinem Vater Georg II. sein Land zu hoher Blüthe gebracht hatte, während Liegnitz durch die Verschwendung seiner Fürsten (Friedrich III. und Heinrich XI.) dem Ruin verfallen war. Als die Liegnitzer Piasten 1586 ausstarben, fiel ihr Land an Joachim Friedrich von Brieg, der 1592 auch Wohlau durch Erbschaft erhielt. Nach dem frühen Tode Joachim Friedrichs (F 1602) wurde sein Sohn Georg Rudolph erst von der Mutter (+ 1605), dann aber bei seinem Onkel und Vormund, dem Herzog Karl II. von Münsterberg-Oels zugleich mit dessen Söhnen auf dem Oelser Schlosse unter Leitung des Hofmeisters Dr. Georg Passelt erzogen. Mit einem von Karl’s Söhnen bezog Georg Rudolph 1611 die Universität zu Frankfurt a. O. In der von Ernst Friedländer herausgegebenen Matrikel der Universität Frankfurt (Bd. I 1887—91) finden wir als die ersten im Sommersemester 1611 unter dem Rectorat des am 23. April d. J. ge- wählten Rectors David Origanus (Prof. math., aus Glatz gebürtig) Im- matriculirten eingezeichnet:

Georg Rudolph dux Bregensis et Lignieiensis ete. ete.; Caro- lus Fridericus dux Münsterbergensis et Olavensis, comes Gla-

62 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

censis, dominus Sternbergae etc. etc. dederunt XX thaleros; Magister Johannes Muccius Vratislaviensis, Lignieiensis et Bregensis dueis informator, dedit I Reichsthaler.

Dieser Hofmeister Johannes Muceius aus Breslau, hatte in Leipzig Natur- wissenschaften und Mediein studirt; 1606 hatte er an der dortigen philo- sophischen Facultät ‚de Pica seu Malacia“ disputirt und sich dadurch die Würde eines magister philosophiae erworben. Am 12. Juli 1607 vertheidigte er eine „Brevis et perspicua scientiae physicae delineatio in 7 disputationibus“, wobei er sich als ,„artis medicae studiosus‘‘ be- zeichnet. Anscheinend ist unser Herbar unter Anregung dieses natur- wissenschaftlich gebildeten Hofmeisters von oder für den jungen, damals 17jährigen Herzog während seiner Frankfurter Studienzeit angelegt worden, während deren dieser sich auch mit dem Kurprinzen von Branden- burg, Georg Wilhelm, der im Wintersemester 1611 Rector der Uni- versität wurde, befreundete. Schon Ostern 1612 verliess Georg Rudolph die Universität Frankfurt, um nach Liegnitz zurückzukehren; am 8. Mai 1612 wurde die Erbtheilung zwischen den beiden Söhnen Joachim Friedrichs vollzogen; der ältere Bruder, Johann Christian, der Gemahl der Dorothea Sibylla von Brandenburg (+ 1615) erhielt Brieg, an dessen Piastenschloss wir noch heut die Standbilder des Fürstenpaares be- wundern. Georg Rudolph dagegen übernahm die Regierung des Herzog- thums Liegnitz, in das er am 3. Juni 1613 feierlich einzog; doch schon einen Monat später, am 2. Juli 1613, trat er eine grosse Reise durch Deutschland, Italien, Frankreich und die Niederlande an, von der er erst das Jahr darauf (1614) wieder nach Liegnitz zurückkehrte. Auf dieser Reise war er auch von Johann Muck begleitet, der bei ihm in hoher Gunst blieb und zum Herzoglich Liegnitzischen Hofrath ernannt, später auch als Muck von Muckendorf geadelt wurde. Ueber diese Reise besitzen wir einen speciellen Bericht in dem lateinischen Epithalamium, das dem „Joannes Muceius Illustr. aulaeLignieiensis Consil.‘‘ bei seiner Verheirathung mit Christina Mylius, der Tochter eines Liegnitzer Arztes, am 12. April 1615 von Nicolaus Ludovicus gewidmet wurde; da es nicht ohne Interesse ist, welche Städte am Anfang des 17. Jahrhunderts als besonders besuchens- werth angesehen wurden, so lasse ich das Verzeichniss hier folgen: Die Reise ging von Liegnitz nach Görlitz (Besuch des heiligen Grabes), Dresden, Freiberg, Leipzig, Coburg, Bamberg (wo Glyeyrrhiza angebaut wird), Forchheim, Nürnberg, Augsburg, München, Innsbruck mit der Martinswand, über den Brenner nach Trient, Venedig, Padua mit den Euganeischen Thermen, Vicenza, Verona, Mantua, Cremona, Piacenza, Lucea, Genua, Pisa, wo der hortus medieus besucht wird, Livorno, Siena Rom, Florenz, Prato, über den Apennin nach Bologna, Modena, Parma, Mailand, Pavia, durch Graubündten (Splügen?) nach Zürich, Basel, Strass- burg, Naney, Paris, Ostende, Sluys, Brüssel, Antwerpen, Löwen, Leyden,

1I. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 63

Rotterdam, Enkhuizen, Amsterdam, Jülich, Cleve, Emden, Münster, Bremen, Cöln, Mainz, Frankfurt a. M., Worms, Speier, Heidelberg, Stutt- gart, Ulm, Ingolstadt, Regensburg, Erfurt, Dessau wo Georg Rudolph seine Braut Sophie Elisabeth, die Tochter des Herzogs Johann Georg von Anhalt, kennen lernte, die er am 4. November 1614 heimführte und schliesslich über Berlin nach Liegnitz zurück. Herzog Georg Rudolph war auf seiner „laboriosa, periculosaque peregrinatio“ mit Gelehrten und Künstlern in Verbindung getreten; sofort nach der Heimkehr 1614 liess er von einem italienischen Baumeister den grossartigen Entwurf für den Umbau des alten Piastenschlosses anfertigen, von dem jedoch nur ein Theil, und insbesondere das stattliche Portal erhalten ist. Der 80 jährige Krieg, welcher den grössten Theil seiner Regierungszeit aus- füllte, brachte auch seine Schrecken über Liegnitz, in dessen Nähe mehrere Gefechte stattfanden; im August 1632 und im October 1634 kamen die Schweden, im Juli 1633 die Kaiserlichen nach Liegnitz, wobei auch der von dem Herzog kunstvoll angelegte Schlossgarten, der vermuthlich auch botanisches Interesse bot, vollständig verwüstet wurde; seit 1635 war der Herzog nach dem festen Breslau gezogen, wo er bis zum Schluss des Krieges verblieb.

Herzog Georg Rudolph war „einer der trefflichsten Fürsten aller Zeiten; unbeugsame Gerechtigkeit, aufrichtige Frömmigkeit, unerschütter- liche Festigkeit auch unter den schwierigsten Verhältnissen zeichneten ihn aus“ (Krebs in Allg. Deutsche Biographie VIII, 1878, 8. 193); 1621—28 und 1641—53 bekleidete er die Würde des Oberlandeshaupt- manns von Schlesien; seiner politischen Weisheit hatte es das Liegnitzer Land zu danken, dass es aus den Schrecken des fürchterlichen Krieges verhältnissmässig heil hervorging. Aber Georg Rudolph war auch, wie der Chronist Lucae (Schlesiens euriose Merkwürdigkeiten 1689) berichtet, „ein gelehrter Herr, der über die maassen gern mit gelehrten Leuten, jedoch mehr mit Theologis und Medieis als anderen, conversirte, und solches daher, weil er in re herbaria et Botanicis gute Wissenschaft und in Religionssachen Zweifelhaftigkeit hatte.‘ Diese Notiz bezeugt, dass der Herzog auch über die Studentenzeit, aus der das Herbarium stammt, für die Pflanzenkunde lebhaftes Interesse bewahrt hatte. Dies beweist auch die grosse und kostbare Bibliothek, welehe derselbe durch Ankäufe während seiner Reise (besonders in Frankfurt a. M.) begründet hatte, und die, ausser der Theologie, ganz besonders reich an guten und seltenen Ausgaben medieinischer und botanischer Werke ist; der erste Katalog der „Libri philosophiei“ von 1617 enthält 1986 Stück in über 3000 Bänden; im Ganzen umfasste die Bibliothek am Anfang des 30jährigen Krieges über 5000 Bände; sie wurde auch bis zum Tode des Herzogs, wenn auch in der Kriegszeit mit bescheidenen Mitteln, vermehrt, allerdings auch vielfach beraubt, so dass einige der werth-

64 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

vollsten, in den alten Katalogen aufgeführten Bücher (z. B. Brunfels 1528) nicht mehr vorhanden sind. Als der Herzog am 14. Januar 1653 zu Breslau kinderlos starb, hatte er in seinem schon 1649 aufgesetzten Testament bestimmt, dass sein ganzes Vermögen, ca. 100 000 Thaler, in einer Stiftung „zur Erhaltung der christlich evangelischen Kirche und Schule‘ der Hof- und Stiftskirche zu St. Johannes in Liegnitz zufallen solle, in welcher er auch seine letzte Ruhestätte fand. Auch die Bibliotkek hatte er im Stift St. Johannis aufstellen lassen, eine Summe zur Vermehrung derselben vermacht, und bestimmt, dass dieselbe öffent- lich zugänglich gemacht werden solle. Indess wurden in der öster- reichischen Zeit nach dem Aussterben des letzten Piasten 1675 Kirche und Stift St. Johannis den Jesuiten überwiesen; erst 1708 nach dem Altranstädter Frieden durch Vermittelung des Königs Karl XII. von Schweden wurde die Stiftung Georg Rudolphs zur Begründung der Ritterakademie verwendet, deren grossartiges Gebäude auf dem Grund- stück des Leubuser Hauses, der herzoglichen Wohnung während des Schlossbaues, errichtet wurde; hier ist jetzt auch die „Bibliotheca Rudolfina‘“ aufgestellt, deren Bände, in weisses Leder gleichmässig gebunden, einen stattlichen Anblick gewähren. Auch unser Herbarium ist seit 1612 in die Bibliotheca Rudolfina aufgenommen, gleichzeitig mit einer Sammlung von mehr als 20 fünfstimmigen Liedern, welche der junge Herzog 1612 angelegt, und von denen er 5 selbst componirt hat. Vergleiche über die Rudolfina die Mittheilungen des Bibliothekars Pro- fessor Dr. Pfudel in den Programmen der Ritterakademie 1876—78, woselbst der reichhaltige musikalische Theil monographisch bearbeitet ist. Für die allgemeine Bildung des Herzogs spricht, dass er auch Mit- glied des Palmenordens war; sein Symbol war eine Christrose im Schnee, mit der Devise: Quod in corde gero, semper in ore gero; später wählte er den Wahlspruch: $i Deus pro nobis, quis contra nos?

Das Herbarium des Herzogs Georg Rudolph ist nicht nur wegen der sympathischen Persönlichkeit seines ehemaligen Besitzers interessant, sondern auch eines der ältesten, die sich erhalten haben, da die Kunst, Pflanzen für Herbarien zu präpariren, bekanntlich erst um die Mitte des 16. Jahrhunderts (in Ferrara durch den Engländer Falconer) erfunden worden ist (vgl. Ernst Meyer, Geschichte der Botanik IV $. 226 und Camus & Penzig Illustrazione del Ducale Erbario Estense XVI sec.). Unser Herbar ist so eingerichtet, wie das des Caesalpinus, welches derselbe 1563 für den Bischof Alfonso di Tornabuoni anfertigte und das gegenwärtig in dem Botanischen Museum von Florenz aufbewahrt wird, nachdem es von Parlatore in 2 grosse Maroquinfoliobände neu gebunden worden ist; vgl. über dieses: Caruel Illustratio in Hortum siccum Üaes- alpini 1858; sie giebt nicht blos eine Aufzählung und Bestimmung der im Herbar enthaltenen Pflanzen, sondern auch den hochinteressanten

if. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 65

Brief vom 15. Sept. 1563, den Caesalpinus nach der Sitte der Zeit anstatt einer Vorrede dem Herbar voranschickte und worin er die Prineipien seines Pflanzensystems auseinandersetzte. Bekanntlich waren noch gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Herbarien so selten, dass sie als werthvolle Geschenke an Prinzen und hohe Herren überreicht wurden, wie dies namentlich von denen des Paolo Boccone bekannt ist.

In der fünften Sitzung vom 10. März legte Prof. Stenzel einige Bildungsabweichungen

von Pflanzen vor: Paris mit 3-, 5- und 6-zähligen Blättern und Blüthen, Ajuga reptans mit 3-zähligen Quirlen, Linaria vulgaris und Chrysanthemum leucanihemum mit verbänderten Blüthenaxen, verzweigte Kätzchen von Populus nigra, verzweigte Aehren von Plantago lanceolata, einen ver- zweigten Kolben von Richardia aethiopica u. s. w. Vortragender schloss eine eingehende Beschreibung abnormer zweizähliger Blüthen von ein- heimischen Orchideen (Goodyera repens, Orchis latifolia) an und besprach endlich einige Bildungsabweichungen, welche bei den Blüthen von Epi- lobium angustifolium aufgefunden wurden,

Prof, Ferdinand Cohn legte

zwei Stammabschnitte des westindischen Spitzenbaums (Lagelta lintearia Lam., Daphne Zagelta Sw.)

vor, welche Herr Hirschberg aus Colon (Central-Amerika) mitgebracht und durch Vermittelung des Dr. E. Sandberg dem Botanischen Museum als Geschenk überwiesen hat. Der Bast zeigt sehr regelmässig abwech- selnde concentrische Schichten von Weichbast und Hartbast; durch die Bastmarkstrahlen sind die bandförmigen Hartbastbündel zugleich in regel- mässige radiale Reihen geordnet. Da die benachbarten Bastbündel ab- wechselnd sich verbinden und auseinander weichen, so bilden die ein- zelnen Schichten des Hartbasts feine Netze mit ziemlich regelmässigen Maschen, welche einem tüllähnlichen Gewebe gleichen und, durch Ma- ceration gesondert, den Holzstamm wie mit einer zierlichen Spitzen- manchette umgeben. Eine ebenfalls von Herrn Hirschberg geschenkte kleine Fahne ist durch den Spitzenschleier des Lagettabasts gebildet und mit aufgeklebten tropischen Farnen verziert.

Cand. phil. Priemer berichtete

über seine unter Leitung von Professor Prantl ausgeführten Unter- suchungen über die Anatomie der Ulmaceen, wobei insbesondere die Epidermis, die Haar- und Schleimzellen, Kiesel- zellen und Cystolithen der Blätter berücksichtigt wurden, und deutete an, wie sich diese Befunde für die Systematik der Ulmaceen verwenden lassen, /63» e5

66 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Privatdocent Dr. Mez sprach

über die geographische Anordnung der Lorbeergewächse des tropischen Amerika,

auf einer früher von demselben veröffentlichten Monographie fussend. Vortragender glaubte gerade bei einer Verwendung dieser Pflanzengruppe für die Abgrenzung der Florengebiete günstige Resultate zu erzielen, weil die Lorbeere im besprochenen Erdtheil eine grosse Menge von Arten (529) aufweisen und in hervorragender Weise an der Bildung des tropi- schen Urwaldes betheiligt sind, dabei aber in Folge nur sehr kurz an- haltender Keimkraft auch nur sehr geringe Wanderungsfähiskeit besitzen. Je geringer die Ausbreitungskraft einer Pflanzengruppe, um so grösser ist ihr Werth, gewisse Gebiete, in welchen sie vorkommen, zu charak- terisiren. Nach Besprechung der wenigen Beziehungen, welche ameri- kanische Lorbeerformen zu den Floren anderer Erdtheile besitzen (hervor- gehoben wurde, dass die Lauraceen Madagascars die nächste Verwandt- schaft mit denjenigen Westindiens aufweisen), präcisirte Vortragender die aus seinen Untersuchungen sich ergebenden Florengebiete (Mexico, karibisches Küstengebiet, Westindien, Trinidad, Guyana, das Niederungs- gebiet des Amazonenstromes [Hylaca], das Gebiet der Andenkette, Bra- silien und Chile), wobei er auf die Fixierung der Grenzen dieser Gebiete und auf die Darstellung der inneren Verwandtschaft ihrer Gewächse seine Aufmerksamkeit wendete. Mexico kommt eine Lorbeerflora zu, welche in ihrer Zusammen- setzung nicht an diejenige der südlich angrenzenden warmen Wälder von Centralamerika erinnert, sondern an die der südamerikanischen Cordillere und der Grasebenen des südlichen Brasilien. Die mexicanische Gebirgs- flora zieht sich auf den centralamerikanischen Ketten nachweisbar etwa bis zum Vulkan Chiriqui in Nicaragua nach Süden. Zur karibischen Küstenflora gehören die Ebenenwälder von Centralamerika, Columbien und Venezuela; sie findet ihre Grenze beim Cap von Paria. Verwandt- schaftliche Beziehungen dieser Küstenflora bestehen vor Allem mit der Pflanzenwelt der Antillen, dann mit derjenigen von Guyana, Für die Inseln von Westindien konnte eine Besiedelung von drei Seiten her wahr- scheinlich gemacht werden: Jamaica erhielt von Centralamerika, Cuba und die übrigen grossen Antillen von Mexico aus Bestandtheile ihrer Flora, während die kleinen Antillen von Guyana aus mit Lauraceen be- völkert wurden. Die Hauptmenge der Arten mexicanischen Ursprungs vermochte sich nicht über Portorico hinaus zu verbreiten, anderseits ist die genannte Insel der Endpunkt vieler von Guyana auf die Inseln ge- wanderter Formen und verknüpft so die grossen und kleinen Antillen, ähnlich wie Trinidad zwischen der Flora der Antillen und derjenigen Guyanas vermittelt. Das Mündungsgebiet des Orinoco gehört der guyanen- sischen Flora an, welche auf der Halbinsel Paria die karibische Küstenflora

il. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 67

trifft, im Süden durch die guyanensischen Grenzgebirge von der Flora des Amazonenstromes gesondert wird, und deren Grenze nur im süd- lichen Venezuela (in Folge der Unerforschlichkeit des Landes) nicht scharf zu ziehen ist. Verwandtschaftlich schliesst sich die Flora Guyanas an die des nördlichen Brasilien an. Als „Hylaea‘“ wird das ungeheure Waldgebiet des Amazonenlaufes bezeichnet und pflanzengeographisch vom übrigen (südlichen) Brasilien abgesondert. Die Flora dieser Hylaea er- streckt sich auch nach Venezuela und hat den Oberlauf des Orinoco besetzt, schneidet längs der Quellflüsse des Amazonenstromes in vielen Winkeln in das Andengebiet ein, trifft schliesslich in Bolivien etwa an der Einmündung des Madre de Dios in den Beni mit der südbrasilischen Flora zusammen und grenzt von da ab ganz an die südbrasilische Flora; auch bei der Bestimmuug dieser Grenzlinie lässt die Unerforsch- lichkeit des Landes den Pflanzengeographen im Stich. Die andinen Lorbeeren bewohnen die warmen Cordillerenthäler von der Grenze der Wüste Atacana ab bis zu den niedrigen Ausläufern des Gebirges in Panamä; sie dringen bis zur Silla von Caräcas in Venezuela und bis zur Sierra de Santa Martha in Columbien, also bis an’s karibische Meer vor. Chile besitzt eine sehr eigenthümliche Flora, welche neben Abkömmlingen von Andenformen auch an neuseeländische Typen erinnernde Arten enthält. Zum brasilischen Gebiet zieht Vortragender die ganzen La Plata-Staaten. Die Flora der südbrasilischen Randgebirge hat durch- aus anderen Charakter als diejenige der centralen Grasebenen. Redner betont diesen Unterschied, zugleich. aber auch die Untrennbarkeit der Theile des südbrasilischen Gebietes.

Prof. Cohn legte vor eine vom Lehrer Bruno Schröder in Ochelhermsdorf bei Grünberg eingesendete:

Vorläufige Mittheilung neuer schlesischer Algenfunde. ')

Seit einigen Jahren bemüht, das Vorkommen schlesischer Algen an neuen Standorten festzustellen und auch neue Bürger dieser Pflanzen- klasse für die heimathliche Provinz nachzuweisen, gestatte ich mir, einen Theil der Ergebnisse meiner algologischen Excursionen der Oeffentlich- keit zu übergeben. Dieselben erstrecken sich grösstentheils auf die niederschlesische Ebene und die Bergregion bis ungefähr 1000 m. Das meiste Material stammt aus Wüstewaltersdorf, Kreis Waldenburg, und aus Ochelhermsdorf, Kreis Grünberg. Speciell wandte sich mein Inter- esse der formenreichen Gruppe der Desmidiaceen zu, von ihnen sei in- dessen jetzt nur erwähnt, was ich an Reinansammlungen und etwa unter

') In diesem Bericht sind auch die Mittheilungen des seit Ostern 1892 nach Breslau berufenen Herrn Schröder in der Sitzung vom 2. Februar 1893 mit aufgenommen worden.

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68 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. diesen vermischt vorkommenden Species gefunden habe. Das übrige, sowie die Diatomaceen, behalte ich mir für spätere Arbeiten vor. Einige zwanzig Species wurden der Hauck und Richter’schen Phycotheea universalis (Leipzig) überwiesen und sind daselbst theilweise schon aus- gegeben worden. Drei Species gelangen in den Algae aquae duleis exsiccatae von Wittrock und Nordstedt (Stockholm—Lund) zur Ausgabe. Ich füge im nachfolgenden Verzeichnisse bei den schon er- schienenen Algen Titel und Nummer, dagegen bei den noch nicht aus- gegebenen nur den Titel des Exsiccatenwerkes bei.

Hinsichtlich des in Folgendem innegehaltenen Systems stützte ich mich, die Bearbeitung der schlesischen Algenflora von Kirchner!) be- rücksichtigend, bei den Schizophyceen auf die diesbezüglichen Arbeiten von Gomont?), Bornet et Flahault°), bei den Gamophyceen auf die von Wille?) und die von Artari.’)

Neu für die Algenflora Schlesiens sind:

1. Chroococcus turgidus Näg. var. dimidiatus (Kütz.) Breb. 2. Gloeocapsa fusco-lutea Kirchn. 3. Coccochloris firma Breb. 4. Gloeothece decipiens ABr. 5. Plectonema roseolum Gomont. 6. Scytonema Hoffmanni Ag. 7. Stau- rastrum pseudofurcigerum BReinsch. 8.. Micrasterias truncata Breb b. Scutum (Focke) Richter. 9. Cosmarium anceps Lund. 10. Cosmarium tetraophthalmum (Kütz) Breb. 11. Closterium pronum Breb. 12. Closterium Ralfsii Breb b. hybridum Rabh. 13. Gonatozygon Brebissonii DeBy. 14. Gloeocytis fenes- tralis (Kütz) ABr. 15. Chlorococcum olivaceum Rabh. 16. Oedogonium Borisianum Wittr.

Schliesslich halte ich es für meine Pflicht, Herrn Geh. Commerzien- rath Dr. Websky in Wüstewaltersdorf für das mir gütigst geschenkte vorzügliche Mikroskop, sowie den Herren Geh. Rath Professor Dr. Fer- dinand Cohn-Breslau, Professor Dr. Hieronymus -Berlin, Paul Richter-Leipzig und Dr. Migula-Karlsruhe i. B. für freundlichen Rath und Unterstützung an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank zu sagen.

!) Cohn, Kryptogamenflora von Schlesien, Band II, Algen, bearbeitet von Dr. Oskar Kirchner: Breslau. 1878.

2) Gomont, Monographie des Oscillariees. Annales des sciences naturelles. Botanique 7. Serie, Tome 15, pag. 263. 1892.

®) Bornet et Flahault, Revision des Nostocacees heterocystees contenues dans les principaux herbiers de France. Annales des sciences naturelles. Botanique 7. Serie, Tome 3, 4, 5, 7. 1886-88.

*) Engler und Prantl, Die natürlichen Pflanzenfamilien, Theil I, II. Abtheilung: Conjugatae, Chlorophyceae et Characeae von N. Wille. 1890—91.

°) Artari, Untersuchungen über Entwickelung und Systematik einiger Proto- coccoideen. Extrait du Bulletin de la Societe Imper. des Naturalistes de Moscou, No. 2. 1892.

10. Tr.

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ll. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 69

Schizophyceae. A. Bacteriaceae. Beggiatoa Trevis.

B. alba Trevis. Ochelhermsdorf: In Feldgräben östlich vom Damm-

vorwerk unter andern Algen.

B. Phycochromophyceae. a. Coccogeneae. Chroococcus Näg. Ch. turgidus Näg. var. dimidiatus (Kütz.) Breb. in Rabenh. Algen Nr. 2033. Ochelhermsdorf: Wittgenauer Berge in torfigen Tümpeln auf der Grätzbergwiese. (Phye. univ. No. 482.) Gloeocapsa (Kütz) Näg. G. fusco-Iutea Kirchn. (G. ambigua, a. fusco-lutew Näg.) Grünberg: An feuchten Glasscheiben des Eichler’schen Warmhauses. G. Magma (Breb.) Kütz. b. opaca (Näg.) Kirchn. Grünberg: An feuchten Glasscheiben des Eichler’schen Warmhauses. (Phye. univ.) Clathrocystis Henfr. ©. aeruginosa Henfr. Am Nordende des grossen Sees bei Schlawa, Kreis Freystadt. (Leg. Hellwig.) Coccochloris Kütz. C. firma (Breb.) Richter brief. Breslau: Im Aquarium des pflanzen- physiologischen Institutes, wolkige, hellockerfarbene Massen bildend. (Phye. univ.) Gloeothece Näg. G. decipiens ABr. Wüstewaltersdorf: An feuchten Kalkwänden des Websky’schen Warmhauses. (Phye. univ.) G. confluens Näg. Grünberg: An einer hölzernen Wasserrinne beim Braunkohlenbergwerk ‚‚Treutlerschacht“. (Phye. univ.) b. Hormogoneae. I. Homocysteae. Schizothrix Kütz. Sch. caleicola Gomont (Hypheothris calc. Rabh.). Grünberg: An Kalk- wänden des Pohle’schen Warmhauses. Oscillaria Ag. O.tenuis Ag. Lättnitz, Kreis Grünberg: Im kleinen Teiche der Mittelmühle. O. limosa Ag. Ochelhermsdorf: Auf dem thonigen Grunde eines Schöpfbrunnens. II. Heterocysteae. Nostoceae. Cylindrospermum Kütz. C. majus (Kütz) Born et Flah. Ochelhermsdorf: Wiesentümpel an der Schweinitzer Chaussee beim Dominium Ober-Ochelhermsdorf. (Wittrock et Nordst. Alg. exsice.)

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Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Anabaena Bory. A. oscillarioides Bory (Sphaerozyga Ralfsii Thwait). Ochelhermsdorf: Wittgenauer Berge, in Gräben auf der Grätzbergwiese. Phye. univ. (No. 481b.) A. intricata Kütz. Ochelhermsdorf: Feldgräben östlich vom Damm- vorwerk. (Phye. univ.) Nostoc. Vauch. N. commune Vauch. Wittgenau, Kreis Grünberg: Naumburger Chaussee nach längerem Regen im Schatten. N. carneum Ag. Ochelhermsdorf: Wittgenauer Berge im Tümpel bei den Jakobsbergen. (Phyc. univ.) (Wurde vorher schon von Richter aus Wallwitz, Kreis Frey- stadt, in der Phykothek unter Nr. 90 herausgegeben.) Scytonemaceae, Plectonema Thuret. P. roseolum Gomont (Hypheothrix roseola Richter.) Wüstewaltersdorf: An feuchten Glasscheiben des Websky’schen Warmhauses spärlich unter Gloeocylis fenestralis (Kütz.) ABr. Scytonema Ag. S. Hoffmanmi Ag. (in Wittr. et Nordst. Alg. exsice. No. 674). Breslau: Botanischer Garten im Vietoria-regia-Hause auf verschiede- nen Pflanzen, Blumentöpfen und auf der Erde. (Phye. univ.) Gamophyceae. A. Conjugatae. Desmidiaceae. Olosterium Nitsch. C. rostratum Ehrb. Ochelhermsdorf: An mehreren Orten, nicht selten in Zygose. (Phye. univ. No. 441.) C. Ralfsiüi Breb. b. hybridum Rabenh. Ochelhermsdorf: Wassertümpel an der Schweinitzer Chaussee beim Dominium Ober-Ochelhermsdorf, (Phye. univ. No. 393.) ©. striolatum Ehrb. Grünberg: In einem Graben am Bahndamme im Rohrbusche. C. acerosum Ehrb. Lättnitz, Kreis Grünberg: Im kleinen Teiche der Mittelmühle in Zygose. Ochelhermsdorf: Chausseegraben beim Dominium Ober-Ochelhermsdorf in Zygose. (Von beiden Standorten in Phye. univ.) C. Lunula Ehrb. Euldörfel, Kreis Neurode: In einem Wassertümpel am Abhange der Hohen Eule. ©. Ehrenbergii Menegh. Ochelhermsdorf: In einem hölzernen Wasser- troge auf dem Dominium Mittel-Ochelhermsdorf. (Phye. univ.N0.396.) C. momliferum Ehrb. Ochelhermsdorf: Chausseegraben bei der Peiskermühle. (Phyc. univ.)

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II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 71

C. Leibleini Kütz. Ochelhermsdorf: Im Lehmloch „Kieps“ bei der Herrenmühle. (Phye. univ. No. 441.) ©. gracile Breb. Öchelhermsdorf: Im Lehmloch ‚Kieps“ bei der Herrenmühle. (Phye. univ. No. 441.) C. pronum Breb. Ochelhermsdorf: Im Lehmloch ,‚Kieps‘“ bei der Herrenmühle. (Phyce. univ. No. 441.)

Pleurotaenium (Näg.) Lund. P. nodulosum (Breb.) DeBy. Ochelhermsdorf: Im Lehmloch ‚Kieps“ bei der Herrenmühle. (Phye. univ. No. 441.)

Cosmarium (Corda) Lund. ©. tetraophthalmum (Kütz.) Breb. Ochelhermsdorf: In moorigen Tümpeln auf der Grätzbergwiese. (Phye. univ. No. 498b.) ©. notabile Breb. Ochelhermsdorf: In einem Ühausseegraben beim Dominium Ober-Ochelhermsdorf. (Phye. univ.) C. anceps Lundell. Grünberg: An Kalkwänden des Pohle’schen Warmhauses. C. quadratum Ralfs. Ochelhermsdorf: Im Lehmloch ‚„Kieps‘ bei der Herrenmühle. (Phye. univ. No. 441,)

Staurastrum (Meyen) Lund. S. pseudofurcigerum Reinsch. Ochelhermsdorf: In Torftümpeln auf der Grätzbergwiese. S. punctulatum Breb. Ochelhermsdorf: In Gräben auf der Grätzberg- wiese,

Euastrum (Ehrb.) Ralfs. E. ansatum Ralfs. Ochelhermsdorf: Im Lehmloch ,Kieps‘ bei der Herrenmühle. (Phye. univ. No. 441.) E. oblongum Ralfs. Ochelhermsdorf: Im Lehmloch „Kieps‘“ bei der Herrenmühle. (Phye. univ. No. 441.)

Tetmemorus Ralfs. T. granulatus Ralfs. Grünberg: In einem Graben am Bahndamme im Rohrbusche, Micrasterias Ag.

M. papillifera Breb. Ochelhermsdorf: Torfgräben auf der Grätzberg- wiese. M. rotata Ralfs. Heinersdorf, Kreis Grünberg: Lehmtümpel an der Kiessler’schen Ziegelei. (Phye. univ.) Ochelhermsdorf: Im Lehm- loch ‚Kieps‘ bei der Herrenmühle. (Phyc. univ. No. 441.) M. truncata Breb. b. Scutum (Focke) Richter. (Euastrum Seutum Focke Physiol. Studien.) Ochelhermsdorf: Sumpfwiesengraben an den Jakobsbergen. (Phyc. univ. No. 540.) M. Crux Melitensis Ralfs. Ochelhermsdorf: Im Lehmloch .„Kieps“ bei der Herrenmühle.

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Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Gonatozygon DeBy. G. Brebissonii DeBy. Ochelhermsdorf: Im Lehmloch ,‚‚Kieps“ bei der Herrenmühle. (Phyc. univ. No. 441.) Didymoprium Kütz. D. Grevillii Kütz. Hoyerswerda: Gräben beim Jagdhaus Koblenz. (Leg. Höhn.) Gymnozyga Ehrb. G. Brebissoniüi (Kütz.) Nordst. Hoyerswerda: Wolschina Teich. (Leg. Höhn.) Hyalotheca Kütz. H. dissiliens (Smith) Breb. Verbreitet um Grünberg, Ochelhermsdorf und Heinersdorf. B. Chlorophyceae. I. Protococcoideae. Gloeocystiaceae. Gloeocystis Näg. G. fenestralis (Kütz.) ABr. An feuchten Glasscheiben der Gewächs- häuser in Grünberg, Hoyerswerda und Wüstewaltersdorf. Chlorococcum Fries. Ch. Gigas Grun. Breslau: In einem Culturgefässe im pflanzen- physiologischen Institute. (Phye, univ.) Ch. olivaceum Rabh. Dominium Berghof bei Mettkau, Kreis Schweid- nitz: Im Karschteiche sehr reichlich. (Phye. univ.) Pleurococcaceae., Schizochlamys ABr. Sch. gelatinosa ABr. Ochelhermsdorf: Sumpfwiesengraben bei den Jakobsbergen. Pleurococcus Menegh. P. miniatus Näg. Grünberg, Bunzlau und Hoyerswerda: An Kalk- wänden der Gewächshäuser. (Von Grünberg Phyc. univ.) Eremosphaera Deby. E.viridis DeBy. Wüstewaltersdorf: Tümpel hinter der Hielscher Wiese. Scenedesmus Meyen. S. obtusus Meyen. Ochelhermsdorf: Gräben auf der Grätzbergwiese, S. dimorphus Kütz. Schweinitz, Kreis Grünberg: Ziegelgraben am Wege nach Droseheydau. S. caudatus Corda. Wüstewaltersdorf: Hinter der Schirgenschenke. Tetrasporaceae. Tetraspora Link. T. lubrica Ag. Grünberg: In einem Graben bei Steinbach’s Vorwerk. T. bullosa Ag. Ochelhermsdorf: In Gräben am Wege nach Hart- mannsdorf. T. eylindrica Ag. Ochelhermsdorf: In einem langsam fliessenden Graben auf Droseheydau zu. (Alg. ewsicc.)

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II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. mu

Chlamydomonadaceae.

Sphaerella Wittr, Sph. pluvialis (Flotow) Wallr. Wüstewaltersdorf: In der muldenartigen Vertiefung eines Gneisblockes bei der Brettschneide in Dorfbach. (Phye. univ.)

Volvocaceae.

Pandorina Bory. P. Morum Bory. Pürben, Kreis Freystadt: In einem lehmigen Wald- tümpel.

Hydrodiciyaceae,

Pediastrum Meyen. P. Ehrenbergü ABr. Ochelhermsdorf: Torfgräben aufder Grätzbergwiese. P. persutum Kütz. a. genwinum Kirchn. Schweinitz, Kreis Grünberg: Im Ziegeleigraben am Wege nach Droseheydau. e. asperum ABr. Wüstewaltersdorf: Hinter der Schirgenschenke, P. Boryanum Meuegh. Schweinitz, Kreis Grünberg: Im Ziegelei- graben auf Droseheydau zu. Wüstewaltersdorf: Hinter der Schirgenschänke.

Coelastrum Näg. ©. cubicum Näg. Ochelhermsdorf: Vereinzelt unter andern Algen auf der Grätzbergwiese in Torfgräben.

Sorastrum Külz. S. spinulosum Kütz. Ochelhermsdorf: Vereinzelt unter anderen Algen auf der Grätzbergwiese in Torftümpeln.

II, Confervoideae.

Chaetophoraceae.

Draparnaldıa Bory. D. plumosa (Vauch.) Ag. Ochelhermsdorf: Auf halbfauligen Blättern in Gräben auf Droseheydau zu, D. glomerata (Vauch.) Ag. a. genuina Kirchn. Hoyerswerda: Obere Wasserrinne der Mühle bei Dubring. (Leg. Höhn.) Bunzlau: Abfluss des Queckbrunnens. Wüstewaltersdorf: Hinter der Schirgen- schenke. b. remota Rabh. Hoyerswerda: Funk’s Wiesengraben am Mönchs-Teich-Damme. (Leg. Höhn.) c. acuta Ag. Ochelherms- dorf: In einer Bucht des Peiskermühlbaches,. d. gracillima Ag. Wüstewaltersdorf: Zwischen Mühlbach und Heinrichau.

Chaetonema Nowakowski. Ch. irregulare Nowakowski. Hoyerswerda: In den Schleimlagern von Batrachospermum moniliforme, in einem Graben an Wasserpflanzen. (Leg. Höhn.) Aphanochaete (Berth.) Hausg.

A. repens Berth. Ochelhermsdorf: In Gräben östlich vom Damm- vorwerk auf sterilen Conferven-Fäden.

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Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Oedogoniaceae.

Oedogonium Link. Oe. Borisianum Wittr. Ochelhermsdorf: In einem Lehmtümpel an der Grünberger Chaussee auf Eleocharis und anderen Pflanzen, fruchtifieirend am 10. Juli 91. (Algae exsicc.)

Coleochaetaceae.

Ooleochaete Breb. ©. orbicularis Pringsh. Günthersdorf, Kreis Grünberg: Auf der Unter- seite der Blätter von Nuphar luteum.

C. Cladophoraceae.

Oladophora Kütz. Ö. glomerta Kütz. b. mucosa Kütz. Ochelhermsdorf: An betropften Steinen beim Wasserrade der Ende-Mühle. (Phyc. univ. No. 378.) Mit Uebergängen zur forma rivularis Rabh. an Steinen im schnell- fliessenden Wasser des Dorfbaches daselbst.

III. Siphonaceae. Vaucheriaceae. Vaucheria DC. V. geminata DC. Grünberg: Graben in Wronsky’s Garten. V. sessilis DC. Ochelhermsdorf: Feldgräben südlich des Dorfes. Characeae. Nitelleae. Nitella Ag. Monarthrodactylae ABr. Nitella flexilis Ag. Ochelhermsdorf: Grenzteich an der Schweinitzer Chaussee. Diarthrodactylae ABbr. N. gracilts (Smith) Ag. Ochelhermsdorf: Grenzteich an der Schweinitzer Chaussee. Grünberg: Lehmloch bei Holzmann’s Ziegelei. Chareae. Chara Vaill. Diplostephanae ABr. Ch. foetida ABr. Schweinitz, Kreis Grünberg: Im Oelteiche und in einer sandigen Lache daneben. Ochelhermsdorf: Wittgenauer Sandhügel in einem Feldtümpel auf der Grätzbergwiese. Forma subhispida ABr. „Beim Dörfchen Teich bei Liebenzig, Kreis Frey- stadt. Forma longibracteata. Kontopp, Kreis Grünberg: In Torf- löchern. Forma humilis. Ochelhermsdorf: In Torflachen auf der Grätzbergwiese. Ch. hispida L. et T. Beim Dörfchen Teich bei Liebenzig, Kreis Freistadt: In Torflöchern. Oh. fragilis Desv. forma pulchella. Beim Dörfchen Teich bei Liebenzig, Kreis Freystadt. Schweinitz, Kreis Grünberg: Im Teiche der

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 75

Samuels - Mühle zwischen Utricularia wuchernd. Forma longifoha. Schweinitz, Kreis Grünberg: Gräben beim Fischteiche an der Naum- burger Chaussee. Forma longibracteata elongata. Zwischen Charlotten- brunn und Tannhausen, Kreis Waldenburg: In einem Wiesentümpel. D. Florideae., Batrachospermaceae. Batrachospermum Roth.

80. B. vagum Ag. Hoyerswerda: Sumpfiger Zuflussgraben eines kleinen Teiches bei der Schwarz-Kollmer-Mehlmühle. Ebendaselbst: An einer hölzernen Brunneneinfassung bei den Klosterteichen. (Leg. Höhn.)

(Soweit mir bekannt, kommt Batrachospermum nur auf Holz, Steinen oder sonstigen untergetauchten Gegenständen wachsend vor. Nach brieflicher Mittheilung des Sammlers fanden sich die Exem- plare des erstgenannten Standortes von Hoyerswerda ‚im trüben Sumpfwasser freischwimmend in Klumpen‘“ und zwar am 10. Sep- tember 1892, was wahrscheinlich dahin zu deuten ist, dass das Substrat den Sommer über verwest ist.)

81. B. moniliforme Roth. a. iypicum Kirchn. Wüstewaltersdorf: Zwischen Heinrichau und Toschendorf. Im Toschendorfer Dorfbache an Steinen (grosse dunkelgrüne Form). Hoyerswerda: In einem Graben an Wasserpflanzen. (Leg. Höhn.) (Kleinere dunkelgrüne Form mit Chaetonema irregulare Nowak.) c. confusum (Hass.) Kirchn. Um Wüstewaltersdorf, besonders in den Bergbächen der Hohen Eule und Umgebung sehr häufig in grossen Exemplaren,

Lemaneaceae. Lemanea Bory. 82. L. sudetica Kütz. Hirschberg: Auf Steinen im Zackenfall.

In der sechsten Sitzung vom 27. October machte Prof. Ferdinand Cohn folgende Mittheilung:

Als im Juni 1832 die botanische Section ihre Wanderversammlung in Charlottenbrunn abhielt, richtete Göppert an dieselbe ein Schreiben- worin er die Errichtung eines Denkmals für den am 20. December 1868 verstorbenen Apotheker Dr. Karl Beinert in Anregung brachtes Göppert bezeichnete in diesem Briefe Charlottenbrunn „fast als die Wiege seiner palaeontologischen Forschungen, bei denen ihm Beinert, der sich auf unvergleichliche Weise für alles Wissenschaftliche auf das lebhafteste anregendste und thatkräftigste interessirte“, zur Seite ge- standen. Und wie um die Erforschung der fossilen Pflanzenwelt des Waldenburger Kohlenreviers, so hat sich Beinert auch um die Kennt- niss der gegenwärtigen Vegetation unserer Provinz und ganz besonders der Charlottenburger Gegend verdient gemacht; er hat zuerst für Schle-

76 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

sien Cypripedium Calceolus, Epipogium aphyllum, Woodsia itvensis entdeckt, und auch zur Kenntniss der schlesischen Pilze werthvolle Beiträge ge- liefert. Wegen seiner Schrift über den berühmten Meteoriten von Braunau (Böhmen) wurde Beinert 1849 honoris causa von der philosophischen Facultät der Universität Breslau zum Doctor ernannt. Göppert’s An- trag auf Errichtung eines Beinert-Denkmals im Karlshain von Charlotten- brunn, „in dessen Anlagen Theorie und Praxis der Naturwissenschaften auf glücklichste Weise verbunden sind“, fand in der Wanderversammlung wärmsten Anklang, und veranlasste die Wahl einer Commission, ohne dass jedoch der Plan zur Ausführung gelangte. Herr Orts- und Bade- vorsteher Loose in Charlottenbrunn, der mit grösster Liebe die Er- haltung und Verschönerung der Beinert’schen Schöpfungen sich zur Aufgabe stellt, hat nunmehr die Errichtung eines Denkmals für den um die naturwissenschaftliche Erforschung Schlesiens wohlverdienten Mann in die Hand genommen. Dasselbe soll im Karlshain aufgestellt, mit dem Bildniss Beinert’s geschmückt, mit einem Gitter und gärtnerischen An- lagen umgeben werden. Die Einweihung des Denkmals soll im nächsten Sommer unter Betheiligung der Botanischen Section erfolgen.

Die Kosten des Denkmals sind durch die Bemühungen des Charlotten- burger Gebirgsvereins zum grössten Theil bestritten worden. Der Rest ist durch Beiträge des Breslauer Apothekervereins und mehrerer Collegen und Freunde Beinert’s gedeckt worden. Am 15. Januar 1893 wurde in Charlottenbrunn der 100 jährige Geburtstag Beinert’s (geb, 15. Januar 1793 in Woitzdorf bei Bernstadt) von Seiten des Gebirgsvereins durch ein Festmahl pietätvoll gefeiert.

Dr. Rosen berichtet über einige auf seine Veranlassung von Ober- gärtner Schütze angestellte

Versuche mit Topfpflanzen.

Bei der Cultur in Blumentöpfen bilden viele Pflanzen einen dichten Filz von langen, durch einander geschlungenen Wurzeln. Dieser Wurzelfilz presst sich dann der Innenwand des Topfes fest an und seine Theile kommen infolgedessen nicht in ausgiebiger Weise mit dem Boden in Berührung. Daher tragen sie auch zur Ernährung der Pflanzen nur wenig bei. Neuerdings hat Julius Sachs ein Mittel angegeben, wie man den besprochenen Wurzelfilz der Topfpflanzen besser ernähren kann. Es werden danach die Blumehtöpfe innen mit einer aus Gyps, Kalisalpeter, Kalk- und Magnesia-Phosphaten, Eisen- vitriol und Thomasmehl zusammengesetzten Masse bestrichen, welche an der Sonne getrocknet, steinhart wird. Wenn sich dann die Wurzeln dem Belag anpressen, so lösen sie denselben ganz allmählich auf, wobei sie die für das Gedeihen der Pflanze nöthigen Düngersalze in geeigneter Form zugeführt erhalten. Die von Obergärtner Schütze angestellten

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. Tr: Versuche mit Farnen, Begonien u. a. hatten den Zweck, zu ermitteln, ob die Sachs’sche Methode auch für die gärtnerische Praxis von Werth sei. Dies ist in der That der Fall. Pflanzen, welche in präparirten Töpfen etwa drei Monate gezogen waren, zeigten sich sehr stark ent- wiekelt und reich belaubt; ihr Wurzelsystem war dabei verhältniss- mässig klein, so dass trotz der üppigen Entwickelung der oberirdischen Theile ein Umsetzen in grössere Töpfe nicht nöthig wurde. Es ist daher zu erwarten, das die Praxis aus dem Sachs’schen Verfahren grossen Ge- winn zieht; die Kosten der Nährmasse sind gering, die Arbeit unbedeutend und dafür erhält man üppige Culturen in kleinen Töpfen, wobei die Arbeit des Umtopfens, sowie das Düngen mit Kuhdünger ete. ganz fort- fällt. Sowohl von Obergärtner Schütze als auch im hiesigen botani- schen Garten sollen die Versuche im grösseren Maassstabe nunmehr fort- gesetzt werden.

Hierauf hielt Prof. Ferdinand Cohn einen durch zahlreiche De- monstrationen erläuterten Vortrag:

Ueber Entstehung von Kalk- und Kieselgestein durch Vermittelung von Algen.

Gleichwie die meisten auf Kalkgestein wachsenden Krustenflechten, so corrodiren auch in süssem und Meerwasser eine Anzahl Algen auf Kalkgeschieben und Muschelschalen deren Oberfläche und ätzen in dieselbe tiefe Furchen oder bohren verzweigte Gänge. Im Gegensatz hierzu be- wirken andere Algen, meist von fädig-gallertartiger Textur und der Klasse der Schizophyceen (Phycochromaceae, Cyanophyceae) gehörig, krystallinische Ausfällungen von kohlensaurem Kalk im Innern ihrer Gallertfilze; in lebendem Zustande dunkelblaugrüne, olivenbraune oder röthliche Polster bildend, erscheinen sie trocken und abgestorben als weisse anorganische Kalkmassen.

Vortragender hat zuerst 1863 gezeigt, dass der Travertin, das Ge- stein, aus welchem die Monumentalbauten des antiken wie des modernen Rom errichtet sind, und das sich als Kalksinter in vorhistorischen Wasser- fällen des Flusses Anio abgesetzt hat, sich noch heute im Bett des Anio bei Tivoli bildet; die im Wasser liegenden Wurzeln, Blätter, Brombeer- stengel u. dgl. überziehen sich mit einer dieken Kalkkruste, die nach dem Ausfaulen der Pflanzentheile hohle Röhren bildet, gleich denen, aus denen gewisse Varietäten des Travertin bestehen: ihre frische Oberfläche ist aber blaugrün und besteht aus Algen von der Gruppe der Schizophyceae; es ist klar, dass der ganze Kalksinter sich ursprünglich innerhalb lebender Algenüberzüge abgesetzt hat. Ebenso beobachtete Vortragender 1863, dass die Wände des vom Cardinal Ipolito d’Este angelegten Kanals, welcher die warmen Wässer des Lago di Tartaro bei Tivoli ableitet, mit rothen oder grünen Kalkkrusten bedeckt sind, deren Entstehung der des Travertin entspricht. (Leonhard Jahrbuch für Mineralogie 1863).

78 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Schon im Jahre 1862 hatte Vortragender beobachtet, dass in den Thermen von Karlsbad mächtige Kalksinterablagerungen, gleich denen, aus denen die ganze Sprudeldecke besteht, innerhalb der lebendigen Decke blaugrüner Schizophyceae abgeschieden werden. (Ueber die Algen des Karlsbader Sprudels mit Rücksicht auf die Bildung des Sprudelsinters. Abh. der Schles. Ges. Abth, für Naturwiss. und Mediein Heft II S. 37. 1862).

Seitdem hat sich überall, wo in Thermen, besonders in vulkanischen Gebieten, sich Kalksintermassen bilden, die Anwesenheit häutiger oder gallertartiger Algenüberzüge nachweisen lassen, die fast ausschliesslich aus Arten jener Algenklasse bestehen und die Ausscheidung des kohlen- sauren Kalkes zwischen den Fäden oder im Innern der Gallertpolster vermitteln. So haben z. B. unter den heissen Quellen des Yellowstone- Park, Colorado, N.-Amerika, die Mammuth Springs (78° C.), gewaltige Marmorterrassen bis zu 250 Fuss Dieke und über 2 Quadratmiles Fläche abgesetzt; nach den Forschungen von Walter Harvey Weed (Forma- tion of Travertine and siliceous sinter by the vegetation of hot springs. Unitad States Geolog. Survey. 9. annual report. 1887/88. Washington 1891), haben diese Kalksinter sich unter der Einwirkung von Schizo- phyceen abgelagert. Vortragender hat 1888 die Thermen von Bormio an der Südseite des Stilfser Joch besucht, von denen u. a. die Plinius- quelle mit einer Temperatur von 37° C. aus einer kolossalen Kalk- wand hervorsprudelt, und längs der Felsen, wo Frauenhaar (Adiantum Capillus Veneris) in ungewohnter Nachbarschaft neben Edelweiss und anderen Alpenpflanzen wächst, in die Adda hinabrieselt.e. Sie hat mächtige Sintermassen abgesetzt, deren Oberfläche mit Algenpolstern bedeckt ist; diese sind frisch röthlichbraun oder blaugrün, gallert- artig lederartig; getrocknet stellen sie schmutzig-weisse Kalkmassen dar. Die mikroskopische Untersuchung der Algen, für welche Dr. Levier in Bormio im Mai d. J. neues Material gütigst lieferte, zeigte, dass es die nämlichen Arten von Schizophyceen sind, welche Brügger eben- daselbst schon 1862 beobachtete; diese haben sieh also nachweislich schon 30 Jahre an Ort und Stelle erhalten, vermuthlich aber verrichten sie schon seit Jahrtausenden ihre Arbeit: aus dem 'Thermalwasser, welches hauptsächlich Gyps und relativ nur wenig Caleiumcarbonat ent- hält, das letztere in krystallinischen Massen abzuscheiden. Auch die anderen warmen Quellen von Bormio setzen Kalksinter ab: am mächtig- sten die Ostgothen- und Nibelungenquelle. Ueber die Thätigkeit der Algen bei der Kalksinterbildung äussert sich der Vortragende dahin, dass die seither aufgestellten Theorien, als beruhe dieselbe auf der Assimi- lation der Kohlensäure im Lichte, oder auf der Ausscheidung kohlen- sauren Alkalis, nicht ausreichend erscheinen, dass es sich hier offenbar um ein Speicherungsvermögen gewisser Algenspecies in ihren Gallertscheiden handelt, wie es auch den kalkabscheidenden Thieren (Mollusken, Echino-

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 79

dermen, Polypen, Foraminiferen u. a.) zukommt. In Schlesien hat Vor- tragender eine Quelle, welche Kalktuff in grossen Massen absetzt, Moose und selbst Fichtenzapfen, Holzsplitter u. dgl. inerustirt, 13570 am Blato. berge oberhalb Deutsch-Tscherbeney bei Cudowa aufgefunden.

Während man bisher nur in den Diatomeenlagern massenhafte Aus- scheidungen organisirter Kieselerde durch mikroskopische Pflanzen kannte, hat Weed (l. ec.) nachgewiesen, dass die kolossalen Ablagerungen von Kieselsinter in den Geisern des Yellowstone-Park ebenfalls durch Ver- mittelung von Schizophyceen geschehen, welche in der Kieselgallert vegetiren und selbst noch in der Temperatur von 85°C. sich entwickeln.

In der siebenten Sitzung vom 10. November legte Ober- stabsarzt a. D. Prof. Schroeter

einen in der Nähe von Grünberg (bei Friedrichshof, Kr. Krossen) gewachsenen Pilz, Polyporus frondosus,

vor, welcher frisch das Gewicht von 4800 gr und einen Umfang von 120 cm besessen hatte. Der Pilz trägt auf einem dicken Strunk gegen 1000 kleine, spatel- oder fächerförmige Hüte und ist von zäh-fleischiger Consistenz. Sein deutscher Name ist „Eichhase‘“, doch werden mit diesem Namen auch noch einige andere, zum Theil nahe verwandte Pilze be- legt, welche alle als Speiseschwämme geschätzt werden. Die Bezeich- nung „‚Eichhase“ weist, wie viele andere Pilzunamen, auf die Beziehungen hin, welche das Volk zwischen den Schwämmen und den Thieren con- struirt. Die immer rege Phantasie des Volkes findet allerlei Aehnlich- keit zwischen Thieren und Pilzen, bald in der Farbe, bald in der Form; oder sie schreibt, häufig gewiss mit Unrecht, den Thieren eine bestimmte Vorliebe für gewisse Pilze zu. Daher entstanden Volksnamen wie Täub- ling, Rehpilz, Hirschpilz, Ochsenzunge (oder Leberpilz), Schaf- und Kuh- pilz. So auch beim „Eichhasen“, welcher meist in der Nähe von Eichen vorkommt. Die Bezeichnung „Pilz“ selbst, welche im Volk auch heute noch nicht allgemein angewendet wird, scheint nicht sehr alt zu sein. In schlesischen Schriften wird sie zuerst wohl von Caspar Schwenck- feld gebraucht, in dessen Werk ,Stirpium et fossilium Silesiae Cata- logus“ (1601) eine ganze Anzahl von Pilzen, oder wie Schwenckfeld sagt: „Böltze“, besprochen wird. Bezüglich der Ableitung des Wortes könnte man an Bolz, Bolzen denken, da ja die Gestalt vieler Pilze an einen Bolzen erinnert. Doch ist es jedenfalls richtiger „Böltze‘“ und „Pilz“ vom lateinischen ‚„Boletus‘ herzuleiten. Die Römer verstanden unter Boletus gerade die zu Speisezwecken geschätzten Hutpilze, welche man jetzt meist Agaricus nennt; letzterer Name bezeichnet bei den Römern die Holzschwämme. Der Vortragende erörterte hierauf die Frage, woher solche stattliche Pilze, wie der vorgelegte Eichhase, welcher jedenfalls in sehr kurzer Zeit auf einem Kartoffelacker gewachsen

30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

war, die zu ihrem Aufbau nöthigen Substanzen nehmen mögen. Man hat früher geglaubt, dass die Eichhasen ein auf Wurzeln und Stümpfen der Eichen wachsendes reich entfaltetes Mycel besässen, von welchem sie entsprängen. Dies scheint nicht richtig zu sein, wenn es auch mög- lich ist, dass an dem Grünberger Standort unterirdisch Eichenwurzeln oder -Stämme lagern. Wahrscheinlicher ist es, dass die Eichhasen von einem unter der Erde verborgenen Knollen, einem sogenannten Selerotium, gebildet werden. Derartiges ist schon seit längerer Zeit für andere Pilze bekannt, z. B. für die Typhula-Arten, welche an ihrem schimmel- ähnlichen, zwischen faulenden Blättern lebenden Mycel senfkorngrosse Knöllchen bilden, aus welchen, nach einer Ruheperiode, die zierlichen Fruchtträger hervorwachsen. Ungleich grössere Selerotien kennt man aus den Tropen. Schon Rumphius beschrieb aus dem maälayischen Gebiet eine heilkräftige, äusserlich der Trüffel ähnliche Knolle, welche er als Tuber regium bezeichnete und aus welcher nach warmen Gewitter- regen ein Hutpilz hervorwächst, dessen wissenschaftlicher Name heute Lentinus Tuber regium ist. Ganz ähnlich gebaut sind die gleichfalls grossen Sclerotien von Pachyma Cocos und Mylitta australis, docb werden sie weit übertroffen durch die riesigen Sclerotien von Lentinus Woermann? , Cohn und Schroeter, von welchem einige Exemplare aus Kamerun nach Hamburg gekommen sind. Dieselben wurden im pflanzenphysiologischen Institut zu Breslau in Cultur genommen, und es erwuchs auf ihnen ein Hutpilz, Lentinus; die Exemplare befinden sich im hiesigen Botanischen Museum. Neuerdings ist nun von einer belgischen Botanikerin, Frau Bommer, der Zusammenhang einer anderen Eichhasenart Polyporus umbellatus mit einem grossen Selerotium nachgewiesen worden, und auch Vortragender fand in der Nähe von Landeck einen anderen verwandten Pilz Polyporus pseudo-osseus n. sp. dem P. osseus Kalchbr. ähnlich, aber durch weisse, schwach zottige Oberfläche, grosse eckige Poren und kugelige, punktirte Sporen verschieden, mit einem Sclerotium, welches die Form eines dicken, knolligen Rhizoms besass, von rothbrauner Farbe war und aus gleichmässigen diekwandigen Hyphen gebildet wurde. So scheint auch der vorgelegte Eichhase auf einem Sclerotium erwachsen zu sein, wofür der Standort fern vom Wald spricht; dasselbe konnte allerdings auf dem inzwischen umgepflügten Acker nicht mehr gefunden werden.

Der Vortragende zeigte endlich Exemplare eines in einem hiesigen Keller unter völligem Lichtabschluss üppig gewachsenen Hutpilzes, Tricholoma conglobatum, vor, welche, wie das bei entsprechenden Bedin- sungen einzutreten pflegt, allerlei Bildungsabweichungen zeigen.

Sodann legte Wirkl. Staats-Rath von Trautschold Exec. eine

Sammlung getrockneter Pflanzen

vor, welche er im verflossenen August bei Abbazia gesammelt hatte, und gab dazu folgende Erläuterungen:

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 81

Abbazia liegt auf der liburnischen Riviera von Istrien zwischen den kleinen Städten Volosca und Lovrana am Fusse des Monte maggiore (1396 Meter), der höchsten Erhebung des Karstgebirges, nicht weit von Fiume, am Quarnero-Busen des Adriatischen Meeres. Der Boden ist Kalkfelsen und eine rothe Erde, die sich im Laufe der Zeit in den Ver- tiefungen des Kalkgebirges gebildet und angesammelt hat. Das Klima ist trocken, die Lage von Abbazia sehr geschützt, so dass sich dort eine südliche, dem Klima entsprechende Vegetation entwickeln konnte. Die unterste Stufe vom Meeresufer ansteigend bilden Lorbeerhaine bis zu einer Höhe von beiläufig 300 Fuss. Dieser Lorbeer ist ein bedeutender Ausfuhrartikel; die Bäume sind meist nicht höher als 15—20 Fuss, und das Unterholz wird von stachlichen Sträuchern gebildet, wie Paliurus, Zizyphus, Ruscus aculeatus und Asparagus scaber, um welche sich rankende Gewächse wie Clematis Vitalba und Smilax aspera winden. Niedrige Ge- wächse vegetiren am Strande ; Eryngium, stachlige Disteln und steifblättrige Labiaten sind Begleiter jener Vegetation an offenen Stellen. Ueber dem Streifen des Lorbeerwaldes folgt strauchartiger Pflanzenwuchs, Weach- holder, Paliurus u. a. und nur stellenweise finden sich einzelne Bäume, wie z. B. Castanea vesca und auch Baumgruppen von Eichen, letztere finden sich fast bis zur Höhe von 3000 Fuss, d,. h. fast bis zur Höhe des Schutzhauses. Wo nur irgend der wasserarme Boden zur Cultur geeignet ist, findet sich Weinbau, der ungefähr bis zur Höhe von 2500 Fuss getrieben wird, von sonstigen Culturpflanzen sind Feigen, Nussbäume, auch Sonnenblumen zu erwähnen. Am Monte Maggiore erscheint jen- seits des. Schutzhauses, also in einer Höhe von mehr als 3000 Fuss, die Buche in Form von dichter Waldung da wo der Boden günstig ist, die Cultur hört auf, es folgt wieder niedriges Gehölz verschiedener Sträucher und Weideland, endlich kahler Felsen. Der wasserleere Boden, die ge- ringe Feuchtigkeit der Luft bedingen den Charakter der Landschaft und das Bild der Vegetation, die sehr verschieden ist von der der Alpen und der Niederungen nördlicherer feuchter Gegenden. Das hindert nicht, dass diese sehr charakteristische Vegetation begleitet wird von cosmopolitischen Pflanzen wie Cichorium Intybus, Echium vulgare, Euphorbia Cyparissias, Origanum vulgare, Betoniva offic., Sedum acre, Carlina acaulis ete. Im Park von Abbazia waren während meiner Anwesenheit Yucca aloefolia und Mimosa Julibrissin in Blüthe, ebenso Myrten; dass einige Palmen und andere exotische Gewächse nicht fehlten, versteht sich, auch war eine stattliche Anzahl grosser Coniferen vorhanden, wie Sequoia und Thuja gigantea und die Ceder vom Libanon.

Hierauf legte derselbe

Pfianzen von Tarvis vor, die er im Sommer dieses Jahres gesammelt hatte,

Tarvis liegt in Kärnthen am Gailitzbache auf der Wasserscheide

des Schwarzen und Adriatischen Meeres in einer Höhe von fast 800 Meter, Ko 16

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82 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

von bewaldeten Höhen umgeben. (Tannenwald, in welchem Cyclamen europaeum wie gesäet.) Obgleich das Klima dasselbe ist wie in den westlichen Alpen, und auch hier der Boden, wie stellenweise dort, Kalkfelsen, so zeigen die Floren doch wesentliche Verschiedenheiten, und Kärnthen hat sogar Pflanzen, die nicht über die Grenzen der Pro- vinz hinausgehen, wie Wulfenia carinthiaca, von der sogar im Bädeker zu lesen, und Thlaspi cepaeaefolium. Gegenüber den Westalpen scheinen bei Tarvis die Sileneae zu überwiegen, auch Rubiaceae. Ferner herrschen gewisse Labiaten vor, die den Westalpen fehlen. Von Papilionaceen sind zu erwähnen Cylisus nigricans, hirsutus und sagitlalis, von Geraniaceen Ger. phaeum, von Cruciferen Dentaria und Biscutella.. Eine Zierde der Alpenwiesen ist Linum viscosum, Gladiolus palustris kommt vereinzelt vor. Thesium intermedium ist sehr häufig und stellenweise auch Aster salicinus.

Campanulaceae sind so häufig wie in den Westalpen, doch ver- misste ich hier Phyteuma spicatum, auch Saxifragen traf ich gar nicht. Orchideen sind ebenso verbreitet wie in den Westalpen, und verschiedene Sedum - Arten nebst Asplenium rula muraria und Asplenium Triehomanes überziehen alte Gartenmauern. Gentianen scheinen auch weniger Ver- breitung zu haben, als in den Westalpen. Die einzige Art, die mir in den Weg gekommen, ist G. germanica.

Ferner zeigte Herr von Trautschold einen im Meer bei Abbazzia gefundenen Stein vor, welcher mit einem dichten Rasen der zierlichen Alge Acetabularia mediterranea bedeckt war: sie trägt auf langem Stiel einen schirmartigen Hut fast von der Grösse eines Pfennigs, und ist, da ihre Membran sehr stark verkalkt ist, trocken rein weiss und äusserst brüchig. Das Exemplar wurde den Sammlungen des botanischen Gartens überwiesen.

In der achten Sitzung vom 24. November sprach Professor Dr. Tramtl‘').

Ueber das System der Monocotyledonen, insbesondere die Gruppe der Farinosae.

Die systematische Anordnung der Angiospermen kann, da die palaeonto- logischen Befunde zu dürftig sind, blos auf hypothetischem Grunde auf- gebaut werden. Wenn hierdurch auch eine gewisse Unsicherheit ent- steht, so ist doch der Versuch, eine möglichst gute und natürliche An- ordnung der Familien und Gruppen zu schaffen, nicht als überflüssig, sondern vielmehr als verdienstvoll zu betrachten. Dass in dieser Rich- tung stets noch Verbesserungen gemacht werden können, zeigt das neue

!) Prof. Prantl hatte eine ausführliche Bearbeitung obigen Vortrages, des letzten, mit dem er die Section erfreute, in Aussicht gestellt, ist aber durch seinen unerwartet frühen Tod am 24. Febr. 1893 daran verhindert worden.

il. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 83

Engler’sche Monocotylen-System, das von seinem Autor zunächst in seinem „Syllabus‘‘ niedergelegt und neuerdings in der Abhandlung: „Die systematische Anordnung der monocotyledonen Angiospermen‘“ Berlin 1892 ausführlich begründet wurde. Das Engler’sche System unterscheidet sich vortheilhaft von früheren (z. B. dem Eichler’schen) dadurch, dass es nicht auf ein oder wenige Merkmale, sondern auf möglichst viele aufgebaut ist. Während Eichler noch versucht hatte, alle Monoeotylen- blüthen auf den pentacyklisch-trimeren Typus zurückzuführen, theilt Engler die Monocotylen folgendermaassen ein:

1. Blüthentheile mit vorherrschender Unbeständigkeit in der Zahl: Pandanales, Helobiae, Glumifloren, Principes, Synanthae, Spathiflorae;

2. Blüthen vollständig (oder reducirt) pentacyklisch: Farinosae, Lilü- florae, Scitamineae, Microspermae.

Von besonderem Interesse ist die Gruppe der Farinosae, welche der Reihe 1. zunächst gestellt und wegen ihres stärkehaltigen Endosperms von den Lilüfloren abgetrennt werden. Dieses Merkmal ist insofern nicht vollständig durchgreifend, als das Endosperm bei den Juncaceen unter den Lilüfloren gleichfalls stärkehaltig ist. Der Vortragende ist der An- sicht, dass in dieser Gruppe der Farinosae noch mindestens zwei ver- schiedene Verwandtschaftskreise enthalten sind, von welchen der eine den Lilüfloren nahe steht, der andere jedoch unverkennbare Beziehungen zu den Gräsern zeigt. Der Vortragende ist geneigt, die Monocotylen in folgende 4 Reihen einzutheilen:

1. Glumifloren mit gemeinsamer Charakterisirung ° durch häutiges Perigon und fadenförmige Narben. Diese Reihe würde nun umfassen: a. die Restionales, welche Engler zu den Farinosae zählt, mit den Familien Restiaceen, Centrolepideen und Erisocaulaceen; diese sind durch gerade Samenknospe ohne Funiculus charakterisirt. Ihnen schliessen sich zunächst an die Gramineen, b. die Cyperaceen bilden eine Gruppe zusammen mit den Juncaceen, welche diese Verwandtschaft ebenso im Diagramm und dem häutigen Perigon, wie in dem Typus ihres mechanischen Systems und in der Entwickelungsgeschichte ihrer Spaltöffnungen zeigen. Von den Lilufloren weichen sie noch besonders durch die fädigen Narben und das mehlige Endosperm ab. Endlich gehören zu den Glumifloren noch ce. die Pandanales.

2. Die Spathifloren in der alten Fassung.

3. Die Corollifloren in folgenden Umfang: Farinosae (nämlich die Commelinaceen, Bromeliaceen, Pontederiaceen und einige kleinere Familien), Liliaceen, Iridaceen, Amaryllidaceen, Scitamineen, Orchideen.

4) Die Helobiae in der alten Fassung.

Professor Cohn macht geltend, ob nicht unter den Helobiae zwei Gruppen zu unterscheiden seien, deren eine Formen umfasse, welche man als redueirte und an das Wasserleben angepasste Lilüfloren ansehen müsse,

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34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Professor Prantl will gegen eine Zweitheilung der Helobiae nichts einwenden.

Professor Ferdinand Cohn legte

eine Anzahl Photographien aus dem Botanischen Garten von St. Louis, Missouri (Nord-Amerika)

vor, eingesendet von dem Assistenten des Gartens, Herrn Chr. Bay;

ferner zeigte derselbe

Zweige der Buche mit rothen, gezähnten Blättern,

im Juni d. J. bei den Schüsselbauden an der Kesselkoppe gesammelt,

und hebt den anziehenden Vegetations - Charakter der Südseite des

Riesengebirges hervor, welche schönen Buchen- und Tannenwald zeigt,

während die Nordseite fast nur mit einförmigem Fichtenwald bedeckt

ist. Auch die Höhengrenzen der alpinen Arten scheinen im Süden des

Riesenkamms von denen des Nordens vielfach abzuweichen, wie z. B.

das tiefe Hinabsteigen der Anemone narecissiflora unterhalb der Hofbauden

und bei den Schüsselbauden andeutet.

Professor Prantl berichtet, dass er Buchen mit rothen Blättern auch im Taunus beobachtet habe, dass bei Aussaat von der Blutbuche etwa 50 pCt. der jungen Pflanzen roth, die übrigen grün gewesen sind, sowie dass junge Buchen mit gezähnten Blättern aus dem Spessart in den Garten verpflanzt, späterhin normale Blätter gebildet haben.

In der neunten Sitzung vom 8. December legte Herr Gym- nasial-Oberlehrer Dr. Theodor Schube vor:

_ Ergebnisse der Durchforschung der schlesischen Phanerogamenflora im Jahre 1892,

zusammengestellt von E. Fiek und Th. Schube. A. Für das Gebiet neue Arten und Formen.

Drosera intermedia X rotundifolia Camus (J. de Bot., V, 1891, p. 198). Rothenburg: Schleife (Callier); Haynau: Samitz (Alt.)

Unter zahlreichen Stücken der D, intermedia Hayne, die H. Alt bei Samitz gesammelt, befanden sich einige Pflanzen, die neben Blättern mit verkehrt-eiförmigen solche mit fast kreisförmiger Spreite und reich- lich doppelt so lange Blüthenstiele besitzen, im übrigen aber die Merk- male jener Art zeigen. Camus, dem H. Callier diese wie auch die von ihm bei Schleife gesammelten, ebenso gebildeten Stücke zur Ansicht schickte, fand dieselben mit den von ihm als obigen Bastard gedeuteten Stücken übereinstimmend. Auch ich schliesse mich dieser Auffassungan ($.).

Alchimilla fissa X glabra, Unter der in der kleinen Schnee- grube sehr zahlreich vorkommenden robusten A, glabra Neygenfind (1821) (= A. vulgaris L. y glabra W. Gr. [1827]) und der viel zierlicheren und

Il. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 85

kleineren A. fissa Schmi. findet sich eine Mittelform, welche ich nicht als Uebergangsform, sondern als Kreuzung zwischen beiden Arten be- trachten muss.

Diese Pflanze gleicht habituell einer A. fissa, besitzt auch gewöhn- lich nur die halbe Grösse einer A. glabra, ebenso weisen die schlanken, die Laubblattregion allerdings nur wenig überragenden Stengel, sowie die stark eingeschnitten -gezähnten Stengelhochblätter und Deckblätter, deren Zertheilung zuweilen fast diejenige der entsprechenden Organe von A. fissa erreicht, auf den Zusammenhang mit dieser hin. Die Blätter dagegen sehen mehr denen von A. glabra ähnlich, sind aber runder im Umriss und besitzen auch rundere Lappen, ihre Zahnung ist nicht so tief und schmal, wie bei A. fissa, aber feiner, enger und spitzer, als bei glabra, zumal an den untersten Blättern der Laubrosette. Diese weisen indessen auch bei A. glabra deutlich kleinere und schmälere Zähne auf, sind aber in der Regel schon zur Blüthezeit dieser Pflanze vertrocknet. Während ferner die Grund- und Stengelblätter bei A. fissa gewöhnlich bis zur Mitte gespalten und die Lappen am Grunde ganzrandig sind, bei A. glabra aber die Theilung der ringsum, d. h. von Bucht zu Bucht ge- zähnten Lappen bis zu höchstens einem Drittel der Blattlänge geht, beträgt die Länge der Lappen bei der Zwischenform oft mehr als den dritten Theil derjenigen des Blattes und ihre Theilungsstelle ist stets durch einen kurzen aber deutlichen ganzrandigen Spalt gekennzeichnet. Die Blüthen der Hybriden nehmen gleichfalls eine Mittelstellung ein, was die Grösse und Gestalt der Kelchblätter betrifft, denn diese sind relativ nicht so lang als bei fissa, aber länger als die ziemlich breiten und stumpferen der 4, glabra. Jedoch nähert sie sich der Letzteren, weil ihre Kelchzipfel nicht wie bei A. fissa sternförmig ausgebreitet sind, sondern mehr aufrecht stehen. Unter den Früchten waren viele nicht zur Entwickelung gelangt.

Ueber diese dem Monographen der Gattung, Herrn R. Buser in Genf, vorgelegten Pflanze äussert sich der Genannte dahin, dass Gra- bowski wie auch Tausch sie bereits in den Sudeten gesammelt hätten, und dass er selbst damit völlig identische Exemplare von Lappland (leg. Wichura und Anderson), sowie von Island (Herb. Boissier) gesehen habe. Als Wichura die Pflanze in Lappland sammelte, habe er sie schon als gewissermaassen zwischen A. fissa und vulgaris inmitten stehend erklärt. Was den Namen beträfe, so stehe noch die Entscheidung aus, ob sie mit A. vulgaris var. elegans Laestadius identisch sei oder nicht, von einer neuen Benennung müsse also vorläufig abgesehen werden,

—+ Potentilla chrysantha Trev. Schmiedeberg: Grasplätze im Parke von Buchwald!!

Petasites albus X Kablikianus Celk. Die Vermuthung, dass auch auf der schlesischen Seite des Riesengebirges der kritische Petasites

86 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Kablikianus Tsch. aufgefunden werden würde, wenn er erst richtig er- kannt wäre, hat sich bestätigt. Merkwürdigerweise ist es gerade die vielbesuchte kleine Schneegrube, in welcher ich im August 1892 das Vorkommen der genannten Art und ihres Bastardes mit P. albus fest- stellen konnte. Gar nicht auf Petasites achtend, kam ich beiden auf die Spur, als mir plötzlich Blätter einer Pestwurz auffielen, die durchaus nicht mit denen von P. albus abereinstimmten, Bemerkenswerth war mir zu- nächst die weissgesprenkelte Blattoberseite, eine Erscheinung, die bei näherem Zusehen von einem graulich - weissen Filze herrührte, der sich auf der sonst kahlen Fläche an zahlreichen Punkten gleichsam zusammen- gezogen hatte oder vom Regen zusammengeschwemmt war und nun meistens lappig abstand. Es hatte sich hier also der sonst leicht ab- wischbare Filz des P. Kablikianus lange Zeit erhalten, während er bei diesem selbst zu dieser Jahreszeit längst verschwunden, das Blatt viel- mehr dann ganz kahl ist. Die Blattunterseite zeigte sich von einem schmutzig-weissen Filz gleichmässig überzogen, jedoch dünner als bei den gleichaltrigen Blättern von P. albus. In der Form des Blattes war, wie in dessen Bekleidung, seine Mittelstellung zwischen P. albus und Kablikianus noch deutlicher erkennbar. Ist die Gestalt im Ganzen auch dem Blatte des letzteren ähnlicher, so sind doch seine beiden unteren Lappen nicht so eckig und wagerecht abstehend, der Ausschnitt am Grunde daher auch nicht so auseinander spreizend, sondern enger, mehr wie bei P. albus. Die Zähne der Blätter sind nicht so spitz wie bei P. albus, aber es sind wie bei diesem zwischen den grösseren Zähnen öfter feinere weichstachelartige Zähnchen eingeschaltet. Der Blattstiel durchweg weissfilzig, während er bei P. Kablikianus kahl ist. Eine

nähere Beschreibung ist in der Abhandlung von Celakovsky über P. Ka- blikianus T'ssch. (Oestr. Bot. Zeitschr. 1890, $. 295) enthalten.

Matricaria Chamomilla X inodora. „Diese Hybride steht der M. Chamomilla näher, doch ist ihr Geruch auch im lebenden Zustande sehr schwach. Die oft tiefgespaltenen Zipfel der doppelt-fiedertheiligen Blätter sind zuweilen rinnig. Kopfstiele mässig lang. Blüthenboden hoch gewölbt oder kurz-kegelförmig, nicht so verlängert wie bei M. Chamomilla, hohl, aber in geringerem Maasse als bei dieser. Blüthen- köpfe grösser, ihre Strahlblüthen meist abstehend, nicht wie bei M. Chamomilla zurückgeschlagen. Früchte wenig entwickelt. Die Pflanze bildete grosse kräftige Stöcke, deren Stämmchen von unten an aus- einandergehen.

Liegnitz: Seedorfer Felder vereinzelt unter den Stammarten.‘“ (Figert in lit.)!

Symphytum cordatum W. K. Hirschberg: Parks von Buch- wald und Lomnitz!! Diese östliche Art soll zwar schon vor 3 bis 4

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 87

Jahrzehnten einmal in Schlesien beobachtet worden sein, sichere Nach- richten darüber sind mir aber nicht bekannt geworden.

Rumex agqualticus X obtusifolius (R. Schmidtii Hsskn.). Goldberg: im Katzbachbett bei Hermsdorf (Figert)! Unsere Pflanze entspricht am besten der zweiten von Haussknecht (in Mittheilungen des Bot. Vereins für Gesammtthüringen 1884 $. 66, 67) beschriebenen Form dieses von ihm zuerst festgestellten Bastards. Die Fruchtklappen sind indessen stärker gezähnelt, man kann sagen „gezähnt“, weshalb die Mitwirkung von R. agrestis nicht ausgeschlossen erscheint; die Schwielen zeigen sich im Ganzen ziemlich entwickelt. Jedenfalls steht auch die Hermsdorfer Form dem R. aqualicus näher.

Polygonum lapathifolium X Hydropiper Beckh. Liegnitz: Barschdorf (Figert). Die Pflanze, die zwischen den muthmaasslichen Eltern wuchs, stellt mit ihren schwarzgefleckten Blättern, dem ziemlich schwach drüsig punktirten Perigon, der hellgrünen, nur selten etwas röthlichen Färbung der Blüthen und den ziemlich lockeren Aehren ein deutliches Mittel zwischen jenen dar ($.).

Carpinus Betulus L. var. quercifolia Aschs. Ueber diese Formabweichung der Blätter unserer Hainbuche schreibt Herr Mittel- schullehrer Schöpke in Schweidnitz: ,,In diesem Jahre fand ich die von Professor Ascherson mit Var. quercifolia bezeichnete Form auf der hie- sigen Promenade in einem etwa 4 m hohen Strauche vor, der an seinen unteren Aesten noch theilweise normale Blätter trägt. Ein Aufpfropfen hat hier nicht stattgefunden, da sich am unteren Theile des Stämmchens keinerlei Wulstringe zeigen. Die Buche steht wenige Schritte seitwärts von einem Promenadenwege und war, so weit mir erinnerlich ist, früher normal beblättert. Da wurden vor etwa 5 bis 6 Jahren an ihrem Stand- orte Veränderungen geschaffen, indem man zwei schmale Fusswege an- legte, die rechts und links hart an dem Strauche vorbeiführen und sich unmittelbar hinter ihm vereinigen, Er konnte sich daher nur noch nach der vierten, dem Hauptwege zugewandten Seite ausbreiten, weshalb auch hier die unteren Aeste die meisten normalen Blätter besitzen. Da auch nach der Vereinigungsstelle der beiden Fusssteige hin etwas Spielraum für die Buche vorhanden ist, so zeigen sich auf dieser Seite gleichfalls einzelne normale Blätter, doch im Verhältniss zur entgegengesetzten Seite nur wenige. Die rechts und links befindlichen Fusswege sowie das dahinter liegende Gebüsch engen die Buche immer mehr ein, daher tragen die Aeste der Seiten und alle oberen Triebe nur anomale Blätter. Zudem sind mehrere kleine Aestehen vorhanden, welche am Grunde normale Blätter haben, deren Spitzen jedoch in die Eichenblättrigkeit übergehen. Es ergiebt sich hieraus, dass es sich hier um keine beson- dere Varietät handelt; der betreffende Strauch ist vielmehr ein erneuter Beweis dafür, dass wie bereits Dr. Buchenau in Bremen beobachtet

88 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

hat nur Störungen in der Zufuhr der Nährstoffe, Verhinderung des genügenden Eindringens von Niederschlägen und Abhaltung von Licht und Luft die Eichenblättrigkeit von Carpinus bedingen.‘ —- Professor P. Magnus kann entgegen Buchenau die Eichenform des Blattes von Carpinus nicht als Folge einer ungenügenden Ernährung oder Vege- tation des Baumes ansehen, da er diese Form am Ufer der Saale bei Bad Kissingen aufgefunden hat, vielmehr glaubt er es sicher hier mit einer constitutionellen Varietät zu thun zu haben, die wie das auch bei anderen geringeren Variationen, z. B. Panachirungen, rother Färbung des Laubes u. s. w. bekannt ist leicht auf vegetativem Wege mehr oder minder vollkommen zurückschlägt (Verh, des Bot, Ver, der Prov. Brandenburg 1891 $. XXXV).

Carex vesicaria X filiformis. Im Jahre 1848 entdeckte Ger- hardt unweit Liegnitz (in der Tschocke bei Kunitz) eine Carexform, die von Wimmer in der Flora von Schlesien (III. Bearbeitung 1857 $. 71) unter dem Namen C. evoluta Harim. aufgeführt wurde, und von der er sagte, „diese Art stelle der Tracht nach wie auch in den Merkmalen ein vollkommenes Mittelding zwischen C. riparia und filiformis dar, in deren Gesellschaft sie wachse‘‘, er halte sie daher für einen aus beiden Arten entstandenen Bastard. Uechtritz hatte die Pflanze am Standort beobachtet, war aber der Meinung, es kämen in der Tschocke zwei Kreuzungen der (, filiformis vor, von denen die häufigere der Combination C. filfformis >< spadicea, die andere, wesentlich seltenere, aber der ©. filiformis > riparia entspräche. Als der scharfsichtige Figert 1890 im Bienowitzer Bruche bei Liegnitz zwischen zahlreicher C, riparia und ©. filiformis Mittelformen in grosser Anzahl auffand, bemerkte er bald eine wesentliche Verschiedenheit zwischen diesen und den Pflanzen aus der Tschocke. Er unterzog daher letztere einer erneuten sorgfältigen Prüfung und erkannte in ihnen entgegen der bisherigen Annahme die obengenannte, für Schlesien noch nicht bekannte Hybride, über die er eingehend in der Deutsch. Botan. Monatsschrift (1892 8. 148—152) berichtet hat.

Es scheint nach den Mittheilungen Figert’s a. a. O. und anderen nicht, als ob in der Tschocke neben C. filiformis X vesicaria noch andere Blendlinge der C. fAliformis vorkämen. In diesem höchst wahr- scheinlichen Falle müsste die Angabe des Auftretens von C. acuti- formis (spadicea) X filiformis in meiner Flora von Schlesien ge- strichen werden, während die dort erwähnte C. filiformis X riparia von Kath.-Hammer, Kreis Trebnitz (leg. Uechtritz), nochmals auf ihre richtige Deutung zu prüfen wäre,

Molinia coerulea (L.) Mnch. var. subspicata Figert. „Pflanze dieht-rasig, dunkler grün. Blätter ziemlich breit, am Rande und ober- seits rauh, die unteren mit langen weissen Zottenhaaren zerstreut be-

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 89

setzt. Rispe einer mehr oder weniger unterbrochenen Aehre ähnlich. Rispenäste verkürzt, steif aufrecht und angedrückt, wenige Aehrchen tragend. Letztere violett-blau, nie grün.

Liegnitz: auf Waldblössen bei Hummel unter dem Typus‘ (Figert in litt.) !

Auch im Hochgebirge kommen Formen mit ährenartig zusammen- gezogenen Rispen vor (Weisse Wiese, Korkonosch), die jedoch niedrig sind und nie so stark verkürzte Rispenäste besitzen,

Lycopodium clavatum L. var, tristachyum Nutt. (als Art). Grünberg: Hohenborauer Forst (Hellwig)! Diese von der gewöhnlichen sich durch fast wagerecht abstehende Blätter der Aeste auszeichnende Form sieht dem L. annotinum in der Tracht durchaus ähnlich, lässt sich von ihm jedoch leicht durch die lange Haarspitze an den vorn ge- wöhnlich ganzrandigen Blättern unterscheiden. Die vorliegenden Exem- plare zeichnen sich durch die Weichheit und Zartheit ihrer Blätter aus.

Hierbei will ich erwähnen, dass die Angabe zahlreicher Floristen, als seien die Blätter von L. clavatum L. stets ganzrandig, irrig oder doch nur theilweise richtig ist. Die Blätter der Aeste und Zweige sind es ja fast immer, oder es besitzen nur die untersten eine feine Zähne- lung, dagegen habe ich an allen von mir untersuchten Exemplaren zahl- reicher Standorte stets, und oft sehr deutlich gezähnelte Stengelblätter festgestellt. Auch kommen Formen vor, deren Stengelblätter zierlich mit feinen und ziemlich dichten dornigen Zähnchen versehen sind, wie mir deren Hellwig besonders ausgeprägte mehrfach aus der Gegend von Grünberg als f. serrulata zugeschickt hat, (Als Gegenstück hierzu verdient wohl auch eine f. integrifolia von L. annotinum L. Er- wähnung, die zum Theil ganz ungezähnte Blätter besitzt, im übrigen aber in der Richtung der Blätter ganz mit der Grundform übereinstimmt, also nicht etwa mit dem L. reclinatum Mchx. vereinigt werden kann, Ich beobachtete sie z. B. am ehemaligen „grossen See‘ auf der Heu- scheuer ($9.).

B. Neue Fundorte.

Thalictrum minus Z. Oppeln: Sackerau ($.). Tarnowitz: Naklo (Wossidlo, $.).

Pulsatilla vernalis (L.) Mill. Ullersdorf a. Queis, am Rande eines Feldweges (Lehrer Hähnel t. Barber). Rosenberg: Friedrichswille und bei Försterei Albrechtshof ($.).

P. pratensis L. Brieg: Neudorfer Sandberge (Nitschke, S8.). Namslau: Gramschütz (Ziesche, S$.).

Anemoneranunculoides L. f. subintegra Wiesb. Görlitz: auf der Landskrone nicht selten (Barber)!

90 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Ranunculus paucistamineus Tsch. Ohlau: Rohrwald bei Klein- Oels (Kruber)!; Kontop: Wildeborse (8.); Breslau: Protseh, Süsswinkel (S.); Strehlen: Plohmühle, hier die f. Drouetii Schltz. ($.)

R. divaricatus Schrk. Breslau: Schwoitsch (Uechtritz 1886, $.),

R. Lingua L. v. strigosus Kab. Grünberg: Droscheydau (Schrö- der, 19:).

R. auricomus L. v. fallax W. Gr. Canth: Lorzendorf, Kammen dorf (8.).

R. cassubicus L. Strehlen: Siebenhufen (Kruber)! Brieg: Abra- hamsgarten (Nitschke, $.).

R. sceleratus L. im Vorgebirge sehr selten, z. B. Hirschberg: in Grunau!!, Straupitz!!, aber unbeständig; ebenso in der Ober-Lausitz selten: ausser um Görlitz noch beim Stift Radmeritz (Barber).

R. nemorosus DC. Rybnik: Belk (Ziesche, $.).

Aquilegia vulgaris L, Marklissa: Schwerta ($.); Mittelwalde häufig, z. B. Ebersdorf, Urnitz, Herzogswaldau, Schönfeld, Rosenthal, Ober-Langenau, nicht selten weiss und rosa blühend ($.).

Actaea spicata L. Brieg: zw. Baruthe und Smortawe ($.).

Nymphaea candida Prsl. Rybnik: Sägemühlteich bei Belk (Ziesch&, $.).

Nuphar luteum L. f. tenellum Rchb. Brieg: Neu-Leubusch ($.).

+ Fumaria capreolata L. Proskau: Turnplatz (Richter, $.).

Nasturtium amphibium X silvestre Wimm. Breslau: Gross- Nädlitz (Uechtritz 1886, $.).

Isopyrum thalictroides L. Canth: Jürtsch, Gilgenau ($.).

Barbarea stricta Andrzj. Riesengebirge: [im Bette der kleinen Aupa von der Mohornmühle bei 760 m, abwärts bis zum Einfluss in die grosse Aupa (Schöpke)].

Arabis arenosa (L.) Scop. Hoyerswerda: Bahnhof, Felder bei Dörgenhausen (Barber); Strehlen: Mückendorf (Kruber)!; Tarnowitz: Vietorkretscham, Beuthener Chaussee (Wossidlo, $.).

Cardamine Opicii Presl. f. glabra Uechtr. im Riesengebirge unterhalb der Daftebauden!!

C. impatiens L. Reichenbach: Weigelsdorfer Kreuz bei Neu- Bielau; Silberberg: Festungswerke, Colonie Brandmühle (Schöpke)!, Köpprich, Schmiedehau, Volpersdorfer Plänel u. s. w. (S.); Münsterberg: Bischofswald (Kruber) !

Dentaria enneaphyllos L. Jauer: Jägendorf (F. W. Scholz, S.).

+ Erysimum repandum L. Liegnitz: Gänsebruch (Figert, $8.).

+ Diplotaxis muralis (L.) DC. Liegnritz: Gänsebruch auf Schutt (Figert)!

Lepidium Draba L. Strehlen: Prieborner Marmorbruch (Kruber) ! Tarnowitz (Fabian, $.).

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 91

Viola uliginosa Schrad. Niesky: am Verbindungsgraben zwischen dem Petershainer Teiche und dem Schwarzen Luch (Kootz t. Barber).

V. arenaria X Riviniana (Zasch) Uechtr. Unter dem 1889 von Callier bei Frauenwaldau unweit Militsch gesammelten und mir seiner Zeit mitgetheilten Veilchenmaterial konnte ich auch diesen Bastard feststellen. In der Tracht und der Grösse der Pflanze, sowie in der Grösse ihrer Blüthen und Blätter und in der ziemlich lebhaft grünen Färbung des weichen Laubes wird die Zusammengehörigkeit mit Viola Riviniana Rchb. auf den ersten Blick erkannt, wofür auch die längeren, tiefer eingeschnittenen Nebenblätter sprechen. Die Bekleidung jedoch, welche auf den Stengeln und Blattstielen besonders dicht, auf der Blatt- unterseite aber schwächer ist, als auf der Oberseite, deuten klar auf eine Kreuzung mit V. arenaria DC. Somit stimmt diese Hybride mit der von Uechtritz (Jahresbericht 1885, $. 218 u. 219) als erste Form beschriebenen aus dem Brauchitscher Forst bei Lüben überein. Ganz gleiche Exemplare, von Cand, R. Schultz gesammelt, sah ich aus dem Goldaper Forst in Ostpreussen.

V. mirabilis L. Breslau: Skarsine ($.).

Gypsophila fastigiata L. Tarmowitz: Georgenberger Chaussee (Wossidlo, $.).

Tunica prolifera (L.) Scop. Lüben: ÖOssig (Figert, $.).

Dianthus arenaria X Carthusianorum (D. Lucae Aschs.). Grünberg: Weite Mühle (Hellwig)! Zweiter Standort.

D. superbus L. Schlawa: Rädchen (Ziesch6e, $.); Lüben: Gross- Krichen (Figert, $.).

Cucubalus baccifer L. Breslau: Schebitz (Frl. Kallenbach, $.); Machnitz (8.); Ober-Glogau: Widrowitz (Richter, S.).

Silene gallica L. Rybnik: Czerwionkau, Czuchow (Ziesche, $.). Stenzelberg bei Wüstewaltersdorf (Schröder, $.).

+ 8. Armeria L. Löwenberg: Stamnitzdorf ($.); Jauer: Semmel- witz (Figert, $.).

S. chlorantha L. Lüben: Ossig (Figert, $.).

+ 8. dichotoma Ehrh. Trebnitz: Raschen (Bodmann, $.), Brockot- schine ($.).

S. Otiles (L.) Sm. Brieg: Neu-Cöln (Nitschke, $.).

S. nutans L. var. glabra (Schk.). Wartha: Gipfel des Kapellen- berges (Schöpke).

Melandrium album X rubrum (M. dubium Hampe). Goldberg: bei Hermsdorf (Figert)!; Birkicht im Riesengebirge!!

M. rubrum Gcke. fl. roseo. Canth: mehrfach, z. B. Fürstenau, Gilgenau (8.).

Stellaria nemorum L. Breslau: Weistritzwälder, von Schosnitz aufwärts, häufig ($.).

92% Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Cerastium arvense L. in einer ganz kahlen Form (war. glabres- cens Neilr. ?) bei Schweidnitz: Waldränder bei Esdorf (Schöpke).

Radiola linoides Gmel. im Vorgebirge noch bei Hirschberg: auf einem Feldwege gegen Boberröhrsdorf (M. Fiek)!

Lavatera thuringiaca L. Strehlen: Marmorbruch bei Prieborn (Kruber).

Malva crispa L. Glogau: Driebitz (Ziesche, $.).

M. neglecta X rotundifolia Rischl. Jauer: Hermannsdorf (Figert, S.).

+ Hibiscus Trionum L. Oels: beim Schlosse (Bodmann, $.).

Hypericum montanum L. Strehlen: Siebenhufen (Kruber). Brieg: Leabusch, bei den Kaisereichen und vor Pechhütte ($.). |

H. hirsutum L. Carolath (Hellwig)!; Charlottenbrunn: am Sophien- auer Tunnel!!; Münsterberg: Bischofswald (Kruber); Wartha: Königs- hainer Spitzberg, Wälder um Gierichswalde und Heinrichswalde (Schöpke); Neissewälder bei Koppitz (Kruber). Breslau: Masselwitz (Apoth. Eicke 1828, 8.); Ohlau: Fasanerie ($.), von der Lindener Fähre bis Smortawe nicht selten ($S.).

H. elodes L. Hoyerswerda: an den Kühnichter Teichen und zwar am Diskals-, Tiefen Podroschnik-, Mönnichs- und Funk’s Wiesenteiche (Barber), ferner am Breiten Podroschnik-, Alten- und Burger Teiche, sowie am Abfluss des letzteren östlich von Seidenwinkel (Höhne t. Barber).

H. quadrangulum X perforatum Hoskn. Glogau: Wühleisen (Figert, $.).

Acer campestre L. Bauernwald bei Wansen (Kruber).

A. Pseudoplatanus L. Brieg: Baruthe ($.).

Geranium sanguineum L. Grünberg: Looser Berge (Kleiber)!; Strehlen: Bauernwald bei Töppendorf (Wegehaupt).

G. phaeum L. Münsterberg: Moschwitzer Buchenwald, Park von Heinrichau (Kruber); Silberberg: Grasgärten von Schönwalde (Schöpke); Mittelwalde: Ebersdorf, Urnitz, Herzogswalde, Schönfeld, Rosenthal, Ober-Langenau ($.), Wölfelsgrund am Buckelwasser (Stenzel, $.).

G. silvaticum L. Mittelwalde: Rosenthal ($8.).

G. molle L. albiflorum. Grünberg: Saabor, Hammer (Kleiber); Ober-Glogau: Twardawa, am Bahnhof (Richter, $.). Neu für Ober- schlesien, vielleicht auch hier nur verschleppt.

—+ Impatiens glanduligera Royle. Wiegandsthal ($.), Lieben- thal: Krummöls (8$.).

+ Ulex europaeus L. Rosenberg: zwischen der Annakapelle und Friedrichswille ($.).

Genista germanica L. f. inermis Koch. Brieg: im Leubuscher und Rogelwitzer Walde mehrfach ($.).

1I. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 93

Cytisus nigricans L. Brieg: zw. Leubusch und Rogelwitz mit dem folgenden (S.).

C. capitatus Jacg. Camenz (Schöpke); Wegränder bei Münster- berg; Grottkau: Giersdorf (Kruber). Jägerndorf: Burgberg (Ziesche&, $.).

C©. ratisbonensis Schff. Bernstadt: Mühlatschütz (8.); Brieg: Schönau (Nitschke, 8.); Ohlau: Minken ($.).

Ononis spinosa L. Schlawa: Hammer (Hellwig)!

O. hireina Jqu. albiflora. Liegnitz: zwischen Klemmerwitz und Tentschel (Figert, S.). Rybnik: Kniezenitz (Ziesche, $.).

Anthyllis Vulneraria L. Bunzlau: vor Neu-Jenkwitz (8.); Mittel- walde: Lauterbach, Schönfeld, Rosenthal ($.); Breslau: Carlowitz (Ziesche, S.); Silberberg: mehrfach, auch auf dem Donjon ($.); Constadt: Reiners- dorf (S.).

Trifolium rubens L. Schweidnitz: um Leutmannsdorf verbreitet; so am Denkmalberge, an der Paarhöhe, am Todten Jungen (Schöpke). Bunzlau: Grünsteinhügel (Alt, S.).

T. spadiceum L. Mittelwalde: Beethenbusch, Herzogswalde, gegen die Kalkbrüche ($.).

T. alpestre L. in den Haidegegenden der Ober-Lausitz ungemein selten. Hoyerswerda: Dubringer Berg (Barber).

Teiragonolobus siliguwosus (L.) Rth. Wansen: Lorzendorf (Bartsch t. Kruber).

Lotus corniculatus L. f. hirsutus Rch. Brieg: Neudorf (Nitschke, $.).

Astragalus arenarius L. Grünberg: zwischen Schweinitz und Lättwitz (Schröder, $.); Bernstadt: Mühlatschütz (8.).

Ornithopus sativus Brot. Ober-Langenbielau, verw. (F. W. Scholz, $.).

Onobrychis viciaefolia Scop. Canth: DBorganie, nicht ange- pflanzt (S.).

Vieia silvatica L. Hultschin: Weinberg (Ziesche, $.).

V. cassubica L. Bernstadt: Ziegelhof; Ohlau: Minken; Brieg: Baruthe, Leubusch, Rogelwitz (S.).

Lathyrus tuberosus L. Breslau: Probotschine ($8.); Zobten: Altenburg (Ziesch£, $.).

L. montanus Bernh. Hoyerswerda: Dubringer Berg (Barber).

„Prunus spinosa L. mit silbergrauen Blättern, Liegnitz: Linden- busch; Leubus: Rathau.‘“ (Figert in litt., $8.).

—+ P. Cerasus L. Grünberg: Neue Maugscht, scheinbar völlig wild (Hellwig)!

Geum montanum L. mit zweiblüthigen Stengeln, am Ziegenrücken im Riesengebirge unterhalb der Rennerbaude (Barber).

Aruncus silvester Kost. Reinerz: Rückers ($.).

94 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

mn nn mn

Rubus nitidus W. uw. N. Niesky häufig; an den Kodersdorfer Teichen bei Görlitz (Barber).

R. sulcatus Vest. Ruhland: am Wege von Niemz nach Biehlen (Barber).

R. thyrsoideus Wimm. bei Hoyerswerda: sehr häufig am Du- bringer Berge (Barber). Die Subspec. candicans (Weihe) bei Görlitz: Spitalwald bei Paulsdorf (W. Schultze).

R. silesiacus Weihe. Görlitz: Kiefernwald am Wege von Reichen- bach nach Paulsdorf (W. Schultze).

R. Schleicheri W. u. N. Hoyerswerda: Holschinateich, Haide zw. Geierswalde und Schwarz-Kollin (Barber); Görlitz: Paulsdorfer Spitz- berg (W. Schultze).

R. caesius L. Eine abweichende, stets unfruchtbare Form beob- achtete Figert bei Liegnitz: Nikolstadt, Langenwaldau, Arnsdorf, sowie am Wolfsberg bei Goldberg ($.).

R. caesius X Idaeus Mey. Jauer: Hermannsdorf (Figert, $.).

Comarum palustre L. Brieg: vor Leubusch ($.).

Potentilla supina L. Löwenberg: Stamnitzdorf (S.); Liegnitz: Hünern, Koischwitz (Figert, 8.); Zobten: Queitsch (Ziesche, $.); Ober- Glogau: Weingasse (Richter, $.).

P. norvegica L. Bunzlau: Kaiserswaldau (Figert, $.).

P. recta L. Tarnowitz: Naklo (Wossidlo, $.).

P. canescens Bess. Grottkau: Giersdorf (Kruber).

P. Wiemanniana Gth. u. Schml. Grünberg: Nittritz (Hellwig)!; Naumburg a. Qu.: gegen Siegersdorf (8.); Leubus: Rathau, Prankau (Figert, S.). Eine abweichende Form sandte Schwarz von Trachenberg: Laubwald bei Kendzie (!). Blättchen auffallend breiter als am Typus, mehr verkehrt-eiförmig-länglich, mit wesentlich kürzeren, breiteren, kurz zugespitzten Zähnen, unterseits auch weniger dicht stern- und kurz haarig, daher mehr matt- als graugrün erscheinend. Gewiss nur Schatten-

form und nicht identisch mit der P. Güntheri $ virescens Cel. (P. Lind- ackeri T'sch.).

P. reptans L. var. ramosa Uechtr. Kontopp: an der Chaussee nach Liebenzig (Hellwig)! Durch eine starke, jedoch die der var. pu- bescens Fiek nicht erreichende, Bekleidung ausgezeichnet.

P. argentea X silesiaca Call. Schlawa (Hellwig)!

P. procumbens Sibth. Hirschberg: zwischen den beiden Falken- bergen (M. Fiek)!

P. procumbens X silvestris (P. suberecta Zimm.) Liegnitz: zw. Spittelndorf und Petersdorf 1889 (Figert)!; Trachenberg: Kiefern- wälder um Korsenz fast überall (Schwarz, als P. silwestris var. fallax Marss.)!; Breslau: Obernigk im Walde nördlich der Sitten!!; Militsch: Buchenwald bei Schlottau 1889 (Callier)! Ich halte auch die von

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 95

C, Scholz bei Bojanowo gesammelte und von Callier herausgegebene P. fallax Marss. für nichts anderes als den bezeichneten Bastard, we- nigstens was die Exemplare betrifft, die ich davon gesehen habe, wie ich auch glaube, dass die Marsson’sche Varietät fallax überhaupt nicht zu P. silvestris gehört, sondern deren Kreuzung mit P. procumbens dar- stellt. Die von Appel und Callier gegebene erweiterte Diagnose von P. fallax Marss. (in Deutsch. Bot. Monatsschrift X, S. 164) kann mich nur in dieser Ansicht bestärken. Wenn die Blätter ‚mehr oder weniger gestielt‘‘ sind, so kann die Pflanze nicht zu P. silvestris gehören, Indem ich mich der hier ausgesprochenen Ansicht auschliesse, muss ich auch die von Alt bei Greulich und Rothlach gesammelten Stücke (vgl. Bericht für 1891) als hierher gehörig erklären ($.).

P. alba L. Strehlen: Bauernwald bei Töppendorf (Wegehaupt)! Proskau: Wilhelmsburger Wald (Richter, $.).. Wartha: zwischen Bries- nitz und Niklasdorf (S.).

Agrimonia odorata Mill. Hammer bei Schlawa (Hellwig) !

Rosa tomentosa Sm. genuina. Hoyerswerda: Dubringer Berg (Barber).

R. rubiginosa L. var. pimpinelloides G. F. W. Mey. zwischen Tsehiefer und Carolath in einer kahlen und einer auf den Nerven be- haarten Form (Hellwig)! Der Typus bei Hoyerswerda: längs des Hammerteichgrabens in der Nähe des Weissen Sees (Barber).

R. sepium Thuill. var. inodora (Fr.). Görlitz: Spitalwald bei Paulsdorf selten (W. Schultze).

R. alpina L. Mittelwalde; Herzogswalde, nahe der Bahn ($.).

Epilobium virgatum X palustre Kr. Jauer: Hessberge (Figert, S.).

E. trigonum Schrk. im Riesengebirge nahe bei der Neuen Schle- sischen Baude (Barber).

E. parviflorum X roseum (E. persicinum Rchb.). Grünberg: Neue Maugscht am Lunzenbach (Hellwig)!

E. montanum X roseum. Neurode: Euldörfel (Schröder, $.).

E. montanum X palustre Lsch. Schönau: Polnisch - Hundorf (Figert, $.).

E. montanum X virgatum Kr. Liegnitz: Siegendorf (Figert, $.).

E. montanum X trigonum (E. pallidum Tsch, = E. Freynii Celk. Prodr.) in der grossen Kesselgrube!! Auch in verblühten Exemplaren, an denen das Getrennt- oder Verwachsensein der Narben nicht beobachtet werden kann, lässt sich dieser Bastard an den durch- weg gestielten Blättern erkennen. Denn während bei E. trigonum die oberen Blätter mit breitem Grunde sitzen, ist der Grund bei den ent- sprechend hoch angehefteten Blättern der Kreuzung abgerundet und schnell in den etwa 2 mm langen Blattstiel verschmälert, Die Blatt-

96 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

spuren laufen am Stengel herab, doch öfter nicht das ganze Interfolium, fehlen auch nicht selten dem unteren Theile. Die Bekleidung ist jeden- falls stärker als an E. trigonum, aber unterwärts meist nur spärlich.

E. alsinifolium X palustre (E. Haynaldianum Hssk.) Riesen- grund an einer quelligen Stelle unweit der Bergschmiede!! Die Mitte August gesammelten Exemplare dieser Kreuzung zeigen bereits die unter- irdischen, in Moos eingesenkten Triebe, mit 3—4 Paaren von Nieder- blättern, welche rundlich, fleischig und gelblich die ausgezeichneten Merkmale des E. alsinefolium darstellen. Stengel gross, kräftig, saftig, wenigstens oberwärts mit 4 deutlichen Leisten versehen, unterhalb der Mitte diese nur durch dünne Haarstreifen angedeutet. Bekleidung mit kurzen, weichen, gekräuselten Haaren, besonders unterwärts. Blätter in Form und Farbe ganz wie bei E. alsinefolium, aber am Rande und auf den Nerven (eben so wie die Kelche und Fruchtknoten) behaart, Zahnung etwas feiner und seichter als bei E. alsinefolium. Blüthen bemerkbar kleiner als an diesem.

Während dieser Bastard hiernach dem E. alsinefolium viel näher steht als dem E. palustre, fand ich auf der Mädelwiese eine Form, die dem E. palustre wieder sehr nahe kommt: Läufer fein, fadenförmig, entfernt beblättert, mit linealen, mehr grünen Niederblättern besetzt; Stengel zuweilen sehr kräftig, etwas weniger dicht bekleidet als bei E. palustre, erhabene Leisten nicht bemerkbar, oder höchstens auf kurze Strecken angedeutet, dagegen gewöhnlich deutliche Haarleisten; Blätter lineal-lanzettlich, obere und die der Zweige lineal und dann meist ganz- randig, ihre Umrollung am Rande vorhanden oder angedeutet. Kein Exemplar mit vollständig ganzrandigen Blättern, allerdings diese oft sehr seicht und undeutlich geschweift, mit ganz entfernten Zähnchen. Tracht und Bekleidung der Pflanze, Grösse und Färbung der Blätter und Blüthen- srösse wie bei E. palustre.

Die Pflanze zeigt sich somit ganz übereinstimmend mit E. palusire var. scaturiginum (Wimm.) Fiek Flora v. Schles., wie sie als solche von Uechtritz auch anerkannt wurde, Hat aber Haussknecht mit seiner Meinung Recht, dass E. palustre stets ganzrandige Blätter besitzt, dann muss allerdings diese Varietät in Wegfall kommen und unsere Form als ein E. palustre > (alsinefoium > palustre) anerkannt werden.

Circaea Lutetiana L. KEulengebirge: am Doctorweg, bei etwa 550 m ($.).

C. intermedia Ehrh. Bunzlau: gr. Zeche (Alt, 8.); Grünberg: Ochelhermsdorf (Schröder, $.).

C. alpina Z. Tarnowitz: Truschützer Thiergarten (Wossidlo, $.).

Montia rivularis Gmel. Hoyerswerda: Quellgraben westlich der Station Hohenbocka (Barber).

Illecebrum verticillatum L. Bunzlau: Kaiserswaldau (Figert, $.).

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 97

Scleranthus annuus X perennis Lsch. Lüben: Ossig; Glogau: Wühleisen (Figert, $.).

+ Sedum spurium MB. Zobten: Queitsch (Ziesche, $.).

Ribes Grossularia L. Greiffenberg: Greiffenstein (S.).

Chrysosplenium oppositifolium L. Niesky: am botanischen Hügel bei Diehsa (Kootz); Lähn: am Hageberge bei Süssenbach (M. Fiek); beim Hainfalle im Riesengebirge (Schöpke). Greiffenberg: zwischen der Finke- und Goldentraummühle (8.).

Eryngium planum L. Tarnowitz: Bleierzwäsche (Wossidlo, $.).

Helosciadium inundatum (L.) Koch Hoyerswerda: Zufluss des Tiefen Podroschnik, Abfluss des Mönnichsteiches (Barber).

Aethusa Oynapium L. v. cynapioides (MB,) in fast 2 m hohen Exemplaren. Wartha: Försterei Wiltsch (8.).

Seseli coloratum Ehrh. Tarnowitz: Ptakowitz (Wossidlo, $.).

Imperatoria Ostruthium L. Neurode: Euldörfel (Schröder, $.).

Archangelica officinalis Hffm. Probsthain am Bachufer (M. Fiek).

Anthriscus nitida (Whinb.) Gceke. Nordlehne des Ziegenrückens im Riesengebirge (Barber); Silberberg: im Mannsgrunde und bei der Colonie Brandmühle (Schöpke); Bauernwald bei Wansen häufig (Kruber)

Caucalisdaucoides L. Tarnowitz: Lubschauer Grojetz (Fabian, $.).

Chaerophyllum bulbosum L. Görlitz: Nieda am Ufer der Wittig (Barber).

Ch. hirsutum L. in der Ebene noch bei Lauterbach unweit Görlitz (Barber); Schweidnitz: Gebüsche bei Esdorf (Schöpke); Münsterberg: Bischofswald (Kruber)!; Bunzlau: Böser Bruch (Alt, $.).

Pleurospermum austriacum (L.) Hffm. Schweidnitz: Berg- lehnen bei Ober-Leutmannsdorf (Schöpke).

Viscum album L. Die Angabe Schmidts (Bericht 1888), dass die Mistel auf Eichen bei Frohnau vorkomme, beruht sicher auf einem Irrthum. Auf drei verschiedenen Frühjahrs-Excursionen nach der mir von Schm. bezeichneten Stelle (‚linkes Oderufer in der Nähe der Neissemündung, vom Dampfschiff aus beobachtet“) habe ich nichts davon entdecken können ($.).

SambucusracemosaL. Breslau: Skarsine (S.); Proskau: Jaschko- witz (Richter, $.); Konstadt: Simmenauer Wald ($.).

Lonicera Xylosteum L. Silberberg: Mannsgrund, Forsthütte am Friedrichswege; Wartha: Heinrichswalde (Schöpke),; von der Försterei Wiltsch über Dorf Wiltsch bis Herzogswaldau ziemlich häufig, auch im Raschgrund bei Silberberg ($.).

Asperula odorata L. Brieg: zw. Baruthe und Smortawe ($.).

Galium Cruciata (L.) Scop. Mittelwalde: Schönfeld, Rosenthal, Ober-Langenau ($.).

98 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur

G.vernum Scop. Ohlau: Rohrwald bei Kl.-Oels (Kruber); Wartha: Giersdorfer Schlossberg (Schöpke); Brieg: Garbendorfer Oderdamm (Nitschke, $8.), zw. Baruthe und Smortawe, häufig im Leubusch-Rogel- witzer Walde ($.).

G. silvesire Poll. Proskau: Wilhelmsburger Wald (Richter, $.).

Valeriana polygama Bess. Namslau: an d. Weide (Ziesch&, $.). erster Standort in M.-S. Pitschen: Stadtforst (S.); Landsberg: Jastrzigo- witz (S.); Tarnowitz: Zawadzki (Wossidlo, $.).

Knautia arvensis (L.) Coult., weissblühend, Liegnitz: Arnsdorf (Figert, S.); desgl. Mittelwalde mehrfach ($.).

Scabiosa Columbaria L. Grünberg: Hinterhorst bei Pirnig (Hellwig)!

Petasites albus Gärtn. in der Ebene bei Münsterberg: Mosch- witzer Buchenwald (Kruber)!; Tarnowitz: Segethwald (Fabian, $.).

P. Kablikianus Tsch. im Riesengebirge in der kleinen Schnee- srube!!, [ferner ziemlich häufig am Ufer und im Bette der kleinen Aupa oberhalb der Kreuzschänke!!, sowie im Thale der grossen Aupa von hier abwärts bis Dunkelthal!!]. Diese bisher nur im Riesengebirge gefundene Art kommt, nach Prof. Sagorski’s Mittheilung, auch in der Tatra nicht selten vor, wurde aber bisher verkannt; die von Prof. Reh- mann daselbst im Suchy Potok gesammelte, von mir gesehene Pflanze stimmt mit der Form aus dem Riesengebirge, soweit sich das nach einem Blatt beurtheilen lässt, durchaus überein. Simonkai führt sie auch aus Siebenbürgen an.

Inula salicina L. ist im nördlichen Theile des Gebiets selten; bisher nur bei Carolath: Oderufer beim Badeplatz (Hellwig)! f. sub- hirta C. A. Mey. Ob.-Glogau: Erlen (Richter, $.).

I. vulgaris Lmk. (A. Conyza DC.). Wartha: Giersdorf (Schöpke). Löwenberg: Walter’s Kalkwerk bei Giessmannsdorf (8.).

+ Ambrosia artemisiaefolia L. Breslau: zw. Lamsfeld und Brocke (Bodmann u. 8.).

-—+ Rudbeckia laciniata L. Schweidnitz: an der Peile in Schweng- feld (Schöpke); Koppitzer Park (Kruber).

Bidens tripartitus L. f. integer ©. Koch Königshütte (Nitschke, S.); Waldenburg: Dittmannsdorf (Felsmann, $.).

Anthemis tinetoria L. Waldenburg: Lehmwasser (Felsmann, $.); Juliusburg: Kurzwitz (8.).

A. ruthenica MB. Glogau: zw. Fröbel und Schönau (Figert, $.).

—+ Matricaria discoidea DC. Reichenbach: in Faulbrück (Schöpke). Breslau: Brücke der R.-O.-U.-E.-Bahn ($.).

+ Chrysanthemum Parthenium (L.) Bernh. Wartha: auf Waldschlägen vom Kapellenberge bis zum Königshainer Spitzberge sehr häufig (Schöpke).

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 99

Senecio paluster (L.) DC. Lüben: Kaltwasser (Figert, $.).

S. crispatus DC. Reichthal: Charlottenthal; Carlsruhe: Jaginne; Konstadt: Waldau ($.).

S. Fuchsii Gmel. Schweidnitz: Gebüsche bei Esdorf und Schweng- feld (Schöpke); Strehlen: $Siebenhufen; Münsterberg: Bischofswald (Kruber), Tarnowitz: Wilkowitz (Wossidlo, $.).. Rybnik: Ober-Wileza (Ziesche, S8.).

S. aquaticus Auds. Hoyerswerda: auch im Gebiet der Kleinen Spree bei Lohsa, Ratzen, Weiss-Kollm, Tiegling ete. (Barber).

Carlina acaulis L. Liegnitz: Burgberg bei Koischwitz (Figert, $.).

Cirsium acaule (L.) All. Namslau: Karlshof, zw. Lorzendorf und Skorischau (Ziesch£, $.).

C. heterophyllum (L.) All. Waldenburg: Reimswaldau, Kynau (Felsmann, $.).

C. rivulare (Jqu.) Lk. Ohlau: Minken, beim ehemaligen Lesnig- Teich ($.).

C. canum (L.) Much. Liegnitz: Vorderheide (Figert, $.).

©. canum X oleraceum Wimm. Zobten: Prschiedrowitz (S.); Altenburg (Ziesch£&, $.); Juliusburg: Kurzwitz (S.); Waldenburg: Reussen- dorf (Felsmann, $.).

C. oleraceum X palustire Schiede. Landeshut: Wüsteröhrsdorf (Alt, 8.); Löwenberg: zw. Görrisseiffen und Welkersdorf (8.).

Carduus crispus L. Wartha: Försterei Wiltsch; Brieg: zw. Smortawe u. d. Lindener Fähre ($.).

Centaurea phrygia L. fl. swec. Schweidnitz: häufig auf den Bergen bei Heinrichau (Schöpke). Der in meiner Flora für 0. pseudo- phrygia C. A. Mey. angegebene Standort ,„Südabhang des Kämpfen- berges‘‘ ist zu streichen, denn es ist nach W. Schultze derselbe Punkt, den Barber im Bericht von 1890 als ‚‚Stiftswald nördlich der Kanone“ und als Fundort von ©. phrygia L. fl. succ. bezeichnet. Nur die letztere Pflanze wächst daselbst.

Lappaminor X offieinalis. Liegnitz: in Oyas nicht selten (Figert)!

Arnoseris minima(L.) Lk.Hirschberg: Felder bei Langenau (M. Fiek).

Thrincia hirta Rih. Hoyerswerda: in der Umgebung der Haide- teiche gemein und auch sonst nicht selten (Barber).

Tragopogon orientalis L. Münsterberg: Berghäuser, Wiesen am Moschwitzer Buchenwalde (Kruber); Mittelwalde: Ebersdorf (8.).

Hypochoeris glabra L. im Vorgebirge noch bei Hirschberg: Felder bei Langenau (M. Fiek), am Fusse des Kreuzberges bei Erd- mannsdorf (ders.)!; auch am Költschenberge bei Schweidnitz (Kruber).

Prenanthes purpuwrea L. Görlitz: an der Nordgrenze ihrer Ver- breitung noch bei Görlitz: Paulsdorfer Spitzberg (W. Schultze)! Strehlen: Siebenhufen (Kruber).

7*

100 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Achyrophorus uniflorus (Vill.) Bl. w. Fingerh. var. crepidi- folius Wimm. im Riesengebirge oberhalb der Neuen Schlesischen Baude (Barber), Rand des Aupagrundes!!

Crepis praemorsa (L.) Tsch. Gmnadenfeld: Wiesen bei Cziens- kowitz häufig mit Phyteuma orticulare (Wetschky). Tarnowitz: Lubschauer Grojetz (Fabian, $.).

C. suwccisifolia (All.) Tsch. Reichenbach: Friedrichsgrund bei Leutmannsdorf, Tannenberg bei Langenbielau; Silberberg: Colonie Brand- mühle (Schöpke); Strehlen: Mückendorf; um Münsterberg häufig, z. B. Bürgerwiesen, Bischofswald (Kruber); Mittelwalde: zwischen Urnitz und Neudorf, mehrfach um Lauterbach, Rosenthal, Herzogswaldau (S.).

Hieracium iseranum Uechtr. Riesengebirge: Leierbauden (Barber) (auch auf der böhmischen Seite des Isergebirges bei Neuwiese, Johannes- berg, Rudolfsthal [ders.]).

H. praealtum Vill. Görlitz: Chaussee nach Schlauroth (Barber).

H. murovum (L.) Fr. var. microcephalum Uechtr. Schweidnitz: Hohlweg bei Esdorf (Schöpke).

H. caesium Fr. var. alpestre Zindeb. Riesengebirge: auf Kies der Aupa am Grunde des Aupakessels (Prof. Sagorski)!

Jasione montana L., weissbiühend. Liegnitz: Exerzierplatz (Figert, S.).

Phyteuma orbiculare L. Tarnowitz: Stolarzowitz (Wossidlo, $.).

Campanula barbata L. Hahelschwerdt: Urnitzberg, etwa 750 m (Stenzel, $.).

Adenophora liliifolia (L.) Bess. Karl-Max Fasanerie bei Seze- pankowitz, Kreis Ratibor, nicht häufig (Wetschky).

Erica Tetralix L. Hoyerswerda: am Rande des Halschinsteiches östlich von Geierswalde. Hier eine auffällige Form in Menge, bei welcher alle Blattquirle des. diesjährigen Zweiges einseitige Blüthen- wirtel tragen, so dass das Ganze mit dem normalen Endköpfchen einen ährenförmigen Blüthenstand bildet (Barber).

Calluna vulgaris Salisb. in einer zierlichen Form mit eiförmig- länglichen, nur etwa 1 mm langen Blättern bei Grünberg: Aumühlenberg (Hellwig;)!

Vaccinium uliginosum L. mit birnförmigen Früchten, Nikolai: Zgoin (8.).

V. Oxycoccos L. fructibus piriformibus. Niesky: im Polsbruch (Kootz).

Arctostaphylos uva ursi (L.) Sprg. Rosenberg: Zwischen der Annakapelle und Friedrichswille mehrfach ($.); Tarnowitz: Ostroberg (Wossidlo, $.).

Andromeda poliifolia L. Lüben: Krebsberger Revier bei Hinter- eck (Figert, $8.).

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 101

Ledum palusire L. Ohlau: Minkener Forst ($.).

Pirola media Sw. Pfaffenberg bei Krummhübel!!

Vincetorieum officinale Mnch. auf der rechten Oderseite in Niederschlesien selten. Alexanderwitz, Kreis Wohlau: an einem Graben (Schwarz)!

Ligusirum vulgare L. Breslau: Feldgehölze zwischen Zweibrodt und Blankenau, zahlreich und sicher ursprünglich ($8.).

Convolvulus arvensis L. f. auriculatus Desr., sehr gut ausge- prägt, Löwenberg: Walter’s Kalkwerk bei Giessmannsdorf (8.).

Asperugo procumbens L. Breslau: an der Brücke der R.-O.-U.- Eisenbahn ($.).

Lappula Myosotis Mnch. 'Tarnowitz: Lassowitz (Wossidlo, $.).

Cynoglossum officinale L. Ohlau: von Grüntanne ($.).

Cerinthe minor L. Strehlen: Prieborn (Kruber)! Breslau: zwischen Niederhof und Blankenau, am Bache und an der Chaussee (S.); Oppeln: Winower Berge (Exner, $.).

Nonnea pulla (L.) DC. Oppeln: am Wege nach Kempa ($.); ein weit nach W. vorgeschobener Standort.

Echium vulgare L., weissblühend. Goldberg: Hermsdorf (Figert, S.); Brieg: Limburg ($.).

Anchusa officinalis L., weissblühend. Ohlau: Minken ($.).

Myosotis sparsiflora Mik. Breslau: Zweibrodt, Blankenau ($.).

Solanum Dulcamara L. f. assimile Triv. Ob.-Glogau: Widro- witz (Richter, 8.).

Verbascum phlomoides L. Grünberg: Neue Maugscht (Hellwig)!

Scrophularia alata Gilib. Grünberg: Kolzig (Hellwig)!; Strehlen: Prieborner Marmorbruch (Kruber); Bunzlau: Ndr.-Thomaswaldau (Alt, S.).

Linaria Cymbalaria (Th. Mill.) Marklissa: Schwerta (S.); Breslau: an der Sandbrücke (Ziesch£, $.).

Linaria vulgaris Mill., mit spornlosen u. a. Pelorien. Breslau: Schweinern; Bunzlau: Neu-Jäschwitz; bei Löwenberg mehrfach (8.).

Gratiola officinalis L. Hoyerswerda: sehr verbreitet, z. B. an den Teeichen bei Kühnicht, Bergen, Geierswalde etc. (Barber).

Limosella aquwatica L. Tarnowitz: Naklo (Wossidlo, $.).

Digitalis ambigua Murr., fl. purpurascente, Jauer: Siebenhuben (F. W. Scholz, 8.); mit radförmiger Pelorie im Teufelsgärtchen (8.).

Veronica scutellata L. var. pilosa Vahl (V. Parmularia Poit. u. Turp.) Hoyerswerda: Wolschina-Teich nördlich von Bergen (Barber), dagegen ist der im Bericht von 1891 angegebene Fundort „beim Seidewinkler Amtsteiche‘‘ durch dessen Urbarmachung vernichtet.

V. aquatica Bernh. Grünberg: Rohrbusch im Torfstich (Hellwig)!; Trachenberg: auf feuchten Wegen in Klein-Bargen (Schwarz)!

102 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

V. Teucrium L. Jauer: Klonitz (F. W. Scholz, $.).

Melampyrum cristatum L. Breslau: bei der Schwarzwasser- mündung ($.)

Pedicularis silvatica L., weissblühend. Liegnitz: Briese (Figert, S.); Ohlau: Minken ($.).

P. sudetica Willd., abwärts im Weisswassergrunde (Barber; schon Purkyn& t. Uechtritz, 8.).

Mentha agwuatica L. (capitata) forma nana, nur 10—25 cm hoch, bei Neuhof unweit Liegnitz in Menge und neben dem Typus oft ganz grosse Flächen bedeckend (Figert)!

+ M. piperit« L. Liegnitz: Berndorf auf dem Dorfanger mehrfach (Figert)! Scheinähren unterwärts wenig unterbrochen.

Origanum vulgare L. Jauer: Bremberg (F. W. Scholz, 8.); Hultschin: Weinberg (Ziesch£, $.).

Salvia pratensis L. Canth: nahe der Weistritz vor Kammendorf (S.); var. dumetorum (Andrz.), weissblühend. Proskau: am Turnplatz (Richter, $.); Breslau: Probotschine (8.).

Melittis Melissophyllum L. Brieg: zwischen Rogelwitz und Leu- busch ($.).

Ajuga genevensis X reptans. Lüben: Neurode auf Schonungen; Liegnitz: Stadthaide auf Waldblössen unter den Eltern grosse Gruppen bildend (Figert)! Der A. reptans L. näher stehend, doch zeigen die Ausläufer das Bestreben, sich aufzurichten, auch blühen sie öfter.

Teucrium Scordium L. Brieg: Baruthe ($.).

Utricularia neglecta Lehm. Hoyerswerda: Salischteiche bei Bergen, Dubringer Torfbruch (Barber).

U. intermedia Hayne Hoyerswerda: Wolschinateich bei Bergen, Klosterteiche, Dubringer Torfbruch (Barber).

U. minor L. Hoyerswerda: Dubringer Torfbruch; Görlitz: Koders- dorfer Teiche (Barber).

Litorella juncea Bergius Hoyerswerda: an und in den Küh- nichter, Bergener, Geierswalder, Peiknitzer und Niemtscher Teichen in ungeheurer Menge. Wo der Teichschlamm trocken liegt, variirt die Pflanze mit halbstielrunden weichen und behaarten Blättern, so am Amts- teich, am Alten Teich bei Bergen u. A. (Barber).

Plantago arenaria W. u. K. Lüben: Koslitz (Figert).

Trientalis europaea L. Freistadt: zwischen Pürben und Drosch- eydau (Schröder, $.); Ohlau: Minken; Brieg: bei der „Königsfichte“, Baruthe ($.).

Anagallis arvensis L. f. bicolor Fiek. Hirschberg: Berthelsdorf (Alt, 8.).

Chenopodium opulifolium Schrd. Liegnitz: Maserwitz (Figert, $.).

ll. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 103

Rumex cerispus X obtusifolius (R. pratensis M. K.) Liegnitz: am Mühlgraben (Figert).

R. alpinus L. Im Riesengebirge auf Wiesen bei der Spaltebaude!!

R. maritimus X obtusifolius. Am Annawerder bei Liegnitz be- obachtete Figert 1887 und im Vorjahre neben der gewöhnlichen Form dieses Ba stardes auch Exemplare, die durch die Blattfärbung, die grössere Lockerung der unteren Scheintrauben, die helle Färbung der Schwielen und die längeren Perigonzähne deutlich die Entstehung durch R, mari- timus L. v. paluster (Sm.) (= R. limosus Thuill.) erkennen lassen. Wollte man letzteren als selbstständige Art auffassen, so wäre unsere Form als neue Hybride R. limosus X obtusifolius zu bezeichnen.

R. obtusifolius L.v. agrestis Fr. Liegnitz: Nikolstadt (Figert, S.).

R. maritimus X conglomeratus Öel. Haynau: Gr. Tschirbsdorf (Figert, $.).

Polygonum lapathifolium X mite Fig. Liegnitz: Ndr.-Royn (Figert, S.).

P.persicaria X minus Aschs. Liegnitz: Kunitzer See (Figert, $.).

Daphne Mezereum L. Strehlen: Wälder um Olbendorf (Kruber). Jauer: Rosenberge; Brieg: Baruthe ($.)!

Thesium intermedium Schrad. Strehlen: Prieborner Marmor- bruch (Kruber)! |

Th. alpinum L. Silberberg: bei dem Feldthor und der kleinen Strohhaube (8.).

Emphorbia palustris L. Breslau: Rothsürben (Ziesch6, $.).

E. duleis Jacqg. Münsterberg: Moschwitzer Buchenwald, Bischofs- wald (Kruber).

Ulmus montana With. Hirschberg: Ober-Boberröhrsdorf!!, Peters- dorf auf der Bergseite, hohe starke Bäume!! Alle neuere Beobachtungen bestätigen, dass im Vorgebirge nur diese Art, in den niedrigen Partien auch U. pedunculata Foug. vorkommt, U. campesiris L. dagegen ausschliess- lich auf die Ebene beschränkt ist.

Betula obscura Kotula Liegnitz: Stadthaide, ganz mit der Kotula- schen Form übereinstimmend (Figert).

Alnus glutinosa X incana Kr. Lüben: Krummlinde (Figert, $.).

NSalix peutandra L. f. polyandra Bray. Liegnitz: Arnsdorf (Figert, $.).

8. Caprea L. Grosse Schneegrube!!, bei 1305 m wohl höchster Standort.

8. aurita X viminalis Wimm. Freistadt: zw. Droscheydau und Schweinitz (Schröder, $.).

8. cinerea X repens Wimm. Bunzlau: Kaiserswaldau (Figert, $.).

S. cinerea X viminalis Wimm. Grünberg: Neue Maugscht (Hellwig)!

104 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

S. aurita X repens Wimm. Bunzlau: Kaiserswaldau; Liegnitzer Stadtforst (Figert, $.).

Populus alba X tremula Wimm. Liegnitz: a. d. Katzbach vor Tivoli (Figert).

Elodea canadensis Casp. um Ruhland und Hoyerswerda ge- mein; Rietschen (Barber); Oppeln: Winower Berge ($.).

Stratiotes aloides L. Ohlau: Grüntanne; Brieg: um Leubusch vielfach (S.).

Alisma natans L. Hoyerswerda: Kleiner-, Weinbergs- und Alten- Teich bei Niemtsch (Barber).

Potamogeton fluitans Rth. Freistadt: Teich bei Olseyn (Kotula)! Neu für Oesterr.-Schlesien und dritter Standort im Gebiet.

P. compressus L. Brieg: Schiessstände (Nitschke, $.).

P. polygonifolius Pourr. Görlitzer Haide: Strassengraben des Birkbrückweges bei Rothwasser (Rakete t. Barber); Grünberg: Ochel- hermsdorf, Grenzteich an der Schweinitzer Grenze (Schröder)! Durch letzteren Fund rückt das Verbreitungsgebiet dieser leider nicht blühend gefundenen, aber auch von Prof. Ascherson anerkannten, Art bedeutend nach Osten und schliesst sich dort dem entsprechenden Vorkommen von Pilularia und Thrincia an.

P. obtusifolius L. Hoyerswerda: Tümpel des Dubringer Torfbruchs an der Mittelmühle (Barber).

P. pectinatus L. Grünberg: Oderwald in einem Graben (Hellwig)!; Rybnik: Belk (Ziesch6, $.).

Calla palustris L. Ohlau: Minkener Forst ($.).

Orchis incarnata L. Münsterberg: Wiesen im Bischofswalde (Kruber).

Gymnadenia conopea (L.) Reh. v. densiflora (Dietr.) Mittel- walde: Lauterbach (8.).

Platanthera viridis (L.) Lindl. Niesky: Wiesen und Raine süd- lich von Jänkendorf, an der alten Görlitzer Strasse nach Wilhelminen- thal, Wiesen bei Oedernitz; Görlitz: Cunnersdorfer Kalkbrüche (Kootz); Liegnitz: Bienowitz (Figert, $.).

Cephalanthera Xiphophyllum (L. fil.) Rchb. fil. Niesky: Monumenthügel bei Ullersdorf, zwischen Rengersdorf und dem ver- fallenen Wolf’schen Kalkofen (Barber); Lähn: Menzelberg östlich Wiesen- thal (M. Fiek); Münsterberg: Bischofswald, Moschwitzer Buchenwald (Kruber).

Gladiolus imbricatus L. Neumarkt: Sagritzer Hutung (Figert, $.); Tarnowitz: Stolarzowitzer Waldwiesen (Wossidlo, $.).

Galanthus nivalis L. Brieg: um Lichten und Frohnau massen-

haft (8.).

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 105

Lilium bulbiferum L. Wüstewaltersdorf: Kaschbach und Wilhelms- thal (Schröder, 8.).

Ornithogalum umbellatum L. Görlitz: Felder bei Rengersdorf und Neuhof (Barber); Strehlen: Krippitzer Park (Kruber).

—+ O0. Boucheanum (Rth.) Aschs. Oppeln: in der Odervorstadt mit O. nutans L. und auffälligen Uebergangsformen ($.).

OÖ. tennifolium Gnos. Schweidnitz: Jacobsdorf (Schöpke).

Gagea arvensis (L.) Schult. Görlitz: Felder zwischen Biesnitz und der Görlitzer Ziegelei (Barber).

Anthericum ramosum L. var. fallax Zabel Trachenberg: Kiefern- wald bei Kendzie (Schwarz)! Liegnitz: Vorderheide (W., Figert, $.); Brieg: vor Pechhütte (S).

Allium ursinum L. Canth, Jürtsch, Gilgenau, Fürstenau, Mohnau ($.).

A. Scorodoprasum L. Mittelwalde: Schönfeld ($.); neu für die Grafschaft.

Polygonatum officinale All. Ohlau: zw. Grüntanne und Garsuche zerstreut, desgl. zw. Minken und Peisterwitz; Brieg: im Leubuscher und Rogelwitzer Walde vielfach, auch bei Baruthe und Smortawe ($.).

P. verticillatum (L.) All. Rybnik: Ober-Wileza (Ziesche, $.).

Veratrum Lobelıanum Bhdi. Tarnowitz: Bresnitzbach, Pohlom hfg.., seltener im Reptener und dem Segethwald (Wossidlo, 8.); Rybnik: Ober-Wileza (Ziesche, $.).

Colchicum autumnale L. f. vernalis (Hffm.) Strehlen: Striege (Kruber)!, mit grünem Perigon sehr häufig auf den Ruppersdorfer Dominialwiesen (Ders.)!

Juncus effusus X glaucus (J. diffusus Schn. u. Frickh.) Lüben: Kaltwasser (Figert)!

J. fuscoater Schreb. Lüben: Gross-Krichen häufig (Figert).

J. capitatus Weigel um Hoyerswerda verbreitet, z. B. Geiers- walde, Schwarz-Kollm ete, (Barber); Niesky: Coseler Forsthaus (Kootz); Görlitz: Felder an den Kodersdorfer Teichen (Barber).

J. filiformis L. Bunzlau: Hammerbruch (Alt, 8.); Kaiserswaldau (Figert, $.).

J. Tenageia Ehrh. Hoyerswerda: Amtsteich, Alter Teich bei Ber- sen, Grosser Teich bei Niemtsch (Barber).

Rhynchospora alba (8.) Vahl. Liegnitz: Hummel (Figert, S.).

Eriophorum vaginatum L. Haynau: zw. Vorhaus und Kotzenau (Figert, S.); Ohlau: zw. Garsuche und Minken ($.).

Scirpus multicaulis (Sm.) Koch. Hoyerswerda: an den Rändern der Kühnichter, Bergener und Geierswalder Teiche häufig (Barber).

S. ovatus Rth. Hoyerswerda: in grösster Menge im trocken liegen- den grossen und kleinen Teich bei Niemtsch; Kubitzteich bei Wittichenau (Barber).

106 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

S. pauciflorus Ligthf. um Hoyerswerda verbreitet (Barber).

S. maritimus L. Hoyerswerda: Grosser Teich bei Niemtsch (Barber).

Carex dioeca L. Gogolin (Kunisch, S.).

©. leporina L. var. argyroglochin (Hornem.) auf der Hohen Eule (Schröder)!; Ratibor: Schillersdorfer Wald!! Lüben: Klaptau (Figert, 8.); Breslau: Strachate ($.). ;

©. panniculata X paradoxa (C. solstitialis Figert) Lüben: Kaltwasser im Torfstich (Fig.)! Steht der C. paradoxa näher.

C. paradosxa X teretiuscula (C. limnogena Appel) Liegnitz: am kleinen Grundsee bei Arnsdorf (Figert)!

C. paradoxa Wild. Gr.-Strehlitz: Ndr.-Ellguter Berg (Kunisch, $.).

C. caespitosa L. Lüben: Kaltwasser im Torfstich mehrfach, dort auch eine Form mit ausschliesslich 5 Aehrchen (Figert)! Im nordwest- lichen Gebietstheile sehr selten.

C. Goodenoughii Gay var. turfosa (Fr.) Trachenberg: moorige Wiesen bei Gross-Bargen (Schwarz)!

C. polyrrhiza Wallr. Strehlen: Thongruben bei Töppendorf(Kruber).

C. flava X Oederi (C. Alsatica Zahn) Lüben: Klaptau (Figert)!

C. riparia L. var. humilis Uechtr. Strehlen: Wiesen bei Ruppers- dorf (Kruber)! Dieser Form nahe stehende Exemplare sah ich von Trachenberg: Gr.-Bargen in Waldgräben (Schwarz)! Liegnitz: Bieno- witz (Figert, 8... Var. gracilescens Htim. Breslau: Wirrwitz ($.).

0. filiformis L. bei Hoyerswerda verbreitet (Barber); Haynau: Vorhaus; Bunzlau: Hochwald (Figert, $.); Ujest: Koszielawa ($.).

C. rostrata X vesicaria Blytt. Liegnitz: Hummel am Hinter- teiche zahlreich (Figert)!

©. caespitosa X Goodenoughi Appel. Wie mir von ver- schiedenen Herren, die H. Appel mit Belegstücken dieser Pflanze be- dacht hat, mitgetheilt wird, ist die Standortsangabe umzuändern in „Obere Silsterwitzer Wiesen“. Dem Herb. siles. ist von H. Appel kein brauchbares Belegstück zurückgeliefert worden. ($.)

C. Davalliana Sm. Lüben: Gr.-Krichen (Figert, S.).

C. arenaria L. Freistadt: Droscheydau (Schröder, $.).

©. strieta L. v. gracilis Wimm. Ujest: Koszielawa ($.).

Phaloris arundinacea L. f. picta (L.) Wigandsthal; Mittel- walde: Schönfeld ($.).

Anthoxanthum Puelii Lec. et Lam. Liegnitz: zw. Rüstern und Sechshuben (Figert, $.).

A. odoratum L. f. villosum Ld. Schönau: Herrmannswaldau (Figert, 8.).

Arrhenatherum elatius (L.) M. K. f. biaristatum Pim. Ober- Glogau: Göglicher Berge (Richter, $.).

ll. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 107

Trisetum flavescens (L.) P. B. Ober-Glogau: Mochau (Richter, S.); Tarnowitz: Eisenbahndamm (Wossidlo, $.).

Melica uniflora Retz. Strehlen: Siebenhufen (Kruber)! Breslau: Machnitz; Brieg: Baruthe (S.).

Dactylis glomerata L. var. lobata Drej. (= var, nemorosa Klett. w. Richt.) Wohlau: sumpfige Gebüsche bei Gross-Strenz (Schwarz)!

Poa Chaixi Vill. var. remota Fr. Silberberg: Colonie Brand- mühle (Schöpke).

_ P. laxa Hke. Elbgrund (Hellmann, $.).

Festuca rubra L. var. subcaespitosa Sond. Grünberg: Schloss- berg bei Bobernig (Hellwig)!

F. Pseudomyurus Soy. W. Haynau: Reisicht (Alt, $.).

F. giganteaL.var.triflora@Godr. Hirschberg: Petersdorf, Bergseite!!

F. heterophylla Lmk. Schönau: Hermannswaldau (Figert)!

Bromus mollis L. v. liostachys aut. Ober-Glogau: Göglicher Berge (Richter, S$.).

Br. commutatus Schrd. Liegnitz: Rüstern (Figert, $.). Ober- Glogau: Twardawa, hier durch Aussaat (Richter, $.).

Br. tectorum L. f. glabratus Sond. Pitschenberg bei Ingrams- dorf (Uechtritz 1886, 8.).

Elymus arenarius Z. Tarnowitz: gegen Georgenberg (W os- sidlo, $.).

Pilularia globulifera L. bei Hoyerswerda verbeitet: Tümpel zwischen dem Diskalteich und Tiefen Podroschnik, Salischteiche bei Bergen und an feuchten Waldgräben zwischen diesen und dem Wolschina- teiche, sowie in diesem selbst (Barber).

Lycopodium Selago L. Marklissa: bei d. Goldentraummühle ($.); Tarnowitz: Neudecker Forst (Wossidlo, $.).

L. complanateum L. a) anceps Wallr. am Ufer des Schlawa’er Sees bei Josefshof (Hellwig)!; Hainfall im Riesengebirge (Schöpke); b) Chamaecyparissus ABr. Grünberg: Landskron bei Carolath (Hellwig, 8.); Tarnowitz: Gr.-Zygliner Wald (Wossidlo, $.).

Equisetum arvense var. serotinum G. F. W. Mey. Lüben: Jauschwitz (Figert).

E. hiemale L. Landsberg: Jastrzigowitz ($.).

Osmunda regalis L. Hoyerswerda: im Kiefernwalde am Tiefen Podroschnieck (Höhn t. Barber).

Botrychium Lunaria (L.) Sw. Haynau: Reisicht, Dammhäuser (Alt, 8.).

Ophioglossum vulgatum L. Niesky: am westlichen Rande des Steindammteiches bei der Jänkendorfer Schäferei (Kootz); Namslau: Lorzendorf, geg. Proschau (Ziesch£, 8.).

108 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Phegopteris Dryopteris (L.) Fee. Brieg: bei der Königsfichte, zw. Baruthe und Smortawe ($8.).

Ph.polypodioides Fee. Ohlau: zw. Garsuche und Minken; Brieg;: zwischen den Kaisereichen und der Königsfichte, mehrfach um Baruthe, z. B. gegen Smortawe und Rogelwitz ($.).

Aspidium montanum (Vogler) Aschs. Görlitz: Spitalwald bei Paulsdorf (W., Schultze)!

A. Filix mas (L.) Sw. var. incisum Moore. Görlitz: Kämpfen- berg bei Reichenbach (W., Schultze)! Dort auch var. deorsolobatum Moore (Ders.).

A. cristatum (L.) Sw. Forsthaus Haynau (Alt, $.).

Asplenium germanicum Weis. Ober-Schmiedeberg, nahe dem Pass ($.)

Blechnum Spicant (L.) With. Rybnik: Belk (Ziesche, $.).

Im Anschluss hieran theilte Lehrer H. Korn einen Standort für Taxus baccata im schlesisch-mährischen Gesenke (Hutberg bei Saubsdorf, Freiwaldau) und Prof. Stenzel das Vorkommen von Anemone ranuncu- loides im Scheitniger Park, und von Campanula barbata am Urnitzberg bei Wölfelsgrund (Grafschaft Glatz) in der Höhe von 750 m.

Bericht über die Thätigkeit der Section für Obst- und Gartenbau.

Von Städt. Garten-Inspector H. Richter,

zweiter Secretair der Section.

Den Vorstand der Section bildete im Jahre 1892 Herr Professor Dr. Prantl als erster und Städt. Garten-Inspeetor H. Richter als zweiter Secretair,

Der Verwaltungsvorstand bestand aus den Herren Ober-Stabsarzt 1. Klasse Prof. Dr. Schröter, Verlagsbuchhändler M. Müller, Handels- gärtner Dammann. Nach des Letzteren, Anfang des Jahres erfolgten Tode wurde Herr Öbergärtner Schütze als drittes Mitglied des Ver- waltungsvorstandes gewählt.

Die Hauptihätigkeit der Section bildeten die Vorbereitungen für die, in Gemeinschaft mit den hiesigen gärtnerischen Vereinen, geplante Allgemeine Obst- und Gartenbau-Ausstellung. Die berathenden Sitzungen fanden den Winter über regelmässig unter Leitung des 1. Secretairs der Section als ersten, und des Herrn Obergärtner Schütze als zweiten Vorsitzenden des geschäftsführenden Comites statt, als Secretair des Comites wirkte Privatdocent Herr Dr. Rosen. Zum Garantiefonds be- williste die Section 2000 Mark. Die Arbeiten auf der Füllertinsel waren nahezu fertiggestellt und alles zur Eröffnung vorbereitet, als der drohenden Choleragefahr wegen die für den September 1892 festgestellte XIII. Generalversammlung der deutschen Pomologen und Obstzüchter in Breslau untersagt wurde. Es wurde hierauf beschlossen, die Aus- stellung auf das Jahr 1895 zu vertagen und in eine Frühjahrs- Aus- stellung, in welcher vorzugsweise die Gärtnerei vertreten sein würde, und eine Herbst - Ausstellung, welche besonders die Erzeugnisse des Obstbaues vorführen würde, zu theilen. Die Zeichnung für den Garantie- fonds wurde von der Section aufrecht gehalten.

In der Einrichtung des Versuchsgartens der Section wurden auch in diesem Jahre keine Veränderungen getroffen, da die städtischen Be- hörden noch keine Entscheidung über die weitere Bewilligung des Platzes geben konnten, Der Magistrat der Stadt Breslau ersuchte die

110 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Section um Mittheilung einer Sammlung von Obstsorten für die Schul- gärten; diesem Gesuche konnte gern entsprochen werden.

Auch in diesem Jahre wurden an die Mitglieder unentgeltlich Sämereien vertheilt, wofür seitens der Section 150 Mark ausgesetzt waren.

Der Lesezirkel wurde in bisheriger Weise weitergeführt. Da Herr Kanzleirath Blottner durch Krankheit genöthigt war, die Leitung auf- zugeben, übernahm Herr Apotheker Mortimer Scholz dieselbe.

Die Section hielt im Jahre 1892 9 Sitzungen ab, worüber Folgendes zu berichten ist:

In der ersten Sitzung am 1. Februar hielt Herr Obergärtner Schütze einen Vortrag über Anlage von Wintergärten unter Vorlage einer Skizze.

Herr Handelsgärtnereibesitzer Franke legte reichblühende Exem- plare von Orchideen: Oncidium maculatum, Zygopetalum intermedium, Odontoglossum crisp. Andersonianum, Laelia anceps, Lykaste Skinneri, Rodriguezia crispa, Cocogyne eristata u. a. vor.

In der zweiten Sitzung am 6. März wurde durch Herm Ver- lagsbuchhändler M. Müller der Kassenbericht vorgelegt und es wurde ihm nach Prüfung desselben Entlastung und der Dank der Section aus- gesprochen.

Hierauf hielt Herr Ober-Stabsarzt 1. Kl., Professor Dr. Schröter den nachfolgenden Vortrag

über eine Reise des Herrn E. Frank nach den Azoren und der Küste von Marokko.

Von Hamburg sind wiederholt Schiffsunternehmungen nach der marokkanischen Küste abgesandt worden, welche den Zweck haben, Handelsverbindungen mit den Küstenstädten zu unterhalten bezw. den Handel mit Marokko zu erweitern. Gewöhnlich wird dabei nach Be- dürfniss auch einer oder der andere Hafenplatz auf den benachbarten Inseln berührt. Im Frühjahr 1891 schloss sich Herr E. Frank einer solehen Unternehmung an, welche unter der Leitung des Herrn Dr. Jannasch stand. Am 23. Mai 1891 kam er in Hamburg an und löste ein Billet nach Mogador (für Hin- und Rückfahrt 125 Mark). Das Schiff verliess am 29, Mai Hamburg, legte am 2. Juni in Swansea an und blieb hier bis zum 7. Juni, um dann die Weiterreise nach Lissabon an- zutreten, welches am 13. Juni erreicht wurde. Diese 17tägige Fahrt, namentlich auch der Aufenthalt auf Swansea, boten Herrn Frank eine Fülle von wechselnden Reiseerlebnissen und neuen Eindrücken.

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 111

Es ist aber nicht meine Absicht, eine ausführliche Beschreibung dieser interessanten Reise zu geben, sondern ich möchte vielmehr an diesem Orte nur einige Eindrücke wiedergeben, welche der Reisende am eigentlichen Ziele seiner Reise, unter dem Einblick in eine neue, üppige, südliche Vegetation erhielt. Ich beschränke mich daher darauf, mit Uebergehung der mehr persönlichen Erlebnisse, nur eine kurze Uebersicht der interessanten Reise mitzutheilen, indem ich aus den unter der Herrschaft der frischen Eindrücke niedergeschriebenen Tage- buchblättern, unter möglichst wörtlicher Wiedergabe des Inhalts, das- jenige, was sich auf botanische und landschaftliche Verhältnisse bezieht, heraushebe.

Die Einfahrt in den Hafen von Lissabon ist malerisch sehr inter- essant. Schön ist namentlich der Anblick vom Cap Laroka auf Cintra mit seinem Schlosse, den Burgresten aus der Maurenzeit, und auf die mächtige Brandung am Strande. Wiewohl die Landung erst um 6 Uhr Abends erfolgt war, gingen Herr Frank und Herr Dr. Jannasch sofort ans Land und besichtigten auf einem langen Rundgange die Stadt. Es besteht in Lissabon ein deutscher Club, dessen Räume auch noch am selben Abend aufgesucht wurden. Es fand sich sofort Anschluss an die Landsleute, und bei einem Glase guten deutschen Bieres wurde für den nächsten Tag, einen Sonntag, ein Ausflug nach Cintra verabredet.

Schon am Morgen des 14. Juni machte sich Herr F., mit einigen Freunden der anderen Gesellschaft voraneilend, zur Fahrt nach Cintra auf. Der in maurischem Stile gebaute Bahnhof liegt in Mitte der Stadt und die Bahn führt durch einen langen Tunnel, den in schneller Fahrt zu durchfliegen man 6—7 Minuten braucht, aus der Stadt heraus. Dann sing es durch Wein- und Orangengärten, an einer Wasserleitung aus der Maurenzeit hin, deren mächtige Bögen sich über weite Thäler spannen, durch Hecken von Feigen, Piniengebüsch, Eucalyptuswäldchen, bis nach eingtündiger Fahrt Cintra erreicht war. Es wurde zunächst mit Wagen nach Monaco, der Besitzung eines reichen Engländers, gefahren, welche sich durch einen prachtvollen Park mit einer Fülle von tropischen Ge- wächsen, unter den besonders schöne Baumfarne auffielen, auszeichnet. Von da ging es zurück nach Cintra und es wurde nach dem Frühstück das märchenhaft schön gelegene Schloss und die auf einer etwas ent- fernteren Bergspitze gelegene alte Maurenfeste besichtigt. Mittag und Nachmittag vergingen im heiteren Verein mit der Gesellschaft der in- zwischen eingetroffenen Landsleute.

Herr F. blieb die Nacht in Cintra. Die Eindrücke, welche er an diesem ersten unter südlichem Himmel verlebten Tage erfahren, äusserten sich bei ihm in der Nacht durch eine nicht zu bewältigende Aufregung, welche es ihm unmöglich machte, im Bett zu bleiben. Er meinte Fuss- boden und Wände um sich schwanken zu fühlen, musste aufstehen und

112 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

ruhelos im Zimmer umhergehen. Am nächsten Morgen waren aber diese Erscheinungen vollständig verschwunden, und Herr F. brach in Begleitung eines Führers auf, um in den Bergen zu botanisiren. Der Spaziergang wurde so weit ausgedehnt, wie die drückende Hitze ge- stattete, und dabei wurde fleissig botanisirt, wozu die dem Deutschen völlig fremdartige Flora einlud. Leider gingen die eingesammelten Pflanzen, welche Herr Fr. bei seiner Abreise von Lissabon auf dem Deutschen Club zurückgelassen hatte, verloren.

Am 16. Juni wurde das Museo d’agrieultura e florestal besucht. In Verbindung mit diesem befindet sich eine chemische Station, welche unter der Leitung von zwei Deutschen (einer derselben Dr. Mastbaum aus Kreuzburg in Schlesien) steht. Die Thätigkeit der letzteren wurde zur Zeit durch Boden-Analysen in Anspruch genommen, welche von der Regierung angeordnet waren, um geeignete Böden für die Einführung amerikanischer Reben festzusteilen. Die Phylloxera hatte nämlich in den letzten Jahren auch in Portugal so bedeutende Ausbreitung ge- wonnen, dass ernstlich an ihre Bekämpfung gedacht werden musste,

Nachmittags machte die Gesellschaft des Schiffes auf 5 Eseln einen herrlichen Ritt auf dem linken Tajo-Ufer.

Am 17. Juni besichtigte Herr F. noch den in der That sehr sehens- werthen botanischen Garten und begab sich sodann an Bord.

Am 18. Juni erfolgte dann die Abfahrt.

Die Fahrt richtete sich nach den Azoren. Am 22. kam San Miguel, späterhin Terceira, unmittelbar darauf Pico in Sicht, und am Morgen des 23. Juni wurde auf der Rhede von Horta auf Fayol angelegt.

Früh am Morgen wurde schon an Land gegangen und ein Spazier- sang am Strande unternommen. Die Küste fällt hier fast durchweg steil zum Meere ab und die Brandung tobt donnernd an dem Felsen an. Nachmittags wurde Horta besucht, eine kleine, freundliche Stadt von 2—4000 Einwohnern. Von da ging es in eine Schlucht, welche sich unmittelbar an die Stadt anschliesst. Herr Fr. bezeichnet diese als den schönsten Fleck der Erde, den er bisher in seinem Leben gesehen, Hohe, steile Felswände von etwa 100 m Höhe begrenzen dieselbe zu beiden Seiten; am oberen Theile stürzt ein Wasserfall über das vielfach zerklüftete Gestein und das Wasser desselben strömt krystallklar dem Meere zu. Die Felsen sind von der üppigsten Vegetation bekleidet, auf der Höhe Bananen, Kastanien, Myrthen, Rhododendron u. s. w., zu Füssen eine reiche Deeke moosartiger Gewächse und fremdartiger bunter Blumen, die dem deutschen Fremdling den Eindruck hervorriefen, als ob sich hier alle Pflanzenschätze, welche er früher in der düsteren Schwüle der Gewächshäuser kennen gelernt, unter dem Lichte der süd- lichen Sonne ausbreiteten; und dabei prangte Alles in der Frische, welche ihr ein erquickender Regen verliehen hatte, und der Blick

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 113

schweifte hinaus auf die bewegte Meeresfläche und darüber hinaus zu dem nahen Pico, der sich zu einer Höhe von über 2000 m erhebt.

Am 24. Juni wurde zunächst dem deutschen Consul in Horta, Herrn Dubney, ein Besuch abgestattet. Derselbe ist ein älterer Herr, dessen Familie schon seit dem Anfang des Jahrhunderts hier angesessen ist. Er beabsichtigt aber mit seiner Familie nach Amerika überzusiedeln, weil die wirthschaftlichen Verhältnisse auf den Azoren sehr im Rück- gange begriffen sind, seit die Inseln von dem Schiffsverkehr wenig mehr berührt werden. Er führte seine Gäste in seinen prächtigen Garten, auf dessen Pflege viel Sorgfalt verwendet war. Auch hier war Herrn Fr. das Meiste fremd. Von bekannten Gewächsen machten auf ihn be- sonderen Eindruck grosse Gebüsche von über mannshohen Camellien, eine Araucaria, deren Stamm von zwei Mann nicht zu umspannen war, prachtvolle Sträucher von Oleander und Hibiscus, Begonien, Catalpen, Korkeichen, Orangen verschiedener Art, eine Canna von doppelter Manneshöhe mit meterlangen hängenden Blüthentrauben, Musa, verschie- dene Palmen; von heimathlichen Bäumen bemerkte er Ulmen und Ro- binien. Auch einige Pilze wurden bemerkt, an den Palmen Graphiola Phoenicis, an einem Baumstamm ein Polyporuss und am Boden eine Russula. Leider war der Besuch ein zu flüchtiger, um alle die Pflanzen- schätze würdigen zu können,

Inzwischen stand der Wagen bereit, welcher die Gesellschaft von der Ostseite der Insel nach der Westseite bringen sollte, ein Gefährt, mit einem Pferd und zwei Mauleseln bespannt. Die Insel Fayol ist ein grosser erloschener Krater, dessen höchste Spitze Caldeira sich bis 3351 engl. Fuss erhebt. Von dieser Spitze aus erstreckt sich eine Kette grösserer und kleinerer Krater bis nach der Westspitze, unter denen die höchste Erhebung der Cabiza do Norte (1145 engl. Fuss) ist. Am Fusse des letzteren liegt der kleine Ort Capellas, das Ziel der Fahrt. Der Weg führt in der Nähe der Küste über Lavaströme, zwischen denen kleine Wasseradern rinnen. Bis zum Cap Castello branco ist das Land überall bebaut, in kleine Ackerstücke vertheilt; kleine, aus Lavabruch- stücken gebaute, meist nur zweifenstrige Häuschen liegen dazwischen, Die Ackerstücke sind nach der Strasse zu durch Mauern begrenzt, unter sich durch Hecken von Arundo Donax geschieden. Von angebauten Feld- früchten bemerkte Herr Fr. sehr schöne Gerste, Mais, Lupine, Bohnen, ein Gemenge von Hafer, Lupine und Lathyrus mit grossen, rothen Blüthen, weiter den Berg hinauf Serradella und Roggen. Der in Capellas ge- trunkene Wein, der nicht besonders gut war, soll in der Nähe des Meeres gezogen werden, doch konnte Herr Fr. keine grösseren Wein- pflanzungen bemerken; der in Horta getrunkene Wein soll von der Nach- barinsel Pico stammen.

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114 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Von anderweitiger Vegetation fielen die vielen Feigen, Aprikosen, Bananen, Eucalypten, Lorbeer, Rhododendron u. s. w. auf. Von deutschen Bäumen spärliche Schwarzpappeln und eine grosse Silberpappel; Farn- kräuter waren häufig, darunter eines, welches eine Osmunda zu sein schien.

Vor Cap Castello branco wird das Land unfruchtbar. Gleich einem erstarrten Meere breitet sich hier die zerklüftete Lava aus, auf der nur hin und wieder ein kleiner Strauch von Erica und eine hellgraue Flechte erscheinen. Bald belebt sich jedoch die Vegetation wieder. Einen geradezu herrlichen Eindruck macht es, dass auf beiden Seiten des Weges lange Strecken hindurch an der Strasse in dichten Reihen Hor- tensien und Pelargonien, über mannshohe Sträucher, angepflanzt sind, erstere dieht mit den prächtigsten blauen Blüthen bedeckt. Als der Kutscher gewahrte, dass die Gesellschaft Freude an den Blumen hatte, pflückte er mächtige Sträusse und besteckte damit den ganzen Wagen.

In Capellas wurde sehr kärgliche Bewirthung gefunden und nach kurzer Rast der Aufstieg nach dem Cabeza do Norte angetreten. Der Weg führte durch dürftig bearbeitete Felder, welche sich terrassenförmig den Berg hinanziehen. Der obere Theil des Berges ist bis in die Krater- öffnung hinein bewachsen mit dichten, bis an die Achseln reichenden Gesträuchen von Erica, Buxus und Juniperus Oxycedrus, dazwischen eine reiche Fülle von anderen Blüthenpflanzen. Unter diesen fielen besonders auf eine Erythraea und eine andere kleine Gentianee mit einzelnstehenden grösseren, weissen Blüthen, Androsaemum, eine strauchartige Vacciniee mit armdickem Stamm und hängenden Blüthentrauben, Compositen, eine Pulicaria, Sonchus, mehrere Carex- und Briza-Arten, Anthoxanthum u. s. w. Der Aufstieg bis zum Krater hatte 1'/, Stunden gedauert. Ein herrlicher Blick von dem scharfen, steil abfallenden Kraterrande lohnte die An- strengung. Den grössten Theil des Horizontes nimmt der atlantische Ocean ein, nach Osten ziehen sich eine Reihe Krater von verschiedener Grösse hin, in welche man von oben hineinsieht; besonders interessant erschien einer derselben, aus rothem Gestein, so dass er aussah, als ob er von einer glühenden Masse gebildet würde. Kahle Lavaströme ziehen sich von allen Seiten zum Meere hinab.

Am 25. Juni machte Dr. Bannasch einen Ausflug in das Innere der Insel, um den Caldeira zu besichtigen, der 3351 engl. Fuss hoch ist und einen 5 engl. Meilen breiten Krater mit einem kleinen See in seinem Innern hat; der Ausflug nahm einen Tag in Anspruch. Dr. Bannasch brachte vom Kratersee einen Busch Hymenophyllum mit. Herr F. blieb zurück und botanisirte in der Umgegend von Horta. Ausser vielen fremden Sachen bemerkte er von alten Bekannten an diesem und folgenden Tage: Hypericum procumbens, Sagina procumbens, Linaria Cymbalaria, Prunella vulgaris, Mentha silvestris, Erodium cicutarium, Solanum nigrum, Polygonum

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 115

Fagopyrum, Rumex Acetosa, Festuca gigantea, Lolium perenne, Arrhenathe- rum elatius, Holcus mollis, Agrostis vulgaris, Taraxacum offieinale, Erigeron canadensis, Urtica dioica, Borago officinalis, Setaria, Verbena officinalıs, Chelidonium majus, Anagallis arvensis, Plantago lanceolata, maritima und media. Von Bäumen Quercus Robur, Ulmus effusa, Ailanthus glandulosa, Platanus, Acer pseudoplatanus.

Der folgende Tag war einer traurigen Aufgabe gewidmet, der Beer- digung des ersten Steuermannes des Schiffes, der sich aus Liebesgram erschossen hatte. Der Kirchhof ist höchst romantisch gelegen. Eine augenfällige Eigenthümlichkeit desselben besteht darin, dass der ganze Platz im Voraus in kleine Felder, in einzelne Begräbnissstellen getheilt ist, die durch sorgfältig gehaltene, kniehohe Buchsbaumhecken begrenzt sind. An einer Seite des Kirchhofes ist durch eine Steinmauer eine Abtheilung für Protestanten abgegrenzt, wo auch der Verstorbene sein Grab fand. Zum Abend folgten die Deutschen einer Einladung des Consuls, an dessen Tafel Herr Fr. zum ersten Male die sweet Potatoes (Bataten) kennen aber nicht sonderlich schätzen lernte.

Am 28. Juni ging die Reise wieder weiter, zunächst nach Tanger, welches am 3. Juli Mittags erreicht wurde.

Der Aufenthalt daselbst war jedoch nur sehr kurz, eben nur um an Land zu gehen, einen flüchtigen Eindruck des dortigen orientalischen Lebens zu gewinnen und den Garten des deutschen Gesandten Grafen Taddenbach zu besuchen.

Am Morgen des 5. Juli ging das Schiff auf der Rhede von Saffı vor Anker, dampfte aber nach Erledigung der Post bald weiter und erreichte Abends 7 Uhr desselben Tages Mogador. Am nächsten Morgen ging Herr Fr. an Land und blieb 2 Tage in Mogador. Der Ort ist ganz ausgezeichnet dazu geeignet, die sich selbst überlassene orientalische Wirthschaft in ihrer reinen Ursprünglichkeit kennen zu lernen. In Ge- sellschaft eines braunen Führers, der sich höchst anstellig zeigte, machte Herr Fr. einen grossen Spazierritt auf Esel längs des Strandes am Grabe des Sidi Mogdul vorüber nach einem verfallenen Fort portugisischen Ursprungs, sodann um die Stadt herum bis an den Rand der nahen Wüste. Der Strand bot eine Anzahl Strandpflanzen. Das Gebiet land- einwärts macht einen eigenartigen Eindruck grösster Verlassenheit. Es war durch die jetzt schon eingetretene höchste Dürre fast alle Vegeta- tion abgestorben, nur einige Proben von Wüstenpflanzen konnten mit- genommen werden,

Am 8. Juli ging es wieder bei Saffı vorüber, ohne dort anzuhalten, und am 9. Juli wurde bei Caza blanca (Dar el Beida: Weisses Haus) angelegt. Herr F. ging sogleich an Land und machte in Begleitung eines einheimischen Führers einen Spaziergang vor die Stadt. Opuntien, Agaven, Feigen, Dattelpalmen boten das übliche Bild orientalischer Cultur, fast

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116 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

alles Grün, aber besonders das Laub der Weinstöcke war von Heu- schrecken aufgezehrt, die noch zu Millionen vorhanden waren und deren Koth den Boden bedeckte.

Ein kurzer Aufenthalt in Mazagan am 10. Juli ging mit Besuchen bei einigen Bekannten des Dr. Jannasch (Engländer) hin. Am 11. wurde vor Robat einige Stunden vor Anker gelegen, aber nicht an’s Land ge- sangen. Ein zweiter Aufenthalt in Caza blanca am 12. Juli währte auch nur einige Stunden.

Am 13. Juli ging es vor Larasch (Al Arraisch) vor Anker, und es wurde hier für einige Stunden an Land gegangen. Die Stadt ist sehr romantisch gelegen. Die Häuser steigen terrassenförmig auf steilen Felsen auf. Bäume und Sträucher ragen allerwärts zwischen ihnen auf, auch grössere Gärten umgeben sie. Herr Fr. bezeichnet diesen Ort als den geeignetsten Ausgangspunkt für eine naturwissenschaftliche Forschungs- reise in’s Innere Marokko’s. Auch die Hafenverhältnisse waren die günstigsten von all’ den Plätzen, welche das Schiff an der afrikanischen Küste berührt hatte,

Am 14. Juli wurde Tanger noch ein kurzer Besuch abgestattet, es wurde die Citadelle besucht, auf dem Markte wurden Früchte eingekauft, dann ging die Reise nach Lissabon weiter, das am 15. Juli erreicht wurde. Am 17. Juli Nachmittags wurde die Rückreise angetreten und am 24. Juli Hamburg erreicht.

Die ganze Reise hatte demnach fast 2 Monate (57 Tage) gedauert, von denen 25 Tage auf die Seereise nach und von Lissabon (einschliess- lich des Stägigen Aufenthalts auf Swansea auf der Hinreise), 6 auf den Aufenthalt in Lissabon, 10 auf Reise nach den Azoren und Aufenthalt auf Fayol, 16 auf die Fahrten an der marokkanischen Küste fielen.

Herr Fr. verfolgte bei seiner Reise hauptsächlich landwirthschaft- liche Zwecke. Das lebhafte Interesse für Naturkunde drängte ihn aber, auch Thieren und Pflanzen seine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, und was sich ihm gelegentlich darbot, einzusammeln. Eine grössere Anzahl in Portugal gesammelter Pflanzen ging, wie schon erwähnt, ver- loren. Eine kleine Sammlung von Pflanzen aus der Umgegend von von Horta, Mogador und Casa blanca, die durch den Transport sehr gelitten hatte, habe ich, so gut es sich machen liess, zusammengestellt und lege sie der Gesellschaft vor.

Auch einige Pilze hatte Herr F. gesammelt, die ich in dem folgen- den Verzeichniss mittheile.

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 117

Verzeichniss einiger Pilze aus der Umgebung von Horta auf

Fayol (Azoren) und von der marokkanischen Küste, ge- sammelt von Herrn E. Frank. Juni und Juli 1891.

l. Oystopus candidus (Persoon). Auf mehreren Cruciferen.

Horta. |

2. Graphiola Phoenicis (Mougeot). Auf Phoenix dactylifera. Horta. Mogador. Tanger.

3. Uromyces Junci (Desmazieres). Uredo. Auf Juncus. Horta.

4. Uromyces Rumicis (Schumacher). Auf Rumex maritimus. Horta,

5. Pucecinia Rubigo vera (De Candolle). Uredo und Teleuto- sporen. Auf Lolium perenne. Horta. Auf einem grösseren Grase (Hordeum?). Tanger, Garten des deutschen Gesandten,

6. Puceinia sp. (P. Tanaceti De Candolle?). Teleutosporen in festen, flachen, weitverbreiteten, pechschwarzen Rasen. Sporen ellip- soidisch-, ei- oder keulenförmig, 35—46 (meist 38—42) ı lang, 22—25 breit, unten abgerundet oder in dem Stiel verschmälert, in der Mitte wenig oder gar nicht eingeschnürt, am Scheitel abgerundet oder wenig verschmälert; Membran kastanienbraun, glatt, am Scheitel kappenförmig verdiekt und dunkler. Stiel fest bis 30 x lang. An den Stengeln einer grösseren krautartigen Pflanze. Mogador. Die Sporen sind etwas kürzer als die von P. Tanaceti, Eine genaue Bestimmung des Pilzes ist natürlich nicht möglich, zumal auch die Nährpflanze gänzlich unkenntlich ist. Es ist immerhin nicht unmöglich, dass hier eine neue Art vorliegt.

7. Puececinia (Hemipuccinia) Frankeniae Link. 1816. Uredo- sporen in denselben Lagern wie die Teleutosporen, zimmtbraun, leicht abfallend, kurz, ellipsoidisch oder fast kuglig, 24—26 p lang, 20—24 1 breit; Membran glatt oder sehr fein eingedrückt punktirt, rostfarben oder hellbraun, meist mit drei Keimporen. Teleutosporen schwarz- braune, fette Polster bildend, ellipsoidisch, ei- oder keulenförmig, 30—44 u lang (gewöhnlich 33—36), 20—-22 u breit; Membran kastanien- braun, am Scheitel kappenförmig verdiekt; Stiel bis 50 { lang, fest. Auf Frankenia pulverulenta. Horta. P. Frankeniae wurde zu- erst von H. Link (ÖObservationes in Ordines plantarum naturales. Dissert. secunda. Magazin der Gesellschaft naturf. Freunde VII. Berlin 1816 $. 30) unterschieden, später aber (Caroli a Liunt. Species Plantarum. Editio quarte. T. VI. Berol. 1825 $. 80) mit seiner P, Lychnidearum vereinigt. Fr. Rudolphi fand dieselbe Puceinia auf Exemplaren von Frankenia, die in Nord-Italien (Verona) und Süd-Frankreich gesammelt waren und beschrieb sie (Plantarum vel novam vel mirus cognitorum descriptiones. Linnaea IV, Berlin 1829 8. 115) als Puceinia pulvinulata. Die Uredosporen wurden von Montagne 1846 (in Webb, Barker et Berthelot, Hist, natur. des Isles canares) als Uredo Frankeniae aufgeführt.

118 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. Die von Dr. Schweinfurth bei Fajum in Aegypten gesammelten Exemplare des Pilzes, welche in v. Thümen Mycoth. univers. 1934 aus- gegeben sind, enthalten neben den Uredo- auch reichliche Teleutosporen. Ebenso fanden sich beide Sporenformen gemischt an Exemplaren, die von Hildebrandt 1872 auf Kleeäckern bei Suez gesammelt waren.

8. Puwceinia Malvacearum Montagne. Auf Malva. Horta.

9. Phragmidium Rubi (Persoon). Uredo. Auf Rubus sp. Horta.

10. Phragmidium subcorticium (Schrank). Uredo- und Teleuto- sporen. Auf Rosa centifolia. Tanger. Garten des deutschen Gesandten.

11. Melampsora Helioscopiae (Persoon). Uredo- und Teleuto- sporen. Auf Euphorbia Peplus. Horta.

12. Melampsora Hypericorum (De Candolle). Auf Androsae- mum. Cabiza do Norte auf Fayol.

13. Melampsora Galii Link. Auf Galium sp. Horta.

14, Coleosporium Sonchi (Persoon). Auf Sonchus sp. Horta.

15. Ochroporus Lonicerae (Weinmann). Das Exemplar ist fast kreisförmig, mit schmalem Ansatz, 6 cm breit, oben vertieft, grubig höckrig, schmutzig dunkelbraun, undeutlich gezont, kurzfilzig; Rand gewulstet, filzig, kastanienbraun. Hutsubstanz gelbbraun, weich, korkig-filzig, 1, am Ansatz 2 em diek. Röhren mehrschichtig, 2—4 cm lang. Poren sehr fein, länglichrund, zimmetbraun, schwach grauschimmernd. Dar al Beida.

16. Phospora herbarum (Persoon). Auf alten Kräuterstengeln.

17. Phyllachora Cynodontis (Niessl). Auf Cynodon Dactylon.

18. Auerswaldia Chamaeropis (Cooke),. Auf Chamaerops. Tanger. Garten des deutschen Gesandten. 19. Phoma anceps (Saccardo). Auf alten Stengeln von Medicago sp.

20. Dartuca filum (Bivona). Uredosp. von Uromyces Junci (3)

21. Pestalozzia funerea (Desmazieres). Auf alten Blättern von Camellia japanica. Horta.

In der 3. Sitzung am 11. April hielt Herr Landes-Bauinspector Sutter zu Schweidnitz den folgenden Vortrag:

Vorschläge zur zweckmässigen Bepflanzung unserer Strassen in Schlesien, unter Benutzung der rheinischen Anleitung vom Jahre 1890. Meine hochgeehrten Herren! Wie Ihnen ja wohl bekannt ist, bin ich seit dem 1. October vorigen Jahres auf Wunsch meiner Familie bei der damals gebotenen Gelegenheit und nach Beschluss meiner vor- gesetzten Dienstbehörde, des Provinzial-Ausschusses von Schlesien nach einer 14 jährigen Thätigkeit als Landes-Bauinspeetor der Landes -Bau-

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 119

inspection Breslau und des grössten Theiles der aufgelösten Landes- Bauinspection Glogau, also schon seit '/, Jahre bin ich zur Verwaltung einer gleichen Stellung nach der schönen, parkumkränzten ehemaligen Festungs-Stadt Schweidnitz versetzt und habe ich dort in den zugehörigen, meist sehr fruchtbaren 12 Kreisen auch ein sehr dankbares Feld für meine Thätiskeit in der Obstbaumpflege gefunden. Namentlich hebe ich hervor, dass es mir vergönnt ist, auf den dortigen 74 km Provinzial- Chausseen des Kreises Schweidnitz bei den vorhandenen schönen Obst- baumpflanzungen die nothwendige Pflege wieder persönlich zu leiten, was ich im Bezirk Breslau nach Uebernahme der Provinzial-Chausseen durch die Kreise nur noch auf einer Chaussee im Kreise Militsch thun konnte.

Ich bin meiner vorgesetzten Dienstbehörde darum sehr dankbar, dass sie mir diesen schönen für den Obstbau sehr wichtigen Bezirk an- vertraut hat.

Ich habe daher das verflossene Winterhalbjahr schon sehr energisch dazu benutzt, die dortigen Baumpflanzungen von der Wurzel bis zur Krone durch Düngung, Reinigung und Baumschnitt so zu behandeln, dass ich auf reichliche Obsterträge rechnen darf, zumal der Blüthen - Ansatz ein sehr guter ist.

Meine Herren verzeihen mir wohl diese Abschweifung von meinem auf die heutige Tages - Ordnung gesetzten Thema aber ich glaubte Ihnen eine Aufklärung darüber schuldig zu sein, dass und wie ich als jetziger Bewohner von Schweidnitz heut hierher zur Sections-Sitzung komme.

Die so freundliche Aufforderung unseres Sections - Vorstandes des Herrn Professor Prantl und Herrn Garten - Inspector Richter und die Liebe zur Sache ist mir eine Veranlassung geweseu, trotz meiner viel- seitigen, amtlichen Beschäftigung in meinem Schweidnitzer Bezirk mich wieder einmal auch aus der Ferne bei Ihnen einzufinden, um mit Ihnen an der Verschönerung unserer Heimaths-Provinz und an der Nutzbar- machung des Landes durch Beförderung des Obstbaues und der Baum- pflanzung überhaupt mit bauen zu helfen,

Nehmen Sie meine hochgeehrten Herren mit der kleinen Arbeit vorlieb, die ich Ihnen nur bieten kann und lassen Sie sich meine Worte einen Sporn sein, vielleicht durch die Section auf weitere Kreise einzuwirken,

Nachdem ich in früheren Vorträgen die Pflanzung und Erziehung von Obstbäumen nur an Chausseen, ferner die Obst- und Gemüse-Ver- werthung durch Abtrocknung und zuletzt die Anlage von Obst-Muster- gärten in der Section zu beleuchten gesucht habe, wollte ich mir die Ehre geben, Sie heut auf das Gebiet

der Verschönerung der Landschaft hinzuführen, indem ich Sie einlade, mit mir die zweckmässige Bepflanzung unserer Strassen in Schlesien zu besprechen.

120 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Veranlassung hierzu gab mir die auch im Buchhandel erschienene kleine Schrift der 3 Landes-Bauinspectoren der Rheinprovinz, Dan. Becker und Zöller und des Landwirthschafts-Lehrers Arnold von Bittburg vom Jahre 1890 mit dem Titel: „Anleitung zur Pflanzung und Pflege von Strassenbäumen.“

Die klimatischen, industriellen und die Boden - Verhältnisse in der Provinz Schlesien sind auch, ähnlich wie in der Rheinprovinz, so sehr verschieden, dass dieselben Veranlassung geben, die Frage der Bepflanzung einer neugebauten Strasse recht ernstlich zu prüfen und die Gründe zu erwägen,

ob es zweckmässiger sei, Obstbäume oder nur Wald- bäume zu pflanzen? |

Allerdings habe ich in Punkt 1 und 2 meines Vortrages vom 7. Februar 1883 schon den Zweck der Pflanzung von Bäumen an Chausseen dahin erläutert, dass der Chauseebau zunächst einen Schutz und eine Annehmlichkeit für die Passanten abgeben soll.

Die Baumpflanzungen sollen aber auch in zweiter Linie der Strasse zur Zierde gereichen und drittens soll dielandschaftliche Schönheit der betreffenden Gegend durch eine Baumallee mit schönen Kronen gehoben werden.

Bisher haben wir Obst-Producenten allerdings stets zur Er- zielung eines grösseren Nutzens von der Baumpflanzung der Anpflanzung von Obstbäumen den Vorzug gegeben.

Bei ungeeignetem, mageren und sterilen Boden, oder dort, wo der Obstbaum nur schlecht gedeiht oder zu niedrige Erträge abwirft, dürfte der Waldbaum wegen der landschaftlichen Schönheit zur Strassen -Be- pflanzung geeigneter sein.

Der Strassen-Bautechniker wird daher gut thun, diese drei Gesichts- punkte durch Rücksprache mit Sachverständigen vor der Veranschlagung genau zu besprechen um vorher festzustellen, welche Gesichtspunkte den örtlichen und den Boden-Verhältnissen zur Bepflanzung am meisten entsprechen.

Wegen der in den Ortslagen und namentlich in der Nähe grösserer Städte leicht vorkommenden Beraubungen der Obstbaumanlagen und wegen der hier häufiger stattfindenden Beschädigung der Bäume durch den Verkehr wird es sich empfehlen, auch hier anstatt der Obstbäume mehr Waldbäume zu pflanzen.

Ich erlaube mir daher vorzuschlagen, dass die Section in dieser Beziehung durch geeignete Vorschläge bei der Provinzial-, und den Kreis- und städtischen Verwaltungen auf Durchführung einheitlicher Ge- sichtspunkte einzuwirken sucht und nur zweckmässige und ästhetisch sehöne Baumpflanzungen an den öffentlichen Strassen und Plätzen in der Nähe grösserer Orte und Städte herbeizuführen behilflich

ll. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 194

ist, Diese Aufgabe dürfte durch Erziehung und Bereitstellung geeigneter edlerer und schönerer Baumgattungen in unseren Sectionzgarten und durch Empfehlung derselben an die Communen und durch Unterdrückung mancher unschönen und daher für die fortschreitende Cultur unpassenden Baumarten und Pflanzungen und verstümmelter Bäume gelöst werden können,

Und nun lassen Sie mich zur Besprechung der für die Rhein- provinz erlassenen Anleitung zur Strassen - Bepflanzung übergehen.

Vorschläge zurzweckmässigen Bepflanzung unserer Strassen in Schlesien unter Benutzung der rheinischen Anleitung vom Jahre 1890.

In dem Vorworte dieses Werkes steht der entscheidende Grund, ob an den öffentlichen Strassen Obstbäume oder Waldbäume gepflanzt werden sollen erst in den letzten beiden Sätzen und zwar lautet derselbe dort wörtlich wie folgt:

„In Gegenden, deren Bevölkerung Lust und Liebe zur Obst- baumzucht noch nicht gewonnen hat, in welchen aber im Uebrigen die Verhältnisse für den Obstbaum günstig sind, wird die Er- ziehung desselben an der Strasse zwar grössere Schwierigkeiten machen, es dürfte aber grade Aufgabe der Provinzial-Verwaltung sein, hier Cultur-Trägerin in dieser Richtung zu werden. In solchen Fällen wird die Einführung des Obstbaumes allmählich und mit Vorsicht geschehen müssen, um durch sichere Erfolge, welche durch kleine vorhergehende Versuche gewährleistet sind, die Bevölkerung für die Obstbaumzucht zu gewinnen.“

Wenn überhaupt zugegeben wird, dass die Anpflanzung des Obst- baumes an Strassen gleichbedeutend ist mit der Einführung einer besseren Cultur des Landes, so ist damit mein an anderer Stelle schon ausgesprochener Grundsatz auch gerechtfertigt: dass man überall da, wo ein Obstbaum noch ein gedeihliches Wachsthum und einen wenn auch nur mässigen Ertrag verspricht, unbedingt der Anpflanzung des Obstbaumes den Vor- zug einräumen muss,

Denn der Nutzen der Obstbaumpflanzung besteht nicht blos in den höheren Gelderträgen, sondern in der Verschönerung der Gegend, der Erziehung der Landbevölkerung zur sorgfältigen Behandlung ihrer eigenen Bäume und in dem guten Einfluss des Obstgenusses auf die Gesundheit des Menschen.

Ebenso wie in der Rheinprovinz sind auch in der Provinz Schlesien sowohl die Boden-Verhältnisse, wie die klimatischen so sehr verschieden, dass auch in Schlesien die Erträge aus den Obst-Anpflanzungen sehr von einander abweichende sein werden.

123 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

mm m .

Aber nicht immer haben die Besitzer von gutem Boden auch gute Erträge ihrer Obstpflanzungen, sondern vielfach suchen gerade die Be- wohner einzelner Kreise, welche schlechten Boden haben, die geringen Erträge des Ackerbaues durch intensivere Gartenwirthschaft und sorg- fältigere Ausführung und Pflege der Obstbaum-Pflanzungen und durch Anpflanzung nur des besten ertragreichsten Obstes zu verbessern wie dies z. B., in den Kreisen Grünberg-Freistadt und in neuester Zeit auch in Guhrau geschieht. In den Kreisen mit besseren Lehmboden befinden sich schon alte sehr ertragreiche Obstanlagen, wie z. B. im Kreise Schweidnitz, Nimptsch, Münsterberg, Grottkau, Strehlen und Trebnitz,

Allerdings gehen die Bestrebungen zur Hebung des Obstbaues in vielen Kreisen von Schlesien meistens nur von einzelnen Personen aus, welche dieser Cultur besonderes Interesse entgegenbringen.

Die in neuerer Zeit entstandenen Gartenbau-Vereine, vor Allem unsere Section für Obst- und Gartenbau und der Provinzial-Verband Schlesischer Gartenbau-Vereine tragen sehr viel zur Förderung des Obst- und Gartenbaues bei. Auch hat sich die Anstellung eines Wanderlehr- Gärtners in Liegnitz durch den Herrn Minister der Landwirthschaft sehr bewährt, Es ist daher wünschenswerth, dass wenigstens für jeden Re- gierungs - Bezirk ein solcher Mann angestellt würde, welcher in jedem Kreise alljährlich populäre Vorträge hält über die Baumpflanzung und Baumpflege, das Veredeln und Verschneiden der Bäume etc. mit prak- tischen Ausführungen unter Zuziehung von Vertretern des Kreises, der Kreisstadt und der grösseren Besitzer von Obstanlagen und einiger sach- kundiger Lehrer. Zu den Vorträgen ist am geeignetsten das Winter- halbjahr.

Erfahrungsmässig gedeiht selten eine Obstbaumpflanzung ohne Pflege und ist es sehr natürlich, dass dieselben dann nicht genügend rentiren. Wenigstens alle 5 Jahre müsste in jedem Kreise eine Obst- (und Gemüse-) Ausstellung stattfinden, auf welcher durch Prämien das Interesse für diese Cultur immer weiter geweckt wird. Wie ich schon in meiner für Schulen in Placatform herausgegebenen „kurzen Anleitung zur erfolgreichen Pflanzung und Pflege von Obstbäumen‘ ge- sagt habe, ist zu einem gedeihlichen Fortkommen von Obstbäumen im Allgemeinen ein trockener, humusreicher, dabei warmer, mässig feuchter und tiefgründiger Boden nothwendig. Wenn diese Bodenbeschaffenheit fehlt, so muss sie durch Ausheben von sehr grossen und tiefen Löchern von 1 bis 2 m Weite im Quadrat bis 80 cm und 1 em Tiefe und Aus- füllung derselben mit lehmhaltigem, gutem, humusreichem Boden ersetzt werden, weil nur dadurch das Wachsthum, die Lebensdauer und Ertrags- fähigkeit der Obstbaumpflanzungen gewährleistet werden kann.

Die Laubholzbäume sind überall da zu pflanzen, wo die Obst- bäume nicht gedeihen, noch genügend Früchte tragen oder beschädigt

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 123

werden würden und der Zweck der Pflanzung hauptsächlich in dem zu erzielenden Schatten besteht. Dies findet meistens statt auf öffentlichen Strassen und Plätzen innerhalb der Ortslagen und in den Wäldern oder bei steinigem, unfruchtbarem, kaltem Boden im Gebirge und in Industrie- Gegenden, wo wegen der durch Rauch und sonstige Einflüsse ver- dorbenen Luft ein Gedeihen und Früchtetragen des Obstbaumes un- möglich ist.

Die rheinische Anleitung selbst ist in folgenden Haupt- theilen beschrieben:

I. Der Zweck der Strassenbäume in 2 Paragraphen. Der- selbe deckt sich mit den in meinem Vortrage vom 7. Februar 1883 angegebenen Gründen zur Verkehrssicherheit.

II. Die Wahl der Baumgattung ist in 4 Paragraphen erörtert und der allerdings sehr entscheidende Grund vorangestellt, dass die Wahl der Baumgattung stets von dem voraussichtlichen Gedeihen derselben abhängen muss und ich füge hinzu, dass auch der Zweck entscheidend sein muss, doch weise ich nochmals auf meine im Eingange hervorgehobene Bevorzugung des Obstbaumes hin:

A. Wenn der zu bepflanzende Boden auch nicht immer die nöthige Beschaffenheit hat, so müssen die Baumlöcher mit humus- reichem Lehmboden ausgefüllt werden.

B. In einer schlechten Lage im Gebirge, oder in einem vielen Frösten ausgesetzten Thale und auf einem sehr beschatteten Terrain, so- wie wo viel Nebelbildungen vorhanden sind, werden Obstbäume schlechter gedeihen und sind dort besser Waldbäume zu pflanzen,

C. Bei rauhem Klima ist die Anpflanzung von Obstbäumen auch nur mit Vorsicht zu bewirken und empfiehlt es sich hierbei nach dem Gedeihen der Obstsorten auf dem Nachbarlande einer Strasse zu richten.

Auf hochgelegenen Strassen mit trockenem lehmhaltigem Boden empfiehlt es sich, Kirschen und mit Vorsicht auch Birnen zu pflanzen.

In tiefen Lagen mit fettem thonigem Lehmboden ist der Apfel und die Pflaume zu empfehlen.

Laut $ 4 ist die Wahl der Baumgattung von ihrer Zweck- mässigkeit. abhängig gemacht.

Dazu bemerke ich, dass wegen ihres guten Wurzel-Vermögens folgende Bäume den Vorzug verdienen:

Süsskirsche, Birnen, Nussbäume, Linden, Ahorn, Akazien und Pappeln.

In den Ortschaften oder Vorstädten empfiehlt es sich, nur Schatten- bäume zu pflanzen, was auch in meinem Vortrage empfohlen ist.

Die Verwerthung des Obstes zu Conserven, zu Most- oder in Kraut- fabriken fehlt in Schlesien noch fast gänzlich, weil durchaus

124 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

noch keine Ueberproduction vorhanden ist und der Rohgenuss kaum gedeckt wird. Durch intensiveren Obstanbau und dessen Verwerthung in transportfähigen Conserven und als zweckmässig zubereitetes Fabrikat würden dem Lande grosse Summen Geldes erhalten werden.

Aus diesem Grunde gebührt auch dem Öbstanbau unter allen Umständen der Vorzug vor dem Pflanzen von Waldbäumen.

Die in der Anleitung empfohlene Vorsicht bei der Wahl zu blätterreicher schattiger Bäume kann durch eine weitläufigere Pflanzung der einzelnen Bäume begegnet werden dann wird immer noch eine gehörige Abtrocknung der Strasse möglich sein.

Es ist richtig, dass auf schmalen Strassen nicht Bäume mit grossen breiten Kronen und von den Obstbäumen auch mehr die hochstrebenden Sorten zu bevorzugen sind.

Dass die Waldbäume mit ihrer Krone und Wurzelentwickelung den anliegenden Ländereien nicht beträchtlichen Schaden zufügen dürfen, ist wohl auch richtig.

Zu $5. Bezüglich der Lebensbedingungen der einzelnen Baumgattungen wird Folgendes empfohlen:

A. Obstbäume.

a. Dass der Apfel mit den besten nahrhaftesten Boden verlangt, aber auch selbst noch mit lettigem Boden vorlieb nimmt, kann auch ich bestätigen. |

Auf meine den Gartenbau-Vereinen Schlesiens gemachten Vor- schläge hin, sind von diesen Vereinen zur Anpflanzung an Strassen nur 10 Apfelsorten als am zweckmässigsten zu pflanzen empfohlen und zwar heissen dieselben, z, Th. abweichend von den für die Rheinprovinz empfohlenen, wie folgt:

1. Winter-Gold-Parmäne, 6. Weisser Winter-Taffet-Apfel, 2. Grosse Kasseler Reinette, 7. Baumann’s Reinette,

3. Grosser rheinischer Bohnapfel, 8. Fraa’s Sommer-Calvill,

4. Parkers Pepping, 9. Landsberger Reinette,

d. Purpurrother Cusinot, 10. Boiken-Apfel.

b. Die Birne gedeiht noch auf leichterem Boden als der Apfel. Mostobst wird in Schlesien an Strassen wohl kaum gebaut. Für Schlesien sind, wie oben gesagt, nur folgende 10 Birnen- sorten zur Strassenbepflanzung empfohlen:

1. Rothe Bergambotte, 6. Punktirter Sommerdorn,

2. Liege’s Winter-Butterbirne, 7. Salzburger Birne,

3. Gute Graue, 8. Gute Louise von Avranches, 4. Prinzessin Marianne, 9. Wildling von Motte,

9. Leipziger Rettigbirne, 10. Colomas-Herbst-Butterbirne.

c. Der Zwetschen- oder Pflaumenbaum ist auch in Schlesien schon vielfach mit Vortheil an den Strassen angepflanzt und

II. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 125

wegen seiner kurzen Lebensdauer auch in der Rheinprovinz wie in Schlesien z. Th. zur Zwischenpflanzung empfohlen.

Die zu geringe Pflege dieser Bäume, namentlich das zu ge- ringe Aus- und Zurückschneiden der jungen Pflaumenbäume ist Schuld an dem zu geringen Wachsthum des Stammes, zu kleiner und zu dichter Kronen, sowie an der geringeren Ertragsfähigkeit.

d. Der Kirschbaum ist durch die Beobachtungen in der Rhein- provinz fast für jeden Boden empfohlen. Das kann man in Schlesien nicht so ohne Weiteres thun, sondern es gedeiht hier dieser Baum meist nur in leichterem Lehm- und Sandboden keinesfalls aber auf lettigem, zu nassem Boden, ebensowenig an See’n, Flussufern, Teichen und in engen Thälern, wo durch die häufigere Nebelbildung das Wachsthum der Bäume und die Frucht- bildung beeinträchtigt wird.

e. Der Wallnussbaum ist in Schlesien nur mit Vortheil in ge- schützten Lagen bei lockerem, trockenem Boden bisher gebaut, doch ist die empfohlene Entfernung von 15 m wegen der ge- ringeren Entwickelung an den Strassen zu gross und sind 12 m entsprechend.

Auch in Schlesien ist hier eine Zwischenpflanzung von Pflaumen ausgeführt und empfehlenswerth.

f. Die edle Kastanie ist in Schlesien wohl nur selten an Strassen angepflanzt, weil sie nicht rentabel genug ist.

B. Waldbäume.,

In der Rheinischen Anleitung sind zur Pflanzung an Strassen

empfohlen: a. Als Zierbäume in der Nähe von Ortschaften wegen Schattenerzielung die Lindenarten, die Rosskastanien und die Platanen. b. Als Nutzholzbäume die Ahornarten, Eichenarten, Buche, Akazie, Gleditschie, drei Arten Hickory, Birke, Eberesche, Mehlbeerbäume, Schwarzerle und selbst Nadelhölzer in den Wäldern. c. Als Wildbäume

mit weitgehenden Wurzeln und starken Kronen da, wo kein werthvolles Nachbarland liegt: die gemeine Esche, die Ulme und 4 Pappel-Arten.

Eine solche Vielseitigkeit in der Benutzung von Zierbäumen und anderen Schattenbäumen zur Chaussee-Bepflanzung hat in Schlesien noch nicht stattgefunden, sondern sind bei der Wahl der Wildbäume in den meisten Fällen nur die grössere Billigkeit der Bäume bei der Beschaffung maassgebend gewesen und haben sich die Strassen-Verwaltungen mit den 7 Arten: Eschen, Ahorn, Ulmen, Linden, Kastanien und z. Th. Eichen und Ebereschen zu helfen gesucht.

126 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Es muss jedoch zugegeben werden, dass es sich wohl empfiehlt, in der Nähe grösserer Städte auch edlere Schattenbäume zu pflanzen wegen des ästhetischen Eindruckes. Nur ist auch hier die Beschädigung solcher Bäume eine grössere und müssen mehr Schutzvorrichtungen um dieselben getroffen werden.

Il. Ausführung der Pflanzung.

$ 6. Die Pflanzzeit ist wie am Rhein, so auch in Schlesien im Herbst, als die zweckmässigste, ausprobirt worden. Nur da, wo Hoch- wasser-Ueberschwemmungen zu befürchten sind, ist die Frühjahrs-Pflan- zung zuzugestehen.

$ 7. Das Entfernen der Blätter von den Bäumen muss vor dem Ausheben der Bäume in der Baumschule erfolgen, um einer Verdunstung des Saftes vorzubeugen, und ist es richtig, dass Bäume, welche aus Baumschulen mit Blättern geliefert werden, zurückzuweisen sind, weil sie nicht fortwachsen würden.

$ 8 bis 16. Die in der Rheinischen Anleitung gegebenen Vor- schriften über die Eigenschaft und die Behandlung der zu pflanzenden Bäume entsprechen meistens den durch den Herrn Landes- Baurath von Schlesien für die Chaussee-Aufseher gegebenen Anweisungen.

Iv. Pflegen der, Bäume.

In den $$ 17 bis 24 sind die hierbei vorzunehmenden Arbeiten be- schrieben, welche im Allgemeinen den unsrigen entsprechen, nur ist in Schlesien für die Obstbäume an Strassen der Kelchschnitt mehr durch- geführt, weil er zweckmässiger für den Fruchtansatz und für die Ab- erntung ist und weil die meisten Obstarten sich nicht als Pyramiden erziehen lassen. Der Kalk- und Dünger-Anstrich der Obstbäume im Herbste wird auch am Rhein mit grosser Sorgfalt behandelt.

V. Baumschnitt.

In den $$ 25 bis 33 ist der Schnitt als Pyramiden-Baum sowohl für Obst- wie für Waldbäume empfohlen, doch kann ich dem nicht zu- stimmen, und muss den Pyramidenschnitt nur für Waldbäume gutheissen aus den oben angegebenen Gründen. Ausnahmsweise können Birn- und Nussbäume, welche schon luftige Pyramiden von selbst bauen, in solcher Form gezogen werden.

Nur in den ersten 3 bis 5 Jahren ist ein Schnitt zur Kronenbildung und zur Stärke des Stammes erforderlich. Es gehört ein besonderes Verständniss und Geschicklichkeit dazu, den Baumschnitt richtig und so zu machen, dass man es dem Baume nicht ansieht, wo der überflüssige Ast oder Zweig weggekommen ist. Unverständige Gärtner und Arbeiter können hierbei ungeheueren Schaden anrichten, so dass die ganze Krone verdorben wird. Dann ist es besser, die Bäume ausser im Frühjahr bei der ersten Pflanzung, später lieber garnicht zurückzuschneiden.

II. . Naturwissenschaftliche Abtheilung. 127

Ueber den Baumschnitt an Strassenbäumen spricht sich der Herr Bau-Inspeetor Parisius von Hannover in seiner Schrift von 1871 in folgender Weise aus:

„Bekanntlich muss das Obst an den Strassen sämmtlich gepflückt werden und zwar im Interesse der Bäume wie der Käufer, indem weder die Bäume durch Schütteln und Schlagen beschädigt werden sollen, noch auf das Obst, das durch das Fallen auf die harte Steinbahn verletzt wird, nutzbar ist. Wenn daher auch die Bäume in Rücksicht auf den Ver- kehr eine gewisse Höhe haben müssen, so dürfen dieselben doch nicht zu hoch sein, und müssen immer mit einer gewissen Bequemlichkeit bestiegen werden können. Das Obst an einem zu hohen Baume will Niemand gern kaufen, und sässen auch etliche Wispel darauf. Diesen Vortheil bieten die kelchartigen Kronen. Was soll überhaupt bei Obst- bäumen der hohe Stamm? Bei Waldbäumen soll allerdings der Stamm den Ertrag bringen, bei Obstbäumen aber nur die Krone.“

Auch bei den Strassenpflanzungen in Schlesien hat sich für den Obstbaum die Erziehung der kelchartigen Krone als die zweckmässigste bewährt. Für Waldbäume dagegen und für Birnen und Nussbäume mag immerhin die Bildung von Pyramiden zuzulassen sein.

In der Rheinischen Anleitung wird eine sehr grosse Sorgfalt für die nothwendigen Arbeiten bei der Baumpflege und in der Vertilgung der Feinde der Bäume und ihrer Früchte vorgeschrieben. Diese Vorschriften sind auch für Schlesien sehr nachahmungswerth, Bei uns in Schlesien werden nur in seltenen Fällen so viel Mühe und Kosten auf die Baum- pflanzung und Pflege verwendet, man ist bisher mehr summarisch und mit den einfachsten Mitteln bei der Baumpflege vorgegangen. Eine grössere Sorgfalt bei Entfernung des Ungeziefers und zweckmässigere Anstalten bei der Pflanzung und Pflege der Bäume werden mit Sicher- heit reichlichere Obsterträge herbeiführen helfen.

Zum Schluss gestatten mir die hochgeehrten Herren daher noch die Mittheilung der Obst-Erträge aus 16 Kreisen der Provinz Schlesien, da- mit sie daraus den Stand des Obstbaues ersehen können,

Ich habe mir von den Kreisverwaltungen die Erlaubniss erbeten, diese Resultate veröffentlichen zu dürfen und hoffe ich, dass durch die hohen Erträge einzelner Kreise die Verwaltungen anderer Kreise viel- leicht auch zur Hebung der Obsteultur mehr ermuntert werden.

Danach sind in 16 Kreisen der Provinz Schlesien im Jahre 1891 Obst-Erträge eingekommen in Summa 62984,50 Mark, mithin für einen Kreis im Durchschnitt nahezu 4000 Mark. Die höchsten Erträge haben jedoch nur die 7 Kreise gehabt:

r. Braten 11 540 Mark, 5. Schweidnitz ... 4392 Mark, ZN Sttehled IRA IBTEUUL 6 Pinrebaum vn... 830 1 F= 3. Nimptseh..... 8678 = 72 Irebiuia u) . BIST FIR.

Ohlau. 2.2. 7 400

128 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Zusammenstellung der in den Jahren 1890 und 1891 auf den Provinzial- und Kreis-Chausseen in nachstehenden Kreisen aufgekommenen Einnahmen von der Kirschen- und Hartobst-Nutzung in der Landes-Bauinspection Schweidnitz.

Für Kirschen-Obst

Für Hartobst

= K r:e:31.8 im Jahre im Jahre © 1890 1891 1890 1891 = = M ı M M | NM 1 |Schweidnitz a. Provinzial-Chausseen.| 2 409,00) 2 026,00] 2 582,00) -2 270,00 b. Kreis-Chausseen . - = 96,00 2 |Reichenbach a. Provinzial-Chausseen.| 3818,00) 1336,00] 213,00 624,00 b. Kreis-Chausseen ... .| 873,00) 1 035,00 30,10 11,00 3 |Frankenstein a. Provinzial-Chausseen.] 1 009,00/ 1 180,001 821,00 536,00 b. Kreis-Chausseen . . .| 2 328,00) 2 059,00 90,00 46,00 4 |Nimptsch a. Provinzial-Chausseen.| 1 180,00!) 1 193,00] 1 271,00) 3396,00 b. Kreis-Chausseen „.. .1 2132,00) 3 306,00] 1 092,00 233,00 5 (Jauer a. Provinzial-Chausseen.| 5839,00) 1 600,001 8360,00 b. Kreis-Chausseen . . .! 230,00 370001] 130,00 75,00 6 |Liegnitz a. Provinzial-Chausseen.| 587,00 747,00) 300,00 350,00 b. Kreis-Chausseen .. . am = - Fe 7? \Lüben a. Provinzial-Chausseen. 21,50] 447,00 b. Kreis-Chausseen . . . —— 8 |Striegau a. und b. Provinzial- und Kreis-Chausseen zu- SAMMEN. nu. se in a ge 2 316,00) 3 033,00| 476,00 897,00 Summa [14 471,0017 906,50] 7865,10] 9 991,00

Also pro 1890: 22 336,10 Mk. und pro 1891: 27 897,50 Mk. Schweidnitz, den 1. März 1892.

Sutter, Landes-Bauinspector, *) Diese 1600 Mk. in Colonne 2 wurden von einem Generalpächter zusammen

für Kirschen und Kernobst pro 1891 gezahlt. *#) Die Obstnutzung ist noch nicht ertragsfähig.

ll. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 129

Zusammenstellung der im Jahre 1891 auf den Provinzial-Chausseen der Kreise Breslau, Oels, Trebnitz, Neumarkt, Militsch, Ohlau und Strehlen aufgekommenen wirk- lichen Einnahmen von der Kirschen- und Hartobst-Nutzung in der Landes- Bauinspection Breslau.

Für das

z Kirschen- > ie Kırı si s Obst Hartobst Bemerkungen. 7 MM 1 |Stadtkreis Breslau Provinzial-Chausseen . 179,00| sehr hoch. 2 |Landkreis Breslau a. Provinzial-Chausseen| 4 300,00) 7 139,00 b. Kreis-Chausseen .. 101,00 3 [Oels a. Provinzial-Chausseen|]| 142,001 253,00 Mittel-Ernte. b. Kreis-Chausseen . .| 354,00) 478,00 | Fa Er

4 I Trebnitz

a. Provinzial-Chausseen] 1 314,00 1 130,00])um die Hälfte niedriger

b. Kreis-Chausseen . .| 1219,00) 212,00|\geg. die früheren Jahre 5 |Neumarkt

Provinzial-Chausseen .| 468,00) 399,00] gute Mittel-Ernte. 6 | Militsch

Provinzial-Chausseen . 693,00 71:00 7 |Ohlau

Provinzial- und Kreis-

Chausseen ....... 9 890,00) 1550,00

8 IStrehlen Provinzial- und Kreis- Chausseen. ı...-..... 3 140,00 95,00 Summal23 480,00, 11 607,00

Daher in Summa: 35087 Mark. Breslau, den 11. August 1891. Sutter, Landes-Bauinspecior.

Hieran knüpfte sich ein längerer Meinungsaustausch, welcher be- sonders die geeignetste Zeit für Verpflegung betraf.

Herr Schlossgärtner Bank in Heidewilxen sandte einen Bericht über den Erfolg des Anbaues der im Frübjahr 1891 von der Section

zur Prüfung ihres Werthes ausgegebenen Sämereien. e% - ’9

130 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Herr Baumschulbesitzer v. Drabizius überwies der Section den Betrag von 50 Mark von dem Ueberschuss des im Herbst 1891 veranstalteten Obstmarktes, wofür ihm der Dank der Section aus- gesprochen wurde.

Herr Handelsgärtnereibesitzer Franke legte wieder einige blühende Orchideen vor: Cypripedium Borelli, Catlleya Harrisonii, Cymbidium ebur- neum u. &.

In der 4. Sitzung am 9. Mai sprach Herr Kunst- und Handels- särtner Nagel über Rosen-Treiberei, welche er durch Vorzeigung einiger Topfrosen erläuterte, die er erst im vergangenen Jahre im Topfe ver- edelt hatte, und welche zur Zeit mit Blüthen reichlich besetzt waren.

Hieran schloss sieh wieder eine Vorführung frischer Blüthen. Herr Schütze legte prächtige Blüthenbüsche von Akebia pinnata, Herr Franke eine schöne Sammlung von Orchideen, von Cattleya Mossili, Schroederi, Gongora alba, Bifrenaria Harrisoni, sowie eine grosse Zusammenstellung von Primula Auricula und Pr. veris vor.

In der 5. Sitzung am 25. Juli wurde die Stiftung von 3 Ehren- preisen für die Gartenbau- und Obstausstellung beschlossen. Herr Franke legte schöne Exemplare von Campanula pyramidalis alba vor.

In der 6. Sitzung am 5. September stellte der 2. Secretair diesjährige Rosenstecklinge in kleinen Töpfen vor, die bereits fest- gewurzelt waren und diesjährige Knollenbegonien in kräftigen Exemplaren.

In der 7. Sitzung am 10, October hielt Herr Prof. Dr. Prantl einen Vortrag über seine Reiseerinnerungen aus Ligurien, die er gelegentlich seiner Theilnahme an dem Congress der Botaniker in Genua zur Zeit der Columbusfeier daselbst gesammelt hatte. Eingehend schilderte er die üppige Vegetation der Gärten, welche die ursprüngliche Pflanzendecke fast ganz verdrängt hat, eine grosse Anzahl von Photographien er- läuterten den Vortrag. Die ursprüngliche Flora derligurischen Küste wurde durch ein schönes Herbar vorgeführt, welches Herr Prof. Dr. Penzig in Genua als Geschenk für die Botaniker des ÜCongresses zusammen- gestellt hatte.

Am Schluss der Sitzung zeigte noch der 2. Secretair abgeschnittene, 2 m hohe Triebe von Gymnothrix latifolia, kräftige Stengel von Cyperus papyrus und verschiedene buntblättrige Canna-Arten vor, worunter be- sonders die Sorte Senator Millard zu erwähnen war.

In der 8. Sitzung am 14. November hielt Herr Privatdocent Dr. Rosen einen Vortrag über den Wurzelfilz der Pflanzen, den er durch Zeichnungen und Topfpflanzen erläuterte.

il. Naturwissenschaftliche Abtheilung. 131

Herr Schütze berichtete über die Chrysanthemum - Ausstellung in Liegnitz. Er bezeichnet die Ausstellung als eine wohlgelungene. Der grosse Saal des Schiesshauses war dem Publikum als Erfrischungs- raum überlassen und mit reichen Wandausschmückungen versehen. An ihn schloss sich links unmittelbar die eigentliche Ausstellungshalle, ein fast 1000 qm weiter Raum, der von geöltem Baumwollenstoff gedeckt war, welcher helles Lieht durchlässt. An diese Halle schloss sich die Längshalle für Bindereien und abgeschnittene Blumen, am Ende ab- geschlossen durch ein Halbrund, in welchem zwischen decorativen Blatt- pflanzen, Musa und Farne, die Kaiserbüste hervortrat. Das Ganze bildete einen farbenprächtigen Blüthenteppich, der Abends durch Gasflammen taghell erleuchtet wurde. Wenn auch die Sammlungen der verschieden- artigsten Chrysanthemum-Sorten nicht blos der Hauptsache, sondern auch der Fülle nach den Kern der Ausstellung bildeten, so war doch durch Unterbrechung mit anderweitigen Decorationspflanzen in vorzüglicher Güte und Schönheit für Mannichfaltigkeit gesorgt, wobei die herzog- liche Gärtnerei in Sagan (hervorzuheben besonders einige blühende Stan- hopea), die Schlossgärtnerei von Brechelshof (prachtvolle Cyklamen), die Stadtgärtnerei in Liegnitz (Musaceen), Lorenz in Bunzlau (Cycadeen), Sattler und Bethge (Knollenbegonien und Coleusformen), Ziegert und Wirth in Dresden (harte Palmen, darunter eine bunte Latania) u. A, hervorragend betheiligt waren. Die besten Chrysanthemum hatte Götze und Hampars in Hamburg gestellt, welche den 1. Preis, eine grosse silberne Staatsmedaille erhielten, Reid und Bornemann hatten eine Sammlung abgeschnittener Chrysanthemumblüthen der hervorragendsten und neueusten Sorten eingesandt, wofür ihnen eine kleine silberne Staatsmedaille zufiel. Ausser vielen anderen mit Preisen gekrönten Chrysanthemum-Sortiments sind auch die,. welche die Stadtgärtnerei Liegnitz gestellt hatte, zu erwähnen. Der Königliche Gartenbau- Director Haupt-Brieg hatte stattliche Exemplare von Cattleya autumnalis geliefert, welchen als Preis eine kleine silberne Staatsmedaille zuerkannt wurde. Kutsche in Liegnitz erhielt eine kleine silberne Staatsmedaille für Binderei und auch sonst war die Binderei u. a. durch Handelsgärtner Schmidt gut vertreten. Das Originelle der Ausstellung lag nicht zum kleinsten "Theile auch in der geschickten Benutzung des Raumes, der unmittelbaren Verbindung des Ausstellungsraumes mit dem Erfriehungs- raum, wodurch dem Publikum ein längeres Verweilen und wiederholtes Besichtigen der Ausstellungsgegenstände erleichtert wurde, der Ueber- dachung des Gartens, dessen Bäume natürlich erhalten waren und mit ihren Stämmen das Dach zu stützen schienen, sowie in der Vorführung einer humoristischen japanischen Restauration, in welcher durch japanische Bedienung das schäumende Nationalgetränk Yum-Yum verabreicht wurde und an dessen Abschluss sich der Ausblick auf den Kaiserlich japanischen

132 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Chrysanthemum - Garten bot, dessen Vordergrund natürliche Chrysan- themumstöcke bildeten, die durch geschickte Zusammenfügung eine per- spectivische Wirkung hervorbrachten und sich dem vom Maler Tischer hergestellten Hintergrunde dioramenhaft anschlossen.

In der 9. Sitzung am 12. December hielt Herr Professor Dr. Stoll aus Proskau einen Vortrag über Obstweine und Bereitung derselben. Zu derselben hatte der Vortragende nicht allein die ver- schiedensteu Obstweine als Kostproben den Anwesenden zur Verfügung gestellt, sondern auch verschiedene Apparate zur Herstellung und Klärung des Weines, sowie mikroskopische Präparate der Weinhefe, aufgestellt.

schlesische Gesellschait für vaterländische Gultur.

2% 20 70. III. Jahresbericht. Historisch - staatswissenschaftliche 1892. Abtheilung. ERT NEERTEERETN Ufe 5 ee ee

Sitzungen der Section für Staats- und Rechtswissenschaft im Jahre 1892,

Die erste Sitzung am 28. Januar eröffnete der Vorsitzende Professor Dr. Elster mit dem Hinweis auf den grossen Verlust, den die Section durch den Tod des Commerzienraths Rosenbaum, eines ihrer Gründer und eifrigsten Mitglieder, erlitten habe.

Bei der darauf folgenden Neuwahl des Vorstandes wurde derselbe für die nächste zweijährige Periode durch Acclamation wiedergewählt und an Stelle des Senatspräsidenten Rocholl Staatsanwalt Dr. jur. Keil hinzugewählt, so dass der Vorstand jetzt aus den Herren Professor Dr. Elster, Ober-Regierungsrath a. D. Schmidt, Geh. Commerzienrath Schöller und Staatsanwalt Dr. Keil besteht.

Nachdem dann der Vorsitzende einige Vorschläge bezüglich der Neueinrichtung in der Art der Vorträge der Versammlung unterbreitet hatte, die dahin gingen, dass mehr als bisher kleinere Mittheilungen mit daran sich knüpfenden Besprechungen auf die Tagesordnung gelangen sollten, ergriff Staatsanwalt Dr. Keil das Wort zu dem angekündigten Vortrag

Veber Schwierigkeiten bei dem Inkrafttreten der Landgemeinde- Ordnung.

Der Vortragende präeisirte seinen Standpunkt dahin, dass er nicht über Schwierigkeiten technischer Art, welche sich bei der Einführung der neuen Landgemeinde - Ordnung ergeben würden, sprechen wolle, sondern über solche, die im Gesetze selbst lägen, und begründete hier- auf zunächst die Nothwendigkeit einer Neuordnung des Landgemeinde- wesens. Die Absicht der Regierung, derselben als Gesetz einen absoluten Charakter zu geben, wurde durch den Widerspruch im Abgeordneten- hause unmöglich; um nun aber doch eine Neugestaltung zu erreichen,

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9 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

hat man dem Gesetz statt des absoluten Charakters einen subsidiären aufgedrückt. Der Wunsch, die bestehenden Rechte und Gebräuche möglichst zu schonen, führte dazu, publieistischen Rechten, welche früher durch Gemeindebeschluss beseitigt werden konnten, die Unabänderlich- keit zuzugestehen. Schon deshalb bringt die neue Landgemeinde-Ordnung keine durchgreifende Reform. Des weiteren ist die Steuerreform nicht durchgeführt worden. Man hat den Gemeinden die Möglichkeit gegeben, die alten Systeme und Maassstäbe, die vielfach höchst complieirter und dabei auch ungerechter Natur sind, um berechtigte Eigenthümlichkeiten nicht zu beseitigen, beizubehalten und so vorläufig einen Dualismus im Steuersystem bestehen lassen. Man ist schliesslich von der consequenten Einführung des Gedankens abgekommen, die kleinen leistungsunfähigen Einzelgemeinden durch Zusammenfügen zu grösseren Verbänden zu lebens- fähigen Organismen zu gestalten, und hat im Gegensatz zum Westen, wo die Sammtgemeinden seit der französischen Herrschaft in Wirksam- keit sind, im Osten nur Zweckverbände geschaffen, zu denen Communen für bestimmte Zwecke, z. B. Wegebau, Deichbau, Schullasten u. a. zu- sammentreten. Da es nun leicht vorkommt, dass eine Gemeinde für diesen Zweck mit dieser Gemeinde, für jenen Zweck mit jener Gemeinde identische Interessen hat, so schwächt dieses Auseinanderzerren das communale Gefühl. Ein weiterer Mangel, der diese Zweckverbände nicht recht lebensfähig machen wird, liegt darin, dass ihnen nicht ohne weiteres die Rechte einer juristischen Person gegeben sind; der Kreis- ausschuss hat zudem im wesentlichen ihre Organisation in der Hand. Besonders erschwert durch ein umständliches Verfahren ist die Ein- gemeindung. Hieraus ist ersichtlich, dass eine Reorganisation im grossen Stil, wie sie Stein und Hardenberg geplant haben, zur Unmöglichkeit geworden ist; die Regierung hatte mit einem Schlage lebensunfähige Gemeinden und Gutsbezirke in grossem Stile unter- drücken wollen, um Luft für lebensfähigere Neubildungen zu schaffen, der heftige Widerstand der Rechten im Abgeordnetenhause aber führte zu einem Compromiss, welcher die ursprüngliche Vorlage wesentlich verändert. Im Uebrigen ist der Gutsbezirk, dessen Beseitigung von radicaler Seite gewünscht ward, keineswegs für die Zukunft aus- sichtslos. Er ist stets die gegebene Form für die Commune, sobald Arbeiter, Tagelöhner u. s. w. von einem Unternehmer wirthschaftlich abhängig sind.

Im Anschluss an den Vortrag äusserte sich Ober-Regierungsrath a. D. Schmidt auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen als Landrath in Uebereinstimmung mit den Ausführungen des Vortragenden. Weiterhin wurde vor allem auf das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz als einen Krebsschaden für ländliche Verhältnisse hingewiesen,

III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 3

Den zweiten Vortrag

Ueber die Neuordnung der Gewerbe-Inspection in Preussen eröffnete der Vortragende, Professor Dr. Elster, mit einem kurzen ge- schichtlichen Rückblick. Die Gewerbe-Inspection wurde im Gesetz vom Jahre 1853 im $ 11 vorgesehen, demzufolge bei Beschäftigung von jugendlichen Arbeitern da, wo ein Bedürfniss sich herausstelle, in Fabriken Fabrik-Inspectoren angestellt werden könnten. In den drei Regierungsbezirken Aachen, Arnsberg und Düsseldorf wurde auch der Versuch damit gemacht, allein die Sache schlief allmählich wieder ein. Als 1869 gelegentlich der Berathung der Gewerbe-Ordnung die Frage von Neuem angeregt wurde, fiel auch diesmal der Antrag. In dem Anfang der 70er Jahre wurden in einzelnen Gegenden Fabrik-Inspectoren eingeführt, z. B. 1872 in Sachsen und in einigen preussischen Pro- vinzen, aber erst das Arbeiterschutzgesetz von 1878 machte das Inspectorat für das Reich obligatorisch unter Ueberweisung der Aus- führung an die Einzelstaaten. Das Gesetz von 1891, welches neue, wesentlich schärfere Bestimmungen z. B. über die Kinder- und Frauen- arbeit in den Fabriken u. s. w. enthält, hat auch die Thätigkeit der Inspeetoren sehr vermehrt und eine Neuregelung der Gewerbe-Inspection, denn zu einer solchen beginnt sie sich zu entwickeln, erforderlich gemacht. So hat man vor allem in Preussen eine Neuordnung in Angriff genommen. Dieselbe wird in etwa drei Jahren abgeschlossen sein. Nach der preussischen Denkschrift sollen 26 Gewerberäthe als fachkundige Bei- räthe den Regierungs-Präsidenten zugetheilt werden, unter ihnen stehen 97 Inspectoren und 40 Assistenten, so dass die Zahl der Gewerbe- Inspectoren insgesammt von 27 (Ende 1891) auf 163 anwachsen wird. Kein Land der Welt kann sich eines gleichen rühmen. England z. B. hat 66, Frankreich 90, Oesterreich 24 Inspicienten. Ein weiterer Vorzug ist ferner auch die grössere Centralisation, welche jetzt geschaffen worden ist, so dass die Arbeit der Inspectoren unter Anleitung der Gewerberäthe zweifellos eine intensivere und fruchtbarere werden dürfte, Sind auch einzelne Bestimmungen der Verbesserung noch fähig, so die aus finanziellen Rücksichten erlassene Vorschrift, dass mit diesem Amt auch die Kesselrevision verbunden sein soll, die Neuregelung in ihrer Gesammtheit ist mit Freude zu begrüssen,

In der zweiten Sitzung am 10. März sprach Geh. Archivrath Professor Dr. Grünhagen

Ueber die Steuerverhältnisse Schlesiens vor hundert Jahren.

Der Vortragende führte etwa Folgendes aus: Bald nach der Er- oberung Schlesiens dachte König Friedrich daran, sich von den Schlesiern Steuern zahlen zu lassen. Als nun aber die Höhe festgestellt werden sollte, und das preussische Feldkriegscommissariat die schlesischen Stände

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4 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

nach längeren Verhandlungen schliesslich direct fragte, was sie zu zahlen schuldig seien, erfolgte prompt die Antwort: nach Ausweis der Privi- legien gar nichts. Darauf erklärte Friedrich den Ständen, ihrer nicht weiter zu bedürfen, und ging nun daran, in Schlesien ein neues Steuer- system auf moderner Grundlage einzurichten mit Berücksichtigung einiger schon vorhandenen Ansätze.

Der Vortragende gab nun zunächst einen Rückblick über die Steuer- verhältnisse Schlesiens zu österreichischer Zeit. Nach den alten Wla- dislaw’schen Privilegien brauchten die Stände ihrem obersten Landes- herrn nur solche Steuern zu zahlen, die mit ihrer Einwilligung erhoben wurden. Diese Privilegien bestätigten auch die Habsburger bei ihrer Besitznahme Schlesiens. König Ferdinand I. war durch seinen Geld- mangel und durch die Türkennoth gezwungen, die Stände 1527 um eine Geldhülfe anzugehen. Wegen der Türkengefahr ging man bereitwillig darauf ein, eine Selbsteinschätzung wurde im ganzen Lande vorgenommen, ein Jeder gab sein Vermögen liegend und baar selbst an, und als Ge- sarmmtsumme für Schlesien, „als Indietion“, ergab sich der Betrag von 11 Millionen Thalern. Davon wurden nun gewisse Procente erhoben, und Ferdinand gab den Ständen einen Revers, dass dies ihren Privilegien unschädlich sein sollte. Allein der König sah sich in der nächsten Zeit wiederholt gezwungen, von seinen Ständen eine solche ausserordentliche direete Steuer zu erbitten, da seine sonstigen Einnahmen nicht genügenden Ertrag abwarfen, und bald geschah es in immer kürzeren Zwischen- räumen, von 1570 an jährlich, Bis zum Ende der österreichischen Herrschaft hat nun der im Jahre 1527 aufgestellte Kataster allen fol- senden Einschätzungen zur Grundlage gedient. Da jedoch 1527 auch das mobile Kapital des Einzelnen in Berechnung mit eingezogen worden war und auch sonst die im Laufe der Zeit eingetretenen Verschiebungen im Wohlstand nicht weiter berücksichtigt wurden, indem die einmal angegebene Indietion auf dem Stand wie auf dem Einzelnen fest haften blieb, so dass viele Grundstücke Nonentia, d. h. zahlungsunfähig wurden, so musste dadurch naturgemäss die Indietion immer mehr zurückgehen; 1570 z. B. betrug sie nur noch 8, 1649 nur 7'),, 1671 nur noch 6 Millionen Thaler. Die nicht einzutreibenden ,„‚Nonentia“ schwollen immer mehr an, und diejenigen, die noch zahlen konnten, mussten einen immer höheren Procentsatz entrichten. Erst im Anfang des 18. Jahr- hunderts glaubte man auf dem Wege der indirecten Besteuerung, wie sie Kaiser Ferdinand I. schon geplant hatte, die Staatseinkünfte mehren, wie auch gleichzeitig den Druck der Besteuerung mindern zu können. Mit der Einrichtung der Aceise erreichte man jedoch den gewünschten Zweck nicht, da ein ausgedehntes Schmuggelwesen und die Nothwendig- keit, das Beamtenpersonal erheblich zu verstärken, die Mehreinnahmen wieder aufzehrten. Man dachte daher bald daran, zum alten System

III. Historisch-staatswissenschaftliche Abtheilung. 5

zurückzugehen, aber ein neuer Kataster war dazu unbedingt nothwendig. Für diesen wurde die Ertragsfähigkeit der Güter zu Grunde gelegt. Die preussischen Waffen unterbrachen die Arbeit. Nach Heimschiekung der schlesischen Stände richtete nun König Friedrich das Steuersystem in Schlesien auf märkischem Fusse ein; altpreussische Beamte übernahmen zunächst die Einführung der Aceise für die ummauerten Städte und der Contribution für die übrigen Städte und das flache Land. Da der König bei der Huldigung der Stände auf eine Erhöhung der directen Steuerlast für alle Zeiten verzichtet hatte, andererseits aber mit der Höhe der ge- sammten jährlichen Steuersumme sehr unzufrieden war, da er die feste Ueberzeugung hegte, dass er bei den Zöllen von den Kaufleuten, ganz besonders aber von den jüdischen, betrogen würde, rief er 1766 eine Steuerreform ins Leben, die ‚„Regie“. Friedrich gedachte die Reform aufs humanste einzurichten, die Nahrungsmittel des Armen, Brot und Schweinefleisch, sollten gar nicht besteuert, die Luxusgegenstände da- gegen möglichst hoch besteuert werden. Der Franzose Launay wollte diesen Plan des Königs mit Hilfe von Landsleuten zur Durchführung bringen. Dies machte die Regie bald im höchsten Maasse unpopulär, eine Menge von Formalitäten erschwerte die Handhabung, und wenn auch die Sätze an sich nicht zu hoch waren, so fühlte sich die Menge doch eben durch die Formalitäten beschwert und glaubte sich zehnmal mehr besteuert, als es in Wirklichkeit der Fall war. Den Tabak und Kaffee monopolisirte der König. Der Tabakanbau wurde begünstigt und nahm bald einen erfreulichen Aufschwung, einen höchst unerfreu- lichen aber nahm der Kaffeeschmuggel. Um ihn unmöglich zu machen, bestimmte König Friedrich, dass nur gebrannter Kaffee in gelötheten Blechbüchsen gekauft werden dürfte, damit geschmuggelter ungebrannter Kaffee beim Brennen sich durch seinen Geruch verrätherisch bemerkbar mache, Besondere Polizeibeamte hatten darauf zu achten und zu diesem Zwecke sogar die Vollmacht, in die Wohnungen eindringen zu können; die „Kaffeeriecher“ taufte sie der Volksmund. Die an sich gut ge- meinten Reformen haben Friedrich dem Grossen aber den besten Theil seiner Popularität gekostet, und man hoffte vom Thronnachfolger die Aufhebung der verhassten Regie. König Friedrich Wilhelm I, hatte sich auch schon vorher in gewisser Weise dazu verpflichtet; die Ab- schaffung der Regie machte ihn gleich allgemein beliebt; gern hätte allerdings ein guter Theil seiner besten Beamten das Tabakmonopol ge- rettet, brachte es doch dem Staate jährlich über eine Million Thaler, Hatte dadurch der Staat einerseits grosse Steuerausfälle, so sollten auf der anderen Seite von nun für die Erhöhung der niedrigen Beamten- gehälter, für Schulen, Kunst und Wissenschaft, für Wegebau viel grössere Mittel, als der sparsame Friedrich II. hierfür zur Verfügung gehabt hatte, flüssig gemacht werden, Auch Friedrich Wilhelm hatte

6 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. den Ständen gegenüber sein Wort verpfändet, den Kataster nie revidiren zu lassen, also die directen Steuern nicht zu erhöhen. Ersatz für die ausgefallenen Einkünfte musste geschafft werden, und so griff man zu den alten Mitteln zurück, d. h. man besteuerte die nothwendigen Lebens- mittel der breiten Masse, Brot und Schweinefleisch. Das war eine grosse Enttäuschung und hatte mancherlei Missstimmung zur Folge; die- selbe war allerdings nicht so gross, wie man es wohl behauptet hat, da die Erhebung der Steuern in milden Formen geschah, und es bewahr- heitete sich auch hier wieder der alte Erfahrungssatz, dass es bei den indireeten Steuern nicht so sehr auf das Object als auf die Form der Besteuerung ankommt.

An den Vortrag schloss sich eine längere angeregte Erörterung, an der sich vornehmlich Staatsanwalt Dr. Keil, Director Dr. Neefe, Prof. Dr. Sombart und Oberbürgermeister Bender betheiligten.

In der am 31. März abgehaltenen dritten (öffentlichen) Sitzung hielt der Syndicus der Handelskammer, Dr. W. Eras, einen Vortrag

Ueber Gesellschaften mit beschränkter Haftung.

Nach einer Charakterisirung der verschiedenen, bereits existirenden Typen von Erwerbsgesellschaften gab er eine Geschichte des vor Kurzem im Reichstage angenommenen Gesetzes, welches die oben erwähnte neue Form der Gesellschaft ins Leben ruft. Er führte sodann die wichtigsten Bestimmungen des Gesetzes auf, um an denselben die Vorzüge und Mängel des Gesetzes zu zeigen, und kam zu dem Resultat, dass die beste Lehrmeisterin, die Praxis, auch an diesem Gesetze zeigen werde, was daran verbesserungsbedürftig sei.

Die vierte Sitzung die letzte vor den grossen Sommerferien fand am 21. April unter zahlreicher Betheiligung statt. In derselben sprach Herr Staatsanwalt Dr. Keil

Ueber das Termin- und Differenzgeschäft an der Börse.

Der Gedankengang des Redners war kurz folgender: Die Rechts- wissenschaft steht zur Zeit den wirthschaftlichen Vorgängen an der Börse schon aus dem Grunde fremd gegenüber, weil der ökonomische Inhalt der einzelnen Börsengeschäfte sich mit der rechtlichen Form derselben noch nicht deckt. Besonders ist dies beim Termingeschäft der Fall, einer besonderen Form des Lieferungskaufs. Gegenstand desselben ist der Handel mit fungiblen Welthandelsartikeln, die, nach Qualität, Quantität, Lieferungstermin stereotyp, sogar die Person der Contrahenten in den Hintergrund treten lassen. Der Terminhandel ist ein zweiseitiges Creditgeschäft, welches, wenn es legal functionirt, eine ökonomisch richtige Preisbildung herbeiführt. Wenn die Preise objeetiv von Vor- rath, Bedarf und Conjunetur, subjeetiv von Angebot und Nachfrage ab-

III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 7

hängen, so hat die Speculation die Aufgabe, den Vorrath nach Bedarf örtlich und zeitlich zu vertheilen, die ungünstigen Einflüsse der Con- junetur abzuschwächen und Mängel der persönlichen Beobachtung zu eliminiren. Arbeitet die Speculation in ökonomisch richtiger Weise, so gleicht sie im Interesse des Consumenten und Producenten die Preise immer mehr aus, wie andererseits der Terminhandel die Grosskaufleute beim Import und Export von Waaren durch Abstossen des Verwerthungs- risikos gegen allzu grosse Verluste sichert. Dass die Wirkungen that- sächlich erzielt sind, geht aus der Abnahme der Preisdifferenzen der Waare, aus dem Verschwinden der Irrthümer der Speculation über die künftige Gestaltung des Preises, sowie aus einer günstigen Einwirkung auf den Verkehr im Locogeschäft hervor. Auswüchse des Termin- geschäfts, wie eine Verschärfung der Conjunctur, künstliche Preisbildung durch eine kapitalkräftige Partei sind unleugbar, aber gegenüber dem Nutzen für den Grosshandel verschwindend. Der geringen Qualität des Lieferungsgetreides ist der Handelsminister bereits entgegengetreten.

Das Differenzgeschäft zeigi juridisch dieselbe Physiognomie wie der Terminhandel; ökonomisch hat es eine andere Bedeutung. Es beabsichtigt nur die Ausgleichung des Vertragspreises mit dem Preise am Stichtage, kann daher nur secundär und unfreiwillig als Begleiter des Termin- handels productiv wirken. Die Contrahenten creditiren sich nicht mehr in Höhe des Werthes der Waare, sondern für den Betrag der ver- muthlichen Differenz. Eine Statistik des Differenzgeschäfts lässt sich nicht geben, nur kann vermuthet werden, dass, wenn z. B. in Budapest nur 12 pCt. der Schlüsse an der Productenbörse durch Uebergabe, 88 pCt. dagegen ohne Dazwischenkunft von Waare erledigt werden, ein grosser Theil der letzteren Geschäfte von Anfang an als Differenz- geschäfte beabsichtigt wurden. Anzeichen, dass der Börsenhandel dem Schadensersatzanspruch gegen den säumigen Contrahenten immer mehr den Charakter einer abstracten Differenzforderung geben will, sind in den Bestimmungen der Berliner, Breslauer, Bremer und sonstiger Börsen zur Genüge vorhanden. Der Rücktritt vom Vertrage ist häufig zu Gunsten der blossen Differenzzahlung ausgeschlossen. Auch existiren bereits Liquidationskassen für Kaffee und Zucker in Hamburg und Magde- burg, welche statutenmässig als Gegencontrahenten der Käufer und Ver- käufer auftreten und die Differenzen schon vor Eintritt des Kündigungs- termins reguliren. Als Mittel der Abwehr, um den gerechten Preis der Waare gegenüber künstlichen Beeinflussungen zu schützen, muss ein Abschneiden des sachlich falschen Credits und eine corporative Gliede- rung des Börsenhändlerstandes bezeichnet werden. Die Klaglosstellung des Differenzgeschäfts, die moralisch gerechtfertigt ist, nützt wenig, da die Jobber im eigensten Interesse ihre Verpflichtungen an der Börse erfüllen werden. Börsentechnisch ist ein Verbot der oben charakteri-

8 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

sirten Abwickelungsvorschriften bestimmter Liquidationskassen am Platze, wie ja der Getreidehandel in Berlin ohne eine derartige Bestimmung florirt. Ferner ist das einseitige Hervorheben der Differenzelausel in den Sehlussscheinen zu untersagen, und sind Prämiengeschäfte überhaupt zu verbieten. Da das Privatpublikum weder des Differenz- noch des Termingeschäftes wirthschaftlich bedarf, so würde eine Klaglosstellung aller darauf abzielenden Verträge zwischen einem Privatmanne und einem Börsenhändler einschneidend wirken, wie denn auch der Börsenhändler nicht mehr als Selbsteontrahent in einem mit einem Privatmanne abge- schlossenen Commissionsvertrage auftreten dürfte. Ein Börsenregister, welches nur Kaufleuten, die mit Waaren und Eiffeeten handeln, offen steht, würde den berufsmässigen Zusammenschluss der Börsenhändler herbeiführen, dem dann ohne Schaden eine schärfere Controle bei Fest- stellung der Course ohne Berücksichtigung offenbarer Differenzgeschäfte im Wege der Selbstverwaltung zu übertragen wäre.

Gegen obige Ausführungen, insbesondere gegen die Möglichkeit, das Differenzgeschäft ohne Schaden für den effectiven Handel zu beschränken, sprachen sich die Herren Stadtrath Kopisch und Bankier Holz aus der Fülle ihrer Erfahrungen aus.

Im Winter-Semester wurden die wissenschaftlichen Sitzungen der Section am 1. December wieder aufgenommen. Nachdem der Vor- sitzende, Professor Dr. Elster, zunächst einige geschäftliche Angelegen- heiten erledigt hatte, ertheilte er Herrn Ober - Regierungsrath a. D. Schmidt das Wort zu dem Vortrage

Ueber die Arbeiterwohnungsfrage.

Dem Vortrage sei Folgendes entnommen: Seit 1840 haben die furchtbaren Wohnungszustände in London und den englischen Fabrik- städten die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Die deutsche Städtestatistik zeigte, dass dieselbe offene Wunde in unserem Lande bestehe, und der Verein für Socialpolitik nahm sich der Sache energisch an in der richtigen Erwägung, dass die Wohnung der Mittelpunkt in wirthschaftlicher und sittlicher Beziehung sei. In erster Linie müsse dafür gesorgt werden, dass der Arbeiter sich zu Hause wohl fühle. Nun herrscht aber die Arbeiterwohnungsnoth, wie Pastor von Bodelschwingh nachgewiesen hat, in allen Städten, und in seinem Nachweis spielt be- sonders Breslau eine traurige Rolle. Unter den 77174 bewohnten Wohnungen daselbst befinden sich 41962, welche nur ein heizbares Zimmer besitzen, und in diesen wohnt die Hälfte der Bevölkerung; es kommen ferner auf eine Wohnung mit einem heizbaren Zimmer durch- schnittlich 3,7 Einwohner, Es haben von 1000 Familien 600 nur ein einziges heizbares Zimmer zur Verfügung. Wohnungen mit einer Mieths- stufe bis 100 Mark giebt es 8513, bis zu 200 Mark deren 35 018. Die

II. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 9

Noth ist hier also nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Der Bedarf an Mittelwohnungen wird immer gedeckt werden, da die Speculation dann sofort eintritt, wenn ein Mangel sich fühlbar macht; bei den Arbeiterwohnungen trifft dies aus verschiedenen Gründen nicht zu. Es kann aber auch der Arbeiter für seine Miethe, welche zudem vielfach '/, seines Einkommens wegnimmt, nicht mehr geben, andererseits ist auch der Sinn für eine bessere Wohnung dem Arbeiter vielfach ver- loren gegangen, und die herrschende Genusssucht macht es sehr schwer, dagegen anzukämpfen. Trotz alledem darf dies nicht zur Entmuthigung führen; denn ganz abgesehen von der sittlichen Pflicht eines Jeden, der mit äusseren Gütern gesegnet ist, seinen nothleidenden Mitmenschen, soviel an seinem Theile ist, zu helfen, verspricht die Herstellung besserer Arbeiterwohnungen die Erweckung des Antriebs in der Arbeiter- bevölkerung solche zu erlangen, und dies hat die weitere Folge, dass die schlechteren Arbeiterwohnungen im verstärkten Maasse zum Angebot kommen und dadurch billiger werden.

Die Lösung der Arbeiterwohnungsfrage wird daher bedingt sein:

1. durch Verringerung der Wohnungsmiethe,

2. durch Verbesserung der Wohnung trotz des billigeren Preises,

3. durch Verbesserung der wirthschaftlichen Lage des Arbeiters,

4. durch eine grössereW erthschätzung der Wohnung seitens desArbeiters.

Der Vortragende führte nun an einer Reihe von Beispielen die mannigfaltigen Bestrebungen vor, mit welchen man der Arbeiterwohnungs- noth abzuhelfen einen Anfang gemacht hat. Vielfach sind die Arbeit- seber von selbst gezwungen, um sich einen Stamm geübter Arbeiter zu erhalten, Arbeiterwohnungen zu bauen. Der Staat ist hierin häufig vorangegangen. Redner erinnerte ferner an Saarbrücken, Essen, an Königshütte, Borsigwerk, Laurahütte u. s,. w. In den Grossstädten sind die Verhältnisse ganz anders, da es hier im Allgemeinen keine dauernden Arbeiten giebt. Aushilfe können hier die Baugenossenschaften, nament- lich solehe mit beschränkter Haftpflicht, geben. Hierbei hat man schon manchen Erfolg erreicht.

Nach Schilderung der in Flensburg erreichten Ergebnisse besprach der Vortragende die Bemühungen von Schrader und Wohlgemuth in Berlin, in den Vororten, in Adlershof und Lichterfelde billige Arbeiter- wohnungen zu bauen, Allein es dürfe nicht verkannt werden, dass nur ein geringer Theil der unteren Klassen, welche ein regelmässiges, wenn auch geringes Einkommen haben, davon Genuss haben kann, Unter diesen Bestrebungen, dem Arbeiter durch das Cottagesystem ein eigenes Haus zu verschaffen, erachtet der Vortragende das vom Pastor von Bodelschwingh zu Elberfeld ins Leben gerufene Patronagesystem als das beste. Fünf bis sieben Mitglieder üben ein Patronat aus und beauf- sichtigen die Genossenschaft. Mitglied wird Jeder, welcher in die Bau-

10 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. sparkasse Einlagen macht; aus dem Miethsverhältniss tritt das miethende Mitglied dann in das Eigenthumsverhältniss ein, wenn ein Drittel des Kaufpreises eingezahlt ist. Mit 500 Mark Einzahlung beginnt die Be- dingung zum Grundstückserwerb. Im Anschluss hieran erhielt die im Jahre 1847 ins Leben gerufene Berliner gemeinnützige Baugesellschaft, welche jetzt ebenso wie die Alexandra-Stiftung die Herstellung von Miethshäusern mit Prämienbewilligung an die Miether unternimmt, eine genauere Besprechung. Diese Gesellschaft hat im Gegensatz zu den Einzelhäusern zu den Etagenhäusern gegriffen, und dies ist für die Gross- städte auch in der That das geeignetste Mittel, um auf dem Wege ge- meinnütziger Bestrebungen dem Arbeiterwohnungsmangel in umfassender Weise abzuhelfen. Mit Unrecht verbindet sich für Viele damit der Begriff „Arbeiterkaserne‘‘ und „Arbeiterviertel“. Nach Würdigung der neuerdings in Berlin von Malachowsky und Freund hierüber aufgestellten Gesichtspunkte behandelte der Vortragende zum Schluss die jetzt in Hamburg in grossartigem Maassstabe geplante Herstellung von gesunden und wohlfeilen Arbeitervierteln.

Der Vorsitzende, Professor Dr. Elster, sprach hierauf dem Vor- tragenden den Dank für seine gehaltvollen Ausführungen aus und er- öffnete die sich anschliessende Debatte. Es sei seines Erachtens doch fraglich, ob durch diese im Vortrage aufgezählten Bemühungen ein befriedigendes Ergebniss für die grosse Mehrzahl erreicht werden könne; er griff hierbei auf den im vorigen Jahre zu Frankfurt a. M. versammelt gewesenen Armenpfleger-Congress zurück, wo zwei Richtungen sich geltend gemacht hätten, von denen die erste eine Lösung der Arbeiterwohnungs- frage durch den Bau von Wohnungen erhofft, die zweite vor Allem ein Ein- greifen der Gesetzgebung in Bezug auf den Miethsvertrag, eine Erweiterung des Kreises der pfandfreien Gegenstände u. s. w. erstrebt habe.

Hierauf schilderte Commissionsrath Milch die von ihm als Häuser- verwalter gemachten Erfahrungen. Er hob hervor, dass der Unter- nehmergewinn noch nicht 3 pCt. betrage, weil das Wohnungsbedürfniss des Arbeiters ganz unregelmässig sei und eine Verbilligung der Arbeiter- wohnungen dadurch zur Unmöglichkeit gemacht würde, dass der Arbeiter zum Abschluss eines längeren Contractes sich nicht verstehen könne und die Wohnung derartig einwohne, dass die Renovationskosten jähr- lich 'j, des Miethsertrages wieder wegnähmen. Ein seinen Miethern gemachter Vorschlag, bei einem dreijährigen Miethsabschluss auf die Miethe für das letzte Vierteljahr verzichten zu wollen, da hierdurch dann die Renovationskosten für zwei Jahre wegfielen und bei längerem Verweilen in denselben Wohnräumen letztere mehr geschont würden, habe bisher wenig Anklang gefunden.

Nach weiteren Erörterungen fand erst in vorgerückter Stunde die angeregte Debatte ihren Abschluss.

II. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 1

Die sechste Sitzung am 15. December 1892 fand in dem neuen Verwaltungsgebäude der Alters- und Invaliditätsversicherungs- Anstalt für die Provinz Schlesien statt. Die zahlreich versammelten Mitglieder und Gäste wurden von dem Vorsitzenden der Anstalt, Ober- Bergrath a. D. und Landesrath Kratz durch eine Ansprache begrüsst. Nachdem der Vorsitzende der Section den Dank der Gesellschaft für die Zugänglichmachung der Anstaltsräume und Kenntnissnahme ihrer Ein- richtungen ausgesprochen hatte, gab er dem Mathematiker der Anstalt zu seinem angekündigten Vortrage das Wort.

Herr Dr. Ernst Wagner sprach:

Ueber die statistischen Grundlagen und Ergebnisse des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes.

A. Die statistischen Grundlagen des Gesetzes.

In den $S$ 19 bis 21 des Gesetzes vom 22. Juni 1389, welche von der Aufbringung der Mittel handeln, finden wir das versicherungstech- nische Problem aufgestellt, dessen Lösung in der Ermittelung von vier Zahlen besteht, nämlich in der Berechnung der wöchentlichen Beiträge für jede der vier durch das Gesetz gebildeten Lohnklassen. An den Mitteln zur Gewährung der Invaliden- und Altersrenten betheiligt sich das Reich durch Zahlung eines festen Zuschusses von 50 Mark jährlich zu jeder Rente, ferner übernimmt es den auf die Dauer militärischer Dienstleistungen entfallenden Antheil der Rente ($ 28), trägt die Kosten des Reichsvereicherungsamtes und besorgt endlich die unentgeltliche Aus- zahlung der Renten an die Empfänger durch die Reichspostverwaltung-»

Alle übrigen Ausgaben für Renten und Verwaltung sind durch laufende Beiträge der Versicherten und deren Arbeitgeber zu gleichen Theilen aufzubringen und für jede Kalenderwoche zu entrichten, in welcher der Versicherte in einem die Versicherungspflicht begründenden Arbeits- oder Dienstverhältniss gestanden hat. Zum Zwecke der Be- messung der Beiträge und der Berechnung der Rentenhöhe sind folgende Klassen des Jahresarbeitsverdienstes und der Steigerungssätze der Renten festgestellt worden:

Steigerungssatz für jede vollendete Beitragswoche der

Lohnklasse Jahresarbeitsverdienst Invalidenrente Altersrente I bis 350 Mark einschl. | 2 Pfennige 4 Pfennige II mehr als 350—550 Mark 6 - 6 £ III a4Ea0530:= 850 9 - 8 E

IV , - 850 Mark 13 = 10 -

12 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Bei Berechnung des von den nach $ 41 d. G. gebildeten Versicherungs- anstalten zu zahlenden Theiles der Invalidenrente wird ausserdem ein fester Betrag von 60 Mark jeder Rente hinzugefügt. Bei der Alters- rente, welche beim Eintritt in das 71. Lebensjahr beginnt, werden 1410 Beitragswochen in Anrechnung, und wenn mehr als 1410 in ver- schiedenen Lohnklassen entrichtet wurden, die in den höchsten Lohn- klassen entrichteten Beiträge in Ansatz gebracht.

Für die als Beitragszeit geltende Dauer bescheinigter, mit Erwerbs- unfähigkeit verbundener Krankheit von 7 oder mehr aufeinander folgen- den Tagen, sowie militärischer Dienstleistungen wird bei Berechnung der Rente die Lohnklasse II zu Grunde gelegt.

Unter Berücksichtigung dieser in Folge von Krankheiten entstehen- den Ausfälle sind die Beiträge so zu bemessen, dass durch dieselben gedeckt werden

1. die Verwaltungskosten,

. die Rücklagen zur Bildung eines Reservefonds,

. die durch Erstattung von Beiträgen voraussichtlich entstehenden Aufwendungen,

4. der Kapitalwerth der von der Versicherungsanstalt aufzubringenden Antheile an denjenigen Renten, welche innerhalb jeder der fünf- jährigen Beitragsperioden (während welcher eine Aenderung der Beitragshöhe nicht erfolgen darf) voraussichtlich zu bewilligen sein werden.

Se So)

Die erste Beitragsperiode ist auf zehn Jahre vom Inkrafttreten des Gesetzes an festgesetzt, die Rücklagen zum Reservefonds sind so zu bemessen, dass am Schlusse derselben ein Fünftel des in dieser Periode den Versicherungsanstalten zur Last gefallenen Rentendeckungskapitals vorhanden ist.

Ist am Schlusse der Periode auch das Deckungskapital für die inner- halb derselben endgiltig bewilligten und bei Beginn der neuen Periode noch nicht erloschenen Renten vorhanden, so haben die während der abgelaufenen Periode erhobenen Beiträge genau den durch das Gesetz gestellten Forderungen entsprochen.

Die vier Zahlen, welche im $ 96 des Gesetzes die wöchentlichen Beiträge der vier Lohnklassen für die erste zehnjährige Beitragsperiode festsetzen, sind daher gewissermaassen die Quintessenz des statistischen Materials, auf welchem sich das Gesetz aufgebaut hat eine Beleuch- tung der statistischen Grundlagen gestaltet sich somit zu einer Entstehungs- geschichte dieser Zahlen, wobei jedoch hier von einer Darlegung der mathematischen Entwickelungen abgesehen werden soll,

Die erforderlichen statistischen Nachweise zerfallen in der Haupt- sache in folgende vier Gruppen:

III. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung. 13

1. die Invaliditätstafeln,

2. die Sterbetafeln, |

3. die Tafeln der Heirathswahrscheinlichkeiten weiblicher Versicherter, bezw. der Wahrscheinlichkeiten, Wittwen oder Waisen zu hinter- lassen;

4. die Vertheilung der Versicherten auf die einzelnen Altersjahre und Lohnklassen.

Die unter 1.—3. angeführten Tafeln sind zur Ermittelung von Leistung und Gegenleistung für jeden einzelnen Versicherten nothwendig, die Tafel 4. dient zur Bemessung des Gesammtwerthes der Leistungen seitens aller Versicherten.

Es darf bei der Neuheit dieser grossartigen Collectivversicherung nicht verwundern, wenn die von der Theorie zu fordernden statistischen Unterlagen nicht alle in genügender Vollkommenheit zu beschaffen waren, so dass es ohne einige Hypothesen nicht möglich gewesen wäre, aus den theoretisch woblbegründeten Formeln die verlangten numerischen Werthe darzustellen. Vielmehr wird man erst nach einer durch mehrere Jahrzehnte hindurch fortgesetzten Wirksamkeit des Gesetzes in der Lage sein, für alle in Betracht kommenden Fragen ein Material von gleich- mässiger Zuverlässigkeit und Genauigkeit zu besitzen, und insofern „muss das Gesetz sich seine Statistik selbst schaffen“. ')

1. Bereits bei der Tafel der Invaliditätswahrscheinlichkeiten be- gegnen wir der Nothwendigkeit, plausible Hypothesen zuzulassen, inso- fern solche Werthe nur für männliche, nicht aber für weibliche Personen gegeben sind. Man war also zu der Annahme genöthigt, die gleichen Werthe für beide Geschlechter zu verwenden. Nach kritischer Sichtung aller bisher publieirten Invaliditätstafeln entschied man sich für die „Invaliditätstafel für Arbeiter verschiedener Berufszweige“ von G. Behm, welche den Berechnungen der Belastung durch Renten zu Grunde gelegt wurde. Die Werthe derselben sind vom 16. Lebensjahre an für 5 zu 5 Jahre unter Spalte 2 der Tabelle I mitgetheilt.

Die ersten Erhebungen über Invalidität begannen im Jahre 1868 seitens des Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen in Bezug auf die Eisenbahnbeamten, und wurden später auch auf die Eisenbahnarbeiter ausgedehnt. Sie zeigen bei dem Nichtzugpersonale nur wenig höhere, bei dem übrigen Personal bereits beträchtlich höhere Werthe als die Tabelle I, mit Ausnahme der ältesten Jahrgänge, welchen jedoch wegen der geringen Anzahl, aus denen die Wahrscheinlichkeiten abzuleiten waren, nicht besonderes Gewicht beizulegen ist.

Y) Commentar von R. Bosse u. E. v. Woedtke, Dritter Abdruck, Leipzig 1891, pag. 128,*

14 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Ein ähnliches Verhalten zeigt die von Zillmer 1884 veröffentlichte Invaliditätstafel des Gewerkvereins der deutschen Maschinenbau- und Metallarbeiter, deren bei den jüngeren Jahrgängen ziemlich hohe Werthe eine grössere Unfalls-Invaliditätswahrscheinlichkeit enthalten, während sie vom 47. Lebensjahre niedriger sind als die von Behm angegebenen.

Weder die von Kaan 1885 mitgetheilten Invaliditätstafeln aus der Statistik der österreichischen Bruderladen, noch die von verschiedenen Autoren gegebenen Tafeln aus Erfahrungen der preussischen Knappschafts- kassen konnten wegen der sowohl untereinander erheblich differirenden, als auch die Behm’schen Tafelwerthe stellenweise bis um das Vierfache übertreffenden Wahrscheinlichkeiten weiter in Betracht gezogen werden.

Dass die Behm’sche Tafel zum mindesten ausreichend hohe Inva- liditätswahrscheinlichkeiten liefert, ergiebt eine Vergleichung der Anzahl der im Jahre 1836 invalide gewordenen Eisenbahnarbeiter deutscher Ver- waltungen mit der berechneten Zahl der Invaliden; der Fehler der Rech- nung belief sich auf 6 pCt., da Beobachtung Rechnung 206 218,6 war.

Eine fernere Gelegenheit zur Prüfung ergab sich in der Gesammt- zahl der in der Berufsstatistik vom 5. Juni 1882 erhobenen, in Folge von Krankheit, Verletzung und Altersschwäche invalid gewordenen Per- sonen aller Berufszweige. Indessen konnten diese Zahlen nicht unmittel- bar zur Ableitung von Invaliditätswahrscheinlichkeiten Verwendung finden, da sich herausstellte, dass die nachgewiesenen „Fälle von Erwerbsunfähig- keit‘‘ keineswegs alle Invaliden umfassen konnten. Es zeigte sich z. B., dass die thatsächlich vorhandene Anzahl von Invaliden der Knappschafts- kassen am Erhebungstermine nahezu um 30 pCt. grösser war, als die der Erwerbsunfähigen im Bergbau und Hüttenwesen der Berufsstatistik.

Hiernach erschien die Annahme gerechtfertigt, dass der procentische Zuschlag für die Anzahl der vorhandenen Invaliden bei den übrigen Berufszweigen noch beträchtlich höher zu bemessen sein dürfte, da der Begriff der Berufsinvalidität sich in der langen Praxis des Berg- und Hüttenwesens wohl am schärfsten präcisirt haben dürfte. Man entschloss sich zu einer Erhöhung von 60 pÜt., so dass statt 554031 Invaliden der Berufsstatistik, 886450 Invaliden in Rechnung gestellt wurden. Aus den 10jährigen Altersgruppen wurden die Werthe für 1jährige Altersklassen graphisch abgeleitet, und hieraus die Verhältnisszahlen aller Versicher- ungspflichtigen zu den Invaliden berechnet. Unter der Annahme, dass die Anzahlen der Ueberlebenden der Absterbeordnung der männlichen Bevölkerung des Deutschen Reiches sich auf jeder Altersstufe ebenso in Active und Invalide theilen, wie die eben erwähnten Verhältnisszahlen angeben, lassen sich nun, wenn die Sterbenswahrscheinlichkeiten der Invaliden gegeben sind, für jedes Lebensjahr die Invaliditätswahrschein- lichkeiten ausrechnen,

III. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung. 15

Die Ausführung dieser Rechnnng ergiebt bis etwa zum 33. Lebens- jahre etwas höhere, von da ab beträchtlich niedrigere Werthe der Inva- liditätswahrscheinlichkeit nach der Berufsstatistik, im Vergleich zu der Behm’schen Tafel. Hiernach gewährt die dem Gesetze zu Grunde liegende Invaliditätstafel eine weitgehende Sicherheit der Rechnung, da sie jedenfalls mit zu grossen Wahrscheinlichkeiten rechnet. Da die Unfallsinvaliden bereits der reichsgesetzlichen Fürsorge unterliegen, die Unfallswahrscheinlichkeiten aber in der Behm’schen Tafel noch mitent- halten sind, so sind die Werthe derselben entsprechend zu verringern, und zeigte es sich als ausreichend, diese Verringerung durch den Coefficienten 0,87 zu bewirken, mit welchem alle Belastungsziffern für Invalidenrente multiplieirt wurden.

2. Die Sterbetafel zerfällt der Natur der Sache entsprechend in zwei ganz verschiedene Theile

a. in die Sterbenswahrscheinlichkeiten für Invalide,

DES e - Active, welche ohne vor-

hergehende Invaliditätserklärung versterben.

Die Verwendung derselben Sterbetafel für Invalide und Active würde zu einer ganz überflüssigen Belastung führen, da die Unterschiede der Sterblichkeiten sehr beträchtlich sind. Es stellt sich z. B. für inva- lide Eisenbahnbeamte im Alter von 40 Jahren die Sterbenswahrschein- lichkeit auf 0,0622 in einem Jahre, während für gleichaltrige Active dieselbe nur 0,0105 beträgt.

Aehnliche Verschiedenheiten zeigen sich auch für die Bergarbeiter, so dass die „Tafel der Sterblichkeit pensionirter Eisenbahnbeamter von J. Zimmermann‘!') durchaus geeignet erschien, als Grundlage für die Sterbetafel aller Invaliden angenommen zu werden (siehe Spalte 3 Tab. I), weil die Werthe niedriger sind, als die für sonstige Berufszweige bisher bekannt gewordenen, Da dieselben in den höheren Lebensjahren sogar unter die der „Deutschen Sterbetafel‘“ heruntergingen, wurden vom Alter von 69 Jahren die Wahrscheinlichkeiten der letzteren substituirt. Sehr bemerkenswerth ist die hohe Sterbenswahrscheinlichkeit sehr junger In- validen, welche nahezu so gross ist, wie die der über 70jährigen, welche Erscheinung sich ganz gleichmässig bei den Invaliden der preussischen und österreichischen Bergarbeiter wiederholt. Es erklärt sich dies durch das Ueberwiegen der geringeren Sterblichkeit der bereits „‚gekräftigten‘“ Invaliden in höheren Altersklassen über die grössere Sterblichkeit der neu hinzutretenden Invaliden, während das Umgekehrte bei den jüngeren Jahrgängen stattfindet.

Behufs der Berechnung der Anwartschaft auf Rente bedarf man ferner der Activitätsordnung, also derjenigen Tafel, welche angiebt, wie

\) Ueber Dienstunfähigkeit- und Sterbensverhältnisse, Berlin 1886, 1887 1888,

16 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

viele von einer bestimmten Anzahl gleichaltriger Activer in den fol- genden Lebensjahren noch activ vorhanden sind.

Schliesslich ist noch eine Tafel der Wahrscheinlichkeitswerthe für Active, ohne vorherige Invaliditätserklärung im Laufe des Jahres zu sterben, aufzustellen, welche bei der Berechnung der Wahrscheinlichkeit von Beitragserstattungen an hinterbliebene Wittwen oder Waisen in Betracht kommt. Unter der Vorausssetzung, dass bei der versicherungs- pflichtigen Bevölkerung des Deutschen Reiches die Summe der Activen und Invaliden sich auf die verschiedenen Lebensjahre ebenso vertheilt, wie die Gesammtbevölkerung des Reiches, kann die Absterbeordnung der letzteren zugleich als die Absterbeordnung der versicherungspflichtigen Bevölkerung dienen. |

Als eine sehr wesentliche statistische Grundlage ist demnach auch die „Deutsche Sterbetafel“') anzusehen, da sich aus derselben, unter Hinzuziehung der beiden bereits angeführten Tafeln erstens die Activitäts- wahrscheinlichkeiten (siehe Spalte 5), zweitens die Sterbenswahrschein- lichkeiten der Activen (siehe Spalte 4) ermitteln lassen. Nach den bis- herigen Erfahrungen scheinen sich die allgemeinen Sterbenswahrschein- lichkeiten für Arbeiter geringer als für den Durchschnitt der Bevölkerung zu stellen, so dass mit der Benutzung letzterer keinesfalls zu geringe Belastungsziffern in den Voranschlägen eingeführt worden sind.

Alle bisher angeführten Tafeln, welche in Tabelle I im Auszuge mitgetheilt werden, gelten sowohl für männliche, als auch für weibliche Versicherte, was unbedenklich statthaft sein dürfte; denn wenn z. B. auch in der Deutschen Sterbetafel vom 27.—57. Lebensjahre die Sterbens- wahrscheinlichkeiten für das weibliche Geschlecht die für das männliche ein wenig übersteigen, sinken sie in den späteren Lebensjahren merklich unter dieselben, so dass die angewandten Werthe im Gesammtdurch- schnitt wohl als zutreffend angesehen werden dürfen.

3. Die in dem ursprünglichen Entwurfe nicht vorhandenen, sondern erst im Laufe der Commissionsberathungen eingeführten Rückerstattungen des von den Versicherten geleisteten Antheiles der Beiträge im Falle der Verehelichung einer weiblichen Person, oder des Versterbens mit Hinter- lassung einer Wittwe bezw. von Waisen unter 15 Jahren ($$ 30 u. 31), machten die Aufstellung von entsprechenden Tafeln nöthig.

Zur Berechnung der Belastung, welche durch Rückzahlung von Bei- trägen an heirathende weibliche Versicherte erwachsen wird, bedarf man erstens der Kenntniss der Wahrscheinlichkeit, dass eine Versicherte eines bestimmten Alters noch ledig, sodann der Wahrscheinlichkeit, dass dieselbe im Laufe eines begonnenen Lebensjahres heirathen wird; ausserdem natür-

t) Monatshefte der Statistik d. Deutschen Reiches 1887 XI. u. Statist. Jahrbuch d. Deutschen Reiches 1891.

IH.

Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung.

17

lich der Vertheilung der weiblichen Versicherten auf die Altersklassen und der zu erwartenden durchschnittlichen Beitragshöhe, wovon noch

weiter unten die Rede sein wird.

Tabelle I. Wahrschein- Wahrschein- - = lichkeit Ö Sterbens- ng lichkeit j £ En ee DRS d Al für weibl. [83 88 = u.2 wahrscheinlichkeit en ä on I) & Se S 5 Versicherte | 2223| <S,. a War 25 ua | 582 fr) ES RZ 2eSefess|i>KS ee ET IS ledig [En |4°8 8 HJ2%S a|le2$ E für | für 2 zu 234 = ° ERS Invalide | Active sein ige Be= ü E ö re ee 1 2 3 4 5 6 a 9 16] 0,00011 | 0,1182 | 0,00451 | 0,99538 | 0,999 | 0,0012] 0 0 20| 0,00019 0,1020 0,00744 | 0,99237 | 0,989 | 0,0777] 0,0145 0,0012 25| 0,00038 | 0,0831 | 0,00835 | 0,99217 | 0,945 | 0,1719| 0,2704 0,0063 30 | 0,00076 | 0,0656 0,00908 | 0,99016 | 0,770 | 0,1241] 0,6395] 0,0330 35| 0,00152 | 0,0639 | 0,01061 | 0,98787 | 0,569 | 0,0730| 0,8260! 0,1338 40| 0,00305 | 0,0622 | 0,01282| 0,98413 | 0,450 | 0,0492] 0,8815) 0,2344 45| 0,00609 | 0,0530 | 0,01554| 0,97837 | 0,394 | 0,0281] 0,8930) 0,3299 50] 0,01218 | 0,0510 | 0,01921| 0,96861 | 0,358 | 0,0142] 0,8978| 0,4142 55| 0,02437 | 0,0485 | 0,02434| 0,95129 | 0,532 | 0,0052] 0,9014| 0,4839 60] 0,04873 | 0,0512 0,03270 | 0,91857 | 0,310 | 0,0017] 0,9052| 0,5380 65| 0,09747 | 0,0629 | 0,04584 | 0,85669| —_ 70| 0,19493 | 0,08108 | 0,07322| 0.731855] _ i51/ 0,3308& | 0.120604 | 0,0956 1 | 0,1453 Vle »b.zunausH elle ao arer o17aao ,10400 |. ee) ara 85 1 0,24363 m 0,0? == ez _ —__

für einjährige Altersklassen graphisch interpolirt werden konnten.

Zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit des Ledigseins (Tabelle I Spalte 6) konnte wieder die Berufsstatistik herangezogen werden, welche dies für zehnjährige Altersklassen ermitteln liess, woraus die Werthe

Die

Heirathswahrscheinlichkeiten dagegen wurden den Angaben von W. Küttner!) entnommen, welcher dieselben für einjährige Altersklassen der Bevölkerung des Königreichs Sachsen berechnet hat (Tab. I Sp. 7), Da nun der Sicherheit halber angenommen wurde, dass alle sich ver- heirathenden weiblichen Versicherten den Antrag auf Rückerstattung

!) Zeitschrift d. Königl. Sächs. Statist. Bureaus 1885.

3 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur. der von ihnen geleisteten Beitragshälfte stellen werden, so ist die Wahr- scheinlichkeit einer Beitragsrückforderung das Product der beiden ge- nannten Wahrscheinlichkeiten für jedes Lebensjahr.

Genau dieselben Formeln gelten für den Fall der Erstattung von Beiträgen an Hinterbliebene. Auch hier ist die Wahrscheinlichkeit einer Beitragserstattung das Product aus der Sterbenswahrscheinlichkeit für Active (Tabelle I Spalte 4) und der Wahrscheinlichkeit, entweder, dass ein männlicher Versicherter eine Wittwe bezw. Waisen unter 15 Jahren hinterlässt, oder dass eine weibliche Person vaterlose Kinder unter 15 Jahren hinterlässt. Diese beiden letzteren Wahrscheinlichkeiten liessen sich ebenfalls mit Hilfe der Berufsstatistik berechnen. Da die erwerbsthätige Bevölkerung auch nach Familienstand und 10jährigen Altersklassen ausgezählt worden war, konnte festgestellt werden, wie viele versicherungspflichtige männliche Personen verheirathet oder ver- wittwet sind. Unter der Annahme, dass jeder in Activität versterbende Wittwer Waisen unter 15 Jahren hinterlässt, können die benöthigten Wahrscheinlichkeitswerthe unmittelbar berechnet werden.

Ganz ebenso lieferte die Berufsstatistik die Wahrscheinlichkeiten, dass bei einem Todesfalle einer erwerbsthätigen versicherten Wittwe dieselbe Waisen hinterlässt, Mangels zuverlässiger Unterlagen konnte für den Fall des $ 31 Abs. 2, dass unter „vaterlosen“ Kindern unehe- liche zu verstehen sind, die Rechnung nicht besonders geführt werden, was sich auch angesichts der sehr weitgehenden obigen Annahmen über zu erwartende Hinterbliebene erübrigen dürfte. Die beiden letzten Wahr- scheinlichkeitswerthe finden sich in Tabelle I Spalte 8 und 9.

4. Ausser diesen 8 Tafeln von Wahrscheinlichkeitswerthen ist die Altersvertheilung der gesammten versicherungspflichtigen Bevölkerung, ihre Anzahl und die Kenntniss der Jahreslöhne von grösster Wichtigkeit für die Bemessung der Beitragshöhe.

Die Altersvertheilung für 10 jährige Altersklassen liefert die Berufs- statistik unmittelbar, die Feststellung der als versicherungspflichtig an- zusehenden Bevölkerung fand nach folgenden Grundsätzen statt. Die Beschäftigungen sind in folgenden 6 Hauptabtheilungen zusammengefasst:

A. Land- und Forstwirthschaft, auch Thierzucht und Fischerei;

B. Industrie inel. Bergbau und Hüttenwesen;

C. Handel und Verkehr inel. Gast- und Schankwirthschaft;

D. Lohnarbeit wechselnder Art und häusliche Dienstleistungen (von

nicht in der Haushaltung Wohnenden);

E. Staats-, Gemeinde-, Kirchen-Dienst, Krankenpflege und sog. freie

Berufsarten ;

F. Von eigenem Vermögen lebende, ohne Beruf und Berufsangabe.

Von diesen 6 Berufsabtheilungen kommt natürlich F überhaupt nicht in Betracht, dagegen musste eine neue Abtheilung geschaffen werden:

III. Historisch-staatswissenschaftliche Abtheilung. 19

G. Dienende für häusliche, nieht gewerbliche Dienste (im Haushalt

der Herrschaft lebend), da dieses Dienstpersonal in der Berufsstatistik nach der Zugehörigkeit ihrer Dienstgeber zu den vorstehenden Abtheilungen dort mitgezählt worden ist,

Ausserdem musste noch die „Stellung im Berufe“ berücksichtigt werden, welche in folgender Weise unterschieden wird:

a. selbstständige, auch sonstige Geschäftsleiter;

b. höheres Verwaltungs- und Aufsichtspersonal, inel. des Bureau-

und Rechnungspersonales,

ec. sonstige Gehilfen und Arbeiter; unter a fallen auch die meisten Arbeiter der Hausindustrie nach der Definition „‚zu Hause für fremde Rechnung arbeitend‘“, durch a fr unter- schieden. %

Nach obigen Bezeichnungen setzte sich die versicherungspflichtige Bevölkerung des Deutschen Reiches wie folgt zusammen:

A: sämmtliche Personen ausser a und °/, der Forstbeamten. Von den im Betriebe des Familienhauptes thätigen Familienmitgliedern (el der Berufsstatistik, weil die Versicherungspflicht derselben nicht allgemein zu bestimmen ist) jedoch nur der dritte Theil;

B: (b + eo;

C: (b + ce), ausser den Eisenbahn-, Post- und Telegraphenbeamten, jedoch mit Hinzufügung von a der See- und Küstenschifffahrt SEIFADSr SR

D: die Hälfte der nachgewiesenen Personen;

E: 3c, Ab, 5 (b + ce), nämlich das Dienstpersonal im Kirchendienst, in Unterrichts-, Erziehungs-, Kunst- und sonstigen Bildungsanstalten, das Warte- und sonstige Dienstpersonal in Krankenanstalten;

G: sämmtliche Personen.

Ferner mussten noch die durch Ableistung ihrer Militärpflicht dem Bestande der Versicherungspflichtigen bei der Zählung entzogenen Per- sonen berücksichtigt werden, um aus dem gesammten Zahlenmaterial die einjährigen Altersklassen richtig ableiten zu können. Wird ferner noch der Bevölkerungzuwachs seit dem 5. Juni 1382 in Betracht gezogen, welcher für die Versicherungspflichtigen wohl nahezu derselbe sein dürfte, wie für die ganze Reichsbevölkerung, so stellte sich für die Mitte des Jahres 1889 die Anzahl der Versicherungspflichtigen auf rund

7 322 000 männliche und 3 696 000 weibliche zusammen 11018000 Personen.

Mit dieser Zahl wurde die Gesammtbelastung der Versicherungs- anstalten und die Höhe des Reichszuschusses berechnet; die wirkliche

Anzahl der beim Beginn der Versicherung erwartungsmässig vorhandenen 9#

30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Personen muss um die Zahl der oben erwähnten Militärpersonen, welche erst nach Beendigung der Dienstzeit in die Versicherungspflicht eintreten, verringert werden. Letztere Zahl war auf rund 270000 zu veranschlagen, so dass hiernach Mitte 1889 10 748 000 Personen von dem Gesetz um- fasst worden wären.

Die Curve der Altersvertheilung der versicherungspflichtigen Be- völkerung beginnt mit vollendetem 16. Lebensjahre bereits mit hohem Werthe, die höchsten Werthe werden vom 18.—19. erreicht, bei den männlichen Personen findet alsdann eine ziemlich schnelle Abnahme bis zum 30., dann eine langsamere, sehr gleichmässige Abnahme bis zum 60. und ein noch langsameres Fallen bis zum 80. Lebensjahre statt.

Bei den weiblichen Personen findet das Fallen der Curve gleich- mässig schnell bis zum 30. Jahre statt, um von da sehr langsam zum Ende abzusteigen, im Alter von 40—50 Jahren tritt ein sehr schwaches secundäres Maximum auf, welches durch den Wiedereintritt verwittweter Frauen in versicherungspflichtige Beschäftigungen zu erklären ist.

Als letzte, aber für die schliessliche Bemessung der zu erhebenden Beiträge wichtigste Grundlage hätten wir nun noch eine statistische Nachweisung beizubringen, welche die Anzahl der Versicherten und die Altersgruppirung derselben innerhalb jeder Lohnklasse vorführt. Doch war kein irgendwie verwendbares Material vorhanden; in diesem Punkte musste man sich also mit einer nicht unbeträchtlichen Unsicherheit der Schätzung begnügen, da eine allgemeine Lohnstatistik, wie sie erforder- lich war, nicht existirte.e Denn man darf nicht vergessen, dass der im Jahre 1883 publieirte Entwurf des Gesetzes nicht die jetzt giltigen Lohnklassen kannte, sondern mit 5 Klassen von „Ortslöhnen‘“ rechnete, deren Jahresdurchschnitt von 300—700 Mark aufstieg. Aus den orts- üblichen Tagelöhnen für die kleineren Verwaltungsbezirke wurden mit Hilfe der Bevölkerungsziffern der durchschnittliche Tagelohn für grössere Verwaltungscomplexe ermittelt, und aus den Durchschnittssätzen dieser mit der Zahl der versicherungspflichtigen Personen schliesslich der Durchschnitt für das Reich berechnet. Als solcher ergab sich 1,53 Mark für männliche, 1,03 Mark für weibliche Personen. Für die 5 Orts- klassen, welche sich bis zu 1,00 Mark, bis 1,40 Mark, bis 1,80 Mark, bis 2,20 Mark und über diesen Betrag an 'Tagelohn abstuften, liess sich die Zahl der zugehörigen Personen aus den Angaben der Volkszählung ziemlich genau ermitteln. Da diese Ortsklassen sich über das ganze Reich vertheilen, muss auch in ihnen dieselbe Altersgruppirung u. s. w. wie für die Gesammtbevölkerung gelten, und die aufgestellten Formeln konnten auf dieselben unmittelbar Anwendung finden.

Diese relativ sichere Grundlage war nicht mehr vorhanden, als in das Gesetz die Lohnklassen eingeführt wurden, denn wie für diese sich die Altersvertheilung stellt, darüber ist nichts bekannt, eben so wenig,

III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 9]

wie viele Versicherte in jeder Lohnklasse sieh befinden, Ferner ist das Verbleiben in derselben Lohnklasse nicht unveränderlich, daher war ein Durchschnitt für den mittleren Jahreslohn aller Lohnklassen mit einiger Sicherheit gar nicht zu bestimmen. Auch ist der Einfluss der zugelassenen Selbstversicherung ($ 8) nicht zu bemessen, und wäre es sehr bedenklich, eine plausible Annahme zu machen, in wie weit von der Befugniss des $ 22 Absatz 2 Gebrauch gemacht werden wird, nach Uebereinkunft zwischen Arbeitgeber und Versicherten einen höheren als den vom Ge- setze festgestellten Jahresarbeitsverdienst für die Beiträge zu Grunde zu legen nur so viel ist a priori wahrscheinlich, dass in den höchsten Lohnklassen vorzugsweise ältere Versicherte sich befinden.

Man war also gezwungen, auch für jede Lohnklasse dieselbe Alters- vertheilung zu Grunde zu legen, wie für die Gesammtheit der Ver- sicherten, und dem hieraus offenbar entspringenden Fehler der Beitrags- bemessung durch einen Sicherheitszuschlag zu begegnen, der auf 15,5 pCt. festgesetzt worden ist. Dieser Zuschlag kann natürlich die in dem Wesen des zur Aufbringung der Mittel gewählten Kapital- deckungsverfahrens begründete allmähliche Erhöhung der Beiträge in bestimmten Perioden nicht verhindern. Nach überschläglichen Berech- nungen kann in dem nach etwa 50 Jahren eintretenden Beharrungs- zustande diese Erhöhung in der I. Lohnklasse etwa die Hälfte, in den übrigen etwa den vollen Betrag der jetzigen Sätze erreichen. Vielleicht wird dieselbe durch das später immer mehr zunehmende Ueberwiegen der jüngeren Altersklassen und möglicherweise geringer werdende Inva- liditätsgefahr niedriger ausfallen, wogegen über etwaige Aenderungen des Geldwerthes keine Annahmen gemacht werden konnten.

Bei der Ermittelung des wöchentlichen Beitrages aus dem für das Jahr rechnungsmässig beizubringenden wurde mit 46 dividirt, da 5 Wochen pro Jahr als durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit, 1 Woche als durchschnittliche Krankheitsdauer jedes Versicherten an- genommen worden sind.

Am Schlusse dieses allgemeinen Theiles möge noch bemerkt werden, dass das theoretisch richtigste System der Beitragserhebung wohl die Bemessung nach dem Individuallohne jedes Versicherten gewesen wäre. Man hätte alsdann einer weit grösseren Anzahl von Lohnklassen bedurft, wäre dann aber in der Lage gewesen, die Renten viel genauer nach dem wirklichen Arbeitsverdienste bemessen zu können, als es bei den in Kraft getretenen vier Lohnklassen thatsächlich möglich ist. ‚Wenn ausserdem die Lohnklassen auf 10—i5 vermehrt würden und die Löhne Deutschlands örtlich gesondert dargestellt würden, so wäre in der That das lohnstatistische Problem so gut wie gelöst.‘ ')

) W. Sombart, Lohnstatistische Studien, Archiv für sociale Gesetzgebung und Statistik, Il, p. 262.

223 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Dies wäre allerdings ein sehr wünschenswerthes, nebenbei zu er- langendes Resultat gewesen, und die in der Berücksichtigung des Indi- viduallohnes begründete Rentenbemessung wurde auch als die gerechteste bei den Berathungen anerkannt. Immerhin erschienen die praktischen Schwierigkeiten bei der Durchführung eines solchen Systems so gross, dass man sich auf die wenigen Lohnklassen, die nach Durchschnitts- löhnen gebildet wurden, beschränken zu müssen glaubte.

Bedenkt man, welche Schwierigkeiten bei der Berechnung in Folge der unvollständigen statistischen Grundlagen zu überwinden waren, und wie erfolgreich hierin der jetzige Vorsteher des Rechnungsbureaus des Reichsversicherungsamtes, Dr. Beckmann, gewesen ist, so kann man der in der Sitzung des Londoner Institute of Actuaries') vom 27. April 1891 gemachten Aeusserung: ‚„‚Ihey must do justice to their actuarian friends in Germany, those actuaries were extremely thorough men. They had done their best with the scanty material at their command“ nur beipflichten.

B. Einige statistische Ergebnisse für die Provinz Schlesien.

Die Berechnung der versicherungspflichtigen Bevölkerung Schlesiens erfolgte nach dem obigen Verfahren auf Grund der Angaben der „Be- rufsstatistik der Staaten und grösseren Verwaltungsbezirke‘‘ (Statistik des Deutschen Reiches, Neue Folge, Bd. 4), wobei für die Alters- vertheilung die Zahlen, welche für die Gesammtanzahl der Versicherungs- pflichtigen im Deutschen Reiche gelten, ebenfalls als maassgebend an- genommen werden mussten. Die Berücksichtigung der Bevölkerungs- zunahme erfolgte proportional dem Anwachsen der bevölkerung Schlesiens, indem sie mit Hilfe der Volkszählungsergebnisse von 1880, 1885 und 1890 aus der Zählung vom 5. Juni 1882 interpolirt wurde. Für das Jahr 1891 stellte sich die Anzahl aller Versicherungspflichtigen Schlesiens auf rund 660000 männliche, 406000 weibliche, in Summa 1066000 Personen, wobei die erst im Laufe des Jahres in das ver- sicherungspflichtige Alter eintretenden, bezw. die erst später aus dem Militärdienst hinzukommenden Personen mitgezählt sind. Man kann an- nehmen, dass jeder neue Jahrgang in maximo 32 000 männliche und 30 000 weibliche Versicherte umfasst, während alljährlich rund 3100 Ver- sicherte das 71. Lebensjahr erreichen, und somit Altersrentner werden, sofern sie nicht schon früher als Invalidenrentner ausgeschieden sind, was später voraussichtlich in grossem Umfange eintreten wird, so dass alsdann die jährlich zu zahlenden Altersrenten nur einen geringen Bruch- theil der Invalidenrenten ausmachen werden.

!) Journal of the Institute of Actuaries. Vol. XXIX, Part. IV, p. 368.

III. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung. 33

Am Schlusse des Jahres 1892 befanden sich 752 871 Quittungs- karten Nummer 1 in dem Archive der Versicherungsanstalt zu Breslau, von denen 981 Stück, also 1.3 pro mille, wegen ungenauer Geburtsdaten nicht eingeordnet werden konnten. Von den eorreet ausgefüllten Karten gehörten 465 234 männlichen, 286 656 weiblichen Versicherten an, so dass sich das Verhältniss der männlichen zu den weiblichen auf 62:38 stellt, annähernd wie 8:5. Von besonderem Interesse ist es nun zu sehen, wie sich die Vertheilung der beobachteten Versicherten auf die einjährigen Altersklassen vollzieht, denn die Curve zeigt sowohl für die männlichen als auch für die weiblichen Versicherten getrennt ein über- aus genaues Abbild der Schwankung der Geburtenzahl im Deutschen Reiche. Abgesehen von der beständig nach den älteren Jahrgängen sinkenden Tendenz der Curve ist es geradezu überraschend, mit wie grosser Ge- nauigkeit die bis jetzt vorliegenden Zahlen den Gang der Geburten- häufigkeit des Reiches auch für Schlesien wiedergeben; die geringste Schwankung von Jahr zu Jahr wird gewissenhaft, wenn auch mit immer kleineren Amplituden bei zunehmendem Alter copirt. Zum Vergleich kann z. B. die im Statist. Jahrbuch des Deutschen Reiches für 1892 Tafel I. gegebene Curve der Geburtenhäufigkeit benutzt werden. (Siehe die Figur.) Es ist nicht anzunehmen, dass die erwartungsmässige Ge-

Vertheilung der Versicherten der Anstalt Schlesien auf die Geburtsjahrgänge am 31. December 1892,

AS 1eE AISTT ‚1806, 106 1856 ,,: eb, 1846 - 1saılas

| 4

42 41 Geborene 40 > 39 auf 1000 Einwohner 38 im Deutschen Reich. 35 34 1836 1831 1826 1821 30000 Pt—— I 30000 25000 I 25000 Männer Frauen Se en BE en Er Er re a Ban) 20000 15000 | 15000 10000 ee 2 = 10000 5000 RS i 5000 Männer

i m el ER tree rer Fee er erBr rer rer erTer re Tauen

136 sl Iseoı Isciriee TEST Tee 18 les 1826 71821

Die obere der beiden Curven stellt männliche, die untere weibliche Versicherte

vor. Die punktirte Strecke bedeutet die später in die Versicherung eintretenden zur Zeit noch in Ableistung des Militärdienstes begriffenen Personen.

34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

sammtzahl aller Versicherten, von der etwa '/, noch nicht zur Kenntniss der Versicherungsanstalt gelangt ist, an diesem Resultat etwas ändern wird; zugleich ist noch zu bemerken, dass von sämmtlichen Versicherten Schlesiens höchstens 6—7 pCt. nicht in Schlesien geboren sind. Diese Angabe beruht allerdings nur auf Schätzung, da die genaue Anzahl der ausserhalb Schlesiens geborenen Deutschen bezw. der Ausländer noch nicht hat zur Ziffer gebracht werden können,

Mit Rücksicht auf die Möglichkeit, dass in der nächsten Beitrags- periode die im $ 24 zugelassene Abstufung derselben nach Berufszweigen innerhalb der Lohnklassen zur Ausführung gelangen könnte, werden nicht allein die sechs grossen Berufsabtheilungen in genauem Anschlusse an die Reichsstatistik bei allen statistischen Erhebungen unterschieden, sondern noch weitergehende Eintheilungen von A und B vorgenommen. A zerfällt in die Berufsgruppe Al: Landwirthschaft, Thierzucht und Gärtnerei, und All: Forstwirthschaft, Jagd und Fischerei, da letztere Gruppe in Schlesien fast am stärksten von allen Versicherungsanstalten vertreten ist, und nahezu eben so viele Versicherte enthält, wie die entsprechende Gruppe in den acht bayerischen Anstalten zusammen. Rücksichten auf die eventuell nicht unbeträchtlich verschiedene Inva- liditätsgefahr und die starke Anzahl der Versicherten in den Gruppen haben ferner veranlasst, von B die drei Gruppen abzutrennen: BIIIL Berg- bau-, Hütten- und Salinenwesen, B IX Textilindustrie, B X1V Bau- sewerbe. Diese römischen Ziffern entsprechen den Gruppenbezeichnungen der Berufsstatistik; zum Unterschiede soll das um drei Gruppen ver- kleinerte B hier durch B bezeichnet werden.

Die erwartungsmässige procentische Vertheilung der Versicherten auf diese 10 Berufsgruppen muss sich nun auch in der Vertheilung der Rentenempfänger widerspiegeln; inwieweit diese Zahlenreihen parallel gehen, zeigt folgende Tabelle II.

Tabelle Il Procentische Vertheilung der Versicherten auf die Berufs-

gruppen.

Mn Altersrentner Invalidenrentner

Berufsgruppe Wan TEN en Te m a RT: 1892 1892 A NE 45,5 Alleis ua 0,8 5,9 4,4 3,4 REN HER” 17,8 8,8 8,7 14,6 BT ee 7,8 1,6 1,7 8,9 RE 4,0 3,2 3,0 3,6 BXIV.. at... 6,2 4,7 7,3 4,0 LEW 5,4 2,1 2,4 1,2 De ren 2,2 16,6 14,9 10,2 in ah 0,7 5,9 4,1 3,8 Era ad 1759 40,5 6,6 10,2 5,2

w = = Ns

II. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 35

Diese Verhältnisszahlen stammen für das Rechnungsjahr 1891 von 13 535 Altersrentnern, deren Renten vom Rechnungsbureau des Reichs- versicherungsamtes endgiltig vertheilt waren, von welchen 612 im Laufe desselben Jahres durch Tod u. s. w. in Wegfall kamen. Für 1892 waren 5035 Altersrenten und 1520 Invalidenrenten endgiltig vertheilt, bereits angewiesen jedoch 6345 Alters- und 2352 Invalidenrenten.

Wiewohl diese wenigen ersten Resultate nur mit Vorsicht zu Schlüssen verwendet werden können, ist doch die gleichmässige Ver- tretung der Landwirthschaft (AI) bei Versicherten, Alters- und Invaliden- rentnern bemerkenswerth, sie beträgt durchweg 45 pCt. aller Betheiligten. Dagegen ist die Forstwirthschaft bei den Altersrentnern etwa 6 mal stärker vertreten, als unter den Versicherten, was auf günstige Gesund- heitsverhältnisse der Forstarbeiter und -Beamten schliessen lassen würde. Das gleiche Verhältniss zeigt sich jedoch bei E, und erscheint es auch plausibel, dass die „Privat- und Communalbeamten‘“, welche E in über- wiegender Zahl enthält, sich in günstigen Lebensverhältnissen befinden. Zieht man jedoch die Zahlen für den Abgang im Laufe des Jahres 1891 heran, so zeigt sich, dass derselbe im Durchschnitt 4,5 pCt. des Zuganges beträgt, bei der Gruppe AII aber nur 3,5 pCt., hingegen bei E 7,4 pCt. erreicht, als höchsten Werth aller Gruppen. Hiernach scheinen die Ge- sundheitsverhältnisse bei E noch weiterer Aufklärung zu bedürfen, es befinden sich unter den Rentnern der Gruppe E viele Gemeindeboten, Nachtwächter, sogar der Beruf ,„Tag- und Nachtwächter‘‘ fand sich an- gegeben. Unzweifelhaft günstig dürften also nur die Forstarbeiter stehen, welche auch die ältesten männlichen Rentner aus den Geburtsjahrgängen 1797 und 1800 gestellt haben.

Die Betheiligung von C ist besonders schwach an den Invaliden- renten, auch bei den Altersrenten erreicht sie noch nicht die Hälfte ihrer erwartungsmässigen Anzahl. Die Gruppe D bietet scheinbar sehr abnofme Verhältnisse, insofern sie bei den Invalidenrenten fast 5 mal, bei den Altersrenten 7—8 mal stärker vertreten ist, als unter den Ver- sicherten. Es wäre jedoch ein Irrthum, für die Gruppe D ganz besondere Eigenthümlichkeiten hieraus construiren zu wollen; es erklärt sich dies vielmehr daher, dass die Gruppe D vielleicht schon in der Berufs- statistik, in hohem Grade aber in der vorliegenden Statistik einen Noth- behelf, sozusagen eine ‚„‚Verlegenheitsgruppe“ darstellt. In der grossen Anzahl von Fällen, wo als Beruf durchgehends nicht nur auf der Quit- tungskarte sondern auch in den Arbeitsnachweisen „Arbeiter‘ angegeben war, blieb keine andere Möglichkeit, denselben einer anderen Gruppe als D zuzuweisen, in Uebereinstimmung mit den Ansichten des Reichs- versicherungsamtes. Auch in den Fällen, wo eine Anzahl ganz ver- schiedener Berufszweige angegeben waren, konnte nicht anders verfahren werden, während „Fabrikarbeiter“ unter B stets einwurfsfrei Platz fand.

36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Die an sich schon sehr schwierige Aufgabe einer correeten Berufs- eintheilung wurde namentlich bei den Altersrentnern noch durch die Schwierigkeit erhöht, unter den häufig mehrfachen Berufsangaben die Nebenberufe einigermaassen treffend auszusondern, um mit statistischen Erhebungen der Berufsarten überhaupt vorgehen zu können; es sollen daher hiermit diese Mängel ausdrücklich hervorgehoben werden.

Aus dieser Unsicherheit der Berufsbestimmung erklären sich leicht die Abweichungen der vom Reichsversicherungsamte für Schlesien an- gegebenen Verhältnisszahlen (Amtl. Nachr. des Reichsversicherungsamtes, Inv.- u. Altersvers., Jahrg. II, p. 40 u. 41) von den in Tab. III mit- getheilten Zahlen.

Dort entfallen für die Altersrentner des Jahres 1891 auf männliche Rentenempfänger der Abtheilung A 57,4 pCt., auf weibliche 59,0 pCt., also 8,0 pCt. bezw. 6,9 pCt. mehr als nach der vorliegenden Tabelle, hingegen auf Abtheilung D 7,3 pCt. bezw. 7,7 pCt. weniger, woraus hervorgeht, dass in den Fällen, wo die landwirthschaftliche Thätigkeit aus den eingereichten Arbeitsbescheinigungen als die überwiegende anzunehmen war, alle diese Fälle der Berufsabtheilung A eingereiht wurden.

Bei den übrigen Gruppen betragen die Abweichungen weniger als ', pCt., nur männliche Rentner in E sind in Tabelle III mit 1,1 pCt. stärker vertreten als in der Statistik des Reichsversicherungsamtes.

Ueber den Antheil männlicher und weiblicher Personen an den ein- zelnen Berufsgruppen giebt Tabelle III Auskunft; am wenigsten ver- änderlich zeigt sich auch hier die Betheiligung der Landwirthschaft. Das durchschnittliche Verhältniss von männnlichen und weiblichen Alters- rentnern war 62:38 im Jahre 1891, 54:46 im Jahre 1892, von Inva- lidenrentnern 70:30 im Jahre 1892. Die Verhältnisszahlen des nicht ganz vollständig nachgewiesenen Abganges zum Zugange betrugen im Jahre 1891 für männliche Altersrentner 5,2, für weibliche nur 3,4 pCt,, die Anzahl der ausscheidenden weiblichen Rentner war fast genau in demselben Verhältniss auf die Berufsgruppen vertheilt, wie der Zugang, was, wie oben bemerkt, bei den Männern nicht der Fall ist.

Zu erwähnen ist noch die procentische Vertheilung der gezahlten Altersrenten auf die im Jahre 1891, wo fast nur die vorgesetzliche Zeit zur Berechnung der Rentenhöhe in Betracht kam, allein vorkommenden Rentenklassen.

Rentenklasse I II II IY%

106,80 M. 135,00 M. 163,20 M. 191,40 M. Procent (| männlich 73,2 18,0 6,3 2,5 der weiblich 9.2,6 1,9 0,4 0,1

Altersrentner ' zusammen 82,4 11,9 4,1 1,6

III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 27

Tabelle LUl

Procentische Vertheilung auf die Berufsgruppen.

Männliche Weibliche

Berufs-

© Inva- ) Inva- STORpR a E Altersrentner | liden- = 5 Altersrentner | liden-

>= rentnerl| > rentner

= | 1891 | 1892 | 1892 © | 1891 | 1892 | 1892 Al ee Allee 30 20 42,990 003,67) D1,2 1 Almen All Tepe ae A BE 1,0 B ZEa MIET, Ina ro bla al a a ae BI 1a a N 34 |, 0200 ARTE IX 20 DR a ER N 18.9 ld a a PR a RE N a Na hart 0 C 2 ae a a a a a ee a a D 1. aa a Ei ZT, 1881 LEO TON E CU a N ag Aa a ra a G Ger a, oe oe 9er Pal ara

Hätte man von dieser letzten Zahlenreihe auf die Vertheilung der im Jahre 1891 verkauften Beitragsmarken in Schlesien nach den vier Lohnklassen schliessen wollen, so würde man bedenklich geirrt haben, denn die Einnahme von 7 769 041,48 Mark aus Beitragsmarken vertheilt sich in Procent auf die Lohnklassen wie folgt: I 45,07; II 27,05; III 18,64; IV 11,20; Doppelmarken 0,04. Das Ueberwiegen der ersten Lohnklasse in den Renten erklärt sich sowohl aus den Bestimmungen des $ 159 d. G., weil in vielen Fällen nur für einen Theil der in der vorgesetzlichen Zeit in Betracht kommenden Arbeitswochen die Lohn- höhe bezw. diese überhaupt nicht nachgewiesen werden konnte, und in allen solchen Fällen die Steigerungssätze der ersten Lohnklasse anzuwenden sind, als auch aus dem Umstande, dass der Arbeitsverdienst der alt- gewordenen Arbeiter überhanpt ein geringerer ist.

Die äusserst beschränkte Verwendung von Doppelmarken es sind in Schlesien für das Jahr 1891 nur 15973 Stück & 23 Pf. ausgegeben zeigt, dass von der nach $ 8 zugelassenen Selbstversicherung bisher nur geringer Gebrauch gemacht worden ist, was zum Theil wohl in dem mangelhaften Verständniss für diese, dem Versicherten sehr günstige Ein- richtung beruht, zum Theil auch darin begründet sein mag, dass die- selbe auf die Lohnklasse II beschränkt ist, während diejenigen, welche zur Selbstversicherung berechtigt sind, sich wohl meist in den höheren Lohnklassen befinden dürften, und daher unbegründeter Weise die er- wachsenden Rentenbeträge für zu niedrig erachten mögen. Auch die

238 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Bedeutung der Zusatzmarke des Reiches scheint vielfach missverstanden zu werden, denn der Antheil von 8 Pf., welcher von jeder Doppelmarke dem Reiche zukommt, stellt eine für alle Versicherte gleiche wöchent- liche Prämie für die Versicherung einer Invaliden- oder Altersrente von 50 Mark jährlich dar, wodurch verhindert wird, dass durch die zuge- lassene Selbstversicherung der Kreis der Versicherungspflichtigen auf andere als im Gesetze als solche bezeichneten Personen ausgedehnt wird.

Ob die Selbstversicherung später einen solchen Umfang annehmen wird, dass aus derselben die Gefahr einer zu grossen Belastung der Ver- sicherungsanstalten und des Reiches entstehen könnte, ist a priori nicht zu bestimmen, nach den bisherigen Erfahrungen liegt ein Grund zu dieser Annahme keineswegs vor.

C. Das statistische Urmaterial und seine Behandlung.

Das Urmaterial der statistischen Ergebnisse ist naturgemäss ein zwiefaches, für die Statistik der Versicherten sind es die eingelieferten Quittungskarten, welche zu weiteren Erhebungen verwendet werden, für die Statistik der Rentner sind es die Rentenbescheide mit ihren Vor- gängen.

Eine Buchführung über die gezahlten Alters- und Invalidenrenten findet in den sogenannten Rentenlisten statt, welche für jeden Geburts- jahrgang getrennt geführt werden, innerhalb desselben wird irgend welche weitere Unterscheidung nicht gemacht, sondern jede angewiesene Rente desselben Geburtsjahres unter laufender Nummer eingetragen. Die An- gabe dieser Nummer in Verbindung mit dem Geburtsjahr, der Ordnungs- zahl der Anstalt und der Bezeichnung A oder J bildet als das ‚Renten. zeichen‘ das hauptsächlichste Orientirungsmittel für die Versicherungs- anstalt, das Rechnungsbureau des Reichsversicherungsamtes und die Reichspostverwaltung; z. B. wird eine Altersrente Schlesiens von 1820 und eine Invalidenrente der Rheinprovinz von 1851 notirt:

u! 13 | 246

1820 FI 851

A

Aus den Rentenlisten können zugleich summarische Erhebungen veranstaltet werden, vor allem dienen sie dazu, die Ausgaben für Renten- zahlungen, den Ab- und Zugang an Renten und die Höhe des Deckungs- kapitals festzustellen. Will man über das Verhalten der beregten Ge- sichtspunkte bei den Rentenempfängern der verschiedenen Berufsgruppen Erhebungen veranstalten, so reichen diese Rentenlisten nicht aus, man ist genöthigt, neben diesem ‚‚Hauptbuche‘ Manuale zu führen. Dies geschieht bei der Versicherungsanstalt Schlesien mittelst der sog. „Nebenrenten- listen“, welche nach den oben bezeichneten Berufsgruppen und Ge- schlecht getrennt die Jahrgänge der Rentner nachweisen; es zerfällt also die Hauptliste in maximo in zwanzig solcher Listen, welche bei

III. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung. 29

etwa beabsichtigter Anwendung des $ 24 d. G. ein genaues Bild der Leistungen der Anstalt für die verschiedenen Berufsgruppen am Schlusse der ersten Beitragsperiode geben werden. Dieselben dienen ferner zu Untersuchungen der Invaliditätswahrscheinlichkeiten u, s. w. Sind an- dererseits die Beitragsleistungen und die zu erwartende Höhe des An- spruches auf Renten der Versicherten in den einzelnen Berufsgruppen erhoben, so ist die Beitragshöhe für jede Berufsgruppe innerhalb jeder Lohnklasse für die neue Beitragsperiode unschwer festzustellen.

Hieraus geht schon hervor, dass, um die für derartige Berechnungen . erforderlichen statistischen Unterlagen bereitstellen zu können, die ein- gelieferten Quittungskarten der Versicherten nicht ohne weiteres in’s Archiv als caput mortuum zur Asservation gegeben werden dürfen, sondern dass die Ruhe derselben bisweilen zu statistischen Zwecken unterbrochen werden muss. Um nun dieses Urmaterial möglichst fehler- los zur Aufbewahrung und Bearbeitung zu erhalten, werden alle von den aufrechnenden Stellen und anderen Anstalten eingehenden Quittungs- karten sofort beim Eingange einer genauen Prüfung unterworfen, welche sich namentlich auf genaue Angaben der Personalien und richtige Auf- rechnung der eingeklebten Marken erstreckt. Eine genaue Angabe der Personalien, besonders der Geburtsdaten, ist von grösster Wichtigkeit; knüpft sich doch an das Geburtsdatum unmittelbar die Feststellung der Thatsache, ob jemand sich im versicherungspflichtigen bezw. zur Er- hebung eines Antrages auf Altersrente vorgeschriebenen Alter befindet. Immerhin sind diese Angaben und nicht nur bei Arbeitern aus Russ- land und Böhmen in manchen Fällen nicht zu erlangen, und die Auf- bewahrung dieser „Unvollständigen‘‘ muss daher an besonderer Stelle erfolgen.

Bei der sehr grossen Menge gleichlautender Namen, insbesondere auch der oft wechselnden Schreibung polnischer Eigennamen, würde die lexikalische Anordnung des Archives der Quittungskarten auf grosse Schwierigkeiten gestossen sein, und würde sich als letztes Identifieirungs- mittel schliesslich nur das Geburtsdatum nebst Geburtsort ergeben, was z. B. für das bei der Anstalt Schlesien auf etwa 40—50000 mal be- rechnete Vorkommen des Namens „Scholz“ unerlässlich geworden wäre,

Es ist daher grundsätzlich die Ordnung der Quittungskarten nach dem Geburtsdatum in aller Strenge durchgeführt worden nur inner- halb des Geburtstages hat die alphabetische Ordnung nach dem Zu- namen einzutreten, was höchstens innerhalb ca. 100 bis 150 Namen vor- kommen kann. Es wird daher jeder Geburtsjahrgang nach männlichen und weiblichen Personen, innerhalb dieser nach Monat und Tag getrennt. Diese Anordnung hat für gewisse statistische Erhebungen grosse Vor- züge, erspart aber zugleich in der gewählten Form der Aufbewahrung einen Zettelkatalog der Namen aller Versicherten, welcher unumgänglich

30 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

nothwendig ist, wenn z. B. die Karten der Versicherten einfach in der zufälligen Reihenfolge des Einganges der Quittungskarte Nr. 1 in die Aufbewahrungsräume eingelegt werden. Um grösstmögliche Raumaus. nutzung und Uebersichtlichkeit zu verbinden, sind Cartons aus Pappe hergestellt worden, welche zur Aufnahme von 16 zusammengefalteten Quittungskarten je eines Versicherten ausreichen. Dieser taschenartige Carton ist an einer kurzen Schmalseite offen, auf einer langen Schmal- seite von 15,5 zu 1,5 cm Dimension befindet sich ein Schild in weisser Farbe für männliche, in grüner für weibliche Versicherte, in dessen Schema die unveränderlichen Personalnotizen übersichtlich eingetragen werden, Die Gebürtigkeit ausserhalb Schlesiens bezw. im Ausland wird durch rothes bezw. blaues Durchstreichen des Vordruckes „Schlesien“ kenntlich gemacht. Ausserdem können die Ausstellungsjahre der Karten notirt werden, so dass der Ablauf der Gültigkeit nach $ 104 d. G. sehr leicht bemerkt werden kann.

Diese Cartons werden nämlich in aus Eisenblech gestanzten Schub- läden aufbewahrt, in welchen je 60 Platz finden; und auf diese Weise bilden die Schilder der aufrecht stehenden Cartons eine sehr übersichtliche Liste über den Inhalt jeder Schublade. Kennt man also Namen und Geburtsdatum eines Versicherten, und letzteres muss zur Identifieirung stets verlangt werden, so braucht man nur die mit diesem Datum be- zeichnete Schublade aufzuziehen, um die angesammelten Karten desselben bei der Hand zu haben.

Das Archiv enthält im Erdgeschoss und in einem auf eisernen Trägern wie in den modernen Bibliotheksgebäuden darüber erhöhten Geschoss je 32 aus Cementplatten (Moniersystem) hergestellte feuer- sichere Abtheilungen, deren jede durch Zwischenplatten in 8 Schränke zerlegt ist. In jedem dieser Schränke finden 50 eiserne Schubläden Platz. Vorläufig sind nur 50 dieser Abtheilungen, kurz als „Blocks“ bezeichnet, mit Schubläden besetzt, so dass zur Zeit 20000 solcher verfügbar sind, welche Raum für je 16 Karten von 1 200 000 Versicherten gewähren. Es können also 19200 000 Karten untergebracht werden, während der ganze vorgesehene Platz 24'/, Million Quittungskarten auf- zunehmen vermag,

Für jeden Versicherten wird ferner eine „Registerkarte“ angelegt, in welcher ausser den Personal- und Berufsangaben der Inhalt aller seiner Quittungskarten eingetragen wird. Dieses Specialeonto dient als von der Anstalt als giltiger Ersatz anzusehendes Duplicat aller Renten- ansprüche, wenn etwa die Quittungskarten in Verlust gerathen sollten, und hat vor den im Besitz der Versicherten befindlichen Aufrechnungs- Bescheinigungen den Vorzug, dass die Belastung aller sonst etwa be- theiligten Anstalten daraus festgestellt werden kann; auch dient es an Stelle der Quittungskarten als Nachweisung und Zählzettel für die vor-

III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 31

zunehmenden Berufsauszählungen und Berechnungen der künftigen Be- lastung der Lohnklassen.

Da die Eintheilung des Raumes nach Geburtsdaten geschehen ist, so ist mit dem allmählichen Verschwinden der ältesten und dem Hinzu- tritte neuer Jahrgänge ein Wandern jedes Jahrganges die unvermeidliche Folge, wenn volle Ausnutzung des Raumes stattfinden soll. Um daher in diesem langsam fliessenden „Strom der Zeiten‘ feste Punkte zu er- halten, muss neben der veränderlichen Bezeichnung der Jahre, Monate und Tage eine unveränderliche Ortsbezeichnung vorhanden sein. Zu diesem Behufe sind die Blocks mit den Nummern 1—64 bezeichnet, jede Reihe von 10 übereinander angeordneten Schubläden, deren 400 in jedem Blocke vorhanden sind, erhält die Nummer 1—40; bezeichnet man nun jede Schublade einer Reihe durch die Ziffern O0 bis 9, so ist - leicht zu sehen, dass durch eine fünfstellige Zahl jede Schublade ein- deutig bezeichnet werden kann, sofern man über die Bedeutung der Stellenwerthe der Zahl unterrichtet ist.

Mit Hilfe dieser festen Ortsbezeichnungen können Umlegungen grössten Umfanges, ohne Irrungen befürchten zu müssen, vorgenommen werden. Dass alle diese bezeichneten Einrichtungen in möglichst über- sichtlicher und bequemer Form getroffen werden mussten, war bei den grossen Dimensionen der Kartenhalle (44 zu 29 m Grundfläche) un- vermeidlich.

D. Künftige statistische Ergebnisse.

Die beschriebene Behandlung des Urmateriales setzt uns in den Stand, eventuell auch eine Anzahl von Fragen zu behandeln, deren Be- antwortung durch das Gesetz nicht nothwendig erfordert wird, welche aber durch geringe Mehrarbeit nebenher erledigt werden können.

Zuerst wäre eine allerdinss nur rudimentäre Lohnstatistik Schlesiens für die abgegrenzten 10 Berufsgruppen ausführbar, wobei durch die gesetzlich festgestellten Lohnklassen die wirklichen Lohn- verhältnisse natürlich nur in groben Umrissen in Folge der alles nivelli- renden Durchschnittswerthe annähernd angedeutet werden können.

Zweitens wäre mit Hilfe der Quittungskarten theoretisch eine Statistik der „Arbeitslosigkeit‘‘“ möglich. Aus der Zeit, welche zwischen der Ausstellung zweier Quittungskarten verflossen ist (da die Aufrechnung der alten und Ausstellung der neuen möglichst Zug um Zug erfolgen soll), von welcher die gezahlten Beitrags-, Krankheits- und Militair- dienstwochen abgezogen werden, könnte auf die Anzahl Wochen arbeits- loser Zeit geschlossen werden. Hierbei tritt zunächst als störendes Moment die zugelassene freiwillige Fortsetzung nach $ 118 und $ 119 (Saisonarbeiter) ein, über dessen Vorhandensein die Karte nicht Aus- kunft giebt, besonders aber die in der Landwirthschaft nicht seltene Unterbrechung der Tagelöhnerei behufs Thätigkeit im eigenen Besitz

32 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

(die unsicher zu veranschlagenden e,, aT und e,T der Gruppe AI be- trugen nach der Berufsstatistik 48 pCt. im Reiche, 33 pCt. für Schlesien aller nicht selbständigen Betriebsthätigen). Man kann hiernach nur die „Wochen nicht versicherungspflichtiger Thätigkeit‘‘ feststellen, und selbst dieses wird wegen der „Saisonarbeiter‘ unsicher.

Drittens liesse sich über den Ortswechsel der Versicherten einiges Material gewinnen (indem man die verschiedenen in der Quittungskarte vorkommenden Versicherungsanstalten auszählt), natürlich nur innerhalb der Abgrenzungen, welche durch die Eintheilung der Bezirke der An- stalten gegeben sind. Innerhalb des Bezirkes derselben Anstait ist höchstens die einmalige Constatirung eines Ortswechsels möglich, wenn Ausstellungs- und Aufrechnungsort der Karte verschieden sind. Auch hierbei werden die wegen des vielfachen Zusammenfallens mit den Provinzbegrenzungen unvermeidlichen Zersplitterungen der Gebiete, sowie die an den Bezirksgrenzen wohnenden Arbeiter in Folge der in ver- schiedenen Anstaltsbezirken liegenden benachbarten Arbeitsstellen in einem schwer zu schätzenden Betrage den wirklichen Sachverhalt ver- schleiern müssen.‘) So kann z. B. ein im westlichen Zipfel des Kreises Hoyerswerda wohnhafter Arbeiter leicht Marken der Anstalten Schlesien, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Königreich Sachsen in einer Quittungs- karte beibringen, ohne sich von seinem Wohnort wenig mehr als eine Meile entfernt zu haben. Umgekehrt würde ein Ortswechsel eines in der Rheinprovinz wohnhaften Versicherten nach Hohenzollern und zurück gänzlich unbemerkt bleiben müssen, da letzteres mit zum Bezirk der ersteren Anstalt gehört. Nimmt man hinzu, dass ein derartig zu er- mittelnder Ortswechsel immer nur zu sehr ungleichen Terminen erhoben werden kann, dann wird man der auf diesem Wege zu erlangenden Statistik kaum einen praktischen Werth beilegen dürfen, vielmehr liegt die Gefahr nahe, durch eine solche zu ganz irrthümlichen Schlussfolge- rungen verleitet zu werden.

Ein Theil dieses Ortswechsels gelangt dadurch an hiesiger Anstalt zur Kenntniss, dass von allen Karten fremder Anstalten, welche in Schlesien zum Umtausch gelangen, die Marken Schlesiens nebst den wesentlicheren Angaben notirt werden, um über die Vertheilung der verwendeten Marken möglichst genaue Information zu erhalten. Dass die in solchen „‚durchgehenden‘‘ Karten enthaltenen Beiträge immerhin nicht unbedeutend sind, beweist eine Aufnahme im Mai 1892, nach welcher bis dahin in innerhalb Schlesiens umgetauschten Karten fremder Anstalten rund 25000 Mark an Werth schlesischer Marken enthalten waren.

Ferner ist es kaum wahrscheinlich, dass es mittelst des durch das vorliegende Gesetz entstehenden statistischen Materiales gelingen würde,

!) Vgl. auch $ 41 Abs. 3 des Gesetzes.

III. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung. 33

über den Betrag des Vagabondenthums und des sogen. „Residuums‘ irgend welche Aufklärung zu erhalten. Gerade dass letzteres und die heruntergekommenen Existenzen, welche nicht als Arbeiter ihre Lauf- bahn begonnen haben, von dem Gesetze erfasst würden, bezeichnete ein englischer Kritiker als eine Nothwendigkeit ‚to keep the body politie in good humour !‘“ ')

Eine durch die beschriebenen Einriehtungen der Anstalt für die Provinz Schlesien leicht beiläufig zu lösende Aufgabe würde es sein, die Anzahl der ihr angehörigen Versicherten, welche nicht in Schlesien geboren sind, nach ihrer Gebürtigkeit zu ermitteln, und zugleich die Vertheilung der Geburten auf die einzelnen Tage des Jahres an einem grossen Materiale kennen zu lernen, worüber noch gar keine Erfahrungen vorliegen. Hierdurch würde die bisher nur mittelst ganzer Monate be- stimmte Curve der Geburtenhäufigkeit im Jahre eine wesentliche Ver- feinerung erfahren; zugleich wäre man, durch die auszuführende Be- schränkung auf Schlesien als Geburtsland, in der Lage, für ein bestimmt begrenztes Gebiet diese Untersuchung mittelst eines ganz homogenen Materials zu führen.

Indessen sei schliesslich nochmals hervorgehoben, dass die sorg- fältigsten Untersuchungen über Wahrscheinlichkeiten der Invalidität bezw. des Ausscheidens aus dem Rentengenuss, sowie aus dem Ver- sicherungsverhältniss, nebst der Feststellung der Ursachen der Invalidität eine Hauptaufgabe der Versicherungsanstalten bilden muss.

Die Untersuchungen der Ursachen der Invalidität werden erst nach Ansammlung eines leidliich umfangreichen Materiales mehr ins Detail gehen können; zunächst hat das’ Reichsversicherungsamt folgende vier Gruppen in Vorschlag gebracht: Unfallverletzungen, Altersschwäche, äussere und innere Krankbeiten. Jedenfalls aber dürfte es sich em- pfehblen, den Berufskrankheiten eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen, welche als solche in der Theilung: äussere und innere Krank- heiten nicht gesondert zur Wahrnehmung gelangen können.

Ueber die von vielen Seiten als der Wirkung des Gesetzes voraus- sichtlich sehr hinderlich prophezeite Simulation der Invalidität lässt sich noch gar nichts sagen; so lange die Invalidenrenten jedoch keine hohen Beträge erreichen, was für die nächsten 10—20 Jahre nicht der Fall sein kann, dürfte diese Gefahr voraussichtlich sehr gering sein und auch später wird die Simulation unter Voraussetzung genauer ärztlicher Untersuchung immer in so engen Grenzen gehalten werden können, dass aus derselben dem Gesetze keine ernstlichen Schwierigkeiten entstehen dürften.

Wenn auch nicht zu erwarten ist, dass die Zahl der jährlich ent- stehenden Invaliden andauernd so beträchtlich hinter dem Voranschlage

") Journal Inst. of Act. 1. c. p. 368,

34 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

zurückbleiben wird, wie im ersten Jahre (für Schlesien rund 12000 zu bewilligende veranschlagt, gegen 2352 thatsächlich bewilligte Anträge), so ist doch mit Sicherheit zu erwarten, dass die Situation der Anstalten sich noch günstiger gestalten wird, als es nach den angenommenen In- validitätswahrscheinlichkeiten der Fall war. Nimmt man hinzu, dass auch die Verwaltungskosten (im Reichsdurchschnitt 40 Pf., in Schlesien 36 Pf.) pro Kopf des Versicherten erheblich hinter dem Voranschlage von 1 Mark zurückbleiben, und ein starkes Anwachsen derselben in späteren Jahren nicht anzunehmen ist, so dürften die Aussichten für die Finanzverhältnisse der Anstalten durchweg als günstige bezeichnet werden.

Im Anschluss an den Vortrag betonte Landesrath Kratz ganz be- sonders, dass erst die Praxis des Gesetzes demselben mit der Zeit zu- verlässige statistische Grundlagen zu verschaffen vermöge, und dass den angedeuteten, nebenher zu gewinnenden statistischen Ergebnissen nur sehr bedingt Vertrauen entgegengebracht werden dürfe.

Auf eine Anfrage des Ober-Regierungsraths a. D. Schmidt, ob genügende Vorsorge getroffen werden könne, dass die Einnahmen der Anstalt nicht durch ungenügende Beitragsleistung geschmälert würden, sprach Landesrath Kratz über die Nothwendigkeit einer Controle seitens der Anstalt und über die erfolgreiche Wirksamkeit der Controlbeamten.

Nach Schluss der Debatte nahm die Versammlung die Kartenhalle näher in Augenschein, woselbst durch Demonstration und Darlegung des Betriebes die Ausführungen des Vortragenden erläutert wurden,

Für die Mitglieder der Section it ein besonderer staats- und rechts- wissenschaftlicher Lesezirkel begründet worden. In Umlauf kamen im Jahre 1891 folgende Zeitschriften und Bücher:

1. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik.

2. Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirthschaft im Deutschen Reiche.

3. Vierteljahrsschrift für Volkswirthschaft, Politik und Cultur-

geschichte.

Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft.

Archiv für sociale Gesetzgebung und Statistik.

Archiv für Öffentliches Recht.

Zeitschrift für die gesammte Strafrechtswissenschaft.

Preussische Jahrbücher.

Bayerische Handelszeitung (Beilage zur Münchener „Allgemeinen Zeitung‘).

10. Handwörterbuch der Staatswissenschaften. 1., 2. und 3. Bd.

Dede

Sitzungen der historischen Section im Jahre 1892.

In der ersten Sitzung am 7. März hielt Herr Oberlehrer Dr. Krebs einen Vortrag

Ueber die ersten Winterquartiere der Wallensteiner in Schlesien (1627).

Die Abhandlung ist gedruckt in der Zeitschrift des Vereins für Ge- schichte und Altertum Schlesiens, XXVII, 150 ff.

In der zweiten Sitzung am 25. April hielt Director Dr. Rei- mann einen Vortrag

Ueber den Ausbruch des Krieges zwischen Russland und der Pforte im Jahre 1787.

Die Osmanen sind im 15. und 16. Jahrhundert der Schrecken Europas gewesen. Wenn sie sich nordwärts erhoben, ward auch in Breslau die Türkenglocke geläutet, und Katholiken und Evangelische fielen mit Angst auf ihre Kniee und riefen inbrünstig den Beistand Gottes an. Zum letzten Mal erbebte Deutschland vor ihnen im Jahre 1685, als der Grossvesir Kara Mustafa mit 200 000 Streitern bis nach Wien vordrang. Jedoch ein gewaltiger Umschlag trat ein. Die An- greifer wurden geschlagen und mussten zurückweichen. Die Kaiserlichen folgten ihnen nach, und fünf Jahre später eroberten sie Belgrad. Zwar ging die Stadt wieder verloren, aber die österreichische Sache rückte trotzdem vorwärts. Die schlimmsten Niederlagen erlitten die Türken durch den unsterblichen Siegeshelden Eugenio von Savoye, wie er in alamoder Weise sich unterschrieb; durch die Schlachten von Zenta, Peterwardein und Belgrad verloren sie Ungarn, Siebenbürgen, Slavonien, die kleine Walachei und Theile von Serbien. Doch gewannen die Türken die letzten beiden Landschaften nach dem Tode des Prinzen Eugen zurück, und beinahe fünf Jahrzehnte lang herrschte Friede zwischen Oesterreich und der Türkei.

Ein neuer, viel unversöhnlicherer Feind erwuchs den Osmanen in der Kaiserin Katharina II. von Russland. Im Jahre 1768 erklärte dieser die Pforte, welche den bedrängten Polen zu Hilfe kommen wollte, den Krieg; aber Katharina führte denselben im ganzen glücklich und erwarb

3*

36 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

im Frieden von Kutschuk Kainardsche bei Silistria 1774 die Steppe zwischen dem Bug und Dniepr, Kinburn, Kertsch und Jenikale, freie Fahrt auf dem Schwarzen Meere für Handelsschiffe, Asow, die grosse und kleine Kabardei. Ausserdem wurden die Tataren der Krim und des Kuban von der Türkei losgerissen und für unabhängig erklärt; aber Katharina mischte sich fortwährend in ihre Angelegenheiten und be- handelte sie ungefähr wie die Polen. Nach dem Tode der Kaiserin Maria Theresia schloss sie ein Bündniss mit Joseph II. Sie verfolgte nun die Absicht, die Türken aus Europa zu jagen und ein neues griechisches Kaiserthum in Konstantinopel zu errichten. Aber als es zur Ausführung kam, versagte der Kaiser seine Mitwirkung. Katharina wurde vor Aerger krank, wie wenn der Tempel ihres Ruhmes zusammen- gestürzt wäre; sie fasste sich jedoch bald und erklärte, dass sie die Tataren der Krim und des Kuban ihrem Reich einverleibe. Die Türken geriethen hierüber in Wuth und wollten es nicht dulden, jedoch sie wurden von allen Seiten zur Nachgiebigkeit gedrängt, ausser von Friedrich dem Grossen, der aber keine Hilfe versprach. Katharina liess in Versailles sagen, dass sie nach Abtretung der Krim und des Kuban an den alten Grenzen festhalten und den Vertrag von 1774 als die Grundlage des neuen ansehen, d. h. nichts weiter erwerben wolle. So- gleich meldete Frankreich dies in Konstantinopel und liess vorstellen, ob es nicht besser wäre, sich durch einige Opfer loszukaufen, als den Wechselfällen eines Krieges sich auszusetzen. Weil aber die Türken sich hartnäckig sträubten, die Besitznahme der tatarischen Landschaften durch die Russen ausdrücklich gut zu heissen, konnte die Unterhandlung zwischen Petersburg und Konstantinopel noch immer scheitern. Jedoch man fand einen Ausweg. Die Verträge von 1774 und 1779 wurden erneuert, aber die Artikel weggelassen, die sich auf jene Gebiete bezogen. Am 8. Januar 1784 unterzeichneten der russische Gesandte Bulgakoff und ein türkischer Unterhändler den neuen Vertrag, und der Krieg wurde zunächst vermieden. Aber Russland hatte bereits eine Handlung vollzogen, welche zu neuen Streitigkeiten führen musste.

Kaunitz nennt einmal Katharina sehr treffend eine Frau, deren Ruhm- und Convenienzbegierde grenzenlos sei.') Auch im Kaukasus suchte Katharina festen Fuss zu fassen, und sie schickte deshalb im Jahre 1783 zwei Kronen und zwei Zepter an die Fürsten Heraklius von Georgien und Salomon von Imerete. Letzterer wies beides zurück, der andere dagegen erkannte die Oberherrlichkeit der Kaiserin und ihrer Nachfolger an und begab sich für alle Zukunft in ihren Schutz. Und als der Sohn des Fürsten Heraklius nach dem Tode Salomons von dessen Lande Besitz ergriff, that er den gleichen Schritt. ?)

!) Beer, Joseph Il., Leopold II. und Kaunitz. Vorrede XX. ?) Zinkeisen, Gesch. des osmanischen Reiches. VI, 399,

Ill. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung. 37

Georgien hatte zu Persien gehört, war 1732 an die Osmanen ab- getreten, aber von Nadir Schah zurückerobert worden. Als 1779 Kämpfe um die Herrschaft in Persien ausbrachen, fiel Georgien ab und trat, wie eben erwähnt, unter den Schutz Katharinas. Die Pforte wollte sich nun aber die Russen nicht auch von dieser Seite her näher kommen lassen. Auf ihren Befehl veranlasste der Pascha von Trebisonde 3000 Lesghier, ein anderes Volk des Kaukasus, einen Einfall in Georgien zu machen; sie hieben 600 Russen nieder, wurden aber dann mit Verlust zurück- geschlagen. Der Reis Effendi beklagte sich über den Aufenthalt russischer Truppen in diesem Lande, jedoch Bulgakoff gab die Beschwerde nur heftiger zurück. ')

Der Krieg ging weiter; denn die Bergvölker des Kaukasus wollten die Russen um keinen Preis hier eindringen lassen, und die Pforte stand, von dem gleichen Interesse geleitet, auf ihrer Seite und unterstützte sie mit Geld. So sendete Soliman, Pascha von Achiska, einmal ihnen 150 000 Piaster. Die Pforte versah ihn mit Geschützen und Schiess- bedarf, sie liess von Diarbekir her 30 000 Mann nach Georgien vor- rücken und Magazine dort anlegen.?) Als der französische Gesandte dem Reis Effendi sanfte Vorstellungen über die Unterstützung der Berg- völker machte, da entgegnete der Türke: die Pforte habe die Absicht, ihnen nicht allein mit Gelde, sondern auch mit Truppen zu helfen; denn in ihrem eigenen Interesse dürfte sie nicht dulden, dass die Bewohner des Kaukasus den Russen unterworfen würden. Natürlich erhob Bulgakoff Einspruch gegen solche Unterstützung der Lesghier, aber er richtete nichts aus, und zwar um so weniger, als die russischen Consuln in der Türkei sich eifrig bemühten, dem Sultan die Unterthanen abwendig zu machen. °)

So stand es ungefähr am Ende des Jahres 1785 in jener Welt- segend. Von alle dem meldet aber Ranke nichts, er erzählt nur, dass Katharina 1783 den Fürsten Heraklius in ihren Schutz genommen. Er meldet weiter‘): Im Mai 1786, als wieder ein solcher Einfall (der Lesghier in Georgien) mit grosser Änstrengung hatte zurückgewiesen werden müssen, forderte Katharina die Pforte auf, den Pascha, der den Frieden breche (durch Unterstützung der Lesghier), mit Absetzung zu bestrafen. Eben das erzählte Katharina dem Kaiser Joseph Ill. im An- fang eines Briefes vom 21. August 1786. Nach ihr ist der Einfall recemment geschehen. Den Monat, wo sie die Forderung stellte, nennt sie nicht. Woher hat nun Ranke den Mai? Zinkeisen, welchen er ja

!) Zinkeisen VI, 516. 2) An ar Or5st.

®) A. a. O. 576—578. ?) Werke 31/32, p. 292,

38 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

benutzt hat, giebt uns (VI, 942) die Note, sie ist vom 29. Mai. Aus ihr geht zunächst hervor, dass der russische Gesandte Bulgakoff bereits vorher also 1785 und am 8. Januar 1786 in dieser Angelegenheit an die Pforte sich gewendet hat; folglich muss der Einfall schon 1785 erfolgt sein. Die Absetzung des Pascha von Achiska hat Katharina schon am 8. Januar 1786 verlangt, wie auch Zinkeisen (VI, 582) er- zählt. Indem aber die Pforte darauf nicht einging und keine schriftliche Erwiderung ertheilte, wurde die Kaiserin ungeduldig und liess am 29. Mai erklären: sie werde nicht säumen, die Mittel vorzubereiten, um sich selber Recht zu verschaffen, und wenn die Pforte den Pascha nicht absetze, werde sie sich ihrer Streitkräfte gegen denselben ohne Verzug bedienen.

Was also Katharina zuerst in ihrem Briefe dem Kaiser Joseph meldet, das bezieht sich auf eine frühere Zeit; dagegen was sie im Mai der Pforte hat sagen lassen, davon spricht sie im zweiten "Theil ihres Schreibens, jedoch mit einiger Freiheit. Wir werden ihre Worte später anführen,

Ranke fährt in seiner Erzählung fort: ‚In Konstantinopel, wo jetzt eine bittere Stimmung gegen die Russen vorwaltete, wurde diese An- muthung, den Pascha abzusetzen, nicht allein zurückgewiesen, sondern man erhob auch Einwendungen gegen das Schutzverhältniss Russlands zu Georgien. Man behauptete, Irakli habe schon vorher eine Bestallung von dem Sultan entgegen genommen: die Oberherrlichkeit, welche sich die Kaiserin anmaasse, laufe dem Frieden entgegen.‘“ Der erste Satz ist ebenfalls aus dem Briefe Katharinas an Joseph entlehnt, aber der zweite nicht, sondern hier hat Ranke die Antwort, welche die Pforte dem russischen Gesandten am 3. Juli gegeben, näher angesehen; sie steht bei Zinkeisen gleich hinter der Note Bulgakotfs. Beide Schriftstücke sind aus dem Geheimen Staatsarchiv in Berlin abgedruckt. In ihrer Ent- gegnung behauptet allerdings die Pforte, dass Heraklius bereits viel früher eine Bestallung vom Sultan erhalten habe, und dass das Vasallen- verhältniss der Fürsten von Georgien zu Russland den Verträgen wider- spreche. Ob die erste Angabe richtig ist, vermag ich nicht zu sagen; aber der Behauptung der Pforte, dass die Russen alle Grenzen verrücken, muss man beipflichten. Und wie stellten sich die Türken zu der Drohung der Kaiserin? Wichen sie kleinmüthig zurück? Nein, sondern sie antworteten: wenn die Russen gegen die Verträge die türkischen Grenzen überschritten und Feindseligkeiten begingen, so würden sie ihnen entgegentreten und sie die Schuld des Bruches tragen. Wie die Drohung, so verschweigt Ranke die Gegendrohung, und man begreift nach seiner knappen Darstellung schwer, was wir dann bei ihm lesen, dass die russischen Minister vernehmen liessen, wolle die Pforte das Verhältniss Georgiens zu Russland rückgängig machen, so werde General Potemkin

III. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung. 39 mit 70 000 Mann an den Grenzen erscheinen, um sich Recht zu ver- schaffen. Auch hier fehlt übrigens die Genauigkeit. Nicht die Minister liessen vernehmen, sondern der Gesandte Bulgakoff erklärte der Pforte amtlich, d. h. im Auftrage der Kaiserin: „Wenn Ihr uns die Erfüllung unserer Forderungen schriftlich zusichert, gut; wenn nicht, so hat unser General Potemkin Befehl erhalten, zur Befriedigung derselben mit 60—70 000 Mann Truppen an die Grenzen zu kommen.‘‘!)

Aller Wahrscheinlichkeit nach ist diese starke Erklärung in den letzten Monaten des Jahres 1786 in Konstantinopel abgegeben worden, und es hätte daher eine andere Aeusserung der russischen Herrscherin von Ranke früher angeführt werden sollen. Er berichtet aber erst später, dass Katharina dem Kaiser Joseph von ihrem Streit über Georgien, dessen Protection sie niemals aufgeben könne, Nachricht ertheilte und ihn ersuchte, bei der Vermittelung, zu der sich Frankreich bereits erboten habe, mitzuwirken. Es geschieht dies in dem schon mehrmals erwähnten Briefe vom 21. August, als Katharina die Erklärung der Pforte vom 3. Juli empfangen hatte, doch drückte sie sich viel bestimmter und entschiedener aus, als es nach Ranke zu sein scheint. Sie schrieb nämlich: sie sei fest entschlossen, den Schutz, welchen sie den Fürsten von Georgien zu- gestanden habe, nicht zurückzunehmen und jeden mittelbaren oder un- mittelbaren Angriff, welchen die Pforte gegen ein dem russischen Reich unterworfenes Land unternehmen würde, zurückzuweisen. Katharina meldet hier, was sie den Türken im Mai hat sagen lassen; aber sie giebt die Note ihres Gesandten nur dem Sinne nach wieder. Was sie dem Kaiser berichtet, athmet eime noch grössere Entschiedenheit und offen- bart ohne Zweifel viel besser als die Worte Bulgakofis die Stimmung Katharina’s.

Wenn wir die russischen Erklärungen vom 8. Januar und 29. Mai, die ebenangeführte Aeusserung der Kaiserin gegen Joseph, und die letzte Drohung mit dem Anmarsche Potemkin’s in Betracht ziehen, so können wir über die Absichten Katharina’s gar nicht in Zweifel sein. Nun tadelt aber Ranke den Fürsten Kaunitz, weil er übersehen hätte, dass dies- mal die Vermeidung eines Bruches nicht mehr ganz von der Kaiserin und den österreichischen Einwirkungen auf den Divan abhinge, da die Türken die Krim wiederzuerobern gedächten. Einen Beweis dafür, dass die Pforte solche Absichten 1786 hegte, führt Ranke nicht an, und es giebt auch keinen.

Im Anfange des folgenden Jahres kam ein Herr von Laskaroff als Bevollmächtigter Potemkin’s nach Konstantinopel und bestand auf

") So erzählte später die Pforte bei Zinkeisen VI, 946. Hieran schliessen sich die Worte comme l’Imperatrice va venir encore elle-m&me, was für die Zeit- bestimmung wichtig ist.

40 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

den alten Forderungen Russlands, indem er hinzufügte: wolle sich die Pforte darein nicht fügen, so müsste die Kaiserin den Frieden als gebrochen betrachten. Diesen Vorgang, welchen Zinkeisen nach den Berichten des preussischen Gesandten erzählt, übergeht Ranke mit Un- recht. Aber was antwortete die Pforte? Sie werde, sagte sie, von ihrer rechtfertigenden Note vom 3. Juli des vorigen Jahres keinen Finger breit weichen.!) Und in dieser Antwort steht von einer Absicht, die Krim zurückzugewinnen, nichts. Erst bei der Kriegserklärung stellt die Pforte in Bezug auf die Krim eine Forderung auf, die aber doch etwas anders lautet, wie wir später hören werden.

Im Jahre 1787 reiste Katharina bekanntlich nach Südrussland und der Krim. ,Man besah“, schreibt Ranke, „die Festung und Stadt Cher- son mit ihren neuen Gebäuden und dem bereits aufblühenden Handels- verkehr“. Das Wort ‚‚man‘‘ bedeutet hier Katharina und Joseph mit ihrem Gefolge. Nun erzählt aber Letzterer dem Feldmarschall Lasey, er würde nichts in Cherson gesehen haben, wenn er nicht bei seiner ersten Ankunft in der Stadt, bevor er der Kaiserin entgegenfuhr, in Zeit von 36 Stunden sie durchlaufen hätte. Und vom Handel bemerkt er, derselbe sei noch ohne Bedeutung.)

Hier an diesem Orte wechselten die Kaiserin und Joseph politische Bemerkungen. Ranke meldet: „Katharina liess erkennen, dass sie den Krieg mit den Türken gern wieder anfangen möchte. Der Kaiser machte ihr einige Einwendungen, sie gab darauf zu verstehen, dass sie ihre Sache auch ohne fremde Hilfe durchzusetzen im Stande sein werde“. Die An- gaben sind aus einem Briefe Joseph’s an Kaunitz entlehnt, wo es heisst: „Die Kaiserin brennt vor Begierde, mit den Türken wieder anzufangen; sie hört auf keine Vorstellung über dieses Kapitel, denn ihre Eitelkeit und ihr Glück verblenden sie dermaassen, dass sie glaubt, sie werde sarız allein im Stande sein, was sie will, auszuführen ohne meine Mit- wirkung.“°) Jedermann sieht auch hier, wie sehr Ranke die Nachrichten abschwächt.

In Cherson kam es zwischen den russischen, österreichischen und französischen Diplomaten zu Unterhandlungen über die Erhaltung des Friedens, wofür sich auch Joseph bei Katharina verwendete. Es wurden angeblich ermässigte Forderungen aufgestellt, welche Bulgakoff nach

!) Zinkeisen VI, 613.

?) Arneth, Joseph II. und Katharina von Russland, 358, 355. Der Kaiser schreibt: „Die Wüsteneien, welche die Stadt umgeben, die ungesunde Luft und die schlechten Zolleinrichtungen werden es für lange Zeit verhindern, dass der Handel blühend wird.‘ Katharina dagegen pries dem Herrn von Grimm die Lage, den Boden und das Klima der Stadt; aber sie will loben und ihren Potemkin heraus- streichen. (Sbornik XXIII, 44.)

®) Ebendas. 292 Anmerk.

III. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung. 41

Konstantinopel mitnehmen sollte.e Ranke meint, dass dieselben einen friedlichen Austrag sehr möglich erscheinen liessen. Ich gestehe, dass ich über dieses Urtheil doch erstaunt bin. Von den fünf Punkten lautete nur einer, von dem später noch die Rhede sein wird, etwas zu Gunsten der Türken, die übrigen vier stellten Forderungen an den Sultan.') Am wichtigsten war für ihn die Entscheidung über Georgien. „Man kam über- ein“, erzählt Ranke, „‚‚dass dieser Streitpunkt mit Stillschweigen über- gangen werden solle. Die Meinung der Kaiserin war, zwar ihr Schutz- verhältniss über dieses Land unbedingt festzuhalten, aber doch nicht darauf zu dringen, dass es von den Osmanen anerkannt würde.“ Wie elend ist doch diese Auskunft, welche der grosse Geschichtsschreiber für diplomatische Weisheit hält! Im Anfange des Jahres 1784 hatten die Türken, wie erwähnt, stillschweigend darein gewilligt, dass die Krim dem russischen Reich einverleibt würde; sie wussten jetzt ganz genau, dass sie dadurch nichts gewonnen hatten. Sollten sie wiederum den nämlichen Fehler begehen? Einmal betrogen zu werden, sei menschlich, meint Friedrich der Grosse, wem es dagegen zum zweiten Male begegnet, den nennt er einen Thoren. Und das wollten die Türken nicht sein, „In diesem Augenblicke“, schreibt Ranke weiter, „hätten die Russen ohne Zweifel den Frieden zu erhalten gewünscht“. Ganz gewiss; nur hätte sich die Kaiserin dann gegen die Türken gemässigter benehmen müssen. Von Cherson begab sich Katharina nach der Krim. ,‚Der An- blick von Sewastopol“, meldet Ranke, ‚mit seinem umfassenden Hafen, habe Katharina in eine Art von Extase versetzt; denn von hier könne man Konstantinopel in 48, vielleicht in 36 Stunden erreichen.‘ Die letzte Bemerkung machte aber nicht Katharina, sondern Joseph in einem Brief an Lasey;?) daher hätte für den Conjunktiv könne, der Indikativ konnte geschrieben werden sollen. Und überdies hätte Ranke wohl hier etwas farbenreicher sein können, da der Zeitpunkt denkwürdig genug war.

In meinem letzten Vortrage hiess es hierüber: Noch stolzer (als in Cherson) wurde Katharina in Sewastopol. Ungefähr 36 Linienschiffe und Fregatten lagen dort vor Anker. Als die Kaiserin und ihr hoher Gast an ihnen vorbeifuhren, standen die Matrosen in solcher Zahl auf den Raaen, dass sie für den Dienst der Fahrzeuge wohl genügen konnten. „Das Schauspiel war so schön als möglich,‘ bemerkte der Kaiser. Den Hafen nennt er den besten, den er in seinem Leben gesehen; 150 Schiffe konnten dort sehr bequem liegen, geschützt gegen alle Gefahren sowohl des Meeres als des Feindes, welcher sich in die von drei Batterien ver- theidigte Bucht nicht hineinwagen durfte. Man hatte bereits mehrere Häuser, Kasernen und Magazine gebaut. „Wenn man in den nächsten

!) Sie stehen bei Zinkeisen VI, 624, 2), Ps 36%

42 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Jahren so fortfährt,‘“ meinte Joseph, „so wird der Platz sicherlich be- deutend werden“. Katharina war ausser sich vor Entzücken über das, was sie sah, und über die neue Machtstufe, welche dadurch das russische Reich betrete. Der Kaiser Joseph aber erwog, dass die Fahrt von hier bis nach Konstantinopel in 48 und manchmal sogar in 36 Stunden vollbracht würde. „Was für unangenehme Betrachtungen,‘ schrieb er, ‚muss das meinem Kameraden, dem Grossherrn, verursachen, der niemals sicher ist, dass ihm allernächstens diese Kerle mit Kanonenkugeln ohne das geringste Hinderniss die Fenster einschiessen“. Jedenfalls war der Zeitpunkt un- geeignet, friedliche Gesinnungen in der Brust der Kaiserin zu erwecken oder zu erhalten.

Die Türken sahen übrigens ganz richtig, dass Katharina im Kaukasus ebenso vorging, wie früher in der Krim, und dass sie dort festen Fuss zu fassen die Absicht hatte. Das wollten sie aber um keinen Preis dulden, sondern lieber zu den Waffen greifen. Bevor sie jedoch den entscheidenden Schritt thaten, rief der Reis Effendi den Herrn v. Bulgakoff zu sich, um mit Bestimmtheit zu erfahren, was die Pforte von Russland in Bezug auf die zwischen ihnen streitigen Punkte zu erwarten hätte. Ranke spricht davon nicht, so wichtig die Zusammenkunft war; denn hier musste sich die Friedensliebe der Kaiserin offenbaren. Aber das Gegen- theil findet statt. Eine Beschwerde der Pforte ging dahin, die Be- wohner von Oczakow seien vertragsmässig befugt, ihr Salz aus den benach- barten Salinen, die 1774 an die Russen gekommen waren, unentgeltlich zu beziehen, aber sie wurden durch die letzteren daran verhindert. In Cherson hatten die Diplomaten die Forderung der Pforte ein wenig einge- schränkt, indem sie verlangten, dass die Türken das, was über den Bedarf von 100 000 Köpfen hinausginge, zu bezahlen hätten. Dem Reis Effendi erklärte dagegen Bulgakoff, es müsste dabei bleiben, dass die Pforte jährlich nur 50 Pud in Anspruch nehmen könnte, d. h. 1637Y/, Pfund. Also waren jene sogenannten ermässigten Forderungen doch nur ein Schein,

Die Türken hatten sich über die Consuln von Jassy, Bukarest und Alexandrien beklagt, welche die Bevölkerungen fortwährend aufhetzten und den Hospodar der Moldau verführt hätten. Nach seiner Absetzung war dieser Mann über die russische Grenze geflohen. Die Pforte ver- langte den Verträgen gemäss seine Auslieferung und die Entfernung der Consuln aus den genannten Städten; aber jenes wurde natürlich abge- schlagen und über das andere wollte der Gesandte weiteren Befehl aus Petersburg erbitten. Zu eben diesem Mittel griff Bulgakoff in Bezug auf eine andere Beschwerde der Pforte, welche vergeblich über die schlechte Behandlung der türkischen Kaufleute in Russland klagte. Wenn sie zur Sicherheit Konstantinopels das Recht haben wollte, die russischen Schiffe, die im Schwarzen Meere segelten, zu durchsuchen, und Bulgakoff

III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 43

es rundweg abschlug, so ist das Verhalten beider Mächte begreiflich, und in gleicher Weise bestand der Gesandte fest und unverrückt auf der Oberherrschaft Russlands über Georgien. ')

Unter diesen Umständen zögerte zwar die Pforte noch einige Wochen, aber am 13. August entschied sie sich für den Krieg, und drei Tage später wurde Bulgakoff, allerdings mit allen Ehren, in die sieben Thürme gebracht. „Er ist vor dem ottomanischen Ministerium beinahe stumm geblieben,‘ meldete der preussische Gesandte nach Hause; ‚daraus geht unzweifelhaft hervor, dass er den Ausgang der Angelegenheit nicht vorher- gesehen und keine bestimmten Verhaltungsbefehle für irgend welchen Ausgleich besessen hat.‘‘?)

So trat ein, was Katharina wollte, wenn sie auch einen Aufschub bis zum nächsten Jahre lieber gesehen hätte, denn sie war noch nicht genügend zum Kampfe vorbereitet. „Man muss wie Ew. Majestät die verkehrte russische Hausordnung gesehen haben,“ schrieb Kaunitz am 5. November an Joseph II., „um die Möglichkeit zu begreifen, dass man so wenig im Stande ist Krieg zu führen, nachdem man mit solcher Prahlerei that, als ob man ihn suche und den Augenblick seines Be- ginnes kaum erwarten könne‘‘, Um dieselbe Zeit beklagte Potemkin die vorzeitige Eröffnung des Krieges, während im nächsten Jahre seine Flotte der türkischen Hauptstadt Gesetze vorgeschrieben haben würde. °)

Nachdem die Pforte die Entscheidung der Waffen angerufen hatte, rechtfertiste sie diesen Schritt vor den fremden Mächten. Indem sie ihre Beschwerden gegen Russland aufzählte, nannte sie zuerst die Ein- verleibung der Krim, welche gegen den Frieden von Kutschuk Kainardsche unerwartet vollzogen worden wäre, dann die Oberherrschaft über Geor- gien, das Verhalten Russlands in Bezug auf das Salz gegenüber den Be- wohnern von Oczakow, die Weigerung, den geflüchteten Hospodar der Moldau, welchen die russischen Consuln verführt hätten, auszuliefern. Diesen Beamten, die in der Walachei und Moldau, auf den Inseln des Archipelagus und an Orten, wo sie gar nicht nöthig wären, von der Kaiserin hingesetzt würden, warf das Schriftstück vor, sie verpflanzten Unterthanen der Pforte nach Russland, wahrscheinlich als Ansiedler, andere nähmen sie in den Dienst der heimischen Flotte. Die russischen Kaufleute könnten mit aller Sicherheit ihrem Handel in den Ländern der Pforte nachgehen, dagegen müssten die türkischen höhere Zölle entrichten als andere fremde Geschäftsmänner, sie blieben ununterstützt von der russischen Regierung, wenn sie ihre Schulden eintreiben wollten, so dass

!) Zinkeisen VI, 626.

2) Zinkeisen VI, 629, Anmerk.

®) Beer, Joseph Il., Leopold II. und Kaunitz, p. 282. Ssolowjoff, Gesch. des Falles von Polen, 182,

44 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

sie meistentheils verarmt und zu Grunde gerichtet nach Hause kämen. Ihre Kauffahrteischiffe dürften nicht bei Sturm oder Wassermangel landen.

Die Türken schoben die Unsicherheit, welcher sie jetzt unterlägen, hauptsächlich dem Umstande zu, dass die Krim in die Hände der Russen gefallen wäre; sie hatten daher gegen Bulgakoff den Wunsch ausge- sprochen, einen neuen Vertrag mit Katharina zu schliessen, durch wel- chen die Halbinsel wieder unabhängig würde, wie es durch den Frieden von Kutschuk Kainardsche bestimmt worden wäre. Natürlich hatte der Gesandte sich geweigert, einen solehen Vorschlag nach Petersburg zu melden, worauf die Pforte den Frieden für gebrochen erklärte. Von diesem Verlangen der Türken spricht übrigens Ranke auch hier an der richtigen Stelle, doch hat er die Worte que la Crime restät dans l’ancien 6tat falsch verstanden; sie bedeuten nicht in den Zustand wie vor 1774, sondern wie vor 1784. In der russischen Rechtfertigung, von welcher sogleich die Rede sein wird, heisst es ausdrücklich: die Pforte habe dem Gesandten erklärt, dass sie sich einzig und allein durch den Ver- trag von Kutschuk Kainardsche gebunden erachte, durch die folgenden nur soweit, als sie es für gut finde. Ranke hat diese Rechtfertigung ohne Zweifel nieht näher angesehen und sich durch Zinkeisen verführen lassen, der die beiden Actenstücke zwar herausgegeben, aber nicht richtig verstanden hat. Er meint nämlich, mit ihrer Forderung habe die Pforte die Nothwendigkeit der Zurückgabe der Krim ausgesprochen wissen wollen.!) Ebenso schreibt Ranke von Forderungen, bei denen auch die Absicht auf Wiedererwerbung der Krim erscheine.?) Das ist aber, wie gezeigt, unrichtig.

Reissen wir nun der Kaiserin Katharina die schöne Maske vom Ge- sicht. Auch sie sandte den fremden Mächten zu ihrer Rechtfertigung ein Schriftstück zu, länger und wortreicher als das türkische. Wiewohl sie eine Fülle von Beweisen für das üble Verhalten der Pforte zu be- sitzen vorgab, wollte sie doch erst in einiger Zeit damit hervortreten und jetzt nur anführen, was zum Bruche geführt hätte. Katharina be- hauptet, dass von der Pforte Forderungen in Bezug auf das Salz erhoben worden wären, die über die Bestimmungen des Friedensvertrages hinaus- singen, sie führte weiter an, dass die Türken sich der Einsetzung von Consuln widersetzt und der Pascha von Achiska den Einfall der Lesghier in Georgien unterstützt hätte. Was die letztere Angelegenheit betrifft, so meldete die vollendete Heuchlerin den fremden Mächten, wie sie, um einen Bruch zu verhüten, versöhnliche Schritte gethan hätte, getreu der Mässigung, die ihr von ihrer Menschen- und Friedensliebe vorgeschrieben worden wären, $ie erdreistete sich zu sagen, dass sie mit ähnlichen

1) VI, 6928. 2) 31/32 299.

III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 45

Vorschlägen Bulgakoff aus Cherson nach Konstantinopel zurückgeschickt hätte. Wir wissen, dass dies alles lauter Unwahrheit ist. Wie sie am Anfang ihrer Laufbahn in Kurland sich benommen, so ist sie bis an’s Ende geblieben. Den Gipfelpunkt erreichte die Meisterin in der Kunst der Verstellung mit der Behauptung, dass sie eben im Begriffe gestanden hätte, in einige Forderungen der Türken zu willigen, als die Kriegs- erklärung eingetroffen wäre. Der gutmüthige Zinkeisen glaubt ihr,') aber hier lässt Ranke sich von ihm nicht verführen.

Die Pforte hatte den Kampf für eine religiöse Pflicht erklärt. Ebenso meldete die fromme Katharina den fremden Mächten, sie sei durch jene zu einem Waffengang herausgefordert worden; sie hielt sich infolge dessen für vollkommen unschuldig an den Leiden, welche der ausbrechende Krieg erzeugen würde, und für berechtigt, nieht allein auf den göttlichen Schutz und den Beistand ihrer Freunde zu zählen, son- dern auch auf die Wünsche der gesammten Christenheit für den Triumph einer so gerechten Sache, wie diejenige wäre, deren Vertheidigung zu unternehmen sie sich gezwungen sähe. ?)

In Russland sucht man weniger, grosse Wohlfahrt im Innern zu schaffen, als vielmehr die Grenzen auszudehnen. Sollte die starke Hungersnoth, die in dem weiten Reiche wüthete, die Kaiserin abhalten, die Reise nach der Krim, die sehr viele Millionen verschlang, zu unternehmen? Sollte sie den Fürsten Potemkin, welchen sie schon oft mit reichen Geschenken überhäuft hatte, für seine Leistungen in den neuen Gebieten nur mit dem Beinamen der Taurier abfinden und die 100 000 Rubel, welche sie ihm zudachte, lieber dem hungernden Volke geben? Sollte sie aufhören, ihre Generaladjutanten aus den Steuern des armen Volkes für die Dienste, welche sie ihr leisteten, übermässig zu belohnen ?

Zunächst aber musste sie den Krieg führen, welchen sie selbst herbei- gewünscht hatte. Dass ihr Joseph hierbei nicht feindlich entgegentreten würde, darüber durfte sie keinen Zweifel hegen; dagegen war es unsicher, ob er ihr Beistand leisten könnte. Schon als er noch in Russland weilte, hatten ihn schlimme Nachrichten aus seinen niederländischen Provinzen erreicht, die ihn ganz ausser Fassung brachten. Im Gegen- satze zu Katharina meinte er es mit seinen Unterthanen wirklich gut, aber er dachte gar zu hoch von der Allgewalt der Herrscher und ver- stand es nicht, wie Friedrich der Grosse, vor Privilegien Halt zu machen. Ueber die Schwäche, welche die Generalstatthalterschaft ihm hierbei gezeigt zu haben schien, ward er rasend vor Wuth, und wenn Kaunitz wirklich glaubte, dass Menschenfreundlichkeit und Religion dem Kaiser verbieten würden, das Blut seiner Unterthanen zu vergiessen, so befand

Y VI, 633. ?) Beide Schriftstücke stehen am Schlusse des sechsten Bandes von Zinkeisen.

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er sich im Irrthum. Zwar suchte sich Joseph mit den Provinzen zu verständigen, und er forderte sie deshalb auf, Deputirte nach Wien zu schicken; aber zugleich gab er Befehl, von den Waffen Gebrauch zu machen, wenn die öffentliche Ruhe gestört werden sollte. Doch gingen seine Absichten noch viel weiter. Wenn seine niederländischen Unter- thanen sich geradezu gegen ihn auflehnten und von den kaiserlichen Truppen besiegt würden, so wollte der Menschenfreund den gesammten Besitz derjenigen, die am Aufstande theilgenommen hätten, als der Krone verfallen ansehen und über alle Gesetze, Privilegien und Staatseinrich- tungen ganz allein nach seiner Willkür verfügen. Die Grundsätze, welche der Kaiser hier gegen den englischen Gesandten aussprach,') waren natür- lich nur für den äussersten Fall berechnet, und dieser trat noch nicht ein; denn die Deputirten erschienen. Joseph verlangte, dass vor jeder weiteren Verhandlung alles in den früheren Stand gesetzt werden und also die Neuerungen, die er einseitig getroffen und welche das Land siegreich zurückgewiesen hatte, zunächst doch wieder in’s Leben treten sollten. Mit diesen Aufträgen reisten die Deputirten nach Hause. Sie hatten gegen den Kaiser doch nicht grob sein können, und so überredete sich dieser, sie wären befriedigt von Wien fortgegangen. Da nun auch die Truppen in den Niederlanden ohne jede Schwierigkeit zusammen- gezogen worden waren, so hielt sich Joseph für geborgen, und vertrauens- selig, wie er war, überliess er sich dem Glauben, er werde leicht Mittel finden, die Verfassung der Niederlande mit den von ihm beabsichtigten Aenderungen und Verbesserungen auszusöhnen, sobald die Ruhe gänzlich wieder hergestellt sei. So schrieb er am 30. August an Katharina. Er hoffte damals, in einigen Tagen die Nachricht von der Ausführung seiner Befehle zu empfangen, und weil er mit solcher Zuversicht vorwärts blickte, ging er noch einen Schritt weiter. Er hatte früher als die Kaiserin von Russland die Kunde von der türkischen Kriegserklärung vernommen, und so gab er unaufgefordert und etwas eilig die Erklärung ab, dass er, treu seinen Verpflichtungen als Bundesgenosse und noch mehr von aufrichtiger Freundschaft gegen sie getrieben, auf jede Weise zeigen wolle, wie sehr ihre Sache die seinige sei. Am 13. October meldete Joseph der Kaiserin, er sei mit seinen Anordnungen fertig und habe sein Heer so aufgestellt, dass es einen Seitenangriff auf die türki- schen Truppen machen könne. Eben schienen ihm die belgischen Un- ruhen ihr Ende gefunden zu haben, und zwar in gerade so lächerlicher Weise, wie sie angefangen hätten. „Die Niederlage der holländischen Patrioten,‘‘ fuhr er fort, „die ohne Schwertstreich herbeigeführt worden ist, macht dem Könige von Preussen, welcher den Werth der hollän- dischen und französischen Worte sehr wohl abgeschätzt hat, eben so

Y) Ranke, 31/32, 313, Anm. 1.

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II. Historisch-staatswissenschaftliche Abtheilung. 47

viel Ehre wie dem Herzoge von Braunschweig, der es verstanden, den ihm ertheilten Auftrag vortrefflich auszuführen.‘‘').

Indem aber Katharina jetzt auf die Unterstützung des Kaisers Joseph rechnen konnte, schien der Plan, über welchen sie vor fünf Jahren mit ihrem Bundesgenossen einig geworden war, der Verwirklichung nahe, Jedoch wie selten gelingt es auch bedeutenden Geistern, ihre hochfliegen- den Entwürfe so vollständig auszuführen, wie Fürst Bismarck Deutsch- lands Einigung in’s Werk gesetzt hat!

In der dritten Sitzung am 19. December las Director Dr. Reimann einen Aufsatz über

Katharina II. und Joseph II. im Bunde gegen die Türken 1788.

Wie der siebenjährige Krieg ein Jahr früher ausbrach, als Maria Theresia die Absicht hatte, so verhielt es sich auch 1787 mit dem Bruche zwischen Russland und der Pforte. Durch die fortwährenden scharfen und herausfordernden Beschwerden des russischen Gesandten gereizt, erklärte der Sultan endlich am 16. August 1787 der Kaiserin von Russland den Krieg. Hier war man mit den Rüstungen noch nicht fertig; aber man musste den hingeworfenen Handschuh jetzt aufnehmen, und Katharina that es sehr gern. Sie wollte so gut als möglich ihre Rolle spielen und die muselmännische Höflichkeit vergelten. Sie beschloss auch sogleich, wieder, wie im Jahre 1769, in das Mittelmeer eine Flotte zu schicken, Im nächsten Frühlinge sollte das geschehen, und wenn sich dabei zu ihren 20 Schiffen französische hilfreich gesellten, so war sie bereit, der verbündeten Macht in Aegypten eine Entschädigung zu gewöhren.?)

Wie rasch aber stiess die Kaiserin auf ungeahnte Schwierigkeiten. Zunächst wurde sie durch die verzagte Stimmung ihres Lieblings Potemkin erschreckt. Mit welchem Stolz hatte dieser vor wenigen Monaten ihr in Sewastopol die neuen Schiffe gezeigt, mit denen er im nächsten Jahre vor der türkischen Hauptstadt erscheinen wollte, um dem Sultan Gesetze vorzuschreiben! Aber diese siegesfrohe Stimmung schlug um, als die Türken am 30. August die Feindseligkeiten begannen, um Kinburn zu erobern, welches am Liman des Dniepr gegenüber der türkischen Festung Oczakoff lag. Dass nervenschwache Feldherren einen guten Plan ver- derben können, hatte der Prinz Heinrich im bayerischen Erbfolgekriege zum Leidwesen Friedrich’s des Grossen bewiesen, und ähnlich erging es jetzt dem Fürsten Potemkin. Dass der Krieg früher ausgebrochen war, als er gedacht, benahm ihm die Fassung, und als die Türken Kinburn wirklich belagerten und seit 4 Tagen aus Kanonen und Bomben be-

!) Arneth, Joseph Il. und Katharina II., 302, 303. ?) S. den Briefwechsel zwischen Katharina und Potemkin bei Ssolowjoff Gesch. des Falles von Polen, p. 184.

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schossen, da schrieb er wie in Verzweiflung an die Kaiserin, ja, er wünschte, den Oberbefehl an einen Anderen abzugeben. Katharina tröstete den Verzagten; sie meinte, wenn Kinburn verloren ginge, so würde doch Russland noch immer bleiben was es wäre. Dann fuhr sie fort: „Ist nur mein Fürst gesund, so läuft Alles gut ab, und platzt auch irgendwo etwas Unangenehmes heraus, so wird es zurechtgerückt.‘ Katharina flehte zu Gott, dass er dem Fürsten Gesundheit und Kraft verleihen und die Hypochondrie von ihm nehmen möchte. Sie rieth ihm, rasch von der Vertheidigung zum Angriff überzugehen. Aber wie er- schrak sie erst einen oder zwei Tage später!!) Am 22. September hatte sie an Joseph geschrieben: „Ich erwarte jeden Augenblick Nachrichten von der Flotte, die Ew. Kais. Maj. im Hafen von Sewastopol gesehen hat; sie muss der feindlichen Flotte entgegengefahren sein. - Die Ge- legenheit ist schön für tapfere Leute, die gute Schiffe haben.‘“?) Wir sehen, was für Erwartungen Katharina’s Busen schwellten, der sich dann krampfhaft zusammenzog, als Potemkin Nachricht gab. „Mütterchen, Herrscherin, ich bin unglücklich geworden,“ schrieb er; „obwohl ich mein Möglichstes gethan, geht Alles verkehrt. Die Flotte hat der Sturm zertrümmert; ein Rest davon ist in Sewastopol, lauter kleine, unzuver- lässige oder vielmehr untaugliche Fahrzeuge. Die Linienschiffe und die Fregatten sind zu Grunde gegangen. Gott schlägt, nicht die Türken.‘‘°) In düsterer Verzweiflung griff er zu dem äussersten Entschlusse, bei- nahe wie Maria T'heresia, als der bayerische Erbfolgekrieg in sicherer Aussicht stand. ‚Alle Gnaden und Güter, die ich von Ihrer Freigebig- keit erhalten habe,“ schrieb er an die Kaiserin, „lege ich Ihnen zu Füssen und will in Einsamkeit und Vergessenheit mein Leben beschliessen, das, wie ich denke, nicht mehr lange dauern wird.“

Die Nachricht von dem grossen Schaden, welchen der Sturm ange- richtet, betrübte Katharina natürlich sehr; aber sie meinte, dennoch sej Nichts verloren. Ueberaus schmerzlich war ihr dagegen die verzweifelte Stimmung Potemkin’s, in welcher er durchaus den Oberbefehl abgeben wollte und von der Nothwendigkeit sprach, die Truppen aus der Krim zurückzuziehen. Sie schlug ihm umgekehrt vor, zum Angriff überzugehen und etwas gegen Oczakoff und Bender zu unternehmen. „Ermanne Dich doch,‘ fuhr sie fort, „und bedenke, dass ein beherzter Geist auch das Missgeschick umzuwandeln vermag. Alles dies schreibe ich Dir als meinem liebsten Freunde, meinem Zögling und Schüler, der bisweilen mehr Muth hat, als ich selbst. Für diesmal bin ich beherzter als Du,

!) Ebendas. 178 ff. ?) Arneth, Joseph II. und Katharina II., p. 301.

®) Der Schaden war übrigens nicht so gross, wie sich später herausstellte Sbornik XXIII, 434.

III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 49

weil Du krank bist, ich aber gesund bin. Du bist ungeduldig wie ein fünfjähriges Kind, während die Geschäfte, die Dir auferlegt sind, eine durch nichts zu erschütternde Geduld erheischen.‘“

Zu derselben Zeit, wo Katharina den Fürsten Potemkin aufforderte, sich zu ermannen, konnte der General Suwarow mit Stolz an den vorher- gehenden Tag denken. Am 12. October waren die Türken gelandet, um Kinburn zu erstürmen, und ein langer, heisser Kampf entbrannte; denn beide Theile stritten mit äusserster Tapferkeit. Aber zuletzt er- fochten die Russen den Sieg und brachten den Türken die schwersten Verluste bei. Auch im Kaukasus behielten die Generäle Katharina’s die Oberhand, und so konnte sie mit dem Ausgange des Jahres 1787 immer noch zufrieden sein. Dagegen machten sich die Folgen der Hungersnoth schrecklich geltend. ,‚Gott gebe, dass die Krankheiten aufhören,‘ schrieb die Kaiserin an Potemkin am 6. Februar 1788, „die Theuerung ist furcht- bar. Gott verleihe Kraft, alle sichtbaren und unsichtbaren Mühselig- keiten zu ertragen.“ Diesmal suchte sie der Fürst aufzurichten, indem er sie ermahnte, sich zu gedulden und unerschütterlich auf Gott zu ver- trauen. „Christus wird Ihnen helfen und das Ende der Trübsal senden. Gehen Sie Ihr Leben durch, Sie werden sehen, wie viel ungehofftes Heil Ihnen nach dem Missgeschick zu Theil ward.“ Zu den tausend und abertausend Menschen, die mit der Bibel Unfug getrieben haben, gehört auch Potemkin. Er bezog auf Katharina’s Thronbesteigung die Rolle des Apostels Paulus im Römerbriefe: „Ich empfehle euch aber unsere Schwester Phoebe, welche ist am Dienste der Gemeine, dass ihr sie aufnehmet in dem Herrn, wie sich’s ziemet den Heiligen.‘‘')

Mehr als dieses Schreiben musste Katharina die Nachricht erfreuen, dass der Kaiser dem Sultan den Krieg erklärt hätte, Seit 1739 lebten die beiden Nachbarländer in einem glücklichen Frieden, der auch nicht durch den Raub der Bukowina gestört worden war. Nach dem Tode der Kaiserin Maria Theresia hatte sich Joseph zum Sturze des osmani- schen Reiches mit Katharina verbunden, dann aber, als sie ihn rief, war er erschrocken zurückgewichen. Aber die Listige gab ihr Spiel noch nicht verloren. Sie reizte die Türken so lange, bis ihr diese den Krieg erklärten. Allerdings hatte sie zu ungestüm gespielt und die Feind- seligkeiten vorzeitig heraufbeschworen. Aber nun, da sie angegriffen wurde, musste Joseph ihr Beistand leisten. Nach dem Vertrage von 1781 war er verpflichtet, drei Monate nach geschehener Aufforderung mit 10000 Mann Fussvolk und 2000 Mann Reiterei sammt Feldartillerie der Kaiserin von Russland zu Hilfe zu kommen. Die Lage der Dinge in den österreichischen Niederlanden hätte Joseph dahin führen sollen, die Aufforderung Katharina’s abzuwarten und nur die verabredete Hilfe zur

\) Ssolowjoff 185.

50 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Culiur.

festgesetzten Zeit zu leisten. Die Kaiserin von Russland erkannte richtig, welchen Schaden die flämische Bewegung ihren Plänen bringen könnte, und sie erstaunte darüber, dass ein Fürst, der auch mit dem Geringsten zu sprechen pflegte, von der Stimmung des belgischen Volkes keine Ahnung hatte, während doch die Uebereinstimmung allgemein gewesen wäre, als der Widerstand ausbrach.‘) Aber in seinem Herrscherdünkel hielt Joseph die Unruhen für gestillt oder so gut wie gestillt, und er beschloss, mit seiner ganzen Macht gegen die Türken zu ziehen, die ihm nichts zu Leide gethan hatten. Der Vicekanzler Ostermann sagte dem österreichischen Gesandten, die Kaiserin wünsche lebhaft, dass der Wiener Hof bald in den Besitz Bosniens und Serbiens gelange, in Albanien bis an das Meer vorrücke und sich aller Länder bemächtige, die ihm der Vereinbarung gemäss zufallen sollten.

Joseph hatte den Krieg eigentlich in unehrlicher Weise bereits im Anfange des Decembers angefangen, indem er die Festung Belgrad über- rumpeln liess, und als das Unternehmen missglückte, hatte Kaunitz sogar zu einem neuen Versuche, welcher am Ende doch unterblieb, gerathen, ?) dann aber zur Kriegserklärung gedrängt, und nun stellte der Kaiser sein Heer auf der 200 Meilen langen Grenze so auf, dass die an die Türkei stossenden Kronländer gegen Einfälle der Feinde gedeckt wären. Sein Rathgeber war hierbei wie im Jahre 1778 der Feldmarschall Graf Lasey. In den letzten Tagen des März kam Joseph selbst in das Lager bei Futak, und einen Monat später wurde die kleine Festung Schabatsch an der Save genommen. Nun wollte der Kaiser den Fluss überschreiten und gegen Belgrad ziehen; aber seine Generäle riethen ab, da noch viele Vorbereitungen getroffen werden müssten, und er fügte sich noth- gedrungen. Kaunitz aber ergrimmte über diese Kriegsmänner, welche Rathschläge der Art gaben. Er meinte: diese Herren scheinen vergessen zu haben, dass zu allen Zeiten ein Feldherr nur dann glücklich gewesen ist und grosse Thaten verrichtet hat, wenn er sie zu unternehmen wagte, und dass man, wenn Eroberung von festen Plätzen und geschickte Ma- növer nicht zum Ziele führen, immer noch den Feind zu einer Schlacht zwingen und dadurch über den Feldzug oder den Krieg entscheiden kann. Der Staatskanzler glaubte in einem solchen Fall auf einen günstigen Aus- gang rechnen zu dürfen, weil die Oesterreicher den Türken in der Kriegs- kunst überlegen wären.‘)

!) Sbornik XXI, 430.

2) Beer, Joseph II., Leopold II. und Kaunitz, 283 ff. Beer, Die orientalische Politik Oesterreichs, p. 93—9.

3) Dieses Schreiben vom 22. Mai, das sehr wichtig ist, fehlt seltsamerweise bei Beer, der nur die Antwort hat, dagegen giebt Ranke 31/32 323 die Hauptstelle jenes Schreibens vom 22. Mai.

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III. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung. 51

Dieses Schreiben erhielt der Kaiser, als alle Vorbereitungen zum Vordringen über die Save getroffen waren. Aber er freute sich nicht darüber, dass nun Thaten zu kommen schienen; denn seine Generäle missbilligten den Marsch, weil man alsdann zur Belagerung von Belgrad schreiten müsste. Der Grossvezier sollte schon in Sofia siehen. Man fürchtete, dass er, wenn man die Save überschritten, mit seinem Heere binnen Monatsfrist herankommen würde, und man erschrak vor der Mög- lichkeit, von ihm angegriffen zu werden, die Festung Belgrad und zwei grosse Flüsse im Rücken. Joseph zeigte sich hier in seiner ganzen Feld- herrnblösse. Statt dem Staatskanzler zu folgen und die Generäle mit sich fortzureissen, gab er nach, so brennend der Schmerz war, den er darüber empfand. ‚Aber was bedeutet der Wille eines Einzigen gegen- über dem aller Uebrigen?“ antwortete er am 27. Mai dem Fürsten Kaunitz, „und welche Hilfe kann man von Leuten erwarten, die man wider ihre Ueberzeugung handeln lässt? Sie ziehen sich zurück, lassen Euch in der Noth sitzen und thun nur genau ihre Pflicht, und allein ist man ausser Stande, alles zu machen und vorherzusehen.‘‘')

So blieb der Kaiser in Semlin stehen und nach sieben langen Wochen schrieb er an Kaunitz: ‚Mein weiterer Plan für den Feldzug ist sehr einfach. Da ich so lange gewartet habe, um die Save zu überschreiten und Belgrad zu belagern, muss ich noch länger warten.“ Er wollte sehen, was der Grossvezier thun würde, wenn der türkischen Flotte im Liman des Dniepr etwas zustiesse, oder wenn von den beiden russischen Heeren das eine vor Oczakoff zöge, das andere in die Moldau einrückte, ob der Grossvezier alsdann mit seinem gesammten Heere gegen ihn oder gegen die Russen marschiren oder ob er seine Streitkräfte theilen würde. Erst im September, nachdem wieder ungefähr sieben Wochen verstrichen wären, hoffte der Kaiser, wenn die feindlichen Truppen durch Fahnen- flucht schwächer geworden sein würden, mit mehr Aussicht auf Erfolg und geringerer Gefahr etwas unternehmen zu können. ?)

Joseph wartete, wie man sieht, was die Russen und die Türken thun würden. Jene hielten sich noch still; denn sowohl Rumanzoff, welcher in die Moldau einrücken sollte, als Potemkin, dessen Ziel Oczakoff war, hatten erst mancherlei Vorbereitungen für den Feldzug zu treffen. Aus dem Lager des Letzteren berichtete der Fürst von Ligne im April 1788 dem Kaiser: „Wenn wir Lebensmittel hätten, würden wir marschiren, hätten wir Pontons, die Flüsse überschreiten, und hätten wir Munition, die Festungen belagern. Weiter hat man nichts vergessen.) Da be- greift man, dass Potemkin seiner Verzagtheit noch immer nicht Herr

1) Beer 290. ?\) Beer 294. ®) Witzleben, Prinz von Coburg-Saalfeld, I, 125.

59 | Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

werden konnte. Gegen Ende des Maimonats hatte er wiederum die Räumung der Krim angerathen. Aber davon wollte die Kaiserin um keinen Preis etwas wissen. ,„Gieb um Gotteswillen“, schrieb sie am 7, Juni, „diesen Gedanken nicht Raum, die ich durchaus nicht begreifen kann und die mir ganz unzulässig erscheinen, um so mehr, als sie uns Vortheile nehmen, die wir in Krieg und Frieden erworben haben, Steigt Jemand, wenn er zu Pferde sitzt, ab, um sich am Schwanz an- zuhalten ?°“')

Mit nagender Ungeduld blickte Katharina nach dem Süden auf die verschiedenen Schauplätze des Krieges; aber auch im Norden verfinsterte sich der Horizont. Zu den stolzesten Erinnerungen der Kaiserin gehörte der Sieg, den ihre Flotte 1770 in den Gewässern von Chios bei Tschesme davon getragen, und sie feierte die ruhmvolle That auch 1788 durch ein Tedeum, wie Maria Theresia dies noch vor zehn Jahren wegen des Tages von Kolin gethan hatte. Nun wollte Katharina, wie bereits erzählt worden ist, jetzt ebenfalls wieder in das Mittelmeer Kriegsschiffe senden, und sie wünschte bei diesem Vorhaben von den Franzosen unterstützt zu werden. Gering war freilich ihre Hoffnung bei der Schwäche, welche diese Nation in den Vereinigten Niederlanden gezeigt, indem sie einen Theil der Bürger zur Empörung gegen den Statthalter aufgemuntert hatte und nachher vor England und Preussen feige zurückgewichen war. Katharina spottete wohl selbst über die Franzosen, die sich früher nie- mals ungestraft hätten Nasenstüber geben lassen und jetzt alles von Georg UI. und Friedrich Wilhelm II. ertrügen. Einen Backenstreich empfangen und dann die andere Backe hinreichen, meinte Katharina, sei zwar evangelisch, aber nicht königlich. Sie erfuhr ferner, dass von den französischen Officieren, welche die türkischen Soldaten einübten, 10 nach Hause zurückgekehrt, aber etwa 20 neue dahin gegangen wären. Und wenn der Herr v. Grimm über die Absendung der russischen Flotte mit dem Grafen v. Montmorin sprach, so wollte dieser das Einlaufen in fran- zösische Häfen nur so weit gestatten, als er dadurch nicht seinem An- sehen und Einfluss bei der Pforte schadete.?)

Katharina fühlte hier Bedauern; in ihren Briefen an Grimm be- zeichnete sie die Franzosen jetzt mit den deutschen Worten ‚‚die armen Leute“. Dagegen hasste sie Georg III. und Friedrich Wilhelm II. gründ- lich, und zwar jenen noch mehr als diesen. Sie nannte Beide die Häupter des Fürstenbundes und der Windmühlen, die Vertheidiger der deutschen Freiheit, welcher Niemand zu nahe tritt, die Unterdrücker der Freiheit der Holländer, die eben gerettet werden sollten, die Aufreizer der Türken.°) Solchen Unsinn schrieb die despotische Frau im November

") Ssolowjoff 191. 2) Sbornik XXIII, 418, 496, 437, 445. 3) A. a. ©. 424.

III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 53

1787; wie aber musste sich ihr Zorn steigern, als der König von Eng- land im nächsten Frühjahre seinen Unterthanen verbot, den Russen Transportschiffe für ihre Kriegsflotte zu leihen, weil er streng neutral bleiben wollte.) Jedoch das Haupthinderniss für die Ausführung ihres Lieblingsplanes kam nicht von einer grossen Macht, sondern von Schweden,

Katharina liebte die unumschränkte Herrschergewalt über die Maassen, und sie konnte sehr hart, ja grausam werden, wenn sie sich in diesem Gefühle verletzt glaubte; denn ob dadurch das Glück einer Familie zerstört würde, das war ihr gleichgültig. Dagegen gönnte sie nicht nur den Nachbarstaaten gern den Besitz einer unverständigen Frei- heit, sondern sie suchte sogar eifrig, diesen vermeintlichen Schatz ihnen zu erhalten. So verfuhr sie bekanntlich in Polen, und so machte sie es auch in Schweden, indem sie die nach dem Tode Karls XII. eingerichtete Adelsherrschaft, welche die königliche Gewalt unvernünftig beschränkte, nicht nur selbst in ihren starken Schutz nahm, sondern auch Preussen und Dänemark zu dem gleichen Verhalten bestimmte. Dennoch wusste Gustav III., der Neffe Friedrich’s des Grossen, den günstigen Zeitpunkt, als Katharina zum ersten Male mit den Türken Krieg führte und zu- gleich durch die polnische Theilung 1772 beschäftigt wurde, für seine Zwecke zu benutzen und das ihm auferlegte Joch abzuwerfen, ohne doch den Ständen jeden Antheil an der Gesetzgebung zu nehmen, Um so inniger hielten nach dem Staatsstreiche die russischen Gesandten und die dem Könige feindliche Adelspartei zusammen, und so ist es begreiflich, dass Gustav von der Gelegenheit, welche der zweite Türkenkrieg ihm bot, ebenfalls Gebrauch machen wollte, um diese Verbindung zu zerreissen und womöglich verloren gegangene Provinzen zurückzuerobern.

Die Zeitumstände waren ohne Zweifel günstig für den König, und Katharina gerieth in die grösste Unruhe, als sie von seinen Rüstungen hörte. Am 15. Juni schrieb sie an Potemkin: ‚Ich glaube, sie packen nicht an, sondern beschränken sich auf blosse Demonstrationen, und es handelt sich nur darum, ob man solche ruhig hinnehmen soll... Folgte ich meiner Neigung, so würde ich dem Admiral Greigh und dem Geschwader Tschitschagows befehlen, die Demonstration zu zerstäuben. In 40 Jahren sollten mir die Schweden nicht wieder Schiffe bauen. Aber nach solcher That haben wir zwei Kriege statt des einen. Anfangen dürfen wir schon darum nicht, weil er der König —, wenn er uns angreift, nach der Verfassung keine Hilfe von der schwedischen Nation erhält; packen wir dagegen an, so muss sie helfen. So will ich ihm denn volle Zeit lassen, Dummheiten zu machen, Geld zu verschleudern und sein Brot

aufzuessen.‘‘?)

!, Sbornik XXIII, 445. 2) Ssolowjoff 192.

54 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Um dem schwedischen Kriege zu entgehen, liess die stolze Kaiserin dem Ministerium in Stockholm, sowie allen denen, die in dieser Nation einigen Antheil an der Regierung haben, durch den Grafen Rasumowski erklären, dass sie den Frieden wolle und sich lebhaft für die Ruhe in Schweden interessire. Der Gesandte sorgte natürlich dafür, dass seine Note durch den Druck zur allgemeinen Kenntnis kam. Mit Recht ge- rieth Gustav in heftigen Zorn darüber, dass Katharina gewissermaassen Berufung an die öffentliche Meinung in Schweden einlegte und sich zwischen den König und sein Volk stellte Am 23. Juni liess er dem Grafen sagen, dass er ihn nicht mehr als Gesandten anzuerkennen ver- möge, und er befahl ihm, das Land zu verlassen. Er selbst aber begab sich nun mit seinem Heere nach Finnland und schickte von hier eine Note nach Petersburg, worin er die Bedingungen angab, unter denen der Friede sich erhalten liesse. Zuerst verlangte der König, dass der Graf Rasumowski für seine Ränke und sein Bestreben, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Mächten zu stören, streng bestraft werden sollte, damit Seinesgleichen von allen Versuchen, sich in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten zu mischen, für immer abgeschreckt würden. Ferner forderte Gustav als Entschädigung für die schwedischen Rüstungen die Abtretung des russischen Finnlands. Drittens sollte die Kaiserin seine guten Dienste zur Herstellung des Friedens mit den Türken annehmen und zwar so, dass Russland der Pforte die Krim zurückgäbe.') Wenn es aber dem Könige nicht gelänge, auf Grund dieser Bedingungen die Pforte zum Frieden zu bestimmen, so sollte er die Grenzen, wie sie vor dem Kriege von 1768 bestanden hätten, den Türken anbieten dürfen. Endlich als Bürgschaft für die Bereitwilligkeit, solche Opfer zu bringen, sollte die Kaiserin vorläufig ihre Flotte entwaffnen, die in der Ostsee befindlichen Schiffe zurückrufen, ihr Heer aus den an Schweden und die Türkei abzutretenden Gebieten entfernen und zugleich gestatten, dass der König nicht eher entwaffne, als bis der Friede zwischen Russland und der Pforte geschlossen sei.

/Jwei Tage nach Empfang der Note schrieb Katharina dem Fürsten Potemkin: ‚Die Handlungen dieses Königes sind die eines Verrückten.... Jetzt mag Gott zwischen uns Richter sein.“?) Und dem Kaiser bezeich- nete sie am 18. Juli nicht mit Unrecht das Schriftstück als grossmäulig, unschicklich in den Ausdrücken und ungereimt in seinen Vorschlägen, ein wahres Erzeugniss des Wahnsinns. Uebrigens verhehlte sie dem

t) Wenn Brückner bei Sybel 22, 366 noch hinzufügt: Herstellung der Grenzen vor 1774, so könnten das nur die von 1768 sein, da aber diese nachher erwähnt werden, so ist jener Zusatz offenbar falsch. Auch hat ihn Katharina nicht in ihrem Schreiben an Grimm (Sbornik XXIII, 453).

?2) Brückner in der Hist. Ztschr. 22, 368.

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III. Historisch -staatswissenschaftliche Abtheilung. 55

Kaiser nicht, welche Pein ihr der unerwartete Zwischenfall bereitete, weil dadurch die Absendung der Flotte nach dem Mittelländischen Meere, wie sie damals noch glaubte, verzögert würde.') Eben deswegen warf sie einen tödtlichen Hass auf Gustav. In den Briefen an Grimm heisst er gewöhnlich Sir John Falstaff, und in verschiedenen Sprachen offen- barte sich ihre Wuth. ,Der Kerl glaubt, dass er allein alle Klugheit gefressen hat,‘ schrieb sie deutsch am 17. August, „und dass die Welt ein dummer Teufel ist“. Zwölf Tage später verwünscht sie auf englisch den König: „God damn the King Falstaff“. Und am 14. October schimpft sie ihn französisch einen charakterlosen Bösewicht, unwürdig der Stelle, die er einnimmt, von seinen Unterthanen mehr verachtet als gehasst.°)

Was nach jenen Friedensbedingungen zu erwarten stand, war ein- getreten und der Krieg ausgebrochen. Am 17. Juli hatten die Schiffe beider Theile sich ein Seetreffen geliefert. Die obersten Befehlshaber, der Herzog Karl von Südermannland und der russische Admiral Greigh, schrieben sich jeder den Sieg zu, und sowohl in Stockholm als in Peters- burg wurden Dankgottesdienste gehalten; aber da die schwedische Flotte nach Sveaborg fuhr, wo die russische sie einschloss, konnte Katha- rina zufrieden sein. Noch gelegener kam ihr der Abfall der finnischen Truppen. Als Gustav die Vorbereitungen zur Belagerung von Frederikshamm traf, weigerten sich die Officiere zu kämpfen, weil der Krieg ohne Ein- willigung der Stände geführt würde. Die Hochverräther sind sogar noch in Verbindung mit Katharina getreten. Gustav musste sein Vorhaben aufgeben und nach Stockholm traurig zurückkehren. So konnte weder seine Flotte nach Kronstadt segeln, noch er mit den Landtruppen vor Petersburg ziehen. Nicht lange, so kam er sogar in die Nothwendigkeit» das eigene Reich zu vertheidigen; denn die Dänen fielen in Schweden ein, um den Russen die vertragsmässige Hilfe zu leisten. Jedoch als sie sich anschiekten Gothenburg zu belagern, wusste Gustav diese Stadt in einen guten Vertheidigungszustand zu setzen, und Preussen und Eng- land zwangen durch Drohungen den Hof in Kopenhagen, am Kriege keinen Theil mehr zu nehmen. Nun konnte Gustav wieder mit einiger Zufriedenheit um sich blicken. „Wir sind die Dänen los,“ schrieb er am 4, December 1788 an einen Freund, „und ihr ganzer Angriff hat nur dazu gedient, das Nationalgefühl zu wecken und ein mir ergebenes Heer auf die Beine zu bringen.‘“°)

Das Unternehmen des Königs von Schweden hatte auch den Kaiser Joseph sehr erschreckt. Er war nicht eben mit den Russen zufrieden,

!) Arneth 3. 2) Sbornik 461, 463, 466. 3) Brückner, Katharina die Zweite. S. 387.

56 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

die ihn nach seiner Meinung zu wenig unterstützten, und er fürchtete, dass die unbegreifliche Schilderhebung Gustav’s III. nicht allein jenen, sondern endlich auch ihm Verlegenheiten bereiten könnte. Daher bat er am 5. August den Fürsten Kaunitz um seinen Rath. Es ist nun merk- würdig, welche bitteren Wahrheiten der Staatskanzler seinem Gebieter zu sagen wagte; denn er sprach die Ansicht aus, die Nachwelt werde das, was in den letzten acht Monaten sich zugetragen habe, für unbegreif- licher halten, als den Angriff des Schwedenkönigs. Er zielte mit diesen Worten hauptsächlich auf die österreichische Kriegführung. Er sah übrigens nicht so schwarz in die Zukunft wie Joseph. Er zweifelte daran nicht, dass Potemkin Oczakoff erobern werde. Von Rumanzoff schrieb er, dass dieser die strengsten Befehle hätte, den Wünschen des Kaisers gemäss vorwärts zu ziehen, und da er sich über den Mangel an Reiterei beklagt, habe man ihm solche geschickt. Er werde Chotin und Jassy nehmen. Allerdings vermehre die Schilderhebung des Königs von Schweden die Schwierigkeiten des Petersburger Hofes, aber es sei nicht zu fürchten, dass er grosse Fortschritte machen werde, und die Note, die dern russischen Minister überreicht worden, werde alle euro- päischen Mächte veranlassen, an seinen tollen Streichen sich nicht zu betheiligen.

Den Staatskanzler schreckte die unthätige oder zu vorsichtige Krieg- führung deshalb so sehr, weil er fürchtete, dass der König von Preussen dadurch die Möglichkeit erhalten würde, nach dem Plane des Grafen Hertzberg bewaffnet zu vermitteln, den beiden Kaiserhöfen Bedingungen, welche für sie unvortheilhaft und wenig rühmlich wären, vorzuschlagen und sie mit Waffengewalt zur Annahme derselben zu zwingen. Eben deshalb verlangte Kaunitz eine recht kräftige Kriegführung, damit man den Türken im nächsten Winter Frieden anbieten könnte. Sollte Russ- land am Ende des Feldzuges Oczakoff und einiges andere gewonnen und Oesterreich nichts in Besitz genommen haben, so würde es nicht nur keine Entschädigung für den Verlust an Geld und Menschen empfangen, sondern auch an politischem und militärischem Ansehen verlieren. Daher müsste man durchaus darauf ausgehen, etwas zu erobern.

Der Staatskanzler schlug nun vor, der Kaiser solle zwei Haupt- armeen bilden, die zweite, 50 000 Mann stark, dem tüchtigsten General zu ganz selbstständiger Führung überlassen und ihm zugleich an- vertrauen, dass die Absicht bestände, wo möglich im nächsten Winter Frieden zu schliessen. Warum aber wünschte der Staatskanzler zwei Hauptarmeen? Er konnte dem Kaiser den Oberbefehl nicht nehmen, und da er zu dessen Kriegführung gar kein Vertrauen hatte, sollte der andere Oberbefehlshaber ein starkes Heer nach eigenem Ermessen zu lenken haben. Ein bis zwei Siege über die Türken würden die letzteren bewegen, Frieden zu schliessen,

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II. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 57

Als dieses wichtige Schreiben ankam, hatte Joseph, wie es scheint, von selbst einen Wunsch des Staatskanzlers erfüllt, indem er dem Ge- neral Laudon den Oberbefehl über ein Heer von 60000 Mann übertrug. Dagegen weiter im Osten war ein schwerer Unfall eingetreten. Der Feldmarschall-Lieutenant Graf Wartensleben, der in einer vortheilhaften Stellung bei Mehadia stand, hatte das Banat von T’emesvar zu schützen, Aber einer von seinen Generälen, Papilla, versah es und wurde bei Schupanek mit Verlust von Menschen und Geschützen zurückgeworfen, andere Posten, denen die Türken jetzt in den Rücken fallen konnten, mussten ebenfalls weichen, und der Feind gelangte dadurch in den Besitz von einem Theile des Banater Gebirges des linken Donauufers. Da zog denn Joseph mit etwa 20 000 Mann dorthin, um das siegreiche türkische Heer womöglich zurückzuwerfen. Unterwegs empfing er das Schreiben des Staatskanzlers, und er meldete nun demselben nicht nur den Unfall, sondern er fügte noch einige wahrhaft erschreckende Zeilen mit eigener Hand hinzu. „Mich schmerzt in diesem wichtigen Augenblicke‘ schrieb er, „am meisten, dass mich ein trockener Husten belästigt, welcher mir das Athmen schwer macht. Ich werde mager und schlaflose Nächte schwächen meine Kräfte. Jetzt ist noch eine Art von viertägigem Fieber dazu ge- kommen... Die Arbeit fängt an mir schwer zu fallen, und zu Pferde werde ich müde, selbst wenn ich im Schritt reite.‘“ Trotz dieser höchst beunruhigenden Krankheitserscheinungen war der Kaiser entschlossen, weiter seine Pflicht zu thun.

Kaunitz erschrak sehr, als er die traurige Meldung las. Wenn Joseph schrieb, dass dieser Zustand bereits einen Monat dauere, so wusste das der Staatskanzler besser. Das Uebel hatte schon vor zwei Monaten angefangen, sich allmählich verschlimmert und war endlich zu jener beunruhigenden Höhe gestiegen. Da nahm es der alte Staats- mann auf sich, als der einzige Freund seiner Gattung, welchen Joseph hätte, den obersten kaiserlichen Leibarzt ihm zu schicken, und er be- schwor ihn ferner, die Rathschläge, die er ihm geben würde, gänzlich zu befolgen, und zwar sollte der Herrscher sogleich aus dem Felde zurückkehren, hauptsächlich der Herstellung seiner Gesundheit leben und zur Unterstützung in den Regierungsgeschäften den Grossherzog von Tos- cana, seinen Bruder, aus Florenz kommen lassen. Weiter schlug Kaunitz vor, Joseph möge Lascy nach Wien mitbringen und Laudon an die Spitze der kaiserlichen Truppen stellen, und da dieser auch keine sehr feste Gesundheit besitze, ihm befehlen, alle möglichen Erleichterungen sich zu verschaffen. Den treuen und guten Rath befolgte Joseph aber nicht, sondern er zog mit seinem Heere weiter. Nach elf Tagen hatte sich sein Zustand etwas gebessert, aber an den Fiebertagen zeigten sich noch Nachwehen, und Husten und Athembeschwerden dauerten fort. Er benutzte zur Weiterreise einen Wagen, um seine Kräfte, wie er lächer-

58 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

licher Weise meinte, für eine grosse Gelegenheit aufzusparen. „Es handelt sich darum,‘ fuhr er am 26. August eigenhändig zu schreiben fort, „das Banat und Siebenbürgen gegen das ganze Heer des Grossveziers zu beschützen. Wartensleben wird in seiner Stellung mit Kanonen be- schossen, aber er hält noch Stand. Er wird glücklich sein, wenn ich zu rechter Zeit ankomme.“')

Es dauerte jedoch nicht lange, so musste sich Wartensleben zurück- ziehen, und er that es heimlich und übereilt. Nun verbrannten die Türken viele Dörfer, und der grösste Theil der Bevölkerung wurde mit Vieh, Sachen und Erntevorräthen eine Beute des grausamen Feindes, der hinlänglich Zeit hatte, die Wälder und Berge zu durchsuchen, wohin sich die armen Leute für den Augenblick geflüchtet hatten. Der Gross- vezier stand zwischen Orsova und Mehadia an der Temes, und seine Streifwachen gingen bis Teregova. Wie froh musste der besiegte Heer- führer sein, als der Kaiser kam und sich mit ihm vereinigte. Sie waren jetzt etwa 30000 Mann stark. Sie deckten die grosse Strasse nach Karansebes und nach Siebenbürgen und hofften den Feinden das Hervor- brechen aus den Bergen zu verwehren. Joseph überredete sich, der Grossvezier hätte weiter keine Absicht, als auf bewaffneten Fahrzeugen Lebensmittel und Mannschaften nach Belgrad zu schaffen; er werde weder die Donau noch die Save überschreiten und so den kaiserlichen Truppen keine Gelegenheit geben, eine Entscheidung herbeizuführen.

Kaunitz hielt die lange Vertheidigungslinie Joseph’s für ganz unver- nünftig, und dieser rechtfertigte nun ausführlich seine Kriegsweise. Mit Stolz und Freude sah er auf das wohlangebaute, reichbevölkerte Land, und er hielt es für falsch, es im Stiche zu lassen, um von dem armen und verwüsteten Bosnien und Serbien Gebietstheile zu gewinnen. „Mit welchem Rechte,“ fuhr der altkluge Kaiser fort, „kann ein Herrscher, den seine Unterthanen bezahlen, damit er sie vertheidige, Leben und Hab und Gut ihnen nehmen lassen und sie preisgeben, nur um einige unbedeutende Eroberungen zu machen oder nichtige Vortheile zu er- werben?“ Warum hatte denn aber Joseph, wenn er so dachte, den Türken ohne Grund den Krieg erklärt, während sonst ihm die Unter- thanen kostenlos würden geschützt geblieben sein? Und wie denn, wenn der Herrscher oder seine Generäle es nicht verstanden, die Grenzen zu decken, wie es nun kam?

!) Hiermit stimmt leider nicht, was Joseph am Tage zuvor an den Prinzen von Coburg-Saalfeld geschrieben hatte (Witzleben I, 197): „Wartensleben hat seine vortheilhafte Stellung bei Mehadia nicht zu behaupten vermocht, mithin sich zurück- gezogen.‘ Aehnlich ist der Widerspruch in 2 Briefen vom 3. Juni 1787 bei Arneth, Joseph II. und Katharina IL, p. 292 Anm. u. p. 363.

III. Historisch - staatswissenschaftliche Abtheilung. 59 Brochainville und Aspremont standen nach der Donau zu und be- wachten gleichfalls die Gebirgsausgänge. Letzterer schickte einen münd- lichen Befehl an einen Major, aber dieser verstand ihn falsch, und nun verliessen Beide ihre guten Stellungen und zogen sich in das flache Land zurück, ohne den Feind gesehen oder einen Schuss gethan zu haben. Als Brochainville das vernahm, glaubte er, dass der Feind sie umgehen wollte, und folgte dem bösen Beispiel, indem er die Richtung nach Temesvar einschlug. Sie merkten zwar, dass ein blinder Lärm sie irre geführt hätte, aber sie verbesserten ihren Fehler nicht, und Joseph erhielt sechs Tage lang von diesen Vorgängen keine Kunde, und als er sie erhält, marschirt er, um von seinen Lebensmitteln nicht abgeschnitten zu werden, ebenfalls in nördlicher Richtung. Es zerreisst ihm das Herz, wenn er daran denkt, wie die feindlichen Verheerungen sich nun noch weiter erstrecken und gänzlich einen fruchtbaren Landstrich verwüsten werden, der in 50 Jahren Millionen gekostet und sehr viel Arbeit und Mühe gemacht habe. Ferner weiss er, dass die Schande nicht nur das Heer, sondern auch ihn trifft, ohne seine Schuld, wie er natürlich über- zeugt ist.

Und nicht lange, so muss er selbst auch zurückgehen, und dies ge- schah in solcher Hast und Unordnung, dass der grösste Schaden daraus entstand, und es vieler Tage bedurfte, bis alles wieder so war, wie es sein sollte. Am 29. September schrieb Joseph an Kaunitz: „Ich liege hier vor Lugosch und warte, ob der Feind aus den Bergen herauskommen wird, um ihm entgegen zu masschiren.“ Aber die Türken thaten ihm diesen Gefallen nicht, sondern sie brandschatzten und verwüsteten noch eine Weile das Land und zogen dann nach Belgrad zurück, weil der Grossvezier wegen der vorgerückten Jahreszeit die Truppen nicht mehr bei den Fahnen erhalten konnte. Joseph aber begab sich mit den Trümmern seines Heeres wieder nach Semlin, von wo er gekommen war, und am 5. December traf er wieder in Wien ein, vermuthlich ohne Triumphbögen zu finden. Dagegen hatte Laudon am 26. August Dubitza in Bosnien zur Uebergabe gezwungen, später das türkische Lager bei Gradiska zerstört und Nowi erstürmt; und dem Prinzen Josias von Coburg- Saalfeld war es gelungen, trotz der alle Thatkraft lähmenden Bemer kungen des Kaisers') am 19. September Chotin mit Hilfe der Russen zu erobern, wie Kaunitz es vorhergesagt hatte. Ebenso traf die andere Weissagung des Staatskanzlers ein, indem Potemkin 113 Tage nach Er-

!) Was soll man überhaupt von einem Kaiser sagen, der in seinem Schreiben an den Prinzen diesem Anweisung giebt, was man bei zu nehmenden Positionen besonders zu beobachten hat und wie Reiterei und Fussvolk verfahren müssen, wenn sie angegriffen werden (Witzleben 159).

60 Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur.

öffnung der ersten Laufgräben endlich am 17. December zur grossen Freude Katharina’s Oczakoff mit Sturm eroberte.

Aber die Sachlage war doch trübe. Joseph lebte in grosser Furcht:

vor einem Kriege mit Preussen, und er liess in Petersburg deshalb er- klären, dass er nicht im Stande wäre, zwei Kriege zu gleicher Zeit zu führen, einen in Böhmen und Mähren, den andern mit den Türken. In den Niederlanden führte sein unzeitiger Starrsinn neue Zwistigkeiten herbei, und Polen suchte sich der Kette, die ihm Russland angelegt hatte, wieder zu entledigen. Genug, die beiden Kaiserhöfe fanden sich am Ende des Jahres 1783 vielen Schwierigkeiten gegenüber.

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sehlesischt Gesellschaft für vaterländische Gultur.

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70. Jahresbericht. Nekrologe. 1892. RE ET = 2,®

Nekrologe auf die im Jahre I892 verstorbenen Mitglieder der Schlesischen Gesellschaft für vaterl. Cultur.

Anton Biermer, Dr. med., ordentlicher Professor der Mediein und Geheimer Medieinalrath, Ritter des Kronenordens 2. Klasse, wurde am 18. October 1827 zu Bamberg geboren, studirte in Würzburg, München und Berlin, löste bereits in Würzburg eine von der dortigen medieinischen Facultät gestellte Preisaufgabe. Hier in Würzburg, da- mals der Mittelpunkt des wissenschaftlichen Lebens in der Mediein, promovirte er auch zum Dr. med. und bestand seine medieinische Staats- prüfung. Hier wurde er auch Assistent an der medieinischen Klinik und habilitirte sich als Privatdocent, nachdem er 1855 eine wissenschaftliche Reise nach Paris unternommen hatte. Seine Habilitationsschrift „Ueber die Lehre vom Auswurf‘* ist eine seiner besten Arbeiten, die noch heut trotz der mancherlei Wandlungen in der Mediein und ungleich höher ent- wickelten mikroskopischen Technik ihren wissenschaftlichen Werth besitzt. Als Frucht seiner Würzburger Thätigkeit erschienen noch andere werth- volle Publieationen Biermer’s auf pathologisch-anatomischem und klini- schem Gebiete. Im Sommer 1861 wurde er als ordentlicher Professor der speciellen Pathologie und Director der medicinischen Klinik an die Universität Bern berufen, als deren Rector er bereits 1863 gewählt wurde. Im Jahre 1365 erhielt er einen Ruf an die Universität Zürich; obgleich alles aufgeboten wurde, ihn in Bern zu behalten, ging Biermer nach Zürich auf den Lehrstuhl, den zwei berühmte Kliniker, Schönlein und Griesinger, vor ihm eingenommen hatten. Hier lehrte er fast zehn Jahre, nachdem er inzwischen eine Berufung nach Königsberg i. Pr. ab- gelehnt hatte, folgte er 1874 einem Rufe nach Breslau als Nachfolger Leberts. Hier hat er gewirkt, bis ein halbes Jahr vor seinem Tode ihn hartes Geschick (Tod der Gattin) und schwere Krankheit zwangen, sein Amt niederzulegen. Nur die Ueberzeugung, dass seine Gesundheit ihm nicht gestatte, in dem Sinne wie früher seinen Beruf auszuüben, konnte den pflichttreuen Mann zur Niederleguug einer Stellung bewegen, welche er auch in den Tagen des Unglücks und der Krankheit gewissen- haft ausgeübt hatte,

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Die Hoffnung, welche seine Freunde an die nun für ihn beginnende Zeit der Erholung geknüpft hatten, erfüllte sich nicht. Schneller als man erwarten konnte, raffte ihn der Tod fern von der neuen lieb- sewonnenen Heimath hinweg. Er starb am 24. Juni 1892 zu Berlin in der Maison de sante, wo er Heilung gesucht hatte.

Biermer’s Arbeiten bewegen sich hauptsächlich auf dem Gebiete der klinischen Mediein. Am bekanntesten ist neben seiner Habilitations- schrift sein Buch über Bronchialkrankheiten und seine Arbeiten über Bronchial-Asthma, dessen Wesen er durch eine neue Theorie aufzuklären versuchte. Besondere Beachtung fanden seine Beobachtungen über die pernieciöse Anämie, eine Erkrankung des Blutes, welche erst durch ihn eigentlich erkannt und gewürdigt wurde. In seine Züricher Zeit fällt auch seine Thätigkeit auf dem Gebiete der Hygiene, welcher er seitdem stets ein besonderes Interesse entgegenbrachte. Seine Erfahrungen über den Typhus und seine Beobachtungen über die Cholera haben dauernden Werth behalten. Biermer aber war nicht bloss Theoretiker. In der schweren Choleraepidemie, welche 1867 die Schweiz heimsuchte, zeigte er in Zürich, was er als Arzt und Hygieniker praktisch zu leisten ver- mochte, in so glänzender Weise, dass ihm das Ehrenbürgerrecht von Zürich verliehen wurde, Auch in Breslau bethätigte er sein Interesse für die Gesundheitspflege in wirksamer Weise. Bereits 1874 wurde er hier Mitglied der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur, be- sründete 1875 deren hygienische Section und war seit 1884 Vicepräses der Gesellschaft. Eifrig betheiligte er sich an deren Versammlungen und Sitzungen, und die Klarheit seines Urtheils, der Umfang seiner Kenntnisse, die Energie seines Charakters haben wesentlich die Inter- essen der Gesellschaft nach allen Richtungen gefördert. Als Mitglied der städtischen Hospitalverwaltung widmete er allen Fragen über die Bedeutung unserer Hospitäler, das eingehendste Interesse. Seiner Erfahrung und seinem verständigen Rathe verdanken unsere städtischen Krankenanstalten einen bedeutsamen Fortschritt und manche Einrichtung zur Abwehr ansteckender Krankheiten. Er war einer der Begründer des Vereines der Aerzte des Regierungsbezirks Breslau und gehörte Jahre lang dem Vorstande desselben an. Für die Vereinsinteressen wie für die allgemeinen Standesinteressen der Aerzte hat er stets eine warme Theilnahme gezeigt. Biermer gehörte auch dem Curatorium des Schle- sischen Museums der bildenden Künste in Breslau an und hat hier am Gedeihen unseres Museums treu mitgewirkt.

Biermer’s grösstes Verdienst liegt auf dem Gebiete seiner Lehrthätig- keit. Er war ein erfahrener, gewissenhafter Arzt, sorgfältig in der Diagnose, überlegt auf dem Gebiete der Therapie. Sein Beispiel wirkte auf seine Hörer. Die Genauigkeit in der Krankenuntersuchung, die sorgfältige Anwendung aller bewährten Methoden sicherten ihm die An-

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erkennung seiner Schüler wie draussen der Aerzte, welche in schwierigen Fällen den Rath des bewährten Klinikers so gern einholten; und zeit- weise war der Umfang seiner consultirenden Praxis so gross, dass er ihn kaum zu bewältigen vermochte. Dabei zeichnete Biermer noch der Vorzug aus, dass er vorurtheilsfrei und objeetiv jeden Fortschritt an- erkannte, auch wenn dieser sich in Richtungen bewegte, die ihm nach seinem wissenschaftlichen Entwickelungsgange fremdartig erscheinen mussten. Stets wusste er die Summe seiner Erfahrungen durch die An- wendung neuer Methoden zu erweitern und diese seinen Schülern zu- gänglich zu machen. So beherrschte er vollständig alle Fortschritte, welche die Bacteriologie, wie die Entwickelung der chemischen Untersuchungsmethoden der inneren Mediecin gebracht hat. Begreiflich war es, dass dem Meister seine Schüler anhingen. Schlug doch in seiner Brust ein edles Herz, dessen Güte trotz der scheinbaren Rauhheit seines Wesens jeder anerkannte, der ihm näher trat. Denjenigen Schülern, deren Talente er erkannte, war er ein treuer und eifriger Förderer und viele seiner Assistenten sind heut zu grosser Bedeutung gelangt. Biermer war ein Mann von einfachem, schlichtem Wesen, ge- rade und ehrlich, frei von jedem Vorurtheile, ein guter und edler Mann, dessen ungekünsteltes Auftreten an seinen süddeutschen Ursprung er- innerte. Im Jahre 1832 bekleidete er das höchste Ehrenamt auf unserer Hochschule. Die herzliche Anerkennung und der Dank Vieler folgt ihm in's Grab, wie ihn ihre Theilnahme in der langen Leidenszeit, die ihm nach dem Tode seiner Gemahlin beschieden war, begleitet hat.

Carl Felsmann, praktischer Arzt, am 20. April 1822 zu Zirlau bei Freiburg in Schlesien geboren, besuchte bis zum 13. Lebensjahre die Dorfschule seines Geburtsortes, darauf durch 1'/, Jahre die Elementar- schule zu Freiburg, wo er privatim durch einen Geistlichen im Latein und Griechisch für das Gymnasium vorbereitet wurde. Leider war dieser Unterricht zu lückenhaft, um den Anforderungen des Gymnasiums zu genügen, das Felsmann 2 Jahre in Schweidnitz und 2 Jahre in Breslau besuchte. Felsmann verliess die Secunda des St. Matthias-Gymnasiums zu Breslau und studirte 3 Jahre an der medieinisch-chirurgischen Lehr- anstalt zu Breslau. Darauf genügte er 1 Jahr seiner Militärpflicht als Compagnie-Chirurg im 6. Schützen-Bataillon. Die politischen Unruhen im Jahre 1848 riefen ihn wieder zur Armee, so dass er erst im Winter 1848/49 die Staatsprüfung als Medico-Chirurg absolvirte. Im August 1849 liess er sieh in Dittmannsdorf bei Waldenburg in Schlesien als praktischer Arzt und Wundarzt nieder. Da er hier eine lohnende Praxis fand und sich auch eine Landwirthschaft angekauft hatte, verblieb er auch hier bis an sein Lebensende. Seinerzeit hatte ihn einer seiner Lehrer an der med.-chir. Lehranstalt, der bekannte Emil Schummel, in

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die Botanik eingeführt, und diese Wissenschaft blieb allzeit seine Er- holung. Die Flora Schlesiens, insbesondere die des Waldenburger Ge- birges, verdankt ihm viele Bereicherungen; auch ceultivirte er in seinem Garten viele kritische Arten, um über ihren Werth und die Gesetze der Variabilität sich Klarheit zu verschaffen. Durch einige Jahre war er auch Leiter des durch R. v. Uechtritz begründeten Schlesischen bota- nischen Tauschvereins.. Er starb am 11. November 1892. Der Schle- sischen Gesellschaft hat er seit 1855 als auswärtiges Mitglied angehört.

Max von Forekenbeck, Dr. jur., Oberbürgermeister von Berlin, wurde am 21. October 1821 zu Münster in Westfalen geboren, doch genoss er seine Schulbildung in Glogau, wohin sein Vater als Richter versetzt wurde. Nach vollendetem Studium der Rechte und absolvirtem Assessor-Examen wurde er 1847 als Stadtrichter in Breslau angestellt. Hier wurde er 1848 Vorsitzender des demokratisch - constitutionellen Vereins, kam dadurch in Confliet mit der Regierung, wurde unter Man- teuffel gemaassregelt, siedelte 1849 als Rechtsanwalt nach Elbing über, von wo er 1873 als Oberbürgermeister in Schlesiens Hauptstadt zurück- berufen wurde. Forckenbeck’s politische Laufbahn datirt von 1848, doch trat er erst 1858 in die parlamentarische Thätigkeit ein, als nach der Reaction die neue Aera einsetzte. In diesem Jahre wählte ihn der ostpreussische Wahlkreis Preussisch-Holland-Mohrungen als Mitglied in das preussische Abgeordnetenhaus. Von Anfang seiner parlamentarischen Thätigkeit stand er auf einem hervorragenden Posten. Er begründet die junglitthauische Fraction, sieht dieselbe zur Fortschrittspartei sich erweitern und steht während der Conflietszeit treu zu seiner Partei. Seine persönlichen Eigenschaften, die Lauterkeit seines Charakters, sein unbestechlicher Rechtssinn, die Freundlichkeit und Umgänglichkeit seines Wesens erwarben ihm die Sympathien seiner Parteigenossen und die Achtung der Gegner. Im Jahre 1866 trennte er sich von den Freunden, sehörte zu den Gründern der nationalliberalen Partei und ward Präsident des preussischen Abgeordnetenhauses.. Aus dieser hervorragenden Stellung schied er 1873, nachdem er als Oberbürgermeister von Breslau in das Herrenhans eingetreten war. So lange es einen deutschen Reichs- tag giebt, hat Forckenbeck demselben ununterbrochen angehört, nur der Tod vermochte ihm das Mandat zu nehmen. Anfänglich vertrat er den Wahlkreis Wolmirstädt-Neuhaldensleben und in den letzten Sessions- perioden den Wahlkreis Sagan-Sprottau. Im Jahre 1874 wurde ihm das Präsidium des deutschen Reichstages übertragen. Dass er dieses hohe, schwierige und verantwortungsvolle Amt in mustergiltiger Weise verwaltete, darüber herrschte die allgemeinste Uebereinstimmung, die sich auch auf seine politischen Gegner erstreckte. $o wählte ihn auch der Reichstag von 1878, obwohl die Liberalen nicht die Mehrheit hatten,

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zu seinem Präsidenten wieder. Aber schon im Mai 1879 legte er dieses Ehrenamt freiwillig nieder, als ihn die Bismarckische Wirthschafts- politik in schroffen Gegensatz zu den Mehrheitsparteien brachte; auch dieser Schritt ehrte ihn als ein neuer Beweis seiner unerschütterlichen Ueberzeugungstreue. Darauf trennte er sich von seinen Freunden, den Secessionisten, von der nationalliberalen Partei und die im Jahre 1884 vollzogene Fusion der Secessionisten mit der Fortschrittspartei machte ihn wieder zu einem der verehrtesten Führer der entschieden liberalen Parteigruppe.

Am 5.0October 1872 trat v. Forckenbeck als Oberbürgermeister an die Spitze der Breslauer Stadtverwaltung, und im Jahre 1874 wurde er Mitglied der Schlesischen Gesellschaft. Die Breslauer Commune hat ihm eine Anzahl der wichtigsten Reformen zu verdanken, und als er im Jahre 1878 als Chef des reichshauptstädtischen Stadtregiments be- rufen wurde, ehrte ihn die höchste Errungenschaft seines Lebens, das Ehrenbürgerrecht der Stadt Breslau Was er während der 13jährigen Amtsthätigkeit als Oberbürgermeister von Berlin geschaffen, davon legt die erstaunliche Entfaltung, welche das Berliner Gemeinwesen in dieser Zeit genommen hat, glänzendes Zeugniss ab. Die Art, wie er die Ge- schäfte als Oberbürgermeister geleitet hat, war musterhaft. Er hielt stets seinen Blick auf die grossen Dinge gerichtet und tauchte nicht in Kleinigkeiten unter, Er wusste, dass die Angelegenheiten eines grossen Gemeinwesens nur durch das Zusammenwirken vieler Kräfte geleitet werden können, und dass jede einzelne Kraft, um gedeihlich wirken zu können, eines gewissen Maasses von Freiheit bedarf. Er hütete sich davor, Verstimmung zu wecken, indem er in untergeordneten Fragen eingriff, die auf mehr als eine Weise befriedigend gelöst werden können. Aber andrerseits wusste er, dass aus dem gleichzeitigen Wirken ver- schiedener Kräfte oft Frietionen hervorgehen, die durch das Eingreifen des höchsten Verwaltungsbeamten der Stadt gemildert werden können, und hier griff er stets zu rechter Zeit ein. Er hielt es für seine Auf. gabe, darüber zu wachen, dass die grosse Maschine stets in richtigem Gange blieb; jedes einzelne Rad in Thätigkeit zu setzen, hielt er nicht für seine Aufgabe. Trat an die Stadt eine neue Aufgabe heran, so be- zeichnete er bald in kurzen Zügen die Art, wie sie gelöst werden müsse; er gab die Directiven in so überzeugender Art, dass jeder seiner Mitarbeiter sich denselben gern fügte und in seinem Sinne die Sache ergriff. So ging das Zusammenwirken des Magistrats mit der Stadt- verordnetenversammlung ohne die leiseste Misshelligkeit und Trübung in steter erspriesslicher Eintracht, in wetteifernder Arbeit für das Ge- meinwohl. Sein 70. Geburtstag gestaltete sich in der Reichshauptstadt zu einer grossartigen Feier, an der sich das gesammte liberale Deutsch- land betheiligte, denn diese Feier galt nicht nur dem bewährten Ober-

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haupte der Berliner Stadtverwaltung, als auch dem allzeit erprobten, überzeugungstreuen liberalen Politiker. An diesem Tage konnte von ihm gesagt werden: In unseren Tagen werden die Leute mit 70 Jahren noch nicht alt. Allein schon wenige Monate später war sein Gesund- heitszustand kein erfreulicher mehr und bereits am 26. Mai 1892 ent- schlief er zu Berlin. Er hinterliess einen Sohn und zwei verheirathete Töchter, die Gattin war ihm schon in Breslau durch den Tod entrissen worden. Seinen Charakter schildert eine Traueranzeige: Nicht bloss äusserlich, durch seine Amtsstellung, stand er an der Spitze des deut- schen Bürgerthums; er vereinigte in sich vielmehr alle jene Eigen- schaften, welche die Ehre des deutschen Bürgers ausmachen, nämlich: Treue mit Freimuth gepaart; hingebende Vaterlandsliebe und _stolzes Selbstgefühl im eigenen Kreise; kluge Berechnung und bereitwilliges Vertrauen; Unzugänglichkeit gegen das Schlechte und nachsichtige Hilfs- bereitschaft gegenüber der Schwäche; Strenge gegen sich selbst, Milde und Ehrerbietung gegenüber Anderen; tiefen sachlichen Ernst und dabei jene gewinnenpde Heiterkeit des Wesens, die der Menschenliebe und Reinheit des Herzens entstammt; Einfacheit, Geradheit, Frömmigkeit.

v. Forckenbeck war Katholik; als nun seiner Leiche die kirchliche Einsegnung seitens der katholischen Kirche verweigert wurde, gerieth die Berliner Bürgerschaft in hochgradige Aufregung. \

Am 29. Mai fand zuerst im Trauerhause eine Trauerfeier im engsten Familienkreise statt, bei welcher ein evangelischer Geistlicher die Leiche einsegnete.e. Nun wurde der Sarg nach dem Rathhause überführt und im Festsaale aufgebahrt, doch wurde hier von jeder besonderen Feierlich- keit Abstand genommen. Darauf bewegte sich der imposante Trauerzug nach dem Nicolaikirchhofe; hier hielt ein evangelischer Geistlicher die Trauerrede, die mit den Worten begann: „So betten wir den Sohn der westfälischen Erde in den märkischen Sand, den Sohn der katholischen Kirche auf den evangelischen Friedhof.“

Julius Friedländer, Stadtrichter a. D., gehörte einer Familie an, die ausgezeichnete Mitglieder zählte; sein Bruder Max, der Be- sründer der Wiener ,‚Neuen freien Presse“, war einer der glänzendsten Journalisten, sein Bruder Victor, der langjährige Primärarzt am Aller- heiligen-Hospital, einer der edelsten Bürger unserer Stadt. Julius Fried- länder wurde am 28. August 1834 zu Pless O8. geboren, besuchte die unteren Klassen des Gymnasiums seiner Vaterstadt, dann nach Ueber- siedlung seiner Eltern nach Breslau die oberen Klassen des hiesigen Friedrichs-Gymnasiums, das er Ostern 1852 mit dem Zeugniss der Reife verliess, um von 1852—-55 in Breslau und Berlin die Rechte zu studiren. 1855 wurde er Auscultator, 1861 Assessor und später Stadtrichter in Breslau. Aus dieser Stellung schied er 1871 aus, um die Leitung der

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Breslauer Wechslerbank zu übernehmen, der er bis zu seinem Tode als Director angehörte. Hier zeigte sich seine ungewöhnliche Begabung für das Finanzwesen, so dass er bald zum Vorsitzenden oder zum Mit- gliede des Aufsichtsrathes verschiedener Actien-Gesellschaften gewählt wurde, deren Vertrauen er durch seine Umsicht und Geschäftsgewandt- heit glänzend rechtfertigte. Nebenher fand er noch Zeit, der Presse ein lebhaftes Interesse zuzuwenden; er wurde Mitbegründer und Mitbesitzer der „Breslauer Morgeuzeitung“, auf deren Haltung er entscheidenden Einfluss ausgeübt hat, Im Jahre 1877 wurde Friedländer in die Stadt- verordneten-Versammlung gewählt. Hier hat er während anderthalb Decennien an den städtischen Angelegenheiten einen ganz hervorragenden Antheil genommen. Kaum eine wichtige communale Einrichtung ist während dieser Zeit geschaffen worden, an deren Zustandekommen er nicht lebhaft betheiligt gewesen wäre. Alle diese Leistungen gründeten sich auf eine nicht gewöhnliche Begabung, auf eine Ausrüstung mit Kenntnissen und Erfahrungen, die er auf communalem Gebiete auf’s Beste verwerthen konnte. Und seinen Leistungen entsprach auch sein Streben, der Oeffentlichkeit zu dienen mit Hintenansetzung des eigenen Vortheils. Sein praktischer Blick, seine Sachkenntniss und Erfahrung verliehen den von ihm vertretenen Anschauungen eine gern anerkannte Autorität.

Er war der hervorragendste Generalredner bei den Berathungen über das städtische Budget, und in den Commissionen und Deputationen der städtischen Verwaltung entfaltete er rastlose Thätigkeit. Welche Werthschätzung seine Mitarbeit genoss, dafür spricht die lange Reihe städtischer Ehrenämter, die ihm übertragen wurde. Seinen Bestrebungen auf communalem Gebiete steht seine politische Thätigkeit ebenbürtig zur Seite. Als Führer der entschieden liberalen Partei in Breslau, ja in der Provinz, wurde er nach Gründung der deutsch-freisinnigen Partei Vorsitzender des deutsch-freisinnigen Wahlvereines in unserer Stadt, und bald stellte er seine glänzende Beredtsamkeit auch dieser Partei für die Propaganda in der Provinz bereitwillig zur Verfügung. Dafür vertrauten ihm seine Mitbürger 1885 ein Mandat für das preussische Abgeordneten- haus an, das er eine Legislaturperiode hindurch ausübte. Der 5. Wahlkreis des Regierungsbezirks Liegnitz (Löwenberg) wählte ihn als Vertreter in den deutschen Reichstag. In beiden Parlamenten hielt er sich als Redner zurück und arbeitete um so fleissiger in den Commissionen. Besonders liess er sich es angelegen sein, für die nicht in Berlin ansässigen Ab- geordneten seiner Partei eine Vereinigungsstätte zu schaffen. Er befand sich in den glücklichsten materiellen Verhältnissen. Von den Gütern, welche ihm die Gunst des Schicksals bescheert, verstand er den frucht- barsten und segensreichsten Gebrauch zu machen. Da er unverheirathet war, erkor er sich die Armen als seine Familie. Aus seinen reichen

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Mitteln gab er gern, wo es galt, Noth und Armuth zu lindern, In dem

Streben, die Armenpflege durch eine ergänzende Verbindung zwischen privater und communaler Hilfsleistung zu heben, gründete er in Breslau den Verein gegen Verarmung und Bettelei, den er seit der Gründung durch 12 Jahre als Vorsitzender geleitet hat. Wie segensreich dieser Verein wirkt, geht daraus hervor, dass derselbe bisher jährlich an 40 000 Mark für seine Zwecke verwenden konnte,

Auch nach anderer Richtung wusste er von seinen Reichthume den rechten Gebrauch zu machen. Er hatte sein Haus mit feinem ästheti- schen Geschmacke zu einem wahren Kunsttempel ausgeschmückt; hier fanden sich eine Gemäldegalerie mit Werken vorzüglicher Meister, eine reiche Sammlung besonders Altmeissener Porzellans, eine stattliche An- zahl seltener Bronzen und eine ebenso umfangreiche als gewählte Bibliothek. In dieses trauliche Heim zog er sich gern nach Kampf und Streit zurück, denn es war mit den guten Geistern der Liebe und Freund- schaft, der heitern Geselligkeit und Freude bevölkert. Friedländer war bis in sein letztes Lebensjahr anscheinend kräftig und gesund. Eine kleine Geschwulst am Halse wurde durch einen operativen Eingriff be- seitigt, allein es stellten sich neue Wucherungen ein, die sich bald als lebensgefährlich erwiesen. Mit bewunderungswürdiger Geduld und Fassung ertrug er die entsetzlichen Schmerzen, welche ihm seine Krankheit in den letzten Leidenswochen bereitete. Am 27. Juli 1892 wurde er durch den Tod von seinen Leiden befreit. In Anerkennung seiner grossen Verdienste um die Stadt Breslau beschloss die Stadtverordneten -Ver- sammlung, dem Verstorbenen ein ähnliches Begräbniss zu bereiten, wie seiner Zeit dem verstorbenen Oberbürgermeister Friedensburg. In Folge dessen gestaltete sich die Trauerfeierlichkeit im Trauerhause und die Ueberführung der Leiche auf den Oberschlesischen Bahnhof zu einer srossartigen Kundgebung, ein beredtes Zeichen für die Schwere des Ver- lustes, den die ganze Stadt erlitt und empfand. Deputirte begleiteten die Leiche nach Bielitz in Oesterr.-Schlesien, wo der Verewigte in der Familiengruft auf dem evangelischen Friedhofe seine Ruhestätte fand. Unserer Gesellschaft hatte Friedländer seit 1879 angehört.

Rudolf Friedrich Ottomar Krause, Dr. med., Geheimer Sanitäts- rath, wurde am 29. April 1817 zu Deutsch-Crone in Westpreussen ge- boren, besuchte bis 1833 das Progymnasium seiner Vaterstadt, dann das Gymnasium zu Neustettin, das er 1837 mit dem Zeugniss der Reife ver- liess, um Mediein zu studiren. Er trat als Eleve in das Königliche Friedrich-Wilhelm-Institut zu Berlin ein und studirte hier bis 1841. Am 27. Februar 1841 wurde er zum Dr. med. et chir. zu Berlin promoviirt. Von 1841 zu 42 war er Charit6-Arzt zu Berlin und von 1842 bis 46 Escadron-Arzt des 4, Husaren-Regiments zu Ohlau. Nachdem er im Winter

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1845/46 das Staatsexamen als praktischer Arzt zu Breslau bestanden hatte, nahm er seine Entlassung aus dem Militärdienste und liess sich in Lewin als praktischer Arzt nieder, wo er bis 1849 gleichzeitig auch als Badearzt zu Cudowa praktieirte. Darauf verzog er nach Liegnitz, wo er bis an sein Ende den ärztlichen Beruf ausübte. Als Anerkennung für seine Thätigkeit erhielt er 1866 den Charakter als Königlicher Sanitätsrath und im Januar 1885 den Charakter als Königlicher Ge- heimer Sanitätsrath., Er starb am 5. August 1892 an Hirnschlag. Unserer Gesellschaft hat er seit 1886 als auswärtiges Mitglied angehört.

Dr. med. Paul Lion, praktischer Arzt und Mitbesitzer der „‚Bres- lauer Zeitung“, wurde am 25. August 1830 zu Neustadt OS. geboren, wo er auch seine erste Schulbildung genoss. Seine weitere Ausbildung erhielt er auf dem Matthias-Gymnasium zu Breslau, das er Michaelis 1851 mit dem Zeugniss der Reife verliess, um an der hiesigen Univer- sität Mediein zu studiren. Wenig bemittelt, hatte er während der Studienzeit mit mancherlei Schwierigkeiten zu kämpfen, doch erhöhten die materiellen Sorgen nur seine Arbeitskraft, so dass er schon als Student sich durch die glückliche Lösung einer gestellten Preisaufgabe auszeichnete. 1855 promovirte er als Dr. med. und 1856 erfolgte seine Approbation als praktischer Arzt. Hier in Breslau hat er bis zu seinem Tode seinen Beruf mit Lust und Liebe ausgeübt; auch dann noch, als seine Interessen mehr dem communalen und dem politischen Leben sich zuwandten, konnte er sich nicht entschliessen, seine ärztliche Praxis aufzugeben. Als gründlicher Kenner seiner Wissenschaft nahm er bald unter seinen Collegen eine angesehene Stellung ein, und die herzliche, mitfühlende Art, in der er mit seinen Patienten verkehrte, gewannen ihm bald überall Zutrauen und Anhänglichkeit. Bald wählte ihn das Vertrauen seiner Mitbürger in die Stadtverordneten-Versammlung, und hier hat er durch 2 Decennien, besonders auf dem Gebiete der öffent- lichen Kranken- und Armenpflege, eine segensreiche Thätigkeit entfaltet. Seit 1880 Directionsmitglied des Kranken-Hospitals zu Allerheiligen, hat er dieser Anstalt ein gutes Theil seiner Arbeitskraft gewidmet, und nicht minder war er, der selbst in seiner Jugend Noth und Entbehrung kennen gelernt hatte, als Mitglied des Vorstandes des hiesigen Vereins gegen Verarmung und Bettelei thätig. Als Stadtverordneter war er ein vorzüglicher Redner und gehörte zu den angesehensten Mitgliedern der Versammlung. Bei seinem hohen Geiste und der Vielseitigkeit seiner Bildung sprach er hier auch über Dinge, die nicht mit seinem Berufe im Zusammenhange standen, klar, sachlich und nicht ohne rhetorischen Schwung, und wenn er oft auch scharfe Worte wählte, so sicherten ihm doch sein aufrichtiger Charakter und seine sich gleichbleibende Liebens- würdigkeit allgemeine Beliebtheit. Auch im politischen Leben unserer

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Stadt und Provinz ist er lange Jahre hindurch hervorragend thätig ge- wesen. Er gehörte anfänglich der nationalliberalen Partei an, stellte dann aber, als er vor 11 Jahren Mitbesitzer der „Breslauer Zeitung“ seworden war, seine Schaffenskraft in den Dienst dieser freisinnigen Zeitung, deren unermüdlicher Mitarbeiter er geblieben ist. Und auch in dieser Stellung zeigte er sich bei aller Entschiedenheit der Gesinnung doch milde und versöhnlich gegen Andere, so dass er auch in politischen Kämpfen sich die Achtung seiner Gegner erwarb. Von den mancherlei Ehrenämtern, die Dr. Lion bekleidete, sei nur erwähnt, dass er dem Vorstande der hiesigen Synagoge und der Direetion der Gesellschaft der Freunde angehörte, und dass letztere Gesellschaft seiner Anregung und Thätigkeit ihr jetziges Heim und eine Anzahl von Stiftungen verdankt. Er war ein liebevoller Gatte und Vater und hatte sich in Scheitnig ein trautes Heim gegründet, das er gern Abends gastfrei seinen Freunden öffnete, in deren Verkehr er als liebenswürdiger und herzlicher Wirth Erholung von der rastlosen Tagesarbeit fand. Aus diesen vielseitigen Beziehungen wurde er plötzlich durch den Tod ge- rissen, der ihn in Folge Herzschlag in der Nacht vom 22. August 1892 ereilte. Das überaus zahlreiche Trauergeleit zeugte von der allseitigen Anerkennung und Liebe, die der Verewigte durch seinen edlen Charakter, seine reichen Herzensgaben und sein segensreiches Schaffen sich im privaten und öffentlichen Leben erworben hatte. Unserer Gesellschaft sehörte der Verstorbene seit 1869 an.

Bernhard Georg Carl Traugott v. Tschepe wurde am 1. März 1823 als Sohn des späteren Majors der Artillerie Georg v. Tschepe zu Magdeburg geboren, bestand am 2. März 1844 die Abiturientenprüfung am St. Maria-Magdalenen-Gymnasium zu Breslau und begann am 11. Juni 1844 die bergmännische Ausbildung für den Staatsdienst. Nach dem am 30. Juni 1845 abgelegten Tentamen studirte er in den Jahren 1846 bis Ostern 1849 an der Universität zu Berlin und diente in der Zeit vom 1. April 1846 bis Ende März 1847 als Einjährig-Freiwilliger bei der Garde-Pionier-Abtheilung zu Berlin. Durch Allerhöchste Cabinets- ordre vom 5. October 1848 wurde er zum Landwehroffizier befördert.

Unterm 12. Februar 1852 wurde er zum Oberbergamts-Referendar ernannt und demnächst vereidigt. Er wurde zunächst als Obersteiger auf dem Königlichen Steinkohlenbergwerke König bei Königshütte be- schäftigt, unterm 4. Juli 1853 zum Berggeschworenen in Kupferberg er- nannt und zum 1. October 1854 als solcher nach Waldenburg versetzt. Zum 1. October 1858 wurden ihm die Geschäfte eines Bergmeisters bei dem Königlichen Bergamt zu Tarnowitz zunächst commissarisch, unterm 9. November 1858 aber unter gleichzeitiger Ernennung zum Bergmeister definitiv übertragen.

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In Folge der Reorganisation der Bergbehörden wurde er vom 1. Ja- nuar 1862 ab mit Wartegeld zur Disposition gestellt.

Am 5. Juni 1862 erfolgte seine Ernennung zum Bergassessor. Er trat als solcher bei dem Königl. Oberbergamt hierselbst ein, wurde im Jahre 1868 zum Bergrath ernannt und unterm 6. December 1873 zum Oberbergrath und etatsmässigen Mitgliede desselben befördert. Im Jahre 1879 wurde ihm der Rothe Adler-Orden IV. Klasse verliehen. Am 1. April 1887 trat er mit dem Charakter als Geheimer Bergrath in den Ruhestand. Er verschied hierselbst am 4. Juni 1892.

v. Tschepe war nur kurze Zeit verheirathet gewesen und hat nur eine Tochter hinterlassen, welche an den Hauptmann Tülff in Posen verheirathet ist,

Unserer Gesellschaft hat v. Tschepe seit 1864 angehört.

Druck von Grass, Barth & Comp. (W. Friedrich) in Breslau,

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ee Verzeichniss Ei Ahmnticher von der Schla, Geselscaft fip vater, Caltur rg 1,9

RA Einzelne Schriften. MT Zwei Reden, gehalten von dem Reg. -Quartiermstr. Müller und Prof, Roreie bei .d ; Feier des Stiftungstages der Gesellschaft zur Beförderung der: ER und 1 ustr Schlesiens, am 17. December 1804. 8°, 48 Seiten. BE: An die Mitglieder der Gesellschaft zur Beförderung der Naturkuidd ind: strie se und an sämmtliche Schlesier, von Rector Reiehe, 1809. 8% 328.2. Oeffentlicher Aetus der Schles. Gesellschaft f. vaterl. Fan, gehalten am dorDetbr. 1 \ Feier ihres Stiftungsfestes.: 8°. 40-8. 7 Joh. George Thomas, Handb. d. Literaturgeschichte v. Schlesien, 1824, Br. 372 3, Preisschrift.. - - Beiträge zur else, veragnt von den Nitgliedern der entom. Seet ion, mit 17 Kpkk,; 182 .Die’schles. Bibliotlfek der Schles. Gesellschaftv.K. G.'Nowack. 8°. 1835 'oder später ersch ‚Denkschrift der Schles. Gesellschaft zu ihrem 50jähr. Bestehen, enthaltend die Geschich . Schles. Gesellschaft und Beiträge zür Natur- und REN Schlesiens, Mit 10 lithogr. Tafeln. 4°, 2878. Dr.3. A.Hoennicke, Die Mineralquellen der Provinz Schlesiöss 1857. 8°. 166 SB gehr, Prei ur, 0 6. ‚Galle, Grundzüge der schles. Klimatologie, 1857. “”. 127 >

“Dr. H. Lebert, Klinik des acuten Gelenkrheumatismus, Oreiilationsunietit; zum 1) Ahr Fidlläum: des Geh. San. -Raths Dr. Ant. Krocker. Erlangen. 1860... 8%,.:149 8, 23 Dr. Ferd. Römer, Die fossile Fauna der silurischen Diluvialgeschiebe ° von Sadewitz, ‚bei 0) in Schlesien, mit 6 lithogr. u. 2 Kupfer-Tafeln. 1861. 4%. 70,8. Lieder zum Stiftungsfeste der entomologischen und botanischen Section der Schles, Gese als Manuscript gedruckt. 1363: 8% 93; 8: age Verzeichniss der in den Schriften der. Schles. Gesellschaft: von 1804-1803 incl. th Aufsätze in alphab. Ordnung von Letzner. 1868. ) 8°, Fortsetzung der in den Schriften der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur von 1864 | bisäsT | enthaltenen Aufsätze, geordnet nach den Verfassern in alphab. Ordn. von Dr. Schreideı I. General-Sachregister der in den Schriften. der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur von 1804 = w‘. ‚bis 1876 a enthaltenen Aufsätze, geordnet in: alphab. ‚Eolge" von oe or 2

2. Periodische Schriften. einge der Gesellschaft f, Naturkunde u. Industrie Schlesiens. Bu Ba. I, tt. Hit. 2, 312 S, 1806, Desgl. Bd. II, 1. Heft. 1862,20, 3, % = Wr, 'Correspondenzblatt der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur, BO STERNEN „Jahrg. I, 1810, 96 8. | Jahrg. III, 1832, 96 8. sg g.V, 1814, Hft. iu IL 181, do. |, -IV.1813, Hft.Ju2je96S.| VI, 1815, Hit. i Correspondenz der ’Schles. Gesellschaft f. "Yaterl. Cultur. 8°. Bd. J, 362 $: mit. Abbild., 1820. "Desgl. Bü. II (Heft 1), 80:8. mit Abbild., 1820. Bulletin der naturwissenschaftl. Section der Schles. Gesellschaft 1-11, 1822, 8%

do. do. do. 0, 1824. 80; Uebersicht der Arbeiten (Berichte sämmtli Becienen) und Veränderungen der Schles. Ges für. vaterl. Cultur: „Jahrg. 1849, Abth.1,1808.11,398.| Jahrg. 1869, 371 Seit, Jahrg. 1824. 55 Seiten, 4°, u448$, met. Beobacht. u AZ. ERTENE a2 1858, Aue 204 Be RER VB ee Abth. IL, 36 8. etliche 7 921937,79 3. Re „1851. 194 Ave 4, a | ER 008 a Ne TE a. TA ER 3s08. 80n,Ab =: 19B 10, „ae a 1:5 1 " ..1813.2976.800. Abh 700. DB AR, ' 1 RER „1974, 294 Seiten, „881.300 1 Re, or E28 Mn. 07H, DOM 7 IRRDTIOE ne ES DAB I8, B N ARDR. U ro SOME a 1 87T AR 1088 108 7.2 u REN, 1 DR, Bu ae as. ARZB, SSE RP, < 305 7: or? ea 8a. 20. A "1879, XX u. 473 Sei, En RE 5 RE u, Dee O3 "1880, X VI 201 EG 6 „1861. 148 8%. nebst!) « . 1881..XVIu. 424 u BRRB, BR > 2 "Abhandl. 492 $. ..1882.XXIV u.d32 7 EWR N a 1962. 16% Seit, 8°. mebst „1883. ZVIw a8 > 1840. IST, se A Abhandl. 416 S. „4884. XLI:u, 402 ° a 3804. 188.0, 1 de, „1863, 156 Seiten. 80. | 1885. XVIu. 444 BEA. Be „2 a0: 1864. 966 Seiten, 8°. „nebst / n,Erg„.Heft, ‚1848. 209, , 4°, Abhandl. 266-8 18R6.-Kb u SE = NARBE BD 5 55, ng, 177 ea BR Det 8%. nebst n, Erg.- „.. 1845, 165 -4°, nebst 'Abhandl, 69 $, ae en BETRIE 52 8. meteorol. Beob,. | „». » 1866# 267 Sek 8°, nebst „1888, XX u. 378 „1846. 30 Seit. 4°. nebst Abhandl. 908. RE Savage 47 8. meteorol. Beob. . , .’ 1867, 278 Seit, 8°, nebst | up re. Heft 1847. 404 Seit. 40, nebst Abhandl, 191 8, a 44 5, metcorol. en „» „1868, 300 Seit. 8°. nebst =, ER, Sin »„ 1848..248 Seiten., 4°, - ... Abhandl. 447.8.

Mitglieder-Verzeichniss in 8°,von 1805 und ‚Beil 1810 Re zwei. Jahre eriem. ir

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