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Herausgegeben von dessen Redactienscommission
Prof. Dr. W. Hofmeister in Tübingen; Prof.Dr.H. v. Fehling,
Prof. Dr. 0. Fraas, Prof. Dr. F. v. Krauss,
Prof. Dr. P. v. Zech in Stuttgart.
ZWEIUNDDREISSIGSTER JAHRGANG.
Mit 11 Tafeln und 6 Holzschnitten.
STUTTGART.
E. Schweizerbart’sche Verlagshandlung (E. Koch).
1876.
Inhalt
I. Angelegenheiten des Vereins.
Bericht über die dreissigste Generalversammlung den 24.
Juni 1875 in Biberach. Von Dr. F. Krauss Aue
1 Rechenschaftsbericht über das Jahr 1874/75. Von Dr. F.
Krauss : ?
Zuwachs der Ya Naeerikiie.
A. Zoologische Sammlung von F. Krauss
B. Botanische Sammlung von Prof. Dr. Ahles.
Zuwachs der Vereinsbibliothek von F. Krauss -
Rechnungs-Abschluss für das Jahr 1874/75. Von Hof-
rath Ed. Seyffardt.
Wahl der Beamten
Antrag auf Abänderung des 8. 9 der Vereinnitatnlah:
. Gründung eines Schwarzwälder Zweigvereins :
. Nachtrag zum Verzeichniss der Mitglieder des Oberschwär
bischen Zweigvereins
9. Nekrolog des Freiherrn Carl Ban FR Sabaslinn
von Schertel. Von Freiherr Richard König-Wart-
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II. Vorträge und een.
1) Zoologie und Anatomie.
Ueber das Vorkommen der Brandente (Anas tadorna L.) in
\ Oberschwaben. Von Oberstudienrath Dr. v. Krauss
k % Ueber die Funktion der Kiemenspalten. Von Prof. Dr. Gustav
Jäger in Stuttgart
+ Ueber die zur Unterscheidung der een done Merk-
N male. Von Freiherr Richard König-Warthausen
Ri Zur Weichthierfauna der Schwäbischen Alb. Von Dr. D. F.
F Weinland. (Hiezu Tafel IV.)
e 2) Geognosie, Petrefaktenkunde und Basic
Ueber die Haifischreste der Meeresmolasse Oberschwabens.
Von Pfarrer Probst in Unter-Essendorf. E
AR Ueber die Pfahlbaustation bei Schussenried. Von RR
k förster E. Frank in Schussenried. (Hiezu Taf. I. II).
Seite
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55
Ueber das Matenal der Bteinwadiui al en Bode
bauten. Von Prof. Steudel in Ravensburg .
Geologisches Profil der Schwarzwaldbahn von Zuffenhausen
nach Calw. Von Prof. Dr. Oscar Fraas. (Hiezu Taf. III).
Giebt es ein Eozoon canadense? Eine mikrogeologische Un-
tersuchung von Otto Hahn in Reutlingen . . .
Ueber den Einfluss der Abkühlung unseres Planeten auf ie
Gebirgsbildung. Von G. Wepfer Hüttenassistent in
Wasseralfingen. Mit 6 Holzschnitten . . .
Ueber Lias Epsilon. Von Dr. Arnold R. C. von Waren
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Zusammenstellung der in Württemberg york Schä-
delformen. Von Ob.-Med.-Rath Dr. H, v. Hoelder. (Hie-
zu. Tafel V-XL)' 7.080,60 Re
3) Botanik.
Ueber vielgestaltige N Von Director Dr. v. Zeller in
Stuttgart # .73..%:% \
> Fir: Kisinkre Mikkherimgeni
Einladung zur Benützung der zoologischen Station in Neapel
Beiträge zur württembergischen Insektenfauna. Von Dr. E.
Hofmann.
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I. Angelegenheiten des Vereins.
Bericht der dreissiosten Generalversammlune den 24. Jmi 1875
in Biberach.
Von Oberstudienrath Dr. v. Krauss.
Zum Erstenmale feierten die vaterländischen Naturforscher
ihr jährliches Fest in Oberschwaben. Gerne folgten sie dem im
vorigen Jahr in Calw gefassten Beschluss, die Generalversamm-
lung des Vereins in der alten freien Reichsstadt Biberach ab-
zuhalten. Es galt zugleich auch mit den Mitgliedern des neu
gegründeten Oberschwäbischen Zweigvereins für vaterländische
Naturkunde, der aus dem im Winter von 1872 auf 1873 ge-
bildeten „Molasseklub* hervorgegangen ist und über dessen
Zwecke der Vorstand Freiherr Richard König-Warthausen die
Mitglieder des Hauptvereins im vorigen Jahre in Kenntniss ge-
setzt hat, in nähere freundliche Verbindung zu treten. *)
Der Lokalgeschäftsführer Prof. Müller in Biberach hatte
denn auch die Vorbereitungen zur Versammlung auf’s Treff-
*) Der Oberschwäbische Zweigverein hat sich inzwischen durch
den Beitritt einer weiteren !bedeutenden Anzahl von Mitgliedern ver-
grössert. Bei dieser Gelegenheit dürfte hier der Wunsch ausgedrückt
werden, dass die Mitglieder des Hauptvereins, welche in dem Gebiete
dieses oder eines künftig zu gründenden Zweigvereins wohnen, um so
_ mehr den Zweigvereinen beitreten möchten, als diese an ihre Mitglie-
der die Bedingung des Eintritts in den Hauptverein stellen.
Württemb. naturw. Jahreshefte. 1876. 1
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lichste ausgeführt und mehrere oberschwäbischen Mitglieder hatten
keine Mühe gescheut, ihre sehr lehrreichen Sammlungen von
Naturgegenständen Oberschwabens im Rathhaussaal und in den
mit lebenden Pflanzen sehr hübsch ausgeschmückten Räumen im
Gasthof zum Rad auszustellen. Unter diesen sind Folgende her-
vorzuheben. Eine Auswahl der wichtigsten Funde aus der von
dem Aussteller neuestens bei Schussenried entdeckten Pfahlbaute,
darunter hübsche Thongefässe mit Verzierungen, Waffen und Ge-
räthe aus Stein, Knochen und Geweihen, Schädel vom Torfschwein,
starke Hirschgeweihe etc., von Revierförster Frank in Schussen-
ried; eine reiche Sammlung von Beilen und Waffen aus Stein,
von Gefässen, Werkzeugen und Zähnen aus den Pfahlbauten des
Bodensees von Prof. Steudel aus Ravensburg. Aus dem ober-
schwäbischen Tertiär: schöne Kiefer und Zähne von Mastodon
angustidens Cuv. und Rhinoceros incisivus Cuv., eine interessante
Serie von Zähnen fossiler Haifische, insbesondere ein ganzes Ge-
biss des kolossalen Carcharodon megalodon Ag. und der Oxyrhina
hastalis Ag. aus Baltringen, viele Blätter und Früchte fossiler
Pflanzen von Pfarrer Probst in Unteressendorf; ein Mammuths-
zahn aus einer Kiesgrube und erratische Gesteine mit Gletscher-
schliffen bei Biberach von Prof. Müller; eine Anzahl von Petre-
facten von Kaplan Dr. Miller in Essendorf; eine reichhaltige
Sammlung erratischer Gesteine von Apotheker Ducke in Biberach.
Ferner ein grosses Herbarium von Gräsern und eine Sammlung
von Land- und Süsswasserschnecken von Turnlehrer Seyerlen
in Biberach; eine vortreffliche Sammlung von Moosen und Flech-
ten von Lehrer Haeckler von Bonlanden; hübsch getrocknete
Pflanzentheile von Prof. Reuss in Ulm; eine hübsche Gruppe
lebender Ried- und Wasser-Pflanzen von Gärtner Kieser in
Biberach; eine Zusammenstellung der Biberacher Schmetterlinge
von Flaschnermeister Rapp und ausgestopfte Thiere von Wund-
arzt Hoschmann in Biberach, lebende Bitterlinge (Rhodeus
amarus Ag.) von Kaufmann Fr. Drautz in Heilbronn. Eine
grosse Sammlung werthvoller und interessanter Rehgeweihe und
Abnormitäten aus der berühmten Geweihsammlung des Kaufmanns
Fr. Bührer in Biberach zierte die Wände des Saales. Diese
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Ausstellungen, von den Besuchern dankbarst anerkannt, gaben
vor und nach der Versammlung vielfachen Stoff zur Besprechung
und zum Austausch der Ansichten.
Zu den Verhandlungen hatten die städtischen Behörden ihren
schönen und geräumigen Saal des alten schon 1540 erbauten
Rathhauses mit grösster Bereitwilligkeit überlassen. In ihm be-
findet sich noch der mit Biber und Reichsadler verzierte Sessel
von 1700, der vom letzten Reichstadt-Bürgermeister benützt
wurde und in dem heute noch der jeweilige Vorsitzende zu sitzen
die Ehre hat, ferner hängt an der Decke eines Vorplatzes an-
geblich der letze Biber aus dem Biberbach ausgestopft, aber
leider nicht im besten Zustande. Die Theilnahme an der Ver-
sammlung war so gross, dass der Saal ganz angefüllt war, es
hatten sich 80 Mitglieder und viele Einwohner, die sich für die
Bestrebungen des Vereins interessirten, eingefunden.
Um 10 Uhr eröffnete der Vorstand des Oberschwäbischen
Zweigvereins, Freiherr Richard König-Warthausen, die Ver-
sammlung mit folgender Rede:
Meine Herren! Wenn wir von unserer Kreishauptstadt Ulm
absehen, die etwas nahe am Rand der Alb liegt, so ist es heute
das erste Mal, dass seit dem dreissigjährigen Bestehen unseres
Vereins derselbe im eigentlichen Oberschwaben tagt.
Es ist heute auch das erste Mal, dass einem Zweigvereine
die Ehre widerfährt, in seinem engeren Gebiet den Hauptverein
als Gast zu begrüssen.
Sie stehen hier auf deutsch-elassischem Boden, auf der Gränz-
scheide zwischen Alt-Vorderrhätien und Vindelicien; was in unse-
rer Nachbarschaft innerhalb des noch jungen Bisthums Rotten-
burg in’s Hochstift Constanz gehörte, das muss zu Rhaetia secunda,
was zur Diöcese Augsburg, zu Vindelicia gerechnet werden; all-
gemein gefasst, könnte- man also die Bevölkerung unserer Gegend
' in ihrem Kern als eine rhaeto-vindelicische bezeichnen. In Ravens-
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burg haben Sie die Welfen-Wiege, Biberach hielt stets treu zum
Reich, die Burg Warthausen war ein Eigenthum des Hohen-
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staufers Barbarossa. Wie oft mögen also gerade hier die Rufe
„hie Waiblinger, hie Welf“ gegeneinander geklungen haben.
Doch ich habe Ihnen, m. H., kein geschichtliches, ich habe
Ihnen vielmehr ein naturwissenschaftliches Bild zu skizziren.
Heute vor einem Jahr haben wir uns recht ferne von hier,
im Schwarzwald, im Gebiet uranfänglicher Gebirge getroffen,
heute sehen wir uns in der jüngsten Formation wieder; im
Gebiet der Molasse, im Gebiet alter Gletscher, von denen Moränen
und erratische Blöcke noch zeugen, im Gebiet noch unergrün-
deter, wenn auch nicht unergründbarer Braunkohlenflötze, im Ge-
biet der Torfmoore und Seen, die mancherlei Geflügel dauernd
bergen, das dem Unterland wenigstens zur Brutzeit fehlt.
Der praehistorischen Funde will ich nur im Vorüber-
gehen Erwähnung thun, jenes subglacialen Funds am Ursprung
der Schussen, in dem das Renthier eine so hervorragende Rolle
spielt, des Höhlenfunds im „hohlen Fels“ bei Schelklingen und
der jüngst entdeckten Pfahlbautenstation zwischen Schussenried
und dem Federsee,
Auf das Geologische näher einzugehen, darauf kann ich
um so eher verzichten, als heute Kenner ersten Ranges zugegen
und bereit sind, hierüber sich zu äussern; ausserdem ist Gelegen-
heit, Fundstellen und Formations-Aufschlüsse an Ort und Stelle
zu besichtigen.
Was die Flora betrifft, so ist bekannt, dass die oberschwä-
bische ein reiches Material an alpinen und subalpinen Arten bietet,
die theils auf ihrem ursprünglichen Standort — im Allgäu — fussen,
theils thalabwärts gerückt sind, theils als Ueberbleibsel aus einer
älteren Flora, derjenigen eines feuchtkalten Climas, zu betrachten
sein dürften. Ein reiches Namenverzeichniss könnte hier gegeben
werden, wir erwähnen aber nur den Alpenbärlapp (Zycopodium
alpinum L.) als Novität vom schwarzen Grat. Einige seltenere
Lichenen zeichnen das Illergebiet aus; über eine Reihe von Al-
gen, vorzugsweise aus der Umgebung von Isny, Essendorf und
Warthausen, wird seiner Zeit besonders berichtet werden.
Unter den Mollusken ist es vorzugsweise der Varietäten-
Reichthum bei den Wasser- und Sumpfconchylien, der das Ober-
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land auszeichnet. Bei den Anodonten herrschen — im umge- AR
kehrten Verhältniss zum Unterland — die cellensis-Formen nt-
_ schieden vor den cygnea-Formen vor. Die gemeine Malermuschel
Bo pictorum Lk.), früher bei uns nur aus der Donau selbst %
| bekannt, geht in die Roth, Westrach u. s. w. herein und ist bi N
immsingen häufig; auch die früher nur aus der Langenauer er
Gegend bekannt gewesene Paludina vivipara Lk. tritt über Lbupp-
heim bis in’s Oberamt Biberach herüber. Paludinella Schmidtii E:
{ Charp. von Leutkirch und Essendorf ist neben manchem Anderen B
ein neuer Zuwachs; von Landschnecken sind wegen ihres mehr
oder weniger alpinen Ursprungs Helix villosa Dr. von Wibingen
_ und aus dem Allgäu, H. umbrosa Ptsch. von Warthausen u. s. w. 0
_ erwähnenswerth. £ h
Die Reptilien bieten wenig Eigenthümliches. Der schwarze I
Alpenmolch (Salamandra atra Laur.) findet sich nur im Allgäu, %
während der gemeine schwarzgelbe Erdmolch (S. maculosa Laur.) ®
_ unserem Gebiet zu fehlen scheint. Ei
3 | Unsere Fische haben wenigstens für den Bodensee inRapp je
' einen Bearbeiter gefunden; hier genügt es, den Weller (Silurus | %
B glanis L.) und die Bourne (Cobitis fossilis L.) hervor- u
A zuheben. A
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S Bei der Classe der Vögel ist auch hierorts eine leidige
4 _ Abnahme der Sänger zu constatiren, sowie ein bedeutendes Zurück-
Be. gehen des Sumpf- und Teichgeflügels in Folge der vielfachen
j _ Entwässerungen. Nirgends in Württemberg treffen Sie wohl den
_ Staar (Sturnus vulgaris L.) so zahlreich und liebevoll gehegt
wie bei uns, dafür übt er aber auch die beste Polizei gegen den
E untog der Maikäfer. Die nicht minder nützliche Lachmöve
(Barus ridibundus L.) nistet colonienweise noch an mehreren
Seen (Rohrsee, Ebenweiler u. s. w.) und im Frühjahr und Herbst
\ Ehberdocken ihre weisse Schaaren die Wässerwiesen. ‘Der grosse
Brachvogel (Numenius arquata Lath.), früher mehrfach als ein
_ ausschliesslicher Meeresküstenbewohner angesehen, ist an ver-
schiedenen Stellen Brutvogel, beispielsweise zwischen Schemmer-
berg und Röhrwangen; ebendort hat schon in besonders mäuse-
a reichen Jahren die kurzohrige Sumpfeule (Otus brachyotus Cuv.)
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genistet, die der Regel nach mehr dem höheren Norden ange-
hört; dasselbe thun Zwergrohrdommeln (‚Ardeola minuta Bp.)
bei Ehingen und Schussenried; Fischreiherstände sind bei Riss-
tissen und bei Warthausen. Bei Wilflingen und Heiligkreuzthal
horstet noch der Flussadler (Pandion haliaötos Savign.).
Die Säugethiere besonders zu schildern, hat der ober-
schwäbische Zweigverein in allerjüngster Zeit in unseren Jahres-
heften versucht. Von den kleineren Arten sind die Zwergmaus
(Mus minutus Pall) und die rothe Waldwühlmaus (Arvicola
glareolus Lacep.) von besonderem Interesse; von letzterer Art,
die in Württemberg noch niemals lebend gezeigt werden konnte,
habe ich ein von vorgestern auf heute frisch gefangenes Paar zur
Besichtigung mitgebracht; auch die Zwergmaus können Sie bei
mir in Warthausen lebend sehen. Edelhirsche sind noch im All-
gäu, bei Isny, daheim; dort, am schwarzen Grat, ist neuerlich
wieder ein Gemsenpaar als Standwild eingezogen. Wildschweine
sind in nicht unerheblicher Anzahl seit einigen Jahren zwischen
dem Teutschbuch und Sigmaringen erschienen und vermehren
sich lustig aller Nachstellung zum Trotz.
Auf weitere Einzelnheiten wage ich nicht einzugehen, wie
ich auch aus nahe liegenden Gründen die meisten Classen der
niederen Thiere völlig unberücksichtigt gelassen habe. Ich kann
im Uebrigen vorzugsweise auf das vortreffliche Schulprogramm
hinweisen, welches unseren Nestor, Professor Rogg am Ehinger
Gymnasium 1851/52 zum Verfasser hat, sowie auf unsere Vereins-
schrift.
Nun möchte ich aber noch einige Worte über die Stadt
sagen, die uns heute gastlich aufgenommen hat. Biberach,
die alte Reichsstadt, kann zwar mit allem Recht auf viele ihrer
Söhne sehr stolz sein, allein für unsere speciellen Bestrebungen
hat sie nicht wie Calw ihre Gärtner, ihre Köllreuter aufzuweisen,
sie bietet aber in ihrem Namen und in ihrem Wappen sowie in
dem uralten Originalbiber, einem Wahrzeichen, das Sie bereits
gesehen haben werden, selbst ein Stück Naturgeschichte — in
der Erinnerung an ein ausgerottetes edles Wild dieser Gegend.
Wir haben aber denn doch die Genugthuung, einige Natur-
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forscher aus älterer Zeit in unserem Gebiet nachweisen zu können,
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Hieronymus Harder, ein Botaniker, dessen Kräuterbuch
von 1594 mit wohlerhaltenen Pflanzenoriginalen sich auf der
Stadtbibliothek zu Ulm befindet,
Johann Marius, Physicus zuerst in Ulm, danu in Augs-
burg, welcher vor 1685 starb und eine Bibergeschichte (Castoro-
logia) hinterlassen hat,
Balthasar Erhard, med. Dr. und Physicus zu Memmin-
gen, der erstmals die Versteinerungen unserer Mulasse berührt,
1727 über die Belemniten Schwabens, 1745 über die Entstehung
der Versteinerungen schrieb, 1752—62 Arbeiten über Culturge-
wächse, namentlich eine „öconomische Pflanzenhistorie* verfasste
» und. endlich
Johann Dieterich Leopold, 1728 Autor der „Deliciae
sylvestres florae Ulmenses“.
Hiemit, m. H., schliesse ich und heisse. Sie alle aus Nah
und Fern im Namen Oberschwabens, sowie im Namen des Zweig-
und des Hauptvereins auf’s Herzlichste in Biberach willkommen.
Zum Vorsitzenden für die heutige Versammlung wurde
Oberstudienrath Dr. v. Krauss durch Akklamation erwählt.
Oberstudienrath Dr. v. Krauss gab hierauf folgenden
Rechenschafts-Bericht für das Jahr 1874—1875.
Unser Verein hat nunmehr das 31. Jahr seiner Thätigkeit
auf dem Gebiete der vaterländischen Naturkunde zurückgelegt.
In dieser langen Reihe von Jahren war er fortwährend bemüht,
die Naturwissenschaften des engeren Vaterlandes zu pflegen und
zu verbreiten, überhaupt die ihm gestellte Aufgabe im Sinne
seiner organischen Bestimmungen redlich zu erfüllen.
Es ist ihm mit Hülfe seiner Mitglieder und Conservatoren
gelungen, eine ebenso belehrende als den wissenschaftlichen An-
forderungen entsprechende Sammlung württembergischer Naturalien
aus allen 3 Reichen zur allgemeinen Benützung und Belehrung
seiner Jahreshefte, die nun in 31 Jahrgängen vorliegen BR die
durch Austausch der Schriften mit den vorzüglichsten wissen
schaftlichen Gesellschaften und Instituten über alle gebildeten
L ö Länder der Erde verbreitet sind. Dessgleichen bestrebte er sich 4
durch Vorträge, die in den Wintermonaten mit dankenswerther Bi
_ Bereitwilligkeit von Vereinsmitgliedern gehalten wurden, den Sinn
” va für Naturwissenschaften anzuregen und zu fördern. "2
1% A Mit aufrichtiger Freude haben wir schon bei der vorjährigen
Be Versammlung in Calw die Mittheilung des Vorstandes, Freiherrn 2
Richard König-Warthausen, über das Bestehen und die
Zwecke des unserem Verein sich anschliessenden oberschwäbi- A
schen Zweigvereins für vaterländische Naturkunde begrüsst. Au
In dem verflossenen Jahr hat dieser Verein eine sehr lobens- 5
werthe Rührigkeit an den Tag gelegt. Die Zahl seiner ordent- ’
lichen Mitglieder, die statutenmässig zugleich Mitglieder des
Hauptvereins sind, ist von 50 auf 114 gestiegen, seine regel-
mässig abgehaltenen Versammlungen haben das Interesse für die
Naturgeschichte Oberschwabens befördert und in unserem neuesten
Jahresheft hat er in seinen „Mittheilungen“ das erste literarische”
Erzeugniss niedergelegt, indem er neben den Statuten und dm
Be Mitglieder-Verzeichniss die erste Abtheilung der Wirbelthiere
_ Oberschwabens, die Säugethiere, bearbeitet durch seinen sach-
„ S kundigen Vorstand, veröffentlicht hat. Wir wollen ihm auch N
ferner kräftiges Gedeihen wünschen und möchten dem nördlichen i
Theil unseres engeren Vaterlandes die Bestrebungen dieser „hofl-
| er eetrohen Tochter“ zur Nachahmung angelegentlichst ee ( ö
A haben.
Ueber den diessjährigen Zuwachs unserer Natralion-Samm- | R
BR lung und Bibliothek ist Folgendes zu berichten. Bar
gi Die Naturalien-Sammlung hat durch die gütigen Be- s
ER Bi, mühungen von 54 Mitgliedern und Gönnern einen Zuwachs von. an
28 Säugethieren, 34 Vögeln, 4 Nestern und 16 Eiern, 7 Arte n
Be und 5 Fische, von wirbellosen Thieren 2 Arten Crust a
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2 Arten Eingeweidewürmer und 11 Mollusken, von botanischen
Gegenständen ca. 50 Arten Gefäss- und 200 Zellenpflanzen, so-
wie 29 Hölzer wildwachsender Bäume und Gesträuche, von Petre-
facten 4 Arten erhalten, die alle mit dem Namen des Schenkers
auf der Etikette und in den Verzeichnissen bezeichnet sind.
Vieles bleibt aber zur Ergänzung und Vervollständigung der
Sammlungen noch zu thun übrig, daher die Mitglieder dringend
ersucht werden, Beiträge aus allen Naturreichen einzusenden.
Jede Sendung selbst gewöhnlicher Arten wird dankbarst aufge-
nommen, da viele Lokalitäten des Landes noch nicht vertreten
und noch grosse Lücken in Altersstufen, Farbenkleider, Varietäten
u. s. w. auszufüllen sind. Die betreffenden Conservatoren werden
auf Anfragen hierüber bereitwilligst Auskunft ertheilen und zum
Sammeln von Naturalien gerne jede gewünschte Anleitung geben.
Die Vereinsbibliothek ist durch Geschenke, vorzugsweise
aber durch Schriften der 89 auswärtigen gelehrten Gesellschaften,
welche unsere Jahreshefte im Tausch erhalten, vermehrt worden.
Sie hat im verflossenen Jahr einen Zuwachs von 411 Bänden
und Schriften erhalten und kann von den Mitgliedern jederzeit
benützt werden.
Wegen der von Jahr zu Jahr sich mehrenden Bibliotheks-
Geschäfte hat Ihr Ausschuss beschlossen, Dr. Ernst Hofmann,
der hierin schon seit einiger Zeit freiwillige Dienste geleistet
hat, vom 1. Januar 1875 an mit einem jährlichen Gehalt von
.100 Mark dem seitherigen Bibliothekar zur Unterstützung bei-
zugeben.
Der Verein ist durch Austausch seiner Jahreshefte in neue
Verbindung getreten mit dem
Naturhistorisch-medicinischen Verein zu Heidelberg,
Physikalisch-medicinischen Societät zu Erlangen,
Musede Teyler & Harlem,
Buffalo Society of natural sciences,
Museo civico di storia naturali di Genova,
Societa Toscana di scienze naturali residente in Pisa.
Eid: Fo
Weitere Tausch-Verbindungen sollen nach einem Beschluss
des Ausschusses mit den naturwissenschaftlichen Gesellschaften
und Instituten in Italien angebahnt werden.
Die Herausgabe der Vereinsschrift hat ihren geregelten
Fortgang genommen. Das 1. u. 2. Heft des 31. Jahrganges ist
schon zu Anfang dieses Jahres, das 3. in den letzten Tagen in
die Hände der Mitglieder gelangt. Er enthält mehrere treffliche
Abhandlungen, darunter zum Erstenmal die „Mittheilungen vom
oberschwäbischen Zweigverein“. Die Mitglieder sind ersucht, die
Redaktions-Commission auch fernerhin mit zahlreichen Aufsätzen
zu unterstützen.
Als correspondirendes Mitglied des Vereins wurde der
verdienstvolle
F. V. Hayden, United States Geologist in Washington
ernannt, dem die Bibliothek mehrere werthvolle Schriften zu
danken hat.
Dem Vereinsdiener, dessen Geschäfte sich vermindert haben,
hat Ihr Ausschuss den Jahresgehalt auf 200 Mark festgestellt.
Die Winter-Vorträge, die von den Mitgliedern stets mit
warmem Danke aufgenommen worden sind, hatten folgende Herren
zu halten die Güte:
Prof. Dr. v. Zech, über Temperatur-Messungen in den Bohr-
löchern, insbesondere im Wildbad,
Prof. Dr. Marx, in drei Abenden über den gegenwärtigen
Stand der Chemie,
Prof. Dr. ©. Köstlin, über die menschliche Sprache,
Prof. Dr. Ahles, über die Kostpilze unserer Kulturpflanzen.
Zu den beiden letzten Vorträgen wurden auch die Damen
eingeladen.
Ich schliesse diesen Bericht, indem ich noch allen Mitglie-
dern und Gönnern, welche die Sammlungen und die Bibliothek
durch Geschenke vermehrt haben, im Namen des Vereins den
verbindlichsten Dank ausdrücke. Ihre Namen sind in den nach-
folgenden Zuwachs-Verzeichnissen angeführt.
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Die Vereins-Naturaliensammlung hat vom 24. Juni
1874 bis 1875 folgenden Zuwachs erhalten:
A. Zoologische Sammlung.
(Zusammengestellt von F. Krauss.)
I. Säugethiere.
Als Geschenke:
Mustela Martes Briss., junges Männchen im Sommer,
von Herrn Theodor Lindauer;
Mustela Foina Briss., jung,
von Herrn Director Dr. v. Rueff;
Vesperugo noctula Schreb., altes Männchen,
Crocidura leucodon Wagl., altes und junges Weibchen,
Arvicola glareolus Schreb., altes Männchen und Weibchen,
Mus musculus L., altes Weibchen, sehr gross,
Mus minutus Pall., Junge,
Mus sylvaticus L., altes Männchen und Weibchen,
von Freiherrn Richard König-Warthausen;
Rhinolophus Hipposideros Bechst., altes Männchen,
von Herrn Dr. Ehrle in Isny;
Cervus Capreolus L., zwei Embryonen,
von Herrn Revierförster Frank in Schussenried;
Mus musculus L., 9 Junge aus einem Nest,
von Herrn Apotheker Koberin Nagold;
Myoxus quercinus L., altes Weibchen,
von Herrn Revierförster Hepp in Hirsau;
Myozus avellanarius Desm., Weibchen,
von Herrn Revierförser Frank in Steinheim;
Mus sylvaticus L., altes Weibchen,
von Herrn Oberstudienrath Dr. v. Krauss.
II. Vögel.
Als Geschenke:
Gallinula chloropus Lath., Nest mit 3 Eiern und 4wöchiges Junge,
Emberiza miliaria L., altes Männchen und Weibchen,
von Herrn Apotheker Valet in Schussenried;
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Pandion haliaetus L., altes Männchen,
von Herrn Forstverwalter Stier in Thannheim;
Garrulus glandarius Briss., mit monströsem Kreuzschnabel,
Pyrrhula rubierlla Pall., altes Weibchen, schwarze Varietät,
von Herrn Dr. E, Schüz in Calw;
Podiceps grisigena Bodd., junges Weibchen,
Fringilla cannabina L., junges Weibchen,
von Herrn Forstmeister Herdegen in Altensteig;
Buteo vulgaris Bechst., altes Männchen,
von Herrn Büchsenspanner Reinhold in Stuttgart;
Erythropus vespertinus L., altes Männchen,
von Herrn Revierförster v. Egen in Schemmerberg;
Turdus merula L., einjähriges Männchen,
von Herrn Garteninspector Wagner in Stuttgart;
Passer domesticus Briss., altes Männchen mit sehr verlängertem Ober-
schnabel,
von Herrn Eugen Held in Stuttgart;
Otus vulgaris Flemm., altes Männchen und Weibchen mit dem Nest
und drei 2 Tage und zwei 5—24 Stunden alten Jungen und einem
stark angebrüteten Ei,
Sylvia atricapilla Lath., Nest mit 4 Eiern, |
Emberiza citrinella L., Nest mit 2 Eiern und 2- u. 3tägigem Jungen,
Tinnunculus alaudarius Gray, Gelege von 3 Eiern und einem Ei von
Otus vulgaris Flemm. aus demselben Nest,
von Herrn Revierförster Frank von Schussenried ;
Milvus regalıs Briss., 2 stark angebrütete Eier,
von Herrn Revierförster Laroche in Mergentheim ;
Turdus merula L., 2 junge Männchen von verschiedenem Alter,
Passer domesticus Briss., sehr junges Männchen,
Fringilla carduelis L., altes Weibchen,
Emberiza citrinella L., altes Weibchen,
Passer montanus Briss., junges Männchen,
Corvus corone L., altes Weibchen,
Corvus cornix L., altes Männchen,
von Herrn Oberstudienrath Dr. v. Krauss.
b) Durch Kauf:
Bernicla Brenta Pall., Männchen von Neuhausen,
Tadorna Vulpanser Flemm., altes Männchen und Weibchen, aus einem
See bei Waldsee.
II. Reptilien.
Als Geschenke:
Coronella Tlaevis Laur., altes Thier,
yon Herrn Revierförster Ma genau in Neuenbürg;
AÄnguis fragilis L., Weibchen mit Embryonen und Jungen,
von Herrn Apotheker Kober in Nagold;
Coronella laevis Laur., jung,
von Herrn Forstmeister Fischbach in Schorndorf;
Triton alpestris Laur., Larven,
Bufo vulgaris Laur., Larven und Junge,
von Freiherrn Richard König-Warthausen;
Triton eristatus Laur., Junge,
von Herrn Dr. Ehrle in Isny;
Bufo variabilis Merr., Junge,
von Herrn Dr. E. Zeller in Winnenthal;
Pelias berus Merr., Männchen,
von Herrn Revierförster Frank in Schussenried.
IV. Fische.
Als Geschenke:
Gobio flwviatilis Cuv., Halbgewachsene,
Leueiscus rutilus L., Junge,
Cobitis barbatula L., Junge,
Scardinius erythrophthalmus L., Junge, schmale Form,
von der K. Garten. Direction;
Cottus Gobio L., sehr grosses Männchen, mit einem Eierhaufanl den
er hütete,
von Freiherrn Richard König- Warthausen.
V. .Crustaceen.
Als Geschenke:
Argulus foliaceus Jurine, Männchen, auf einer Forelle aus der Nagold
bei Liebenzell,
von Herrn Kaufmann H. Simon in Stuttgart;
Branchipus stagnalis L., aus einer Lehmgrube,
von Herrn Dr. E. Zeller in Winnenthal.
VI. Insecten.
a) Als Geschenke:
Coleopteren, 24 Arten in 40 Stücken,
von Herrn Dr. E. Hofmann;
Coleopteren, 20 Arten in 40 Stücken,
Hymenopteren, 12 Arten in 18 Stücken,
Mikrolepidopteren, 10 Arten in 27 Stücken,
von Herrn Stadtdirectionswundarzt Dr. Steudel;
Hemipteren und Hymenopteren, 45 Arten in 64 Stücken,
von Herrn O.-A.-Wundarzt Dr. Vöhringer in Sulz;
Prionus coriarius L., vom Bopser,
von Herrn Apotheker Reihlen in Stuttgart;
Hammaticherus Heros Fabr., Weibchen,
von Herrn Schullehrer Eitle in Strümpfelbach;
Dipteren-Larven und Puppen aus Fledermaus-Excrementen,
von Herrn Dr. Leube jun. in Ulm;
Gryllotalpa vulgaris L., Junge,
von Herrn Apotheker Valet in Schussenried;
Coleopteren, 33 Arten in 51 Stücken,
von Freiherrn Richard König-Warthausen;
Coleopteren, 77 Arten in 125 Stücken,
von Herrn Revierförster Frank in Schussenried;
Wespennest aus einem Bienenstock,
von Herrn Lehrer Ansel in Calw.
b) Durch Kauf:
Coleopteren, 54 Arten in 150 Stücken,
Örthopteren, 15 >» » 50 »
Dipteren, ID, 0 1: £ 128. l 3.5758
Macrolepidopteren, 13 Arten in 40 Stücken,
Microlepidopteren mit biologischen Gegenständen, 198 Arten in
512 Stücken.
VI. Entozoen.
Als Geschenke:
Dibothrium spec. ing. und Cucullanus elegans Rud. aus Anguilla vul-
garıs Ag.
von Herrn Obermedicinalrath Dr. v. Hering.
VII. Mollusken.
Als Geschenke:
Helix pomatia L., Eier und Junge,
von Herrn Revierförster Fribolin in Bietigheim;
Unio ater Nils., Junge,
Limaceen, 4 Arten,
Heliceen, 4 Arten,
von Freiherrn Richard König-Warthausen;
Ancylus fluviatilis Müll., auf einem Stein,
von Prof. Dr. OÖ. Fraas.
IX. Poetrefa eten
Als Geschenke:
Menschen- und Hirschschädel aus dem Torf,
von Herrn Pfarrer Schöttle in Seekirch;
Saurierknochen im bunten Sandstein,
von Herrn Apotheker Kober in Nagold;
Bruchstück eines Mammuth-Stosszahns bei Gaisburg,
von Herrn Director Otto Kreuser in Stuttgart.
B. Botanische Sammlung.
(Zusammengestellt von Prof. Dr. Ahle S.)
Die im vorigen Jahre vorgenommene Revision des Vereinsherbariums
hat dessen Ergänzung und Vervollständigung als höchst wünschens-
werth erscheinen lassen, wesshalb an mehrere Botaniker im Lande
unter Mittheilung von Desideraten-Verzeichnissen die Bitte erging, zur
Ausfüllung der Lücken und Beischaffung musterhafter Exemplare mit-
zuwirken. Diese Bitte hat zu dem erwünschten Ergebnisse geführt,
dass von mehreren Seiten ansehnliche Sendungen eingelaufen sind,
durch welche das Vereinsherbarium in Bälde mit guten Exemplaren
der bereits vorhandenen Species ergänzt und der zu erstrebenden mög-
lichsten Vollständigkeit der vaterländischen Flora näher gebracht wird.
Grössere Beiträge haben insbesondere geliefert:
Herr Pfarrer Kemmler in Donstetten, worunter als neu für’s
Herbarium
Salix ambigua Ehrh. bei Donstetten, und
Salix acuminata Sm.
; ga Ze ur
Be _ genus »Salix«, ferner üppige Exemplare von Orobanche rubens Wank
_ worunter eines stark verästelt ist.
Herr Oberamtsarzt, Dr. Finkh von Urach neben einer Anzahl
desiderirten Pflanzen als neu für’s Herbarium:
Nepeta nuda L., var. violacea Vill. und blühende Exemplare der
bei Urach im Felsengehänge verwilderten Juglans regia L.
Weiteren Zuwachs hat das Vereinsherbarium im Laufe des letzten
Jahres erhalten:
Durch Einsendung von Lycopodium alpinum L., das von Herrn
Graf Kurt Degenfeld-Schomburg auf dem »Schwarzen Grat« bei
Isny aufgefunden wurde.
Eine Sendung des Herrn Pfarrer Sautermeister, Schulinspector
von Weilen unter den Rinnen enthielt als neu für die württemb. Flora:
Dianthus Seguieri Vill., aufgefunden bei Hausen am Thann und Weilen
BR.,
B: ner Asptidium Lonchitis Sw. in langblättrigen Exemplaren, aus
m einer Waldschlucht bei Weilen u. d. R., |
sowie Früchte von Lappa ne Wallr. und Pleurospermum
I)
Be Interessant ist auch das Auffinden von Helotium awreum Pers.
EN . (Comioeybe crocata, Körber Parerga p. 300) mit der Peziza Resinae Fr.,
beide auf Kichtenkaf ; in den Wäldern der dortigen Umgegend.
Von Herrn Ingenieur E. Kolb wurde eingeliefert die dichotome
Br Form von Asplenium viride Huds. von Tuffelsen des Uracher Wasser-
falls (Bauhin’s Trichomanes ramosum hist. pl. III. p. 755 und Haller’s
Asplenium cauliculo bifurcato hist. stirp. Helv. 1693).
Ebenso Hypnum Halleri L. aus der Hölle b. Urach an Jura-
Yon blöcken und Cinclidotus fontinaloides Huds. von Ueberkingen b. Geiss-
a lingen an einem Wehr der Fils.
“ Ki Aus der sumpfigen Umgebung von Hecklerweiher bei Blitzreute
sammelte Herr Geometer Gerst, eine Anzahl phanerogamischer sowie
N kryptogamischer Pflanzen.
Be Herr Lehrer Häckler von Bolanden, O.-A. Leutkirch, übersandte
EEE
Malvenrost, Puccinia Malvacearum Mont., der die Malvenculturen im
Donau- und Remsthal zu zerstören droht, nachdem derselbe erst vor
wenig Jahren seine Wanderung von Chili aus über Australien nach
Frankreich und England und schliesslich über Deutschland und Italien
angetreten hat.
Herr Präceptor Schöpfer vom Lyceum in Ludwigsburg schickte
die daselbst aufgefundene Mentha viridis L. u. M. gentilis Wirtgen,
beide wurden bis jetzt im Lande je an einem Standort nachgewiesen.
Neu für die Flora ist die sonst im Süden vorkommende Melilotus parvi-
flora Desf. von einem Ackerrande bei Ludwigsburg.
Ingenieur E. Kolb von hier übergab nachträglich noch folgende
Moose aus der Umgegend von Wildbad:
Neckera pumila Hdw.
Mnium hornum ce. fr. L.
Grimmia apocarpa v. rivularıs Br. et Schpr.
Dicranodontium longirostre W. et M.
Fontinalis squamosa c, fr. L. auf Steinen der Enz in den Anlagen.
Vom Rosenstein bei Heubach im Remsthal:
Grimmia tergestina Tomm.
Antitrichium curtipendulum ce. fr. L.
Timmia bavarica Hessl.
Von Untertürkheim auf Dächern:
Pseudoleskea teetorum Schpr.
Neu für die Moosflora des Landes:
Barbula membranifolia Hook. vom Hohen-Asperg auf Gyps.
An Geschenken für die Holzsammlung sind eingegangen durch
die gütige Anordnung der K. Forstdirection:
Querscheiben von Alnus glutinosa Gärtn., der Schwarzerle von
Bönnigheim, nebst Stammstücken von Sambucus nigra L. und Salix
Caprea L. aus der Maulbronner Umgegend von Herrn Revierförster
von Gemmingen in Maulbronn.
Querschnitt von Salix Caprea von Hera Forstmeister From-
mann in Bönnigheim aus dem Revier Maulbronn.
Stammstücke von Betula alba L.
» » Carpinus Betulus L.
» ° >» Prunus Padus L.
Querscheibe von Fraxinus excelsior L. und Stammstück und Quer-
scheiben von Quercus peduneulata Willd., welch’ letztere die Folgen
der alle 3 Jahre wiederkehrenden Maikäfer bis zum Jahre 1752 zurück
erkennen lässt.
Sämmtlich von Herrn Forstrath Dr. Nördlinger in Hohenheim
aus der Hohenheimer Gemarkung.
Württeınb. naturw. Jahreshefte. 1876. 2
ITHRINE
Querscheiben von Populus tremula L.,
» » Sorbus aria Crantz,
» > » Gaucuparia L.
aus der Uracher Gegend, von Herrn Revierförster Herdegen in
Gächingen.
Stammstücke von Pyrus Malus L. (Holzapfel),
> » Salix Caprea L.,
> >» Juniperus communis L.
aus dem Revier Lichtenstein, von Herrn Revierförster Seitz,
Stammstücke von Sorbus aria Crantz,
> » Rhamnus cathartica L.
aus dem Revier Grafeneck, von Herrn Revierförster Sigel.
Stammstücke von Juniperus communis L.,
> » Evonymus europaeus L.
bei der Solitüde, von Herrn Oberförster Freiherrn v. Mühlen.
Als weitere Geschenke hat die Holzsammlung erhalten:
Stamm von Prunus spinosa L. bei Liebenzell, von Herrn Kaufmann
H. Simon in Stuttgart.
Stammstück von Salıx pentandra L., von Herrn Hofgärtner
Schupp in Wolfegg.
Wurzelstücke eines 30jähr. Trollingers aus den Esslinger Bergen
und von Pinus syWestris L. mit Maserbildung aus der Leonberger
Gegend, von Herrn Professor Dr. Fraas.
Querscheibe von -Ulmus campestris L. mit Maser, von Freiherrn
Richard König- Warthausen.
Die Vereins-Bibliothek hat folgenden Zuwachs
erhalten:
a) Durch Geschenke.
Observations of the genus Unio. By Isaac Lea. Vol. XIII. 1873. 40,
Vom Verfasser.
32r Bericht über das Museum Francisco-Carolinum. Nebst der
27. Lieferung der Beiträge zur Landeskunde von Oesterreich
ob der Ens. Linz 1874. 8.
Von Herrn C. F. Ehrlich in Linz.
F. P. Nowak, über das Verhältniss der Grundwasser-Schwankungen
zu den Schwankungen des Luftdruckes und zu den atmosphäri-
schen Niederschlägen, Prag 1874. 8°,
Zur Recension.
F. V. Hayden, preliminary report of the United States geological
survey of Wyoming, and portions of contiguous territories.
Washington 1871. 8°.
First, second and third annual reports of the United States geological
survey of the territories for the years 1867, 1868 & 1869.
Washington 1873. 8°.
Sixt annual report of the United States geological survey of the terri-
tories for the year 1872. Washington 1873. 8°,
F. V. Hayden, report of the United States geological survey of the
territories, in 5 volumes. Part. I. Wash. 1873. 4°.
Von Herrn F. V. Hayden in Washington.
W. Wurm, das Auerwild, dessen Naturgeschichte, Hege und dass
Stuttg. Bl
Vom Verfasser.
W. Baumeister, Anleitung zur Schweinezucht und Schweinehaltung.
4. Aufl., umgearb. von A. Rueff. Stuttg. 1871. 8°.
Vom Verfasser.
B. v. Cotta und J. Müller, Atlas der Erdkunde (Geologie und
Meteorologie). Leipzig, F. A. Brockhaus. 1874. 8°.
Vom Verleger zur Anzeige.
J. H. Kllekhech, Monographie der Familien der Pflanzenläuse
(Phytophthires). Thl. 1. Die Blatt- und Erdläuse. Aachen 1843. 4°,
Von Herrn Dr. E. Hofmann hier.
Ferd. Römer, die fossile Fauna der silurischen Diluvial-Geschiebe
von Sadewitz bei Oels in Niederschlesien. Breslau 1861. 4°,
Von der Schlesischen Gesellschaft für vaterl. Cultur.
A. Kölliker, die Pennatulide Umbellula und zwei neue Typen der
en Würzburg 1875. 4°,
Von der phys.-medic. Gesellschaft in Würzburg.
United States commission of fish and fisheries. Part. 1. Report on
the condition of the sea fisheries of the South Coast of New-
England in 1871 & 1872 by Spencer F. Baird. Wash. 1873. 8°,
Von der Smithsonian Institution in Washington.
Württembergische naturwissenschaftliche Jahreshefte. Jg. 31. Heft 1.2.
1875. 8°.
Von Herrn Ober-Tribunalrath v. Köstlin hier.
Dieselben.
Von Herrn Buchhändler E. Koch hier.
Meteorologische Beobachtungen angestellt inDorpat im J. 1872—1874.
Bearb. v. A. v. Oettingen & K. Weihrauch. Jg. 7—9. Bd. II.
Heft 2—4. Dorpat 1874. 8°.
Von Herrn Dr. A. v. Oettingen in Dorpat.
E: Geognostische Specialkarte von Württemberg, hg. vom k. stat.-
topogr. Bureau:
die Atlasblätter Horb, Oberndorf, Löwenstein und Ellenberg mit
3 Heften Begleitworte, 9%
RN Pe
. I :
.
Mean, na: A
1) Horb mit den Umgebungen von Horb, Sulz, Rottenburg, Haiter-
bach, Haigerloch, Imnau und Niedernau, geognostisch aufge-
nommen von v. Paulus und Hildenbrand, beschrieben von Finanz-
rath v. Paulus.
2) Oberndorf mit den Umgebungen von Oberndorf, Rottweil,
Schramberg, Dunningen etc., geogn. aufgenommen von v. Paulus
und Hildenbrand, beschrieben von Finanzrath v. Paulus.
3) Löwenstein mit den Umgebungen von Backnang, Marbach,
Heilbronn, Weinsberg etc., geogn. aufgenommen von J. Bach
und J. Hildenbrand, controlirt und beschrieben von Prof. Dr.
v. Quenstedt. "Stuttgart 1874—75. 4°.
Vom K. Finanzministerium.
Gust. Jäger, in Sachen Darwin’s, insbesondere contra Wigand. Stutt-
gart, Schweizerbart 1874. 8°.
Vom Verleger zur Anzeige.
H. G. Bronn’s Klassen und Ordnungen des Thierreichs, dargestellt
in Wort und Bild. Fortgesetzt von C. G. Giebel.
Bd. VI. Abth. 5. Mammalia. Lief. 1-7. 1874/75.
» >» » 2. Amphibien. » 6-7. 1874.
Von der €. F. Winter’sche Verlagsbuchhandlung zur Anzeige
in den Jahresheften.
S.v. Praun’s Abbildung und Beschreibung europäischer Schmetter-
lingsraupen in systematischer Reihenfolge zugleich als Ergänzung
von dessen Abbildung und Beschreibung europäischer Schmetter-
linge, hg. von Dr. E. Hofmann. Heft 3—7. 1874/75. 4°.
Vom Herausgeber.
Index to Vol. I—XIII observations of the genus Unio etec., “ Isaac
Lea. Vol. II. 1874. 4°,
Vom Verfasser.
ir und 2r Bericht des Vereins für Naturkunde zu Fulda. 1870/75. 8°.
Hiezu:
Speyer, die paläontol. Einschlüsse der Trias bei Fulda. 1875. 8".
Weidenmüller, Witterungsverhältnisse von Fulda von 1873.
Vom Fuldaer Verein für Naturkunde.
b) Durch Ankauf.
Acta helvetia phys.-math.-bot.-medica. Vol. 1—8. Basileae 1751
bis 1777. 4°.
Nova acta phys.-math.-bot.-medica. Vol. 1 [unic.]. Basileae 1787. 4°,
Naturwissenschaftlicher Anzeiger der allgemeinen Schweizerschen
Gesellschaft für die gesammten Naturwissenschaften. Hg. von
Fr. Meisner. Jg. 1—5. 1818—23. 4°,
nen N ersensehaken
Bern 1824/25. 8.
gesammten Naturwissenschaften. Bd. 1 [einziger]. Zürich 1829
h bis 1833. 4°. he
Verhandlungen der 3. 4. 7. 8. 12. 14. 17. 18. 19. 22. 29, 35. 40sten
Versammlung der allgemeinen Schweizerschen naturforschen-
den Gesellschaft. 8°.
Mömoires de la societe d’histoire naturelle de Strasbourg. Tom.I.
livr. 1. Paris 1830. 4°. Be
Stettiner entomologische Zeitung. 3 Po
= 35. Nr. 7—12. Stettin 1874.
NER La a ae Mes TS UN eg
DH. v. en. die Schmetterlinge Deutschlands und der Schweiz. Se
Bi Zweite Abtheilung. 3
Be: Bd. I. Heft 1. 2. Bd. II. Heft 1, 1863/70. 8°.
Annales de la societ@ entomologique de France.
2, 5eme Serie. T. II. T. IV. Paris N 8°.
Br 1870) der Sitzungsberichte und nes der Wienn
Be k. k. zoologisch-botanischen Gesellschaft. Zusammengestellt von
ei A. Fr. Grafen Marschall. Wien 1872. 8°.
B. Nomenelator zoologicus continens nomina RR generum anima-
Rn schaft naturforschender Freunde zu Berlin. Bd. 4. 5. Berlin "
i 1792/94. 8°. (= Schriften der Ges. naturf. Freunde zu Berlin. je
Bd. 10. 11.) Br
Neue Schriften der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berka
| Bd. 1—4. 1795/1803. 40, ee:
de Bonvouloir, Henry Vicomte, Monographie de la famille des
M i einen. Cahier 1—3. Paris 1874. 8°.
-D. J. Chr. Schäffer, Abhandlungen von Insekten. Bd. 1.2. Rogens- 3
burg 1764. 4°. a
Leopoldina, amtliches Organ der kais. Leopoldinisch- -Carolinischen F
deutschen Akademie der Naturforscher. Heft 1. Jena 1859. 4%,
c) Durch Austausch unserer Jahreshefte,
als Fortsetzung.
Abhandlungen der naturforschenden Gesellschaft zu Görlitz.
: 1875. 8°.
BINNEN DLLA
Abhandlungen der naturforschenden Gesellschaft zu Halle. Bd. 13,
Heft 2. 1874. 4°,
Abhandlungen aus dem Gebiete der Naturwissenschaften, hg. von dem
naturwiss. Verein in Hamburg.
Bd. V, 4. 1873.
Bd. VI, 1. 1873. 4.
Abhandlungen der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische
Cultur.
Phil.-hist. Abth. Jahrg. 1873/74. Breslau. 8°,
Archiv des Vereins der Freunde der Naturgeschichte in Mecklen-
burg. Jg. 25 u. 28. 1872/74. Neubrandenburg. 8.
Bericht der Wetterauischen Gesellschaft für die gesammte Naturkunde
zu Hanau, vom 1. Jan. 1868 bis 31. Dec. 1873. Hanau. 8°.
Berichte über die Verhandlungen der naturforschenden Gesellschaft zu
Freiburg i. Br.
Bd. VI. Heft 2. 3. Freiburg 1873. 8°,
Der zoologische Garten. Organ der zool. Gesellschaft in Frank-
furt a. M., hg. v. F.L. Noll.
Jg. 15. Heft 7—12. 1874. 8°.
Jahrbuch der k. k. geologischen Reichsanstalt in Wien. Bd. 24.
Heft 2—4. Wien 1874. 8°,
Jahrbücher des Vereins für Naturkunde im Herzogthum Nassau.
Jahrg. 27. 28. 1873/74.. Wiesbaden. 8°.
Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde.
Jahrg. 1873. Heft 1. 2. 1874. Heft 1. Stuttg. 8°.
Jahresbericht über die Fortschritte der Chemie, Physik, Mineralogie
und Geologie Hg. v. H. Will.
Für 1872. Heft 1—3. Giessen 1874. 8°.
Jahresbericht der naturforschenden Gesellschaft Graubündens.
Neue Folge. Jahrg. 18. 1873/74. Chur. 8°,
Naturgeschichtliche Beiträge zur Kenntniss der Umgebungen von Chur,
Chur 1874. 8°,
30—32r Jahresbericht der Pollichia, eines naturwissenschaftlichen
Vereins der Bayerischen Pfalz.
Dürkheim a. d. H. 1874. 8.
51. Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische
Cultur. Jahrg. 1873. Breslau. 8°.
Leopoldina, amtliches Organ der Kais. Leopoldinisch-Carolinischen
deutschen Akademie der Naturforscher. Heft 10. Dresden 1874. 4°,
Lotos. Zeitschrift für Naturwissenschaften.
Jahrg. 24. Prag 1874. 8°.
Mittheilungen des naturwissenschaftlichen Vereins für Steiermark.
Jahrg. 1874. Graz. 8°.
sralogische Mittheilungen, gesammelt von G. Tschermak.
Jahrg. 1874. Heft 2—4. Wien. 8°, Wi
N ittheilungen der k. k. geographischen Gesellschaft in Wien. N. Fr
Bir: Jahrg. 6 (= Bd. 16). Wien 1874. 8°,
I _Monatsberichte der k. preuss. Akademie der Wissenschaften zu
R Berlin. *
Aus dem Jahr 1874. April—Dec. Ba:
R » >» » 1875. Jan.—März. Berlin. 8°. Be
Sitzungsberichte der physikal.-medieinischen Societät zu Erlangen.
Verhandlungen. Heft 1u.2. 1865 bis Mai 1870. Erlangen. 8,
_ Sitzungsberichte der naturwissenschaftlichen Gesellschaft »Isise zu
Dresden. N
Jahrg. 1874. Januar—Sept. Dresden 1874. 8,
_ Sitzungsberichte der kais. Akademie der Wissenschaften in Wien.
: Mathem.-naturw. Klasse. |
E Abth. I. Bd. 68, 3—5. 69, 1-5. 70, 1.2. 3
Be; Abth. II. » 68, 3—5. 69, 1-5. 70,1. 2. 2
Br - Wien 1873/74. g0. | r
N - Verhandlungen des botanischen Vereins für die Provinz Brand enburg. A
Er: Jahrg. 16. 1874. Berlin. 8°. ..
Verhandlungen des naturforschenden Vereins in Brünn. 7
' Bd. 12. Heft 1. 2. Brünn 1873. 8°, Kl
Bi: Verhandlungen des naturhistorisch-medieinischen Vereins zu Heidel-
berg. Bd. 5. 1868—71. Bd. 6. 1871—72. a
E Neue Folge. Bd. 1. Heft 1. 1874. Heidelberg. 8°. S
Verhandlungen der k. k. geologischen Reichsanstalt. Jg. 1874. Heft
n 7—13. 16. 17.18. Wien. 8°. 2: A
Verhandlungen der physik.-medicinischen Gesellschaft in Würzburg
Be;
Neue Folge.
Bd. 8. Heft 1—4. Würzburg 1874/75. 8°,
2 Y , an .. fi
Verhandlungen des naturhist. Vereins der preussischen Rheinlande
Be) } - x Ps
und Westphalens.
Jahrg. 30, 2. = 3. Folge. Bd. 10, 2. 1873.
BR TSL. eh: NR, RE: 1874. Bonn. 8°.
u es handlungen der k. k. zoologisch-botanischen Gesellschaft in wien.
Bi Bd. 24. Jahrg. 1874. Wien. 8°.
Vierteljahrsschrift der naturforschenden Gesellschaft in Zürich.
K Jahrg. 18. Heft 1-4. Zürich 1874. 8°,
_ Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft.
CE Bd. 26. Heft 1—4. Berlin 1874. 8°, a
Zeitschrift für die Be Naturwissenschaften. Hg. von ke an
x
Bu Ba ihr Dat ee NN
En, Aa r
“ u: ER >
I:
« im
ET TR
Deutsche entomologische Zeitschrift. Hg. v. d. entomol. Verein in
Berlin.
Bd. 19. Heft 1. 1875. Berlin. 8°,
Register für Bd. 13—18 (1869—74) zusammengestellt von
Max Wahnschaffe. 8°.
Annalen des physikalischen Centralobservatoriums. Hg. v. H. Wild.
Jahrg. 1869. 1873. St. Petersburg 1874/75. 4°,
Repertorium für Meteorologie. Hg. von der Akad. der Wissensch. in
St. Petersburg.
Bd. 4. Heft 1. St. Petersb. 1874. 4°,
Archives N6erlandaises des sciences exactes et naturelles, publ. p. la
soc. holland. des sciences a Harlem et redig. p. E. H. Baum-
hauer.
T. VIII, 1.2.5. 1873. IX, 1-5. le Haye. 8.
Annales de la societ& entomologique de Belgique.
T. XVII. Bruxelles 1874. 8°.
Annual report of the trustees of the museum of comparative zoology
at Harvard College in Cambridge. 1867. 1869. 1870. 1872.
1873. Boston. 8°.
Report of the commissioner of Agriculture.
For the year 1870—73. Washington. 8°.
Annual report of the board of regents of the Smithsonian Insti-
tution.
For the year 1872. Washington 1873. 8.
Annales de la societ& d’agriculture, histoire naturelle et arts utiles
de Lyon.
46me Ser. T. 4. 5. 6. 1871—73. Lyon und Paris 8°.
Annals of the Iyceum of natural history of New-York. Vol.X.
N°. 8-11. New-York 1872/73. 8°,
"Annuaire de l’academie royale des sciences, des lettres et des beaux-
arts de Belgique.
Annee 40. 1874. Bruxelles. 8°,
Bulletin de l’academie royale des sciences, des lettres et des beaux-
arts de Belgique.
Annee 42. — 2. Serie. T. 35. 36. 1873.
auaBNe 2, > » 37. 1874. Bruxelles. 8°.
Bulletin de la societ@ geologique de France.
ä6me Serie. T. II, 3-5.
» 5 » III, 1—4.
» * » I (Schluss mit Index). Paris 1873/75. 8,
Bulletin de la societ& imperiale des naturalistes de Moscou.
Annee 1873. Nr. 4.
> 1874. » 1--4. Moscou 8°,
Bulletin de la societe des sciences naturelles de Neuchatel. T.X.
Cah. 1. Neuchatel 1874. 8°.
Bulletin des seances de la societe Vaudoise des sciences naturelles.
Vol. 13. Nr. 73. Lausanne 1874. 8°,
Bulletin of the Museum of comparative zoology at Harvard College.
Vol. II. Nr. 2—4. 7—10. Cambridge. 8°.
Bulletin de la societe d’histoire naturelle de Colmar. Annee 14e
und 15e. Colmar 1873/74, 8°.
Catalogue illustrated of the Museum of comparative zoology in Cam-
bridge.
Vol. VIII. Cambridge 1874. 8°.
Jaarboek van de kon. Akademie van wetenschappen gevestigd te
Amsterdam. Voor 1873. Amsterdam 8°.
Catalogus van de Bockerij der k. Akademie van wetenschappen in
Amsterdam.
I. Deel. 1. Stuk. Nieuwe Uitg. 1574. 8°.
The Quarterly Journal of the geological Society in London. Vol.
XXX, Part. 1-5. London 1874. 8°,
Journal of the Linnean Society.
Botany. Vol. XIV. N®,. 75. 76. London, 8°.
Mömoires de la societe des sciences physiques et naturelles de Bor-
deaux.
L. IX.,2:5 814720 Seconde 'Serie, T. LT,
Bordeaux 1874/75. 8°.
Memoirs read before the Boston Society of natural history.
Vol. H..,.Part.: 2... NO...
>... >, Beuu2., 22... Boston 1873/74. 740;
M&moires de la societ& imper. des sciences naturelles de Cherbourg.
T.:XVIII. Cherbourg 1874.
M&moires de l’acad&mie imper. des sciences, arts et belles lettres de
Dijon.
3eme Serie. T. I. Dijon 1871/73. 8°.
M&moires de la societ& de physique et d’histoire naturelle de Gen&ve.
T. XXIIL, 1. 2. Geneve 1873/74. 4°,
Memoires de la societ& royale de sciences de Liege.
2eme Serie. T. V. Liege 1873. 8°.
Memoires de l’acad&mie des sciences, belles-lettres et arts de Lyon.
Classe des sciences. T. XX. 1873/74.
» » lettres. T. XV. 1870/74. Lyon u. Paris. 8°.
Memoires de la societ& des sciences naturelles de Neuchatel.
T. IV. Part. 2. Neuchatel 1874. 4°.
Proceedings of the Boston Society of natural history.
Wo1..XV.. Part. 3,4 - Boston: 1872/73. 8°.
Ua
Proceedings of the zoological Society of London.
For the year 1873. Part 3.
» > » 1874. » 1-3. London. 8°.
Proceedings of the Lyceum of natural history in the city of New-York.
Vol. I. Bogen 16—19. 1871.
Second series. 1. Jan.—March 1873. New-York. 8°,
Proceedings of the Academy of natural science of Philadelphia.
Part 1—3. 1873. Philadelphia. 8°.
Smithsonian contributions to knowledge.
Vol. 18. 19. Washington 1873/74. 4°,
Smithsonian miscellaneous collections.
Vol 6. 7. 11. 12. Washington 1867/74. 89.
Publications de lI’Institut royal Grand-ducal de Luxembourg. Section
des sciene. natur. et mathemat.
T. XI. XIV. Luxemb. 1872/74. 8°.
Observations möt6orologiques faites ä Luxembourg par F. Reuter.
Vol. 1. 2. Luxemb. 1867/74. 8°.
Recueil des mömoires et des travaux publ. par la soeiet6 de Botanique
du Grand-duche de Luxembourg.
No. 1. 1874. 8°,
Natuurkundige Tijdschrift voor Nederlandsche Indie.
Deel XXXII. Aflev. I-3. Batavia 1871.
>: 1 KXXIM, » 1873. 8%
Transactions of the zoological Society of London. Vol. VII. Part
7.8.9. Lond. 1874. 4°.
Transactions of the Connecticut Academy of arts and sciences.
Vol. II. Part.2. New-Haven 1873. 8°.
The transactions of the acad. of science of St. Louis.
Vol. III. N®. 1. St. Louis 1873. 8°,
Verhandelingen der kon. Akademie van wetenschappen.
Deel XIV. Amsterdam 1874. 4,
Natuurkundige Verhandelingen der Hollandsche Maatschappij der
wetenschappen te Harlem.
Deel. I. N®. 1—4. Harlem & Amsterd. 1874, 8°,
Verslagen en Mededeelingen der kon. Akademie van wetenschappen.
Afdeel. Natuurkunde. Deel VIII. 1874.
>» Letterkunde. » IX. 1874. Amsterdam. 8,
a) Durch erst in diesem Jahre eingeleiteten
Tauschverkehr:
Atti della societä Toscana di scienze naturali residente in Pisa.
Vol. 1. Fasc. 1. Pisa 1875. 8°,
ER
Archives du Muse&e Teyler.
Vol. I. livr. 2—4. x
» I. >» 14.
„ II. >» 1-4. Harlem 1867/74. 8°.
Annali del Museo civico di storia naturale di Genova, publ. per
cura di Giac. Doria.
Vol. 1-5. Genova 1870/74. 8°.
Bulletin of the Buffalo society of natural sciences.
Vol. I, 1-4. II, 1-3. Buffalo 1873/74. 8°.
Jaaboekje van het zoolog. genootschap »Natura artis magistra« te
Amsterdam.
Jaargang 1852/74. Amsterdam. 12°.
Nederlandsch Tijdschrift voor de Dierkunde, uitg. door het k. zoolog.
genootschap »Natura artis magistra«e te Amsterdam.
Jaargang 1—4. Amsterdam 1854/73. 8°.
Vereinskassier E. Seyffardt trug folgenden
Rechnungs-Abschluss für das Jahr 1874— 75.
vor:
Meine Herren!
Nach der abgeschlossenen 31. Rechnung p. 1. Juli 1874/75
betragen
die Einnahmen:
A. Reste: Rechners Kassen-Bestand auf
302 Ian 1874 9 2 BEER: 98 1. 8: kr
Bi hrunlstock "7 ent Su — fl. — kr.
C. Laufendes.
Activ-Kapital-Zinse. . . . 284 fl. 45 kr.
Beiträge von den Mitgliedern 1537 fl. 5 kr.
Ausserordentlices . « . . 55A. 12 kr.
1877 2 8
Hauptsumme der Einnahmen
— - 1975 fl. 10 kr.
ERDE EN
die Ausgaben:
A. Reste.
B. Grundstock. Angeliehene Kapitalien
C. Laufendes.
Für Vermehrung der Samm-
lungen"... 2.5), 97 fl. 30 kr.
„ Buchdrucker-, Bochhifder-
etc. Kosten :,. «» + '..:.700 fl. 33 ke
27Mebulien . |’, '. Keh, 7 fl. 48 kr.
s Beten Copia-
ben, Porti ete.- N... 2H18H 8 4828
»„ Bedienung . . . . .. 116 fl. 40 kr.
Br BStenee N EEE Fe
„ Ausserordentlices . . 16 fl. 22 kr.
Hauptsumme der Ausgaben
— + 1440 fl. 44 kr.
Werden von den
Einnahmen im Betrag von .
die Ausgaben im Betrag von . ;
abgerechnet, so erscheint am Schlusse des Rech-
nungsjahres ein Kassenvorrath von
— '- 534 fl. 26 kr.
der zum grösseren Theil zu Bezahlung der Kosten
des erst in den letzten Tagen erschienenen 3ten
Jahreshefts erforderlich ist.
Vermögens-Berechnung.
Kapitalien
Kassenvorrath . A a {
Das Vermögen des Vereins beträgt Kae an
Schlusse des Rechnungsjahrs .
Da dasselbe am 30. Juni 1874 .
betrug, so stellt sich gegenüber dem Vorjahre
eine Zunahme von
— 786 fl. 18 kr.
heraus.
1090 fl. 44 kr.
1975 fl. 10 kr
1440 fi. 44 kr.
6748 fl. 30 kr.
534 fl. 26 kr.
7282 fl. 56 kr.
6496 fl. 38 kr.
-
aurragt Le
Nach der vorhergehenden Rechnung war die Zahl der
Vereinsmitglieder : . . ; Pa . . 454.
Hiezu die neu Sn eetrokenen Mitglieder, nämlich die
Herren:
Fürst v. Waldburg Wolfegg-Waldsee, Durch-
laucht,
Erbgraf v. Quadt-Wycekradt-Isny, Erlaucht,
Professor Dr. Bronner in Calw,
Dr. Braun in Winnenden,
Buchhalter Courtin in Stuttgart,
Stadtpfarrer a. D. Hegler in Cannstatt,
Dr. Schiler in Calw,
Professor Dr. Staedel in Tübingen,
Fabrikant E! Staelin in Calw,
Pfarrer Schlenker in Erzingen,
Hof-Kammerförster Hartmann in Freudenthal,
Schulmeister Kunberger daselbst,
Professor Dr. Ofterdinger in Ulm,
Apotheker Dr. Fr. Mauch in Göppingen,
Öberstabsarzt a. D. Dr. Göser in Ulm,
Ferd. Zuppinger in Friedrichshafen,
Kreisgerichtsrath Schiessle in Sigmaringen,
Oberförster Karle daselbst,
Ackerbau-Lehrer Prestele daselbst,
Apotheker Kappis in Güglingen,
Reallehrer Oberndorfer in Günzburg,
Dr. Ray in Wurzach,
Caplan Rühl in Günzburg,
Kanzleirath a. D. Jäger in Stuttgart,
Kaufmann F. X. Angele in Biberach,
Stadtarzt Bumiller in Ravensburg,
Oberstabsarzt Dr. Burk in Weingarten,
Revierförster Frank in Schussenried,
Pfarrer Herlikofer in Oberdischingen,
Apotheker Hocheisen daselbst,
Uebertrag . . 454
BRITEN
Vebertrag . . 454
Hauptzoll-Verwalter Haas in Friedrichshafen,
Handelsgärtner Kifer in Biberach,
Dr. Oesterlen in Tübingen,
Oberamtsrichter Pfeilsticker in Biberach,
Hofgärtner Schupp in Wolfegg,
Apotheker Dieterich in Biberach,
Revierförster Imhof in Wolfegg,
Weinhändler Kees in Waldsee,
Domänen-Rath Schüle daselbst,
Forstverwalter Walchner in Wolfegg,
Holzverwalter Walchner daselbst,
Kaufmann C. Faber in Stuttgart,
C. Kohler in Hausen a/Z2.
Vicar Dr. Knöpfler in Ravensburg.
Dr. Miller in Aulendorf,
Dr. Uhland in Stuttgart,
Pfarrer Schöttle in Seekirch,
Professor Dr. 0. Schmidt in Stuttgart,
Malzfabrikant Angele in Warthausen,
Bau-Inspector Berner in Ulm,
Domänen-Director Bihlmeyer in Aulendorf,
Pfarrer Dorner daselbst,
Öberamtmann Elwert in Saulgau,
Braumeister Hacker in Altshausen,
Forstmeister Freiherr v. Hügel in Weingarten,
Brauerei-Besitzer Neher in Warthausen,
Rechtsanwalt Schmucker in Waldsee,
Oberamts-Baumeister Stifel daselbst,
Freiherr v. Welden-Grosslaupheim auf Hürbel,
Lehrer Wiedemann in Kutzenhausen,
Oberst a. D. Conradin v. Sonntag in Stuttgart,
Oberamtmann Mayer in Waldsee,
Reallehrer Schönleber daselbst,
Sect.-Ingenieur Strasser in Aulendorf,
Uebertrag 454
Uebertrag . . 454
Hofkammer-Verwalter Richter in Altshausen,
General v. Wundt, Chef d. k. w. Kriegsministeriums
in Stuttgart,
Privatier Fr. Bossert daselbst,
Freiherr v. Hermann, k. Kammerherr, auf Wain,
Fabrikant E. Zöpperitz in Calw,
Freiherr Schenk v. Stauffenberg auf Risstissen,
Hofrath Wüst in Stuttgart,
Apotheker Dr. Veiel in Ravensburg,
Freiherr vom Holtz, k. k. Rittmeister a. D. auf
Alfdorf,
Dr. A. vv. Wurstemberger in Tübingen,
Dr. Kurtz in Stuttgart,
Maschinen-Inspector Hahne in Wasseralfingen,
Kriegsrath Landbeck in Stuttgart,
Apotheker Bauer in Weingarten,
Carl Forschner in Waldsee,
Buchdruckerei-Besitzer Haeberle in Biberach,
Stadtpfarrer Huber daselbst,
Instituts-Direktor Prestle daselbst,
Apotheker Staenglen in Saulgau,
Domänen-Direktor Waldraff in Wurzach.
Reallehrer Zimmermann in Saulgau,
Buchhändler E. Fehleisen in Reutlingen,
Buchhändler Petzendorfer daselbst,
Kreisgerichtsrath Schad v. Mittelbiberach in Ulm,
Reallehrer Maysenhölder in Stuttgart,
Freiherr v. Hayn, k. Kammerherr auf Uhenfels . 90
. 544
Hievon die ausgetretenen Mitglieder u. zwar die Herren:
Ober-Regierungsrath a.D. v. Schmidlin in Stuttgart,
Apotheker Weigelin daselbst,
Weinhändler Rosenthal in Mainz,
Apotheker Jaeckh in Stuttgart,
Uebertrag . . 544
WAL
Uebertrag . . 544
Assistenzarzt Dr. Koch in Strassburg, e
Apotheker Schill in Freiburg ij/B.,
Apotheker Kerner in Besigheim . . .. 7
Die gestorbenen Mitglieder, nämlich die Herren:
Öberstudienrath v. Cless in Stuttgart,
Pomolog Vosseler daselbst,
Dr. Nittinger daselbst,
Professor Dr. Weiss daselbst,
Pfarrer Neüber in Friedrichshafen,
Hofrath Dr. v. Veiel in Cannstatt,
Apotheker Sautermeister in Klosterwald,
Prediger Hohenacker in Kirchheim u/T.,
Dr. Hedinger sr. in Stuttgart,
Apotheker Lessing in Empfingen . . . . 10°
17
über deren Abzug die Mitgliederzahl am Ende des Rechnungs-
jahres beträgt — . 527,
mithin gegenüber dem Vorjahr mehr
— + 13.
Wahl der Beamten.
Die Generalversammlung erwählte nach $. 13 der Statuten
durch Acclamation
zum ersten Vorstand:
Öberstudienrath Dr. v. Krauss in Stuttgart,
zum zweiten Vorstand:
Professor Dr. 0. Fraas in Stuttgart,
und für diejenige Hälfte des Ausschusses, welche nach $. 12
der Statuten diessmal austritt:
Professor Dr. Ahles in Stuttgart,
Oberbaurath Binder in Stuttgart,
Geheimer Hofrath Dr. v. Fehling in Stuttgart,
Generalstabsarzt Dr. v. Klein in Stuttgart,
Director v. Schmidt in Stuttgart,
Rn > 1 Wil
Eduard Seyffardt in Stuttgart,
Director Prof. Dr. v. Zech in Stuttgart.
Im Ausschuss bleiben zurück:
Professor 0. W. v. Baur in Stuttgart,
Professor Dr. Blum in Stuttgart,
Professor Dr. Fraas in Stuttgart,
Obertribunalrath W. v. Gmelin in Siulieart
Professor Dr. 0. Köstlin in Stuttgart,
Professor Dr. Marx in Stuttgart,
Apotheker M. Reihlen in Stuttgart,
Director Dr. v. Zeller in Stuttgart.
Zur Verstärkung des Ausschusses erwählte der Ausschuss
nach $. 14 der Vereinsstatuten in der Sitzung vom 4. Novem-
ber 1875:
Dr. Ammermüller in Stuttgart,
Bergrathsassessor Dr. Baur in Stuttgart,
Forstrath Dorrer in Stuttgart,
Stadtdirectionswundarzt Dr. Steudel in Stuttgart.
als Secretäre:
Generalstabsarzt Dr. v. Klein in Stuttgart,
Director Prof. Dr. v. Zech in Stuttgart,
als Kassirer:
Eduard Seyffardt in Stuttgart,
als Bibliothekar:
Oberstudienrath Dr. v. Krauss in Stuttgart.
Für dienächste Generalversammlung am Johannisfeier-
tag den 24. Juni 1876 wurde Stuttgart und zur Geschäftsfüh-
rung Oberstudienrath Dr. v. Krauss gewählt.
Der Vorsitzende brachte nun den in der vorjährigen General-
versammlung bekannt gemachten
Antrag auf Abänderung des $. 9 Absatz 1 der Vereinsstatuten
nach $. 22 zur Berathung und Abstimmung.
| Württemb. naturw. Jahreshefte. 1876. 3
BR sh; aan
Da sich Niemand zum Wort meldete, so wurde abgestimmt
und die neue Fassung des
$. 9 Absatz 1 der Vereinstatuten:
„Die Mittel des Vereins werden durch Actien zusammen-
gebracht, deren Abnahme zu einem Jahresbeitrage von fünf
Mark per Actie verpflichtet. Die Zahlung geschieht beim
Eintritt, sowie je am 1. Juli.“
einstimmig angenommen.
Nach dem geschäftlichen Theil der Versammlung begannen
die Vorträge, die erst nach 1 Uhr endeten.
Der Vorsitzende sprach alsdann noch dem Geschäftsführer
und den Ausstellern der naturhistorischen Gegenstände für ihre
viele Bemühungen, sowie den städtischen Behörden für den zu
den Verhandlungen freundlichst überlassenen Rathhaussaal den
wärmsten Dank aus und schloss die Generalversammlung mit dem
Wunsche, die oberschwäbischen Mitglieder im. nächsten Jahre
ebenso zahlreich in Stuttgart begrüssen zu dürfen.
Nach dem Mittagsmahle begaben sich einige Mitglieder
nach Warthausen zur Besichtigung der ausgezeichneten Vogeleier-
Sammlung des Freiherrn Richard König-Warthausen, andere
folgten einer sehr freundlichen Einladung des Biberacher Stadt-
raths zu einer geselligen Abendunterhaltung mit Musik. Mehrere
betheiligten sich Tags darauf an der Exkursion nach Essendorf
und Schussenried, um die interessanten Sammlungen von Pfarrer
Probst und Dr. Miller und unter der Führung des Revier-
försters Frank die neuen Pfahlbauten zu besuchen.
Gründung eines Schwarzwälder Zweigvereins,
Kurze Zeit nach der Generalversammlung des Vereins in
Biberach traf die erfreuliche Nachricht ein, dass sich auch im
westlichen Theil unseres engeren Vaterlandes ein Zweigverein
des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg ge-
bildet hat.
Ueber die Gründung des Schwarzwälder Zweigvereins hat
dessen Vorstand, Dr. Emil Schüz in Calw, die nachfolgende
Mittheilung für dieses Jahresheft eingeschickt, die im Anschluss
an den Bericht über die Generalversammlung hier die geeignetste
Stelle finden dürfte.
Gewiss werden die Mitglieder des Hauptvereins wie des
Oberschwäbischen Zweigvereins die Kundgebung der Männer aus
dem Schwarzwald, die Naturwissenschaften auch in ihrem Kreise
zu pflegen und zu verbreiten, mit aufrichtigster Freude begrüssen
und sie in der Ausführung ihrer gemeinnützigen Bestrebungen,
die auch die unsrigen sind, zum Besten des Vaterlandes mit allen
Kräften unterstützen.
Im Anschluss an vorstehende sehr anerkennungswerthe Kunde
wird wohl hier der Wunsch ausgedrückt werden dürfen, es möchten
die Mitglieder aus dem nördlichen Theil Württembergs sich
ebenfalls aufgefordert fühlen, einen Zweigverein auch in ihrem
Kreise zu gründen, der insbesondere in Franken so viel Eigen-
thümliches für genauere naturwissenschaftliche Forschungen bietet.
3*+
Schwarzwälder Zweigverein
des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg.
Der Wunsch engerer Vereinigung der im Schwarzwalde
wohnenden Naturfreunde, behufs gemeinsamer Arbeit, ist ein
schon seit einer Reihe von Jahren in Freundeskreisen gehegter
und häufig ausgesprochener. Er ist im Laufe dieses Jahres auf’s
Neue angeregt und durch die erfolzreiche Gründung des ober-
schwäbischen Zweigvereins belebt worden. Zum Zweck einer Be-
sprechung wurde durch Herrn Apotheker Kober in Nagold im
Verein mit anderen Freunden auf 29. Juni d. J. eine Zusammen-
kunft nach Nagold ausgeschrieben. Die über Erwarten zahlreich
versammelten Naturfreunde beschlossen einstimmig die Gründung
des mit diesen Zeilen sich ankündigenden und zu eifriger Theil-
nahme empfehlenden
Schwarzwälder Zweigvereins
des Vereins für vaterländische Naturkunde
in Württemberg.
Er stellt sich als Sohn des am 16. August 1844 ins Leben
getretenen Hauptvereins die Aufgabe, diesen in seinen Bestre-
bungen (Erforschung der natürlichen Verhältnisse seines Gebiets,
Mehrung der vaterländischen Sammlung etc.) nach Kräften zu
unterstützen, wie solches in den unten angeführten Satzungen zu
ersehen ist. N
Die Versammlung vom 29. Juli wählte zum Vorstand:
Dr. E. Schüz in Calw,
in den Ausschuss:
Rechtsanwalt Bohnenberger in Nagold.
Professor Dr. P. Bronner in Calw.
RT, RE
Apotheker Joh. Kober in Nagold.
Medidinalrath Dr. Müller, Öberamtsarzt in Calw.
Dr. Eberhardt Müller, Arzt in Calw.
Forstmeister Adolf Reuss in Wildberg.
Badarzt Dr. Wilh. Wurm in Teinach.
Der neugewählte Ausschuss erhielt von der Versammlung
den Auftrag, Satzungen für den Verein aufzustellen, und hat am
19. August in Calw unter gütiger Mitwirkung der Herren Ober-
studienrath Dr. v. Krauss und Obertribunalrath W. v. Gmelin
sie in nachstehender Fassung festgestellt.
Als Mitglieder sind vom 29. Juni bis 31. Oktober die am
Schluss verzeichneten Herren beigetreten.
Wie am 24. Juni 1874 bei der Versammlung in Calw von
der „hoffnungsfrohen Tochter in Oberschwaben“ Grüsse gebracht
wurden, so grüsst im Namen des neugebornen Schwarzwälder
Sohnes, und bittet den Vater Hauptverein um seine väterliche
Unterstützung. Dr. E. Schüz in Calw.
Satzungen
des Schwarzwälder Zweigvereins fir vaterländische Naturkunde, e
ihr, S. 1: }
B. e s 2 SEM
HER Unser, am 29. Juni 1875 gegründeter, Verein hat als Zweig R
des „Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg* i
\ denselben Zweck wie letzterer, mit besonderer Beziehung auf den ;
% “ Schwarzwald, und hält es für seine Aufgabe, den Schwarzwald
nach seinen natürlichen Verhältnissen zu erforschen, und zwar
"s ' sowohl nach der rein wissenschaftlichen, als nach der praktisch- N
technischen Seite.
ST 2
8. 2.
Der Verein wird seine Thätigkeit auf den Gebieten der
' 1 roiogfs, Botanik, Mineralogie, Geognosie, Meteorologie, Anthro-
pologie und Ethnologie entfalten, um damit nicht nur der Wissen-
schaft überhaupt zu dienen, sondern auch um den Sinn für vater
ländische Naturkunde, insbesondere unter den Bewohnern des &
2:
D
\ PAR ER
a
Aral
=,
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a _ Schwarzwaldes zu wecken und zu verbreiten. Br
E S. Di B; Be
3 Zur Erreichung dieses Zwecks macht der Verein jedem Mit-
Ir
'gliede zur Pflicht, nach Kräften durch Mittheilung von Beobach- Be
Be _ tungen » Entdeckungen und sonstigen Notizen naturwissenschaft-
u licher Art, behufs gemeinsamer Verwerthung das Seinige beizu-
SR N tragen, und giebt hiezu besonders Gelegenheit durch periodische 103
Zusammenkünfte. Er legt ferner seinen Mitgliedern das Sammeln IN
_ von Naturprodukten, vorzugsweise zur Einverleibung solcher in a
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RER RN nn? RAR (ur) N; 2, uch, RN nt RE PS EN RE , a 0 DEREN We ENRERE
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2 die vaterländische Naturaliensammlung in Stuttgart, dringend
ans Herz.
Zur Veröffentlichung von Aufsätzen und dergl. sollen die:
„Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde in Würt-
temberg“ vor Anderen benützt werden.
S. 4.
Jeder Freund der Naturkunde, der in obigem Sinn thätig |
sein oder Belehrung suchen möchte, ist zum Beitritt eingeladen
und hat sich zu diesem Ende beim Vorstand anzumelden. Jedes
Mitglied verpflichtet sich damit zur Mitgliedschaft an dem würt-
tembergischen Verein für vaterländische Naturkunde, erhält dessen
Diplom, die Satzungen des Haupt- und des Zweigvereins, sowie
die Zeitschrift des Hauptvereins.
Ausser dem an den Hauptverein zu leistenden jährlichen
Beitrag von fünf Mark, haben die Mitglieder des Zweigvereins
noch die alljährlich auf die Mitglieder umzulegenden Antheile
an den wenigen Unkosten des Zweigvereins zu tragen.
$ 5.
Zur Besorgung der Vereinsangelegenheiten wählen die Mit-
glieder in der jährlich im Herbst abzuhaltenden Hauptversamm-
lung, entweder mündlich oder schriftlich, einen Ausschuss be-
stehend aus:
1) dem Vorstand, der die Sitzungen und Vereinsversamm-
lungen anordnet und leitet, die Aufnahme vermittelt, die Kasse
verwaltet und für jede Versammlung einen Schriftführer, der
das Sitzungsprotokoll führt, bezeichnet.
2) Sieben Ausschussmitgliedern welche im Verhinderungsfalle |
des Vorstandes aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden wählen. Zur
Fassung eines gültigen Beschlusses ist, ausser dem Vorstand, die
Anwesenheit von mindestens drei Ausschussmitgliedern nöthig.
Der Ausschuss hat das Recht, sich durch Berufung weiterer Mit-
glieder zu ergänzen oder zu verstärken.
BL LE TREE TEE
S. 6.
Wenn der Verein sich auflöst, so werden sämmtliche Acten
und sonstiges Eigenthum des Vereins dem Hauptverein für vater-
ländische Naturkunde in Württemberg übergeben, wofern nicht
eine anderweitige Verfügung zu Gunsten einer andern Öffent-
lichen Anstalt wünschenswerth erscheint.
Verzeichnis der Mitglieder
des Schwarzwälder Zweigvereins
für vaterländische Naturkunde.
Vorstand:
Dr. E. Schüz in Calw.
Ausschuss:
Rechtsanwalt Bohnenberger in Nagold.
Prof. Dr. P. Bronner in Calw.
Apotheker J. Kober in Nagold.
Medicinalrath Dr. Müller, Oberamtsarzt in Calw.
Dr. Eberhardt Müller, Arzt in Calw.
Forstmeister Ad. Reuss in Wildberg.
Badarzt Dr. W. Wurm in Teinach.
Ordentliche Mitglieder:
Aichele, Robert, Postmeister in Nagold.
Ansel, Andreas, Mittelschullehrer in Calw.
Bengel, Ernst, Dr., Ober-Amtsarzt a. D. in Tübingen.
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BEN 71 Vans
y Biberstein. Max, Forstassistent in Blaubeuren.
_ Bohnenberger, Adolf, Rechtsanwalt in Nagold.
Bronner, Paul, Dr., Professor am Reallyceum in Calw.
Bührlen, Moritz, Revierförster in Nagold.
Büttner, Johannes, Mittelschullehrer in Gechingen, OA. Calw.
Erhardt, Julius, Revierförster in Simmersfeld, OA. Nagold.
Fuchs, Wilhelm, Betriebsbauinspector in Calw.
Geigle, Wilhelm, Samenhändler in Nagold.
Geyer, Julius, Revierförster in Stuttgart.
v. Gmelin, Wilh., Obertribunalrath in Stuttgart.
Hedinger, August, Dr., Arzt in Stuttgart.
Hettler, Wilhelm, Kaufmann in Nagold.
Hiller, Carl Chrstn., Pfarrer in Neuweiler, OA. Calw.
Hirzel, Kuno, Revierförster &. D. in Nagold.
Hochstetter, Ed. Fr., Pfarrer in Althengstett, OA. Calw.
Hoffmann, Carl, Buchhändler in Stuttgart-Teinach.
Irion, Carl Wilh., Stabsarzt und Stadtarzt in Liebenzell.
Klein, Gustav, Hirschwirth in Nagold.
Kober, Johannes, Apotheker in Nagold.
= ’ v.. r
Lohss, Louis, Oberamtsarzt in Nagold.
Müller, Carl, Dr. Medicinalrath, Ober-Amtsarzt in Calw.
Müller, Eberh., Dr., Arzt in Calw.
Müller, Herm., Dr., Rektor am Reallyceum in Calw.
Müller, Heinrich, Kaufmann in Nagold.
Pross, Otto, Bahnhofinspector in Calw.
Reichert, Hermann, Kaufmann in Nagold.
Reuss, Adolf, Forstmeister in Wildberg.
Sannwald, Carl, Fabrikant in Nagold.
Sautter, Louis, d. Aelt., Privatier in Nagold.
Schöttle, Eugen, Landwirth in Mötzingen, OA. Herrenberg.
Schürle, Joseph, Stadtförster in Nagold.
Schuster, Christian, Werkmeister in Nagold.
Schüz, Emil, Dr., Arzt in Calw.
- Sprösser, Theodor, Kaufmann in Stuttgart.
Stoll, Paul, Apotheker in Wildberg.
Vogt, Wilhelm, Amtmann in Ludwigsburg.
EN A
Wagner, E. Ludw., d. jüng., Schönfärber in Calw.
Wieland, Albert, Collaborator in Nagold.
Wurm, Wilhelm, Dr., Badarzt in Teinach.
Zöppritz, Emil, Wollwaarenfabrikant in Calw.
Zöppritz, Georg, Partikulier in Stuttgart.
Nachtrag
zum Verzeichniss der Mitglieder des oberschwäbischen Zweigvereins.
(November 1875.)
Ergänzung des Gesammtvorstands:
Steudel Professor, Ausschussmitglied
Leube jr. Dr., 5
a. Correspondirende Mitglieder:
v. Cotta, Bernhard, k. sächs. Bergrath in Freiberg.
Heer, Oswald, Dr., Professor in Zürich.
v. Mayenfisch zu Rappenstein, Carl, Freiherr, Kammerherr und
Geh.-Rath in Sigmaringen.
Mayer, Carl, Dr., Professor in Zürich.
Ringel, Fräulein Helene, aus Montbeliard, z. Z. in Moskau.
Rogg, Ignaz, Professor a. D. in Ehingen.
Rütimeyer, L., Dr., Professor in Basel.
v. Quenstedt, Fr. August, Dr., Professor in Tübingen.
b. Ordentliche Mitglieder:
v. Arlt, Otto, Generalmajor in Ulm.
Angele, August, Malzfabricant in Warthausen.
Bammert, Gustav, Dr., Prof. u. Convictsvorsteher in Ehingen.
Bauer, August Felix, med. Dr., pract. Arzt in Leutkirch.
Bauer, Carl, Apotheker in Weingarten.
Beck, Rainer Julius, Dr., Districtsarzt in Uttenweiler.
Becker, Otto, Apotheker in Waldsee.
Berner, Felix, Bauinspector in Ulm.
Bihlmeyer, Joseph, Domänendirector in Aulendorf.
Mayer, August, Oberamtmann in Waldsee. |
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ö ‚ ET WI er a Ba. an a6
Böckle, Georg, Rector der Realanstalt n iberach.
v. Bourdon, Hugo, Cameralverwalter in Waldsee.
Bühler, Alfred, Assistent a. d. forstl. Versuchsstation in Hohenheim.
Burkardt, Hermann, Forstmeister in Ochsenhausen. |
Dorner, Constantin, Pfarrer in Aulendorf.
Ehrle, Eduard, Dr., Oberamtsarzt in Leutkirch.
Eisenbach, Martin, Schultheiss in Königseggwald.
Elwert, Ludwig, Oberamtmann in Saulgau.
Euting, August, Strassenbau-Inspector in Biberach.
Fischbach, Carl, Oberforstrath in Sigmaringen.
Forschner, Carl, in Waldsee.
Gebel, Alfons, Stadtschultheiss in Biberach.
Gerst, Eugen, Geometer in Schussenried.
Goes, Hermann, Apotheker in Uttenweiler.
Hacker, Franz Joseph, Bräumeister in Altshausen.
Häberle, Arnold, Buchdruckereibesitzer in Biberach.
Harder, Joseph, Pfarrer in Marbach, OA. Riedlingen.
Henle, August, Forstverwalter in Königseggwald.
v. Herman-Wain, Benno, Freiherr, k. Kammerherr auf Wain.
Hillenbrand, Eduard, Pfarrer und Schulinspector in Steinberg,
OA. Laupheim.
Hofele, Engelbert, Dr. Präceptoratscaplan in Biberach.
Horn, Eugen, Oekonomierath in Ochsenhausen.
Huber, Fidel, Hofgärtner, in Waldsee.
Huber, Wilhelm, Stadtpfarrer in Biberach. 2
v. Hügel, Wilhelm, Freiherr, k. Kammerherr und Forstmeiske a
in Weingarten. EN
Jung, Johann, Reallehrer in Wangen i. A.
Knöpfler, Alois, Dr. philos., Vicar in Ravensburg.
König-Warthausen, Wilhelm, Freiherr auf Königshofen. 2
v. Königsegg-Aulendorf, Gustav, Graf, Erlaucht, Standesherr
und Magnat auf Aulendorf u. s. w. we
Kübler, Carl Gottlob Wilhelm, Oberpostmeister in Ulm. En
Leube, Wilhelm, med. Dr., Kreis-Medicinalrath in Ulm.
Majer, Friedrich, Decan in Biberach.
hr Franz, Unteramtsarzt, in Ochsenhausen.
v. Mayr, Bernhard, Decan in Altshausen.
filler, Georg, med. Dr., pract. Arzt in Aulendorf.
2 | nich, Johann Nepomuk, Canzleirath in Zeil.
‘ Münst, Matthäus, Dr. philos., Pfarrer in Bergatreute. |
- Neher, Albert, Brauereibesitzer in Warthausen. wi
Pfahl, Carl, Ober-Reallehrer in Biberach. Bar:
.. Prestle, Eduard, Pfarrer und Institutsvorsteher in Biberach. En
4 _ Probst, Moritz, Forstmeister in Zwiefalten.
u: Victor, Kreisgerichtsrath in Ravensburg.
v. Quadt-Wykradt-Isny, Bertram, Erbgraf, Erlaucht, in Isny.
Renz, Adolf, Inhaber des Jordansbad bei Biberach. “
Richter, Otto, Hof-Cameralverwalter in Altshausen. Be
_ Rief, Friedrich Adolf, Präceptoratsverweser in Waldsee.
- Ruck, Sebastian, med. Dr., pract. Arzt in Schussenried.
Schad von Mittelbiberach, Moritz, Kreisgerichtsrath in Ulm.
Schenk von Stauffenberg, Franz, Freiherr auf Risstissen. SER ®
- Schertel von Burtenbach, Carl, Freiherr, Forstmeister a. D. IR
4 auf Klingenbad bei Burgau. } u
Schlipf, Johann, Pfarrer in Obereisenbach. ve
v. Schmidsfeld, Albert, Hüttenwerksbesitzer zu Schmidsfelden. a
- Schmucker, Franz, Rechtsanwalt in Waldsee. R 8
i M FE Schneiäter, Heinrich, Reallehrer in Biberach. u
- Schönleber, Hermann, Reallehrer in Waldsee. BERN.
% Sehöttle, Johann Evangelist, Pfarrer in Seekirch.
Br ehun, Wilhelm, med. Dr., Öberamtsarzt in Waldsee.
Simon, Hans, Kaufmann, in Stuttgart. ?
" Slängen Carl, Apotheker in Saulgau. #
Stifel, Fritz, Oberamtsbaumeister in Waldsee. “Y
Stoll, Fridolin, Apotheker in Kisslegg. 2
Strasser, Rudolf, Sections-Ingenieur in Aulendorf. hi
or Süsskind-Schwendi, Theodor, Freiherr, k. Kammerherr uf RR
E. Schwendi. EN
Theurer, Cuno, k. Forstwart in Schussenried. iR
Veiel, Otto, Dr., Apotheker in Ravensburg.
= Vol, Ludwig, Oberamtsarzt in Ulm.
EN u
v. Waldburg-Wolfegg-Waldsee, Franz, Fürst, Durchlaucht.
v. Waldburg-Zeil-Trauchburg, Wilhelm, Fürst, Durchlaucht.
Waldraff, Eduard, Domänendirector in Wurzach.
Walz, Max, Rentmeister in Königseggwald.
v. Welden-Grosslaupheim, August, Freiherr, k. bayr. Kämmerer
zu Hürbel.
Wiedemann, Andreas, Schullehrer in Kutzenhausen bei Gesserts-
hausen (Bayern).
Zell, Carl, Stadtpfleger in Biberach.
Zimmermann, Adolf, Reallehrer in Saulgau.
Corrigenda:
Hofkammerrath Nusser ist seit 1. Jan. 1875 als Ressort-
Chef in die Gussstahlfabrik von Krupp in Essen a. Ruhr einge-
treten. Prof. v. Leydig ist jetzt a. d. Universität Bonn. F. Zup-
pinger lebt in Friedrichshafen und H. Haas ist Haupt-
Zollverwalter, Imhof Oberförster, J. Walcher Forstmeister. Statt
Oberndörfer liess Oberndorfer.
Nekrolog
des
Freiherrn Carl Franz August Sebastian
von Schertel,
Von Freiherr Rich. König-Warthausen.
Am 19. Mai 1875 starb auf seinem Gute Klingenbad un-
weit Burtenbach bei Burgau in Bayern Freiherr Carl Franz
August Sebastian Schertel von Burtenbach, kgl. würt-
tembergischer Forstmeister a. D.
Derselbe war ein directer Nachkomme des berühmten Feld-
hauptmanns und Ritters Sebastian Schärtlin von Burten-
bach, eines geborenen Württembergers, der unter Carl V diente,
Pavia vertheidigte, unter dem Connetable von Bourbon Rom nahm
und nachher im schmalkaldischen Krieg für die Protestanten
— später auch unter Frankreichs Fahnen — so ruhmreich focht.
Geboren den 17. August 1801 zu Burtenbach a. Mindel
hat sich der Verewigte i. J. 1830 mit einer Freiin von Gült-
lingen vermählt, aus welcher überaus glücklichen Ehe die Wittwe,
zwei Söhne und drei Töchter ihn überleben; zwei erwachsene
Söhne sind ihm im Tode vorangegangen. Im Jahre seiner Ver-
ehelichung war er als Revierförster in württembergische Dienste
getreten; 1841 kam er von Kirchheim unter Teck als Oberförster
nach Ochsenhausen, musste sich aber 1852 wegen körperlicher
Leiden in den Ruhestand versetzen lassen. Nach einem drei-
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jährigen Aufenthalt in Stuttgart, zog er sich ganz 3% Klin;
Be. bad zurück, um nur noch den Wissenschaften und seiner Familie Ba
— aus der in der Folge zwei Töchter durch Verheirathung aus-
schieden — zu leben.
Die Elemente des Forstwesens hatte Baron Schertel 1818
und 1819 in Stuttgart bei den „Feldjägern* erlernt, einem
Truppenkörper, der damals in seiner Mannschaft aus practisch
gebildeten Jägern zu bestehen hatte und insofern gleichsam eine
niedere Forstschule vertrat, als die hier Dienst Nehmenden ine
Exspectanz auf Anstellung im Forstfach erhielten. Seine weiteren N
Studien begann er in Heidelberg und besuchte nachher |
auch die Universitäten Erlangen, Göttingen und Tübingen, Br,
wo er sich vorzugsweise den naturhistorischen Fächern widmete.
Im Umgang mit seinen Göttinger Lehrern Blumenbach (Joh. BR.
Fried, 1776—1835 Prof. d. Medicin u. Zoologie) und Stro-
meyer (Fried., 1817—30 Prof. d. Chemie), sowie mit seinem
Studiengenossen und Freund Justus Liebig wurden ihm die 3.
_ Naturwissenschaften immer werther und noch lange nachher ist
er mit diesen Männern im Verkehr geblieben.
Nach vollendeten Studien unternahm Schertel 1827—28
eine grössere Reise nach dem Norden, nach Schweden und Nor-
wegen, sowie in einen Theil von Lappland, was damals keine
Kleinigkeit war. Da sich sein Hauptinteresse stets auf die Orni-
2 thologie richtete, war das Resultat jener Expedition eine ansehn-
liche Sammlung von Vogelbälgen und von verschiedenen Eiern.
Manches hiervon befindet sich noch in der Schertel’schen
E Be Vogelsammlung, noch viel mehr aber wurde in liberalster Weise
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währen.
2 Zu Hause knüpften sich hieran verschiedene Beziehungen
zu hervorragenden Gelehrten, u. A. ein Briefwechsel mit unseren
beiden grossen Ornithologen Johann Friedrich Naumann in
Ziebigk und Dr. Constantin Gloger in Breslau, mit Dr. Micha-
; @ ‚helles, jenem bekannten Kenner der Dalmatiner Ornis und Mit-
N. arbeiter an der Isis, mit Herzog Paul von Württemberg, v
SEN RR N E
Es medicianirath Dr. 6. F. v. Jäger in Stuttgart, Wöldicke
in Brunsbüttel (Holstein), Graf Jenison-Wallworth in
Heidelberg und Eugen Friedrich von Homeyer auf Darsin
(jetzt Warbelow und Stolp) in Pommern. Bis auf den Letzt-
genannten, der noch im vorigen Jahre auf einer ornithologischen
Rundreise auch Württemberg berührte, sind diese alle lange vor ihm
gestorben. Weiterer geistiger Austausch fand mit unserem Lands-
mann Christian Ludwig Landbeck statt. Dieser hatte bereits 1834
eine noch immer schätzbare „Systematische Aufzählung der Vögel
Württembergs“ veröffentlicht und war 1838 im Südosten gereist,
namentlich um in Syrmien die Vogelcolonien zu studiren. Wenn
Baron Schertel schon bei Abfassung jener Vögel Württembergs
indirect betheiligt gewesen war, so konnte er die gegenseitigen
Beziehungen um so enger knüpfen, nachdem Landbeck als
Rentenverwalter in Klingenbad direct in seine Dienste getreten
war; Vieles wurde da gemeinsam beobachtet und gesammelt und
dieses Verhältniss löste sich durch Landbeck’s Uebersiedelung
nach Chile keineswegs. Im Verein mit Homeyer und Land-
beck hatte Sch. einst die Herausgabe eines grösseren ornitho-
logischen Werkes („Ausführliche Naturgeschichte aller Vögel
Europas in Abbildungen und Beschreibungen nach der Natur“;
gross Folio) beabsichtigt; bereits begonnen, zerschlug sich die Sache
aber wieder. Landbeck’s unmittelbar nach dem Jahre 1838
geschriebene Monographie seiner Sylvia montana ist eigentlich
‚für jenes Werk gedruckt.
In späteren Jahren hemmten bei herannahendem Alter kör-
perliche Leiden vielfach Schertel’s Thätigkeit; lange schon
hatte er mit einem Magen-, nachher auch mit einem Augenübel
zu kämpfen; in seinem 74. Jahre endigte ein Herzschlag plötz-
lich sein Leben.
; Seinen näheren Bekannten war der Entschlafene ein dauer-
u hafter, zuverlässiger und opferwilliger Freund, im Umgang war
er ein liebenswürdiger Gesellschafter, der seine Erzählungen mit
Humor und einer gewissen Phantasiefülle zu würzen verstand.
Unserem Verein hat er von Anfang an angehört und noch wenige
f Württemb. naturw. Jahreshefte. 1876. 4
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EB
Wochen vor seinem Ableben ist er dem Zweigverein in Ober-
schwaben beigetreten.
Neben dem vaterländischen Interesse muss uns aber auch
der Umstand mit Trauer erfüllen, dass wiederum ein Mann aus
dem älteren Ornithologenkreise dahingeschieden ist, aus jenem
Kreise, in welchem Boie, Brehm, Faber, Gloger, v. d. Mühle,
Naumann, Thienemann und viele Andere voranleuchteten und der
in allen seinen Gliedern als eine treffliche Vorschule für die
neuere Wissenschaft stets gelten wird.
er
II. Vorträge.
3 I. Pfarrer Probst in Unteressendorf sprach über die Hai-
fischreste der Meeresmolasse Oberschwabens unter De-
_ monstration vieler fossiler Zähne:
Die geognostische Lage von Biberach ist als eine günstige
insofern zu bezeichnen, als hier mehrere Formationen und Unter-
_ abtheilungen von Formationen in geringer Entfernung sich vor-
finden und zahlreiche Aufschlüsse vorhanden sind. Biberach selbst
liegt, wie Aufschlüsse bei dem evangelischen Gottesacker: und die
Sandgrube gegenüber der Angermühle zeigen, auf oberer Süss-
_ wassermolasse. Die letztgenannte Oertlichkeit sowie Heggbach und
- Fischbach O/A. Biberach haben sich als ergiebige Fundorte für fos-
- sile Thiere und Pflanzen erwiesen. Nur eine halbe Stunde nördlich
von Biberach streicht die Meeresmolasse vorüber, wie die Auf-
'schlüsse bei Warthausen, Röhrwangen, Alberweiler, Langenschem-
mern, Altheim, Schemmerberg und Ingerkingen beweisen. In der
Nähe der letztgenannten zwei Orte beginnen sodann die Schichten
Diese tertiären Formationsglieder werden mehr oder weniger
‚durch die (quartäre) Gletscherformation überdeckt. Die Nord-
gränze (Endmoräne) des Rheinthalgletschers lässt sich etwas
ördlich von Biberach als ein auch landschaftlich gut ausgeprägter
4*
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DA, 1 Wer
Wall beobachten. Die zahlreichen Ecksteine in den vielfach ge-
bogenen Strassen und Gassen der alten Reichsstadt sind erratische |
Blöcke aus den Alpen, selbstredende Zeugen des Vorhandenseins
der Gletscherformation.
Alle diese Formationen schliessen organische Reste ein, am
spärlichsten die Gletscherformation. Es würde jedoch zu weit,
dieselben in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit vorzuführen und glaube
ich mich darauf beschränken zu sollen, eine übersichtliche Dar-
stellung der in ‘der Meeresmolasse gefundenen Haifischreste
zu entwerfen.
Schon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts wurde den fossi-
len Haifischzähnen unserer Gegend einige Aufmerksamkeit zuge-
wandt. Ein Arzt der freien Reichsstadt Biberach, Dr. Johannes
Valerian Bauer, sandte „Glossopetren* nach Tübingen an Pro- 4
fessor Cammerarius ohne nähere Angabe des Fundorts. Sehr
wahrscheinlich stammten dieselben aus Baltringen; die dortigen
Steinbrüche in der Meeresmolasse standen im vorigen Jahrhundert
im Betrieb, wovon etliche in dieser Zeit aus Baltringer Steinen
aufgeführte Gebäude in dem benachbarten Schemmerberg Zeugniss
geben.
Aır eine richtige Deutung der Fossilien war im jener Zeit
natürlich nicht zu denken. Erst durch das Werk von Agassiz:
Recherches sur les poissons fossiles, das in den dreissiger Jahren
unseres Jahrhunderts zu erscheinen anfieng, wurde eine wissen-
schaftliche Grundlage für die Erkenntniss dieser Reste gelegt.
Eine Anzahl Haifischzähne aus der schwäbischen Molasse ge-
langten durch Medicinalrath Jäger in die Hände von Agassiz;
allein das Material der Stuttgarter Sammlung muss dazumal
noch schwach gewesen sein, da Jäger in seiner 1835 erschiene- B
nen Schrift über die fossilen Säugethiere Württembergs nur 4—5 ,
von Agassiz bestimmte Arten erwähnt (s. S. 9). |
In den dreissiger Jahren nehmen die Steinbrucharbeiten in j
Baltringen und Mietlingen, wie ich aus “dem Munde der Stein-
brecher weiss, einen beträchtlichen Aufschwung und fanden sich
nun auch Männer, die sich um die Fossilreste interessirten un 1%
dieselben sammelten, namentlich Oberamtsarzt Dr. Hofer und
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' Professor Ziegler von Biberach. Auch einige Herren aus Ulm,
Graf Mandelsloh, Finanzrath Eser, Oberbaurath Bühler,
- lauter gut klingende Namen, dehnten ihre Sammelthätigkeit auf
die Molasse aus, so dass bald eine grössere Anzahl von Ge-
schlechtern und Arten der Squaliden erkannt wurden. Professor
Rogg in Ehingen gab im Jahre 1852 eine Uebersicht in seinem
Gymnasialprogramm „über die naturhistorischen Verhältnisse Ober-
schwabens“; er führt 5 Geschlechter an, die Zahl der Arten,
_ die von ihm nicht speziell aufgeführt werden, mögen sich auf
12—14 in jener Zeit belaufen haben. Durch fortgesetztes Sam-
' meln ergab sich jedoch bald, dass nicht blos weitere Arten und
Geschlechter, sondern sogar weitere Familien von Squaliden vor-
handen seien, besonders auch von kleinzahnigen Fischen, die leicht
übersehen werden können. Der Versuch, einen Paläontologen
zur Bestimmung dieser Fossilreste zu gewinnen, gelang nicht,
und blieb, sollte das gesammelte sehr umfangreiche Material
nicht ganz verschlossen bleiben, keine andere Wahl, als durch
_ Vergleichung, vorzüglich mit den lebenden Fischen, ein Verständ-
niss desselben zu erlangen. Zu diesem Zwecke wurde ausser
der Literatur über die fossilen besonders auch die über lebende
' Squaliden verglichen. Das Werk von Müller und Henle
„Systematische Beschreibung der Plagiostomen“ ist aus dem
Grunde von grösstem Werth, weil hier nicht blos die Thiere be-
_ schrieben und abgebildet sind, sondern das Gebiss derselben noch
insbesondere meist in natürlicher Grösse dargestellt ist.
Noch förderlicher war es, dass es mir möglich war, wieder-
holt besonders im Herbst 1873 das lebende Material der Stutt-
- garter Öffentlichen Sammlung zur unmittelbaren Vergleichung be-
nützen zu können. Herr Oberstudienrath Dr. von Krauss hatte
‘ die dankenswerthe Freundlichkeit, mir das gesammte Material
zur einlässlichen Vergleichung zu überlassen und mich bei der
i Benützung desselben zu unterstützen. Das Resultat der Ver-
gleichung lässt sich übersichtlich so ausdrücken.
Von den 9 und mit Einschluss der Squaliniden 10 lebenden
Familien der Haifische (nach der Systematik von Albert
Günther) sind in der oberschwäbischen Molasse sechs nach-
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weisbar; von den 39 lebenden Geschlechtern lassen sich
17—18 nachweisen, wobei zu bemerken ist, dass es nicht noth-
wendig war, neue ausgestorbene Geschlechter aufzustellen; sämmt-
liche fossile Zähne liessen sich unter die lebenden Geschlechter
einreihen. Selbst bei dem einzigen vermeintlich ausgestorbenen
Geschlechte, das Agassiz für die miocenen Haie aufgestellt hatte,
Hemipristis, ergab sich, dass dasselbe kein ausgestorbenes Ge-
schlecht sei, sondern noch in der Lebewelt, wenn auch als grösste
Seltenheit repräsentirt sei. Unter den von Dr. Klunzinger
in Coseir für das Stuttgarter Naturaliencabinet in neuester Zeit
erworbenen Fischen aus dem rothen Meer befand sich nämlich
zu meiner grossen Ueberraschung ein Gebiss, welches den sehr
charakteristischen und unverkennbaren Typus der Hemipristiszähne
besitzt. Das einzige Exemplar wurde von Dr. Klunzinger mit i
dem Namen Dirhizodon elongatus belegt (cf. Synopsis der Fische
des rothen Meeees von D. C. B. Klunzinger 1870. IL 8. 225,
665) und ist in der Stuttgarter Sammlung mit der Nummer 1640
versehen. Es liegt hier wiederum eines der zahlreichen Beispiele
vor, dass Thiergeschlechter, die in der vorgeschichtlichen Zeit F
eine sehr grosse Verbreitung sowohl in der alten als neuen Welt
hatten, in der Jetztzeit zu den grössten Seltenheiten zusammen-
geschmolzen sind.
Gehen wir nun zu den Arten der Haifische über, so ge-
staltet sich das Verhältniss anders. Die Paläontologen (Agas-
siz etc.) haben es nicht gewagt, auch nur eine einzige Art der
fossilen Haie mit den lebenden zu identificiren; wie ich glaube, 2
mit Recht.
Von den fossilen Fischen besitzt man nur die Zähne (von
den Wirbeln ist vorerst ganz abzusehen) und wenn nun auch
hier eine mehr oder weniger grosse Aehnlichkeit vorhanden ist,
so ist das doch nur ein einziger Körpertheil, auf Grund dessen
hin eine Identifieirung nicht wird positiv ausgesprochen werden
können. a
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D Begründung der Arten hat man mit beträchtlichen Schwierig-
keiten zu ringen. Es gibt nämlich fossile und lebende Haie,
bei welchen sämmtliche Zähne, sowohl im Ober- als im Unter-
kiefer, sowohl vorn als hinten in der Zahnreihe, unter. sich sehr
gleichmässig gebildet sind; bei diesen ist nun schon ein einziger
Zahn Repräsentant des ganzen Gebisses. Es gibt aber auch
zahlreiche andere Arten, bei denen die Zähne unter sich sehr
verschieden sind; die mit verschiedenartigen Zähnen ausgestatte-
ten Haie sind sogar in der Molasse weitaus zahlreicher vertreten,
als in der Lebewelt.e. Man muss sich desshalb wohl hüten, aus
_ jeder Zahnform eine eigene Art zu machen. Die Aufmerksam-
keit muss vielmehr dahin gerichtet sein, die verschiedenen Zahn-
formen des Gebisses ausfindig zu machen und zu combiniren.
Dazu gehört nicht blos ein an sich sehr grosses Material, son-
dern hauptsächlich die weiteren Bedingungen, dass das Material |
an einer und derselben Localität oder wenigstens an sehr be-
nachbarten Plätzen gesammelt wurde. Nur durch eine während
Jahrzehnten fortgesetzte Localsammlung wird man in den
Stand gesetzt werden, die mannigfaltigen Zahnformen zusammen-
zubringen, die schliesslich das ganze Gebiss darstellen. Ich er-
laube mir das an dem vorliegenden Gebiss des Carcharodon
megalodon Ag. und der Oxyrhina hastalis Ag., welche aus fossi-
len Zähnen von Baltringen reconstruirt wurden, näher zu er-
läutern.
II. Revierförster E. Frank in Schussenried berichtete aus-
führlich über die von ihm entdeckte Pfahlbaustation bei
Schussenried und zeigte mehrere interessante Fundgegenstände
vor. (Hiezu Taf. L IL)
Meine Herrn! Die Auffindung der Pfahlbauten im Feder-.
seebecken, bis jetzt der einzigen in Württemberg, ist so jungen
Datums, dass es heute noch nicht möglich ist, ein vollständiges
Bild von dem Leben und Treiben ihrer Bewohner aufzustellen.
Es lag desshalb auch ursprünglich nicht in meiner Absicht,
jetzt schon über halbfertige Dinge zu sprechen; allein ich bin
allseitig, und zum Theil von competentester Seite her so sehr
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gedrängt worden, heute gelegentlich unserer Generalversammlung &
über meine Funde Bericht zu erstatten, dass ich mich, wollte ich
nicht eigensinnig erscheinen, zum Nachgeben entschliessen musste.
Schon der territoriale Umfang der Pfahlbauten ist, wie ich
Ihnen mit Bestimmtheit zu erklären in der Lage bin, ein so be-
deutender, dass die Ausgrabungen eine Reihe von Jahren fort-
gesetzt werden könnten; dann sind aber die bis jetzt zu Tage
geförderten Gegenstände theils noch gar nicht, theils noch so
unvollständig untersucht, dass ich Ihnen — wie gesagt — nichts
weiter, als eine unvollständige Skizze von Dem versprechen kann,
was ich während der Ausgrabungen gesehen und gefunden, und
was ich mir durch Zusammenhalten verschiedener naher Indicien
vorläufig zurecht gelegt habe.
Zu dieser Bemerkung finde ich mich einer so grossen Zahl
wissenschaftlich gebildeter Männer gegenüber doppelt veranlasst;
denn es ist nicht allein möglich, sondern sehr wahrscheinlich,
dass Folgerungen, zu welchen die seitherigen Funde sicherlich
berechtigten, durch weitere Ausgrabungen vielleicht schon in \ }
kurzer Zeit als unrichtig sich erweisen.
Während der heutige Federsee sich als eine Moorschlamm-
lache von 220 Hectar Wasserspiegel — nach seinem Länge-Durch-
messer im grossen Ganzen von Ost nach West ziehend — prä-
sentirt, erstreckten sich seine ehemaligen Ufer in groben Zügen
nach ihrem Länge-Durchmesser von Süd nach Nord, östlich und
westlich vom Tertiär, südlich von alpinem Gletschergeröll — Dilu-
vium — und nördlich vom Jura der schwäbischen Alp umrahmt. }
Unsere Pfahlbauten liegen im sog. Steinhauser Torfmoor, i
etwa 3 Kilometer nördlich von Schussenried, in der Nähe der |
Orte Eichbühl und Schienenhof, unfern des südöstlichen Randes 5
des eben gekennzeichneten Federseebeckens, ganz in der Nähe ;
des alten Federbachbettes. }
An das nächstliegende Festland konnten die Pfahlbauten- =
bewohner seiner Zeit nur auf zwei Wegen kommen, entweder i
gegen Süden, heutiger Staatswald Riedschachen, Moräne des
Rheingletschers, etwa 350M. in gerader Linie von der Station i
entfernt, oder aber gegen Osten, heutiger Staatswald Oedenbühl,
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beziehungsweise Schienenhof, ca. 570 M. entfernt, auf tertiärem
Fosand beziehungsweise Diluviallehm, aus welch’ letzterem heute
noch die einzige in der Nähe befindliche Ziegelei ihren Roh-
bedarf deckt.
Auf welche Weise die Pfahlbautenbewohner seiner Zeit an
das Festland gelangten, ob mittelst Brücken, oder der sog. Ein-
bäume, konnte bis jetzt noch nicht ermittelt werden.
So viel aber ist gewiss, dass die Pfahlbaute auf einer
natürlichen, sehr wahrscheinlich durch eine Alluvion des Feder-
bachs entstandenen, unterseeischen, Erhebung des Seebodens er-
richtet wurde, was aus der ringsum wieder steigenden Mächtig-
keit des überlagernden Torfes mit Sicherheit resultirt.
Auf dem kiesigen Seeboden liegt zunächst eine ca. 40 Zm.
mächtige, gallertartige, unter der Schaufel mit muscheligem
Bruche abspringende, schneeweisse Schichte sog. Wiesenkalks
(thonig-schlammiger Kalksinter, weisser Grund, blanc fond), der
gegen oben ein grau marmorirtes Aussehen erhält. In dieser
Schichte — das bitte ich besonders beachten zu wollen — ist
bis jetzt noch keine Spur von menschlicher Thätig-
keit gefunden worden, wohl ein Beweis, dass die Pfahl-
baucolonie erst gegründet wurde, nachdem fragliche Kalkschichte
bereits vollständig niedergeschlagen war.
Auf ihr liegt die eigentliche Kulturschichte, die durch-
schnittlich 1.5 M. mächtig, mit den obersten Horizontallagen des
Holzwerkes ihren Abschluss findend, ihrerseits wieder mit Torf bis
zu 2 M. Mächtigkeit überdeckt ist.
Die Kulturschichte besteht, abgesehen von dem Holzwerk,
von welchem ich später sprechen werde, aus einem gelblich-
grünlichen bis bräunlichen, lehmigen Torf, bez. torfigem Lehm,
gleichfalls von gallertartiger Structur, und stellenweise sehr
kräftig nach Schwefelwasserstofigas riechend. Zu unterst in der
Kulturschichte, aber unmittelbar auf dem Wiesenkalk, lagen meist
Hirschgeweihe und Knochen, Artefacte dagegen fanden sich sel-
tener, eine Thatsache, die zu der Annahme berechtigt, dass die
Colonie gegründet wurde, als eben von Süden her, seeeinwärts,
und auf dem Wiesenkalk aufsetzend und aufsteigend die Torf-
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bildung begonnen hatte, die nun während des Bestehens der Co-
lonie mehr und mehr anwuchs, und dieselbe schliesslich unbe-
wohnbar machte, nachdem selbst vielfach aufeinander gelegte
Wohnböden und Ausdehnung der Colonie seeeinwärts, gegen Nor-
den, wo tieferes Wasser zu finden war, nicht mehr zu retten
vermochten. — In der Mitte desjenigen Theils der Kulturschichte,
der zwischen den untersten Horizontallagen des Holzwerks
und der Wiesenkalkschichte sich befindet, fanden sich neben den
Knochen in der Regel noch Thonwaarenfragmente, oben aber
und zwischen den horizontalen Holzlagen, meist in nächster
Nähe der senkrechten Pfähle, Artefacte aller Art von
Feuer- und anderm Stein, Horn, Knochen, Zähnen und Holz,
völlig unversehrte Thongefässe und Löffel, Kohlen in Menge,
Haselnüsse, Getreide u. dgl., wovon später die Rede sein soll.
Was die Construction der Pfahlbaute betrifft, so muss
ich zum Voraus bemerken, dass dieselbe das unleserlichste Blatt
des ganzen vor uns liegenden Buches vorgeschichtlichen Kultur-
lebens bildet. Dadurch, dass unsere Pfahlbaute Allem nach sehr
lange Zeit hindurch bewohnt war, während welcher oft und viel
reparirt werden musste, dass ihre Bewohner durch den langsam,
aber nachhaltig und unaufhaltbar emporwachsenden Torf mit der
Zeit genöthigt wurden, durch das Legen mehrfacher Wohnböden
übereinander zunächst in die Höhe auszuweichen, ist das Aus-
sehen der Pfahlbaute beinahe auf jedem Quadratmeter ein wech-
selndes und so dunkles geworden, dass mit jedem Tage weiteren
Grabens mehr Unklarheit, statt Licht, bemerklich wurde. Dieser
Umstand in erster Linie reifte in mir den Entschluss, eine Pfahl-
Plänen und sonstigen Zeichnungen zunächst mit dem Vater der
' Geschichte der Pfahlbauten, dem ebenso gelehrten, als
freundlich-liebenswürdigen Herrn Dr. Ferd. Keller in Zürich
persönliche Rücksprache zu nehmen, nachdem ich dessen 6 be-
rühmte Berichte über „die keltischen Pfahlbauten in den Schweizer-
seen* (Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich)
sowie eine Reihe anderer Schriften, die mir freundlichst von ver-
schiedenen Seiten mitgetheilt wurden, und gleichfalls die vorge-
bauten-Reise anzutreten, und unter Mitnahme von Karten, Skizzen,
EN Re
schichtliche Zeit ganz oder theilweise behandeln, angesehen hatte
(Baer-Hellwald, Rütimeyer, Desor, Ratzel, Wurmbrand, Hassler,
Memvires de la societe royale des antiquaires du Nord, Copen-
hague 1873/74, K. Merk, Höhlenfund im Kesslerloch bei Thayn-
gen, Schaffhausen, u. A.).
Bekanntlich lässt sich bezüglich der Construction der
Pfahlbauten zwischen denjenigen der frühesten (Steinstufe) und
denjenigen der spätesten Zeit (Erz- und Eisenstufe) nicht der ge-
ringste Unterschied entdecken.
Von den mehr als 200 Pfahlbaustationen, die man bis heute
im Ganzen kennt, gehört die bei weitem überwiegende Mehrzahl
dem eigentlichen Pfahlbausystem an: Reihenweise, bald
mit, bald ohne sichtbare Ordnung, wurden 2—4 M. lange, selten
mehr als 10 Zm. starke, unten mehr oder weniger gespitzte, hie
und da auch angekohlte Pfähle, je nach Beschaffenheit des
Grundes tiefer oder flacher, möglichst senkrecht in den Seeboden
eingerammt. Auf den Köpfen dieser überall gleich hohen
senkrechten Pfähle wurden in einer gewissen Höhe über dem
Wasserspiegel die horizontalen, an den Enden durchbohrten Hölzer
(meist Rundhölzer) mittelst hölzerner Nägel oder auf ähnliche
Weise befestigt, und bildeten so den Boden für die zu errichten-
den Wohnungen (Moosseedorf, Robenhausen, Wangen u. s. w.).
Der Unterbau der sehr seltenen sog. Packwerkbauten
(Wauwyl, Niederwyl) besteht aus einer Masse parallel und recht-
winklig aufeinander gelegten Holzlagen, die schichtenweise, mit
Reisich, Lehm oder Kies beschwert, versenkt wurden, bis sie über
den Wasserspiegel heraufkamen. Die unterste Schichte der
Horizontallagen ruht also stets direct auf dem See-
grund. Die senkrechten Pfähle, die zwischen den Horizontallagen
sich finden, aber nie bis in den eigentlichen Seeboden
hineinreichen, dienten also nicht als Träger des Oberbaus,
sondern nur zum Zusammenhalten der einzelnen Abtheilungen
des Unterbaus, als Nadeln, um der horizontalen Verschiebung
der Baute vorzubeugen, theilweise auch als Pfosten für Erstellung
der Wände der Wohnungen und zum Tragen der Bedachung.
Der Packwerkbau konnte, schon des Wellenschlags halber, nur in
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kleineren Seen zur Anwendung kommen, in grösseren mussten stär-
kere Wellen, die unter den senkrechten Pfählen der eigentlichen
Pfahlbauten, ohne dieselben zu beschädigen, hindurchtreiben konn-
ten, einen Packwerkbau sofort auseinanderreissen! Trotz seiner
Einfachheit scheint der Packwerkbau relativ nicht älter zu sein,
als die eigentlichen Pfahlbauten, denn die Art, wie einzelne zum
Oberbau gehörige Hölzer in jenem bearbeitet und durch Ver-
zapfung zusammengefügt sich finden, ferner die Producte der
Töpferei, der Landwirthschaft u. dgl. beweisen, dass der Stand
der Kultur auf den Packwerkbauten mit demjenigen der anderen
Ansiedlungen aus der Steinperiode völlig übereinstimmt.
Eine dritte Construction, die sug. fixirten Flossbautem
gestörartig verbundene, auf dem Wasserspiegel schwimmende, mit
Rahmenhölzern eingefasste Horizontallagen, mittelst senkrechter,
in den Seeboden eingerammter Pfähle gegen horizontale Ver-
schiebungen geschützt, sind meines Wissens mit Sicherheit nirgends
nachgewiesen worden.
Sehen wir nach diesen allgemeinen Bemerkungen die Con-
struction der Schussenrieder Pfahlbauten etwas näher an, so
können wir zunächst mit aller Bestimmtheit erklären, dass wir |
einen Packwerkbau nicht vor uns haben, denn niemals ruhen |
die untersten Horizontallagen unmittelbar auf dem Seegrund, |
vielmehr befindet sich zwischen beiden die durchschnittlich 1.5M. |
mächtige, eine Masse von Artefacten und Knochen f
aller Art einschliessende Kulturschichte, und dann N
ist die Mehrzahl der senkrechten Pfähle, die durchschnittlich
0.7 M. von einander entfernt stehen, bis zu 0.1 M. dick und
3 M. lang sind, nachdem sie mittelst der Steinaxt gespitzt und
theilweise angekohlt waren, etwa 0.3 M. tief in den eigentlichen
Seeboden eingetrieben worden.
Wollen wir also nicht annehmen, dass in unserem Falle
eine neue, bisher unbekannte Construction vorliege und diese An-
nahme wäre ebenso kühn als ungerechtfertigt, so bleibt nichts
Anderes übrig, als auch für den vorliegenden Fall die gewöhn-
liche Construction der eigentlichen Pfahlbauten zu Grunde zu
legen, was keinen wesentlichen Anstand unterliegen kann, wenn
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wir uns nur darüber klar sein wollen, dass unsere Pfahlbauten
in Folge des sehr langen Bewohntseins und des Zahns der Zeit
durchgreifende bauliche Veränderungen erleiden musste. — Ohne
vorauszusetzen, dass die Horizontallagen, die stellenweise bis zu
8 Schichten hoch, parallel und kreuzweise wechsellagernd, auf-
einander liegen, erst ganz allmählich, mit der Zeit, und ganz
nach Bedürfniss entstanden sind, wäre es freilich schwer zu er-
klären, wie verhältnissmässig so schwache Pfähle von Anfang an
eine so bedeutende Last zu tragen im Stande gewesen sein sollten.
Uebrigens verdient hier ausdrücklich bemerkt zu werden, dass
die geringe Stärke der senkrechten Pfähle ein charakteristisches
_ Merkmal aller Pfahlbauten ist, was gar nicht verwundern darf,
wenn man bedenkt, welch’ unsägliche Mühe den Pfahlbaubewoh-
nern das Fällen, Transportiren, Spitzen und Einrammen stär-
kerer Hölzer bei den damaligen Hilfsmitteln gekostet haben
mag, und wenn man ferner erwägt, dass durch die grössere Zahl
der verwendeten Pfähle deren geringere Stärke compensirt wer-
den konnte.
Auffallend ferner ist auch, dass nicht alle senkrechten Pfähle
bis in den Seegrund reichen, ziemlich viele — offenbar secun-
däre — noch in der Kulturschichte ihr Ende finden; dass sie
durchaus nicht alle gleiche Höhe haben, sondern in verschiedener
Länge in die Horizontallagen des Holzwerks hereinragen; dass
von Einzapfungen, Holznägeln oder sonst einer ähnlichen Art der
Verbindung der verticalen Pfähle mit den Horizontallagen nichts
gefunden wurde, und dass ich auf der allerdings kleinen Fläche,
die ausgegraben wurde, überhaupt nur 3 Mal beobachten konnte,
dass die Querhölzer direct auf den Köpfen der Verticalpfähle
auflagen. Dagegen ist der Fall sehr häufig, dass hart an einem
senkrechten Pfahle 3—5 weitere Pfähle an verschiedenen Seiten
in schräger Richtung hinabgetrieben waren, so mit jenem unter
spitzem Winkel Gabeln bildeten, die mit als Träger für die
Horizontallagen dienen konnten.
Ziehen wir ferner in Betracht, dass die je Einen Boden
bildenden Horizontalhölzer, seien es nun Rundhölzer, oder gespal-
tene Dielen, an ihren Stossfugen mit geschläimmtem, blauem Thone
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jedesmal auf das Sorgfältigste und Dichteste unter sich und mit
den Verticalpfählen verkittet waren, so ist nicht zu verkennen,
dass dieser Thon ein gutes Binde- und Befestigungsmittel zwi-
schen den Vertical- und Horizontalhölzern bildete.
Die Horizontallagen zeigen uns ein sehr wechselndes Bild;
bald findet sich nur Eine Schichte unbehauener Querhölzer
deren Rinde meist noch so frisch ist, als wären sie erst vor
wenigen Tagen gehauen worden, bald wechsellagern 2 parallele
Schichten unbehauener Hölzer kreuzweise mit 2 Parallel-
schichten behauener — gespaltener — Dielen, die bis zu 0.4M.
breit und 0.2 M. dick auf der der Wasserseite zugekehrten Seite
mehrfach angekohlt sind, bald aber liegen Rund- und Dielen-
hölzer regellos neben- und übereinander. — In allen Fällen aber
sind — wie bereits erwähnt — die Stossfugen der einzelnen
Hölzer nicht allein unter sich sorgfältig mit dem erwähnten
Thone verkittet, sondern es werden auch je 2 Schichten der
horizontalen Holzlagen mittelst Thon zusammengehalten. Viel-
fach bildet dieser Raum zwischen 2 horizontalen Holzlagen wie-
der eine besondere Kulturschichte, namentlich wurden die meisten
unversehrten Gefässe, prächtig in dem geschlämmten feinen
Thone eingebettet, hier gefunden neben Artefacten aller Art,
Kohlen, Haselnüssen, Getreide u. dgl., Beweis genug, dass die
mehrfachen Böden nicht gleichzeitig, sondern allmählich, ganz
nach Bedürfniss entstanden sind, z. B. wenn der seitherige Wohn-
boden durch die wohl immer brennenden Haushaltungsfeuer, oder
auf eine andere Weise, unbrauchbar geworden war.
Ob die Wohnhäuser selbst rechtwinklig oder kreisförmig ge-
baut waren, ob sie einen gemeinsamen Wohnboden hatten, oder
parcellenartig durch schmale Wasserkanäle geschieden waren,
und nur mittelst schmaler Brückchen oder dergl. zusammenhingen,
welche Dimensionen sie hatten u. s. w., darüber konnte ich
wenigstens mir ein Urtheil nicht bilden, das auf mehr als ein
Phantasiegebilde Anspruch machen könnte; nur so viel geht aus
verschiedenen Fundstücken mit Sicherheit hervor, dass die Pfosten
des Wohnhauses mit Thon überkleidet waren; auch dürften Men-
gen aufgerollter Birkenrinde vielleicht zu dem Schlusse berech-
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tigen, dass diese irgendwie zur Bekleidung des Wohnhauses ver- |
wendet wurde. — Schilf, Binsen, Nadelholzreisich, Moos in grösse-
rer Menge u. s. w., die z. B. in Wangen eine so grosse Rolle
spielen, und wohl zur Bedachung oder für die Lagerstätten dien-
ten, wurden hier nicht gefunden.
Was nun die zu dem Bau verwendeten Holzarten betrifft,
so hatte Herr Dr. A. Tscherning in Stuttgart, der über den
anatomischen Bau unserer einheimischen Holzarten schon um-
fassende Studien gemacht hat, die Güte, eine grosse Anzahl
kleiner, ohne alle Auswahl gesammelter Holzabschnitte ‚micro-
scopisch zu untersuchen. -Das Resultat ist ein ebenso merkwür-
diges als interessantes; merkwürdig, weil keine Spur von
Nadelhölzern sich vorfand, und interessant, weil die Weiss-
erle (A. incana) die weitaus häufigste der vorkommenden Holz-
arten ist, was zweifellos auf eine subalpine Waldflora hindeutet.
Der Weisserle folgen bezüglich des mehr oder minder haufigen
Auftretens, die häufigeren am Anfang, die selteneren am Schluss
der Reihe genannt: Esche (F. excelsior), Schwarzerle (A. gluti-
nosa), Weissbirke (B. alba), Eiche (Q. robur), Rothbuche (F".
silvatica), Weiden (S. fragilis und caprea), Aspe (P. tremula),
Ahorn (A. pseudoplatanus), Haselnuss (C. avellana), Ulme (U.
campestris). — Hienach fehlten von unsern gewöhnlicheren ein-
heimischen Laubholzbäumen nur noch die Hainbuche (C. betulus),
die Linde (T. parvifokia) und der wilde Apfel- und Birnbaum
(P. malus und communis), letztere sammt Früchten. (Roben-
hausen, Wangen.)
Die Erlen, die Esche, Eiche, Buche, Aspe, und namentlich auch
die Weiden sind mitunter durch besonders starke Stämme vertreten.
Wenn wir nunmehr zur Betrachtung der Fundgegenstände
übergehen, so ist Allem vorgängig zu bemerken nothwendig, dass
dieselben niemals gehäuft beisammenlagen, sondern stets
einzeln sich vorfanden.
Unter den Artefacten stehen qualitativ und quantitativ
obenan die Thonwaaren.
Ich habe die bedeutenderen Pfahlbautensammlungen der
Ostschweiz und des Bodensees eingehend besichtigt, und muss
gestehen, dass ich meine erste Vermuthung: die Thonwaaren R
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bilden eine Specialität der hiesigen Pfahlbauten,
vollauf bestätigt fand. Ueberall sah ich Thonwaaren, mehr
oder minder roh, aber diese allerliebsten Krügchen, Näpf-
chen und Schüsselchen, wie sie hier, theilweise völlig unver-
sehrt, ausgegraben wurden, sah ich nirgends. Da finden sich
z. B. Krügchen von 5—13 Zm. Höhe, in der Regel mit
Einem — nie mit zwei — hHenkeln versehen, seltener ohne
solchen, in den allerverschiedensten Faconen, in mannigfachster
Weise mit combinirten Strichen und Punkten decorirt, durchweg
leicht gebrannt, theils von röthlichem Aussehen, theils russig ge-
fleckt, theils gleichförmig mit einer graphitähnlichen Farbe an-
gestrichen. Aus den mehrfach ersichtlichen Handeindrücken ist
deutlich zu erkennen, dass sie sammt und sonders aus freier
Hand, ohne Anwendung der Töpferscheibe, geformt sind. Das
verwendete Material ist theils ein reiner, geschlämmter Thon, _ 3
theilweise ist derselbe mit feinem Kohlenstaub stark durchmengt,
theilweise sind auch gröbere, weisse Quarzkörner reichlich beige-
mischt. Wie bereits erwähnt, fand sich fraglicher Thon in bester
Qualität iu nächster Nähe der Colonie.
Den grossen Häfen und Schüsseln, die leider nur in Frag-
menten vorhanden sind, fehlt die Ornamentik, dagegen sind erstere
in der Regel mit vier in horizontaler Richtung durchlöcher-
ten Buckeln versehen und erreichen bei einem Durchmesser von
25 Zm. die namhafte Höhe von 31 Zm.; gewöhnlich sind die-
selben sehr roh, dem Thon sind meist grosse, scharfkantige
Quarzkörner, Glimmerstückchen, ja selbst Kohlenstücke beige-
mengt; geschwärzt sind dieselben vielfach nicht, sondern von
röthlichem oder gelbbraunem Aussehen; sobald dieselben aber
geschwärzt sich finden, ist auch das verwendete Material ein sehr
feines, mit Kohlenstaub und Glimmerblättchen vermengtes.
Ob diese feineren und grösseren Krüge aus freier Hand
geformt werden konnten, scheint mir zweifelhaft; sachverständige
Häfner glauben wenigstens, dass zu ihrer Herstellung in so
gleichmässiger Wanddicke und schön gebauchter symmetrischer £ 4
Form die Töpferscheibe oder irgend ein ähnlicher Mechanismus
iD Tr
absolut nothwendig gewesen sei. — Oder sollten unsere Pfahlbau-
bewohner handfertiger gewesen sein, als unsere heutigen Häfner ?
Die Ornamentik besteht lediglich aus Punkten und geraden
Strichen, — krumme Linien sah ich nur in zwei Fällen, — die
vermuthlich mit Feuersteinmesserchen oder noch wahrscheinlicher
mittelst eigenthümlicher Artefacte aus Vogel- (Reiher) Knochen
eingedrückt sind, und in Zickzacklinien über den Bauch und Hals
der Gefässe laufen; ihre Combination aber ist eine so mannig-
faltige, dass man eine ganze Musterkarte verschienener Dessins
mit Leichtigkeit zusammenstellen kann.
Dagegen fehlen teller- und flaschenförmige Faconen
sowie Gefässe mit engem oder langem Hals (Bielersee) oder
blumenartige Ornamente (Wangen, Ebersberg) vollständig, ebenso
der rothe Grundton; auch habe ich nie gesehen, dass die Furchen
der Ornamente künstlich mit Kreide ausgefüllt gewesen wären.
— DBestandtheile des Webstuhls (Robenhausen,: Wangen) wurden
bis jetzt gleichfalls nicht gefunden, ebenso wenig jene Gefässe
mit rundem oder spitzigem Boden, die nur in Thonringen stehen
konnten, wie sie u. A. in den Pfahlbaustationen der Westschweiz
ziemlich häufig vorkommen.
Die Menge der Thonwaarenfragmente ist eine ganz er-
staunliche.
Herrn, wie der K. Forstwart Theurer und K. Waldschütze
Aberle in Schussenried, die mit mir den Gang der Ausgrabungen
von Anfang bis zu Ende in unermüdetem Eifer aufmerksamst verfolgt
haben, gewannen, wie ich, die Ueberzeugung, dass die Bewohner unse-
rer Station dieHäfnere i mit entschiedener Vorliebe und Kunstfertig-
keit betrieben haben müssen, dass sie ihre Thonwaarenfabrikate sehr
wahrscheinlich als Tauschobjecte verwendeten, und die Vortheile
der Theilung der Arbeit — in praxi wenigstens — recht gut
zu würdigen verstanden. Jedenfalls standen sie in dieser Kunst-
industrie weit höher, als in der Fabrikation von Waffen und Ge-
räthschaften in Stein und Horn, während diess bei den weit älte-
ren sog. Renthierfranzosen bekanntlich gerade das Gesenae
der Fall war.
Ehe wir diesen Gegenstand verlassen, verdienen noch einige
'Württ. naturw. Jahreshefte. 1876. 5
Rn RE ; ER Rue
enecne Löffel der Evan die a aut boihae ”
Nettigkeit auszeichnen, ferner ein wirtelartiges Thonfabrikat, das 8
aber, nach seiner äusserst rohen Verfertigungsweise und der Excen- *B
trieität des Loches zu schliessen, wohl als Netzsenker diente, dr
so mehr, als von Producten der @erberei und Weberei, wel $
letztere z. B. in Robenhausen und Wangen so wunderbar schon
E zu Tage kamen, bis jetzt hier nichts gefunden wurde, obwohl
die Flachsindustrie sicher bekannt war, da mehrere geöhrte Na- Er.
5 A deln, sowie eine Art Filetnadel, zweizinkig aus Hirschhorn ge-
En fertigt, ausgegraben sind. 50
„ Be Als Netzsenker endlich betrachte ich die häufig vorkommen- 2
nn. den Thonscherben, die an zwei gegenüberliegenden Punkten mit. u
E Kerben versehen sind. a,
es, ; Die Geräthschaften, Waffen und andere Kunstproducte, die P%
. gefunden werden, sind theils aus Stein, theils aus Knochen
3 h I und Hirschhorn, theils aus Holz verfertigt, wogegen von Ki,
Re Bronze oder gar von Eisen nicht die geringste SauE a
Be: sich gezeigt hat. 28
Be. Im Allgemeinen stimmen diese Sachen mit den Artebuekein u A:
= ee _ überein, wie sie aus den ältesten Stationen der Steinzeit unserer B°
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Gegend: Moosseedorf, Wauwyl, Robenhausen und Wangen be-
kannt sind; doch werden wir auch hier einige Specialitäten zu
verzeichnen haben.
Von den Feuerstein-Artefacten verdienen 2 Messer be- E
sondere Erwähnung, von denen das Eine 16 Zm. lang und 4Zm.
breit ist, ein anderes ist an seinem unteren Ende, mit dem es
in einer Fassung stack noch über und über mit Asphalt über- .
kleidet. CR
Eine Reihe von Pfeilspitzen, sägeförmigen Instrumenten und %
— Sehabern bekunden eine ziemliche Fertigkeit in Bearbeitung des ;
Feuersteins. Ob das Rohmaterial aus dem weissen Jura der fr “
schwäbischen Alp stammt oder importirt wurde, wage ich heute =
noch nicht zu BEFREIEN; bemerkanswerih ist übrigens die er
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Regel bildet, und von welchem Herr Caspar Löhle mir einige
schöne Stücke mitzugeben die Güte hatte, sowie den fleisch-
farbigen von Thayngen konnte ich nicht bemerken.
Die Stein-Aexte, -Beile und -Celte bestehen in der Regel
aus verschiedenen Sorten von Grünstein, seltener aus Kalkstein
und Serpentin; Nephrit wurde nicht gefunden.
Durchbohrte Steinwaffen gehören zu den grössten Selten-
heiten; überhaupt sind die Steinwaffen relativ nicht häufig, meist
aber schön polirt und scharf geschliffen. Die Grösse und damit
das Gewicht derselben variirt ungemein, das grösste, das ich sah,
wog 410, das kleinste 20 Gramm. Kleinere Steinbeile und Stein-
meissel wurden mehrfach noch in der Hirschhornfassung gefunden.
Weiter verdienen Erwähnung eine grosse Lanzenspitze,
665 Gr. und ein Schlägel 1800 Gr. schwer, letzterer offenbar
zum Einrammen der Pfähle handlich hergerichtet, beide aus einem
diorit-ähnlichen Gestein.
Der Umstand, dass die Steinwaffen, ganz analog mit Wan-
gen, nur höchst selten Durchbohrungen zeigen, zusamınengehalten
mit der weiteren Thatsache, dass die Artefacte unserer Pfahl-
baubewohner, die Thonwaaren ausgenommen, nirgends auch nur
mit einer einfachsten Verzierung geschmückt sind, scheint be-
deutsam, wenn wir bedenken, dass schon in der Vypustekhöhle
in Mähren sehr schön geschliffene und durchbohrte Steinwaffen
neben gröberen und feineren verzierten und unverzierten Thon-
waaren in Gemeinschaft einer Menge von Zähnen und Knochen
von Höhlenbär und Höhlenlöwe gefunden wurden.
Die sog. Renthierfranzosen ferner, die Urbewohner im Thal
der Dordogne, sowie die Bewohner des Kesslerlochs bei Thayngen,
Kanton Schaffhausen, die jedenfalls älter sind als die Bewohner
der Pfahlbauten, sie besassen schon eine ganz bedeutende Kunst-
fertigkeit in Zeichnungen und selbst Schnitzereien auf Schiefer-
platten, auf Kohle und auf Renthierhorn, wogegen erstere in
der Ornamentik ihrer Thongeschirre kaum weiter voran waren,
als ihre belgischen Zeitgenossen, wie das wichtigste Ueberbleibsel
der Töpferkunst aus der Renthierzeit, die grosse Vase aus dem
Trou du Frontal zeigt; die Kesslerloch-Bewohner aber von der
| 5*
als von der Fertigung und Handhabung von Steinbeilen und be- on
arbeiteten Feuersteinen. er
Vollends keinen Vergleich halten die Steinwaflen dee
Schussenrieder Pfahlbautenbewohner mit den herrlichen Stein-
äxten und Steinhämmern, mit den Pfeil- und Lanzenspitzen aus,
wie sie seiner Zeit in Dänemark, Belgien, in den Torfmooren der
Somme und in England gefunden wurden, ja selbst die Artefate
der Urbewohner der Schweiz, auch soweit sie der reinen Stein- X
zeit angehören, sind im grossen Ganzen theils vollkommener, theils N
mannigfaltiger. | : R
Aus Hirschhorn wurden in erster Linie Hefte als Fassung R
für Steinbeile und Steinmeissel hergestellt, jedoch ohne alle
Eleganz auf höchst einfache Weise; z. B. wurde das Rosenstück
selbst zu diesem Zwecke nicht verwendet, wie diess in Roben-
hausen und in anderen Stationen der Fall war. Diese Hefte
sind häufig und finden sich in allen Stadien der Fabrikation,
sogar auch einzelne verunglückte Exemplare. ER
Die aus dem Rosenstück des Hirschgeweihs gefertigten,
theils mit oblongem, theils mit rundem Stielloche versehenen,
vornen scharf zugeschliffenen Hämmer, sowie ein schaufelartiges
Instrument, völlig unversehrt, gleichfalls aus einer starken Hirsch- |
stange sehr hübsch gearbeitet, halte ich entschieden für land-
wirthschaftliche Werkzeuge; jene Schaufel wenigstens ist
nach Massgabe der Beschaffenheit des Rohmaterials so ausge-
zeichnet construirt, dass dieselbe, mit einem frischen Stiel ver-
sehen, noch heute zum Umschoren eines nicht gar zu stenigen
Bodens verwendet werden könnte; augenscheinlicher Weise war
dieselbe längere Zeit im Gebrauche.
Spiesse, ahlenartige Instrumente, Meissel und die schon er-
wähnte sog. Filetnadel wurden gleichfalls aus Hirschhorn gefertigt.
Verschiedene Röhrenknochen und das Ellenbogenbein vom °
Edelhirsch wurden hauptsächlich zu sog. Meisseln, welche in
zwei wesentlich verschiedenen Formen vorliegen, zu Pfriemen
und Nadeln, mit und ohne Oehr, verwendet; Rippenstücke zu
äusserst scharf geschliffenen Messern und Schabern. is
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Als Messer von ausserordentlicher Schärfe fanden endlich
auch die Hauer des Unterkiefers vom Wildschwein Verwendung.
Von Artefacten aus Holz wären zu nennen: ein angekohl-
ter Kochlöffel, Hefte als Fassung für kleinere Steinbeile,
wie solche auch in Robenhausen vorkommen; sehr hübsch ge-
arbeitete Stielfragmente, vermuthlich für Beile oder land-
wirthschaftliche Instrumente, diese sämmtlich aus Eschenholz, ein
ambosartiger Körper (Schuhleiste? —), Bruchstücke von
Holzschüsseln aus Ulmenholz, eichene Dielenstücke mit
oblongen Löchern zu unbekanntem Zweck, letztere selten; und
endlich eine Pritsche zum Festschlagen des Estrichs, mit unter
spitzem Winkel angewachsenem Aste, der als Handhabe diente,
genau von derselben Construction, wie sie heute noch zu gleichem
Zwecke dient.
Nachdem ich nunmehr so ziemlich Alles aufgeführt zu haben
glaube, was ich gesehen habe, erübrigt noch einige Zuthaten
aufzuzählen, die kein geringeres Interesse beanspruchen, als die
seither besprochenen Fundgegenstände.
Da sind ausser einigen Artefacten, die kaum anders, als
Schmuckgegenstände gedeutet werden können, in erster
Linie wenige Fragmente eines ca. 1 Zm. dicken Seils zu nennen,
das keinenfalls aus Flachs, möglicher Weise aus dem Bast der
Linde bestehend (Prof. Dr. Hegelmaier), deutlich aus 2 Strän-
gen zusammengedreht wurde.
In einem zerbrochenen Krügchen fand sich ein grau-schwar-
zer, fein gepulverter, zusammengebackener Körper, der äusser-
lich dem Graphit vollständig ähnelt, wie ihn unsere Häfner
zum Schwärzen der Oefen anzuwenden pflegen.
Ich bin überzeugt, dass dieser Stoff, vermuthlich mit Fett
und Kohlenstaub verrieben, ausschliesslich zum Schwärzen der
bessern Thongeschirre diente, wenigstens ist es mir gelungen,
auf diese Weise den Farbenton solcher Gefässe auf ungefärbten
Scherben täuschend nachzuahmen. Eine genaue und vollständige
chemische Analyse über diesen Körper steht noch aus. Herr
Prof. Nies in Hohenheim hatte jedoch die Güte, denselben nach
seiner Hauptzusammeusetzung theils auf microscopischem, theils
I LEN
nu
auf chemischem Wege zu untersuchen und fand, dass derselbe
7 ein sehr reiner, mit wenig Sand und einer bituminösen Substanz I
| gemengter kohlensaurer Kalk ist.
Ein zwischen braun und hochroth variirender Körper wurde
theils in derbem, theils in gepulvertem Zustande gefunden. en;
Ersterer scheint gewöhnlicher Rotheisenstein, vielleicht auch
ein stark eisenschüssiger Thonschiefer zu sein. Zur Untersuchung
des letzteren hat sich Herr Dr. Ostermeyer in Biberach in
dankenswerther Weise‘ erboten. Hienach ist derselbe rother
Bolus, bestehend aus kieselsaurem Eisenoxyd mit Thonerde.
Dass dieser Farbstoff, wie schon vermuthet, zum Anmalen
des Leibes verwendet wurde, scheint mir unwahrscheinlich, natür-
licher dünkt mir die Annahme, dass er zum Poliren, z. B. der
Steinwaffen, Verwendung fand, wozu das Eisenoxyd unter dm
Namen „englisches Roth* heute noch gebraucht werden soll. ki
Ein anderes höchst interessantes Fundstück ist ein nieren-
förmiger, 14 Zm. langer, 10 Zm. breiter, 5 Zm. dicker, 330 Gr.
schwerer, noch völlig unversehrter Klumpen Asphalt,
der wohl unwiderlegbar den Beweis liefert, dass unsere Pfahl-
baubewohner Handelsconjuncturen besassen; auch eine durch-
löcherte, hoehrothe, korallenartige Perle, deren Substanz noch
nicht untersucht ist, bestätigt offenbar diese Annahme.
| Abgesehen von zahllosem Holzwerk, Feuersteinsplittern, Thon-
waarenfragmenten und Kohlen kamen ferner zum Vorschein:
Mahlsteine mit zugehörigen Kornquetschern, Schleif- und
Polirsteine aus sehr hartem krystallinischem Kalk, grössere
und kleinere Findlinge aller Art ohne erkennbarem Zweck,
EN oxydirter Waizen in grosser Menge, zum Theil noch sammt
‚den Scherben gewaltiger Thongefässe, in welchem derselbe auf-
Dir bewahrt war, Eicheln, Bucheln, zahlreiche Haselnüsse, so- |
u wie ein Samen, den ich bis jetzt noch in keiner Sammlung,
We, selbst nicht bei Messikomer in Stegen-Wetzikon (Station
ke Robenhausen) gesehen zu haben glaube. AR -
ki Herr Prof. Dr. Hegelmaier in Tübingen hatte die Ge- Be,
% fälligkeit, die mir unbekannten vegetabilischen Fundgegenstände, A
3 wie sie nachfolgend aufgezählt sind, zu untersuchen, aber leider
en
Fe ee Zr Een ee 7
ist es auch ihm vorläufig nicht gelungen, den letztgenannten
Samen mit Sicherheit zu bestimmen.
Nach Hegelmaier ist der so zahlreich gefundene Waizen
eine grosskörnige Spielart von Triticum vulgare; seltener sind
der Leinsamen (Linum usitatissimum Heer.) — Kapseln fehlen
—, und die Fruchtsteine der Himbeere (R. idaeus).
Wohl nur zufällig kamen in den Pfahlbau HAypnum com-
mutatum Hedw. und Anomoden viticulosus B.S., zwei noch heute
vielverbreitete grosse Astmoose unserer Wälder; möglich auch,
dass sie seiner Zeit irgend einem technischen Zwecke dienten.
| Ueberblicken wir, ehe wir zu den animalischen Ueberresten
übergehen, noch einmal diese Funde, und vergleichen wir sie
mit denen gleichaltriger Stationen der Ostschweiz und des Boden-
sees, SO vermissen wir noch, abgesehen von Metall, das aber
doch schon in Meilen gefunden wurde, den sog. Nephrit, der
übrigens in einigen Sammlungen vielleicht richtiger als Talk-
oder Chloritschiefer bezeichnet werden dürfte, den Bergkrystall
zu Pfeilspitzen (Moosseedorf), Glasperlen (Wauwyl), Bern-
stein, Bestandtheile vom Webstuhl, Spinnwirtel, Thon-
ringe, Fischereigeräthe, Leder (Nussdorf, Baldegger See),
Geflechte und Gewebe ven Flachs, Flachskapseln
(Robenhausen, Wangen), Brod, Aepfel und Birnen, Mist von
Rindvieh, Schaf und Ziege (Robenhausen), Nadelholz,
Binsen und Stroh; hoffen wir, dass weitere Ausgrabungen
noch das Eine oder Andere an das Tageslicht bringen! —
Was die Fauna unserer Pfahlbauten betrifft, so muss ich
Allem vorgängig bemerken, dass die animalischen Ueberreste nur
von einem Zoologen von Fach, dem nebenbei das absolut noth-
wendige Vergleichungsmaterial beständig und in genügender
Menge zu Handen ist, in der erforderlich wissenschaftlichen Weise
bearbeitet werden können. Was ich der Vollständigkeit halber
in dieser Richtung mitzutheilen habe, verdanke ich gütigen, theils
schriftlichen, theils mündlichen Notizen der Herren v. Krauss,
Fraas, Rütimeyer.
3 Von menschlichen Ueberresten fand sich unter 428
| Knochen, die Fraas untersucht und bestimmt hat, ein zerschla-
u. ra a
a Se
ee ge Be 2 Te EL
genes Stirnbein und ein von einem Carokrudan! N
Oberschenkelknochen (femur), dessen kleiner und schwacher
Typus auf einen Jüngling oder eine Jungfrau zu deuten scheint.
Von wilden Thieren steht oben an: der Edelhirsch
(©. elaphus L.) — Fraas bestimmte 259 Reste desselben, er
bildet also 60°/, des Ganzen. Gleichwohl gehören diese sämmt-
lichen Knochen kaum mehr als 20—25 Individuen an.
Ausser durch Schädelfragmente, vollständige Unterkiefer,
Wirbel, Rippen, Röhren, Epiphysen etc. ist der Edelhirsch durch
eine stattliche Reihe von Geweihstäangen repräsentirt, die, mit
und ohne Schädeltheile, zum Theil von ausserordentlicher Stärke
sind; sammt und sonders sind sie in verschiedenartigster Weise
mittelst Feuersteinmesser angearbeitet, namentlich häufig sind die
geraden Enden abgehauen, während die gekrümmten, nament-
lich die Augensprossen, seltener als Lanzen Verwendung fanden,
wohl aber zur Verfertigung schwächerer Hefte dienten.
Das Reh (C. capreolus L.) ist auffallend spärlich; an seinen
Stangen ist keine Spur menschlicher Bearbeitung bemerklich.
17 Knochen lassen nur auf wenige Individuen schliessen. (Fraas.)
Das Wildschwein (Sus scrofa ferus L.) weist in 83 Kno-
chenresten auf nicht mehr als 11 Individuen, da die Reste viel-
fach zusammenpassen; unter diesen befanden sich jedoch etliche
aussergewöhnlich starke Keuler neben ganz geringen Frischlingen.
— Die Hauer des Unterkiefers wurden, wie bereits erwähnt,
zu Messern, diejenigen des Oberkiefers zu Schmuckgegen-
ständen, wie es scheint, hergerichtet.
Der Bär (Ursus arctos L.), der meines Wissens in Pfahl-
bauten bis jetzt nur in Moosseedorf, Wangen und am Baldegger
See gefunden wurde, ist auch hier selten. Kaum ein Dutzend
Knochen, die ihrer Beschaffenheit nach sehr gut zusammenpassen,
lassen mit Sicherheit nur auf Ein, sehr starkes, Individium
schliessen. Zähne wurden nicht gefunden.
Was sonst noch von wilden Thieren vorhanden ist, lässt
sich kurz zusammenfassen: Wolf (C. Zupus L.), 1 Knochen,
1 Individium, Fuchs (C. vulpes L.), junges Thier (junger Hund?),
30 Knochen. Ein Individium, Luchs (F. Iynx. L.), 4 Reste,
NE, IR ER RT NV LEHE Va LINSE D Lu Ya Yin
RE NZ a AN BT N 7b
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—_— DB —
1 Individium, und endlich Wisent (Bos bison L.), 6 Reste,
worunter der bereits bekannt gewordene linke Oberarmknochen,
1 Individium.
Von characteristischen Thieren fehlen bis jetzt noch:
der Ur (B. primigenius Boj.), (Moosseedorf, Robenhausen), das
Elen (C. alces L.) (Wauwyl) und namentlich der sonst in Pfahl-
bauten nicht gerade seltene Biber (C. fiber L.), von dem zu
Ende der 40ger Jahre dieses Jahrhunderts in hiesiger Gegend
wahrscheinlich der letzte geschossen wurde.
Von Hausthieren ist der Hund (C. familiaris L.) durch
einen vollständigen Schädel und eine weitere Unterkieferhälfte
in 2 Individuen vertreten. Vom Rind (.Bos taurus L.) (brachy-
ceros?) weisen 10 Knochenreste auf höchstens 3 Individuen hin,
dagegen scheint das Torfschwein (S. scrofa palustris Rüt.)
häufig zu sein (Rütimeyer); vom Schaf (Ovis aries L.) weisen
ein Unterkiefer mit Milchzahn, sowie ein Scapularende auf Ein,
junges, Individium hin. Pferd und Ziege fehlen bis jetzt.
Als Anhängsel wären noch zu nennen: ein Beckenstück vom
Feldhasen (Lepus timidus L.), der meines Wissens noch nie
in einer Pfahlbaute gefunden wurde; ein zahnloses Kieferstück,
wohl eines Marders, ein Oberarm der Wildente (A. boschas
L.), das bereits erwähnte Artefact aus Reiherknochen, endlich
vom Wels und Hecht je einige Wirbelknochen. In hohem
Grade befremdend ist das überaus seltene Vorkommen von Fisch-
überresten, die in anderen Stationen durch Gräte und Schuppen
so zahlreich vertreten sind.
Hiemit haben wir die ganze Fauna der hiesigen Pfahl-
baute, so weit sie bis jetzt bekannt ist, namhaft gemacht; sie
ist eine ziemlich ärmliche, namentlich wenn man sie mit der
merkwürdigen Menagerie vergleicht, die im Kesslerloch bei Thayn-
gen begraben lag (Rütimeyer, Merk), möglich aber auch, dass
unsere seitherigen Funde noch unvollständiger, mehr zufälliger
Natur sind; in diesem Falle werden weitere Ausgrabungen, für
welche das hohe K. Kultministerium weiteren Credit gewiss nicht
_ verweigern wird, den gewünschten Aufschluss geben.
Auf die Frage: was wohl dem Kulturleben auf unsern Pfahl-
‚ Torfes. Wäre z. B. im grossen Ganzen richtig, dass in Anwesen-
. forderlich sind, um eine 5 Zm. mächtige Schichte fertigen Torfos R%
bauten ein Ende setzte? — weiss ich nur die oa Nalen zu
geben: Feuer war es ganz bestimmt nicht! Dagegen hat mir das.
aussergewöhnlich frische Aussehen der obersten Horizontalhölzer,
unmittelbar nach deren Bloslegung, schon den Gedanken nahe
gelegt, ob nicht die Pfahlbaute ganz plötzlich einmal und auf
immer unter Wasser gesetzt worden sei? wie aber bei den con-
creten Verhältnissen für diese Vermuthung eine annehmbare Er-
klärung finden?
Vielleicht wird die Zukunft auch für diese offene Frage
noch die richtige Lösung bringen! —
Was das relative Alter unserer Pfahlbaute anbelangt,
so wird es nach all dem Vorgetragenen nicht zu bezweifeln sein,
dass sie jünger ist als die Funde in der Schussenquelle (Ren-
thierzeit) im Hohlefels, im Hohlenstein, ausgenommen die oberr
sten Schichten; jünger auch als die untern Fundstellen der
Schelmengraben- und der Mähren’schen Höhlen, jünger besonders
auch als der Höhlenfund im Kesslerloch bei Thayngen; dagegen
älter als die dänischen Kjökkenmöddinger und die meisten Pfahl-
bauten der Schweiz und des Bodensees. Jedenfalls gehört die
Station Schussenried, so weit wir sie bis heute kennen, in die
älteste Periode der neolithischen Zeit, die einerseits durch
polirte Steingeräthe, andererseits durch das Fehlen des Ren’s,
des Höhlenbären und Mammuths den beiden ältern Abschnitten
der Steinstufe gegenüber sich charakterisirt; die Station Schussen-
ried dürfte gleichalterig mit Moosseedorf, aber vielleicht etwas
älter sein als Wauwyl, Robenhausen, Wangen, Nussdorf, Maurach BR;
u. A. Unter allen Umständen aber konnte die Station erst ge-
gründet worden sein, als nach Abschmelzen des Rheingletschers
aus hiesiger Gegend letztere ihre heutige Physiognomie bereits
endgültig erhalten hatte. E
Selbst das absolute Alter der Pfahlbaute liesse sich in R |
grossen Zügen wenigstens kennzeichnen, hätten wir nur zuver-
lässige Erfahrungszahlen über die Entstehung des fertigen, garen Be
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heit der zur Torfbildung nothwendigen Factoren 100 Jahre er-
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zu bilden, so müssten bei einer Mächtigkeit des hängenden Torf-
lagers von durchschnittlich 1.5 M. 3000 Jahre verflossen sein,
seit welchen die Pfahlbaute in Folge der Ueberwucherung von
Torf absolut unbewohnbar geworden ist.
Durch unser Vereinsmitglied, Herrn Geometer Gerst, liess
ich eine Reihe der interessantesten Artefacten in natürlicher
Grösse zeichnen, was demselben auch in sehr befriedigender Weise
gelungen ist. Leider ist es mir versagt, Ihnen diese Abbildun-
gen hier vor Augen zu führen; vielleicht wird diess ein anderes
Mal an einem andern Orte möglich sein.
Dagegen ist ein Kärtchen des Federseebeckens beigegeben,
das sich selbst erläutert; sowie eine Zeichnung der Pfahlbaute,
wie sie unmittelbar nach Bloslegung eines ca. 270 ULIM. grossen
Stückes Herr Geometer Gerst nach der Natur aufzunehmen und
auszufertigen die Freundlichkeit hatte; es veranschaulicht die
Zeichnung deutlich und naturgetreu diejenige Parthie der Pfahl-
baute, welche auf Anordnung des hohen K. Kult-Ministeriums
unter Leitung des Herrn Ländesconservators Dr. Ed. Paulus
aufgedeckt wurde; leider war an eine Erhaltung nicht zu denken;
Sonne und Regen haben sie nach wenigen Wochen zur Unkennt-
lichkeit entstellt.
III. Prof. Steudel in Ravensburg trug über das Material
der Steinwaffen aus den Bodenseepfahlbauten vor, wo-
zu er reiche Belege ausstellte:
Als vor etwa 14 Tagen von Seiten des Vorstands des
Biberacher Lokalkomites, Prof. Müller, die Aufforderung an
mich ergieng, heute einen Vortrag vor der Jahresversammlung |
unseres Vereins zu halten: da dachte ich, es müsste sich empfeh-
len, einen Gegenstand zu besprechen, der schon mit Rücksicht
auf die benachbarten Ufer des Bodensees und auf die neuerdings
bei Schussenried entdeckte Pfahlbaute für unser schwäbisches
Oberland ein lokales Interesse darbietet, zugleich aber zwei
_ wissenschaftliche Gebiete berührt, deren Grenzen heutzutage mehr
und mehr in einander fliessen — nämlich die Geologie und die
urgeschichtliche Anthropologie. Dieser Gegenstand ist die Frage
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nach dem Material, aus welchem in der sog. Steinzeit, zunächst Bi
in der Pfahlbautenperiode, die damals im Gebrauch gewesenen x
Steinwaffen und andere Steinwerkzeuge gefertigt worden sind.
Es wäre nun freilich diese Frage eines genaueren Studiums werth,.
als meine Zeit und meine Verhältnisse mir gestattet haben,
Man müsste eigentlich sämmtliche Pfahlbautensammlungen durch-
gehen, — man sollte in der Lage sein, von den geschliffenen
Beilen, deren glatte Oberfläche die Natur des Gesteins äusserst
schwer erkennen lässt, Proben abzuschlagen, um das Material am
frischen Bruch zu untersuchen; man könnte durch numerische
Behandlung der Sache eruiren, wie viele Procente der unter-
suchten Steinwaffen auf dieses und jenes Material kommen. So-
dann würde es sich darum handeln, den Fundorten der zu jener
Urindustrie verwendeten Gesteine nachzuspüren, und je nach der
grösseren oder geringeren Entfernung der Heimat jener Gesteine
würde sich vielleicht erschliessen lassen, welche Wanderungen die
Verfertiger der Steinwaffen gemacht oder welche Handelsbeziehun-
gen sie gepflogen haben.
Erlauben Sie mir, aus meiner geringen Erfahrung in. diesen
Dingen Ihnen Einiges mitzutheilen. Es ist Ihnen wohl bekannt,
dass die oberschwäbische Hochebene von der Donau bis zum
Bodensee kein anstehendes Gestein besitzt, das irgend zur Ver-
fertigung von Steinwaflen sich eignen würde. Unsere oberschwä-
bischen Molassesandsteine haben nicht einmal die Solidität der
Rorschacher Sandsteine und werden nur selten zur Fundamenti-
rung der Häuser verwendet; von einer anstehenden, älteren sedi-
mentären oder gar von Urgebirgsformationen ist bei uns keine ’
Rede. Indess, wie heutzutage und zwar schon seit der mittel-
alterlichen Zeit, ein starker Export von Rorschacher, Staader
und S. Margarether Sandsteinen über den Bodensee getrieben wird,
so haben auch schon die Pfahlbautenleute die Rorschacher
Sandsteinplatten zum Schleifen ihrer Werkzeuge und zum
Mahlen ihres Getreides verwendet. Man findet nicht bloss in den
Pfahlbauten der Schweizer Seen und des südlichen Bodenseeufers,
sondern auch in den auf dem Nordufer des Bodensees gelegenen
Stationen allenthalben solche, als Unterlage zum Mahlen, Schleifen
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und Schärfen verwendete, in ihrem gegenwärtigen Zustand bald
rund, bald geradlienig abgeriebene und ausgebauchte Steinplatten,
und es lässt sich daraus mit annähernder Sicherheit der Schluss
ziehen, dass die Pfahlbautenbewohner auf ihren primitiven Fahr-
zeugen oder Einbäumen bereits auch die Bodenseefläche durch-
schifft haben. Denn es lässt sich doch wohl nicht annehmen,
dass sie etwa von der Meersburg-Ueberlinger Gegend den müh-
samen Umweg um die beiden Unteren Seen herum nach Rorschach
gemacht und zu.Fuss jene Steine herbeigeschleppt haben. An
‘dem Ihnen hier vorliegenden Exemplar haben Sie auf der einen
Seite eine geradlienige Abschleifung, — diese rührt vom Schleifen
der Steinbeile her — auf der andern eine rundliche — diese
spricht für Verwendung zum Mahlen des Getreides — also Schleif-
stein und Mahlstein an Einem Stück. Den Stein wird jeder
Oberschwabe sofort als einen Rorschacher Sandstein erkennen;
er ist in der Pfahlbaute von Unteruhldingen gefunden, die sich
nahezu eine halbe Stunde weit in der Richtung von Meersburg
erstreckte. Wie aber die Müller zweierlei Gesteinsarten bei den
Mühlsteinen gebrauchen, eine festere und eine weichere Masse,
so gebrauchten die Pfahlbautenleute neben jener weicheren Unter-
lage die härteren Kornquetscher oder Reibsteine, jene in den
Pfahlbauten so häufig vorkommenden, grösseren und kleineren
Steinkugeln, deren abgeschliffene Flächen die Spuren ihrer Ver-
wendung an sich tragen, und diese Reibsteine bestehen entweder
aus harten alpinischen Kalken oder aus syenitischen, hornblende-
artigen und dioritischen Materialien.p
Um diese letzteren zu gewinnen, brauchten unsere ober-
schwäbischen Pfahlbautenbewohner keine, für ihre Zeit jedenfalls
umständliche Fahrt über den Bodensee zu unternehmen. Denn
wohl 99°/, der in der Pfahlbautenzeit zur Verwendung gekomme-
nen Gesteine rühren aus der rings um die Alpen verbreiteten
Schuttlagerung erratischer Gesteine, welche der Gletscherperiode
entstammen. Diese Schuttmassen schweizerischer Gesteine, welche
in unserer Gegend vom ehemaligen Rheinthalgletscher in Form
von Blöcken, Moränen und Kiesgruben (letztere freilich nur in
secundärer Weise durch die abströmenden Gletscherwasser) ab-
®
lagert worden sind, müssen in der Pfahlbautenperiode sch ne
gerade so wie heutzutage, nur noch in grösserer Masse über
unsere Heimat zerstreut gewesen sein, da seitdem sowohl die
Aktion des Wassers als die menschliche Industrie die Spuren
der glacialen Thätigkeit doch etwas mehr verwischt haben. Je
H, mehr wir also mit dem Material der erratischen Gesteine uns
: bekannt machen, desto mehr wissen wir auch, aus welchen Stoffen
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VER die von den Pfahlbautenbewohnern bearbeiteten Waffen und Werk-
2 zeuge bestehen.
$
OH Da ist es nun merkwürdig, dass srerade das Material unse-
rer grössten erratischen Blöcke am wenigsten Verwendung ge-
funden hat. Die mächtigen, besonders auf unsern Waldhügeln, Re.
wie am Frankenberg bei der Waldburg, im Altdorfer Wald, aber %
auch im Bodensee selbst abgelagerten erratischen Blöcke bestehen AR
Er mit wenigen Ausnahmen aus Gneis*) oder, da der Uebergang x.
von Gneis zu Granit namentlich in den Alpen nicht festgehalten ü
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werden kann, aus Granitgneis. Bei dieser Gelegenheit erwähne BP
E ich, dass im Sommer 1875 ein neues Prachtexemplar eines errati- x
schen Blocks im Weissenauer Forst, 11/, Stunden südöstlich vn
Ravensburg in der Nähe von Fildermoos, ausgegraben worden
ist. Derselbe ist 5 Meter lang, 3 Meter breit und von unbe-
kannter Tiefe. Leider ist er, als dem Feldbau hinderlich, dem
Abbruch verfallen. Er besteht aus Gneis im Uebergang zu
Glimmerschiefer. Nun möchte ich constatiren, dass nirgends eine
Waffe aus Gmneis oder Glimmerschiefer gefertigt worden ist.
Allerdings hätten sich die Pfahlbautenleute, die auf ihren Strei-
. Ereien durch unsere ie: ohne Zweifel Auch zu aan von uns; R
*) Der Gneis der obgenannten Blöcke, sowie der des Rossberger
Steins, der auf der gleichnamigen Station zwischen Waldsee und Wolfegg
neben dem Bahnhof in monumentaler Weise aufgerichtet ist, ist iden-
tisch mit dem des Weisshorns am Flüelapass, wurde also durch dn
Landquartgletscher ins Rheinthal und vom Rheinthalgletscher in unsere N
Gegend geführt. REN
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so mehr, als ihnen jede Kiesgrube dasselbe Material in hand-
licheren und für ihre Zwecke passenderen Formen dargeboten
hätte. Granit wurde allerdings zur Bearbeitung von Steinbeilen
verwendet, und zwar diejenige Species, welche auf der uns zu-
gekehrten Seite des Alpengebiets und dem entsprechend auch in
unserem Gletscherschutt am meisten dominirt, der Juliergranit.
Es ist dies eine Species, welche mit keiner andern verwechselt
werden kann, und sich durch ihren rothen Orthoklas und ihren
grünen Oligoklas kennzeichnet. Unter den Steinbeilen, welche
mir durch die Hände kamen, bestehen mehrere aus diesem, in der
Umgegend des Julierpasses, zwischen dem Oberhalbstein und dem
oberen Engadin anstehenden, und in Piz Julier, Piz d’Err, Piz
d’Aela, Piz Munteratsch zu Höhen von über 9000‘ gehobenen
Juliergranit. Aber die Pfahlbautenleute brauchten natürlich auch
dieses Gestein nicht so weit zu holen. Sie fanden es überall
auf dem Boden des Oberlandes und in jeder unserer Kiesgruben.
Der Juliergranit zeichnet sich vor allen Gneissen oder Granit-
gneissen durch seine Härte aus, und es kann als eine allgemeine
Regel aufgestellt werden: je härter das Material, je schwerer es
zu bearbeiten war, desto mehr haben es die Pfahlbautenleute in
der Auswahl der so mannigfaltig ihnen vorliegenden Gesteine
bevorzugt. (Bei dieser Gelegenheit wurde ein grösserer Brocken
von einem erratischen Juliergranit vorgezeigt, an welchem der
othe Orthoklas als ein schönes, mehrere Zoll breites Band aus-
geschieden ist, eine erratische Rarität ersten Ranges.)
Eines der häufigsten Vorkommnisse unter unsern erratischen
Gesteinen ist der Verrucano. Das sind die bunten, meist
rothen, zur ältesten Trias gehörigen Gesteine, welche in dem
Gebiet der Kantone Glarus und des südlichen St. Gallen in ganz
abnormer Weise über dem Eocen gelagert sind, und bis zu den
höchsten Spitzen der dortigen Hochgebirge, wie Kärpfstock und
Hausstock emporgetrieben wurden, aber auch auf der rechten
_ Rheinseite, namentlich in der Gegend von Bergün und im Ober-
rheinthal bei Ilanz und Disentis sowohl anstehend als erratisch
gefunden werden. Nimmt man nun den Verrucano im engeren
Sinn, jene bald porphyrartigen, bald wieder, wegen der einge-
backenen Brocken, der Nagelfluh ähnlichen Gesteine, aus welchen
z. B. die unter dem Namen des Sernfconglomerats bekannten
Melser Mühlsteine gefertigt werden: so haben diese Gesteine in
der Pfahlbautenindustrie keinerlei Verwendung gefunden. In der
That würde sich dieses Material wegen seiner ungleichartigen,
theilweise sehr brüchigen Struktur kaum zu einem Steinbeil
eignen. Ebenso wenig hat der, zum Verrucano gerechnete, rothe
Schiefer des Öberhalbsteins, der durch einen Schlag auf den
Schichtendurchschnitt sich leicht spaltet, aber ebendeswegen zu
einem dauerhaften Schlagwerkzeug sich nicht eignen dürfte, in
den Arsenalen der Pfahlbauten seine Verwendung gefunden.
Nimmt man aber den Verrucano im weiteren Sinn — und
die Schweizer Geologen verstehen darunter alles Mögliche, was
sonst noch nicht untergebracht werden kann —, rechnet man z. B.
mit Theobald zum Verrucano alle jene Gesteine, die durch ein
hartes, meist röthliches Kieselcement verbunden sind, so ist keine
Frage, dass einzelne Pfahlbautenbeile zum Verrucano gerechnet
werden können. (Hier wurde eine unfertige Steinwaffe aus rothem
Kieselschiefer vorgezeigt.)
Wenden wir uns zu solchen Gesteinsarten, welche unter den
Artefacten der Pfahlbautenzeit häufigere Verwendung gefunden
haben, so kommen hier vor Allem in Betracht die Hornblende-
gesteine.
Hornblendegesteine definirt B. Studer als eine zusammen-
fassende Benennung für Hornblendefels, Hornblendeschiefer und
Strahlsteinschieferr. Auch Hornblendegneis, Syenit und Diorit “
werden oft inbegriffen. Die Aussenfläche dieser Gesteine erscheint
oft braunroth durch Verwitterung fein eingemengter Schwefel- ?
kiese. Ich habe diese Bemerkung Studer’s auch bei dn
erratischen Hornblendegesteinen in unsern Kiesgruben vollkommen
bestätigt gefunden. So oft man hier einen von der braunen
Farbe verrosteten Eisens, wie es scheint, überzogenen Brocken |
findet, kann man sicher sein, dass er beim Zerschlagen sich als
Hornblendegestein entpuppt. Man findet den Hornblendeschiefer Be
in allen möglichen Varietäten und Mischungen, vom schwarz
grün-strahligen dunklen Fels, der keinen Quarz enthält, zur
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bunten Mischung mit Quarz, bis zum reinen Quarz, in dem nur
einzelne Hornblendekrystalle eingesprengt sind. Alle diese Varie-
täten, wohin ich auch noch die Uebergänge zu Syenit und Diorit
rechne, sind durch die Hände der Pfahlbautenleute gewandert.
Aus Hornblendegesteinen, namentlich Hornblendeschiefer und Diorit,
bestehen die meisten Steinbeile der Pfahlbautenzeit aus unserer
Gegend. Die Heimat dieser Gesteine ist Graubünden, namentlich
aber die gewaltige Selvrettagruppe, deren höchste Erhebung, der
Piz Linard, den dunklen Hornblendegesteinen das finstere Aus-
sehen seines nördlichen Steilabsturzes: verdankt. Aus der Selvretta-
gruppe sind die 'allenthalben in Oberschwaben zerstreuten Horn-
blendegesteine durch das Montafun und das Wallgau auf dem
Illgletscher dem Rheinthal zugeführt und vom Rheingletscher
‚weiter befördert worden.
Die Hornblendegesteine sind oft von hellgrünen Partieen
‚durchsetzt, die mit dem, in Glarus fabricirten und hierzulande
sehr beliebten grünen Käse, dem sog. Zieger (oder Schabzieger)
was die Farbe betrifft, viele Aehnlichkeit haben. Diese hell-
grünen Partieen sind Pistazit. Nun haben wohl alle Steinklopfer,
seien’s Pflästerer oder Mineralogen, schon die Erfahrung gemacht:
‚der Hornblendeschiefer spaltet sich am leichtesten in der Rich-
_ tung der Pistazitadern. Das kommt dem Sammler oft sehr un-
gelegen. Denn hat man sich vielleicht mit vieler Mühe ein
recht hübsches Handstück von einem Hornblendeschiefer zuge-
richtet und will ihm eben noch durch einen Schlag die letzte
Vollendung geben, siehe, so bricht es plötzlich entzwei und ganz
1 ‚gewiss in der Richtung der das Gestein durchsetzenden Pistazit-
' ader. Ganz dieselbe Erfahrung machten auch die Pfahlbautenleute
k und man kann sich denken, dass mancher derselben, wenn es
damals schon Sitte war, einen Fluch ausstiess, wenn ihm ein
_ nahezu fertiges Beil in Folge einer darin verborgenen Pistazit-
_ .ader plötzlich gesprungen ist. Beweisstücke dafür habe ich mehr-
' mals in Händen gehabt.
F Wenn aber andererseits eine solche Pistazitader zum Voraus
auf der Oberfläche des zur Bearbeitung ausgewählten Steines
Württ. naturw, Jahreshefte. 1876. 6
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sichtbar war, so konnte der Pfahlbautenkünstler eine solche Ader
auch in seinen Dienst nehmen. Denn wenn er die Ader dem
Längenschnitt des Beiles entsprechend in Angriff nahm, so hatte
er den Vortheil, den Stein leichter durchsägen zu können und
in der That habe ich in meiner Sammlung ein in der Richtung
der Pistazitader angesägtes, zu einem Beil bestimmtes, aber nicht
fertig gewordenes Exemplar von einem Hornblendeartefakt, wel-
ches zugleich den Vortheil bietet, dass man daran sieht, in
welcher Weise die unförmlichen Steinbrocken zu Beilen umge-
formt wurden. :Bis auf eine gewisse Tiefe wurde der Stein mit
der Feuersteinsäge (solche Sägen sieht man mit hölzerner oder
beinerner, oder Eberzahnfassung in allen grösseren Sammlungen)
angesägt. Hatte der Spalt wohl nach wochenlanger, mühsamer
Arbeit seine gehörige Tiefe, so wurden andere, schon fertige,
feine Steinmeissel als Keile eingesetzt und der Rest vollends
durchschlagen. Zur Abschleifung der hier entstandenen rauhen
Aussenfläche wurde, wie wir oben gesehen, der Schleifstein ver-
wendet.
Fragt man, ob auch reiner Quarz zu Steinbeilen verarbeitet
wurde, so müssen wir unterscheiden zwischen Quarzfels und
Gangquarz. Ich habe diesen Unterschied zuerst durch den un-
vergesslichen Escher v. d. Linth auf einem Gang durch die
Ravensburger Kiesgrube kennen gelernt. Der schöne, glänzend-
weisse, fast schneeige Quarz unserer Kiesgruben, der sich sehr
leicht bearbeiten lässt, aber auch leicht zerbröckelt, ist Gang-
quarz und wäre kein geeignetes Material für ein Schlaginstrument
gewesen. Anders ist es mit dem anstehenden, aber bei uns
erratisch ebenfalls vorkommenden Quarzfels. Dieser ist feinkör-
niger, härter, unreiner als der Gangquarz. Dass der Quarzfels,
der unter dem Namen Quarzit in eine unendliche Menge von
Varietäten übergeht, zu Steinbeilen verwendet wurde, dafür liegen
in den Sammlungen verschiedene Beispiele vor.
Unter Spilit versteht Studer eine aphanitische Grund- ‚
masse, welche Kugeln von Hirsenkorn- bis Erbsen-, selten bis
Wallnussgrösse, eines andern Minerals, meist von Kalkspath, um-
schliesst. Häufig, wie z. B. bei dem aus Spilit bestehenden, jetzt
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erösstentheils zerstörten Laurastein bei Weingarten finden sich
grosse Adern von weissem Kalkspath. Der Spilit hat eine schief-
rige Textur und lässt sich der Längenstreifung entsprechend leicht
spalten und schleifen. So wurde denn der Spilit in der Pfahl-
bautenzeit häufig zur Bearbeitung von Steinwerkzeugen, nament-
lich jener kleineren Instrumente verwendet, die man eher Stein-
meissel als Steinhämmer oder Aexte nennen kann, und die eher
zum Schaben, Glätten, Gerben und andern friedlichen Zwecken
als zum Kampfe verwendet wurden. Ich habe solche Steinwerk-
zeuge aus Spilit, deren Material mit dem des Laurasteins so sehr
übereinstimmt, dass man glauben könnte, sie seien demselben ent-
nommen. Aber Spilit findet sich erratisch auch sonst. Ein dem
Laurastein ganz ähnlicher Block wurde neuerdings, nahe am
nordwestlichen Grenzgebiet der Erstreckung des Rheinthalglet-
schers bei Krauchenwies gefunden, von $. Kgl. H. dem Fürsten
von Hohenzollern acquirirt und in dem Park von Krauchenwies
angebracht. Die zu einem Ruhesitz abgemeisselte und geschlif-
fene Seite zeigt eine prachtvolle Politur und ein Denkmal der
Eiszeit bleibt der Wissenschaft für alle Zeiten gesichert.
Man war früher geneigt, den Serpentin als ein Haupt-
material der Steinbeile zu betrachten. Allerdings wird diese Ge-
steinsart heutzutage vielfach, z. B. in Böhmen und in Cornwallis
zu industriellen Zwecken verwendet. Allein der aus Graubünden
stammende, an der Todtenalp in Davos und im Oberhalbsteiner
Thal vorkommende und in unsern Kiesgruben erratisch häufig
vorkommende Serpentin, eine schwarzgrüne Masse, mit geringer
Härte und splittrigem Bruch scheint sich zur Bearbeitung von
Steinbeilen nur wenig zu eignen; und eine grosse Anzahl von
Steinbeilen, welche man mit Serpentin benannte, möchten bei ge-
nauerer Untersuchung sich als Diorite, Spilite oder Hornblende-
gesteine herausstellen. Dagegen hat der Serpentin verschiedene
Abänderungen. Studer sagt in seiner Petrographie: Vielfach
ist der Serpentin auf den Kluftflächen talkartig glänzend oder
mit gelblich oder grünlich weissem Pikrolith bedeckt, oft mit
Adern von faserigem, hellgrünem Serpentin oder Asbest. Gerade
solche Abänderungen, die eine grössere Härte und: Zähigkeit be-
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sitzen, und mit einem kalkartigen, an Asbest erinnernden Ueber-
| zug versehen sind, wurden von den Pfahlbautenbewohnern häufig
Br zur Bearbeitung feinerer Instrumente, zu kleinen Beilen und
Meisseln ausgewählt. Da der Serpentin erratisch auch in der
Züricher Gegend, wie bei uns häufig ist, anstehend auf der uns
zugekehrten Seite der Alpen nur in Graubünden vorkommt, so
muss er durch den von Sargans abzweigenden Arm des Rhein-
gletschers in westlicher Richtung nach Zürich gebracht worden
E sein und ist somit der Serpentin in seiner heutigen Verbreitung
ein Beweis für die ehemalige Bifurkation des Rheingletschers
an der. Sarganser Ecke.
Ä Es ist bekannt, dass der Feuerstein in der Pfahlbauten-
zeit in massenhafter Weise zur industriellen Verwendung gekom-
men ist. Spricht man doch von ganzen Wagenlasten von Feuer-
steinen, welche aus den Pfahlbauten des Ueberlinger-, des Züricher-
sees u. Ss. w. gezogen werden konnten und es scheint, dass bei
der schon in den Pfahlbauten nachweisbaren Theilung der Arbeit
| einzelne Kolonien oder Arbeiter sich ganz speciell mit der Be-
9 arbeitung des Feuersteins abgegeben haben. Was nun die Her-
kunft des Feuersteins betrifft, so ist es sicher, dass der eigent-
liche Feuerstein, durchscheinend und scharfkantig, in den Alpen
nicht vorkommt. Deswegen war man lange der Ansicht, die
Pfahlbautenleute müssen den Feuerstein aus den ihnen am näch-
sten liegenden Gebieten der weissen Kreide, etwa aus der Cham-
pagne, der Normandie oder dem nördlichen Deutschland bezogen
haben. Dagegen wollen verschiedene Auktoritäten bezweifeln,
ob der Feuerstein der Pfahlbauten ächter Kreidefeuerstein ist.
Neuerdings hat z. B. B. v. Cotta nach Besichtigung meiner
Pfahlbautenfeuersteine erklärt, er habe nicht ein einziges Stück
gesehen, das er mit Entschiedenheit für Kreidefeuerstein erklären
könnte. Somit wäre es gewagt, aus der Thatsache, dass die
Pfahlbautenbewohner den Feuerstein in so massenhafter Weise |
verwendet haben, ohne weiteres auf ausgedehnte Handelsbe- Ei
ziehungen derselben zu schliessen. Feuersteinknauer kommen
’ bekanntlich auch im Jura, der verwandte Hornstein auch in den E
RL Alpen, z. B. in der Fiyschregion vor. Die Frage nach der Her- E
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kunft des Pfahlbautenfeuersteins ist somit als eine offene zu er-
klären. Merkwürdig ist die grosse Varietät unter den bearbeite-
ten Feuersteinen an zwei, räumlich ganz nahe liegenden, aber
der Zeit nach verschiedenen Ansiedlungen. Ich habe neuerdings
einige Feuersteinmesser aus dem Kesslerloch bei Thayingen, einer
der berühmten Schaffhauser Höhlenansiedlungen, bekommen. Diese
Feuersteinmesser unterscheiden sich durch ihre lichte, gelbrothe
Farbe von den meist dunkleren, oft ganz schwarzen Feuerstein-
messern der Pfahlbauten so sehr, dass sie unter einen Haufen
der letzteren gemischt, leicht herausgefunden werden könnten.
Die Erfahrung, dass jede Höhlenwohnung ihre besonderen Typen,
sowohl rücksichtlich des Materials, als der Bearbeitung gehabt,
ist in den französischen Höhlen schon längst gemacht worden.
Während aber in denjenigen Ländern, welche der Formation der
weissen Kreide angehören, der Feuerstein das gewöhnliche Ma-
terial war, aus welchem grössere Waffen, wie Beile, Lanzen-
spitzen (bis zu Fusslänge), bearbeitet wurden, und zwar von der
primitivsten Art der Behauung bis zur feinsten Politur, so finden
sich in den Pfahlbauten keine Feuersteinbeile, oder wenigstens
nur als ganz ausserordentliche Rarität. Unter den vielen Tausen-
den von Beilen, welche Kaspar Löhle aus dem Bodensee ge-
zogen hat, befand sich nur ein einziges Feuersteinbeil, welches
sich jetzt in der Berliner Sammlung befinde. Um so häufiger
war die Verwendung als Feile, Säge, Messer und Pfeilspitze und
musste der Feuerstein wegen seiner Härte und Schärfe den Pfahl-
bauleuten den Stahl ersetzen.
Das interessanteste, seltenste und kostbarste Material, das
in der Pfahlbautenperiode zur Verwendung kam, ist der Nephrit.
Ueber den Nephrit hörte ich auf dem Pariser Kongress für
urgeschichtliche Anthropologie im Jahr 1867 einen Vortrag von
Schlagintweit-Sakülinsky. Derselbe sagte damals: „Bis-
her hat man in Indien, wie in Europa geglaubt, dass Jade oder
Nephrit sich nur in China finde und aus dem Inneren dieses
Reiches stamme. Ich erkläre jedoch, dass ich solchen auch in
der dritten der hohen Gebirgsketten Asiens, auf dem Küenlin
gefunden habe. Dieses Material ist in dem reinen Zustande, in
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dem es dort vorkommt, so rar und geschätzt, dass man trotz
der Länge und den Gefahren der Reise jedes Jahr in jene hohen
Wüsten hinaufsteigt, um ihn zu holen. Die reichsten Gruben
sind die von Goulbagaschem 390 9° Breite und 770 45° Länge
von Greenwich und in einer Höhe von 12,252 engl. F. Von
den Tourkezas, den Anwohnern, wird er Yashem genannt. Eine
überraschende Thatsache ist, dass dieser Jade beim Heraus-
nehmen aus dem Steinbruch so weich ist, dass man ihn mit
einer Messerspitze streifen und mit einem andern, schon der Luft
ausgesetzt gewesenen Stück Jade formen und poliren kann, aber
einige Wochen, während deren er der Luft ausgesetzt war,‘
reichen hin um ihn fast ganz zu ändern und ihm die Härte des
Quarzes zu verleihen. Die dortige Formation ist die des Ser-
pentins.
Kein Wunder, dass man auch in der Serpentinzone der
Alpen gesucht und dort den Ursprung des Materials der schönen
Nephritwaffen vermuthet, welche, als werthvolle Raritäten, auch
in den Pfahlbauten gefunden werden. Allein bis jetzt umsonst
und kürzlich sagte mir der gründlichste Nephrithforscher, Hof-
rath Fischer in Freiburg, es sei vergebens, den Nephrit in den
Alpen zu suchen, man könne es nun als ausgemacht betrachten,
dass sämmtliche nun in Europa als Antiquitäten gefundene
Nephrite aus Asien oder auch aus Amerika stammen.
Auch auf dem anthropologischen Kongress zu Brüssel 1872
wurde über den Nephrit verhandelt. Herr Desor constatirte
zuerst die Seltenheit und die vortreflliche Arbeit der Nephrit-
beile. Man findet sie nicht im Norden Europas. In der präch-
tigen Antiquitätensammlung von Kopenhagen ist nur eine einzige
Pfeilspitze von Nephrit und diese soll von Grönland stammen.
Die Anzahl sämmtlicher in den Schweizer Seen und im Boden-
see gefundenen Waffen wird von Desor auf etwa zwei bis drei
Dutzend geschätzt.
Ein Schweizer Chemiker, Herr von Fellenberg, nahm
eine vergleichende Analyse eines Nephritbeils aus dem Neuen-
burger See mit einer Art Briefbeschwerer von Nephrit vor, der
aus dem Palast des Kaisers: von China stammte und fand die |
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genaueste Uebereinstimmung der Bestandtheile.. Man musste sich
also fragen, ob die Beile nicht auf eine alte Handelsverbindung
mit dem Orient hinweisen. Allein — wenn in uralten Zeiten
solche Handelsbeziehungen existirten, warum kamen dann zu
jener Zeit nicht auch andere Gegenstände zu uns, die noch viel
mehr ins Auge fielen und an denen der Orient Ueberfluss hat,
wie Gold, Rubinen, Elfenbein und dergl.? Desswegen hat man .
lange Zeit gemeint, der Nephrit müsse eben doch aus den Alpen
stammen oder aus erratischen Steinen in der Nähe der Alpen.
Nun sucht man aber seit 20 Jahren ganz geflissentlich in den
Serpentingegenden der Alpen. Ein Herr Gastaldi hat mit
vieler Ausdauer die grünen Felsen untersucht, die das Massiv
des Monte Viso bilden. Nirgends eine Spur von Nephrit. Ist
unter diesen Umständen nicht eine dritte Möglichkeit vorhanden?
- Sellten jene Völker nicht auf ihren ursprünglichen Wanderungen
den Nephrit mitgebracht haben?
Die Nephritbeile scheinen keine eigentlichen Waffen ge-
wesen zu sein. Sie waren reine Luxus- und Schmuckwaffen.
Kein einziges derselben trägt die Spur des Gebrauchs.
Herr Quatrefages machte auf dem Brüssler Kongress
darauf aufmerksam, dass gewisse Völkerschaften auf diese Ne-
phritwerkzeuge einen viel grösseren Werth legen als auf Gold, und
dass in Neuseeland um Nephritbeile sich ganze Stämme bekriegt
und gegenseitig vernichtet haben. Er sieht keine Schwierigkeit,
anzunehmen, dass die ersten Völker, die aus dem Orient kamen,
diese Gegenstände, die für sie so grossen Werth hatten, mitge-
bracht haben. Herr Schaaffhausen betrachtet die Sachen eben-
falls als Luxuswaffen, aber hält es auch für möglich, dass sie
bei religiösen Ceremonien verwendet wurden, wie denn die
Römer sich derselben beim Abschluss von Verträgen mit andern
Völkern bedienten.
Zur Zeit des Kongresses von Brüssel unterschied man be-
reits zwei Arten von Nephrit, Nephrit und Jadeit, und schon
damals bemerkte Desor den Unterschied, dass im Nephrit oder
Jade sich Magnesia befindet, in Jadeit die Magnesia durch
Thonerde ersetzt ist. Vor wenigen Wochen besuchte ich auf
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einer Schwarzwaldtour Herrn Hofrath Prof. Fischer in Freiburg
und ich erlaube mir Ihnen zum Schluss aus seiner anziehenden
und belehrenden Unterhaltung noch einiges Weitere über die
Nephritfrage mitzutheilen. Denn diese ist eine der brennenden
Tagesfragen der Naturwissenschaft und der Nephrit das inte-
ressanteste Material von Steinwaffen älterer und neuerer Zeit.
Herr Fischer widmet sich ganz speciell dem Studium des
Nephrits und ähnlicher Mineralien vermittelst der Dünnschliffe,.
die er von den Steinen nimmt und zur mikroskopischen Unter-
suchung verwendet. Zu diesem Behuf liess er in Gemeinschaft
mit Dr. Ziegler eine Cirkularsäge construiren, deren Rand mit
den feinsten Diamanten besetzt ist. Diese Säge nimmt ven dem
härtesten Gestein die feinsten Blättchen mit Leichtigkeit weg,
Blättchen, die so dünn sind, dass man an einem Steinbeil den
betreffenden Abfall nicht bemerkt. Mit Hilfe dieser Methode ist
es ihm schon gelungen, die interessantesten Entdeckungen zu
machen. So hat er in einem Hornstein die schönsten Pflanzen-
zellen gefunden, was vorher als eine reine Unmöglichkeit ange-
sehen werden kounte. Ferner hat H. Fischer nicht bloss zwei
sondern drei Varietäten von Nephrit nachgewiesen. Er unter-
scheidet:
1. Jade = Nephrit. Specif. Gewicht 2,9—3,1. Kalk,
Magnesia. (Eisen). Silikat.
2. Jadeit — Thonerde. Specif. Gewicht 3,03. Natron,
(Kalk). Silikat.
3. Chloromelanit. Varietät von Jadeit. Spec. Gewicht 3,3—4-
Die letztere Varietät unterscheidet sich durch die hell
gelbgrünen Flecken auf dunklem Grunde, Flecken, die-
Herr Fischer mit blossem Auge auf dem Gestein unter-
scheidet, ich nur durch das Mikroskop an den Präpa-
raten wahrnehmen konnte.
Zu den grössten Nephritmerkwürdigkeiten, welche existiren,
gehören 1) ein peruanisches Idol mit 3 Köpfen aus Nephrit, im
Museum zu Heidelberg; 2) eine Kröte aus Nephrit, im Genfer
Museum. Herr Dr. Ziegler in Freiburg machte Abgüsse von
diesen Gegenständen. 3) Zwei Cylinder in Berlin, welche dem-
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selben gelbgrünen Nephrit angehören wie das Genfer Idol. Sie
haben nirgends ihresgleichen. 4) Herr Hamy, Sekretär der
anthropologischen Gesellschaft in Paris, fand beim Durchschlagen
eines Blocks, in welchem der Urmensch von Guadeloupe (ein
Karaibe), steckte, ein Idol aus Nephrit in Form einer Kröte.
Es wäre vom höchsten Interesse gewesen, dieses Idol mit der
obgenannten Genfer Kröte zu vergleichen. Aber Hr. Hamy gab
Herrn Hofrath Fischer auf dessen Ansuchung um Mittheilung
keine Antwort. 3) In Trier, Schwetzingen, Berlin und Wies-
baden finden sich Steinbeilexemplare aus Chloromelanit, schwarz
mit gelbgrünen Fleckchen, die zu den grössten Raritäten gehören.
6) Ein Nephritbeil mit mexikanischen Hieroglyphen wurde von
A. v. Humboldt seiner Zeit aus Amerika gebracht und ın
seinem grossen Reisewerk in Farbendruck abgebildet. Jahrzehnte
lang galt es als verloren. Es lag verstaubt in einem Theil der
Sammlungen, in welchen man es nicht vermuthet hatte und die
Hieroglyphen befanden sich auf der Unterseite. Herr Fischer
war so glücklich, das betrefiende Stück aufzuheben und so
wurde es wieder entdeckt. Diess ist ein äusserst werthvolles
Stück. 7) Ein Nephritblock von Menschenkopfgrösse wurde zu
Anfang dieses Jahrhunderts in der Braunkohle von Schwemm-
sal bei Duwen, einem Dorfe bei Leipzig, gefunden und von
Breithaupt beschrieben. Dieser Block ist nach Fischer
dorthin auf eine bis jetzt nech unenträthselie Weise gerathen
und jedenfalls für Europa ein Fremdling.*) Derselbe hält daran
fest, dass sämmitliche europäischen Nephrite, also auch unsre
Pfahlbautenbeile, welche aus diesem Material bestehen, nach
Europa importirt wurden und dass sich aus der Vergleichung
sämmtlicher Nephrite der Welt die interessantesten Lichtpunkte
für die Geschichte der Urzeit ergeben müssen. Zu diesem Be-
hufe wusste er sich Nephrite aus allen möglichen Theilen von
Asien Zu verschaffen und unterwirft beide, die aus dem Orient
bezogenen Gesteinsarten und die bei uns in den Pfahlbauten
u. s. w. gefundenen Waffen seiner mikroskopischen Analyse. Eine
*) Mittheilungen der Berliner anthropologischen Gesellschaft vom
20. März 1875.
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Monographie von demselben unter dem Titel „Nephrit und Ja- 3
deit“ mit 2 Farbendrucktafeln und 131 Holzschnitten ist in de-
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sem Jahr bei Schweizerbart in Stuttgart erschienen.
Zum Schluss eine Anekdote über die Härte des Nephrits.
Der Besitzer eines Nephritblocks wollte denselben zerschlagen
und sprach in Gesellschaft davon, dass es ihm mit keinem Ham-
mer gelungen sei. Ein anwesender Fabrikant sagte: „Bringen
Sie mir das Stück in meine Fabrik, so lege ich es unter meinen
Dampfhammer.“ Diess geschah, aber der Nephrit blieb ganz
und der stählerne Ambos, der einen Werth von 300 Thalern
repräsentirte, gieng in Stücke.
Noch möchte ich bemerken, dass die Nephritperiode nicht
mit den ältesten Ansiedlungen oder Spuren von Bewohnern Eu-
ropas zusammenfällt. Nephritsachen treten nicht in der Höhlen-
periode, nicht in der älteren Steinzeit, sondern erst in dem
Zeitalter des geschliffenen Steins auf, in welches die meisten
der uns bekannten Pfahlbauten gehören.
IV. Director Dr. v. Zeller aus Stuttgart sprach Folgendes
über vielgestaltige Algen:
Je einfacher in der Entwicklung und innerem Bau die Ge-
bilde des Pflanzenreichs sind, desto schwieriger ist es, feste
Merkmale für ihre systematische Unterscheidung und Eintheilung
aufzustellen. Diess gilt besonders bei der grossen Familie der
Algen, welche zwar von andern Abtheilungen des Gewächsreichs
unschwer zu unterscheiden ist, aber eine solche Mannigfaltigkeit
der Formen, von der einfachen mikroskopischen Protococcus-Zelle
bis zu den wahre Meer-Wälder bildenden Macrocystis aufweist,
dass die Zahl der bekannten Arten jetzt die sämmtlicher vor
etwa 100 Jahren bekannten Pflanzen übersteigt.
Als Hilfsmittel für das systematische Ordnen dieser, Menge
können bei den Algen die Fortpflanzungsorgane, welche bei an-
deren Pflanzen die festesten Merkmale abgeben, nur in beschränk-
tem Mass benützt werden, sowohl, weil sie von vielen Algen
nur unvollständig bekannt sind, als auch, weil sie in ihrer Ge-
staltung keine hinreichend grosse Zahl von verschiedenen Formen
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zeigen. Wir sind daher genöthigt, bei dem Eintheilen der Al- .
gen in Familien, Gattungen und Arten häufig Merkmale zu Hilfe
zu nehmen, welche bei höher organisirten Gewächsen wegen
ihrer Wandelbarkeit möglichst vermieden werden, wie die Grösse,
das Verhältniss der Zellenlänge zum Durchmesser, die Ver-
zweigung, die äussere Gestalt und Farbe.
Diese Merkmale sind sich aber häufig bei Algen von einer
und derselben Art ungleich, je nachdem man Pflanzen von ver-
schiedenen Altersstufen oder Standorten vor sich hat; oft er-
weisen sie sich auch bei unter gleichen Umständen erwachsenen
Exemplaren verschieden.
Wo nun ein reiches Material von Exemplaren, welche alle
zu einer bestimmten Art gehören, vorhanden ist, da zeigen sich
nicht selten einzelne Exemplare, die in ihrer Form von der Nor-
malform so sehr abweichen, dass sie an der Hand der zur Be-
stimmung der Species aufgestellten Merkmale nothwendig für
einer anderen Species, ja sogar zuweilen für einem andern Genus
angehörend angesehen werden müssten, wenn nicht durch Zwischen-
formen der Uebergang von der Normalform in die Varietät nach-
zuweisen wäre. Wo es dagegen an Material zur Untersuchung
fehlt, kann schon eine kleine Abweichung von der bekannten
Form auf den Gedanken bringen, dass man eine neue Species
aufgefunden habe.
Wohl aus diesem Grunde treffen wir in den systematischen
Beschreibungen der Algen bei den weit und massenhaft ver-
breiteten Arten fast immer eine grosse Zahl von Varietäten auf-
geführt, deren Kennzeichen oft gerade das Gegentheil von dem
ist, was als charakteristisch für die Normalform angegeben wird.
Daneben aber stehen viele Arten, die sich von einander nur
durch so subtile Merkmale unterscheiden, dass selbst ein ge-
übtes Auge kaum im Stande ist zwischen ihnen das Richtige zu
treffen. „Zellen rund — Zellen elliptisch*, „Zellen 2—3 mal
so lang als der Durchmesser — Zellen 2—5 mal so lang“,
„Zweige angedrückt — Zweige abstehend“, u. s. w., solche
Merkmale können wohl in Verbindung mit anderen werthvolle
Winke geben, ob sie aber, wenn sonst kein Unterschied zu finden
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ist, zur Aufstellung von verschiedenen Species berechtigen, ist
sehr zweifelhaft.
Gleichwohl ist zugegeben, dass wenn Exemplare gefunden
werden, welche von einer bekannten Art in dem oder den als
Charakter derselben angegeben Kennzeichen stark abweichen, die
Möglichkeit vorhanden ist, dass man eine neue Art vor sich
habe, besonders, wenn die neue Pflanze von einem Standort her-
rührt wo jene nicht vermuthet werden kann. Dagegen spricht
das Vorkommen am gleichen Standort, oder gar in einer ge-
sammelten Masse dafür, dass man es bei verschiedenen, jedoch
nicht sehr bedeutend von einander abweichenden Formen blos
mit Varietäten einer einzigen Species zu thun habe, zumal wenn
sich die oben berührten Uebergangsformen finden.
Auf den vorliegenden Blättern habe ich solche extreme Formen
mit den Zwischenformen zusammen gestellt. Die fadendünne
Enteromorpha intestinalis aus Ostindien und das zolldicke Exem-
plar aus unserer Tauber auf Blatt 1 würde man ohne die weiter
beigefügten Zwischenstufen schwerlich für dieselbe Species halten.
Das zweite Blatt zeigt einen meines Wissens bis jetzt noch nicht
bekannt gewordenen Uebergang der Phycoseris lobata vom rothen
Meer in Phycoseris reticulata, vermittelt durch ein Exemplar,
an welchem 3 Lappen ohne Löcher ganz die Form der ersteren,
der vierte von unregelmässigen, runden Löchern durchbrochene
die der letzteren, oder vielmehr die der Phycoseris myriotrema
zeigt, welche ebenfalls beigefügt ist und sich als eine noch nicht
vollständig entwickelte Phycoseris reticulata darstellt. Eine
andere Phycoseris auf Blatt 3, welche ich für eine neue Art halte
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und Ph. chinensis nenne, ist mir in Masse aus Hongkong zuge-
kommen. Sie als Species zu charakterisiren ist schwer, denn sie
varlirt von 1 Millimeter bis zu 6 Centimeter in der Breite, ist
bald am Rand glatt, bald gekräuselt, an der Basis lang zuge-
spitzt oder breit abgerundet, meistens ein flaches Blatt, zuweilen
aber an einzelnen Stellen zusammengeschnürt. — Weitere Blätter
enthalten Varietäten von Fucus vesiculosus, Phyllophora (Coc-
cotylus) Brodiaei, Delesseria sanguinea, Gloeopeltis tenax und 4
— vielleicht das interessanteste — eine Dumontia fastigiata,
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(wo nicht eine besondere Species) aus Hongkong, welche in 3
Entwicklungsstufen zuerst als ein ungetheilter, oben gekerbter,
keulenförmiger Schlauch erscheint, dann als dichotom verästelte
weiche, hohle, flache, sehr schlüpfrige, zerbrechliche und bei dem
Trocknen auf dem Papier festklebende Masse, endlich als fester,
runder, holzartiger, mehrfach verzweigter Stamm. Diese Formen
sind durch Uebergänge, an denen sich das Wachsthum und all-
mählige Zusammenziehen deutlich erkennnen lässt, als zusammen
gehörend nachgewiesen.
Diese wenigen Beispiele aus vielen derartigen Fällen wer-
den genügen, um die Behauptung zu rechtfertigen, dass, je mehr
unsere Kenntniss der Algen fortschreitet und je reicheres Ma-
terial für die Untersuchung derselben zu Gebot steht, um so
mehr auch die Erkenntniss wachsen wird, dass Manches, das
wir bis jetzt als getrennte Arten mit besonderen Namen be-
zeichnen, zu einer und derselben Art gehört und dass die wis-
senschaftliche Forschung, während sie uns neue Algenformen
kennen lehrt und die Systematik mit neuen Arten bereichert,
auch dazu führen wird, bis jetzt Getrenntes zu vereinigen und
die Zahl der ohne Beachtung des genaueren Zusammenhangs auf-
gestellten Gattungen und Arten zu vermindern.
Oberstudienrath Dr. v. Krauss sprach über ein Vorkom-
men der Brandente (Anas tadorna L.) in Oberschwaben:
Bekamntlich hält sich diese schöne Ente vorzugsweise am
Meere und an Salz- oder Brackwasser-Seen, am liebsten in der
gemässigten Zone, in Europa im Sommer an der Ost- und Nord-
See, häufig auf den kleinen westlichen Inseln Jütlands auf. Sie
zieht im Herbst nach dem Süden bis Italien und Spanien, ent-
fernt sich nicht gerne von den Küstenstrichen und kehrt im
Frühjahr wieder nach den Brutplätzen zurück, wo sie in Löchern
und Höhlen unter der Erde nistet.
Soviel mir bekannt, ist die Brandente in Württemberg nur
äusserst selten vorgekommen. Landbeck gibt in seiner syste-
matischen Aufzählung der Vögel Württembergs von 1834 an,
dass eine bei Mergentheim geschossen worden (vielleicht das
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Männchen, das in der Sammlung des Fürsten von Hohenlohe-
Oehringen-Langenburg in Kirchberg aufgestellt ist) und dass er
im Februar 1834 das Weibchen eines am: Bodensee erlegten
Paares erhalten habe. Weder im K. Naturalienkabinet, noch
in der vaterländischen Sammlung befindet sich diese Ente aus
Württemberg.
Unser Paur, das nun die Vereinssammlung schmückt, wurde
am 6. März 1875 auf einem kleinen See bei Waldsee erlegt.
Es gelangte durch einen Biberacher Zwischenhändler an einen
Wildprethändler nach Stuttgart. Ich erwarb es noch zu rechter
‘Zeit, denn das Weibchen war schon in die Küche eines Privat-
mannes gewandert und konnte nur mit Mühe gegen eine andere
fette Ente umgetauscht werden, womit der Käufer jedenfalls einen
besseren Braten gewonnen hat als mit dem Fleisch einer Brand-
ente, das thranig schmeckt.
Unser Männchen und Weibchen, das sich vielleicht auf
der Hochzeitsreise befand, ist im ausgefärbten Prachtkleid und
gehört überhaupt zn den schönsten Arten der Enten. Sie sind
von der Grösse der Hausenten, weiss, am Kopf und Oberhals
schwarzgrün, mit rostfarbiger Rundbinde an der Brust, von der
aus in der Mitte des Bauches ein schwarzer Streifen bis zur
rostgelben Aftergegend läuft, sie haben über der Schulter ein
schwarzes, über dem metallgrünen Spiegel ein rostbraunes Längs-
band, die Spitze der Schwingen und des Schwanzes ist schwarz,
die Farbe des Schnabels karmin-, der Füsse fleischroth.
Als ich nun unsere beiden Enten secirte, fand ich zu meiner
' Ueberraschung Kropf und Magen ausschliesslich mit einer kleinen
Paludinella-Art in wohl erhaltenem Zustand angefüllt. Da
diese aber von der durch Kaplan Dr. Miller bei Leutkirch auf-
gefundenen Paludinella Schmidtii Charp., die auf der ganzen
süddeutschen Hochebene vorkommt, gänzlich verschieden war und
‚auch sonst mit keiner andern oberschwäbischen Art stimmte, so
schickte ich sie an unser Mitglied und den ausgezeichneten Con-
chylienkenner S. Clessin nach Regensburg. Er bestimmte sie
als Aydrobia Ulvae Pennant, die nur auf die Nordküsten
Europas beschränkt ist.
Die Brandenten nähren sich in ihrer Heimath nicht nur
von Insekten, kleinen Krustenthieren und Schneckchen, Würmern
u. Ss. w., sondern auch von vegetabilischer Kost, von Samen der
Pflanzen, von Gräsern und Wasserpflanzen. Von allen diesen
war aber keine Spur in dem Magen unserer Vögel vorhanden.
Wir dürfen demnach aus dem Mageninhalt annehmen, dass das
Hochzeitspaar seine Heimath kurz vorher verlassen hatte und
nach raschem ununterbrochenem Fluge bis nach dem schwäbischen
Oberlande verschlagen worden ist. Die Hydrobien sprechen
jedenfalls dafür, dass es nicht auf dem Rückzug von Süden her
begriffen war.
Prof. Dr. G. Jaeger in Stuttgart sprach über die Funk-
tion der Kiemenspalten:-
Gemeinhin begnügt man sich bei diesen Organen mit der
Anführung respiratorischer Verrichtung und übersieht, dass ihnen
bei der Nahrungsaufnahme eine sehr wichtige Aufgabe zufällt.
Diese zu schildern ist die Aufgabe der folgenden Zeilen.
Schnappt ein Fisch einen Gegenstand auf, so Öffnet er zu-
erst den Mund und schliesst die Kiemendeckel, um sie in dem-
selben Moment zu lüften, in welchem er den Mund schliesst.
Umgekehrt ist das Verfahren, wenn derselbe einen ihm nicht zu-
sagenden Bissen ausspucken will: Er öffnet bei geschlosenem
Mund zuerst die Kiemenspalten und erweitert die beiden queren
Durchmesser der Mundhöhle. Dann werden die Kiemenspalten
geschlossen während sich gleichzeitig die Mundspalte Öffnet und
jetzt stösst eine ruckweise Verengerung der Mundhöhle durch
Verkürzung der queren Durchmesser die ganze Füllung der
Mundhöhle nach vorn heraus, wobei der Fisch deutlich einen
kleinen Rückstoss erfährt wie eine Kanone beim Abschiessen.
Ueberlegt man sich nun die beiden Vorgänge des Auf-
schnappens und Ausspuckens genauer, so gelangt man leicht zu
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der Ueberzeugung, dass der Fisch ohne Anwesenheit der
Kiemenspalten keinen Gegenstand aufschnappen,
also nicht fressen könnte, weil ihm der Bissen, auch wenn -
er schon in der Mundhöhle sich befindet, beim Schliessen in der-
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selben Weise wieder zum Mund herausfahren würde wie beim
Ausspucken. Der Grund hievon ist einfach folgender: Beim
Oeffnen füllt sich die Mundhöhle nach Art einer Pumpe völlig
mit Wasser, und die Aufnahme des Bissen beruht darauf, dass
der Fisch die Portion Wasser, in welcher der Bissen schwimmt,
aspirirt. Ein Festhalten im Mund kann jetzt nur gelingen,
wenn das Wasser einen Ausweg findet, der erstens einen raschen
Abfluss gestattet, zweitens so eng ist, dass der Bissen nicht
auch durchschlüpfen kann. Hiezu ist die Mundspalte durchaus
ungeeignet, denn wenn sie so weit verengert wird, dass ein
kleinerer Bissen — und bei den Pflanzen- und Insektenfressen-
den Fischen handelt es sich fast immer um solche — nicht
durch kann, so kann von einem raschen Abfluss des Wassers
keine Rede sein und dabei würden sich zarte, leicht flottirenden
Theile des Bissens immer wieder aus der Mundspalte vordrängen,
wenn daselbst nicht ein Rechen angebracht wäre. Alle diese
Uebelstände sind dadurch vermieden, dass der Fisch in seinem
Kiemenapparat eine doppelte Reihe langer, schmaler Spalten hat, von
denen jede für sich meist um ein gutes länger ist als die Mund-
spalte, so dass das Wasser fast momentan abfliessen kann, ohne
den Bissen. mit sich fortzuschwemmen.
Hiezu kommt noch ein anderer Umstand: Wäre der Fisch
gezwungen, das aufgenommene Wasser durch die nach vorn ge-
richtete Mundspalte auszustossen, so würde er nach dem Gesetz
des Rückstosses zurückgeschleudert werden, wie man es beim Aus-
spucken in der That sehen kann, — was ihm bei jedem neuen
Bissen die Nothwendigkeit eines erneuten Anschwımmens aufer-
legte, ein im strömenden Wasser nicht zu verachtender Kraft-
aufwand. So aber, da das Wasser durch die Kiemenspalten nach
rückwärts ausfliesst, erhält er im Gegentheil einen Stoss, der
ihn vorwärts treibt, beziehungsweise ihm im raschen Wasser die
Behauptung seiner Position erleichtert.
Von dieser Betrachtung aus sind eine Reihe von Einrich-
tungen der Wasserthiere im Gegensatz gegen die in der Luft
lebenden erklärlich und es sollen hier einige derselben besprochen
werden.
' Um bei den Fischen zu bleiben, so sehen wir auffallend
grosse Kiemenspalten bei den Raubfischen und jeder, der einmal
einen Hecht oder eine Forelle beim Rauben beobachtete, wird
bemerkt haben, wie weit sie beim Fassen die Kiemenspalten auf-
spannen, um dem Wasser nach allen Seiten möglichst freien
Abfluss zu gestatten. Beim Raubfisch, der einen Schuss auf
seine Beute macht, muss nämlich das Wasser während des gan-
zen Schusses frei und ungehindert durch die Mundhöhle ab-
fliessen, und darf sich in keinem Augenblick in derselben auf-
stauen, weil das die Bewegung in hohem Grade hemmen würde.
Man kann desshalb mit Bestimmtheit sagen: Alle Fische mit auf-
fallend weiten Kiemenspalten rauben in langem Schuss. So macht
z. B. der Hecht unter unseren Süsswasserraubfischen den läng-
sten Schuss und hat die weitesten Kiemen, und ähnlich unter-
scheidet sich der räuberische Schied (Aspius rapax) von den
ihm nächstverwandten Weissfischen. Im Gegensatz hiezu haben
die gemächlich weidenden und knabbernden Pflanzenfische wie
die Barben, Schmerlen, Gresslinge, Karpfen etc. enge Kiemen-
spalten.
Einen ähnlichen Unterschied bedingt die Strömung des
Wassers. Da der Fisch immer gegen den Wasserlauf schnappt,
so bekommt er um so mehr Wasser in den Mund, je rascher
das Wasser fliesst, und desshalb haben die Flussfische im allge-
meinen grössere Kiemenspalten als die im stiller Wasser leben-
k den; z. B. die der Schuppfische, Silberlauben, Schusslauben, Hasel
und Springer sind grösser als die der Karpfen, Schleien, Roth-
augen, Rothfedern etc.
Weiter erklärt sich auch hieraus die deutliche Correlation
zwischen der Weite der Mundspalte und der der Kiemenspalten,
indem engmaulige Fische auch enge und grossmaulige weite
P: Kiemenspalten haben.
Aus allen diesen Anpassungen des Kiemenapparates an den
Fresszweck ergibt sich klar und deutlich, dass die genannte
- Funktion der Kiemen mindestens eben se wichtig ist, als die
respiratorische, und dass sie eben so. gut Fresswerkzeuge sind,
Württemb. naturw. Jahreshefte. 1376. 2
als Lippen, Zähne, Zunge und Schlundkiefer, was auch ihre in-
nige Verbindung mit den letztgenannten Werkzeugen erklärt.
Interessant ist nun zu sehen, wie sich die Natur bei den-
jenigen Wasserthieren geholfen hat, denen die Kiemenspalten
abgehen, also bei den unter Wasser fressenden oder fangenden
Amphibien, Reptilien, Vögeln und Säugethieren.
Ein sehr einfacher Ausweg besteht bei den Wasserraub-
thieren der genannten Abtheilungen darin, dass die greifenden
Mundtheile lang und schmal sind, so dass das Wasser einmal
völlig freien Abfluss nach rechts und links hat und zweitens
beim Fassen möglichst wenig Wasser verdrängt werden muss.
Diess liefert das Verständniss für die dolchförmigen oder messer-
förmigen Schnäbel aller fischfangenden Schwimm- und Stelz-
vögel, sowie für die schnabelartige, äusserst schmale, vorwiegend
seitlich geöffnete Schnauze der Delfine und die zwar breitere
aber um so tiefer gespaltene Schnauze der Krokodile.
Ein anderer Ersatz für die Kiemenspalten liefern rechen-
artige Vorrichtungen an der Mundspalte, mit welchen entweder
der Bissen schon gefasst wird, ehe die Mundspalte für den
Wasserdurchtritt abgeschlossen ist, oder die das Abseien kleiner
Körper aus dem Mundwasser gestatten. Diese Rolle spielen
lange Zähne, wie die der Delfine, Krokodile, Enten, Gänse etc.
und die Barten der Walfische. Bei diesen Thieren gesellt sich
hiezu eine auflallende Verkümmerung der Lippen, so dass auch
bei geschlossenem Mund die Zähne frei zu Tage liegen, mithin
keine äussere Mundhöhle vorhanden ist. Die Lippen würden
hier nur den Wasserabfluss behindern. Bei unseren kiemenlosen
Amphibien ist für’s erste anzuführen, dass sie einen grossen
Theil ihrer Nahrung aus der Luft, oder was fast gleichbedeutend
ist, vom Wasserspiegel wegschnappen. Betrachtet man sie beim
Fressen unter Wasser, was eigentlich fast nur die Tritoren thun,
so macht ihre Unbehülflichkeit im Vergleich mit einem fressen-
den Fisch einen kläglichen Eindruck, denn es gelingt ihnen nicht,
ihren Bissen auf einmal in den Mund zu bringen, trotzdem, dass
ihre Mundspalte verhältnissmässig sehr gross und dadurch der
Abfluss des Wassers beim Schnappen sehr erleichtert ist. Auch
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kann man wahrnehmen, dass sie mit Vorliebe grössere Bissen
nehmen, die von den Zähnen gefasst werden, so lange die Mund-
spalte noch weit geöfinet ist, dass sie dagegen kleine Bissen,
die ein Fisch noch mit Begierde und Leichtigkeit schluckt, ent-
weder gar nicht beachten oder bei einem Versuch, darnach zu
schnappen, scheitern, weil der Bissen durch das rückströmende
Wasser wieder weggeführt wird, ein Beweis, dass ihre Fress-
werkzeuge dem Landleben besser angepasst sind als dem Auf-
enthalt im Wasser. Diese Unbehülflichkeit der Tritonen tritt
noch klarer zu Tage, wenn man ihre noch mit Kiemenspalten
versehenen Larven fressen sieht. Diese fangen die kleinen
Cyclopiden und Daphniden mit derselben Geschwindigkeit wie
ein Fisch.
In meiner Schrift: „In Sachen Darwins* habe ich ausein-
andergesetzt, wie wir uns die Entstehung eines Lungenwirbel-
thiers aus einem Kiemenwirbelthier zu denken haben und warum
bei den ersteren die dem Embryo allgemein zukommenden Kiemen-
spalten sich schliessen. Dem dort Gesagten wäre nach obigem
hinzuzufügen, dass dem Lungenwirbelthier die Kiemenspalten
nicht blos desshalb entbehrlich sind, weil er sie nicht mehr zum
Athmen braucht, sondern auch weil sie für die Ergreifung der
Beute in der Luft keine Bedeutung haben. Endlich wird uns
aus obigem auch noch verständlich, warum die nur unter Wasser
fressenden Kiemenmolche und Lochmolche noch Kiemenspalten
besitzen, trotzdem, dass die Funktion der Athmung ganz (Loch-
_ _ molche), oder zum grossen Theil (Kiemenmolche) auf die Lungen
übergegangen ist. Namentlich verständlich wird die Fortdauer
der Kiemenöffinung bei den Lochmolchen (Derotremen): trotzdem
dass hier von Athmungsverriehtung gar nicht gesprochen werden
kaun, weil die Kiemen ganz fehlen, ist doch noch die Oefinung
gebliebeı. als nützliches Ventil für den Wasserabfluss beim Fres-
sen — ein Beweis für meine frühere Aufstellung, dass die von
mir geschilderte Funktion des Kiemenapparates fast noch wich-
tiger ist als seine respiratorische, iudem sie sich hier noch be-
- hauptet, nachdem die letztere bereits aufgegeben worden ist.
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"Fe. TER s 5
III. Abhandlungen. |
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$ Geologisches Profil der Schwarzwaldbahn von Zufenausen ©
= nach Calw. 2
gr Von Dr. Oscar Fraas. En
bi: Mit einem colorirten Längenprofil. (Taf. IIT.)
ö Die nachstehende Arbeit ist der erste Versuch der Ver
Öffentlichung der im Laufe der letzten 5 Jahre ausgeführten ER:
geologischen Aufnahmen an der Württembergischen Staatsbahn. Die-
Ki K. Eisenbahndirektion hatte in richtiger Würdigung des Werthes ?
3 derartiger geologischer Aufnahmen im Juni 1870 einen Geologen
ER und einen Ingenieur (Professor Fraas und Sect.-Ingen. Keller) 32
, damit betraut und wurde seither die Mehrzahl unserer Eisenbahnen
An: in der Weise aufgenommen, dass beide Fachmänner geineinsa m
N sämmtliche Linien begingen und die geologischen Verhältnisse e=
n: zunächst in die lithographirten Längenprofile einzeichneten, welche ”
. | zur Uebersicht des Standes der Bauarbeiten gefertigt werden.
| Der Massstab dieser Längenprofile ist 1: 20,000 mit 40Ofacher
An und für ER EUREN diese Art der Verzeichnung der genler
gischen Verhältnisse für die Zwecke der K. a | -
tung. Denn in dem Schema für die Geschäftsberichte wird | h $
der „Bahnbeschreibung* unter II, A. eine Beschreibung «
Bahn verlangt, „wie sie bei dem orographischen und h
Shi
n graphischen Charakter der durchschnittenen Tuandestheile anzu-
legen war.“ |
Die natürlichen geographischen Verhältnisse d. h. die geo-
gnostische Beschaffenheit des Untergrunds, die Formen, welche
der Untergrund an seiner Oberfläche bildet, und als natürliche
Consequenz dieser beiden Faktoren die Art der Wassersammlung
in den verschiedenen Schichten bedingt naturgemäss die Art der
Bahnanlage und bildet zugleich die natürliche Grundlage für die
Beschreibung aller mit der Bahn zusammenhängenden Anlagen
sowie mittelbar der Verhältnisse des Verkehrs und der Ergeb-
nisse des Betriebs.
In dem obenerwähnten hohen Erlass der K. Eisenbahn-
Direktion vom 22. Juni 1870 wird bereits in Aussicht genommen,
dass die begonnene Arbeit (Professor Fraas hatte nämlich da-
mals schon einige zunächst privatim während der Bahnbauten in
den sechziger Jahren gefertigte Profile vorgelegt) zugleich einen
allgemeinen bleibenden Werth gewinnen werde. Sollte diese
Aussieht sich realisiren, so musste darauf bedacht werden, die
Profile zu verkleinern und denselben eine gewisse bequem zu
handhabende Form zu geben. Zu dem Ende wurden verschie-
dene Versuche gemacht und schliesslich der Längenmassstab
von 1: 40,000 bei einem Höhenmassstab von 1: 4000 für den
geeignetsten erachtet. Die Anwendung dieses Massstabs für die
Zwecke des statistischen Büreaus wurde denn auch laut hohen
Erlasses vom 28. Dezember 1872 in einer Mittheilung der K.
Eisenbahn-Direktion gut geheissen.
Von Seiten dieser Behörde sowohl als auch von Seiten des
naturhistorischen Vereins wurde nunmehr der Wunsch einer Publi-
kation der Profile ausgesprochen, verbunden mit einer geognosti-
schen Bahnbeschreibung, welche eine Erläuterung des Profils
lieferte.
y Zunächst handelte es sich um die Frage, welcher Massstab
und. welche Form des Profils für die Zwecke der Publikation
am Geeignetsten wäre. Das Resultat mehrfacher Berathungen
war schliesslich das vorliegende Profil, das sich im Längenmass-
stab von 1:50,000 an den Massstab unserer topographischen
ra
{ en
Karten, so wie des geognostischen Atlases anschliesst. ER
einem Höhenmassstab von 1:5000 bildet die 10fache Ueber-
höhung keine störende Carricatur, wie sie z. B. in den Brouil- :
lonblättern für jeden Laien existirt und glauben wir vorlie- R
gende Arbeit, als Resultat mühevoller Versuche und Studien |
weiteren Kreisen im Gebiet der Naturgeschichte und der Technik
vorlegen zu dürfen. — Ein Längenprofil bleibt unter allen
Umständen etwas misslich zu handhaben und unbequem für
das gewohnte Format unserer Bücher, das sind aber Uebelstände,
die jedem Profil ankleben. Mit der Grösse des Massstabs ver-
grössert sich stets auch das Mass der Unbequemlichkeit. Der
von uns gewählte Massstab, als der überhaupt kleinste, führt I
jedenfalls das geringste Mass von Unbequemlichkeit mit sich Ss
und so hoffen die Verfasser auf eine günstige Aufnahme des &
Profils sowohl als der Bahnbeschreibung Seitens der geneigten Ei
Leser. |
Gerne hätte der Verfasser der Bahnbeschreibung zur Ver- A
vollständigung derselben eine kurze Geschichte des Bahnbaus ge- Y
geben, beginnend mit den erstmaligen Agitationen, den Kammer-
verhandlungen und der Gesetzesvorlage, sofort übergehend zu
der Trassirung der Bahn, der Vergebung der Arbeiten, deren
Anfang und Vollendung und schliessend mit der Eröffnung der
einzelnen Strecken und den dermaligen Ergebnissen des Be-
triebs. Es war ihm aber nicht möglich , die betreffenden Mit-
theilungen bei den verschiedenen Stellen aufzubringen und ver- ar
zichtete schliesslich der Verfasser gerne auf diesen an sich ge-
wiss allgemein interessanten, aber der geognostischen Sphäre
doch auch ferner liegenden Theil der Beschreibung.
I. Allgemeine Uebersicht.
Die 49,1 Kilometer lange Strecke bewegt sich nirgends
lange in den Thalläufen, setzt vielmehr quer über die Thäler
und Wasserscheiden und durchschneidet die Wassergebiete des
Neckars, der Glems, Würm und Nagold. „Gäu“ ist der land-
läufige Name für die Gegend, auch wohl das untere Gäu oder
das Strohgäu genannt, mit gemischter halb alemannischer, halb
rheinfränkischer Bevölkerung , die hier im Mittelpunkt des alten
Herzogthums Schwaben sich verquickt und seit etwa Einem Jahr-
tausend mit dem Bau des Feldes beschäftigt eine wohlhabende
Existenz sich gegründet hat. Dass auch geistige Früchte auf
diesem Boden reiften, beweist eine Reihe berühmter Männer:
Theologen, Philosophen, Mathematiker, unter denen Johannes
Kepler unbestritten den ersten Platz einnimmt, dessen Riesen-
geist vielleicht am weitesten unter allen Sterblichen hinausge-
griffen hat in die Bahnen der Weltenkörper.
Ueber solchen alten Cultur-Boden führt die Bahn mit 8
Stationen, zu denen weitere 14 Ortschaften (s. Tabelle folg. S.)
treten, die so nahe an der Bahn liegen, dass sie als unmittelbar
an derselben betheiligt, bezeichnet werden können.
Die Station Zuffenhausen, auf welcher die Schwarzwald-
bahn von der Hauptbahn abzweigt, liegt auf einem tief ausge-
hobenen Grund: sobald man dieselbe verlassen und den gleich
tiefen Einschnitt hinter sich hat, eröffnet sich der Ausblick links
auf die Schlotwiese, eine kleine Fabrikanlage die etwas trübselig
aus dem Busch blickt, rechts auf das Neuwirthshaus, das früher
ein berühmtes Wirthshaus war an der grossen Heerstrasse, jetzt
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er Namen der
_ Hirschlanden .
Höfingen. . .
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Eltingen.. . .
Warmbronn .
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Station Schafhausen und derselben Verwerfungskluft, welche das
Wellengebirge am Sandstein hat sinken lassen und nun jetzt
das obere Wellengebirge am untern abfallen lässt, der Hacks-
berg mit seinem 30 M. tiefen Einschnitt im Hauptmuschelkalk,
Dolomit und Anhydrit. Der letztere steht noch 3 M. über der
Balınsohle, auf den Dolomit kommen 12 M., auf Hauptmuschel-
kalk 15. Diese 15 M. repräsentiren den unteren Theil des
Hauptmuschelkalks, der noch unter den Encrinusbänken liegt.
3 gewaltige Bänke zu unterst, und ebenso viele zu oberst des
Aufschlusses, zwischen beiden dünne Brockelbänke, gaben das
schätzenswertheste Material für den Bahnbau ab. Im Liegenden
der letzten blauen Kalkbank zieht sich die Grenze zwischen
Hauptmuschelkalk und dem unteren Dolomit hin, scharf gezeich-
net durch ein 0,3 M. breites schwarzes Band von Horn-
stein, das voll hirsekerngrossen Einschlüssen steckt. Organische
Structur habe ich an keinem der Körner wahrgenommen: sie
scheinen ihre Entstehung derselben Ursache zu verdanken, welche
die Oolite erzeugt hat, und sind eine ausserordentlich weit ver-
breitete Erscheinung, welche in Süd- und Mitteldeutschland für
den Horizont zwischen Muschelkalk und Anhydritgruppe be-
ziehungsweise Dolomit bezeichnend ist. Prof. Sandberger erwähnt
des dolomitischen Kalkes mit Hornstein von Canton Aargau,
Oberbaden, Carlsruhe, Würzburg, Thüringen und Bayreuth. Spe-
ciell in der Würzburger Gegend beobachtet er eine 1,5 M. dicke
Lage geradschiefriger, frisch dunkelblauer, angewittert gelbgrauem,
öfter undeutlich oolitischen Kalk mit Schnüren schwarzen Horn-
stein. Weiterhin fehlt es nicht an Localitäten, wo in Kalken
und Hornsteinen Bruchstücke oder ganze Schalen der bekannten
Zwei- und Einschaler in Menge liegen, (Myoph. vulgaris, Ger-
villia costata, Corbula gregaria, Natica oolitica), welche ge-
rade hier am liebsten vorkommen. Es ist somit die Hornstein-
bank eine in Süd- und Mitteldeutschland verbreitete Erscheinung,
die im Hacksberg in ganz ausgezeichneter Weise beobachtet
werden konnte. Das Hornsteinband klebt nämlich nach oben an
einem gelben spätigen Gestein, von dem es durch kein Lager
getrennt ist. Unter der Feuersteinbank liegen zunächst 2 starke
"Bänke dolomitischen Gesteins, welche die Bildung der Zellenkalke
vollkommen klar veranschaulichen; denn sie bestehen abwechselnd
aus Dolomit und Zellenkalk, so zwar dass die Bildung des letzteren
an den Klüften und Abgängen anhebt, der Schichtenkern zwischen
den Abgängen aber noch unveränderter Dolomit ist. Zellen-
kalke sind augenscheinliche Verwitterungsprodukte
des Dolomits. Die Zellen der Kalke sind beim frischen An-
bruch noch von einem gelben Pulver erfüllt, das aber alsbald
herausfällt, im Hintergrund der Zelle steht dann noch das gelbe
Pulver als festes Gestein an; schlägt man die Bank entzwei, so
ist ihr Kern noch durch und durch kompakter Dolomit.
Vergleicht man mit diesem Vorkommen die Verhältnisse
der Schichten, auf welche die Tagverwitterungen keinen Einfluss
mehr haben, so gestaltet sich hier die Sache ganz anders. Im
Friedrichshaller Schachte lagen zu unterst des Hauptmuschelkalks
8 M. gelbe Mergel, die mit schiefrigen oder dickgeschichteten,
bituminösen, dolomitischen Kalksteinen wechselten: in den gelben,
dolomitischen Mergeln brachen die wilden Wasser aus, deren Be-
wältigung seiner Zeit so viel Mühe, Zeit und Geld erforderte.
Unter den Mergeln und Kalken folgten 50 M. blättriger Gips
und Anhydrit, abwechselnd Salzthon und dolomitischer Mergel
und 13 M. Steinsal. Von den Hacksberger Hornsteinen und
Zellenkalken somit keine Spur. Ebenso wenig zeigte sich im
Stuttgarter Bohrloch unter dem mit 80 M. Mächtigkeit durch-
sunkenen Hauptmuschelkalk die Hornsteinbank. Der einzige
Unterschied war, dass auf einige Meter Tiefe ein schwarzer,
bituminöser, bittererdereicher Kalk sich zeigte, unter dem unmit-
telbar der Löffel Gips brachte. Also nicht einmal der sog. untere
Dolomit ist im unverletzten, den Atmosphärilien verschlossenen
Schichtengebirge ausgesprochen: vielmehr ziehen sich durch bi-
tuminöse schwarze Kalke mit Bitter-Erde einzelne Schnüre von
Fasergips durch, worunter das mächtige Gips- und Anhydritge-
birge liegt. Mit Einschluss der Salzlagers misst es 60 M. Wäh-
rend also unverritztes Gebirge in Stuttgart 60, in Friedrichshall
63 Meter mächtig ist und Einerlei Habitus zeigt von oben bis
unten, ist dasselbe Gebirge an der Bahnlinie 14 M. mächtig,
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{ wo ehem 8,5 M. auf Dolomit und Ze} enkalk yr auf
. Er eleken zu stehen kommen. 46 Meter Gebirge sind ver: ve
_ schwunden, in die Hohlräume ist der Muschelkalk nachgesunken. Be
mit sammt den noch über dem Muschelkalk liegenden Formationen. Ei
Der Druck aber, den das nachstrebende Gebirge auf die ausge-
Re laugten Gipsmergel und Salzthone ausübte, hatte eine Verpres-
sung und gegenseitige Verschiebung der einzelnen Gebirgstheile
zur Folge, bei welcher die in Letten verwandelten Thone alle
die festen unlöslichen Theile des alten Gebirgs umhüllten. Die h
nachgesunkenen Stücke Dolomit und Muschelkalk sind förmlich E
u in Letten und Schlamm hineingeknetet und gewürgt, und ursprüng- ZN
BS- liche Lagerung nirgends mehr zu treffen. g Ra
2
In den 5 kleineren Einschnitten zwischen dem Hacksberg Sa
und Forst ist überall das Wellengebirge erschlossen, das am Tag er
nicht die geringste Veränderung erfährt, parallel mit der Schwellen- E
höhe 1: 100 gegen Westen ansteigt. Im ersten Einschnitt
tragen die Wellenmergel noch Gipsletten oder das Sohlgestein
des Hacksbergs darunter: E:
AR 2 M. braune plattige Dolomite, =
4 M. spätig abgehende Wellenmergel,
0,1 M. blaue Kalksteinbank,
2,3 M. graue dolomitische Mergel.
Bi. Im Einschnitt zum Honigbaum (Km. 33,3) zieht sich eine
_ Verwerfung um fast 2 M. Sprunghöhe in der Mitte des En-
schnittes durch, so dass das ganze System von Wellenmergelund
Kalken an einander verworfen ist, nämlich: S
4,2 M. compakte Wellenmergel, die aber alsbald zerfallen, ae
1,2 „ bituminöse schiefrige Kalke, scheinbar feste Bänke 0;
| bildend, aber alsbald zerfallend, Gr
2,8 „ dunkle dolomitische Schiefer,
1,3 „ braune Dolomitbank,
By aaverane Wellenmorgel,
_
= E ren Wellenmergel in den Horizont der Zellenkalke man
"u _ Dolomite einschneidet, womit der grosse Forst-Einschnitt und
Er
Tunnel beginnt. Einschnitt und Tunnel boten während des Baues
ein Bild der Zerstörung und der Umwandlung von Gebirge, wie
das in diesem Masse an keinem andern Punkt unserer Eisen-
bahnen beobachtet werden konnte. 300,000 Schachtruthen waren
zu bewegen, welche nur zum kleineren Theil aus den frischen,
unangegriffenen Mergeln und Dolomiten des Wellengebirgs be-
stunden. Alles Uebrige war das bis ins Innerste zerfressene
und ausgelaugte Haselgebirge, Dolomit und das Liegende des
Hauptmuschelkalks. Von irgend welcher ursprünglichen Lagerung
war keine Rede mehr, es folgten zwar im grossen Ganzen noch
Bänke zerfressenen und umgewandelten Dolomits aufeinander,
aber im Einzelnen alle verstürzt, verbogen, gesprengt und ge-
borsten. Ein Chaos übereinander geschobener und an einander
abgerutschter Blöcke in zähem, grauem Schlamme steckend.
Wie aus dem Profil ersichtlich, hängt der ganze Schichten-
complex gegen N.-O. (hora 3) während sämmtliche Klüfte im
normalen Wellengebirge h. 9 streichen. Bei Km. 36 wurde
‘eine derartige Kluft mit Lehm erfüllt angefahren, welche übrigens
keinerlei Verwerfung der Kluftwände im Gefolge hatte. Die
F. Kluft zeigte sich auf der Tunnelsohle 9 M. breit, im Firststollen
|
hatte sie sich auf 0,08 M. verjüngt, so dass sie einem umge-
stülpten Trichter gleicht. Auf der Sohle brach eine frische
starke Quelle aus, welche in der Stunde 6000 Kubikfuss schüttet.
In Verlauf der Arbeit fuhr man noch 3 weitere Lehmklüfte an,
die jedoch weniger weit waren als die Quellkluft und im First-
stollen bereits ganz verschwanden. Das einsickernde Wasser
hatte den Weg durch die h. 9 Klüfte benützt und diese im
Lauf der Zeit einerseits ausgeweitet, andrerseits wieder nach
der Ausweitung mit Lehm gefüllt, der sich bei Lösung der über-
lagernden Gips- und Dolomitschichten gebildet hatte. Die erste
dieser Klüfte war 7 M. weit auf der Sohle und war mit Letten
und eckigen Steinen erfüllt, die vom Dach abgebröckelt sind.
Eine Spur von Verwerfung der Kluftwände war hier so wenig
zu beobachten als bei der Quellkluft. Von ganz besonderem In-
teresse war die dritte Kluft bei Km. 36,8, „der Bachofen“ ge-
_ nannt. Die Kluft bildete eine 3 M. breite, 1 M. hohe, mit
ha
4
z28
Schlamm und Wasser erfüllte Höhle, augenscheinlich ein alter %
Wasserlauf, der später sein Wasser an die vor ihm und in
tieferem Niveau liegenden Wasserläufe abgab, deren letzter die
starke jetzt im Tunnel abfliessende Quelle lieferte.
Das vollständige Schichtenprofil des Tunnels, über dessen
First noch 43 Meter Gebirge stehen, ergibt sich theils aus dem
zu Tag gehenden Gestein, theils aus den Schachtarbeiten zur
Förderung des Tunnelbaus, und endlich aus den Einschnitten
bei den beiden Portalen. Die erste auffällige Erscheinung,
welche zu Tage beobachtet wird und bei dem ersten Schacht-
versuch bestätigt wurde, ist das Vorhandensein eines Streifens
Gipsmergel, der nach den Aufnalımen Bachs (Begleitworte zu
Calw, pag. 18) in einer Breite von 30 M. auf dem Haupt-
muschelkalk liegt; gelbe Sandsteinplättchen und Dolomite der
Lettenkohle bezeichnen seine Grenze. Die Mächtigkeit beim ersten
Schachtbau, der übrigens wegen Wasserandrangs verlassen wer-
den musste, betrug 2 M. Der Schacht wurde nun östlicher ge- \
rückt, wo er keinen Keuper mehr traf, sondern nur noch 5 M.
Hauptmuschelkalk mit Encriniten und darunter 8 M. geschichtete
Brockelbänke mit handhohen Zwischenlagern schieferiger Mergel.
Die Mächtigkeit der Zellenkalke betrug 3 M., darunter 25 M.
graugelber, von dolomitischen Mergeln durchsetzter Letten, zum
Schluss der Anhydritgruppe 1 M. dunkelgrauer Gipsthone. Die
Wellenmergel haben am Westportal des Tunnels den glänzend-
sten Aufschluss gefunden nämlich: anschliessend an den dunkel-
grauen Gipsthon
1,3 M. blauer, knopperiger Wellenmergel,
0,3 „ braune dolomitische Platte,
3,4 „ grauer Wellenmergel,
0,6 „ brauner, bituminöser Dolomit;
4,2 „ blauer Wellenmergel,
1,1 „ bituminöser Wellenmergel mit dolomitischem Deckel.
Die Fortsetzung der Wellenmergel führt vollends in die
Station Althengstett hinein, deren Horizontale eine Lücke schafft
zwischen dem Profil des Au-Einschnittes und dem des „Forstes®.
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N 5. Von Althengstett nach Calw.
Ueber den Horizont von Althengstett orientart der 35 M.
tiefe Einschnitt in der Au, der anfänglich zum Tunnel bestimmt
war, aber wegen ungeheuren Wasserandrangs in einen Einschnitt
verwandelt wurde. Vom Tag an gehen 30 M. graubraune Mer-
gel zur Tiefe. Ein einziges 5 Öentimeter hohes Bänkchen läuft da-
zwischen. Erst nach unten gegen die Sandsteingrenze hin indi-
vidualisiren sich die Schichten :
1,3 M. blauer Mergel,
0,05 „ braunes Dolomitplättchen,
1,3 „ brauner Mergel,
0,4 „ brauner, eisenschüssige Dolomitbank, spältig,
0,6 „ grauer Thonmergel,
0,1 „ violetter sandiger Mergel,
1,1 ,„ tiefrother Sandsteinmergel,
i 0,3 ,„ erste feste Sandsteinbank.
Ueber die Schichtenköpfe der Wellenmergel hinweg, die
gleich dem oberen bunten Sandstein nach Osten hängen, aber viel
schwächer als die Schichten diesseits der Wasserscheide, führt
jetzt die Bahn in das rothe Gebirge, um dasselbe nicht wieder
zu verlassen. Der Schwarzwald im eigentlichen Sinn des Worts
ist nun erreicht. Mit dem rothen Boden tritt auch landschaft-
lich der ‚scharfe Wechsel ein, wie schärfer kein zweiter Wechsel
- jm ganzen Lande existirt.
r Von der Gränze im Au-Einschnitt bis zum Eingang in den
Hirsauer Tunnel liegt das System des oberen Buntsandsteins,
mergelige, glimmerreiche Sandbänke und Sandsteinbänkchen im
Ganzen gegen 50 M. mächtig. Bei dem Mangel aller organi-
schen Reste ist die Aufstellung von Schichtenunterschieden nicht
möglich, es können lediglich nur petrographische — eben damit
ni unwesentliche, veränderliche — Unterschiede gemacht werden.
4 _ Von dem zarten, zu Bildhauerarbeiten wie kein zweiter Stein
geeigneten Werkstein, wie er z. B. an der Würm mehrfach auf-
tritt, fand sich kein Lager vor.
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Die nächste gleichfalls etwa 50 M. mächtige Felsenbild: Di ER
gehört bereits dem mittleren Buntsandstein an. Sie beginnt mit
der nördlichen Wendung der Bahn vor dem Tunnel, in welchem H
die h. 10 zerklüfteten Lager im Streichen durchfahren sind.
x Der ganze Tunnel ist Fels. Unter mehreren gegen 1 M. mäch-
R tigen Bänken zeichnet sich eine 4,5 M. mächtige Bank aus,
e | welche die prachtvollen Gewölbesteine lieferte. Unter dieser
> Felsbank zieht sich eine kieselige harte Bank von 1 M. Mäch-
5 : tigkeit hin, welche durch den ganzen Tunnel sich verfolgen liess
Br auf dessen 86 M. betragende Gesammtlänge. h
E Mit dem Verlassen des Tunnels tritt man in das „Gaisen-
häle“ ein, eine wahrhaftige Schwarzwaldidylle. Die tiefen
RR Sandsteinschluchten, die steilen Gehänge mit den verirrten Blöcken, |
“2 das frische Wiesengrün das gegen die dunkeln Tannen und den E
.Besenginster abhebt, das Alles ist typisch schwarzwälderisch und i
; hat man mit der Einen Thalschlucht, welche die Eisenbahn hier h
5 überdämmt hat, viele andere gleichfalls gesehen. Der Thäles-
I. bach ist in einen eigens für ihn ausgebrochenen Tunnel abge- $
# führt worden, dass er den 64 M. hohen Bahndamm, den höchsten
der je in Europa aufgeführt wurde, nicht gefährde.
Die erste beachtenswerthe Erscheinung auf der rechten Seite
des Thales ist die schiefabgeböschte Steilwand, deren Beschaffen-
heit nichts Anderem verglichen werden kann, als dem Durch-
schnitt einer Moräne. Man darf sicherlich keinen Anstand
mehr nehmen, diese und hundert andere ähnliche Erscheinungen
der „Felsentrümmer“ und „Steinmeere* mit der geologischen
Aktion der Gletscher in Verbindung zu bringen, welche zur Eis-
zeit hier ebenso kräftig wirkten und ebenso sprechende That- “
sachen hinterlassen haben, als in Oberschwaben. Es ist noch nicht,
so lange her, dass sich die herrschende Geologie den glacialen
Erscheinungen in Württemberg gegenüber durchaus abwehrend
verhielt. Bekanntlich musste von der Schweiz her der Anstoss
zu der Anschauung kommen, dass der oberschwäbische Schutt
ein Produkt der früheren von den Alpen bis zur Alb vorge-
schobenen Gletscher sei. In den dreissiger Jahren (siehe die Ar- |
beiten vonSchübler und Schwarz) heissen die oberschwäbischen Schutt- Es
—— 15 —
hügel „regellose Produkte zufälliger Wasserwirbel und Strömun-
gen.* Wie sich das vernünftiger Weise hätte gedacht werden
können, woher die Wasser kamen und wohin sie flossen, darüber
hat man sich augenscheinlich gar keine Gedanken gemacht, sonst
wäre das Unhaltbare solcher Anschauung zu Tage getreten.
- Seit 2 Jahrzehnten hat sich glücklicher Weise Niemand mehr mit
solch fruchtlosen Ideen geplagt, um auf eine andere als die ein-
zig natürliche Weise die oberschwäbischen Schuttberge als Reste
glacialer Thätigkeit zu erklären, wie solche heute noch im
Hochgebirge studirt werden kann. Um so mehr muss man sich
wundern, dass man bis jetzt noch nicht die einfache Consequenz
für Schwarzwald und Alb gezogen und die einstige Vergletsche-
rung auch der Alb und des Schwarzwalds und wohl auch eines
Theils des Unterlandes nachgewiesen hat. Es fällt eben immer
schwer, mit hergebrachten Ideen zu brechen und haben sich
daher geologische Schriftsteller lieber mit allen möglichen Er-
klärungsversuchen gequält, statt die einfachste und natürlichste
Lösung der Frage zu versuchen. Die badischen Nachbarn nament-
lich verschlossen sich mit wenigen Ausnahmen der Uebertragung
glacialer Thätigkeit auf den Schwarzwald. Seit Fromherz mit
dem Aufwand ausserordentlichen Scharfsinnes und bewunderns-
werther Localkenntniss seine „diluvialen Hochgestade* aufgebracht
und die Stromwälle und Gerölllinien construirt hatte, schlossen
sich die badischen Geognosten mehr oder weniger dieser An-
schauung an und behalf man sich zur Erklärung der einzelnen
Erscheinungen mit dem vagen, heut zu Tag immer mehr dis-
credidirten „Diluvium*.
Hat man sich somit einerseits mit Erklärungen durch Wasch-
processe und die Annahme enormer Wassermassen zu helfen ge-
sucht, so fehlt es auch nicht an dem freilich vereinzelt ge-
bliebenen Versuch, durch plutonische Gewalt das Dasein der
oberflächlich aufgelagerten Gebirgstrümmer zu erklären. Die
Begleitworte zur geognostischen Karte von Wildbad pag. 7.
wecken längst vergessene Erinnerungen an die alten „Feuer-
männer“, denen es nicht darauf ankam, 500 M. mächtige Ge-
E birge durch Blähungen im unterirdischen Granit zu heben und
"Dawn.
zu sprengen, dass die geborstenen Blöcke umher stoben. Es ge-
hört wahrlich eine gewaltige Phantasie dazu und der absolute
Mangel an objectiver Beobachtung, wenn man die erratischen
Blöcke der „Teufelsbettlade*, des „Wendensteins* und „Riesen-
steins* u. s. w. als die „starren, ernsten Zeugen“ anruft einer
grossartigen Katastrophe, da „innere Erdkräfte die Gebirgs-
schichten zertrümmerten und das Gebirge gleichsam in einen
grossartigen Schutthaufen verwandelten.“ So kann nur schreiben,
wer sich noch nie die Mühe genommen hat, die Unterlage sol-
cher Blöcke am geeigneten Ort zu beobachten, oder die normale
Lagerung der Sandsteinbänke in Einschnitten und Tunnels zu
constatiren, während darüber und namentlich seitlich am Thalge-
hänge die Schuttmassen mit den Blöcken hängen. Ohne Zuhülfe-
nahme des Gletschers ist die Erklärung all der wie an eine
Bergwand angeklebten Blöcke und der plötzlich angehäuften
Sandmassen ein Ding der Unmöglichkeit.
Der petrographische Character des Sandsteins bringt es
allerdings mit sich, dass die direkten Beweise für die Aktion
des Gletschers an den Orten, an welchen der Sandstein über-
schoben wurde, nicht beobachtet werden können. Fehlen doch
am Sandstein stets und aller Orten die Schliffe und Ritzen,
welche nur an hartem und compaktem Gestein sichtbar werden,
aber die Art und Weise, wie Blöcke und zerriebene Sande bei
einander liegen, der Mangel jeglicher Spur von Lagerung, welche
durch Wasser erzeugt wird, namentlich aber der Umstand,
dass Sande und Blöcke stets an die Thalgehänge wie angeklebt
erscheinen, schliessen jede andere Erklärung der Schuttmassen
aus als diejenige, welche dieselben für Reste alter Moränen
hält.
Bei der Wendung der Bahn gegen Calw steht man in
dem Mittelpunkt der Steinbruchindustrie am Welzberg. Die
prachtvollen Lager des ausgezeichneten Bausteins von durch-
schnittlich 5 M. Mächtigkeit wurden erstmals beim Bau der Bahn
angeschnitten und waren nicht nur während des Baus eine reiche
Quelle des vortrefflichsten Werksteins, sondern blieben auch seit
Herstellung der Bahn im Betrieb, um dieses auch in der Farbe
}
DNA) ion
so angenehme Material weiterhin zu verwerthen. 12 M. tiefer,
beim Durchlass des Thälesbachs wird der Sandstein immer schlech-
ter und mürber, Tigersandsteine stellen sich ein, welche stets
als Verwitterungsprodukte anzusehen sind. Conträre Schichtung
in den Sanden und buntere Färbung der Schichten nimmt zu,
während in dem oberen massiven Sandstein noch eine milde Rosa-
farbe herrscht.
Oberhalb des Calwer Kirchhofs lassen sich im Sandstein
besonders schön die weissen Flecken und Streifen beobachten,
die als entfärbte Stellen in dem anfänglich gleichförmig roth-
gefärbten Material sich beobachten lassen. Wo eine Kluft oder
ein Lager ist, wo also meteorische Wasser theils durchflossen,
theils stehen blieben, ist die rothe Farbe ausgeführt und um-
gibt sozusagen ein weisses Band die rothe Grundmasse. Die
stets tiefroth gefärbten Thonknollen, welche so häufig im Sand-
stein stecken, theilen die gleiche Erscheinung, denn jeder der-
— 4:
selben ist von einem weissen Rande umgeben, namentlich tritt
auch das Weiss bei der so häufig zu beobachtenden konträren
Lagerung des Sandes zu Tage, als ob ein weisser Keil in der
rothen Masse sässe.
III. Die Lagerungsverhältnisse der Schichten.
Wie das Profil lehrt, steigt die Bahn von dem Bahnhof
Zuffenhausen (278 M. ü.d.M.) mit 1:120 und 1:300 zum
Glemsübergang bei Ditzingen (306 M.), zieht sich durch das
Glemsthal mit 1: 110 bis Leonberg (363) und durchs Wasser-
bachthal mit 1:114 bis Renningen (407 M.), fällt von da_
mit 1:400 bis zum Würmübergang (397 M.) Innerhalb des
1 Würmgebietes steigt sie wieder zuerst 1: 150 zur Station Weil
d.St. (400 M.), sodann 1:100 bis zur höchsten Höhe der Bahn
bei Althengstett (507 M.). Von hier ab wird das Nagoldthal
im Gefäll von 1:70, 60, 85 und 60 erreicht beziehungsweise
_ die Station Calw mit 347 M.ü.d.M.
Hienach steigt die Bahn bis zur höchsten Haltung um 229 M.
66 M. über dem Anker tunkk ER
Von diesen absoluten Höhen sind nun die Schichten RE xS
5 aus unabhängig, sie sind vielmehr in den verschiedensten Hori-
Er zonten zu treffen,, was gleich die Lage des bunten Sandsteins
1: zeigt. Derselbe ist naclıı dem Stuttgarter Bohrloch zu Schliessen
p bei Zuffenhausen beiläufig auf dem Meeresspiegel, bei Altheng-
2 . stett 490 M. höher. Die Gipsmergel liegen bei Zuffenhausen 278 M.,
bei Renningen 407 M., am Forsttunnel 540 M. ü. d. M. Die obere
jr $ Grenze des Hauptmuschelkalks liegt bei Zuffenhausen 250 M.ü. d.M.,
=: am Wasserbach 400 M., am Hacksberg und am Forst 557 M. An
» Be ; diesen Punkten ist die untere Grenze gemessen, was bei der Mächtig- g
Br keit von 80 M., welche: der Hauptmuschelkalk misst, für die
IR obere Grenze 480 und 617 M. ergiebt. Die Niveaudifferenz der
E. Schishten beträgt hienach zwischen 350 und 450 M. und zwar
RK ist diese Differenz nirgends durch wellenförmige Linien
vermittelt, wie diess nothwendig der Fall sein müsste, wenn
man die Niveaudifferenzen auf Rechnung "ursprünglicher Gebirgs-
.. ablagerung setzen wollte Vielmehr beobachtet man zwischen.
dem tiefsten und höchsten Punkt 8 grössere Schichtenbrüche,
eine Anzahl kleinerer gar nicht gerechnet, welche stets eine
Verwerfung von verschiedener Sprunghöhe im Gefolge haben.
Die Schichtenbrüche zeigt das Profil bei Kilom. 11. 14,5. 18.
18,2. 22,5. 25. 28,5. 35., ebenso beachte man, dass bei diesen ”
Brüchen der östlich vom Sprung gelegene Theil an dem west
lich gelegenen abgesunken ist, ohne dass jedoch eine östliche 3
Neigung der Schichten die Consequenz der Einsenkung wäre.
So bildet bei Kil. 13 der Sprung einen förmlichen Aufriss des
N ht Schichtenknicks, von dem ab die Schichten des Hauptmuschel-
Re i kalks nach Westen einerseits und andererseits nach Osten ein-
fallen. Die heutige Oberflächebildung des Landes er-
En; scheint hienach als das Resultat treppenförmiger Ei.
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| brachen tausendfach die Sehichtentafeln entzwei, einfach al nn
3 sich neigend, wo ein Raum es gestattete. Auf dieselbe Wei
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stellt man sich am natürlichsten die Lagerungsverhältnisse z. B,
_ der Filder und des Schönbuchs vor, dessgleichen auf dem Plateau
zwischen Jaxt und Tauber und noch an andern Orten, welche
bei den anderweitigen Bahnlinien näher geschildert werden sollen.
In dem Jahreshefte XVII, S. 222*) wird Jeder mit Vergnügen
einen ausnehmend klaren Nachweis finden über Schichten-Niveaus
zwischen Schönbuch und Schurwald. In dieser Arbeit ist die
Filderspalte, die wir in der Renninger Versenkung wiederfinden,
bis in das Neckarthal hin verfolgt und tritt damit der ganze
geologische Vorgang zwischen Schwarzwald und Neckarthal auch
in einer andern Richtung als der Richtung der Schwarzwaldbahn
in das wahre Licht.
Dass das östliche Einfallen zwar vorherrscht, aber nicht
Regel ist, wurde oben bemerkt. Anders aber verhält es sich
mit der Richtung der Schichtensprünge und der Verwerfungen:
dieselben zeigen einen constanten Parallelismus, der in der Gegend
herrscht. Nur am Ausgehenden der Schichten, an den Bergge-
hängen beobachtet man Abweichungen, die mit dem Ausweichen
der Schichtenlager gegen die Thäler zusammenhängen, das Mes-
sen der Schichte zeigt dagegen allenthalben jene parallellaufende
Zerklüftung, die man in den Einschnitten und Tunnels gefunden
hat: mit der Bussole gemessen ist die observirte Richtung der
Klüfte hora 2 und und rechtwinklig darauf hora 8. Während
das eigentliche Schwarzwaldgebiet das System des Rheins befolgt
d. h. hora 1 und 7, während z. B. Stuttgart bereits hora 3 und
I zeigt, liegt consequenter Weise das Gäu in der Mitte zwischen
dem System des Schwarzwalds d. h. dem reinen Nord-Süd-System
und dem Nord-Ost- und Süd-West-System des mittleren Neckars.
Die Zeit dieser Spaltenbildung hängt mit der Bildung der gegen-
_ wärtigen Oberfläche zusammen, letztere ist die Folge der ersteren.
Diese Bildung geht der glacialen Zeit voraus, denn diese
traf bereits die dermaligen Thäler in einem Zustand der Aus-
waschung, der wohl vom jetzigen Zustand kaum abwich.
*) Die Lagerungsverhältnisse zwischen Schönbuch und Schurwald.
Von C. Deffner in Esslingen mit Tafel IV und V.
Württemb. naturw. Jahreshefte. 1876. 9
130 —
IV. Die hydrographischen Verhältnisse an der Bahn.
Es handelt sich hiebei nur um die an der Bahn gelegenen
Quellen und Brunnen, welche zum Bedarf des Bahnpersonals
gehören. Selbstverständlich sind dieselben auch massgebend
für die Umgebung, soweit ihnen die gleiche Formation zu
Grunde liegt, welche die Quellverhältnisse an der Bahn her-
vorruft.
Quellen und laufende Röhrenbrunnen sind im Gebiet der
Lettenkohle, des Wellengebirgs und des bunten Sandsteins zu
treffen, während im Gebiet der übrigen Formationsglieder nur
Ziehbrunnen bestehen.
Die laufenden Brunnen der Lettenkohle befinden sich beim
Wärterhaus des 10. Kilometers links der Bahn 0,78 M. über
der Schwellenhöhe, beim Wärterhaus 11. links der Bahn 0,09 M.
über der Schwellenhöhe, auf Station Leonberg 6 M. über d. Schw.
Doppelwärterhaus 14 und 15. 1,4 M. ü. d. Schw. Die laufen-
den Brunnen des Wellengebirgs sind auf der Station Schafhausen
aus dem Einschnitt bei Kil. 32,230, dessgleichen die Posten 31
und 32. Die Posten 39, 40, 41, 43, 44 beziehen ihr Wasser
aus dem Aueinschnitt, das bei 40,528, 0,5 M. über der Schwellen-
höhe gefasst ist. Für die Posten 42 und 44 ist das Wasser
in einem Schlitze im Tunnel bei 2 M. ü. Schw. gefasst, das
letztere Wasser entstammt dem bunten Sandstein.
Die Pumpbrunnen sind folgende:
Bahnwärter- Tiefe Wasserstand
Haus Nr. 2 82 M. 1,1 unter der Schwelle, Keuper
n..3.90 7,6 » „ »
Station Kornthal 6,0 „ 4,0 a “ 2
Nr. 5 3,7 „ 2,0 - n ”
au LTO: . 10,0 a „ 5
Stat. Ditzingen 7,25, 5,4 „ Lettenkohle
Nr TS LT. 15,3 m A »
EB SEHR 2,0 i PRR®
— 131 —
Bahnwärter- Tiefe Wasserstand
Haus Nr. 17 15,9 M. 13,5 unter der Schwelle, Letten-
HL BAR, 8,0 & „ Kohle
7 12.0, 150 ei „ im Keuper
Stat. Renningen 10,0 „ 8,5 N “ e
Nr327,.10,8°', 8,7 e %
Aa 6,6 p e P
nr23 1518, 13,0 5 „ Muschel-
kalk
Br 26 0.27.1370 14,7 4 „ Anhydrit u.
Wellengeb.
Nr.. 28. 16,8;, , 15,4 n - »
323. 1120,29°. 17,8 3 S .
„ 34: 10,25, 5,2 SISE.N A a
„ 35 oberh. des
Forsttunnels 6,5 „ 3,0 E 5 A
St. Althengstett 10,8 „ 5,D r " s
5 NT.38:. 1.916, 7,4 n R “
Jedes Wärterhaus mit Ausnahme von 9 und 12, welche ihren
Bedarf aus den Stationsbrunnen von Ditzingen und dem Dorf-
brunnen von Höfingen beziehen, ist hienach mit Wasser versehen.
Der laufenden Brunnen in der Lettenkohle sind es 4, derer im
Wellengebirge 7, im Sandstein 2. Der Pumpbrunnen im Keuper
sind es 8, in der Lettenkohle 6, im Muschelkaik 1 und im
Wellengebirge mit theilweiser Durchsinkung des Anhydritge-
birges 7.
9*
Na
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Giebt es ein EoZoon Canadense?
Eine mikrogeologische Untersuchung
von Otto Hahn in Reutlingen.
I.
In die Zeit, da man das Mikroscop in grösserem Umfang
für Geologie anzuwenden anfieng, fiel auch die Entdeckung des nach-
her so benannten Z0zoon canadense — des Morgenröthethieres —.
Wie gross war die Freude, als man endlich den Anfang der
organischen Schöpfung gefunden glaubte! Es fehlte der Dar-
win’schen Lehre noch der Schlussstein — nun war er da. —
Der Urschleim hatte sich wie durch ein Wunder in einer Ser-
pentinkalk-Masse erhalten, die aussah, wie der Schleim selbst
ausgesehen haben musste: da waren noch das Häutchen, mikros-
copische Röhren von 0,002 mm. Durchmesser, wunderbar schön
— und — sagt Carpenter $. 398 am Schluss — ein genaues -
Bild des ältesten 'Thieres, von welchem wir irgend Kenntniss
haben, ist uns hier, ungeachtet der äussersten Weichheit und
Zartheit seiner Substanz in einer Vollständigkeit vorgelegt, wie
in gleichem Masse kein späteres Fossil sie darbietet. — Wen
muss es da nicht gelüsten, mit eigenem Auge jenes Erstlings-
wesen der Schöfung zu sehen?
In einer Zeit der allgemeinen Aufregung, des allgemeinen
Entzückens hält es schwer, sich die Ruhe des Geistes zu be-
wahren. Ich habe es versucht, als ich an die Arbeit gieng,
welche nicht nur den Naturforscher, sondern auch den Menschen
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angieng. Jeder bringt einmal schon das Gefühl mit, dass Stu-
dien in der Schöpfungsgeschichte zu unsern Familienangelegen-
heiten gehören. Einige Aengstlichkeit wäre darum nicht zu
verwundern; mehr Erstaunen erregt es, wie leicht Viele ihre
Kleider abwerfen und in den Strom springen. Die Art und
Weise meiner Arbeit möge darthun, dass ich nicht befangen zu
Werke gieng.
Es ist sehr viel über die Frage schon geschrieben worden.
Die Ergebnisse meiner Untersuchung haben dieselbe, glaube
ich, endgiltig entschieden. Durch meine Untersuchung ist festge-
stellt, dass es eine Riesenforaminifere im Serpentinkalk nicht giebt.
Meine Untersuchungen haben festgestellt, dass eben die
wesentlichen Merkmale der Foraminifere, die Kammer und die
Haut (Schaale) nicht da —, dass diess vielmehr reine Gesteins-
bildungen sind, wie sie überall im Serpentin vorkommen. Fallen
aber diese beiden Merkmale, so bleiben nur die Astsysteme ührig.
Diese habe ich auch im Gneise nachgewiesen und zugleich eine
sichere Deutung für sie gefunden.
Mögen nun die Zoologen ihre Replik abgeben. Das Mate-
rial, das ich benützte, lege ich bereitwillig in ihre Hände.
Um die Gegner der von mir vertretenen Ansicht vollständig
zum Wort kommen zu lassen, lasse ich Dr. William Carpenter
selbst reden. Derselbe beschreibt und beurtheilt das Zozoon in
seinem Werk |
„The Microscope and his revelations*“.
London 1868.
folgendermassen:
I.
S. 396. „Ein sehr merkwürdiges Fossil, bezüglich des
Foraminiferen-Typus, ist neuerdings in solchen Schichten entdeckt
worden, welche viel älter sind, als die frühesten, in denen man bis
jetzt organische Reste kannte. Die Bestimmung ihres eigentlichen
Charakters mag als einer der schätzenswerthesten Erfolge mikros-
copischer Untersuchung betrachtet werden. Dieses Fossil, wel-
ches den Namen Eozoon canadense erhalten hat, ist in Schich-
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ten von Serpentin-Kalkstein gefunden worden, welcher nahe den
untersten Schichten der Laurentian-Formation von Canada *) an-
getroffen wird. Er hat seine Parallele in den untersten Gneis-
Schichten von Böhmen und Bayern und in den ältesten Sediment-
schichten von Skandinavien und Schottland. In manchen Theilen
) dieser Schichten fand man Massen von beträchtlicher Grösse,
jedoch gewöhnlich von unbestimmter Form. In ihrem Zusammen-
hang gleichen sie einem alten Korallenriff und bestehen aus
abwechselnden Lagen (gewöhnlich mehr als 50) von kohlensaurem
Kalk und Serpentin, einem Magnesia-Silicate. Die Regelmässig-
3 keit dieser Wechsellagerung und die Thatsache, dass das Gebilde
sich auch zwischen andern Kalk- und Kiesel-Mineralien findet, leitete
x zu der Vermuthung, dass es seinen Grund in organischer Struc-
h tur habe. Dünnschliffe wohl erhaltener Stücke wurden von Dr.
vi Dawson von Montreal mikroscopisch untersucht, welcher nun
Be auf einmal seine Foraminiferen-Natur erkannte. **)
Die Kalklager stellten ihm die charakteristischen Erschei-
nungen einer wahren Muschel dar (of a true Shell). Die Muschel
selbst besteht aus unregelmässigen Kammern, welche häufig von
einem astförmigen Canalsystem ähnlich dem der Calcaria durch-
setzt sind, ($. 387) während er die Serpentin- oder andere
Kiesellager für eine Infiltration von gelösten Silicaten in die ur-
sprünglich von einer Sarcode-Masse des Thiers ausgefüllten Hohl-
räume ansah, ein Vorgang, dem wir in verschiedenen geologi-
schen Perioden und auch jetzt noch unzweifelhaft begegnen.
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a N *) Diese Laurentian-Formation wurde zuerst von Sir William Logan,
M dem Director des geologischen Amts von Canada als eine regelmässige
“ Reihe von Sedimentgestein bestimmt, welche die Unterlage nicht allein
des Silurs, sondern auch des Ober-Silurs und Unter-Cambrian-Systems
dieses Landes bilden.
®**) Diese Deutung verdankte Dr. Dawson, wie er ausdrücklich
in seiner ersten Arbeit (»Quarterly Journal of the Geological Society«
Vol. XXI. p. 54) anerkennt, nicht nur der Kenntniss von des Autors
(Carpenter’s) vorhergehender Untersuchung über die mikroscopische
Structur der Foraminifere, sondern auch den besondern Merkmalen
in Dünnschliffen der Calcarina, welche ihm der Verfasser zugesandt
hatte.
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Obgleich diese Erklärung aus dem Grund in Zweifel ge-
zogen wurde, dass einige Aehnlichkeit mit der vermutheten or-
ganischen Structur des Eozoon sich in Massen von reinem
Mineralursprung findet*): jetzt, nachdem sie von allen denjeni-
gen Forschern angenommen ist, deren Urtheile die Kenntniss
der Foraminiferen-Natur Gewicht verleiht, ist sie auch durch
nachherige Entdeckung vollkommen bestätigt. **)
Der Verfasser glaubt, dass das Eozoon ursprünglich sich
über grosse Flächen des Meeresbodens in der Laurentischen Epoche
ausgedehnt hat.“ ***)
8. 397. „Während das Eozoon vermöge seiner feinen
Röhren in der Schalenschichte, welche die eigentlichen Wände
seiner Kammern bildet, wesentlich zur Nummulinen-Gruppe ge-
hört, gleicht es doch in seinen andern Kennzeichen verschiedenen
Arten von jüngeren Foraminiferen. So in der unbestimmten zo00-
phytischen Weise seines Wachsthums ist es Polythrema ($. 386)
ähnlich: in der unvollständigen Theilung seiner Kammern hat
es seine Parallele in Carpentaria ($. 384), während es in der
mächtigen Entwicklung seines Zwischengerippes (intermediate
Skeleton) und des Canalsystems, durch welches dieses ernährt
wurde, seine nächsten Verwandten in Calcarina findet. ($. 387.)
Seine Kalklager sind so übereinander geordnet, dass sie eine
Folge von Kammerreihen zwischen sich einschliessen. Die Kam-
mern jeder Reihe gehen in einander, wie Zimmer: häufig sind
sie auch durch vollständige Wände (Septa) getrennt. Diese
Wände sind durch Verbindungsgänge zwischen den Kammern
*) Siehe das Memoir von Prof. King und Rowney in dem Quar-
terly Journal of the Geological Society Vol. XXI. p. 185.
**) Siehe Dr. Dawson’s Abhandlung über eine Art Z0200n, ent-
deckt in einem homogenen Kalkstein in Quart. Journal of the Geol.
Soc. Vol. XXIII p, 207.
»=*) Zur vollständigen Kenntniss der Resultate der eigenen Studien
des Verfassers über das Eoz00n und der Gründe, auf welche obige
Darstellung gestützt ist, siehe seine Arbeiten im Quart. Journal of the
Geol. Soc. Vol. XXI. p. 59. und Vol. XXII.p. 219. und in den Intel-
lectual Observer. Vol. VII. p. 278.
BAT
okhröchen.: ähnlich N welche" in ea A dich: =
Bi zeigen — durch Ausläufer (Stolons), welche die Sarcode-Masse - £
unter sich verbinden. Jede Muschellage besteht aus zwei fein-
geästelten oder Nummullin-Lamellen, welche die Gränze der
5 Wände nach unten und oben bilden und zugleich (so zu sagen)
2 als Deckgetäfel der ersten und als der Boden der nächsten Kammer
dienen, und aus einer Zwischenlage (intervening deposit) einer
homogenen Muschelsubstanz, welche das Zwischengeripp bildet.
Die Dicke dieser Zwischenlager ist in demselben Stücke sehr
verschieden: sie ist in der Regel am grössten an seiner Basis
| A und wird gleichmässig kleiner gegen oben. Das Zwischengerippe |
wird häufig durchbrochen von grossen Gängen (Passages), welche
eine Verbindung zwischen den darüber folgenden Kammern her-
zustellen scheinen; sie ist durchzogen von astförmigen Bündeln
| (Systems) von Canälen, welche oft so weit und fein die Substanz
Bar durchdringen, dass kaum ein Theil derselben ohne sie ist.“ (%
$. 398. „In dem fossilen Zustand, in dem das Eozoon
gewöhnlich gefunden wird, sind nicht allein die Höhlen der |
Kammern, sondern auch die Canalsysteme bis in ihre feinsten
Verästelungen mit der kieseligen Masse angefüllt, welche die
Stelle der ursprünglichen Sarcode-Masse einnalım, gerade wie
2 in unten angeführten Fällen ($. 390 Note). Behandelt man ein
@ Btück dieses Fossils mit verdünnter Säure, durch welche der
Kalk entfernt wird, so erhalten wir ein Bild seiner Kammern
‘und des Canalsystems (Tafel XVII), welches, wenn gleich im
Ganzen ungleichmässig in seiner Zusammenordnung (arrangement),
doch im wesentlichen den Charakter der inneren Bilder zeigt, . “
wie sie in Fig. 258. 259 dargestellt sind. Diese Bilder geben |
uns desshalb ein Serpentin-Modell von der weichen Sarcodemasse,
Ri welche ursprünglich die Kammern einnahm und sich in die Ast-
- — Canäle der Kalkschale erstreckte, wie bei Polystomella ($. 390).
Er} ‘So giebt es eine mehr befriedigende Aufklärung über die Be-
ziehungen dieser Theile, als wir von dem Studium des lebenden
Organismus hätten erhalten können. Wir sehen, dass jede Ser-
_ pentinschichte, welche den unteren Theil eines solchen Stücks 3
bildete, aus einer Anzahl zusammenhängender Segmente besteht,
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welche nur eine theilweise Trennung erfahren haben. Diese
scheinen sich horizontal ausgedehnt zu haben, ohne irgend be-
stimmte Gränzen. Aber sie haben da und dort neue Segmente
in vertikaler Richtung entwickelt, und so neue Lager gebildet.
In den Zwischenräumen zwischen diesen aufeinanderfolgenden
Lagern, welche ursprünglich aus der Kalkschale bestanden, sehen
wir das Bild (internel casts) der Astsysteme: sie geben die deut-
lichen Modelle der Ausdehnung der Sarcode-Masse, welche sie
ursprünglich durchzog. Aber dies ist nicht Alles. — In Stücken,
in welchen die Kammerwände (Nummulin-Lagen) gut erhalten
sind, und in welchen der „Decalcifirungsprocess* ruhig sich voll-
zog, (micht also bei zu schneller Austreibung der Kohlensäure,
wo Serpentinmasse zerstört wurde) — ist diese Schichte darge-
stellt durch eine dünne weisse Haut (film), welche die Ober-
fläche der erwähnten Segmente bedeckt (Fig. 2.). Und wenn
man diese Schichte bei genügender Vergrösserung untersucht, so
findet man, dass sie aus ganz kleinen nadelförmigen Serpentin-
fasern besteht, welche manchmal aufrecht stehen, parallel, und
häufig in Berührung mit einander, wie die Nadeln von Asbest,
so dass man diese Schichte überhaupt “die „Asbestschichte*
nannte. Häufig sind sie aber auch zu convergirenden, pinsel-
artigen Büscheln verbunden, sie sind daher an einigen Stellen
der Haut eng mit einander verbunden, an andern weit von
einander entfernt. Diese Fasern, welche weniger als „47
eines Zolls im Durchmesser haben, sind die Internal Casts von
Röhrchen, der Nummulineschalen, (ein genaues Seitenstück zu
denjenigen, welche in den Internal Casts einer lebenden Amphi-
slegina in des Verfassers Besitz sind) —- und ihre Zusam-
menstellung bietet alle die Verschiedenheiten dar, wie sie in den
‚Schalen der Operculinen ($. 391) beschrieben worden sind. —
Diese feinen und schönen Kieselfasern sind an der Stelle jener
pseudopodial-Sarcodefäden getreten, welche ursprünglich die fein-
röhrigen Kammerwände durchsetzten. So ist uns ein kleines
Modell des ältesten Thiers, von welchem wir irgend Kenntniss
haben, ungeachtet der grossen Weichheit und Zartheit seiner
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Substanz dargestellt und in einer Vollständigkeit erhalten, welche
selten bei einem späteren Fossil erreicht ist.“ |
$. 399. „In dem oberen Theil des decalcifirten Stücks
(Fig. 2) ist zu bemerken, dass die Segmente regellos zusammen-
gehäuft sind, anstatt regelmässig in Schichten gesondert zu sein.
Es ist dies ein lamellenförmiges Wachsen, es hat dem haufen-
artigen Platz gemacht. Dieser Wechsel ist keineswegs unge-
wöhnlich unter den Foraminiferen, ein blosses unregelmässiges
sich Anreihen der Kammern bei weiterem Wachsen der Thiere,
während sie früher nach viel strengerem Gesetze sich bildeten.
Welches die erste Gestalt des Zo200n war, wissen wir jetzt
nicht. Aber an einem jungen Exemplar, welches neulich gefun-
den wurde, zeigt sich, dass jedes auf das andere folgende Stock-
‘werk (Storey) von Kammern begränzt war durch eine Muschel-
schale an seinen Rändern, so dass der ganze Bau eine be-
stimmte Form hatte, ganz ähnlich der einer geradegestreckten
Peneroplis (Taf. XV. Fig. 5.). Hieraus geht hervor, dass die be-
sondere Eigenthümlichkeit des Zozoon in der Fähigkeit seiner
unbegränzten Ausdehnung besteht, so dass ein einziges Thier
die Grösse einer grossen Coralle erreichen mochte. — Dies kam
einfach daher, dass seine Vermehrung durch Gemmation ununter-
brochen stattfand. Die neuen Theile blieben in Verbindung
mit dem ursprünglichen Stock, anstatt sich von diesem zu tren-
nen, wie dies bei den Foraminiferen sonst der Fall ist. So bil-
det die kleine Globigerina eine Muschel, deren Kammerwände
nie die Zahl 10 zu überschreiten scheinen, indem jeder hinzu-
kommende Theil sich so absondert, dass er eine besondere Mu-
schel bildet. Aber durch die Wiederholung dieser Vermehruflg
ist jetzt der Boden des atlantischen Oceans bedeckt von Globi-
gerinenhaufen, welche, wenn sie versteinert wären, Lager von
Kalkstein bildeten, nicht kleiner als diejenigen, welche
ihren Ursprung dem Wachsthum des Eozoon verdanken. Der '“
Unterschied zwischen beiden Arten von Wachsthum ist derselbe,
wie zwischen dem eines Krauts (plant) und eines Baums. In
dem Kraut erreicht der individuelle Organismus niemals eine
beträchtliche Grösse: seine Ausdehnung durch Gemmation ist be- ei
BL ab
‚schränkt. Die Zusammenhäufung von Individuen, hervorgebracht
durch die Absonderung ihrer Augen (wie bei einem Kartoffelfeld)
mag eine Vegetations-Masse erzeugen so gross als der grösste
Baum es durch fortwährende Vorsetzung einer Knospe thut.*
$. 400. „Bisher hat das Z0200r sich nur in dem Lauren-
tian-Serpentinkalk von Canada in solchem Zustand der Erhaltung
gefunden, um die Vermuthung seines Ursprungs zu rechtfertigen.
Aber man hat Serpentin-Kalke von andern Fundorten, aus Schich-
ten, welche die Canadische zu vertreten scheinen. Die grössere
oder kleinere Aehnlichkeit des Bildes wird den Schluss recht-
fertigen, dass der Typus des Zozoon sehr allgemein in den
früheren Zeitaltern unserer Erde verbreitet war, und dass es
grossen, vielleicht den grössten Antheil an der Erzeugung der
ältesten Kalklager hatte. Es schlug sich der kohlensaure Kalk
aus seiner Lösung im Seewasser in derselben Weise nieder, wie
durch die Polypen, durch deren Wachsen Corallenriffe und Inseln
heutiges Tages noch entstehen.“
IH.
Ich nahm meine Untersuchungen an 3 unzweifelhaft ächten
canadischen Serpentinkalken vor:
I. ein Stück, welches ich der Güte des Herrn Prof. Dr. v.
Hochstetter in Wien verdanke. Es stammt von Carpenter
selbst und trägt noch seine Etikette. Es ist 95 mm. lang,
50 mm. breit. Es lässt sich in 3 Schichten sondern.
1— 25 mm. Bitterspath (1), 25 —35 mm. reiner hellgrüner edler
Serpentin (Ophit) (2), 35—55 mm. breite Kalkstreifen mit 1 mm.
breiten Serpentinstreifen wechselnd (3), von da ab körnige Bil-
dung (4).
Von sämmtlichen Theilen des Gesteins wurden Dünnschliffe
genommen. Carpenter nimmt Schichte 1 zur Basis.
Schichte 1 zeigt unter dem Mikroscop eine weissliche, hell-
durchsichtige amorphe Grundmasse, in derselben. in schräger
Richtung das Gestein durchsetzend, so dass von der Grundmasse
. eg r ne zu sehen ist, N, übrigens in der. Fo n ‚ nicht 2
scharf ausgebildete Dolomit- (Bitterspath) Krystalle. Sie haben
unzählige, gelbe Einschlüsse (Pieotit?),. Spec. Gewicht 3,16,
er % also das des Bitterspaths. Die Krystalle verlieren sich regel- R
B los in |
Schichte 2. der reinen Serpentinmasse. Unter dem Mikros-
cop von Bändern mit Parallelstreifung durchzogen, welche sich
sofort (im polarisirten Lichte) als Chrysotil ergeben. Spec. Gew. ;
2,95. Die Schichte schneidet scharf ab gegen R
Schicht 3. die Wechsellager. Zuerst ein 5 mm. breites
Kalkband, dann ein Serpentinband von gleicher Breite, und so |
fort; es wechseln nun Kalk- und Serpentinstreifen übrigens im-
RB. mer schmaler werdend, parallel, langgestreckt, an den Seiten-
enden senkrecht abgeschnitten. Die Kalkstreifen brausen mit ver- jr
‚dünnter Salzsäure und lösen sich schnell und vollständig.
Sie enthalten daher keine Kieselerde. Spec. Gewicht 2,60. Im
Kalk vertheilt, seltener in der Serpentinmasse finden sich runde
_ und 6-seitige wasserhelle Krystalle. Es ist Aragonit. Hier sind
auch die Canal- oder Astsysteme. Letztere sind jedoch nicht gleich-
mässig in dem Kalke vertheilt, sondern nur in einzelnen Körnern
(Individuen) desselben. Ich habe auf 7 [Jem. 10 Astsysteme ge-
funden. Die Masse dieser Systeme ist bei auffallendem Lichte
weiss, bei durchfallendem hellbraun. An vielen Stellen lässt sich Er
der Ursprung der Astsysteme aus der Stelle, wo die Aragonit-
Krystalle sind, deutlich erkennen. Niemals setzen sie sich in
ie Kammern forb, es überhaupt zu ‚düosen in keiner BR ;
wre
Ehsläufern. Ihre Form setze ich als bekannt voraus. E
Was Carpenter Haut (film) heisst, ist eine Chrysotilschicht
2 um den Serpentin. Diese Schicht habe ich fast an allen Ophiten
beobachtet. Die Nadeln sind keine Röhren (enthalten auch bei a
der stärksten Vergrösserung keine Füllmasse), sondern sind
Krystalle. F% |
Schichte 4. Nun folgt Körner-Structur. Die Serpentinmasse
ist theilweise noch nicht einmal völlig homogen. Man sieht
deutlich Körner mit Olivin-Polarisation und Sprünge
Sa kg ee AP
sogar Spuren eines Blätterbruchs. Die Zwischengänge nach
der Seite, wie nach oben hören auf. Die Aragonite sind noch da,
. aber statt der Astsysteme nur Risse rund um die Aragonitkörner,
von derselben milchweissen Masse ausgefüllt, aus welcher in 3.
die Astsysteme bestehen.
II. Handstück der Tübinger Universitäts-Sammlung. 50 mm.
lang, 40 mm. breit:
1—10 mm. Serpentin mit Chrysotilschnüren wechselnd;
10—25 mm. Serpentin wie bei L., 25—28 mm. ein breiter
Kalkstreif- (Band), 29—40 mm. Serpentin mit Kalk wechselnd
in nahezu parallelen Streifen wie bei I. Von der Seite gesehen
liegen die Bänder in schräger Linie, das Gestein setzt sich also
wahrscheinlich aus wellenförmigen Lagen zusammen.
Der Kalk ist wasserhell bis milchweiss.. Es sind beide.
Farben in Streifen neben einander. Die Blätterbrüche sind deut-
lich sichtbar. Der Aragonit bildet kleine Puncte. Die übrigen
10 mm. Körner-Structur.
Der Chrysotil fällt im polarisirten Licht sofort in die Augen;
es genügt übrigens, einen rauhen Anschliff zu machen, dann
ragen die weissen Nadeln über die Grundmasse vor. Unter dem
Mikroscop finden sich diese Chrysotilschnüre fast überall an den
Rändern des Serpentins, ebenso aber auch im Kalk an der Be-
rührungsstelle mit dem Serpentin meist senkrecht gegen beide.
III. Handstück der Tübinger Universitäts-Sammlung. Ge-
schenk an dieselbe von Dr. v. Hochstetter. 100 mm. lang,
60 mm. breit. Hat an einem Ende eine runde Serpentinstelle.
Dieser Kreis ist von Wechsellagern von Serpentin und Kalkstreifen
umgeben. Auf der entgegengesetzten Seite ist ebenfalls eine
solche runde Stelle. Zwischen beiden ist ein hellerer Streifen
(mehr Kalk) gebogen, so dass das Weisse wie ein Fragezeichen
aussieht. Am Ende Dolomit. Spec. Gewicht wahrscheinlich wie 1. 3.
In diesem Stücke sind in den Serpertingängen Kalk-
stücke. Mehrere Ast- (Canal-) Systeme sind schon bei 25-
maliger Vergrösserung zu sehen, bei einigen lässt sich deutlich
wahrnehmen, dass sie ihren Ausgangspunkt von einem einge-
sprengten Aragonite nehmen.
— 112 —
Was an diesem Stücke besonders auffällt, ist, dass der Kalk
nur in kleinen Flächen Lagen mit Astsystemen bildet: der bei
weitem grösste Theil ist körnig mit deutlicher Fluidal-
Structur, welche nur Folge eines starken Druckes sein kann.
In Folge dessen sind auch die Schichten in kugelförmige Massen
zertheilt und vermischt. An manchen Stellen finden sich im
Kalk schwarze Puncte. Sie sind höchstwahrscheinlich Graphit.
Für alle 3 Stücke gilt Folgendes:
Der Serpentin ‘entstand unzweifelhaft aus Olivin, welcher
in eine noch weiche Kalkmasse gelangte. Wo die Zersetzung
ruhig vor sich geht und kein Druck eintritt, wird der Serpentin
anfangs die Form des Olivins nahezu behalten, bei weiterer Zer-
setzung aber wird das weiche Korn schon in Folge des von
der überlagernden Masse ausgeübten Drucks zunächst platter ge-
drückt. Bietet sich kein Ausweg oder findet von den Seiten
ein Gegendruck statt, so werden sich Walzen mit elliptischem
Durchschnitt bilden, bei weiterem Druck endlich Schichten (Lagen)
in der Kalkmasse. Wenn nun aber, wie bei Handstück II. un-
gleichmässiger Druck eintritt, müssen die Lagen zertheilt, zer-
rissen werden, die Theile aber werden nun, wenn sie erhärten,
in ihrem Durchschnitt Körnerstructur zeigen. — Es kann davon
keine Rede sein, dass die Kalk-Zwischenmasse vor dem Serpen-
tin verhärtet oder auch nur da gewesen wäre, sonst wäre die
Fluidalstructur nicht mehr erklärlich.
Die Astsysteme sind von sehr verschiedenem Durchmesser,
verschieden ferner hinsichtlich ihrer Vertheilung und Form., Sie
bestehen aus Kalk. Nirgends sieht man eine. Einhüllung etwa
wie Muschelsubstanz um sie herum, vielmehr verschwimmen sie
sogar mit ihrer Umgebung.
Weiter wurden untersucht:
IV. Serpentinkalk vom bayerischen Wald. Es fol-
gen sich Kalk, Kalk mit Graphit, Kalk mit Serpentin, körnig
wie in IIl., Serpentin, Kalk mit Serpentin, Kalk mit Graphit.
Deutliche Chrysotillagen um die Serpentinkörner. Keine Spur
von Astsystemen.
— 143 —
V. Serpentinkalk von Krummau (Böhmen) von Prof. Dr. v.
Hochstetter. 1. dessgleichen mit Säure behandeltes Stück.
Durch schwarze Einschlüsse ist der wasserhelle Kalk grau
gefärbt; eine grössere vielfach zertheilte Serpentinlage. Der
Serpentin ist mit einer Chrysotilschichte umhüllt, die sich als
feine weisse Linie darstellt.
Keine Astsysteme.
VI. Eines weiteren Serpentinkalks werde ich unten erwäh-
nen.
Es wurden alle zu Gebot stehenden Serpentinkalke, insbe-
sondere von Elba, Lissiz, untersucht. So ähnlich letzterer den
obigen II ist, keine Spur der Astsysteme, wohl aber die Chryso-
tilschale. Hinsichtlich letzterer verweise ich auf Draschke in
Tschermack mineral. Mittheilungen 1871. Heft 1. 8.1.
Ferner wurden etwa 30 Serpentine von den Afterkrystallen
vom Snarum bis zum reinen Sedimentgestein, endlich alle zu
Gebot stehenden Urkalke untersucht, und zum Schlusse etwa 20
Gneisse. In dem vom Montblanc fand ich die Astsysteme
wieder.
IV.
Ich hielt es für das einfachste bei der Beschreibung des
Eozoon-Gesteins, wenn auch nicht den Entdecker desselben, so
doch den ersten Erforscher reden zu lassen.
Seiner Darstellung des Zo2oon c. ist nicht mehr viel bei-
gefügt worden. Gümbel wollte noch Warzenansätze gefunden
haben. Max Schultze theilt mit, dass nach Glühen des Ge-
steins die Astsysteme sich schwarz gefärbt haben; er schliesst
daraus, dass der Inhalt derselben organischer Natur gewesen sei.
Ich könnte nur Bekanntes wiederholen, wenn ich den Stand
der Streitfrage hier wiedergeben wollte. Eine eingehende Dar-
stellung der entgegengesetzten Meinungen giebt Zirkel (Dr. Fr.
Zirkel, die mikroskopische Beschaffenheit der Mineralien und
Gesteine, Leipzig 1873. S. 313.). Was Max Schultze betrifft,
so verweise ich auf die Verhandlungen des naturhistorischen
| Eeretub der reicher Rheinlande a we Ai B°
gang, S. 164., leider eine unvollendete Arbeit des berühmte
Forschers.
Es bestehen hienach zwei Meinungen. Die eine vertheidigt
die organische Natur des Eozoon, die andere bestreitet sie.
5 Die erstere stützt sich auf analoge Thatsachen im Thierreich,
im vorzeitlichen und lebenden. Die letztere glaubt, ebenso
. Analogien für die Annahme eigenthümlicher Gesteinsbildungen an-
führen zu können. Wenige lassen die Frage offen.
"ar Ich glaubte folgenden Weg der Forschung einschlagen zu
% müssen. 4
Be ; Ich stellte mir den Satz voran, dass für jeden. Theil eines :
Be: Gesteins die Vermuthung blosser Gesteinsbildung spricht. 2
Wird die organische Natur eines Theils des Gesteins behauptet,
macht, bis zum vollen Beweise des Gegentheils bleibt die Ver-
muthung in Kraft. r
Nun steht man aber in unserer Frage sofort vor einer N
grossen Schwierigkeit. Welches sind die Merkmale eines orga-
nischen Wesens? Dieselbe Bildung, insbesondere dieselben Bil-
dungen zusammen, — das gestehen Carpenter und Genossen
zu, — finden sich weder unter den ausgestorbenen noch leben-
den organischen Wesen: vielmehr wird zugegeben, dass die ein-
‘zelnen Theile der Zogoon-Gebilde sich nur an verschiedenen
Arten von Foraminiferen wieder finden.
Schon dieser Umstand macht die Beweisführung höchst be-
_ denklich. Zu dem kommt aber die weitere Thatsache, dass der
Zoologe, und gerade der beste, am wenigsten geneigt und a
Ende auch im Stande ist, die sämmtlichen vorhandenen Gesteins-
bildungen zu kennen und ebensowenig sie zu prüfen. Die Lage
des Geologen ist desshalb eine ungleich ungünstigere. Ihm sieht
man das Beweismaterial kaum an Bu wenn auch, so ist es
so liegt auf demjenigen die Beweislast, welcher letztere geltend i
2
Be
Ber >?”
Ber
besonders wenn es sich um bs Mikroscop handelt, in die Wage R
zu werfen. N
RTLED I
Die Stellung beider kann nur dadurch gleich gemacht wer-
den, wenn man zugiebt, dass blose Analogie den Beweis des
organischen Ursprungs des Zozoon zu führen nicht im Stande
ist, dass ferner kein Theil des angesprochenen Organismus als
blosse Gesteinsbildung sich wieder finden darf. Erst wenn alle
wesentlichen Merkmale der Foraminifere, und zwar jede für sich,
keine blosse Gesteinsbildung sind, ist der Analogienbeweis wenig-
stens zu hoher Wahrscheinlichkeit gebracht. Wird aber nur
bei einem die unorganische Natur nachgewiesen, so bricht die
Beweiskette.
Aus dem Allem schon ergiebt sich der Weg der Forschung
mit Nothwendigkeit. Es müssen sämmtliche vorhandene Serpen-
tinkalke (Ophicalcite), es müssen ferner sämmtliche Serpentine
und Urkalke für sich, und dann müssen unter Umständen auch
noch die in den Serpentinkalken vorkommenden Mineralien nach
ihrem Wesen und ihren Beziehungen zum Serpentinkalk unter-
sucht werden. Wenn dies geschehen, öffnet sich dem Geologen
aber erst ein grosses Feld. — Jetzt fragt es sich, kommen die
Eozoon-Bildungen überhaupt noch in einem andern Gestein vor,
oder nicht, sei es alle Merkmale zusammen, oder einzelne wenig-
stens? Daraus erwächst für ihn die Pflicht, sämmtliche Urge-
steine, sämmtliche metamorphische, ja sogar die Gesteine des
Flözgebirges auf ‘ diesen Punct mikroskopisch zu untersuchen.
Ich habe den vorgezeichneten Weg durchlaufen und dann erst er-
laubte ich mir ein Urtheil über die geltend gemachten zoologischen
Beweisthatsachen. Ich werde in Folgendem zuerst die Kritik
der geologischen, dann der mineralogischen und zuletzt der ‚zoo-
logischen Thatsachen vornehmen.
l. Die geologischen Thatsachen.
Die Eozoon-Gebilde finden sich in linsen- oder kugel-
- förmigen Knollen von Serpentinkalk im Kalk der Laurentian-
schichten von Canada. Es gehören die Kalke zu Gneisschichten,
dem frühesten Flözgesteine. Es sind blos Einschlüsse. Sind
sie in den Kalk blos eingebettet also vorher, oder sind sie zu-
|
|
gleich mit ihm entstanden? Diese Frage lässt sich blos an
Württemb. naturw. Jahreshefte. 1876. 10
h
i
ARE NEE SE
— 146 —
Ort und Stelle entscheiden. Wahrscheinlicher ist es, dass sie
als fertige Knollen erst eingebettet wurden, nothwendig ist es
nicht. — War die Serpentinmasse, wie sie es zur Zeit der
Eozoon-Bildung sein musste, noch im flüssigen Zustande, so
musste sie auch sonstige Höhlen im Kalke vorfinden und diese
ausfüllen. Von solchen Höhlen wird nichts berichtet. Daher ist
die erstere Annahme wahrscheinlicher.
Nicht blos in Canada, sondern an den verschiedensten Orten
der Erde soll sich das Eozoon finden. v. Gümbel will es im
bayerischen Wald, v. Hochstetter in Böhmen (Krummau) ge-
funden haben, Pusgrewski in Finnland. Ich habe von den
Handstücken beider Erstgenannten untersucht, und keine Zozoon-
Bildungen, wenigstens nicht alle angegebenen Merkmale zusam-
men darin gefunden. In diesen und einer grossen Anzahl Ser-
pentinkalke fanden sich überall die Wechsellager von Serpentin
und Kalk, aber nirgends die sog. Astsysteme des Canadischen
Eozoon. |
Auf diese aber lege ich nach den weiter gewonnenen Re-
sultaten den grössten Werth. Wo diese Astsysteme nicht vor-
kommen, da ist, — ich muss dies sofort erwähnen, — auch
keine Spur von Wahrscheinlichkeit für eine organische Bildung.
Nach einer Mittheilung von King und Rowney finden sich
Ophicaleite sogar im Lias von Schottland.
Aus Vorstehendem geht hervor, dass man schon bei der
Frage: ob überhaupt Eozoon-Bildungen vorliegen, vorsichtig und
zu allererst völlig darüber sich klar sein muss, welches die
wesentlichen Merkmale des Eozoon sind. Legt ein Forscher
den Nachdruck auf die Kammern oder abwechselnde Serpentin-
und Kalkschichten, so wird er überall #ozoon-Bildungen finden,
wo Serpentin vorkommt. Ich habe solche Stücke aus Erzlagern.
Ich habe ein Serpentinkalkstück, wo die beiden Schichten ganz
in derselben Form, wie sie in Canadischen Stücken 1,5 mm.,
so hier 2 cm. dick auftreten.
Ich habe zunächst die Serpentinbildung zu erwähnen.
Der Serpentin ist nicht ein ursprüngliches Gestein, sondern ein
metamorphisches. Bekanntlich giebt es kein Gestein, welches so sicher
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Kenkad Me he . a N ) Y 1
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das Ergebniss einer Gesteinsumänderung ist und von so vielen Ge-
steinen abgeleitet werden kann, als der Serpentin, es zeigt Gustav
Rose, dass er aus Augit, Hornblende, Pyrop, Spinell entstehen
kann. Am massenhaftesten entsteht er wohl aus Olivin und zwar
durch Hinzutritt von Wasser. Ueberall aber findet ergsich in
Begleitung von Kalk, und so kann auch die Wechsellagerung
von beiden nicht im Mindesten auffallen.
Ich habe eine Unzahl Serpentine untersucht, und überall ge-
funden, dass sie Umwandlungsproducte sind.. Man nehme die
Snarumer Afterkrystalle nach Olivin, an deren Deutung zuerst
- Prof. Dr. v. Quenstedt seine Meisterschaft bewährt hat. Hier
liegen in dem Olivinkrystall, der nun Serpentin ist, noch unzer-
setzte Olivin-Kerne. Die Krystallform ist stehen geblieben, der
Olivin durch Hinzutritt von Wasser in Serpentin verwandelt.
Die Basalte der schwäbischen Alb (insbesondere die von
Eisenrüttel) bieten in jedem Handstück das deutliche Bild der
Serpentinisirung des Olivins.. Der Karfenbühl bei Dettingen ist
zum grossen Theile solcher Serpentin. Auch in dem canadischen
Serpentinkalk sind neben Kalkstücken Olivinkerne im Serpentin
nachgewiesen. Damit wäre natürlich sofort die Füllmasse der
Kammern als eine Unmöglichkeit weggefallen, allein es liess
sich einwenden, dass dort die Olivinkerne nicht ganz sicher sind,
und die in ihrem Durchschnitt wurmförmigen Serpentinbänder
sich doch nicht so leicht erklären lassen.
Nun war ich am Schluss meiner Arbeit so glücklich, zwei
Serpentinkalksandstücke zu bekommen, welche jeden Zweifel
heben. Ihr Fundort ist mir unbekannt, doch das thut nichts zur
Sache: sie sind keinenfalls aus Canada.
Diese Handstücke zeigen in ihrem inneren Theile ganz die-
selben Serpentinlagen, wie die Canadischen, im Durchschnitt ganz
dieselben Kammern. In der Mitte der Kammern aber sind die
noch prachtvoll (roth und grün) polarisirenden Olivinkerne.
Im Gestein, wo die Zersetzung nicht so weit vorgeschritten ist,
4 liegen noch rund, ovale, kantige Stücke und zuletzt fand ich
’ noch Krystallflächendurchschnitte und die Olivin-Winkel.
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Dass also der Olivin hier die Serpentinmutter ist, ist zwei-
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—. 148 —
fellos — aber es ist zugleich erwiesen, wie die Zersetzung des
Olivins vor sich gieng. Der Olivin verwandelte sich von
aussen in eine gallertartige Masse. Es geschieht dies bekannt-
lich felderweise und daher hat der Serpentin, da sich an den
Gränzen der Felder Chrysotilschnüre bilden — hintendrein das
Ansehen von. Kammern.. Die Zersetzung kann so stückweise
und durch alle Stadien bis zu der Bildung der canadischen Stücke
verfolgt werden. Die Gallertmasse polarisirt nicht mehr, erst
die nenugebildete Serpentinmasse polarisirt in der Weise, wie alle
Aggregatgesteine; es hat eine neue Krystallbildung begonnen.
Es lässt sich also in den beiden Handstücken die Serpen-
tinbildung nach der Gestalt, die sie annahm, verfolgen, ent-
sprechend die Einwirkung des zersetzenden Wassers vom einge-
betteten noch vollständig erhaltenen Olivinkrystall mit deutlichen
Sprüngen bis zur (einst flüssigen) Serpentinmasse. — Man
denke sich nun die Olivinkrystalle allmählig in Gallerte verwan-
delt. Letzere musste sich gleichmässig in der ebenfalls noch
weichen Kalkmasse lagern, folglich — rund werden. Nun ge-
nügte der leiseste senkrechte Druck, um den Gallertkugeln die
Walzen- oder die Linsenform zu geben, immer wird ihr Durch-
schnitt eine Linie sein, wie die des canadischen Eo0200n-Gesteins.
Auch finden sich die Zwischengänge. Weiter findet sich über-
all am Serpentin stellenweise an der Berührungsstelle mit dem
Kalke die „Haut“ oder Asbestschicht d. h. eine krystallisirte
Schichte mit Nadeln.
An den vorliegenden Handstücken also ist erwiesen, dass
aus Olivinkrystallen die Kammern, die Zwischengänge und die
Haut der „Riesenforaminifere“ entstanden, sie also reine Ge-
steinsbildungen sind.
Aehnlich habe ich es sogar im canadischen Pästeine beob-
achtet. Nur sind die Olivine dort nicht mehr so frisch, wie in
diesen. Da aber die Serpentinmasse in ganz gleicher Form wie
dort an der Aussenseite des Handstückes sich findet, so ist der
Schluss, dass beide ursprünglich in gleichem Zustand sich be-
fanden, ein durchaus berechtigter.
Die Kalkschichten finden sich in Serpentingesteinen, die.
— 149 —
sicher keine FEozoon-Gebilde enthalten. Dafür, dass sie ihre
Entstehung einer Foraminiferen-Schale verdanken, spricht gar
nichts.
Jetzt wird die Frage aufgeworfen werden: Finden sich auch
die Astsysteme des canadischen Gesteins in den beiden Hand-
stücken? Nein; mit Ausnahme einer Stelle in einer grünen
Masse, die nicht polarisirt. Möglich wäre es jedoch, dass die Masse
von Kalk über- oder unterlagert wäre und dass das Astsystem
im Kalk sich befände. Allein gerade diese Stelle zeigt auch
die wasserhellen Punkte, eingesprengten Aragonite, an welche
nach meiner Beobachtung auch bei dem canadischen Gestein
stets das Vorhandensein der Astsysteme gebunden ist. Im gan-
zen übrigen Gesteine der Dünnschliffe ist kein Aragonit und kein
Astsystem.
Ziehen wir nun die nächsten Schlussfolgerungen:
Bei der Ausscheidung des Aragonits aus dem Kalke blieb
Wasser oder irgend eine andere noch kalkhaltige Flüssigkeit zu-
rück. Diese drang bei vorhandenem Druck in die weiche Kalk-
masse ganz in derselben Weise, wie jede Flüssigkeit in eine
andere dichtere eindringt, in Verästelungen.
Man könnte dies als Hypothese ansehen, obgleich die Er-
klärung sehr nahe liegt. Man darf entgegnen, dieser Vorgang
müsse sich doch auch sonst wiederholen.
Nun gelang es mir aber weiter im Gneis vom Montblanc,
vom Schwarzwald, ja sogar im Syenit vom Plauen’schen Grunde
(Sachsen) und im Syenite des Schwarzwalds überall diese Ast-
systeme nachzuweisen. Ich habe in etwa 30 Dünnschliffen
dieselben bei gekreuztem Nicol beobachtet. Nur so
kommen sie im durchsichtigen Feldspath und Kalk zur Er-
scheinuing — so aber in einer Schönheit, wie bei den Cana-
dischen.
Hiemit ist auch von dieser Seite durch Nachweis einer ganz
gleichen Erscheinung in anderem Gestein für die Astsysteme
eine Erklärung gefunden.
Und so ist das letzte Merkmal der „Riesenforaminifere*
weggefallen, ein Merkmal, welches übrigens allein den Beweis
Er 2
fi hir Bu
— 150 ° —
der organischen Natur der Zozoon-Gebilde nicht zu erbringen
im Stande wäre.
Ich könnte hiemit schon meine Arbeit schliessen. Allein
ich will den Gegenbeweis und seine Begründung auch nicht im
kleinsten Theil schuldig bleiben. Ich gehe daher über zu
2. Den mineralogischen Thatsachen.
In die Bildung der canadischen Zozoon-Serpentine theilen
sich auf den ersten Anblick blos 3 Mineralien: Bitterspath, Ser-
pentin und Kalk.
Bei näherer Untersuchung fanden sich aber noch weitere
Minerale:
Nro. II. hat oben einen 7 mm. breiten Chrysotilstreifen,
der sich im Serpentin mehrfach wiederholt. Sobald ich nun die
Fläche der Platte etwas rauh anschliff, so zeigt sich ein silber-
glänzender Faden überall um die Serpentinbänder, der nicht
blos Asbestartig, sondern wirklich Asbest, nämlich Chryso-
til ist.
Ausser Chrysotil findet sich Aragonit in eingesprengten,
wasserhellen Körnern, sogar in 6-seitigen Säulen.
Den Aragonit umgiebt dieselbe Masse, welche die Ast-
Systeme bildet; sie ist weiss im auffallenden,. braun im durch-
fallenden Lichte. Mit Säure behandelt löst sie sich zugleich
mit dem Kalk. Wären die Astsysteme in Verbindung mit
den Kammern und wie Carpenter meint, von diesen aus mit
Serpentinmasse injieirt, so würden sie sich in Säure über-
haupt nicht lösen, so müssten sie Serpentin sein, Serpentin-
farbe und Polarisation zeigen. Wo Serpentinkörner sind, zieht
sich dieselbe weisse Masse in die das Serpentinkorn rings um-
gebenden Kalk-Sprünge. Erst in den Wechsellagern sind die
Astsysteme im Kalk und häufig lässt sich ihr Ursprung an den
eingesprengten Aragonitkörnern deutlich auffinden.
Hieraus ergiebt sich für die Bildung des Gesteins Fol-
gendes:
Die Serpentin-Körner waren ursprünglich Olivin. Bei
ihrer Zersetzung quollen sie auf und zersprengten daher den
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et) J x N NESEN R 0 e v
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_ Kalkumhüllung — von Röhrenform, vielmehr ist das Bild das
a 13 EHE
umliegenden Kalk, wobei die flüssige weisse Kalkmasse in die
Risse eintrat. Wo aber die Kalkmasse noch weich war, als die Ser-
pentinmasse darin aufquoll, drückte entweder die sich ausdeh-
nende Serpentinmasse selbst die weisse Kalkflüssigkeit in den
Kalk, dann bildeten sich die Astsysteme; oder aber erfolgte ein
Druck auf die ganze Masse, dann trat dieselbe Wirkung ein,
nur die nächste Ursache war eine andere.
Es ist unzweifelhaft ein Druck entweder von innen durch
die sich zersetzenden Olivinkörner, oder von aussen auf die
ganze Masse, welche die Astsysteme hervorbrachte. Dies be-
weist auch ihre Gestalt. Einmal sind dieselben in ihren An-
sätzen ganz regellos. Wo sie etwa in einer Spirallinie ansetzten,
ist dies dem Umstand zuzuschreiben, dass eben die Kalklage
schon, aus welcher sie entsprungen, eine kreis- oder spiralförmige,
durch Druck hervorgebrachte Lage hat, wie dies Handstück IIL
zeigt. Das ist aber Zufall. Gewöhnlich sind sie regellos in
ihrer Lage, Stellung und Form. Ich habe einen solchen Ast
bei 750-maliger Vergrösserung beobachtet. Keine Spur von
eines Risses — der Ast ist ganz unregelmässig, bald dicker, bald
dünner, vor- und rückwärtsgezackt.
Zum Schlusse habe ich noch . hinsichtlich des Kalkes eine
Bemerkung zu machen. Derselbe besteht wie alle Urkalke aus
einzelnen Individuen, welche durch ihren Blätterbruch und eine
Linie sich deutlich von einander abgränzen, im polarisirten Lichte
vollends wegen ihrer verschiedenen Lage durchaus sich als In-
dividuen zeigen. Manche Individuen haben die durch Druck
entstandenen Zwillingsblätterdurchgänge. Ich habe
_ hier auf die Entdeckung des Herrn Prof. Dr. v. Reusch zu
brachte. Diese Erscheinung deutet schon auf einen gewaltigen
verweisen, welcher durch Schlag die Blätterdurchgänge hervor-
Druck, den die Masse nach ihrem Festwerden erlitt. Eigen-
f
thümlicher Weise finden sich keine Astsysteme in den Kalkindi-
viduen mit Zwillingslamellen. Auch dehnt sich ein Ast-
system gewöhnlich nicht über ein Kalkindividuum
'aus. Dies erklärt sich einfach. Nur in ein noch weiches In-
— 12 —
dividuum konnte die Flüssigkeit eindringen: so musste sie schon
an dem nächsten etwas mehr erhärteten eine Gränze finden.
Nicht übersehen darf es werden, dass die Aeste da wo sie an
die Serpentinmasse oder ein Nachbar-Individuum anstossen, dicker
werden, und wie mit einem Knoten endigen, der sicherste Beweis
für eine nachdrängende, hier sich aufstauende Masse.
Die Astsysteme finden sich nur da, wo die Serpentinmasse
lang gestreckt, durchaus gelblich durchsichtig ist, also nur da,
wo die ganze Masse sichtlich vollständig metamorphosirt, erweicht,
ja in einem breiigen Flusse und schon in diesem Zustande ge-
presst war, denn nur so konnten sich die ursprünglichen Olivin-
formen in Serpentinlagen verwandeln. So erklären sich auch
die senkrechten Linien, in welchen die Serpentinschichten an eine
schmale Kalkschicht seitlich anstossen.
So bleibt denn für
3. Die zoologischen Thatsachen
nicht mehr viel übrig.
Werfen wir einen Blick auf die bisherigen Resultate, so haben
wir für jeden Theil des Eozoon
die Kammern, die Wände mit Stollen, die Haut, die
Zwischenmasse mit grossen Durchgängen, sowie die
Astsysteme
nicht nur eine zureichende geologisch-mineralogische Erklärung,
sondern auch dieselben Erscheinungen in Gesteinen, wo Niemand
von einer Eozoon-Bildung sprechen wird, es müssten denn nur
die Astsysteme im Gneis für sich schon für organischen Ursprungs
erklärt werden. Ich gestehe, ich war im Augenblick zweifelhaft,
ob sich nicht vielleicht für diese Bildungen im Gneis eine Ana-
logie in den Spongien finden liesse. Ich musste aber auf den
schönen Gedanken verzichten, nachdem ich erkannte, dass die
Astsysteme aus Quarz bestanden, der den Feldspath durchdrang.
Hier möchte ich diese noch nie beobachtete Erscheinung übrigens
der weiteren Prüfung empfehlen: ich glaube, dass sie ein neues
Licht auf die Entstehung des Gneises wirft.
Gewiss trägt es nicht zur Sicherheit der Schlussfolgerung
j
2
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— 13 —
bei, wenn man zu dem organischen Wesen, welches gefunden
sein soll, durchaus kein ganzes Analogon und zu seinen einzelnen
Theilen wieder keinen wenigstens ganz gleichen Theil an einem
andern Wesen findet. Polythrema ist regelmässig. — Mit den
Acervulinen, zu welchen Max Schulze das Eozoon ordnet, hat
es nichts gemein, als die — Unregelmässigkeit, in solchen
Dingen eine Aehnlichkeit von sehr zweifelhaftem Werth. Die
Calcarinen haben ganz regelmässig geordnete Astsysteme. Nicht
wenig trug der Umstand zur Verwirrung bei, dass unsere Zoo-
logen eben ganz andere Präparate gewohnt sind, als Gesteine,
und die vorgefasste Meinung haben, als könne jede irgend sym-
metrische Bildung nicht mehr unorganisch sein. Ich verweise
nur auf das mikroscopische Bild des Pechsteins von Arran.
Kein Gestein aber trügt hier mehr als der Serpentin. Diese
grünlichgelbe durchsichtige Masse mit dem eigenthümlichen,
zitternden Lichtglanz (von wasserhellen Krystallen) sieht der
Sarcode so täuschend ähnlich, dass man es einem Zoo-
logen nicht übel nehmen darf, wenn er sich von dem beim
ersten Blicke sich aufdrängenden Gedanken nicht mehr loszu-
reissen vermag. Kommt nun zum Unglück die wurmförmige
Gestalt dazu, ist die Sarcodemasse noch von einer Asbestschicht
umkleidet usd sieht man endlich auch noch „Zahnsubstanz* und
Canal- oder Astsysteme — dann ist es zu viel. Kann es da
wundern, wenn ein Anderer auch noch gar Warzenansätze findet?
Und doch nichts als Täuschung. Ein nur geringer Grad von
ruhiger Beobachtung würde sofort zur Wahrheit zurückgeführt
haben. Es müsste nämlich der Beobachter an der Einen That-
sache schon stutzig geworden sein, nämlich daran, dass die Ast-
systeme nicht aus Serpentinmasse bestehen; dies aber hätte
ein Blick in’s Mikroscop bei polarisirtem Licht sofort gezeigt.
Die Astsysteme durchdringen immer die Kammerwände der Oper-
culinen. Hier keine Spur: vielmehr eine durchaus verschiedene
Füllmasse in beiden. — Ja ein einziges Olivinkorn oder Kalkstück-
chen in einer Zozoon-Kammer müsste doch billig die Frage
herausfordern, wie soll ein Olivinkorn in eine Foraminifere kom-
men? Man würde bei genauer Beobachtung ferner ganz für
” 5 - Par 2/5 A j E mE
a 3 A a er ae FE ET a BE 1 Tyan ©. SE ng =" 20
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—'.154 —
sich bestehende Kammern gefunden haben, d. h. Körner. Auch die
Schale von Chrysotil ist nicht regelmässig vorhanden, wo sie
vorhanden, für den Geologen nicht zu verkennen. Allein an
dieser Schale begegnete den Zoologen sogar eine Täuschung
des Auges.
Die Serpentinmasse nämlich ist immer rund. Wird eine
Kammer irgend wie geschnitten, ausser genau äquatorial, so
überragt natürlich die Kalkmasse die Serpentinmasse, es blickt
eine durch die andere durch, die innere Schnittkante projicirt
sich nun als Linie auf der Schnittfläche und so erscheint, vollends
wenn Asbestnadeln am Kalkrand sitzen, und theilweise hervor-
stehen, eine Schale. Von der Täuschung kann man sich bei
Einbuchtungen der Serpentinmasse leicht überzeugen, ebenso an
reinen Aequatorialschnitten.
Chrysotilschichten sind in jedem Serpentin zu finden. Die
Serpentinverwitterung geht abtheilungsweise vor sich und daher
die täuschenden Wände.
Wie sollte, musste man sich weiter fragen, ein Astsystem
vor einem Krystallindividuum Halt machen? War nämlich die
Kalkschale ursprünglich da, so mussten die Astsysteme dieselbe
nach dem Gesetz des organischen Baues durchdringen. Trat
später Krystallbildung oder irgend ein Umstand, welcher die
Astsysteme zerstörte, ein, so änderte dies an der ursprüng-
lichen Anordnung der Astsyteme nichts — sie konnten
höchstens stellenweise und zwar in einzelnen Krystallindividuen
verschwinden, mussten aber in dem nächsten Individuum sich
fortsetzen. Allein von all dem nichts. Vielmehr sind
die einzelnen Systeme eben in Krystall-Individuen vollständig
eingegränzt, woraus hervorgeht, dass die Krystall- ja die Kalk-
masse früher da war, als das Astsystem. Diese Krystall-
Individuen sind nur Anfänge der Krystallbildung. Und endlich
muss man fragen: warum Astsysteme nie in Zwillingskrystallen?
Aus dem einfachen Grunde, weil diese schon härter als die an-
dern Theile noch weich waren.
Als letztes will ich noch erwähnen, wie unwahrschein-
“
2:
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—rlasn
lich die Erhaltung der Bildungen in dem Gesteine war, das
solch deutliche Spuren der erlittenen Gewalt an sich trägt.
Ich denke, dass nach diesen Feststellungen das Zozo0on
nach kurzem aber schönem Dasein begraben wird. Es war eben
ein Morgenröthethier.
Zum Schlusse sage ich meinem verehrten Lehrer Herrn
Prof. Dr. v. Quenstedt in Tübingen und Herrn Dr. v. Hoch-
stetter in Wien meinen verbindlichsten Dank für die Libera-
lität, mit der sie mir Material für meine Untersuchungen gegeben
haben.
Auch kann ich nicht unterlassen, die vorzüglichen Gesteins-
Dünnschliffe des Herrn R. Fues in Berlin zu empfehlen.
Meine Untersuchungen habe ich mit einem vorzüglichen
neuen Hartinack’schen Instrumente (VII A) und einem eng-
lischen von Baker in London gemacht.
Im Oktober 1875.
Ueher den Einfluss der Abkühlung unsres Planeten auf die
Gebirashildune,
ein Beitrag zur geologischen Dynamik,
von G. Wepfer, Hüttenassistent in Wasseralfingen.
Das Problem von der Entstehung der Gebirge hat seit je-
her das Interesse der Geologen auf ‚sich gezogen. Anfangs
der 30er Jahre fanden zwei entgegengesetzte geologische Lehren,
welche auch zwei wesentlich verschiedene Hypothesen über die
Gebirgsbildung zu Tage förderten, in Frankreich und England
zwei geistreiche Vertreter in den beiden Geologen Elie de
Beaumont und Karl Lyell, so dass es ihren Fachgenossen in
der That schwer fallen musste, sich für die eine oder die
andere Lehre zu entscheiden; der französische Gelehrte E. d.
Beaumont vertheidigte die Lehre von den geologischen Kata-
strophen, während der Engländer K. Lyell für die Lehre von
der gleichförmigen Entwicklung der Erde eintrat. Im Jahre 1832
schrieb E. d. Beaumont an Alex. v. Humboldt seinen zweiten berühmten
geologischen Brief, über das relative Alter der Gebirgszüge *),
in welchem er Seite 5 die Ansicht ausspricht, dass das Phäno-
men der Aufrichtung der Gebirge nicht unausgesetzt und all-
mälig geschah, sondern plötzlich eintrat und von kurzer Dauer
war und fährt Seite 6 wörtlich fort:
„Vergebens hat man versucht, die Gesammtheit der in hohen
*) Poggendorffs Annalen, Bd. XXV. S. 1.
— 157 —
Gebirgen beobachteten Thatsachen durch die Wirkung der lang-
samen und continuirlichen Ursachen zu erklären, welche wir jetzt
auf der Erdoberfläche in Thätigkeit sehen.“
In diesem Ausspruche ist die Lehre von den geologischen
Katastrophen manifestirt. Ueber die allgemeine Ursache, welche
die Aufrichtung der Gebirge bewirkt hat, ist er in vollkommener
Uebereinstimmung mit Alex. v. Humboldt und schreibt sie tref-
fend dem Einflusse zu, den das noch geschmolzene Innere unseres
Planeten in den verschiedenen Stadien seiner Erkaltung auf seine
äussere Hülle ausübt. Dieser allgemeinen Fassung der hypo-
thetischen Ursache der Gebirgsbildung werden auch die meisten
Geologen der Gegenwart beistimmen, dagegen gibt uns E. d.
Beaumont noch eine specielle Erklärungsweise des Vorgangs der
Hebung der Gebirge, welche heute mehr oder weniger ver-
lassen ist. E. d. Beaumont überträgt die in seinen Augen „un-
gemein glückliche* Weise, auf welche Leopold von Buch aus
der Annahme einer Wölbung des Bodens die Bildung der Spal-
tungsthäler herleitet, auf die Bildung der Bergketten. Er geht
davon aus, dass die Säkular-Erkaltung unseres Planeten ein Ele-
ment darbietet, auf welches sich die ausserordentlichen Vorgänge
der Gebirgsbildung beziehen lassen. „In einer gegebenen Zeit“,
schreibt er in dem oben erwähnten Briefe Seite 55, „vermindert
sich die Temperatur des Inneren unseres Planeten weit beträchtlicher,
als die seiner Oberfläche, deren Erkältung gegenwärtig fast un-
merklich ist. Die natürlichsten Analogien führen auf den Ge-
danken, dass die Hülle dieses Weltkörpers, ungeachtet der fast
vollkommenen Beständigkeit seiner Temperatur durch die Un-
gleichheit der in Rede stehenden Erkaltung in die Nothwendig-
keit versetzt werden muss, unaufhörlich ihre Capacität zu ver-
ringern, damit sie nicht aufhöre, sich genau -an die inneren
Massen anzuschliessen, deren Temperatur merklich abnimmt.“
Diese Verringerung der Capacität der starren Kruste, indem
letztere mit den sich zusammenziehenden innern Massen in steter
Berührung bleibt, liefert nach E. d. Beaumont eine vollständige
Erklärung von der plötzlichen Bildung der Runzeln und ver-
schiedenartigen Knorren, welche auf der äussern Erdkruste von
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— 138 —
Zeit zu Zeit entstanden sind und welche unsere Gebirge vor-
stellen sollen.
Unwillkürlich kommt mir bei dieser Darlegungsweise das
Bild vor Augen, das unter Umständen ein stark getrockneter
Apfel darbietet; in der That ist hier durch verhältnissmässig
starken Verlust an Feuchtigkeit der innern Massen die leder-
artige weniger Saft enthaltende Haut in die Nothwendigkeit ver-
setzt worden, ihre Capacität zu verringern, wobei sie in steter
Berührung mit ihrer Unterlage blieb, und woraus die bekannten
Runzeln und Falten entstehen mussten. Dieser Vorgang wird
aber, wie ich weiter unten ausführlicher darzulegen versuchen
werde, auf unsern Planeten nicht anzuwenden sein, da die
Wirkungen der Erkaltung unserer Erde ganz anderer Art sind
und theilweise in gerade entgegengesetztem Sinne sich äussern
werden. |
Setze ich vorerst voraus, was ich aber ausdrücklich für
nicht zutreffend halte, dass sich in einer gegebenen Zeit die
Temperatur des Innern unseres Planeten weit beträchtlicher ver-
mindert, als die seiner Oberfläche, so würde meiner Ansicht nach
in Folge der stärkern Zusammenziehung des innern noch flüssigen
Theils, eine theilweise Trennung der starren Hülle von der
flüssigen Unterlage und damit die Bildung von Hohlräumen unter
der festen Erdrinde eintreten, dagegen scheint mir höchst un-
wahrscheinlich, dass die Tendenz der Hülle „sich genau an die
innern Massen anzuschliessen“ so gross sein sollte, dass sie die
enorme Zusammenpressung der starren Rinde hervorrufen könnte,
welche zu jener Runzelbildung nothwendig wäre. Selbst unter
der Voraussetzung, dass die Erde im Innern nicht mehr flüssig,
sondern schon erstarrt wäre, dürften in Folge der hypothetisch
angenommenen stärkeren Abkühlung des Innern eher schalen-
förmige Loslösungen der inneren Parthien von den weiter nach
aussen gelegenen stattfinden, als dass die Contraction des
Innern eine Faltung und Runzelung des Äussern hervorrufen
könnte.
Abgesehen von dem Umstande, dass ich die stärkere Ab-
kühlung des Erdinnern im Verhältniss zu derjenigen seiner Kruste
A1aI
gar nicht für zutreffend halte, worauf ich später zu sprechen
komme, so scheint auch unter Voraussetzung der Richtigkeit
jener Abkühlungsverhältnisse die Ansicht E. d. Beaumonts nicht
haltbar zu sein; da sich anstatt jener Runzeln und Knorren,
welche unsere Gebirge vorstellen sollen, viel eher Loslösungen
der äussern Parthien von den innern und damit hohle Räume
unter der Erdkruste bilden würden.
Die andere geologische Lehre, welche derjenigen von plötz-
lich eingetretenen Katastrophen gerade entgegengesetzt ist und
insbesondere von K. Lyell dem englischen Zeitgenossen von E. d.
Beaumont, aufs eifrigste vertreten wurde, ist die Lehre von der
gleichförmigen Entwicklung der Erde. Im Jahre 1830 erschien
der erste Band von Lyells, „Prineipien der Geologie“, oder Ver-
such zur Erklärung der frühern Aenderungen der Erdoberfläche
durch „jetzt noch wirkende Kräfte.“ Lyell betrachtet es als
ein Verdienst jeder geologischen Untersuchung, wenn sie jeden
Unterschied zwischen der Intensität der früheren und der jetzt
noch wirkenden Kräfte ohne Weiteres verwirft.
W. Whewell characterisirt in seiner Geschichte der induc-
tiven Wissenschaften *) S. 693 die Folgen der Lyell’schen Epoche
mit folgenden Worten:
„Man gieng von der Voraussetzung aus, dass Erdbeben, wie
sie auch jetzt noch bestehen, im Laufe der Zeit und bei fortge-
setzten Wiederholungen, Wirksamkeit genug besitzen, um jene
der Vorzeit zugeschriebenen grossen Umwälzungen hervorzubringen,
und man zog daraus den Schluss, dass alle bisher aufgestellten
Hypothesen über bedeutende Aenderungen in der Energie der
Kräfte, die zu verschiedenen Zeiten auf der Erde gewirkt haben
sollen, unerwiesen und irrig sind.*
Obgleich Whewell von den Lyell’schen Ideen nicht voll-
ständig überzeugt ist, so gesteht er doch zu, dass wir uns von
einer Hinneigung zu Gunsten von solchen Kräften, die von den
gegenwärtig wirkenden in ihrer Art oder in ihrer Stärke ver-
*) Geschichte der inductiven Wissenschaften, deutsch von J. J.
v. Littrow. Stuttgart 1841. III. Theil. Geschichte der Geologie.
— . 160 °—
schieden sind, fernhalten sollen, und erblickt die wichtigsten
Mittel zu jedem weitern Fortschritte der Geologie in der eifrigen
Ausbildung der zwei untergeordneten Doctrinen dieser Wissen-
schaft, nämlich der Kenntniss geologischer Thatsachen und der
geologischen Dynamik.
In die soeben dargelegten zwei entgegengesetzten geologischen
Ansichten theilten sich die Fachmänner in den 30er Jahren.
Wie steht es nun heute nach einer mehr als 40 Jahre langen
intensiven und extensiven Forschung. Im Allgemeinen hat man
sich in der Gegenwart mehr den Lyell’schen Ideen hingeneigt,
dagegen die Hypothese von plötzlich eingetretenen grossartigen
Katastrophen verworfen. Speciell in der Lehre von der Gebirgs-
bildung ist es aber bis heute noch nicht gelungen, über die
Ursachen klar zu werden, welche gewaltig genug wären, um
die Gebirgszüge unseres Planeten so hoch über den Meeresspiegel
aufrichten zu können.
Man sieht sich genöthigt, sich über die wirksamen Ursachen
in möglichst allgemeinen, nicht genau bestimmenden Ausdrücken
auszulassen.
B. von Cotta spricht sich in seiner Kritik der Geologie *)
Seite 11 über diesen Gegenstand folgendermassen aus: „Die
Mehrzahl der Geologen ist der Ansicht, dass die Gebirgsketten
zwar das Resultat von Hebungen sind, dass aber diese Erhebun-
gen ganzer Gebirgsketten niemals plötzlich, sondern vielmehr
stets sehr allmälig eintraten.* Im Bezug auf die Ursache jener
Hebungen schreibt er Seite 10: „Nachdem man erkannt hatte,
dass die vulkanische Thätigkeit ein höchst wichtiges und allge-
meines Agens für die innere wie für die äussere Gestaltung des
Erdkörpers sei, indem dieselbe von jeher Eruptionen heissflüssiger
Gesteinsmassen, sowie mehr oder weniger locale Hebungen und
Senkungen veranlasst habe, schritt man in dieser Richtung über
alles Mass hinaus. Man gieng soweit, dass man für jede Störung
der Lagerungsverhältnisse irgend eine Eruptionsmasse als Ursache
*) Die Geologie der Gegenwart von Bernh. v. Cotta. IV. Auflage.
Leipzig 1874.
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5 suchte.“ Die Irrigkeit solcher Ansichten hat B. v. Cotta treffend.
dargelegt durch die „Geologie der Alpen als belehrendes Bei-
spiel.“ Er fasst seine Ansicht hierüber Seite 130 des ange-
- führten Buches mit folgenden Worten zusammen: „Die That-
sachen lehren, dass die häufigsten und grossartigsten Störungen
der ursprünglichen Lagerung keineswegs von dem Aufdringen
eruptiver Gesteine herrühren, sondern vielmehr von der auf- oder
absteigenden Bewegung ganzer Erdkrustentheile ohne Auswege
für die heissfiüssige Innenmasse. Ihre Ursachen waren aller-
dings innere vulkanische Reaktionen, nicht aber vulkanische
Durchbrüche.* Die Hauptursache aller geologischen Aenderungen
e schreibt er, und damit stimmen wohl die meisten Geologen mit
3 ihm überein, in letzter Instanz der Abkühlung unseres einst heiss-
H. flüssigen Planeten zu.
Ich will nun den Versuch wagen, diejenigen Kräfte näher
zu bestimmen, welche jenen vulkanischen Reaktionen des Erd-
_ innern gegen die feste Kruste ursächlich zu Grunde liegen, oder
_ mit andern Worten; versuchen, die Hebung der Gebirge auf eine
_ unser Causalitätsbedürfniss befriedigende Weise mit Hülfe der
geologischen Dynamik zu erklären.
Bei diesen Untersuchungen gehe ich von der Annahme aus»
_ für welche allbekannte Thatsachen sprechen, dass unsere Erde
zu einer gewissen längst entschwundenen Zeit sich in einem
deutenden Temperaturunterschiedes ihrer Masse gegenüber dem
sie umgebenden Weltraume durch Wärmeausstrahlung allmälig
= abgekühlt habe, bis Erstarrung der Oberfläche eingetreten sei.
Die Art und Weise wie diese Erkältung des Planeten nach be-
- kannten physikalischen Gesetzen vor sich gegangen sein wird,
soll zunächst der Gegenstand folgender Betrachtung bilden. Da
_ wir uns über denjenigen Aggregatzustand, welcher dem feuer-
_ flüssigen Zustande unsres Planeten vorausgegangen sein wird,
sowie über die Vertheilung der Temperatur während desselben
keine exakte Vorstellung machen können, so nehme ich zum
zu einer gewissen Zeit eine gleichmässige Temperatur durch den
_ Württ. naturw. Jahreshefte. 1876. 11
artıe
_ heissflüssigen Zustande befunden, und sich in Folge eines be-
_ Zwecke meiner Untersuchungen an, dass der heissflüssige Erdball
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—_ #463
die Richtigkeit der Endresultate nicht erheblich beeinträchtigt wer-
den. In Folge des Umstands, dass die Temperatur des Weltraumes
sehr bedeutend niedriger als diejenige des Erdballs war, musste
durch Wärmeabgabe an der Oberfläche und durch Leitung im
Innern der flüssigen Kugel eine Erkältung eintreten, welche mit
der Tiefe unter der Oberfläche abnahm, da die oberflächlich ent-
weichende Wärme in Folge mangelhafter Leitung durch Nach-
strömen aus dem Innern nicht entsprechend ersetzt wurde. Die
Wärmeverhältnisse an verschiedenen Stellen lassen sich durch |
eine genaue mathematische Formel nicht darstellen. Nach Grund-
sätzen der Physik über Leitung der Wärme kann aber die je-
weilige Temperatur an irgend einem Punkt unter der Oberfläche
vorgestellt werden als eine Funktion:
von der Tiefe unter der Oberfläche,
von der specifischen Wärme der flüssigen Masse,
von dem äussern Leitungsvermögen derselben Masse gegen
den umgebenden Weltraum,
von dem Temperaturüberschuss der flüssigen Masse über den
äussern Raum, endlich }
von der Zeitdauer der Abkühlung.
Hiebei wächst die Temperatur an irgend einem Punkte
unter der Oberfläche mit der Tiefe unter der Oberfläche, mit
der specifischen Wärme der Masse und nimmt ab mit der Zu-
nahme der inneren Leitung, und es ist klar, dass nach Verfluss
eines bestimmten Zeitraumes, die Temperatur in den äussern
Parthien um mehr Grade abnehmen musste als in den weiter
nach innen gelegenen.
Lassen wir nun die Oberfläche Sich nach und nach erkalten,
bis die Erstarrungstemperatur der Masse erreicht ist, so wird
lich zunächst eine dünne auf der flüssigen Masse direet auf-
sagernde starre Kruste bilden. Hiebei müssen wir aber voraus-
setzen, dass während der Erstarrung der oberflächlichen Flüssig-
keitsmassen keine wesentliche Volumveränderung eingetreten sei. R
Beim Uebergange vom flüssigen in den festen Aggregatzustand
‚ganzen Körper besessen habe. Dieser Zustand hat vielleicht nie- |
mals genau stattgefunden, dagegen wird durch diese Annahme
7 PR TeE ER Nae A Bu SAL KV SEES 205
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zeigen einige Körper wie Wasser, Phosphor, Gusseisen, schwefel-
saures Natron, schwefelsaure Magnesia und Wismuth kleine
Volumvermehrungen, andere wie Blei, Zinn, Antimon, Schwefel-
antimon, Schwefel, Vitriolöl und Essigsäure kleine Volumvermin-
derungen. Bei allen diesen Körpern ist aber die Volumänderung
eine sehr unbedeutende und noch nicht genau ermittelt. Ganz
fehlt es aber an Resultaten über das Verhalten erstarrender
Granit- und ähnlicher Gesteinsmassen, aus welchen die zuerst
gebildete Erdkruste bestanden haben soll. Von letztgenann-
ten Massen kann mit Wahrscheinlichkeit angenommen wer-
den, dass etwaige Volumveränderungen jedenfalls sehr un-
bedeutend gewesen sein werden. Nur wenn während der Er-
starrung der ersten Erdkruste bedeutende Volumvergrösserun-
gen eingetreten wären, dann hätten sich möglicher Weise Hohl-
räume unter der starren Kruste bilden können. Dies ist aber
nach dem Angeführten höchst unwahrscheinlich. Verfolgen wir
das Verhalten der mit einer dünnen Kruste versehenen flüssigen
Kugel bei fortwährender Wärmeabgabe nach aussen weiter, so
wird nichts der Annahme entgegen stehen, dass sich die Kruste
nach innen zu allmälig verstärkte. Die Vertheilung der Wärme
wird im festen Theile eine etwas andere sein als im flüssigen
Kerne; da die specifische Wärme und das Leitungsvermögen des
erstarrten Körpers und der flüssigen Masse nicht genau gleich
sein werden. Dennoch werden nach physikalischen Grundsätzen
für beide Theile die Temperaturen mit der Tiefe unter der Ober-
fläche und mit der specifischen Wärme wachsen und mit der
Zunahme der innern Leitungsfähigkeit und der Zeit abnehmen;
und wird die äusserste Schichte des flüssigen Kernes stets etwas
wärmer sein als die innerste Schichte der festen Kruste. Unter
allen Umständen werden wir, von der Oberfläche gegen das
Centrum eindringend, eine Zunahme der Temperatur antreffen
und nach Verfluss eines bestimmten Zeitraumes wird die Tem-
peratur in äussern Parthien um mehr Grade abgenommen haben
_ als in weiter nach innen gelegenen. Diess wird auch klar
durch folgende Betrachtung. Hätte die flüssige Kugel sammt
der starren Kruste,die denkbar grösstmögliche Leitungsfähigkeit,
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2 5
so würde sich die innere Temperatur während des steten Ver-
lustes nach aussen immer wieder ausgleichen und die Tempera-
tur wäre zu irgend einer Zeit in der ganzen Kugel die nämliche,
A da aber die feste Erdkruste zu den schlechten Wärmeleitern ge-
hört, und die alleinige Ursache der Abkühlung, nämlich der kalte
umgebende Weltraum, stets ihrer ganzen Wirkung nach dieselbe
bleibt, so wird nach Verfluss irgend eines Zeitraumes die Tem-
peratur in den innern Theilen um weniger Grade abgenommen
haben als in den äussern. Für die Richtigkeit dieser Ansicht
spricht auch die Beobachtung der grossen Hitze, welche man
nach Jahren im Innern von einst flüssig gewesenen Lavamassen
findet, deren Oberfläche bereits mit der Hand berührt wer-
den kann.
Ueber das Erkalten einer heissen Kugel schreibt Dr. A.
Mousson *) in seiner Physik Seite 153:
„Bei einer grossen und schlecht leitenden der Abkühlung
ausgesetzten Kugel wird die oberflächlich entweichende Wärme
durch Nachströmen aus dem Innern nicht gehörig ersetzt. Es
entwickelt sich eine Zunahme der Temperatur von aussen nach
innen.
Bei einer ungemein grossen und schlecht leitenden Kugel |
kann die oberflächliche Temperatur soweit sinken, dass der äussere r
‚ Wärmeabfluss sehr schwach wird, zum Ersatze braucht nur wenig
nachzufliessen, und der Körper stellt einen grossen Wärmevor-
-rath dar mit nahezu unveränderlicher Temperatur des Innern, der
seine Wärme sehr lange bewahrt.*
Dieser letzt angeführte Zustand wird sich annähernd auf
unsere Erde anwenden lassen. Mir scheint aus diesen Betrach-
tungen hervorzugehen, dass die von E. d. Beaumont aufgestellte
Ansicht: dass in einer gegebenen Zeit die Temperatur des Innern
unsres Planeten sich weit beträchtlicher vermindert habe, als die
seiner Oberfläche, nicht mehr haltbar ist, sondern dass im Gegen-
theile in dieser Zeit die Oberfläche sich um mehr Grade abgekühlt
haben wird als das Innere. Ist meine Behauptung richtig, so
*) Die Physik auf Grundlage der Erfahrung von Dr. Alb. Mous-
son, II. Theil, die Lehre von der Wärme, Zürich 1860.
Se 6
würde die von E. d. Beaumont geistreich ausgedachte Theorie
der Gebirgsbildung als auf einer unrichtigen Voraussetzung be-
ruhend in ihren Grundlagen erschüttert sein.
Betrachten wir nun die Wirkung der Erkältung fester und
flüssiger Massen, so lehrt die Physik, dass die Zusammenziehung
einer starren Kugelschale in Folge einer gleichmässigen Tem-
peraturerniedrigung sich derart vollzieht, als wäre der hohle
Raum mit der gleichen Substanz der Schale ausgefüllt oder mit
andern Worten als wäre sie massiv. Die mit einer starren
Kruste versehene innen noch heissflüssige Erdkugel wird sich in
Folge der Abkühlung gegen aussen zusammenziehen, und da die
Temperaturerniedrigung in inneren Schichten nach einem ge-
wissen Zeitraume kleiner sein wird als in äussern, so wird sich
die kontrahirende starre Kruste in grösserem Maasse zusammen-
ziehen, als der flüssige Kern und dadurch eine nicht unbedeu-
tende Pression auf denselben ausüben. Hiedurch wird zwar
„die Hülle in die Nothwendigkeit versetzt, ihre Capacität unauf-
hörlich zu verringern,“ aber nicht aus dem Grunde, „damit sie
nicht aufhöre, sich genau an die inneren Massen anzuschliessen, *
sondern weil sie sich in Folge ihrer stärkern Abkühlung mehr
zusammenziehen wird als die flüssige Unterlage, die sich in der-
selben Zeit weniger abgekühlt haben wird.
An Stelle einer Tendenz zur Bildung von hohlen Räumen
zwischen Festem und Flüssigem wird daher eine Pressung der
Hülle gegen das flüssige Erdinnere treten. Ich nehme keinen
Anstand zu behaupten, dass ein Theil jener die Flötzformationen
durchbrechenden Gesteinsmassen von Grünstein, Porphyr und Ba-
salt ihre Existenz auf der Oberfläche der Erde eben dieser Pres-
sion der starren Kruste gegen die innere flüssige Masse ver-
dankt, indem die gepressten flüssigen Gesteinsmassen sich da-
_ durch Luft machten, dass sie aus Spalten und Ritzen der festen
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Rinde empordrangen.
Nachdem ich meine Ansichten über die Art der Wärme-
vertheilung in dem sich abkühlenden Erdkörper ausgesprochen
habe, will ich versuchen, die Gebirgsbildung auf eine neue Art
zu erklären und die dabei wirksamen Kräfte näher bestimmen.
— 166 —
Betrachten wir die Erde in dem Zustande, in welchem sich.
die erste noch dünne feste Kruste gebildet hat und denken uns
eine weitere Wärmeabgabe an den sie umgebenden kältern Raum,
so wird die Folge sein, dass die Kruste nach innen sich ver-
stärkt. Dieses Dickerwerden der Kruste erfolgt einfach durch
Anlagerung von erstarrenden Gesteinsmassen an die innere Seite
der zuerst gebildeten dünnen Wandung. Beim Uebergang von
dem heissflüssigen Zustande eines Körpers an den starren kön-
nen in Bezug auf die Structur des sich bildenden festen Körpers
zweierlei Formen auftreten: die amorphe und die krystallinische
Form. Die allgemeinen Gesetze der Physik nehmen an, dass
sich amorphe Körper dann bilden, wenn grössere Mengen beweg-
licher Theilchen gleichsam zu schnell fest werden, als dass das
enge Spiel der Cohäsionskräfte einen bestimmenden Einfluss auf
die Gesammtform ausüben könnte, so dass also die Kräfte der
einzelnen Substanzen nicht zur Geltung kommen können. Be-
dingung für die amorphe Form ist somit das rasche Erkalten
flüssiger Massen. Krystalle oder wenigstens feste Körper mit
krystallinischem Korne dagegen entstehen, wenn chemisch gleich-
artige 'Theile ungestört und nach einander sich vereinigen, wo-
bei Theil um Theil von den Cohäsionskräften ergriffen, in sta-
bilste Stellung gebracht und dem schon gebildeten festen Kerne
angeschlossen wird. Bedingung für die krystallinische Form ist
die langsame Erkaltung der flüssigen Massen.
Aus zweierlei Gründen sehen wir uns veranlasst anzunehmen,
dass die zweite Art, nämlich die Bildung von Krystallen oder
wenigstens von Körpern mit krystallinischem Korne bei dm
Dickerwerden der festen Erdkruste nach innen erfolgt sein wird,
einerseits weil wir vermuthen müssen, dass eben diese Erstarrung
sehr langsam und ungestört vor sich gieng und wir andrerseits
auf der Oberfläche der Erde unter den ältesten Gesteinen solche
mit ganz ausgezeichneter krystallinischer Structur und sogar
leicht unterscheidbaren Krystallindividuen vorfinden, wie nament-
lich den Granit. ’
Fragen wir nun, auf welche Weise die Anlagerung der er-
starrenden krystallinischen Gesteinsmassen an die feste Kruste
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vor sich gegangen sein wird, so kann uns hierüber das Ver-
halten einer Reihe bekannter Stoffe wie Schwefel, Wismuth, Blei,
Zinn, Antimon, einige Anhaltspunkte geben. Schmilzt man einen
dieser Stoffe in einem Tiegel, und setzt ihn dann so lange der
Erkaltung aus, bis sich an seiner Oberfläche eine starre Kruste
gebildet hat, durchstosst man hierauf diese Kruste und lässt das
noch Flüssige auslaufen, so entsteht eine Höhlung, welche mit
Krystallanhäufungen ausgekleidet ist, die unregelmässig nach innen
hervortreten. i
Hiernach sind wir berechtigt anzunehmen, dass auch bei
der langsamen und ungestörten Erstarrung von flüssigen Gesteins-
massen unter der zuerst gebildeten festen Rinde unserer Erde
x die Anlagerung krystallinischer Massen ganz unregelmässig, ent-
sprechend dem Spiele der Cohäsionskräfte, derart vor sich ging,
dass verhältnissmässig grosse krystallinische Anhäufungen fester
Massen in den noch flüssigen Theil hineinragten. Die erstarrte
Erdkruste wäre somit nicht als überall gleich dick vorzustellen,
sondern als eine feste Schale, an welche sich nach innen durch
einen lang andauernden Kıystallisationsprozess grosse krystal-
linische Massen unregelmässig an- und festgelagert haben, welche
in den noch heissflüssigen Theil des Erdkörpers frei hineinragen,
mit der Kruste aber fest verwachsen sind. Hervorgerufen wurde
dieser innere Erstarrungs- und Krystallisationsprozess lediglich
durch Wärmeabgabe der Erde an den äussern kalten Weltraum,
wodurch nothwendig entsprechende Quantitäten flüssiger Massen
- in den starren Aggregatzustand übergeführt werden mussten.
Hiebei kann noch hervorgehoben werden, dass diese Ausscheidung
fester krystallinischer Massen im Erdinnern an denjenigen Stel-
len bedeutender und umfangreicher gewesen sein wird, wo die
Abkühlung nach aussen auch eine grössere war, während an den
3 Stellen, welche gegen Abkühlung mehr geschützt waren, auch
: kleinere Parthien erstarrter Massen sich an den innern Theil
der Kruste angelagert haben werden. Diese ungleiche Wirkung
des abkühlenden, umgebenden Weltraums an verschiedenen Stellen
; der Erde war jedenfalls von derjenigen Zeit an in bedeutendem
h Maäasse vorhanden, zu welcher sich Meer und trockenes Land
gebildet hatten. Das trockene, damals noch mehr Erdwärme als
gegenwärtig besitzende Land, war der Abkühlung gegen den kalten
umgebenden Raum gewiss wirksamer, ausgesetzt, als das von |
Wasser bedeckte. — Nach chemisch-physikalischen Grundsätzen
scheiden sich aus einer heissflüssigen Masse, welche aus Stoflen
mit verschiedenen Schmelzpunkten bestehen, bei dem Krystalli-
sationsprozesse diejenigen Stoffe und chemischen Verbindungen
zuerst aus, welche den höhern Schmelzpunkt haben, während in
der noch flüssigen Masse diejenigen chemischen Verbindungen
und Stoffe zurückbleiben, welche leichter schmelzbar sind. Analog
ist das bekannte Verhalten einer flüssigen Legirung aus Blei,
Zinn und Wismuth, welche dem Erkalten ausgesetzt wird. Hier
scheiden sich der Reihe nach die schwer schmelzbaren Legirungen
zuerst aus. Fragen wir nun nach denjenigen Gesteinen, aus wel-
chen die uns bekannte Erdkruste, abgesehen von den sogenannten
Sedimentärgesteinen, ihrer Hauptmasse nach besteht, so finden
wir vorzugsweise: den Granit und Gneis, beide aus Quarz, Feld-
spath und Glimmer bestehend, bei jenem liegen die Bestandtheile
verworren durch einander, bei diesem durch den Glimmer ge-
schichtet. An diese zwei Haupturgesteine schliessen sich als weitere
Urgesteine die krystallinischen Glimmerschiefer, der Urquarz und
Urkalk an, und endlichmanche Erzlager. Von letzteren übertreffen die
Eisenerze besonders Eisenglanz und Magneteisen an Menge und Aus-
breitung bei weitem alle übrigen Erzlager im Urgebirge. Diese aufge-
führten Gesteinsarten \werden ziemlich allgemein als diejenigen
bezeichnet, aus denen zum grössten Theile das Urgebirge besteht,
sie enthalten als wesentliche Bestandtheile die Mineralstoffe:
Quarz, Feldspath, Glimmer, Kalk, Eisenglanz und Magneteisen. h
In Bezug auf die Schmelzbarkeit dieser Mineralien gehören Quarz,
Feldspath und Glimmer zu den äusserst schwer schmelzbaren,
während Eisenglanz und Magneteisen verhältnissmässig leichter
schmelzbar sind. Denken wir uns eine Mischung von Quarz,
Feldspath, Glimmer, Eisenglanz und Magneteisen in heissflüssigem
Zustande der Erkaltung ausgesetzt, so hätten wir allen Grund
den Quarz, Feldspath und Glimmer als diejenigen Stoffe zu be-
zeichnen, welche vermöge ihres hohen Schmelzpuünktes die Ten-
— 169 —
denz zeigen würden, der Zeit nach vor dem Eisenglanz und Mag-
neteisen zur Erstarrung zu gelangen, und es würde anzunehmen
sein, dass zu einer gewissen Zeit jene schwer schmelzbaren Stoffe
durch den Krystallisationsprozess zum grössten Theil aus der
Mischung sich abgeschieden haben werden, zu welcher sich
jene leicht schmelzbaren Eisenerze noch im flüssigen Zustande
befunden haben.
Uebertragen wir diese Anschauungsweise auf den Vorgang
bei der Abkühlung unserer einst heissflüssigen Erde, so dürfte
es nicht zu gewagt erscheinen, wenn ich behaupte, dass die aus
‘Quarz, Feldspath und Glimmer bestehenden Urgesteine in Folge
der Abkühlung unsres Planeten durch eine Art von Krystallisa-
tionsprozess zuerst ausgeschieden wurden, und dass in den flüs-
sig gebliebenen Massen, welche sich zunächst unter den erstarrten
Ausscheidungen befinden, die leichter schmelzbaren Stoffe zurück-
geblieben sein werden. Aus was für Stoffen haben wir uns
aber jene flüssig gebliebenen, leichter schmelzbaren Massen be-
stehend zu denken?
Diese Frage führt uns auf eine wichtige Thatsache über
das mittlere specifische Gewicht der Erde im Vergleiche mit dem
mittleren Gewichte der bekannten Erdkruste.
Die mittlere Dichte unseres Planeten ist nach übereinstim-
menden Berechnungen etwa 5,6 mal so gross als die Dichte
des Wassers. Denken wir uns die feste Erdkruste aus Granit
und Gneis bestehend, aus jenen Gesteinsarten, deren Bestandtheile
Quarz, Feldspath und Glimmer sind, so haben wir für die mitt-
lere Dichte der festen Kruste etwa 2,6 zu setzen. Da nach
diesen Angaben die Dichte des ganzen Planeten mehr als zwei
ma] so gross ist, als die uns bekannte feste Efdkruste, so sind
wir genöthigt anzunehmen, dass sich im Erdinnern noch Massen
vorfinden, welche ein viel höheres Gewicht als Granit und Gneis
besitzen. Wenn die Annahme als begründet erscheint, dass sich
im Erdinnern speeifisch schwerere Massen als Granit und Gneis
vorfinden, so kann die weitere Frage aufgeworfen werden: wie
haben wir uns die Vertheilung jener schwereren Massen in unserer
Erde von der Oberfläche aus gegen den Mittelpunkt hin zu denken?
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—: 10. —
Die gewöhnliche Ansicht geht dahin, kugelförmige Schichten vor-
auszusetzen, welche mit der Annäherung gegen den Mittelpunkt
der Erde an Dichte zunehmen. Wie ist aber hiebei die That-
sache zu erklären, dass eine Reihe schwerer, gediegener Metalle,
wie z. B. Silber, Gold, Platin, deren Dichte im Naturzustande
10'/, bis 19 beträgt, sich in der äussern Kruste vorfinden ?
Gerade diese schweren Metalle sollten vermöge ihrer grossen
Dichte nahe an den Mittelpunkt der Erde zu liegen kommen.
Aus geologischen Gründen neige ich mich der Ansicht hin, dass der
Tendenz zur Bildung von kugelförmigen Schichten mit zunehmender
Dichte gegen das Centrum hin durch eine Bewegung in den noch
flüssigen Massen entgegen gewirkt wurde, wodurch jene schweren
Metalle mit an die Oberfläche geführt werden konnten. Jener
Tendenz zur Schichtenbildung, die nicht in Abrede gestellt wer-
den soll, stände somit eine Tendenz zur Bildung einer mehr
gleichförmigen Mischung entgegen.
Stellt man sich aber auch die Massen im Erdinnern geord-
net nach einer grössern Anzahl von Schichten vor mit zunehmen-
der Dichte, oder bestehend aus nur wenigen Hauptschichten, so
wird man doch unter allen Umständen sowohl’ durch die Eigen-
schaft der relativen Schwerschmelzbarkeit der die Hauptmasse
des bekannten Urgebirges ausmachenden Mineralsubstanzen: Quarz,
Feldspath und Glimmer, als auch durch die Thatsache ihrer ge-
ringen mittleren Dichte von etwa 2,6 im Verhältniss zur mittleren
Dichte der Erde von etwa 5,6 mit Nothwendigkeit dahin geführt
werden, unter den erstarrten Granit- und Gneismassen bedeutend
schwerere Mineralsubstanzen vorauszusetzen, welche ihrer
leichtern Schmelzbarkeit wegen zu einer gewissen Zeit noch flüssig
sein konnten, während welcher die darüber befindlichen leichteren
Granit- und Gneismassen schon erstarrt waren. In dieser Epoche
werden, wie oben dargelegt wurde, die erstarrten leichteren Mine-
ralstoffe, entsprechend dem Vorgange bei der Krystallabscheidung
und in Folge der auf die Erdoberfläche wirkenden ungleichen
Abkühlung, sich in unregelmässigen Massen angehäuft haben,
welche sich an der festen Kruste angelagert und welche in die
noch heissflüssigen schwereren Massen hineingeragt haben.
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— 11 —
Die nothwendige Folge dieser Gestaltung der festen Erdkruste
gegenüber der heissflüssigen Masse des Innern wird eine Art von
Auftrieb sein, welchen die eingetauchten leichteren Massen durch
die schwerere Flüssigkeit erleiden. Dieser Auftrieb wird stets
radial vom Mittelpunkt gegen die Oberfläche wirken.
In diesem Auftrieb glaube ich eine dynamische Kraft ent-
deckt zu haben, deren Grösse immense Steigerungen erleiden
kann und die eine wichtige Rolle bei der Hebung der Gebirge
gespielt haben wird. Stets wird die Grösse des effectiven Auf-
triebs wesentlich abhängen von dem Volumen der eingetauchten
starren Masse und von der Differenz der Dichten des festen Kör-
pers und der Flüssigkeit. (Siehe Anmerkung am Schlusse.) Wäre
die Dichte der heissflüssigen Massen bekannt, so würde sich der
effective Auftrieb, den ein Cubicmeter eingetauchter Granitmasse
erleidet, berechnen lassen. Nehme ich beispielsweise die Dichte
der Flüssigkeit derjenigen von Eisenglanz und Magneteisen gleich,
somit etwa 5,2; so würde ein Cubicmeter Granitmasse in dieser
Flüssigkeit einen effectiven Auftrieb von circa 2600 Kilogramm
erleiden.
Es sei hier die Bemerkung gestattet, dass es aus geologi-
schen Gründen nicht ganz ungerechtfertigt erscheinen dürfte,
dem Eisenglanz und Magneteisen der Masse nach einen nicht
unbedeutenden Antheil an der Bildung des Innern unseres Erd-
körpers zuzuschreiben. Fr A. Quenstedt schreibt in seinen
Epochen der Natur *) Seite 276 und 286: „Die Massen
von Eisenglanz auf Elba, in Missouri und am Obernsee, das
Magneteisen im Norden des Staates New-York, das Magneteisen
und der Eisenglanz von Skandinavien gleichen rundlichen Stücken,
welche aus unbekannter Tiefe heraufdringen, aber höchst wahr-
scheinlich gleich bei der Bildung des Gneisgebirges in dieser nie
zu erschöpfenden Menge erzeugt wurden.“ Allerdings reicht die
mittlere Dichte dieser Eisenerze von etwa 5,2 noch nicht aus,
um die mittlere Dichte der Erde von etwa 5,6 zu erhalten und
*) Epochen der Natur von Fr. A. Quenstedt, Tübingen 1861.
4
wäre man daher gezwungen, noch dichtere Massen als jene Eisen-
erze näher am Mittelpunkte der Erde vorauszusetzen.
Auf die Wirkung des effectiven Auftriebs zurückkommend,
den eine Gesteinsmasse von der Dichte des Granits oder Gneises
eingetaucht in eine schwerere heissflüssige Gesteinsmasse des
Erdinnern erleidet, glaube ich in diese dynamische Kraft die Ur-
sache verlegen zu dürfen zur Hervorbringung jener Unregel-
mässigkeiten in der Lagerung der Gesteinsmassen, welche wir
Gebirge nennen, mit andern Worten: die Kraft, welche unsere
Gebirgsketten gehoben hat, ist zu verlegen in den effectiven Auf-
trieb, welchen relativ leichte Gesteinsmassen erleiden, die sich
an der inneren Seite der festen Erdkruste angelagert haben
und in eine schwerere heissflüssige Masse des Erdinnern ein-
tauchen.
Nach dieser Theorie wären wir umgekehrt genöthigt,
denjenigen Stellen, wo wir hohe Gebirge auf der Erdoberfläche
vorfinden, an der Innenseite der festen Kruste enorme Anhänfun-
gen von verhältnissmässig leichten Gesteinsmassen vorauszusetzen.
An Stellen unserer Erde dagegen, wo sich weite Tiefebenen aus-
dehnen, dürften jene inneren Anhäufungen leichter Gesteinsmassen
fehlen. Als Bestätigung für diese Ansicht kann eine wichtige
Thatsache betrachtet werden, welche schon öfters die Aufmerk-
samkeit der Physiker und Geologen auf sich gezogen hat.
Ausgedehnte Pendelbeobachtungen am Fusse hoher Gebirge wie
am Fusse der Pyrenäen, des Chimborazo und des Himalaya
haben ergeben, dass die beobachtete Abweichung der Lothlinie
von der Richtung nach dem Mittelpunkt der Erde in Folge der
Anziehung jener Gebirge stets etwas zu klein gefunden wird im
Verhältniss zur Masse jener Gebirge, woraus von verschiedenen
Seiten*) der Schluss gezogen wurde, dass sich im Innern jener
Gebirge oder unter denselben hohle Räume vorfinden möchten.
Ich glaube diese Thatsache mit dem Umstande in ursächliche
' *) Compt. rend. t. 29, p. 730,
Condamine: Voyage & FRgudtenr. p. 68— zo,
Pratt: »Treatise on attractions«, pag. 134.
bj Au ee oe 4? Sogn an dal a 4 Aal 7
L}
10
UUR® Re Ra a
Verbindung bringen zu können, dass nach meiner Theorie an
Stellen unserer Erde, wo sich hohe Gebirge vorfinden, auch enorme
Anhäufungen verhältnissmässig leichter Gesteinsmassen nach innen
zu existiren, welche durch ihre geringere Massenanziehung jene
kleine Abweichung der Lothlinie bedingen. Die dargelegte neue
Theorie von der Hebung der Gebirge hat gegenüber von allen
bisher aufgestellten jedenfalls den Vorzug grosser Einfachheit
für sich. Zum Emporheben der höchsten Gebirge der Erde
brauchen wir weder die ominösen Wirkungen der Gase und
Dämpfe des Erdinnern, noch jene verwickelten Contractionswir-
kungen der Erdkruste zu Hilfe zu nehmen, welche E. de Beau-
mont auseinandergesetzt hat, sondern wir haben als Ursache der
Hebung in dem effectiven Auftrieb eine dynamische Kraft ge-
funden, deren Wirkung wir täglich beobachten können und die
in ihrer Allgemeinheit schon von Archimedes richtig erkannt
° worden ist.
Die Art und Weise wie jene Gebirgserhebungen nach vor-
liegender Theorie topographisch vor sich gehend gedacht wer-
den können, soll im Folgenden in typischer Uebersicht skizzirt
werden.
Als Bedingung für die Emporhebung eines Erdkrustentheils
zu einem Gebirge muss nach der oben entwickelten Ansicht stets
vorausgesetzt werden, dass sich an der Stelle wo die Hebung
stattfinden soll, specifisch leichte krystallinische Massen in starker
Anhäufung an der innern Seite der Erdkruste abgelagert haben
und in die schwerere Flüssigkeit des Erdinnern eintauchen.
In den folgenden Figuren bedeute:
e ein Stück der erstarrten Erdkruste,
m die an demselben angelagerten specifisch leichten kry-
stallinischen Massen, v
f die specifisch schweren heissflüssigen Stoffe des Erd-
innern,
G die Summe der Gewichte der Masse m und des Erd-
krustentheils e,
A der absolute Auftrieb der eingetauchten Masse m, welcher
gleichist dem Gewichte der verdrängten schweren Flüssigkeit.
Es sei in Figur 1. der gemeinschaftliche Schwerpunktg der "2
Masse m und des Erdkrustentheils e nahezu in derselben Vertikalen
A
—_Nıy =
Fig. 2.
wie der Schwerpunkt a der verdrängten Flüssigkeit, so kann de,
effective Auftrieb, d. h. der Ueberschuss des absoluten Auftriebs A
über das Gewicht G der Massen m und e eine gleichmässige
Hebung des Erdkrustentheils bewirken, wie Figur 2 versinn-
lichen soll.
Ist dagegen der gemeinschaftliche Schwerpunkt g der Mas-
sen m und e wie in Figur 3 nicht in derselben Vertikalen wie
A A
IS
De D
ji
GG,
WÜ,
7
|
hi
NH
I
Fig. 3.
Fig. 4.
der Schwerpunkt a der verdrängten Flüssigkeit, so kann hieraus
eine Drehung und damit eine gleichzeitige partielle Hebung ver-
bunden mit einer partiellen Senkung des Erdkrustentheils resul-
tiren, welcher Vorgang in Figur 4 dargestellt sein soll.
ae Ze kr ee
ee =
Auen 5
Et m a
ae
a N
=,
ı
Findet die Losreissung des Erdkrustentheils e auf einer
A
ggg
zy
u.
Fig. 5.
Seite ein bedeutendes Hinderniss, so kann hieraus eine ein-
seitige Hebung eingeleitet werden, wie dies Figur 5 zeigen soll.
Eine typische Skizze von drei verschiedenen Dislocationen
einzelner Erdkrustentheile in gegenseitiger Verbindung miteinan-
7 Van,
) amp — m)
——
Dy u zug
= N
=
| ;
=
a
©
| |j Mi
\
‘
——
der, nämlich eine einseitige Hebung, eine Parallelhebung und
eine Drehung soll Figur 6 vor Augen führen.
Die Hebungen respective Drehungen jener Erdkrustentheile
werden stets dann ihr Ende erreicht haben, wenn ein Gleichge-
wichtszustand eingetreten seig wird, zwischen dem nach unten
wirkenden Gewichte @ der festen Massen m und e und dem
nach oben wirkenden absoluten Auftriebe A der verdrängten
Flüssigkeit.
Wenn B. v. Cotta aus geologischen Gründen zu dem Schlusse
kommt, dass die grossartigsten Störungen der ursprünglichen.
Lagerung der Gesteine von der auf- oder absteigenden Bewegung
ganzer Erdkrustentheile herrühre, so glaube ich die Ursache
X en ee
re ler . Rn 8 HERE
ET
EN RR RE EEN
ER. Maker Bewegung nach meiner ‚neuen Theorie in die äynamische
Kraft des eflectiven Auftriebs verlegen zu dürfen.
et Schliesslich kann noch die Frage aufgeworfen werden, ob
mit der Entstehung neuer Gebirgsketten auch nothwendig gewal-
tige Zerstörungen grosser Landstriche und stürmische Bewegungen
des Meeres, wie dies von ältern Geologen vielfach ausgesprochen
worden, in Verbindung stehen ?
In der langsamen aber andauernden Hebung Schwedens
über das Meer haben wir vor unsern Augen ein Beispiel, welches
zeigt, dass mit Hebungen von Erdkrustentheilen nicht notlı- 2
wendig gewaltsame Zerstörungen verbunden sein müssen. Mit i
solchen allmäligen Hebungen steht die neue Theorie keineswegs
im Widerspruch.
Eine andere Frage ist, ob in gegenwärtigen Zeiten durch.
Hebungen einzelner Erdkrustentheile solch grossartige Störungen
in der Lagerung der Gesteine hervorgerufen werden können, wie
diess bei den grossen Gebirgsketten unserer Erde der Fall ist,
oder mit andern Worten ob unsere Erde heute noch die Kraft
besitze, neue Bier emporzurichten? Die Beantwortung
dieser Frage hängt wesentlich mit der Frage zusammen, ob die
Abkühlung der Erde heute noch fortdauert und welche Dimen- 4
sionen die Erstarrung des flüssigen Theils im Erdinnern ange-
nommen hat.
in
u
Unsere heutigen Kenntnisse über die Temperaturverhältnisse
an der Oberfläche und im Innern unseres Planeten sind aber
viel zu mangelhaft um jetzt schon eine befriedigende Lösung
der zuletzt aufgeworfenen Frage erwarten zu können.
,/-
Dis" Fee
+ . f ee .
war.!
‘ Anmerkung. Die Grösse des Öffectiven Auftriebs, den einin
x eine schwere Flüssigkeit eingetauchter Körper erleidet, lässt sich auf 2
P, folgende Weise bestimmen.
L ‚ . Bezeichnet:
r: d die Dichte des festen Körpers, d. h. die Masse in Kilogrammen
h ausgedrückt in der Cubiceinheit,
5° D die Dichte der schweren Flüssigkeit,
A Y das Volumen des eingetauchten Körpers, ausgedrückt in der-
ih. selben Cubiceinheit, so ist in einer horizontalen schweren Flüs--
Zn Zu
De
re
sigkeit der nach oben wirkende absolute Auftrieb des einge-
tauchten Körpers, ausgedrückt in Kilogrammen, gleich dem Ge-
wichte der verdrängten Flüssigkeit, somit:
— V. D Kilogramm.
Diesem absoluten Auftriebe entgegen wirkt nach unten das
Gewicht des eingetauchten Körpers:
-= V. d Kilogramm.
Der effective d. h. wirksame Auftrieb nach oben endlich ist
gleich dem Ueberschusse des absoluten Auftriebs über das Ge-
wicht des Körpers, somit:
—=Y.D—-V.d= V. (D--d) Kilogramm.
Der effective Auftrieb den z. B. ein Cubicmeter Granitmasse
von der Dichte 2,6 eingetaucht in eine heissflüssige Masse von
Eisenglanz von der Dichte 5,2 nach oben erleidet, berechnet
sich hienach zu:
1000. (5,2—2,6) =
— 2600 Kilogrammen.
Für den Auftrieb eingetauchter Körper in einer Flüssigkeit von
der Form einer grossen Kugel (flüssiger Theil des Erdinnern) finden
ganz ähnliche Beziehungen statt, welche sich aber nicht so einfach
wie die obigen durch Formeln ausdrücken lassen. In der Nähe der
Oberfläche der flüssigen Kugel ist aber der effective Auftrieb einge-
tauchter Körper nahe demjenigen in einer horizontalen Flüssigkeit
gleich.
Württemb. naturw. Jahreshefte. 1876. 12
Usher die zur Unterscheidung der Voreleier dienenden
Merkmale.
Von Baron Richard König-Warthausen.
Aus der Thatsache, dass die verschiedenen Thierspecies auch
Specie zu unterscheiden sein müssen, ergiebt sich als logische
Consequenz für die Classe der Vögel, dass auch die Eier spe-
cielle Kennzeichen an sich tragen müssen, insoferne sie ja ein
den Keim der Species in sich einschliessendes Product eben der
Species sind.
Da die Entwicklungsstufe auf welcher das Ei steht, eine
niederere ist als diejenige seiner Erzeuger, so sind selbstver-
ständlich die Art-Merkmale hier auch minder augenfällig und
schwerer, oft nur durch langes Studium, festzustellen. Häufig
genügt freilich der erste Blick, wie ja für die Praxis autoptische
Uebung stets die Hauptsache ist.
Wissenschaftlich theoretische Anhaltspuncte gewähren die
Grösse, die Gestalt, die Färbung (a. Grundfarbe, b. Zeich-
nung), das Gewicht der entleerten Schale — welches überdiess
noch mit dem Gewichte des intacten, frischen Eis verglichen
werden kann — und endlich die Textur*) der letzteren.
Bei der Bestimmung von Vogeleiern sollen diese fünf Mo-
mente zusammenwirken. Einige sind von besonderem, andere von
mehr untergeordnetem Werth, manchmal bedarf man mehr des
*) Ich habe statt der von mir früher gebrauchten Bezeichnung
»Structur« hier die Thienemann’sche adoptirt.
PH 3
Be,
— 119 —
eimen, ein andermal mehr eines andern Kennzeichens, öfter reicht
ein einziges zum sofortigen Erkennen aus.
Besonders schwankend sind Gestalt und Grösse. Für das
einzelne Exemplar geben sie nur selten ein durchschlagend sicheres
Criterium ab. Selbst in einem und demselben Neste wechselt
ja oft die Form der Eier. Nicht zu übersehen ist auch, dass
die Formtypen, d. h. die verschiedenen Combinationen aus der
Kugelform, der Ellipse, dem Oval, der Walzen- und der Birn-
form zwar im Allgemeinen für bestimmte Eier-Gruppen charac-
teristisch aber doch nicht so sehr constant sind, dass nicht im
Einzelfall bedeutende Extravaganzen stattfinden könnten.
Die Grösse hängt bis zu einem gewissen Grad vom Alter
und vom günstigeren oder ungünstigeren Ernährungsstand der
Producenten, vielfach sogar vom Clima ab. Ganz junge oder
besonders alte („erst- und letzt“ -legende) Weibchen legen in
der Regel kleinere Eier als solche von bestem Lebensalter;
Ueberanstrengung bei der Production in Folge wiederholten Zu-
srundegehens der Bruten vermindert nicht allein die Zahl der
Eier eines Geleges sondern manchmal auch deren Grösse; an
den äussersten Gränzen des Verbreitungsbezirks einer Art
werden die Eier fast stets kleiner. Dass die Grösse des Eis
zur Grösse des Vogels nicht stets in dem nehmlichen Verhält-
niss stehe, zeigen z. B. die Eier unseres Kuckucks, welche trotz
der Turteltauben-Grösse ihrer Et kaum grösser als Sperlings-
Eier sind; andererseits sind "die Eier der Lummen und Alke
wahre Riesen; der kleine Papageitaucher Alca (Mergulus Raj.)
alle L. hat z. B. eine Körpergrösse gleichfalls etwa wie die Turtel-
taube, dabei aber ein Ei von 191/,—22?/, “*) Länge und un-
gefähr 15“ Breite, was etwa einem recht kleinen Haushühnerei
entspricht, während die Eier der Turteltaube nur 12—13 “ lang
und durchschnittlich 10 “ breit sind. Ausserdem muss man sich
noch darüber klar sein, dass man keine Abnormitäten (Deformi-
täten sowohl als Zwerg- und Doppeleier) vor sich habe. Inso-
ferne jedoch durch grosse Serien sicher bestimmten Materials
*) Ich messe stets nach altfranzösischem Duodezimalmaass.
12*
v
2
ML.
+ .
—ı 180 —
Gränzen der Grösse nach oben und unten festgestellt werden
können, lässt sich ein imaginäres Durchschnittsmaass bei Unter-
suchungen immerhin zu Grund legen.
Die Färbung fällt zwar am meisten in die Augen, allein
auch sie ist manchmal sehr trügerisch. Freilich ist sie oft durch-
aus constant, also für die Bestimmung ausreichend, es kommen
aber auch bei ihr die bezüglich der Grösse erwähnten Einflüsse
nur zu oft zur Geltung. Gewisse Ausnahmen, indem sie sich,
öfter oder seltener aber doch constant, wiederholen, werden gleich-
sam selbst zur Regel. Solche Ausnahmen sind:
1) Das Ausbleiben der Färbung (Achromie). Entweder
bleiben sowohl Grund- als Fleckenfarbe völlig aus — Leucis-
mus — oder nur eine von beiden, so dass „Halbleuciten“ ent-
stehen. Wenn die Fleckenfarbe noch auftritt, so ist sie meist minder
intensiv oder sie geht gerne in’s Hellrothe über. Als ein Ueber-
gang aus der Normalfärbung können solche Eier gelten, die zwar
noch alle Farbentöne, aber weit heller, wie überschleiert oder
abgeblasst, zeigen. Mit leucopathischen Zuständen der Er-
zeuger hängt der Leucismus nicht direct zusammen; ein vor-
liegendes Ei eines Albino-Sperlingsweibchens ist normal gezeich-
net und ein weisser Staar hat nicht ein weisses sondern ein
blaugrünes Ei gelegt.
2) Eine tiefe Verdunkelung, Melanismus, als Gegensatz
zum vorigen Fall, indem einfarbige Eier mehr oder weniger
schwarz, grünbraun gefleckte wie mit Graphit eingerieben er-
scheinen. In diesem seltenen Falle befindet sich häufig die
Melanose der Eischale mit derselben Erscheinung am Gefieder
des Vogels in Uebereinstimmung; eine gewisse schwarze Haus-
Enten-Rasse legt regelmässig Eier mit schwarzer Schleimhaut *)
und die sogenannten Mohrenhühner, bei denen ausser dem Ge-
fieder auch Kamm, Kehllappen und Knochenhaut, ja sogar Ova-
*) Bei den Anatiden liegt die Färbung gewöhnlich nur in einem
schleimigen Ueberzug, der öfters noch unmittelbar nach dem Legen
weich und verwischbar und mit warmem Wasser meist leicht zu ent-
fernen ist; sogenannte gefleckte Enteneier entstehen durch stellenweise
Contraction dieses galligen Schleimüberzugs. |
ae Je nr Sa en Be I ne
Be
-
ar
rium und Theile des Oviducts geschwärzt sind, sollen dunkel-
pigmentirte Eier legen; wenn ich ein Gelege der gemeinen
Rabenkrähe mit lauter melanitischen Eiern erhalten habe, so
ist hier der Fall eben auch bei einer schwarzgefiederten Art ein-
getreten.
3) u. 4), Erythrismus und Cyanismus, indem solche
Eier, deren gewöhnliche Färbung aus verschiedenen bräunlichen
Tönen besteht, in den Extremen lebhaft röthlich oder schön
blaugrün werden. Das Roth ist hier als Steigerung, das Grün
oder Blau als Abschwächung der Normalfarbe anzusehen. Dass
der Cyanismus in der That eine Abschwächung sei, lässt sich
dadurch beweisen, dass normal gefärbte Eier durch Behandlung
mit Säuren Cyaniten werden, wobei sich die dunklere Zeichnung
in braungrünen Schaum auflöst.
Auf die färbenden Medien näher einzugehen ist hier nicht
der Ort. Es genügt, auf Professor Wickes Aufsatz: „Ueber das
Pigment in den Eischalen der Vögel (Naumannia, 1858, pag.
393—397) aufmerksam zu machen, wo Gallengrün (Biliverdin)
und Gallenbraun (Cholepyrrhin) abgehandelt sind; dass übrigens
diese beiden so vorherrschenden Farbstoffe nicht die einzigen
sind beweist schon der Umstand, dass W. in den dunkelgelben
Eiern des Cochinchina-Huhns keinen von beiden gefunden hat;
öfters nachweisbare Eisentheile, deren Vorhandensein freilich von
Verschiedenen geläugnet wird, rühren gewiss von färbendem
Blut her.
Ueber diese Färbungs-Abweichungen habe ich mich ander-
wärts (Bericht über die XII. Versammlung der Deutschen Orni-
thologen-Gesellschaft, Stuttgart 1860, p. 33—40, „Allgemeines
und Specielles zur Färbung der Vogeleier*) eingehender ausge-
sprochen und eine grössere Reihe einzelner Belege beigebracht,
die ich heute weder wiederholen noch, wie ich könnte, vermehren
will. Nur Eines sei hier noch beigefügt. Bei unseren verschie-
denen Krähen kommen bekanntlich entschiedene Cyaniten vor,
indem die Zeichnung ausbleibt und die sonst trübere Grundfarbe
klar und lebhaft blaugrün wird; meine,Theorie, dass einem Ex-
trem in’s Grüne stets auch ein Extrem in’s Rothe entsprechen
”
— 182 2
müsse, schien aber für diesen Fall zu falliren, da bei unseren
Krähenarten rothe Eier notorisch fehlen; die Natur hat mich
aber doch nicht im Stich gelassen, nur hat sie einen weiten
Sprung gemacht: sie ersetzt diesen Mangel, indem dafür eine
in Südafrica häufige Krähe*) ausnahmslos nur prächtig rothe
Eier legt, die scheinbar in die Gruppe gar nicht hineinpassen.
Dass innerhalb derselben Art zwischen Fleckung, Punctirung
und Strichelung vielfach Nüancen vorkommen, ist bekannt, eben-
so dass bald mehr die Ober-, bald mehr die Unterzeichnung,
d. h. die dunklereren, später aufgetragenen oder die helleren,
tiefer in der Schalenmasse liegenden Zeichnungen vorherrschen.
Man hat somit die Färbung zwar als das sich erst-bietende, zu-
gleich aber als ein ausserordentlich schwankendes Kennzeichen
anzusehen.
Nicht unwichtig ist die Untersuchung, in welchem Farben-
ton eine Eischale durch ein Bohrloch gegen das Licht betrachtet
durchscheint; ob dieser Schimmer ein tief- oder blass-grüner, ein
gelblicher oder röthlicher sei, ist zwischen äusserlich nächstver-
wandten Arten häufig ein durchaus zuverlässiges Unterscheidungs-
Merkmal.
Das Gewicht sollte nie übersehen werden; es hängt nicht
allein von der Grösse sondern noch weit mehr vom Massiv, d. h.
von der Dicke, der Dichtigkeit und der Textur der Schale ab,
so dass gleichgrosse Eier verschiedener Arten hierin wesentlich
differiren können.
Als weitaus constantestes Criterium bleibt die Textur der
Schale übrig, d. h. die krystallinische Bildung derselben, wie sie
sich an der Ei-Oberfläche dem bewafineten Auge bei mindestens
*) In einer Originalsendung vom Cap erhielt ich diese Eier als
diejenigen von Corvus segetum Temm. (— capensis Licht. — Levail-
lantii Less. — macropterus Wagl.) während sie bei Thienemann
(T. XXXIX., f. 7, a—c.) als ©. montanus Temm. abgebildet, anderwärts
auch als »C©. collaris« (nec Drumm.) bezeichnet sind. Auch das Stuttgarter
Museum besitzt sie dorther durch Baron Ludwig. Durch fleischfarbigen
Grund und braunrothe bis purpurfarbene Fleckung erinnern sie am
meisten an die Gruppe der Rohrhühner (Gallinula Briss.).
ae
sechzehnfacher Vergrösserung unter achromatischer, aplanatischer
Linse zeigt. Schwache Vergrösserung ist werthlos, zu starke
bietet ein zu kleines Sehfeld. Unser hervorragendster Oologe, med.
Dr. Ludwig Thienemann in Dresden (f 1858) hat in der „Rhea*
(1846, p. 15—17) seine desfallsigen Grund-Sätze niedergelegt.
Dieselben haben mehrfache Anfechtungen erlitten und ich will
auch zugeben, dass er und früher auch ich vielleicht etwas zu
weit gegangen sind, so sehr ich heute noch für die Richtigkeit
der Theorie im grossen Ganzen einstehe. Schon früher (Thiene-
mann’s Necrolog, Naumannia 1858, p. 347—349 u. Journ. f£.
Ornithologie 1859, p. 157—160) habe ich mich über dieses
Thema ausführlicher geäussert.
Sogar ein oberflächlicher Beobachter wird bald wahrnehmen,
dass die Eier der verschiedenen grösseren Genera sich generell
nach den Höhenzügen und Vertiefungen der Schalen-Oberfläche
— Korn und Poren — unterscheiden lassen. Wem es nicht
gelingt, z. B. den weissen Eiern von Eulen, Enten, Hühnern ihre
richtige Stellung anzuweisen oder ein Gänseei von demjenigen
eines Geiers zu unterscheiden, der möge jede Untersuchung von
vornherein bleiben lassen. Aber auch bei den Einzelarten springen
häufig die Schalen-Unterschiede leicht in die Augen. Meist jedoch
ist gerade diese specielle Trennung schwierig, selbst für Diejeni-
_ gen, welche nicht, wie die Meisten, mit mangelhaften Mitteln,
d. h. mit zu schwacher Lupe und mit ungenügendem Vergleichungs-
material arbeiten. Je näher verwandt und namentlich je kleiner
und je subtiler die Objecte werden, um so schwieriger wird auch
- die Unterscheidung. Der Kenner findet da auf dem Wege der
Vergleichung die Unterschiede zwar noch, allein für eine präcise
- Wiedergabe des mehr Gefühlten als Gesehenen lässt jede Formel,
jede Terminologie nur zu oft im Stiche. Bei kleinsten oder bei
- ausserordentlich nahe verwandten Gebilden mögen in der Textur
k:
:
2 ee Te re
gewisse Characteristica wohl noch vorhanden sein, aber häufig
entschwinden sie dem Auge auch des Geübtesten.
Im Haushalte der Natur hat die Eischale weniger den Zweck,
dem Stubengelehrten wissenschaftliche Anhaltspuncte als vielmehr
dem schlafenden Lebenskeim, den ihre feste Rinde deckt, Schutz
— 184 —
zu geben. Es kann desshalb nicht verwundern, wenn innerlich
ganz gesunde und lebensfähige Eier vielfach eine etwas mangel-
hafte Ausbildung ihrer Oberfläche zeigen, indem die Schale zwar
durchaus fest aber keineswegs normal entwickelt ist. — In
Parenthese habe ich den Einwurf, was normale Entwicklung
eigentlich sei, vorerst zu beantworten: als normal betrachte ich
nur solche Eier, deren Schale gewisse Kennzeichen an sich trägt,
die einerseits innerhalb der Art sich wiederholen, andererseits
für dieselbe ausschliesslich characteristisch sind. — Aus einem
solchen öfters eintretenden Ausfall folgt der weitere Übelstand,
dass nicht alle Exemplare zur Untersuchung geeignet sind und
dass der Untersuchende über die Beschaffenheit seines Objects
erst mit sich in’s Reine kommen muss. Ausserdem sind nicht
alle Stellen am einzelnen Ei gleich gut entwickelt; die Basal-
hälfte, d. h. der stumpfe Theil, zeigt in der Regel sowohl Korn
als Poren am deutlichsten. Jene Ausnahmsfälle, in denen Theorie
und Praxis in Collision kommen, sind bald sehr selten bald häufiger.
Bei den Raubvögeln und zwar ganz speciell bei den Gruppen
Milvus und Buteo — zum Theil auch bei den Adlern — kommen
solche „characterlose“ Exemplare fast ebenso häufig vor als die
typischen. Schon der seelige Thienemann nannte es für die Be-
stimmung der Raubvogeleier einen misslichen Umstand, dass hier
viel häufiger als bei andern Arten Exemplare mit unentwickeltem
Korne vorkommen, so dass man bei vielen gar nicht sicher an-
geben könne, welcher Art sie angehören; „liegt es an der lang- |
samen Entwicklung der Vögel oder an der beim Rauben nöthigen
Anstrengung ?* schreibt er mir i. J. 1853.
Schlüsse aus der Beschaffenheit der Eischale auf die Species
zu ziehen hat man übrigens auch auf andere Weise versucht,
indem man nicht von der fertigen Oberfläche sondern von der {
ganzen Schalenmasse ausgieng, wie sich dieselbe von ihrer ersten
Ablagerung an progressiv entwickelt. Allerdings zeigt bei groben
Schalen schon dem blossen Auge der Bruch, dass die Masse nicht
homogen ist. Beim Casuar (Casuarius indieus Lath. et Cuv. und
Dromaius novae Hollandiae Vieill. et Lath.) sieht man z. B. drei-
fache Schichtung: eine unterste weisse, eine mittlere glasigere
a ea u
— 155 —
D
und eine oberste dünne, diese beide mit grünem Ton; da die mittlere
Schichte etwas heller ist als die oberste, so erscheinen die der
letzteren angehörigen erhabenen Korm-Züge dunkler als die in
jene Mittelschicht gehenden Poren. Beim Strauss (Struthio ca-
melus L.) sind zwei ziemlich gleich starke Lagen, beide weiss,
die untere etwas durchsichtiger und von mehr spathig-stängeli-
sem, die obere von etwas mehr muscheligem Bruch: die nadel-
stichartigen Poren gehen als hellbraungefärbte Trichter von der
Oberfläche bis auf die Mitte der Schalendicke, d. h. sie basiren
genau auf der Unterschicht. Auch bei den Lummen (Uria troile
Temm. — lomvia Brünn. und U. arra Pall. — Brünnichiüs Sab.)
zeigt sich das Grün als eine Schmelzschicht über Weiss.
Selbst wenn sich aus solchen Verhältnissen bestimmte Schlüsse
ziehen liessen, so wäre ihr practischer Werth für die Species-
Unterscheidung doch sehr problematisch, theils weil man Werth-
volleres nicht gerne zerstückelt, theils weil Queerschnitte und
Queerschliffe beim zartesten Material kaum ausführbar sind.
Dr. Rudolf Blasius hat in einer werthvollen Dissertation
(„Ueber die Bildung, Structur und systematische Bedeutung der
Eischale der Vögel“, Leipzig 1867; mit 2 Tafeln) einen mehr
chemischen Weg eingeschlagen, indem er eine grosse Reihe von
Eiern theils in Kalilauge kochte, theils mit verdünnter Salzsäure
oder nacheinander auf beide Weisen behandelte und dann mit
Carminlösung tingirte; er hat sich die Mühe genommen, die ein-
zelnen Eischalen-Kerne zu messen und anschauliche Proben ab-
gebildet. Er fand bei Eiern derselben Species zwar einen ge-
wissen gemeinsamen Typus, allein die Kernschicht an ein und dem-
selben Ei variirend, bald bei naheverwandten Arten durchgreifende,
bald aber auch sowohl bei nächstverwandten als bei einander
sehr ferne stehenden Arten gar keine Unterschiede, generelle
Differenzen lediglich nicht. Diese negativen Resultate bei der
inneren microscopischen Untersuchung haben, weil ein gesetz-
mässiger Typus sich nicht erkennen lasse, meinen verehrten
Freund zu dem sehr harten Ausspruch veranlasst, dass die Ei-
schale überhaupt keinen Anspruch auf Unterstützung der syste-
matischen Ornithologie machen dürfe.
— 186 —
Nachdem ich in neuerer Zeit darüber befragt worden bin,
wiesich die Eier des Hühnerhabichts (Astur palumbarius
Cuv.), des Königsgabelweihs (Milwus regalis Briss.) und
des Mäusebussards (Buteo vulgaris Bechst.) untereinan-
der unterscheiden, so möge als ein schwierigeres Beispiel
meine Antwort hier eingeschaltet sein. Im Gewicht ist, den
ziemlich gleich grossen Vögeln entsprechend, kein wesentlicher
Unterschied. Auch die Gestalt stimmt überein, man kann höch-
stens etwa noch sagen, dass beim Habicht und Bussard mehr
gedrungene oder abgestumpfte, beim Gabelweih mehr dem Oval
sich nähernde Eier vorherrschen. Bei letzterem, die nächstver-
wandten Arten (M. niger Briss. und M. parasitus Less.) mit ein-
geschlossen, kommen in der Grösse besonders auffallende Ex-
treme vor. Die grünliche Grundfarbe bei Buteonen- und
Milaneneiern geht mehr in’s Kalkweisse; bei den ersteren zieht
sie manchmal stark in’s Gelbgrüne; für frische Eier vom Hühner-
habicht — je bebrüteter oder je älter in der Sammlung desto
weisser werden sie — ist eine grünbläuliche Färbung cha-
racteristisch.h Eine Fleckung bei letzterer Art ist überhaupt
nicht die Regel, wenn sie aber auftritt, so existirt sie nicht in
mehreren Farbentönen; entweder sind nur ganz verloschene blass-
leberbraune grössere oder nur kleinere trübviolettgraue Flecken
vorhanden, gerade wie beim normal gleichfalls einfarbigen See-
adlerei. Sogenannte Oeltropfenflecke, die aber weiter nichts sind
als eine stellenweise Steigerung des Grundtons, kommen auch
manchmal vor. Beim Bussard findet in der Regel die stärkste
und gröbste, oft recht bunte Fleckung statt: lehmbraun und
braunroth bis violett und blaugrau, wobei die Farben um den
stumpfen Pol gerne zusammenfliessen; diese Eier können nach
der Färbung mit denen des Steinadlers (Aguila fulva Briss.),
welche ihre Wiederholung im Grossen sind, füglich in Parallele
gestellt werden. Beim Gabelweih pflegen feinere Zeichnungen
vorzuherrschen, Stricheln, langgezogene Schnörkel oder feinste
Puncte, die an Verunreinigung durch schmarotzende Insecten er-
innern; kleinere Oberflecke sind hier meist hell, verwaschen-braun,
während die violetten Unterfiecke oft recht lebhaft hervorstechen.
a 1 > WA
Tritt sehr dunkle und sehr grobe Zeichnung hinzu, so sitzt die-
selbe als eine letzte Bekleksung ganz oberflächlich und verwisch-
bar auf und vereinigt sich mehr zu einzelnen unregelmässigen
Gruppen bald da bald dort, am häufigsten an einem der beiden
Pole. Die Textur ist beim Ei des Hühnerhabichts entschieden
kräftig, mit wellig-aufgedunsenen oder auch feineren Höhenzügen,
welche lange oder etwas verzweigte, aus aneinandergereihten
flacheren Grübchen entstandene Furchen zwischen sich lassen;
flachere Vertiefungen sind weit, grubig, tiefe Stichporen sind
nur sparsam vorhanden, meist mit annähernd viereckiger Oeffnung,
wenn gerundet als feine Stichpuncte oder mit einem Kalkkorn
ausgefüllt. Wie bei allen Buteoninen zeichnen sich die Eier
des Mäusebussards durch zahlreiche Stichpuncte aus, in welcher
Eigenheit sie sich den Adlern anschliessen; das Korn ist sehr
fein, fast ohne jede Spur von erhabenen Zügen; die tiefen Stich-
poren sind gerundet oder gestreckt oder eckig. Beim Gabelweih
ist ein zwar geglättetes aber durch wulstige Erhabenheiten un-
ebenes Korn, indem ungleich grosse, grössere und kleinere Körn-
chen dicht aneinander schliessen; dadurch werden die Poren eckig
mit scharfkantigem Rande oder sie erscheinen als kurzgekrümmte
Falten; nur selten erscheinen tiefe Poren oder runde flachbodige
Scheinporen, in deren Grunde Körnchen sitzen, die zur Ausfüllung
der Vertiefung nicht ausgereicht haben.
Hiemit dürfte die Hauptsache gesagt sein. Gegen 300
aus einer noch weit grösseren Anzahl ausgewählte Exemplare
der drei fraglichen Arten, die dem Obigen zu Grund gelegt sind,
konnten natürlich nur im Allgemeinen, nicht in den einzelnen
Abweichungen (namentlich der Färbung) berücksichtigt werden.
Aus ällem bisher Gesagten geht hervor, dass die Unter-
scheidung unsicherer Vogeleier eine mühevolle Arbeit ist, die
ziemlicher Uebung und bedeutenden Materials bedarf. Dass die
zur Unterscheidung nöthigen Resultate auf dem Weg der Ver-
gleichung zu erwerben sind, oder mit andern Worten, dass
man aus Bekanntem in der Regel mit grösster Sicherheit Schlüsse
auch auf noch völlig Unbekanntes ziehen kann, ist leicht zu er-
läutern. Gesetzt z. B. ich bekomme aus einem fremden Land
— 18585 — n.
— nennen wir es Surinam oder Chile — Eier ohne jegliche
Bezeichnung und gesetzt ferner, die natürlichen Familien denen
sie angehören, seien mir bereits genügend bekannt, so dass
ich ohne wesentliche Mühe sofort erkennen kann, wohin sie un-
sefähr gehören, so wird es mir in den meisten Fällen ein
Leichtes sein, sie nicht etwa bloss mit Wahrscheinlichkeit sondern
geradezu mit grösster Sicherheit zu bestimmen, sobald mir nur
die Mittel geboten sind, in einer Localfauna — für dieses Bei-
spiel also von Surinam oder Chile — genau zu finden, was dort
z. DB. an Adlern, Falken, Eulen, Hühnern, Rallen, Regenpfeifern,
Schnepfen, Enten u. s. w. vorkommt. Gıösse sowie Analogie mit
bereits Bekanntem sind dann untrügliche Vermittler.
Wie sich in praxi Resultate gewinnen lassen, mögen nur
zwei Exempel erläutern. 1. Als Heuglin eine grössere Serie Geier-
Eier aus Africa (Schech Said, März 1875) mitbrachte, bemerkte
er mir, die Mehrzahl stamme zwar notorisch aus den Horsten
von Neophron pileatus Savign. et Burch., er könne aber nicht
dafür einstehen, dass nicht einige von Aqgwila naevioides Cuv.
(Falco rapax Temm.) dazwischen seien. Hiefür schien allerdings
die Thatsache zu sprechen, dass verschiedene, im Gegensatz zu
den wenigen mir bekannten sparsamer und düsterer gezeichneten,
sehr lebhaft gefleckt und verhältnissmässig recht gross waren,
allein der Vergleich mit 6 algerischen Raubadlereiern ergab un-
zweifelhaft die Zusammengehörigkeit aller; ihre Schale ist nicht
nur bei gleicher sondern auch bei noch bedeutenderer Grösse
constant leichter und scheint gegen das Licht nur ganz blass
grünlich durch, während jene Adlereier innerlich tief smaragd-
grün erscheinen ; nachdem diese Unterschiede auch bei 3 früher
erhaltenen Exemplaren (Brehm, Vierthaler, Heuglin, 1851—61)
zutrefien, musste für mich entschieden sein, dass alle dem Mönchs-
Aasgeier angehören. 2. Graf Hoffmannsegg und sein Gefährte
Henke, welche verschiedene Jahre bei Archangelsk und an der
Petschora sammelten, haben uns zuerst (1854) die Eier des
Zwergammers, Emberiza pusilla Pall. geliefert.*) Da die in
*) Von Letzerem liegen mir überdiess zahlreiche und werthvolle
Notizen über die Fortpflanzung dieses Vogels wie anderer vor.
”
— 189
den ersten Nestern gefundenen Eier röthlichgrundig mit braun-
violetter Marmorirung waren, gieng Hoffmannsegg von der Voraus-
setzung aus, sie seien stets so, wie ja z. B. auch bei unserem
gemeinen Goldammer röthliche Töne vorherrschen. Im nächst-
folgenden Jahr sandte derselbe ein Gelege Eier als die muth-
masslichen eines anderen seltenen Ammers, die auf blaugrün-
lichem Grund grünbraun und blaugrau gezeichnet sind, in allem
Anderen aber durchaus mit jenen rothen übereinstimmen. Nach-
dem ich eben damals durch eine Reihe anderer Fälle *) Wechsel-
beziehungen zwischen Cyanismus, Erythrismus und einer zwischen-
liegenden Normalfärbung gefunden hatte, war meine sofortige
Überzeugung, dass hier die Färbungsextreme ein und derselben
Art vorliegen und dass bräunliche Eier als Mittelglied gleich-
falls existiren müssen. Thienemann, der bei vorgerücktem Alter
sich in neue Ideen nur schwer fand, wollte überhaupt nichts
von einem regelmässig wiederkehrenden Erythrismus **) wissen
und belächelte meine Phantasie. Später erst (1861) fand ich
bei Freund Hoffmannsegg zufälliger Weise 2 hellbräunlichgrundige,
dunklergezeichnete Eier, die der gewissenhafte Sammler nicht
abgegeben hatte, weil er über ihren Urheber nicht im Klaren
war; auf den ersten Blick erkannte ich in ihnen die gesuchte
*) Besonders schöne Exempel liefert z. B. der Weasserpieper,
Anthus aquaticus Bechst. (Alauda spinoletta L.)
**) Er hat sein Leben lang ein erythritisches Ei seiner Sammlung,
das nachgewiesenermaassen Salicaria phragmitis Selb. angehört, zu
S. locustella Selb. (Penn.) gezogen und cyanitische Kiebitzeier für solche
vom Strandreuter (Hypsibates himantopus Nitzch.) gehalten. Die
rothen Möven aus Labrador, welche Bädeker, in einen andern Fehler
verfallend, fälschlich als diejenigen von Larus borealis Brit. und zwar
als die einzig normalen abbildet, hat Thienemann allerdings nur als
eine Spielart erkannt und zu L. leucopterus Fab, gezogen, allein er
war geneigt, diese Abweichung »einer auffallenden Wirkung des nor-
dischen Climas« zuzuschreiben. Jene rothe Färbung kommt dort aber
noch häufiger auch bei L. glaucus Brünn. vor,ich besitze auch ein rothes
Silbermövenei (L. argentatus Brünn) aus Norwegen und ein anderes
von Sylt zeigt wenigstens einen Uebergang; hieraus dürfte hervorgehen,
dass auch hier gewisse Beziehungen zu jenen prächtigen Cyaniten
stattfinden, die bei all unseren Möven gar nicht so selten vorkommen.
Aal an Bu Da
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1,1907 9
Zwischenform und es war mir — bis dahin allerdings allein nur
mir — bewiesen, dass ich richtig geschlossen hatte. Inzwischen
wurde auch v. Middendorfis Sibirische Reise (Petersburg 1851)
zugänglicher und durch sie die Frage endgültig erledigt. Dort
(Bd. II, Zoologie, T. XIII, f. 4) sind die Eier des Zwergammers
abgebildet und zwar eben die bräunlichen; im Texte heisst es,
in einem der beiden gefundenen Nester seien die Eier auf grau-
lichweissem Grund bräunlich, im andern auf gelblichweissem
Grund violettbraun gezeichnet — hier also angehender Erythris-
mus, dort Mittelfärbung! v. Middendorff hält diese Eier für so
verschieden, dass er es nöthig findet zu constatiren, es habe kein
Beobachtungsfehler stattgefunden, da beide Weibchen erlegt wor-
den seien. Henke, der länger in Nordrussland blieb, hat mir
unmittelbar nachher noch weitere braune Eier aus 2 Nestern,
diessmal unter dem richtigen Namen, geliefert, im einen Falle
gleichmässig braungewässerte, im andern rohrammerartig ge-
schnörkelte mit grünbräunlichem Grund. Indem ich also in diesem
Fall ein unbekanntes Ei richtig zu erkennen vermochte, fiel es
mir nicht schwer, für ausschliesslich normal gehaltene Eier dem
Gebiete der blossen Variation zuzuweisen und vorauszusagen wie
die typischen aussehen werden. Eine Serie von vierzehn ausge-
wählten Exemplaren dieser seltenen Art, aus sieben verschiedenen
Nestern und in sechs Nüancen (1 Mal Cyaniten, 2 M. Erythri-
ten, 3 M. braun), rechne ich jedenfalls zu den schöneren meiner
Sammlung.
IV. Kleinere Mittheilungen.
Einladung zur Benützung der zoolorischen Station in Neapel,
Die K. Württembergische Regierung hat in der von Dr. A.
Dohrn in Neapel aus eigenen Mitteln gegründeten und geleiteten
zoologischen Station auf ein Jahr, vom 20. August 1875/76,
einen Arbeitsplatz für Württemberg gemiethet.
« Bekanntlich dient diese 1871 errichtete Anstalt verbunden
mit einem ausgezeichneten Aquarium, dessen Besichtigung Jeder-
mann zugänglich ist, den Zoologen das Studium der Meeresthiere
im Golf von Neapel zu erleichtern.
Hiezu sind in einem dicht am Meere zweckdienlich erbauten
Gebäude 24 Arbeitslokale eingerichtet, welche von den meisten
europäischen Regierungen entweder auf ein Jahr oder auf eine
Reihe von Jahren gemiethet werden können und gegenwärtig auch
besetzt sind.
Der betreffende Zoologe darf für den gemietheten Platz die
zu seinen Untersuchungen nöthigen Apparate nebst einem kleinen
in jedem Zimmer vorhandenen Aquarium und’ die Bibliothek be-
nützen und erhält die bei Neapel vorkommenden Meeresthiere,
die er zum Gegenstande seiner Forschungen gewählt hat, in be-
liebiger Menge. Zur Beischaffung derselben hat die Anstalt
eigene und kundige Fischer angestellt.
Ausserdem hat der Zoologe in dem grossen, ganz vortrefl-
lich und reichhaltig eingerichteten Aquarium im Parterre des
— 12 —
Gebäudes die beste Gelegenheit, die Lebensweise und Entwick-
lung der Meeresthiere zu beobachten und zu untersuchen.
Für Wohnung und Verköstigung hat der Benützer des
Arbeitsplatzes selbst zu sorgen, ebenso wird vorausgesetzt, dass
er sein eigenes Mikroskop und die Materialien zum Sammeln von
Naturalien selbst mitbringt.
Dem Vernehmen nach ist der für Württemberg gemiethete
Arbeitsplatz bis Ende Aprils besetzt, steht aber jedem Württem-
berger vom 1. Mai an bis zum 20. August 1876 zur Benützung
offen, wenn er sich an das K. Ministerium des Kirchen- und Schul-
wesens wendet. | Kr.
Ausgegeben im Februar 1876.
Ba De ;
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m.
Württ. Naturw. Jahresh Jahrg. XXXI 1876 Tafl.
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Ueher Las Epsilon. .
Von Arnold R. C. von Wurstemberger. ei E}
Die Formation, von der hier die Rede sein soll und welche ER
unter dem Namen Posidonienschiefer bekannt ist, hat schon seit R
langer Zeit die Aufmerksamkeit der Geologen und Techniker auf
sich gezogen, einerseits, weil die darin liegenden Petrefacten so
besonders schön erhalten sind, wie sonst in keiner zweiten For-- =
mation Schwabens, andererseits wegen des bedeutenden Gehaltes
an Bitumen, welch’ letzteres in neuerer Zeit sogar zur Heizung
von Dampfmaschinen verwendet wird. Es mag deshalb lohnend |
i
erscheinen diese Schichten zum (Gegenstand einer genaueren Rr
Untersuchung zu wählen, besonders da sie nicht nur locales, son- A
dern ihrer ausgedehnten Verbreitung in kohlenarmen Gegenden 8
; wegen, auch ein allgemeines Interesse verdienen. Dieser Schiefer _ I
| „zieht sich über Banz, Pfahlheim bei Ellwangen, Wasseralfingen,
"Boll, Holzmaden, dann längs dem Albrande über Reutlingen, &
esngen b. Hechingen, Schömberg, Fuezen am Randen, dann in x
der Schweiz über Beggingen, den nördlichen Theil des Cantons %
$: Aargau, durch den Berner Jura bei Delemont und Porrentruy, b
nach Frankreich, über Vaufray nach Besancon und Salins und Ri
gegen la Verpilliere hin. u
: In der genannten Ausdehnung zeigt der Lias & im Grossen RO
_ und Ganzen eine bedeutende Gleichförmigkeit. Gewisse Theile,
_ wie z. B. die Stinksteine, habe ich überall wiedergefunden; da- R DR
. gegen sehen wir bisweilen in Aufschlüssen, die ganz nahe bei | u
2 _ _ Württemb. naturw. Jahreshefte. 1876. 13 c£
— 194 —
)
einander liegen, im Einzelnen nicht unbedeutende Verschiedenheiten
auftreten; besonders variirt die
Gesteinsbeschaffenheit.
Der Lias & besteht bei uns in Württemberg der Hauptsache
nach aus einem grauen bis schwarzen, oft sehr zähen, Schiefer,
der im Innern des Gebirges manchmal das schieferige Ansehen
verliert und den Eindruck von Plattenkalken macht, dagegen,
wo er der Verwitterung ausgesetzt ist, bis zur Papierdünne
blättert.
Zwischen den vorgenannten Schiefern lagern sich harte Kalk-
bänke ein, von denen zwei, die sogenannten Stinksteine, eine
merkwürdige Constanz zeigen.
Die Schiefer sind meistens bituminös, doch erstreckt sich
der Gehalt an Bitumen nicht immer auf alle Lager, so z. B.
ist in Holzmaden nur der untere, in Reutlingen auch der obere
Schiefer als Brennmaterial verwendbar. Ferner ist der Schiefer
mit fein vertheiltem Schwefelkies gespickt, welcher, (wie diess
bei Ohmenhausen der Fall ist) bald hier bald dort zu einzelnen
Klumpen verdichtet auftritt, oder (wie bei Reutlingen) Schichten
bildet.
Auch die Härte einer und derselben Schichte ist an ver-
schiedenen Orten oft gänzlich different. In der Schweiz und in
Frankreich sind die oberen Schichten des Lias g nicht wie bei
uns Schiefer, sondern die Posidonia liegt dort in einem asch-
grauen schüttigen Mergel, der Glimmer und Sand enthält.
Aus diesem Grunde will ich den Namen Posidonienschiefer
nur auf die württembergische Formation anwenden, sonst aber
die Bezeichnung „Lias &* festhalten.
Hin und wieder findet man (z. B. im Canton Aargau) zwischen
den Schiefern Gerölle, Sand-und dergleichen eingelagert, was auf
eine Strandbildung hindeutet.
Der Schiefer wird von einer Reihe paralleler Spalten (Gächen)
durchzogen, was besonders in Holzmaden deutlich hervortritt,
welche schnurgerade in der Richtung des Meridians ihren Ver-
lauf nehmen. Dieselben durchsetzen den Steinbruch in seiner
AUTEN BU UL
ee, Lim,
u
Rn N i
e ganzen Höhe, so dass die Arbeiter häufig den Schiefer nur ab-
zuheben brauchen und nicht nöthig haben ihn erst mit vieler
Mühe zu zerschneiden.
Die Richtung von Nord nach Süd wird von den Spalten
‘in sämmtlichen Steinbrüchen von Holzmaden so constant einge-
halten, dass die Steinhauer sie als Sonnenuhr benützen, indem
zur Mittagszeit beide gegenüberliegende Wände des Bruches von
der Sonne gleichzeitig im Streiflicht beleuchtet werden. Unge-
fähr senkrecht zu diesem Spaltensystem zieht sich ein zweites
durch den Schiefer, welches jedoch lange nicht so regelmässig
ist als das erste, häufig absetzt, krumm wird, und zuweilen nur
einige Schichten durchschneidet.
Die Spalten sind entweder leer oder mit Gyps und Schwer-
- spath ausgefüllt, welche sich aus dem verwitterten Schwefelkiese
gebildet haben. Aus dem Schiefer fliessen bei Boll, Reutlingen,
_ Bisingen und anderen Orten Quellen, die bedeutend Schwefel-
- wasserstoff abgeben, und wenn das Wasser ruhig steht, auf der
Oberfläche eine leichte Decke von Schwefelmilch zeigen. An
_ anderen Orten (Sceaux) soll nach einer Erzählung auf den Quellen
_ an heissen Tagen soviel Oel herauskommen, dass man es bei-
nahe mit Löffeln vom Wasser abschöpfen könnte. Was die
- Mächtigkeit des Schiefers anbelangt, so variirt sie ungemein.
Wir finden bei Pfahlheim denselben blos 1 M. mächtig, bei
- Holzmaden zwischen 8,3 und 2 M., bei Reutlingen 7 M., bei
. Beggingen ca. 8 M., bei Schmidberg, bei Böttstein Ot. Aargau
‚sogar 35 M., dagegen bei Rüti in der Nähe von Thalheim etwas
über 24 cm. und bei Mouthier wieder etwa 80 M. Aehnliche
locale Verschiedenheiten zeigen sich in Beziehung auf Zahl und
} rhaltung der Petrefacten.
Man findet die Ichthyosauren in Boll, Holzmaden, Ohmden
häufig und meist schön erhalten, während bei Reutlingen wenig
und meist schlechte Stücke zu Tage gefördert werden. Im Berner
Jura wurde noch nie ein Saurier gefunden, wohl aber bei Salins
einzelne zerstreute Wirbel. Man darf desshalb aunehmen, dass
die einzelnen Ablagerungen an verschiedenen Orten nicht immer
Aa j 13*
WÄRE SERRRNS SER EUR SR RL NR LI ET
(ie a Br un Fr Tr vd PR au.) LE 21 vr Nuce
u a a a5 De ae
a er
— 16 —
unter denselben Verhältnissen stattfinden, eine Beobachtung auf
die wir in der Folge noch zurückkehren werden.
Keine Formation lässt sich mit solcher Leichtigkeit abgrenzen
als die hier in Frage stehende. Nach dem Vorgange des Herrn
Professor Dr. von Quenstedt kann man als unterstes Glied der-
selben den sogenannten Tafelfleins der auf dem Costaten-Kalke
aufliegt, und sich schon durch seine Härte unterscheidet, be-
zeichnen, und von da an den Lias ge rechnen. Besonders bequem
wird aber dieser Horizont dadurch, dass gleich darauf die mäch-
tigen Fucoidenschiefer sitzen, welche, wenn man auch den Fleins
übersehen würde, sicher auffallen müssten.
Die obere Grenze ist nicht in gleicher Weise allgemein
gültig festzustellen, man muss vielmehr für jeden Ort dieselbe
besonders bestimmen. Für Boll geben die oberen Fucoiden-
Schiefer einen sicheren Horizont, dieselben finden sich jedoch
nicht in Reutlingen und dort entscheidet dann wieder der Ge-
steins-Charakter.
Betrachten wir nun speziell die
Lagerungsverhältnisse.
Diese zeigen, wie schon oben erwähnt, in ihren Details
ziemliche Variation; man ist daher genötligt, für jede Aufschluss-
stelle ein besonderes Profil aufzunehmen.
Seiner beinahe horizontalen Lagerung wegen giebt zu diesem
Zwecke
Der Lias e Süddeutschlands
das beste Untersuchungsmaterial. Nicht nur befinden sich die
Schichten meist noch in annähernd derselben Lage, in welcher
sie aus dem Wasser abgesetzt wurden, sondern sie sind hier
durch unzählige Grabarbeiten an den verschiedensten Orten sehr
gut und deutlich aufgeschlossen, was die Untersuchung der Schich-
tenfolge und die Aufnahme genauer Profile bedeutend erleichtert,
ich möchte sogar sagen allein möglich macht. 2
Für die unteren Schichten lässt sich in
Holzmaden
ein sicherer und guter Durchschnitt aufnehmen, die oberen sind
R)
7%
Re N ENTE
a 2 N le
| jedoch daselbst mangelhaft: entwickelt und ich habe es desshalb
_ vorgezogen im Steinbruche bei Ohmenhausen ihre Folge zu studiren
und festzustellen.
Beginnen wir als unterstes Glied mit dem Tafelfleins I.
(vergleiche Profil I.)
Derselbe wird vorzüglich in Zell gewonnen und gibt dort
ein sehr gutes Material zu Tischplatten und dergleichen. In
Holzmaden sind es nur wenige Brüche in welchen man nach
demselben gräbt, da der dortige den Temperatur- und Witterungs-
wechsel nicht "aushält und bald zerfällt. Auf seiner Unterseite
findet man in ziemlicher Anzahl Cidaris ceriniferus (Pliensbach)
(von Quenstedt, Jura Tafel 37. Fig. 19). Auch kommen in diesem
Fleins Loliginiten mit Dintenbeuteln, Schuppenfische und Ichthyo-
sauren vor. Von letzteren will ich hier nur einen kleinen 7.
_ quadriscissus erwähnen, der ein wahres Musterexemplar ist und
sich in Stuttgart befindet, sowie den unten näher beschriebenen
Quadriscissus, welcher 5 junge Individuen in seinem Leibe ein-
schliesst.
Auf diesem Fleins finden wir dann ein Lager von breit-
blättrigen F’ucus (2 a) Schlotheims Algacites granulatus, im oberen
Theile (2b) dieser Bank werden dann die Fucoiden immer schmal-
blättriger und gleichen dem Fucus von Quenstedt, Jura Tafel
39. Fig. 10. sehr, erreichen jedoch nie die feinen und eleganten
Formen des Fucus bollensis der erst im oberen Theile von Lias &.
vorkommt.
Diese etwa 15 Centimeter mächtige Schichte besteht aus
einem kaffeebraunen bituminösen harten Gestein, welches wenig
Schieferung zeigt und beim Schlage splittert, auch der Verwitte-
E* rung trotzt.
cf ie a = a 4 a a u u
- v
i
Auf diesem braunen Grunde lassen sich die hübschen Zeich-
nungen der blaugrauen Fucoiden sehr deutlich erkennen. Ueber
diesem Lager befindet sich eine Schichte (3) von aschgrauen
schüttigen Mergeln, welche an Amaltheenthone erinnern und grosse
Paxsillosen sowie einige verkieste und hernach in Ocker ver-
wandelte kleine Muscheln enthält. Hierauf folgt wieder eine
‚einige Centimeter dicke- Schichte von Fucoiden (4) in einem
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Fe
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Profil No. I, No.
Oberepsilon Leberboden 19
u © Monotisplatte 18
> ————
5 =
ge harte Kalkbänke 17
° Wolke
4 Zweiter Stinkstein 16
a ı 1 a Er Be
“88 \ b
e2n
+3 Mittlerer Stinkstein c15
. a
= u ee lg Be ai
58 erster Stinkstein 14
8.2 rn
CE = Brennbarer Schiefer 13
SERIEN Bat
Plättli )
— Te
Schieferfleins
Hainzen (Fleins) | 11
Mergel 10
a Coblenzer (Fleins) 4 Er
in E Fucoiden mit. weissen Muscheln 8
om BI MeRREE, Wr“
a Belemnitenmergel 7
HS I ———— ee
o232% Hauptfucoidenbank grau b 6
Bern, Fucoiden braun a
© © TE
a Lehm gelb 5
= eu BE m
feinblättrig b
je) A = :
Fucoiden breitblättrig braun a 4
Mergel | grau | 3
: feinblättrig ; bo,
Bere. breitblättrig ER a
Tafelfleins ; 1
NER
il Kr an
beim Schlage. |
Wie vorher sind die unteren Fucoiden (4) breithlättriger Ri
als die oberen (4b). Eine 3 cm. dicke Lehmschicht (5) welche
durch viel Eisenocker gelb gefärbt ist, und ausser Bel. pazil- IN vr
losus nichts aufweist, trennt diese von der darauf folgenden N:
Hauptfucoidenbank (6). | A
h Diese beginnt ebenfalls unten mit einem braunen Gestein, ei a
welches aber nur etwa 6 cm. dick ist und dann gleich in asch- 29
graue bitumenleere kurzblättrige Schiefer übergeht. u
Diese Schiefer bilden das Hauptlager des Algacites granu- 3
latus und zwar sind diese Fucoiden so massenhaft eingelagert, eR
dass man auf dem Querbruche des Schiefers eine Menge dicht \ er
an einander gedrängter ovaler weisser Tupfen sieht, ein deut- 5 :
liches Anzeichen dafür, dass diese Pflanzen dicke rundliche Stämm- Me
chen, und nicht. papierdünne Blätter waren. (Vergl. hierüber :
- v. Quenstedt, Jura pag. 270.) E;
a,
In diesem Lager tritt dasselbe auf, was wir schon mehr- 5
fach früher sahen: in den untern Theilen jeder Fucoidenbank Bi
finden wir die breitblättrigen, in den oberen die schmalblättrigen 5
Fucoiden, ja man kann an einem Handstück von 3 cm. Dicke ER
diess schon deutlich wahrnehmen. Wie mit einem Messer ab- ei
geschnitten hören dann die Fucoiden auf, nachdem sie bereits
‘ die Feinheit der Fuc. bollensis erreicht haben, das Gestein (7)
- setzt jedoch fort; es enthält wieder Belemniten.
Etwas höher als dieser Mergelschiefer liegt noch einmal 5
eine dünne leicht übersehbare Lage Seegras (8), welche durch ge
ein etwa 2 cm. dickes Bänkchen gelben Lehmes von dem Mer* %
gel getrennt ist. Dieses Seegras ist mit einer Menge weisser
; Muschelschalen durchspickt, wahrscheinlich schon Mytilus gryphoi-
des, nur ziemlich klein und schlecht erhalten.
Auf diese Schichte folgt der erste Fleins (9) der soge-
nannte Coblenzer, wie ihn die Bauern von Holzmaden nennen.
Ein schwarzer, zäher, bituminöser Kalk, der jedoch der Verwit-
terung so wenig Widerstand leistet, wie der Tafelfleins, daher
‚auch nur in wenig Brüchen gewonnen wird. Man trifft ihn selten
a Y y
ee
hi
in so schönen Platten wie den eigentlichen Fleins, denn eine
Menge Sprünge, welche nach allen Richtungen verlaufen, theilen
denselben oft in ziemlich kleine Stücke.
Wahrscheinlich stammt aus diesem Coblenzer ein schöner
Teleosaurus, der sich im Stuttgarter Cabinette befindet. Es ist
ein Exemplar von 121/, Fuss Länge, mit Ausnahme des Kopfes
vortrefflich erhalten und zeigt die bei Teleosaurus so oft beob-
achteten Missverhältnisse der vorderen und hinteren Extremitäten
auf’s Deutlichste, indem der Mittelfinger des fünffingerigen Vor-
derfusses blos 2 Zoll, der entsprechende des Hinterfusses 8
Zoll lang ist. Die übrigen Theile entsprechen diesen Verhält-
nissen.
Auf den Coblenzer folgt ein grauer, fetter, stellenweise
sandiger Lehm (10) mit unkenntlichen verkiesten und verwitter-
ten Muscheln und einigen schlechten Paxillosen. Er bildet das
Schlussglied für Unterepsilon oder Seegrasschiefer, mit welchem
Namen von Quenstedt die ganze Formation zwischen Tafelfleins
und dem nunmehr zu besprechenden Hainzen bezeichnet.
In diesem Seegrasschiefer liegen hin und wieder linsen-
förmige Platten eines grauen Kalksteins zerstreut, in welchem
sich Pentacriniten (Jura, pag. 269) vorfinden. Ausserdem trifft man
noch Plicatula Spinosa, welche sich aus y hinüberzieht, hier je-
doch ausstirbt, ferner den ersten Aptychus, Terebratula amal-
thei und Spirifer villosus, von welchem bis jetzt nur ein ein-
ziges Exemplar gefunden wurde.
‚Diess sind nun hier die letzten Brachyopoden, wir treflen
. erst wieder über dem oberen Stinksteine die Orbicula papy-
racaea.
Wie vorher erwähnt folgt über dem Seegrasschiefer der so-
genannte Hainzen (11), welcher das Hauptlager der Pentacrinus
subangularis bildet. Es ist dies ein Fleins, der noch in ein-
zelnen Brüchen gewonnen wird, jedoch nur zum Auslegen von '
Kellern und Gerbergruben Verwendung findet, da er der Witte- R
rung nicht Widerstand zu leisten vermag. NR
a
Früher wurde er aus diesem Grunde stets stehen gelassen,
jetzt jedoch beuten ihn einige Bauern wieder aus. Hier finden
L
De
EEE RITTER EAN ARE NER
wir zum ersten Male ein Lager von Amm. communis. Einzelne
feingerippte Exemplare hat v. Quenstedt schon auf dem Penta-
criten-Kalk im Mergel des Seegrasschiefers beobachtet, doch
kann man diess noch nicht als Lager betrachten, ferner finden
sich hier Saurier und Loliginiten. Ueber diesem Hainzen kommt
nun der eigentliche Fleius, Schieferfleins oder Posidonien-Fleins
genannt, da seine oberste Platte, das sogenannte „Plättli“, aus
lauter Posidonien und Mytilus gryphoides bestelit, beinahe Alles
jedoch bis zur Unkenntlichkeit in Gyps verwandelt.
Hier tritt die erste Posidonia auf, es ist P. Bronni magna;
weder weiter oben noch weiter unten ist bis jetzt eine Spur von
ihr wahrgenommen worden.
Diess „Plättli* ist höchstens zum Decken der Häuser statt
der Dachziegel verwendbar, indem es nach wenigen Jahren völlig
verwittert und aufgeblättert ist. Auch ist es zu weich, um eine
Bearbeitung zu ertragen, und würde keine schöne Politur an-
nehmen.
Der brauchbare Theil des Fleinses liegt unter diesem und
über dem Hainzen. Dieser ist es, dem die Bauern nachgraben,
bei welcher Gelegenheit denn die herrlichsten Petrefacten zu
Tage gefördert werden, die schon lange Boll und Holzmaden
berühmt gemacht haben. Er lässt sich in 3 bis 4 dünne Platten
spalten von je etwa 3 cm. Dicke, welche eine sehr schöne Poli-
tur annehmen und vielfach statt Marmor verwendet werden.
In diesem Fleins findet man die schönen Skelette von Ich-
thyosauren und Fischen, auch ragen viele Pentacriniten aus dem
Hainzen noch hier hinein, sie sind jedoch oft schwer herauszu-
arbeiten, liegen häufig auf einander oder zerfallen leicht (vergl.
Jura, pag. 269). Die unterste Fleinsschichte, welche direkt auf
dem Hainzen liegt, verhält sich gerade wie das „Plättli* nur
spielt hier Amm. communis die Hauptrolle, sein Vorhandensein
gestattet keine Bearbeitung derselben.
Ueber dem Schieferfleins nun beginnt für Holzmaden der
eigentliche brennbare Schiefer (13), eine graue, im Innern schwarze
schüttige Masse vorstellend,, und hierin findet sich .Zepidotus,
welcher über dem Stinkstein nicht mehr angetroffen wird, meist
pAbaMANn aA
ah RE a DE BF BD ET Fr BE ET ERTL BARBEeN a Fra a N Te 5
,
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7 * Ianaaee
än bauchigen Eee BEN verärickes Ich
7 hier ebenfalls vor, doch selten gut. Sie sind meis ten 3
oder klein und werden daher von den Arbeitern wegen j ten.
v. Quenstedt bildet in „Klar und Wahr“ pag. 138 einen solchen
em ab. Das Exemplar steht in der Univeritätssamm-
lung, man sieht noch ein Stück der Schnauzenspitze und das
Ende des Schwanzes, welches aus der Einhüllung hervorragt. Das
'Umhüllungsmaterial ist Lehm, welcher sich, wenn aka zum
Theil in concentrischen Schichten ablöst.
Ausser diesen finden sich dann noch die Reste von Teleo-
saurus Chapmani, Amm. fimbriatus, Lythensis, communis und dem
‚kleinen ceratophagus, der sich besonders massenhaft im Lehme
der Mumien vorfindet, und von welchem v. Quenstedt daher glaubt,
' dass er sich von dem faulenden Fleische der Ichthyosauren. e
genährt habe. Auch eine Gervilia kommt hier ziemlich zahl-
| ‚reich vor. +9
| Bemerkenswerth ist für diesen Schiefer, dass er leicht (oft
in einem Winter) zu kleinen Schüppchen zerfällt; an anderen s
“2 Orten, wie Reutlingen, nimmt man nie diesen feinen Grus wahr, h )
stets entstehen dort bei der Verwitterung mehr oder minder grosse
Schieferstücke. BR
{ Den Schluss dieses unteren Schiefers von Mittelepsilon bildet |
der erste Stinkstein (14).
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immer annähernd gleich mächtig. |
Aus diesem Stinkstein stammt ein etwa 40° langer u
; Stuttgarter Cabinette aufgestellter I. trigonodon Theodori (vergl.
Pag. 229), sowie Lepidotus Elvensis.
Der Stein ist ein blauer Kalk, er zeigt bei genauer Betrach-
ER noch Andeutung einer horizontalen Streifung, und spri
Jeicht beim Schlage nach derselben. v. Quenstedt sieht BR da
her für einen kalkreicheren Schiefer (Jura, pag. 218) an. Geil
4 nt £7 PR „FON PER,
der N Ey u ar Dit Ri Vo TFT
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Er Auf diesen Stinkstein folgt dann ein eirca 60 em. mächtiges |
% Lager (15a) eines compakten Schiefers, auf dem eine 6 cm. dicke 4
Kalkbank (15c) liegt, hernach kommt wieder Schiefer (15b)
etwa so mächtig wie vorher und dann der zweite Stinkstein (16).
Diese Schichte zwischen den beiden Stinksteinen wird als der ß ia
mittlere Schiefer von „Mittelepsilon* bezeichnet.
Er zeigt petrographisch je nach der Localität Variationen,
die wir in der Folge noch werden kennen lernen. In ihm liegt,
wie schon vorhin erwähnt wurde, eine harte Kalkplatte (14a),
welche leicht verwittert und zum Brennen des schwarzen Kalks
verwendet wird. Dieselbe findet sich nur in einigen Brüchen,
in anderen fehlt sie vollständig, so z. B. in Reutlingen und Ohmen-
hausen, dafür finden sich aber an letzterem Orte wieder Geoden,
in welchen Fische uud Saurier begraben liegen.
Hier fangen in Holzmaden die ersten recht guten Exemplare Ri
von Ichthyosauren an, obwohl schon im Fleins einzelne schön er-
haltene Stücke vorkommen. Von Sauriern sind mir aus dieser »
Schichte zwei I. quadriscissus sowie ein verkiester Teleosaurus
bekannt, e
Auch in Gagat verwandelte Baumstämme finden sich iem-
lich häufig, doch ist es schwer etwas Anderes als Bruchstücke zu :
bekommen.
Dieser Gagat ist so fest und hart, dass es gelingt, feine
Dreharbeiten, wie Cigarrenspizen und dergleichen daraus zu ver-
fertigen. Der grösste Stamm der meines Wissens ganz heraus- |
kam, ist der der Tübinger Sammlung. Seine Länge beträgt 3,5 M., ai
seine Breite etwa 17 cm.
In dieser Schichte fand v. Quenstedt die grössten Exemplare
von Amm. communis mit 11 cm. Durchmesser und 10 Umgängen
i (Jura, pag. 251), Präparator Schmid, in dem obersten Theile ziemlich
_ nahe unter dem zweiten Stinksteine eines jener sonderbaren Wesen,
. welches man mit dem Namen Phragmokon belegt hat. Es ist ein
\ Exemplar von 9 cm. Höhe und 7 cm. Breite und wohl eines der
h schönsten bis jetzt gefundenen.
h Der zweite Stinkstein (16) bildet die Grenze zwischen dem 2
_ mittleren und oberen Schiefer. Es ist ein harter blauer Kalk Fr
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‚welcher der Verwitterung lange trotzt. Wir finden ihn stets wieder,
doch hat er keine so gleich bleibende Dicke wie der erste, und
man muss sich daher in Acht nehmen, ihn nicht mit dem schon
oben erwähnten Zwischenstein zu verwechseln. Seine Dicke schwankt
in Holzmaden selbst von 9 bis 30 cm. Dicker babe ich ihn noch
nie gefunden.
Nach v. Quenstedt enthält dieser Stinkstein folgende orga-
nische Reste: Von Pflanzen: Zamites gracilis, Araucaria pere-
grina, Cupressites liasicus. Von Fischen: .Belonostomus, von
welchem man jedoch bis jetzt nur einzelne Köpfe gefunden hat,
ferner Pachycormus curtus und macropterus, wovon ein riesiges
Exemplar in der Stuttgarter Sammlung sich befindet. Dasselbe
misst gegen 5 Fuss in der Länge und ist gegen 1 Fuss dick.
Neuerdings fand sich noch ein vollständiger Thrissops.
Auf diesen Stinkstein folgt der obere sogenannte „wilde“
Schiefer. Es ist diess eine schwarze Kalksteinmasse, welche im
»Innern des Gebirges durchaus nicht schiefert, sondern in beliebi-
gen Stücken mit muscheligem Bruche abspringt. In Holzmaden
und Boll nennen ihn daher die Arbeiter „Wolke“ (17). Diese
Wolke ist dort ganz unbrauchbar, die Stücke werden daher wieder
in die Gruben zurückgeworfen, nachdem der Fleins herausge-
schafft ist. In Reutlingen und bei Ohmenhausen dagegen ist
dieser sowohl als der mittlere Schiefer ein vortrefiliches Brenn-
material und wird als solches ausgebeutet.
Der wilde Schiefer ist in Holzmaden von einer Reihe hori-
zontaler Kalkplatten durchsetzt, von denen einzelne einen guten
schwarzen Kalk geben, andere dagegen unbrauchbar sind, und
wieder andere, da diese der Verwitterung trotzen, als Bausteine
verwendet werden. In Reutlingen fehlen diese Bänke, dagegen
trifft man dort sehr regelmässige Lager von Schwefelkies, jeweilen
von 2 bis 3 cm, Dicke, welche sich in älteren Theilen des Bruches
durch horizontale braune Streifen an den Wänden kund geben.
Diese Schwefelkiesschichten sind eine eigenthümliche Erscheinung,
da ausserdem durch den ganzen Schiefer hindurch einzelne grössere %
und kleinere Stücke desselben Minerals in verschiedener Menge
vertheilt sind. Bi
a0
In dem obern Theile dieses Schiefers befindet sich hier
und an einigen anderen Orten eine Schichte, in welcher alles
wirr durcheinander geworfen ist, kein Petrefact ist mehr ganz.
Man glaubt einen Strand vor sich zu haben, auf welchen die
Reste todter Thiere hingespült sind. v. Quenstedt nennt diese
Schichte, welche hauptsächlich in Reutlingen und Boll auftritt,
„Kloake*.
Zwischen Kloake und Stinkstein werden die schönsten Exem-
- plare von Ichthyosauren gefunden und zwar: I. ascissus und
biseissus.
Von Holzmaden, wo keine Kloake vorhanden ist, stammen
aus dem oberen Schiefer 3 Exemplare von Z. longipes. Auch
Teleosaurus kommt hier vor, sowie Pachycormus, von welchem
ein Exemplar mit 4 Fuss Länge in der Stuttgarter Sammlung
sich befindet. Amm. fimbriatus ist gleichfalls hier gefunden wor-
den, die meisten Exemplare dieser Species sollen jedoch zwischen
Schieferfleins und dem ersten Stinkstein liegen.
In der Kloake befindet sich eine der grössten Anhäufungen
von Thierresten, Knochen von Teleosaurus, Ichthyosauren etc.
Die grösste Ichthyosaurus-Rippe der Tübinger Sammlung wurde
hier gefunden. — In dieser Schichte tritt zum erstenmale der
Bel. acuarius auf und zwar gleich in bedeutender Menge. Ueber
der Kloake folgt wieder Schiefer ähnlich wie der vorige. In
diesem fand v. Quenstedt Ichthyosaurus trigonodon und Ptycho-
lepis bollensis, Letzteren in bedeutender Menge.
Eine harte Steinbank (18) bildet in Holzmaden die Grenze
zwischen der Wolke und dem darauf folgenden Oberepsilon oder
Leberboden. In Boll wird diese Steinbank durch die Monotis-
‚platte ersetzt. Der Leberboden ist ein brauner lehmiger Schiefer,
welcher in seinem oberen Lager alles schieferige Aussehen ver-
liert und mehr lettenartig wird.
Hier beginnt die Zone des Amm. heterophyllus sowie an-
guinus.
In Boll schliesst dieser Leberboden in seinem obersten Theile
mit Amm. Bollensis sowie Fucoides bollensis, Amm. cras-
sas etc. ab und es beginnt nun die Jurensisbank von Lias £.
\
Y
| Br: ER
Weit schöner als in Holzmaden ist Rn ‘der PER repsilon.
in Reutlingen und besonders in Ohmenhausen entwickelt, desshalb
willich für diese Partbien das Profil IL. von den Steinbrüchen dieser
Orte als normal hinstellen und zwar speziell dasjenige von
Ohmenhausen.
Beginnen wir mit dem oberen Fleins (1), welcher dort ge-
_wonnen wird, so folgt auf diesen eine etwa 1 M. starke Schichte
von Schiefer (2). Diesem aufgelagert ist der erste Stinkstein (3),
welcher hier in seiner Mächtigkeit verhältnissmässig wenig Gleich-
förmigkeit zeigt, indem Strecken von 0,3—0,2 Meter Dicke mit
solchen von blos etwa 1,5 Decimeter wechseln. Auf diesem
lagert der sogenannte mittlere Schiefer (4), in welchem Fische
und Saurier enthaltende Geoden liegen. Hierauf kommt der
zweite Stinkstein (5), welcher dem ersten ähnlich sieht, nur
hier nie dünner als 30 cm. wird, wohl aber hie und da dicker,
eine Art Anschwellung zeigend. Ihm folgt nun der obere Schiefer,
der hier als Brennmaterial verwerthet wird. Gleich über dem
Stinkstein beginnt Orbicula papyracea. Mytilus gryphoides sowie
Amm. communis setzen hier fort.
Etwas weiter nach oben — etwa ein Meter hat der Mytilus‘
das Maximum seines Vorkommens erreicht, und hält dann etwa
während 2 Metern gleichmässig in Menge an. Man kann kaum
ein Stück Schiefer auch nur handgross bekommen, ohne dass 3
bis 4 Exemplare des Mytilus darauf liegen. In dieser oberen:
* Region und etwa 1 Meter höher nimmt der Mytilus in Bezug
auf Anzahl ab, dagegen nimmt Orbicula etwas stark zu, ja, man.
findet letztere häufig so dicht beisammen, dass sie sich mit ihren:
Schalen theilweise decken. Besonders gilt diess von einer kleinen
Art, welche vielleicht als Brut der ‚grossen angesehen werden,
könnte. Diese haben kaum 1 bis 3 Millim. Durchmesser und
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a = Ben na = =;
ba .
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finden sich meist in Nestern von einigen ee !
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Profil No, II.
Jurensisbhank
Pecten hört auf
= Mytilus hört auf
5 Amm. Woalcotti, Lythensis
= Pecten
Pos. Bronni parva
Nagelkalk
Schiefer
5 Kalkplatte (Monotisplatte ?)
E Schiefer
= Belemnitenschlachtfeld
2 7
iz Nagelkalk
Schief Kleine Amm. communis
ra Hauptlager des Amm. communis
Nagelkalk
S
48 3 Amm. heterophyllus, fimbriatus,
41 ©
323 S serpentinus, Lythensis.
as)
10 S Nester von Orbicula papyracea
& 3 Schwefelkieskrystalle
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“ = 8 Zweiter Stinkstein
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A Erster Stinkstein
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58 Schiefer
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Mytilus gryphoides
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—_ 208
von 15 cm. Durchmesser und darüber. Von Planylaten reffen
wir hier Amm. communis und zwar die Species anguwinus doch
im Ganzen nicht häufig. Von Heterophyllen ist hier besonders
der schöne Amm. heterophyllus ge zu erwähnen, von welchem
Bruchstücke vorliegen, die auf Thiere von 30 cm. Durchmesser
hinweisen; weniger massenhaft als dieser ist der Amm. fimbria-
Zus, von welchen ich nur einige Bruchstücke auffinden konnte.
Auch eine Onychotheutiskralle fand sich hier. Baumstämme
kommen überall vor, sowohl in den höheren als in den tieferen
Schichten. Man bekommt von diesen Bruchstücke bis zu 6 cm.
Dicke. Gewöhnlich sind es Stämme von etwa 15 Decimeter
Länge und 3 bis 4 cm. Breite, jedoch bilden sie nur in seltenen
a
Fällen ein zusammenhängendes Ganzes, sie sind vielmehr von
Sprüngen die nach allen Richtungen laufen durchzogen, und wer-
den so in etwa Wallnuss- oft auch Faust- grosse Stücke zer-
schnitten. Die Sprünge sind mit Gyps, Schwerspath oder Schwefel-
kies gefüllt.
Schwefelkies ist in dieser Region des oberen Schiefers aus-
nehmend stark vertreten, bald in Form von Kugeln mit radial
gerichteten Fasern, bald in etwa 2 Mm. dicke Bändern die den
Schiefer durchsetzen. Wenn man ein solches Stück Schiefer zer-
schlägt, nimmt man eine Anzahl spitz zulaufender Linien wahr,
die alle von einem gemeinschaftlichen Knotenpunkte ausgehen,
welcher oft aus einer wie vorhin erwähnten Kugel besteht.
Manchmal sind mehrere solche Systeme durch Schwefelkiesadern
mit einander verbunden. Die Faserung steht senkrecht zur Rich-
tung der Ader. Häufig findet man den Schwefelkies krystallisirt,
jedoch sind die Krystalle so klein, dass man sie kaum erkennen
kann. Wir sehen häufig auf einem Handstück Schiefer diese {
Krystalle parallel stehen und bei der Bewegung des Gesteins-
stücks im Sonnenlicht gleichzeitig. einspiegeln.
Die Petrefacten sind entweder verkiest oder verkohlt, z. B.
Mytilus gryphoides, welcher auf beide Weisen erhalten wurde,
im letzteren Falle die Kalkschale verschwand, und nur die innere.
organische Substanz in Kohle verwandelt, erhalten blieb. Da-
gegen ist noch nie ein einziges Exemplar von Orbicula verkiost
|
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A
- hier gefunden worden, sondern man sieht stets die braune hornige
Schale erhalten.
Aus dem Tunnel von Montmelon bei St. Ursanne Ct. Bern
bekam ich eine Anzahl goldgelbe glänzende verkieste Exemplare
von Orbicula zu sehen, es scheint somit, dass das Versteine-
rungsmittel nur local für ein und dieselbe Petrefacten-Species
constant bleibt, auch sich nur indirekt nach ‘den chemischen und
physikalischen Eigenschaften des zu versteinernden Thiers oder
Thierrestes richtet.
Ueber dieser etwa 3 Meter mächtigen Hauptzone der Or-
bieula papyracea liegt eine etwa 5 cm. dicke Nagelkalkplatte
(7), welche gewöhnlich aus 3 bis 5 hart’ auf einander liegenden
Täfelchen besteht. Diese Platte lässt sich so ziemlich durch
den ganzen Steinbruch verfolgen. Da diess jedoch bei den Nagel-
kalken, sowohl hier als in andern Brüchen, nicht immer der Fall
ist, sie vielmehr treppenförmig absetzen, so darf man diesen Ge-
bilden nicht den Rang einer Schichte einräumen, sondern kann
sie eher als eine Art von Geoden betrachten.
Auf diesen Nagelkalk folgt ein Lager Schiefer (8), der in
der oberen Hälfte feinblättrig, in der unteren mehr massig ist.
- Hier beginnt das Hauptlager des Amm. communis der Varietät
anguwinus und Amm. Walcotti. Die beiden ersteren massenhaft
verdrückt, meist etwa 3 cm. im Durchmesser haltend. Auch
Ptycholepis Boll. findet sich hier. Gegen oben werden die Am-
| ' moniten immer zahlreicher. Die oberen dünnblättrigen Schiefer
‚blähen sich auf, wenn sie längere Zeit in der Sonne liegen,
reissen in dünnen Täfelchen los wie eingelegtes Holz an Möbeln,
was von dem schlechten Wärmeleitungsvermögen und der dadurch
: veranlassten stärkeren Erwärmung und Ausdehnung der obersten
- feinen Schieferblättchen herrührt.
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Eingelagert in diesen Schichten finden sich noch einzelne
Lager von Nagelkalk etwa 3 cm. dick und 6 bis 9 M. lang,
am Ende dünn auslaufend. Auch kummen hie und da wieder
etwa 4 cm. dicke Schieferlager vor, in welchen sich nur wenige
_ Petrefacten vorfinden. Ueber und unter diesen ist der Reich-
tkum an organischen Resten jedoch derselbe. Einzelne Bel. acua-
Württ. naturw. Jahreshefte. 1876. 14
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selten einen Mytilus. Nun folgt wieder Nagellaik Ne über 4
diesem tritt dann plötzlich etwa 4 bis 8 cm. dick eine Platte A
(10) auf, welche so dicht mit Belemnites acuarius gespickt ist,
dass man kaum einige Cubikzoll findet, in welchen nicht einige |
Exemplare stecken.
Durch einige Centimeter Schiefer (11) von diesem Belem-
nitenschlachtfeld, wie man es nennen mag, getrennt, ist eine
harte Kalkbank, (12) dem oberen Stinkstein sehr ähnlich und
wahrscheinlich der Monotisplatte von Boll entsprechend. Dieser
blaue, 9 cm. dicke Kalk enthält wieder Baumstämme; von Muscheln
wie es scheint nichts. Ebenso verhält es sich mit den darauf
folgenden Schiefern (13), auf welchen dann nochmals Nagelkalk 4
(14) liegt. Letzteren wollen wir als das Schlussglied für den
oberen Oelschiefer betrachten. Eine ganz sichere Feststellung x
der Grenze gelingt hier nicht, am besten wäre es wohl, die ganze }
'Parthie der Nagelkalke als Zwischenkalke zu bezeichnen, welche
als Mittelglied zwischen Mittel- und Oberepsilon anzusehen wären.
Von hier an kann man dann Oberepsilon oder Leberboden
nehmen.
Ueber den beiden Nagelkalken treten zwar Petrefacten auf,
welche sich in vorgenannten Schichten nicht fanden, nämlich
Posidonia Bronni parva von etwa 1 bis 2 Mm. Durchmesser
und Pecten contrarius. Beide treten in den unteren Schiefern
(15 a) während der ersten Centimeter sparsam auf, BR
sich jedoch in der höhern Lage sehr stark, so dass auf einige }
Quadratcentimeter man stets einige Pecten und eine Unmasse ;
von Posidonien finden kann. Ferner treffen wir hier eine Menge 7
von kleinen ‚Aptychus, wie sie Jura, Taf. 35, Fig. 7—9 abgebil- E
det sind. ei
Von Ammoniten zeigen sich hier wieder Amm. oo ’
namentlich aber anguinus, ebenso einige Falciferen und Lineaten,
sowie Amm. heterophylius, welcher in Boll an dieser Stelle sein
Hauptlager hat. Im Ganzen spielen diese eine sehr untergeord-
nete Rolle und es macht den Eindruck, als ob hier diese Thiere
im Auswandern oder Aussterben begriffen wären. t°
Y
4
E
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1
E
von : nloiden. hidden kommt noch vereiäizeht vor,
etwa bis zu einer Höhe von 1,5 Meter über dem Belemniten-
schlachtfeld.
Von da an wird das Gestein mehr und mehr lehmig und
es sieht aus, als wären eine Menge nasser Pappendeckel auf
R einander gelegt. Mit dem Mytilus verschwindet auch die Posi-
donia, Pecten setzt jedoch fort, bis etwa 2 Meter höher auch
_ er völlig aufhört, und die schüttigen Jurensismergel, welche wie
_ Ackerkrumme aussehen und sich von dieser kaum unterscheiden
"lassen, beginnen.
= Hier bietet also die Abgrenzung zwischen g und Z gar keine
"Schwierigkeit , das plötzliche Aufhören von Pecten contrarius,
stattet, die Hand an die Grenze zu legen. Von Fuc. bollensis
konnte ich trotz vielen Suchens nichts sehen, eben so wenig von
Amm. bollensis, und glaube daher für diese beiden ein blos locales
_ Vorkommen annehmen zu dürfen.
n-1
'.
Der Lias e der Schweiz.
Wenn man den Lias der Schweiz zu verfolgt, so ändern
‚sich die Profile nicht unwesentlich. Auf Schweizerboden trifft
man den Lias e zuerst am sogenannten Zimmerplatz bei
Beggingen, Canton Schaffhausen,
14
wo ein Strassendurchschnitt die Schiefer prächtig aufschliesst,
(vergl. Profil No. IIL)
E' Die unterste Lage, die wir dort treffen, ist eine Bank von
schieferigem Mergel (1), welche nach oben immer krummblätt-
beherbergt.
\ i - Unweit Beggingen, bei Achdorf, tritt dasselbe Lager wieder
a Tage und dort sind diese Schiefer mit Mytilus gryphoides
lich gefüllt, doch findet man kaum hie und da ein ganzes Exem-
la . Die papierdünnen, an der Oberfläche braunen Schiefer
bilde en einen deutlichen Grund für die schneeweissen Muschel-
Be 14*
sowie jeder Spur von Schichtung, die an Schiefer erinnert, ge-
Tiger wird und zahllose zertrümmerte Muscheln und Fischreste
—. 2122 —
Profil No. III.
cm. No.
” Jurensisbank |
Leberboden
10 harter Kalk VII
3, 8 Amm. Lythensis
© SO,
3 = . .
SR I = Mytilus gryph. gig.
Eee na
ZIZm © agd
600 I nE5|$ 7 5 vu
ee Ichthyosaurus
„= 2 E
= © E Pos. Bronni parva
o kt
& Uncites Posidoniae
13 Zweiter Stinkstein Kalk vI
u Fucoiden V
[eb] .
ER Amm. communis IV
SAME
nn % —
100 | 85 Stinkstein, Kalk mit Quarz | TITa
A: >
Ba Schiefer I
= Sandiger Schiefer
20 Erster Stinkstein II
® Blättriger Schiefer
A |
.-_ © k
RT mit Muscheltrümmern
nE> I
ro
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Sr
=
D
Schiefermergel | *
EP 3
"2
2
i
breecien, die in denselben gelagert sind; hin und wieder hriftt
man auch eine braunschwarze Schale desselben Mytilus, doch
- sind diese undeutlich erhalten.
Ueber dieser Bank befindet sich bei Beggingen der erste
sogenannte Stinkstein II von 20 cm. Dicke, ein auf der Bruch-
fläche gelblich aussehender harter Kalksandstein von einem mit-
telmässig feinen Korn ohne deutliche horizontale Schieferung,
darauf folgt ein sandiger Schiefer (III.) In diesem lagert stellen-
weise eine Bank Stinkstein, nämlich ein quarzhaltiger Kalk-
stein (IIIa), der dem ersten Stinkstein petrographisch sehr ähn-
lich sieht und senkrecht zur Lagerungsebene springt.
Weiter oben trifit man ein Lager vom Amm. communis
(IV) in einen feinblättrigen Schiefer gebettet, bis endlich hart
unter dem zweiten Stinkstein ein handbreites Lager von Seegras-
' schiefer (V) auftritt mit einem Fucus, der dem F'ucus Bollensis
sehr ähnlich sieht.
Der zweite Stinkstein (VI) ist ganz wie der erste Reut-
linger beschaffen, ebenfalls ein blauer, harter, feinkörniger Kalk-
mit horizontaler Bruchfläche. Auf diesem liegt wieder bituminöser
Schiefer (VII) mit Posidonia Bronni, verwitterten Schwefelkies-
knollen, Gagat und Schwerspath, und Mytilus gryphoides, der
bisweilen noch eine wunderschöne braune Schale besitzt. Ein
Exemplar mass ungefähr 5 cm.
In Füzen findet sich im sogenannten Randengraben der
Mytilus in so ungeheurer Menge, wie ich ihn sonst noch nirgends
beobachten konnte. Die Exemplare mit ihrer weissen Schale,
- alle prächtig erhalten, liegen zu Tausenden neben- und auf ein-
ander.
Zu oberst tritt in Beggingen der Amm. Lythensis, jedoch
schlecht erhalten, auf. Wegen der Verrutschungen ist das ge-
= naue Lager nicht mit Sicherheit zu ermitteln, eben so wenig die
Mächtigkeit von dieser letzten Schieferlage; ich taxire sie auf
1
hr
:
>
Bm
ad
eirca 5 bis 6 Meter.
Hierauf folgt eine Lage harter Kalksteine, auf diese der
Leberboden und oben liegen wie in Schwaben die Jurensis-
Mergel.
Bi;
k
N f
Im Canton Aargau sind die Schiefer ebenfalls aufgefunden
und von Hertn Professor Mösch eingehend beschrieben. Ich
will daher hier nur auf die bezüglichen Abhandlungen in den
„Beiträgen zur geologischen Karte der Schweiz“ verweisen und
zwei Profile No. IV und V folgen lassen, welche Herr Professor
Mösch aufgenommen und mir gütigst überlassen hat. Das eine
von Schmidberg bei Böttstein bildet einen merkwürdigen Contrast
zu dem andern von Rüti bei Thalheim. Letzteres nur 24 cm.
mächtig, ersteres über 25 M. zeigt deutlich in wie kleinen Ent-
fernungen die Verhältnisse sich ändern können.
Dicht über den Amaltheenthonen-finden wir den ersten Stink-
stein (vergi. Profil No. IV.) Darüber dünne Schiefer mit Amm.
communis, vielleicht denen von (IV) des Begginger Schiefers ent-
sprechend, und schliesslich den zweiten Stinkstein, mit welchem
dort der ganze Lias & schliesst.
Wesentlich anders verhält es sich bei Schmidberg (vergl, Profil
No. V), wo wir einen 24 M. mächtigen Posidonien-Schiefer treffen, in
seinen obersten Schichten mit Amm. communis, auf diesem eine 2,1M.
mächtige Schicht mit Belemniten und erst dann einen dünnblätt-
rigen Stinkstein von 3,6 M. Mächtigkeit; hierauf ein Fucoiden-
Schiefer und dann wieder die Posidonienschiefer mit Bel. acuarius,
welche dem eigentlichen Posidonienschiefer Schwabens zu ent-
sprechen scheinen, doch aber das weiche merglige der des berner
und französischen Jura’s haben.
Das Ganze wird durch die 2,4 M. mächtige Jurensis-Schichte
bedeckt. Je südwestlicher man in den Aargau kommt, desto verküm-
merter werden die Posidonien-Schiefer, (vergl. Mösch, der Aar-
gauer Jura) und fehlen häufig ganz. Auch stellen sich hin und
wieder Bänke von Gerölle und Kies zwischen den Schiefern ein,
welche die Nähe eines Ufers anzudeuten scheinen.
Anders gestalten sich die Verhältnisse, wenn man den obern
Lias im berner Jura untersucht, wie ich dies bei Delemont bei
der sogenannten Vorbourg, im Norden von Soyhere, auf dem
Wege der nach la Resöle führt und bei Roche prös Moutier ge- E
than habe. 2
Die dortigen sehr mangelhaften Aufschlüsse gestatten nicht,
BE we
Profil No, IV.
Stinkkalk
Papierdünne Schiefer
Amm. communis
Stinkkalk
Amaltheenthone
Profil No. V.
Amm. jurensis
und radians
Bel. acuarius
Weiche Posidonienschiefer
Fucusschiefer
Harter Stinkkalk
die Schnittfläche dünnblättrig
Belemnitenschichte
Amm. communis
Posidonienschiefer
2,7
3,6
2,1
24
f zer, 2 ans nd A ee en .
a De a e,
u.5 4 UERER i. “ 5 (9)
ein vollständiges Profil zu nehmen. Doch liess sich im Allge- a.
meinen Folgendes constatiren: AR rs |
Der eigentliche Posidonienschiefer verwandelt sich in einen
Posidonien-Mergel, der nach oben bisweilen sandig-blättrig wird,
mehr Glimmer einschliesst als der schwäbische und mit Posi-
donia Bronni, Pecten contrarius und Monotis sowie einigen
Belemniten-Resten und Muscheltrümmern gespickt ist. Nach unten
wird dieser Mergel mehr und mehr schieferig und enthält Lehm-
knollen und Schwefelkies.
Aehnliche Verhältnisse kann man an Handstücken aus dem
Tunnel von Montmelon bei St. Ursanne beobachten, aus welchem
ich nicht ein Stück Posidonienschiefer zu sehen bekam, welches
dem schwäbischen entsprach; immer lag die Posidonia in einem
manchmal krumm- und kurzblättrigen Sandmergel, dagegen fanden
sich weiter nach unten der Mytilus gryphoides, Orbicula papy-
racea verkiest, in genau demselben Schiefer wie bei uns.
Einen ziemlich schönen Aufschluss bekam ich bei Porren-
truyim Thal zwischen Mont Terri oder Mont Tari und dem |
Mont Gremay und zwar am Abhang des letzteren, wo ein Bach
den Schiefer durchschneidet (vergl. Profil No. VL)
Ueber einem petrefactenleeren Schiefer (1) liegt zunächst
eine Schichte 8 cm. dick eines rothen bis gelbrothen Mergels (2)
mit Sand gemischt, welcher muthmasslich von einem langsam
fliessenden Flusse herrührt, der an dieser Stelle seine sandigen
Niederschläge absetzte. e
Ueber dieser Sandlage beginnen dann wieder die Schiefer
EIER EEE
(3), zuerst mehr als stark sandhaltige Mergel. Weiter oben :
nimmt der Sand immer mehr ab, die Schieferung tritt je höher
desto deutlicher hervor, bis dieses 60 cm. dicke Mergelschiefer- 4
lager, wie wir es nennen wollen, schliesslich durch eine 10 cm,
dicke Schicht von zähen, papierdünnen Schiefern (4) bedeckt
wird.
Auf diese folgt der erste Stinkstein, welcher aus 5 deut- =
lichen Platten zusammengesetzt ist. Er
Die erste 3 cm. dick zeigt wohl eine äusserst feine Streifung
in horizontaler Richtung, doch ist von einer Schieferung hier wenig
R a BIT
Profil No, VI.
No. cm.
w Schiefer mit Mytilus gryphoides
Amm. communis
11 Zweiter Stinkstein 13
10 Schiefer 52
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Papierdünne Lederschiefer
Die Schiefer werden immer mergeliger
bis sie in
3 A 60
Mergelschiefer übergehen
2 Rothe Mergel mit Sand 8
1 Schiefer
m iii ll
u |
oder nichts zu bemerken. Es ist ein grauer äusserst feinkörniger
Kalk ohne Bitumen, die Quersprünge sind mit Kalkspath gefüllt,
v . See: Fe
bisweilen sieht man schöne Krystalle mit dem scharfen Rhom- \
boöder in den Höhlungen sitzen. Von dieser Platte löst sich
eine zweite (6) durch eine bestimmte Bruchfläche ab, welche der
ersten ziemlich ähnlich sieht; hierauf folgt eine 30 cm. dicke
Schichte eines harten, aschgrauen in der oberen Hälfte massigen
Kalksteins (7) mit feinem Korn. In dieser trefien wir erst
wieder organische Reste von Fischschuppen u. a. m., die wegen
der schlechten Erhaltung schwer zu deuten sind.
Aus diesem Lager scheint auch ein Exemplar von Zepto-
lepis Bronni zu stammen, welches ich in der Sammlung des
Herrn Professor Thiessing zu sehen bekam, dessen genaue Fund-
stelle jedoch nicht angegeben werden, vielmehr nur der petro-
graphische Charakter des Gesteins leiten konnte.
Hierauf folgt eine Platte (8) eines 1 cm. dicken grauen
Sandsteins, der durch keinerlei Cement weder mit der unteren
noch mit der darauf liegenden Schichte verbunden ist. Den
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Schluss des ersten Stinksteins bildet ein harter, grauer bis blauer
Kalk (9) mit eingesprengten Lagen von Schwefelkies. Dann
bekommen wir wieder einen bituminösen mergeligen Schiefer (10),
auf welchen der zweite Stinkstein (11), ein harter, blaugrauer
Kalk mit muscheligem Bruche folgt, der dem oberen Reutlinger
Stinkstein sehr ähnlich sieht. Von hier an lässt sich kein ge-
naues Profil mehr aufnehmen, da die folgenden Schichten, wie
es im schweizer und französischen Jura so häufig der Fall ist,
überkippt und verrutscht sind, im grossen Ganzen aber kann man
Folgendes unterscheiden:
1) eine untere Schieferlage mit wenig oder keinen Petre- E:
facten und
2) eine obere mit schönen Petrefacten.
Amm. communis findet sich, jedoch nicht unmittelbar im
Schiefer über den Stinksteinen, sondern erst ziemlich weiter oben
(ca. 2 M.) vollständig verdrückt, während ich seine Varietät
Amm. anguinus nirgends verdrückt fand, sondern in einer
harten Kalkbank liegend, deren Horizont nicht festzustellen war
(muthmasslich aber der Kalkplatte No. 9 des Ohmenhauser Profils
& en
! Sa
entsprechend), da ich nur Bruchstücke derselben im Bache fand.
Den übrigen Umständen nach muss sie jedenfalls über den Stink-
steinen im Schiefer liegen. Aus der nämlichen Kalkbank stammen
' auch die unverdrückten Exemplare des
Mytilus gryphoides von 25 Mm. Länge, welche
ihrer Form nach ohne irgend welche Spuren von Druck, voll-
ständig erhalten sind, während die kleinere Art von blos 20 Mm.
Länge sich mit ziemlicher Constanz im eigentlichen Schiefer
vorfindet, und zwar von schneeweisser Farbe sowie völlig platt
gedrückt.
Posidonia Bronni, Orbicula papyracea konnte
ich weder im Schiefer auf Ort und Stelle, noch in irgend einer
geologischen Sammlung, nicht einmal in der von Thurmann, zu
Gesicht bekommen. Eben so wenig findet man dort Saurier,
dagegen hin und wieder Schuppen einiger Fische. Im Allge-
meinen kann man den dortigen Schiefer als sehr petrefacten-
. arm bezeichnen.
Weiter oben findet sich dann auch die Monotisplatte vor,
welche ich aus Stücken, die im Bache lagen, kenne. Die wahre
Lagerstelle liess sich nicht finden, da der Wald und verstürztes
Gestein dieselben bedeckt. Sie besteht aus einem harten grauen
Kalke, der mit schneeweissen Muscheln gefüllt ist, aber im
Ganzen wenig an die schwäbische erinnert.
Der Lias e im östlichen Frankreich.
Derselbe bietet wieder viel Interessantes, einerseits durch
seinen stellenweise sehr bedeutenden Reichthum an Bitumen, der
z. B. bei Sceaux so gross ist, dass nach der Angabe eines In-
_ genieurs einzelne Bäche, die aus demselben herauskommen mit
_ einer leichten Schichte Oel bedeckt sein sollen, (Analysen ergaben
einen Gehalt bis zu 15°/, an Bitumen) andrerseits durch die
rasche Aufeinanderfolge petrographisch verschiedener Schichten,
bisweilen ohne irgend welche Uebergänge, während dagegen die
Petrefacten ausserordentlich selten und schlecht erhalten sind.
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—. 220 °—
In der Nähe von Besancon bei
Chapelle des Buis
(vergl. Profil No. VII) treffen wir zu unterst einen Mergelschiefer,
welcher ausserordentlich weich ist, Posidonia Bronni und den
Amm. communis enthält. Ueber diesem lagert ein harter gelber
Sandstein (2) mit einigen Abdrücken von Pecten und Monotis,
hierauf folgt ein Schiefermergel mit Posidonia Bronni, Pecten
Profil No. VII.
No. E
| Ackerkrume |
| Schiefermergel
’ Mytilus gryphoides (schlechte Exemplare)
ER Sandstein
Ai Schiefermergel mit Posidonia
und Pecten
N Sandstein
: | Mergelschiefer, Posidonia
Amm. communis
contrarius, dann wieder ein Sandstein (4) und hierauf der Schiefer
(5) mit Mytidlus gryphoides, Bel. paxillosus und Orbicula papy-
racea. Auch diese sind ausserordentlich schlecht erhalten, das
Ganze ist etwa 3 M. mächtig. Wegen der dort sehr häufig
stattfindenden Verrutschungen, die sich manchmal auf Strecken
von 30—40 Aren ausdehnen, sowie wegen der oft grossartigen
Verwerfungen und Hebungen lässt sich keine bestimmte Angabe
über Mächtigkeit machen, doch kann man die Dicke des ganzen
Posidonienschiefers auf etwa 20 M. taxiren. Besser lassen sich
die Verhältnisse an den Bergen von
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& J
Pinperdu bei Salins
beobachten. Hier erheben sich die Felsen des braunen Jura
hoch über die Ebene und tragen die gewaltigen Forts auf ihrem
obersten Gipfel. Auch der obere Lias ist dort bedeutend ge-
hoben und seine nackten Schichtenköpfe bieten die beste Gelegen-
heit, Profile aufzunehmen (vergl. No. VIII).
Beginnen wir wieder zu unterst, so sehen wir erst eine Mergel-
schichte, dann den ersten Stinkstein (1), der demjenigen von
' Besangon äusserst ähnlich ist, dann einen Mergelschiefer (2), hier-
auf den zweiten Stinkstein (3). Ueber diesem folgt ein aschgrauer
Mergelschiefer (4) mit schlechten Exemplaren von Ammoniten, so-
dann gelber Sand mit Lehmknollen (5), zahlreiche kleine Krystalle
von Gyps enthaltend. Ein Bruchstück eines Belemniten ist Alles,
was ich von Versteinerungen fand.
Eine Steinplatte (6) von 10 cm. Dicke bedeckt diese Schichte.
Sie ist hart wie der Stinkstein, enthält jedoch mehr Eisenoxyd
und erinnert unwillkürlich an den Pfrondorfer Keupersandstein.
Eine zweite solche Bank (8) von 12 cm. Dicke folgt 15 cm.
weiter oben, während der Raum zwischen beiden mit einem weichen
mergeligen Sande (7) ausgefüllt ist. Die nächste Schichte ist
ein mergeliger Sandstein (9) mit etwas Schieferung. Auf diesem
liegt ein Schiefer (10), der dem von Holzmaden nicht unähnlich
sieht unten weich und zäh, bis eine noch härtere graue Sand-
steinbank (11), welche gewissen Molassesandsteinen ähnlich sieht,
diese Schiefer von einem darüber liegenden (12) trennt. Diese
gehen nach oben in einen grauen Sandstein (13) über, auf den
abermals ein harter Schiefer (14) folgt.
Auf diesem lagert nun wieder ein 12 cm. dicker bitumi-
nöser Schiefer (15) mit Amm. communis und Bruchstücken von
Lythensis, auch Mytilus gryphoides trifft man hie und da. Dieser
Schiefer ist nach oben scharf begrenzt und es tritt ein Lager (16)
von röthlichem oft gelbem Sande auf, dessen einzelne Parthien
theils hart zusammengebacken, theils so weich sind, dass man sie
mit den Fingern herauskratzen kann.
Endlich wird das Ganze durch eine ca. 2 M. mächtige Schichte
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Profil No. VIII.
Ackerkrume
Schiefer
Rother zusammengebackener Sand
Schiefer weich
Schiefer hart
Sandstein
sehr harte Schiefer
harte Sandsteinbank
harte
und Schiefer
weiche
Mergeliger Sandstein
gelber Quarzsandstein
Sandmergel
gelber Sandstein
Lehm mit Sand und Knollen
Aschgrauer Mergelschiefer
Zweiter Stinkstein
Erster Stinkstein
cm.
& Schiefer (17) abgeschlossen, die Amm. anguinus, Mytilus gryphoi-
des, Amm. serpentinus enthält, alles aber schlecht erhalten:
Von sonstigen Petrefacten findet man in der Gegend von
Salins nicht viel. Ein einziger Wirbel von Zchthyosaurus und
einige Posidonien war alles, was ich in einer Privatsammlung
dort zu sehen bekam.
Bemerkenswerth sind noch die Variationen in der Mächtig-
keit der Schiefer, so trifft man bei Mouthier einen Schiefer, der
80 M. mächtig ist, während im Tunnel des Loges (Desor et
Gressly, deseription du Jura Neufchatelois) derselbe ganz ver-
schwindet.
Einiges über Ichthyosauren.
Diese finden sich in bedeutender Anzahl in dem schwäbi-
schen Oelschiefer und zwar meist gut erhalten, doch sind voll-
ständige Exemplare selten, am häufigsten fehlen die Augenringe.
Oft sind auch die Köpfe so verdrückt, dass sie nur mit Mühe
in ihren Theilen erkannt werden können.
Die Flossen bestehen aus 4 Fingern, an Radius und Ulna
setzen zunächst 3 an und der 4, beginnt sich erst etwa in der
Höhe des 6. Polygonalknochens zu sondern.
Sämmtliche Ichthyosauren des Lias & lassen sich im Allge-
meinen in 3 Haupt-Abtheilungen bringen, nämlich
I. Ichthyosaurus tenwirostris
I. “ longirostris
III. ® longipes.
Die Grenzen lassen sich nie scharf ziehen, und es ist überhaupt
schwierig, an einem gegebenen Exemplar, wenn es nicht voll-
ständig erhalten ist, die Spezies sicher festzustellen.
Nach dem Vorgange des Herrn Professors Dr. w Quenstedt
lassen sich ferner die Ichthyosauren der ersten Gruppe nach der
Zahl der Einschnitte in den Polygonalknochen (v. Quenstedt, Jura,
219) in 5 Unterabtheilungen bringen, nämlich:
1) Ichthyosaurus ascissus
2) n biscissus
3) i triscissus
4) „ quadriscissus CAPE
5) R multiscissus oder trigonodon.
Was die Gattung Ichthyosaurus longipes anbetrifft, so liegen
mir mehrere, wenn auch nicht vollständige Exemplare vor. Da
bei allen Exemplaren Abnormitäten in Betreff der Zahl und Art
der Einschnitte auftreten, so lassen sich auf Grund dieses Merk-
mals keine sicheren Unterabtheilungen machen.
Von I. longirostris lässt sich bis jetzt des mangelhaften
Materials wegen noch wenig sagen. Bis jetzt ist uns erst ascissus
und biscissus bekannt. Doch scheint es, als könne man diese
Art der Eintheilung auch hier in Anwendung bringen.
RE
I. Ichthyosaurus tenuirostris.
1. Ichthyosaurus ascissus.
Das bis jetzt einzige bekannte Exemplar hängt im Stutt-
garter Museum und wurde im Jahr 1860 in Ohmden entdeckt.
‘ Von der Schnauzenspitze bis zum 114. Schwanzwirbel (dem letzten
vorhandenen) gemessen, beträgt die Länge des Thiers ca. 3 M. Da
der letzte Schwanzwirbel noch 6 Mm. Durchmesser hat, so kann
man annehmen, dass die Gesammtlänge des Thiers ca. 3,2 M. be-
tragen haben mag. Da das Thier auf dem Rücken liegt, und alle
Rückenwirbel vorhanden sind, so kann man mit ziemlicher.
‚Sicherheit den 38. als das sogenannte Heiligenbein erkennen. ”
In der Gegend des 8. und 9. finden sich die Schulterblätter.
Der Kopf ist in der Augengegend auffallend breit im Verhältniss
zu seiner Länge, gegen vorne wird er dann wieder sehr schmal
und spitz. AT
Rippen liegen nur zwischen dem 8. und 38. Rückenwirbel %
von diesen an konnte ich keine Anwachsstellen mehr entdecken. 5
ER
2. Ichthyosaurus biscissus.
Ebenfalls in Stuttgart, stammt aus dem obern Schiefer un-
mittelbar unter der sogenannten Kloake, in welchem auch der
vorige Ichthyosaurus ascissus gefunden wurde.
Auch dieses ist ein einziges Exemplar von 1,36 M. Länge,
von welchem es genügen mag, seine Existenz zu kennen; charak-
teristisches bietet dasselbe nichts.
Aehnlich verhält es sich mit dem
3. Ichthyosaurus triscissus,
welchen schon Prof. Dr. v. Quenstedt im Jahr 1853 beschreibt
(Jura pag. 219 und Flötz-Gebirge pag. 223).
Es ist bis jetzt das einzige Exemplar geblieben.
4. Ichthyosaurus quadriscissus.
(vergl. Jura pag. 219.) Die verbreitetste Spezies findet sich
beinahe im ganzen &. Da derselbe schon ausführlich beschrieben
ist, so will ich nur auf ein Exemplar, das junge Individuen
zwischen seinen Rippen einschliesst, eingehen. Ob diese fötale
Reste seien oder nicht, mögen zur Entscheidung dieser Frage
_ die in der Folge aufgeführten Thatsachen beitragen.
f
Betrachten wir zuerst das grosse Thier. Dieses liegt mit
der linken Seite nach unten. Diese Seite des Skelettes ist be-
sonders schön erhalten. Der Rumpf ist geöffnet und macht den
Eindruck, als wenn die Weichtheile der Brust weggefault seien,
ehe das Thier völlig mit dem Versteinerungsmittel bedeckt wor-
den wäre, denn die obere Seite, d. h. die rechte Flanke liegt
tbeilweise zurückgeklappt da. _Auch sind hier die Rippen mehr
in Unordnung gerathen, als auf der linken Flanke.
Der Kopf des Thieres liegt ziemlich schön und wohl er-
halten da, vollständig flach auf der Seite, die Knochen in ihrer
natürlichen Lage. Der Augenring ist leider, wie so oft, nicht
mehr vorhanden. Das Wasser scheint denselben noch vor der
Bedeckung des Thiers durch den Schlamm fortgespült zu haben.
Die Länge des Kopfes beträgt 50 cm., seine Breite in der
Württ. naturw. Jahreshefte. 1876. 15
Gegend des Thränenbeins 10 cm. Die Wirbelsäule biegt sich
wie an den meisten Ichthyosauren vom Atlas an nach oben, geht
dann leicht abwärts und endigt mit einem mehr oder minder
peitschenförmigen Schwanze. Da eine beträchtliche Anzahl von
Wirbeln fehlt, so hat das Zählen der noch vorhandenen auch
keinen Werth. Die Länge der Wirbelsäule, ihren Krümmungen
nach gemessen, beträgt 240 cm.
Die Flossen sind im Verhältniss zu den übrigen Dimensionen
des Thiers eher klein, zeigen mehr runde Formen und sind ziem-
lich breit im Vergleich zur Länge. Letztere lässt sich nicht
genau bestimmen, da die äusseren Polygonalknochen zerstreut
herumliegen, doch kann man aus Zahl und Grösse derselben so-
wie aus deren Lage auf eine Vorderflosse von 31 cm. mit ziem- Bi
licher Sicherheit schliessen. Die Hinterflossen sind nicht vor-
handen, man sieht aber einen ziemlich schönen Abdruck von ”
einer derselben. Diese misst 19 cm., ist. also um etwa 1/, kleiner,
als die vordere. Sowohl Vorder- als Hinterflosse haben Br;
Radius mitgerechnet, 4 eingeschnittene Polygonalknochen. Das
Thier ist somit ein unzweideutiger Ichthyosaurus tenuirostris
quadriscissus.
Der Magen liegt wie es scheint, ziemlich nahe, etwa 20 cm.
hinter dem Kopfe, was auffallend ist, da bei anderen Exemplaren
von derselben Grösse diese Entfernung ungefähr doppelt so
gross ist.
In diesem Magen finden sich Fischgräten etc., es ist die
ganze Masse des Inhalts durch 'Tintenfischreste dunkelbraun bis
schwarz gefärbt.
Hinter dem Mageninhalt sehen wir einen Raum, der ganz
von Knochen kleiner Ichthyosauren bedeckt ist. Ueber einen
Theil derselben liegen noch die rechtseitigen Rippen des grossen 2
Thieres, und zwar in einer Weise, dass gar kein Zweifel daran
sein kann, dass besagte Knochen sich im Leibe desselben
Yw e
Be aaeN haben müssen, ehe es zu Grunde gieng; sie können
sauren herrühren.
Gehen wir zur Betrachtung der jungen Thiere über.
27 —
Knochen liegen theils zerstreut herum, theils sind sie noch im
_ Zusammenhange, wie einzelne Wirbelsäulen etc. Viele Knochen
_ junger Ichthyosauren liegen um das alte Thier herum, doch alle
nur auf der Bauchseite desselben, und sind aus diesem wahr-
scheinlich herausgeschwemmt worden. Das Ganze bildet ein
buntes Gewirr, und nur bei aufmerksamer Betrachtung lässt sich
_ eine Zusammengehörigkeit und Ordnung der Dinge erkennen.
Die Knochen der jungen Thiere sind weich, lassen sich mit Eisen
sehr leicht schaben und ritzen, während diejenigen des alten
Thieres hart sind und nur mühsam von Stahl angegriffen werden,
was darauf hindeutet, dass die Verknöcherung bei den jungen
verhältnissmässig wenig vorgeschritten war.
Was nun die einzelnen Theile anbetrifft, so fallen einem
vor Allem die Wirbel auf. Nicht nur liegen diese in ungeheurer
Menge da, sondern es lassen sich noch ziemlich beträchtliche
_ Stücke von Wirbelsäulen, etwa 5 an der Zahl, erkennen. Der
Durchmesser der grössten Wirbel beträgt etwa 4 Mm., was mit
60 multiplieirt die Länge des grossen Jungen zu 24 cm. ergiebt.
- (v. Quenstedt, Petrefactenk., pag. 160.)
| Die Wirbelsäulen liegen meistens in paralleler Richtung.
die längste misst etwa 15 cm. Einige zeigen mehr oder min-
der Krümmung, die man für eine Aufrollung nach Art der Em-
bryonen halten kann.
Die Köpfe sind besonders interessant. Nicht alle sind
ganz, sondern sie sind in ihre verschiedenen Knochentheile zer-
fallen. Am besten ist einer erhalten, der, mit der Gaumenseite
nach unten liegend, platt gedrückt ist. Man kann zu beiden
Seiten des Schädels noch die Augenringe sehen (aus den bekann-
ten Polygonalplatten zusammengesetzt.) Keiner von den ver-
: schiedenen Kiefern zeigt eine Spur eines Zahnes, man darf in
; Anbetracht der guten Erhaltung namentlich der Köpfe somit wohl
kecklich annehmen, dass sie nie Zähne besessen hätten. Eigen-
_ thümlich ist aber, dass alle die Köpfe ihre Schnauze nicht nach
dem hinteren Leibesende des grossen Thieres, sondern nach dem
- Kopfe desselben gekehrt haben. Da diess bei allen der Fall
3 15*
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£
B
a.
ist, so darf man hier wohl nicht mehr an eine Zufälligkeit denken,
sondern muss es für tiefer begründet halten. 2
In der Sammlung der hiesigen Universität befinden sich zwei
Exemplare von Ichthyosauren, welche zwischen ihren Rippen die
Skelette jüngerer Individuen einschliessen. °
Beim einen ragt der Schwanz (Prof. v. Quenstedt, Petre-
factenkunde.) des kleinen Thieres bis in die Halsgegend des
grossen. Beim andern Exemplar ist das Junge gekrümmt, bei
beiden jedoch sind die Köpfe zum hinteren Leibesende des alten
gekehrt und die Skelette so wohl und so vollständig ausgebildet,
wie bei denjenigen kleinen Ichthyosauren, die man auch sonst |
frei versteinert findet. Die Kiefer sind mit Zähnen vollständig
versehen und die Knochen haben annähernd dieselbe Härte, wie
die der grossen Individuen. c
Die Beispiele der jetzt lebenden viviparen Reptilien erlauben
die Annahme, dass man es bei den oben beschriebenen und ähn-
lichen Funden mit Embryonen zu thun habe, die Ichthyosauren
oder wenigstens die eine oder andere Art derselben somit vivi- 2
par seien. Doch lässt sich der Gedanke, dass es sich um ge-
fressene jüngere Individuen handeln könnte, nicht mit Sicherheit _
ausschliessen.
Für letztere Ansicht spricht entschieden das Exemplar der
Tübinger Sammlung, dessen Schwanzende sich in der Halsgegend,
dessen Kopfende in der Beckengegend des alten Thieres sich
befindet. Dagegen konnte bis jetzt noch nirgends ein Embryonal-
Zustand ad oculos demonstrirt werden. Die Weichheit der Knochen
allein kann hier nicht entscheiden, da auch ganz junge Indivi-
viduen verschluckt sein könnten; ebensowenig ist die Lage des
Kopfes für die eine oder andere Auffassung beweisend.
Georg Jaeger (vergl. Nov. Act. phys. et med. XXV, 3. pag.
961) spricht seine Meinung ziemlich entschieden dahin aus: dass 4
der Ichthyosaurus tenwirostris vivipar gewesen sei. }
A ee A
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RENTE, ER EN, EFT EEE DEE
5. Ichthyosaurus multiscissus oder
trigonodon Theodori. Er wird häufig auch mit platyodon vel -
wechselt, da er eben so gross ist. wie dieser. Die englische
_ Riesenform I. platyodon Conyb. ist jedoch ein Zröscissus des
Lias &, somit wesentlich verschieden von dem unsrigen. Es ist
_ daher dem Theodorischen Namen sicher der Vorzug zu geben,
wodurch solche Verwechslungen vermieden werden. (Vergl. hier-
über G. Jaeger Nov. Act. phys. et med. XXV. 2. pag. 948, so-
wie v. Quenstedt Jura pag. 220 und Petrefactenkunde pag. 160.)
Das grösste Exemplar, welches sich in Württemberg fand, ist
das der Stuttgarter Sammlung. Es stammt aus dem Stinkstein :
von Holzmaden, (vergl. pag. 202) ist aber leider sehr defect.
Der grösste vorhandene Wirbel -misst ca. 18 cm. und hat eine
Länge von 6 cm., muss somit einem Thiere von ca. 10,8 M.
Länge angehört haben. Der ovale Augenring hat etwa 24 cm.
Durchmesser, der Kopf etwa 60 cm. Höhe, 100 em. Breite und
etwa 200 cm. Länge. (Diese Masse mussten theilweise durch
Schätzung gefunden werden.)
Ein weit vollständigeres Exemplar von etwas über 6,5 M.
Länge befindet sich in der Tübinger Sammlung und ist durch
v. Quenstedi beschrieben worden. (Petrefactenkunde pag. 160.)
II. Ichthyosaurus longipes. (nov. spec.)
1. Ichthyosaurus quadriscissus.
Die Tübinger Sammlung besitzt ein sehr schönes Exemplar
aus Holzmaden, welches ich seiner eigenthümlichen Extremitäten
_ wegen näher beschreiben will.
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Die Wirbelsäule ist gut erhalten 280 cm. lang, nur wenige
Wirbel fehlen und die ersten 7 etwa, sind so in einander und
auf einander gedrückt, dass man sie nur mühsam erkennen und
zählen kann. Die sieben eben genannten mitgerechnet, zählt
ih
u
| man etwa 154 Wirbel. Der Durchmesser des letzten Schwanz-
wirbels beträgt 2 Mm.
To a DE 5 a Z
Dornfortsätze sind bis zum 132. Wirbel zu sehen, doch be-
trägt die Höhe des 67. nur 2,5 cm., die des 46. 4,5 cm. und
u u ae Se
N RE V
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Be sr:
hat eine Breite im Maximum von 3,4 cm., im Minimum 4,5 cm.
und an der Basis von 2,5 cm. Der 27. Dornfortsatz hat eine
Breite von 3 cm. und eine Höhe von 7,4 cm. Dagegen ist der
19. nur 2,7 cm. breit aber 7,8 cm. hoch, der hiezu gehörige
Wirbel hat einen Durchmesser von 6,5 cm. Die Länge der
Wirbel bleibt sich vom ersten Halswirbel bis zum 46. und dar-
über ziemlich gleich und beträgt 3 cm.
Die längste Rippe setzt in der Gegend des 20. Wirbels an,
sie misst ca. 63 cm., von da an nimmt die Länge der Rippen
constant ab. Am 38. Wirbel setzt eine Rippe von 35 cm. Länge
an, am 47. eine von 4 cm., von da an sieht man nur noch
kleine Rippenstumpen bis zum 63. Andeutungen von Anwachs- 3
stellen für Rippen finden sich noch am 73. Wirbel. Von der
bekannten Kniekung des Schwanzes (Quenstedt Jura 219) findet
sich gar nichts.
Der Kopf steht aus der Platte frei heraus, die ersten Wirbel
sind über und auf einander gedrückt und verschoben. Von Augen,
Nasenlöchern etc. ist nichts vollständiges zu sehen, dagegen kann
man ziemlich sicher beurtheilen, wo letztere gelegen sein müssen,
indem die Ausläufer des Nasenbeins leicht zu erkennen sind.
Von dieser Stelle an bis zur Spitze misst der Schnabel 43 cm.
Der Schnabel ist geschlossen, so dass man keinen Zahn in seiner.
natürlichen Lage erblickt, es finden sich nur einige wenige zer-
brochene in der Rinne liegend, welche durch das nicht vollstän-
dige Aufeinanderpassen der beiden Kiefer gebildet wird. Diese
Zähne sind klein, kaum 3 Mm. dick, 8 Mm. lang und vollständig
ausgebildet. y
Die Flossen fallen durch ihre Länge besonders auf, die
vorderen messen 70 cm. Da aber am Ende die Polygonalknochen
noch 1 cm. Durchmesser haben, so darf man kecklich für die |
wirkliche Länge 75 cm. annehmen. Der Oberarm ist 14 cm.
lang. Am 4. Polygonalknochen des Daumens, wo die Flosse die
grösste Breite besitzt, beträgt diese 15 cm. Ich zähle 4 Reihen
je zu 19 Knochen der Vorderflosse (ohne Radius und Ulna), zu-
sammen 79 Knochen; an der 2. Flosse, welche bedeutend schlechter
erhalten ist, finden sich 67 Knochen.
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E
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liegen wie es scheint noch an derselben Stelle, wo sie im Leben sich
Be. befanden, nämlich in der Gegend vom 37. bis 41. Wirbel, ge-
_rade da, wo die Länge der Rippen so plötzlich von 385 auf 4 cm.
E : sich auf 4 Reihen oder Finger vertheilen. Die Länge der Flosse
_ beträgt 40 cm. (beide gleich, woraus anzunehmen ist, dass sie
vollständig sind), ihre Breite 10 cm. Die Länge des Oberarmes
beträgt bei beiden 10 cm. \
a Was die Zahl der Einkerbungen anbetrifft, so sind sämmt-
liche Daumenknochen incl. Radius der Hinterflossen gekerbt. Nicht
2 so bei den Vorderflossen. An einer fehlt der Radius und an
dieser sind 5 deutlich gekerbte Knochen sichtbar. Bei der an-
- deren sieht man an dem schön erhaltenen Radius auch nicht die
- Spur eines Einschnittes, dagegen sind 4 Polvgonalknochen deut-
; lich mit Incisionen versehen (guadriscissus). So sehr ich mir
_ Mühe gab, an einem anderen Exemplare von Ichthyosaurus ähn-
liche Verhältnisse wieder zu finden, so wollte es trotz des grossen
- Materials, welches mir zur Verfügung stand, nicht gelingen, und
2 ich muss daher Ichthyosaurus longipes als Unicum bis auf Weiteres
- betrachten. Jedenfalls ist es bemerkenswerth, zu sehen, dass die
- Zahl der Einkerbungen an den Vorderflossen mit der Zahl derer
an den Hinterflossen in keinerlei directer Beziehung steht und
man somit bei der Speziesbestimmung nach diesem Merkmale stets
4 mit Vorsicht zu verfahren hat.
® 2. Ichthyosaurus longipes (multiseissus).
Von diesen befinden sich 3 Exemplare im Stuttgarter Museum,
_ dieselben sind nicht vollständig; nur Schädel und Vorderflossen
- sind vorhanden. Die Kopfformen entsprechen mehr dem Ich-
thyosaurus longirostris, doch sind die Schnäbel nicht lang genug,
- um sie zu diesen zu stellen. Die Augen sind schön erhalten;
_ die Zähne gross und deutlich sichtbar. Der längste Kopf misst
- 135 cm., seine Breite 18 cm. (beim Thränenbein). Die längste
Ri Flosse misst 100 cm. Länge und 12 cm. Breite.
Die Einschnitte an den Polygonknochen sind nach Anzahl
abnimmt. Jede Flosse besteht aus 51 Polygonalknochen, die „
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einander geworfen und von den Rückenwirbeln fehlen einige.
_ von den Hinterflossen ist nur eine, diese aber sehr gut er
tograph Prinzing in Kirchheim u. T. gefertigt und durch alle Buchhand-
wir den Radius gekerbt, nicht jedoch den ersten en, =
wohl aber die 13 folgenden. Bei einem 2. ist der Radius ohne
Einschnitt, der erste Polygonknochen undeutlich, von da an aber
alle übrigen zweifellos gekerbt. Aus diesen Gründen lässt sich
eine Eintheilung nach den Einschnitten der Polygonknochen nicht
III. Ichthyosaurus longirostris.
Von dieser sonderbaren Spezies waren bis vor Kurzem fast
nur die Köpfe bekannt, mit Ausnahme eines ziemlich vollständi-
gen Exemplars, welches sich.in Paris in der Ecole des Mines
befindet.
Beschreibungen, dieser Funde finden sich bei Jaeger, Nov. Be
Act. Phys. et med. XXV, 2 pag. 940 sowie Quenstedt Jura, R
pag. 217 und Handb. d. Petrefactenk. pag. 159. Fast sämmt- 9
liche Funde gehören den oberen Schichten von Mittelepsilon an. “
Erst unlängst fand sich bei Ohmden 30 cm. über dem oberen
Stinkstein ein ziemlich vollkommenes Exemplar von guter Erhal-
tung.*) Die verhältnissmässig dünnen Rippen sind etwas durch-
Der Kopf und Schnabel sind theilweise platt gedrückt, an den
vorderen Extremitäten fehlen einige wenige Polygonalknochen,
halten.
Die Gesammtlänge des ganzen Thiers beträgt ca. 5 M,.,
wovon mehr als die Hälfte auf den Schwanz kommt, der über 100
Wirbel zählt, während nur 14 Rücken- und Lendenwirbel vor- 74
handen sind, ihre Anzahl jedoch, die fehlenden mitgerechnet,
auf ca. 20 geschätzt werden kann. Der 1,32 M. lange Kopf ist
ziemlich verdrückt, der Schnabel an der Wurzel etwa 2 cm. dick. N
Wir haben es somit unzweifelhaft mit einem wirklichen 7. Tonga
*) Die sehr gute Photographie dieses Exemplares ist durch Pho- Ben.
JG
lungen zu beziehen.
—. 233 —
rostris zu thun. Die Zähne sind klein, etwa einen halben Cen-
timeter lang und fast sämmtlich ausgefallen. Die Flossen fallen
besonders auf. Während bei 7. longipes die vorderen lang und
die hinteren kurz sind, so ist es hier gerade umgekehrt. Die
vordern, aus ca. je 20 Polygonalknochen bestehend, sind blos
etwa 30 cm. lang und 15 breit, wogegen die Hinterflosse aus
54 Polygonalknochen besteht, 65 cm. lang und etwa 15 cm.
breit ist. Sämmtliche Flossen sind 3-fingerig. Von Einkerbungen
an den Polygonalknochen war nichts zu bemerken, es ist somit
ein I. longirostris ascissus, während das Jaeger’sche Exemplar
ein biscissus war.
Zur Weichthierfama der Schwäbischen Alb.
Von Dr. D. FE Weinland
in Hohen-Wittlingen.
(Mit Tafel IV.)
Unsere Württembergische Molluskenfauna gehört wohl zu
den besser bekannten in Deutschland. Die systematische Bear- Bi:
beitung derselben datirt schon aus dem Jahre 1818, wo unter
‘ dem Präsidium des verdienten Prof. Schübler in Tübingen en hy.
Frankfurter Student Klees die bei Tübingen vorkommenden
| Mollusken beschrieb, aber leider irrthümlich einige Württemberg
fremde Arten aufnahm. Nachher hat Schübler für Memmingers
Beschreibung von Württemberg das erste Verzeichniss der Mol- =
— Jusken Württembergs überhaupt geliefert. Fast zu gleicher Zeit
sammelte Kanzleiratı Benz die Mollusken um Stuttgart mit
03% _ vielem Fleiss (besonders auch die kleinen Pupa, Vertigo und
_ Hydrobia), und G. von Martens, der bekamnte, hochverdiente 2
3 Botaniker, bei Ulm und im Blauthal. Er fügte die interessante
Helix villosa aus den Ufergehölzen der Iller der Württembergi- E
“ P schen Fauna zu und lieferte auch die ersten, freilich noch spär- Be
‚lichen Notizen über die Mollusken unsrer Alb*) im Jahre
” 1826 in der geographischen Zeitschrift Hertha, Band 6, S. 59. =
3 ER ..d. f£ Von ihm stammt das verbesserte Verzeichniss aller ”
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*, Er führt an: Von der Alb überhaupt: Helix pomatia ; vom
Blauthal: Helix lapieida, Bulimus radiatus, Pupa frumentum!,
Olausilia parvula, Planorbis contortus und Pl. vortex ; ferner von d deı
5 ‚Brenz: Helix (Paludina) viwipara.
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E _ Württembergischen Mollusken in der dritten Ausgabe von Mem-
- minger vom Jahre 1841, wo bereits 100 Arten aufgeführt sind.
Als nächste bedeutende Arbeit ist dann die bekannte Abhand-
lung vom Grafen von Seckendorf über die lebenden Land-
und Wasser-Mollusken Württembergs zu nennen, welche im Jahre
1847 in diesen Jahresheften erschien. Er führt schon 113 Arten
auf und nennt Urach und die Alb bei Urach öfters als Fund-
orte, sogar bei Arten, die hier sehr selten sind, z. B. Olausilia
flograna Zieg., Pupa doliolum Drap., ein Beweis, dass damals
mit Fleiss und Sachkunde gesammelt worden; ob vom Grafen
selbst, wissen wir nicht. Einige Irrthümer, die sich in diesem
Verzeichniss eingeschlichen, werden wir bei den betreffenden Arten
berichtigen.
Nachher hat besonders Dr. E. von Martens, Sohn des
Obengenannten, jetzt Professor in Berlin, der die Weichthier-
kunde zu seinem Specialstudium gemacht, mit grossem Eifer und
Erfolge die Württembergischen Mollusken gesammelt und auf
Grund. seiner Forschungen und der Sammlung unsres Vereins,
die indess durch die Fürsorge des Oberstudienraths von Krauss
sehr reichhaltig geworden, im Jahre 1865 ein neues Verzeich-
niss der Württembergischen Mollusken in diesen Jahresheften
Ss. 178 u. d. f. gegeben, nebst einem interessanten Ueberblick
über alle bisherigen Arbeiten. Er führt 115 Arten auf, 74
Land- und 41 Wasser-Mollusken. Bezüglich der geographischen
Verbreitung der Landschnecken unterscheidet Krauss innerhalb
Württembergs: I. Schwarzwald, Urgebirge, bunter Sandstein, II.
Unterland, Keuper und Lias, III. Unterland, Muschelkalk, IV.
Alb, Jurakalk, V. Oberschwaben, Molasse, eine Eintheilung, die
für die Landschnecken sicher natürlicher ist, als jene nach den
Flussgebieten: Neckargebiet, Taubergebiet, Donaugebiet und Boden-
seegebiet.
Seit jenem Jahre 1865 haben wir endlich noch einige sehr
hübsche Funde von Prof. Leydig in Tübingen zu erwähnen,
_ welcher die interessante Heliv Cobresiana von Alten und den
_ merkwürdigen Wasserlimax (L. brunneus) beide von der Um-
R gegend von Tübingen, der Württembergischen Fauna zufügte.
Letzteren fanden wir seitdem sogar auf der Alb. Ueber
Andere, besonders über neue Fundorte seltner Arten werden wir
bei den betreffenden Numern berichten. = |
Troz all dieser fleissigen Arbeiten möchte es sich vielleicht
doch schon an sich lohnen, ein möglichst vollständiges, auf |
längerem, eifrigem Sammeln und Beobachten berunendes Ver-
zeichniss der, auf einem, wenn auch eng begrenzten Gebirgs-
plateau lebenden Weichthiere aus der Gesammtfauna des Landes
herauszuschälen, ja wir möchten fast glauben, dass solche, an
Ort und Stelle bearbeitete Localfaunen von Gebirgen
und überhaupt von bestimmten geographischen Complexen für die
Thiergeographie anschaulicher wären, als die üblichen Zu-
sammenstellungen nach den faunistisch meist sehr indifferenten,
politischen Landesgrenzen. Auf Grund solcher möglichst genauer
Localfaunen müssten sich dann auch sehr leicht übersichtliche
Karten zur Thiergeographie entwerfen lassen, die uns fast noch
ganz fehlen.
Noch mehr aber möchte sich unsre kleine Monographie noch
dadurch legitimiren, dass es uns gelungen ist, auf unsrer Alb,
im Umkreis vielleicht einer halben Tagereise über zwanzig Arten,
die für die Alb, vier, die für Württemberg neu, sodann Eine,
die sogar bis jetzt nur in den Alpen gefunden worden, und endlich
einige sehr charakteristische neue Varietäten nachzuweisen. Dies
ist erklärlich, da bis jetzt kein Malacologe, wie es scheint, auf
unsrer Alb ansässig gewesen, sondern sie nur von solchen be-_
reist worden, wobei bekanntlich der Zufall eine grosse Rolle
spielt. Dessen zum Beweis erlauben wir uns, anzuführen, dass
wir einen ganzen Sommer schon recht eifrig gesammelt hatten,
ehe wir die kleine, aber in ihrer Individuenzahl sehr constante
Colonie von Bulimus detritus auf unsrer Ruine entdeckten, die
nur einige Minuten von unserem Wohnhaus entfernt ist. Erst
im zweiten Sommer fanden wir Acme polita und Clausilia flo-
grana, gleichfalls ganz nahe, erst im dritten Helix aculeata,
Limax carinatus, Pupa doliolum, sämmtlich auf unsrer Ruine, F
und sodann Cionella acicula und Succinea oblonga, beide auf \
der trockenen Schlosswiese neben unsrem Haus. Erst im vierten
Sammeljahre endlich entdeckten wir den Zimnaeus pereger. und
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— 237 —
das Pisidium in Menge bei Hengen und Balea fragilis, aller-
dings bis jetzt nur in Einem Exemplar nicht weit von der Schiller-
höhle, die nur fünf Minuten von unsrem Wohnhaus entfernt ist,
und endlich Limax brunneus und Helix edentula, jene hübsche
kleine Alpenschnecke im DBruttel eine Stunde von Wittlingen.
Wenn ich nun mir erlaube, hinzuzufügen, dass ich schon seit
Jahrzehnten das Auge für solche Dinge geübt habe, so mögen
diese Erfahrungen zeigen, wieviel noch für ansässige Forscher
in Beziehung auf ihre Localfaunen zu thun übrig bleibt; sind
wir doch überzeugt, dass wir heute noch unsre Umgegend nicht
ganz erschöpft haben.
Um nun namentlich auch unsern nichtwürttembergischen
Fachgenossen den Vergleich mit andern deutschen Gebirgen und
deren Weichthierfauna zu erleichtern, möchte es am Piatze sein,
noch einige Worte über das Clima, besonders über die, für die
Mollusken so wichtigen Wärme- und Feuchtigkeits-, Boden -
und Vegetationsverhältnisse unsrer Alb vorauszu-
schicken, was vielleicht um so nöthiger ist, als diese in manchen
geographischen Handbüchern und Karten kurzweg das nicht sehr
schmeichelhafte Epitheton „die rauhe“ erhält. Die Sache ist
aber so schlimm nicht. Zwar leben wir ungefähr 2000‘ über
dem Meere, (Hohen-Urach 2170, Hohen-Neuffen 2190, Hohen-
Wittlingen 2132,) allein wir möchten doch constatiren, dass wir
auf unserem Albtheil nicht nur in Gärten und auf Wiesen
Obst in Menge pflanzen, sondern dass sogar der Wallnuss-
baum (Juglans regia), der bekanntlich für Frost sehr empfind-
lich, nach den Botanikern als ein wahrer Gradmesser mit der
Weingrenze gehen soll, vortrefflich bei uns gedeiht und regel-
mässig alle Jahre Früchte bringt, sicherer als unten im Thale,
wo er oft genug im Frühjahr die Knospen erfriert. Auch mag
ein Moment, das bisher vielfach übersehen worden, hier schon
hervorgehoben werden, das die Pflanzen und die von ihnen sich
nährende Thierwelt auf allen Gebirgen trotz des späten Sommers
und des frühen Winters immer begünstigt, es ist die lange
Frische und Kraft der Vegetation im Spätsommer und
im Herbst. Während im Unterland oft schon im Juli die niedere
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Pan
Flora fast versengt und das Laub der Gebüsche und Wälder vor
Dürre trocken, steif und saftlos wird, bleibt die Flora des Ge-
birges und so auch unsrer Alb frisch und das Laub weich und
saftig bis spät in den September hinein.
Doch wir wollen unsre Umgegend, das Terrain, auf welchem
die "nachfolgend genannten Mollusken leben, noch mit ein paar
Strichen weiter skizziren.
Characteristisch und für die so verschiedenen Bedürfnisse
der verschiedenen Molluskenarten sehr förderlich ist vor Allem
die wunderbare Mannigfaltigkeit der hiesigen Landschaft.
Hügel und Thal, trockene Wiesen und Raine und wieder immer
feuchte Gründe, scharfes Licht und beständige Schatten, senk-
rechte, massige, himmelanstrebende Felsen mit Hunderten von
Spalten, grossen und kleinen Höhlen und Löchern, die einen kahl,
höchstens mit dünnen, grauen Flechten, die andern über und über
mit einer dichten Moosdecke bekleidet und manche dieser Felsen
gekrönt mit Burgruinen, den anerkannten Lieblingsplätzen so
vieler Mollusken *), dann wieder zerklüftetes Lagergestein und
Geröll, das so vielen Weichthieren Schutz bietet im Winter und
während der Sommerdürre, sodann wo der Mensch noch ein
günstiges Plätzchen uncultivirt übrig gelassen, unsre schöne,
reiche Albflora, endlich Wald und Gebüsch in jedem Grade der
*) Der Reichthum gerade der Ruinen an Mollusken ist schon
anderwärts, z. B. von den verdienten Frankfurter Malacologen (Heine-
mann, Kobelt und Andern) mit Recht hervorgehoben worden. Wo
Ruinen auf kalkarmen Gebirgen stehen, erklärt es sich leicht, dass de
Weichthiere sich dort im Verhältniss zum übrigen Gebirge mannig- £
faltiger entwickeln können, weil sie in den Ruinen, im Mörtel den
für sie so nöthigen Kalk finden, allein auch bei uns, wo das ganze
Gebirge Kalk ist, zeichnen sich die Ruinen durch Reichthum an Weich-
thieren aus. Von den 74 Arten, die unser nachfolgendes Verzeichniss j
enthalten wird, könnte der Localkundige wohl an einem einzigen Regen-
tage 40 bis 50 auf unsrer Ruine finden, d. h. auf einigen Morgen Platz.
Schatten und Licht, kühle und warme, feuchte und trockene Plätze
ganz nach Bedürfniss und vor Allem eine Menge Verstecke in den
alten Mauern und dem Schutt, dies sind wohl die Ursachen, warum
sich die Mollusken auch bei uns mit Vorliebe dort aufhalten. >
Dichtigkeit und Höhe, und das Alles wieder in den verschieden-
sten Lagen der Windrose, diese ganze, für die niederen
günstige Mannigfaltigkeit der Landschaft kann der Naturfreund
_ auf unsrer Uracher Alb im Umkreis einer halben Stunde beinahe
überall zusammenfinden.
Unsre Alb, eine wahre Gebirgsmauer von Südwest nach
Nordost, möchte man die Wirbelsäule von Schwaben nennen.
Aehnlich wie der Schwäbische Volksstamın selbst neigt sie halb
nach dem Norden und dem Rheine, halb nach dem Süden und
- der Donau zu und spendet nach beiden Seiten ihre nährenden
‘ Quellen, wie sie von beiden Seiten ihre Wolken erhält. Dieses
Gebirge hat bekanntlich hier nach Nordwesten zu seinen Steil-
abhang. Schroffe, graue Jurafelsen stehen gleich vorgeschobenen
Wachtposten überall an den Grenzen des Plateaus und geben
unsern Thälern ihren bestimmten Character. Die Abhänge des
g Gebirgs, aus dem Schutt desselben bestehend, sind mit dem hier
urwüchsigen, durch die ausgezeichnete neuere Forstwirthschaft
_ leider für Thiere und Pflanzen, Zoologen und Botaniker, nur gar
zu dichtbestandenen Laubhochwald bedeckt, der besonders
in Nordlagen zu riesiger Höhe emporstrebt, an den warmen Süd-
hängen aber, wo die brennende Sonne den Humus sich nicht
sammeln lässt, indem sie dessen Verwesung und Verflüch-
tigung zu stark befördert, oft verkümmert und zu Buschwerk *)
herabsinkt.
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Arten:
| Cornus sanguinea, Acer campestre, (Buschform mit der dicken,
korkigen Rinde), Carpinus betula, (Buschform) Orataegus oxyacantha,
Rosa canina, Corylus avellana, Salix caprea (oft in den trocken-
sten Felsspalten), Huonymus europaeus, Prunus spinosa, P. avium,
- Ribes wvacrispa, Viburnum lantana, Sorbus aucuparia, Aria und
Torminalis, letztere seltener, doch an verschiedesen Stellen auf der
bi häufig im Thale, Clematis vitalba, Cytisus nigricans und einige unbe-
deutendere Arten. Diese Gebüsche setzen auch die Häger an Wiesen
Br und Feldern, Wegen und Rainen auf der Alb zusammen, welche, wie
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- Thiere, zumal für die Insecten aber auch für die Mollusken so
7) Dies besteht, etwa der Häufigkeit nach geordnet, aus folgenden
- Alb von uns gefunden, Ligustrum vulgare selten auf der Alb aber
Buchen, bietet aber stellenweise eine grosse, fast parkähnliche
Abwechslung dar, so dass man häufig auf einigen Morgen Platz,
ausser jener vorherrschenden Baumart, wahre Prachtexemplare
von Eschen, Ulmen, drei Arten Ahorn, Hainbuchen, Sommerlinden*),
seltener Eichen und Birken bei einander sehen kann. Glück-
licherweise ist der dichte forstliche Bestand da und dort durch
höhere Gewalt, von einem mächtigen Fels unterbrochen. Das
gibt etwas Licht und Luft, lässt den Thau herein und den Regen,
und hier sind dann wahre Oasen für Thier- und Pflanzenwelt,
für Zoologen und Botaniker. Hier in der lichten Umgebung
solcher Felsen und auf ihnen haben die so interessanten „Forst- 5
unkräuter“, Gebüsche und Hecken und die ganze Thierwelt,
die von ihnen und in ihrem Schutze lebt, noch ein Asyl und am
Fusse solcher Felsen hält zumal der Conchyliologe meist reiche
Ausbeute und kann da, sollte er auch grösstentheils nur leere
Schalen finden, sich über die häufig vorkommenden Arten in
kurzer Zeit informiren. Denn ähnlich wie der eigentliche tropische
Urwald recht einförmig und arm an Thieren ist, so dass wir
oft Stundenlang darin wanderten, ohne eine Schnecke oder ein
Insect oder ein Reptil zu sehen, oder einen Vogel zu hören
(etwa die Wildtauben ausgenommen), so ist auch unser forst-
licher Hochwald sehr arm an lebenden Wesen. Das meisterhaft
geschlossene Laubdach, der Stolz des Försters, der ein-
förmige, dicht mit Laub bedeckte Boden lässt nichts aufkommen
Jener Laubhochwald besteht weitaus vorwiegend: aus ;
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wir bei den einzelnen Arten sehen werden, so vielen Mollusken Schutz
und Feuchtigkeit und zum Theil auch Wohnung gewähren. .
*) Unsere Alblinde, die überall zerstreut im Walde (aber lei-
der nur noch sehr einzeln in Dörfern gepflanzt) sich findet, ist stets
die schöne Sommerlinde mit den grossen, haarigen, weichen Blät-
tern, Tilia grandifolia Ehrh., welche nach der Württemb. Floravon
Martens und Kemmler „in Wäldern selten“ sein soll. Die nach dieser
Angabe, wie es scheint, im Unterland gewöhnlichere Winterlinde, Tilia
parvifolia Ehrh. habe ich auf der Alb wild noch nirgends gesehen. 4
Dies ist um so merkwürdiger weil gerade diese später im Jahr aus-
schlägt und 14 Tage später blüht als die Sommerlinde, also für die E
Alb scheinbar besser passen sollte.
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BAtREAr RN er Re a . } * fi r ' , “ ö j {
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— 241 —
und nur an jenen genannten Lichtungen und am Rande des
Waldes, sodann wieder in alten Schlägen, wo die hohen, alten
Bäume sich mehr einzeln stellen, Moos ansetzen und da und
dort vom Glatteis etwas faulrindig werden, da sucht man bei
günstiger Witterung nie vergebens nach den verschiedenen Arten
unsrer characteristischen Limax-Clausilien- und interessante Helix-
Arten, und was man kaum erwarten sollte, auch nach Helix hor-
tensis und nemoralis, welch letzterer Vorkommen auf der Alb
bisher ausdrücklich aber irrthümlich in Abrede gezogen wurde.
Ja in solchen Lichtschlägen dringen diese Thiere oft sehr
tief in den Hochwald selber ein, worüber unten bei den einzelnen
Arten mehr.
So viel über unsern Wald. Was nun weiter die Physiog-
nomie der waldlosen Hochfläche des Gebirgs betrifft, so
setzt sich dieselbe jetzt fast ausschliesslich nur noch aus Cul-
turland, aus Wiesen und Ackerfeld zusammen, während die
Waiden und Mäder von Jahr zu Jahr mehr zusammenschrumpfen.
Die Aecker sind vor Allem mit Dinkel, Gerste, Roggen, Haber,
Kartoffeln, Klee und Luzerne, nur sehr wenige mit Waizen und
Pferdebohnen bestanden. Der Hopfenbau, der ein treffliches
Product liefert, fängt eben erst an. Diese unsre Culturpflanzen
mögen einen Begriff von unsrem Clima geben, besser als durch-
schnittliche Thermometergrade der Monate oder des Jahres. *)
*, Das Clima der Alb hat sich überhaupt seit Menschenge-
denken offenbar bedeutend verändert. Man staunt, wenn man heute
die Schilderungen des zuverlässigen G. v. Martens in seiner oben eitir-
ten Abhandlung vom Jahre 1826 über die Schwäb. Alb liest, der die
mittlere Jahrestemperatur derselben zu + 4 bis 5° Reaumur angibt,
und z. B. anführt, dass oft der Mähende in der Heuerndte Eis auf
dem Grase findet!! Ich selbst erinnere mich noch aus meiner Knaben-
zeit wohl, dass es hin und wieder auf den Haber und auf das
Oehmd schneite. Heutzutage folgt Habererndte und Oehmdet regel-
mässig fast unmittelbar auf die der Winterfrucht und um Mitte Sep-
tember spätestens ist fast Alles zu Hause. Damals fuhr man im Win-
ter auf den Strassen von Dorf zu Dorf zwischen unübersehbaren Schnee-
mauern, die die colossalen, oft mit 16 und mehr Pferden bespannten
und mit der halben Schuljugend bedeckten Bahnschlitten aufgethürmt;
Württemb. naturw. Jahreshefte. 1876. 16
Be;
Acker und und Waide sind arm an Mollusken, am Acker-
feld findet sich etwa noch an Wegrändern, unter grossen Steinen
Limax agrestis , oft in Menge, seltener Hyalinen und eine verirrte
Olausilia, Helix hispida oder Helix ericetorum. Auf dem kurzen,
feinen Rasen der Waideflächen, aber immer nur an günstigen,
warmen, haldigen Stellen, Helix ericetorum und costulata. Da-
gegen sind dieHäger, die früher so häufig Aecker und Wiesen
einfassten, jetzt freilich immer seltener und nur noch an den
Wegen geduldet werden, gute Fundorte für die sonst auf
der Alb seltene Helix fruticum und im Moos unter den
Steinen in ihrer Nähe leben Cionella lubrica, Clausilia Taminata,
biplicata, Arion hortensis u. dgl. Reich aber und wegen der
kleinen Arten besonders interessant sind unsre Albwiesen, die
trockenen für Pupa muscorum, Succinea oblonga, Helix costata,
pygmaea, Cionella acicula; wogegen die nördlich gelegenen, meist
jetzt vergeht öfters ein Winter ohne dass man den Bahnschlitten über-
haupt braucht und oft genug seufzt der Bauer nach Schnee zur Ueber-
deckung seiner Wintersaat. Als Ursache dieser Milderung des
Climas können wir nur ansehen das allgemeine Ausroden der
Mäder (jener dünn bestandenen Bauernwälder) und das Umbrechen
und regelmässige Beackern der mächtigen Viehwaiden in Folge
der Einführung der Stallfütterung, für welche damals besonders
manche Pfarrer , unter diesen auch mein seliger Vater, wirkten und
Opfer brachten, weil, so lange das »Ausreiten« (Waiden der Pferde)
dauerte, an einen Schulbesueh der halbwild umherstreifenden Knaben
nicht zu denken war. Von der eine Stunde langen und etwa drei
Viertelstunden breiten Fläche zwischen dem Dorfe Grabenstetten und
dem Kreuzweg vor der Neuffemer Steige z. B. war damals nur der
kleinste Theil, bis etwa eine Viertelstunde vom Dorf regelmässig unter
dem Pfluge, das Uebrige mit geringen Ausnahmen Eine mächtige Waide-
fläche, auf der wir Jungen nach Herzenslust in die Kreuz und Quere,
wie auf einer Amerikanischen Prairie auf unsern Pferden dahinjagten.
Auf dieser Waidefläche zeigte uns öfters der Vater lange Linien, deut-
liche Spuren einstiger Pflügung und erklärte sie vom Bebauen die
ser Fläche vor dem dreissigjährigen Kriege. Das Alles isst
heute regelmässig bebautes, fruchtbares Ackerland, Ein wogendes
Saatfeld im Sommer, und jetzt hätte also erst unsre Alb die Bevölke-
rung und Cultur wieder erreicht, die sie vor jenem Kriege schon
gehabt.
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mit dichtem, stets etwas feuchtem Grundmoos ausgestatteten,
manche sehr interessante kleine Sachen, z. B. Hyalina striatula,
pura, Pupa antivertigo und Anderes bergen.
Was endlich noch das Wasser, ein so wesentliches Ele-
ment für die Weichthiere, betrifft, so ist der durchschnittliche
atmosphärische Niederschlag hier zu Lande vollkommen ausreichend
für Pflanzen und Thiere, und die Perioden der Dürre dauern nie
so lange, dass die in Moos, unter Steinen und Laub, in Baum-
stumpen , Baumritzen und Felsspalten, wohl auch in Laubbe-
decktem, immer feuchtem Humus versteckten Weichthiere dar-
über zu Grunde gingen. Nie sind uns im Laufe des Sommers
solche gestorbene Thiere vorgekommen, wohl aber nicht selten
im Spätherbst und Frühjahr jene, die offenbar von der Kälte
überrascht und getödtet worden. Die nächtliche Abkühlung
im Sommer und der Thau sind in der Regel auch bei langer
Trockenheit stark genug, dass die Weichthiere fast jede Nacht
ihre Schlupfwinkel verlassen können, wie wir am Morgen an
ihren schleimglänzenden Fährten wahrnehmen, welche den Sammler
gar oft auf ihr Versteck hinweisen. Nur bei sehr langer Dürre
scheinen manchen Arten diese nächtlichen Wanderungen nicht
mehr möglich. Dann erfolgt jener Sommerschlaf, welcher in den
Tropen so viele Thiere in Monate langen Torpor versenkt, ja
der Fall tritt ein, dass manche Helx-Arten z. B. H. personata
und obvoluta sich mitten im Sommer mit einem Kalkdeckel, ganz
wie im Winter versehen, um sich vor Austrocknung zu schützen,
wie ich dasselbe auch bei manchen Tropenschnecken, z.B.
bei den grossen Westindischen Pupen fand. Aber auch dann
weckt sie endlich ein kräftiger Regen schnell zum muntersten
Leben und dies ist die Zeit, wo besonders die dicken Buchen-
stämme im Vorwald, wo die Gebüsche und die Rasen an Wegen
mit den verschiedensten Molluskenarten sich bedecken und wo
_ man oft in einer Stunde mehr von ihrem Leben beobachten kann,
als sonst wohl in einem Monat.
Anders freilich steht es bei uns für die eigentlichen Wasser-
Mollusken, die auf anhaltenden Wasserbestand angewiesen
sind. Die seltenen und dünnen Rinnsale unsrer wenigen nassen
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Wiesen sind, soweit sie der Hochfläche angehören, kurz, seicht E
und kalt, andere, grössere, gestalten sich jedes Frühjahr beim
Schneeschmelzen auch wohl bei lange anhaltendem Regen
im Sommer zu Sturzbächen, die Alles mit sich fortreissen.
Das sind keine günstigen Aufenthaltsorte für Mollusken, daher
es nicht zu verwundern, wenn sie in unsrem Verzeichniss so
spärlich vertreten sind, wie denn auch bis jetzt oben auf dem
Alb-Plateau unsres Wissens nur eine einzige Art (Limnaeus
pereger) nachgewiesen worden war. Doch haben wir auch bei
diesen einige sehr interessante Novitäten zu berichten. Gerade
in und an einem solchen kurzen Wiesenrinnsal haben wir in
Menge einige, freilich sehr versteckt lebende Molluskenarten auf-
gefunden, nämlich zwei Limnaeus-Arten, (Limn. pereger Müll.
und L. truncatulus Müll.) und endlich gar noch eine Muschel,
freilich eine winzig kleine, ein Pisidium. Diese drei Weichthier-
arten leben zusammen in und an einem ganz isolirten
Wiesenwassergraben von nur einigen hundert Schritten
Länge, der mitten auf der Ebene nahe dem Dorfe Hengen
liegt und in einem Erdsturz versinkt.*) Die Frage, wie
kommen sie dahin, hat uns viel beschäftigt. Bei den kleinen
Limnäen liesse sich denken, dass sie zufällig am Gefieder oder
an den Füssen von Wasservögeln, z. B. Wildenten, hergeschleppf
worden. Sie können mit ihrem Schleime hängen bleiben. Etwas
schwieriger scheint dies für das kleine, kuglige, zweischalige :
Pisidium. Doch wenn man die Natur dieses Thierchens kennt,
wie es im Wasser seine Schälchen ziemlich weit öffnet, wie es \
dieselben aber sofort krampfhaft zusammenklappt und lange fest
geschlossen hält, sobald man einen fremden Gegenstand, etwa
*) Zur botanischen Characterisirung dieses zoologisch so merk-
würdigen Rinnsals führen wir noch an, dass darin in Menge folgende
Wassermoose wachsen: 1) Callitriche sp., 2) Mnium pumetatum Hdg.
3) Amblystegium (Hypnum) riparium Br. u. Sch., 4) Amblystegium
irriguum Br. u. Sch. gleich Hypnum fluviatile Sw., 5) Chiloscyphus
(Jungermania) polyanthus Br. u. Sch., 6) Aneura (Jungermania) pin-
guis Dunc. (nach gef. Bestimmung von H. Pfarrer Kemmler in Donn-
stetten.) an
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einen Grashalm, dazwischen bringt, so lässt sich recht wohl
denken, dass dieser kleine Zweischaler auch an den Zehen oder
an der Schwimmhaut eines Wasservogels sich festklappt, der zu-
fällig darüber hinwegschreitet oder schwimmt. So könnten auch
diese Müschelchen von dem Vogel weit her, aus wasserreichen
Gegenden, vom Thale herauf nach den isolirtesten Wasserrinnen
der Alb getragen werden. Doch auch eine andere mögliche
eine aktive Wanderung jener Limnäen und des Pisidium
müssen wir erwähnen.
Zuerst aber wollen wir, um nicht missverstanden zu werden,
hier sogleich hinzusetzen, dass wir nachher jenes Pisidium und
einen der Limnäen noch an einigen anderen Wassergräben auf’
der Alb gefunden haben, die von jenen erstgenannten bei Hengen
weit entfernt und selbst eben so isolirt sind, z. B. das Pisidium
in dem Rinnsal des nassen „Vöttelwiesle* bei Wittlingen, wo
auch Limnaeus truncatulus vorkommt. Von dieser Wiese
nun rupften wir einmal viel von dem feuchten Grundmoos und
nahmen es zu näherer Untersuchung mit nach Hause. In diesem
Moose, das also durchaus nicht vom Rinnsale, sondern von der
feuchten Wiese, von Stellen, die wohl 6 bis 20 Schritte von
dem Wassergraben entfernt waren, stammte, fanden wir zu Hause,
allerdings einzeln, doch zusammen eine ganze Anzahl derselben
- Pisidien, die in dem Graben leben, aber lauter junge Exemplare
mit der characteristischen gelblichweiss glänzenden Schale. Ein-
zelne derselben sahen wir sogar im nassen Moose ihr tasten-
des Füsschen ausstrecken und sich von der Stelle be-
wegen. Wenn diese Thierchen wirklich, wie wir vermuthen,
die Fähigkeit haben, zwischen nassem Gras und Moos über
Land fortzukriechen, so wäre damit freilich eine eben so
einfache als wichtige Erklärung für das Vorkommen dieser kleinen
Zweischaler in isolirten Wassergräben gewonnen. Wir bedürfen
nur anhaltendes Regenwetter, um die Brücken für sie herzustellen
und Zeit. In Einem Jahre, in zehn Jahren gelingen viel-
leicht solche Wanderungen nicht, aber in hundert Jahren, in
tausend Jahren war die Gelegenheit sicher Einmal, vielleicht
Dutzendmale günstig und das Thierchen hat sich eine Stunde,
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eine Meile, vielleicht Tagereisen weit, immer von einer isolirten
Wasserrinne zur andern weiter verbreitet.
Ganz dasselbe mag vermuthlich auch von unsern beiden
Limnäen, ZL. pereger und L. truncatulus und leicht auch von
dem Wasserlimax Z. brunneus (siehe unten!) gelten, welche auch
so räthselhaft an isolirten Stellen vorkommen. Z. pereger hat
ja seinen Namen davon, dass er im Herbst das Wasser ver-
lassen, auf’s Land „wandern* und dort sich verstecken soll.
Dies wurde neuerdings bezweifelt, doch haben wir selbst wenig-
stens so viel beobachtet, dass nicht nur dieser Limnaeus sondern
auch L. truncatulus zu Zeiten das Wasser in jenen Wiesen-
gräben verlässt, an dem schattigen, feuchten Rand des
Grabens emporkriecht und dort ruht, so dass man dann diese
Ränder mit Limnäen bedeckt findet und fast keinen im Wasser.
Dasselbe haben wir bei solchen gesehen, die wir zu Hause
in Wassergläser setzten. Auch sie krochen öfters alle sofort aus
dem Wasser heraus und setzten sich am Rande an. Jedenfalls
steht für uns so viel fest, dass diese Thiere, wie ja bekannt-
lich auch so viele Meerthiere, welche zwischen Ebbe- und
Fluth-Grenze leben, das positive Bedürfniss haben, zeitweilig ausser-
halb des Wassers in der Luft sich aufzuhalten, und dass diese
Molluskenarten sich dann auch zum Wandern über nasses, vom
Regen durchfeuchtetes Land hin wohl eignen, ist leicht zu er-
messen und daher mag sich auch ihre aussergewöhnliche Ver-
breitung, wie sie auch auf anderen Gebirgen Mitteleuropa’s be-
obachtet worden, erklären.
Soviel über die kleinen Wasseradern unsrer Alb und ihre
kleinen Bewohner.
Anstehenden Wasserspiegeln, welche mit ihrem Sonnen-
gewärmten Wasser und schlammigem Untergrnnd den meisten
Süsswasser-Mollusken zusagen, fehlt es leider auf unsrer Alb weit-
hin fast ganz, denn unser Juragestein hält das Wasser nicht.
Unsre Brunnquellen liegen vielfach im Basalt, daher auch die
Dörfer, die sich natürlich bei den Quellen ansiedelten, öfters
auf Basalt stehen. Jedoch einen offenen Wasserspiegel im Basalt
kennen wir nicht, höchstens die selten fehlenden Dorfhülben
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mögen zum Theil in ihm ruhen, kommen aber malacologisch
_ kaum in Betracht, da sie meist der einzige Aufenthaltsort sämmt-
licher Dorfenten sind, womit genug gesagt ist.
Dennoch gibt es noch da und dort auf der Hochfläche
kleine, ausdauernde, stehende Wässer, wo dicke Lehm-
unterlagen vorhanden und in früheren Zeiten gab es deren noch
mehr. Die fortschreitende Cultur, welche die grossen Waide-
flächen und die Häger und mit ihnen so viele niedere und höhere
Thiere, besonders kleine Vögel von der Alb verdrängte, verwandelt
auch jene Wasserlöcher und kleinen Sümpfe in Wiesen und Acker-
land. So erinnere ich mich noch recht wohl aus meiner Knaben-
zeit eines hübschen Teichs auf der Loör, etwa eine halbe
Stunde vom Hohen-Neuffen, nicht weit vom Burrenhofe, welch
letzerer damals noch nicht existirte. Dieser kleine See war sicher
gross genug für eine hübsche Wasserflora und Wasserfauna, wie
denn damals, wie ich selbst gesehen habe, Blutigel für medi-
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einischen Gebrauch darin gefangen wurden*) und zwar höchst
einfach von Männern, die mit nackten Füssen darin herumwateten.
Dieser schöne Teich existirt nicht mehr. Er wurde ausgegraben,
aufgefüllt und schon Jahrzehnte geht der Pflug darüber. Nur
ein, wie es scheint, reichhaltiger Brunnen, von dem der benach-
barte Burrenhof in Nothfällen Gebrauch macht, gibt noch Zeug-
niss von ihm.
Eine andere, kleine Wasserfläche in einer Vertiefung der
Haide, vermuthlich auch mit Lehmunterlage, findet sich rechts
von dem Fussweg nach dem Hohen-Neuffen. Dort wächst Pota-
*) Eine Art medieinisch brauchbarer Blutigel wurde
früher auf der Alb regelmässig gefangen. Dieselben sind, wie es
scheint, jetzt verschwunden, vielleicht, wie Herr Oberamtsarzt Dr.
Finckh in Urach behauptet, durch den grossen Rossblutigel vertilgt.
Derselbe theilte mir mit, dass auch in dem Teiche auf der Hengemer
Viehwaide (s. unten) früher von Wundarzt Rösler von Urach viele
'medicinisch brauchbare Blutigel mittelst hineingelegter Kalbslungen
gefangen worden. Ich selbst habe im nassen Grundmoos des Vöttel-
wiesles bei Wittlingen einmal einen Blutigel gefunden, der jedenfalls
kein Rossblutigel war, sondern eine kleinere Art. Leider entwischte
mir derselbe vor der näheren Untersuchung zu Hause.
BB: N
mogeton natans, Alisma Plantago, also ächte Wasserpflanzen, und
doch konnten wir bis jetzt keine Spur von Wassermollusken darin
entdecken, ebensowenig in den oft beständigen Lachen der Lehm-
gruben da und dort nahe den Albdörfern, in welchen wir wohl
verschiedene schöne Wasserkäfer, z. B. den grossen Dytiscus
marginalis, Gyrinus, auch @erris fischten, aber nie ein Weich-
thier. Dasselbe gilt endlich auch merkwürdiger Weise von dem
grössten Wasserspiegel, der überhaupt auf unsrer Alb von
Blaubeuren herwärts (mit Ausnahme der Zaininger Dorfhülben)
existirt. Derselbe ist für Botaniker und Zoologen sehr sehens-
werth. Er liegt auf der Markung Hengen, auf der einstigen
Viehwaide dieses Dorfes, rechts von der Urach-Böhringer Land-
strasse, mitten in einer unfruchtbaren Haidefläche, auf der die
schöne Calluna vulgaris , die borstige Nardus strieta und Poly-
trichum vulgare wachsen. Die Unfruchtbarkeit des umgebenden
Bodens wird glücklicher Weise diesen schönen Teich auch für
unsre Nachkommen erhalten und noch mehr der handgreifliche
Nutzen, den die Gemeinde Hengen aus dem jährlichen Verkauf
seines Eises zieht. Potamogeton natans, Alisma Plantago und
andere Wasserpflanzen zieren auch ihn und seine Thierwelt
zumal ist eine für die Alb sehr reiche,
Einmal scheuchten wir dort, sogar mitten im Sommer, ein
Pärchen kleiner Wildenten (Anas querquedula) auf; ob sie dort
gebrütet? Jedenfalls ist dieser Teich eine von weither gesuchte
Wochenstube für die Amphibien, für die Frösche, Kröten und
Tritonen unsrer Alb, die in Menge dort laichen und offenbar alle
Frühjahre weither dahin pilgern wie die Landkrabben in West-
indien zu gleichem Zwecke alljährlich von den Gebirgen herunter
an’s Meer.
Am häufigsten ist natürlich Rana temporaria und nächst diesem
Bufo cinereus, welchen beiden man auf der Alb immer da und dort
an feuchten Waldträufen begegnet. Aber auch die hier zu Lande
sehr seltene Rana esculenta laicht in dem Teich und bleibt
wohl auch dort das ganze Jahr, denn sie haben wir entfernt
vom Wasser auf der Alb nie gefunden. Auch fingen wir dort
einmal drei junge Laubfrösche, (Hyla arborea) noch mit den
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@ 'Schwanzstummeln. Auch diese sind auf der Alb sehr selten und
“ist uns bei Wittlingen in elf Jahren nur ein Exemplar vorge-
kommen. Ausserdem birgt der Schlamm dieses Teichs eine Un-
zahl von Libellen- und Käferlarven, welche im Frühjahr an dem
Laich der Amphibien reichliche Nahrung finden, um später selbst
jenen Fröschen zur Beute zu fallen, die trotz ihrer Nachstellungen
erwachsen konnten.
Auffallender Weise aber haben wir auch in diesem schönen
Teiche, der sich scheinbar für Limnäen, ja sogar für Planor-
ben ganz vortrefflich eignen würde, bis jetzt keine Spur von
Wassermollusken entdeckt, während nur fünf Minuten davon
jene einsame, dünne, kurze, in einem Erdfall versinkende Wasser-
rinne sich befindet, in welcher ein Pisidium und zwei Limnäen,
ersteres in Menge, leben und wovon schon oben ausführlicher die
Rede war.
Nirgends mehr als bei jenem kleinen See wäre man ver-
sucht, eine Acclimatisation von Wassermollusken zu ver-
suchen, doch haben wir bis jetzt immer jeden solchen Import für
eine Fälschung der Fauna gehalten und daher vermieden. Zum
Mindesten wäre man verpflichtet, um spätere Irrthümer und
falsche Schlüsse zu verhüten, einen solchen künstlichen Eingriff
in die geographische Verbreitung der Thiere in einem naturwissen-
schaftlichen Journal förmlich anzuzeigen.
Noch müssen wir schliesslich eines andern kleinen
Wassserbeckens erwähnen von nur wenigen Quadratrutben
Oberfläche, das wir selbst nahe bei Hohen-Wittlingen am Ende
eines kleinen, stets Wasser führenden Wiesengräbchens durch
| Sperrung des Abflusses mittelst einer Mauer angelegt. Dieser
- kleine Tümpel hat uns nämlich eine unsrer interessantesten No-
vitäten geliefert und war uns überdies sehr instructiv bezüglich
der Neuansiedlung und Entstehung einer neuen Was-
serfauna. Dieser Wassersammler auf der Raissenwiese wurde
angelegt im Sommer 1872, misst an der tiefsten Stelle etwa
vier Fuss und seinen Untergrund bildet die natürliche, von je-
her etwas versumpfte Grasnarbe. Schon nach wenigen Monaten
fanden sich darin nicht nur Libellenlarven, von den ihn häufig
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besuchenden Wasserjungfern, vor Allem Calopteryx vwirg L.und
Aeschna grandis L., sondern besonders auch G@yrinus, Gerris |
und Notonecta, letztere in Menge ein, welche alle vorher auf
eine Stunde im Umkreis nirgends zu sehen waren. Sie konnten
herfliegen, auch der massenhafte Laich von Amphibien im
nächsten Frühjahr war natürlich zu erklären, denn solch günstige
Plätze für Frösche und Kröten wie dieser, sind selten auf der
Alb. Aber sehr räthselhaft war uns in jenem Sommer 1873
das Auftreten eines höchst merkwürdigen Limnaeus in grosser
Anzahl. Es ist dies eine ganz eigenthümliche, sonst nirgends
gefundene enorm grosse Varietät des Limnaeus trun-
catulus Müller, den wir in seiner gewöhnlichen Form auch
sonst auf der Alb hin und wieder nachgewiesen haben.
Woher kam nun dieser Limnaeus? Wir können uns nur
denken, dass er in dem kleinen Wiesengräbchen, welches den
Wassersammler speist, übrigens selbst keine hundert Schritt lang
ist und das wir freilich vorher oft vergeblich durehmustert hatten,
in einer kleinen Colonie versteckt lebte und nun in dem neuen
Wasserbecken unter viel günstigeren Umständen sich so massen-
haft vermehrte.
Dass wir anders woher kein Thier, keine Pflanze in jenen
Tümpel gebracht, brauchen wir nach dem Obengesagten kaum
zu erwähnen. War es doch gerade unsre Absicht, Alles der
Natur zu überlassen.
Soviel über das Terrain und die climatischen Verhältnisse.
Nun noch einige Worte über die Umgrenzung unsrer
nachfolgenden Fauna.
Wenn Herr Öberstudienrath v. Krauss in seiner Aufstellung
unsrer schönen Vereinssammlung und auf Grund derselben Dr. E.
v. Martens in seinem Catalog vom Jahre 1865 die Alb (Jurakalk)
dem Schwarzwald, dem Unterland u. s. f. gegenüberstellt, so fasst
er unter seinem Begriff Alb offenbar Berg und Thal zusammen. Denn
er weist derselben neben 52 Land- nicht weniger als 20 Wassermol-
lusken zu, worunter z. B. Unio batavus, Paludina vivipara,
Limnaeus stagnalis und Andere, also Thiere, welche schon auf
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grössere und wenigstens die beiden letzten auf recht sommer-
warme Wasser Anspruch machen.
Jene Zusammenziehung von Berg und Thal war nun gewiss
dort, wo es sich um grössere thiergeographische Complexe wie
Alb, Schwarzwald u. s. f. handelte, ganz am Platz, aber bei
näherem Eingehen auf die Fauna wie auf die Flora der Uracher
Alb, und überhaupt wohl des ganzen nordwestlichen Alb-
rands, wo Berg und Thal immer so scharf markirt sind, über-
zeugt mansich bald, dass diese auch thiergeographisch zu scheiden,
mit andern Worten, dass die Differenz der Meereshöhe zwischen
Thalsohle und Hochfläche, die hier etwa 800 Fuss beträgt, von
entscheidendem Einfluss auf das Vorkommen, zumal auf die
Häufigkeit der verschiedenen Thierarten ist. Dies gilt schon in
hohem Grade von den für Ortsbewegung trefflich ausgestatteten
Vögeln und Insecten, noch weit mehr aber für die an die Scholle
gebundenen Reptilien, Amphibien und Mollusken. Es scheint uns
überhaupt, als ob die Meereshöhe in der Thiergeographie
viel wichtiger sei, als man gewöhnlich hervorhebt. Wie wäre
es sonst möglich, dass z. B. in der Mark Brandenburg mit ihrem
strengen, langen Winter Schildkröten (Zimys europaea Schn.) und
gar die feine, in südlicher Farbenpracht prangende, über einen
Fuss lange, smaragdgrüne Eidechse (ZLacerta viridis Daud.) leben,
welche beide in Süddeutschland mit Ausnahme einiger warmen
- Stellen des Rheinthales sich nirgends finden. Hier hat offenbar
die Erhebung über dem Meer mehr Bedeutung als die Distanz
vom Aequator und als Isothermen und Isochimenen. Darum
glauben wir auch, dass z. B. eine Arbeit über die geographische
Verbreitung der deutschen Thierwelt, welche die Meereshöhe der
Fundorte zu Grunde legen würde, äusserst interessante Aufschlüsse
geben könnte über das oft so räthselhafte Fehlen gewisser Arten
in solchen Gegenden, wo sie nach unsrem Dafürhalten vorkommen
müssten.
Wir haben daher in unsrem Verzeichniss Berg und Thal
scharf gesondert. Freilich war diese Scheidung oft schwer, und
die Frage, wohin gehört der Abhang des Gebirges, zumal dessen
untere Hälfte trat uns öfters entgegen. Allein Uebergänge gibt
es eben überall in der Natur „usque adeo quod tangitidem
est“, das darf uns aber nicht hindern, zu erkennen, dass
tamen ultima distant. Sonst hätte am Ende alle scharfe
Gliederung, die wir für unser menschlich Begreifen so nöthig
haben, ein Ende. |
So haben wir denn in dem nachfolgenden Verzeichniss nur
die Arten numerirt, welche wir oben auf der Alb, oder wenig-
stens in der oberen Hälfte des Gebirgsrandes gefunden, die
Thalmollusken aber und ihr Vorkommen nur nebenher erwähnt. *)
Bezüglich der horizontalen Begrenzung unsrer
nachfolgenden Fauna können wir sagen, dass von uns die Alb
rings um Urach, etwa eine halbe Tagereise weit sorgfältig
weiterhin aber nur da und dort. oberflächlich durchmustert wor-
den. Nun kann aber unsre Uracher Alb so ziemlich als der
Mittelpunkt dieses Gebirges gelten und bei der ausserordentlichen
Terrain-Entwicklung gerade des hiesigen Gebirgsabschnitts werden
wir wohl nicht weit irre gehen mit der Annahme, dass im
Nachfolgenden die Molluskenfauna des ganzen
langen Nordwestrandsder Schwäb. Alb überhaupt, wenn
auch nicht ganz erschöpfend skizzirt ist. Am sichersten gilt dies
wohl von den Landmollusken, von denen wir nicht weniger
als 72 Arten (gegen 52 bisher bekannte) nachweisen konnten.
Bezüglich der hier spärlich vertretenen Wassermollusken aber
überlassen wir gerne anderen Forschern in günstigeren Theilen
des Gebirges, besonders in den nordöstlichen, eine vielleicht reiche
Nachlese, möchten aber den Wunsch beifügen, beim Sammeln
immer genau die Meereshöhe in Betracht zu ziehen.
Der nachfolgende Catalog ist die Frucht Jahre langen Be-
obachtens und Sammelns, das Ergebniss von wohl über hundert
Excursionen mit meinen Knaben, deren frische Augen mir manches
Interessante aufstöberten. Wohl eben so viele Stunden wurden
zu Hause auf Durchmusterung von Moos und Mulm und Detritus
*) Ein kurzes Namensverzeichniss unserer Albmollus-
. ken haben wir im Jahre 1874 in dem Nachrichtsblatt der Mal. zu |
sellschaft veröffentlicht.
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von Felsen wegen der kleinen, schwieriger zu findenden Arten
verwendet. So ist unsre Albsammlung eine ziemlich reichhaltige
geworden, ganz besonders auch für die kleineren Arten und so-
dann für die Nacktschnecken, welchen früher in Württemberg
weniger studirten Wesen wir nicht ohne Erfolg specielle Aufmerk-
samkeit widmeten.
Eine mit Ausnahme der Unica vollständige Serie derselben
haben wir unsrem vaterländischen, naturhistorischen
Museum in Stuttgart übermacht, einem Fauna-Museum, wie wir
ein ähnliches weder in Europa noch in Amerika gefunden und
auf das jeder Württemberger stolz sein kann. |
Was schliesslich die Bestimmung der Arten und die
so nöthige Vergleichung von Exemplaren anderer Localitäten be-
trifft, so stand uns ausser einer ziemlich guten Bibliothek zunächst
eine eigene, grössere Heliceen-Sammlung, die sich über die ganze
Erde erstreckt, aber speciell für Deutschland und Nord-Amerika
ziemlich reichhaltig ist, und an der wir, freilich oft mit
langen Unterbrechungen, schon seit 20 Jahren arbeiten, zu Ge-
bot. In zweifelhaften Fällen correspondirten wir mit Freunden und
Fachgenossen und sagen wir in dieser Beziehung besonders den
HH. Prof. Dr. E. v. Martens in Berlin, Dr. Kobelt in Schwan-
heim und S. Clessin früher in Dinkelscherben, jetzt in Regens-
burg freundlichen Dank, Herrn Clessin noch besonders für Ueber-
sendung einer äusserst schätzbaren Serie der schwierigen Clau-
silien der (7. plicatula-Gruppe und der interessanten, kleinen
Hyalinen, die in seiner Gegend so viel häufiger sind als bei uns,
beides Gruppen, die wie unser Verzeichniss zeigen wird, bis-
her von den Württembergischen Malacologen weniger beachtet
wurden, als sie es verdienten.
In der systematischen Reihenfolge sind wir Dr. Kobelt’s
Catalog der Europäischen Binnen-Conchylien (Cassel 1871) ge-
folgt.
Bezüglich der Diagnosen und Beschreibungen der
Schalen, welche von Rossmässler und Pfeiffer ein für allemal in
‚classischer Weise abgefasst, auch vom Grafen Seckendorf in
seinem Verzeichniss (Württ. Naturwiss. Jahresh. II, 8. 4—52)
BIRRBS 1. uge
abgedruckt worden sind, sowie bezüglich der Synonymie ver-
weisen wir auf die systematischen Werke, von denen wir unten
die zwei bedeutendsten anführen werden. Beide gehören in eine
Fauna nur soweit, als diese Neues dazu bringt, z. B. Varietäten.
Zu den noch seltenen und offenbar erst von sehr wenig For-
schern nach dem Leben entworfenen Beschreibungen der Thiere
der Gehäusschnecken aber haben wir vielfach eigene Beiträge
eingeschaltet. Ebenso haben wir regelmässig die für die lokale
Ausbildung einer Art immer characteristischen Masse, natür-
lich stets nach Albexemplaren gegeben; bezüglich der Synonymen
aber uns auf solche wenige beschränkt, die wegen Gebrauchs in
neueren Werken durchaus nöthig waren, wie z. B. bei Limnaeus
truncatulus Müll., den Viele ZL. minutus Drap. nennen, Bulimus
detritus Müll., der bei Anderen B. radiatus Brug. heisst u. s. £.
Für Solche, die, ohne Fachleute zu sein, doch eingehender
mit den Mollusken ihrer Umgebung sich beschäftigen möchten,
und wir hoffen und wünschen, dass unsre kleine Fauna in dm
Einen oder Andern das Interesse für diese so leicht zu sammeln-
den Thiere wachrufen möchte, erlauben wir uns, noch ein paar
Titel aus der nöthigen Literatur beizufügen:
Ausser den wichtigen Arbeiten des Grafen Seckendorf
und der Prof. v. Leydig und v. Martens in diesen unsren
Jahresheften sind vor Allem zu nennen die zwei grossen, syste-
matischen, umfassenden und mit guten Abbildungen versehenen
Werke von Rossmässler und Moquin Tandon:
1) Rossmässler, Ikonographie der Land- und
Wassermollusken Europa’s 1834—58, 18 Hefte & 2a), Thlr.,
freilich ein theures und sogar im Buchhandel vergriffenes Werk,
das man aber antiquarisch fast immer bekommen kann. Beschrei-
bungen und Abbildungen desselben sind classisch und gewissen-
haft, die ganze Anordnung des Werkes aber etwas confus, weil
nicht nach Einem Plane angelegt. en
2) Moquin Tandon, Histoire naturelle des Mol-
lusques terrestres et fluviatiles de France. Paris
1855 mit 54 colorirten Tafeln. Preis 66 Fres. Antiquarisch
ziemlich billiger. (NB. #s gibt auch uncolorirte Exemplare.) Ein
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Y übersichtliches, sehr geordnetes, französisch elegantes Werk mit.
sehr schönen, aber nicht immer genügenden Abbildungen, auch
mit vielem interessantem anatomischem Detail.
3) Albers & Martens, die Heliceen 1860. Zwar
nur ein systematischer Catalog mit Vaterlands-Angabe und Genus-
Diagnosen, aber als kurze Uebersicht über die Heliceen der Erde
überhaupt, sehr instructiv.
4) Kobelt, Fauna der Nassauischen Mollusken.
Mit 9 Tafeln. Wiesbaden 1871. Ein zumal für den Anfänger
ganz treffliches Werkchen mit guten Beschreibungen und einer
ausführlichen Einleitung über Leben, Physiologie und Anatomie
der Mollusken.
5) Nachrichtsblatt der Malacol. Gesellschaft.
Herausgegeben von Dr. Kobelt in Schwanheim und Heinemann
in Frankfurt a. M. (Verlag von J. Alt; Zeil, Frankfurt a. M.),
erscheint seit 1869, alle zwei Monate. Preis 3 Mark jährlich.
Mit einer Menge Beiträge zur Deutschen Malacologie von Clessin,
Dohrn, Friedel, Heinemann, Koch, Kobelt, Lehmann, v. Maltzan,
v. Martens, Reinhardt, Sandberger, Seibert, Semper, Westerlund.
und Anderen.
1. Limax cinereo niger Wolf.
Bis 200 Mm. lang. Die innere Schale bis 15 Mm. lang,
9 Mm. breit und 2 Mm. dick.
Färbung gewöhnlich schwarzgrau mit hellem Kielstreifen
und zwei kaum sichtbaren Nebenstreifen. Auch ganz schwarze
nicht selten. Weniger häufig hellgrau mit verwaschenen, schwärz-
lichen Punkten. Immer ist die Sohle in drei Felder der Länge
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nach getheilt, wovon die zwei äusseren schwarz oder schwarzgrau,
das mittlere weisslich. Zweimal fanden wir schöne Albino’s
dieser Art, aber immer zeigt die Sohle einen grauen Schein auf
beiden Seiten, Spuren der schwarzen Ränder. Grünlichweisse, ein-
färbige, also halbe Albino’s fanden wir öfters. Auffallend ist die
Aehnlichkeit der Färbung dieses Limax in seiner gewöhnlichen,
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graugrünlichen, schwärzlich gefleckten Zeichnung mit der Farbe
der männlichen Viper (Vipera berus C.) eine Aehnlichkeit, die
uns einmal nicht wenig erschreckte. (Freilich ist diese Schlange
auf unsrer Uracher Alb ausserordentlich selten, während sie bei
Schopfloch, Wiesensteig zu, jedermann wohl kennt. Was unsre Aelb-
ler „Oader“ nennen und fürchten, ist immer Coronella laevis Merr.)
Vorkommen. Sehr häufig überall in unsern Wäldern, wo
diese nicht zu dicht bestanden. Nach einem Mairegen haben
wir einmal auf einem Gang von unsrem Hause bis zu der 5 Minuten
entfernten Ruine auf und an dem Pürschweg 55 Exemplare
gezählt.
Junge, ganz ausgestreckt etwa 50 Mm. lang und 5 Mm.
breit, sind einfärbig schmutziggelblich graubraun, der Kiel weiss-
lich, ebenso der Oberrand der Fusssohle und die ganze Sohle selbst,
daher man sie leicht für eine eigene Art oder Varietät halten
könnte, sofern gerade die schwarz und weisse Färbung der Sohle
für diesen Limex das sicherste Artmerkmal darbietet. Doch
deutet ein zarter, grauer Schein, der jederseits 1?/, bis 2 Mm. breit
dem Rande der Fusssohle entlang läuft, bereits jene schwarzen
Randbinden der Sohle des Alten an. Dieser graue Schein be-
steht aus sehr einzelnstehenden, feinen, schwarzen Pünktchen.
Grosse und dieke Schalen dieser Nacktschnecke, ganz wie
Austerschalen im Kleinen, findet man nicht selten im Blätterhumus
des Waldes, wohl von Individuen, welche Alters halber ge-
storben.
NB. Den nalıe verwandten L. cinereus Lister mit hell-
geflecktem Mantel und einfarbig weisser Sohle, welcher Leydig
Einmal bei Tübingen vorgekommen, haben wir hier zu Lande
niemals begegnet.
2. Limax agrestis L.
Gewöhnlich gegen 20 Mm., einzelne bis 50 Mm, lang. Die
Schale 5 Mm. lang, 3'/, Mm. breit; dünn, ziemlich oval, etwas
einseitig, Haliotis ähnlich, unten concav, doch weit nicht wie bei
dem jungen L. carinatus.
Ziemlich gemein auf der Alb doch nicht so häufig als im “2
— 2597 —
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Thal. Nie im Walde. Vorzüglich im Culturland, besonders in
Gärten, an Wegen unter grossen Steinen, hier oft in Menge.
Legt halb durchsichtige, kuglige Eier vom Frühjahr bis zum
| beginnenden Winter. Viele Eier überwintern. Im Sommer kriechen
die Jungen 20 Tage, nachdem die Eier gelegt sind, aus. Pflanzt
sich schon, wenn er die halbe Körpergrösse erreicht hat, fort.
» Diese Schnecke fanden wir häufig auch bei Cambridge, Mass.
in Nord - Amerika, wo sie, wie bei uns, in Gärten vielen Schaden
thut. Sie kommt auch in Grönland vor und ist wohl eine der
circumpolaren Thierarten.
3. Limax brunneus Drap. (L. laevis Müll.)
Bis 14 Mm. lang. Die ziemlich stumpfen und dicken Fühler
2 Mm. lang. Die Schale winzig, 1/, Mm. lang, 1 Mm. breit.
Die Färbung erscheint zunächst schwarz; erst bei Betrach-
tung mit der Lupe löst sie sich in einen dunkelbraunen Grund
mit schwarzen Flecken auf. Die Fusssohle dunkelgraubraun, fein
schwarz gesäumt.
Gleicht auf den ersten Blick einem Blutige. Der Mantel
ist auffallend lang, fast so lang als der übrige Körper. Der-
selbe zeigt vornen breite Wellenlinien, ganz ähnlich wie Vilrina
diaphana , welche oft mit ihm zusammenlebt. Das Schälchen
drückt sich durch den hinteren Theil des Schildes hindurch ab.
Schwanzende sehr spitz. Kiel über den Rücken hin nicht zu
sehen, aber ganz hinten scharf. Hals sehr lang, über halb so
lang als der Mantel. Schleim farblos. Kann sich an einem
N Schleim-Faden aufhängen und herablassen, was man bei anderen
Limax nur so lange sie sehr jung sind, beobachtet.
Lebt immer nur in der Nähe des Wassers. Die ersten
fand ich am Bibergraben bei Urach, nachher häufig auch auf der
$ Alb, in dem feuchten Bruttel bei Wittlingen, im nassen Moose,
- am Rande des Wassergrabens, zusammen mit Hyalina diaphana,
\ welcher er an Munterkeit.in den Bewegungen nichts nachgibt.
| Dieser interessante kleine Wasser-Limax fehlt noch im letz-
ten allgemeinen Verzeichniss der Württ. Mollusken von Martens,
1865; wurde aber seitdem von Prof. Leydig in Tübingen an der
Württ. naturw. Jahreshefte. 1876. 17
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Steinlach und dann auch im Schönbuch entdeckt; sonst, wie es
scheint, noch nirgends in Württemberg nachgewiesen. Sicher ist
er überall in unserem Lande verbreitet und nur durch sein ver-
stecktes Leben den Forschern entgangen.
4. Limax arborum Bouch. (L. marginatus Müll.)
Bis 60 Mm. lang. Die Schale bis 5 Mm. lang und 2?/,
breit, meist sehr dünn, fast farblos und dadurch von der
der andern Limax-Arten verschieden (oft aber auch dick und
kalkreich, wie wir fanden); auch Kiefer und Zunge zeigen
Abweichungen, daher unser verdienter Heinemann eine eigene
Untergattung Lehmannia für die vorliegende Art bildete.
Färbung grau, der Mantel meist mit einem 1—2 Mm.
breiten medianen und immer mit je einem, mehr oder weniger
scharfen, einige Mm. breiten, oben meist wellig ausgerandeten,
schwarzbräunlichen Längsband an der Seite geziert, welche letz-.
tere sich auch zuweilen nach hinten fortsetzen. Die Sohle grau.
Varietäten nicht selten, besonders eine sehr schöne: das
ganze Thier dunkelbraun mit weissgelbem Medianstreifen über
den Rücken, indem die dunklen Seitenbänder sich über den ganzen
Körper mit Ausnahme jenes Streifens verbreitert haben. Weitere
Varietäten unten!
Im Herbst weitaus die gemeinste Nacktschnecke im Buchenhoch-
wald. Zu Dutzenden sieht man sie bei Regenwetter äusserst lebhaft
an den Baumstämmen auf und abkriechen, von Wasser so vollge-
sogen, dass sie fust durchsichtig werden. Istunter den Nacktschnecken
diejenige, die am höchsten auf die Bäume steigt (bis etwa 40 Fuss
hoch), wie unter den Schalen tragenden Helix hortensis und nemo-
ralis. (S. unten.) Wird mit dem Scheiterholz aus unsern Albwaldun-
gen, wie ich öfters bemerkte, an den Scheitern festhängend, in Gegen-
den verschleppt, wo sie sonst wohl nicht vorkommt. E. v. Martens
sagt von diesem Zimaz, (Jahresh. XT. S.166) dass er nieam Boden
vorkomme, was wir vollkommen bestätigen. „Eine Felsenschnecke*
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möchten wir ihn jedoch nicht nennen, hier zu Lande wenigstens
lebt er ausschliesslich an Bäumen, nie an Felsen. Wenn der
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alte Müller von ihm schreibt: in fago vulgaris, so sagen diese
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drei Worte in der That Alles. Im Frühjahre sieht man fast
nur junge, selten erwachsene. Sollten sie in der Regel nur ein-
jährig sein und gewöhnlich als Eier überwintern?
4a. Limax arborum var. tigrina und var. flava.
(Tafel IV. Fig. 1.)
Nur auf diese unter den bekannten deutschen Zimar-Arten
können wir 8 Exemplare eines prächtigen Limax beziehen, die
wir im September 1873 in dem Moosbedeckten Spalt eines faulen
Buchenstumpens auf der Wittlinger Viehwaide fanden.
Ihre Länge betrug von 50—60 Mm., die des Mantels
etwa 20, die der oberen Fühler 5, die der unteren 1/,, die
Breite des Thiers über die Mitte des Schildes hin 10 Mm,
| Was nun aber die Färbung betrifft, so schienen die 8
Stücke auf den ersten Blick sehr wenig zu harmoniren, denn 6
davon waren ganz einfärbig, die 2 übrigen auffallend und
| prächtig schwarz getigert.
Die Grundfarbe der Einfärbigen war schön grüngelb, grau-
- lich verwaschen, Kopf, Hals und Fühler etwas heller, die Fuss-
sohle weiss, die ganze Oberseite des Thiers glatt glänzend.
Bei den Getigerten war die Grundfarbe hellgrünlichgelb,
Kopf, Hals und Fühler schmutzig-graulich., Fünf schöne Längs-
Streifen von schwarzen Tupfen laufen über den Mantel weg,
jeder Tupfen 1—2 Mm. lang, am deutlichsten sind die der
® Mittellinie und der mittleren Seitenlinie.e Bei Einem Exemplar
(S. Abbildung) konnte man noch einen feineren Streifen von
| Punkten zwischen dem Median- und dem Seiten-Streifen erkennen.
_ Die Rückenfläche des Thiers hinter dem Mantel zieren jederseits
zwei vielfach unterbrochene Seitenbinden von schwärzlichen, ver-
_ waschenen Tupfen. Der Kiel ist sehr deutlich, etwas gewellt,
gelblich, 2 Mm. breit; die Sohle einfärbig weiss.
Der Körper ist bei allen ziemlich hoch gewölbt. Der Mantel
nach hinten abgerundet. Der Fuss läuft nach hinten allmählig
_ fein zu. Die Augen sehr klein, oben aussen auf den Fühlern.
- Zwei vertiefte, helle Längslinien oben auf dem Hals. Das Athem-
Joch etwa 7 Mm. von dem hinteren Rand des Schildes. Die
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einfarbige Sohle in 3 Längsfelder geschieden, wie bei L. cinereo-
niger und bei L. arborum.
Nach Habitus und Vorkommen konnte man bei diesen schönen
„Schnegeln“ *) zunächst an den hier gemeinen, sonst freilich
immer nur im Wald lebenden Limax arborum denken, aber nie
war uns weder die gelbe noch die getigerte Färbung an diesen
vorgekommen. Oder wären die getigerten _L. cönereus Lister, und
die andern, die von Heinemann erwähnte, einfarbige Varietät
von L. cinctus, welche beide uns auf der Alb noch nicht begegnet?
Sofort nach der Heimkehr nach Hause sollte dies durch eine
nähere Untersuchung beantwortet werden. Leider waren auf dem
Transport die einfarbigen bis auf Ein Stück todt und halb auf- ’
gefressen. Doch die Präparation von Kiefer, Zunge und Schale
konnte noch entscheiden. Die beiden ersten Organe stimmten
nun ganz zu der genauen Beschreibung, die Lehmann, Mal. Blätter
IX, S. 181 von L. arborum gegeben und zwar gleich bei den
getigerten wie bei den gelben. Dagegen fand sich bei diesen
Schnegeln — unter einander der merkwürdigste Unterschied
bezüglich des Kalkschilds. Während nämlich die Grösse
und Contur dieser inneren Schale bei allen (nach Verhältniss
der Grösse des Thiers) dieselbe war, etwa 5 Mm. lang und 21/,
breit, bestand dieselbe bei den einen aus einem dünnen, fast
ausschliesslich organischen, nur wenig mit breiten Kalkschichten
unregelmässig überlagerten Plättchen, bei den andern aber aus
einem äusserst soliden, kalkigen, austerförmigen, dicken Schild
mit deutlichem Apex wie bei L. carinatus und L. cinereoniger.
Da wir die letztere Bildung zuerst bei einem getigerten.und die
dünne bei einem einfärbigen fanden, so schien die Identität der
Art auf’s Neue zweifelhaft. Aber bald zeigte sich, dass bei den
gelben Zimax beide Arten von Schalen vorkommen. Wir nahmen
vun unsre Sammlung von L. arborum in Spiritus vor und unter- F
suchten eine ganze Reihe auf jene Kalksecretion. Da fand sich
denn auch bei diesen die grösste Verschiedenheit, dicke und dünne
-*) So nennt man in Mitteldeutschland die Nacktschnecken und
der Name ist bereits in die deutsche Malacologie eingeführt. |
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Schalen und alle Uebergänge und zwar bei Individuen von gleicher
Grösse, während bekanntlich gerade für Z. arborum eine dünne,
kalkarme Schale characteristisch sein soll. (Vergl. die
schöne Arbeit von Lehmann über die Anatomie unsrer Nackt-
Schnecken, Mal. Bl. IX, S. 181) und diese Eigenthümlichkeit
wohl auch für Heinemann einer der Gründe war, die neue Gat-
tung Lehmannia für diese Art zu bilden. Auch bei L. cönereo-
niger und L. carinatus, die wir jetzt in grösserer Anzahl unter-
suchten, fand sich eine bedeutende Variation in Beziehung auf
Kalkablagerung bei den verschiedenen Individuen, doch nicht in
demselben Grade wie bei ZL. arborum. Nur die Form bleibt
innerhalb der Art stets ziemlich constant. Die Masse der Kalk-
ablagerung aber hat offenbar keinen grossen Werth für die Syste-
matik, wenigstens bei unsern hiesigen ZLimax-Arten. (Ebenso-
wenig als der dünne, aus organischer Masse bestehende Rand
dieser Schalen, der bei derselben Art bald vorhanden ist, bald
fehlt. Dieser letztere ist wohl nichts als ein neuer Anwachs-
Streifen.) Festes Kalkschild oder dünnes Kalkschild aber ist
offenbar ganz dasselbe Verhältniss, wie wir es unten bei unsern
hiesigen Helix hortensis finden werden, wo die Schale an der-
selben Localität und bei derselben Nahrung bei den einen papier-
dünn, fast kalklos, bei den andern aber dick und kalkreich ist.
Es ist lediglich individuelle Disposition.
Um nun auf die oben beschriebenen, merkwürdigen Farben-
Varietäten von L. arborum zurückzukommen, so möchten wil
die einfarbig gelbgrünen Var. flava, die andern Var. tigrina
nennen.
Letztere haben wir abgebildet (Taf. IV. Fig. 1.)
5. Limaz carinatus Leach. (L. marginatus Drap.)
Bis 60 Mm. lang und 12 breit. Kopf mit Hals 5—6 Mm.
Mantel 18, der übrige Körper 35, obere Fühler 7 Mm. lang.
Die Jungen sind schlanker und länger im Verhältniss als die
Erwachsenen. Die Schale eines sehr alten, grossen, dicken
Exemplars 6 Mm. lang, 4 breit, 2 dick. Junge Schalen 4 Mm.
lang, 3 breit und anfangs papierdünn.
las:
Färbung hübsch rötllichgrau, schwarz punktirt, Kopf und
Fühler dunkelgrau, letztere fast schwärzlich. Der Kiel blassröth-
lich. Hinten auf dem Mantel zwei nach innen concave, schwärz-
liche Binden. Der Fuss gelblichweiss, bei dem erwachsenen
in der Mitte bis 6'/, Mm. breit. Man unterscheidet leicht au
ihm eine Mittelparthie, zwei Drittkeile der Breite einnelmend
und die Fussränder. Bei dem Kriechen ist nur die erstere
thätig, rasch verschwimmende Wellen nach vornen schiebend;
die Ränder wirken nicht mit und nur jene Mittelparthie ist also
das eigentliche Locomotionsorgan. Die Wellendistauzen sind
etwa 5 Mm. lang und erscheinen als starke, weisse Querstreifen,
wie wir sie noch bei keiner andern Schnecke so deutlich gesehen
haben. '
Dieser Limax ist, zumal zusammengezogen, sofort an seinem
hohen, schöngewellten Kiele kenntlich, auch ist sein Mantel nicht
concentrisch gestreift wie bei allen übrigen, sondern fein ge-
körnelt wie bei Arion; ausserdem zeigt er querüber eine Ein- $
schnürung. Moquin Tandon hat daher eine eigene Untergattung
Amalia daraus gehildet, welche Heinemann zu einer Gattung er-
hoben hat. Der Kiel, am schönsten und höchsten bei den
Jungen, verschwindet bei den Alten etwas nach vornen, besonders
wenn das Thier sich ausstreckt. Das Athemloch liegt wie bei
allen Zimax weit hinten am Schild, ziemlich nahe an dessen
Rand, bei den Erwachsenen etwa 1 Mm. davon entfernt. Un-
mittelbar darüber läuft der schwarze Streif.
Es ist die auffallendste und schönste aller unsrer Nackt-
Schnecken. Der fast dachförmige Rücken und die feine pfirsich-_
röthliche Farbe frappirte uns ausserordentlich, als wir diesen
Limax zum erstenmal im März 1871 auf dem Kälberburren bei
Urach an einem Hag unter faulen Holzstücken erblickten. Seit-
dem fanden wir ihn da und dort auch oben auf der Alb, z. B.
auf unsrer Ruine, in den neun Ränken, meist zwei, drei bei ein-
ander, denn er ist offenbar, wie Limax arborum, gesellig. In =
Menge aber fanden wir ihn nur auf dem Hohen-Neuffen,
an einem warmen, Regenreichen Gewittertag (Juni 74), wo man ;
auf dem über und über mit dem schönen graugrünen Rumex
— 263 —
‚scutatus bedeckten Steinschutt wohl hundert Exemplare in kurzer
Zeit hätte zusammenbringen können. Er soll nach Clessin nur auf
Kalkboden, auf dem Jura und den Alpen sich finden. Martens gibt
ihn (l. c. S. 187) auch von Stuttgart und Tübingen an. Sicher
fehlt er in der Norddeutschen Ebene, findet sich aber auf den
Rheinruinen hinunter bis Bonn (Lischke). Es ist eine characte-
ristische Gebirgs- vornämlich Ruinen-Schnecke. War für die Alb
von Leydig, der so Manches zur Bereicherung unserer Württ.
Fauna beigetragen, schon nachgewiesen und zwar eben vom Hohen-
Neuffen.
Die Schale ist ausserordentlich solid, wohl die dickste unter
allen Zimax-Schalen, vollkommen eirund, unten etwas ausgehöhlt,
an den Rändern stumpf abgerundet, der Apex ganz am Rande.
Junge Schalen sehr dünn an den Rändern, erscheinen unten voll-
kommen concav, oben convex, so dass man an eine Patella denken
könnte.
Synonymie: Der Name Limax marginatus Drap. mag
wohl der älteste sein, weicht aber doch, wegen der leichten Ver-
wechslung mit L. marginatus Müll. (= L. arborum Bouch.)
besser dem viel bezeichnenderen Namen von Leach, den wir
gewählt. Moquin Tandon’s Figur (l. c. Pl. I, 4) ist für
unsre Exemplare entschieden zu dunkel und für die erwachsenen
zu klein.
6. Vitrina diaphana Drap.
Schale 7 Mm. lang, 5 breit.
Gemein im nassen Grundmoos der Bruttelwiese bei Witt-
lingen, am Wassergraben mit Erdfall bei Hengen, einzeln auch
auf unserer trockenen Ruine unter Moos und sonst da und dort
unter Hägern. Häufig überall im Thal bei Urach, bei Georgenau,
im städtischen Holzgarten, im Schlick der Erms. Soll nach
Charpentier in den Alpen bis zu 2273 M. hinaufgehen, also über
die gewöhnliche Schneegrenze.
7. Vitrina elongata Drap.
Schale beinahe 5 Mm. lang, etwas über 3 Mm. breit.
EN LEEN Dr we
Das Thier im Ganzen 11 Mm. lang, wovon 3 bis zum Mantel
und 3 auf den Schwanz hinter der Schale des Thiers kommen.
Das Schälchen sitzt nur wie ein Käppchen auf dem letzten Dritt-
theile des Thierkörpers; von einem Zurückziehen in dasselbe ist
keine Rede mehr. Ein abgerundeter Mantellappen, etwa 3 Mm.
lang, bedeckt die Schale von rechts her bis zum Wirbel. Die
Eingeweide scheinen durch. Der über die Schale hergeschlagene
Mantel, der diese halb zu einer inneren macht, wie dies bei
Limax ganz der Fall ist, ist ein interessantes Verhalten, das
bei anderen Heliceen nur beim Embryo im Ei sich findet. So-
mit wären unsre Vitrinen gleichsam auf der Embryonalstufe
stehen gebliebene Heliceen, nach Häckels Theorie von der Onto-
und Phylogenese wohl die Stammeltern der gewöhnlichen Helices,
wenigstens bezüglich der Schale.
Färbung des Thiers oben bleigrau; Mantel ebenso. Der
Hals oben schön rothbraun; die oberen, stumpfen, 1?/, Mm. langen,
sowie die unteren ®/, Mm. langen Fühler schwärzlichgrau; der
Schwanz hellgräulich.
Das Thier ist wie alle Vitrinen äusserst munter, kriecht
sehr rasch, wendet sich, wo es nicht mehr weiter kann, schnell
entschlossen um und ist sehr empfindlich für starkes Licht.
Ist die seltenste unter unseren drei Arten. Die schönsten
Exemplare fanden wir im nassen Grundmoos der Vöttelwiese bei
Wittlingen. Sonst da und dort in recht nassem Moos an Wald-
traufen, z. B. am Hockelochwald. Leere Schalen im Mulm der
Felsen unter der Schillerhöhle, auch auf der Ruine.
8. Vitrina pellucida Müll.
Schale 4 Mm. lang, 3?/;, Mm. breit. Das ganze Thier 5,
obere Fühler 1'/; Mm. lang. Der Schwanz ziemlich spitz, der
Mantel sehr kurz, die Schale von vornen nur am Rande her be-
deckend, daher das Thier mehr helixartig, auch im Verhältniss
zur Schale viel kleiner als bei Y. elongata.
Färbung der Schale weisslich glashell durchsichtig, nicht
so grün wie bei den beiden anderen Vitrinen. Das Thier gelb-
lichgrau mit bräunlichen Fühlern.
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$ 4 Einmal im Spätherbst spät Abends in grosser Anzahl,
so dass wir wohl 60 sammeln konnten, auf dem Wetterhügel
auf unserer Schlosswiese gefunden. Sonst einzeln unter ausge-
legten Brettern, (Schneckenfallen) auf den Nordwiesen und
an Hägern. Leere Schalen im Moos auf unsrer trockenen Ruine.
Alle diese Vitrinen scheinen, wenigstens auf der Alb, nur einige
Herbstmonate zu leben, im ganzen übrigen Theile des Jahrs
fanden wir sie nie lebend.
8a. Vitrina Draparnaldii Cuv. (V. major Fer.)
Im Thale bei Seeburg fanden wir zwei Schalen einer Vitrina,
die recht wohl zu dieser grösseren, übrigens mit. V. pellucida
sehr nahe verwandten Art stimmen, wenigstens vollkommen zu einer
V. Draparnaldi, die wir von Frankfurt erhalten. Dieselben sind
über 5 Mm. lang und über 4 breit. In Württemberg ist diese Art
sonst noch nicht gefunden. Doch wagen wir noch nicht, sie da-
mit für eine Bürgerin unserer Fauna zu erklären.
Zusatz. Nach den merkwürdigen Daudebardia, die in
Bayern da und dort vorkommen und sich von Vitrinen nähren,
haben wir bis jetzt hier vergeblich gesucht, aber es ist gar nicht
unwahrscheinlich, dass sie doch noch in unserem engeren Vater-
lande, am ehesten wohl in Oberschwaben sich finden.
9. Hyalina cellaria Müll.
Die Schale 10 Mm. lang, 9?/, Mm. breit. Ist wohl die
seltenste, jedenfalls die schönste unsrer Hyalinen. Wir fanden
in Allem auf der Alb in fünf Jahren nur etwa 1 Dutzend Exem-
plare und nur 4 davon lebend, während sie im Thal bei Urach
weniger selten scheint. Offenbar ist sie hier an der äussersten
Grenze ihrer Verbreitung. Findet sich wie alle Hyalinen, viel-
leicht könnte man sagen, alle Schnecken mit glänzender, durch-
sichtiger Schale, stets nur an feuchten Orten; und unsre Art
speciell, wie es scheint, immer an dunkeln. Ich sah sie bei
Tage nur einmal herumkriechend und dies war in einem ziem-
lich dunklen Brunnengewölbe. Ueberhaupt scheinen alle Hyalinen
und auch die Vitrinen, beide entschiedene Carnivoren, Abend- und
L
me
Nachtthiere zu sein, daher sie auch in allen Sammlungen seltener
sind als andere Heliceen. Wir fanden sie unter grossen Steinen,
in Felsspalten, leere Schalen am Fusse der Felsen.
Derselben Schnecke begegneten wir auch in Boston, Mass.
Nord-Amerika, wohin sie vielleicht mit Waaren aus Europa
gekommen. Oder sollte sie circump olar sein, wie einige andere
Hyalinen ? S. unten bei H. striatula Gray.
Das Thier ist sehr lebhaft, hat einen schmalen Fuss, ist über-
haupt sehr fein und zierlich gebaut, fast durchsichtig und verhält
sich zu einer gewöhnlichen ‚Pflanzen fressenden Helix wie eine In-
secten fressende Sylvie zu einem Körner fressenden Sperling.
9a. Hyalina Draparnaldii Beck. (Zonites lucidus Mogq. Tand.)
Grösser als H. cellaria und besonders mit — nach Art der
H. nitens — stark aufgeblasener, letzter Windung; obenher horn-
farbig, unten milchweiss, nit 5—6 Windungen, engem und tiefem
Nabel — wurde für Deutschland zuerst von Dr. Reinhardt bei
Potsdam und Hamburg (Nachr.-Blatt Mal. Ges. 1869. 5.), so-
dann auch von Clessin bei Augsburg nachgewiesen, wo sie
schon vor langer Zeit der verdienstvolle von Alten unter feuch-
ten, alten Mauersteinen an den Wurzeln von Brennnesseln ge-
funden, freilich verkannt und als H. nitens beschrieben. |
Kommt nach Clessin in Baiern überall südlich der
Donau vor und ersetzt die dort fehlende A. cellaria. Ist für
Württemberg noch nicht nachgewiesen, sollte aber nach obiger,
| geographischer Bestimmung in unserem Oberland sich finden
lassen.
Ein Exemplar von A. cellaria, das wir auf der Alb todt
gefunden, könnte durch die Grösse, (über 11 Mm. L. auf 10 Br.)
auch durch die etwas erweiterte, letzte Windung an sie er-
innern, doch wagen wir keine Entscheidung. ;
10. Hyalina nitens Michaud.
9%/, Mm. lang und 8 Mm. breit. 4
Eine Waldschnecke. Im lichten Vorwald am Waldtrauf, Be
auch an Hägern; bei Tage meist unter Laub und Steinen ver- 4
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borgen. Nur bei sehr nassem Wetter und bedecktem Himmel
sieht man sie hin und wieder auch bei Tage herumkriechen.
Ist die häufigste unter unseren Hyalinen und unten im Thale
noch weit häufiger als oben auf der Alb.
Eine Monstrosität mit stark aufwärts gebogener, letzter
Windung, kam uns zweimal vor. Sonst sind gerade bei Hyalinen
Monstrositäten sehr selten.
Den von Leydig an dieser Schnecke beobachteten Knoblauch-
geruch konnten wir nie wahrnehmen.
Eine alte Schnecke, die sich schon im Löss (Eiszeit)
findet.
11. Hyalina nitidula Drap.
8 bis 9 Mm. lang, 6 bis 7 Mm. breit.
Etwas seltener auf der Alb und im Thale als Z. nitens
und ebenda vorkommend.
Diese Art wurde bisher in der Württ. Fauna nicht aufge-
führt, sicher nur, weil sie mit der nahe, vielleicht zu ver-
wandten H.nitens zusammengeworfen worden, welche sich von
jener bekanntlich vor Allem durch die sehr erweiterte, stark her-
absteigende letzte Windung unterscheidet. Ausserdem finden wir
bei unsern hiesigen folgende Merkmale: A. nitidula hat lebend
immer, auch erwachsen, einen prächtigen Glanz, welcher von
einer feineren Schalensculptur herrührt; HZ. nitens wenn erwach-
sen, immer nur einen matten. Jene bildet ihre ziemlich tiefe
Naht in einer schönen, regelmässigen Spirale, mehr wie A. cel-
laria. Bei H. nitens ist die Naht mehr oberflächlich und die
Spirale immer etwas unregelmässig. Diese Unterschiede sind in
der Regel deutlich ausgesprochen, sogar schon bei jungen, noch
unausgewachsenen Stücken. Dennoch gibt es hin und wieder
Mittelformen, von denen schwer zu sagen, wohin? und wie
es so häufig der Fall ist, je mehr man sammelt, um so mehr
wächst die Schwierigkeit. Wir können eine Reihe hiesiger Ge-
häuse zusammenstellen, die prächtig mit Norddeutschen H. niti-
dula harmoniren, ebenso andererseits eine Reihe ganz characte-
ristischer A. nitens, aber dazwischen schwimmt manches Unent-
schiedene. Auch hier gilt der schon oben angeführte Satz des
alten Dichters, den man überhaupt so oft als Motto zu unsern
zoologischen und botanischen Species schreiben könnte: usque
adeo quod tangit, idem est, tamen ultima distant. Jedenfalls
bedarf die Sache weiterer Untersuchung. Kämen nicht beide
zusammen vor, so wären wir geneigt, sie für climatische Varie-
täten zu halten, wozu auch Freund Martens (Nachr.-Bl. d. Mal.
Ges. II, 112) und Clessin nach fr. briefl. Mittheilung zu neigen
scheint, nicht aber Kobelt. Wir halten dafür, dass man die
beiden Arten bei dem jetzigen Stand der Sache nicht zusammen-
werfen darf. Sollte am Ende bei jenen Uebergangsformen Ba-
stardirung im Spiele sein?
Auch diese Form lebte schon zur Eiszeit in Deutschland.
12. Hyalina nitida Müll. (H. lucida Drap.)
Schale 5?/, Mm. lang, 4?/, breit.
War bis jetzt auf der Alb, wie es scheint, nicht gefunden
worden; auch uns kam sie nur einzeln in der Nähe des Wasser-
grabens auf den nassen Bruttelwiesen hinter Wittlingen, aber in
sehr schönen, grossen, dunklen Exemplaren zu Gesicht.
Das Thier ist schwarz, bei 41/, Mm. grösserem Schalen-
Durchmesser war es 6'/, Mm. lang, die oberen Fühler 1%/,.
Die Schale erscheint im Leben wegen des schwarzen, durch-
scheinenden Thiers glänzend schwarzbraun, ohne Thier goldgelb-
braun.
Ein weisslich, glashell durchscheinendes, aber frisches Ge-
häuse mit engerem Nabel und weniger vertiefter Naht, auch nur
41/5 Mm. lang, fanden wir unten im Ermsthal bei Georgenau,
wo die gewöhnliche 4. nitida Müll. nicht selten ist. Ist dies
H. viridula Menke?
13. Hyalina hyalina Fer. (H. contorta Held.)
31/, Mm. lang, 3 Mm. breit.
Auch diese schön glashell glänzende, durch den Mangel
des Nabels gekennzeichnete Schnecke war früher auf der lb
noch nicht gefunden. Wir beobachteten sie, freilich immer nur
— 11269 .—
einzeln und meist nur leere Gehäuse im Mulm, unter Felsen im
_ Nordwald, auch im Grundmoos unsrer Nordwiesen, endlich auch
an Wiesen-Wassergräben, z. B. am Erdfall bei Hengen. Die
jungen Exemplare haben einen feinen Nabel und sind daher
von den jungen A. cerystallina schwer zu unterscheiden.
14. Hyalina erystallina Müll.
31/, M. lang, 3 Mm. breit.
Ist, wenn erwachsen, schon an den weniger zahlreichen
Windungen, (41/, gegen 5—6) und wegen des deutlichen Nabels so-
fort leicht von A. hyalina zu unterscheiden, und es sind dies
sicher zwei gute, obgleich verwandte Arten. Ist noch seltner
auf der Alb als die vorhergehende und scheint noch mehr der
Feuchtigkeit zu bedürfen; findet sich im Wald nur in feuchtem
Moos und unter todtem Buchenlaub, ferner an Wiesen-Wasser-
gräber, z. B. bei Hengen.
Thier vornenher schwarzgrau, nach hinten heller. Bei einem
Exemplar aus dem nassen Grundmoos unsrer Nordwiesen war
das Thier weisslich durchsichtig, Kopf und Fühler graulich an-
geflogen. Ist dies vielleicht 7. subterranea Bourg., welche
sich offenbar nur wenig durch eine etwas stärker vertiefte Naht
und eine weissliche Lippe in der Mündung von H. erystallina
unterscheiden, nach Lehmann freilich, nur die alte A. erystallina
sein soll?
Eine alte Schnecke, die schon in der Eiszeit lebte.
15. Hyalina pura Ald.
Schale 41/, Mm. lang, 3%/, breit. Thier 61/, Mm. lang;
obere Fühler 1?/,.
Die Schale ist glatt wie polirt, nur in der Nähe der Naht
finden sich Andeutungen von feiner Streifung, aber unregelmäs-
sig. Von einer jungen A. nitens und H. nitidula ist sie sofort
durch die grössere Zahl der Umgänge und durch die flachere
Form leicht zu unterscheiden, weniger leicht von der folgenden
NA. striatula Gray, der sie bezüglich der Schalenform fast gleich
kommt; jedoch zeigt sie kaum Andentungen der feinen, regel-
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mässigen, scharfen Riefen (striae); immerhin steht sie ihr aber
ausserordentlich nahe. Doch auch Clessin, dem wir von unsern
Exemplaren mittheilten, erklärte sie für die ächte A. pura Ald.
Färbung der Schale gelblich, bräunlich glänzend, durch-
sichtig. Das Thier ist aschgrau, Kopf, Hals und Fühler schwarz,
Seiten des Fusses und die Sohle gräulich. Diese Schnecke war
bis jetzt in Württemberg noch nicht nachgewiesen. Wir fanden
sie einzeln am Waldtrauf, in Baumstumpen, unter dünnem, feuch-
tem Moospolster, einige Male auch auf unseren, allerdings an
den Wald anstossenden Nordwiesen, im feuchten Grundmoos der-
selben, auch auf dem von Wald umgebenen Vöttelwiesle.
Die Synonymie dieser Art scheint etwas verwirrt. Sowerby
in seinem Illustrated Index of British shells bildet als A. pura
Ald., die er in England „sehr gemein“ nennt, eine weisslich
durchsichtige Schnecke ab, ebenso Mogq. Tand. (l. c, Pl. IX. Fig.
23 bis 25.)
Diese Färbung passt nicht recht zu der von unsern Exem-
plaren, nur von unten sind dieselben meistens milchweisslich an-
geflogen.
16. Hyalina striatula Gray. (H. nitidosa Fer.)
Schale 31/, Mm. lang, 3 breit. Das Thierchen 4*/, Mm.
lang, ?/, breit.
Färbung der Schale glänzend gelblichbräunlich. Das
Thier schwarzgrau mit dicken, plump geknöpften, fast schwarzen
Fühlern. Es hat häufig die Manier, ziemlich rasch durch das
Moos hinzukriechen, ohne die Fühler auszustrecken, also
jedenfalls, ohne seine Augen zu gebrauchen, wohl um
diese feinen Organe nicht immer anzustossen, sofern diese Schnecke
im dichten, feuchten Moos lebt. Ist dies auch schon von anderen
Stylommatophoren beobachtet worden? Hängt damit die plumpe
Form der Fühler zusammen? Es liesse sich denken, dass so
durch Nichtgebrauch der vorderen Fühlerhälfte und der Augen
eine Varietät und am Ende eine Art entstehen könnte mit kurzen,
plumpen Fühlern und ohne Augen, wie die blinden Höhlenthiere!
Jene merkwürdige, Südfranzösische Nacktschnecke mit der kleinen,
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> var Ana DAFT, ut le PR
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ERS ae
hütchenförmigen Schale am Hinterende des Körpers, Testacella
haliotoidea, die von Regenwürmern und fast immer unter der
Erde lebt, doch auch hie und da an der Oberfläche erscheint,
hat nach Moq. Tand. „des yeux mediocrement distincts, trös-pe-
tits, peu saillants.*
Im feuchten Grundmoos unsrer Nordwiesen nicht selten,
wenigstens durch Sieben desselben immer einzeln zu erhalten; auch
auf der Raissenwiese, Vöttelwiese, im Bruttel.
Unsre Zyalina hat immer sehr deutliche, scharfe Streifen
und eine ziemlich weite Mündung, Unterschiede von H. pura.
Ihre Synonymie hat uns Freund Clessin, bei dem (nach seiner
reichen Sendung an uns zu schliessen), diese kleinen Hyalinen-
Arten überhaupt sehr häufig sein müssen, brieflich (gegen Ross-
mässler) dahin festgestellt, dass die gestreifte A. striatula Gray
gleich H. nitidosa FeEr., gleich A. radiatula Ald., gleich A. ham-
monis Ström. sei, wogegen die glatte nur den Namen H. pur@
Ald. mit Recht führen würde. Beide kommen, sagt er, mit glas-
heller, grünlicher Färbung vor, erstere als H. petronella Charp.,
die andere als ZH. veridula Menke. Die weissen Färbungen leben
in Sümpfen und überhaupt an sehr nassen Orten. Unsre hiesigen
sind jedenfalls auffallend dunkel gefärbt. Die Clessin’schen von
Dinkelscherben sind Alle viel heller. Ist diess die Art, von der
E. v. Martens im Jahre 1849 ein Stück im Schloss Montfort
bei Längenargen fand und als A. radiata Ald. bestimmte? In
seinem Verzeichniss von 1865 erwähnt er sie nicht als Württem-
bergerin, wohl aber später in seiner kleinen Notiz (Württ. Naturw.
Jahresh. XXV S. 224.) Ich finde übrigens den Namen A. radiata
Ald. nirgends, auch nicht in Sowerby’s British shells, sondern
nur H. radiatula Ald. Sonst scheint die Art in Württemberg
noch nirgends gefunden worden zu sein, obgleich sie gewiss fast
überall vorkommt an geeigneten Stellen.
Dieser Schnecke begegneten wir auch nicht selten bei Cam-
bridge, Mass. Nord-Amerika, und besitze ich Exemplare von
dort, die vollständig mit unsern übereinstimmen. Die Amerikaner
nennen sie A. electrina Gould, auch wohl A. viridula Menke, wo-
zu sie aber auch H. pura rechnen. Vergleiche das treffliche im
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Verlag der Smithsonian erschienene handliche Werk von Binney
and Bland, „Land and freshwatershells of North-America“,
ein Handbuch, beiläufig gesagt, wie ein ähnliches für Deutsch-
land nicht existirt, aber sehr wünschenswerth wäre. Sie ist je-
doch in Nord-Amerika nicht etwa mit Waaren importirt, sondern
überhaupt ebensogut Amerikanerin als Europäerin,
geht dort hinauf bis an den grossen Sklavensee und hinunter an
den Mexikanischen Meerbusen. Es ist sicher eine ceircumpolare
Species, die wohl auch zur Noth mit dem Schutt der Eis-
berge wandern könnte. Auch ist die Art alt und findet sich
schon im Löss.
17. Hyalina fulva Drap.
21/, Mm. lang und fast genau eben so breit.
Dies ist die einzige unsrer Hyalinen mit hochkegelför-
miger Schale, dabei nabellos und so leicht unter allen unsern
Heliceen kenntlich. Selten auf der Alb. Im nassen Grundmoos
der Bruttelwiese, auch im Walde unter todtem Laub. Leere Ge-
häuse öfters im Mulm am Fusse der Felsen. Wir haben im
Ganzen nur einige Dutzend Stücke zusammengebracht.
Auch sie ist, wie H. striatula, ebensogut Nord-Ameri-
kanerin als Europäerin. Vom grossen Sklavensee im Norden
geht sie nach Florida, Texas und sogar nach Californien. Sie
ist entschieden circumpolar, und wohl eine der weitest ver-
breiteten Schnecken der Erde. Kobelt in seinem (a-
talog S. 6 gibt ihr als Vaterland Europa und das Polargebiet,
ohne ihrer Verbreitung durch den ganzen nordamerikanischen
Continent zu erwähnen.*) Auch die Verbreitung der H. nitidosa
*) Wir glauben, dass auch in einer Fauna europaea bei allen
jenen ziemlich zahlreichen Arten, die Nord-Europa, Nord-Asien und
Nord-Amerika, und zwar nicht nur den Polargegenden dieser Continente,
gemeinschaftlich sind, diese Verbreitung in fremde Continente hinüber
ebensogut Erwähnung verdient als bei den Südeuropäischen Arten die
nach Afrika und Klein-Asien hinüber. Es gibt offenbar eine
solche im Norden verbundene Fauna (wie bekanntlich bei
den Menschen und den Wirbelthieren) auch bei den Land- und
BE EEE STE fe a TB JE NER Da REDE TE Sr, CATEEe )
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MER. 1 u
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Fer. gleich striatula ist in jenem Catalog mit „Mittel-Europa*
zu eng angegeben, wie wir gesehen haben.
18. Arion empiricorum Fer.
Länge bis 140, Breite bis 120 Mm.
Weitaus die gemeinste unsrer Nacktschnecken auf der Alb.
Dient an Waldwegen und Waldträufen förmlich als Reinlichkeits-
polizei, indem sie, ähnlich wie die Landkrabben in Westindien
und die Crustaceen überhaupt im Meere und in Flüssen alle
animalischen Auswürfe, auch todte Thiere, wenn sie einmal in
Verwesung übergegangen, gierig verspeist. Wir haben die Gat-
tung Arion im Einverständniss mit den neueren Forschern nicht
an die mehr fleischfressenden Limax angereiht, sondern wegen
ihrer Zungen und sonstigen anatomischen Verhältnisse hierher
an die Spitze der vorzugsweise von Vegetabilien lebenden Helix
gestellt. Aber in Beziehung auf Nahrung harmoniren sie trefflich
mit den Limax und man sieht sie oft beide mit einander an Einem
Aase fressen.
Färbung: In unsrer Nachbarschaft gewöhnlich dunkelroth-
braun, seltener schwarz, fast nie gelbroth, wie im Thale häufig.
Man könnte sagen, das Gebirge bringt immer das dunklere Pig-
ment, wie bei Vipera berus die schwarze Gebirgsvarietät Vipera
Süsswasser-Mollusken, nicht bloss bei den Seemuscheln und See-
schnecken. Ausser den vielen, in diesem Verzeichniss angeführten,
für Europa und Nord-Amerika identischen Arten wollen wir hier nur
noch erwähnen, dass z. B. Limnaeus jugularis Say, den wir in Menge
am Öntariosee sammelten, sicher nichts anderes ist als unser L. stag-
nalıs. Ebenso ist L. elodes Say unser L. palustris Müll.; L. amplus
Mighels wahrscheinlich identisch mit L. auricularius, ferner L. desi-
diosus Say sicher mit unserem L. truncatulus, sowie Planorbis hir-
sutus Gould mit unserem P!. albus Müll. Durch jene neuen Namen
der ersten Nordamerikanischen Beschreiber wurde die Erkenntniss
dieser für die Characteristik der Faunen von Europa, Nord-Asien und
Nord-Amerika so wichtigen Thatsachen lange verdunkelt, übrigens
sind es jetzt wieder die verdienstvollen Nordamerikanischen Malaco-
logen Binney und Bland, welche die Frage nach der Identität dieser
Formen ernstlich aufgegriffen haben. i
Württemb. naturw. Jahreshefte. 1876. 13
a. BEN
prester, wiein Nord-Amerika auf den White Mountainsdieschwarze
Klapperschlange. Doch hält der Schluss bei unsrem Arion nicht.
Stich. Um den Hohen-Neufien z. B. fand ich fast nur gelbrothe.
Jenes Gesetz von der dunklen Gebirgsfarbe ist eben nicht das
einzig bestimmende. Wir werden unten eine sehr interes-
sante, hellfleischfarbige Farbenvarietät der Helix hortensis kennen
lernen, als die in unsern Buchenwäldern weit vorschlagende. Dort
ist es der Schutz vor Feinden, der diese Farbe begünstigt. Was
aber den A. empiricorum in einer Gegend der Alb dunkelroth-
braun, in einer andern Gegend hellgelbroth färbt, vermögen
wir bis jetzt nicht einmal zu vermuthen. Zufällig ist es wohl
nicht. Wir sind überzeugt, dass die Farbenvariation
bei den verschiedenen Arten, besonders unter Rück-
sicht des Schutzes vor Feinden, eine viel bedeuten-
dere Rolle im Leben des Thieres spielt, als man ge-
wöhnlich glaubt.
Diese Nacktschnecke hat wohl nur in Füchsen und Dächsen
Feinde, besonders in letzteren. Die Raben, die sonst wohl
Schnecken gerne fressen, scheinen sie, wohl wegen ihres zähen
Schleims, zu verabscheuen, wie wir wenigstens an zahmen beob-
achtet haben.
18a. Arion melanocephalus Faure Biguot.
(A. tenellus Müll.)
Etwa 15 Mm. lang, 4 Mm. breit. Der Schild im Verhält- |
niss sehr lang, 6?/, Mm., also fast die Hälfte des Thiers. Dr
Rücken in längliche Felderchen getheilt, welche ziemlich eckig,
dreimal so lang als breit sind. Obere Fühler sehr dick, stark i
2 Mm. lang, die unteren kaum */, Mm. Der Schild ist fin
gekörnelt, die Athemöfinung rechts in der Mitte des Schildes,
nicht ganz 1 Mm. von dessen unterem Rand. 0
Färbung ganz gelblichweiss, der Schild um einen Grad
gelber als der übrige Körper; Kopf und Fühler prächtig schwarz,
daher Ger Name des französischen Autors. Unter der Loupe er-
scheint der Kopf schwarzgrau mit zwei Längslinien zwischen den
Fühlern und zwei ebensolchen, die sich von den Fühlern aus Bi
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nach hinten fortsetzen. Die Fühler selbst sind rabenschwarz
glänzend, die Fusssohle weisslich wie das übrige Thier. Einmal
beobachteten wir eine Varietät mit rothbraunem Kopf und
Fühlern.
Diesen characteristischen, kleinen Arion findet man beson-
ders im Frühjahr, schon im März, weniger im Laufe des
Sommers im feuchten Moos an Waldtraufen und Hecken. Der-
selbe wurde bisher immer als eigene Art unter dem obigen Namen
aufgeführt, so auch in unsern Württ. Molluskenverzeichnissen und
auch noch von Dr. Kobelt in seinem trefilichen Catalog der Euro-
päischen Binnen-Conchylien vom Jahre 1871 S. 7, in welchem
Heinemann die Nacktschnecken bearbeitete. Gerade in diesem
Jahre 1871 aber gewannen wir durch massenhaftes Sammeln der
hiesigen Nacktschnecken und besonders durch langes Erhalten
derselben in Gefangenschaft die sichere Ueberzeugung, dass wir
es hier lediglich mitdem Jugendzustand des bekann-
ten A. empiricorum zu thun haben und dass also die
Art A. melanocephalus im System zu streichen ist.
Wir haben alle Uebergänge von diesem bis zum ganz erwach-
senen, rothbraunen A. empiricorum an einer grösseren Anzahl
von Individuen beobachtet.
Zuerst wird der Rücken jenes Jungen mehr und mehr grau-
lich und der Fussrand gelbröthlich, dann der Rücken schwarz-
grau, der Fussrand hellröthlich, endlich der Rücken rothbraun
und der Fussrand ziegelroth mit schwarzen Querstrichelchen.
"Damit haben wir schon deutlich den A. empiricorum, aber erst
in halber Grösse. Auffallend blieb mir nur immer, dass man
jenen Uebergangsstufen vom weisslichen A. melanocephalus zum
halbgewachsenen, rothbraunen A. empiricorum so selten begeg-
net. Nach diesen Erfahrungen waren wir nicht wenig betroffen
und erfreut, als wir im Nachr.-Bl. der Mal. Ges. (Dec. 1872)
dieselbe Identität der beiden Arten von Hermann Seibert in
Eberbach am unteren Neckar erkannt und sogar durch Züchtung
aus dem Ei nachgewiesen fanden. Freilich hatte schon Moquin
Tandon unsern kleinen Arion (l. c. ILS. 17) unter den espöces
incertaines aufgeführt und gefragt, ob er nicht zu A. favus Müll.
18*
gehöre, der offenbar auch nur eine Uebergangsform im Leben
des Arion empiricorum darstellt. Auch Kobelt und Heinemann
hatten schon an der Artberechtigung der verschiedenen kleineren
deutschen Arion gezweifelt.
19. Arion fuscus Müll. (A. subfuscus Fer.)
Bis 50 Mm. lang, 5—6 breit.
Färbung gewöhnlich braunröthlich mit einem einem dun-
kelbraunen Längsstreifen jederseits; die Sohle schmutzig
weisslichgelb; Kopf und Fühler schwärzlich; der Fussrand schwarz
gestrichelt, der Schleim intensiv gelb abfärbend. Eine präch-
tige Varietät gelbroth mit scharfen, schwarzen Seitenstreifen
und schön gelbem Fuss kam uns besonders im Sommer 1873
öfters zu Gesicht.
Findet sich fast ausschliesslich an Regentagen, an be-
moosten, dicken Baumstämmen im Vorwald, d. h. nie weit vom
Trauf.
Ist von dem folgenden .A. hortensis Fer., der auch dunkle
Längsbinden hat, schon an dem gelben Schleim leicht zu unter-
scheiden, schwieriger von den oben beschriebenen Uebergangs-
formen des .A. empiricorum, besonders wenn, wie es häufig der
Fall, die Längsbinden, die unsern A. fuscus characterisiren, stark
verwaschen sind. Doch ist A. fuscus immer, auch im Spiritus
noch, mehr stielrund und seine Fusssohle schmäler.
20. Arion hortensis Fer.
Bis 40 Mm. lang und 4 Mm. breit. Die oberen Fühler 3,
die unteren 2 Mm. lang.
Färbung oben hellsilbergrau bis schmutziggrau ; jederseits
von den Fühlern bis zur Schwanzdrüse ein mehr oder weniger
scharf begrenztes, schwärzliches Seitenband, das am Ende des
Schildes, ähnlich wie bei Zimazx carinatus nach oben und innen
gekrümmt ist. An der Seite unter dem Band ist die Farbe weiss-
lich wie die der Fusssohle. Die Fühler und der Kopf NEE $
grau. Der Schleim hell, durchsichtig, nie gelb.
Junge, in der Ruhe nur 4 Mm. lange und 2 Mm. breite kan
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den wir im Herbst nicht selten im feuchten Grundmoos unsrer
Nordwiesen, wo auch die Alten immer zu finden. Diese winzi-
gen Schneckchen haben schon sehr deutlich die characteristische
_ leyerförmige Zeichnung auf dem Schild, weiterhin aber, nach dem
Schwanze zu sind die schwärzlichen Bänder kaum angedeutet.
Dagegen scheint die Mittellinie des Rückens weisslich aus der
grauen Gesammtfarbe des Thiers hervor. Die Sohle wie bei den
Alten bläulichweiss.
Unter Steinen, morschen Holzstücken, in der Nähe von
Hägern und am Waldtrauf, sodann im feuchten Grundmvos der
Nordwiesen immer zu finden, doch nie in grösserer Anzahl. Er-
scheint bei einigermassen günstiger Witterung schon im ersten
- Frühjahr. Ein sehr träges Thierchen, wenigstens bei Tage, das
man überhaupt selten im Freien kriechend, sondern immer nur
versteckt findet, mit seinem breiten Fusse an irgend einen flachen
Gegenstand angeklebt. Dies ist der einzige Arion, bei dem sich
die Kalkkörnchen im Mantel zu einem dünnen aber unregelmäs-
sigen Schälchen gruppiren, was schon an Limax erinnert, daher
Moquin Tandon die Untergattung Prolepis für ihn bildete. Welche
Bedeutung haben diese inneren Schalen, zumal die oft sehr dicken
bei ZLimax? Sind es nur rudimentäre und funktionslose Organe,
die auf Typus und einstige Abstammung hinweisen, oder erfüllen
sie noch den Zweck des Schutzes für die wichtigen Organe der
Athmung und Circulation, die darunter liegen?
Bezüglich der Synonymie in unsren speciell Württ. Mollus-
ken-Verzeichnissen bemerken wir noch, dass unsre Art offenbar
die von unsrem Freunde E. v. Martens (Jahresh. XXI S. 184)
unter die Species A. subfuscus Drap. subsumirte, und zwar unter
C aufgeführte Varietät ist, von der M. selbst sagt: dies ist ohne
Zweifel Ferussac’s A. hortensis, Var. alpicola. Dass diese Art
aber jedenfalls nicht zu subfuscus gerechnet werden kann, ist
nach den seitherigen Untersuchungen deutlich. Der von Martens
an demselben Orte unter Nummer 4 aufgeführte A. hortensis
dagegen (obenher schwärzlich, Fusssohle gelb) ist zweifels-
ohne eine intensiv gefärbte Varietät des A. fuscus, die ich auch,
' aber bis jetzt erst in zwei Exemplaren bei Urach auf dem Weg
nach der Ruine zu an einem Hag links unter Steinen gefunden
habe.
Dieser A. findet sich auch nicht selten bei Curie Mass,
Nord-Amerika. Die Amerikanischen Malacologen wollen ihn |
aber nicht als „native Yankee“ anerkennen, sondern behaupten, er
sei zufällig von Europa mit Waaren eingeführt; sie nennen ihn
irrtthümlich A. fuscus Müller.
21. Helix (Patula) rupestris Drap.
Schale bis 3 Mm. lang, 2'/, Mm. breit.
Eine ächte Felsenschnecke, überall an unsern Jurafelsen,
meist in grosser Gesellschaft, doch immer nur an kühlen, schat-
tigen Einbuchtungen und Felsspalten. Bei Tage fast nie in Be-
wegung, offenbar ein Nachtthier. Lebt von Felsenflechten. Ge-
biert lebendige Junge.
Merkwürdigerweise fand ich sie auch hin und wieder, aber
immer selten, im Grundmoos unsrer Nordwiesen, wo Hyalina
striatula, Cionella lubrica, Helix pulchella, also lauter Feuchtig-
keit liebende Weichthiere sich finden. Dieses Vorkommen ist sehr
auffallend, und zeigt eine ungewöhnliche Accomodationsfähigkeit,
die bei etwaigen geologischen und klimatischen Veränderungen für
die Art von Nutzen wäre, aber uns auch helehrt, in Schlüssen
aus dem Vorkommen der Thierarten auf geologische und andere
Verhältnisse vorsichtig zu sein. Gibt es doch wohl keine ent-
schiedenere Felsenschnecke als diese und dennoch kann sie in
feuchtem Wiesenmoos leben, wo vermuthlich auch ihre Nahrung
eine andere ist.
22. Helix (Patula) pygmaea Drap.
Weitaus die kleinste unsrer Helix-Arten, einige Strichelchen
über 1 Mm. lang und eben so breit. Der Helix rupestris ähn-
lich gebaut aber flacher.
Im Grundmoos unsrer Wiesen, der trockenen und fenchien,
überall, aber wegen ihrer Winzigkeit mühsam zu sammeln. Auch
im Wald unter todtem, feuchtem Buchenlaub und im Mulm unter
Felsen.
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23. Helix (Patula) rotundata Müll.
Schale 6 Mm. lang, 5?/, breit, häufig überall im Wald
unter faulen Holzstumpen, unter Steinen, im Felsmulm, auch
unter Hägern. Noch häufiger und etwas grösser im: Thal bei
Urach, z. B. im Holzgarten unter Bauschutt.
Findet sich schon im Löss.
NB. Die verwandte H. ruderata Stud., von Stuttgart und
Heilbronn bekannt, findet sich weder auf der Alb noch im Thal
bei Urach.
24. Helix (Anchistoma) obvoluta Müll.
Aeusserst variabel in der Grösse, von 10 Mm. Länge und
9 Breite bis 12 Länge und 11 Breite.
Eine unsrer schönsten deutschen Schnecken, überall im Vor-
wald, an schattigen Orten, unter Steingeröll, unter todtem Laub,
Baumstumpen u. dergl., immer aber einzeln und mehr zufällig
zu finden.
Die beiden zahnförmigen Verdickungen an der callösen
Mündung treten bei unsern hiesigen Exemplaren oft sehr stark
hervor, so dass sie sehr an H. holoserica Stud. erinnern, die
Moquin Tandon auch vom Jura angibt. Wenn man dessen Ab-
bildungen beider Arten (l. c. Pl. 10) mit unsern Albstücken
vergleicht, so passen diese weder ganz zur einen noch ganz zur
andern, stehen vielmehr fast genau in der Mitte zwischen beiden.
Die Mündungsverdickungen (Zähne) sind bei allen unsern Exem-
plaren viel schärfer als bei der H. obvoluta des französischen
Werks, dagegen bei keinem so scharf wie bei seiner A. holo-
serica. Der ganze Unterschied, wie ihn Moq. Tand. (l. c. II
S. 117) angibt, läuft auf lauter „plus“ und „moins* hinaus und wir
wären veranlasst, auf Grund unsrer vermittelnden Albexemplare
die Berechtigung der Trennung jener zwei Arten zu be-
zweifeln, wenn nicht Adolph Schmidt nachgewiesen hätte, dass
der Geschlechtsapparat von H. holoserica, besonders ein langer,
kegelförmiger Liebespfeil diese Schnecke sogar in nähere Ver-
EEE RER TE EN RER EURE TAB EM KAREL ER a Dan AR N EIFEL AWO ER RAER
— 280 —
wandtschaft zu der folgenden H. personata Lam. bringt, als zu
der nach der Schale viel näher stehenden AH. obvoluta !
Ist eine alte Schnecke, die schon im Löss vorkommt.
25. Helix (Anchistoma) personata Lam.
9 Mm. lang und 8 breit.
Findet sich an denselben Stellen wie A. obvoluta aber etwas
seltener und versteckter, doch meist in kleiner Gesellschaft. Diese
merkwürdige Art hat ihre näheren Verwandten alle in Nord-
Amerika, aber dort in einer grossen Anzahl von Arten, so dass
man dort von Canada bis nach Florida dieser Gruppe (Trio-
dopsis Raf.) in einer wunderbaren Mannigfaltigkeit von Formen
begegnet, von solchen an, wo nur Zähnchen schwach angedeutet
sind, bis zu jenen, wo die Mündung fast ganz verwachsen ist.
Auch sie hat wie A. obvoluta einen schneeweissen, perga-
mentartigen Winterdeckel, den sie aber bei länger andauernder
Trockene auch im Sommer hie und da sich bildet als Schutz
gegen Austrocknung.
26. Helix (Theba) aculeata Müll.
Schale 2 Mm. lang und ebenso breit.
Im Laubwald unter feuchtem, todtem Laub, oben im Humus;
auch im nassen Grundmoos unsrer feuchten Wiesen, aber immer
einzeln und schwer zu finden. Auch an Waldträufen unter den
sehr nützlichen Schneckenfallen, d. h. ausgelegten, morschen
. Brettstückchen, erhält man hin und wieder dieses merkwürdige,
kleine Stachelschneckchen. Häufiger scheint es nach einer Notiz
im Schwäb. Merkur (über einen Vortrag von Freiherrn König-
Warthausen) in unsrem Oberlande zu sein.
27. Helix (Theba) costata Müll.
Länge 2?/,, Breite 2 Mm.
Ueberall auf den Albwiesen, auch auf der trockensten. Am
Wurzelhals der Grasnarbe zu suchen, wo sie mit Pupa muscorum,
Succinea oblonga und Helix pygmaea zusammen lebt.
Ist sehr nahe verwandt mit der folgenden 7. pulchella und
A
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% wird von Manchen nur für eine Varietät gehalten, allein wir
fanden nie Uebergänge. Die Schalenrippen sind entweder ganz
und scharf vorhanden, schon für das blosse Auge sichtbar (H.
costata) oder gar nicht und die Schale ist dann glänzend,
weisslich durchsichtig (H. pulchella).
Jene lebt mehr an trockenen, letztere mehr an feuchten
- Örten; nur höchst selten findet man beide Arten neben einander
und dann immer die eine Art nur in wenigen Individuen.
In ungezälllter Menge fand ich einmal dieses Schneckchen,
zusammen mit eben so vielen Pupa muscorum, unter Federnelken,
welche das Rasendach einer kleinen Vogelhütte neben unsrem
Haus bildeten.
Ist eine Lössschnecke.
28. Helix (Theba) pulchella Müll.
Dimensionen der Schale wie bei der vorigen Art, eher etwas
geringer.
Findet sich überall auf feuchten Wiesen im Grundmoos: auf
der Raissenwiese, Vöttelwiese, Bruttelwiese. Doch fand ich ein-
zelne Exemplare auch im Moos auf unsrer trockenen Ruine.
Ueber ihr Verhältniss zur vorigen Art siehe diese.
Ist wohl unter allen lebenden die älteste deutsche
Schnecke, denn sie findet sich schon in dem miocenen Schnecken-
kalke von Wiesbaden und Hochheim.
29. Helix (Fruticicola) edentula Drap.
61/, Mm. lang, 6 breit, 5 hoch.
Dies ist wohl einer unsrer interessantesten malacologischen
Funde auf der Alb. Sie ist neu nicht nur für dieses Gebirge,
sondern auch für Württemberg, ja fast kann man sagen, für
- Deutschland. Eine „Schneke der Alpenregion“ ist sie, ausser in
den Bayrischen Alpen im übrigen Deutschland noch nicht naclı-
gewiesen. Wir entdeckten sie im September 1872 im Fischburg-
thale bei Seeburg, einem langen, engen, romantischen, von einem
Forellenbach durchflossenen, zu dem Rittergut Uhenfels ge-
hörigen Wiesen- und Felsenthal. Es war eine feuchte Waldecke,
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Bar
nur von Zimmergrösse, wo sie in ziemlicher Anzahl vorkam; der
Boden mit Brennnesseln und kurzem Moos bedeckt und besonders
unter jenen scheint es ihr zu gefallen. Sie lebt da zusammen mit
H. hispida, rufescens, personata und Vitrina diaphana. Später
fanden wir sie auch sonst da und dort in dem wohl eine Stunde
langen Thale, und endlich auch noch oben im Bruttel (= Brunn-
thal?) hinter Wittlingen, einem noch zum Albplateau gehörigen,
auch durch seine Flora (Orchis angustifolia, Galium uliginosum,
Viola mirabilis) interessanten, sumpfigen Hochthal, so dass wir
sie also mit Recht als eine Albschnecke ansprechen dürfen.
Häufig ist sie jedoch nirgends, obgleich wir im Gauzen, frei-
lich mit Mühe, wohl gegen 100 Exemplare zusammengebracht
haben.
Diese zierliche, in der Regel, zumal in der Jugend, doch
nicht immer fein behaarte Schnecke ist mit keiner andern hiesigen
Art irgendwie zu verwechseln.
Das hoch gethürmte, kegelförmige, vielwindige (7) Ge-
häuse mit deutlich gekielter, letzter Windung, mit der abgeflach-
ten, beinahe ungenäbelten Basis, mit der engen, schmalen,
durch einen dicken, gelblichen Bandwulst (ohne Zahn) noch
mehr verengten Mündung; diese Merkmale sind so characteristisch,
dass sie mein damals erst achtjähriger Sohn Carl, der das erste
Exemplar fand, sofort als eine für unsre Gegend neue Art er-
kannte. Zweifelsohne wird sie nun auch in anderen Theilen der
Alb gefunden werden.
Das Thier ist ziemlich lebhaft, schlank, 9 Mm. lang mit
‚sehr langen (2?/, Mm.) Fühlern, streckt sich vor der Schale
etwa 4 Mm. heraus, so dass der Fuss hinter der Schale nicht
mehr sichtbar ist. R
Die Farbe des Thiers ist weiss, Kopf und Hals gelbbräun-
lich angeflogen, die Fühler und ein feiner rückwärts laufender
Streif graulich, die Sohle weiss. fr
Die Synonymie*) ist nicht wenig verwirrt, was um so auf-)
fallender, als sie wenigstens hier zu Lande fast gar nicht varürt. ;
*) Vgl. v. Martens, Nachr. Mal. Ges. 1871, S. 197.
-
ga
Was zunächst die HZ. liminifera Held von den Bayrischen Alpen
betrifft, so stimmt diese, wie uns Freund Clessin, dem wir hiesige
Exemplare mitgetheilt, schreibt, vollständig mit unsren überein.
ae Moquin Tandon führt sie unter dem Namen H. depilata Drap.
(non Pfeiffer) auf und bildet sie (l.c. Pl. X Fig. 42—43) ziem-
lich gut ab, nur lässt er den weissen Wulst in der Mitte zahn-
förmig sich erheben, was bei unsern Exemplaren nirgends zu-
trifit. Die jedenfalls verwandte, aber durch die ungekielte, letzte
Windung (sans caröne, Mog. Tand.) und den scharfen Zahn wohl
zu unterscheidende H. kobresiana von Alten (H. unidentata
| Drap., Fitz., Held) = H. monodon Fer. wird vom Grafen Secken-
dorf (l. ce. S. 13) von Ulm und Denkendorf angegeben, war seit
jener Zeit (1847) in Württemberg nicht wieder gefunden, bis
sie Leydig (1868) bei Tübingen (Kirchentellinsfurth) in einigen
Exemplaren wieder entdeckte und ebenso Clessin nach fr. briefl.
Mittheil. zwischen Ulm und Blaubeuren. Hier zu Lande ist mir
H. kobresiana noch nicht vorgekommen, doch bemerke ich, dass
E. v. Martens, wie er mir schrieb, einmal ein Gehäuse derselben
auf dem Lochen bei Balingen fand.
30. Helix (Fruticicola) hispida L.
Variüirt sehr in der Grösse, von 6 Mm. Länge und 5 Breite
bis zu 8 Länge und 7 Breite.
Thier 10!/;, Mm. lang, Fühler 2?/,, wenn die Schale 7
Mm. |.
Färbung des Thieres schwarzgrau, Seiten und Sohle heller.
Die Farbe des Gehäuses variirt von dunkelbräunlich bis gelblich-
weiss; nie fehlt der helle, durchscheinende Kielstreif. Bei der
lebenden Schnecke erscheinen die vier innersten Windungen regel-
mässig weiss, von dem durchscheinenden, oben weiss gefärbten,
die Leber deckenden Mantel. Aber auch eine Fliegenlarve über-
wintert häufig in dieser Schnecke, wohl nachdem sie das, Thier
herausgefressen ; sie scheint goldgelb durch die Schale durch.
Ausgebildete Gehäuse mit Haaren sind selten. Die dunkel-
schaligen haben einen schwarzgrau marmorirten Mantel, die horn-
farbigen einen weissen.
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Im Fischburgthale fand ich eine merkwürdige Monstrosi-
tät, welche nach der fünften Windung wegen Schalenverletzung
in Skalaridenforın übergehen musste, so dass gleichsam zwei voll-
ständige Schnecken auf einander geklebt scheinen.
Vorkommen: Ueberall auf feuchten Wiesen, doch auch
auf unsern trockensten da und dort. Lebt gerne unter und an
Brennnesseln, frisst aber, z. B. im Frühjahr, auch faulende Vege-
tabilien. Eine der gemeinsten Schnecken im Seeburger Thal,
wo man im Frühjahr in Menge ihre leeren Gehäuse auf den
aufgeworfenen Maulwurfshügeln liegen sieht. Sie erscheint auch
im Winter bei längerem Thauwetter, besonders in der Nähe
des Wassers auf abgestorbenen Pflanzen herumkriechend und bei
stärkster Kälte fanden wir sie unter festgefrorenen faulen Pflan-
zen munter lebend ohne Winterdeckel, was ganz für ein Thier
passt, das schon in der Eiszeit in Deutschland gemein war.
Jedoch gehen auch viele, wie es scheint, fast: lauter unausge-
wachsene, die im Allgemeinen bei den Landschnecken der Kälte
mehr trotzen, gerade desshalb, weil sie sich zu bald NET RE
durch plötzliche Wetterumschläge (Frost) zu Grunde.
Auffallend ist, dass man von dieser Art verhältnissmässig
so wenig vollkommen ausgebildete Exemplare trifft. Wenn von
irgend einer, so ist es von dieser Species sicher, dass sie schon
in unausgewachsenem Zustand, d. h. noch ehe sie ihre letzte
Windung mit dem weissen Lippenwall geformt, fortpflanzungs-
fähig ist; denn die grosse Individuenzahl stände sonst in gar
keinem Verhältniss zu den wenigen ganz ausgebildeten Exem-
plaren.
Findet sich auch in Neuschottland in Nord-Amerika und
könnte bei ihrer Dauerhaftigkeit gegen niedere Temperaturgrade
wohl eine circumpolare Art sein.
NB. Die verwandte, hochgewundene #. sericea Drap,
die Fuchs bei Mergentheim gefunden, kommt weder auf der Ab
noch im Thale bei Urach vor. a
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31. Helix (Fruticicola) rufescens Penn.
(H. circinata Stud. H. montana Pfeiff.)
Variirt ausserordentlich in Grösse und Höhe, von 12?/, Mm.
Länge und 11 Breite bis 81/, Länge und 7%/, Breite.
Eine unsrer gemeinsten Waldschuecken, besonders in nörd-
lichen Lagen, aber nur, wo der Wald nicht zu dicht bestanden.
Färbung der Schale ausserordentlich variabel, von dunkel-
braun bis gelblichweiss durchscheinend. Auch solche mit weiss-
lichem Kielstreif sind nicht selten.
! Die kleinere A. montana Pfeiffer lässt sich kaum als Varie-
tät festhalten, denn man findet alle Mittelstufen der Grösse an
demselben Fundort zusammen. Ebensowenig bietet die Höhe
einen Grund zur Aufstellung einer besonderen Varietät, denn
hochgethürmte und flache mit allen Uebergängen leben neben
einander. Dagegen haben wir
eine auffallende Varietät mit kurzen Härchen ge-
funden, mit blossem Auge leicht zu sehen, aber wie bei A. stri-
gella leicht abfallend. Schalenform und Thier wie bei den nack-
ten. Sie lebt an dem feuchten Waldtrauf der Vöttelwiese. Eine
in Haarähnliche Fortsätze ausgezogene Epidermis ist bekanntlich
- auch anderen, im Feuchten lebenden Schnecken, z. B. A. obvoluta,
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personata, sericea etc. eigen und unsre, wie wir gelesen haben,
auch schon von Clessin gemachte Beobachtung von behaarten A.
rufescens an besonders feuchten Stellen ist ganz dasselbe Verhält-
niss, nur umgekehrt, wie Hartmann an trockenen Plätzen haarlose
B. sericea fand. Wir erlauben uns für jene Varietät den Namen
des berühmten Bayrischen Malacologen vorzuschlagen und sie Va-
rietas Clessini zu nennen.
Findet sich auch in Quebec, Canada, ob von England zu-
fällig importirt oder einheimisch ?
. 32. Helix (Frutieicola) incarnata Müll.
Schale 14—16 Mm. lang, 12 —14 breit.
Thier bei 121/, Mm. Schalengrösse 15 Mm. lang, Sohle
2°/, Mm. breit. Obere Fühler 31/,, untere 11/, lang.
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Das Thier in allen Theilen sehr fein gebaut, hellfleisch-
farbig, Kopf und alle vier Fühler grau. Von der Basis der
Fühler setzt sich ein grauer Strich jederseits nach hinten fest;
es sind die durchscheinenden, pigmentirten Schläuche für die zu-
rückziehbaren Fühler selbst, daher wir diese dunklen Striche bei
einer grossen Anzahl von Heliceen beobachten. Sohle gelblich
fleischfarbig. Der dunkelgefleckte Mantel scheint durch die
Schale durch.
Ein vollkommener Albino beobachtet.
Vorkommen. Nicht selten an feuchten Waldrändern. Am
frühen Morgen und späten Abend, bei nassem Wetter auch am
Tage unter und auf Pflanzen herumkriechend. Das Thier ist
sehr lebhaft, schüchtern.
Variation: Die Färbung des Gehäuses ist bei dieser Art
ungewöhnlich constant, immer hellbräunlichgelb mit einem Schein
in’s Rothe und dem für so viele Fruticicolen characteristischen
Kielstreifen, einer fleischrothen (incarnata) Lippe und aussen
rothbraunem Mundsaum. Nicht selten ist eine kleinere Form
von nur 13 Mm. Schalendurchmesser, sonst aber in nichts von
den gewöhnlichen verschieden, daher nicht A. tecta Ziegl., bei
welcher der Nabel fast ganz verdeckt sein soll und die wir hier
nicht fanden.
33. Helix (Fruticicola) fruticum Müll.
18—20 Mm. lang, 16—18 breit.
Eine unsrer schönsten, deutschen Schnecken. Ä
Selten auf der Alb. Wir haben in unsrer Nachbarschaft
nur einige kleine Colonien davon, eine auf unsrer warmen Ruine,
wo auch eine kleine Colonie des Bulimus detritus sich findet,
eine andere am Häldele, sonst einzeln an Hägern. Sie liebt
offenbar warme, sonnige Lagen. Im Thale bei Urach ist dies X
liebe, woraus zu schliessen, dass die Brennhaare sie nicht ver-
letzen, indem wohl das Gift im Schleime seine Wirksamkeit so-
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fort verliert. Auch ZA. hispida findet sich häufig an Brenn-
nesseln.
Färbung. In hiesiger Gegend immer weiss, nie eine
dunkle oder gar gebänderte, wie in Oberschwaben und wie wir
sie regelmässig in den Lechgehölzen bei Augsburg angetroffen.
Färbung des Thieres gelb, die Augenfühler grau und von den-
selben setzt sich ein grauer Streif nach hinten, der durchscheinende
Fühlerschlauch. Der prächtig hellgelbe, die Leber umgebende
Mantel scheint durch die milchweissliche Schale durch.
Sie scheint sehr resistent gegen niedere Temperaturgrade,
wenigstens fanden wir zwei halb ausgewachsene im Januar 1872
bei Thauwetter (8° R. Wärme) auf abgestorbenen Pflanzen an
einem Hag bei Urach munter herumkriechend; ein Beweis, dass
ihr Winterschlaf nicht sehr fest ist; doch trifft sie im Uebrigen
gute Vorkehrungen für die kalte Jahreszeit. Sie macht einen
schneeweissen, ledrigkalkigen Winterdeckel, ja oft mehrere hinter-
einander, öfters beobachteten wir 4, einmal 5 solche. Der erste
sitzt fast ganz aussen an der Mündungscontur, dann folgt ein
langer Hohlraum von etwa 10 Mm. Durchmesser, dann der zweite,
dritte, vierte Winterdeckel fast unmittelbar hinter einander, doch
_ nicht aneinandergeklebt, wohl aber durch Schleimfäden zusammen-
hängend. Offenbar sind das Schutzwehren gegen fortschreitende
Winterkälte und, wo immer mehrere solche Deckel sind, wirkt
der äusserste ganz als Vorfenster mit einem Polster todter Luft
_ hinter sich.
34. Helix (Fruticicola) strigella Drap.
13 Mm. lang, 12 breit. Dies sind die Maasse eines der
_ wenigen Albexemplare, die wir gefunden. Unten im Thale ist
sie etwas häufiger und das Gehäuse bis 15 Mm. lang. Lebt an
Waldrändern und Hägern in warmen Lagen.
Das Thier isabellfarbig, hinten und am Fuss hin heller.
_ Die langen Fühler grau und wieder setzen sich wie bei MH.
$ incarnata und anderen graue Streifen von ihnen nach hin-
ten fort.
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Eine alte Schnecke, die sich schon im Löss des Rheinthales
findet.
35. Helix (Campylaea) lapicida L.
Schale 15—16 Mm. lang, 14 breit.
Eine unsrer häufigsten Waldschnecken und ein ächtes Ge-
birgsthier, das nur einzeln in der Ebene vorkommt. Sehr ge-
mein an unsern Buchenstämmen, sehr selten oder fast nie an
unsren Felsen. Würde sicher nach ihrem hiesigen Vorkommen
nicht zu den Steinschnecken gerechnet werden, wie dies ge-
wöhnlich geschieht, indem man ihre plattgedrückte Schalenform
zum Verkriechen unter Steinen und in Felsritzen für besonders
passend erklärt, eine Teleologie, die uns nicht einmal zweifellos
erscheint. Eher möchten wir glauben, dass die platte Form in
Verbindung mit der bräunlich gesprenkelten Färbung diese Schnecke
auf den Baumstämmen vor Gefahren schützt, indem sie sie dort
fast unsichtbar macht. Von dieser Schnecke trafen wir schon
anfangs Mai Junge von 6 Mm. Schalendurchmesser in grosser
Anzahl und eben solche Junge sieht man im Spätherbst noch an
kalten Tagen, gleichfalls noch in Menge an den Buchenstämmen
herumlaufen, während man dagegen im Laufe des Sommers sol-
chen Jugendformen wenig begegnet.
Albinos von dieser Art sind in unserem Nordwalde, nach
dem Vaitel hinunter an Buchenstämmen immer hin und wieder
zu finden. Wir haben wohl ein Dutzend derselben zusammenge-
bracht. Die Schale ist, wenn das Thier herausgenommen, milch-
weiss durchscheinend, das Thier selbst weissgrau. Auch Dr.
Speyer in seinem Verzeichniss der Fuldaer Mollusken ($. 15)
erwähnt solcher Albinos vom Buchenwald. Eigenthümlich ist,
dass in demselben ziemlich dicht bestandenen, schattigen Walde
auch von Clausilia laminata Albinos nicht so gar selten sich
finden. Siehe unten!
Eine merkwürdige Missbildung dieser Art mit schön ab-
gerundeter, letzter Windung, also ohne den characteristischen
scharfen Kiel haben wir ganz gesund und gut erhalten, aber
leider nicht ausgewachsen, einmal im Walde lebend gefunden.
Ha re
"Diese individuelle Bildung, welche ganz spontan, ohne alle sicht-
bare Störung durrh äussere Gewalt, Schalenverletzung u. dergl.
sich entwickelt hat, zeigt, wie nöthig es war, auf jene Kanten-
bildung an den Windungen bei den Heliceen überhaupt nicht
den grossen, systematischen Werth zu legen, wie es die ältere
Malacologie (z. B. mit Carocolla Lam.) that. Heutzutage steht
bekanntlich unsre Art wegen ihrer anatomischen Charactere bei
der Gattung Campylaea Beck, die sich fast ausschliesslich aus
ungekielten, wenn auch etwas niedergedrückten Formen zusam-
mensetzt. Wir haben diese interessante Missbildung Taf. IV,
Fig. 2 abgebildet.
36. Helix (Campylaeca) arbustorum L.
Variirt ausserordentlich in der Grösse, von 20—25 Mm.
Länge und von 17—23 Mm. Breite, und ebenso auch in der
Höhe. Es gibt hochgethürmte und plattgedrückte und dazwischen
‚alle Uebergänge. Doch kann man im Allgemeinen sagen, dass
die grösseren und hochgethürmten und dunkleren mehr den Wald,
die kleineren, plattgedrückten, helleren, besonders die auf stroh-
selber Grundfarbe braungesprenkelten und mit einer sehr
ausgesprochenen Binde gezierten, und die einfärbig strohgelben
mehr den Wiesen angehören. Die grössten Exemplare, hie und
da riesenhafte,. fanden wir in der dunklen Waldschlucht des
Vaitels.
Ihr Vorkommen auf der Alb ist sehr localisirt. Im Walde
lebt sie nur einzeln, aber in Massen da und dort an feuchten
Wiesenrainen, z. B. entlang dem Burgweg zwischen Wittlingen
und Hohen-Wittlingen, wo man oft im Spätjahr kaum gehen
kann, ohne auf sie zu treten. Dagegen kann man auch wieder
Stunden lang auf der Alb gehen, ohne nur eine zu sehen. Ausser-
ordentlich häufig, wohl die gemeinste Schnecke ist sie im Thal
um Urach, vor Allem auf den feuchten Wiesen des Seeburger
Thals z. B. unterhalb der Kunstmühle.
Ihr Winterdeckel ist gelblich, häutig und öfters folgen auch
bei ihr, wie bei HM. fruticum, mehrere auf einander. Dass der
Stoffumsatz auch während der Ruhe unter dem Winterdeckel,
Württemb. naturw. Jahreshefte. 187%. 19
DA 1
wenn auch in geringem Masse fortdauert, beweist das grosse |
Convolut dunkelbrauner, wurmförmig zusammengerollter Fäces,
welche man das Thier beim Wiedererwachen, gleich nach Ent-
fernung des Deckels ausstossen sieht. Auch betragen die Herz-
schläge dieser Schnecke im Winterschlaf immer noch 2 bis 4
in der Minute und damit muss wohl auch eine continuırliche,
wenn auch noch so reducirte Athmung (durch die Poren der
Winterdeckel hindurch) Statt haben.
Ist eine alte Schnecke, die sich schon im Löss findet und
ebenso auch in Menge versteinert in unsrem Seeburger Tuff-
stein, sogar in dessen untersten Lagen, bis 30 Fuss unter der
Oberfläche.
37. Helix (Pentataenia) nemoralis L.
Variirt ziemlich bedeutend in der Grösse, von 25 Mm. auf
22, bis zu 18 auf 16. Die mittlere Grösse beträgt 23 Mm.
Länge, 21 Breite.
Kommt überall da und dort auf der Alb vor und ist daher
die Angabe unsres Freundes E. v. Martens (Jahresh. XXI S. 207)
in dieser Beziehung zu berichtigen. Eine Colonie derselben
findet sich auf unsrer warmen Ruine. Aber auch im Buchen-
hochwald, nur nicht gerade in nördlichen Abhängen und in zu
dichten Beständen, trifft man sie überall und kaum etwas seltner -
als H. hortensis.
Wenn wir auf die Färbung, die durch Darwin’s und
Wallace’s Beobachtungen über Mimiery eine ganz neue Bedeutung
gewonnen hat, und deren Studium noch eine Menge interessanter
Beobachtungen zu Tage fördern wird, bei dieser und der folgen-
den Art etwas näher eingehen, so finden wir Folgendes: Die
Grundfarbe der Schale ist fast ausschliesslich gelb, von 161
Exemplaren unsrer Albsammlung nur bei 5 weissgelb und nur
bei 3 fleischfarbig. Dieses Verhältniss ist um so merkwürdiger,
wenn wir es mit dem der so nahe verwandten und an denselben
Localitäten lebenden H. hortensis vergleichen. ($. diese!)
Von Bändervarietäten finden wir bei dieser Art von 161
ö e — 291 —
d ‚Albexemplaren, wenn wir die Bänder von oben, von der Naht
_ aus zählen, bei 126 Stücken die Bänder 3. 4. 5.; bei 12 St.
3. 5:5 bei 9 St. d. B.. 1. 2, 8.4 5.5 bei:6 St. dB
5.5 bei 3 St. d. B. 4. 5.; ‚bei 1 St. d. B. 2..8. 4.5;
4 Stücke sind röthlich, hornfarbig ohne Band. Somit sind gegen-
über der Varietät mit den Bändern 3. 4. 5. alle andere nur in
verschwindend kleiner Anzahl vertreten.
Am 21. Sept. 1873, Nachmittags, sammelten wir in dem
Staatswald Eselhau bei Wittlingen, einem etwa 70jährigen
Hochwald von durchschnittlich wohl 80 Fuss hohen Bäumen,
_ innerhalb 2 Stunden 74 Stücke dieser Art, indem wir der stati-
stischen Vergleichung wegen alle, die wir sahen und erreichen
konnten, mitnahmen. Darunter waren 70 mit den Streifen 3.
4. 5., zwei mit den Str. 3. 5., eine mit 2. 3. 4. 5., eine mit 4.
5. und eine mit 1. 2. 3.4. 5. Alle sassen an den dicken,
, glatten Buchenstämmen in Ruhe, von 1 bis 25 Fuss vom Boden.
Der Boden ist fast ausschliesslich mit todtem, rothbraunem Buchen-
laub bedeckt, streckenweise mit dichten, schönen Rasen von Vinca
" minor, an denen ich aber nie eine Schnecke fand. Offenbar be-
steht also ihre Nahrung aus dem Laub der Bäume, deren Aeste
meist erst bei 40 bis 50 Fuss Höhe beginnen, und so sind diese
und die folgende Schnecke H. hortensis, die eben da unter den
gleichen Verhältnissen lebt, sicher hier zu Lande wenigstens die
_ Weichthiere, die (mit Limax arborum) am weitesten vom Erd-
boden sich erheben. Alle haben eine schöne, gesunde Entwick-
3 lung, die Schale ist sehr fest und kalkreich, die Bänder und
ebenso der Mündungsrand breit und voll schwarzbraun.
Diese Schnecke wurde im Jahre 1857 von dem bekannten
nordamerikanischen Malacologen W. G. Binney nach Burlington,
New-Yersey, (Nord-Amerika) in einigen hundert Exemplaren im-
_ portirt. Im Jahre 1865 waren alle Gärten der Stadt voll von
ihr und diese Nachkommen in Form, Farbe und Gewohnheiten
- vollständig der europäischen Art gleich geblieben. Sie klettern,
wie diese, bei Tag auf Buschwerk und Bäumen herum, was den
- Nord-Amerikanern um so mehr auffällt, als ihre einheimischen
: Schnecken, wenigstens die des östlichen Nord-Amerika, fast aus-
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nahmslos den Tag unter todtem Laub, Steinen u. s.f., kurzam Boden
verborgen, verbringen. Sollte dieser Mangel an Laubschnecken
in Neu-England mit der bekannten, für uns Europäer so empfind-
lichen Trockenheit des dortigen Clima’s zusammenhängen? Aber
warum hat dann H. nemoralis ihre Lebensweise innerhalb 10
Jahren, d. h. doch wohl mindöstens etwa 10 Generationen, nicht
wenigstens einigermassen modificirt? Die zu gleicher Zeit aus
Europa importirten H. lapieida verschwanden sofort wieder ganz.
38. Helix (Pentataenia) hortensis Müll.
Varirt wie die vorige stark in der Grösse. Die gewöhn-
liche, mittlere Form zeigt 18 Mm. Länge auf 16 Breite, die
grössten 20 auf 18, die kleinsten 16 auf 14.
Auch diese Art, wie die letzte, findet sich, freilich nur an
günstigen Orten, im lichten Hochwald, nicht selten auf der Alb.
Nur ausnahmsweise an Hägern, ihrem gewöhnlichen Aufenthalts-
ort im Thale.
Am 21. Sept. 1873 sammelten wir innerhalb 2 Stunden,
zugleich mit den 74 Stück HZ. nemoralis (S. diese), in dem Staats-
wald Eselhau bei Wittlingen 91 Stücke A. hortensis. Auch von
ihnen nahmen wir der statistischen Vergleichung wegen alle, die
wir sahen und erreichen konnten. Darunter waren 56 Stück ein-
färbig fleischfarbig, 16 St. röthlichgelb mit 5 Bändern, 12 St.
einfarbig gelbe, 3 St. mit 1.2.3.4. 5. verschmolzen, 3 St. mit
23,4, 5.5 1/86 mit 1.2.3. 4. 5,; 1 St. mit 1. 2.3. 4.5;
1,88, mit 1.2.3. 4 B,, endlich eine sehr anffallende.go gelblich-
weiss von Grundfarbe mit 5 durchsichtigen, blassbräunlichen Bin-
den. Von den fleischfarbigen haben 14 Stück deutliche Spuren
heller, weisslich durchsichtiger Bänder, die aber erst bei a
Betrachtung zur Anschauung kommen.
Unsre ganze Albsammlung dieser Art besteht aus 286 Ge
häusen. Ueberblicken wir sie, so müssen bezüglich der Färbun 8)
vor Allem nicht sowohl die Bänder als die Grundfarbe in
Betracht kommen. Während nun bei H. nemoralis die Grund-
farbe fast ausschliesslich gelb ist, (S. oben) und die röthlichen,
fleischfarbigen hier zu Lande fast nur als Abnormitäten auftreten,
F nur 3 St. auf 161 Exemplare, gehen bei unsrer so nahe ver-
wandten H. hortensis, welche überall genau dieselben Localitäten
- bewohnt, zweifelsohne auch ganz dieselbe Nahrung geniesst, jene
zwei total verschiedenen Grundfarben, gelb und fleischröthlich,
nicht nur neben einander her, sondern die letzte, die röthliche,
schlägt ganz entschieden vor, so zwar, dass von unseren 286
Gehäusen 209 die fleischröthliche, 74 die gelbe und 3 die weisse
Grundfarbe zeigen. Wir bemerken, dass man diese Grundfarbe
sofort und leicht an den Jugendwindungen, also an der Schalen-
spitze erkennt, welche immer den bestimmten Farbentypus zeigt,
ein Beweis, dass die Färbungsdisposition schon von
Anfang an in jedem einzelnen Individuum liegt,
nicht erst etwa durch chemische Agentien der Nah-
rungin Blut und Schale hineingebracht wird. Hier-
3 über unten mehr.
Von unseren 286 Schalen nun sind: 144 Stück eimfärbig
fHeischröthlich; 48 St. einfarbig gelb; 36 St. mit Bändern 1. 2.
8. 4. 5. Grundfarbe röthlich; 13 St. mit 1. 2. 3. 4. 5. Grund-
farbe gelb; 3 St. mit 1. 2. 3. 4. 5. Grundfarbe weiss. Ferner:
8 St. mit 1. 2. 3:4 Di en. 23,
er. 35:2 Seimit, 1! 2.3. 42.5; 2 Bm 2.5
2 St. mit 1.2. 3% 4.5.; 2 St. mit 1.2. 3.4.5.5 2 St. mn 1.20%
4.5.; 1 St. mit 1. 2.3.4. 5.; 1 St. mit 1.2.3. 4.5.; 1 St. mit
1. 2.4.5., also mit fehlendem Band 3. Alle diese haben braune
Binden, ferner 3 St. mit durchscheinenden Binden, Grundfarbe
gelb; 6 St. mit durchscheinenden Binden, Grundfarbe röthlich. Die
_ letzte Zahl 6 ist in sofern etwas willkührlich gegriffen, als man bei
| _ vielen fleischfarbigen Gehäusen Spuren solcher durchscheinender
- Bänder auffinden kann.
Die ganz auffallende Bevorzugung der röthlichen Fleisch-
farbe in diesem Buchenhochwald fällt nun um so mehr auf, als
sie im Thale an Hecken, hinter der gelben zurücktritt. Gewohn-
Ri heitsmässig nach den bisher versuchten Erklärungen denkt man
; immer zunächst an chemische Agentien der Nahrung und führt
gerne solche röthliche Färbungen auf den Eisengehalt des Bodens
und der darauf wachsenden Nährpflanzen zurück. Dass wir mit
dieser Erklärung hier nicht auskommen, zeigt schon die fast
ausschliesslich gelbe Grundfarbe der unter denselben Verhält-
nissen lebenden H. nemoralis. Ueberhaupt glauben wir sehr
wenig an den Einfluss solcher äusserer, wir möchten sagen todter
Agentien auf das lebende Thier. Der Typus, ob fleischfarbig
oder gelb, liegt offenbar im Individuum, schon vom Ei her, noch
ehe das Thier überhaupt Nahrung zu sich genommen, so gut
‘wie bei blond-, braun-, schwarz-, rothhaarigen Menschen. Wird
es doch Niemand einfallen, zu glauben, man könne durch stark
eisenhaltige Nahrung die letztgenannte Haarfarbe hervorbringen
oder durch andere chemische Agentien verdrängen.
Offenbar müssen wir nach anderen Einflüssen suchen und
speciell für unsre fleischfarbige 7. hortensis glauben wir in |
der That das Farbenmotiv gefunden zu haben, in dem Schutze,
den gerade diese Farbenvarietät in einem Buchenhoch-
wald geniesst. Sitzt diese Schnecke an dem grauröthlichen
Buchenstamm, so muss man scharf hinblicken, um sie zu sehen.
Fällt sie aber vollends in das todte, rothbraune Laub herunter,
und das wird sie thun, wenn sie oben im Laubdach von einem
Feinde angegriffen wird oder auch nur einen solchen Angriff
durch plötzliche Erschütterung des Zweigs befürchten muss, so
ist sie fast nicht mehr zu finden, wie wir uns selbst oft genug
überzeugt haben. So entgeht offenbar diese Farbenvarietät am
leichtesten den Nachstellungen der Eichelhäher, Drosseln und
Spechte, welche sie oben im Laubdach und am Stamm verfolgen und
ihnen, wenn sie ihnen entfallen, wohl auch am Boden nachgehen
möchten; ebenso am Boden den Nachstellungen der Füchse und
Dächse. So hat natürlich im Laufe der Jahrhunderte gerade
diese Farbenvarietät im Buchenhochwald immer mehr Chancen
gehabt, sich fortzupflanzen, als die gelbe und auf dieses Schutz-
verhältniss ist es leicht, das bedeutende Vorschlagen ihrer Indi-
viduenzahl zurückzuführen.
Um das interessante Verhältniss dieser röthlichen Farben-
Varietät auch in der Systematik zu markiren, wäre es vielleicht
am Platz, derselben einen Namen zu geben, etwa Varietas
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— 295 —
; fagorum, obgleich uns wohl bekannt ist, dass dieselbe einzeln
auch ausserhalb des Buchenwaldes vorkommt.
a An den kahlen Weinbergmauern bei Stuttgart soll auch eine
ganz bänderlose Varietät am häufigsten sein, ob mit gelber oder
röthlicher Grundfarbe, wissen wir nicht. Auch dort mag dies
eine Schutzfärbung sein, wie bei unsrer röthlichen Wald-Varietät,
während andrerseits die gebänderte besser in Hecken und Laub-
gebüsch passt, wo die runden Schatten der Blätterconturen durch
jene runden Streifen der Schnecke nachgeahmt werden, wie die
Conturen und Schatten des Laubes von den runden, schwarzen
Flecken des auf niederen Baumästen lauernden abyssinischen
Panthers und die scharfen, senkrechten Conturen des Ostindischen
Djungels von den senkrechten Streifen des durch sie schleichen-
den bengalischen Tigers.
Hält man uns entgegen, warum schlägt nicht auch bei der eben-
da lebenden H. nemoralis die röthliche Grundfarbe vor, so können
wir für’s Erste antworten, dass bei dieser Art eben vermöge ihrer
Art-Natur offenbar eine äusserst geringe Disposition zur rothen
Färbung vorhanden ist, dass auch die Art vielleicht noch nicht so
lange unter jenen Verhältnissen lebt, dass sie endlich, vielleicht
wegen jener Disposition an Individuenzahl offenbar zurücktritt.
Unter allen Bändervarietäten ist die auffallendste, aber im-
mer selten, jene, bei welcher alle 5 Bänder verschmolzen
sind, so dass die ganze Schale bis auf ein schmales, weisses
Band an der Naht und einen röthlichen oder gelblichen runden
Fleck an der Basis, tief braunschwarz erscheint. Eigenthümlich
ist, dass diese stark pigmentirten Gehäuse regelmässig ziemlich
klein aber sehr fest von Schale sind. Ihr grosser Durchmesser
beträgt nur etwa 18, ihr kleiner 15 Mm. Ein Laie würde sie
sicher nicht für dieselbe Art halten.
Was endlich die Schalenconsistenz betrifft, so scheinen
die mit gelber Grundfarbe durchgängig fester und dicker, als
die mit röthlicher, sowie alle unsere 4. nemoralis bei ihrer regel-
mässig gelben Grundfarbe immer eine sehr feste Schale haben.
Dagegen findet man unter den röthlichen gar nicht selten so
dünnsch alige und leicht zerbrechliche, fast nur aus Epider-
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— 296, —
mis bestehende, dabei vollkommen erwachsene Stücke, dass man
unwillkürlich an die papierdünnen Gehäuse jener Varietät von
H. arbustorum denkt, welche auf kalkarmem Urgebirge '
lebt. Dort ist man mit der Erklärung sogleich bei der Hand,
und wir wollen sie auch nicht absolut verwerfen, dass die Kalk-
armuth des Bodens und der Nährpflanzen Schuld sei. Aber wie
steht es dann mit dieser chemischen Erklärung bei unsern Schnecken,
die mitten auf dem Jurakalk leben, auf Bäumen, die in die
Spalten des Jurakalks ihre Wurzeln hireintreiben ?
Ist es nicht auch hier wieder offenbar eine innere wii
logische Disposition des Individuums, die diese mangelhaftere
Kalkabsonderung hervorbringt, welche ganz an die allerdings
pathologische Rachitis der Wirbelthiere erinnert. Freilich zeigen
jene unsre dünnschaligen A. hortensis im Uebrigen so wenig
irgend einen krankhaften Bau, als so manche Heliceen-Arten,
bei welchen eine sehr dünne, zerbrechliche, fast nur aus Epider-
mis bestehende Schale zum Art-Character gehört.
Dieser Schnecke begegneten wir auch in Canada am Lawrence-
Strom. Auch auf den Inseln von Neufundland bis zum Cape Cod her-
unter soll sie häufig sein. Sicher sind sie von Europa importirt, ob
nun zufällig mit Waaren oder absichtlich durch einen Schnecken-
freund, wie die vorhergehende Art, bleibt dahingestellt.
39. Helix (Pentataenia) pomatia L.
Gewöhnliche Grösse des Gehäuses etwa 40 Mm. Länge auf
35 Mm. Breite. Die grössten 50 L. auf 46 Br., die kleinsten
34 L. auf 32 Br.
Ueberall an Waldträufen und Hägern. Ist weitaus die |
grösste und wohl die gemeinste, wenigstens am häufigsten in
die Augen fallende Alb-Schnecke. Sie wandert jährlich zu vielen
Hunderttausenden nach Wien und wie wir neuerdings hörten,
nach Italien, wo sie besonders zur Fastenzeit, aber auch sonst
‘in Menge verzehrt wird. Hier zu Lande isst man sie selten. Arme
Leute sammeln sie am Waldtrauf an Regentagen im Spätsommer,
verkaufen sie zu 3 bis 4 Kreuzer das Hundert an Händler, die
sie auf der Ulmer Alb in Schneckengärten, d. h. in grossen
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Bretterverschlägen mit Kohlblättern mästen, bis sie sich im
Herbst eingedeckelt und so Handelsartikel geworden sind.
Färbung der Schale. Bekanntlich hat H. pomatia 5
braune Binden, ähnlich disponirt und ebenso an bestimmte Stellen
der Schalen gebunden wie A. hortensis und nemoralis, bei denen
- der scharfsichtige ältere v. Martens zuerst auf dieses Farbenge-
setz aufmerksam gemacht hat. Auch gehört ja unsre Art ihrer
Anatomie nach zu den Fünfbänderschnecken, Pentataenia Ad.
Schmidt. Uebrigens sind bei uns Gehäuse mit deutlichen 5 Bän-
dern selten. Am seltensten aber sind die Einfärbigen. Unter
Hunderten, vielleicht tausend Stücken, die wir in die Hand ge-
nommen, begegneten uns nur drei ganz weisse Albinos, (nicht
‚zu verwechseln mit leergefundenen Gehäusen, welche durch die
Atmosphärilien bekanntlich bald alle schneeweiss werden); sodann
Eine einfarbig strohgelb, alle anderen hatten Bänder, wenn auch
sehr häufig nur angedeutet, wie verwaschen. Am constantesten
sind die Bänder 2 und 3 und zwar beide verschmolzen, weiter
kommt vor 1. 2.3. 4. 5.; ferner 1. 2. 3.4. 5.; ferner 1.2.3.
4.5.; ferner 1. 2.3. 4.5.; ferner 1. 2. 3. 4.5., d. halle 5
Bänder deutlich getrennt (bis jetzt nur zweimal gefunden); so-
dann 3. 4. 5. und endlich 3., die übrigen Bänder fehlend.
Im Jahre 1873 nach einem ungewöhnlich nassen Frühjahr
fanden sich auffallend viele Stücke mit dunkelbrauner Grund-
farbe, auf der die Streifen kaum noch zu unterscheiden waren.
Diese Art macht bekanntlich einen äusserst soliden, dicken,
kalkigen Winterdeckel, welche abgeworfene Deckel man ja
häufig unter Hägern und am Waldtrauf findet. Aber auch bei ihr
fanden wir innerhalb dieses äussersten noch einen, bisweilen zwei
häutige, wenig mit Kalk inkrustirte Deckel wie bei HM. fruticum,
einige Linien hinter dem äussersten, dicken, also wieder eine
‚Art Vorfenster. Auffallend ist noch, dass trotz der grossen
Mündungsähnlichkeit bei den verschiedenen Individuen nie der
Winterdeckel zu einem andern Stück passt als gerade zu dem,
von dem er gebildet worden, ein Beweis für die naturgesetzliche,
mit Maassen und Worten aber in der Regel nicht zu definirende
Verschiedenheit der Individuen einer und derselben Art.
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Das Gehäuse dieser Schnecke erscheint in der Regel rauh
und grob durch die vielen, immer etwas unregelmässigen An-
wachsstreifen; hin und wieder trifft man auch eine feine Gitte-
rung durch andere, der Naht parallele, vertiefte Linien.
Wunderbar ist bekanntlich die Fähigkeit der Gehäuseschnecken,
ihre Schale, wenn sie verletzt worden, zu restituiren, aber
bei keiner so auffallend, wie bei der vorliegenden Art. Ein
Exemplar unsrer Sammlung war durch Druck von oben, wahr-
scheinlich einen Fusstritt, zertrümmert, die Spira eingedrückt und
ganz verschoben. Dieselbe hatte ein grosses, 2 Cm. langes
und 1 Cm. breites Loch ganz auszufüllen, war aber ganz ge-
sund und frisch, als wir sie fanden und hatte ihr Gehäuse voll-
ständig geschlossen und wohnlich hergestellt. Wenn wir aus
der Schale einer solchen H. pomatia irgendwo ein Loch aus-
schneiden, ohne die innere Haut, den Mantel zu verletzen, so
sondert dieser sofort auf dem betreffenden Theile Schleim aus,
auch leckt die Schnecke wohl die Stelle, wenn sie sie mit ihrem
Mund erreichen kann. Schon nach anderthalb Tagen nun ist
jener Schleim eine resistente aber noch elastische Haut, nach
einer Woche aber durch eingestreute Kalkconcremente starr und
ziemlich fest geworden. Nie aber kann die Schnecke an solchen
Stellen die äussere Epidermis und die unter ihr liegende Pig-
mentschicht wieder herstellen. Diese Epidermis nämlich sammt
jener Schicht, beide wesentlich aus animalischer, nur sehr wenig
aus kalkiger Masse bestehend, wird bei den Gehäuseschnecken
nur von jenem dicken Kragen am Mantel gebildet, der am
Mündungsrand anliegt, und zwar bildet dieser Mantelkragen, wie
wir besonders bei dem schnellen Wachsthum der Schalen im Früh-
jahr beobachten können, immer nur jenen epidermidalen Theil
des Gehäuses, oft mehrere Linien lang und so dünn, dass man
ihn kaum berühren darf. Erst nachher legt der dünne Mantel,
d. h. jene dünne Membran, die alle Eingeweide sackförmig um-
schliesst, die Kalkschichten von unten an und es ist dieser ganze
dünne Mantel, der bis in die letzten Embryonalwindungen hin-
eingeht, hiezu und demgemäss auch zu Ausbesserungen der ver-
letzten Schale immer befähigt. Daher kommt es auch, dass die
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— 299 —
Schale auch in ihren früheren Windungen mit der Zeit immer
dicker wird. Jene dünne Mantelhaut fungirt überhaupt ganz wie
das dünne Periost (Knochenhaut) bei dem Wirbelthier, welches
bekanntlich auch den verletzten Knochen wieder herzustellen
vermag.
Fortpflanzung und Junge. Einmal haben wir diese
Schnecke beobachtet, wie sie bei starkem Sonnenschein, wie brütend,
fest auf einem an einem Rain in lehmiger Erde gegrabenen Ge-
wölbe säss, an dessen Grunde sie ihre Eier abgelegt hatte. Sie
verschloss mit ihrem Körper eine über Zoll grosse Oefinung im
Dach ihres etwa fingertiefen, feuchten Kellernests. Offenbar
schützte sie dieses gegen die ausirocknende Sonne, vermuthlich
nur, bis sie bei feuchter Nacht es vollends zuwölben konnte.
Ein ander Mal, es war Ende Juli, entdeckten wir durch Zufall
ein ganzes Nest von Jungen wieder in einem kleinen, ge-
wölbeartigen Erdloch, auf einem Luzernefeld. Ohne Zweifel war
es die Höhle, worein die Alte die Eier gelegt hatte. Die Jungen
krochen munter herum und hatten die kleineren 1?/,, die grös-
seren schon 2 Schalenwindungen. Ich vermuthe, dass sie nicht
so lange in ihrem Neste geblieben, sondern schon aus dem Ge-
wölbe herausgekrochen waren und nur bei starkem Sonnenschein
u. s. f. zu jenem ihrem Neste zurückkehren. Es waren im Gan-
zen etwa 40 Stücke; die Schale noch ganz durchsichtig, glänzend,
fast ohne Kalkconcremente, mit deutlichen Anwachsstreifen und
im Verhältnis zum Thier sehr gross. Bei den grösseren betrug
der Längsdurchmesser 9, die Breite 61/, Mm., die ganze Länge
des kriechenden Thiers 9?/, Mm., die Länge der Augententakel
2?/,, die der unteren nur 1 Mm. Das Thierchen ist sehr hübsch
gezeichnet, ganz weiss, fast durchsichtig, die Augenfühler und
ein fast gleich langer Streif rückwärts von ihnen (ihre Scheiden)
schwarzgrau, ebenso die unteren Fühler und ein Fleckchen auf
der Stirn. Von den späteren Schalenbinden sah man erst eine
zarte, bräunliche Contur und zwar den äussern Rand des zwei-
ten Bandes. Dieses scheint also bei H. pomatia, wenigstens
hier zu Lande, das am meisten typische zu sein. Sehr merk-
würdig ist noch eine constant bei allen Exemplaren sich findende
KERRNEIN
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Abirrung von der regelmässigen Spirale in der Hälfte
der zweiten Windung; dort ist nämlich die regelmässig runde
Bauchform der Windung auf eine Strecke von 3—4 Mm. platt
gedrückt, bei den meisten, besonders den grossen, sehr auffallend,
bei einzelnen weniger. Etwas grössere Junge als die beschrie-
benen fanden wir häufig an kalten Spätherbsttagen, wenn es uns
schon ordentlich in die Finger fror, lebhaft herumkriechend,
während die erwachsenen alle schon längst sich eingegraben und
eingedeckelt haben. Dies ist um so auffallender, als die Schalen
jener Jungen noch ausserordentlich dünn sind. Dennoch ist es
uns nicht unwahrscheinlich, dass solche Mitte October gefundene
winzige Thierchen den Winter überdauern können, denn wir haben
solche Schälchen mit einem feinen, weissen Winterdeckelchen ver-
sehen im Grundmoos am Waldrand angetroffen, in denen das
Thierchen ganz gesund war. Auch Kobelt beobachtete einmal A. eri-
cetorum und zwar besonders junge, unausgewachsene Exemplare
bis nach Weihnachten täglich im Freien und fressend, obwohl mehre-
mal vorübergehend Schnee gefallen. Ebenso beobachtete ich mit-
ten im Winter bei starkem Frost junge, halbgewachsene H. ar-
bustorum, munter und ohne Winterdeckel unter einem etwa drei
Zoll dicken Moospolster, ebenda Clausilia parvula, welche so-
fort zu kriechen anfingen.
Diese Art, die jetzt so wesentlich zum Typus unsrer deut-
schen Molluskenfauna gehört, ist doch verhältnissmässig erst neuen
Datums auf unsrer Alb und überhaupt in Deutschland und Europa.
Aus der Diluvialzeit, wo doch schon Menschen auf unsrer Alb
in deren Höhlen lebten, hat man noch kaum Spuren von ihr. Wäre
sie damals schon häufig vorgekommen, so fände man wohl auch
ihre Schalen unter den Rudera der Mahlzeiten jener Ureinwohner,
bei den Bären-, Pferde- und Renthierknochen, die im Lehme
der Jurahöhlen eingebettet liegen.
40. Helix (Xerophia) ericetorum Müll.
14—15 Mm. lang, 12—13 breit.
Auf warmen, trockenen, haldigen Wiesen und an Rainen
der Alb nicht selten.
A
a
Färbung. Grundfarbe immer schmutzig, gelblichweisslich,
meist mit braunen, bei jungen Exemplaren oft sehr frischen,
schönen, bei älteren mehr verwaschenen Binden, deren Anzahl
man etwa auf 4 zurückführen kann, deren erste und zweite am
sichersten auftreten, während die folgenden sich häufig in dünne
Linien oder Punkte auflösen oder ganz verschwinden. Ganz
weisse ohne eine Spur von brauner Färbung nicht selten. Aber
dieses Weiss ist nicht porcellainweiss wie bei A. obvia Hart.,
sondern eher gelblich, schmutzig, kaum glänzend zu nennen.
Der alte Streit, ob diese Art mit der H. obvia Hart. iden-
tisch sei oder nicht, scheint noch nicht ganz beendet. Letztere
soll sich bekanntlich durch den engen Nabel, die bauchige, letzte
Windung und die rein porcellainfarbige Färbung characterisiren.
Clessin ist von der Rechtsbeständigkeit beider Arten überzeugt
und schreibt uns, dass in Bayern bis zur Iller nur A. obvia
vorkomme, FH. ericetorum erst nördlich der Donau bei Ulm und
Thailfingen, auf dem bayrischen Jura aber beide zusammen.
Martens gibt allerdings, mit einigem Bedenken, A. obvia von
Neresheim an (l. c. 189). Ueber das etwaige Vorkommen der
letzteren in Oberschwaben, wo sie nach Clessin’s geographischer
Begrenzung wohl leben könnte, ist uns nichts bekannt. Kobelt
(Nass. Moll. S. 117) behauptet, H. ericetorum habe zwei lange,
gekrümmte Liebespfeile, 7. obvia kurze und gerade. Wenn bei
letzterer keine Variation stattfindet, so wäre freilich der Streit
zwischen den beiden Arten entschieden. Bei unsren H. erice-
torum fanden wir diese Organe allerdings gekrümmt. Der Nabel
bei unsern Albstücken variirt übrigens nicht so sehr, wie dies
anderwärts gefunden worden; er ist immer ziemlich weit und auch
das Gewinde dem entsprechend flach.
41. Helix (Xerophila) costulata Ziegl.
(H. striata Müll.)
61/;,—7T Mm. lang, 6— 61/5, breit.
Färbung des Gehäuses hier zu Lande schmutzigweiss, hie
und da mit bräunlichem Band über der Mitte der Windung ;
selten mit zwei feineren, linienförmigen Binden unterhalb derselben.
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— 302 — REN,
Diese kleine, die trockensten, magersten Waidabhänge liebende
Schnecke war bis jetzt, wie es scheint, für Württemberg nur
auf der Waldhäuser Höhe bei Tübingen und von Martens bei
Böblingen gefunden worden. Sie lebt aber, wie die Maase zeigen, in
einer kleinen Form, da und dort, oben auf der Alb, sowie an deren
Abhängen bis in’s Thal hinunter. Wir fanden sie bei Münsingen,
Sirchingen, Hengen, Hohen-Wittlingen, einzeln auch am Hochberg
bei Urach, der Kunstmühle gegenüber. Von ganz Bayern kannte
sie Clessin wenigstens im Jahre 1873 noch nicht, sondern nur
die glatte, nahe verwandte A. candidula Stud., dagegen schreibt
er uns, dass er sie von Württ. Oberschwaben gesehen. Die
Schalenstructur ist bei unseren etwas gröblich, die Rippen meist
sehr stark.
Bemerkung. Einmal fanden wir im Kropf zweier junger
Tauben (gewöhnlicher Feldflüchter), die noch nicht ausgeflogen,
also von den Alten gefüttert waren, ausser einer Menge Erbsen
12 Schnecken, nämlich 9 A. costulata, 2 H. ericetorum jung
und 1 AH. hispida. Alle diese Schnecken waren von den Tauben
als todte Schalen aufgelesen, nur Eine AH. costulata lebendig mit
dem Thier gefressen worden und dieses Thier lebte noch ganz
munter, obgleich die mitgefressenen Erbsen durch Wärme und
Speichel schon sehr angeschwollen waren. Vermuthlich haben
die Tauben diese Schnecken nur als Steinchen, als Magenballast
zur Reibung verschluckt, wie es von Hühnern, Straussen, Casuaren
wohl bekannt, vielleicht aber auch als Kalknahrung.
42. Helix (Xerophila) candidula Stud.
Grösse unsrer Münsinger Exemplare 6 Mm. lang, 51/, breit.
Diese der vorigen sehr nahe verwandte aber glatte Art
fanden wir bis jetzt auf der Alb nur bei der Fausershöhe bei
Münsingen und zwar zusammen mit H. costulata. Oben auf
der Alb rings um Urach begegnete sie uns noch nicht, son-
dern immer nur die gerippte H. costulata. Dagegen lebt sie
bei Urach am Hochberg auf steiniger Weide, besonders der Kunst-
mühle gegenüber nicht selten, bier zusammen mit H. costulata«
und findet man da auch Exemplare, bei denen man im Zweifel
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— 308 —
sein kann, zu welcher von beiden Arten sie gehören. Sind es
vielleicht Bastarde? Häufig ist sie an günstigen Hängen im
unteren Ermsthal, z. B.e am Sattelbogen bei Dettingen. Im
Württ. Unterland findet man sie bekanntlich überall an günstigen
Orten.
Noch bemerken wir, dass sie schon von Martens Vater in
seiner Reise nach Venedig unter dem Namen H. thymorum v.
Alten von öden Feldern der Alb anführt. Dennoch können wir
wohl im Ganzen sagen, dass H. costulata mehr dem Gebirge,
H. candidula mehr der Niederung angehört.
Die Färbung unserer Münsinger Stücke ist im Ganzen matter
als die derer vom Thal.
43. Buliminus (Zebrina) detritus Müll. (Bul. radiatus Brug.)
21—23 Mm. lang, 7—9 Mm. breit.
Wir fanden sie bis jetzt oben auf der Alb nur auf
unsrer warmen Ruine und auch hier nur auf einigen, den ganzen
Tag der Sonne und Hitze ausgesetzten Stellen. Es ist eine
kleine Colonie von auffallend constanter Individuenzahl, etwa 100
Stück, wie wir uns wiederholt an warmen Frühlingsmorgen, wo
wohl alle heraus waren, überzeugten. Ihre Schale ist immer
weiss, mattglänzend; von braunen Längsstreifen nur-hie und da
Andeutungen. Sie heisst also bei uns mit Grund detritus nicht
radiatus und man denkt wohl mit einigem Recht an jene ebenso
kalkweissen, dabei dickschaligen, gleichfalls der Sonne sehr ex-
ponirten 7. candidissima, desertorum und andere und schliesst
auf physicalische Ursachen bei jener Färbung. Aber daneben
lebt bei uns, ebenso der Sonne und Trockenheit ausgesetzt, A.
ericetorum, welche zwar gleichfalls in Weiss variirt, aber doch
der Mehrzahl nach in der Jugend meist sehr schöne, braune
Streifen hat. Solche äussere Agentien gelten wohl oft für eine
Art, für eine andere daneben nicht, und man muss sich vor dem
Generalisiren hüten.
Auch von dieser Schnecke gehen, wie von AH. hispida,
während jedes Winters eine grosse Menge zu Grunde; ob durch
Frost, weil sie nicht tief genug sich versteckten, oder durch
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— 1804. -
Thiere, die sie ausfressen? Bei Urach, wo sie überall an den j
Rainen, vor Allem an dem sonnigen Breitenstein und Kälber-
burren in zahlloser Menge lebt, heisst sie desshalb bei der
Jugend „Merzenschnecke“, (die Knaben benützen sie als Pfeifen)
weil man im Merz ihre todten Schalen allerorten in Masse
findet.
Dieser grosse Bulimus lebt stets nur auf Rasen, wo er
an Gräsern und Kräutern herumklettert, niemals an Bäumen,
wie die andern.
44. Buliminus (Napaeus) montanus Drap.
Von 13—16 Mm. lang und 6—7 breit. Kobelt gibt ihm
die auffallende Variation bis zu 20 Mm. Länge, die hier entfernt
nie erreicht wird. Sowohl die längere, schmälere (B. elongatus
Rossm.), als die mehr bauchige Form kommen vor, am gewöhn-
lichsten eine mittlere.
Das Thier ist 10 Mm. lang, die Sohle sehr breit, 31/; Mm.
Obere Fühler 2?/,.
Färbung des Thieres obenher schmutzig-gelbbraun, nach
unten und hinten heller. Die Färbung der Schale constant gelb-
bräunlich, recht frische zeigen einen schönen, grünlichen Schein.
Die Epidermis sehr zart, lädirt sich schon während des Lebens
wohl durch das Herabfallen von den Bäumen. Auf etwa 100
Exemplare 1 Albino.
Sehr häufig auf der Alb, überall in schattigen Wäldern,
auch noch in sehr dichten Beständen, wo keine Sonne eindringt,
immer an Baumstämmen.
Eine alte Schnecke aus der Diluvialzeit.
45. Buliminus (Napaeus) obscurus Müll.
Länge der Schale 8—10 Mm., Breite 4 Mm. Das Thier
5—6 Mm. lang. Die oben starkgeknöpften Augenfühler 12/, Mm.,
die unteren ?/, Mm. lang, die Sohle. 11/, Mm. breit.
Färbung des Thiers obenher hellbräunlich,, eigentlich gelb-
weiss, mit kleinen, grauen Pünktchen; der Fuss ebenso, aber
heller. Von den schmutziggelben Fühlern aus gehen graue
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Rückenstreifen nach hinten. Unter etwa 100 Exemplaren begeg-
neten uns 3 Albinos.
Ganz ein Bulimus montanus im Kleinen, wie Kobelt sagt,
aber die Färbung der Schale um einen Grad dunkler, schmutziger.
Nicht gerade selten, doch weit nicht so häufig als B. mon-
tanus, im Nordwald, Schlössleshalde, Neunränke, Wald am Vöt-
telwiesle, an Baumstämmen. Diesen kleinsten, deutschen Buli-
mus fanden wir bis zum Jahre 1873 stets nur einzeln und sel-
ten, im Mai genannten Jahres aber zum erstenmal eine grosse
Anzahl allerdings fast ausschliesslich junger Exemplare an den
nassen Buchenstämmen in den Neun Ränken, alle, wie sie pflegen,
mit ihrem Koth bedeckt, offenbar des Schutzes wegen, um sich
vor Feinden unkenntlich zu machen, was ihnen auch zweifelsohne
gelingt. In den Jahren 1874 und 75 sind sie wieder seltener
geworden. Unter Steinen, wie Dr. Kobelt (Nachr.-Bl. Mal. Ges.
III, 4) haben wir diesen BDulimus nie lebendig und thätig ge-
funden, sondern Alte und Junge immer nur an Bäumen. Ueber-
_ haupt sehen wir aus den Angaben anderer Autoren über derlei
Specialitäten des Vorkommens, dass die Mollusken hierin in ver-
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schiedenen Gegenden sehr verschiedenen Neigungen folgen können,
d.h. wohl sich an die speciellen Localitäten anpassen. So findet man
z. B. in unsrem Schwäb. Unterland oft Clausilien unter Steinen, die
hier nur an Bäumen leben. Freilich nicht alle Arten haben diese
Accomodationsfähigkeit und solcher Eigensinn setzt dann ihrer Ver-
breitung natürlich schroffe Grenzen.
NB. Buliminus (Chondrula) tridens Müll. von Breiten-
bach bei Mergentheim, von Fuchs bei Ehingen wurde früher
schon, von Kieser und neuerdings auch von Dr. Bauer in einigen
Exemplaren bei Tübingen gefunden, scheint überall selten und
findet sich auf unsrem Albtheil nicht.
46. Cionella (Zua) lubrica Müll.
41/,—51/, Mm. lang, 2—21/, breit.
Im Grundmoos unsrer Nordwiesen, besonders auf der nassen
Raissenwiese und Vöttelwiese, an den feuchten, moosigen Nord-
rändern der Wälder und Häger. Im Frühjahr und Herbst unter
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Schneckenfallen, d. h. ausgelegten Brettstücken, einzeln jmmer
zu bekommen. Im Ganzen kann man aber diese Art auf der Alb
nicht häufig nennen.
Die kleine, nur 4 Mm. lange Cionella lubricella Zieg].,
die für die Bergländer characteristisch sein soll und die ich
durch die Güte des Herrn Clessin aus der Umgegend von Blau-
beuren erhielt, ist sicher nicht als Art, kaum als Varietät zu
trennen. Wir haben eine Anzahl erwachsener von 4/, Mm.
Länge und von diesen alle Uebergänge bis zu 6 Mm. in unsrer
Sammlung.
Dieselbe Art trafen wir auch in den Neu-England-Staaten
inNord-Amerika, wo sie auch in Canada bis zum Redriver
hinauf gefunden worden. Es ist entschieden eine circumpolare
Art, dem nördlichen Europa, Asien und Amerika gemeinsam,
wie sie denn auch schon in der Eiszeit in Deutschland ge-
lebt hat.
46a. Cionella lubrica, var. Pfeifferi, n.
(Taf. IV. Fig. 4.)
Als wir einmal im Frühjahr 1874 behufs einer nochmaligen
Revision der schwierigen, kleinen Ayalina-Arten auf’s Neue das
Grundmoos einer nördlich sich abdachenden, an eine kleine
Tannencultur grenzenden Wiese ganz in der Nähe unsres Hauses
durchmusterten, thaten wir dabei einen höchst merkwürdigen
Fund. Es war eine für Deutschland riesige Cionella, volle
10 Mm. lang, also fast noch einmal so gross als die gewöhn-
liche ©. lubrica, von dieser aber ausser der Grösse, besonders
durch das Verhältniss der Länge der Mündung zur Länge der
ganzen Schale durchaus verschieden. Wir haben Taf. IV. Fig. 3
die gewöhnliche ©. lubrica, Fig. 4 diese merkwürdige neue Form
beide in gleicher (dreimaliger) Vergrösserung, neben einander
abgebildet.
Die Schale dieser grossen, vollkommen gesund und
normal ausgebildeten ©. hat 7 Windungen (C. Tubrica 6);
sie ist 10 Mm. lang und ihre grösste Breite bei der letzten
Windung beträgt 3 Mm., während bei C. Tubrica diese Zahlen
— 307. —
4
5 und 2 sind, daher erstere verhältnissmässig viel schlanker und
. gestreckter und im Ganzen eher cylindrisch erscheint, um so mehr
als die Windungen nur ganz allmählig nach hinten sich verjüngen
und die letzte ziemlich stumpf endet. Im Ganzen erinnert mich
ihr Gesammthabitus ausserordentlich an die bekannte Form der
_Westindischen Stenogyra octona L., freilich nur der Form nach,
denn Glanz und Färbung der Schale ist nicht weiss wie bei Sf.
octona, sondern ganz wie bei unserer ©. Tlubrica.
Am auffallendsten aber wird unsre C. characterisirt durch
das bei dieser Gattung überhaupt so wichtige Verhältniss der
Länge der Mündung zur Länge der ganzen Schale. Bei einer
C. lubrica von 5 Mm. Länge, misst die Mündung 2 Mm., also
fast die Hälfte, bei unsrer 10 Mm. langen (. aber be-
trägt die Mündung 3 Mm., also noch nicht den drit-
ten Theil der Schalenlänge. Die Breite der Mündung ist
1°/, Mm., der Mundsaum ist scharf, hat keine Spur der bei C.
e- lubrica so deutlichen Verdickung. Ob dies specifischer Charac-
I
%
ter oder ob die Schale noch nicht ausgewachsen, wagen wir
nicht zu entscheiden. Die Columella ist deutlich aber wenig ab-
gestutzt. Die Mündung oval, oben und unten ein wenig zuge-
spitzt. Keine Spur von Nabel.
Die Farbe der Schale ist ganz wie bei O. lubrica, glänzend
goldbraun durchscheinend.. Die Windungen sind etwas weniger
convex, die Nähte ungefähr in derselben Art vertieft wie bei
©. lubrica.
Glücklicher Weise fauden wir dieses seltene Stück lebend
und erhielten es bis zum Herbst lebendig.
Das Thier ist 7 Mm., die oberen Fühler 1?/,, die unteren
“a Mm. lang, der Kopf 1 Mm. breit. Der spitzige Fuss reicht,
.-
wenn das Thier kriecht, rückwärts bis unter die drittletzte Win-
dung. Das Thier trägt seine im Verhältniss zu dem kleinen Kör-
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- dunkler, die Fusssohle auffallend dunkel schwarzblau.
per grosse Schale sehr gewandt, in der Regel gerade nach hinten
E in einem halben rechten Winkel zur Körperachse.
Die Farbe des Thiers ist blauschwarz, am dunkelsten der
Kopf und die Fühler, der Fuss grünlichgrau, am Rande hin etwas
20*
— 308 —
In der mir hier zugänglichen Literatur finde ich eine solche |
C. nicht beschrieben. Die von Hrn. Dr. Kobelt in seiner
schönen Nassauischen Molluskenfauna S. 135 aufgeführte varie-
tas major von C. lubrica kann es nicht sein, denn eine auf’s
Doppelte vergrösserte C. lubrica würde eine total verschiedene
Form abgeben, die Breite ihrer letzten Windung und die Länge
ihrer Mündung müssten viel bedeutender sein als bei unsrem
vorliegenden Stück. Zudem gibt Kobelt die grösste Höhe, d. h.
Länge der Schale nur zu 61/, Mm. an; während unsre 10 misst.
Moquin Tandon beschreibt von Frankreich auch eine varietas
grandis, 1. c. ILS. 304 und gibt dieser als höchstes Maas 7 Mm,,
sagt aber kein Wort von einem anderen Verhältniss der Mündung
zur Länge der Schale. In Sowerby’s Illustrated index of
British shells, Pl. XXIV, 22 ist die Grösse der ©. lubrica nur
zu 5i/, Mm. gemessen.
Leider haben wir trotz eifrigen Suchens kein zweites Exem-
plar dieser merkwürdigen Cionella finden können und die Frage, wo-
hin gehört dieses Individuum, ist es eine neue Art oder nur
eine riesige Varietät der C. lubrica, hat uns viel zu schaffen
gemacht.
Wenn das vorliegende Unicum wirklich keine neue Art be-
gründet, was ist es dann? Etwa eine zu doppelter Länge ent-
wickelte Cionella lubrica, d. h. eine solche, welche unter beson-
ders günstigen Umständen eine weitere, überzählige Windung
gebildet hätte und zwar ohne diese letzte Windung entsprechend
dem sonstigen, sehr festen Schalengesetz von C. lubrica zu ver-
grössern? Denn nach diesem Gesetz müsste bei unsrer Schale
diese letzte Windung und- damit auch die Mündung unsrer vor- }
liegenden Schnecke statt 3 vielmehr 5 Mm. lang sein.
Unsre Erfahrung spricht eigentlich gegen diese Annahme.
Wenigstens ist uns bei Landschnecken, auf «ie wir seit 20 Jahren
in Europa und Amerika stets besonderes Augenmerk gehabt und
von denen wir eine ziemlich reichhaltige, über die ganze Erde
sich erstreckende Sammlung (in mindestens 10,000 Exemplaren)
besitzen, kein ähnlicher Fall vorgekommen. Hätten wir es mit
einer grösseren Schneckenart zu thun, so spränge die Sache noch
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mehr in die Augen. Man denke sich z. B. nur einen Bulimus
detritus, der sonst im Schalengesetz, (Proportion der Windungen
zu einander und zur Mündung) unsrer C. lubrica sehr nahe steht,
zu doppelter Länge entwickelt! Hätten wir Uebergangs-
formen, so wäre ja Alles klar, aber wir fanden bis jetzt keine
Spur einer solchen. Dennoch halten wir, bis etwa weitere Exem-
plare gefunden werden, die obige Deutung unsres Unicums bis
jetzt für die wahrscheinlichste. Auch Dr. Kobelt und Dr. von
Martens, die freilich nicht das Exemplar selbst gesehen, (da ich
es natürlich nicht gerne dem Risico eines Transports anvertraue),
aber meine obige Beschreibung und eine Abbildung, die ich da-
von machte, kennen, neigen sich zu dieser Erklärung und Ersterer
bemerkt, dass zwar nicht bei Landschnecken,, wohl aber bei
‘ Wasserschnecken ähnliche, riesige Formen vorkommen. Dies ist:
gewiss ganz richtig. In jeder grösseren Sammlung befinden sich
z. B. riesige Limnaeus stagnalis, Planorbis marginatus u. 8. f.,
aber doch wohl nie von der fast doppelten Grösse der ge-
wöhnlichen Form. Ausserdem ist wohl zu bemerken, dass bei
den Süsswasserschnecken und ganz besonders bei den hier wegen
ihrer bedeutenden Grössenvariation in Betracht kommenden Lim-
näen offenbar das Windungs- und Schalengesetz überhaupt ein
viel vageres ist, so dass sie fast, wie -uns Dr. Kobelt schreibt,
„keine bestimmte Wachsthumsgrenze haben.* Aber jedenfalls
findet man dann wohl ausnahmslos die Uebergangsformen.
Unser Fall aber betrifft eine Landschnecke, bei denen
die Variationsgrenzen bekanntlich meist nicht sehr weit sind, und
zudem fehlen die Mittelstufen zwischen der gewöhnlichen
und unsrer riesigen Form bis jetzt ganz. Sollten nicht, was
immer möglich wäre, noch Uebergangsformen aufgefunden werden,
so haben wir es bei unsrer Cionella entweder mit einer neuen,
äusserst seltenen Art oder mit dem sehr merkwürdigen Fall
zu thun, dass eine sonst an bestimmte Wachsthums-
grenzen gebundene Thierart in vollkommen gesun-
- der Weise, in einzelnen Individuen, ohne Uebergangs-
formen zu einer solchen andern Form sich entwickelt,
- welche, hätte man sie statt zusammen mit der Stammform etwa
in einer andern geologischen Erdschichte, oder auch nur in einem
anderen geographischen Complex der Jetztzeit gefunden, unbe-
dingten Anspruch auf eine neue, von der Mutterspecies
total verschiedene Art machen müsste. Es könnten also
auch ohne Uebergänge, gleichsam durch einen Sprung
sehr abweichende Varietäten, ja neue Arten entstehen. Dies
könnte uns, si parva licet componere magnis, einen Wink geben,
wie es möglich ist, dass wir in unmittelbar aufeinanderfolgenden
Erdschichten oft nahe verwandte Arten finden, die, ohne dass
wir irgend Uebergangsformen auffinden können, doch offenbar in
genetischem Zusammenhang mit einander stehen. Der Satz,
natura non facit saltum, der durch den im Uebrigen von uns
hoch verehrten Darwin einen so grossartigen Argumentator ge-
funden, wird sicher überhaupt bei der Entstehung der Thier-
arten sich vielfache Modificationen gefallen lassen müssen, mit
anderen Worten, ein allmähliger war der Uebergang von
einer Art zur andern nicht immer. So viel steht für uns
schon lange fest.
- Doch zurück zu unsrer Cionella. Der einzige Fachgenosse,
dem wir bis jetzt das seltsame Wesen zeigen konnten, Dr. O.
Böttger von Frankfurt a. M., der sich bekanntlich mit tertiären
Landmollusken schon lange eingehend und mit grossem Erfolg
beschäftigt hat, erklärte es unbedingt für einer neuen Art an-
gehörig.
Um nun schliesslich die Sache nicht dem allmähligen Ver-
gessen zu überliefern, fühlen wir die Verpflichtung, sie, obgleich
die Frage, ob Art oder Varietät oder was sonst, wohl noch nicht
“ ganz spruchreif erscheinen könnte, in der systematischen Zoolo-
gie zu markiren und bis auf Weiteres als Varietät unsrer (%o-
nella lubrica einzuführen, obgleich es jedenfalls nicht eine Varie-
tät im gewöhnlichen Sinne des Wortes ist. Wir möchten die-
selbe zu Ehren unsres Altmeisters der Kunde von den Binnen-
Mollusken der Erde, des Herrn Dr. Ludwig Pfeiffer in Cassel
Varietas Pfeifferi nennen.
Noch fügen wir eine lateinische Diagnose dieser Cionella bei:
« u ade Km ae SE Fr Zu
le r \‘ : “
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RT ee
Cionella lubrica var. Pfeifferi, n.
Testa dextrorsa, imperforata, oblongo-acuminata, subeylindrica,
laevis, nitida, pellucida, fulvo-cornea, anfractus septem, convexius-
euli, ultimus rotundatus; apertura ovalis, supra et infra paullu-
. lJum acuminata, tertiam longitudinis partem vix aequans. Colu- ı
mella vix truncata, peristoma rectum, acutum, nullo modo incras-
satum.
| Alt. 10, Lat. 3 Millim.
> Hab.: Rarissime (huc usque semel tantum viva) in monti-
| bus, quos dieunt „Albem Suevicam“ prope Hohen -Wittlingen
reperta.
Wir haben die Sache für wichtig genug gehalten, um die
:- obige Beschreibung, die wir theilweise schon im Nachr.-Bl. der
Deutsch. Malac. Ges. VI S. 34 gegeben, für unsre Württ. Con-
chyliologen, die vielleicht jenes Blatt nicht halten, und von denen
wir so gerne weitere Beiträge zur Eruirung obiger Frage er-
halten würden, zu wiederholen, auch eine neue und bessere Ab-
bildung beizufügen.
47T. Cionella (Acicula) acicula Müll.
Länge der grössten Exemplare 5?/, Mm., Breite 11/,. Da
die vollkommene Schalenausbildung durch kein Merkmal an der
Mündung angezeigt ist, hat das Messen kleinerer Stücke bei
dieser Art keinen Werth.
Diese winzige, weitverbreitete Art lebt bekanntlich, wie
neuere Untersuchungen ergeben, in der Erde. Wir finden ihre
feinen Gehäuschen unter den mageren Grasbüschen der Sesleria
caerulea in den trockenen Mauerfugen unsrer Ruine, andererseits,
besonders im Frühjahr, in den über Winter aufgeworfenen Maul-
wurfhaufen unsrer Wiesen, wo sie der Regen abwascht und dem
Auge blosslegt. Lebend habe ich sie nur einmal Ende Septem-
ber gefunden. Bei den lebenden ist die Schale glashell, durch-
sichtig; todte Gehäuse erscheinen mattweiss. Gute Gehäuse sind
immerhin selten, wenigstens hier zu Lande.
Wurde auch in Florida und in New-Yersey, Nord-Amerika,
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gefunden, wie die Amerikanischen Malacologen vermuthen, mit
Pflanzen eingeschleppt. (?)
48. Pupa (Torquila) secale Drap.
Schale 6—8 Mm. lang, 2—3 Mm. breit.
Das Thier 4?/, Mm, lang, die Sohle 1 Mm. breit. Der
Schwanz sehr spitz. Obere Fühler 1 Mm. lang, die unteren sehr
kurz, nur wie ein Knötchen, haben schwarze Punkte am Ende.
Färbung des Thiers oben schmutziggrau. Kopf und Fühler
schwarzgrau, Suhle grau.
Farbe der Schale, wenn vollkommen erhalten, graubräunlich ;
die grosse Mehrzahl aber erscheint schon im lebenden Zustand
im Ganzen grau, indem die Epidermis wohl durch das häufige
Herabfallen von den Bäumen vielfach abgerieben wird. So hat
sie dann so ziemlich die Farbe und geniesst den Schutz der
Buchenrinde.
Diese Pupa, welche nach andern Malacologen (S. Martens
Heliceen II. S. 288) nie an Bäumen vorkommen soll, sondern
nur an Felsen, kommt hier fast ausschliesslich nur an Baum-
stämmen im Walde vor und zwar in ziemlicher Anzahl, doch
nie gesellig, selten oder fast nie an Felsen. In unseren Neun
Ränken, einem warmen, nicht sehr dicht bestandenen Hochwald,
findet man sie, besonders an nasskalten Herbsttagen, an dicken
Buchenstämmen immer, weniger im Sommer.
Von der verwandten P. avenacea ist sie an der mehr ceylindri-
schen Form der Schale, der bedeutenderen Grösse, der hellgelb-
lichbraunen (nie dunkelbraunen) Färbung fast immer sofort zu
unterscheiden, vor Allem aber an der stärker entwickelten Zahn-
bildung, welche bei dieser Art überdies fast bis an den Schalen-
rand heraustritt, bei P. avenacea nach innen versinkt und viel
zarter ist. Auch zählen wir bei ihr 8 bis 9 Windungen, bei
P. avenacea nur 7. Doch stehen beide einander immerhin nahe,
auch im Typus des Zahnbaues und wenn man Massen sammelt,
so gibt es sicher einzelne zweifelhafte Stücke, die mit dem Ge-
sammthabitus und den 8 Windungen von P. secale eine schwächere
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'Bezahnung, eine mehr conische Form und sogar eine dunklere
Färbung, also lauter Merkmale von P. avenacea verbinden, so dass
man vielleicht an Bastarde denken könnte, obgleich man, wie
schon gesagt, nur ausnahmsweise P. secale an einem Felsen
und P. avenacea an einem Baume findet, also die beiden Arten
fast nie zusammen leben.
Kommt schon im Löss vor.
49. Pupa (Torguila) avenacea Brug.
Schale 6—7 Mm. lang, 2—2?/, breit.
Thier 4 Mm. lang, obere Fühler 1 Mm., die unteren eben
noch sichtbar, aber nicht zu messen. 3
Das rabenschwarz gefärbte, glänzende Thierchen ist sehr
munter und trägt seine grosse Schale sehr gewandt, ja vermag
sogar, wenn zufällig ein anderes Individuum sich daraufgesetzt,
seine Schale sammt dem andern hin und her zu schleudern.
Dies ist weitaus unsre häufigste Pupa. Sie lebt nur an
Felsen, aber an günstig gelegenen, mit Spalten und schützenden
Auswölbungen versehenen sucht man sie selten vergebens. Sie
ist gesellig und oft in grosser Anzahl beisammen, wie ihre
Wohnungsgenossin Helix rupestris.*) Die glänzendbraune Fär-
bung ihrer Schale lässt sie scharf vom Felsen abstechen und
wenn man sie nur von der Sammlung kennen würde, müsste man
sie wohl eher für eine Erd- als für eine Felsen-Pupa erklären,
welches letztere sie doch recht eigentlich ist. Doch machen
sich die jungen P. avenacea, hie und da auch die alten durch
einen graulichen Schmutzüberzug (wohl ihren eigenen Koth), also
ähnlich wie der junge Bulimus obscurus und auch die junge
Helix rupestris, am Felsen ziemlich unkenntlich und verbessern
so künstlich, was ihnen die natürliche Färbung versagt hat.
Diese selbe Schnecke lebt nach Graf Seckendorf auch auf
sandigem Boden unter Moos und Laub bei Bönnigheim, Mergent-
*) Vermuthlich auch Nahrungsgenossin. Beide leben wohl von
den Felsenflechten, unter denen Verrucaria Schraderi und Ur-
ceolaria calcarea die häufigsten.
Ve ar AR
heim u.s. f.; ein sehr auffallendes Vorkommen! Hier zu Lande
fanden wir sie nie am Boden. Auch Moquin Tandon (Il. c. 8. 355)
kennt sie nur von Felsen und Mauern. Ihre Nahrung sogar, am
Boden, müsste eine andere sein. Freilich fanden wir selbst auch
Helix rupestris, einzeln auf Wiesen. Ueber ihr Verhältniss zu
P. secale siehe oben bei dieser!
NB. Pupa frumentum Drap., die schon nach Graf
Seckendorf an Albfelsen besonders häufig, nach Freund Martens
an den Kalkfelsen der Alb Begleiterin der P. avena sein soll,
haben wir unbegreiflicher Weise bis jetzt nirgends auf der Alb
um Urach herum gefunden. Ein Missverständniss unsrerseits ist
nicht wohl anzunehmen, denn wir haben die ächte P. frumentum
von verschiedenen Theilen Deutschlands in unsrer Sammlung.
Diese Pupa scheint überhaupt mehr eine Bodenschnecke zu sein,
die „im Gras und an Grazwurzeln“ lebt (Kobelt). Doch mag
es immerhin sein, dass sie in anderen Theilen der Alb vor-
kommt.
50. Pupa (Pupila) muscorum L.
3 Mm, lang, 1?/, Mm. breit.
Diese und alle nun folgenden, kleineren Pupen, zu denen
Pupa muscorum den Uebergang bildet, sind Erdschnecken, die
nie an Bäumen oder Felsen hinaufkriechen, sondern unten an
den Pflanzen meist unmittelbar über der Wurzel oder im Moos
sich aufhalten.
Unsre Art lebt im Grundmoos trockener Wiesen zusammen
mit Helix costata, H. pygmaea, Succinea oblonga. Auch unter
den Sesleria-Büschen unsrer Ruine nicht selten. In ungezählter
Menge fanden wir sie einmal zusammen mit der kleinen Helix costata
unter dem lockeren Rasen von Federnelken, die eine Vogelhütte
neben unsrem Hause bedeckten. Dieselbe Art, aber etwas schlanker
und kleiner, findet sich auch im schattigen Wald an Moosbe-
deckten Felsen in dem Mulm. Sie gehört also nicht zu den
ächten Felsenschnecken, die aussen am Felsen selbst leben. Auf
unsern Nordwiesen und überhaupt auf feuchteren Wiesen findet sie
sich nicht.
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Die Varietät mit tieferer Naht, welche Held als Pupa aecri-
dula abirennte und die nach Clessin auf dem Bayrischen Jura vor-
kommen soll, haben wir hier zu Lande nicht gefunden.
Albinos dieser Art kommen hin und wieder vor.
Lebt auch in Maine, Nord-Amerika, sowie am Lawrence-
Strom, Canada und andererseits wieder in Sibirien, und ist wohl
eine circumpolare Species.
51. Pupa (Pupiüla) minutissima Hartm.
Nicht ganz 1?/, Mm. lang und !/, Mm. breit.
Diese winzige, cylindrische, gelbliche, feingestreifte Pupa
fanden wir im Moosmulm der Felsen unter der Schillerhöhle im
schattigen Nordwald, aber immer selten. Auch unter den mageren
Grasbüschen der sonnigen Ruine. Im Thal bei Urach fanden
wir sie an der Mauer unten an der Strasse, unter der Bier-
brauerei zum Berg unter trockenem Moos. Sie scheint überall
ziemlich selten zu sein, wenn auch weit verbreitet.
52. Pupa (Pupila) edentula Drap.
(Taf. IV. Fig. 5.)
21/, Mm. lang, 1?/, Mm. breit.
Unter diesem Namen führen wir eine Pupa auf und zu-
gleich neu in die Württ. Fauna ein, die wir selbst nur in weni-
gen Exemplaren, ohne Thier, aber zum Theil sehr gut erhalten,
hinter unsrer Ruine unter abgefallenem Laub, unter grossen Buchen
fanden und zwar stets im Herbst.
Die Schale, deren Dimensionen wir oben gegeben, hat einen
deutlichen Nabel und constant 5, durch eine ziemlich tiefe Naht
getrennte Umgänge. Sie ist gelblich, schön glänzend, fein aber
nicht ganz regelmässig gestreift. Die Mündung ist halboval, der
Saum einfach, scharf, ohne Verdickung. Es findet sich keine
Spur von Zahn.
Zur eigentlichen Pupa edentula Drap., die nur 4 Windun-
gen hat, auch dicker zu sein scheint und die Manche nur für
eine Jugendform einer andern Pupa halten wollen, stimmen unsre
_ Stücke allerdings nicht ganz, wohl aber trefflich zu der Be-
schreibung, die Kobelt in seinen Nassauischen Mollusken von
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P. edentula S. 143 gibt und besonders auch zu seiner Abbildung
Tafel II, 18.
Auch Kobelt fand diese P. nie lebend, erwähnt jedoch, dass
sie Servain ziemlich selten an Baumwurzeln bei der Burg Nassau
getroffen habe. Er selbst fand sie nicht selten unter abgefallenem
Laub, unter einzeln im Nadelholz stehenden Eichenbüschen, gleich-
falls immer nur im Herbst.
Graf Seckendorf führt in seinem Verzeichniss der Württ.
Moll. (l. ec. S. 30) als Zusatz zu P. muscorum eine nameniose
Pupa vom Neckarschlick bei Cannstatt an, bei deren Beschreibung
man wohl an unsre Art denken könnte und die er selbst mit
P. edentula Drap. und auch mit der fossilen P. columella Benz
vergleicht. Sie sei gleichförmig cylindrisch mit Ausnahme des
letzten Umgangs, der eine stumpfe Spitze bilde. Die Mundöfl-
nung rund, mit einem deutlichen, weissen, callosen Ring, bei
den meisten ein Zahn an der Mündungswand zwischen dem äusseren
und dem Spindelrand. Vermuthlich sind in dieser Beschreibung
. mehrere kleine Pupenarten zusammengeworfen, und wir ver-
muthen unsre P. edentula auch darunter.
Clessin hat in den Mal. Blättern (XV S. 50 u. d.f.) eine
hübsche Abhandlung über P. inornata Mich., P. columella Benz
und P. edentula Drap. geliefert. Er erklärt P. edentula für die
Jugendform von P.inornata Mich., welche er so beschreibt:
7 Umgänge, der letzte beträchtlich höher und weiter als die
vorhergehenden, die Naht ziemlich vertieft, Schale fein gestreift,
fast glatt, glänzend gelbbräunlich, eng genabelt. Mündung halb
eiförmig, zahnlos, Mundsaum scharf. Dieser Schnecke gibt er
eine grosse Verbreitung, Schweden, Belgien, Nord- und Süddeutsch-
land. FP. columella sei verschieden und nur eine fossile Form.
Moquin Tandon 1. c. II. S. 401 u.d.f. führt P. inornata
als Varietät von P. columella Benz auf, kennt auch das Thier
nicht und erhielt letztere vom Schlick der Garonne bei Toulouse, jene f E
Varietät vom Rhone. Sodann beschreibt er aber noch eine PR
edentula mit 5 bis 6 Umgängen, 2 bis 3 Mm. lang, 1 bis 11/,
breit, vom Dep. du Nord, les Landes und von den Vogesen bis E
1250 M. Höhe. Dies könnte wohl unsre und Kobelts Pupa
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sein. Er bildet die P. columella und inornata ganz cylindrisch,
_P. edentula dicker und mehr conisch ab.
Die Sache bedarf wohl noch weiterer Aufklärung und wir
waren daher etwas ausführlich über diese interessante Pupa,
um unsre Württ. Conchyliologen zu veranlassen, ihr weiter nach-
zuspüren. Es scheint aller Orten eine sehr seltene, versteckt
am oder im Boden lebende, vielleicht im Aussterben be-
griffene Art zu sein. Wir geben (Taf. IV. Fig. 5) eine ver-
grösserte Abbildung von einem unsrer Stücke und wären für
Zusendung ähnlicher Pupen, besonders vom Neckarschlick bei Cann-
statt sehr dankbar.
53. Pupa (Vertigo) antivertigo Drap.
(V. septemdentata Fer.)
2 Mm. lang, 1?/, Mm. breit.
Diese hübsche, eiförmige, braunglänzende, kleine Pupa findet
sich gar nicht selten im Grundmoos unsrer feuchten Nordwiesen.
Es ist dies die kleinere Varjetät der Art, mit weit weniger aus-
gebauchter, zweitletzter Windung und hellerer, gelbbräunlicher
Schale. Die grössere, dunklere, bauchige, dicke Varietät fanden
wir in sehr ‚schönen Stücken an dem obgenannten Wiesengraben
mit Erdfall bei Hengen. Auch haben die letzteren einen scharfen
Winkel an der Mündungswand, der bei jenen von den Nordwiesen
kaum angedeutet ist.
54. Pupa (Vertigo) pygmaea Drap.
Nicht ganz 2 Mm. lang, kaum 1 Mm. breit.
Heller, schlanker und im Verhältniss länger als die vorige,
was in den Maasen viel weniger hervortritt als für unser Auge,
denn auch der Millimeter ist für diese kleinen Wesen
zu grob.
Diese Zwergwindelschnecke fanden wir bis jetzt nur im
Mulm unter todtem Laub, besonders in der Nähe von Felsen und
im Mulm der letzteren und ist sie hier nicht selten, zumal als
leeres Gehäuse immer zu finden. Kobelt gibt sie auch von
Wiesen an.
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55. Pupa (Vertigo) pusilla Müll.
Voll 2 Mm. lang und 1 Mm. breit.
Ist immer links gewunden und daran sofort von allen unsren
andern kleinen Pupen zu erkennen. Ich zählte bei den unsrigen
7 Zähne im Schlund, Kobelt gibt ihr nur 6. Wir fanden sie
nur im Wald, im Felsmulm und unten am Fusse der Felsen;
immer selten.
NB. Die noch kleinere, Nässe liebende, auch durch eine
ganz andere Bezahnung ausgezeichnete Pupa Venetzii Charp.
haben wir auf der Alb noch nicht gefunden.
56. Pupa (Sphyradium) doliolum Brug.
Länge 5 Mm., Breite 21/,.
Diese reizende, grauweisslich durchscheinende, deutlich ge-
. rippte, auch schon durch ihre Grösse recht ansehnliche Pupa
gibt schon Graf Seckendorf (l. c. S. 31) von Albfelsen bei Urach,
allerdings als „äusserst selten* an. Calwer fand sie auch bei
Zwiefalten. Auch wir haben im Ganzen nur 12 Exemplare von
unsrer Ruine zusammen gebracht, und die Localität auf der
Ruine ist eine so begrenzte, dass ich fürchten muss, die Art
könnte ausgerottet werden, wenn ich sie näher bezeichne. Uebri-
gens haben wir nicht eine einzige lebend gefunden. Im Südost-
Europa muss dieselbe, nach den Preisen der Tauschcataloge zu
schliessen, ziemlich häufig sein.
NB. Pupa dolium Mich., die übrigens mit P. muscorum
verwandter ist als mit P. dokolum, führt Graf Seckendorf von
der südwestlichen Alb, von Tuttlingen und Fridingen an, „von Alb-
felsen“; Gmelin fand sie bei Niedernau, also auf Muschelkalk,
Bauer bei Ludwigsburg. Auf unsrem Albtheil ist sie uns nirgends
begegnet. Kobelt in seinem Catalog von 1871 S. 31 gibt ihr
merkwürdiger Weise nur die Ostalpen als Vaterland.
57. Balea fragilis Drap.
Die Länge unseres, übrigens offenbar noch nicht ganz voll-
endeten Exemplars misst nur 7 Mm., die Breite 2?/,. Ich zähle
an ihr soweit 8 Windungen.
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Diese eigenthümliche, besonders durch den Mangel des Clau-
siliums von andern Clausilien ausgezeichnete Schnecke gehört auch
zu den früher auf der Alb noch nicht nachgewiesenen. Wir selbst
haben bis jetzt von ihr nur ein einziges, aber zweifelloses, gut
erhaltenes Stück von einem Felsen im Nordwäld nahe unsrer
Ruine gefunden. Ihr Vorkommen in Deutschland scheint über-
haupt ein ganz sporadisches, auch mag sie, da „die Fundorte
immer eng begrenzt, leicht übersehen werden“. (Kobelt.) Ge-
wöhnlich hält sie sich an bemoosten Mauern auf. In Württem-
berg ist sie sehr selten. Früher nur von Gundelsheim auf Muschel-
kalk bekannt durch C. Koch, wurde sie um 1865 von W.
Gmelin auch auf der Solitude bei Stuttgart entdeckt, so dass
wir also jetzt, mit unserem, drei Fundorte für Württemberg
haben.- Uebrigens vermuthet Freund Martens gewiss mit Recht,
dass sie auch noch in unserem Schwarzwald zu finden sein möchte,
da sie im Badischen Schwarzwald vorkommt, überhaupt „haupt-
sächlich im Urgebirge, z. B. Canton Wallis und Norwegen lebe.“
Sie soll lebendige Junge gebären.
58. Clausilia (Marpessa) Jaminata Mont.
(O8. bidens Drap.)
Schale 14—15 Mm. lang, 4 Mm. breit. |
Thier 6 Mm. lang bei 13 Schalenlänge. Obere Fühler
2 Mm.
Farbe des Thiers hellgelbröthlich.
Erwachsene Exemplare mit schöner, glänzender, glatter
Epidermis trifft man fast nur im Herbst, und Kobelt vermuthet
wohl richtig, dass die Epidermis während des Winters, wenn
das Thier nicht tief genug sich versteckt, durch den Frost leidet,
für den übrigens diese Art sonst offenbar ziemlich unempfindlich
ist; denn wir fanden sie an sehr kalten Herbsttagen noch in
Begattung und an schneelosen Wintertagen unter dem todten
Laub munter.
Albinos sind von dieser Art nicht selten, wenigstens haben
| wir im Laufe der Jahre gegen ein Dutzend zusammengebracht,
fast alle vom Nordwald nach dem Vaitel hinunter.
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Dies ist eine unsrer häufigsten Clausilien. Man trifft sie
vom ersten Frühling bis zu den nasskältesten Herbsttagen über-
all in nicht zu dicht bestandenem Hochwald, sowohl an den Baum-
stämmen als unter Laub am Boden, auch unter Hägern. In
unsrem Unterland scheint sie seltener.
59. Clausilia (Marpessa) orthostoma Menke.
(Clausilia taeniata Ziegl.)
Länge 14, Breite 3 Mm.., Kleinere nur 13 auf 2°/,. Diese
Art ist im ganzen Habitus eine CT. laminata im Kleinen. Sie
lebt im feuchten Moos unten an Buchen und andern dicken
Baumstämmen, im schattigsten Wald. Nirgends häufig, doch an
gewissen, sehr begrenzten Localitäten, z. B. an einigen alten,
bemoosten Buchen hinter unsrer Ruine, besonders bei trübem
Wetter nach Sonnenuntergang fast immer anzutreffen. Auch
im Nordwald nach dem Vaitel hinunter, unterhalb der grossen,
steilen Felsen.
Graf Seckendorf kennt sie 1847 nur von Altshausen im
Oberland; dann wurde sie von Fuchs bei Ehingen, von Lörcher
bei Heilbronn, später von E. v. Martens bei Bebenhausen und
von demselben auch auf der Alb bei Rietheim unweit Münsingen
nachgewiesen. Demnach hat sie, obgleich überall nicht häufig,
doch eine ziemlich grosse Verbreitung in Württemberg.
Das Thier ist graubraun, der Fuss schwärzlichgrau.
60. Clausilia (Alinda) biplicata Mont.
(C1. perversa Pfeif. Cl. similis Charp.)
Schale 15—17'/, Mm. lang, 4 Mm. breit.
Das Thier (bei 15 Mm. Schalenlänge) 8 Mm., obere Fühler
2 Mm. lang, Sohle 1?/, Mm. breit.
Farbe desselben entweder dunkelgrau oder hellbräunlich.
Kopf und Fühler dunkler als die Grundfarbe, die Sohle hellgrau.
Auf mehrere hundert Stücke zwei Albinos gefunden.
Die Schalenform im Allgemeinen variürt stark, es gibt
dickbauchige, mehr conische, kürzere und wieder schlankere,
längere in allen Uebergängen.
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— 3.
Ist die gemeinste unter unsern Clausilien. Ueberall im
Wald an Baumstämmen und an Hägern zu treffen, fällt sie‘
wenigstens am meisten in die Augen, während die mehr locali-
sirte, aber geselliger lebende CT. parvula hier zu Lande vielleicht
noch individuenreicher ist.
Fortpflanzung: Im September 1873 an einem warmen
Tage fand ich viele dieser Clausilien an Baumstämmen im Buchen-
wald in Begattung. Auffallender Weise war aber bei allen
. Paaren, und ich untersuchte eine grössere Anzahl, stets nur
Ein männliches Glied eingesenkt, was bei behutsamer
Trennung der beiden Individuen sicher zu beobachten war. Die
Begattung dieser Hermaphroditen war also keine gegen-
-seitige in der Art, dass jedes Individuum zugleich
als mas und femina fungirt, sondern offenbar reprä-
sentirte immer Eines nur das männliche, dasandere
Thier das weibliche Geschlecht. Diess stimmt nun
aber durchaus nicht zu der gewöhnlichen, unseres Wissens aus-
nahmslosen Annahme, dass bei der Begattung der Stylomma-
tophoren immer jedes Individuum zugleich beide Geschlechter
vertrete.
Sollten etwa die Clausilien, wie die gleichfalls hermaphro-
ditischen Ancylus und Valvata bei der Copula in der Art
abwechseln, dass bei der ersten Copula das Eine Individuum
nur das mas, das andere nur das fem. spielt, dann nach einiger
Zeit der Ruhe bei einem zweiten Coitus die Rollen vertauscht
werden? (Leider habe ich damals aus Mangel an Zeit versäumt,
die Thiere mit nach Hause zu nehmen, um sie weiter auf diese
Frage zu beobachten.) Oder sollte nur diese unsere Art auch
in der Copula von den anderen Clausilien abweichen, vielleicht
gar getrennten Geschlechts sein, wie sie sich bekanntlich auch
darin von anderen Clausilien trennt, dass sie lebendige Junge
bringt?
NB. Die verwandte, nach Kobelt unter der Bodendecke
in feuchten Waldungen meist am Rande von Quellen lebende
Cl. veintricosa Drap., die nach Carl v. Martens bei Nürtingen
vorkommt, ist uns weder auf der Alb noch im Thal bei Urach
Württemb. naturw. Jahreshefte. 1876. 21
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— 591 5
begegnet, ebensowenig die in Oberschwaben mit u biplicata 2 zu-
sammenlebende Cl. plicata Drap.
61. Clausilia (Iphigenia) plicatula Drap.
Schale 11—13 Mm. lang, 3 Mm. breit.
Das Thier 7 Mm. lang bei 12 Mm. Schalenlänge. Obere
Fühler 1'/, Mm.
Färbung des Thiers obenher grauschwarz, Sohle grau. Unter
Hunderten von Exemplaren, die wir gesammelt, hat sich nur Ein
Albino gefunden.
Lebt auf unsrer Alb und ihrem Rande durchaus nicht so
häufig, während sie sonst in ganz Deutschland eine der gemeinsten
Arten, auch, wie es scheint, über ganz Württemberg verbreitet
ist. Wir finden sie hier im Wald an Baumstämmen, auch am
Boden unter Moos und Laub. Ebenda unter Hecken.
Diese Clausilie mit den beiden folgenden macht in der Be-
stimmung einige Schwierigkeiten, die man erst, nachdem man
eine Reihe von Exemplaren verglichen, durch nähere Betrachtung
der Bezahnung und der characteristischen Schalensculptur (Riefen)
überwinden wird. Uebrigens sind die Merkmale ganz trefflich
und bei gut ausgebildeten und erhaltenen Exemplaren wird ein
geübteres Auge nie im Zweifel sein. Die vorliegende Art zumal
ist an den zwei bis drei Falten auf dem Interlamellar-
immer sofort leicht kenntlich. Bisher sind offenbar jene 3 Arten
in den Württ. Sammlungen nicht richtig unterschieden worden,
Musterexemplare von allen Dreien haben wir bereits vor einiger
Zeit unsrer Stuttgarter Vereins-Sammlung mitgetheilt.
62. COlausilia (Iphigenia) dubia Drap.
Schale 11—13 Mm. lang, 1?/,—2 Mm. breit.
Das Thier nur 4'/, Mm. lang bei 11 Mm. Schalenlänge.
Sohle 1 Mm. breit.
Färbung des Thiers obenher schwarzgrau, der Fuss heller,
am Rande hin, über der Sohle ein grauer Streifen jederseits.
Ist in allen unsren Buchenwäldern, besonders aber in den Neun
Ränken gar nicht selten, viel häufiger als (7. plicatula.
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B Weder der Graf Seckendorf in seinem Verzeichnis von
1847 noch E. v. Martens in dem seinigen von 1865 führt diese
durch ihren Seidenglanz und ihre ganz eigenthümliche Epidermidal-
bildung characteristische Clausilie für Württemberg an.
Dagegen schreibt uns Clessin, April 1873, dass er sie be-
reits von Cannstatt bekommen und auch aus dem Schwäb. Ober-
land gesehen habe. Demnach scheint sie über einen grossen
Theil von Württemberg verbreitet.
Eine netzförmige Schalenstructur, durch äusserst
feine Längs- und Querriefen hervorgebracht, die auch den
deutlichen Seidenglanz bedingen, zeichnet diese schöne Art für
ein scharfes Auge sofort aus, trotz der ziemlich bedeutenden
Variation in Beziehung auf Grösse und eine mehr bauchigere
- oder schlankere, kürzere oder längere Form. CT. plicatula glänzt
gleichfalls, aber ihre Riefen sind viel dicker, gröber, weiter aus-
_ einandergestellt und überdem fehlen bei C7. dubia die Fältchen
auf dem Interlamellar; auch ist die Mündung bei O7. dubia nicht
so breit birnförmig, sondern mehr länglich.
Eine Lössschnecke.
63. Clausilia (Iphigenia) eruciata Stud.
Schale 10—11 Mm. lang, 2 Mm. breit.
Thier 5 Mm. lang. Obere Fühler 1'/;, Mm. lang. Sohle
1 Mm. breit.
Färbung des Thiers: Kopf, Rücken und Fühler hellröth-
lich bis röthlich-graubraun. Sohle weisslich. Der Fuss oben
- hellgrauweiss, im Uebrigen hellgrau.
4 Lebt im Hochwald an starken Buchenstämmen bis etwa zu
E: zwei Mannshöhe. Ist in unsern Wäldern, Neun Ränke, Brunn-
halde, Eselhau, überall ziemlich gemein, nach CI. biplicata, la-
_ minata und parvula unsre häufigste Art. |
- — 8ie war bisher von der Alb und überhaupt von Württem-
E: berg noch nicht bekannt, was bei ihrer grossen Häufigkeit zu ver-
3 wundern ist. Zweifelsohne wurde sie bis jetzt bei Ol. nigricans
E Pult., vom Grafen Seckendorf wohl bei seiner Cl. obtusa Pfeifler
untergebracht, von der er sagt, dass sie sich auf dem Schwarz-
21*
— 324 —
wald, auf der Alb und im Unterland „in verschiedenen Abände-
rungen“ finde. |
Unsre Albexemplare stimmen mit solchen, die uns Clessin
von dem für Mollusken classisch gewordenen Dinkelscherben bei
Augsburg sandte, vollständig überein, wie er denn auch die
ihm von uns übersandten Stücke als „sehr characteristische* be-
zeichnete.
Leicht scheidet sie die Schalensculptur von (7. dubia,
denn bei Ol. cruciata findet sich nicht nur keine Netzzeichnung,
sondern die Leisten sind auch viel gröber und weiter auseinan-
der gerückt, ähnlich wie bei Ol. plicatula. Diese Leisten sind
bei O1. eruciata immer abgerieben, daher sie grau und glanzlos
erscheint, wogegen O!. plicatula dunkelbraun glänzend. Vor
Allem aber ist die Mündung unsrer Schnecke characteristisch.
Diese ist sehr klein, schmal, länglich, birnförmig, überdem der
Gaumen durch zwei Wülste ausserordentlich verengert.
Unter einer Menge Exemplare, die wir gesammelt, begeg-
nete uns nur ein einziger Albino, bei welchem wegen der Durch-
sichtigkeit der Schale die Structur des Schlundes und seine Be-
waffnung sehr schön zu sehen ist.
NB. Die ächte Cl. nigricans Pult. mit rhombischer
Mündung und bogiger Unterlamelle haben wir hier noch nicht
gefunden.
64. Clausilia (Iphigenia) parvula Stud.
Länge der Schale 71/,—10 Mm., Breite 2 Mm.
Diese hübsche, kleine Clausilie ist wohl die individuen-
reichste auf der Alb, an ihrer glänzend violettbraunen Schale
und reinen Spindelform sofort kenntlich. Sie erscheint glatt,
zeigt aber unter der Loupe doch feine Riefen. Varürt in Grösse
und Form, indem sie bald bauchiger und kürzer, bald schlanker
und länger, auch stumpfer oder spitzer auftritt. Ist bei uns
vorzüglich Felsenschnecke, überall im Moos der südlich und
nördlich geiegenen Jurafelsen versteckt, doch findet sie sich auch
im Moos alter Baumstämme häufig. Bei langer Trockene kriecht
sie einfach in das Moos selbst hinein, während die anderen
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Clausilien lieber am Boden unter Laub und Geröll Schutz
suchen. »
65. Olausilia (Iphigenia) filograna Ziegl.
Schale 8—9 Mm. lang, 2 Mm. breit.
Diese feine, seltene, kleine Clausilie lebt bei uns an be-
moosten Felsen im nördlichen, schattigen Buchenhochwald, nach
dem Vaitel hinunter, auch im Wald am Vöttelwiesle, sehr ver-
steckt, meist in der Nähe des Bodens, immer einzeln oder wenige
Exemplare beisammen. Verkriecht sich bei längerer Trockene
. unter Steine am Boden, wie es scheint, mit Vorliebe in Moos-
bewachsenes, ruhig liegendes Steingeröll, aber immer im oder
am Walde.
Sie ist an ihrem bauchigen, tiefnahtigen, mit scharfen,
hohen Rippen versehenen, gelblichglänzenden Gehäuse sofort leicht
von allen unsern anderen Clausilien, auch von der ihr an Grösse
- etwa gleichkommenden Cl. parvula zu unterscheiden. Es ist die
einzige Alb-Clausilie mit durchsichtiger Schale und sie erinnert
dadurch, besonders in jungen Exemplaren, an .Balea fragiks,
welche jedoch ein ganz anderes Schalen- (Windungs-) Ge-
setz hat.
Man findet sie in den neueren Catalogen in der Unter-
gattung Iphigenia Gray bei Cl. parvula, dubia, plicatula u. Ss. w.
untergebracht. Dies scheint uns fraglich. Mehreres hierüber
und über die Anatomie dieser Clausilie gedenken wir später an
einer anderen Stelle zu geben.
Unsre Art wird schon 1847 vom Grafen Seckendorf (l. c. $. 28)
von „Kalkfelsen“ bei Urach als der einzigen Stelle in Württem-
berg angeführt. Sie war dann für die Württ. Fauna lange ver-
schollen und E. v. Martens in seinem Verzeichniss von 1865 -
l. «©. 8. 190 glaubte sie aus unserer Fauna streichen zu
müssen, weil er sie weder in der Sammlung des Grafen, noch
- überhaupt in einer Württ. Sammlung vorfand. Indessen hatte
sie der berühmte Berliner Botaniker Al. Braun, nebenbei ein
ausgezeichneter Kenner der deutschen Mollusken, zufällig mit
Moosen der Schwäb. Alb erhalten und Martens selbst war dann
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- im Jahre 1869 so glücklich, sie am Reissenstein bei Wiesen-
steig an Albfelsen wieder zu entdecken. Habent sua fata etiam
Helices.
66. Succinea putris L. ($. amphibia Drap.)
Schale bis 14 Mm. lang und 10 breit.
Findet sich auf der Alb nur an wenigen Localitäten und
durchaus nicht überall, wo man sie erwarten würde. Eine Colonie
derselben lebt an unsrem Häldele auf der Raissenwiese. Im
Bruttel hinter Wittlingen ist sie häufig, dagegen fanden wir
sie nicht auf der nassen Vöttelwiese, auch nicht am Erdfall bei
Hengen, wohl aber im „Gsait* (von „See“?) bei Grabenstetten.
Von den beiden bei dieser Schnecke so auffallenden Schalen-
färbungen, entweder gelb oder gräulichröthlich bis grauweisslich,
findet sich auf der Alb fast ausschliesslich nur die erstere,
während im Thal bei Urach, wo die Art häufig ist, beide in unge-
fähr gleicher Anzahl neben einander vorkommen.
Färbung des Thiers gelb, obere Fühler schwarzgrau; von
ihnen geht je ein schwärzlicher Streif rückwärts über den Hals
hin, entsprechend der Fühlerscheide.
Das Thier ist sehr gross im Verhältniss zur Schale, 12 Mm.
lang, wenn die Schale 11. Kopf und Hals plump, bis zu 21/,
Mm. breit, obere Fühler 2?/, Mm. lang, dick, besonders nach
der Basis hin. Zwischen den Fühlern innen im Kopf sieht man
einen dunkeln, sich vor- und rückwärts bewegenden Fleck, die
Zunge. Auch die Herzschläge kann man deutlich durch die Schale
hindurch in der letzten Windung links beobachten.
Kommt auch subfossil in den Seeburger Tuffsteinen vor,
welche übrigens offenbar nicht sehr alten Datums sind, und nur
‘ heute noch in Deutschland, wenn auch nicht mehr im Thale
lebende Arten enthalten.
67. Succinea Pfeifferi Rossm.
Schale bis 11 Mm. lang, 6 breit.
Diese Art fanden wir bis jetzt nur im Bruttel hinter Witt-
lingen. Ausser dem längeren, schlankeren Gehäuse unterscheidet
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gr sie vor Allem die weniger aufgetriebene, letzte Windung von
S. putris, der sie übrigens sehr, fast zu nahe steht. Denn
auch auf die von Adolph Schmidt nachgewiesene verschiedene
Bezahnung der Kiefer möchten wir, weil sie offenbar individuell
variabel, nicht unbedingt uns verlassen. In der Schalenform
sind Mittelstufen fast immer zu finden, wo beide in Menge
neben einander vorkommen. Freilich könnten das auch Ba-
starde sein.
68. Succinea oblonga Drap.
Schale bis 7?/, Mm. lang und 2/, breit.
Während fast alle anderen Bernsteinschnecken regelmässig
nur am Wasser leben, finden sich diese selten am Wasser, dagegen
ziemlich überall auf unsern trockensten Albwiesen, wo sie am
Wurzelhals der Wiesenpflanzen und in dem spärlichen Grund-
moos, zusammen mit Helix costata und Pupa muscorum, regel-
mässig, wenn auch nie häufig vorkommt. Es sind übrigens
meistens nur halbgewachsene, bis zu 5 Mm. lange Stücke, während
vollkommen ausgewachsene Exemplare von den oben angegebenen
Dimensionen (7 Mm.) ziemlich selten sind. Ein ähnliches Verhältniss
beobachtet man übrigens auch bei anderen Heliceen, z. B. bei Z.
hispida, (S. oben bei dieser) und es ist mit Clessin (Nachr.-Bi.
Mal. Ges. III. S. 50) recht wohl anzunehmen, dass sich solche
Arten, vielleicht in der Regel, schon vor ihrer vollkommenen
Ausbildung fortpflanzen. Doch findet sich unsre Art auch einzeln
auf der feuchten Raissenwiese, den feuchten Bruttelwiesen und
im Gsait bei Grabenstetten. Die Mehrzahl der erwachsenen, hiesigen
Stücke zeichnet sich aus durch eine sehr aufgeblasene, letzte
Windung, welche durch eine tiefe Naht von der vorhergehenden
wie abgeschnürt erscheint, während solche mit oberflächlicheren
Nähten, wie man sie gewöhnlich abbildet, selten sind.
Quoy und Gaimard beschreiben eine $. australis, welche
auch an ganz trockenen Stellen leben soll. (Albers u. Martens,
Heliceen S. 311.) Weiteres über jenes merkwürdige Vorkommen
_ _ unsrer Art S. Nachr.-Bl. Mal. Ges. 1871, No. 3. Nur soviel
sei noch erwähnt, dass neuere Beobachter (Dr. Reiss im Schwarz-
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wald und Dr. Sievers bei Petersburg) erwachsene Stücke dieser 2
Art nur an feuchten Orten und zwar auf Bäumen und Ge
hüschen fanden, worauf Dr. Kobelt die Vermuthung gründet,
dass diese Art ihre Jugend am trockenen Boden verlebe, zu
ihrer vollkommenen Ausbildung aber, wenn auch nicht ausschliess-
lich, jener anderen Localitäten bedürfe. Eine solche Wanderung
wäre aber bei den hiesigen kaum anzunehmen, höchstens könnte sie
an den nahen, immer etwas feuchteren Waldtrauf übergehen,
wo wir sie aber selten und nicht anders als auf der trockenen
Wiese, d. b. mehr halberwachsene und wenig ausgebildete Stücke
fanden. Auf Gebüschen oder Bäumen sahen wir sie bis jetzt
hier zu Lande nirgends.
Das Thier ist weisslich, sehr kurz, nur 3 Mm. lang, bei
41/, Mm. Schalenläuge, streckt kaum den Kopf mit den beiden
dicken, nur °/, Mm. langen Fühlern unter der Schale hervor.
Die gewöhnlich graugrünliche, seltener weissliche, durchsichtige
Schale ist beim lebenden Thier meist mit Schmutz bedeckt. |
Wie sich unsre Albstücke zu der- von Dr. Reinhardt in der
Mark Brandenburg nachgewiesenen, gleichfalls auf trockenem
Boden lebenden, offenbar nahe verwandten S. arenaria Bouch.
verhält, können wir Mangels typischer Exemplare der letzteren
nicht entscheiden.
69. Carychium minimum Müll.
Länge des Schälchens 1?/, Mm., Breite 1 Mm.
Dieser merkwürdige, winzige und einzige Repräsentant der
Auriculaceen, einer Familie, die sonst nur am Meeresufer,
auf Marschen lebt, und bezüglich der Stellung der Augen (an
der Basis der Fühler, nicht an deren Spitze), den nachfolgenden
Limnäen weit näher steht als den Heliceen, findet sich, wie über-
haupt in Deutschland, so auch auf unsrer Alb an günstigen
Stellen überall. Sie ist ziemlich häufig im Grundmoos recht
nasser Wiesen, z. B. der Vöttel-, Raissen-, Brattelwiese, aber
auch im Felsmulm unter dem todten Laub nördlich gelegener
Hochwaldungen u. s. f. Freilich trifft man ungleich häufiger ds
mattweisse, leere Gehäuse als das lebende Thierchen an, bei dem "u
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die Schale fein glashell durchsichtig glänzt und zumal die durch
2 die Leber goldgelbe Schalenspitze auffällt.
Das Thier hat seine Augen hinter den dicken, dreidekge
Fühlern, der Fuss ist vorne durch eine Einschnürung zweilappig.
Bemerkenswerth ist die Thatszche, dass auch der Continent
von Amerika eine solche Auricula, Carychium exiguum Say be-
sitzt, die zwar specifisch verschieden von unserer, nur mit Einem,
statt mit 3 Zähnen in der Mündung begabt, im Uebrigen aber
vollständig in ihrem Leben und Vorkommen unsre Art repräsen-
- tirt und, die Meeresküste verlassend, durch den ganzen Continent
geht, doch am häufigsten da vorkommt, wo wenigstens die See-
luft hindringt. Gilt dies auch von unsrer europäischen Art?
70. Limnaeus (Gulnaria) pereger Drap.
(Taf. IV. Fig. 7.)
11—12 Mm. lang, 6'/;—7 breit. Unsre Albstücke, die
freilich alle von Einer engbegrenzten Localität stammen, sind
_ constant in Grösse und Form.
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Wir fanden nämlich diesen Limnaeus für unsre ganze Nach-
barschaft bis jetzt nur in dem schon oben in der Einleitung
näher geschilderten Wiesenwassergraben etwa eine Viertelstunde
von dem Dorfe Hengen, wo auch Pisidium pusillum und Lim-
naeus trumcatulus, letzterer selten, sich findet, während man von
der vorliegenden Art in kurzer Zeit Massen da sammeln könnte.
Auffallender Weise haben wir diesen sonst weit verbreiteten Lim-
naeus bis jetzt in keinem andern Wasser der Alb nachweisen
können. Freund Martens fand ihn noch in der Nähe von Berg-
- hülen bei Blaubeuren.
Unsre Exemplare (Taf. IV. Fig. 7) sind auffallend bauchig
und kurz und die Schale ist ziemlich solid. Dies ist nach Dr.
Kobelt, wohl unsrem besten deutschen Limnäen-Kenner, die Ge-
birgsvarietät, während die dünnschalige, schlankere, längere,
spitzigere Foım mehr der Ebene angehört, letztere von Hartmann
‚Var. excerpta genannt.
Mehreres über sein Vorkommen siehe oben in der Ein-
leitung!
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71. Limnaeus (Gulnaria) truncatulus Müll.
(Limnaeus minutus Drap.)
Länge 5—6, Breite 21/,—3 Mm.
Das Thier ist dunkel, schwarzgrau.
Findet sich nicht selten in dem Wiesenwassergraben der
Vöttelwiese bei Wittlingen. Wir fanden ihn dort übrigens ge-
wöhnlich nicht in dem sehr kalten Wasser selbst, sondern an
dem feuchten, beschatteten Rand des Grabens.. Auch krochen
dieselben, als wir sie zu Hause in’s Wasser setzten, der Mehr-
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zahl nach sofort aus dem Wasser heraus auf den Rand des Ge-
fässes und setzten sich da fest. Derselbe ist offenbar wie ZL.
pereger äusserst lebenszäh, kann wohl, wenn die Wasser aus-
trocknen, im feuchten Moos lange leben, wahrscheinlich auch über
Regen-durchnässtes Terrain wandern. Wir haben ihn einzeln noch
in andern Wiesenwassergräben, z. B. im Gsait bei Grabenstetten,
bei Hengen und im Bruttel gefunden. Sicher lebt er auf der
Alb weithin in diesen kleinen Rinnsalen und um so auffallen-
der ist es, dass er bis jetzt von keinem Malacologen auf diesem
Gebirge gefunden worden war.
Dieser kleinste unsrer Limnäen ist überhaupt sehr weit ver-
breitet, nach Prof. Al. Braun in Berlin lebt er sogar auf der
einsamen Insel Helgoland in der Nordsee als einzige Binnen-
schnecke. Auffallender Weise scheint er im Löss noch nicht
nachgewiesen zu sein. Er wie die vorige Art könnten nach ihrer
Natur recht wohl schon in der Eiszeit gelebt haben.
Von dieser Species haben wir noch eine interessante neue
Varietät zu beschreiben:
Tla. L. truncatulus var. Wittlingensisn.
(Taf. IV. Fig. 6.)
Dies ist der schon oben in der Einleitung kurz erwähnte,
in einem erst im Jahre 1872 gebauten Wassersammler am Häl-
dele zwischen Wittlingen und Hohen-Wittlingen plötzlich in grosser
Anzahl aufgetretene, merkwürdige Limnaeus, den wir nur zu der
obigen Art ziehen können, obgleich er die bis jetzt bekannt ge- =
= 2381...
wordenen Maase derselben fast um’s doppelte überschreitet.
Durch sein Vorkommen auf dem Gebirge in einem Wasser
nächst der Quelle, durch seinen ganzen Habitus, die dünne,
mattglänzende, hellhornbraune, feingestreifte Schale, die sechs
stark gewölbten, durch eine tiefe Naht wendeltreppenartig ab-
gesetzten Umgänge, wovon der letzte etwas länger ist als das
conisch spitze Gewinde, ferner durch die eirunde, oben nur leicht
stumpfwinklige Mündung und endlich durch den deutlichen Nabel,
wie Kobelt den Limnaeus truncatulus beschreibt, gehört unsre
neue Form entschieden dieser Art an. Freilich sind unsre gröss-
ten Exemplare 11 Mm. und kein ausgewachsenes ist weniger
als 10 Mm. lang, während die Breite zwischen 5 und 6 Mm.
beträgt. Kobelt in seinem schönen Werkcehen über die Nassauer
Mollusken gibt dagegen dem ZL. truncatulus nur eine Länge
- von 3—6 und eine Breite von 2—3 Mm. Er sagt, man könne
eine grössere Varietät, also von etwa 6 Mm. Länge und eine
kleinere unterscheiden; letztere lebe in kalten Quellwassern,
erstere sei die Form der Ebene. . Überhaupt steige dieser kleinste
Limnaeus, wie L. pereger im Gebirge bis zu den Quellen empor
und finde sich besonders in kleinen Gewässern in Bewässerungs-
gräben der Wiesen u. s. f. Auch unser Limnaeus kann, wie wir
schon oben in der Einleitung bemerkten, nur aus dem uralten,
aus einer Quelle in der Wiese selbst entspringenden, nie ver-
siegenden Wiesenwassergraben stammen, an dessen unterem Ende
wir jenen Wassersammler durch eine Quermauer angelegt. So
stimmt das Vorkommen sowie die ganze obige Beschreibung
trefflich zu L. truncatulus, nur eben die enorme Grösse nicht.
Wir haben diesen interessanten Fall auch Freund Clessin
vorgelegt. Auch ihm war die Form neu und er denkt, aber
offenbar mit Zweifel an L. palustris Drap. Dieser variirt
bekanntlich ausserordentlich in der Grösse, von 12 bis 28 Mm.
Länge, tritt dünn- und dickschalig, kürzer und länger auf und
- wir haben eine schöne Reihe von solchen Varietäten aus ver-
_ schiedenen Localitäten in unsrer allgemeinen Sammlung, selbst
von Nord-Amerika, wo er als ZL. elodes Say beschrieben worden.
- Allein L. palustris hat doch im Ganzen entschieden einen an-
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dern Habitus als die vorliegenden Albexemplare. Er hat nie
einen Nabel, höchstens eine Spur davon, seine letzte Windung
ist weit nicht so bauchig wie bei jenen und sicher immer
kleiner als das Gewinde. Auch ist dieses nie so fein und spitzig
ausgezogen wie bei jenen, sondern stärker und gewölbter. End-
lich ist L, palustris bis jetzt, wie es scheint, nie auf Gebirgen,
sondern immer nur in wärmeren Gewässern der Ebene gefunden»
worden. Er lebt vorzugsweise in Teichen und den Altwassern
der Flüsse. (Kobelt.) Selbst im Thal um Urach, wo wenigstens
L. ovatus Drap. schon vorkommt, scheint es ihm noch zu kalt,
denn wir fanden da weder ihn noch den Limnaeus stagnalis,
so stimmt also das Vorkommen unsrer vorliegenden Alb-Limnäen
nicht wohl zu L. palustris.
Weiter könnte man etwa an den mit ZL. palustris nahe
verwandten L. fuscus Pfeiff. denken, dessen kleinste Form un-
gefähr 12 Mm. lang ist. Allein für ihn ist gerade eine sehr
wenig aufgetriebene letzte Windung, daher ein im Ganzen schlankes
Gehäuse characteristisch. Auch ist er ungenabelt.
Endlich würde die Grösse noch am Besten zu L. elonga-
tus Drap. (9—10 Mm. lang) stimmen, aber bei ihm ist die
letzte Windung kaum grösser als die vorletzte und- drittletzte,
während bei unsrer Albform die letzte Windung allein grösser
ist als das ganze übrige Gewinde, womit jeder Gedanke an diese
Art ausgeschlossen ist.
Was ist nun unser Limnaeus? Eine neue Art in dieser
schon jetzt an Arten überreichen und dazu so variabeln Gattung
zu bilden, kann uns um so weniger in den Sinn kommen, als
die wesentlichen Merkmale mit Ausnahme der Grösse im Ganzen
recht gut zu L. truncatulus stimmen, wohl aber halten wir es
für nöthig, eine so auffallende Varietät als solche mit einem
Namen zu bezeichnen und damit die Weichthiere von Wittlingen,
die unter unsren Studien seit Jahren so viel haben leiden müssen,
doch auch eine Ehre davon haben, wollen wir dieselbe Var. Witt-
lingensis nennen. Eine weitere Beschreibung derselben brauchen
wir nach dem Obigen nicht mehr zu geben. Wir haben sie in
Lebensgrösse abgebildet. (Taf. IV. Fig. 6.)
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Das Thier dieser neuen Varietät ist dunkel schwarzgrau,
am Fuss heller, die Fühler sind sehr kurz. Auch sie kriechen
gerne aus dem Wasser heraus. Ein weiteres Merkmal, das am
Besten zu L. truncatulus stimmt.
Zusatz. Im August 1873 war die Leber fast aller Indi-
viduen dieser Varietät gelblichweiss und aufgedunsen von Ein-
geweidewürmern und zwar von Cercarien-Schläuchen.
Dabei schienen aber die Limnäen gesund. Zerriss man die Cer-
carien-Schläuche, so schwammen die Cercarien, wie sie pflegen,
mit ihrem Schwanz rudernd, lustig im Wasser herum, setzten
sich aber gerne an den ersten festen Gegenstand an, krochen
mittelst ihrer Saugnäpfe lebhaft daran herum wie Blutegel und
die meisten derselben warfen dann sofort, offenbar absichtlich
durch Hin- und Herschleudern, ihren Schwanz ab. Sie hatten
keinen Kopfstachel zum Einbohren wie die meisten Cercarien,
Ihre Oberfläche war mit feinen Stächelchen bedeckt.
Bekanntlich sind die Cercarien Jugendzustände von Distomen,
deren eines, das Distoma hepaticum, die verheerende Be
heit in der Leber der Schafe verursacht.
Die Cercarien dieses Distoma’s kennt man aber noch nicht
und es ist noch ganz unbekannt, wie sich die Schafe mit den
Distomen anstecken. Dagegen ist von einigen anderen Cercarien
und Distomen die ganze Entwicklung ziemlich vollständig nach-
gewiesen. Man weiss, dass sich die Cercarien mit ihrem Kopf-
stachel in Wasserschnecken und Wasserinsecten einbohren, sich
da einkapseln und so warten, bis sie mit diesen Zwischenträgern
von ihrem eigentlichen Wirth, z. B. die eingekapselte Cercaria
armata von dem Frosch verschluckt werden, um in dem Darm des
letzteren sich zum reifen Distoma zu entwickeln.
Aber alle Versuche, solche mit Cercarienkapseln inficirte
Zwischenträger an Schafe zu verfüttern und so das Distoma hepa-
ticum zu erziehen, sind misslungen.
Nun liesse sich eine andere Möglichkeit denken. Es gibt
nämlich auch Cercarien, die, nachdem sie eine Zeit lang im
Wasser herumgeschwommen, an einem beliebigen, festen Gegen-
Baba
stande, z. B. an der Wand des Glases, worin man sie hält, auch
an Grashalmen u. dgl. sich einkapseln. Schon der berühmte
Helminthologe Leuckart*) in Leipzig sprach die Vermuthung
aus, dass die Schafe die Distomen mit dem Gras fressen könn-
ten. Liegt es nun nicht nahe, zu denken, dass jene Cercarien
unsres Limnaeus truncatulus, die keinen Stachel zum Einbohren
in ein neues Wohnthier besitzen und eine ganz entschiedene
Neigung haben, an festen Gegenständen herumzukriechen, und
den nur für das Wasserleben dienlichen Ruderschwanz abzu-
werfen, dass diese Cercarien in Grashalmen in der Nähe des
Wassers sich einkapseln und so die Schafe mit dem Gras diese
Distomenlarven fressen? Auch das Stachelkleid spräche hier
für einen genetischen Zusammenhang, denn auch das Distoma
hepaticum hat bekanntlich ein solches.
Gerade diese kleinen Limnäen leben häufig in den kleinen
Wassergräben unsrer Wiesen z. B. überall im Erms- und Elsach-
Thale, und jeder Schäfer weiss, dass gerade an solchen Wasser-
gräben die Schafe am leichtesten „verhütet“, d. h. angesteckt
werden. Auch vor dem Gras der überschwemmten Wiesen
scheut sich ein guter Schäfer, und auch dies würde leicht mit
unsrer Hypothese sich reimen, denn die in den Wassergräben
freien Cercarien würden natürlich bei Ueberschwemmungen leicht
über die ganze Wiese hin verbreitet und können so weithin das
Gras mit ihren Kapseln inficiren, ja da durch Beobachtung
eine Monate lange Lebensfähigkeit dieser eingekapselten Cercarien
nachgewiesen worden, könnte sogar das Heu von solchen Wiesen
noch die Egelkrankheit erzeugen.
Endlich liesse sich auch die freilich seltene Ansteckung
des Menschen auf diese Weise erklären, z. B. durch etwaige
Kapseln an Brunnenkresse, oder, da, wie es scheint, besonders
Kinder hin und wieder an Distomen leiden, durch die bekannte
Erfahrung, dass dieselben Grashalme und alles Mögliche spielend
zum Munde führen.
*) Siehe R. Leuckart, die menschlichen Parasiten I. S. 562
u. d. f. und II S. 569.
72. Acme polita Hartm.
(Acme fusca Mont. partim.)
; 31/, Mm. lang, 1?/,, breit, die Form des Gehäuses ist sehr
_ eonstant, die Grösse varüirt etwas.
Dieses seltene, kleine, äusserst zierliche Wesen gehört be-
° kamntlich zu den Deckelschnecken (Cyelostomaceen), welche in
ihrer Anatomie ganz mit den im Wasser lebenden Kiemenschnecken
Paludina und Valvata übereinkommen, nur das Athemorgan aus-
genommen, das nicht eine Kieme, sondern einen Lungensack
darstellt, ähnlich wie bei den Heliceen. Die Geschlechter sind
getrennt, aber an den Gehäusen nicht zu unterscheiden. Die
Familie ist in Deutschland noch durch eine grosse, schöne Art,
Oyclostoma elegans Müll. vertreten, die aber nur im warmen
Rheinthal vorkommt. Eine Anzahl anderer Arten findet sich im
südlichen Europa. Zur Blüthe aber kommt die Familie in den
Tropen, vor Allem in Westindien, wo es entschieden mehr Cyclo-
stomen als Heliceen gibt, wenigstens betreffs der Individuenzahl.
Für Württemberg ist unsre Acme polita die einzige Repräsen-
tantin.
Wir finden sie hin und wieder im Mulm der Felsspalten,
vornemlich solcher im schattigsten Walde, so an den Felsen
unter der Schillerhöhle, etwas häufiger in einem nicht eben
. grossen, moosbedeckten Felsen im Staatswalde zwischen Langen-
eck und dem Seeburger Thal. Nur dort fanden wir zweimal
lebende Exemplare, Ausserdem fanden wir auch einzelne, schön
erhaltene aber leere Gehäuse in dem nassen Grundmoos der
Vöttelwiese. Ob sie dort gelebt, oder hingeschwemmt worden’?
Endlich sehr einzeln sogar im Moosmulm unsrer trockenen Ruine.
Ohne Zweifel ist sie weithin durch Württemberg verbreitet, wird
sie doch auch von Mergentheim angegeben. Poulsen fand sie
bei Flensburg mitten im Winter zwischen Schichten vermoderten
Laubs.
Das Thierchen ist nur 1?/, Mm. lang, weisslich durch-
sichtig und ausserordentlich empfindlich und scheu und will
wenigstens bei Tag und Licht seine Schale fast gar nicht ver-
lassen, so dass es ein glücklicher Zufall ist, es kriechen zu
sehen. Ohne Zweifel ist es ein Nachtschneckchen. Das Deckel-
chen ist hornig, gelblich durchsichtig. Weitaus die Mehrzahl
der Gehäuse, die man findet, sind nicht nur leer, sondern auch
abgerieben, epidermislos, perlmutterglänzend. Wo die lebenden
bei Tage versteckt sein mögen, haben wir nicht ausfinden können.
Jene zwei, die wir lebend fanden, kamen erst im Mulm bei der
Durchsicht zu Hause zu Tage.
Unsre Art ist glatt ohne die parallelen, scharf eingegrabenen
Längsstreifen der .A. lineata Drap.; welche auch grösser ist und
von der uns Clessin schöne Exemplare freundlich mitgetheilt hat.
Da der Name A. fusca Mont., offenbar beide Arten A. lineata
und A. polita umfasst, ist es wohl besser, ihn zu cassiren und
nur jene beiden bezeichnenden Namen zu behalten.
73. Hydrobia vitrea Drap.
a) Var. Quenstedtii Wiedersh., vom Falkenstein.
(Taf. IV. Fig. 9. u. 10.)
Ob diese neuerdings fast berühmt gewordene Schnecke aus
der Falkensteiner Höhle, für die wir ausserdem noch eine sehr
merkwürdige, andere Localität nachweisen können, noch zu
der Molluskenfauna der Alb, wie wir sie in der Einleitung be-
grenzt, gezählt werden kann, mag fraglich sein. Der Einfach-
heit wegen behandeln wir sie lieber hier als in einem Nachtrag.
Wurde zuerst von Quenstedt vor 1864 in dem Bache
der Höhle an Steinen lebend beobachtet, von Dr. Meinert 1868
gesammelt, von Dr. Wiedersheim 1873 (in Verh. d. Würzb.
Phys. Med. Ges. Band 4) als neue Art unter dem Namen H.
Quenstedtit beschrieben und abgebildet, schliesslich von Stud. med.
S. Fries in seiner schönen Arbeit über die Falkensteiner Höhle,
ihre Fauna und Flora, Württ. Naturwiss. Jahresh. XXX (1874)
S. 122 u. d. f. nochmals ausführlich behandelt.
Wir haben einige Exemplare dieser Art im Frühjahr und
Sommer 1873 längere Zeit lebend gehabt und beobachten können.
In einem grösseren, oben zugestöpselten Reagenzgläschen halten
sie sich, wenn man nur hie und da etwas Wasser zugiesst,
Monate lang am Leben. Nur darf man nicht zu viele zusammen-
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| bringen, was überhaupt von allen Wasserthieren, selbst in grossen
Gefässen, gilt. Leider waren meine Thierchen so scheu und für
Licht und die geringste Erschütterung so empfindlich, dass ich
sie kaum je vollkommen ausgestreckt sah. In Fig. 9 Taf. IV haben
wir die Abbildung des Thiers mit der Schale so gegeben, wie
wir sie gewöhnlich und beliebige Zeit unter dem Mikroskop be-
obachten konnten, nämlich festsitzend, Rüssel, Tentakel und Vor-
derende des Fusses hervorgestreckt, fast immer in Bewegung,
bald dahin, bald dorthin herumtastend, das Hinterende des Fusses
mit dem aufsitzenden Deckelchen, das, wenn das Thier ganz
ausgestreckt ist, durch die Schale verdeckt wird, bei dieser mehr
“ruhenden Stellung links sichtbar.
Die Notizen, die wir uns damals machten, lauten:
Das Thier weisslich durchsichtig; Rüssel ziemlich lang,
stumpf, mit dunklerer Mittelcontur; Tentakel mässig schlank;
ihre Oberflächen, immer etwas runzlich, zeigen deutlich einen
dunkeln Medianstreifen und an der Spitze kurze, haarähn-
liche Fortsätze, offenbar eine weitere Vervollkommnung dieser
Tastorgane, wie sie einem Höhlenthier sehr von Nutzen. Der
Fuss ist vornen etwas verbreitert, convex abgerundet, sein Hinter-
ende trägt den elliptischen, an einer Seite etwas zugespitzten
Deckel. Überall auf der Oberfläche des Fusses sieht man deut-
liche Wimperbewegung.
Die Figur von Wiedersheim ]. c. Tafel VII, 13 stellt das
kriechende, vollkommen ausgestreckte Thier dar, die unsrige,
wie gesagt, das sitzende. So mögen sich einige Differenzen er-
klären; doch sind wohl die Conturen von Wiedersheim, zumal
die des zweispitzig gezeichneten Rüssels zu scharf und eckig
gerathen, wie schon Fries bemerkt.
Das Gehäuse, das von Wiedersheim und Fries schon aus-
führlich beschrieben, haben wir Fig. 10 auch von der Bauchseite
abgebildet. Dasselbe ist gewöhnlich 3 Mm. lang, 2 breit. Ueber
Variationen desselben siehe unten.
Wir haben diese Falkensteiner Schnecke, die Wiedersheim
als neue Art beschrieben, als Varietät zu der im Neckarschlick
bei Cannstatt nicht seltenen Ahydrobia vitrea Drap.. (Buythinella
Württ. naturw, Jahreshefte. 1876. | 22
— 338 —
pellucida Benz) gestellt, eine Auffassung, zu der auch Fries ge-
neigt ist. Offenbar steht sie jener ausserordentlich nahe und
es ist leicht anzunehmen, dass die unterscheidenden Merkmale,
nämlich das Peristoma continuum, die spitzigere, mehr
conische Form, die flacheren, weniger aufgetriebenen Win-
dungen, in Verbindung mit einer etwas seichteren Naht,
sich auf einen langen, auf eine ganz bestimmte Localität mit
eigenthümlichen Verhältnissen der Temperatur und Nahrung be-
schränkten Aufenthalt und auf die damit verbundene Innzucht
zurückführen lassen. Doch ist die Entscheidung, ob Art oder
Varietät, so lange die obigen Merkmale unsrer Falkensteiner
Schnecke nicht auch, wenigstens an einzelnen Exemplaren bei
den Cannstatter Stücken sich nachweisen lassen, immerhin sub-
jectiver Natur und das Verdienst, zuerst auf diese aufmerksam
gemacht zu haben, gebührt Wiedersheim.
Ueber ihr Vorkommen „im Falkenstein* bemerken wir noch,
dass es ohne Bretter nicht zu jeder Zeit leicht ist, sie lebend
zu erhalten. In dem kleinen Bächlein vor dem ersten See ist.
sie nur ganz einzeln an Steinen zu treffen, am ehesten noch
dort, wo sich das Wasser mit starkem Brausen durch ein ziem-
lich schmales Loch in unbekannte Tiefe stürzt. Dorther stamm-
ten meine lebenden Exemplare. Dagegen ist die von Fries als
besonders reichhaltig angegebenen Stelle weiter hinten am Ein-
gang zum ersten See, wenn das Wasser hoch ist, ohne Bretter
nicht zu erreichen. Der Spiegel des See’s ist nämlich durchaus
nicht so constant, wie Fries anzunehmen scheint. (Um so werth-
voller wäre es gewesen, wenn zu der im vorigen Jahre behufs
topographischer Aufnahme der Höhle von Stud. Kolb und An-
deren unternommenen, vom Staate unterstützten und so
mit guten Hilfsmitteln (z. B. einem Flosse und Gehülfen) aus-
gestatteten Expedition in die Höhle (Staatsanzeiger December 1875)
auch ein Zoolog und ein Botaniker eingeladen worden wären.
Auffallender Weise erfuhr in Urach unsres Wissens Niemand et-
was von der Sache.)
Leere Schalen der Schnecke sind sowohl in dem Bach als
besonders in dem die Felsspalten ausfüllenden Lehm, zumal an
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der Decke, da wo diese tief heruntersteigt, leicht zu erhalten,
aber wegen ihrer Zerbrechlichkeit schwer aus diesem herauszu-
waschen. In den perennirenden Wassertümpeln aussen vor der
Höhle trifft man sie auch hie und da. Nie aber habe ich ein
lebendes Thier da gefunden. Diese Schälchen an der Decke
und aussen vor der Höhle beweisen auf’s untrüglichste, dass die
Wasser im Innern der Höhle anschwellend den ganzen niederen
Gang vom Portal bis zum ersten See ausgefüllt haben und vornen
zum Eingang der Höhle herausgestürzt sind. Wir selbst haben
dies nie beobachtet, obgleich wir wohl schon ein Dutzend mal
die Höhle zu verschiedenen Jahreszeiten besucht haben. Die
Grabenstetter aber, die von ihrem früheren Schatzgraben ein
altes Interesse für „den Falkenstein* haben, behaupten, dass
dies auch jetzt noch zuweilen vorkomme.*)
b) Varietät vom oberen Ermsthal.
Schon im Sommer 1872 und wiederholt in den folgenden
Jahren haben wir im Seeburger Thal oberhalb Urach, nicht weit
von der Ruine Hohen-Wittlingen, oberhalb der Georgenauer
Mühle im Schlicke eines dortigen starken Wiesenquells zu unserem
grossen Erstaunen eine Anzahl leerer Gehäuse einer Hydrobia
entdeckt, die offenbar der Falkensteiner so nahe steht, dass wir
sie für dieselbe Art erklären müssen. Aber unter diesen Hydro-
bien herrscht eine viel bedeutendere Variation als im
Falkenstein. Während das Schalengesetz, die Anzahl der Win-
- dungen, ihr Verhältniss zu einander und zu der Mündung, der
Ansatz, die Form und die Begrenzung der Mündung, vor allem
die Continuität des Peristum’s verhältnissmässig constant sind, und
zu der Falkensteiner Form passen, finden sich bezüglich der
_ Länge und noch mehr der meist mit jener zusammenhängenden
Breite, zumal der letzten Windung die merkwürdigsten Abände-
rungen, die wir statt langer Beschreibung wohl am besten durch
Abbildung versinnlichen. Die drei Figuren 11. 12. 13. stellen
solche verschiedene, übrigens durch Übergänge wohl vermittelte,
b: Georgenauer Gehäuse vor. Ihre Länge zeigt eine Variation von
„EN
} *) Ist heuer (Frühjahr 1876) geschehen.
Be aa
en: ©:
3 bis 4, ihre Breite von 1?/, bis 2%/, Mm. Während nun von
diesen Bildern Fig. 11 durch die ganze Schalenform und be-
sonders die schon in der Jugend stark bauchigen Windungen
bedeutend an H. vitrea von Cannstatt erinnert, passt Fig. 12
schon sehr gut zu der in Fig. 10 abgebildeten Falkensteinerin.
Bei Fig. 13 aber ist die letzte Windung so abnorm aufgeblasen
und dadurch auch die Mündung scheinbar auf die Seite gerückt,
dass, hätte man diese, übrigens etwas seltene Form allein an
einer andern Localität gefunden, sicher Jeder versucht wäre, sie
als Varietät, wo nicht als Art abzuscheiden.
Wir haben eine Reihe unsrer Georgenauer Hydrobien auch
Freund Clessin, einem guten Kenner dieser Gattung, mitgetheilt
und derselbe ist geneigt, einzelne Formen derselben zu A. vitrea
Drap., die übrigen zu H. Quenstedtii Wied. zu ziehen.
Allein nach langer und wiederholter Prüfung unsres all-
mählig ziemlich reich gewordenen Georgenauer Materials, haben
wir uns auf’s Sicherste überzeugt, dass wir es hier nur mit
. Einer, freilich ausserordentlich variabeln Art zu thun haben,
zu der sicher auch die Falkensteinerin gehört. Alle Übergänge
liegen in unsrer Sammlung. Uebrigens ist diese Formen-Man-
nigfaltigkeit ja bei einer Aydrobia gar nicht so sehr zu ver-
wundern, denn es ist wohl bekannt, wie ungewöhnlich variabel
gerade bei dieser Gattung die Species sind und wie vorsichtig
man daher an eine Aufstellung neuer Arten herantreten muss.
Leider steht uns nicht genug Cannstatter Material zu Gebot,
immerhin aber zeigt das Urtheil Clessins, wie ausserordentlich
nahe einzelne Formen der Georgenauer Hydrobia mit der
Cannstatter H. vitrea verwandt sein müssen, wenn Clessin die-
selben zu dieser Art ziehen will. Jedenfalls geht aus dem Obigen
soviel hervor, dass wir es bei der H. Quenstedtii Wied. höchst
wahrscheinlich nur mit einer Varietät der H.vitrea von
Cannstatt zu thun haben. Immerhin aber wäre eine weitere
Vergleichung mit reicherem Material von letzterem Orte als es
uns zu Gebot stand, wünschenswerth.
Es scheint uns überhaupt immer räthlich, solche zweifel-
hafte Localformen bis auf Weiteres als Varietäten der wahr-
scheinlich nächstverwandten Arten zu signalisiren, mit Namen
a Ge re de u
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zu bezeichnen und so in die systematischen Cataloge einzuführen,
341 2°
weil nur so die späteren Forscher auf dieselben aufmerksam
bleiben und zu erneuter Untersuchung, vielleicht mit mehr Ma-
terial veranlasst werden. Dies ist um so wünschenswerther, als
das Kapitel von der Variation der Arten und ihren Gren-
zen bei der neueren, von Darwin inchoirten Naturanschauung
von grosser Wichtigkeit geworden ist. Im obigen Sinn
haben wir selbst auch in unserem Verzeichniss der Albmollusken
in zwei Fällen solche ausgezeichnete Localformen für jetzt als
Varietäten mit Namen bezeichnet, von denen die eine oder andere
sich später als gute Art herausstellen mag.*) |
*) Sollten vielleicht einzelne Leser diese Erwägungen, ob Art,
ob Varietät, in der heutigen Darwin’schen Aera überhaupt für
irrelevant halten, wie wir es zumal von solchen wohl begreifen könn-
ten, die vielleicht mehr nur oberflächliche oder übertriebene Darstel-
lungen der Darwin’schen Theorie kennen gelernt haben als diese selbst,
so möchten wir diesen doch zu bedenken geben, dass trotz der gross-
artigen Darwin-Häckel’schen Hypothese (die wir schon Anfangs der
sechziger Jahre, als Darwin fast nur Feinde gegen sich sah, (z. B.
auch Herrn Carl Vogt) öffentlich in Schutz nahmen und die wir inner-
halb gewisser Grenzen für richtig halten), wir sagen, dass trotzdem
nach unsrer und wohl der meisten Zoologen und Botaniker Anschau-
ung, nicht etwa alle Naturformen in fortwährendem, proteischen Fluss
begriffen sind, (zavra per), sondern, dass die physiologische
Species im Thier- und Pflanzenreich für eine gewisse
Zeitepoche durchaus feststeht, und dass all unser zoologisches
und botanisches Wissen im Grunde immer auf genauem Studium dieser
Species beruht. Eine solche Species (Art) ist jene Gesammtheit
von Individuen, welche während einer gewissen (jedenfalls
nach Jahrtausenden zählenden) Zeitepoche im Wesentlichen
immer gleiche, wenn auch etwas variirende Lebensfor-
men wieder erzeugt, während wir als Varietät eine Gruppe von
solchen Individuen innerhalb einer Species bezeichnen, welche sich
durch ein oder mehrere, mehr oder weniger constante,
meist physiologisch minder wichtige, äussere Merkmale
von den anderen Individuen derselben Art unterscheiden,
immer aber durch die Möglichkeit der Fortpflanzung mit diesen
_ letzteren und durch die fortdauernde Fruchtbarkeit der so
producirten Nachkommenschaft ihre Zugehörigkeit zur Species be-
weisen. Dies ist wenigstens das Postulat. Dass wir aber nicht immer
— 342 7° —ı
Nun wäre noch die Frage, wo leben unsre Georgenauer
Hydrobien? Von einem Zusammenhang mit den Falkensteinern
kann durchaus keine Rede sein, denn die Localität befindet sich
im oberen Ermsthal, dreiviertel Stunden oberhalb Urach, während
die aus der Falkensteiner Höhle entspringende Elsach sich
erst unterhalb Urach in die Erms ergiesst. Wir können nur
die fast sichere Vermuthung aussprechen, dass dieselben in den
bei Aufstellung einer Art oder Varietät den Nachweis der Fortpflan-
zung führen können, ist klar und dann ist es eben Sache des Scharf-
blicks, des wissenschaftlichen Urtheils und des Gewissens, die Wahr-
heit so gut als möglich aus den beobachteten, vorliegenden Thatsachen
zu eruiren.
Die Darwin’sche Theorie, so will es uns bedünken, hat ihre Achilles-
ferse besonders in Einem Punkte, nämlich darin, dass sie die überall
und immer auftretende Variation innerhalb der Art exaggerirt und ihr
gleichsam die Neigung, wenigstens den wahrscheinlichen Erfolg zu-
schreibt, sich zu einer dauernden und damit zur neuen Art zu
machen. Das ist gegen dieempirische Beobachtung, und von
dieser muss der Naturforscher doch wohl ausgehen. Eher könnte
man das Gegentheil behaupten, nämlich dass die Natur strebt, die
Variationen wieder auszumerzen. Ja, wäre es nicht so,
so gäbe eslängst gar keine feststehenden Arten mehr und
es hätte nie gegeben!
Aber um dieses schwachen Punktes willen fällt die Darwin’sche
Hypothese selbst und vollends die Descendenztheorie überhaupt noch
lange nicht, wohl aber jene Annahme einer beständigen, allmäh-
ligen, fortdauernden Umwandlung der alten in neue Arten.
Wir können es nicht beweisen, aber es ist unsre Ueberzeugung,
dass die Arten von Anfang an zwar in phylogenetischem Zusammen-
hang stehen, aber nicht in der Weise, dass die neuen Arten gleich-
sam durch allmähliges, mechanisches Aneinanderreihen
von kleinen Variationen aus den alten entstanden sind, sondern
vielmehr durch plötzliches Auftreten wirklich bedeutsam
(specifisch) verschiedener Nachkommen. Der Satz ‚natura non
facit saltum“, so wohlthuend er unsrem Denken klingt, hat seine Gren-
zen. Oder ist es denn nicht auch ein Sprung, wenn der Fötus des
Säugethiers, der bisher durch das Blutsystem der Mutter athmete,
plötzlich, mit der Geburt ein Luftthier wird und durch Lungen athmet?
Welcher Physiologe würde das a priori nicht für absolut unmöglich
erklären, wenn er nicht täglich die Thatsache beobachtete. Be
a unzugänglichen, unterirdischen Tuffsteinklüften und
Höhlen sich aufhalten, auf welche unsre Seeburger Tuffstein-
gräber hin und wieder zu ihrem grossen Leidwesen stossen, und
mit denen jener starke Brunnquell ohne Zweifel in Verbindung
steht. Übrigens haben wir diese Hydrobien, die wir im Som-
mer in drei aufeinanderfolgenden Jahren regelmässig, wenn auch
nicht häufig, in jener Quelle fanden, bei einem kürzlichen Be-
such, 1. Dec. 1875, nicht gefunden, obgleich wir mehrere Kap-
seln voll Schlick mit nach Hause nahmen. Es war ein kalter
Tag (einige Grade unter Null), und wir hatten vermuthet, jene
Hydrobien in dem Quell, der immerhin + 5 bis 7 Gr. R. zeigt,
vielleicht gar im Winter lebend zu entdecken. Wir fanden sie
aber nicht, wohl aber krochen in dem, bei der niederen Tempe-
ratur der Luft fast lau anzufühlenden Wasser einige junge
Limnaeus ovatus munter in den grünen Wasserpflanzen her-
um, während daneben auf dem Lande Alles hart gefroren war.
Diess beweist, dass solche Wasserschnecken noch über der
Grenze des ewigen Schnee’s in Quellen leben könn-
ten, wobei man unwillkürlich auch an die Eiszeit und an die
hohen nördlichen Breiten denkt.
74. Pisidium pusillum Gmelin. (?)
(Taf. IV. Fig. 14-16.)
Bis 3 Mm. lang, 2°/, Mm. breit und 1*/, Mm. dick.
Häufig im Wurzelfilz der Gräser und in den Wassermoosen
des Wiesenwassergrabens mit Erdfall bei Hengen, auch im Was-
sergraben der Vöttelwiese; selten im Graben der Raissenwiese bei
Hohen-Wittlingen und im Gsait bei Grabenstetten.
Das Wahre an der Darwin’schen Selectionstheorie bleibt dann
immer noch das, dass nur diejenigen so plötzlich entstandenen Arten
ein Recht zum Fortbestand haben, die in die sie umgebenden Verhält-
nisse passen.
Wasaber das Agens gewesen, das so mit Einem Male zur Erzeugung
specifisch verschiedener Nachkommen disponirte, das wissen wir frei-
lich nicht und müssen bis auf Weiteres „eines anderen warten‘, der
uns das erklärt. Vergl. hiezu, was wir oben bei der merkwürdigen
Varietät der Cionella lubrica sagten!
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Wir haben schon unoben in der Einleitg über diesen kleinen
Zweischaler, den ersten, der auf der Alb gefunden worden, kurz
berichtet. Bezüglich der Artbestiimmung sind wir noch nicht
ganz im Reinen, da man neuerdings eine grössere Anzahl von
Species aus diesen kleinen Pisidien gebildet hat und uns typische
Exemplare derselben noch nicht zu Gebot stehen. Unter den
von Moquin 'Tandon beschriebenen und auf Pl. LII abgebildeten
Arten stimmt unsre Form am besten zu P. pusillum Fig. 41
und 42. Wir geben (Taf. IV. Fig. 14—16) eine Abbildung
von einem unsrer grösseren Exemplare.
Die Schalen der erwachsenen sind graugelblich, dunkler
oder heller, manche sind corrodirt, besonders am Wirbel. Durch
aufsitzenden, fest anhaftenden Schmutz erscheinen sie häufig
schwärzlich, mit Ausnahme der jüngsten Schalencontur, welche
immer hell bleibt. Auch rothbraunes Eisenoxyd setzt sich auf
vielen an. Die Jungen sind verhältnissmässig- sehr dünn, glän-
zend gelblichweiss durchscheinend.
Das Thier (Fig. 16) zeigt einen langen, weisslich durch-
sichtigen Fuss (a), der sich beim Kriechen weit über Schalen-
länge hervorstreckt, deutlich auf dem Boden nach verschiedenen
Seiten herumtastet, endlich sich feststellt und mit einem Ruck
die Schale nachzielt. Die Athemröhre (b) ist sehr kurz und
ohne Franzen. Das Thierchen ist äusserst lebhaft und für Er-
schütterungen viel empfindlicher als die Limnäen. Bei der ge-
ringsten Bewegung des Wassers zieht es sich zurück und schliesst
die Schale, während die daneben im gleichen Wassergefäss leben-
den Limnaeus pereger ruhig weiter kriechen. Dass wir junge
Exemplare auch ausserhalb des Wassers im nassen Grundmoos
einer Wiese gefunden, haben wir schon in der Einleitung er-
wähnt und daraus die Möglichkeit ihrer Wanderung von einem
isolirten Wassergraben zu einem andern zu erklären versucht.
Sielle oben!
Zum Studium des Schlosses (Fig. 16) dieser winzigen
Zweischaler verwendeten wir am besten eine etwa 10fache Ver-
grösserung, weil man dann den ganzen Schlossapparat, Cardinal-
und Lamellarzähne noch in’s Gesichtsfeld bekommt. Zum Studium
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der 'Cardinalzähne bedarf es der vollständigen, nicht immer leich-
_ ten Entfernung des Ligaments, weil Rudera desselben leicht
Täuschungen veranlassen. Auch die schon mit blossen Augen
sichtbaren Lamellarzälme bedürfen zu genauerer Aufklärung des
_ Mikroskops. An der rechten Schale (a) nun findet sich ein
dreieckiger Cardinalzahn (d), dessen Basis etwa 1?/, Mal so lang
als die Seiten; unmittelbar vor demselben noch ein solches, kleineres,
dreieckiges Zähnchen. Beide stehen ungefähr auf der Mitte der
Schalendicke. Die Lamellarzähne (c. e) der rechten Schale, von
denen der vordere (c) gewöhnlich höher ist als der hiniere (e),
bilden lange, dicke, wulstartige Hügel, die durch eine Längs-
furche in zwei parallele Hälften getheilt sind. Diese Furche
ist bei dem vorderen Lamellarzahn sehr stark, an dem hinteren
seichter. Die linke Schale (b) hat einen etwas verschiedenen
Zahnbau. Die zwei Cardinalzähnchen (g) erscheinen gleicher an |
Grösse; die Lamellarzähne (f. h.) sind weniger nach dem Innern =
der Schale zu verbreitert, dagegen hat der vordere derselben
(f) etwa in der Mitte einen starken Knopf, der in ein entsprechen-
des Grübchen der rechten Schale passt. Diesen ‘Knopf sieht
man am deutlichsten, wenn man die Schälchen nur etwa zu
drei Viertheilen öffnet, nicht ganz flach auseinander legt.
Die feinen Anwachsstreifen sind bei jungen bis etwa 1?/, Mm.
langen Stücken sehr deutlich, bei den erwachsenen nur noch
mit dem Mikroskop zu sehen. Je älter das Thier, uw so bauchiger
wird die Schale.
74a. Pisidium aus der Falkensteiner Höhle.
Die vielen Pisidien-Schälchen, die man stets ohne Thier
in dem Bächlein und besonders in dem reichlichen Erdschlamm
der Falkensteiner Höhle findet, gehören zweifelsohne auch
dem Pisidium pusillum Gmel. an. Die Form der Färbung, die
Structur, der Schlossapparat sind ganz dieselben. Nur ist es
die kleinere Varietät, wie sie z. B. auch auf der Vöttelwiese bei
Wittlingen vorkommt.
Ob dieses Müschelchen wirklich in der Falkensteiner Höhle
lebt, ist uns sehr zweifelhaft. Wir selbst haben nie ein leben-
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wo die beiden Schalenhälften noch zusammenhängen. Auch
scheinen dieselben alt; sie sind so morsch und brüchig, dass es
schon eine mühsame Arbeit ist, sie unversehrt aus dem Wasser
und vollends aus dem zähen Lehm heraus zu bekommen.
Wir vermuthen, dass diese Zweischaler von oben aus den
Wasserwiesengräben der Alb, wo sie leben, durch das zerklüftete
Gebirge hindurch vom Wasser in die Höhle herabgeschwemmt
worden. Dies ist um so wahrscheinlicher, weil jene Pisidien, wo
immer wir sie lebend fanden, nicht frei auf dem Grunde des
Wassers leben, sondern im Wurzelfilz von Wasserpflanzen und
einen solchen gibt es natürlich in der Höhle nicht.
Rückblick.
Übersehen wir nun das obige Verzeichniss unsrer Alb-
Mollusken im Ganzen, so finden wir in demselben sechs Arten,
die unsres Wissens bis jetzt in Württemberg noch nicht
gefunden worden waren. Nämlich: Hyalina nitidula, H.
pura, H. striatula, Helix edentula, Clausilia cruciata und Pupa
edentula.
Auf der Alb waren, so viel wir aus der Literatur sehen,
noch nicht gefunden folgende fünfundzwanzig Arten:
Arion hortensis, Limax cinereo-niger, L. brunneus, Vitrina elon-
gata, V. pellucida, Hyalina nitidula, H. erystallina, H. hyalina,
H. fulva, H. pura und A. striatula. Helix pygmaea, H. acu-
leata, H. edentula, H. nemoralis, H. costulata, Balea fragilis,
Olausilia dubia, Cl. cruciata, Cionella acicula, Pupa edentula,
P. antivertigo, Carychium minimum, Limnaeus truncatulus und
die erste und bis jetzt einzige Albmuschel Pisidium pusillum.
Überhaupt neu beschrieben sind folgende sechs Varie-
täten: Limazx arborum, var. flava und var. tigrina; Helix
hortensis, var. fagorum; Hel. rufescens, var. Olessini; Oionella
2
.
.
des Exemplar erhalten, auch Fries nicht; ja selten nur solche,
lubrica, var. Pfeifferi; Limnaeus truncatulus, var. Wittlingensis.
Die drei ersten sind nur Färbungs-, die vierte eine Epi-
dermis-, die beiden letzten wichtige Form-Varietäten.
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Albinos und Monstrositäten.
. Albinos kamen zur ‘Beobachtung von: Limax einereo-niger,
Helix incarnata, H. lapicida, H. pomatia, Buliminus montanus,
_B. obscurus, Clausilia laminata, Cl. biplicata, Ol, plicatula, Ol.
cruciata, Ol. parvula, Pupa muscorum. 2
Monstrositäten wurden beobachet:
1) Helix lapicida, ein junges Tbier mit kaum ange-
deuteter Kielung der Schale Eine für die Systematik in-
teressante Abirrung, ohne sichtbare, äussere Veranlassung. Siehe
oben S. 288. und Taf. IV. Fig. 2.
2) Helix fruticum, Halbscalaride, bei der die Naht
weit unter der Mitte der Windungen verläuft. Ohne Verletzung!
3) Buliminus detritus, eine sehr merkwürdige Form,
bei der die Naht scharf und tief und durch Ueberlap-
pen des Randes der jeweils jüngsten Windung tief einge-
furcht erscheint, so dass dem entsprechend auch die Mündung
unten eine kleine aber scharfe, winklige Ausbuchtung bildet, wie
bei vielen Cyclostomen. Zudem ist jener überlappende Rand
hübsch gekörnelt. Die Anomalie wird schon von der vierten
Windung an sichtbar und setzt sich, regelmässig zunehmend,
durch die vier weiteren Windungen fort, bei der letzten am
stärksten sich entwickelnd.. Im Übrigen ist diese an Mitra
erinnernde Schale vollkommen normal und schön ausgebildet.
Ursache der Abirrung war wohl eine frühere Verwundung des
schalenabsondernden Mantelkragens an jener Stelle, infolge deren
wohl die verdickte Wundnarbe die Mündung an jenem Winkel,
wo sie sich an die vorhergehende Windung ansetzt, beständig
hinausdrückte.
4) Helix hispida mit ganz enormer Abirrung der letzten
Windung, so dass gleichsam zwei vollständige Schnecken auf
einander geklebt scheinen. Ursache war eine Schalenverletzung
nach der vierten Windung.
5) Halbscalariden nach Schalenverletzung wurden be-
ebachtet bei Helix arbustorum, H.Tapicida und Olausilia cruciata.
— 348 —
Zur Characteristik der Albmolluskenfauna überhaupt.
Diese Fauna setzt sich, wie wir uns mehr und mehr über-
zeugten, und wie aus dem obigen Catalog hervorgeht, aus drei
verschiedenen Elementen zusammen, nämlich 1) aus einer spe-
cifischen Gebirgsfauna, 2) einer verkümmerten Thal-
fauna und 3) aus einer grösseren Anzahl flexibler
Arten, welche offenbar in Thal und Ebene, wie auf dem Ge-
birge gleich zu Hause sind.
Zu unsrer specifischen Gebirgsfauna zählen jene,
welche offenbar auf dem Gebirge ihre vollkommenste Entwicklung
erreichen, mehr so als im Thal. Dieselben sind meist auf der
Alb sehr individuenreich, doch sind einzelne hierher gehörige
Arten auch hier selten, sei es nun, dass sie im Aussterben
begriffen, oder dass ihre Vermehrung mit anderen, uns bis jetzt
unbekannten Hindernissen zu kämpfen hat. Trotz dieser Selten-
heit müssen solche doch als ächte Albmollusken gelten, sofern
sie in Thal und Ebene gar nicht zu treffen sind. Zu dieser
ächten Gebirgsfauna rechnen wir folgende zweiundzwanzig
Arten: Limazx cinereo-niger, L. arborum, Helix rupestris, IH.
obvoluta, H. personata, H. lapicida, H. costulata, H. edentula,
Buliminus montanus, B. obscurus, Clausilia dubia, Ol. cruciata,
Cl. parvula, Cl. filograna, Pupa avena, P. secale, P. edentula,
P. doliolum, Limnaeus truncatulus, L. pereger, Acme polita und
Pisidium pusillum. Selten, auch auf der Alb, sind von den
obigen: Clausilia filograna, Pupa edentula und P. doliolum.
Zu der verkümmerten Thalfauna zählen wir jene
Species, die unten im Thal und in der Ebene häufig, auf unsrem
Gebirge nur einzeln, oder in kleinen Colonien, öfters auch in
kleineren Formen auftreten, so dass unser Albrand auch den
Rand ihres Verbreitungsbezirkes darstellt. Dahin gehören fol-
gende fünfzehn Arten: Vitrina elongata, Hyalina cellaria,
H. nitida, H. crystallina, H. hyalina, Il. fulva, H. pura, Helix
strigella, H. fruticum, H. pulchella, H. candidula, Buliminus
detritus, Balea fragilis, Succinea putris und Suce. Pfeifferi.
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— 349) —
Endlich zu jenen leichter sich accommodirenden, auf
dem Gebirg und der Ebene gleich heimischen gehören
folgende vierunddreissig Arten: Arion empiricorum, A. horten-
sis, Limax agrestis, L. brunneus, Vitrina diaphana, V. pellu-
cida, Hyalina nitens, H. nitidula, H. striatula, Helic rotundata,
H. pygmaea, H. costata, H. aculeata, H. incarnata, H. hispida,
H. rufescens, H. arbustorum, H. nemoralis, H. hortensis, H.
pomatia, H. ericetorum, Cionella lubrica, ©. acicula, Clausilia
laminata, Cl. orthostoma, Cl. biplicata, Cl. plicatula, Pupa mus-
corum, P. minutissima, P. antivertigo, P. pygmaea, P. pusilla,
Sucinea oblonga und Carychium minimum.
NB. Unsre Hydrobien können wir als specifische Höhlen-
bewohner kaum einer der drei obigen Kategorien unterordnen.,
Ein anderer interessanter Gesichtspunkt für die Eintheilung
unsrer Albmolluskenfauna wäre der nach dem speciellen Auf-
enthaltsort dereinzelnen Arten. Hier müssen wir unter-
scheiden: Wald-, Waldtrauf- und Häger-, Wiesen-, Fel-
sen- und Wassermollusken. Doch gibt es in dieser Be-
ziehung gar manche, vagabundirende, die sich an die verschieden-
sten Verhältnisse äusserer Umgebung accommodiren können und
diese treten dann in verschiedenen Gruppen zugleich auf.
1) Als Waldmollusken der Alb können wir bezeichnen:
Limax cinereo-niger! L. arborum! Arion fuscus! Hyalina fulva,
H. cellaria, H. nitens, H. nitidula, HA. hyalina, H. crystallina,
H. pura, Helix obvoluta! H. personata! H. lapicida! H. nemo-
ralis; H. hortensis; Buliminus montanus! B. obscurus! sämmt-
liche Clausilien; Pupa secale! P. edentula (in der Erde), Cary-
chium minimum.
2) Als Waldtrauf- und Hägerschnecken characteri-
siren sich: Arion empiricorum, Helic rotundata, H. edentula!
H. incarnata! H. rufescens! H. strigella! H. fruticum, H. po-
matia! von Clausilien hin und wieder: (CI. Taminata, Ol. bipli-
cata, Cl. cruciata; Hyalina nitens, H. nitidula und H. cellaria.
3) Als Wiesenschnecken und zwar a) an trockenen
Plätzen und warmen Halden leben: Vitrina pellueida (nur
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in Herbst), Helix pygmaea, H. ericetorum! H. costulata! H.
candidula! H. costata! H. hispida, Buliminus detritus! Cionella
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acicula! (unter dem Boden), Pupa muscorum! Succinea oblonga! ö
b) Auf nördlich gelegenen und feuchteu Wiesen: Arion
hortensis, Vitrina elongata, V. diaphana! Hyalina cerystallina,
H. striatula! H. nitida! H. hyalina, H. pura, H. fuWwa, Helix
aculeata, H. pygmaea, H. pulchella! H. hispida, H. arbustorum!
Cionella lubrica! Pupa antiwertigo! P. pygmaea , Succinea
putris! S. Pfeifferi! Carychium minimum, Limax brunneus!
Die Suceineen und dieser Limax nur an Wassergräben.
4) Felsenschnecken sind: Helix rupestris! Clausilia
parvula, Cl. filograna, (diese beiden auch an bemoosten Bäumen),
Pupa avenacea! P. minutissima, P. doliolum! P. pusilla, Acme
polita! die beiden letzten an Waldbeschatteten Felsen.
5) Wassermollusken endlich sind: Limnaeus pereger,
L. truncatulus, Hydrobia vitrea und Pisidium pusillum.
Einige in diesen Gruppen nicht aufgeführten Arten, z. B.
Balea fragilis, die nur Einmal gefunden worden, Limax agrestis,
der überall, nur nicht im Wald, vorkommt, liessen sich nicht
unterbringen.
Die Eintheilung in Erd-, Laub-, Steinschneckenu.s.f.
ist schon von Freund Martens in seiner reichhaltigen Disser-
tation über die Verbreitung der Europäischen Land- und Süss-
wasser-Gasteropoden (Jahresh. 1855) in erschöpfender Weise ab-
gehandelt, so dass wir nicht weiter darauf einzugehen brauchen.
Ein weiterer Gesichtspunkt bei der Betrachtung unserer
Fauna wäre auch das Verhalten der Individuen zu ein-
ander, ob sie gesellig oder nicht.
Als gesellige Mollusken kann man bezeichnen: Arion em-
piricorum, Limax carinatus, L. arborum, L. agrestis, Vitrina
diaphana, Heliv rotundata, H. rupestris! H. personata, H. co-
stata! H. hispida! H. rufescens, H. arbustorum! H. nemoralıs,
H. hortensis! H. pomatia, H. ericetorum, H. costulata, H. can-
didula, Buliminus detritus! Clausilia biplicata, Ol. parvula,
Cl. dubia, Cl. cruciata, Pupa avenacea! P. muscorum, Suc-
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cinea putris, $. Pfeifferi, Limnaeus pereger, L. brunneus, Pisi-
dium pusillum.
‚Ungesellig, obgleich im Ganzen häufig, treten auf: Limax
cinereo-niger, Hyalina nitens, H. nitidula, Helix obvoluta, H.
edentula, H. incarnata, H. lapicida, Buliminus montanus, B.
. obscurus, Pupa secale.
Die übrigen würden sich, theils wegen ihrer Seltenheit,
theils, weil ihr Character in dieser Beziehung weniger ausge-
- sprochen, nur mit Zwang in die eine oder andre Gruppe ein-
theilen lassen.
| Schliesslich könnte man unsre Albmollusken noch darauf
ansehen, wie die einzelnen Arten im Gesammtbild der Fauna
durch Grösse, Individuenzahl oder exponirten Aufent-
halt in die Augen fallen und insofern dieselbe characterisiren,
oder im Gegentheil sich mehr den Blicken entziehen.
In dieser Beziehung gehören zu den auch dem Auge des
Laien und des vorübergehenden Wanderers auf der Alb sich
aufdrängenden Arten nur folgende: Arion empiricorum, Limasx
cinereo-niger, L. arborum (zu Zeiten), Helix hispida, H. rufes-
cens, H.lapicida, H. arbustorum, H. pomatia! Buliminus mon-
tanus und alle Baum-Clausilien (zu Zeiten).
Alle übrigen Arten treten zurück und wollen mehr oder
weniger erst gesucht sein.
Mollusken im Seeburger Tuffstein.
(Taf. IV. Fig. 8.)
Während wir in unsern hiesigen Basalttuffen, die z. B.
in der Wittlinger Steige so scharf die Jurakalklager durchbrochen
und sich als Lava darüber hingegossen, bis jetzt vergeblich nach
- organischen Einschlüssen gesucht haben, finden sich in dem
Kalktuff des Seeburger Thales eine Menge Schnecken-
schalen eingeschlossen, die aber nur wenigen Arten angehören.
Dieselben beweisen, dass dieser Tuff, der bis zu 30 Fuss Tiefe
die Thalsohle ausfüllt und den kostbaren, jetzt mit der Eisen-
392.
bahn weithin versandten Baustein liefert, verhältnissmässig jungen
Datums ist. Die Weichthiere, deren Schalen darin liegen, wie
die Reste von Säugethieren (Edelhirsch und Wildschwein), die
wir erhalten haben, gehören alle heute noch lebenden Thierarten |
an. Doch leben die Mollusken des Tuffs, wie es scheint, heute
nicht mehr alle im Thale. *)
Am häufigsten in diesem Gestein eingeschlossen findet man
die Schalen von Helix arbustorum L. oft noch mit ziemlich gut
erhaltener Färbung. Dies ist noch heute die gemeinste Schnecke
im Thal.
Schon seltener im Tuff tritt Suceinea putris L. auf, die
gleichfalls heute noch überall an der Erms und an den Wiesen-
wassergräben vorkommt.
Oft von riesigen Dimensionen trifft man den Zimnaeus ova-
tus Drap. im Gestein, Formen, die schon an die bekannte, kurze
*, Wir fanden bis jetzt im Seeburgerthal von Wassermollusken
lebend:
1) Planorbis contortus Müll. Nicht selten an der Wasserkresse
und anderen, untergetauchten Pflanzen in den Altwassern der Erms
hinter der Lamparter’schen Möbelfabrik, einem zoologisch überhaupt
reichen Platze, wo auch jederzeit Hydra viridis L. und verschiedene
schöne Planarien sich finden.
2) Planorbis spirorbis Müll. Selten, ebenda.
3) Limnaeus ovatus Drap. Ebenda und auch sonst überall
häufig. Grosse Exemplare bei Güterstein.
4) Limnaeus pereger Drap. An kleineren Wassergräben oben
im Thal.
5) Limnaeus truncatulus Müll. Ebenda. Sehr gemein ist diese
Art in dem Wiesenwassergraben hinter dem Turnplatz im Elsachthale.
6) Physa fontinalıs Müll. Ziemlich häufig, aber in einer kleineren
Form, in den obengenannten Altwassern der Erms.
7) Valvata eristata Müll. Ebenda selten.
8) Hydrobia vitrea Drap. var. Quenstedti Wied. Lebt nach
aller Wahrscheinlichkeit in den unterirdischen Tuffsteinhöhlen.
9) Pisidium pusillum Gmel. In den Wiesengräben und in der
Erms nicht selten,
Dagegen haben wir nach Ancylus fluviatilis L., der sonst das
kalte, fliessende Wasser liebt, bis jetzt in der Erms vergeblich
gesucht.
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Form von Limnaeus stagnalis erinnern. Wir haben einen solchen
Taf. IV. Fig. 8 in nat. Gr. abgebildet. Die Art ist noch heute
die häufigste unter den Limnäen im Thale.
Dagegen ist uns Planorbis marginatus Drap., der im Tuff
in schönen, unverkennbaren Stücken freilich selten sich findet,
lebend im Seeburger Thale nicht vorgekommen.
Valvata cristata Müll. Hin und wieder im Tuffsand. Lebt:
noch im Thale.
Endlich Pisidium pusillum Gmel. Selten im Tufisand. Lebt-
gleichfalls noch im Thale. Dasselbe Müschelchen, das wir auch
oben auf der Alb entdeckt haben und dessen Schalen, wohl von
oben hereingeschwemmt, auch im Wasser und Thonschlamm der
Falkensteiner Höhle sich finden.
NB. Helix pomatia L., die Dr. von Klein sogar in dem
natürlich viel älteren, diluvialen Sauerwasserkalk von Cannstatt
(am Katzensteigle) entdeckte, *) fanden wir bis jetzt auffallender
Weise nicht in unsern Seeburger Tuffen, ebensowenig H. nemo-
ralis, die von Klein gleichfalls als diluvial nachwies. Dies be-
weist aber wohl nur, dass die Verhältnisse, unter denen unsre
Seeburger Tuffe entstanden, d. h. die Moossümpfe des damaligen
Thales, den H. pomatia und nemoralis keinen entsprechenden Auf-
enthalt boten, wenn sie auch schon damals im Waldgebirge da-
neben wohnten. Wohl aber mochte daselbst FH. arbustorum
leicht in Menge leben, wie man sie ja auch heute noch auf
Wasserpflanzen mitten in Sümpfen herumkriechen sieht.
*) Siehe: von Klein über die Conchylien der Süsswasserkalk-
Formationen Württembergs in den Naturw. Jahresh. II. S. 107.
Württemb. naturw. Jahreshefte. 1876. 23
Erklärung der Abbildungen.
Tafel IV.
Fig. 1. Limax arborum Bouch. var. tigrina n. Natürliche
Grösse. Von der Wittlinger Viehwaide.
Fig. 2. Helix lapicida L. Monstrosität mit ganz abgeflach-
tem Kiel. Nat. Grösse. Aus dem Faitelwald.
Fig. 3. Cionella lubrica Müll. Die gewöhnliche Form, drei-
mal vergrössert.
Fig. 4 Üionella lubrica Müll. Var. Pfeifferi, n., drei-
mal vergrössert. Hohen-Wittlingen.
NB. Zur Vergleichung der gewöhnlichen Form (Fig. 3) und der
grossen Varietät oder verwandten, neuen Art? (Fig. 4) haben wir die
beiden unter Einer Loupe neben einander gezeichnet.
Fig. 5. Pupa edentula Drap. Etwa zehnmal vergrössert.
Von unsrer Ruine. Der Strich neben der Figur bezeichnet die natürl.
Grösse.
Fig. 6. Limnaeus truncatulus Müll. Var. Wettlin-
gensts, n. Nat. Grösse.
Fig. 7. Limnaeus pereger Müll. Gebirgsvarietät. Nat.
Grösse. Von Hengen.
Fig. 8. Limnaeus ovatus Drap. Eine grosse Form aus dem
Seeburger Tuffstein. Nat. Grösse.
Fig. 9. Hydrobia vitrea Drap. Var. Quenstedtii Wied.
Aus der Falkensteiner Höhle, mit dem kriechenden Thier. Etwa sechs-
mal vergrössert. Man sieht in a den Rüssel, b und c die Fühler, in
d das Vordertheil des Fusses, in e das Hintertheil des letzteren mit
dem Deckel.
Fig. 10. Dieselbe Art von vorne gesehen. Eben daher (3 Mm.
lang, 2 breit). Etwa sechsmal vergrössert. Die Linie daneben be-
zeichnet die natürliche Grösse. Ebenso in den folgenden Figuren.
Fig. 1. Dieselbe Art. Aus einem Brunnquell bei der Geor-
genauer Mühle im oberen Ermsthal. Ein Exemplar von der langen
Form (4 Mm. lang, 2 breit). Etwa sechsmal vergrössert.
Fig. 12. Dieselbe Art von derselben Localität. Ein Exem-
plar mittlerer Form (3 Mm. lang, 1?/, breit). Etwa sechsmal ver-
grössert. y
Fig. 13. Dieselbe Art von derselben Localität. Ein Exem-
— 355 —
‘ plar von der breiten, bauchigen Form (3°/, Mm. lang, 2°/, breit). Etwa
sechsmal vergrössert.
Fig. 14. Pisidium pusillum Gmel.? Zehnmal vergrössert.
Vom Rücken aus gesehen. Von Hengen. Der Strich daneben bedeutet
die natürl. Grösse.
Fig. 15. Dasselbe. Schlossapparat. a. Rechte, b. linke Schalen-
hälfte. Man sieht in der Mitte des Schlosses die zwei spitzen, drei-
eckigen Cardinal-Zähne bei d und g; oben und unten die langen,
flacheren Lamellar-Zähne c, e und f, h, Zehnmal vergrössert.
Fig. 16. Dasselbe von der linken Seite gesehen, mit Thier.
Man sieht in a. den langen, ansgestreckten Tastfuss; bei b. die Athem-
röhre. Etwa fünfmal vergrössert.
Sinnstörender Druckfehler: Seite 241, Linie 5 lies: nie ver-
gebens nach unseren characteristischen Limax — Clausilien — und in-
teressanten Helix-Arten.
in
Acicula Leach.
Acme fusca Mont.
„ lineata Drap..
»„ polita Hartm..
Aeschna grandis L. .
Alinda Ad.. 3
Amalia Mog. Tand. .
Anas querquedula L.
Anchistoma Klein
(Kobelt)
Ancylus fluviatilis L.
Arion empiricorum Fer.
„ fRavus Müll.
„ fuscus Müll. .
„ hortensis Fer.
Var. alpicola Fer.
„ imelanocepha-.
ms: BB, ;
„ subfuscus Drap..
tenellus Müll.
Balea fragilis Drap.
Blutegel auf der Alb
Bufo cinereus Schn.
Buliminus detritus Müll.
„ elongatus Rossm.
„ montanus Drap. .
„ obscurus Müll.
„ radiatus Brug.
tridens Müll. .
ray virgo L.
Campylaea Beck .
Carocolla Lam. E
Carychium exiguum Say
„ minimum Müll. .
Cercaria armata Nitzsch.
Chondrula Beck... . .
Cionella acicula Müll. .
„ lubrica Müll. .
(Taf. IV.8)
Register.
Seite.
311
335
336
335
230
320
262
248
279
352
273 f.
275
276.277
276
277
274
276
274
318
247
248
303.
304
304
304
303
305
250
288
289
329
328
333
305
3l1
305
347
Var. Pfeifferi n.
(Taf, IV. 4)
Cionella lubricella Ziegl.
Clausilia bidens Drap. .
» biplicata Mont. .
„ eruciata Stud.
„ dubia Drap. .
„ . filograna Ziegl. .
„ laminata Mont. .
„ nigricans Pult. .
„ obtusa Pfr.
„ orthostomaMenke
„ parvula Stud.
„ perversa Pfr.
„ plicata Drap.
„ plicatula Drap. .
„ similis Charp.
‘„ taeniata Ziegl.
ventricosa Drap.
Comm laevis Merr. .
Cyclostoma elegansMüll.
Daudebardia Hartm.
Distoma hepaticum L. .
Dytiscus marginalis L.
Emys europaea Schn. .
Fruticicola Held .
Gulnaria Leach.
Helix aculeata Müll.
„ arbustorum L.
„ eandidissima Drap.
„ eandidula Stud.
ceircinata Stud.
cobresiana v. Alt.
„ costata Müll. .
„ costulata Ziegl. .
depilata Drap.
desertorum Forsk.
edentula Drap.
ericetorum Müll,
S$
$
- - Br u
ERROR. HL I
Seite.
306 ft.
306
319
320
323
322
325
319
323.
323
320
324
320
322
322
320
320
321
256
335
265
333
248
251
281
329
280
289.
303
302
285
324
352
235. 283
280
301
283
303
281
300
EN
— 357 —
Bi, Seite. Seite.
_ Helix fruticum Müll. . 286 Hyalina nitidosa Fer. . 270
2‘ „ hispida L.. . . 283 » nitidula Drap. . 267
\ »„ holoserica Stud. . 279 » Petronella Charp. 271
n „ hortensis Müll. . 292 #. » Pura Ald.. . .. 269
Var. fagorum n. 294 £. „ radiatula Ald. . 271
„ incarnata Müll. . 285 » Striatula Gray . 270
„ Jlapieida L. Mon- „ subterraneaBourg. 269
stros. (Taf. IV.2.) 288. 347 „ Vviridula Menke . 268.271
„ liminifera Held . 283 Hydra viridis L.. . . 352
„ monodon Fer.. . 283 Hydrobia Quenstedtü .
E »„. montana Pfr... . 285 Wiedl:+r.n. Syn
B „ nemoralis L.. . 290 ff. » Vitrea Drap.
— „ .obvia Hartm. . . 301 Var. Quenstedtii Wied.
— , obvoluta Müll. . 279.243 | (Taf. IV. 9—13.) 336 #.
. » personata Lam. . 280.243 | Hyla arborea L. . . . 248
; „ pomatia L. . . 296 ft. Iphigenia Gray . . . 322
R Se et Juglans regia L.. : . 237
N »„ pulchella Müll. . 281 Lacerta viridis Daud. . 251
» Pygmaea Drap. . 278 Lehmannia Heinemann . 258. 261
„ Totundata Müll... 279 Limax agrestis L . . 256
„ ruderata Stud. . 279 „ arborum Bouch. . 258
„ rufescens Penn. . 285 Var. tigrinan. .
# Var. Clessini n.. 285 (Taf. IV. 1). . 2359
„ Tupestris Drap. . 278 Var. flavan.. . 259
„ sericea Drap. . . 284 » brunneus Drap. . 235.257
» striata Müll... . 301 | „ carinatus Leach. . 261
» strigella Drap. . 287 » einetus Müll... . 260
» teeta Ziegl. . . 286 „ einereo-nigerWolf 255
» thymorum v. Alt. 308 |» einereus List... . 256.260
„ unidentata Drap. 283 » Jlaevis Müll. . . 257
villosa Drap. . . 234 » inarginatus Müll. 258
Ein cellaria Müll. . 265 „ iarginatus Drap. 261
„ eontorta Held. . 268 Limnaeus amplus Migh. 273
„ erystallina Müll. 269 „ auricularius Drap. 273
» Draparnaldii Beck 265 In desidiosus Say . 273
„ electrina Gould . 271 |. n ..elodes Sayıı. «.7.0700078
eo tulya Drap. . .' 279 » elongatus Drap. . 332
„ hammonis Stroem. 271 ». "fuscus: Pfr. 25275998
„ hyalina Fer. . . 268 » Jugularis Say. . 273
» Jlucida Drap. . . 268 | » minutus Drap. . 330
»„ hitens Mich. . . 266 » ovatus Drap. .
„ nitida Müll. . . 268 | (Taf. IV. 8) . . 348,352
4:5
DR ER Fr
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TC Mei IH
. 222 +.
nr
i-
eu
“
„ pereger Drap.
Seite.
Limnaeus palustris Drap. 331.273 | Pupa pygmaea Drap. .
(Taf. IV.7.) 244. 246.359
Var. excerpta .
Hartm. . 329
„ stagnalis L. 250.273 |
„ truncatulus Müll. 330,352
244. 246
Var. Wittlingensis n,
(Taf. IV. 6.) . 330. |
Marpessa Mogq. Tand. . 319 |
Napaeus Albers . 304
Paludina pellucida Benz 337
„ vivipara L. 234
Patula Held . 278
Pentataenia A. Schmidt 290
Physa fontinalis Müll... 352
Pisidium pusillum Gmel.
(Taf. IV. 14—16.) 245.343 |
Planorbis albus Müll. . 273
„ eontortus Müll. 392
„ hirsutus Gould 273 |
„ marginatus Drap. 353
„ spirorbis Müll. 352
vortex Müll. 234
Keoippin Moq. Tand, 277
Pupa acridula Held 315
„ antivertigo Drap. 317
„ avenacea Brug. . 313
„ columella Benz . 316
„ doliolum Brug. 318. 235
„ dolium Mich. . 818
„ edentula Drap. |
(Taf. IV. 5.) . 315 |
„ frumentum Drap. 314
„ .Inornata Mich. 316
» MinutissimaHartm. 315
„ imuscorum L.. 314
„ pusilla Drap. . 313 |
358
——
„ secale Drap. >
„ septemdentataFer.
» _Venetzii Charp. .
Pupilla Leach.
Rana esculenta L.
„ temporaria L.
Rumex scutatus L. .
Sorbus torminalis Crantz
Sphyradium Hartm... .
Stenogyra octona L.
Succinea amphibia Drap.
„ arenaria Bouch. .
„ australis Quoy u.
Gaym. }
„ oblonga Drap.
„. Pfeifferi Rossm. .
putris L.
Testacella haliotidea Din!
Theba Kobelt .
Tilia grandifolia Ehrh.
„ parvifolia Ehrh. .
Torquilla Stud.
Triodopsis Raff.
Unio batavus Lam. .
Valvata cristata Müll. .
' Vertigo Müll. .
Vipera berus L. .
„ preterL. .
Vitrina diaphana Drap.
„ Draparnaldii Cuv.
„ elongata Drap.
„ pellucida Müll.
„ major Fer..
Xerophila Held
' Zebrina Held .
' Zoniteslucidus Mog.Tand.
Zua Leach .
EEE Te 73 we
Seite.
317
312
317
318
314
248
248
252
239
318
307
326
328
327
327
326
326. 352
271
280
240
240
312
280
250
352
317
256.273
273
263
265
263
264
265
300
303
266
305
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A a Se il a er f
Zusammenstellung der in Württemberg Forkommenden
Schädelformen,
Von Dr. H. v. Hoelder, Ober-Med.-Rath.
Mit Taf. V—XI. .
Erste Abtheilung.
Die Schädelformen.
1. Zahl der untersuchten Schädel.
Bis jetzt habe ich 962 aus Württemberg stammende nor-
male Schädel Erwachsener untersucht. Davon fanden sich 66
in Höhlen, Grabhügeln und römischen Gräbern, 170 in Reihen-
gräbern; unter den übrigen, aus Gräbern des Mittelalters und
der Neuzeit stammenden, sind 178 an Leichen untersuchte Schädel.
Bei diesen habe ich auch die Farbe der Haare, der Haut und
der Augen, die Form und das Gewicht des Gehirns, die Grösse
und Gestalt der Glieder in anthropologischer Beziehung unter-
sucht. |
Aus dem jetzt vollständig abgegrabenen Schelzkirchhof in
Esslingen konnte ich endlich 207 Schädel untersuchen; die Zahl
der daselbst ausgegrabenen war zwar viel grösser, die übrigen
' waren aber ihrer schlechten Erhaltung wegen unbrauchbar.
2. Die Untersuchungsmethoden.
a. Abbildungen.
Gehen einem so viele Schädel durch die Hand, so findet
man bald, dass gewisse, selbst in kleinen Einzelheiten ähnliche
PETER FETT Fa RL
Fe B > .
Kg => , z
> I
e > -
N
Gestalten immer wiederkehren. Anfänglich habe ich diese typischen |
Formen in ?/, natürlicher Grösse aus freier Hand mit Zugrunde-
legung der Maasse der malerisch wichtigen Punkte gezeichnet.
Diese Methode giebt ganz brauchbare Bilder zum Zweck der
Feststellung der verschiedenen Formen. Später zeichnete ich
dieselben mit dem Lucae’schen Apparate, dem besten für diesen
Zweck, konnte aber diese Methode aus Mangel an Zeit und Ge-
legenheit nur theilweise durchführen. Zur Vereinfachung des
Geschäftes habe ich daher nach gründlicher Vergleichung der
Norma verticalis, occipitalis, lateralis und frontalis alle in ihrem
Bau gleichen oder sehr ähnlichen Schädel in Gruppen zusammen-
gestellt, Männer und Weiber, soweit möglich, geschieden, und.
den besten Repräsentanten aus jeder dieser Gruppen in halber
natürlicher Grösse in den oben erwähnten vier Ansichten photo-
graphiren lassen. Auf diese Weise habe ich im Ganzen 52 ver-
schiedene Formen unter den nahezu 1000 Schädeln feststellen
können und zugleich gefunden, dass für jede männliche Form
eine in ihren wesentlichen Grundzügen entsprechende weibliche
vorhanden ist, dass also die typischen Unterschiede einschneiden-
der sind als die geschlechtlichen. Von diesen 52 Formen habe
ich 3 vorerst ausser Acht gelassen, weil mir von ihnen nur je
ein defektes Exemplar zu Gebote steht und weil sie der einen
oder andern der übrigen Formen ziemlich nahe kommen. Die
übrigen 49 habe ich photographisch auf ?/, der natürlichen
Grösse reduciren lassen und in den vorliegenden Tafeln zusam-
mengestellt.
b. Die Methoden des Messens.
Die von Herrn v. Ihering vorgeschlagene Methode des
Messens ist meiner Überzeugung nach die einzig richtige, nur
durch sie kann man möglichst genaue vergleichungsfähige Er-
gebnisse erzielen, und ich habe ihre Grundprincipien auch sofort
nach ihrem Bekanntwerden als wirklichen Fortschritt ange-
nommen.
Durch mein Messinstrument, ein auch zum rechtwinkligen
nicht allein parallelen Messen eingerichtetes Kalibermaass, welches
;
Z
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EL
a ich der Anthropologen-Versammlung in Stuttgart im Jahre
„1867 vorzeigte, hatte ich, schon ehe wir Herr von Ihering’s
2 u ge
. - -
Arbeit bekannt wurde, eine ähnliche Methode angenommen, aber das
Prineip nicht so streng durchgeführt wie er und ausserdem die
_ früher allgemein angenommene Mittellinie des Jochbogens als
Grundlinie benützt. Die erhaltenen Ergebnisse weichen übrigens
glücklicher Weise nur wenig von den mit der v. Ihering’schen
Grundlinie (oberer Rand des Gehörganges und Mitte des untern
Randes der Orbita) zu erhaltenden ab, so dass der grösste Theil
meiner älteren Messungen noch brauchbar ist. Allen meinen
neuen Messungen habe ich die v. Ihering’sche Methode zu Grunde
gelegt und so weit es möglich und wesentlich war, auch
die älteren korrigirt. In den übrigen Fällen haben mir meine
Zeichnungen die Einordnung in die nach jener Methode gemessenen
typischen Formen-Gruppen auch jetzt noch möglich gemacht. Die
abgebildeten 49 Formen habe ich in letzter Zeit jede noclı zwei-
mal durchgemessen, um vor Irrthümern sicher zu sein, welche sich
- bei einer so grossen Menge von Gestalten und Zahlen so leicht
einschleichen.
Die von Herrn Heschl in Graz (Wiener Med. Wochenschrift
1874) veröffentlichte Mess-Methode, so beachtenswerth sie ist,
weil sie auch auf die Kurven Rücksicht zu nehmen sich bestrebt,
habe ich nicht berücksichtigen können, weil sie einen von dem
bisherigen ganz verschiedenen Weg einschlägt, ihre Ergebnisse
also den meisten Kraniologen unverständliche Zahien liefern
würden und weil sie für Massenuntersuchungen unverhältnissmässig
grossen Zeitaufwandes bedarf. Durch das Abbilden der Schädel
kommen überdies die Kurven genauer zur Anschauung als durch
jede andere Methode. Desshalb glaube ich auch, dass die Ordi-
naten und Abscissen des Herrn Aeby nicht praktisch sind. Auch
können sich wohl die meisten Kraniologen, ebenso wie ich, aus
den so gewonnenen Zahlen allein, kein genaues Bild von den be-
treffenden Schädeln machen.
In meinen Maassangaben habe ich mich für die Norma ver-
ticalis auf die gewöhnliche Länge (L), die schmalste Stelle in
der Linea temporalis (Q‘), den breitesten Querdurchmesser (Q),
302...
wo er sich findet, und die Entfernung dieser Stelle vom Hinter-
haupt (LQ) beschränkt. Q‘ habe ich der sonst vorgeschlagenen
Mitte der Schläfengrube vorgezogen, weil es mir nicht möglich
war, diesen Punkt bei jedem Schädel genau an derselben Stelle
zu finden. Dem Maasse LQ wäre zwar die Entfernung der
Seitenwandbeinhöcker vom hintersten Ende des Schädels, und in
der Norma oceipitalis, deren Höhe über der Ebene des Foramen
magnum vorzuziehen, weil diese Punkte karakteristischere Zahlen
für die einzelnen Gruppen geben. Ich habe es aber unterlassen,
dieses neue Element in die Messmethode einzuführen, weil LQ
für den Zweck der systematischen Bestimmung der Schädelform
genügt.
Für die Norma occipitalis habe ich mich auf die grösste
Höhe (H‘), die senkrechte Entfernung zwischen Q und der Ebene
des Foramen magnum (hs ?), die Entfernung der Mitte der Spitze
beider proc. mastoidei (q‘), und für das Gesicht auf dessen
grösste Breite (z) nnd grösste Höhe (sb) beschränkt. Das Maass
q’ ist für die Feststellung des Bildes der Norma oceip. nach
meiner Erfahrung so wichtig als die übrigen. Für die Höhe des
Gesichts habe ich die Nasenwurzel und das Foramen incisivum
als feste Punkte gewählt, weil, wenn man den Alveolarand als
zweiten Punkt annimmt, alle alten zahnlosen Schädel nicht zu
benützen sind, und doch werden gerade Schädel alter Personen
häufiger gut erhalten gefunden als die von jüngeren. Den Profil-
winkel habe ich aufgenommen, obgleich er, wie aus der Tabelle
ersichtlich ist, nur wenig karakteristisches für die in Württemberg
vorkommenden Schädelformen hat.
Die Maasse der für die Norma lateralis wichtigen Punkte,
der Grundlinie, der Höhe, Länge und dem Winkel der Stirne,
der Stelle, an welcher die grösste Höhe des Schädels den sagit-
talen Umfang schneidet, die Höhe und Länge des Hinterhauptes,
sowie die Bestimmungen der wichtigsten Punkte der Schädel-
basis habe ich fortgelassen, weil diese Maasse in einem be-
stimmten Verhältniss zu den von mir angegebenen stehen, also
keine weiteren Anhaltspunkte für die Bestimmung der Schädel-
formen geben. Übrigens halte ich diese Maasse keineswegs
1363 —
_ für unnütz, weil sie auf das bestimmteste darlegen, dass die
typischen Verschiedenheiten der Schädel auf alle Maasse einen
durchgreifenden Einfluss haben. Für die systematische Einord-
nung der Schädel bedarf man sie aber eben aus diesem Grunde
vorerst nicht.
Den horizontalen Umfang, den sagittalen und seine Theile,
und die verschiedenen queeren Umfänge habe ich dagegen nicht
aufgenommen, weil sie nur einen Schluss auf die Grösse des
Schädels zulassen, nicht aber auf die Gestalt seiner Krümmungen.
Der Längedurchmesser, in seiner wirklichen Grösse angegeben,
genügt im Verein mit dem queeren und der Höhe zur Beurtheilung
der Grösse der Schädel. Die grösste Länge habe ich als Mo-
dulus für alle übrigen Maasse festgehalten, um verständlich zu
bleiben, obgleich ich die v. Ihering’sche Grundlinie zu diesem
Zwecke gleichfalls für brauchbar halte. Für ganz verwerflich
halte ich es dagegen, für die Norma verticalis die grösste Länge
und für die N. occipitalis die grösste Breite oder gar den hori-
zontalen Umfang für beide als Modulus anzunehmen, weil die
so gewonnenen Zahlen weder übersichtlich noch verständlich ge-
nug sind, worauf schon Herr v. Ihering mit vollem Rechte hin-
gewiesen hat.
Die von den Herren Virchow und v. Ihering gewählten Buch-
staben als Chiffern für die von mir angewendeten Maasse habe
ich nicht verwendet, weil ich nicht einsehe, zu welchem Zwecke
die von den Herren Ecker und Welker seit langer Zeit eingeführten
Chiffern wieder abgeändert werden sollen und weil ich alle meine
Maasse seit langer Zeit mit denselben bezeichnet habe. Die auf Ab-
änderung meiner Bezeichnungen aufgewendete Zeit wäre völlig
nutzlos vergeudet, ganz abgesehen von den durch solche Abän-
derungen leicht sich einschleichenden Confusionen.
Mit dem geradlinigen, selbst nach der rationellsten Methode
vorgenommenen Messen der Schädel ist es aber nicht gethan, man
muss dieselben, der Kurven wegen, auch abbilden; und ausser-
_ dem ihre Beziehungen zum Gehirn und den übrigen Theilen des
Körpers kennen lernen, wenn man nicht irre gehen will. So
sicher es ist, dass beim Messen selbst die Mathematik allein
| ER vu FE
herrschen muss, so gewiss ist es, dass dasselbe seine Gränzen
hat, d. h. dass durch das geradlinige Messen allein nicht alle
Eigenthümlichkeiten zum Ausdruck kommen können, weil die
gemessenen Linien ideale sind und der Schädel kein mathemati-
scher Körper ist, ja in vielen Fällen nicht einmal vollkommen
symmetrische Hälften hat. Jenseits dieser Gränzen muss daher
die anatomische Betrachtung ihr volles Recht haben, wenn sie
auch innerhalb derselben nur eine untergeordnete Rolle spielen
kann.
Wohin man mit dem Messen allein kommt, zeigt am besten
der Ringeltanz, in welchem sich die Kraniologie zwischen Dolicho-,
Ortho-, Brachy-, Chamäo- und Hypsicephalie hin und her bewegt.
Man misst eben allein, ohne zu bedenken, dass das Messen nur
den Zweck haben kann, eine Vorstellung von der Gestalt des
betreffenden Schädels zu erlangen, dass es ganz verschiedene
Arten der Dolichocephalie und Brachycephalie giebt, auch abge-
sehen von dem mit ihnen verbundenen Profilwinkel und dass ver-
schiedene Schädelformen nahezu dieselben Indices der Höhe und
Breite haben können.
Zu verwundern ist es übrigens nicht, wenn letzteres bisher
nicht aufgefallen ist, weil man eben die Abbildungen zu sehr
vernachlässigt und die Maasse in keinen innern Zusammhang mit
den Bildern zu bringen versucht hat.
c. Die arithmetischen Mittel.
Die Schwierigkeit, sich in der grossen, innerhalb eines um-
schriebenen Bevölkerungskreises vorkommenden Zahl von Schädel-
formen und deren Maassen zurecht zu finden, hat zu dem Vor-
schlage geführt, das arithmetische Mittel aus einer grössern Reihe
von Schädeln zu ziehen und die so gefundenen Zahlen als die
des Normalschädels für die betreffende Bevölkerung zu erklären.
Herr Welker hat vorgeschlagen, dieses Mittel aus nur 30 Schädeln
zu ziehen, ohne Zweifel, weil er die Zahl der verschiedenen
ne TEEN
Schädelformen für kleiner zu halten veranlasst war, als sie wirk-
lich ist.
ea 1 013 ra
Mit diesen arithmetischen Mitteln vermehrt man aber nur
die Verwirrung, denn die einzelnen Dimensionen der typischen
Schädelformen entwickeln sich nicht in solchen gegenseitigen
Verhältnissen, dass sie durch die Mathematik allein erfasst
werden könnten, sie sind also keine nach streng mathematischen
Grundsätzen vergleichbare Grössen. Wer diesen Vorschlag, vol-
lends bei so gemischten Bevölkerungen, wie die des jetzigen
Deutschlands und Württembergs insbesondere, ausführt, thut das-
selbe, wie wenn er zur Vergleichung verschiedener Portraits alle
Farben eines jeden für sich zusammenmischen würde, um die so
erhaltenen Farben, schmutzig grau oder braun, mit einander zu
vergleichen. Um übrigens noch deutlicher zu zeigen, welch irr-
thümliche Ergebnisse die Berechnung eines solchen Normalschädels
hat, habe ich das arithmetische Mittel aus den 49 in Württem-
berg vorkommenden Schädelformen berechnet (s. Tab. 4 Schluss).
Die so erhaltenen Zahlen fallen in das Bereich der von mir mit
ST®5 bezeichneten Form (s. Taf. XI.), welche zu den seltenen
gehört, die in Württemberg vorkommen.
Nimmt man vollends aus einer Sammlung, in welcher vor-
wiegend die niederen Stände vertreten sind, wie diess ge-
wöhnlich in den anatomischen Anstalten der Fall ist, etwa 30
Schädel und berechnet den Normalschädel daraus, so kann man
durch dieses Verfahren möglicher Weise Zahlen bekommen, die
in der Natur gar nicht in derselben Gruppirung vorhanden sind.
Mittelzahlen festzustellen, halte ich nur für zulässig inner-
halb von Schädelformen, deren Architektur in ihren wesentlichen
Elementen dieselbe ist, zur Elimination der individuellen Schwan-
kungen. Aber auch innerhalb dieser Gränzen müssen die Ge-
schlechter, das mittlere und höhere Lebensalter, getrennt betrach-
tet werden, weil auch diese nicht zu verwischende Unterschiede
im Gesicht und dem Schädeldach zeigen. Um wirkliche mittlere
Schädelformen eines Bevölkerungskreises zu finden, bleibt vor-
erst nichts übrig, als bei einer sehr grossen Zahl von Schädeln
die häufigste Form einfach durch Zusammenzählen herauszufinden.
Eine sehr günstige Gelegenheit zu diesem Zweck bot mir der
jetzt vollständig abgegrabene Schelzkirchhof in Esslingen. Ich
— 366 —
werde weiter unten die Ergebnisse dieser Untersuchungen mit-
theilen.
Ich habe also keine Mittelzahlen gezogen; habe als typische
Exemplare für meine Gruppen, wo es möglich war, immer nur
Schädel von Männern im mittleren Lebensalter von guter Er-
haltung und regelmässiger Entwicklung gewählt, also nach dem
von der Natur selbst geschaffenen Mittel gesucht.
Bei einigen Gruppen konnte ich leider diesen Weg nicht
gehen, weil mir keine genügende Zahl wohl erhaltener Schädel
zu Gebote stand. Ich musste daher auch, der Photographie
wegen, einige Male nicht allein auf alte Individuen, sondern auch
auf Weiber zurückgreifen, ein Mangel, den ich vielleicht später
verbessern kann.
3. Die Eintheilung.
Man kann in der systematischen Kraniologie zwei Wege gehen,
entweder das künstliche System von Retzius beibehalten, nach
welchem, bei der geringen Differenz des Profilwiukels aller euro-
päischen Schädelformen, nur die Norma verticalis als Eintheilungs-
princip übrig bleibt, oder, wie in allen übrigen beschreiben-
den Naturwissenschaften, die einzelnen Formen nach dem ganzen
Complex ihrer Eigenschaften in natürliche Gruppen eintheilen,
wie schon von den Herren His und Ecker versucht wurde.
a. Das System von Retzius.
Der erste dieser beiden Wege ist bisher mit Vorliebe fest-
gehalten worden, hat aber so wenig befriedigende Ergebnisse
gehabt, dass viele zu der Überzeugung gelangt sind, die ganze
Kraniologie sei nichts weiter als eine Spielerei. Zu verwundern
ist diess kaum, wenn man bedenkt, dass die ganze Eintheilung
nur auf die Norma verticalis basirt wurde und dass man der
wohl erkannten Unzulänglichkeit dieses Systems dadurch abzu-
helfen suchte, dass man eine Menge neuer unnützer Maasse er-
fand, für die man keine Bilder hat.
Man ist auf diesem Wege nicht weiter gekommen, als brachy-
cephale und dolichocephale Formen mit unbestimmter gegenseiti-
a
57 Re;
I
K;
\ ger Gränze aufzustellen; und auch die von den Herrn Welker und
Broca zwischen beiden als neutrales Gebiet eingeschobene ortho-
cephale oder mesaticephale Form hat keine weiteren Vortheile
gehabt, als statt einer unbestimmten Gränzlinie deren zwei zu
bekommen.
Einen wesentlichen Fortschritt hat Herr Virchow gemacht,
indem er ausser der Norma verticalis auch die N. occipitalis einer
genauen Würdigung unterzog, also neben den drei oben ge-
nannten Abtheilungen hypsicephale, platycephale und chamäo-
cephale Formen aufstellt; dabei kommt aber auch er nicht über
die geraden Linien, sowie über die mittlere und hintere Hälfte des
Schädels hinaus. Ausserdem stellt er die drei neuen Formen unver-
mittelt neben die anderen, so dass man nicht gewahr wird, dass die
‚Hypsicephalie mit ganz verschwindenden Ausnahmen eine Eigen-
schaft der Dolichocephalie ist, und dass die Chamäocephalie und
Platycephalie in einem gewissen nothwendigen Abhängigkeitsver-
hältnisse von einander stehen, d. h. dass alle Schädel, deren
Breite die Höhe um ein bedeutendes überwiegt, auch platycephal
sind.
Unter die Begriffe brachycephal und chamäocephal fallen
so viele verschiedene Schädelformen,, dass Verwirrung entstehen
muss, wenn man diese Kategorien als Eintheilungsprincip wählt.
Am deutlichsten wird aber die Unzulänglichkeit des bisherigen
Systems, wenn man, wie schon angeführt, sieht, dass sogar zwei
Schädel mit ganz ähnlichen Höhen-Längen- und Breiten-Längen-
Index doch verschiedene Formen haben können, wie z. B. 65
und TG12 (s. Taf. VD); von der grossen Zahl verschiedener
Formen mit gleichem Breiten-Index gar nicht zu reden. Damit soll
aber nicht behauptet werden, dass diese Bezeichnungen überhaupt
nicht brauchbar seien; als kurze Benennungen gewisser Eigen-
schaften der Schädel sind sie ganz nützlich, aber zur systema-
tischen Eintheilung taugen sie Nichts.
Eine grosse Schattenseite der Eintheilung von Retzius ist also
die, dass sie nicht gestattet, tiefer in die Eigenthümlichkeiten
_ der Schädelformen einzudringen; dass sie z. B. zu dem Glauben
veranlasst, alle dolichocephalen Schädel Europa’s gehören einer
— 368 —
Rasse an, während es doch sehr verschieden gestaltete dolicho-
cephale Schädel giebt, deren Träger sich noch überdies durch
sehr verschiedene andere Körpereigenthümlichkeiten von einander
unterscheiden. Durch diese und andere Mängel wird die Kranio-
logie verhindert, auf eigenen Füssen zu stehen, was ihr doch
so nöthig ist, wie jedem andern Wissenszweige. Wie sehr auch
die Besten auf diesen Wegen irre gehen können, besonders wenn
sie dazu noch der Geschichte machenden Linguistik Einfluss auf
ihre Ansichten gestatten, hat der bekannte Streit zwischen Herrn
Virchow und de Quatrefages gezeigt. Eine nur flüchtige Ver-
gleichung der in Deutschland und Frankreich vorkommenden
Schädelformen hätte Herrn de Quatrefages überzeugen müssen,
dass wenn in Deutschland finnische Schädelformen in grösserer
Zahl vorkämen, diess auch in Frankreich der Fall sein müsste,
weil die kraniologischen Unterschiede zwischen beiden Nationen
so sehr bedeutend nicht sind, wie sich überhaupt die ethno-
graphischen Verhältnisse Frankreichs nur dadurch von denen
Deutschlands unterscheiden, dass in dem Maasse, als dort das ger-
manische Element gegen das sarmatisch-iberische und turanische
' zurücktritt, das semitische von Süden her seinen Platz einnimmt.
Und hätte er die beglaubigte Geschichte statt linguistischer Hy-
pothesen zu Rathe gezogen, so hätte er sich auch sofort sagen
müssen, dass die finnische und tschudische Bevölkerung des
jetzigen Finnlands auf der einen Seite mit schwedischen Volks-
elementen, auf der andern mit Lappen reichlich genug vermischt
sein muss, es also eben so vergeblich ist, eine für das heutige
Finnland karakteristische Schädelform aufzufinden, als für die
übrigen Bevölkerungen Europa’s, welche ja alle eine Mischung
mehrerer einfacher Typen in verschiedenen Verhältnissen aufweisen.
b. Das natürliche System.
Ich meine, es wäre an der Zeit, dass wenigstens die deut-
schen Anthropologen die Schädel, unabhängig von politischer Geo-
graphie und Linguistik, ganz allein nach ihrer Gestalt eintheilen
würden, und das geschieht am besten auf dem zweiten der vor-
hin von mir genannten Wege, dem der Eintheilung in natürliche
& Familien, auf welchem ja alle übrigen beschreibenden Natur-
"wissenschaften vorausgegangen sind. Diesen Weg glauben aber
Manche nicht einschlagen zu können, weil nach ihrer Ansicht
die Zahl der Schädelformen zu gross und der Unterschied der
einzelnen Gestalten zu gering ist. Damit beweisen sie aber nur,
dass sie kein Verständniss für die Unterschiede dieser Formen
und keine eingehenden Untersuchungen derselben gemacht haben.
Nur auf diesem Wege meidet man die oben angeführten
Fehlgäuge. Nicht allein die einzelnen Maasse des Schädels,
sondern seine Gestalt im Ganzen, d. h. die Natur selbst behütet
bei dieser Methode jeden vor den Schattenseiten der seitherigen
einseitigen Betrachtung. Auch in dieser Richtung kann man
eben für das Menschengeschlecht nichts Appartes erfinden,
es muss vielmehr auch hier nach den in der Zoologie und ver-
gleichenden Anatomie geltenden Principien verfahren werden. Denn
es ist für unser Erkennungsvermögen, hier wie bei allen andern
Objekten der beschreibenden Naturwissenschaften, nöthig, Genera
und Species aufzustellen, auch dann, wenn man überzeugt ist, dass
diese im Verlauf der Jahrtausende sich wesentlich verändern. Um
aber diesen Weg gehen zu können, welcher allein aus dem Laby-
- rinthe der vielen Schädelformen herausführt, müssen Massen-Unter-
suchungen gemacht werden, damit der Irrthum so viel wie mög-
lich eliminirt wird.
4. Feststellung der Typen.
a. Die Schädelformen.
Nachdem ich die oben erwähnten 49 Schädelformen festge-
- stellt, und durch die Untersuchung der 207 Schädel des Schelz-
kirchhofes mich vergewissert hatte, dass ich vorerst schwerlich
neue Formen auffinden werde, habe ich von jeder Gruppe, wie
schon erwähnt, für die Männer und die Weiber je einen der
2
\ .
„7. >
besten Repräsentanten ausgewählt, und dieselben noch einmal
durchgemessen. Zunächst ordnete ich nun diese nach der ge-
wöhnlichen Methode so, dass ich die extrem dolichocephalen an
das eine Ende der Reihe stellte und die übrigen nach dem Werthe
Württ. naturw, Jahreshefte. 1876. 24
A
des Längen-Breiten-Index folgen liess, bis zu den extrem brachy- |
cephalen (s. Tabelle 3.). Bei genauer Prüfung der Formeigen-
thümlichkeiten jedes einzelnen der so geordneten Schädel, fallen
sofort drei Gestalten in die Augen, deren Architektur im Grund-
princeipe verschieden ist.
Der entschieden dolichocephale, germanische (s. Taf. VI.
Fig. 1—5) mit schmalem Vorderhaupt, hoher Stirn, hervor-
ragender Nase, und einem an der Spitze der Lambdanaht einen
leichten Absatz bildenden, in der Form einer stumpfen Pyramide
hervorragenden Hinterhaupt, einem in der Norma verticalis ein
langgestrecktes, abgestumpftes Sechseck darstellendes, in der Norma
oceipitalis dachförmiges Schädelgewölbe, mit fast senkrechten
Seitenwänden. Die Basis ist so ziemlich eben so breit, als der
übrige Schädel, die breiteste Stelle liegt also nahe der Basis,
und fällt nicht weit hinter die Mitte des Längendurchmessers. Die
Höhe übersteigt die Breite, das Gesicht ist prognather als bei den
beiden andern Formen und macht durch die senkrechtstehenden
Jochbeine und den ziemlich hohen Unterkiefer sofort den Ein-
druck einer schmalen länglichen Bildung.
Dieser Typus findet sich, ohne Beimischung einer andern
Form in den Reihengräbern. In ihren wesentlichen Eigenschaften
sind die in diesen enthaltenen Schädel, mit wenigen Ausnahmen,
die ich als Mischformen betrachte, alle gleich, die Abweichungen be-
treffen bei der Hauptmasse nur untergeoidnete Punkte und können
daher nur als Schwankungen gelten, welche durch die Individualität
bedingt sind. Die von mir in Tabelle 4 und 5 unterschiedenen Stufen
dieses Typus haben also nicht denselben Werth, wie die für die
übrigen Ordnungen aufgestellten, mit Ausnahme vielleicht von
No. 5, welche möglicherweise schon brachycephale Beimischung
enthält.
Die beiden andern typischen Formen sind brachycephal und
werdenin Württemberg nur selten rein gefunden, wesshalb es nicht
möglich war, ähnliche untergeordnete Stufen für sie aufzu-
stellen.
Die eine dieser bruchycephalen Formen, welche ich den
=
'turanischen Typus nenne, (s. Taf. VII. Fig. T.) liegt am
untern Ende der oben angegebenen Reihe, und ist extrem brachy-
cephal. Seine reinen Formen finden sich in Württemberg selten,
doch konnte ich bis jetzt 10 davon zusammenbringen. In der Norma
oceipitalis und verticalis ist er nahezu kreisförmig, die breiteste
-
Stelle fällt ganz nahe der Mitte des Längendurchmessers, der.
Breitendurchmesser kommt der grössten Länge sehr nahe und
übertrifft die Höhe bedeutend, so dass die Differenz zwischen
Länge und Breite häufig geringer ist als zwischen Breite und
Höhe. Die Stirne ist breit, nieder, hinter ihr wölbt sich der
Schädel seitlich hervor, die seitlichen Conturen der mittleren Ge-
hirnlappen zeichnen sich am Schädel ab, die Schläfenlappen sind
schief von unten nach oben lateralwärts hervorgewölbt, das
4 Hinterhaupt bildet eine ununterbrochene Wölbung, die Schädel-
basis ist erheblich schmäler als das Gewölbe an seiner breitesten
Stelle, die Entfernung der Spitze der Proc. mastoidei also er-
' heblich geringer als Q. Das Gesicht, das einen eigenthüm-
lich finstern Ausdruck hat, ist nahezu orthognath, breit und
rundlich, die Jochbeine stehen weit. hervor, ihr unterer Rand ist
nach aussen gerichtet, die Nase klein, platt, wenig hervorragend,
die Nasenbeine kurz, die Nasenwurzel tief eingeschnitten, der
Unterkiefer weniger hoch als bei der vorigen Form.
Der dritte Typus, welchem ich den Namen des sarma-
tischen gegeben habe (s. Taf. IX Fig. S.), hat in der Norma
verticalis eine stumpfe Eiform, ist also nicht ganz so brachy-
cephal wie der vorige, die breiteste Stelle fällt weit hinter die
Mitte des Längendurchmessers, die Breite ist grösser als die
Höhe, doch ist die Differenz zwischen beiden viel kleiner als die
zwischen Länge und Breite, in der N. occipitalis zeigt er eine
flache Wölbung sowohl des Daches als der Seitenwände, die
Schädelbasis ist schmäler als das Gewölbe, aber verhältniss-
mässig nicht so schmal als beim vorigen, das Hinterhaupt bildet
eine platte Wölbung, und ist nicht abgesetzt. Das Gesicht ist nahe-
zu orthognath, schmal, hoch, hat eine wenig schief gestellte
Jochbeinplatte, einen ziemlich niedern Unterkiefer, im Ganzen eine
_ ellyptische Form, eine mässig eingeschnittene Nasenwurzel, eine
24 *
Ei Ne u
Nase von mittlerer Grösse und eine mässig breite und hohe
Stirne.
b. Das Gehirn.
Untersucht man nun die Gehirne dieser 3 extremen Typen,
welche allerdings nicht häufig zu bekommen sind, besonders die
der reinen turanischen Formen nicht, so findet man in dessen
Gestalt wesentliche Unterschiede, die besonders bei einer Ver-
gleichung des germanischen mit dem turanischen Typus greli
hervortreten. Beim germanischen ist der Hinterhaupts- und Scheitel-
lappen reich entwickelt, ersterer ragt oft bis zu 3 cm. über das
kleine Gehirn hervor. Die Windungen sind im Ganzen schmäler,
an den beiden oben genannten Lappen reicher entwickelt, weniger
am Stirnlappen und am wenigsten an dem Schläfenlappen, der
flach und gerade gestreckt ist, im Gegensatz zu dem turanischen,
dessen Schläfenlappen breit, dick und vorne nach einwärts ge-
krümmt erscheint. Bei letzteren sind die Windungen am ganzen
Gehirn im Durchschnitt breiter, mit Ausnahme des Stirnlappens,
der auf der konvexen Fläche eine reichlichere Windungsgliede-
rung zeigt als der germanische Typus. Der Hinterhauptlappen
ist klein, nur wenig entwickelt und überragt das kleine Gehirn
nur wenig, der Scheitellappen ist flach und ärmer an Windungen.
Beim sarmatischen Typus fällt besonders die reichliche Entwick-
lung der Windungen am Stirn- und Scheitellappen auf, während
der Hinterhauptlappen nahezu ebenso schwach entwickelt ist wie
beim turanischen. Eine Eigenthümlichkeit der brachycephalen Ge-
hirne glaube ich darin gefunden zu haben, dass die Fissura oceipito-
parietalis bei ihnen senkrecht auf der Längenachse steht, länger
und tiefer erscheint als beim germanischen Typus, bei welchen '
sie kürzer und ganz gewöhnlich schief nach vorne und aussen
gerichtet ist.
a a 5 Pr a
c. Die Farbe der Haare und Augen.
Zur Beantwortung der Frage nach der Farbe der Haare
und Augen ist es am besten, die Ergehnisse der beiliegenden
Tabelle zu betrachten. Die Beobachtungen sind an 168 von
N
-u[opeyog usfeydaoogweyd UoA UHWWEIS SOOIPUL U9S19PATU Ad %
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601 s£1l = — — nwı8 «
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1 hr — | - | 0,07 nejq y901
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6.966°62 KaPU]FIS-8 GL ZPUL 0 eins xopupe'ag—gizg xopup , 0 — H
UAWIOJYISIW x UIWIOJYOSIW 6 249 8L XOpuJ
zp zop sndÄL, sndA], ande uaßny 9leeH
addnıg ayamz | addnuy 97843 a Pd: Jaydsıuewaaß
: -u94U9901F UT (89T UEWMMESNZ) uIgaM 0Gg pun uUuugM SIT U0A uadny pun oleeH op eqıey
E: LoıToqaeL
— 374 —
mir im Kath. Hospital secirten Leichen und einigen Selbstmördern
gemacht. Unter den im Ganzen 178 Leichen waren 10 wegen
mangelhafter Notizen nicht zu verwenden, von den übrigen hatten
24 den germanischen, 8 den sarmatischen und 3 den turanischen
Typus; die erste Gruppe der Mischformen umfasst 68, die zweite
64 Individuen. Die Zahlen für den sarmatischen und turanischen
Typus sind daher sicherlich zu klein, um giltige Schlüsse daraus
ziehen zu können. Was aber hier fehlt, ersetzen die Misch-
formen reichlich. Aus dieser Zusammenstellung geht nun mit
Sicherheit hervor, dass Haare und Augen um so heller werden,
je näher der Index dem des germanischen Typus kommt, und
desto dunkler, je brachycephaler der Schädel ist. Einen weiteren
Schluss, den ich mir aus der» Tabelle nicht zu ziehen erlaubt
haben würde, wenn ich an Lebenden nicht dieselbe Beobachtung
häufig gemacht hätte, ist, dass beim sarmatischen Typus tief-
schwarze Haare viel häufiger sind als beim turanischen.
d. Die Körpergrösse.
Zur Bestätigung der oben stehenden Tabelle kann ich das
Ergebniss der Untersuchungen mittheilen, welche Herr Med.-Rath
Dr. Sick an 165 im Frühjahr 1866 im Ob.-Amt Waiblingen
gemusterten Landwehrmännern vornahm.
Unter: 36 mit blonden und rothen Haaren hatten 34 blaue
und graue, und 2 hellbraune Augen;
unter 73 mit dunkelblonden und hellbraunen Haaren hatten
54 blaue und graue, und 19 hellbraune und braune Augen;
unter 56 mit braunen und schwarzen Haaren hatten 16 graue
und 38 hellbraune und braune Augen. Bei 61 von diesen konnte die
Körpergrösse nicht mehr im Detail bestimmt werden, ein grosser
Theil war aber unter Mess; 28 von ihnen hatten hellbraune Haare
mit braunen Augen, 33 braune Haare und 19 von diesen auch
braune Augen. Blaue und graue Augen werden also mit blon-
den und hellbraunen Haaren und braune Augen mit braunen
und schwarzen Haaren viel häufiger bei einem Individuum ange-
troffen als umgekehrt; eine Thatsache, die wenigstens für die
blonden Haare und braunen Augen allgemein bekannt ist.
RI RER TERN RIERN T NU I EEE OL AT ie AFR Bea ER ling Et # RR "ae 4 a Bu a een:
— 375 —
Die oben angeführten 168 Leichen habe ich auch gemessen.
Allein die vergleichbaren Zahlen sind zu klein, um etwas mit
ihnen anfangen zu können. Denn für die Körpergrösse können
Männer und Weiber nicht zusammengezählt werden, und ausser-
dem waren unter ihnen einige noch nicht 20 Jahre alte, also
wohl nicht ausgewachsene Männer. Wenn ich nun auch noch
zu den so erhaltenen 118 Männern noch die 104 Landwehr-
männer von Waiblingen hinzurechne, deren Augen und Haare
Herr Med.-Rath Sick notirte und deren Grösse ich aus den Listen
entnehmen konnte, so bekomme ich zwar 222 erwachsene Män-
ner, aber auch diese Zahl ist nicht gross genug. Denn unter
ihnen sind etwa 71,5°/, mit rotben, blonden und hellbraunen
Haaren und blauen und grauen Augen, und 28,5 °/, mit braunen
und schwarzen Haaren und unter letzteren noch eine ziemliche
Zahl mit grauen Augen. Die hellen Augen und Haare herrschen
also so sehr vor, dass sich aus der Minderzahl der dunkelge-
färbten kein sicherer Schluss ziehen lässt.
Soviel ist übrigens gewiss, dass blaue und graue Augen
und blonde oder hellbraune Haare sowohl hier in Stuttgart als
in Waiblingen häufiger mit hoher Statur vorkommen, als dunkle
Augen und Haare. Die Hauptmasse der letzteren fällt nämlich
auf die Grössenklasse von 166—-170 cm.; zwischen 176 und
182 cm. fanden sich nur blaue und graue Augen, und der
grösste von ihnen mit 182 cm. war blond und blauaugig.
e. Die Namen der Typen.
Gründe für die Wahl derselben.
Die Aufstellung der Typen selbst wird mir vielleicht zu
Gute gehalten, aber meine Namen, fürchte ich, werden bei Vielen
antipathisches Frösteln, wenn nicht gar einen Aufschrei der ent-
setzten kraniologisch-linguistischen Orthodoxie hervorrufen. Ich
weiss ja sehr wohl, dass sie ein ganzes Nest voll linguistischer
Ketzereien enthalten. Allein zum Troste dieser monarchischen
Gemüther in der kraniologischen Republik will ich sogleich bei-
fügen, dass mich bei ihrer Wahl nicht die Linguistik, sondern
die Geschichte geleitet hat; ich verstehe sie also im historischen
— 316. —
Sinn; denn ich erlaube mir mit Andern eine scharfe Gränze
zwischen beiden zu ziehen,
Ich finde also, indem ich die realen Verhältnisse allein be-
rücksichtige, unter den indo-germanischen Völkern Europa’s, vor
allem in Deutschland eine grosse Zahl nicht germanischer, und
unter den ural-altaischen (Ungaru, Finnen, Türken und Basken)
nicht gar so selten germanische Schädelformen. Denn für mich
bezeichnen die Worte germanisch, turanisch und sarmatisch eine
gute Species im Sinne der Zoologie.
Man wird vielleicht Anstoss daran nehmen, dass wenigstens
zwei dieser Namen schon längst im Besitze der Linguistik sind.
Allein in den Besitz des Worts germanisch wird sie sich eben, wie
mit der Geschichte, so auch mit der Kraniologie theilen müssen,
das Wort turanisch dagegen tritt sie vielleicht gerne aus dem
Schatze ihrer unbrauchbar gewordenen Nomenklatur ab. Ich
habe keine bessern Namen gefunden, und von der Schöpfung
neuer hielt mich meine geringe Begabung für dieses Fach ab.
Von den modernen neogriechischen Wörtern wollte ich keine
wählen, weil ich derartige Erfindungen zwar für eine unter-
haltende, aber nicht immer zweckmässige Sache halte; zu wel-
cher übrigens auch ein ganz besonderes Talent gehört. In jedem
Lande Europas befindet sich ein oder mehrere solcher Talente
und wenn alle diese ihrer Lieblingsneigung, wie gewöhnlich, ohne
Rücksicht auf den Geist der griechischen Sprache und die Fas-
sungskraft ihrer Nebenmenschen nachhängen, so hat jedes Ver-
ständniss ein Ende. Ohnediess sind derartige linguistische nicht
immer auch kraniologische Neuigkeiten. Hätte ich z. B. den
germanischen Typus „den hypsidolichocephalen*, den turanischen
„den chamäv-platy-brachycephalen* und den sarmatischen, sowie
die verschiedenen Mischformen mit ähnlichen Bezeichnungen ver-
sehen, so hätte ich mit Recht ein allgemeines Gelächter erregt,
abgesehen davon, dass es ja z. B. auch hypsidolichocephale Neger
giebt.
Freilich ist es zweifelhaft, ob die Linguistik geneigt sein
wird, obige beide Namen mit der ihr seither unbedingt gehor-
chenden Kraniologie zu theilen. Die Überzeugung aber, dass
die hervorragenden Vertreter dieser Wissenschaft eine solche
Herrschaft gar nicht beanspruchen, ermuthigt mich zu diesem
Versuche.
Wenn ich im Verlaufe dieser Arbeit dem weniger glänzen-
den Theile der Linguistik, nämlich ihren Hypothesen, mehrfach
entgegentrete, so geschieht das nicht, weil ich mich etwa gegen
ihre realen Leistungen ablehnend verhaltee Niemand ist im
Gegentheil bereiter, dieselben unbedingt und freudig anzuerkennen.
Aber jene auf Deutschland sich beziehenden Hypothesen lassen
sich so wenig mit den thatsächlichen kranivologischen Verhält-
nissen vereinigen, dass es unmöglich ist, ihnen zuzustimmen.
Es ist eine unbestrittene Thatsache, dass der grösste Theil
_ der europäischen Sprachen gemeinsame grammatikalische Grund-
karaktere hat, d. h. dass sie eine grosse Abtheilung der flek-
tirenden Sprachklasse bilden. Gewiss ist ferner, dass sich ein
Theil des Wortschatzes dieser Sprachen auf gemeinsame Wurzeln
zurückführen lässt. Bei einem andern Theile dieser Wurzeln,
insbesondere bei einem sehr grossen des Gälischen, ist diess.
aber nicht der Fall, wenn man nicht etymologischen Spielereien
vertrauen will. Jener Thatsachen nun hat sich die Philologie
bemächtigt, um mit Hilfe der bei den alten Schriftstellern vor-
handenen ungenauen Verwendung der Namen der mitteleuropäischen
Völker die Hypothese von den arischen Wanderungen uud der
Identität der gälischen Sprache mit der der Kelten der griechi-
schen, und der Gallier die römischen Schriftsteller aufzubauen.
Bei dem unfertigen Zustande auch des Europa betreffenden Theils
der Linguistik, welcher ja weder die Dialekte der germanischen
Sprachen, noch auch die der slavischen und ural-altaischen ganz
genau bekannt sind , so wenig als die Entwicklung und Mischung
der verschiedenen Sprachstämme in historischer Zeit, würde schon
viel Siegesgewissheit dazu gehören, von der Kraniologie zu er-
warten, sie werde bei Beurtlieilung der Schädelformen Hy-
pothesen zur unfehlbaren Grundlage nehmen, welche sie sich
in jugendlichem Eifer ausgedacht hat. Denn die Anerken-
nung, welche letztere von Seiten verschiedener Vertreter der
Kraniologie gefunden haben, wird sie den alten Satz kaum ver-
Er, 7
by nn ei
— 378 —
gessen lassen, dass Fictionen sehr Vielen bequemer sind, als die
nackte Wahrheit. Die Linguistik ist, so lange sie ihre Bedürfnisse
allein in Betracht zieht, in ihrem Recht, die Völker nach ihren
Sprachen einzutheilen und jene Hypothesen aufzustellen. Wenn
aber die Kraniologie, die doch sicher zu der vergleichenden
Anatomie gehört, sich in den engen Rahmen dieser Hypothesen
einzwängt, so thut sie dasselbe, wie wenn sie den Anschauungen
der Theologie oder Philosophie Einfluss auf ihre Forschungen ge-
stattet.
Germanischer Typus. Die Schädelformen, welche Herr
Ecker zuerst unter dem Namen Reihengräbertypus zusammen-
fasste, und die den Schlüssel zu den scheinbar so verworrenen
kraniologischen Verhältnissen der Bevölkerung des jetzigen Deutsch-
lands bilden, habe ich aus folgenden Gründen den germanischen
Typus genamnt:
1) In den Reihengräbern liegt ein, mit ganz wenig Aus-
nahmen, vollständig konstanter Menschenschlag, dessen Schädel-
form in einer Weise abgegränzt ist, wie sie sonst nur selten
und nur bei wilden, längere Zeit räumlich abgeschlossenen Völ-
kern vorkommt. Aber nicht blos der Schädel, sondern auch .das
Skelet zeigt verschiedene Besonderheiten, insbesondere übersteigt
die mittlere Körpergrösse die der gegenwärtigen europäischen
Bevölkerung.
2) Durch die für immer denkwürdigen archäologischen
Untersuchungen des Herrn Lindenschmitt ist, wie jetzt allgemein
anerkannt wird, vollständig erwiesen, dass in diesen Gräbern,
welche sich von der Zeit der Völkerwanderung über mindestens
5 Jahrhunderte erstrecken, nur Germanen, d. h. die besitzende
Klasse der Bevölkerung liegen können. Weiter ist als vollstän-
dig erwiesen zu betrachten, dass in den Reihengräbern der
Niedersachsen, Angelsachsen, Franken, Burgunder, Thüringer,
Baiern und Allemanen überall diese in ihren wesentlichen Eigen-
schaften völlig konstante Schädelform mit ganz verschwindenden
Ausnahmen wiederkehrt.
3) Die römischen und griechischen Schriftsteller, von Cäsar
2 rg
und Tacitus bis Sidonius Apoliinaris stimmen alle ohne Ausnahme
darin überein, dass die Germanen ihrer Zeit auffallend gross,
(Sidonius A. sagt, die Franken und Burgunder hätten 7 römische
Fuss gemessen,) blond und blauaugig gewesen seien, und dass
sie sich durch ihre ganze äussere Erscheinung vollständig
von den übrigen ihnen bekannten Menschenrassen unterschieden
hätten; Seneka*) z. B. führt die Äthiopier und Germanen
als 2 von allen übrigen Völkern abweichende Menschenarten
an. Procop (bell. Vandal. I. 2.) macht die Bemerkung, die
Germanen seien sich alle gleich, sie unterscheiden sich nur
durch ihre Namen. Kein anderes den Römern und Griechen
bekanntes Volk ausser ihnen, hatte nach den bestimmten Zeug-
nissen ihrer Schriftsteller blonde Haare. Wenn von den Galliern
angegeben wird, sie hätten eben solche gehabt, so ist diess da-
durch zu erklären, dass die Germanen vor Cäsar Gallier genannt
wurden und dass in der Zeit, in welcher beide unterschieden
wurden, auch die überrheinischen Gallier stark mit Germanen ge-
- mischt waren, wie die im mittleren Frankreich gefundenen Grab-
hügel aus der Stein- und Bronce-Zeit auf’s Deutlichste beweisen.
4) Die abgegränzten Rassenkaraktere der Germanen er-
klären sich vollständig und ungezwungen, auch nach dem neuesten
Standpunkte der Wissenschaft in Betreff der Artenbildung, durch
die, viele Jahrhunderte lang fortwirkenden staatlichen Einrichtungen
der Germanen. Es ist daher ganz merkwürdig, dass schon Taeci-
tus, in der bekannten Stelle der Germania, bemerkt, diese auf-
fallenden Körpereigenthümlichkeiten der Germanen rühren davon
her, dass sie sich nicht mit anderen Völkern vermischen.
5) Solche Eigenthümlichkeiten haben aber zu ihrer Ent-
stehung jedenfalls viele Jahrhunderte nöthig gehabt. Diess wird
jedem sofort klar werden, wenn er sieht, wie aus der innigen
Vermischung der verschiedenen europäischen Schädelformen nach
nahezu anderthalb Jahrtausenden sich immer noch keine neue
beständige Schädelform entwickelt hat; wie die typische germa-
nische Form heute noch mitten unter brachycephalen zu Tage
tritt und die Mischformen-Reihen mit unwiderstehlicher Gewalt auf
*) Lib. III. de ira cap. 24.
BELA N 05
ihre typischen Formen zurückzugehen streben. Das Volk, wel-
ches Cäsar Germanen nannte, musste also schon lange vorher
ebenso beschaffen gewesen sein. Da nun er und die römischen
Schriftsteller nach ihm angeben, diese Eigenthümlichkeiten kom-
men unter allen ihnen bekannten Völkern nur den Germanen zu,
und da die Griechen noch lang nach ihnen die Worte Germanen
und Kelten für dieselben Völker gebrauchen, so müssen alle die
Völker, welchen vor Cäsar dieselben Eigenthümlichkeiten zuge-
schrieben werden, die Vorfahren der Germanen gewesen sein. Undin
der That finden sich in allen Theilen Deutschlands Hügelgräber
genug, in welchen Reihengräberschädel allein vorkommen. Es
ist allerdings gewiss, dass sich neben diesen innerhalb des
römischen Gränzwalles und an den Ufern der Ost- und Nordsee,
ebenso wie in Frankreich und England Hügelgräber finden, in
welchen brachycephale und dolichocephale Elemente zusammen,
oder wie in den round barrows Englands erstere allein vertreten
sind. Diess kann aber doch keinen Einwand gegen das bisher
vorgebrachte abgeben. Das Vorkommen gemischter Grabhügel
innerhalb des früheren römischen Gebietes unseres Vaterlandes
findet seine Erklärung durch dieselbe Erscheinung in Frankreich
und die Brachycephalen in den Grabhügeln der Ostseeküsten durch
die leichte Zugänglickeit dieser Küsten für alle in der Umgebung
des Meeres wohnenden Völker, welche ja bekanntlich nicht alle
germanischen Stammes waren.
Man kann übrigens zugeben, dass einzelne germanische
Stämme sich möglicherweise sehr früh mit brachycephalen Volks-
elementen vermischt haben, nichts desto weniger bleibt aber die
Rasseneinheit der Gesammtgermanen ausserhalb des römischen
Gebietes eine unumstössliche Thatsache. Dass die Germanen
schon in frühester Zeit mit dunkelhaarigen kleinen, also wohl
brachycephalen Völkern in Berührung kamen und Knechte dieser
Nationalitäten unter sich hatten, beweist die Edda, welche Loki
und dem Knechte (in Rigsmaal) dunkle Haare und Augen und
letzterem auch noch gelbe Haut zuschreibt. Dass sie sich aber
mit diesen dunkelhaarigen Elementen vermischt hätten, ist aus _
später anzuführenden Gründen, sehr unwahrscheinlich.
Be
Darin endlich, dass die Herren prähistorischen Forscher sich
noch nicht klar darüber geworden sind, ob dieser Typus schon
bei Erschaffung der Menschen vorhanden gewesen sei, dürfte
wohl kein Grund gefunden werden, denselben für keine gute
Species anzusehen. Ebenso ist es, wie mir scheint, für den vor-
liegenden Zweck gleichgiltig, ob die Menschheit von einer oder
mehreren Affenarten abstammt. Die Kraniologie kann ihre Unter-
suchungen daher ruhig fortsetzen, ohne abwarten zu müssen,
bis sich der Horizont der über diesen Punkt streitenden Partheien
mehr erweitert hat.
6) Für jeden, der sehen will, und der überhaupt Formen-
sinn genug hat, um es zu können, ist es sehr leicht unter der
lebenden Bevölkerung Deutschlands nachzuweisen, dass nicht an
die Dolichocephalie überhaupt, sondern nur an die germanische
Form derselben, die grosse Statur, die blonden Haare und blauen
Augen gebunden sind. Denn Niemand wird sich wohl dadurch
verblüffen lassen, dass es auch brachycephale Mischformen mit
blonden Haaren giebt; sowie einzelne, wenn auch seltene doli-
chocephale mit dunkeln Haaren und Augen. Wo unter einem
bestimmten Bevölkerungskreise delichocephale mit blonden und
brachycephale mit dunkeln Haaren gemischt sind, da müssen
auch Mischformen vorkommen, die sowohl blond als braun sein
können. Wem es übrigens schwer fällt, solche Beobachtungen
an einer gemischten lebenden Bevölkerung zu machen, der kann
sich in Westphalen in der Umgegend von Münster in dem ehe-
maligen hannöverischen Kreise Flotwedel wie überhaupt auf den
Haiden, ferner in vielen Theilen Frankens überzeugen, dass an
die germanisch-dolichocephale Schädelform blonde Haare und
blaue Augen gebunden sind. Nur darf er nicht vergessen, dass
das Blond der Erwachsenen dunkler ist als das der Kinder mit
den Greisenhaaren, wie die Römer die germanischen Kinder
nannten. Die auf diese Weise gewonnene Übung im Erkennen
des germanischen Typus wird ihm die richtige Beurtheilung der
gemischten Bevölkerung Süd- und Ost-Deutschlands wesentlich
erleichtern.
Der germanische Typus hat in Beziehung auf seine Benen-
—_— 332 —
nung ganz besondere Schicksale gehabt. Die Reihengräber wur-
den nämlich kurz nach dem Aufkommen der Keltentheorie ent-
deckt, und man glaubte in ihnen den schönen Traum von den
erzkundigen Kelten verwirklicht zu sehen. An die Germanen
dachte ınan natürlich nicht, denn sie waren ja Barbaren, während
die ruhmvollen, kurz vor Cäsar noch menschenfressenden Vor-
fahren der Gälen (Celten) diess niemals gewesen sind. Ein
grosser Theil der englischen, französischen und schweizer Ge-
lehrten, vielleicht auch uoch einige. deutsche, denen allen der
Germanennamen zuwider ist, nennt den Typus jetzt noch den
keltischen. Es sind das dieselben, welche die Bezeichnung indo-
germanisch nicht hören können, und daher lieber arisch sagen,
wie statt Germanen, 'Teutonen oder noch lieber Barbaren. Herr
Vogt schlug den Namen Apostelköpfe vor (wegen der gälischen
Glaubensboten), die Herren His und Rütimeyer erklärten die ex-
tremsten Formen, gestützt auf die Angaben von Troyon über die
Karaktere der mit diesen Schädeln gefundenen Grabbeigaben
für den römischen Typus; Lubach für specifisch friesisch oder
holländisch, während er die Brachycephalen für deutsch erklärt.
Herr Virchow ist geneigt, denselben den Allemannen zuzuge-
stehen. Diese Koncesssion nöthigt ihn aber, überall in Deutsch-
land und Frankreich von Göttingen bis Klein-Binz in Schlesien
und von Nordendorf bis nach Mittel-Frankreich und England alle-
mannische Dörfer zu sehen, weil sich in diesem ganzen Gebiete
eine ausserordentlich grosse Zahl von Reihengräbern mit dem-
selben Schädeltypus findet. Es dürfte ihm daher der Uebergang
von den Allemannen zu den Gesammt-Germanen nicht allzu schwer
werden, wenn er sich ausserdem daran erinnert, dass die mit
dem Auftauchen des Allemannen-Namens gleichzeitigen Schrift-
steller wie A. Quadratus angeben, die Allemannen seien ein aus
allen deutschen Gauen zusammengeworbenes Heergefolge gewesen
(EvyaAıöng xai uuyaöec), und haben sich daher in ihrer Sprache
diesen Namen gegeben.
Der erste, welcher den Sachverhalt richtig auffasste, war
Herr Ecker, welcher diese Schädelformen unter dem Namen
Reihengräbertypus zusammenfasste, zu einer Zeit, in welcher noch
“ nicht bekannt genug war, dass die Reihengräber überall da vor-
kommen, wo die Germanen während und nach der Völkerwande-
rung ihren Wohnsitz aufschlugen.
Die beiden brachycephalen Typen habe ich im Jahr
1867 unter dem Namen des ligurischen zusammengefasst. Da-
mals stand mir nicht genug Material zu Gebote; ich kannte
nur die äusserste Gränze des sarmatischen, den reinen turanischen
Typus und die ihm zunächst stehenden Mischformen dagegen für
Deutschland gar nicht. Seither ist mir der letztere im Schelz-
kirchhofe sowohl als anderwärts mehrfach vorgekommen, so dass
ich die tiefgehenden Differenzen der beiden brachycephalen Typen
unterscheiden lernte.
Den Namen turanisch habe ich gewählt, weil diese wohl
karakterisirte Form in Sammlungen sowohl als in Abbildungen
unter den von Türken, Mongolen, Tartaren, Lappen und Basken
stammenden Schädeln am häufigsten vorkommt; wenigstens habe
ich diess in allen mir zugänglichen Sammlungen so getroffen.
Den dritten Typus nenne ich sarmatisch, weil er in allen
slavischen oder mit Slaven (Wenden) vermischten Bevölkerungen
der vorherrschende ist, wie sich jeder überzeugen kann. Das
Wort slavisch wollte ich vermeiden, weil es ebenso unpassend
wäre wie die Bezeichnung deutsch statt germanisch. Die extreme
Gestalt dieser sarmatischen Schädelform habe ich übrigens nicht
allein in den Ländern angetroffen, deren Bevölkerung slavische
Sprachen reden, sondern ebenso in Graubündten, wie überhaupt
in der östlichen Schweiz, in Tyrol, in Oberitalien, wie in den
Beinhäusern der Bretagne (Umgebung von St. Malo und Roscoff),
und in der Sammlung der Anthropologischen Gesellschaft von
Paris in grosser Menge. Er ist auch hier in mehr oder weniger
starkem Verhältniss mit dem turanischen vermischt, gerade so
wie diess Retzius unter den Lappen, Lanzert in Grossrussland
und Weissbach in den slavischen Ländern Oesterreichs fand.
Nichts kann mir also ferner liegen, als mit diesen drei
Namen irgend welche Anknüpfungspunkte an die Linguistik
suchen zu wollen, sie sollen nur die Bezeichnung für 3 Schädel-
— 384 —
formen sein, die den Werth einer guten Species im Sinne der
Zoologie haben. Denn ich habe in keiner mir zugänglichen Schädel-
sammlung Mitteleuropas oder in Abbildungen irgend einen aus
Russland, Schweden, England, Frankreich, Spanien oder Italien
stammenden normalen Schädel gefunden, für den man nicht ein
Analogon in Württemberg nachweisen könnte, Rumänen, Basken
und Lappen nicht ausgenommen. Ich habe daher die Über-
zeugung, dass der Verbreitung der Schädelformen in Europa
andere Ursachen zu Grunde liegen, als der Entstehung der
linguistischen oder politischen Gebiete. Denn so verkehrt wird
wohl Niemand sein, aus jenen Thatsachen folgern zu wollen,
dass in Württemberg sich Basken und Lappen angesiedelt,
deren Sprache oder auch nur slavische Dialekte gesprochen
hätten. Jeder Vernünftige wird daraus nur folgern, dass die
Basken und Lappen ebenso wie alle übrigen europäischen Völker
keine eigenthümliche Schädelform mehr besitzen, d. h. gemischt
sind.
5. Die Mischformen.
a. Die Entstehung derselben.
Hat man sich die Formen der drei oben karakterisirten
Schädeltypen genau eingeprägt, so wird man kaum zu der Idee
verleitet werden, dieselben verdanken ihre so sehr verschiedene
Gestalt individuellen Schwankungen, eine Idee, die
sehr verlockend ist, so lange man nur Mischformen in beschränk-
tem Umfange vor sich hat. Denn dass es Mischformen giebt,
von denen, soviel mir bekannt ist, die Herren Hiss und Rüti-
meier zuerst sprachen, dieser Erkenntniss wird sich selbst der
leidenschaftlichste Zweifler nicht verschliessen können, wenn er
sieht, dass unter den Bevölkerungen, innerhalb welcher brachy-
cephale und dolichocephale Elemente beisammen wohnen, die
Ehen nicht nach der Kopfform abgeschlossen werden. Die Unter-
schiede zwischen den 3 von mir aufgestellten Typen sind aber
so tief eingreifend, dass man auf alle kraniologischen Unter-
suchungen verzichten müsste, wenn sie nur auf individuellen
Schwankungen beruhten. Individuelle Eigenschaften sind ja die-
er
jenigen, die nur bei einem einzelnen Individuum in einer be-
sonderen Erscheinungsart oder in eigenthümlicher Gruppirung
vorkommen, deren Entwicklung also nicht durch Gesetze bedingt
ist, die sich bei einer grossen Zahl von Individuen in derselben
Weise wiederholen. Schädelformen, welche innerhalb eines be-
schränkten Bevölkerungskreises in grösserer Zahl regelmässig
wiederkehren, und bei denen die Grundlagen der ganzen Archi-
tektur des Schädels und Gesichtes durch ganze Reihen mit einer
gewissen Gesetzmässigkeit wiederkehren, können nicht durch in-
dividuelle Schwankungen bedingt sein.
Auf die Individualität haben die Lebensweise, die Erziehung,
die Beschäftigung, das Klima u. s. f. Einfluss, die Rassenkarak-
tere dagegen, die einer grösseren Zahl von Individuen gemein-
sam sind, werden vorzugsweise von den Eltern auf die Kinder
vererbt, also insbesondere auch die bei vielen in gleicher Weise
vorkommenden Schädelformen. Die von mir aufgestellten Schädel-
typen finden sich in allen Klimaten Europas, vom hoben Norden
bis zum äussersten Süden, in allen Ständen, bei den verschieden-
sten Beschäftigungsweisen und Lebensarten. Es giebt keine
Bauernschädel, obgleich diese Bevölkerungsklasse durch lange
Reihen von Generationen ihre Beschäftigung nicht wechselt. Ge-
rade die bäuerliche Bevölkerung Württembergs zeigt die reichste
Abwechslung in ihren Schädelformen von der extremsten Brachy-
cephalie bis zu der der Reihengräberform ähnlichen Dolicho-
cephalie. Aber es. giebt auch keine Handwerker-, Beamten-,
Schriftgelehrten- oder Faullenzer-Schädel, obgleich die Thatsache
feststeht, dass in vielen Familien die eine oder andere dieser
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VE a ET ee Be a ET Er EEE a
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=: EYE ER TE A ah ü er Di R
Beschäftigungsweisen seit vielen Generationen auf einzelne Fami-
lienglieder vererbt wird. Bei geistig beschäftigten Menschen
wird allerdings der Schädel im Ganzen grösser, aber seine typische
Form erleidet keine Veränderung. Der Einwurf, dass eben eine
grössere Reihe von Generationen nöthig sei, um solche Verände-
rungen der Schädel durch die Beschäftigungsweise hervorzubringen,
wird am besten durch die Schädelform der Landbevölkerung
widerlegt. Der Beweis für die Behauptung, die Beschäftigung,
die Lebensweise etc. verändern die Schädelform , ist daher auch
Württemb. naturw. Jahreshefte. 1875. 25
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Pk v,
.
—_— 386 —
nirgends geliefert worden, es ist diess eine reine Fiction, welche durch
keine Beobachtung unterstützt wird. Niemand hat noch eine
Familie beobachten können, deren Glieder seit vielen Gene-
rationen immer nur brachycephale dunkelhaarige Elemente in
sich aufgenommen haben, und die z. B. nur durch geistige Be-
schäftigung dolichocephal und blönd geworden wären und um-
gekehrt. Von dem Einflusse des Klimas kann bei der württem-
bergischen Bevölkerung füglich abgesehen werden, da dieses
keine grossen Verschiedenheiten zeigt. . Aber auch die Höhe
der Wohnorte über dem Meere hat nicht den mindesten Ein-
fluss auf die Schädelform. Denn auf der Hochfläche der Alb
und des Schwarzwaldes ist die Bevölkerung eine gemischte, wie
im Tiefland. — Individuelle Eigenschaften sind die absolute Grösse
des Schädels, seine Dicke innerhalb gewisser Gränzen, die Stärke
seiner Muskelansätze, die grössere oder kleinere Entwicklung der
Kiefer, und andere Eigenthümlichkeiten des Gesichts, sowie krank-
hafte Veränderungen. Diese vererben sich aber nicht. Der
dolichocephale nder brachycephale Grundtypus des Schädels bleibt,
diese Veränderungen mögen sein, welche sie wollen.
Es ist klar, dass die Kreuzung der Rassen in Deutschland
die Beantwortung der Frage sehr erschwert, welche typische
Form den mannigfaltigen Schädelformen zu Grunde liege. Die-
selbe kann aber nur durch Massenuntersuchungen gelöst werden,
nicht durch Redensarten; mit der Behauptung, die Ursachen der-
selben seien individuelle Schwankungen, geht man der Schwierig-
keit aus dem Wege, löst sie nicht.
Die Schädelformen Württembergs halten mit grosser Be-
stimmtheit gewisse Gränzen ein, über die sie nicht hinausgehen.
Die extrem dolichocephalen Formen zeigen immer das pyramidal
aufgesetzte Hinterhaupt, welches bei keiner anderen europäischen
Schädelform in derselben Weise vorkommt; und ebenso die übrigen
germanischen Besonderheiten, welche sie von anderen dolichoce-
phalen unterscheiden. Dieses Hervortreten des Hinterhaupts zeigt
auch bei den brachycephalen Mischformen die erste Spur germani-
scher Beimischung an. Betrachtet man die von mir zusammenge-
stellten Reihen aufmerksam, so wird sofort klar, dass die Zwischen-
BEA Er ar A
NETTE ,
— 387 —
_ formen zwischen den drei extremen Typen mit Zähigkeit auf den
Typus dieser Endformen zurückzukehren streben, dass also aus der
Mischung der den einzelnen Typen angehörigen Eigenschaften
immer ein bestimmter Komplex sich hervorzuringen strebt. Da-
zu kommt noch, dass mit der Annäherung der Schädelformen
an das eine oder das andere Ende der Reihe auch die dazu ge-
hörigen Eigenschaften des übrigen Körpers immer mehr hervortreten.
Dieser Komplex wird aber angeboren, d. h. durch Zeugung ver-
erbt, nicht durch Beschäftigung oder Lebensweise erworben. Es
ist meiner Ansicht nach eine ganz verkehrte Anwendung der im
Übrigen nicht von der Hand zu weisenden Darwin’schen Hypo-
these, auf die Kraniologie, wenn man glaubt, die Zuchtwahl
bewirke Nichts, die durch Beschäftigung, Lebensweise u. =. f.
bedingten individuellen Schwankungen Alles. Unter allen Um-
ständen unverständlich bleibt aber, von jedem Standpunkte aus,
die Meinung Vieler, als ob die Sprache oder der Dialekt in ur-
sächlichem Zusammenhang mit der Schädelform stehen könnte.
Es bleibt nun zu erweisen, dass die typischen Eigenschaften
der Schädel nicht erworben, sondern angeboren werden. Wer
viele Neugeborene untersucht hat, weiss zunächst, dass die Kin-
der schon bei der Geburt dolichocephal oder brachycephal sind,
und dass dieselben ihr Leben lang die angeborene Schädelform
behalten. Das Gehirn der Dolichocephalen zeigt sogleich nach der
Geburt die eigenthümliche Gestalt des Hinterhauptlappens und
die mässige Entwicklung der Windungen am Stirnlappen. Ich
habe niemals gesehen, dass ein dolichocephal geborenes Kind in
seiner weiteren Entwicklung brachycephal geworden wäre.
Sucht man nun die verschiedenen Schädelformen unter den
Lebenden auf, wozu allerdings ein umfangreiches Material ge-
hört, und legt sich Stammbäume von mindestens 3 Generationen
an, So findet man, dass Eltern von gleichen Schädelformen, je
näher sie den reinen Typen stehen, desto sicherer nur Kinder
mit derselben Kopfform und gleichen sonstigen körperlichen Eigen-
schaften haben. Eltern mit entschieden brachycephalem Schädel,
dunklen Augen und Haaren haben nur brachycephale niemals
doliehocephale Kinder, und umgekehrt. Nur dann ist diess nicht
Buret, 95 *
—_- 383 —
der Fall, wenn sich die Schädelformen der Eltern in umgekehrter
Richtung von einander entfernen. — Je entfernter die Schädel-
formen der Eltern von den einfachen Typen sind, oder je
differenter ihre Form bei Beiden ist, desto verschiedener sind
im Allgemeinen die Köpfe der Kinder, ohne sich übrigens je-
mals sehr weit von den elterlichen Formen zu entfernen, d. h.
eine grössere Reihe von Mischformen darzubieten. Auch mehrere
auf einander folgende Generationen zeigen solche Reihen nicht,
die Schädelformen bleiben stationär, so lange durch Heirath kein
neues Element in die Familie kommt. Gar nicht selten folgt
ein Theil der Kinder der Kopfform des Vaters, ein anderer der
der Mutter, zuweilen haben alle Kinder Mischformen zwischen
Beiden. Man findet aber auch Familien, in welchen beide Eltern
dieselben Schädelformen, die Kinder aber, wenn die elterlichen
Schädel den Mischformen angehören, theils höhere, d. h. dem
einfachen Typus näher stehende, theils niedere, d. h. von diesen
sich entfernende Schädelformen haben. So hatten z. B. in einer
Stuttgarter Familie beide Eltern eine höhere Stufe von TG°®
(s. Taf. VII. Fig. TG® 8) der Schädel des Sohnes gehört dem
Typus ST 3 (Taf. IX), der der Tochter dem Typus TG°3 an
(Taf. VII).
Die beiden schlagendsten Beispiele von dem Einfluss der
Vererbung auf die Schädelform, die ich beobachtet‘ habe, sind
folgende.
Ein Mann aus württembergisch Franken mit exquisit ger-
manischem Schädeltypus (63 Taf. VI) blauen Augen und dunkel-
blonden Haaren, heirathete eine Frau mit dem Typus SG3
(s. Taf. IX) grauen Augen und hellbraunen Haaren. Alle 4
Kinder dieser Ehe sind blond und blauaugig. Die 3 Knaben
haben die Kopfform des Vaters, einer davon sogar G2; der
Schädel des Mädchens hat die Form SG4, steht also auch dem
germanischen Typus näher als die Mutter. Der Mann starb,
die Frau heirathete nun einen Mann mit braunen Haaren und
Augen und dem Schädeltypus ST? (s. Taf. IX); das Kind aus
dieser Ehe ist brachycephal wie sein Vater, und hat braune
Augen und Haare. — In Esslingen hatte ich Gelegenheit,
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4 Generationen einer Familie zu untersuchen, 2 Todte aus dem
_ Schelzkirchhof und 2 lebende. Die Männer der 3 ersten Gene- s
_ rationen sind Rechtsgelehrte. Auch hier fand ich dasselbe Gesetz,
mit jeder Generation kam hier durch die Frauen neues germani-
‘sches Blut in die Familie, die 3. Generation hat germanische
Formen, blonde Haare und blaue Augen ebenso wie die vierte.
Das in der Thierzucht geltende Gesetz, dass der reine Typus
jederzeit wieder vollständig zu Tage tritt, sobald durch mehrere
Generationen hierdurch jedesmal das eine der Eltern jenem Ty-
pus näher steht, hat auch beim Meuschen seine volle Geltung.
Nur auf dem Wege der Züchtung kann sich also eine brachy-
cephale Schädelform in eine dolichocephale verwandeln, auf keine
andere. Ebenso sind die Mischformenreihen immer nur das Er-
gebniss einer grösseren Zahl von Vorbedingungen, wie sie allein
die Zuchtwahl darbieten kann, wenn ich diesen vielgebrauchten Aus-
druck auch auf den Menschen anwenden darf. Sie sind in ähn-
licher Weise aufzufassen wie die domesticirten Thierrassen im
Gegensatz zu den wilden unvermischten Arten.
Nur wenn die sich kreuzenden Individuen sehr verschiedene
Schädelformen haben, schwanken die Schädelformen der Kinder
in den verschiedenen Generationen zwischen den 3 typischen
Schädelformen hin und her, ohne übrigens, wie schon erwähnt,
gewisse Gränzen zu überschreiten. Bei gleichen oder sehr ähn-
lichen Schädelformen der Eltern fehlen dagegen diese Schwan-
kungen vollständig, die Schädeltypen der Kinder zeigen nicht-die
mindesten Variationen. Diess und die Abhängigkeit des Gehirn-
typus von der des Schädels beweisst am besten die Berechtigung
der 3 Typen.
b. Die Mischformenreihen.
Bei der Aufstellung der einzelnen Mischformenstufen habe
ich mich ebenso wie bei der der typischen Grundformen nur von
der Natur selbst, nicht von Abstraktionen leiten lassen. Ich habe
nicht aus einer bestimmten, wenn auch grösseren Zahl von In-
dividuen die einzelnen konstant wiederkehrenden Eigenschaften:
zur Konstruktion von Normalschädeln benützt, sondern, wie schon
SEVEN RN
— 390 — WERE
erwähnt, die einzelnen Schädelformen nach ihrer Gleichheit oder
grossen Ähnlichkeit in Gruppen vereinigt und den besten Reprä-
sentanten jeder Gruppe als Typus gewählt. Soweit der störende
Einfluss der Individualität nicht schon durch dieses Verfahren
verhindert wurde, habe ich ihn auch noch dadurch zu elimi-
niren gesucht, dass ich beim Messen nur diejenigen Haupt-
dimensionen des Schädels zur Karakteristik benützte, auf welche
die Individualität am wenigsten Einfluss haben kann.
Hat man sich die Maasse und die Eigenthümlichkeiten der
Gestalt der oben beschriebenen 3 einfachen Typen recht
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genau eingeprägt, und geht an die Untersuchung der übrigen
46 Formen, so lange sie noch nach dem Längenbreitenin-
dex geordnet sind (s. Tabelle 3), so fallen sofort Besonder-
heiten in die Augen, welche nur bei einzelnen Gruppen der Reihe
vorkommen, also Unterabtheilungen gestatten. Man kann zu
diesem Zwecke die Norma lateralis und basilaris ausser Acht
lassen, weil die Abänderungen derselben regelmässig denen der
N. verticalis, oceipitalis und frontalis folgen.
1. Die sarmatisch-turanische Reihe.
Zuerst muss eine kleine Gruppe von 4 brachycephalen Schädel-
formen von den übrigen getrennt werden, welche weder im Ge-
sicht noch im Schädel irgend welche Eigenschaften des germa-
nischen Typus zeigen. Dieselben lassen sich aber weder unter
dem sarmatischen noch dem turanischen Typus unterbringen, denn
obgleich ihr Gesicht die Karaktere des letzteren ziemlich rein
zeigt, so nähert sich doch die N. verticalis bei mehreren von
ihnen mehr dem sarmatischen, und auch die N. occipitalis zeigt
den Karakter der turanischen nicht ausgeprägt genug. Ich habe
dieselbe daher als eine besondere Gruppe der sarmatisch-tura-
nischen Mischformen von den übrigen abgetrennt und bezeichne
sie mit ST (s. Tafel IX).
2. Die germanisch-turanische Reihe.
Die übrigen 42 Formen zerfallen weiter in 2 grosse Ab-
theilungen. Die eine derselben umfasst die Schädel, bei welchen
mit der Grösse des Längendurchmessers auch der Höhendurch-
messer wächst und der Breitendurchmesser in demselben Ver-
‘ hältniss abnimmt. Zuerst gehören hierher die 5 Stufen des ger-
manischen Typus, die ich unterschieden habe (s. Taf. VI). Diese
5 Stufen haben aber nicht denselben Werth wie die von mir
aufgestellten Stufen der anderen Abtheilungen. Ich halte die Ver-
schiedenheit derselben, wenigsteus der ersten 4, für individuelle
Schwankungen, d. h. nicht für gross genug, um sie auf typische
Verschiedenheiten zurückführen zu können. In Betreff der Ab-
bildungen von G3 und 4 habe ich zu bemerken, dass die Origi-
nale nicht aus Reihengräbern stammen, obgleich vollständige
Exemplare aus denselben zu Gebote standen. Ich habe jene ge-
wählt, weil sie bessere photographische Bilder geben und weil
ich zeigen wollte, dass diese Formen auch in der Neuzeit vor-
kommen. Dass es mir nicht möglich war, auch für den reinen tura-
nischen und sarmatischen Typus ähnliche Abänderungen aufzu-
stellen, erklärt sich aus der grossen Zahl rein germanischer
Schädel, welche mir aus den Reilengräbern zu Gebote standen,
während reine Sarmaten und Turanier selten sind.
In diese erste Abtheilung fällt weiter eine Gruppe von
12 Formen, welche in ihren ersten 3 Stufen im Gesicht und der
Norma occipitalis noch die Eigenschaft des turanischen Typus
ausgeprägt zeigen, in der Norma verticalis dagegen schon eine
Verschmälerung der Stirn und das dem germanischen Typus eigen-
thümliche Hervorstehen des Hinterhaupts. Die weiteren Stufen
bilden einen ganz allmäligen Übergang zum rein germanischen
Typus, Die letzten 4 Stufen, die sich unmittelbar an G4 an-
schliessen, habe ich nur in Reihengräbern gefunden. Ich nenne
diese Abtheilung die germanisch-turanischen Mischformen und
bezeichne sie mit TG (s. Taf. VI).
Endlich ist in dieser ersten Abtheilung noch eine weitere
Unterabtheilung unterzubringen, welche das gleiche Verhalten
in Betreff der gleichzeitigen Zunahme der Höhe mit der Länge
zeigt, bei welcher aber weder das Gesicht noch die Norma occi-
pitalis so ausgeprägt turanische Eigenschaften haben wie die
vorige; sondern in beiden, ebenso wie in der N. verticalis An-
ers
EIN
A
.
— 332 —
klänge an den sarmatischen Typus verrathen. Diese Unterabthei-
lung umfasst 9 Formen und ich habe sie die turanisch-germa-
nischen Mischformen mit wenig sarmatischer Beimischung genannt
und mit T@® (s. Taf. VII. Fig. 1—9) bezeichnet.
3. Die sarmatisch-germanische Reihe.
Die zweite grosse Abtheilung, bei welcher mit der
Zunahme der Länge die Höhe nicht zu-, sondern im Vergleich
mit der Breite abnimmt, lässt sich in 3 Unterabtheilungen bringen
(s. Taf. IX—XT). Die erste, 4 Stufen umfassende, hält im Ge-
sicht und zum Theil in der N. verticalis fast ganz die Eigen-
thümlichkeiten des sarmatischen Typus fest, mit Ausnahme des
allmäligen Hervortretens des Hinterhaupts; in der N. oceipitalis
zeigt sie dagegen gleich von Anfang an germanische Eigen-
schaften. Turanische Karaktere lassen sich bei ihr nicht auf-
finden. Ich nenne sie daher die sarmatisch-germanischen Misch-
formen und bezeichne sie mit SG; die Gruppe umfasst nur 4
Formen (s. Taf. IX. Fig. SG. 1—4).
Die zweite Unterabtheilung zeigt in den Anfangsstufen im
Gesichte und in der Norma oceipitalis einzelne turanische Karak-
tere, während die N. verticalis germanische und 'sarmatiselie
Eigenschaften erkennen lässt. In den späteren Stufen ver-
schwindet jede Spur von turanischem Typus; mit Ausnahme des
Verhältnisses der Höhe zur Breite, welches den sarmatischen
Formen näher steht als den germanischen, hat letzterer Typus
die Oberhand. Die Unterabtheilung, welche 8 Formen umfasst,
nenne ich die sarmatisch-germanischen Mischformen mit wenig tura-
nischer Beimischung und bezeichne sie mit SG* (s. Taf. X.
Fig. 1—8). Die letzte Unterabtheilung endlich nenne ich
die sarmatisch-turanischen Mischformen mit wenig germanischer
Beimischung und bezeichne sie mit ST® (s. Taf. XI. Fig. 1—5).
Dieselbe schliesst sich in ihren Besonderheiten an die zuerst aus-
geschiedene, sarmatisch-turanische Gruppe an, indem sie im Ge-
sicht und der N. occipitalis die Karaktere des turanischen Typus
in allen 5 Stufen, die sie umfasst, wenn auch etwas modi-
ficirt, festhält, während sie in der N. verticalis die Grundform
des sarmatischen in ihren wesentlichen Eigenschaften beibehält.
Vom germanischen Typus wird das Hervortreiben des Hinter-
hauptes und in den höheren Stufen die dachförmige Wölbung des‘
Schädels sichtbar.
4. Vergleichung der Reihen.
Auf diese Weise erhält man also 6 Abtheilungen, von denen.
drei TG, SG u. TS primäre, die 3 andern TG°, SG* und ST®
_ sekundäre Mischformen enthalten. Die letzteren Abtheilungen ent-
halten aber streng genommen sekundäre und tertiäre Mischformen
kombinirt, vorausgesetzt dass man, wie nothwendig ist, die An-
- ordnung in Reihen nach der Grösse des Längenbreitenindex bei-
behält.
Steht die Prämisse fest, dass die 3 einfachen Typen, sowie
die primären und sekundären Mischformen sich je zu 2 mischen
können, so ergiebt die Berechnung nach den Regeln der Kom-
binationslehre eine viel grössere Zahl von Kombinationen. Bei
der für den naturwissenschaftlichen Zweck allein zulässigen An-
ordnung in Reihen, bei welcher die Stellung der einzelnen Ele-
mente jeder Kombination gleichgültig ist, enthalten aber die
einzelnen Reihen nicht nur mehrere Kombinationen, sondern es
herrschen auch in den höheren Stufen 2 Typen so sehr vor,
dass der 3. sich entweder der Beobachtung entzieht oder ganz
verschwindet. ?
Prüft man nun an der Hand der Tabellen 4 und 5 die
Maasse dieser Abtheilungen und deren Stufen und vergleicht
dieselben mit den auf den Tafeln in derselben Ordnung zusammen-
gestellten Abbildungen, so findet man vor Allem, dass der Ein-
druck der Gesammtformen in ganz anderer Weise mit den Er-
gebnissen des Messens übereinstimmt, als bei der gewöhnlichen
Anordnung wie sie in Tabelle 3 gegeben ist. Am leichtesten
ersichtlich wird diess aus Tabelle 5, in welcher die Differenzen
zwischen dem Längenindex von q‘, H‘ und Z, und dem von ©
der leichteren Übersichtlichkeit wegen zusammengestellt sind.
In erster Linie liefert diese Zusammenstellung den Beweis,
dass der sarmatische Typus nicht als Mischform aufgefasst werden
— 394 —
darf; ein Gedanke, der bei oberflächlicher Betrachtung seiner
Gestalt viel näher liegt, als bei den beiden anderen Typen,
deren einschneidende Differenzen schon auf den ersten Blick
in die Augen fallen. — Man sieht aber äus der Tabelle, dass
bei ihm und den von ihm stärker beeinflussten Mischformen die
breiteste Stelle des Schädels (Q) näher am Hinterhaupt liegt
als bei den beiden anderen Typen, und dass in den 3 Unter-
abtheilungen, in welchen er mit dem germanischen Typus zu-
sammentrifft, wie schon erwähnt, die Höhe des Schädels mit der
Zunahme der Länge abnimmt. Diess bildet einen so vollstän-
digen Gegensatz gegen die Mischformen TG und TG°®, in welchen
er gar nicht oder nur in untergeordneter Weise vertreten ist,
dass man gezwungen ist, ihn als einen von dem turanischen
vollständig verschiedenen brachycephalen Typus fest zu halten,
und den Gedanken an individuelle Schwankungen vollständig
aufzugeben. Diese Nothwendigkeit bleibt bestehen, obgleich er
viel weniger widerstandsfähig ist, also rascher umgewandelt wird,
als die beiden anderen Typen, und daher auch weniger Misch-
formen aufweist.
Sämmtliche Mischformenreihen, in welchen der germanische
Typus vertreten ist, befolgen, auf ihrem Wege von den beiden
brachycephalen Typen bis zu ihm, Gesetze, von denen einige,
vielleicht sogar alle, für die Mischung aller dolichocephalen
und brachycephalen Menschenrassen Geltung haben. Sie durch-
laufen alle eine dolichocephale, orthocephale. und brachycephale
Stufe. Ich habe es aber vermieden, diese Eigenschaften der
Eintheilung der Mischformenreihen zu Grunde zu legen, weil
dadurch eine Menge Formverschiedenheiten nicht zur Geltung
gelangen würden. — Gemeinsam ist ferner allen jenen Reihen,
dass auf der orthocephalen Stufe, also auf dem Übergange von
der Brachycephalie zur Dolichocephalie eine Form zum Vorschein
kommt, welche sich in der Norma verticalis theils einer Ellipse,
tlıeils der reinen Eiform nähert, bei welcher also die Seiten-
konturen olıne Absatz in die Krümmung des Hinterhaupts über-
gehen. Aber auch diese Formen verhalten sich verschieden je
nachdem der sarmatische oder turanische Typus vorherrscht. Ist.
a
RE
ersteres der Fall wie bei SG3 und SG!4 (Taf. IX), so zeigt
_ die Norma verticalis eine Ellipse; bei TG4 und T6°6
(Taf. VII und VII) steht sie der Eiform näher. Bei den
Übrigen ist das erste Zeichen germanischer Beimischung das
Hervortreiben des Hinterhaupts ohne weitere wesentliche Ver-
änderung der ursprünglichen Form der übrigen Schädeltheile,
hierzu kommt bei den Mischformen mit vorherrschendem tura-
nischem Typus noch der ‚bemerkenswerthe Umstand, dass die
- Schädel der brachycephalen Stufen breiter, also scheinbar niedri-
ger sind, als der einfache Typus (s. Tabelle 4 u. 5). Da zu-
gleich die Entfernung der breitesten Stelle vom Hinterhaupt (LQ)
und die schmalste Stelle der Stirn sich nicht verändert hat, so
folgt daraus, dass das Gehirn mit dem Eintreten germanischer
Beimischung hauptsächlich im Hinterhaupts- und Schläfenlappen
sofort an Volumen zunimmt. Man findet auch in der That auf
dieser Stufe die grössten Köpfe.
Jenseits der eben erwähnten orthocephalen Stufe beginnt
bei den turanischen Mischformen die Verschmälerung des Schädels
immer mit der Basis; q‘ -wird kleiner und zugleich beginnt nun
die Zunahme der Höhe. Auf diese Weise entstehen Schädel-
formen, welche in der Norma oceipitalis, und zuweilen auch in
der verticalis, eine Gestalt haben, welche an einen stumpfen Keil
erinnert. Anders verhalten sich die sarmatisch-germanischen
Mischformen; bei diesen beginnt schon auf der brachycephalen
Stufe die Verschmälerung der Basis und die gleichzeitige Zu-
nahme der Höhe. Die letztere hält aber, wie schon erwähnt,
nicht gleichen Schritt mit der Verschmälerung der Basis und
der Zunahme der Länge, sondern bleibt sich durch die ganze
Reihe nahezu gleich; und da die Breite in den höheren Stufen in
geringem Maasse zunimmt, so ergibt sich das oben erwähnte,
merkwürdige Verhältniss der Länge zur Höhe für diese Reihen.
Während sich für die letzte Form von TG (12) ein un-
mittelbarer Anschluss an 3 und ebenso für TG°9 und SG4
einer an @4 ergiebt, steht SG'8 ebenso wie STS5, welche
beide sich naturgemäss nahe stehen, unvermittelt den reinen germa-
nischen Formen gegenüber. Ob diese Lücke wirklich existirt
2 ’ 4 \ a
— 396 —
oder ob ich die Zwischenformen noch nicht gefunden habe, muss
vorerst zweifelhaft bleiben, ebenso wie die Beantwortung der
Frage, ob die Mischformenreihen andere werden, wenn das weib-
liche Element durch mehrere Generationen einen bestimmten Ty-
pus einhält, während durch das männliche differente Schädel-
formen in die Familie gebracht werden oder umgekehrt. Jeden-
falls muss zugegeben werden, dass jede Mischform auf zweierlei
Art entstehen kann, je nachdem das weibliche oder männliche
Element die brachycephale oder dolichocephale Form beibringt
und durch mehrere Generatiunen festhält. Ebenso werden die
sekundären Mischformen andere werden je nachdem sie von pri-
mären und sekundären oder von sekundären allein erzeugt werden.
Für alle Brachycephalen gilt mit nur einer Ausnahme, SG1,
oder wenn man SG@°9 noch zu den Brachycephalen rechnen will,
was ich aber nicht für zulässig halte, mit zwei Ausnahmen die
Regel, dass sie (nach der Nomenklatur des Herrn Virchow) zu-
gleich chamäocephal sind s. Tabelle 2, und dass diese Eigen-
schaft bei den brachycephalsten Formen einen sehr hohen Grad
erreichen kann. Da aber die Chamäocephalie auch auf einige
dolichocephale Mischformen SG!6—9 übergreift, so halte ich
eine besondere Bezeichnung dieser Eigenschaft für erwünscht.
Eine auf die brachycephalen Schädel bezügliche Thatsache
kommt nur in den Abbildungen, nicht in den Zahlen der Tabelle
zum Ausdruck, nämlich die, dass die Platycephalie fest an die
Brachycephalie gebunden also nichts anderes ist, als der Ausdruck
der der brachycephalen Form der N. verticalis entsprechenden
Gestalt der N. occipitalis. Es heisst dies mit anderen Worten,
dass der obere Umfang der Norma oceipitalis in dem Maasse
dachförmiger wird, je dolichocephaler ein Schädel ist. Die pla-
tycephalsten sind die Turanier, die Platycephalie weist also immer
auf diese hin, ein besonderer Namen erscheint daher überflüssig.
Für die dolichocephalen Formen geht aus den Tabellen hervor,
dass die breiteste Stelle des Schädels um so näher der Basis
rückt, je reiner der Typus ist, dass in eben dem Maasse das
Gesicht schmäler und zugleich ein wenig prognather wird. Der
Profilwinkel der 3 Typen zeigt aber im Allgemeinen keine so
4
En
— 397 —
. grossen Verschiedenheiten, dass er als Anhaltspunkt für die Be-
stimmung der Form des Gesichts zu brauchen wäre.
Die Tabellen zeigen auch, dass Q’ zu abhängig von Q ist,
als dass es in Zukunft unter den physiognomischen Maassen noch
Platz finden dürfte, und dass für die mittlere und vordere Schädel-
parthie bessere Punkte gesucht werden müssen. Solche sind
meinen grossen, hier nicht abgedruckten, Tabellen nach, die brei-
teste Stelle in der Kranznaht und die Höhe und Länge des
Stirnbeins. Ebenso geben die Bestimmung der Höhe der Seiten-
wandbeinhöcker über der Fläche des Foramen magnum und deren
Entfernung vom hintersten Endpunkte des Schädels karakteristi-
sche Maasse; schon weil sie für das dem germanischen Typus
eigenthümliche Hervortreiben des Hinterhaupts Anhaltspunkte
_ bieten, welches sonst nur in den Abbildungen, nicht in den Zahlen
seinen Ausdruck findet.
Da es sich aber vorerst empfiehlt, nur möglichst wenige
Maasse zur physiognomischen Bestimmung der verschiedenen
Schädelformen zu benützen, so habe ich diese Maasse hier nicht
aufgenommen.
Die grössten Differenzen der Längenbreitenindices, wie sie
in Tabelle 3 nach ihrer Grösse geordnet sind, findet man zwi-
schen den reinen Typen einerseits und den Mischformen ander-
seits. Diese Lücken können meiner Ansicht nach als weiterer
Beweis gelten für die Berechtigung der Aufstellung jener.
Die in die Nähe dieser Lücken fallenden Schädelformen
treten natürlich relativ am seltensten auf, denn durch die Bei-
mischung eines anderen Typus müssen die Formen sofort sehr
wesentliche Differenzen zeigen. — Anhäufungen finden sich bei
den Breitenindices 78,4; 82,1; 85,5 und 87,07 bis 87,6. In
diese Kategorien fallen nur Mischfornen, und unter ihnen vor-
wiegend sekundäre, welche ja naturgemäss in der grössten Zahl
vertreten sein, also die am wenigsten unterbrochenen Reihen
zeigen müssen.
Ra A TS" DStEE ET a Kr EEE
Ar;
PS
— 3983 —
6, Häufigkeit der einzelnen Schädelformen in
Württemberg.
Die Reihengräber. — Nicht ohne Interesse ist es, die
Häufigkeit der einzelnen Schädelformen an der Hand meiner Ein-
theilung zu untersuchen.
Unter 170 Reihengräberschädeln fanden sich 134 rein ger-
manische Formen, von welchen Männer und Weiber zusammen-
genommen auf G! 22 (s. Taf. VI)
G? 39
63 26
G* 23 und auf
G? 24 Schädel kommen.
Von den diesen zunächst liegenden Stufen der primären ger-
manisch-turanischen Mischformen, welche ich unter der Bevölkerung
der Neuzeit und des späteren Mittelalters nur sehr selten mehr
auffinden konnte, traf ich in den Reihengräbern 34 Schädel. Davon
fielen auf TG2, welche Form sich unmittelbar an G? anschliesst,
9; auf T6!11 6 .(s. Taf. VI)
ER
BG? 12;
Die zuletzt genannte Form schliesst sich an die der Neu-
zeit angehörige Form TG®- unmittelbar an.
Von der Form TG? (s. Taf. VII) fand sich in den Reihen-
gräbern von Ulm ein weiblicher Schädel; von SG* (s. Taf. IX),
welcher sich unmitttelbar an G@° anschliesst ein Mann in den
Reihengräbern von Messstetten auf der Alb; sekundäre Misch-
formen kamen gar keine vor.
Bemerkenswerth ist es, dass der grösste Theil dieser ger-
manisch-turanischen Mischformen im Donauthal von Denzingen
(Günzburg) bis Sigmaringen gefunden wurde; nur einzelne in frän-
kischen und den übrigen allemannischen Reihengräberfriedhöfen,
Ähnliche Funde wurden auch in Baiern (Feldaffing, Murau
und Haching) gemacht, s. Korrespondenzblatt der deutschen anthro-
pologischen Gesellschaft 1876. 3. — Ausser dem einzigen, von
Messstetten stammenden Schädel wurde in allen württembergi-
schen Reihengräberfriedhöfen bis jetzt keine einzige entschieden
_ germanisch-sarmatische Mischform gefunden, wenn nicht G* und
3 6 dafür in Anspruch genommen werden wollen, wofür mehrere
= Gründe sprechen.
a Die von mir untersuchten Schädel der Neuzeit und des spä-
_ teren Mittelalters eignen sich nicht zu einer solchen Zusammen-
; stellung, weil sie aus sehr weit entfernten Zeiten und den ver-
Ä schiedensten Gegenden des Landes stammen und weil seltenere
- Formen mit Vorliebe ausgewählt wurden, also in zu grosser Zahl
vertreten sind.
Der Schelzkirchhof in Esslingen. — Nur die aus
_ diesem Friedhofe stammenden Schädel gestatteten einen Einblick
in die relative Häufigkeit der einzelnen Formen und ich habe
daher die Ergebnisse meiner Untersuchung in Tabelle 2 zusammen-
gestellt. — Der Friedhof wurde 1614 eröffnet und 1846 ge-
schlossen: In den Jahren 1874 und 75 ist er vollständig ab-
‚gegraben worden.
Der Stiftungsrath in Esslingen gab mir mit dankenswerther
_ Bereitwilligkeit die Erlaubniss, nahezu alle ausgegrabenen Schädel,
‚aber nur in Esslingen selbst zu untersuchen. Diese Erschwerung
_ der Untersuchung hatte aber den Nutzen für mich, dass ich ge-
. zwungen wurde, vor Allem die einzelnen Formen zu fixiren und
erst in dieser festen Ordnung das übrige Material zu unter-
_ suchen. |
In Esslingen wie in allen ehemaligen Reichsstädten war
Hebung der unteren Klassen Einfluss haben musste. Die Stadt
steht daher in Beziehung auf ihre Rassenverhältnisse im Gegen-
“ & tz zu den sie umgebenden ländlichen Distrikten, in welchen bis
in den Anfang dieses Jahrhunderts einer Mischung der Volks-
‚elemente zahlreiche Hindernisse entgegenstanden, vor Allem die
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der verschiedenen Dörfer. |
Bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts wurden nur die
mittleren und niederen Stände Esslingens auf dem Schelz-Fried-
hofe begraben, die Angesehenern und Vermöglicheren kamen in
die Kirchen oder deren nächste Umgebung; vom Anfang des
gegenwärtigen Jahrhunderts an bis zur Eröffnung des neuen Fried-
hofes fanden aber alle Stände ihre Ruhestätte auf ihm.
Tabelle II.
Die Schädelformen des Schelzkirchhofes.
| |
Typus Anzahl) Typus Anzahl Typus Anz Typus Anzahl
| | |
aa|ıa Imeı. 15 |se ı | a
— 5. 1. — 2. 10. — 2 10. — 2 1082
— 53. 2, — 3. 4. — 3.1.1.
T | — «| 51 — 40 000 zen
=5.1. 3. JB Tre Tare rn
S 8. — 6.18 = 2 5. — 2! 8
— 71. 7. u a — 8. 1:
— BB. Io. bl om. Aal SE
- %1. 2-1. Bl Eee
2. |
TG:|ı. 1. - 7 3.
— 2. 3: — 8. 3.
= :& 111:
— 4. 9.
NT
- 6. 2.
Hilo
u 3 12.
| EAST |
|
Von dem unvermischten germanischen Typus wurde als
wenig über ein Drittheil aller reinen typischen Formen gefund
(5:14). Rechnet man TG 5—12, TG? 7—9, SG 3 und 4,
SG‘ 2—8 und ST 4 und 5 zu den Mischformen mit vorherr-
Ze |
Kae
|6,8 | 7,7 | 35,7
e Mischformen (Reihengräber). |
SO RR RIESE ED
-
80
183
| |
545
0 | 769 | 482 ||
\ 097 IK
Turanisch-germanische Mischformen
‚sarmatischer Beimischung.
857 | 584 |o94 | 705 | 35,4
832 | 581 |612 | 793 | 29,8
85,1 | 53,2 | 62,08| 78,02) 38,4
42,9 | 827 | 549 | 596 | 774 | 382
82,4 | 52,1 | 61,5 | 78,5 | 38,4
"856 | 540 | 648 | 816 408
3 \846 553 682 181,3 38,4 | 6
\ 800 | 565 | 588 | 167 1366
808 324 |622 |819 | 30,8
Maasse der
Tabelle 3.
Anordnung der Schädel, wie bisher; üblich, nach der Grösse des
Längen-Breiteh index.
Breiten- Höhen- 6ruppe-Stufe Möfen. nen Gruppe-Stufe
index = index
L = 100 6 | T |T6 |T6s| 8 |S@ |SGt| ST STs — 100 6 | T |T6 |T6s| S |se |Set| ST |STs
704 | 72,9 are. 3,2 72,3 = ale: %
20 | mo Ns ER a .. | Be .....|.0..le|..|..
72,8 84 |.-|..|10|.. ln - 45 ler... el...
7133 758 | 3 ea | 6 | ss |.. | al SW
75,0 73 De | a ee IT ee ee ‚1 78,0 3 |
sa | 7 |s| | Bemsel..\..| 4 |
72 | 752 |..|...12 ‚3 Ele. eis | N. N...
76,2 nal. 9 ‚5 Eee. l.a|.t.ll.ccale.sleg
76.8 N re | | ‚5 E00] on ee ee
76,9 Er || VRR: E el |%: | - - 5,7 N ee
77,9 eDaE | Az: ‚9 76,9 Bee.) les
78,2 75,6 ie Pe | ‚9 in = || ss Me ee We ee |!
784 eek; ‚1 80,3 | | 1
78,4 Ne..|.2l.:lo.|e Seelen |... |... 3 |
78,7 | alleolee 1 so | ee ee ee ern Ir!
78,8 eos. Bo ee le len].
VER ee Be e.ı..®el..).. h
80,0 ee ee ‚4 79,8 2
80,2 78 \..|..\ 7 90,4 85,8 Re ren
80,8 EICr) Re 1 ol |
81,3 BED a ee in ‚2 825 |:.| T
81,5 ER g| a | R
17 | 5 |..|. | | |
81 | mo Br |4 Per
82,4 TBB, | Saal werliö, | |
635 u ES | Mittlerer Breiten-Längen index aller 49 Schädel
82,7 ker: = 81,7.
82,9 76,0 Basellie) Mittlerer Höhen-Längen index
= 742.
; Differenz zwischen Höhen und Breiten index
u =+6ß8.
ılle 4.
türlichen Gruppen. | 5
Mann
Weib
tufe ZE
Sarmatischer Typus. EIN |
173 | 40,0 | 85,5 | 560 | 606 | 82,08 | 37,5 | 63,5 | 35,8 } e | | |
Ka Zn | ae
EB | |
| | | |
er | ® | |
3G Sarmatisch-germanische Mischformen. A 2 . Sarmatisch-turanische Mischformen.
1.|ıre |s83 |818 | 558 | e39 | 81,9 | 47,9 | 70,3 | 31,09 ; 1 157 || 36,9 | 92,4 | 605 | 643 | 85,3 | 208] 67,5 | 35,03 ||89°w
9. ıs2 | 412 | 79,6 | 53,2 | 57,1 | 7802| 38,4 | 61,6 | 34,6 2.173 || 433 | 884 | 57,8 | 62,4 | 79,8 | 35,8 | 65,8 | 32,9 ||84°M.
3. | 180. || 41,6 | 788 | 544 | 611 | 76,6 | 83676 | 66,9 | 35,5 ; 3. 172 45,3 | 85,9 | 56,3 | 61,6 | 76,9 | 33,7 | 66,2 | 36,6 ||81° —
4.|| ıs6 86,5 | 78,2 | 53,7 | 56,4 | 75,6 | 31,1 | 59,1 | 34,4 A: 178 || 42,1 | 87,6 | 58,4 | 60,1 | 83,8 | 41,01| 69,6 | 39,3 || 90° —
| |
SG Sarmatisch-germanische Mischformen mit wenig r nr : Sarmatisch-turanische Mischformen mit wenig
turanischer Beimischung. ü germanischer Beimischung,
1. | ı7ı || 33,9 | 85,9 | 56,1 | 56,1 | 80,2 | 49,7 | 60,8 | 36,8 \ a “173 || 42,7 | 86,1 | 57,3 | 62,4 | 80,3 | 37,5 | 71,09| 36,6 185°M.
2.| 183 || 38,2. | 83,6 | 55,7 | 61,2 | 78,6 | 39,3 | 68,3 | 36,06 u e 2. | 170 143,5 | 87,6 | 594 | 61,1 | 81,1 | 40,0 | 876 | 37,6 go —
3. | 184 40,7 | 81,5 | 52,1 | 57,6 | 76,0 | 35,8 | 60,8 | 34,7 3a | 43,8 85,5 | 58,9 | 64,7 | 80,3 | 35,8 | 70,4 | 85,5 87° —
4. | 174 || 45,9 | 82,1 | 52,8 | 56,8 | 77,0 | 39,8 | 60,3 | 36,1 | 178 || 42,1 | 85,3 | 56,1 | 63,4 | 80,3 | 37,6 | 67,9 | 34,2 860° —
5. || 186 || 41,9 | 78,4 | 52,1 | 53,7 | 72,5 | 35,4 | 62,9 | 38,7 ı 1198; 181 || 40,3 | 81,7 | 53,05| 57,4 | 74,5 | 38,7 | 66,2 | 34,8 188° —
6. || 190 || 37,8 | 76,8 | 51,5 | 53,1 | 70,0 | 33,6 | 60,0 | 36,3 |
7. | 179 || 46,2 | 78,7 | 54,8 | 586 | 72,6 | 34,07| 65,3 | 36,3
8. || 186 | 40,3 | 78,4 | 55,9 | 59,1 a 31,7 | 60,7 | 36,02
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> 2 7 A N A &; e 3 e BP el Ber
— 401 —
schendem germanischem Typus, was ihre Maasse und Formen
_ wohl zulassen, so erhält man 90 Schädel von 207, also etwa %/,
oder mehr als ein Drittheile Nur bei ST 1—4, T und S, zu-
- sammen also bei 20 Schädeln von allen, konnte eine Spur germani-
scher Beimischung nicht nachgewiesen werden; und unter 37
Mischformenstufen mit solcher, herrscht dieser Typus bei 21 vor;
das germanische Element ist also von allen dreien das Lebens-
_ kräftigste. — Die geringe Zahl der primären sarmatischen Misch-
- formen, bei SG und ST je 4, das alsbaldige Vorherrschen des
germanischen Typus bei den Reihen SG* und TS® beweisen,
meiner Ansicht nach, die geringe Widerstandsfähigkeit jener,
‚selbst wenn man die Zufälligkeit der grösseren Zahl des unver-
mischten Typus zugiebt. Ganz anders ringt sich der turanische
Typus mit dem germanischen ab. Letzterer bedarf 12 primäre
_ und 9 sekundäre Mischformenstufen, um ersteren endlich seiner
typischen Form zuzuführen.
Die grösste Zahl von Schädeln lieferten die Stufen TG*° 7,8
und SG! 3, alle 3 Mischformen mit vorherrschend germanischem
Typus. Sehr nahe kommen ihm die niedere germanisch-turani-
sche und germanisch-sarmatische Stufe T& 1,2 und SG?. Eine
Mittelform, welche ein annäherndes Bild von der Beschaffenheit
aller 207 Schädel gäbe, ist also’ nicht vorhanden; ein Grund
weiter für die Unzulässigkeit arithmetischer Mittel und das Auf-
suchen von Normalschädeln für Bevölkerungskreise mit gemischten
Typen, wenn es überhaupt noch weitere Beweise bedürfte.
c. Uebersichtskarte über die Verbreitung der Schädelformen.
° Obgleich mir genaues statistisches Detail fehlt und meine
aus allen Theilen Württembergs stammende Schädel-Sammlung zu
obigem Zwecke allein nicht verwendbar ist, so habe ich doch eine
Zusammenstellung des mir Bekannten versucht und in beiliegender
Karte dargestellt.
Das Terrain derselben ist von dem k. topographischen
Bureau gezeichnet und die Dialektgränzen nach den Angaben der
Herren Finanzrath v. Paulus und Ober-Amtsarzt Dr. Buck ein-
getragen; die Darstellung und Verbreitung der Schädelformen ist
Württemb. naturw. Jahreshefte. 1876. 26
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— 402 —
von mir. Dass es sich dabei nur ıım Schätzung, nicht um genaue
Angaben handeln kann, dass die Gränzen der Verbreitungsbezirke
nicht so scharf sind, als die auf der Karte dargestellten, versteht
sich von selbst. Die Grundlage für die Darstellung bildete zu-
nächst eigene Beobachtung, die ich in einer langen Reihe von
Jahren an Lebenden in Stuttgart sowohl, als auf vielen Reisen
in allen Gegenden des Landes gemacht habe; überall habe ich
mir Erfahrungen zu erwerben gesucht, namentlich auch bei den
Hutmachern, welche sehr eingehende Kenntnisse der Norma ver-
ticalis besitzen. Die Sitzungen der Geschworenen-Gerichte, denen
ich beizuwohnen hatte, die Hebammenprüfungen u. s. f. lieferten
mir weiteres Material. Bei einiger Übung kann man aus der
Form des Gesichts, dem Profil des Kopfes und der Farbe der
Haare sehr rasch sich ein zwar nicht vollständig genaues Bild
der Schädelform machen, doch jedenfalls entscheiden, ob das In-
dividuum zur Dolichocephalie hinneigt oder nicht. Keinen mir
erreichbaren Kirchhof habe ich ununtersucht gelassen und ein
besonderes Augenmerk auf die Gruben gerichtet, in welchen sich
die Reste der im Anfang dieses Jahrhunderts abgeschafften Bein-
häuser befinden. Jede Sektion, und sie zählen nach Hunderten,
habe ich benutzt, die Schädelformen zu bestimmen. Die Körper-
grösse giebt wie oben ausgeführt wurde, weiter einen sehr wich-
tigen Anhaltspunkt, aber nicht beim Einzelnen sondern nur bei
Massen. Ich habe daher die Ergebnisse der in den württem-
bergischen Jahrbüchern veröffentlichten Maasse der Rekruten, so-
wie der mir vom k. Kriegsministerium zur Verfügung gestellten
Listen vom Jahre 1834 bis 65 in eine besondere Karte ein-
getragen, um sie leichter mit der von mir nach oben erwähnten
Beobachtungen zusammengestellten Schädelkarte vergleichen zu
können. Ausserdem habe ich eine Reihe von Karten verglichen,
welche mein verstorbener Freund Finanzrath v. Sick nach den
Aufnahmen des k. statistischen Bureau über die Körpergrösse und
die Gebrechen der Rekruten, die Sterblichkeit, und die Zahl der
Geburten zusammengestellt hat.
Das erste was bei dieser Vergleichung in die Augen fällt,
ist, dass in den brachycephalen Bezirken die meisten Rekruten
ENTE a ne me a nd a BEN Ti Su “ en €: E
— 403 —
unter Mess, die grösste Zahl von Geburten und die grösste Kinder-
sterblichkeit vorkommen. Dieses Zusammentreffen kann aber kein
zufälliges sein, die Zahl der Beobachtungen ist zu gross und die
Zeit, in welcher sie fortgesetzt wurde, zu lang. Diese Daten
konnten also jedenfalls als Kontrole für die Richtigkeit der Zu-
sammenstellung der Schädelformen benutzt werden.
Auf diesem Wege ist die schen vor einigen Jahren zusammen-
gestellte Karte zu Stande gekommen, für die ich keine weitere
Geltung beanspruche als die einer Schätzung, welche der Wirk-
lichkeit ziemlich nahe kommt. Ich habe mich jetzt schon zu
ihrer Veröffentlichung entschlossen, ehe die Aufnahme der Farbe
der Augen und Haare der Schulkinder vollendet ist, weil die
Veröffentlichung der, letztern wohl noch lange anstehen wird und
weil so jeder Gedanke an die Beeinflussung meiner Beobachtungen
_ durch die Ergebnisse jener Aufnahme ausgeschlossen ist. Diese
werden aber, wenn richtig zusammengestellt, höchst wahrschein-
lich nur wenig von den Meinigen abweichen. Vergleicht man
meine Karte mit der vom k. baierischen statistischen Bureau
über die Farbe der Augen zusammengestellte, so schliessen sich
die Gränzen der von mir als vorherrschend brachycephal bezeich-
neten Landstriche Württembergs so genau an diejenigen der
baierischen Bezirke an, in welchen braune Augen in grösserer
Zahl vorkommen, wie es nicht besser erwartet werden konnte,
Ähnlich verhält es sich mit der Gränze der blauen Augen und
blonden Haare. Es ist das ein guter Beweis für die von manchen
Seiten bezweifelte Thatsache, dass blaue Augen und blonde Haare.
Eigenschaften des germanischen dolichocephalen Typus sind.
Bezirke mit unvermischten Dolichocephalen giebt es keine
im ganzen Lande, überall kommen Mischformen vor; ich habe
daher nur 3 Bezirke aufgestellt, solche, in denen die brachy-
cephalen oder die dolichocephalen Mischformen vorherrschen, und
solche, in denen beide ziemlich gleich vertheilt sind.
Unvermischte Turanier sind selten, Sarmaten etwas häufiger,
Germanen im schwäbischen Theile eine sehr grosse Selten-
heit, im fränkischen dagegen, dem vorwiegend germanischen Theile
des Landes viel häufiger. Eine Ausnahme hiervon macht nur
26*
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u,
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— 404 —
das Gebiet von Mergentheim, in welchem neben den allgemeinen
Einflüssen des geistlichen Territoriums (Deutschordensritter) sich
die slavische Kolonie um Würzburg und die frühere Verbindung
mit Ostpreussen geltend machen. In Unterschwaben finden
sich vorwiegend germanische Bevölkerungen nur in der Baar,
am Fusse der Alb bis Rottweil, von da bis über Gmünd
hinaus, und auf einem kleinen Theil der Filder; in Oberschwaben
nur im Allgäu. Im grössten Theile des Remsthales, im Schwarz-
wald, Donauthal, der Umgebung des Bodensees und auf dem
östlichen Theile der Alb haben die Brachycephalen entschieden
die Mehrzahl. — Für die südlich der Donau gelegenen Gegenden
findet diess Verhalten seine Erklärung darin, dass die Überreste
der, den Grabhügelfunden nach zu urtheilen, wohl grösstentheils
brachycephalen römischen Provincialen überhaupt um so häufiger
werden, je näher man der südlichen Gränze des Allemannenlandes
kommt, ferner dass die Gegend mit Ausnahme des Allgäu und
den Ufern des Bodensees zur Zeit der Einwanderung der Alle-
mannen grösstentheils mit Sümpfen bedeckt und wenig angebaut
war. Die vollständige Besiedelung dieser Gegend ebenso wie
die eines grossen Theiles des Schwarzwaldes geschah wohl erst
später vom 10.—13. Jahrhundert an. In dieser Zeit waren
auch im Südwesten Deutschlands durch die eingetretenen gün-
stigeren Verhältnisse und die bedeutende Einfuhr slavischer
Kriegsgefangener die Volkszahl mächtig gestiegen; so dass
neue Wohnplätze gegründet werden mussten. — Die durch die
Slavenkriege eingeführte Bevölkerung enthielt vorwiegend brachy-
cephale Elemente, und da in einzelnen Thälern sicherlich schon
römische Provincialen in grösserer Zahl vorhanden waren, so ist
nicht zu verwundern, dass dort das brachycephale Element fast
ausschliesslich vertreten ist. Ausserdem waren daselbst (s. die
vom k. topographischen Bureau herausgegebene Karte) geistliche
Territorien und Reichsstädte sehr häufig. Diese beiden waren, wie
bekannt, während des ganzen Mittelalters die Zufluchtsstätte aller
von Fürsten und Adel Bedrängter, also vornehmlich der Knechte.
Die Schädelformen sind daher in allen Städten des Landes nahezu
in gleich hohem Grade gemischt, während in den ländlichen Be-
— 45 ° —
zirken sowohl die germanischen als die brachycephalen Misch-
formen, je nachdem sie in den Distrikten vorherrschen, den un-
vermischten Typen weit näher stehen.
Gleichförmig ist aber die Verbreitung der Brachycephalie in
jenen Gegerden so wenig, als die der germanischen Mischformen in
den anderen. Mitten in brachycephalen Bezirken trifft man auf
Gemeinden, welche dem germanischen Typus viel näher stehen, als
ihre Umgebung, im Schwarzwald ist diess besonders auf den
Hochflächen der Fall, viel weniger in den Thälern.
Leicht kann sich Jedermann überzeugen, dass im Allgemeinen
die brachycephalen Schädelformen unter den niederen Volksklassen
überall im Lande am häufigsten vorkommen. Die besitzenden,
höher stehenden Klassen, so namentlich auch der ältere Adel stehen
dem unvermischten germanischen Typus viel näher als jene.
Diess ist sehr natürlich, denn unter dem Adel und dem höheren
Bürgerstande finden sich die meisten Nachkommen der Herren
des Landes, der Allemannen.
Im Allgemeinen wird es richtig sein anzunehmen, dass die
germanischen Schädelformen um so häufiger werden, je entfernter
ein Landstrich vom Bodensee und dem Schwarzwalde, und je
näher er der fränkischen Gränze liegt.
7. Anleitung zum Gebrauche der Tabellen und
Abbildungen.
Es bleibt nun noch übrig, einige Erläuterungen über den
Gebrauch der Abbildungen und der Tabellen 3—5 für diejenigen
zu geben, welche die in ihrem Besitze befindlichen, aus Deutsch-
land stammenden Schädel nach dem vorgeschlagenen Systeme
bestimmen wollten.
Die Chiffern für die einzelnen Maasse sind Folgende:
(L) L= grösste Länge vom hervorragendsten Punkte der
Mittellinie zwischen den Steinhöhlenwulsten bis zu
dem des Hinterhaupts.
(B) Q = grösste Breite wo sie sich findet.
— 406 —
(LJ)LQ = Entfernung des Punktes Q vom hintersten en
des Schädels.
Q’ = schmalste Stelle der Stirn (quer) in der Linea tem-
poralis.
— Entfernung der Mitte der Spitzen der Proc. mastoidei
von einander.
(H) H‘ = grösste Höhe (ohne d. Unterkiefer).
hs? = senkrechte Entfernung von Q von der Fläche des
Foramen magnum.
(GB) z = grösste Breite des Gesichts, in der Mitte der Joch-
beinplatte.
sb = senkrechte Entfernung zwischen Nasenwurzel und
Foramen incisivum.
“r% - * ’ ur S ’ f) ar - u R Es, X ee 7a u, jr ’ * 4 a» uns R . PR F — 409 — 8. Die Fundorte. Die Fundorte der abgebildeten Originale sind folgende: a. Reihengräber (Taf. VI). — Cannstatt Schorndorf G2; Feuerbach (Zuffenhausen) TG 12; Gundelsheim (Neckarsulm) TG 11; Ulm TG 10; Wurmlingen (Tuttlingen) 6 1; Hedingen (Sigmaringen) TG 9. — b. (Taf. VII—XI). Die übrigen Schädel stammen aus dem 13.—19. Jahrhundert und sind abgegangenen Friedhöfen, Kirchen, Kapellen, Grabgewölben, zufällig aufgefundenen Einzelngräbern u. s. f. entnommen. Von diesen gehören an: Stadt und Amt art: G, 2, 4; TG 2,5; TG° 5, 2,9; BG I 2 SGt 2, 3, 5, 6; ST 2, 3, 4; STe 5. — O.-A. Cannstatt; G 5; SG! 1. — 0.-A. Esslingen: S; TG 4, 6, 8; TG° 3,4, 5,7, 8; STs 2, 4. — 0.-A. Böblingen SG! 4. — O.-A. Gerabronn ST 1. — 0O.-A. Mergentheim SG! 8. — 0.-A. Gmünd TG 7. — O.-A. Ellwangen T. — 0.-A. Heidenheim (Brenz) TG 1. — 0.-A. Urach SG! 7; STE 1. — 0.-A Rottenburg TG°®. Zweite Abtheilung. Vergleichung der Ergebnisse der Schädeluntersuchung mit den geschichtlichen Thatsachen und den linguistischen Hypothesen. Wenn ich in Folgendem versuche, aus der mir zugänglichen Literatur die geschichtlichen Momente zusammenstellen, welche für die deutsche Kraniologie und Ethnographie wichtig sind, so geschieht es nicht, um den Geschichtsforschern von Fach etwas Neues zu sagen, sondern um diesen Gegenstand denjenigen deut- schen Kraniologen näher zu bringen, bei welchen sich eine auf- fallende Nichtbeachtung dieses Theiles der Geschichte bemerkbar macht. Sicherlich wäre es besser gewesen, wenn ein Geschichts- forscher diese Mühe unternommen hätte, aber die Kraniologie kann, wenn sie sich nicht verirren soll, nicht so lange warten, bis die Geschichte so viel Interesse an ihr nimmt. Bis jetzt ist diess nicht geschehen, Niemand hat, so viel ich weiss, die Lö-: ae — 0 N sung der Aufgabe in ihrer Gesammtheit versucht, obgleich für das Alterthum die unerreichte Arbeit von Zeuss (die Deutschen und die Nachbarstämme) neben den nur einzelne Theile der Aufgabe umfassenden Schriften anderer Autoren und für Preussen von der Zeit der Reformation an die von Beheim Schwarzbach (hohenzollerische Kolonisationen) Vorarbeiten vorhanden sind. Der Umstand, dass Zeuss von der Keltomanie angekränkelt ist, schadet bei seiner ebenso gewissenhaften als vollständigen Arbeit entfernt Nichts. Für die Zeit von der Völkerwanderung bis heute fehlt aber eine gleich vollständige Arbeit, und doch wäre eine solche wichtig und anziehend genug. Was ich geben kann, ist natür- lich weit nicht so vollständig und ausführlich, als ich es selbst wünschen möchte und hat nur kraniologische Zwecke im Auge. Die Mühe des Aufsuchens des in einer grossen Zahl von Werken und Abhandlungen zerstreuten Stoffes hat mir aber den Wunsch sehr nahe gelegt, der Gegenstand möchte von berufener Seite einer gründlichen Untersuchung unterworfen werden. Für die ethnographische Deutung der in der ersten Abtheilung beschriebenen Schädelformen ist eine solche Zusammenstellung unumgänglich nothwendig, und daher habe ich mich, so gut es ging, an diese Aufgabe gemacht. Nur die Anwendung der ge- schichtlichen Daten auf die Kraniologie und die Zusammenstellung jener ist von mir; wo es Zeit und Umstände erlaubten, bin ich zwar auf die Quellen zurückgegangen, vieles ist aber aus älteren und neueren Bearbeitungen zweiter Hand geschöpft; ich habe indess diese Autoren nicht überall genannt, um nicht zu schwer- fällig zu werden. Unthunlich war es, mich auf Württemberg zu beschränken, weil die wesentlichen Veränderungen in den Bevölkerungsver- bältnissen des Landes in einer Zeit eintraten, in welcher es noch keine württembergische Geschichte giebt und weil das Land auch später vollständig mit der Geschichte Gesammtdeutschlands ver- flochten ist, seine Bevölkerungsverhältnisse also nur von jenem allgemeinen Standpunkte aus verstanden werden können. Glücklicherweise kann die Ethnographie der gegenwärtigen Bevölkerung Deutschlands verstanden werden, ohne in jenes Ge- MR u a SL Ar F Ein. er N IE WEBER ETRLIT P2- a ee ee ar Pa -. 4 FR N} a ‚biet zurückzugreifen, in welchem sich geologische, Darwinische, linguistische und andere Hypothesen in wildem Gedränge herum- tummeln. Denn durch die Völkerwanderung und die Slavenkriege sind so tief einschneidende Veränderungen in den Rassen-Mi- schungsverhältnissen des deutschen Volkes vor sich gegangen, dass man die Untersuchung ohne Schaden mit ihr beginnen kann. — Die kraniologischen Erfunde der Reihengräber liefern einen vollkommen sicheren Boden für das Urtheil. Die Germanen treten als fertige, reich entwickelte, von den übrigen europäischen scharf geschiedene Rasse in die Geschichte ein. Wie aber die Beschaffenheit ihres Skelettes durch die Reihengräber vollständig bekannt ist, so ist ihr übriges körperliches Verhalten, wie oben angeführt, durch die Zeugnisse der Schriftsteller des Alterthums fast vollständig bekannt. Bei ihrem ersten Auftreten in der Ge- schichte unterscheiden sie sich so sehr von allen übrigen euro- päischen Rassen, dass eine durch linguistische Anschauungsweise bedingte Voreingenommenheit dazu gehört, um glauben zu können, sie hätten sich erst ganz kurze Zeit vor ihrem Eintritte in die Geschichte so entwickelt, wie sie den Griechen und Römern vor die Augen traten. 1. Die Kelten-Frage. Aus obigen Gründen könnte ich die aus Missverständnissen zusammengesetzte Kelten (Zelten-, Gälen-) Frage so wie die beliebten indogermanischen Wanderungen übergehen. Da sie in letzter Zeit aber in deutschen kraniologischen Kreisen an- geregt wurde, so will ich sie nicht ganz bei Seite lassen. — Gleich hier muss ich indess erklären, dass ich weit entfernt bin, in die Streitfrage über die Existenz der Gälen in Deutschland und die Reste ihrer Sprache daselbst, soweit sie sich auf linguistischem Gebiete bewegt, irgend wie einzugreifen. Ich will in Folgendem, abgesehen von den kraniologischen Gründen, nur die hauptsäch- lichsten Momente anführen, welche mich zu der Überzeugung ge- bracht haben, dass die Hypothese von der Anwesenheit der Gälen -in Deutschland viel zu wenig begründet ist, um ihr irgend welchen Einfluss auf die Kraniologie gestatten zu können. — Seit ihrer Aufstellung hat sie auf archäologischem Gebiete eine Position um Fa na r re En ; 9 U Nr Ps “ ve: 2 Er *, Bu ra LM. a 4 Ai % Nr Enlr T R hie uw = MBIT Re a die andere aufgeben müssen, und in der Kraniologie hat sie glücklicher Weise niemals festen Fuss fassen können, weil es unmöglich war, einen besonderen gälischen oder keltischen Schädel- typus nachzuweisen. Die Schädelformen der Gälen. — In Irland, Wales und der Bretagne herrscht heutzutage die von mir so genannte sarmatische Schädelform vor und ist nur ınit wenigen germani- schen Mischformen versetzt. In den Bulletins de la societe d’An- thropologie de Paris Vol. VIII. 2. serie p. 313 bringt Herr Broca eine ausführliche Abhandlung über 136 Schädel aus der Bretagne. Nach ihm betrug der mittlere Breitenlängenindex für die Bre- tagner 81,76. Unter ihnen waren in Procenten berechnet brachycephale orthocephale dolichocephale 70,52 28,02 1,45 Davis und Thurnam erklären auf das Bestimmteste, dass die Kelten in Irland und Wales vorherrschend brachycephal seien, und wer einmal eine grössere Zahl Irländer aus den von der englischen Kolonisation annähernd frei gebliebenen Gegenden des Landes beisammen gesehen hat, für den unterliegt ihre Brachy- . cephalie keinem Zweifel. Von irgend einer Verwandtschaft mit dem Reihengräber- typus kann bei den oben erwähnten Schädeln aus der Bretagne keine Rede sein. Die Bewohner dieser Gegend stehen in der Gestaltung ihrer Schädelform den slavischen Völkern am nächsten. Nun wird aber behauptet, die Gälen seien von ihren Stamn- verwandten, den Germanen unterjocht worden und hätten sich mit ihnen vermischt, wo sind nun diese Germanen hingekommen, denn die 1,45°/, dolichocephalen sind doch eine zu verschwin- dend kleine Zahl. Waren die Gälen ursprünglich dolichocephal, wie man doch annehmen müsste, wenn sie eines Stammes mit jenen gewesen wären, wer war das brachycephale Volk, welches sie fast vollständig verdrängte? doch wohl nicht Sarmaten, welche ganz dieselben Schädelformen haben. Die von Schriftstellern des Alterthums auf dem Boden des jetzigen Deutschlands er- wähnten Gallier oder Kelten waren theils Germanen, theils Sar-. maten, theils Mischvölker dieser beiden. - 413 — 5 Die Angaben der alten Schriftsteller, der _ gälischen Chroniken und Triaden. Bis zu den Unter- suchungen von Zeuss, Bopp, Dieffenbach und andern zweifelten alle Gelehrten, selbst die französischen nicht, dass die römischen Schriftsteller vor Cäsar unter dem Namen Gallier fast alle nörd- lich von ihnen wohnenden Völker zusammenfassten, diejenigen mit inbegriffen, für welche jener zuerst den Namen „Germanen“ einführte. Cicero z. B. nennt die Cimbern und Teutonen Gallier. Fast alle griechischen Schriftsteller vor und nach Cäsar bezeich- neten die germanischen Völker mit dem Namen Kelten, zuweilen - auch Skythen, nach ihm abwechslungsweise auch mit dem Namen _ Germanen. Aristeides (2. Jahrh. n. Chr.) nennt die Markoman- _ nen in seiner Lobrede auf Kaiser M. Aurelius Kelten. Cassius Dio (3. Jahrhundert) sagt an der bekannten Stelle 53, 12. aus- drücklich , die Griechen hätten den ganzen in der Nähe des Rheins gelegenen Theil des Keltenlandes Germanien und einige von den Kelten Germanen genannt. Libanius (4. Jahrh.) erklärt die Franken für einen keltischen Volksstamm. Cäsar nennt als Einwohner Galliens die Belgen, die Aqui- tanier und einen dritten Volksstamm, welcher, wie er sagt, in seiner eigenen Sprache Celtae (d. h. Keltä), in der der Römer aber Gallier heisse. Alle 3 Stämme seien in Sprache, Einrich- tungen und Gesetzen unter sich verschieden gewesen. Die Kelten nahmen also schon damals nur einen Theil des heutigen Frank- reich ein, nämlich die westlich der Seine und Marne und nörd- lich der Garonne und den Cevennen gelegenen Gegenden. Dieser dritte Volksstamm nannte sich nun vielleicht schon damals in seiner eigenen Sprache Gälen, es wäre daher wohl möglich, dass Cäsar, dem ja sonst auch etwas menschliches passirte, diesem _ verwandten Klang den ihm bekannten Namen Kelten substituirte. Auf den Grund der von den Remi eingezogenen Erkundi- gungen erklärt er die Belgen für Nachkommen von Germanen, welche in alter Zeit über den Rhein gezogen seien. Ihr Ge- - biet umfasste aber alles nordwestlich der Seine und Marne gelegene Land; und es liegt daher nahe, anzunehmen, dass auch der westliche Theil der von Cäsar so genannten Gallier mit Germanen —. 4 2 . gemischt gewesen sei, da sich diese unmittelbar vor und nach Cäsars Zeit nach Westen auszudehnen strebten. Hiefür spricht. E 3 A Ri. E ü 3 auch der entschieden germanische Klang der meisten von den uns überlieferten Namen gallischer Fürsten, sowie der Umstand, dass alle auf dem ehemals gallischen Gebiete Frankreichs ge- fundenen Grabhügel mit bestatteten Leichen mit wenig Aus- nahmen brachycephale Schädel, gemischt mit solchen von ent- schiedenem Reihengräbertypus enthalten. Taeitus (Agricola 11) unterscheidet die Gälen in Wallis von den Galliern. Er sagt daselbst, was für Menschen Britan- nien zuerst bevölkerten, ob Eingeborene oder Einwanderer, wissen die jetzigen barbarischen Bewohner des Landes nicht anzugeben. Ihre Körpergestalt ist aber eine verschiedene, so dass sich einiges daraus folgern lässt. Denn die blonden Haare der Kaledonier (im schottischen Hochland) und ihr starker Körperbau zeugen von germanischer Abkunft. Die braunen Gesichter, krausen Haare der Silurer und die Lage ihres Landes gegen Spanien hin (Wales) macht es wahrscheinlich, dass meist Iberer zur See in jene Wohn- sitze kamen. Auch die nächsten an den Galliern sind ihnen ähnlich. — Man muss also für die Schriftsteller vor Cäsar und für viele auch nach ihm gälische und germanische Gallier oder Kelten, ja für einzelne Fälle sogar sarmatische Kelten (Veneti) unterscheiden, gab es ja doch auch im weitern Verlauf der Ge- schichte römische Gallier und solche, die aus Gälen, Römern. und Germanen gemischt waren. Noch besser wäre es bei der Diskussion dieser Frage, die Worte Gälen und Kelten niemals | identisch zu gebrauchen und unter letzteren vorzugsweise Germanen zu verstehen. Die irischen Triaden und Chroniken lassen einen Theil der Gälen aus Griechenland, Thracien und dem asiatischen Skythien (wo auch später noch Iberer wohnten) oder wie sie sich aus- drücken, aus dem Lande des Sommers, einen andern Theil aus Spanien kommen. Von den spätesten gälischen Einwanderern in England, den Pikten, wird angegeben, sie seien aus Skythien (im Norden des schwarzen Meeres) gekommen, nachdem sie das scandinavische Meer gekreuzt hätten. Für die Herkunft eines 4 la En BE HE N ec Er ; “Te TA EN N tr re P7 a A er N en a un = wir R a SEE Ye = er je . DK E- ;- = = 5 RABEN > x a * Theiles der Gälen aus Spanien spricht, dass in Irland etwa 16 Spe- _ eies dort heimischer Pflanzen gefunden wurden. Einige Schrift- - steller meinen, der Ausdruck „Land des Sommers“ bedeute die _ Umgebung von Konstantinopel. Also nur für die Pikten, nicht für die Mehrzahl der Gälen wird der Weg angegeben, welchen sie bei ihrer Einwanderung nahmen. Wahrscheinlicher ist es daher, dass sie den in jener frühen Zeit gangbareren Weg an den - Küsten des Mittelmeeres nahmen, als den über das sehr unwirth- liche Germanien. Linguistische Beurtheilung der keltischen (gäli- schen) Sprache. Alle Dialekte dieses Sprachstammes, die _ gadhelischen so wohl als die kymrischen, entfernen sich unter allen indogermanischen Sprachen am weitesten vom Sanskrit, sind also auf keinen Fall die älteste Form dieser Sprachen in Europa , wie zur Unterstützung des Keltenhypothese gewöhnlich angenommen wird. Nach Rapp*) zeigt die gälische (keltische) Sprache auch in ihrer ältesten Form keine indo-germanische Wurzel in ihrer ur- sprünglichen Gestalt, sondern in einer verwaschenen, aufgelösten. Die 10 Grundzahlen und einige Verwandtschaftswörter wie Vater, Mutter, Bruder etc. sind deutlich aus einer indo-germanischen Sprache entlehnt. Die ganze Sprache hat die weicheren Karaktere der mongolischen (ural-altaischen) Sprachklasse, alle an indo-ger- manische Karaktere erinnernden Anklänge stehen mit den Flexions- = Analogien der finnischen und magyarischen Sprache auf einer Linie. Was indo-germanisch an ihr ist, hat die gälische Sprache wahrschein- lich dem lateinischen entlehnt und ist ihr oberflächlich aufgeheftet. Sie ist so wenig rein indo-germanisch als die Sprache der Arnauten (Albanesen), welche zu einer besonderen Mittelklasse zwischen den flektirenden und agglutirenden Sprachen gehört. Diese Ansicht von Rapp wird durch einen merkwürdigen - Ausspruch des Tacitus (Germania 41) unterstützt, welcher erklärt, die Sprache der Aestui (Esten, Ehsten), sei von derjenigen der *) Rapp, Grundriss der Grammatik des indo-europäischen Sprach- stammes 1855. p. IX—XI und p. 157. Be. 2 — 416 — germanischen Sueven verschieden, dagegen mit der der Britannier verwandt. Die Sprache der damaligen Ehsten ist indess heutzutage so wenig bekannt als die der Gälen in derselben Zeit; ob beide Völker oder eines von beiden ihre Sprache gewechselt haben, weiss man nicht. In der Neuzeit sprechen die Ehsten eine ural- altaische Sprache, und dem heutigen Gälischen wird, von der ‚Mehrzahl der Linguisten, aber ohne überzeugende Gründe, jeder Zusammenhang mit dieser Klasse abgesprochen. Die Sache mag sich übrigens verhalten, wie sie will, so viel wird durch obigen Ausspruch bewiesen, dass die gälische Sprache zu Tacitus Zeit nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit der germanischen hatte, was doch damals in höherem Grade der Fall hätte sein müssen, als jetzt. Die Anhänger der Keltenhypothese machen sich übrigens die Sache leicht, sie erklären den Ausspruch des Taeitus für einen Irrthum, was voraussetzt, dass sie es besser wissen als jener, der die beiden Sprachen aus eigener Er- fahrung kannte. Auf dieselbe einfache Weise werden die Angaben des Sulpicius Severus (363—425) und die des heiligen Hieronymus beseitigt. Der erstere erklärt, die gallische und keltische Sprache seien verschieden gewesen, und Hieronymus giebt an, die Galater in Kleinasien (nach der Ansicht der Keltomanen die Urväter der Gälen) hätten zu seiner Zeit die- selbe Sprache gesprochen, wie die Bewohner der Umgegend von Trier. Diese waren aber nach den Zeugnissen aller klassi- schen Schriftsteller Germanen. Die Anhänger der Keltenhypo- these sind eben überzeugt, dass sie auch das viel besser ver- stehen als die unwissenden Alten. In einer Beziehung muss man ihnen Recht geben, denn vor ihnen ist es Niemand einge- fallen, aus einigen unvollständigen aus den Schriftstellern des Alterthums zusammengelesenen, überdiess noch grösstentheils alt- germanischen Worten und Namen die Urkeltensprache zu kon- struiren, und diese hypothetische Sprache als Beweis für ihre übrigen Hypothesen zu benützen. E. Lhuynus weist in seiner im vorigen Jahrhundert er- schienen Archaeologia britannica eine sehr grosse Zahl baskischer Worte im Gälischen nach. Diess scheint unbeachtet geblieben re zu sein; überhaupt wurde nur nach indo-germanischen Wurzeln | und grammatikalischen Formen gesucht, Alles nicht indo-germa- nische aber bei Seite gelassen. Trotz der in vielen Stücken ausgezeichneten Grammatik von Zeuss, in- welcher aber auch gälische Überschwenglichkeiten nicht fehlen, ist die Sprache noch sehr unvollkommen untersucht. Ein grosser Theil der Kelten- studien beruht auf etymologischen Spielereien und mehrere deutsche Gelehrte, welche sich mit diesen Studien befasst haben, kennen nur die geschriebene gälische Sprache, die Aussprache dagegen so wenig, dass sie in die schwersten Irrthümer verfallen sind. Über die Stellung in der Sprache im linguistischen System sind die Fachgelehrten gleichfalls noch nicht einig. Die meisten bringen sie in einer besonderen Abtheilung unter, Bopp dagegen erklärte sie auf Grund seiner Untersuchungen für das Urslavische, was damit übereinstimmen würde, dass die Gälen vorwiegend sarmatische Schädelformen haben, also jedenfalls mit den Slaven in irgend einem Zusammenhang stehen. Wie unsicher überhaupt die Kriterien der indo-germanischen Sprachverwandtschaft sind, geht daraus hervor, dass Bopp noch im Jahre 1840 (Abhandlungen der k. Akademie der Wissen- schaften in Berlin) die malaischen Sprachen zu den indo-ger- manischen zählte, obgleich sie ganz entschieden zu der aggluti- renden Klasse gehören. Noch in neuester Zeit wurde ferner der Versuch gemacht, auch die semitischen Sprachen zu den indo- germanischen. zu zählen. Man kennt, wie schon angeführt, die altgälische (gadhelische) Sprache überhaupt nicht, die ältesten Schriftwerke, (Glossen und das Leben des heiligen Patrik), reichen nicht über das Ende des 8. Jahrhunderts n. Chr. zurück, stammen also jedenfalls aus einer Zeit, in welcher das lateinische einen grossen Einfluss auf die irische Sprache ausgeübt haben musste. Alles, was sich sonst von Inschriften, (Denkmälern und Münzen) erhalten hat, ist bis heute so wenig erklärt, dass die Fachgelehrten darüber im Zweifel sind, ob sie mit Hilfe der bekannten keltischen Dia- lekte überhaupt zu enträthseln sind. Man kennt nicht einmal die Sprache der Einwohner Galliens, der Vindelicier, der Helvetier, Württemb. naturw. Jahreshefte. 1876. 27 — 48 — und der Einwanderer in die agri decumates im Anfang der römischen Besitzergreifung. Dass aber die letzteren schon im 6. Jahrhundert n. Chr. weder gälisch noch romanisch sprachen, ist gewiss, sonst hätte der heilige Columban, wie Herr Buk nach- wiess, dem hl. Gallus nicht schreiben können: die Bekehrung der Bewohner der Bodenseegegend werde ihm leichter gelingen, weil er nicht allein die lateinische, sondern auch die barbarische Sprache kenne. Mit allen diesen Schwierigkeiten ist man aber sehr leicht fertig, man erklärt einfach Alles, was der germanischen und gälischen Sprache gemeinsam ist, für gälisch, obgleich man zuge- stehen muss, dass der kymrische Dialekt viele niederdeutsche Worte aufgenommen hat. Auch hindert es nicht, an der Hypothese festzuhalten, dass gar kein überzeugender Grund vorliegt, welcher die Germanen veranlassen konnte, von den besiegten oder gar vertriebenen Kelten gälische Worte in ihre Sprache aufzunehmen, dass ferner der Zusammenhang zwischen der gälischen und ger- manischen Sprache in den süddeutschen Gegenden, wie die An- hänger der Hypothese selbst zugeben, durch die römische Sprache nahezu vollständig unterbrochen wurde, und dass endlich auch im Französischen nur ausserordentlich wenig gälische Worte nachzu- weisen sind. Die Beweise für die gälische Abstammung ver- schiedener Namen von Bergen, Flüssen und Wohnorten, welche sich vornehmlich auf etymologischem Gebiete bewegen, haben keinenfalls so viel Gewicht, um aus ihnen die frühere Anwesen- heit der Gälen in Deutschland herleiten zu können. Zum Zwecke einer gründlichen Belehrung in diesen Fragen sind vor Alien andern folgende Schriften zu empfehlen: Bran- des, Kelten und Germanen 1857; Holtzmann, Kelten und Germanen, Stuttgart 1855 und Holtzmann, germanische Alter- thümer, herausgeg. von Holder, Leipzig 1873; Diefenbach Origines europeae, Frankfurt 1861. Brandes und Diefenbach vertreten die Ansicht der Keltomanen, Holtzmann. die entgegenge- setzte. Der erstere giebt die in Betracht kommenden Stellen der Schriftsteller des Alterthums nahezu vollständig, seine Darstellung ruft aber trotz ihres Scharfsinns sicherlich bei jedem Unbefangenen ad 3 A ee in Überzeugung von der Unhaltbarkeit der von ihm verthei- digten Hypothesen in ihrer jetzigen Gestalt hervor. 2. Die Formen der in Höhlen und Pfahlbauten gefun- denen Schädel. ‘Bleibt man auf dem Boden der gesicherten Thatsachen, so ist in kraniologischer Beziehung festzuhalten, dass bis jetzt nirgends in Europa, auch nicht an den oben genannten Fundorten, Schädel aufgefunden wurden, für welche sich nicht entsprechende Formen aus historischer Zeit nachweisen liessen. Die Gesetze, nach welchen sich die Schädelformen entwickeln, oder die Bedingungen ihrer Ab- änderungen sind seit Jahrtausenden dieselben geblieben. Bemerkens- werth ist es, dass in Höhlen und Pfahlbauten weniger Mischformen zwischen den reinen Typen vorkommen als jetzt, d. h. dass alle - diese Schädel letzteren näher stehen. Wenn die geringe Zahl der bisherigen Funde einen allgemeinen Schluss zuliesse, so wäre es der an sich schon wahrscheinliche, dass in jener frühesten Zeit die Menschenrassen noch abgeschlossener von einander lebten als später, und dass diese Rassen von verschiedenen Ausgangspunkten die Wälder Mitteleuropas durchstreiften. Denn wenn man auch in einer Höhle verschiedene typische Formen beisammen findet, so folgt ja daraus noch nicht, dass dieselben gleichzeitig lebten oder gar dieselbe Sprache gesprochen haben. Statt diess zuzugeben, wurde im Gegentheil gefolgert, die indo-germanischen Völker hätten von jeher alle möglichen Schädelformen besessen, ohne zuvor nachgewiesen zu haben, dass die Völker, von welchen jene Schädel stammen, wirklich eine indo-germanische Sprache redeten, was doch für jene Folgerung nöthig_ wäre. 3. Die Grabhügel. Leichenbrand, Bestattung. Wahrscheinlich schon gleichzeitig mit den Bewohnern der Höhlen und der ältesten Pfahlbauten, jedenfalls aber in nicht. viel späterer Zeit wurden die Leichen in Deutschland in Grab- hügeln beigesetzt, oder an der Seeküste ausnahmsweise in Todten- schiffen dem Meere übergeben. Die Bestattung in Höhlen reicht noch in die historische Zeit herein. In der Erpfinger Höhle z. B. 277 LE Fa ee = 42 wurden neben älteren Kulturresten auch die für die Reihengräber- F. zeit bezeichnenden Grabbeigaben gefunden. Die ältesten und jüngsten der Grabhügel enthalten bestattete, die der mittleren Zeit nur verbraunte Leichen. Ich habe schon früher erwähnt, dass ein Theil der inner- halb des Gränzwalles und an der Küste der Nord- und Ostsee gelegenen Grabhügel sich verschieden von denen verhält, welche ausserhalb dieses Gebietes liegen. Alle letzteren enthalten, so- weit meine Kenntniss reicht, nur germanische Schädelformen, gleichviel ob sie der ältesten oder der jüngsten, d. h. der Zeit angehören, welche auf die folgte, in welcher Leichenbrand Sitte war. An der Ostseeküste kommen dagegen nur Grabhügel vor, welche aus der Zeit vor der Leichenverbrennung stammen. Die- selben enthalten nun gewöhnlich dolichocephale und brachycephale Schädel neben einander. In einem Grabhügel wurde z. B. ein dolichocephales Skelett auf einem Pflaster von brachycephalen Schädeln gefunden. Innerhalb der römischen Gränzen finden sich wieder Grabhügel mit bestatteten Leichen aus ältester und jüngster Zeit, in welchen aber theils dolichocephale, theils brachycephale allein oder beide zusammen enthalten sind. In Württemberg sind bis jetzt keine Grabhügel mit bestatteten Leichen aus ältester Zeit gefunden worden. Die ältesten Schädel- funde stammen aus Höhlen und sind vorwiegend dolichocephal. Die meisten Grabhügel mit bestatteten Leichen gehören der Zeit der römischen Herrschaft und des Beginnes der Völkerwanderung an. Jene enthalten brachycephale mit dolichocephalen gemischt, nie brachycephale allein, wie zuweilen angenommen wird, diese nur dolichocephale Reihengräberformen. Cäsar fand den Leichenbrand bei den Galliern, Taecitus (Germania 27) bei den Germanen. Wann die Leichenverbrennung in Deutschland aufhörte, ist nicht genau zu bestimmen. Sicher ist aber, dass diess bei den verschiedenen Stämmen nicht zu gleicher Zeit geschah. In den Sigurdsliedern aus dem 5. Jahrhundert n. Chr. wird die Bestattung in Grabhügeln erwähnt. Bei den Sachsen war die Verbrennung noch im 8. Jahrhundert gebräuch- lich (cap. Caroli M. de partibus Saxoniae $. 22), bei den Dänen BRD? | Saal hörte sie erst im 11. Jahrhundert auf, zur Zeit ihrer Eroberung Englands ; bei den Franken viel früher, vielleicht schon im 3. Jahr- hundert, nur wenig später bei den Allemannen und Baiern. Die ältesten Redaktionen der lex alamannica und baivarica kennen nur die Bestattung der Leichen in Gruben, also in Reihen- gräbern. Zwischen dem 4. und 5. Jahrhundert scheint die Leichen- verbrennung in Südwestdeutschland völlig aufgehört zu haben. Zunächst wurde aber die Bestattung in Grabhügeln beibehalten; wenigstens fand man in vielen derselben neben Skeletten die Grabbeigaben der Reihengräber-Zeit, so in den Grabhügeln auf dem Hohberg bei Solothurn, in denen bei Lentsiedel (bei Kirch- berg an der Jaxt, in württembergisch Franken), Messstetten und an andern Orten. Durch die Einführung des Christenthums kam die Bestattung in Grabhügeln überall vollständig ausser Ge- brauch. Bei einzelnen germanischen Stämmen währte also jeden- falls die Bestattung in Grabhügeln fort, während bei andern Reihengräber im Gebrauch waren. 4. Die Römerkriege. Auf die ethnographischen Verhältnisse Deutschlands übten fol- gende geschichtliche Ereignisse eine einschneidende Wirkung aus: die durch die Römerkriege bewirkte Zurückdrängung der Germanen auf das linke Ufer des Unterrheins, in die Gebiete jenseits des Gränzwalls und auf das rechte Ufer der mittleren Donau; zwei- tens die Völkerwanderung, welche die germanische Gränze weit nach Westen schob, aber dafür im Osten weite Strecken germa- nischen Landes frei liess, drittens die Slavenkriege von Karl dem Grossen an, durch welche die Ostgränze ihrem früheren Be- stande genähert wurde, und endlich der 30-jährige Krieg. In den Zwischenzeiten ist jedesmal eine starke Zunahme der Bevöl- kerung und mit ihr eine Vervielfältigung der Wohnsitze nach- zuweisen. So nach der Völkerwanderung im 8. und 9. Jahr- hundert und nach den Slavenkriegen vom 12. und 13. Jahr- hundert, eine weitere im 16. Jahrhundert ihren Gipfelpunkt er- reichende Zunahme folgte auf die grosse Pestepidemie im 14. Jahrhundert. ur Ry Fa X ’£ Br oT ’ ERANE E7AE x v 4 = A ER Be — 42 — : | mL 7 B Die Völkervermischung während der Römerkriege. Die Römer rüttelten die europäischen Völker zuerst in nachdrück- licher Weise aus ihrer Artenbildenden Abgeschlossenheit auf. Was früher geschah, entzieht sich der genauen Erforschung, oder war auf kleine Räume beschränkt, wie die Ansiedlung der germanischen Kelten in Asien und Spanien und die der gal- lisch-germanischen Sennonen, Bojer, Kennomannen und anderer Stämme in Italien. Mit den Germanen diesseits des Rheins gelang es den Römern nicht vollständig, ihre Rassen-Abgeschlossenheit zu zerstören, erst die Völkerwanderung und die darauffolgenden Jahrhunderte vollendeten dies Werk. Im Süden des jetzigen Deutschlands, in den Alpen und an den Ufern der Donau fanden die Römer beim Beginn ihrer Er- oberungskriege zunächst nicht germanische Völkerschaften, mit Ausnahme der gallisch-germanischen Kennomannen, Insubrer und Bojer, von welchen ein Theil, nach der Festsetzung des Hauptstammes in Oberitalien im 3. Jahrhundert v. Chr., in den Alpenpässen, namentlich an dem oberen Laufe der Etsch, den zunächst liegenden Thälern, sowie an der Donau in der Um- gebung von Passau (Bojer), zurück geblieben waren. Die Bojer zogen sich vor den Römern nach Böhmen zurück, wie später die Markomannen. Die Veneter am adriatischen Meere, Taurisker, (später Noriker), Vindelicier, Rätier und Ligurer waren wohl ge- meinsamen Stammes mit den späteren Sarmaten und Wenden. Von den Venetern, den Rätiern und Ligurern geben Polybius, Plinius und Strabo ausdrücklich an, sie seien keine Gallier (Kelten) gewesen. Am Südufer des Bodensees bis jenseits des Lechs wohnten die Vindelicier, unter welchem Namen die Venedi am obern See, die Estones bei Kempten, die Consuanetes, Breuni, Rucinates (Povxavrıoı) und Licates zusammengefasst wurden. Die Venedi reichten vielleicht bis an den unteren See und könn- ten mit den Pfahlbauten in dieser Gegend in Verbindung ge- bracht werden. Von den Breuni ist bezeugt, dass sie keine Gallier waren; von den Estones, die, wie am Baltischen Meere so auch hier neben Venetern wohnten, ist es im höchsten v8 -— Grade wahrscheinlich. Die Vindelicier werden nirgends Gallier . genannt und Zeuss zählt sie nur aus etymologischen Grün- den zu diesen. Der obere See hiess Lacus venetus (später Bri- gantius), der untere L. acronius (P. Mela, Plinius). Zersprengte venedische Völkerschaften, welche später zum Theil Venedi sarma- tae genannt werden, sassen schon in frühester Zeit an der Ost- und Südgränze der Germanen. Ein weit versprengtes Bruchstück dieses Stammes waren ohne Zweifel die an der Küste des atlantischen Oceans im Nordwesten Galliens wohnenden, von Cäsar bekriegten Venedi. Dieser zählte dieselben zu den Galliern, wohl nur in geographischem oder politischem nicht ethnographischem Sinne, das wären also sarmatische Gallier oder Kelten gewesen. West- lich von den Rätiern und Vindelicieru wohnten die allgemein als Gallier bezeichneten Helvetier, wahrscheinlich ein germanisch- vindelicisches oder rätisches Mischvolk, wenigstens zeigen die Schädel, welche Herr Hys und Rütimeyer den Grabbeigaben nach für helvetische erklären, entschieden germanisch-sarmatische Misch- formen mit turanischer Beimischung. Nördlich von ihnen, am linken Rheinufer um Basel wohn- ten die germanischen Rauraker (Roraker), im Elsass und der Pfalz die gleichfalls germanischen Triboker, Nemeter, Wangionen und Trevirer; am nördlichsten auf beiden Ufern des Rheins die Ubier. Das heutige Oberschwaben wurde von den römischen Schrift- stellern die Markomannische, (bojische), früher helvetische Wüste genannt, und war wegen ihrer Sümpfe und Urwälder berühmt. Zwischen Donau und Rhein wohnten die germanischen Markoman- nen und nördlich von ihnen am Main die Mattiaker. Im Ganzen hielten die Römer während ihrer mehrere Jahr- hunderte währenden Herrschaft über die oben genannnten Gegen- den dasselbe Verfahren gegen die Unterworfenen ein. Der Wider- stand der Alpenvölker wurde ebenso niedergeworfen, wie der von den in ihr Bereich gerathenen Germanen. Die hartnäckig- sten, wie die Rätier, wurden dadurch gebrochen, dass alle waf- fenfähige Mannschaft theils als Sklaven (Servi) verkauft, theils in entfernten Gegenden des Reiches zum Kriegsdienst und BERKER TEN, —_ 41241 — später zur Kolonisation (Coloni, peregrini) verödeter Landstriche verwendet wurden. Nur so viele Eingeborene wurden zurückge- lassen, als zur Bebauung der Felder unumgänglich nöthig waren. Das Land vertheilte der Kaiser als Eigenthümer unter römische Bürger, Veteranen oder italienische Provineialen. Diese waren die Herren der unterworfenen Eingeborenen und bildeten den Haupttheil der Einwohner in den neu gegründeten Städten und Kastellen. f Am gründlichsten wurde von Allen Helvetien romanisirt. Schon unter Vespasian (69—79 n. Chr.) verschwindet der Name des Landes, nachdem es der Provinz Gallia comata zugetheilt war; nach römischen Gesetzen und Verwaltungsprincipien wurde es regiert, römische Beamte, Veteranen, Handwerker und Kolo- nisten liessen sich in Masse nieder. Die Landbewohner dienten als Bundesgenossen im römischen Heere. Von dem näheren Schicksale des Landes während der nahezu 400-jährigen Römer- herrschaft sind bis zum Einfall der Allemannen in der Mitte des 4. Jahrhunderts keine Nachrichten erhalten. Im Lande | herrschte Ruhe. Die Unterworfenen waren willige Diener der römischen Kaisermacht geworden. Die Umgangssprache war die römische; welche Sprache die Helvetier vor ihrer Umwandlung in Lateiner gesprochen haben, ob sich diese während der Herr- schaft der Römer in den vom Verkehr abgelegenen Wohnorten erhalten hatte, darüber ist keine Nachricht weder geschriebene noch in Stein gemeiselte vorhanden, so zahlreich auch die gefundenen römischen Inschriften sind. Dass sie und die Vindelicier nicht gälisch sprachen, ist sehr wahrscheinlich. Die zahlreichen etymologischen Nachweise von gälischen Worten beweisen Nichts. Denn wenn man die bei diesen Schlüssen angewendeten Regeln gelten lässt, so kann man sie ebenso gut aus dem Mexikanischen ableiten, wie Herr Obermüller so treffend gezeigt hat. Sehr zweifelhaft ist es jedenfalls, weil ein grosser Theil der ihnen zunächst wohnenden Vindelicier, besonders die Breonen, Veneter und Estonen, sowie die Rätier wahrscheinlich nicht gälisch sprachen. Zur Zeit der Eroberung des Landes durch die Allemannen sprachen alle diese Völkerschaften, die Helvetier mit eingeschlossen, (lateinisch) roma- a Ha ar ar 7 ye WEN Berl er Ev Rah” r EN 2 a x re) Ba: nisch. Ein Dialekt davon hat sich bekamntlich heute noch in Graubündten erhalten. Während die Bewohner von Noricam, Vindelicien, Rätien und Helvetien in Sprache und Einrichtung rasch romanisirt wurden, so dass weder Inschriften noch sonst zuverlässige Spuren ihrer Sprache aufgefunden werden konnten, verhielten sich die Römer anders gegen die Markomannen. Diese wurden im Jahr 9 n. Chr. unter Marbod zur Auswanderung nach Böhmen vermocht, und das Land zwischen Donau und Rhein, die agri de- cumates mit Galliern, wohl oberitalienischen und überrheinischen Mischrassen kolonisirt. Unter ihnen waren auch Germanen, mög- licher Weise Nemeter und Triboker, sicher aber mehrere 1000 ausihrem Vaterlande vertriebene Hermunduren, welche von Domitius Aherobarbus daselbst angesiedelt wurden. Vom Jahre 96 n. Chr. an waren (nach Stälin, wirtemb. Geschichte I.) in Süddeutsch- land die 1., 3., 8., 11., 14., 21. und 22. Legion, also römische Bürger stationirt und an Hilfstruppen die Cohortes Asturorum, Brittonum, (caledoniorum, triputensium), Helvetiorum, Cirenaicorum und Germanorum; von welchen sich einzelne Angehörige ohne Zweifel später im Lande ansiedelten. Die Germanen am linken Rheinufer traf ein ähnliches Ge- schick wie die Bevölkerungen am rechten Donauufer. Sie hielten aber ihre germanische Sprache fester als die nicht germanischen Völker der Alpen die ihrige. Diess war wegen der Nähe ihrer freien Stammesgenossen leichter für sie, abgesehen von dem konser- vativen Sinn, der von jeher eine Eigenschaft der Germanen aus- machte. Die Trierer nannten sich auch unter der Fremd-Herr- schaft mit Stolz Germanen, sie hielten ihre Sprache fest, be- theiligten sich an den Aufständen des Claudius Civilis, und waren überhaupt gleich bei der Hand, wenn es galt, das römische Joch abzuschütteln. Sämmtliche Germanen des linken Rheinufers von Basel bis Koblenz, wahrscheinlich mit Einschluss der agri decumates, wur- den in eine Provinz, Germanien IL, vereinigt. Die germanischen Länder am Unterrhein bildeten die Provinz Germanien II. Se weit die alten Bewohner nicht niedergehauen, im Circus den . Kr: ze Eine ie > ER, ne x Pr ER 4 2 % e £} Bi RN wilden Thieren vorgeworfen oder als Knechte. verkauft worden # waren, blieben sie im Lande und nahmen zum Theil, wie die Helvetier, die Stellung von Bundesgenossen ein. Die beiden Provinzen wurden gleichfalls mit Städten und Kastellen in grosser Zahl bedeckt und römische Bürger und Provincialen aus andern Gegenden des Reiches in Masse angesiedelt. Diess war auch bei den Mattiakern auf dem rechten Rheinufer der Fall, welche als Bundesgenossen, nicht als deditii aufgenommen wurden. Ihr Name wird übrigens am Ende des 4. Jahrhunderts unter Kaiser Valentinian I. zum letzten Male genannt, sie scheinen sich den Allemannen angeschlossen zu haben. Nebenbei wurde aber das germanische Element auf dem linken Rheinufer durch die Römer selbst immer wieder verstärkt, Ubier, ein Theil der Chatten, Cherus- ker, Cauchi und einzelne suevische Stämme verpflanzte man schon unter Augustus in die an diesen Ufern gelegenen germanischen Provin- zen sowohl, als bistief nach Gallien hinein, wo sie mitten unter römischen Kolonisten Wohnsitze erhielten.*) Die Nachfolger des Augustus giengen in derselben Weise vor. In Köln und Umgebung wurden neben UÜbiern auch Trevirer und Lingonen und im Jahre 285 Franken in der Nähe von Bingen angesiedelt. Alle diese Germanen auf dem linken Rheinufer hielten sich in- dess nicht frei von Vermischung mit den römischen Provincialen, für die Ubier wenigstens bezeugt diess Tacitus (Annalen 4.) aus- drücklich. Noch mehr war diess natürlich der Fall mit den in kleinen Abtheilungen den Legionen beigegebenen oder als coloni oder auch unter dem germanischen Namen laeti in allen Theilen des römischen Reichs angesiedelten gefangenen oder unterworfenen Germanen. Diese romanisirten sich in der Regel schnell; je- doch nicht immer, wie die berühmte Raubfahrt der von Probus an die Ufer des schwarzen Meeres als Kolonie versetzten Fran- ken zeigt. Diese bemächtigten sich einer in ihrer Nähe stationirten römischen Flottenabtheilung, plünderten die Küsten des Mittelmeers, fuhren durch die Meerenge von Gibraltar und landeten an der Batavischen Küste bei ihren erstaunten Landsleuten. (Zosimus I. a Cassius Dio. 55. ce. 33. 34. Eutrop. 7. ec. 9. Suetonius Aug. 21. Tiberius $. Ar Te Me ug Ar 71. Eumenius panegyricus de Constant. 18.) — Ähnlich wurde ‚am rechten Ufer der Donau verfahren, obgleich die Nachrichten _ für diese Gegenden sparsamer sind; von M. Aurelius weiss man, dass er Quaden und Markomannen daselbst, aber auch in der ober- italienischen Ebene, sowie in Pannonien, Dacien und Mösien an- siedelte. Vom 3. Jahrhundert an, gab es fast keine Nation der den Römern bekannten Erde, welche nicht Kolonisten zur Anbauung verödeter Landstriche in allen Theilen des Reiches geliefert hätten. Von den Germanen kamen Gothen in alle Theile Italiens und Pannoniens, (Carpi), Bastarnen in grosser Zahl nach Thracien, Chamavi und Friesen nach Gallien (bei Amiens, Langres etec.), Skyren nach Kleinasien. E In ethnographischer Beziehung bemerkenswerth sind die zahlreichen Sarmatenkolonien, welche seit Constantius im römi- schen Reiche vertheilt wurden, so in Afrika (codex Theodosü VII. tit. 15. 1. 1, tit. 11. 1. 30. 62). Konstantin siedelte 300,000 in Gallien, Italien, Thracien, Macedonien und Skythien an. Im Jahre 368 kamen Sarmatenkolonien in die Eifel und die Ardennen (Ausonius Mosella 9. Ammianus Marcell. 19. c. 11), von denen ohne Zweifel die jetzt noch in diesen Gegenden vorkommenden, zahlreichen Brachycephalen stammen. Ganz besonders bemerkens- werth sind auch die zahlreichen Sarmatenkolonien, welche die aus dem Ende des 4. oder Anfang des 5. Jahrhunderts stam- mende Notitia dignitatum imperii in Unteritalien (2) in Mittel- (3) und Oberitalien (13) aufzählt. Aber auch in Gallien kennt sie 4 praefecti gentilium Sarmatarum, nämlich in der Auvergne, der Umgegend von Paris und Reims, im Velay und Forez und bei Autun. — Den geschichtlichen Nachrichten und den bei den Slaven vorkommenden Schädelformen zu Folge müssen diese Sar- maten schon sehr früh reichlich mit finnischen Elementen ver- setzt gewesen, also auch unter den heutigen Brachycephalen Frank- reichs finnische Volkselemente vorhanden sein. Die Bestattungsweise. — Bis in’s 3. Jahrhundert, also nahezu während dieses ganzen Zeitraumes wurden die Leichen der römischen Bürger und Soldaten verbrannt. Im 4. Jahrhundert £ -.. er — 428 ° — war nach Macrobius (Sat. VII, 7) diese Sitte ausser Gebrauch (395 n. Chr.). Zu Cicero’s und Plinius Zeiten waren beide Bestattungs- weisen gebräuchlich. Auf württembergischem Boden enthalten nahe- zu alle römischen Gräber nur Asche; die früher so häufig aufgefun- denen Römergräber mit bestatteten Leichen haben sich alle als germanische Reihengräber erwiesen. Die ächten Römergräber haben alle den Obolus sowie die Grablampen; die Asche ist theils in Urnen von römischer Technik, theils in Kleinen, den Sarko- phagen ähnlichen Steinkisten mit Deckeln, in den Boden eingesenkt so tief, dass der Pflug sie nicht erreicht. In Böblingen wurde auch ein Columbarium gefunden (Paulus). Die heidnischen Pro- vineialen und Knechte wurden in gemeinsamen Grabhügeln oder Gräbern bestattet; die Christen unter ihnen in gemauerten oder einfachen Gräbern, die reicheren in Sarkophagen aus einheimischem Material. In den dieser Zeit angehörigen Grabhügeln werden, wie schon erwähnt, neben wenigen dolichocephalen hauptsächlich brachycephale Schädel gefunden. Die römische Gränze beim Beginn der Völker- wanderung. — Die römisch-germanische Gränze nahm in dieser Zeit an der Mündung der Waal ins Meer ihren Anfang, und folgte dann dem linken Rheinufer bis Koblenz. Von da begann der Gränzwall, welcher über den Taunus nach Aschaffenburg und dann in gerader Linie bis zum Hohenstaufen lief. Hier machte er einen Winkel, ging längs der Alb, mehr in der Form einer Strasse als eines mit Pallisaden befestigten Walles wie bisher, bis in die Gegend von Ellwangen, Dinkelsbühl und Gunzenhausen, um bei der Mündung der Altmühl in der Nähe von Regensburg die Donau zu erreichen. Von hier aus folgte die Gränze dem rechten Ufer der Donau bis nach Ungarn, 5. Die Völkerwanderung. Verschiebungdergermanischen@Gränzenach Westen. Die Ereignisse der Völkerwanderung können wohl als bekannt vorausgesetzt werden. In ganz West-Europa und einem Theil von Afrika hatten sich die Germanen während ihrer, vom Ende des ” a a . ; an. . a — 429 — 3. bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts währenden Eroberungszüge angesiedelt. Von Norden und Osten her setzten sich die Franken in den innerhalb der heutigen deutschen Sprachgränze gelegenen - Landstrichen, links des Rheins fest. Die fränkische Ansiedelung drang südlich von Boulogne bis an die Flüsse Canche und Lys (Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte II). Bis tief ins Mittelalter hinein blieben diese Flüsse die Gränze zwischen deutscher und romanischer Bevölkerung, erst später wich das deutsche Sprach- gebiet mehr nach Norden zurück. Soweit die Länder um Maas, Mosel und Saar deutsch geworden sind, ist diess durch die Franken geschehen. In den Ardennen blieben, neben Sarmaten auch Reste der alten germanischen Bevölkerung. Das Land der Trevirer war während der römischen Herrschaft germanisch ge- blieben. In Südwest-Deutschland durchbrachen die Allemannen zuerst den Gränzwall, so dass schon am Ende des 3. Jahrhunderts der Rhein und die Donau die Gränzen bildeten. Gegen Ende des 4. Jahrhunderts waren die Römer bis zum Bodensee zurück gedrängt. Im 5. und 6. besetzten jene den grössten Theil des Elsass und der Schweiz, die Thäler des Inn und der Ziller, das Vintschgau, die nordöstlichen Gebirge am Chiemsee und der Salz- ach, nachdem die Gegenden vom Main bis zum unteren Neckar und den Löwensteiner Bergen von ihnen geräumt und von den Franken in Besitz genommen waren. Die Dialektgränze auf der beigegebenen Karte verläuft nur wenig südlich von dieser Linie. Die Burgunder nahmen die Länder um die Aar und Rhone, die Baiern die zwischen Donau, Lech, und den Alpen gelegenen bis zu den Quellen der Etsch und den Ebenen des Burggrafen- amtes.. Nach dem Untergang des Ostgothenreiches siedelten sich viele Gothen in den Thälern von Trient und im nördlichen Tyrol, im Passeierthal, in der Gegend von Mais, im Schmalser-, Ultener- und Sarn-Thale an, und nach Herrn Sepp auch im Isar- winkel. Die von den Germanen festgehaltenen Wohnsitz. — In den westlich der römischen Gränze gelegenen Gebieten wurde also die germanische Bevölkerung, nach der Eroberung mit römi- schen, den Erfunden aus den jener Zeit angehörigen Gräbern nach _ "ae zu schliessen, wahrscheinlich grösstentheils :brachycephalen, aus allen Ländern Europas und Kleinasiens stammenden Elementen gemengt. Die Germanen hielten sich zwar noch mehrere Jahrhun- derte lang in Gesetzen, Einrichtungen und Familienverbindungen vollständig frei von einer näheren Vermischung mit ihnen, aber später hörte diese Absonderung allmälig auf. Nach dem Schlusse der Völkerwanderung im 6. und 7. Jahr- hundert kamen die Verschiebungen der germanischen Wohnsitze im Westen und Süden der innerhalb der deutschen Sprach- gränze gelegenen Gebiete, durch die Franken und Allemannen, Burgunder und Baiern zum völligen Abschluss, während im Osten die slavische Gränze bis zu der (S. 444) angegebenen Linie vor- gerückt war. In den Gebieten zwischen Elbe und römischer Gränze, also im nördlichen Holland, in Ostfriesland, Oldenburg, Westphalen und einem grösseren Theil der ostfränkischen Gegenden blieb die germanische Bevölkerung von fremden Volkselementen frei, so weit nicht Kriegsgefangene dauernd unter ihr angesiedelt wurden. Hier allein hielten sich die Germanen in ihren alten Wohnsitzen. An einzelnen Stellen überschritten die Slaven noch im 9. und 10 Jahrhundert auch jene Gränze, so dass nur der oben angegebene Theil von Holland, ein Theil Ostfrieslands, Niedersachsens, Baierns (Mittelfranken) und Westphalen von den im übrigen Deutschland eingetretenen massenhaften Vermengungen mit fremden Volkselementen frei blieb. Denn auch die im heu- tigen Friesland und Oldenburg wohnenden Friesen blieben nur zum Theil davon verschont; in Oldenburg eigentlich nur das kleine Saterland und die Insel Wangerog. In Friesland hat der südliche Theil, namentlich die Heiden, vorwiegend niedersäch- sische Bevölkerung. Ostfriesland selbst konnte sich, zumal sein am Meere liegender Theil, selbstverständlich gleichfalls nicht von fremden Volks- elementen freihalten. Beim Beginn der Geschichte wurde es von Chau- ken bewohnt, und konnte daher den Namen der Friesen noch nicht führen. Taeitus, Plinius und Ptolemäus sagen ausdrücklich, diese hätten zu ihrer Zeit von den Rheinmündungen bis zur Ems, zwi- Ra a A a U se schen dieser und der Elbe aber die Chauken gewohnt. Nach Aelius Spartianus drängten im 3. Jahrhundert n. Chr. die an der Elbe ansässigen Chauken nach Süden und Westen, und erst in Folge dieser Ereignisse dehnten sich die Friesen allmälig dies- seits der Ems und über die Elbe aus. Der erste, welcher die Erweiterung des Gebietes der Friesen bis zur Weser erwähnt, ist der Geograph von Ravenna im 6. Jahrhundert. Seither haben sie sich, zumal an“der Seeküste, weniger im Süden des Landes, keineswegs von fremden Volkselementen freigehalten. Schon Karl der Grosse (Mindener Chronik) brachte Kolonisten aus Francia, Hasbania (Haspengau bei Lüttich) und Arduenna (dem Ardenner- lande) nach Ostfriesland, um den dorthin versetzten Sachsen Platz zu machen. Im 12. und 18. Jahrhundert siedelten sich noch- mals zahlreiche Flammländer an. In Flandern giebt es aber nach van Kindere seit der frühesten Zeit viele dunkelhaarige Leute (Sarmaten und Reste römischer Brachycephalen). Auch die _ Vitaliner im 14. Jahrhundert mögen nichtgermanische Elemente ins Land gebracht haben. Obgleich die Friesen lange Zeit ihre demokratische Verfassung beibehielten, so hatten sie doch auch Knechte (servi), welche sie theils bei ihren Raubzügen zur See, theils aus den nahe gelegenen slavischen Ländern als Kriegs- gefangene ins Land brachten. Auch während und nach dem 30-jährigen Krieg fand fremdes Blut in Ostfriesland Eingang, und nur die Bewohner der Heiden hielten sich bis auf die Neu- zeit frei davon. Endlich ist es eine bekannte Sache, dass die friesische Sprache auf dem ostfriesischen Festlande ausgestorben ist und nur noch auf den Inseln fortlebt, dass es also nur noch sehr wenige Friesen im linguistischen Sinne mehr giebt. Diess wäre für den Standpunkt, auf welchem eine gewisse Abhängig- keit der Schädelformen von der Sprache angenommen wird, ein _ weiterer Grund für die Vermischung der Friesen; denn auch für diese Anschauungsweise wäre der, wie mir scheint, zum Zwecke der Rettung der indogermanischen Hypothese aufgestellte Satz kaum zulässig, dass die Reinheit einer Rasse mit dem unver- änderten Fortbestehen des Namens eines von ihr bewohnten Landes in irgend welchem Zusammenhang stehe. Se aert % | Ba ee In Westphalen behielten die Nachkommen der Chamavi, Angrivarii, Tubantes und Hermunduren ihre alten Wohnsitze. Da diese sich im 6. Jahrhundert dem Sachsenbunde anschlossen, so brachten die Kriege der Franken gegen die Sachsen in den fol- genden Jahrhunderten zwar grosse Verwüstungen, aber keine ethnographische Veränderungen, so wenig als den zunächst süd- lich von ihnen, auf der Seite der Franken stehenden Chatten, deren östlicher Theil seine Wohnsitze ebenfalls nicht verlassen hatte. Die von Karl dem Grossen in diesen Gegenden, zumal in Franken angesiedelten Sachsenkolonien (Annales Petauenses: Saxones cum mulieribus et infantibus transtulit in Franciam) brachten ebenso, wie die nach Rheinland, Hessen, Baden, Württem- berg und Baiern gebrachten, nur eine Verstärkung des germani- schen Elementes. Die Ansiedelung der Normannen im Norden Frankreichs hatten im 9. und 10. Jahrhundert zahlreiche verheerende Ein- fälle derselben im westlichen Deutschland in die Rhein- und Moselgegend bis Trier und Metz sowie in Friesland zur Folge. Tief eingreifenden Einfluss auf die Bevölkerungsverhältnisse hatten sie aber nicht, die Gefangenen, die sie zurückliessen, brachten ja neue germanische Elemente. — Viel Gefangene scheinen aber von den Deutschen nicht gemacht worden zu sein, die Normannen dagegen schleppten um so mehr in ihre neue Heimath, mit be- sonderer Vorliebe Frauen und Mädchen. Die Hunnen. — Welchen Einfluss die Hunnen auf die ethnographischen Verhältnisse Deutschlands, Frankreichs und Italiens hatten, konnte ich aus den mir zugänglichen Quellen nicht deutlich erkennen. Da ihnen aber ein Theil der Germanen, wie die Ostgothen, Allemannen, Baiern und Thüringer Heergefolge leisteten, so ist wohl anzunehmen, dass in diesen Gegenden Deutschlands hunnische Elemente zurückblieben. Das Nibelungen- lied lässt wenigstens auf solche Verbindungen schliessen. Der einzelne, in den Reihengräbern von Ulm gefundene, weibliche Schädel turanischer Form erklärt sich vielleicht auf diese Weise. Nach der Schlacht von Chalons mögen wohl auch hunnische Kriegsgefangene in Frankreich zurückgeblieben sein. Die be- Per: N ee u A nn, a ee u er BE SEE Sl En RT er E B ; ne De DI em A ET E rüchtigte Neigung derselben (s. Salvianus de gub. dei) zur Schän- dung mag vielleicht gleichfalls dazu beigetragen haben, mongo- lische Elemente in Frankreich und Deutschland zurückzulassen. Verhalten gegen die Unterworfenen. — Während und nach der Völkerwanderung war das Verhalten aller Germanen gegen die Knechte (servi) der Römer in den eroberten Ländern so ziemlich das Gleiche. Sie wurden theils verkauft, theils als Hausgesinde oder leibeigene Landbebauer verwendet. Verschie- - den verhielten sich dagegen die einzelnen Stämme gegen die Freien. Die ripuarischen Franken liessen die wenigen zurück- gebliebenen, welche meist die Städte bewohnten, in ihrem Be- sitze, machten sie aber zu Hörigen (liti); die Kronländereien und herrenloses Gut sammt den etwa zwei Drittheile der Be- völkerung ausmachenden Knechten und Mägden vertheilten sie unter sich. Über die Art der Kriegführung und das Schicksal der links rheinischen Bevölkerung geben ausser den Berichten von Salvianus (de gubern. dei), besonders die Briefe des h. Hie- ronymus (5. Jahrhundert) interessante Aufklärungen. Der letztere erzählt, in den Kirchen von Mainz seien Tausende römischer Provincialen von den Franken getödtet, die Bewohner von Tour- nay, Speier und Strassburg nach Deutschland versetzt worden. Die salischen Franken, die Heruler und die Baiern machten die unterworfenen Römer ebenfalls zu Hörigen, zum Theil sogar zu Knechten und Mägden (Salvianus de gub. dei I. 6.) und nahmen ihnen etwa die Hälfte oder ein Drittheil inres Grundbesitzes. Im südöstlichen Theile von Baiern (Salzburg, Tyrol und Chiemgau) blieben viele Römer in vollem Besitze ihrer Freiheit - und ihres Eigenthums, andere waren zwar persönlich frei, aber _ ihr Grundbesitz wurde abhängig, und wieder andere wurden | ungefährdet nach Italien übergeführt. Das Vorkommen von germa- nischen Mischformen in einzelnen späteren baierischen Reihengräber- friedhöfen erklärt sich ganz ungezwungen daraus, dass sich jene (wohl meist brachycephalen) freien Römer mit den Germanen ver- mischten. Die Heruler unter Odoaker brachten alle römischen Provincialen von Noricum nach Öberitalien (s. vita St. Severini). Württernb. naturw. Jahreshefte. 1876. 28 \ #5 Eh un ce De < a RE NE EN 7, er . N en - RS ö . , > Ye »r = 238 2 % " 3 Die Burgunder und Westgothen nahmen ihnen zwei Drittheile des Landes. Die Allemannen, die wildesten von allen, scheinen wenig- stens im grössten Theile des von ihnen eroberten Landes, alle Römer, soweit sie nicht während des Kampfes umkamen, zu Knechten gemacht zu haben. Nur in einem Theil Rätiens, den Hochgebirgen Graubündens, dem Sarganser Land, dem heutigen Vorarlberg und dem St. Gallischen Oberrheinthal, welche Gegenden schon im 5. Jahrhundert unter die milde Herrschaft der Ost- gothen kamen, wurden die freien römischen Grundbesitzer den Gothen vollkommen freigestellt. Dort hat sich daher auch die römische Sprache erhalten. Noch im 9. Jahrhundert wird auch noch das nördliche Ufer des Bodensees zu dem Comitatus walahes gerechnet (s. württemb. Urkundenbuch I. Nro. 167), obgleich auch hier nach Herrn Buck, die ältesten im 9. und 10. Jahr- hundert nachgewiesenen Flurnamen schon deutsch sind. Hier hatte also die Germanisirung der römischen Bevölkerung raschere Fortschritte gemacht. Aus baierischen und tyrolischen Urkunden, welche bis ins 8. Jahrhundert reichen, lässt sich erweisen, dass die Römer fortwährend ihre Güter verkauften, aber nicht, dass sie auswanderten. Die römischen Ortsnamen sind in den von den Allemannen unterworfenen Gebieten Südwestdeutschlands und der Schweiz nahezu spurlos verschwunden. Obgleich nun sicher ist, dass die Bewohner lateinisch sprachen und nicht gälisch, so wird doch die Behauptung aufgestellt, es hätten sich eine Menge gälischer Ortsnamen erhalten. Eine starke Zumuthung! Die Allemannen trafen das Dekumatenland, mit Ausnahme eines Theils der zwischen Donau und Rhein gelegenen Gegend und den Hochalpen, fast ebenso wie die Rheingegenden, voll- ständig bewohnt und mit Kastellen, Städten und Dörfern reichlich versehen. Der Kampf schwankte über hundert Jahre hin und her, wenn also damals schon ein Theil der römischen Gebäude zerstört wurde, so hat das nichts Auffallendes. Übrigens nicht bei allen war diess der Fall. Einen Theil der grösseren und reicheren Städte scheinen sie geschont zu haben, wie namentlich Augsburg. Zunächst bei vielen römischen Gebäuderesten finden -— 45 — sich Reihengräber; viele Burgen und jetzt noch bewohnte Orte liegen an der Stelle römischer, Ansiedelungen. Im Laufe der Zeit mussten dieselben aber nothwendig umgebaut werden, wozu natürlich ein Theil des Materials der alten Gebäude benutzt wurde. — An eine gänzliche Ausrottung der römisch-gallischen Bevölkerung darf vollends entfernt nicht gedacht werden. Die Zahl der Allemannen, welche sich im schwäbischen Theile von Württemberg niederliessen, war eine verhältnissmässig geringe, Stälin (würtembergische Geschichte 1.) schätzt sie auf etwa 50,000 Familien. Diese liessen sich aber nicht, oder sehr selten, einzeln, sondern gleich in grösseren Verbänden, in den frucht- barsten, best bebauten oder sonst ihnen zusagenden Stellen des Landes nieder. Die Arbeitsfähigen unter den Unterworfenen, soweit sie sich nicht feindselig benahmen, waren für sie als Hausgesinde, Handwerker und Landbebauer viel zu nothwendig, und der Überschuss konnte ja zu leicht verkauft werden, als dass es wahrscheinlich wäre, sie hätten unnützes Blut vergossen. Das Schweigen der Lex alemannica und bavarica über das Verhält- niss der Allemannen und Baiern zu den Römern ist nicht so zu verstehen, dass diese völlig ausgerottet worden wären, sie wurden unter der Benennung servi mit begriffen. Am dichtesten scheinen sie sich am Rande der Alb und deren nördlichem Fusse, im heutigen Allgäu und am Rande der Löwensteiner Berge angesiedelt zu haben. Nicht allein die grosse Zahl der Reihengräberfriedhöfe in diesen Gegenden, sondern auch die im frühen Mittelalter bestehenden Markgenossenschaften machen diess wahrscheinlich. Aber auch nicht einmal die römi- schen Einrichtungen wurden völlig abgeschafft, die Sieger änder- ten die römische Provincialverwaltung nach ihren Bedürfnissen, schafften sie aber nicht vollständig ab. Die Fortdauer mancher römischer Einrichtungen, Sitten und Gebräuche erklären sich nur auf diese Weise. Nicht unwahrscheinlich ist es auch, dass sie, wie am Rhein, so auch im Dekumatenland die dort angesessenen, den Römern unter- worfenen Germanen, milder behandelten, als die römischen Provin- cialen. Die Mattiaker und die oben angeführten Hermunduren schei- 28* “ Di > x en Beh gi Fr N 3 nen sofort gemeinschaftliche Sache mit ihnen gemacht zu haben. : Für letztere macht das Vorhandensein mehrerer, mit dürren zu- sammengesetzte Ortsnamen in Württemberg ein solches Verhalten wahrscheinlich; Dürrwangen, Dürrenzimmern, Dürrenwaldstetten, Dürnau u. s. w., in den Oberämtern Riedlingen (3), Göppingen und Schorndorf (je 1), Sulz und Balingen (je 1). Ob Burgunder im fränkischen Theile des Landes zurückblieben, wo sie ja eine zeitlang wohnten, ist nicht sicher zu entscheiden. In den Öber- ämtern Weinsberg und Ellwangen werden eine Reihe von Orten aufgezählt, in welchen ihre Nachkommen wohnen sollen. Das verschiedene Verhalten der einzelnen germanischen Stämme gegen die Besiegten, ist aber nicht etwa dadurch zu erklären, dass sie verschiedene, eigenartige Völker waren. Die Namen Franken, Sachsen, Thüringer, Allemannen u.s. f. bezeich- neten bekanntlich nur Bündnisse einzelner Landsmannschaften zu politischen und militärischen Zwecken. Ihr Verhalten ist bedingt durch die besonderen Verhältnisse, welche die einzelnen Ver- bände antrafen, ihre relative Zahl, die Misshandlungen, die sie von den Römern erlitten und den Widerstand, den sie gefunden hatten. Die Franken machten in Gallien höchstens den 10. Theil der Bevölkerung aus, bei den Allemannen mag der Umstand mitgewirkt haben, dass sie sich neben Juthungen, Tenkterern und Usipiern, in ihrer Mehrheit aus dem unternehmendsten und kriegs- lustigsten Theile der germanischen Stämme zusammengefunden hatten, und dass sie am längsten und mit wechselndem Glücke mit den Römern zu kämpfen hatten und daher am meisten ver- wilderten. Sitten und Rechtsgewohnheiten. Knechte. — Alle Einrichtungen der Germanen, so lange sie noch Heiden waren, zielten, absichtlich oder nicht, darauf ab, eine abgeschlossene Menschenrasse zur Entwickelung zu bringen. So die Strenge, mit welcher sie auf die Sittenreinheit der Frauen hielten und’ die von Tacitus und Prokop bezeugte Gewohnheit, niemals Frauen von nichtgermanischer Abkunft zu heirathen. Die Lex Wisigo- thorum (Haenel) setzt sogar die Todesstrafe auf die Übertretung dieses Gebotes. Hierher gehört ferner die vollständige Abson- Be - vv. 2 ‘ $ AR . « . “ h j Dt I 9 Ta 2 Ve Bd A en [2 ne a TE Taten DEN A br 3 Sl EA a “r ner rt NP Eier MP IN = .. ” S RE > Aa ee 7 - derung der Freien von den meist aus Kriegsgefangenen fremder Nationalität bestehenden Knechten und Hörigen. Wer einen Knecht oder eine Magd heirathete wurde selbst unfrei, und seine Kinder blieben Eigenthum des Herrn. Unfreie und Fremde wurden auf abgesonderten Friedhöfen begraben; in Köln z. B. bestand noch im 11. Jahrhundert ein eigener Begräbnissplatz für die fremden Kaufleute. Erst nachdem das Christenthum tiefere Wurzel gefasst hatte, also lange Zeit nach der Völkerwanderung hörte jene Trennung zwischen Freien und Knechten auf. — Soweit die Geschichte reicht, hatten die Germanen Unfreie, liti d. h, Hörige und servi d.h. Knechte, unter ihrer Bevölkerung, im Gegensatz zu den Slaven, welche diese Einrichtung erst später einführten. Diess Loos traf vor allen die Kriegsgefangenen; auch wenn die Er- _ bitterung gegen die Besiegten sehr gross war, wurden nur die Waffenfähigen entweder alle, oder je der zehnte Mann getödtet, Weiber und Kinder in die Knechtschaft geführt (s. Grimm, deutsche Rechtsalterthümer S. 320). — Die Römerkriege führten ihnen eine grosse Menge Gefangener fremder Nationalität zu, über deren Schicksal unter Anderm Seneka (epist. 47) Nachricht giebt. Er erzählt, dass die gefangenen Söhne römischer Senatoren in Ger- manien die Rolle von Hausknechten, Viehhirten und Käseaufsehern hätten übernehmen müssen. Die Knechte hatten kein Recht, keinen öffentlichen Schutz, sie waren völliges Eigenthum ihrer Herren, wurden häufig dem Vieh gleichgeachtet und allein oder mit dem Gute, das sie bebauten, verkauft. Aber die altgermanische Sitte, ihnen Land gegen Zins und Dienst zu übergeben, wachte ihr Loos erträglicher, als das der römischen servi. Die Gefangenen in den Kriegen der Ger- manen unter sich, wurden gewöhnlich milder behandelt und zu Hörigen oder Tributpflichtigen gemacht, oder auch nur in andere Gegenden versetzt. Zuweilen kam es aber auch vor, dass sie dieselben zu Knechten herabdrückten, wie Jornandes von den Gothen erzählt, welche sogar die Fürsten der Markomannen, Quaden und Vandalen zu Knechten, und ihre Frauen zu Mägden machten. N ee u Ar Kuh", nn ’ Be TEE #3 Dr wr RE Pr = , ’ If is . Vz ee ARTE — 483 —ı In älterer Zeit verrichteten die Angehörigen der Familie, so lange die waffenfähigen Männer im Kriege waren, allein die Arbeit im Hause, den Knechten und Mägden wurden nur die niedersten Geschäfte überlassen, die Mehrzahl derselben sass aber auf den ihnen übergebenen Ländereien, Höfen. Die Zahl der Knechte germanischer Abstammung mag in dieser Zeit relativ grösser gewesen sein als später, denn auch andere, wenn gleich nicht so häufige Ursachen, als die Kriegsgefangenschaft, führten zur Knechtschaft. Schon Caesar (VI, 13) giebt an, dass viele aus Armuth, Tacitus Germanica 25, dass andere im Würfel- spiele ihre Freiheit verloren hätten. Strafen für Verbrechen und die Heirath mit Unfreien führten gleichfalls von jeher in Knecht- schaft; denn obgleich diese beiden Ursachen erst aus den Zeiten der Völkerwanderung berichtet werden, so ist es bei der Stellung der Knechte an sich wahrscheinlich, dass sie von jeher dieselbe Wirkung hatte. — Erst mit der Völkerwanderung wuchs die Zahl der Knechte fremder Abstammung so sehr, dass sie z. B. in der Rheingegend und anderen Theilen Süddeutschlands die Mehrzahl der Bevölkerung. ausmachte. Die Reihengräber. — Diese Bestattungsweise kam im mittleren und südlichen Theile von Deutschland, nicht ganz zu gleicher Zeit, im Durchschnitt wahrscheinlich im 5. Jahrhundert in Aufnahme, bei den Franken aber jedenfalls früher. Zieht man nur die Schädel in Betracht, so gehören auch die Gräber von Hallstadt zu den germanischen Reihengräbern, wenigstens hatten alle, die ich zu Gesicht bekam, Reihengräbertypus. Die Grab- funde weisen aber auf eine viel ältere Zeit hin als das 4. Jahr- hundert. Die Reihengräberfriedhöfe sind, wo sie sich finden, friedliche Bestattungsorte und enthalten jedesmal, mit seltener Ausnahme, die Todten mehrerer Jahrhunderte. Sie sind, wo die Boden- gestaltung nicht absolute Hindernisse in den Weg legte, auf einem sanft nach Osten sich abflachenden Bodenabschnitt angelegt. Der Kopf liegt nach Westen; da die Gräber, wie es scheint, nach dem Sonnenaufgang orientirt wurden, so wechselt ihre Richtung je nach der Jahreszeit. An denjenigen von ihnen, welche voll- — 439 — ‘ständig ausgebeutet wurden, wie z. B. die von Göppingen, lassen sich an den Grabbeigaben, die Wandlungen des Kunstgeschmacks, das allmälige seltener Werden der Bronce, die häufige Verwen- dung des Silbers, das Aufkommen und häufiger Werden der Sachse u. s. f. deutlich wahrnehmen. In den jüngsten Gräber- reihen werden Schmuck und Waffen immer seltener, ebenso die Reste des bei der Bestattung üblichen Opferbrandes. Die Leichen sind nicht mehr mit Steinen umgeben wie früher, sondern auf eichene Bretter gebettet oder damit zugedeckt. Diese Abnahme der Grabbeigaben stimmt vollständig zu den im 8. u.9. Jahrhundert von Päbsten, Koneilien und Kaisern erlassenen Verboten. Langsam genug scheinen dieselben aber gewirkt zu haben, denn die mehrere Jahrhunderte jüngeren Todtenbäume am Lupfen enthielten noch reiche Beigaben. Besonders in den Friedhöfen im Donauthal und in einzelnen fränkischen macht sich in der späteren Zeit an einzelnen Schädeln eine Veränderung geltend in der Art, dass dieselben nicht mehr ganz so extrem dolichocephal sind wie die übrigen, also den ersten Stufen der Mischformen angehören. Nicht nur in Württemberg, sondern auch in Baiern sind solche Beobachtungen gemacht worden. Diese Thatsachen finden ihre Erklärung darin, dass nicht nur in einzelnen Theilen von Baiern, sondern auch in Franken, und wie es scheint, auch in dem allemannischen Theile des Donauthales römische Provincialen im vollen Besitze ihres Eigenthums und ihrer Freiheit geblieben waren, also einer Ver- mischung mit den Germanen in den späteren Jahrhunderten kein _ Hinderniss im Wege stand, nachdem die Absonderung bekannt- lich durch die unter der Frankenherrschaft aufgekommene Mini- sterialität gemildert worden war. Die Reihengräber erstrecken sich nach Herrn Lindenschmit in östlicher und nördlicher Richtung nicht über das ganze Gebiet Deutschlands, und gehen westlich weit über die heutige Sprach- gränze hinaus. Ihre östliche Gränze geht von Göttingen über Erfurt, klein Binz (Schlesien) und Böhmen nach Nordendorf; von da läuft sie westlich und schliesst das ganze südliche Deutsch- land, Mittelfrankreich und einen Theil Englands ein. Im Osten überschreitet sie also nur an wenigen Orten die Gränze der 1 ET EEE, un DE ER. Slaven, wie sie sich gegen das Ende der Völkerwanderung fest- gestellt hatte, und diess nur in der südlichen Hälfte Deutsch- R lands. Die germanischen Stämme verliessen ja den Norden und Nordwesten zuerst. Erst im 6. Jahrhundert zogen die Mar- komannen und Longobarden aus Böhmen ab, wo gleichfalls z. B. bei Prag Reihengräber mit der bekannten karakteristischen Schädel- form, wie im übrigen Deutschland gefunden wurden. Ausnahmen von obiger Regel bilden nur die in einzelnen Stellen Mecklen- burgs und Pommerns entdeckten Reihengräber. Da diese aber nicht weit von der Meeresküste entfernt liegen, so mögen sie wohl von den Sachsen und Normannen herrühren, welche damals jene Meere beherrschten. Bis zum 6. und 7. Jahrhundert wurden die Friedhöfe, also die Reihengräber, ausserhalb der Wohnorte angelegt. Erst von jener Zeit an kam mit dem Vorschreiten des Christenthums allmälig die Sitte auf, die Todten in der Nähe der Kirche oder eines Klosters, zuerst ausserhalb der Mauer, später innerhalb der- selben, und zum Theil in der Kirche selbst zu beerdigen. Im 9, Jahrhundert noch (Synode von Aachen 809) wurden Ver- bote erlassen, andere Leichen als die von Bischöfen, Äbten und Presbytern in der Kirche selbst zu begraben. Auch der Gebrauch, zwei Leichen in ein Grab zu legen, der in den Reihengräbern oft angetroffen wird, wurde verboten. (Synode von Mainz 585.) 6. Die Kriege gegen die Avaren, Hunnen, Tartaren, Saracenen und Slaven. f Nachdem im Westen und Süden die Veränderung der Wohn- sitze der germanischen Völker unter den Merovingern zum Ab- schluss gekommen war, traten dort lange Zeit keine Ereignisse mehr ein, welche einen wesentlichen Einfluss auf die ethnogra- phischen Verhältnisse hätten ausüben können. Die Kriege, welche im 6. und den nächst folgenden Jahrhunderten in jenen Gegen- den geführt wurden, störten die Vermehrung der Bevölkerung nur wenig, und es lässt sich daher auch für diese Zeit neben zahlreicher Kolonisation im Osten, die Gründung neuer Wohnsitze SE Eh E inech Rodung des Waldes nachweisen (s. Arnold, Ansiedelungen _ und Wanderungen der deutschen Stämme 1876). Dafür beginnen aber sofort im Osten die Kämpfe mit den 'Slaven. Schon im 6. Jahrhundert begannen dieselben, und wurden mit steigender Heftigkeit von König Dagobert I. (622—38) an im 7. und 8. Jahrhundert fortgeführt, aber erst im 14. Jahr- - hundert zum Abschluss gebracht. Im Nordosten geschahen die Angriffe der Slaven anfangs wenigstens nur vereinzelt, ohne das Zusammenwirken grösserer Massen; um so grossartiger dagegen im Südosten, wo sie durch ihre Vereinigung mit den mongolischen Avaren und Ungarn grössere Kraft erhielten. Die Avaren, Ungarn, Tartaren und Saracenen. — Der erste nachhaltige Stoss gegen die germanischen Reiche von Osten her geschah durch die Avaren. Dieses unzweifelhaft mongolische Volk nahm die Reste der am schwarzen Meere übrig gebliebenen Hunnen und Alanen, sowie die weiter westlich woh- nenden Bulgaren an sich, unterwarf die Slaven im Norden und die germanischen Gepiden im Flachland des heutigen Ungarns, sodann die Slaven in Böhmen, Mähren und den Alpenländern, und drang im Jahre 561 in Thüringen und Baiern ein. Über das Schicksal der in den wechselvollen Kriegen Gefangenen ist nicht viel bekannt. Der Franken-König Dagobert I. liess 9000 bulgarische Familien, welche sich in Folge eines Aufstandes im Avarenlande nach Baiern geflüchtet hatten, niederhauen, wohl mit Ausnahme der Weiber und Kinder, welche ohne Zweifel in Baiern blieben. Nur 700 Männer entrannen dem Blutbade und flüchteten sich in die wendische Mark. Ebenso ist nachgewiesen, dass die Allemannen viele kriegsgefangene Avaren und Slaven als Knechte in ihr Land brachten. Im 7. Jahrhundert er- streckten sich ihre Einfälle ins Etschthal, durch den Vintschgau und Baiern, bis Graubündten, nach Schwaben -und Thüringen (Fulda) bis zur Elbe. Festgesetzt haben sie sich im deutschen Gebiete nicht, sie wurden theils zurückgeschlagen, theils durch Tribut abgefunden. Ihre gänzliche Vernichtung gelang erst Karl’ v 4 ek Wr FE ee EN ENERGIE E e AN - ade we EP LEN RI TEN TER" uhr; AA a ee 4 £ z FIR Ten rt ee a a NEIL ER ER we I ED dem Grossen, welcher sie in einem 12-jährigen, blutigen Feld- ; 3 zuge 791—803 vollständig besiegte. Die gefangenen Avaren, welche nicht sofort niedergehauen wurden, vertheilte man in Baiern, besonders in der Gegend zwischen der Leitha und dem Kalenberge, ferner in Schwaben, Thüringen und anderen Gegenden Deutsch- lands. Das Land Östlich der Ems bis an die Mündung der Raab wurde dem deutschen Reiche einverleibt.e. Die durch den Krieg nahezu menschenleer gewordenen Länder zwischen Donau und Theiss, welche im 9. Jahrhundert die avarische Wüste hiessen, wurden mit Slaven, aber auch mit deutschen Kolonisten, vornehm- lich Baiern und Sachsen bevölkert. Im Norden kamen die Slaven während dieses Zeitraums mit den Sachsen theils in feindliche Berührung, theils waren sie deren Bundesgenossen. Um so nachdrücklicher wurden sie von. den Dänen bekriegt. Die grosse germanische Auswanderung nach England im 5. Jahrhundert, an welcher sich Angeln, Sachsen, Friesen und Jüten betheiligten, hatte den Dänen Raum in Schleswig- holstein verschafft. Nur auf den nordfriesischen Inseln behaup- teten sich die Friesen. In Wagrien hatten sich von Mecklen- bur& her Slaven (Obotriten) niedergelassen. Sofort nach Besiegung der Sachsen begann Karl d. Gr. die Vertreibung oder Unterwerfung der Slaven im Südosten wie im Nordosten von Wagrien und Mecklenburg bis Bölımen, Mähren und dem heutigen Erzherzogthum Österreich. Er rückte die deutschen Marken nahezu auf der ganzen Linie‘so weit hinaus, als die deutsche Sprachgränze heute reicht. Seine bewundernswer- then Bestrebungen, den Germanen einen Theil ihrer alten, während der Völkerwanderung verlassenen Wohnsitze wieder zurück zu er- obern, hatten zwar unter seinen nächsten Nachfolgern keinen Fortgang, die deutschen Ostmarken zerfielen wieder; unter Arnulf, Heinrich und vor Allem unter Otto würden sie dafür um so erfolg- reicher fortgesetzt. Im Süden begannen im Anfang des 10. Jahrhunderts die Raubzüge der Ungarn. Diese hatten sich zwar schon sehr früh mit Slaven (Kumanen) vermischt, ihre Hauptmasse war aber un- zweifelhaft mongolischen (turanischen) Stammes. Auch während « CB F = y “ N = un © Rz A En A ee TE Br 7 De a a Ta Eu ee " 2 LE EN Ne y 5 En EL 5 a ER MB. ihrer Einfälle in Deutschland schlossen sich ihnen wendische Stämme an, vor Allem die Daleminzier. In der. ersten Hälfte des Jahrhunderts verwüsteten sie Baiern, Schwaben, die Schweiz, Thüringen und Sachsen, im Jahr 918 auch Elsass und Loth- ringen. Mord, Schändung, Raub und Zerstörung der Wohnsitze bezeichneten ihre Wege, aber gewöhnlich kehrten sie ebenso rasch als sie gekommen waren mit Gefangenen und Beute be- laden in ihre Heimath zurück. Sie schleppten eine grosse Zahl deutscher Gefangener fort; die Deutschen machten dagegen, wie es scheint, nicht viele, die wenigen hatten in der Regel die Wahl, niedergehauen zu werden oder das Christenthum anzu- nehmen. Im Jahre 954 traf eine dieser ungarischen Raubschaaren in der Schweiz mit Saracenen zusammen, welch letztere sich in der Provence festgesetzt, und von dort aus dasselbe Handwerk be- trieben wie die Ungarn. Im schweizerischen Tiefland, vor Allem in Solothurn, hatten sie sich, wie es scheint, von Burgund her, seit einem Jahre festgesetzt. Der König der Burgunder, Konrad, verbündete sich mit den Ungarn, und als es zwischen diesen und den Saracenen zur Schlacht gekommen war, fiel er über beide her und schlug sie völlig. Ein Theil der versprengten Saracenen blieb aber in der Schweiz, und heute noch sollen ihre Nach- kommen in Payerne (Wallis) und im Einfischthal (Anivier) nach- zuweisen sein. Eine Horde Ungarn, welche das Kloster St. Gallen bela- gerten, wurden von den bewafineten Klosterleuten in der Nacht überfallen und zum Theil gefangen. Alle bis auf einen, welcher sich taufen liess und im Lande blieb, hungerten sich „freiwillig“ aus, wie der Chronist mit anerkennenswerther Schamhaftigkeit beifügt. In der Schlacht auf dem Lechfelde 955 brachte ihnen endlich Otto der Grosse eine entschiedene Niederlage bei. Die nicht in der Schlacht getödtet wurden oder im Lech ertranken, flüchteten sich in die nächsten Dörfer, wurden umstellt und mit den Häu- sern verbrannt. Die übrigen wurden auf der Flucht erschlagen, ihre Anführer in Regensburg aufgehenkt, nur Weiber und Kinder ar NN FFIR » Be *) Be wz 12 2% 3 RR Ky: er gr ia: . p“ R STREET WEL « AR HP u u a n.,. Y u EB 5 5 u a u a ea Zee Ed A Re LEER fi, x nF SA zu Gefangenen gemacht. Auf die Nachricht von dieser Nieder- lage hieben die zu Hause gebliebenen Ungarn alle deutschen 4 Gefangenen nieder. Die Wiederkehr nach Deutschland war ihnen aber von da an für immer verleidet, sie wagten nur noch kleine Streifzüge von Mölk aus nach Baiern. Im Jahre 1043 wurde ihnen das Land bis zur Leitha wieder entrissen und dem deut- schen Reiche einverleibt. Dort fand man die Hochebenen mit Urwäldern bedeckt, die Thäler schwach bevölkert. Im 11. Jahr- hundert fiel Böhmen in vollständige Abhängigkeit von Deutsch- land und von dieser Zeit an wurden die deutschen Gränzen im Südosten nicht mehr verändert. Auch durch die Ungarkriege kamen also sicherlich mongo- lische Volkselemente nach Süddeutschland. Von 1222—1243 drangen die Heere der Tartaren bis zum baltischen und adriatischen Meere vor, die Länder furcht- bar verheerend. (S. Wolf, Geschichte der Mongolen und Tar- taren, Berlin 1872.) Von deutschen Gebieten wurde namentlich Schlesien, Mähren und die Treviser Mark schwer betroffen. Ausser Mord, viehischer Grausamkeit, Menschenraub und Verheerung hatten diese Einfälle keinen direkten Einfluss auf die ethno- graphischen Verhältnisse dieser Gegenden, so gross dieser sonst für ausserdeutsche Länder, Russland, Polen, die südslavischen Länder und Ungarn gewesen sein mag. Einzelne Kriegsgefangene mögen vielleicht zurückgeblieben sein. Die meisten verfielen aber dem Schwerte und dem Strange. Indirekten Einfluss hatten sie aber dadurch, dass nach ihrem Abzuge in die verödeten Landstriche, besonders Schlesiens, (z. B. in die Gegend von Hotzen- plotz und anderen) deutsche Kolonisten angesiedelt wurden. Ähnlich verhält es sich mit den von 1656—57 von den Polen veranlassten Tartareneinfällen in Ostpreussen. Die slavische Gränze. Im 8. Jahrhundert ging die Gränze der slavischen Nationalität und Sprache in Nord- und Mitteldeutschland von Kiel südwestlich bis zur Elbe, an einzelnen Stellen sogar noch über sie hinaus, bis in die Gegend von Magde- burg. Von der Einmündung der fränkischen Saale folgte sie dem Laufe dieses Flusses bis zum Thüringer Wald, überschritt den 17: a TS Er RS ne iS eL- a ee de te, ee tn an Fan Ze a a _ Mi nd bi a WE N Er re a un "EC > ö 2. b eo IE a . ? RE e s “ vi G r nr = “ı 24 e N » Arne ; + 5 z e Ts a ’ = z w Pr, h) E nr ei a - | — 445 — südlichen Theil dieses Gebirgszuges, welcher noch im späteren Mittelalter Saltus slavicus genannt wurde, und erstreckte sich bis in die obere Maingegend. Im nördlichen Theile des Thürin- ger Waldes und dem böhmischen Randgebirge waren Vandalen sitzen geblieben. Westlich der Rednitz erstreckte sich ein schmaler Streifen slavischen Landes bis in die Diöcese von Würzburg und die Taubergegend, wo im 7. Jahrhundert unter Dagobert I. viele kriegsgefangene Slaven angesiedelt wurden. Von der Red- nitz lief die Gränze bis gegen die Altmühl und die Nab. Nach Abzug der Longobarden in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts hatten sich die Slaven auch am linken Ufer dieses Theils des Donauthales angesiedelt. Noch im 7. Jahrhundert, (zu Samos Zeit 623—30 n. Chr.) erfolgten slavische Einwanderungen in die österreichischen Donauländer, deren Spuren noch in Urkunden des 9.—12. Jahrhunderts nachweisbar sind. Auf dem rechten Ufer reichten sie bis zum Einfluss der Enns, in einzelnen Strichen sogar westlich von ihr bis in’s Pusterthal, längs der Rienz bis in die Gegend von Brixen, an den Pillersee und Kitzbüchel. Ostwärts waren keine Germanen mehr, wenigstens nicht in ge- schlossenen Wohnsitzen und als herrschendes Bevölkerungselement. Im Grödener-, Ennaberg- und Ampezzo-Thal, sowie in den Judi- carien erhielten sich dagegen romanische Bezirke mitten unter Slaven. Die im Innern Baierns von Landshut bis in die Gegend von Sempt, bis zur Isar und der Quelle der grossen und kleinen Vils angesiedelten Slaven mögen als Kriegsgefangene dort hingekom- men sein. | | Die Slavenkriege im Norden. Die Kolonisation. Im Norden währte der Kampf bis in’s 14. Jahrhundert fort. Der Deutsche Orden begann im 13. Jahrhundert (1226) mit bewundernswerther Energie, Umsicht und Organisationstalent seine beinahe zweihundertjährige Thätigkeit.e Die Vertreibung der Slaven aus Preussen und die Bevölkerung des Landes mit hol- ländischen und deutschen Kolonisten war sein Werk. Was der vorübergehende polnische Besitz Westpreussens trotz des hart- näckigen Widerstands des deutschen Elements verloren gehen ” vs 5 ns 7 n, . . s Ur Pe u BY 2 F EFTLERER % 2.7 Ba KR ee; DUBaPN PETE TON o 5.4 or Be ‚7 | ee: liess, brachte die deutsche Kolonisation der brandenburger Fürsten wieder ein. Diese wie die Niedersächsischen Herzoge eroberten auch vorher schon dem Germanentbum Schritt für Schritt neue Gebiete. In Wagrien (Holstein) begann die Germanisirung schon im 10. Jahrhundert; aber erst nach der Schlacht auf der Lür- schauer Haide, 1043, nahm sie grössere Verhältnisse an und wurde im 12. Jahrhundert durch Vernichtung oder Vertreibung des grössten Theils der wendischen Bevölkerung vollendet. Nur auf der Halbinsel von Lütjenburg blieb diese als zinspflichtige Leute. Im 15. Jahrhundert verschwand auch hier die wendische Sprache. Das übrige Land wurde von Kolonisten aus Friesland, Westphalen und Holland (Utrecht und Flandern) eingenommen. Die slavischen Fürsten von Pommern und Mecklenburg erhielten sich nur durch völliges Hingeben an deutschen Einfluss. Sie bevölkerten ihr durch die mörderischen Kriege verödetes Land mit deutschen und holländischen Kolonisten, so dass allmälig die Mehrzahl der Bevölkerung aus Deutschen bestand. In Pommern wird das germanische Element durch die Herrschaft der Schwe- den im 17. und 18. Jahrhundert wohl noch verstärkt worden sein. In Julin (Wollin), der bedeutendsten Handelsstadt an der Ostsee verkehrten schon im 11. Jahrhundert neben Griechen, (Russen) und Dänen zahlreiche sächsische Kaufleute. Nam et Saxones parem cohabianti legem acceperunt, si tamen Christin- nitatis titulum ubi morantes non publicaverint. (Adam von Bremen.) Diese Sachsen hatten dort sicherlich einen eigenen Friedhof, wie das in jener Zeit bei den in den grossen Handels- städten weilenden Fremden üblich war. Behandlung der unterworfenen Slaven. Bisin das 12. Jahrhundert wurde in allen diesen Kriegen an der Ostgränze in derselben Weise gegen die Besiegten vorgegangen, wie in den Römerkriegen. In den Gegenden, in deren Nähe der Kampf tobte, war ihr Schicksal ein sehr hartes. So gab Graf Guncelin (1170) den Deutschen, welche Schwerin und dessen Umgebung bewohnten, das Recht, jeden wendischen Mann sofort aufzu- hängen, der auf Umwegen angetroffen wurde. Der kleine Krieg 441 — wurde mit derselben unbarmherzigen Wildheit ununterbrochen fortgeführt, auf Raubzügen angetroffene Slaven bis auf den letz- ‘ten Mann niedergehauen. Auch in den grösseren Feldzügen wurde häufig genug ein Theil der Gefangenen, oder alle, aber immer mit Ausnahme der Weiber und Kinder getödtet; jedoch fast immer nur dann, wenn sie vor ihrer Gefangennahme Grausam- keiten verübt hatten. Zuweilen geschah diess nur den Führern, andere Male aber auch allen. Am Tage nach der Schlacht bei Lentzen an der Elbe (929) liess Markgraf Bernhardt allen Ge- fangenen der Redarier die Köpfe abschlagen, weil sie die Be- satzung und die Einwohner von Walsleben an der Elbe nieder- gemetzelt hatten. Der Berichterstatter Widukind von Corvey sagt in seiner Sachsenchronik: Captivi omnes postera die, ut promissum habebant obtruncat. Der Kampf war um so erbitterter, als nicht allein Nationalhass ins Spiel kam, sondern auch von dem DBekehrungseifer der Deutschen verschärfter Religionshass, welcher unter päpstlichem Einflusse nicht immer den Grundsätzen der Religion entsprach, welche sie zu ver- breiten suchten. Der grösste Theil der Gefangenen wurde aber zu Knechten gemacht, als Gesinde verwendet, auf dem Lande angesiedelt oder in den verschiedensten Gegenden Deutschlands bis an den Rhein, Württemberg und Baiern vertheilt. Sehr viele wurden durch Vermittlung der Juden (Thietmar von Merseburg) oder der Ve- netianern nach England, Frankreich, Italien und selbst Asien und Afrika verkauft. Nur wegen besonderer Verdienste wurden einzelne Slaven in den Stand der Freien erhoben oder sonst in bessere Verhältnisse gebracht. Die slavischen Knechte Sklavenmärkte. Vom 9. Jahrhundert an waren die Knechte slavischer Abkunft, so häufig in Deutschland, dass der Name Sklave allmälig statt des Wortes Knecht (servus), Leibeigener, gebraucht wurde. In den Urkunden aus dieser Zeit werden die Worte servi, sclavi, accolae neben einander verwendet. Sclavi wurden aber zu gleicher Zeit auch die slavischen Völker genannt. Eine Urkunde von 1071 spricht Ali Ka le Amp Rn 2 7 Fee ZB a De She Er x f x x von einem Mann, welcher natione sclavus war. Wende oder Winde galt lange Zeit als Schimpfname. N“ In den Städten der Ost- und Nordseeküste, und anderen grossen Handelsstädten, wie in Köln, waren noch im 11. u. 12. Jahrhundert grosse Sklavenmärkte, auf welchen aber nicht allein { Slaven, sondern überhaupt Kriegsgefangene feil geboten wurden, so z. B. nach Helmold in Meklenburg 200 Dänen. Erst seit dem 13. Jahrhundert hörte dieser Menschenhandel auf. In Italien waren es besonders- die Venetianer, in Deutschland neben ihnen auch die Juden, welche den Handel schwunghaft betrieben, in Venedig strömten ganze Karavanen von Sklaven aus den slavischen Ländern zusammen, ja sie liessen durch ihre Agenten gelegentlich auch Kinder stehlen, um sie nach Asien und Afrika in die Harems der Moslim zu verkaufen. Karl der Grosse ver- trieb desshalb auch alle venetianischen Sklavenhändler aus seinem Reiche, und setzte hohe Strafen auf den Verkauf Unfreier ausser Landes. Wer die Geschichte kennt, weiss auch, dass die Völker, welche heute unter dem Namen Slaven zusammengefasst werden, seit den frühesten Zeiten aus einem Gemisch von Finnen, welche vielleicht identisch sind mit den Sarmaten, sowie von Tartaren, be- stehen. Jedermann weiss, dass der grösste Theil des heutigen Russ- land früher finnisch war. Man wird also das Vorhandensein von finnischen und tartarischen, überhaupt ural-altaischen (mongolischen, turanischen) Volkselementen in allen Theilen Deutschlands, ja Europas, der indo-germanischen Hypothese zu lieb nicht in Abrede ziehen können. Ebenso wird sich kein Wissender verwundern, wenn er germanische Schädelformen ausserhalb der deutschen Sprach- gränze findet. Denn nicht blos als Kriegsgefangene, sondern auch als Ansiedler kamen die Deutschen in den späteren Jahrhunderten in jene Länder. Aber auch schon vor der Völkerwanderung waren in Polen, Galicien, Ungarn und den Donauländern Germanen angesiedelt. Ptolemäus und Tacitus bezeugen ausdrücklich, dass die Gothen im ersten und zweiten Jahrhundert östlich und west- lich der Weichsel Wohnsitze hatten. Findet man also in jenen AT BES TAR Da D5 b N - 3 N a ARse - 7 & Beeren: | —— 49 — Gegenden alte Grabhügel mit germanisch-dolichocephbalen Schädel- formen, so wird man diess doch nicht wohl als Beweis dafür verwen- den können, dass in jener Zeit nicht allein die Germanen diese Schädelform besessen hätten. Organisationdereroberten Länder. Diegewonnenen Län- der wurden von den Deutschen in derselben Weise organisirt, welche sie bisher zu allen Zeiten befolgt hatten, nur vielleicht noch gründlicher als früher. Die Slaven galten als bösartige, diebische, treulose, wenig intelligente, faule und unreinliche, fast nutzlose Arbeiter. Die bevor- zugte Nationalität war die deutsche, sie waren die Bewohner der Herrensitze, der Städte, die Überlegenen im Kriege wie im Handel, Gewerbe und Ackerbau, sie hatten ihre eigene Gerichtsbarkeit und Verwaltung, sie allein leisteten Kriegsdienste. Nur wenige Polen wurden in den östlichen Theilen des Deutschordenslandes ange- siedelt und erst zu einer Zeit, als die Auswanderung aus Deutsch- land in Folge der grossen Pest im 14. Jahrhundert schwächer geworden war. Die Wohnorte der neu eroberten Länder wurden entweder zerstört und verschwanden oder sie erhielten neben den Resten der slavischen Bevölkerung nicht allein deutsche Grund- herrn und Priester, sondern auch halb oder ganz freie deutsche Ansiedler, Handwerker und Bauern. Ausserdem wurden aber auch ganz deutsche Orte, namentlich Städte, neu gegründet. 7. Die Umwandlung der germanischen Bevölkerung Deutschlands im Mittelalter. Die Zahl der Knechte aus den Römerkriegen hatte sich im 9. und 10. Jahrhundert durch Freilassung, vor Allem durch Aufnahme unter die Geistlichkeit oder Hingeben an die Kirche und andere Gründe sehr vermindert. Gefördert wurde diese Umwand- lung der bisherigen Knechte noch durch die massenhafte, bis in’s 13. Jahrhundert währende Zufuhr slavischer Knechte, wodurch die Ge- sammtzahl der Unfreien im 8.—10. Jahrliundert so gross geworden war, dass sie die Hälfte der deutschen Landbewohner ausmachte. Einzelne reiche Leute vergaben 10— 40 mancipia (s. Grimm, deutsche Rechtsalterthümer 1828, S. 330.) Die Zahl der Knechte germanischer Abstammung war wohl von jeher nicht gross gewesen, die meisten Württemb. naturw. Jahreshefte. 1876. 29 Et oh 3 ee ne ar) Eh waren von Anfang an nur zu Hörigen gemacht worden. Durch Ä die Vereinigung aller deutschen Stämme unter Karl d. Gr. war ohnediess der Gebrauch, deutsche Kriegsgefangene zu Knechten zu machen, ganz abgekommen. Bis zum 9. Jahrhundert hielten sich die Freien germa- nischer Abkunft fast vollständig abgesondert von den ihnen als Kriegsgefangene zugeführten fremden Volkselementen. Von dieser Zeit an hört aber dieses Verhalten auf und damit ver- schwindet auch die Rasseneinheit in den Gräbern. BReihengräber mit den bekannten karakteristischen Schädelformen finden sich von da an keine mehr. Die dolichocephale germanische Rasse vermischte sich langsam aber in immer steigender Intensität mit den brachycephalen Elementen. Diese merkwürdige Veränderung in den Grabfunden wird vollständig erklärt durch eine Reihe von tiefgreifenden Veränderungen, welche in jener Zeit in den staatlichen Einrichtungen vor sich giengen. In erster Linie war es der Sieg des Christenthums, welcher die Vermischung in hohem Grade beförderte. Sklaven konnten Kleriker werden, manche Bischöfe nahmen nur solche in den Klerus auf, weil sie gefügiger blieben, (Synode zu Aachen 816 und 817, cap. 119), obgleich sie dadurch in den Stand der Freien erhoben wurden. Ein Freier, der sein Gut der Kirche gab, wurde zwar hörig, hatte aber grössere Sicherheit. Knechte, welche sich auf das Gebiet der Kirche flüchteten, wurden nicht ohne weiteres zurückgegeben. Im 8. Jahrhundert begann daher auch eine massenhafte Gründung von Klöstern, und diese ver- mittelten wieder die Erhaltung eines grossen halbfreien Bauern- * standes. Ein weiterer mächtiger Hebel zur Vermischung der ver- schiedenen Volkselemente war die unter der Herrschaft der Franken aufkommende Ministerialität, (Feudalismus); die- selbe hatte zwar mehrere Jahrhunderte zu ihrer Entwicklung nöthig, ihre Wirkung erstreckte sich aber bald auf die unter- sten Schichten der Bevölkerung, denn auch die servi erhielten von nun an ilır Land erblich. (Sugenheim, Geschichte der Aufhebung der Leibeigenschaft, Petersburg 1861. — Waitz, deutsche Ver- u ö > ] t hen I, we Re! E09 und 1030—33 hatten viele Herren veranlasst, ihre ‚Knechte zu Erbpächtern zu machen, um der Alimentationspflicht hoben zu sein. Durch Leistung von Kriegsdiensten und Ab- ‚gabe von Zins konnte sich Jeder in den Stand der ministe- riales erheben. Auf diesem Wege gelang es sogar vielen zu Hörigen gemachten Romanen ihren früheren Adel wieder zur Geltung zu bringen. Dagegen hat kein Stand unter der ger- manischen Bevölkerung Deutschlands eine solche Einbusse durch das Lehenswesen erlitten, als der der Gemeinfreien. Er versank in Dienstbarkeit und war daher auch am intensivsten und raschesten der Vermischung mit nicht-germanischen Elementen verfallen; doch bestanden noch im 15. Jahrhundert eine grössere Zahl freier Bauerngemeinden am Rhein, in Franken, Schwaben und Baiern. Vom 11. Jahrhundert an kann nachgewiesen werden, dass durch das Lehenswesen vollständig neue Standesverhältnisse ge- gründet worden waren. Viele Hörige hatten sich zu Ministeria- len und Freien aufgeschwungen, konnten Ehen mit Freien ein- gehen, leisteten Kriegsdienste u. s. f. Bis zur Staufenzeit hatte sich noch der Unterschied zwischen freien und nicht freien Ritter- (geschlechtern (miles, miles nobilis) erhalten, von da an ver- schwand aber auch dieser. Dem Lehenswesen und der dadurch veränderten Zusammensetzung der Heere ist es auch zu danken, Jass der bisherige Rechtsgebrauch, die Kriegsgefangenen zu Knech- jen zu machen, in jener Zeit allmälig ausser Gebrauch kam. Zu all diesen Einflüssen kam aber noch die Gründung zahl- eicher Städte. Vom 12. Jahrhundert an bekamen diese eine influssreichere Stellung und machten sich zu Beschirmern und Helfern der Landleute gegen die Bedrückung von Fürsten und ‚Adel. Sie erwarben zwar am häufigsten Land und Leute durch | Kauf, nahmen aber auch viele ihren Herren entflohene oder über- llüssige Knechte als Schutzverwandte oder Beisitzer auf und iedelten sie in den Vorstädten (Pfahlbürger) an. In Köln z.B. bestand wie in den andern Städten das Recht, dass jeder Hörige "der Knecht eines auswärtigen Herrn, welcher 1 Jahr und 1 Tag 29* u ET fassungsgeschichte.) Die grossen Hungerjahre von 896—97, I a EEE a AH a ne An r a" er “ et EI ee N 57 ER u DRAERE ID T a ee > | unangefochten innerhalb der Mauern gewohnt hatte, gegen jed Anspruch geschützt blieb. Innerhalb dieser Frist erhielt ihn sein Herr nur zurück, wenn er seinen Anspruch durch 7 Bluts- verwandte des Knechtes bezeugen konnte. Vom 12. und 13. Jahrhundert ab lösten sich die Bande der Knechtschaft innerhalb der Städte vollständig. Die Beobachtung, dass heutigen Tages in vielen Städten und ehemaligen geistlichen Territorien die dunkelhaarigen brachycephalen Elemente häufiger angetroffen werden als in ihrer nächsten Umgebung, findet durch diese Vor- gänge ihre vollständige Erklärung. Einen, wenn auch vorübergehenden, und für Deutschland weniger mächtigen Einfluss auf die Stellung der Knechte und Höri- gen hatten endlich auch noch die Kreuzzüge. Wer das Kreuz nahm, wurde frei, daher bestand ein grosser Theil der Kreuz- fahrer aus entlaufenen Knechten. Viele Ritter gestatteten gerne den Loskauf, um Geld zur Ausrüstung zu bekommen oder der Kirche gefällig zu sein. Zunahme der Bevölkerung vom 11.—13. Jahrhundert. Auswanderung. Nach dem Aufhören der menschenfressenden Kriege gegen die Avaren, Ungarn und Slaven trat im 12. Jahr- hundert in Folge jener Umgestaltungen eine starke Vermeh- rung der Bevölkerung ein, welche bis zum Anfang des 14. Jahr- hunderts ihren Fortgang hatte. Nachdem zuerst allenthalben neue Rodungen vorgenommen, die Wohnsitze vermehrt und die grossen Güter zerstückelt worden waren, Burgen und Städte in grosser Zah sich erhoben hatten, suchte der Überschuss der Bevölkerung einen andern Ausweg. - Vom 11. Jahrhundert an ergoss sich, zumal von den west- lichen und südlichen Theilen des Reiches ein mächtiger Strom von Auswanderern nach Osten, zuerst in einzelne verlassene Gegenden der deutschen Alpen und in die neu erworbenen, men schenleeren slavischen Länder im Osten, später weit darüber hin- aus nach Polen, Weissrussland, Kleinrussland (Ukraine), Podolien, Galizien, Schlesien, die Lausitz, Böhmen, Ungarn und in die slavischen Alpenländer. Überall, auch von slavischen Fürsten wie in Pommern, Meklenburg und Wagrien wurden, wie schon 4 Y Du er 453 EN ermähnt, Städte und Dörfer mit feier deutschen Kolonisten ge- ‚gründet, Holländer (aus Seeland und Flandern), Westphalen, Friesen, Franken, Schwaben und Baiern lieferten die Auswanderer. Auch in Polen und Böhmen wurde in gleicher Weise vorgegan- gen, so sehr, dass diese beiden Nationen aus einer fast gleich- mässigen Mischung slavischer und germanischer Elemente be- stehen, auch in den Theilen, in welchen die deutsche Sprache längst verschwunden ist (s. Adler, Kulturgeschichte Polens). Am häufigsten liessen sie sich in der Nähe der heutigen deut- ‘schen Sprachgränze nieder, aber sie wagten sich auch tief 'in’s fremde Land hinein, doch meist nur in geschlossenen Ver- ‚bänden. In Holland hatten die grossen Sturmfluthen im 11. und 12. Jahrhundert viele zur Auswanderung, zuerst nach Norddeutschland, gezwungen, wo sie einihrem Heimathlande ähnliches Klima und fast gleiche Bodenverhältnisse fanden. In der Mitte des 12. Jahr- hunderts wanderten aber auch viele nach Sachsen und Thüringen. Die Bergthäler der Schweiz wurden urkundlich erst im 11. bis 13. Jahrhundert bevölkert, zunächst der innere Theil des Bregenzer Waldes, der angränzende Wahlgau mit den beiden Walserthälern von Allemannen. Allmälig drangen, begünstigt von den Landesherren, immer mehr Ansiedler aus den verschie- densten Gegenden des Reiches nach (1093 —1218), und ver- breiteten sich über Oberwallis bis in’s Berner Oberland. Sie blieben , wie alle diese Auswanderer, frei, leisteten nur Kriegs- ‚dienste und mässige Abgaben. Von den Walserthälern, in wel- ‘chen sie zuerst einwanderten, hiessen sie die freien Walser, und ihre Nachkommen sind heute noch durch ihre Grösse, blonde Haare und blaue Augen zu erkennen. In diese Zeit fällt auch die Verbreitung der deutschen Sprache über die Thäler der Alpen, insbesondere der Schweiz, in welchen vorher nur romanisch oder slavisch gesprochen wurde. Erst in der Mitte des 14. Jahrhunderts, nachdem 1349 —56 die ‚grosse Pest (der schwarze Tod) Deutschland entvölkert hatte, und durch das Sinken der Kaisermacht die materielle Wohlfahrt ‚des Reiches schwer geschädigt wurde, hörten diese Auswande- ür Kurige" Tr EU er N a en 1 TEE DR RENNER RT IE Er N BIER Dre SIERT nn Pa dl EEE Es Se R 4 1 AS) Zn a EEE er a ‚weisse Haut, mittelgrosse Nase, kleine Ohren, längliche Hände,f rungen für längere Zeit ganz auf, wurden wenigstens ma ser und beschränkten sich jedenfalls auf kleinere Gebiete. Seither haben sich die Gränzen des Deutschthums wesentlich nicht mel | verändert. Die Herrschaft deutscher Sprache und deutscher Ein- richtungen war vom 14. Jahrhundert an in Holstein, Meklen- burg, Pommern, Preussen, Brandenburg, der Lausitz, in Schlesien,f Böhmen und Oesterreich gesichert. Bildliche und schriftliche Darstellung der Bevöl- kerung Deutschlands im 12. und 13. Jahrhundert. — Ich kann es nicht unterlassen, hier einer Schrift Erwähnung | zu thun, welche von hohem Interesse für die Ethnographie Deutsch-f lands ist, nämlich A. Schulz diss. quid de perfecta corporis hu- mani pulchritudine Germani saeculi XII et XIII senserint. Bres-f lau 1866. Für schön hielten die Dichter jener Zeit, welchen diese Schilderungen hauptsächlich entnommen sind, bei denf Frauen zumal, mittlere Grösse, blonde, golden glänzende Haare, mässig schmale Finger, und kleine schmale Füsse. Es ist diessf eine Schilderung der rein germanischen Rassenkaraktere, wie man sie nicht besser wünschen kann. Die Statuen und Bilder (in den Manuskripten) zeigen, dass die Grösse der Frauen nur wenig geringer war als die der Männer, die Haare blond oder rotlı und die Augen blau waren. — Für hässlich hielten sie eine kleine Statur, einen verhältnissmässig grossen breiten Kopf, dunkle oder schwarze Haare, sehr grosse Augen, breite platte Nase, grossen Mund, grosse Zähne, besonders wenn sie von den Lippen nicht ganz bedeckt werden, breite Ohren, breite kurze Füsse. Die Knechte und Bauern, welche in den Manuskripten, Reliefs und Statuen jener Zeit abgebildet oder sonst geschildert sind, werden mit platten Nasen, grossem Munde, schwarzen dichten Haaren und kleinem Körperbau dargestellt. Auf sie passen also nahezu alle Kennzeichen der brachycephalen Rassen, der Slaven, Hunnen und Ungarn (S. 24.). Es ist diess sicher eine beachtenswerthe Bestätigung der im vorhergehenden auseinandergesetzten An- schauungen. x nd EN I: w a ae m ® E ge N \ E R E 8. Bewegung der Bevölkerung Deutschlands vom 14. ee. Jahrhundert bis in die Neuzeit. Vom 14. Jahrhundert an hatten die Kriege keinen so tief greifenden Einfluss mehr auf die ethnographischen Verhältnisse Deutschlands, nachdem die Rechtsgewohnheit, einen Theil der Gefangenen bleibend im Lande anzusiedeln, aufgehört hatte. Fort- an beschränkte sich die Bewegung der Bevölkerung in der Haupt- sache auf Verschiebungen einzelner deutscher Volkselemente in _ die verschiedenen Theile des Reiches. Die Kriege der Hussiten im 15. Jahrhundert, der Türken vom 15. bis in’s 18., sowie _ die Bauernaufstände im 16. hatten daher nur geringe Wir- kungen in dieser Richtung. Das Reformationszeitalter brachte zwar eine Ver- schiebung süddeutscher, zumal österreichischer Bevölkerungstheile | (Böhmen, Salzburger), in den Westen und Norden des Reiches, aber neue Elemente kamen dadurch nicht herein; wenn gleich die Auswanderer nach Hunderttausenden zählten. Anfangs war das Ziel derselben Sachsen, nachdem aber das sächsische Fürsten- haus der polnischen Königskrone wegen katholisch geworden war, wurde die Zahl der Einwanderer geringer, da sie in dem Gebiete der Brandenburger Herrscher ein sicheres Unterkommen zu er- warten hatten. In Deutsch-Österreich wurden dagegen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zahlreiche, natürlich katho- lische, slavische Kolonien gegründet, so in den Bezirken Felds- berg und Zistersdorf, an der ÖOstgränze des Männhardtsviertels, im Marchfeld und diesseits der Donau an der ungarischen Gränze. _ Veranlassung dazu gaben besonders die vor den Türken geflohenen Kroaten, deren Hauptmasse sich übrigens im Pressburger , Öden- burger- und Eisenburger Komitate niederliess. | Es ist oft vermuthet worden, hauptsächlich der 30jäh- ‚rige Krieg sei es gewesen, welcher die Überwucherung der 3 germanischen Bevölkerung mit brachycephalen, dunkelhaarigen Volkselementen herbeigeführt habe. Dass diess ein Irrthum ist, geht schon aus der seitherigen Darstellung hervor, kann aber auch auf anderem Wege bewiesen werden. Schon die oberfläch- FR 2 DE > FR a ee 0 a a Na ee > Dar a ner a ER AI SE a Br 7 ee NE DE Fee Ba 1 a LEER NE FE NEE ee RR ec a ET a ET ee RE 72 E > . u, rn eng } vr EEE ATBER DR) Be rs Rh; e RN, hr. Be; E er lichste Betrachtung der zahlreichen Portraits sowie der religiösen und historischen Gemälde aus dem 16. Jahrhundert zeigt deut- lich, dass damals schon ein grosser Theil der deutschen Bevöl- kerung nicht mehr die körperlichen Eigenschaften hatte, welche den Römern bei den Germanen so sehr auffiel. Glücklicher Weise hat aber die Frage nach der Ursache dieser Erscheinung nicht erst unsre Zeit des Wiedererwachens deutschen Sinnes be- wegt, sondern schon vor mehr als 200 Jahren den ersten mir bekannten deutschen Anthropologen den aus Ostfriesland stammen- den, in Helmstädt wirkenden Professor der Heilkunde Hermann, Conring. In der von ihm herausgegebenen Schrift de habitus corporum germanicorum antiqui ac novi causis (Helmstädt), welche von 1645 bis 1727 im 4 Auflagen gedruckt wurde, beschäftigte er sich eingehend mit dieser Frage. Da Conring seine Beobach- achtungen während des 30jährigen Kriegs anstellte, so gewinnt seine Ausführung, dass die Deutschen seiner Zeit so sehr von der Schilderung der Germanen durch die Römer und Griechen abweichen, für die Widerlegung jener Vermuthung ent- schiedenen Werth. Die Deutschen seiner Zeit, sagt er, haben nicht mehr, wie zur Zeit der Römer, eine und dieselbe Körperbe- schaffenheit, sondern zeigen eine ganz ausserordentliche Ab- weichung, so dass man kaum glauben könne, sie stammen alle von jenen ab, und annehmen müsste, sie hätten sich mit an- dern Völkern vermischt. Ihr Körper habe sich bedeutend ver- schlechtert, und es wäre an der Zeit, auf Mittel zur Verbesse- rung desselben zu denken. S. 24 sagt er, es gäbe zwar in Deutschland mehr grosse Leute mit blauen Augen, blonden Haareıu und weisser Haut als in Frankreich, Spanien, Italien und andern Ländern, aber in einigen Gegenden des Landes gebe es Stämme (nationes), bei welchen kleine Statur, dunkle krause Haare und braune Augen vorherrschen. Der 30jährige Krieg brachte wohl neue Volkselemente nach Deutschland, aber bei weitem nicht so viele, als die früheren 4 Jahrhunderte, so furchtbar auch die an ihm verursachte Ent- k völkerung war. Nach dem Friedensschlusse versuchte man durch Gestattung der Vielweiberei die Volkszahl rascher zu heben. Die 2 - A» - Ausfüllung der Lücken musste aber grösstentheils der Zeit über- Er. lassen werden, so weit diess nicht. durch Rückwanderung. der % deutschen Flüchtlinge aus Tyrol, der Schweiz, Holland und Frank- % reich geschehen konnte, welche Länder von dem Kriege fast ganz verschont wurden. Die heimkehrenden Flüchtlinge brachten auch Eingeborene mit, wenn gleich in geringer Zahl. Die grossartigste Anstrengung zur Wiederbevölkerung seines Landes machte der grosse Kurfürst Fr. Wilhelm von Branden- burg, alle Heimathlosen fanden Zuflucht in seinem Lande, ver- abschiedete Soldaten, Vertriebene aus Piemont, England, Irland, und Polen, Holland, (Wallonen und Friesen), Salzburg, Schlesien, > Böhmen und Mähren, der Pfalz, besonders Mannheim, u. =. f. In grosser Zahl kamen auch Er 1672 vertriebene Hugenot- ten (refugies) aus Frankreich. Wer sich näher über diese Kolonisation des deutschen Nor x dens, vom grossen Kurfürsten bis auf Friedrich d. Gr. unterrichten will, dem giebt das vortreflliche Buch von Schwarzach ausführ- liche Aufklärung. In Württemberg wurden, wie in allen übrigen deutschen protestantischen Ländern, vor Allem viele entlassene, protestan- tische (schwedische) Soldaten angesiedelt; der Sage nach nament- lich in der Baar und am Fusse der Alb im Steinlachthale. Diess waren aber Deutsche, denn die schwedischen Regimenter ent- hielten am Schlusse des Kriegs wenig Schweden mehr. Der grösste Theil der neuen Bevölkerung kam aber aus der Schweiz und Tyrol. In dem Weiler Gleichen O.-A. Öhringen sollen sich nach dem Kriege Spanier angesiedelt haben. Im Fürstenthum Hohenlohe-Öhringen wurden aber noch im vorigen Jahrhundert ‘die protestantischen Hofbauern ausgetrieben, und dafür allerlei hergelaufenes Gesindel aus aller Herren Länder als Taglöhner aufgenommen; möglich also, dass jene Spanier aus dieser Zeit stammen. Freudenstadt wurde vor 200 Jahren mit Bergleuten aus Schlesien und Sachsen bevölkert. Neue Volkselemente, in übri- gens nicht erheblicher Zahl (einige Tausend), erhielt das Land # ar ur Diary ” . RE EURE ER ne u Mn im T# ar - Er oz h, her Sea arEer, de 7 Bl nn a “ ”* \ Wo 1 ES ht Fr Be a von 1698 an durch die Einwanderung von piemontesischen Waldensern und reformirten Franzosen. In den Oberämtern Leonberg, Calw, Maulbronn wurden hauptsächlich die Waldenser, in Cannstatt, Heidenheim die Franzosen angesiedelt. Ich hatte Gelegenheit, zwei von den Nachkommen dieser Waldenser aus Perouse zu seciren, beide waren von mittlerer Grösse, hatten Schädel von nahezu reinem sarmatischem Typus, sowie dunkle Haare und Augen. Eine wesentliche Wirkung auf den Rassenkarakter der würt- tembergischen Bevölkerung konnten aber diese Einwanderungen alle nicht ausüben, der Grundstock blieb unverändert, wie vor dem 30jährigen Kriege. Derselbe besteht im schwäbischen Theile aus Allemannen und ihren Verbündeten, sowie Hermunduren, im Fränkischen vielleicht aus einem kleinen Reste Burgunder, der Hauptmasse nach aber aus Franken. Die als Knechte zurückgebliebenen römischen, vorzugsweise brachycephalen Provincialen bestanden in der Nähe des Boden- sees wahrscheinlich aus Vindeliciern, Venedern und Rätiern, sonst aus Ansiedlern, deren Heimath Oberitalien und Gallien gewesen war. In späterer Zeit kamen avarische, ungarische und slavische Kriegsgefangene dazu, und nach dem 30jährigen Kriege Schweizer, entlassene Soldaten aus allen protestantischen Ländern Deutsch- lands, ferner Waldenser aus Piemont, einige Tyroler und Juden. Man wird wohl mit Recht annehmen können, dass mindestens zwei Dritttheile dieser Bevölkerung nicht germanischen Ursprungs ist und dass, wenn gleich der sprachliche Germanisirungsprocess längst vollendet ist, der physische noch lange Zeit brauchen wird, um nur den germanischen Mischformen das Übergewicht zu verschaffen. 9. Die indogermanische Rasse und deren Wanderungen. Die eben geschilderten geschichtlichen Thatsachen genügen, wie jeder Unbefangene zugestehen wird, um das Vorhandensein nicht indogermanischer Volkselemente in Deutschland zu beweisen. Damit hat aber das fernere Festhalten an der indogermanischen =. ar A er N I ie “| u Tr Kr ee RR N = ER 5 RR Ser & er ) Fa . ; - Rasseneinheit ein Ende. Die EREN Kraniologen sind in- a dess gewöhnt, mehr Vorsicht gegen die beglaubigte Geschichte au ee - zuwenden, als gegen die linguistischen Hypothesen; es wäre daher 2 - sehr wohl möglich, dass sie jene in Zweifel ziehen, um so mehr, als sie ihre, unter allen Umständen vorauszusetzende Bekannt- schaft mit denselben, nicht abgehalten hat, den gewählten Stand- x punkt einzunehmen. Die einfachen Schlüsse von einer Hype Er auf die andere sind ja zu verführerisch, um sie leichten Here “a aufgeben zu können. Wollten sie aber aus ihren Grundsätzen, wie sie sie bisher kundgegeben haben, die richtigen Konsequenzen ziehen, so müssten sie in folgender Weise schliessen. Theilt BR man die europäischen Bevölkerungen nach dem Systeme von RE Retzius ein, an welchem ja mit unwesentlichen Abänderungen : e festgehalten wird, so unterliegt es gar keinem Zweifel, dass die = Mehrheit derselben brachycephal ist. Eine eben so grosse Mehr- > heit dieser Bevölkerungen spricht aber indogermanische Sprachen, also ist die ursprüngliche Schädelform der Indogermanen de brachycephale. Der dolichocephalen Minderheit entspricht eine x Minderheit, deren Sprachen der ural-altaischen Klasse angehört, also liegen in den Reihengräbern Deutschlands, Frankreichs und. Englands unter keinen Umständen Germanen, ja nicht einmal Gälen, sondern Türken, Tartaren, Ungarn, Lappen oder Finnen. Eine solche Folgerung würde sich übrigens schon aus der linguistisch-kraniologischen Behauptung ergeben, dass die Vor-. aussetzung der ursprünglich reinen und einfachen Natur der grossen Kulturrassen, eine im Princip irrige sei, weil man doch wohl nicht wird annehmen dürfen, dass die deutschen Kraniologen, = E. welche diese Ansicht vertreten, die Germanen nicht zu den Kultur- = . völkern rechnen. Um an jenes Postulat der reinen Vernunft | glauben zu können, kann man ja den Gedanken mit Bestimmtheit für eine Fiktioh erklären, dass die Kulturrassen nothwendig wilde er Rassen, mit verschiedenen Schädelformen voraussetzen, um überhaupt 2 3 x in diesen Zustand der „ursprünglichen Gemischtheit“ gelangen u können; ferner, dass es doch kaum zulässig ist, von Rassen S ohne Rassenkaraktere zu reden, und endlich auch die Thatsache, dass die beglaubigte Geschichte die ursprüngliche Einfachheit a 4 er ar a r2 .e a I ’ “ un “ nn za w@,% “; 7’ In, BETTER NND IE, je OR AN 3 2 En; uf Yen 7398 FOR , REIT REN ER Be und Reinheit der germanischen Rasse auf das Deutlichste be- weist. Über alle Schwierigkeiten hilft ja die Zauberin Lin- guistik und die noch grössere, die Casuistik hinweg. — Die Türken, Tartaren u. s. w., welche diesen Prineipien zu Folge in den Reihengräbern liegen müssen, haben sich nun, nach den von dieser Seite weiter aufgestellten Regeln ihre unverkennbare Dolichocephalie zugezogen, durch ihre Vorliebe für Ebenen und andere tiefliegende Gründe, sowie durch ihre Unlust zu geistiger "Beschäftigung, während der Völkerwanderung und den zunächst darauf folgenden Jahrhunderten; denn aus dieser Zeit stammen ja jene Gräber. — Derselben Anschauung zu Folge liefert hin- wiederum die Brachycephalie, „besonders die frontale und tem- porale kein ungünstiges Resultat der Kulturentwickelung für die Staaten und die Menschheit überhaupt.“ Es ist desshalb ein Postulat der praktischen Vernunft aus der unzweifelhaften Prämisse von der „ursprünglichen“ Vermischtheit der Kultur- rassen, das Überhandnehmen dieser Schädelform in der Neuzeit, im Interesse des Fortschritts als ein freudiges Ereigniss zu be- grüssen. Denn die linguistische Kraniologie weiss ja ganz gewiss, dass dies Überhandnehmen entweder an der von ihr gewünschten Gränze aufhören wird, oder dass nur die Alleinherrschaft der Dolichocephalie, nicht aber die der reinen und einfachen Brachy- cephalie, „die Erreichung der höheren Ziele der geistigen Kultur verhindern könnte.“ Denn dass es keine viel reinere und ein- fachere Brachycephalie giebt, als die frontale und temporale, wenn sie, wie beiden Mongolen, in einem Schädel vereinigt sind, wird jedem klar sein, der von den Gesetzen der Abhängigkeit der Gestaltung der 8 einzelnen Schädelparthien und von der Verbreitung der verschie- denen Formen etwas weiss. Die Linguistik ist für ihr Gebiet im vollsten Rechte, die europäische Bevölkerung in indo-germanische und alloplıyle ein- zutheilen. Aber die Übertragung dieser Eintheilung auf die Kra- niologie ist unzulässig. Es wird das sofort klar, wenn man sieht, wie die linguistischen Kraniologen sich abmühen, die anatomischen Thatsachen in diesen engen Rahmen einzuzwängen. Alle Völker, welche eine indo-germanische Sprache reden, sagen die Einen, ge- PN, Ba SE Te ae En N en EL N BE N ee, a Ge Naher MRS Sr N HITZE + re 5 . ae ET ah: 3 > Fat we FERK 2 A Rt, hören einer unvermischten Rasse au. Die Verschiedenheit in der Schädelbildung u. s. w. wurde, so glaubten sie, im Verlaufe der Zeit durch verschiedene äussere Einflüsse bedinsrt. Die Anderen geben RE zwar die naturhistorische Thatsache zu, dass die meisten indo-ger- manischen Völker der Jetztzeit mehrere in körperlicher Beziehung wesentlich verschiedene Elemente enthalten; aber die Unterschiede halten sie nicht für gross genug, um die indogermanische Stammes- einheit aufgeben zu können. Beigefügt wird, es gebe ja dunkell- haarige Zigeuner, deren Indogermanenthum Niemand bezweifele,aberr nicht auch, dass es in Amerika indogermanisch (englisch) redende . Se. Neger giebt, von denen viele gleichfalls dolichocephal, und alle % © keineswegs blond sind; dass unter den Ungarn und Finnen viele BE ‘ Nachkommen von Indogermanen sich befinden, welche eine ural- | ER altaische, also nicht einmal flektirende Sprache reden, dass die Rä- 1% 5 toromanen, Ladiner, Longobarden, Gothen, Vandalen, ein Theilder = Franken und ein grosser Theil der in Deutschland wohnenden Be: Slaven ihre ursprüngliche Sprache mit einer andern vertauscht haben, und dass ferner die Schädelformen jener ural-altaischen nn Völker auch in Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien Pi häufig genug gefunden werden. = Die natürlichste Lösung dieser Räthsel wird allein un- annehmbar gefunden, nemlich die, dass es verschiedene Arten der Dolichocephalie giebt, dass die ursprünglich blonden und blauaugigen dolichocephalen Germanen sich mit . 2 brachycephalen Rassen vermischt haben, und dass daher die An- ” nahme nahe liege, die Sprache der letzteren sei von der der ersteren entweder ganz verdrängt, oder wesentlich modifiert worden. — Der Grundirrthum steckt darin, dass man das Vor- handensein von Idiomen nicht kennt oder nicht zugiebt, welcke aus dem Ineinanderwachsen weit von einander verschiedener Sprachen entstanden sind*), und dass man anzunehmen scheint,der Karakter der Sprachen stehe auch beim Individuum in einem noth- *) s, Steinthal, Karakteristik der hauptsächlichsten Typen des ei . Sprachbaues,, Berlin 1860. — Benfey, Geschichte der Sprachwissen- schaft. München 1869. 229 ei: er r N LER E. r _ wendigen Zusammenhange mit der Form seines Schädels. — Das Einzige, was man vom physiologischen Standpunkte zugeben könnte, obgleich bis jetzt kein anatomischer Anhaltspunkt dafür vorliegt, wäre ja nur, dass die grossen Abtheilungen der Sprachen, die flek- tirenden einerseits und die agglutinirenden sowie die isolirenden an- dererseits mit dem Baue des Gehirns und des Schädels in Zusam- - menhang gebracht würden. Aber auch das könnte nur für die "unvermischten Rassen gelten. Y Die Kraniologie hat, abgesehen von der Schädelform der Zigeuner, für die Bevölkerung Europas bis jetzt nur vier ein- 5 fache Typen nachgewiesen. Wenn nun die Ansicht der Lingui- stik richtig ist, dass es zu den Rassenmerkmalen gehöre, eine eigenthümliche Sprache zur Entwickelung zu bringen, so hat sie die Ursprache des sarmatischen Typus noch nicht gefunden; denn nur für die beiden dolichocephalen den indogermanischen und semitischen hat sie flektirende, und für den einen brachy- 5 Br. cephalen die ural-altaische (turanische) Sprachgruppe aufgefunden. Der sarmatische Typus unterscheidet sich aber, wie oben gezeigt, 80 scharf von den andern als man es nur wünschen kann. Frei- | so muss man nach linguistischen Grundsätzen annehmen, dass es 5 Er auch jene Ursprache war. Vielleicht gelingt es aber, in dem Be: ; gälischen, slavischen, albanesischen. dacischen und finnischen die | Spuren einer solchen zu finden. Würde der Linguistik dieser Si neue Triumph vielleicht auch durch den Gedanken verbittert, die Kraniologie, empfangen zu haben, so wäre er doch um Nichts kleiner als ihre übrigen. Man mag es angreifen wie man will, beim ersten Versuche einer Klassifikation der europäischen Schädelformen nach den übrigens billig sein, der Hindernisse für die richtige kranio- .> logische Würdigung dieser Schädelformen sind gar zu viele. Eine kurze Darstellung der für dieselben nothwendigen, geschichtlichen gebrachten massenhaften Materials. Letztere Aufgabe hat pe : in diesem Jahre Herr Topinard in der in Paris erscheinenden ER Bibliotheque des sciences contemporaines in anziehender Weise = gelöst. — Ein weiteres Hinderniss war die der Archäologie an klebende Sucht, für jeden neuen Fund entweder eine neue fremd- artige Ur-Menschenrasse aus dem Nichts entstehen zu lassen oder denselben unentwegt den geliebten Gälen (Kelten) zu vindiciren, ohne irgend welche naturhistorische Gründe dafür aufbringen zu können, ja man kann sagen, ohne auch nur eine Idee davon zu haben, welche Gründe die Aufstellung eines solchen er- lauben. Hätten freilich diese Vertreter der Archäologie, beson- N ders die in ausserdeutschen Ländern, geahnt, dass sie mit ihrer = Keltomanie, beim Lichte besehen, die Germanen verherrlichen, = so hätten sie sicherlich lieber Baschkiren, Tartaren, oder eine Rasse sui generis, zu Hilfe genommen. — Die Unkenntniss Bi 2. verschiedenen, jetzt noch in Europa vorkommenden N x hat ferner viele Forscher, bei dem Anblick der Schädel aus den Pfahlbauten und Höhlen, in eine Art von Verzückung versetzt. Man muss es daher entschuldigen, wenn sie entfernt nicht daran = dachten, dass sie selbst möglicher Weise einen Schädel von ganz = ähnlicher Form auf ihren Schultern tragen. | Die kaum wegzuläugnende Thatsache, dass Jeder seinen eigenen Schädel hat, und dessen Form so gerne mit seinen übri- gen Idealen in Verbindung bringt, ist ein weiteres Hinderniss iR, “ für die Kraniologie gewesen. Einem guten deutschen Patritten wird es schwer fallen, sich zu überzeugen, dass sein Schädel zu ER den -sarmatischen oder gar turanischen Mischformen gehöre, oder einem Schweizer, Holländer, Dänen, Franzosen oder Slaven, dass g= er, kraniologisch betrachtet, eine Menschenspecies mit vielen Deutschen ausmache. Findet ein solcher nichtdeutscher Pa- ag trit an dem dolichocephalen Typus einige Vorzüge vor dem | BE brachycephalen, so würde er nur schmerzlich ergriffen werden, | wenn er zugeben müsste, dass der Ur- oder Normal-Schädel seiner 2 Nation diese Form nicht gehabt habe, und dass sie lange Zeit, vor- zugsweise bei den germanischen Barbaren gefunden wurde; er wird es vorziehen, diese für römisch, holländisch, dänisch oder alles mögliche andere, nur nicht für germanisch zu erklären. Den Deutschen überlässt er dann aus dankenswerther Nächsten- liebe herzlich gerne die brachycephale Form, da es nicht möglich ist, ihnen den Besitz von Schädeln überhaupt zu bestreiten. Es kann aber wohl auch vorkommen, dass den Deutschen gar keine karakteristische Schädelform erlaubt wird, und die fremdländi- schen Anhänger dieser Ansicht werden dann wohl der Beistim- mung desjenigen Theils unserer Gelehrten gewiss sein dürfen, welche es unangenehm berührt, zugeben zu müssen, die Germanen hätten einst eine einheitliche Rasse gebildet. — Da es unter den Anthropologen endlich auch einige wenige giebt, welche im alten Testamente auch in kraniologischer Beziehung die letzte Entscheidung suchen, so sieht jeder ein, dass es für diese un- möglich ist, die Abstammung aller Menschen von Adam und Eva und die Einheit des Menschengeschlechts aufzugeben und dessen verabscheuungswürdige Eintheilung in Genera und Species anzu- erkennen. Auf ähnlich unsicherem Grunde, wie die Rasseneinheit, be- ruht auch die Hypothese von den Wanderungen und der Urheimath der Indogermanen. Letztere suchte man bisher im Südosten des schwarzen Meeres, Herr Benfey hat aber überzeugend nach- gewiesen, dass sie nicht dort, sondern im mittleren und nörd- lichen Europa zu suchen sei. Die ganze Eigenthümlichkeit der Rasse, vor Allem ihr Verhalten gegen warme Klimate spricht gleichfalls für inre Entstehung in nördlichen Gegenden. In Be- treff ihrer Wanderungen ist es sicherlich, das Allerwahrschein- lichste anzunehmen, dass die Vorfahren der Germanen von der Zeit an, in welcher sie zu grösseren Verbänden herangewachsen waren, Eroberungszüge nach Westen und Süden wie nach Osten gemacht haben, und dass sie dabei gerade so zu Werke gingen, wie in historischen Zeiten, in welchen sie durch Übervölkerung, Kriegsbedrängnisse oder andere Ursachen veranlasst wurden, be- waffnete Auswandererzüge in Länder zu unternehmen, in welchen sie günstige Existenzbedingungen zu finden hoffen konnten. — 45 — Die Bewohner des heutigen Europa sind ein buntes Ge- misch der oben angeführten 4 Rassen zu 2, 3 oder 4, und nur von dem Vorherrschen der einen oder anderen dieser Elemente hängen die Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Nationen ab. Nur in einem Theile von England, Schweden und Deutschland herrscht der germanische Typus vor, ganz unvermischt ist er aber wohl nirgends mehr. In dem grösseren Theile des letzteren stehen die germanischen Elemente den brachycephalen in ziemlich gleicher Zahl gegenüber, oder sind sogar in entschiedener Minderheit. Zur Zeit der Römerherrschaft waren die Germanen nur mehr die einzigen unvermischten Arier in Europa, alle anderen Nationen schlossen ausser arischen auch eine grössere Zahl allophyler Elemente in sich. Die Gälen sind heute noch, wie sicherlich schon seit Jahrtausenden so entfernt von dem germanischen Typus, als die Slaven, mit wel- chen sie in ihrer Schädelform übereinstimmen. Ein grosser Theil der Spanier, Franzosen, Italiener, Böhmen und Polen haben ebenso viel germanisches Blut in ihren Adern als die Bewohner vieler Theile Deutschlands. Die germanischen Elemente werden aber desto seltener, je weiter man sich von der heutigen deutschen Gränze nach Osten entfernt, und die letzten Ausläufer der indo-germanischen Völker in Persien und Indien sind, so scheint es, durch eine weite Kluft von ihren europäischen Stammesgenossen getrennt. Das Deutsche Volk, so wie es seit der Völkerwanderung sich gestaltet hat, gleicht einer grossartigen Völkerruine, deren zerfallene Theile mit Bausteinen fremder Art wieder in wohnlichen Zustand gebracht worden sind. Immer weiter sind diese fremden Elemente in das germanische herein gewachsen; ob sie es über- wuchern und ersticken werden, wird davon abhängen, ob sie neuen Zuschuss von aussen erhalten. Bis jetzt ist es noch nicht ge- schehen, denn so schwer sie auch dem germanischen Typus in den Gliedern liegen, so langsam und mühevoll er sich aus der fremden Beimischung herauswindet, noch ist er in dieser langen Überfluthung nicht zu Grunde gegangen. Mit der unverwüst- lichen Zähigkeit, welche ihm eigen ist, kommt er selbst in den am meisten brachycephalen Bezirken Deutschlands immer wieder auf die Oberfläche, wie die von mir zusammengestellten Misch- Württemb, naturw. Jahreshefte. 1876. 30 3 emeneen Bao. were s Niemand wissen; nur so viel ist sicher, \ ’ Fr bis das schwächere Element von de kräfigeret. $ | ist; aber nur bis zu einem gewissen Grade, denn auch das stär- kere erleidet Veränderungen, welche nur unter ganz REN ; weisen Bedingungen wieder verschwinden könnten. IV, Kleinere Mittheilungen, Beiträve zur wärttembereischen Insektenfauna. Von Dr. E. Hofmann. Seit dem Erscheinen des Verzeichnisses der Schmetterlinge von Württemberg durch Hrn. Dr. Jul. Hoffmann und C. Keller Jahresh. 1861 S. 263 wurden manche interessante Arten auf- gefunden, die später als Nachtrag geliefert werden. Die zweite Hälfte der Lepidopteren, die Microlepidopteren, welche dort noch gar nicht berücksichtigt wurden, sind nun seit 6 Jahren fleissig bearbeitet worden, besonders durch Hrn. Stadt- direktionswundarzt Dr. Steudel, der den Grundstock mit 230 Arten in :°270 Exemplaren, meist in Kochendorf gesammelt, dazu lieferte. Beiträge von Hrn. Inspektor Hahne in Wasseralfingen, dem leider seither verstorbenen Forstmeister Troll in Heudorf und von mir brachten die Sammlung auf 740 Arten in 2250 Exemplaren, von denen die Mehrzahl aus Raupen erzogen wurden. Ein Verzeichniss darüber wird in den nächsten Jahresheften er- scheinen. Da aber in den letzten Jahren drei ganz neue Arten da- ven entdeckt wurden, so dürfte es am Platz sein, diese schon früher zu erwähnen. Leider sind alle drei Unica und wurden desshalb von meinem Bruder, Dr. O0. Hofmann in der Stettiner entomologischen Zeitung 1874 S. 318 als „drei neue Tineen aus Württemberg* be- schrieben, um etwaige Einsprache darüber zu vernehmen. Das interessanteste dieser T’hierchen wurde durch Herrn Kauf- mann H. Simon in Stuttgart mit vielen seltenen Arten in Wildbad und Teinach gesammelt und dem Verein überschickt. Es wurde am 9. Juli 1873 in Teinach gefangen und von mir zur Naturforscher- Versammlang in Wiesbaden mitgebracht, von allen Sachkundigen als eine neue Art anerkannt. Das Genus konnte, da nur ein weibliches Exemplar vorhanden war, noch nicht ganz sicher be- stimmt werden; es stimmt mit der Beschreibung von H. S. im V. Band seines Werkes Seite 19 Taf. III. Fig. 42 —45 nur mit dem er 3% Rh 3 ER: . Benus Typen baren, and wurde a | FR _pennella ©. Hofm. vorläufig beschrieben. SEN E Geben wir uns der angenehmen Hoffnung in es hehe dom H Hrn. Simon, der mit grosser Sachkenntniss sammelt und zu den. erkigsien und vneigennützigsten Beförderern der vaterländischen - Sammlung gehört, gelingen, noch weitere Exemplare en Br. - damm erst kann das Genus sicher bestimmt werden. . ; Die zwei anderen Arten sind von mir gesammelt; die eine als Coleophora infibulatella OÖ. Hofm. wurde von mir am 15. Juni aus einem Sack erzogen, der an einem Baumstamm am Kapelles- berg angesponnen war, der andere als Bucculatrie albipedella 0. Hofm. wurde am 30, Juli 1871 in Ofterdingen bei Tübingen gefangen. i Be. Die Maerolepidopteren-Sammlung erhielt eine sehr interes- "3% sante Art durch Herrn Kaufmann Stark Deiopeia pulchella Us | FR eines sonst südlichen Thieres, das nur äusserst selten bis zu uns kommt. Sie wurde im vergangenen Jahre auf der Feuerbacher 3 Haide gefangen, und nach Dr. Steudel auch schon von v. Roser einmal bei Niedernau aufgefunden. 4 Die geographische Verbreitung ist eine FE grosse, wesshalb es nicht uninteressant ist, diese etwas zu ver- . folgen. ;° j "ax Seine eigentliche Heimath ist wahrscheinlich Kleinasien, sie wird in allen Mittelmeerländern gefunden, wurde in Syrien, Ar- menien, Anatolien, der Türkei beobachtet, kommt in Wien, Ungarn, - Volhinien, Kasan, Transcaueasien vor. In Aegypten (Dr. Klunzinger), ferner nach den British Catalog p. 566 in Congo, Ashanti, Port Natal, S.- und W.-Africa, dann W.-Indien, Ceylon, Philippinische 4 "Inseln bis nach N. „Holland. Auch wurde sie auf der See bei 6° 3 N. Breite und 22%/; W. Länge gesehen. *) 2 | Nördlich wurde sie einzeln in der Schweiz, Constanz, Augs- E burg, Frankfurt, Karlsruhe, Heidelberg beobachtet und sogar in a - England aufgefunden. Nach der Fauna von Baden, von Reutti p- 73 soll sie in Freiburg am Schlossberg, besonders aber an der Dreisam noch vor 30 Fahre in Menge vorgekommen sein. e Die von Professor Jaeger und mir beobachteten 2 Einbruchs- Nen a) Wien und Freiburg lassen sich auch hier wieder ver- ® = wi $ Br. Be .’ re br RE rt “ ” Wahrscheinlich von Madeira. **) Vergl. Isoporien, Württ. Jahreshefte 1873. S. 286. Ausgegeben 15. Juni 1876. Weinland ad nat. By, ’ “m » ” Be w at NE +) Fi “ ar = “ rt : . e Wirrtt Natırw- Jahresh. Jahrg XINIT. 1876. Taf.V. Veberfichts.Karte über die Dialekt-Grenzen und die ! R Da x U Mgterstetten N Saar N Verbreitung der Schädelformen \ IR ; u unter der 0 Ag : Bevölkerung Württembergs # Waldangetlsch Ta N GemmingenO ; Si H kr $ DAN N uch E EN 1 a FR STE Kö haufen Maasstab — 1:1,000000 & Summenstadt I ia — ie later Immenstad: ————m Zandergrense - Oberamtsgrenze nennen Areisgrenze Eisenbahnen I. Dialekte I.Schädel. oo gm Dre ge | Fränkzscher Pfälzisch-schwäbischer Nüeder-schwäbisher. Oberschmähischer. Alemannischer. "Allgäuer. Vorharrschendgermanisch. Mischform. _Vorkerrschend brachyosphal u 0.7 se Wr: BE EEE a a li a nn ‘ ba Fan ’ SEAT > RN Württ. naturw. Jahreshefte 1876. h . sr Taf.Vl. Tg Germanischer Typus. (Reihengräber) wur naturw. Jahreshette 1876. Turanischer Typus & turanisch - germanische Mischformen. h \ N m N in Ü EAN m PEST y | “ in E- Eur Zudem afvıl Turanisch-germanische Mischformen mit wenig sarmatischer Beimischung. ° = u nn nn EEE Württ. naturw. Jahreshefte 1876. Taf.X. Sarmatischer Typus, sarmatisch-germanisch & sarmatisch-turanische Mischformen. a -Sarmatisch-germanische Mischformen mit weniß turanischer Beimischung. Sarmatisch-turanische Mischformen mit wenig germanischer Beimischung. K% Sr are a 2 0 ir, at weh - Ar, Be i a RL) % [er „ P PR ER %W: r u . Mm