XtATÖV)^/Vv\ \^^H If ibraro üf tljß Sl^se^lm OF COMPARATIYE ZOÖLOGY. AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS. J^ounDc'ö 1)1) pvibate suüsrrfptfon. fn l8öl. Deposited by ALEX. AGASSIZ. No. U)tDH2, I Jenaische Zeitschrift für MEDICIN und NATURWISSENSCHAFT herausgegeben von der medicinisch - naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena, Erster Band. Mit zwölf Tafeln. Leipzig, Verlag von W i 1 li e l m E n g e I m a ii n. "^"^1864. Inhalt. Gegenbaur, C, Ein Fall von erblichem Mangel der Pars acromialis Clavi- culae mit Bemerkungen über die Entwickelung der Clavicula .... 1 Gerhardt, C. , Zur Casuistik der Hirnkrankheiten. 1. Doppelseitige Embolie 17 Seidel, Dr. M., Zur Casuistik der Entozoen. 1. Trichinen 27 Frankenhäuser, F., Die Bewegungsnerven der Gebärmutter .... 35 Fischer, E., und A. Geuther, lieber die Einwirkung von Einfach-Chlor- kohlenstoff auf Aether-Natron 47 Haeckel, Dr. Ernst, Beiträge zur Kenntniss der Corycaeiden. ;Hierzu y^ Taf. 1 — III.) Gl V. Bezold, Albert, Fortgesetzte Untersuchungen über den Einfluss des Rückenmarkes auf den Blutkreislauf der Säugethiere. (Taf. V.) . . .125 Aisberg, M., lieber Acetale 152 Geuther, A., lieber die Einwirkung des Einfach-Chlorkohlenstoffs auf Aether-Natron 167 Gegenbaur, C, lieber die episternalen Skelettheile und ihr Vorkommen bei den Säugethieren und beim Menschen. (Taf. IV. 175 Gerhardt, C, Zur Casuistik der Hirnkrankheiten. 2. Capillarektasie im Pons Varoli 196 Schnitze, B. S., Exstirpation eines ungewöhnlich breit aufsitzenden Gebär- mutterfibroids 202 Ried, F., Resection des ganzen Oberkiefers. (Taf. VI. 212 Seidel, M., Zur Casuistik der Entozoen. 2. Cysticercus cerebri .... 223 H üb 1er , M., lieber Colchicin 247 Geuther, A., Ueber einige chlorhaltige Abkömmlinge des Acroleins, über Metacrolein und Elaldehyd 265 Schultze, B. S., Ueber Palpation normaler Eierstöcke und Diagnose ge- ringer Vergrösserungen derselben 279 Seidel, M., Zur Casuistik der Entozoen. 3. Echinococcen 2S9 Wem icke, Julius , Beitrag zur Lehre vom Hautsclerem 300 Engelmann, Th. W., Ueber Endigung motorischer Nerven. (Tafel VII.) 322 Haeckel, Ernst, Beschreibung neuer craspedoter Medusen aus dem Golfe i/' von Nizza 325 Gegenbaur, C, Ueber die Bildung des Knochengewebes. (Tafel VIII.) 3-15 IV Inhalt. Seite Ried, Fr., Heilung einer grossen Luftfistel der Regio subhyoidea durch eine plastische Operation. (Tafel IX.) 370 Schultze, B. S,, Eine Extrauterinschwangerschaft . • 381 Ried, F., lieber die Verwachsung des Gaumensegels mit der hintern Wand des Rachens. Tafel X., 409 Schultze, W. , Ueber schwefligsaure Kobalt-Alkalisalze und die Löslich- keit des Kobaltoxydhydrats in conc. Kali- oder Natronlauge .... 428 Haeckel, Ernst, Die Familie der Rüsselquallen Medusae Geryonidae). (Tafel XL und XIL; 433 Schulze, Ernst, Ueber Monosulfacetsäure 470 Stark, Th., Ein Fall von Morbus Addisonii mit Nebennierenerkrankung . 479 Gerhardt, C, Zur Casuistik der Hirnkrankheiten. 3. Carcinom der Schädelbasis. Atrophie der Kehlkopfmuskeln 485 Kleinere Mittheilungen. Gegeiibaur, C. , Zur Frage vom Baue des Vogeleies, eine Erwiederung an Herrn Dr. Klebs in Berlin 113 Müller, H., Eine Diphteritisepideiuie 117 Seidel, M. , Stenose und Insufficienz der Aorta. Vollständige Thrombose der Pulmonal- arterie. Plötzlicher Tod 118 Schultze, B. S. , Verbesserung des Phantoms zur Uebung geburtshülflicher Operationen 121 Fischer, E. , Ueber die Einwirkung von Wasserstoff auf Einfach-Chlorkohlenstoff . . 123 Hosaeus,A., Ueber die Zusammensetzung der trocknen und fossilen Sepia 230 Keichardt, E., Ueber die Bildung von Oxalsäure bei der Einwirkung von Kupferoxyd auf Milchzucker in Gegenwart freien Alkali's 234 Schulze, Ernst, Ueber Monosulfoacetamid , das Amid einerneuen schwefelhaltigen Säure 238 Schultze, B. S., Zur Kenntniss der Todesart des Kindes bei vorzeitiger Lösung der Placenta 240 Sc hillbac h , Hernia ischiadica ovarii dextri incarcerata 242 Keichardt, E. . Neue Bildung des Monohjdrates der Oxalsäure 244 Gerhardt, C. , Neuropathologische Notizen 399 Siebert, Cas. , Eine Enterotoniie , ausgeführt in der chirurgischen Klinik zu Jena durch Herrn Geh. Hofrath Prof. Dr. Kied 401 Aisberg, M., Neue Bildungsweise des Diäthylchlorhydrins 407 Geuther, A., Ueber die Einwirkung von salpetrigsaurem Kali auf salrsaures Triat- hylamin 494 Ueber die wahrscheinliche Natur der aus den Monocyansäuren durch Alkalien ent- stehenden Säuren 495 Kei cha rdt, E., Zur Darstellung des Magnesiums 499 Seidel, M. , Embolie der Pulmonalarterie 501 Jenaische Zeitschrift für MEDICIN und NATURWISSENSCHAFT herausgegeben von der medicinisch - naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena. Erster Band. Erstes Heft. Mit drei Kupfertafeln. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engel m a n n. 1864. Druck von Breitkopf u. Härtel in I.eipzig;. Mit der Gründung der vorliegenden Zeitschrift tritt die medi- cinisch - naturwissenschaftliche Gesellschaft zu Jena aus ihrem seit Jahren innegehabten engeren Wirkungskreise hervor in das öff"entliche Leben der Wissenschaft. Die Gesellschaft versucht durch Herausgabe der »Zeitschrift für Medicin und Na- turwissenschaft« die Interessen, welche zu pflegen noch ferner ihre heimische Aufgabe bleibt, auch in weiterem Kreise zu fördern. Der regen Theilnahme zahlreicher strebsamer und bewähr- ter Kräfte versichert, hoffen wir zum gemeinsamen Ausbaue der einzelnen Disciplinen der Heilkunde wie der Naturwissenschaft das unserige beitragen zu können , und werden damit zugleich von einem Theile des geistigen Lebens unserer Hochschule, die darin hinter ihren Schwestern zu keiner Zeit zurückstand , ein treues Abbild geben. — Die im Laufe des letzten Decennium den naturwissenschaftlichen und medicinischen Anstalten Jena's, Dank der steten Fürsorge hoher Ministerien, gewordenen Er- weiterungen und sonstigen zeitgemässen Einrichtungen , geben Lehrern und Lernenden Gelegenheit und Material zu wissen- schaftlichen Untersuchungen , welche in unserer Zeitschrift ein Organ der Mittheilung und Verbreitung finden werden. Die Zeitschrift wird in regelmässigen zu Beginne eines Quar- tals auszugebenden Heften, von 6 — 8 Bogen Text und den etwa nöthigen Kupfertafeln erscheinen. Jedes Heft wird grössere und kleinere Originalabhandlungen , aus den verschiedenen Zweigen der obengenannten Wissenschaften bieten, und in «kleineren IV Mittheilungen« weniger umfangreiche Artikel bringen. Vier Hefte, 28 — 32 Bogen umfassend, sollen einen Band bilden. Des ge- ehrten Herrn Verlegers Name giebt für die äussere Ausstat- tung der Zeitschrift sichere Bürgschaft. So wünschen und hoffen wir denn , dass das junge Unter- nehmen in gedeihlichem Fortgange sich entwickele, sich bald Freunde erwerbe und eine geachtete Stellung in der periodischen Literatur. Der Vorsitzende der mediciiiiscli -natiirwissenscliaftliclien Gesellschaft. Ried. Die Eedactionscomiiiissioii. Gegenbaur. Gerhardt. Geuther. Eiu Fall von erbliclieiii Mangel der Pars acroniialis Clavicnlae mit Bemerkungen über die EntHickelung der Clavicula^ mitgetheilt von C. Gegenbaur. Unler den in der Literatur zahlreich verl^reitelen Füllen von Defec- ten und von excessiven Bildungen an Gliedniassen wie an anderen Theilen des Körpers, verdienen jene die meiste Beaehtunsj;, welche durch Generationen hindurch sidi forterl)en. Es ist da nicht nur die üeforniität an sich, welche Interesse bietet , sondern vorzüj^lich das Moment der Erblichkeit, welches uns zum Nachdenken anregt, indem es uns ge- wissermassen im Kleinen zeigt, was in der Natur im Grossen beständig sich ausgeführt hat, den Differenzirungsprocess der Organismen durch Vererbung erworbener Zustände. — Gänzlicher Mangel der Clavicula ohne gleichzeitigen Defect der Scapula oder der ganzen olleren Extremität, scheint zu den ausser- ordentlich seltenen Fällen zu gehören*), partieller Mangel. Fehlendes acromialen Theiles des Schlüsselbeins, im Vergleiche zu ersterem häu- figei- vorkonunen , immer aber doch so selten , dass die Hand- und Lehibücher der Anatomie seil mehr als einem halben Jahrhunderte meist nur auf einen und denselben Fall verw eisen ^j. Von einem Falle von erblicher Ueberlragung des Claviculamangels ist mir in der Litera- tur nichts bekannt geworden. Dagegen konnte ich vor kurzem einen solchen, Dank der Freundlichkeil meines ^erellrlen Clollegen IL Geh. Ilofr. Ried, in nähere Untersuchung ziehen. Bevor ich nähere Angaben über die \on jenem Mangel betroffenen Indi\iduen mache, sei erwähnt, dass der Defect allem Anschein nach von der noch lebenden Mutter auf drei Kinder ül)erging. Die Mutler war zweimal verheirathet, und Kin- der aus beiden Ehen sind mit dem Mangel behaftet: sie konnten wie -i) Vergl. Fk. L. Fleischmann, Bildungsheiniiiungen. Nürnb. 1833. S. 274. 2) Martin, Deplacement natural de la eiavicule. In : Roux, Journal de Medecine Tome 33. Hier ergänzte eine Fortselzuiig des Acromion einen Theil des fehlenden Slüekes. Band 1. 4 2 C. Gegeubatir, die Mutter untersucht werden, lieber den ersten Ehegatten, der längst gestorben, ist nichts bekannt; der zweite konnte leider nicht unter- sucht werden. Auch über die bezüglichen Skeletverhältnisse der Aeltern dieser Frau ist nichts erweisbar gewesen, so dass es also ungewiss ist, ob der Defect erst in der gegenwärtigen ersten Generation begonnen, oder ob er auf frühere Generationen zurückzuführen ist. Die Mutter,* eine Frau von 56 Jahren, mit Ausnahme des Clavicu- lardefects ohne abnorme Bildungen des Skelets , besitzt einen gut ent- wickelten Thorax mit entsprechender Musculatur und geringem Fettpol- ster. Zwischen Schulter und der Regio manunaria findet sich eine Ein- senkung, die gegen die der Fossa supraclavicularis entsprechende Stelle sich etwas vertieft, w as an der linken Seite weniger deutlich ist. Auf der rechten Schulter sind zw ei Wölbungen unterscheidbar , ^ on denen die hintere höhere vom Acromion herabzieht, die vordere von einem das Ca- put humeri deckenden Muskel gebildet wird. Ander rechten Schulter tritt das Acromion stark hervor, sie steht etwas höher als die linke Schulter, beide aber stehen tiefer als unter normalen Verhältnissen. Die medialen Ränder der Scapulae stehen ziemhch parallel, oben 1 6 Cm., unten i 5 Cm. von einander entfernt. In der zwischen Schulter und Brust liegenden Vertiefung bemerkt man das Pulsiren der Subclavia , deren Verlauf über die erste Rippe bis zu den Scalenis man deutlich verfolgen kann. Von beiden Schlüsselbeinen ist nur der sternale Theil vorhanden, der auf der rechten Seite misst (i Cm., der linke 5 Cm. Länge. Die Entfernung beider Enden von einander beträgt 15 Cm. Das rechte Clavicularrudiment ist gerade gegen das Acromion gerichtet, das linke steht etwas höher, so dass die Verlängerung derselben 5 — 6 Cm. ül^er das Acronjion treffen würde. Diese Richtung ist die constante, bei ruhiger Haltung des Körpers wahrzunehmende. Eine ligamentöse Ver- längerung der rudimentären Clavicula ist nicht wahrzunehmen , man kann das freie Ende der Clavicula angreifen, und fühlt von da bis zum Acromion durchaus nichts strangartiges durch Haut und Platysma hin- durch. Von den in der Clavicularregion vorhandenen Muskeln ist das Pla- tysma, wie vorauszusehen, in keiner Weise an dem Defecte der Pars acromialis claviculae betheiligt. Auch der Sterno-cleido-mastoideus ist ganz normal insofern er an seinem Ursprünge eine sternale und eine claviculare Portion unterscheiden lässt, die letztere nimmt fast das ganze Clavicularrudiment ein. Dem Deltamuskel geht jederseits die clavi- culare Portion ab , sie scheint aber vertreten durch eine am inneren Acromialrande entspringende Zacke, welche von daher das Schulter- gelenk bedeckt, und auf der rechten Seite deutlicher fühlbar ist. Auch Ein Fall von erblichem Mangel der Pars acromialis Cliiviculae. 3 der Cucullaris ist in fast ganz normaler Ausdehnung vorhanden, da die sonst an die Clavicula tretende Portion hier an dem Acromion zur Insertion gelangt. Der Pectoralis major liietet nicht viel Ungewöhnliches; die claviculare Portion ist zwar etwas weniger entwickelt, entschieden schw ächer als sie bei vollständiger Clavicula sein würde , allein sie ist vorhanden und durcli sie scheint der Wirkung des Cleido-mastoideus das Gleichgewicht gehalten zu werden. Dass von einem Subclavius bei dem Fehlen der diesem Muskel zukommenden Insertionsstelle nichts vor- handen ist, lässt sich erwarten. Bei Hebung der Schultern stellen sich die beiden Glaviculae zu ihrer früheren Richtung in einen Winkel von 90 Grad. Bei der Bewegung der Schultern nach vorn (Wirkung des Serratus anticus major) können die beiden Acromien bis auf 2i! Cm. einander genähert werden. Trotz des Fehlens eines festen Stütz})uncles der Scapula wird jede Bewegung der obern Extremität n)it Sicherheit und Kraft ausgeführt, und es zeigt sich in dem GeJ)rauch dieser Gliedmasse durchaus keine Behinderung. Das zweite Individuum ist ein Sohn aus erster F^he der vorhin er- «►vähnten Frau. Ev ist 36 Jahr alt, misst Iö2 Cm., ist von gedrungener Gestalt, musculösem Oberköiper, entwickeltem Fettpolster der Haut. Der tiefe Stand der Schultern ist auch hier sofort auffallend, und gleich- zeitig die von der sonst von der Fossa supraclavicularis eingenommenen Stelle nach abwärts ziehende Vertiefung. Diese Grube ist rechts flacher und breiter, links schmaler und tiefer. An der rechten Schulterwöl- bung sind zwei Vorsprünge l^emerkbar , w eiche ganz auf diese]])e Weise, wie von der Mutter erwähnt ist, gel)ildet werden. Auf der lin- ken Seile ist dasselbe Verhalten zu beobachten. Rechts tritt die sehr stark enlw ickelte Vena cephalica in die Tiefe der Grube, links ist diese Vene weniger deutlich unterscheidbar, dagegen erscheint ein sehr mächtiger Venenplexus, in den auch Venen von der Mammarregion eingehen. Das Pulsiren der Subclavicn ist in beiderseitigen Gruben deutlich. Wie bei der Mutler ist auch hier nur die Pars sternalis der beiden Glaviculae vorhanden. Die rechte misst 6 Cm., die linke 7 Cm. Das freie abgerundete mit den Fingern leicht umgreifliarc Ende steht rechts wenig, links mehr hervor. Die Entfernung beider Enden beträgt I 6 Cm. Die Richtung der beiden Chuiculae ist derart, dass ihre Verlängerung gerade auf das Acromion träfe, die rechte steht völlig horizontal, die linke wenig nach aufwärts gerichtet. Die medialen Ränder der Scapulae divergiren von oben nach ab- wärts, am o])ercn Winkel sind sie 13, am unteren 17 Cm. von einander 1 * 4 C. Gegeiibanr, entfernt. Ausser einer starken Einknickung (]es Sternums dicht über dem Schwertfort satze, ist eine Deformität irgend eines anderen Skelet- theiles nicht beo])achtet worden. Von der Musculatur erwähne ich, dass beide Sterno-cleido- mastoidei in Ursprung und Verlauf sich normal verhielten, nur war die claviculare Portion, beiderseits von der sternalen getrennt, schwächer als es die übrige Musculatur erwarten Hesse, entwickelt. Bei Heben der Schulter, wobei gleichfalls die Claviculae sich emporrichteten, war die Clavicularportion des Sterno-cleido-mastoideus deutlich umgreif- bar. Das Platysma war beiderseits nachweisbar , der CucuUaris bis auf die sonst an die Clavicula sich inserirende Partie normal. Der Del- toides konnte von seinem Ursprünge bis an die Spitze des Acromion verfolgt werden, da ergab sich rechts eine Unterbrechung , durch eine Längsfurche markirl, worauf ein besonderer, anscheinend von der Innenseite des Acromion entspringender Muskelbauch folgte, der in weiterem Verlaufe an den medialen Rand des Deltamuskels sich an- schmiegte, um mit ihm sich zu insoriren. Der Pectoralis major in Verlauf und Insertion normal, durch eine sehr starke Stei-nocostalporlion aus- gezeichnet, rechts mit sehr schwacher ClaN iculari)orlion. Doch ist diesf Portion beiderseits nachweisbar, und kann bei Conlraction des Muskels mit ihrem Ursprünge bis ans freie Ende des Schlüsselbeinrudimentes verfolgt werden. Der laterale Rand dieser Portion l)ildet die mediane Begrenzung für die oben erwähnte Grube. Die beiden Schultern können bis auf eine Acromialdistanz von 26 Cm. einander nach vorne genähert werden. Bei einer Annäherung an der Rückenfläche bleibt die oJjere Distanz immer geringer als die untere. Die Leistungsfähigkeit der oberen Extremitäten ist aucli in diesem Falle nicht gestört. Der Inliaber des Claviculardefectes bekam angeblich von letzterem erst Kenntniss, als er vor mehreren Jahren einmal in ärztliche Untersuchung genommen und auf jenen Defect aufmerksam gemacht wurde. Der Mangel scheint sich aber von ihm aus nicht auf eine dritte Generation fortzusetzen, da ein ihm angehöriges Kind wohl- gebildete Claviculae besitzt. Das dritte untersuchte Individuum ist ein Sohn der obengenannten Frau, aus zweiter Ehe. Er ist 1 4 y« Jahre alt, -131 Cm. gross. Körper schlank, massig gut genährt. Die bei den beiden vorhin beschriebenen Individuen vorkommende Grube zwischen Schulter und. Brustgegend weniger auffallend. Die rechte Schulter steht etwas höher als die linke, und ebendaselbst ist auch die durch den CucuUaris bedingte Hals- wölbung beträchtlicher. Der Subclavienpuls ist nur wenig zu fühlen, Ein Flui von erblicliom Mmiufl th'i' Pars anomiiilis rijiviculrtt'. 5 nicht an der Inlegumentfläclie bemerkbar. Die erste Rippe ist rechts fühlbar, links nicht. Das rechte Schlüsselbein misst o Cm., das linke 6 Cm, Beide sind an ihrem freien Ende iimgreifbar, das rechte etwas schwächere, ist daselbst etwas zugespitzt, das linke mehr abgerundet, das letztere ist bis nahe ans Acromion verfolgbar, das rechte ist durch eine Pseudarthrose in zwei fast gleich lange Stücke zerfallen, die in Winkelstellung unter einander \erbunden sind. Das äussere Stück ist nach vorn und ab^^ ärts , das innere , sternale Stück nach oben und etwas nach hinten gerichtet. Am linken Schlüsselbeine, welches mit seiner Längsaxe etwas nach oben gerichtet ist, ist die Bildung jener zwei Theile und deren Winkelstellung ganz wenig l)emerkbar, etwas ähnliches scheint aber doch vorhanden zu sein. Was die Muskeln betrifft, so ist noch weniger abweichendes vor- handen als in den beiden vorhin erwähnten Fällen. Der Sterno-cleido- mastoideus in Ursprung, Insertion und Volumen ganz normal. Der Cleido-mastoideus hebt die Clavicula nach oben. Cucullaris und Del- toides bis auf die der Clavicula bestimmten Portionen normal. Platysma vorhanden. Pectoralis major mit entwickelter Clavicularportion, welche das Schlüsselbein nach vorn abzieht. Ob ein Subclavius dabei vor- konuut ist fraglich, für die bisertion bieten die Claviculae , nament- lich die linke, Raum dar. Der Umstand aber, dass der Cleido-mastoideus und auch der Pectoralis major die Clavicula in ansehnlichen Excursio- nen bevAcglen , erregt an dem Vorhandensein jenes Muskels einige Zweifel. — Eine Hinderung in dem Gebrauche der oberen Extrenutät ist in diesem Falle so wenig wie in den beiden vorhergehenden vor- handen. Zu diesen drei eben näher beschrii^lienen Fällen konmit endlich noch ein vierter, über den mir jedoch nur wenige Notizen zu erwerben möglich war. Er betrifft der erst erwähnten Frau 22 Jahre alte Tochter, die der zweiten Ehe entstammt. Beide Claviculae sind auch hier defect, jillein nur in geringerem Grade. Das rechte Schlüsselbein ist in zwei fast gleichgrosse Stücke getheilt. Die acromiale Hälfte, 'i% Cm. messend, ist durch ein festes Ligament mit dem Acromion einerseits durch einen längeren bandartigen Strang mit der 4 Cm. langen ster- nalen Hälfte in Verbindung. Letztere anscheinend in normaler Articu- lalion mit dem Manubrium sterni. Das linke Schlüsselbein besteht wiederum aus z\\ei Stücken, davon das sternale mit dem Manubrium sterni gleichfalls auf gewöhnliche Weise verbunden ()' o Cm., das acro- miale Stück i'/o Cm. an Länge n)isst. Das letztere Stück schiebt sich etwas unter das sternale, und ist dort fest mit ihm vereinigt, ist aber nur in loser Verbindumz mit dem Acromion, so dass es von diesem auf Q f. npopiibimr, und ab l)owegt werden kann. Da hier die l)eiden Claviculae in \iei ansehnlielieren Resten vorhanden sind als bei den vorherbeschriebenen Fällen, und da ferner diese Stücke überdies noch jederseits an das Acroniion durch kürzere oder läniiere Bandniasse befestigt sind, so fehlt auch die den anderen Individuen zukonunende grubenartige Ver- tiefung, die als Fortset/Aing der Fossa supraclavicularis zwischen Schulter und Thorax sich nach abwärts senkt. Die Schultern nähern sich mehr ihrer normalen Höheposition, und es ergiebt sich der In- spection nur eine geringere Wölbung an der Claviculargegend. Bei einer Vergleichung der vier Fälle unter einander ergiebt sich der höhere Grad des Defectes nächst dei- Mutter für den Sohn aus erster Ehe, der geringere Grad für die beiden Kinder aus zweiter Ehe, so dass also schon innerhalb der zweiten (?) Generation eine Verminde- rung der Missbildung bemerkbar ist. Ein gänzliches Erlöschen der letzteren scheint in der dritten (?) Generation statt zu haben, denn sowohl ein Kind des ersterwähnten Sohnes, wie auch, was noch mehr beweisend ist, ein Kind der vorhin besprochenen Tochter, sind beide mit ganz normalen Schlüsselbeinen versehen. Es hat sich so durch den Einfluss des hinsichtlich der Clavicula normaler beschaffenen zeugenden Theiles wieder die Regel hergestellt. Welche Bildung Platz gegriffen haben \A tirde, wenn auch der andere der zeugenden Theile mit dem gleichen Defecte behaftet gewesen wäre , eine Frage der man sich nicht leicht entschlagen kann , lässt sich nur vermuthen. Was bis jetzt über die F^rblichkeitsverhältnisse physischer wie psychischer Eigenthüm- lichkeiten bekannt ist, lässt es in hohem Grade wahrscheinlich erschei- nen, dass , unter Voraussetzung derselben Vorbedingung für spätere Generationen, das zur Norm sich gestaltet haben würde, was vorher nur eine Ausnahme war. Eine andere Seite des biteresses, welches der geschilderte Fall darbietet , liegt im physiologischen Gebiet. Wir sehen vier Individuen, denen ein Theil eines für die Befestigung der oberen Extremität wie für Ursprung und Insertion wichtiger Muskelpartieen bedeutungsvollen Skeletstückes abgeht, das, wenigstens bei zweien von den vieren, nicht (>inmal durch Bandmasse ergänzt wird. Dadurch prägt sich sogar ein eigenthümlicher dui'ch die tiefe Stellung der Schultern am meisten ge- kennzeichneter Habitus aus. Bei alledem tritt uns nirgends eine functio- nelle Störung entgegen. Die oberen Gliedmassen genügen jeder an sie normal zu stellenden Anfoi'derung. Es wird also hier eine den Mangel der Clavicula compensirende Einrichtung gegeben sein müssen, die in der Wirkung der zur Scapula tretenden Muskeln zu suchen sein wird. Die für jede Leistung des Oberarmes erforderliche Fixirung der Scapula Ein Fall von eiblielioni Manocl der Pars anninialis f'lavicnlae. 7 durch die antagonistische Wirkungsweise der von verschiedenen Seiten her zur Scapula gelangenden Muskehi , bildet für die letzteren eine t^benso wichtige Aufgal)e, als die durch einzelne Muskeln oder Muskel- gi'uppen bewirkte Lagenveränderung der Scapula es ist, und so können wir die Scapula auch ohne unmittelbare Verbindung mit dem Schlüssel- l)eine in ihrer Lage gehalten und den jeweiligen Zwecken der Bewe- gungen des Oberarmes sich accommodirend uns vorstellen. Was bei normaler Skeletbeschaffenheit nur zum Theile durch die Clavicula be- wirkt wird, zum grossen Theile auch da schon der Musculatur obliegt, (las muss im vorliegenden Falle ausschliesslich von letzterer über- nommen werden. lieber die Bildungsweise der menschlichen Clavicula haben sich die Anschauungen sehr verschieden gestaltet, wie über wenige andere Theile des Skeletes. Wenn auch von den ältesten Mitlheilungen an bis auf den heutigen Tag hinsichtlich des überaus frühzeitigen Auftretens des knöchernen Schlüsselbeins keine wesentlich getheilten Meinungen cxistiren, so ist man doch über die Art der Entstehung dieser knöcher- nen Clavicula bis jetzt noch zu keiner befriedigenden Ansicht gekom- men. So scheint es mir \\enigstens wenn ich die Angaben älterer Autoren mit denen neuerer vergleiche. So findet man bei Blumenbach ^), dass das Schlüsselbein zu jenen Knochen gezählt wird, die »ungefähr in der siebenten oder achten Woche nach der Empfängniss« mit einem Knochenkerne sich versehen, nachdem sie bis dahin »fast durchsichtige« Knorpel vorstellten. Von Meckel'^) wird nur das frühzeitige Auftreten und die frühe Verknöcherung vorgehol)en ; schon um die Mitte des zweiten Monates soll es eine Länge von beinahe drei Linien besitzen. Ausführlicher wird über die Entwickelung der Clavicula von E. H. Weber '^j berichtet. Die knorpelige Grundlage der Clavicula soll viel später als die der Rippen und der Wirbelkörper entstehen, aber sehr schnell bis zu einer beträchtlichen Grösse wachsen , und , vom Unter- kiefer abgesehen, am frühesten ihre Verknöcherung beginnen. Solche und ähnliche Angaben laufen durch zahlreiche Hand- und Lehrbücher und zeigen wie übereinstimmend die Beobachtungen sein mochten , für welche noch andere Schriften als die von mir citirten Jiei Valentin^] 1) Geschictite und Beschreibung der Knochen des menschlichen Körpers. Zweite Ausgabe. Gott. 1807. S. 8. V3. 9) Ilandb. d. menschl. Anatomie. I?d. II. Halle u. Berlin 1816. 8. 199. 3) Fk. Hildebka.ndt's liandh. der Anatomie des Menschen. 4. Ausgabe. Braunschw. 1830. Bd. II. .'^. 200. 4) Handb. der Entwickelungsgeschichte des Menschen. Berlin. 1835. S. 250. 8 r. fiogpiibiuir. nriclizii schon sind. Man nahm also die Clavicnla ursprünclicli knoq^elig angelegt an, stellte sich vor, dass die Vcrknöchcrung von der Mitte aus beginne, aber sehr rasch nach beiden Enden hin fortschreite, so dass nur noch die Gelenkknorpel als Rest des früheren Zustandes übrig blieben. Damit hätte die Clavicula nur das Abweichende von anderen langen Knochen, dass keine knöchernen Epiphysen an ihr sich bildeten. Diesen Anschauungen von der Entwickelung der Clavicula trat vor mehreren Jahren Bruch ^) entgegen, indem ei- zeigte, dass die Entwicke- lung nach einem anderen Modus vor sich gehe. Er sagt: «Seit ich be- obachtet, dass die Furcula der Vögel zu den secundären Knochen ge- hört, ^^ar mir der Ursprung der Clavicula des Menschen und der Säugethiere, die bekanntlich niemals Apophysen zeigt, wie andere lange Knochen, und in den frühesten Perioden schon in ihrer ganzen Aus- dehnung verknöchert gefunden wird, interessant.« »Es stellte sich heraus, dass die Clavicula in der That ein secundiirer Knochen ist, d. h. nicht, wie die Rippen, das Brustl)ein u. s. w. , knorpelig präformirt wird. Bei einem menschlichen Fötus von 7 — 8'" Länge be- stand sie aus einer winzigen Knochenscheibe von dem charakteristi- schen Gefüge der secundären Knochenanlagen, mit strahligen Knochen- körperchen u. s. w., ohne eine Spur von Knorpel daran. Sie war zu- gleich der einzige und erste Knochenkern im ganzen Fötus, d. h. in dem bereits gebildeten Primordialskclelt war noch kein einziger Kno- chenkern aufgetreten. Bei einem Fötus aus dem dritten Monat hatte sie an beiden Enden, am merklichsten am vordem Ende, eine dünne Knorpellage angesetzt, \\orin primordiale Verknöcherung mit grossen strahlenlosen Knochenkörperchen das secundäre Mittelstück ergänzte.« Soweit Bruch. Seinen Vorgängern gegenüber verdiente offenbar Bruch das grössere Vertrauen bezüglich der Richtigkeit der Angaben, denn es stand ihm bezüglich der Beurtheilung des Vorganges der Entwickelung die mikroskopische Untersuchung zur Seite ; es ist daher ganz natür- lich, dass die vorhin angeführten Angaben Eingang fanden , und zwar um so mehr als sie in Uebereinslimmung waren mit der notorischen Entwickelungsweise anderer Skelettheile; z. B. des Unterkiefers und der Deckknochen des Schädels. Nach den von mir über die F^ntw ickelung des menschlichen Schlüsselbeines angestellten Beobachtungen ist das thatsächliche Ver- halten ein anderes, und ich darf darauf hin behaupten, dass die Ent- deckung Bruch's entweder auf unvollständigen Beobachtungen oder unrichtiger Deutung beruht. Der Nachweis dafür soll hier folgen. Der 1) Ueber die Entwickelung der Clavicula und die Farbe des Blutes. Briefl. Mittheil, an A. Kölliker. Zeitschr. f. wiss. Zoologie. Bd. IV. S. 371 ff. Ein Fall von erblirlipiii Miinaol dor Piii'S iirroniiiilis riavioiilac. 9 jüngste von mir zur Untersuchung verwendete Embryo war etwa aus der siebenten Woche, er mass 18 Mm. Länge, und liess die sorgfältig aus den AVeich.llieilen herauspräparirte Clavicula als ein weiches 3 Mm. langes Gebilde erkennen , m elches in der Mitte etwas dünner, gegen die beiden Enden zu kolbig verdickt ^\av. Von dem benachbar- ten Gewebe war dieses weiche Stäbchen nur wenig scharf abgegrenzt, so dass überall kleine Stücke des umliegenden Gewebes daran hafteten. Unter dem Mikroskope zeigte sich bei schwacher Yergrösserung ein dunkler, genau die Mitte der Länge einnehmender Fleck, der von einem Knochenkerne, ^vie sie an den Knorpelanlagen der Ilöhrenknochen sich linden, nicht verschieden war. Die eine der beiden Claviculae \a urde ii> eine Anzahl dünner Querschnitte zerlegt , wobei sich folgendes in histiologischer Hinsicht Bemerkensw erthc herausstellte. Die an beiden Enden oder nahe daran gefertigten Schnitte zeigten eine homogene nur einzelne Molekel umschliessende (iiundsubslanz mit ziemlich dicht stehenden Zellen, die gegen die Peripherie der Schnittfläche zu noch gedrängter Ingen, und ebendaselbst hie und da sogar in dichten Hau- fen sicli fanden. Bei letztern war gar keine hitercellularsubstanz nach- weisbar, und an einem dem anderen Ende entnommenen Schnitte fand sich von solchen Zellen ein fast vollständiger Ring, dessen Lücke wohl ohne Zweifel als erst bei der Präparalion entstanden angesehen wer- den durfte. Die Zellen dieser Ringschichlo, die also die äusserste Lage des zur Clavicula gehörigen Gewebes darstellte, zeigten mannichfache» Gestalten, waren länglich, rundlich, hie und da einmal mit einem kurzen Fortsatze versehen. Die der inneren Masse, durch intercelluläre Substanz geschieden, waren noch mannichfaltiger in der Gestaltung, dreieckig, rundlich, langgezogen, mit einem oder mehreren stumpfen Fortsätzen. Die Kerne der Corticalschichte besassen eine längliche, di(^ der cen- tralen eine rundliche Gestalt. Theilungszustände der Zellen \^aren sowohl innen als aussen \\ahrnehmbar. Hin und wieder zeigte die in- tercelluläre Grundsubstanz Lücken der Form von Zellen entsprechend, es sind diese gewiss als Höhlen anzusehen, die, vom Schnitte getroffen ihres bihaltes verlustig geM orden waren. Ein etwas neben der Mitte ge- nonuuener Querschnitt bot im ganzen die nämlichen Verhältnisse dar, nur mit der einzigen Modification , dass die innere Partie et^^as grös- sere und mehr gleichmässig rundlich und länglich gestaltete Zellen be- sass, als es auf näher vom Ende entnonmienen Querschnitten der Fall war. Endlich zeigte sich auf einem aus der Mitte der Länge der Cla\i- cula genommenen Schnitte aussen dieselbe Anordnung der Zellen \Aie an den anderen, aber nach innen zu eine Verkalkung der hitercellu- larsubstanz, die an einigen Steilen sehr ansehnliche \on grossen Zellen 1 0 r. (iegeiiliaiir, erfüllle Höhlungen mnschloss. Die genannte Vei'andei'ung der Inlercel- lularsubstanz war bald dadurch hervorgebracht, dass feine dunkle — bei auflallendem Lichte weisse — Molekel sie iniprägnirten, bald er- schien sie durch eine mehr gleichniässige Einfügung von Kalk ent- standen. Es liegt also hier ein Gewebe vor, welches aus einfachen Zellen besteht, die durch homogene Zwischensubstanz von einander getrennt sind. In letzterer erscheint eine Ablagerung von Kalksalzen. Wo nicht zwei oder auch drei Zellen von einem gemeinsamen Hohlräume ver- schlossen werden , sind alle von einander getrennt, isolirt, denn die oben erwähnten Fortsätze der Zellen hängen nirgends zusammen. Dass ein solches Gewebe nur als Knorpel gedeutet werden kann , unterliegt keinem Zweifel. Es besitzt genau alle morphologischen Eigenschaften des Knorpelgewebes, erleidet durch die Solidification die nämhche Ver- änderung wie der Knorpel. Den einzigen Unterschied vom gewöhnlichen Hyalinknorpel könnte man in der weicheren BeschaflVnheit linden. Die letztere Eigenschaft besitzt aber auch dei" Knorpel in seinen frühesten Entwickelungszuständen. Während die übiigen Knorpel des embryo- nalen Skelets länger zu persistiren bestimmt sind, geht die Knorpel- anlage der Clavicula rasch in den knöchernen Zustand über , der durch die Verkalkung eingeleitet wird. Daraus erklärt sich der von den Knorpeln des übrigen Skelets etwas abweichende Zustand des Schlüs- selbeinknorpels , der andrerseits auch mit der rascheren Entw ickelung der Clavicula im Causalnexus steht. Mit diesen beiden unter sich zu- sammenhängenden Factoren, der rascheren Entwickelung nämlich, und der frühzeitigeren Umwandlung ist endlich noch der Umstand in Ver- bindung zu setzen, dass das Knorpelstück weit weniger scharf nach aussen abgegrenzt ist, als die übrigen gleichzeitigen Knorpel des Skelets, so dass der Uebergang des Knorpels in die periostale nur aus Zellen bestehende Schichte ein ganz alimäfilicher ist. Wenn nun der Zustand der von mir untersuchten embryonalen Clavicula somit ein ganz klarer ist, erscheint es sehr schwierig, meine Angaben mit denen Bruch's in eine auch nur annähernde Ueberein- stimmung zu bringen, oder auch nur jene Darstellung einigermassen zu erklären. Der von Bruch untersuchte Embryo war bezüglich der Grösse mit dem meinigen ziemlich gleich , aber die Clavicula bestand aus einer »winzigen Knochenscheibe«, »ohne eine Spur von Knorpel daran«. Ich dagegen finde ein offenbares Knorpelstück mit einem Ossi- ficationskerne in der Mitte, aus verkalktem Knorpel , Bruch's primärem Knochen, gebildet. Wollte man auf die Vermuthung gerathen, dass Bruch sich in der Grössenangabe seines Embryo geirrt habe, dass Kill Füll von orbliclicin Maiiocl dei' Pars iirromiiilis Clavinilac. I 1 letzterer vielleicht doch iilter c;e\vesen sei, so .widerspricht dem der Umstand, dass in späteren Stadien die Clavicula noch weniger als im früheren eine «dünne Knochenscheibe« vorstellt, dass sie zwar dann aus Brl'ch's secundärem Knochengewebe besteht, allein in ihrer Gestalt der bleibenden um vieles näher gerückt ist. Endlich widerstrebt der Annahme eines älteren Stadiums noch der von Bruch ])etonte Mangel von Knochenkernen im übrigen Primordialskelet, während ich gleich- zeitig auch im Fen)ur einen kleinen Knochenkern wahrnahm. Auf eine Lösung dieser Widersprüche scheint vorläufig verzichtet werden zu müssen, wenden wir uns daher zu weiteren Beobachtungen über den Entwickelungsgang. Bei einem Eml)ryo von 37 Mm. Länge, der also aUs der neunten Woche sein dürfte, konnte zum grossen Theile an das vorhin beschriebene Stadium angeknüpft werden. Die Clavicula hatte eine Länge von 5 Mm. Das Sterno-claviculargelenk \\i\v schon gebildet, die Clavicula zum grössten Theile noch knorpelig. Der Knorpel stellte einen in der Mitte dünnen nach den Enden stark verdickten Streifen vor, den in der Mitte eine ansehnliche Schicht von Periosl- knochen umlagerte, welche nach den Enden zu, diese jedoch nicht erreichend , sich in eine dünne Lamelle auszog. Der Knorpel erschien auf etwa einem Drittheile der Gesammtlänge verkalkt. Seine Zel- len daselbst rundlich. Die die Wandungen der Knorj^elh-öhlen bildende intercellularsubstanz ergab sich nach Behandhing mit Säuren an ein- zelnen Stellen concentrisch geschichtet. Gegen die beiden Enden zu wurden die Knorpelhöhlen grösser, die Inlercelhilarsubstanz sjiärlicher. So erschien jedes der beiden Enden bis auf die corticale Schichte, welche aus kleinen Zellen mit rcichliciici' InliMccIliilarsubslanz gebildet war. Das Längenwachsthum der Chnicula wird fortan von den an bei- den Enden sich findenden Knorpelmassen aus geleitet. Das W^achstlmm in die Dicke besorgt die Periostverknöcherung. Wie l)ei andern langen Knochen des Skelets (ich habe speciell Humei'us und Femur darauf initersucht) wird der das primordiale Skelet l)ildende Knorpel ^ on einer durch Periostverknöcherung gebildeten Schichte uiuschlossen, auf welche senkrecht oder schräg sich neue Lamellen ansetzen, die alhnäh- lich an ihren vorragenden Enden sich verbinden und so engere oder weitere Bohren umschliessen , an deren binenfiäche die anfänglich aus einfachen der Intercellularsubstanz entbehrenden Zellen bestehende embryonale Periostmasse Lamellensysteme concentrisch geschichtet ab- lagert. Ein Theil des ursprünglichen Periostgewebes wird so in die von Knochenlamellen um\\andeten Hohlräume eingeschlossen , und bildet den Inhalt der durch letztere darcesteliten Markcanäle. So entstehen 1 2 ^' f-oiionbaiir, iinninglich 3 — 5, dnnn immer mehr auch im Lumen von vorn herein sehr verschiedene Markcanäle. Bei einem 85 Mm. langen Eml)ryo, der also wohl der H. Woche entsprach, und dessen Clavicula 9 Mm. Länge JKiKe, finde ich auf einem 2! — 3 Mm. von der 3Iilte angefertigten Quer- schnitte die eine Hälfte der oblongen Fläche eingenonunen von Knorpel, die andere in continuirlichem Anschlüsse an die den Knorpel um- gebende dünne Knochenlamelle, von Knochenmasse mit weiten die Querschnitte der ersten Markcanälchen darstellenden Hohlräumen, denen noch einige kleine da und dort zwischeneingefügl sind. Der noch vor- handene Knorpel besteht aus einer sehr grosszelhgen Form des Gewe- lies, dessen spärliche Intercellularsubstanz zwar verkalkt ist, allein (ioch eine homogene nirgends Krümeln oder Körnchen unterscheiden lassende Substanz bildet. Da hier der primordiale Knorpel nicht gleich- massig von periostalem Knochen umgeben wird, scheint ein ganz ungleiches Dicke^^ achsthum vorzukommen — welches vielleicht mit der Entstehung der Krtnnmungsverhältnisse des Knochens im Zusanunen- hang steht. Bei genauerer Ueberlegung wird in Berücksichtigung der oben angeführten Thatsache, dass die Cla^icula in ihrem knorpeligen Zustande eine nur an beiden Enden etwas ^erdickte im Allgemeinen geradegestreckte Stäbchengestalt besitzt , das Hervorgehen der Form- veränderung aus einem einseitigen Dickewachsthume zur grossen Wahrscheinlichkeit . Während bei dem erwähnten Embryo noch näher an der Mitte der Länge der Clavicula Knorpelgevvebe vorhanden war. fehlte solches auf Querschnitten aus der Mitte und war da durch Knochenlamellen mit grossen Markräumen ersetzt. Bei noch älteren Embryen ist der primor- diale Knorpelrest noch ^^eiter gegen die Enden vorgerückt und die Hauptmasse des Schlüsselbeins besteht aus Knochensubstanz mit vielen Lamellensystemen, in deren Mitte die zum Theile durch wandständige Knochenablagerung sehr verengten Markcanälchen sichtbar sind. Es dürfte sich nun noch fragen, auf welche Weise der primordiale Schlüsselbeinknorpel substantiell zur Bildung des Knochengewebes beiträgt , nachdem bereits gezeigt w urde , dass er sich in ähnlicher Weise durch Verkalkung der Intercellularsubstanz zu weiteren Um- wandlungen vorbereitet, wie das durch H. Müller's Untersuchungen für andere Knochen erwiesen ist. Die Behandlung dieser Frage kann nicht von mir vorgenommen werden, ohne in das Gebiet der Osteogenese liefer einzugehen, was in Anbetracht des speciellen Zweckes dieser Zeilen, die der Aufhellung des ersten Bildungszustandes des Schlüssel- beines gewidmet sein sollten, nicht am Orte wäre. Aus meinen Mittheilungen geht also hervor, dass auch die Cla- Rill Fall von oiblidiem Maiiocl der Pars acroiiiialis Claviciilao. 13 vicula eine knorpelige Anlage nicht enlljehrl, die nur in unwesentlicheren Dingen von den Knorpeln anderer Knochen verschie- den ist, dass ferner dieser Clavicularknorpel sehr frühe von der Mitte aus verkalkt, und um sich herum eine periostale Knochenschicht bildet, von der aus neue Lamellen auswachsen, die das Wachsthum in die Dicke bedingen, ^Nährend der durch Verknöcherung der mittleren Ab- schnitte nach lieiden Enden gedrängte Rest des primordialen Knorpels, im Vergleiche zum Volum des sich bildenden Knochens an Masse ab- nehmend, das Wachsthum in die Länge besorgt. Die oben citirten Angaben Bruch's bezüglich der sofortigen Bil- dung des Schlüssel])eins aus secundärem oder Bindegewebsknochen hatten laut gedachter Mittheilung ihren Ausgang von der Furcula der Vögel. Bklch hatte beobachtet, »dass die Furcula der Vögel zu den secundären Knochen gehört«, und dieser Umstand führte ihn zur Unter- suchung der menschlichen Clavicula, deren Ergebnisse er mit der ersten Beobachtung im Einklang fand. Das ist denn auch ein ganz natürlicher Gang einer Untersuchung , und auch ich glaubte nachdem ich einmal die Bruch sehe Entdeckung an der Clavicula des Menschen nicht be- stätigt fand, mich auch an die Furcula der Vögel wenden zu müssen. Bei einem Hühner-Embryo vom Beginn des sechsten Brüttages finde ich die Furcula bereits ganz deutlich angelegt, genau in den dem späteren Zustande entsprechenden Verhältnissen. In den über der Grista sterni und zwischen den Schultern gelagerten Weichtheilen sehe ich einen zarten V förmig gestalteten Streif, der aus weichen, glänzenden, durcli wenig Intercellularsu])stanz geschiedenen Zellen besteht, die in ihrer Masse gegen benachbart liegende noch indifierenle Zellen nicht scliarf abgeschieden sind. Am siebenten und achten Tage ist die Abgrenzung gegen das nachbarliche Gewebe scharf, indem die Zellen grösser ge- worden sind und die bitercellularsubstanz verkalkte. Wenn man wäh- rend des ersten noch etwas indifferenten Zustandes der Furcula bezüg- lich der Deutung der Qualität des Gewebes schwanken wollte, die Möglichkeit noch vorhanden sehend, dass aus jenem Gewebe wahre Knochensubstanz mit verästelten Knochenkörperchen direct hervorgehen könnte, so schwindet diese Möglichkeit vollständig bei Untersuchung des vorerwähnten späteren Stadiums, welches wahres Knorpelgewebe mit verkalkter Grundsubstanz aufweist. Dieser Knorpel nimmt die ganze Länge der Furcula ein. Am acromialen Ende verbreitert er sich etwas, um dann spitz auszulaufen, ebenso ist er am slernalen Ende ver- breitert, und schliesst mit einer ziemlich scharfen geraden Linie ab. Beide Hälften der Furcula sind mit dieser Grenzlinie am sternalen Endo gegeneinander gerichtet, durch eine schmale Spalte, ^^ eiche durch 14 C. Goueiibniir, indifrcrente Zellen erfüllt ist, von einander getrennt. Die Verschmelzung der beiden Hiilften der Furcula untereinander scheint erst mit der Ver- knöcherung ein/Aitrelen, \velche nach dem achten Tage mit Ablagerung einer dünnen periostalen Schichte l)eginnt. Mit den beim Hühnchen gefundenen Verhaltnissen stinmien Beob- achtungen an der Furcula von Staarembryen vollkommen überein. So ist also auch an der Furcula der Vögel in dem Vorkommen einer knorpeligen Anlage eine mit der Bildungsweise der Clavicula des Men- schen übereinstinunende Einrichtung dargethan, die sel])st in der früh- zeitigen Verkalkung des Knorpels und der darauf erfolgenden Knochen- ablagerung zu erkennen ist. Der umstand, dass die knorpelige Anlage nie lange Zeit hindurch im weichen Zustande oder als unverkalkter Hyalinknorpel fortdauert, ist ebenso beiden Schlüsselbeinbildungen gemeinsam , und er ist es vielleicht der zu einer Verkennung des wah- ren Entwickelungsvorganges geführt hat. Die Eigenthümlichkeit dev raschen Verkalkung der knorpeligen Anlage, welche dadurch zur ergie- bigeren Ausdehnung ihres Volums keine Zeit erhält, unterscheidet zu- gleich die Clavicula wie die Furcula von anderen langen Knochen, wie z. B. den Röhrenknochen der Extremitäten, bei welchen die längere Dauei- des primordialen Knorpels mit dessen histiologischer Ausbildung sicherlich in Verbindung steht. Ob auch der Mangel einer ausgedehn- teren EpiphA)Senbildungi) mit der kurzen Dauer des Knorpels der Clavicula in Causalnexus gebracht werden kann, ist nicht so leicht zu entscheiden , da Epiphysenbildungen unter den mannichfachsten Ver- hältnissen Yorkonunen und fehlen können. Sie fehlen z. B. den Vögeln (ganz bestimmt den Extremitätenknochen), fehlen ferner den meisten langen Knochen iler Reptilien und konunen bei den Amphibien nur in sehr beschränkter Ausdehnung und Verl^reitung vor, indess sie bei den Säugelhieren regelmässig erscheinende , sogar auf die kurzen gedrungenen Skeletstücke der Wirbelsäule ausgedehnte Gebilde sind. Es ist noch in keiner Weise ausgemacht, von welchen Umständen die Epiphysenbildung in einem Falle, der Mangel von besonders ver- knöchernden Ej)iphysen im anderen Falle abhängig ist. Desshalb ist auch für den bei der Clavicula gegebenen Fall keine sichere Grundlage einer Erklärung zu gewinnen, und es ist bei weiterer Umschau nur das 1) Erst im 20. Lobensjalire soll nach Beclard im Knorpel des Stenial-Endes ein dünner Ansatz entstehen, der im 23. mit dem Körper sich verbindet. Nouveau .lournal de med. T. V. u. VIII. Abgedruckt in Meckel's deutschem Archiv f. Phy- siol. Bd. VI. S. 405. — Auch Sömmerring spi'icht von einem »bis gegen die Vollendung des Gerippes« am Sternal-Ende bleibenden Ansatz. Vom Baue des menschlichen Korpers Bd. I. S. 329. Ein Fall von erblichem Mangel der Pars acromialis Claviculae. 1 5 eine zu ersehen , dass der Mangel oder die geringe Ausbildung beson- derer Epiphysen an knorpelig priiforniirten Knochen kein so ganz singuläres Verhalten ist. Ueber die relativen Grössenverhältnisse der fötalen Clavicula sind bisher die MECKEL'schen Angaben massgebend gewesen. Dass die Cla- vicula im zweiten Monate den Oberschenkel um's Vierfache an Länge übertreffe, lesen wir in den Lehrbüchern der Anatomie und der Ent- wickelungsgeschichte. Meckel ') giebt dem Knochen in der Mitte des zweiten Monates eine Länge von beinahe drei Linien. Damit stimmt auch so ziemlich die Mittheilung von BficLARD '^) , der die Clavicula am 30. Tage 1 Linie, am 35. 1 Ys , am 45. 3 Linien lang angiebt. Nach zwei anderen Autoren ist die Grösse eine viel geringere. Senfe ') giebt ihr in der 8. Woche 1 Linie, in der 11. i Linien, in der 14. 4 Linien, und nach Nicolai ^) kommt ihr im zweiten Monate eine Länge von 1 bis 1 y„ Linien, im 3. von 3, im 4. von 4 Linien zu. So bedeutende Abweichungen in den Angaben sind wohl nur durch eine Verschiedenheit des bei der Schätzung des Alters der Embryen zu Grunde gelegten Massstabes entstanden, wie denn für sehr junge Embryen die Altersbestimmung eine auch bis jetzt noch nicht festgetellte Sache ist. Zur möglichen Aufklärung der oben angeführten sich w ider- sprechenden Angaben , und zur Erlangung möglichst sicherer Grund- lagen für die Beurtheilung des Wachsthumes der genannten Knochen, habe ich an einigen Embryen Messungen der Clavicula , des liumerns und des Feinur vorgenonnnen , und \\ill die Uesullale im Folgontlen mittheilen: Wahrscheinliches " Alter. des r]mbryo, der Clavicula, des numerus, desFenuM-, 7 Wochen 18 Mm. 3 Mn». 2% Mm. 2% Mm. 9 „ 16 „ 37 „ 90 „ 130 „ 9 ,, 15 ,, 6% „ 14 , , 26 „ 6 „ 26 „ Angaben mehr oder minder beträchtlich; am allermeisten aber weichen sie von denen Meckel's ab, welchem zufolge die Clavicula selbst noch zu Anfang des dritten Monats den Ilumerus wie das Feinur um's Do])- pelte an Grösse übertreffen soll. Man könnte zur Ausgleichung jener 1) Handbuch der nienschl. Anat. Bd. II. S. 199. 2) L. cit. S. 435. 3) Nonnulla de incremento ossiuiu enihryoiuni in piiinis i;ravidilali.^ nuMisiiuis. Diss. Ilalae. 1801. 4) Beschreibung der Knochen des nienscldiciieu FoeUis. Müii.sler. I8:i9. 16 f. (i'egcubaiir, Liiii l'all von ciblicliem Mangel der Pars acroniialis Claviciilae. üiiTerenzen iinnebinen wollen, dass Meckel jüngere Enibryen als der von mir uniersuchte jüngste, vor sich hatte, dass also jenes von Meckel angeführte Grossen verhältniss in einem vor dem von mir untersuchten Stadium liegenden Zeitabschnitte vorhanden sein möclite. Einer sol- chen Unterstellung widerspricht aber die ganz bestimmt lautende An- gabe bezüglich der Länge der Clavicula seilest. Das Schlüsselbein soll 3 Linien messen zu einer Zeit, da Humerus undFemur kaum ein Drittheil dieser Länge besitzen. Ich dagegen finde, dass Humerus wieFenuu^ zu der Zeit, da die Clavicula drei Linien lang ist, schon um merkliches länger sind als jener Knochen. Daher kann ich die Quelle jenes Wi- derspruches nicht in einer vom gegenwärtig geltenden Massstabe ab- weichenden Altersschätzung finden, glaube sie vielmehr darin suchen zu müssen, dass Meckel bei der Grössenvergleichung nur die ossificirten Theile jener Skeletstücke, nicht den ganzen knorpeligen Humerus, oder das Femur im Sinne hatte. Es ist also die Clavicula sowohl in Be- ziehung auf das Histiologische ihrer Entwickelung , als auch in Anlie- tracht ihrer Grössenverhältnisse in frühen Stadien keineswegs so al)- weichend wie es Bruch in ersterer Beziehung angegeben, und wie es für das zweite Verhältniss seit Meckel zu einer allgemein verbreiteten Ansicht ^^ard. — Zur Casiiistik der Hiriikraiikheiten. Von C. Gerhardt. 1. Doppelse itiije Embolie. Die Erkrankungen des Gehirns sind noch nicht wie jene der Brust- organe, der peripheren Nerven etc. exacten Untersuchungsniethoden zugängig gewoi'den, die Physiologie hat noch wenig Material zu einer ra- tionellen Betrachtung derselben geliefert, man hat sie noch neuerdings als verwickelte Probleme bezeichnet. Auf diesem dunklen Gebiete sind die Lichtstrahlen, welche die Lehre von der Thrond)ose und Embolie in der Pathologie nach allen Richtungen verln-eitete am meisten erkenn- bar gewesen. Was allen anderen Ilirnkrankheilen abging, die Ein- fachheil des Vorganges ist hier im vollsten Maasse gewährt. Wo ein Embolus eine Arterie verlegt, wird eine bestimmte, einem natürlichen Ernährungsbezirke entsprechende Ilirnparthie ausser Ernährung, so- mit ausser Thätigkeit gesetzt, alle jene Complicationen dieses Vorgan- ges, die andern Hirnkiankheilen zukonunen , scheinen zu fehlen. Die- ser Anschauung entsprach nun auch jenes einfache so oft zutreflende Krankheitsbild, dessen erste Anlage wir Tk.vube, dessen weitere Aus- führung wir CoHX verdanken. Die kurze Prüfungszeit, welche dies Bild der Verstopfung der gewohnlich belrotrenen Arteria fossae S\lvii bis jetzt bestand, lässt erwarten, dass es von Mängeln nicht frei sein und dass eine Revision desselben nicht überflüssig sein dürfte, hi der Thal haben sich bei Coiix, der ausschliesslich nach dem eigenen Male- riale urlheilte, obwohl schon gegen 70 Fälle \on P^mbolie der Artcria fossae Sylvii in der Literatur vorliegen, einige Irrthümer aus diesem Grunde ergeben, die bereits in dem straffen Gewände doclrinärer Dar- stellung in die Lehrbücher übergegangen sind. Ich rechne dahin die Dogmen, dass von wandständigen Gerinnseln im Herzen aus Embolieen nicht cifolglen und dass \on Endocardilis und Atherom aus nur die Biiud I. 2 18 C. Gerhardt, linksseitige Art. f. Sylvii betroffen werde. Nachdem ich bereits an ei- nem andern Orte^j dieser irrigen Annahmen gedacht und gezeigt habe, wie längst vor den Arbeiten Cohn's in der Literatur das Material zu deren Widerlegung geboten war, will ich heute durch die Besprechung der bekannten Fälle von doppelseitiger Hirnarterienernbolie zeigen, dass die seitherigen Behauptungen : Nur halbseitige Lähmung resultire aus dieser Erkrankung und alle Beizungssym})tome mangelten dersel- ben, nicht minder irrige sind. Bei Abfassung jener früheren Arbeit waren mir nur zwei doppel- seitige Embolieen bekannt, nach einer sorgfältigen Durchsicht der ein- schlägigen Literatur kann ich jetzt fünf fremde Fälle und ausserdem einen selbstbeobachteten aufführen. 1] Bristowe (Philosophical transactions X. p. il2, Schmidt's Jahrb. XIX. p. 100, Lanceraux, De la Thrombose et de TEmbolie cerebrales Par. 1862 Tab. III. Nr. 7) 35jähriger Mann, apoplektischer Anfall mit Lähmung und unvollkommener Blindheit, bedeutende Besserung, V2 Jahr später Lähmung des rechten Armes und Sprachbehinderuiig, 3 Wochen darauf plötzlich Coma, das nach 2 Tagen tödtlich endete. Section: Alte unvollständige Verstopfung der Basilararterie, beide Carotiden innerhalb der Schädelhöhle völlig verstopft, keine Erweichung, Herz normal. 2) Bristowe (ibid.] 23jährige Kranke, vor 3 Jahren zwei anschei- nend epileptische Anfälle , 8 Tage vor dem Tode ein dritter Anfall mit theilweisem Verluste des Bewusstseins und Lähnmng der linken Körper- hälfte; einige Tage später ein vierter entschieden epileptischer Anfall, dem tiefes Coma und nach 2 Tagen der Tod folgte. — Section: Hirn- hyperämie, Erweichung beider vorderen Lappen der Hemisphären, am meisten des Corpus striatum dextrum, Verstopfung der rechten Carotis interna durch ein w eiches Gerinnsel , der I. Carotis interna durch eine weisse membranöse Masse. 3) Spring (Le scalpel 16, 1858, Schmidt's Jahrb. CIL p. 293) 27 jähriges Mädchen, vor mehreren Jahren eine unbekannte Unterleibs- krankheit, vor 2 Monaten Durchfall, Kopfschmerzen, Schmerzen und Hyperästhesie in der rechten Schulter und Hüfte. Stenos. ostii venosi sinistri et Insuff. vv. aortae nachweisl)ar. Während mehreren W^ochen allnächtlich Frost, später Stirnkopfschmerz und auffallender Heisshun- ger. Drei Monate nach dem Beginnen der Erkrankung, 5 W^ochen nach dem der Fröste plötzlich l)eim Füssen Erbrechen , beschleunigter und unregelmässiger Puls, dann Trismus, Con\ ulsionen der oberen Extremi- 4J Wüizh. iiii-(i. Zeilsrlir. I5(i. IV. p. l.iO. Zur Casuistik der Hiriikriiuklieiteu. 19 täten und des Zwerchfelles, Zittern des ganzen Körpers; die Pupillen eng und starr, sehr verstärkter Carotidenpals. Section: Hypertrophie des linken Vertrikels. Viel blutiges Serum im Schädel , starker Blut- erguss im Arachnoidealsacke, in der Nähe der Medulla und rings um die Kleinhirnhemisphären, im vierten Ventrikel ein grosses Blutgerinnsel, ebenso in den Seiten Ventrikeln und im dritten, Erweichung des linken Thalamus opticus und Corpus striatum. Die Arteria basilaris und alle übrigen Arterien des grossen und kleinen Gehirnes mit zahlreichen Embolis gefüllt. 4) M. Huss (Hygiea Bd. XVII. Schmidt's Jahrb. Bd. XCV. p. 187). Eine 60jährige Frau bekommt während längeren Bückens Schwindel, Bewusstlosigkeit , dunkle Röthe des Gesichtes, linksseitige Lähmung. Aderlass, nach demselben Delirien, Unruhe, Schielen mit beiden Augen. Bei der Aufnahme 5 Wochen später ruhigeres Verhallen, lichte Zwi- schenräume, nur noch rechtsseitiges Schielen, Pupille beiderseits reagi- rend, aber eng, lallende Sprache, gerader Stand der Zunge, linksseitige Extremitätenlähmung. Zeitweise wieder Delirien und nächtliche Unruhe. Später völlige Besserung des psychischen Verhaltens, nur noch Neigung zum Weinen; einige Besserung der Lähmung. Tod in Folge einer Unterleibskrankheit cc. 7 Monate nach dem Anfalle. Section: Erwei- chung des mittleren Theiles der linken Hemisphäre, beider Thalami, des hintern Theiles der rechten Hemisphäre und eines Theiles des lin- ken Kleinhirnes. Verstopfung vieler kleiner Hirnarterien, besonders aber der rechten Carotis interna und der linken Arteria fossae Sylvii. Atherom der Aorta und Mitralis. 5) Van DEx Byl (Medical times and gazette 1858 Jan. p. 22). Eine 44jährige Frau wird vom Schwindel ergriffen, fällt zusanunen, bleibt 1 0 Min. bewussllos, dann findet sich linksseitige Lähmung der Extremitäten und des Gesichtes bei erhaltener Sensibilität und Sprache. Gleichzeitig begann Uterinblutung , es folgte Erbrechen und unwillkürlicher Stuhl- gang. Besserung, nach 3 Monaten plötzlich Stertor und Coma mit bal- digem tödtlichen Ausgange. Section: Aorten- und Mitralklappe mit leicht loszulösenden Vegetationen bedeckt. Verstopfung der Art. basilaris, der A. cerebralis antica media et postica dexlra, der A. cerebralis media sinistra. Zwei nussgrosse rothe Erweichungsheerde im Gehirn. Mit Uebergehung mehrerer anatomisch unklarer, complicirter oder klinisch unvollständiger Berichte reihe ich nun einen im Sonmier 1863 auf hiesiger Klinik abgelaufenen Fall an: 6) Der 217jährige Weber Joh. Mihr aus Sünna, in seiner Jugend stets gesund, war seit 2 — 3 Jahren allmählich kränklich und matt ge- worden, ohne dass eine acute Krankheit den Beginn gebildet hätte. Er 20 C. Gerhardt, litt seither an Kuizathmiiikeil, Herzklopfen, Husten, hie und da Blut- speien. Nachdem er am 26. December I 862 an Kopfschmerz gelitten hatte, fiel er am folgenden Morgen um, ohne das Bewusstsein zu ver- lieren, klagte über linksseitige Kopfschmerzen und war von da an links- seitig gelähmt. Schon nach 12 Tagen konnte er wieder gehen, der Arm aber blieb complet gelähmt. Mitte Januar 1863 wurde er auf dem Bette sitzend von Bewusstlosigkeit befallen, fiel auf das Bett zurück mit ge- schlossenen Augen, öffnete sie bald wieder und bUckte fremd um sich, bekam dann Zuckungen in beiden Armen und Beinen und war dann für die nächste Zeit sprachlos und an allen i Extremitäten ge- lähmt, unfähig zu stehen oder zu greifen. Von da ab lag er bis Anfang März in hülflosem Zustande zu Bette, dann begann er zu gehen und die rechte Hand wurde wieder etwas beweglich. Die Sprache hatte schon wenige Tage nach dem zweiten Anfalle sich langsam w ieder einzustellen begonnen. Zuweilen Schmerzen in den gelähmten Gliedern, Vermin- derung des Gedächtnisses, Schwachsinnigkeit, Neigung zum Weinen, Schlaf stets unruhig. — St. praes. Der ziemlich magere Kranke bietet die unverkennbaren Zeichen der Aorteninsutlicienz , combinirt mit Mitralstenose, dabei weder Oedem, noch Katarrhe, geringe Cyanose. Die Musculatur im Allgemeinen schlaff. Gehen und Stehen unsicher, besonders unsichere Haltung des Kopfes, der leicht ins Vor- und Rück- wärts-Schwanken geräth. Stupider Gesichtsausdruck, einfältiges Be- nehmen, kurze Antworten mit lallender Sprache. Liegt nicht ruhig da und ächzt manchmal. Von den sänuntlichen (genau untersuchten) Ilirn- nerven zeigen nur Facialis und Hjpoglossus leichte Lähnuingserschei- nungen. Ersterer ist wahrscheinlich auf beiden Seiten unvollständig gelähmt, der Gesichtsausdruck ist ein sehr leerer, der Kranke vermag den Mund nicht zum Pfeifen zu spitzen. Sowohl in der Ruhe als beim Sprechen erscheint die linksseitige Gegend des Mundes etwas stärker gelähmt. Die linke obere Extremität kann nur sehr wenig gehoben werden, die Finger können nicht zur Faust geballt w erden , die rechte Hand kann langsam bis zum Kopfe erhoben w erden, kann einen schwa- chen Druck ausüben, den Löffel führen, zur Faust geballt werden. Alle gelähmten Muskeln reagiren auf den elektrischen Strom, doch am linken Arm die Strecker des Vorderarmes etwas schwächer als die Beuger. In der Folge besserte sich bei seltener Anwendung des elektrischen Stro- mes die Contractilität derselben })edeutend. Auf die Stinane und Sprache schien die Anwendung des Stromes am Halse keinen Einfluss zu üben (der Kranke will früher eine hellere reinere Stinnne gehabt haben , die Bewegung der Stimmbänder geht jedoch normal von statten). Die Sen- sibilitäl aller Evtreinilälen ist wohl erhalten. Langsame Besserung der Zur riisnistik der Iliriikriiiiklicitcii. 2t Lähmungserscheiniingen, der Ernäliruni; und des liesaminten Befindens Aom 2. April l)is zum '^. Juni. An diesem Tage bietet der Kranke nach Tisch ein öfteres auffal- lendes Lachen dar und wird dann Nachmittags beim Sitzen auf einer Bank im Freien von Bewusstlosigkeit befallen, athmel laut und mühsam, bekommt Schaum vor dem Munde und verfallt in heftige Zuckungen des gelähmten Armes, krampfhaftes Zittern des ganzen Körpers, Ver- ziehung des Kopfes nach links. Der Anfall selbst war in einigen Minuten vorüber, doch dauerte auch, nachdem der Kranke mit Mühe heraufge- führt w^ar und wieder antwortete, das Zittern und zeitweise stossartige Erschütterung des linken Armes noch an. Sofort nach dem Anfalle wird unvollständige Lälmumg des rechten Facialis, besonders in der Um- gebung des Mundes und an der Wange bemerkt, der rechte Gaumen- bogen bewegt sich w^eniger als der linke, aber die Uvula steht nach rechts. Folgenden Tages fühlte sich der Kranke so wohl, dass er auf- stand und sogar wieder ins Freie gehen wollte. Abends 7* n Uhr bekam er auf dem Bette sitzend und mit Lesen beschäftigt einzelne Zuckungen des linken Armes und lachte blödsinnig vor sich hin, so dass die näch- sten Kranken das Herannahen des gleichen Anfalles, wie gestern, erkannten und ihn zu Bett brachten. In der That stellte sich gegen 8 Uhr starkes Zucken im linken Arme ein, dann im Fusse dieser Seite, später in beiden Füssen, endlich in beiden Armen. Hier dauerte es laiige, während die unteren Extrenütätcn tetanisch ausgestreckt und die Kiefer fest aneinander gepresst waren. Mit der Verbreitung des Krampfes auf mehrere H\tremitäten erlischt das Bewusstsein völlig, das Gesicht wird bleich und etwas bläulich, der Körper in Schweiss ge- badet, die Herzaction heftig und frequent , die Respiration stürmisch jagend und krampfhaft. Die Augen sind geschlossen, die Pupillen gleich, rcagiren nicht, aber wechseln häufig ihre Weite. Die Bulbi bewegen sich zwecklos nach allen Richtungen. Dieses Bild dauerte bis 1 0 Uhr fort, dann erfolgte unter Durchzittern des gesammten Körpers der letzte Alhemzug. Ich sagte vor der Section in Bezug auf die früher gestellte Dia- gnose der doppelseitigen Embolie der Art. f. Sylvii : sie ist nach diesen letzten Krampfanfällen den in letzter Zeil geltend gewordenen diagno- stischen Regeln gcgenülier unhaltbar geworden, allein ich weiss keine die besser passte an ihre Stelle zu setzen. Sectionsbefund: dünner Schädel, die Ilii-nhä.ule blutreich, aber der Sinus longitudinalis leer; bei der Herausnahme des Gehirns läuft \[c\ blutiges Serum in den Schä- delgruben zusammen. Die basilaren Ilirnarlericn sind meistens leer, die A. profundae cerebri etwas stärker, ganz strotzend ist die linke Art. 22 C- Gerhardt, fossae Sylvii gefüllt von der Stelle an, wo ihren Hauptstamm 1 Cm. langer unregelmässiger, tlieils grauer, iheils braunrother, in der Mitte erweichter Embolus lose darinliegend erfüllt. Mehrere ebenso beschaf- fene Gerinnsel liegen in den kleineren Ästen desselben Stammes. Alle anderen Hirnarterien sind fi'ei von Gerinnseln, auch von allen etwa auf frühere Erkrankung zu beziehenden Veränderungen ihrer Wände. Hirnsubstanz feucht, blutreich, die Corlicalis etwas dunkel gefärbt; die Seitenventrikel weit, die Plexus choroidei auf beiden Seiten in gewöhnli- chem Grade bluthaltig. In der Mitte, dem vordem Theile näher, des linken Corpus striatum findet sich ein bohnengrosser mit citrongelber, gallert- artiger Masse erfüllter Heerd. Er enthält mikroskopisch reichlich Fett- körnchen, Pigmentkörnerhaufen und Hämatoidinkrystalle. Rechts gerade zwischen Thalamus und Corpus striatum, beiden angehörend liegt eine mehrfächerige Höhle im Ganzen fast wallnussgross mit fetzigen Wan- dungen, die nur an wenigen der Ausbuchtungen geglättet sind. Sie enthält eine dünne, milchige grauweisse Flüssigkeit. An diese Höhle grenzt eine breiig erweichte weisse Schicht, die sich bis zur Mittellinie erstreckt. Mit Hinzurechnung dieser ist das Ganze 1 Yg" dick, y*" lang. Mikroskopisch finden sich darin zahlreiche Fettkörnchen, gelb pigmen- tirte Körnerhaufen, einzelne Formen des Myelin's, sehr wenige Häma- toidinkrystalle. Rothe körnige Pigmenthaufen finden sich auch nach aussen von beiden Heerden zwischen wohlerhaltenen Ganglienzellen und Nervenfasern. Herz massig vergrössert, Vorhöfe stark ausgedehnt ^on flüssigem Blute, der rechte Ventrikel wenig, der linke stark contrahirt, die Spitze fast ausschliesslich von letzterem gebildet. iMugegossenes Wasser sinkt in der Aorta rasch zurück. Die Mitralklapj)e bildet einen lief nach dem linken Ventrikel eingezogenen Kegel, der eine knopflochähnliche, für die kleinste Fingerspitze nicht durchgängige Spalte übrig lässt. Die Sehnenfäden sind alle zu wenigen kurzen Kegeln, die ihre Basis an der Klappe haben, verschmolzen. Endocard des linken Vorhofes verdickt, Herzohr leer. Die Tricuspidalklappe in geringerem Grade stenosirt, ihre Zipfel zu einem Ringe verwachsen , der eben noch einen Finger durchführen lässt. An ihrem Rande zahlreiche warzige Auswüchse bis zur Grösse eines Stecknadelkopfes. Ihre Sehnenfäden bedeutend ver- kürzt, stellenweise verschmolzen. Pulmonalklappen normal, Ductus arteriosus für eine dünne Sonde durchgängig. Aortenklappen gleich- massig verdickt und verkürzt, die Xoduli sehr plump, zwei derselben verwachsen. An beiden Nieren gelbe, breite, vertiefte, keilförmige Narben. Die zuführenden Arterienäste verengt und sehr dickwandig. — Beide Ver- Zur Ciisuistik der Hiriikninklicitcii. 23 tebralarterien durchsjängig. — Die übrigen Befunde sind an dieser Stelle nicht von Interesse. Einige Bemerkungen über diesen Fall liegen nahe : Die Conibina- tion von Aorteninsufficienz und Mitralstenose traf zu, die Tricuspidal- stcnose hatte, ähnhch wie bei einem gleichen Herzfehler im vorigen Semester keine eigenen Symptome gemacht. Auch die dort beobach- tete hochgradige Cyanose fehlte diesmal. Für die Hirnerkrankung liegt nun die Sache so: Wir hatten für die früheren Anfälle Klappenfehler im Herzen, Erweichungsheerde im Hirn , aber keine Embolie oder Ver- engerungen an den Hirnarterien nachgewiesen , für die letzte frische Embolie, aber weder frische Erweichung noch eine embolische Quelle. Wir haben demnach zu erweisen , dass die alten Erw eichungs- heerde dennoch von Emliolie herrühren und dass die neue Embolie he- stehen konnte ohne eine neue Erweichung zu setzen — beides mit Rücksicht auf die bis jetzt gekannten pathologisch anatomischen Thal- sachen. Die beiderseitigen Erkrankungsheerde in den grossen Ganglien des Hirns konnten das Endergebniss sein einer Encephalitis , Hämor- hagie oder Embolie. Für die erstere mangelte jede Ursache, für die frühere Zeit jede Reizungserscheinung , der fortschreitende Charakter des Processes. Gegen eine Hämorhagie sprachen: das jugendliche Alter, die beiderseitige Verengerung des Atrium venosum , der unvoll- ständige Verlust des Bewusstseins bei dem einen Anfalle, die rasche Besserung der Lähmung. Die end>olische Natur dieser älteren Anfälle lässt sich sowohl aus der Nothwendigkeit einer früher ül)erstandenen Endocarditis , als auch aus der Natur der Anfälle , die genau dem bekannten Bilde der embolischen Apoplexie entsprachen erweisen. Dass aber Pfropfe längere Zeit nach stattgehabter Embolie vermisst werden können, beweist eine Beobachtung von Simpsgx, der mehrere Jahre nach stattgehabter Embolie wohl eine Cyste am Boden des linken Seitenventrikels, aber die zuführende Art. f. Sylvii leer fand. In un- serem Falle blieb auch eine sorgfältige längere Zeit fortgesetzte Nach- forschung nach alten Pfropfen, die von dem Herrn Prosector der hiesigen Anatomie vorgenommen wurde, ohne Erfolg. Bezüglich des zweiten in Frage gestellten Punctes erweisen die Beobachtungen mehrerer Autoren, dass unter Umständen die Erwei- chung fehlen könne. Aber sie war schon von früher gegeben in unse- rem Falle und was erweicht war, konnte nicht nochmals erweichen. Die Resultate der formellen Zusammenstellung dieser 6 Fälle ergeben fol- gendes : 24 f- f'Viliiirdt, Die Kranken standen im Alter von 23 l)is 60 Jahren, die Iliilfte stand im 3. Lebensdecennium. Zwei Drittel derselben gehören dem weiblichen Geschlechle an. Dies slinnnt vollständig damit üherein, dass von 63 Ilirnarterienembolieen, die ich zu andei-n Zwecken zusam- menstellte, 41 Weiber betrafen. Die Altersverhiiltnisse waren dort freilich andere (10—20 = 6, bis 30 = 18, bis 40 = 9, bis 50 = 19, bis 60 = 6, bis 70 = 2, bis 80 = 2). Die Extreme waren dort II und 73 Jahre, sie sind hier 23 und 00 Jahre. Natürlich ist letzteren bei der geringen Zahl der Fälle gar kein Werth beizumessen. Die embolische Quelle war einmal durch ein Gerinnsel an der Wand des linken Ven- trikels, einmal durch Aortenatheroiri, zweimal diu-ch Endocarditis re- präsentirt, in den beiden Fällen von Bristoave ist sie nicht bezeichnet, wenigstens in meinen secundären Quellen nicht. Die doppelseitige Embolie der Ilirnarterien erfolgte zweimal höchst wahrscheinlich in einem Anfalle, einmal in 2^-3, zweimal in 4 Anfäl- len. — Die Lähmung war in ö Fällen halbseitig, oder sie ist nur unbe- stimmt beschrieben, nur in dem einen von mir beobachteten ist die doppelseitige Paralyse der Extremitäten , der Nackenmuskeln, des 7. Hirnnerven constatirt. Von besonderen Interesse scheinen mir die Symptome von Hirn- reizung zu sein , welche in diesen doppelseitigen embolischen Er- krankungen weit häufiger hervortreten als bei den einseitigen Ver- stopfungen. Sie sind in der Geschichte der letzteren keineswegs unbe- kannt. Zwar werden sie von Cohn in Folge des zu engen Beobachlungs- kreises, aufweichen derselbe seine Angaben basirt, völlig in Abrede gestellt, allein Lancereaux , der das ganze vorhandene Material zur Unterlage nahm, hat das Vorkommen zahlreiclier Formen von Reizungs- erscheinungen wenn auch in wenigen Fällen constatirl. Die allerwich- tigste und eclatanteste dieser Reizungserscheinungen sind die epilepti- formen Anfälle. Lancereaux hat dieselben in den 40 Fällen von Erabolie der Carotis interna oder ihrer Äste 4 mal vorgefunden. Einer seiner Fälle betrifft aber doppelseitige Embolie (unser 2ter), somit findet sich unter 39 Fällen Aon einseitiger Embolie der Carotis int. oder A. f. Sylvii dreimal der epileptiforme Anfall vor (1:13). Ebensooft finden wir ihn unter unseren 6 do{)pelseitigen iMubolieen, also im Verhältnisse von 1:2. — Die ersteren Fälle liihren von Bristowe, Lancereaux und Oppoi.zer her. In d(>n unseren traten diese Anfälle gelegentlich des Actes der Embolie selbst ein, einmal nachdem schon früher (ob gleich- falls durch Embolie!) zwei gleiche Insulte vorangegangen waren, einmal bei Embolie complicirt durch ein Extravasat in) 4. Ventrikel (Fl. 3) einmal erst bei dem 3. und 4. embolischen Acte. Fernere hierher ge- Zur Ciisnislik der Ilinikriuiklioitpii. 25 hörige Beobachtungen finden sich in der Dissertalion von R. Ferher '] . In zweien seiner 3 Falle von autochthoner Hirnarterienlhrom- bose fanden Krampfanfälle statt. Auch finden sie sich noch in einem neueren Falle von Rosenthal als halbseitige der Embolie unmittelbar folgende angeführt. Das Bild derselben variirt sehr. Sie gehen in zwei Fallen (Ferber I und Lancereaux) dem Anfalle voraus, sonst fast allent- halben markiren sie denselben. Bald ist die Bewusstlosigkeit unvoll- ständig (Ferber I) in den meisten Fällen aber eine vollkommene. Ge- wöhnlich sind die banalen Zeichen des epileptischen Anfalles vorhanden, so: Schaum vordem Munde, Eingeschlagensein der Daumen, Starre der Pupillen, Wechselkrämpfe der F^xtremiläten. Tonische Krämpfe, namentlich eigentlich tetanische Zustände fehlen vollständig, nur Trismus konnnt einigemalc vor. Die Aura fehlt oder ist bald eine sensible, bald eine motorische. Einer der späteren Anfälle, einmal sell)st der ei'ste, führt zum Tode. Alle Anfälle haben zweierlei Züge gemeinsam: Zittern des ganzen Körpers und jagende, krampfhafte Respiration. Vergleicht man hiermit das Erkrankungsbild, das Panum ^) bei massen- hafter künstlicher Embolie der Gehirnarterien bei Thieren erhalten hat, so lässt sich die Übereinstimmung dieser beiden Symptome nicht ver- k(>nnen, das weiter von Panum hervorgehobene Zeichen der un\^ill- kürlichen Entleerung des Kothes und Urines ist theilweise nicht ange- geben, theilweise fehlte es (so im obigen fi. Falle), theils war es vorhanden. Über das verschiedene Verhalten der Sensibilität der Cornea und Conjunc- tiva, auf welches Pani;m viel Gewicht zu legen scheint, ist l(>ider nirgends eine Untersuchung vorhanden. Vergleicht man di(^ Untersuciumgen von KrssMAiL und Tenner über Ilirnanämie und ihre Beziehung zu epileptischen Zufällen , so lassen sich nach deren Ergebnissen weder die bei halbseitiger noch die bei doppelseitiger Verstopfung der Art. f. S\lvii vorgekommenen Krampfanfälle begreifen. Denn diese Forscher gelangen zu dem Schlüsse, dass Anämie der vor den Thalami optici gelegenen Gehirntheile keine fallsuchtähnlichen Zufälle bedinge. Hier besteht demnach noch eine tiefe Kluft zwischen den experimentalpa- thologischen Erfahrungen an Thieren und den klinischen am Menschen. Da sich in den betreffenden klinischen Fällen nur rothe Hirnerweichung und Hirnanämie als Sectionsresullate vorfinden, so können auch nur diese als Ursachen der epileptiformen Convulsionen angeschuldigt wer- den. Da übrigens in einer Anzahl von Fällen die rothe Erweichung, überhaupt jede Erweichung als Folge der Verstopfung fehlte, kann auch 1) De thrombosi arterianmi cerehraliiim autoctithonea Lips. ise-l. u. Deutsche Klinik 21 und 22 v. 1861. 2) ViRCHOw's Ardiiv. Bd. XXV. p. 30S u. f. 26 r. Gprliardt, Ztir riisiiistik der Hiriikriiiiklieiton. diese nicht aneeschuldigt werden, sondern nur die ganz nothwendige Anämie. Die neuerdings von Erlexmeyek geäusserte Ansicht, dass die Verstopfung grosser Arterien, besonders der Carotis interna es sei, die Epilepsie bedinge, findet in mehreren der aufgezählten Fälle ihre Be- stätigung, in dem meinen jedoch eine entschiedene Widerlegung. Dass der Grad und die Verbreitung derselben das bedingende sei , zeigt die Erfahrung, dass sich das Vorkommen der Convulsionen bei doppelsei- tiger Embolie wie 1:2, bei halbseitiger wie 1:13 seiner Häufigkeit nach darstellt. So hätten w ir denn eine exquisite Hirnreizungserscheinung nach- gewiesen, die bei der experimentellen vielfachen Hirnarterienembolie als Regel getroffen wird, bei der klinisch beobachteten wenigstens als nicht ganz seltenes Verkommniss. Andere Reizungsphänomene ; halb- seitiger Kopfschmerz der erkrankten Seite, Convulsionen der gelähmten oder der beweglich gebliebenen Glieder, Delirien sind so häufig, dass es keiner besonderen Aufzählung der betreffenden Fälle bedarf. Dies alles bei einem Erweichungsprocesse, den man sich gewöhnt hat , als einfach nekrotischen zu betrachten! Zur Casiiistik der Eutozoeu. Dr. M. Seidel, Assistent der .Med. Klinik. I. Trichinen. Das Vorkonnnen der verscliiedenen Arten der Eingeweidewürmer ist in hiesieer Gegend, gegenüber vielen anderen Orten Deutschlands ein auffallend häufiges. Eine spätere Notiz wird dies z. B. für die Taenien und den Echinococcus darthun. Die Art der Nahrungsmittel, die bei einem grossen Theil der Bevölkerung in verschiedener Hinsicht als eine unnatürliche und ungesunde zu bezeichnen ist, verschuldet und begünstigt die Entwicklung dieser Entozoen. Und so wäre es ge- radezu auffallend gewesen, wenn wir hier nicht auch die seit kurzem Epoche machende Trichinenkrankheit zu beobachten Gelegenheit ge- habt hätten. Nachdem zuerst durch Zenker die Trichina spiralis als Ursache einer höchst lästigen, ja oft verderblichen Krankheit erkannt worden war, sind von verschiedenen Orten Deutschlands, l)esonders Mittel- und Norddeutschlands, Einzelfälle und Epidemieen dieser Erkrankungen be- schrieben worden , ja man hat auch Symptomencomplexe, die vor dem Bekanntwerden der ZENKER'schen Entdeckung unter verschiedenen lan- gen und abenteuerlichen Namen beschrieben waren, wenigstens zum Theil mit Bestimmtheit — durch den späteren Nachweis der Trichinen in den Muskeln — auf die Einwanderung dieser Thiere in den mensch- lichen Organisnms bezogen. Wenn ich im Folgenden einige Fälle mit- theile , die \ or nicht langer Zeit hier beobachtet wurden , obgleich sie den früheren Beobachtungen nichts wesentlich Neues hinzufügen, so halte ich doch Mittheilungen von Einzelnbeobachtungen bei einer Krank- heit, deren Diagnose erst so kurze Zeit zurückdatirt, nicht nur für gerechtfertigt, sondern sogar für nöthig. Erst durch die Zusammen- stellung einer langen Reihe von Fällen \^ird es möglich werden, die ganze Symptomatologie dieser Krankheit festzustellen, die wesentlichen und Constanten Symptome von den unwesentlichen und zufälligen zu 28 Dr. M. f^oido!. scheiden, nur si(> \\ iid uns sicheren Aufschluss über Verlauf, Ausgänge, Verbreitung, AVirksamkeit etwaiger IleibniUel geben. Zugleich mag diese k] M. Seidel, des linken Auijenlides bemerklich machte. An demselben Tage waren die Muskelschmerzen eingetreten, die sich in den letzten Tagen gestei- gert hatten, dabei schwitzte er in den letzten Nachten stark. — Beide Augenlider sind noch jetzt in leichtem Grade ödematös, die Muskeln besonders der Extremitäten sowohl bei Bewegung , als bei Druck schmerzhaft, am meisten die Wadenmuskeln, die Stimme ist nicht ver- ändert, fibrilläre Muskelzuckungen sind nicht zu sehen. Respiration ruhig schmerzlos. Temp. 30,2, P. 92. Mit Bestimmtheit liess sich die etwaige bifectionszeit nicht nachweisen. Er hatte bei seinem häufigen Aufent- halt in Weimar wiederholt Wurst gegessen. Bekam Ext. Aloes Jalapp. Colocynth. in massiger Dosis. Bei einem späteren Besuche am 29. Oeto- ber war das Oedem der Lider geschwunden, die Muskeln bei Bewegung und Druck nur wenig schmerzhaft. — Rosenberg, Wilhelm, 17 J., von Weimar zum Besuch in Lobeda, erkrankte am 14. October mit massigen Kopfschmerzen, Frost und Hitze, dazu gesellte sich Mattigkeit besonders in den Extremitäten, leicht geschwollenes Gesicht mit spannendem Gefühl in der Wange ; Zunge etwas belegt. Die Fiebererscheinungen dauern nur 4 Tage, die Muskel- schmerzen nehmen die ersten 3 Tage zu, schon am 4. ab und verlieren sich rasch. — Mit Bestimmtheit lässt sich auch hier die Infection nicht nachweisen. Er hatte wiederholt Knackwurst und Cervelatwurst ge- gessen. Ein anderes ätiologisches Moment für die Erkrankung und eine sonstige Ursache konnte durch die Untersuchung nicht nachge\N lesen werden. Auch er bekam am 3. Tage, als sich Stuhlverstopfung ein- stellte nur Laxans. — In unseren beiden ersten Fällen liess sich die Infectionszeit mit der grössten Sicherheit bestimmen. In den bis jetzt in der Litteratur ver- zeichneten Beobachtungen ist dieselbe nur in sehr wenigen genauer angegeben, so z. B. in denen von Wunderlich, und annähernd für einige Tage berechenbar der 6. Fall von Böhler. In W^-nderlich's Fäl- len war die Infection jedenfalls am 9. oder 1 0. Dec. erfolgt, am 13. Dec. traten die ersten Sympte der Erkrankung auf. Bei Böhler's 6. Fall be- rechnet sich die Infection auf den 9. Nov. ; die Erkrankung auf den 14 — 16. November. In den unsrigen erfolgte sie am 25. Sept. Morgens und erst am 1 . Oct. Nachmittag traten die ersten vagen Symptome einer Erkrankung, erst am 3. Oct. das Oedem des Gesichts und am 7. Od. die Muskelschmerzen auf; diese Incubationszeit, wenn ich so sagen soll, von 4 — 6 Tagen, ist gewiss auffallend, wenn man die Erfahrungen Leuckart's an seinen Versuchsthieren damit vergleicht. Auffallende entzündliche Erscheinungen von Seilen der Darmschleimhaut und des Peritonaeums, die für die Gesundheit und das Leben der Versuchsthiere Zur fasiiistik (1(M' Entozncii. 33 oft unniillelhar nach der Fütlerunc; so verderJ)lich wurden, wenn die Menge der einijeführten Trichinen nur einii!;ennaassen erhelilich war. sind bis jetzl in keinem Falle heol)achtet worden , weder im Beginn, noch im Verla nie der Krankheit. Es scheint als ol> die Zeit während der die Muskeltrichinen in Darmlrichinen sich umwandeln und diese ihre EmJjryonen absetzen, ohne wesentiidie Störung des Allgemeinl)e- findens beim Menschen abgeht, während sie für den Oi'ganismus ein- zelner Thiere bereits verhängnissvoll wird. In den ersten Tagen des Aufenthalts der Trichinen im Darm können ilieselben, da sie sich jedenfalls nur mit ihrer Ernährung und Fortpflan- zung beschäftigen, nur als ein örtlicher Reiz auf die Schleimhaut wir- ken. Warum al>er die Folgen dieses Reizes bei Thieren so intensiv werden können , während sie bei dem Menschen höchst unbedeutend sind, oder gänzlich fehlen, dafür fehlt uns l)is jetzt dasVerständniss, so störend es auch ist, dass die Experimente an Thieren uns nicht sofort einen Schluss auf den Menschen gestalten. Erst mit beginnender Wanderung der Ti-ichinen nach den Muskeln scheinen die ersten Stöi'ungen im Befinden des Menschen einzutreten. Leuckart hat den ö. Tag als den der beginnenden Wanderung festge- setzt. Am 7. Tage fand er dieselben theils frei in den Peritonealhöhlen, theils schon in den nahe liegenden Muskeln vor. Am 0. Tage traten in unseren beiden Fällen die ersten Sunptome der Erkrankung auf, in denen von Windeulich am i., in dem BoEiiLEii'schen etwa am G. Diese Zahlen stinunen fast auf den Tag mit dem LEUcKARi'schen Befund über- ein. Dass auch in dieser Zeit das sonst so en)pfindliche Peritoneum nicht auf die zahllosen , wenn auch minutiösen Verletzungen reagirt, ist jedenfalls l)efremdend. Wie rasch und massenhaft al)er die Aus- wanderung nach den Muskeln «n-folgl , lieweisen die rasch, schon nach 3 Tagen auftretenden Oedeme des (lesichtes, ein Symptom, das fast in allen Fällen als eines d(M- (Msten mid augenfälligsten angeführt wirtl. und seine Erklärung in localen Circulationsstörungen in den Gapillaren durch die Anwesenheit der Parasiten findet, die bei der Lockerheit und Nachgiebigkeit des sulnHitanen GeweJies der Lider daselbsl am frühzei- tigsten in die Augen fällt. Vom Muskels^ Stern sind in den verschiedenen Fällen schon die verschiedensten Theile als die am meisten schmerzhaften notirt wor- den. Ein vorzugsweise besonderes Befallensein gew isser Muskelgrup- pen ist auch von vornherein unwahrscheinlich. \n den kleineren Muskeln des Kehlkopfs wurden von Bischoff. Hexi-e , ViRCHOw , die Trichinen in ganz besonderer Masse gefunden. so dass eine Beeinträchtigung der Action dieser Muskeln im Leben zu Band I. 3 34 Hr. M. Seidel, Zur Ciisiiisük der [•iitozoeii. erwarton stand. Dem ontsprechond finden wir aneli Veränderung der Stimme, Heiserkeit, Klangiosigkeit in meln-eren Fällen notirt, z. B. in einem von Wundkruch, dem von Fiuedreich und in unserem ersten. In allen Dreien aber trat die Veränderung der Stimme ziemlich spät ein. bei Friedrkich am 1 7., bei Wunderlich am i 2., l)ei unserem am 1 ü. Tage der Erkrankung. Bedingt sein wird die Verändervnig der Stimme ge- wiss in einigen Fällen durch die gestörte Be\Neglichkeit der Mm. crico- arytaenoid. postici, die ilie Stimmbänder nicht in gewohnter Weise zu spannen vermögen , in anderen durch Schwellung des submucösen Gewebes, die aus demsell)en Grunde eintritt wie die des Unterhaut- zellgewebes. Vielleicht gelingt es bald in einem entsprechenden Falle darüber Aufschluss zu erlangen durch die laryngoskopische Untersu- chung, die leider in unserem Falle zu spät vorgenoimnen wurde. Der Schwere der Symptome und der Dauer nach müssen wir un- sere 2 letzten Fälle zu den abortiven , die beiden ersten noch zu den leichteren Erkrankungen zählen. Die Bewegiiiigsiierveii der Gebärmutter. Von P. Frankenhäuser, Dofenten der Geburtshülfe in Jena. Die Nerven der Gebiirmutter sind sowohl anatomisch als physiologisch wiederholt iinlersucht worden, doch hat ihre Untersuchung zu sehr widersprechenden Resultaten geführt. Schon deshalb wird es nicht überflüssig sein, sie von Neuem zu verfolgen und zumal ihr phy- siologisches Verhalten genauer zu untersuchen, was noch am w^e- nigslen aufgeklärt uni Seite, so »pannt sich das Mesocolon und man sieht links neben der Aorta die Vena mesent. in demselben her- Die BcwouiinusiM'rvcii der (iobäiimiltcr. 37 unterhmfen und sich in dem untoron Darnislück verzweigen. M\[ ilu- verzweiiit sich in derselJien Phitte des Mesocolon die Art. mesenl. inl'., welche meist in der Höhe des zweiten Lendenwirbels von der Mitte der vorderen Seite der Aorta entspringt. Einen Viertel- bis einen gan- zen Zoll oberhalb der Art. mesent., selten unmittelbar neben ihr, ent- springt von der rechten Seite der Aorta die Art. sperm. dextra , links neigen der Art. mesent., meist Vi — V» Zoll unter ihr, nur ausnahms- weise über ihr, entspringt am linken Rande der Aorta die Art. sperm. sinistra. In dieser Gegend, und zwar regelmässig über der Art. mesent., liegt zwischen den Blättern des Mesocolon auf der Aorta ein grosses, 3 — i Linien langes und etwa I — '2 Linien breites Ganglion von be- trächtlicher Dicke, welches nach oben durch I — 2 sehr feine Fäden, die längs der Aorta hinauf steigen, mit dem Mondgeflecht zusanunen- hängt. Nach vorn dagegen, zwischen den Blättern des Mesocolon, sendet es eine grosse Anzahl besenförmig auscinanderstrahlender Ner- venbündel, welche längs der Vena mesent. nach aufwärts laufen. Nach links und rechts über die Aorta und Vena cava nach hinten laufend, verl)indel es eine dünne Faser mit dem dritten Lendenknoten des Grenzslranges ; rechts schickt es mitunter noch einen Faden mit der Art. sperm. dextra zu dem Ovarium. Nach unten gehen endlich, links und rechts die Art. mesent. an ihrer Ursprungsstelle umgreifend, meh- rere Fäden auf der Aorta herunter, die sich unter einander in einzelnen grossen Maschen verbinden, sich a])er im Ganzen in einen rechlcn und linken Zug ordnen, von beiden Seiten verstärkende Zweige aus den zwei letzten Grenzstrangsganglien desLendentheils bekonnnen, und sich endlich an der Bifurcalion der Aorta durch ein Ganglion verbinden. Hier theilen sich die bisher sehr nahe aneinanderliegenden fast parallelen Fä- den unter einem spitzen Winkel in zwei Aeste, welche rechts und links nach innen von der Vena iliac. liegend, den Mastdarm umgreifen und an den Seiten der Gebärmutter mit den von dem Kreuzbein konunen- den Nerven ein rechtes und linkes Ganglion uterinum bilden, dessen Zweige die Gebärmutterner\en darstellen. Die Lage dieser Ganglien ist etwas varial)el, indem sie durch einen Zug an der peritonealen Hülle des Uterus weiter nach hinten gegen den Mastdarm gelagert werden können. Ehe die beiden genannten Nerven in das Ganglion gehen, schicken sie noch Fäden nach aufwärts an den Mastdarm. — Weiter geht \on dem Ganglion der Art. mesent. nach unten und links ein Fa- den ab, der in einem winzigen Ganglion endel, welches im Winkel der abgehenden Art. sperm. sinistra sitzt und von da Fäden mit der Art. zum linken Ovarium sendet. Auch rechts findet ein ähnliches Verhältniss stall, w enn nicht ein Faden direct aus dem Ganulion mesent. zum Ovarium 38 F. Fniiikciiliiiiiscr, Yerlaiift. Endlich sendet es noch längs der Art. mesent. einen Faden. Der Sitz, die Form und die Grösse des Ganglion, welches die Ur- sprungsslelle oder den Sanunelpuiu'l aller dieser zu den Innern Ge- schlechlstheilen gehenden Nerven bildet, ist sehr constant. Unter 30 untersuchten Thieren fand ich nur ein einziges Mal eine Theilung des Ganglion in ein grösseres und kleineres oberhalb der Art. mesent. gele- gen, welche durch zwei Wurzeln mit einander in Verbindung standen. Das Ganglion empfängt eine starke Arterie, die sich mitunter lebhaft in- jicirt zeigt, und enthält Hunderle von Ganglienzellen, die sich bis in die austretenden Nerven erstrecken. Wie man aus der Beschreibung sieht, sind die in das Ganglion eintretenden Nerven wenige und von so grosser Feinheit, dass man sie leicht übersieht; die austretenden da- gegen sind ausserordentlich zahlreich und von beträchtlicher Stärke. — Vom zweiten Kreuzbeinnerven, mitunter auch zugleich vom dritten, entspringt ein einfacher oder zusanuuengesetzter Nervenstanun , w'el- cher den Masttlarm umgreift, schräg nach aufwärts über denselben an die Seite der Gebärmutter läuft und in dem oben beschriebenen Gang- lion endet; auf seinem Wege dahin aber giebt er noch Fäden an die Harnblase , an den Urether und an den Mastdarm (?) ab. Da die Be- zeichnung der bisher liesprochnen Nervenpartieen bei den verschiedenen Autoren eine verschiedene ist, so wollen wir, um Verwechselung zu vermeiden, für die Folge das Ganglion an der Art. mesent. Ganglion mesentericum , die längs der Aorta bis zur Bi.furcation gehenden Ner- venfäden Nervi aortici, die gabelförmig sich theilenden Aeste Nervi hypogast. bis zu ihrem Eintritt in das (iangl. uterinum . die vom Kreuzbein kommenden Aeste Nervi uterini nennen. Durch die bisher vermittelst Reizung der Nerven angestellten physio- logischen Versuche sind eigentlich mehr Fragen angeregt, als Thatsachen festgestellt worden. Der Zielpunct für alle Untersuchungen aber war, den Weg fest zu stellen, auf welchem Reize zur Gebärnnitter gelangten und Bewegungen in ihr erregten, oder den Ort zu suchen, von dem die Reize ausgingen, oder das reizende Medium zu finden, oder endlich die Art der Bewegung zu erforschen. So glaubte Brächet , dass dem Uterus die Bewegungen durch die Nerv, uterini, also durch das Rückenmark mitgetheilt wlüxlen , F. Kilian, dass die Nervi vagi die Leiter seien; Longet, Valentin, Budge, Bertling u. s. w., dass sie vom Nerv. symp. ausgehe, Spiegelberg endlich, dessen Untersuchungen die neuesten sind, dass sie sowohl durch die Rückenmarksnerven als durch die sympathischen Nerven mitgetheilt würden. Ueber den Ort. wo die Bewegungen entstehen, sind die Meinungen weniger getheilt. Seitdem Kilian nacheewiesen , dass Reizung des Kleinhirns und der Hie ncwcüiniüSiKMvcii dci- ficbiiriiiiittfr. 39 MciluUn Contraclioiipn der (Jobärinuüer hervorruft, hat das auch Bert- LiNG und Spiegklberg bestätigt, inid auch ich habe mich davon über- zeugt, obgleich ich keine besonderen Versuclie darüber angestellt, sondern es nur gelegentlich niitbeobachtet habe. Die nun im Folgenden beschriebenen Yivisectionen l)ilden nur einen kleinen Theil der von mir gemachten, und ich will dieselben mehr als Beispiele für die Untersuchungsmethode anführen, da, wollte ich alle })eschreiben, vielfach Wiederholungen vorkonmien müssten. Es sind ungefähr 50 Thiere untersucht worden, bei denen theils durch Reizung des Kleinhirns, derMedulla und des Hals- undBrusUvirbelmarks Bewegungen zu erregen versucht wurden; ein anderer Theil wurde zur Untersuchung des sympathischen Nervensystems des Uterus ver- braucht, endlich der dritte zur Untersuchung des Einflusses der unte- ren Partie des Rückenn\arks. Da die spontanen Bewegungen, welche den früheren Unlersuchern , wie Kujan und Spiegelberg, soviel zu schaden gemacht haben, meist ausbleiben, wenn man am le])enden, ungeschwächten Thiere operirt, so habe ich die nachfolgenden Untersu- chungen nur an lebenden Thieren gemacht, sie wurden eingestellt, so- bald die Thiere starben. Am besten wählt man Thiere, die nicht allzu jung sind, womöglich schon einmal getragen haben und womöglich keine hochträchtigen. Zur Beizung wurde der Induclionsstiom einer Kohlen-Zink-Batterie benutzt. Erste Versuchsreihe. E rster Ve rsuch : Einem nichlträchtigen Kaninchen w ird die Mcdulla blossgelegt und nach Eröffnung der Bauchhöhle gereizt, es treten sofoit starke Zusam- menziehungen des Darmes, des Mastdarmes, der Blase und der Gebär- mutter auf unter heftigem Opisthotonus. Die Contraction dauert solange als der Strom einwirkt, die (Jebiu imilter erhebt sich dabei aus dem Becken, die Hörner werden rund und (>rblassen. Nach Unterbrechung des Stromes sinkt die GebänmUter zusaumien und wird wieder röther. Das Thier stirbt sehr bald, da bei dem heftigen Opisthotonus sich die Drähte tief eingestochen hatten. Kurz nachher traten heftige peristal- lische Bewegungen auf. Zweiter Versuch: (irosses Kaninchen. Biossiegen des Bückenmarks in der Gegend des ■]. und i. Halswirbels. Eröflnung der Bauchhöhle. Zuerst Rei- zung der Medulla, darauf ungewöhnlich heftige Bewegung des Uterus; wiederholt dieselbe Erscheinung. Bei Heizung des unteren Theiles des Rückenmarkes nach Durchschneidung am 3. und 'i. Halswirbel kräf- 40 ^- Friiiikciiliiiiisi'i-, lige Be\\eü;ung des Uterus, doch nicht so stark als bei Rei/Aing der Medulla. Das Thier wird dann zu einem anderen Versuche benutzt. Bei der später folgenden Section zeiiilen sich die Muskelfasern in den breiten Mutterbändern sehr entwickelt , ebenso der Uterus gross; es war ein altes, schon ergrauendes Thier mit Markschwamm des rechten Ovariums. D r i 1 1 e r V e r s u c h : Kaninchen trächtig etwa eine Woclie lang. Durchschneidung des Rückenmarks an einer in tU^r Gegend des 9. Brustwirbels befindlichen Stelle, sehr lebhafte Contraclionen der ganzen Gebännutter, sowohl bei peripherischer als centraler Reizung , am lebhaftesten war die Bewe- gung des unteren Uterinsegments, weniger stark die der Hörner. Vierter Versuch: Einem Kaninchen, was noi' etwa -i Wochen geboren hat,;wird die Rückenmarkshöhle in der Gegend des >., :5. und 'i. Lendenwirbels eröff- net, ohne dass eine beträchdich(^ Blutung stattfand. Das Rückenmark wird blossgelegt und durchschnitten, dann die Bauchhöhle eröffnet: die Gebärmutter ist gross, aber schlaff und unbeweglich. Bei Reizung des centralen Theiles des Rückenmarks treten ausserordentlich heftige Con- traclionen in den Därmen, in Blase und in der Gebärmutter auf. Die Contraclion der Gebärmutter ilauert solange die Reizung fortgesetzt wird (7b Min.), sie erschlaffte allmählich nach Aufhören der Reizung, begann aber sofort sich wieder zusanunen zu ziehen, so wie der Strom wieder wirkte. — Bei der Eröffnung der Rückenmarkshöhle in der Lendengegend gingen viele Thiere in Folge von Blutungen aus den spongiösen Theilen der Wirlielknochen und aus den Rückenmarksve- nen zu Grunde ; ich habe deshallj nicht viele Versuche derart aufzu- weisen , die ein gutes Resultat hatten , habe aber bei späteren Versu- chen, bei denen ich das Verhalten der untern Partie des Rückenmarks nach Abtrennung der oberen untersuchte, wiederholt gesehen, dass Reizung des Rückenmarks in der Gegend des 2. und 3. Lendenwirbels fast eben so lebhafte Contractionen hervorruft als Reizung der Medulla. Eine unterhalb dieser Stelle angebrachte Reizung nach Durchschnei- dung hat auffallend geringern Erfolg, bemerken naiss ich noch, dass an den blossgelegten Stellen 'ein Stück des Rückenmarks excidirt nnd dann erst das j)eripherische oder centrale Ende gereizt wurde. Die nun folgenden, hei Weitem /.ahii'eichsten Versuche, galten der Reizung des Ganglion mesent. uml der von ihm zum Uterus laufenden Nerven. Soviel ich weiss, ist dieser Weg bisher noch nicht \ erfolgt worden, wenigstens wurden diese Nerven noch nie isolirt gereizt, und doch ist von ihnen aus die Rewegung des Uterus am besten experi- mentell zu verfolsien , da die immer scliwieriue Eröffnum; der Rücken- Die Bewco'uiiü'SiKM'VPii doi' Gcbiiniiutter. 41 nuirkshöhlo wegnilll. SpiKCKLiiKUf;, welcher wie erwähnt zuletzt die Uleriu-Conlraclionen untersuchte, hat wenigstens diesen Weg experi- mentell ganz unberücksichtigt gelassen und dadurch gewiss in seine Un- tersuchungen eine Fehlerquelle geliracht, welche sich, zumal bei den durch Compression der Aorta erregten Contractionen geltend macht. Da- bei nuiss er die auf dei'selben herablaufenden Nervenstränge gereizt ha- ben, wofür namentlich der oft augenl)lickliche Erfolg der Compression- spricht. Zwar glaube auch ich, dass Compression der Aorta Contractionen erzeugen kann, aber diese Contractionen erfolgen, wenn die Nerv, aortici abpräparirt sind, viel langsaiuer. Am besten wühlt man zu den nachfol- genden Versuchen recht magere Thiere, weil sonst die die Aorta um- lagernden Fettmassen die Blosslegung des Ganglion niesent. und der Nerv, aortici beträchtlich erschweren. Man eröffnet die Bauchhöhle in der Linea alba, nachdem man zuvor durch Erheben des Felles in eine Falte und Abtrennen desselben die Muskelschichten blossgelegt hat. Den Schnitt beginnt man in der Magengegend, um die oft sehr ausge- dehnte Harnblase nicht zu verletzen; man verlängert ihn auf dem Finger l)is zu der Symphyse und macht dann 2 Ouerschnilte durch die Bauchwandung bis in die Nierengegend. Hierauf entleert man die Blase und legt die Üärme auf die linke Seite des Thieres. (Das Thier liegt (|uer Nor, mit dem Kopf zur linken Hand.) Ist kein Fett um die Aorta gelagert, so sieht man dann einen scheinl)ar einfachen dünnen Nerven- faden von der Theilung der Aorta längs der vorderen Wand derselben nach aufwärts laufen. Man fasst das den Nerven überkleidende Perito- neum seitlich von ihm, trennt (>s in der Länge des ganzen Nerven bis zur Art. mesent. ab , fasst dort den Nerven , schneidet denselben quer durch, hebt ihn mit der Pincette in die Höhe und trennt das Peritoneum von seiner andern Seite nach ab\Närls ab. Auf diese Weise werden die Nerv. aort. seitlich getrennt von den Nerv, sperm. und von den, von den Lumbargaiigli(Mi konmienden Fäden. Hierauf werden sie isolirt auf die Elektroden gelegt. Sorgen muss man, dass sie im Verlauf der Un- tersuchung nicht ti-ocken \>ei-den. Zweite Versuchsreihe. Fünfter V'ersuch : Feinem hochträchligen Kaiiinclieii werden die durchschnittnen und isolirten Nerv. aort. gereizt, es entsteht sofort eine kräftige Zusammen- ziehnng der Gebärmutter, und zwar Ix^ginnt die Bew('gung fast sofort in i\cn breiten Mutterbändern an beiden Seiten des Uebergangs der (iebärmutter in die Hörner. Das Mesometi'. wird strahlenförmig gegen di(>se Stelle hin zusannnenuczoiren utid dadurch die Hörner der Mit- 42 F- Fi'iiiikeiiliiiiispr. tpUinie p;pn;ihert. Dann geht die Bewoguniz auf das untere Ende der Hörn(M- und schreitet von da wellenförmig nach unten auf Gebärmutter und S(^l)(^i(le. Die \on oben nach unten fortschreitende contrahirte- Steile stellt sich dar als eine Querfalte mit link- und rechtseitiger Ein- schnürung am Rande. Oberhalb und unlerhalb der Querfalte findet sich eine Längsfalte , die oberen Partieen der liörner sind viel bewe- gungsloser, ja contrahiren sich fast gar nicht. Die Reizung wurde sehr häufig wiederholt und gab inuner denselben Erfolg : nur wurden die Contractionen allmählich schwächer und erfolgten träger. Sechster Versuch : Nichtträchtiges grosses Kaninchen. Der isolirte Nerv. aort. N\urde in seine zwei Längszüge getrennt, nachdem seine Gesammtreizung lebhafte Zusammenziehung des Uterus erzeugt hatte. Reizung der rech- ten Seite erzeugt Längsrunzelung der rechten Hälfte der Scheide und des Uterus , welche sich forterstreckt auf das rechte Hörn, bis sie end- lich auch auf die hnke Hälfte und das linke Hörn übergeht. Bei Rei- zung des ganzen Stranges zieht sich das Mesometrium sehr kräftig zusanuTien, so dass die Ovarien nach abwärts gleiten. Stets geräth bei einer Reizung der Mastdarm in lebhafte ZiisanmKmziehung. S i e 1 ) e n t e r Vers u c h : Trächtiges Kaninchen. Die einzelnen Uterusanschwellungen 1 Zoll dick. Reizung des nicht frei präparirten (ianglion hat wenig Erfolg, ist aber schmerzhaft. Der Nerv wird dann frei präparirt und in die Höhe gehoben, aber nicht durchschnitten, es erfolgen ausserordentlich lebhafte Contractionen der Scheide, Gebärnnitter und Tuben, die eben- falls an der schon uWhor bezeichneten Stelle des Mesometrium begin- nen. Die Gebärmutter und Höiner werden blass, rund, bei Kneipen gleicht sich die Rinne sofort wieder aus. Die Contraction dauei-t \ Mi- nute, so lange als der Strom einwirkt. Dann tritt allmählich Erschlaffung ein; die Genitalien werden wieder dunkler; eine sofort wieder begon- nene Reizung ruft wieder Contraction hervor, die aber nicht so intensiv war als die frühere; je öfterer die Reizung wiederholt wird, desto schwächer der Erfolg, bis endlich nach einer Stunde gar keine Zusam- menziehung mehr erfolgt. Achter Versuch: Kaninehen nicht trächtig, Uterus gut entwickelt. Durchschneiden des Nerv. aort. unterhalb der Art. sperm. Auf Reizung desselben tritt sehr lebhafte Contraction der Gebärmutter und des Mastdarms ein. Reizung des centralen nach dem Ganglion mesent. gehenden Endes, ruft el)enfalls Contractionen hervor, die vorzüglich in den Hörnern sich geltend machen. Die Bewi'giiiinsricrvcii der (iebiinvmtter. 43 Neunter VeFsuch: Aelteres Kaninehen mit sehr fj;ut entwickelten GenitaHen. Eröff- niuii; der Rückenniarkshöhle am 3. und 4. Lendenwirbel ohne be- trächtliche Blutung. Eröffnung der Bauchhöhle. Ausschneiden des Gang!, mesent. Dann Reizung des Rückenmarks ohne Durchschneidung. Allgemeiner Opisthotonus ohne Con traction des Uterus. (Hier nuiss ich bemerken, dass man sich sehr hüten nuiss, die Verschiebung der Gebärmutter durch die sie umgebenden Eingeweide für Contractio- nen derselben zu halten.) Bei Reizung des Nerv. aort. traten sofort kräftige Zusammenziehungen der Gebärmutter auf, dieser Versuch wurde mehrfach wiederholt. Zehn ter Versuch : Kaninchen nicht trächtig. Biossiegen der Medulla. Einstechen der Drähte. Oeffnen der Bauchhöhle, biduction. Sofortige, starke Zusam- menziehung der ganzen Gebärmutter, des Mastdarmes, des Darmes, der Blase. Nach Ausschneiden eines Stückes des Nerv. aort. erfolgt ebenfalls noch kräftige Zusammenziehung. Nach Ausschneiden ties Gangl. mesent. erfolgt sofort ein vollständiger Stillstand. Kurz nachher traten peristaltische Bewegung(Mi auf. Elfter Versuch: Ein nichtträchtiges Kaninchen. Vorbereitung wie im vorigen Ver- such. Auf Reizung der Medulla Contractionen der Gebärmutter, der Därme und der Blase, Ausschneiden des Gangl. mesent. Reizung: es erfolgt noch Zusanmienziehung. Das Ganglion war nicht vollständig entfernt; es wird ganz ausgeschnitten, Reizung: vollständiger Still- stand der Uterusbewegung, nur der Mastdarm zieht sich noch leise zu- sammen. Das Thier stirbt bald. Dritte Versuchsreihe. Z w ölfter Versuch : Aelteres Kaninchen mit gut entwickelten Geschlechtstheilen. Er- öffnung der Rückenmarkshöhle an den i letzten Lendenwirbeln und am Kreuzbein. Ausschneiden eines Stückes des Rückenmarks ; hierauf Eröffnung der Bauchhöhle; Freilegen und Herauspräpariren des Gangl. mesent. und des Plexus aort. bis zu seiner Theilung , Reizung des un- teren Theiles des Rückenmarks, keine Zusanimenziehung der Gebär- mutter, wohl aber der Blase und des Mastdarmes. Im (iegenlheil wird bei Reizung dieser Partie die Gebärmutter d u n k 1 e r , b l ä u 1 i eh. Auf Reizung des Plex. aort. erfolgt u ng e\A ö hnl ich heftige Contraction. Reizung des centralen Endes des Rückenjuarks rief ebenfalls keine Contractionen hervor. 44 !•'. Frankciiliiiiisor. So habe ich noch eine Reihe Unlersnchungen nnc;estellt , in de- nen ich nach Dnrch.schneidung des Rückenmarks unter dem .]. oder 'i. Kreiizheinwirbel, die untere Partie d(\ssell)en reizte, oder in- dem ich nach Trennung; der SNmpinse vom Recken aus die Uterinner- ven (Sacrahier\en) inducii'te, aber nie sali icli d;\hei Contractionen der Gebärmutter, wenn der Plexus aort. und das Gangl. mesent. aus ihren Verl)indun2:en mit dem Grenzstrang getrennt waren, sondern es traten nur Zusaunnenziehungen in der Rhise und im Mastdarm auf. Das Nähere über diese Versuche werde ich in der Kürze mittheilen. Ehe ich nun die Resultate der bisher mitgetheilten Versuche zusammen- stelle, muss ich noch Einiges über die Dauer und die Energie der Contractionen mittheilen, damit mir nicht der Vorwurf gemacht werden kann, ich hätte spontane Rewegungen mit solchen verwechselt, die auf bestinunte Reize erfolgen. Wie schon erwähnt konmien spontane Con- tractionen bei lebenskräftigen Thieren selten vor und nur in der späteren Tragzeit sieht man sie häufiger, wo sie wie es scheint von den Rewe- gungen der Jungen angeregt werden. Aus diesen Grlinden habe ich nie an dem Thiere, bis es ganz erschöpft war, experimentirt, habe auch meist nicht hochträchlige Kaninchen ge^^ ählt. Ist dann aber tler Nerv nicht verletzt und das Thier kräftig , so sind die Zusaunnenziehungen, welche der Nervenreizung folgen , auch bei Weitem kräftiger als die spontanen Rewegungen ; sie erfolgen anfangs nur einen Tact nach der Reizung und dauern etwas länger als die Reizung, wenn dieselbe nicht über eine Minute ausgedehnt wird. Durch alle diese Verhältnisse un- terscheiden sie sich hinlänglich von den spontanen, die nie von solcher Energie und von so langer Dauer sind. So wie die Zusammenziehung nicht 5 Secunden nach der Reizung erfolgte, wurde das Experiment unterbrochen odei- ganz beendet. Ich glaube es giebt gar kein schöne- res Reispiel, um die Art der Contraction von Organen mit glatten Mus- kelfasern experimentell vorzuführen, als die durch Reizung der Plexus aortici in der Gebärmutter erzeugte, ziuual da dabei der die Reobach- tung so sehr störende Opisthotonus weglallt. Die Contractionen begin- nen, wenn man nicht Kaninchen mit sehr wenig entwickelten Ge- schlechtstheilen wählt, kräftig im Mesometrium ; gegen die zwei Cenlren desselben links und rechts der Gebärmutter werden alle Theile, Hörner, Scheide, bieite Mutterbänder angezogen, dabei richtet sich der Uterus auf, er wird l)lass; eine durch Kneipen entstehende Verliefung gleicht sich sofort aus , die Hörner bilden enge Windungen, ihr etwaiger Inhalt wird nach unten geschoben u. s. w. Mit dem Ende der Reizung dauert die Contraction noch etwas fort; dann aber sinkt die (jel)äruuitt(M- zusanunen , wird schlaß", roth oder dunkelroth. ee- Dif Bowooiiiigsiicivf'ii (lor ficljürmiitter. 45 knippnp Stellen behalten lanü;e eine Vertiefune;. Je liiniier der AVrsuch schon dauerte, oder je läniier die letzte Reizunc; andauerte, lun so trä- ger reagirt die Geliärmutter. — Aus diesen Versuchen ergiel)t sich mm zunächst : 1) Der centrale Theil, \on welchem aus Bewegungen erzeugt wer- den können, ist das Kleinhirn und die Medulla. 2) Von da nach abwärts können Contractionen erregt werden an jeder Stelle des Rückenmarks, und zwar sowohl am centralen als am |)ei-i])herischen Theil desselben; der Reiz kann somit ül)erlragen werden durch die Verbindungsfäden des Sympathicus oder der Nervi uterini. 3) Die Versuche der zweiten Reihe beweisen jedoch, dass eine Uebertragung nur auf die sympathischen Fäden statt hat, indem aj Reizung tles unterhalb des ;5. — L J.endenwirbels liegenden Theiles des Rückenmarkes mu' Zusannnenziehungen erregt, wenn die Verl)indungsfäden zum S\mj)atliicus un\ erletzt lileilien, dass abei- nach Al)lragung des Gangl. mesent. und der Nerv. aort. keine Zusammen- ziehung der Gel)ärnmtter, sondern nur der Blase und des Mastdarms erzeugt w ird ; h) andere auf Reizung der Nei-v. aort. allein sehr ergiel)ige Con- Iraclionen der Gebärmutter aul'lreleii. ij Das vermittelnde Centrum der (iebärnmttercontraction ist das (Jangl. mesent. inf. Es wird am sichei'slen durch seine ein- und aus- tretenden Nerven gereizt, während die direcle Reizung \ielleiclil wegen der stai-ken Hülle weniger Erfolge hat. ö) Der Plex. aort. allein kann gereizt die ganze Gebäruuitler zur Zusammenziehung bringen , wenn dieselbe auch kräftiger erfolgt, so- bald man die Nerv, spermal. mit reizt. Auch isolirle Reizung der Nerv, sperm. ruft Contractionen hervor. Die Reizung des rechten oder linken Theiles des Plexus aort. bewirkt rechts und links einseitige Zusammenziehung, die sich schliesslich auf das ganze Organ erstreckt. I . Es ist demnach der auf der Aorta herunterlaufende sympathische Nerv der Bewegungsnerv der Gebärmutter, und seine Ganglien l)ildeu die vermittelnden Sammel- p u n c t e für motorische Reize. II. Reizung der vom Kreuzbein zur Gebärmutter vei- laufenden N e r ^ e n bringt keine Z u s a m m e n z i e h u n g hers oi-, ja unterbricht dieselbe, wie ich demnächst nachweisen will; die Ki"euzbeinner\en sind dann die Hemmungsnerven der Gebär- mutter. 4G F. Fraiikf'iiliiinsor, Dio BcwfonrmsiU'rvcii der (icliiirmiittfr. Auch durch audore Untersuchun2;smetho(lcn könnteu noch Beweise für diese zwei Sätze gebracht werden, z. B. durch Kxstirpation einzel- ner Theile des Nervensystems, alh^n ich selbst halte keine neuen Ver- suche derart angestellt. Erwähnen will ich nur noch, dass nach Zerstörung dps unteren Theiles des Rückenmarks (Simpson bei den Schweinen) die Contractionen in ganz kräftigei- Weise auftreten, dass man bei Frauen, deren untere Rückenmarkspartie gelähmt war, nor- mal verlaufende Geburten gesehen. Praktisch wichtig wird der l^estimmte Nachweis der Alihängigkeit der Uterincontraction vom SympathiQus für den Geburtshelfer sein, da dieser Nervenstrang auch beim Weibe durch Einführen der Elektroden in den Mastdarm gereizt werden kann, wovon ich midi wiederholt überzeugte. Man kann auf diese Weise die Wehen \ erstarken, ja sogar dieselben anregen, und es ist inuner möglich, dass man auf diese Weise die künstliche Frühgel)urt einleiten kann, wenn auch ein Ver- such, den ich einmal anstellte, insofern ohne Resultat blieb, als die W^ehen mit der Reizung immer wieder aufhörten. Wiederholte Ver- suche werden erst darüber entscheiden. [ieber die Eiunirkiiiig von Eiiifadi - rhiorkolileiistoff auf Aetlier - Aaii'oii. Von E. Fischer und A. Geuther. Der Eine von uns hat früher gezeigt ') , dass sowohl der Andert- lialb- als derEinfach-Chlorkohlenstoffdvn-ch Behandlung mit Kalihydrat in höherer Temperatur ihren Chlorgehalt gegen SauerslofT auswechseln lassen , dass bei Anwendung der ersteren Verbindung die Bildung von Oxalsäure durch einfache Umsetzung ohne jegliche Nebenproducte, bei Anwendung der zweiten unter gleichzeitiger Wasserzersetzung und Entwicklung von Wasserstoffgas ohen diese Säure gebildet wird. Viel complicirter ist nach den Untersuchungen von Berthelot -^j die Einwir- kung des Kalihydrats in alkoholischer Lösung auf eben diese Körper. Dabei entstellen ausser Oxalsäure unlösliche hunuisartige Sul)stanzen, flüssige nicht näher untersuchte Verbindungen neben Wasserstofl" und Leuchtgas, woraus mit Sicherheit an eine Betheiligung des Alkohols bei der Umsetzung geschlossen werden kann. Die vonKAV'') gefundene Thatsache, dass bei der Einwirkung von Aether-Natron auf Chloro- form eine glatte Umsetzung stattfindet, indem eine Auswechslung des Chlors gegen Sauerstoft" unter gleichzeitiger Aufnahme von Aether statt hat, veranlasste uns auch die Ein\^irkung dieser Substanz auf die Chlorkohlenstotfe zu untersuchen. Das Folgende enthält die mit dem E i n f a c h - C h 1 0 r k 0 h 1 e n s 1 0 f f gewonnenen Resultate. Da der Einfach -Chlorkohlenstofl" und das Aether-Natron bei ge- wöhnlicher Temperatur keine besondere Einwirkung zeigen, so wurde dieselbe bei höherer Temperatur im verschlossenen Rohr vorgenom- men. Es wurde in Röhren, die am offenen Ende etwas ausgezogen 1) Annal. d. Cliem. u. Pharm. Bd. CXI. p. 174, 2) El.end. Bd. CIX. p. 118. 3) Ebcnd. Bd. XCII. p. 346. 48 I- Fisclicr 1111(1 A. liciitlior. und iijiluv.u '/a inil ;iJ)s. Alkoliol i;oiullt wjiicii durcli llinzulaiicn \on Nnlriuiu dio Darstolhiiiii \on Acthor-Xatron \oiii('iioimiuMi. Um eine iiK)ii;liclist concentrii'te alkoholisclie Lösunii daxon zu oiliallen, und, um ül)iM'luiupl die Aul'lösunt; des Nati'iinus zu l)esclil(Hiniiiou . wolclie mit dem Dit'kerwerdon der Flüssiizkeil sicli sehr verlaniisaml . wiu'den die Röhren, sobahl ein Auski'Nslalhsiren der Veihindunp beiiann , in sie- dendes Wasser gelaucht und (hn-in l)is zur vollständigen Lösung des Natriums gelassen. Selzl man aid" die Oefthung des Rohrs, während der Einwirkung des Natriums, einen Kork lose, und hält man so den Luftzuti'itt ab, so erhält man dio Verliindung \ollkoimiien l'arblos kr\- stallisirl ; jede Spur hinzutretendei- Lull bewirkt sogleich Rräuniing. welehe wir bei unseren Versuchen so n iel wie möglich zu \ ermeiden l)emüht waren. Nach dem Erkalten des Rohrs wurde der (jhlorkohlen- stolT zugegossen und dasselbe dann sogleich zugeschmolzen. Ange- wandt wurden je auf i grm. Natrium 7 grni. ChlorkohlenstofT. ein Gewichtsverhältniss, l)ei welchem nahezu auf 1 Mgt. Chlor 1 Mgt. Na- trium konunt. Schon nach kurzem Erhitzen der Röhren auf I 00" lindet die, an einer beträchtlichen Ausscheidung \on (;hlornatrium zu erkennende Umsetzung statt. Um sie vollständig zu machen wurde 12 — 18 Stun- den lang auf eine Tem])eratur ^on 100 — 1 20" eihitzt. Der Röhicninhalt hat darnach ein l)raunes Ansehen , beim Oelfnen des Rohrs in der Flamme zeigt sich eine massige Spannung im hinern und es entweicht ein mit blauer nicht leuchlendei- Flannue l)iennbares Gas, wahrschein- lich Kohlenoxyd. Der Röhreniidialt reagirt in tien meisten Fällen alka- lisch, selten neutral. Der flüssige Theil dessell)en wird vom ausge- schiedenen Chlornatrium durch Filtration und Nachwaschen mit abs. Alkohol getrennt und dann in einer Retorte der Destillation aus dem Wasserbade unterworfen. Das Destillat Itesleht aus Alkohol und einem ölförmigen Körper, der durch Zusatz von viel Wasser unlöslich abge- schieden wird. Auch das wiederholt mit abs. Alkohol gewaschene Chlornatrium liefert in einer Retorte mit Wasser ül^ergossen beim Ko- chen noch ii])erdestillirendes Oel. Zu der in der Retorte bleilienden dicken , syrupartigen , braun gefärl)ten Flüssigkeit fügt man ebenfalls Wasser und kocht so lange , bis die sich auch hier noch abscheidenden ölförmigen Producte mit den Wasserdämpfen üliergegangen sind ; dar- nach hitrirt man die in der Retorte zurückbleibende Flüssigkeit, um sie von einem braunen harzartigen Körper zu befreien. Ucbpr die Eiinvirknna von Einfiich-riilorkolilPiistofl'diif Aother-Xatroii. 49 I. Untersuchung der öllö rnii gen' P r oducte. Die he\ den \erschiedenen Destillationen erhaltenen Oele werden vereiniat und in einem Cylinder niil Wasser oftmals tüchtig durchge- schüttelt, damit sänuntlicher Alkohol entfernt werde, hierauf mit Chlor- calciuni (»nlwässert und der Destillation unterworfen. Das Thermometer steigt allmählich von 100—200" und etwas darüber. Durch vielmals wiederholte fraclioniite Destillationen gelangt man zur Krkenntuiss. dass 3 verschiedene Körper hier vorhanden sind , ein bei \ ii" sieden- der, ein bei 153" siedender und ein um 200" siedender Theil. Es ist bekannt, wie schwer durch fractionirte Destillationen die Trennung verschiedener in ihren Siedepuncten nicht sehr weit ausein- ander liegender Chlorverbindungen gelingt: ganz das nämliche gilt auch von diesem Gemenge. Es bedarf einer grossen Ausdauer, will man die einzelnen Producte bei nicht allzuviel Material im Zustande der Reinheit erhalten. 1) Das erste Product mit doiu Siedcpuncl 122" ist unveränderter Ghlorkohlenstotr, wie eben dieser Siedepunct und der in Ueberein- stimmung damit stehende gefundene Chlorgehalt zeigte. i) Das zw eite Product stellte der Untersuchung grössere Schwie- rigkeiten dar, einmal, weil es leicht eine geringe Menge des vorigen sowohl, als des höhei- siedenden Productes enthalten konnte, dann aber auch , weil dasselbe beim Aufbewahren durch den Einfluss der Luft allmählich unter Salzsäurebildung und Abscheidung von Krystallen eine Zersetzung erlitt. Es bedurfte wiederholter Analysen und Destil- lationen , sowie das Studium seiner Zersetzimgsproducte , ehe seine wahre Formel festgestellt werden konnte. Die im Folgenden mitgetheil- ten Analysen beziehen sich auf 2 getrennt behandelte Portionen , und zwar gehören die unter I. a. und b. aufgeführten der einen, die unter II. a — e. aufgeführten der anderen Portion an, in der Art, dass a. im- mer die am wenigsten oft, b. die öfter, c. die noch öfter. u. s. f., durch Umdeslilliren gereinigle Sul)stanz bedeutet. I. Siedepunct: 150—154". a. 0,2579 grm. ergaben 0,072396 grni. Kohlenstofl" = 28,1 Proc. und 0,0088 grm. Wasserstofl"= 3,4 Proc. 0,2736 grm. lieferten 0,5594 grm. Chlorsilber, entspr. 0,1383 grm. Ghloi' = 50,6 Proc. b. 0,237 grm. lieferten 0,4774 grm. Ghlorsilber, entspr. 0,1181 grm. Chlor— 49,8 Proc. Band I. 4 50 !•''■ I'isclier und \. (icutlicr, II. a. Siedepunel: 157", 3 corr. 0,31075 gnn. ergaben 0,08231 gnn. Kohlenstoft' = ?fi.5 Proc. und 0,0103 grm. \Vassersloff= 3.3 Proc. 0,2305 gnn. lieferten 0, 195 ■> gnn. Clilorsilber. entspr. 0.1225 grni. Chlor = 48,9 Proc. b. Siedepunct: 157'*,3 corr. 0,2618 gnn. ergaben 0,07253 gnn. KohlenstolT = 27.T Proc. und 0,00886 grni. Wasserston=: 3,4 Proc. 0,27275 gnn. lieferten 0,5332 grm. Chlorsilber, entpr. 0,132 grm. Chlor = 48,4 Proc. c. Siedepunct: 155", 6 corr. 0,236 grm. ergaben 0,06723 grm. Kohlenstoff — 28,5 Proc. und 0,0085 grm. Wasserstoff = 3,6 Proc. 0,1 48 grm. lieferten 0,28815grm. Chlorsilbei-, entspr. 0.071 21 grm. Chlor =48,2 Proc. d. Siedepunct: 153—155". 0,2015 grm. ergaben 0,06089 grm. Kohlenstoff = 30.2 Proc. und 0,008 gnn. Wasserstoff = 4,0 Proc. 6. Siedepunct: 153"uncorr. 0,2055 grm. ergaben 0,0632 grm. Kohlenstoff = 30,8 Proc. und 0,00795 grm. Wasserstoff = 3,9 Proc. 0,15725 grm. lieferten 0,3042 grm. Chlorsilber, entspr. 0,07526 grm. Chlor =47,9 Proc. I. II. a. b. ^ a. b. c. d. e. ber. € = 28, 1 — 26,5 27,7 28,5 30,2 30,8 €^ = 30,6 «= 3,4 — 3,3 3,4 3,6 4,0 3,9 «6 = 3,8 €1= 50,6 49,8 48,9 48,4 48,2 — 47,9 €1^= 45,2 0=(17,9) - (21,3) (20,5) (19,7) — (17,4) 0* = 20,4 100,0 Aus dieser Reihe von Analysen ergiebt sich : erstens, dass die durch häufigste Destillationen gereinigten Portio- nen II. d. und e. nahezu übereinstimmende Resultate ergeben haben, wahrend die vorher untersuchten Portionen eine jedesmalige bedeutende Steigerung im Kohlenstoff und Wasserstoffgehalt tuid eine eben solche Abnahme im Chlorgehalt erkennen lassen, woraus zweitens folgt, dass diese letztere Erscheinung einei- Verunreini- gung der Substanz an Chlorkohlenstoff zugeschrieben werden niuss, und drittens , dass die wahre Zusammensetzung der hier vorliegen- den Verbindung , trotz des noch inunerhin abNS eichenden Chloreehal- Ueber die Kiiiwirkiiiiu von Kiiiriicli-ChlorkoliltMistüfl' iinf Aether-Natrou. 51 tes sehr wahrscheinlich dnrcl» die Foniiel : €^H''€120^ ausü;edrückt werde. Wenn diese Zusaninienset/Ainu: die richliije ist, so kann die Sub- stanz betrachlel werden als Di ch 1 oressicisau re-Aethy läther. Das im Folgenden heschriel)ene Verhalten der Verbindung zeigt nun, dass diese Autfassungsweise in der That die richtige ist. Das zu den Versuchen verwandte Material war die unmittelbar vor lo;V' überdestillirle Portion. Ein Theil wurde in einem (ilasrohr vorsichtig mit einer conc. wässrigen bösung reinen Kah's übeigossen und das Rohr darauf zuge- schmolzen. Beim Durchschütteln loste sich das Oel unter beträcht- licher Wärmeentwicklung bis auf einen kleinen Rest. Nach dem Er- kalten wurde geöffnet , die Kalilauge von dem öligen Rest abgehoben und in einer Retorte erhitzt. Das Destiliationsproduct bestand aus Wassei- inul Alkohol, welcher letzlere durcli wiederholtes Fractioni- ren von dem ihm zukonnnenden Sietlepuncte, seinen Geruch. Ge- schmack und seine Breiud)arkeit als solcher erkannt wiu'de. bi der Kalilösung war reichlich Chloi' und Oval säure enthahen. zugleich neben einer anderen Säure i (iUcolsäure ? Dichloressigsäure ? J. Das durch die Kalilauge un\ erändert gebliebene Oel zeigte nach dem Wa- schen mit Wasser und Entwiissern über Ghlorcaicium den Siedepunct 122", war also Ein fac h-G h lo rk oh leu s loff . welcher die ange- wandte Substanz verunreinigt liatic. Ein anderer Theil von dem nämlic^hen Material uurde mit seinem Wasser in ein Rohr eingeschlossen und mehrere Tage lang unter häu- figem Umschütteln auf HO" eihitzt. Das Oel veischwaiul bis auf einen kleinen nicht weilcM- veränderlichen Theil. Nach dem OelTnen des Rohrs wurde die stark saure wässrige Lösung, welche deutlich den Geruch nach Alkohol besass, aljgehoben und in einem Retörtchen längere Zeil gekocht. Das dabei Destillirende wurde nach der Neutralisation mit Natronlauge wiederholt rectilicirt und so auch hier zuletzt Alkohol mit seinen charakteristischen Eigenschaften gewonnen. In der in der Re- torte verbliebenen sauren wässrigen Lösung war neben Chlorwasser- stoffsäure die Oxalsäuie nur in Spuren vorhanden, dagegen aber viel Gl yoxyl säure. Sie wurde an dem charakteristischen Verhalten ihres Kalksalzes erkannt. Als nämlich d(M- wässrige Retorteninhalt mit Kreide neutralisirl worden war, wurde eine Lösung eihalten, welche a uf Zu- satz von Ka Ik Wasser einen f lock i gen , in Essigsäure leicht und vollkonnnen löslichen Ni ederschlag- gab, der beim Erwärmen rasch un ter Vermin dem ng seines Volumens eine kr j s lall i n isch-kö rn ige Be s chaf fen li ei t annahm und 52 I" nsclicr mid A. ficntlier, nun in E ssigsäure iin I öslich, d. h. zu oxalsa ureiii Kalk ge- wordenwar. DieLösung des Kalksalz es mit einer ammo- niakalischen Silberlösung vermischl bewirkte beim Ko- chen dieReduction von Silber ^). Das Auftreten der Glyoxyisäure neben Alkohol und Salzsäure bei der Zersetzung dei' Substanz mit Wasser, das Aultreten der Zer- setzungsproducte dieser Säure bei Ueberschuss von Kali , nämlich der Oxalsäure und Gheolsäui'e, steht nicht nur vollkommen in Einklang mit der für sie oben al)geleileten Formel, sondern ist zugleich ein Be- weis für ihre Richtigkeit. Die Zersetzung findet nach folgender Glei- chung statt : €2H€lW,€^H^O+()HO=€2fl4os+2U€l+€2fl602. Nach den Untersuchungen von Perkin und Dippa'-^) wird das Sil- bersalz der Dibrom essigsaure, mit überschüssigem Silberoxyd erhitzt , in Glyoxyisäure verwandelt. Genau dieselbe Zersetzung erleidet also auch die Dichlor essigsaure, und zwar schon beim blossen Erhitzen ihres Aethers mit Wasser. Etwas, was wir mm noch für die Richtigkeit unserer Meinung jetzt anführen wollen ist der Siedepunct unserer Substanz . I ö^" , indem derselbe in der Mitte liegt zwischen den Siedepuncten des Aethers dei' Monochloressigsäure , (143", 5) und der Trichloressigsäure (164"). In Uebereinstimmung damit steht ferner die Beobaclitung von Foster''), dass , wenn man auf tlen , bei der Einwirkung von Chlor auf Essig- säurehydrat erhaltenen , zwischen 185" und lOO" siedenden Theil, Al- kohol einwirken lässt, man ein Gemenge von Aetherarten erhält, deren zwischen 152 — 164" siedender Theil nahezu den Chlorgehalt des Dichlor essigsäureäthers besitzt. Was nun die übrigen Eigenschaften des Dichloressigsäureäthers anlangt, so stellt derselbe eine in Wasser unlösliche, farblose, schwach angenehm ätherartig riechende, ölförmige Flüssigkeit dar, von 1,29 spec. Gew. bei 22". Er ist ausgezeichnet durch seine schon oben er- wähnte leichte Zersetzbarkeit beim Aufbewahren unter Bildung von Chlorwasserstoff und einer schön und gross krystallisirenden Substanz, die sich bei der Untersuchung als reine , Krystallwasser enthaltende, weil in der Wärme verwitternde, Oxalsäure ergeben hat. Ihre Bil- dung bei gleichzeitiger Einwirkung von Sauerstoff und Wasser lässt sich durch folgende Gleichung veranschaulichen : €^«''€PO^ + 4HO + 20=€-fl^O''+4;-^H«'0^+2H4:i. ■ 1) Vergl. Debus, Annal. d. Clieiii. u. Pharm. Bd. C. S. 8 u. 13. 2) Kekule, Lehib. Bd. I. S. 380. 3; Ebend. S. 382. [Jeher die Eiiiwiikimu von F.iiiriicli-riilorknlilciistnfT' iiiif \pther-\atroii. 53 3) Das dritlo Product des öll'ör-nüizen Tlicils tritt in viel gerin- gerer Menge, jiIs das Vorhergellende, iuif, und das ist der Grund, wes- halb seine Eigenschaften und seine Umsetzungen nicht einem besonde- ren Studivun haben unterworfen werden können. Mit der bei 205" iiberdestillirten Substanz wurden, nou verschiedenen Rectificationen herstammend, 2 Analysen ausgeführt, deren Resultate wir hier mit- theilen, obwohl sie allein nicht hinreichen um mit Sicherheit eine rich- tige Formel aufstellen zu können. I. 0,2706 grm. ergaben 0,1054 grm. Kohlenstoff= 39,0 Proc. und 0,01769 grm. Wasserstoff = 6,5 Proc. 0, 14175 grm. lieferten 0,1738 grm. Chlorsilber, entspr. 0,043 grm. Chlor = 30,3 Proc. II. 0,2235 grm. ergaben 0,0891 grm. Kohlenstoff = 39,9 Proc. und 0,0157 grm. Wasserstoff = 7,0 Proc. 0,1325 grm. lieferten 0,1652 grm. Chlorsilber, entspr. 0,04087 grm. Chlor =30,8 Proc. Die P'ormel: €^14"*€r^0'* stimmt nahe damit überein. ber. 1. 11. £^ = 38,9 39,0 39,9 «16= 6,5 • 6,5 7,0 €12= 28,7 30,3 30, S 0^ = 25, 9 — — 100,0 sich, als dieselbe nach längerei- Zeit abermals destillirt wurde. Es ging dabei ein viel flüchtigeres Product über, was für sich gesammelt und wieder destillirt den Siedepunct des Alkohols besass, und sich auch durch Geschmack und Brennbarkeit (ohne jegliche grüne Flammenfär- bung) als solcher zu erkennen gab. II. U n t e r s u c h u n g der w ä s s r i g e n L ö s u n g. Die oben erwähnte, ursprünglich in Alkohol gelöst gewesene, nach dem Abdestilliren der ölförmigen Producte in der Retorte verbliebene, braun gefärbte Flüssigkeit mit alkalischer Reaction wird zur Entfernung des freien Natrons mit Kohlcnsäuregas gesättigt, sodann im Wasserbade zur möglichsten Trockne gebracht und in abs. Alkohol gelöst, wobei das gebildete kohlensaure Natron unlöslich ziu'ückbleibt. Ein aberma- liges Eindampfen und Lösen in abs. Alkohol entfernt die letzten Spuren dieser Verunreinigung. Die nun durch Eindampfen erhaltene syrupar- lige braune Salzmasse kann durch anhaltendes Kochen ihrer wässrigen 54 Vj. Fisclipi' 1111(1 A. (Iciitlier, Lösuni; mit Thiorkohlc nnhezu ontfiirhi weiden. Sic stelll nun nach dem Eindampfen auf dem Wasserbade eine, in Wasser und Alkohol leicht lösliche, svfupaitiije , auch nach dem Stehenlassen über Sch\^e- felsäure noch lansze Zeil in tliesem Zustantl verbleibende, aber zuletzt allmählich in nadeiförmige Krystalle sich \er\\andelnde Masse dar. Sie ist, wie die im Nachstehenden miltzetheilte Llntersuchunii zeigt, das Natronsalz einer Aelhersäure und zwav der Ae th e r gl yoxyl säure. Zur Analyse wurde das Salz im dickflilssigen Zustande in die be- treffenden Gefässe gebracht , zuerst längere Zeit über Schwefelsäure und dann bei einer Temperatur von 100— lOö" Ins zum constanten Ge- wicht (circa 6 Stunden) getrocknet. 1,283713 grm. lieferten nach dem Glilhen 0,432 grm. kohlensaures Natron, entspr. 0,2527 grm. Natron = 19,7 Proc. 0,3S2 grm. mit Kupferoxyd und Sauerstoff" verbrannt, ergaben 0,140.5 grm. Kohlenstoff in Form von entwichener Kohlensäure, beim Natron blieben der vorhergehenden Bestinunung zufolge zurück 0,01 4i5 grm., also wurden erhalten im Ganzen an Kohlenstoff'; 0,15490 grm. = 40,(3 Proc; ausserdem 0,02325 grm. Wasserstoff" = (3,1 Proc. Dar- aus leiten wir für die Verbindung die Formel: C'^Hi^NaO'' ab. ber. gel". €« = 42,4 40,6 fl'i = 6,5 6,1 0^ = 32,9 — NaO= 18,2 19,7 100,0 Freilich stimmen die gefundenen Werlhe mit den berechneten nicht ganz übercin, indessen, wenn man bedenkt, einmal die Zerfliess- lichkeit der Verbindung , sodann die geringe Zersetzung, welche der- artige Aethersäure-Salze beim Kochen ihrer Lösungen sowohl, als beim Erhitzen auf 100" unter Kohlenstoff- und W^asserstoffVerlust gemeinhin erleiden, so wird diese Abweichung nicht befremden. Die obige For- mel ist aber auch die einzige, welche bei einfacher Ableitung der Zersetzungsproducte den analytischen Resultaten am nächsten steht. Wir haben versucht durch Umsetzung andere, unlösliche oder wenigstens schwerlösliche Salze dieser Säure zu erhalten , allein wir haben kein Metalloxyd kennen gelernt, dessen Lösung die Lösung un- seres Natronsalzes fällte. Es müssen also wohl sämmtliche Salze der Säure leicht löslich sein. Mischt man zur wässrigen concentrirten Lösung des Natronsalzes eine stärkere Säure im Ueberschuss, so wird die Aethergl yoxyl- Ueber die Eiiiwirknnii von l'.inrai'li-l lilorIvoliIciislolV iiuf Actlipr-Niitron. 55 säure als ein aul' der Salzlösunjj; schwimmendes sich leicht zersetzen- des Oel abgeschieden, das })eini Schütteln mit Aethei; sich in diesem auflöst. Wir l)enutzten diese Eigenschaft um das BarNtsalz darzustel- len. Zu einer mit Aether in einem Stöpselcylinder ül)erschichteten concenlrirten Lösung des Xatronsalzes wurde langsam verdünnte Schwefelsäure im Ueberschuss gefügt und durchgeschüttelt, der Aether sodann abgehoben, mit Wasser und gelalltem kohlensauren Barjl zu- sanunengebracht und unter öfterem Umschütteln längere Zeil stehen gelassen , so dass der Aether allmählich bei gewöhnlicher Temperatur verdunstete und die Säure in das Wasser überging, wo sie alsdann unleV Aufbrausen kohlensauren Baryt löste. Zuletzt wurde erwärmt, nach vollständiger Sättigung filtrii't und anfangs im Wasserbade , so- dann über Schwefelsäure eingedampft. Es hinterblieb eine sehr leicht lösliche amorphe, zerfliessliche , in der Wärme zähflüssige Masse, welche bei einer Temperatui" von lOö" nichts mehr an Gewicht verlor. (),2iO grm. dersellien lieferten nach dem Glühen 0, 1 llö grm. koh- lensauren Baryt, entspr. 0,OHG<> grm. Bar\t = ;i(i. I Fioc. Die Formel: €«tt*'07,BaO verlangt :JÖ..) Proc. Barvl. Zpfsotziiiiiisprodiirtc diT Ai'tlii'iiilyovylsämc. Wird eine wässrige Lösung des wicilerholl im Wasser gelösten, auf dem Wasserbade eingedamjdtcii Nalronsalzes mil Ueberschuss an Salzsäure \ersetzt und gekocht, so d(>stillirl, vNcnn man diese Operation in einem Kölbchen mit Kühler voiiiinmil. eine Flüssigkeit über, welche viel Alkohol enthält. Xach der .Xeuti'alisation d(>s Destillats und wie- derholter Rectificatiou wird derselbe mil all seinen charakteristischen Eigenschaften rein erhalten. Die im Kölbchen bleibeiule saure Flüs- sigkeil wird in einer Schale auf d(Mii Wasserbade zur möglichsten Trockne eingedampft. Der Hücksland von Clilornatrium ist mit einer flüssigen sauren Substanz durchtränkt , welche von abs. Alkohol leicht gelöst und so vom ersteren tlurch Filliation getrennt werden kann. Nach dem Verdunsten des Alkohols auf dem Wasserbade bleibt eine dicke, zähe, durch den bei dem ursprünglichen Xatronsalz gewesenen FarbstofV, mehr oder weniger braun gefärbte, sehr saure Flüssigkeit, welche selbst nach längerem Stehen über Schwefelsäure nicht krystal- lisirl. In Wasser gebracht bleibt sie längere Zeil ölförniig , löst sich aber allmählich, besonders beim Erwärmen , völlig darin auL Wird die wässrige Lösung genau mit kohlensaurem Natron neutralisiit. wo- bei die Flüssigkeit eijie dunklere Farbe anninunt und zuerst auf dem Wasserbade, dann über Schwefelsäure concentrirt. so scheidet sich das Natronsalz krystallisirt aus. Dasselbe wird, da eine Entfiü-bung seiner 56 l" Fischer und A. fipiKlier, Lösung durch Thierkohie nicht bewirkt \\ci"dcn _^k;nin, wiederholt aus \Aässriger Lösung un\krvstallisirt und so. vollkommen farblos, bei langsamer Verdunstung in schönen grossen rhombischen , in Alkohol unlöslichen, luftbesländigen Krystallen erhalten'). Das Salz enthalt kein Krystallwasser , es erleidet wenigstens beim Erhitzen auf 120" neder eine Veränderung im Aussehen, noch einen Ciewichtsverlusl, bei stärkerem Erhitzen bläht ei* sich unter Verkohlung stark auf, indem saure Dämpfe entweichen. 0,3215 grm. wurden im Plalinliegel allmählich bis zum Glühen zuletzt unter Luftzutritt) erhitzt, das zurückbleibende weisse geschmol- zene kohlensaure Natron wog 0,11925 grm., was 0,0873 Natron = 27,2 Proc. entspricht. 0,2285 grm. mit Kupferoxjd und Sauerstoff \ erbrannt ergaben 0,03542 grm. Kohlenstoff als aufgesammelte Kohlensäure, beim Natron blieben zurück 0,01201 grm. Kohlenstoff, also in Summa Kohlenstofl": 0,04743 grm. = 20,8 Proc. und 0,00(i36 grm. Wasserstoff = 2, S Proc. Da sich bei der Verbrennung nnt Kupferoxyd gezeigt hatte, dass der Kohlenstoff, selbst im Sauerstoff bei starker Glühhitze nur schw ierig verbrannte, so wurde noch eine Kohlensloffl^estimmung durch Verbren- nen mit chromsaurem Bleioxyd ausgeführt. 0,241 grm, ergaben dabei 0,05105 grm. Kohlenstoff = 21 ,2 Proc. Darnach besitzt das Salz die Zusammensetzung: 4^'-^H'^0^,NaO d. h. es ist g 1 y 0 X y 1 s a u r e s Natron '^) . ber. geL (^•^ =21,1 20,8 21,2 H' = 2,6 2,8 - 0^ = 49,1 — — NaO= 27,2 27,2 — 100,0 In Uebereinstimmung damit steht folgendes Verhalten seiner wäss- rigen Lösung : 1) Nebenbei beobachtet man geringe Mengen eines sehr schwer löslichen kör- nigen Salzes, das als oxalsaure s Natron erlystallinisches Pulver erhaltenen basi- schen Zinksalz: €^H'0",Zn04-ZnO,HO. Verhalten der Glyoxylsäure zu Ammoniak. Wird eine wässrige Lösung der Glyoxylsäure mit Ammoniak, zuletzt im Ueber- schuss versetzt, so nimmt die Flüssigkeit eine rothe, allmählich ins dunkelbraune übergehende Farbe an. Wird zuerst auf dem Wasser- bade, dann über Schwefelsäure eingedampft, so entsteht nicht die von Debus'^) durch Zersetzen des glyoxylsauren Kalks mit oxalsaurem Am- moniak erhaltene und »glyoxylsaures Anunoniak« genannte kryslal- lisirte Verbindung, sondern eine amorphe auch schon von Debls^) beobachtete Masse, deren wässrige Lösung mit Chlorcalcium und essig- saurem Bleioxyd versetzt voluminöse Niederschläge giebt. Wird der Bleiniederschlag durch Schw efehvasserstofl' zersetzt , so resultirt nach dem Abtiltriren von Schwefelblei eine Flüssigkeit, welche nach dem Abdunsten des Schwefelwasserstoffs auf dem Wasserbade eine saure Reaction zeigt und beim weiteren Abdampfen s\rupartig dick wird. Nach dem Entfärben ihrer wässrigen Lösung dvnch Thierkohle zeigt dieselbe folgendes Verhallen ; Mit kohlensaurem Kalk zusammengebracht erhält man unter Koh- lensäureentwicklung ein Kalksalz, das mit Natronlauge übergössen und erwärmt Ammoniak entw ickell ; letzteres geschieht auch durch über- schüssigen Aetzkalk. Kalkwasser zur Lösung dieses Kalksalzes gefügt, bewirkt einen voluminösen in Essigsäure löslichen Niederschlag , der durch Kochen keine Veränderung erleidet, indem er auch darnach noch in Essig- säure leicht löslich bleibt. Versetzt man die ursprüngliche saure Lösung mit essigsaurem ßleioxyd, so scheidet sich gleichfalls eiiT voluminöser Niederschlag ab. 4) Annal. d. Chein. ii. Pliarni. B.l. CX. S. 326. 2) Ebend. Bd. CX. 8. 327. 3 Ebend. Bd. CXXVI. S. U1. Ueber die Einwirkung von Kinfacli-riilorkolilenstofl' auf Apthor-Natrou, 59 Aus dem o})en Mitgetlieillen folgt, dass bei der Einwirkung \on Ammoniak auf Glyoxylsäure eine stickstofflialtige saure Substanz ent- steht, und es ist sehr wahrselieinlich, dass die von Debi:s für das Ammo- niaksalz der Glyoxylsäure angesehene krystallisirte Verbindung zu die- ser stickstoffhaltigen Saure in sehr naher Beziehung steht, oder das Ammoniaksalz derselben ist. Jedenfalls genügen die beiden von Debus angeführten Umstände, dass jene krjstallisirte Verbindung schon in der Kälte mit Natronlauge Anunoniak entwickelt und bei der Umsetzung mit Salzen anderer Säuren (doch nur unter Wasseraufnahme) Salze der Glyoxylsäure erzeugt, durchaus nicht, um daraus eine Formel für letztere Säure abzuleiten , welche ebensowenig in Einklang steht mit der Zusammensetzung der übrigen Salze, als mit ihrer Entstehungs- weise aus Dichloressigsäure , resp. Dibromessigsäure und Aethergly- oxylsäure. Ueber dasVerhällniss der Glyoxylsäure zur Essigsäure, Glycolsäure und AetherglyoxNlsäure werden wir später ausführlicher berichten, es mag gegenwärtig nur gestattet sein unsere Ansichten darüber in einer Zusammenstellung der ihnen von uns beigelegten rationellen Formeln mittheilen zu dürfen. Essigsäure = €f4^€0"4^Q Monochlnr-| ^eM2,€0^ iH'^O-^ essigsaure/- €€12, €02(H"^0': (;i;^,:olsiiuiT ) (^^^ 4:0"^ [r^O^ 'S;rl^€o^€o^H2o2 Wo^ Aetheiulycol- ] €fl2,€0-^ ^,„, IH^O^ säure (Aelli- } — rf\2 rr\2 ^ « u2rk' } oxacelsiiure saure (Aeu.-|-^0^€0^--H20'^fjj.O^ säure-Aether \_ctberKl>col-j €H2,€0- 1H''02 saure-Aether I _ -.,„, Ii-2H4 (Aetl.oxaeet- f i;0\m\ ^,^M^0' f!^>ü4fl"^02 säure- Aethcr)) C''*»' J+^-fl' AetliergI\rol- . , säure-Alnyl- €H2,€02 H'^O'^ alher (Aetli- \= ' ^jui '/rsaio SSrl ^^^'^^^'€2>02[^«,H2o2 Amylätlier- | (5^42^02 |h2()2 givoolsaure l. r-.iuiii l (Ainoxacet- f-€02,€02, !:. „,„H202(H202 säure) I <^''*1'" I Aniyläther- | , glycolsäure- | 4:442, €02 44202 Aethylatlier (= p^u,,, >c2h4 (Amoxacet- €02,€02, ^,„,,H'02^,^,M202 säure-Aetiier)' €^H'^' )G'-R^ 60 E. Fischer ii. A. fipiither, üeb. d. Einwirk. v. Eiufiicli-riilorkohleiistofr auf Aether-Natron. Dichlor- {—rry} cQi 1^0 essigsitiire( ' (HO; filyoxylsiiure 1 ]iif\ (Dioxyessir }=€0^G0^ H202 i^^ säure) | )**'-' AetherRJv- —rryi rnl ^^^^^'i(\2 \Ö0 Natronsalz =G0^€0^ %%^^0^ }^% Jena, den i. December 1863. Beiträge zur Keiiiituiss der Corycaeiden. Vüii Dr. Ernst Häckel, Professor der Zoologie. (Hierzu Tafel I— III.) Unter den dichten Sehaaren pehigischer Thiere, welche die Meer- enge von Messina bevölkern, und nicht minder durch die ausseror- dentliche Mannichfaltigkeit ihrer Gestalten als durch die glasartige Durchsichtigkeil ihres Körpers lebhaftes Interesse erregen , findet sich neben zahlreichen Radiolarien , Quallen , Echinodermenlarven , Wür- inerlarven , Salpen und anderen Mollusken, auch eine beträchtliche Anzahl von Crustaceen, theils Larvenformen höherer Krebse, theils niedere Entomostraca, und unter diesen letzteren sind besonders nian-^ nichfaltig die Copepoden vertreten. Unter den vielen Galtungen dieser Ordnung zieht aber eine einzige ganz vorwiegend auch die Auf- merksamkeil des Laien auf sich; das ist die prachtvolle, zur Familie der C 0 r y c a e i d e n gehörige S a p p h i r i n a , welche durch den bun- ten , in den lebhaftesten Regenbogenfarben schillernden Metallglanz ilirei- Körperbedeckungen ganz einzig in der Crustaceenclasse dasteht. Während eines sechsmonatlichen Aufenthalts in Messina (im Winter 1 859 — 60 ) habe ich manche Stunde dem Studium dieser herrlichen Organismen gewidmet, und dabei Mancherlei über die Organisation ihres durchsichtigen Körpers ermittelt, was früheren Beobachtern ent- gangen war. Die Publication dieser Untersuchungen nach meiner Rück- kehr verschob ich, da inzwischen ein anderer Forscher, der durch viele treffliche Untersuchungen üJ)er Copepoden und andere Crustaceen be- kannte Professor Claus aus Marburg, nach Messina ging, um den Thie- len dieser Gruppe ein specielles Studium zu widmen. Seine hierauf gegründete Monographie der »frei lebenden Copepoden^ ist nun in der 62 Hr. l-inst Hiickt-l. jüngsten Zeit erschienen') und bereichert unsere Kennlniss sowohl der nianniehfaltigen Formen dieser Ordnung als auch ihrer inneren Orga- nisation mit vielen werthvoUen Thalsachen. Was die Familie der Co- rycaeiden imd speciell die Sapphirina betrifft, so hat Claus viele ^on mir beobachtete Verhältnisse in ganz ähnlicher Weise, wie ich, aufge- fassl und in seiner ausgezeichneten Monographie dargestellt. In einigen anderen Beziehungen dagegen , denen ich ein anhaltenderes Studium v\ idniele , glaube ich die \ on Ci.ais gegebene Darstellung mehrfach ergänzen und berichtigen zu können , liesonders was die Structur der Haut (Chitinogenplatten und Hautdrüsen , der Sinnesorgane fNeiven- borsten und Ganglienzellen; und der Krnäluungsoigane (Feltkörper und Darm) betrifft, und theile iiuiiiiichr meine Studien hierübei' im Folgenden ausführlich mit, um so mehr, als dieselben auch manche Beobachtungen von allgemeinerem histologischen und j)h\siologischen Interesse enthalten. Mein vorzüglichstes Beobachlungsobject war neben mehreren Species von Sapphiiina, eine neue, der Sapphirinella medi terranea von Clavs am nächsten stehende, jedoch wesentlich von ihr verschiedene Gattung, welche ich wegen ihres ausserordentlich dünnen und vollkommen durchsichtigen, giossen blattförmigen Körpers »H y a 1 0 p h y 1 1 u m« ' Glasblättchen , nenne. Die beiden Arten dieses merkwürdigen Genus, welche ich in Messiua ling. sind bei beträcht- licher Körpergrösse so vollkommen duichsichtig und glashell, dass viele feinere histologische Verhältnisse sich genauer und weiter als bei den anderen Corycaeiden verfolgen lassen. Ich lege daher diese Gattung der folgenden Darstellung zu Grunde, gebe zunächst eine zoologische Cha- rakteristik derselben und ihrer beiden Arten , dann eine anatomisch- histologische Darstellung ihrer Organisation, wobei ich die Sap- phirina betreffenden Bemerkungen am entsprechenden Orte ein- schalte, und hänge schliesslich die differentielle Beschreibung mehreivr neuer Sapphirina-Species an, welche ich gleichfalls in Messina beobachtete 2) . Meine sämmtlichen Beobachtungen sind an männ- lichen Corycaeiden angestellt , da mir sow ohl von Sapphirina als von Hyalophy 11 um unter einigen hundert beobachteten Indivi- duen nicht ein einziges Weibchen becegnete. 4) Claus, Die frei lebenden Copepoden. Mit 37 Tatein. Leipzit; Is63. 2) Eine Vergieicluing dieser neuen Sappli i r i na-Aden mit den von Dana in »The Crustacea of tlie United States Exploring Expedition« etc. 1853 bescliriebenen Species war mir leider nicht möglich, da mir dieses Werk hier nicht zugänglich ist. Bpitriioe zur Kcnntniss der rorvcaculcii. 6ä I. Ueber das neue mediterrane Oorycaeiden-Genus Hyalophyllum. I ] G a 1 1 u n g s c li a r a k t e p des m ä n n 1 i c h e n H y a 1 o |) h ) 1 1 u m. Körper im Uniriss oval, selir stark dorso- ventral yAisanimenge- (Irückt, vollkommen durchsiolitiii, einem dünnen Glasblättchen gleich, farblos oder nur schwach schinnnernd. Thorax aus 4 Segmenten ge- bildet: das fünfte Segment nebst dem fünften Fusspaar fehlt völlig. Die i vorhandenen Fusspaare mit i dreigliederigen Aesten; nur am vierten Fusspaar ist der innere Ast eingliederig. Vordere Antennen aus '( —6 Gliedern gebiklet , hintere aus 4 Gliedern , das letzte mit einem Greifhaken. Mundtheile aus 2 Paar Kieferfüssen bestehend, nämlich einem oberen Paar einglietleriger dreieckiger Stechplatten und einem unteren Paar zweigliederiger, mit einem krummen Haken bewaffneter (ireiffüsse. Mandibeln und Maxillen fehlen. Die beiden paarigen seit- lichen und das unpaare mittlere Auge in einen einzigen rundlichen Pigmenlkörper vereinigt , in ilon :i Linsen eingebettet sind , eine vor- dere und zwei seitliche. Cornealinsen fehlen. Darmcanal ohne Leber- anhänge. Caudallamellen sehr lang und schmal, linear. 2) Diagnose der beiden Arten von Hyalophyllum. A. Hyalophyllum pelluciduni. (Taf. I. Fig. 1-6. Tal'. 111. Flu. 31—39.1 Körper ohne die 1""" lange Furca 4,;V""Mang, in der Mitte 2,;)'"'" breit, eiförmig, fast herzförmig, vorn durch einen tiefen mitt- leren Ausschni tt ausgerandet, mit kurz zugespitzten Seitenflügeln der Brustsegmente. Vordere Antennen viergl ieder i g ; das erste Glied H verschmolzenen Gliedern entsprechend, sehr lang. Das zweite Glied der unteren Maxillarfüsse an der Spitze verdickt und innen mit einem bewimperten Wulste versehen. In den Seilenflügeln des Kopfes und der 3 ersten Brustringe jederseits eine grosse fettglänzende Kugel ; 3 andere mediane in der Mitte der 3 ersten Brustsegmente. B. Hyalophyllum vitreiim. (Tal. I. Fig. 7—12.) Körper ohne die 1,5""" lange Furca 6,5'"'" lang, in der Mitte 4'""' breit, eiförmig, fast elliptisch, vorn abgerundet, ohne Aus- schnitt; die Seitenflügel der Brustsegmente nach hinten jederseits in einen dreieckigen Zipfel ausgezogen. Vordere Antennen sechs- gl ieder ig: das erste Glied so lang als das z^^eite. Das zweite Glied der untern Maxillarfüsse an dei- Basis verdickt und innen mit einem bewimperten Wulste serselien. In den Seitenflügeln des Kopfes 64 Rr- F'iiist Häckel. und der 3 eislen Brustiinge jederseits eine grosse fettglänzende Kugel; 'i andere seitliche im ersten und 4 solche im zweilen Brustseamenl. 3) Gliederung des Körpers. Wie aus vorstehender Charakteristik hervorgehl , unterscheidet sich Hyalophyllum von allen anderen Gorycaeiden zunächst schon durch den völligen Mangel des fünften Brustsegmenis und des dazu gehörigen Fusspaares , welche bei allen anderen Galtungen dieser Fa- milie wenigstens als Rudiment vorhanden sind. \'on der am nächsten stehenden Sapph irinella weicht unsere Gattimg ferner wesentlicli durch den Bau des Auges ab, welches aus den mit dem medianen Auge vereinigten seitlichen Augen besteht (wie bei Pachysoma), ferner durch die Anwesenheit der beiden Stechplatten , welche als rudimen- täre obere Maxillarfüsse zu betrachten sind, und endlich durch die verschiedene Bewaffnung der cylindrischen Furcallamellen (vergl. un- ten). Durch diese Charaktere ist Hyalophyllum zugleich von Sap- ph Irina verschieden, von -der es der Mangel der Mandiboln und Ma- xillen noch weiter entfernt. Noch weniger Beziehungen finden sich zwischen ihm und den übrigen Gorycaeiden vor. ^Yährend bei den meisten Gorycaeiden. wie ühorhaupt bei der grossen Mehrzahl der Copepoden, der Körpci- c^lindrisch oder seitlich comprimirt ist, so er- reicht dagegen hier die dorso-ventrale Depression , welche Sapphi- rina und Sapph irinella auszeichnet, ihren höchsten Grad, indem das Missverhältniss zwischen der bedeutenden Länge und Breite ge- genüber der äusserst geringen Dicke noch mehr hervortritt und den ganzen Körper nur als ein äusserst dünnes Glasblättchen erscheinen lässt. Die Zahl der Körpersegmenle beträgt 1 0 und ist also um Eins geringer, als Jjei den l)eiden genannten Gattungen, da das fünfte Brust- segment nebst dem fünften Fusspaare, das bei jenen wenigstens rudi- mentär vorhanden ist, gänzlich wegfällt. Ilierdiu'ch unterscheidet sich Hyalophyllum von allen andern Gorycaeiden. Wenn man den gan- zen Körper (ohne die Furca) der Länge nach in 3 gleii'he Theile theill, so könnnt das erste Drittel auf den Kopf allein , das zweite auf die 3 ersten Brustsegmente, das dritte auf das vierte Brustsegment und die 5 Abdominalsegmente. Der grosse Kopf ist I '/a mal so breit als lang, bei Hyalophyllum vitreum fast halbkreisförmig abgerundet, bei Hya- lophyllum pellucidum dagegen seitlich etwas concav ausgebuchtet und vorn in der Mitte durch einen tiefen Ausschnitt ausgezeichnet, fast zweilappig, indem sich der Rand des Kopfschildes hier etwas schnabel- förmig nach unten einbiegt luid umschlägt. In der vorderen Kopf- Beiträge zur Keiiiitiiiss der Corycaeideii. 65 hälfle sind die beiden Antennenpaare eingelenkt, welche bei Hyalo- phyllum pellucidum mehr nach aussen und jederseits enger bei- sammen stehen, als bei Hyalophyllum vitreum. Noch im Kopfe, al)er nahe dem hinteren Rande, liegt das Centralnervensystem , ein einfaches, vom Schlünde durchbohrtes Ganglion , auf dessen Vorder- rand das einzige Auge aufsitzt, wie bei Pachysoma 3 verschmolzenen Augen entsprechend. Kurz vor diesem öffnet sich an der Bauchseite der kieferlose Mund, umstellt von den gekreuzten unteren Kieferfüssen, vor denen noch ein Paar Stechplatten (rudimentäre obere Kieferfüsse) liegen. (Vergl. Taf. I. Figg. 1. 7.) Die 4 Segmente des Thorax, welche die 4 Schwimmfusspaare tragen, erscheinen, ebenso wie die Abdominalsegmente, durch scharfe Einschnitte von einander getrennt , da der vordere convexe Rand mit abgerundeten Ecken schmäler ist , als der hintere concave Rand , des- sen Ecken bei Hyalophyllum pellucidum einfach zugespitzt, bei Hyalophyllum vitreum dagegen in einen besonderen spitzen drei- eckigen Lappen nach hinten ausgezogen sind. Jedes der 3 vorderen Brustsegmente ist doppelt so lang als das vierte, dessen Fusspaar auch schwiicher entwickelt ist. Im Vorderlheile des zweiten Bi'ustsegments liegen die vereinigten Hoden, von denen aus die Samenleiter nach hin- ten laufen, um unten im hinteren Theile des ersten Hinterleibssegments auszumünden. Die o Segmente des Abdomen nehmen rasch an Länge und Breite nach hinten zu ab. Das erste ist noch ebenso lang und nur \Nenig schmäler als das letzte Brustsegment. Das fünfte und letzte Ab- dominalsegment, an dessen Rückenseite sich die Afterspalte befindet, ist ganz rudimentär und auf eine kleine viereckige Schuppe reducirt, welche die beiden langen stabförmigen Caudallamellen oder Furcal- platten trägt. Die Bildung dieses letzteren Anhanges, der Furca, welche überhaupt bei den einzelnen Gopepoden-Gattungen sehr charakteri- stische Verschiedenheiten darbietet, ist auch hier sehr eigenthümlich. Während jede Furcallamelle bei Sapphirin a ein ovales Blatt bildet, ist dieselbe bei Hyalophyllum, wie bei S a p p h i r i n e 1 1 a, ein langer cylindrischer Stab. (Taf. HI. Fig. 30.) Bei der letzteren trägt dieser nach Claus »an der Spitze 4 Dornen, von denen der innere bei wei- tem der mächtigste ist, der äussere sich auf eine kurze Spitze redu- cirt ; 2 ähnliche Spitzen stehen am äusseren Rande um y* der Furcal- länge vom Ende entfernt.« Bei Hyalophyllum dagegen trägt jeder Furcalstab am Ende zwei innere und 2! äussere kurze und starke Chi- tinzähne oder Dornen , zwischen diesen in der Mitte 2 sehr lange und starke Chitinstacheln , von denen der innere noch länger und stärker als der äussere ist, und endlich zwischen diesen und den äusseren Band I. S ßß Dr. Ernst Iliickcl, kurzen Dornen 2 etwa halb so lange, weiche, blasse, aus breiler Basis sehr fein zugespitzte »Nervenborsten« oder LEYDia'sche Organe, eine innere und eine äussere (vergl. unten »Sinnesorgane«). Ferner linden sich am Aussenrande des Furcalstabs, an der Grenze des dritten und vierten Viertels seiner Länge, ebenfalls 2 starke kurze Chitindornen, zwischen denen eine lange w eiche »Nervenborste« hervorragt, und end- lich noch eine vierte »Nervenborste« zwischen zwei kurzen Ghitinzäh- nen am Innenrande der Furca; in der Mitte zw ischen der vorhergehen- den und der Spitze. Alle diese Nervenborsten (Fig. 36b) sind als feine stabförmige Nervenenden zu betrachten, die vor ihrem Austritt aus der Haut in eine Ganglienzelle anschwellen (vergl. unten). Die Furcal- stäbe, welche meist eng an einander liegen oder nur wenig divergiren, sind so lang als die drei ersten Abdominalsegmente zusammengenom- men und et\^ a 20mal so lang als breit. 4) Anhänge des Körpers. A. Antennen. Die vorderen Antennen sind bei beiden Arten von Hyalophyllum ziemlich verschieden. Bei Hyalophyl- lum vitreum (Fig. 8) sind sie länger, stehen der Mittellinie näher und bestehen aus ß Gliedern, deren Länge sich vom ersten bis zum sechsten = 5 : 5 : ;{ : 4 : 3 : 2 verhält. Die drei ersten sind l)edeutend breiter als die drei letzten. Bei Ilyaloph yllum pellucidum (Fig. 2) sind nur 4 Glieder geschieden, indem die 3 ersten zu einem sehr langen Basal- gliede verbunden sind, das fast 4mal so lang ist als jedes der 3 fol- genden , unter sich fast gleichen Glieder. Die beiden letzten Glieder sind nur halb so breit als das erste. Bei beiden Arten sind die vorderen Antennen, besonders am Innenrande, mit zahlreichen sehr langen und dicken Chitinborsten besetzt, zwischen denen sich einzelne blasse und weiche Nervenborsten vorfinden. Die h inte ren Antennen sind bei beiden Arten ungefähr doppelt so lang als die vorderen und aus 4 Gliedern zusammengesetzt, welche bei Hyalophyllum vitreum fast gleich lang sind (Fig. 9), während bei Hyalophyllum pellucidum das erste Glied fast doppelt so lang als jedes der 3 folgenden ist (Fig. 3). Die Zahl der langen Chitinborsten ist viel geringer als an den vordem Antennen; die Nervenborsten dazwischen fehlen. Die beiden ersten Glieder tragen nur je 1 lange Borste; am äussern Ende des dritten Gliedes sitzen 3 Borsten beisammen, auf der Endfläche des vier- ten endlich 4 kurze Börstchen, und zwischen diesen der sehr lange und stark sichelförmige nach innen gekrümmte Greifhaken, der fast halb so lang oder doch Va so lang als das vierte Glied ist. Beitrage zur Keuiitiiiss der Corycaeiden. 67 B. Miin (Uli eile. Mandibeln und Maxillen, dio bei Sapphirina sehr ausgebildet sind, fehlen; die einzigen entwickelten Mundtheile sind die unteren oder hinteren Kieferfüsse (Taf. I. Figg. 5. U), welche in ziemlich weitem Abslande von der Mittellinie seitlich hinter dem Munde eingelenkt sind und sich in der Ruhe Xförmig vor dcmsel- l)on in der Mitte des Kopfes kreuzen. Jeder dieser sehr kräftigen Greif- füsse ist ungefähr eben so lang als die vordere Antenne und besteht aus 3 Gliedern, von denen das letzte einen sehr krummen und starken Haken trägt. Das Basalglied ist breit eiförmig, nur % so lang, aber breiter, als jedes der beiden folgenden. Das zweite, mittlere Glied, ist bei beiden Arten ^on Hyalophyllum sehr verschieden gebildet, bei HyaIoph> 1 lu m pel lucid um (Fig. 5) schlank, am äusseren Ende kolbig verdickt und hier an der hinenseite mit einer vorspringenden ovalen Platte versehen, welche von einem wulstigen Rande umgeben, vertieft (?) und mit zahlreichen feinen , nach vorn gerichteten Börst- chen gewimpert ist; ^om vorderen und vom hinteren Winkel der Platte (oder Grube?) ragt ausserdem je eine sehr starke und lange Borste nach vorn und innen (Fig. 5 x) . Bei Hyalophyllum v i t r e u m befindet sich eine ähnhche Grube oder Platte, mit noch stärkeren Bor- sten besetzt, am inneren Ende (der Basis) des zweiten Ghedes, welches hier noch stärker kolbig verdickt und sehr plump ist (Fig. 1 1x) . Das dritte Glied der unteren Maxillarfüsse trägt auf einem kurzen, breiten und mit 2 Borsten besetzten Basaltheile einen sehr langen und kräftigen, sichelförmigen Greif haken , der bei Hyalophyllum vitreum grösser und stärker gekrümmt ist als bei Hyalophyllum pellucidum. Ausser diesem Kieferfusspaare, welches ähnlich auch bei Sa pph irineil a \orkönnnt und hier allein von allen Mundtheilen ausgebildet ist, findet sich bei H) alophyllum vor und über demsel- ben, vor tlen seitlichen Mundecken, noch ein Paar dreieckiger, sehr scharfer und spitzer, messerförmiger Platten, welche wahrscheinlich zum Stechen dienen und i'udimentären oberen Kieferfüssen entspre- chen (Taf. 1. Figg. 4. 10). Jede dieser dünnen dreieckigen Platten, welche fast so gross als die Platte am Mittelghede des Kieferfusses und von einem verdickten zugeschärften Rande umsäumt sind , kann für sich be\N egt werden , und ist mit der Spitze nach vorn gerichtet, mit der Basis hinten eingelenkt. Bei Hyalophyllum pellucidum ist die Spitze des Dreiecks spitzwinklig, bei Hyalophyllum vitreum stumpfwinklig. C. Schw imm füsse. Die eigentlichen Beine sind in Form von 4 Seh w i m m f u s s p a a r e n an der Unterseite der 4 Brustsegmente eingelenkt (Taf. I. Fig. 1. Hnke Hälfte). Der Zwischenraum zwischen 68 Dr. Ernst Hiickcl, den Fussbasen beider Seiten ist gleich ihrem Abstände vom Körper- rande, und wird von dem breiten schildartigen, nach vorn concav vor- springenden Mittelstücke ^) der Bauchpanzerschienen eingenommen, welches nach aussen und vorn unmittelbar in die vorspringende Basis jedes Bein])aares übergeht. Die 3 vorderen Schwinmifusspaare, welche an den 3 ersten, stärkeren Thoracalsegmenten befestigt sind, erschei- nen unter sich an Grösse und Foini kaum verschieden , w ährend das vierte Fusspaar davon abweicht. Jedes der 3 ersten Beinpaare trägt auf einem sehr breiten und starken, zweigliedrigen Basaltheile 2 platt- gedrückte, fast gleich grosse , dreigliedrige Aeste. Die beiden Glieder der Basaltheile sind sehr kurz und breit, stark abgeplattet; das erste, fast dreieckige , sitzt dem oben erw ahnten Vorsprung der Bauchschie- nen auf; das zweite ist schief viereckig und trägt an der äusseren Spitze den äusseren Ast, in der Mitte des vorderen Randes, in kurzem Abstände, den inneren Ast des Schw immfusses eingelenkt. Am inne- ren Aste sind alle 3 Glieder fast gleich gross, oval, das dritte etwas länger und schmäler; am äusseren Aste ist das mittlere, zweite Glied nur halb so lang , als das erste und dritte , w eiche denen des inneren Astes gleichen. Daher ist der äussere Ast hier etwas kürzer als der in- nere, während bei Corycaeus, dessen Beine denen von Hyalophyl- lum am meisten gleichen, gerade der innere Ast schmächtiger und nur halb so lang als der äussere ist. An dem inneren Rande beider Aeste stehen sehr lange und starke, fein und dicht gefiederte Schw immbor- sten, welche meist etw as länger als der ganze Ast sind. An dem inneren Aste der 3 vorderen Beinpaare trägt das erste Glied 1 , das zweite 2, das dritte 4 — 5 solcher Schwimmborsten; an dem äusseren Aste trägt das erste Glied keine, das zweite I, das dritte 5 — 6 Borsten. Der äussere Rand des inneren Astes ist an den 3 vordem Beinpaaren ganz glatt und nur die äussere Ecke desselben ist an jedem Gliede in einen starken Dorn vorgezogen ; der äussere Rand des äusseren Astes dagegen ist sehr fein und scharf gesägt, und ausserdem am ersten und am zw eiten Glied mit je 1 , am dritten mit 4 starken Dornen bew aff- net, an deren äusserer Basis sich überdies noch eine lange Stachelborste inserirt. Andern vierten Schwimmfusspaare (Taf. I. Fig. 12), welches dem schmäleren vierten Brustringe ansitzt, ist, ebenso wie bei Corycaeus und Sapphirinella, der innere Ast verkümmert. Der Basaltheil ist einfach, schmal, nicht zweigliedrig; der allein entwickelte 1) Es ist dies jenes eigenthümlictie Mittelstiiek in den Baucliscliienen, welches Zenker als «Baucliwirbelkörper« bezeichnet. Vergl. Archiv für Naturg. 1854. S. 90. Taf. VI. Fig. 41. Beiträge zur Keuiituiss der Coryciieiden. 69 iiussere Ast ist dreigliedrig, die 3 Glieder eben so lang, aber nur halb so breit, als an den vorhergehenden äusseren Aesten. Das erste Glied trägt keine, das zweite eine, da§ dritte 6 grosse gefiederte Schwimm- borsten am inneren Rande ; der äussere Rand ist nur mit wenigen sehr schwachen Zähnchen und Dornen bewaffnet. Das Rudiment des inne- ren Astes bildet nur einen sehr kleinen , einfachen , mit einer einzigen Rorste besetzten Stummel , der sehr schmal und kaum so lang als die Rreite der Glieder des äusseren Astes ist. Durch den völligen Man- gel des fünften Reinpaares zeichnet sich Hyalophyllum vor ,'illen andern Corycaeiden aus, bei denen wenigstens kurze, mit Rorsten besetzte Rudimente desselben vorhanden sind. Selbst bei der nächst stehenden Sapphirinella »fällt das fünfte Fusspaar nicht hinweg, bildet vielmehr ein kurzes, mit zwei Rorsten versehenes Rudiment, wel- ches im männlichen Geschlechte wie bei Sapphirina einem schmalen, von den benachbarten Segmenten umschlossenen und verdeckten Lei- besringe angehört.« (Claus a. a. 0. S. 154.) 5) Redeckung des Körpers. Die äussere Haut von Hyalophyllum ist so vollkommen glashell und durchsichtig, dass sie auf den ersten Rlick ganz structurlos er- scheint. Von dem wundervollen metallischen Farbenschimmer, wel- cher die Sapphirina auszeichnet und welcher in schwächerer Inten- sität sich auch an dem Männchen von Sapphirinella wiederholt, ist an dem Männchen von Hyalophyllum pellucidum nur eine schwache, von Hyalophyllum vitreum gar keine Spur zu bemer- ken. Vielmehr erscheinen dieselben sowohl bei auffallendem als bei durchfallendem Lichte als farblose, krystallhelle Glasblättchen, ein Um- stand , der trotz ihrer relativ bedeutenden Körpergrösse die zarten Thierchen sehr leicht übersehen lässt und wohl auch die Ursache ist, dass sie bisher in Messina noch nicht bemerkt wurden. Untersucht man den Rau der Haut bei starker Vergrösserung und mit Hülfe passender Reagentien (lod, Chromsäure), so bemerkt man zu äusserst eine sehr dicke und feste, vollkommen structurlose und glashelle Cuticula von durchschnittlich 0,03"""' Dicke. Die äussere Oberfläche dieses aus Chi- tin bestehenden Oberhäutchens ist nicht ganz glatt, sondern mit einer grossen Anzahl sehr kleiner spitzer Höckerchen bedeckt, die namentlich bei Hyaloph. vitreum, besonders auf der Rückenseite entwickelt sind (Fig. 35d) . Hie und da gehen von diesen Höckerchen auch falten- artige Leisten eine Strecke weit ab. Unter diesem Chitinpanzer liegt eine einfache Schicht von sehr grossen polygonalen, feinkörnigen färb- 70 Üi'. Ernst Hik'kd, losen Platten, ganz ahnlich jenen Platten, die den herrlichen Metallglanz der Sapphirinen veranlassen. Diese Platten wurden bei Sapphirina von Gegenbaur, der das wundervoll wechselnde und glänzende Far- benspiel dieser Thierchen zuerst genau beschrieb, für die secerniren- den Epithelzellen, für die Matrix der Chitinhülle erklärt. Die Angabe, jede Platte sei eine Epithelzelle, wird von Claus (a. a. O. S. 37) be- stritten: »Dass sie keine einfachen Zellen des Matricalepithels sind, geht nicht nur aus ihrer Grösse hervor, welche bei Saph. auro- nitens c. 0,08'°'", bei Saph. fulgens 0,1'"'" beträgt, also mit den kleinen Zellen der Matrix anderer Copepoden gar nicht verglichen werden kann , sondern vor Allem aus dem Verhalten der Begrenzung. Die polygonalen Platten sind nicht von einer festen Membran umgeben, sondern zeigen sehr feingezackte Umrisse. Man hat es mit dünnen Platten einer feinkörnigen Substanz zu thun, mit Platten, welche durch suturenartig ineinandergreifende Ränder begrenzt sind und häufig äusserst dichte und zarte Streifen ähnlich wie gewisse Lepidopteren- Schuppen, darbieten.« Kerne sah Claus in diesen Platten nicht, und hält sie deshalb auch nicht für Zellen, sondern weit eher »für Complexe von verschmolzenen und veränderten Zellen der Matrix, für die er keine zweite tiefere Lage eines Epithels nachweisen konnte.« Diese Vennu- thung habe ich durch Beobachtungen an S a p p h i r i n a D a r w i n i i und Sapphirina Edwardsii bestätigen können. Bei den Männchen dieser beiden Arten zerfallen nämlich die grossen Platten unter gewis- sen Umständen sehr leicht in eine grosse Anzahl kleiner polygonaler Plättchen von 0,01 — 0,02""'" Durchmesser, welche offenbar nichts Ande- res als veränderte Epithelzellen sind. Bei Sapphirina Edwardsii erscheint nämlich jede derselben mit einem kleinen rudimentären Kern versehen, der in der Mitte des Plättchens liegt. Während bei den gros- sen polygonalen Platten , welche meistens sechseckig und fünfeckig (seltener mit 3 — 4 oder 7 — 8 Ecken versehen) sind, die Ecken scharf und spitz, die Ränder meistens ganz geradlinig oder nur schwach gebo- gen erscheinen , so sind dagegen die Ecken der viel unregelmässigeren kleinen Plättchen mehr abgerundet, die Begrenzungsränder uneben, ge- bogen, übrigens eben so suturenartig in einander greifend, w ie die Rän- der der grossen Platten. Da ich ebensowenig als Claus unter den Platten noch irgend eine Spur einer Zellenlage entdecken konnte, weder bei Sapphirina noch bei H y a l o p h y 1 1 u m, so zweifle ich nicht, dass diese kleinen Plättchen , in denen theilweise noch die Kernrudimente sicht- bar sind, wirklich eigenthümlich metamorphosirte Zellen des »Matri- calepithels« sind, d. h. der Chitinogenschicht, welche die homogene Ghitin-Guticula ausscheidet (Taf. III. Fig. 48). Beitrüge zur Keiiiiliiiss der Corycaeideii. . 71 Ich ergreife diese Gelegenheit, um die Mittheilungen zu ergänzen, welche ich in einer früheren Arbeit ^) über den Bau der Gliederthier- Decken gemacht habe. Ich hatte dort nachzuweisen versucht, dass alle ans Chitin bestehenden Bildungen des Hautskelets der Gliederlhiere als das Secret einer darunter gelegenen epithelialen Zellenschicht, der »Chitinogenmembran« anzusehen seien, eine Ansicht, die gleich- zeitig auch von Kölliker für die structurlosen Cuticularbildungen vieler anderen Wirbellosen geltend gemacht wurde-^). Diese Auffassung halte ich auch jetzt noch für die richtige , gegenüber der von Leydig aufge- stellten und auch neuerdings wieder verfochtenen Ansicht, dass jene Chitinbildungen »chitinisirtes Bindegewebe« seien 3). Ohne das Ver- dienst irgend beeinträchtigen zu w ollen , welches sich dieser um die vergleichende Histologie hochverdiente Forscher dadurch erwarb, dass er zuerst nachw ies, die Chitinmembranen seien nicht, w ie man früher glaubte, aus Zellen zusammengesetzt, glaube ich doch nicht mit Leydig übereinstimmen zu dürfen, wenn er das Chitinogengevvebe auch jetzt noch zu der Gruppe der Bindesubstanzen rechnet. Ich sehe doch einen w esentlichen Unterschied darin , ob die ausgeschiedene Substanz nur an der Oberfläche eines zusammenhängenden Zellenlagers abgeschieden wird, wie bei allen Cuticularbildungen auf Epithelien, oder ob die ein- zelnen Zellen allseitig Substanz ausscheiden, so dass sie völlig von ge- formter Zwischensubstanz umgeben und getrennt werden, wie bei den Bindesubstanzen. Auch kann ich deshalb Claus nicht beistimmen, wenn er die Frage, ob Epithelialformation oder Bindesubstanz, mit Be- zug hierauf für höchst untergeordneter Natur hält. Diese Frage ist nicht allein für eine schematisirende Classification der Gewebe von grosser Wichtigkeit , sondern auch für die Betrachtung der Lebenser- scheinungen und Functionen der l)etreffenden Gewebe. Die Entste- hung , die regelmässige periodische Häutung des Arthropoden-Skelets erscheint doch in einem ganz andern Lichte, wenn wir die Chitinhaut als eine sehr verdickte schichtenweis abgesetzte Cuticula, als das erstarrte Secret einer darunter gelegenen Epithelialzellenschicht auffassen, als wenn wir beide Lager , die äussere harte »chitinisirte« und die innere weiche »nicht chitinisirte« für Bindegewebe halten , wie Leydig dies auch jetzt noch thut. Allerdings fügt letzterer hinzu: »Selbstverständ- lich ist damit gewissermaassen nur ein allgemeiner Typus bezeichnet, 1) Hackel, De teils qiiib\isdara Astaci tkiviatilis, 1857. p 19. ausfüliriicher in Müller's Archiv 1857 S. 519. 2) Würzburger Verhandl. Bd. Vlil. S. 37. 3) Leydig, Lelirb. der Histologie, 1857. S. 29. Leydig, Naturgeschichte der Daphniden, 1860. S. 19—22. 72 Pi- I-riist Hiickel, unter dem das Gewebe zu stehen hat und innerhalb dieser izrossen Abiheilung hat es eine eigne Classe zu bilden, für die man den Namen nCuticularbildungen oder auch Chitinogengewebe in Anwendung brin- gen kann ').« Allein gerade weil ich mit Leydig diese Frage von der sy- stematischen Gruppirung der Gewebe keineswegs für untergeordnet, sondern für unsere allgemeinen histologischen und zoologischen An- schauungen für sehr wichtig halte , muss ich hier um so mehr hervor- heben, dass neuere zahlreiche Beobachtungen, die ich namentlich an pelagischen Crustaceen verschiedener Ordnungen in Messina anzustellen Gelegenheit hatte, mich in meiner früheren Auffassung durchaus be- stärkt haben. Zahlreiche beobachtete Arten von Decapoden, Stomapo- den , Isopoden und Copepoden zeigten mir fast in allen Fällen unter der homogenen oder geschichteten und von Porencanälen durchsetzten Chitinhaut ein Zellenlager, welches ich nur der Gruppe der Epithelial- gewebe anreihen kann. Auch bei andern Thieren kommen ja solche homogene, bisweilen beträchtlich dicke Cuticularhäute als Ausschei- dungen der Epidermiszellen weit verbreitet vor und können ganz ebenso wie die Chitindecken der Gliederthiere aus vielen einzelnen Schichten zusammengesetzt und von Porencanälen durchbohrt sein. Eine solche Cuticula lässt sich als selbstständige homogene Membran von der Epidermis vieler Mollusken, Würmer, Echinodermen u. s. w. im Zusammenhange abziehen. Der Unterschied dieser Cuticula von dem Panzer der Gliederthiere ist nur noch ein chemischer, kein histo- genetischer. Allerdings muss zugegeben werden, dass häufig die zu- nächst unter dem Arthropoden-Skelet liegende Epithelialbildung kei- neswegs auf den ersten Anblick den Eindruck eines gewöhnlichen Epithels macht. In sehr vielen Fällen kann man an der Stelle eines aus bestimmt abgegrenzten Zellen gebildeten Pflasters Nichts erkennen als eine feinkörnige trübe, oft durch Pigment gefärbte schleimige Masse, in welcher in ganz regelmässigen Abständen klare Kerne vertheilt sind. So beschrieb Leydig schon vor langer Zeit ganz richtig die unter dem Chitinpanzer vieler Insecten , Arachniden und Crustaceen gelegene weiche Matrix desselben , welche er als »weiche nicht chitinisirte Bin- desubstanz« auffasst. Ich sehe nun aber gar nicht ein, warum bei dem jetzigen reformirten Standpunkte der Gewebelehre nicht auch ein solches Protoplasmalager als Epithel gelten soll , in welchem nur die Anzahl der in bestimmten Abständen vertheilten Kerne die Zahl der dasselbe zusammensetzenden Zellen andeutet, obwohl die Zellenterri- torien selbst nicht durch Membranen scharf abgegrenzt sind. Gewiss 1) Leydig, Naturgeschichte der Daphniden. S. 22. BeitriiiiP zur Kpiiiitiiiss der Coryciioidcu. 73 ist es einer der wesentlichsten Fortschritte der neueren Histologie, dass die Membran als nothwendiger und constanter Zellenbestandtheil nicht mehr anerkannt wird, und dass man sich mehr und mehr daran ge- wöhnt, auch nackte, hüllenlose Protoplasmakhimpen , die einen Kern umschliessen , als gute, vollständige Zellen gelten zulassen. Seitdem ich selbst an den farblosen Blutzellen von höheren wirbellosen Thie- ren , die doch gewiss jeder Ilistologe als vollkommene Zellen gelten lässt, das mechanische Eindringen von fein zertheilten Farbstoffen in die amöbenartig sich bewegenden, mit einem deutlichen Kern versehe- nen Protoplasmaklumpen beobachtet und damit den Mangel einer um- hüllenden Membran thatsächlich nachgewiesen habe'), bin ich über- zeugt, dass diese besonders durch Max Schultze herbeigeführte Reform durch weitere Beweise mehr und mehr gestützt werden wird. Einen solchen Beweis scheint mir nun auch diese verschiedenartige Ditferen- zirung der epithelialen Chitinogenmembran innerhalb des Kreises der Glietlerthiere und namentlich der Crustaceen zu liefern. Nach den übereinstimmenden Beobachtungen von Leydig, Claus (a. a. O. S. 35) und mir findet sich innerhalb dieser einen Gruppe, in der doch sicher die Aequivalenz der entsprechenden Hautlagen nicht zu bestreiten ist, unmittelbar unter der niemals zellenhaltigen oder aus Zellen zusam- mengesetzten Chitinhaut stets entweder I) ein reguläres Epithel, gebil- det aus deutlichen, kernhaltigen, von einer besondern Membran umge- benen Zellen, die auch durch Zerzupfen oder Behandlung mit Reagentien isolirt werden können; oder es sind H) die Zellengrenzen des Epithel- lagers zwar als feine Linien sichtbar, die einzelnen Zellen jedoch nicht zu isoliren ; oder endlich 111) es ist statt dessen eine feinkörnige trübe Schicht vorhanden, welche in regelmässigen Abständen deutliche Kerne eingebettet enthält; ist zugleich Pigment vorhanden, »so wird das Bild« , wie Leydig treffend bemerkt, »einer zelligen Zusammensetzung dadurch wieder angeähnlicht, dass die Pigmentkörner, sich um die Kerne gruppirend, zellige Bezirke abmarken.« Solche nicht ditferenzirte Epithelien , deren einzelne Zellen nicht durch Bildimg einer Hüll- membran sich selbstständig abgegrenzt haben, sondern gewissermaas- sen auf dem embryonalen Stadium des hüllenlosen Protoplasmaklumpens stehen geblieben sind , habe ich jetzt bei niederen Gliederthieren und besonders den genannten pelagischen Crustaceen, weit verbreitet be- obachtet, während ich früher, wo ich vorzugsweise nur Decapoden untersuchte, meistens eine deutlich aus abgegrenzten und oft isolirbaren Zellen bestehende Chitinogenschicht vorgefunden hatte. Unter der 1) Hackel, Radiolarien, 1862. S. 104. 74 Dr. i- nist Hiickel, letzleron war auch eine bindegewebige Schicht von verschiedener Mächtigkeit nachzuweisen, die sich der Cutis der Wirbelthiere paralle- lisiren liesse ; bei sehr vielen niederen Crustaceen habe ich aber ver- gebhch nach einer solchen gesucht; hier liegen die Zellen der Chi- tinogenschicht unmittelbar auf den verschiedenartigen unterliegenden Geweben. So verhält es sich auch bei den Corycaeiden. Das prachtvolle Schauspiel, welches der metallische, in allen Re- genbogenfarben schillernde Farbenglanz der Sapphirincn sowohl bei auffallendem als bei durchfallendem Lichte unter dem Mikroskope ge- währt, sowie der wunderbar rasche Wechsel der contrastirendsten Far- ben an einer und derselben polygonalen Tafel der Chitinogenschicht ist bereits von Gegenbaur treffend geschildert (Müller's Archiv 1858. S. 66). Die Erklärung des herrlichen Phänomens findet derselbe in »reflectori- schen Lichterscheinungen , die durch eine eigenthümliche Fähigkeit jener Zellenschichte modificirt erscheinen.« Nach Claus haben wir es »mit Interferenz-Erscheinungen zu thun, welche ihren Sitz in dem fein- körnigen zuweilen wie in Sprüngen und Rissen zerspaltenen Gefüge der Tafeln haben« (a. a. 0. S. 37). In einer früheren Mitlheilungi) fügt er hinzu: »die feinkörnige Substanz (der polygonalen Platten) wird von einer Unzahl zarter Stäbchen durchbrochen, welche in schräger Richtung von den Rückenplatten nach den Rauchplatten verlaufen und wohl vorzugsweise das Phänomen des Farbenspieles erzeugen.« Meine Reobachtungen an 2 Sapphirinen-Arten, die sich durch gröbere Sculp- tur der Platten vor den andern auszeichnen , erlauben mir diesen An- gaben Einiges hinzuzufügen. An den Männchen von Sapphirina Edwardsii und Sapphirina Darwinii nämlich, von denen be- sonders die letztere schon dem blossen Auge durch dunkleren Metall- glanz und Vorherrschen einer gesättigt violetten Farbe auffällt, lassen die isolirten und bei starker Vcrgrösserung (600) betrachteten Platten deutlich erkennen , dass die »feinsti'eifige« oder »feinkörnige« Sculptur ihrer Oberfläche vollständig derjenigen der Kieselschale von Pleuro- sigma angulatum, Pleurosigma hippocampus und anderen als Probeobjecte bekannten Diatomeen entspricht^). Es finden sich 3 nach verschiedenen Richtungen laufende Systeme von feinen sehr dicht stehenden parallelen Leisten vor, die sich unter Winkeln von 80", resp. 120", gegenseitig in der Weise schneiden, dass regelmässige sechs- 1) Claus, Untersuchungen über die Organisation und Verwandtsciiaft der Co- pepoden. Würzburg 1862. S. 21. 2) Vergl. hierüber Max Schultze, Die Structur der Diatomeenschale. Bonn <863. S. 38. Fig. 21. Bcitriijic zur Kpiiiiliiiss der rorycaeidcii. 75 eckige Vertiefungen zwischen ihnen bleiben (Taf. III. Fig. 48). Bei Anwendung schiefer Beleuchtung von verschiedenen Seiten her kann man die einzehien sehr regelmässig und dicht parallel verlaufenden Leisten jedes der drei Systeme sich deutlich zur Anschauung bringen ; bei centrisch durchfallendem Lichte dagegen erscheinen die Vertiefungen zwischen je 3 sich kreuzenden Leisten, wenn man den Tubus abwech- selnd hebt und senkt, bald als helle oder dunkle, in regelmässige Reihen gestellte Puncte oder scheinl)are Höckerchen (»Körnchen«), bald als scharf umschriebene regelmässige Sechsecke, die zusammen ein sehr zierliches Netz darstellen. Bei anderen Sapphiri na- Arten waren dieselben viel feiner als bei den beiden erwähnten Species , so dass auch die stärkste Vergrösserung die 3 Leistensysteme nicht deutlich aufzulösen vermöchte. Auch scheinen dieselben nicht überall aus so regelmässig und geradlinig verlaufenden Leisten zusammengesetzt zu sein; der Verlauf derselben z. B. bei Sapphirina Clausi schien mir mehr Aehnlichkeit mit dem bekannten Verlauf der Gutisleistchen in der menschlichen Hand zu halben. Doch zweifle ich nicht, dass in allen Fällen die Interferenz-Erscheinungen, die der Grund des wundervollen Far- benspieles sind, durch ähnliche sich kreuzende Leistensysteme hervorge- bracht werden. Die Vorsprünge der Leisten am Rande sowohl der gros- sen polygonalen Platten, als auch der einzelnen kleinen sie zusammen- setzenden Plättchen (der metamorphosirten Chitinogen-Zellen) sind es, welche das fein gezackte Aussehen der Ränder und ihr suturenartiges Ineinandergreifen bedingen. Die Metamorphose der Chitinogen-Zellen, durch w eiche dieselben zu solchen starren , festen , wenig biegsamen Plättohen verwandelt und dann gruppenweise zu den sehr regelmässi- gen Platten von ansehnlicher und bestimmter Grösse vereinigt werden, verdient noch näher untersucht und durch Vergleichung früherer Sta- dien in jüngeren Thieren aufgeklärt zu werden. Bei Hy alophyllum ist die regelmässige, gleichsam parquetirte, polygonale Täfelung unter der homogenen Chitincuticula ganz dieselbe wie bei Sapphirina. In den hinteren Abdominal-Segmenten liegen 2 — 3, in den vorderen , und ebenso in allen Thoracal-Segmenten, je 3 — 5, meist 4 Querreihen von Platten hinter einander. Die Platten sind noch dünner und feiner als bei den Sapphirinen und entweder gar nicht oder nur sehr schwach gestreift oder von ^gek reuzten Leistensy- stemen durchzogen ; daher denn auch der Farbenglanz der Sapphirinen bei dieser Gattung fehlt. Der Durchmesser der Platten beträgt bei Hya- lophyllum durchschnittlich 0,15 — 0,2""", beiden meisten Sapphirinen dagegen nur 0,07 — 0,15°'"'. (Vergl. auch Fig. I. rechte Hälfte und Fig. 13.) 76 Pr. Knist Hiickcl, 6) Muskelsystem. Die Miisculatur von Hyalophy lluni zeichnet sich vor der der niichstverwandten Sapphirina ganz besonders durch ihre ausseror- dentlich schwache Entwicklung aus. Bei unmittelbarer Vergleichung gleich grosser Individuen von beiden Gattungen schätze ich das Ge- sammt- Volum der Musculatur von Sapphirina mindestens viermal so gross als das von Hyalophyllu m. Dieselben Muskeln, welche bei ersteren als starke und dicke Stränge auftreten, erscheinen bei letzte- ren nur als sehr schmale und dünne bandförmige Streifen. Dies gilt sowohl von den Streckern und Beugern der einzelnen Körpersegmente, als der Extremitäten. Auch scheinen einige Muskeln, welche dort in mehrere einzelne Bündel differenzirt sind , hier nur durch ein einzi- ges Bündel repräsentirt zu werden , so dass die Zahl der selbststän- digen Muskelbündel hier geringer ist. Demgemäss sind auch die Be- wegungen des Hyalophyllum viel langsamer und verrathen viel weniger Energie als die der Sapphirina, welche wie ein glänzendes Meteor funkelnd durch das Wasser schiesst. Wenn man bei Hyalo- phyllum den ganzen Körper durch 4 parallele Longitudinallinien in 5 gleich breite Längsfelder theilt, so bleiben das mittlere, von dem vorderen Kopfende bis zur Furca verlaufende Feld und die beiden Randfelder, die durch die Seitenflügel der Körpersegmente gebildet werden , fast ganz frei von Muskeln , so dass die Muskeln fast nur auf das zwischen dem medianen und dem marginalen Felde jederseits lie- gende Feld beschränkt erscheinen, auf dessen Bauchseite die Schwimm- füsse befestigt sind (Taf. 1. Fig. 1). Bei der ausserordentlichen Durch- sichtigkeit und flachen Depression des Körpers ist eine vollständige Einsicht in die Gruppirung und Anordnung der Musculatur hier wohl leichter, als bei den meisten andern Copepoden zu gewinnen, und Ur- sprung und Ansatz der einzelnen, meist scharf getrennten Muskelbün- del sind leicht mit Sicherheit zu bestimmen. Sämmtliche locomotorische Muskeln lassen sich in 2 Gruppen bringen , nämlich 1) Strecker und Beuger des Stammes und seiner einzelnen Segmente, und II) Exten- soren und Flexoren der Schwimmfüsse , Greiffüsse und Antennen. Erstere liegen in dem Muskelfelde jeder Seite der Medianlinie näher, letztere nach aussen von diesen, mehr dem Rande genähert. Die Ex- tensoren und Flexoren des Stammes bilden in jeder Körperhälfte 2 sehr lange parallele, nur durch einen schmalen Zwischenraum getrennte Bänder , ein breiteres inneres (medianes) und ein schmäleres äusseres (laterales). Beide parallele Züge convergiren mit denen der anderen Seite nach hinten. Beide entspringen im hintern Theile des Kopfseg- Beiträge zur Keimtiiiss der Corycaeiden. 77 nientes, das innere Band in gleicher Höhe mit dem Auge, das äussere etwas weiter nach vorn. Jeder dieser beiden langen Muskelstränge giebt einen starken und kurzen äusseren Ast am hinteren Rande jedes Brustsegmentes ab und ebenso auch am ersten Hinterleibsring. Beide Stränge endigen am Vorderrande des zweiten Abdominalsegments, der äussere dünnere auf der Rückenseite, der innere stärkere auf der Bauch- seite. Der letztere setzt sich dann unmittelbar in Gestalt eines sehr feinen Muskelfadens nach hinten durch die 4 hinteren Hinterleibsseg- mente und weiterhin durch die ganze Länge der Furcalstäbe fort, bis zu deren Spitze. Dieses äusserst dünne und zarte Muskelfädchen, wel- ches man sehr leicht ganz übersieht , ist der einzige in den 4 Hinter- ieibsringen und der Furca überhaupt wahrnehmbare Muskel und der ganz rudimentäre Repräsentant des sehr kräftigen Längsmuskels, der bei den Sapphirinen diesen Theil jederseits durchzieht, sich durch die ovale Furcalplatte der letzteren verlängert und in deren Spitze endigt. Das Abdomen kann daher bei Hyalophyllum nicht entfernt mit der Kraft gegen den Thorax nach vorn geschlagen und wieder gestreckt werden, wie bei Sapph Irina. Ausser diesem grossen doppelten Strecker- und Beugerzug ist von der Stammmusculatur noch ein eigen- tiiümliches kleines doppeltes Muskelpaar zu erwähnen, welches sich durch ausserordentlich verlängerte und sehr dünn fadenförmige Seh- nen auszeichnet. Das vordere Sehnen-Paar entspringt gemeinsam in der Mitte des hinteren Kopfrandes , das hintere ebenso in der Mitte des hinteren Randes des ersten Brustsegments. Die Sehnen jedes Paares laufen von dem gemeinsamen Ursprung an stark divergirend nach hinten und aussen. Die beiden Sehnenfäden jeder Seite laufen ein- ander parallel (Taf. I. Fig. Id). Die vordere setzt sich an am inneren Drittel des Vorderrandes vom letzten Brustsegment, die hintere ebenso am Vorderrande des ersten Bauchsegments. Da der vordere Ursprung der Sehnen sich an der Rückenfläche, der hintere Ansatz aber an der Bauchfläche zu finden scheint, so unterstützt die Contraction des Mus- kels wahrscheinlich die Streckung des Körpers. Der Muskel, welcher in jeden der. sehr langen Sehnenfiiden ungefähr in deren Mitte (im zweiten Brustsegment) eingeschaltet ist, erscheint im Verhältniss nur sehr klein, spindelförmig, kaum halb so lang als ein Brustsegment, und kaum so breit als die Dicke des Chitinpanzers. Die Muskelspindel ist an beiden Enden abgerundet und wird hier von der plötzlich trichter- förmig sich erweiternden Sehne umfasst, die in das Sarcolemm über- geht. Die Sehnenfäden bestehen nicht aus Chitin , sondern aus ge- wöhnlichem Bindegewebe. Andere Sehnen kommen im Stannne sowohl als in den Extremitäten nur sehr wenige vor, da die meisten Muskeln 78 Dr. Rnist Iliickel, sich unmittelbar mit abgestutztem , gleich breitem, nicht verschmäler- tem Ende an das Hautskelet ansetzen. Die einzelnen Muskelfasern gehen häufig an der Ansatzstelle etwas pinselförmig divergirend aus- einander. Die Muskeln , welche die Extremitäten bewegen und welche bei Sapphirina grossen theils von den Stammmuskeln bedeckt werden, indem sie ziemlich nahe der MittelMnie entspringen und von da radial convergirend zu der Extremitäten-Basis herablaufen, sind bei Hyalo- phyllum einerseits viel schwächer und weniger zahlreich, andrerseits viel weiter nach aussen gerückt, so dass sie als ganz gesonderte Grup- pen an der Aussenseite der langen Stammmuskelbänder auftreten (Taf. I. Fig. 1). .lede solche schleifenähnliche oder knäuelförmige Muskelgruppe , deren man jederseits im Kopfe 3 , in den 4 Brustseg- menten je eine zählt, besteht aus 5 — 7 , meist sehr scharf getrennten, schmalen linearen Muskelbändern, ä — 3 stärkeren und 3 — 4 schwäche- ren. Im Kopfe ist am stärksten die erste Muskelgruppe entwickelt, welche für die vorderen Antennen , viel schwäclier die benachbarte zweite, welche für die hinteren Antennen bestinunt ist; stärker ist wieder die dritte, zur Bewegung der Maxillarfüsse dienende Gruppe. Die starke Muskelgruppe, welche jederseits im äusseren Drittel der Brustringe liegt uud zur Streckung und Beugung, Anziehung und Ab- ziehung der Schwinunfüsse dient, ist gleich stark in den 3 ersten, viel schwächer im vierten Thoracalsegment. In den Extremitäten selbst erscheinen die Muskeln , welche deren einzelne Glieder gegen einander beugen und strecken , als wenige, sehr schmale, scharf von einander getrennte Muskelbündel , welche einen nur sehr geringen Theil von dem Hohlraum des Gliedes ausfüllen (Taf. I. Fig. 12. m. m). In den dreigliedrigen Aesten der Schwinunfüsse erscheinen im ersten Gliede 2, im zweiten nur ein distinctes Muskelband , welches letztere sich an der Basis des übrigens muskellosen dritten Gliedes inserirt. Alle diese bisher erwähnten Muskelbündel, und ebenso die unten beschriebenen, welche die Muskelhaut des Daruu-ohrs bilden, erscheinen an dem lebenden Hyalophyllum durchaus farblos, glashell und vollkom- men durchsichtig und zeigen entweder gar keine oder nur undeutliche Querstreifung. Diese tritt aber sehr scharf und bestimmt an den mit verschiedenen Reagentien behandelten , sowie an den in Chromsäure undLiqueur conservatif aufbewahrten Thieren hervor. Allerdings kom- men ausserdem auch glatte, unter keinen Umständen quergestreift erscheinende Muskeln vor , wie sie schon von verschiedenen Beobach- tern bei anderen Gopepoden und auch bei der Sapphirina angege- ben worden. Jedoch sind zu diesen nicht die ebenfalls für Muskeln Reitniffe zur Kenntiiiss der Corycapiileii. 79 gehnltcnen körnigen , verzweigten , mit einzelnen Kernen besetzten Striinge zu rechnen, welche in allen Extreniitätengliedern, in den Fur- calplalten und an vielen andern Körperstellen vorkommen und u. a. auch in die Borsten der Antennen , der Schwimmfüsse u. s. w. hin- eintreten. Diese gehören nicht zum Muskelsystem, sondern zu dem dem »Fettkörper« entsprechenden Bindegew ehsgerüste. Dasselbe scheint mir auch wenigstens von einem Theile der von dem Darm abgehenden und denselben in seiner Lage erhaltenden Stränge (s. u.) zu gelten, welche von Claus für Muskeln erklärt wurden. Allerdings ist die Ent- scheidung, ob Muskel, ob Nerv, ob Bindegewebsfädchen, wie Claus mit Recht bemerkt, bei vielen dieser äusserst feinen und doch in con- stanter Grösse und charakteristischer Verbindung auftretenden faden- förmigen Stränge, oft äusserst schwierig, um so mehr, als dieselben auch bei starker Vergrösserung nur als structurlose oder feinkörnige Fäden erscheinen, Nerven- und Muskelstränge aber von einer sehr zarten Hülle von ähnlich aussehendem körnigen Bindegewebe umhüllt werden. 7) Nervensystem. Das Nervencentrum von Hyalophyllum zeichnet sich durch denselben extremen Grad der Centralisation aus, ^^ie er sich auch bei den übrigen Corycaeiden vorfindet. Die gesammte Kette des Bauch- ujarks der Arthropoden ist mit dem Schlundringe und dem oberen Schlundganglienpaare (Gehirn) zu einer einzigen compacten Ganglien- masse verschmolzen, welche an der Grenze ihres mittleren und vorde- ren Drittels ^on dem hier senkrecht aufsteigenden Schlünde dui-chl)ohrt wird (Taf. 111. Fig. 31). Während dieses centrale Ganglion, das einzige des ganzen Körpers, bei Sapphirina ungefähr in der Mitte des Kopfes liegt, rückt es bei Hyalophyllum viel weiter nach hinten, so dass es sich der Grenze des ersten Brusfsegments nähert imd zwischen dieser, dem Munde und dei- Basis der Maxillarfüsse eingeschlossen liegt (Taf. I. Fig. Ig). Das Gentralganglion ist länglich viereckig oder fast oval , dreimal so lang als breit und ungefähr so gross als ein Glied der Schwinunfüsse. Bei Hyalophyllum pellucidum ist es 0,2""" lang, 0,07""" breit, bei Hyalophyllum vitreum 0,4'""' lang, 0,13'"'" breit. Andeutungen der einzelnen Ganglienabschnitte von Bauchkette und Schlundring, aus deren Verschtuelzung das Ganglion hervoi'gegan- gen ist, sind in keiner Hinsicht bemerkbar, und nur mit Rücksicht auf den durchbohrenden Schlund kann man die vor demselben gelegene Partie als Gehirn , die dahinter gelegene als Bauchmark und die zwi- 80 Dr. Ernst Iliickel, sehen beiden gelegenen Seitentheile als seitliche Commissuren des Schlundringes betrachten. Die gröberen und feineren Nervenstänime, welche von dieser centralen Ganglienmasse nach allen Seiten in den Körper ausstrahlen , lassen sich bei der vollkommenen Durchsichtigkeit desselben mit der grössten Leichtigkeit und Sicherheit überall bis zu ihren peripherischen Endigungen verfolgen (Taf. I. Fig. 7, hnke Hälfte). Da die Gonformation und Lagerung, besonders der im Kopfe gelegenen Organe, des Gehirns und Auges, der Antennen und Mundwerkzeuge mehrfach bedeutend von der bei Sapphirina vorkommenden Bildung abweicht, so ist auch die Vertheilung und dei- Verlauf der Nerven ein anderer. Bei Sapphirina erhält jede Antenne einen l)esonderen star- ken Nervenstamm. Bei Hyalophyllum dagegen, wo die Basen der beiden Antennen näher bei einander liegen, sind allerdings auch jeder- seits 2 Nervenstämme für die 2 Antennen bestimmt; allein jeder Stamm schickt einen Ast an beide Antennen. Der bei weitem stärkere äussere Antennennerv läuft in gerader Richtung von der vorderen Seitenecke des Central-Ganglion nach vorn und aussen zur Basis der vorderen Antenne und giebt, indem er an der Basis der hinteren vorbeistreift, einen starken Ast an diese ab. Da er als mächtiger Nervenstamm durch die ganze Länge der Antennen verläuft und an die einzelnen Borsten und Fortsätze starke Fäden abgiebt, ist er wohl vorzugsweise, vielleicht ausschliesslich sensibler Natur. Der sehr viel feinere, wahrscheinlich motorische innere Antennennerv geht als ein sehr dünner Faden von der kegelförmigen Basis des Nervenbüschels aus, welches die seitlichen Krystallkörper des Auges zu umschlingen scheint. Er läuft parallel dem äusseren und nur wenig von ihm abstehend , ebenfalls zur Basis der vorderen Antennen, indem er in die Basis der hinteren einen äusseren sehr feinen Seitenzweig hineinschickt. Die beiden seitlichen und der mediane Nervus opticus, welche bei Sapphirina vom vorderen Theil des Ganglion an die 3 Augen herantreten , sind bei Hyalophyllum nicht selbstständig entwickelt, da das einzige vorhandene Auge hier unmittelbar dem vorderen oberen Rande des Ganglion aufsitzt. Von dem erwähnten Nervenbüschel, dessen kegelförmige Basis die seitlichen Krystallkörper des Auges gleichsam umschliesst, strahlen mehrere feine Hautnerven nach vorn aus, welche sich innerhalb des von den 4 An- tennen eingeschlossenen Mitteltheils des Kopfes verzweigen. Die nach aussen von den Antennen gelegenen Seitentheile des Kopfes erhalten ihre Hautnerven von 2 — 3 reich ramificirten Stämmchen, welche jeder- seits hinter den äusseren Antennennerven von der Aussenseite des Ganglion entspringen. Etwas vor diesen gehen von der Unterseite des Ganglion die für die Mundtheile bestimmten feinen Zweige ab. Ein Beiträge zur Keniitniss der Corycaeiden. 81 sehr auffallender feiner Stamm entspringt unter rechtem Winkel jeder- seits in der Mitte des Seitenrandes des Ganglion und geht, senkrecht auf der Längsaxe des Körpers, gerade nach aussen, um sich dann am hinteren Kopfrande und Seitentheile des ersten Brustsegments an die Haut zu verzweigen. Die ganze hintere Hälfte des Centralganglion giebt keine einzelnen Nervenstämmchen ab, sondern spaltet sich, nahe dem hinteren Kopfrande, in zwei mächtige aber sehr kurze nach aussen und hinten divergirende Nervenstämme , welche den ganzen Thorax und das Abdomen versorgen. Von dem hinteren Hauptstamme jeder Seite geht zunächst innen, nahe der Medianlinie, ein langer und starker Nerv an die Basis des vierten Fusspaares , welcher ungefähr in seiner Mitte den feinen Abdominal-Nervenstamm nach innen abschickt, der dann fast parallel dem Darmcanal bis zur Furcalplatte herabsteigt, sich in derselben bis zu ihrer äussersten Spitze als feines Fädchen verlän- gert und ausserdem mehrere Hautzvveige an die hinteren Abdominal- Segmente und die Furca abgiebt. Der noch übrige , grössere , äussere Theil des Nervenhauptstammes jeder Seite zerfällt schon im ersten Brustsegmente in 3 starke Hauptzweige, welche in gerader Richtung divergirend nach aussen und hinten zu den Basen der 3 ersten Fuss- paare herablaufen. Jeder Fussnerv giebt an seiner Aussenseite einen feinen, langen, vielverzweigten Hautnerven ab, und zwar versorgt der Fussnerv des ersten Beinpaares das zweite Brustsegment, der zweite Fussnerv das dritte, und der dritte das vierte Brustsegment mit Haut- nerven. Ausserdem gehen einige feinere Hautnerven noch von ver- schiedenen Puncten der bisher beschriebenen Nerven ab , jedoch nicht an Constanten Stellen. Ueberhaupl fand ich bei Vergleichung verschie- dener Individuen ziemliche Differenzen bezüglich des Abganges der einzelnen Zweige und Aeste und namentlich bezüglich der Lage der Abgangsstellen, indem das mehr oder weniger entwickelte Neurilemma die zusammengehörigen Nervenstränge bald auf kürzere, bald auf län- gere Strecken hin zusammenhielt. Bei einigen Individuen zerfällt jeder der l)eiden hinteren Ilauptnervenstämme schon gleich nach dem Ab- gange vom Ganglion in seine I Ilauptzweige ; bei anderen geht einer der letzteren nach dem andern erst ab, wenn der vereinigte Stamm an der Basis des Beinpaares des betreffenden Segments vorbeigeht. Die histologische Structur des Nervensystems betreffend kann man am unverletzten lebenden Thiere sonst Nichts erkennen, da sowohl das Centralganglion als die davon ausstrahlenden Nervenfasern sehr hell und fast structurlos erscheinen , jedoch die letzleren hie und da leicht längsgestreift, das erstere wie aus hellen kleinen Bläschen zusammenge- setzt. Bei Behandlung mit Säuren und beim Zerzupfen ergiebt sich, dass 82 Dr. Ernst Hiickel, diese scheinbar homogenen Bläschen sehr kleine runde Ganglienzellen von nur 0,004'"'" mittlerem Durchmesser sind, mit einem sehr kleinen dunkleren Kern (Taf. III. Fig. 32g). Im Zusammenhang mit den Fasern konnte ich keine isoliren. Die Fasern isoliren sich leicht beim Zerzu- pfen der Schlundcommissur und der grösseren Stämme, besonders der Antennennerven (Fig. 32n). Die breitesten zeigen nur 0,002'"'" Durch- messer und erscheinen häufig mit spindelförmigen Varicositäten be- setzt, oft fast' rosenkranzförmig. Ebenso leicht varicös erschienen auch viele feinere Hautnerven an unverletzten inLiqueur conservatif aufbe- wahrten Thieren. Als Neurilemma lässt sich am Ganglion und den grösseren Stännnen eine sehr feinkörnige , mit kleinen Kernen durch- säete Bindegewebshülle nachweisen , die mit dem Bindegewebsgerüste des »Fettkörpers« durch viele Stränge in Verbindung steht. Von den eigenthümlichen Endigungen der Hautnerven wird sogleich bei den Sinnesorganen berichtet werden. 8) Sinnesorgane. Kaum fällt beim ersten Anblick eines Hyalophyllum ein ande- res Verhältniss dem Beobachter so überraschend in die Augen, als die ausserordentlich reiche Verzweigung der verhältnissmässig sehr be- trächtlichen Hautnerven , welche besonders in der vorderen Körper- hälfte von dem Centralganglion ausstrahlen , und sowohl auf der Rücken- als auf der Bauchfläche, besonders aber am Rande, in eigen- thümlichen rundlichen Körperchen endigen (Taf. I. Fig. 7 linke Hälfte). Auch bei der Sapphirina und Copilia finden sich ähnliche, zum Theil ansehnlich grosse Körperchen an den Enden der Hautnerven vor (Taf. II. Fig. 1 7) und sind hier oft bei einzelnen Arten specifisch ge- färbt, z. B. bei Sapphirina Edwardsii und Sapphirina Gegen- bauri rubinroth, bei Sapphiri na nigro-maculata schwarz. Der einzige Forscher , der diese merkwürdigen Organe bisher berücksich- tigt hat, ist Claus, welcher sich (a. a. 0. S. 55) folgendermaassen darüber ausspricht: »Bei Sapphirina durchzieht das Netzwerk der Hautnerven den ganzen Körper; auch im Thorax und Abdomen erhält jede Seitenfläche ihren Nerven, dessen Zweige in den regelmässig fast symmetrisch vertheilten fettglänzenden Kugeln enden. Am reichsten kommen diese im vordem Abschnitt des Kopfbruststücks , vorzugs- weise am Rande des Schildes zur Entwicklung, wo sie je unter einem kleinen Cuticularstäbchen liegen. Nicht überall aber füllt die fettglän- zende Kugel die Anschwellung des Nerven vollständig aus, hie und da ist sie von geringerem Umfang oder durch mehrere kleinere Kugeln Beitrüge zur Keniitniss der Coryoneklen. 83 ersetzt. An einzelnen Stellen, namentlich am Ende des Körpers, zeigen sich auch Pigmentkörnchen und Pigmenlkugeln im Inhalt. Bei Sap- phirina nigromaculata und anderen kleinen Sapphirina-Arten tre- ten dieselben in viel grösserer Zahl auf und ersetzen die fettartig-glän- zenden Kugeln fast vollständig, so dass man anstatt der letzteren grössere Pigmentkugeln in regelmässiger und symmetrischer Anord- nung verbreitet findet.« Claus hält also, wie aus dieser und anderen Stellen hervorgeht, diese »fettglänzenden« oder pigmentirten Kugeln für Endanschwellungen der peripherischen Hautnerven-Aeste. Ich selbst habe diesem sehr merkwürdigen Apparate, der sowohl wegen seines eigenthümlichen Baues , als wegen seiner beträchtlichen Ausbreitung im Körper der Corycaeiden in hohem Grade auffallen muss, bei beiden Arten von Hyalophyllum und bei 4 Arten von Sap- phirina ein andauerndes Studium gewidmet und bin dabei zu folgen- den Resultaten gelangt: Die rundlichen, theils blassen, theils fettglän- zenden, theils gefärbten Körperchen, welche sich an den peripherischen Enden der vielverzweigten Hautnerven bei den genannten Corycaeiden vorfinden, sind von fünferlei Art , nämlich : 1 ) Terminale in feine Bor- sten endigende Ganglienzellen, die einen eigenthümlichen Sinnesappa- rat darstellen; 2) terminale GangHenzellen , die in LEYDic'sche Organe ü])ergehen ; 3) einzellige Hautdrüsen ; i) mehrzellige Hautdrüsen und 5) zweizeilige Sinnesapparatdrüsen, nämlich eng verbundene Doppel- zellen , welche eine sehr charakteristische Combinalion der ersten und dritten Form darstellen. Die bei weitem grosse Mehrzahl der von Claus als pigmentirte oder fetlglänzende Endanschwellungen der Haut- nerven beschriebenen Kjbrperchen sind ausgeprägte einzellige Haut- drüsen, welche als Typus dieser einfachsten Drüsenbildungen, die unter den Gliederthieren so verbreitet sind, dienen könnten (Taf. HI. Figg. 38. 39y. 41 y. 42y, 45). Jedes dieser kleinen Organe stellt sich bei genauer Untersuchung als eine grosse einfache rundliche Zelle her- aus , welche entweder unter der Chitinogenmembran oder unmittelbar unter dem Chitinpanzer liegt und durch einen kürzeren oder längeren, den letzteren durchbohrenden Ausführungsgang nach aussen mündet. Die Gestalt der Zelle ist bald mehr kugelig, bald mehr gestreckt oval; die etwas tiefer liegenden , von den polygonalen Platten der Chitino- genschicht bedeckten Zellen sind meist kolben- oder flaschenförmig, indem sie sich dann einseitig in den gestreckteren Ausführgang ver- längern. Der letztere ist in diesem Falle oft so lang oder länger als die Zelle selbst (Fig. 42) , indem er beide Hautschichten durchbohren muss , während seine Länge gewöhnlich , wo er nur die Chitindecke zu durchsetzen hat , der Dicke der letzteren gleich kommt. Der Aus- 6 84 Dr- Ernst Hiickel, führgang ist seltener rein cylindrisch, meist mehr oder minder conisch, und zwar ist gewöhnlich die äussere Mündung doppelt so weit als die innere. Oft erscheint sowohl der cylindrische als der kegelförmige Aus- führgang in der Mitte ringförmig eingeschnürt. Der Ausführgang ist nicht hloss ein Porencanal in der Chitindecke , sondern besitzt ausser- dem auch eine besondere, den letzleren innen auskleidende, und nicht selten doppelt contourirte Membran, welche sich innen unmittelbar in die Zellenmembran der Drüse selbst fortsetzt (Taf. III. Figg. 4 Id. 42d). Diese letztere ist ziemlich dick, meist auch ziemlich starr und resistent, so dass sie gewöhnlich bei ganz oder theilweise entleertem Zellenin- halte nicht oder unvollkommen coUabirt (Taf. III. Fig. 42y,, 45y,,). Doch verhalten sich einige Sapphirinen hierin etwas verschieden, indem die entleerten Zellen faltigen zusammengefallenen Schläuchen gleichen, die an die ausgedrückten Farbenbeutelchen der Oelmaler erinnern. An das dem Ausführgang entgegengesetzte Zellenende setzt sich constant eine terminale Hautnervenfaser an, ein, wie es scheint, äusserst wich- tiges Verhältniss , welches meines Wissens bisher bei einzelligen Drü- sen noch von Niemandem l)eobachtet oder beschrieben worden ist, während der directe Einfluss der an die grossen zusammengesetzten Drüsen herantretenden Nerven auf deren Secretionsthätigkeit ja längst bekannt ist. , Das Protoplasma , welches bald den grösseren, bald den geringeren Beslandtheil des Zelleninhalts ausmacht, erscheint als eine trübe graue zähflüssige , eiweissarlige Masse , welche meist zahlreiche feinere Körnchen und ausserdem fast immer mehrere, oft zahlreiche grössere Körperchen enthält. Die letzteren sind bald runde Kugeln und dann meist stark fettglänzend (ob wirklich Fe^?) , bald unregelmässig rundliche oder eckige Körner und dann meist mehr oder minder dunkel (roth, braun, schwärzlich) gefärbt. Bei Hyalophyllum habe ich nur farblose oder gelbliche fettglänzende Kugeln in den Drüsenzellen gese- hen (Taf. III. Fig. 38. 3yy), bei Sapphirina Glausi kommen daneben spärliche mit braunem Pigment erfüllte Zellen vor; bei Sapphirina Gegen bauri und noch mehr bei Sapphirina Edwards ii sind die rothen , oft prächtig rubinrothen Pigment-erfüHten Zellen ganz über- wiegend und lassen namentlich die Panzer der letzteren äusserst zier- lich gefleckt erscheinen (Taf. II. Fig. 1 7) . Das Aussehen dieser Arten ist übrigens ein sehr verschiedenes, je nachdem aUe oder die meisten Zellen prall mit Pigment gefüllt oder entleert sind. Nicht selten brachte ich frisch gefangene , ganz unverletzte und vollkommen lebenskräftige Sapphirinen unter das Mikroskop, bei denen fast alle Drüsenzellen der linken oder rechten Seite völlig entleert waren, während die genau entsprechenden der andern Seite noch ganz gefüllt erschienen. Oefter Bpitriiop ztir Keimtniss der Coivciipideii. 85 waren auch dio meisten Zellen des Kopfschildrandes collabirt und farb- los, während die des Abdomen und namentlich der Fui'calplatten aus- gedehnt und intensiv gefärl)t erschienen. An den theilweis entleertea Zellen ist häufig noch ein Theil des ausgetretenen Protoplasma vor der Mündung des Ausführganges hängen geblieben oder verstopft auch wohl denselben (Taf. III. Figg. 41. 42. 45). Den Austritt des Zellenin- halts selbst kann man sich unmittelbar vor Augen führen, indem man mittelst des Deckglases einen leichten Druck auf eine ausgeschnittene Ilautpartie ausübt. Der grössle Theil des Protoplasma tritt dann mit den eingeschlossenen Fett- oder Pigmentkörperchen durch den Aus- führgang heraus, während eine geringe Quantität desselben sammt dem Zellenkern in der leeren Zellhöhle zurückbleibt. Der Nucleus wird in diesem Falle meist erst deutlich sichtbar, während er sonst gewohn- lich vom übrigen Zellinhalt mehr oder weniger verdeckt ist. Er ist nicht von gew öhnlichen Zellenkernen verschieden , länglich und fein granulirt, 0,005 — 0,01""" lang. Der Durchmesser der Drüsenzellen selbst beträgt durchschnittlich 0,01 — 0,02, nicht selten aber auch 0,04— 0,05""". Ich habe absichtlich diese einzelligen Hautdrüsen so ausführlich als möglich beschrieben , weil mir die Organisation solcher höchst ein- fachen, noch auf dem embryonalen Standpunct einer einfachen Zelle stehen gebliebenen Organe für das Verständniss der complicirteren in gleicher Weise thätigen Organe von hohem Werthe zu sein scheint. Auch dürften solche «durchlöcherte Zellen«, wie die einzelligen Drüsen, bei denen ein Theil des activen Zelleninhalts unwiderleglich nackt und hüllenlos zu Tage liegt und mit dem äusseren Medium unmittelbar in Berührung steht, gerade jetzt von Interesse sein, wo es gilt, das Dogma von der Notluvendigkeil der Zellmembran aus dem Gebiete der allge- meinen Histologie zu verbannen. Versucht man sich ein Bild von der Thätigkeit der beschriebenen Zellen zu machen, so scheint der Austritt des Secrets aus dem Beutelchen entweder passiv, durch Endosmose neuer Flüssigkeit durch die Membran in das Zellenlumen, oder auch activ, durch die Contractilität des Protoplasma selbst erfolgen zu kön- nen, da die Zellenmembran hier anscheinend nicht contractu und auch an den entleerten Zellen nicht contrahirt ist. Der Austritt des Zellin- halts erfolgt vermuthlich auf Anregung des an die Zelle herantretenden Nerven , der anderseits gewiss auch auf die Quantität und Energie der Absonderung von Einfluss ist. Hierbei könnte jedoch auch der wand- ständige Nucleus, der in den entleerten Zellen stets zurückbleibt, als wesentlich betheiligt betrachtet werden können. Er ist es vielleicht, der als Attractionscentrum den Durchtritt der Secretsloffe aus der die 86 Dr. Ernst Hiiokel, Zelle umspülenden Ernährungsflüssigkeit durch die Zellmembran hin- durch in die Zelle hinein bedingt. Ueber die Verbindung des Nerven mit der Zelle vermochten mir auch die stärksten Vergrösserungen keinen sichern Aufschluss zu gel)en. Bald scheint die Nervenprimi- tivröhre, die häufig eine kurze Strecke vorher noch einen Kern ent- hält, sich mit etwas dreieckig verbreiterter Basis an die Zellmembran anzusetzen, bald scheint sie (bei etwas dickerer Membran) die letztere zu durchbohren und unmittelbar mit dem Protoplasma in Verbindung zu treten (Taf. III. Figg. 38n. 39. 41. 42. 45n). Als terminale Ganglienzellen, in welchen ein Theil der Hautnerven endet, und welche einen eigenthümUchen Sinnesappa- rat darstellen, sind bei Hyalophyllum und Sapphirina nicht die soeben beschriebenen gefärbten und fettglänzenden Zellen anzusehen, die Claus dafür ausgegeben hat, sondern andere ebenfalls in der Haut gelegene blasse und zarte Zellen, welche den am Kopfe von Copilia von Claus beschriebenen Endanschwellungen der Hautnerven sehr ähnlich sind. Allerdings kommen sie meistens mit jenen einzelligen Hautdrüsen paarweise in gleich näher zu beschreibender Form combi- nirt vor und sind daher leicht mit ihnen zu verwechseln ; allein sie finden sich auch an mehreren Körperstellen , besonders im vorderen Kopftheile isolirt vor und weisen sich bei genauerer Betrachtung als ganz bestimmt verschieden aus. Die terminalen Ganglienzellen- liegen unmittelbar unter der Chitincuticula, in einer Lücke der Chitinogenmem- bran; sie sind meistens birnförmig oder spindelförmig, durchschnitt- lich kaum halb, oft nur Va — Y4 so gross als die einzelligen Hautdrüsen. Sie sind ferner sehr viel blasser und zarter als letzlere selbst in ganz entleertem und collabirtem Zustande erscheinen. Namentlich ist ihre Membran niemals so dick und so dunkel contourirt, wie bei jenen. Das Licht brechen sie ebenso wie die Zellen des Centralganglion. In dem hellen Protoplasma sind ausser dem Kern entweder gar keine Formbestandtheile oder nur wenige ganz blasse runde Bläschen, selte- ner einige dunklere Körnchen zu unterscheiden (Taf. III. Fig. 37g. 39g. 41 g. 42g). Der meistens wandständige Nucleus ist rundlich, zart, blass granulirt und etwa V3 oder ^/^ so gross als die Zelle. An zwei entge- gengesetzten Enden scheint die Membran der Ganglienzelle durch- brochen zu sein und das Protoplasma sich in andere Körper fortzu- setzen, erstens nämlich am inneren gewöhnlich breiteren Theile in den herantretenden Nerven und zweitens am äusseren , meist birnförmig zugespitzten Theile, in das terminale Stäbchen. Die zur Zelle laufende Nervenprimitivröhre (n in den citirten Figuren) ist so fein als die an die Drüsenzellen herantretende; sie verbreitert sich gewöhnlich plötz- Bt'itriiiiP, zur Keiiiidiiss der Corycaeideii. 87 lieh, ehe sie an die Ganglienzelle herantritt, in deren Contour sich der ihrige unmittelbar fortzusetzen scheint. Ein deutlicher Grenzstrich (Zellencontour) zwischen dem Nerven und dem Protoplasma der Zelle ist nicht wahrzunehmen. Ebenso geht das letztere, indem sich die Zelle nach aussen allmählich birnförmig verschmälert, direct in das zarte blasse Stäbchen über, welches die Cuticula durchbohrt. Dieses nach aussen kegelförmig zugespitzte Stäbchen, welches nackt in einem Porencanal der Chitindecke zu liegen scheint, ist schon durch seine viel schwächere Lichtbrechung deutlich von dem ähnlichen, aber meist um- gekehrt verschmälerten Ausführgang der Hautdrüsen verschieden. Da wo das Stäbchen an der Oberfläche der Chitinschale aulhört, sitzt der abgestutzten Kegelspitze desselben, scheinbar durch eine Einschnürung abgesetzt, eine Borste auf, welche sich sehr rasch in eine äusserst zarte und blasse Haarspitze verlängert, mindestens so läng als die ganze Zelle und mit kaum w ahrnehmbarem feinem Aussenende (Taf. III. Fig. 37b. 3ilb. 41 b). Selten ist der Chitinpanzer rings um die Basis der Nervenborste in Form einer kurzen Papille oder eines kleinen Walles erhöht, wie es bei den ähnlichen Bildungen von Copilia gewöhnlich der Fall ist. Wahrscheinlich ist diese äusserst feine Nervenborste die directe Fortsetzung des aus der Zelle hervorgehenden Stäbchens und somit des Hautnerven selbst, wie es vermuthlich auch bei andern ähn- lichen über die Haut hervorragenden blassen Stäbchen der Fall ist. Ausser diesen freien haarfeinen Nervenborsten, die bei allen Corycaeiden verbreitet zu sein scheinen und bei Hyalophyllum und Sapphirina zahlreich an den verschiedensten Körperstellen vorkom- men, habe ich bei letzteren auch, jedoch in ^viel geringerer Anzahl, einige LEYDic'sche Organe beobachtet, nämlich grössere und nament- lich dickere, stachelartige oder kolbenförmige , ebenfalls frei über die Cuticula vorragende Organe, welche den von Leydig bei verschiedenen Gliederthieren und namentlich bei niederen Crustaceen sorgfältig be- schriebenen Sinnesorganen zu gleichen scheinen. Ob diese grösseren und dickeren blassen »Nervenkolbena und »Nervenstacheln«, die meist an ihrer Basis mit einer kleineren Nervenzelle in Verbindung stehen, qualitativ verschieden sind und eine andere Function versehen, als die viel zahlreicheren eben beschriebenen kleinen Nervenborsten, muss vorläufig dahin gestellt bleiben. Einzelne derartige blasse lanzettför- mige Kolben, die ich jedoch nicht genauer untersucht habe, sitzen zwi- schen den langen Haaren an den vorderen Antennen verborgen; eine Gruppe von einigen andern mehr cylindrischen und am Ende knopf- förmig angeschwollenen Kolben findet sich am vorderen Theile des Kopfes bei Hyalophyllum vor; dasselbe Thier besitzt am Ende jedes gg Dr. Ernst Hilckel, Furcalstabs 2 blasse lange stachelartige conische Borsten , die sehr viel grösser und stärker als die vorher beschriebenen feinen Nervenborsten sind und sovs'ohl am inneren als an» äusseren Rande der Furcalspitze zwischen deren äusseren kurzen Zähnen und den mittleren langen Chitinborsten sitzen. Ein dritter solcher blasser Stachel befindet sich am Innenrande jedes Furcalcylinclers, kurz oberhalb desEndes, und ein vier- ter noch etwas weiter hinauf an dem Aussenrande (Taf. III. Fig. 3Gb. b). Auch die Basis dieser Borsten ist durch je 2 starke kurze Chitindornen gedeckt. Die feinen Enden der Hautnerven (n), welche in diese weit frei vortretenden, blassen Nerven stacheln (die gar nicht mit Chitin- borsten zu verwechseln sind), übergehen, schwellen kurz zuvor, unter der Chitinogenniembran, in eine länglich spindelförmige, einen Kern enthaltende Verdickung an, die man ebenfalls als eine terminale Gang- lienzelle betrachten muss , obwohl sie kleiner und weniger selbslstän- dig erscheint als die grossen , unter den kleineren Nervenborslen ge- legenen Nervenzellen. Ganz besonders ist nun noch hervorzuheben die eigenthümliche Verbindung, in welcher bei Hyalophyllum und Sapphirina ge- wöhnlich je eine einzellige Hautdrüse mit je einer terminalen, in eine freie Nervenborste übergehenden Ganglienzelle zu einer zweizeiligen Sinnesapparatdrüse combinirt vorkömmt. Die grosse Mehrzahl der ein- zelligen Hautdrüsen steht riämlich in unmittelbarer Berührung mit je einer ihrer Wand unmittelbar aussen anliegenden Nervenzelle, welche in eine der oben beschriebenen Nervenborsten ausläuft (Taf. III. Figg. 39. 41. 42). Seltener sind beide Zellen durch einen schmalen, noch seltener durch einen breiten Zwischenraum getrennt. Die beiden meist gleich langen terminalen Nervenfädchen , welche an die 2 Zellen her- antreten, erscheinen als die divergirenden Endäste einer erst kurz zu- vor sich spaltenden Nervenprimitivröhre. Constant ist diese enge Nach- barschaft der beiderlei Gebilde allerdings nicht; sowohl die einzelligen Drüsen (Taf. HI. Fig. 38) als die Ganghenzellen (Taf. HI. Fig. 37) kommen auch isolirt vor ; aber ihre innige Verbindung in den allermeisten Fällen ist sicher nicht ohne tiefere Beziehung, und vielleicht ist das Secret der Hautdrüsen für die Perceptionsfähigkeit des benachbarten Sinnesap- parats von unmittelbarer Bedeutung. Zu einer Vermuthung über das Nähere dieser Beziehungen, sowie über die Natur dieser Sinnesapparate überhaupt, fehlt es uns zur Zeit an allen Anhaltspuncten, ebenso wie auch bei den Schleimcanälen der Fische, an deren Sinnesapparat man hier mehrfach erinnert wird. Schliesslich mögen an dieser Stelle die ebenfalls mit Nervenenden versehenen mehrzelligen Hautdrüsen erwähnt werden, die ich Beitrüge zur Keimtiiiss der Corycaeiden. 89 bei dem Männchen von Sapph Irina Darwinii aufgefunden habe und die hier, in grosser Anzahl regehnässig vertheilt, und mit dunkel roth- braunem Inhalte erfüllt, den ganzen Körper sehr zierlich gefleckt er- scheinen lassen (Taf. II. Fig. 26). Die bei weitem grössere Mehrzahl derselben kömmt auf die hintere Leibeshälfte und hier finden sich zu- gleich die grössten Drüsen vor. Jedes der 3 ersten Äbdominalsegmente enthält deren allein 7. Viel weniger zahlreich sind sie verhältnissmässig in der breiteren vorderen Körperhälfte , wo sie auch kleiner sind. Ihr mittlerer Durchmesser beträgt 0,05 — 0,08. Die meisten sind exquisit flaschenförmig , indem sich das äussere Ende allmählich in den dick- wandigen Ausführungsgang verlängert, der die Cuticula durchbohrt (Taf. III. Figg. 46. 47). An das entgegengesetzte innere Ende, das mei- stens abgerundet, seltener ebenfalls flaschenförmig ausgezogen ist, tritt ein Hautnerv heran (Figg. i6n. 47n). Bei den kleineren Formen dieser mehrzelligen Drüsen (Fig. 46) scheinen einfach mehrere sehr grosse runde Drüsenzellen in eine gemeinsame homogene Hüllmembran ein- geschlossen zu sein, die sich in die Wand des engen Ausführgangs fortsetzt. Bei den grösseren Foiinen hatte es fast mehr den An- schein , als ob dieselben eine kleine Traubendrüse darstellten und aus mehreren runden Bläschen zusammengesetzt seien, deren jedes wieder von mehreren Zellen ausgekleidet sei. Doch ist die Slructur dieser grösseren Blasen wegen des dunkeln, sie dicht erfüllenden Pigments sehr schwierig zu ergründen. Wichtig ist, dass dieselben durch alle Uebergänge mit den einzelligen Hautdrüsen verbunden sind, welche auch bei dieser Sapphirina vorkommen und zwar besondersam vor- deren Kopfrand (Taf. III. Fig. 45) und in den Furcalplatten (Taf. II. Fig. 29) . Das Pigment häuft sich sowohl bei diesen als bei jenen besonders gegen den Ausführgang hin an und lässt denselben sehr deutlich hervortreten. Durch die BiUlung des Gesichtsorganes entfernt sich Hya- lophyllum bedeutend von der sonst nah verwandten Sapphi- rina und stimmt dagegen wesenthch mit der sonst sehr verschie- denen Corycaeiden-Gattung Pachysoma (Claus a. a. 0. S. 162) über- ein. Sapphirina besitzt, wie die meisten andern Corycaeiden, drei Augen, ein mittleres mehr an der Bauchfläche und nach vorn gelegenes, medianes, unpaares Auge von bläschenförmiger Beschaffenheit, das mehrere lichtbrechende Krytallkörper und 2 Pigmentflecke umschliesst (Taf. III. Figg. 40m. 43m. 44) ; und zwei sehr grosse seitliche, mehr nach hinten und oben gelegene Augen (Taf. III. Figg. 40. 43), deren langgestreckter Pigmentkörper (p) hinten auf dem vorderen Rande des Gehirns (g) aufsitzt, während er vorn eine rundliche Linse (1) umfasst ; in grösserem oder geringerem Abstände liegt dann vor der letzteren, in 90 Dl'- Enist Hilckel, der Chitindecke der Haut, oft ganz vorn am Stirnrande, noch in der Axe jedes Auges eine sehr grosse sogenannte »Gornealinse« (c). Diese Cornealinsen fehlen den beiden seitlichen Augen von Sapphirinella, Vvelche auf zwei in die Seiten eines gemeinsamen mittleren Pigment- körpers eingesenkte Krystallkugeln besciiränkt sind. Dagegen ist das mediane unpaare Augenbläschen selbstständig geblieben und besteht aus einem vor und unter dem verschmolzenen Pigmentkörper der Sei- tenaugen gelegenen einfachen Bläschen, dessen vorderes Ende eine Pigmenlkugel enthält. Sapphirinella bildet so den Uebergang von Sapphirina zu Hyalophy 1 lum, bei welchem, wie bei Pachy- soma, auch das mittlere unpaare Auge mit den beiden seitlichen ver- schmolzen ist, so dass nur eine einzige Pigmentmasse existirt, welche vorn einen unpaaren und beiderseits einen paarigen Krystallkörper umschliesst (Taf. III. Figg. 31p. 33). Der gemeinsame Pigmentkörper der 3 verschmolzenen Augen von Hyalophyllum ist abgerundet vier- eckig, bei Hyalophyllum vitreum vorn fast halbkreisförmig gerun- det, hinten gerade abgestutzt, seillich convex, bei Hyalophyllum pel lucidum dagegen vorn schwächer convex, seitlich concav und hinten fast dreilappig , indem 2 seitliche concave Ausschnitte durch einen mittleren Vorsprung getrennt sind (Fig. 33p). Dieser hintere Rand liegt dem vorderen Rande des Gehirnes unmittelbar auf. Aus der seitlichen Ausschweifung tritt jederseits die ellipsoide Linse, die das Seitenauge repräsentirt, sehr stark hervor, indem nur ein kleiner Theil ihres hinteren und inneren Umfanges in dem Pigmentkörper versteckt zu sein scheint (Fig. 331). Viel schwächer tritt aus dem convexen Vor- derrande des Pigmentkörpers die vordere , dem unpaaren Medianauge entsprechende Linse hervor (Fig. 33m), Vielehe bei Hyalophyllum vitreum kaum zu unterscheiden ist , bei H y a l o p h y 1 1 u m p e 1 1 u c i- dum dagegen mindestens ebenso gross als jede der seitlichen Linsen, bald durchaus homogen, bald wie aus mehreren (5 — 10) kleinen Kry- stallkörpern zusammengesetzt erscheint. Der ganz undurchsichtige Pigmentkörper hat eine bräunlichrothe Farbe. 9) Ernährungsorgane. Der gesammte Ernährungsapparat von Hyalophyllum verhält sich, wie bei Sapphirina, höchst einfach, ja sogar in einiger Bezie- hung noch einfacher als bei den letztgenannten Corycaeiden. Diese extreme Einfachheit einerseits, vmd anderseits ein eigenthiimliches Verhalten eines dem »Fettkörpera der übrigen Arthropoden vergleich- baren Gebildes, auf das ich bei Hyalophyllum zuerst aufmerksam Beiträge zur Keiindiiss der Coryeaeideii. 91 wurde, verdienen hier eine genauere Darstellung. Zunächst ist hervor- zuheben, dass Circulations- und Respirationsorgane völlig fehlen. Die Athmung geschieht bei der extremen Abplattung des blattförmigen Körpers mit grösster Leichtigkeit durch die gesammte Körperoberfläche. Von einem Herzen ist keine Spur vorhanden. Es bleibt also als einziges Ernährungsorgan der Darmcanai und der mit demselben zusammenhängende , dem »Fettkörper« homologe Bindege- webs-Apparat übrig. Auch der Darmcanai ist äusserst einfach, ein vollkonmien gera- der, sehr enger, nicht in verschiedene Abtheilungen differenzirter Schlauch , welcher sich in der Mittellinie der Rückenseite vom Munde bis zum After erstreckt, und nicht die geringste Krümmung, Erweite- rung oder Ausbuchtung zeigt (Taf. I. Figg. 1i. 7i). Selbst die beiden traubenförmig gelappten , innen mit drüsigen Zellen belegten Blind- säcke, welche bei Sapphirina jederseits in den rautenförmig erwei- terten Magen einmünden und welche wohl ohne Zweifel als Leber- schläuche zu betrachten sind (Taf. II. Figg. 13b. 21b), fehlen bei Hyalophyllum vollständig. Das einfache Darmrohr beginnt mit einem li'ichterförmig erweiterten Munde, der kurz vor und unter dem Auge liegt. Die oben beschriebenen dreieckigen, mit der Spitze nach vorn gerichteten Platten, welche die vorderen Maxillarfüsse repräsenti- ren, liegen eine kurze Strecke vor dem Mundrand. Eigentliche Kiefer, sowie Wimpern und Borsten an letzterem fehlen. Die Mundöffnung selbst bildet eine Querspalte, die in halb geöffnetem Zustande (Taf. III. Fig. 34o) fast sechseckig erscheint, mit einem wulstig aufgeworfenen, verdickten, ganz glatten Lippenrande (1). Der Mund, der wahr- scheinlich nur zum Saugen dient, ist sehr beweglich und erweiterungs- fähig ; seine Wandung ist von einem sehr deutlichen feinen Muskelnetze durchzogen , das aus sternförmig verästelten und anastomosirenden contractilen Zellen zusammengesetzt ist (Fig. 34r). Ein gleiches Mus- kelnetz mit meist spindelförmigen Maschen erscheint beiderseits als ein dreieckiger, fast halbkegelförmiger Flügelmuskel (m), welcher sich mit breiter Basis an jedem der beiden seitlichen Mundwinkel ansetzt und bei seiner Contraction den Mundspalt verbreitert und schliesst. Als Oeffner des Mundes, welche bei ihrer Contraction die beiden Lippen- ränder von einander entfernen, dienen 2 einfache, paarige Muskelbän- der, welche, gerade von vorn nach hinten laufend, sich mit gabelför- mig gespaltener Insertion an die 4 mittleren Mundecken ansetzen (Fig. 34b. b) ; die unteren, welche zur Unterlippe gehen, entspringen ein gut Stück vor dem Munde von der Bauchseite des Kopfschilds , die oberen, zur Oberlippe gehenden, von der Rückenseite desselben. Diese 6 92 Dr. Ernst Hiickl, Muskeln sind es, welche durch ihre Insertion die sechseckige Form der Mundspalte bedingen. Sowohl die 4 mittleren, linearen, bandförmigen und mit einzelnen Kernen besetzten Schliessmuskeln des Mundes (b) als die stern- und spindelförmigen kernhaltigen Muskelzellen , welche die seithchen Flügelmuskeln zusammensetzen und die Mundwandung durchziehen , erscheinen entweder ganz homogen oder nur feinkörnig, aber nicht deutlich quergestreift. Dasselbe gilt von den einzelnen sehr dünnen kernhaltigen Muskelstreifen, welche am hintern Rande einzel- ner Körpersegmente entspringen und sich , einfach oder mehrfach ga- belig gespalten am Darm inseriren (Taf. III. Fig. 35m). Diese Muskel- fäden, welche sich nicht an der Bindesubstanzhülle, sondern an der Muskelhaut des Darmes selbst inseriren, sind übrigens nicht, wie das bei Sapphirina geschehen ist, mit den unten zu beschreibenden, von dem Bindegewebsrohr des Darms ausgehenden Strängen des Fettkörpers zu verwechseln. Die Function der viel feineren Muskelbänder besteht hauptsächlich darin , einzelne Darmabschnitte zu erweitern ; daneben können sie auch bei schiefer Insertion dieselben mehr nach vorn oder nach hinten ziehen. Rhythmisch wiederholte derartige Gontractionen und dadurch bewirktes Auf- und Absteigen des Darmcanales scheinen die fehlenden Pulsationen eines Herzens theilweise zu ersetzen und den im Körper vertheilten Nahrungsstoff in Bewegung setzen zu können. Ein starkes gabelspaltiges Muskelpaar der Art, welches sich jederseits am Darmende, nahe dem After, ansetzt, ist bei dem Austritt der Fä- calmassen besonders thätig (Taf. III. Fig. 35mm). Während ich an allen diesen Muskelfäden keine Querstreifen entdecken konnte, so er- scheinen diese dagegen sehr deutlich an den feinen spindelförmigen Muskelzellen, welche, der Länge nach dicht an einander gelagert, die dünne Muskelhaut des ganzen Darmes vom Schlünde bis zum After zusammensetzen. Alle diese Muskeln verlaufen longitudinal. Quere Muskelringe, wie sie bei Sapphirina aussen die longitudinale Mus- kellage umfassen, konnte ich bei Hyalophyllum nicht unterscheiden. Eingeschlossen von dem Muskelrohre konnte ich ein aus kleinen rund- lichen blass granulirten Zellen bestehendes Epithel wahrnehmen, das jedoch nur ah wenigen Stellen deutlich war. Innerhalb des Epithelial- rohres endlich waren hie und da feine Längsstreifen wahrzunehmen, welche vielleicht als Falten einer dünnen Intima (Ghitin-Cuticula) an- zusehen sind. Grössere oder gefärbte, etwa Leberzellen entsprechende Secretionszellen konnte ich an keiner Stelle des Darmes wahrnehmen. Der wahrscheinlich nur in äusserst geringer Quantität nöthige Yerdau- ungssafl kann also nur von den kleinen Epithelzellen des Darms gelie- fert werden. Beitrage zur Kenntuiss der Corycaeiden. 93 Alle diese UnisUinde — die äusserst einfache Beschaffenheit des sehr engen Darmrohrs, der Mangel aller Anhangsdrüsen an demselben, der Mangel kauender Mundwerkzeuge, die saugmundartige Mundöffnung, die stiletartige Beschaffenheit der oberen Kieferfüsse, die starken Klammerhaken der mächtigen unteren Maxillarfüsse , der lange Greif- haken am Ende der ebenfalls zum Anklammern dienenden verlänger- ten hintern Antennen, das sehr reducirteAuge, das schwach entwickelte Muskelsystem — alle diese Umstände brachten mich schon in Messina auf die Vermuthung, dass ich es mit einem parasitisch von dem Blute oder Safte anderer pelagischer Thiere lebenden Schmarotzer zu thun hal)e, der nur zeitweise frei umherschwimmt. Doch hal)e ich weder in der Innern Höhlung noch auf der äusseren Oberfläche von Medusen, Ctenophoren, Salpen und andern pelagischen Mollusken, bei denen ich darnach suchte, jemals ein Hyalophyllum ansitzend gefunden. Den- noch werde ich in jener Vermuthung noch dadurch bestärkt, dass ich niemals im Darmcanale desselben geformte Nahrungsbestandtheile an- traf, sondern constant nur eine dünne Ijlasse feinkörnige Masse und dann und wann eine Anzahl kleiner Fetttropfen (Taf. III. Fig. 35c). Auch die Sapphirinen, besonders die Weibchen, scheinen, wenigstens zumTheil, temporär zu schmarotzen; Dana fand seine Sapphirina iris in dem Athenn-aum einer Salpe schmarotzend und ebenso traf Claus das Weibchen einer andern Art in dem Athemraume der Salpa af ricana-maxima. Vielleicht lässt sich hieraus auch der Umstand erklären, dass ich unter Hunderten von beobachteten Sapphirinen nicht ein einziges Weibchen antraf. Auch im Darme der Sapphirinen be- jnerkte ich stets nur einen feinkörnigen trüben Detritus , keine grösse- ren geformten Körperchen, die als deutliche Organismen-Reste zu erkennen waren ^) . Ausser dem inneren Epilhelialrohre und der dasselbe umschlies- senden Muskelhaut ist nun am Darm von Hyalophyllum und ebenso auch von Sapphirina noch eine dritte , äussere Lage zu unterschei- 4) Dagegen fand ich den Darm aller beobachteten Arten von Sapphirina fast regelmässig von Gre garinen bewohnt, die meistens nur zu 3 — 6, manchmal aber auch in Haufen von 20 — 30 den Darm erfüllten und unter denen ich 3 ver- schiedene Arten, sämmtlich einzellig, unterscheiden konnte. Die eine Art zeichnet sich durch enorme Länge bei nur sehr geringer Dicke aus , und gleicht einem sehr schmalen linearen Bande, das nur im hinteren Drittel, da wo der länglich ovale Kern liegt, etwas angeschwollen, und am vorderen Ende mit einem runden Knöpf- chen versehen ist. Die zweite Art erscheint als ein viel kürzerer und dickerer Gy- linder, 5— lOmal so lang als breit, ebenfalls am vorderen Ende mit einem (jedoch schmäleren) Knöpfchen und in der Mitte mit einem kugeligen Kern versehen. Die dritte Art ist eine einfache kernhaltige Zelle von ovaler Form, ungefähr von der Grösse der einzelligen Hautdrüsen, welche an ihrem spitzeren Ende einen kleinen blassen kegelförmigen, radial gerippten Aufsatz zeigt. 94 Dr. I- riist Häckel, den , die mir hier von einer besonderen Bedeutung zu sein scheint, ein Bindegewebsrohr, welches die Muscularis nur locker anliegend umgiebt und welches mit einem den ganzen Körper durchziehenden Netze von feinen Bindesubstanzsträngen in unmittelbarer Verbindung steht. Ein Theil dieses Netzes fällt leicht in die Augen und erscheint in Form von verschieden starken , bandartigen , zum Theil nur faden- dünnen Bindegewebssträngen, welche, einerseits am Chitinpanzer (oder dessen Chitinogenmembran) , anderseits an verschiedenen Organen sich befestigen und die letzteren in ihrer Lage als eine Art Mesenterium zu erhalten bestimmt sind'). Andere solche rechtwinklig vom Darm abgehende Stränge treten nicht gleich an die Hautbedeckung, sondern verlaufen, indem sie sich verästeln und anastomosiren, nach den Sei- ten des Leibes, wo sie sich theils an Nerven, Muskeln und andern In- nern Organen verästeln, theils unter der Haut ausl^reiten. Ferner gehören , zu diesem Netze grössere sternförmige, sehr blasse Körper mit ver- ästelten Ausläufern, welche bei Sapphirina meistens durch andere Theile verdeckt und daher seltener deutlich zu beobachten sind, in dem wasserklaren Leibe von Hyalophyllum dagegen, besonders im Kopfe und den Seitenflügeln des Thorax, sich mit Leichtigkeit nachweisen lassen'^) (Taf. III. Figg. 35h. 40h. Taf. I. Fig. 7h). Cntcrsucht man die letztgenannten Theile unter starker Vergrösserung , anhaltend und mit wechselnder Einstellung des Focus, so überzeugt man sich, dass zahl- reiche, aber äusserst feine, durch sternförmige oder spindelförmige Zellen zusammenhängende Fäden ein sehr blasses und feines, weit- maschiges Netz, besonders unmittelbar unter der Chitinogenmembran, auch da bilden , wo man auf den ersten Blick in der glashellen Leibes- substanz keine geformten Gewebselemente zu sehen glaubt. Vielfach sieht man endlich die Ausläufer dieses Netzes in die bindegewebige Hülle der Nerven , Muskeln und anderer Organe übergehen. Offenbar sind nun alle diese, an Ausdehnung und Form so sehr verschiedenen 1 ) Zu diesen gehören ohne Zweifel auch die breiten dreieckigen, nach aussen verschmälerten Stränge, welche seitlich vom Darme abgehen uud weiche Claus bei Sapphirina als seitliche Erweiterungsmuskeln des Darmes deutet und abbildet (a. a. 0. S. 59. Taf. VII. Fig. 5). Dieselben stimmen ganz mit andern Strängen des Bindesubstanznetzes überein , während die von mir als solche Muskeln gedeuteten und oben beschriebenen Stränge sehr viel feiner, stärker lichtbrechend und be- stimmter begrenzt sind. Vergl. Taf. III. Fig. 35mm. 2) Zu diesen scheinen mir auch die »umfangreichen polygonalen Felder mit blassem, hier und da körnigem Inhalt« zu gehören, welche Claus bei Sapphiri- nella beschreibt und abbildet (a. a. 0. S. 56. Taf. XXV. Fig. 12). »Dieselben sind unter einander durch Fäden und breite Fortsätze verbunden und stehen ausserdem entschieden mit zarten Nerven in Zusammenhang.« (Letzteres vermuthlich, indem sie neurilemmartige Scheiden um dieselben bilden , wie ich das auch bei H y a I o- p h y 1 lum sah. Beiträge zur Kenntniss der Corycaeiden. 95 Gebilde doch nur Theile eines und desselben Apparates, eines durch den ganzen Körper verzweigten zarten Bindegewebsnetzes, welches dem »Fettkörper« der übrigen Arthropoden homolog ist. Aehnliche Bildungen sind auch bei anderen niederen Crustaceen von Leydig, Claus u. A. beobachtet und ebenfalls als »Fettkörper« gedeutet wor- den. Dazukommt, dass bei vielen Individuen (jedoch nicht bei der Mehrzahl der von mir beobachteten) in verschiedene und unbestimmte Stellen dieses Bindegewebsnetzes kleinere und grössere Fettkugeln sich eingelagert finden ') . Zweifelhaft ist es mir, ob als solche einfache Fell- kugeln auch die grossen feltglänzendcn Kugeln zu betrachten sind, welche ganz constant an bestimmten Körperstellen, ebenfalls in stern- förmige Hohlräume des Fettköipers eingelagert, vorkommen, und bei allen Individuen einer Species in so constanter Zahl, Grösse und Lage- rung vorkommen, dass man sie als specifisches Unterscheidungsmerk- mal benutzen kann. Bei Hyalophyllum pcUucidum kommen regelmässig M solche feltglänzende Kugeln vor, welche durch ihre beträchtliche Grösse und Lichtbrechung am meisten von allen inneren Körperlheilen in die Augen springen (Taf. I. Fig. If. f). Jede einzelne ist fast so gross als das Ccntralganglion. 3 Kugeln liegen in der Mitte der 3 ersten Thoraxsegmente, 3 andere jederseits in deren Seitenflü- geln, nahe dem Rande, und die 2 übrigen in dei' hinteren Hälfte des Kopfes, ebenfalls nahe dem Soitenrande. Bei Hyalophyllum vitreum finden sich statt dessen 1i Kugeln vor, von denen 4 jederseits am Rande des Kopfs und der 3 ersten Bruslringe gerade wie bei Hyalo- phyllum pellucidum vertheilt sind. Aber statt der 3 medianen Kugeln finden sich 3 Paare symmetrisch vertheilter Kugeln vor, von denen 1 Paar im ersten , 2 l'aar im zweiten Brustsegmente liegen , das hinterste Paar von den letzteren sehr nahe der Mittellinie und nahe der Grenze des dritten Ringes (Taf. 1. Fig. 7f. f). Auch bei mehreren Sap- phirina-Arten erscheinen die fettglänzenden Kugeln in ähnlicher Weise constant vertheilt. Vielleicht sind diese dunkeln Körper, an de- nen (vielleicht aber auch nur in ihrer Umgebung) mir öfter ein feiner Nerv zu endigen schien, bestinmite Organe (Drüsen?), vielleicht aber auch nur grössere Fett-Depots des Fettkörpers, in diesem Falle aber durch ihre Grösse und constante symmetrische Lagerung auffallend von den vielen kleineren oft ganz unsymmetrisch vertheilten und an wech- selnden Stellen gelegenen Fettkugeln verschieden. 1) Aucli die raniificirten oder rundlichen IMgnientzellen , welche Claus bei mehreren Sapphirinen beschreibt, scheinen, wenigstens theihveis, in diesem Binde- gewebsnetz des Fettkorpers zu liegen ; zum Theil sind es aber auch wohl einzellige oder mehrzellige Hautdrüsen (vergl. oben). 96 Dr- Ei'iist Hiickel, Weshalb mir nun aber der Fettkörper unserer Corycaeiden beson- ders interessant erscheint , und weshalb ich ihm eine so ausführliche Darstellung gewidmet habe , das ist der Umstand, dass mir die Balken und Stränge desselben, wenigstens zum grossen Theil, hohl zu sein scheinen , und dass derselbe mithin ein Netz von gefässartigen, com- municirenden Röhren darstellt, ein Umstand, der, wenn er sich bestä- tigte, nicht allein für das Verständniss der Ernährung unserer gefäss- und herzlosen Crustaceen von grosser Bedeutung sein, sondern weiterhin vielleicht auch einiges Licht auf die Bedeutung des Fettkörpers der Arthropoden überhaupt werfen würde, dieses eigenthümlichen Gebil- des, von dem wir zwar wissen, dass es zur Ernährung des Glieder- thieres in bestimmten Beziehungen steht, ohne jedoch die Natur dieser Beziehungen näher zu kennen. Zuerst kam ich auf die Vermuthung, dass das netzförmige Gerüste des Fettkörpers ein hohles System com- municirender Röhren und Lacunen sei, als ich bei einer zufälligen Bewegung einer Sapphirina einige anscheinend in einem soliden Strange liegende kleine Fettkugeln eine Strecke weit in demselben fortrollen sah. Ich versuchte nun durch Druck dieselben ebenfalls fortzutreiben, was noch ein Stück weiter gelang, und ebenso glückte auch der Versuch in vielen Fällen bei andern Individuen, namentlich an den vom Darme ausgehenden Balken , obwohl nicht immer. Sicher ist also so viel , dass ein Theil der gröberen Bindegewebsstränge des Fettköipers der Corycaeiden — und ebenso ein Theil der ebenfalls dazu gehörigen sternförmigen Körper, — wenigstens auf kurze Strecken hin hohl ist und in diesen Höhlungen eine Flüssigkeit, oft noch ausserdem Fettkugeln (vielleicht auch Pigmentkörner) einschliessl. Ob aber nun auch die feineren Fäden und Netze des Bindegewebsgerüstes (wohl keinenfalls alle!) ähnltche Höhlungen umschliessen und ob alle diese kleineren und grösseren Hohlräume zusammenhängen und ein den ganzen Körper durchzieheiwles plasmatisches Gefässsystem bilden , ist freilich eine andere Frage und wird sich nur sehr schwer entscheiden lassen, denn die Anzahl der in den Hohlräumen eingeschlossenen Fett- kugeln ist nur gering , ihre Grösse meist zu beträchtlich , um sie etwa durch Druck (mittels des Deckgläschens) in den feinen Canälen weiter zu treiben. Injections- oder Imbibitions-Versuche dürften aber in die- sem Falle schwerlich zu einem entscheidenden Resultate führen. Dass jedoch bei Hyalophyllum und Sapphirina, und ebenso wohl auch bei andern herzlosen Copepoden (und Crustaceen über- haupt) wirklich das vielverzweigte Gerüst des Fettkörpers mit seinen Faserzweigen und Zellennetzen ein solches plasmatisches Gefässsystem bildet, ist mir nicht allein aus den angeführten Beobachtungen sehr Beiträge zur Keiintiiiss der Corycaeideii. 97 wahrscheinlich , sondern wird es mir noch mehr im Hinbhck auf die äusserst einfachen physiologischen Verhältnisse des übrigen Ernäh- rungsapparals. Die bindegewebige Hülle des Darmrohrs (auch Serosa benannt) liegt der inneren Muskelhaul nur locker an und ist oft (z. B. durch grössere Feltkugeln) ein ganzes Stück von letzterer abgehoben (Taf. III. Fig. 3öf. f). Nichts ist also natürlicher, als dass der durch die Darrawand hindurchtretende Nahrungssaft zunächst in diese Hohl- räume gelangt, und wenn diese (wie es mindestens an manchen Stellen der Fall ist) mit andern Hohlräumen in Verbindung stehen, auch in diese hineintritt und so zu verschiedenen Organen weiter geleitet wird. So gelangt der frische brauchbare Nahrungssaft zu den Nerven , Mus- keln, einzelligen Hautdrüsen und Sinnesorganen, welche sämmtlich engere oder weitere Scheiden und Hüllen von demselben Bindegewebe erhalten, welches auch den Fettkörper constituirt. So würde also durch die vis a tergo des durch die Darmwände hindurchtretenden Chylus beständig neuer Nahrungsstoff in diesem lacunären Gefässsystem gerade den wichtigsten Organen zugeführt und so einigermaassen der Mangel eines Circulationsapparates bei diesen doch immerhin grossen und sonst ziemlich hoch organisirten Thieren ersetzt werden. In histologischer Beziehung ist schliesslich hinzuzufügen, dass das gesammte Gerüste des Fettkörpers aus einem sehr zarten und durch- sichtigen, entweder ganz homogenen oder feinkörnigen, selten nur streifig oder fibrillär erscheinenden Bindegewebe besteht, in welches zahlreiche Kerne eingestreut sind (Taf. III. Figg. 35h, 40h). Diese Bindegewebskerne sind meist länglich rund oder eiförmig, von sehr verschiedener Grösse. Ob die kleinen, mit sehr feinen Ausläufern versehenen sternförmigen Hohlräume, in deren Mitte ein Kern liegt, und die täuschend den wirklichen sternförmigen Zellen des gallertigen Bindegevt'cbes, des Schleimgewebes u. s. w. gleichen (Figg. 35z. 40z), wirkliche Zellen sind, erscheint mir sehr zweifelhaft, da sich alle Mit- telstufen zwischen ihnen und den grösseren und ganz grossen stern- förmigen Lacunen vorfinden, und da sie auch durch feine Ausläufer mit den letzteren unmittelbar anastomosiren. Diese sind aber keinen- falls Zellenäquivalente; ihre Wand zeigt häufig zahlreiche Kerne. Der Fettkörper umspinnt nicht nur die einzelnen Organe, ftihrt ihnen Chy- lus zu und erhält sie in ihrer Lage fixirt, sondern er schickt auch band- förmige Ausläufer in alle Extremitäten und Anhänge des Körpers (Taf. I. Fig. 12h) und verlängert sich sogar in Form eines sehr feinen blas- sen , oft mit Reihen kleiner Kerne besetzten Fadens in die einzelnen hohlen Borsten, welche an den Antennen, den Schwimmfüssen u. s. w. sich zahlreich vorfinden. Die gefoi'mten Elemente, welche sich in dem Band 1. 7 98 Dr. Ernst Hiickel, die Höhlungen des Fetlkorpers erfüllenden, Blut oder Chylus gleich- werthigen, Fluidum vorlinden, bestehen nur aus kleineren oder grösse- ren Fettkugeln. Zellenartige Gebilde, die als Aequivalente der Blutkör- perchen 7A1 betrachten wären, habe ich weder in diesem Theile des wasserhellen Ernährungssaftes , noch in den» anderen ausserhalb des Fettkörpers gelegenen Theile desselben bemerkt, der die Zvvischen-- räume zwischen den Organen ausfüllt und wahrscheinlich durch viele Oeftnungen der Fettkörperhöhlungen mit dem ersteren in unmittelbarer Verbindung steht. 10) Geschlechtsorgane. Sowohl von Hyalophyllum als von Sapphirina habe ich wäh- rend meines sechsmonatlichen Aufenthaltes in Messina ausschliesslich nur Männchen, unter Hunderten von Individuen nicht ein einziges Weibchen beobachtet. Vermuthlich liegt der Grund dieser befremden- den Erscheinung darin, dass die Weibchen den grössten Theil ihres Lebens in andern pelagischen Thieren schmarotzend zul)ringen (vergl. oben). Der männliche Geschlechtsapparat zeichnet sich bei Hyalo- phyllum, wie bei allen andern Corjcaeiden, dadurch vor dem der übrigen mit einem einfachen Hoden versehenen Copepoden aus, dass der Hoden in 2 voluminöse rundlich birnförmige Seitenhälften zerfällt, welche in der Mitte nur durch eine schmale, etw^as spindelförmig an- geschwollene Brücke zusammenhängen (Taf. I. Figg. It. Fig. 7t). Die Form ist l3ei beiden Species nicht wesentlich verschieden; bei beiden liegt er in der vorderen Hälfte des zweiten Brustsegments. Die Grösse des Hodens von HYaloph> llum im Verhältniss zum ganzen Körper ist auffallend gering gegenüber den sehr viel grösseren Hoden von Sap- phirina. Auch der kürzere oder längere unpaare Blindsack, welcher bei der letzteren von der medianen Veibindungsbrücke nach hinten hervorragt, und besonders bei Sapphirina Darwinii als ein langer spitzer Sack ei^scheint (Taf. HI. Fig. 43t), fehlt bei Hyalophyllum. Den Inhalt des Hodens bilden sehr kleine runde glänzende kernhaltige Zellen. Die Samenleiter (Taf. I. Figg. 1s. 7s), welche jederseits von der äusseren Spitze des Hodens ziemlich gerade nach hinten laufen, convergiren etw-as bis zum hinteren Bande des dritten Brustsegmentes, wo sie sich ein wenig nach aussen biegen und alsbald unter bedeu- tender Verdickung ihrer Wandungen sich zu einem spindelförmigen Schlauch erweitern. Dieser reicht bis in die Mitte des ersten Abdo- minalsegments und setzt sich hier durch eine ziemlich tiefe Einschnü- rung scharf von dem eiförmigen Spermatophorenbehälter ab, der eben- Beitrage zur Keniitniss der Corycaeiden. 99 falls stark verdickte und stark lichtbrechende Wandungen besitzt. An der Grenze dieses Behälters und des unteren erweiterten Samenleiter- Endes findet sich eine grosse, nach innen fast halbkugelig vorspringende gelappte Drüse, welche dunkel glänzende Körnchen enthält und wahr- scheinlich den Austreibestoff liefert. Dieser Apparat ist ganz ähnlich, wie bei Sapphirinella gebaut (vergl. Claus a. a. 0. S. 68. Taf. VIII. Fig. 1). Die Längsaxen der beiden Spermatophorenbehälter convergiren schräg von vorn und aussen nach hinten und innen; ihre von einem verdickten Chitinrande wallartig umzogenen runden Oeffnungen (Taf. I. Fig. 6a) münden ziemlich nahe bei einander unter einer grossen drei- eckigen Chitinplatte jederseits aus, welche mit der der andern Seite durch eine schmale mit einem medianen Stachel versehene Brücke zu einer zweiflügeligen Klappe verbunden ist. Diese Genitalklappe (Taf. I. Fig. 6) ist nahe dem Hinterrande des ersten Abdominalsegmentes be- weglich eingelenkt und kann durch einen besonderen bandförmigen Muskel auf- und niedergeschlagen werden. IL Ueber einige neue mediterrane Arten des Oorycaeiden-Genus Die bei Messina vorkommenden Species der Gattung Sapphirina oder wenigstens die (von mir allein beobachteten) Männchen derselben gruppire ich in 2 verschiedene Abtheilungen oder Untergattungen. Das eine Subgenus, welches man Pyromma (Feuerauge) nennen kann, enthält grössere, schlankere und hellere Arten, mit rothgelbem, rothem oder braunem Pigmentkörper der Augen, deren CorneaHnsen ein Stück vom vorderen Kopfrande entfernt, mehr dem Auge selbst genähert sind. Die Arten des anderen Subgenus, das man entsprechend als Cyanomma (Blauauge) bezeichnen kann, sind kleiner, gedrunge- ner, dunkler pigmentirt, mit violettem, blauem oder blauschwarzem Pigmentkörper des Auges, dessen Cornealinsen entweder ganz im Kopf- rande oder kurz hinter demselben liegen. Auch in der Bildung der Antennen und der Schwimmfüsse sind beide Gruppen verschieden. Bei den unter Pyromma zusammengefassten Arten sind die beiden letzten Glieder oder der Endabschnitt der viergHedrigen hinteren oder Klannner-Antennen zusammengenommen kürzer, oft kaum halb so lang als das verlängerte zweite Glied. Bei den zu Cyanomma gehöri- gen Arten ist umgekehrt der aus dem dritten und vierten Gliede be- stehende Endabschnitt der hinteren Antennen verlängert und minde- stens ebenso lang, oft noch länger als das verkürzte zweite Glied. 100 Dr. Krnst Hiickd, Endlich ist bei Pyromma der innere Ast des vierten Fusspaares un- verkümmert, so gross als an den andern Füssen, bei Gyanomma dagegen sehr verkümmert , so dass die 3 kleinen, sehr verschmälerten Glieder desselben kaum länger sind als die 2 ersten Glieder des äusse- ren Astes. Auch die Bildung des unteren Maxillarfusses und vielleicht auch der andern Mundtheile scheint bei beiden Gruppen durchgreifend verschieden zu sein ; doch ist das letztere Verhältniss nicht genügend von mir untersucht. Von beiden Untergattungen kommen mehrere Arten in der Meer- enge von Messina vor und sind theilweise von Claus in seiner Mono- graphie der frei lebenden Gopepodon unterschieden und beschrieben worden. Von blauäugigen Sapphirinen unterscheidet Claus 3 Arten, sämmtlich neu, welche er 1) Sapphirina pachygaster, 2) Sap- phirina nigromaculata, 3) Sapphirina auronitens nennt. Ausser diesen habe ich noch eine vierte ausgezeichnete Species dieser Gruppe beobachtet, welche ich Sapphirina Darwinii nenne. Von rothäugigen Sapphirinen führt Claus nur eine distincte Art auf, Sapphirina fulgens, von der er vermuthet, dass sie mit der gleich- namigen Art Templeton's (dem Oniscus fulgens des Tilesius, dem Carcinium opalinum von Banks) identisch sei. Jedoch fügt Claus hinzu , dass wahrscheinlich 2 verschiedene Arten in der Formenreihe dieses Namens zu unterscheiden seien, eine grössere Art mit kürzeren und mehr gedrungenen Klammer-Antennen und Furcallamellen, und mit vorderen Antennen, welche kaum über den Rand des Kopfschilds vorragen — und eine kleinere Art mit schlankeren und längeren Klammer-Antennen und Furcallamellen , und mit vorderen Antennen, dei'en letzte Glieder ül)er den Rand des Kopfschilds vorragen. An zahlreichen Exemplaren beider Formen, von deren jeder ich minde- stens 20 — 30 Individuen auf die unterscheidenden Charaktere verglei- chend untersucht, gezeichnet und gemessen habe, habe ich mich über- zeugt, dass ein Theil der letzleren hinreichend constant ist, um beide Formenreihen als sogenannte »gute Arten« zu unterscheiden. Die grös- sere Form nenne ich zu Ehren des Monographen der Copepoden Sap- phirina Clausi, die kleinere, welche den Untersuchungen Gegen- baur's^) zu Grunde gelegen zu haben scheint, nenne ich Sapphirina Gegenbau ri. Endlich habe ich in zahlreichen Exemplaren noch eine dritte hierher gehörige und der letzteren zunächst stehende, aber eben- falls gut zu unterscheidende Species beobachtet, welche zu Ehren von MiLNE Edwards , des Crustaceen - Monographen , Sapphirina I) MÜLLER's Archiv 1858. S. 63. Taf. V. Beiträoe zur Keiiiitiiiss der Corycaoideii. 101 Ed wa rdsii heissen mag. Der ältore Name, Sapphirina fiilgens, dürfte am besten ganz aufzugel>en sein , da ganz verschiedene Arten unter dieser Benennung beschrieben und verwechselt worden sind. Will Jemand die 3 soel)en untei'schiedenen Arten nur als Varietäten einer einzigen Sapphirina fulgens aufTassen , so habe ich Nichts dagegen , da ich mit Darwl\ «Varietäten« nicht durchgreifend von «A r- ten« zu unterscheiden vermag und die meisten sogenannten »Varietä- tena nur für «beginnende S p e c i e s« halte. Auch gebe ich die jetzt hier folgende Beschreibung der 4 neuen Species nur mit dem aus- drücklichen Vorbehalte , dass ich die hauptsächlich zur Unterscheidung derselben benutzten und hervorgehobenen Charaktere keinesw^egs als absolut unveränderliche betrachtet wissen will. Gerade eine sehr ge- naue und sorgfältige vergleichende Untersuchung, Messung und Zeich- nung sehr zahlreicher hierher gehöriger Individuen hat mich aufs Neue (wenn dies überhaupt noch nöthig wäre) von der Variabilität der Spe- cies und damit (da der Kampf um das Dasein eine unbestreitbare Thatsache ist) von der Wahrheit der natürlicjM^n Züchtung und der D_ARWiN'schen Descendenz-Theorie überzeugt./ijewiss sind die Crusta- ceen und die Gliederthiere überhaupt bei dei- starren und festen Form ihrer äusseren Chitinbedeckung besonders geeignet, für diese Theorie praktische Beweise zu liefern und den grossen Breitegrad der oft so unscheinbaren und doch so äusserst wichtigen »individuellen Verschie- denheiten« darzuthun , die sich ganz allmählich zu den auffallenderen Differenzen der Varietät , Rasse , Subspecies und Species stufenweise erheben. Gerade diejenigen Charaktere, welche man hauptsächlich zur Unterscheidung der verschiedenen Sapphirinen- Arten mit Recht be- nutzt, die relative Länge der einzelnen Antennen-Glieder , die Form, Lagerung und Richtung der beiden seitlichen und des medianen Auges, die Umrisse und Zähnelungen der Furcalplatten — haben mir bei Ver- gleichung zahlreicher Individuen gezeigt, dass sie keineswegs unab- änderlich sind;"' sondern zahlreiche feine individuelle Abänderungen erkennen lassen r^ Dasselbe , was sich hier am harten Chitinpanzer in sehr klarer und bestimmter Weise zeigt , habe ich dann noch an den eingeschlossenen weichen inneren Organen in oft überraschender V^^eise wahrgenommen. So ist z. B. die sehr leicht und sicher zu verfolgende Ausbreitung der Hautnerven und der einzelligen Hautdrüsen keines- wegs bei allen Individuen derselben Art constant , und sogar oft auf der rechten und linken Seite wesentlich veäschieden. Sorgfällige Un- tersuchungen der Art führen gewöhnlich nicht, wie die meisten For- scher noch jetzt meinen , zur Ueberzeugung von der Constanz der Species, sondern umgekehrt zur Ti'ansmutationslehre, und ich meine. 102 Df- Ernst Hiickel, dass die Systematiker sich um die letztere sehr verdient machen wer- den, wenn sie recht viele einzelne Individuen jeder sogenannten »guten Art« einer möglichst genauen vergleichenden Untersuchung und Mes- sung unterziehen. Gattungscharakter der männlichen Sapphirina. Körper im Umriss oval, stark dorso-ventral zusammengedrückt, blattartig dünn, meist ziemlich durchsichtig, metallglanzend, und in wechselnden Farben schillernd. Thorax aus 5 Segmenten gebildet; das fünfte Segment vom vierten bedeckt , rudimentär ; die Füsse des fünften Paares einghederige Stummel. Die 4 ersten Fusspaare mit 2 dreigliederigen Aesten. Vordere Antennen aus 4 — 5 — 6 Gliedern ge- bildet, hintere aus 4 Gliedern, das letzte mit einem Greifhaken. Mund- theile bestehen aus sichelförmigen Mandibeln, plattenförmigen Maxillen und 2 Paar zweigliederigen hakentragenden Kieferfüssen. Das mittlere unpaare Auge bläschenförmig; die beiden seitlichen paarigen Augen mit gestrecktem Pigmentkörper, der vorn eine länglichrunde Linse umfasst. Vor der letzteren eine selbstständige grosse Cornealinse; Darmcanal mit Leberanhängen. Caudallamellen sehr kurz und breit, oval. I. Subgemis; Pyromma (oder als bosnuderes Genus: Sapphirina sensu strictiori). Charakter der Untergattung: Paarige Augen mit gelbem, rothem oder braunem Pigmentkörper, und mit mittlerer oder nach hin- ten gerückter Cornealinse (Taf. IIL Fig. 40). Die beiden letzten Glieder der hinteren Antennen zusammen kürzer als das verlängerte zweite Glied. Der innere Ast des vierten Fusspaares gut entwickelt, so gross als an den andern Füssen (Taf. IL Fig. 25). 1) Sapphirina Gegenbauri (Taf. FI. Figg. 13— -16). Diagnose: Länge des Kopfes verhält sich zur Breite = 8:9. Das vierte Glied der hinteren Antennen verhält sich zum dritten und dieses zum zweiten = 5 : 4 : 12. Die beiden äusseren Glieder der vorderen Antennen ragen über den Kopfrand vor. Cornealinsen von den Linsen der Seitenaugen ungefähr um die eigene Länge der letzte- ren entfernt. Einzellige Hautdrüsen massig zahlreich, mit rubinrothem Inhalt. Länge der Furcalplatten verhält sich zur Breite = 12 : 5. Diese Art fand ich in Messina am häufigsten von allen Sapphirinen und sie scheint auch der Abbildung Gegenbaur's (a. a. O.) zu Grunde zu liegen. Auch die kleinere Form der Sapphirina fulgens von Beitrüge zur Keimtiiiss der Corveaeideii. 103 Claus ist wohl hierher zu ziehen. (Vergl. a. a. 0. S. 151. Tai'. VIII. Fig. 3.) Es ist die schlankste und schnellste von allen Formen. Nicht nur der ganze Körper, sondern auch alle einzelnen Anhänge desselben sind im Verhältniss zur Breite und Dicke länger als bei allen übrigen Formen , wie dies die Verhältnisszahlen der Diagnose beweisen. Be- sonders schlank erscheinen die Furcalplatten, welche noch nicht halb so breit als lang und am Innenrande nur mit einem sehr schwachen Zahn versehen sind. Der Greifhaken am Ende der sehr dünnen und schlankeren hinteren Antennen, und ebenso auch der Greif iiaken der unteren Maxillarfüsse ist kürzer, schwächer und weniger gekrümmt als bei allen anderen Arten. Die vorderen Antennen sind fünfgliedrig, mit sehr langem zweiten Gliede. Das fünfte und meist auch das vierte ragen über den Kopfrand vor. Der Pigmentkörper der Seitenaugen ist feuerroth oder ziegelroth. Die Cornealinse ist weder so weit nach vorn gerückt , wie bei Sapphirina Clausi, noch liegt sie der hin- teren Linse an , wie bei Sapphirina Edwardsii, sondern ist meist um die Länge des Pigmentkörpers von derselben entfernt. Auch in der Lebhaftigkeit des Farbenspieles und in der Stärke des Metallglanzes hält diese Art die Mitte zwischen den beiden genannten Arten, ebenso in den meisten Dimensionen. Der Magen ist eng. Die einzelligen Haut- drüsen sind mit rubinrothem Inhalte erfüllt, jedoch bei weitem nicht so zahlreich als bei Sapphirina Edwardsii. Die Körperlänge beträgt 3— i'"'". 2) Sapphirina Edwardsii (TaC. II. Figg. 17-20. Taf. III. Figg. 40—42). Diagnose: Länge des Kopfes verhält sich zur Breite =7:9. Das vierte Glied der hinteren Antennen verhält sich zum dritten und dieses zum zweiten = 5 : 3 : 9. Die beiden äusseren Glieder der vor- deren Antennen ragen über den Kopfrand vor. Cornealinsen von den Linsen der Seitenaugen entweder durch gar keinen oder nur durch einen sehr geringen Zwischenraum getrennt. Einzellige Hautdrüsen sehr zahlreich, mit rubinrothem Inhalt. Länge der Furcalplatten ver- hält sich zur Breite = 13 : 7. Diese schöne Art, welche bisher noch nicht beobachtet zu sein scheint , fällt auf den ersten Blick besonders auf durch die ausseror- dentliche Menge der rubinrothen einzelligen Hautdrüsen , sowie durch die Lage der Cornealinsen , welche weiter als bei allen andern Arten nac^h hinten rücken und die hinteren Linsen entweder unmittelbar be- rühren, oder nur durch einen schmalen Zwischenraum von ihnen ge- trennt sind (TaL HL Fig. 40c) . Die Form sowohl des ganzen Körpers als auch aller einzelnen Anhänge, besonders der Antennen, Kieferfüsse 104 Dr. Ernst Hiickel, und Furcalplatten, ist gedrungener stärker, weniger schlank und leicht als bei der vorigen Art, der sie sonst am nächsten steht. Während das Kopfschild der letzteren fast die Form eines gothischen Spitzbogens hat, gleicht dasselbe hier mehr einem maurischen Rundbogen. Die Breite der Furcalplatten ist grösser als die Hälfte ihrer Länge; der Zahn am Innenrande ist stärker. Auch der Greifhaken am Ende der hinteren Antennen und der unteren Maxillarfüsse ist stärker als bei Sapphi- rina Gegenbauri, zwischen weicherund Sapphirina Clausi sie in mehreren Beziehungen in der Mitte steht. Die vorderen Antennen sind fünfgliedrig , mit sehr langem zweiten Gliede ; das fünfte , meist auch das vierte und oft sogar ein Theil des dritten Gliedes ragen über den Kopfrand vor. Der Pigmentkörper der Seitenaugen ist scharlach- roth oder rubinroth, dunkler, breiter und kürzer als bei Sapphirina Gegenbauri. Auch das unpaare Auge ist anders geformt. Der Me- lallglanz und das Farbenspiel ist schöner und lebhafter als bei der vori- gen und folgenden Art; ^der Sitz desselben, die polygonalen Ghitinogen- platten, erscheinen bei sehr starker Vergrösserung etwas unregelmässig von 2 (3?) feinen Systemen paralleler hervorragender Leisten durch- zogen, die sich unter Winkeln von 60 (resp. 120^') schneiden und rhombische (oder hexagonale?) Vertiefungen zwischen sich lassen. Diese sind grösser und regelmässiger als bei der vorigen und folgenden Art. Der Magen ist eng. In die Knotenpuncte des Fettkörpernetzes sind meist zahlreiche grosse fettglänzende Kugeln symmetrisch eingelagert. Die Körperlänge beträgt 3 — 4""". 3j Sappliirina Clausi (Taf. II. Figg. 21 -25). Diagnose: Länge des Kopfes verhält sich zur Breite = 6:9. Das vierte Glied der hinteren Antennen verhält sich zum dritten und dieses zum zweiten = 5 : 4 : U. Das letzte Glied der vorderen An- tennen erreicht den Kopfrand nicht. Cornealinse näher dem Kopfrande als der Linse der Seitenaugen. Einzellige Hautdrüsen meistens mit blassgelblichem Inhalt. Länge der Furcalplatten verhält sich zur Breite = 12:8. Diese Art ist die grösste von allen in Messina vorkommenden Sap- phirinen. Sie ist auch von Claus dort beobachtet und in seinem Cope- poden-Werk als grössere Form der Sapphirina fulgens aufgeführt worden (a. a. 0. S. 151. Taf. VIII. Fig. 4). Auch sind die unterschei- denden Charaktere von Claus ganz richtig hervorgehoben; das zunächst am meisten auffallende ist die sehr geringe Länge der vorderen Fühler, welche nicht einmal den Kopfrand erreichen. Uebrigens sind die- selben auch hier fünfgliedrig und das zweite Glied bei weitem das Beiträge zur Ketinliiiss der Corycaeideii. 105 längste. Auch die Form der übrigen Anhänge, besonders der hinleren Antennen, der unteren MaxillarfUsse und der Furcalplatten ist noch bedeutend stärker, kürzer, gedrungener und theilweis plumper als bei beiden vorigen Arten ; namentlich auch der krumme Haken der 3 letzt- genannten Anhänge grösser und stärker gekrümmt. Der Kopf ist fast halbkreisförmig, im Verhältniss zum Körper kürzer als bei beiden vori- gen. Der Pigmentkörper der Seitenaugen ist länger, schmäler und hel- ler gefärbt als bei diesen , orangeroth oder gelbroth. Die Cornealinse ist viel weiter nach vorn gerückt als bei diesen, so dass sie meist näher dem Stirnrande als der Linse der Seitenaugen liegt und von den letz- teren oft um das Zwei- bis Vierfache ihrer Länge absteht. Die Form des unpaaren Auges ist ebenfalls verschieden. Der Inhalt der einzelli- gen Hautdrüsen ist nicht rubinroth , sondern blassgelblich ; auch der Metallglanz ist schwächer als bei Sapphirina Edwardsii und Sap- phirina Gegenb.auri. Endlich zeichnet sich Sapphirina Clausi vor letzteren durch einen sehr grossen Magen aus, der einen weiten Sack bildet und vom Centralganglion bis zum Vorderrande des dritten Brustsegmentes reicht. Die Körperlänge beträgt 4 — 5""". II. Siibgeiius : C y a u o in m a (oder als besonderes Genus : S a p p hl r i d i n a). Charakter der Untergattung: Paarige Augen mit violettem, blauem oder blauschwarzem Pigmentkörper, und mit weit nach vorn gerückter Cornealinse (Taf. 111. Fig. 43). Die beiden letzten Glieder der hinteren Antennen zusammen ebenso lang oder länger als das verkürzte zweite Glied. Der innere Ast des vierten Fusspaares rudimentär, die 3 schmalen Glieder desselben zusannnen kaum länger als die 2 ersten Glieder des äusseren Astes (Taf. 11. Fig. 30). 4) Sapphirina Da rwinii [Sapphiridina Darwinii] (Taf. II. Figg. 26— 30. Taf. III. Figg. 43—48). Diagnose: Länge des Kopfes verhält sich zur Breite = 5:9. Das vierte Glied der hinteren Antenne verhält sich zum dritten und dieses zum zweiten = 12 : 5 : 12. Die beiden äusseren Glieder der vorderen viergliederigen Antennen ragen über den Kopfrand vor. Cor- nealinsen den Kopfrand berührend. Zahlreiche grosse mehrzellige Haut- drüsen mit braunrothem Inhalt. Länge der Furcalplatten verhält sich zur Breite = 12 : 9. Diese prachtvolle kleine Art ist der einzige neue Repräsentant der Untergattung Cyanomma, den ich in Messina beobachtet habe. Aus- serdem kommen dort noch 3 von Claus beschriebene Arten dieses Subgenus vor: Sapphirina auronitens, Sapphirina nigro- 106 Dr. Ernst Hiickel, m a c u. 1 n t a und S a p p li i r i n a p a c h y s^ a s t e r, von denen letzlere un- serer Art am nächsten steht. Fast in allen Beziehungen der einzelnen Theile und Organe weicht S a p p h i r i n a D a r w i n i i , die wir hier als Repräsentanten der Gruppe etwas genauer betrachten, bedeutend von den 3 vorigen Arten ab. Der Körper ist viel gedrungener, vorn stark birnförniig verbreitert, mit sehr kurzem und breitem Kopfschild. Alle Anhänge des Körpers sind gedrungener, kürzer, stärker, als bei den vorigen. Die vorderen Antennen besitzen nur i Glieder, von denen das letzte so lang als das zweite ist und dem verschmolzenen vierten und fünften Gliede entspricht. Nicht nur die beiden letzten , sondern auch noch ein Theil des zweiten Gliedes ragt über den Rand des halbkreis- förmigen Kopfschilds vor. Die hinteren Antennen sind sehr mächtige Waffen , das letzte Glied mit einem sehr grossen und kräftigen Haken bewaffnet, der so lang als das dritte Glied, also fast halb so lang als das vierte (und das gleich lange zweite) Glied ist. Das Basalglied ist sehr kurz. Der Haken des unteren Maxillarfusses ist ebenfalls stark gekrümmt und sitzt auf einem verlängerten Basalstück des zweiten Gliedes. Das vierte Schwimmfusspaar nähert sich der Bildung von Hyalophyllum , indem der innere Ast zu einem sehr schwachen (jedoch noch aus 8 Gliedern bestehenden) Rudimente verkümmert (Taf. II. Fig 30). Die Furcalplatten sind sehr breit oval, '\% so lang als breit; am Innenrande hinten mit einem starken Zahn. Die Cornealin- sen (Taf. III. Fig. 43c) liegen unmittelbar hinter dem vorderen Kopf- rande, durch einen Zwischenraum getrennt, der kaum ihrem eigenen Durchmesser gleich kommt. Die ellipsoide, fast subsphärische Linse der Seitenaugen (1) wird nur am hintersten Theile von dem dunkel violettblauen Pigmentkörper (p) umfasst, der hier in zwei gekriüumte divergirende Aeste ausgeht; unter dem inneren Aste befindet sich ein tiefer Ausschnitt, aus welchem ein heller ellipsoider Körper hervorragt (n), der wie eine kleine Krystalllinse aussieht (vielleicht der umgebo- gene Sehnerv?). Das mittlere unpaare bläschenförmige Auge, das zwi- schen den beiden seitlichen Linsen liegt, ist kugehg und scheint mel>- rere helle Kugeln zu umschliessen (Taf. III. Fig. 44). Am vorderen und am hinteren Pole desselben , wo bei den andern Sapphirinen Pig- ment liegt, befindet sich hier eine trübkörnige hügelförmige Masse, von denen die vordere einen linsenähnhchen Körper umschliesst. Es hat den Anschein, als ob der starke Nerv (Taf. III. Fig. 44n), der am hin- teren Pole in das kugelige mediane Augenbläschen eintritt, zwischen den eingeschlossenen Kugeln desselben verschmälert nach vorn zum vorderen Pole liefe. Hier liegen einige kleinere dunklere Kugeln. Die beiden stabförmigen Pigmentkörper der Seitenaugen sind concav gegen Beitrage zur Keiintniss der Corycaeiden. 107 einander gekrümmt und fassen das Centralganglion (Taf. III. Fig. 43g) zwischen sich; an ihren hinteren Rand stösst unmittelbar der paarige Hoden (t), dessen Seitenhälften in einem langen spitzen nach hinten ge- richteten Blindsack verschmelzen. Die Samenleiter verlaufen sehr stark gebogen und mehrmals w inkelig geknickt und um Muskelstränge herum- geviunden, nach hinten bis zum Hinlerrande des ersten Abdominalseg- ments, wo sie ausmünden (Fig.SCr). Der weite Raum zwischen beiden Samenleitern, das ganze mittlere Drittel der i Brustsegmente, wird fast ganz von dem sehr erweiterten Magen eingenommen. Die Erkenntniss der inneren Organisation wird übrigens sehr erschwert durch die ver- hältnissmässig grosse Undurchsichtigkeit des Körpers, die dicken mäch- tigen Muskelstränge, welche denselben durchziehen, die dicken, stark gerippten und äusserst lebhaft glänzenden Chitinogenplatten (Taf. III. Fig. 48), und die grosse Anzahl der grossen mehrzelligen Hautdrüsen, welche mit dunkel rothbraunem Pigment erfüllt sind und in ihrer sym- metrischen Vertheilung den Körper äusserst zierlich gefleckt erscheinen lassen. Am grössten und am stärksten auf kleinem Räume entwickelt erscheinen dieselben in den 2 hinteren Brust- und 3 ersten Ilinter- leibssegmenten , am schwächsten am vordei'en Kopfrand und im ersten Brustring. Fig. 26. auf Taf. II. giebl eine ganz genaue Uebersicht ihrer Vertheilung, Zahl und Grösse (vergl. oben S. 89). Die Chitinogen- platten von Sa pph Irina Darwinii sind verhällnissmässig sehr gross und von sehr grober Sculptur, so dass man schon bei GOOmaliger Ver- grösserung sehr deutlich die 3 feinen Systeme paralleler, erhabener, schnurgerader, unter Winkeln von 60" (resp. 120") sich schneidender Leisten sehen kann, welche regelmässige hexagonale Vertiefungen zwi- schen sich lassen (vergl. Taf. III. Fig. 48). Der Melallglanz und die wech- selvolle Farbenpracht ist bei dieser kleinen Art fast schöner und inten- siver als bei allen anderen; bei auffallendem Licht ist Purpur- und Violettblau , bei durchfallendem Goldgelb vorherrschend. Die Körper- länge beträgt 3™™. Sapphirina pachy gaster, welche Claus in Messina entdeckte, und auf Taf. XXV. Fig. 1 3 seines grossen Copepoden- Werks abbildete, wurde von ihm nur in weiblichen Exemplaren gefangen. Ich habe mehrere männliche Sapphirinen in Messina beobachtet, welche ich vor- läufig als die Männchen dieser Art betrachte, da sie in der gedrungenen birnförmigen Körpergestalt, in der Bildung der Antennen, Augen und Furcalplatten sehr mit der von Claus gegebenen Beschreibung und Abbildung des Weibchen übereinstimmen. Diese Männchen von Sap- phirina pachygaster stehen im Ganzen den oben beschriebenen Männchen von Sapphirina Darwinii ziemlich nahe, unterscheiden 1 08 Dr. Ernst Häokel, sich jedoch von diesen durch schlankere und gestrecktere Körperforni, besonders in der vorderen Hälfte, durch längere und schmälere Brust- segmente, schwächere Musculatur, noch mehr erweiterten Magen, der im ersten Brustringe fast bis an den Seitenrand heranreicht, und dann besonders noch durch die Bildung der Augen. Die Cornealinsen liegen nämlich heim Männchen von Sapph Irina pachy gaster ebenso wie beim Weibchen , in dem vorderen Kopfrand , nicht hinter demselben und sinfl nur durch einen sehr schmalen Zwischenraum (kaum die Hälfte ihres eigenen Durchmessers) von einander getrennt. Die indigo- blauen Pigmentkörper der Seitenaugen sind zwar ähnlich an der In- nenseite eingeschnitten, wie bei Sapphirina Dar winii, aber nicht vorn in 2 gekrümmte divergirende Aeste gespalten ; auch sind sie nicht concav gegen einander gekrümmt, sondern laufen gerade gestreckt, ein wenig convergirend von vorn nach hinten. Die Furcalplatten sind noch mehr verbreitert als bei der vorigen Art, eben so breit als lang, am hinteren Aussenrande geradlinig schief abgestutzt , und hinten am In- nenrande mit einem noch stärkeren Haken liewaffnet. Die Hautdrüsen sind lange nicht so entwickelt und der Metallglanz ist schwächer als bei Sapphirina Darwinii. Werfen wir schliesslich noch einen vergleichenden Rückblick auf die beiden Gruppen der Blauaugen und der Feueraugen , so erscheint die Wechselbeziehung einer entgegengesetzten Entwicklung, welche so verschiedene Theile und Organe in den beiden divergenten Reihen be- trifft, gewiss von Interesse. Von weiterem Werthe für die Descendenz- theorie dürfte vielleicht auch die stufenweise Umbildung in der Reihe der 3 ersten Arten (Pyromma) erscheinen, in der offenbar Sapphi- rina Gegenbauri und Sapphirina Clausi eine nach 2 verschie- denen Richtungen divergente Reihe bezeichnen. Bei der ersteren ersetzt der schlanke leichte Bau und die grössere Schnelligkeit der Bewegungen den Mangel, der durch eine schwächere Entwicklung der Greifanten- nen, Greiffüsse, Furcalplatten und der Haken an diesen Organen gege- ben ist. Bei den letzteren dagegen, deren Körper plumper, gedrunge- ner , schwerfälliger ist , wird der Mangel der geringeren Beweglichkeit durch stärkere Entwicklung der bezeichneten W^affen und ihrer Haken ersetzt. Sapphirina E d w a r d s i i lässt sich fast in allen Beziehungen als eine vermittelnde Zwischenform zwischen Sapphirina Clausi und Sapphirina Gegenbauri nachweisen und ist möglicherweise die semeinsame Stammform beider Arten. Beiträge zur Kenntiiiss der Coryeaeideii. 109 Erklärung der Abbilduugeu. (NB. Die Umrisse sämmtlicher Figuren sind mittelst der Camera lucida entworfen). Taf. I. Hyalophyllum. Figg. 1 — 6. Hy alophyllum pellucidum. H.icKEL. Fig. 1. Das ganze Thier, von der Bauchfläche betrachtet, 30mal vergrössert. Auf der rechten Hälfte der Figur ist die getäfelte Körperbedeckung mit den polygonalen Chitinogcnplatten (p), und das Muskelsystem (m) dargestellt, auf der linken Hälfte die 4 zweiästigen gewimpertenSchwimmfüsse. aa Vor- dere Antennen, ap Hintere Antennen, mp Hintere Maxillarfüsse , g Cen- tralganglion, davor das Auge 1 s, o Mund, i Darm, f Fettglänzende Kugeln im Fettkörper, d Lange Sehnen der kleinen Spindelmuskeln , t Hoden, s Samenleiter, r Spermatophorenbehälter, a After, 1 Furcalstäbe. Vordere Antenne. Hintere Antenne. Oberer Kieferfuss fStechplalte). Unterer Kieferfuss (Greiffuss) mit der eigenthümlichen Wimperbürste (k). Die Genitalklappe zwischen den Mündungen (a) der Spermatophorenbe- hälter. Figg. 7 — 12. Hyalophyllum vitreum. H.\ckel. Fig. 7. Das ganze Thier, von der RUckenfläche betrachtet, 20mal vergrössert. Auf der rechten Hälfte der Figur ist das netzförmige verzweigte Bindegewebs- gerüst des »Fettkörpers« (h) mit den sternförmigen Ausläufern zu den Hautdrüsen (y) dargestellt, auf der linken Hälfte das Nervensystem (n) mit der peripherischen Verzweigung an die Hautdrüsen (y). aa Vordere Antennen , ap Hintere Antennen , g Centralganglion , davor das Auge Is, 0 Mund, i Darm , f Feltglänzende Kugeln im Fettkörper, t Hoden, s Sa- menleiter, r Spermatophorenbehälter, a After, 1 Furcalstäbe. Fig. 8. Vordere Antenne. Fig. 9. Hintere Antenne. Fig. lO. Oberer Kieferfuss (Stechplatte). Fig. -li. Unterer Kieferfuss (Greiffuss) mit der eigenthümlichen Wimperbürste (k). Fig. 12. Ein Schwimmfuss des vierten Paares, mit rudimentärem innerem einglie- drigem Aste (r). m Muskeln, h Fettkörperzweige. Taf. II. Sappli Irina. NB. In den 4 Hauptfiguren (Figg. 13. 17. 21. 26) haben dieselben Buchstaben die nämliche Bedeutung: aa Vordere Antennen , ap Hintere Antennen, c Cornealinsen , Is Linsen, p Pigmentkörper der paarigen Sei- tenaugen , m Mittieres Augenbläschen, g Centralganglion, y Hautdrüsen, Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5. Fig. 6. 110 Dr. Ernst Hilckel, b Leberdrüsen , v Magen , i Darm , a After , 1 Fiircallanieilen , l h Rudi- mentäres fünftes Brustsegment. Figg. 13 — 16. Sapphirina Gegenb auri. Häckel. Fig. 13. Das ganze Tiiier, 30mal vergrössert. t Hoden, s Samenleiter, r Sperma- tophoienbehäiter. Die polygonalen Tafeln, welche die ganze Rückenfläche bedecken, sind die irisirenden Ghitinogenplatten. Fig. 14. Hintere Antenne. Fig. 15. Hinterer Kieferfuss (Greiffuss). Fig. 16. Furcalplatte. m Muskeln, n Nerven, y Einzellige Hautdrüsen. Figg. 17 — 20. Sap phirina Edwardsii. H.\ckel. Fig. 17. Das ganze Thier , 30mal vergrössert. Die den ganzen Körper durchzie- henden feinen verzweigten Fäden stellen das gesammte Nervensystem dar, welches ausser den stärkeren Aesten für die Antennen und die Schwimm- füsse zahlreiche feine Zweige an die einzelligen Hautdrüsen (y) und die mit diesen verbundenen peripherischen Ganglienzellen schickt, f Fettglän- zende Kugeln im Fettkörper. Fig. 18. Hintere Antenne. Fig. 19. Hinterer Kieferfuss (Greiffuss). Fig. 20. Furcalplatte. m Muskeln, n Nerven, y Einzellige Hautdrüsen. Figg. 21 — 25. Sapphirina Clausi. Hackel. Fig. 21. Das ganze Thier, 20mal vergrössert. Das den ganzen Körper durchzie- hende feine Netz, h,in dessen Maschen auch die grossen fettglänzenden Ku- geln hegen, ist das Gerüst des bindegewebigen Fettkörpers, dessen Haupt- stamm den Darm als Röhre umgiebt. Fig. 22. Hintere Antenne. Fig. 23. Hinterer Kieferfuss (Greiffuss). Fig. 24. Furcalplatte. m Muskeln, n Nerven, y Einzellige Hautdrüsen. Fig. 25. Ein Schwimmfuss des vierten Paares, mit vollkommen entwickeltem, in- nerem Aste, m Muskeln, h Fettkörperzweige. Figg. 26 — 30. Sapphirina (Sapphiridina) Darwinii. Häckel. Fig. 26. Das ganze Thier, 35mal vergrössert. t Hode, s Samenleiter, r Spermato- phorenbehälter. Die über den ganzen Körper symmetrisch zerstreuten birnförmigen Flecke sind mehrzellige, selten einzellige Hautdrüsen, die dunklere Spitze derselben ihr Ausführungsgang. Fig. 27. Hintere Antenne. Fig. 28. Hinterer Kieferfuss (Greiffuss). Fig. 29. Furcalplatte. m Muskeln, n Nerven, y Einzellige Hautdrüsen. Fig. 30. Ein Schwimmfuss des vierten Paares, mit unvollkommen entwickeltem, halb verkümmertem innerem Aste (Sapphiridina!), m Muskeln , h Fett- körperzweige. Taf. III. Hyalophyllum und Sapphirina. Figg. 31 — 39. Hyalophyllum pellucidum. Fig. 31. Das Centralganglion mit dem aufsitzenden Auge und den abgehenden Nervenstämmen, s Schlundloch, p Pigmentkörper des Auges, m Unpaare Mittellinse, 1 Paarige Seitenlinsen, na Antennennerv. Beitriioe zur Keniitniss der Corycaeideii. 1 1 1 Fig. 32. Elementartheile des Centralganglions. g Ganglienzellen , n Nervenprimi- tivfasern. Fig. 33. Das Auge, bestehend aus einem gemeinsamen Pigmentkissen (p), das die Basis von 3 Linsen aufnimmt, 2 seitliche (1) den paarigen Augen entspre- chend, und eine mittlere nach vorn und unten gelegene (m), dem unpaa- paaren Augenbläschen entsprechend. Letztere scheint aus mehreren klei- nen kugehgen Linsen zusammengesetzt zu sein. Fig. 34. Die sechseckige Mundöffnung (o) , geöffnet, umgeben von dem verdickten Lippenwulste (1), mit den seitlichen kahnförmigen Schliessmuskeln (m) und dem paarigen bandförmigen vorderen und hinteren Lippenheber (Oeff- nungsmuskel) (b, b). r Sternförmige Muskelzellen in der Schlundwand. Vor dem Munde stehen die beiden mit der Spitze nach vorn gerichteten Stechplatten oder oberen Maxillarfüsse (st). Fig. 35. Der hinterste Theil des Darmes nebst den anliegenden Theilen. c Im Darm- inhalt befindliche Fettkugeln , u Muskelhaut des Darmes, h Verzweigtes kernhaltiges Bindegewebsgerüst desFettkörpei's, f In Höhlungen desselben liegende Fettkugeln, y Einzellige Hautdrüsen, m Zum Darm gehende Mus- kelbänder, d Hinterer Rand des vierten Hintcrleibssegments, o Rudimen- täres fünftes Abdoniinalsegment , a Afterspalt in demselben , 1 Basis der Furcalstäbe. Fig. 36. Endstück des einen Furcalstabs. d Chitinröhre, h Darin locker einge- schlossene bindegewebige, kernreiche Röhre des Fettkörpers, n Nerv, g Ganglienzellen, b Freie Nervenborsten, y Einzellige Häutdrüsen, h,, Mit Kernen besetzte Fäden, Fortsetzungen des Fettkörpers in die hohlen Chi- tinstacheln. Fig. 37. Eine peripherische Ganglieiizelle (g) mit einer Nervenborste (b) , n Nerv. Fig. 38. Eine einfache einzellige Hautdrüse (y), welche fettglänzende Kugeln ent- hält, d Cliitinhaut, n Nerv. Fig. 39. Eine Combination von 37 und 38 , ein gabelspaltiges Nervenästchen (n), dessen einer Zweig an die einzellige Drüse (y) , der andere an die termi- nale Ganglieiizelle (g) mit ihrer Nerveaborste (b) tritt, d Cliitinhaut. Figg. 40—42. Sapphirina Edwardsii. Fig. 40. Vorderer Theil des Kopfschildes, g Centralganglion mit dem Schlund- loch s, m Medianes Augenbläschen, p Pigmentkörper der seitlichen paa- rigen Augen, 1 Linse derselben, c Cornealinse , x Räthselhaftes Organ (Sinnesorgan?), in ähnlicher Form bei allen Sapphirinen wiederkehrend (vergl. Fig. 43\), y g Doppelzellen , aus einer einzelligen Hautdrüse und einer terminalen Ganglienkugel (ob immer mit Nervenborste?) zusam- mengesetzt, n Nerven, d Chitinhaut, h Bindegewebsgerüst des Fettkör- pers, f Fettglänzende Kugeln in demselben, z Kerne desselben. Fig. 41. Eine Combination einer einzelligen Hautdrüse und einer terminalen Ganglienzelle mit Nervenborste. Buchstaben wie in Fig. 39. Flg. 42. Eine Combination einer einzelligen Hautdrüse und einer terminalen Gang- lienzelle (ohne Nervenborste?), sehr stark vergrössert ; der Inhalt der Drüsenzelle ist fast ganz entleert. Buchstaben wie in Fig. 39. Figg. 43 — 48. Sapphi r i na Darwinii. Fig. 43. Mittlerer Theil des Kopfschildes, g Centralganglion , t Hoden , s Samen- leiter, m Medianes Augenbläschen, n, Nerv desselben, p Pigmentkörper 112 Dr. Ernst Hilckel, Beiträge zur Kenntiiiss der Corycaeidcn. der seitlichen paarigen Augen, 1 Linse derselben, n„ Nerv derselben (?), c Cornealinse, d Chitinhaut des Kopfschildrandes, x Räthselhaftes Sin- nesorgan (vergl. Fig 40), yg Kette von einzelligen Hautdrüsen und termi- nalen Ganglienzellen, s 1, Schlundloch im Centralganglion. Das mediane Augenbläschen, n Nerv. Zwei einzellige Hautdrüsen aus der Furcalplatte (Taf. H. Fig. 29), y, ge- füllt, y„ entleert, n Nerv, d Chitinhaut. Eine dreizellige oder vierzellige Hautdrüse, n Nerv. Eine vielzellige Hautdrüse grösserer Sorte. Eine farbenschillernde polygonale Platte des Chitinogengewebes , aus kleinen polygonalen Plättchen (Zellen mit rudimentären Kernen?) zu- sammengesetzt. Die 3 Systeme von feinen parallelen Leistchen , welche sich unter Winkeln von 60« (resp. 1200) schneiden, sind nur theilweise ausgeführt. Die dadurch entstehenden kleinen , regelmässig sechseckigen Vertiefungen sind nur in der linken unteren Ecke angedeutet. Fig. 44. Fig. 45. Fig. 46. Fig. 47. Fig. 48. Klein ere Mittlieiliing-en. Zur Frage vom Baue des Vogeleies^ eine Erwiederun.g an Hrn. Dr. Klel)S in Berlin. Von C. Gegenbaur. In dem 28. Bande des ViRCHOw'schen Archivs für patholog. Anatomie und Physiologie findet sich ein Artikel von Dr. Klebs, betitelt: »die Eierstockseier d er Sä ugethiere und Vögel. Eine vergleichend anatomische Studie.«, welchen der Herr Verfasser mir im Separatabdrucke zuzusenden die Freundlich- keit hatte. In dieser Arbeit wird eine Theorie von der Bildungsweise des Vogeleies gegeben, welche dem Verfasser Gelegenheit bot, einen vor einigen Jahren von mir veröifentlichten Aufsatz i) mehrfach zu berücksichtigen. Das Interesse an der Sache sowohl, als auch die Art und Weise, wie Klebs die aus meinen Beobachtungen her- vorgehenden Folgerungen würdigt, und endlich die Qualität der Beweismittel, mit denen er operirt, lässt eine Entgegnung nicht überflüssig erscheinen. In meinem oben erwähnten Aufsatze beabsichtigte ich eine auf eigene Beobach- tungen sich stützende Kritik der so verschiedenen Ansichten vom Baue der Wirbel- Ihiereier mit partieller Dotterfurchung, zunächst der voluminösere Gebilde dar- stellenden Eier der Selachier, Reptilien und V^ögel. Ich glaubte den Nachweis geliefert zu haben, dass die Eibildung bei diesen Thieren von der der Amphibien und Säuge- thiere nicht abweicht, dass auch das Ei der Vögel etc. aus Einer Zelle enisleht, die anfänglich unansehnlich, durch Vermehrung und Umwandlungen des Inhaltes all- mählich den »Dotter« des Vogeleies vorstellt. Nach meinen Beobachtungen liegt die Eizelle in frühen Stadien in einem, in das Stroma ovarii eingebetteten Hohlräume, der von einer die Eizelle umgebenden Epithellage ausgekleidet ist. Die Dotter- membran, Membran der Eizelle, wies ich als durch Differenzirung und Abschei- dung von Seite der corticalen Schichte des Protoplasma der Eizelle hervorgegangen nach , und gab zugleich die Veränderungen der Epithelschieht an , die anfänglich das Ei umschliesst, mit der Bildung der Dotterhaut aber durch diese vom Dotter selbst getrennt wird. Dass sich nach aussen vom Follikelepithel eine bis zur Ab- lösung des Eies aus dem Calyx an Dicke zunehmende , elastische Membran ent- wickelt , die , wie die endliche Fettmetamorphose der Epithelialzellen für den Aus- tritt des Eies von Wichtigkeit ist, ward ebenfalls auseinandergesetzt. Mit Hinblick auf meine Vorgänger in der Behandlung dieses Thema's, waren die bezüglich des FoUikelepithels , der Dotterhaut und der Dotteielemente erwiesenen Dinge die be- 1) Ueber den Bau und die Entwickelung der Wirbelthiereier mit partieller Dot- terfurchung. Archiv für Anatomie u. Physiologie, herausgegeben von Reichert u. DüBois-Reymond. Jahrgang 1861, S. 49J— 529. 114 C. Gegfiubaiir, langreichsten. Sie sind aber auch die Puncte, in welchen mein Nachfolger bemüht ist, eine andere Meinung zur Geltung zu bringen. S. 7., nach Erörterungen über das, was man Zelle zu nennen habe, will Klebs nachweisen, »dass die dem Follikel zugerechnete Epithelschicht dem Ei selbst angehört, und nichts anderes ist, als eine, im Sinne der Botaniker, wandständige Zellschicht, und dass in der That noch eine andere Zellschicht existirt , welche dem Follikel angehört.« Sehen wir uns mm die Erfahrungen an , durch welche Klebs die »nur unvollständig erkannten That- sachen« vervollständigt. Das erste Stadium der Entwickelung beschreibt Klebs von Sterna: »eine grosse ovale Zelle, umgeben von einer nicht sehr dicken, aber nach dem Zerreissen der Zellen an ihren Faltungen als solche deuthch erkennbaren Membran etc.« Umgeben war die Eizelle in einer schmalen Zone von kleinen rund- lichen oder elliptischen Zellen.« Das sind ganz dieselben Zustände, die auch ich ge- sehen , nur dass ich noch jüngere der »Membran« entbehrende Zellen beobachtet. (a. a. 0. S. SOI.) In dem Thatbefunde ist da zwischen Klebs und mir keine Diffe- renz. Weitere Stadien werden von Hühnern mitgetheilt, und da soll sich der wesent- lichste Unterschied zwischen meiner Theorie und der des Verfassers ergeben. Klebs beschreibt den Eifollikel mit dem bekannten Epithel, und von diesem umschlossen Eizellen, in deren Protoplasma die Bildung von Fettkörnchen beginnt. (S. 13.) Die Zellen, die er vorhin bei Sterna noch ausserhalb der deutlich nachweisbaren Eizell- membran angab — mein Follikelcpithel — werden hier zu einem »Binnenepithel«, welches (S. 14) in einem innigen Zusammenhange mit der Masse des Eies sich vor- finden soll, da die fraglichen Zellen des Binnenepithels die äusserste Peripherie des »Eie.s« bilden (S. 12), und das letztere »scharf gegen das umgebende Stroma« ab- grenzen, so ist also das noch hei Sterna angenommene extracelluläre »Umhül- lungsepithel« verschwunden ! Wo es hingekommen, ist nicht gesagt, und daran denkt unser Autor gar nicht, dass der Nachweis des Unterganges des »Umhüllungsepithels« durchaus nöthig ist, wenn eine ganz ähnliche Epithelschicht , die mit ersterer leicht verwechselt werden könnte, auf einmal zum »Binnenepithel« gestempelt werden soll. Doch die Sache liegt viel einfacher. Die Eier von Slerna sind nach meiner Meinung, trotz der ge- ringeren Dotterköinchenbildung in älteren Stadien gewesen , als die mit reichlichen Dotterkörnchen versehenen Eier des Huhnes, bei welchem, wie ich S. 504 angab, die Körnchen früher sich bilden , als bei anderen. Da nun bei Sterna die Eizelle schon eine Membran besass, und Klebs, wohl durch die Hülle des Dotters verleitet, sie für jüngere Stadien nnhm, konnte er das Follikelepithel nur für ein extracellu- läres nehmen , während er bei den jüngeren beim Huhne untersuchten Stufen noch keine Membran fand, und das Follikelepithel mit dem weichen sich bis an die Zellen erstreckenden Protoplasma in Verbindung annehmend , den ganzen Complex für das »Ei« ansah. Da Klebs in der Peripherie des »Dotters«, resp. der Eizelle keine helle Zone wahrnahm, so glaubt er (S. 14) , dass nach meiner Theorie zu er- warten wäre , dass wir »hier den Nachweis einer wirklichen Membran« bereits lie- fern können, oder, wenn dies, wie es w irklich der Fall ist, nicht gelänge , dass man sich von dem Fehlen der Membran überzeuge (!) und eben daran das Irz'ige meinei' Theorie erkenne. Auch da übereilt sich Klebs offenbar, denn er gründet das Fehlen der hellen Schicht, von der ich nicht weiss wie breit er sie sich eigentlich vorstellt, gewiss nicht auf zahlreiche Beobachtungen , oder hat nur frühere Stadien berück- sichtigt, in denen, wie ich S. 504 angab, bei noch nicht i-eichlich erfolgter Dotter- körnchenbildung, diese Schicht noch nicht unterscheidbar ist. Also bin ich auch für dieses Stadium mit Klebs in vollstem Einklänge bezüglich des Thatsächlichen, Zur Fniüe vom Biiiic des Voüclcies. 115 jene Eier haben noch keine Membran, und dadurch wird es dem Protoplasma mög- lich , sich dem Wandrelief des Binnenraun)s des Eifoilikeis anzuschmiegen. Ich halte aber immer noch das nunmehrige »Binnenepithel« für das ächte Follikelepithel, was es von Anfang war, und auch später bleibt, da Klebs nirgends nachweist, was aus dem auch von ihm (für Sterna) anerkannten Umhüllungsepithel wird , und wie ein zweites Epithel auftrete. Er gesteht ja offen (S. 15) : »die Eier mit Binneu- epithel , wie sie vor dem Beginn der Geschlechtsreife des Thieres sich darstellen, lassen allerdings keine zweite Epithelschicht erkennen, welche als dem GRAAF'schen Follikel angehörig aufgefasst werden könnte , und es bleiben demnach die beiden Möglichkeiten, dass entweder die in früherer Zeit vorhandene Eizellen- oder Dotter- membran sich später auflöst, um sich schliesslich neu zu bilden , oder dass hier Umstände eintreten, welche die Darstellung des äusseren Epithels bis jetzt verhin- dert haben." Diese beiden »Möglichkeiten« sind also die »Erfahrungen«, ans denen sich »ganz klar« das Unhaltbare meiner Theorie herausstellt! die Annahme einer dritten »Möglichkeit«, dass die Eizellmembran bei den untersuchten Eiern der Sterna schon gebildet, bei denen des Huhns noch nicht gebildet, von der Oberfläche des Dotters aus entsteht , wodurch das beim Huhne gesehene , sich mit dem für Sterna beobachteten verbände, wird kaum zugegeben, sie »scheint« dem Autor »auf rein theoretischen Gründen zu beruhen,« obgleich ich den ganzen Vorgang S. 515 aus- reichend deutlich, nach wirklichen Beobachtungen geschildert habe. Da die Bildung der Eizellmembran offenbar den entscheidenden Moment für die Beurtheilung der Contenta des Eifoilikeis bildet, hätte eine Nachprüfung meiner Angaben darüber billig gefordert werden dürfen, und wenn, wie das oft von Klebs beklagt wird, beim Eie des Huhns sich zu grosse Schwierigkeiten ergeben , warum wurde nicht von so vielen anderen Vögeln ein einziger zu jener Untersuchung gewählt ? Statt dessen operirt Klebs mit Vermuthungen und »Möglichkeiten«, die auch für spätere Stadien der Eientwickelung die Stelle der objectiven Beobachtung , und der auf Thatsachen beruhenden Schlussfolgerung, abgeben müssen. Da nach Klebs dem Eie anränglich das Binnenepithel abgeht , und später das Umhüllungsepithel verschwunden ist, dann aber wieder zwei Epithelschichten vor- kommen, eine intra- und eine evtracelluläre , bedarf es bei dem Mangel jeder em- pirischen Unterlage der Hypothese der Zellbildung ohne Betheiligung des Kernes. Einige Beobachtungen über Eiterbildung (von Buhl und Ri:!«ak) bieten Analogien, und die Ansichten Robins über die Entstehung der embryonalen Gewebe nicht min- der bequeme Anhaltspuncte. Für die Entstehung des Binnenepithels wird w ieder auf den oben erwähnten Eifollikel des Huhnes zurückgegangen, und dabei auf die Schwierigkeiten hingewiesen, welche sich der Ableitung des späteren Follikelepithels von den »elliptischen Zellen der Umhüllungsschieht« entgegenstellen. Der Versuch, eine Reihe einzelner Stadien auf das Vorhandensein des Follikelepithels (dem KLEBs'schen Binnenepithel) zu prüfen, wird aber nicht gemacht, und für das Bin- nenepithel der späteren Stadien werden Dotterelemente erklärt, welche an den mit Chromsäure schwach gehärteten Präparaten an der Innenfläche der Dottermembran in continuirlicher Schicht hängen bleiben. »Nach vielfachen Untersuchungen« steht Klebs nicht an , diese Zellen für eine besondere Entwickelungsstufe des »Binnen- epithels« zu halten. Was das für Untersuchungen sind, ist unbekannt. Ich habe für diese Bläschen, wie für alles, was innerhalb der Dotfermembran liegt, die Zellnatur in Abrede stellen müssen (S. 509) , obgleich ich die »formelle Aehnlichkeit« mit Zelleji zugab. Klebs hätte daher, um mich wirklich so gründlich, wie er es vor hatte, zu widerlegen , das Verhalten dieser Bläschen eingehend darlegen müssen. 116 C. Gogoiibanr, Zur Friioc \ niii niiiip dos Vogeleics. Wir erfahren aber nur , dass sie eine plattere Form besitzen , dass sie eine häufige Kernvermehrung zeigen, und in einem vorübergehenden Zustande einer Prohferation sich linden. In wie fern die letztere sich äussert, an vv'as sie erkannt wird , ob die vermehrten Kerne durch Theilung entstehen , und wie all' die Fragen lauten , die vollständig beantwortet sein müssen, ehe man sich , beiden einmal vorhandenen Zweifeln , über die Zellnatur entscheiden kann ; darüber wird wieder nichts mitge- theilt, und der ganzen Argumentation fehlt die beweisfähige Kraft. Doch glaube ich, mich selbst über diese Frage mit Klebs einigen zu können , da es ihm (S. 23) nicht darauf ankömmt, ob man die Formelemente des Dotters mit dem Namen der Zellen belegt, oder irgend einem anderen, »sofern man nur zugesteht, dass sie integrirende Theile des Dotters sind , deren Veränderungen wesentlich sind für die Vollendung seiner Entwickelung.« Was er hier für die grösste Masse des Dotters implicite zu- gesteht, stellt er, nachdem er auf Grund einer speculativen Erörterung (S. 24) aus- führlich auseinandergesetzt, dass man genöthigt sei, den Dotter als Zellgewebe auf- zufassen, wieder in bestimmteste Abrede, um erst dann nach empirischen Gründen zu suchen. Obgleich Klebs hierbei wenigstens in so fern sorgfältiger als bei der Kritik des beobachteten wandständigen Binnenepithels zu Werke geht, da er doch eine Prüfung der von ihm als »Kerne« aufgefassten Einschlüsse der Bläschen des weissen Dotters vornimmt, so begnügt er sich doch mit dem einzigen Resultate, dass die mehr elliptischen »Kerne« eine grössere Resistenz gegen Säuren besitzen, als das Protoplasma der angeblichen Zellen , von Vermehrungserscheinungen an »Zellen« wie an »Kernen« wird nichts angegeben, die so auffallenden GrössendifTe- renzen , die Kleb.s schwerlich entgangen sein können , werden nicht berücksichtigt, und die blosse festere Beschaffenheit für ausreichend gehalten, die Kernnatur darauf zu begründen. Freilich zeigen sofort erhobene Bedenken (S. 25), dass der Verfasser auch hier nicht so sehr seiner Sache gewiss ist, als er in einzelnen apodictischen Aeusserungen sich den Anschein giebt, und einige Seiten weiter (S. 30), wo er die Entstehung der gelben Dotterkörper behandelt, giebt er mir zu, dass diese, nach seiner Meinung, durch Umwandlung der Kerne der weissen entstehenden Gebilde nicht gut als Kerne angesehen werden können. Warum sollen nun die Theilungs- producte von Kernen, die sich mit letzteren gegen Reagentien gleich verhalten, und noch in denselben »Zellen» liegen, nicht auch Kerne sein? Sprechen doch dieselben Gründe , die für die Fornielemente des weissen Dotters verwerthet wurden , auch da noch. Man sieht, die Beweise für die Zellnatur der Formelemente des Dotters sind ebenso wenig schlagend, als die Begründung des Vorkommens eines der Dot- terhaut innen aufliegenden Epithels eine klare und sichere ist. Wo Klebs ein wirk- liches Epithel beobachtete, lag dieses der Wandung des Follikelraumes an, und umgab bei jüngeren Zuständen das Protoplasma der Eizelle , bei älteren (Sterna) die schon gebildete Dotterhaut; wo er eine zv.eite EpitheLschicht angiebt , die nach innen der Dotterhaut läge, ist nicht der Nachweis geführt, dass die Elemente wirk- liche Zellen seien. — Wenn ich mir nun auch keineswegs einbilde, mit meiner oben citirten Aibeit den Gegenstand erschöpft zu haben, vielmehr der Meinung bin, dass in Anbetracht des »errare humanum« manches Irrige mit untergelaufen sein mag, so muss ich doch gegen das Verfahren , das in der »vergleichend - anatomischen Studie« gehandhabt wird, protestiren, und darf, um zu einer besseren Einsicht be- kehrt zu werden, andere Gründe verlangen, als die sind, welche Klebs beizubringen vermochte, und welche er für genügend hält, darauf hin meine Theorie für »unhalt- bar« zu erklären. Cand. med. H. Müller, Kine Diphtlieritisepidemie. 117 Eine Diphtheritisepiilemie. Von Cand. med. H. Müller. In einem benachbarten Dorfe , das an einem Bergabhange unmittelbar an der Saale gelegen, erkrankten von Ende December bis Mitte Februar 62, H Kinder an Diphtheritis. Der Gang dieser kleinen Epidemie war in Kurzem folgender : Den An- fang bildete ein Kind, das einige Wochen zuvor von den Eltern mit nach einem Orte genommen wurde, wo angeblich Kinderkrankheiten herrschten. Kurz nach der Rückkehr erkrankt es an Diphtheritis, und erliegt derselben nach sechstägiger Dauer durch Ausbreitung auf den Larynx. Mit diesem Kranken kamen am 23. December zwei Kinder einer am entgegengesetzten Ende des Dorfes wohnenden Familie in einmalige kurze Berührung. Beide erkrankten einige Tage darauf, und zeigten be- reits am 27. December ausgedehnte diphtheritische Exsudate im Rachen. Von diesen beiden Kindern verbreitete sich die Diphtheritis zunächst noch auf ein Glied dersel- ben und auf zwei einer unmittelbar daneben wohnenden Familie, weiterhin auf vier Kinder der Nachbarhäuser, so dass vom 27. December bis 3. Januar in fünf am Ende des Dorfes gelegenen Häusern, deren Bewohner täglich mit einander verkehr- ten , 9 Diphtheritiserkrankungen in Behandlung kamen , während das ganze übrige Dorf verschont blieb. Bei zwei am 15. Januar und 6. Februar Erkrankten liess sich eine Uebertragung nicht nachweisen. Dagegen wurden am 6. Februar zwei Kinder einer Familie befallen, die einige Tage zuvor mit mehreren der zuerst Erkrankten, deren eines noch Exsudat zeigte , zusammengekommen waren. Gleichzeitig wurde ein vereinzelter Fall in hiesigerStadl von Herrn Prof. Gerhardt beobachtet bei einem Knaben , der wegen anderweitiger Erkrankung von ihm behandelt , und öfter be- sucht wurde, zur Zeit, als er mehrmalige Besuche der Diphtheritiskranken in K. vor- nahm. — Die Dauer der Incubationszeit ist wegen dA" mehrfachen Berührung un- serer Kranken nicht auf den Tag genau anzugeben ; so viel lässt sich indessen mit Bestimmtheit sagen, dass sie für die beiden ersten Fälle nicht über vier Tage, für die folgenden, wo eine Uebertragung nachweisbar, meist ebenfalls 3 bis 4, nie über 8 Tage betrug. Sieben unserer Kranken gehörten dem männlichen, sieben dem weiblichen Geschlechte an. Zwölf der Fälle vertheilen sich fast gleichmässig auf die Zeit vom 2. bis 12. Lebensjahre, zwei standen im 21. Jahre. — Die Anfangserschei- nungen fehlten ganz oder waren gering, bestehend in Klagen über Kopfschmerz, Mattigkeit , Appetilmangel , öfteres Frieren mit folgendem Hitzegefühl. Gleichzeitig oder kurz darnach erschien das Exsudat. Ausgangspunct desselben waren in allen Fällen die Tonsillen, auf die es entweder beschränkt blieb, oder auf hintere Rachen- wand, Uvula und Gaumenbögen sich ausbreitete; Ausdehnung auf den Larynx. wurde dreimal beobachtet. Die Tonsillen waren dabei meist vergrössert , Schleim- haut des Rachens, wenn frei von Exsudat, im Zustande von Schwellung und Röthung; Zunge weisslich belegt oder rein, Mundschleimhaut geröthet, Speichelsecretion ver- mehrt. Constant war eine meist beträchtliche Anschwellung und Schmerzhaftigkeit der Submaxillardrüsen. Die Stimme war rein, oder etwas heiser. Sprechen und Schlucken schmerzhaft ; mehrmals heftiger stechender Schmerz im Ohr. Bei Aus- dehnung des Exsudates auf den Larynx in zwei Fällen die Erscheinungen des ge- nuinen Croup , während in einem dritten Falle jedes Zeichen vom Befallensein der- 118 f^i'iiii- i'kmI. II. MWn: Www Di|)litlnMiiis('iiidciiik'. selben fehlte, wo die Obdviction Exsudat im Kehlkopf, Trachea und Bronchien er- gab. Die Temperatur war wenig erhöht oder normal ; Puls im Anfang massig voll, später meist klein und, selbst in ganz leichten Fallen von bedeutender Frequenz. Respiration meist beschleunigt, doch nicht wesentlich behindert. Die genannten Er- scheinungen fanden sich mehr oder weniger ausgesprochen nach der Schwere des Falles , die immer zu der Ausdehnung des E.\sudates im Verhältniss stand. Zu be- merken ist endlich noch, dass in einigen Fällen die vorgenommene Untersuchung Exsudat nachwies, wo sowohl vorher , als während der ganzen Dauer desselben keinerlei Störung im Allgemeinbefinden der Kranken bemerkbar war. Die Dauer der Erkrankung betrug, mit Ausschluss der Folgekrankheiten, meist 5 bis 10 Tage; zweimal 14 Tage, einmal 4 Wochen. — Der Ausgang war dreimal ein lethaler. Zweimal erfolgte er Ende der ersten Woche durch Ausbreitung des Exsudats auf den Larynx; im dritten Falle am 18. Tage der Erkrankung, nachdem das Exsudat seit mehreren Tagen verschwunden , das Allgemeinbefinden ein vollkommen unge- störtes gewesen, unter Erscheinungen rasch eintretender Erschöpfung. Die Section liess keine Todesursache auffinden. Nachkrankheiten folgten in drei Fällen. Im ersten , 1 4 Tage nach dem Verschwinden des Exsudates , Lähmung des weichen Gaumens , der unteren Extremitäten und der Blase ; vollständige Genesung nach vier Wochen. Bei einer zweiten Kranken stellten sich Sehstörungen, bestehend in hochgradiger Kurzsichtigkeit, ein, etwa di ei Wochen nachdem das Exsudat ver- schwunden, und dauerten 1i4 Tage. Beides waren Erkrankungen leichtester Art ; das Exsudat von geringer Ausdehnung und kurzer Dauer, das Allgemeinbefinden wenig beeinträchtigt. In einem dritten schwereren Falle folgte Lähmung des wei- chen Gaumens, 3 Wochen nach dem Schwinden des Exsudates, und hielt 1 4 Tage an. Die Behandlung , deren Resultat nach obigen Angaben ein vollkommen befrie- digendes, war eine vorzugsweise locale. Zwei bis dreimal täglich wiederholte Cau- terisationen mit einer Lösung von Argent. nitr. Sehr hartnäckige und auf kleine Stellen beschränkte Exsudatauflagerungen schwanden einigemal rasch auf Aetzen mit Lapis in Substanz. Innerlich wurde im Beginn ein Emeticum gereicht, und, wo es nöthig schien, öfter wiederholt. Ausserdem Kali und Natron carbon. Die Paralysen besserten sich rasch unter Darreichung von Chinin und Eisen neben kräftiger Diät. Stenose und Iiisufficieiiz der Aorta. Vollständige Embolie der Pulinonalarterio. Plötzlicher Tod. \oii Dr. M. SeideL Zeunort, Gotllieb, 70 Jahr alt, aus Lehnstaedt, wurde am 2. Nov. 63. auf die chirurgische Abtheilung der Anstalt aulgenommen. Er wurde vor 14 Tagen von einer Kuh an eine Mauer geschleudert , wonach heftige Schmerzen in der linken Seite auftraten. Er achtete dieselben nicht, arbeitete wie vorher und erlitt vor 8 Tagen durch den Stoss einer Kuh eine neue Verletzung des linken Zeigefingers, Bei seiner Aufnahme fand sich an der ersten Phalanx dieses Fingers, auf der Ulnar- seite, die ganze Phalanx einnehmend eine tiefe Geschwürsfläche, in der die Streck- sehne blosslag. — Das Metacai-pophalangengelenk war frei , vom ersten Phalangen- gelenk liess es sich nicht mit Bestimmtheit behaupten. Früher will der Kranke stets l)r. M. Seidel, Sfennse und lnsiiKicieiiz der Aorta. 119 gesund gewesen sein. Von seinen Angehörigen ist dagegen eine schon längere Zeit bestehende, auch bei leichten Anstrengungen {tuffiiilende Kurzathmigkeit bemerkt worden. Einige Tage nach seiner Aufnahme tritt etwas Dyspnoe, cyanotische Fär- bung, besonders der Lippen, auf, der Puls wird auffallend klein, Appetit, Schlaf, Stuhl in Ordnung. Am 12. Nov. Abends stirbt er ganz plötzlich. Der Wärter hatte noch wenige Minuten vorher mit ihm einige Woite gesprochen , und war gegangen, ihm etwas zu holen. Seine Umgebung hatte den Tod nicht bemerkt. Da ich zufällig in der Nähe war , wurde ich gerufen. Es bestand keine Spur einer Herzbewegung mehr. Die Section 17 Stunden post mortem ergab im Wesentlichen Folgendes; Grosse stark gebaute männliche Leiche mit beträchtlicher Senkungshyperäniie und Todten- starre. Oedem des L. Handrückens. Compacter Schädel mit tiefen Gefässeindrücken. Die Sinus mit tlüssigem Blute gefüllt, aus dem Rückenmarkscanal fliesst eine auf- fallend grosse Menge dunklen Blutes aus. Hirn und Hirnhäute auffallend blutarm,, Arterien sehr wenig gefüllt. Substanz des Gehirns in leichtem Grade ödematös , die graue sich deutlich von der weissen abhebend , in den Ventrikeln massige Menge Flüssigkeit. Nirgends am Hirn eine Veränderung. Musculatur braun, straff. Bei Eröffnung des Thorax liegt der Herzbeutel in grosser Ausdehnung vor, enthält etwa 2 Löffel Serum, etwa ebensoviel im L. Pleurasack, etwas mehr im R. R. Vorhof stark gefüllt. Das Herz vergrössert, namentlich der L. Ventrikel hypertrophisch, der R. dünnwandig, erweitert. Tricuspidalis in leichtem Grade atheromatös, an der Spitze verdickt. Wand des L. Ventrikels fast 1 Zoll dick, Höhle eng, leichte Verdickung des Endocards. Hochgradige Aorten- stenose, die Ränder der Klappen berühren sich, die conveve Seite mit h ö c k e r i g e n A u s w ü c h s e n v e r s e li e n. Eingegossenes Wasser sinkt rasch zurück. Mitralis an ihren Rändern in leichtem Grade verdickt , Pulmonalklap- pen gesund. Auf der vorderen Fläche des Herzens mehrere Sehnenflecken , deren einer an der Spitze zottige Verlängerungen hat. Am Rande des L. oberen Lungenlappens ein schmaler hämorrhagischer I n fa rct ; die zu dieser Stelle führenden Gefässe verstopft. An der Spitze leichtes Emphysem. Lungengewebe stark pigmcntirt, in leichtem Grade ödematös. Der Hauptstamm der Lungenarterie L. durch einen graurothen Thro m- bus verstopft, bis in dieAeste hinein ausgefüllt; in diesen liegen die Thromben Stück an Stück, einzelne sind vollständig ausgegossen, an manchen Stel- len erstreckt sich die Anfüllung mit Embolusmasse bis in die Aeste 3. und 4. Ord- nung. Der zum oberen Lappen führende Hauptast enthält einen mit seiner Wand verwachsenen röthlichbraunen, sehr brüchigen Embolus, während die übrigen noch nicht verwachsen von dunkler Farbe aber auch sehr brüchig, stellenweise in der Mitte sogar erweicht sind. Die R. Lunge in hohem Grade ödematös, unter der Pleura Ekchymosen. Auch an dieser Sei te der Hauptast mit hock erigen stel- lenweise derWandadhärenten weichenThromben erfüllt. Das Oedem ist am stärksten im oberen und mittleren , geringer im unteren Lappen. Starke Füllung der Vena azygos. Reichlicher Blutgehalt der Aorta ttiorac. descend. mit massigem Atherom ihrer Häute. Leber mittelgross, deutliche Muskatnusszeichnung, das Gewebe derb , in den Gefässen weiche Gerinnsel. Gallenblase hält zähe, dunkle . Galle. Milz klein, derb, dunkelroth auf dem Schnitte. Grosse Venen des Mesen- teiiuras stark bluthaltig. R. Niere derb, blutreich, von gewöhnlicher Grösse, Schnitt stark glänzend. Oberfläche etwas höckerig. Pyramiden und Corticalsubstanz auf dem Schnitte gleichmässig gefärbt. Ebenso die L., die besonders im dicken Durchmesser 120 Dl« M. Seidel, Stenose und Insntficienz der Aoitii. etwas vergrössert ist. Vena iliac. comm. dextr. sehr erweitert. Aus einer Sacral- vene R. entleert sich ein höckeri ges Gerin n sei von gleicher Beschaffenheit wie in den Pnlmonalarterien. In den Ven. iliac. commun. sinistr. findet sich lose darin liegend ein h öckeriger mit dünnen queren Ringen gezeichneter, graurother Thrombus, der in der Mitte in eine breiige Masse verwandelt ist, aussen eine harte Rinde hat. Die Iliaca ext. enthält innerhalb der Beckenhöhle noch kleine Thromben , die Cruralis ist frei. Die R. Iliac. ext. und inter. ist frei , ebenso die Cruralis. InderUmgebungderHarnblaseeine Mengeerweiterter, allseitig mit Thromben ausgegossener Venen; ähnliche varicöse und thrombosirte Venen an der Aussenseite des Mastdarms, nicht auf der Schleimhaut. Blasenschleimhaut stark geröthet, hält wenig trüben Urin. Magen sehr ausgedehnt. Fundus hämorrhagisch suffundirt. Schleimhaut geröthet, gewul- stet. — Im M. sternocleidomast. difTuse Extravasate, die gesammten Venenstämme des Halses und der oberen Extremitäten , auch die zum L. Handrücken führenden frei von Thromben. Der plötzliche Tod des Kranken fand bei der Section seine Erklärung m einer fast vollständigen Embolie der Pulmonalarterie. Diese erfolgte nicht so , dass plötzlich , mit einem Schlage , die gesammten vorgefundenen Emboli in die Lumina der Arterie geschleudert wurden, sondern es gelangten schon vor längerer Zeit ein- zelne Emboü in einzelne Aeste. Dafür spricht einmal schon die Menge der gefun- denen Emboli, dann die an einigen Stellen, z. B. im Hauptaste des linken oberen Lappens , und im Lumen des R. Pulnionalhauptastes bereits erfolgte Verwachsung mit der Gefässwand. Zu diesen Embolis kamen jedenfalls mit einemMale die grossen die 2 Hauptäste ausfüllenden hinzu und veranlassten den ganz plötzlichen Tod. Die Quelle der Embolien war nicht, wie man hätte vermuthen können, der Venenbezirk in der Nähe der Verletzung, dort, wo das Oedem bestand, sondern die kleinen Venen im Becken, am Blasenhalse, Mastdarm, und die Lumbaivenen. In diesen bildeten sich zunächst die Thromben, und gelangten durch die grossen Venen nach dem R. Herzen. Die Gerinnselbildung in diesen Venen wurde jedenfalls veranlasst, durch die mangelnde vis a tergo , die dem Atherom der Aorta , und vor Allem der hoch- gradigen Stenose der Aorta folgte. Dass sich gerade in den genannten kleinen Venen des Beckens die Thrombose zuerst zeigte , ist ein keineswegs seltener Befund , der ja zu der Vergleichung derselben mit den Uterinvenen der Wöchnerinnen Veran- lassung gegeben hat. Die Ansichten über die unmittelbare Ursache, den Todesmechanismus bei dem plötzlichen Tode durch ergiebige Embolie in die Pulmonalarterie sind verschieden. ViRCHOw erklärte sie durch eine Paralyse des Herzens , als Folge der mangelnden Füllung der Kranzarterien. Panum glaubte, richtiger als unmittelbare Ursache des Todes die Anämie der grossen Nervenarterien hervorheben zu müssen, s. Virchow's Archiv. B. 25, 308 sq. 433 sq. Ist es schon a priori nach physiologischen und klini- schen Erfahrungen wahrscheinlicher , dass sich der mangelnde Reiz der Sauerstotf- zufuhr früher und kräftiger in dem empfindlicheren Nervenapparate geltend macht, als im Muskel , so hat diese Wahrscheinlichkeit durch Panum's interessante Experi- mente und deren Resultate eine festere Stütze bekommen, indem er einmal beweist, dass das Herz nach Erfüllung der Coronararterien mit Injectionsmasse keineswegs so schnell still stand, und dass die Erscheinungen des Sterbens bei genügender Em- bolie der Pulmonalarterie und der Hirnarterien ganz die gleichen sind. Auch in unserem Falle fiel die grosse Anämie des Hirns und seiner Häute, und die geringe Füllung der Hirnarterien schon bei der Eröffnung des Schädels auf. B. S. ScliuUze, Verbesseriniü des Pliaiitnnis zur rcbiinü üebiirtsliiiiriidipr Operationen. 121 Dass der plötzliche Tod in unserem Falle so still , so ohne alle Zeichen von Angst und Beklemmung etc. erfolgte, dass er einige Minuten von den Kranken im Zimmer gar nicht bemerkt wurde, könnte der klinischen Erfahrung und dem Experiment gegenüber auffallend erscheinen. Möglicherweise, ja wahrscheinlich war der Kranke durch die mangelhafte Blutzufuhr nach dem Gehirn, die hier durch die Embolie der Pulmonalis und die Aortenstenose doppelt schwer ausfallen musste , bereits in einem Zustande von Unemptindlichkeit , in dem ihm die Nähe seines Todes nicht zum Bewusstsein kam. Verbesserung des Phautoms zur lebung geburtshülflicher Operationen. Von B. S. Schultze. An allen mir bekannten geburtshülflichen Lnlerrichtsanstalten sind zur Uebung der Operationen Phantome ziemlich gleicher Construction gebräuchlich ; ein mög- lichst normales weibliches Becken dient als Unterlage für eine Polsterung, welche die Weichtheile nachahmt , das so ergänzte Becken ist in der für die meisten Ope- rationen zweckmässigsten , und für die Untersuchung bequemsten Stellung, der so- genannten Querlage, auf einem Stativ befestigt, welches an einen Tisch angeschraubt werden kann. Ausserdem sind mir Phantome bekannt, welche mit stark tlectirten nicht gespreizten Schenkeln versehen , also von der Rückseite der Schenkel den Zugang zu den Genitalien bietend, auf keiner Unterlage befestigt, dazu bestimmt sind, Operationen in Seitenlage der Frau zu üben. Die äusseren Genitalien der Phantome sah ich überall von Leder, entweder in fester Gestalt so weit, um einem Kindskopfe den Durchgang zu gestatten, oder mit einer Vorrichtung zum Schnüren, nach Art der alten Strickbeutel , versehen , so dass der Eingang behufs der Uebung im Untersuchen eng, behufs der im Operiren weit gestellt werden kann. Ich habe mir vor fünf Jahren ein Phantom construirt, und bediene mich des- selben beim Unterrichte der Aerzte wie auch der Hebammen seit jener Zeit ausschliesslich , weil es die Vortheile des alten Phantoms mit zwei neuen , meiner Ansicht nach nicht unwesentlichen, vereinigt. Der erste dieser Vortheile besteht darin, dass der an dem alten Phantom durch die erwähnte Schnürvorrichtung nur sehr unvollkommen nachgeahmte Becken- boden an dem meinigen durch Gummi elasticum gebildet wird, und in seinem Ver- halten, sowohl gegen die untersuchende und operirende Hand, gegen ein- und aus- geführte Instrumente , als auch gegen das austretende Kind ähnlicher dem Becken- boden des gebärenden Weibes sich verhält. Am meisten kommt dieser Vortheil bei E\traction des Kopfes zur Geltung. Ich hatte die Bemerkung gemacht, dass die am Phantom operirenden Schüler schwer zu bewegen waren, bei Führung der Zange im Ausgange der Genitalien der- art sich in der fortgesetzten Führungslinie des Beckens zu halten , wie es die Scho- nung des Dammes erfordert; eine Bemerkung, die mit der Thatsache in Beziehung zu bringen war, dass diejenigen Dämme der Frauen , über welche der junge Ge- burtshelfer seine ersten Zangenoperationen ausführt , mehr gefährdet zu sein pfle- 122 n. S. Soliiiltze, gen, als die, über welche der Kopf durch die Wehen , ohne Einmischung der Kunst zu Tage tritt. Die Construction des Phantoms tragt die Schuld. Eine von ziemhch starrem Leder umgrenzte Schamöffnuiig, deren voiderer Umfang normalerweise in die Höhe des Schambogens fällt, die aber dabei die Weite hat, um dem Kinds- kopfe den Durchtritt zu gestatlen , muss mit ihrem hinteren Umfange hinter die normale Stelle der Afteröffnung fallen. An den Phantomen alterer Construction fehlt also der Damm ; der junge Geburtshelfer, der ohne Damm operiren gelernt hat, lernt erst am lebenden Weibe dessen Anwesenheit berücksichtigen. Ich machte den Versuch, am Phantom einen Gummidamm anzubringen, und das Resultat war ein durchaus befriedigendes. Eine etwa 3 Millim. dicke Platte vulkanisirten Gum- mi's, etwa 24 Centim. lang, 12 bis 16 breit, Hess ich am oberen Rande der Scham- fuge , am Innenrande der Schenkel und am Ueberzuge der hinteren Beckenwand so annähen, dass sie allein den Beckenboden bildete, nachdem ich vorher an der be- treffenden Stelle eine 2 Gentim. breite, 7 Centim. holie Schamöffnung ausgeschnit- ten hatte. Eine solche Schamspalte ist allerdings etwas elastischer als die wirkliche, aber sie bietet dem vom Becken aus hervorgetriebenen oder mit der Zange ge- zogenen Kopfe einen Widerstand dar , welcher dem der hier gelegenen Weichtheile in der That ähnlich ist, so dass der Kopf genöthigt wird, ähnliche Bewegungen wie bei der wirklichen Geburt zu machen, und dem mit der Zange Operirenden leuchtet die Nothwendigkeit ein, beim Durchschneiden des Kopfes den Griff der Zange stark zu erheben. Eine sehr ungeschickt geführte Zange vermag auch diesen Gummidamm zu zerreissen, oft hat ein solcher aber mehrere Operationscurse hindurch gehalten. Wenn man solche Gummiböden , anstatt sie zuzuschneiden , giessen lässt , glaube ich , dass sie haltbarer und vielleicht auch sonst noch zweckmässiger construirt werden können. Ein Phantom mit solchem Gummiboden bietet ausser den ge- nannten Vortheilen auch noch den , dass man das normale Austreten des Kindes- kopfes sehr gut daran demonstriren kann; ein Nebenvortheil, der überall da in Betracht kommt, wo nicht jederzeit eine Geburt in natura demonstrirt wer- den kann. Die zweite Vorrichtung, die ich am Phantom angebracht habe, hat den Zweck, dasselbe unbeschadet seiner Festigkeit jederzeit schnell in rechte oder linke Seiten- lage bringen und in derselben fixiren zu können. Das Phantom trägt an seiner un- teren P'läche einen senkrecht stehenden , mit seiner Fläche nach vorn sehenden starken hölzernen Bogen, ^/^ eines Kreises; derselbe läuft zwischen einem vorderen und einem hinteren Blatte des an der Basis des Phantoms mit einem Gelenk , da- gegen auf einem unteren Rahmen unbeweglich eingesetzten Statifs. Mit einer durch das vordere Blatt des Statifs laufenden Schraube kann der Bogen und also das mit ihm sich bewegende Phantom in jeder Stellung fi.xirt werden. Der untere Rahmen wird mit zwei vorderen iind einer hinteren Klemmschraube an dem Tische befestigt. Für die Uebung der Wendung ist diese Vorrichtung sehr zweckmässig. Sobald sich durch die Untersuchung oder durch den Versuch, zu den Füssen zu gelangen, herausstellt, dass diese oder jene Seitenlagerung einen Vortheil gewähren wird, kann dieselbe, ohne dass die operirende Hand die Genitalien verlässt, auf Anord- nung des Operirenden hergestellt werden. An der lebenden Frau ist es meist schon nach der äusseren Untersuchung er- sichtlich, ob eine Seitenlagerung, und welche, für Ausführung der Wendung zweck- mässig sein wird ; es ist hier das seltnere , dass diese Indication erst während des Operirens sich herausstellt , wo ihr dann auch dadurch am schnellsten entsprochen wird, dass der betreffende Schenkel der querliegenden Frau über den operirenden Verbpsserniiö.' des Phiiiitoms zur ücbiinii' ffebnrtsliüinichpr Operationen. ] 23 Arm hinweggehoben wird , während der Operateur an die Rückenseite der jetzt in Seitenlage befindliclien Frau tritt. Am Phantom können die Bedingungen für eine exacte äussere Untersuchung nicht vollständig nachgeahmt werden , auch wenn man die Bauchdecken durch ein möglichst weiches Leder darstellt, mid muss daher bei den Uebungen meist erst die innere Untersuchung über die Lage des Kindes Gewissheit, und für die Lagerungsweise der Frau die Indication geben. Das in allen Theilen von weissbuchenem Holze gefertigte Gestell hat hin- reichende Festigkeit. Mein Phantom hat 10 Semester, ohne dass eine Reparatur an der eben beschriebenen Vorrichtung nothwendig wurde , gehalten , wiewohl ich dasselbe in dieser Zeit zu den Uebungen aller Operationen ausschliesslich benutzt habe. Noch grössere Garantieen für dessen Dauer wird man haben, wenn man für Uebung der Zangenoperation , der Kephalotripsie und anderer Operationen , bei denen Seitenlage nicht in Frage kommt, ein anderes, feststehendes Phantom in An- wendung zieht. lieber die EinMirkiing von Wasserstoff auf Einfach - Chlorkohleiistolf. Von Dr. E. Fischer aus Neustrelitz. Bei der wiederholten Darstellung des Einfach- Chlorkohlenstotfs in grösserer Menge aus dem Anderthallj-Chlorkohlenstoff nach der von Geuther •) angegebenen Methode, mittelst Zink und Schwefelsäure, habe ich die Beobachtung gemacht, dass bei längerer Einwirkung ausser dem Einfach-ChlorkohlenstofT noch ein flüchtigeres Product entsteht. Das Thermometer blieb bei den Rectiticationen , ehe es auf 1220 stieg, immer eine Zeitlang um 90" stehen. Es lag die Vermuthung nahe, dasselbe möchte ein wasserstoffhaltiges Reductionsproduct, oder was dasselbe sagen will, ein gechlortes Aethylen, sein. Darin wurde ich weiter bestärkt durch eine Verglei- chung der Siedepuncte von den hieher gehörigen Substanzen , nämlich den bei der Einwirkung einer alkoholischen Kalilösung auf das Elaylchloriir und die einfach gechlorte Verbindung desselben , entstehenden Körpern. Sie zeigen folgende Reihe : 1) €-2M3€l Siedepunct: -150bis-i80 2) €2H2€12 » 35 » 400 3) €2H€13 .. ? 4) e-'CH » 1220 Würde der Siedepunct von 3) angenommen, als von 2) ebensoweit abweichend, als i) von 2) abweicht , so würde er bei 85 — 900 liegen müssen. In dieser Voraus- setzung wurde nun nach wiederholten Rectificationen das zwischen 87 — 90^ über- gehende für sich gesammelt und anah sirt. 0,3157 grm. Substanz mit Kupferoxyd verbrannt, ergaben 0,058296 grm. Koh- lenstoff = 18,5 Proc. und 0,00341 grm. Wasserstoff = 1,08 Proc. 0,22625 grm. lieferten 0,7312 grm. Chlorsilber, entspr. 0,1809 grm. Chlor = 80,0 Proc. 1) Annal. d. Chem. u. Pharm. Bd. CVIL S. 212. 124 Dr. K. Fischer, üeber die Kiiiwirkuiig von Wasserstoll' auf EiiiCacli-Chlorkolilenstoff. Darnach berechnet sich für die Verbindung die Formel : G^HGP. her. gef. €2 =18,2 18,5 M = 0,8 1,08 €13=81,0 80,0 100,0 Was die Eigenschaften dieser Verbindung anlangt, so ist dieselbe eine ölige, in Wasser unlösliche , in Alkohol lösliche Substanz , von einem dem Chlorkohlen- stoff ähnlichen Geruch, die sich an der Luft leicht unter Salzsäurebildung zersetzt. — Die ihr entsprechende Bromverbindung G-HBr^ hat Lennox *) als eine bei 130^ siedende Verbindung erhalten, als er zweifach gebromtes Elaylbromür mit alkohol. Kalilösung behandelte. Die Siedepunctsdifferenz dieser und der beschriebenen Ver- bindung = 420 ist nahezu die nämliche, wie zwischen dem Aethylenchloriir und dem Aethylenbromür =44<\ 4) Annal. d. Chem. u. Pharm. Bd. CXXII, S. 122. Fortgesetzte lintersuchiiiigeu über deu Eiiifluss des Rücken- markes auf den Blutkreislauf der Säugethiere. Von Albert v. Bezold. (Hierzu Tafel V.) 1. Vor nicht langer Zeit habe ich eine aussedehnte Experimental- unlersuchuns; veröflientlieht , welche die Beziehung zum Gegenstande hat, in der die Bewegungen des Herzens zum Gentralnervensystem stehen ') . In den beiden ersten Theilen dieser Arbeit waren es die bei- den Halsnerven , deren Einfluss auf die Herzthäligkeit einer eingehen- den Prüfung von mir unterworfen wurde. Vom Vagus zeigte ich durch eine gründliche Experimentalkritik , dass die Erregung dieses Nerven von einer Verminderung und Hemmung der Herzbe^^ egungen unmittel- bar begleitet ist, und ich bewies, gegenüber den Schiff -Moleschott - sehen Irrlehren, dass die von den Enldeckern der Wirkung des Herz- vagus , den Gebrüdern Weber aufgeslelUe «Ilenmiungstheorie« zur Zeit die einzig richtige Ausdrucksweise der Vorstellungen ist, die wir uns von der Wirkung dieser Nerven machen können"^). Vom Halssympa- thicus wies ich nach, zuerst in einer unzweideutigen Weise, dass seine Reizung unter gewissen Bedingungen eine der Vaguswirkung entgegengesetzte habe, indem ich fand, dass die Thätigkeit seines peri- pherischen Abschnittes eine Beschleunigung der Herzschläge , verbun- den mit einer Druckerhöhung im Aortensystem zur Folge habe-*]. Ich 1) Untersuchungen ütier die Innervation des Herzens. Leipzig 1863. 2 Abthei- lungen. 2) 1. c. 1. Heft. 1. Abhandlung. Von dem Einflüsse d. Nerv, vagus auf die Herzbewegungen. 3j 1. c. 1. Heft. 2. Abhandlung. Von dem Einflüsse des Halssympathicus auf die llerzbewcgungen. Buud I. 2. 9 126 Albert v. Bezold, schloss naturgemäss aus diesen Versuchen, dass im Synipathicus Ner- venfasern verlaufen, die man als »motorische« oder »excilirende« Herznerven bezeichnen könnte, insofern die Function dieser Nerven in einer Erhöhung der Herzthätigkeit , in einer Vermehrung der Bewegungen dieses Organes bestände, und ich bildete mir die Vor- stellung, dass die erregten Fasern des Synipathicus das motorische Cenlralorgan im Herzen selbst zur erhöhten Thätigkeit anreizen. Diese Vorstellung schien mir am besten alle Thatsachen, die wir von der Herz- bewegung selbst , und von der Einwirkung sympathischer Fasern auf dieselbe kennen, zu vereinigen und zu erklären. Um so weniger nahm ich Anstand, diese Hj-jiothese schärfer zu formuliren, als durch die Auf- findung der »excitirenden« Sympathicuswirkung eine lang gefühlte Lücke in unserm V^^issen von der Thätigkeit der Herznerven ausgefüllt wurde. Alle die schon früher dem Arzte und Physiologen von den innigen Be- ziehungen zwischen Herz und Hirn bekannten Thatsachen wiesen mit fast gebieterischer Nothwendigkeit auf das Vorhandensein nicht nui- einer Hemmungseinrichtung, sondern einer »sympathischen« Verbindung zwischen Ijeiden Organen hin, und in der Entdeckung der motorischen Herzäste des Halssympathicus schien ein wirkliches Postulat, welches der Arzt an den experimentirenden Physiologen stellen konnte, befrie- digt zu sein. Die Fortsetzung und Erweiterung meiner Versuche über die Herz- nerven zeigte mir nun, dass die erwähnten beiden Nerven durchaus nicht die einzigen Wea,e sind , auf denen das Centralnervensystem mo- dificirend auf die Herzthätigkeit einwirkt. Es gelang mir zu zeigen, dass bei Säugethieren Reizung oder Durchschneidung des Rückenmarkes am Halse so unmittelbare und so grosse Abänderungen der Herzbewe- gung herbeiführten, dass man sich des Schlusses nicht erwehren kann, es würden im Halsmarke motorische Herznervenfasern in grosser Zalil gereizt oder durchschnitten. Mit Hülfe der fractionirten Curare- Vergif- tung, welche es möglich macht die störenden Einflüsse der willkür- lichen Muskelthätigkeit auf den Kreislauf aufzuheben , während gleich- zeitig die Wirkung der sympathischen Nervenfasern unverändert fort- besteht, ist es mir geglückt, zum ersten Mal auf unzweideutige Weise darzuthun , dass die Circulation bei Säugethieren , deren Halsmark durchschnitten ist, eine völlig verschiedene von derjenigen ist, welche man bei normalem unversehrten Halsmarke unter übrigens gleichen Bedingungen beobachtet, und dass die Kreislaufserscheinungen des normalen Thieres wiederum sehr erheblich von jenen abweichen, welche unmittelbar nach starker elektrischer Erregung des peripheri- schen Halsmarkes bei übrioens celähmlen Thieren eintreten. üntersncliungen üb. d. Eiiifliiss des Rückenmarkes auf d. Blutkreislauf d. Siiugethiere. 127 Unter denjenigen Erscheinungen des Blutkreislaufes , welche der Beobachtung zunächst offenstehen, sind die Anzahl, und die Stärke der Herzschläge unstreitig die wichtigsten. Indem ich sie zunächst ins Auge fasste, fand ich die Durchschneidung des Halsniarkes von einer unmittelbaren und dauernden Verminderung und A bsch wa- ch ung der Herzschläge, die Reizung des peripherischen Rückenmark- stumpfes von einer ebenso unmittelbaren Vermehrung und Verstärkung derselben begleitet. Die Grösse der Veränderung dieser Functionen, die Regelmässigkeit mit der sie eintreten, die Schnelligkeit, mit welcher auf jede Operation am Rückenmarke die davon abhängige Veränderung der Herzthätigkeit eintritt, sind so gross, dass wohl Keinem , der den Versuch in der von mir angegebenen Weise wie- derholt hat, die energischen und unmittelbaren Beziehungen zwischen den Zuständen des Rückenmarkes und des Herzens entgangen sein werden. Ebenso wie man bei der Durchschneidung eines motori- schen Nerven , den zugehörigen Muskel im Augenblick des Schnittes zucken und dann gelähmt sieht, so steigt im Augenblick der Durch- schneidung am Halsmarke Frequenz und Stärke des Herzschlages, um wenige Secunden hernach schnell abzusinken und darauf in einem ungemein abgeschwächten Grade dauernd weiterzugehen , wofern man für ungeänderte Respiration sorgt. Und ähnlich dem Muskel , der bei der Tetanisirung seines Nerven nach Ablauf eines mehr oder weniger langen Zeitraumes der latenten Reizung sich verkürzt und in dem ver- kürzten Zustande bis zur Ermüdung seines Nerven verharrt, steigt bei elektrischer Erregung des Rückenmarkes , nach einem für unwillkür- liche Nerven sehr kurzem Stadium latenter Reizung der Herzschlag schnell zu der grössten Frequenz und Stärke, welche der Grad der Reizung überhaupt zulässt, verharrt darin un geändert während der Reizung, entweder bis zum Aufhören derselben, oder, bei zulange fortgesetzter Tetanisirung laugsam abnehmend mit Zunahme der Er- müdung. Diesen Abänderungen am Herzen entsprechen genau die Erschei- nungen , welche demnächst der experimentellen Beobachtung zugäng- lich sind. Die kymographischen Messungen des Blutdruckes in den Arterien bestätigen nicht nur Das was die unmittelbare Betrachtung des Herzens selbst lehrt , sondern sie verschallen uns auch ein fixirtes Bild von dem zeitlichen Verlaufe dieser Veränderungen. Die Curve des arteriellen Blutdruckes steigt im Augenblick der Rückenmarksdurch- schneidung steil empor, um nach Beendigung des Schnittes ebenso steil abzufallen, auf ein Niveau, welches dem 3ten bis 4ten Theil der nor- malen Spannung des Aortenblutes entspricht. Während relativ langer 128 Albert v. Bezold, Zeiträume verharrt der Blutdruck dann conslant. Tetanisirt man jetzt das Rückenmark, so vergehen kaum 2 — SSeeunden, und rasch empor- steigend verräth der Griffel das mächtige und schnelle Wachsthum des Blutdruckes, welches nicht eher aufhört als bis das Maximum des unter den obwaltenden Umständen Erreichbaren da ist. Von hier an wird die Curve, die vorher einen grossen Winkel mit der Abscisscnaxe einschloss, nahezu horizontal, und bleibt es auch, bis entweder ein rasches Ab- steigen das Aufhören der Reizung oder ein allmähliches Sinken die ein- tretende Ermüdung des Nerven verkündet. Dies sind die Fundamen- tallhatsachen , über welche ich zunächst völlig ins Reine zu kommen suchte. Ich habe sie beobachtet zunächst an Kaninchen; sie treten aber mit gleicher Regelraässigkeit und Schönheit ein , wenn man an- dere Säugethiere , Katzen oder Hunde , dem Versuche unterwirft. Der Erfolg ist bei fehlerfreier Ausführimg des Versuches so sicher und unfehlbar, als der Stillstand des Herzens bei kräftiger Erregung bei- der Vagi am Halse. Es ist für das Gelingen des Versuches vollkom- men gleichgültig ob die Thiere, an denen man experimentirt , durch schwache Curare-gaben gelähmt sind oder nicht; und hiermit ist der sonst schwer zu beseitigende Einwurf, als möchten die beol)achleten Abänderungen des Kreislaufes durch Lälunung oder den Tetaluis der willkürlichen Körpermusculatiu' bedingt sein, völlig widerlegt. Schäd- lich sind grössere Curare-gaben , welche die physiologische Verknü- pfung des Rückenmarkes mit dem Herzen ebenso aufzuheben vermö- gen, als diejenige zwischen Herz und Vagus. Die Athmungen waren mit Hülfe eines kräftigen Blasebalges constant gemacht und den wechseln- den Einflüssen des Nervensystems entzogen. Vagi und Halssympathici waren vorher immer durchschnitten worden. Dass im Rückenmarke der Säugethiere Nervenfasern verlaufen, deren Lähmung oder Thätigkeit von dem allergrössten Einfluss auf die Circulation des Blutes und auf die Thätigkeit des Herzens ist, war nach den Ergebnissen meiner Versuche ausser aller Frage. Den unsicheren und negativen Resultaten gegenüber, welche in der neuern physiologi- schen Lehre über den Einfluss des Centralnervensystems auf die Herz- bewegung und den Kreislauf vorlagen, und welche zu einem völligen Ignoriren vmd Läugnen aller motorischen oder anregenden Einflüsse geführt hatten , traten in den Thatsachen , die ich am Halssympathicus und am Rückenmarke aufgefunden hatte, die sprechendsten Beweise dafür entgegen, dass ausser den Herzästen des Vagus noch andere Nerven existiren, unter deren mittelbarem oder unmittelbarem Einfluss Kreislauf und Herzl)ewegung stehen. Ausser allem Zweifel stand es ferner , dass die Art des Einflusses UiitersiiclinnffPii üb. d. Eiiifliiss dos Rfickoriiiiiiilvfs iiiif d. Bliitkrcisliiuf d. Siiiigotliiore. 129 der Jelztgenannlen Nerven, die entgegengesetzte ist ^on jenen der Nervi Vagi. Die Reizung der Nervi vagi vermindert und hemmt die Herzbe- \>egiing, setzt den Blutdruck im Arteriensystem herab und verlang- samt die Circulation des Blutes. Die Reizung des Sympathicus und des Rückenmarkes bewirkt von all diesem das Gegentheil. Für den unbefangenen Beobachter war nach den gefundenen Er- gebnissen kein Schluss einfacher und näherliegend, als derjenige, w eichen ich schon bei den Versuchen über den Halssympathicus ge- zogen hatte, der Schluss auf das Vorhandensein «excitirender« oder »motorischer« Herznerven im Rückenmarke. Dieser Schluss ist es, wel- cher dem Laien sow^ohl, als auch dem in physiologischen Reizversuchen wohl Erfahrenen sich förmlich aufdrängt, wenn er den jähen AVechsel l)eo])achtet, den die Pulsfrequenz , die Stärke des Herzstosses, der Blut- druck im Arteriensvstem erleiden, so oft das Halsrückenmark aus dem Zustande der Ruhe in den Zustand der Erregung übergeht und umge- kehrt. Ebenso schnell als nach Beginn der Vagusreizung das Herz, meh- rere Schläge noch absolvirend, stillstehenbleibt, ebenso unmittelbar ändert sich die Schlagfolge dieses Organes, wenige Schläge nach dem Anfange der Reizung des durchschnittenen Rückenmarkes. Und wenn die Curve des Blutdruckes in der Carotis einige Secunden nach Beginn der Vaguserregung steil abfällt, einen grossen Winkel mit der Abscis- senaxe einschliessend , so steigt der zeichnende Stift des Manometers nicht weniger steil empor, wenige Secunden nachdem die inducirten Wechselströme auf das durchschnittene Rückenmark zu w irken begon- nen. Was ist also natürlicher, als dass man bei gleicher Unmittelbar- keit der Wirkung auf eine gleiche Unmittelbarkeit im anatomischen Mechanisnuis schliesst, und ebenso, wie dem Vagus hemmende, dem Rückenmark excitirende Herznerven zuertheilt! Durch diese einfachste und natürlichste Hypothese werden in der That nicht nur die vorhin mitgetheilten, sondern überhaupt alle Er- scheinungen, die ich im w^eitern Verlaufe meiner Untersuchung beobach- tete , auf das ungezwungenste erklärt, und ich ging bei der Weiterfüh- rung meiner Versuche auch von dieser Hypothese als der wahrschein- lichsten aus. Alle Versuche, welche sich auf die Darlegung des im Rückenmark der Säugethiere von mir angenommenen Herznervensy- stems beziehen , habe ich in dem 2ten Hefte meiner «Untersuchungen über die Innervation des Herzens« mitgetheilt, welchem ich die Ueber- schrift »Ueber ein neues excitirendes Herzner\ensystem im Rückenmark der Säugethiere« vorgesetzt habe. W^enn auch die wahrscheinlichste, so war die Annahme motori- scher Herznerven im Rückenmarke keineswegs die einzige unter den j 30 Albert v. Bezold, möglichen Hypothesen. Eine Erklärunc; allerdings war von vorn herein durch die Anwendung der fractionirten Curare Vergiftung ausgeschlos- sen. Bei allen frühern Versuchen \^ar die krampfhafte Erschütterung des ganzen Körpers mit den unberechenbaren Störungen , welche die- selben in den Erscheinungen des Ki-eislaufes herbeiführen mochten, das Hinderniss exacter und beweisender Versuche über den Einfluss des Rückenmarkes auf die Herzbewegung gewesen. Die Wegräunumg dieses Hindernisses beschränkte auch die Zahl und Verschiedenartig- keit der möglichen Erklärungen unserer Thatsachen. Es war nicht mehr zu denken an den Einfluss der Veränderungen , den der Krampf oder die Lähmung der willkürlichen Körpermusculatur auf das Herz und die Gefässe ausüben konnte , denn sie waren durch das Pfeil- gift vom Rückenmark abgeschnitten. Es blieb, wenn man von der Existenz motorischer Herznerven absehen wollte, nur die Annahme übrig, dass die Nerven der Gefässe, indem sie abwechselnd in den Zustand der Lähmung und Reizung geriethen , die mechanischen Be- dingungen des Kreislaufes solchergestalt abänderten, dass das Herz, in zweiter Linie davon l)eeinflusst, l)ald stärker, iKild schwächer, bald häufiger, bald langsamer schlüge. Die Druckveränderungen in den Arterien würden bei dieser Annahme zunächst durch die veränderten Widerstände im Gefässsystem, und erst später mittelbar durch die hin- zutretende veränderte Herzarbeit bedingt worden sein. Ohne Zweifel wird die Unmittelbarkeit und Schnelligkeit des Wechsels , mit dem die Herzbewegung auf die Reizung oder Lähmung des Rückenmarkes antwortet, einem Jeden der mit der Natur von Nervenwirkungen vertraut 'ist, ohne Weiteres sagen, dass die An- nahme von excitirenden Herznerven besser und ungezwungener die vorliegenden Thatsachen erklärt, als die Annahme einer mittelbaren Einwirkung des Rückenmarkes auf das Herz durch das Zwischenglied der Gefässnerven. Wenn man sich aber nicht damit begnügte, die grössere Wahrscheinlichkeit bewiesen zu haben, welche die Hypo- these von motorischen Herznerven vor der Erklärung durch vaso- motorische Nerven voraus hat, so nmsste man neben dem zeitlichen Verlauf der Wirkung auch noch andere Erwägungen zu Hülfe ziehen. Gelang es die Erklärung durch die Gefässnerven auszuschliessen , so war die Existenz von motorischen Herznerven bewiesen , denn eine dritte Möglichkeit, die Thatsachen zu erklären, sah ich nicht und sehe ich auch jetzt noch nicht. Es giebt nun einen Versuch , der , w enn er gelänge , für sich ge- nügen würde, um zu zeigen, wie viel von der Einwirkung des Rücken- markes auf den Kreislauf durch motorische Herzner^ en , und wie viel Uiitci'siichunjien üb. d. Einfluss des Riiekenmarkos auf d. Blutkreislauf d. Sauoetliiere. 131 durch die vasomotorischen Nerven vermittelt ^^ ird. Dieser Versuch be- steht in der Durchschneidung des sympathischen Herznervengeflechtes in unmittelbarer Nachbarschaft des Herzens selbst. Die im Halsrücken- mark verlaufenden hypothetischen Herznerven haben keinen andern Weg zum Herzen zu gelangen, als durch den Brust- und Lendentheil des Sym- pathicus , und durch die von den untern Hals- und obern Brustknoten zum Herzen gehenden N. cardiaci, medii und inferiores. Gelingt es die Verbindungen zwischen Herz und Sympathicus beiderseits zu durch- schneiden , ohne andere Organe zu vei'letzen , so wird der Erfolg der Durchschneidung unmittelbar zeigen, welche von beiden Hypothesen die richtige ist. Wirkt das Rückenmark nur durch diese Nerven auf den Herzschlag ein , so werden Kreislauf und Herzbewegung nach der Durchschneidung der Herznerven dieselbe Form annehmen , als nach der Durchtrennung des Halsrückenmarkes, und die elektrische Reizung des Halsmarkes wird keinen erheblichen Wechsel in den Kreislaufs- \'erhältnissen , geschweige denn im Herzschlage herbeizuführen ver- mögen. Geschieht die Einwirkung des Rückenmarks auf das Herz nur durch Vermittelung von Gefassnerven , so wird es für den Erfolg der früher angeführten Versuche gleichgültig sein , ob das Herz aus der Nervenverbindung mit dem Sympathicus losgelöst ist oder nicht. Ist endlich, was das Nalurgemässeste und Wahrscheinlichste ist , die Ein- wirkung des Rückenmarkes auf den Kreislauf die Summe der Wirkung \ on Herz- und Gefassnerven , so wird nach Durchtrennung der Herz- nerven sich zeigen , wie gross der ülirigbleibende Einfluss der Gefass- nerven im Vergleich mit dem Einfluss der gelähmten Ilerznerven sei. Es ist mir bisher noch nicht gelungen , diesen Versuch, welcher allem Zweifel mit Einem Schlage ein Ziel setzen würde , rein und un- getrübt clurch Blutverlust, Verletzung anderer Nerven etc. auszufühi-en. Die Frage musste demnach auf indirectem Wege entschieden werden. Diese Entscheidung habe ich zu geben versucht, indem ich die ge- sammlen Kreislaufsveränderungen, die nach Durchschneidung oder Reizung des Halsmarkes eintreten , genauer betrachtete und die Frage aufwarf, ob dieselben durch Reizung oder Lähmung von Gefassnerven allein hinreichend erklärt würden. Es sei mir erlaubt, hier noch ein- mal kurz das Wesentliche desjenigen zu wiederholen , was ich in der oben angeführten Abhandlung darüber gesagt habe. Ein Zeitraum von 15 — 20 Secunden ist hinreichend um bei einem durch Pfeilgift gelähmten Kaninchen, dessen Athmung künstlich unter- halten wird, und dessen Vagi und Sympathici beiderseits durchschnit- ten sind, den Kreislauf vermittelst der Durchschneidung des Halsmarkes folgendermassen zu verändern. \^2 Albert v. Beznid, Das Herz, welches vor der Operation in der Minute 250 Schiäse durchschnittlich gemacht hat, pulsirt nach der Lähuiung des Halsniar- kes ungefähr 180 mal in derselben Zeit. Die Herztöne, vorher mittelst des Stethoskopes gut wahrnehmbar, sind nach der Durchschneidung fast unhörbar. Die Middeldorplfsche Nadel, die im pulsirenden Herzen steckt, macht nach der Durchschneidung sehr kleine Excursionen , während dieselben vor der Durchschneidung bedeutend grösser waren. Die Arterien sind zusammengefallen und haben ihre pralle Füllung ganz und gar verloren. Der Blutdruck in den grösseren Arterien ist von 100 — 120""" Hg. auf 20— 30"'" Hg. gesunken. Die Venen sind prall gefüllt und strotzen von Blut. Diese Erscheinungen sollen aus der Lähmung der motorischen Gefässnerven allein hergeleitet werden. Die Gefässnerven aber kön- nen auf 2 Wegen auf das Herz einwirken ; einmal von den Arterien her, dann von den Venen aus. Eine Lähmung der vasomotorischen Nerven des Körpers w ird eine Erweiterung der sämmtlichen Körper- gefässe bedingen. Eine Abnahme des Blutdruckes in den Arterien und in den Venen wird hieraus erfolgen. Da nun die Venen in der Nähe des Herzens prall gefüllt sind , mehr als bei undurchschnittenem Rücken- mark , so fällt der Gedanke an eine beträchtliche Abnahme des Blut- druckes in den Venen ohne Weiteres fort, im Gegentheil wird ein Jeder, der die Erscheinungen selbst beobachtet hat, aus der blossen Betrach- tung der wohlgefüllten runden Venenstränge auf eine Stauung des Blutes und eine Erhöhung des Blutdruckes in diesen Gefässen schliessen. ist aber eine reichliche Blutmenge an den venösen Ostien des Her- zens vorhanden , so ist keine Veranlassung zu einem Schwächer- und Seltnerwerden des Herzschlages von den Venen aus gegeben. Die Ab- schwächung und das Seltnerwerden des Herzschlages könnte also allein bedingt sein durch die Abnahme des Blutdruckes an den arteriellen Mündungen. Nun tritt aber, wie bekannt, eine gleiche Abnahme des Blutdruckes in den Arterien bei Vagusreizung ein. Gleichwohl aber schlägt das Herz nach Aufhören dieser Reizung ebenso stürmisch , ja noch stärker, ob\Aohl nach länger dauerndem Vagusstillstand der arte- rielle Blutdruck bedeutend abgenommen hat. Ferner haben , wie ich mich davon experimentell überzeugt halje, grosse Aenderungen im Ge- sa mmtquerschnitte des dem Kreislauf offen stehen den Lumens der Kör- perarterien, vergleichsweise unbedeutende Aenderungen im passiven arteriellen Blutdruck , und gar keine Veränderung in der Anzahl und Stärke der Herzbewegungen zur Folge. Ich habe ausdrücklich Ver- Uiitprsiu'liiiiiseu üb. d, Eiiifliiss des RiifkPiiiriai'kes aiif d. Blntkrfislitiil' d. Siiiiy,ptlii('n'. 138 suche angeführt, welche zeigen, dass Verschliessungen und Oeffnungen der ganzen Bauchaorla auf die Frequenz und Stärke der Herzschläge fast ohne Einfluss sind. Ebenso wird der Einfluss der erweiterten, weil gelähmten Körpergefässe auf Frequenz und Stärke der Herzschläge ohne Einfluss sein , w enn dieser Einfluss durch den verminderten ar- teriellen Blutdruck allein bedingt ist. Da nun weder die Veränderungen an den Venen , noch an den Arterien innerhalb der Zeiten , um w eiche es sich hier handelt, eine wesentliche Abänderung in der Frequenz und Stärke der Herzschläge zu erzeugen vermögen , so kann die Abnahme der Frequenz und Energie der Herzbewegungen nicht wohl erzeugt sein durch die Lähmung vasomotorischer Nerven nach Durchschnei- dung des Rückenmarkes. In ähnlicher Weise habe ich gezeigt, dass das Wachslhum der llerzthätigkeit nach Reizung des Halsmarkes nicht bedingt sein kann durch die Verengerung des Lumens der Gefässe; wenigstens habe ich ausdrücklich hervorgehoben, dass der erhöhte Widerstand in den Arte- rien eines grossen Körperabschnittes , welchen das Blut vorfindet , für sich allein nicht hinreicht, um auch nur einen wesentlichen Bruchtheil von der vergrösserten Energie des Herzens zu erklären. Diese Erwägungen schienen mir hinreichend zusein, um die, an sich unwahrscheinliche Annahme auszuschliessen, dass die vasomotorischen Nerven die einzige Veranlassung der veränderten Herzbewegung nach Reizung oder Durchschneidung des Halsmarkes seien ; und ich glaubte den genügenden Beweis erbracht zu haben, dass excitirende Herzner- \en, die vom Gehirn nach dem Rückenmark, und von hier aus zum Herzen verliefen , im Halsmarke durchschnitten und gereizt wurden, und dass hieraus die grossen Unterschiede in den Kreislaufsverhält- nissen stammten, die man bei gelähmtem und erregtem Halsmarke beobachtet. Nachdem auf diese Weise , wie es mir schien , die Anwesenheit motorischer Herznerven im Rückenmarke wenigstens sehr wahrschein- lich gemacht war, verfolgte ich auf dem Wege des Experimentes den Ursprung und den weitern Verlauf derselben. Ich zeigte, dass die Rei- zung isolirter Rückenmarksabschnitte vom ersten Brustwirbel bis zu den Lendenwirbeln hinab Beschleunigung und Verstärkung des Herz- schlages erzeugt, und zog hieraus den Schluss, dass aus dem Brusttheil und Lendentheil des Rückenmarkes die Herznerven an den verschie- densten Stellen austreten. Ferner wies ich nach, dass die mechanische und elektrische Reizung des Bauch- und Brustgrenzstranges, im Falle der Zusammenhang mit den obersten Knoten des Brustsympathicus, noch erhalten ist, ebenso unmittelbar die Schlagfolge und die Kraft der 1 34 Albert v. Bezold, Herzconlr;tctioiion vcrniolirt ols dio Errcgiinp: ilos Riickenmiirkos: und ich schloss hieraus, dass dieselben motorischen Herznerven, die aus dem Kückenmarke austreten, im Bauch- und Brustgrenzstrange des Synipa- lliicus sich sammeln und nach oben zum Herznervengeüecht treten. Trennte man die sympathische Verbindung zwischen Lendenniark und Herz, so erwies sich Reizung des letztern als unwirksam. Der Erfolg aller weitern Versuche konnte mit der Voraussetzung von excitirenden Herznerven nicht besser übereinstimmen, als dies in der That der Fall w-ar. Versuche in denen das verlängerte Mark ol)erhalb und unterhalb (juer von seinen Verbindungen mit dem Halsmark und mit dem Ge- hirn abgetrennt wurde, zeigten, dass der Ursprung der den Kreislauf anregenden Nerven in der Medulla oblongata selbst liegt, und dass von hier tonische Erregungen ausströmen , deren Wegfall bei durch- schnittenem Halsmarke jene Herabsetzung der treibenden Kraft des Herzens bedingt, welche wir früher in den Fundamentalversuchen beobachtet hatten. In einer folgenden Versuchsreihe wurde bewiesen, dass die hypo- thetischen excitirenden Herznerven Leitungsorgane herstellen zwischen dem grossen Gehirn und dem Herzen, indem bei gelähmten Thieren, deren Halsnerven durchsclmitten sind, leidenschaftliche Erregungen der Seele, Schmerz, Angst und Schreck, den Herzschlag in einem durch die ge- wöhnlichen Messungsmittel völlig nachweisbaren Grade beschleunigen mid verstärken , solange die Verbindung durch das Rückenmark noch existirt. Ich habe durch diese Versuche auf die positivste Weise dar- gelhan, dass die Erscheinungen, deren Vorhandensein schon früher den Nachweis motorischer Herznerven postulirte, in der That durch die von mir gefundenen Nervenwirkungen vermittelt werden. Dies war der wesentliche Inhalt meiner 3ten Abhandlung über die Herznerven , und ich glaubte wirklich durch diese Arbeit die Exi- stenz motorischer Herznerven , die Gesetze ihrer Wirkung und ihre physiologischen Zusanmienhänge mit dem übrigen Nervensystem soweit ermittelt zu haben, als es der gegenwärtige Zustand unsrer experimen- tellen Hülfsmittel erlaubte. Ich konnte natürlich nicht hoffen, dass die neue Lehre, welche ich von den Gesetzen der Herzinnervation aufgestellt , sofort ohne Wider- spruch von den physiologischen Forschern aufgenommen werden würde. Der Widerspruch liess nicht auf sich warten. Dr. Fr. Goltz in Königsberg, welcher durch ein oberflächliches und offenbar in missgünstigem Sinne geschriebenes Referat über meine Arbeit (Medizinisches Centralblatt. 1863. Nr. 39) den Mangel seiner UiitersnclHinffon üb. d. Rinfliiss des RückoiiinarkPS auf d. Bliitkroislaiif d. Siiiigetliiere. 135 üebereinstimmung mit meinen Schlussfolgemngen bereits ziemlich iin- verhüllt angedeutet hatte, hielt auf der vorjährigen Versammlung der deutsehen Naturforscher zu Königsberg einen Vortrag , dessen Spitze gegen mich und gegen die Schlüsse gerichtet war, die ich aus mei- nen Versuchen am Kaninchen auf die Existenz motorischer Herznerven gezogen hatte. Er hatte nicht etwa meine Experimente am Kaninchen wiederholt, sondern ein Versuch am Frosch schien ihm darzuthun, d a s s alle T h a t s a c h e n , welche ich über den Einfluss des Rücken- markes auf den Herzschlag der Säugethiere gefunden hatte, Phänomene wären, gleichgut erklärbar durch die Thätigkeit vasomotorischer Ner- ven, als excitirender Herznerven. Eine vorläufige Mittheilung von Goltz (ViRCHOw's Archiv, Band XXVIH.) mit der Aufschrift: »lieber den Ein- fluss des Centralnervensystems auf die Blutbewegung« versucht zu- nächst die Beweisführung, dass die Blutbewegung bei Fröschen in einer enormen Abhängigkeit vom Zustand der Gefässnuiskeln stehe, und diese letzteren wieder unter dem Einfluss des Rückenmarkes und schliesst dann mit folgendem Absatz : »Ob auf das Herz als einen Theil des Gefässrohrs nicht auch gleich den übrigen Gefässmuskeln eine directe Beeinflussung von Seiten des centralen Nervensystems ausgeübt wird, bleil)t noch eine offene Frage. Bewiesen ist ein solcher Einfluss bisher nicht. Alle die vielen Angaben über Veränderung der Herzlhätigkeit nach Reizung oder Lähmung der cerebrospinalen Axe lassen sich hinreichend aus der gleichzeitigen Alleration der Gefässnerven erklären. Auch die neueste Arbeit von Bezold hat in dieser Hinsicht durchaus nichts Entscheidendes gebracht. Was die thatsächlichen Angaben Bezold's anbelangt, so will ich sie umsoweniger bekämpfen, als sie im Wesentlichen Bestätigun- gen der altern Beobachtungen von Legallois und Lister ent- halten. Die theoretischen Auseinandersetzungen Bezold's aber kran- ken afle an dem fundamentalen Irrthum , dass die Thätigkeit der Ge- fässmuskeln keinen Einfluss habe auf die Leistung des Herzens.« Meine Arbeit ist also nach der Verurtheilung durch Goltz Nichts weiter, als eine Nichts beweisende Bestätigung schon früher bekannter Thalsachen. Alle meine Mühe und Arbeil war umsonst. Die Sache selbst ist durch die grosse Menge von meiner Hand geopferter Thiere nicht um Einen Schritt gefördert worden. Es kann wahrlich nichts Betrübenderes für den Forscher geben, als das Bewusstsein fruchtloser Arbeit. Ausser dieser für mich betrübenden Fintdeckung , ^^ eiche Herr Goltz gemacht hat, schleudert derselbe mir aber geradezu den Vor- wurf ins Gesicht , dass ich für neu ausgegeben , was einfach eine Wie- derholung und Bestätigung früherer Versuche sei. I 36 Al'x'it V. Rpznld. Diosen Vorwurf werde ich zunäclisl ])oleuchlen, und (Uinn \\nllrn wir etwas genauer die Gründe untersuchen , auf welche gestützt Goltz meine ganze Untersuchung für werthlos und unbeweisend erklärt. Wir wollen ferner sehen , wie weit die Hypothese , die Goltz an die Stelle der meinigen setzt , die von mir schon früher gefundenen That- sachen erklärt. Endlich werden neue Thatsachen , welche ich bei Fortsetzung meiner Untersuchungen beobachtet habe , zeigen , dass die GoLTz'sche Erklärung von meinen Versuchen falsch ist. Goltz sagt , meine Arbeit sei eine einfache Bestätigung der Anga- ben Lister's und Legallois', und weil sie dieses sei, habe er umsowe- niger Zweifel an der Richtigkeit meiner thatsächUchen Angaben. Auf die Gefahr hin , dass mein Gegner fortan Zweifel an meinen Angaben hegen möge , werde ich zeigen , dass die Thatsachen , welche ich gefunden und beschrieben habe, gerade in den wesentlichsten Puneten von den Angaben der beiden genannten Forscher ganz und gar abweichen. In derselben Arbeit, über welche mein Kritiker in dem Central- blatt für die medizinischen Wissenschaften i-efcrirt hat , habe ich die LEGALLOis'schen Versuche sehr ausführlich mitgetheilt. Seine Versuche bestanden erstlich in einer Decapitation der Thiere , zweitens in einer Abtrennung des Halsmarkes vom Gehirn, drittens in einer Zerstörung einzelner Rückenmarkstheile. Der Einfluss dieser Verletzungen auf die Circulation wurde von Legallois geprüft. Nun steht ausführlich zu lesen (Untersuchungen S. 179): »Nach der Decapitation dauerten die Erscheinungen des Kreislaufes an dem Stumpfe des enthaupteten Thieres längere Zeit an , wenn dafür gesorgt war, den Gasaustausch in den Lungen durch künstliche Respiration zu unterhalten. Diess zeigte sich sowohl bei neugebornen, als bei SOtägigen Kaninchen.« »Nach der Trennung des Rückenmarkes vom Gehirn am ersten Wirbel wurde ebenfalls die ungestörte Fortdauer der Kreislaufs- erscheinungen beobachtet. Im Gehirn konnte also nach diesen Versuchen Legallois' das Princip der Herzbewegungen nicht liegen.« »Dagegen zeigte sich ein schnelles und momentanes Erlöschen der Circulation bei ganzer oder theilweisor Zerstörung des Rücken- markes, mochte die letztere am Brust- oder Lendcntheile ausgeführt werden.« Legallois schliesst aus seinen Versuchen, dass das Hei'z alle seine Kräfte vom Rückenmark entlehne , vom Gehirn dagegen nicht. Untersucliiingen üb. d. Eiutluss des Riickeumaiies auf d. Bliifkreislaiif d. Siuigethiere. 137 Was Ihun meine Versuche dar ? Sie zeigen im Gegensatz zu Le- GALLOis , tlass es nach der AJjtrennung des Rückenmarkes vom Gehirn für die Herzl)e\vegungen glcicligültig ist, ob das Rückenmark selbst unversehrt ist oder nicht: die Abtrennung des Rückenmarkes vom Ge- hirn selbst genügt, das Herz auf die Erregungsquellen zu reduciren, die in ihm selbst liegen , und den Kreislauf auf das beschriebene be- scheidene Maass der Energie herabzudrücken. Für mich ist nach mei- nen Versuchen das Rückenmark einzig und allein Leitungsorgan zwi- schen den im Gehirn liegenden Erregungscentren und dem Herzen. Ich habe gezeigt, dass der Forlfall des Hirneinflusses die Anzahl und Ener- gie der Herzbewegungen vermindert, Legallois dagegen hält nach sei- nen Versuchen das Gehirn für einflusslos, und verlegt in das Rücken- mark den Sitz allei' Erregungsquellen für das Herz. Wenn Goltz denniach sagt , dass meine Versuche die Thatsachen von Legallois bestätigen , so beruht diese Aeusserung entweder auf einer Unken ntniss oder einem Miss verstehen dessen , was ich in der geschichtlichen Einleitung so deutlich und ausführlich mitgetheilt habe. Von einem Referenten meiner Arbeit kann ich aber wohl voraussetzen, dass er sein Urtheil erst nach genauer Kenntnissnahme des vorliegen- den Thatsächlichen , und nicht leichthin und so gänzlich grundlos , als dies Goltz gethan hat, fälle. Wir wollen nun sehen, wie weit meine thalsächlichen Angaben die altern Reobachtungen Lister's bestätigen. Ich habe Lister in mei- ner Abhandlung nicht citirt , aus einem Grunde der sich aus dem Fol- genden klar ergeben wird. In dem MEissi\ER'schen .Jahresberichte über die Fortschritte der Physiologie im Jahre 1 859 ist über die auf unsren Fall bezügliche Li- STER'sche Angabe folgendermassen berichtet : »Lister fand bestätigt, dass schwache Vagusreizung die Herzbe- wegung beschleunigt. Dagegen beobachtete Lister keine vermehrte Frequenz nach der doppelten Vagusdurchschneidung beim Kalbe und bei Kaninchen. Als aber bei den so operirlen Thieren elektrische Ströme durch das Rückenmark zwischen 4ten Ilalsv^irbel und ölen Rückenwirbel geleitet w urden , oder auch tiefer durch den Rückentheil des Marks , so nahm die Frequenz des Herzschlages zu , wenn die Rei- zung schwach war, bei starker Reizung aber nahm auch jetzt die Frequenz ab. Der Erfolg war derselbe wenn auch der Halssympa- thicus durchschnitten war. DieMöglichkeit zu hemmender Einwir- kungbesitzen daher nach Lister auch die die Herzganglien mit dem Rückenmark verbindenden sympathischen Nerven. Diese Versuche sind nichts weiter als fehlerhafte Versuche, 138 Albert V. Bezold, denjenigen an die Seite zu stellen , die Moleschott und Schiff in ihren Arbeiten über Vagus und Synipathicus veröffentlicht haben. Es sind offenbar Versuche , bei welchen Stroinesschleifen durch den Vagus gingen , und so eine unbeabsichtigte Erregung des Hemraungsnerven fürs Herz entstand. Dass diese Versuche falsch und fehlerhaft sind, muss ich gerade nach den Thatsachen , die ich beobachtet habe , be- haupten. Ich habe nie eine Hemmung oder Verlangsamung der Herz- bewegungen durch starke Reizung des Rückenmarkes beobachtet, son- dei-n immer und unter allen Umständen das Gegentheil. Meine Angaben eine Bestätigung der LisTER'schen zu nennen , ist doch ein etwas starkes Stück ; Goltz hält vielleicht auch meine Arbei- ten über Vagus und Sympathicus für eine Bestätigung der Moleschott- schen Angaben ! Tst für ihn eine Beschleunigung der Herzschläge gleichbedeutend mit einer Verminderung? Eine Hemmungswirkung gleichbedeutend mit einer excitirenden? — Gegen derartige zum min- desten leichtsinnige Behauptungen, wie die ist, dass ich Lister's An- gaben bestätigt habe , lege ich allen Ernstes im biteresse einer wahren und ehrlichen Kritik Verwahrung ein! Wie weit der, in den oben angeführten Worten von Goltz ver- steckt liegende Vorwurf, als halte ich einfache Bestätigung früherer Angaben für neu, begründet ist, hat das eben Gesagte, wie ich glaube, so klar gezeigt, dass eine weitere Discussion hierüber über- flüssig ist. Ich glaube doch durch meine Arbeit eine bis dahin gänzlich über- sehene Reihe von Zusammenhängen zwischen dem Gehirn und Rücken- mark und dem Blutkreislaufe aufgedeckt zu haben: Zusammenhänge von so bedeutender und unmittelbarer Wirkung , dass sie für eine Un- zahl von Vorgängen im Organismus von der allergrössten Bedeutung sind ; Zusammenhänge , welche eine Reihe ])isher räthselhafter Phäno- mene erklären, und deren Wichtigkeit für den Haushalt des Organismus die gleiche bleibt, mag man sie aus der Anwesenheit motorischer Herz- nerven oder aus der Vermittelung von andern Mechanismen ableiten. Jedenfalls ist ein Mechanismus vorhanden, der Herzbewegung und Hirnthätigkeit mit einer solchen Energie und Innigkeit zusammenkettet, dass die Verbindung zwischen Hirn und Herz durch Vagus an Inten- sität und Regelmässigkeit der Einwirkung diesen offenbar durch Ner- ven hergestellten Mechanismus nicht nur nicht übertrifft , sondern eher hinter demselben zurücksteht. Das Vorhandensein einer solchen inni- gen Beziehung zwischen Hirn und Herz dui-ch fehlerfreie Versuche be- wiesen zu haben , durch die Beobachtung einer Anzahl wirklich neuer Thatsachen, halte ich für das Hauplverdienst meiner Untersuchung, und Untersiichuiigdi üb. d. Kiiifliiss des Rüekeimiarkes juif d. Blutkreislauf d. Säugethiere» 139 es schien mir daher nicht überniissiti; , den leichtfertigen Angriff' von Goltz , der meine Arbeit im Wesentliclien eine Bestätigung der ganz unklaren Versuche von Legallois , und der off'enbar fehlerhaften Ver- suche Lister's nennt, in das gebührende Licht gestellt zuhaben, ehe ich auf die materielle Seite der GoLxz'schen Einwürfe einging. Ich wende mich nun zu dem zweiten Theil des GoLiz'schen An- griffes, dessen Inhalt der ist, dass die von mir gefundenen Thatsachen Nichts beweisen für die Existenz motorischer Herznerven. Hier ist es zunächst von Wichtigkeit, dass wir den Versuch genauer ins Auge fassen, auf den gestützt Goltz diese Behauptung ausspricht. Es ist der sogenannte Klopfversuch von Goltz, den dieser in seiner vorläufigen Mittheilung folgendermassen beschreibt : »Legt man bei einem Frosche das Herz blos und klopft man dem Thiere mit einem stumpfen Werkzeuge wiederholt gegen die unver- sehrten Bauchdecken , so steht das Herz zunächst immer langsamer schlagend , zuletzt im erschlafl'ten Zustande still. Dieser Stillstand ist wie ich bewiesen habe , die Folge einer w ahren Beflexhemmung durch Vermittelung der Vagusnerven. Nach einem anhallend und kräftig aus- geführten Klopf versuche tritt aber, wenn das Herz nach Beendigung der Reflexhenunung wieder zu schlagen beginnt, regelmässig eine an- dere Erscheinung zu Tage, die, früher von mir übersehen, noch wich- tiger für die Physiologie der Blutbewegung zu werden verspricht. Das Herz zeigt dann nämlich eine von der normalen Herzbewegung durch- aus abweichende Form des Schlages. Bei der normalen Herzbewegung füllen sich mit jedesmaliger Diastole Vorhöfe und Kammer mächtig mit Blut , so dass das Herz erhaben hervorgewölbt wird. Die Systole der Kammer treibt eine grosse Blutmasse in die Aorten , welche hierdurch stark verbreitert und verlängert werden. In Folge der Verlängerung der Aorten , sieht man während der Systole des Ventrikels die Vor- kamme rgrenze deutlich nach abwärts rücken. Ganz anders gestaltet sich die Ilei'zbewegung einige Zeit nach einem anhaltenden Klopfver- suche. Das Herz nimmt dann während der Erschlaffung nur wenig Blut auf , und bleibt, statt sich vorzuwölben , platt zusammengefallen und blass. Der Ventrikel presst bei der Systole nur eine winzige Blut- menge in die Aorten, welche sich daher während der Systole gar nicht verlängern. Demgemäss verändert auch die Vorkammergrenze ihre Stellung während beider Phasen der Herzbewegung nicht, sondern bleibt in Ruhe. Die Hohlvenen erscheinen fast blutleer. In der Schwimmhaut stockt die Blutbewegung völlig Ueberlässt man ein solches Thier sich selbst, so werden nach Verlauf eini- ger Zeit die Herzbewegungen wieder ausgiebiger bis sie endlich ganz 140 Albert V. Bezold, die frühere Form wieder gewinnen , womit der normale Zustand der Herzbew egung hergestellt ist. « Die beschriebene Erscheinung kann, w ie ich mit Goltz vollständig übereinstimmend glaube, nur abhängen von einem veränderten Zustand der Herzthätigkeit oder der Gefässe. Krampfhafte kleine Contractionen des Herzens können es nicht sein, da, wie Goltz weiter angiebt, nach Zerstörung des Rückenmarks die durch das Klopfen veränderte Art des Herzschlages nicht mehr in die Normale ül)ergeht, ein Krampf sich aber kurz oder lang lösen müsste. Auch hierin stinuue ich, ])eiläufig gesagt, mit Goltz völlig überein. Eine Verminderung der Herzthätigkeit soll es nach Goltz auch nicht sein. Denn, wie Goltz folgert, erzeugt auch eine so grosse Ab- schwächung der Herzthätigkeit, als die ist, welche man durch eine Li- gatur an den Vorhöfen künstlich erzeugen kann, nicht jene Blutleere des Herzens, wie sie nach dem Klopfversuch eintritt. Da die beschriebene Veränderung des Herzschlages weder von einem Krampf noch von einer Abschwäehung der Herzthätigkeit (wie ich nicht ohne Weiteres zugebe) herrühren könne , so müsse die Er- scheinung nothw endigerweise abhängen von einer Veränderung der Gefasse, und zwar von einer durchs Rückenmark beeinflussten, also von der muscularen Contractilität der Gefässe. »Worina, so fährt unser Autor fort, »besteht diese Veränderung und wie erklärt sie die Erscheinungen ? « »Oeffhen wir bei einem Thiere, das dem Klopfversuch unterworfen winde , die Bauchhöhle , so finden wir die Gefässe des Bauches , zumal die Venen erweitert und strotzend mit Blut gefüllt. Diese Blutfülle entsteht in Folge einer Erschlaf- fung der Gefässwandungen, die durch den mechanischen Reiz hervorgebracht wird. Nach einiger Zeit erlangen die Gefässe unter dem Einfluss des Centralnervensystemes ihren normalen Tonus w'iedei' und dann schlägt das Herz auch wieder so mächtig, wie zuvor. Die notorisch durch das Klopfen hervorgebrachte Erweiterung der Blut- gefässe des Bauches erklärt nun völlig ausreichend die Ohnmacht der Herzschläge. Zeichnen wir uns mit Weber ein Schema des Blutkreis- laufes , so kommt die Blutbewegung zu Stande , indem die Herzcon- traction Spannungsunterschiede im Gefässrohr erzeugt dadurch , dass die Systole jedesmal eine Portion Blut in die Arterie wirft, die den Venen während der Diastole entzogen wurde. Eine unabweisbare Be- dingung für die ausgiebige Blutbewegung ist aber, dass das gesammte Gefässrohr mit Blut strotzend gefüllt sei. Im normalen Zustande wird dieser Bedingung genügt, denn auch das ruhende Blut steht unter üntersiicliuiigeii üb. d. Eiiitliiss des Riickpiimarkos luif d. Blutkreislauf d. Siiiigethiore. 141 einer gewissen Spannung. Sol>ald aber durch Erschlaffung der nius- culären Wandung eines bedeutenden Gefässgebietes jcler Gefiissraum eine erhebliche Vergrösserung erfahrt, wird jene nothwendige Vorbe- dingung nicht mehr erfüllt. Nach dem Klopfen werden die Venen er- schlafft. Das Blut stürzt in die schlaffen Gefiisse wie in ein plötzlich entstandenes Aneurysma. Die Spannung, welche noth wendig ist, um Blut ins Herz zurückzuführen, hört in den grossen Venen auf. Nur wenig, oder gar kein Blut tritt bei der Diastole ins Herz ein. Das Herz arbeitet mühevoll wie eine Pumpe die kein Wasser hat. Es schafft nichts. Erst wenn mit wiederhergestelltem Tonus der Gefassraum sich auf sein normales Volumen verengert hat , erst dann vermag das Herz wieder mit gewohntem Erfolge zu arbeiten.« Dass die Veränderungen der Blutbewegung nach dem Klopfver- such von einer anfänglichen Erschlaffung der Gefässwandungen und einer darauf folgenden Zusammonziehung derselben Gefässe herrühren, das Wesentliche der Erscheinung demnach ausserhalb des Herzens liege, kann nach Goltz durch folgenden Versuch bewiesen werden, wo das Herz entfernt ist : »Man stelle bei zwei aufrechtbefestigten Fröschen den Klopfversuch an. Dann durchschneide man bei beiden die Aorten und trenne die Ventrikel al). Nun zerstöre man bei einepi derselben Hirn und Rücken- mark , beim andern nur das Hirn , wische die untere Hohlvene vom Blute rein und überlasse beide Thiere sich selbst. Man wird sich nach einiger Zeit überzeugen, dass das Blut in der unteren Hohlvene des Thieres mit erhaltenem Rückenmai'k wie in einem Manometer empor- steigt, während die Hohlvene des andern Thieres blutleer bleibt. Klopft man jenen Thieren wiederholt auf den Bauch, so sinkt die in der Hohl- vene enthaltene Blutsäule schnell wieder in die erschlafften Venen zu- rück.« Auch die Medulla oblongata übt nach Goltz einen selbstständigen Einfluss auf die Conlraction der Bauchgefässe , für deren nächste Cen- Iren er die Ganglien der Bauchhöhle halte. Diese Ganglien beziehen Erregungsquellen aus der ganzen cerebrospinalen Axe, und beim Ver- siechen einer dieser Quellen fliessen andre vielleicht um so reichlicher. Das 'sind die Versuche, aus denen nach Goltz klar hervorgeht, dass alle meine Versuche am Kaninchen Nichts für das Vorhandensein excitirender Herznerven bew^eisen. Alle Thatsachen die ich beobachtet, seien gleichgut erklärbar aus Lähmungen und Zusammenziehungen der Gefässe, und hierdurch l^edingte secundäre Alterationen der Herz- treibkraft. Band 1,2. 4 0 142 ■'^"Ji'i't V. Bezold, Zunächst scheint mir der GoLiz'sche Versuch selbst noch zwei- deutig. Er hat meiner Meinung nach nicht bewiesen, dass die Abän- derung der Herzschläge welclie er in Folge des Klopfens beobachtete, nicht herrührte von einer durch Lähmung excitirender Herznerven bedingten primäi-en Äbschwächung der Conti"actionen dieses Organes. Dass dann der Nutzeffect des Herzens ilui'ch die beol)achtete Lähmung der Bauchgefässe und die hieraus folgende Blutleere der untern Hohl- vene noch ausserdem herabgesetzt wurde, das scheint mir allerdings klar aus den vorliegenden Ergebnissen des GoLTz'chen Versuches hervorzugehen. Was ich aber entschieden zurückweisen umss, das ist die unmit- telbare Anwendung der GoLTz'schen Schlussfolgerungen auf meine Versuche , und insbesondre die Art und Weise, in der dies von Goltz geschehen. Goltz setzt ohne Weiteres die Zerstörung des Rückenmarks beim Frosche parallel der Durchschneidung des Halsmarkes zwischen dem Iten und 2 ten Halswirbel bei Kaninchen. Nach der Zerstörung des Rückenmarkes beobachtete Goltz die Andauer eines schon früher durch Klopfen herbeigeführten lähmungsartigen Zustandes der Gefässe und einer verminderten Energie der Herzschläge; nach Durchtrennung des Halsmarkes beim Kaninchen, beobachtete ich den unmittelbaren Eintritt einer veränderten Schlagfolge des Herzens, zu gleicher Zeit mit einem urplötzlichen Sinken der Energie der Gontractionen und des arteriellen Blutdruckes. Goltz hat ferner eine allmähliche Wiederherstellung der normalen Kreislaufserscheinungen bei solchen Fröschen beobachtet, deren Rücken- mark nicht zerstört, wohl aber vom Gehirn getrennt war: ich dagegen habe beobachtet, dass eben jene Trennung vom Gehirn, die nach Goltz ohne Einfluss war, von dem allerstärksten Einfluss ist auf die Action des Herzens. Allein wir wollen davon absehen , dass ein einziger , noch dazu zweideutiger Versuch am Frosche Goltz genügt , um über die Bew eis- fähigkeit einer systematischen Experimentaluntersuchung am Kaninchen ohne Weiteres abzusprechen, abgesehen davon dass er Thatsachen in Analogien bringt, die gar keine Analogien haben: wir wollen noch einmal die Hypothese von den Venennerven an die Stelle der Herzner- ven treten lassen, und die Vorzüge beider gegeneinander abwägen, soweit sie die Versuche betreffen, die ich am Kaninchen angestellt, und bereits veröffentlicht habe. Wir durchschneiden das Halsmark bei Kaninchen , und es werden die Gefässe des Körpers gelähmt. Das Blut strömt aus den Capillaren üiitersucliungeii üb. il. Eiiifluss des Rückemiiaikes aul'd. Blutkreisliuil' d. Siliigethiere. 143 in die gelähmten Venen, wie in ein plötzlich entstandnes Aneurisma und gelangt nicht mehr zum Herzen, die Vena e cavae erhalten aus den peripherischen Venen kein Blut mehr. Die Venae cavae erscheinen fast blutleer. Die Spannung hört in den grossen Venen auf. Der Vorhof der sich zusammenzieht, presst kein Blut mehr in den Ventrikel. Ich habe die Erscheinung wie sie nach der Hypothese von Goltz eintreten müsste mit GoLTz'schen Worten l)eschrieben. Wie verhält sich diese Beschreibung gegen die Wirklichkeit: Auf Seite 210 meiner Abhandlung steht deutlich zu lesen: »Nach Durch- schneidung des Halsmarkes bei Kaninchen beobachtet man eine starke Blutstauung in den sämmtlichen grösseren Venen des Körpers, die besonders gross ist in der Vena cava inferior, welche neben der kleinen zusammengedrückten Aorta zu einem prall - gefüllten Schlauche aufgetrieben ist.« Dem Herzen mangelt es also, wie der blosse Augenschein lehrt, nicht etwa an Blut; bei gleicher Energie der Zusanunenziehung würde es genug Blut vorfinden, um das arterielle System in der normalen Weise zu füllen. Die Erscheinungen , welche ich an den Venen der Kaninchen beobachtet habe, stehen im geraden Gegensatz zu jenen, welche Goltz vom Frosch beschrieben hat, und gerade dieser Gegensatz, der nicht deutlicher ausgesprochen sein kann, stellt die Wir- kung der gelähmten Venen beim Frosch in das hellste Licht gegen- über der Wirkung mangelnder Herz thätigkeit beim Kaninchen, durch die Lähmung des Rückenmarkes ist das Herz beim Kaninchen ausser Stand gesetzt, das in den grossen Venen förmlich gestaute Blut in das arterielle System hinüberzupumpen , während beim Frosch das Blut in den Ilohlvenen fehlt , um durch die sonst nicht sehr veränderte Herzthätigkeit in den arteriellen Kreislauf geschafft zu werden. Dass das Blut in den grossen Venen des Kaninchens nicht etwa unter einem geringeren Drucke stehe, als l)ei normaler Herzthätigkeit, lehren die offenbar stärker als normal gespannten Wandungen der grossen Holii- venen hinlänglich deutlich. Hätte Herr Goltz sich die Mühe genommen , nur Einmal meine Versuche am Kaninchen zu wiederholen ehe er sein Verdammungs- urtheil über mich fällte, so hätte ihm der grosse Unterschied, ja Gegen- satz nicht entgehen können, in dem das Ergebniss meiner Beobachtung; zu dem seinigen steht. Hätte mein Herr Referent meine Arbeit nur genau gelesen , so hätte er erkennen müssen , dass von den Folgen der gelähmten Venenmuskeln, die er am Frosche beschreibt, keine beim Kaninchen, dessen Halsmark gelähmt ist, zutrifft. Schon hieraus ergiebt 10* 144 Albert v. Bezold, sich zur Genüge, dass die Grundlage, auf welcher der Angriff von Goltz gegen die Beweisfahigkeit meiner Versuche basirt, eine unzu- reichende war. Wenn schon das Gesagte hinreicht, um die Erklärung, welche Goltz von meinen Versuchen geben will, dass nämlich die Verminderung der Herzthätigkeit bei gelähmtem Rückenmarke herrühre von der Abnahme des Blutdrucks und dem Blutmangel in den grossen Venen, die Erhöh- ung der Herzthätigkeit dagegen von einer Erhöhung des venösen Blut- druckes, zurückzuweisen, so lehren die neuen Versuche, welche ich angestellt habe, ganz positiv , dass die Beobachtungen von Goltz am Frosch durchaus nicht in Vergleich zu bringen seien mit meinen Expe- rimenten am Kaninchen. Ich habe mir nämlich in diesem Aufsatze die Aufgabe gestellt, die Frage zu beantworten, in welcher Weise die Veränderungen der Kreislaufsbedingungen im Körper- venensystem Einfluss haben auf die Veränderungen der Herzthätigkeit bei gelähmtem oder gereiztem Rücken- mark. Goltz leitet, wie wir schon ausführlich betrachtet haben, die Ab- nahme der Herzthätigkeit bei gelähmtem Rückenmarke, ohne Weiteres ab aus der Abnahme der Blutfüllung und Blutspannung in den grossen Venen, welche zum rechten Herzen gehen, die Zunahme der Herzthätig- keit bei erregtem Rückenmark aus der Zunahme der Blutfüllung und Blutspannung in denselben Venen. Der Versuch entscheide, ob dies richtig oder falsch ist. Der Versuch besteht nun einfach darin, dass die Veränderungen des Blutdruckes in der untern Hohlvene, welche nach Durchschneidung oder Reizung des Halsmarkes bei Kaninchen eintreten, der Messung unterworfen werden. Wenn die Durchschneidung des Rückenmarkes durch die Vermin- derung des venösen Blutdruckes die Verminderung der Herzthätigkeit bedingt, so wird das Sinken der Flüssigkeitssäule im Manometer, das in der untern Hohlvenc steckt , das erste Phänomen sein, welches nach Durchschneidung des Rückenmarkes beobachtet wird. Die Verminde- rung der Herzschläge und die Abnahme des arteriellen Blutdruckes wird erst in zweiter Linie folgen. Die umgekehrten Erscheinungen wird das Tetanisiren des Rücken- marks hervorrufen. Hier werden die Körpergefässe enger j das Blut strömt reichlicher gegen das rechte Herz, die Spannung in den grossen Venen wird zunächst vermehrt und erst hierauf werden wir eine Ver- mehrung der Frequenz und Stärke der Herzschläge beobachten. Geschieht dagegen die Einwirkung des Rückenmarks auf das Herz UntersiichiinffPii üb, d. Eintlnss dos Rfickpumarkos rtufd, Blutkroisliuif d. Siiiispthipre. 145 auf oineiii andern Wege, als durcli die Venen, so werden wir mit einer gleichzeitigen V e r ni i n d e r u n g und dem Seh wach er werden der Herzschläge eine Stauung des Blutes in den Venen , und in Folge hiervon einer Erhöhung des venösen Blutdrucks , gleichzeitig mit Vermehrung der Herz arbeit ein Sinken des venösen Blut- druckes voraus setzen dürfen , da in jenem Falle das Herz in der Zeiteinheit weniger Blut, in diesem Falle mehr Blut aus den Venen in das Arteriensystem hinüberpumpt. Das Ergebniss des Versuches entsprach meinen Erwartungen , in- dem die zuletzt ausgesprochenen Voraussetzungen in der That eintrafen. Die Ausführung der Versuche selbst geschah an Kaninchen, welche durch Curare gelähmt, deren Vagi und Halssympathici durchschnitten waren und denen in gewohnter Weise Luft in die Lungen eingeblasen wurde. Die Bauchhöhle der solchermassen zum Versuche vorgerichteten Thiere wurde geöffnet. Die Baucheingeweide bei Seite geschoben , mit einem Tuche wohl bedeckt. Die untere Hohlvene unmittelbar unter der Einmündung der Nierenvenen frei präparirt, und eine T-förmige Ganüle, deren einer (in der Richtung des Blutstromes liegende) Schenkel be- trächtlich kürzer als der andere war'), eingeschoben und gut eingebun- den. Der zum Blutlaufe senkrecht stehende Schenkel wurde in den ersten Versuchen, die ich anstellte , mit einem Quecksilbermanometer verbunden, dessen Niveauänderungen direct, so weit es ging abgelesen wurden. Gleichzeitig wurde in die Carotis der einen Seite ein Mano- meter eingebracht, dessen Quecksilbersäule an dem Kymographion mit dem registrirenden Griffel zeichnete. Das Blut in der untern Hohlvene konnte, wie man aus der Beschreibung ersieht, ungehindert die Canüle passiren und zum Her- zen gelangen. Der Seitendruck an der Passagestelle war der Messung zugänglich. Es ergab sich nun zunächst , dass der Seitendruck des Blutes an dieser Stelle des Venensystems, an sich selbst kaum mehr als ö — 10""" Quecksilber betragend, bei Durchschneidung und Reizung des Hals- markes so geringe absolute Schwankungen zeigt , dass sie durch die Veränderungen am Quecksilberniveau kaum sichtbar gemacht werden können. Man sieht allerdings die den (künstlichen) AthemzUgen ent- sprechenden Schwankungen des Venendruckes, da sie relativ schnell auf 1) Die ungleiche Längeder l^eiden Schenkel gewährt ungemeine manuelle Vor- (heile bei der Ausführung der Operation, insbesondere an den kleinen leicht zer- reisslichen Gefässen der Kaninchen. 146 Albprt V. Bez.old, einanderfolgen , dagegen muss man genau zusehen , wenn man den Stand des Quecksilbers bei gelähmtem , jenem bei gereiztem Rücken- mark vergleichen will. Allein schon die Beobachtung am Quecksilber- manometer lehrt, dass der venöse Blutdruck nach Durchs c h n e i d u n g des Halsmarkes zunächst steigt, und zwar um ungefähr 2 — 3""" Quecksilber, nach Tetanisirung des Rückenmarks dagegen eine Senkung um dieselbe Höhe erfährt. Dieses Ergebniss ist in vollkonunenster Uebereinstimnuing mit dem, was ich schon in meiner frühern Abhandlung von dem Aussehen der Venen bei gelähmtem Halsmarke gesagt habe. (Vergl. S. 132). Weil die Schwankungen des Quecksilbermanometers zu gering waren, veränderte ich das Verfahren beim Versuch, indem ich den ganzen manometrischen Apparat mit einer einfachen vertical gerichteten Glasröhre vertauschte, welche mit dem Ansatzrohr der T Canüle durch einen kurzen Kautschukschlauch in Verbindung gesetzt ward. Nach Herstellung der Circulation des Blutes durch die Vene stieg das Blut entsprechend seiner grössern oder geringern Seitenspannung in der Glasröhre mehr oder weniger , und so war die Höhe der Blutsäule das directe Maass des Blutdruckes in der Vene. Diese Schwankungen waren für das blosse Auge natürlich viel deutlicher, als die um mehr als das 10 fache kleinere des Quecksilbers. Eine grössere Anzahl von über- einstimmenden Versuchen, welche einzeln anzuführen überflüssig wäre, war von so constanten Erfolgen begleitet, dass ich jetzt die Erscheinun- gen folgendcrmassen zu beschreiben in den Stand gesetzt liin. Man findet, dass nach Abtrennung des Halsmarkes vom Gehirn, die mit der untern Hohlvene communicirende Blutsäule langsam ansteigt ; der Blut- druck der vor der Lähmung des Rückenmarkes ungefähr einer Säule von 100""° Blut im Mittel das Gleichgewicht hält, steigt um ungefähr 20 — 30™'" Blut nach der Durchschneidung. Gleichzeitig sinkt der arte- rielle Blutdruck von 120 auf circa 30'"™ Quecksilber ab, und die Herz- schläge werden seltner und weniger kräftig als vorher. Man reizt nun das peripherische Stück des Halsmarkes , oder das Rückenmark an irgend einer andern Stelle kräftig durch abwechselnd gerichtete In- ductionsschläge ; dieser Reizung folgt die schon früher beschriebene Vermehrung der Pulsfrequenz und die enorme Erhöhung des arteriellen Blutdruckes unmittelbar nach. Gleichzeitig hiermit nimmt in den meisten Fällen der Druck in der unter~n Hohlvene rasch um 2 — 3'^'" Blut ab. Dies ist dann immer der Fall, wenn die Herz- schläge eine sehr beträchtliche Zunahme ihrer Zahl und Stärke, und der Blutdruck in der Carotis ein sehr rasches und grosses Wachsthum erfährt. Es ist hierbei gleichgültig , ob man die Reizung am Hals-, Untersiicliiingpn üb. d. Rinfliiss des Riickpiimavlios inifd. Rliitkreislatit' d. Siiu^clliiprp, 147 Brust-, oder Lendentheil des vom Gehirn getrennten Markes vorge- nommen hat. Man beobachtet jedoch auch manchmal statt einer Verminderung eine vorül^ergehende Steigerung des venösen Blutdruckes während der Reizung des Rückenmarks : Sie verwandelt sich al)er bei andauernder Erregung des Markes in die soeben beschriebene Senkung , und bei Aufhören der Reizung tritt dann wieder die allmähliche Zunahme ein. Drücken wir die Veränderungen des Blutdruckes, welche zu glei- cher Zeit in den grossen Venen und Arterien nach Reizung oder Läh- mung des Rückenmarkes eintreten , durch 2 Curvenpaare graphisch aus , so ergeben sich die Bilder , welche uns Taf. V in Figur I und II anschaulich macht. In beiden Figuren bedeutet die obere mit a be- zeichnete Curve die Veränderungen der Aortenspannung, die untere mit 6 bezeichnete , die gleichzeitig erfolgenden Spannungsänderungen im Blutdruck der untern Hohlvene. Auf der Abscissenaxe sind die Zeit- räume von 10 zu 10 Secunden angegeben. Auf den Ordinalen der mit a bezeichneten Curve bedeuten die Zahlen ebensoviel Mm. einer verti- calen Quecksilbersäule, auf den mit b bezeichneten Curven, ebensoviel Mm. einer verticalen Blutsäule. Bei s ist in Curve I der Augenblick der Durchschneidung des Rückenmarkes, bei r in Curve II derAugenbhck der Reizung des Markes sowohl für a als für b angegeben. Die den einzelnen Herzschlägen ent- sprechenden Schwankungen des Blutdruckes sind, wegen ihrer Klein- heit weggelassen. Die den Athemzügen entsprechenden Druckschwan- kungen sind dagegen deutlich verzeichnet. Aufs Schönste sieht man an Cur^e I a und ft, dass nach der Durchschneidung des Halsmarkes beim Kaninchen mit dem der Reizung durch den Schnitt entsprechenden momentanen Steigen des arteriellen Blutdruckes, eine vorübergehende Senkung des venösen Blutdrucks zusammenfällt ; rasch sinkt dann der arterielle Blutdruck auf das früher schon beschriebene Maass ab , während gleichzeitig der venöse Blut- druck langsam steigt. Auf Curve II a und b sehen wir den Effect -der Tetanisirung des Rückenmarks : eine ungeheure Steigerung des arteriellen Blutdruckes zugleich mit Absenkung des venösen. Angesichts dieser Curven ist es klar, dass die Veränderungen der Herzthätigkeit bei Beizung oder Durchschneidung des Halsmarkes unabhängig sind von den Druckver- änderungen des Blutes in den grossen Venen des Körpers; die Herz- thätigkeit steigt trotzdem dass gleichzeitig der Druck im Venenblut ab- nimmt, die Herzthätigkeit sinkt trotzdem das Venensystem vom Blute strotzt. Der Zusammenhang zwischen Herzthätigkeit und dem Blut- j4b '^"''''■' "" R<'i''f>lt'« kreislauf in den Venen ist in unseren Versuchen gerade der umgekehrte von jenem, welchen Goltz nach seinen Versuchen vermuthet: das Bkit in den Venen nimmt an Spannung ab, weil die aus andern Gründen vermehrte Herzthätigkeit dem Venensystem mehr Blut entzieht, als sonst; der Blutdruck in den Venen nimmt zu, weil die aus andern Ursachen schwachen Herzschlage geringere Blutmengen aus .den Venen herauspumpen. Die Frage, ol) das Bückenmark vermittelst der Venen die Verän- derung der Herzthätigkeit erzeuge oder nicht, ist hiernach gegen Goltz entschieden. Die Herzthätigkeit verändert sich nicht wegen sondern trotz der gleichzeitigen Blutdrucksänderungen im Venensystem. Dass der Blutdruck in den Venen bei unsern Versuchen in erster Linie abhängt von der veränderten Herzthätigkeit, ist ebenfalls klar. Es ist aber noch die Frage, ob nicht ausser dem Herzen , auch die Ge- fässmuskeln auf den venösen Blutdruck einwirken. Die Thätigkeit dieser letzteren wird, wie ich mit Goltz übereinstimmend folgere, eine Erhöhung des venösen Blutdruckes zur Folge haben , die Lähmung der Muskeln eine Abnahme desselben. Ich habe die Bluldrucksänderung in den grossen Venen, welche unabhängig vom Herzen , durch die Er- regung oder Lähmung des Bückenniarks erzeugt werden , gleichfalls einer Messung unterworfen. Zu diesem Behufe wurden die früher be- schriebenen Versuche dahin abgeändert, dass bei Kaninchen, deren Halsmark durchschnitten war, nach Einfügung der T Canüle in die unlere Hohlvene, die letztere oberhalb dieser Stelle gleichzeitig mit der Bauchaorta durch Klemmpincetten dem allgemeinen Kreislauf und dem Einfluss des Herzens entzogen wurden. Sodann wurde gewartet, bis der venöse Blutdruck eine bestimmte constante Höhe erreicht hatte, und nun plötzlich das Bückenmark stark tetanisirt. Diese Tetanisirung hatte denn auch eine Erhöhung des venösen Blutdruckes in der untern Hohlvene um 2 — 3 Centimeter einer Blutsäule zur Folge: eine Drucker- höhung, die offenbar herstammt von der Verkleinerung des Volumens der die untere Hohlvene zusammensetzenden kleinern Gefässe. Diese Verkleinerung ist einzig und allein abzuleiten von der Zusammenziehung der Gefässmuskeln , in Folge der Beizung vasomotorischer Nerven. Wenn also das Herz ausser Spiel bleibt, wird die Wirkung der Ge- fässmuskeln an dem Venenblute durch Druckerhöhung ersichtlich. Sind dagegen die Venen mit dem arbeitenden Herzen in physiologischer Verbindung, so beobachten wir bei Beizung des Bückenmarkes statt der Druckerhöhung in den meisten Fällen, wie wir ol)en sahen, eine Druck Verminderung. Hieraus ergiebt sich der Schluss, dass tlie durch Beizung erzeugte Verstärkune dei- Herzschläge die gleichzeitig eintre- Uiitcrsiifliiiiiuoii üb. (1. r.iiidiiss des Rück iiiirkcs auf d. Bliitkrcisliml' d. SiuiRotliifrc. 149 Lende Wirkung der tetanisirten Gefässmuskeln auf den Blutdruck in den grossen Venen, übercompensirt. Wenn die Erhöhung der llerzthätigkeit nicht einträte, so würde der Blutdruck in den Venen steigen, so aber sinkt er anstatt zu steigen. Andererseits würde aller- dings wenn die Gefässmuskeln ausser Spiel blieben, die durch Reizung dos Rückenmarks erhöhte Ilerzthäligkeit eine viel grössere Senkung des Nonösen Blutdruckes erzeugen, als sie es wirklich thut: die Schwan- kungen im Venendruck bei Lähnumg und Reizung dos Rückenmarkes, \N iirtlen weit grösser sein als sie es wirklich sind. Herz und Gefässmuskeln w irken also auf das Blut im Venensystem in entgegengesetztem Sinne ein. Während die Venen erschlafft sind, ist auch die Herzbewegung eine viel schwächere , und so kommt es, dass der Venendruck bei durchschnittenem Halsmark, anstatt zu sinken, steigt; während die Venen contrahirt sind, ist auch die Arbeit des Her- zens eine ungemein vergrösserto , und so kommt es , dass bei Reizung dos Rückenmarks der Blutdruck, der ausserdem steigen würde, in den meisten Fällen sinkt. In wonigen Fällen, wo die Herzbowogung bei Reizung des Rückenmarks in geringerem Grade verändert ward, zeigte sich denn auch statt der Senkung dos venösen Blutdruckes eine vor- übergehende Steigerung. Im Durchschnitt aber zeigt sich , dass der venöse Blutdruck von der Thätigkeit des Herzens in höherm Maasse ab- hängig ist, als von der Thätigkeit der venösen Gefässmuskeln. Die Anzahl und Kraft der Herzbewegungen sind unabhängig von den Veränderungen im Venonblutdruck , die wir in unscrn Vorsuchen l)oi Reizung und Lähmung dos Rückenmarkes beobachten. Die grössten Druckschwankungen, welche wir in diesen Vorsuchen am Blute der untern Hohlveno beobachteten, sind 40 — 50'""" einer ver- ticalen Blutsäule. Man kann auf rein äusserlich mechanischem Wege, grössere Druckschwankungen in der untern Hohlvene zu Wege bringen, ohne dass die Schlagfolge dos Herzens und der Blutdruck im arteriellen Systeme geändert werden. Ich habe z. B. bei Kaninchen deren Hals- Miark durchschnitten war, und in deren unterer Hohlvene die beschrie- bene Canüle sich befand , durch Streichen des Blutes aus den kleinern (iefässen der untern Extremitäten, den Blutdruck in der untern Hohl- vone um 5 — 10^'" Blut vermehrt , ohne die geringste Veränderung im Rhythmus der Herzschläge und in dem arteriellen Blutdruck zu beobachten. Da nun die Druckschwankungen in den grossen Venen bei !(oizung oder Durchschneidung dos Ilalsmarkes die Grösse von 5*^"" i\icht einmal erreichen , so ist auch ohne das Frühere klar, dass das r.ückonmark durch Abänderung der Füllung und des Drucks in den Venen auf den Horzschlas nicht einwirkt, dass also die GoLTz'sche 150 Allipvt V. Bczold, Hypothese, die auf den Klopfversuch sich gründet, nicht anwendbar ist auf unsere Versuche. Ich vermag deshalb im GoLTz'schen Klopfversuch nicht das geringste Argument gegen die Hypothese von den excitiren- den Herznerven zu erkennen. Das Resultat der vorhergehenden Untersuchung lässt sich in folgende Sätze zusammenfassen : 1 . Bei Trennung des Rückenmarks vom Gehirn , steigt , wahrend Frequenz und Energie des Herzschlages abnehmen und der Blutdruck im arteriellen Gefasssystem sinkt, der Seitendruck des Blutes in den grossen Körpervenen ; bei Reizung des Rückenmarkes nimmt der venöse Blutdruck ab, während die Arbeit des Herzens und der Druck im arte- riellen Systeme steigt. Hieraus folgt, dass die Abänderungen der Herz- Ihätigkeit, welche durch Reizung und Durchschneidung des Halsmarkes hervorgerufen werden , nicht abhängen von Druckveränderungen im venösen System. Eine solche Abhängigkeit würde die von den beob- achteten entgegengesetzten Druckänderungen im Venensvstem vor- aussetzen. 2. Die Druckveränderungen im Venensystem, welche durch die Einwirkung der cerebrospinalen Axe auf den Blutkreislauf erzeugt werden , sind das Resultat zweier einander entgegenwirkender , von einander unabhängiger Momente: der veränderten Herzthätigkeit, und des veränderten Zustandes der Venenmusculatur. Unter dem Einfluss der letzteren allein steigt der venöse Blutdruck bei Reizung des Rücken- markes und sinkt bei Lähmung desselben. Diese Veränderungen des Blutdrucks verwandeln sich bei gleichzeitiger Einwirkung des Herzens in die entgegengesetzten, da die veränderte Herzthätigkeit die Wirkun- gen der gleichzeitigen Veränderung im Zustande der Venenmuskeln übercompensirt. 3. So lange die Druckveränderungen im Venensystem innerhalb der Grenzen, welche man bei Reizung und Durchschneidung des Rücken- markes beobachtet, verbleiben, vermögen sie keinen Einfluss , weder auf die Frequenz noch auf die Stärke der Herzschläge auszuüben. Die beobachteten Erscheinungen sind vollkommen gut erklärbar mittelst der Hypothese von den excitirenden Herznerven. So lange da- her keine neuen Thatsachen sich finden , durch welche die letzteren überflüssig werden, oder welche derselben direct widersprechen, so lange scheint mir die Erklärung, welche ich von dem Fundamentalver- suche gegeben, als die einfachste und nalurgemässeste. Ich werde hingegen keinen Augenblick anstehen, meine H>polhese von den Herznerven zu verlassen, sobald Thatsachen gefunden werden, die mit derselben unvereinbar sind, oder sobald die von mir gefundnen Uiitersuchiiiigen üb. d, Kiiilliiss dos RfickPiiiiiiirkos auf d. Bliifkreisliiiit' d. Sruiüctliicrc. 151 Phänomene durch eine andre Hypothese besser erklärt werden; das Experimentuni crucis, die Durchschneidung der Herznerven am Herzen selbst , habe ich leider noch nicht gemacht , und ich gebe gern zu , dass solange dieser Versuch noch nicht gemacht ist, der directe Beweis für oder gegen die motorischen Herznerven noch mangelt. Dass die von Goltz versuchte Erklärung, welche von Thatsachen ausgeht, denen eine Analogie mit meinen Versuchen gänzlich mangelt, falsch ist, lehrt nicht nur eine Betrachtung meiner frühern Versuche, sondern es wird dies auch durch meine neuen Versuche am Venensystem auf's Schärfste und Einleuchtendste bewiesen. Ueber Acetale. Von M. Aisberg. Bereits Döbereiner') beobachtete unter den Oxydcitionsproducten des Alkohols neben Aldehyd (seinem »leichten Saiierstoffather«) eine schwerer flüchtige Flüssigkeit , welche von ihm als »schw erer Sauer- stoffather« bezeichnet wurde. Liebig ^j, welcher dieselbe untersuchte, gab ihr den Namen Acetal (als aus Alkohol bei der Essigsäurebildung entstanden). Es gelang ihm jedoch nicht, die Substanz vollkommen vom Essigäther zu befreien. Stas'^) nahm die Untersuchung des Acetals wieder auf, stellte die Formel fest und sludirte das Verhalten gegen verschiedene Agentien. Da das Acetal weder Silberlösung reducirte, noch durch kaustische Alkalien verharzt wurde, glaubte er kein Aldehyd in Verbindung mit Aether darin annehmen zu dürfen, sondern betrach- tete es als entstanden aus drei Molecülen Alkohol durch Oxydation von zwei Aequivalenten Wasserstoff unter Austritt von zwei Aequivalentcn Wasser, durch die Versuche vonWuRTz^j und Hofacker und Beilstein'') wurde indessen festgestellt, dass das Acetal wirklich eine Verbindung ist von einem Aequivalente Aldehyd mit zwei ' Aequivalenten Aether, und bald darauf gelang Wurtz und Frapolli'') die Umwandlung des Aldehyds zu Acetal aus Aldehydbromid (oder Aldehydäth\lchlorid) und Aethernatron. Nachdem so die Constitution des Acetals z^^eifellos er- mittelt worden war, bheb nur noch die unmittelbare Darstellung des- selben aus seinen näheren Bestandtheilen übrig. Diese gelingt auf sehr einfache Weise durch Erhitzen von Aldehvd und Alkohol, zweckmässig 1) Journal für Pharraacie XIX. 2) Ann. Cheni. Pharm. V. 27 u. XIV. -1; 3) Ann. de Cliim. et de Phys. XIX 146. 4) Ann. Chem. Pliarni. C. 116. 5) Ann. Chem. Pharm. CXII 239. 6) Ebdas. CVIII 223. Ueber Aeetiile. 153 unter Beihüll'e der Essigsäure, wie bereits ausführlich Ann. Cheni. Pharm. CXXVI, G2 beschrieben ist. Durch die dort mitgetheilten Ver- suche wird der Process der Acetalbildung auf höchst einfache Weise erklärt und es war wahrscheinlich, dass es leicht gelingen würde, nach dem befolgten Verfahren die Homologe des Acetals zu erhalten. Die in dieser Richtung angestellten Versuche haben zu dem gewünschten Ziele geführt, wie die Resultate, welche im Folgenden mitgetheilt werden, zeigen. Das befolgte Verfahren war im Allgemeinen das nachstehende. Der Aldehyd wurde mit dem mehrfachen Volum des Alkohols und etwas Essigsäure in ein Rohr eingeschlossen , längere Zeit erhitzt , mit Chlorcalciumlösung (wo es anging) zur Entfernung des Ueberschusses an Alkohol und Essigsäure geschüttelt , zur Zersetzung des gebildeten Essigsäureäthers mit Natronlauge im zugeschraolzenen Rohre erhitzt, mit wenig Wasser gewaschen, abgehoben, entwässert und rectificirl. In einzelnen Fällen, auf die ich unten zurückkommen werde, habe ich mich mit Vorlheil an Stelle der Essigsäure der schwefligen Säure bedient, welche die Behandlung mit Natronlauge überflüssig macht, da sie keine Aetherarten bildet. — Alle Analysen geschahen mit gekörntem Kupfer- oxyd und wurden im Sauerstoffstrome vollendet. — Amylätheracetal. (Diamylacetal). Es wurde ein Gemisch aus 1 Vol. Aldehyd und 5 Vol. Amylalkohol angewandt, von welchem ein Theil mit 1 Vol. Eisessig versetzt, während in einem anderen während einiger Zeit trocknes Schwefligsäuregas ge- leitet wurde. Reide ^^urden im verschlossenen Rohre längere Zeit einer Temperatur von circa 80 " ausgesetzt. Die mit schwefliger Säure ver- setzte Flüssigkeit hatte sich in zwei Schichten getrennt , wovon die untere aus einer wässrigen Lösung von schwefliger Säure bestand. Bei der fractionirten Destillation resultirten schwach nach Bergamott- birnen riechende Flüssigkeiten, welche den Siedepunct 206 ** besassen und in Wasser unlöslich waren. Es war indessen nicht möglich, die Substanz vollständig vom Fuselöle zu befreien, selbst das Destillat von 206 ö entliess bei wiederholter Destillation stets eine Spur von früher Flüchtigem. Bemerkenswerth ist, dass mit der schwefligen Säure die Ausbeute eine weit grössere war, als mit der Essigsäure. Zur Analyse wurde das mit schwefliger Säure erhaltene Product verwandt. 0,2038 Grm. Substanz lieferten 0, 2392 Grm. Wasser, entsprechend 0,0266 Grm. Wasserstoff = 13,05%, und 0,5287 Grm. Kohlensäure, entsprechend 0,1412 Giiii. Kohlenstoff = 70,75%. 154 M. Aisberg, Formel: €H^<^0'^ j g^||;^^ Berechnet Gefunden €'M44 7i,28 70,75 H26 26 12,87 13,05. 0^ 32 15,85 202 100,00 Das Amylätheracetal siedet bei 210", 8 corr. hat bei 15° das spec. Gew. 0,8347, riecht angenehm nach Bergamottbirnen und ist in Wasser unlösHch. Methylätheracetal . iüiiiielhylacetal;. 1 Vol. Aldehyd, 2 Vol. Methylalkohol, 0,25 Vol. Essigsäure. Es trat Bräunung ein : auch ohne Zusatz von Essigsäure wurde Methyl- ätheracetal gebildet. Die Flüssigkeit wurde wiederholt rectificirtj zuletzt aus dem Wasserbade mit eingesenktem Thermometer, das Destillat mit Chlorcalcium versetzt, um den überschüssigen Methylalkohol wegzu- nehmen, abermals aus dem Wasserbade übergezogen, Chlorcalcium eingetragen und unter öfterem Umschütteln einige Zeit damit stehen gelassen. Die abgegossene Flüssigkeit siedete zwischen 60 und 67". Eine zwischen 60 und 62" aufgefangene Portion lieferte bei der Analyse folgende Zahlen: Aus 0,261 Grm. Substanz wurden erhalten 0,256 Grm. Wasser, entspr. 0,02844 Grm. Wasserstoff=1 0,9 7o, und 0,4845 Grm. Kohlen- säure, entspr. 0, 1 321 4 Kohlenstoff = 50,63 %. Die Formel €H4€0'^ } ^^i^q verlangt: 1 1 , 1 % H und 53,3 €, der Methylalkohol dagegen 1 2, 5 % H und 37, 5 €. Das Methylätheracetal war also offenbar noch mit Methylalkohol verun- reinigt. Es wurde daher nochmals mit Chlorcalcium unter öfterem Umschütteln zusammengestellt. Es besass jetzt den Siedepunct 64". Es lieferten 0,1515 Grm. Substanz 0,1485 Grm. Wasser, entspr. 0,0165 Grm. Wasserstoff = 10,9% und 0,29175 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,07957 Grm. Kohlenstoff 52, 57«. Bei der Destillation war eine geringe Menge eines höher siedenden Products zurückgeblieben , welches wahrscheinlich aus dem nur mit Chlorcalcium gereinigten Methylalkohol stammte, und den Verlust an Kohlenstoff und Wasserstoff herbeigeführt haben kann. Ueber Acetale. Formel : Berechnet Gefunden €•* 48 53,3 52,5 «1" 1 0 11,1 10,9 0^ 32 35,6 155 90 -100,00 Das Methylätheracetal ist eine leichtbewegliche Flüssigkeit von an- genehm ätherischen Geruch, welche bei 64,4" corr. siedet und bei 1*' (las spec. Gew. 0,8674 besitzt. Es ist bereits von Wlrtz *j erhalten worden bei der Destillation eines Gemisches von Weingeist und Holzgeist mit Braunstein und Schwefelsäure. Er giebt den Siedepunct zu ungefähr 55" an. Eine Analyse ist nicht mitgetheilt, weshalb man nicht sehen kann, ob die Verbindung rein gewesen sei. Wurtz erhielt zu gleicher Zeit das Methyläthylätheracetal. Siedep. 85". Beim Erhitzen eines Gemisches von Aldehyd, Caprylalkohol und Essigsäure wurde kein Acetal erhalten. Aethervaleral. (Dialh^lvaleral). 1 Vol. Valeraldehyd, 4 Vol. Alkohol, 1 Vol. Essigsäure. Die erhal- tene Flüssigkeit siedete zwischen 150 und 160". I. 0,2338 Grm. Substanz, von 150-155" aufgefangen, gaben 0,2634 Grm. Wasser, entspr. 0,02927 Grm. Wasserstoff=12,527o, und 0,5731 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,1563 Grm. Kohlenstoff = 66,97o- II. 0,197 Grm. Substanz, zwischen 155 und 160" siedend, gaben 0,225 Grm. Wasser, entspr. 0,025 Grm. Wasserstoff = 12,687«, und 0,4896 Grm. Kohlensäure, entspr. 0, 13353 Grm. Kohlenstoff= 67, 787o- Formel: €^fli"€0^j^2^4^Q Berechnet Gefunden I. II. €" 108 67,5 66,9 67,78 H2" 20 12,5 12,52 12,68 0^ 32 20,0 T6Ö" 100,00 Das Aethervaleral besitzt einen angenehmen obstartigen Geruch, den corrigirten Siedepunct 158,2" und bei 12" das spec. Gew. 0,835. In Wasser ist es nur wenig löslich. i) Ann.. Chem. Pharm. C. \M. 1 56 M. Aisberg, Amyläthervaleral . (Diamvlvaleral). 1 Vol. Yaloraldehyd, 3 Vol. Amylalkohol wurden einmal nach dem Versetzen mit I Vol. Essigsäure , ein anderes Mal nach dem Einleiten von schwefliger Säure erhitzt. Der Siedepunct des Products lag zwi- schen 240 und 3G0"; bei jedesmaliger Destillation trat geringe Zer- setzung ein , der Rückstand im Destillationsgefässe war gelb gefärbt. Mit schwefliger Säure hatte zwar reichlichere Bildung des Körpers stattgefunden, aber sonderbarer Weise war er hier viel schwieriger rein zu erhalten, als der mit Essigsäure dargestellte. — Den oft wieder- holten Destillationen ist es zuzuschreiben , dass der Gehalt an Kohlen- stoff sowohl, als auch an Wasserstoff zu niedrig gefunden wurde. I. Product mit Essigsäure erhalten. fl) 0,26575 Grm. Substanz, zwischen 240 und 245" siedend lieferten 0,30275 Grm. Wasser, entspr. 0,03364 Grm. Wasserstoff=12,7%, und 0,7045 Kohlensäure, entspr. 0,19214 Koh*lenstoff= 72,3%. 6) 0,15625 Grm. Substanz von 245 bis 255" aufgefangen gaben 0,1 71 Grm. Wasser, entspr. 0,019 Wasserstoffe 12,27o, und 0,401 5 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,1095 Grm. Kohlenstoff = 70, 07 "Zo- ll. Product mit schwefliger Säure erhalten. 0,254 Grm. Substanz gaben 0,26525 Grm. Wasser, entspr. 0,02947 Grm. Wasserstoffe ll,6yo, und 0,658 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,1795 Grm. Kohlenstoff = 70,7%. Formel: «^ö^'^Mg^;™ Berechnet Gefunden 1. II. a. b. e''^ 180 73,8 72,3 70,07 70,7 m 32 13,1 12,7 12,2 11,6 0^ 32 13,1 244 100,00 Das Amyläthervaleral besitzt einen widerlichen, an eine Amylver- bindung und zugleich an Sellerie erinnernden Geruch, bei 7" das spec. Gew. 0,849 und ist unlöslich in Wasser. Methyläthervaleral . (Dimethylvaleral) . 1 Vol. Valeraldehyd , 2,5 Vol. Methylalkohol, 0,5 Vol. Essigsäure. Die Mischung erwärmte sich schon merklich in der Kälte , selbst wenn Ueber Acetitle. 157 keine Essigsäure zugesetzt wurde; beim Erhitzen auf 100" bräunte sie sich. Der Geruch nach Valeraldehyd war vollständig verschwunden. Bei der Destillation zeigte sich , dass Chlorcalcium gelöst war. Die Flüssigkeit siedete zwischen 1 20 und 130", indessen war auch ziemlich viel eines l)ei höherer Temperatur flüchtigen Products entstanden. 0,14025 Grm. Substanz bei 120" siedend lieferten 0,141 Grm. Wasser, entspr. 0,0157 Grm. Wasserstoff = 11,27o) und 0,315 Grm. Kohlensäure entspr. 0,086 Grm. Kohlenstoff = 61,3%. Die Formel: ^'«^"«O^i^H^flO ^'^^^»"g* 63,6% Kohlenstoff und 12,l7o Wasserstoff, während baldriansaurer Methyläther 62, 1 "/o Kohlenstoff und 1 0, 4% Wasserstoff fordert. Da die erhaltenen Zahlen mit der letzteren Formel annähernd stimmen, so schien es , als ob man es in der That mit baldriansaurem Methyläther zu thun habe , welcher der Zersetzung mit Natronlauge entgangen sein konnte. Um hierüber Aufschluss zu erhalten , wurde die ganze Menge der Flüssigkeit mit concentrirter Natronlauge in ein Rohr eingeschlossen und unter häufigem Umschütteln circa 4 Stunden im Wasserbade er- hitzt, wobei indessen keine Volumverminderung eintrat. Nach dem Entwässern kochte die Flüssigkeit noch immer zwischen 1 20 und 1 30yo- 0,219 Grm. Substanz, zwischen 12'2 — 125" aufgefangen, gaben 0,'224 Grm. Wasser, entspr. 0,025 Grm. Wasserstoff = 11,4%,? «nd 0,4945 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,1349Grm. Kohlenstoff = 61,6%. 0,142 Grm. Substanz, von 125 — 130" übergegangen, lieferten 0,146 Grm. Wasser, entspr. 0,0158 Grm. Wasserstofr= 1 1 ,1%, und 0,3225 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,08795 Grm. Kohlen Stoff = 61,9%. Formel: €^^-€0^ ^^^^^ Berechnet Gefunden G"^ 84 63,6 61,3 61,6 61,9. m 16 12,1 11,2 11,4 11,1. 0^ 32 24,3 '132 100,00 Das Methyläthervaleral ist eine angenehm riechende Flüssigkeit, besitzt bei 10" das spec. Gew. 0,852 und siedet bei 124" corr. Nur der geringere Theil des Products bestand indessen aus Me- thyläthervaleral , bei weitem der grössere war A m y 1 ä t h e r v a 1 e r a 1 , kennthch am Siedepunct , Geruch und der geringen Zersetzung beim Destilliren. Das Valeraldehyd hatte sich also mit Wasser umgesetzt in Band I, 2. 14 158 M. Alsbcrg, Säure und Aether, welch letzterer mit überschüssigem Valeral sich zu Amyläthervaleral verbunden hatte. Es war interessant, zu untersuchen, ob auch Aldehyde aus anderen Reihen , als der Fettsäurereihe , ein analoges Verhalten zeigen , ob die Eigenschaft, sich mit zwei Aequivalenten Aether zu verbinden, eine allen Aldehyden gemeinsame sei , oder nicht. Ich habe zunächst die Einwirkung des Acroleins') auf verschiedene Alkohole untersucht. Es zeigte sich indessen, dass hier der Process anders verläuft, als bei den Aldehyden der Fettsäurereihe. Das Acrolein verbindet sich nicht, wie dort, direct mit zwei Aequivalenten Aether, sondern es tritt ein Aequivalent mit drei Aequivalenten Alkohol in Wechselwirkung und unter Austritt von zwei Wasser wird ein Glycerin gebildet, das an Stelle von drei Wasser drei Aether enthält, nach der Gleichung: €2fl^€02 lagert sich also um in € 'M'^ u. W^0\ €''H2 bedingt alsdann die Aufnahme von SUO und 3(€2ö'HO). Diese Umsetzung ist insofern interessant, als es mittelst derselben auf leichte und einfache Weise gelingt, das Acrolein (den Aldehyd einer einbasischen Säure) in den dreisäurigen Alkohol, aus dem es entstan- den, zurückzuführen. Glycerin-triäthyläther. (Triäthylglycerin). 1 Vol. Acrolein, 4 Vol. Alkohol, 0,5 Vol. Essigsäure. Der Geruch nach Acrolein verschwand schon in der Kälte ; in der Wärme färbten sich die Flüssigkeiten gelblich. Als ein Gemisch von Acrolein und Alkohol ohne Essigsäurezusatz erhitzt wurde , bildete sich etwas Dis- acryl ; wie sich bei der Destillation zeigte , war übrigens mehr Acrolein unverändert geblieben, als bei dem Zusatz von Essigsäure. Die mit Natronlauge und Ghlorcalcium behandelte Flüssigkeit wurde destillirt, im Destillate schied sich eine farblose Schicht ab, welche leichter als Wasser war und einen angenehmen nur entfernt an Acrolein erinnern- den Geruch besass. Das weggehobene Wasser enthielt etwas von dem Körper gelöst, was durch wiederholte Destillation gewonnen wurde, da er leicht mit den Wasserdämpfen übergeht. Die getrocknete Flüssigkeit 1) Das angewandte Acrolein war aus Glycerin und saurem schwefelsaurem Kali erhalten und mehrmals über Bleioxyd rectificirt worden. Ueber Acetale. 1 59 siedete zwischen 180 und 182", und wie es schien, unter geringer Zersetzung , da die letzten Portionen gefärbt übergingen und schwach nach Acrolein rochen. 0,3067 Gnn. Substanz gaben 0,3206 Grm. Wasser, entspr. 0,03562 Grm. Wasserstoff = 11,6%, und 0,6882 Grni. Kohlensäure, entspr. 0,1877 Grm. Kohlenstoff = 61,2%. 0,2966 Grm. Substanz gaben 0,3068 Grm. Wasser, entspr. 0,0341 Grm. Wasserstoff = H , oVo , und 0,668 i Grm. Kohlensäure, entspr. 0,1823 Grm. Kohlenstoff =61,46%. Formel: C'^H^uquoHO 3(€2H^HO) Berechnet Gefunden G-> 108 61,4 61,2 61,46 H-^'» 20 11,4 11,6 11,:) 0'- 48 27,2 176 100,00 Das Triäthylglycerin riecht angenehm ätherisch , besitzt den corr. Siedepunct 186", bei 15" das spec. Gew. 0,8955 und ist etwas löslich in Wasser. Reboul und Lourenco ') haben es bereits dargestellt durch Erhitzen von Diäthylchlorhydrin mit Aethernatron. Sie geben den Sie- depunct zu 1 85" an. Es wurde versucht, ob die schweflige Säure dieselbe Wirkung äussere, wie die Essigsäure. Zu dem Ende wurde in das Gemisch von Acrolein und Alkohol trocknes Schwefligsäuregas geleitet und darauf schw^ach erwärmt. Die wenig gebräunte Flüssigkeit schied beim Uebersättigen mit Natronlauge eine Schicht von Triäthylglycerin ab, welche aber nicht beträchtlich war. Als bei einer zweiten Darstellung das Gemisch auf 1 00" erhitzt wurde, färbte sich dasselbe immer dunkler, wurde zuletzt braunschwarz und zähflüssig. (Einmal trat Explosion ein). Der Röhreninhalt wurde ausgeleert , zur Entfernung der schwefligen Säure mit kohlensaurem Bleioxyd (oder Baryt) im Ueberschuss versetzt, mit Wasser verdünnt, und nach dem Absetzen destillirt. Es schied sich hierbei eine harzige Masse aus und das Destillat besass einen schwachen, aromalischen Geruch. Es gelang nicht, den diesen Geruch bedingenden Körper abzuscheiden , da er sich in zu geringer Menge gebildet hatte. Die Einwirkung war hier eine tiefer gehende gewesen , es schien , als ob die schweflige Säure Theil daran gehabt und sich eine organische schwefelhaltige Säure gebildet hätte. Alle Versuche indessen, entweder diese Säure selbst, oder das Baryt- oder Bleioxydsalz derselben zu isoliren, 1) Ann. Chem. Pharm. CXIX. 160 M. Aisberg, scheiterten an der Unfähigkeit derselben zu krystallisiren (sie trockneten sehr langsam zu zähen, schmierigen Massen ein) , und an der Unmög- lichkeit, den Farbstoff zu entfernen, was selbst nicht durch Kochen mit Thierkohle gelang. Ich glaube beobachtet zu haben, dass bei dieser Zer- setzung derselbe Geruch sich entwickelt, welcher bei der Darstellung des Acroleins in den Destillationsgefässcn auftritt , wenn man dasselbe über Bleioxyd rectificirt, um die schweflige Säure wegzunehmen. Diese ist vielleicht die Hauptursache, dass aus dem Glycerin nicht die berech- nete Menge von Acrolein erhalten wird. In Uebereinstimmung damit steht die Beobachtung von Geuther und Hübner *), dass beim Zusam- menbringen von Acrolein und sauren schwefligsaurem Natron der Acroleingeruch verschwindet und nach dem Eindampfen ein brauner Syrup bleibt, aus dem man weder Acrolein durch Kochen mit kohlen- saurem Natron , noch schweflige Säure durch Schwefelsäure austrei- ben kann. Glycerin-trimethyläther. (Trimethylglycerin). 1 Vol. Acrolein, 3 Vol. Methylalkohol, 0,5 Vol. Essigsäure. Es wurde circa 6 Stunden auf 100*' erhitzt, aus dem Wasserbade destillirt und das noch acroleinhaltige Destillat abermals mit etwas Essigsäure eingeschlossen. Der Rückstand im Destillationsgefäss wurde nach dem Schütteln mit Natronlauge destillirt. Da sich im Destillate Nichts ab- schied , so wurde eine cencentrirte Lösung von Chlorcalcium zugefügt, worauf sich eine leichtere Schicht erhob. Die Ghlorcalciumlösung wurde destillirt, das Uebergegangene wieder mit Chlorcalcium versetzt u. s. f. Das so erhaltene Trimethylglycerin , welches einen angenehmen ätheri- schen Geruch besitzt, bei 0^ das spec. Gew. 0,9483 hat, bei 148" corr. siedet und in Wasser ziemlich leicht löslich ist, ergab bei der Analyse die folgenden Zahlen: Aus 0,1 5625 Grm. zwischen 142 und 143" aufgefangener Substanz wurden erhalten 0,14575 Grm. Wasser, entspr. 0,01619 Grm. Was- serstoff =10, 47«, und 0,31 075 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,08475Grm. Kohlenstoff =54,2%. 0,189 Grm. Substanz, bei 144" siedend, gaben0,173 Grm. Was- ser, entspr. 0,0192 Grm. Wasserstoff = 10, 27o und 0,371 Grm. Koh- lensäure, entspr. 0,1 01 2 Grm. Kohlenstoff = 53,5 "/q. 4) Ann. Chein. Pharm. CXiV. 51. üeber Acetale. Formel: «'H^hoHOHO) 3(€fl2ÄO)j Berechnet Gefunden €6 72 53,7 54,2 53,5 «1* 14 10,5 10,4 10,2 0« 48 35,8 134 100,00 161 Glycerin-triamyläther. (Triamylglycerin). 1 Vol. Acrolein, 3 Yol. Amylalkohol, 0,5 Vol. Essigsäure wurden während 12 Stunden auf 110*^ erhitzt. Es hatte sich eine wässrige Lösung von Essigsäure gebildet, welche weggehoben wurde ; darauf wurde die obere Schicht destillirt, bis das Thermometer 150" zeigte. Es blieb eine dunkelgofärbte , zähfltlssige , etwas stechend riechende Flüssigkeit zurück , welche sich nicht mit Wasserdämpfen überdestilli- ren liess. Die Masse war braun und fest geworden und schmolz in der Hitze. Nachdem sie durch Pressen zwischen Papier möglichst vom Wasser befreit worden war, wurde versucht, sie für sich zu destilliren. Es blieb viel kohliger Rückstand , während nur wenig eines gelblich gefärbten Destillats von scharfem Geruch erhalten wurde, welches nach dem Entwässern mit Chlorcalcium abermals destillirt wurde, wobei das Thermometer über 300" stieg. Das Uebergegangene besass densel- ben scharfen , an Acrolein erinnernden Geruch, wie die ursprüngliche Substanz. Zur Analyse diente das zwischen 150 und 290" Siedende. 0,2605 Grm. Substanz lieferten 0,2585 Grm. Wasser, entspr. 0,02872 Grm. Wasserstoff = 11,03% und 0,6465 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,1763 Grm. Kohlenstoff = 67,7%. Formel: €'H2noHOHO 3((^^Hi"H0) Berechnet Gefunden 67,7 11,03 £^^ 216 71,5 m 38 12,6 0" 48 15,9 302 100,00 Diese Zahlen scheinen mir zu beweisen, dass sich Triamylglycerin gebildet hatte, aber durch die Destillation zersetzt worden ist in einen kohlenstoffreicheren Rückstand und ein sauerstoffreicheres Destillat. Ich habe versucht, ob die drei Wasser im Glycerin durch Aether direct ersetzt werden können , indem man dasselbe mit Alkohol (und Essigsäure) erhitzt. Der Versuch ergab indessen ein negatives Resultat. 162 51. Alsbero', Es konnte möglich sein , dass aus diesen Triäthylglycerinen durch Erhitzen mit Wasser Glycerin regenerirt würde unter Austritt von Alkohol. Ich habe den Versuch angestellt mit einer kleinen Menge von Triniethylgljcerin, ^yelches mit Wasser in ein Rohr eingeschlossen und einige Stunden auf 160^ erhitzt wurde. Die Flüssigkeit , welche sich gebräunt hatte , wurde aus dem Wasserbade destillirt , und der Rück- stand, weicherstark nach Acrolein roch, mit Aether geschüttelt, um unverändertes Trimethylglycerin zu entfernen. Reim Verdampfen im Wasserbade hinterblieb wenig gelb gefärbte Flüssigkeit von scharfem Geruch und Geschmack. Glycerin konnte nicht erkannt werden. Die Zersetzung hatte offenbar tiefer eingegriffen; vielleicht verdankte das Acrolein seinen Ursprung dem gebildeten Glycerin, oder aber G^ü- hatte sich umgesetzt zu €'^fl^CO'- unter Wasseraufnahme und Abscheidung von Methylalkohl. Wie bereits IIÜBXER undGEUTHER^) und darnach Reilstein^) her- vorgehoben, sind die von W^icke-') aus Renzaldehydchlorid (Chlorbenzol) und Natriumalkoholaten dargestellten sog. Renzoläther keine Doppel- äther, sondern acetalartige Verbindungen von Rittermandelöl mit Aethern, und es war wahrscheinlich, dass sie auch auf analoge Weise entstehen würden, wie die anderen Acetale. Als ein Gemisch von ] Vol. Rittermandelöl, 3 Vol. Alkohol und 1 Vol. Essigsäure erhitzt, darauf nach einander mit Chlorcaicium und saurem schwefligsauren Natron versetzt (um Alkohol und Rittermandelöl wegzunehmen) , und endlich mit Aether geschüttelt wurde , blieb nach dem Verdunsten dieses nur eine unbedeutende Menge einer bittermandelähnlich riechenden, schNA ach gelblich gefärbten Flüssigkeit. Rei Anwendung der schwefligen Säure an Stelle der Essigsäure wurde ebenfalls kein günstiges Resultat erhal- ten. Rei der Destillation des erwähnten Rückstandes ging eine Spur Alkohol, darauf etwas Rittermandelöl über, und zuletzt stieg das Ther- mometer auf 220", wobei ein geringer brauner Rückstand blieb, wel- cher wesentUch aus Renzoesäure bestand. W^icke giebt den Siedepunct seines sog. Athylbenzoläthers zu 222" an , es wäre also möglich , dass sich etwas von diesem gebildet hatte. Oder sollten diese Verbindungen etwa so lockere sein, dass schon durch das saure schwefligsaure Natron Zersetzung herbeigeführt worden wäre? 1) Ann. Cheni. Pharm. CXIV. 41. 2j Ebds. CXVI. 336. 3) Ebds. CII. 388. Ueber Acetale. 163 Einwirkung der Aldehyde auf Aethernatron. Wie die Aldeliyde der aromatischen Sauren mit alkoholischer Kali- lösung sich umsetzen in den Alkohol und die Säure, so könnte man auch dasselbe erwarten bei den Aldehyden der fetten Säui'en. Dem ist aber nicht so. Nach einer Notiz von Limpricht (Lehrbuch der org. Chem. pag. 284 und 285) bilden sicli beim Vermischen mit alkoholischer Kali- lösung aus Valeraldehul oder Oenanthol ])aldriansaures oder önanthyl- saures Kali und indifferente, dickflüssige, angenehm riechende Flüssig- keiten von hohem , aber nicht constantem Siedepuncte. Diese konnten ihrem Ursj)runge nach recht wohl acelalartige Verbindungen sein, ent- standen aus den Aldehyden durch einen einfachen Process, indem nämlich unter dem Einflüsse des Kalihydrats aus zwei Aequivalenten des Aldehyds der Alkohol und die Säure entstanden , ersterer aber mit einem weiteren Aequivalent Aldehyd unter Wasserabscheidung ein Acetal bildete. Es konnten hier ferner verschiedene Acetale auf- treten, entweder solche, die nur Amyläther (Oenanthäther), oder diesen und Aethyläther, oder nur Aethjläther enthielten. Hieraus würde sich dann natürlich erklären, ^^al■um kein constanter Siedepunct beobachtet \A urde. Oflenbar würde diese Reaction noch glatter verlaufen bei mög- lichstem Ausschluss des Wassers, d.h. bei Anwendung von Aether- natron an Stelle der alkoholischen Kalilösung, da dann statt des Alko- hols nur der Aether aus dem Aldehyde entstehen kann. Zur Entscheidung der Frage wurde zunächst der Valeraldehyd der Einwirkung des Aethernatrons unterworfen, 30 Grm. wasserfreier, mit dem gleichen Volum absoluten Alkohols vermischter Valeraldehyd \\ urden nach und nach in eine erkaltete Lösung von Aethernatron (erhal- ten aus 3 Grm. Natrium) in absolutem Alkohol eingetragen. Das Gemisch erwärmte sich schwach und bräunte sich etwas; zur Vollendung der Reaction wurde zum Sieden erhitzt. Nach dem Erkalten schied sich eine geringe Menge eines weissen , krystallinischen Pulvers aus. Der Alkohol wurde hierauf aus dem Wasserbade abdestillirt und wiederholt mit eingesenktem Thermometer rectificirt; er hinterliess wenig einer angenehm riechenden Flüssigkeit. Der Retorteninhalt wurde zur Zer- setzung etwaigen überschüssigen Aethernatrons mit vielem Wasser ver- dünnt, deslillirt bis sich keine Öligen Tropfen mehr zeigten, das Ueber- gegangene wiederholt rectificirt, das obenauf schwimmende Oel mit der Flüssigkeit aus dem Alkohol vereinigt, entwässert und fractionirt. Es waren im Ganzen circa 1 1 Grm. erhalten worden. — Die rückständige Natronlösung wurde mit Schwefelsäure fast neutralisirt, zur Trockne 164 ^I- Aisberg, verdampft und mit überschüssiger Schwefelsäure destillirt. Das ent- wasserte Destillat zeigte den Geruch und Siedepunct der Baldriansäure. Bei der Destillation der erhaltenen Flüssigkeit stieg das Thermo- meter bis über 200*^ Der hochsiedende Theil verhielt sich wie das Amyläthervaleral und wurde als solches auch durch die Analyse erkannt. 0,l035Grm. Substanz gaben 0,1215 Grm. Wasser, entspr. 0,0135 Grm. Wasserstoff=13,OiVo, und 0,27775 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,07575 Grm. Kohlenstoff = 73, 2«/o. Die Formel: €^fli"€02J^5^io^Q verlangt 73,8% Kohlenstoff und 13,1% Wasserstoff. Der niedrig siedende Theil liess sich durch fractionirte Destillation zerlegen in Amyläthervaleral und eine geringe Menge Amylalkohol. (Siedep. 131—133*'). Die Reaction zwischen Yaleraldehyd undAethernatron verläuft also folgendermassen : 5(€5Hi0O"^)+2(€^«^O, NaO)+2i10 = 2(NaO, G^W'O'') +2€'H"0, €5H'"02-»-2€2MW Das Fuselöl verdankte offenbar seine Entstehung dem Natronhy- drat, welches nicht absolut auszuschliessen war. Man hat 2€'^fl>"02-i-NaO, HO=NaO, €^M-'0-'+€5H'20'^. Diese Zersetzung entspricht der des Bittermandelöls durch alko- holische Kalilösung, und es können also auch. die Aldehyde der fetten Säuren sich umwandeln in Alkohol und Säure. Fittig') erhielt bei der Einwirkung des kaustischen Kalks auf Yaleraldehyd neben anderen Producten eine bei 245 — 255*^ siedende Flüssigkeit, von der es mir wahrscheinlich ist, dass dieselbe der Haupt- sache nach aus Amyläthervaleral bestand. Ein Theil des Aldehyds war zerlegt worden in Säure und Aether , welcher letztere sich mit einem anderen Theile des Aldehyds zu Acetal verbunden hatte. Nachdem das Verhalten des Valeraldehyds gegen Aethernatron fest- gestellt war, musste man die Bildung von Aetheracetal erwarten, wenn man statt des Valeraldehyds Acetaldehyd auf Aethernatron einwirken liess. Es wurden 24 Grm. entwässerter Aldehyd mit dem gleichen Volum absoluten Alkohols gemischt'^) und zu einer alkoholischen Lösung von Aethernatron (erhalten aus 3 Grm. Natrium) getropft, welche sich in schmelzendem Eise befand. Unter beträchtlicher Erwärnumg und 1) Ann. Chem. Pharm. CXVII, 75. 2) Es trat hierbei so starl Methyläthylätheracetal 85» ^ Aethylätheracelal 104" '? ^ Amyiätheracetal 210,8» ' ' ' ^ Methyläthervaleral 124" _^i Aethyläthervaleral 1 58" ' ' ,, Amyläthervaleral 255" Trimethvlslvcerin 1 48» ' •- • 13" TriäthNlglycerin 186" Triamylglycerin 303" berechnet. 166 M' Aisberg, Ueber Acetnle. Wie man sieht , ist die Regel , dass einer Zusammensetzungsditre- renz von €H'- eine Difl'erenz in den Siedepuncten von 1 9" entspreche, für die Acetale nicht ganz richtig, bei den substituirlen Glycerinen ist die Differenz entschieden geringer als 1 9". Diess ist bereits von Reboll und LouRENCo hervergehoben worden, welche beobachteten, dass durch Vertretung der drei Wasser im Glycerin durch Aether der Siedepunct ungleichartig erhöht wird, je nachdem ein, zwei oder drei Wasser ersetzt werden. Durch die obigen Versuche v^ird der Process der Acetalbildung vollständig klar. Was bereits durch Wirtz und Frapolli und Reilsteix indirect gezeigt, dass dem Acetal die rationelle Formel €fl^€02 2H4riQ zukomme , ist nun direct bewiesen worden. Die verschiedenen Arten der Acetalbildung sind also die folgen- den : 1 . Directe Rildung aus Aldehyd und Alkohol. 2. Durch Oxydation des Alkohols. 3. Durch Umsetzung der Aldehyde zu Säure und Aether unter Reihülfe von Alkali. 4. Durch Zersetzung von Aldehyd- bromid oder Aldehydäthylchlorid mit Aethernatron. Dazu kommt noch die von Reilstein und Rieth') beschriebene Darstellung des Acetals aus Aldehyd und Zinkäthyl. Die Acetale der aromatischen Säurereihe scheinen sich zu bilden aus den Chloriden der Aldehyde und Aether- natron , wenigstens deuten die von Wicke dargestelUen Verbindungen darauf hin. — Die unmittelbare Vereinigung der Aldehyde mit den Aethern wird leicht bewerkstelligt nur bei den niederen Gliedern der Reihe, mit wachsendem Kohlenstofi'gehalt nimmt die Affinität ab. Rei der Darstellung aus Aldehyd undAlkoholat tritt dagegen die Eigenschaft der niederen Glieder, bei Gegenwart von Alkali zu verharzen, der Acetalbildung hindernd entgegen. Laboratorium zu Jena, 6. Februar, 1864. 1) Ann. Chem. Pharm. CXXVI. 242. lieber die Eiiiwirkiiiig des Eiufach-Chlorlioklenstoffs auf Aetlier-^atroii. Von A. Geuther. Das im Folgenden Mitgetheille J)ilclet eine ergänzende und zum Tlieil berieliligende Fortsetzung der im 1. Hefte dieser Zeitscln'ift ent- haltenen Resultate, die , bei der Einwirkung des Einfach-Ghlorkohlen- stoffs auf Aethernatron entstehenden , ölförmigen Körper betreffend. In jener früheren Abhandlung wurde gezeigt, dass dieselben ausser Flinfach-Chlorkohlenstoff aus einem bei 153", und einem bei 205" sie- denden Theile bestehen. Dureh sehr oft wiedei'holte fractionirte Destil- lationen konnte der bei I53'* siedende Theil fast rein erhalten und als Dichloressigsäure-Aether erkannt w erden. Bei den zur Reinigung vor- genommenen wiederholten Destillationen , sow ie bei dem Stehen des Körpers in mit Kork verschlossenen Röhrchen wurde eine eigenthüm- liche Zersetzung desselben bemerkt : die beständige Bildung von kry- stallisirter Oxalsäure und Chlorwasserstoff. Während die Analysen der am häufigsten destillirten, also reinsten Portion eine gute Uebereinstim- mung im Kohlenstoff und Wasserstolfgehalt ergab, war ein um 2,7Proc. zu hoher Chlorgehalt gefunden w orden , wie denn auch die am wenig- sten häufig destillirte Substanz den höchsten Gehalt an Chlor bei nie- drigstem Kohlenstoff- und Wasserstoffgehalt ergeben hatte. Für die letztere Thatsache konnte eine genügende Erklärung darin gefunden w erden , dass man eine geringe , durch die wiederholten Fractionen allmählich wieder entfernt w erdende Verunreinigung des Productes durch Einfach-Chlorkohlenstoff annahm, eingedenk der bekannten Schwierig- keit , w eiche die Trennung von Chlorverbindungen durch fractionirte Destillation bietet, während die Bildung von Oxalsäure und Chlor- wasserstoff einer Zersetzung des Dichloressigsäure-Aethers, bei Gegen- wart von Sauerstoff und Feuchtigkeit, zugeschrieben werden konnte. 168 A. Genthpr, Die weitere Untersuchung einer grösseren Menge neu dargestellten Productes hat nun ergeben, dass dasselbe aus 2 verschiedenen Verbin- dungen besteht, von denen die eine, den grösseren Theil ausmachende, Dichloressigsäure-Aether , die andere dagegen eine , ebenso oder doch nahezu so hoch siedende, Verbindung mit grösserem Chlorgehalt ist, welcher allein jene Eigenschaft bei Gegenwart von feuchter Luft Oxal- säure und Chlorwasserstoff zu bilden, zukommt. Das durch häufige Rectificationen des Gemenges bedingte Verschwinden dieses Productes, so dass nur Dichloressigsäure-Aether übrig blieb, beruht auf eben die- ser leichten Veränderlichkeit. Zur Untersuchung der neben Oxalsäure bei der Einwirkung von Kali lauge auf Dichloressigsäure-Aether entstehenden Säure (Glycolsäure ■? , Dichloressigsäure?) wurde eine grössere Menge der bei 1 öS** siedenden Verbindung in einem Cylinder mit Ueberschuss von reiner Kalilauge allmählich , und unter Vern)eidung grosser Wärmeent- wicklung, durch Schütteln vollständig zersetzt. Ein geringer Theil des Oels blieb auch nach häufigem Durchschütteln und längerem Stehen ungelöst. Die kaiische Lösung wurde abgehoben, das Oel wiederholt mit Wasser gewaschen und über Chlorcalcium entwässert. Untersuchung der kaiischen Lösung. In ihr wurde zunächst das überschüssig vorhandene freie Kali durch Einleiten von Kohlensäure in kohlensaures Salz verwandelt und dann die ganze Lösung auf dem Wasserbade zur Trockne verdampft. Durch kochenden abs. Alkohol konnte daraus ein beim Erkalten in feinen weissen Nadeln krystallisirendes Salz erhalten werden, das durch wiederholtes Umkrystallisiren aus Alkohol von geringer Menge beige- mengten Chlorkaliums gereinigt wurde. Der im Alkohol unlösliche Theil bestand aus kohlensaurem Kali neben nicht unbedeutenden Mengen Chlorkaliums und Oxalsäuren Kali's, der in Alkohol lösliche Theil ist, wie die Analyse des gereinigten Salzes ergab: dichloressig- saures Kali. Nachdem durch einen besonderen Versuch der bedeutende Chlor- gehalt der Verbindung nachgewiesen worden war, wurde zur quanti- tativen Bestimmung des Kaligehaltes geschritten. 0,35025 Grm. des über Schwefelsäure getrockneten, an Aussehen unverändert gebliebenen Salzes verloren beim Erhitzen auf 100^' nichts, es ist also wasserfrei. Dieselbe Menge wurde sodann mit überschüssi- ger Schwefelsäure im Platintiegel übergössen und in neutrales Salz verwandelt; seine Menge betrug: 0,18325 Grm. entspr. 0,099 19 Grm. ;=28,3Proc. Kali. Die Formel: G^HGPO^KO verlangt 28,2 Proc. Kali. lieber die Einwirkung des llinfiicli-f lilorkohlenstoffs auf Aetlier-Natron. 1 69 Das dichloressigsaure Kali krjstallisirt aus abs. Alkohol in blendend weissen Nadeln , ist sehr leicht löslich in Wasser , aber nicht zerfliess- lich ; aus dieser Lösung krystallisirt es ebenfalls nadeiförmig. In der- selben bringt in der Kälte salpetersaures Silberoxyd keinen Niederschlag her\or, beim Kochen tritt aber allmähliche Bildung von Chlorsilber ein. Untersuchung des ungelöst gebliebenen Oels. Dasselbe wurde nach dem Entwässern der Destillation unterworfen, wobei es den Siedepunct 152 — 153*^ (uncorr.) zeigte, und darauf so- gleich analysirt. 0,3175 Grm. lieferten 0,083 Grm. Wasser, entspr. 0,009222 Grm. = 2,9 Proc. Wasserstoff, und 0,318 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,08673 Grm. =27,3 Proc. Kohlenstoff. 0,17125 Grm. gaben 0,4197 Grm. Chlorsilber, entspr. 0,01038 Grm. = 60,6 Proc. Chlor. Darnach kommt ihm die Formel: C^H^Cl-O^ zu. ber. gef. €^ = 27,3 27,3 ö^ = 2,9 2,9 GP = 60,7 60,6 02 = 9,1_ — To"ö7ö~ Die Verbindung besitzt einen eigenthümlichen kratzend-ätherischen Geruch, bleibt in trockner Luft, ebenso unter Wasser scheinbar unver- ändert, in feuchter Luft dagegen wird es leicht unter Bildung von kry- stallisirler Oxalsäure und Chlorwasserstoff zersetzt. Mit Wasser in ein Rohr eingeschlossen und auf 160^' erhitzt verschwindet es allmählich, in der wässrigen Lösung ist dafür enthalten Chlorwasserstoffsäure und Glyoxylsäure (neben nur geringen Spuren von Oxalsäure), erkenn- bar am charakteristischen Verhalten ihres Kalksalzes zu Kalkwasser. Gewiss scheint zu sein, dass hierbei noch Alkohol entsteht, obwohl derselbe, da zum Versuch zu wenig Material zur Verfügung stand, nicht weiter gesucht worden ist. Die Zersetzung erfolgt dann nach der Gleichung: €^H'€P02+8 flO = €2H^O"+€2M<'02+3 HCl Denmach liefert also diese Verbindung bei hoher Temperatur mit Wasserdie nämlichen Producte, wie der Dichloressigsäure-Aether^ w odurch nun auch erklärt wird , warum bei dem in der vorigen Ab- handlung angeführten gleichen Versuch mit Dichloressigsäure-Aether, dem diese Verbindung unzweifelhaft beigemengt war, nur die nämlichen ] 70 A. Geiitlier, Producte enslanden sind und nur, oljCMilalls beigemengter, Einfach- Chlorkohlenstoff übrig geblieben war. Von conc. wässrigen Ammoniak wird die Verbindung bei gewöhn- licher Temperatur ebensowenig, als von Kalilauge angegriffen. Was ihre Constitution anlangt , so wird man sie auf Grund des vorhergehenden Verhaltens am besten als D i chlor essigsäur e- Aeth vi chlor ür betrachten, d. h. als eine Verbindung, die sich vom Dichloressigsäure-Chlorür dadurch unterschieden zeigt , dass sie Chlor- wasserstoff-Aethylen (Aelhylchlorür) enthält, an Stelle des Chlorwasser- stoffs jener. Dichloressigsäure-Chlorür Dichloressigsäure-Aethjlchlorür €€P,€02}H€1 €€l2,€02}€2fl^,H€l Es kann dabei die grosse Beständigkeil der Verbindung dem Wasser und selbst den Alkalien gegenüber nicht auffallen, da sie /.um einfachen Chlorür sich verhält, wie ChloraethU zu Chlorwasserstoff. Gewiss ist die Existenz solcher Vei'bindungen, wie die unsrige, möglich und ein Weg zu ihrer Darstelhmg könnte, der Analogie nach, in der Behandlung der Säure-anhydride mit Chloraethyl , gegeben sein , denn man weiss, dass erstere sich mit Chlorwasserstoff in Säurechlorür und Säurehydrat umsetzen. Die Bildung von Oxalsäure, Chlorwasserstoff und Alkohol erklärt sich durch folgende Gleichung: €^M5€P02+6HO-h20=€-^0«, H202-j-3H€I+€2HfiO'^. Dichloracetamid. Mischt man Dichloressigsäure-Aether mit ammoniakhaltigem Alko- hol, so entsteht das Amid, ebenso, wenn man den Aether mit conc. wässrigem Ammoniak üliergiesst und durchschüttelt. In ersterem Falle bleibt die Verbindung im Alkohol, im zweiten im Wasser gelöst. Nach dem Verdunsten des Lösungsmittels und des überschüssigen Ammo- niaks wird sie schön krystallisirt erhalten. Zur Analyse wurde die unmittelbar gewonnene, gross krystallisirte und dem Aussehen nach als völlig rein geltende Sulistanz verwandt. 0,2633 Grm. gaben 0, 1 935 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,05277 Grm. = 19,9 Proc. Kohlenstoff" und 0,06375 Grm. Wasser, entspr. 0,007083 Grm. =2,7 Proc. Wasserstoff. 0,2U5Grm. lieferten 0,472 Grm. Chlorsilber, entspr. 0,H 67 Grm. = 54,4 Proc. Chlor. Ueber die Einwirkung des Eiiifiich-Chlorkolilenstoffs auf Aetlier- Natron. 171 b e r. gef. £-^ = 18,8 H'^ = 2,3 19,9 2,7 €12 ^ 55^5 N = 10,9 54,4 02 = 12,5 — 100,0 Der Grund für die Al)weichung der gefundenen und berechneten Werthe fand sich , als die für ganz rein gehaltenen grossen Krystalle, von denen ein Theil zur Analyse verwandt worden war, umkrystallisirt wurden. Dabei zeigte sich, dass sie noch eine geringe Menge einer, aus concenlrisch gruppirten Nüdelchen, bestehenden, in Wasser schwer löslichen Substanz einschlössen, die sich, wie weiter unten gezeigt wird, als Oxamid zu erkennen gab. Die Abweichung von Resultat und Formel liegt vollkommen im Sinne dieser Verunreinigung. Das Dichloracetamid kryslallisirt aus seinen Lösungen in grossen, rhombischen Säulen, es schmilzt bei 94,5*' unverändert und scheint eine beträchllich höhere Temperatur ohne Zersetzung ertragen zu kön- nen. Es sublimirt langsam, schon bei der Siedhitze des Wassers, und verflüchtigt sich deshalb theilweise aus seiner wässrigen Lösung beim Kochen. Mit Kalilauge gekocht entwickelt es Ammoniak , ohne Bildung von Oxalsäure. Wendet man zu seiner Darstellung wässriges Ammoniak an, so erhält man noch eine viel leichter löslichere Verbindung, die über Schwe- felsäure grossblättrig krystallisirt, an der Luft aber durch Wasserent- ziehung bald zerfliesst. Sie löst sich leicht in absolut. Alkohol und kann so von geringen Mengen in der Mutterlauge enthaltenen Salmiaks ge- trennt werden. Sie entwickelt beim üebergiessen mit Kalilauge sofort Ammoniak und ist also wohl, da sie auch reich an Chlor ist, als das Ammoniaksalz der Dichloressigsäure anzusehen. Von der bei 205*' siedenden Verbindung wurden in der vorigen Abhandlung 2 Analysen mitgetheilt, die indess sich noch auf eine, bei dem geringen Material möglicherweise verunreinigte Substanz beziehen konnten. Es wurde deshalb das Verhalten des noch übrigen Theils zu conc. wässrigem Ammoniak untersucht. Als das Oel damit durchge- schüttelt wurde fand sogleich die Bildung eines weissen körnigen Pul- vers statt. Nach häutigem Durchschütteln und tagelangem Stehen w^urde das überschüssige wässrige Ammoniak abgehoben und abgesetztes Pulver und Oel durch Alkohol, worin das Letztere löslich, das erstere 172 A' fieuüier, unlöslich war, gelrennt. Die alkoholische Flüssigkeit mit Wasser ver- setzt, lasst das Oel wieder fallen. Das weisse Pulver löste sich erst in viel siedendem Wasser und erschien beim Erkalten fast vollständig in kleinen Nüdelchen wie- der. Seine Menge war zu gering um quantitative Bestimmungen damit ausführen zu können; folgende Eigenschaften charakterisiren es jedoch vollkommen als Oxamid. Langsam im Röhrchen erhitzt sulilimirt es vollständig und unver- ändert, beim raschen Erhitzen tritt neben Kohleabscheidung Cyange- ruch auf, mit Natronlauge übergössen löst es sich in der Kälte langsam, rasch beim Erwärmen unter Ammoniakentwicklung und in der Flüssig- keit ist dann Oxalsäure enthalten. Was das Product anlangt, welches seine Entstehung verursacht, so ist wohl anzunehmen, dass es Oxaläther sei, von dem es indessen, da er auch nur in sehr geringer Menge vorhanden sein könnte , w'ahr- scheinlich wird, dass er ein Zersetzungsproduct einer der ölförmigen Substanzen ist. Und in der That sind die Zersetzungsproducte, welche das Dichloressigsäure-Aethylchlorür liefert, die Oxalsäure und der Alkohol nämlich , zwei Substanzen , w eiche die Entstehung des Oxal- äthers vollkommen erklären können. Derselbe kann aber auch als ein directes Zersetzungsproduct jener Verbindung neben Oxalsäure und Chlorwasserstoff auftreten , wie folgende Gleichung erkennen lässt : 2(€4fl^€P02)+8flO-»-4 0=€206, SC'^H^O + C'^O«, 0-^02+ 6 fl€l. Das mit Wasser gewaschene und über Chlorcalcium entwässerte übrig gebliebene Oel wurde destillirt. Es zeigte den Siedepunct : 205*^ (uncorr.), also den nämlichen, den es früher besessen. Sein Ge- ruch ist terpentinähnlich ätherisch. Nach der Destillation war die über- haupt nur geringe Menge in mit Kork verschlossenen Röhrchen circa 1 4 Tage aufbewahrt w orden , ehe sie zur Analyse verwandt wurde. 0,13075 Grm. gaben 0,07975 Grm. Wasser, entspr. 0,008861 Grm. Wasserstofr=6,8 Proc. und 0,-1965 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,05359 Grm. Kohlenstoff' =41,0 Proc. 0,0585 Grm. Substanz heferten 0,075 Grm. Chlorsilber, entspr. 0,01855 Grm. = 31,7 Proc. Chlor. Diese Resultate weichen von denjenigen der früheren Mittheilung insofern ab , als sie einen etwas vergrösserten Kohlenstoff- und Chlor- gehalt , bei vermindertem Sauerstoffgehalt zeigen , was wahrscheinlich auf einen geringen Gehalt der früher analysirten Substanz an Oxaläther zu schieben ist. Sie scheinen für die Substanz die Formel : C^Hi*'€l20^ wahrscheinlich zu machen. lieber die Kiiiwiikiiiig des F/mfach-Chlorkolileiistoffs iiiiC Aetlier-Natron. 173 her. gef. G^ = 41,6 41,0 M'ß = 6,9 6,8 €12 ^ 30 7 3^ 7 Qf' =20,8 — Um sich eine genügende Vorstellung von der näheren Gruppirung der Elemente machen zu können, dazu fehlen noch die nölhigen An- halts])uncle. Man könnte sie l)etrachten als ein Chlorür der Aether- glyoxylsäure, in welchem statt Chlorwasserstotf die Gruppe £~ü'^£l'* fungirte: €0-'€02^,J], H202 Gm'>£\\ indessen ist eine solche Gruppe ^'H'^^l- bis jetzt nicht bekannt, oder wenn man 2 Mgte Wasserstoff weniger darin annehmen wollte, als das nämliche Chlorür, worin an Stelle von Chlorwasserstoff die Gruppe €^^^€12, also vielleicht gechlortes Chloräthyl, fungirte. Freilich wird man sich dann schwer Rechenschaft von ihrer Entstehung geben können. Fassen wir nun schliesslich die sämmllichen Producte, welche bei der Einwirkung des Einfach -Chlorkohlenstoffs auf Aethernatron ent- stehen, im Verhältniss zum Ersteren, in's Auge, so halben wir in Allen eine Gruppe, aus diesem hervorgegang(>n durch die Auswechslung seines ganzen oder halben Chlorgehalts gegen Sauerstoff, verbunden mit Alko- hol oder Aethernatron oder einfachen Abkömmlingen derselben. Der ChlorkohlenstofT€-CH erscheint dabei als eine Substanz , welche sich leicht in 2 gleiche Theile trennt und so der Essigsäure angehörige Ver- bindungen bildet. {£G\\ €€12) =€2€l*=Einfach-Chlorkohlenstoff. I. €€|2, €02)€2H^H€I= «ichloressigsäure- ' j ' Aethylchlorur. TT cavi vn'X^^ Dichloressigsäure- [TT t^n^ rni^^^\2n>\^^ — Aetherglyoxylsaures III. tu , tu ^.^^,H ^ ^^^Q - j^g^,.Q^^ IV. €02, t02^.^^]s202J€2H6€l2 9 €02, €02 H202 IHO ^ Glyoxylsäure ' jHO (Dioxyessigsaure) ^jj2 rn^HO Essigsäure fcH,tu-^yQ — (Methylencarbonsäure). Da bei der Reaction niemals Aether unter den Producten bemerkt worden ist, so muss man annehmen, dass dem, auf die früher ange- Band I. 2. 12 174 A. Geutlier, über d. Eiiiwirk. des Einfacli-Clilorkohleustoffs aul' Actlieniatron. cebene Weise bereiteten, Aethernatron auch etwas Natronhydrat bei- gemengt war, was nicht zu bezweifeln ist. Die Verbindungen I. und II. würden dann direct, die Verbindung III. als l)ei der Einwirkung von II. auf Aethernatron und Natronhydrat gebildet, gedacht werden können. I. €'^€P-f-^2H^ |^^^=4:€12, €02]€2H\ H4^l+Na€l II. ^-^€^+€211^ j^O^+NaO, HO=€€P,€02}|^,^^Q+2Na4^l III. €€P,€02)|?^,^ ^^ +2 [€'^fl^ lSao]+^^'^0, HO = = €0^€02 g^^H-^oi«^^ ^^'^fuO -^2^^^^^' Jena, d. 31. Januar 1864. leber die episteriialeii Skelettheile und ihr Vorkouiuien bei den Säugethieren und beim 9Ienschen. Von C. Gegenbaur. (Hierzu Tafel IV.) Unter dem Namen der Episternalknochen kennt man eine l)ei den Amphibien (Fröschen) und Reptilien (Eidechsen und Crocodilen) vor- kommende Skeletbildung , welche hei den Säugethieren sich nur in wenigen Abtheilungen und unter etwas geänderten Verhältnissen wie- derholt. Man bezeichnet so einen dem vorderen Ende des Sternum der Roblien aufsitzenden Knochen, dann besondere Knochenstücke, welche vor dem Manubrium sterni der Gürtelthiere sich finden , durch Bandmasse mit dem Sternalende der Claviculae verbunden, und bei den Monotremen ist es ein dem Sternum angefügter unpaarer, T förmig in 2 seitliche Aeste auslaufender Knochen, welchem die vorderen Schlüsselbeine eine Strecke weit aufgelagert sind ') . Es sind also immer Skelettheile , welche mit Ausnahme bei den schlüssell)einlosen Robben die Verbindung des Sternum mit den vorderen Schlüsselbeinen ver- mitteln , })ald paarig , bald unpaar auftretend und durch das letztere Verhalten anscheinend sehr verschiedener Natur. Von einem Vorkom- men dieser Episternal-Gebilde in anderen als den genannten Abthei- lungen der Säugethiere ist Nichts bekannt geworden 2). 1) CuviER, Rech, sur les osscmens fossiles. Quatrieme Edit. T. VIII. 1. p. 252 und Legons sur l'anat. comp. See. Ed. T. 1. p. 238. Stannius, Lehrb. d. vergl. Anatomie. S. 349. — v. Rapp, Anat. Untersuch, über die Edentaten. 2. Auflage. Tübingen 1852. S. 39. 2) Bei dem den Gürtelthieren so verwandten Chlamydophorus wird nach Hyrtl die Clavicula durch ein Ligament dem Sternum verbunden. Es ist, wie Hyrtl sagt, dasselbe Verhältniss wie bei Dasypus, nur dass der Knochenkern fehlt. Chlamy- dophori truncati cum Dasypodegymnuro comparatum e\amen anatomicum. Vien- nae 1855. S. 23. (Denkschr. d. Wiener Akad, Bd. IX. der math. phys. Classe). 12* 17() r. Gc^oiibiiiir, An die bei den Gürleltlneren vorhandenen Einricbtuni^en sich an- schliessende Verhältnisse sind zuweilen beim Menschen beobachtet worden, freilich in sehr differenter Auffassung. Nach meinen Untersuchungen finden sich Episternalia , oder doch diesen homologe Einrichtungen in viel grösserer Verbreitung vor, als man bisher anzunehmen pflegte, und aus dieser Verbreitung mag viel- leicht einiges Licht auf die morphologische Bedeutung des genannten Apparates fallen. Der Grad der Ausbildung , in welchem ich die Epi- sternalia der Säugethiere finde, ist ein sehr verschiedener und ich will wegen des leichteren Ueljcrblickes der ganzen Erscheinung die ausge- bildeteren Formen, die sich den Episternalien der Monotremen und Gürtelthiere unmittelljar anschliessen, der Schilderung der wenig leicht in die Augen fallenden, weil im Vergleiche zum übrigen Skelete weniger voluminös entwickelten Zustände voraus gehen lassen. UnterdenBeuteUhieren trefle ich bei Didelphys und zwar bei ver- schiedenen Arten im \A esentlichen ganz ül)ereinslimmend, ein T förmiges, aus Knorpel bestehendes Skeletstück, mit verbreiterter Basis auf dem vor- deren Ende des Stern um sitzend. Es wird das letztere an seinem ganzen Vorderrande davon umfasst und es ragt in einem Falle die Knorpelmasse dieses Episternum jederseits mit einem Fortsatze nach aussen vor und nimmt noch einen Theil der ersten Rippe auf. Man könnte so diese Bil- dung einem knorpelig])leibenden Manubrium sterni gleich er-achten, aber die beiden am vorderen verschmälerten Ende des fraglichen Episternum abgehenden Querstücke, \\ eiche continuirlich mit dem mittleren un- paaren Stücke verbunden sind, erschweren jene Auffassung. Ueberdiess ist jene seitliche bis zur Anfügesteile der ersten Rippe sich hin erstreckende Forsetzung des Episternalknorpels keineswegs eine constante Erschei- nung; von drei untersuchten Didel- phys-Arten habe ich sie nur bei einer vorgefunden , von der der beigefügte Holzschnitt eine Skizze des ganzen Episternal-Apparates giebt. Die bei- den seitlichen Theile sind an ihren Enden kolbig angeschwollen, abge- rundet und hier fügt sich an der hin- teren resp. oberen Fläche das etwas verbreiterte Ende der Schlüssel])eine an. Wie Querschnitte mich lehrten ist zwischen beiden Theilen (Clavicula u. Episternum) eine Gelenkhöhle. Im Ganzen sind aber die Schlüsselbeine fest und innig mit den Quer- Fig. 1. Episternum von D i d e 1 p h y s. st Sternum c erste Rippe. ep Episternum d Clavicula. Ueber die p|tistoriialeii Skelettlieile. 177 jiston des T förmigen Knorpels vei'bnnden. In gewöhnlicher Lagerung sind diese Queräste nach hinten , gegen die verbreiterte Basis des Epi- sternum gestellt , so dass dann die Schlüsselbeine viel näher der ersten Rippe sich zu inseriren scheinen, als diess wirklich der Fall ist und an dein vorderen Theile des knöchernen Sternum eine feste Unterlage be- sitzen. Diese gegen das Sternum angestemmte Lagerung der Claviculae ist die natürliche. Die Schlüsselbeine können sich nur wenig aus dieser Lage entfernen , und erst durch Ablösung einiger dünner Bandstreifen, welche jene Lagerung fixiren, gelingt es sehr leicht die Querstücke nach vorn zu ziehen und sie so zu richten, dass ihre Längsaxen zusammen- fallen. Vielleicht war diese Art der Verbindung der Schlüsselbeine und der Rückwärtsrichtung der sie tragenden Queräste des T förmigen Knorpels die Veranlassung , weshalb dieser Skelettheil an den doch sf)nst bezüglich der Skelete so genau durchforschten Beutelthieren, den Anatomen entgangen war. Es sind also hier genau dieselben allgemei- nen Befunde bei Marsupialien erkennbar, wie wir sie in weiterer Ent- \\ ickelung bei den Monolremen kennen. Das bei letzteren als ein grosses Knochenstück erscheinende E[)islernale ist hier knorpelig geblieben und auch an Volum zurückstehend. Aus seiner knorpeligen Beschaffen- h(>it geht zugleich hervor, dass es den Claviculis keine feste Stütze mehr Ijieten kann, und so letzteren gestattet seine Queräste nach abwärts am Sternum zu ziehen,- wo zur Seite des Mittelstückes vom Episternum eine festere Unterlage sich bietet. Da sich zwischen dem knöchernen Anfangsstücke des eigentlichen Sternum und dem vorbeschriebenem Knorpel w eder ein Gelenk , noch eine scharf diffe- renzirte Grenze findet, so könnte man daraus Anlass nehmen die ganze Bildung als zum Sternum gehörig anzusehen. Wir müssen aber hier in Erwägung ziehen, dass auch sonst getrennt auftretende Ske- letstücke unter einander sich enger verbinden, und dass das Unselbst- ständige des beschriebenen Episteriiale eigentlich mehr durch die feh- lende Verknöcherung hervortritt'). So ist ja auch das ganze Sternum in sehr vielen Fällen ursprünglich nicht aus getrennten Knorpeln zu- 1) Ich rauss hier bemerken, dass mir nur junge Thiere zu Gebote standen, so dass es immerhin leicht moglicli ist, dass vielleicht nur am unpaaren Mittelstücke des knorpeligen Episternal-Apparates, später eine Verknöcherung auftritt. Mögen Andere, denen mehr Untersuchungsmaterial zu Gebote steht, diese Frage entschei- den , ebenso jene , wie sich das Episternum in den anderen Abtheilungen der Mar- supialia verhalte, worüber Aufschluss zu geben mir gleichfalls nicht möglich ist. An einem trockenen Skelet von Haimaturus finde ich am sternalenEnde der Schlüs- selbeine ansehnliche Knorpeliuassen, durch welche die Verbindung mit dem Sternum vermittelt wird. Aus solciicn eingetrockneten Theilcn Schlüsse zu ziehen halte icli aber für unzulässig, und möchte mit der Erwähnung dieser Vorkommnisse nur andere, günstiger situirte Forscher aufmerksam machen. 178 tJ. (iegpiibaiir, sammengesetzt und es erscheint die Theilung in eine Anzahl gleicharti- ger Abschnitte , aus welcher wir die Zusammensetzung des Knochens aus mehrfachen Stücken ableiten, erst mit der Verknöcherung und wird eigentlich nur durch dieselbe bedingt, während in anderen Fällen die Trennung des Sternum in einzelne Abschnitte schon vor der Verknö- cherung noch in der knoi-peligen Anlage gegeben ist. Aus der Conti- nuität des Knorpels können wir daher noch nicht auf die Einheit eines Skeletstückes schliessen, wie wir aus dem Getrenntsein von Knorpel- stücken auf die Mehrheit den Schluss ziehen. So lange also nicht der Nachweis einer vom eigentlichen Sternum ausgehenden Verknöcherung des Episternale, und der einer gleichartigen und mit dem Sternum continuirlichen Anlage geliefert ist, erscheint es unstatthaft jenes Stück wegen seiner Anfügung an das Sternum , zum Sternum selbst gehörig anzusehen. Alle Zweifel an der Selbstständigkeit dieser episternalen Skelettheile schwinden bei Untersuchung der mit Schlüsselbeinen versehenen Nage- thiere und Insectenfresser. So erkennt man bei Goelogenys (Taf. IV. Fig. 4) alle drei Theile wieder in deutlicher Weise, wenn sich auch die beiden seitlichen vom mittleren unpaaren getrennt haben. Vor der An- fügung der ersten Rippe (c^) setzt sich das Sternum [st] noch eine an- sehnliche Strecke weit fort, und endigt mit einem langen lanzettförmi- gen Knorpelstücke [m] , welches an der Vorderfläche einen einerseits bis zur Spitze auslaufenden , andererseits auf das knöcherne Sternum übergehenden Längskiel besitzt, hinten dagegen mehr flach ist. Dieses Knorpelstück geht nicht continuirlich ins eigentliche Sternum über, sondern zeigt nach der Untersuchung von Durchschnitten zw ischen dem oberen Knorpelüberzuge des ersten die erste Rippe tragenden Sternal- abschnittes eine scharfe Grenze gebildet durch quergestellte spindel- förmige Zellen mit faseriger weicher Grundsubstanz. Nach oben wie nach hinten geht dieses Gewebe in hyalinen Knorpel über. Es trägt dieses mittlere Stück an seiner hinteren Fläche die breiten platten Enden zweier nach aussen laufender Knorpel [Ep.), welche in je ein Schlüsselbein sich fortsetzen, nachdem sie allmählich drehrund gewor- den sind. Die Verbindung mit dem sternalen Ende der Clavicula findet auf ähnliche Weise statt wie die Vereinigung des medianen Stückes mit dem Sternum. Die histiologische Diff'erenzirung ist auch hier vorhan- den, der Knorpel dieses seitlichen mit der Clavicula inniger als mit dem mittleren Stücke verbundenen Theiles ist anfänglich hyalin , gehl aber allmählich in Faserknorpel über. Vergleichen wir das Verhalten dieser Bildung mit jenem der Beutelratten und Monotremen , so ist der dort unpaare und mit zwei am vorderen Rande entspringenden Querästen (jpl)ei' die ppistenialpu Skolpttlioilp. 179 versehene E[)isleiniüknochen oder Knorpel hier in drei Stücke zerfallen. Das niittU^i-e unpaare Stück hat sich dem Sternuni angefügt und zeigt so dieselbe Beziehung, die es in jenen anderen Ordnungen hatte. Die Quer- asle dagegen haben sich abgelöst — wie sie ja auch bei den Beutelratten nur duich ein dünneres Stück mit dem Mittelstücke in Verbindung uaren — und sind in innigerer Verbindung mit der Glavicula. Der bei den Monotremen wie bei den Sauriern einfache Knochen des Epister- num istson)it hier in drei Stücke getheilt, die unter sich nur durch lockere Bandmasse , mit den ursprünglich nur an siö angelagerten Theilen da- gegen fester verbunden sind. Bei Gavia, welcher «unvollkommene« Schlüsselbeine zugeschrie- ben werden , ist eine ganz ähnliche Episternalbildung vorhanden. An den mir zur Untersuchung zu Gebote stehenden Skeleten fehlen zwar tue Schlüsselbeine gänzlich , allein es befindet sich vor dem breiteren, seitlich die erste Rippe tragenden Manubrium sterni noch ein beson- deres flaches und schmales Knochenstück, welches an unversehrten Skeleten sicherlich die ligamentösen oder knorpeligen Seitentheile des Episternalapparates, wie bei Goelogenys aufnehmen wird. Das vorhan- dene Mittelstück ist auf jeden Fall dem bei Goelogenys vorhandenen völlig homolog. Hystrix (H. cristata) gehört bezüglich des Episternale wohl eben- falls hieher. Ich finde nämlich an einen Skelete dieses Thiers am vor- dem Ende tles Sternum eine Knorpelmasse, hinter der das der rudi- mentären Glavicula entsprechend lange knorpelige Episternale befestigt ist. Im Innern des letzteren nehme ich eine Verkalkung wahr. Bei der Maus (Mus musculus) gehen die abgerundeten Sternalen- den der Schlüsselbeine in ein Yg Mm. langes Knorpelstück über (Vergl. nebenstehenden Holz- schnitt) und erst dieses ^^ fügt sich, mit dem der anderen Seite convergi- rend, an die obere Fläche des stark in die Quere gezogenen , das erste Rippenpaar tragenden, offenbar als Manubrium anzusehenden ersten Sternalstückes an. Das unpaare unter den Na- gern noch bei Goelogenys und Gavia vorhandene 180 C- Geseiibiiiiri Mittelstück fehlt also hier, und es bestehen vom ganzen Appanit nur die beiden seitlichen Stücke, denen wir nach dem bisher angeführten, eine ursprünglich engere Beziehung zur Clavicula , wie es bei einer nur lückenhaften Kenntniss dieser Theile scheinen möchte , nicht zuerken- nen dürfen. Es sind also die geschilderten Knorpelstücke nicht etwa blos abgelöste Theile der Clavicula, selbststiindiger entwickelte Epiphy- senknorpel, sondern Theile eines primär von der Clavicula unabhängi- gen Skeletstückes. Jeder Episternalknorpel besitzt zur Aufnahme des mit einem Knor- pelüberzuge versehenen Slernalendes der Clavicula eine pfannenartige Vertiefung. Es besteht zwischen Clavicula und Epislernale ein wirk- liches Gelenk. Das Perichondrium des Epislernale geht unmittelbar in das Periost der Clavicula über, und stellt damit zugleich die Gelenk- kapsel vor. In der Mitte ist das Episternale etwas eingeschnürt , um am Sternum mit einer stärkeren abgerundeten Parthie sich anzufügen. DerbindegewebigeUeberzug verbindet sich hier erst mit seinen äusser- sten Lagen locker mit dem Sternum, wodurch dem Episternale, und damit auch der Clavicula, eine grosse Beweglichkeit zukommt. Die Entfernung der sternalen Anfügesteilen beträgt etwa die Hälfte der Länge der Epi- sternalien. Es scheint der Episternalknorpel seine hyaline Beschaffen- heit lange Zeit hindurch zu behalten, denn bei anscheinend ausge- wachsenen Individuen traf ich ihn zuweilen noch unverändert ohne Spur einer Verkalkung, gleichwie er bei offenbar jüngeren Exemplaren sich zeigt. (Taf. IV. Fig. 9. Ep). Bei älteren Individuen entwickeln sich Verkalkungen des Knorpels, und zwar ganz regelmässig je eine an einem der beiden Enden jedes Knorpels , wie aus Fig. 2 der einge- druckten Holzschnitt-Skizzen zu ersehen ist. Bei anderen Arten (Mus sylvaticus , minutus) verhalten sich die Episternalia wenig abweichend. Bei Mus sylvaticus liegen die beiden Enden der Episternalia dicht bei einander. Bei M. minutus gehen beim ersten Anblicke die knorpeligen Episternalia unmittelbar aus dem knor- peligen Ende der Claviculae hervor. An der Uebergangsstelle zeigt sich das Knorpelgewebe verändert , besitzt lange, in der Quere angeordnete spindelförmige Zellen, und bei genauerer Untersuchung giebt sich sogar eine Lücke in jenem Gewebe zu erkennen, und damit wird eine wirk- liche Gelenkverbindung, wenn auch auf der ersten Differenzirungsstufe stehend erkennbar. Die beiden Episternalia sind keulenförmig gestallet, das stumpfe Ende gegen das Sternum gerichtet, das spitze gegen die Clavicula, um dort vor der Anfügung an letztere in eine napfförmige, gleichfalls aus Hyalinknorpel bestehende Ausbreitung überzugehen Die concave Endfläche der letzteren umfasst die Clavicula. Die hier Ueber die episteriialpu Skelettheile. 181 gegen die anderen Arten gegebene Verschiedenheit ist eine gering- fügige , denn wenn man sich die auch bei Mus musciilus vorhandene aber nur schwache Einschnürung vor der Clavicularverbindung etwas stärker entwickelt denkt, so wird der claviculare Abschnitt des Epi- sternale jenen napfförinigen Anhang vorstellen, der Mus minutus aus- zeichnet. Die sternalen Enden des Episternale sind ebensow eit wie bei der Hausmaus von einander entfernt, im Inneren sind gleichfalls zwei Knochenkerne vorhanden, ein hinterer rundlicher, und ein dicht vor diesem befindlicher keilförmiger. Die Episternalia der Ratte (Mus decumanus) sind in Einigem von denen der kleineren Murinen verschieden. Es sind bei oberflächlicher Untersuchung '/j-l Mm. lange durch Faserbandmasse zwischen Clavicula und Sternum eingefügte, sehr bewegliche feste Stücke. Weder nach der einen noch nach der anderen Seite hin ist eine grössere Gelenkhöhle wahr- nehmbar. Das feste Episternalstück giebt sich als Knochen zu erkennen. Auf einem senkrechten Längsschnitte wie er auf der l)eigegebenen Tafel in Fig. 8 abgebildet ist , zeigt sich das sternale Ende der knöchernen Clavicula mit gegen die Oberfläche ausstrahlenden im Innern weiteren Markcanälen ausgestattet, und von einer hyalinen Knorpelschichte [k) überzogen. Aus dieser geht unmittelbar Fasergewebc hervor, welches wieder ebenso in den hyalinen Knorpclüberzug des grösstentheils knöchernen und von zahlreichen Mark räumen durchzogenen Episternale sich fortsetzt; am unteren Theile geht die ganze Masse des Faserban- des nicht zum Episternale sondern setzt sich in eine Schichte von Hy- alinknorpel {k') fort, der durch eine Lücke von der knorpeligen Ober- fläche des Episternale getrennt ist, und so eine kleine Gelenkhöhle um- schliessen hilft. Der bindegewebige Ueberzug des Episternale setzt sich dagegen ohne eine Gelenkhöhle zu umschliessen auf das Sternum fort. Im Vergleiche mit den anderen Arten derselben Gattung ist hier eine mehr- fache Veränderung zu constatiren. Erstlich ist das sonst rein knorpelige Episternale in zwei Abschnitte diffcrenzirt , einen bindegewebigen die Clavicularverbindung vermittelnden und einen wohl ursprünglich knor- peligen das solide Episternale darstellend. Zweitens ist die bei anderen Arten meist auf der Stufe der Knorpelverkalkung stehenbleibende Ver- knöcherung hier weiter vorgeschritten , und es ist der grösste Theil jenes Episternale in wahren Knochen umgewandelt, der durch reiche Markraumbildung sich auszeichnet. Aber es bleibt auch dieser Knochen doch nur ein Knochenkern, da er an seiner ganzen Oberfläche von einer Knorpellage überzogen ist. Im Anschluss an die Murinen ist das Episternale von Hy pudaeus (IL glareola) geformt. Die knopfartig angeschwollene Clavicula (Taf. IV. 182 C. nejieiibiiur, Fig 6. c) verbindet sich mit der vertieften Fläche des knorpehgen , mit einem langgestreckten Knochenkerne versehenen Episternalstiickes, welches selbst wiederum nur lose der hinteren Fläche des sehr breiten Manubrium sterni angeheftet ist. Die Grenze zwischen Clavicula und Episternale ist auf dem grössten Theile der Verbindungsfläche sehr scharf, aber am oberen Theile geht der Knorpel des Episternale mittels Fasermasse in den der Clavicula über, und dadurch ist ein Verhalten gegeben, welches zwischen dem der kleineren Mäusearten und jenem der Ratte seine Stelle findet. Auf ähnlicher Ausbildungsstufe wie bei den Murinen stehen die Episternalia der Soricinen. Bei Grocidura (Cr. leucodon) endet jede Clavicula mit einer besonderen an der Oberfläche abgerundeten und verkalkten, vom Hauptstücke durch eine dünne Knorpellamelle getrenn- ten Flpiphyse, und fügt sich damit an ein conisches, langgestrecktes Knorpelstück (vergl. d. Holzschnitt Fig. i), welches nahe an der Mitte des Vorderrandes des Manubrium sterni durch Bindegewebe festgeheftet ist. Im Innern des Knorpels finde ich auch hier einen Ossificalionskern. Eine Gelenkhöhle habe ich zwischen beiden Theilen nicht unterscheiden können, ebensowenig wie bei Sorex (S. araneus), wo die Episternalia (Taf. IV. Fig. 3. Ep.) überdiess noch kürzer sind als bei der anderen Gattung , und — wenigstens an dem einzigen von mir untersuchten Exemplare — der Verkalkung entbehrten. Ein kurzes Episternale, aussen knorpelig, innen mit einem wahren Knochenkerne, ist auch bei Arctomys (A. Ludoviciana) vorhanden und an einem mir vorgelegenen Skelete deutlich , selbst im trockenen Zustande erkennbar, doch scheint hier ein von den bisher vorgeführten Nagethieren und Insectivoren dadurch abweichendes Verhalten zu be- stehen , dass das Episternale nicht der hinteren Fläche sondern dem seitlichen oberen Rande des sehr breiten Manubrium sterni ansitzt, worüber übrigens noch an Weichpräparaten näheres untersucht wer- den muss. An diese Formen reihen sich wieder Reprä- sentanten der Nagethiere und Insectenfresser, nämlich Hamster und Igel , welche beide bei ansehnlicher Clavicula ein gegen die früher vorgeführten Thiere nur schwach entfaltetes Episternale besitzen. Was zunächst Cricetus angeht, so verbindet sich das verbreiterte Ende der Clavicula mit einem 3-4 Mm. langen Knor- pelstücke durch ein wahres Gelenk. (Vrgl.neben- stehendeFig.3.) DiesesKnorpelslück läuft in ein Ueber die epistpriialeri Skelrttlieile. 183 etwas zugespitztes Ende aus und sitzt mit diesem in einei' an der hinte- ren Fläche des Manubrium sterni befindlichen Vertiefung , so dass von vorn gesehen nur ganz wenig vom Episternale bemerkbar ist. Eine wirk- liche Gelenkverbindung gegen das Sternum hin habe ich auch hier ver- misst, und ebenso Yerknöcherungen oder Verkalkungen des Knorpels, die ich jedoch nicht für sehr wichtig halte, da ihr Vorhandensein wie ihr Feh- len vielleicht nur an die individuellen Altersverhältnisse geknüpft ist. — Keine grösseren Verschiedenheiten als die bisher an den Nagern vorgeführten dürften sich bei den meisten übrigen mit Schlüsselbeinen oder mit Schlüsselbeinrudimenten versehenen Nagern herausstellen, und es ist mir mehr als wahrscheinlich, dass bei allen diesen eine oder die andere Form von Episternalbildung repräsentirt ist. Beim Igel finden sich wiederum Episternalia, die jenen des Ham- sters gleichgestaltet sind. Da sie aber zum vorderen Rande des Sternum treten (Taf. IV. Fig. 7. Ep.), sind sie von vorn her leicht bemerkbar. Sie bestehen, wie jene des Hamsters, aus hyalinem Knorpel, der an einzelnen Stellen eine faserige Grundsubstanz zeigt, und der auch ohne scharfe Grenze in das Perichondrium übergeht. Während l)eim Hamster eine sehr entwickelte Gelenkhöhle gegen die Clavicula zu vorhanden war, vermisse ich eine solche beim Igel, es ist aber dennoch keine völlige Continuität zwischen Clavicula und Episternale, denn der an- sehnliche Ueberzug von Ilyalinknorpel , der das sternale Ende der Cla- vicula bedeckt, besitzt in seinen äusseren Schichten längliche Zellen und geht schliesslich in einer spärlich gekrümmten Fläche in ein Ge- webe über, welches dem Bindegewebe näher steht und auf dieselbe Weise in den Hyalinknorpel des Episternale sich fortsetzt wie er aus jenem des Schlüsselbeines hervorgegangen war. So scheint das Epi- sternale das gelenkkopfartige Ende der Clavicula wie mit einer Pfanne zu umfassen und es besteht zwischen beiden Stücken eine geringe Be- weglichkeit, ohne dass eine wirkliche Gelenkhöhle differenzirt wäre. Es entspricht diese Bildung genau jener, wie sie vorübergehend bei der Entwicklung vieler Gelenke zu beobachten ist, und zeigt in dieser Rücksicht selbst eine höhere Differenzirung als bei den oben erwähnten Insectenfressern bemerkbar war. Von den Nagethieren, deren Claviculae nicht mehr das Sternum erreichen und durch lange seitliche Episternalia sich auszeichnen ohne dass ein mittleres Episternalstück wie bei Coelogenys, Cavia undHystrix vorhanden ist, finde ich dennoch beim Kaninchen eine den eben er- wähnten Verhältnissen entsprechende Bildung. Es fällt hier das soge- nannte Band , welches das vom Sternum sehr entfernte Ende der Cla- vicula mit dem Sternum vereinigt, völlig mit den oben erwähnten 184 C« Gegeubaiir, Einrichtungen zusammen. Beim wilden Kaninchen iinde icii folgende Texturverhällnisse. Das mit einem verkalk len Knorpelüber/Aige ver- sehene, abgerundete Ende der Clavicula fügt sich an einen gegen das Sternum zu sich verjüngenden anscheinend ligamentöscn Strang an, den alle Autoren wie im Allgemeinen l)ei jenen Thieren, die eine nicht das Slernum erreichende Clavicula besitzen, bisher für ein mehr indif- ferentes Gebilde ansahen. Ich finde diesen Strang von sehr zusammen- gesetzter Beschaffenheit. Aussen besteht er aus longitudinal verlaufen- den Bindegeweljsfaserzügen, dann nach innen zu aus reichen Netzen feiner elastischer Fasern, worauf eine Schicht sich schräg durchkreu- zender Fasern kommt, die einen die Form des Stranges besitzenden nur um vieles kleineren Knorpelstreif umschliesst. An seinem oberen dickeren Theile ist deutlich Hyalinknorpel unterscheidbar, sternalwärts geht dieser in ein eigenthümliches weiches Gewebe über, welches, morphologisch wenigstens, vom Knorpel nicht verschieden ist, aber durch seine physikalische Beschaffenheit davon differirt. Die elastischen Fasernetze des Stranges verleihen ihm in hohem Grade Elasticität und es scheint der weiche Theil des Knorpelkernes den Dehnungen folgen und wieder seine frühere Gestalt annehmen zu können. Die gezähmten Kaninchen bieten im Baue ihrer Epislernalia ganz dieselben Verhält- nisse dar, nur dass die Grundsubstanz des Binnenknorpels eine faserige ist; es besteht der Axentheil des sogenannten Schlüsselbein-Ligamentes aus echtem Fascrknorpel. Wenn wir die vorhin , bei anderen Säuge- thieren gesehenen Verhältnisse mit dem Befunde vom Kaninchen ver- gleichen, so wird kein Zweifel bestehen, dass wir es hier mit einer im Grunde ganz gleichen, und durch Modificationen von den anderen For- men entfernten Einrichtung zu thun haben; dass also auch unter schein- baren rudimentären Verhältnissen des Schlüsselbeines Episternalbil- dungen nicht fehlen. Es wird sogar das den lateralen Theil des typi- schen Episternum vorstellende Stück in demselben Grade länger als das eigentliche Schlüsselbein an Länge zurücktritt. Die geschilderten Zustände waren solche , bei denen das Epister- nale, mochte es nur aus Knorpel bestehen, oder theilweise ossificirt sein, ein sofort als eigenthümliches Skeletstück erkennbares Gebilde vor- stellte. Es umfassen jene Zustände gewissermassen die vollständigeren Formen , die mit denen , von den Gürtelthieren und den Monotremen schon längst bekannten , in unmittelbarem Zusammenhange stehen. Vs^enn wir nun von jenen Verhältnissen, unter denen das Episternale beim Hamster, dann beim Igel erscheint, ausgehen, und von dem Zu- sannnenhange dieser Bildung mit der bei Mäusen, bei Didelphys, bei Dasypus sich treffenden Einrichtung des Episternale lebendig überzeugt lieber die episteriialeii Skelettlieile. 185 sind, so wird es uns nicht schwer fallen unter dem morphologischen Begriff des Episternale noch andere minder charakteristische und bis jetzt ebensowenig als die von mir oben angegebenen, in ihrer Bedeu- tung gewürdigte Zustände einzureihen und in ihrem morphologischen Werthe zu verstehen. Wenden wir uns zu anderen mit Schlüsselbeinen versehenen Siiiigelhieren, so finden wir weniger hervortretende Eigenschaften an den epislernalen Bildungen gegeben. Beim Maulwurf (Taf. IV. Fig. 2) fügt sich die breite sternale Endfläche des höchst eigenthümlich gestalteten Schlüsselbeins eben so wenig unmittelbar an das Manubrium slerni , als diess bei den vorer- wähnten Thieren der Fall war. Es besitzt die genannte Fläche eine sattelförmige Krümmung und verbindet sich an ihrem vorderen Drit- Iheile stets nur mittelbar, an den beiden hinteren Drittheilen häufig (Uu'ch eine Gelenkhöhle getrennt, mit einem ansehnlichen, fast ein Drittheil der Länge der Clavicula messenden Knorpelstücke {t^p.), wel- ches dem vorderen seitlichen Rande des Manul)rium sterni angefügt ist. Die Ausdehnung der die Gelenkhohle darstellenden Trennung zwi- schen der Clavicula und dem Knorpelstücke ist nach meinen Beobach- tungen eine variable, untl bei einigen Exemplaren ragte von hinten her nur ein ganz kurzer Spalt ein. Das gesanunte sternale Ende der Cla- vicula ist von einer dünnen Knorpelschicht überkleidet, welche da , wo die Clavicula durch eine Gelenkhöhle von dem vorhin genannten Knor- pelslücke geschieden ist, als Gelenkknorpel der Clavicula erscheint, während sie am vorderen Alischnitte sich zwar direct an das verbin- dende Knorpelstück anschliesst, aber doch durch die verschiedenen Verhältnisse ihres feineren Baues von jenem Knorpel mit ziemlicher Schärfe sich absetzt. Ebenso scharf abgesetzt ist jener Knorpel auch vom Manubrium sterni, dessen betreffende Oberfläche gleichfalls mit einer Knorpelschichte versehen erscheint. Bezüglich des feineren Baues l)esagten Zwischenknorpels bemerke ich, dasserbei geringen Vergrösse- rungen ein eigenthümlich längsstreifiges Aussehen besitzt, fast als ob Faserzüge von der clavicularen Endfläche zur sternalen verliefen. Eine genauere Untersuchung weist nach , dass diese anscheinende Faserung einer eigenthümlichen Stellung der Formelemente des Knorpels ihre Ent- stehung verdankt. Wir finden nämlich dicht an der sternalen Fläche, rundliche, zerstreut stehende KnorpelzeHen , die selten Theilungszu- stände zeigen ; wenig davon entfernt , gegen die Mitte des Knorpels zu bilden die Zellen Längsreihen , anfänglich mehr oval gestaltete , aus .3 — i Zellen bestehende Züge, dann Reihen, die aus einer grösseren Anzahl, 10 — 15 Zellen bestehen, und die eine spindelförmige Gestalt 186 C. fioffenbaur, besitzen. Durch Vergleichung der einzelnen Reihen mit einander ist zu ersehen, dass jede Reihe aus einer Zelle hervorging. Theilungszustände in der Richtung der Längsaxe der Zellenreihen sind äusserst häufig. Die Zwischensubstanz — Grundsubstanz des Knorpels — zeigt eben- falls etwas von Längsstreifung in der vorhin angegebenen Richtung, jedoch sind es wesentlich die geschilderten Zellenreihen, wodurch das streifige Aussehen des Knorpels bedingt wird. Der äussere bindege- webige Ueberzug des Knorpels setzt sich vom Sternum aus unmittelbar in das Periost der Clavicula fort, er schliesst auch die Spalte, die zwi- schen der clavicularen Oberfläche des Knorpels und der Clavicula eine Strecke weit besteht, zur Gelenkhöhle ab. Diese beiden Knorpelstücke besitzen etwas Elasticität; sie sind am vorderen Ende des Manubrium sterni nur wenig von einander entfernt und dieser Raum wird einge- nommen von einem kurzen , lanzettförmigen Knorpelfortsatze (m) , der denselben feineren Rau l)esitzt , wie die grösseren Knorpelstücke. Wie aus obiger Darstellung hervorgeht können diese Knorpelstücke ebenso- wenig der Clavicula zugeschrieben werden, als dem Sternum. Von der Clavicula trennt sie eine scharfe , histiologisch differenzirte Grenze , die sogar an einer Stelle zur Gelenkhöhle wird, und vom Sternum sind sie gleichfalls durch histiologische Differenzirung deutlich verschieden , so dass sie weder als blosse Forlsätze des Sternum , noch als sternale Endigungen der Claviculae anzusehen sind. Sie treten damit ganz in die Reihe der oben beschriebenen intermediären Stücke zwischen Cla- vicula und Sternum, und wenn wir jene als Episternalia anzusprechen ein Recht hatten, so hat diess auch für die genannten Knorpel des Maul- wurfs seine Geltung. Die geringere Selbstständigkeit, die man in der festen Vereinigung mit dem Sternum erblicken könnte, ist kein Hinder- niss für diese Auffassung. Sahen wir doch auch oben beim Igel die Episternalknorpel mit der Clavicula in fast gleich inniger Verbindung und das T förmige Knorpelstück von Didelphys wiederum mit dem Sternum in engerer Verbindung als mit der Clavicula. — Auf einer viel niederen Stufe der Entw icklung , aber dennoch mittelst der vorhin beim Maulwurfe gesehenen Rildungen als noch innerhalb der ganzen Reihe liegend erkennbar sind die homologen Theile bei Sciurus. Untersucht man die Sternoclavicularverbindung von der vorderen Rumpffläche (Taf. IV. Fig. 5. A) , so sind die verbreiterten sternalen Enden der Claviculae (c) anscheinend unmittelbar dem vorderen bei- derseits schräg abfaUenden Rande des Manubr'ium sterni angefügt. Die Untersuchung der inneren Fläche des Manubrium zeigt aber, dass auch hier noch Zwischenstücke vorkommen (Fig. 5 R). Es bedarf nur einiger Präparation der Sternoclavicularverbindung um zu sehen, dass ein nicht Ueber die epistenialen Skelettheile. 187 sehr unbedeutendes Stück von innen her zwischen Sternum und knö- cherner Clavicula eingefügt ist. Es wird dieses Stück durch eine Faser- bandninsse gebildet, die gegen die Vorderfläche sehr wenig mächtig entwickelt ist, weicher als Knorpel und bei genauerer Durchforschung auf Längsschnitten vorwiegend aus Bindegewebe gebildet sich darstellt. Das Sternale Ende der Clavicula ist auch hier überknorpelt und von dem Knorpel entspringen unmittell)ar Faserzüge, welche bis zum Ster- num verfolgt werden können, und an Ursprung wie Ende lockerer, in der Mitte fester sind. Knorpelelemente sind mir keine unterscheidbar geworden, so dass also das ganze intermediäre Stück histiologisch auf einer andern Stufe steht als es bei den übrigen von mir untersuchten Säugethieren gefunden ward. Gleiches Verhalten wie Sciurus weist auch Tamias auf. Wenn man von der geringen Längeausdehnung absieht, so findet man es in näherem Anschlüsse an das bei den Carni- voren fMeles, Lutra, Mustela, Felis, Hyaena) vorkommende Verhalten. Bei diesen repräsentirt ein von der Clavicula ausgehendes meist an- sehnlich langes Band das Episternale, welches man da wohl auch wegen der gleichen Verlündungsweise der Clavicula mit Scapula , wie wegen mangelnder genauerer Untersuchungen als einen bloss der Clavicula angehörigen Theil , als ein durch die reducirte Clavicula entstandenes Gebilde ansah. Ist nun auch die langgestreckte Form und die rein ligamentöse Beschaffenheit des Episternale allerdings ein weit auf dem Wege der Rückbildung begriffener Zustand , so wird dadurch die Be- deutung der Theile doch nicht beeinträchtigt , und es bleibt das Band ebensogut Episternale als das dünnere, auch nur durch ein Band ans Acromion gefügte Knochenstückchon, Clavicula bleibt'). Es ist anzunehmen, dass auch in anderen Ordnungen Clavicula und Episternale auf eine ähnliche Weise Rückbildungen eingehn. Für die Edentaten mag Myrmecophaga didactyla und Chlainydophorus truncatus'^) diesen Zustand repräsentiren. Bei ersteren ist das Episternalslück zwar noch straff und von nicht sehr bedeutender Länge, allein festere Theile scheinen darin nicht vorhanden zu sein. Bei den fliegenden Säugethieren habe ich längere Zeit vergeblich nach dem mir bereits bei vielen anderen Säugethieren bekannten Theile des Brustgürtels gesucht, und kam bei dem Mangel dieses Theiles auf die Meinung, als könnte sich hier eine engere Verbindung des Epister- -J) Nachdem mir von den niil rudimentärer Clavicula versehenen Nagethieren her bekannt ist, dass der ligamentöse Verbindungsstrang Knorpelelemente enthal- ten kann, scheint mir die Erwartung, dass in dem Episternal-Ligamente der Car- nivoren gleichfalls Knorpel sich linden mochte, nicht ungerechtfertigt. 2) Vergl. hinsichtlich Chlamydophorus Hyrtl. 1. cit. 188 C. Gi'ocubaur, naie mit dem Sternum cins^eleitet haben, so dass das bekanntlich durch seine Breite ausgezeichnete Manubrium durch jene mit dem Sternum vereinigten Tiieile entstanden sei'). Das endliche Auffinden eines un- zweifelhaft in die Reihe der Episternalia gehörigen Gebildes hat jene ohnehin der positiven Begründung entliehrende Vermuthung unter- drückt. Untersucht man dasSternoclaviculargelenk eines Chiroptern von der Vorderfläche her, so findet man die ansehnliche Clavicula bis an die Seite des Manul>rium sterni veilaufen , und ül)erknorpelt einer gleichfalls überknorpelten Flächq am Manubrium eingepasst. Ein Zwi- schenstück fehlt durchaus , und somit erscheint die so verbreitete Ske- letbildung gerade hier mit dem Vorhandensein eines mächtigen Schlüs- selbeins verschwunden zu sein. Bei der Untersuchung der Sternocla- vicularverbindung von der Innenfläche her lieobachtet man aber, dass nicht die ganze Endfläche der Clavicula zur Gelenkbildung verwendet wird, sondern der hintere untere Theil derselben einem conischen Bande den Ursprung giel)t, welches am Sternum sich befestigt. Das Band liegt zum Theil im Kapsell)ande, bildet einen Verstärkungsap- parat dessellien, entspringt al)er, wie ausdrücklich bemerkt sei, von der überknorpelten Endfläche des Schlüsselbeins. Dadurch liegt das Band in der unmittelbaren Fortsetzung der Clavicula, und bietet, wenn wir von dem bei vergleichenden Beurtheilungen ohnehin bedeutungs- losen oder ganz secundären Volumsverhältnissen absehen , genau die- selben Verhältnisse wie in den Fällen ligamentöser Episternalia. Auch bei Pteropus ist ein ähnliches Verhalten gegelien. hl einer viel geringeren Rückluldung trifft sich das Episternale der Quadrumanen und des Menschen. Nach den bisher vorgelegten Fällen wird kein Zweifel bestehen, in dem zwischen Sternum und Cla- vicula eingeschalteten Knorpelstücke das Aequivalent eines paarigen Episternale zu erblicken. Bei Cercopithec us (C. ruber) finde ich bei allgemeiner Uebereinstinnnung des Sternoclaviculargelenkes mit dem des Menschen , den Zwischenknorpel hinten um vieles stärker als beim Menschen , so dass er von innen her gesehen viel leichter als ein selbstständiges Stück in die Augen fällt , die Gelenkhöhle ist wie beim Menschen durch den in sie eingefügten Knorpel eine zweikammige. Zur leichteren Auffassung und vergleichenden Beurtheilung der beim 1) Die Untersuchung von Flederniaus-Embryen zeigte mir eine Trennung des Manubrium sterni vom Körper des Brustbeins, und zwar genau an der Anfügestelle der ersten Rippe. Bei Rhinolophus habe ich am erwachsenen Thiere nichts hieher bezügliches wahrgenommen ; Vespertilio Daubentoni dagegen ist mit einem ausge- zeichneteren Gelenke verselien , an weichem sich von beiden Seiten her sogar die erste Rippe betheiligt. lieber die epistenuilen Skelettlieile. 189 Menschen gegel)enen Einrichtung habe ich das Sternoclaviculargelenk auf Taf. IV in Fig. 1 , auf einem etwas schrägen Fronlaischnitte dargestellt. Sowohl durch seine allgemeinen Beziehungen , seine Einfügung zwi- schen Clavicula und Sternum , als auch durch seine unmittelbare Yer- l)indung mit dem Sternalende der Clavicula, und mit dem Manubrium sterni, stellt sich dieser Zwischenknorpel sowohl bei den Affen als beim Menschen als ein bestimmter Zustand des Episternale heraus , das, viel geringer als bei den Chiroplern rückgebildet, als ein distincter Skelet- theil erscheint. Die Episternalia sind somit Einrichtungen des Schulter- gürtels, die nur mit dem Fehlen des Schlüsselbeins gänzlich schwin- den, mit dem Bestehen einer Clavicula häutig sogar als sehr ansehnliche Gebilde immer noch nachweisbar sind. Wenn wir in dem Zwischenknorpel des Sternoclaviculargelenks die Episternalia sehen, so folgt daraus dass die von verschiedenen Autoren, in neuerer Zeit von Luschka i) wieder vom Menschen beschriebenen ziem- lich seltenen »Ossa suprasternalia« aas unmittelbarer Beziehung zu den typischen Episternalien der Gürtelthiere u. s.w. treten müssen. Die Yer- gleichung jener vor dem Manubrium sterni gelegenen Ossificationen mit den Episternalien der Gürtelthiere ist unstatthaft, sobald wir wissen, dass jenes Skeletstück und zwar in regelmässigem Yoi'kommen schon einmal vorliegt, dass eben die Zwischenknorpel jenen paarigen Episternalien ent- sprechen. Dennoch aber möchte ich jene Ossa suprasternalia nicht sofort für zufällig auftretende Seltenheiten erklären, denn es giebt noch eine Möglichkeit zu erwägen nach welcher jene Gebilde zwar nicht mit den mehr verbreiteten paarigen, aber doch mit dem unpaaren nur in weni- gen Säugethier-Ordnungen sich forterhaltenden Theile des ursprüng- lichen Episternale in genetischem Zusanunenhange stehen können. Dass eine Theilung des ursprünglich einfachen, aus einem mittleren und zwei seitlichen Stücken bestehenden Episternale auftreten kann, ist bei Coelogenys gezeigt worden. Danach ist es höchst wahrscheinlich, dass alle paarigen Episternalia nicht dem ganzen , sondern nur den Seiten- theilen des ursprünglichen entsprechen , dass man sich also in jenen Fällen nicht eine Theilung des gemeinsamen Mittelstückes zu denken hat, sondern vielmehr eine allmähliche zum Verschw inden führende Rückbil- dung desselben, indess die paarigen Seitenstücke fortbestehen. Reste des mit dem Sternum vereinigten Mittelstückes sind aber beim Maulwurfe nachgewiesen worden (Fig. 2 m). Solche vor dem Manubrium sterni und nothwendigerweise zwischen den echten paarigen Episternalien gelagerte Reste des Mittelstückes können als knorpelige oder knöcherne 1) Zeitschrift f. wisscnschaftl. Zoologie. Bit. IV. S. 36. Band I. 2. 1 90 C- {ieociibiiur, Gebilde in einzelnen Füllen vorkonuuend, y.u den «Ossa suprasternalia« führen*). Die letzteren wären also nach meiner Meinnnp abnorm auf- tretende Rudimente eines mittleren Ei)isternale, durch welche, wie auch so häufig bei vielen anderen Theilen , an niedere Organisalions- zustände erinnert wird. Nachdem ich das thatsächliche Verhalten der Episternalia bei einem freilich nicht sehr grossen aber leider nicht weiter ausdehnliaren Kreise von Säugethieren nachgewiesen , erübrigt noch auf die allgemeinen Uebereinslimmungen und Verschiedenheiten der Episternalia einen Blick zuwerfen, und damit die Beziehungen dieser mannichfachen Ge- bilde zu einander und zu jenen andei'er Wirbelthierclassen zu erfor- schen. Wir müssen hier von den bei den Reptilien gegebenen Verhält- nissen ausgehen. Bei den Eidechsen erscheint das Episternale bekannt- lich als T oder kreuzförmiges Knochenstück, dessen mittlerer Theil dem eigentlichen Sternum eine Strecke weit aufliegt. Bei den Grocodilen fehlen die Queräste und es entspricht so das Episternale, abgesehen von seiner gleichwie bei den Eidechsen stattfindenden Anlagerung längs des Sternum, mehr dem vordersten Sternalstücke der Robben oder auch dem Mittelstücke bei Coelogenys, Cavia , das sich ähnlich wie bei den Pinnipedien verhält. Bei den Monotremen ist wieder, wie bei den Eidechsen, eine Querastbildung im Einklänge und in Verbindung mit dem Vorhandensein von Schlüsselbeinen gegeben. Diese Einrich- tung wiederholt sich nach den ol)en gemachten Mittheilungen in mehr rudimentärer Form , nämlich im knorpeligen Zustande verharrend bei den Beutelratten, und läuft bei den übrigen mit Schlüsselbeinen ausge- statteten Säugethieren durch verschiedene Bildungszustände hindurch. Die Schlüsselbeine legen sich schon bei den genannten Beutelthieren nicht mehr der Länge nach auf die Queräste des Tförmigen Stückes, sondern verbinden sich mit den Fanden derselben und diess wird fortan für alle übrigen Säugethiere das regelmässige Verhalten. Ein unpaarer mittlerer Theil des Episternale kommt ausser bei Coelogenys und Cavia nicht weiter vor, denn das bei Dasypus novemcinclus sich treffende Bestehen zweier mit einander verschmolzener Knochenstücke am vorderen Rande 1) Wenn diese aucli paarig auftreten, so getit daraus nocli keineswegs liervor, dass sie damit den paarigen Tlieilen ontsprecJien müssen. Die Entwiciveiungsge- schiclite des Sternum leiirt uns, dass aucii in unpaaren Knorpeln paarige Knoclien- kerne auftreten, und versclunelzend zur Bildung von unpaaren Knoctienstücken führen. Nelimen wir nocli tiinzu, dass das erste Auftreten des unpaaren Epister- nalstückes , und da wo es ossificirt ist, der Modus seiner Verknöctierung, völlig unliekannt sind , so wird einleuchten , dass aus dem paarigen Vorkomn\en der Suprasternalknochen kein Grund gegen ilire Cdeichljedeutung mit einem sonst un- paaren Stücke abgeii'ilet werden kann. Ucbcr die opistonialcii Skelcltlieik'. 191 {]os Manul)riuin , scheint mir nicht mit Bestimmtheit dem unpaarigen Abschnitte des Episternale zugerechnet werden zu dürfen, viehnehr nur einem paarigen zu entsprechen. Bei anderen Arten, so bei Dasypus se\cinctus , ist schon die Trennung der paarigen Stücke noch ecla- tanter. Es wird daselbst der dem Sternum angefügte knöcherne Theil des Episternale durch eine längere Bandmasse mit der Glavicula ver- einigt. Daran schliesst sich das bei der Ratte und anderen beschriebene Verhalten, wo gleichfalls der Episternalknoclien mit der Clavicula iiga- mentös vereinigt ist; aber die Verljindung mit dem Sternum ist eine lockere und bleibt es bei den Nagethieren, wie bei den Insectenfressern. In diesen Ordnungen ergeben sich zwei Parallelreihen. Wir sehen bei Sorex, wie bei Mus minutus und musculus Knochenkerne im knorpeli- gen E])isternale, beim Igel wie beim Hamster das Episternale nur knorpelig bleibend , bei beiden mit der Clavicula articulirend. Endlich eine Reduction der Masse bei Sciurus und zugleich den Mangel von Gelenkhöhlen , ebenso wie beim Maulwurf nur eine theilweise Gelenk- höhlenbildung am clavicularen Ende des Episternale vorhanden war. Die Einrichtung bei den Affen und beim Menschen stellt sich zwischen diese verschiedenen Formen; durch die Reduction des Volumens reiht sich das Episternale an das von Sciurus an , durch die Gelenkhöhlen- hihlungen an die der anderen Nagethiere. Das Episternale tritt also nach dem Vorgetragenen in dreierlei Zustän- den auf. Wenn wir den einen Zustand in welchem es ein miltlei-es mit zwei seitlichen Querästen versehenes Skeletstück darstellt, das sich dem Sternum verbindet, als den vollkommneren (weil noch am wenigsten verändert, in unmittelbarem Anschlüsse an niedere Wirbelthiere ste- hend) betrachten , so repräsentiren die beiden anderen die unvoll- kommnere, veränderte, in gewissen Beziehungen rückgebildete Form. Die erstere voUkommnere kann als Grundform gelten, sie charakterisirl das Skelet der Eidechsen. Weiter zurück greift sie, soviel wie mir be- kannt, nicht. Bei den Monotremen und Beulelratten (wie weit bei den übrigen Marsupialien müssen neue Untersuchungen der Skelete dieser Thiere lehren) besteht diese Grundform noch ; bei den Beutelratten bleibt aber das ganze Gebilde knorpelig. Auch unter den Nagethieren hat diese Form noch bei Coelogenys und Cavia Repräsentanten , doch sind hier die Seitenstücke schon vom Mittelstücke getrennt. Die ^.wcite Form zeichnet sich dm^h das alleinige Vorkommen des Mittelslückes aus. Das besitzen die Frösche, dann Crocodile; unter den Säugethieren die Pinnipedien. Es findet sich also in solchen Fällen noch vor, in denen die Schlüsselbeine fehlen. Die dritte Form endlich wird durch das Fehlen des Mittelstücks 13 + 192 C- Gegeiibiiiir, und das Bestehen der beiden Seilenstücke charakterisirt. Dadurch scheint die ganze Einrichtung vom Vorhandensein der Schlüsselbeine abhängig, und erscheint gleich beim ersten Auftreten, bei noch gar nicht oder gering modificirten Verhältnissen , als ein Verbindungsglied zwischen Sternum und Clavicula. Dieses Verbindungsglied kann ent- weder durch ein ossificirendes Knorpelstück dargestellt sein (z. B. Mus, Sorex) , oder durch einen Knochen der sich mittelst Bandmasse der Clavicula verbindet (z. B. Gürtellhiere) , oder durch ein blosses Knor- pelstück, oder endlich durch ein Ligament. Der das Episternale, oder eigentlich das paarige Seitenstück desselben repräsentirende Knorpel ist entweder in eine längere Bandmasse eingeschlossen (Lepus) oder er fügt sich der Clavicula unmittelbar (Erinaceus) oder mittelst einer Ge- lenkhöhle (Cricetus) an, und ist in beiden Fällen mit dem Sternum nur locker verbunden , oder er verbindet sich direct mit Clavicula wie mit dem Sternum (Talpa) , oder er w ird sowohl gegen das Schlüsselbein wie gegen das Brustbein zu, zum grossen Theile durch eine Gelenk- höhle abgegrenzt (Affe, Mensch) . Ist nur Bandmasse vorhanden, so geht diese entweder von der ganzen Sternal-Endfläche der Clavicula aus, bald (wie bei den mit Schlüsselbeinen versehenen Carnivoren , dann Myrmecophaga didactyla) ein längeres, bald (wie bei Sciurus) ein kür- zeres Stück vorstellend , oder sie geht nur von einem beschränkten Theile der Endfläche aus, und gestattet dadurch dem übrigen gi-össeren die unmittelbare Articulation mit dem Brustbeine (Volitantia). Aus den verschiedenen Grösse-, Form- und Texturverhältnissen der Episternalia innerhalb einzelner Säugethier-Ordnungen ergiebt sich ausser der Allgemeinheit der Verbreitung jenes Skelettheiles, dass er innerhalb jeder Ordnung eine Beihe von Modificationen aufweisen kann, die, so sehr sie auch beträchtlich sein können, doch nicht verhindern in den Episternalbildungen etwas allen Unguiculata Gemeinsames zu erkennen. Bei der Untersuchung des vorderen Slernalabschnittes einiger der vorhin aufgeführten Thiere halie ich noch ein anderes eigenthümliches Verhalten wahrgenommen , dessen hier kurz gedacht werden soll. Bei Mäusen, besonders sehr deutlich bei Mus musculus (Vergl. den Holz- schnitt Fig. 2 auf S. 179 und Taf. IV. Fig. 9 c.) , findet sich an der seit- lichen Verbreiterung des vordersten Abschnittes des Sternum ein oval gestalteter Knorpel mit der hinteren Fläche des Sternum verbunden, so dass er bei der Untersuchung von vorn nur zur Hälfte sichtbar ist. Es ist dieses Stück an seinem ganzen Umfange bis an die Anfügesteile am Sternum scharf abgegrenzt ; die letztere Stelle liegt jederseits genau Uober die episteniiilPii Skelettheilo. 193 in der Mitte zwischen dem Episternnlknorpel und der ersten Rippe. Selion bei einer oberflächlichen Betrachtung scheint es als ob hier ein eigenes selbstständiges Skelelstück gegeben sei, und meine erste Ver- muthung beim Auffinden dieses Stückes musste sich sofort dahin wen- den, in dem Knorpelstückchen das Rudiment des unter den Säugethieren nur bei den Monotremen bis zum Sternum ausgebildeten, sonst bloss in einem scapularen Reste (Processus coracoides) vorhandenen zweiten oder hinteren Schlüsselbeines zu sehen. Die Erforschung der Verbin- dungsweise dieses Knorpels mit dem Sternum verminderte die Sicher- heit jener Vermuthung , denn es zeigte sich auf Querschnitten , dass nicht bloss eine Anfügung, sondern ein viel innigerer Zusannnenhang stattfindet. Bei alledem ist der Umstand, dass dieser scharf abgegrenzte , von der Fläche sich erhebende, nicht etwa als eine blosse Verlängerung des Querastes des Manubrium slerni erscheinende Knorpel mit g^-osser Beständigkeit vorkommt und auch nicht vom Sternum aus, sondern mi t einem selbstständigen Knochenkerne ossificirt, von eini- gem Belang für die morphologische Bedeutung, wenn es auch nicht mit Bestimmtheit hingestellt werden darf, in ihm das sternale Rudiment eines Coracoideum zu sehen, so wird doch Niemand die Wahrschein- lichkeit einer solchen Deutung bezweifeln können. Ich werde in dieser finde ich nämlich ein ganz ähnliches Verhalten. Das sehr in die Quere gezogene vordere Ende des Sternum l)esitzt in der Mitte seines Vorder- randes eine höckerförmige Vorragung , hinter w clcher die Anfügung der beiden Episternalia zu Stande kommt. Der ganze seitliche Vorder- rand des Manubrium Storni, nach aussen v on jenem Höcker, wird jederseits von einer Knorpelplatte (Verglei- che nebenstehenden Holzschnitt Fig. 4) ein- genommen, die eine rautenförmige Gestalt besitzt, wenn man sich die vordere äussere Ecke der Raute abgerundet denkt. Die beiden Knorpelplatten, schieben sich noch etwas vor die Anfügung der Episternalia ; ihre Ausdehnung in die Quere ist doppelt so gross, als die in Höhe. Die Verbindung mit dem Manubrium sterni I 91 r. (.'('üoubani'. ist iiifhl so innig, wie jene des l)ei den Mäusen beschriebenen Knorpel- slückehens, viehiiehr zeigt sich zwischen beiden eine l)indegewel)ige Schicht als Grenze , so dass die Knorpel vollkommenen Anspruch haben als selbstständige Bildungen betrachtet zu werden. Ihre Verknöcherung, die nur in einer partiellen Knorpelverkalkung besteht, ist el)enfalls vom Sternum unabhängig, zeigt sich mehr in den oberflächlichen Schichten, sowohl an der hinteren als vorderen Fläche, zuweilen an 2-3 verschie- denen Stollen. Auch bei Sorex sind jene Platten vorhanden, allein in viel \A eniger deutlicher Abgrenzung (Taf. IV. Fig. 3 ) , so dass ich zur Nachprüfung dieser Gebilde nur auf Crocidura verweisen möchte Da wir diese Gebilde, wie vorhin erklärt, nicht zum Sternum selbst rechnen dürfen, da sie ferner auch nicht als Episternalia, die ja bereits früher als vorhanden und mit den vorderen Schlüsselbeinen verbunden nachgewiesen worden sind, da sie ferner, als paarige und laterale Ge- bilde auch nicht auf das sonst hier fehlende Mittelstück des Episternale bezogen werden dürfen , so bleibt nichts anderes übrig , als in ihnen die rudimentären sternalen Enden eines zweiten Schlüsselbeinpaares, des sogenannten Coracoideum zu sehen. Die Anfügesteile am Sternum entspricht völlig dieser Anschauung. Der Befund bei Crocidura scheint mir auch massgel^end für die Beurtheilung der bei den Mäusen 1)0- schriebenen Verhältnisse und wenn diese dort auch etwas verschieden sind, so müssen wir uns erinnern, dass wir es mit zwei, sehr verschie- denen Ordnungen angehörigen Thieren zu thun haben. Vielleicht ist es späteren Untersuchungen vorbehalten, das Vorkommen solcher Ske- letreste , die uns deutlich auf niedere Formzustände hinweisen , in grösserem Maassstal)e kennen zu lehren und durch Auffinden deut- licher Uebergangsformen das bis zur Gewissheit zu fördern, was durch die von mir angestellten Beobachtungen als nur im hohen Grade wahr- scheinlich sich herausstellt. Ucber die ppistoriiiileii Skclcttlioile. 195 Tafel IV. Fi^. t. Senkrechloi' Schnitt durch ilas Sterno-claviculargcleiiiv des Menschen. nat. Gr. S. Synovialfalte in der oberen Gelenkkammer, o. Verbindungsstelle des Zwischenknorpels mit der Endfläche der Clavicula. Klp. 2. Sterno-claviculargelenk des Maulwurfs mit senkrechtem Durchschnitte. Fig. 3 — 7. stellt das vordere Sternalende mit dem Episternalapparat, den Schlüssel- beinen und der ersten Rippe dar. Fig. 3. von Sorex pygmaeus. Fig. 4. — Coelogenys paca. Fig. 5. — Sciurus vulgaris A \on aussen, ß \on innen. Fig. 6. — llypudaeus glareolus, von innen. Fig. 7. — Erinaceus europaeus, senkrechter Durchscluiill. Fig. 8. Senkrechter Längsschnitt durch das Sternuicnde der (^hnicula und das Episternalc von Mus decumaiuis. Fig. 9. Rechte Hälfte des vorderen Stcrnalendes mit Episteriiale von Mus musculus. juv. Von innen. Für alle Figg. gültige Bezeichnung : St. Sternum. Ep. Episternale, seitliches Stück. m. Mittelstück des Episternale. ci erstes Sternocostalstück. C' zweites ,, ,, ,, c Clavicula. X. Rudiment eines zweiten Schlüsselbeines. Zur Casiiistik der lliriikraiiklieitcn. Von C. Gerhardt. 2. Capillarektasie im PonsVaroli. Seit den ersten Piiblicationen Duchenne's über eine neue durch fortschreitende Paralyse der Zunge , der Lippen und des weichen Gau- mens charakterisirle Krankheit ist weder das Bild dieses Leidens noch unsere Kenntniss über dessen anatomische Begründung und Therapie wesentlich gefördert worden^). Damals (1860) standen demselben 15, 1861 bereits 19 Fälle zur Verfügung, hiezu sind dann noch weitere von MousTARDiER, Empis, MÜLLER iu Kopenhagen und Tommasi in Neapel hinzugekommen. In allen begann die Lähmung an der Zunge, setzte sich dann auf den Gaumen und endlich auf die Lippen fort , bedingt erschwertes Schlingen, Ansammlung zähen Speichels in der Mundhöhle, erschwerte Aussprache der Consonanten, besonders m und p, Unfähig- keit zu blasen , zu pfeifen , endlich auch Ausbleiben mancher (i) oder aller Vocale, und endet nach y« — 3 Jahren mit dem qualvollen Tode durch Inanition oder SufTocation. Duchenne'^) bereits hat geglaubt für einzelne Fälle Stimmbandlähmung mit annehmen zu dürfen, ich habe dieselbe in einem •^j laryngoskopisch nachgewiesen. Die elektrische Contractilität war stets erhalten, oder doch wenig vermindert, in man- chen Fällen , so in dem MousTARDum's , in einem Duchenne's und in dem meinen traten andere Lähmungen hinzu. Nur Eine Leichenöffnung konnte bis jetzt zur Lösung der wichtigen Frage verwerthet werden, ob das Leiden ein peripheres oder centrales sei, diese stammte von dem Entdecker der Krankheit selbst und ergab alle Theile des Gehirnes \) Wenn man überhaupt glaultt— wie noiiordings Trousseau — eine Nerven- atTection als Duchenne'scIic Krankheit bezeichnen zu müssen, so würde sich diese weit eher dazu eignen, als die auch unter dem modernen Namen »Atavie locomo- trice progressive« bekannte Tabes dorsuaiis Romberg's. 2) De l'electrisation localisee etc. Par. 1861. p. 633. 3) ViRCHOw's Archiv Bd. XXVII. p. 316. Zur CrtSiiistik der HinikvanklioilPii, 197 wohlerhalten, nur die Arterien an der Basis atheromatös entartet^), es bestätigte somit die gleich in der ersten Publication über diesen Gegen- stand ausgesprochene Ansicht, dass dieselbe ein peripheres Muskel- oder Nervenleiden sei in negativer Weise, ohne einen directen Anhalts- punct dafür zu liefern. Dem entgegen hatte bereits bei seinem ersten Referate über diesen Gegenstand in Schmidt's Jahrbüchern Dr. Bär- wi.\kel2) aus der erhaltenen elektrischen Contractilität auf eine centrale Erkrankung geschlossen und dieselbe aus theoretischen Gründen in der MeduUa oblongata, speciell in den Oliven geglaubt suchen zu müssen. Ich selbst hatte für meinen Fall als ich denselben an dem angeführten Orte zu ganz anderen Zwecken veröffentlichte »fast mit Sicherheit die Diagnose einer sehr beschränkten Erkrankung am Pons« gestellt. Als tlerselbe kürzlich nach fast zweijährigem Leiden, wie man hier in ^ oller Wahrheit sagen kann, durch den Tod erlöst wurde, ergriff" ich begierig die Gelegenheit nach der anatomischen Ursache des Leidens zu suchen. Da diese Beobachtung jetzt durch das Hinzukommen des Sectionsbe- fundes eine wesentlich andere Bedeutung erhält, so darf ich wohl aus (Um- Krankengeschichte wiederholen : Ein 63 jähriger Bauer, frülier vorüliergehend an Oedemen und Blutharnen leidend, erlitt im Juli 61 eine Kopfverletzung, bemerkt im December 61 erschwertes Sprechen, wird im Frühjahr 62 völlig sprachlos, kann bereits im Mai desselben Jahres die Zunge nur mehr wenig seitlich bewegen, weder erheben noch vorstrecken , schliesst zwar die Zähne und Lippen , vermag aber \N eder zu pfeifen , zu blasen noch zu husten. L^üinumg der Slinnn- l);inder, des Kehldeckels nur ein l)rüllender Laut wie ae möglich, dabei Gesicht, Gehörete, sowie die intellecluellen Fähigkeiten völlig erhallen. Im November 62 war die Lähnumg der Zunge, der Lippen und des weichen Gaumens noch vollständiger geworden, übrigens nach voraus- gegangenen Ilinterhauptsschmerzen rechtsseitige Extremitälenlähmung in unvollständiger W^eise hinzugetreten. Von da an befand sich der Kranke ausser Behandlung in seiner Behausung, die rechtsseitige Elxtre- niitätenlähmung blieb unvollständig, er trank, ass und schrieb links, schleifte den rechten Fuss nach, magerte ab, wurde endlich zu matt um zu gehen, hatte öfter Erstickungsanfälle und starb endlich am 9. Decl)r. 63 nach vorausgegangenem 3tägigem Sopor. Die Section am I L früh 8 Uhr ergab: Die harte Hirnhaut am Schädeldache adhärent, an ihrer Innenseite mit einer sehr dünnen, eben nachweisbaren, äusserst gefässreichen, zarten Pseudomembran ausgekleidet, im Sichel- blulleiter vorn faserstoffige , hinten lockere Cruor-Gerinnsel angehäuft. 1) Schmidt's Jahrb. CX. p. 29Ö. 2) ibid. CX. p. 2 96. 198 C. Gpi'liardt, li(>fo Furchen ; stark gcfülllc Venen , leichtes Oedeni der Pia an der Oberfläche der Hemisphären. Weiche Hirnhäute an der unteren Seite des Kleinhirns und der Medulla weisslich trübe und etwas schwer trennbar, Gefässe ohne Veränderung, N. abducens rechts, facialis, acusticus, vagus und hypoglossus rechts etwas schmäler und dünner als links. Unterer vorderer Theil des Kleinhirns links etwas weicher und von gallertartigem Ausselien (frische Erweichung). Grosshirn-Substanz blutarm und ödematös, Seitenventrikel weit, Corpus callosum und Fornix weiss erweicht, die ganze linke Hälfte der Medulla oblon- gata, besonders die Pyramide etwas schmäler als rechts , aber auf dem Durchschnitte ohne makroskopische Veränderung. Dagegen auf dem Querschnitte des obersten Theiles des Rückenmarkes die Zeichnung der grauen Substanz undeutlich , rechts vorn ein circa 2'" breiter einge- sunkener Erweichungsheerd, auf der ganzen hinteren Hälfte des Quer- schnittes die Zeichnung der grauen Substanz verwaschen, diffuse grau- röthliche Färbung der Hinter- und Seitenstränge. Im Pons Varoli YoCm. von seinem hinteren Rande, 1 Cm. von seinem vorderen entfernt eine erbsengrosse, et^^ as weichere, braunviolett gefärl)te Stelle, an der blaurothe Geüisszüge und Puncto erkennbar waren. Die mikroskopi- sche Untersuchung die- ser Stelle ergab, wie Hr. Hofr. Gegenbaur, dem ich beistehende Zeichnung verdanke, bestätigte ver- hältnissmässig wenige erhaltene Nervenfasern, viele Myelin - Formen, einzelne Hämatoidinkry- stalle und als auffällig- sten Befund eine Masse theils spindelförmig-, theils ampullär-erwei- terter Capillaren. Als solche konnten sie wegen der Abwesenheit jeder Spur von Muskelfasern und Kernen, mit Sicher- heil angesprochen wer- den. Sie waren von einer verdickten Bindege- Zur fasuistik der Hinikriuikli('it(Mi. 199 Wehsschicht uniizobcn, tlie sich dciUhch an manchon Stellen von ihrer Membran getrennt hatte. Die stäikeren Ektasieen boten eine oberfläch- liciie Aehnlichkeit dar mit Malpighi'scheu Körpern der Niere. (Der Krankheitsheerd ging unmerklich in die gesunde Umgebung über.) Die gelähmten Muskeln waren gut gefärbt und ernährt, nur an der Zunge links etwas blasser als rechts. Dass die gefundene Pachymeningitis interna leichtesten Grades, die Ibrnalrophie, clas Oedem der Pia und des Hirnes als gleichgültige Altersveränderungen völlig ausser Rechnung gelassen werden können, leuchtet wohl beim ersten Blick ein , ebenso dass die weisse Erweichung des Fornix und jene des linken Kleinhirns günstigen Falles kurz vor dem Tode, vielleicht erst nach demselben entstanden. Gegenstand weiterer Besprechung können daher nur die Veränderungen im Pons und im obersten Theile des Rückenmarkes werden. Von diesen war die Iclztero aller Wahrscheinlichkeit nach die Ursache der rechtsseitigen Extremitäteniähmung, somit die spiUer entstandene; als wahre Ursache der Lippen-, Zungen- und Gaumen-Lähnumg bleibt nur der ektatische Heerd im Pons und es stellt sich auf diese Weise eine äusserst voll- ständige Uebereinstimnmng dar zwischen der früher schon ausgespro- chenen Diagnose und dem wesentlichen Befunde. Diese Diagnose stützte sich ausschliesslich auf das Verhalten des Facialnerven, da dessen Ver- iaufsverhältnisse mir unter jenen der zahlreichen hier betheiligten Hirn- nerven die l)estgekannten zu sein scheinen d. h. diejenigen für die die meisten klinischen Beobachtungen in Uebereinstimnmng mit den i>h\,- siülogischen Experimenten gebracht sind. Die sonst nicht seltenen Dilfercnzen zwischen experimenteller Ilirn- physiologie und klinischer Beobachtung fallen hinweg, wo es sich um die Kreuzung des T.Paares handelt, die Arbeiten von Sth^lixg, Vulpiax und Philippe.vix, Gibler und Brown-Sequard bezeichnen übereinstim- mend eine Stelle des Pons nahe dem Boden des 4. Ventrikel 4 Mm. von dessen hinterem Rande entfernt als diesen Kreuzungspunct. In der Nähe dieses, sodass noch ein symmetrischer Theil der Fasern beider Seiten getroffen wurde, musstc in unserem Falle der Krankheitsheerd liegen. Er nuisste sehr beschränkt sein, da lange alle Zeichen von Hirndruck, Hydrocephalie , Sehstörung, Abnahme der geistigen Fähig- keilen etc. fehlten. Der occipitale Kopfschmerz stimmte mit dieser An- nahme zusammen und die halbseitige Extremitätenlähmung widersprach wenigstens sicher nicht. Die Leitungshemnmng des N. hypoglossus und der Gaumenäste konnte möglicherweise gleichfalls hier, vielleicht auch in benachbarten Krankheitsheerden in den Oliven stattfinden. — Die Bedeutung dieser Beobachtung darf natürlich nicht soweit generalisirt 200 ^' fierliardt, werden , dass sofort für alle Fälle der eigenlhümlichen Lähmunsisfonn Duchenne's Gefässerweiteriing im Pens als Ursache betrachtet wird, aber sie zeigt, dass solche beschränkte Krankheitsheerde der Brücke diese Lähmungsform allerdings bewirken können und sie spricht mit Ent- schiedenheit für die Auffassuno; jener Lähmung als Ilirnkrankheit. Ich behandle jetzt einen zweiten Fall dieser Krankheit, bei einer Rjährigen Dame seit 3 Jahren ohne jede Veranlassung entwickelt. Die elektrische Gontractilität, hier genauer als in dem vorigen Falle unter- sucht, ist völlig erhalten, die Zeichen der Lähmung die gewöhnlichen, die Sprache fast unverständlich, das Schlingen aber noch wenig er- schwert, dem entsprechend häufiges Bedürfniss zu schlucken, aber noch kein Ueberfliessen von Speichel, der bereits eine sehr zähe Beschaffen- heit hat. Häufig Occipi talschm erz. Ich erwähne diesen Fall einer therapeutischen Beobachtung halber, die auch von physiologischem Interesse ist. Nach vielen vergeblichen Versuchen gelang es die Sprache auf einige Minuten versländlich zu machen, indem ein constanter Strom von 22 Elementen von der Seiten- fläche des Halses zum weichen Gaumen geleitet wurde. Dieser Versuch war jedesmal dann erfolgreich, wenn die Pupille sich dabei crw eitert hatte. Vergleichende Versuche ergaben später, dass auch bei Gesunden vom Halssympathicus aus Pupillenerweiterung sowohl mittelst des con- stanten als des unterbrochenen Stromes bewirkt werden kann. Man setzt zu diesem Zwecke die negative Elektrode zwischen Unlerkiefer- w inkel und Sternocleidomastoideus , die andere an den Gaumenbogen derselben Seite und sucht beide durch leichten Druck einander zu nähern. Wie entsteht jene Heilwirkung der elektrischen Reizung des Hals- sympathicus? Liegt auch in diesem Falle der Krankheit Capillarektasie im Pens zu Grunde, so ist die Erklärung sehr naheliegend. Der Versuch Bernard's zeigt als Folge der Durchschneidung des Sympathicus am Halse Gefässerw eiterung im Stromgebiete der Carotis externa , da die Carotis interna gleichfalls von sympathischen Fasern begleitet ist, so wird der Schluss kein gewagter sein, dass auch für ihre Aeste aus der Lähmung dieser Fasern Erw eiterung , aus der Reizung des Halssym- pathicus Verengerung folge. Bei der weiten und dii'ccten Verbindung der Carotiden mit den Artt. vertebrales, dem bedeutenderen Quer- schnitte derselben ist es wohl erklärlich , dass starke Verengerung des Lumens einer Carotis interna auch mildernd auf den lähmenden Druck einwirke, dem die Nervenfasern an der Kreuzungsstelle des Facialner- ven im Pens ausgesetzt sind. Die Pupille giebt bei diesem Verfahren ein Zur Casiiistik der llinikraiiklieitoii. 201 feines und sehr leicht zu verfolgendes Reagens ab für die gelungene und kräftige Reizung dos Halssympathicus. Inwieweit diese Art künsl- licher Pupillenerweiterung sich sonst noch verwerlhen lässt, muss ich Anderen zu bearbeiten überlassen. Rei der erwähnten Kranken lag mir nun zunächst daran den ge- wonnenen Erfolg etwas dauernder zu machen. Durch lange fortgesetzte An^\endung des constanten Stromes konnte diess nicht bewirkt werden; im Gegentheile dadurch wurde die anfangs sich bessernde Sprache bald wieder undeutlicher. Wohl aber gelang es bei anfänglicher Einwirkung des constanten dann des unterbrochenen Stromes eine günstige Nach- wirkung von 2 — 6 Stunden zu gewinnen. Kxstirpalioii «»iiies iiii»cuöliiilicli breit aiifsitzeiuleii ^liebiii'iiiiittei'fihi'oids. Von B. S. Schnitze. Frau S. in E. hat als Kind Masern und Scharlach überstanden, war übrigens gesund. Sie wurde in ihrem 16. Jahre ohne alle Störung der Gesundheit regelmässig alle 4 Wochen auf 8 Tage menstruirt; die Blutung, von Anfang an reichlich, stellte sich schon im 17. Jahre wie- derholt in abnormer Stärke ein und vom 18. bis 25. Lebensjahre war es mehrmals der Fall , dass Patientin 3 und 4 Monate lang das Lager niciit verlassen durfte ^^egen fortdauernder Blutung und dadurch her- beigeführter grosser Schwäche, doch erholte sie sich danach immer wieder sehr schnell. Mit 25 Jahren verheirathete sich Frau S. Die Blutungen traten auch danach mit wechselnder Stärke auf, bald sehr profus mit grosser Schwächung bis zu monatelangem Darniederliegen, bald wieder regel- mässig alle 4 Wochen auf 8 Tage, wo dann Patientin sich so gesund fühlte , dass sie selbst anstrengende Bergparthieen ohne Nachtheii für ihr Befinden unternehmen konnte. Dass Schwangerschaft je eingetreten wäre, ist der Patientin nicht bewusst; 6- 8- bis 10 wöchentliche Pausen in der Blutung traten mehrmals ein, worauf dann die Blutung jedesmal mit besonderer Heftigkeit sich einstellte. So wechselte der Zustand in ziemlich gleicherweise bis ins 39. Lebensjahr, als im Sommer 1800 insofern eine wesentliche Aenderung eintrat, als mit allmählichem Auf- treten vieler anämischer Symptome, namentlich sehr quälendei- Kopf- schmerzen, ein dauernder wässriger Ausfiuss aus den Genitalien in der blutungsfreien Zeit sich einstellte und die Blutungen selbst jedesmal von heftigen (wehenartigen) Schmerzen begleitet wurden. Kxstirpatioii eines iiiijicwiiliiilicil breit iuifsitzeudeii (iebäriniitteiiibroids. 203 Früher und damals vorgenommene Untersuchung scheint ein deut- liches Ergebniss nicht gehabt zu haben. bu Sommer 61 ist von einem vielgenannten Gynäkologen eine Fasergesclmulst der Gebärmutter erkannt und die Zulässigkeit einer operativen Behandlung verneint ^vorden. Unter Fortdauer der Blutungen und der wässrigen Absonderung nahm die Anämie zu und die Ernährung litt bedeutend, bn Winter G2/(i3 trat eine 3 monatliche Pause in der Blutung ein, während der Patientin sich etwas erholte ; aber im Januar 63 trat plötzlich wieder Blutung in bedeutender Heftigkeit auf. Die Schmerzen waren fort- dauernd und unerträglich, Erbrechen nach jedem Genuss von Nahrung und Schlaflosigkeit brachten die Patientin sehr herunter. Stuhl- und Urinentleerung waren stets ungehindert und schmerzlos , wiewohl erstere von jeher hart und nur alle 3 Tage erfolgte. Vom März bis Mitte Mai 63 trat wieder Nachlass in den Krankheits- erscheinungen ein, so dass Patientin zeitweise das Bett verlassen konnte, seit Ende Mai sind dieselben in früherer Stärke und Dauer wieder auf- getreten, nur dass die Blutung geringer, die wässrige Ausscheidung sehr profus ^^ar. Am 19. Juli sah ich Palienlin zuerst. Ich fand die Kranke in einem Zustand äusserster Schwäche, in hohem Grade anämisch und abgema- gert. Die äussere Untersuchung des Unterleibes zeigte nach entleerter Blase eine 3 Finger hoch über die Symphyse hinaufreichende Dämpfung, in gleicher Höhe war durch die schlaffen sehr dünnen Bauchdecken ein in der Mitte gelegener , vollkommen abgerundeter, etwas beweglicher, gegen Druck und Bewegung wenig empfindlicher Körper hindurch zu füh- len, den normalen Grund der leeren Gebärmutter nur etwa um das Dop- pelte seiner Breite übertreffend. Die äusseren Genitalien straff, eng, fett- arm, bleich, Messen den zweiten und dritten Finger nur mit Mühe ein. Zwei Zoll hoch ül)er dem Eingange traf der untersuchende Finger auf einen glatten, rundlichen, etwa 3 Zoll breit die Wände der Vagina aus- einanderdrängenden Körper, den die gleichzeitig aussen aufliegende Hand als mit dem äusseren Tumor ein Ganzes bildend durch jede demselben milgetheilte Bewegung erkannte. Die zwischen Tumor und Scheide hin- aufgeführten Finger nahmen an ersterem überall dieselbe glatte schleim- häutige Oberfläche wahr , die Gestalt derselben war eine aus mehreren grösseren Kugelsegmenten zusammengesetzte. Am Gewölbe der Scheide, deren Wänden eng angepresst, zeigte sich rings der schmale scharfe Saum des auf etwa 2 Zoll Durchmesser eröffneten Muttermundes. Es war schwierig zwischen Mutternuiud und Tumor einen Finger hinaufzu- drängen, doch gelang es ringsum und das Besultat dieser Untersuchung 204 B. S. Schnitze, machte mich für den ersten Augenbhck stutzig. Vorn in einer Höhe von 21 Linien oberhalb des Multermundsaumes, hinten etwa 6 Linien oberhalb desselben, bog die Innenfläche der Gebärmutter in den das Scheidengewölbe füllenden Tumor unmittelbar um, auch seitlich wai*, nirgend höher als 1 Zoll oberhalb des Muttermundsaumes, ringsum der Uebergang der inneren Gebärniutterfläche auf die äussere des Tumor zu erkennen. Der Verdacht auf eine etwa bei gleichzeitiger Existenz eines Fibroids vorhandene Umstülpung der Gebärmutter wurde jedoch durch die gleichzeitige äussere Untersuchung, bei welcher nicht nur der Fundus, sondern bei der Dünnheit der Bauchdecken der ganze Uterus bis aufs Scheidengewölbe herab jDalpirt werden konnte , von der Hand gewiesen. Es bestand kein Zweifel , dass uns ein mit ungewöhnlich breiter Basis an der vorderen und hinteren Wand der Gebärmutter aufsitzendes Fibroid vorlag. Behufs Stellung der Indicationen mussten die möglichen Ausgänge l)ei spontanem Verlauf mit den möglichen Heilerfolgen verglichen werden. Die einzigen spontanen Ausgänge in Heilung , w eiche bei Uterus- fibroiden beoljachtet wurden , sind die sehr seltene Erweichung und Resorption im Wochenljett, ganz selten ausser dem Wochenbett, und die ebenfalls seltene spontane Ausstossung durch Vereiterung. Abge- sehen von der Seltenheit dieser Ausgänge, abgesehen davon, dass die denselben zum Grunde liegenden Processe gewiss häufiger zum Tode als zur Heilung führen, war für unsren Fall aus dem geschilderten Befunde die Möglichkeit dieser Ausgänge zu verneinen. Viele Fibroide werden ohne bedenkliche Symptome zu erregen bis an das anderweitig bedingte Lebensende getragen. Das hat hauptsäch- lich bei subperitonealen Fibroiden statt. In anderen Fällen gelingt es, die gefahrdrohenden Symptome auf längere Zeit, oder gar auf die Dauer zu l)eschwichtigen. Die Zahl dieser Fälle ist sehr gering. Je quälender diese Symptome , je zweifelhafter die Erfolge der zu ihrer Beschw ich- tigung empfohlenen Mittel, desto grösser natürlich die Zahl der letzteren. In unserem Falle hatte der Verlauf ge^^ iss zur Genüge gelehrt, dass auf eine dauernde Sistirung wenn auch nur einzelner jener Symptome nicht zu rechnen war, und bei der Fortdauer derselben stand der lelhale Aus- gang in sicherer nicht allzu ferner Aussicht. Der Versuch zur operativen Entfernung derartiger breit aufsitzen- der Fibroide , — in unserem Fall reichte die Insertionsstelle über den grössten Theil sowohl der hinteren als auch der vorderen Wand , mit ihrem Gentrum etwa im Fundus uteri — wird von den meisten Gynä- kologen verworfen, wie ja auch auf Grund einer frühern Untersuchung Exstirpatioii ciiios nnffowtiliiilicli breit aul'sitzondpii Gobrirmiiftorfibroids. 205 gar nicht in Alfrede zu stellen , dass bei noch so umsichtiger Wahl der Methode und noch so geschickter Ausführung der Operation die Mög- lichkeit eines lethalen Ausgangs derselben durch Blutung oder Eiterre- sorplion besteht; doch ist die Möglichkeit eines günstigen Resultats durch die Namen eines Amussat^), Kiwisch^) , Langexbeck ■') , Baker Brown ^) u. A. garantirt. Ich konnte nicht anstehen , die operati^'e Ent- fernung der Geschwulst als einzige Indication aufzustellen und die Kranke willigte hoffnungsvoll in die Ausführung derselben. Frau S. befand sich in einem Zustand äusserster Entkräftung. Die in den letzten Wochen wegen der Schmerzen fast schlaflosen Nächte, der profuse Ausfluss und die häufigen Blutungen , das Erbrechen, welches die wenige Speise, welche Patientin noch geniessen mochte fast jedesmal wieder zurückgab, hatten die Abmagerung und Schwäche einen sehr hohen Grad erreichen lassen. Da ein Blutverlust, vielleicht ein beträchtlicher, bei der Operation in Aussicht stand, da im mehr- jährigen Verlauf der Krankheit früher wiederholt vorübergehend eine Beschwichtigung der quälendsten Symptome und eine wenn auch ge- ringe Hebung des Ernährungszustandes durch Narkotica und roborirende Diät hatte erzielt werden können , so lag es nahe, die Hoffnung auszu- sprechen, dass es auch jetzt gelingen möge, den Kräflezusland wieder um ein Weniges zu bessern und dann unter minder ungünstigen Ver- hältnissen zur Operation zuschreiten. Mich haben frühere Fälle belehrt, dass jene Hoffnung meist eine illusorische ist, dass eine irgend erkleck- liche Hebung des Kräftezustandes bei so heruntergekommenem Zustand vor Entfernung des Fibroides nicht gelingt, dagegen nach derselben die Ernährung meist schnell sehr erfreuliche Fortschritte macht; ich stellte daher, als ein Aufschub der Operation gewünscht wurde, den Termin zu jenem Versuche sehr kurz und wurde bereits vor Ablauf dessel- ben zur Ausführung der Operation citirt , da der Zustand von Tag zu Tage schlechter wurde. Am 26. Juli schritt ich zur Operation. Ueber die Wahl der Methode war ich, soweit sich von vorn herein darüber entscheiden liess, nicht z\n eifelhaft. Ich habe bis dahin nie 1) Amussat, Gaz. des Höpit. 1840. Nr. 91. 1841. Nr. 149. Revue med. Aout 184 0. 2) KnviscH, Klinische Vorträge über die Krankheiten des weiljl. Geschlechts. Band 1. Prag 1854. Seite 468. 3J Langenbeck, Deutsche Klinik, 1851. Nr. 1.' 4) B. Brown, Transactions of the obstetrical sociely of London Vol. I. 1860. p. 329. Vol. in. 1862 p. 67. Band 1.2. 14 206 B- S. Schultze, anderer als sclineidender Instrumenle zur Entfernung von Geschwül- sten aus der Gebärmutter mich bedient , weil ich bei schmaler Basis derselben der Ligatur weder den Vortheil leichterer Ausführbarkeit noch irgend einen anderen zuerkennen kann , bei breiter Basis aber die Gefajvr der langdauernden Verjauchung für weit grösser halte als die der Excision verbundene Gefahr der Blutung und als den Vortheil der leichteren Ausführbarkeit. Das in Rede stehende Fibroid hätte man auch mit möglichst hoch hinaufgelegter Ligatur nur in der Mitte seiner Circumferenz und an seinem grössten Umfange einschnüren können, die Verjauchung und nachfolgende Eiterung hätte enorm werden müssen bis das Fibroid zur Abstossung gekommen wäre; ein jüngst von Hall Davis 1) mitgetheilter Fall, der nach Wiederabnahme der Ligatur schliess- lich noch günstig ausging, bestärkte mich in meiner Ansicht. Eine andere Methode der Operation Ijreit aufsitzender unbeweg- licher Uterusfibroide , meines Wissens zuerst vonREizus^) geübt, ist die, das Fibroid mittelst Glüheisen oder mit schneidenden Instrumenten anzubohren, so dass dessen mittlerer Theil beseitigt wird und nun ent- weder das Absterben und Verjauchen des Fibroids abzuwarten oder, nachdem auf diese Weise Raum gewonnen worden , das Fibroid nun mit Messer und Scheere zu exstirpiren. Retzius erzielte auf die eine und andere Weise Heilung, im ersteren Falle dauerte die Eiterung mehrere Monate , im andern kaum eine Woche. Es leuchtet ein , dass auch bei diesem Verfahren es vorzuziehen ist, wenn irgend ausführbar, die Exstirpation der Anbohrung sofort nachfolgen zu lassen , welch letztere gewiss im Stande ist, den Zugang zwischen Uteruswand und Fibroid den Instrumenten und den deckenden Fingern wesentlich zu erleichtern. Uebrigens scheint das Schwinden des Fibroids auch ohne gefahrdrohende Verjauchungsprocesse nach dem blossen Entfernen eines mittleren Stücks desselben in vielen Fällen vor sich zu gehen, wie aus den Mittheilungen Baker Brown's hervorgeht, welcher über 7 derartige Operationen berichtete^) von denen 6 günstigen Ausgang nahmen. Nach Bs. Mittheilungen sollen auch Atlee und RECAMiißR auf gleiche Weise operirt haben. Schwer zugängliche, breit und unbeweglich aufsitzende Uterus- fibroide zu exstirpiren haben in jüngster Zeit Slmon^) und Hegar'') ein 1) Hall Davis, Transactions of the obstetrical society of London. Vol. II. 1861. p. 17. 2) Retzius, Neue Zeitschrift für Gehurtskunde 31, 1851 Seite 423. 3) Baker Brown, Transactions of tiie obstetrical society of London. Vol. III. 1 862. p. 67. 4) Simon, Monatsschrift für Gehurtskunde etc. 20. 1862. Seite 467. 5) Hegar, Monatsschrift für Geburtskunde etc. 21. 1863 Seite 220. Exstirpation ciiips iiiigcwüliiilicli breit iiufsitzcudiMi Gebiinmitterfibroids. 207 selir sinnreichos Verfahren angegeben , mit welchem sie günstige Erfolge erzielten: die operative Verlängerung des Fibroids mittelst eines durch dasselbe gelegten Spiralschnittes. Die unmittelbare Totalexstirpation ist meiner Ansicht nach überall; wo sie ausführbar ist, diejenige Methode, welche der Anforderung des luto cito et jucunde am meisten entspricht. Es konnte im vorliegenden Fall die Möglichkeit ihrer Ausführung von vorn herein nicht verneint werden, nur musste man gewärtig sein, dass vielleicht die Einführung von 4 Fingern oder der ganzen Hand nothwendig werden konnte , in welchem Falle die blutige Erweiterung der Schamspalte hätte ausge- führt werden müssen , auch konnte sich im Verlaufe der Operation er- geben, dass der SmoN-HEGAR'sche Spiralschnitt die Exstirpation erleich- tern könne ; die das eine oder andere indicirenden Umstände konnten erst während der Operation sich ergeben. Ebenso konnte erst während der Operation sich herausstellen , ob das von vielen Operateuren bei breit aufsitzenden Fibroiden beobachtete günstige anatomische Ver- halten hier l^estände , dass das Fibroid von der Uteruswand durch eine Schichte lockeren Bindegewebes getrennt sei, welches Verhalten natür- lich seine Entfernung wesentlich erleichtert. Nachdem Mastdarm und Blase entleert worden und die Patientin wie zum Steinschnitt gelagert war, legte ich an den in die Vagina ragen- den Theil des Fibroids möglichst hoch, um wenigstens bei Fixirung des Tumors Blutung zu vermeiden , eine Pince ä cremaillere , dieselbe glitt jedoch sowie icli sie fester schliessen wollte von dem glatten fest elasti- schen Tumor ab ; ich fasste den Tumor daher mit der MuzEix'schen Hakenzange und übergab dieselbe einem assistirenden Collegen. Auf den eingeführten zwei Fingern führte ich dann eine einmal auf die Fläche gebogene Scheere mit sehr breiten abgerundeten Branchen an die Grenze zwischen Fibroid und Uteruswandiuig und führte von hier aus parallel der letzteren einen ziemlich tiefen Schnitt erst hinten, dann vorn. Die Substanz war sehr fest zu schneiden, an keiner Seite lag laxeres Bindegewebe zwischen Uterus und Fibroid , so dass die Grenze zwischen beiden nur schneidend gefunden werden oder eigentlich künstlich geschaffen werden musste. Ich unterrichtete mich daher zu- nächst von neuem durch die Bauchdecken von der Gestalt und Grösse des Uterus, um dadurch die Richtung der ferneren Schnitte bestimmen zu lassen , führte danach auf den Fingern die Scheere von neuem ein und umschnitt nun , möglichst parallel der äusseren Grenze des Uterus den Tumor von rechts, links, vorn und hinten mit 6 bis 8 kräftigen Schnitten , worauf dersellie frei wurde und durch die äusseren Geni- u* 208 ß' S. Schnitze, lalien mit Hülfe der MuzEux'schen Zange exlrahirl werden konnte. Die Blutung während und nach der Operation war nicht beträchtlich und stand bald vollständig auf Injeclion kalten Wassers. Der Uterus ver- kleinerte sich merklich, keinerlei bedenkliche Symptome stellten sich ein. Der Tumor mass in der Längenrichlung, welche der Uterus- und Scheidenaxe entsprochen hatte 7 , in der queren 5 Centimeter. Die untere Hälfte ist von Schleimhaut bekleidet, etwas uneben durch meh- rere kuglige Erhebungen der Oberfläche, die obere Hälfte durch die Scheerenschnitte begrenzt ist halbkugelförmig, gegen die Schleimhaut- grenze hin walzenförmig, 16 Centimeter im Umfang haltend; sie zeigt auf der glatten Schnittfläche um mehrere Gentra gruppirle Faserzüge. Dieselbe Structur zeigt eine Durchschnittsfläche der Geschwulst. Die mikroskopische Untersuchung zeigt Bindegewebe und organische Mus- kelfasern, den gewöhnlichen Befund. Die Operirte genoss mit wenig Appetit Wein und Bouillon, Erbre- chen stellte sich nicht ein , zur Nacht erhielt Patientin ihre in letzter Zeit gewohnte bisher aUerdings vergeblich genossene Portion Morphium aceticum. In der Nacht fand seit vielen Wochen zum ersten Mal ei- quickender Schlaf statt. Das Befinden Morgens war durchaus befriedi- gend, kein Fieber, Uterusgegend gegen tiefen Druck wenig empfindlich, keine spontanen Schmerzen , Absonderung aus den Genitalien gering, noch etwas blutig, etwas Appetit vorhanden. In den folgenden Tagen verlor sich die Blutung ganz, eine geringe eitrige Absonderung trat ein, die nach einigen Tagen wieder aufhörte, ohne dass, wie erwartet, nekrotische Gewebstheile ausgestossen worden wären. Der Appetit hob sich, Erbrechen stellte sich nicht wieder ein, Kopfschmerz verlor sich, Schlaf trat in normaler Weise ohne Narkolica ein. Stuhl täglich einmal spontan, Urinentleerung wie früher normal. 1 4 Tage nach der Operation trat ohne Beschwerden auf mehrere Tage massige Blutung ein. Patientin verliess darauf das Bett, bei fort- dauernd gutem Appetit mehrten sich allmählich die Kräfte. 4 Wochen später wiederholte sich die Blutung in gleicher W^eise wie früher, trat dann erst nach 8 Wochen wieder ein, um danach alle 4 Wochen in regelmässiger W^eise sich zu wiederholen; ausser den menstrualen Blutungen wurde keinerlei Ausfluss aus den Genitalien von der Patientin jjemerkt. Eine im Januar 64 angesteUte Untersuchung ergab normale Be- schaffenheit der Genitalien; Uterus von normaler Gestalt und Lage, ganz wenig anteflectirt, Muttermund für die Sonde eben zugängig, Uterushöhle von normaler Weite, 'i% Zoll lang. Auch das übrige Exstirpatinn eiiips imoowöliiilicli breit aiirsitzenden Gebiiniiiitlerfibroids. 209 Befinden derartig, dass Patientin als völlig genesen betrachtet wer- den muss. Die Besonderheiten, welche mich veranlassten, den Fall mitzutheilen sind die folgenden : 1 . Nahe dem Fundus uteri mit breiter Basis aufsitzende Fibroide ragen selten bevor sie eine sehr Ijedeutende Grösse erreicht haben mit einem grossen Segment in die Vagina herab ; unser Fibroid, nur 7 Cent, im längsten Durchmesser, ragte durch den weit geöffneten scharf aus- gezogenen Muttermund in die Vagina , so dass die Vergrösserung des Uterus eine verhällnissmässig nicht bedeutende war; dabei sass das Fibroid mit so ungewöhnlich breiter Basis auf, dass es mit derselben den Gebärmuttergrund und die vordere Wand bis auf 2, die hintere bis auf 6 Linien vom Muttermundssaum einnahm. 2. So breit der inneren Gebärmutterfläche ansitzende Fil)roide sind meist ringsum, oder auf einer bedeutenden Strecke durch lockeres Binilegewebe, welches aus weiter entfernten, zarteren Bifndcln besteht als das Gew ebe des Tumors sowohl als das des Uterus , umgeben und werden daher von den Anatomen wie von den Operateuren als »leicht ausschälbare Geschwülste« bezeichnet. Diesem Fibroid, bei so auffallend breiter Ansatzfläche , fehlte diese Schicht gänzlich , so dass seine Ver- bindung mit der Uteruswand ringsum eine sehr feste, gleichsam ein continuirlicher Gewebsübergang war. Hiergegen könnte man einwen- den, mein Schnitt sei nur nicht in dieses lockere Bett des Fibroids ge- fallen, so müsste derselbe also aussen um dasselbe herum im Uterus oder innerhalb desselben im Fibroid sich gehalten haben. Abgesehen von derUnwahrscheinlichkeit, dass es selbst dem einen solchen Schnitt beabsichtigenden Operateur gelingen würde, der Stelle wo die Tren- nung am leichtesten wäre ringsum auszuweichen, müsste im ersteren Falle am exstirpirten Tumor die anhaftende Uterusschichte nachzuwei- sen gewesen sein , im anderen aber die zurückgelassene Rinde des Fibroids nachträglich ausgestossen worden sein, was beides bestimmt nicht der Fall war; ich hatte auch während der Operation die unge- wöhnlich feste Verbindung zwischen Geschwulst und Tumor dadurch wahrgenommen, dass, als ich bereits ringsum ziemlich tiefe Scheeren- schnitte geführt halte, der Versuch mit der fest eingesetzten Zange den Tumor ein wenig zu drehen , vollständig vergeblich blieb. In der schon früh ungew öhnlich breiten festen Basis der Geschw ulst darf meines Erachtens gerade die Erklärung dafür gesucht werden, dass die Uteruswände, dem gewöhnlichen Verhalten entgegen, nur wenig ausgedehnt werden, nur wenig hypertrophiren konnten; der 210 1^. S- SrlmltZP, von der Geschwulst allein freie untere Aljschnitt derGebärniulter, gegen welchen das Wachsthum der Geschwulst gerichtet war , wurde daher schon bei kleinem Volum derselben ausgedehnt, verdünnt, der Mutter- mund eröffnet und scharf ausgezogen. Es kommt auch der Fall vor , dass ein früher gestielter frei in der Gebärmutterhöhle liegender fibröser Polyp nachträglich mit seiner gan- zen Schleimhautfläche der Uteruswand anwächst. Die Verwechselung eines solchen mit einem runden Fibroid der Gebärnmtterw and ist wohl denkbar, ich glaube aber nicht, dass irgend etwas dafür spricht, dass in unserem Falle die Verbindung der Geschwulst mit dem Uterus eine derartige Entstehung gehabt habe, und der ringsum mit glatter Grenze vom Tumor sich al>hebende Muttermundssaum spricht wohl entschie- den dagegen. 3. Endlich gab dieser Fall ungewöhnlich breiter und in ganzer Breite fester Verwachsung des Fibroids mit der Innenw and des Uterus mir Veranlassung, meine vorhin ausgesprochenen Ansichten über den Werth der verschiedenen Exstirpationsmethoden w iederholt einer Kritik zu unterziehen, namentlich in Bezug auf die neuerlich viel empfohlene, von Baker Brown viel geübte Anbohrung des Fil)roids. Ein breit mit der Uterussubstanz eng verbundenes Fibroid wird, das kann man wohl mit Bestimmtheit behaupten , wenn es behufs Einleitung seines Zerfalls angebohrt wird, ceteris paribus längere Zeit brauchen , bis seine letzten Reste unter Eiterung und Verjauchung den Uterus ver- lassen. Bedenkt man nun, dass die Gefahren der Ichorrhämie und der Erschöpfung selbst in den verhältnissmässig schnell zum Ziele füiu"en- den Fäflen sich doch mehr oder minder bemerklich machten, bedenkt man den durch Säfteverluste und mangelhafte Ernährung meist sehr heruntergekommenen Zustand der in Rede stehenden Patientinnen, so muss man wohl der Ansicht werden, dass bei breit und fest aufsitzenden Fibroiden, wenn ihre Abstossung mittelst Anbohruftg oder Kauterisation eingeleitet werden sollte , die der nachfolgenden Verjau- chung anhaftenden Gefahren sich bedenklich steigern werden. Ueber die Breite der Basis eines Fibroids kann man meist, bevor man die Operationsmethode w^ählt, durch die Untersuchung sich vollkommen belehren, nicht aber über die Innigkeit der Verbindung mit dem Uterus; erst durch die begonnene Exstirpation kann man erkennen ob lockeres Bindegewebe zwisclien Uterus und Fibroid in grösserer Ausdehnung sich erstreckt. Es hat mich daher der überaus günstige Ausgang des mitgetheil- ten Falles in meiner Ansicht nur bestärken können, dass die To- Exslirpiitioii eines uiigewölinlicli breit Hiirsilzeiideii Gebitiinutlerfibroids. 211 talexstirpation in allen Fällen, \\ o sie ausführbar ist, die z weck massig ste Opera tionsiiie thode sei. Stellen sich deren Vollendung Schwierigkeiten entgegen, so wird man dieselben mit dem SiMO.\-HEGAR'schen Spiralschnilt oft überwinden können, und ist auch so die Exstirpalion nicht zu vollenden, so ist eben durch deren Versuch ein Erfolg erzielt, welcher der von vorn her- ein beabsichtigten Anbohrung nahe kommt, und man wird für diese schwierigsten Falle allein dem geschwächten Organismus die Zumuthung zu machen brauchen, die verjauchenden Reste des Fibroids durch Eiterung ab- zustossen. Rescction des ganze» Oberkiefers ausgeführt von F. Ried. (Hierzu Tafel VI.) Veranlassungen zu der gleichzeitigen Reseclion beider Hälften des Oberkiefers finden sich nur ausserordentlich selten. Bis jetzt sind es fast ausschliesslich die, von dem niittlerenTheile desAlveolarfortsatzes, dem Gaumengewölbe, oder der Nasenhöhle, ausgehenden und sich nach beiden Seiten des Oberkiefers hin mehr oder weniger gleichmässig aus- breitenden, sogenannten bösartigen Neubildungen gewesen, welche die 0])eration nöthig machten. Wenn aber eine derartige Neubildung bereits einen solchen Umfang gewonnen hat, dass sie beide Oberkieferhälften fast vollständig einnimmt, so ist es wohl nur selten der Fall, dass die Afleclion beschränkt blieb auf die genannten Knochen, dass nicht viel- mehr bereits Nachbargebilde, namentlich die naheliegenden Lymph- drüsen, mit in das Bereich der Erkrankung gezogen sind, oder dass nicht bereits das Allgemeinbefinden des Kranken in einer Weise ver- ändert ist, dass überhaupt eine Operation nicht mehr zulässig erschei- nen kann. So kommt es, dass die Operation nur selten gemacht wurde; so weit die einschlägige Literatur bekannt ist, sind es wenige über ein Dutzend Operationen , die zur Ausführung kan\en , ich glaube daher, dass es inunerhin einigen Wertli haben wird, wenn ich eine in hiesiger Klinik ausgeführte Operation verölTentliche , um so mehr da ich, was bisher noch nicht geschehen ist, genaue nach Photographieen genommene Zeichnungen des Gesichts des Kranken vor der Operation , sowie aus verschiedenen Zeiten nach der Operation beigeben kann, wodurch die relativen Veränderungen der Gesichtsverhältnisse veranschaulicht werden. G. W. ein 50 Jf-fhre alter Oekonom , aus einer gesunden und in guten Verhältnissen lebenden Faiiiilie slannnend, erfreute sich son Rpsecünii des fiaiizpii Oberkiefers. 213 seiner Geburt an einer vorlreffliehen Gesundheit, und kann sich keiner Krankheit erinnern. Vor etwa 6 Jahren wurde er von reissenden Schmerzen in der rechten untern Extremität, die nach Anwendung trockner Wärme sich wieder verloren , aber zeitweise wietlerkehrten, befallen. Vor etwa 3 Jahren bildete sich an der linken Seite des harten Gaumens in Folge einer leichten Verletzung beim Kauen einer harten Brodrinde ein Knötchen, das zu wiederholten Malen abgeschnitten sich immer wieder bildete und endlich in ein Geschwürchen überging, das al)er endlich heilte, nachdem sich ein Fussgeschwür , ohne bekannte Veranlassung, gebildet hatte. Auch dieses heilte nach einiger Zeit und Patient befand sich wieder im vollen Besitze seiner Kraft und Ge- sundheit. Um Michaelis 1 860 hatte er das Unglück, durch den Ilufschlag eines vor ihm stehenden Pferdes am vordem Theil des Ol^erkiefers und an der Brust verletzt zu werden. An beiden Körperstcllen war , da der Schlag nicht voll kam, ausser der Quetschung der unterliegenden Theile nur die Haut geschunden und im Oberkiefer waren einige Vorderzähne lose geworden. W. achtete beides wenig, liess sich aber, da die Zähne nicht wieder fest wurden, dieselben ausziehen. Im Verlaufe des Winters bildeten sich in der Gegend der getroffenen Stelle der Brust kleine harte »Knötchen«, die sich langsam vergrösserten, aber da sie nie schmerzten, wenig beachtet wurden. Im Frühjahr 1 861 erschien in der Gegend des linken Nasenwinkels eine Anschwellung, die sich unter massigen Schmerzen vergrösserte, und eine Lockerung des Eckzahns veranlasste, d(Mi er dann ebenfalls entfernen liess. Die Geschwulst vergrösserte sich unter zunehmenden Schmerzen , brach nach der Mundhöhle hin auf und entleerte Blut und Jauche; aus derOefl'nung, die sich vergrösserte, wucherten schwammartige , leicht blutende Massen hervor. Die An- schwellung ging von der linken Seite auf die rechte herüber, und füllte den vordem Abschnitt des Gaumengewölbes. So kam der Kranke Anfangs Mai zuerst in die chirurgische Klinik um sich nach den Bedin- gungen der Aufnahme und der Art und Weise der nöthigen Operation zu erkundigen. Damals hätte die Geschwulst durch die partielle Re- section der vordem Parthieen beider Oberkiefer entfernt werden kön- nen, was dem Kranken auch auseinandergesetzt wurde. Unglücklicher Weise befragte W. auch noch einen alten, bei dem Bauervolke in einem gewissen Ansehen stehenden Landchirurgen in der Nähe von Jena, v\elcher ihn ohne Wegnahme des Knochens zu heilen versprach. Nach der Aussage des Kranken wurden wiederholt mehr oder weniger grosse Parthieen der Gesch\A ulst mit Scheere oder Zange entfernt und die jedes- mal eintretende heftige Blutung durch das Glüheisen gestillt. Durch 214 F. Ripd, diese unsinnige Behandlung, woljei die Geschwulst nur um so rascher wuchs, wurden die Kräfte des Kranken bis auf das äusserste erschöpft, so dass der Kranke in einem Zustande grösster Schwäche und Anämie, gänzlicher Appetitlosigkeit und Schlaflosigkeit der Verzweiflung nahe war. Uel)erdiess hatten sich noch Drüsenanschwellungen unter dem Unterkiefer gebildet. So trat der Kranke am 8. Deccmber 1861 wieder in die chirurgische Klinik, um sich jetzt jeder Operation, die Hülfe bringen konnte, zu unterziehen. Die Untersuchung ergiebt eine Auftreiljung beider Oberkiefer, die nach vorn am meisten prominirt, links aber etwas stärker ist als rechts. Links reicht dieselbe nach hinten bis an die hintere Grenze des Oberkiefers, und bis an das Jochbein, nach oben bis an den Orbital- rand, der seinen scharfen Contour bereits verloren hat, und bis in den Nasenfortsatz des Oberkiefers; rechts nach oben liis an den Orbital- rand , der aber seinen normalen Rand noch zeigt, und nach hinten bis in die Gegend der vordem Backenzähne ; dahinter ist die äussere Wand des Oberkiefers noch nicht aufgetrieben. Die Geschwulst fühlt sich bei- derseits in ihren hintern Parthieen gleichmässig hart, knöchern an, während sie im vordem Theil mehr höckrig ist, wobei die stärksten Hervorragungen weich fluctuirend erscheinen. Die liedeckenden Weich- theile, die über die Unterlippe vorragende etwas verlängerte Oberlippe und die Wangen, sind noch gesund und keineswegs infiltrirt. Die Nase ist in ihrem untern Theil durch die Geschwulst gehoben , aufgestülpt, der Nasenrücken dadurch etwas ausgeschweift. (Man vergleiche die nach Photographieen gefertigten Abbildungen I a u. b) . Bei der Untersuchung durch den geöffneten Mund findet man den grössten Theil des Alveolarfortsatzes und die ganze Gaumentläche des Oberkiefers in eine höckerige, nach unten prominirende Masse verwandelt, die in ihrer vordem Hälfte aus wuchernden leicht bluten- den Schwämmen, hinten aus noch mit Schleimhaut überzogenen Kno- ten besteht. Links findet sich nur noch der hinterste Backzahn, lose wackelnd in der wulstigen Alveole, rechts ist noch ein zvveizinkiger Backzahn und die beiden Mahlzähne vorhanden , w ovon die beiden letzteren noch fest in dem wenig veränderten Alveolarforlsatze sitzen. Das Gaumensegel ist frei. Bei der Einführung des Zeigefingers hinter das Gaumensegel findet man durch die Choanen in die Rachenhöhle herein ragende weiche Massen , die aber noch einen Schleimhautüber- zug haben. Die Inspcction der Nasenöffnungen zeigt ebenfalls solche Massen, theilvveise wie auch einzelne Stellen im Gaumengewölbe von bläulich-schwärzlicher Färbung (Pignientablagerung). Die Nase ist für die Luft undurchgängig. Die andern Sinnesorgane sind völlig intact. Bf'scctinii dos oiuizcn Oliorkietors. 215 Ausserdem findel sich eine etwas schnierzliafle Anschwellung der rech- ten Subinaxillanlriise, bis zur Grösse einer welschen Nuss, aber weicher Consistenz, links ebenfalls eine etwas kleinere Anschwellung. In der Gegend der rechten Brustwarze einzelne kleine knotige Anschwellungen, ebenso in der rechten Achselhöhle. Die Organe der Brust und des Un- terleibs ergeben nichts Abnormes. Puls 90. Nach diesem Befunde bestand kein Zweifel, dass eine carcinöse Neubildung — w eicher Pigmentkrebs — beider Oberkiefer vorlag, der wenn überhaupt bei dem gesunkenen Kräftezustande des Kranken, bei den bereits bestehenden Drüsenanschwellungen noch eine operative Entfernung angezeigt war, die Resection beider Oberkiefer nöthig er- scheinen Hess. Man konnte jedoch weder den gesunkenen Kriiftezu- stand des Kranken, der ursprünglich von sehr kräftigem Bau und guter Constitution war, ebenso wenig die Anschwellungen der Submaxillar- drüsen , die mehr entzündlicher Natur schienen , und mehr durch die vorausgegangene unpassende Behandlung als durch Krebsinfiltration Ijedingt sein mochten, für unbedingte Contraindicationen der Operation halten. Die Operation wurde am 10. Decemljer 1861 , Morgens 10 '/j Uhi- vorgenommen. Der Kranke wurde chloroformirt ; wie ich denn bei allen Opera- tionen in der Mund- und Nasenhöhle unbedenklich die Chloroform- narkose in Anwendung bringen lasse, nur mit der Vorsicht, dass der zu operirende Kranke etwas höher als ge\vöhnlich und mit nach vorn über geneigtem Kopfe gesetzt werde , damit das Blut ungehindert nach aussen — nicht nach der Rachenhöhle hin — abfliessen könne. Mit der Haltung des Kopfes in der angegebenen Richtung ist ein zuverlässiger Gehülfe betraut; ein anderer hat für den Fall einer lebhaftem Blutung die betreffende Carotis zu compriniiren, um jeden beträchtlicheren Blut- verlust sofort verhüten zu können. Die Schnittführung in den Weichtheilen geschah durch zwei, von der Mitte der Jochbeine zu den Mundwinkeln herabgeführte Schnitte. Der auf diese Weise gebildete Lappen, in seiner Mitte die Nase und die Oberlippe enthaltend, wurde von der vordem Oberfläche der Oberkiefer l)is zu den Orbitalrändern und den Nasenfortsätzen abgelöst, so dass die Apertura pyriformis vollständig freigelegt \v urde. Ebenso wurden zu beiden Seiten die Weichtheile bis an den hintern Rand der Ober- kiefer abgelöst. Die Trennung der Knochenverbindungen des Oberkiefers wurde mit der Freilegung und Durchsägung der Oberkiefer -.Jochbeinverbindung begonnen. Die Durchführung der Kettensäge geschah mittels einer nicht 216 F. Kiod, gehärteten silbernen Knopfsonde — meiner Erfahrung naeh das passend- ste Instrument zu diesem Zwecke — , und gelang rechterseits leicht, linkerseits , wo durch die Ausdehnung der Geschwulst die Orbitalspalte etwas verengert war , bot sie einige , aber leicht zu überwindende Schwierigkeit. Die Durchsägung selbst geschah leicht und rasch. Um das Verfahren der Durchsägung der einzelnen Nasenfortsätze der Oberkiefer abzukürzen , verfuhr man in folgender Weise : man stach einen Knochenbohrer von einem Thränenbeine zum andern hin- durch und führte durch diesen Canal die Kettensäge, so dass beide Fortsätze gleichzeitig durchsägt werden konnten. Dann wurde das Gaumensegel durch einen Querschnitt von dem hintern Rande des Gaumengewölbes getrennt und die Verbindung der Olierkiefer mit den Flügelfortsätzen des Keilbeins beiderseits durch eine schneidende Kno- chenzange getrennt; endlich der Vomer möglichst hoch oben mit einer starken Scheere durchschnitten. Jetzt hing die bereits bewegHch gewor- dene Geschwulst beider Oberkiefer nur noch durch die Verbindung derselben mit dem Siebbeine zusammen. Ein gleichzeitiger Druck auf die beiden Orbitalränder nach unten löste diese Verbindung leicht. Vor der gänzlichen Trennung der Geschwulst wurden noch die Infraorbi- talnerven in den betreffenden Ganälen durchschnitten und das Periost der Orbita von der obern Wand des Oberkiefers gelöst. Die Wegnahme der Geschwulst in einem Ganzen erforderte grosse Behutsamkeit und Vorsicht, da im mittleren Theile derselben keine Knochenverbindung mehr bestand und die Geschwulstmasse selbst sehr weich war ; es ge- lang aber sie vollständig in einem Ganzen zu entfernen. Eine genaue Reinigung und Untersuchung des durch die Opera- tion entstandenen Hohlraums ergab , dass nirgends mehr eine Spur der Neubildung entdeckt werden konnte, dass mit Ausnahme einer geringen arteriellen Blutung aus der Arteria infraorbitalis sinistra , die deshalb sofort unterbunden wurde , keine weitere Blutung , die über- haupt während der ganzen Operation eine massige gewesen war, statt- habe. Da, nach wiederholten Einspritzungen von lauwarmem Wasser, keine Erneuerung der Blutung erfolgte , dieselbe also wie es schien völlig stand, so wurden die Wunden der Weichtheile, jederseits durch ilrei Nähte vereinigt und dazwischen schmale Collodialstreifen angelegt. Die durch die Operation entfernte Neubildung hatte im Allgemei- nen die Form beider Oberkiefer, von den Knochen waren jedoch nur die oberen und hinteren Wandungen, und rechterseits ein kleiner Theil der äussern Wand noch vorhanden , die vorderen Wandungen , das Gaumengewölbe und der Alveolarfortsatz bis auf ganz kleine Reste zer- stört. In der Gaumen fläche bestand ein ziemlich grosser Substanzver- Resectiou des ganzen Oberkiefers. 217 Inst, so dass die l)eiden Hälften nur ganz lose noch durch die Neul)il- dung mit einander verbunden sind. An den Durchsiigungsstellen fantl sich gesundes Knochengewebe. Die mikroskopische Untersuchung der Geschwulst, welche Herr Dr. F. Siebkrt vorzunehmen die Güte hatte, ergab grosse mehrkernige Zellen, in einem Bindegewebsstroma einge- lagert, zerstreute Pigmentzellon, Fettmolecule u. s. w. Nachdem auf diese Weise die Operation, welche mit Einschhiss der wiederholten Chloroformirung etc. nicht ganz dreiviertel Stunden gedauert hatte, beendigt war, wurde der Kranke zu Bett gebracht und in halb sitzender Position mit nach der Seite gedrehtem und nach ab- wiii-ts geneigtem Kopfe, damit, wenn eine Nachblutung erfolgen sollte, das Blut sofort nach aussen abfliessen konnte, gelagert. Die durch die Chloroformnarkose und die Operation selbst bedingte Erschöpfung hatte sich bis Mittag bereits wieder verloren. Puls 100, klein. P. welchem Fleichbrühe löffelweise gereicht werden soll , nimmt die Tasse und trinkt ohne Beschwerde und wiederholt diess, so oft der Durst, der sich gegen Abend vermehrt, ihn veranlasst. Aus dem Munde fliesst blutig gefärbter Speichel ab, Nachblutung ist keine erfolgt. Be- ginnende Anschwellung der Wunde; Abends l^eisse Haut, Puls 120. 1 I . Decbr. Die Nacht war ruhig, P. schlief zeitweise stundenlang. Statt der Fleischbrühe , die derselbe verschmäht , wahrscheinlich weil sie ihm den Durst nicht löscht, erhielt er sogenanntes schwarzes Bier (in der Nähe von Jena nach Art des englischen Porter gebraut). Morgens Puls 108, etwas voller; Kopf frei; Injection und Schleimabsonderung der Bindehaut der Augen; stärkere Anschwellung der Wundränder, namentlich des untern Theils des Lappens; wegen Anschwellung des Gaumensegels und der angrenzenden Bachenparthieen ist das Schlucken weniger frei, und muss das Getränke jetzt mit dem LöfTel beigebracht werden; reichliche Darmenlleciung. 12. Decbr. Ridiige Nacht. Stärkere Anschwellung, Oedem der Augenlider. Etwas Kopfschmerz, Puls etwas schneller, voller, viel Durst. Ergiebige Darmentleerung. Vi. Decbr. P. schlief heule Nacht mehrere Stunden ohne Unter- brechung. Puls 100 ; viel Durst. Die Anschwellung nimmt bereits wie- der ab, das Schlucken ist wieder leichter, er erhält Bier und Bouillon abwechselnd. Die Wunden sind durch erste Vereinigung geheilt, die obern Nähte werden entfernt und durch CoUodialstreifen ersetzt. 14. Decbr. Weitere Abschwellung. Das Oedem der Augenlider und die Injection der Bindehaut verliert sich. Es stellt sich Hunger ein , er erhält einige weiche Eier, die er leicht schluckt. 218 P. Ried, 1 5. Decbr. Die noch iibrii^en , untern Niihte werden entfernt und durch Collodialslreifen ersetzt. Puls I 00. Al)nahnie der Hautteniperatur und des Durstes. 1 6. Decbr. P. ist munter, verlangt nach Suppe, erhält Fleischbrüh mit einii;eriihrten Semmeln und Eiern. 17. Decbr. Die Schnittwunden der Weichtheile des Gesichtes sind vollständig vernarbt; der durch die Operation entstandene Hohlraum ist soweit derselbe noch durch die etwa 1 '/o Zoll breite Spalte zwischen der nach hinten rückenden 01)erlippe und dem nach vorn gezogenen Rande des Gaumensegels übersehen werden kann , überall in voller aber guter Eiterung , soweit nicht mit Schleimhaut bedeckte Parthieen in Betracht kommen. Es werden Ausspülungen mit lauwarmem Wasser angeordnet. P. erhält gehackten, rohen Schinken, mit Bouillon. Es erscheint überflüssig , die Krankengeschichte in dieser Weise noch weiter zu führen, da aus der bisherigen schon deutlich genug her- vorgeht, wie gering eigentlich die durch die Operation gesetzte Reaction gewesen ist. Der weitere Verlauf bot wenig weiter Bemerkenswerthes dar. Schmerzen in der Magengegend, die sich einstellten, ^^obei aber die Speisen gut vertragen wurden , konnten durch narkotische Mittel etwas gemindert werden, sie verloren sich aber erst, nachdem Ferrum lacticum in Anwendung kam; bei dem fortgesetzten Gebrauche dieses Präparats und kräftiger Kost, sowie Bier als Getränk erholte sich der Kranke schnell und nahm auffallend rasch an Kräften und Körperum- fang zu. Dabei verkleinerten sich die Anschwellungen der Submaxii- lardrüsen. Am 6. Januar ging der Kranke zuerst aus und am 26. Januar wurde derselbe entlassen, nachdem er abermals photographirt worden. Vergleicht man die Photographie (Fig. II a. b) mit der vor der Operation genommenen (1. a. b), so tritt bereits ein auffälliges Verhält- niss zu Tage. Besonders bedeutend ist der Unterschied der seitlichen Ansichten (I a, II u) so dass man sich kaum überzeugen kann , das Gesicht desselben Mannes vor sich zu haben. Während früher durch die noch vorhandene Geschwulst der Oberkiefer die Nasenspitze auf- gestülpt , der Nasenrücken sattelförmig war und die verlängerte Ober- lippe vor der Unterlippe vorstand, gleicht jetzt die Nase mehr einer sogenannten Adlernase und die Unterlippe ragt über die zurückgetre- tene und verkürzte Oberlippe hervor. Der Mund ist aber völlig schliess- bar, indem sich die hintere Fläche der Unterlippe an den vordem Rand der Oberlippe anlegt. Bei der vergleichenden Betrachtung der Vorder- seiten des Gesichtes (16, II/>) fällt vor Allem die anscheinende Verbrei- Resectioii des üaiizcii Obfü'kiefers. 2J 9 leriing desselben auf, in Folge der stattgehabten Verkürzung des Ober- kicfertheils gegen den Unterkiefertheil ; denn vor der Operation war das Verhältniss ungefähr wie zwei zu eins, jetzt zeigt der letztere die gleiche Höhe wie ersterer. Sodann bemerkt man die Bildung senk- rechter Falten in der Oberlippe, und die schiefer, mit den Nasenlippen- falten gleichlaufender vom obern Rande der Narben aus. Diese selbst sind etwas eingezogen und gegen die ursprüngliche Länge der Wunde bedeutend verkürzt. Die untern Augenlider sind etwas herabgesunken, daher auch, namentlich beim Gehen im Freien, Thränentränfeln , doch können die Augäpfel vollständig gedeckt werden. Die zur Zeit der Operation bestandenen Unterkieferdrüsenanschwellungen sind linker- seits gänzlich geschwunden, rechterseits bedeutend vermindert. Lässt man den Mund öffnen, so ist man überrascht, nur noch eine kleine, nicht zweigroschengrosse Oeffnung zu finden, durch welche die Mundhöhle mit der Nasenhöhle in Verbindung steht, so sehr haben sich die hintere Fläche der Oberlippe und der vordere bereits ül)er- narbte Rand des Gaumensegels genähert. Soweit man durch diese Oeffnung den durch die Operation gesetzten, aber bereits auffällig ver- kleinerten Raum übersehen kann , findet keine Eiterung mehr statt, nur an einzelnen Stellen bemerkt man noch dünne, angetrocknete Krusten , ähnlich vertrocknetem Nasenschleim. Die Untersuchung der Höhle mit dem Finger durch diese Oeffnung sowie hinter dem Gaumen- segel herum , zeigt keine Spur einer örtlichen Wiederkehr der Neu- bildung. Die Functionen der betreffenden Theile betreffend, so geschieht Trinken und Essen klein geschnittenen angefeuchteten Fleisches und geweichten Brodes ohne Schwierigkeit; die Sprache, die allerdings unmittelbar nach der Operation kaum zu verstehen war, ist wieder ziemlich deutlich , wenigstens ebenso deutlich , wie sie vor der Opera- tion war. Ich habe W. in seiner Heimath am 30. März wiedergesehen. Eine wesentliche Veränderung war nicht eingetreten , nur zeigte er eine massige Anschwellung der rechten Ohrspeicheldrüsengegend, die keine Schmerzen, nur ein Gefühl von Spannung bedingte, und veranlasst war durch Stauung des Speichels in den Gängen und der Drüse, durch Druck auf die Ausführungsmündung des Stenon'schen Gangs durch die Narbe. Die Geschwulst wechselte sehr bezüglich Härte und Grösse, zeitweise verschwand sie gänzlich. Anfangs Mai stellte sich W. wieder in der Klinik, wo auch wieder eine photographische Aufnahme desselben stattfand. Die bereits ])e- 220 F. Ried, merkten Veränderungen treten jetzt, wenn man III a. b mil II a. b vergleichen will, noch stärker hervor. Die Nase ist in ihrer ganzen untern knorpligen Hälfte zurückge- treten, so dass die Stelle der untern Enden des Nasenknochen am meisten vorragt, während die eigentliche Nasenspitze mehr zurücksteht, ebenso ist die Oberlippe noch mehr zurückgezogen und noch etwas mehr verkürzt, das Kinn und die Unterlippe tritt daher noch auffallen- der vor, und deren oberer Rand und die Nasenspitze berühren sich fast, der Mund kann nicht durch die Lippen allein, sondern nur durch Dazwischenlegen der Zungenspitze geschlossen werden. Die Nasen- lippenfalte bildet eine tiefe Furche, eine zweite gleichlaufende, aber weniger tiefe geht vom obern Ende der Schniltnarben zur Gegend der Innern Augenwinkel. Die Untersuchung der Mundhöhle ergiebl die Verlundungsöffnung zwischen Mund- und Nasenhöhle höchstens groschengross , so dass die Höhle von hier aus nicht mehr übersehen werden kann ; bei der In- spection durch die Nasenlöcher zeigt sich kein Recidiv. Die Anschwellung der Parotisgegend tritt zeitweise noch ein. Die Drüsenanschwellungen der Submaxillargegend sind nicht wieder auf- getreten. Dagegen haben sich aber die Knötchen in der Gegend der rechten Brustwarze vergrössert und scheinen als bläuliche Geschwülste von Hasel- und Welschnuss - Grösse durch die Haut durch; in der Achselhöhle besteht eine hühnereigrosse Drüsenanschwellung. Das Allgemeinbefinden ist aber noch sehr gut , Verdauung und Schlaf ganz regelmässig. Nach mündlichem Berichte dos den W. zuletzt behandelnden Arztes starb derselbe etwa ein Vierteljahr später, ohne dass ein örtliches Re- cidiv aufgetreten wäre, an sehr rasch verlaufender, fast über den gan- zen Körper verbreiteter Carcinose der Lymphdrüsen, Eine Section wurde leider nicht gestattet. Ich finde mich veranlasst, nur einige kurze Bemerkungen anzu- knüpfen : 1 . In Bezug auf die Führung der Schnitte in den Weichtheilen des Gesichts könnte die Frage aufgeworfen werden, warum gerade das älteste Verfahren, bei welchem die auffälligen, von den Jochbeinen gegen die Mundwinkel herablaufenden Narben und die Lähmung der untern Augenlider nicht zu vermeiden sind, gewählt wurde, während andere anscheinend zweckmässigere Verfahren vorgeschlagen und auch in Anwendung gekonunen sind. Der von Dieffenbach für die Resection eines Oberkiefers ehipfohlene Schnitt in der Mittellinie, der den grossen Vortheil gewährt, dass bei demselben keine Nervendurchschneidung Resection des ganzen Oberkiefers. 221 und davon abhängige Lähmungen der Gesichtsmuskeln statthaben, wurde verworfen, weil bei demselben, wenn es sich um eine Resection beider Oberkieferhälften handelt, eine noch auffälligere Entstellung durch die in der Medianlinie liegende Narbeneinziehung erfolgt, die Nase zeigt längs ihres Rückens eine tiefe Furche, mit seitlichen Quer- falten, die Nasenspitze scheint gedoppelt, und die Oberlippe hat in der Mitte eine hasenschartenähnliyhe Kerbe ; auch erhalten die untern Augenlider in Folge der nothwendigen Ablösung derselben eine, einer Lähmung derselben ganz gleiche Unbeweglichkeit. Durch die von F. Heyfelder vorgeschlagene Schnittführung — senkrechte Spaltung der Unterlippe in der Mittellinie, wagrechte Schnitte längs des untern Rands des Körpers und senkrechte Schnitte längs des hintern Rands der auf- steigenden Aeste des Unterkiefers — werden die Schnitte und somit auch die 'Narben allerdings fast ganz aus dem Gesichte verlegt, das Verfahren ist aber offenbar bei weitem verwundender, denn ausser dem Operationsobjecte, dem Oberkiefer, wird auch noch der ganze Unterkiefer entblösst und die Trennung der obern Parthieen des Ober- kiefers durch Messer und Säge wird jedenfalls nicht erleichtert. Ganz abgesehen davon ist aber diese Methode schon desshalb verwerflich, weil bei derselben durch die längs des hintern Rands der aufsteigenden Aeste des Unterkiefers geführten Schnitte sämmtliche zum Antlitz gehen- den Aeste der beiden Nervi faciales und überdiess durch die Ablösung der Lappen vom Unterkiefer auch noch die Nervi mentales durchschnit- ten werden müssen. Sonach schien mir, da die Entfernung beider Oberkieferhälften ohne Schnitte durch die Weichtheile des Gesichts, also ohne Narben geradezu unmöglich ist, das ältere Verfahren, dem von Syme für die Resection einer Oberkieferhälfte entnommen , immer noch die geringsten Uebelstände zu bieten. Etwas geringer würde die Entstellung vielleicht ausfallen, w enn man die Schnitte nur etwas mehr nach einwärts legte ; jedenfalls w ürde dadurch auch die narbige Com- des Ausführungsgangs der Speicheldrüsen sicher vermieden werden pression können. 2. Die Trennung der Knochenverbindungen des Oberkiefers an- langend, so bieten diejenigen mit den Jochbeinen wohl die geringste Schwierigkeit, da mit einem nicht gehärteten silbernen Stäbchen, (wel- ches am hintern Ende entweder nur mit einem Oehre, um die Ketten- säge mit,einem Faden daran zu befestigen, oder besser noch mit einer klammerartigen Vorrichtung , um die Säge sogleich selbst zu fassen, versehen ist) die Führung des Instrumentes durch die Fissura orbitalis inferior um die Knochenverbindung herum durchaus einfach und leicht ist. Die Trennung der einzelnen Stirn- und Nasenfortsätze des Ober- Band i. 2. 15 222 F> RiPl>ier, ger Brei entsteht, der in allen seinen Theilen mit überschüssitieni Blei- oxyd gemischt ist , und bringt unter fort^^ ährendem Kühren das Ge- menge auf dem Wasserbade zur Trockne. Man ül)erzeugt sich durch ein Pröbchen, welches man mit Alkohol auskocht, dass kein unzer- setztes gerbsaures Colchicin vorhanden ist. Giebt der abfiltrirte Alkohol mit Eisenchlorid noch eine blausclnvarze Fiirbung , so ^^ iederholt man das Umrühren mit Wasser und Austrocknen , bis die Zersetzung voll- standig ist. Den trocknen Rückstand , welcher aus gerbsaurem Blei- oxyd, Bleioxyd und dem nun frei gewordenen Colchicin besteht, bringt man in einen Kolben und kocht ihn mit Alkohol zu wiederholten Malen aus, destillirt von den vereinigten Auszügen den Alkohol bis auf einen geringen Rest ab , den man dann auf dem Wasserbade bis zur Sy- rupsdicke und schliesslich unter der Luftpumpe üi)or Schwofelsäure zur Trockne Ijringt. Man wiederholt die Auflösung, fraclionirte Füllung und Aljschei- dung mit PbO noch einige Male, und erlangt so ein Product, welches sich in Wasser und Alkohol ohne Trübung löst , hell schw efelgelb ge- färbt ist, und durch weitere Behandlung von einem anderen Ansehen und anderen Eigenschaften nicht erhalten werden kann. Das Colchicin bleibt nach dem Austrocknen seiner Lösung auf einer Glasschale als rissiger spröder Ueberzug zurück , der sich beim Zerreiben mit dem Pistill harzähnlich ballt und anhaftet. Es ist leicht löslich in Alkohol und Wasser. In letzterem zerflie st es nur langsam und gummiähnlich, ist aber in jedem Verhältnisse darin löslich. In Aether löst es sich nicht. Es ist von schwach aromatischem , heuähn- lichem Gerüche der vorzüglich beim Erwärmen der wässrigen Lösung hervortritt , und besitzt selbst in sehr verdünnter Lösung einen inten- siv bittern, im Gaumen noch lange bemerkbaren Geschmack. Es wirkt giftig, wie die am Schlüsse angeführten Versuche zeigen. Die wässrige Lösung des Colchicins zeigt folgende Reactionen : ' Sie ist ohne Einwirkung auf Lakmuspapier, geröthetes w ie blaues. Goldchlorid erzeugt einen gelben flockigen Niederschlag , Queck- silberchlorid einen weissen. Säurefreies Platinchlorid , neutrales Eisenchlorid, neutrales und basisch essigsaures Bleioxjd, schwefelsaures Kupferoxyd sind ohne sichtbare Einwirkung. Mineralsäuren und Alkalien färben die Lösung des Colchicins in- tensiv gelb. Gerbsäure, selbst in starker Verdünnung, giebt einen käsig-flocki- gen Niederschlag. Lässt man zu einigen Körnchen Colchicin , die sich auf einem üeber Colcliiciii. 251 ührglaschen befinden, zwei bis drei Tropfen Schwefelsäurehydral tlies- sen, und zertheilt dieselben schnell darin mit einem Glasstabe, so färbt sich die Flüssigkeit um das Colchicin herum dunkelgrün. Diese Farbe verschwindet schnell und geht in Gelb über, sobald das Colchicin mit mehr Schwefelsäurehydrat in Berührung kommt und sich darin löst. Trägt man nun in diese gelbe Lösung mit einem Glasstabe einen Tro- pfen Salpetersäure ein , so bildet sich an den Berührungspunclen so- gleich eine dunkelblaue Zone, deren Farbe beim Umrühren der Flüssig- keit in violett, braun und zuletzt gelb tibergeht. Fügt man nun, nach- dem die Farbe der Flüssigkeit sich nicht weiter verändert, Aetzammoniak im Ueberschuss zu , so entsteht eine sehr beständige dunkel zwiebel- rothe Lösung, die auf Zusatz von Säure in Gelb, durch Alkalien wieder in die rot he Farbe zurückgeführt wird. Das Colchicin verträgt eine ziemlich hohe Temperatur, ohne sich zu verändern. Zwischen 130 und 140" C. ballt es sich harzähnlich zusanunen und schmilzt bei 110" zu einer durchsichtigen, braunen, beim Erstarren glasig spröden Masse, ohne sicii dabei sichtbar zu ver- ändern, oder an Gew ichl zu verlieren. Auf dem Platinbleche verbrennt es unter Aufblähen , mit rusender Flamme und Hinterlassung einer sehr voluminösen Kohle , die ohne Rückstand verglimmt. Mit Aetzkali geschmolzen entwickelt es Ammoniak , wodurch die Gegenwart des Stickstoffs in der Verbindung angezeigt ist. Zur Elementaranalyse wurde Material, von verschiedenen Dar- stellungen herrührend, verwandt. No. 1. Colchicin, welches aus einer, mit basisch essigsaurem Bleioxyd, wie oben angegeben, behandelten Lösung, mit ebenfalls ge- reinigter Gerbsäure gefällt, und durch zweimaliges Wiederauflösen, Ausfällen und Abscheiden mit PbO rein dargestellt worden war. No. 2. Colchicin, welches durch Fällen mit roher Gerbsäure aus der filtrirten wässrigen Lösung des Colchicuin-Extractes gewonnen, und durch zweimaliges Auflösen, Ausfällen mit gereinigter Gerbsäure und Abscheiden mit PbO weiter behandelt worden war. No. 3. Colchicin, welches aus der wässrigen Auflösung des Herbst- zeitlosensamenauszuges durch Digestion mit Kohle , Auskochen dersel- ben mit Alkohol und wiederholtes Fällen der Auflösung des Abdampf- rückstandes mit reiner Gerbsäure und Abscheidung mit PbO erhalten worden war. Das Product, welches nach der Methode I erhalten worden war, schien mir nach allen seinen Eigenschaften das reinste zu sein. Ihm am nächsten stellt sich No. 3. No. 2, welches zuerst mit roher Gerb- säure gefällt wurde , hielt Reste aus den Verunreinigungen derselben 252 '^'' Hübler, liartnäckig zurück. Bei jeder dieser ursprünglich verscliiedenen Metho- den wurde zuletzt das Colchicin aus der gerbsauren Verbindung , und zwar der mittleren Portion der fractionirten Fällung, durch PbO al)- geschieden. Die verwandte Substanz wurde bei 104'^ so lange getrocknet, bis ein Verlust nicht mehr eintrat. Die Menge des hygroskopischen Wassers betrug beim Colchicin h — 6% , beim gerbsauren Colchicin schwankte sie zwischen 5 und 7%. Colchicin No. 1 . 0,2513 Grm. gaben 0,13725 Grm. Wasser und 0,59425 Grm. Kohlensäure. Daraus berechnen sich 6,06% Wasserstoff und 64,5Vo Kohlenstoß". Colchicin No. 2. 0,2405 Grm. gaben 0,1315 Grm. Wasser und 0,5685 Grm. Koh- lensäure, oder 6,077o Wasserstoff und 64,47o Kohlenstoff. 0,2225 Grm. gaben 0,1231 Grm. Wasser und 0,52495 Grm. Koh- lensäure oder 6,147o Wasserstotfund 64,34% Kohlenstoff. Colchicin No. 3. 0,2242 Grm. gaben 0,1223 Grm. Wasser und 0,5328 Grm. Koh- lensäure, oder 6,067o Wasserstoff und 6 5,82% Kohlenstoff. Bestimmung des Stickstoffs auf volumetrischem Wege. Colchicin No. 1 . 0,2867 Grm. gaben 10,5 CC. Stickgas bei 8" C. und 748,8°'°' Barometerstand. Daraus berechnen sich 4,437o Stickstoff. Colchicin No. 2. 0,2738 Grm. gaben 10,6 CC. Stickgas bei 7,75" C. und 748,8'^^'^ Barometerstand. Es ergeben sich hieraus 4,627o Stickstoff. Aus diesen erhaltenen Zahlen ergiebt sich für das Colchicin die Formel : Berechnet Gefunden No. 1 . 64,5 No. 2. No.3. C^^ = 64,4 64,4 64,3 64,8 H»'-' = 6,0 6,1 6,1 6,1 6,1 N = 4,4 4,3 4.6 — — Oi"^ = 25,2 — — — — 100,0 lieber Colcliici». 253 Das Col chicin steht demnach, was seine Zusammensetzung an- langt, in einem einfachen Yerhältniss zum Atropin (=C'^H-'^?fO^), es enthält 4 Mgt. Sauerstoft" mehr . und 4 Mgt. Wasserstoff weniger, als dieses. Gerbsaures Colchicin. chicin zeigt, gehört vor Allem sein Verhalten zur Gerbsäure. In einer sehr verdünnten Lösung von Colchicin erzeugt die Gerbsäure noch Trü- bungen, welche sich flockig absetzen. Wegen dieses Verhaltens wurde die gerbsaure Verbindung zur Darstellung des Colchicins verwandt, und von den gerbsauren Niederschlägen aus denen das Colchicin durch Bleioxyd abgeschieden wurde , ein Tlieil zurückbehalten. Die fractio- nirten Fällungen untersuchte ich besonders, um aus deren Ueberein- stimmung oder Differenz ein Urtheil über die Constanz der Verbindung zu gewinnen. Die wässrige Lösung der drei, nach abweichenden Me- thoden erhaltenen Colchicine war also , wie angegeben , durch Gerb- säure auf drei Male gefällt worden. Bei der ersten und zweiten Fällung. (a und b) war, da das Colchicin nicht alles ausgefällt wurde, dieses im Ueberschuss vorhanden. Bei der letzten Fällung (c) waltete die Gerb- säure vor, da, um sich zu vergewissern, dass alles Colchicin gefäflt sei, solange Gerbsäure zugegeben worden war, bis auch auf neuen Zusatz der letzteren kein Niederschlag mehr entstand. Das gerbsaure Colchicin ist in Wasser nicht ganz unlöslich; Salze vermindern seine Löslichkeil; Ueberschuss an Gerbsäure erhöht sie nicht. In Alkohol löst es sich leicht, und ein geringer Zusatz desselben zu Wasser bedingt eine vermehrte Löslichkeit in diesem, bi heissem Wasser ist es löslicher als im kalten. Erhitzt man gerbsaures Colchicin im Proberöhrchen mit Wasser, so schmilzt es scheinbar zu einem brau- nen harzigen Klumpen zusammen, dessen Oberfläche dem Wasser we- nige Berührungspuncte bietet , in Folge dessen er sich bei fortgesetz- tem Kochen nur langsam löst. Verdünnt man eine heisse concentrirte Lösung von gerbsaurem Colchicin in Alkohol mit heissem Wasser , so bleibt Alles gelöst, selbst wenn man den Alkohol durch Kochen verjagt, doch scheidet sich dann das gerbsaure Colchicin beim Erkalten in dich- terem Zustande als sandiger körniger Niederschlag ab. Auf diese letz- tere Weise gelingt es jedoch nicht, die Verbindung von anhängendem Farbstoffe zu befreien , da sich dieser beim Erkalten ebenso mit ab- scheidet. Getrocknet stellt das gerbsaure Colchicin ein weisses amorphes Pulver dar, das über 1 40^ schmilzt ohne sich zu zersetzen. Es ist stark 254 M. Hübler, hygroskopisch, besitzt keinen Geruch, aber den bitteren Geschmack des Golchicins, wenn auch in etwas geringerem Grade wie dieses. In Aether ist es unlöslich. In gewöhnlichem, wasserhaltigem ballt es sich harz- ähnlich zusammen. Das zur Elementaranalyse verwandte gerbsaure Colchicin war bei lOi" bis zu constantem Gewichte getrocknet worden. Es kamen zur Verwendung : Gerbsaures Colchicin No. 1. Fällung a. 0,2132 Grm. gaben 0,097 Grm. Wasser und 0,io4'75 Grm. Kohlensäure; an Procenten 5,! Wasserstoff und 58,2 Kohlenstoff. Fällung b. 0,1996 Grm. gaben 0,0872 Grm. Wasser und 0,4245 Grm. Kohlensäure. Mithin 4,9% W\Tsserstoff und 57,9% Kohlenstoft". Gerbsaures Colchicin No. 2. Fällung a. 0,218 Grm. gaben 0,10375 Grm. Wasser und 0,477 Grm. Kohlensäure; mithin 5,2%, Wasserstoff und 59,6yo Kohlenstoff. Fällung b. 0,266 Grm. gaben 0,1152 Grm. Wasser und 0,15496 Grm. Kohlensäure; also an Procenten i,8% Wasserstoff und 58, 3"/» ^Kohlenstoff. Fällung c. 0,2088 Grm. gaben 0,0821 Grm. Wasser und 0,4323 Grm. Kohlensäure. Daraus berechnen sich 4,4% Wasserstoff' und 56,5% Kohlenstoff. Gerbsaures Colchicin No. 3. Fällung b. 0,2115 Grm. gaben 0,0936 Grm. Wasser und 0,4495 Grm. Kohlensäure. An Procenten 4,97o Wasserstoff und 57,9% Koh- lenstoff. Dieselbe Fällung b. 0,2435 Grm. gaben 0, 1065 Grm. Wasser und 0,520 I Grm. Kohlensäure ; oder 4,9% Wasserstoff und 58, 3 "/o Kohlenstoff. Eine Stickstoffbestimmung auf volumetrischem Wege, mit der Por- tion O vorgenommen gab folgendes Resultat: 0,6761 Grm. Substanz gaben I 1,25 CG. Stickgas bei 7,25"C. und 754,2™'" Barometerstand. Es berechnen sich hieraus l,987o Stickstoff. l'' 2» c H 58,2 5,1 59,6 5,2 ,,b 2'' 3'' c 57,9 58,3 ;38~i ^5779 H 4,9 4,8 2^ 4,9 4,9 G H 56,5 4,4 üebei' Colcliiciii. 255 Aus diesen Analysen geht hervor, dass die mittleren F.ällungen der verschiedenen Bereitungsweisen conslante ZusanunensetzAuig zeigen. Die ersten FaUungen , welche offenbar die färbenden Verunreinigungen hauptsächlich enthielten, weichen von den spätem ab. Das Resultat der letzten c Fällung scheint anzudeuten, dass bei ihr die Gerbsäure vor- wiegend wurde. Die Verbindung des Colchicins mit der Gerbsäure lässt sich nach diesen Bestimnuineen durch die Formel ausdrücken : 3(C'"H' •'NO 'ö)+2(C-^'lP' 03.) Berechnet Gefunden C2"J = 58,1 o7,9 58,3 58,3 57,9 W> = 4,G 4,9 4,8 l-,9 4,9 N' = 1,9 1,98 — — — 0'"^ = 35,4 Colchicein. Schon Oberlin fand, als er das Colchicin , das man bisher fiu' ein Alkaloid gehalten hatte , an eine starke Minei'alsäure zu binden ver- suchte, dass sich aus der Losung plötzlich Kr\ stalle abschieden , welche jedoch nach dem sorgfältigen Auswaschen nichts von der zur Hervor- bringung angewendeten Säure mehr enthielten. Die Annahme, dass dabei das Colchicin durch die Säure in einen krystallisirten Stoff, und ein zweites Spaltungsproduct übergehe , lag sehr nahe, aber um diese Annahme zur Gewissheit zu machen vs^ar entweder die Kenntniss der Zusammensetzung des Colchicins, oder che des Spaltungsproductes noth- wendig. Keines von beiden ist aber durch Oberlin festgestellt worden. Um die vouOberlix für das Colchicein gefundene Zusammensetzung zu controliren , wurde eine grössere Menge dieser Substanz aus reinem Colchicin dargestellt. Etwa 5 Grm. Colchicin vvurden in der zwanzigfachen Menge Was- ser gelöst, und eine dem angewandten Colchicin an Gewicht gleiche Menge Schwefelsäurehydrat, welches vorher mit Wasser verdünnt war, zugesetzt. Die Flüssigkeit färbt sich beim Zusatz der Schwefelsäure sogleich intensiv gelb und nimmt einen eigenthümlichen , fast stechenden Ge- ruch an. Beim Erhitzen trübt sie sich dann und der ausgeschiedene Stoff, welcher die Trübung bewirkt, geht zu Tropfen zusammen, welche sich theils auf der Oberfläche der Flüssigkeit sammeln , theils an den Wänden und am Boden des Gefässes zusanmienfliessen und harzartig werden. Als die Ausscheidung dieses Körpers sich beim Kochen nicht 256 M. Hobler, weiter vermehrte , wurde die Flüssigkeit in eine Porzellanschale klar abgegossen und auf dem Wasserbade noch etwas weiter eingedampft. Sie zeigte ein bedeutendes Bestreben Krystalle abzuscheiden, die sich auf der Oberfläche zu Gruppen vereinigten und auf den Boden der Schale sanken. Die Flüssigkeit wurde nun erkalten gelassen und war von feinen Krystallnadeln so durchsetzt, dass sie fast breiartig erschien. Auf ein Filter gebracht tropfte der grösste Theil der Mutterlauge ab, die Krystalle wurden mit etwas Wasser nachgewaschen und zur Beinigung aufbewahrt. Mit einem Theile derselben wurden Versuche angestellt um eine passende Methode der Beinigung aufzufinden. Sie waren von anhängen- dem Farbstoffe grüngelb gefärbt. Dieser Farbstoff", der sich ebensoleicht wie die Krystalle in Alkohol oder alkoholhaltigem Wasser löst, erscheint auch beim Auskrystallisiren wieder mit denselben. Von allen Lösungs- mitteln schien kochendes Wasser den geringsten Antheil aufzunehmen und beim Krystallisiren denselben am leichtesten zurückzuhalten. Es gelang mir durch acht- bis zehnmaliges Wiederauflösen und Umkry- stallisiren die Krystalle ganz farblos zu erhalten. Sie wurden zuletzt in wenig heissem Alkohol gelöst und umkrystallisirt. Ich beobachtete zwei verschiedene Farbstoffe, welche das Colchicein verunreinigen. Ein grüner, der beim ersten und zweiten Auflösen der Substanz in kochendem Wasser fast ganz als unlöslich zurückbleibt und dann nicht wieder erschei4it. Ein gelber bis brauner, der aber sich mit dem Colchicein in Wasser löst und demselben hartnäckig anhaftet. Dieser Farbstoff" scheint sich aus dem Colchicein selbst durch Einwir- kung von Luft und Wärme zu erzeugen. Colchicein , welches unter einer Glasglocke üljer Schwefelsäurehydrat im zerstreuten Sonnenlichte einige Wochen gestanden hatte, war an der Oberfläche gelb geworden, während der innere Theil unverändert geblieben war. Wie leicht Col- chicein in diesen braunen Farbstoff unter günstigen Umständen über- geht davon überzeugte ich mich bei einem Versuche das Colchicein mit Thierkohle zu reinigen. Die wässrige Lösung desselben damit zusam- mengebracht verlor ihre Bitterkeit, und beim Abdampfen zeigte es sich, dass alles Colchicein aus der Lösung verschwunden und von der Kohle zurückgehalten worden war. Beim Auskochen dieser gewaschenen Kohle mit Alkohol erhielt ich jedoch nur jenen braunen bitteren Körper wieder, in den offenbar das Colchicein durch Berührung mit der Kohle übergegangen war. Ein Tropfen einer farblosen Lösung von Colchicein erzeugt auf Papier nach wenigen Augenblicken einen gelbbraunen Fleck. Zieht man Filter, durch welche Colchiceinlösung durchgelaufen ist, und die braungelb gefärbt sind, mit Alkohol aus, so werden sie Ueber Colchicin. 257 farblos , doch aus dem Alkohol lässt sich kein krystallisirbarer Stoff mehr, sondern nur noch jener braune Farbstoff gewinnen, der selbst in ganz geringer Menge in Alkohol gelöst, demselben eine braune Farbe, ähnlich dem Caramel ertheilt. Derselbe Farbstoff ist es , welcher die Ausscheidung des Colchiceins in harziger Form bei seiner Erzeugung mit Schwefelsäure bewirkt. Die oben erwähnte erste ölige Absonderung bei der Darstellung des Colchiceins aus Colchicin und Schwefelsäure wird, sobald sie mit Wasser abgewaschen ist, hart, lässt sich zerreiben, und löst sich bei fortgesetztem Kochen mit erneutem Wasser zuletzt bis auf einen geringen Rückstand eines braunen Körpers auf, und aus der Flüssigkeit setzen sich beim Erkalten Ijetiächtliche Mengen des noch gelblich gefärbten Colchiceins ab. In der ursprünglichen , stark sauren und intensiv gelb gefärbten Mutterlauge ist ein harzähnlicher äusserst bitterer Körper enthalten, der bei genauer Neutralisation der Flüssigkeit mit kohlensaurem Natron flockig sich abscheidet. Es löst sich fast mit gleicher Leichtigkeit in Säuren wie in Alkalien und ist gänzlich unkrystallisirbar. Dampft man nun die Flüssigkeit zur Trockne ab und zieht das schwefelsaure Natron mit Alkohol aus, so erhält man noch mehr davon. Ich halte ihn für ein Product der weitergegangenen Einwirkung der Schwefelsäure auf das Colchicein. Ich bekam ganz ähnlich sich verhaltende Substanzen beim längeren Kochen des reinen Colchiceins mit Säuren. Das Colchicein ist in reinem Zustande von weisser Farbe. Aus kochendem Wasser scheidet es sich beim Erkalten in kleinen Nadeln ab, die sich zu zahlreichen warzenförmigen Gruppen vereinigen. Die aus der alkoholischen Lösung erhaltenen Krystalle sind perlmutterglän- zend, und erscheinen unter dem Mikroskop als aus vielen wetzstein- förmigen Individuen bestehende, concentiische Gruppen. In Aelher ist das Colchicein schwerer löslich und bleibt beim Verdunsten dieses in derselben Form wie aus Alkohol zurück. In Chloroform ist es leicht löslich , doch scheidet es sich beim freiwilligen Verdunsten desselben nicht krystallisii-t aus. Die Lösungen des Colchiceins schmecken viel weniger intensiv und anhaltend bitter als die des Colchicins und als die jenes harzartigen Verwandlungsproductes des Colchiceins. Das Colchicein mit Kalihydrat geschmolzen entwickelt Ammoniak. Es ist demnach stickstoft'haltig. Nach dem Trocknen bei 100" C. bis zu constantem Gewicht wurde es mit Kupferoxyd und Sauerstoff verbrannt: 0,21 \ Grm. von einer ersten Darstellung gaben 0,1 1 575 Grm. Was- ser und 0,498 Grm. Kohlensäure, woraus sich berechnen 6,170 Was- serstoff und 64,4% Kohlenstoff. 0,2026 Grm. von einer anderen Bereitung gaben 0,1107 Grm. 258 ^l- Hübler, Wasser und 0, i809 Grm. Kohlensäure, woraus sich ergeben (3, P/o Wasserstoff und (i4,7% Kohlenstoff. Die ßestimmune; des Stickstoffs auf voluiiietrischem Wege ergab aus 0,31415 Grm. von der ersten Darstellung I l,7o CG. Stickgas bei 7,3*' C. und 7o0,8'"'" Barometerstand. Daraus berechnen sich 4,5% Stickstoff. Aus diesen Analysen folgt die merkwürdige Tliatsache : dass das Colchicein dieselbe Zusammensetzung besitzt wie das Colchicin. Berechnet Gefunden C^'^ = «H.,i. 04,4 (5 4,7 W'> = 6,0 6, 1 f),- 1 N = 4, i 5,5 - Ol» = 25,2 — — Das Colchicein besitzt saure Eigenschaften. Die wässrige Lösung röthet Lakmuspapier erst nach längerer Zeit, otTenbar weil sehr wenig in Wasser gelöst enthalten ist. Die spirituöse Lösung dagegen zeigt dieses Verhalten ganz entschieden und deutlich. In Alkalien löst sich das Colchicein sehr leicht ; in kohlensauren unter Austreibung der Kohlensäure. Aus dieser Lösung fällen Säuren dasselbe wieder aus. Die Lösungen in Kali und Natron bleiben beim Verdunsten der wässri- gen oder alkoholischen Lösung als schwach gelblicher rissiger Ueberzug zurück. Ammoniak löst das Colchicein ebenfalls. In dem Maasse aber, als das Ammoniak verschwindet, scheidet sich das Colchicein als sol- ches , ammoniakfrei , in der für dasselbe charakteristischen Krystall- form aus. Um die Verbindungen des Colchiceins mit anderen Basen kennen zu lernen , löste ich in reinem kohlensaurem Natron soviel Colchicein als beim Erwärmen davon aufgenommen wurde. Nach dem Erkalten fügte ich, um sicher zu sein, dass kein kohlensaures Natron mehr über- schüssig vorhanden war, einen Tropfen Salpetersäure zu, und filtrirte den dadurch ausgeschiedenen Theil Colchicein ab. Diese Lösung wurde benutzt um durch Wechselzersetzung mit löslichen Salzen anderer Basen die Colchicein-Verbindung dieser dar- zustellen. Ich erhielt mit: Chlorbaryum , Chlorcalcium und Chlormagncsium weisse flockige Fällungen, in der Hitze sich lösend, beim Erkalten wieder amorph sich abscheidend ; Eisenchlorid eine grünbraune Fällung ; Salpetersaurem Kobaltoxydul einen röthlichbraunen Niederschlag ; L'cber Coldiiciii. 259 Zink-. Blei-. Wismuth-, Quecksilber-Salzen weisse , im Ueber- schusse des Metallsalzes lösliche, auch beim Kochen in Lösung gehende und beim Erkalten sich amorph wieder abscheidende Fällungen. Charakteristisch ist die Kupferoxydverbindung, welche bei der Wechselzersetzung des Colchicein-Natrons mit schwefelsaurem Kupfer- oxyd als gelbgrüner Niederschlag zu Boden füllt , der aber nach einiger Zeit von selbst, beim Kochen sogleich krystallinisch und dunkler wird, im leberschuss des schwefelsauren Kupferoxydes ist er sehr löslich. In Alkohol ist das Colchiceinkupferoxyd , wie alle Colchiceinverl)indun- gen sehr löslich. Um eine grössere Menge dieser Verbindung darzustellen digerirte ich eine alkoholische Lösung von Colchicein mit Ueberschuss von frisch- gefalltem und ausgewaschenem Kupferoxydhydrat solange, bis nichts mehr gelöst zu werden schien. Die tiefgrüne Lösung wurde vom un- gelösten Kupferoxyd abfiltrirt , mit der doppelten Menge heissen Was- sers verdünnt, und solange gekocht bis der Alkohol verjagt war. Das Colchiceinkupferoxyd scheidet sich allmählich während des Kochens in Krystallen ab, die sich unter dem Mikroskop als Tafeln und Oktaeder zeigen, die dem quadi-atischen System anzugehören scheinen. Die über- stehende Hüssigkeit wai- nur noch schwach gelblich gefärbt. Das Col- chiceinkupferoxyd löst sich nur langsam und beim Kochen mit grüner Farbe in Kalihydrat und concentrirter Ammoniakflüssigkeit. Durch Schwefelamraonium wird es sogleich zerlegt zu Schwefelkupfer und einer Lösung, tlie beim Abdampfen das ursprünglich angewandte Col- chicein wiedergiebt. Dieses Verhallen wurde zur Analyse benutzt ; das erhaltene Schwefelkupfer mit rauchentler Salpetersäure völlig oxydiri. mit KO gefällt, das Kupferoxyd geglüht und gewogen. 0,2318 Grm. Colchiceinkupfeioxyd gaben 0,02L7 (irm. Kupfer- oxyd. Nimmt man für die Verbindung des Colchiceins mit dem Kupfer- oxyde die Formel : C'^HI^NO-'-hCuO an, so würden 0,2318 Grm. der Verbindung. 0,0267 Grm. Kupferoxyd haben liefern müssen. Ich schreibe die Thatsache, dass ich weniger CuO erhielt, dem Umstände zu, dass das Colchicein als schwache Säure sich auf die Art, wie ich die Verbindung darstellte, nicht vollkommen mit CuO gesättigt hatte. Einen weiteren Versuch Colchiceinkupferoxyd durch gegenseitige Zersetzung eines Kupferoxyd salzes mit Colchicein- natron darzustellen, musste ich aus Mangel an Material für jetzt unter- lassen. Weitere Versuche , welche ich mit dem Colchicein anzustellen gedenke , w erden nähere Aufklärung über die wahre chemische Natur dieser Verbindun2;en eeben. 260 ^I- H"'^'"^''' Um das Barytsalz zu erhalten wurde etwas Colchicein mit Aetz- bar\ t und Wasser gekocht, bis sich Alles gelöst hatte, der überschüs- sige Baryt durch Kohlensaure ausgefällt, die filtrirte Flüssigkeit zur Trockne verdunstet, der Colchiceinbaryt vom neuerdings noch ausge- schiedenen BaO,Co'^ durch Lösen in Alkohol und Fillriren getrennt. Nach dem Eindampfen des Filtrates blieb derColchicenbaryt als amorphe gelb gefärbte Masse zurück. Zur Barytbestimmung wurde eine bei I 00*^ bis zu constantem Gewicht behandelte Menge geglüht und der zurück- bleibende Baryt in schwefelsauren Baryt verwandelt. 0,0939 grm. der Verbindung geben 0,0288 grm. BaO,SO''. Daraus berechnen sich 18,9 % Baryt. Die Formel: G:34Hi8NO^+BaO verlangt 19,9 7« Baryt. Wir haben also in dem C olchicein ein en Stoff von sehr indifferenterNaturkennen gelernt, der durch Behandlung mit Säuren, ohne seine Zusammensetzung zu ändern, selbst in eine Säure übergeht. Es ist mir sehr wahrscheinlich, dass auch durch Alkalien, selbst ätzende ErdalkaUen das Colchicin in Colchicein übergeführt wird. Wenigstens scheint mir ein in diesem Sinne angestellter Versuch es zu beweisen. Als nämlich Colchicin mit Aetzbaryt in eine zugeschmolzene Röhre eingeschlossen einen Tag lang auf 100" erhitzt wurde, und danach der Baryt durch CO'^ entfernt wor- den war, gab die filtrirte Flüssigkeit beim Eindampfen auf ihrer Ober- fläche Häute, welche sich in Alkohol lösten und sich sonst ganz wie Colchiceinbaryt verhielten. Mit Salzsäure versetzt, schieden sich aus der concentrirten wässrigen Lösung sogleich Colchiceinkrj stalle ab. Für die Pflanzenphysiologie scheint mir die Erörterung der Frage wichtig, ob das Colchicin schon in den unreifen Samen von Colchicum aulumnale vorhanden ist, oder ob es erst bei der Reife aus einem viel- leicht schon in den unreifen Samen abgelagerten Stoffe entsteht, sowie, ob das Colchicin der Samen identisch mit dem in der Wurzel und den Blättern der Pflanze enthaltenen bittern Stoffe sei. Dass das Colchicin als solches in den Samen der Herbstzeit- lose enthalten ist, dagegen nicht das Colchicein, welches bei der mannichfachen Verarbeitung der Colchicum-Auszüge niemals von mir beobachtet wurde, scheint mir keinem Zweifel zu unterliegen. Oberlin freilich glaubte auch das Vorkommen des Colchiceins in den Samen an- nehmen zu müssen, und stellte zur Bestätigung seiner Ansicht einen Ver- such an^), der nach der von ihm schon gemachten Erfahrung ilun das 1) Ann. de chimie et de phys. Bd. I. Lieber Colchicin. 261 Gegentheil hätte lehren müssen. Er digerirte die vvässrige Lösung des eingedampften Spirituosen Auszuges der Samen, nachdem er diesen von Oel, Zucker (?) und Stärke befreit hatte, mit Thierkohle, zog die- selbe mit Alkohol aus und fügte den Abdampfrückstand wieder zur ursprünglichen Flüssigkeit. (Wozu diese Operation?) Diese versetzt er mit einigen Tropfen verdünnter Schwefelsäure und erhält nach einigen Wochen Krystalle, die sich ebenso wie das von ihm be- schriebene Colchiceine verhalten. Da nun Oberhx schon gefunden hatte, dass, wenn er das amorphe Colchicin mit einigen Tropfen Salzsäure in der Kälte stehen lasse, sich dieselbe Substanz, in derselben Weise kry- stallisirt abscheide, so war es ja fast bis zur Evidenz bewiesen, dass das Colchicein ein secundäres, durch den Zusatz der Säure erst aus dem Colchicin entstandenes Product sei. Es war mir von Interesse, zu erfahren, ob dem von mir untersuch- ten reinen Colchicin die bekannten giftigen Wirkungen der Samen von Colchicum autiimnale oder deren Extracte zuzuschreiben seien. Zu dem Zwecke wurden Versuche an Thieren angestellt. Unj aber die dabei zu erlangenden Resultate in einer für die Wissenschaft möglichst brauch- baren Weise zu verwerthen, ersuchte ich meinen sehr verehrten Freund. Herrn Dr. med. SEmEL, Assistenzarzt der rnedicinischen Abtheilung hiesiger Klinik , den medicinisch-physiologischen Theil dieser Versuche zu übernehmen , was er mit dankenswerthester Bereitwilligkeit gern ihat. In Nachfolgendem führe ich seine Miitheilungen wörtlich an: Ein junger Hund, Mischrace, bekam am i. April Nachmittags fünf Uhr 0,05 Grm, Colchicin in etwa 12 Grm. Wasser gelöst; war danach ganz munter, wurde dann in den Stall gebracht und am andern Morgen todt gefunden, bereits kalt und steif. Er hatte mehrmals gebrochen und Durchfälle gehabt. Section am 4. April Nachm. 5 Uhr: Starke Todtenstarre; Vorder- beine stark flectirt an- und gegen einander gezogen. In der Gegend des Afters haftete eine ziemliche Quantität blutigen Schleimes an. Sinus longitudin. leer, im Sinus transvers. wenig dunkles dickflüssiges Blut. Hirnhäute blutarm, ebenso die Hirnsubstanz, die ein blasses, stark glänzendes Aussehen bietet und deren Consistenz ziemlich derb ist. Musculatur dunkel braunroth. Nach Eröflhung des Thorax zeigen sich sämmtliche Venenstämme, dieVv. cavae,jugulares, subclaviae bis in ihre feinen Verästelungen hinein strotzend gefüllt. Ebenso der rechte Vor- hof, der bedeutend erweitert und mit Blut überfüllt ist. Das Blut selbst ist sehr dunkel, dickflüssig, theerartig, schmierig. An den Klappen des Herzens ist aussen eine gallertartige Verdickung bemerkbar. Zipfel der Mitralis nichts abnormes. Die Musculatur des Herzens ist derb, braun- 262 M. Hübler, rotli, die äussere Häifle dei- Musoulatur dunkler gefarljt als die innere, so dass eine deutliche Abgrenzuna; in den Farbenlönen in der Mitte der Muskelsubstanz zu l)enierken ist. Lungen rosenroth, völlig lufthaltig, l)lutarm. Leber dunkel von fast kirschfarbeneni Aussehen, sehr iiiüchig. so dass beim Herausnehmen auch ohne grosse Gewalt der Peritoneal- überzug und die Sulistanz anreisst. Der Blutgehalt ist beträchtlich; der Schnitt von gleichmässig dunkeler Farbe. Acini schwer unterscheidbar: das Gewebe lässt sich mit Leichtigkeit in grosseren Parthieen mit dem Messer abstreifen. Milz hält wenig Blut, ist brüchig, von dunkler Farbe auf dem Schnitt. Nieren beide derb; Corticalis sticht von den Pyra- miden durch ihre blassere Farbe ab. Magenschleimhaut in der Hälfte nach dem Pylorus zu stark gewülstet. Die ganze Schleimhaut leicht geröthet, stärkere Röthung auf einigen Sclileimhautfalten, auf denen sich auch einige kleine Ekchymosen befinden. Die ganze Schleim- haut des Darmcanals vom Duodenum bis zum Rectum ist mit einem dicken, blutigen, dunkelrosaroth gefärbten Schleime bedeckt. Die Schleimhaut des Darmes überall theils stärker, theils schwächer rosa- roth gefärbt. Im oljeren Drittel des Ileum finden sich PEVER'schen Pla- ques entsprechende grosse dunkelrothe Ekchymosen unter der Schleim- haut, die dieselbe über ihre Umgebung hervorragend machen. Das Blut ist theils unter, theils in die Schleimhaut ausgetreten. Auch an einzel- nen solitären Follikeln finden sich Blutaustritte. Ebensolche als die ersleren finden sich über der Klappe und im Anfange des Dickdarmes; sehr einzeln im unteren Theile dessell)en. im Rectum und unteren Theile des Colon ist die allgemeine Röthung der Schleimhaut intensiver, hier finden sich zahlreiche kleine, wenig erliabene Ekchymosen unter der Schleimhaut. Das Peritoneum zeigt nirgends eine Veränderung. Unter dem Mi- kroskop zeigten sich die Rlutkörperchen unverändert, nur fiel es auf, dass sie sich fast nirgends münzenförmig aneinanderreihten, sondern neben einander lagen. Weisse Blutkörperchen waren auffallend wenig zu sehen, dagegen eine ziemliche Menge Pigmentschollen. An den dickeren Schichten fiel eine ungewöhnliche, ins Violette gehende Färbung auf. An den Leberzellen fand sich nichts Abnormes. Die Capillaren, die mit Blut gefüllt waren, boten dieselbe violette Färbung. Zweiter Versuch: Ein schwarzer Pinscher, ziemhch alt, von mittlerer Grösse, erhielt am 5. Aprii Morgens 8 Uhr 0,05 Grm. Colchicin mit Brod und etv.as Fleisch. Bis '\0% Uhr wurde an ihm nichts Beson- deres bemerkt. Um diese Zeit wurde er unruhig und fing an zu erljre- chen und zwar Speisereste. Nach y^stündiger Pause trat wiederholtes L>i)er Colcliiciu. 263' Ei'brechen auf, das noch aus Speiseresien bestand. Um diese Zeit war die Respiration frequent, der Herzschlag schwach. Der Hund lag, den Kopf auf die Vorderpfoten gelegt, ruhig da, bewegte sich aber wenig, v^enn man ihn angriff oder aufzurichten versuchte. Die Pupillen ent- sprechend weit. Von 1 1 Uhr ab Erbrechen von schleimiger Flüssigkeit, 1 1 y^ Uhr Durchfall und forlgesetztes Erbrechen zähen Schleims. Von 12 Uhr an zeigt sich grosse Schwäche;, erliegt ganz ruhig, athmet fre- quent. Von i Uhr an wird die Respiration beschwerlich, geräuschvoll: später unregelmässig aussetzend, kurz abgebrochen. Um 6V4 Uhr er- folgte der Tod. Section den 6. April Nachmittag ö Uhr. Starke Todtenstarre, Ex- tremitäten flectirt an den Leib gezogen, die rechten weniger als die linken. Die Zunge hängt etwas aus den geöffneten Kiefern heraus. Am After haftet eine reichliche Quantität blass rosa gefärbten Schleims. Sinus longitud. leer; die Hirnhäute massig blutreich, ebenso die Hirn- suljstanz, auf deren Schnitte sich wenig Blutpuncte zeigen. Substanz ziemlich dei-b, etwas glänzend, bietet nirgends etwas Abnormes. Sinus an iler Basis ziemlich stark mit dunklem Blute gefüllt, Musculatur derb, braunroth. Nach tier Eröffnung iles Thorax zeigt sich der rechte Vorhof und die grossen Venenstämme mit Blut sehr stark gefüllt, der rechte Vorhof tladurch beträchtlich ausgedehnt ; der r. Ventrikel weniger, der 1. stark contrahirt. Das Blut des r. Vorhofs und der Venen ist sehr dunkel, Iheerartig, schmierig und hat nur wenige lockere dunkle kleine Gerin- sel, im r. Ventrikel ziemlich viel, im 1. sehr wenig Blut von derselben Beschaffenheit ohne Gerinselbildung. Klappen alle normal, das Herz- fleisch der)). An verschiedenen Stellen der ganzen Musculatur, beson- ders am V. Ventrikel sieht man auf tlem Schnitte schmale, blassviolette Streifen durch die Musculatur hindurchgehen, die sich von der braunen Farbe des Muskels scharf unterscheiden. Lungen beide hellroth: halten wenig Blut, überall Luft, wie im ersten Falle. An einer Stelle im buken unteren Lappen an seinem Rande luftleer, dunkler gefärbt, Gewebe derb. Leber dunkelbraun, sehr leicht zerreisslich. Schon beim Heraus- nehmen reisst der Perilonealüberzug und das Gewebe an mehrei'en Lappen. Auf dem Schnitt ist dieselbe gleichmässig dunkel gefärbt, blut- reich. Reichliche Fettablagerung im Netz. Milz von gewöhnlicher Grösse; Gewebe ziemlich fest, Malpküu'- sche Körper sehr deutlich. Linke Niere: Corticalis blutreich, von den Pyramiden, die ebenfalls sehr dunkel gefärbt sind, wenig abstehend ; zeigt schmalere dunklere Längsstreifen. An der rechten sind Pyra- Bd. r. 3. -18 264 ^'' Hiibler, über rolcliiciii. uiiden und Corticulis noch o" \ D = 'ilV> \ D = iö" Acetal: I0'("| . . . . Acrylal 129"') . . . D = 25» Elavichloi'ür: S2'*.oj 2fachchior\v. Gh- » I eidäther: 1 0^2" | . . . D = I9«,5 1 D = 4 1 " j D = i I " Diathylglycoläther:l23",o^ Diäthylglj eidäther: 143"j . . .D= 19^.5 Ein Versuch niilzweifach-chlorwasserstoffsaureni Gly eidäther wird leicht vollkommene Entscheidung bringen können. Kehren wir nun zurück zu dem über 1 20*^ siedenden Theil unseres ursprünglichen Productes. Es wurde zunächst eine Probe des zwischen 1 3U und I 50" Uebergegangenen analysirl, einestheils um zu erfahren, 0J3 die Verbindung sauerstofflialtig sei, anderntheils um die Richtung des Unterschiedes in der Zusanmiensetzung \on der früher siedenden Verbindung kennen zu lernen. 0,2515 Grm. Substanz gaben 0,239o Grm. Kohlensäure, entpr. 0,06532 Grm. Kohlenstoff = 26,0 Proc. und 0,0870 Grm. Wasser, entspr. 0,009667 Grm. Wasserstoff = 3,8 Proc. 0,2533 Grm. Substanz lieferten 0,715 Grm. Chlorsilber, entspr. 0,1769 Grm. Chlor = 69,8 Proc. 0,2755 Grm. Substanz lieferten 0,7777 Grm. Chlorsill)ei', entspr. 0,1929 Grm. Chlor = 70,0 Proc. Aus diesen Resultaten Hess sich schliessen, dass die Substanz noch ein Gemisch von der früher siedenden und einer höher siedenden, ebenfalls Sauerstoff freien, abei- chlorreicheren Verbindung darstelle, und dass dieser letzleren wahrscheinlich die Zusammensetzung €'H'^€1' zu- kommen würde, denn : Rerech nel Gefunden Rerechnet €' = 32,5 26,0 — 21,4 = £-^ R^ = 3,6 ■ 3,8 — 3,4 = M^ Cl-^ = 63,9 69,8 70,0 72,2 = €F 100,0" 100,0 Körper nun, welchen die Formel: C'{4''C1' zukommt sind das Tri- chloihydrin (Sdp. gegen 155*^; Rurthelot] und das einfach-gechlorte Propylenchlorür (Sdp. 170*'; Cahours). Es wurde desshalb das durch wiederholte Fractionen ') erhaltene zwischen 152 und 156" siedende Product der Analyse unterworfen. 1) Es gelingt nur sehr sclnver eine genügende Trennung. Geringe .Mengen von 272 A. Geuther, 0,2'jO Grm. Substanz gabtn 0,259 Grm. Kohlensaure, entspr. 0,07064 Grm. Kohlenstoff = 24,4 Proc. und 0,0865 Gnn. Wasser, entspr. 0,009611 Grm. Wasserstoff = 3,3 Proc. 0,202 Grm. Substanz lieferten 0,586 Grm. Chlorsill)er, entspr. 0,14497 Grm. Chlor = 71,8 Proc. Berechnet Gefunden G^ = 24,4 24,4 ö^ = 3,4 3,3 €F = 72,2 71,8 Nachdem nun so die Analyse und der Siedepunct die Substanz als Trichlorhydrin kennzeichneten, so habe ich mich von diesem Re- sultate doch noch auf andere Weise zu überzeugen gesucht. Das Tri- chlorhydrin geht bei der Behandlung mit Kalihydrat, wie Reboul ge- zeigt hat, in zweifach-chlorwasserstoffsauren Glycidäther über, ebenso verhält sich unsere Verbindung. Nach Berthelot^) verwandelt sich das Trichlorhydrin »während einiger Stunden mit Wasser und Silberoxyd auf 100" erhitzt« in Glycerin. Der Versuch wurde auch mit unserer Verbindung und zwar so angestellt, dass dieselbe mit Silberoxyd und dem mehrfachen ihres Volums Wasser im verschlossenen Rohr während 6 Stunden auf 1 00" erhitzt wurde. Das Rohr hatte sich zum Theil ver- silbert: nach dem Oeffnen desselben, wobei sich kein Druck im Innern bemerkbar machte, wurde der Inhalt filtrirt und die durchgelaufene Flüssigkeit, welche einen süssen Geschmack besass auf dem Was- serbade zur Trockne eingedampft. Dabei fand eine Abscheidung Von schwarzem Silber statt. Nach dem Zusatz von wenig Wasser wurde abermals filtrirt : die Lösung liesass keinen süssen , wohl aber einen metallischen Geschmack und schied beim Eindampfen auf dem Wasser- bade abermals geringe Mengen Silber aus. Sie wurde nun mit ül)er- schüssigem Schwefehvasserstoffwasser erwärmt, filtrirt und wieder auf dem Wasserbade eingedampft; es hinterblieb kein Rückstand, in die Schale gebrachtes Wasser nahm keinerlei Geschmack an. Das abfil- trirte Silberoxyd wurde nun in der Kälte mit verdünnter Salpetersäure Übergossen, ein Theil ging in Lösung, ein anderer löste sich in der Wärme unter Bildung rother Dämpfe, während ein dritter als Chlor- silber mit dem überschüssig angewandten Oel zurückblieb. Es waren also geringe Mengen eines leicht reducirbaren Silbersalzes, neben Chor- silber und metall. Silber entstanden, aber keine nachweisbaren Men- zweifacli-chlorwasserstoffsaurem Glycidäther bewirken, dass die grösste Menge im- mer wieder zwischen 144 und 1300 über destillirt. 2) Chimie organ. fondee sur la Synthese. Paris 1860. T. II. p. 120. ['eher einiop chlorhaltige Abkömmlinge des Acroleiiis. 273 gen Glycerin, und der süsse Geschmack des ersten Filtrats rührte von unserer unveränderten Verbindung: her, die in geringer Menge in Wasser löslich ist und ilun dabei diesen Geschmack ertheill. Da ich nirgends in den verschiedenen Abhandlungen Berthelot's über die Art seines Verfahrens aus Trichlorhydrin , Silljeroxyd und Wasser Glycerin zu erzeugen, nähere Angaben gefunden habe, so wie- derholte ich mit aus Glycerin dargestelltem Trichlorhydrin den Versuch, und zwar in ganz der n ä m 1 i c h e n Weise, wie oben an- gegeben wurde. Das Resultat war ganz das nämliche, wie im vori- gen Versuche : es war keine Spur von Glycerin nachzu^^ eisen . Demnach kann ich die obenerwähnte Angabe Berthelot's ni ch t be- stätigen. Weiter war es das Verhallen des Natriums zum Trichlorhydrin, welches ich mit dem zu unserer Verbindung verglichen habe. Da})ei entsteht, wie dort, so auch hier, jener an seinem ausgesprochenen Ret- tiggeruch erkennbare Kohlenwasserstoff, das Allyl. Was nun die Bildung des Trichlorhydrins bei der Einwirkung von Phosphorsuperchlorid auf Acrolein betrifft, so ist dieselbe abhängig von der Gegenwart von Salzsäure. Diese aber ist immer, wenn auch nur in geringer Menge vorhanden durch die zersetzende Einwirkung, welche die nie ganz aviszuschliessendc atmosphärische Feuchtigkeit auf das Phosphorsuperchlorid äussert. Man kann ferner auch an eine spätere Entstehung des Tricldorhydrins bei der Zersetzung iles entstandenen, Phosphoroxychlorid enthaltenden Productes mit Wasser denken, da der zweifach-chlorwasserstoffsaure Glycidäther nach Reboul mit Chlorwas- sersioffsäure zusammen Trichlorhydrin bildet. Vielleicht findet that- sächlich Beides statt. 11. S a 1 z s a u r e s Acrolein u n d Phos p h o r s u j) e r c h 1 o r i d. Als die geeignetste Verbindung, um das Acrolein in Trichlorhydrin überzuführen, erschien darnach das salzsaure Acrolein. Zur Einwirkung des Phosphorsuperchlorids auf dasselbe wurde in einer Retorte, deren Hals in die Höhe gerichtet war, zu 1 Mgt. des ersteren I Mgt. der letz- teren Verl)indung (€-'H^O'^,H€l) im ^^asserfreien Zustande gebracht. Da in der Kälte nur höchst geringe Einwirkung stattfand, wurde allmählich im Wasserbade erwärmt. Unter Verflüssigung des Retorteninhaltes fin- det eine reichliche Entwickelung von Salzsäure statt. Nach beendeter Einwirkung wurde tias Product in kleinen Mengen zu viel Wasser ge- fügt, damit durchgeschüttelt und durch wiederholtes Waschen vollstän- 274 A. Geiither, dig vom Phosphoroxychlorid befreit. DerSiedepunct der über Ghlorcal- cium getrockneten Sul)slanz ging verliällnissinässig rasch auf 130'^ und von da an bis 150" destillirte Alles bis auf einen geringen, in der Re- torte verbleibenden, bräunlich gefärbten und bei weiterem Erhitzen sich unter Salzsäureentwickelung zersetzenden ölförmigen Rückstand über. Von dem bis 150" übergegangenen Destillat wurde zunächst der geringe Theil des niedrigsiedenden Productes durch wiederholte frac- tionirte Destillation zu entfernen und dann aus dem höher siedenden Theil die davon fi'eie Verbindung darzustellen gesucht. Das letztere ge- lang nur ausserordentlich schw er : die grösste Menge destillirte immer mit etwas niedrig siedender Verbindung noch zusammen unter 1 50" über (vergl. oben). Die Resultate der Analysen einer bei 1 14" und einer bei I 48" über- gegangenen Portion lassen indess über die wahre Zusammensetzung der Substanz keinen Zweifel. Sie besitzt in der That die Formel: €^H^€1 ' und ist, vvie andere Eigenschaften derselben noch zeigen, eben- falls Trichlorhydrin. Siedepunct 1 44". 0,21575 Grm. Substanz gaben 0,2025 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,05523 Grm. Kohlenstoff" = 25,(5 Proc. und 0,0715 Grm. Wasser, entspr. 0,007945 Grm. Wasserstoff = 3,7 Proc. 0,32125 Grm. Substanz lieferten 0,90i Grm Chiorsilber, entspr. 0,2236 Grm. Chlor = 69,0 Proc. Als darauf diese nämliche Portion wieder destillirt wurde, ging ein Theil bei I 4(S" über. Die Analyse davon ergab folgende Zahlen : 0,35375 Grm. Substanz gaben 0,3205 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,08711 Grm. Kohlenstoff' = 24,7 Proc. und 0,116 Grm. Wasser, entspr. 0,01289 Grm. Wasserstoff = 3,6 Proc. 0,28925 Grm. Substanz lieferten 0,827 Grm. Chlorsilber, entspr. 0,2046 Grm. Chlor = 70,7 Proc. Diese Resultate, verglichen mit denen, welche das bei 155" sie- dende Trichlorhydrin fordert, zeigen zweifellos, dass diese letztere Ver- bindung den Haupltheil des Productes ausmachte. Von weiteren analy- tischen Relegen wurde deshalb abgesehen. Rerechnet Gefund en 144" !48" 0 = 2i,4 25,6 24^7" H'^ = 3,4 3,7 3,6 4^1 ' = 72,2 69,6 70,7 100,0 l'eber einige cliloiiiiiitige Abköiiiiüliuae tles Acioieius. 275 Das spec. Gew. einer bei löO^ übergegangenen Portion betrug 1,37 bei 9", 5? während dasselbe für das aus Glycerin dargestellte Trichlorhydrin zu 1,40 bei S*' gefunden wurde. Gegen Silberoxyd und Wasser bei I 00" verhält sich das Product genau so, wie oben ^o^n Triehlorhulrin angegeben worden ist. III. Met acro lein. Cartmell und ich') haben fiüher gezeigt, wie bei der Behandlung des salzsauien Acroleins mit Kalihulrat unter Bildung von Chlorkaliunj eine schön kiystallisirte Ver])indung entsteht, welche die nämliche Zu- sammensetzung, wie das Acrolem besitzt, dasMelacrolein. Bei der Darstel- lung desselben erleidet einTheil des angewandten Acroleins eine weitere Zersetzung, indem es unter Entwickelung von Wasserstoffgas amei- sensaures und essigsaures Kali erzeugt. So wurden aus 46 Grm. trock- nen salzsauren Acroleins, gewonnen aus 73,3 Grm. wasserfreien Acro- lein, ajistatl 27,7 Grm. nur 2!,ö Grm. Metacrolein erhalten. Ich habe Versuche angestellt, um diesen Verlust zu vermeiden, indess ohne Er- folg. Dabei hat sich ergeben, dass man anstatt des Kalihydrats nicht Natronhyliai brauchen kann, weil dasselbe erst bei höherer Tempera- tur einwirkt und diese es ist, welche eine weitere Zersetzung des Acro- leins begünstigt. Die das Metacrolein charakterisirenden Eigenschaften sind in jener früheren Abhandlung vollständig mitgetheilt, nur eine jener Angaben, nämlich die, dass es leichter als Wasser sei, ist hier zu berichtigen. Es ist in der That etwas schvserer, sein spec. Gew. beträgt i,03 bei 8". Die Eigenschaft desselben, von Wasser sehr schwer benetzt zu werden. so dass selbst breitere dünne Krystallmassen nur sehr schwer oder gar nicht zum Untersinken zu bringen sind, war die Ursache zu jener frü- heren Angabe. Compacte Massen sinken leicht unter. Metacrolein und Phosphor superchlorid. Zu Phosphoi- superchlorid, das sich in einer mit kaltem Wasser umgebenen Retorte befand, wurde soviel Metacrolein gegeben, dass auf 2 Mgt. SauerstotV des letzteren 1 Mgt. Phosphorsuperchlorid kam. Es fand eine lang- samere und unter geringerer Wärmeentwickelung, als bei gewöhnli- chem Acrolem, verlaufende Einwirkung, ohne Chlorwasserstoffent- wickelung statt. Der Retorteninhalt wurde nach Beendigung der Reaction, die zu- letzt durch gelindes Erwärmen unterstützt wurde, in kleinen Portionen zu viel Wasser gegeben und damit geschüttelt. Das nach vollkomme- i) Ann. Clieni. u. Ptiarm. Bd. CXII. p. 6. 276 ^' Geiither, nein Waschen überChlorcalciuni getrocknete ölförmigeProduct zeigte bei (ier Destillation genau die nämlichen Siedepunctsverhältnisse, wie das iius dem gewöhnlichen Acrolein dargestellte. Es begann etwas über 80^ zu sieden, während das Thermometer langsam bis 130", dann rascher bis gegen 160" stieg. Durch Rectification wurde als das flüchtigste Product ein bei 84", 5 siedender Theil, also gewöhnliches Acrolein chlorid erhalten. Von dem höher siedenden Theil wurde, da es wichtig war zu erfahren, ob auch der bei 102" siedende zweifach-chlor Wasser- stoff saure Glycidäther mit entstanden sei, die zwischen 100 und 110" übergehende, nicht unbelriichtliche Portion für sich gesammelt und nach einer wiederholten Rectification der zwischen 102 — 108" de- stillirende Theil zu einer Chlorbestimmung verwandt. 0,249 Grm. Substanz lieferten 0,64255 Grm. Chlorsilber, entspr. 0,15896 Grm. Chlor = 63,8 Proc. Die Formel: €'H^€P verlangt: 63,9 Proc. Das Metacrolein lie- fert demnach bei der Behandlung mit Phosphorsuperchlorid die näm- lich en Producte, wie gewöhnliches Acrolein. Metacrolein und E s s i g s ä u r e a n h y d r i d . Metacrole in wurde mit soviel wasserfreier Essigsäure, dass auf I Mgt. Sauerstoff im Acro- lein etwas mehr als 1 Mgt. Anhydrid (C^fl-^O') kam, in ein Rohr einge- schlossen. Schon in der Kälte löst sich das erstere leicht in der Säure auf. Während 6 Stunden wurde nun das Gemische auf 150" erhitzt und dann mit dem Rohrinhalt, welcher Acroleingeruch besass , weiter verfahren, wie bei der Darstellung des zweifach-essigsauren Acroleins. Das zurückbleibende , genügend gewaschene Oel gab sich durch den Siedepunct von 1 80", durch den eigenthümlichen Geruch, sowie durch seine Zersetzungsproducte als zweifach-essigsaures Acrolein zu erkennen. Metacrole i n u n d A m m o n i a k . Metacrolein w urde mit über- schüssigem wässerigen Ammoniak in ein Rohr eingeschlossen und län- gere Zeit zunächst auf I 00" erhitzt. Ein Theil des Metacrolems geht in Lösung, scheidet sich beim allmählichen Erkalten aber wieder ölförmig (und dann krystallisirend) ab. Eine weitere Veränderung war nicht zu bemerken. Das Rohr wurde hierauf auf 160" während 8 Stunden er- hitzt. Beim Erkalten war ebenfalls wieder eine Abscheidung von gelöst gewesenem Metacrolein zu bemerken, das überhaupt seiner Menge nach keine Verminderung erfahren zu haben schien , sowie es auch seiner Natur nach unverändertes Metacrolein geblieben war. Die wässerige Flüssigkeit hatte eine gelbliche Farbe angenommen und besass neben Ammoniak einen Geruch , wie er bei der Verwandlung des Acrolein- Ammoniaks durch Wärme auftritt. lieber einige chiorlialtige Abkömmlinge des Acrolei'ns. 277 Das Metacrolein ist dem Ammoniak Gegenüber also ausseror- dentlich he standie;. IV. Elaldehyd. Elaldehyd und Pliosphorsuperchlorid. Lässt man zu Phosphorsuperchlorid, das sich in einer mit kaltem Wasser umgebenen Retorte befindet, allmählich so viel Elaldehyd fliessen, dass auf 2 Mgl. Sauerstoff' im letzteren I Mgt. Phosphnrsuperchlorid kommt, so findet unter Wärmeentwicklung (die weil geringer ist, als bei gewöhnlichem Aldehyd) eine ruhig verlaufende Einwirkung statt, ohne Chlorwasser- stoffentwicklung. Der flüssige Retorteninhalt wurde destillirl und das bis 100" übergehende für sich aufgefangen, mit viel kaltem Wasser wiederholt gewaschen, über Chlorcalcium entwässert und destillirl. Es bestand nur aus dem bei 58", 7 siedenden Aldehydchlorid, wie eine damit vorgenommene Chlorbeslimmung noch weiter zeigte. 0,3426 Grm. lieferten 0,9887 Grm. Ghlorsilber, entspr. 0,24459 Grm. Chlor = 71,4 Proc. Die Formel <^2|44^i'2 verlangt: 7i,7 Proc. Ausser dieser Verbindung war nur Phosphoroxychlorid entstan- den, so dass also auch der Elaldehyd sich hier vollkommen wie ge- wöhnlicher Aldehyd verhall. Elaldehyd und E s s i g s ä u r e a n h y d r i d. Elaldehyd n\ urde mit so viel w-asserfreier Essigsäure G'^M'^0', dass auf 2 Mgl. Sauerstoff im ersteren etwas mehr als 2 Mgt. Anhydrid kamen in ein Rohr einge- schlossen und längere Zeit auf 160" erhitzt. Nach dem Waschen mit Wasser blieb eine ölige Flüssigkeit zurück, weiche über Chlorcalcium entwässert den Siedepuncl und die sonstigen Eigenschaften des zwei- fachessigsauren Aldehyds zeigte. Der Elaldehyd, welcher für sich beim Erhitzen auf 200" nicht verändert wird, giebt also hierbei die Verbindung des gew öhnlichen Aldehyds Das spec. Gewicht des zwei- fach-essigsauren Aldehyds (mit gewöhnl. Aldehyd dargestellt) hat sich bei 10" zu 1,07 ergeben. E 1 a 1 d e h y d und Ammoniak. Elaldehy d wurde mit dem mehr- fachen Volum von conc. wässrigem Ammoniak in ein Rohr eingeschlos- sen und während mehrerer Tage auf 100" erhitzt. Da keine Verände- rung eingetreten war, wurde die Temperatur während längerer Zeit auf 160" gesteigert. Aber auch da fand nicht die geringste Wechsel- wirkung statt. 27S ^- (jiMitlier, 1 ebfr ciniuc AbköiniiiliimP d. Acroli'Tii. Eine Vergleiclmng des Verlinltens vom Metacrolein und Elaldehyd in den erwähnten Füllen lehrt also, dass beide sich vollkommen gleich verhalten, indem sie mit Phosphorsuperchlorid und Essigsaureanhvdrid die nämlichen Producta, wie das Acrolein und der Aldehyd liefern, durch Ammoniak al)er nicht verändert werden. Jena, d. 29. Mai. ISßi. I fhcr Faipatioii nonuaier Eierstöcke iiiul Diagnose geringer Vergrösseriiugeii derselben. Von B. S. Sehultze. Die Ansichten der Autoren üJxM- die Möglichkeit, geringe Tumoren der nicht dislocirten Eierstöcke zu erkennen, weichen erheblich von einander ab. Um nur zwei verschiedene Ansichten anzuführen, möge hier folgen, was Scaxzom unil was Veit über die objective Diagnose der Oophoritis sagen. ScANzoM sagt in seinem Lehrbuche der Krankheiten der weibli- chen Sexualorgane III. Aufl. Wien 1863, Seite 39 5, über die Diagnose der acuten Oophoritis: »Weder die äussere noch die innere Untersu- chung giebt bestimmte Anhaltspuncle für die Diagnose der parenchy- matösen und foUiculären Oophoritis, indem das Organ l)ei diesen For- men der Krankheit nicht leicht ein solches Volumen erreicht, dass seine Vergrösserung durch die ßauchdecken oder durch die Vagina constatirl werden könnte, und bildet sich unter den olien erwähnten Symptomen eine in der Ovariengegend fühlbare Geschwulst, so verdankt sie ihre Entstehung, mit gewiss nur sehr seltenen Ausnahmen, der Anhäufung des rings um den Eierstock gesetzten und erstarrten Exsudats, woraus hervorgeht, dass eigentlich nur die sogenannte peritonäale Oophoritis palpable Veränderungen am Unterleibe derKranken hervorruft, u. s. w.« Ferner auf Seite 31)9 : «Die wichtigste Stütze für die Diagnose der chro- nischen Oophoritis bleibt immer der oben näher beschriebene auf die Ovariengegend beschränkte, oder wenigstens von hier ausstrahlende Schmerz. Ist die Krankheit von keiner reichlicheren Exsudatablagerung in der Umgebung der Eierstöcke begleitet, so ^Airdes nicht leicht ge- lingen, am Sitze des Leidens eine von den Bauchdecken oder von der Vagina aus palpable Geschwulst zu entdecken. Wir wenigstens erinnern uns keines Falles, wo dies gelungen wäre, und so oft wir bis jetzt eine Vergrösserung des Eierstockes constatiren konnten, überzeugte uns Jer Bd. 1. 3. ,|9 280 B. S. Schnitze, weitere Verlauf der Krankheit immer, dass wir es nicht mit der in Rede stehenden Anomalie, sondern mit einer der weiter unten zu beschrei- benden Geschwulstbildungen zu thun hatten. Ist aber in der Nähe des Eierstockes eine grössere Menge von Plxsudat abgelagert, so wird schon durch dieses die Möglichkeit des Fühlbarseins des etwa vergrösserten Ovariums beseitigt«; und weiter: »die Diagnose der chronischen Oopho- ritis wird deshalb in den meisten Fällen nur durch Exclusion anderer, ähnliche Erscheinungen hervori'ufender Affectionen der Beckenorgane begründet werden können, und n)an ist zur Annahme dieses Leidens berechtigt, wenn eine sorgfältige innere und äussere Untersuchung keine Krankheit der Gebärmutter, der Scheide, Blase u. s. w. annehmen lässt, welche den oben erwähnten Symptomencomplex hervorzurufen vermöchte. « Dagegen spricht sich Veit in seiner Abhandlung über Frauenkrank- heiten in ViRCHOw's Handb. der spec. Path. und Ther. Seite 21 6 folgender- massen über die Diagnose der Oophoritis (der acuten und chronischen ausserhalb des Wochenbettes) aus: ))Die Diagnose derOopiioritis ist nur in denjenigen Fällen mit Sicherheit zu stellen , in w eichen man das ange- schwollene und sciunerzhaftc Ovarium als eine begrenzte, bewegliche Geschwulst deutlich fühlen kann. Diess gelingt nur, wo die Bauch- decken sehr schlaff, und Scheide und Mastdarm sehr weit sind ; hier aber ist es oft möglich durch Verbindung der äusseren Untersuchung mit der Innern, den Eierstock fast vollständig zu umgreifen. Unter we- niger günstigen Umständen lässt sich höchstens ermitteln, dass die Um- gebung der Gebärmutter der Sitz der Entzündung ist, d. h. eine Pe- rimetritis diagnosticiren. Gleichermassen ist bei jeder beträchtlichen peritonäalen Exsudation eine speciellere Diagnose unmöglich. a Was die letzte Aeusserung betrifft, perilonäales Exsudat in der Umgebung des Eierstockes anlangend, so ist ersichtlich , dass zwischen den angeführten Autoren, wie überhaupt unter den Gynäkologen Ueber- einstimmung herrscht und soll von dahin gehörigen Zuständen auch hier nicht die Rede sein. Was aber die Diagnose der mit exsudativer Peritonitis nicht complicirten Eierstocksentzündung betrifft, so muss es natürlich von grosser Wichtigkeit erscheinen, zu wissen, wie weit eine solche auf objective Ermittelung des Thatbestandes durch Palpation be- gründet werden kann, von um so grössrer, wenn wir erw-ägen, wie unklar die Aeusserungen der meisten Patientinnen über die subjecti- ven von allerhand Genitalleiden ausgehenden Symptome zu sein pfle- gen, wie häufig die Complicationen chronischer sowohl als subacuter und acuter Oophoritis mit chronisch-metritischen Processen mannich- facher Ait und wie unsicher daher der Weg, durch Exclusion anderer, Ueber Palpmioii iioimalci' Eierstocke etc. 281 ähnliche Erscheinungen hervorrufender Aflectionen der Beckenorgane zur Diagnose einer Oophoritis sich bestimmen zu lassen. Wenn ich da- her durchaus Veit beistimme, dass nur auf das Resultat einer genauen Palpation hin eine Diagnose der Oophoritis begründet werden kann, so hat es mir nicht von geringem Werth erscheinen können in Bezug auf die Möglichkeit, die Ovarien zu palpiren, zu weit ausgiebigeren Resul- taten im Laufe der letzten Jahre gekommen zu sein, als ich nach den Mittheilungen anderer Autoren und nach meinen eignen frühern Er- fahrungen zu kommen hoffte. Die erste Veranlassung, die normalen Ovarien der Frau zu palpiren boten mir zwei Fälle, wo Frauen, mit der Diagnose von Eierstockstu- moren behaftet, durch die an dieselben geknüpften prognostischen Be- sorgnisse in einen sel)r deprimirten Zustand versetzt worden waren und wo ich, nach dem fraglichen Ovarientumor vergeblich tastend, die Ab- wesenheit eines solchen nicht mit Bestimmtheit aussprechen wollte, be- vor ich von der Beschaffenheit der Ovarien mich direct überzeugt hatte. Es gelang mir in beiden Fällen, die in Bezug auf Grösse, Form, der Consislenz und Beweglichkeit völlig normal sich verhaltenden Ovarien an ihrem normalen Platz seitlich vom Uterus etwas unter dem Rand des kleinen Beckens durch die von Bauch und Scheidengewölbe her sich entgegentastenden Finger nachzuweisen. Seit jener Zeit habe ich bei der Mehrzahl meiner Patientinnen die normalen Eierstöcke ohne Schwie- rigkeit tasten können. Wo ein grosser Tumor den Unterleib füllt, oder reichlicher Darmin- halt ihn auftreibt, wo die Bauchdecken, wie namentlich im jungfräulichen Zustand, oft auch bei verheiratheten Frauen, die nie schwanger waren, eine erhebliche Straff'heit zeigen oder wo bedeutende Schmerzhafligkeit des Unterleibes die Palpation verbietet, ebenso da, wo die Scheide ungewöhnlich straff" ist, kann man die Ovarien nicht palj)iren ; aber dies sind die seitnern Fälle. Bei Abwesenheit der genannten Hinder- nisse gelingt es dagegen fast immer und ohne weitere Unbequemlich- keit für die zu Untersuchende, als welche die Untersuchung an sich mit sich bringt, zu den Eierstöcken zu gelangen. Die Lagerung der Kranken ist dabei die, welche ül)erhaupt zu genauer Palpation der \\\- pogastrischen Gegend und gleichzeitiger Vaginaluntersuchung erforder- lich ist. Dass Blase und Mastdarm vorher entleert sein müssen, dass man den Druck auf die Bauchdecken nur langsam steigern darf, wenn man lief palpiren will, sowie andere allgemein bekannte Regeln bedür- fen nicht der Erwähnung. Auch dass die normale Lage der Eierstöcke seitlich und wenig nach hinten vom Scheidengewölbe ist und dass der Finger hier zuerst nach denselben suchen muss, ist bekannt. 19* 282 B. S. Scliultze, Nur durch conihinirte innere und iiussere Untersuchung kann man zur Auffindung des normalen oder wenig vergrösserten Eierstockes ge- langen. Die blosse äussere Untersuchung giebt für den genannten Zweck gar kein Resultat; die blosse Vaginaluntersuchung kann einen resisten- ten Körper oberhalb des Scheidengewölbes wahrnehmen , vielleicht auch dessen Beweglichkeit constatiren. al)er über Gestalt und Grösse, über die näheren Beziehungen desselben zu den übrigen Beckenorganen meisst keinen Aufscliluss geben; in derMe'nrzahl der Fälle ist sogar das Ovarium so leicht beweglich, dass es der l)lossen inneren Untersuchung sich ganz entzieht. Die vom Bauch und der Vagina entgegentastenden Finger können dagegen, bei Abwesenheit der genannten erschweren- den Umstände das Ovarium zwischen sich fassen. Bevor man überhaupt nach den Ovarien tasten darf, muss man ü])er den Fundus uteri sich völlig ins Klare gesetzt haben, und auch w ährend man nach den Ovarien tastet ist es gut, den Fundus uteri mit einem oder zwei Fingern zu überwachen, weil sonst ein sehr bewegli- cher Uterus zu irrthümliciier Deutung veranlassen könnte, wenn er dem Finger von Neuem begegnet. Der Eierstock präsentirt sich der combi- nirten Untersuchung als ein seitlich neben dem Uterus gelegener Kör- per von der bekannten Grösse und Gestalt des Ovarium, den der Fin- ger rings umgreifen und von vorn nach hinten meist sehr ausgiebig, von rechts nach links gegen den Uterus hin und von ihm weg nach aussen meist weniger frei verschieben kann; er fühlt sich festelastisch an, gleitet unter den Fingern leicht hin und her und lässt oft deutlich Unebenheiten seiner Oberfläche erkennen. F^ine Cyste im Ligamentum latum, eine unscheinbare Ausdehnung der Tuba, ein gestielt dem Uterus seitlich aufsitzendes Fibroid würden für die l'alpation dasselbe oder doch fast dasselbe Gefühl darbieten und können daher, wo sie existiren, zu unvermeidlichen Verwechslungen Veranlassung geben ; das sind aber ganz seltene Zustände. Häufigere Veranlassung zu Verwechselung kann ein im Darm gelegener kleiner Kothballen bieten ; durch wiederholte Untersuchung nach vorgängiger Darmentleerung ist diese Täuschungsquelle auszuschliessen. Ich habe die geschilderten Resultate der Palpation des normalen Eierstocks am lebenden Weibe wiederholt lan der Leiche controlirt, indem ich zuerst an der unversehrten Leiche, dann nach eröffneter Bauchhöhle die gleiche combinirte Untersuchung vornahm ; ich fand es durch die Autopsie bestätigt, das der wie vorgehend beschrieben der Palpation sich darbietende Körper der Eierstock ist. Den rechten Eier- stock erreichen vom Scheidengewölbe aus am leichtesten Zeige- und Milteiiinser der rechten, den linken Eierstock die eleichnamieen Fin- Uebcr PiilpiUion normaler Eierstöcke etc. 283 ger der linken Hand, während jedesmal die andere Hand von den ßauchdecken her entgegentastet. Die Untersuchnng durch das Rectuin ist mir für Aufündung der Eierstöcke niemals ergiebiger gewesen, als die durch die Vagina, in der Mehrzahl der Fälle kann man sogar das durch die Vagina deutlich zu erkennende Ovarium, vom Rectum her überhaupt nicht erreichen. Auch in denjenigen Fällen, wo der Eierstock abnormer VS^eise im Douglasi- schen Räume liegt, ist er durch das hintei-e Scheidengewölbe leicht zu erreichen und die vom Bauche her entgegen tastende Hand wird viel leichter selbst dem hinler dem Uterus in der Vagina liegenden als dem im Rectum tastenden Finger entgegengeführt. Die von aussen tastende Hand bis gegen den Douglasischen Raum hin zu führen, erfordert aller- dings ganz besonders schlaffe Bauchdecken ; wenn der nicht vergrös- serte Eierstock im Douglasischen Räume als solcher erkannt werden soll, so wird daher bei straffen Bauchdecken stets ne])en der Untersu- chung per vaginam auch die per rectum nötiiig, sonst könnte, wie ich mich eines Falles erinnere, eine neben oder hinter dem Mastdarm ge- legene angesehwollene Lymphdrüse von der Vagina aus für ein im Dou- glasischen Räume gelegenes Ovarium imponiren. Da wir hiernach in der Mehrzahl der Fälle im Stande sind, uns von de!u normalen oder abnormen Verhalten der Eierstöcke durch die Palpalion zu überzeugen; da die von den Erkrankungen derselben aus- gehenden subjectiven Symptome durchaus nicht von so bestimmtem Charakter sind, dass man darauf eine Diagnose l)egründen könnte; da namentlich bei gleichzeitig bestehenden Erkrankungen der Gebärmutter, einer sehr häufigen Gomplication , die Symptome einer Oophoritis voll- ständig verdeckt werden können : so halle ich es für durchaus ge- boten, in allen Fällen, wo krankhafte F]rscheinungen in tler Genital- sphäre eine Untersuchung der Genitalien nothwendig machen, diese Untersuchung auch auf die Ovarien zu erstrecken. Wenn mir dagegen etwa eingewendet werden sollte, dass die Behandlung gegen eine mit Oophoritis complicirte Metritis von der einer nicht complicirten kaum abweichen könnte , so würde ich das doch nur für eine Anzahl von Fällen gelten lassen können , und in allen Fällen würde ich für die Prognose die Erkenntniss dieser Gomplication oder die Ausschliessung derselben für sehr bedeutungsvoll erklären müssen. Wenn man normale Ovarien häufig palpirt hat, ist man natürlich leichter im Stande geringe Volumenveränderungen derselben zu erken- nen. Ich hatte selbst öfter Gelegenheit, Wo zu langdauernden chroni- schen Metrititen inlercurrent eine Oophoritis hinzutrat, dasselbe Ova- rium, welches ich früher im normalen Zustande gefühlt hatte, später 2g4 ß- S. Sdmltzp, in ver2;rösserteiii belasten zu können: iiiiufiiier ist es mir begejinet ein im entzündeten Zustande längere Zeit beobachtetes Ovarium später im wiedereingetretenen Normalzustande zu l)cobacliten. Bei der Kleinheit des Ovarium im Vergleiche zu der Dicke der Bauchdecken, durch welche man tastet, erscheint das Ovarium leicht grösser als es ist, und bei der Verschiedenheit der Dicke verschiedener Bauchdecken erscheinen gleich- grosse Ovarien den von aussen tastenden Fingern verschieden gross. Man muss daher, um Täuschungen zu entgehen, dem Urtheil, welches der per vaginam tastende Finger über die Grösse des Ovarium gewinnt, das grössere Gewicht beilegen. Ich kann nach den Resultaten meiner Untersuchungen Kiwisch's bei Eröffnung der Bauchhöhle gewonnene Ansicht bestätigen, dass das gesunde Ovarium gegen Druck meisten- theils empfindungslos ist , in manchen Fällen freilich habe ich auch, ohne dass die Annahme einer Oophoritis gerechtfertigt gewesen wäre, das Ovarium gegen Druck empfindlich gefunden. Wenn man aber die physiologischen mit peritonäalen Continuitätstrennungen einhergehen- den Functionen des Ovarium in Betracht zieht, so kann ein solcher Wechsel in der Empfindlichkeit nicht auffallen. Gegen massigen Druck zeigen auch durch Entzündung vergrösserte Ovarien manchmal nur ge- ringe Empfindlichkeit , ein Beweis, dass auch ohne Affection des Pei'i- tonäum das Ovarium durch Entzündung vorübergehender Vergrösse- rung fähig ist. Ich habe öfter wahrgenommen, dass das entzündete Ovarium im Douglasischen Baume gelegen war, seltner, dass es eine Lagerung seilHch und vor dem Uterus einnahm, und dass es nach ab- gelaufener Entzündung, nachdem es sein normales Volumen und seine normale Empfindungslosigkeit wiedergewonnen hatte, auch seine nor- male Stelle im Becken wieder einnahm. In andern Fällen behielt es auch nach erfolgter Heilung seinen abnormen Sitz bei, und einmal wurde das nach Ablauf der Entzündung am Uterus fest angelölhete Ovarium eist nach Ablauf von Monaten wieder beweglich. In vielen Fällen, wo eine bestimmt erkannte Gewebserkrankung oder Lageab- weichung des Uterus für Erklärung der subjectiven Kranklieitserschei- nungen nach herkömmlicher Weise vollständig genügt hätte, erkannte ich an der Vergrösserung und Empfindlichkeit des einen Ovarium eine gleichzeitig bestehende Oophoritis, die in weiterer Beobachtung sich als die wesentliche Ursache der Beschwerden erwies, indem nach deren Hebung bei unverändert retroflectirtem oder antevertirtem Uterus völli- ges Gesundheitsgefühl auf die Dauer sich einstellte. In allen Fällen aus der letzten Zeit meiner Beobachtung, wo die von den Autoren als charakteristisch für Oophoritis angeführten subjectiven Zeichen vor- handen waren, Fälle von gleichzeitiger Peritonitis ausgenommen, konnte Ueber Palpatioii iiorra(aler Eierstöcke etc. 285 ich entweder die Existenz der Ooplioritis auch objectiv nachweisen, oder, was sicher nicht von minderer Bedeutung ist, deren Al)wesenheit constatiren; denn wo man beide Ovarien von normaler Form, Grösse und Beweglichkeit und dazu gegen Druck empfindungslos findet, ist man wohl berechtigt, eine Oophoritis auszuschliessen. Fälle der letzt- genannten Art liefern einen Beweis mehr, wie vorsichtig die als cha- rakteristisch angeführten Schmerzempfindungen für die Diagnose der Oophoritis zu vcwerthen sind, und wie richtig Veit's Ausspruch, dass die Diagnose der Oophoritis nur in denjenigen Fällen mit Sicherheit zu stellen ist, in welchen man das angeschwollene und schmerzhafte Ova- rium als eine begrenzte Geschwulst deutlicli fühlen kann. Dass dieselbe beweglich sei, ist für die Diagnose nicht unbedingt erforderlich, wenn auch freilich ein angelöthetes Ovarium oft erst durch längere Beobach- tung und wiederholte Untersuchung als solches erkannt werden kann. Ich glaube, dass der Werth meiner vorstehenden Mittheilungen nicht dadurch erhöht werden könnte, wenn ich eine grosse Anzahl Krankengeschichten als Belege für dieselben anführen wollte. Ich würde dagegen fürchten müssen, den Leser durch solche Mittheilung nur zu ermüden, da ich in densell)en über Oophoritis weder pathologisch noch anatomisch, noch therapeutisch wesentlich Neues zu bringen haben würde, ausser eben den meines Erachtens für die Diangose wichtigen Resultaten der Palpation. Ein einziger Fall möge hier mitgetheilt sein, welcher gerade in Bezug auf die Diagnose in mehrfachen Beziehungen instructiv war, indem erstens die gleichzeitige Anwesenheit anderer, der Palpation viel deutlichere Abweichung vom Normalen darbietender Leiden der Genitalorgane jene von Scanzoni empfohlene Art, durch Ex- clusion die vorhandene Oophoritis ausfindig zumachen, vereitelt ha- ben würde, indem ferner das successive Befallenwerden erst des einen dann des andern Ovarium von der Oophoritis und das Wiederver- schwinden derselben grosse Abwechslung in die Resultate der Beobach- tung dieses einen Falles brachte, und indem endlich gerade in diesem Falle jener obenerwähnte Umstand statt hatte, dass das eine entzündete Ovarium in den Douglasischen Raum sich hinal) begab und nach abge- laufener Entzündung seine normale Stelle wieder einnahm. Frau 0. aus L., 33 Jahre alt, war als Kind gesund und wurde im iS. Jahre nach längere Zeit vorausgegangenen chlorotischen Beschwer- den menstruirt, regelmässig alle 4 Wochen, reichlich, mit geringen Be- schwerden. In der Zwischenzeit bestand unbedeutender weisser Aus- fluss. Im 26. Jahre überstand Patientin nach vorangegangener norma- ler Schwangerschaft eine, wie es scheint, langdauernde, ohne Kunst- hülfe beendete Geburt. Der Blutverlust soll ein sehr bedeutender 286 ß« S. Scbultze, iievvesen sein. NaciuitMn Patientin in der ersten Woche des Wochenbettes das Bett bereits verlassen hatte, wurde sie durch neu auftn lende Schmerzen im Leib \\ ieth'r auf 8 Wochen bettlägerig, überstand auch während dieser Zeit eine iMastitis. iO Wochen nach der Geburt ist die Regel wieder eingetreten und das Befinden in der folgenden Zeit nicht gestört gewesen. Mit 30 Jahren gebar sie wiederum nach normaler Schwangerschaft ein ausgetragenes Kind, säugte dasselbe und befand sich wohl bis zum Anfang des Jahres (863. Nachdem die Regel I HVochen ausgeblieben, abovtirte Frau 0. Anfang März mit langdauernder star- ker Blutung, mit Ohnmächten und grosser zurückbleibender Schwäche. 1 i Tage später wiederholte sich die Blutung mit gleichzeitigem Eintre- ten von Frost, von Gliedersclimerzen, starken Leibschmerzen, Sluhl- und Harnbeschwerden. Patientin konnte das Bett bald wieder verlas- sen, behielt aber seit dieser Zeit fast ununterbrochen Schmerz im Leibe, namentlich in der rechten untern Bauchgegend, zuweilen auch in der linken, die Regel hat sich zur regelmässigen Zeit wiederholt, häufig mit heftigen Schmerzen, stets längerdauernd als früher, und mit sehr star- ker Blutung. Eine seit demAboi'tus bestehende hochgradige Retrotlexion des vergrösserten Uterus wurde durch öftere Reposition und mehrstün- diges Liegenlassen der Uterussonde ohne dauernden Erfolg behandelt. Die Blutungen, die Schmerzen blieben dieselben, viele anämische Be- schwerden stellten sich ein und die Kranke magerte ab. Am 4. Januar ISG4 wurde Frau 0. in der gynäkologischen Klinik aufgenommen; bleiche, schlecht genährte Person : klagt über Herzklopfen, Kopfschmerz, Schwäche, Gefühl von Druck im ganzen Becken und Schmerz, nament- lich links imBecken. Die Untersuchung derBrust luid des Bauches ergab nichts Abnormes. Die Untersuchung per vaginam zeigte einen vergrös- serten tiefstehenden, mit einer Ab\Aeichung nach i'echts hin retrover- tirten und stark retroflectirten Uterus, dessen Reposition vom Scheiden- gewölbe aus mit einigem Schmerz, doch ohne Schwierigkeit möglich war. Die Uterushöhle misst etwas über 3 Zoll, ist im obern Theil sehr weit, sodass die Sonde nach allen Seiten hin bewegt werden kann. Die Schleimhaut der Scheide und Vaginalportion zeigt keine Abwei- chung, glasiges schleimiges Secret fliesst aus dem Orificium uteri. Im linlten Scheidengewölbe, bei der Rechtslagerung des Uterus die Median- ebene erreichend, ist ein wallnussgrosser, rundlicher, beweglicher, ela- stischer, gegen Druck empfindlicher Körper durch die combinirte äussere und innere Untersuchung mit grosser Deutlichkeit zu fühlen, das ge- schwollene linke Ovarium. Rechts neben dem Uterus ist ein kleiner härterer Körper von unebner Oberfläche, der gegen Druck geringe Empfindlichkeit zeigt, durchzufühlen, das nicht vergrösserte rechte ücber Piilpiitioii iiomiiilcr Eierstöcke etc. 287 Ovariuii). Am 13. Januar trat die Regel ein, dauerte l>ei ununterljro- ciiener liorizontaler Lage nur i Tage, bei wenig gesteigerter Empfind- lichkeit des linken Ovarium, welches von da an bis zum Anfang des Februar sich ganz erheblich verkleinerte und seine Empfindlichkeit all- mählich verlor, wie durch die alle paar Tage vorgenommene Palpation constatirt wurde. Vom 10 — 1 4 Februar war von Neuem menstruale Blutung da. Die nach derselben vorgenommene Untersuchung zeigte den Uterus in gleicher Stellung wie früher, aber minder gross und minder empfindlich gegen die Reposition. Das linke Ovarium links ne- ben dem Uterus, frei beweglich wie früher, ist jetzt schmerzlos gegen Druck und auf etwa die Hälfte des Dicken durchmessers verkleinert. Rechts neben dem Uterus ist die Stelle, wo früher der kleine harte Kör- per gefühlt wurde, leer; dagegen liegt w^eiter hinten und unten im Dou- glasischen Räume das im Vergleich zu der früheren Untersuchung etwas vergrösserte, gegen Druck schmerzhafte, weich elastisch sich anfühlende rechte Ovarium. Die Anschwellung desselben nahm im Laufe des Fe- bruar noch zu, ebenso seine Empfindlichkeit gegen Druck, erhebliche spontane Schmerzen waren nicht vorhanden , doch fortwährend ein lästiges Gefühl von Druck im Becken , welches durch die jetzt w ieder etwas schmerzhaftere Reposition des Uterus jedesmal gehoben wurde und auf längere Zeit ausblieb, wenn der Uterus durch die eingelegte Sonde oder durch das SiMPSON'sche Intraulerinpessarium auf längere Zeit in seiner normalen Stellung erhalten wurde. Am 1 1 . März trat die Regel wieder ein ohne alle Beschwerden, die Blutung war schwächer als die früheren Male, dauerte bis zum ] 5. März. Volumen und Empfind- lichkeit des rechten im Douglasischen Raum gelegenen Ovarium nahmen danach erheblich ab. Am 24. März wurde das Ovarium nicht mehr in) Douglasischen Räume, sondern höher oben rechts hinter dem Uterus gefühlt. Bei guter Diät und Eisengebrauch hatte sich die Patientin be- deutend erholt. Die zur Zeit der Aufnahme bestehenden Schmerzen in der linken Seite des Beckens hatten aufgehört zu der Zeit, als das linke Ovarium seine normale Grösse wiedereinnahm, während der Anschwel- lung und Empfindlichkeit des rechten Ovarium waren heftige spontane Schmerzen überhaupt nicht aufgetreten. Die Reposition des Uterus durch den im Scheidengewölbe heraufgeführten Finger war schmerzlos geworden, seit das rechte Ovarium den Douglasischen Raum verlassen hatte; die Uterushöhle hatte sich auf ''2% Zoll verkleinert und dem ent- sprechend war der Uterus auch für die Palpation kleiner anzufühlen. Das SiMPSON'scheIntrauterinpessarium, welches mehrmals auf einige Tage eingelegt worden war und ohne alle Beschwerden beim Gehen, Stehen, Sitzen und Liegen getragen wurde, erhielt den Uterus in seiner normalen 288 B. S. Scliultze, Ueber Palpation normaler Eierstöcke etc. Stellung. Nach dessen Entfernuns nahm der Uterus jedesmal bald seine retroflectirte Stellung wieder ein. Da jetzt auch bei dieser Stellung des Uterus keinerlei Beschwerden bei der Kranken mehr eintraten und da Frau 0. bei der Entfernung ihres Wohnortes unsrer fortgesetzten Beo- bachtung sich entziehen musste, konnte es nicht räthlich erscheinen, das Pessarium liegen zu lassen. Die am 31. März bei der Entlassung voi'genonimene Untersuchung zeigte den Uterus wie früher retroflectirt, vollkommen schmerzlos gegen Druck und ohne Schmerz leicht reponi- bel. Rechts und links hinter demselben waren an ihrer normalen Stelle die beiden Ovarien in normaler Grösse, von normaler Härte, von etwas unebner Oberfläche, vollkommen beweglich und gegen massigen Druck empfindungslos, deutlich zu fühlen. Zur Casuistik der Eutozoou. Von Dr. M. Seidel, Assistent der Med. Klinik. * 3. Echin ococcen. In dem ersten Hefte dieser Zeitschrift habe ich die Angabe ge- macht, dass das Vorkommen der Echinoeoccen in hiesiger Gegend gegen- ül)er vielen andern Orten Deutschlands ein relativ häufiges sei. Wäh- rend an andern Orten Echinoeoccen geradezu als Raritäten vorkommen, hat man hier fast jedes Jahr bei dem verhältnissmässig sehr kleinen Materiale Gelegenheit dieselben zu beobachten. Die Fälle, die ich in 5 Jahren hier gesehen habe, sind in Folgendem kurz mitgetheilt. Im Jour- nale unserer Abtheilung, in dem ich eine Reihe von Jahren zu diesem Zweck nachschlug, fand ich die Diagnose auf Echinoeoccen der Leber fast in jedem Jahre gestellt und durch die Section mehrfach bestätigt ; so starb 1858 ein öTjährigerMann. der an Ikterus litt, der durch eine grosse Echi- nococcengeschwulst der Leber bedingt war, 1856 ein iTjähr. Mädchen an mehrfachen Echinoeoccen der Leber. 1856 wurde ein Fall vonLeber- echinococcus, den Ried mit Glück operirt hatte, in der Deutschen Klinik bekannt gemacht. Verödete Echinoeoccen kommen dagegen selten zur Beobachtung, unter mehr als 200 Sectionen hatte ich nur einmal bei Uhle in der Poliklinik 1 860 Gelegenheit einen ziemlich grossen verkrei- deten Echinococcus der Leber zu sehen, in dem sich deutliche Haken- kränze fanden. Es scheinen demnach die Bedingungen für die Entwick- lung dieser Entozoen hier weit günstiger zu sein, als die für spontanes Absterben derselben. Wollte ich nun das Vorkommen dieser Parasiten auf Procente der Kranken oder auf die Procente der Sectionen berech- nen, so würde diese Rechnung für das Gesammtvorkommen bei der Bevölkerung doch von zweifelhaftem Werlhe sein und nicht zu bestimm- ten Resultaten führen. Es mögen daher die angeführten Data genügen, um zu zeigen, dass die Echinoeoccen hier durchaus nicht zu den Selten- 200 ^I- Seiilel. heilen gehören, und ich will zur Beschreibung der in den letzten Jah- ren beobachteten Fälle übergehen. I. Müller, Friedrieh, ! Jahr, ans Dürrenkleina, Sohn eines Bauers, wurde am t'hj'i . (J3 in die Poliklinik gebracht. Nach der Angabe sei- ner Muller, die denselben noch an Ci^v Brust nährt, bekam er vor einem Vierteljahr, nachdem einige Zeil heftige Durchfälle vorhergegangen waren, einen starken Leib, der sieh seitdem mehr und mehr vergrösserte. Der Kleine ist sonst ganz munter, scheint keine Schmerzen zu haben, ge- deiht körperlich ganz gut , Stuhl- und Darmentleerung in Ordnung, Die Ernährung des Kindes ist eine gute, die Brustorgane bieten nichts Besonderes, das Diaphragma steht an der 6. Rippe, der Spitzensloss im ö. Intercostalraum in der Papillarlinie. Der Unterleib ist stark aus- gedehnt, von deutlfchen Yenen durchzogen, der Nabel etwas nach rechts verschoben, durch eine Geschwulst, die ihren Sitz unter dem linken Hypochondrium hat und dasselbe stärker vorwölbt als das rechte. Der- selbe zerfällt schon für das Auge, noch mehr für das Gefühl in 3 innig zu- sammenhängende Abschnitte, die durch flache, ovale, höckrige Vorragun- gen angedeutet sind. Die ganze Geschwulst reicht fast von der Wirbel- saule bis zum 1. Hüflbeinkamm und unter dem linken Hypochondrium bis über die Nabellinie in die rechte Bauchhälfte. Der obere auch für das Auge als Hervorragung markirte Theil der Geschwulst hat seine Abgrenzung nahe dem Hypochondrialrande handbreit vom Nabel, der zweite grössere reicht oberhalb des Nabels in die rechte Bauchhälfte, der drille unterhalb des Hypochondrium läuft parallel derCrista ilei und reicht etwas herab in die Hüftbeingruben. Bei der Palpalion fühlt man auf der Geschwulst ein knarrendes Reibgeräusch, die ganze Geschwulst- masse lässt sich etwas von oben nach unten verschieben, und besitzt einen ziemlichen Grad seitlicher Yerschiebbarkeit, istbei Berührung undPercus— sion nicht schmerzhaft. Auch bei der Respiration steigt dieselbe etwas herab. Fluctuation ist deutlich zu fühlen, keinHydalidenschwirren. Der obere Tumor ist nachgiebiger, weicher als die beiden unteren, seine Ober- fläche ist unregelmässig, höckrig. Neben der Wirbelsäule kann man die Geschwulst etwas umgreifen, bei iXer Percussion schallt die ganze Ge- schwulst vollständig leer; die Leber in ihrer ganzen Ausdehnung nicht vergrösserl, lässt sich nach links von der Geschwulst nicht abgrenzen, ebenso wenig die vordere Grenze der Milz. Das Abdomen schallt überall hell tympanilisch. Ascites lässt sich nicht nachweisen. Die Maasse er- geben an der unleren Thoraxapertur ISYo CM., 3 Querfinger oberhalb des Nabels 53 CM. Bei einer späteren Vorstellung am i 2/9. 63 war ein beträchtliches Wachsen der Tumoren zu constatiren. dieselben traten deutlicher her- Zur Ciisiiistik der Kutozocii. 2111 ^ or, waren höckriger, die Maasse an denselben Stellen ergaben 5 9 und 5-S CM. Am 27/9. 03., wo das Kind zum letzten Male hereingebracht wurde, waren die Tumoren nocli mehr gewachsen, die Geschwulstmasse Hess sich nach der Wirbelsäule zu nicht mehr abgrenzen. Fluctuation war immer deutlich, nie Hydatidenschw irren. Das Allgemeinbefinden des Kindes war andauernd ein sehr gutes, die Ernahiung gut, dasselbe liiuft ziemlich gut. Dierrinabsonderung ist reichlich. Appetit und Stuhl in Ordnung. Was die Diagnose betriflt. so könnte dieselbe bei einer grossen in mehrere Abschnitte zerfallenden, doch innig zusammenhängenden fluc- tuirenden Geschwulst, die in sehr kurzer Zeit eine so beträchtliche Grösse erreicht hatte und unter der Beoliachtung in einigen Monaten bedeu- tend gewachsen war, dabei auf das Allgemeinbefinden des Kindes nicht den geringsten störenden Einfluss ausgeübt hatte, nur zwischen zwei Krankheiten schwanken . nämlich Echinococcen und Cystenbil- dung. Diese letztere hätte bei dem höchst seltenen Vorkommen von Cysten — besonders von solcher Grösse — an den Organen, um die es sich der Lage der Tumoi'en nach hätte handeln können, an den Nie- ren ihren Sitz haben müssen. An diesem Organ sind ja schon beim Fötus enorme Cystenentartungen beobachtet worden. Gegen diese An- nahme sprach aber einmal die ungestörte Urinsecretion und das Allge- meinbefinden des Kindes, ferner der Umstand, dass man früher die Ge- schwulst unter der Wirbelsäule deutlich abgrenzen konnte, nach wel- cher Richtung sich Tumoren der Nieren am ehesten auszubreiten pflegen, endlich der hohe Grad von Beweglichkeil, besonders seitlicher Ver- schiebbarkeit der Geschwulst. Auch sind bedeutende Cystenentar- tungen der Nieren meist doppelseitig beobachtet worden, während in unserem Falle in der rechten Seite sich keine Geschwulst fand. Für Echinococcen dagegen sprach der ganze Befund. Das H\ datiden- schwirren fehlte zwar, doch fehlt dies bekanntlich in einer grossen Zahl vonFällen und findet sich auch nicht blos l)ei Echinococcen. Nur das Alter des Kranken konnte in dieser Richtung Bedenken erregen. Finden sich auch in der Literatur, die mir zur Hand ist, Fälle, wo Echinococcen bei Kindern vorkommen, so betreffen dieselben doch sämmtlich ältere Kinder, nicht solche, die noch an der Brust ernährt werden. Davaixe, der in seinem Traite des Entozoaires ein colossales Ma- terial von Echinococcenfällen zusammengestellt hat, kommt zu dem Re- sultate, dass sie bei kleinen Kindern beinahe unbekannt sind, s. pag. 379, und erwähnt nur den zweifelhaften Fall von Cruveilhier, der ein 1 2tägiges Kind betraf, und einen Fall von Bodson, der ein ijähriges 292 ■^'' ^*'h1'-'I»! Kind betraf, Frerich's Jüngster Kranke war 7 Jahr. Bei Krabbe, Vir- cHow's Arciiiv XXVii. pag. 232 finden sich mehrere Fälle von Echino- coccen bei Kindern auf Island. Thorstensen operirte einen 4jährigen Knaben an einer Echinococcengeschwulst der rechten Seite. Dieser Fall iindet sich auch bei Küchenmeister in seinem Lehrbuche der Parasiten. KoEFOD erwähnte eine zehn Jahre allmählich wachsende Geschwulst der Leber bei einem 1 4 Jahre alten Mädciien. Nur ein Fall von Finsen stimmt in Bezug auf das Aller mit dem unsern. Derselbe operirte 1857 einen (ijährigcn Knaben, der seine Krankheit seit dem ersten Jahre ge- tragen hatte. Der Ursache derEchinococcenbildung, denj Verschlucken von Eiern und Embryonen der Taenia Echinococcus, sind gewiss Kinder in so zartem Alter bei Weitem seltner ausgesetzt, als Erwachsene, doch ist leicht einzusehen, dass auf die mannichfachste Weise bei der mangeln- den Reinlichkeit der niederen Classen auch diesen Keime der Echinococ- cen beigebracht werden können. Von Interesse war es. von der Mutter zu erfahren, dass sie zu Hause einen kleinen Hund hält, mit dem das Kind häufig zu spielen pflegte. Das bedeutende Wachsthum der Ge- schwulst in verhältnissmässig kurzer Zeit , wie es unter Anderem die Maasse anzeigen, wenn diese auch zum Theil auf das Wachsthum des Kindes im Allgemeinen zu beziehen sind, hat durchaus nichts Auffallen- des, da Echinococcengeschwülste häufig ein rapides W^achsthum zeigen. Was nun den Sitz der Geschwulst in diesem Falle betrifft, so kann man ihn' an dem bei Weitem häufigst befallenen Organe, der Leber, nicht suchen. Sie nahm ihren Ausgang vom linken Hypochondrium, in das sie weit nach hinten bis zur Wirbelsäule hineinragte, sie musste also entweder an der Milz oder am Mesenterium ihren Sitz haben. Für die letzte Annahme besonders sprach die grosse seitliche Verschiebbarkeit derselben. Das respiratorische Absteigen derselben konnte für einen Ausgang von der Milz verwerthet werden, wenn es nicht ebenso gut durch Verwachsung der Leber mit der Geschwulst, die sich in ihrem linken Lappen von derselben nicht abgrenzen liess, ja direct durch den Druck des Diaphragma erklärt werden könnte, da die Geschwulst weit unter das Hypochondrium hinaufreichte. — Das deutlich fühlbare Reib- geräusch über dem Tumor kann vielleicht für einen späteren Ausgang oder einen operativen Eingriff von Belang sein, da es jedenfalls auf eine circumscripte Entzündung des Peritoneums zu beziehen ist, die viefleicht als der Vorbote einer Verwachsung sich einstellte. Von einer eingreifenden Therapie wurde Abstand genommen, da sich die Eltern nicht zu einer Operation entschiiessen konnten. IL Schöps, Friedrich, 45 Jahr, Uhrmacher aus Löbschütz, kam zum Zur Casiiistik der Entozoen. 293 ersten Male 10/5. 62, in die Poliklinik. Früher nie wesentlich krank, litt er vor I 2 Jahren mehrere Jahre an häufigem hartnäckigem Erbre- chen und Schmerzen im Unterleibe, Auftreibung desselben und anhal- tender Stuhlverstopfung. Diese Beschwerden verloren sich dann, und er bemerkte vor 7 Jahren zuerst Geschwülste im Unterleibe, die ihm fast keine Beschwerden machten. Die erste erschien rechts vom Nabel, dann weiter abwiirts noch mehrere, dieselben wurden grösser und Patient bemerkte, dass sie sich leicht verschieben Hessen. Sein Befinden war dabei gut, er hatte keine Yerdauungsbeschwerden, war nie ikterisch. Seil einem Jahre stellte sich häufiges Blutspacken und Schmerzen in der rechten Seite ein, dem ge\%öhnlich ein Gefühl grosser Mattigkeit vorher- ging. Von da ab hustete er in Zwischenräumen von 8 — I 4 Tagen zu- gleich mit dem Blute grosse weisse Blasen aus, von denen er bis jetzt eine beträchtliche Quantität entleert hat. Beim Stuhl und durch Erbre- chen sollen nie solche abgegangen sein. Vor einem Jahr hatte er Be- schwerden beim Urinlassen, er hatte häufigen Drang dazu, konnte jedes Mal nur wenig entleeren. Auch beim Urin soll nie Blut oder Blasen ab- gegangen sein. — Der Kranke ist schlecht genährt, hat ein blasses, schmutziggelbes Colorit. Der Thoraxbau bietet nichts Abnormes, der Spitzenstoss findet sich in .'3 ICR, in der Papillarlinie, die Herzdämpfung reicht von der i. Rippe bis zum 1. Sternalrandund der Papillarlinie, Töne rein. Am untern Rand der .5. Rippe beginnt völlig dumpfer Schall. Am Unterleibe sieht man einige kugelige Hervortreibungen. Die grösste, von der Grösse jeiner Faust, liegt links vom Nabel, die zweite über eigrosse unmittelbar unter dem Nabel ; zu beiden Seiten nach unten zu noch einige kleinere. Sie bilden zusanunen ein etwa kopfgrosses Con- volut, das sich in unregelmässiger Form in der linken Seite des Leibes nach dem Becken hineinerstreckt. Beim Zufühlen kann man das ganze Tumorenconvolut, das zusammenhängt und von oberhalb der Sym- physe bis über den Nabel reicht, umgreifen, ebenso zu beiden Seiten und kann es mit Leichtigkeit unter den Bauchdecken verschieben. Bei Seitenlage ist die spontane Verschiebbarkeit keine grosse, Patient fühlt keine spontane Beweglichkeit. Beim Athmen verschieben sich die Ge- schwülste nach abwärts, bei tiefer Inspiration um 2V2 CM. ebenso viel steigt die obere Lebergrenze herab. Die Leber und Milz lassen sich von dem Tumorenconvolut mit Bestimmtheit abgrenzen und sind nicht vergrössert. Schon bei gewöhnlicher Inspiration, noch mehr bei tiefer sieht man durch die dünnen Bauchdecken den linken Leberlappen lieutlich über die gerade unter ihm gelegenen Theile der Gesch\Nulst herabsteigen. Die Tumoren sind platt, nachgiebig, elastisch, zeigen deutliches 294 M- Seidel, HydiitidcMizillei n. Ausiultirt man, während man dieselben mit dem Finqer beklopft, so hört ninn einen dumpfen iibriren(]en Ton, wie von einer Basssaite. Die r. Seile desThorax ist liinten unten erweitert, das Diaphraeima steht hinten auf beiden Seiten nicht ijleich hoch, sondern rechts 2" hö- her als links, die Diimpfune; steigt rasch c. I '/o" nach dem Scapula- winkel aufwärts, so dass sie diesen erreicht, fällt dann rasch nach vorn ab. Die Slimmvibralionen sind rechts noch zu fühlen, doch bedeutend scliwächer als links. Alhmungsgeräusche sind daselbst nicht zu hören, man hat das Gefühl tiefsilzender Flucluationen. Die Blasen, die der Kranke aushustete, und von welchen er wie- derholt NNclche einschickte, erwiesen sich als Echinococcenmembranen, an denen die Schichtung unter dem Mikroskope sehr deutlich zu sehen war, und in denen sich auch schöne schlanke Häkchen fanden. Sie be- standen theils aus einzelnen Stückchen, theils aus ganzen über hasel- nussgrossen Blasen, die aber alle geplatzt waren. Tochterblasen fanden sich in ihnen keine. Die Diagnose in diesem Falle bot keine Schwierigkeiten, die aus- gehusteten Membranen sicherten dieselbe. Was den Sitz derEchinococ- cen im Unterleibe in diesem Falle betrifft, so müssen wir der Lage, der grossen Beweglichkeit und des Herabsteigens des Lebei-randes über den obern Theil der Geschwulst wegen, denselben ebenfalls in das Mesen- terium verlegen. Ob die ausgehusteten Membranen aus einem Echino- coccus der rechten Lunge stammten oder aus einem solchen der Leber, der nach der Lunge perforirt war, wage ich mit Bestimmtheit nicht zu entscheiden. Die Form, die Dämpfung, die sich fand, die Erweiterung der untern r. Thoraxhälfte glichen denen, die sich bei grösseren Echino- coccen linden, die von dem oberen Theil der Leber nach der Brusthöhle hineinwuchern. Gleichwohl scheint mir ein Umstand noch für den Sitz in dem untern Theil der Lunge zu sprechen, nämlich der, dass die obere Lebergrenze eine so ausgiebige Verschiebung bei der Bespiration erhtt. Wären nämlich die Echinococcen von der Leber nach der Brust- höhle zu gewachsen , um nach der Lunge zu perforiren, so würde dies nicht ohne ausgiebigere Verwachsungen des Diaphragma und Entartung der Musculatur abgegangen sein, Veränderungen, die nicht ohne nach- theiligen Einüuss auf die Bewegung desselben und deren Folgen hätten bleiben können. Der Beginn der Erkrankung ist jedenfalls auf ! 2 Jahre hinaus zu datiren, wo sich die andauernden Störungen der Verdauung einstellten. Das Wachsthum der Geschwülste war also in diesem Falle ein verhält- nissmässig langsames , und dem entsprechend die Dauer der Krankheit Zur Casuistik der Kntozoeii. 295 eine lange. Finden sich auch in der Literatur Fälle wo Echinococcen 30 und mehr Jahr bestanden, so sieht man doch aus der fast überall citirten Zusammenstellung Barrier's, dass die Dauer meist eine viel kür- zere ist, und die Mehrzahl der Fälle vor dem 8. Jahre zum Tode führt. Das Allgemeinbefinden unseres Kranken, der jetzt noch lebt und zeit- weise Membranen aushustet, hatte durch die Erkrankung im Ganzen wenig gelitten. Er ist im Stande, sein Geschäft mit grossem Eifer zu betreiben. HI. Weise, Bertha, 25 Jahre alt, aus Grosshettstädt, Tochter eines Bauers, kam am 16/6. 62. in die Poliklinik. Früher stets gesund, wurde sie im 17. Jahre menstruirt, blieb es regelmässig bis zum 21. Jahre, seitdem unregelmässig. In diesem Jahre, 1858 erkrankte sie allmählich an Seitenstechen rechts, das an Intensität wechselte, auch zeitweise ausbheb, sie konnte nicht auf der rechten Seite liegen. Im Frühjahr darauf erkrankte sie plötzlich unter Fiebererscheinungen, heftigem Hu- sten mit Auswurf, der im Ganzen massig war, doch entleerte sie da- mals zeitweise grosse Quantitäten eiterähnlicher Massen auf einmal, und es war öfters reines rothes Blut demselben beigemengt. Vom Ende des Jahres 58 bis zu dieser Zeit hustete sie zeitweise häutige weisse Blasen aus; später nicht mehr. Als ihr Echinococcenblasen, die der Kranke Schöps ausgehustet hatte, gezeigt werden, giebt sie und ihr Vater mit Bestimmtheit an, dass sie gerade so ausgesehen hätten. Er- brechen bestand nur bei heftigen Hustenparoxismen, der Appetit war gut, Stuhl normal, doch erholte sich die Kranke seit der letzten fiel)er- haften Erkrankung, an der sie 1 3 Wochen Ijettlägeiig war, nicht wieder, magerte ab, die Füsse waren zeitweise geschwollen. Gegen das Ende dieser Krankheit bemerkte sie zuerst eine Geschwulst am Leibe, die seitdem allmählich die jetzige Grösse erreichte. Ihre Beschwerden wa- ren seitdem in geringem Grade die gleichen. Die Untersuchung ergab im Wesentlichen Folgendes. Der Ernährungstand ist ein ziemlich guter, Thoraxbau bietet nichts Abnormes. Die rechte Seite ist um ein Geringes weiter, als die linke. Das Diaphragma steht auf der 5. Rippe, Herzdämpfung beginnt auf der 3. Rippe, reicht bis zum Spitzensloss, der an normaler Stelle in 5 ICR. sich findet. Von der 3. Rippe abwärts rechts tympanitischer Schall, der seine Höhe beim Oeffnen und Schhessen des Mundes nicht verändert. Die Auscultation ergiebt nichts Abnormes. Hinten steht die Lungengrenze auf beiden Seiten gleich. Der Unterleib ist bedeutend hervorgetrieben, und zwar die linke Seite mehr als die rechte, so dass der Nabel von der Mittellinie nach links steht. Auf der linken Seite und oberhalb des Nabels ragt eine flache, platte, etwa faustgrosse Ge- B.l. 1. :i. 20 296 M- Seidel, schwulst hervor, an deren innerem Ende sich ein kleiner rundlicher Anhang zeigt. Bei der Palpation zeigt sich als Ursache der bedeu- tenden Ausdehnung des Unterleibes eine grosse Geschwulst, die die ganze untre Thoraxapertur ausfüllt, sich nach oben nicht abgrenzen lässt, links bis an den Hüftbeinkanim, rechts fast ebensoweit herab- reicht. Von der Leber lässt sich dieselbe auch durch die Percussion nicht abgrenzen. Fluctuation ist mit Deutlichkeit zu fühlen, doch ist die- selbe nicht so deutlich, als man der Grösse der Geschwulst nach er- warten könnte. Hydatidenzittern war nicht vorhanden. Die sichtbaren Geschwülste bildeten das untere Ende der ganzen Geschwulst, die die Beckenhöhle frei liess. Es wurde der Kranken Kochsalzlösung zu Umschlägen gerathen, nach einer späteren Mittheilung vom 12/7, bekam die Kranke, nachdem sie dieselben 5 Tage gemacht hatte, starke Schmerzen und Brennen in der rechten Seite unter dem rechten Hypochondrium, konnte nicht nach rechts geneigt liegen, sondern musste eine nach vorwärts gebeugte Stel- lung einnehmen. Die Diagnose, die in diesem Falle durch die blosse Untersuchung mit der grössten Wahrscheinlichkeit hatte gemacht werden können, wurde auch hier durch die ausgehusteten Membranen gesichert. Der Sitz der Echinococcen musste in die Leber verlegt werden, da die- selben einmal überwiegend häufig an diesem Organe vorkommen, die Leber sich von der Geschwulst nicht abgrenzen liess, vor Allem aber keine gewichtigen Gründe, wie in Fall L und IL dagegen sprachen, sondern die ganze Lage der Geschwulstmasse mit einem Ausgange von der Leber sich am besten in Einklang bringen liess. Es handelte sich auch in diesem Falle darum, ob die ausgehuste- ten Membranen von einem Echinococcus der Lunge oder einem aus der Leber nach der Lunge perforirten herstammten. Es war das Letz- tere wahrscheinlicher. Einmal kommen Lungenechinococcen mit sol- chen der Leber selten vor, ferner war es im höchsten Grade wahr- scheinlich, dass die grosse Geschwulstmasse sich auch nach oben hin ent- wickelt hatte. Bei der Untersuchung war dies zweifellos, da das Dia- phragma etwas hinaufgedrängt war, und die comprimirle Lunge von der 3. Bippo ab tympanitischen Schall gab. Jedenfalls war die Pleura sehr frühe in Mitleidenschaft gezogen, da das Seitenstechen das erste Symptom der Erkrankung war und wollten wir dasselbe auf einen Echi- nococcus der Lunge beziehen, so hätte dieser an einem für die Untersu- chung sehr ungünstig gelegenen Lungentheile seinen Sitz haben müs- sen, wenn er im Zeitraum von 4 Jahren an der Peripherie nicht nach- weisbar eewesen wäre. Jedenfalls wurde um die Zeit, wo das Seiten- Zur Casuistik der Eutozoeii. 297 stechen sich einstellte, die Verwachsung der Lungen eingeleitet, da der Durchbruch nach wenigen Monaten erfolgte. Die fieberhafte Erkran- kung hatte rnit dem Durchbruch nichts zu schaffen, sondern hat einer späteren entzündlichen Aifection angehört, da die Membranen bereits vor derselben ausgehustet wurden. Das Entleeren derselben hörte übri- gens nach wenigen Monaten völlig auf. IV. Im Anschluss an diese 3 Fälle, die in den letzten 2 Jahren zur Beobachtung kamen, will ich in Kürze noch einige erwähnen, die ich wäh- rend des Besuchs der Kliniken zu sehen Gelegenheit hatte, über die mir aber genaue Krankengeschichten nicht zu Gebote stehen. Der erste be- traf einen 4 4jährigen Dienstknecht, der, früher gesund, im Januar 1859 an den Symptomen einer rechtseitigen Pleuritis erkrankte. Er war bis zum Mai i 859, wo er in der Anstalt aufgenommen wurde , durch seine Krankheit sehr heruntergekommen. Er bot die Zeichen eines grossen Pyothorax dexter mit beträchtlicher Verschiebung des Herzens und der Leber. Es wurde zwei Mal die Paracentese des Thorax gemacht, später brach das Empyem nach aussen durch , dann auch nach der Lunge, es entstand Pyopneumothorax und der Kranke starb bald darauf. Bei der Section fand sich eine faustgrosse Echinococcuscyste der Leber amSulcus longit. sinister mit zahlreichen Tochterblasen, eine Zweite ebensolche am Schwanz des Pancreas, mehrere Zoll lang, nierenförmig, mehrere kleine bohnengrosse im Mesenterium. Im linken Lappen der rechten Lunge fand sich eine faustgrosse Excavation mit dunklen, missfarbigen, fetzigen Wänden, von der es fraglich blieb, ob sie nicht einer vereiter- ten Echinococcusblase ihre Entstehung verdankt hatte. Von dieser Ca- verne führte eine Perforationsöflnung nach den Pleuren. V. Ein Student, früher nie wesentlich krank, wurde im Sommer 1859, eigentlich erst durch Bekannte beim Baden darauf aufmerksam gemacht, gewahr, dass sein rechtes Hypochondrium bedeutend weiter sei, als das linke. Er hatte nie Beschwerden gehabt. Die Erweiterung nahm zu, es stellte sich bei Anstrengung Kurzathmigkeit, und auch spontan Gefühl von Druck ein. Im Sommer 1860 wurde der Kranke in Uhle's Klinik untersucht, und eine grosse Echinococcengeschwulst der Leber constatirt, die deutliches Hydatidenschwirren bot. Die Erweite- rung der rechten Seite war eine höchst beträchtliche, die Lunge stark nach oben gedrängt. Der Kranke entschloss sich zur Operation und wurde auf Ried's Klinik am 25/10. 60 aufgenommen. Die Operation wurde nach der früher von ihm in dem oben erwähnten Falle gewähl- ten Methode gemacht. Am 2/1 1 . Incision bis aufs Peritoneum, am 1 9/1 \ Punction, bei der sich eine grosse Quantität klarer Flüssigkeit entleerte, 20* 298 -^l- ^P'H die damals von Uhle auf bernsteinsaure Salze untersucht wurde; ob welche darin waren , kann ich nicht mehr angeben , da keine Notiz darüber da ist. In der Flüssigkeit fanden sich keine mikroskopischen Elemente, die auf Echinococcen gedeutet hätten. Die eingeführte Sonde stiess in einer Entfernung von über 6" noch nicht auf. Es wurde in den Sack eine bijection von lod und lodkali eingespritzt. Der Ausgang der Operation war ein unglücklicher. Der Kranke erlag der folgenden Eiterung am 28/1 . 61 . Bei der Section zeigte sich grosses eitriges, recht- seitiges Pleurenexsudat, fast der ganze rechte Leberlappen wnv von einer mannskopfgrossen Höhle eingenommen, die vollständig mit Eiter gefüllt war. Auf dem Boden derselben lag der zusammengefallene, grosse, mehrere Linien dicke gallertige Hydatidensack ; Tochterblasen waren nicht mehr an demselben zu erkennen. Unter dem Mikroskop fanden sich an von der Innenwand genommenen Parthieen massenhaft kleine schlanke Häkchen. Im übrigen Körper keine Echinococcen. VI. Ein 1 Sjähriges Dienstmädchen stellte sich 1 8.'>9 in Rieü's Poli- klinik mehrmals vor. Sie war mit einer flucluirenden, massig grossen Geschwulst der Leber behaftet, die Hydatidenzittern bot. Beschwerden hatte sie von dieser Geschwulst, die sich allmählich entwickelt hatte, wenig. Zur Operation, die ihr vorgeschlagen wurde, entschloss sie sich nicht. Nach erfolgtei' Schwangerschaft ist der Tumor verschwunden und befindet sich dieselbe jetzt vollkommen wohl. Jedenfalls ist hier, vielleicht begünstigt durch den Druck von Seiten des schwangeren Uterus Verödung des Sackes eingetreten. Während dieser Beitrag zur Casuistik der Echinococcen l^ereits im Drucke war, bot sich Gelegenheit, den Fall I. und II. nochmals zu untersuchen. Die Untersuchung nach Verlauf von fast einem Jahre bot manches Interessante. Der Knabe Müller, jetzt fast ä Jahre alt, hat sich ganz entspre- chend seinem Alter entwickelt und verhält sich wie ein völlig gesundes kräftiges Kind. Die Gescliwulstmasse ist noch jetzt leicht seitlich ver- schiebbar, verhält sich zu den Nachbarorganen wie früher, bietet deut- liche Fluctuation und ist im Ganzen w enig gewachsen ; die Maasse an denselben Stellen früher ergaben 50 und 63 Cm. Dagegen hat sie sich nach unten etwas mehr ausgebreitet. Membranen sind weder beim Urin noch Stuhl entleert w orden. Nach dieser Dauer der Affection und dem Zur Casuistik der Eiitozoen. 299 gosammten Befund ist naoIiI an der Richtigkeit der Diagnose kein Zwei- fel, und Avir dürften liier Echinococcen im frühesten bis jetzt lieobacli- teten Lebensalter vor uns haben. Bei Fall II. , Schöps, hat sich im letzten Jahre an den Ijeschriebe- nen Tumoren nichts wesentlich geändert. Dagegen ist die Leberdäm- pfung jetzt beträchtlich grösser und im rechten Lappen derselben hat sich eine sichtliare fluctuirende Geschwulst gebildet. Das Auftreten einer solchen auch an der Leber dürfte allerdings mehr dafür sprechen, dass die ausgehusteten Membranen aus einem nach der Länge perforir- ten Leberechinococcus stammen. Die Dämpfungsgrenze am hinteren unteren Theile der r. Lunge hat sich nicht geändert ; über derselben hört man ein lautes , knarrendes Reibegeräusch und leidet Patient seit einigen Tagen an stärkerem Seitenstechen beim Athemholen. Membra- nen hat er in der letzten Zeil nicht ausgehustet. Einen VII. Fall kann ich hinzufügen , den ich der Güte des Hrn. Prof. Gerhardt verdanke, der ihn kürzlich in seiner Privatpraxis be- obachtete. Ein Fleischer in den vierziger Jahren aus einer benachbarten Stadt bemerkte zuerst vor 8 Jahren in seinem Unterleibe r. neben dem Nabel eine Geschwulst, deren Sitz man damals in die Bauchdecken verlegte. Dieselbe wuchs und es bildeten sich allmählich noch mehrere ähnliche in der Nähe. Ausser geringer Abnahme der Ernährung hat Patient von der Entwicklung derselben keinen sonstigen nachtheiligen Einfluss auf seine Gesundheit bemerkt. Die Untersuchung ergab, dass die Geschwülste, die deutliche Fluctuation boten, ihren Sitz in der ver- grösserten Leber hatten, deren unterer Rand unmittelbar über dem horizontalen Schaambeinaste der r. Seite gefühlt werden konnte. Nach Anwendung von Kali picronitricum und Salzwasserumschlägcn trat Ikterus und starke Schmerzhaftigkeit des zuerst entstandenen grösse- ren Tumors auf, über dem ein deutliches Reibegeräusch zu fühlen war. Vor \ 4 Tagen erfolgte eine Entleerung von 20 Echinococcusblasen beim Stuhlgang mit Kleinerwerden der grösseren Geschwulst. Ueber den weiteren Verlauf ist bis jetzt nichts bekannt. Beitrag zur Lehre vom Hautsclercm, Von Dr. Julius Wernicke, Assistent der Med. Poliklinik zu Jena. Christiane St., 31 Jahre alt, aus K., unverheirathet, gicbt an, dass sie im 5. Jahre die Masern gehabt habe und von da ab bis zum Beginn ihrer jetzigen Krankheit stets gesund gewesen sei. In ihrem 19. Jahre war sie zum ersten Male menstruirt, ohne vorher clilorotisch gewesen zu sein ; ihre Regel war stets spärlich und selten. Kurz vor dem Ein- tritt der Menses trat die jetzige Krankheit auf, welche an der linken untern Extremität in der Nähe des Kniegelenkes begann. Die Angaben, welche die Kranke über den Anfang der Krankheit macht, sind folgende: Sie bemerkte eine leichte Röthe der Haut am linken Knie und schneller eintretende Ermüdung mit Schmerzen in der befallenen Extremität nach kurzen Wegen schon ; dabei w ar die Haut trocken und soll an den befallenen Stellen nie geschwitzt haben. Die Affection verbreitete sich nach und nach über den ganzen Schenkel aus, weshalb sich die Kranke am 26. November 1852 in chirurgisch-poliklinische Behandlung begab. Der damals aufgenommene Status praesens ergiebt an den befallenen Stellen eine trockene, glänzend rothe, sich leicht abschilfernde dünne Haut, unter welcher man die grösseren, als die stärker inj icirten kleineren Gefässe mitLeichtigkeit durchsehen kann, dabei ist die Haut sehr straff über das sich fest anfühlende subcutane Bindegewebe gespannt. Die Bewegungen des Knies und Schenkels sind etwas beeinträchtigt, die Inguinaldrüsen geschwollen. Am obern Theil des Oberschenkels, wo die AfFection noch im Beginn ist, findet man eine sehr straffe Infiltration des Zellgewebes, so dass der Umfang des Oberschenkels an dieser Stelle im Vergleich zu dem der andern Seite vergrössert ist; am Unterschen- kel ist die Haut so fest über die unterliegenden Knochen gespannt, dass sie sich nicht in Falten aufheben lässt, dabei ist der Unterschenkel we- niger entwickelt, wie aus der Messung hervorgeht, welche an der Beitrag znr Lehre vom Hantsclerera. 301 Wade und über den Knöcheln einen geringern Betrag von y«", über dem Fussrücken von */,/' in Vergleich zur andern Seite ergiebt. In Be- treff der Temperatur findet an den befallenen Stellen keine Abweichung von der normaler Hautstellen statt. Die Kranke befand sich zu jener Zeit 2 Monate in poliklinisch- chirurgischer Behandlung, ohne dass eine wesentliche Besserung erzielt werden konnte. Ab und zu trat zwar eine grössere Beweglichkeit in den Gelenken und eine Abnahme der Härte der Haut ein, doch war diese Besserung nur vorübergehend und von kurzer Dauer ; auch stellte sich während der damaligen Beobachtung zeitweise eine niedere Tem- peratur und verminderte Sensibilität in den befallenen Stellen ein. — Die damalige Behandlung bestand vorzugsweise in öligen Einreibungen auf die befallenen Stellen und in der Verabreichung von Holztränken, und es wurden zu dem Zweck hauptsächlich Linimentum saponato- camphoratum und Species lignorum benutzt. Nach dieser ^monatlichen Behandlung blieb die Kranke eine Reihe von Jahren aussei- Beobachtung, während welcher Zeit die Affection wesentliche Veränderungen und Fortschritte machte. Eine Behandlung fand in der ganzen Zeit hindurch nicht statt, da die Kranke in den ersten Jahren noch im Stande war, leichte Feldarbeit zu verrichten, überhaupt wenig durch ihre Krankheit belästigt wurde, bis endlich der Process sich weiter ausbreitete und die Kranke ausser leichter Haus- arbeit nichts zu verrichten im Stande war; namentlich war das Gehen sehr erschwert, zeitweise selbst ganz unmöglich. Vor 6 Jahren war die Kranke längere Zeit fieberhaft erkrankt, hatte starke Kopfschmerzen, Schwindel, lebhafte Träume und Diarrhöen, Krankheitszeichen, aus de- nen man wohl auf einen Typhus schliessen kann, öiach Ablauf dessel- ben, jedoch noch während der Reconvalescenz soll der linke Unter- schenkel angeschwollen sein und auf der Anschwellung sich Blasen ge- >bildet haben, die aufbrachen und seröse Flüssigkeit entleerten und mit der Abschuppung der Haut am ganzen Unterschenkel und Fuss zur Hei- lung kamen. Das Bein soll danach sehr atrophisch geworden sein und binnen sehr kurzer Zeit die jetzige Beschaffenheit angenommen haben. Was die Ausbreitung der Krankheit an den übrigen Hautparthieen betrifft, so macht die Kranke folgende Angaben, dass im 22. Jahre die Affection am rechten Bein, im 26. Jahre am linken Arm und kurze Zeit darnach am rechten Arm aufgetreten sei. Die Affection verbreitete sich nicht gleichmässig stetig, sondern zu verschiedenen Zeiten verschieden rasch, ohne dass die Kranke vor oder während der rascheren Verbrei- tung der Krankheit sich Schädlichkeilen ausgesetzt hätte. Beim Beginn des Processes an einer bisher gesund gebliebenen Hautstelle spürte die 302 Julius Wcriiieke, Kranke Jucken, bei Bewegungen selbst Schmerzen, ohne dass vor oder mit diesen unangenehmen Empfindungen Veränderungen an der Haut sich kundgaben, worauf aber dann in der Regel rasch die anatomischen Störungen sich eingestellt haben sollen. Auch waren die durch die Affeclion bedingten Leiden der Kranken nicht gleich, sondern zeigten mannichfache Abwechselungen ; am ausgeprägtesten waren die Be- schwerden in den letzten drei Jahren, so dass die Kranke damals einen längern Weg zurückzulegen verhindert war. Dabei hatte die Kranke zu jener Zeit öfters lebhafte Schmerzen in den ergriffenen Theilen, die na- mentlich in kalter Jahreszeit, in welcher die Haut Neigung zur Ge- schwürsbildung zeigte, aufgetreten sein sollen. Die Geschwüre waren meist nur oberflächhche Excoriationen und entstanden ausser durch die Kälte auch durch geringfügige Läsionen an den Theilen, an welchen die verhärtete und derbe Haut über Knochenvorsprüngen ausgespannt war. In dem letzten Jahre Hessen die Beschwerden wieder etwas nach und die Affection blieb mehr stationär. Weitere Beschwerden, als die durch die Krankheit bedingten, hatte die Kranke nicht, ausser häufig wiederkehrenden Zahnschmerzen, die w ohl ihren Grund in cariösen Zähnen haben mögen und wegen welcher die Kranke am 1 7. December v. J. in die chirurgische Klinik kam , von wo sie auf die medicinische Abtheilung wegen der Hautkrankheit zur Vorstellung verwiesen wurde. Der damals aufgenommene Status prae- sens ergab : Eine mittelgrosse Person von massiger Ernährung, behaarte Kopf- haut ohne Veränderung, Haare reichlich, weich und geschmeidig ; die Haut des Gesichts zeigt ausser einer stärkern Injection der capillären Gefässe auf beiden .Wangen keine Abnormität, Zunge und Schleimhaut des Mundes ohne die geringsten krankhaften Veränderungen ; Haut des Halses und Nackens vollständig normal. Auf der vordem Fläche der Brust zeigt sich die Haut unterhalb beider Claviculae von gelber, wachs-* ähnlicher Farbe, sehr hart und derb, verdünnt und nicht in Falten auf- zuheben. Vom Rande dieser veränderten Hautstellen , an welchem sich eine stärkere Injection der capillären Gefässe findet, erheben sich weiss- liche Stränge, die scheerenförmig in verschiedenen Richtungen in die gesunde Haut verlaufen und letztere etwas runzeln. Der Process ist längs des Sternum am weitesten vorgeschritten und erstreckt sich mehr auf die linke Seite, zieht von hier zur Schulterhöhe und über die Brust- drüse in Form eines 2" breiten Streifes zur Seiten wand des Thorax. Die ergriffenen Theile sind hier unter das Niveau ihrer Umgebung ein- gesunken , welches Einsinken an dem über die Brustdrüse ziehenden Streif so hochgradig ist, dass die Brustdrüse gleichsam in 2 Theile Beitr-ia; zur Lehre vom Hautsclerem. 303 abgeschnürt erscheint. Auf der rechten Seite erstreckt sich der Process zwar gleichfalls in Form eines harten Bandes über die Brustdrüse, doch ist die Haut hier von mehr bleicher Farbe und verdickt, so dass diese Ilautparthie über das Niveau ihrer Umgebung hervorragt. Auf der linken Schulter ferner erstreckt sich die Erkrankung nach aufwärts bis zum Acromion und nach aussen bis zum Tuberculum niajus und stellt sich hier, wo die Affection erst seit 4 Wochen bestehen soll, folgender- inassen dar ; Die ergriffenen Stellen ragen in ganzer Ausdehnung der Erkrankung über ihre Umgebung in Folge einer bedeutenden Ver- dickung der Cutis und des subcutanen Bindegewebes hervor, die Epi- dermis ist in kleienförmigen Schuppen abgeschilfert, die FärlDung der Haut eine mehr gelbliche mit deutlich sichtbaren capillären Injectionen, welche namentlich am Rande der erkrankten Hautparthie auffallend hervortreten ; die Haut selbst ist derb und unelastisch, aber noch in Fal- ten aufzuheben ; dabei ist die Bew egung der Extremität im Schulter- gelenk vollständig erhalten; die Haut der Achselhöhlen ist normal. Am Rücken erstreckt sich die Ausbreitung des Processes von der JMitte der Brustwirbelsäule bis zur 12. Rippe, während die Hautparthieen ober- halb dieser befallenen Stelle und unterhalb bis unter das Gefäss voll- ständig normale Beschaffenheit zeigen. Die Erkrankung erstreckt sich an der befallenen Stelle des Rückens symmetrisch auf beiden Seiten und reicht bis zur Axillarlinie, wo derUebergang der erkrankten Parthie in gesundes Hautgewebe allmählich erfolgt. Der Process ist auch hier ein mehr frischer und die Haut zeigt ganz dieselbe Beschaff"enheit, wie ich sie für die Haut an der linken Schulterhöhe beschrieben habe. Die Haut des Unterleibs ist vollständig frei und zeigt nur an einzelnen Stel- len einzelne stärker pigmentirte Flecke ohne alle Induration. Am rechten Oberarm beginnt die Affection I^Yo C. unterhalb des Acromion und erstreckt sich von hier auf die Streckseite, die vordere und hintere Seite. Die Haut ist an diesen. Stellen narbig verkürzt, weissglänzend, sehr derb, mit deutlich sichtbaren capillären Gefäss- netzen durchzogen und eben noch in eine Falte aufzuheben ; das Unler- hautbindegewebe ist verdickt, die Cephalica tritt als weites, stark an- gefülltes bläuliches Gefäss deutlich hervor. Diese kranke Hautparthie grenzt sich durch einen von der Mitte der Innenseite des Oberarms nach dem Ellenbogengelenk ziehenden, stärker hervortretenden und verdickten Wall, auf welchem eine stärkere Gefassinjection sich findet, von den gesunden Haulparthieen ab. Am rechten Vorderarm breitet sich der Process bis über den Handrücken zu den Metacarpo-Phalan- gealgelenken gleichmässig aus. Man sieht an dem rechten Vorderarm eine Grenze, die sich vom Ellenbogengelenk nach dem Radialrand in 304 •'"lins Weniickp, Form einer weissen Linie erstreckt, durch Nvelclie zwei Hautparthieen getrennt werden, von denen die eine normale Beschaffenheit zeiat, wäh- rend die andere gelbHch gefärbt ist und sich wegen der dünnen, straf- fen, narbenähnlichen Beschaffenheit der Haut nicht falten lässt. Am rech- ten Handrücken ist die Haut straff an die unterliegenden Knochen geheftet, äusserst dünn und durchscheinend ; die Finger sind von den Metacarpo-Phalangealgelenken an frei. An der linken obern Extremität zeigt der Oberarm ganz dieselbe Beschaffenheit wie rechts; der Vorder- arm dagegen, an welchem früher ein geringer Wall die Grenze der er- krankten Hautparthie bildete, so zwar, dass die Beugeseite vollständig frei geblieben war, ist jetzt ringsum brettartig anzufühlen , die Haut an demselben sehr dünn und nicht zu falten, von gelblicher Farbe und an den Grenzen der erkrankten Stellen mit zahlreichen, stärker gefüll- ten Ca[)illaren durchzogen ; das Unterhautbindegewebe scheint gänzlich geschwunden zu sein , so dass der ganze Vorderarm , welcher in sei- ner ganzen Länge keine Spur von Pulsation einer Arterie zeigt, ein sehr atrophisches Aussehen darbietet. Vom Vorderarm breitet sich die Affection in continuo über das Handgelenk und den Handrücken bis zum Ende der ersten Phalangen der Finger aus. Die Haut zeigt hier, wo der Process später als am Vorderarm aufgetreten sein soll , eine schwach glänzende Abschuppung, in Folge deren die Haut ein glänzen- des weissliches Aussehen hat, so dass sie einer Narbe vollständig gleicht ; dabei ist die Haut auch hier äusserst verdünnt, nicht zu falten und fühlt sich sehr derb an ; die Nägel sind an sämmtlichen Fingern Ijeider Hände wohl erhalten. Am Handgelenk ist die Bewegung vollständig aufgehoben, im Ellenbogengelenk beiderseits noch tnöglich, doch links für die Kranke mit dem Gefühl verbunden, ,,als ob die Haut zu kurz wäre." In der Hohlhand reicht der Process, welcher sich ganz wie auf dem Handrücken darstellt bis zu einer Linie, die man von der Palmar- falte des Daumens nach dem Ulnarrand der Hand zieht. An den untern Extremitäten sind beide Oberschenkel, die füher in geringem Grade befallen gewesen sein sollen, jetzt frei und zeigen nur vereinzelte derber anzufühlende und dunkel pigmentirte Flecke, über denen die Haut sich bequem in einer Falte abgreifen lässt. Am rechten Unterschenkel ist die Haut nur an der vordem Fläche der Tibia ver- ändert, an dieser Stelle jedoch so narbig verkürzt und verdünnt, dass längs dem Unterschenkel eine Furche zwischen dem gesunden Haut- gewebe herabläuft; dabei ist die Haut auch hier von wachsähnlicher gelblicher Farbe, sehr hart und derb. Am ausgeprägtesten und wei- testen vorgeschritten ist der Process dagegen am linken Unterschenkel, der bedeutend verschmälert und verdünnt ist. Die Haut zeigt hier in Beitras; zur Lehre vom Hantsclerem. 305 allen ihren Theilen eine bedeutende Atrophie, fühlt sich wie am linken Vorderarm brettartig hart an und ist fest an die unterliegende Fascie geheftet; das Unterhautbindegewebe ist vollständig geschwunden, die Musculatur gleichfalls verdünnt; die Farbe des ganzen Unterschenkels ist eine mehr bräunlich-gelbliche. Am Knie lässt sich die Haut eben noch falten, doch entgleitet die abgegriffene Falte bei Beugung des Knies wegen ihrer papierdünnen Beschaffenheit dem Finger; nach ab- wärts ist eine Faltung unmöglich. Der linke Fuss endlich ist im Ganzen verschmälert, die Haut an demselben von dünner, derb anzufühlender, l)rauner Beschaffenheit und fest an den unterliegentlen Knochen adhä- rent; auch hier ist das Unterhautbindegewebe gänzlich gesch^^unden. Die Zehen , deren Nägel keine krankhafte Veränderung zeigen , sind gleichfalls beträchtlich verschmälert und atrophisch ; die Bewegung für die kleine und grosse beschränkt, für die drei mittlem Zehen gänzhch aufgehoben, während die Bewegung in dem Knie- und Fussgelenk nur wenig, in dem Hüftgelenk gar nicht beeinträchtigt ist, so dass der Gang der Kranken nur insoweit etwas Auffallendes darbietet, als sie das linke Bein etwas nachschleift. Zur Veranschaulichung der Veränderungen der von der Krankheit befallenen Körpertheile mögen folgende Maasse dienen: Obere Extremitäten : B. L. der Mitte des Oberarms 21 % C, 20 '/a C. des untern Drittels des Oberarms 20% C, 20 C. des obern Drittels des Vorderarms 207» C, 19 C. der Mitte des Vorderarms 16 C, löVoC. des untern Drittels des Vorderarms 13 C, 13 C. der Mitte des Handgelenks 1 4% C, 1 4 C. Länge beider Hände = 16 C. Untere Extremitäten : !des Metacarpo-phalangeal-Gelcnkes ]9% C, 18 C. über den Malleolen 1 9 % C . , 1 7 y^ G . der Mitte des Unterschenkels ^1% C., 21 % C. unter den Gondylen 27 C., 22% C. Länge des Fusses von der Ferse bis zur Spitze der grossen Zehe 23 C., 23 C. Vom grösstem Interesse musste es natürlich sein zu untersuchen, inwieweit die Functionen der Haut bei so eigenthümlichen anatomischen Veränderungen derselben beeinträchtigt seien. Nach den zu wiederhol- ten Malen angestellten Versuchen bin ich in dieser Beziehung zu fol- genden Resultaten gekommen. 306 Julius Weriiickc, In Betreff der Sehmerzempfmdung zunächst stellt sich heraus: die Kranke empfindet an den Ix-fallenen Uaulstellen vollständig gut, es soll sogar nach ihren Angaben die Schnierzeniplindung vermehrt sein , in- dem nach geringen Läsionen schon starke Schmerzen an diesen Stellen auftreten. Der Tastsinn der Haut ferner war vollständig erhalten , da die durch mehrfach angestellte Versuche erhaltenen Abstände, in denen zwei gleichzeitig aufgesetzte Zirkelspitzen noch deutlich als gesonderte Puncte gefühlt wurden, den normalen nahezu gleichkommen, wie aus folgenden Aufzeichnungen hervorgeht : Tastweite zweier Zirkelspitzen an der vordem Fläche der Brust in der Mitte des Sternum nach rechts vom Sternum nach links auf dem über die Brustdrüse ziehenden Streifen an den frei gebliebenen Stellen am Rücken An den Extremitäten beträgt die Tastweite auf dem Handrücken an der Aussenseite des Vorderarms an der Innenseite des Vorderarms an der Aussenseite des Oberarms an der Innenseite des Oberarms am Fussrücken am Unterschenkel 3 C, 4% C. Die Abweichungen, die allerdings sich an einzelnen Stellen finden, sind so geringfügig, dass sie als Beweis für eine Vermehrung oder Vermin- derung der Tastempfindung an den befallenen Hautstellen nicht ange- sehen werden können und wohl mehr auf die geringe Zahl von ange- stellten Versuchen zu beziehen sind. Aehnlich verhält es sich mit den Resultaten , die ich in Betreff der Temperatur der verschiedenen Theile erhielt. Denn obwohl ich an ein- zelnen Stellen niedere Temperaturgrade als normal notirte, so sind die- selben doch für eine Verminderung der Temperatur an den afficirten Hautstellen nicht beweisend, da sie sich nur an solchen Theilen fanden, die von dem Centrum der Circulation mehr und mehr entfernt für die Application eines Termometers von vornherein ungünstige Verhältnisse darbieten. Mit dieser Annahme stimmen auch die Angaben der Kran- ken, die an allen Körpertheilen , kranken wie gesunden, ein gleiches Wärmegefühl haben will. Die Resultate nun, die ich in dieser Beziehung erhielt, sind folgende: In dem rechten Ellenbogengelenk 28, 8^ R. „ „ linken „ 28,7» R. ÖV4G. 4 C. reifen 3% C. 4% C. 7 G. L. R. 3 C, . 3 C. 4 C, i C. 3y. c, 4 C. 6% C. , 6% C. 6 C. , 6% G. 3% C. , iy. c. Beitnio' zur Lehre vomHantsclerem. 307 In der rechten Achselhöhle 30,2" R. ,, ,, linken ,, 29, 9^» R. ,, ,, Mundhöhle 29,8" R. ,, ,, rechten Kniekehle 28,4" R. Eine Messuntj; in i]or linken Kniekehle war wegen des Unvermögens der Kranken , dieses Gelenk soweit zu beugen , tlass ein Therinonieter anzulegen war, unmöglich. Anders waren die Verhältnisse in Rezug auf die Drüsenfunctionen der Haut. Nach den Angaben der Kranken nämlich hört mit dem Beginn und während der ganzen Dauer der Krankheit die Schweisssecretion an den i)efallenen Stellen vollständig auf, während die Kranke an den nicht afficirten Stellen sehr stark schwitzt. Diese Angaben der Kranken wur- den durch unsere Beobachtungen bestätigt, da sich die ergriffenen Theile während der ganzen Zeit der Beobachtung stets sehr trocken er- wiesen, die gesunden Ilautparthieen dagegen ihren normalen Feuchtig- keitsgrad bewahrt hatten. Von Seiten der Talgdrüsen ferner war keine Erscheinung an der Haut unsrer Kranken zu bemerken; die lanugo- artigen Haare der allgemeinen Decke endlich erschienen an den frisch befallenen Stellen sehr spärlich , an den vernarbten Stellen fast gänz- lich geschwunden und zeigten bei näherer Besichtigung eine umgebo- gene und auffallend brüchige Beschaffenheil. Was endlich die subjectiven Beschwerden der Kranken betriöt, so sind dieselben im Ganzen gering, da die Kranke nur in der Kälte und l)ei raschen Temperaturwcchseln Jucken, Brennen und zeitweise Stechen in den erkrankten Ilautstellen empfindet, die bei Beu egungen noch mit dem Gefühl für die Kranke, als wäre die Haut hier zu kurz, verbunden sind. Bei warmer Witterung dagegen ist die Kranke von Beschwerden frei, l)ehäll höchstens am Rücken beim Tragen das Gefühl von Span- nung fort. Lästig sind für die Kranke ferner die zeitweise auftretenden Excoriationen der Haut, da sie durch dieselben meist an der Verrichtung ihrer Arbeit, der sie in letzter Zeit wieder fast vollständig obliegen konnte, a])gehalten wird. Im Uebrigen ist die Kranke von Beschwer- den frei , womit auch der Befund der innei'u Organe stimmt , welche sich bei der physikalischen Untersuchung als vollständig intact erwiesen. Die Behandlung bestand anfangs in dem innerlichen Gebrauch von lodkali (5j ad 5ij «^1- destill. S. 3 x täglich 10 gtts.) und der Einrei- bung vonGlycerin auf die ergriffenen Hautparthieen, welche Medication während zweier Monate fortgesetzt wurde, ohne dass eine Aenderung im Zustande der Kranken erreicht werden konnte, weshalb zu der Verabreichung von Tonicis in Verbindung mit Glycerin-Einreil)ungon geschritten wurde. Einigemal wurde auch Argent. nitric. (3ß auf Unc. 308 Mn\s Weniicke, j Axung. porc.) angewandt, doch bald damit wieder ausgesetzt, da es sich nicht als vortheilhaft erwies. Während der letzten drei Monate nun , in welchen die Kranke mit Ferr. carbonic. sacch. und Ferr. pulverat. in grossen Dosen behandelt wurde, trat eine entschiedene Neigung zur Besserung ein. Die Haut wurde namentlich in letzter Zeit an den noch nicht sehr atrophischen Stellen weicher und geschmeidiger, die Gebi^auchsfähigkeit der ergriffe- nen Gheder in Folge dessen eine freiere, so dass ich bereits nach i% Monat folgende Notizen niederschrieb: Die Kranke giebt an, im linken Vorderam und der linken Schulter sowie am Rücken nicht mehr so stark das Gefühl von Spannen bei Bewegungen zu haben; die Haut fühlt sich an diesen Stellen im Yerhältniss zu früher weicher und ela- stischer an und lässt in ausgiebigerer Weise eine Faltung zu; an den übrigen Stellen ist zw ar noch keine Besserung zu bemerken , doch ist der Process nicht weitergeschritten. . Nach dieser Zeit habe ich die Kranke noch zwei Mal zu Gesicht bekonnnen und stets das Anhalten der Weichheit und Geschmeidigkeit an den angegebenen Stellen, das letzte- Mal sogar eine Zunahme derselben bemerken können. Das Allgemein- befinden war während der ganzen Zeit der Beobachtung ungetrübt. Literatur: Arning, Beitrag zur Lehre vom Sclerema adultorum : Würzburger med. Zeitschrift 1861. Bd. 11. pag. 186. Fiedler, Deutsche Klinik. Jahrgang 1855. No. 34. Fuchs, Bericht über die medic. Klinik in Göttingen im J. 1853 — 1854. Göttingen 1855. p. 192. Förster, Würzburger med. Zeitschrift 1861. Bd. II. pag. 294. NoRDT, üeber das einfache Sclerom der Haut. Inaugural-Dissertation. Giessen1861. MossLER, Virchow's Archiv für pathol. Anatomie u. Physiologie und für klinische Medicin. Bd. XXIIl. pag. 157. KöBNER, Klinische und experimentelle Mittheilungen aus der Dermatologie u. Syphi- lidologie. Erlangen 1864. pag. 24. Was zunächst das Vorkommen der Krankheit betritft, so findet die Ansicht Gillette's, Arning's und Nordt's, dass dieselbe ganz über- wiegend beim w eiblichen Geschlecht vorkomme , auch durch unsern Fall eine Stütze ; nur möchte ich noch hinzufügen , dass die Affeclion hauptsächlich Individuen der niedern Volksclasse befällt , da nach den zusammengestellten Fällen die Krankheit zumeist an Dienstmädchen, Landleuten und in den Fällen, wo die Affection beim männlichen Ge- schlecht beobachtet wurde, an Handarbeitern zur Beobachtung kam. Auch das Alter unserer Kranken ist dasjenige, in welchem das Haut- sclerem der Erwachsenen meist vorkommt, da dieselbe im Alter von 4 9 Jahren von der Krankheit befallen wurde und die meisten Er- Beitrag zur Lehre vom Hantsclerem. 309 krankungen vor den kliniacterischen Jahren beobachtet wurden, ohne dass desshalb dieses Leiden, wie schon andere Beobachter richtig her- vorgehoben haben, mit dei- Genitalsphäre in Verbindung zu bringen wäre. In Betreff der Entstehung der Krankheit reiht sich unser Fall den meisten der früheren Beobachtungen an, indem die Atiection ganz ohne bekannte Veranlassung auftrat. Zwar wird von Arnim; behauptet, dass eineErkältuiig fast immer die Ursache der Krankheit bilde, sucht man je- doch in der Anaiimese der einzelnen Beobachtungen nach, so fehlt dieselbe ebenso häufig, als sie vorkonnnt. Auch in unserm Fall wird eine solche mit Bestimmtheit in Abrede gestellt, obwohl doch Kranke für die Ent- stehung von Krankheiten eine Erkältung als Ursache anzusehen sehr geneigt sind und demnach auf die Angaben der Kranken in dieser Be- ziehung von vornherein nicht allzu viel Gewicht zu legen ist. Die An- nahme einer Erkältung als tier häufigsten Ursache dieser Krankheit scheint mir ferner desshalb auch unwahrscheinlich, weil die Krankheit ganz überwiegend beim weiblichen Geschlecht vorkommt, und nicht einzusehen ist, weshalb geratle Individuen weiblichen Geschlechts nach einer Erkältung, denen männliche Individuen doch in gleicher Weise ausgesetzt sind, von dieser Alfection vorzugsweise befallen werden. Dass allgemeine Anämie die Ursache der Krankheit bilde, wie in der Beobachtung von Mossler der Fall gewesen zu sein scheint, ist möglich und könnte vielleicht noch dadurch eine Stütze finden, dass dieKiank- heit hauptsächlich bei Leuten der niederen Classe vorkommt, welch letzteres Factum wohl noch zu der Annahme berechtigt, dass die Ur- sache der Krankheit auch in der Beschäftigung der Leute zu suchen sei. Nach diesem allen glaube ich, dass eine bestimmte Ursache der Krank- heit bis jetzt noch nicht bekannt ist, obwohl in vorausgehenden anämi- schen Zuständen, wie auch Köbner hervorhebt, und in der Beschäfti- gungsweise der Individuen begünstigende Momente für die Krankheit liegen können. Zu dieser Annahme sehe ich mich um so mehr veran- lasst, da aus dei' Therapie der einzelnen fremden Beobachtungen sowie unseres Falles hervorgeht, dass eine Besserung eintrat, sobald die Kran- ken dem entsprechend behandelt wurden, während die Behandlungs- ^^ eise in anderer Richtung meist ohne Einfluss auf die Krankheit blieb. Wenn ich somit der Behauptung Gillette's und Arning's, dass die Krankheit meist rheumatischen Ursprungs sei, entgegentreten muss, so muss ich dies in gewisser Weise auch in Bezug darauf, dass dem Be- ginn der Erkrankung fast stets acute oder chronische rheumatische Pro- cesse längere oder kürzere Zeit vorausgehen, indem ich glaube, dass das Gefühl von Steifigkeit und die vagen Schmerzen, die von einzelnen Kranken vor dem Beginn der Krankheit angegeben werden, schon den 310 Julius Wemicke, Anfang der Krankheit iDÜden, zumal nur aus einzelnen der angeführten Krankengeschichten sich ein wirklicher Gelenk- oder Muskelrheumatis- nius constatiren lässt. Dass letzlere Krankheiten aber rein zufällige sind und mit der in Rede stehenden Affection nicht im Entferntesten in Zusammenhang stehen, scheint mir schon deshalb wahrscheinlich, weil unter den Ausgängen von Rheumatismen, von denen doch eine grosse Reihe von Reobachtungen vorliegt, meines Entsinnqns einer der- artigen Folgekrankheit nie Erwähnung gethan wird. Merkwürdig bliebe es auch immerhin, wenn Rheumatismen einen Einfluss auf die Entste- hung der Krankheit übten, w eshalb das Sclerem der Erwachsenen bei der Häufigkeit der Rheumatismen eine so selten zur Reobachtung kom- mende Krankheit wäre. Unter den aufgeführten Fällen nun begann das Leiden in 1 6 Fällen (Cimzio, Henke, 2 Thirial, Rouchut, 2 Rilliet, 2 Gn.LETTE, Fiedler, Robert M'Donnel, Arning, Förster, Mossler, Kör- ner, der Verfasser) ganz plötzlich, während unter den übrigen Fällen in fünf Fällen (Forget, Put^gnat, Pelletier, Eckström, Nordt) längere Jahre vorher rheumatische Schmerzen bestanden, in 2 Fällen (Brücke und Fuchs) die Krankheit sich aus Gelenkrheumatismus unmittelbar iiervorgebildet haben soll. Nach dieser Zusammenstellung glaube ich, dass Rheumatismen ohne Einfluss auf die Entstehung des Sclerema adultorum sind, zumal die vorausgehenden unangenehmen Empfin- dungen, welche die Kranken angeben, sich sehr gut als Beginn der Krankheit ansehen lassen, da doch anzunehmen ist, dass bei derartigen pathologischen Veränderungen der Haut, wie wir sie beim Sclerema adultorum finden, subjectivc Resch werden für die Kranken vorhanden sein können, ehe objective Zeichen in die Erscheinung treten. Mehr Klarheit als in der Aetiologie der Krankheit hen^sclit in der Symptomatologie derselben. Die Affection charakterisirte sich in ihrem ersten Stadium bei unsrer Kranken in einer derben, pergamentähnli- chen, mit Verdickung und abnormer Spannung verbundenen Reschaf- fenheit der Haut, welche letztere zugleich eine gelbliche, wachsähnliche Färbung erkennen liess ; Zeichen, aus denen sich ohne Zweifel ergiebt, dass unser Fall wirklich zu dem als Sclerema beschriebenen Leiden ge- hört. Denn obwohl nach der am Anfange der Arbeit gegebenen Schil- derung der Symptome unser Fall manches Abweichende darbietet, so sind doch die für das Sclerema adultorum pathognomischen Zeichen so deutlich ausgesprochen, dass ich glaube, die Abweichungen unsers Fal- les von den von Rilliet und Arning aufgestellten Sätzen als Reitrag zur Lehre vom Sclerema ansehen zu müssen. Was zunächst die Ausbreitung der Krankheit belrifl't, so stellt Rilliet den Satz hin, dass die Krankheit immer nur die oberen Körper- Beitrag'zur Lehre vom Hiuitsclerem, 311 theile einnehme, welcher Ansicht auch Nordt beitritt, indem er als den vorzüglichsten Sitz der Hautveränderung die obere Körperhälfte angiebt, von den untern Körpertheilen dagegen behauptet, dass sie entweder gar nicht oder nur ausnahmsweise und dann stets in geringerem Grade befallen seien. Arning gehl in dieser Beziehung schon etwas weiter und zieht die Grenzen für die Ausbreitung der Krankheit weniger eng. Nach ihm wird zwar in dei- Mehrzahl der Fälle auch die obere Körper- hälfte am häufigsten, die untere nur fleckenweise befallen, doch gesteht er zu, dass auch der ganze Körper, jedoch dann »überall gleich stark« befallen werden könne. Diesen Ansichten widerspricht unser Fall, in welchem die Affection an der linken untern Extremität begann und sich von hier allmählich über den ganzen Körper mit Ausnahme des Gesich- tes, Halses und Nackens verbreitete und zwar so, dass die untere Kör- perhälfte am meisten befallen ist. Einen ähnlichen Ausgang nahm die Krankheit auch in dem Fall Förster's, in welchem der Process gleich- falls an einem der Unterschenkel begann und sich von hier aus weiter verbreitete ; Gesicht, Kopf, Hals und Nacken jedoch freilassend. Nach diesen beiden Beobachtungen, die doch zu den schwereren Fällen zu rechnen sind und in denen also die untere Körperhälfte hauptsächlich den Sitz des Leidens bildete, glaube ich annehmen zu müssen, dass der Anfang der Krankheit von jeder Stelle des Körpers aus erfolgen und dass die Ausbreitung der Affection bald an der obern, bald an der un- tern Körperhälfte vorzüglich vor sich gehen kann. Erwähnen muss ich ferner in dieser Beziehung, dass die in der Arbeit Arning's bei der Kritik über die Echtheit einzelner Fälle zu wiederholten Malen ausgesprochene Ansicht, dass dasNichtbefallensein des Gesichtes gegen die Identität der fraglichen Fälle mit dem Sclerema adultorum spreche , keineswegs eine richtige ist, da nach den beiden zuletzt erwähnten Beobachtungen (Förster und der Verfasser) wohl Fälle vorkommen können, in denen das Gesicht vollständig frei bleibt oder, was gleichfalls denkbar wäre, der Process sich erst später auf das Gesicht ausbreitet. Dass die obere Körperhälfte und namentlich das Gesicht in der Mehrzahl der Fälle be- fallen waren, ist allerdings nach obiger Zusammenstellung richtig, schliesst jedoch nicht aus, dass die untere Körperhälfte entweder allein, oder in höherem Grade befallen werden könne, zumal jetzt mehrere Beobachtungen über eine derartige Ausbreitung der Krankheit vorliegen. Was die Erscheinungen der Krankheit betrifft, so finden sich auch in unserem Falle pergamentartige Verhärtung, abnorme Spannung und Verdickung mit Verlust der Elasticität der Haut als die w^esentlichsten Kriterien der Krankheit in ihrem ersten Stadium vor. Die Haut ist bretlartig hart und dabei so straff über den unterliegenden Theilen Bd. I. 3. ^n 312 Julius Weniicke, ausges})imnt, dass sie nur mit Mühe in einer Falle abzugreifen ist. Am ausgeprägtesten sind diese Erscheinungen an den Stellen der allgemei- nen Decke, an welchen die Affection erst kürzere Zeit besieht, wie am Rücken und auf der linken Schuller, deren Verdickung eine so hoch- gradige ist, dass diese Theile über das Niveau ihrer Umgebung hervor- ragen und durch einen starken Wall, auf welchem eine stärkere Gc- fassinjection sich vorfindet, gegen intact gebliebene Hautstellen sich ab- grenzen. Ausser diesen Veränderungen der Haut findet sich jedoch in unserem Falle an den vorgeschritteneren Stellen der Aff"ection noch ein Zeichen, welches zwar in einzelnen Fällen auch hervorgehoben wird, doch nie einen solchen Grad wie in unserer Beobachtung erreicht zu haben scheint. Wie aus der Krankengeschichte hervorgeht, zeigt die Haut an den von der Affection länger befallenen Stellen eine hochgra- dige Atrophie, deren Sitz nicht allein in der Cutis, sondern hauptsäch- lich in dem subcutanen Bindegewebe zu suchen war, da letzteres als vollständig geschwunden sich erwies, wenigstens für den untersuchen- den Finger nicht nachweisbar war. Einen Schwund des subcutanen Bindegewebes glaube ich aber deshalb annehmen zu müssen, weil im Beginn der Affection, welchen ich an einzelnen Stellen selbst zu beo- bachten Gelegenheit hatte, das subcutane Bindegewebe verdickt war und mit dem Fortschreiten der Affection mehr und mehr an Dicke ab- nahm, bis schliessfich die vorher verdickten Theile unter das Niveau ihrer Umgebung eingesunken waren und nur aus Knochen und einem derben, verhärteten Ueberzug zu bestehen schienen. Ausser dieser Volumsabnahme zeigen die Hautpartieen auch ein verändertes Aus- sehen. Die Haut ist nämlich an denselben äusserst durchscheinend, fast papierdünn und so fest über den unterliegenden Theilen ausgespannt, dass sie einer Brandnarbe vollständig gleicht, deren Farbe nur eine etwas dunklere, mehr gelblichbraune ist und an deren Rändern eine stärkere Gefässinjection sich findet. Was die Entstehung dieser hoch- gradigen Atrophie betriffst , so muss man sich dieselbe ähnlich denken, wie die atrophischer Carcinome. Man muss nämlich annehmen, dass in Folge einer regressiven Metamorphose das durch die Entzündung ge- setzte Exsudat resorbirt wird und durch den Druck nun, welchen die verhärtete und abnorm gespannte Cutis auf die unterliegenden Theile ausübt, die Ernährung der letzleren beeinträchtigt wird und so zu- nächst allmählich ein Schwund des subcutanen Bindegewebes erfolgt. Zu dieser Annahme glaube ich mich um so mehr berechtigt, als auch oTe Musculatur am linken Unterschenkel in unserm Fall sich als ver- dünnt erwies und in dem Falle Nordt's selbst am Knochen vielleicht eine interstitielle Resorption in Folge des Druckes der gespannten Haut Beitrag zur Lehre vom Hautsderem. 313 stattgefunden hatte. Diese Atrophie, verbunden mit dem oben beschrie- benen veränderten Aussehen der Haut zeichnet unsern Fall vor den meisten der früheren Beobachtungen aus, da in den Fällen, in welchen von einer Atrophie der befallenen Körperstellen besonders die Rede ist und erstere durch Maasse anschaulich gemacht wurde, die Abmagerung nie einen solchen Grad erreichte. Am ausgesprochensten waren diese Erscheinungen am linken Unterschenkel und Vorderam nebst Hand- rücken, an welchen Theilen auch in unserm Fall die Neigung der Haut zur Geschwürsbildung, wie dieselbe in den Fällen Nordt's, Förster's und Mossler's heobachtet wurde, constatirt werden konnte. Die Ent- stehung der Geschwüre, die in unserm Falle nur in obeiflächlichen Ex- coriationen bestanden, war ausser in dem Druck der Knochenvor- sprünge auf die fest über letztere hinwegziehende Haut noch in der Einwirkung der Kälte zu suchen, da nach den Angaljen der Kranken die Excoriationen namentlich zur kälteren Jahreszeit eintraten, in wel- cher die Haut auch an anderen Stellen eine sehr schrundige Beschaflen- heit angenommen haben soll, die mit dem Eintritt wärmerer Jahreszeit oder durch den Aufenthalt im warmen Zimmer allmählich wieder zu- rückging. Weniger befallen waren die rechtseitigen Extremitäten und die Brust, obwohl auch hier die Affection die erwähnten Symptome darbot; vollständig frei von jeglicher Erkrankung erwies sich die Haut am Kopf, im Gesicht, am Hals und Nacken, Körpergegenden, die in der Mehrzahl der früheren Beobachtungen den hauptsächlichsten Sitz der Erkrankung bildeten; die Zunge, welche in mehreren Fällen miler- krankt war, zeigte sich in unserm Falle gleichfalls intact. Nach diesen Erscheinungen haben wir zwei Stadien von Verände- rungen an der Haut unserer Kranken wahrgenommen, von welchen das erste mit den Veränderungen, wie sie beim Sclerema adultorum zur Beobachtung kommen, vollständig übereinstimmt, das zweite dagegen von denselben so wesentlich verschieden ist, dass eine vollständige Iden- tität unsers Falles mit den früheren Beobachtungen nicht anzunehmen ist. Denn nach dieser hochgradigen Atrophie, verbunden mit der nar- benähnlichen Verkürzung und Verdünnung der Haut stellt unser Fall einen wesentlich andern Ausgang als das Sclerema adultorum dar, ob- wohl die pathologischen Veränderungen der Haut bei beiden Arten von Hautsderem in dem ersten Stadium der Krankheit die gleichen Charak- tere darbieten. Aus diesem Grunde möchte ich diesen Fall als eine neue Art von Hautsderem ansehen und demselben wegen seines Ausgangs- stadiums den Namen cicatrisirendes Hautsderem beilegen, wel- cher Name mir den pathologischen Veränderungen der Haut durchaus entsprechend erscheint, so dass wir jetzt drei Arten von Hautsderem, 2i* 314 Julius Wernicke, nämlich das Sclerema neonatorum , das Sclorema adultorum und das cicatrisirende Hautsclereni anzAinehmen hätten. An letzter Form müssen wir jedoch zwei Stadien unterscheiden, deren erstes ich wegen der abnormen Verhärtung , Spannung und Verdickung, welche die Haut der ergriffenen Theile zeigt, als Stadium der Induration bezeichnen, das zweite dagegen, in welchem die afficirten Stellen eine bedeutende Atrophie und Verkürzung erkennen lassen, als Stadium der Atrophie und Contractur kennzeichnen möchte. Wie jedoch der Uebergang dieser beiden Stadien der Krankheit in einander sehr allmählich erfolgt, so finden auch in einzelnen Fällen , für welche der Name Sclerema adultorum aufrecht zu erhalten ist, an einzelnen Stellen Veränderungen statt, welche sich denen, welche ich für das zweite Stadium des cicatrisirenden Ilautsclerem's beschrieben habe, mehr oder weniger nähern. So wurden namentlich von Mossler und Nordt an den Extremitäten Veränderungen der Haut beschrieben, die denen un- seres Falles nahezu gleichkommen, wenn auch die Ausdehnung dersel- ben eine geringere war, denn nach den Maassen, die in jenen Fällen notirt sind, scheint gleichfalls eine Atrophie der Haut an einzelnen Stel- len vorhanden gewesen zu sein. Sonach fänden auch zwischen dem Sclerema adultorum und dem cicatrisirenden Hautsclereni Uebergänge statt, nach welchen diese lieiden Arten von Hautsclerem eine und die- selbe Grundkrankheit darstellten und das cicatrisirende Hautsclerem nur als neue Ausgangsform derselben anzusehen wäre, was um so wahr- scheinlicher erscheint, als das erste Stadium desselben ganz dieselben Veränderungen, wie sie für das Sclerema adultorum beschrieben sind, darbietet. Mit dieser Annahme stimmen auch die weitem Erscheinungen unsers Falles überein , die nahezu mit denen anderer Beobachtungen zusammentreffen. Bezüglich der Farbe der entarteten Hautstellen nämlich findet man in den meisten Beobachtungen keine auffallende Veränderung angege- ben, in anderen Fällen dagegen hatte sie eine mehr bleiche, wachsähn- liche Beschaffenheit angenommen. Letztere soll nach Nordt namentlich an den Stellen auftreten, an denen die Affection einen höhern Grad er- reicht hat, während in der Beobachtung Mossler's , nach welcher die Haut eine »intensiv braune Färbung« zeigte, die Hautfärbung mit dem Grade des Uebels in keinem Zusammenhange steht. Diesen beiden Beo- bachtungen widerspricht unser Fall, in welchem beide Arten der Far- benveränderung sich vorfinden, und zwar so, dass die weniger ergriffe- nen Hautstellen eine mehr wachsähnliche, die stark ergriffenen eine gelblichbraune Färbung zeigen. Beitrag zur Lehre vom Hnutsclerem. 815 Was die Functionen der Haut anlangt, so werden diese nur in sehr ])eschränkter Weise durch das Hautsclerem beeinträchtigt, da ausser Störungen der Perspiration und des Haarwuchses keine Ano- malie stattfindet. Die Sensiliilität der Haut nämlich fand sich in allen bisher beschriebenen Fällen niit Ausnahme zweier (Eckström und Rilliet) der normalen vollkommen gleich, wie die nach den von E. H. Weber angegebenen, in mehreren der jetzt beschriebenen Fälle ange- wandten Methoden gewonnenen Resultate ergeben. Wenn Rilliet und Eckström von einer Verminderung der Sensibilität sprechen, so hat diese, wie sich nach den Untersuchungen Förster's herausgestellt hat, in der dichtem Umhüllung der Nervenfasern durch die verdickten Bin- degewebsbündel ihren Grund und scheint nur so lange vorhanden zu sein, als das Bindegewebe, welches in Folge einer chronisch verlaufen- den Entzündung in der Cutis und insbesondere im subcutanen Zellge- webe gebildet wird, noch nicht wieder resorbirt ist. In unserm Fall erwies sich die Sensibilität gleichfalls normal, da ich die geringen Un- terschiede auf die zu geringe Anzahl von Versuchen , die angestellt werden konnten, beziehen zu müssen glaube. Zwar wird von unsrer Kranken angegeben , dass sie nach geringen Läsionen stärkere Schmer- zen in den ergriffenen Hautparthieen als in den normal gebliebenen empfinde, doch glaube ich, dass diese in dem Elasticitätsverlust der Haut begründet sind, in Folge dessen die Haut den auf sie wirkenden äussern Einflüssen weniger nachgiebt und somit einer grösseren Zer- rung als die normale Haut ausgesetzt wird. Das Gleiche ergiebt sich für die Temperatur der Haut , da nach allen den Fällen, in welchen dieselbe durch Messungen mittels des Thermometers bestimmt wurde, ein wesentlicher Untersclued nicht stalt- fand, und diese Fälle wohl entscheidender sind, als diejenigen, in denen die Temperatur nur durch das Gefühl bestimmt als erniedrigt angege- ben wird. Wenn ich trotzdem in unsrer Beobachtung Temperaturgrade um 1 " geringer als normal notirt habe, so glaube ich nicht , dieses als Beweis für eine Erniedrigung der Temperatur ansehen zu können , da diese an Stellen gefunden \^urden, die der Anlegung des Thermome- ters von vorn herein ungünstig sind. Zudem kommt noch, dass gerade die Stellen, an welchen eine niedere Temperatur gefunden wurde, von der Affection nahezu frei geblieben waren, woraus wohl hervorgeht, dass die Ursache der Temperaturerniedrigung in den für die Application eines Thermometers ungünstigen Hautstellen , von welchen der Zutritt der äussern Luft nicht vollständig abgeschlossen werden konnte , zu suchen ist. Anders verhält es sich mit der Transpiration der Haut bei dieser 3 1 6 •^"''"'5 Weniicke, Krankheit, welche in iinserm Fall, wie in der Beobachtung Clrzio's, an den ergriffenen Hautparthieen vollständig fehlte, wahrend sie von an- dern Beobachtern (RiLLiET, GuiLLOT, Nordt) nur als verringert angegeben wird, in den meisten andern Fällen dagegen vollständig erhalten ge- wesen zu sein scheint, da eine Veränderung derselben nicht erwähnt wird. Auch in dem Falle Förster's wird von einer Störung derselben nicht gesprochen, obwohl Förster bei der mikroskopischen Untersu- chung der Haut eine wenn auch unveränderte Beschaffenheit, doch spar- samere Vertheilung der Hautdrüsen fand. Demnach glaube ich , dass eine bestinnnte Angabe über das Verhalten der Transpiration bei der geringen Zahl der Beobachtungen, in welchen des Verhaltens der Tran- spiration ausdrücklich Erwähnung geschieht, noch nicht zu machen ist, obwohl nach dem pathologisch-anatomischen Befund eine Störung der- selben wohl als constant vorkommend zu vermuthen ist. Bezüglich der Entwicklung der Haare wird in den meisten Fällen von keiner Anomalie gesprochen. Brück ist der Erste, welcher eine krankhafte Beschatlenheit der Kopfhaare beobachtete , die auch Nordt in seinem Fall erwähnt, in w^elchem die Kopfhaare »kurz, trocken, glanzlos und abgebrochen« erschienen. Während jedoch Nordt aus- drücklich hervorbebt, dass die lanugoartigen Haare der Haut normal entwickelt gewesen wären , besteht in unserm Fall gerade an diesen die in der Krankengeschichte angegebene Veränderung ; eine Beobach- tung, die ich in keinem andern Falle gefunden habe und welche der mikroskopischen Untersuchung Förster's widerspricht, nach welcher die Haare gleich den Hautdrüsen unverändert erschienen , obwohl ihre sehr spärliche Vertheilung auffallend war. Das Allgemeinbefinden wird nach den Beobachtungen, die bis jetzt darüber vorliegen, durch das Sclerema adultorum an sich nicht gestört. Zwar findet nach Gillette Husten und allgemeine Abmagerung statt, doch sind diese Erscheinungen wohl ausser Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Leiden , da sie nur in sehr vereinzelten Fällen beob- achtet wurden und in diesen Beobachtungen eine andere Ursache der- selben nicht ausgeschlossen ist. Die nervösen Zustände, welche von MossLER und Arning erwähnt werden, sind wohl gleichfalls nicht als Complication der Krankheit anzusehen , da dieselben verschwanden, obwohl die Hautkrankheit fortbestand. Was den Verlauf der Krankheit betrifft, so findet man in den ein- zelnen Beobachtungen sehr verschiedene Angaben , da die Krankheit in einzelnen Fällen schon nach w^enigen Tagen, in andern erst nach Monaten und Jahren zur vollständigen Entwicklung kam. Die Unwahrscheinlich- keit einer Verbreitung der Krankheit binnen weniger Tage ist jedoch, Beitrau zur Lelirc vom Hniitsclcrcra. 3 1 7 wie schon Nordt hervoi-belit, wegen der Art der Hautveränderung nicht zu bezweifeln, zumal auch die Fälle, in denen eine so rapide Verbreitung der Krankheit erwähnt wird, die bei weitem kleinere Anzahl von Be- obachtungen bilden und demnach wohl anzunehmen ist, dass die Krank- heit schon längere Zeit bestanden hatte, ihrer geringfügigen Beschwer- den wegen aber, die sie den Kranken verursachte, von letzteren selbst anfangs übersehen wurde. Demnach möchte ich ein allmähliches Wei- terschreiten der Krankheit als das Constantere bezeichnen und die Dauer des Leidens auf Grund der meisten Beobachtungen hin als eine über Jahre sich hinziehende ansehen. Nach alledem nun glaube ich, dass die Diagnose der Krankheit keine sch>ivierige ist und die Affection an sich nicht leicht mit einer andern Krankheit verwechselt werden kann. Die Diagnose muss nur vor Allem nach der Beschaffenheit der entarteten Hautstellen, nicht nach dem Grade der Ausbreitung festgestellt werden und wird dann bei einer so eigenthümlichen Hautveränderung, deren wesentlichsten Kriterien ein- mal in pergamentartiger Härte, abnormer Spannung und Verdickung, sodann in Atrophie und narbiger Contractur der Haut, verbunden mit einer eigenthümlichen Entfärbung der Haut bestehen , eine Verwechs- lung mit einer andern Krankheit nicht leicht zulassen. Auffallend muss es daher erscheinen, wenn Addison einen ganz gleichen Krankheits- process, den er selbst als einen Indurationsprocess bezeichnet , unter dem Namen wahres Keloid beschreibt, und Dr. C. Martius selbst diagnostische Unterscheidungsmerkmale für beide Krankheitsformen aufstellt und unter diesen die »Hautentfärbung, Schmerzen und Nar- benbildung oder Gewebeschwund« hervorhebt. Unter dem Namen Keloid nämlich beschrieb zuerst Alibert^) eine Art von Bindegewebsgeschwülsten der Haut und des su])cutanen Bin- degewebes, welche die Grösse einer Erbse bis Wallnuss erreichen und flache, feste, am Rande etwas hervorragende, gegen die Mitte hin ein wenig eingedrückte Geschwülste bilden , deren Farbe bald eine sehr rolhe, bald eine etwas blassere ist. Derartige Geschwülste, welche sich meist nur zu 2 oder 3 auf einem Individuum , selten in grösserer An- zahl finden, bestehen in der Regel viele Jahre hindurch ohne die ge- ringsten Veränderungen, später jedoch nehmen sie mehr das Aussehen einer gut geheilten Narbe an , von deren Rändern in die umgebenden Theile harte Stränge auslaufen, welche die gesunde Haut an sich ziehen und etwas runzeln. Mit der Veränderung des Aussehens oder der Ver- 1) Alibert, Description des malatlies de la peau, ä Paris, "eh. Barrois. U p. 113. 318 Mm Wenik'ke, mehrung dieser Geschwülste sind meist heftige Schmerzen für die Kranken verbunden. Eine Entfernung dieser Geschwülste ohne Reci- div])ildung ist weder mittels des Messers noch durch die Anwendung medicamentöser Mittel möglich. Nach dieser Charakterisirung der Keloide, welche Alibert anfangs C an er oide nannte, unterscheiden sich beide Keloidarten wesentlich von einander; denn während in dem AnBERT'schen Keloid uns das Bild einer circumscripten Geschwulst beschrieben wird, ist in dem Addison sehen Keloid der Process ein so ausgebreiteter, dass dersellie wohl kaum mehr mit dem Namen einer Geschwulst , welche doch die Keloide darstellen, zu bezeichnen ist, weshalb für letztere Erkrankung, deren Symptomenbild auch ein wesenthch anderes ist, der Name Keloid fallen zu lassen ist. Um jedoch meine Ansicht, dass das wahre Keloid Addison's einen gleichen Krankheitsprocess darstelle, wie ich ihn für das cicatrisirende Hautsclerem beschrieben habe , näher auseinandersetzen zu können, muss ich vorher auf die Beobachtungen, die über erstere Krankheit vor- liegen, in Kürze etwas eingehen. Unter den Beobachtungen über das wahre Keloid , deren ich 8 in der Literatur aufgefunden habe, (4 von Addison, l von Beale, 2 von Martius und 1 von Thomas Longmore) wurden 5 Fälle an Individuen weiblichen Geschlechts, 3 an Männern beobachtet und zwar bezogen sich auch hier, soweit es in den betreffenden Krankengeschichten an- gegeben ist, die Erkrankungen zumeist auf Leute der arbeitenden Classe. Die Alfection begann in den meisten Fällen mit der Entfär- bung einer kleinen, erbsen- bis thalergrossen Hautstelle, die sich all- mählich in der Richtung clerLängsaxe des Körpers vergrösserte und beim Weiterschreiten für den Kranken mit dem Gefühl von Spannen und Jucken, selbst Schmerz verbunden war. Im Verlauf der Krankheit be- gann die Haut sich zu verdicken, wurde gerunzelt und härter , indem sie zugleich ihre Elasticität verlor. Breitete sich die Krankheit weiter aus, so wurde ein zweites Stadium derselben bemerklich, welches durch Atrophie und Contractur der ergriffenen Theile charakterisirt war. Die afficirten Hautstellen nahmen in diesem allmählich an Umfang so be- deutend ab, dass sie an den ausgesprochensten Stellen nur aus Knochen und einem harten, schwieligen Ueberzuge zu bestehen schienen. Zu- gleich veränderte sich das Aussehen solcher Stellen in der Weise, dass die Haut, welche im höchsten Stadium der Krankheit mit dem Knochen verwachsen zu sein schien, das Aussehen einer Brandnarbe vollständig darbot, von deren Grenzen erhabene röthlich oder \a eiss gefärbte Fort- sätze in das gesunde Gewebe ausliefen. In dieser Weise blieb der Pro- Beitrag zur Lehre vom Hautscierem. 319 cess in einzelnen Fällen auf einen geringen Umfang beschränkt, in andern dagegen war er über grössere Strecken verbreitet und dann meist mit den Folgen der Hautcontractur im Allgemeinen verbunden. In Betreff der Functionen der Haut fand ich in keinem der beschriebe- nen Fälle eine Angabe. Was die subjectiven Beschwerden betraf, welche durch das Leiden für die Kranken bedingt wurden, so fanden sich in den meisten Fällen zeitweise auftretende Schmerzen als die ein- zigen BesclnA erden vor; in den ausgesprochensten war mit diesen noch eine Behinderung in der Bewegung der ergriffenen Theile verbunden, das Allgemeinbefinden jedoch meist sehr gut. Nach diesen Symptomen nun besteht das Wesen der Krankheit in 2 ^ erschiedenen Stadien, deren erstes sich durch Entfärbung, Verdickung und Verhärtung der afficirlen Hautstellen charakterisirt , während im zweiten Stadium Atrophie und Contractur der Theile eintritt. Vergleichen wir diese Erscheinungen mit denjenigen, welche wir beim Sclerem speciell in unserm Fall angegeben haben , so finden wir auch hier im Beginn der Krankheit eine Schwellung der erkrankten Theile, welche nach den anatomischen Untersuchungen Förster s durch eine Wucherung von Bindegewebe im Unterhautbindegewebe und Corium in Folge einer chronischen Entzündung in diesen Theilen her- vorgerufen wird. Gleichzeitig mit dieser Volumszunahme tritt eine Ver- härtung und eine Farbenveränderung der Theile ein , welche letztere jedoch auch den Anfang des Leidens bilden kann, wie aus dem Be- ginne der Affection in unserm Falle hervorgeht. Auf dieser Stufe nun bleibt der Process beim Sclerem wie beim wahren Keloid eine Zeit- lang stehen, um darnach entweder in einzelnen Fällen ^^ ieder zu verschwinden, oder, was das häufigere ist, in das beim cicatrisirenden Sclerem hervorgehobene zweite Stadium einzutreten, das in Atro- phie und narbiger Contractur der Theile besteht. Demnach glaube ich ohne Zweifel annehmen zu können, dass das cicatrisirende Haut- scleicm und das wahre Keloid ihrem Wesen nach identische Krank- heitsformen sind, zumal auch Martius selbst das Wesen des Keloids, über welches bis jetzt keine Sectionsresultate bekannt sind, in den Worten zusanunenfasst : »das wahre Keloid Addiso-\'s ist eine meist chronisch verlaufende Entzündung der Cutis und desSubcutangewebes, deren sehr geringes Exsudat ohne merkliche Schwellung Entfärbung der afficirten Hautstelle veranlasst und entweder spurlos resorbirt wer- den kann , oder ohne merkliche Veränderungen einzugehen stehen bleibt, oder endlich die fibröse Metamorphose eingeht und narbige Con- tractur des befallenen Theiles veranlasst.« 320 Julius Wprnirke, .•mnimnit, da er als erstes das der Entfärbung, als zweites das der Steifheit und des Elasticitätsverlustes der Haut, als drittes endlieh das der narbigen Contraetur und des Gewebeschwundes bezeichnet, so glaube ich, dass eine Identität der beiden Krankheitsformen dennoch aufrecht zu erhalten ist, zumal nach mehreren der bekannten Fälle Far- beveränderung und Schwellung der afticirten Theile zusanunenfiel, in einem Falle (Beale) sogar die Affection mit Spannung und Steifheit der Haut begann , so dass demnach das von Martius angenommene erste Stadium kein constantes zu sein scheint. Wie die beiden Erkrankungs- formen ihrem Wesen nach identisch zu sein scheinen , so stimmen sie auch in ihrem Verlaufe mit einander überein, da bei beiden Processen die Krankheit einen langsamen , über Jahre sich ausdehnenden Verlauf nimmt. Auch die Ausbreitung der Krankheit ist eine gleiche, denn in den meisten Fällen waren grössere Hautslrecken befallen, in einem Falle (Beale) hatte der Process sich fast über den ganzen Körper gleichmässig verbreitet, selbst auf die Zunge übergegriffen. Die heftigen Schmerzen endlich , die in den unter dem Namen wahres Keloid Ijeschriebenen Beobachtungen bestanden , fehlen allerdings in unserm Falle , können aber offenbar nicht dazu beitragen, beide in ihrem Wesen übereinstim- mende Krankheiten unter verschiedenen Namen zu beschreiben. Wenn demnach meine Ansicht, dass wir in dem cicatrisirenden Hautsclerem und dem wahren Keloid von Addison einen gleichen Erkrankungspro- cess vor uns haben, eine richtige ist, wie jedoch erst weitere Sections- resultate von beiden bis jetzt unter verschiedenen Namen beschriebe- nen Fällen erweisen können , so \vürden zu den oben erwähnten Be- obachtungen von Sclerem der Haut noch 8 neue Fälle hinzukommen, so dass jetzt das Sclerem im Allgemeinen mit Ausschluss der als zw eifel- haft hingestellten Fälle an 38 Personen, das cicatrisirende Sclerem da- gegen an 9 Personen zur Beobachtung gekommen vs^äre. Was die Prognose der Krankheit anlangt, so stellt sich diese nach der Mehrzahl der Beobachtungen als eine ungünstige heraus , obwohl eine directe Gefahr für das Leben durch die Krankheit nicht gegeben ist. Eine vollständige Heilung der Affection nämlich fand nur in 3 Fällen (Henke, Rh.liet, Gillette) statt, eine Besserung wurde in mehreren Fällen beobachtet und namentlich scheinen in letzter Zeit günstigere Resultate durch die Therapie erreicht w orden zu sein. Während nämlich fiüher die Krankheit allgemein mit Antimonia- lien, Mercurialien, lod und diaphoretischen Mitteln in Verbindung mit der äusserlichen Anwendung von Bädern behandelt wurde, welche Mittel zwar in einzelnen Fällen Besserung, in den meisten Fällen dage- gen keine Aenderung im Zustand der Krankheit bewirkten , wurden in Beitrag zur Lehre vom Hiiiitsclcrom. 321 letzter Zeit gerade entgegengesetzte Mittel in Anwendung gebracht und durch dieselben eine andauernde Besserung , wenn auch noch keine Heilung erzielt. Die Mittel, welche in letzter Zeit angewandt wurden, waren Tonica in Verbindung mit Einreibungen auf die ergriffenen Ilautstellen. Mossler verwandte zu dem Zweck Eisen und Leber- thran in grossen Gaben und liess neben denselben Damjjfbäder und Einreibungen von Kupfersalben gebrauchen. Bereits nach i Wo- chen trat bedeutende Besserung ein : selbst in dem Falle, welchen Nordt als unheilbar beschreibt, wurde durch dieses Mittel bedeutende Besse- rung erzielt. Auch unser Fall liefert einen Beweis, dass die Anwendung von Tonicis einen entschieden günstigen Einfluss auf die Krankheit ausübt, doch glaube ich nur in den Fällen , in welchen der Process der Sclerose noch in einem früheren Stadium sich befindet, und die ergrif- fenen Theile noch nicht in den Zustand der Atrophie und narbigen Contraction übergegangen sind. Wie aus der oben angegebenen Be- handlung ersichtlich ist, fallt die anhaltende Besserung im Zustand un- serer Kranken , welche jedoch nur an den weniger afficirten Theilen bemerkbar wurde, mit dem langern Gebrauch von Tonicis undGIycerin- Einreibungen zusammen. Wenn ich auch von vornherein nicht zu viel Gewicht auf die Besserung, die in unserm Fall beobachtet wurde, legen will, da der weitere Verlauf erst lehren muss, ob die Besserung in der That eine bleibende sein und fortschreiten wiid, so ist doch nach den Besultaten, die bis jetzt darüber vorliegen, die Behandlung Mossler's \^ohl in allen Fällen anzurathen, in welchen dieselbe nicht durch eine gleichzeitig vorhandene Complicalion contraindicirt wird. lieber Eiidigiiiig motorischer Nerven« Von Th. W. Engelmann. (Mit Tafel VII.) Bei der Meinungsverschiedenheit, welche noch immer unter einigen Mikrokospikern darüber herrscht, ob die motorischen Nerven innerhalb oder ausserhalb des Sarkolemma endigen, wird es nicht überflüssig sein, neue Thatsachen beizubringen, welche eine endliche Entscheidung jener Frage herbeiführen. Es ist mir gelungen ein Untersuchungsobject zu fin- den, welches diese Entscheidung in der That liefert. Es sind diess ge- wisse Muskeln vonTrichodes apiarius und alvearius, zweien Käfern, die aufSpiräenund verschiedenen Umbelliferen häufig vorkommen. Die zur Untersuchung brauchbaren Muskelfasern sind im hintersten Abschnitt der Leibeshöhle jener Käfer, namenthch an den chitinisirten Theilen der innern Genitalien befestigt. Sie sind quergestreift, von massiger Länge und meist ziemlich geringem Querschnitt. Ein überraschender Reichthum von Nerven versorgt sie. Die Eigenschaften, welche diese Muskeln Ijesonders geeignet machen, die Frage über das Verhalten der Nerven zum Sarkolemm zu entscheiden , bestehen in der leichten Iso- lirbarkeit derselben, in der ausserordentlichen Zahl und vor Allem in der Grösse der Nervenendorgane, die im Vergleich mit den bisher be- kannten oft geradezu colossal genannt werden muss. Dazu kommt noch, das die Nervenfasern bis zum Herantritt an das Sarkolemm meist einen beträchtlichen Querdurchmesser besitzen und dass ferner Sarko- lemm und Neurilemm dick genug sind, um schon bei schwächeren Vergrösserungen doppeltcontourirt zu erscheinen. Die Nervenendorgane bestehen hier in Nervenhügeln von den ver- schiedensten Dimensionen. In fast allen Fällen ist ihr Dickendurch- messer ein bedeutender; er erreicht und übertrifft zuweilen den Längs- und Querdurchmesser und dann ähnelt das Endorgan in seiner Form Ueber Endigung motorischer Nerven. 323 einer Glocke (Fig. 1) oder einem mehr oder minder spitzen Kegel. Nicht selten überwiegt der Längsdurchmesser der Endplatte (Fig. 3). Auf Zusatz von Wasser quellen die Nervenhügel meist stark auf und verändern dann ihre Form bedeutend. — Die Grösse der Nervenhügel schwankt zwischen weiten Grenzen, doch ist die Mehrzahl derselben im Yerhältniss zur Dicke der zugehörigen Muskelfasern ausserordent- lich gross. Man wird namentlich an den dünnern Muskelfasern nicht selten Nervenhügel finden, deren Querschnitt eben so gross, ja noch bedeutend grösser ist, als der der Muskelfaser selbst. Der Längsdurch- messer der kleinsten von mir beobachteten Nervenhügel lictrug 0, 02 mm. , der der grössten 0,12 mm. Der grösste Dickendurchmesser erreichte 0,05 mm. — Die Zahl der an ein und derselben Muskelfaser befindli- chen Nervenendigungen ist unerwartet gross. Auf einer Strecke von nur 1 mm. Länge zählte ich oft vier bis acht grosse Nervenhügel. Unter so günstigen Umständen ist es nicht auffallend, dass man in jedem Präparat eine grosse Anzahl vortrefflicher Profilbilder erhält und diese zeigen nun mit einer Klarheit, die jeden Zweifel zur Unmöglich- keit macht, dass Nerv und Muskelfaser ein communicirendes Röhren- system bilden, dass Neurilemm und Sarkolennn ununterbrochen in einander übergehen, dass endlich Nervensubstanz und Muskelinhalt unmittelbar zusammenhängen, nicht durch Scheidewände irgend wel- cher Art getrennt sind. Es ist in der That nicht möglich, die Bilder, welche man bei der Untersuchung der erwähnten Muskelfasern erhält, anders zu deuten, als diess hier geschieht. Ueber die Beschaffenheit der Nervenendorgane und ihre Beziehun- gen zum Muskelinhalt sei noch Folgendes bemerkt. Der Inhalt der Ner- venfaser verbreitet sich im Nervenhügel zu einer äusserst feinkörnigen Masse, welche im unversehrten Zustande den Nervenhügel fast vollstän- dig ausfüllt und nach innen zu ohne jede scharfe Grenze sich im Muskel- inhalt verliert. Hierbei konmien zwei verschiedene Verhältnisse vor. In der grossen Mehrzahl der Fälle liegen in dem untern Theile des Ner- venhügels einige Muskelkerne, umgeben von jener feingranulirten Sub- stanz, die wir mit Max Schultze als Protoplasmamasse auffassen müs- sen. In diese Protoplasmamasse geht nun die Substanz der Nerven- endplatte ununterbrochen über, so dass es unmöglich wird, anzugeben, wo die eine aufhört und die andere anfängt. Bei der Einwirkung von Wasser hebt sich aber die Endplatte von dem Boden des nun auf- schwellenden Nervenhügels ab und legt sich an die innere obere Wand des Hügels an (vgl. Fig. i— 3). Dabei bleiben die Muskelkerne entweder am Boden des Nervenhügels liegen, oder sie werden mit in den oberen Theil desselben hinaufgezogen. Stets bleibt aber ein Theil des sie um- 324 Tli. \V. Eiigclraanii, lieber Endigiing niotonscher \erveii. hüllenden Protoplasmas im Grunde des Hügels haften, und von diesem Thoil aus gehen regelmässig mehrere dickere oder dünnere Commissu- ren von feinkörniger Substanz hinauf nach der abgehobenen Endplatte. Eine Grenze zwischen beiden Massen findet also nirgends statt. Das den Boden des Nervenhügels bedeckende Protoplasma verUert sich nach innen zu gleichfalls unmerklich in der quergestreiften Substanz. — In anderen, weniger häufigen Fällen liegen im Nervenhügel-, der dann meist schwächer entwickelt ist, keine Muskelkerne. Der Nerven- inhalt verbreitert sich zui' Endplatte und diese hängt direct mit der quergestreiften Substanz zusammen. Diess findet namentlich bei den Muskelfasern von grösserem Querschnitt statt. Die Muskelkerne, welche man in den grösseren Nervenhügeln findet, sind leicht von den Kernen des Neurilemms zu unterscheiden, welche in den der Nerveneintrilts- slelle zu gelegenen Theilen des Hügels liegen. Sie sind verhältniss- mässig gross, doppeltcontourirt, mit deutlichem Kernkörperchen ; die Kerne des Neurilemms, meist nur einer oder zwei an der Zahl, sind kleiner, einfachcontourirt , ohne Kernkörperchen und zeichnen sich durch einen matten Glanz aus. — ^) Es ist mir bis jetzt nicht gelungen, unter den entsprechenden Mus- keln anderer Insecten, namentlich von Käfern (gewisse Muskeln von Ghrysomela populi ausgenommen), Objecto zu finden, welche die ge- scliilderten Verhältnisse nur annähernd so vortrefTHch, wie die von Trichodes zeigen. Immerhin sind jedoch auch bei anderen Insecten die an den Genitalien, häufig auch alle an der Innern Oberfläche des Hin- terleibes befindlichen Muskeln besser zur Untersuchung geeignet, als Muskeln von andern Theilen des Körpers. Erkläriiiig der Abbililuugen. (Tafel Vfl.) Fig. 1. Drei Muskelfasern von Trichodes alvearius mit den Nervenhügeln. Nach Wasserzusatz. Fig. ä. Optischer Quersclinitt einer Muskelfaser mit Nervenhügel von Tricho- des apiarius. Fig. 3. Profilansicht eines Nervenhügels von Trichodes alvearius. Nach W^asserzusatz. Heidelberg, d. i . Juli 1864. 1) Das Protoplasma des Nervenhügels steht zuweilen noch in Verbindung mit benachbarten unter dem Sarkolemm gelegenen kernhaltigen Protoplasmahiiufchen ; bald mit wenigen, bald mit einer längeren Reihe. Wie unwesentlich in physiologi- scher Hinsicht dies Verhältniss ist, das beweisen genügend seine Unbeständigkeit und Veränderlichkeit. — Bei Trichodes kann man sich schliesslich leicht von der Unrichtigkeit der Ansicht derer überzeugen, welche den die Längsave mancher Muskelfasern durchziehenden kernreichen Protoplasniacylinder mit dem Nerven in Verbindung stehen lassen, in ihm ein nervöses Endorgan erblicken. — ßesclireibiiug neuer craspedoter Medusen ans dem Golfe von i\izza. Von Ernst Haeckel. Ein siebenwöchcnlliclior Aufenthalt am Meerbusen von Nizza im Miirz und April dieses Jahres gab mir Gelegenheit, die Hydromedusen aus diesem Theile des Mittelmecres zu untersuchen. Während sonst für die Beobachtung dieser, wie der zahlreichen andern pelagischen Tliiere, die in grossen Schwärmen periodisch an der ligurischen Küste erscheinen, gerade die genannten Monate die günstigsten sind, so hatte dagegen in diesem Jahr die ganz abnorme Witterung des verflossenen W^inters, der besonders an der Riviera povente äusserst streng und hartnäckig war, das herkömmliche Verhältniss ganz gestört. Während der ganzen 7 Wochen meines Aufenthaltes war das Meer nur an 3 oder 4 Tagen so ruhig und glatt, wie es für das massenhafte Erscheinen der pelagischen Thierschwärme an der Oberfläche erforderlich ist. Ge- wöhnlich dagegen herrschte hoher Wellenschlag, selbst in der sonst so stillen und geschützten Bucht vonYiflafranca; sturmartiger Nord- Ost- und Nord- West-Wind wechselten meist dergestalt mit einander ab, dass erstererS — 4, letzterer 1 — 2 Tage anhielt, bis ein plötzlicher Wechsel erfolgte. Wie ungünstig diese stürmische See auf die pelagische Fischerei einwirkte , geht unter andern daraus hervor, dass ich in dieser ganzen Zeit auf meinen täglichen pelagischen Excur'sionen nicht einer einzigen Salpe, nicht einer einzigen aci'aspeden Meduse , nicht einem einzigen l'teropoden begegnete, während diese Thiere hier sonst gerade am Aus- gang des Winters und Anfang des Frühlings massenhaft erscheinen. In grösserer Anzahl fischte ich mit dem feinen Netze nur Sagitten, Siphonophoren und craspedote Medusen , von denen ich den letzteren insbesondere meine Zeit widmete. Obgleich die Craspedoten des Golfes von Nizza schon von mehreren Naturforschern, und zuletzt namentlich von Leuckart untersucht worden sind, ist dennoch der Reichthum des ligurischen Meeres an diesen schönen Thieren noch lange nicht erschöpft, wie schon aus den im Folgenden beschriebenen 14 neuen 326 Ernst Hiieckel, Arten (unter denen 3 neue Gattungen) hervorgeht, die ich doch unter offenbar ungünstigen VerhäUnissen gefunden habe. Der Beschreibung der neuen Formen schicke ich eine Aufzählung aller craspedoter Medu- sen voran, die ich in dieser Zeit in denBuchten von Nizza undVillafranca beobachtet habe. Von den 16 Arten, welche Leuckart daselbst be- obachtete, sind mir nur 9 begegnet. Dagegen habe ich nicht die 7 For- men gesehen, welche er in seinen »Beiträgen zur Kenntniss der Medusen- fauna von Nizza« (im Archiv für Naturgeschichte, XXII. Jahrgang, 1856, I, p. \ — 40, Taf. I und JI.) unter folgenden Namen beschrieben hat: Geryonia exigan, Geryonia proboscidulis, T/iauincmtias corollata, Euphysa ylobut.or, Pyxklium truncalum, Cunina costata, Paryphasmaplanmsculum. Die eingehende Beschreibung und Abbildung der von mir genauer be- obachteten Formen , sowie die Mittheilung der Untersuchungen über ihre feinere Structur und Entwickelung behalte ich einer ausführliche- ren Arbeit vor. I. lebersicht «ler von mir im Golfe von INizza beobachteten craspedoten IQedusen. I, Familie der Aeginiden von Gegenbair, der Thalassantheen von Lesson. 1 . Aeginopsis mediterranea , J. Müller [Campanelld mediterranea, Agassiz). Sehr häutig. 2. Aegineta sol maris, Gegenbaur [Pegasia sol viaris^ Ag.). Ziemlich häufig. 3. Aegineta flavescens, Ggb. [Pegasia flavescens Ag.). Sehr häufig. 4. Cunina albescens, Ggb. [Cunina moneta^ Leuckart). Häufig. 5. Cunina rhododactyla, Haeckel. Häufig. n. Familie der Trachynemiden von Gegenbaur. 6. Bhopalonema umbilicatum , Hkl. [Calyplra umbilicata Leuck.). Häufig. 7. Bhopalonema velatum, Ggb. Selten. HI. Familie der Aglauriden von Agassiz. 8. Aglaura hemistoma, P£ron et Lesuei'r. [Aglaura Peronii^ Leuck.) Sehr häufig. IV. Familie der Geryoniden von Gegenbaur, der Leuckartiden von Agassiz. 9. Liriope eurybia, Hkl. Sehr häufig. 10. Geryonia hastata, Hkl. Ziemhch häufig. V. Familie der 0 c to r ch i de n von Haeckel. 11. Octorchis Gegenbauri, Hkl. Ziemlich häufig. Besclireibiing neuer craspedoter Medusen. 327 VI. Familie der Geryonopsiden vonAcAssiz, der Geryoniden von ESCHSCHOLTZ. 12. Tima Cari, Hkl. Ziemlich selten. VIL Familie der Aequo riden von Gegenbaur, der Oceaniden von Agassiz, (?) 13. Mitrocoma Annae, Hkl. Ziemlich häufig. VIII. Familie der Eucopiden von Gegenbaur. i k. Phialidium viridicans, Leuck. {Ocecmia viiidicans ,Ag .) . Sehr häufig. 15. Phialidium ferrugineum, Hkl. Häufig. 1 6. Eucope polystyla, Ggb. Sehr häufig. IX. Familie der Thaumantiaden von Gegenbaur, der L a o d i c e i d e n von Agassiz. 17. Cosmetira mediterranea, Hkl. [Thaumantias mcditerranca Gen.) . Selten. 18. Cosmetira punctata, Hkl. Häufig. X. Familie der Oceaniden von Gegenbaur, der Nucleiferen von Agassiz. 19. Tiara plicata, Ag. [Oceania pileata, ?tvL. zt Les.). Häufig. 20. Tiara coccinea, Hkl. [Oceania coccinea, Leuck.). Ziemlich häufig. 21. Tiara smaragdina, Hkl. Ziemlich selten. XI. Familie der Sa rs laden von Forbes. 22. Dipurena dolichogaster, Hkl. Selten. XII. Familie der Tubulariden von Agassiz, der Sarsiadcn von Gegenbaur. 23. Euphysa mediterranea, Hkl. Selten. 24. Steenstrupia lineata, Leuck. Ziemlich häufig. 25. Steenstrupia cranoides, Hkl. Sehr selten. XIII. Familie der Cytaeiden von Agassiz. 26. Cybogaster gemmascens, Hkl. Sehr selten. XIV. Familie der Bougainvilliden von Gegenbaur, der Ilippo- creniden von Mc. Crady. 27. Köllikeria fasciculata, Ag. [Lizzia Köllikeri, Ggb.) Selten. 28. Bougainvillia maniculata, Hkl. Sehr selten. II. Beschreibung der ueuen dattuiigen und Arten. 1. Geryonia hastata, nova species. (Genus: Geryonia, Vt^o^ et Lesueur; Leuckartia, Agassiz. — Famihe der Geryoniden von Gegenbaur, der Leuckartiden von Agassiz.) Schirm fast halbkugelig, von 50— 60'""' Durchmesser, 30—40'"™ Höhe. Aus der Mitte der Unterfläche entspringt mit breiter Basis der Bd. I. 3. 22 328 Ernst Haeckcl. dicke solide cylindrische Magenstiel, welcher so lang oder 1 y« mal so lang als der Schirmdurchmesser ist, und sich sehr allmählich kegel- förmig gegen den Magen hin verdünnt. An seiner Aussenfläche ver- laufen die 6 breiten bandförmigen Uadialcanäle, welche durch halb so breite rölhliche Muskelbänder getrennt sind und am untern Ende des Magenstiels frei in den faltigen röthlichen Magen einmünden. Dieser erscheint sehr veränderlich , je nach dem Contraclionszustand , bald glocken-, bald kegel- bald spindelförmig. Der sehr conlractile weite faltige Mundsaum erscheint gewöhnlich in 6 lappenartige Falten gelegt, ist jedoch ganzrandig , nicht gelappt, mit feingekerbtem Nesselsaum bewaffnet. Die solide Gallertmasse des Magenstiels setzt sich in die Magenhöhle hinein als ein langer schmaler cylindrischer Zapfen fort, der mit seiner feinen conischen Spitze bald frei aus dem Mund hervor- ragt, bald mehrfach knieförmig gebogen in der Magenhöhle verborgen liegt. Die reifen Genitalien erscheinen als 6 flache weissliche Blätter, welche die Radialcanäle längs ^j^, ihres Verlaufs an der Subumbrella einschliessen. Anfangs erscheint jedes Blatt als ein gleichschenkliges Dreieck, doppelt so hoch, als breit, dessen Spitze bis nahe an den Cir- kelcanal reicht; später wird es mehr spiessförmig, indem die gegen den Schirmgipfel gerichtete Basis des Dreiecks sich in zwei seitliche Flügel auszieht. An der Einmündungssteile jedes Radialcanals in den Cirkel- canal sitzt ein sein- langer und dünner cylindrischer Tentakel , der sehr beweglich, 2 — 4 mal so lang als der Magenstiel , rings mit ring- förmigen Nesselwülsten besetzt , und namentlich gegen das Ende hin röthlich gefärbt ist. Das Yelum ist breit. Randbläschen sind \ 2 vor- handen, 6 radiale und G interradiale. Sie sind sehr gross, kugelig, von Vb Mm. Durchmesser. Ihren sehr complicirten und merkwürdigen Bau werde ich an einem andern Orte näher beschreiben, ebenso den feine- ren Bau der rothen Muskeln, die ich bei dieser Meduse, wie bei Liriope sehr deutlich quergestreift fand. Zwischen je 2 von den 6 in den Ma- genstiel übergehenden Radialcanälen gehen von dem Cirkelcanale 7 cen- tripetale Radialcanäle ab, 3 längere, welche bis zwischen die Seilen- flügel der Genitalblattbasen hinaufreichen und 4 halb so lange, welche mit ersteren alterniren. Tentakeln, Schirmrand, Mund, Magen und die G Muskelbänder am Magensliel sind röthlich gefärbt, bald nur sehr matt, bald lebhaft rosenroth. Die Art Gei-yonia, welche Lkuckart bei Nizza beobachtet und als G. proboscklah's beschrieben hat, weicht nach seiner Darstellung und Abbildung so sehr von der eben beschriebenen ab , dass ich an eine Identität Beider nicht glauben kann. Auch von den übrigen bisher be- schriebenen Geryonia-Arion unterscheidet sich G. hnstata in mehrfa- Besdireibnim neuer eraspedolcr Medusen. 329 clier Hinsicht so auffallend, dass es wohl gerechtfertigt sein dürfte , sie als Typus einer neuen Gattung aufzustellen, für die ich den Namen Carmarhia vorschlage. Den wesentlichen Charakter dieses Genus würde ich in dem langen Gallertzapfen finden , der wie bei mehreren genau beobachteten Arten von Liriope, einen grossen Theil der Magenhöhle er- füllt und als ein ausgezeichnetes Tast-, vielleicht auch als Geschmacks- organ zu fungiren scheint. Liriope würde sich von Carmarina durch (Ion Mangel der centripetalen Canäle und durch die typische Yierzahl der Organe unterscheiden. An Liriope würde sich Carmarina auch durcli die Art ihrer Ent- wickelung und Metamorphose zunächst anschliessen. Die jüngsten Larven, welche ich beobachtete, waren kugelig, noch ohne Magenstiel, mit einer flachen kleinen Schirmhöhle versehen, an deren Umfang zu- nächst nur 6 kurze, mit einem grossen Nesselknopf bewalfnete Tenta- keln hervorspi'ossten. Diese Hegen in den 3 Meridian -Ebenen der viel später auftretenden G Hadialcanäle. Dann erscheinen zwischen die- sen (j starre, nach aufwärts gekrümmte interradiale Tentakeln, die an der Unterseite eine Reihe Nesselwarzen tragen. Diese 1 i Larvenlentakeln \ erschwinden später völlig, nachdem die 6 bleibenden secundären Uadialtentakeln unterhalb der Basis der primären sich entwickelt haben. Von den 12 Randbläsclien erscheinen zuerst die 6 interradialen, dann tue G radialen. Der Magenstiel entwickelt sich hier wie bei Liriope, erst spät, nachdem die dicke kugelige Schirmform der Larve sich bedeu- tend abgeflacht und ausgehöhlt hat. 2. Liiiope eurybia, nova species. [{.\o\\\\s: Liriope^ Gkgenbaiu; (Icnjonia. Lesso.x; Dianaea, Quoyet Gaimahd. — Familie Aqy Geryoniden von Gkgenbai r, der /.ejfCÄra/t/den vonAcASSiz.) Schirm flach gewölbt, uhrglasförmig, von 8 — 1 0™'" Durchmesser, 3 — 5mm Höhe. Aus der Mitte der Unterfläche entspringt mit conischer Basis der dünne solide cylindrische Magenstiel , der so lang als der Schirmdurchmesser ist. An seiner Aussenfläche verlaufen getrennt die 4 Radialcanäle, welche am untern Ende des Magenstiels frei in den kleinen röhrenförmigen Magen einmünden. Der Mundsaum des letz- teren ist ganzrandig, nicht gelappt, quadratisch, mit 32 Nesselknöpfen bewaffnet. Die solide Gallertmasse des Magenstiels setzt sich in die Magenhöhle hinein als ein spitzer kegelförmiger Zapfen fort, der bei umgestülpter Magenwand weit hervorragt und hauptsächlich als Tast- organ (vielleicht auch als Geschmacksorgan) zu fungiren scheint. Die reifen Genitalien erscheinen als 4 flache, eiförmige Blätter, welche dop- pelt so lang als breit sind und vom Schirmrand an die 4 Radialcanäle 2-2 * 330 l>i"st lliiefkel, längs % ihres Verlaufs ,nn der Subunil)rella uinschliessen. Die Spitze des Ovals ist nach dem Rande, die Basis nach dem Gipfel des Schirmes gekehrt. An der Einmirndungsslelle jedes Radialcanals in den Cirkel- canal sitzt ein sehr feiner und sehr beweglicher, mit ringförmigen Nesselwülslen besetzter Tentakel, der 1 — 3 mal so lang als der Magen- stiel werden kann. DasVelum ist breit. Randbliischen sind 8 vorhanden, 4 radiale und 4 interradiale. An den Muskeln dieser Art, wie auch bei Geryonia hastata beobachtete ich sehr deutliche Querstreifung. Der ganze Körper ist wasserhell, durchsichtig und farblos, nur die Genitalien und der Magen matt weisslich gefärbt. Ich würde diese zierliche Meduse, welche im Meere von Nizza mir am häufigsten von allen Craspedoten begegnete, für identisch mit der von Leuckart ebendaselbst beobachteten und als y^Geryonki exifjna(.>. beschrie- benen Form halten , wenn nicht die Beschreibung und Abbildung des letzteren zu grosse Differenzen von der meinigen darböte. Von dieser, wie von mehreren andern bisher genauer beschriebenen Arten der Gal- tung Ltn'ope unterscheidet sich L. eurybia dadurch, dass sie im ganz reifen Zustande stets nur 4 radiale Tentakeln besitzt, sowie durch die flachere Wölbung des Schirms. Die Entwicklung der Liriope eurybia, die ich von sehr frühen Stadien an verfolgte, verläuft ganz ähnhch, wie die Metamorphose der von Fritz Müller beschriel)enen L. caf.harinensis. Die jüngste beobach- tete Larve hat die Form einer Gallertkugel von 0,3""" Durchmesser, die an einer Stelle des Umfangs eine kleine flache Aushöhlung zeigt, die Anlage der späteren Schirmhöhle. Im Umkreise dieser letzteren spros- sen 4 sehr kleine warzenförmige Tentakeln hervor, die am Ende einen Nesselknopf mit einem aufgesetzten dünnen Endfädchen tragen und in den 2 Meridian -Ebenen der viel später auftretenden 4 Radialcanäle liegen. Zwischen diesen wachsen dann 4 interradiale starre, nach auf- wärts gekrümmte Tentakel hervor, die an der Unterseite eine Reihe von Nessel Warzen tragen. An ihrer Basis zeigen sich weiterhin 4 Rand- bläschen und nun gleicht die Larve sehr der von Gegenbaur beschi^ie- benen Eurybiopsis anisostyla., welche ebenso wie die von Eschscholtz beschriebene Eurybia exigua nichts anders, als die Larve einer Liriope sein dürfte. Erst später entwickeln sich nach innen und unten von den 4 primären Radialtentakeln die bleibenden secundären und bald darauf an deren Basis die 4 radialen Randbläschen. Nun hat die Larve 1 2 Ten- takeln, von denen aber die 4 primären radialen und bald darauf auch die 4 interradialen völlig verschwinden. Der Magenstiel entwickelt sich erst ziemlich spät, nachdem der kugelige Schirm aUmählich flach und dünnwandia geworden ist. Besclireitjuiiir ueiici' cnispeiloter Medusen, 33 1 3. Octorchis Gegenbauri, novum genus, nova spoeies. Neue raiiiilio der Octorchiden. Schirm fast hall)kugelig, nach dem Rande hin etAvas glockenförmig ausgeschweift, von 9""" Durchmesser, 5'""" Höhe. Aus der Milte der Unterfliiche entspringt mit conischer Basis der sohde dünne vieiseitig- prismatische, I I'"'" lange Magenstiel, an dessen 4 Kanten die i Uadial- caniile herablaufen, um an seinem untern Ende frei in den kleinen dick- wandigen Magen zu münden. Dieser ist bald mehr glocken- bald mehr spindelförmig, bald mehr vierseitig prismatisch. Der Mundsaum ist lief in 4 gefaltete Lappen gespalten. Die reifen Genitalien erscheinen bei beiden Geschlechtern als 8 slielrunde Wülste, welche an der freien Aussenseite der 4 Radialcaniile verlaufen, und von denen die vier un- tern spindeiförmigen in der Mitte des Magenstiels , die i oberen , län- geren, cylindrischen an der Unterseite des Schirms angebracht sind. Haupttentakehi 8, 4 am Ende der Radialcanäle, 4 in der Mitte zwischen ihnen, alle 8 gleichartig, I — 3 Mal so lang als der Magensliel, hold, sehr fein, mit wenig angeschwollener Basis. Cirkelcanal in der Mitte zwi- schen 2 Reihen rudimentärer Tentakeln, welche als kegelförnn'ge, schwarz pigmentirte, mit Nesselzellen gespickte Warzen den Schirm- rand säumen und von denen die äusseren stumpfer und niedriger als die innern sind. An der Basis jeder äusseren Warze steht gev\öhnlich ein sehr feiner, kurzer, spiral aufgerollter und an der Spitze kolbig verdickter Seitenfaden. Zwischen je Ü Ilauptlentakeln zählt man je 10 — 12 Paare solcher kegelförmiger Tentakelwarzen. Velum sehr schmal. Randbläschen 8, je eins in der Mitte zwischen je 2 Hauptten- lakeln, Von 0,1'"'" Durchmesser. Im Grunde jedes Randbläschens ein concaves Zellenpolster, auf welchem 6 — 10 glänzende Kugeln aufsitzen, jede in ein zartwandiges Bläschen eingeschlossen. Mund, Magen, Ge- nitalien , Canäle und Tent^ikeln sind matt bläulich oder seegrünlich gefärbt. Durch die merkwürdige Vertheilung der Genitalien auf je 2 ge- trennte Stellen jedes Radialcanals (so dass ein Genilalschlauch am Ma- genstiel und ein anderer weit davon an der Subumbrella liegt) zeichnet sich cHese neue Gattung so sehr vor allen bekannten Medusen aus, dass ich sie als Typus einer neuen Familie, der Octorchiden, betrachte. Durch die Bildung des Magenstiels würde sie sich am nächsten an die Geryoniden (und namentlich an die Geryonopsiden von Agassiz) an- schliessen, von denen sie aber die Bildung der Genitalien, wie von allen andern entfernt. Charakteristisch für die neue Gattung ist auch die eigen thümliche Bildung der 8 Randbläschen und der doppelteSaum von 332 Kriist Haeckel, conischen Tentakchiuliiuenten am Schiiinrande, von denen die äusse- ren ausserdem noch kleine Seilenlenlakehi neben sich haben. 4. Tima Cari, nova species. (Genus: Thna, Eschscholtz ; Eirene^ Eschsch. ; Dianaea, Dellechiaje. — Famihe der Geryonklen v. Eschscholtz, der Genjonopsiden v. Agassiz.) Schirm sehr flach gewölbt, uhrglasförmip, von 24""" Durchmesser, gmm jjöi^g^ ggi^j. 2art und dünnwandig, wasserhell. Aus der Mitte der Unterfläche entspringt mit glockenförmiger Basis der kurze, vierseitig pyramidale Magenstiel, dessen Länge '/s — y« vom Schirmdurchmessei' beträgt, und in dessen 4 Kanten die schmalen 4 Radialcanäle zum Ma- gen herablaufen. Der Magen selbst ist halb so lang als sein Stiel, schmal, gestreckt glockenförmig, mit 41appigem gefranzten Mundsaum. Die reifen Genitalien laufen als 4 dünne cylindrische Wülste längs der 4 Radialcanäle vom Grunde des Magenstiels bis nahe zum Cirkelcanal hin, ohne diesen jedoch zu erreichen. Am letzteren sitzen 32 Haupt- tentakeln, deren jeder auf einem sehr dicken cylindrischen Basalbulbus einen sehr dünnen und langen, scharf davon abgesetzten Faden trägt, dessen Länge oft den Schirmdurchmesser erreicht und selbst übertriflit. Zwischen je 2 Haupttentakeln sitzen 4 — 6 Nebententakeln, sehr kurze kegelförmige, pigmentirteBulbi, von denen in der Regel 2, seltener nur einer, stärker entwickelt und an ihrer Basis mit 2 kurzen, sehr dünnen, Spiral aufgerollten Seitenfäden besetzt sind. Zwischen je 2 Haupttenta- keln sitzen 2 (selten nur 1) Randbläschen, die mehrere Otolithen in wandständigen Bläschen eingeschlossen enthalten. Doch sind die 40-ßO Randbläschen nicht ganz regelmässig vertheilt. 5. Mitrocoma Annae, novum genus, nova species. (Familie der Aequorklen von Gegexbaur, der Oceäniden (?) von Agassiz.) Schirm mützenförmig, mit stark eingezogenem Rande, so dass sein grösster Durchmesser in der Mitte der Höhe liegt und 40""" beträgt, während der Durchmesser des Cirkelcanals nur 30""" hält. Die Höhe des Schirms beträgt I 6"^'". Der Gallertmantel ist beträchtlich dick. In die Mitte der Unterfläche ist die flache Magenhöhle eingesenkt, eine ganz niedrige quadratische Tasche von 4'""' Durchmesser, welche durch eine halb so breite Strictur von dem zierlich gefalteten, vierlappigen, niedri- gen Mundsaum abgeschnürt ist. In der Mitte der 4 Radialcanäle, w eiche von den 4 Magenecken ausgehen , sind die cylindrischen Genitalwülste, von 9""" Länge, 2'"'" Breite, angebracht, welche in die Schirmhöhle vor- springen. Der Schirmrand ist äusserst zierlich mit 500 — 600 zarten Tentakeln gesäumt, von denen sich 3 ganz verschiedene, mit einander Beselireibuiig neuer cruspcdoler Medusen. 333 alternirende Formen unterscheiilen lassen, nämlich: a] Starke, hohle Haupttentakeln, 80, in ausgestrecktem Zustand 2 — 3 mal so lang als der Schirmdurchmesser, mit doppelt so breiter, glockenförmig ange- schwollener Basis, sehr beweglich, in der Rindenschicht überall dicht mit Nesselzellen gespickt, b) Feine solide Nebententakeln, 200 — 400, cylindrisch, aus einer Reihe scheibenförmiger Zellen geldroUenartig zu- sammengesetzt, kürzer als der Schirmradius, an der kolbig angeschwol- lenen Spitze einen Haufen Nesselzellen einschliessend und mit langen schlagenden Wimpern besetzt, meist spiral aufgerollt, wenig beNveglich, starr, c) Kurze solide Kolbententakeln, sehr blass und zart, loO — 250, eigenthümlich gebaut, ohne Nesselzellen, starr, aus conischer Basis verschmälert, an der Spitze kolbig angeschw ollen und mit langen Wim- pern besetzt. Gew öhnlich sitzen zwischen je 2 Tentakeln der ersten Sorte (a), l der zweiten (b) und mit diesen alternirend 3 der dritten Sorte (c). Randbläschen 80, je eins in der Mitte zwischen je 2 Haupt- tentakeln [a), von 0,15""" Durchmesser und von sehr eigenthümlichem Bau, den ich an einem andern Orte beschreiben werde und der sich am nächsten an die entsprechenden Verhältnisse von Tiaropsis anzuschlies- sen scheint. Das Velum ist schmal. Pigment findet sich wieder an den Randkörpern, noch an der Basis der Tentakel. 3Iun(L Magen, Canäle, Genitalien und Haupttentakeln, letztere namentlich an iler Basis, sind von einer zarten, durchscheinend gelben Bernsteinfarbe. Wenn der Tentakelkranz entfaltet ist und wie ein Ijlonder Haar- schmuck von dem Mützchen herabhängt, gewährt diese reizende Meduse einen überaus schönen Anblick. Bei der leisesten Berührung rollen sich die lang ausgestreckten Haarfäden aber in dichte kurze Spiralen auf. In welche Familie diese neue Galtung zu stellen sei, wage ich vorläufig noch nicht zu bestimmen. Von Tiaropsis, der sie sich durch den Habi- tus und den Bau der Randkörper am meisten zu nähern scheint, ent- fernt sie sich doch durch die viel grössere Anzahl und die verschiedene feinere Structur der letzteren, sowie durch den Bau des Magens und der Tentakeln. 6. Phialidium ferrugineum, nova -pecies. (Genus: Phialidium, Leuckart; Epenthesis, Mc Crady; Oceania, Agassiz. — Familie der Eucopiden von Gegenbaur, der Oceaniden von Agassiz.) Schirm flach gewölbt, uhrglasförmig, sehr zart und dünnwandig, von -12™"' Durchmesser, 3 — 4°"° Höhe. Aus der Mitte der Unterfläche entspringt mit breiter, fast vierseitig pyramidaler Basis der kurze, birn- förmige Magen, der durch eine enge, cylindrische Einschnürung sich 334 Hriist Haeckef, von den 4 Breiten, einfach gefalteten Mundlappen absetzt. Die reifen Genitalien hängen in Form von 4 dicken cylindrischen Säcken von dem äusseren Theile der 4 schmalen Radialcanäle in die Schirmhöhle hinein. Sie entspringen unweit des Randes und verlaufen längs der Radial- canäle etwa bis zur Mitte derselben. Vom Schirmrande entspringen mit breiter glockenförmiger, hohler Basis 24 sehr dünne und beweg- liche Tentakeln, deren Länge die der Radialcanäle meist nur wenig übertrifft. Die Zahl und Vertheilung der Tentakeln und der zwischen ihnen vertheilten Randbläschen ist übrigens, auch abgesehen von den Altersverschiedenheiten, sehr wechselnd. Doch scheint die typische Zahl der Tentakeln für das erwachsene Thier 2 4 zu sein, die typische Zahl der Randbläschen 48, so dass in der Regel 2 Randbläschen zwischen je zwei Tentakeln sitzen. Die Randbläschen sind sehr dickwandig und enthalten an ihrer unteren Wand ansitzend ein Bläschen das einen ku- geligen Otolithen eng umschliesst. Das Yelum ist sehr schmal und schlaff. Magen, Genitalien und Basis der Tentakeln sind rostgelb pig- mentirt. Durch diese Färbung, sowie durch die typische Zahl und die grössere Länge der Tentakeln unterscheidet sich diese Art von dem spangrün gefärbten Phialidium viridans Leuckart's , welches mit dieser Art zusammen bei Nizza sehr häufig vorkonnnt. 7. Cosmetira punctata, nova species. (Genus : Cosmetira, Forbes; Thaumantias, Gegend. ; Laodicea, Agassiz. — Familie der Thaumantiaden von Gegenbaur, der Laodiceiden von Agassiz.) Schirm von sehr wechselnder Form, bald halbkugelig, bald sehr flach gewölbt, uhrglasförmig ; von 1 5""" Durchmesser (des Cirkel- canals) , 3 — 9'"'" Höhe. Von der Mitte der Unterfläche hängen die 4 kurzen lanzettförmigen wellig gefalteten Mundlappen herab, in welche der sehr kurze und sehr ausdehnbare Magen sich unten spaltet. Von den 4 Ecken des Magens gehen die 4 krausenartig gefalteten, cylindri- schen Genitalschläuche aus, welche längs der freien Unterseite der 4 Radialcanäle bei jüngeren Individuen bis zur Mitte der letzteren, bei älteren bis fast zum Cirkelcanal verlaufen. Von letzterem entspringen 200 — 400 Tentacular-Anhänge, von denen 3 — 4 verschiedene Formen mit einarider wechseln, nämhch: a) Starke lange Haupttentakeln, 128, meist spiralaufgerollt, in ganz entfaltetem Zustand 2 — 3 mal solang, als der Schirmdurchmesser, sehr beweglich, aus conisch angeschwollener Basis allmählich sehr verschmälert, von einem excentrisch und spiral verlaufenden breiten Canal durchzogen und besonders im äusseren Theile dicht mit Nesselzellen gespickt, b) Feine solide Nebententakeln, Bcsclireibiiiiü neuer craspedotei- Medusen. 335 oO — loO, cylindrisch, aus einer Reihe scheibenförmiger Zellen 'geld- rollenartig zusanmiengesetzt, kürzer als der Schirmradius , an der kol- big angesch\\ollenen Spitze einen Haufen Nesselzellen einschliessend, meist Spiral aufgerollt, starr, c) Kurze Kolbentenlakeln, 128, dicke Keulen, welche mit dünnem Stiel auf einem kleinen conischen, nicht pigmentirten Hügel aufsitzen, aus grossen hellen Zellen zusammenge- setzt, ohne Nesselzellen, starr. Randbläschen fehlen. Dagegen ist min- destens die Hälfte (64) der Haupttentakeln an ihrer conisch ange- schwolleneu Rasis von einem wulstigen, gefleckten Ringe umschlossen, in dessen Aussenseite eine schwarze Pigmentkugel liegt (Ocellus). Mund, Magen, Canäle, Genitalien, Haupltentakehi und ein Doppelstreif längs des Cirkelcanals sind blass rosenroth oder fleischroth gefärbt und ausserdem die Genitalien und Haupttentakeln schwarzgesprenkelt und punctirt, Wodurch die rothe Färbung ins Rläuliche zieht. Diese zierliche Meduse unterscheidet sich durch die angegebenen Charaktere sowohl von Cosmetira pilosellu Forbes, als von Thaumuntias ?nßr//terra«ea Gegenbaur, 77?. coro//ato Leuckart, und Laodicea culcarata Agassiz; sie stimmt überein mit diesen, wie in den Grundzügen des ganzen Raues, so namentlich auch in der eigenlhümlichen Rildung der dreierlei Tentakelarten, derentwegen ich sie mit diesen 4 Arten in dem selbstständigen Genus Cosmetira, das von Forbes nur als Subgenus auf- gestellt wurde, zu vereinigen vorschlage. 8. Cunina rhododactyla, nova species. (Genus: Cunina, Eschcuoltz') Foreolia, l'fiROx etLesueur. — Familie der Aeginiden ^on Gegexbaur, der Thalassantheen von Lesson.) Schirm im ausgebreiteten Zustande halbkugelig, in zusammenge- zogenem kugelig, von 8 — | |""" Durchmesser, mit sehr dickem, bei- nahe planconvexem Mantel. In der Mitte der Unterfläche führt die ein- fache kreisrunde sehr erweiterungsfähige Mundöffnung in einen sehr niedrigen flachen Magen, dessen Peripherie in 8 — 16 (meistens 10) blinde flache Taschen ausläuft. Diese sind bald von mehr quadrati- schem, bald von mehr birnenförmigem Umriss, durch eben^so breite Interstitien von einander getrennt, und entwickeln in ihrer unteren Wand die Geschlechtsproducte. Ueber der Mitte jeder Magentasche ver- läuft, im Mantel eingeschlossen , die helle lübenförmige Wurzel eines Tentakels, der sich am Ende der Tasche von ihr frei ablöst. Dieser freie untere Theii jedes Tentakels ist so lang als der Schirmradius, cylin- drisch, oben blass, gegen die conische Spitze hin intensiv rosenroth ge- färbt und wird meist mehr oder weniger hakenförmig, nach unten und 336 l-nist Iliiockel. innen gekrümmt. Wo die Tentakeln am Ende der Magentaschen aus dem Schirmmantel hervortreten , befindet sich auch die Insertion des sehr breiten, straff ausgespannten Velum, und ebenda geht vom äusse- ren Ende jeder Tentakelwurzel ein radiales Muskelband ab, welches den breiten freien über die Veluminsertion weit hinausragenden Man- telsaum bis zum Rande durchzieht und bei seiner völligen Contraction dergestalt einzieht, dass der Mantelrand zwischen je 2 Tentakeln in Form eines halbkreisförmigen Lappens vorspringt. Am Rande jedes Lappens sitzen 3 — 8, meist 4 — 5 Randbläschen, deren Gesammtzahl meist 40 — öü beträgt. Der eigenthümliche Bau dieser zungenförmigen, einen Krystall enthaltenden Randbläschen wird an einem andern Orte näher beschrieben werden. Jedes sitzt auf einem niedrigen, mit langen steifen Borsten besetzten Kegel, der durch eine eigenthümliche sehr lange keulenförmige Spange getützt wird. Diese steifen Spangen ver- laufen centripetal in der Mantelsubstanz und erhalten die Randbläschen in ihrer freien Lage am Aussenrande auch dann, wenn der verdickte Mantelsaum durch Contraction der Radialfasern der Subumbrella zwi- schen je 2 Spangen eingezogen und gewissermassen nach innen einge- rollt wird. 9. Tiara smaragdina, nova species. (Genus: Tiara, Agassiz; Oc(?o?i/a, Gegenbaur ; Pandea, Lesson. — Familie der Oceaniden von Gegenbaur, der Nuckiferen von Agassiz.) Schirm von sehr wechselnder Form, meist glockenförmig, häufig ai)er auch mehr kegelförmig oder cylindrisch oder eiförmig oder fast halbkugelig, stets auf dem Gipfel mit einem grossen, hyalinen, soliden Aufsalz von gallertiger Mantelsubstanz. Dieser Höcker ist durch eine tiefe ringförmige Strictur von der Schirmwölbung abgesetzt, oft so hoch als der Schirm selbst, mindestens halb so hoch, meistens halb so breit, und ebenfalls von sehr wechselnder Form, gewöhnlich mehr oder we- niger conisch. Die Höhe des Schirms beträgt meist 8 — 10, die des Höckers 6 — 9""". Der Durchmesser des Cirkelcanals schwankt zwi- schen 0,6 und 0,9""". Fast die obere Hälfte, bisweilen selbst 7» der Schirmhöjüe wird von dem undurchsichtigen Magen eingenommen, der bald mehr kugelig, bald mehr umgekehrt glockenförmig, meistens mehr oder weniger vierseitig comprimirt, selbst kubisch , oft beinahe octaedrisch erscheint. Die Magenwand ist trübe röthlich oder gelblich- weiss, bisweilen fast hell fleischroth gefärbt; etwas dunkler sind die in derselben gelegenen Genitalwülste, welche an jeder der 4 Magen- seiten als 6 — 10 (meist 8] Paare von quer übereinandergelagerten Faltenwülsten auftreten, cylindrisch oder spindelförmig, einfach oder Besflireibiiiitf neuer cnispedoter Metluseji. 337 gegen dieMasienkanle hin in i-'i Gabeiaste gespalten Durch eine mei- stens tiefe Strictur ist der untere Mageneingang von dem glociien- oder kegelförmigen Munde abgesetzt, der von einem breiten reich gefalteten Mundsaum umgeben ist. Dieser erhebt sich in 4 faltenförmige, äusserst zierlich gekräuselte, blassröthliche Mundlappen, deren Mittelrippen oben in die i Magenkanten auslaufen. Ihr unteres Ende liegt nur wenig über dem Niveau desVelum. Aus dem oberen Magengrunde entspringen die 4 breiten bandförmigen Radialcanäle, welche mit der oberen Hälfte iler 4Magenkanten unmittelbar, mit der unteren durch eine Mesenterialfalte zusammenhängen. Das Interstitiuni zwischen je zwei Radialcanälen ist 8 — 10 mal so breit als diese selbst. Die Wand der Radialcanäle sowohl, als des auf dem Durchschnitt dreieckigen Cirkelcanals ist schön seegrün, bisweilen intensiv smaragdgrün gefärbt. Die Zahl der Tentakeln be- trägt bei jungen Individuen 4 (am Ende der 4 Radialcanäle), bei älteren 8> bei unverletzten Erwachsenen stets I 2. Die in einen langen und dicken kegelförmigen Kolben angeschwollene Rasis derselben ist halb- mondförmig in 2 Schenkel ausgezogen, welche reitend den wulstigen, hyalinen Schirmrand umfassen, der seinerseits von aussen und unten um das Cirkelgefäss herumgreift. Auf der Spitze des äusseren Schen- kels sitzt ein breiter, blutrolher Pigmentfleck, selten mehrere. Der un- tere, viel dünnere Theil der hohlen Tentakeln läuft in einen äusserst feinen, langen und beweglichen Faden aus, dessen Länge beim schwim- menden Thiere (wo er spiral zusannuengerollt ist) das 3 — öfache der Körperlänge beträgt, beim ruhenden aber auch das 20 — 30fache errei- chen kann, mithin eine Ausdehnung von einem halben Meter und mehr. Zwischen den 12 Tentakeln sind in unregelmässiger Ordnung 12 — 2S, sehen mehr, Ocellarkolben vertheilt, meistens 20 kleinere und 4 — S grössere. Sie sitzen mit schmaler Basis auf der Innenseite des umge- klappten Schirmrandes unmittelbar am unteren Rande des Girkelge- fässes. Eine Ausstülpung des letzteren erfüllt den grössten Theil des umgekehrt glockenförmigen Bulbus, dessen Spitze einen breiten blut- rothcn Pigmentfleck trägt. Diese Ocellarkolben sind nicht mit hervor- sprossenden jungen Tentakeln zu verwechseln. Randbläschen fehlen. Das Velum ist breit und ziemlich hoch über dem Niveau des Schirm- randes ausgespannt. 10. Dipurena dolichogaster, nova species. (Genus: Dipurena, Mc. Cradv. — Familie der Sarsiaden von Forbes, der Oceaniden von Gegenbaur.) Schirm umgekehrt eiförmig, von 2,3'"'" Höhe, in der Mitte von 1,G'"'" Durchmesser- Mantel oben sehr dick, nach unten allmählich 338 Krnst Ilacckel, verdünnt. Aus der Mitte seiner Unterfliiche hängt der ausserordentlich langgestielte Magen herab, dessen Länge in ganz ausgedehntem Zu- stande das Dreifache der Schirnihöhe (7™'".) erreicht. Davon kommt die obere Hälfte auf den sehr dünnen cylindrisclien Stiel, die untere auf den Magen selbst, der durch eine bleibende tiefe Einschnürung in 2 Kammern abgetheilt ist. Die obere Kammer ist spindelförmig, höchstens '/i so lang, als die untere, welche durch 1 — 3 vergängliche seichtere Einschnürungen abermals in mehrere Abtheilungen gebracht werden kann. Die unterste davon ist die conische Mundhöhle, die mit einer einfachen runden Oeffnung versehen ist. Die Genitalproducte ent- wickeln sich in der Aussenwand sowohl der oberen kleinen, als der unteren grossen Magenkammer und erscheinen mithin als 2 vollkommen getrennte Hohlcylinder, deren unterer 4 mal länger als der obere ist. Wenn der Magen ganz in die Schirmhöhle zurückgezogen ist, erscheint der Stiel in eine zierliche Schlinge gelegt oder Sförmig gekrümmt. Die Basis des hohlen Magenstiels mündet in eine kugelige , halb im Mantel gelegene Kammer, von deren Aequator die 4 Radialcanäle ausgehen. Diese setzen sich über das Cirkelgefäss hinaus fort bis in die Spitze der 4 gleich langen Tentakeln, deren Länge in ausgedehntem Zustand der Glockenhöhe gleichkommt. Jeder Tentakel zerfällt durch eine seichte Strictur in 2, unten keulenförmig angeschwollene Abschnitte, deren oberer starr und ohne Nesselzellen ist, während der untere, doppelt so lange Abschnitt sehr beweglich und von vielen, ringförmigen Nessel- wülsten umgeben ist. Wo sich die Tentakelbasis an dem Schirmrand inserirt, ist sie innen von einem rothgelben Halbmond, aussen von einem hellen, ringförmigen Wulste umschlossen, in dessen äusserer Mitte ein kugeliger purpurbrauner Pigmentkörper (Ocellus) eingebettet ist. Die beiden Genitalcylinder und die Tentakeln sind blassröthlich gefärbt, die Wände der beiden Magenkammern gelblich; der untere Theil der unteren Kammer, sowie der untere Theil der kugeligen Kammer an der Basis des Magenstiels sind von schön purpurrother Farbe. Ausser diesen 3 Magenkammern sind noch 4 andere kammei'ar- tige Erweiterungen an der Basis der 4 Tentakeln und 4 engere an deren Spitze angebracht, so dass also das gesammte Gastrovascularsystem 1 1 solche Sinus aufzuweisen hat. 11. Euphysa mediterranea, nova species. (Genus: Euphysa, Forbes. — Familie der Sarsiaden von Gegenbaur, der Tubulariden von Agassiz.) Schirm cylindrisch, 1 V2 mal so lang als breit, oben fast halbkuge- lig abgerundet, unten mit eingezogenem Schirmrand, von 3'"'" Höhe, Besclireibung neuer craspedoter Medusen. 339 gmm Durchmesser. Mantel sehr dick, hyalin. In die Mitte der cylin- drischen, oben und unten abgestutzten Schirmhöhle hängt der cylin- drische, unten flaschenförmig verengte Magen hinein. In ausgedehntem Zustand hängt er bis nahe an das Niveau des Velum herab und ist 'i mal so lang als breit, in stark contrahirtem Zustand dagegen fast so l)reit als lang. Die Geschlechtsproducle entwickeln sich in der äussern Ma- genwand, deren innere Schichten sie in Form eines dickwandigen, blassröthlichen Ilohlcylinders umschliessen , der bis nahe zu der einfa- chen Mundöffnung herabreicht. Die 4 vom Magengrund ausgehenden Radialcanäle sind ebenso wie der Cirkelcanal, sehr schmal und fein. Wo sie in letzteren einmünden, sind an der eingezogenen Schirmwand 4 ganz kurze, rudimentäre Tentakeln mit ihrer äusseren (oberen) Seite angewachsen, während die innere (untere) Seite mit einem grossen glockenförmigen goldgelben Fleck geziert ist. Drei davon zeigen am Grund einen purpurrothen Pigmentfleck. Das vierte Tentakelrudiment ist grösser, ohne den rothen Ocellus und statt dessen in einen starken cylindrischen Tentakel verlängert, der mindestens halb so lang als die Glocke, sehr beweglich und rings mit Nesselwülsten besetzt ist. Das Velum ist breit, straff ausgespannt, mit enger Oeffnung. Sowohl das obere, wie das unlere Ende der innern Magenwandung ist eben so goldgelb gefärbt, wie die Tentakeln. Der Mund und ein Ringslreif (Nerv?) längs des Cirkelcanals sind von derselben intensiven Purpur- farbe, wie die 3 Ocellen. 12. Steenstiupia cranoides, nova species. (Genus: Sfeenstnipia, Forbes. — Familie der Scn'siaden von Gege\baur, der Tubulariden von Agassiz.) Schirm cjlindrisch oder fast eiförmig, unten abgestutzt, oben helmförmig in einen spitzen, conischen Aufsatz ausgezogen, dessen Axe die Verlängerung der Schirmaxe bildet und Ya — Ya so lang als die letz- tere ist. Der Schirm mit dem Kuppelaufsatz ist lä"""' hoch ; die abge- schnittene Basis des Schirms ist 1, 3'"™ breit. Von der Basis des Auf- satzes hängt in die Schirmhöhle der farblose, durchscheinende, lange, cylindrische Magen fast bis zum Niveau des Velum herab. Er ist wurm- förmig, 3 mal so lang als breit, % so lang, als der Schirm selbst, sehr beweglich, und sowohl oben gegen die stielartige Basis, als unten ge- gen die einfache kleine Mundöffnung hin conisch verschmälert. Die Ge- schlechtsproducte entwickeln sich in der äusseren Magenwand, in den mittleren 2 Dritttheilen ihrer Länge und umschliessen so zuletzt die eigentliche innere Magen wand (Epithel und Muskellage) in Form eines Ilohlcylinders. Da wo aus dem Magengrunde die 4 schmalen Radial- 340 ü-nisl lliii'ckcl, liefysse abgehen, eiits])iingl zugleich ein Idind endendes Slielgefliss, welches in der Axe des Aufsalzes bis nahe an dessen Spilze emporsteigt. Sowohl die Oberfläche des Aufsatzes, als des ganzen Schirmes ist regel- mässig mit ansehnlichen Nesselzellen von 0,0!""" Durchmesser besetzt, welche einen sehr langen und starken Spiralfaden einschliessen. Von der Einmündungssteile der Radialcanäle in den Cirkelcanal gehen kurze blinde Canäle in die 4 Tentakel ab. Von diesen letzteren sind 3 ganz rudimentär, mit ihrer oberen (äusseren) Seite an den unteren Rand des Schirmmantels angewachsen, an der unteren (inneren) Seite mit einem rostrolhen Pigmentfleck versehen, der halbmondförmig das blinde,Ende des Tentakelcanals umgiebt. Der vierte Tentakel, ein dicker, am Ende keulenförmig angeschwollener Cylinder, kann sich bis über die Länge des Schirmes ausdehnen , aber auch auf einen kurzen birnförmigen Wulst zusammenziehen. Er ist blassröthlich und rings mit Ringen von Nesselkapseln besetzt, ohne den Pigmentfleck (Ocellus) der 3 rudimentä- ren Tentakeln, dagegen an der Basis von einem dicken zelligen Wulste umgelien, der ebenso wie die sämmtlichen Canäle blassgelb gefärbt ist. 13. Bougainvillia maniculata, nova species. (Genus: BougamvilUa, Less. ; Uippocrene, Mert. ; Margeiis, Steenstu. — Familie der Bougainvilliden von Gegenbaur, der Hippocrenklen > on Mc. Cr ADV.) Schirm kugelig, derb, dickwandig, von 1 Vo""" Durchmesser. In der Mitte der Unterfläche sitzt der undurchsichtige, blassvioleltgraue, kugelige Magen, dessen Durchmesser ^/^ — % von dem der Schirmkugel beträgt. An der Oberfläche des Magens treten in Form von 4 helleren, durchscheinenden cylindrischen Meridianstreifen die 4 Genitalwülste hervor, welche sichelförmig gekrüniml und durch ebenso breite Inter- stitien getrennt, vom oberen zum unteren Magenpol herabsteigen. Der letztere ist durch eine tiefe Einschnürung von der Basis der 4 doppelt gabelspaltigen Mundarme getrennt, welche die sehr enge und kleine MundöfTnung umgeben. Diese Mundarme sind sehr lebhaft beweglich, in ausgedehntem Zustand so lang als der Schirmradius, zusammen- gezogen kaum % — % so lang. Der lange Stamm und die 4 kurzen Aeste jedes Mundarms sind gleich breite, schlanke, glashellc Cylinder. Atn Ende jedes Astes sitzt ein kugeliger Nesselknopf. Die Mundarme treten oft weit aus der Schirmhöhle hervor, während sich das ausnehn)end starke und breite Velum dergestalt um ihre Basis und um den Mund zusammenzieht, dass es die erstere mit dem Innenrand berührt, und dass die Breite des Velum den Durchmesser seiner Oeffnung übertriflt. Vom oberen Grunde des Magens entspringen die i Radialcanäle, welche Besclircibiiiig neuer cnispcddtt'r Medusen. 341 vor der Einmündung in den Cirkelcanal sich fast glockenförmig erwei- tern, und ebenso wie der letztere, als dickwandige weite Cylinder er- scheinen. Ihrer Einniündungsstelle gegenüber sitzen am Schirmrande die 4 bandförmigen Tcntakelbüschel, deren jedes aus 4 fingergleichen einfachen Tentakeln besteht. Die obere oder basale Hälfte der letzteren ist zu einem dicken, fast glockenförmigen, grauen, undurchsichtigen Bulbus verwachsen, der mit schmaler Basis vom Cirkelgefass sich ab- hebt. Von diesem gemeinsamen Bulbus gehen, wie von der Hand die Finger, die äusseren freien Hälften der Tentakeln ab. An der Abgangs- stelle jedes Tentakelfingers sitzt ein schwarzer Pigmentfleck auf (seltner 2 — 4) . Die Tentakelfinger sind nicht länger als die Gabeläste der Mund- arme ; sie sind aber viel weniger beweglich als letztere und werden, meist nach verschiedenen Richtungen divergirend, steif ausgestreckt gehalten. 14. Cybogaster gemmascens, novum genus, nova species. (Familie der Cytaeiden von Agassiz, der Oceaniden von Gege\baur.) Schirm fast kugelig, von 1""" Durchmesser, am oberen Gipfel mit einem niedrigen, flach kegelförmigen Aufsatz, an der engen unteren Mündung durch die Ebene des Velum abgeschnitten. Mantel ziemlich dickwandig, ganz farblos. Aus der Mitte der Unterfläche entspringt mit sehr breiter Basis ein glasheller, solider, umgekehrt glockenförmiger Magenstiel, der fast bis zur Mitte der Schirmhöhle hinabreicht und liier ziemlich scharf abgeschnitten in den etwa halb so grossen Magen übergeht. Der Magen bildet ein vierseitiges Prisma, welches meistens kubisch, bald niedriger und breiler, bald höher vmd schmäler erscheint. Seine dicke Wand ist undurchsichtig, gelblichweiss. Von den 4 un- teren Magenecken entspringen 4 kurze einfache cylindrische Mundarme, die so lang als der Magen selbst, eben so contractil und formveränder- licli, und am Finde mit einem kugeligen Nesselknopf bewaff"net sind. ZxAischen ihnen verlängert sich der untere Magenrand in 4 einfache dreieckige Lippen, welche bald ganz eingezogen sind, bald horizontal ausgebreitet mit ihren glatten Rändern den Mund völlig schliessen. Von den 4 oberen Magenecken entspringen die 4 bandartigen Radialcanäle. welche an der Oberfläche des Magensliels wie bei den Geryoniden em- porsteigen und oben an dessen Basis in die Subumbrella umbiegen. Der Schirmrand ist mit 8 sehr dicken und kurzen kegelförmigen Tenta- keln besetzt, welche 1 — 2 mal so hoch, als breit sind und ganz flach in den Bulbus ihrer dick angeschwollenen Basis eingezogen werden kön- nen. Dieser Bulbus i^t mit einem fünfeckigen Pigmenthaufen (Ocellus) besetzt, der bei durchfallendem Licht zchwarz, bei auffallendem weiss 342 Ernst Ilacckel, Besclireibiiiis neuer craspedoter Medusen. ersclieint. Ausserdem sind noch 2 längere Haiipttentakel vorhanden, welche am Ende von 2 gegenül^erstehenden Radialcanälen links neben dem kleinen Tentakel angebracht sind. Sie sind Yg — y^ so lang als der Schirmdurchmesser, ebenso gebaut, wie die kleineren, und wie diese sehr starr und wenig beweglich, während die Mundarme sehr lebhaft bewegt werden. In der Mitte zwischen diesen beiden Haupttentakeln, die meistens steif nach oben ausgestreckt gehalten werden, sitzen an dem Ende der beiden zwischenliegenden Radialcanäle , ebenfalls links neben den entsprechenden kleinen Tentakeln, noch die Rudimente von 2 anderen, so dass also im Ganzen 1 2 Tentakel vorhanden sind , 2 ge- genständige davon aber 5 — 6 mal so lang als die übrigen i 0. Das Ve- lum ist sehr breit und straff ausgespannt, seine Oeffnung sehr eng. Randbläschen fehlen. Diese neue Gattung scheint von den bekannten Craspedoten am nächsten der Cytueis zu stehen und sich zu dieser ähnlich wie Stomotoca [Saphenia) zu Tiara [Oceania] zu verhalten. Die Bildung des Magenstiels erinnert sehr an die Geryoniden (Geryonopsiden) . Ich fing von dieser zierlichen Meduse nur ein einziges Exemplar, welches noch keine reifen Genitalien halle, an dessen Magenstiel aber (nahe am Uebergang in den Magen, zwischen den Anfängen der Radialcanäle) 4 Knospen in ver- schiedenen Stadien der Enlwickelung ansassen. Diese waren so ver- theilt, dass die jüngste, ein kleines, rundes Knöpfchen, gegenüber der ältesten sass, deren glockenförmiger Körper bereits i kleinere und 4 grössere conische Tenlakelanlagen zeigte. An den beiden andern da- zwischen liegenden Seilen des Magcnsliels sassen die beiden Knospen des mittleren Alters fest. Die älteste Knospe war fast so gross, als der Magen selbst. Heber die Bildung des Kiiocheiige^vehes. Von C. Gegenbaur. Mit Tafel YIIl. Die Lehre von der Entwickelung des Knochengewebes, die in den letzten Jahren durch die gründliche und umfangreiche Untersuchung H. Mlller's (Zeitsclu\ f. wiss. Zoologie IX. 147.) einen gewissen Ab- schluss erreicht zu haben schien, ist in neuerer Zeit durch die Arbeiten vonW. Lieberkühn (Archiv f. Anat. u. Phys. 1 860, 824. 1 862, 702. \ 863.) von neuem Gegenstand der Controverse geworden, wenn man auch annehmen will, dass die letzte Entgegnung H. Müller's (Würzb. Naturw. Zeitschr. IV.) viele Einwendungen auf immer beseitigt hat. Schon die Untersuchung verschiedener Skeletlhcile hat nachgewiesen, dass der Vorgang der Ehtwickelung eines anscheinend gleichen Gewebes sich nach sehr verschiedenen Normen vollzieht, und dass für jeden einzel- nen Modus verschiedene Factoren in Betracht kommen müssen. Je fer- ner aber das Feld der vergleichenden Ilisliologie des Knochengewebes sich hindehnt, um so mehr erscheint eine genauere Erforschung und end- liche Feststellung der Thatsachen im engern Kreise geboten, und es ist vielleicht gut, gerade den mehr elementaren Vorgängen eine grössere Beachtung zu widmen. Von diesen Vorgängen bedarf die Bildung oder vielmehr Ablage- rung der Knochensubstanz , sowie das Auftreten der sogenannten Kno- chenkörperchen vielleicht am meisten wiederholter Untersuchung und zwar von den Weichtheilen her, von w eichen der Vorgang geleitet wird, denn die gerade hierüber bestehenden Angaben sind weder bestimmt zu nennen, wie eine Vergleichung der einschlägigen Literatur ausweist, noch völlig zureichend, wie ich in Folgendem zu zeigen gedenke. Meine Untersuchungen betreffen theils die intracartilaginöse Ent- wickelung der Knochensubstanz, theils die Bildung derselben aus dem 344 C. Gegeiibiiur, Perioste, oder aus Weichtheilen, die ausser Beziehung zu knorpeligen Anlagen sind. Die sogenannte intraeartilaginöse Verknöcherung habe ich am menschlichen Femur, bei 7-1 0 Wochen alten Embryone, am sorgfältigsten in Untersuchung genonunen, und will von daher den ganzen Vorgang, den ich im Wesentlichen auch im Humerus von Embryonen, und mit den bekannten Modificationen auch in Hand- und Fussvvurzeln Neu- geborner gleich gefunden habe, hier näher beschreiben , sei es auch nur um der Einwendungen willen, die man in neuerer Zeit gegen die zuerst von Sharpey angebahnte, von H. Müller ausgeführte Darstellung dieses Verknöcherungsprocesses erhoben hat. Der Bildung des ersten Knochenkernes im Innern der Diaphyse folgt eine eigenthümliche von zahlreichen Beobachtern beschriebene Lageveränderung der Knorpelzellen der nächstanstossenden Parthieen des Hyalinknorpels, sowie schon vorher der ersten primordialen Ver- knöcherung (Knorpelverkalkung) eine solche Aendei-ung in der Stellung der Zellen vorausging. Während die Theile des Hyalinknorpels, die von der Verkalkung der Intercellularsubstanz noch nicht berührt sind, ihre Elementartheile mehr unregelmässig zerstreut zeigen, giebt sich in den demnächst der Verkalkung verfallenden Theilen des Knorpels eine An- ordnung der Zellen in Längsreilien kund, z\\ischen denen die Inter- cellularsul)stanz verhältnissmässig viel spärlicher, als im hyalinen Abschnitte vorhanden ist. Dieses von VniCHOW als »sich Richten« der Knorpelzellen l)ezeichnele Verhalten kann ich nicht von einer einfachen Verschiebung bereits hier vorhandener Zellen hervoi'gegangen ansehen, wie dies auch von H. Müller (1. c. 156.) geschah, sondern kann wie KöLLiKER (Gewebelehre 4. Aufl. 255) darin nur den Ausdruck eines leibhafteren Wachsthums und reichlicher Quertheilungszustände erken- nen. Ob die sännntlichen Zellen einer Columne alle aus einer einzigen Zelle hervorgingen, kann ich weder Ijehaupten, noch in Abrede stellen, aber das ist gewiss, dass — wenigstens am wachsenden Röhrenkno- chen — reiche Quertheilungen sichtbar sind. Da mit der Ablagerung von Kalk in die Grundsubstanz des Knorpels im letzlern ein eigenthüm- licher, die ursprüngliche schichlenw eise Abscheidung der Intercellular- substanz wiedergebender Zerklüflungsprocess nach Entfei'nung des Kalkes durch Behandlung mit Säuren leicht den Antheil nachw eist, den jede Zelle an der Bildung der Intercellularsubstanz hatte, so lässt sich für die Entstehung der Columnen durch Quertheilung einige Begrün- dung finden, indem gar nicht selten über 8 und 4 Knorpelhohlen hin- weg eine einzige Schichtencontour verfolgt werden kann. Die Theilung der Knorpelzellen und die Abscheidung einer Schichte von Intercellu- Ueber die Bildung des Kiiocheiioewebes. 345 larsubstanz, das ist die Bildung von sogenannten Knorpelkapseln um jede aus der Theilung neu entstandene Zelle, finde ich am inneren Ende einer Zellencolumne deutlicher ausgesprochen als am äusseren , in den unveränderten Hyalinknorpel auslaufenden. Dadurch schliessen sich die Verhältnisse der inneren Enden der Columnen unmittelbar an die wei- ter nach innen folgenden Knorpelhöhlen an, an denen man gleichfalls noch Andeutung einer Schichtung der umgebenden Grundsubstanz wahrnimmt, aber in denen ein Multiplum von jungen rundlichen Zellen vorhanden ist, die sich sowohl durch geringeres Volum als durch grössere Gleichartigkeit des Protoplasma , das nur ganz feine Körnchen einschliesst, von denjenigen unterscheiden, die kurz vorher noch un- zweifelhaft in den Knorpelhöhlen vorkamen. Der folgende Vorgang ist von H. Müller als »Eröffnung der Knorpel höhlen« genau geschildert worden. Ausser dem vorhin er- wähnten und auch hierher bezüglichen habe ich jener Darstellung nichts zuzusetzen. Ich finde die vorzüglich der Länge nach durch Resorption der verkalkten Intercellularsubstanz des Knorpels (die zwischen den einzelnen Knorpelhöhlen die Scheidewände bildete) auftretenden Mark- räume mit ganz gleichen Zellen gefüllt, wie die scheinbar noch nicht aufgeschlossenen Knorpelhöhlen. Dass die solche Räume füllenden Zellen aus Knorpelzellen hervorgingen, habe ich eben so wenig wie Müller beoJ^achten können. Die Sache ist zwar sehr wahrscheinlich, allein es ist zu constatiren, dass sie bis jetzt nur durch die Reflexion sich hat einführen lassen, und dass abgeschlossene Knorpelhöhlen, deren hihalt mit dem bereits in die Eröffnung gezogener übereinstimmte, erst noch zu beobachten sind. Die Richtigkeit dieser Annahme vorausgesetzt, muss soNNohl die fernere Theilung der Knorpelzellen als auch derUebergang in junge Markzellen ein sehr rasch erfolgender Act sein, der Zwischen- sladien nicht wahrnehmen lässt. Dasselbe gilt von dem Einschmel- zen der Wände, das nach verschiedenen Richtungen vor sich geht. Auch quere Durchbrüche kommen vor, und von der Intercellularsubstanz des verkalkten Knorpels bleibt nur noch ein Gerüste von Längsbalken be- stehen, die durch wenige Querfortsätze sich verbinden , und in reich- lichen, Buchtungen begrenzenden Zacken und Erhebungen die Reste nunmehr durchbrochener Scheidewände der Knorpelhöhlen zu erkennen geben. Eine feine Punctirung zeichnet dieses Knorpelgerüste auch noch nach Entfernung des Kalkes aus. Wir haben also in einem bestimmten Abschnitte des Knochens eine Svunme von Hohlräumen, die durch Knorpelsubstanz theilweise von einander getrennt sind, in den Hohlräumen selbst dicht gedrängt lie- gende Zellen, welche nicht gut anders denn als Abkömmlinge von Knorpel- 23* 346 ('• (iogeiibiiiir, Zellen zu deuten sind. Sie bestehen aus einer homogenen Protoplasma- masse, in der feinste, punctartig erscheinende Körnchen vorhanden sind, und die einen rundlichen hellen Kern mit Kernkörperchen um- schliesst. Sie tragen den Namen der »Mai'kzellen« und sind eben so membranlos als die Knorpelzellen , von denen sie entstammten. Thei- lungszustände des Kernes gehören zu den nicht seltenen Yorkonnnnis- sen. Diese Zellen nun, oder vielmehr die Schichte derselben, welche dem übriggebliebenen Gerüste von verkalkter Intercellularsubstanz enge und conlinuirlich aufgelagert ist, müssen wii" näher ins Auge fas- sen. Von ihr aus geht (Ue Bildung der Knochensubstanz, während die mehr im bmern der Markräume gelagerten gleichartigen Zellen mit der Entwickelung des Knochenmarl^, namentlich seiner Blutgefässe in Zu- sammenhang stehen. Mit der Hervorhebung jener äusseren, jeden primitiven Markraum auskleidenden Zellenschichle gelange ich zur Hauptsache, zur Bildung der Knochensubstanz. H. Müller sagt über diesen Gegenstand P'olgen- des: »Rücksichllich der Bildungsweise der Grundsubstanz erheben sich hier ähnliche Fragen wie für andere Gebilde, namentlich die Grund- substanz der Knorpel, die Glashäute, das Bindegewebe. Von einem directen Hervorgehen aus Zellen (durch Verschmelzung etc.) halse ich hier nichts wahrnehmen können. Hingegen ist es kaum zu bezweifeln, dass die alsbald erstarrende, ziemlich homogene Masse nur unter dem Einfluss der damit in Berührung stehenden Zellen zu Stande kommt und es ist hier vorzugsweise an die sternförmigen Zellen zu denken, welche in jene eingeschlossen werden, vielleicht aber auch an die an- deren benachbarten, sogenannten Markzellen. « Weiterhin erwägt der- selbe Autor die Entstehung der sogenannten Grundsubstanzen (Inter- cellularsubstanz) und Guticulargebilde von Zellen her, und sucht die hier sich treffenden Vorgänge auf die Entstehung der Knochensubstanz anzuwenden, da in die Grundsubstanz derselben keine Zellen eingehen. Bei alledem bleibt die Entwickelung der fraglichen Substanz , wenn sie auch bestimmt als eine «Ablagerung« erscheint, noch unklar, und ebenso hält Kölliker, der sich den Darstellungen H. Müller's vollstän- dig anschliesst, jene Puncto für noch nicht entschieden (Gewebelehre, ötc Aufl. 1863. S. SGL). Die Beobachtung der peripherischen, dem Knorpelsubstanzgerüste auflagernden Zellschichte weist dieselbe stets als eine continuirliche nach, in welcher weder von Anfang noch später Zwischensubstanz sichtbar wird. Dagegen findet man, wie sich zwischen dieser Zell- schichte und der Oberfläche des Knorpelgerüstes eine anfänglich ganz dünne Lamelle absetzt, die erste wahre Knochensubstanz. Die Begren- Ueber die Bildung des Kiioclieiigewebes. 347 zung dieser ersten Lnmelle ist gegen den Knorpelrest immer durch eine ganz scharfe Contourlinie gebildet, und ihr homogenes oder leicht strei- figes Ansehen contrastirt bedeutend gegen die trübere und fast körnig erscheinende Beschaffenheit der Knorpelreste. Sie ist- zwar letzteren dicht angeschmiegt, allein zuweilen findet man einzelne Stücke glatt abgerissen, und es zeigt sich so die Trennbarkeit zwischen beiderlei Thellen. Weiterhin erscheint die primitive Knochenlamelle dicker ge- worden, und man bemerkt jetzt bei Verfolg der ihr aufliegenden Zell- schichte mannichfache Unebenheiten, Unterbrechungen der gebogen verlaufenden Grenzcontour, und einzelne trübere Stellen mit Strei- fung. Einzelne Zellen ragen weiter vor, erstrecken sich in Hohlräume, die ihrer Form im Allgemeinen genau entsprechen und in die Knochen- subslanzlamellen eingegraben sind. Von diesen bald rundlichen, bald wiedei- länglichen, bald senkrecht stehenden oder auch schräg über einander gelagerten Zellen aus erstrecken sich kurze Fortsätze in die Anfänge kleiner Canälchen, w eiche in die Knochensubstanz eindringen. Da die Knochensubstanz dem Knorpelgerüste dicht aufgesetzt ist, und allen Unebenheiten und Vorsprüngen desselben folgt, so bildet sie anfänglich, so lange sie nämlich noch dünn ist, eine Wiederholung der Sculpturverhältnisse des Knorpelgerüstes, und ihre beiden Flächen, die gegen letzteres stossende und die gegen die Zellenschichte gewandte, verlaufen fast völlig parallel. Nach und nach wird dieses Verhältniss gestört, indem die Knochensubstanzschichte an einzelnen Stellen dicker wird und zwar meist an jenen Stellen, welche den tiefen Einbuchtun- gen des Knorpelgerüstes entsprechen. Dadurch wird die der Aussen- fläche entsprechende Contourlinie weniger eckig und buchti^ als sie vorher bei einer geringeren Dicke der Knochenlamelle war. Woher entsteht nun diese Schicht von Knochensubstanz ? Einmal kann, wenn auch nur bei Beobachtung der ersten Stadien, daran ge- dacht werden, dass sie aus einer Umwandlung eines Theiles des Knor- pelgerüstes hervorging, dass etwa die oberflächlichste Lage jenes Ge- rüstes sich in eine homogene und festere Masse umbildete. Diese An- nahme wird durch zwei Thatsachen sehr bald beseitigt. Die Unter- suchung von Längsschnillen zeigt nämlich, dass das Gebälke der Knor- pelsubstänz an den Abschnitten, wo nur eine dünne Schichte von Knocliensubstanz ihm aufgelagert ist, nicht stärker erscheint, als an je- nen Abschnitten, wo die Knochensubstanzlamelle bereits ansehnlichere Dimensionen gewonnen hat, sowie es andererseits an letzterem Orte nicht schwächer als am ersteren ist. Es können also desshalb die Knorpelreste an der Bildung der ersten Knochenlamellen nicht activ betheihgt sein. Die zweite Thatsache, welche gegen die Betheiligung 348 f^' f^egciibaiir, der Knorpelrestc spricht, liegt in der Veränderung der gegen die Zellen- schichte gekehrten Oberfläche der Knochensubstanz. An dieser Fläche ergeben sich beim Vergleiche von Qucr-schnitten die verschiedenen Höhen entnommen sind, Verdickungen. Hier zeigt sich etwas Hinzugekommenes, Neues; Lagen von Knochensubstanz, die durch schwache Abgrenzungen von den älteren den Knorpelresten aufgelagerten sich unterscheiden lassen, und die auch insofern nicht mehr ganz continuirlich sind, als in ihnen einzelne von einer Zelle der Begrenzungsschichte theilweise oder auch ganz ausgefüllte Lücken vorhanden sind. Für die Zunahme der Knochensubstanzschichte kann also nur noch die mehrerwähnte Zellen- schichte in Betracht kommen. Nur von dieser Seite her ist ein Wachs- thum der Knochensubstanz zu beobachten. Untersucht man den Modus wie die Bildung vor sich geht, so kann in Anbetracht der Continuität der Zellenlage, wodurch jede Anbildung von jenseits der Zellen ausge- schlossen wird, die Bildung nur an der der Knochensubstanz zuge- wandten Zellenfläche vor sich gehen. Es ist hier aber eine zweifache Möglichkeit gegeben. Entweder geht die Substanz der Zellen unmittel- bar in die Knochensubstanz über, so dass also das Protoplasma der Zellen durch Verbindung mit Kalksalzen sclerosirte, öderes geht von den Zellen ein Abscheidungsprocess nach einer Bichtung aus. Für Letzteres spricht mehr als für Ersteres. Man sieht nämlich zuweilen die Zellen von der Knochensubstanz etwas abgehoben und dann zeigt sich die Contourlinie der Zellcnfläche völlig glatt, wie auch die Knochengrenze keine bedeutenderen Unebenheiten aufweist, an vielen Stellen sogar vollständig glatt sich herausstellt. Die Bildung der Knochensubslanz ist daher als eine von der bezüglichen Fläche der Zelle aus vor sich ge- hende Abscheidung aufzufassen, die mit Abscheidungen wie sie bei der Bildung von Cuticularschichten etc. sich finden, insofern verglichen werden kann , als das Product des Processes die Integrität der Zelle nicht beeinträchtigt. Die mehrfach angeführte Schichte von Zellen (Markzellen der Autoren, Bildungszellen, osteogene Schichte) hat daher für die Bildung der Knochensubstanz die Bedeutung einer Matrix, und dadurch ist sie auch vergleichbar der chitinogenen Zellschichte inner- halb des Hautskelets der Arthropoden. Das formelle Verhalten der einzelnen Zellen , die ich , im Hin- bhck auf ihre Bedeutung für Entstehung der Grundsubstanz der Kno- chen, wie seiner in letzterer eingeschlossenen Formelemente, Osteo- blasten benennen will,') ist nicht an allen Stellen dasselbe. Am mei- 1) Ich wähle diese Bezeichnung besonders aus dem Grunde, um die concre- lere Anschauung von der allgemeineren der »osteogenen« Schichte zu sondern, Ucbcr die Bildung des Kuoclieiigewebes. 349 sten verl)reilet finde ich rundliche, durch die gegensoitige Aneinander- lagerung polyedrisch gestaltete Formen, doch auch langgestreckte, fast cylinderarlige Gestalten kommen vor. Auch die Grösse ist variabel, in- dem einzelne das Zehnfache der gewöhnlichen Grösse aufweisen , und auch mit mehrfachen Kernen ausgestattet sind. Theilungen desKernes sind sehr häufig zu beobachten. Die Verschiedenheit der Osteoblastenschichte von den übrigen in den Markräumen lagernden Zellen kann ich nur als eine functionelle ansehen, denn nur die dem Knochen anliegende zu- weilen ganz epithelartige Schichte ist Absonderungsorgan, während alle daran slossenden Zellen und seien sie mit den Osteoblasten for- mell ganz übereinstinunend, hinsichtlich der Knochensubstanzbildung indilTerenter Natur sind. Diese functionelle Verschiedenheit halte ich jedoch für ausreichend, um darauf hin die ganze Schichte als etwas Besonderes, von dem übrigen die Markräume füllenden Gewebe Ver- schiedenes hinzustellen. Für die Bildung der Knochenkörperchen liefert die Osteoblasten- schichte gleichfalls das Material. Fasst man nämlich die bereits oben erwähnten, im Verlauf der äusseren Contourlinie der, wie es scheint noch nicht völlig erstarrten Knochensubstanz befindlichen einspringen- den Winkel und Lücken ins Auge, so sieht man wie diese Stellen ent- weder von Fortsatzbildungen einzelner Osteoblasten oder von ganzen Zellen eingenommen sind. (Vergl. Fig. I h.) Je mehr diese innerhalb der Knochensubstanz liegen, desto mehr befinden sie sich ausserhalb der Reihe der Osteoblastschichte. Von geringen Einragungen bis zum völligen Eingesenktsein in die Knochensubstanz ergeben diese aus der Reihe getretenen Osteoblasten alle Zwischenzustände. Ist die Umschlies- sung der Zellen von Grundsubstanz der Knochen vollständiger gewor- den, so kann nicht der geringste Zweifel mehr bestehen, dass wir es mit sogenannten Knochenkörperchen oder genauer: Knochenzellen zu thun haben, und die Untersuchung weiter vorgeschrittener Bildungen, wo in der Knochensubstanz bereits ganze Folgen von Zellen einge- schlossen sind, während am Rande von Seiten der continuirlich blei- benden Osteoblastschichte neue Einsenkungszustände auf verschiede- ner Stufe sich darstellen, vervollständigt das Bild des Vorganges und zeigt es auch fernerhin von gleichem Verlaufe. Wenn man nun durch die früheren Beobachtungen an der Osteo- blastschichte dahin gekommen ist, die erste Anlage wie das fernere zu welch' letzlerer Kategorie auch verknöcherndes Bindegewebe gehört. Die Osteo- blastschichte selbst ist von mehreren Beobachtern gesehen worden, so z. B. von Hassall (Microscop. Anatomie 217. Tat'. XXX. Fig. 5) und Andern, die sie als Mark zelten etc. erwähnen. ^Q C. Gegcubaur, Wachsthum der Knocliensubstanz aus allniähichen , in einer Fläche vor sich gehenden Aljscheidungen hervorgegangen anzusehen, so kann das Einrücken einzehier Osteoblasten in die Knochensubstanzschichte, die Umbildung derselben in Knochenkörperchen gleichfalls leicht ver- standen werden. Es sind aber zwei Weisen möglich und müssen hier in Erwägung kommen. Entweder kann die Osteoblastzelle in schon deponirte Knochensubstanz durch allmähliche Aufsaugung der- selben sich einsenken, also durch eigene Thätigkeit zu einer Knochen- zelle werden, oder sie geräth durch passives Verhalten in die Knochen- substanz, indem sie in einem gewissen Zeitabschnitte mit der abson- dernden Thätigkeit innehält, indess die benachbarten Osteoblasten in ihrer früheren Richtung fortfahren und dadurch die immer mehr ausser Reihe tretende Zelle dui"ch ihr Abscheidungsproduct in die Knochen- substanz begraben. Im ersten Falle senkt sich die Zelle ein, im ande- ren Falle wird sie eingesenkt. Für beide Modi lassen sich die beobach- teten Stadien deuten. Dennoch aber glaube ich, dass der letzterwähnte Modus der herrschende ist. Einmal würde der erstere Modus eine plötz- liche Umkehr der Thätigkeit einer und derselben Zelle postuliren : die- selbe Zelle, die eben erst noch Knochensubstanz abschied , müsste so- fort das von ihr Abgeschiedene wieder zerstören und aufsaugen ; zwei- tens finden sich Knochenzellen, zwar nicht selten nahe an den Knorpel- resten, aber niemals dicht daran oder gar hineingewachsen, sondern im- mer durch die erstabgelagerle Knochensubstanzschichte davon getrennt, und endlich ist aus den Distanzen der bereits umschlossenen, und der erst im Zustande des Umschlossenwerdens begriffenen Knochenkörper- chen aufs Einfachste zu ersehen, dass die scheinbare Einsenkung durch fortgesetzte Abscheidungen aller benachbarten Osteoblasten geschieht. Es finden sich zwar sehr häufig zwei, drei oder vier Knochenzellen in einem Haufen liegend oder nebeneinander gereiht in einen einzigen Hohl- raum der Knochensubstanz eingebettet (Fig. 1.), allein auch zur Er- klärung dieser Bildungen ist der zweite Modus nicht blos ausreichend, sondern sogar um Vieles dem ersteren vorzuziehen, da er in den Fällen einer haufenweisen Anordnung für alle ein gleiches passives Verhalten setzt, indess der erstere die einen als thätig, die anderen als indißerent annehmen müsste. Rücksichtlich der Formenverhältnisse der durch Umschliessung in Knochenzellen übergehenden Osteoblasten habe ich ganz im Anschlüsse an die Angaben H. Müller's zu bemerken, dass an dem Knochensub- stanzrande zuerst leichte Einsenkungen bemerkbar werden, welche Fortsätze des Osteoblasten erfüllen, »die Zelle wird nach einer Seite hin sternförmig.« Mit der vollständigen Umschliessung ist dann ein Ueber Bildung: des Knocliengewebes. 351 völlig slernfönniaer Hohlraum vorhanden, der von dem weichen Proto- plasma der Zelle nsehr oder minder vollständig erfüllt \>ird. In der Mehrzahl der Fälle liegt zwar eine nicht ganz vollständige Ausfüllung vor, allein ich glaube, dass hierbei auch den durch die Präparation entstehenden Veränderungen Rechnung getragen werden niuss. Die Gonfiguration der sternförmigen Knochenzellen ist sehr mannichfaltig; lange , rundliche , nach verschiedenen Richtungen hin ungleiclmiässig verlängerte Felonien wechseln. Auch das Volum ist verschieden, ent- sprechend den Grösseditferenzen der Osteoblasten. Im Allgemeinen will ich aber das hervorheben, tlass die Grösse dieser Knochenzellen viel beträchtlicher ist, als die der in älteren Knochen sich findenden. Auch bezüglich der Ausläufer finde ich einige Verschiedenheit von den später gebildeten Knochenkörperchen, indem sie weder so zahlreich, noch so fein sind und auch verhältnissmässig wenige Anastomoscn})il- dungen unter sich erkennen lassen. Wenn man diese Zustände mit den an später gebildeten Knochentheilen sich treffenden vergleicht, so kommt man nothwendigerweise auf die auch von H. Müller ^op. cit. S. lüT) gebilligte Annahme, dass von den Knochenzellen aus noch Resorplionsvorgänge eingeleitet N\ürden, und dass namentlich die Aus- bildung des feinsten Röhrensystcnis davon abhängig sei. Man setzt aber dabei voraus, dass diese erstgebildeten Knochenlamcllen eine Fortdauer besitzen und nur mit Veränderung des in ihnen befindlichen Ilohlraumsystems in spätere Zustände übergehen; eine Annahme, die im Ganzen noch unerwiesen, für das von mii- specieller angeführte Ob- ject sogar ganz bestimmt ungültig ist. Auf jeden Fall entsteht auch hier bei der ersten fötalen Ossification eine Anzahl von Kn-ochencanäl- chen gleich mit der Abscheidung der Knochensubstanz, und ebenso entsteht auch damit die Anastomosenbildung der Canälchen benach- barter Knochenhöhlen. Die Bildung des Periostknochens, welche bekanntlich an den Röhrenknochen der intracarlilaginösen Verknöcherung vorausgeht ^j und von derselben völlig unabhängig auftritt, zeigt dem vorhin Angeführten ganz analoge Vorgänge. Ich will auch hier wieder mich zuerst auf das 1) Reichert und später H. Müller haben für Säugethierknochen festgestellt, dass die periplierisctie Knochenablagerung der Knorpelverkalkung vorausgeht, was nachREiCHEKT auch für menschliche Embryone gelten soll. H. Müller dagegen fand bei einem menschlichen Emi.r\on am Femur die vom I^erioste gebildeleKnochen- lage erst durch eine Schichte sclerosirender, jedoch noch des Kalks entbehrender Substanz vertreten, während die Knorpelverkalkung noch nicht die Oiiei-flächc des Knorpels erreichte. Jedenfalls sind die hierüber vorliegenden Beobachtungen, zu denen auch Bruch viele Beiträge geliefert hat, noch wenig ausreichend zur "Be- gründung allgemeiner Aufstellungen. 352 ^' f'fisi'iibaiir, fötale iiiensclilichp Femur liozichon und dalxn nebenher ei'wähnen, dass mir auch für den menschlichen Ilumerus gleiche Beobachtungen vorliegen. Die erste knöcherne Lamelle, welche den Diaphysenknorpel sehr bald auch an seinem noch an verkalkten Abschnitte umgiebt, ist, ganz wie H. Müller es beol)achtete , völlig homogen und entbehrt noch der Knochenzellen, die erst später als längliche , platte und strahlen- arme Gebilde auftreten. Die äussere Fläche dieser Knochenlamelle ist überall in Berührung mit einer Osteoblastschichle , deren Zellen l)ald spindelförmig, bald rundlich erscheinen und nach aussen sogar in etwas verästelte Formen übergehen , zwischen denen eine weiche, spärliche Intercellularsubslanz besteht. Die der gebildeten Knochen- substanz aufliegende Zellschichle ist jedoch , wie ausdrücklich bemerkt sein soll, continuirlich. Ob auch diese Schichte schon früheren Beol)- achtern theilweise bekannt gewesen, weiss ich bei der Unbestimmtheil der liezüglichen Aeusserungen nicht anzugeben. H. Müller spricht von einem w eichen zelligen Lager, das an der Oberfläche der peripherischen Knochenschichte sich vorfinde (1. c. S. 196). Von dieser continuirlichen Schichte aus wird nun in gleicher Weise wie bei der intracartilaginöscn Knochenbildung die Knochensubstanz abgeschieden und bildet Lamelle für Lamelle die erste Verdickung der Rindenschichte, in der auch hier einzelne Zellen der Osteoblastschichle, in die Knochensubslanz ein- geschlossen , zu Knochenzellen werden. Nicht selten finden sich ganze Reihen, aus 6 — 15 Zellen bestehend, in einem gemeinsamen Räume vor. Mit der Bildung der senkrecht stehenden Leistchen , aus denen die Zwischenwände der ersten Markräume des Periostknochens hervor- gehen , zeigt sich aber eine Erscheinung , die im ersten Augenblicke eine von den bisher angeführten al)weichende Entwickelung der Knochensubslanz zu beurkunden scheint, und die ich hier näher dar- zulegen versuche. Man sieht nämlich auf Querschniltflächen hier und da Zacken und Vorsprünge unregelmässigster Form, die homogen oder mit ganz leichler, meisl den Rändern paralleler Slreifung, niemals aber faserig erscheinen , und die zwischen sich Lücken lassen , in welche man wieder jene grossen Knochenbildungszellen rundlich oder mil Fortsätzen ausgestattet eingelagert sieht. Sie füllen die zwischen den Ausläufern der homogenen Grundsubstanz befindlichen Lücken voll- ständig, und eine andere Zwischensubstanz als jene mil dem Periosl- knochen unmittelbar zusammenhängende, habe ich nicht gesehen. Hier eine Knorpelschichle anzunehmen ist unzulässig, vielmehr stimmen diese Verhältnisse mit dem zuerst durch Virchow (Archiv. V. 443) prä- cisirten Modus der Bindegewebsverknöcherung des Periostes , und es können jene Zellen und die Inlercellularsubstanz gewiss in jenem Sinne Ucbcr die Bildiiiiu' des Kiioclienoewebes. 353 gedeutet werden. Allein ich niiiss auch hervorliehen , dass das hier in Knochen umgewandelte Gewebe kein einfach verknöchertes Binde- gewebe ist, welches in seiner Intercellularsubstanz faserig präforinirt wäre, sondern eine erst ad hoc entstandene Bildung, deren Inlcrcellu- larsubstanz von der Osteoblastschichte al)gesondert wird , während die Osteoblasten selbst zu Knochenzellen werden , soliald die erslere Sub- stanz sie allseilig umgiebt; die Schichte der Osteoblasten umschhesst auch hier die Zacken und Fortsätze der abgeschiedenen Knochensub- stanz vollständig, und nur da wo zwischen den Zellen neue Al>schei- dungen erfolgt sind, scheint eine Zusammenhangstrennung vor sich zu gehen. Ist das Auswachsen eines senkrecht auf die Längsaxe des Knochens stehenden Knochenl)älkchens beendet und beginnt ein parallel mit der Knocheno]:>erfläche fortschreitendes seitliches Aus- wachsen, so sieht man wieder die Osteoblastschichte auf dem Durch- schnittbilde beider Flächen als eine continuirliche, fast epitheliumartigc Lage (vgl. Fig. ! f.) sich darstellen, und es gehen nunmehr mit der allmählich erfolgenden Abschliessung des periostalen Markraumes von Seite der Osteoblastschichte dieselben Erscheinungen vor sich , wie sie bei der intracartilaginösen Knochenentwickelung geschildert wurden. An jenen Stellen , wo mit Durchbrechung der erstgebildeten periostalen Knochenschichte eine Verbindung der inneren Markräume mit den äusseren, periostalen, stattgefunden, erweist sich die Osteoblast- schichte der einen mit jener der anderen im ununterbrochenen Zu- sammenhange. In Fig. 1 der beigegebenen Tafel habe ich eine solche Stelle im Querschnittbilde dargestellt. Zur Rechten ist ein Stückchen intracartilaginös entstandene Knochensubstanz, zur Linken sind zwei Periostknochenl)älkchen abgebildet. Bei der Entstehung fötaler Periostknochenschichten findet sich sehr häufig eine höchst auffallende Erscheinung, indem die Knochensub- stanz in zahlreiche, dicht aneinanderliegende rundliche Gebilde ge- schieden ist. Zwischen den verschieden grossen runden Körpern erscheinen feine, nur da wo drei oder mehr von ersteren zusannnen- ireten weitere Lücken , in welche von den Knochenzellen aus Fortsätze hin und wieder verfolgt werden können. Die Knochenzellen selbst sind von solchen kugelarligen Gebilden umgeben und eine Sternform ist damit in engster Verbindung. Wollte man , w as natürlich in keiner Weise zu rechtfertigen, die Kugelgebilde für Zellen halten , so könnte man sie den »osteal cells« von Tomes und De Morgan (Philos. Transact. 1853. S. 131) vergleichen, wobei dann die »lacunal cells« die da- zwischen befindlichen Knochenzellen vorstellten. Ich finde diese Er- scheinung, die mit einer von Lieberkühn (Archiv f. Anat. u. Phys. 354 f^'« <'f(!geti'>aur, '186.]. T. XIX. Fig. 13) gegebenen Abbildung eines Querschnitts vom Parietale eines Kindes grosse Aehnlich' eit besitzt, zuweilen auf sehr grossen Strecken, sowohl auf Querschnitten als auf Längsschnitten vorhanden , und habe desshalb jene Körper als kugelartige bezeichnen dürfen. Zuweilen bilden die unter einander verbundenen Canälchen ein ganz feines Reticulum, welches erst in der Nähe von Knochen- körperchen grössere Maschen bietet und dort auch den Zusammenhang mit den Knochenhöhlen aufweist. Bei dem leicht erweisbaren Zu- samn)cnhang dieser Interglobularcanälchen mit den Knochenhöhlen kann man die Frage aufwerfen , wie dieses Reticulum sich zu den Knochenzellen selbst verhalte , ob es durch Weichtheile . die mit dem Protoplasma der Knochenzellen unmittelbar in Verbindung stehen aus- gefüllt sei, oder ein einfaches plasmatisches Ilohlraumsystem vorstelle; wo eine Knochenhöhle mit einer Zelle gefüllt einzelne in weitere Canäl- chen auslaufende Ausl)uchtungen abschickt, da sieht man, wie nicht nur in letztere , sondern auch in die Anfänge der Canälchen Fortsätze des Protoplasma sich hin erstrecken, oder wo mehrere näher bei einander gelagerte Knochenhöhlen durch kurze, aber weitere Canälchen unter- einander verbunden sind, ist auch eine Anastomose der Zellenausläufer nicht selten wahrzunehmen , aus welchen Vorkommnissen an den grösseren Communicationen man auf das Verhalten der kleineren schliessen könnte. Das bliebe aber auch der einzige Anhaltspunct, denn eine directe Beobachtung vom Eintreten und der Verbreitung von Zeilenausläufern im feineren Reticulum habe ich nirgends machen können. Ich muss daher mich vorläufig damit bescheiden, in jenen feinen Interglobularräumen ein Lückensystem zu sehen, welches nur mit einer plasmatischcn Flüssigkeit gefüllt ist. Hinsichtlich der Entstehung jener runden Knochonsubstanz- parthieen bin ich soweit ins Klare gekommen , dass sie nicht Differen- zirungsproducte der schon abgeschiedenen Knochensubstanz sind, sondern gleich mit der ersten Bildung der letzteren hervorgehen. Sie erscheinen zwischen den Zellen der Osteoblastschichte, trennen, in- dem sie durch Ablagerungen von aussen her wachsen, die einzelnen Zellen anfänglich nur auf geringe Entfernungen , bis neue rundliche Körper den erst gebildeten angelagert, zum Theile streckenweit mit ihnen verschmolzen, ein weiteres Auseinanderrücken der Zellen hervor- rufen. Man hat es also hier mit kugelförmig abgesonderter Knochen- substanz zu thun , deren grössere Interstitien Hohlräume für Knochen- zellen herstellen, welche Hohlräume durch die engeren Interstitien sich vielfältig unter einander verbinden. So eigenthümlich das ganze Bild, besonders auf grösseren Flächen, sich darstellt, so liegt seiner Ent- Lieber die Hildiiiig' des Knoclieiigewebes. 355 stehung doch dersellje Vorgang zu Grunde, wie bei der in Lamellen abgesonderten Knochensubstanz. Für die Bildung der aus nicht knorpelig vorgebildeten Anlagen hervorgehentlen und auch nicht aus den Periostablagerungen entste- henden Knochensubstanz habe ich an den Schädeldeckknochen mensch- licher Embryonen genauere Beobachtungen angestellt, die so ziemlich genau mit dem zusammenfallen, was ich für die Bildung der Knochen- su])stanz am fötalen Periostc eben vorgetragen. Die erte Entwickelung der bekannten Knochenbälkchen des Scheitel- oder Stirnbeines erfolgt innerhalb einer ganz con linui rlichen Schichte von Zel- len, welche etwas grösser als die aus fötalen Markzellen hervorgehen- den Osteoblasten , mit letzleren sonst ganz übereinkommen. Zwischen diesen Zellen sondert sich eine alsbald sclerosirende , meist eckig ge- formte Masse ab, die von den Zellen allseitig umgeben wird, und durch fernere Abscheidung von Seite der Zellen weiter wächst. Eine faserige Beschaffenheit dieser Anlage habe ich nicht wahrzunehmen vermocht. An den Bändern dieser Anlage eines Bälkchens bemerkt man bald feine Einkerbungen, dann längere Vertiefungen, und indem die Grundsubstanz sich inmier weiter zwischen anderen Zellen aus- breitet, kommen in die buchtigen Vertiefungen bald einzelne jener Zellen zu liegen und werden allmählich von Knochensubstanz um- schlossen. Zuweilen schien eine Zelle den Ausgangspunct der Bildung eines Bälkchens zu geben , um sie war Knochensubstanz gelagert, die von mehreren feinen Canälchen durchsetzt war. Die Einkerbungen des Randes der erst gebildeten Knochensubslanz , sowie die bei fernerem Wachslhum daraus hervorgehenden Canälchen stellen Verbindungen der die ersten Knochenzellen umschliessenden Hohlräume dar. Die Knochenbälkchen zeigen, sobald sie einmal etwas breiler geworden, weniger unregelmässige und unebene Begrenzungsflächen , auf grössere Strecken hin bieten sie Durchschnitte, bilden einfache Linien als Be- grenzung und diesen Linien folgt, genau der Knochensubstanz ange- lagert, die Osteoblastschichte , als welche ich auch hier das oben erwähnte Zellenconlinuum bezeichnen darf. Diese Schichte bildet am Rande der Gesainu)tanlage des Knochens eine Füllungsmasse zwischen den Bälkchen , nach der Mitte der Knochenanlage zu , wo die Bälkchen bereits netzförmig verbunden sind, liegt sie nur den Knochentheilen auf, oft mehrschichtig und, von der Fläche gesehen, wie ein Pflaster- epithel sich ausnehmend, und geht in den Interstitien in ein jungem Bindegewebe gleichkommendes Gewebe über. In einer homogenen oder leicht streifigen Zwischensubstanz finde ich einzelne den Osteoblasten ähnliche Zellen mit spindelförmigen, sternförmigen und kleinen runden 356 ^' (it'MC'iibaiir, oder ovalen Zellen unterniiselil. Die einzelnen Osleo])l;isten bieten sehr verseliieilene Grossen\erliiillnisse dar. I{init;e Male sah ich sehr lana- gesti-cckle grosse, an der Knoehent;ienze hinizestreekt , das Gebiet von mindestens drei Knoehcnzellen l)edeekeiKl, andere Male gingen (bei einem I Jwöchentliclien Emljr\on, hänfiger bei einem I /wöchentlichen) 'Fig. 5 a. 1>. c.) die rnndlkhen Osteoblasten nach ge^^lssen Stellen hin in s|)indelförmige Zellen über, und dieser Theil der Osteol)lastschichte gewann dadurch ein faseriges Aussehen. Solche Stellen, die aber nicht s(» häudg z.ur Beobachtung kommen, dass sie mit den aus mehr rundlichen Zellen l»eslebenden Abschnitten concurriren , könnten lur das (jsleegene Bildungsgewebe genommen werden, und da sie in der Thal in Bindegewebe iibergelien , welches bei dem leichten Ueber- sehenw erden einiger, dicht den Knochen])älkchen aufliegenden spindel- hiriiiigen Fasern, sell)sl mit seiner Inlercellularsubstanz dicht an den Knochen hei-anrückt , so kann dadui'ch eine frühere Ansicht von dei Al)lagerung der Knochensubstanz aus in weichem Zustand pi'iiformirteri Schichten \on Intercellularsubstanz und darin zerstreut vorkommenden Zellen, sich leicht eine neue Stütze (Mwerben. Dagegen muss ich al)er folgenden, gewiss Ijelangreichen F^inwand machen: An allen jenen Stellen, wo die Knochensul>stanz an Bindegewebe zu slossen scheint, bemerkt man noch lange spindelförmige Zellen dazwischen liegend, niemals al)er fand ich an diesen Stellen in Bildung begrilfene Knochen- körpei-chen. Die Fhitstehung der Knochenzellen fand ich immer da, wo die Osteoblastschichte deutlich wiir. Daraus muss ich schliessen, dass eine Anbildung von Knochensid)stanz an den hier speciell in Be- tracht genonunenen Skelettheilen nui- da stattfindet, wo die Osteoldast- schichte noch un\erandert vorhanden ist, nur da triilt sich die Ab- scheidung neuer Knochensubstanzhigen, erkennbar durch die nur hier vorhandenen mannichfachen Stadi(Mi des l'cberganges von Osteoblasten in Knothenzt'llen. Wenn nun der einen Form der an die Knochen- substanz grenzenden weiclu'ii Schichte eine ganz l)estinunte Bezieliung zur Bildung tler Knochensul)stanz zuerkannt werden nuiss, so folgt daraus zwar noch nicht, dass dei' anderen Form jener Begivnzungs- schichte die gleiche oder doch eine ahnliche Bedeutung nicht zukomnu», denn es ist \ on \oridierein nicht in Abi-ede zu stellen, dass ein und dasselbe (iewclte auf verschietlene Weise entstehen könne, wobei die Verschiedenheit der Genese an dem Ge})il(leten nur in ganz unter- geordneten Yerhiiltnissen zum Ausdruck kommen kann, allein es ist an jener anderen anscheinend Ijindegewebigen Begrenzungsschichle, sowie an der daran stossenden Knochensul)stanz durchaus nichts wahi-- zuneluiien , was auf einen hier noch ferner stattlindenden Knochen- Ueber die Bildung des Kuoclieiigewebes. 357 bildungsprocess schliessen Hesse. Es erscheint mir daher gerechtfertigt, jenen Stellen der Begrenzungsschichte einen von der Osteoblastschichte differenlen Werth zuzulegen, und in ihnen Abschnitte zu erken- nen, an denen mit dem Uebergange der letzten Osteobla- sten in Bindegewebe Zellen die abscheidende Thätigkeit und damit die Entstehung neuer Knochensubstanz an diesen Partieen ein Ende erreicht hat. Es stimmt diese Auf- fassung ganz mit der Thatsache, dass in den genannten Knochen die zwischen den Knochenbälkchen auftretenden Räume zwar Verengerungen erleiden , dass aber diese doch nicht durch ganz gleichmässige Ablage- rungen an der ganzen Umwandung des Raumes gesetzt werden. Ueber die Entstehung der Knochenzellen habe ich an den fötalen Deckknochen des Schädels nur die Bestätigung des bereits oben An- geführten anzugeben. Vom Rande der Knochensubstanz her macht sich der Uebergang von Osteoblasten in Knochenzellen durch Einbuchtung ])emerkbar, von denen feine hohle Ausläufer in die Knochensubslaiiz sicli fortsetzen, die mit den schon gebildeten Knochenhöhlen grossen- Iheils communicirend getroffen werden. Ist die Knochenzelle bereits unter dem Niveau des Randes der Knochensubstanz, so lagern ihr an- f.inglich andere Osteoblasten unmittelbar auf, aber bald beschränkt sich die offene Communication mit der Osteoblastschichte , es verengt sich der die Knochcnzelle umschliessende Raum vom freien Rande her, und zwischen der Knochenzelle und den darüber liegenden Osteoblasten bildet sich eine dünne Knochensubstanzinge aus, die von einem otler von mehreren Canälchen durchselzt wird (vgl. Fig. 4. c. c). Je mehr nun das Knochenbälkchen in die Dicke wächst durch Abscheidung neuer Knochensubslanzschichten, desto mehr ziehen sich auch die von den Knochenhöhlen aus gegen die Oberfläche verlaufenden Canälchen in die Länge, und münden bald einfach, bald unter Verästelung auf der Oberfläche der Knochensubstanz dicht unter der Osteoblastschichte aus. Es ist mir nicht gelungen, das Protoplasma der Osteoblasten auf längere Strecken in die Canälchen dringen zu sehen, ebensowenig als ich finden konnte, dass die bereits abgeschlossenen Knochenzellen von ihrer Seite aus Ausläufer in die Canälchen einschickten. Ich habe da- rauf ein besonderes Augenmerk gehabt. Dagegen fand ich das Pioto- plasma der Knochenzellen immer recht deutlich in die weiteren Ausbuchtungen und Fortsätze der Knochenhöhlen einragen , und somit die ganze Zelle in sternförmiger Gestall erscheinen. Solche Stern- form besitzen auch die in der Bildung begriffenen Knochenzellen wenigstens an der in die Knochensubslanz ragenden Seite. Die Strah- len gingen aber nie w eit in die feinsten Canälchen hinein , also nicht 358 C. (icgciibiiiir, in diejenigen , welche gerade die ausgebreiletste Verbindung der in der Knocliensubstnnz befindlichen Höhlungen unter sich und mit der von der Osteoblastschichte bedeckten Oberfläche herstellen. Was ich bisher für die Entstehung der Knochensubstanz und der Knochenkörperchen aus einer continuirlichen Zellenschichte vorge- tragen , findet seine volle Bestätigung auch in den späteren Zuständen des Knochens , und hierfür will ich die Verhältnisse des Wachsthumes vom Perioste aus. ^^ie ich sie an Mittelhand- und Mittelfussknochen des Kalbes näher studirt habe, zur Mittheilung bringen. Ueber das bereits Bekannte und nicht weiter in Frage stehende hinweggehend, wende ich mich sofort zu der Hauptsache, nämlich zu den Gewebs- theilen, welche die schon gebildete Knochensubstanz überall continuir- lich bedecken. Dicht unter der von Ollier zuerst genauer unterschiedenen sogenannten Blastemschichte des Periosts, in der sich spindel- und sternförmige Bindegewebselemente vorfinden (Fig. 2. a.), lagern die äusscrsten Knochenparlieen als dünne Platten oder als leistenartige, unregelmässig abgegrenzte Vorsprünge. Von dieser Oberfläche führen weitere Canäle nach innen in gleichfalls weiter senkrecht stehende Hohlräume, welche durch Quercanäle untereinander in Communication stehen , aber durch engere Canäle mit dahinter gelegenen engeren Quer- und Längsräumen in Verbindung sind , bis unter Wiederholung dieses von einem allmählichen Engerwerden dei' Hohlraumslumina be- gleiteten Verhaltens, aus den Bäumen Haversische Canäle hervorge- gangen sind. In demselben Maasse, als die Abnahme des Durchmessers der Canäle nach innen zu erfolgt, nimmt die zwischen letzteren befind- liche Knochenmasse an Dicke zu. Die gesanimtcn Oberflächen der Knochensubstanz , von der äusscrsten Lage an bis in die engeren, eigentlichen Ha versi sehen Canälchen, finde ich von einer Z e 1 1 e n 1 a g e ü b e r k 1 e i d e t , welche der oben geschilderten Osteoblastschichte völlig entspricht. Das Vei'halten dieser Schichte ist hinsichtlich der Form der sie zusammen- setzenden Zellen nicht an allen Orten vollständig gleich, und es können drei verschiedene Verhältnisse , die grossentheils nur in den formellen Zuständen der Osteoblasten begründet sind, unterschieden werden. Das eine davon findet sich gegeben am äussersten Bande der Verknö- cherung. Wo die Oberfläche der Knochen an die Blastemschichte des Periosts stösst und in dieselbe hinein zur Umschliessung der ersten Anlagen neuer Haversischer Bäume senkrechte und quere Knochen- leistchen abschickt , da beobachtet man häufig mehrfache Lagen von Osteoblasten , welche kleinere Ausbuchtungen meist vollständig er- füllen, und über die leistenartigen Vorsprünge der äussersten Knochen- Ueber die Bildung des Knochengewebes. 359 lamelle hinwegziehen (Fig. 2 f.). Das Vorhandensein dieser Zellen- schichte an ausgebildeten Knochen ist von Ollier zuerst angegeben worden. An den ebenen Flächen bilden auch die Zellen eine ebene und meist einfach bleibende Lage. Sie sind bald mehr rundlich , gegen- seitig abgeplattet, oder nähern sich cylindrischen, oft auch keilförmigen Gestallen. Nicht selten beoljachtet man die scharfe Grenze zwischen der Osteoblastschichle und der Knochensubstanz höchst uneben, mit vielfachen breiten Zacken und feineren Vorsprüngen ausgestattet, und dann entspricht diesem Verhalten auch die Osteoblastschichte, deren Elementartheile mit Vorsprüngen und Fortsätzen zwischen jene Bil- dungen der Knochensubstanz genau eingepasst sind. Eine ganze Reihe von Osteoblasten kann dieses Verhalten zeigen, wie es in Fig. 2. e. dargestellt ist. Die mit ihren Fortsätzen in die bereits abgeschiedene, aber noch nicht vöUig sclerosirte Knochensubstanz eingesenkten Osteo- l>lasten sind an der Aussenfläche glatt und zeigen sich meist von einer zweiten Schichte einfacher rundlicher Zellen überlagert. Ueber die Beschaffenheit der Osteoblasten kann ich vor Allem die Uebereinstim- mung mit den an den vorerwähnten Fällen gemachten Wahrnehmun- gen hervorheben. Einer Meml^ran entbehren sie sicherlich auch hier. Sucht man sich von der zusammenhängenden Schichte Theile zu iso- liren, was an frischen Knochen sehr leicht gelingt, so trifft man die Grenze zwischen den einzelnen Zellen einer Gruppe (Fig. 5. e.) sehr undeutlich, und zuweilen möchte man ein Zusamnienfliessen des Proto- plasma zu sehen glauben. An isolirten Osteoblasten (Fig. 5. d.) bildet dies homogene Protoplasma , in das nach innen zu feine Molekel ein- gestreut sind, die äusserstc Umgrenzung. Nach aussen stösst dann diese oberflächlichste Osteoblastschichte unmittelbar an entschiedenes junges Bindegewebe, welches, wie bekannt, die Hauptmasse des sogenannten Bildungsgeweljes oder der Blastemschichte des Periostes vorstellt. In den schon mehr oder minder abgeschlossenen, aber noch wei- ten oberflächlicheren Räumen füllt das junge Bindegewebe wieder den grössten Theil und kann auf Durchschnitten in das äussere continuir- lich verfolgt werden. Aber ebenso geht die Osteoblastschichte in die Räume über und stellt hier einen nur selten mehrschichtigen , oft ganz und gar epithelartigen Zellenbeleg der knöchernen V»'andungen vor. Die einzelnen Osteoblasten sind längliche, etwas abgeplattete Zellen. Mit ihrer Längsaxe stehen sie parallel der Längsaxe der Räume, ein Verhalten, das besonders an den engeren, in Haversische Canäle über- gehenden Räumen deutlich ausgeprägt ist. Durch die grössere Gleich- artigkeit der Form und des Volums unterscheiden sich diese Zellen von den die äussersten Osteoblastschichten bildenden. Band I. 3. 24 360 f« Gegenbaur, Einen dritten Zustand bieten die Osteoblasten in den weiteren Ha versischen Canälchen. Sie stellen hier platte Spindelzellen vor, welche zwischen der Knochen wand und dem Blutgefäss des Canals in einer einzigen Schichte vorkommen. So Uisst sich die Osteoblastschichte von der Oberfläche des Knochens her durch die Anlagen der Haversi- schen Canäle bis in letztere hinein in unmittelbarem Zusammenhange nachweisen (vgl. Fig. 2). Vielleicht waren es Theile dieser Schichte, welche R. Maier (Das Wachsthum der Knochen. Freiburg, 1855.) zu der Angabe eines den Markcanälen zukommenden Epithels veranlassten i) . Um über die Beziehungen der Osteoblastschichte zur Knochensub- stanz und den Knochenzellen ins Klare zu kommen , ist es nöthig , die dünnsten , streifenartigen Stückchen neugebildeter Knochensubstanz, wie sie auf Querschnitten am periostalen Knochenrand sich finden , in nähere Untersuchung zu nehmen. Beim ersten Anblicke sind diese gar keine oder doch ganz vereinzelte Knochenhöhlen umschliessenden Stück- chen allseitig von der Fortsetzung der Osteoblastschichte umgeben. Auf recht dünnen Schnitten , besonders wenn die Osteoblastschichte durch den Schnitt theilweise zerstört, oder doch von der Knochensubstanz abgehoben wird, sieht man von der Knochensubstanz ausgehende ver- schieden dicke , blasse oder etwas glänzende Faserzüge , die mit brei- terer Basis beginnen und in die Intercellularsubstanz des Bindegewebes der Blastemschichte hinein verfolgt werden können. Zuweilen waren sie getheilt. Aus gesonderten Fibrillen zusammengesetzt habe ich sie nicht gesehen, wenn sie durch Streifung eine Faserung andeuteten. An stärkeren Knochenplättchen, sowie an den weiter vom Perioste ent- fernten Knochenmassen bemerkt man die Fasern überall von einer zwischen je zwei benachbarten Markräumen oder je zwei Haversischen Canälchen verlaufenden Axe entspringend , und gerade oder in sanfter Krümmung zur Osteoblastschichte emporsteigend. Es sind das die so- genannten durchbohrenden Fasern Sharpey's (Elements of Anatomy. by J. Quain. 6th. Edition, edited by Sharpey and Ellis. Vol. I. p. CXX.), für welche H. Müller eine genaue und erklärende Darstellung gegeben hat (Würzb. Naturwiss. Zeitschrift I. 296.) , der sich Kölliker im we- sentlichen anschloss. Ich kann mich nach Allem, was ich bis jetzt in dieser Hinsicht gesehen, nur in bestätigender Weise äussern, will daher mich sogleich zu den Beziehungen der Osteoblasten wenden, 1) Bemerkt sei hier, dass ich zur Darstelking der von mir untersuchten Prä- parate Iheils in Alkohol gelegene und dann mit sehr verdünnter Salzsäure extra- hirte, theils mit Chromsäure behandelte Knochen benutzte. Dass man zur Unter- suchung der von mir geschilderten Verhältnisse die Schnitte nicht »auspinseln« darf, wie es Kölliker empfohlen, versteht sich von selbst. lieber die Bildung des Knochengewebes. 361 zwischen denen die durchbohrenden Fasern in die Knochensubstanz eintreten. Der anfanglich dünnen, für die (auch im Verhalten zur Osteo- blastschichte] durchbohrenden Fasern den ersten Stützpunct abgeben- den, innen bestimmt schon sclerosirten Substanzmasse liegen die Osteo- blasten unmittelbar auf, und man sieht, beiVergleichung verschiedener Stellen derselben Knochenbälkchen , wie einzelne in Begriff stehen, von der von benachbarten Osteoblasten abgeschiedenen Knochensub- stanz umschlossen zu werden. Aus der Vergleichung mit älteren Zu- ständen ist die daselbst sich findende deutliche Schichtung oder La- mellenbildung der Knochensubstanz (welche die sogenannten Haversi- schen Systeme bildet) einfach aus der Anordnung der Osteoblasten nachweisbar und giebt sich als den Ausdruck einer rhythmischen Ab- scheidung zu erkennen , durch welche das Lumen der Markräume all- mählich verengert und die Knochenmasse ebenso verdickt wird. Die Osteoblastschichte bildet so aus den weiteren Räumen allmählich die Haversischen Canäle , und indem sie Lamelle für Lamelle abscheidet, giebt sie einzelne ihrer Zellen als Knochenzellen in die Lamellen der Knochensubstanz ab , bis endlich nur wenige Zellen zur Ueberkleidung der knöchernen Canalwand ausreichen. Was das Schicksal der in Haversischen Canälen vorfindlichen Osteoblastenreste angeht, so glaube ich Folgendes darüber aufstellen zu dürfen: In jenen bei weitem die Regel ausmachenden Fällen, wo die Haversischen Canäle Blutgefässe beherbergen, gehen die Osteo- blasten entweder bis auf den letzten in die innersten Knochenlamellen über, oder sie sondern eine nicht ossificirende Substanz ab und er- scheinen in derselben zu langen spindelförmigen Gebilden ausgezogen, als Bindegewebszellen. So könnten jene Befunde gedeutet werden, bei denen eine Bindegewebeschichte den Raum zwischen Blutgefäss und Knochonw and erfüllt. Hierfür spricht nur die eine Beobachtung, dass in einzelnen der feinen Verbindungscanäle zwischen den weiteren Räu- men sehr lange spindelförmige Zellen vorkommen , die in eine Inter- cellularsubstanz eingebettet sind und an beiden meist etwas weiteren Enden des Canals in die epithelartige Osteoblastschichte verfolgt wer- den konnten. Ich möchte jedoch das mehr als Ausnahmefall ansehen und halte es für viel natürlicher, dass das in den weiteren Haversischen Canälen die Gefässe begleitende Bindegewebe aus der anfänglich ohne- hin reichlich in den weiteren Räumen vorhandenen Bindegewebsmasse stammend anzusehen sei, und den Osteoblasten dagegen die so lange geübte Function auch später noch zukomme. Diese letztere Anschauung stützt sich auf eine häufig zu findende Thatsache, dass nämlich die innersten Lamellen von Haversischen Systemen unvollständig sind. 24* 362 C. Gegeiibiiur, Während z. B. die vorletzte Lamelle noch einen vollständigen Kreis auf dem Querdurchschnitte darstellt, bietet die letzte, innerste einen Halb- kreis dar, ist nur an die Hälfte des Umfangs der Wandfläche angelagert und läuft mit den Enden dünne aus. In solchen, bei der Enge des der Lamellenbildung gegebenen Spielraumes sehr unansehnlichen Knochen- lamellen findet sich in der Regel ein einziges Knochenkörperchen (auf dem Querschnitte, also wohl eine Reihe auf dem Längendurchschnitte), und es kann solches, da neben dem Blutgefässe keine Zellgebilde im Canale mehr vorkommen, nicht anders als aus dem letzten Osteoblasten hervorgegangen betrachtet werden. In Ilaversischen Canälen, welche keine Blutgefässe führen, kann es durch die Verwendung der letzten Osteoblasten zu einer Obliteration des Ganais kommen, wie von Tomes und DE Morgan (Philos. Transact. 1853. p. 118.) bereits angeführt wor- den ist. Dass feine Haversische Canäle zuweilen von einer einzigen Reihe hintereinander liegender länglicher Zellen eingenommen werden, habe ich zuweilen zweifellos wahrgenommen. Aus der Zusammenstel- lung dieser Thatsachen dürfte hervorgehen , dass die Annahme der Fortdauer einer gleichartigen Function der Osteoblasten gesicherter ist, als eine andere, die sie zu verschiedenartigen Zwecken bestimmt sieht. Nachdem von mir gezeigt wurde , dass die Lamellen der Ha\ ersi- schen Systeme mit dem Vorkommen einer epitheliumartigen Zellenlage an den Wandflächen der Haversischen Räume in einem genetischen Zusammenhange stehen, indem sie die Abscheidungsproducte jenes Ueberganges sind , kann die Frage aufgeworfen werden , ob dieser für die erste Perioslalknochenbildung gültige Modus auch für die unzweifel- haft später entstandenen Lamellensysteme Geltung habe. Unter solchen später gebildeten Systemen verstehe ich die auf Durchschnittsflächen der compacten Substanz von Röhrenknoclien sich iindenden, vielfach beschriebenen und bildlich dargestelilen Haversischen Systeme, welche andere mehr oder minder zerstört oder durclibrochen haben und sich an den Wandungen der Reste derselljen aufbauten. Es findet sich dies Verhalten bekanntlich in sehr verschiedenen Zuständen , und man kann ganze Folgen verschieden alter Systeme unterscheiden , von denen die ältesten nur als interstitielle Reste zwischen mehr oder minder voll- ständigen Systemen sich darstellen. Auf Querschnitten des Metatarsus- knochens des Rindes, sowie auch des menschlichen Femur habe ich die Entstehung dieser späteren Systeme zu erforschen gesucht und da- bei Folgendes gefunden. Zuweilen l)eobachtet man bald excentriscli in anderen Lamellensystemen eingeschlossen , bald zwischen mehrfachen und dann nicht mehr vollständigen Lamellensystemen weitere und meist unregelmüssig abgegrenzte Räume, die dicht mit innerlichen Uelipr die Bildung des Knochciiffewebes. 363 weichen Zellen Gefüllt sind. Bei ganz dünnen Schnitten erhält sich nur ein Theil dieser Zellen , bei dickeren trifft man sie vollständiger. In anderen solchen nur von fremdem Lamellensystem begrenzten Räumen beobachtet man Blutgefässe, hin und wieder auch Fettzellen, und wie- derum in anderen sieht man längs der Peripherie des Raumes eine dünne, über die breccienartigen Fragmente der umgebenden Lamellen hinwegziehende Lamelle von Knochensubstanz. Bei Untersuchung recht vieler Durchschnitte gelingt es denn auch , eine Zellenlage zu finden, welche der continuirlichen Knochensubstanzlamelle dicht aufgelagert ist, und welche von den früher gebildeten Osteoblastschichten sich in nichts unterscheidet. Stellt man mit diesen Befunden jene zusammen, wo die weiten Räume durch Ablagerung fernerer Knochenlamellen enger geworden, die Osteoblastschichte, wie ich auch hier die erwähnte Zellenlage nen- nen darf, aber noch fortbesteht und auch die früher geschilderten Be- ziehungen zur Bildung der Knochenzellen erkennen lässt, so wird man kein Bedenken tragen dürfen , die ganze Erscheinung der beim Dicke- wachsthum des Knochens erkannten an die Seite zu setzen. Die Osteo- blastschichte finde ich übrigens auch noch an den weiteren Haversi- schen Canälen. Zuweilen ist sie da nicht mehr vollständig, indem das Blutgefäss der einen Seite der Wand dicht anliegt. In Fig. 3 a. habe ich sie aus einem Querschnitte des Femur eines Erwachsenen abgebildet. Der ganze, aus jenen Beobachtungen sich ergebende Vorgang wird also so aufgefasst werden müssen: Durch eine Wucherung von Zellen, deren Ursprungsstätte übrigens noch nicht ermittelt ist, entsteht in schon gebildeter, aus älteren und neueien Lamellensystemen bestehen- der Knochenmasse ein Hohlraum , der in demselben Maassc wächst, als die ihn füllenden Zellen die Knochensubstanz arrodiren, auflösen. Nach einer zeitweiligen Dauer dieses Zerstörungsprocesses erfolgt eine Neu- bildung, die peripherische Schichte der jungen Zellen (Markzellen) for- mirt eine Osteoblastschichte, und diese scheidet die erste, Unebenheiten der Wandung füllende Lage von Knochensubstanz ab. Weitere La- mellen folgen und einzelne Osteoblasten treten als Knochenzellen in dieselben ein, und im Fortgange dieser Weise entsteht ein neues, einen Haversischen Canal umschliessendes Lamellensystem. Für diese Vorgänge im Innern der Knochen bilden vielleicht die Osteoblasten in engeren Canälen einen Ausgangspunct. Jedenfalls scheint mir auch hierfür von grosser Wichtigkeit das Vorhandensein von jungen Zellmassen in den engeren wie in den weiteren Binnen- räumen , und es ist hierbei auch die Beobachtung von Luschka (Würzb. Verhandlungen X. 175) in Erinnerung zu bringen, nach welcher nicht 364 C. Gegenbiiur, blos in den engeren Räumen der spongiösen Knochensubslanz, sondern auch an der Oberfläche des Markes in dem grossen Binnenraume der Röhrenknochen Lagen von jungen Zellen vorhanden sind. In wiefern freilich von diesen aus ein continuirHcher Zusammenhang mit den Osteoblastschichten der engeren Canäle besteht , bleibt noch nachzu- weisen. Wenn ich die Bildung der Knochenlamellen als eine von Seite der Osteoblasten vor sich gehende Abscheidung dargestellt habe, so erübrigt mir noch einige damit in unmittelbarem Zusammenhange ste- hende Fragen zur Besprechung zu bringen. Zunächst handelt es sich um die Art der Abscheidung , ob Theile des Protoplasma der Zelle in die Grundsubstanz übergehen, oder ob zwischen der absondernden Fläche der Zelle und des Absonderungsproducts immer eine scharfe Grenze bestehe. Die Vergleichung verschiedener Objecto, z.B. des Befun- des in den sich bildenden Haversischen Systemen und desjenigen in der oberflächlichsten Schichte des Metatarsus , oder des embryonalen Fe- mur, möchte die Existenz beider Arten annehmen lassen. Die Osteo- blasten an letzteren Stellen laufen zuweilen in so blasse zarte Gebilde aus, dass man sie von der gel)ildeten Grundsubstanz schwer unter- scheiden kann. In solchen Fäflen ergiebt sich , dass die Osteoblasten mit Fortsätzen in die abgesonderte Grundsubstanz eindringen und dass zwischen beiden Theilen eine Grenze besteht, dass also ein unmittel- bares Uebergehen des Protoplasma der Zelle in die Grundsubstanz nicht stattfindet. Als eine zweite Frage kann aufgeworfen werden, ol) die anfäng- lich in einer ganz dünnen, dann immer dicker werdenden Schichte abgesetzte Knochensubstanz in einem weichen Zustande geliefert werde, oder sofort in jener Festigkeit, die ihr später bestimmt zukommt, auf- trete , ob endlich die Verbindung der organischen Substanz mit Kalk- salzen eine nachträgliche sei oder schon mit der Ablagerung statthabe. Ich halte dafür , dass diese Frage durch die unmittelbare Beobachtung wohl schwer definitiv entschieden werden dürfte, denn der Vorgang ist nicht ein solcher , dass mehrere ganze Schichten oder auch nur eine einzige in weichem Zustande präformirt wären und erst nach und nach der Sclerosirung verfielen , vielmehr ist der Vorgang selbst an einer Schichte ein ganz successiver, und man kann bei einer Vergleichung der Dickezustände der Knochenlamellen gar wohl erkennen , dass in einem Falle eine Lamelle erst angelegt, in einem anderen eine solche bereits zur Hälfte gebildet, in einem dritten fast vollendet ist. Eine üeber die Bildung des Knochengewebes. 365 sehr grosse Verschiedenheit in der Dicke der abgelagerten Schichten findet besonders in den ersten Stadien der Verknöcherung statt, und bedeutende Unterschiede zeigt hier selbst eine und dieselbe Schichte an verschiedenen Stellen. Die Verschiedenheit des optischen Verhal- tens in der Dicke jeder einzelnen der Lamellen, wodurch die Lamellen selbst unterscheidbar werden , giebt für die Bourtheilung des jeweilig zur Bildung einer Lamelle abgesetzten Quantums von Knochensub- stanz einen guten Anhaltepunct. An dünnen Schnitten frischer, nicht weiter behandelter Knochen zeigt sich zwar, dass die jedesmalige innerste Lamelle sich ebenso verhält wie die übrigen, allein ich wage mich nicht dai'über auszusprechen, ob der innerste, jüngste Abschnitt derselben auch da, wo er völlig gleich mit den tieferen sich darstellt, nicht noch eine weniger feste Beschaffenheit besitzt. Dass übrigens die Verbindung der Kalksalze mit der organischen Grundsubstanz nicht eine nachträgliche ist, sondern dass vielmehr die Knochensubstanz als solche , w-enn auch vielleicht beim ersten Auftreten ausserhalb der Zelle in weniger festem Zustande, unmittelbar von der Osteoblastschichte abgeschieden werde , möchte daraus zu schliessen sein , dass eine Ein- lagerung von Kalk , wie es bei der Knorpelverkalkung vorkommt , und eine nachherige Auflösung und Verschmelzung zu einer homogenen Masse, nicht zu beoliachten ist. Endlich bleibt mir noch die Erörterung einer anderen , nicht min- der wichtigen Frage , nämlich jene über die näheren Verhältnisse der Entstehung der Knochenhöhlen und ihrer Ausläufer , der feinsten Ca- nälchen. Ich habe bereits l)ei Darlegung der Knochenkörperchenbil- dung am Scheitelbein und im Periost des Femur bei Embryonen die Entstehung der von den Knochenhöhlen ausgehenden Ausläufer als eine jedenfalls grösstentheils primäre Bildung angeführt, und habe dabei erklärt, dass es mir nicht gelungen war, eine directe Verbindung der Knochenzellen durch die Canälchen durchsetzende feinste Ausläufer des Protoplasma wahrzunehmen. Ein Theil der Histiologen sieht nach Henle's Vorgange dieses Verhalten als die Regel an und giebt höchstens die Exi- stenz kurzer Forlsätze zu, die nur in den Anfang der Canälchen ein- dringen. Dem hat sich auch Beale angeschlossen , der die Canälchen einfach als offen gebliebene Stellen in der Grundsubstanz der Knochen ansieht , in welche Ausläufer des Protoplasma (der Keirasubstanz) nie- mals eindringen. Ein anderer Theil betrachtet mit Virchow die Wan- dung der Knochenhöhle sammt den Wandungen der davon auslaufenden Canälchen , die von der benachbarten Knochensubstanz isolirt darge- stellt werden können, als zur Knochenzelle gehörige Theile, und sta- 366 C. Gegenbilur, tuirl so einen unmittelbaren Zusammenhang. Auf eine Bestätigung des Wesentlichen dieser letzteren von Virchow angebahnten Ansicht laufen auch meine Beobachtungen hinaus, wenn ich auch das, was Vir- chow als Zelleninhalt ansah, als die Zellen selbst betrachte, da das, was Virchow als Membran nahm , die der Knochensubstanz angehörige Wandung der Knochenhöble und ihrer Ausläufer ist. Bei Untersuchung sehr zahlreicher Querschnitte von Röhrenknochen (vorzugsweise Meta- carpus und Metatarsusknochen vom Kalbe) ist es mir gelungen, wenig- stens in einigen Hauptpuncten Gewissheit zu erlangen. In der Mehrzahl der Untersuchungsobjecte sieht man an den noch weiten Ha versischen Canälen (Haversischen Räumen) die Osteoblast- schichte mit scharfer Grenzlinie an die innerste Knochenlamelle stossen. Auch da , wo beide Theile durch Abheben der Osteoblasten etwas von einander entfernt sind, ist das noch deutlich und man sieht dann immer eine feine Strichelung radienartig auch die innerste Knochenlamelle durchsetzen. Hin und wieder giebt sich die Strichelung recht deutlich als der Ausdruck feinster Canälchen zu erkennen , die also b i s z u'r Oberfläche unmittelbar an die Osteobla stschichte heran- treten und nicht erst von den Knochenzellen durch Auflösung der Knochensubstanz nachträglich gebildete Theile sind. Nicht selten sind diese Canälchen da, wo sie zur Oberfläche der Lamelle gelangen, etwas weiter, und dann ist die hinencontourlinie der Lamelle wie fein aus- gezackt, jede Vertiefung dem Anfange eines Canälchens entsprechend. Dieses Verhalten ist sowohl da zu beobachten, wo Osteoblasten im Eintritte in die Knochensubstanz begriffen sind, als auch an den da- zwischen gelegenen Strecken des Lamellenrandes. Mit dem vorerwähnten Verhalten findet man jedoch auf recht dün- nen Schichten noch ein anderes. An Stellen , wo sich die Osteoblast- schichte, vielleicht durch die Schnittführung, etwas von der Wand des Knochenraumes abgehoben hatte, sieht man die auch sonst zuweilen uneben erscheinende Aussenfläche der Osteoblasten mit feinen Fort- sätzen versehen, die ebenso continuirlich in die Knochensubstanz- lamelle eindringen. Zuweilen sind diese Fortsätze auch kürzer, gebo- gen oder aus der Knochenlamelle vorragend und nicht bis zu einem Osteoblasten reichend. In günstigen, selbst unter vielen Schnitten immer noch seltenen Objecten ist die Erscheinung eine solche, dass man am Osteoblasten eine mit feinen Wimperhaaren besetzte Zelle vor sich zu haben glaubt. Ich kann die Erscheinung mit nichts Anderem besser vergleichen. Sind nun diese feinen Fortsätze der Osteoblasten abnorme Bil- üeber die Bildung des Knochengewebes. 367 düngen, etwa Gerinnungen einer die Canaliculi füllenden plasmatischen Substanz, die ursprünglich mit der Substanz der Zelle in keinem Zu- sammenhange steht, sich etwa in seltenen Fällen erst nachträglich damit verbindet, oder sind es wirkliche Fortsatzbildungen der Osteoblasten, Ausläufer des Protoplasma derselben '? Für die Bejahung der ersten Frage bestehen nur negative Gründe , positive aber finden sich für die Bejahung der zweiten vor. Der Zusannnenhang mit den Zellen der Osteoblastschichte ist nachweisbar. Dass er selten ist, oder vielleicht nur von mir selten erkannt wurde, zeigt, dass die Sache schwierig ist, und das begreift sich, wenn man die Feinheit des Objects, die Hinfäl- ligkeit von Fortsatzbildungen einer im frischen Zustande ganz weichen, bei Behandlung mit Agentien leicht zerstörbaren Substanz in Bechnung bringt. Erwägt man ferner noch , dass in die w eiteren Ausbuchtungen von Knochenhöhlen , oder selbst in die weiteren Anfänge der Canäl- chen Fortsätze der Knochenzellen , wie der Osteoblasten beobachtet werden können , so \\ ird man mir beistimmen , wenn ich das seltener zur Beobachtung Kommende dennoch für die Begel ansehe. Ich deute also die in Bede stehenden Objecte so, dass ich die fei- nen cilienartigen Fortsätze der Osteoblasten für Protoplasma-Ausläufer ansehe, die in die feinen Canälchen sich erstrecken und mit den Kno- chenzellcn im Zusammenhang stehen. Dass sie wirklich bis zu einer nächsten Knochenzelle sich erstrecken , geht aus der Länge einzelner dieser Fortsätze hervor, die dicht an der Einmündung des Canälchens in die Knochenhöhle abgerissen sein nuissten. Wenn ich , von der er- wähnten Thatsache ausgehend, die feineren Structur\erhältnisse des Knochens ins Auge fasse, so muss ich durch die ganze Knochensubstanz ein feinstes Netzwerk von Protoplasmafädchen annehmen, die immer an einzelnen Stellen, wie an Knotenpuncten, auslaufen und zusanmien- treten. Diese Stellen werden gebildet durch die Knochenzellen, die ebenso wie ihre feinen Ausläufer ohne differenzirte Hülle sind, wenn eine solche anscheinende Hülle auch aus der Wandschichte der Knochen- höhle und ihrer Ausläufer hergestellt werden kann , wie das von Vm- CHOW geschah und nach ihm von Anderen. Bei dem w achsenden Knochen vergrössert sich an jeder Stelle, wo Abscheidung von Knochensubstanz stattfindet , sofort das ganze System der feinen Protoplasmastränge, in- dem die Osteoblasten in demselben Maasse als sie Knochensubstanz abscheiden , auch die feinen , letztere durchsetzenden Fäden sich ver- längern lassen , bis einer nach dem anderen von ihnen in Knochensub- stanz eingeschlossen wird und nur durch jene Fäden mit seinen früher dicht angelagerten Nachbarn in organischem Zusammenhange bleibt. 368 C. Gegenbaur, Indem ich die Ergebnisse meiner Untersuchung zusammenfasse, komme ich zur Aufstellung von folgenden Puncten : 1) Es besteht in der Blastemschichte des Periostes eine besondere, einfache oder mehrfache Lage von Zellen , durch welche die sclerosirende Grundsubstanz des Knochens abgeschieden wird. 2) Diese Osteoblastschichte erstreckt sich vom Perioste aus in die von periostaler Knochenmasse umschlossenen Räume und nimmt dort einen epithelartigen Charakter an. Die Lamellen- systeme um die Haversischen Canäle sind der Ausdruck einer schichtweisen Alilagerung der Knochensubstanz von Seite der Osteoblastschichte. 3) Eine ähnliche Osteoblastschichte geht aus den indifferenten, em- liryonalen Markzellen hervor, welche die primitiven Markräume bei der Knorpelverknöcherung füllen. 4) Durch eine solche Schichte von Zellen entstehen auch die nicht knorpelig präformirten Knochen , deren Anlagen diese Zellen auch ferner als eine zusammenhängende Lage überziehen. 5) Die Osteoblastschichte liefert nicht nur die Knochensubstanz, sondern auch die Knochenzellen, indem einzelne Osteoblasten nach und nach in die Knochensubstanz eingeschlossen werden. 6) Die Bildung der feinen Fortsätze der Knochenzellen hängt (be- stimmt bei der periostalen Knochenbildung) mit der Abschei- dung der Knochensubstanz selbst zusammen , ist somit eine primäre. Wenn durch die vorstehende Mittheilung der Versuch gemacht wurde, auf Grund von zum Theile wenigstens neuen Beobachtungen eine von den , bezüglich der Bildung des Knochengewebes herrschen- den Ansichten etwas abweichende Ansicht zu begründen, so muss ich hier am Schlüsse nochmals hervorheben , dass ich für alle und jede Knochenbildung keineswegs den gleichen Bildungsgang ausgesprochen haben will, und das Vorkommen einer unmittelbaren Verknöcherung des Knorpels ') , sowie jener von Bindegewebe in keiner Weise bezwei- feln möchte. Es war mir nur darum zu thun, gerade die Form der Knochen- bildung, über welche nicht ganz klare, oder wo sie klar erscheinen, 1) Für die Beobachtung der unmittelbaren Knorpelverknöcherung kann ich als leicht zugängliches Object die Tracheairinge der Vögel empfehlen. lieber die Bildung des Knochengewebes. 369 mit den Thatsachen wenig harmonirende Vorstellungen bestanden, von einer im Ganzen wenig beachteten Seite her zu beleuchten. Manches bleibt übrigens auch da noch zu erörtern ; auf einiges jetzt nur kurz Berührte hoffe ich bald ausführlicher zurückkommen zu können. Erklärung der Abbildungen auf Tafel VlII. (NB. Die Vergrösserung beträgt bei Fig. 1—4 = 500, bei Fig. 5 = 950.) Fig. 1. Querschnitt aus dem Femur eines 17\vöchentl. menschlichen Embryon. Es ist eine Stelle dargestellt, an der die vom Perioste gebildeten Marki-äume mit den intracartilaginösen sich an mehreren Stellen verbinden. a) Rest des Knorpelgerüstes. b) Auf ersteres abgelagerte Knochenschichte. c) Vom Periost gebildete Knochenschichte. d) Periost. e) Intercartilaginöse Markräume. fj Osteoblastschichte. g) Kugelförmig abgeschiedene Knochensubstanz. h, h', h") Osteoblasten im Uebergange in Knochenzellen in verschiede- nen Stadien der Umschiiessung. Fig. 2. Querschnitt aus dem Verknöcherungsrande des Kalbsmetatarsus. a) Periost. b) Osteoblastschichte des Periostes. c) Osteoblasten mit Ausläufern in Knochenzellen übergehend. d) Osteoblastschichten der Haversischen Markräume. e) Haversische Canäle durchscheinend. f) Neugebildete Knochenleiste. Fig. 3. Querschnitt der innersten Lamellen eines Haversischen Systems aus dem Femur eines erwachsenen Menschen. a) Grenze des Canallumens. b) Blutgefäss. c) Osteoblasten. d) Knochenzellen. Fig. 4. Senkrechter Durchschnitt durch das Scheitelbein eines 13wöchentlichen menschlichen Embryon. a) Knochenbälkchen. b) -Osteoblastschichte. c) Osteoblasten im Uebergange in Knochenzellen. d) Lage spindelförmiger Zellen. Fig. 5. Osteoblasten. a. b. c) Aus dem Scheitelbein eines menschl. Embryon von 17 Wochen, d. e) Aus dem Kalbsmetatarsus. Heihing einer grossen Luftüstel der Regio subhyoidea durch eine plastische Operation.^) Von Fr. Ried. (Hierzu Tafel IX.) Caspar D. aus 0., 36 Jahre alt, schnitt sich am 23. August I8G2 in einem Anfalle von Trübsinn die Kehle ab ; heftige 'Blutung, Ohn- macht, in welcher die Blutung stand. Die Wunde wurde in einem Ho- spitale, wohin der Kranke gebracht worden war, durch die Naht ver- einigt, bi Folge von eintretendem Husten platzten die Nähte ; dasselbe geschah bei mehrfacher Wiederholung der Naht. Nach acht Wochen trat eine »Lähmung« des rechten Armes ein, die sich aber nach einigen Wochen wieder verlor. Allmählich vernarbte der grössere Theil der Halswunde von den Seiten her und nur in der Mitte, zwischen Zungen- bein und Kehlkopf, blieb eine Fistel, welche weder durch Kauterisa- tionen, noch durch Verbände zur Schliessung gebracht werden konnte. Anfangs October bekam D. einen Tripper mit nachfolgender Hoden- entzündung. Am 3. December desselben Jahres wurde D. in die chirurgische Klinik des G. S. Landkrankenhauses zu Jena aufgenommen. Es be- stand noch ein geringer Ausduss aus der Harnröhre, eine starke, schmerzhafte Anschwellung des Nebenhoden und leichte Schwellung des Samenstrangs. In dem vordem obern Theile des Halses, in dem auffällig ver- längerten Räume zwischen Zungenbein und Kehlkopf befindet sich eine beiläufig halbmondförmig gestaltete Narbe (vergl. Taf. IX. Fig. 1. b.), die in ilirem mittleren Theile fast einen Zoll hoch ist und deren eine kleinere Spitze bis an den vorderen Rand des rechten Kopfnickers, die 1) Dieselbe ist auch veröffentlicht in R. Keller, ein Fall der Bronchoplastik. Inauguralabhandlung, Jena 1864. Ileiliiiig einer grossen Liil'tfistel etc. 371 andere länger gezogene Spitze aber bis über den hinteren Rand des linken Kopfnickers reicht. In der Mitte der Regio subhyoidea und zu- gleich im breitesten Theile dieser Narbe befindet sicli eine fast vier- eckige Fistelöftnung, etwa einen halben Zoll hoch und etwa einen Drit- telzoll breit (Fig. I.A.). Die Verletzung, welche diese Luftfistel veranlasste, muss eine sehr bedeutende gewesen sein. Dafür spricht schon die Länge der Schnitt- narbe, die hinter dem linken M. sternocleidomastoideus etwa einen Zoll unter dem Processus mastoideus beginnt, in schräger Richtung l)is an die linke Grenze der Regio subhyoidea herabsteigt, dann durch diese hindurch bis in den vorderen Rand des rechten gleichnamigen Muskels in hoi-izontaler Richtung verläuft. Aber auch eine beträchl- liclie Tiefe muss der Schnitt gehabt haben, denn der linke M. sterno- cleidomastoideus war, wenn nicht ganz, doch beinahe vollständig durchschnitten ; die Continuität desselben ist zwar durch eine tief ein- gezogene Narbe der am tiefsten gelegenen Parthie des Muskels w ieder hergestellt, aber die obere Hälfte des bei weitem grössten Theils des Muskels ist atrophisch geworden. Das auffälligste Zeichen der tiefen Yeiletzung ist aber wohl , dass man die pulsirende Carotis auf der lin- ken Seite unmittelbar an der Hautnarbe fühlen kann. In der Regio sub- hyoidea müssen jedenfalls sämmtliche Schichten (Fascia, Muskeln, Mem- brana hyothyreoidea) durchschnitten gewesen sein, denn der Kehldeckol ist vom Kehlkopfe getrennt und befindet sich an der Rasis der Zunge und dem Zungenbeine. Die Continuität zwischen Zungenbein und Kehlkopf wird nur durch die fast einen Zoll ausgedehnte, wenig über eine Linie dicke Ilautnarbe hergestellt. Man kann sich davon auf das Restinunteste überzeugen , wenn man durch die Fislelölfnung eine etwas gekrümn)te Knopfsonde einführt, während aussen der Finger aufgelegt wird. Die laryngoskopische Untersuchung, welche mein College, Herr Prof. Gerhardt vorzunehmen die Güte hatte, ergab die Gestalt der Stimmritze und die Rewegungen der Stimmbänder normal, den Kehl- deckel nach aufwärts gerichtet, wenig beweglich. Von oben her Hess sich eine Verletzung des Kehldeckels nicht entdecken, wohl aber von unten, durch Einführung eines kleinen Spiegels durch die Fistel, wo- durch man das abgeschnittene gerundete Ende des Kehldeckelstiels, an der Zungenbasis haftend, deutlich wahrnahm. Die Stimme des Kranken ist rauh, bie Sprache verständlich, selbst wenn der Kranke dieOeßnung nicht verschliesst, dann jedoch klanglos. Da der Kranke die Fistel durch Andrücken der Unterkinngegend an die vordere obere Parthie des Halses zu verschliessen sucht, um auf ge- 372 Fr. Ried, wohnliche Weise athmen und sprechen zu können , hat er sich eine eigenthümhche Kopfhaltung, ähnhch der bei Kyphose der Halswirbel, angewöhnt. Wegen der Unmöglichkeit, die Stimmritze durch den Kehl- deckel beim Schhngen von Speisen und Getränken zu verschliessen, erfolgt häufiges Verschlucken, namentlich bei Einnahme der letzteren. Da die Heilung des Harnröhrenausflusses und der Verhärtung des Nebenhoden erst nach monatelang fortgesetzter geeigneter Behand- lung erfolgte, so konnte die Operation der Luftfistel am 12. März 1863 vorgenommen werden. Von den bis jetzt gegen derartige Leiden theils vorgeschlagenen, theils ausgeführten Operationsverfahren schien keines in dem vorlie- genden Falle genügenden Erfolg zu versprechen, ich entschloss mich daher zu folgendem Verfahren: Der Kranke wurde in der Rückenlage, auf gewöhnliche Weise durch Vorhalten einer mit Chloroform getränkten Compresse narkoti- sirt, wobei man das Athmen durch die Luftfistel durch Auflegen einer in Wasser getauchten und wieder ausgedrückten Compresse zu ver- hindern suchte. Nach eingetretener Narkose wurde die die Luftfistel umgebende Narbe ausserhalb ihrer Grenzen in gesunder Haut um- schnitten, was etwa in der Ausdehnung eines Thalers, in der Form eines nicht ganz regelmässigen Sechsecks geschehen konnte (Fig. 1 B. B.) ; die Ränder dieser Wunde wurden etwa eine Linie weit hin abgelöst; dann wurde die ganze umschnittene Narbenfläche durch Abtragung ihrer epidermoidalen Schichte in eine blutende Fläche ver- wandelt. Dieser Theil der Operation war an und für sich schwierig und mühvoll, wurde es aber noch mehr dadurch, dass der Kranke, wahr- scheinlich weil doch reine atmosphärische Luft durch die Fistel zu den Lungen gelangt war, in Folge ungenügender Narkose sehr unruhig war. Nachdem die massige Blutung gestillt war, wurde der Kranke noch einmal, unter Schliessung der Fistel mittels eines aufgelegten Fin- gers chloroformirt. Dann wurde ein Lappen von gleicher Form, aber etwas grösserem Umfange wie der zu ersetzende Defect und etwa einen Zoll breiter Basis links ausserhalb und unterhalb des Defectes (Fig. 1. C.) umschnitten und abgelöst, wobei zwei kleine Arterien unterbun- den resp. umstechen werden mussten. Nach völlig gestillter Blutung wurde der Ersatzlappen in die Ränder des Defectes eingefügt. Er passte völlig, nur spannte sich die Basis etwas, es wurde desshalb ein kleiner rücklaufender Schnitt an das untere Schnittende der Basis des Lappens angefügt, worauf die Spannung nachliess. Die Vereinigung der Ränder des Ersatzlappens geschah durch drei grössere und sieben kleinere Knopfnähte. Eine Naht wurde an der Basis angelegt. Die Heilung einer grossen Luftfistel etc. 373 Wunde des durch Ausschälung des Ersatzlappens entstandenen Defec- tes wurde mit Ceratcharpie bedeckt und dieselbe durch eine Com- presse und eine Cravatte in loco erhalten. Der zu Bett gebrachte Kranke wurde mit dem Oberkörper hoch und mit vorgebeugtem Kopfe gelagert. 1 4. Miirz. Der Kranke hat ruhig gelegen, der Lappen liegt an den Rändern überall gut an, das Centrum desselben wird beim Athmen ab- wechselnd gehoben und eingezogen. Zur Vermeidung von Hustenan- fällen hat der Kranke absolute Diät halten müssen, zur Stillung des Durstes wurde demselben zeitweise etwas Eis auf die Zunge zu nehmen erlaubt. Es ist kein Wundfieber eingetreten. 1 6. März. Die oberen Nähte haben durchgeschnitten, dadurch ist der obere Rand des Ersatzlappens etwas nach unten gesunken, aus der dadurch bedingten Spalte kommt etwas Luft und Speichel. Ausserdem liegt der Lappen, der bereits Schwellung zeigt und daher wenig mehr ventilirt, gut an. Die sämmllichen Nähte werden weggenommen und durch Collodialstreifen ersetzt. 18. März. Der Lappen liegt gut an, hebt sich kaum noch beim Athmen. Die Wunde des durch Bildung des Ersatzlappens entstande- nen Defecles eitert und bedeckt sich mit Granulationen. 31. März. Der Ersatzlappen ist vollkommen an die unterliegende Fläche angeheilt, die Ränder sind vernarbt, bis auf ein kleines etwa linsengrosses Loch in der Furche , zwischen Unterkinn und Hals, aus welchem beim Athmen noch etwas Luft aus- und eintritt. Kauterisa- tion mit Höllenstein. DerDefect, aus welchem der Ersatzlappen genom- men, ist fast vernarbt. 17. April. Alles ist fest vernarbt, bis auf die kleine Luftfistel, die sich aber bei der bisherigen Behandlung durch zeitweise Kauterisatio- nen bereits so weit verkleinert hat, dass nur noch bei tiefem Einathmen etwas Luft hindurchtritt. 30. Mai. Die Fistel hat sich geschlossen. Am 26. Juni wurde D. vollständig geheilt entlassen. (Fig. 2.) Der Ersatzlappen liegt fest auf, er wird auch bei ganz tiefem Ein- und Ausathmen, selbst bei starkem Husten an der Stelle der früheren Luft- fistel nicht mehr gehoben ; selbst beim Auflegen des Fingers fühlt man nicht die leiseste Bewegung. Die Stiumie des Kranken hat sich gebes- sert, sie ist weniger rauh und heiser. Es mögen hier folgende Bemerkungen Platz finden: L Anschhessend an den vorstehenden Fall, beschränke ich mich nur auf die Betrachtung der in der Regio subhyoidea vorkommenden Luftfisteln. Wenn in einem Falle von Verwundung dieser Gegend die sämmtlichen Schichten derselben , die äussere Haut, die Fascia, die 374 Fr. Ried, vereinigten Insertionen der Mm. sterno- und omohyoidei, der thyreo- hyoidei, die Membrana hyothyreoidea etc. in grösserer Ausdehnung durchschnitten sind, so sinkt der Kehlkopf nach unten und der Raum zwischen Zungenbein und Kehlkopf, der ein paar Linien misst, ver- grössert sich bis auf das Drei- und Vierfache. Die Epiglottis befindet sich, je nachdem der Schnitt näher am Zungenbein oder am Kehlkopfe geführt worden war, entweder am untern oder am obern Wundrande. Im erstem Falle, beim Sitze der Fistel zwischen Zungenbein und Kehldeckel, handelt es sich streng genommen um keine eigentliche oder wahre Luftfistel, denn die Fistel führt nicht in den eigentlichen Luft- canal, sondern nur in den für den Luft- und Speisecanal gemeinschaft- lichen Vorraum, die sogenannte Rachenhöhle; aus der Fistel tritt daher ausser der Luft auch Speichel , Schleim , Partikeln der genossenen Ge- tränke und Speisen, und die Stiuune und Sprache ist dabei nicht we- sentlich verändert. Im zweiten Falle, wenn der Kehldeckel durch den Schnitt von dem Lar\,nx getrennt ist und an dem obern Wund- oder Fistelrande sich befindet, sind die Störungen beträchtlicher. Die Stimme und Sprache wird undeutlich und nur verständlich, wenn der Kranke entweder durch Auflegen des Fingers oder durch Senken des Kopfes die Fistel verschliesst ; durch die Fistel tritt die Luft beim Ein- und Ausathmen, ausserdem treten durch dieselbe Schleim, Speichel, genos- sene Getränke und es findet häufiges Eindringen von Flüssigkeiten und Speisepartikeln in die nicht mehr vom Kehldeckel geschützte Stimm- ritze statt, wodurch häufige und heftige Hustenanfälle hervorgeiufen werden. Diese Fisteln in der Regio subhyoidea haben gewöhnlich aus dem bereits angegebenen Grunde die grössle Ausdehnung, sind, da häufig nur die umgebende Hautnarbe die Verbindung zwischen Zungen- bein und Kehlkopf vermittelt, bei weitem am schwierigsten zu beseitigen und geben daher om öftesten Veranlassung zu secundären plastischen Operationen. IL Zur Heilung solcher Luftfisteln kannte die frühere Chiruigie nur entweder die blutige Operation, durch die Anfrischung der Wund- ränder mit nachträglicher Anlegung der Naht oder die Kauterisation, Verfahren, die wohl bei kleinen Fisteln, namentlich der Trachea inid des Kehlkopfs zum Ziele geführt haben mögen, bei grösseren Luftfisteln aber, besonders in der Regio subhyoidea erfolglos bleiben mussten. In solchen unheilbaren Fällen war man dann auf die l)lose Anwendung von deckenden Verbänden beschränkt. Dupuytren (Lancette francaise Tom. V. S. 240) versuchte im Jahre 1831 Schliessung einer grösseren Luftfistel durch Umschneidung der Fistelränder und durch seitliche Abtrennung der Wundränder in einer Heilung einer grossen Lut'tfisfel etc, 375 gewissen Ausdehnung mit nachfolgender Vereinigung durch die um- wundene Naht. Velpeau hat zu Anfang des Jahres 1 832 bei dem von Dupuytren ohne Erfolg Operirten zuerst eine plastische Operation — Einheilung eines zusannnengerollten Hautpfropfs in die Fislelöffnung — in Anwendung gebracht. Gegen Ende desselben Jahres hat er eine analoge Operation — Schhessung der Fistel durch einen gedoppelten Hautlappen — an einem andern Kranken, ebenfalls mit Erfolg ausge- führt. Diese letzlere Operation wurde unter unwesentlichen Modifica- tionen im Jahre 1844 von Balassa in Pesth mit glücklichem Erfolge wiederholt. Weitere Falle erfolgreicher Operationen derartiger Luft- fssteln sind mir nicht bekannt geworden. III. Die bis jetzt gegen diese Fisteln vorgeschlagenen oder in An- wendung gekommenen Arten sogenannter bronchoplastischer Opera- tionsverfahren lassen sich am zweckmässigsten etwa in folgende Reihen- folge bringen. 1) Schliessung grösserer Fisteln durch seitliche Hautverlcguiig und die umschlungene Naht nach Dieffenbach. (Operat. Chir. Bd. I. S. .'iOO.) Die Operation besteht in Ausschneidung der Fistelriinder in Form einer langgezogenen Ellipse, wobei die zwischen den Bogen- linien liegenden narbigen Hautstücke entfernt werden. Dann wird an jeder Seile die Haut wenigstens einen Zoll weit nach aussen abgetrennt, und jederseits ein Ililfschnilt gemacht, wobei man sich nochmals von der vollständigen Ablösung dieser Hautbrücken von den unterliegen- den Theilen durch Einführung eines M\ rthenblattes überzeugen kann. Zuletzt Anlegung der Naht in der Mittellinie, wobei die Seitenwunden offen gelassen und mit Charpie bedeckt werden. Für grosse Oellnun- gen , w eiche mit sehr dünner Haut umgeben sind, hat Dieffe>bach, weil unter solchen Verhältnissen die dünnen llautränder zu \\enig Be- rührungspuncte abgeben, anstatt der ge\A öhnlichen umschlungenen Naht die Anwendung einer Schienennaht bei sonst ganz gleichem Ver- fahren empfohlen. 2) Schliessung grösserer Oeffnungen durch lappenförmige Ein- pflanzung. A. Aelterc Verfahren: a) Ueber das erste Verfahren von Velpeau (Med. operat. Tom. I. S. 686 u. 688], wobei ein der Länge nach auf seiner Epidermisfläche zusam- mengerollter Hautcylinder in die angefrischten Ränder der Luftfistel eingeschoben und daselbst durch eine umschlungene Naht festgehalten wird, verweise ich einfach auf die Kritiken dieses Verfahrens durch Bd. I. 3. 25 376 Fr- Ried, VON Ammon und Baimgarten (Die plastische Chirurgie S. 291) und durch DiEFFENBACH (Operative Chirurgie Bd. I. S. 51 1). b) Das zweite Verfahren von Velpeau (Med. operat. Bd. I. S. 684 und 687) besteht in der Bildung eines Lappens aus gedoppelter Haut. Es wird ausgeführt in der Art, dass unterhalb der Fistel aus der vor- dem Seite des Halses ein etwa zollbreiter und zwei Zoll langer Haut- lappen mit oberer Basis, gebildet und einfach nach oben, gegen das Zungenbein geschlagen wird, wo alsdann der oberste Theil desselben nochmals umgeschlagen werden muss; diese gedoppelte Parthie des Lappens, deren Epidermisflächen sich berühren, während von den blutenden Zellhautflachen die kleinere auf die wund gemachte Fistel, die grössere frei nach aussen zu liegen kommt, wird durch die um- schlungene Naht der Ränder der wundgemachten Umgebung der Fistel befestigt. Ich habe das (zweite) VELPEAu'sche Verfahren, nur um den Ver- gleich mit dem folgenden zu ermöglichen , etwas ausführlicher geschil- dert. Derartige plastische Operationen, bei denen der Ersatzlappen, mit seiner Zellhautschicht nach aussen, gelagert wird, sind längst aus leicht einsehbaren Gründen nicht mehr im Gebrauche. Das Verfahren von Balassa (Oestr. med. Wochenschrift 1 844 Nr. 20) ist folgendes: Er entfernt die die Fistel umgebende Narbe durch in einem Vierecke geführte Schnitte. Der Umfang dieser Wunde, anderl- halbmal vergrössert, giebt die Grösse des Ersatzlappens, der aus der vorderen Parthie der Halshaut geschnitten wird und seine Basis oben einen halben Zoll unter der viereckigen Wunde hat. Der abgelöste Lappen wird gerade aufwärts geschlagen, sein unte- rer, jetzt oberer Rand wird umgeschlagen, mit dem untern Rande der viereckigen Wunde durch die Knopfnaht vereinigt und der nun gedop- pelte Lappen so auf die Wunde gelegt, dass dessen Umbeugungsstelle den obern Rand der Wunde erreicht, wo wieder Knopfnähte angelegt werden, während die Seitenränder durch umschlungene Nähte befestigt werden. Auch die durch die Ausschneidung des Lappens entstandene Lücke sucht B. durch die Naht zu vereinigen. — Wenn die Ränder des Ersatzlappens mit der des Defects verheilt sind, die Fistel also geschlos- sen ist, bleibt nur noch übrig, den zurücklaufenden als Ernährungs- brücke benutzten Theil des Lappens an der obern Verwachsungsslelle zu durchschneiden und mit diesem Blatte die entstandene Wunde , de- ren Ränder noch nicht verwachsen sind, zu bedecken, damit dieses hier verwachse und so selbst die Spur der Transplantation unsichtbar werde. (?) Wie hieraus ersichtlich , besteht die Modification oder wenn man Heilung einer grossen Lnt'tfistel etc. 377 will Verbesserung des VELPEAu'schen Verfahrens durch Balassa darin, dass, während dort der gedoppelte Lappen (überdies mit nach aussen gerichteter Zellhautlage und gegeneinanderlicgenden Epiderniisflächen) eingeheilt wird, hier nur der eine, untere Theil desselben, welcher seine Epidermisfläche nach aussen , die Zellhautlage dagegen nach innen hat, auf den die Fistel umgebenden Defect eingeheilt wird, der übrige, nur als Ernährungsbrücke dienende Theil aber nach Erfüllung dieses Zwecks wieder abgeschnitten und an seinem ursprünglichen Sitze wieder ein- geheilt wird. Meiner Ansicht nach verdient dies Verfahren von Balassa keine Empfehlung, weil abgesehen davon, dass zu der Zeit, wo es möglich ist, den als Ernährungsbrücke benutzten Theil des Lappens von dem eigentlichen Decklappen der Fistel, ohne Gefahr für diesen, zu trennen, die eiternden Flächen schon grösstentheils übernarbt sein werden, weil, sage ich, dieses Verfahren bei weitem umständlicher i^t, als die später zu erwähnenden Verfahren. B. Neuere Verfahren. a) Das sogenannte » f r a n z ö s i s c h e V e rf ah r e n a , wobei die Fi- stel durch Ilerbeiziehung eines Hautlappens geschlossen wird, hat einige, wenn auch ganz unwesentliche Unterarten. Das gewöhnliche Verfahren besteht in Wundmachung der Fistel und Excision der dieselben umgebenden Narben in Form eines Vier- ecks ; von den horizontalen Seiten desselben werden nach der einen oder der andern Seite hin zwei horizontale Schnitte in einer Ausdehn- nung von etwa zwei Zoll geführt, wodurch ein viereckiger Lappen ge- bildet und von der Unlerlage abgelöst wird, der durch Anspannen über die Fistelöft'nung herübergezogen und durch die Naht an die jenseitige senkrechte Seile des Vierecks befestigt wird. BoL'RGERY (Traite complet de l'anatomie etc. T. VIL Taf. XXVL Fig. I) hat dieses Verfahren in der Weise modificirt, dass die Wund- machung der narbigen Umgebung der Fistel in Form einer halbmond- förmigen Wunde statthat, wo dann von den Spitzen der Wunde aus nach der, der Concavität des Halbmondes entsprechenden Seite hin horizontale Schnitte geführt und dadurch ein zungenförmiger Lappen gebildet wird, der ebenfalls durch Anspannen über die FistelöfFnung herübergezogen und durch Nähte befestigt wird. Unter dem Namen der »Methode von Lalle mand« beschreibt BouRGERY (ebenda Fig. 2 und 3) eine unwesentliche Modification dieses letzteren Verfahrens, wobei fast bei gleicher Form der Anfrischung, der Lappen durch von unten nach oben und aussen geführte Schnitte schräg und ein Weniges breiter gebildet und dann tbeils durch Anspannen, 25* 378 Fr- R'Pd, theils durch Verschieben von unten nach oben ebenfalls zur Deckung der Fistel benützt \^ird. Diese drei Operationsmethoden sind sämmtlich als unzweckniässige Verfahren zu bezeichnen, da sie gegen zwei Grundgesetze der plasti- schen Chirurgie, erstens dass der Ersatzlappen in allen Verhältnissen etwas grösser sei, als der zu deckende Substanzverlust, dann, dass der Ersatzlappen keine Dehnung und Zerrung bei der statthabenden Vereinigung erleide, Verstössen. Bei diesen Verfahren ist der Ersalzlappen genau eben so breit, in Folge der nach seiner Ablösung erfolgenden Schrumpfung sogar noch schmaler, als der zu deckende Substanzverlust ; es findet also bei der Vereinigung jedenfalls schon Zerrung des Lappens in verticaler Richtung statt ; noch viel bedeutender aber ist die Dehnung und Zerrung dessel- ben in horizontaler Richtung. Gangrän des so in zweifacher Richtung gedehnten dünnen Ilautlappens muss also die unausbleibliche Folge die- ser Verfahren sein. Fälle, in denen diese sogenannte französische Me- thode in Anwendung gebracht worden wäre, sind mir nicht bekannt geworden. b) Diejenige Methode, welche behufs der Schliessung grösserer Fisteln der Unlerzungen])eingegend den sichersten Erfolg verspricht, ist die durch ))Bildung eines Hautlappens und seitliche Verlegung des- selben.« Merkwürdiger Weise bezeichnet Dieffexb.vch gerade diese Methode als die am wenigsten zu empfelilende. Er sagt (Operative Chirurgie Bd. I. S. 310, 3) : »Die Verwundung ist dabei grösser und complicirter und der Lappen wird nach seiner Trennung als ein Stück feuchten Pa- piers z%\ischen den Fingern sich zusammenlegen und schwerlich an die ringsum ver\N undeten dünnen Ränder anwachsen, er wird dann wahr- scheinlich absterben oder sich zusammenziehen und als ein Kügelchen an einer Seite der Oeff'nung verbleiben.« Die von Dieffexbach dieser Methode zugeschriebenen Nachtheile dürften nur dann zu erwarten sein, wenn man den gebildeten Haut- lappen nur an den etwas angefrischten Narbenrändern der Fistelöffnung selbst befestigen wollte. Sowie man aber die ganze Narbe, welche die Fislelötfnung umgiebt, excidirt, so dass man also einerseits die Ränder des Lappens mit blutig angefrischten Rändern gesunder Haut vereinigen kann, andererseits eine ausgedehntere Flächenvereinigung zwischen der Rückseile desLappens mit der wundgemachten Umgebung der Fistel herbeiführen kann, so ist der Erfolg der Operation gesichert. Heilung einer grossen Liiftlistel ete. 379 Die dem Ersatzlappen zu gebende Form richtet sich nach der Ge- stalt der Wunde, ^velche durch die Umschneidung und oberflächliche Abtragung derNarbe zu Stande gekommen ist. Lässt sich z. B. die Narbe in Form eines gleichschenkeligen Dreiecks ausschneiden , so bildet man einen viereckigen Lappen , dessen Basis neben die Spitze des Dreiecks zu liegen kommt und deckt auf diese Weise die Fistel und deren Um - gebung. Erfordert die Ausschneidung der Narbe eine rautenförmige Wunde, so bildet man einen analog geformten Lappen mit hinlänglich breiter Basis. Dasselbe geschieht, wenn die Narbe in Form eines mehr oder weniger regelmässigen Sechsecks, wie in dem vorangeschicklen Falle, ausgeschnitten werden kann u. s. w. Wesentlich bei diesen Operationen ist, dass man nach der Ein- schneidung der Haut ausserhalb der Narbe diese Ränder etwas, viel- leicht nur eine halbe bis ganze Linie weit, ablöst, ferner, dass man die oberste Schicht der Narbe soweit sorgfältig abträgt, bis man überall eine blutende Fläche hat. Die"Excision der narbigen Ränder der Fistel- öfFnung selbst ist aber vollständig unnöthig, ja wegen der Gefahr einer in den Luflcanal möglicherweise erfolgenden Blutung sogar zu unter- lassen. Ehe man zu der Vereinigung des Ersatzlappens mit den Rändern des Defects schreitet, muss die Blutung auf das sorgfältigste gestillt sein, entweder durch Unterbindung oder Umstechung der etwa betrolfenen Gefässe, oder durch längeres Zuwarten und Anwendung von in kaltes Wasser getauchten Schwämmen, damit nicht etwa durch eine Nach- blutung unter dem verlagerten Lappen und Abfliessen von Blut in die Luftwege gefährliche, oder doch wenigtens den Erfolg der Operation störende Zufälle, wie heftiger Husten, eintreten. Der Operirte muss daher auch, wenigstens bis zum Eintritte der Eiterung, sorgsam über- wacht werden ; sollte eine Nachblutung eintreten, so müssen die Nähte sofort gelöst werden und die Blutung vor abermaliger Anlegung der Naht völlig gestillt sein. Andere üble Ereignisse, selbst das von Hyrtl (Topogr. Anat. 4. Aufl. Bd. L 467 ') gefürchtete Emphysem, stehen nicht zu erwarten. 1) Bei dieser Gelegenheit iiaiin ich nicht umhin, zwei unmittelbar nach dieser Stelle (S. 468) vorkommende IrrthümerHYRTL's zu berichtigen. Er sagt : »Die durch Dupuytren und Jaueson bekannt gewordenen Falle von gelungenem Verschluss« etc. DupuYTKEN anlangend, so hatte die von dim im Jahre 1831 versuchte Operation keinen Erfolg, denn dieser Kranke wurde erst im folgenden Jahr von Velpeau mit Erfolg operirt. Jameson aber hat die Operation der Bronchoplastik überhaupt nicht gemacht. Sein Verfahren, welcties Velpeau auf die Schliessung einer Luftfistel üljergetragen hat, kam, und zwar nachDzoKDi's Vorgange, bei der Radicaloperation einer Hernie in Anwendung. "380 Fr. Ried, Hellung einer grossen Luftfistel etc. Es wird kaum vorkommen, dass bei einer derartigen broncho- plaslischen Operation der Ersatzlappen sowohl nach der Fläche als an den Rändern per primam intentionem anheilt. Es wird meist an einer Stelle ein anfangs weiterer, nach und nach sich verengernder Canal bleiben, aus dem Luft und Flüssigkeit bei stärkerem Athmen, nament- lich aber bei Husten hervortreten. Solche kleine Luftfisteln können nachträglich Iheils durch entsprechenden Druckverband (z. B. den Col- lodialverband) , theils durch Kauterisationen leicht zum definitiven Ver- schluss gebracht werden. Erklärung der Abbildungen. Tafel IX. Der in der chirurgischea Kliniii zu Jena durch Fr. Ried operirte Fall einer grossen Luftfistel in der Regio subhyoidea, Flg. 1. vor der Operation, Fig. 2. bei der Entlassung. A. Die Luftfistel, b. die Narbe der durch den Selbstmordversuch entstandenen Wunde in der Regio subhyoidea. B. Der durch Einschneiden der Haut ausserhalb der Narbe und durch ober- flächliche Excision derselben entstandene Defect in Form eines unregelraässigen Sechsecks. C^ Der Ersatzlappen von entsprechender Form (Fig. 1). D. Derselbe in den Defect eingeheilt (Fig. 2). E. Die Narbe des durch Ausschneidung und Verlagerung des Ersatzlappens entstandenen Defects (Fig. 2). f. bezeichnet die Hervorragung des Schildknorpels. g. bezeichnet die Stelle des Zungenbeins. Eine Extrautcrinschwangersehaft. Von B. S. Sehultze. Perforation des Darmes, des Uterus, der Bauchdecken, der Urin blase. Gastrotomie. Heilung. Dorothea Küchler, 37 Jahre alt, Dienstmagd, kam amlb. Dec. 1862 Abends, über heftige Leibschmerzen klagend, in die Gebäranstalt. Sie gab an , dass sie 8 Monate schwanger sei, dass sie seit mehreren Tagen Kindesbewegungen nicht mehr empfunden habe, dass seit dem Morgen desselben Tages gelbliche Flüssigkeit aus ihren Geschlechtsthei- len abgehe. Auf Befragen ergab sich, dass die K. als Kind gesund gewesen, seit ihrem 1 5. Jahre anfangs unregelmässig, seit dem 1 9. Jahre regelmässig menstruirt gewesen war. In ihrem 22. Jahre sind, wie sie angiebt, nach einer heftigen Erkältung Beschwerden eingetreten, welche der Beschreibung nach chlorotische waren. Dabei bestand schleimiger Ausfluss aus den Genitalien , und die monatliche Blutung, zwar zur rechten Zeit sich einstellend , war höchst unbedeutend. Im 2.3. Jahre, gerade zur Zeit, wo die Regel in der genannten Weise ein- trat , erkrankte sie acut mit heftigen Schmerzen im Unterleibe und wiederholtem Erbrechen, während welcher Krankheit ihr zahlreiche Blutegel im Hypogastrium applicirt wurden, deren Narlien noch vorhan- den sind. Nach Verlauf dieser »Unterleibsentzündung« blieb die Regel .3 Monate lang aus, kehrte dann zwar zu regelmässigen Zeiten, aber oft mit bedeutenden Schmerzen, zuweilen mit Anfällen von Bewusstlosig- keit wieder, bis Patientin im 27. Jahre schwanger wurde. Schwanger- schaft, Geburt und Wochenbett scheinen völlig normal verlaufen zu sein. Das Kind wurde gesäugt, bis es im Alter von 12 Tagen starb; einige Wochen darauf stellte sich die Regel wieder ein und kehrte ohne erhebliche Beschwerden in regelmässigen Zwischenräumen wieder; zum le^^ten Mal Ende Mai 1862, bald nach welcher Zeit Patientin concipirt zu haben angiebt. Bereits 7 Wochen danach fing Patientin an, heftige Schmerzen im Unterleibe zu empfinden, während gleichzeitig häufig 382 B. S. Schnitze, unwillkürlicher Harnabgang sich einstellte. Wahrend die Schmerzen einige Wochen darauf wieder nachliessen, blieben Harnbeschwerden mancherlei Art seit dieser Zeit permanent. In der ersten Hiilfte Sep- tember stellten sich von Neuem öfter von Frost- und Hitzegefühl be- gleitet heftige Schmerzen im Leibe ein, deren Sitz bald die rechte bald die linke Seite war und welche in wechselnder Stärke bis dahin fort- gedauert haben. Kindesbewegungen hat Patientin im Novcnd)er und December ab und zu empfunden, ohne dass dieselben auf die Schmerz- empfindungen einen merkliclien Einfluss geübt hätten. Um die Mitte des December sind in Folge eines Stosses auf den Unterleib und bald darauf noch durch das Heben einer schweren Last die Schmerzen er- heblich vermehrt worden und während Patientin bis dahin die ihr ob- liegenden Arbeiten mit grosser Mühe noch verrichtete, ist sie seitdem bei denselben wiederholt vor Schmerz zusammengebrochen. Patientin ist ziemlich gut genährt, von bleicher Hautfarbe , zeigt eine Temperatur von 30,2. und einen etwas kleinen Puls von 120 Schlä- gen. Der Unterleib zeigt eine gleichmässig rundliche Ausdehnung, wie von einem 28 Wochen schwangern Uterus herrührend. Durch die Palpation lässt sich ein runder , in der Mitte gelegener , 1 '/a Zoll über den Nabel reichender Tumor oben und seillich begrenzen. Der Tumor bietet dieConsistenz eines schwangern Uterus, in demsellien bewegliche, feste Theile lassen sich nicht mit vollkommener Deutlichkeit nachwei- sen, weil tiefer Druck Schmerz verursacht. Druck auf die Mitte des Tumor ruft ein gurrendes Geräusch hervor, wie beim Entweichen von Darmgasen. In derselben Grenze, wie durch die Palpation grenzt der Tumor auch für die Percussion sich durch leeren Schall seitlich und nach oben gegen den ausserhalb derselben wahrzunehmenden Darmton ab. Aber der leere Schall besteht nur am U'mfang des Tumor ! y„ — 2 Zoll breit, die ganze mittlere Parthie desselben giebt hellen , auffallend hohen, wenig tympanitischen Schall. Die Auscultation lässt weder Kin- desbewegungen noch Herztöne vernehmen. Rechts nahe der Inguinal- gegend ist ein mit dem mütterlichen Pulse isochronisches Sausen zu- weilen vernehmbar, ausserdem über dem grössten Theil des Tumor die Pulsation der Aorta. Die innere Untersuchung zeigt eine ziemlich schlanke , feste Vaginalportion , deren Muttermund , für die Spitze des Fingers zugänglich, einige narbige Einkerbungen zeigt. Höher oben ist der Cervicalcanal geschlossen. Gelblicher klumpiger Schleim fliesst ziemlich reichlich aus dem Muttermunde. DieVaginalportion steht ziem- lich in der Mitte des Beckens , vor derselben im vordem Scheidenge- wölbe fühlt man vermehrte Resistenz, doch kann bei der gegen tiefen Druck bestehenden Schmerzhaftigkeit nicht erkannt w^erden, ob etwa Eine Extrarsterinscliwangcrschaft. 383 der Körper des Uterus oder ein Kindestheil derselben 7ai Grunde liegt. Ausser der Emptindlichkeit gegen Druck klagt die Kranke heftige spon- tane Schmerzen, welche vom Kreuze ausgehend mit zwischenliegenden Intervallen starker auftreten, und von der Kranken als wehenartig be- zeichnet werden. Von Contractionen ist an dem im Bauche gelegenen Tumor keine Spur nachzuweisen. Erbrechen ist im Laufe des Tages wiederholt eingetreten, Stuhlgang, in den ganzen letzten Monaten hart und oft sehr schmerzhaft, war seit 4 Tagen nicht da. Sonach konnte es für jetzt nur als wahrscheinlich hingestellt wer- den, dass die K. schwanger sei und zwar etwa 28 Wochen. Als höchst wahrscheinlich ferner musste es nach dem Resultate der Untersuchung scheinen, dass der Uterus bei einer etwa vorhandenen Schwangerschaft nicht betheihgt war; als höchst wahrscheinlich ferner, dass, wenn Seh \\ angerschaft bestand, das Kind todt war. Sicher war, dass eine Geburt nicht im Gange war, sicher ferner, dass eine Peritonitis bestand und dass die untere Hälfte des Bauches ein Tumor einnahm, dessen In- halt zum Theil aus Luft bestand. Es wurde Opium per os und im Kly- stier gereicht und warme Umschläge über den Leib gemacht. Am Morgen des 26. war die Temperatur auf 29, 7, der Puls auf 88 heruntergegangen, die spontanen Schmerzen waren geringer, die Empfindlichkeit gegen Druck bestand in gleicher Weise fort, wie über- haupt das Resultat der Innern und äussern Untersuchung genau das- selbe war. In den nächsten Tagen wechselten die Erscheinungen wenig. Puls ging nicht unter I 00, Temperatur nicht unter 30,6. Erbrechen wieder- holte sich einige Male, Stuhl erfolgte ganz gering am 28., als wegen heftigen Drängens zum After ein Seifenzäpfchen applicirt worden war. Da bei verminderter Empfindlichkeit des Leibes jetzt ausgiebigere Palpa- tion möglich geworden war, wurden durch innere und äussere Unter- suchung ballotirende Kindesthcile mit Bestimmtheit erkannt und somit das Bestehen der Schwangerschaft festgestellt. Am 29. stellte sich etwas blutige Absonderung aus dem Uterus ein ; bei der Untersuchung zeigte sich der Cervicalcanal weit, für den Finger durchgängig, so dass es gelang, einen Finger bis auf S'/j Zoll in den Uterus einzuführen. Die Richtung des Cavum uteri entsprach der Beckenaxe und auf 272 Zoll Entfernung vom Orificium uteri fand der Finger einen fest elastischen Widerstand ; nach rechts und links von demselben schien der Raum sich weiter hin zu erstrecken, während nach vorn und hinten hin der entgegenstehende Körper als in die hintere und vordere Uteruswand übergehend mit Bestimmtheit erkannt werden konnte, so dass es keinem Zweifel unterlag, dass der tastende Finger die leere Uterushöhle bis 384 ß- S. Schultze, zum Fundus hin durchmessen hatte. Somit war auch die Leerheit des Uterus und also das Bestehen der Extrauterinschwangerschaft con- statirt. Dem blutigen Ausfluss aus der Gebärmutter mischten sich mehr und mehr deciduaähnliche Fetzen bei, der Ausfluss wurde reichlicher, durchaus lochienartig. Am 31. stellte sich eine Blutung von mehreren Unzen ein. Später wurde der Ausfluss übelriechend , von der Farbe zersetzten Blutes ; seit den ersten Tagen des Januar eitrig, bis er gegen Mitte Januar ganz verschwand , während gleichzeitig der Cervicalcanal enger, die Vaginalportion fester wurde, so dass der Muttermund jetzt ein etwas eingekerbtes Grübchen darstellte. Währenddem hatte sich der Befund am Bauche wenig verändert, die spontanen Schmerzen waren sehr wechselnd gewesen, die Empfind- lichkeit gegen Druck war in der rechten Seite fast geschwunden, wäh- rend sie in der linken fortbestand. Erbrechen hatte sich selten wieder- holt ; reichlicher meist fester Stuhlgang stets ohne alle fremdartige Beimischung war mehrmals dagewesen; Appetit war gering; Schlaf durch die Schmerzen häufig gestört. Einmal am 30. December war ein Frost mit Temperatur von 31,4 dagewesen, ein ziemlich bedeutendes schmerzhaftes Oedem der ganzen linken untern Extremität hatte sich eingestellt und Patientin war bedeutend abgemagert. In der zweiten Hälfte des Januar traten häufig diarrhoische Stühle, zum Theil von sehr übelriechender Beschaffenheit ein, ohne dass jedoch je Bestandtheile, die auf den Fötus zu beziehen gewesen wären , sich darin hätten nachweisen lassen. Aufstossen von fauligem Geschmack plagte die Patientin oft. Das Oedem des linken Beines nahm l)edeutend zu. Auch an der linken Schamlippe stellte sich ein schmerzhaftes Oedem ein, geringeres Oedem trat am rechten Fuss und Unterschenkel, sowie an der rechten Schamlippe auf. Die Temperatur stieg häufig über 31, erreichte am letzten Januar 32,3. Abmagerung und Kräfte- verfall erreichten einen ziemlich hohen Grad. Ein geringer Decubitus rechts neben dem Kreuzbein, später auch links stellte sich ein. Zu be- merken ist dabei, dass die Kranke mit angezogenen Schenkeln im Bette zu liegen pflegte, ohne von der Lage auf der einen oder andern Seite besondere Erleichterung für ihre Schmerzen zu finden. Der Tumor im Leibe, welcher dauernd hellen Darmton gab, hatte sich verkleinert und lag mehr links, feste Theile in demselben waren deutlich durchzufühlen, wie auch im Scheidengewölbe feste Theile, minder beweghch als früher, deutlich erkannt werden konnten. In der Behandlung war nichts We- sentHches verändert worden, die warmen Umschläge, welche die Schmerzen linderten, wurden ohne Unterbrechung fortgesetzt. Ebenso wurde täghch mehrmals wie früher per os und im Klystier Opium dar- Eine Extrauteriiischwangerschaft. 385 gereicht, jedoch ohne dass auf die Wiederkehr der Diarrhoen auch nur ein vorübergehender Erfolg davon wiire zu bemerken gewesen. Eine Zeit lang , als wiederholte Froslanfälle die Entwickelung einer Pyäniie anzukündigen schienen, wurde Magnesia sulfurosa gereicht. In den ersten Tagen des Februar stellten sich im Befinden keine wesentlichen Veränderungen ein. Temperatur war morgens meist nor- mal, abends selten über .31 ; Schmerzen waren sehr wechselnd. Diarrhoen dauerten fort. Um die Mitte des Februar jedoch traten erhebliche Ver- iindei'ungen des Zustandes ein , welche als günstig aufgefasst werden mussten. Die Schmerzen verminderten sich und traten selten auf, so dass nachts der Schlaf meist ungestört war. Der Appetit besserte sich, der Verfall der Kräfte nahm nicht zu, die Diarrhoen hörten auf und da- bei zeigte sich, dass der Tumor sich noch mehr verkleinerte; seine obere Grenze stand 2 Querfinger unter dem Nabel; die rechte Grenze v^ar bedeutend näher der Linea alba gerückt, während nach links hin der Tumor prominirle, für Druck noch schmerzhaft war, harte Theile mit Sicherheit durchfühlen Hess und wie früher bei derPercussion hellen Darmton gab. Auch im straiVgespannten vordem und hintern Scheiden- gew ölbe liegt der Tumor mit grösserem Gewicht als früher auf, von hier aus gegen Druck nicht schmerzhaft, nicht beweglich, doch lässt sich vom Bauche her auf den Tumor ausgeübter Druck am Scheidengewölbe wahrnehmen. Die schlanke, feste, fingergliedlange mit grübchenför- migem Muttermund versehene Vaginalportion zeigt dagegen keine Fort- leitung des auf den Tumor ausgeübten Druckes. Seit dem 1 8. Februar begann etwa 5 Gtm. unterhalb des Nal)els, dicht links neben der Linea alba die Bauchhaut sich im Durchmesser etwa von 1 Gtm. kuglig hervorzuwölben. Die Stelle röthete sich, wurde schmerzhaft und in der Nacht auf den 6. März, nachdem schon Tags zuvor die Haut auf der Höhe der Wölbung sich sehr verdünnt hatte, brach dieselbe in der Grösse eines Milhmeters auf und lies langsam eine erhebliche Menge dünner, bräunlicher, mit Luftblasen gemischter, stark fäculent riechender Flüssigkeit aus. Schmerzen wurden dabei ausser gelindem Brennen in der Haut nicht empfunden. Weder Speisereste noch Bestandtheile des Fötus konnten mit Bestimmtheit in der aus- fliessenden Flüssigkeit nachgewiesen werden; viel Detritus und spär- liche Eiterkörperchen waren die wenigen festen Bestandtheile der aus- fliessenden Jauche , welche in den nächsten Tagen ihren fäculenten Geruch verlor und dicker, eitriger wurde. Am 10. März wurde unter Chloroformnarkose eine Sondenunter- suchung durch die Bauchwand, M'ie auch durch den Uterus angestellt. Dreiviertel Zoll einwärts von der Oberfläche der Haut stiess die Sonde 386 ß- ''^- Schtiltze, auf rauhe, platte Knoclienflächen , welche in ziemlich weiter Ausdeh- nung bestrichen werden konnten. Der Uterus Hess die Sonde ohne Beschwerde in normaler Richtung auf Sy» Zoll ein. Die Sonde konnte nach allen Richtungen hin in geringer Ausdehnung frei bewegt werden ; nach links hin stiess sie ebenfalls auf rauhe Knochenflächen und ihr Knopf glitt an denselben mit grosser Leichtigkeit auf weitere 2 '/„Zoll in der Richtung nach oben hin, auf allen Seiten rauhe Knochen- flachen streifend. Druck auf den Tumor vom Bauche her theilte der Sonde deutliche Bewegung mit. Der Knopf der Sonde befand sich etwa in gleicher Höhe mit der Abscessöffnung am Bauche, begegnete jedoch nirgends der von hier aus entgegengeführten zweiten Sonde. Die Blase entleert bei Einführung des Catheters in Absätzen ziemlich viel Urin, welcher wie in der ganzen bisherigen Beobachtungszeit nor- male Beschaff'enheit zeigt. Der Catheter kann hinter der Bauchwand einen Zoll hoch über den obern Rand der Symphyse, im vordem Schei- dengewölbe bis zur Vaginalportion hin frei und ohne Schmerz geführt werden, überall glatte Schleimhautfläche tastend. Es muss in Bezug auf die Uterusuntersuchung noch erwähnt werden, dass seit der oben beschriebenen lochienartigen Absonderung und dem darauf erfolgten Schmäler- und Festerwerden der Vaginalportion keinerlei Ausfluss aus den Genitalien stattgefunden hatte und auch in der Folgezeit nicht eintrat. Obgleich nun nach diesem Resultate der Untersuchung von zwei Seiten her die Fötusknochen direct zugänglich waren und obgleich bei der offenen Conununication der den zersetzten Fötus enthaltenden Höhle mit der Atmosphäre die Aussicht auf eine Heilung derselben ohne vor- gängige Entfernung der Fötus sehr wenig für sich hatte, so konnte doch ein operativer Eingriff jetzt nicht gelioten erscheinen, da namentlich der Ernährungszustand und das ganze Allgemeinbefinden in den letzten Wochen merklich sich gehoben hatten. Es wurde übrigens die Untersu- chung in ganz gleicher Weise am 13. wiederholt, es wurden wiederum vom Uterus, wie vom Bauche aus die Fötusknochen mit der Sonde er- reicht, doch waren dieselben in geringerer Ausdehnung zugänglich, die Sonde begegnete in beiden Richtungen mehr wie früher weichen Massen, dabei war die Eiterung dicker und spärlicher geworden , der Appetit besser, so dass für die vorhin aufgestellte Indication des Abwarlens nur eine Bestätigung daraus entnommen werden konnte. Den ganzen März hindurch war der Zustand der Kranken in der That ein durchaus befriedigender , die Eiterung eine massige , die Schmerzen gering, der Schlaf gut, die Verdauung ungestört und das vorher geschwundene Fettpolster begann sich zu ersetzen. Eine Extrauterinschwaiigerscliaft. 387 Am 3. April gingen beim Urinlossen ohne besondere Beschwerden eine Rippe (wahrscheinlich linke zwölfte) und ein Wirbelkörper ab. Bei der darauf vorgenommenen Untersuchung mit dem Catheter zeigte sich eine Perforation der hintern Blasenwand, durch welche man auf rauhe Knochenflächen gelangte. Seit dieser Zeit zeigte der Urin ein ziemlich erhebliches eitriges Sediment. Am ö. April ging durch die Urethra ein Wirbelkörper und ein Bogenstück ab; am 7. April wieder ein halber Wirbelbogen; am 9. April mehre Phalangenknochen, Wirbelkörper, Bogenstücke und Metatarsalknochen. Alles ohne Beschwerden für die Kranke, deren Befinden sich zusehends bessert. Die an diesem Tage wie- der vorgenommene Untersuchung mit der Uterussonde lasst dieselbe auf SYa Zoll eingehen, links am Gebürmuttergrunde schlüpft dieselbe durch eine enge Oeffnung und gelangt dahinter auf rauhe Fötusknochen. In den nächsten Tagen gingen noch zahlreiche kleine Knochen durch die Urethra ab, selbst eine grössre Rippe, ohne Beschwerden zu verur- sachen. Die Knochen haben alle eine Grösse und ein Verknöcherungs- stadium, wie sie einem 28 — 30 v, öchentlichen Fötus zukommen. Gegen Ende April stellte sich häufig brennender Schmerz beim Urinlassen und auch ausser der Zeit in der Blasengegend ein. Die Untersuchung der Blase mit dem Catheter lässt breite rauhe Knochen- flächen an der hintern Wand und am Scheitel der Blase erkennen, während die Uterussonde auf SVaZoll eingeführt auf Fötusknochen nicht mehr stösst. Beim Abgang kleiner Fötusknochen durch die Harnröhre steigern sich die Schmerzen mehr und mehr, einige Wirbelbogenstücke und andere kleine Knochen von Harnsalzen stark incrustirt nmssten mit der Pincetle aus der Harnröhre entfernt werden , in welcher sie sich eingeklemmt hatten. Die zur Linderung der Schmerzen in die Blase eingespritzte Milch mit Aq. amygd. amar. quillt aus der Bauchfistel hervor; auch der Urin, wenn die Kranke dem Drang ihn zu lassen, nicht sofort nachkonunl , schlägt denselben Weg ein und die Kranke, deren Befinden durch die häufigen Schmerzen wieder mehr zu leiden ])eginnt, obgleich die Temperatur stets unter 30 bleibt, klagt, wenn sie sich im Bette aufsetzt, über das Gefühl »als stiessen Scherben im Leibe zusammen«. Am 7. Mai zeigen sich dem Urin ausser reichlichem Eiter auch Blutcoagula beigemengt. DieSchmerzen steigern sich von da an bedeu- tend. Die Nächte auf den 12. und 13. bringt die Kranke schlaflos, wimmernd und stöhnend zu, der Urin, der trotz fortwährend schmerz- haften Dranges durch die Urethra nicht abfliesst , sickert sämmtlich aus der Bauchfistel hervor und die Untersuchung der Blase ergiebt, 388 B- S. Schultze, dass ein breiter Schädelknochen mit rauher Oberflache unmittelbar über dem Orifieium urethrae vesicale gelegen ist. Unter diesen Umständen musste natürlich die künstliche Entfer- nung der Fötusknochen dringend geboten erscheinen. Blase undFötus- sack stellten ein offen communicirendes Gavum dar und es musste die Frage sich aufwerfen, ob es schonender sein würde durch die künst- lich zu erweiternde Harnröhre, durch's Scheidengewölbe und den Bla- sengrund oder durch die Bauchdecken der Zugang zu den Fötuskno- chen zu bahnen. Der die gegenwärtigen Beschwerden verursachende Knochen war jedenfalls vom Scheidengewölbe leichter zu erreichen, aber der Zugang zu den übrigen Knochen, deren spontanes Herabtreten doch wohl nicht abzuwarten war, und die Entfernung derselben aus ihrer gegenwärtigen Lagerstätte musste von der Vagina aus grosse Schwierigkeiten finden. Wäre die Entfernung wirklich gelungen, so würde nun der Fötussack und die Blase der freien Communicalion mit der atmosphärischen Luft durch die Bauchfistel ausgesetzt geblieben sein und hätte man diese kleine Oeffnung auch behufs Abhaltung der atmosphärischen Luft verschliessen können, so würde doch schliesslich die Integrität der Urinwege eine vielleicht nicht wieder zu beseitigende Störung erlitten haben. Der Extraction vom Bauche her musste ent- schieden der Vorzug gegeben werden, selbst wenn nicht, wie wiegen der monatelangen Peritonitis in Aussicht stand, eine Eröffnung des Peritonäalca\um vermieden werden konnte. Nachdem Patientin chloroformirt worden und auf einer Matratze bequem gelagert war , dilatirte ich auf der Hohisonde die Bauchfistel nach abwärts, so dass ein Finger eingebracht werden konnte und trennte auf demselben die Bauchdecken in der Länge von etwa 2 Zoll in der Richtung der Linea alba. Die Bauchdecken waren auf der Schnittfläche einen Zoll stark. Die Blutung war gering. Auf 2 Fingern geleitet wurde nun eine starke Polypenzange durch die Wunde hinabgeführt. Die Knochen sassen sämmtlich ziemlich fest der Wand des Sackes an, so dass es einiger Kraft bedurfte, die einzelnen mit sorgfältig hebelnden Bewegungen flott zu machen. Nacheinander wurden auf diese Weise die meisten noch fehlenden Knochen des Rumpfes, die sämmtlichen Extremitätenknochen mit Ausnahme derer des linken Vorderarmes und einige Schädelknochen , wie Schläfenbeine , Felsenbeine , Unterkiefer, Jochbeine extrahirt, auch das auf dem Blasenhals liegende mit Harn- salzen sta'rk incrustirte linke Stirnbein. Die übrigen Knochen, nament- lich die Scheitelbeine und das Hinterhauptbein adhärirten so fest der hintern Wand des Sackes und die zufühlendenFinger gewahrten so dicht Eine Exfranterinschwangerschaft. 389 dahinter die Wirbelsäule und die gefahrdrohend pulsirende Aorta, dass es nicht gerathen schien, deren Extraction zu forciren. Die Operation wurde daher nach 1 Ys stündiger Dauer unterbrochen. Blutung fand fast gar nicht statt. Reinigende Injectionen von der Harnröhre her spülten noch zahlreiche nekrotische Gewebsfetzen aus der Bauchwunde hervor. Die Operirte, deren Puls während der Operation etwas klein geworden war, erholte sich von der Chloroformnarkose nur langsam, fühlte sich dann aber wohl, zeigte einen Puls von 88, eine Temperatur von 30,1. Gleicher Zustand war abends; nachts ziemlich ruhiger Schlaf und die folgenden Tage ausser Brennen in der Bauchwunde nicht viel Beschwerden. Drang zum Urinlassen fand nicht statt, die Einführung des Catheters, welche alle 2 Stunden behufs reichlicher Injection war- men Wassers ausgeführt wurde, war schmerzhaft, doch wurde das Bren- nen in der Wunde, welche sich bald mit einem grauweissen Beleg von Harnsalzen überzog, jedesmal durch die Injection auf längere Zeit ge- lindert. Bei Einführung des Catheters wurde jedesmal sorgfältig dar- auf geachtet, dass nicht durch das Ausfliessen von Urin Lufteintritt durch die Bauchwunde stattfand. Der durch die Injection ausgespülte wie auch in der ganzen Zwischenzeit ziemlich reichlich aus der Bauch- wunde überfliessende verdünnte Urin wurde durch seitlich neben der Wunde angebrachte Scliwämme und Tücher aufgefangen. Am 4. Tage nach der Operation, am IG. abends, trat ein heftiger Schüttelfrost mit bedeutendem Collapsus ein. Puls stieg auf 1 40, Respiration auf 50 in der Minute, Temperatur auf 32,8. Patientin klagte über heftige Schmerzen an der hintern Wand der Bauchhöhle ; Druck auf die Bauchdecken war nirgends schmerzhaft. Gegen Morgen Hessen die Schmerzen etwas nach, es stellte sich Schlaf ein , der ganze Sturm der Symptome beruhigte sich und in der ausgespülten Flüssigkeit, welche bis dahin eine hellbräunliche mit nekrotischen Flocken ver- mischte Beschallenheit und starken ammoniakalischen Geruch hatte, zeigte sich reichlich Eiter. Am Mittag des folgenden Tages wiederholte sich der Frost mit Puls von 140, Temperatur von 32,2; doch am 18. früh fühlte sich Patientin mit einer Temperatur von 30,2 wieder ziem- lich wohl. Die Eiterung im Sacke vermehrte sich, auch die breiten Flächen der Schnittwunde zeigten Eiterung und Granulation. Nachdem bisher Stuhlgang seit derOperation nicht dagewesen war, wurde wegen heftigen Drängens zum Stuhl ein kleines Klystier gesetzt. Es folgte mit grosser Erleichterung ein reichlicher ziemlich fester Stuhl und während desselben trat eine kleine Blutung im Sacke auf. Da auch die folgenden Tage das Befinden bei fast normaler Tem- 390 B. S. Schultzc. peratur leidlich blieb, hiiufiges Driingen zum Stuhl abgerechnet, da die Knochen in der Tiefe des Sackes mit der Sonde als etwas beweglicher erkannt werden konnten , auch ein Wirbelbogen und ein Phalangen- knochen mit der Ausspritzung herausgespült worden, so wT^irde am 21. nachmittags zur Vollendung der Operation geschritten. Die 5 Ctm. lange Wunde war durch die Granulation bereits etwas verengt und gerade die breitesten Knochen waren noch in der Bauchhöhle zurück. Es wurde daher, wiederum in der Chloroformnarkose, zunächst die Bauch wunde auf 7 Ctm. nach abwärts verlängert, dann auf dieselbe Weise wie voriges Mal auf dem Finger geleitet die Zange eingeführt. Die breiten Schädelknochen waren in der Thal an ihrer Lagerstätte seit dem 13. weit lockerer geworden , dieselben wurden durch die Bauch- wunde, welche ihnen eben den Durchgang gestattete, entfernt. Einige Schwierigkeit und besondere Sorgfalt erforderte die Entfernung der noch zurückgeJ)liebenen Knochen des linken Vorderarmes, welche links neben dem letzten Lendenw irbel in grössrer Tiefe als alle bisher ent- fernten Knochen eingebettet waren. Nachdem der lastende Finger sich überzeugt hatte , dass an keiner Stelle des Sackes ferner Knochen zu Tage lagen, auch aus der Liste der bereits abgegangenen und extrahir- ten Knochen sich ergab, dass bis auf einige kleine Knochen, welche entweder unbeaclitet abgegangen sein konnten, oder deren späterem Aljsiang selbst nach geschlossener Wunde die Harnröhre den Durchgang nicht versagen konnte, die Skelettheile vollständig vorlagen, wurde die Operation als beendigt betrachtet. Das Befinden der Kranken war wie nach der ersten Operation, Puls 8i, Temperalur 29. Die Kranke fühlte sich wolil. vVuch die folgenden Tage ])estand völliges Wohlbefinden der Kranken ausser häufigem Drängen zum Stuhl und öfterem Brennen in der Wunde zur Zeit , wo die zw eite Stunde nach der Ausspülung des Sackes ablief. Der Eitergehalt der ausgespülten Flüssigkeit trat zurück gegen die Beimischung sehr kleiner zahlreicher Blutgerinnsel; am 24. wurde noch ein Phalanxknochen, am ib. drei kleine Phalanx- und Miltelhandknochen und am 27. zwei Phalanxknochen mit ausge- spült. Der Schlaf war gut, ebenso der Appetit, und die Ernährung fing an , sich zu heben ; öfter w iederholte Bäder thaten der Kranken sehr wohl. Der Drang zum Stuhl stellte sich nach und nach seltner ein. Da die Knochen des einen Unterarms dicht neben dem Bectuni gelegen haben mussten, so musste der in letzter Zeit besonders heftig aufgetre- tene Drang zum Stuhl mit diesem Umstand in Beziehung gebracht w erden, und da über den Verbleib der zugehörigen Mittelhand- u. Phalangenkno- chen nicht Ausreiciiendes bekannt war, so wurden die alieehenden Fäces Eine Extrauteniischwangerscliiift. 391 stets sehr genau untersucht, doch ohne dass bis jetzt nur verdächtige Körpersich in denselben vorgefunden halten. Am 31. ereignete sich ein komischer Vorfall. Mit vorausgehendem heftigen Drängen und mit Schmerz beim Durchgang waren im Stuhl eine Anzahl kleiner Knochen abgegangen, deren Auffindung sofort gemeldet wurde; dieselben erwie- sen sich als einer tags vorher genossenen Taube angehörig. Am 1 . Juni stieg die Temperatur bei leichtem Frostgefühl über das Normale. Darnach traten Schmerzen in der rechten Lenden- und Nierengegend ein, ruckweise sich bedeutend steigernd; Uebelkeit, Er- brechen, Wiederkehr des Frostes, bleiches verfallenes Aussehn ,^^ ohne dass iniAussehn der Wunde und in der Beschaffenheit der ausgespülten Flüssigkeit eine Veränderung eingetreten wäre. Druck auf die Nieren- gegend vom Bauch und der Lendengegend her macht Schmerz. Die Resultate der Percussion weichen nicht vom Normalen ab. Die Schmer- zen und das Erbrec;hen werden etwas gelindert nach wiederholter Dar- reichung von Opium; doch war nachts wenig Schlaf, der Puls stieg am andern Morgen auf 104, abends 124, Temperatur morgens 32, abends 32,2. Die Untersuchung des Unterleibes ergiebt durchaus keine Ver- änderung gegen früher, die Untersuchung der Brust nichts Abnormes; dagegen vermindert sich im Laufe des Tages ganz erheblich die Menge des aus der Bauchwunde fliessenden Urins, so dass es sogar, um Luft- eintritt durch die Wunde zu verhüten, mehrmals nöthig wird, war- mes Wasser vom Bauch her nachzufüllen. Die im Sack enthaltene Flüs- sigkeit verbreitet einen starken Ammoniakgeruch und die Bauchdecken rings um die Wunde schwellen ödematös. Kopfschmerz, Schwindel, Flimmern vor den Augen , Gestaltensehen sobald Patientin die Augen schliesst, stellen sich ein und Erbrechen wiederholt sich öfters. Tags darauf sinkt die Temperatur wieder auf 31 bei Forlbestehen aller ge- nannten Symptome. Gegend Abend, nachdem ein warmes Bad gege- ben worden, vermehi't sich etwas der Urinabfluss aus der Wunde, mehr noch am 4. morgens, wo die Temperatur wieder auf 30,1 herabgegan- gen ist. Doch schon am 5. steigt Temperatur wieder auf 31, abends auf 32,1 ; gelbliche Färbung der Haut und Conjunctiva stellen sich ein, Sen- sorium der Kranken ist sehr benomme«, der Kräfte verfall gross und der Ammoniakgeruch der in geringer Quantität aus der Wunde fliessen- den Flüssigkeit sehr stark. Der Percussionston in der rechten Lenden- gegend ist kürzer. Zur Minderung des überaus starken Ammoniak- geruches werden mit Erfolg Tücher mit Lösung von Magnesia sulfurica getränkt , über die Wunde gelegt. Die Bäder werden wiederholt, Eis, Wein, Selterwasser werden gereicht und da alle Nahrung entweder Bd. I. 3. 26 392 B- S. Schnitze, verweigert oder ausgebrochen wird, von Zeit zu Zeit kleine Klystiere abwechselnd von Bouillon und Eigelb applicirt. Bis zum 1 1 . gehen zwar Temperatur und Puls nach und nach auf die normale Höhe zurück, doch blieben die urämischen Erscheinungen in ziemlich unveränderter Stärke dieselben. Stuhl erfolgte wiederholt unwillkürlich im Schlafe, der Kräfteverfall wurde sehr bedeutend, von neuem stellte sich eine erbsengrosse Decubitusstelle ein und der Per- cussionsschall blieb dauernd zwischen Nabel und rechtem Hüftbein- kamm etwas gedämpft. Seit dem 12. wurde der Kopf freier, Schlaf und Appetit besser, Speise wurde wieder angenommen und blieb bei der Kranken. Stuhlgang erfolgte normal. Der Urin hatte seinen ammo- niakalischen Geruch verloren, floss wieder reichlicher, die Schnitt- flächen der Wunde, deren Granulationen schlaff geworden und mit Ammoniaksalzen incrustirt waren, reinigten sich, granulirten üppig und näherten sich einander bedeutend. Die hintere Wand des Fötussackes näherte sich ebenfalls mehr und mehr der Wunde, herab- und nach vorn gedrängt durch darüber gelagerte Darmschlingen, deren Bewe- gungen durch die dünne glatte W\nnd des Sackes fast ununterbro- chen sehr deutlich zu beobachten waren. Roborirende Speise und Trank, sowie Ferr. lact. wurden gut ertragen und nach den häufig wiederholten warmen Bädern fühlte sich Patientin erheblich erquickt. Der Decubitus ist völlig geheilt. Die Granulationen verengten die Wunde in kurzer Zeit so bedeutend, dass die Kranke bei der Injeclion durch die Harnröhre Drängen auf den Urin empfand ; da ausserdem die Eite- rung im Sack fast völlig aufgehört hatte und da auch Brennen in der Wunde nicht mehr eintrat wenn die Wasserinjection längere Zeit un- terblieben war, so wurden die Injectionen seltner gemacht und dann ganz fortgelassen. Zuweilen stellte sich Drängen zum Urin ein, welches den Ei"folg hatte, dass aus der kleinen Oeffnung der Bauchwunde der Urin hervorquoll ; durch die Urethra ging Urin spontan nur während des Stuhlganges ab. Die Urinentleerung wurde durch den Catheter be- wirkt und während derselben, um Lufteintritt zu verhüten, die Bauch- wunde unter Wasser gesetzt. Am Abend des 20. stellte sich plötzlich in der linken Nierengegend derselbe Schmerz ein wie früher in der rechten, gleichzeitig Uebelkeit, Kopfschmerz ; Erbrechen trat nicht ein, aber die übrigen urämischen Symptome in gleicher W^eise , nur geringer als zu Anfang des Monates, bildeten sich wieder aus. Wiederholle Frostanfälle traten auf mit Stei- gerung der Temperatur bis gegen und über 32", die linke Nierengegend wurde sehr empfindlich gegen Druck, Dämpfung daselbst war nicht vorhanden, aber der Leib im Ganzen etwas aufgetrieben. Der Urin, Eine Extraiiterinscliwangerscliaft. 393 dessen Menge sich wieder erheblich verminderte, zeigte \vieder starken Ammoniakgeriich und als er vom 24. an wieder reichlicher wurde, bedeutendes eitriges Sediment. Am 24. passirte noch ein stark mit Harnsalzen incrustirter Wirbelbogen die Urethra und nachdem am 25. die Temperatur noch einmal auf 32, 1 gestiegen war, schwankte die- selbe vom 26. an in fast normalen Grenzen. Die urämischen Erschei- nungen schwanden nach und nach, die Schmerzen und die Empfind- lichkeit gegen Druck in der Nierengegend ebenfalls. Schlaf und Appe- tit stellten sich in normaler Weise ein und der Kräftezustand hob sich zusehends von Tage zu Tage bei nährender Diät, Eisengebrauch und Bädern. Die Wunde hatte sich am 28. definitiv geschlossen, das Eiter- sediment im Urin verlor sich nach und nach und mit demselben der vorherbestandene geringe Eiweissgehalt desUrines. Seitdem die Wunde geschlossen, empfand Patientin bei Anwesenheit einer beträchtlichen Urinmenge Drang, doch war sie nicht im Stande, den Urin zu lassen ; derselbe wurde vielmehr ohne Beschwerde für die Kranke mit dem Catheter entleert. Erst als Patientin am 4. Juli zum zweiten Male das Lager auf kurze Zeit verlassen hatte, stellte sich das Vermögen, den Harn w illkürlicli zu lassen wieder ein und besteht seit jener Zeit ohne Unterbreclumg fort. Die Reconvalescenz wurde noch durch nach einander auftretende Entzündung der Nagelbetten der linken und der rechten grossen Zehen verzögert, so dass Patientin erst in der Mitte des August als geheilt aus der Anstalt entlassen werden konnte, nachdem zuvor noch am 16. Juli das mit Harnsalzen incrustirte linke Sitzbein die Harnröhre passirt hatte und nachdem am 1 0. August auf 3 Tage ohne erhebliche Beschwerden die Regel zum ersten Male wieder eingetreten war. Am I . September erkrankte Patientin von neuem mit heftigen Schmerzen in der linken Nierengegend und mit dem ganzen Bilde der vorhin geschilderten Krankheitserscheinungen. Die Schmerzen hielten dieses Mal länger an, doch war der Kräfteverfall nicht so bedeutend und von Mitte September an erfreut sich die K. eines fast ungetrübten Wohlbefindens. Schmerzen im Leibe traten ab und zu noch auf, doch von gerin- ger Intensität und verloren sich stets bald, wenn Patientin sich ruhig verhielt. Oedem des linken Beines ist von Zeit zu Zeit noch aufgetreten, doch verlor sich auch das stets bald, wenn Patientin das Bein einige Zeit hochlagerte. Die Regel ist seitdem mit geringen Schmerzempfin- dungen, geringern als die Patientin vor der Schwangerschaft empfun- den hat, in nicht ganz regelmässigen Intervallen eingetreten; ein Mal 26* 394 B- S. Scliiiltze, nach 3, einige Mal nach 5, die letzten Male ziemlich genau nach 4 Wo- chen : sie ist spärlicher wie früher und dauerte nie über 3 Tage. Die letzte Untersuchung der Küchler am 9. Juni 1864 zeigte eine kräftige, wohlgenährte Person von gesunder Hautfarbe und sehr reich- lichem Panniculus adiposus. In der Linea alba 5 Ctm. unterhalb etheiligt war, ist dagegen eben wegen der eingetretenen Perforation desselben höchstwahrschein- lich. Auch die Annahme einer ursprünglichen, gewöhnlichen Tuben- 398 B- S- Schnitze, Eine Extrauterinschwaiifferscliaft. Schwangerschaft mit Ruptur in der 7. Woche und abdominaler Weiter- entwickkmg der Frucht könnte aus dem Verlauf des Falles manche Stütze entnehmen, aber dabei bliebe immer wieder die Perforation des Uterus unerklärt, man müsste denn annehmen, die Berstung der Tube wäre ganz nahe am Uterus oder im Bereich von dessen Substanz er- folgt, und diese Annahme würde eben dahin führen, was mir als das Wahrcheinlichste vorkommt, nämlich zu der Vermuthung einer Tubo- uterinschwangerschaft, wo dann die Präsumtion einer früher erfolgten Berstung, für die aus der Anamnese keine rechten Belege zu entnehmen sind, überflüssig würde. Ich kann natürlich der Annahme einer linksseitigen Tubo- uterinsch wangerschaft für den vorliegenden Fall keinen grösse- ren Werth als den einer Muthrnassung beilegen , da durch den günsti- gen Ausgang desselben der anatomische Nachweis zum Heil der Betrof- fenen auseeschlossen ist. Kleinere Mittheilu iigen. Neuropathologische Notizen. Von C. Gerhardt. Nachdem ich im vorigen Hefte dieser Zeitschrift gezeigt habe, dass die Pupille durch elektrische Reizung des Halssympathicus erweitert werden kann , lasse ich hier einige pathologische Fälle folgen, in welchen vom Halssympathicus oder vom Trigeminus aus eine abnorme Innervation der Iris stattfand. Ueber die Pupillenenge bei Compression des Halssympathicus oder vielmehr der sympathischen Fasern, die aus den vorderen Wurzeln der beiden obersten Dor- salnerven stammen (Bekxard), liegen bereits mehrfache auf Struma, Aortenaneurys- men oder Krebsgeschwülste des hintern Mediastinalraumes bezügliche Mittheilungen vor, so von Gairdner, Williamson und Pollock. Meine erste einschlägige Beobachtung bezieht sich auf die von Bouvier als Malum Pottii suboccipitale ausführlich be- schriebene Erkrankung. Ein 22jähriges Dienstmädchen , seit Jahren an scrophulösen Geschwüren an der Haut behandelt, erkrankte auf der Chirurg. Abtheilung am 19/1 64 an einer e c- cema tosen Eruption beider Lider des rechten Auges, des rechten Mundwinkels und Nasenrandes mit Lichtscheu und Thränenträufeln. Am 20/n neue Eccemeruption an der Conjunctiva des rechten Auges. Von da an Schmerzen in der rechten Seite des Halses , heftige Hinterhauptsschmerzen, steife Haltung des Kopfes, Schmerz bei Bewegungsversuchen, Schlingbeschwerden. Am 7/in Frost und Erbrechen , von da an noch stärkere Schmerzhaftigkeit des Halses , Unbeweg- lichkeit des Kopfes, Haltung desselben nach rechts und vorn. Am 25/IV Eröffnung eines apfelgrossen rechtsseitigen Pharyngealabsccsses, aus dem der Eiter im Strahle vorspritzte. Am 26. früh 2 Uhr plötzliche Lähmung aller vier Extremitä- ten, rechts vollständiger als links. Ich sah die Kranke einige Stunden später, das Bild war ein sehr prägnantes: Sprache und Bewusstsein völlig erhalten, Hirnner- ven frei, aber rechts die Pupille etwas erweitert, an den Extremitäten rechts vollständige, links denn doch hochgradige Lähmung, Sensibilität unverän- dert, nur das Gefühl für Kälte und Wärme rechts vermindert. Puls von normaler Frequenz und Völle. Am 27. wurde. um Mittag die rechte Pupille enger als die linke und blieb so von da an. Am 28. früh vorübergehend, abends von 5 Uhr an dauernd starke Injection des rechten Bulbus; bald trat auch eine lebhafte punctirte Röthe der rechten Gesichtshälfte, später der ganzen vordem Fläche der Brust auf. Tod um 8 Uhr. Section : Caries des Proc. condyloi- deus dexter oss. occipit., des Atlas und Epistropheus, Luxation des Zahnfortsatzes 400 • C. Gerliardt, Neuropathologisclics. des letzteren, Erweichung und Impression der entspreclienden Stelle des Markes, vaste Eiterinfiltration der Muskeln der rechten Seite des Halses. Obwohl der anatomische Nachweis der Läsion des rechten Halssympathicus mangelt, ist es klar, dass derselbe (am 27.) erst durch die Eiterung gereizt, dann am folgenden Tage , soweit er der Irisbewegung vorsteht , zuletzt auch in seiner vasomotorischen Function leistungsunfähig gemacht wurde. Ja ich stehe nicht an die wiederholte Eccemeruption am rechten Auge nach Art eines Zoster durch Reizung der mit dem Trigeminus gehenden, vom Halssympathicus stammenden Fasern zu erklären. Der zweite Fall betrifft ein jetzt noch in Behandlung begriffenes umfäng- hches Carcinom der Schilddrüse , dessen aussen und am Larynx ulcerirende Ge- schwulst vom rechten Schlüsselbeine bis zum Unterkiefer und noch stark über die Mittellinie reicht. Die Zunge steht nach der gelähmten Seite, die rechte Pupille ist wenig aber andauernd verengt, was bei schwacher Beleuchtung ,'weiten Pupillen) stärker hervortritt als bei greller. Vom Trigeminus giebt Schiff in seinem Lehr- buche (p. 378) an, dass derselbe bei Kaninchen und Hasen, nicht aber bei andern Säugethieren die Pupille verengere. Indessen ist seither von Brown-Sequard, Wilks u. A. auch für den Menschen aus Beobachtungen von Brücken- und Kleinhirnschen- kelerkrankungen deducirt worden , dass Trigeminusreizung eine rasche und hoch- gradige Pupillenverengerung bewirke. Mir lag daran auch bei Trigeminusneural- gieen auf das Vorkommen dieses Symptomes zu achten. Indessen fand ich bei zahl- reichen und mitunter ausgezeichneten Fällen derart doch nur drei Mal die ge- suchte Erscheinung vor. Namentlich vermisste ich dieselbe in zwei äusserst interessanten Fällen com- pleter Reizung eines ganzen Quintus, welche ausser den gewöhnlichen Zeichen noch erkennen Hessen: Contractur der Kaumuskeln mit fibrillären Zuckungen am Mas- seter, Schiefstand der Uvula nach der kranken Seite und halbseitigen Zungenbeleg. Hier zugleich einige Bemerkungen über die Neuralgie des Quintus. Bei Ver- folgung der von Türck entdeckten Sensibilitätsalterationen fand ich die Tastem- pfindung unverändert in leichten, vermindert in schweren Fällen der Krankheit, nie vermehrt. So empfand eine 65jährige Frau mit Neuralgie aller drei Aeste links zwei Zirkelspitzen, links noch bei 1%, rechts bei 1 '/j Cm. als differente Puncte. Nach zwei Jahren trat ein Rückfall ein und die Messung ergab genau das gleiche Resultat. Bei einem 45jährigen Manne auf der leidenden Seite i %, auf der gesunden ay» Cm. Die Angabe Schiff's, dass in der Ruhe stets die leidende Gesichtshälfte stärker geröthet sei, kann ich vollständig bestätigen ; mehrmals kam es im Schmerz- anfalle zu halbseitigen Schweissausbrüchen auf der kranken Gesichtshälfle ; für die weitere Angabe desselben Forschers, dass bei Fieber oder Aufregung die leidende Seite blasser werde als die gesunde, kam mir kein Beleg vor. Wo die Zunge mit schmerzte kamen leichte Geschmacksalterationen vor. Ob diese mit dem dickern Zungenbe- lege der kranken Seite, den die zwei Kranken selbst bemerkten, zusammenhänge, lasse ich dahingestellt. In je zwei Fällen war der Geschmack für bitter beiderseits gut und gleich, der für süss beiderseits vermindert, wenig oder nicht verändert der für sauer und scharf. Nur in drei Fällen war die Pupille verengt. Der erste derselben, Neuralgie aller drei Aeste am stärksten des dritten war durch gleichzeitige Abducenslähmung als Hirnkrankheit charakterisirt, in den beiden andern waren es Zosterneuralgieen, die zu Grunde lagen. Begreiflicher Weise bekommt man diese nicht häufig zu sehen. Unter neun Fällen von Zoster, die ich hier notirt habe, befanden sich drei der Brust, drei des Oberschenkels, einer des Nackens, zwei des ersten Quintusastes; beide Dr. Cas. Siebert, Eine Eiiterotomie, aiisget'iihrt iii der chir. Klinik zu Jena. 401 waren mit beträchtlicher Verengerung der Pupille verbunden. Beide Zosterfälle hielten genau den Verbreitungsbezirk des ersten rechten Trigeminusastes ein, mach- ten starke ödematöse Schwellung des ganzen Gesichtes zur Zeit der vollen Ent- wicklung des Ausschlages, vorher und nachher heftige Schmerzen im gleichen Be- reiche. Die Pupillenverengerung entstand mit beträchtlicher Injection der Con- junctiva , in dem einen Falle alsbald mit der Eruption der ersten Bläschengruppen, und dauerte mehrere Monate, um sich dann nach und nach zu verlieren. Den zweiten Fall sah ich nur vorübergehend zur Zeil der Decrustation im Ambulato- rium der Klinik. Damals war die Pupillenverengerung sehr deutlich. Da von Baerensprung in seiner ausführlichen Beschreibung des Zoster facialis dieses Sym- ptom nicht erwähnt wird , würde ich dasselbe nicht als ein wesentliches aufzufüh- ren wagen, wenn nicht meine Notizen darüber zu bestimmt vorlägen und die Gründe für das Uebersehen dieses Symptomes sehr nahe lägen : Seltenheit der Krankheit (die Mehrzahl der Fälle B.^erensprung's bezieht sich auf den zweiten Quintusast) und Geschlossensein des Auges wegen Lichtscheu oder Schwellung der Lider. Eine Euterotomie^ ausgeführt in der chirurgischen Klinik zu Jena durch Herrn Geh. Hofrath Prof. Dr. Ried, beschrieben von dem Hilfsarzte Dr. Casimir Siebert. Rosine Fischer, eine 36jährige thätige Maurersfrau, die niemals erheblich krank gewesen, will schon bereits seit einer Menge von Jahren bemerkt haben, dass ihre Darmentleerung nicht nur seltener, sondern auch weniger reichlich eingetreten sei wie früher. Da bei dieser Erscheinung aber gar keine Schmerzen oder andere Be- schwerden vorhanden waren, hat sich Patientin auch an keinen Arzt gewandt und dieselbe nicht weiter berücksichtigt. Sie beobachtete nur, dass obiges Uebel im Verlauf des Sommers dSöS sich steigerte, sie ging blos alle drei bis vier Tage zu Stuhl, wobei sie nach langem und starkem Drücken nur soviel, wie sie sich charak- teristisch ausdrückte, als »eine Henne macht«, entleerte. Im Herbst 63 fühlle sich die Frau, die ordentlich arbeitete und ein Stück Feld und Bergland selbst bear- beitete, öfters zu matt zur Arbeit und konnte nach und nach nur die häuslichen Geschäfte noch besorgen. Schmerz oder Druck im Unterleib bemerkte sie nicht ; der Stuhlgang blieb wochenlang aus und die Portionen wurden immer kleiner, die Mat- tigkeit nahm zu , so dass Patientin anfing bettlägerig zu werden. Bestimmt nun giebt die Frau an, dass vom 10. November v. .1. per anum gar nichts, als manch- mal wenig Wind, abgegangen sei, und dass seil dieser Zeil, aber bestimmt erst seit- dem sich schmerzhaft spannende Gefühle im Unterleib einstellten, dass der Leib anfing stark zu werden, der Appetit sich verlor und die Kräfte rasch abnahmen, so dass von dieser Zeil an die Frau stets zu Bett bleiben musste. Diese Erschei- nungen steigerten sich während dreier Wochen immerfort , und jetzt erst , Aus- gangs November, schickte sie nach Hülfe. Der untersuchende Arzt suchte sofort nach der Ursache der Darmsteno.se. Man fand nur etwa 6 bis 8 Zoll oberhalb des Anus , also ungefähr an der Uebergangs- slelle des Rectum in das S romanum ein selbst für die schwächsten iMastdarmson- den unüberwindliches Hinderniss, man kam nicht durch die verengerte Parthie 402 Pr. Cas. Siebert, hinweg und es konnte also liier keine Luft geschafft werden. Die Untersuchung per vaginam liess deutlich eine grosse Menge von Fäcalmassen durchfühlen und diess Moment zeigte, dass die Ansammlung von Koth so beträchtlich sein musste, dass wohl auf operativem Wege allein Hülfe geschafft werden konnte. Einstweilen wur- den der Kranken schleimige Decocte, Mandelmilch versetzt mit Opium, und Mor- phium in Pulvern gereicht und ihr, als sich nach einigen Tagen nicht nur nichts besserte, sondern alle Erscheinungen sich steigerten, die Anlegung einer künstlichen Abflussöffnung für die Kothmassen vorgeschlagen und von der arg geplagten und resoluten Frau sofort genehmigt. Zum Behuf der Enterotomie kam Patientin am 1 . December v. '. in die chirur- gische Abtheilung des Landkrankenhauses. Die Frau liegt abgemagert, blass, mit schwerfälliger häutiger Respiration auf dem Rücken im Bett. Das ganze Abdomen ist gleichmässig kuglig, wie in den letz- ten Monaten der Schwangerschaft aufgetrieben. Ueberall stark tympanitischer Schall und die Aufl)lähung hat die Bauchdecken derart gespannt, dass nichts durch- zufühlen war. Das Zwerchfell steht an der sechsten Rippe , Bewegungen desselben fast aufgehoben. Puls klein, sehr frequent; die Kranke klagt sehr quälende Schmer- zen und verlangt die Operation. Eine Untersuchung per vaginam und per anum bestätigte die ersten Untersu- chungsresultate vollkommen und deshalb wird gleich zur Operation der künstlichen Afterbildung geschritten. Da nach den vorliegenden Erscheinungen und dem Er- gebnisse der Untersuchung mit ziemlicher Bestimmtheit auf eine Stenose in der Ge- gend des Ueberganges des Rectum in das S romanum geschlossen werden konnte, so glaubte man die Eröffnung des absteigenden Colons wagen zu können und wurde dieselbe am 1. December Mittags */„\ Uhr in folgender Weise ausgeführt. Die Frau wird auf den Rücken, etwas nach der linken Seite hin , gelegt, sie wird chloroformirt und zwar wegen der Respirationsnoth möglichst langsam und vorsichtig. Etwa zwei querfingerbreit innerhalb der Spina anterior superior des linken Darmbeines wurde eine fast verticale Incision von etwa 2*4 Zoll Länge durch die Haut gemacht. Die Bauchmuskeln wurden auf der Hohlsonde getrennt, eine stark blutende Arterie, welche vom Darmbein herkommt, wurde sofort unterbunden, ebenso zwei kleinere Aestc derselben. Als man auf dem Peritoneum angekommen war, wurde dasselbe entsprechend dem Innern und äussern Wundrande mittelst je einer Nadel und Fadenschlinge in der Ausdehnung von ^% Linien gefasst, um dasselbe fixiren zu können , dann dasselbe zwischen den beiden Ligaturen in der Ausdehnung von etwa '/o Zoll eröffnet. Es entleerte sich ziemlich viel wässerige Flüssigkeit, die gelblich, serös, ohne Flocken ist. Das auf diese Weise blossgelegte Darmstück zeigte Appendices epiploicae , doch sah man keine Striae nuisculares longitudinalos. Man hielt dasselbe dennoch , um so mehr, als es die halbkugligen Wülste des Dickdarmes zeigte, für das Colon descendens. Es wurden nun etwa in Entfernung von '/„ Zoll jederseits zwei Nadeln eingeführt und der Darm mittelst dieser Nadeln an die Wundränder des Peritoneums und der Bauchmuskeln befestigt. Dann wurde der Darm zwischen diesen Ligaturen in der Ausdehnung von nicht ganz Ys Zoll eröffnet. Sofort entleerte sich in bedeutender Quantität ein gelbbrau- ner, weicher, breiartiger, innig mit Luft durchmischter, stark fäcalriechender Koth. In kurzer Zeit waren wohl vier bis fünf mittelgrosse Blechbecken davon angefüllt. Der Ausfluss war so dünnflüssig und breiartig, dass man im ersten Augenblick den- selben für Inhalt einer Dünndarmschlinge halten konnte, aber der deutliche Koth_ Eine Euterotomie, ausgeführt in der cliirurgischeii Klinik zü Jena. 403 geruch, die Stelle der Operation und andere Symptome sprachen doch für Inhalt aus dem Colon descendens. Der Abfluss geschah in wenig grossen Intervallen und konnte derselbe durch Einführung eines elastischen Catheters immer wieder von neuem angeregt werden. Führte man nun die elastische Sonde nach abwärts zu ein, so stiess dieselbe schon in einer Entfernung von ein paar Zollen auf ein Hinderniss , was fest vorlag ; nach einwärts dem Nabel zu konnte sie etwa drei Zoll weit geschoben werden, ehe sie auf die gegenüberliegende Wand des Darmes kam, nach oben zu kam man acht bis zehn Zoll weit nach dem Zwerchfell. Während der ganzen Operation lag Patientin im ganzen ruhig schlafend da, manchmal trat Singultus ein, einmal Brech- neigung. Nachdem etwa */, Stunde der Austluss durch neue Anregungen immer wieder beschleunigt angedauert hatte, sank der Leib auf der linken Seite mählich ein, während in der Nabelgegend und in der rechten Seite der Leib noch aufgetrie- ben blieb und die Darmschlingen jetzt durch die etwas erschlafften Bauchdecken deutlich sichtbar waren. Man Hess nun dem Austluss freien Spielraum und suchte Patientin durch Wein, Fleischbrühe etc. zu stärken. Es schaff"te die ganze Operation WL'sentliche Erleichterung, die lästigen Schmerzen verminderten sich, das Kollern im Leibe Hess nach , der Puls hob sich und der Gesichtsausdruck besserte sich. Subjectiv dieselbe Erleichterung. ^1^3 Uhr. Der Kothabgang ist noch in steten Fliessen , einige Male sind auch etwas geformte lehmige Kothmassen abgegangen. 4 Uhr. Fortdauer des Kothabflusses in Intervallen, der Leib ist bedeutend ein- gefallen, doch sind in der Mitte und in der rechten Seite die vergrüsserten Darm- schlingen durch die Bauchdecken deutlich zu sehen. 5 Uhr. Die Kranke sieht gut aus, der Abgang durch die Wundehält reichlich an. 2. Dcbr. In der Nacht musste mehrere Male die elastische Sonde eingeführt werden, da sich lehmartige Massen vor die Wundränder gelegt hatten. Patientin nimmt etwas Milch , es ist bis jetzt noch keine Schmcrzhaftigkeit des Leibes eingetreten , in der rechten Bauchseite sind noch viele Kothballen zu fühlen. Puls voll, massig frequent. Der Tag verläuft gleichförmig, ohne Aenderung. 3. Dcbr. Die Nacht ist ruhig, doch mit wenig Schlaf gewesen. Es besteht viel Kollern im Leibe, es gehen viele Fäces noch durch die Wunde ab. Die Wundränder der Muskeln u. dgl haben sich über die Darmwunde gelegt, so dass immer erst die Be- deckungen in die Höhe gezogen werden müssen , um den elastischen Catheter ein- führen zu können. Es werden, da sich lehmarliggeformte Massen vorlegen und den Abtluss beeinträchtigen, Injectionen von warmen Wasser gemacht. Das Befinden der Kranken ist wesentlich besser , es ist etwas Appetit gekommen , der Puls und die Hautlemperatur kaum erhöhl, der Unterleib nur um die Wunde und nur bei Druck empfindlich. Schon gegen Morgen hatte die Kranke bemerkt, dass per anuni Winde abgingen, und dass um %9 Uhr ein grosser Flatus sich entleert ; gegen 9 Uhr aber kam ein halbes Blechbecken voll diarrhöischen Stuhles durch den After. Im Verlaufe des Tages gingen noch viermal per an um, nunmehr nicht bloss diarrhöische, sondern geformte lehmartigfeste Kothmassen ab. 4. Dcbr. Dieser Ab- gang von Fäcalmassen, theils durch die Wunde, theils durch den natürlichen After, dauert die Nacht und den heutigen Tag an und soll aus beiden OefTnungen sehr viel Koth abgegangen sein. Nachmittags gegen 4 Uhr tritt ohne Ursache ein kur- zer Schüttelfrost auf (die Kranke liegt meist bloss) und Steigerung der Hauttempe- ratur auf 31,0, des Pulses auf 120. Der Appetit ist verschwunden, es haben sich 404 Dr. Gas. Siebert, Leibschneiden und überhaupt Schmerzen im Abdomen eingestellt, die Kranke fühlt sich matter und abgeschlagen. Es werden die Injectionen weggelassen. 5. Decbr. Das ganze Krankheitsbild von gestern Abend ist wieder verschwunden , Hauttem- peratur normal, Puls 80, Leib ganz unempfindlich, nur um die Wunde herum bei stärkerem Druck etwas schmerzhaft; die Wundränder wenig geröthef und infillrirt. Der Abgang durch Wunde und After geht genügend vor sich. 6, Decbr. Es ist in der Nacht der Ausfluss aus der künsthchen und natürlichen Oeflfnung einigermassen ins Stocken gerathen, doch stellt sich im Verlauf des Tages beides wieder ein. Patientin selbst befindet sich wohl. 7. Decbr. Dicke Fäces mit dünnen Massen vermischt gehen ohne Schmerzen in Intervallen ab. 9. Decbr. In der Wundöffnung legt sich die Schleimhaut des Darmes etwas vor, so dass sie in der Ausdehnung eines Thalers blossliegt. Passende Lagerung lässt diess verschwinden. Keine Fiebererscheinungen, keine Schmerzhaftigkeit des Leibes sind wieder eingetreten , Appetit ist gut und die Kranke isst flüssige Speisen gern und reichlich. Es ist ein kleiner Decubitus auf dem Kreuzbein aufgetreten. 41. Decbr. Kothabgang stets reichlich und fest, aus der W^unde kommt mehr dünnes, aus dem After mehr festes. Im sonstigen Befinden hat sich keine Verän- derung gezeigt. 12. Decbr. Die Kranke fängt an zeitweise zu sitzen. Der Decubitus macht jetzt die grössten Beschwerden. 14. Decbr. Heute fallen die Fäden, mit denen der Darm an der Innern Seite festgehalten wird, die ganze Stelle der Wunde granulirt. 13. Decbr. Aus der W^unde kamen heute einige unverdaute Speisebrocken. 17. Decbr. Das Befinden geht gleichmässig fort, Abgang von theils dünnen, theils dicken Fäcalmassen aus Wunde und Afteröffnung, kein Fieber, keine Schmerz- haftigkeit des Leibes. 19. Decbr. Appetit ist gut und die Patientin isst auch viel, doch fühlt sich die Kranke noch matt, sieht blass aus und will sich nicht recht erholen. Der Leib etwas tympanitisch aufgetrieben , doch ist der Kothabgang nicht unterbrochen. 22. Decbr. Das subjective Befinden hat sich verschlechtert, die Kranke ist sehr hinfällig, ohne dass sie etwas anderes zu klagen hätte, als dass die »Winde» sie wieder etwas stärker belästigten und sie den Unterleib »voller« fühlte. Die Wunde granulirt vuid verkleinert sich sogar schon gut. 27. Decbr. Seit gestern stockt der Kothabgang per anum vollständig, es kommt alles durch die Wunde heraus. Leib ist stärker aufgetrieben, auch ist der Unter- leib viel schmerzhafter und vergrössert sich der Schmerz namentlich beim Druck auf denselben. Puls ist etwas frequenter , doch voll ; Appetit gut , doch regene - riren die Kräfte sich nicht recht, auch ist das Aussehen immer noch blass. 5. .Januar. Der Fortgang des Befindens noch in derselben Weise, der Abgang ist aus der Wunde noch ungehindert, per anum jedoch nur durch Klystiere zu ermöglichen, der Leib ist aufgetrieben; um die Wundöffnung herum fühlt man theils Kothmassen, theils kleinere, flache Geschwülste, die sich höckerig anfiihlen, abgrenzen und untergreifen lassen. Der Ton ist hier gedämpft, jedoch noch Darm- ton, so dass die Geschwülste flach auf dem Darm aulliegen müssen. 12. Januar. Die Kranke ist auf, geht umher und erholt sich doch in etwas, nur wollen die Kräfte trotz reichlicher und guter Nahrung nicht recht zunehmen. Eine Enterotomie, aiissefülirt in der chirurgischen Klinik zu Jena. 405 Die letzte Ligatur, welche den äussern Wundrand an das Bauchfell hielt, tallt heute erst. 20. Jan. Der Zustand im Ganzen noch derselbe. Durch eine passende Ban- dage ist der Kranken es ermöglicht aufzustehen und umherzugehen. Die Geschwulst- massen sind aber grösser und reichlicher geworden. In der Lebergegend ist eben- falls ein Tumor zu fühlen, Leib ist sehr stark aufgetrieben, die Fäces gehen nur durch die Wunde ab. 28. Jan. Seit gestern gehen die Fäces auch nicht mehr durch die Wunde ab, sie haben sich verstopft. Der Leib ist bedeutend schmerzhaft, so dass der leiseste Druck wehe thut. Der Appetit, der bis jetzt gut war, fehlt gänzlich, die Kräfte nehmen wieder ab. Auch Wasserinjectionen bringen die Kothmassen nicht heraus, die Kranke legt sich wieder zu Bett. 9. Febr. Keine Aenderung , die Geschwülste im Unterleib wachsen allmählich und zumal in der Nähe der Wunde. Jedoch hat sich der Abgang der Fäcalmassen wieder eingestellt, auch bringt man mittelst Klystiere aus dem Anus etwas heraus. Sonstiges Befinden ist leidlich. 18. Febr. Die Geschwülste im Leibe werden grösser, die Fäces entleeren sich nur durch die Wunde und ist auch mit Klystieren nichts mehr aus dem Anus herauszubrin- gen. Etwa zwei Zoll innerhalb der Wundöffnung ist eine handgrosse, rothe, schmerz- hafte Stelle aufgetreten , die sich ansieht, als wenn ein Tumor ulceriren und nach aussen aufljrechen wollte. Hier sind auch beim Druck heftige Schmerzen. Durch häusliche Verhältnisse gezwungen dringt Patientin auf Entlassung, die ihr nicht verweigert werden kann, und sie verlässt am t. März 1864 die Anstalt. Die Frau geht in die poliklinische Behandlung über und verbleibt in derselben bis zu ihrem am 23. .\pril 1864 erfolgten Tode. Aus dieser Zeit ist wenig noch zu notiren. Etwa Folgendes ist das bemerkens- werthe. Die Tumoren im Lnterleibe w achsen, man fühlt sie stärker um die Wunde herum liegen, das Allgemeinbefinden verschlechtert sich, Appetit nimmt ab , es stellt sich grosse Abmagerung ein , die Fäces gehen per vulnus ab und gar nichts per anum. Nach und nach tritt leichter Ascites auf. Die vorher entstandene rothe Stelle hat sich nicht weiter fortgebildet , sondern ist stehen geblieben. Merkwür- digerweise hat sich an der linken Wangenfläche ein kleines Hautcarcinom gebildet. Die Enderscheinungen waren die einer sehr heftigen Peritonitis, die nach allen Symptomen eiteriges Exsudat setzte und welcher die Kranke am 23. April d. J. erlag. Die Behandlung durch Medicamente beschränkte sich auf Darreichung von Emulsionen, Opiate, Morphium und andere Narcotica. Aeusserlich wurden Umschläge von narcotischen Kräuterbreien gemacht. Die Section , welche am 26. April gemacht wurde , ergab folgende Resultate. Leiche sehr abgemagert. Haut trocken faltig, der Unterleib halbkuglig deutlich fluctuirend, die Flüssigkeit liegt oben, in der Umgegend der Operationsöffnung, in der Ausdehnung fast zweier Handteller ; plattenartige Infiltration in den ßauch- decken von ungleicher Härte, einzelne kleinere Stellen schimmern blaugräuiich durch die Bedeckungen, sind weicher und entschieden fluctuirend. In der Magen- grube, etwas nach links, fühlt man ebenfalls eine solche plattenartige Härte. Bei der Eröffnung der Brusthöhle fällt eine gelblich gefärbte, serös eiterige Infiltration des Zellgewebes im vordem Mediastinum auf. Lungen sind an Brust- wand adhärent, die vorderen freien Parthieen emphysematös, die andern Parthieen ödematös, von geringerer oder derberer Consistenz. Herz klein, Musculatur blass, schlaff. Bei Eröffnung der Bauchhöhle entleert 406 Dr- Ciis. Siebert, Eine Eiiterotonüe. sich sofort eine ziemlich bedeutende Quantität von einem auffallend hellgelbgrün- gefärbten Serum, dem etwas consistentere mit gelben Flocken gemischte Flüssigkeit und zuletzt dicker gelber Eiter folgt. Das Peritoneum der Bauchdecken und der Eingeweide ist mit einer ziemlich dicken Lage eiterigen Exsudates überzogen. Das Peritoneum selbst verdickt , röthlich-grünlich gefärbt, alle Därme unter sich theils durch solche eiterige Niederschläge, theils aber auch durch bereits ältere , mehr organisirte Exsudate verklebt und verwachsen. Die Leber ist linkerseits mit dem Peritonealüberzug der Bauchdecken verwachsen, die untere Hälfte der rechten Le- beroberfläche zeigt einen concaven Eindruck, der mit einer dünnen Lage des eiteri- gen Exsudates bedeckt ist, während der obere Theil ziemlich weit in die entspre- chende Pleurahöhle hinaufragt. Auf dem Durchschnitte zeigt sich massiger Grad fettiger Entartung, an den conipriniirten Stellen ist das Gewebe graulich. Milz klein, weich. Nieren klein, blass. Die Lage der Gedärme ist wegen der oben angegebenen Verhältnisse schwer zu eruiren. Es ergiebt sich als Resultat der Untersuchung etwa Folgendes : Das Goecum liegt an normaler Stelle, steigt nach oben und ist mit der Basis der Gallen- blase, die fast vollständig von einem Steine und einigen Steinfragmenten ausgefüllt wird, fest verwachsen, wodurch an dieser Stelle eine fast rechtwinklige Knickung, jedoch ohne wesentliche Verengerung des Darnilumens, entsteht. Von da steigt das Colon nach links herab in die Gegend des linken Darmbemes , wendet sich hier wieder nach oben, wendet sich, an der untern Grenze des Magens angelangt, etwas nach hinten und steigt wieder nach abwärts, woLci der ganze Theil desselben, der das S romanum bildet, verengert ist. Im obersten Theile der verengerten Parthie befindet sich ein b 1 u m e n k o h 1 a r t i g e s k e g e 1 f ö r m i g e s C a r c i n o m , welches das Darmiumen fast ausfüllt. Der Mastdarm selbst ist wieder weit und in dem- selben befinden sich noch alte, fast steinartig-verhärtete Fäcalmassen. Die stattgehabte Lageveränderung des Colon lässt sich also in Kurzem so dar- stellen , dass die linke Hälfte des Colon transversum herabgesunken ist und sich in der Gegend der linken Spina anterior superior an die äussere Bauchwand angelegt hat, während die obere Hälfte des Colon descendens wieder nach aufwärts gegen den Magen zu in die Höhe steigt, wo dann nach einer raschen Biegung die untere Hälfte hinter der obern Hälfte wieder herabsteigt, um in das S romanum und den Mastdarm überzugehen. Die durch die Operation der Enterotonue in dem Darme angelegte Oelfnung findet sich genau an der Stelle, wo das aus der Gegend der Gallenblase von oben her herabsteigende Colon transversum sich in der Gegend der Spina anterior supe- rior ossis ilei sinistri an die äussere Bauchwand angelegt hatte und unter spitzem Winkel w ieder gerade nach aufwärts gegen die untere Curvatur des Magens hinauf- zusteigen beginnt. Mit diesem Befunde stimmt auch das Resultat des bei der Ope- ration vorgenommenen Sondirens, obgleich man sich die Verhältnisse anders zu- recht gelegt hatte. Da die Sonde von der Operationswunde aus nur ein paar Zoll nach abwärts geführt werden konnte, so glaubte man hier schon auf die stenosirte Stelle des Darmes im Colon descendens oder dem S romanum zu stossen, während es nur der untere Rand des hier winklig geknickten Darmes (am Uebergange des abnorm gelagerten Colon transversum in das Colon descendens) war, welcher das weitere Vordringen der Sonde verhinderte. Die andern Verhältnisse ergeben sich leicht von selbst. M. Aisberg, Bildiiiio des Piiithyldilorhydrins. 407 >eue BildimgsMfisc des Diäthylrhlorhydrins. Salzsaurer Glycerin-diäthyläther.) Von M. Aisberg. Da CS mir nicht gelungen war, nach dem im zweiten Hefte dieser Zeitschrift beschriebenen Verfahren die dem Acetal entsprechende Acroleinverbindung zu er- halten, so habe ich versucht dieselbe aus einem Acroleinäthylchlörid, entsprechend der Acetnlbildung aus Aldehydäthylchlorid und Aethcrnatron nach Wurtz, darzu- stellen. Um mir das hierzu nöthige Acroleinäthylchlörid zu verschaffen , mischte ich Acrolein mit dem doppelten Volum an absolutem Alkohol und leitete unter stetem Abkühlen trocknes Salzsäuregas ein, worauf alsbald die Abscheidung einer dicken , zu Boden sinkenden Flüssigkeit begann. Man fährt mit dem Einleiten der Salzsäure so lange fort, als sich noch Oeltropfen abscheiden, indem man Sorge trägt, das Einleitungsrohr immer nur bis auf die Oberfläche der imtern Schichj gehen zu lassen. Die Beendigung des Processes wird leicht daran erkannt, dass die Flüssigkeit sich in zwei Schichten gesondert hat. Die obere besteht aus wäss- rigem Alkohol, welchen man weghebt, die untere wird zur Entfernung der absor- birten Salzsäure rasch mit Wasser gewaschen, jedoch nicht zu lange, weil sie da- durch zersetzt wird und mit Chlorcaicium getrocknet. Bei der Analyse lieferten zwei so erhaltene Producte von verschiedenen Dar- stellungen die folgenden Zahlen : I. 0,231 Grm. Substanz gaben 0,167 Grm. Wasser, entspr. 0,0186 Grm. H = S,057o und 0422 Grm. Kohlensäure, entsp. 0,115 Grm. ■€ = 49,8%. 0,244 Gr,m. Substanz gaben 0,179 Grm. Wasser, entspr. 0,0199 Grm. M = 8,2*/^ und 0,4 41 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,120 Grm. € = 49,2yo- 0,216 Grm. Substanz lieferten 0,2025 Grm. Ag-ei = 0,05 Grm. €1 = ^S,i%. II. 0,237 Grm. Substanz gaben 0,1885 Grm. Wasser, entspr. 0,02094 H = 8,8% und 0,42775 Grm. Kohlensäure, entspr 0,1167 Grm. € = 49,2%. 0,266 Grm. Substanz gaben 0,2365 Grm. Ag fil, entspr. 0,0.585 Grm. €1 = 21,99%. Hiernach ist der erhaltene Körper nicht das erwartete Acroleinäthylchlörid, sondern chlorwasserstoffsaurer Glycerindiäthyläther, wie folgende Zusammenstel- lung zeitrt. 21,99 Das auf die angegebene Weise dargestellte Diäthylchlorhydrin besitzt einen eigenthümlich süsslich-ätherischen Geruch und bei 10,5° das spec. Gew. 1,03. Eine Destillation der Flüssigkeit wurde nicht versucht, denn ehe ich ihre Zusam- mensetzung kannte, vermuthete ich, sie würde mit dem Aldehyddthylchlorid die leichte Zersetzbarkeit bei höherer Temperatur theilen. Reboul und LourencoM, Formel 2 (G^H'MO; **^'- Berechnet Gefufiden G' 84 50,40 49,8 49,2 W 15 9,01 8,05 8,2 ei 35,5 21,32 23,2 0* 32 166,5 19,27 100,00 1) Ann. Chem. Pharm. CXIX, 237. 408 '^l- Alsbers, Bildung des Diäthjlclilorhydrius. welche dasselbe durch Einwirkung von Phosphorsuperchiorid auf Glycerin-Diäthyl- äther erhielten, geben an, es rieche beissend, siede bei 184" und habe bei 4 7" das spec. Gew. 1,003". Die vorstehende Bildungsweise des Diäthylchlorhydrins lässt sich durch die Gleichung ausdrücken : «"-M^O" + 2 G==H''0"- + MGI = ^ ^=44*1*0- ^^'' + ^ **0 und ist wiederum ein Beweis für die Leichtigkeit, mit welcher die ümiagerung der Bestandtheile des Acroleins vor sich geht. Kommt der Verbindung wirklich die obige Formel zu, so muss sie bei der Be- handlung mit Aethernatron Glycerintriäthylather liefern (vergl. Reboul und Lou- RENCO a. a. 0.). Lässt man zu einer alkoholischen Lösung von Aethernatron Diä- thylchlorhydrin fliessen , so findet eine beträchtliche Ausscheidung von Chlorna- trium statt , und der Geruch des Glycerintriäthyläthers tritt auf. Ich beobachtete jedoch bald in Uebereinstimmung mit R. und L., dass ti'otz des Erhitzens bis zum Sieden die Umsetzung keine vollständige war, weshalb dieselbe durch mehrstün- diges Erhitzen im verschlossenen Rohre im Wasserbade vollendet wurde. Das über- schüssige Aethernatron wurde durch Wasser zersetzt, hierauf destillirt und im De- stillate der Glycerintriäthylather durch Chlorcalcium abgeschieden und getrocknet. Die bei der Analyse erhaltenen Zahlen fielen etwas zu niedrig aus, nämlich 59, 8"/^ G und 10,8"/(, H anstatt 61,4"/o und 11,4"/,, was darin seinen Grund hat, dass das zur Analyse verv^andte wenige Material sehr oft destillirt worden war, und der Gly- cerintriäthylather sich hierbei jedesmal etwas zersetzt. Siedepunct, spec. Gewicht, Geruch etc. Hessen übrigens keinen Zweifel , dass der erhaltene Körper wirklich Glycerintriäthylather war. Laboratorium zu .lena, 26. Juni 1864. Icbcr die Verwachsung des Gaumensegels mit der hintern Wand des Rachens. Von P. Ried. (lliezu Tafel X.) Zwei in jüngster Zeit veröffentlichte Aufsätze über Verwachsungen des Gaumensegels mit der hintern Rachenwand geben mir Veranlassung, meine Beobachtungen über diese Affection ebenfalls bekannt zu machen, obwohl eine wenn auch kurze Beschreibung derselben in einer Disser- tation durch einen meiner Schüler, Hkrrm. Schrön (Diss. de concretio- nibus veli palatini cum pariete pharyngis posteriore Jenac 18.') 7) bereits stattgehabt hat. Diese Arbeit scheint, wie diess bei solchen Gelegen- heitsschriften , namentlich wenn sie lateinisch geschrieben sind , wohl zu gehen pflegt , nicht bekannt geworden zu sein , wenigstens ist die- selbe Keinem der beiden sogleich zu erwähnenden Autoren zu Gesicht gekommen. 1. vaxderHoeven (Archiv für klinische Chirurgie Bd. I. 18(31 . S. 4 58. Taf. 0. f. 4) giebt die Beschreibung und Abbildung eines von ihm be- obachteten Falles einer solchen Verwachsung , wobei er noch folgende frühere Beobachtungen citirt, nämlich einen Fall von Rudtgrffer (Ab- handlung über die einfachste und sicherste Operationsmethode ein- gesperrter Leisten- und Schenkelbrüche Wien 1805. Bd. I. S. 192), einen Fall von Otto (Handbuch d. pathologischen Anatomie Breslau 1 81 4. S. 21 0) und einen Fall von Turner (Edinburgh Med. Journ. I 8G0. S. 612). In einer Anmerkung zu diesem Aufsatze macht Gurlt auf den von Hoppe (Deutsche Klinik 1852. S. 235) veröffentlichten Fall aufmerksam. SzvMANOWSKi (Vierteljahrschrift für die praktische Heilkunde Bd. 81 . S. 59) beschreibt drei von ihm beobachtete Fälle ; ausserdem verweist er nur auf die bereits von van der Hoeven angeführten Fälle. Derselbe citirt (ebenda Bd. 82. S. 142) nachträglich einen von Pitha in seinem Aufsatze : zur Staphyloraphie (Jahrbuch der Gesellschaft der Aerzte zu 410 F. Bied, Wien 1863. S. iOo) veröffentlicliten Fall von Verwachsung des theil- weise zerstörten weichen Gaumens mit der hintern Wand des Pharynx. Beide Autoren machen auf das seltene Vorkommen der in Frage stehenden Affection aufmerksam. Da vax der Hoeven nur vier, Szy- MANOwsKi nur acht Fälle vorgelegen haben , könnte es scheinen , als ob die Affection wirklich sehr selten wäre. Dem ist aber nicht so. Wenn auch die höchsten Grade derartiger Verwachsungen, wobei ein voll- ständiger Verschluss der Rachenhöhle nach der Nasenhöhle zu besteht, verhältnissmässig selten sein mögen , sind doch die nur theilweisen Verwachsungen häufig genug und ich habe, seit ich im Jahre iS.Jß, allerdings durch einen Fall vollständiger Verwachsung auf die in Rede stehende Affection aufmerksam geworden bin, so viele Fälle und so mannichfaltige Formen dieser Verwachsung beobachtet, dass ich seit einer Reihe von Jahren die leichteren Fälle überhaupt zu notiren und zu zeichnen unterlassen habe. Ehe ich zu der Beschreibung einer Auswahl der von mir beob- achteten Fälle übergehe, will ich noch einige frühere Beobachtungen, die mir gelegentlich in der Literatur aufgestossen sind, anführen, muss aber dabei bemerken, dass diese Aufzählung durchaus keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen soll. DzoNDi (Kurze Geschichte des klinischen Instituts für Chirurgie und Augenheilkunde auf der Univ. z. Halle. Halle '1818. S. 119) beob- achtete einen Fall von partieller und zwei Fälle von completer Ver- wachsung. In dem einen Falle totaler Verwachsung wurde dieselbe durch eine später zu beschreibende Operation beseitigt. CoLLEs (Praktische Beobachtungen über die venerische Krankheit, a. d. Engl. v. F. A. Simon jun. Hamburg 1839. S. 136) sind vier Fälle der totalen Verwachsung vorgekommen, wovon ein , während der von ihm selbst geleiteten Behandlung erfolgter genau beschrieben wird. Stromeier (Handb. d. Chir. Freiburg i. Br. 1844. Bd. I. S. 192) erwähnt die bei Heilung ausgedehnter syphilitischer Ulcerationen im Halse nicht selten erfolgenden Verwachsungen des weichen Gaumens mit der hintern Wand des Pharynx, mit der Bemerkung, dass die operative Trennung derselben gewöhnlich nicht von dauerndem Er- folge sei. Dieffenbach (Operative Chirurgie. Berlin 1845, Bd. I. S. 454) hat diese Verwachsungen' jedenfalls auch mehrfach beobachtet; er giebl die ausführliche Beschreibung einer Operation zur Wiederherstellung der Verbindung zwischen Rachen- und Nasenhöhle , die er als eine Art der Staphyloplastik bezeichnet. CouLsox (Lancet. II. 20. Nvbr.) beschreibt die Beseitigung einer Ueber die Verwaclisung des (lituineiisegels etc. 41 1 Adhaesion des weichen Gaumen an die hintere Phar\n.v\vand nach syphilitischen Ulcerationen. Dt Camin (Gaz. med. 1841. 10. .luillet) beobachtete eine vollstän- dige Verwachsung, infolge einer fünfzehn Jahre vorher stattgehabten chronischen Coryza. Die ausgeführte Operation hatte den Erfolg, dass der Kranke wieder durch die Nase athmen konnte und eine bestandene Schwerhörigkeit sich wesentlich besserte. Hutin (Gaz. med. 1847 No. 12) beobachtete ebenfalls eine voll- ständige Verwachsung. Malgaigne (Med. operat. Paris 1853. S. 489] erwähnt einen Fall totaler Verwachsung , wobei er ohne bleibenden Erfolg eine Trennung des Gaumensegels von der Rachenwand vorgenommen hat. Ganz das- selbe erzählt er von Robert. Es folgt nun die Beschreibung einer Anzahl der von mir beobach- teten Fälle, wobei nur diejenigen Berücksichtigung fanden, welche entweder als typische Formen betrachtet werden können, oder die in aetiologischer Beziehung ein gewisses Interesse bieten. Der leichteren Uebersicht wegen habe ich die Fälle in drei Abthei- lungen geordnet. I. In die erste Abtheilung habe ich jene Formen gebracht, in denen die Verwachsung nur zwischen der hinteren Fläche der hintern Gau- menbogen und der gegenüberliegenden Rachenwand stattgefunden hat, während der untere Rand des Gaumensegels und das Zäpfchen noch frei geblieben sind. Vorausgestellt sind jene seltneren Formen sym- metrischer Verwachsung, denen dann einzelne Fälle der bei weitem häufiger zu beobachtenden unregelmässigen Verwachsungen folgen. Irgend erhebliche Symptome werden bei den Verwachsungen die- ser Abtheilung nicht beobachtet. Die noch übrigbleibende Oeffnung zwischen Nasen- und Rachenhöhle ist weit genug, um den Durchtritt der Luft, wenigstens bei gewöhnlichem Athmen, zu gestatten; anderer- seits wird bei der Lage der allerdings weder zu erweiternden noch zu verengernden Oeffnung weit nach rückwärts, ein Uebertreten von Thei- len der Speisen oder des Getränkes in die Nasenhöhle nicht bemerkt. Dies findet nur dann statt, wenn mit der in Rede stehenden Verwach- sung Durchlöcherungen des Gaumens weiter nach vorn statthaben. In diesen Fällen ist auch nur die Sprache verändert, näselnd. 1) Den niedrigsten Grad der Verwachsung beobachtete ich im Jahre 1842 an einem Manne infolge sj-philitischer Halsgeschwüre. Die Ver- wachsung betraf nur die untere Hälfte der hintern Gaumenbogen und war vollkommen symmetrisch. Die Uvula , von normaler Grösse , hing gerade herab. Die hinter der Uvula, zwischen dem nicht verwachsenen 27* 412 I'. Ried. Theil der hintern Gaumcnbogon übrig bleibende OefTnung niass im queren Durchmesser nicht ganz einen lialben Zoll, von vorn nach hinten dagegen kaum zwei Linien, so dass man in dieselbe die Spitze des Zeigefingers nicht einzuführen vermochte. Die Beweglichkeit der Uvula und des geringen Restes freien Randes des Gaumensegels war fast ganz aufgehoben. Die Vertiefungen zwischen den hintern und vordem Gau- menbogen waren breiter und flacher, die Tonsillen aber normal. Spuren oberflächlicher Narben fanden sich fast an sämmtlichen genannten Thei- len. (Tafel X, I. 1). 2) Einen ganz gleichen Fall, nur complicirt mit einer, unmittelbar vor dem Zapfen befindlichen Perforation des Gaumensegels, etwa in der Grösse und Form einer kleinen Bohne habe ich vor ein paar Jahren zu beobachten Gelegenheit gehabt. Während im vorigen Falle die Sprache durchaus nicht verändert war, hatte sie in diesem Falle einen auffälligen Nasalton. (Tafel X, I. 2). 3) Fiiederiko S — , 42 Jahre alt, welche im Jahre 1855 Geschwüre an den Genitalien, 18G1 im Rachen gehabt, bot bei ihrer Aufnahme in die chirurgische Klinik im Jahre 1863 folgendes Bild: Die hintern Gau- menbogen sind vollständig , aber symmetrisch , ziemlich weit unten, mit der Rachenwand verwachsen, bn vordem Theil des weichen Gau- mens befindet sich eine querspaltartige Perforation. Der hinter der Perforation befindliche Theil des weichen Gaumens sammt der Uvula, die in Folge des vorausgegangenen Ulcerationsprocesses sehr verklei- nert , sonst aber genau in der Mittellinie und gerade herabhängt , steht vertical und liegt fast an der hintern Rachenwand an , ohne jedoch mit derselben verwachsen zu sein, denn man kann eine gebogene silberne Sonde zwischen beiden in die Höhe führen, so dass das Knöpfchen in der OefTnung des Gaumens sichtbar wird. Die Bewegungen des wei- chen Gaumens und der Uvula sind ganz aufgehoben. Die Stimme ist näselnd. (Tafel X, I. 3). 4) Eine überraschend regelmässig synunetrische Verwachsung der hintern Gaumenbogen mit der Rachenwand , so dass man beim ersten Anblick an eine angeborene Bildungsanomalie hätte denken können, kam im Jahre 1 85G zur Beobachtung bei einem 29 Jahre alten Färber- gesellen Franz W — , der wegen seit 8 Wochen bestehender, durch Erkältung veranlasster Schlingbeschwerden Hülfe in der chirurgischen Klinik suchte. Derselbe litt ausserdem seit in seinem sechsten Jahre überstandenem Scharlach an Schwerhörigkeit , mit zeitweise auftreten- der Otorrhoe; im neunzehnten Jahre hatte er ein schweres Brustleiden durchgemacht, und von da bis zum fünfundzwanzigsten Jahre an Ent- zündungen und Abscessen der Lymphdrüsen des Halses gelitten. Eine l'cbcr (lio Verwiiclisuim des GiuiintMisegcls c(c. 413 voraiisgegangonc syphilitische Atfection wird auf das bestimmteste in Abrede gestellt. Der Kranke ist blass und mager. An der linken Seite des Halses bemerkt man noch einzelne Anschwellungen von Lymphdrüsen und Narben derartiger Ahscesse. Die Untersuchung der Rachenhöhle ergiebt eine Verwachsung der ganzen Rilckfläche der hintern Gaumenbogen mit der Rachen wand in der Art, dass zwischen den Randern dieser Bogen, die einander auffallend nahe gerückt sind, nur eine etwas über zwei Linien breite , elliptisch geformte Grube übrig bleibt ; der obere Theil dieser Grube ist etwas tiefer, und hier unter und hinter der ver- hältnissmässig kleinen sonst normalen Uvula findet sich die Communi- cationsöffnung der Rachenhöhle nach der Nasenhöhle hin ; im mittlem und untern Theile dieser Grube finden sich ein paar abermalige Ver- tiefungen, von denen die obere etwas breiter und flacher, die untere dagegen schmaler und etwas tiefer, spaltförnjig erscheint. Die Nischen zwischen den hintern und vordem Gaumenljogcn sind auffallig breit und flach, die in denselben gelegenen Mandeln entzündlich geschwollen, schmerzhaft, und haben jedenfalls die Symptome hervorgerufen, wess- wegen der Kranke Hülfe in der Klinik suchte. Die Verwachsung ist unzweifelhaft sehr alten Ursprungs, denn die an einzelnen Stellen, so namentüch am obern Theile des linken vordem Gaumenbogens noch wahrnehmbaren Spujen ^on Narben sind fast verwischt. Ol) diese Verwachsung auf den im sechsten Lebensjahre überstandenen Scharlach zurückdatirt werden kann, muss natürlicher- weise unentschieden bleiben , andere Möglichkeiten der Entstehung liegen freilich kaum vor. (Tafel X, L i). '■)) Eine Verwachsung geringen Grades, jedoch asymmetrisch, wurde im Jahre 1842 bei einer etwa 24 Jahre alten Frau, nach voraus- gegangenen syphilitischen Halsgeschwüren beobachtet. Die Verwach- sung betraf gleichfalls nur die hinleren Gaumenbogen , der rechte aber war in etwas grösserer Ausdehnung verwachsen als der linke, und dadurch wurde die Basis des durch vorausgegangene Verschwärung narbig geschrumpften Zäpfchens nach rechts gezogen, während dessen Spitzenach links gerichtet war. Die Mandeln waren, wohl ebenfalls infolge vorausgegangener Verschwärung geschrumpft, fast geschwun- den. An der hintern Wand des Rachens , unterhalb der noch beste- henden Oefl'nung findet sich eine rundliche blasse , fast weisse Narbe. (Tafel X,I. 5). 6) Einen ähnlichen etwas bedeutenderen Grad asymmetrischer Verwachsung beobachtete ich in der hiesigen chirurgischen Poliklinik im Jahre I8iG bei einer Dienstmagd von 27 Jahren, die 5 Jahre zuvor an 414 F- f^'t'J. Halsgeschwüren, nach vorausgegangener Blennorrhoe, gelitten halte. Das Zäpfchen , welches bis auf eine kleine warzenartige Hervorragung durch die vorausgegangenen Ulcerationen zerstört ist, ist nach links gezogen, da der ganze linke hintere Gaumenbogen mit der hintern Wand des Rachens verwachsen und dadurch entsprechend verkürzt ist. Die Verwachsung des rechten hintern Gaumenbogens ist nur partiell. Die dazwischen übrig gebliebene Communicationsöffnung, von nicht ganz einem halben Zoll Breite, liegt schief von rechts und oben nach links und unten . und ist von vorn nach hinten wenig über eine Linie w eit. Die betreffenden Theile sind ganz unbeweglich. Man bemerkt noch mehrere oberflächliche Narben an der hintern Wand des Rachens und dem Gaumensegel. (Taf. X, 1. 6). 7) Eine blos einseitige Verwachsung beobachtete ich im Jahre I 837 bei einem 26jährigen Manne, der an Halsgeschwüren gelitten hatte, die man , da keine primäre Syphilis , wohl aber längere Zeit reissende Schmerzen der linken Seile des Kopfes und der linken Nacken- und Schultergegend vorausgegangen waren, damals für rheumatische ge- halten hatte. Die Verwachsung beschränkt sich auf den linken hintern Gaumenbogen und die linke Seite des Zapfens , der übrigens die ge- wöhnliche Grösse hatte. Ausserdem zahlreiche , aber oberflächliche Narben. Das Gehör auf der linken Seite war nicht gestört, aber der Durchgang von Luft durch die linke Nase sehr beschränkt. (Taf. X, L 7). 11. Die zweite Abthcilung umfasst jene Formen, wobei nicht blos eine Verwachsung der hinteren Gaumenbogen , sondern auch des Gau- mensegels mit der hintern Pharynxwand statthat , aber dennoch , ent- weder hinler, auch neben der noch vorhandenen Uvula , (der seltnere Fall,) oder (und dies wird bei weitem häufiger beobachtet,) an der Stelle der durch den ülcerationsprocess zerstörten Uvula, eine Oeffnung bestehen blieb, wodurch die Communication der Luft zwischen Nasen- und Rachenhöhle stattfinden kann. Die Fälle, wo die Uvula ganz oder Iheilweise noch vorhanden ist, sind vorausgestellt (Taf. X, 11. 1. 2. 3. 4) und dann folgen die Fälle, wo die Uvula zerstört ist, (Taf. X, IL 5. 6. 7. 8). Ein weiterer Unterschied ist gegeben durch die Ausdehnung der Verwachsung ; in sehr seltenen Fällen ist dieselbe nur marginal, wobei eben nur der Rand des Gaumensegels an die hintere Rachen wand ange- wachsen ist (Taf. X, IL 1), bei weitem häufiger besteht ausgedehnte Flächenver\^ achsung , indem die hintere Fläche des weichen Gaumens in geringerer oder grösserer Ausdehnung mit der gegenüberliegenden Wand des Pharynx verschmolzen ist. Die Symptome solcher Grade der Verwachsung bestehen in den Zeichen einer, dem Durchmesser der noch bestehenden Communica- (IcIkt die Vei\vnclisiiii2 des Gaiimeiisegels etc. 415 lionsöfTnung entsprechenden Erschwerung desAthmens durch die Nase. Da die übriggebliebene Oeffnung der Stärke der zum Athmen nöthigen Luftsäule nicht entspricht, dieselbe überdies häufig genug noch mit Schleim oder Speisepartikeln verlegt ist, so sind die betreffenden Indi- viduen genöthigt grösstentheils durch den Mund zu athmen und haben daher alle damit verbundenen Beschwerden, immerwährende Trocken- lieit des Mundes, belegte Zunge, Abnahme des Geschmacks u. s. w. zu ertragen. Es versteht sich wohl von selbst , dass auch unter den in diese Abtheilung gehörigen Formen Fälle beobachtet werden , die mit weiter nach vorn, im weichen oder wohl auch im harten Gaumen, gelegenen Perforationen complicirt sind. Da diese Complicationen aber blos als zufällige zu betrachten sind, ja durch derartige Complicationen die die- sen Verwachsungen eigenthümlichen Erscheinungen verwischt werden, so habe ich es unterlassen, solche Fälle, deren ich mehrere beobachtet habe, aufzuführen ; der von vax der Hoeven beschriebene und abgebil- dete Fall, ebenso die beiden ersten Fälle des Szymanowski (Fall 6 u. 7 der von ihm gegebenen Tabelle] können als dahin gehörige Beispiele dienen. I) Die etwa 2ö .lahre alte Z — wurde im Jahre I83ü wegen Lupus ulcerosus der Nase in die chirurgische Klinik zu Erlangen aufgenommen und nach mehrjähriger Behandlung geheilt. Die äussere Nase war gänz- lich zerstört, an ihrer Stelle ein etwa einen halben Zoll im Durchmesser lialtendes Loch, durch welches man in der Nasenhöhle den gänzlichen Verlust des Vomers und der Muscheln wahrnehmen konnte ; die Lippen theilweise zerstört, auf dem Zahnfleische Narben. Bei der Untersuchung des Rachens findet man die Gaumenbogen und den Rand des Gau- n)ensegels mit der Rachen wand verwachsen, die Uvula durch voraus- gegangene Ulceration grösstentheils zerstört und bis auf den zweiten oder dritten Theil ihrer natürlichen Grösse geschrumpft, rechts neben derselben eine kleine, birnförmige, kaum eine Linie breite Oeffnung, wodurch die Communication zwischen Nasen- und Rachenhöhle ermög- licht ist. Sowohl an den Gaumenbogen , an dem Gaumensegel und hier namentlich längs des verwachsenen Randes desselben, als auch an dem sichtbaren Theile der Pharynxwand findet man zahlreiche Narben. Es hat dieser Fall insofern ein ganz besonderes Interesse , als er unter allen von mir beobachteten Fällen der einzige ist, wo die Ver- wachsung nur auf den Rand des Gaumensegels beschränkt war; am deutlichsten zeigte sich dieses Verhältniss beim Athmen, wo der weiche Gaumen deutlich flottirte , sowie bei der Berührung des Gaumensegels mit dem Finger, oder mittelst einer Sonde. (Taf. X, IL L 1). 416 F. Rief. 2) Zu Anfang des Jahres 1 837 wurde die I i jährige Katliarine G — , in Folge vorausgegangener sogenannter serofuloser Affectionen der Augen und Ohren fast erblindet und vollständig taub , wegen seit etwa einem Jahre bestehender Anschwellungen und Abscesse der Lymph- drüsen des Halses und Geschwüren im Rachen in die chirurgische Klinik zu Erlangen aufgenommen. Bei der Untersuchung desRachens fand man an der hintern Rachen- wand ein grosses, schmutziges Geschwür, was sich weit nach abwärts erstreckte, ebensolche Geschwüre auf dem weichen Gaumen, dem Zäpf- chen, den Mandeln, die durch den Gebrauch des Zittmann'schen Decocts in refracla dosi im Verlaufe von etwa acht Wochen geheilt ^\urden. Die Untersuchung des Rachens vor der Entlassung ergab, abge- sehen von den zahlreichen Geschwürsnarben an den genannten Thei— len, eine theilweise Zerstörung und Schrumpfung des Zapfens tmd eine fast vollständige Verwachsung der hintern Gaumenbogen und des untern Theils des Gaumensegels mit der hintern Rachenwand^ nur links neben der Uvula fand sich noch eine, ein paar Linien breite spaltförmige Oeff- nung , wodurch noch Luft aus der Nasenhöhle in die Rachenhöhle und umgekehrt gelangen konnte. (Taf. X, IL 2). 3) Andreas K — , 36 Jahre alt, war bis \or drei Jahren völlig ge- sund. Auf einen leichten Ausfluss aus der Harnröhre, der in drei Wochen verlief, folgten Condylome der Eichel , und später Halsbe- schwerden. Die von einem Arzte in Anwendung gebrachten Heilmittet hatten eine heftige Salivation zur Folge. Andere Aerzte, die consultirt wurden, scheinen ebenfalls Mercurialien verordnet zu haben^ denn der Kranke litt unter zeitweiser Minderung und Steigerung fortwährend an Salivation. Vor etwa einem Jahre bildete sich aus einem »Knoten« auf dem rechten Unterkieferwinkel ein Geschwür , w^elches seit einem hal- ben Jahre halbseitige Gesichtslähmung zur Folge hatte. Dieses Geschwür hatte bei der Aufnahme des Kranken in die chirurgische Klinik zu Er- langen die Grösse eines Doppelthalers, das schlechteste Aussehen, na- mentlich von den darin enthaltenen zahlreichen Larven der Fleischfliege w-eithin unterminirte Ränder. Ausser der halbseitigen Gesichtslähmung mit den bekannten Erscheinungen bestand noch Unmöglichkeit, den Unterkiefer vom Oberkiefer zu entfernen. Bedeutende Schlingbe- schwerden deuteten auf das Vorhandensein von Rachengesohwüren. Nach der durch zwanzig Flaschen des Pollin'schen Decocts bewirk- ten Jleilung der Geschwüre zeigte sieh eine fast vollständige Verwach- sung der Gaumenbogen, des Gaumensegels und der Uvula mit der Pharynxwand. Linkerseits an der Uvula besteht noch eine kleine Oeff- nung, durch welche Luft durch die linke Nasenhöhle gezogen werden {\-\m (lif Vcrwiiclisnna- des CaiiinensfLicIs eie. 417 kann; auf der rechten Seite der Uvula besteht ein feiner Spalt, der nach der rechten Choane zu führen scheint, durch die rechte Nasen- höhle ist aber nur sehr schwer etwas Luft zu treiben. Auf dem rechten Ohre hört P. schwer, links aber gut. Am weichen Gaumen, oberhalb der Uvula , befinden sich grössere und kleinere Geschwürsnarben ; die unterhalb der verwachsenen Parthie gelegene Pharynxwand zeigt eben- falls zahlreiche Narben, wodurch dieselbe ein ganz hügehges Ansehen erhält. Es erstrecken sich diese Narben ziemlich tief herab; die Basis der Zunge ist nach rückwärts gezogen und der Eingang zum Schlünde dadurch verengert. (Taf. X, II. 3). I) Anfangs April I 858 wurde die 31 Jahre alte Sophie St — , wegen bereits seit mehreren Monaten bestehender Rachengesehwüre , die auf eine etwa vor einem Jahre stattgehabte primäre Affeetion gefolgt waren, auf die syphilitische Station des Landkrankenhauses zu Jena aufgenom- men. Ausserdem bestanden ein quälender troekner Husten, Heiserkeit, Abmagerung. Die Geschwüre wurden durch Sublimatbäder im Ver- laufe von einigen Wochen geheilt; der Husten und die Heiserkeit, 'die mit der gleich zu l)eschreibcndcn Yerbildung des Zäpfchens in Zusam- menhang gebracht wurden , dauerten fori. Sie wurde Ende April auf die chirurgische Abtheilung transferirt. Bei dem ersten Einl)lick in die Rachenhöhle fällt vor Allem auf die enorme Grösse und Länge der Uvula, die so weil herabhängt, dass sie die Basis der Zunge und die Epiglottis berührt und dadurch wahr- scheinlich den Hustenreiz bedingt und unterhält. Bei genauerer Unter- suchung stellt sich jedoch heraus, dass nur das unterste Drittel der im ersten Augenblick für die vergrösserle Uvula gehaltenen Geschwulst, von der Uvula selbst gebildet wird, die beiden obern Drittel gehören dem weichen Gaumen an, der zu beiden Seiten der Basis der Uvula, infolge vorausgegangener perforirender Geschwüre zwei hoch hinauf reichende übernarbte Spalten zeigt; die Spalte linkerseits ist grösser, breiter und reicht fast bis an die Verbindungsstelle des weichen mit dem knöchernen Gaumen ; die rechterseits etwas kleiner, weniger lang, und hier bestehen auch noch ein paar schmale Brücken , welche di(' Verbindung mit dem seithchen Theile des weichen Gaumens herstellen. Hinter der Uvula und durch diese Spalten findet die Communication der Rachenhöhle mit der Nasenhöhle statt. Die hintern Gaumenbogen sind in ihi'er ganzen Ausdehnung mit der hintern Wand des Rachens verwachsen ; die vordem gehen straff gespannt zur Basis der Zunge, dadurch ist diese rückwärts gezogen und der Isthmus faucium veren- gert. An allen genannten Theilen finden sich Spuren von oberfläch- 418 F- I^i^''l' liehen und tieferen Narben , die sich selbst bis in das Gaumengewölbe hineinerstrecken. Eine Operation, bestehend in Kürzung der Geschwulst mit Ab- tragung der seitlichen Wülste und Trennung der Brücken hatte allmäh- liche Abnahme des Hustens und Minderung der Heiserkeit zur Folge. (Taf. X, H. 4). 5) Ein IG jähriger Knabe, Balthasar D — , der in körperlicher Ent- wicklung sehr zurückgebliel)en ist, wurde im Jahre 1 837 in die chirurgi- sche Klinik zu Erlangen aufgenommen. Nach der Angabe der (gesunden) Eltern , soll derselbe in seinem fünften Jahre durch den Mitgebrauch eines Nachtstuhls mit einem Kinde, das an «geschwürigen Auswüchsen« des Afters litt, ein Geschwür am Hodensack bekommen haben, zu wel- chem nach einigen Wochen sich Schlingbeschwerden gesellten. Die von einem Arzte verordneten Pulver sollen unter Speichelüuss Heilung herbeigeführt haben. In seinem 1 4ten Jahre traten wieder Schling- beschwerden ein, die unter abwechselnder Besserung und Verschlim- merung bis zu seiner Aufnahme forlbestanden. Nach erfolgter Heilung zeigte sich eine fast vollständige Verwachsung. Die Uvula fehlt gänz- lich, an ihrer Stelle, also in der Mittellinie, findet sich eine spaltförmige Oeflhung vor, von etwa einer Linie Breite und drei Linien Länge , wo- durch der Kranke n)it einiger Mühe Luft durch die Nase alhmen kann. Die Umgegend, der weiche Gaumen und die hintere Bachenwand zei- gen zahlreiche Geschwürnarben; der Eingang in den Schlund ist durch narbige Betraction der betreffenden Theile bedeutend verengert und eine auffällige Bauheit der Stimme lässt auch auf vorausgegangene Geschwüre des Kehlkopfs schliessen. (Taf, X, H. o] . 6) Eine 23 jährige Dienstmagd, Kalharine K — , wurde am i. Aug. 1835 in die chirurgische Klinik zu Erlangen aufgenommen; es bestan- den seit 9 Wochen Symptome primärer , seit 3 Wochen secundärer Syphilis, welche durch Pillen (Calomel, E\tr. Dulcamar., Opium) und Holztränke geheilt wurden. Bei der am 20. September erfolgten Ent- lassung ergab die Untersuchung des Halses keine stattgehabten Ver- wachsungen. Am 9. December 1837 wurde die Kranke wieder aufgenommen; es bestanden , ihrer Angabe nach ohne neue Ansteckung , wieder Ge- schwüre an den Genitalien (seit Februar 1836) und im Halse (seit Mai d. J.), gegen welche bereits längere Zeit stark abführende und Spei- chelfluss veranlassende Pillen gebraucht worden waren , ohne dass völlige Heilung erfolgt wäre. Diese kam erst durch den Gebrauch des Zittmann'schen Decocts zu Stande. Die Untersuchung des Bachens bei der Entlassung ergab ganz- Ueber die Vcrwaclisuiiü' des (linimeusegfls etc. 419 liehen Mangel der Uvula , theihveise Zerstörung des Gaumensegels und theilweise Verwachsung desselben mit der Pharynxwand. Die Com- munication zwischen der Nasen- und Rachenhöhle bestand noch durch eine horizontale , etwa 2 Linien lange , i Linie breite Spalte. An der hintern Wand des Pharynx finden sich zahlreiche striemige Narben, mit beginnender ringförmiger Verengerung des Schlundkopfs. Am 4. November 1838 kam die K. abermals in das Krankenhaus. Seit vorigem Jahre hat sich die Ansicht des Rachens in der Weise ver- ändert, dass infolge der fortgeschrittenen narbigen Retractionen die querspaltähnliche Communicationsöffnung sich in eine rundliche, kaum linsengrosse verwandelt hat. Die striemigen Narbenstreifen haben sich mehr noch verkürzt und erscheinen als sehnenartig glänzende Stränge; die zwischen denselben befindlichen, von Geschwüren und Narben freigebliebenen Schleimhautparthieen springen in Form von Wülsten oder zapfenartigen Gebilden in den Rachenraum herein. Die Verenge- rung des Schlundkopfs hat bedeutend zugenonmien , so dass nicht ein- mal die Spitze des kleinen Fingers mehr in den stark einspringenden Narbenring eingeführt werden kann. Die Kranke kann daher nur sehr kleine Quantitäten weicher, flüssiger Nahrungsmittel schlucken und dabei findet noch häufig genug sogenanntes Verschlucken statt, wo- durch ein sehr heftiger, rauher Husten mit förmlichen Erstickungs- erscheinungen eintritt. Ausserdem besteht Schwerhörigkeil, die auf dem rechten Ohre etwas beträchtlicher ist als links. (Taf. X, II. 6). 7) Eine 24jährige Dienstmagd, RarbaraM — , wurde im April 1838 in die chirurgische Klinik zu Erlangen aufgenommen. Etwa ein halbes Jahr vorher waren ungefähr 8 Tage nach einem Coilus Geschwüre an den Genitalien und 5 Wochen später Rachengeschwüre entstanden. Bei ihrer Aufnahme fand sich ausser einem geringen Ausfluss aus den Geni- talien , Verwachsung der Gaumenbogen und des Gaumensegels mit der Rachenwand, Mangel der Uvula; die Communication zwichen Rachen- und Nasenhöhle hergestellt durch eine etwa erbsengrosse rundliche Oeffnung, mit bereits übernar?jten Rändern, ausserdem zahlreiche strie- mige Narben, und eine geringe Verengerung des Isthmus faucium. Die Kranke behauptet auf das bestimmteste , w ährend der ganzen Dauer ihrer Krankheit niemals ärztliche Hülfe oder überhaupt Arzneimittet gebraucht zu haben. (Taf. X, II. 7). 8) Bei einem etwas über 40 Jahr alten Invaliden , welcher am 14. Juni 1838 eines anderweiten Leidens wegen in chirurgische Behandlung kam , fand man bei der Untersuchung des Rachens eine Verwachsung derart, dass von den hintern Gaumenbogen, dem Gaumensegel, der Uvula infolge der fast vor 20 Jahren vorausgegangenen syphihtischcii 420 F. Ried, Geschwüre und der darauf folgenden Narben keine Spur mehr nach- weisbar war, während nur die vordem Gaumenbogen, von einer ziem- hch in der Medianlinie liegenden, unregelmässig dreieckigen, von einem ovalen , sehnenartig glänzenden Narbenring umgebenen Perforations- öffnung ausgehend, als stark vorspringende, scharfkantige Falten fast gerade zu den Seiten der Zungenbasis herabtraten und dieselbe rück- wärts zogen , so dass der Eingang der Rachenhöhle Jjedeulend veren- gert ward. (Taf. X, II. 8). III. In die dritte Abtheilung stelle ich jene, im Allgemeinen selte- nen Fälle, wo durch totale Verwachsung der Gaumenbogen und des Gaumensegels mit der hintern Rachenwand das Cavum pharyngo-nasale von dem Cavum pharyngo-orale gänzlich abgeschlossen ist. Derartige Kranke, da sie nicht im Stande sind, Luft durch den Nasenraum zu ziehen, athmen nur durch die Mundhöhle und gewöhnen sich daher, weil sie den Mund stets oifen halten müssen , eine eigenlhümliche , et- was gesenkte und vorgeschobene Hallung des Unterkiefers und da- durch bedingte Veränderung des ganzen Gesichtsausdrucks an. Die weiteren Folgen eines solchen totalen Verschlusses der hintern Nasen- öffnungen sind gänzlicher Verlust des Geruchs und Unmöglichkeit, die Secrete der Nasenschleimhaut, durch Schnauben, zu entfernen; auch das Gehör war in den beiden, von mir beobachteten Fällen, beschränkt; infolge des ununterbrochenen Athmens durch die Mundhöhle wird der Schleimhautüberzug ihrer Organe leicht trocken , und der Ge- schmack leidet ebenfalls. Selbstverständlich sind alle diese Symptome nicht vorhanden, wenn mit der totalen Verwachsung eine Perforation im Gaumensegel oder noch weiter nach vorn besteht, dafür ist dann aber näselnde Sprache vorhanden. 1) WolfgangK — , Kutscher, 31 Jahre alt, wurde am 6. August I8;J6 in die chirurgische Klinik zu Erlangen aufgenommen. Er hatte im 2k Jahre ein primäres Geschwür an der Eichelkrone, etwa ein halb Jahr später einen puslulösen Ausschlag im Nacken und Rachengeschwüre, ein Jahr später eine Lymphdrüsenanschwellung am Unterkieferwinkel , die nach lange Zeit fortgesetzter örtlicher Behand- lung endlich in Eiterung und schliesslich in ein hartneckiges , Jahre lang bestehendes Geschwür überging. Seit ungefähr zwei Jahren w^ie- der Rachengeschwüre , mit mehr und mehr sich steigernden Schling- beschwerden , und auffälliger Veränderung der Sprache. Die von ver- schiedenen Aerzten geleitete Behandlung hatte wiederholt Salivation zur Folge. K. ist von sehr kräftigem Baue, aber heruntergekommen, mager, blass. Die Gaumenbosen und das Gaumensegel sind völlig mit der hin- üeber die Venvadisung des Gaiimeiisogcls etc. 421 lern Pharynxwand verwachsen. Infolge der vorausgegangenen, bereits grösstentlieils schon vernarbten Geschwüre erscheinen die genannten Theile in ihrer ganzen Ausdehnung analog der inneren Herzoberfliiche aus sehnenartigen Strängen und dazwischen liegenden fleischähnlichen Wülsten oder Zapfen zu bestehen. Die Uvula ist merkwürdiger Weise noch in normaler Grösse, ohne an ihrer hintern Fläche verwachsen zu sein, vorhanden, hängt aber mit dem Velum jederseits nur durch ein paar sehnenartige Narbenstreifen zusammen. Aehnliche balken- und strangähnliche Narbenbildung erstreckt sich, so weit man mit dem Finger reichen kann, in den Schlundkopf herab, die Epiglottis ist geschrumpft, unregelmässig , wenig beweglich ; dem obersten Vorsprunge des Kehl- kopfs entsprechend fühlt man eine ringartige einspringende Stenose des Schlundkopfs, die noch mit Geschwüren besetzt ist und die Spitze des Zeigefingers eben nur eindringen lässt. Infolge dieser Verenge- rung des Schlundes ist das Schlucken sehr behindert , und auf kleine weiche Bissen, so wie ganz geringe Mengen Flüssigkeit beschränkt, wo- bei noch häufig genug Theile derselben in die Stimmritze gelangen und heftigen Husten veranlassen. Die Stimme rauh und das Sprechen an- strengend, mühsam. P. klagt ausserdem über Luftmangel, Druck auf der Brust. Am meisten quält den Kranken aber die Unmöglichkeit durch die Nase zu athmen und die damit verbundenen bereits angegebenen Beschwerden. (Taf. X, III.) 2) Bei einem 2;} .Jahre alten Bauerburschen Lorenz A — , der im Jahre 1851 in das Landkrankenhaus zu .Tena aufgenommen wurde, fand man eine vollständige Verwachsung durch eine grosse breite , von den Tonsillen nach dem Gaumen heraufgehende, hufeisenförmige Narbe, so dass von den hier liegemlen Gebilden , dem Gaumensegelrand , dem Zäpfchen, den hintern Gaumenbogen nichts mehr zu erkennen war; oben in der Mitte des Bogens dieser Narbe, also an der Stelle, wo die jetzt gänzlich fehlende Uvula gelegen sein mochte, ist eine kleine, kaum linsengrosse Vertiefung, die zu einem noch engeren Canal führt, in welche man eine feine silberne Knopfsonde etwas über einen halben Zoll einführen kann. Patient glaubte noch wenige Tage vor seiner Auf- nahme ins Krankenhaus durch diesen Canal etwas Luft in die Nasen- höhle treiben zu können; jetzt ist das aber nicht mehr möglich und der Verschluss zwischen Nasen- und Rachenhöhle ein vollkommener. Ucber die Entstehung der Verwachsung war nichts weiter zu ermitteln , als dass Patient vor etwa einem Jahre , ohne irgend welche bekannte Ver- anlassung, unbedeutende, nicht schmerzhafte Schlingbeschwerden und eine etwas veränderte , heisere Sprache bekommen haben will , die, 422 ■•'• Riffli nachdem sie mehrere Wochen bestanden halten, sich allmählich wieder gemindert haben sollen. lieber die Art und Weise der Entstehung dieser Verwachsungen dürften nicht viele Worte zu verlieren sein. Sie können zu Stande kommen überall da, wo bei durch entzündliche Vorgänge beschränkten oder aufgehobenen Bewegungen der Gaumenbogen, oder der Gaumen- bogen und des Gaumensegels, Abstossung oder Zerstörung des Epithels der Schleimhaut starttgehabt hat. Daher solche Verwachsungen schon beobachtet wurden nach heftigeren Nasen- und Rachenkatarrhen (Fall von Hoppe) , nach diphtheritischen Processen des Rachens , am häufig- sten natürlich nach Verschw^ärungen dieser Gegend aller Arten , am öftersten wohl nach den hier am meisten vorkommenden syphilitischen Ulcerationen. Wie anderwärts beginnen diese Verwachsungen in den Commissuren , — daher am öftesten Verwachsungen der untern Par- thieen der hintern Gaumenbogen beobachtet werden — und erstrecken sich von da weiter nach oben , über die obern Theile der hintern Gau- menbogen und die hintere Fläche des Gaumensegels. Es begreift sich leicht, warum die blossen Randverwachsungen des Gaumensegels so selten sind und sein müssen , da eben , wenn einmal die Bedingungen der Möglichkeit der Verwachsung gegeben sind, diese gewöhnlich nicht auf den Rand des Gaumensegels beschränkt, sondern ausgebreiteter sind. Daher denn das gewöhnliche Verhältniss der höheren Grade der Verwachsung das ist, dass die hintern Gaumenbogen und die Rück- fläche des Gaumensegels grösstentheils oder auch vollständig mit der gegenüberliegenden Wand des Pharynx verwachsen gefunden werden. Die Beobachtung , dass häufiger als Fälle totaler Verwachsungen solche Fälle sich finden , wo noch eine kleine Oeffnung oder ein enger Canal für den Durchgang der Luft nach der Nasenhöhle hin besteht, mag vielleicht dadurch ihre Erklärung finden , dass das Athmen durch die Nase selbst dazu beiträgt, diese CommunicationsöflFnungen zu erhalten. Ausgedehntere Verwachsungen der hintern Fläche des weichen Gaumens mit der hintern Pharynxwand, einmal zu Stande gekommen, sind allen bis jetzt vorliegenden Erfahrungen zufolge vollständig kaum wieder zu beseitigen. Es ist schon als ein Erfolg zu betrachten , wenn infolge einer Operation bei den Verw achsungen der zw eiten Abtheilung eine , wenn auch unbedeutende Vergrösserung der bereits noch beste- henden Oeffnung zu erreichen war, oder wenn bei den totalen Ver- wachsungen der dritten Abtheilung eine , wenn auch meist ungenü- gende Oeffnung zwischen Rachen- und Nasenhöhle, und zwar nur unter der unangenehmen Zugabe einer näselnden Sprache herzustellen war. Das Gesammtresultat derartiger in der Ausführung sehr schwierigen lieber die Verwaclisiiiig des Giiiinieiiseuels etc. 423 und eine lange mühsame Nachbehandlune; erfordernden Operationen reducirt sicli daher auf die Herstellung einer meist nicht völlig ausrei- chenden Communicationsöffnung zwischen Rachen- und Nasenhöhle, ohne gleichzeitige Restitution der übrigen Functionen des weichen Gaumens. Die bis jetzt in Anwendung gekommenen Operationen sind fol- gende: 1) Das Verfahren von Diekfenbach (Operat. Chir. Bd. I. S. 454-56). »Die Operation besteht in einer Lösung des Gaumens von der Schlund- wand und Umsäumen der Ränder des Gaumensegels«. »Der Kranke sitzt mit weit geöffnetem Munde auf dem Stuhl. Hierauf führt man nii( einem kleinen Scalpell mit langem achteckigem Stiel einen QuerschniK, einen halben Zoll unter dem angewachsenen Rand des Gaumensegels; dann fixirt man den Rand mit einem Häkchen und trennt ihn von der hintern Schlundwand etwas ab , nimmt ein auf der Fläche gebogenes lancettförmiges Messer zur Hand und bewirkt damit weiter nach oben die Lösung und vollendet zuletzt die völlige Trennung mit einer auf die Fläche gebogenen Scheere. Von der Nasenhöhle aus drängt man ein stumpfes auf der Fläche gebogenes spatelähnliches nur viel schmäleres Eisen herab und löst dadurch die oberen Adhäsionen. Jetzt schreitet man zur Umsäumung des Randes des Gaumensegels, wodurch allein das Wiederverwachsen der Theile untereinander verhimlert werden kann. Man nimmt einen an beiden Enden mit einer kleinen krummen Nadel versehenen Faden, bringt die eine Nadel in den Nadelhalter, durchsticht einige Linien vom Rande entfernt dessen äussere Fläche und kommt an einem höheren Puncto an der vordem Fläche des Gau- mens wieder mit der Nadel heraus. Einen gleichen Stich macht man mit der zweiten Nadel zur Seite von dem andern entfernt und führt die Nadel ebenfalls durch den Rand des Gaumens doppelt hindurch. Indem man nun die Fadenenden zusammenknüpft, schlägt sich der Rand nach hinten einen halben Zoll weit um , worauf man die Fäden am Knoten abschneidet. Dann macht man eine zweite Naht; findet man, dass sich die Seiten nicht gehörig weit umkrempen , so werden auch hier noch ein paar Suturen angelegt«. ') 1) Von diesor absictitlich wörtlich wiedergegebenen I3eschreibung des Veit'ah- i-ens von Dieffenbach weicht die von Roser (Handb. d. anat. Chir. Ausg. 3. S. 150) und zwar unler Anführung desselben Citats gegebene Beschreibung so wesentlicti ab, dass nur ein Irrthum oder eine Auslassung angenommen werden kann. Es heisst bei Roser : »Dieffenbach (1. 454) hat hietür eine Operationsmelhode erson- nen, welche in zwei Einschnitten nach vorn und im Umkrempen des Zäpfchens mittels einer von der Nasenhöhle aus angebrachten P'adenschlinge besteht«. 424 F. Bied, Diese Operation, von Dieffenbach sell)st bezeichnet als »sclnvie- riger und mühsamer als die eigentliche Gaumennaht«, kann aber nur in Anwendung kommen in jenen leichteren und selteneren Fällen , wo einerseits die Verwachsung des Gaumensegels mehr nur längs des un- tern Randes desselben staltgehabt hat, wie z. B. in dem Falle II. 1. und andererseits die Schleimhaut der hintern Schlundwand durch vor- ausgehende Ulcerationen wenig gelitten hat, denn nur unter diesen Bedingungen wird die Abtrennung der Schleimhaut von der hintern Schlundwand und die Umsäumung des abgelösten Randes des Gau- mensegels, wovon ja das Gehngen der Operation abhängt, ausgeführt werden können. 2) In den Fällen , wo die ganze hintere Fläche des Gaumensegels mit der gegenüberliegenden Fläche der Rachenwand verwachsen ist — das am häufigsten beobachtete Verhältniss — bleibt nur die von Dzondi zuerst ausgeführte Operation übrig , die unter geringen Modificationen auch von Dieffenbach, De Cajiin, Malgaigne, Hoppe, Szyma.xowski u. A. gemacht worden ist. DzoNDi beschreibt sein Verfahren folgendermassen : »Die Trennung der Verwachsung wurde durch ein dazu aptirtes, auf der Fläche vorn an der Spitze rechtwinklig gekrümmtes Messer mit langem Stiel be- werkstelligt und die Wiederverwachsung durch einen nach Art der Vorrichtung zur Stillung der Blutung aus den Ghoanen mühsam ange- brachten und erhaltenen Tampon, der vermittelst zweier starker Fäden, von denen der eine durch die Nase , der andere durch den Mund nach aussen geführt und befestigt wurde, glücklich verhindert«. DiEFFENBACH ist CS iu soIchcn Fällen nach vorausgegangener Tren- nung der Verwachsung bisweilen gelungen , durch Einführung von einem Leinwandstreifen von der Nase aus die Theile getrennt zu er- halten. Hoppe machte bei einer totalen Verwachsung des Gaumensegels mit der Pharynxwand , zwei Operationen, die erste ohne, die zweite mit günstigem Erfolge. Die Trennung geschah beide Male durch eine lange stumpfspitzige Hohlscheere, und später, als die Scheere nicht mehr wirken konnte, mittelst eines spitzigen Hohlmessers. In die , auf diese V^^eise gebildete OefFnung wurde ein Bündel dicker baumwollener Fäden eingelegt, welche später durch hörnerne Röhren ersetzt wurden, die durch eine eigenthümliche Vorrichtung, durch Goldstreifen an den Backzähnen , befestigt wurden. Nach Jahresfrist war die Oeffnung noch so weit , dass die Spitze des Zeigefingers einge- führt werden konnte, und die Person durch die Nase zu athmen im Stande war. Ucbei' die Verwiiclisunii des Giiunieiisegels etc. 425 Ich verfuhr betrcifs der Operation, die icli niehnnäls gemacht habe, ganz analog. In dem Falle von 1851 z.B., welcher in der dritten Abtheilung unter Nummer 2 erzählt ist, operirte ich folgendermaassen: Von der noch vorhandenen , an der Stelle der zerstörten Uvula befind- lichen OcfTnung aus wurden mit einer doppelt gekrümmten Scheerc beiläufig an der untern Grenze des Gaun)ensegels nach beiden Seiten hin einen halben bis dreiviertel Zoll lange, wagerechte Schnitte geführt, und dann theils durch kleine Scheerenschnitte, theils durch Drängen mit der geschlossenen Scheere das verwachsene Gaumensegel von der hintern Rachenwand abgelöst; durch die Einführung eines gebogenen schmalen spatelartigen Instruments durch die Nase, abwechselnd durch die eine und die andere Choane, sowie durch die Einführung des Zeige- fingers von der Mundhöhle her wurden noch bestehende Adhärenzen gelöst und das Gaumensegel noch freier und beweglicher gemacht. Die Blutung während der Operation wai- gering, wenig störend und durch kalte Gurgelwasser leicht zu slillen. Betreffs der Nachbehandlung be- schränkte ich mich auf die Einführung von starken Charpiemeiseln, mittelst der Belloq'schen Röhre, die je nach Umständen täglich ein- auch zweimal erneuert wurden; nach dem Eintritte der Eiterung wur- den bei der Erneuerung des Verbandes Einspritzungen von adstrin- girenden Lösungen gemacht und die anzuwendenden Charpiepfröpfc selbst damit getränkt. Der Erfolg war günstig, indem das Athmen durch die Nase ziemlich frei geworden war. 3) Unter den bedeutenderen Verwachsungen trifft man auf Fälle, wo auch die eben geschilderte Operation keinen Erfolg gewähren kann, weil sich die Verwachsung der gegenüberliegenden Flächen des Gau- mensegels und der Rachenwand so weit nach aufwärts erstreckt, dass eine Ablösung des ersteren unausführbar ist. Ein solcher war der unter Nummer 1 der dritten Abtheilung erzählte, bereits im Jahre 1836 beobachtete Fall. Der Versuch , das mit der hintern Rachenwand verwachsene Gau- mensegel (die nur an ein paar sehnenartigen Narbenstreifen hängende Uvula musste einfach weggeschnitten werden) durch einen flachen, ungefähr der untern Grenze des Velums entsprechenden Bogenschnitt zu umschreiben und von der hintern Rachenwand abzulösen war ohne Erfolg, da, nachdem die Trennung bis zu einer Ausdehnung von einem Zoll gebracht war , der Nasopharyngealraum noch immer nicht geöffnet war. Man entschloss sich daher sofort — um dem Kranken die so er- sehnte Möglichkeit wieder durch die Nase zu athmen, zu verschaffen — zur Ausschneidung des ganzen Velums und führte zu diesem Zwecke etwa anderthalb Zoll vor dem ersten Schnitte einen zweiten stärker Rd. I. 4. ' 28 426 r. Ried, convexen Bogensclmitt , dessen vordere Curve etwa drei Linien hinter dem hintern Rande des knöchernen Gaumens sich befand, während die seitlichen Enden in die Enden des zuerst geführten flacheren ßo- genschnitls verliefen. Das Gaumensegel war somit durch zwei Bogen- schnitte in Form eines mit der Convexität nach vorn und den Spitzen nach hinten und unten gerichteten Halbmondes umschnitten. Nachdem man im vordersten Theil durch das hier nur wenig verdickte Gaumen- segel hindurch gedrungen, fasste man diesen vordem Rand mit einer Hackenzange und löste das weiter nach rückwärts über zollstaike und sehr derbe Narbengewebe mittelst Scalpell und Hohlscheere von der vordem Wand dei' Wirbelsäule ab ; einzelne sitzengebliebene Reste von Narbengewebe mussten nachträglich in gleicher Weise entfernt werden. Man konnte nun von der Mundhöhle aus mit dem Zeigefinger leicht in den Nasopharyngealraum gelangen und fand die rechte Choane auch frei, die linke aber durch das sich bis hier herauf erstreckende Narbengewebe noch iheilweise obstruirt. Während die Spitze des lechten Zeigefingers gegen die linke Choane gedrängt wurde, entfernte man die hier befindliclien Narbenmassen durch einen durch die linke Nasenhöhle eingeführten schmalen Hohlmeisel. Wie alle an chronischen Affectionen des Rachens Leidenden ertrug auch dieser Kranke die Ein- führung der Instrumente und des Fingers sehr gut , ohne dass durch Würgen etwa die Operation unterbrochen worden wäre; auch die an und für sich geringe Blutung verursachte keine bedeutendere Störung. Nach der Operation war das Atlimen durch die Nase ganz frei und der Kranke darüber und dass er die in der Nase befindlichen Flüssigkeiten entfernen konnte, höchst erfreut. Natürlich aber hatte die Sprache einen Nasalton angenommen , was jedoch bei der ohnehin schon sehr veränderten, auffällig rauhen Stimme des Kranken wenig auffiel. Die Nachbehandlung bestand anfangs in kalten , später adstrin- girenden Gurgelwassern, dann in der Anwendung von Charpiemeiseln, in adstringirenden Lösungen getränkt. Die ursprüngliche halbmond- förmige Wunde nahm nach einigen Tagen eine dreieckige und zuletzt eine rundliche Gestalt an. Bei der Entlassung des Kranken , wo die Ränder der Oeffnung bereits übernarbt waren , war dieselbe noch so gross , dass der Zeigefinger leicht bis zu den Choanen geführt werden konnte und der Kranke ohne Behinderung durch die Nase athmete. i) Bei Verwachsungen des Gaumensegels mit der Pharynxwand, die mit Perforationen im Velum complicirt sind , kann die Frage auf- geworfen werden , ob man an der Stelle der Verwachsung die natür- liche Oeftnung wieder herzustellen und die davor gelegene Perforations- öffnung zu schliossen versuchen solle? Ucber die Verwaclisung; iks (iaiimensegels etc. 427 Ich hal)e derartige Operationen \\iederliolt gemacht, aber selbst in anscheinend leichten Fällen, wie z. B. dem unter Nun)mer 3 der ersten Abtheilung beschriebenen und abgebildeten Falle, ohne Erfolg. Die Nichterfolge solcher Operationen liegen weniger in der Schwierigkeit der Ausführung, als vielmehr darin, dass man im Narbengewebe ope- rirt; aber selbst wenn eine solche Operation einmal gelingen sollte, dürfte der Kranke nur wenig Gewinn davon haben , einmal weil selbst durch die Verschliessung der Perforationsöffnung der bestehende Nasal- ton der Stimme nicht wieder beseitigt wird, dann aber auch, weil die neugebildete Oeffnung an der Stelle der Verwachsung immer Tendenz zeigt , sich wieder durch narbige Schrumpfung zu verkleinern, so dass also möglicherweise nach einer solchen, wenn auch gelungenen Opera- tion, der Kranke weniger frei durch die Nase athmet, als vor derselben. Auch SzYMANOWSKi vcrsuchtc eine derartige Operation in einem der \on ihm beobachteten Falle; die Operation blieb aber unvollendet we- gen der durch die Blutung hervorgerufenen Unterbrechungen derselben. Ich verweise daher auf dessen Abhandlung , wo auch die Beschreibung und Abbildung des von ihm für diese Operation erfundenen kleinen stellbaren Messers nachgesehen werden mag. Ueberschaut man die wenig ermuthigenden Resultate der opera- tiven Behandlung derartiger Verwachsungen, so dürfte bezüglich der Behandlung der grösste Nachdruck zu legen sein auf die Verhütung des Zustandekommens derartiger Verwachsungen. Zu diesem Zwecke dürfte bei allen Affectionen des Rachens , die verbunden sind mit Verlust des Epithels, also bei heftigeren katarrhali- schen, sowie bei diphtheritischen Processen , namentlich aber bei allen ulcerösen Vorgängen, welcher Natur sie auch sein mögen, die häufig wiederholte Inspection der betreffenden Parthieen auzurathen und wenn Tendenz zu Aneinanderlegung der gegenüberliegenden Flächen be- merkt wird , die Anwendung von adstringirenden Einpinselungen oder Ausspritzungen , unter Umständen selbst Einführungen von in adstrin- girende Lösungen getauchten Leinwandstreifen oder Charpiepfropfen zu empfehlen sein , um das Gaumensegel möglichst von der hintern Ra- chenwand zu entfernen uud so die Verschmelzung beider zu verhüten. Auch von Zeit zu Zeit wiederholte Aetzungen mit Lapis infernalis könn- ten ^ on Vortheil sein. 28- Heber schwefligsaure Kobalt-Alkalisalze und die Löslichkeit des Kobaltoxydhydrats in conc. Kali- oder Natronlauge. Von W. Schnitze. 1. Schwefligsaures Kobaltoxydkali und Kobaltoxydnatron. Vor nicht langer Zeit theilte Geuther*) mit, dass bei der Einwir- kung von neutralem schwefligsauren Kali oder Natron auf feuchtes Kobaltoxydhydrat schwefligsaures Kobaltoxydkali, resp. Koballoxyd- natron entstehe. Diese interessanten Doppelsalze bedurften noch der näheren Unter- suchung ; auf Veranlassung des Herrn Prof. Geuther unternahm ich dieselbe und bringe nun deren Ergebnisse in folgenden Zeilen zur Mil- theilung. Um die Doppelsalze zu erhalten, verfährt man folgendermaassen : Man übergiesst feuchtes Kobaltoxydhydrat mit einer concenlrir- ten, neutralen oder schwach alkalischen Lösung von schwefligsaurem Kali oder Natron, erhitzt das Ganze längere Zeit, lässt absitzen und er- kalten; darauf hebt man die über dem Bodensalze stehende Flüssigkeit ab, erhitzt sie durch eine neue Lösung von schwefligsaurem Alkali und kocht abermals anhaltend. Dies wiederholt man drei- bis viermal , um sicher sein zu können, dass alles Kobaltoxyd sich in Verbindung be- finde. Der Bodensatz ist das Kobaltoxyddoppclsalz. Die Wechselwirkung zwischen dem Kobaltoxyd und den schweflig- sauren Alkalien geht in der Kälte langsam , in der Wärme rasch vor sich: in beiden Fällen wird die Einwirkung des schwefligsauren Kalis eher vollendet, als die des schwefligsauren Natrons. Das schwefligsaure Kobaltoxydkali ist amorph, hellbraun, 1) Ann. d. Chem. u. Pharm. CXXVIII. 163. lieber scliwefligsaurc Kobalt-Alkalisalze etc. 429 wenig löslich in Wasser, leicht löslich in wässeriger schwefliger Säure und in Salzsäure. Concentrirte Kalilauge scheidet aus demselben beim Erwärmen schwarzes Kobaltoxyd ab, und die über dem Kobaltoxyd stehende Flüssigkeit färbt sich prachtvoll blau. Beim Liegen an der Luft verändert es sich sehr rasch , es wird schwarz ; auch bei dem Waschen mit Wasser muss es eine Veränderung erleiden , denn das Waschwasser läuft immer opalisirend durch ; unter Wasser in ver- schlossenen Flaschen hält es sich längere Zeit. Da sich das schwefligsaure Kobaltoxydkali ohne Zersetzung nicht trocknen Hess, so musste es zur Ermittelung seiner Zusammensetzung einer relativen Analyse unterworfen werden. Zur Umwandlung der schwefligen Säure in Schwefelsäure war Schmelzen der Substanz mit Soda und Salpeter nöthig. Deshalb mussten zwei Portionen zur Analyse verwandt und in der einen das Verhältniss zwischen Kali und Kobalt- oxyd, in der andern das Verhältniss zwischen Kobaltoxyd und schwef- liger Säure bestimmt werden. Von diesen beiden gefundenen Verhält- nissen kann man dann durch Rechnung das Verhältniss zwischen Kali, Kobaltoxyd und schwefliger Säure bestimmen. Ein unbestimmtes Quantum Substanz wurde in Salzsäure gelöst, die Lösung neutralisirt, aus derselben das Kobalt als Schwefelkobalt gefällt, und dieses in sciiwefelsaures Kobaltoxydul umgewandelt. Das Filtrat vom Schwefelkobalt wurde eingedampft, aus dem trocknen Rückstande durch Erhitzen die Ammoniaksalze entfernt und das Chlor- kalium in neutrales schwefelsaures Kali verwandelt. Es wurden erhal- ten: 0,^960 Grm. schwefelsaures Kali, entspr. 0,1 üOä Grm. Kali, und 0,4863 Grm. schwefelsaures Kobaltoxydul, entspr. 0,2604 Grm. Ko- baltoxyd. KaO J^ = 0,00339. Co-^0"> »4^ = 0,00314. Das Aequivalentverhältniss zwischen Kali und Kobaltoxyd ist also nahezu w ie 1:1. Ein anderes unbestimmtes Quantum Substanz wurde nun mit Soda und Salpeter erhitzt, die Schmelze mit Wasser ausgelaugt, das zurück- bleibende Kobaltoxyd in schwefelsaures Kobaltoxydul verwandelt, wäh- rend aus dem wässerigen Auszuge nach dem Uebersättigen mit Salz- säure die Schwefelsäure als schwefelsaurer Baryt gefäUt wurde. Man erhielt 0,1209 Grm. schwefelsaures Kobaltoxydul, entspr. 0,06474 Grm. Kobaltoxyd, und 0,3352 Grm. schwefelsauren Baryt, entspr. 0,09208 Grm. schwefliger Säure. W. Schullze, Co^O' . . . . . M«7, _ „_^„^.3 S02. . , . . ».•9'»' _ 0,00288 430 32 Mithin das Aequivalentverhältniss 1:3,73. Man hat gefunden: 1) KaO:Co'-^0'= I: f 2) Co'W: S02 = I : 3,75. Daraus folgt KaO : Co^O^^ : SO- = I : 1 : 3,75. Diesem Aequivalentverhältnisse entspricht die Formel : KaO . SO'^ -4- Co'-^O^ . %% S02. Sie deutet jedenfalls an , dass hier keine ganz reine Verbindung vor- liegt, vielleicht ein Gemisch einer Oxydverbindung von der Formel: K0,S02 + Co20^3S02 und der weiter unten beschriebenen nach der Formel: K0,S02 + CoOSO^ zusammengesetzten Oxyduherbindung. Das schwefligsaure Kobaltoxydnatron ist ebenfalls amorph, aber von etwas dunklerer Farbe, als das Kalisalz; beim Trocknen ver- liert es Wasser und wird fast schwarz; gegen Wasser, gegen ver- dünnte Säuren und gegen Kalilauge verhält es sich gerade so wie das Kalisalz; es ist aber nicht so leicht veränderlich, als wie dieses , ja es lässt sich ohne Zersetzung bei 100'^C. trocknen: deshalb konnte von demselben , ausser einer relativen , auch eine absolute Analyse ausge- führt werden. In beiden Analysen wurde, wie oben angegeben, ver- fahren. 0,4813 Grm. der bei lOO^^C. getrockneten Substanz heferten 0,1680 Grm. schwefelsaures Natron, entspr. 0,0733 Grm. Natron = 15,22%; 0,5280 Grm. Substanz lieferten 0,2042 Grm. Kobaltoxyd- oxydul, entspr. 0,2109 Grm. Kobaltoxyd = 39,96%, und 0,8354 Grm. schwefelsauren Baryt, entspr. 0,2295 Grm. schwefliger Säure = 43,45%. Daraus ergiebt sich das Aequivalentverhältniss : NaO : Co20-^ : SO^ ='1,019:1: 2,820. Eine unbestimmte Portion der feuchten Substanz lieferte 0,1648 Grm. schwefelsaures Natron, entspr. 0,071 95 Grm. Natron, und 0,2967 Grm. schwefelsaures Kobaltoxydul, entspr. 0,1589 Grm. Kobaltoxyd. NaO -^^ = 0,00232 Co203 _Ai2i£_ = 0,00191. Mithin: NaO:Co20' = !,2I4:1. Ueber schwetligsaiirc Kobalt-Alkiilisalze etc. 431 Eine andere Portion ergab: 0,i5r2Grm. schwefelsaures Kobalt- oxydul, entspr. 0,2362 Grm. Kobaltoxyd, und 0,92^9 Grm. sch\^efel- sauren Baryt, entspr. 0,2ö4C Grm. schwefliger Säuie. Co20^ 11^=0,002846 S02 1:1^11 = 0,0079.50. Mithin: Co20':S02= 1 : 2,793. Das Aequivalentverhältniss aller drei Bestandtheile ist dieser Ana- lyse zufolge also : NaO : Co^O' : SO- = 1,214: I : 2,795. Die Ergebnisse der beiden Analysen stimmen ziemlich überein ; sie weisen wol hin auf die Formel: NaO.S02 + Co20'.2S02. Nachdem die eigenthümliche Einwirkung neutraler, schweflig- saurer Alkalien auf Kobaltoxyd constatirt worden war, lag nun der Ge- danke nahe, zu untersuchen, ob auch andere Sesquioxyde eine ähnliche Veränderung erleiden würden. Die zu diesem Behufe angestellten Versuche ergaben aber alle ein negatives Resultat. Feuchtes Nickeloxydhydrat z. B. wurde durch das schwefligsaure Natron desoxydirt: es entstand ein grüner Körper von Nickeloxydul- iiydrat nach der Gleichung: Ni^O'. 3II0 -+■ NaO . SO^ = 2(NiO.I10) -+- NaO . SO^ + HO. Blcisesquioxyd nahm im Anfang der Einwirkung des schweflig- sauren Natrons eine citronengelbe Farbe an , welche dann bei längerer Einwirkung immer matter und matter, zuletzt ganz weiss wurde; in dieser weissen Masse Hessen sich schwefelsaures Bleioxyd und schwef- ligsaures Bleioxyd nachweisen. 2. Schwefligsaures Kobaltoxydulkali und Kobalt- oxydulnatron. Diese beiden Doppelsalze entstehen, wenn eine Lösung schweflig- sauren Kobaltoxyduls, oder Chlorkobalts mit einer neutralen Lösung schwefligsauren Kalis oder Natrons vermischt und erhitzt wird ; oder wenn Kobaltoxydhydrat mit einer hinreichend sauren Lösung schwef- ligsauren Alkalis gekocht wird. In allen diesen Fällen scheiden sie sich als unlöslich aus. Das schwefligsaure Kobaltoxydulkali ist blassroth, klein- krystallinisch , in Wasser unlöslich, in Salzsäure leicht löslich. An der Luft verändert es sich sehr leicht, es wird schwarz, wahrscheinlich infolge einer Oxydation ; es muss desshalb unter Wasser aufbewahrt 432 W. Scliiiltze, werden , aber auch dann noch erleidet es bei wochenlangeni Stehen eine Veränderung: seine Farbe nämlich wird blasser und blasser, und das schützende Wasser färbt sich schön rolh , sodass es scheint , als trete Kobaltoxydulsalz aus dem Doppelsalze aus und löse sich im Was- ser auf. Concentrirte Kalilauge scheidet beim Kochen blassrothes Ko- baltoxydul ab. Auch hier musste das Verfahren der relativen Analyse angewandt werden. Ein unbestimmtes, gut ausgewaschenes Quantum Substanz lieferte 0/3680 Grm. schwefelsaures Kali, entspr. 0,1992 Grm. Kali, und 0,3208 Grm. schwefelsaures Kohaltoxydul , entspr. 0,1581 Grm. Ko- baltoxydul. KaO -^^^ = 0,00422 CoO -'~-J- = 0,00422. Folglich KaO : CoO = 1 : 1 . Eine andere Portion Substanz ergab 0,1249 Grm. Kobaltoxydoxy- dul, entspr. 0,1 106 Gnu. Kobaltoxydul, und 0,7401 Grm. schwefel- sauren Baryt, entspr. 0,2033 Grm. schwefliger Säure. CoO Aü|l.= 0,00311 S02 -^i^ = 0,00635 wonach man wohl annehmen darf, dass CoO : SO^ =1:2. Diesen Verhältnissen entspricht die Formel: KaO . SO^ + CoO . S02. Das seh wefligsaure Kobaltoxydulnatron stimmt fast in allen seinen Eigenschaften mit dem sehwefligsauren Kobaltoxydulkali überein; es unterscheidet sich von diesem in seinem Aeusseren da- durch , dass es dunkler roth und nichtkrystallinisch ist. Bei monate- langem Stehen unter Wasser bei Luftzutritt war es in braunes kry- stallinisches Oxydnatronsalz umgewandelt worden. Eine ungewogene Portion Substanz lieferte 0,1755 Grm. schwefel- saures Natron, entspr. 0,0766Grm. Natron, und 0,5917Grm. schwefel- saures Kobaltoxydul, entspr. 0,2863 Grm. Kobaltoxydul '''''' = 0,00247 = 0,00763. - Folglich: NaO:CoO=l:3. NaO 31 CoO . . . . 0/2863 37,5 NaO :CoO = Ueber scliwolligsiiiire Kohall-Alkitlisiilze etc. 433 Aus einer andern Portion Substanz erhielt man 0,1872 Gnn. Ko- baltoxytloxydul , entspr. 0,4548 Grm. Kobaltoxydul, und 1,3706 Grm. sclnvefelsauren Baryt, entspr. 0,3765 Grm. schwefliger Säure. CoO . . . • 37,5 •= 0,01-213 802 .. . 0,3765 = 0,01 176. 3-2 Mithin CoO: S02 = 1:1. Aus NaO: CoO = 1 : 3 und CoO: : S02 = 1 : 1 folgt NaO : CoO : 80'^ = 1:3:3, welchem Verhältnisse die Formel : NaO. 802+ 3Co0.2S02 entspricht. Eigenthümlich ist, dass nur in den Kali doppelsalzen, das Kobalt- oxydul und Oxyd als neutrales Salz (CoO,S02 und Co20^3S02), in den Na tron doppelsalzen dagegen als basisches Salz (3 CoO, 2802 „,^jj Co20'2S02) auftritt. 3. Ueber die Löslichkeit des Kobaltoxydhydrats in concentrirter Kali- oder Natronlauge. Es ist bei der Anführung der Eigenschaften der beiden schweflig- sauren Kobaltoxydalkalisalze nicht unerwähnt gelassen, dass, wenn concentrirte Kali- oder Natronlauge auf diese Salze einwirkt , neben der Abscheidung von schwarzem Kobaltoxydhydrat die Bildung einer prachtvoll blauen Flüssigkeit stattfinde. Verdünnt man diese Flüssigkeil mit Wasser, oder lässt man sie frei an der Luft stehen, so verschwindet die blaue Farbe, und ein schwarz- brauner Körper scheidet sich aus, ebenso auf Zusatz von Säuren. Dieser schwarzbraune Körper ist , seinen Reactionen zufolge , Ko- baltoxydhydrat. Darnach könnte denn die blaue Flüssigkeit eine Auflösung von Kobaltoxyd in Kalilauge sein. Wenn dieses der Fall ist, dann muss sie auch entstehen bei der Einwirkung concentrirter Kalilauge auf reines Kobaltoxydhydrat. Kocht man feuchtes Kobaltoxydhydrat mit concentrirter Kalilauge anhaltend in einem Proberöhrchen und lässt dann absitzen, so zeigt wirklich die überstehende Flüssigkeit eine schön blaue Färbung und gegen Wasser und gegen Luft ganz das nämliche Verhalten, wie die 134 ^'^ • •'^na mit 2 Species) und der Leuckartiden [Leuckartia vin\, \ , Liriope mit 6, Xanthea mit 2 Species). Liriope tenuirostris] . 16. Haeckel, Beschreibung neuer craspedoter Medusen aus dem Golfe von Nizza. Vergl. diesen Band, oben p. 325—342. [Geryonia hastata und Liriope eurybia). I. Geschichte der Geryouiden. Die älteste Beschreibung und Abbildung einer zur Familie der Geryoniden gehörigen Meduse findet sich in der 1 775 erschienenen Dar- stellung der von Foiisk.\l auf seiner orientalischen Reise beobachteten Thiere. Die betreffende grosse Rüsselqualle wurde von ihm im Miltel- meer beobachtet und Medusa proboscidalis benannt. Auf eine dieser nahe stehende, ebenfalls im Mittelmeer gefundene Art gründeten 1809 PfiRON und Lesueur ihre neue Gattung Geryonia , welche sie mit folgen- den Worten charakterisirten : »Point de bras ; des filets ou des lames au pourtour de l'ombrelle; une trompe inferieure et centrale «. Ausser jener grossen, der Medusa proboscidalis verwandten Art, welche diese Forscher Geryonia hecraphylla nannten, zogen sie dazu noch eine zweite, sehr verschiedene Meduse, G. dinema^ welche Eschscholtz später ^a- phenia dinema taufte, und welche jetzt unter diesem Namen zur Familie der Geryonopsiden gerechnet wird. Dagegen wurde bald ein anderes, wirklich zur Familie der Geryoniden gehöriges Thier, welches die älteste beobachtete Art der Gattung Liriope ist, von Chamisso im indischen Ocean entdeckt und 1 820 als Geryonia tetraphylla beschrieben und ab- gebildet. Endlich wurde eine dritte, ebenfalls zur Gattung Liriope ge- 438 •■^nist Hiieckel, liöiigp Art 1827 von Quoy und Gaimard unter dem Namen Dianaca exigiia bekannt gemacht. In der ersten Naturgeschichte der »medusenartigen Strahlthiere«, dem 1829 erschienenen trefflichen >i System der Acah^phen « von Esch- scHOLTZ, finden wir die Gattung Geryonia zum Typus einer eigenen Familie, der Geryoniden, erhoben , in welchem ausserdem noch 6 Gat- tungen zusammengestellt werden [Dianaea, Linuche, Saphenia, Eirene^ Limnorea , Favonia). Mit Ausnahme der ersten Gattung , die bei Esch- scHOLTz nur eine Varietät von Dianaea [Liriope) exigua enthält, gehören diese Genera zu ganz verschiednen Familien. Das Auszeichnende seiner neuen Familie der Geryoniden findet Eschscholtz »in einem langen Fortsatze, welcher aus der Mitte der untern Fläche der Scheibe ent- springt, aus derselben gallertigen Masse gebildet ist, wie die Scheibe selbst, und nicht zur Aufnahme von groben Nahrungsstoffen dient, sondern nur ihre Säfte einzieht. Denn dieser Stiel ist ganz so beschaffen wie die Arme und der Stiel bei den Rhizostomiden : an seiner Spitze befinden sich Saugöffnungen, die in feine den Stiel durchlaufende Ca- näle übergehen , und so den Nahrungssaft den Verdauungshöhlen zu- führen.« Von dem Genus Genjonia sagt Eschscholtz (1. c. p. 86), »Ventri- culi plures cordati in circuitu disci. Cirrhi marginales lotidem majores. Pedunculus ante appendicem plicatam conslrictus «. »Die durchsichtige Scheibe aller bekannten Arten dieser merkwürdigen Gattung lässt an ihrem Umfang mehrere (4, 6 oder 8) herzförmige, flache, gefärbte Theile leicht erkennen, welche als einzelne getrennte Magenhöhlen anzusehen sind. Ihre Spitze ist dem Rande zugewandt und steht einem Fangfaden sehr nahe, welcher denn auch seinen Ursprung von hier nimmt. Der Stiel hat kurz vor seinem Ende eine Einschnürung, worauf ein gefalteter Anhang folgt, dessen Falten sich nach der Zahl der Magenhöhlen zu rich- ten scheinen. Von dem Anhange entspringen ebenso viele kleine Canäle, als Magenhöhlen vorhanden sind , die in der Masse des Stiels an den Seiten desselben hinaufsteigen und sich zur Mitte des inneren Randes der herzförmigen Anhänge begeben , wo sie gleichsam den Stiel des herzförmigen Rlattes ausmachen. Als Fortsetzung der Canäle bemerkt man noch einen dunklern Streifen durch die Mitte des Blatts verlaufen, wo die Magenhöhle wahrscheinlich noch eine Falte hat«. Wie aus dieser trefflichen Beschreibung hervorgeht , hatte Eschscholtz die anatomi- schen Eigenthümlichkeiten von Geryonia vollkommen richtig aufgc- fasst, abgesehn von dem einzigen Irrthum, dass er in dem »gefalteten Anhange« des Scheibenstieles den Magen nicht eikannte und vielmehr die flachen herzförmigen Blätter , welche die Genitalien darstellen , für Die KanüliL' der Rüsselqiiulleii. 439 einzelne getrennte Magenhöhlen hielt. Von den 6 Spccies, welche Escn- scHOLTZ unter dem Genus (k'ri/onin aufführt, kann nur eine einzige, G. pi'oboscidalis, unter demselben stehenbleiben. Eine zweite, nicht hinreichend bekannte Art, G. minima (die Medusa mininiu von Baster, Orythia minima von P£rox und Lesueüu) gehört einer andern Familie an. Die 4 übrigen Arten (3. G. telraphyUa, 4. G. bicolor, 5. G. rosacea^ (). G. exigua) sind zu f.iriope zu ziehen. Eine neue grosse, von Mertexs im stillen Ocean aufgefundene Geryoniden-Art wurde 1838 von Braxdt als Geryonia hexaphylla be- schrieben , obwohl sie offenbar von der mit dem gleichen Namen von PfiROx und Lesueur bezeichneten Art sehr verschieden ist. Dui'ch die in der Abbildung von Bkaxdt sehr deutlich dargestellten centripetalen Ra- dialcanäle stiunnt diese Form üljerein mit der von Gegenbaur bei Mes- sina beobachteten Art, mit welcher zusammen sie in der Gattung Ge- ryonia stehen bleiben kann. In der 1843 erschienenen »Histoire naturelle des Zoophytes Acale- phes« von Lessox werden die bis dahin bekannten, zur Familie der Geryoniden gehörigen Medusen eingereiht in seine »Troisieme Groupe: Les Meduses agaricines ou Meduses proboscidees : A disque donnant attache en dessous et au milieu ä un stipe plus ou moins long et epais, enlier, ä peine divise au sommet, ou parfois garni de fd)rilles termi- nales ou laterales«. Die Geryoniden vertheilt Lesson auf 3 Galtungen, welche er durch folgende Diagnosen unterscheidet: »I. Geryonia: Om- brelle hemispherique, ayant 4 cirrhes marginaux, 4 appendiccs folii- formes ä l'estomac, pedoncule assez long, cjlindrique, ayanl 4 ouvei- tures au sommel ou une ouverture entouree de 4 petites folioles. 2. Li- riope: Ombrelle hemispherique, excave en dessous, ayant 4 ou G len- tacules marginaux, 4 ou 6 lobes stomacaux cordiformes; un pedoncule central, gros, dilate au sommet en cupule , ä six lobes et perfore au milieu. 3. Xanllwa: Ombrelle hemispherique , sans lobes de l'estomac foliolaires, ä pourlour evase, garni de 8 tentacules tres courts. Face inferieure du disque excavee ä prolongement probosciforme long, cylin- drique, termin^ ä son sommet par une ouverture simple.« Diese Dia- gnosen sind, wie man sieht, in jeder Beziehung ganz ungenügend und unlogisch. Geryonia und Liriopc unterscheiden sich hiernach lediglich dadurch , dass bei der ersteren der Mund von 4 , bei der letzteren von 6 Mundlappen umgeben ist, während die andern Theile bei beiden in Vierzahl vorkonuncn können. Zu Liriope stellt Lessox ausser Geryonia proboscidalis eine individuelle Varietät oder Monstrosität von G. exiyua^ welche er Liriope cerasiforniis nennt, und welche auch Eschscholtz als Diunaea exigua von ersterer getrennt hatte. 440 Ernst Hiicckcl, 4 Arien stehen (LG. tetraphylla , 9. G. bicolor , 'i. G. rosncea ^ 4. G. exigua). Von seinem Genus Xanthea führt er nur eine Art auf, .Y agn- ricina: »Ombrelle hyalin, ä huit courts tentacules. Pedoncule allonge, cylindrique, perfore.« Das ist offenbar nur eine L/rtope mit noch nicht entwickelten Genitalien; Von den beiden neuen Arten Gergonia, welche Will 1844 in sei- nen »Horae tergestinae« aufführte, gehört die eine, G. planata^ zur Familie der Eucopiden , die andere, G. pellucida, zur Familie der Ge- ryonopsiden und zwar zur Gattung Tima. Dagegen beschreibt Forbes 1848 unter seinen »British nacked-eyed Medusae« eine neue Gergoriiu appendiculata, welche zur Gattung Liriope im Sinne der neueren Auto- ren gehört. Eine bestimmte Begrenzung erhielten die beiden Gattiuigen Gergo- nia und Liriope. erst 185G durch Gegenbaur, welcher in seinem treff- lichen »Versuch eines Systemes der Medusen« zugleich die Familie der Geryoniden schärfer zu umschreiben und die sehr verschiedenartigen, bisher damit gemengten Bestandtheile anderer Familien auszuscheiden suchte. Zu diesen letztern gehören namentlich mehrere jetzt zur Familie der Geryonopsiden gestellte Gattungen. Den Charakter der eigentlichen Geryoniden findet Gegenbaur einerseits in der eigenthümlichen , an die Aeginiden erinnernden und von allen andern Craspedoten abweichen- den Bildung der Geschlechtsorgane, welche als ganz flache blattför- mige Ausbuchtungen der Radialcanäle sich nicht über die Fläche der Subumbrella erheben, andererseits in der eigenthümlichen Bildung des Schirmstieles, von dem er irrthümlich annimmt, dass er »in seinem Innern nur einen grossen Behälter für den mit Seewasser gemischten Chymus vorstelle«. — »Vom Magengrunde erstreckt sich ein Canal unter allmählicher, dem Umfang des Stiels entsprechenden Zunahme seines Lumens bis in den Schirm, wo er sich in eine geräumige, im Umfange die Radiärcanäle abgebende Höhlung erweitert«. Die beiden Genera der Geryonidenfamilie, Gergonia \xx\d Liriope, unterscheidet Gegenbavr dadurch, dass bei ersterer blind geendigte centripetale Fortsätze zwi- schen den Radialcanälen vom Ringcanale ausgehen , während diese bei letzterer fehlen. Von beiden Gattungen beobachtete er in Messina einen Repräsentanten. Seine Gergonia proboscidnlis ist von der gleichnamigen Form der früheren Autoren sicher verschieden. Seine neue Liriope mucronata zeichnet sich durch einen, ebenfalls irrthümlich für hohl ge- haltenen , kegelförmigen Fortsatz des untern Endes vom Schirmsliele aus , der die Magenhöhle frei durchsetzt und oft weit aus dem Munde hervorragt. Wir werden dieses eigenthümliche Gebilde fortan als »Zun- genkegel« bezeichnen. Die Familie der Rfisselqiiiillen, 441 Fast gleichzeitig mit Gegenbaur und unabhängig von diesem be- schrieb 1856 Lelckart 2 ebenfalls mediterrane, von ihm bei Nizza beobachtete Vertreter der l)eiden genannten Gattungen , von denen er den einen mit Geryonia probosctdalis von Eschscholtz, den andern mit G. exigua von Lessox [Diunaea e. Liriope e.) für identisch hielt. Indess weicht deren Beschreil)ung und Abl^ildung so sehr von derjenigen der genannten und auch aller andern Geryoniden ab, dass, falls sie natur- getreu ist, beide unzweifelhaft als eigene Arten abzusondern sind. Von seiner G. exigua, die wir unten als Liriope Ugnrina aufführen werden, beobachtete Leuckart auch zahlreiche jugendliche Formen, die in vielen Beziehungen so sehr von den erwachsenen abweichen, dass man ohne Kenntniss der vermittelnden Zwischenstufen beide als Angehörige ganz verschiedener Medusenfamilien betrachten würde. Eine noch vollständigere Entwickelungsgeschichle lieferte \ 859 Fritz Müller von einer neuen Liriope , die er nach ihrem brasiUschen Fundorte L. catharinensis nannte. Es schliesst sich diese Art am näch- sten an L. mucronata an, und namentlich verlängert sich auch hier dei" Schirmstiel unten in den Magen hinein in Form eines langen soliden »Zungenkegels«. Die jugendliche Larvenform dieser Art steht den von Lelckart beschriebenen Larven der G. exigua sehr nahe , und Müller weist von beiden nach , dass sie nicht w esentlich von den noch nicht geschlechtsreifen Medusenformen verschieden sind, welche Eschscholtz als Eurybia und Gegexbaur als Eurybiopsis beschrieben haben. In der 1859 erschienenen Arbeit von Mc Crady über die »Gy- mnophthalmata of Charleston Harbor« findet sich die Beschreibung einer neuen Liriope , welche derselbe wegen ihrer sehr grossen kreisrunden schildförmigen Genitalblätter L. scutigera nennt. Eine andere nordamerikanische Art von Liriope wurde von Agassiz bei Key West (Florida) gefunden. Sie zeichnet sich durch enorm langen Magenstiei aus, der 5 mal so lang als der Schirmdurchmesser ist. Diese Art wird von Agassiz 1862 in seinem grossen Acalephcn- Werke (IV. Band der Contributions etc.) als L. (enuirostris aufgeführt. In der «Tabular view of the whole order of Hydroidae«, welche Agassiz in diesem Werke giebt, finden wir die systematische Gruppirung der Geryoniden in einer ganz neuen Form. Zunächst scheidet Agassiz mit Recht, wie schon Gegexbalr gethan hatte, aus dieser Familie diejenigen craspedoten Medusen als Geryonopsiden aus, welche mit den Geryoniden zwar den rüsselähnlichen langen Magenstiel theilen , aber durch die Bildung 'der Genitalien ganz von diesen abweichen und sich vielmehr den Eucopiden anschliessen. Ausserdem spaltet er aber, auf die irrige Angabe Gegeivbaur's von dem Bau der Geryonia gestützt , die Bd. !. /.. 29 442 - Ernst Haeckel, Familie der Geryoniden in 2 Familien, von denen diejenige der eigent- lichen Geryoniden bloss durch Geryonia (G. pj-oboscidalin , Gegexbaur und G. hexaphylla, Brandt) gebildet wird (mit angeblich einfach hohlem Magenstiel) , während die andere der Leuckartiden (mit getrennten Ca- niilen des soliden Magenstiels) alle andern Gattungen umfasst [Liriope, Xunthea und Leuckartia [Geryonia proboscidalis, Leuckart]). Dass diese Spaltung auf irrthümlichen Voraussetzungen beruht, wird sogleich näher bewiesen werden. Meine eigenen Anschauungen über den Bau und die Entwickelung der Geryoniden gründen sich auf die eingehende Untersuchung von 2 Species, w^elche ich in grosser Anzahl im Frühjahr 1864 im Golfe von Nizza zu beobachten Gelegenheit hatte, und welche bereits auf p. 327 dieser Zeitschrift als Geryonia hastata und Liriope eurybia beschrieben worden sind. Ehe ich auf die speciellere Darstellung derselben eingehe, werde ich einen allgemeinen Ueberblick über die Organisation der Fa- milie geben , und den Versuch machen , die aufgeführten in der Sy- stematik der Geryoniden entstandenen Differenzen zu lösen und durch brauchbare Charaktere die verschiedenen hierher gehörigen Gattungen und Arten zu scheiden, wobei ich meine oben erwähnte Mittheilung (p. 327) als bekannt voraussetze. II. Orgauisatiou der Geryouideu. »Die Familie der Rüsselquallen ist wohl die bezüglich ihres Baues am wenigsten aufgeklärte , und bis in die neueste Zeit ziehen sich wi- dersprechende Angaben über die Structurverhältnisse dieser Wesen in den einzelnen Lehrbüchern fort«. Dass dieser Satz, mit dem Gegexbaur I 856 die Besprechung der Geryoniden beginnt , auch heutzutage noch vollkommen gültig ist, wird jeder zugeben, der die im Vorhergehenden citirten sehr verschiedenen Angaben der zahlreichen Beobachter näher geprüft und in Einklang zu bringen versucht hat. Als der auffälligste äussere Charakter der Geryoniden springt zunächst unmittelbar jedem Beobachter der »Rüssel« in die Augen, d. h. der lange, bewegliche, cylindrische oder conische Magenstiel , welcher an seinem unteren Ende den verhältnissmässig sehr kleinen Magen trägt, während das obere Ende allmählich conisch verdickt in die untere Fläche des Gallert- schirms übergeht und diesen ebenso trägt, wie der Stiel eines Hut- pilzes seinen Hut. Allein so auffallend auch dieser lange Schirmstiel ist, so reicht er doch nicht aus, die Familie der echten Geryoniden allein zu charakteri- siren , denn ein gleicher Stiel kommt auch bei vielen andern Craspe- Die Familie der Rüsselquailen. 443 doten, obschon nicht in so hohem Grade entwickelt, vor, erstens bei der von Agassiz als Geryonopsiden getrennten Familie , imd dann auch bei zahlreichen Medusen aus Gegenbaur's Abtheilung der Oceaniden und Thaumantiaden. Die letzteren sind jedoch, abgesehen von der ganz verschiedenen Bildung der Genitalien , sofort an den Pigmentflecken (Ocelli) des Schirmrandes zu unterscheiden , während die Geryoniden, ebenso wie die Geryonopsiden, stets nur Randbläschen (mit Ololithen), niemals Ocelli tragen. Was nun die Trennung der eigentlichen Geryo- niden von den Geryonopsiden betrifft, so sei hier von vornherein her- vorgehoben, dass dieselbe sehr leicht nach der ganz verschiedenen Bildung der Genitalien zu bewerkstelligen ist. Die Familie der Geryo- nopsiden von Agassiz umfasst die Gattungen: Geryonopsis^ Eirene, Tima, Eutima, Ori/thia und Saphenia (Forbes), welche nach Gegendaur's System in dessen Familie der Eucopiden gehören würden , sich ^ber von den echten Eucopiden (mit sitzendem Magen) durch den Magenstiel unterscheiden. Bei allen diesen Geryonopsiden verlaufen die Genitalien ais meistens cylindrische Wülste, Fallen oder Rippen längs der Radial- canäle und springen stets mehr oder weniger von der Sul)umbrclla in die Schirmhöhle vor , oder hängen auch wohl , wie bei den echten Eu- copiden , als bläschen- oder sackförmige Ausstülpungen der Radial- canäle in letztere hinein. Dagegen bei allen Geryoniden breiten sich die Genitalien als ganz dünne flache Blätter in der Subumbrella aus, ohne in die Schirmhöhle irgend vorzuspringen. Es sind diese sehr ver- schieden gestalteten »Genitalblätter« nichts Anderes, als ganz flache taschenförmige seitliche Ausstülpungen der Radialcanäle , welche letzteren selbst wie eine Blattrippe mitten durch jedes Genilalblatt hin- durchlaufen. So erscheinen hier die Ernährungs- und Fortpflanzungs- organe noch inniger verbunden , als bei allen andern Medusen, nur die Aeginiden ausgenommen. Dies hat schon Gegenbaur mit Recht hervor- gehoben, indem er (1. c. p. 263) bemerkt: »In der Bildung dieser Or- gane, oder vielmehr, da hier keine so scharfe Differenzirung der keim- bereitenden Stätte von dem Gastrovascularsysteme stattfindet, in der Bildung der Geschlechtsproducte , nähern sich die Rüsselquallen auffal- lend genug den Aeginiden«. Während so die charakteristische Genitalbildung der Geryoniden von Gegenbaur voflkommen richtig erkannt und gewürdigt wurde , so irrte er dagegen in einer andern Beziehung , indem er bei den echten Rüsselquailen [Geryonia und Liriope) auch eine eigenthümliche Gon- struction des Magenstiels zu erkennen glaubte, und eine Bildung des Gastrovascularsystems , welche wesentlich von derjenigen der Geryo- nopsiden verschieden sei. Diese irrige Angabe erfordert namentlich :!9* 444 Ernst Hiieckel, deshalb eine besondere Widerlegung , weil Agassiz, lediglich durch sie bewogen, die Gruppe der Rüsselquallen in seine 21 Familien der eigent- lichen Geryoniden [Geryonia proboscidalis, GEGENBAURund G. hexaphyllu, Brandt) und der Leuckartiden (die übrigen Geryoniden) spaltete, »Der Stiel der Geryoniden«, sagt Gegenbaur . »charaktcrisirt sich vorzüglich durch den Mangel von gesonderten Canälen ; er stellt in seinem Innern nur einen grossen Behälter für den mit Seewasser gemischten Chymus vor, und unterscheidet sich somit wesentlich von ähnlichen stielartigen Verlängerungen«. Bei Geryonia [proboscidalis] entspringt von der con- caven Unterfläche des Schirms »unter allmählicher Verjüngung der etwa 272" lange Stiel, an dessen Ende der meist gefaltete Magen sitzt. Vom Magengrunde erstreckt sich ein Canal unter allmählicher dem Um- fange des Stiels entsprechenden Zunahme seines Lumens bis in den Schi^-m , wo er sich in eine geräumige , im Umfange die Radiärcanäle abgebende Höhlung erweitert. Solcher Ganäle sind 6 vorhanden. Sie sind die Forlsetzungen von eben so vielen weisslichen Streifen, welche vom Älagen an längs des Stielcanals verlaufen, ohne dass sie jedoch auf dieser Strecke irgend etwas mit einer Canalbildung zu schaffen hätten, und werden einfach durch einen besondern Epithelüberzug , dessen Zellen durch ihren feinkörnigen Inhalt weisslich erscheinen, dargestellt. Erst da, wo diese weisslichen Streifen im Schirme gegen den Rand hin gerichtet nach abwärts liegen, beginnen die wirklichen Ganäle, in deren Auskleidung die Zellen der Streifen sich fortsetzen. Bis dahin erstreckt sich auch die trichterförmige Hohle als Fortsetzung des Stielcanals und wird in ihrem Lumen durch eine von der Gallertsubstanz des Schirms gebildete Vorragung etwas verengert«. Wenn diese Darstellung richtig wäre , so würde sie Agassiz in der That zur Aufstellung einer beson- deren Familie berechtigen. Allein die sorgfältige anatomische und mikroskopische Untersuchung eines vollkommen wohl erhaltenen, von Gegenbaur selbst aus Messina mitgebrachten Originalexemplares sei- ner Geryonia proboscidalis erlaubte mir das Irrthümliche jener Darstel- lung nachzuweisen und mich zu überzeugen , dass hier ebenso wie bei den übrigen Geryoniden und wie bei allen Geryonopsiden , die Stiei- canäle bereits getrennt aus dem Magengrunde entspringen , isolirt in der Aussenfläche des soliden Magenstiels zur Unterfläche des Schirms verlaufen und hier unmittelbar in die Radialcanäle sich fortsetzen, welche die Genitalblätter durchlaufen und in den Ringcanal münden. Querschnitte durch den Magenstiel in allen verschiedenen Höhen vom Magen ])is zum Schirm zeigten das Verhältniss sehr klar und gaben dasselbe Bild, welches ich Taf. XI. Fig. 4. b. von Geryonia hastata dargestellt habe. Die relativ mächtige Gallertmasse des soliden Magen- Die Familie der-HiisselquiiUeu. 445 Stiels ist übrigens so vollkommen farblos, wasserhell, durchsichtig, homogen und structurlos, und leistet dem Eindringen eines spitzen In- strumentes , mit dem man die scheinbare Stielhöhle untersuchen will, so wenig Widerstand, dass man sehr leicht zur Annahme der letzteren verleitet werden kann. Der Irrthum von Gegenbaur war aber um so leichter möglich, als derselbe, wie ich aus mündlicher Mittheilung weiss, nur wenige und dabei grossentheils verstümmelte Exemplare in Messina zu untersuchen Gelegenheit hatte. Dasselbe Organisalionsverhältniss des Stiels wie bei Gerijonia fin- det sich auch bei Liriope. Der Magenstiel ist auch hier ein solider Zapfen , an dessen Oberfläche die Radialcanäle vom Magengrund zur Subumbrella emporsteigen und ebenso ist auch die merkwürdige Fort- setzung des Magenstiels solid, welche als »Zungenkegel« in die Magen- höhle hinein und oft auch aus der Mundöffnung herausragt. Für Liriope catharinensis hat dies bereits Fritz Müller 1859 nachgewiesen. Ich habe mich bei L. euryhia ebenfalls auf das Sicherste davon überzeugt. Damit fallen auch die Schwierigkeiten hinweg, welche Gegenbaur, ver- leitet durch die Annahme einer blind geschlossnen , »seinen äussern Contouren conformen Höhle« des Zungenkegels, bezüglich der schein- bar so abweichenden Bildung des Gastrovascularapparates von Liriope findet und ül)er welche er sich (1. c. p. 258) ausführlich ausspricht. Es ist mithin nun festgestellt , dass das Gastrovascularsystem und namentlich der im Magenstiel liegende Theil desselben bei Geryonia sich nicht anders , als bei den übrigen Geryoniden verhält, dass viel- mehr alle diese Medusen hierin vollkommen unter einander und auch mit den Geryonopsiden übereinstimmen. Die von Agassiz aufgestellte Familie der Leuckartiden muss deshall) wieder eingezogen werden und die darunter zusammengefassten Gattungen Leuckartio , Liriope, Xan- thea müssen mit Geryonia in der alten Familie der Geryoniden vereinigt bleiben. Diese erscheint dann als eine interessante Mittelgruppe zwi- schen den beiden Familien der Geryonopsiden und der Aeginiden , in- dem sie mit jener die Structur des Gastrovascularapparates , und na- mentlich des Magenstiels theilt, dieser dagegen durch die eigenthümliche Bildung der Genitalien sich nähert. Nachdem so die Grenzen der Familie der Rüsselquallen festgestellt sind , erscheint es lohnend , auch auf die übrigen Organisationsverhält- nisse der Geryoniden im Allgemeinen einen Blick zu w^erfen. Obschon das vorliegende Material über diese merkwürdigen Thiere im Ganzen noch sehr dürftig und unvollkommen ist, und erst sehr wenige Arten Genauer untersucht sind, so weichen doch schon diese unvollkommenen 44fj l-"ist Jlaeckel, Erfahrungen hin , ein besonderes Interesse für diese mehrfach ausge- zeichnete QuallenfamiHe zu erregen. Die äussere Körperform der Geryoniden zeigt im Ganzen einen sehr übereinstimmenden Habitus. Der Schirm ist meistens mehr oder weniger halbkugelig, bisweilen fast kugelig gewölbt, seltener flacher, scheibenförmig, uhrglasförmig oder kegelförmig. Dagegen bie- tet die Zusammensetzung des Körpers aus mehreren gleichen (homo- typischen) radialen Ausschnitten oder Kugelsegmenten dadurch ein besonderes Interesse, dass bei einem Theile der Geryoniden die Zahl dieser homotypischen Körperabschnitte regelmässig Sechs ist, während bei dem andern Theile diese Zahl , wie bei allen übrigen Medusen stets nur Vier beträgt. Alle Geryoniden mit sechszähligem Typus zeichnen sich durch sehr bedeutende Grösse und Körpermasse nicht allein vor den übrigen Thieren dieser Familie , sondern auch vor fast allen craspedoten Medusen aus , so dass sie wohl als die absolut um- fangreichsten Thiere dieser ganzen Gruppe (der Hydroiden) zu betrach- ten sind. Dasselbe gilt dann auch von der Entwicklung aller einzelnen Theile , die sich deshall) zu einer eingehenden Untersuchung l)esonders eignen. Ich spalte auf Grund dieses sehr merkwürdigen Verhältnisses die Familie der Geryoniden in 2 verschiedene Unterfamilien: die Li ri o- piden mit vierzähligem und die Garmariniden mit sechszähligem Tj-pus , zumal auch andere feinere Unterschiede diese beiden Gruppen tiefer trennen. Die homotypische Grundzahl gilt in diesen beiden Sub- farailien ganz durchgreifend für alle einzelnen Körpertheile und Organe, so dass also nicht nur die ßadialcanäle und die Genitalblätter, sondern auch die Magenfalten, die Mundlappen, die Randbläschen und die Ten- takeln bei den Liriopiden constant zu 4 oder scXi, bei den Gar- mariniden zu 6 oder a:X6 vorhanden sind. Es hätte dieses wichtige Verhältniss gewiss schon früher in der Systematik der Geryoniden die verdiente Berücksichtigung gefunden, wenn nicht eine vereinzelte An- gabe über eine scheinbare Ausnahme die früheren Autoren irre geleilet hätte. QuoY und Gaimard nämlich bildeten neben ihrer Dianaea [Liriope] ea:?"^!/a »un autre individu« derselben Art ab, das sich nur durch den Mangel der Genitalblätter und durch einen sechslappigen Mund von der gewöhnlichen Form unterschied , während die andern Theile , wie ge- wöhnlich in Vierzahl vorhanden waren. Diese Form wurde nun später als eine sehr auffallende Combination des vier- und sechszähligen Ty- pus besonders hervorgehoben und nicht bloss specifisch, sondern sogar generisch von Geryonia exigua getrennt. Lessox führt sie als Liriiipe cerasiformis neben Liriope [Geryonia] proboscidalis auf und Eschscholt« gründet sogar auf sie allein seine Gattung Dianaea: »Cirrhi marginales Die Familie der Küsseiquallen. 447 quatuor. Pedunculus apice laljio sexies lobato« (1. c. p. 90). Indessen ha])en wir es hier, wie ich unten zeigen werde, zweifelsohne nur mit einem Individuum der Liriope exigiia zu thun, liei dem die Genitalien gerade nicht entwickelt und der vierlappige Mund zufallig in 6 Falten gelegt war, wie schon Forbes bei seiner Geryonia oppendiculata öfter beobachtet hatte , und ich nachher bei Glossocodon euryhia oft gesehen habe. Die Form des Mundes kann überhaupt nicht, wie es öfter ver- sucht worden ist, zur Charakteristik der verschiedenen Arten, oder gar Gattungen der Geryoniden mit Vortheil verwendet werden. Dieser Theil ist nämlich äusserst contractu und beweglich und wechselt seine Form fast beständig, oft in überraschendem Grade. Während ich bei Glosso- codon euryhia den Saum des geöffneten Mundes meist unregelmässig viereckig, oft aber auch ganz regelmässig quadratisch fand , sah ich ihn zu andern Zeiten scheinbar in 4 grosse Lappen tief gespalten. Diese Lappen ergaben sich aber bald nur als vorübergehende Falten des Mundsaumes , entstanden durch tiefes Einziehen der Mitte jeder Qua- dratseite und Zusammenlegen der beiden den Quadratwinkcl ein- schliessenden Schenke], Nicht selten bildete sich dann noch an 2 ge- genüber liegenden Stellen zwischen je 2 Falten eine fünfte und sechste, und öfters endlich zwischen diesen noch eine siebente und achte Falte. Dagegen scheint die Anzahl der Nesselwarzen , welche den Mundsaum zieren, bei verschiedenen Arten constant verschieden zu sein. Ein höchst merkwürdiges Organ , das in keiner anderen Medusen- gruppe bisher aufgefunden worden ist, besitzen einige , vielleicht viele Geryoniden in dem mehrfach erwähnten seltsamen »Zungenkegel «, einer gleichmässig conisch zugespitzten soliden Verlängerung des Ma- gensliels in die Magenhöhle hinein, in welcher dieser stiletförmige Kegel theils ganz zurückgezogen liegt, theils aus der Mundöffnung weit her- vorgeslreckt werden kann. Es wurde dieses Organ zuerst von Gegen- BAUR bei seiner Liriope nmcronnta, später von Fritz Müller bei L. catharinensis und kürzlich von mir bei L. euryhia beobachtet. Sein Vorkommen beschränkt sich aber nicht auf die vierzähligen Liriopiden, sondern erstreckt sich auch auf die sechszähligen Carmariniden, wo ich es bei Geryonia haslata nachgewiesen habe. Da der Zungenkegel, na- mentlich bei der letzteren, eine beträchtliche Grösse besitzt und oft weit aus dem Magen hervorragt, so kann ich kaum glauben, dass die früheren Beobachter bei den andern Arten denselben übersehen ha])en sollten. Namentlich ist nicht anzunehmen, dass Gegenbaur, der bei Liriope mucronuta den Zungenkegel zuerst entdeckte , denselben bei seiner viel grösseren Geryonia prohoscidalis, wenn er hier vorhanden 448 Ernst Haeckel, wäre, nicht bemerkt haben sollte. Ich halte daher dieses auffallende Organ für einen wesentlichen generischen Charakter der betreffenden Arten und schlage vor, die vierzähligen Liriopiden mit Zungenkegel in der neuen Gattung Glossocodon, die sechszähligen Geryoniden mit Zun- genkegel in der neuen Gattung Carmarina zu vereinigen und von den zungenlosen Geryoniden abzutrennen. Ueber die Function dieses »stilet- förmigen Organs« hat sich Fritz Müller nicht ausgesprochen. Gegenbaur vermuthet, »dass es in engerer Beziehung zur Aufnahme oder zur Ver- änderung der Nahrung stehe«. Ich glaube darin vorzugsweise ein feines Tastorgan und nebenbei vielleicht zugleich ein Geschmacksorgan , eine wirkliche Zunge, zu erkennen , worüber das Nähere unten in der spe- ciellen Beschreibung von Glossocodon eurybia zu vergleichen ist. Der Magensack ist bei allen Geryoniden, namentlich aber bei den vierzähligen , von verhältnissmässig sehr geringer Grösse , so dass die früheren Autoren darin nur die Mundhöhle er])]ickten , und die eigentlich verdauenden Magencavitäten in den Genitalblättern suchten. Die Verdauungskraft desselben ist nichtsdestoweniger ausserordentlich gross, so dass nicht allein die weicheren wasserreichen pelagischen Organismen, sondern auch hartschaligeCrustaceen, Älollusken und selbst kleine Fische in sehr kurzer Zeit mehr oder weniger vollständig ver- daut , theils in einen unförmlichen Klumpen verw^andelt, theils als Brei von feinen Körnchen mit dem aufgenommenen Seewasser in die Ra- dialcanäle übergeführt werden. Dies entspricht ganz dem ausnehmend räuberischen und wilden Charakter dieser behenden , gefrässigen und kühnen Raubthiere. Mc Crady sah eine Liriope scutigera einen Fisch, der 3 mal so gross als sie selbst w ar , mit den langen Tentakeln und dem offenen Magenschlauche, der saugende Bewegungen ausführte, umschlingen und in kurzer Zeit tödten. Ich fand bisweilen den Magen von Glossocodon eurybia durch Aufnahme grosser Nahrungsmengen bis um das Zehnfache seines ursprünglichen Volums ausgedehnt. Im ruhi- gen Zustande hängt der Magen meist in Falten geschlagen als dünner Cylinder oder Kegel von dem Magenstie} herab; bei geöffnetem Munde und verstrichenen Falten erscheint er meist glockenförmig. Der durchsichtige solide Magen stiel ist meist scharf von dem undurchsichtigen Magen abgesetzt, cylindrisch oder, besonders nach oben , kegelförmig verdickt , nach unten verdünnt und geht oben ganz allmählich in die Gallertmasse des Schirmes über. Wie diese , besteht er lediglich aus wasserklarer, hyaliner, vollkommen homogener Gal- lerte, in welcher keine anderen Formelemente, als zahlreiche zerstreute, sehr lange und feine, spitzwinklig verzweigte Fasern zu erkennen sind, die die ganze Dicke des Gallertmantels durchsetzen. Als matt w^eiss- Die Faniiiie der Rüsselquiilleii. 449 liehe, seltener röthlich oder grünlich gefiirble Streifen (bisweilen aber auch ganz farJjlos und dann oft schwer zu erkennen) steigen an der Oberflüche des Magenstiels die 4 oder 6 Radialcanäle empor, welche getrennt mit abschliessbaren Oeffnungen aus dem Magengrunde ent- springen. Die Breite dieser Canäle ist sehr verschieden und scheint, wie überhaupt der Durchmesser ihres Lumens, nach dem verschiedenen Füllungszustande sehr zu wechseln. Meist sind die Stielcanäle schmä- ler, als ihre Zwischenräume, die von sehr entwickelten Längsmuskel- bändern eingenommen werden. Die 4 oder 6 Genitalblätter sind, wie schon mehrfach erwähnt wurde, nichts Anderes, als ganz flache, taschenartige Ausstülpungen der Radialcanäle. Letztere gehen, während sie an der Subumbrella heral)laufen , mit off'enem Lumen mitten durch die mit Geschlechtspro- ducten erfüllten breiten Taschen hindurch, wie Blattrippen durch das Blatt. Die Genitalproducte entwickeln sich lediglich in den Wänden dieser flachen- Taschen aus deren Epithel, während das Epithel des mitten durch das Blatt hindurchtretenden Canals unverändert bleibt. Eigentlich befindet sich also jederseits jedes Canals ein Genitalblatt als seitliche Ausstülpung desselben und genau genommen sind mithin 8 oder 1 2 Genitaltaschen vorhanden. Die Genitalproducte können sow ohl in das Lumen des Canals, das mit der Tasche beiderseits in Communi- cation bleibt, als auch unmittelbar nach aussen gelangen, indem sie die dünne Subumbrella durchl)rechen. Das letztere habe ich bei Carmarina hastata beobachtet. Die Farbe der Gcnitalblätter ist meist mattweisslich, bisweilen röthlich oder hellgrün. Ihre Gestalt ist meist mehr oder we- niger dreieckig oder herzförmig, seltener elliptisch, lanzett- oder spiess- förmig, sehr selten kreisrund. Die oft tief eingesclmittene Basis des Herzens ist meistens dem Grunde des Magenstiels, die Spitze dessell)en dem Ringcanal zugekehrt, den sie oft erreicht. Nur bei den beiden von Leuckart in Nizza beobachteten Geryoniden ist umgekehrt die Herzbasis dem Schirmrande zugekehrt. Bisweilen nehmen die Genitalblätter fast die ganze Unterfläche des Schirms (Subumbrella) ein, z. B. bei Liriope scutigera ; gewöhnlich aber bleiben zwischen ihnen grosse Interstitien oder sie berühren sich bloss mit ihren Basen. Als eine sehr auffallende Formbeugung des Gastrovascularsystems, die bei keiner anderen Familie der craspedoten Medusen sich wieder- findet, sind die Centripetalcanäle zu erwähnen, welche lediglich bei einem Theile der sechszähligen Carmariniden vorkommen. Es sind dies breite cylindrische oder bandförmige Ausstülpungen des Ring- canales, welche von diesem zwischen den Genitalblättern ausgehen und sich in radialer Richtung verschieden weit gegen die Basis des Magen- 450 ''fSi liiit'ckeii Stiels hin erstrecken , wo sie l)]ind enden, ohne letzteren zu erreichen. Die Zahl derselben ist verschieden, stets unpaar , und nimmt mit dem Alter der Thiere zu, so dass l)ei den jugendlichen Larven zuerst in der Mitte zwischen je 2 Radialcanälen 1 Centripetalcanal auftritt, dann 2 seitliche zwischen diesem und jenen, und so fort. Bei Gerijonia hastalu finden sich dann zuletzt 7, bei G. conka sogar 9 zwischen je 2 Radial- canälen. Zuerst wurden diese Gentripetalcanäle von PfiRON und Lesuevr bei ihrer G. hexaphylla gesehen , wie zw^ar nicht aus ihrer Beschrei- bung, wohl a]>er aus der von Mi^-ne-Edwards veröffentlichten Abbildung derselben hervorgeht. Ebenso wurden sie von Brandt bei G. conica abgebildet. Ihre eigentliche Natur wurde aber erst von Gegenbaur bei G. messanensis erkannt, der dieselben zugleich als generischen Charak- ter der Gattung Geryonia hervorhob. Ich lasse dieses Genus in dem so von Gegenbaur enger umschrieljenen Umfange bestehen , wonach es also die 3 zuletzt erwähnten Arten umfasst. Dagegen scheide ich als Carmarina die von mir Jjeoliachtete G. hostata aus , welche zwar mit jenen 3 Arten durch den Besitz der Gentripetalcanäle übereinstimmt, sich aber durch den Besitz des Zungenkegels von ihnen unterscheidet. Als eine dritte Gattung in der Tribus der Carmariniden würden endlich diejenigen Geryonien zu bezeichnen sein , welche sowohl des Zungen- kegels als der Gentripetalcanäle entbehren. Für diese kann der Gat- tungsname Leuckartia, den Agassiz bereits einer ihrer Arten verliehen hat, passend beibehalten werden. Es gehören hierher die beiden von Forskal und von Leuckart beobachteten Geryonien , welche zwar auch beide als Geryonia proboscidulis bezeichnet sind, indessen den Abbil- dungen nach zu urtheilen (selbst wenn diese nur annähernd genau sind) sowohl unter sich, als von den ersterwähnten Arten verschieden sein müssen. Dass die Gentripetalcanäle so scharfsichtigen Forschern, wie Forskal und Leuckart , entgangen sein sollten , ist nicht zu er- warten. Zwischen dem Ringcanale und einem darunter gelegenen breiten, aus Nesselzellen gebildeten Ringe , der als dicker kreisrunder Wulst den Schirmrand vom Velum trennt, liegt bei den Geryoniden ein sehr schmaler blasser Ring, der wohl als Nervenring zu deuten ist, zumal er unmittelbar unter jedem Randbläschen zu einem zelligen Knoten (Ganglion?) anschwillt und an jede Tentakelbasis einen faserigen (?) Strang sendet. Ueber die näheren Verhältnisse ist unten die Anatomie von Glossocodon eurybia zu vergleichen. Randbläschen scheinen sich bei allen Geryoniden doppelt so viel als Radialcanäie zu finden , also 8 bei den Liriopiden , 1 2 ])ei den Carmariniden. Ueber den feineren Bau dersell)en vergl. unten die Die Familie der RüssolquiiHon. 451 Anatomie von Carmarina hastata. Die Hiilfte dei'se]l)en sitzt an der Basis der Radiallentakeln, oder vielmehr constant iinmittell)ar neben derselben, am Ringcanal. Die andere Hälfte sitzt in der Mitte zwischen jenen, unter der Basis der Interradialtentakeln, wo solche noch beim Erwachsenen vorhanden sind. Sehr eigenthümlich ist es, dass sich zu- erst die interradialen und erst viel später die radialen Randbläschen entwickeln. Tentakeln sind bei den erwachsenen Geryoniden mindestens ebenso viele als Radialcanäle vorhanden, und am Ende derselben an- gebracht, bei den Liriopiden 4, l)ei den Carmariniden 6. Ausserdem haben aber viele Arten noch eben so viele interradiale Tentakeln, welche in der Mitte zwischen jenen aussen über dem Schirmrande an- geheftet sind, und in der Jugend scheinen diese niemals zu fehlen. Ja in einer gewissen Jugendperiode scheint bei allen Geryoniden noch ein dritter Kreis von Tentakeln vorhanden zu sein , welche oberhalb der radialen (in denselben Meridianebenen) angebracht sind, so dass die Liriopiden dann 1 2, die Carmariniden 1 8 Tentakeln gleichzeitig besitzen (vergl. die Bemerkungen über Entwicklung). Die radialen Tenta- keln aller erwachsenen Geryoniden sitzen am Schirmrande schräg gegenüber der Einmündung der Radialcanäle in den Cirkelcanal. Ein Fortsatz des letzleren durchläuft sie bis zum blinden Ende, Sie sind meistentheils lang , im ausgestreckten Zustande mehrmals länger als der Magenstiel, können sich aber sehr rasch und sehr Ijedeutend verkürzen. Meist sind sie cylindrisch , gleichmässig fadenförmig dünn vom Anfang bis zum Ende, häufig röthlich gefärbt. Ihre starke Wandung enthält entwickelte Längsmuskelzüge. bi ganz regelmässigen Abständen sind sie von sehr zahlreichen ringförmigen Wülsten umgeben, die dicht mit Nesselzellen gespickt sind. Ihre Bewegungen nach allen Richtungen hin sind äusserst ausgiebig und leibhaft. Ganz verschieden davon sind die interradialen Tentakeln, welche etwas oberhalb des Ringcanales von der Aussenfläche des Schirmes entspringen. Sie sind sehr viel kürzer, meist kürzer als der Schirmradius, und auffallend starr, so dass ihre Bewegungen nur sehr langsam pendelartig sind, ganz wie bei den Tentakeln der Trachynemiden. Meist sind sie zierlich nach aussen und aufwärts gebogen , und hornförmig gekrümmt , so dass eine Reihe von mehreren auf ihrer inneren (unleren) Seite angebrachten Nessel- warzen dann nach aussen sieht. Verkürzen können sie sich gar nicht oder nur sehr wenig. Auch sind sie nicht von einem Canal durchzogen, sondern ganz solid, starr, aus einer Reihe grosser heller Zellen zusam- mengesetzt, über ^^ eiche ein sehr dünner Muskelschlauch weggeht. Das Velum der Gervoniden ist gewöhnlich straff horizontal aus- 452 Kriist Iliieckel, gespannt , von mittlerer Breite , derl3 und mit sehr entwickelten radia- len und circularen Muskelzügen versehen. Dagegen sind die Muskel- fasern viel schwächer an der Unterfläche des Schirms (Subumbrella) entwickelt. Bei Glossocodon eurybia und bei Carmarina hastuta fand ich die Muskeln, sowohl am Velum und der Subumbrella, als an den Tentakeln und dem Magenstiele, sehr deutlich quergestreift, und zwar schon am lebenden Thiere. So scharf als bei Wirbelthieren tritt die Querstreifung an den in Weingeist und Salzlösung aufl^ewahrten Thieren hervor. (Eine vereinzelte Angalie von Budolph Wagner ausge- nommen, der allein vor langer Zeit bei Oceania [Thaumantias] cruciata quergestreifte Muskeln Ijeobachtele, galten die Muskeln der craspedoten Medusen für glatl) . Die quergestreiften Muskelelemente konnte ich als sehr dünne spindelförmige Fasern von sehr verschiedener, zum Theil von beträchtlicher Länge isohren., die meist viele , seltener nur einen Kern zeigten , und der Länge nach neben und hinter einander gereiht waren. Das Epithel der Subumbrella und des Velum fand ich aus grossen polygonalen Zellen mit feinkörnigem Inhalt und grossem Kern zusammengesetzt, wogegen das Epithel der Umbrella, der Aussen- fläche des Schirms aus ganz hellen, oft schwer unterscheidbaren Zellen bestand. Die Entwickelung der Geryoniden scheint stets ohne Genera- tionswechsel und ohne ungeschlechtliche Fortpflanzung , auf dem ein- fachen Wege der geschlechtlichen Zeugung zu erfolgen. Knospenbil- dung, Sprossung, Theilung sind noch niemals beobachtet worden. Die Männchen , welche ich viel seltener als die Weibchen fand , sind oft schon äusserlich an der tiüberen , opaken Färbung und grösseren Un- durchsichtigkeit der Genitalblätter zu erkennen , während diese beim Weibchen heller und transparenter sind. Die Entwicklung aller Geryo- niden scheint aber durch eine sehr interessante Metamorphose aus- gezeichnet zu sein, indem das aus dem Ei hervorkommende Junge ganz von dem Erwachsenen verschieden ist und die Form des letzteren erst annimmt , nachdem es verschiedene , sehr abweichende Larvenformen durchlaufen hat. Diese Larven sind von einzelnen vierzähligen Liriopi- den schon früher beobachtet, aber als selbstständige Medusengattungen beschrieben worden. Eine solche Liriopidenlarve ist die Eurybia exigua von EscHSCHOLTz , die Eurybiopsis anisostyla von Gegenbaur. Die voll- ständige Verwandlung der Larve ist l)isher nur von Fritz Muller bei seiner Liriope catharinensis verfolgt worden. In ganz ähnlicher Weise habe ich dieselbe kürzlich in Nizza bei L. eurybia verfolgt und mich dort auch an den Larven von Carmarina hastala überzeugt, dass die sechszähligen Carmariniden ganz dieselbe Metamorphose durchmachen,, Die Familie der RüsseUiiiiilleii. 453 wie die vierzähligen Liriopiden. Die jüngsten beobachteten Larven sind kugelig,- an einer Stelle des Umfangs mit einer flachen kleinen, nach aussen offenen Höhle versehen , an deren Mündungsrand dann 4 (resp. 6) sehr kleine Tentakel hervorsprossen, aus einem dicken kurzen Faden bestehend, der am Ende einen einfachen Nesselknopf mit einem geissei- förmigen Anhang trägt. In der Mitte zwischen diesen erscheinen später 4 (resp. 6) längere Tentakeln, an deren Unterseite eine Reihe Nessel- warzen sich entwickelt. Das sind die starren interradialen Tentakeln, welche bei vielen Arten zeitlebens, wenn auch nur verkümmert, er- halten bleiben , und als kleine hornförmig gebogene Fäden nach aussen und oben gerichtet werden. Erst nach diesen tritt die Anlage des Ga- stro vascularsystems auf, ein Stern von 4 (resp. 6) sehr breiten Strah- len, welche sich in der Mitte der kleinen Schirmhöhlen Wölbung durch einen einfachen, von einem wulstigen Rand umgebenen Mund offnen, Während sie nach aussen als Radialcanäle auf die zuerst entwickelten Tentakelrudimente zuwachsen und sich durch einen Ringcanal verljin- den. Später erscheinen die 4 oder 6 interradialen Randbläschen und noch später die 4 oder G bleibenden radialen Tentakeln , welche sich am Schirmrande schräg unterhalb der primären Tentakelrudimente entwickeln. Die letzteren schwinden späterhin in allen Fällen. Zuletzt treten die radialen Randl)läschen auf und nun beginnt auch der Gallert- schirm sich mehr abzuflachen und in der Mitte der Schirmhöhlen\\ öl- bung in einen Magenstiel auszuwachsen , dessen Ende den stärker sich erhebenden und zum Magenschlauch ausziehenden Mundwulst trägt. Die Zahl der Tentakeln scheint demnach bei allen Geryoniden, mag die homotypische Grundzahl 4 oder 6 sein , zuerst bloss das Ein- fache , dann das Doppelte , später das Dreifache der Grundzahl zu be- tragen , dann aber im weiteren Verlaufe der Verwandlung wieder auf das Doppelte und endlich zuletzt bei vielen Arten auf das Einfache der Grundzahl zurückzusinken. Die primären rudimentären Radialtentakeln verschwinden wohl stets, sobald die secundären bleibenden eine ge- wisse Grösse erreicht haben. Dagegen die starren soliden Interradial- tentakeln verschwinden Ijei vielen Arten erst kurz vor oder selbst nach Eintritt der Geschlechtsreife, während sie bei anderen, sonst sehr nahe stehenden Arten das ganze Leben hindurch, wenn auch nur als sehr reducirle Rudimente bestehen bleiben. Es scheint mir noch zweifelhaft, ob man diese geringe Differenz mit Vortheii zur Aufsteffung besonderer Gattungen wird benutzen können. Agassiz trennt allerdings generisch die mit Ijloss 4 (radialen) Tentakeln versehenen Arten von Liriope ab von denjenigen , welche ausserdem noch die 4 interradialen Larven- tentakel beibehalten und überträgt auf letzlere den von Lessok in an- 454 tliiist liiteckel, derem Sinne aufgestellten Namen Xanthea («are eight-lentaculated Liriopeii, Agassiz). Da ich aber diesen Unterschied nicht für sehr we- sentlich halte und bei geschlechtsreifen Individuen von Liriope eurybia, die gewöhnlich keine Spur mehr von den interradialen Larvententakeln zeigen, dieselben doch bisweilen noch als kurze Rudimente vorgefun- den habe, so kann ich jenen beiden Gruppen bloss den Werth von Untergattungen lassen. Ich bezeichne demgemäss von den zungenlosen Liriopiden die mit i Tentakeln versehenen als Liriope (im engeren Sinne), die mit 8 Tentakeln versehenen als Xanthea; und entsprechend nenne ich von den mit Zungenkegel versehenen Liriopiden die ersteren Glossocodon (im engeren Sinne) , die letzteren Glossoconus. Bei den sechszähligen Carmariniden scheint die generische Trennung der mit 6 und der mit 1 2 Tentakeln versehenen Arten noch misslicher zu sein, da hier die starren Interradialtentakeln nur selten und als ganz unbe- deutende Rudimente persistiren, vielleicht sogar constant beim ge- schlechtsreifen Thiere später verschwinden. Die Färbung der Geryoniden ist, wo sie vorkommt, sehr zart. Viele Arten sind vollkommen farblos und glashell. Bei den andern, die durch sehr reine und helle Farbentöne ausgezeichnet sind, finden sich dieselben fast nur in den Wandungen des Gastrovascularapparates ent- wickelt. Es sind also der Mund (namentlich der Mundsaum) , der Ma- gen, die Radialcanäle in ihrem ganzen Verlaufe , die Genitalblätter, der Ringcanal, die hohlen RadialtentakeJn, in deren Wand das Pigment ent- wickelt ist. Dasselbe tritt bei den sechszähligen Carmariniden biswei- len als Milchweiss, sonst stets nur als ein zartes , meist helles Rosa auf, das bald mehr in Violett, l)ald mehr in Fleischroth hinüber spielt. Bei den vierzähligen Liriopiden tritt bald ebenfalls Rosa, bald Weiss, bald ein helles gelbliches Grün auf , bisweilen auch Grün und Rosa combi- nirt [Liriope bicolor). Die geographischeVerbreitung der Geryoniden scheint sich über alle grossen Meere der Erde zu erstrecken; in den wärmeren Meeren scheinen sie häufiger zu sein. Von den -1 8 im Folgenden be- schriebenen Arten ist der Fundort einer Art (Lesson's Xanthea agaricina) unbekannt. Von den 1 7 übrigen Species sind 4 südlich , 1 3 nördlich vom Aequator beobachtet worden. 1 0 Arten wurden an den europäi- schen Küsten gefunden , 3 im Bereich der asiatischen Küste , 4 an der amerikanischen (Ost-) Küste (davon 2 in Nordamerika, 2 in Südame- rika) . Von den i 0 europäischen Species kommen 9 auf das Mittelmeer, \ auf den englisch-französischen Canal. Die 6 bisher beobachteten Arten aus der Unterfamilie der Carmariniden gehören sämmtlich der nördlichen Erdhälfte und zwar 5 dem Miltelmeere, 1 dem arossen Die Familie der RüsseUniallen. 455 Ocean an; letztere ist die voiiMertens zwischen Japan und derBonins- Inseln beobachtete Geryonia conica. An den afrikanischen und austra- lischen Küsten sind bisher noch keine Rüsselquallen beobachtet wor- den. Was die 9 mediterranen Arten betrifft, so halte ich es nicht für unwahrscheinlich, dass deren Zahl, wenn eine Yergleichung der von den verschiedenen Autoren beobachteten Originalexemplare möglich wäre, sehr reducirt werden würde. Namentlich gilt dies von den o Garmariniden des Mittelmeeres. Indess w^eichen die von den verschie- denen Beobachtern gegebenen Beschreibungen und Abbildungen so vielfach und in so wesentlichen Stücken von einander ab, dass, wenn dieselben auch nur einigermaassen naturgetreu sind, sie nothwendig als verschiedene Arten und zum Theil sogar Gattungen unterschieden wer- den müssen. Dies gilt besonders von jenen fünf, ganz verschieden dargestellten, Species, für welche bisher die ])eiden Namen Geryonia proboscidulis und G. hexaphylla in so wechselnder und willkürlicher Weise von den verschiedenen Autoren gebraucht worden sind, dass es, um die Verwirrung nicht noch zu steigern, nöthig erschien, diese bei- den Speciesbezeichnungen gänzlich zu eliminiren und durch neue neu- trale zu ersetzen. Grosse Vorsicht ist aber, wenn man die von ver- schiedenen Forschern gegebenen Darstellungen auf ein und dieselbe zu Grunde liegende Art (z. B. Geryonia proboscidalis) zu reduciren ver- sucht, gerade hier um so mehr nöthig, als das periodische Erscheinen und Verschw inden grosser Schwärme , das viele Geryoniden mit an- deren Medusen theilen , den verschiedenen Forschern , welche zu ver- schiedenen Zeiten einen und denselben Küstenpunct besuchen, nahe verwandte und doch gut unterschiedene Arten in die Hände führen kann. III. System der Gerjoiiideii. Familie der Geryoniden von Gegenbacr (nicht von Eschscholtz und nicht von Agassiz). Charakter der Familie: Schirm in der Mitte der Unterfläche in einen cylindrischen oder conischen soliden Magenstiel ausgezogen, dessen unteres Ende den Magen trägt, und in dessen Oberfläche 4 oder 6 getrennte Canäle, vom Magengrunde ausgehend, emporsteigen, um oben am Schirm in die Radialcanäle umzubiegen. Genitalien 4 oder 6 breite und flache, blattförmige Erweiterungen der Radialcanäle, welche in der Fläche der Subumbrclla liegen und nicht in die Schirm- höhle als Wülste oder Falten vorspringen. Rand!)läschen 8 oder 12. Tentakeln: 4 oder ß radiale am Ende der Radialcanäle, hohl, sehr be- weglich ; ausserdem oft noch 4 oder 6 interradiale, in der Mitte dazw i- 456 l^nst Iliieckel, sehen, solid, starr. Bei der Larve (oft) noch eine dritte Zone von 4 oder 6 später abfallenden primären Radialtentakeln. Uebersicht der Gattungen in der Familie der Geryoniden. I. 4 Radialcanäle /Kein Zungenkegel [8 Tentnkeln . . . 1. Xanlhea. (Keine Centripelal-J [Liriope] \4 Tentakeln ... 2. llriope. canäle) "jEin Zungenkegel j8 Tentakeln ... 3. Clussoconus. Liriopida. \ [Glossocodon) (4 Tentakeln . . . 4. Glossocodon. „ »D ,. , ... [x- ■ 1 1 , (Keine Centripetalcanale 5. Leuckarlia. II. 6 Rad.alcanale Kein Zungenkegelj^,.^;^ Centripetalcanale 6. Gerpnla. L.armarintaa. |Ei,i zungenkegel Viele Centripetalcanale 7. Carmarlna. I. Unterfaiuilie: Liriopida^ H.\eckel. Körper aus vier homotypischen Theiien zusammengesetzt. I. Genus: Liriope, Lesson (sensu mutato) . Gatlungscharakter: Körper aus vier homotypi sehen Ab- schnitten zusammengesetzt. 4 Radialcanäle. Keine blin- den Centripetalcanale am Ringcanal. 8 Randbläschen. 4 oder 8 Tentakeln. Magenstiel nicht in die Magenhöhle in Form eines Zungenkegels verlängert. I. Subgenus: Xanthea, Lesson (1. c. p. 333) (sensu mutato) . 8 Tentakeln am Schirnn^ande des erwachsenen Thieres; 4 radiale, lang , sehr beweglich , hohl , am Ende der Radialcanäle ; in der Mitte dazwischen 4 interradiale, kurz, starr, solid. 1. Liriope tetraphylla, Gegenbaur (1. c. p. 257). Geryonia tetraphylla, Chamisso (1. c. p. 357). Xanthea tetraphy IIa, Agas.siz (1. c. p. 365). Schirm halbkugelig, ungefähr ^4 — 1 Zoll Durchmesser. Magenstiel cylindrisch , sehr dünn und beweglich , 2 Zoll lang , unten scharf ab- gesetzt von dem kegelförmigen Magen, der unten mit 4 grünen Flecken bezeichnet ist und dessen Mundöffnung von 4 kurzen Mundlappen um- geben ist (»ore quadrivalvato«; nach Esciischoltz »kann er seinen unteren mit 4 grünen Flecken versehenen Rand in 4 Falten legen«). Zwischen den 4 grünen Magenflecken entspringen die 4 ziemlich breiten weisslichen Radialcanäle, welche am Magenstiel getrennt heraufsteigen. Die 4 Genitalblätter (»Mägen«) sind nach Esciischoltz »breit, herzför- mig , an dem breiten inneren Rande fast gerade abgeschnitten , der Quere nach fein weisslich gestreift, die breite Mittelrippe grasgrün«. — »In der Mitte der Scheibe ist ein weisslicher. vierlappiger Fleck zu be- merken«. Die 4 Radialtentakeln sind nach der Abbildung noch nicht Die Familie der Riisselquallea. 457 halb so lang als der Magenstiel, jedoch viel länger, als die ganz kurzen inlei radialen Tentakeln. Fundort: In der Sundastrasse beim Eintritt in den indischen Ocenn. Chamisso. 2. Llriope appeudiciilata, Gegenbaur (1. c. p. 257). Genjonia appendiculata, Forbes (1. c. p. 36; Taf. V, Fig. 2). Xanthea appenäkiilata (vergl. oben p. 45i). Schirm halbkugelig , von i — I Vg Zoll Durchmesser. Ebenso lang ist der kegelförmige , sehr bewegliche , beträchtlich dicke Magenstiel, dessen Ende scharf abgesetzt ist von dem kleinen , flach glockenförmi- gen Magen. Die weite Mundöffnung des letzteren ist von 4 kurzen, ihre Form sehr wechselnden Mundlappen umgeben. Die 4 Radialgefässe, welche am Magenstiel emporsteigen, sind schmal, farblos. Die 4 Geni- talblätter sind herzförmig, etwas länger als breit, hellgrün gefärbt, und mit der Basis nach innen, mit der Spitze nach aussen gegen den Schirnu-and gerichtet, von dem sie jedoch weit abstehen. Die 4 sehr contractilen Radialtenlakeln sind rölhlich gefärbt und in ausgedehntem Zustand viel länger als der Magenstiel. Die 4 starren Interradialtenta- keln sind kaum so lang als die Genitalblätter, farblos, und ander Unterseite mit ungefähr 8 Nesselvvarzen besetzt. Fundort: An den englischen Küsten de la Manche. Forbes. 3. Liriope ligurina, Haeckel. Geryonia exiyua, Leuckart (1. c. p. 3, Taf. I, Fig. 1, 2, 4). Xanthea ligurina (vergl. oben p. 454). Schirm halbkugelig , von % Zoll Durchmesser. Etwa ebenso lang ist der cylindrische , oben conisch verdickte Magenstiel, der den klei- nen, von 4 Mundzipfeln umgebenen, glockenförmigen Magen trägt. Die sehr schmalen Radialgefässe , welche am Magenstiel emporsteigen, sind farblos , wie das ganze Thier. Die 4 Genitalblätter sind zwar auch bei dieser Art herzförmig , wie bei vielen anderen Geryoniden ; allein die Spitze des Herzens ist hier (umgekehrt wie bei den anderen) nach in- nen gegen den Magenstiel gerichtet, während das )iabgestumpfte äussere Ende dem Manlelrande bis auf geringe Entfernung angenähert ist«. Die 4 sehr langen und contractilen Radialtenlakeln sind in ausgedehntem Zustande mehrmals länger, als der Magenstiel. Die 4 starren Interra- dialtentakeln sind sehr viel kürzer, kaum mehr als'i "' lang, und »horn- förmig nach der Kuppel der Mantelglocke zu emporgekrümmt«. Ueber die von Leuckart beobachtete Larvenform dieser Art vergl. unten die Entwickelungsgeschichte von Glossocodon eurybia. Fundort: Im Mitlelmeer bei Nizza. Leuckart. Bd. I. 4. 30 458 Krnst Haeckel, 4. Liriope scutigera, Mc Crady (1. c. p. 208). Xanthea scutigera (vergl. oben p. 454). Schirm fast kugelig. Der lange conische Magenstiel trägt am un- teren sehr verdünnten Ende den kleinen kelchförmigen Magen, der von 4 kurzen Mundlappen umgeben ist. Die 4 schmalen Radialcanäle, welche am Magensliel emporsteigen, sind farblos, wie das ganze Thier. Die 4 Genitalblätter sind durch Form und Grösse sehr ausgezeichnet. Sie sind kreisrund und so ausgedehnt, dass sie sich fast mit den Sei- tenwänden berühren und fast die ganze Unterfläche des Schirms ein- nehmen. Die 4 langen, sehr contractilen Radialtentakeln sind 2 — 3 mal so lang als der Magenstiel. Die 4 starren InterradiaUentakeln sind sehr viel kürzer und an der Unterseite mit einer Reihe Nesselwarzen besetzt. Fundort: Gharleston Harbor (Süd-Carolina), zeitweise in sehr grossen und zahlreichen Schwärmen. Mc Crady. 5. Liriope agarlciua (?) Gegenbaur (1, c. p. 254). Xanthea agaricina, Lesson (1. c. p. 333, PI. VI, Fig. 3). Alles, was Lesson von dieser Medusenart sagt, ist Folgendes: »Ombrelle hyalin, ä huit courls tentacules. Pedoncule allonge, cylin- drique, perfore«. Da die von Lesson gegebene Abbildung ebenso ober- flächlich und unvollständig, als diese Beschreibung ist, und da auch nicht einmal der Fundort dieser Meduse angegeben ist, so lässt sich ihre Stellung im Systeme nicht näher ermitteln. Es könnte eben so gut eine Geryonopside als eine Geryonide sein. Wenn Letzteres der Fall ist, so würde sie wahrscheinlich der Gattung Xanthea in dem eben angege- benen Sinne (nicht nach Lesson's ursprünghcher Definition) angehören. IL Subgenus: Liriope, Lesson (1. c. p. 331) (sensu stricliori), 4 radiale Tentakeln am Schirmrande des erwachsenen Thieres, am Ende der Radialcanäle. Die 4 interradialen Tentakeln , in der Mitte dazwischen , sind nur in der Jugend (im Larvenzustande) vorhanden, und fallen meist vor der Geschlechtsreife ab. 6. Liriope exigua, Gegenbaur (1. c. p. 257). Dianaea exigua, Quoy et Gaimard (1. c. PI. VI, Fig. 5 — 8). Genjonia exigiia, Eschscholtz (1. c. p. 89). Dianaea exigua , Eschscholtz (1. c. p. 91). Liriope cerasiformis , Lesson (1. c. p. 332). Schirm fast kugelig , von der Grösse einer starken Kirsche , voll- kommen farblos und durchsichtig, mit sehr dickem Gallertmantel, so Die Familie derl^Rüsselqnallen. 459 dass die äussere Fläche des Schirms viel stärker, als die innere ge- wölbt ist. Der Magenstiel cylindrisch, ungefähr ebenso lang , als der Schirindurchmesser (etwa 9"'). Das untere etwas kolbig verdickte Ende ist scharf abgesetzt von dem sehr kleinen, flach glockenförmigen Magen, dessen Mundöffnung von 4 sehr kleinen Trappen oder Falten umgeben ist. Die 4 Radialcanäle schmal. Die 4 Genitalblätter sehr klein, breit herzförmig, eben so breit als lang , um ihre eigene Länge vom Schirm- rande entfernt , die scharfe Spitze des Herzens nach dem Schirnn-and gekehrt. Die 4 Radialtentakeln sehr kurz, kürzer als der Magenstiel. Während die gewöhnliche Form dieser Art , welche die Entdecker QuoY und Gaimard in Oken's Isis 1 828 auf Taf. V, Fig. 5, 6 als Diannea exigua abgebildet haben , von Eschscholtz und später von Lesson als Geryonia exigua aufgeführt wird, haben die beiden letztgenannten Au- toren nicht nur specifisch, sondern sogar generisch eine Form von der- selben abgetrennt, welche von Quoy und Gaimard nur als ein etwas abweichendes Individuum (ibid. Fig. 7, 8) neben der gewöhnlichen Form abgebildet wird. Es unterscheidet sich von letzterer lediglich durch etwas dickeren Magenstiel, rosetlenaitig in 6 Fallen gelegton Mund und den Mangel der 4 herzförmigen (ienitalblätter. Nach meiner Ueberzeugung haben wir es hier nur mit einem unreifen Individuum zu thun , bei dem die Genitalblätter noch nicht entwickelt (oder viel- leicht auch schon rückgebildet) sind. Die G (statt der gewöhnlichen 4) Mundfalten sind bei der wechselnden Form der Mundöffnung ohne alle Bedeutung. Schon Forbes hat bei seiner Coyonia appendiculata gezeigt, dass die gewöhnlich vierlappige Mundöffnung (1. c. Fig. 2 c, 2 h) ge- legentlich auch sechslappig erscheint (1. c. Fig. 2 a). Dasselbe habe ich wiederholt bei Glossocodon eurybia, sogar bei einem und demselben In- dividuum zu verschiedenen Zeiten, beobachtet. Es ist mithin der Name Dianaea exigua, den Eschscholtz, und der Name Liriope cerasiformis, den Lesson diesem Individuum von Geryonia exigua beigelegt haben, einzuziehen. Fundort: Meerenge von Gibraltar. Quoy und Gaimard. 7. Liriope bicolor^ Gegenbaur (1. c. p. 257). Geryonia bicolor, Eschscholtz (1. c. p. 89; Taf. il, Fig. 1), Schirm halbkugelig, ungefähr von % — % Zoll Durchmesser. Ma- genstiel cylindrisch, etwas länger als der Schirmdurchmesser, sowohl oben als unten kegelförmig verdickt und unten in den conischen Magen übergehend, dessen Mundöffnung kurz vierlappig, am Rande »hellgrün, öfters mit Rosenroth eingefasst ist«. Auch der untere Theil des Stiels ist öfters rosenroth gefärbt. Die 4 im Magenstiel aufsteigenden Radial- 30* 460 Ernst Ilaeckel, canäle sind farblos. Die 4 Genitaiblätter sind breit eiförmig, oder fast tierzförniig , mit der Spitze gegen den Schirmrand gerichtet »mit feinen ^Yeissen Pimcten bezeichnet«, und mit einer breiten grünen Mitteh-ijjpe versehen, wie bei der sehr ähnhchen L. tetraphylla. Die 4 Radialtenta- keln sind etwa so lang als der Magenstiel und mit »weissen Querstrei- fen« (Nesselringen?) versehen. Fundort: Atlantisches Meer an der brasilischen Küste , am Cap Frio (unweit Rio de Janeiro). Eschscholtz. 8. Liriope rosacea, Gegenbalr (1. c. p. 257). Geryonia roaacea^ Eschscholtz (1. c. p. 89; Taf. 11, Fig. 2). Schirm halbkugelig , von 3 Linien Durchmesser. Magenstiel cylin- drisch, etwas länger als der Schirmdurchmesser, sowohl oben als unten kegelförmig verdickt und unten in den conischen Magen übergehend, dessen Mundöflfnung kurz vierlappig , mit rosenrothem Rande umgeben ist. Die 4 Genitalblätter sind fast dreieckig , eben so breit als lang, mit der gerade abgeschnittenen Basis dem Magenstiele, mit der abgerunde- ten Spitze dem Schirmrande zugekehrt, den sie fast berühren. Die Basen der rosenroth gefärbten Genitalblätter berühren sich beinahe mit ihren Seitenecken. Die 4 Radialtentakeln sind ungefähr so lang als der Magenstiel. Fundort: In der Südsee in der Nähe des Aequators. Eschscholtz. 9. Liriope teuuirostris, Agassiz (1. c. p. 365). Von dieser mit 4 Radialtentakeln versehenen Art sagt Agassiz bloss, dass sie sich durch den ausserordentlich langen und dünnen Magenstiel, der 5 mal länger als der Schirmdurchmesser ist, vor allen andern Arten der Gattung auszeichnet. Die Höhe und der Mündungs- durchmesser des Schirms betragen y« Zoll , die Länge des Magenstiels 2% Zoll. Fundort: Key West, Florida. Agassiz. 2. Genus: GloSSOCOdon, Haeckel. [yXwaaa Zunge, xcJdwf Glocke.) Gattungscharakter: Körper aus vier homotypischen Ab- schnitten zusammengesetzt. 4 Radialcanäle. Keine blin- den Centripetalcanäle am Ringcanal. 8 Randbläschen. 4 oder 8 Tentakeln. Magenstiel in Form eines langen, soliden Gallertkegels (»Zungenkegels«) in die Magenhöhle hinein verlängert. Die Familie der Riisselquiilleii. 461 I. Subgenus: GloSSOCOnUS, Haeckel. 8 Tentakeln am Schirmrande des erwachsenen Thieres; 4 radiale, lang, sehr beweglich, hohl, am Ende der Radialcanäle; in der Mitte dazwischen i interradiale, kurz, starr, solid. 1. Wossocodou miicronatus, Haeckel. Liriope mucronata, Gegenbaur (I.e. p. 257; Taf. VIII, Fig. 17). Euryhiopsis anisostijla, Gegenbaur (1. c. p. 2i7; Taf, VIII, Fig. 1 2). Liriope mucronata^ Keferstein und Ehlers (Zoolog. Beitr. 1861, p. 92, Taf. XIV, Fig. 5, 6). Glossoconus nmcronatus (vergl. oben p. 45i). Schirm halbkugelig, von 4 — 6 Linien Durchmesser, glashell und farblos, wie das ganze Thier. Magenstiel cylindrisch, ungefähr so lang als der Schirmdurchmesser , und in die Magenhöhle hinein als ein grosser, solider, kegelförmiger Zapfen (»Zungenkegel«) verlängert, der oft weit aus der Magenhöhle hervortritt. Die Mundöffnung ist ganzran- dig, mit Nesselknöpfen gesäumt, wellig gefaltet, oder mit 4 schwachen Ausbuchtungen versehen. Aus dem Grunde des Magensacks, der nicht scharf vom Magenstiel abgesetzt ist, entspringen die i Radialcanäle, welche die Basis des Zungenkegels umgeben und isolirt im Magenstiel emporsteigen. Die 4 Genitalblätter sind länglich herzförmig, mit der Spitze gegen den Schirmrand gekehrt, den sie jedoch nicht erreichen, und liegen ziemlich weit auseinander. Die 4 hohlen Radialtentakeln sind ungefähr so lang als der Magenstiel, rings mit Nesselwülslen be- setzt. Die 4 soliden Interradiallentakeln sind viel kürzer und tragen nur an der Unterseite eine Reihe Nesselwarzen. Als die jugendliche Larvenform dieser Art ist ohne Zweifel die merkwürdige Meduse anzusehen , welche Gegenbaur ebenfalls bei Mes- sina beobachtete und als Eurybiopsis anisostyla beschrieben hat. Vergl. darüber unten die Entwickelungsgcschichte von Glossocodmi eurybia. Fundort: Im Mittelmeer bei Messina. Gegenbaur, Keferstein und Ehlers. 2. Glossocodoii catbarinensis^ Haeckel. Liriope catharinensis , Fritz Müller (1. c. p. 310, TaL XI, Fig. 1—25). Glossoconus catharinensis (vergl. oben p. 454). Schirm halbkugelig oder noch stärker gewölbt, von )] Linien (5 — 6"""°) Durchmesser. Magenstiel cylindrisch, dünn, 2'""' lang, äusser- lich nicht abgesetzt von dem ebenfalls cylindrischen, 1 %""" langen Ma- gen , in dessen Höhle hinein er sich als ein starker , solider conischer 462 Yjtusi Iliieckel, Zapfen (»Zungenkegola) verlängert. Die Mundöffnung ist ganzrandig, von 24 blassröthlichen Nesselknöpfen umgeben. Aus dem Grunde des Magensacks entspringen die 4 Radialcanäle rings um die Basis des Zungenkegels und steigen an der Oberfläche des Magenstiels empor. Die 4 Genitalblätter sind oval oder elliptisch, stehen etwa um ihre eigene Breite von einander ab und reichen nicht bis zum Schirmrand. Die 4 hohlen Radialtentakeln sind röthlich gefärbt, in ausgedehntem Zustand vielmals länger als der Schirmdurchmesser, die 4 soliden In- terradialtenlakeln sind sehr kurz, starr , nach aussen und oben gerich- tet und tragen an der Unterseite eine Reihe von 8 Nesselwarzen. lieber die merkwürdige Larvenform und Metamorphose dieser Art ist die treffliche Abhandlung Fritz Müller's nachzusehen. Fundort: Im atlantischen Ocean an der brasilischen Küste bei Santa Catharina, sehr häufig. Fritz Müller. II. Subgenus: GloSSOCOdon (sensu strictiori), Haeckel. 4 radiale Tentakeln am Schirmrande des erwachsenen Thieres, am Ende der Radialcanäle. Die 4 interradialen Tentakeln, in der Mitte dazwischen, sind nur in der Jugend (im Larvenzustande) vorhanden. 3. Glossocodou eurybia, Haeckel. Liriope eurybia, Haeckel (vergl. oben p. 329 dieses Bandes) Taf. XH. Fig. 11—25. Die kurze Charakteristik dieser Art ist oben p. 329 gegeben worden. Fundort: Im Mittelmeer bei Nizza. II. Unterfamilie: Cariiiariiiida, Haeckel. Körper aus sechs homotypischen Theilen zusammen- gesetzt. 3. Genus: LeUCkartia, Agassiz (1. c. p. 364). Gattungscharakter : Körper aus sechs homotypischen Ab- schnitten zusammengesetzt. 6 Radialcanäle. Keine blin- den Centripetalcanäle am Ringcanal. 12 Randbläschen. 6 oder 12 Tentakeln. Magenstiel nicht in Form eines Zun- genkegels in die Magenhöhle verlängert. 1. Leuckartia brevicirrata , Haeckel. Medusa prohoscidalis^ Forskal ;I. c. p. 108; Taf. 36, Fig. 7). Gerijonia proboscidalis, Eschscholtz (1. c. p. 88) . Liriope proboscidalis, Lesson (1. c. p. 331). Schirm halbkugelig, von ^2,% Zoll Durchmesser, durchsichtig, farblos. Schirmstiel rein kegelförmig , so lang oder etw^as länger als Die Familie der Riisselquallen. 463 der Schirnidurchniesser , an der Basis dicker als ein Finger , ganz all- mählich nach unten verdünnt. Magenschlauch flach glockig, ungefähr *4 '^oU lang (»dimidium unguem longa«) , mit sehr beweglicher, ge- falteter, häutig musculöser Wand und einfacher, ganzrandiger , in 6 Falten gelegter Mundöffnung. Die 6 Radialcanäle steigen vom Magen- grund aufwärts in der Oberfläche des Magenstiels als 6 schmale lineare malt weisshche Streifen (»lineae obsoletae pallidiores«) . In der Sub- umbrella gehen sie als Blattrippen mitten durch die 6 Genitalblätter hindurch. Diese sind breit herzförmig, einen Zoll lang und ebenso breit; die nach innen gerichteten breiten Basen der Herzen stehen nur sehr wenig von einander ab ; die nach aussen gerichteten scharfen Spitzen berühren den Ringcanal und die Basis der 6 Radialtentakeln. Diese sind fadenförmig, sehr dünn, kürzer als der Radius des Schirms. Interradialtentakeln fehlen. Diese Art ist die zuerst (1775) beobachtete von allen Geryoniden. Wenn die Darstellung Forskal's einigermaassen genau ist, so zeichnet sie sich vor aUen andern Arten aus durch den sehr dicken Magenstiel, die sehr breit herzförmigen Genitalblätter und namentlich die sehr kurzen Tentakeln , die nicht halb so lang als der Magenstiel (bei den übrigen Carmariniden vielmals länger) sind. Fundort: Mittelmeer. Forskal. 2. Leuckartia lougicirrata^ Haeckel. Genjonia proboscidalis , Leuckart (1. c. p. 8, Taf. I, Fig. 3). Leuckartia proboscidalis, Agassiz (1. c. p. 364). Schirm halbkugelig , von 2 % Zoll Durchmesser , glashell , farblos, wie das ganze Thier (»ausgenommen die opaken Geschlechtsorgane«). Schirmstiel aus conischer Basis cylindrisch , ungefähr so lang als der Schirmdurchmesser, etwa einen halben Finger dick (kaum halb so dick, als bei L. brevicirrata) . Magenschlauch schlank cylindrisch, in ausge- strecktem Zustand 1 Zoll lang, retrahirl halb so lang. MundöfTnung von 6 spitzen Lappen (oder Falten?) umgeben. Die 6 Radialcanäle steigen vom Magengrunde aufwärts als 6 sehr schmale lineare Streifen, und gehen, an der Subundjrella angelangt, als Blattrippen mitten durch die 6 Genitalblälter hindurch. Diese sind mattweiss, umgekehrt herzför- mig ; die nach innen gerichtete Spitze des Herzens reicht bis zur Basis des Magenstiels ; die nach aussen gerichtete , tief ausgerandete Basis steht nur wenig vom Ringcanal al). Die Zwischenräume z\a ischen je 2 Genitalblätlern sind mehrmals breiter als ein Blatt. Die 6 Radialtenta- keln sind fadenförmig, mehrmals länger als der Schirmstiel (»können sich bis auf mehrere Fuss verlängern«) und dicht mit ringförmigen Nes- 464 1'''''"^* Hiipckcl, selwülsten besetzt. Die 6 embryonalen Interradialtentakeln sind beim erwachsenen Thiere ganz kurz, rudimentär, leicht zu übers^'hen und hornförmig nach oben gekrümmt. Diese Carmarinide von Nizza zeichnet sich vor allen übrigen Arten dieser Subfamilie aus durch die umgekehrt herzförmige Gestalt ihrer Genitalblälter , deren Basis nach aussen , die Spitze nach innen gerich- tet ist, umgekehrt wie bei den übrigen. Auch der in 6 lange spitze Lappen gespaltene Mundsaum weicht sehr von dem der übrigen Arten ab. An eine Identität derselben mit der von P^rgn bei Nizza gefunde- nen Geryonia hexnphylla , oder mit der von mir ebendaselbst beobach- teten Carmarina hastata kann daher wohl kaum gedacht werden. Fundort: Im Mittelmeer bei Nizza. Leuckart. 4. Genus: Geryonia, P^ron et Lesueur (sensu mutato). Gatlungscharakter : Körper aus sechs h o m o t y p i s c h e n Ab- schnitten zusammengesetzt. 6 Radialcanäle. Vom Ring- canal gehen zwischen den Riidialcanälen blind geendigte Centripetalcanäle in verschie dener Zahl aus. 12 Rand- bläschen. 6 oder 12 Tentakeln. Magenstiel nicht in Form eines Z u n g e n k e g e 1 s in die M a g e n h ö h 1 e verlängert. I. («eryonia iimbella, Haeckel. Geryonia prohoscidalis, Gegenbaur (1. c. p. 251; Taf. VIII, Fig. 16). Schirm halbkugelig, von 2 Zoll Durchmesser, glashell, durchsich- tig und farblos, wie der ganze Körper, die mattweissen Canäle und Anhänge des Gastro vascularapparates ausgenommen. Magenstiel 2% Zoll lang , cyiindrisch , nach unten allmählich verjüngt. Magenschlauch klein, rundlich, oft glockenförmig, meist gefaltet, mit ganzrandigem Mundsaum. Die 6 Radialcanäle entspringen getrennt aus dem Magen- grunde, steigen als 6 ziemlich breite weissliche Streifen in der Ober- fläche des Magenstiels empor und gehen als Blattrippen mitten durch die 6 opaken Genitalblätter hindurch. Diese sind gleichschenkelig drei- eckig, die schmale Basis des Dreiecks ist nach innen gekehrt; die ab- gestumpfte Spitze erreicht fast den Ringcanal. Der Abstand zwischen je 2 Genilalblältern ist viel breiter, als ein solches Blatt. A^om Ring- canal entspringen zwischen je 2 Blättern 5 (bei jüngeren Individuen 3) blinde Centripetalcanäle, von denen der mittlere der längste, die bei- den seitlichen die kürzesten sind. Die 6 Radialtentakeln sind hohl, sehr beweglich, fadenförmig, länger als der Magenstiel. Die 6 Interradial- tentakeln sind dagegen sehr kurz. Die Fiiinilie der Rüsselqiialleu. 465 Das von Gegenbaur aus Messina mitgebrachte Originalexeniplar dieser Art , das ich untersuchen konnte , wurde der vorstehenden Be- schreibung mit zu Grunde gelegt. Es sieht meiner Carmnrina liastata im Ganzen sehr ahnlich, unterscheidet sich aber durch die verschiedene Zahl und Form der Centripetalcanäle und durch den völligen Mangel des Zungenkegels, von dem in der anscheinend ganz unverletzten Magenhöhle keine Spur zu entdecken war. Von G. fungiformis unter- scheidet sie sich durch den viel kleineren Magen und die viel schmä- leren und anders geformten Genitalblätter. Fundort: hn Mittelmeer bei Messina. Gegenbalr. 2. Geryoiiia fiiiigiforniis^ IIaeckel. Gerijonia hexaphylla, PfiRON et Lesuelir (1. c. p. 329). Geryonia hexaphylla, Milne Edwards (1. c. PI. 52, Fig. 3). Geryonia proboscidalis, Eschscholtz (1. c. p. 88). Schirm halbkugelig, von 6 — 10 Centimeter (2 — 4 Zoll) Durchmes- ser, wasserhell, farblos, mit einigen schwachen Rosatinten. Magenstiel länger als der Schirmdurchmesser, cylindrisch, sehr stark, Magen- schlauch sehr gross, cylindrisch oder kegelförmig, gefaltet, mit ein- facher, runder Mundöfinung. Die 6 Radialcanäle laufen als Streifen am Magenstiel empor. Die 6 Genitalblätter sind auffallend breit, lanzettför- mig, so dass sie sich mit ihrer nach innen gerichteten Basis berühren, während die äussere Spitze fast den Ringcanal erreicht. Zwischen je 2 Genitalblättern scheinen 7 blinde Centripetalcanäle vom Ringcanal abzugehen. Die G Radialtentakeln sind sehr lang , mehrmals länger als der Schirmstiel. Interradialtentakeln fehlen. Diese Art scheint von allen bisher beobachteten Garmariniden der von mir bei Nizza gefundenen Carmarina hastata am nächsten zu ste- hen und ich würde beide für identisch halten und annehmen, dass der Zungenkegel , der weder in der Beschreibung noch in der Abbildung erwähnt wird, übersehen worden sei, wenn nicht auch die Form der Genitalblätter bei der von P£ron bei Nizza gefundenen Art .ganz anders dargestellt wäre, bi der Alibildung erscheinen sie breit drei- eckig und berühren sich mit ihren sehr breiten Basen , während bei C. hastata die viel schmäleren , flügeiförmig ausgezogenen Basen der spiessförmigen Genitalblätter weit von einander al)stehen. Jedenfalls scheinen bei Nizza mehrere Garmariniden vorzukommen; denn auch die von Lelckart dort beobachtete und G. proboscidalis benannte Form [Leuckartia longicirrata) dürfte weder mit der von P^ron und Lesueur, noch mit der von mir bei Nizza gefundenen Art identisch sein. Fundort: hu Mittelmeer bei Nizza. PfiRON et Lesueur. 466 lernst Iliieckel, 3. Geryonia couoides^ Haeckel. Geryonia hexaphylla , Brandt (1. c. p. 389; Taf. XVUI, Fig. 'I, -2). Liriope proboscidalis ^ Lesson (1, c. p. 331). Schirm kegelförmig, von 3 Zoll Durchmesser und ebenso viel Höhe, durchsichtig, farblos, bis auf die röthlichen Centripetalcanäle und einen rosenrothen Ring am Schirmrand. Magensliel kegelförmig, sehr stark, oben fingerdick. Das untere Ende sammt dem daran befestigten Magen war an dem einzigen Exemplare, das von Hertens gefunden wurde, abgerissen und der Verlust durch einen kleinen unförmlichen Stummel ersetzt. Die 6 grossen Genitalblätter sind gelblich , breit lanzettförmig ; das äussere abgestutzte Ende erreicht den Ringcanal; die innere breite Basis läuft mit abgerundeten Ecken in einen kurzen stielähnhchen Fort- satz aus , der bis zur Basis des Magenstiels reicht. Die Zwischenräume zwischen den Blattbasen sind viel schmäler als diese selbst. Zwischen je 2 Blättern scheinen 9 blinde röthliche Centripetalcanäle vom Ring- canal abzugehen. Die 6 Radialtentakeln sind mehrmals länger als der Schirmstiel, biterradialtentakeln fehlen. Diese Art ist jedenfalls von den andern 5, sämmtlich im Mittel- meer beobachteten , Carmariniden specifisch verschieden. Ob sie aber zu dieser oder zur folgenden Gattung gehört, lässt sich bei der Unge- wissheit über die Bildung des Magens und die Abwesenheit des Zun- genkegels nicht entscheiden. Das untere Ende des Magenstiels sammt dem Magen fehlte bei dem einzigen beobachteten Individuum eben so vollständig , wie ich es auch bei Carmarina hastata oft gefunden habe. Der lange aus dem Schirm hervorhängende Magenstiel lockt durch seine pendelnden Bewegungen wahrscheinlich als guter Köder die Fische an, die ihn dann abbeissen, oder er reisst auch wohl bei Angriffen auf andere Seethiere ab. Fundort: Im grossen Ocean zwischen Japan und den Bonins- inseln (36" nördlicher Breite, 2M" westlicher Länge). Mertens. 5. Genus: Garmarina, Haeckel. {»Carmarinm zusammengezogen aus Carne marina [See-Fleisch] nennen die Fischer in Nizza und an der Riviera ponente sowohl die grösseren Quallen, als auch andere gallertige durchsichtige pelagische Thiere.) Gattungscharakter: Körper aus sechs homotypischen Ab- schnitten zusammengesetzt. 6 Radialcanäle. Vom Ring- canal gehen zwischen den Radialcanülen blind geendigte Centripetalcanäle in verschiedener Zahl aus. 12 Rand- Die Familie der Rfisselqualleu. 467 blä sehen. 6 oder 12 (in einem gewissen Larvenstadium 18) Tentakeln. Magenstiel in Form eines langen soliden Gallertkegels (»Zungenkegels«) in die Magenhöhle hinein verlängert. 1 . Carmarlua hastata, Haeckel. Genjo7na haslata, Haeckel (vergl. oben p. 327 dieses Bandes). Taf. XI. Fig. 1 — 10. Die kurze Charakteristik dieser Art ist oben p." 327 gegeben worden . Fundort: im Mittelmeer bei Nizza. Erklärung der AbbiidiiDgen. Die Bedeutung der Bachstaben ist in allen Figuren dieselbe. a Nervenring am Schirmrand, zwischen Nesselsaum und Cirkelcanal. b Sinnesbläschen oder Randbläschen. c Cirkelcanal am Schirmrand. d Drüsenblätter (?) an der inneren Magenwand. d' Mittelrinne der Drüsenblätter. e Centripetalcanäle. f Stielartige Basis der Randbläschen. g Genitalblätter. g' Hoden. g" Eierstöcke. h Centripetale Spange , von jedem Randbläschen aus in der Aussenfläche des Gallertmantels aufsteigend. i Ursprung (Einmündungsöffnung) der Radialcanäle im Grunde der Magenhöhle, k Magen. k' Innentläche des Magens, umgestülpt. 1 Gallertsubstanz des Mantels und des Schirmstiels. m Muskelbänder in der Aussenfläche des Magenstiels zwischen den Radialcanälen. n Nerven im Randbläschen. n' Sinnesnerven (2 gegenständige Bügel) an der Innenwand des Randbläschens, n" Kreuzung (Chiasma) und Durchflechtung der beiden Sinnesnerven am freien Pol des Randbläschens, n'" Ausstrahlung der gekreuzten Sinnesnerven innerhalb des Sinnesganglion, rings um den Otolithen. o Mund. o' Nesselknöpfe am verdickten Saum des Mundes, p Magenstiel (Schirmstiel). q Querschnitt der Radialcanäle in der Oberfläche des abgeschnittenen Magenstiels, r Radialcanäle, in der Oberfläche des Magenstiels aufsteigend, s Sinnesganglion (?), eine mit Zellen erfüllte Kapsel im Innern des Randbläschens, t Radiale Tentakeln (Randfäden), u Nesselsaum zwischen Velum und Nervenring am Schirmrande. 468 Ernst Haeckel, u' Ringförmige Nessehviilstc an den Tentakeln. V Velum oder Randmembran. \v Zelienpolster (Ganglion ?) an der Basis des Randbläschens. x Otolith (?), eine geschichtete Concretion im Innern des Sinnesganglion. y Interradiale Tentakeln der Larve. z Zungenkegel. Tafel XI. Garmarina hastata (Geryonia hastata). (Bau des erwachsenen Thieres.) Fig. \. Ein geschlechtsreifes Thier (Weibchen) bewegungslos im Wasser schwe- bend. Von den schlaff herabhängenden Tentakeln sind 3 in einen Knoten verwickelt. (Natürliche Grösse.) Fig. 2. Ein geschlechtsreifes Thier (Männchen) im Zustande der stärksten Contra- ction des Schirmes in der lebhaftesten Bewegung. Das Vekim (v) ist durch das kräftig ausgestossene Wasser vorgetrieben , der Magenstiel (p) stark ge- krümmt, die Zunge (z) tastend vorgestreckt. Die lebhaft wurmförmig sich krümmenden Tentakeln sind knotig verschlungen. Die Centripetalcanäle und der Cirkelcanal sind nicht abgebildet. (Natürliche Grösse.) Fig. 3. Ein geschlechtsreifes Thier (Weibcheuj, halb von oben gesehen, um die Cen- tripetalcanäle (e) und die Genitalblätter (g) deutlich zu zeigen. (Natürliche Grösse.) Fig. 4. Das untere Ende des Magenstiels (p), mit fast kugelig zusammengezogenem Magen (k). Der Zungenkegel (z) ist knieförmig gebogen und grösstentheils in den Magen zurückgezogen. Fig. 5. Das untere Ende des Magenstiels (p) , mit sehr stark zusammengezogenem Magen (k). Der Zungenkegel (z) ist sehr weit vorgestreckt und am Ende in eine spindelförmige Spitze angeschwollen. Die Gallertsubstanz (1) des Schirm- stiels ist fast halbkugelig über der Schnittfläche vorgequollen. Fig. 6. Ein Stück des Zungenkegels. Das Epithel, welches die Oberfläche des soli- den Gallertcylinders überzieht, besieht aus 6 breiteren spiralig gewundenen Bändern von ziemlich regelmässig polygonalen Zellen, welche mit 6 schmä- leren Bändern abwechseln, die aus schmal lanzettförmigen Zellen bestehen. Fig. 7. Ein Randbläschen, halb von aussen, halb von der Seite gesehen. Fig. 8. Ein Randbläschen, halb von aussen, halb von oben gesehen, mit verdünn- tem Sublimat behandelt, wodurch die Kerne in den Zellen des Sinnesgang- lion und in den Nerven deutlich hervorgetreten sind. Fig. 9. Flin Stück eines radialen Tentakels, u' die ringförmigen Nesselwülste, t die nesselzcllcnfreien Internodien. Fig. 1 0. 2 Muskel-Primitivbündel vom Magcnstiel. m' die quergestreifte Muskelmasse. Tafel XII. Glossocodon eurybia (Liriope eurybia). (Bau des erwachsenen Thieres.) Fig. II. Ein erwachsenes Thier, bewegungslos im Wasser schwebend. Die Ten- takeln (t) sind ziemlich stark zusammengezogen. Der Zungenkegel (z) ist ganz zurückgezogen. Die Familie der Rüssekniallen. 469 Fig. 12. Ein erwachsenes Thier, in lebhafter Schwimmbewegung. Die Tentakeln (t) sind verlängert. Der Zungenkegei (z) ist vorgestreckt. Fig. 13. Ein geschlechtsreifes Thier (Männchen), von unten betrachtet. Das Velum (v) ist sehr stark zusammengezogen, der Magen (k') umgestülpt, der Zun- genkegel (z) weit daraus vorgestreckt, die Tentakeln (t) ziemlich zusam- mengezogen, g' Hoden. Fig. 14. Ein geschlechtsreifes Thier (Weibchen), von oben betrachtet. Der Zungen- kegel (z) ist in die Magenhöhle (k) zurückgezogen , die Tentakeln (t) stark zusammengezogen, g" Eierstöcke. Fig. 15. Ein erwachsenes Thier, das sich mit vollkommen ausgebreitetem Magen an die Glasfläche angesaugt hat, von oben gesehen. In dem zu einer qua- dratischen Scheibe ausgedehnten Magen (k) treten die 4 Drüsenblätter (d) mit ihren Mittelrinnen (d') deutlich vor. Fig. 16. Das untere Ende des Magenstiels mit zurückgezogenem Zungenkegel (z) und vollkommen zu einer quadratischen Scheibe ausgedehntem Magen, der sich an die Glasfläche angesaugt hat. d die 4 Drüsenblätter, d' deren Mittelrinne, o' Nesselknöpfe des Mundsaumes. Fig. 17. Die Magenhöhle, durch den geöffneten Mund von unten gesehen. Man sieht in der Mitte den (verkürzten) Zungenkegel (z) umgeben von den Ursprungs- ülfnungen der 4 Radialcanäle (i). Am Miindsaum erscheinen regelmässig vertheilt 16 Paar Nesselknöpfe (o'). Fig. 18. Das untere Ende des Magenstiels, mit sehr stark zusammengezogenem Ma- gen und vierzipflig eingezogenem Mundsaum. Fig. 19. Das untere Ende des Magenstiels, mit verlängertem Magen und kragen- artig umgestülptem Mundsaum. Fig. 20. Das untere Ende des Magenstiels, mit sehr stark verlängertem und halb nach aussen umgestülptem Magen, und vierzipflig ausgezogenem Mund- saum. Die Gallertmasse (1) des soliden Magenstiels ist über dessen Schnitt- fläche fast kugelig vorgequollen. An den Radialcanälen (r) ist das gross- zellige Epithel angedeutet. Fig. 21. Das untere Ende des Magenstiels, mit vollkommen nach aussen umge- stülptem Magen (k') , dessen unterster Theil (k) sammt Mundsaum (o') abermals nach unten umgeklappt ist. Fig. 22. Ein Randbläschen, halb von aussen, halb von der Seite gesehen. Fig. 23. Ein Randbläschen, halb von aussen, halb von oben gesehen. Fig. 24. Ein Stück eines radialen Tentakels, u' die ringförmigen Nesselwülste, t die nesselzellenfreien Internodien. Fig. 25. Dichotom verästelte Fasern aus der Gallertsubstanz des Mantels. lieber Noiiosiilfacets<äure. Von Dr. Ernst Schulze. In einer früheren Mittheilung ^) habe ich über das Amid einer schwefelhaltigen Säure berichtet, welches sich bei der Ein\^ irkung von Schwefelammonium auf Ghloracetaniid bildet. Ich bin jetzt im Stande, über die zu diesem Amid gehörige Säure, die Monosulfacetsäure = eS^eO^lM^O^ ' ^^ ^^^^ ^^^^* weitere Verbindungen derselben, Mit- theilungen zu machen. Ich will hier bemerken , dass , wenn ich der Säure diesen Namen und diese Formel gebe , dies nur in Rücksicht auf die Bildungsweise derselben aus Monochloressigsäure durch einfache Auswechslung des Chlors gegen Schwefel geschieht. Weiter unten wird gezeigt werden, dass sich dieselbe auch anders betrachten lässt. Das Monosulfacetamid wurde , wie früher angegeben , zuerst er- halten, als durch eine, mit etwas concentrirter Ammoniakflüssigkeit versetzte, alkoholische Lösung von Chloracetamid Schwefelwasserstoff- gas geleitet wurde, wobei es sich als weisser, krystall inischer Nieder- schlag ausscheidet. Ich bemerkte bald , dass bei dieser Art der Dar- stellung die Ausbeute an Sulfacetamid eine verhältnissmässig geringe ist. Aus dem alkoholischen Filtrat von dem , dieses Amid enthaltenden Niederschlage lässt sich nichts mehr von demselben gewinnen. Wurde dasselbe durch theilweises Abdestilliren des Alkohols concentrirt , so schieden sich allerdings aufs Neue Krystalle aus. Dieselben zeigten je- doch nach dem Umkrystallisiren aus Wasser ein vom Sulfacetamid ver- schiedenes Ansehen — es waren kleine, büschelförmig vereinigte Pris- men oder Blättchen — ; sie waren löslicher in Alkohol und hatten einen weit höheren Schwefelgehalt. Als Mittel aus 2 Bestimmungen erhielt 1) Diese Zeitschrift, I. Seite 238. lieber Monosulfacetsiiure. 471 ich 37,56 Proc. Schwefel. Vielleicht ist diese Verbindung nach der Formel: r:c2pn"2 h2q2^*'N2 zusammengesetzt, welche 35, 16 Proc. Schwefel verlangt, und also wohl das Amid der Sulfoglycolsäure. Eine weit grössere Ausbeute an Sulfacetamid erhielt ich, als ich Monochloracetamid in der Kälte mit einer alkoholischen Lösung von Einfach-Schwefelammonium behandelte. Zur Darstellung einer solchen wurde absoluter Alkohol mit trockenem Ammoniakgas gesättigt, die Flüssigkeit in 2 gleiche Theile gethoilt , der eine mit trocknem Schwe- felwasserstoffgas gesättigt (wobei sich Krystalle von Schwefelwasser- stoff-Schwefelammonium ausscheiden) und dann der zweite hinzuge- fügt. Die so erhaltene Lösung wurde nun nach und nach zu einer concentrirten Lösung von Monochloracetamid in absolutem Alkohol hin- zugefügt. Die Einwirkung beginnt sogleich; Geruch und alkalische Reaction des Schwefelammoniums sind nach einiger Zeit verschwunden. Schon nach Zusatz der ersten Antheile desselben bemerkt man , ge- wöhnlich zuerst an den V^^änden des Gefässes , die Ausscheidung klei- ner weisser Krj stalle des Sulfacetamids, welche sich — besonders beim Umschütteln der Flüssigkeit — rasch vermehren. Man fährt mit Zusatz des Schwefelammoniums nur so lange fort, bis die gelbe Farbe und der Geruch desselben nicht mehr verschwinden und die Menge der aus- geschiedenen Ki"ystalle sich nicht mehr zu vergrössern scheint. Die- selben scheiden sich in so reichlicher Menge aus, dass, wenn man eine recht concentrirte Lösung von Chloracetamid anwendet, die ganze Flüssigkeit zu einem dünnen Brei wird. Nachdem man , um der Vollendung der Umsetzung sicher zu sein, die Flüssigkeit eine Zeit lang hat stehen lassen , wird das Sulfacetamid, welches durch gleichzeitig gebildeten Salmiak verunreinigt ist, abfiltrirt, mit Alkohol gewaschen , ausgepresst und durch mehrmaliges Umkry- stalUsiren aus Wasser vom Salmiak befreit. 1 4 Grm. Chloracetamid gaben mir auf diese Weise 9 Grm. Sulfacetamid (die berechnete Menge würde H Grm. betragen). Der Process der Bildung desselben lässt sich durch die Formel: £ti €0 \u(i^'2 _, 9iVa4c ^^ ^^ ^H''N2 _i_ "^NH^f^l €€12€02/** ^ + "^^^ ^ - €S2€02i** ^^ ^ "^^** ^' ausdrücken. Die vom Sulfacetamid abfiitrirte alkoholische Flüssigkeit enthält neben Salmiak nur höchst geringe Mengen der zweiten schwefelhaltigen Verbindung. Ich kann wohl annehmen , dass die letztere durch Ein- wirkung von Schwefelwasserstoff- Schwefelammonium auf Chloracet- amid entsteht. 472 Ernst Schulze , Um aus dem Amicle die Monosulfacetsäure zu erhalten, wurde die massig verdünnte , vvässrige Losung desselben mit reinem Barylhydrat so lange gekocht, bis keine Enl\vicklung von Ammoniak mehr bemerkt werden konnte. Die erhaltene Lösung des BarUsalzes, welche nicht die geringste Menge von Schwofeljjaryum enthielt, wurde, nachdem der überschüssige Baryt durch Kohlensäure entfernt war, im Wasser- bade eingedampft. Wenn die Flüssigkeit eine gewisse Concentration erreicht hat, so scheidet sich während des Abdampfens der monosulf- acetsaure Baryt in weissen, mikrokrystalünischen Krusten aus. Die wässrige Lösung desselben wurde mit essigsaurem Bleioxyd gefällt. Der krystallinische Niederschlag von monosulfacetsaurem Bleioxyd lie- fert, mit Wasser angerührt und mit Schwefelwasserstoffgas zersetzt, eine Lösung der freien Säure. Schon in der früheren Mittheilung wurde bemerkt, dass das Chlor- acetamid nicht die einzige Verbindung der Monochloressigsäure ist, welche sich mit Schwefelammonium umsetzt; dass z. B. auch der Mo- nochloressigsäureäther bei der Behandlung mit Schwefelammonium neben Salmiak ein in Wasser unlösliches , schwefelhaltiges Oel giebt, welches vermuthlich der Aether der Monosulfacetsäure ist. Das so er- haltene Product war jedoch nicht frei von Chlor und schien ausserdem überschüssigen, aus dem gelben Schwefelammonium herrührenden Schwefel aufgelöst zu enthalten. Ich hatte dasselbe daher nicht analy- sirt und nur constatirt, dass es bei der Behandlung mit alkoholischem Ammoniak Sulfacetamid liefert. Eben so leicht, wie das Sulfacetamid, lässt sich aber auch das monosulfacetsäure Ammoniak aus der entsprechenden Verbindung der Monochloressigsäure erhalten. Zur Darstellung desselben wurde eine concentrirte Lösung des monochloressigsauren Ammoniaks, wie man sie durch Auflösen von krystallisirter Monochloressigsäure in möglichst wenig Wasser und vorsichtiger Neutralisation derselben mit concen- trirter Ammoniakflüssigkeit eihäll, mit etwa dem doppelten Volum absoluten Alkohols vermischt und nach und nach mit alkoholischem Schwefelanunonium gesättigt. Das monosulfacetsäure Ammoniak schei- det sich gewöhnlich erst dann , wenn man sich dem Puncte der Sätti- gung nähert, in kleinen, sternförmig vereinigten nadeiförmigen Kry- stallen in reichlicher Menge aus. Dasselbe ist noch verunreinigt durch gleichzeitig ausgeschiedenen Salmiak und da es in Wasser äusserst leicht löslich ist, so lässt es sich durch Umkrystallisiren nicht von ihm befreien. Um denselben zu entfernen, löst man es in möglichst wenig Wasser und vermischt die Lösung mit dem 2- bis 3-fachen Volum Ueber Monosiilfiicetsäiire. 473 starken Alkohols. Der grösste Theil des Salzes scheidet sich wieder krystallinisch aus, während der Salmiak in Lösung bleibt. Will man das Ammoniaksalz zur Darstellung der Säure benutzen, so hat man nicht nöthig, den Salmiak zu entfernen. Man löst dann das unreine Salz in Wasser und fällt die massig verdünnte Lösung mit essigsaurem Bleioxyd aus. Der Niederschlag wird mit Wasser angerührt und mit Schwefehvasserstoff zersetzt. Die vom Schwefelblei abfiltrirte Lösung der freien Säure dampft man im Wasserbade auf ein kleines Yolum ein und lässt zweckmässig unter dem Exsiccator krystallisiren. Auch aus einem durch viel Salmiak verunreinigten Ammoniaksalze er- hält man so eine vollkommen reine, chlorfreie Säure. Die Monosulfacetsäure kryslallisirt in farblosen, dünnen Ta- feln , welche bei langsamer Ausbildung eine bedeutende Grösse errei- chen. Sie gehören (nach einer Bestimmung des Herrn Hofraths Schmid) dem rhombischen System an und haben Winkel von iO'6 und ISTyg". Die Krystalle sind wasserfrei und luftbeständig ; sie schmelzen unzer- setzt bei 1 29" und erstarren krystallinisch. Beim stärkeren Erhitzen in einem Glasröhrchen werden sie unter Entwicklung eines zwiebelartigen Geruchs zersetzt. Auf Platinblech vorsichtig erhitzt, schmelzen sie zu- erst und verflüchtigen sich dann anscheinend unzersetzt ohne Kohle- Abscheidung. Sie lösen sich in 2,37 Theilen Wasser von 18" und eben- falls leicht in Alkohol. Durch kochende Salpetersäure werden sie unter Entwicklung rother Dämpfe und unter Bildung von Schwefelsäure und Oxalsäure zersetzt. Ihre wässrige Lösung wird durch Blei- und Silber- lösung gefällt. 0,2975 Grm. gaben, bei 1 00" getrocknet und mit Kupferoxyd unter Vorlegung einej- Schicht von chromsaurem Bleioxyd verbrannt 0,34825 Grm, Kohlensäure und 0, 1 135 Grm. Wasser. gefunden berechnet nach der Formel €H-€02(H2o2 €S2€02|ö'-0^ € = 31,92 32,00% H = 4,24 4,00 )) S = — 21,33 )) 0 = — 42,67 » ~iöö7öö Die Salze der Monosulfacetsäure sind meist löslich in Wasser, un- löslich in Alkohol und krystallisiren leicht; Blei- und Silbersalz sind in Wasser sehr schwer lösliche krystallinische Niederschläge. Sie enthal- ten zwei Atome Basis; mit den Alkalien habe ich jedoch auch saure Salze erhalten. R(l. I. ',. 31 474 l^''"st Sdiulze, Das neutrale Kalisalz wurde durch Zersetzung des Barytsalzes mit schwefelsaurem Kali erhalten. Es ist sehr leicht löslich in Wasser und krystallisirt unter dem Exsiccator in breiten farblosen Prismen, welche in feuchter Luft allmählich zerfliessen und beim Erhitzen auf 120" 7, 28 7o = 2 Aequivalent Wasser verlieren. Alkohol scheidet das Salz aus seiner Lösung zuerst als concentrirte wässrige Lösung ab, welche sich allmählich in Krystalle verwandelt. Das saure Kalisalz erhielt ich, als zu der Lösung des neutralen Salzes \ Aequivalent Säure hinzugefügt wurde. Es krystallisirt in farb- losen prismatischen Krystallen, welche wasserfrei und luftbesländig und in Wasser beträchtlich schwerer löslich sind, als das neutrale Salz. 0,22823 Grm. des bei lOO« getrockneten Salzes gaben 0,2930 Grm. Kaliumplatinchlorid gefunden berechnet nach der Formel 4^H2€0-lH20-^ €S-€02jM0,K0 K0 = 24,76 25,08% Das neutrale A m m o n i a k s a 1 z , dessen Darstellung angegeben wurde , krystallisirt unter dem Exsiccator in grossen , zerfliesslichen Prismen. Alkohol scheidet das Salz aus der wässrigen Lösung in na- deiförmigen Krystallen ab. Das saure Ammoniak salz erhielt ich auf dieselbe Weise, wie das saure Kalisalz in schönen, glashellen Prismen , welche wasserfrei und luftbeständig sind. Der monosulfacetsaure Baryt, dessen Darstellung angegeben wurde, scheidet sich beim Abdampfen der wässrigen Lösung in weissen, krystallinisch schimmernden Krusten ab , welche in Wasser ziemlich schwer löslich sind. Eine heiss gesättigte Lösung des Salzes liefert beim Erkalten keine Krystalle ; ohne Zweifel deshalb, weil das Salz in heissem Wasser nicht löslicher ist, als in kaltem. Das Salz ist wasserfrei. Die Analyse desselben geschah in folgender Weise : Zur Bestim- mung des Schwefels und des Baryts wurde das bei 100'^ getrocknete Salz im Platintiegel mit einem Gemisch von Salpeter und Soda ge- schmolzen. Der gebildete kohlensaure Baryt wurde abfiltrirt und in schwefelsauren Baryt verwandelt. Die im Filtrat vom kohlensauren Ba- ryt enthaltene Schwefelsäure wurde als schwefelsaurer Baryt bestimmt. 0,2375 Grm. gaben so 0,193 Grm. BaO,S03, entsprechend 53,367o BaO und 0, 1 92 Grm. BaO, SO^ , entsprechend 1 1 ,10% S. Zur Kohlenstoff- und Wasserstoffbestimmung wurde das bei 1 00" ge- trocknete Salz mit chromsaurem Bleioxyd verbrannt. Ueber MonosuU'acetsäure. 475 0,2iio Grm. gaben 0,13325 Grm. Kohlensäure und 0,0385 Grm. Wasser, entsprechend 17,097o € und 1,74% U. gefunden €= 17,09 ö= 1,74 berechnet nach der Formel €H2€02(H202 €S2€OnBa202 16,84 o/o 1,40 » 1 S = I 1 , 1 0 11,23 » BaO = 53,36 53,68 » 0= — 16,85 » 100,00 Monosulfacetsaures Bleioxyd, oder Barytsalzes giebt mit essigsaurem Bleioxyd einen weissen , schön krystallinischen Niederschlag von monosulfacetsaurem Bleioxyd. Unter dem Vergrösserungsglase erscheint derselbe als aus kleinen Blättchen zusammengesetzt, welche ziemlich gross werden, wenn der Nieder- schlag sich in verdünnten , heisscn Lösungen bildet. In verdünnten Lösungen entsteht der Niederschlag erst nach einiger Zeit, rascher beim Reiben der Gefässwändc mit einem Glasstabe, hi heissem Wasser ist er beträchtlich löslich und krystallisirt aus dieser Lösung in kleinen Blättchen. Leicht löslich ist er in verdünnter Salpetersäure. Das Salz ist wasserfrei und lässt sich bis 200" erhitzen, ohne sich zu zersetzen. Die Analyse desselben wurde in folgender Weise ausgeführt : Zur Bestimmung des Schwefels und des Bleioxyds wurde das bei 100^ getrocknete Salz mit einer Lösung von kohlensaurem Natron ge- kocht, das gebildete kohlensaure Bleioxyd abfiltrirt und in schwefel- saures Bleioxyd verwandelt. Das Filtrat vom kohlensauren Bleioxyd wurde unter Zusatz von etwas Salpeter zur Trockne verdampft, der Rückstand in einem Porcellanschälchen bis zur völligen Oxydation der organischen Substanz erhitzt und die gebildete Schwefelsäure als schwe- felsaurer Baryt bestimmt. 0,3245 Grm. gaben so 0,276 Grm. PbO,SO^ entsprechend 62,61 % PbO und 0,214 Grm. BaO,SO% entsprechend 9,05 » S. Zur Kohlenstoff- und Wasserstoffbestimmung wurde das bei 100*^ getrocknete Salz mit chromsaurem Bleioxyd verbrannt. 0,31 425 Grm. gaben 0,15775 Grm. Kohlensäure und 0,0380 Grm. Wasser, entspre- chend 13,697o € und 1,34% H. 476 tlf'^st Scliulze, gefunden berechnet nach der Formel €S2t02jPb202 € = 13,69 13,51% fl= 1,34 1,12 )) S = 9,05 9,01 » PbO = 62,61 62,81 r> 0 = — 13,55 )) 100,00 Wenn man eine annähernd mit Ammoniak neutrahsirte Lösung der Säure zu überschüssiger, kochender Lösung von basisch essigsaurem Bleioxyd hinzufügt und das Kochen eine Zeit (1 bis 2 Stunden) lang fortsetzt, so scheidet sich ein krystallinisches, basisches Bleisalz von der Formel : r^^po^ipiVW"*' ^^^^^ ^^^' dasselbe ist wasserfrei und verändert sich nicht beim Erhitzen bis auf 200''. Zur Analyse wurden von zwei verschiedenen Darstellungen ge- nommene Portionen angewandt. 1. 0,79425 Grm. gaben, bei 100" getrocknet, 0, 8305 Grm. PbO, SO^, entsprechend 76,987o PbO. 2. 0,9365 Grm. gaben 0,9815 Grm. PbO,S03, entsprechend 77,15% PbO. gefunden berechnet nach der Formel €ö2€02fH202 GS^COnPb^O-"*""^'^^ 1. 2. PbO = 76,98 77,15 77,18% Monosulfacet saures Zinkoxyd wurde durch Sättigung der Säure mit kohlensaurem Zinkoxyd erhalten. Es krystallisirt in kleinen, glänzenden rhombischen Tafeln, welche in Wasser schwer löslich sind. Eben solche Krystalle scheiden sich aus, wenn man concentrirte Lö- sungen von essigsaurem Zinkoxyd und monosulfacetsaurem Ammoniak vermischt. Das Salz enthält 257o = 8 Aequivalente Wasser, welche es bei 100" verliert. Monosulfacetsaures Silberoxyd, durch Umsetzung eines löslichen Salzes der Monosulfacetsäure mit salpetersaurem Silberoxyd erhalten, ist ein weisser, flockiger, fein krystallinischer Niederschlag, der am Lichte sich langsam dunkel färbt, und in Salpetersäure leicht löslich ist. Das trockne Salz kann bis 140" erhitzt werden, ohne sich zu schwärzen. 1. 0,5265 Grm. des bei 100" getrockneten Salzes gaben 0,41215 Grm. Ag€l, entsprechend 63,28% AgO. Uebcr Moriosull'aeetsrmn'. 477 2. 0,4325 Grm. gaben 0,33865 Grm. Ag€l, entsprechend 63,29"/^ AeO. gefunden berechnet nach der Formel €S-^€0-lAg202 1 . 2. ^ AgO = 63,28 63,29 63,73% Monosulfacetsäure-Aethyläther. Zur Darstelhing dessel- ben wurde die Säure in ihrem mehrfachen Gewichte absoluten Alkohols gelöst , die Lösung mit trocknem Salzsäuregas gesättigt und eine Zeit lang im Wasserbade erhitzt. Nach mehrtägigem Stehen wurde der Aether mit Wasser abgeschieden, gewaschen und über Chlorcalcium getrocknet. Derselbe ist eine farblose, schwach ätherisch riechende Flüssigkeit, unlöslich in Wasser, leicht löslich in Alkohol. Er siedet grösstentheils unzersetzt zwischen 240 und 250". Mischt man den Aether mit alkoholischem Ammoniak, so scheiden sich nach 1 bis 2 Tagen Krystalle aus, welche nach dem Umkrystalli- siren aus Wasser die charakteristische Krystallform und die Eigenschaf- ten des Monosulfacetamids zeigen, 0,157 Grm. des über Chlorcalcium, dann über Schwefelsäure ge- trockneten Aethers gaben bei der Verbrennung mit Kupferoxyd unter Vorlegung einer Schicht von chromsaurem Bleioxyd 0,26675 Grm. Kohlensäure und 0,100 Grm. Wasser. gefunden berechnet nach der Formel €H2t:02(M202 £S'^£On^ipH\iiO) € = 46,37 46,60% M= 7,07 6,80 )) S = — 15,53 » 0= — 31,07 » 100,00 » Eine Portion des Aethers, welche einmal überdestillirt war, gab bei der Analyse 45% € und 1% H. Die Eigenschaften und die Zusammensetzung des Amids der Monosulfacetsäure sind bereits in der früheren Mittheilung ange- geben worden. Ich will hier nur noch erwähnen , dass die Krystalle desselben (nach einer Bestimmung des Hrn. Ilofraths Schmid] dem qua- dratischen Systeme angehören. Es sind gewöhnlich Quadratoktaeder, welche an der Mittelkante einen Winkel von 135" haben und basisch spaltbar sind. Die Versuche zur Darstellung eines Chlorürs der Säure haben zu keinem befriedigenden Resultat geführt. Wenn man die trockne 478 '^'■"St Schulze, lieber Monosiilfacetsruire. Säure mit dem dreifachen Gewichte Phosphorsuperchlorid zusammen- bringt , so entsteht unter reichlicher Salzsäureentwicklung allmählich eine farblose Flüssigkeit , welche vermuthlich das Chlorür der Säure enthält. Dasselbe lässt sich jedoch nicht von» Phosphoroxychlorid be- freien ; denn schon bei der Temperatur, bei welcher das letztere siedet, beginnt es sich zu zersetzen. Vermischt man die durch Einwirkung des Phosphorsuperchlorids auf die Säure erhaltene Flüssigkeit mit absolutem Alkohol und giesst das erhaltene Product in Wasser, so scheidet sich ein schwefelhaltiges Oel ab. Dasselbe scheint jedoch nicht identisch mit dem Aether der Monosulfacetsäure zu sein; denn es lieferte mit alkoholischem Am- moniak nicht Monosulfacetamid , sondern zersetzte sich unter Bildung von Schwefelammonium. Ich habe schon oben bemerkt , dass ich der neuen Säure den Na- men Monosulfacetsäure und die Formel rc2r()2]u2o2 '^^ Rücksicht auf die Bildungsweise gegeben habe. Man kann dieselbe aber auch als eine Diglycolsäure betrachten, in welcher zwei Atome Sauerstoff durch Schwefel ersetzt sind. Giebt man mit Heintz der Diglycolsäure die typische Formel u2 0^ , so würde man der neuen Säure die ^4|^4Q4g2. Formel H2} ^^ und den Namen Sulfo- oder Thiodiglycol- säure geben können. Es ist bis jetzt nicht gelungen, Zersetzungsproducte der Monosulf- acetsäure zu erhalten, welche zu Schlüssen auf die Constitution dersel- ben berechtigten. Natriumamalgam und lodphosphor verändern die- selbe nicht. Durch Kochen mit Silberoxyd habe ich die Verbindungen der Säure bis jetzt nicht in ein völlig schwefelfreies Product überführen können. Ich bin noch mit Versuchen in dieser Richtung beschäftigt und werde später wieder darüber berichten. Laboratorium zu Jena im Au^ust 1864. Ein Fall von Morbus x4 welches zum Methylen in der nämlichen Beziehung eht, wie die Milchsäure zur Propionsäure. ,2M202|**"0- ^'^^'|2€2H N12C02J "^^ ** Wahrsch. Natur d. aus d. Monocyansäureii durch Alkalien entst. Siuireii. 497 Bernsteinsäure selbst geben. Aus diesem Grunde also kann, nach unserer Auffas- sungsweise, die Malonsäure nicht zur Bern stein säure gehören. Aber neben der Bernsteinsäure-Reihe ist noch eine Reihe Säuren von völlig gleicher Zusammensetzung aber von ganz anderer Constitution möglich, in welcher auch ein Glied von der Zusammensetzung der Malonsäure vorkommt. Das Folgende wird uns zu ihrer Kenntniss führen. Wenn auf die Propionsäure, Bernsteinsäure etc. Salzbildner einwirken, so wer- den diese auf den für sie am leichtesten angreifbaren Theil der Gruppe zunächst ihre Wirkung äussern und dieser ist nicht das Kühlenoxyd oder das Wasser, son- dern gewiss der Kohlenwasserstoff. Dieser wird allmählich verändert, indem sich stückweise die kleinstmögliche Menge KohlenwasserstofT = €tt-^ davon absondert und, so wie es mit €"14- unmittelbar der Fall ist, seinen Wasserstoffgehalt gegen den Salzbildner auswechselt. So erhalten folgende Formeln die Monochlorpropionsäure . Monobrombernsteinsäure : €2H^€OnM202 Dichlorpropionsäure : Dibrombernstcinsäure : €2fl'2,e204 )H404 /€H2\„„JM0 €-Br^€*04|H=0* JHO Bei dem Uebergang dieser Haloidosäuren in Oxysäuren findet nun nicht bloss eine Auswechslung von je 1 Mgt. Chlor gegen je 1 Mgt. Sauerstoff statt, son- dern noch eine gleichzeitige Aufnahme von je 1 Mgt. Wasser. Dieses, durch die Entstehung von Kohlensauerstoffgruppen seinem Vorhandensein und seiner Menge nach bedingte Wasser muss in den Formeln der Oxysäuren auch als besondere Gruppe erscheinen, es ist vollkommen durch Metalloxyde vertretbar unter Bildung jener eigenthümlichen sehr basischen Salze, zu deren Erklärung man so künstliche Hypothesen erfunden hat, es ist verbindbar mit Wasserstoffbasen, und mit solchen Kohlenwasserstoffen in den Aether-Oxysäuren wirklich verbunden. Monoxypropionsäure Monoxybernsteinsäure (Milchsäure) (Opt. unwirks. Aepfelsäure) C'H^CO« IH'O* €=H^C^04 m^o^ €-0^€''0•'H«0=' H*0* ,eo=M-o='m=o /€H"A Dioxypi (Glyc( Dioxypropionsäure Dioxybernsteinsäure (Glycerinsäure) (Kekule's inact. W^einsäure) feO"-)'^^' H-0'' 1 M^O» HO Bei dem Uebergang der Haloidosäuren in Cyanosäuren entstehen Kohlen- stickstoffgruppen , die um ihren Zusammenhang mit den Chlor- Brom- etc. Koh- lenstoffen in den Formeln der ersteren Säuren erkenntlich zu lassen , als Cyankoh- lenstoffverbindungen geschrieben werden können : Monocyanpropionsäure : Monocyanbernsteinsäure : e=H*, CO" IH^O^ €*H^e*0* )H*0* (^«:^,)€0^pO'= €=€=NSG^O*iM*0* Bei der Einwirkung von Kalilauge werden diese Kohlenslickstoffgruppen, unter 498 A. Getither, Zersetzung von so viel \Yasser , dass aller Stickstoff mit allem Wasserstoff Ammo- niak bildet und aller Sauerstoff zum Kohlenstoff geht , übergeführt in Kohlensauer- stoffgruppen aber unter gleichzeitiger Aufnahme von nur genau so viel Wasser, als bei dem Uebergang einer Monohaloidosäure in eine Monooxysäure aufgenommen wird. Nur 2 Mgt. Sauerstoff der Kohlenoxydgruppe verlangen eine Aufnahme von 2 Mgt. Wasser, die anderen 4 Mgt. Sauerstoff nicht, das deutlichste Zeichen, dass hier die Bildung einer Oxysäure neben Kohlenoxyd stattgefunden hat, d. h. eine Ameisen-Oxysäure. Die aus der Monocyanpropionsäure hervorgehende Säure wird also als eine, der Benzoe-Milchsäure ganz analog constituirte Ameisen- Milchsäure, und die aus Monocyanessigsäure hervorgehende, als Arne isen- Glycolsäure (Malonsäure) aufzufassen sein. Benzoe-Milchsäure /^^!\go^m*o Veo"- Ameisen-Milchsäure /GM= ,€0-M=0"[H=0 Ameisen-Glycolsäure eO^€0'M'OMH=0- €0== ) €0= Diese A m e i s e n - M o n o x y s ä u r e n sind es , w eiche eine der Bernsteinsäure nebenher laufende Reihe mit gleich zusammengesetzten Gliedern bilden können. Ameisenglycolsäure : G^M^O'^ milchsäure: CSM'^Oie oxybuttersäure : e'OM'COie fehlt. Bernsteinsäure : ß^M^OS Brenz\s einsäure : G^M^O^ Als ähnliche Ameisen-Oxysäuren sind meiner Ansicht nach auch die in der Natur vorkommende Weinsäure, dieCitronensäure und vielleicht auch die optisch wirksame A e p f e 1 s ä u r e aufzufassen : Wahre Weinsäure = Ameisen -Trio xy Propionsäure: IS')' €0^H^0^ ^€0:^\ €oo«202 €0y' ^^ M'^02 €02 €02 2(€*MfiOi «202 ( M202 C i t r 0 n e n s ä u r e 2(€6M^Oi^) = Diameisen-Dioxvacetonsäure: '€2M* €M2 .€02, H20'.i /€2M*\ (^€M2; .€02 (€02),€02M-2*02 \€02y M202 €0" €0- €0= €0- Wahre Aepfel säure = Am eise n-Dioxypropion säur e(?) tt=0- H^O* €''H60io /€H2 €0^ H202iHO €02 HO \,€02^ Die Weinsäure müsste dann aus Monocya nglycerinsau re, die Citronen- Wiilirscli. Natur d. ans d. Moiiocyaiisäiireii durch Alkaüpii eutst. Säuren. 499 säure aus Dicyanacetonsaure und die Aeptelsäure aus M o n o c y a n m i 1 c h - säure durch Umsetzung mit Kali entstehen. Von der Wichtigkeit der Darstellung solcher Ameisenoxysäuren längst über- zeugt , habe ich vor längerer Zeit zwei vorläufige Versuche zu ihrer Darstellung unternommen, die aber, anderer Arbeiten halber bis jetzt nicht weiter durchgeführt worden sind. Es waren folgende: 1) Es wurde Lactid mit einem Ueberschuss von Ameisensäure, wie sie durch Zersetzung von getrocknetem Schwefelwassertoff und Bleisalz erhalten wird, in ein Rohr eingeschlossen und auf -lOOO, später auf 1300 erwärmt. Das Lactid hatte sich leicht gelöst. Als darauf die Ameisensäure im Wasserbade verjagt worden war, blieb ein saurer Syrup, der wie das damit dargestellte Zinksalz seinen Eigenschaften und seiner Zusammensetzung nach zeigte, aus nichts anderem als gewöhnlicher Milchsäure bestand. Sie konnte, da sonst keine anderen Producte entstanden waren, ihre Entstehung nur einem Wassergehalt der angewandten Ameisensäure verdanken. Der Process hätte bei völlig wasserfreier Säure verlaufen müssen nach der Gleichung : Lactid -|- 2 Ameisensäure = Ameisen-Milchsäure €=M*,€0» ) £,^„ (HO G-H^GO- \M-0= l€0=;''^^" " j €0- )H0 l€0= 2) Es wurde trocknes ameisensaures Natron und Dichloressigsäure-Aether mit starkem Alkohol im verschlossenen Rohr auf 1300 erhitzt. Es hatte indess keine merkliche Umsetzung stattgefunden. Weitere Versuche erst müssen zeigen , ob die beiden angewandten Methoden zur Bildung dieser Säuren führen, wie ganz wahrscheinlich ist. Jena, d. 18. Septbr. 1864. Von Reichardt. Die gewöhnliche Methode Magnesium abzuscheiden ist jetzt diejenige von Deville und Caron, mit den Verbesserungen von Woebler'). 600 Grm. Chlor- magnesiumwerden mit 100 Grm. vorher geschmolzenen Chlornatriums (oder besser einer Mischung von 7 Th. Chlornatrium und 9 Th. Chlorkalium) und 100 Grm. reinen Fluorcalciums nach vorherigem Pulvern der Zusätze gemengt, dem Gemenge 100 Grm. Natrium in Stücken zugesetzt und diese darin vertheilt. Diese Masse wird mittelst eines Eisenbleches in einen stark glühenden Tiegel eingetragen und letzterer geschlossen , bis die Einwirkung beendigt ist , worauf man umrührt und vor dem völligen Erstarren nochmals rührt, um die zerstreuten Magnesiumküircl- chen zu vereinen. Nach Woehler lässt man dann den Tiegel ruhig erkalten und 1) Annal. d. Chem. u. Pharm. CL 359 und 632. ; Jahresber. von Liebig und Kopp 1857. S. 148 f. 500 ^' Rpicliardt, Zur Drirstclliiiig des Miigiiesiiims. nimmt nach dem Zerschlagen die Magnesinmkugel heraus. Durch Behandehi mit Wasser kann noch das weitere, in kleinen Kugeln vorhandene Metall von der Schlacke gesondert werden. Woehler wendete an Stelle des Chlormagniums auch ein Gemisch von Chlormagnium und Chlornatrium an , durch Eindampfen der Lösungen und Schmelzen des Rückstandes erhalten. Die Bereitung des Chlormagniums geschieht hierzu nach der von Liebig ange- gebenen Vorschrift, dass man Chlorammonium mit Chlormagnium in Lösung mischt, verdunstet und den Rückstand schmilzt, bis sämmtliches Ammoniaksalz verflüchtet ist. Diese Operation hat sehr viel läst^ges, die Menge der Dämpfe und vor Allem die Masse , welche in dem grossen Tiegel zusammenschwindet und endlich das wasser- freie geschmolzene Chlormagnium ergiebt. Sollte vor dem Glühen das Gemisch von Salmiak und Chlormagnium nicht ganz scharf ausgetrocknet worden sein, so erhält man sehr leicht überhaupt kein reines MgCl , sondern nicht brauchbare Gemische desselben mit MgO. Weit leichter lässt sich für diesen Zweck das jetzt in Stassfurth in so grosser Menge, auch ganz rein vorkommende Doppelsalz von KCl und MgCl anwen- den— der Ca mal 1 it. H.Rose und Oesten bewiesen dieses wichtigste Kalisalz Stassfurth's als KCl + 2MgCl+12HO und gaben den Namen Carnallit. Dieses Mineral findet sich entweder ganz rein und ungefärbt oder gewöhnlich röthlich, bis lebhaft fleischfarben. Die Färbung ist dann durch äusserst wenig Eisenglimmer hervorgerufen , welcher bei dem Lösen in Wasser sich abscheidet und unter dem Mikroskop als sehr schöne regelmässige sechsseitige Tafeln sichtbar ist. Ohne alle Schwierigkeiten kann man den Carnallit scharf eintrocknen und bei allmählicher Steigerung der Wärme schmelzen. Gewöhnlich hat diese geringe Beimischung von Eisenglimmer auf das zu erzielende Magnesium gar keinen Einfluss, jedoch kann durch einmaliges Lösen und Filtriren der Lösung auch diese fremde Substanz ent- fernt werden. Den geschmolzenen Carnallit giesst man sogleich auf blankes Eisen oder Stein aus und kann ununterbrochen weiter entwässern und schmelzen , so lange der Tiegel es gestattet , welcher auch hier bei dem Erkalten fast regelmässig zerspringt. Obigen 600 Grm. MgCl entsprechen genau 1068 Grm. KCl + 2MgCl, wo- bei natürlich über 400 Grm. KCl enthalten sind, welche in dieser Verbindung die leichte Schmelzbarkeit bedingen. Mit geringen Abänderungen gestaltet sich die Methode von Deville und Caron bei Anwendung von Carnallit folgend : -1000 Grm. geschmolzener Carnallit werden fein zerrieben schnell mit 100 Grm. reinen Flussspat h es gemischt und mit 100 Grm. Natrium in Stückchen geeignet gemengt wie oben behandelt. Die Ausbeute entspricht der gewöhnlichen bei Anwendung von MgCl. Grössere Variationen hinsichtlich des C arnallites oder des Flussspa thes ergaben mir keine günstigen Resultate. Die Einwirkung des Natriums auf das Gemisch geht äusserst ruhig vor sich, jedoch muss darauf geachtet werden , dass der Carnallit nicht mitKieserit — schwefelsaurer Talkerde — gemischt sei. Ein solches Gemisch zeigt sich schon durch das ungleiche Aussehen des Minerals — Kieserit ist weiss, opak bis undurch- sichtig — , durch die Abscheidung bei dem Schmelzen u. s. w. Sollte Kieserit mit in die Natriumreaction gelangen, so entstehen Detonationen oder Explosion. Von den zahlreichen Fabricanten in Stassfurth dürfte der Carnallit leicht völlig rein zu erhalten sein. M. Seidel, Embolia der Pulmonalarterie. 501 Embolie der Pulmonalarterie. Von Dr. M, Seidel. Kurze Zeit nach dem von mir im ersten Hefte dieser Zeitschrift S. liS beschrie- benen Falle von plötzlichem Tod in Folge von Embolie der Pulmonalarterie, kam hier ein zweiter Fall zur Beobachtung, der ebenso rasch letal endete. Derselbe ver- lief auf der geburtshülflichen Klinik des Hrn. Prof. Schultze, der mir mit gewohn- ter Bereitwilligkeit die betreffenden früheren Notizen überliess, da ich selbst die Kranke nur bei Gelegenheit des rasch über sie hereinbrechenden Todes zu sehen bekommen hatte. Amalie Boerner 25 Jahr alt, aus Frauenpriessnitz, wurde am 19. Januar 1864, in die Entbindungsanstalt aufgenommen. Früher nie erheblich krank, war sie vom 15. bis 18. Jahre regelmässig, später unregelmässig alle 2 bis 3 Wochen mit Schmer- zen menstruirt und befand sich bei der Aufnahme im 7. Monat der Schwangerschaft. 1 4 Tage vor ihrem Eintritt bekam sie nach einem beschwerlichen Wege plötzlich Schmerzen im rechten Beine, besonders in der Gegend des Hüftgelenks, das ganze Bein schwoll ziemlich rasch an, rothete sich, wurde besonders bei Druck und Be- wegung sehr empfindlich. Schon das Stehen oder Sitzen steigerte die Schmerzen, die nur bei ruhigem Liegen etwas nachliessen. Nach 8 Tagen war sie nicht mehr im Stande zu stehen, musste fortwährend zu Bett liegen, hatte öfters Frieren, Schmer- zen in der Magengegend und in beiden Hypochondrien, .\uftreibung des Leibes, da- bei guten Appetit, etwas retardirten Stuhl. Seit sie zu Bett lag nahm die Anschwel- lung des Beins langsam ab. Bei der Aufnahme zeigte sich die ganze rechte untere Extremität in massigem Grade ödematös geschwollen, besonders die Beugeseite, die Farbe der Haut war normal, Druck überall empfindlich, ohne dass die Untersuchung etwas Abnormes nachgewiesen hätte. Temperatur und Puls normal, im Urin kein Eiweiss. Die seitlichen Parthieendes Uterus waren bei Druck empfindlich, in der Len- dengegend die Haut in sehr geringem Grade ödematös. Bei ruhiger Lage und Ein- wicklung der Extremität in Walte ging die Anschwellung nach 14 Tagen so zurück, dass nur noch der Fuss , an Rücken und Sohle etwas geschwollen und bei Druck schmerzhaft war, die Kranke befand sich dabei vollkommen wohl. Nachdem auch diese geringe Anschwellung sich völlg verloren hatte, trat am 22. Febr. von Neuem eine geringe ödematöse Anschwellung des rechten Unterschenkels auf, die sich in kurzer Zeit verlor. Patientin fühlte sich dabei bis zu der Geburt vollkommen wohl. Diese erfolgte am 10. März rasch und leicht; nach Ausstossung der Placenta trat eine beträchtliche Blutung ein, die nach Injection von Wasser mit Liq. Ferri sesqui- chlorati und Einlegen von Eisstückchen in die Scheide alsbald stand. Das Wochen- bett verlief normal. Nur am 15. und 18 März trat Abends Frieren und am 16. März zugleich Erbrechen ein. Temperatur und Puls boten dabei nichts besonderes. Der Uterus bildete sich gut zurück. Die Kranke sollte am 23. März entlassen werden, wurde jedoch ihres Kindes wegen, das an einer Conjunctivitis erkrankt war, noch in der Anstalt behalten. Am 26. März zeigten sich am rechten Unterschenkel eine, auf der rechten Wange drei '/, — 1 Groschen grosse mit Eiter gefüllte Blasen mit bläulich rothem Hofe, die etwas schmerzten. Am 26. März Abends T'/i Uhr wollte sich die Kranke , die unter Tag einige Male über Beklemmung und Angst geklagt hatte, nachdem sie beim Verzehren ihres Abendbrodes noch ganz munter gewesen 502 ^'' Seidel, war ausziehen, um sich zu Bett zu legen. Während des Ausziehens fällt sie plötz- lich hinten über aufs Bett, bekommt Zuckungen im Gesichte und beiden Armen, röchelnde Respiration, collabirt rasch, ist nicht zu ermuntern. Als ich in Abwesen- heit des betreffenden Hilfsarztes geholt wurde, fand ich eine Sterbende: Kühle Extremitäten, bleiches Gesicht, nur an den Augenlidern und Lippen etwas bläuliche Färbung, kein Schweiss. Das linke obere Augenlid hängt tiefer herab als das rechte. Die rechte Pupille ist um die Hälfte weiter als die linke, beide ohne Reaction. Die Bulbi stehen starr. Die Kranke ist durch Anreden etc. nicht zu sich zu bringen. Die Körpertemperatur kühl, der Puls ist klein, frequent, unrythmisch, so dass ein- zelne Schläge ausfallen. Spitzenstoss schwach doch deutlich fühlbar, etwas ausser- halb der Papillarlinie, Herztöne sämmtlich sehr dumpf und leise doch deutlich zu unterscheiden. Die Respiration, von lautem Schnarchen begleitet, ist ganz unregel- mässig, setzt oft lange aus; erfolgt dann bei Anstrengung sämmtlicher Hilfsmuskeln wenig ausgiebig einige Male hinter einander, um wieder eine Pause zu machen. Die Extremitäten aufgehoben, fallen rasch wie gelähmte zurück. Ich Hess sogleich den Inductionsapparat holen , inzwischen Senfteige legen , Bespritzungen mit kaltem Wasser machen etc. Nach Vorhalten vonLiq. Amnion, caust. folgten anfangs einige regelmässige tiefere Inspirationen , dann verhielt sich die Respiration wie früher. Als die Elektroden auf den Phrenicus applicirt wurden bei starkem Strom eines SröHRER'schen Apparats, trat bei jeder Schliessung Contraction des Diaphragma auf, doch fiel es mir sogleich auf, dass dieselben weniger ausgiebig waren, als ich es sonst gesehen hatte. Nach wenig Minuten hörten dieselben ganz auf, bei stärkstem Strome ; etwas länger reagirten die Hals- und Armmuskeln auf starken Strom, doch hörte auch an diesem die Reaction in wenig Minuten auf. Der Puls war dabei immer kleiner, unregelmässiger und langsamer geworden, die Herztöne verschwan- den, nachdem immer grössere Pausen zwischen ihnen lagen, völlig. Die Kranke bewegte während der ganzen Zeit keinen willkürlichen Muskel , gab kein Zeichen von Bewusstsein. Stuhl und Urin gingen nicht ab. Der ganze Anfall hatte kaum 15 Minuten gedauert. Die Section am 27. März Mittag ergab im Wesentlichen Folgendes. Grosse gut genährte Leiche mit starker Todtenstarre, geringer Senkungshyperämie. Bei Eröff- nung des Schädels entleert sich eine beträchtliche Quantität blutiges Serum. Sinus in massigem Grade mit dunklem tlüssigem Blute gefüllt, an der Basis sammelt sich eine grosse Quantität Serum. Hirnarterien sämmtlich frei, die Hirnsubstanz wenig blutreich, besonders in der vorderen Hälfte der weissen Substanz wenig Blutpuncte. Am Gehirn in den Häuten nichts Abnormes. Halsvenen stark mit Blut gefüllt. Im Pericard etwas mehr als gewöhnlich helles Serum. Herz vergrössert besonders in der linken Hälfte, reichliche Fettablagerung längs des Sinus circularis und auf dem rechten Herzen. Wand des linken Ventrikels hypertrophisch 1,9 Cm. Sämmtliclie Klappen normal zart, nur am freien Rande der Mitralis geringe Verdickung. Muscu- latur blassbraun , zeigt an einzelnen Stellen weisse Einsprengungen , schneidet sich derb und fest. 1 m Stamm de rPulmonalarterie wenig über der Klappe, die selbe fast ausfüllend, steckt ein grauro thes Gerinnsel, das- selbesetzt sich ziemlich kleinfingerdick 1%" weitin denrechtcn Hauptast fort, während der linke Hauptast vollständig durch ein fest eingekeilte s, wurmförmi g gedrehtes Geri n nse 1, das sich nur wenig in einige grössere Zweige fortsetzt, verstopft ist. Die Thromben haben ein graurothes Aussehen , sind ziemlich derb und in der Mitte Erabolie der Piilmoiialarterie. 503 etwas erweicht und zum Theil dunkler gefärbt, nirgends die Wand der Arterie ad- härent. Die kleineren Zweige der Pulmonalis frei. Rechte Lunge blass, blutarm, die linke ebenso, nur die unteren Lappen halten etwas Blut, nirgends Oedem. Leber bedeutend vergrössert, auf der Oberfläche einige gelb gefärbte Stellen, Ge- webe derb, auf dem Schnitte etwas glänzend, sonst von gewöhnlichem Aussehen. Milz im Längsdurchmesser vergrössert , gelappt , Gewebe bruchig , Malpighi'sche Körper sehr deutlich. Nieren von gewöhnlicher Grösse, Kapsel ziemlich fest, ad- härent, Corticalis etwas verschmälert, Catarrh der Papillen. Die rechte Vena cruralis oberhalb des Po u partischen Bandes ist mit einem Thrombus von derselben Farbe und Consistenz erfüllt, wie die in der Pulmonaiarterie gefundenen, derselbe ragt bis fast an die lliacacomm. herap. Unter dem Po u partischen Bande und ein Stück abwärts ist die Vena cruralis in einen soliden Strang verwandelt, beim Eröffnen zeigt sich die auf ein sehr kleines Lumen reducirte Vene durch einen weissen , derben , mit der Wand fest verwachsenen Pfropf erfüllt. Die Venen der Extremität konnten nicht weiter verfolgt werden, die Beckenvenen zeigten keine Thrombose , Uterus völlig normal zurückgebildet. Der Hauptsache nach ist der vorliegende Fall wohl so aufzufassen, dass sich Anfangs December eine Thrombose der Venen der rechten unteren Extremität ent- wickelte, bedingt durch die Schwangerschaft. Durch den Druck des vergrösserten Uterus wird die Blutsfrömung in dem Gebiete der unteren Hohlvene verlangsamt, so dass man häufig Gelegenheit hat die betreffenden Venen stark gefüllt zu sehen. Bei längerer Dauer der Ueberlüllung entsteht zugleich eine Erweiterung der Venen und diese beiden Momente, die Verlangsamung des Blutstromes und die Erweite- rung der Gefässe geben die unmittelbare Veranlassung zur Thrombenbildung. In dieser W^eise wurde auch bei der Aufnahme der Kranken der Zustand gedeutet und von Hrn. Prof Schultze bei der Besprechung auf die Gefahren, die durch eine Embolie entstehen könnten, aufmerksam gemacht. Diese erste Thrombose der Cruralis ist jedoch zunächst ohne weiteren Nachtheil für die Kranke verlaufen, indem die Vene einfach obliterirte und sich ein genügender CoUateralkreislauf bil- dete. Später, — vielleicht erst nach der Geburt, bedingt durch die starke Blutung bei derselben, und dnrch die ruhige Lage, wieder 2 Momente die eine Thrombose erfahrungsgemäss begünstigen — bildeten sich oberhalb der obliterirten Venen neue Thromben , von denen sich plötzlich eine grosse Parthie bei einer Körperbe- wegung loslöste, und das Lumen der Pulmonaiarterie so verlegte, dass nur im rechten Hauptaste derselben für einen äusserst geringen Blutstrom Raum blieb. Fälle vom plötzlichen Tode im Wochenbette, bedingt durch Embolie der Pulmonai- arterie, sind in der Literatur schon mehrfach verzeichnet, z.B. Hecker, Deutsche Klinik, 1855. 36. Saxder ebendaselbst 1862. 9. v. Franque, Wiener Medicinalhalle 1864. 33. Sehr zahlreich sind sie bis jetzt nicht. Die in den Vordergrund tretenden Symptome waren in diesem Falle : plötzliches Zusammensinken, kurz dauernde Zuckungen im Gesicht und den oberen Extremi- täten, nach wenig Minuten völlige Lähmung aller willkürlichen Muskeln, jedenfalls zugleich .\ufgehobensein des Bewusstseins, unregelmässige unergiebige Respiration, unregelmässiger frequenter kleiner Puls, Blässe und niedere Temperatur der Haut. Das ganze Bild der Kranken machte den Eindruck einer plötzlichen schweren Hirnstö- rung. Gerade dieser Fall spricht mir wieder für die Richtigkeit der PANUMSchen Erklä- rung des Todesmechanismus bei Embolie in die Pulmonaiarterie. Die ganz plötzliche 504 ^J- Seidel, Embolie der Piilmoiiuliirtcrie. Aenderung der Circulation im Gehirn ist es, die den Tod herbeiführt. Das Herz arbeitete noch Minuten lang, nechdeni alle vom Gehirn und Rückenmark ausgehen- den Lebenszeichen bereits verschwunden waren , der Puls war noch zu zählen, die Herztöne zu hören. Die Kraft des rechten Ventrikels hatte das eine Gerinnsel im linken Hauptaste der Pulmonalis förmlich zusammengedreht. Bei ebenso elendem Pulse und schwachem Herzstosse in Fallen wo der Herzmuskel alle Ursache hätte, gelähmt zu sein z. B. bei hochgradigen Mitralstenosen leben Kranke bei vollem Bewusstsein noch Tage lang. Es ist die directe Blutzufuhr zum Gehirn im betref- fenden Falle eine ebenso geringe, als bei starker Embolie in die Pulmonalis. Doch erfolgt die Abnahme des Blutquantums, das bei der Systole zum Gehirn kommt, stetig, dasselbe hat, so zu sagen, Zeit sich an die Abnahme zu gewöhnen, und dess- halb bleibt die Lähmung desselben aus. In den Haupterscheinungen stimmt dieser Fall völlig mit den Hxperimenten an Thieren überein. Nur in wenigen Kleinigkeiten weicht derselbe ab. Eine Vortroibung der Bulbi ist mir nicht aufgefallen , die Pu- pillen waren ungleich , das eine Augenlid hing tiefer herab. Stuhl und Urin wurde nicht entleert. Die Untersucliung der Empfindlichkeit der Cornea und Conjunctiva habe ich in der Eile vergessen. Leichte DifTerenzen an Hirnnerven kommen in der Agone häufig vor; das Experiment hat genug geleistet, wenn es in der Hauptsache mit der klinischen Erfahrung übereinstimmt. Da ich die Kranke früher nicht gesehen hatte und mit Fragen nicht viel Zeit zu verlieren war, griff ich, um die Respiration womöglich im Gange zu erhalten zum sichersten Mittel , dem Inductionsstrom. Die Reaction war sogleich schwach, und verlor sich rasch. In anderen Fällen bei Sterbenden dauerte sie viel länger. So konnte ich in einem Falle von Stenosis tracheae syphilitica über derBifurcation, wo die Kranke plötzlich in der Nacht in einem Anfalle grösster Dyspnoe starb, nach einer '/i Stunde, nachdem alle Lebenszeichen erloschen waren , Puls und Respira- tion aufgehört hatten, noch mit einem starken Strome Zuckungen der Armmuskeln in ausgiebiger Weise hervorrufen. Die Section zeigte, dass sich ein grosser Schleim- pfropf vor das bis zur Federkieldicke verengte Lumen der Trachea gelegt hatte. Könnte man ebenso rasche und energische Exspirationsbewegungen mit dem Strome erzielen als Inspirationen , so wäre es vielleicht geglückt die Kranke über diesen Anfall hinauszubringen. Druck von Breitkopf u. Härtel in Leipzig „n/ I. TafT. ffh^r^tffAuA^/" Jf- /.„vv^ /- '/;,/ /l ßand / Ta^IV. Fuimf.I. '^^'^^'fV\jX'\j\J\j^ Jü,r /? ^'1^/ f iOo\- 30 NvvM. Jl} mMim'A}\N\lVA^\f^.hßA^ß/j^]fVV\fj\jX: Bandl. Tarn. / ^ ~^; %#" \ « ' Fi^I^ liaTt^ T. Taf. W. Ilür. /. ■f_oo J4>a^e/tscAf£^e. Taf. y ^ fir^^rnAan^ i/r/ . I.L laf.K. I. !!. HnnJ I Tal\ ■/://■ .1/ %Wij ft- 9 §.0: ^#1 #■ * %■ A ,ÄM • Jf/ /l ■^ ^. :::t - I <^^ ^fc»*. I w .1.^^, ■v di 3 3 2044 106 263 33