W},(c t Alex. Agassiz. Lusmm OP COMPARATIYE ZOOLOGY, AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS. iFounöcü l)]i pribntc subsufptfon, fix 1S61. Depositedby ALEX. AGASSIZ. 0 Jenaisehe Zeitschrift lüi- MEDIC1N und NATURWISSENSCHAFT herausgegeben von der medicinisch - naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena. Zweiter Band. Mit neun Tafeln. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann. 1866. Inhalt. Seite Schultze, B. S., Ueber Superfoecundation und Superfoetation. (Taf. I.j . 1 Harting, P., Ueber die Episternalgebilde der Vögel 23 Schönn, Dr., Anatomische Untersuchungen im Bereiche des Muskel- und Nervengewebes 26 Frankenhäuser, F., Die Nerven der weiblichen Geschlechtsorgane des Kaninchens. (Taf. II. u. III.) 61 Graf, Dr. Ernst, Die verschiedenen Formen der Hydrorrhoea gravidarum. 84 Haeckel, Ernst, Die Familie der Rüsselquallen. (Fortsetzung.) IV. Ana- tomie von Glossocodon eurybia (Lyriobe euryb.) 93 Die Familie der R,üsselquallen. (Fortsetzung.) V. Metamorphose von Glossocodon eurybia (Lyriobe euryb.) (Taf. IV.) — VI. Anatomie von Carmarina hastata (Taf. XI. Bd. I. und Taf. V. VI. Bd. II.)— VII. Me- tamorphose von Carmarina hastata (Geryonia hastata (Taf V.) — VIII. Knospenbildung in der Magenhöhle von Carmarina hastata (Taf. IX. im folgenden' Hefte) 129 Geuther, A., Ueber das Verhalten des Siliciumcalciums und des Silicium- magnesiums zu Stickstoff und über eine neue Oxydationsstufe des Sili- ciums 203 Beiträge zur Kenntniss der am menschlichen Körper vorkommenden pflanzlichen Parasiten. I. Zur Frage über die angebliche Identität der Parasiten bei Favus und Herpes circinatus. Von Dr. Th. Stärk. — II. Die Natur des Favuspilzes und sein Verhältniss zu Penicillium glau- cum Auct. Von Prof. Ernst Ha Hier. (Taf. VII. u. VIII.) 220 Abeking, Ernst, Ist Aetzammoniak ein Reizmittel für motorische Frosch- nerven ? 256 Haeckel, Ernst, Die Familie der Rüsselquallen. IX. Anatomie von Cu- nina rhododactyla. (Mit Tafel IX.) 263 Pfeiffer, Dr. Ludw. , Die Epidemie von Meningitis cerebro - spinalis im Eisenacher Kreis 323 Gerhardt, C , Zusatz über die Verbreitung der Meningitis cerebrospinalis in Thüringen 338 Reichardt, C, Nach Weisung einer Vergiftung durch Conium 340 Gerhardt, C, Ueber Zoster facialis 345 Seidel, M., Zur Therapie durch den constanten Strom 350 Zur Casuistik der Entozoen. IV. Nachträge zu Echinococcen .... 356 iv Inhalt. Seite Gegenbaur, C, Zur vergleichenden Anatomie des Herzens 365 Geuther, A., Untersuchungen über einbasische Kohlenstoffsäuren. I. Ueber die Essigsäure ■ 387 Czermak, Prof. Joh., Ueber Entfernung fremder Körper aus dem Schlünde unter Beihilfe des Kehlkopfspiegels 421 Gerhardt, C, Broncekrankheit 429 Kämpffe, Dr. Paul, Zur Diagnose der Haematocele retrouterina .... 434 Schultze, B. S., Ueber die beste Methode der Wiederbelebung scheintodt geborner Kinder 451 Schulze, Dr. Ernst, Zur Kenntniss der Monosulfacetsäure (Thiodiglycol- säure) 466 Asverus, Dr. H., Ein Fall von Gastritis phlegmonosa 476 Kleinere Mittheilungen. Gegenbaur, C, Ueber den Brustgürtel und die Brustflosse der Fische • . 121 Ein eigentümlicher Befund an der Eustachischen Klappe 125 Geuther, A. , Kleine Mittheilungen. I. Ueber die Zersetzung des Braunsteins beim Glühen 127 Gerhardt, C, Zur Casuistik der eingeathmeten Fremdkörper 261 Berichtigung — Czermak, J., Ueber mechanische Vagus-Reizung beim Menschen. Mit 1 Holzschnitt. . 384 Geuther, A., Ueber die Constitution einiger aus dem Oxalsäureäther entstehenden Ver- bindungen 483 Helmke, Dr,, Ueber die Incubationszeit der Pocken 487 Seidel, M., Ein Condylom in der Trachea 489 Heber Superfoecundation sind Superfoetation, Von B. S. Schultze. f Dazu Tafel I. ) Die Nachgeburt eines reifen oder der Reife nahen Kindes in inni- gem Gewebszusammenhang mit einem Ei , welches ohne alle Spuren von Fäulniss einen wohlgeformten , 9 Millimeter langen , höchstens sechswöchentlichen Embryo enthalt — beim Anblick eines solchen Präparates drängt wohl Jedem sich die Frage auf: Sollten nicht die Ausgangstermine der Entwicklung dieser beiden Eier mehrere Monate auseinanderliegen? Es scheinen mir drei Möglichkeiten in Frage zu kommen, um den auf Tafel I. abgebildeten Befund zu erklären: Entweder die beiden Eier stammen von derselben Ovulationsperiode , gelangten ziemlich gleich- zeitig befruchtet in den Uterus , um die sechste Woche starb der eine Embryo, während der andere sich bis zur Reife entwickelte; dann wäre es ganz ungewöhnlich, dass der zarte Embryo, 6 bis 7 Monate in der Gebärmutter todt verweilend , sich bis zur Geburt des reifen Zwil- lings erhalten hat , da sonst sechswöchentliche Embryonen todt im Mutterleib verweilend, bald sich aufzulösen pflegen. Oder beide Em- bryonen lebten zur Zeit der Geburt, und doch waren beide Eier gleich- zeitig befruchtet worden; dann müsste das eine seine Entwicklung erst monatelang später begonnen haben als das andere, oder seine Ent- wicklung machte so sehr viel langsamere Fortschritte, oder der Em- bryo stand in seiner Entwicklung nach 6 Wochen still , ohne doch zu sterben. Oder endlich die Zeitpuncte der Befruchtung der beiden Eier liegen soweit auseinander, wie die vorliegenden Enlwicklungs- stadien ihrer Embryonen. Wenn die letztgenannte Erklärung zulässig ist, so ist sie die einfachste, es liegt uns dann das Resultat einer Super- foetation vor. Band II. 1. 4 2 B. S. Schultze, Ob Zwillinge, d. h. gleichzeitig im Mutterleib verweilende Früchte, stets nur einer und derselben oder ob sie unter Umständen auch zweien in grösserem oder geringerem Intervall vollzogenen Cohabitationen ihren Ursprung verdanken können, das ist seit langer Zeit eine viel- umstrittene Frage, die von den einen Autoren verneint, von den an- deren bejaht worden ist; bejaht worden am häufigsten auf Grund der Deutung einzelner vorliegender Thatsachen, verneint hauptsächlich auf Grund theoretischer Deduetionen. Wie weil die Deutung jener That- sachen richtig war, wie weit jene theoretischen Deduetionen Geltung beanspruchen dürfen , das ist natürlich für Beurtheilung einer neuen Beobachtung von maassgebender Wichtigkeit, und ich darf wohl einen auf Nachempfängniss verdächtigen Fall nicht zur Discussion stellen, ohne über die Gesichtspunete, von denen aus eine Beantwortung jener Fr;iLM: gesucht werden kann, ohne über das Material, aus dem die ver- schiedenen Beantwortungen geschöpft worden sind, einige Bemerkun- gen vorauszuschicken. Die Frage von der Nachempfängniss ist mit Recht in zwei wesent- lich unterschiedene zerfällt worden , in die der Superfoecundation, der mehrzeitigen Befruchtung mehrerer Eier aus einer Ovulationsperiode und die der Superfoetation, der Befruchtung eines zweiten Eies , wel- ches in einer späteren Ovulationsperiode während schon bestehender Schwangerschaft den Eierstock verliess. Man hat zur Unterscheidung dieser beiden Vorgänge auch deutsche Namen . »Ueberfruchtung« und »Ueberschwängerung«, dieselben werden aber von den namhaftesten Autoren in entgegengesetzter Bedeutung gebraucht, etymologisch lässt sich ihre Bedeutung auch nicht feststellen und so sind dieselben wohl als verbraucht gänzlich aufzugeben ; während dagegen der gute alte Name »Nachempfängniss« mit Recht neuerdings wieder in Aufnahme kommt. Was zunächst die frühe Nachempfängniss. die Superfoecunda- tion betrifft, die Frage, ob Zwillinge unter Umständen zweien, unmit- telbar oder doch bald hintereinander vollzogenen Cohabitationen ihren Ursprung verdanken können, so ist deren Möglichkeit bestritten worden hauptsächlich auf Grund der Ansicht, dass nach dem stattgehabten Eindringen des Samens in die Gebärmutter der Muttermund geschlossen werde, sei es durch Contraction, sei es durch den vielgenannten Schleim- pfropf. Bedenken wir. dass wir über die Contractions\orgänge, welche .im Uterus während und bald nach dem Goitus statthaben mögen, gar nichts' Sicheres wissen, bedenken wir ferner, dass ein Schleimpfropf ini Halscähal der normalen Gebärmutter jederzeit , auch im jungfräulichen, sich befindet, so ergiebt sich, dass jene Gründe keine Gründe sind. (Jeber Superfoecnndfitioii und Superfoetation. 3 Auch habe ich mich fchatsächlich davon überzeugl . dass der Mutter- mund, nachdem Same in den Uterus gelangt Ist, nicht nothwendig ge- schlossen ist. Ich habe mit geringem katarrhalischem Secrel öfters le- benden männlichen Sinnen ;uis dein Grificium uteri hervorfliessen s heu. angeblich waren mehrere, bis 6Tage seit dem letzten Coitus verstrichen. Unter Umständen, die ein solches Ausfliessen von Samen gestatten, kann auch dein etwa neu eindringenden Samen ein Ilinder- niss nicht entgegenstehen und derselbe kann sein- wohl einem frisch gelösten Ei begegnen . nachdem ein früher ausgetretenes durch den vorher stattgefundenen Coitus befruchtet worden war. Dass mehrere befruchtungsfähige Eier während einer Ovulationsperiode in kürzerem • (der längerem Intervall ihren Weg über die Genitalschleimhaut an- eten können, ist eine von Niemand bezweifelte Thatsache ; freilich ist - ebenso zweifellos, dass ein einziger Coitus zur Befruchtung mehrerer F.ier vollkommen ausreicht, aber Thatsache wiederum, dass weitaus die Mehrzahl der Frauen, nachdem der befruchtende Beischlaf stattgefun- den, während derselben Ovulationsperiode dem Beischlaf noch ferner unterliegen. Fällt nun der gegen die Möglichkeit der Superfoecundation angeführte theoretische Grund weg, und fehlt auch anderweit, wie in der That der Fall, jeder Anhalt, a priori die Möglichkeit einer zweiten Befruchtung in den ersten Wochen nach stattgefundenem befruchtendem Beischlaf in Frage zu stellen, so kommt es weiter darauf an, ob Beweise \ erliegen, dass durch solchen wiederholten Coitus eine zweite Be- fruchtung jemals stattfand . und ob der Beweis dafür überhaupt mög- lich ist. Wenn in der Ehe um die Zeit des Beginns der Schwangerschaft mehrmaliger Coitus stattfand, fehlt jede Möglichkeit des Beweises, ob die später etwa gebornen, in zwei Eiern entwickelten Zwillinge einer oder zwei Cohabitationen ihren Ursprung verdanken; bei Verschiedenheit der Vater könnte ein solcher Nachweis möglich gedacht werden ; man will auch, wo Begattung mit Männern verschiedener Bace vorausgegangen w.u. die Raeeneigenthümlichkeit beider fraglichen Väter in dem einen und anderen Zw illing erkannt haben. Bedenkt man aber, wie unsicher die Berechnung der Forterbung von Baceneigenthümlichkeiten bei der Bastardzeugung ist , so \erlieren diese Fälle ihre Beweiskraft für die Superfoecundation. Da nachgewiesenermaassen einzeln getragene, von Eitern verschiedener Race gezeugte Kinder das eine Mal fast ungetrübt die RaeeneigenthümJichkeiten der Mutter, das andere Mal die des Vaters an sich tragen, so fehlt, wenn von Zwillingen nur einer die Spuren der väterlichen Race zeigt, die Notwendigkeit, für den anderen die Vater- schaft eines Mannes von der Race der Mutter vorauszusetzen. Ich habe 4 B. S. Schultzc, über menschliche Bastardzeugung keine Beobachtungen , aber ich be- sitze die Portraits zweier in einein Ei entwickelten , also wohl sicher durch denselben Samen gezeugten l) neugebornen Knaben (am 26. April 1856 aus erster und zweiter Schädellage geboren) , deren Gesichtsbil- dung und Schädelform bei gleichmässig kräftiger Körperentwicklung so verschieden war, wie ich sie überhaupt je bei normalen Neugebornen gesehen habe. Nach alledem urtheile ich in Betreff der frühen Nach- empfängnis s , d a s s deren m ö g 1 i c h e r w e i s e h ä u f i g e m V o r- kommen ein begründeter Zweifel nicht entgegengestellt werden kann, d a s s aber deren Nachweis im einzelnen Fall schwerlich wird geführt werden können, d a s s also die ganze Frage wohl am besten ausser Discussion gesetzt wird. Um weit disputablere Gründe und Gegengründe handelt es sich bei der Superfoetation, der Zeugung aus einer Mutter mit mehrmonatli- chem Intervall. Auch hier streitet man zunächst über die physiolo- gische Möglichkeit. Diese Möglichkeit zu staluiren, ist erforderlich: 1 . dass während der Schwangerschaft ein Ei reifen , resp. auf die Genitalschleimhaul und in den Uterus gelangen kann : 2. dass zu diesem Ei zeugungsfähiger männlicher Same gelangt; 3. dass dieses Ei einen Boden für fernere Entwicklung linde. Ad 1 . Manche Geburtshelfer sind oder waren der Ansicht , dass die regelmässige Ovulation durch die Schwangerschaft gar nicht un- terbrochen werde2). Dass die menstruale Congestion oft auch während der Schwangerschaft sich einstellt, ist zweifellos und unbestritten, ebenso dass die menstruale Blutung in seltenen Fällen mehrmals oder während der ganzen Dauer der Schwangerschaft sich wiederholt. Dass ') Kussmaul in seinem Werk von dem Mangel, der Verkümmerung und Verdopp- lung der Gebärmutter. Würzburg 1859 , in welchem auch über Nachempfängniss das Gediegenste enthalten ist, was ich darüber kenne, sagt p. 274 in der Anmer- kung : »Es ist denkbar, dass Samenfaden von verschiedenen Vätern oder doch von verschiedenem Datum der Entleerung in dasselbe Ei gleichzeitig oder bald hinter- einander eindringen. Man könnte einen solchen Vorgang als Doppelbefruchtung des Eies bezeichnen. « Der Nachweis für einen derartigen Vorgang wird nie geführt werden können , die Denkbarkeit desselben kann ich nicht bestreiten , aber in Er- wägung der sehr kleinen Quantität Same, die xur Befruchtung ausreicht, will mir die Vorstellung nicht zu Sinn, dass an einem Ei , welches mit männlichem Samen einmal in befruchtende Beziehung getreten war , für später hinzukommenden an- deren Samen noch irgendwelche Leistung übrig bleiben könnte. 2) Hohl, Lehrb. der Geburtshülfe. 4. Aufl. 1855. p.347. Scanzom, Lehrb. der Geburtshülfe. 3. Aufl. 1855. p. 320. Derselbe, Beiträge zur Geburtsh. und Gy- näkologie. IV. p. 3H. 1860. llelicr Siiperfoeciindatioii und Snperfoetation. 5 die menstrualen Vorgänge im Eierstock der Regel nach durch die Schwangerschaft unterbrochen werden, ist durch den übereinstimmen- den Befund der Anatomen bei der Section von Schwangeren und Wöchnerinnen erwiesen. Dass manchmal ausnahmsweise während der Schwangerschaft ein Ei reife und austrete , kann nicht verneint wer- den, obwohl auch ein Beweis dafür mir nicht bekannt ist. Dass solche wahrend bestehender Schwangerschaft den Eierstock etwa verlassende Eier in die Tuben gelangen könnten , ist bezweifelt worden auf Grund der durch die Schwangerschaft bewirkten Lagever- änderung der Tuben und Ovarien. Diese Zweifel sind unbegründet, weil erstens das früher angenommene Umfasstwerden des Eierstocks durch den Pavillon der Tube als Conceptionsbedingung nicht erwiesen ist, weil zweitens vielmehr in der Schwangerschaft wie ausser dersel- ben der Zusammenhang der Eierstocksoberfläche mit der Tubenmün- dung durch die wimpernde Schleimhautfläche der Fimbria oarica her- gestellt bleibt. Auch dem etwaigen Eintritt eines solchen Eies in die Gebärmutterhöhle steht ein Hinderniss nicht entgegen, seit wir wissen, dass die Decidua nicht eine die Tubenmündungen schliessende Pseudo«- membran, sondern die hypertrophische Uterusschleimhaut selbst ist. Ad 2. Das Hinzutreten neuergossenen Samens zu einem während der Schwangerschaft austretenden Ei würde als physiologische Bedin- gung der Superfoetation wegfallen, wenn Henle's Aeusserung, die Am- pulle des Oviducts sei ihrer physiologischen Bedeutung nach ein Be- ceptaculum seminis '), in dem Sinne verstanden werden dürfte, in wel- chem wir Beceptacula seminis bei anderen Thieren factisch in Function wissen. Ich glaubte das erwähnen zu müssen, weil die citirte Aeusse- rung des bewährten Anatomen in der That Missverständnisse sehr nahe legt. Gegen die Möglichkeit der Begegnung während der Schwangerschaft etwa austretender Eier mit männlichem Samen ist zuerst wieder das Geschlossensein des Muttermundes nach der Conception , dann der be- rühmte Schleimpfropf im Cervicalcanal und namentlich die Ausfüllung der Uterushöhle durch das sich entwickelnde Ei angeführt worden. Uebergehen wir den geschlossenen Muttermund und den Schleimpfropf als mindestens nicht constante Hindernisse, so gelangen wir an die vom Ei ausgefüllte Uterushöhle. Seit wir wissen , dass die Decidua die Uterusschleimhaut ist, deren drei normale Oeffnungen durch die be- trächtliche Wucherung nicht einmal verlegt, geschweige denn ver— ') Henle, Handb. der System. Anat. des Menschen. II. Braunschweig 4 862. p. 476. ß B. S. Schnitze, schlössen werden, müssen wir zugeben, dass der Weg von der Vagina in die Tuben offen steht bis zu der Zeit, wo die sogenannte Reflexa mit der Deeidua vera verklebt. Das geschieht meist erst nach der zwölften Woche, oft gewiss erst später, oft gewiss nur stellenweise, wie aus der Besichtigung des reif gcbornen Eies hervorgeht. Für die Möglichkeit der Superfoetation in den eisten drei Schwangerschaftsmonaten ist jene Thatsache von Matthews Duncan ') in der That angeführt worden. Bei dem sogenannten Hydrops uteri gravidi profluens wird eine reichliche seröse Flüssigkeit von seiner Schleimhaut abgesondert und manchmal perio- disch entleert. In solchen Fällen bleibt jedenfalls auf grossen Strecken die Verklebung der Deciduae aus und würde also da der in den ersten Monaten normal offenstehende Weg offenbleiben während der ganzen Schwangerschaft. Ebenso ist dieses Offenbleiben des Weges von der Vagina bis zum Eierstock anzunehmen bei Uterus duplex in der von dem Ei nicht eingenommenen Uterushöhle. Ad ä. Die Möglichkeit, dass ein während der Schwangerschaft etwa befruchtetes Ei eine Entwicklungsstätte finde, ist meines Wissens mit erwähnenswerthen Gründen nicht angefochten worden. Auf dem Peritonaeum sind die Bedingungen dazu keine anderen während der Schwangerschaft als ausserhalb derselben, auf der Tubenschleimhaut dürften sie eher für günstiger zu halten sein und auf der Deeidua des bereits schwangeren Uterus sind besonders ungünstige Umstände für eine solche nicht zu statuiren , da in ihr ein lebhafter Zellenbildungspro- cess und bedeutende Gefässentwieklung bis in die spätem Zeiten der Schwangerschaft fortbesteht und gerade in erhöhtem Grade in denjeni- gen Fällen, in welchen durch abnorm erhöhte Secretion der Schleim- haut dessen Höhle bis in die späteren Zeilen der Sehwau gerschalt offen bleibt, bei der katarrhalischen Hydrorrhoea gravidarum2). Dass also unter abnormen, einzeln wenigstens naehgewiesener- maassen vorkommenden Bedingungen Ueberfruchiung in frühen und späten Perioden der Schwangerschaft möglich sei, lässt sieh nach dem heutigen Stand unserer Kenntniss durchaus nicht a priori "vernei- nen. Ob die genannten Bedingungen je zusammen vorhanden sind, ob etwa neben den genannten Bedingungen der Superfoetation notwen- dig Umstände existiren , welche die Möglichkeit wieder aufheben , das wissen wir nicht. Es wäre ein grosser Irrthum , wollte man in dem Nachweis, dass man die Unmöglichkeit eines Vorganges nicht üemon- ') Edinburgh Monthly Journal. 4 863. April. -) Vergleiche die Untersuchungen von Hfxar über die Drüsen der Deeidua etc. in Monatschrif't f. Geb. December 1863. Bd. XXII. p. 429. i rfoei Ution und 7 n i .um --i Nachweis \"n d< i Mögln hki ii ein« Vorgang« i l 01 i vorband« n die Fxisti uz dies« ■■ \ o elbst ei i« i ii jki '.i i, « i abei noi < > li< ml mir der Irrtbmri aui dem normalen Verhüllen um« (| ohn« Weilerei phj iologi uh< fodei pathologische] Unmöglichkeiten d< monstrin ii zu wulli n gerade den Nachweis von der physiologischcw Unmöglichkeil der Superfoetation hal man auf diese Weist geführt zu lieben mehrfach geglaubl gestützt oul normale Verhältnisse , welch« de n.nliL'iw H-M'iii i in.i.i •■ i ii abnormei vcis« fehlen können M i glaubte, durch den Nachweis, das? die normalerwei i p| Gebürmultei nicht superfoetirt werden i' den ifach eii on dei Unmöglichkeil der Superfoetation dei schwangeren Gebttrmullerböhl« geliefert zu haben, als ob i ich darum je gehandeil hotte., naonz . < i in oder zu w iilfi l« ■;. .-< ii dasi jede schwangere Frau dei Superfoela h-, ii aui " olzt sei Doch diese theoretischen Erörterungen fuhren nichl zui Knl •■ düng dei Frage. Dil Möglich keil dei Superfoetation isl nur dam w'u ßu wenn dei u eis geliefert ird da iii jemal laltfand, • uiHiiiili würde ^i
  • « toh« n, An Stelle •«< fa< tischen weises durch das Experiment mu« al o die möglichst umsichtig« /ui.iiii" sich ergebender Thatsaehen treten und es fragl daher, ob untei allen aui Superfoetation verdächtigen und verdächtig gemachten Füllen sich solche finden, füi deren Deutung nach alle» Analogie «'Ihm Tagen starb, 1 4% Zoll ntaass und auch übrigens tue Zeichen eines um die 30. Woche der Schwan- gerschaftgebornen Kindes zeigte , während der unmittelbar nach ihm geborne Zwilling, der während der Extraction starb, für reif erklärt wurde. Leider giebt Meissner das Maass dieses zweiten Kindes nicht an, und auch das Journal der Leipziger Entbindungsanstalt, dessen No- tiz über den Fall durch die Güte des Collegen Crede mir zugänglich war. referirt eben nur, dass er reif gewesen sei, und uns liegt also nicht die Thatsache unmittelbar, sondern nur das Unheil Jörg's und Meissners vor, aber wir dürfen darnach wohl die Entwicklungsdifferenz der bei- den in einem Ei gelegenen, lebend zur Geburt gekommenen Kinder als eine sehr erhebliehe hinnehmen , und dürfen auf Grund dieser That- sache die Annahme der Superfoetation für alle Fälle, die nicht eine viel bedeutendere Enlwicklungsdifi'erenz aufweisen, aussehliessen. Solche Fälle aber, die eine weit bedeutendere Entwicklungsdifferenz gleich- zeitig leitend zur Geburt gekommener Zwillinge aufzuweisen hätten, finde ich nicht; dagegen sind derartige Drillingsgeburten mehrere verzeichnet. I/Outrepont 2) berichtet, dassA.K., nachdem sie, zum fünften Mal schwanger, die \ 0 Wochen abgelaufen glaubte, neben einem 19 Zoll langen lebenden Kinde zwei '•')% Zoll lange Früchte gebar, welche beide rund, frisch und gut genährt waren und keine Zeichen vor längerer Zeit erfolgten Todes an sich trugen. Gerade wegen dieses auffallenden Be- fundes besehreibt D'Oitrepont die Früchte und die Nachgeburt sehr ausführlich, so dass an der Genauigkeit der Beobachtung kein Zweifel möglich ist. Es waren drei Ghorien vorhanden. Klykpennink, Geburtshelfer in Aalten :j), beobachtete eine Geburt, in welcher Frau J. ebenfalls am erwarteten Ende ihrer fünften Schwan- gerschaft zuerst ein i% monatliches, einige Lebenszeichen von sich ge- bendes, Tags darauf ein gleich grosses, todtes, wie es schien schon seil !) De seeundinis ac de superfoetatione Diss. inaug. Lipsiae 1SI9. 2) Geburtshülfliche Demonstrationen. Weimar. X. Heft. 1829. Tat. XLI. 3) Praktisch Tydschrift. 1835. Nov. Dec. Referat in Schmidt's Jahrb. XV. 306. 1 2 B. S. Schnitze, einigen Tagen abgestorbenes Kind , dann die Nachgeburt dieser beiden und darauf ein ganz alisgetragenes Kind gebar, welches kurz darauf starb. Die Eihüllen sind nicht näher beschrieben , auch in dem Referat wenigstens keine Maasse der Kinder angegeben. Hausbrand , Physicus zu Braunsberg l) , berichtet eine Drillings— geburt, wo eine Frau, ebenfalls Mehrgebärende, zuerst ein Kind »etwa im 8. Mondsmonate«, welches 2 Tage lebte, gebar und darauf »Zwil- linge in ihren Eihäuten«. Dieselben »glichen ganz Früchten, die im 3. Monat nach der Empfängniss abgehen und waren demgemäss ganz ausgebildet ; das Geschlecht Hess sich noch nicht unterscheiden ; von Verwesung war nichts zu bemerken. Alle drei Früchte hatten nur eine, aber sehr grosse, ganz frische Nachgeburt. « Rothamel 2) beschreibt eine Drillingsgeburt , wo ein völlig reifes, lebendes, wasserköpfiges, dann ein »6monatliches« und ein » imonat- liches« Kind, welche beide letzteren keine Spuren von Fäulniss an sich trugen, geboren wurden; ich kenne diesen Fall nur aus der Notiz des gleich zu nennenden Autors. H. W. F. Bock3) beobachtete eine Drillingsgeburt, in der ein le- bendes, IKzölliges Kind und daneben zwei Früchte, welche als imonat- lich und Smonatlich bezeichnet werden, zu Tage traten. »Beide letzte- ren waren rund, frisch und gut genährt und trugen keinerlei Zeichen eines früh erlittenen Todes an sich, sondern glichen in jeder Beziehung Früchten, die man im 4. oder 5. Schwangerschaftsmonate abgehen sieht. « Die Früchte lagen in drei getrennten Eiern. In dreien dieser fünf Fälle, in denen von DOutrepoxt, Klykpennink und Bock ist es wohl ausser Zweifel, dass die beiden kleineren Früchte nicht früh abgestorbene waren , in den Fällen von Hausbrand und Ro- thamel gewinne ich aus dem kurzen Referat nicht besimmt diese An- sicht. Reruhen nun diese eben angeführten Fälle von Drillingsschwanger- schaft auf Superfoetation? Bei allen in die jetzt abgehandelte Kategorie gehörigen, auf Superfoetation verdächtig gewesenen Fällen von Zwil- ling s Schwangerschaft zerfiel bei näherer Beleuchtung dieser Verdacht ; sollte Drillings superfoetation öfter vorkommen ? Erwägen wir , dass Drillingsschwangerschaft überhaupt sehr viel seltener ist als Zwillings- i) Med. Zeitschr. v. V. f. H. in Pr. 1836. Nr. 14. Referat in Schmidts Jahrb. XI. 311. 2) Zeitschrift für die gesammte Heilk. etc. Kurhessens. Vereinsblatt kurhessi- scher Aerzte und Wundärzte. Bd. I. Heftl. 1842. Schmidt's Jahrb. 37. 267. 3) Bock, Beschreibung eines Falles von Drillingsschwangerschafl. Inaugural- dissertation. Marburg 1855. Ueber Superfoecundation und Superfoetation. 1 ',\ Schwangerschaft, etwa wie 1 : 67, ferner dass, in welchem Grade auch die Bedingungen der Supcrfoetation existiren mögen , dieselben in ge- ringerem Grade jedenfalls für Drillingssupcrfoetation als für Zwillings- superfoetation vorhanden sein würden ; erwägen wir, dass dagegen die Bedingungen für gegenseitige Beeinträchtigung der Früchte an Baum und Material zur Entwicklung jedenfalls für Drillinge in höherem Maasse gegeben sind als für Zwillinge: so ergiebt sich nicht nur , dass jeder Grund wegfällt, behufs Deutung der genannten Fälle auf Superfoetation zu recurriren , sondern auch dass wir aus den eben citirten Beobach- tungen grosse Bedenken entnehmen müssen, auch bei bedeutender Ent- wicklungsdifferenz lebend oder doch frisch zur Geburt kommender Zwillinge an Superfoetation nur zu denken. Vielmehr wird auch da die Deutung näher liegen, dass die Bedingungen für difl'erente Entwick- lung gleich alter Früchte , welche bei Drillingsschwangerschaft ersicht- lich in hohem Maasse vorhanden sind, ausnahmsweise auch für Zwil- lingsfrüchte einmal in ungewöhnlichem Grade gegeben sein können. Ich komme nun zu der zweiten Kategorie auf Superfoetation verdächtig gewordener Fälle : gleichzeitig getragene Früchte wurden in langem Intervall geboren, ohne dass doch die Differenz ihrer Entwicklung der Differenz der Geburts- termine entsprach. Dass nebeneinander getragene lebende Früchte sich gleichzeitig in differenten Entwicklungsstadien befinden , in Entwicklungsstadien, welche etwa der 24. und 36. , ja welche selbst der 17. und 40. Woche einzeln getragener Früchte entsprechen, involvirt nach dem vorgehend Er- örterten durchaus nicht die Nothwendigkeit, die Anfangstermine der Ent- wicklung auf verschiedene Zeiten zu verlegen, erklärt sich vielmehr nach Analogie wirklich beobachteter Thatsachen bequemer auf andere Weise. So bleibt also für die Fälle, wo in mehrmonatliehein Zwischenraum reife Kinder geboren wurden , nur dafür noch die Erklärung zu finden, dass mit der Geburt des Entwickelteren nicht auch die des Unent- wickelteren sogleich erfolgte. Diese Erklärung würde nur dann zu geben sein , wenn wir überhaupt wüssten , wodurch der Eintritt der normalen Geburt angeregt wird. Wir sind darüber so sehr in Unwis- senheit, dass wir nicht einmal aussagen können , ob vom mütterlichen oder vom kindlichen Organismus aus der erste Anstoss geliefert wird ; unter pathologischen Verhältnissen kann er vor der Zeit vom einen und vom andern ausgehen. Soviel kann aber mit grösster Bestimmtheit behauptet werden, dass der Zeilpunct der Zeugung eine Beziehung zum Zeitpunct der Ge- burt nur dadurch hat, dass von ihm in gewissen Grenzen die Entwick- 14 B. S. Schultze, lungsphasen der Frucht abhängig sind Wenn nun aber gleichzeitig oder in höchstens mehrwöchentlichem Intervall gezeugte Früchte in derselben Mutter Entwicklungsdifferenzen zeigen können, welche vier- und mehrmonatlicher Altersdifferenz einzeln getragener Früchte ent- sprechen, so fällt jede Berechtigung weg, aus inehnnonatlichem Ge- burtsintervall gleichzeitig getragener Früchte auf entsprechendes Inter- vall der Zeugung derselben zu schliessen. Die Ursachen eines solchen aussergewöhnlichen Intervalls können zum Theil im Foetus, zum Theil in der Mutter gelegen sein, dem Vater irgendwelchen Antheil daran zuzuschieben, fehlt jede entfernte Beziehung, so lange nicht etwa Su- perfoetation anderweitig nachgewiesen ist, und da die Entwicklungs- geschwindigkeit des Foetus . nachdem er einmal gezeugt ist , wohl vom Organismus der Mutter ausschliesslich abhängt, so fällt also mittelbar auf diesen allein, wenn ich mich so ausdrücken darf, die Verantwortung des Geburtstermins. Eine Pause der Uterusthätigkeit nach der Geburt des ersten Zwillings ist normal und wenn Kunsthülfe ausbleibt, verlängert sich dieselbe nicht ganz selten auf mehrere Tage. Wenn nun der noch nicht geborne Foetus die Entwicklung eines reifen Kindes noch lange nicht erreicht hat, so fehlt, um sagen zu können, wesshalb die Geburt bis zu dessen Beife sich verschieben kann , weiter nichts, — als dass wir eben nicht wissen, was den Anstoss zu jeder normalen Geburt giebt. Wo übrigens Duplicität der Gebärmutter constatirt wurde ist ein längeres Geburtsintervall minder auffallend. Werfen wir übrigens noch einen kurzen Blick auf die hierhergehö- rigen Fälle. Gesunde Kritik hat viele Erzählungen . deren Thatbestand nicht hinreichend constatirt war, bereits ausgeschieden. Unter den von Kussmaul1) noch als constatirt betrachteten stehen mit grösstem Geburts- intervall obenan der von FodEre und der von Eisenmann erzählte. Ich referire kurz die in beiden Fällen constatirten Thatsachen. Dr. Des- granges wird bei einer Frau consultirt. welche von zwei Chirurgen für krank erklärt ist: drei Wochen früher hat sie angeblich ein /monat- liches Kind geboren. Desgranges findet, dass die Frau schwanger ist, und 5 Monat und 16 Tage nach der Geburt des /monatlichen Kindes ge- biert sie ein ausgetragenes Kind. Dass die erste Geburt beobachtet worden sei , wird nicht berichtet. Dies ist der Fall von Fodere. Eisenmann2) giebt in lateinischer Uebersetzung den Brief des Collegen >) Kussmaul a. a. 0. p. 299, 300. -) Eisenmann, Tabulae anatom. quatuor, uteri duplicis Observationen) cet: V -fiitorati 1752. Auf der letzten Seite. lieber Superfoeeöndation und Superi'oetation. 15 Leriche, in welchem derselbe erzählt, dass er zu einer Frau gerufen worden, welche angab, vor wie langer' Zeit wird nicht gesagt, gebo- ren und eine Viertelstunde nach der Geburt wieder Rindsfcewegun- gen gespürt zu haben. Viele andere subjective Empfindungen der Frau werden berichtet, Leriche sucht sie zu beruhigen. »Tandem anim- advertens abdominis tumorem magis niagisque increscentem« lasst sieh die Frau von einem Geburtshelfer untersuchen , welcher die Schwan- gerschaft constatirt, und \ V„ Monat nach dem angeblichen Tage der ersten Geburt gebiert sie ein reifes Kind. Dass beide Frauen schwanger waren und infolge dessen geboren haben , unterliegt meines Erachtens gar keinem Zweifel, aber dass sie 5% und 4% Monate früher auch geboren hatten, ist gar nicht beobach- tet worden. In anderen "Branchen der Wissenschaft wenigstens gelten solche Erzählungen nicht für Beobachtung. Von den anscheinend sicher eonstatirten Fällen dieser Kategorie will ich nur die zwei eclatantesten kurz anführen, die von Fordyce Bar- ker und von Thielmann. Der erstere1) berichtet im American medical monthly Journal, dass eine Frau in New- York am 10. Juli 1855 einen reifen Knaben und am 22. September, 7 4 Tage später, ein minder stark entwickeltes Mäd- chen gebar. Beide Kinder gediehen an der Mutlerbrust. Die Untersu- chung zeigte , dass der Uterus in seinen zwei oberen Drittheilen durch eine Scheidewand in zwei ungleiche Hälften getheilt war (3% und 4% Zoll lang). Thielmann2) berichtet, dass eine Frau am 21. März ein gesundes, reifes, am 18. Mai, also 52 Tage später, ein ebenfalls lebendes Mädchen gebar, das zweitgeborne war auch hier (nicht, wie Kussmaul berichtet, das erstgeborne) das kleinere (es maass 1 Werschock weniger). Der Uterus hat in diesem Fall für die Palpation nichts Abnormes gezeigt, die Vaginalportion wird auffallend breit genannt. Es ist ersichtlich, dass die Entwicklungsdifferenz der in diesen Fällen in langem Intervall gebornen Kinder lange nicht der gleichkommt, welche in den weiter oben berichteten Fällen von Drillingsschwanger- schaft bestand. Für die Entwicklungsdifferenz liegen Analogieen vor, welche die Notwendigkeit ausschliessen , auf die Hypothese der Superfoetation zu verfallen ; das Auffallendste an den Fällen ist das Geburtsintervall und für dieses enthält die Hypothese der Super- foetation nach der obigen Erörterung nicht die mindeste Erklärung. ') .Siehe Monatsschr. f. Geburtsk. 9. p. 380. 2) Med. Zeitung Russlands. 1853. Nr. 50. 16 B. S. Schultse, Ich habe nun noch des Falles von Trezevant zu gedenken, den ich allerdings nur aus dem Referat Kussmauls !) kenne, den ich aber gerade nach der ihm daselbst gewordenen Kritik als allen Verdachts auf Su- perfoetation entkleidet nicht ansehen kann. Der äusseren Fläche eines extrauterin vorgefundenen ömonatlichen Eies haftete eine Blase von der Grösse einer Wallnuss an, welche einen 6- bis 8wöchentlichen Embryo enthielt. Die Eier hatten in der zerrissenen rechten Tube gelegen. Kussmaul sagt: »Es ist sicher, dass in diesem Falle von einer Ueber- fruchtung nicht die Rede sein kann. Wie sollte die befruchtende Flüs- sigkeit durch die von einem Ei bereits verschlossene Muttertrompete zum Eierstock haben vordringen können?« Wenn die andere Mutter- trompete offen war, konnte der Same durch diese gelangen und ent- weder selbst oder das von ihm befruchtete Ei in die andere Tube über- wandern. Um den Fall beurtheilen zu können, käme es zunächst darauf an , über den Zustand der beiden Foeten und das Verhalten ihrer Ei- hüllen etwas zu erfahren; darüber ist im Referate nichts gesagt und die Originalmittheilung ist mir nicht zugänglich. Möglicherweise ist der Fall dem meinigen sehr ähnlich, wenn auch die Entwicklungsdifferenz weit geringer. Doch lässt sich nach dem Mitgetheilten weiter nichts darüber sagen. Fassen wir nun kurz zusammen, wie die Frage der Nachempfäng- niss heutzutage steht, so ergiebt sich : 1 . Nachempfängniss in derselben Ovulationsperiode (Superfoecun- dation) kommt wahrscheinlich sehr oft vor, lässt sich aber nicht nachweisen. 2. Nachempfängniss nach Ablauf der zur Zeit des Schwanger- schaftbeginns bestehenden Ovulationsperiode ( Superfoetation ) ist unter normalen Verhältnissen nicht denkbar, weil nor- malerweise die Ovulation während der Entwicklung eines Em- bryo pausirt. 3. Das Verweilen eines todten Embryo in der Mutter hindert nicht fernere Ovulation , und Nachempfängniss unter solchen Um- ständen ist bei extrauteriner Lagerung des Foetus wiederholt nachgewiesen (Superfoetatio hnpropria) , vielleicht fand solche auch statt, wenn der todte Embryo im Uterus lag (Duges' Fall p. 1 0 dieser Abhandlung). 4. Wenn während der Schwangerschaft abnormerweise sich ein Ei löst, so ist die Möglichkeit einer Superfoetation a priori nicht l) Kussmaul a. a. 0. p. 283. Uebei' Siiperfoeciindntion und Suped'oetation. 17 in Abrede zu Stellen: erstens für die 10 bis I? ersten Wochen der Schwangerschaft, zweitens unter Hinzutri.11 weiterer pa- thologischer Bedingungen im ganzen Verlaufe der Schwanger- schaft : nämlich bei extrauteriner Einbettung eines der Eier, bei Uterus duplex und ebensowohl bei einfacher Uterushöhle, wenn die normale Yorklebung der Decidua vera mit der Reflexa aus- bleibt. •'■>. Es ist aber trotz aller darauf ve rdiich t ig gewesener Fälle nicht nachgewiesen, dass Super foetati on je statt gefunden hat , alle j en e Fülle erklären sich weit n a t u r gern ä s s e r a u f a n d e r c W eise. (i. Die constatirten Geburten reifer Zwillinge in gros- sem Intervall stehen zur Hypothese der Superfoeta- t i o n in g a r k e i n e r B e z i e h u n g. Da ich in Betreff der frühen Nachempfängniss mich dahin aus- sprechen musste, dass der Nachweis derselben im einzelnen Fall nie zu führen sein wird, so liegt die Frage nahe, ob denn späte Nachempfäng- niss nachzuweisen sein würde, wo sie etwa staltfand. Als einziges Kriterium für die Grenze möglicher Entwicklungs- differenz zweier gleich lange nebeneinander ernährter Früchte stellte ich die bei Drillingsfrüchten factisch beobachtete Entwicklungsdifferenz auf. Nehmen wir von jenen auf S. 1 I und I i dieser Abhandlung refe- rirten fünf Drillingsgeburlen , für welche die Annahme einer Super- foetation sicher auszuschliessen war, den D'OiTREPONT'schen als den bestbeschriebenen zum Maassstab, so sehen wir, dass neben einem kräftigen zu I !) Zoll Länge sich entwickelnden Bruder die beiden andern Früchte in 40 wöchentlicher Entwicklungsdauer nur den Grad von Aus- bildung erlangten, welchen einzeln getragene Früchte mit 16 Wochen haben. Die Möglichkeit einer bedeutenderen Retardation der Entwick- lung anzunehmen, sind wir nicht berechtigt , wohl aber dass gleiche Retardation auch bei einem Zwilling stattfinden könne. Ein lebender reifer Zwilling neben einem ebenfalls lebenden I 0- bis 20wöchentli- chen darf Verdacht auf Superfoetation nicht erwecken , ebensowenig, weil das Verhältniss das gleiche ist, ein frisches Swöchentliches Ei ne- ben einem gleichen ^wöchentlichen , oder ein {wöchentliches neben einem 10 wöchentlichen., beide können nach Analogie jener Fälle sehr wohl gleich alt sein. Würde dagegen ein ganz frisches, normales, an- scheinend ^wöchentliches Ei mit einem 1 Owöchentlichen, oder ein gleich beschaffenes Swöchentliches mit einem 24 wöchentlichen oder gar 40wö- chentlichen gleichzeitig geboren, so läge meines Erachtens gar Band II. I. 2 j 8 B. S; Schultz**, k6in 6 Analogie Vor', den Fall anders als auf Süperfoeta- t i o n zu de ut en. Wenn die kleiöeh Früchte im OsiA;fa>M'schen oder KLYKPENKWK'schen Fall nach der Geburt des reifen Bruders im Uterus zurückgeblieben und weiterer Entwicklung theilhaftig geworden wilrön, so liätten sie 24 Wochen später \ i eil eicht im reifen Zustande gelieren werden können. Freilieh darf man vermuthen , dass ein Foelus, der in den ersten 40 Wochen seiner Entwicklung nur I ("»wöchentliche Entwicklung zu er- langen im Stande war, auch wenn nun durch Geburt des Bruders die Bedingungen günstiger Werden, doch die Entwicklungsgeschwindigkeit eines einzelnen Foetus nicht sogleich erlangt ; dass er also auch nach 24 Wochen noch in unreifem Zustande geboren werden könne. Wird er nun erst geboren, nachdem seine Entwicklung die eines reifen ein- zelnen Kindes erlangt hat, so könnte die Zeit seiner Geburl leicht so weil hinausfallen, dass man ebensowohl annehmen könnte, er sei erst nach der Geburt seines Zwillingsbruders gezeugt worden , wäre also nicht dessen Zwillingsbruder. So stellt sich also heraus, dass auf das Geburlsinlerv all reif geborner Kimler der Beweis ihrer Entstehung durch Superfoelation schwerlich je wird basirt werden können und dass die G e b u r l 1* e if'e f Kinder i m Intervall von 2 i W ochen V e r - dach t a u f S uper foela tion d urch aus noch nicht begründet. Es würden also auch Fomüttjß's und Eisi-nmwn's fülle, wenn sie consla- tirt wären, auf Superfoelation doch nicht verdächtig sein. Da die Möglichkeil einer späten Superfoelation nicht ver- nein L werden kann, so muss nun jeder darauf verdachtige neue Fall einer vorurtheilslosen aber strengen Kritik unterzogen werden. Gehen wir in diesem Sinne an die Untersuchung des vorliegenden auf Tai". 1. abgebildeten Präparates. Ich fand dasselbe in der Sammlung des hiesigen Enlbindungs- instiluls vor. Es ist die Nachgeburt eines, der Dicke des Nabelstranges nach zu urlheilen, ausgolragenon oder fast ausgetragenen Kindes. Die l'lacenla ist im Vergleich zur Dicke des Nabelslranues elwas kleiner als normal, länglich rund und verhüllnissmässig dick. An % ihres Um- fanges ist ihr Band umschlossen von einem festen , concenlrisch ge- scliiehlelen, jetzt im Spiritus gleiclimässig grau gefärbten Fibfinfing übe, welcher vom Band der l'lacenla aus nach innen hin auch den freien Theil des Ghorion und Amnion auf I Genliiuelor Breite derartig umschnürt, dass (]cv \om Amnion bekleidete Rand der l'lacenla nur mit Durchschneidung dieses Ringes zu laue gelegl w erden könnte. Der- gleichen i'ihrinringe, manchmal in geringem Finkreis die l'lacenla iim- schliesseml . lindel man nicht ganz seilen. Dieselben \ erdanken ihren I eber Superf oecu ndat ion und Siiperfoetntioti. 19 Ursprung intrauterin gebliebenen Bluiuhgen im Umkreis der Placentä, wie sie wob] in der Mehrzahl der Fülle zum Abortus führen, manchmal aber, wahrscheinlich weil sie sehr allmählich erfolgen, die Weiterent- wicklung des Eies nichl unterbrechen um! nur die Flächenentwicklung der Placentä mehr oder weniger beeinträchtigen, welche dann meist eine entsprechend vermehrte Dicke zeigt. Eines Falles erinnere ich mich, wo um die I ?. Woche der Schwangerschaft wiederholt auftretende geringe äussere Blutung bei geringer Eröffnung des Muttermu'ndes einen Abortus drohte, wo die Schwangerschaft nachher aber ungestört ihren Fortgang nahm und wo die Nachgeburt des reifen Kindes dann den genannten Fäserstbffring zeigte. An unserem Präparat nun endet derFaSerstbffringäm oberen lTm- fang bei a mit abgerundetem , am unteren bei c mit künstlich abge- schnittenem Ende, so dass es un gewiss bleibt, wie weil er sich hier erstreckt hat. c/i ist die an kleinen verkümmerten Chorionzotten kenntliche, von unbedeutenden Deciduareslen stellenweis belegte Aus- sen Hache des Chorion. Dasselbe bildet bei et eine zipfelförmige Aus- buchtung und hängt daselbst durch einen besonders festen Fibrin- slräng mit dem Blutgerinnsel zusammen. Bei . Schwangerschaflswmhe entspricht. Seine Oberfläche ist vollkommen glatt und glänzend weiss, die Haut nicht leicht verletzbar und die ganze Substanz des Körpers ziemlich fest elastisch anzufühlen, wie nur an einem ganz frisch in den Spiritus gelangten Embryo dieses zarten Allers. Der Kopf ist verhiillnissmässig klein und ohne sichtbare Scheidung der einzelnen Hirnblasen, wie es oft an im Spiritus conser- virten Exemplaren der Fall ist. Der Bauch ist geschlossen , die Extre- mitäten flosseniormig, ohne Fingortheilung. Ich dachte1 im ersten Augenblick an zufälliges Aneinanderhaften zweier Präparate, aber die Untersuchung zeigte, dass die Eier fest und organisch miteinander verbunden sind. Der ganz wohl erhaltene Gwö- chentliche Embryo und die sicher nicht viel unter IOwöchentliche Pla- centa sind ohne Zweifel zugleich geboren worden. Ich habe im Eingang de\- Abhandlung drei Möglichkeiten bezeich- net, den auffallenden Befund des vorliegenden Präparates zu erklären, erstens Anomalieen in der Entwicklungsgeschwindigkeit des kleine- ren Foetus, zweitens frühes Abslerben desselben, drittens Superfoela- tion. Den ersten Punct anlangend, so könnte man der Vorstellung Baum gelten, der kleine Ejmbryo könnte auf seiner ('^wöchentlichen Entwick- lungsstufe stehen geblieben sein, ohne doch zu sterben. Ich glaube diese Vorstellung zurückweisen zu müssen, denn bei allen uns be- kannten Entwicklungshemmungen kann wohl die form früherer Ent- wicklungsperioden in einzelnen Theilen sieh erhalten, aber stets nur in einzelnen Theilen , meist nur durch Untergang anderer Formbestand- theile des Organismus und stets ohne wesentliche Beeinträchtigung des \\ 'achsthums; sobald die Ernährung des Ganzen aufhört, ist der Tod unmittelbare Folge. Ernährung und Wachsthum sind aber für den Foetus nach unserer bisherigen Kennlniss nicht getrennt zu denken. Man könnte auch zur .Erklärung des vorliegenden Präparates die Mei- nung heranziehen, dass zwei gleichzeitig befruchtete Eier in weit aus- einander liegenden Terminen ihre Entwicklung begonnen hätten. Kussmaul1) halte nach dem Vorgange Bergmannes - der Hypothese Be- I) Krs-iim i .i .i 0 p. .'!09. ) Lehrbuch der sjenchtlichen Me&icio. Braunschweig I84ß. p. 236. I i'iii'i Siipcrfoeciiiidatioii um] Superfoetation. 21 recmigüng zugesprochen , nach welcher die Beobachtungen Ziegler's1) und Hisciitu i 's - um Rehei . welches befruchte! vier und einen halben Monat im Uterus liegt, bevor die Entwicklung des Embryo beginnt, zur Erklärung auf Superfoetation verdächtiger Fälle verwende! werden dürfte. Die Bedingungen , wesshalb gerade das Rehei diese Pause in seiner Entwicklung erleidet, sind zu unbekannt, als dass man die Möglichkeit, dasselbe könne ausnahmsweise bei einem Menschen statt- finden, in Erwägung ziehen kann: alter dass dieser Vorgang gerade von zwei gleichzeitig befruchteten, in demselben Uterus sich ein- bettenden Eiern bei dem einen stattfinden sollte, wahrend das andere sich sofort entwickelt — zur Aufstellung dieser Hypothese fehlt meines Erachtens jede Berechtigung. Was die Annahme verschiedener Entwicklungsgeschwindigkeit der beiden Embryonen betrifft, so ist sie allein nicht im Stande, die so grosse Differenz zu erklären, welche in unserem Präparat Vorliegt. Die oben citirten Drillingsschwahgerschaften geben die Grenze der in die- ser Beziehung bis jetzt beobachteten Differenzen. Wir dürfen anneh- men, dass von zwei gleichzeitig befruchteten Eiern das eine die Entwick- lung eines ^wöchentlichen Embryo erreichen kann, während das andere über öwöchentliche Entwicklung kaum hinauskam (Verhällniss 16 : 4 0); grössere Entwicklungsdifferenz bei gleichzeitig gezeugten, noch leben- den Embryonen anzunehmen sind wir nicht berechtigt. Zu der Zeit also, wo der später reit geborne Embryo ISwöchent- lich war. müssle immer doch der kleinere Embryo unseres Präparates gestorben sein. Am Embryo sind nun freilich die Spuren so frühen Abgestorbenseins nicht nachzuweisen, aber aus der Beschaffenheit des Eies glaube ich demonstriren zu können, dass eben der Mangel der Möglichkeit dieses Nachweises am Embryo die wesentliche Abnormität unseres Präparates ist. Ein frisches, lebendes (^wöchentliches Ei missl im Lichten seiner Chorionhöhle nicht viel mehr als einen Zoll im längsten Durchmesser und ist ziemlich rund. Das unsere ist langgestreckt, misst über 3 Zoll in seiner längsten Ausdehnung und liegt mit eben so langer Fläche der Placenla und den Eihäuten des Zwillingseies an. Das zeigt deutlich, dass es an dem Wachsthum des letzteren längere Zeit hindurch, durch seine Verbindung mit ihm, zunächst passiv betheiligt wurde. Das Amnion eines frischen Gmonatlichcn Eies liegt niemals dem Chorion eng an, sondern ist von ihm durch einen weilen Raum, welcher spärliches !) Beobachtungen über die Brunst und denEmbryo der Rehe. 1844. !) Entwicklungsgeschichte des Rehes. Giessen 1854. 22 B. S. Schnitze, lieber Superioeciuidatiou und SuDerfoetation. emhryonales. Bindegewebe enthält , getrennt. In unserem Ei liegt eins Amnion dem Cliorion fest an, so dass es schwer zu trennen ist und hat also eine die (»wöchentliche Entwicklung noch weit mehr als das Cho- rion und um das Vielfache übertreffende Ausdehnung. Auch die Nahel- schnur ist länger als an einem frischen 6 wöchentlichen Embryo. Aus dem allen geht hervor, dass das Ei weil lungere Zeit gewach- sen ist, als der Embr\o, dass also die Eihäute, welche ja schon um die 6. Woche ganz gcfässlose Gebilde sind, welche lediglich durch enclos- motischen Process von der Uteruswand aus sich ernähren, den Embryo um Monate überlebt haben. Dass Deeidua zwischen den beiden Eiern gelegen ist, ist bedeutungslos, denn wenn zwei Eier auch gleichzeitig im Uterus sich einbetteten, wenn nur ihreEinbettungsslellen voneinan- der entfernt lagen, niussle jedes seine eigene Deeidua reflexa haben. Da das kleinere Ei unseres Präparates also mehrere Monate älter ist, als die Entwicklung des in ihm enthaltenen Embryo dauerte, so kann es auch gerade ebenso alt sein, als das Ei, welches neben ihm einen reifen Foetus entwickelte. Es liegt kein Grund vor, zu zweifeln, dass es aus derselben Ovulationsperiode stammte. Ich glaube, dass von allen auf Superfoetation verdächtig gewese- nen Fällen für mein Präparat dieser Verdacht am meisten gerechtfertigt war; genaue Untersuchung konnte denselben beseitigen. Es liegt also die Frage der Superfoetation genau noch so, wie ich einige Seilen frü- her ausgesprochen habe. 1 h r e M ö g 1 i c h k e i t k a u n a priori n i c h t in Abrede gestellt werden, a bei* kein bisher beobac hie te r Fall bleibt vor strenger Kritik auf Superfoetation ver- dächtig. Die Frage der Superfoetation ist bekanntlich auch einige Mal in foro und als eine streitige Frage sehr oft in gerichtlich— medizinischen Abhandlungen zur Sprache gekommen. Es handelte sich da um die Geburt lebender Zwillinge in ungewöhnlich langem Intervall, oft über- haupt um die Möglichkeil eines solchen Factum. Aus dem Obigen geht hervor, dass und in welchen Grenzen dahingehörige Thatsaehen consla- tirt sind, dass ferner aus ihnen gerade die Hypothese der Super- foetation nicht die mindeste Begründung zu entlehnen vermag und dass ein sei b st a uf M OH ä t e v e r I ä n g e r t e s G e b u r l s i n l e r \ all eine Z w i 1 1 i n g s s c h w a n g e r s c h a f t auf Superfoetation n i c h t e n t f e r n t verdächtig t. IMer die B^pistrrnalgobilde linde ich in der grossem Schwierigkeit, welche das Erkennen runder oder eckiger Körper dar- bietet, im Gegensalz zu Körpern, die im Yerhältniss zu ihrer Dicke sehr lang sind. Man muss sich nur der von Hartini; angestellten Versuche erinnern, hei denen sieh für verschiedene Personen %/Si bis '/4:, Mm. als die Grenze der Wahrnehmbarkeit runder Körperchen mit blossen Augen herausstellte, während er keine fadenförmigen natürlichen Ob- jecte ausfindig machen konnte, die nicht mit unbewaffnetem Auge zu sehen waren. Nehmen wir die Länge eines Fleischtheilchens bei Arthro- poden im Durchschnitte zu 0,002,6™™ an, so können wir der centralen dunkeln Stelle höchstens eine Länge von, 0,0008 mm zuschreiben, An- fang und Ende derselben lassen also denselben Zwischenraum wie die Streifen \on Xavicula slrigilis, bei welchem Probeobjeclo 13 Linien auf 0,1)1 mm kommen. Inseclen: Forficulinen. For/icuhi minor, llarlnack'sches Immersions- system. Eine Stelle in der Histologie von Lf.ydig, p. iö, die augenblicklich, da ich sie las, Misslrauen in nur erweckte, obwohl sie mit dem Aus- drucke grosser Sicherheit und vollkommner Ueberzeugung der richtigen Deutung des Gesehenen geschrieben ist, will ich hier wörtlich mit- theilen, da sie einen Irrthum enthält, der vielleicht um so weniger als solcher erkannt wird, als durch ihn Combinationen hervorgerufen wer- den, die allerdings sehr interessant wären, wenn dazu eben nicht die Berechtigung fehlte. Die Stelle heisst: »Behandelt man frische Muskeln aus dem lebenden Thiere (ich brauchte hiezu Forficula) mit leicht an- gesäuertem Wasser und sfudirl die Objecto mit sehr starker Vergrösse- rung (780maliger, Kellner S) st. 2, Oc. II), so erinnert bei scharfem Zusehen das Bild lebhaft an das Aussehen des elektrischen Organs der tische. Gleichwie dort eine gallertartig*1 Substanz innerhalb eines re- gelmässig \erlheilten Fachwerks liegt, wodurch eine Zusammensetzung aus prismatischen Säulen sich darbietet, so grenzen sich auch die pri- mitiven Fleischlheilehen in langgezogen viereckiger Form umeinander 30 Dr. Schumi. ab. Je eine Anzahl von derartig aneinander gestellten Floischlheilchen tritt von neuein zu einem gewissen Ganzen zusammen, wodurch grössere Ab- theilungen von deutlich hexagonalem Umriss entstehen. Ich möchte dar- nach vormuthen, dass die Muskelsubstanz im Kleinen ein ähnliches Schema des Baues einhält. \\ elches wir vom elektrischen Organ der Fische (der Zitterrochen z. B.) kennen und möchte den Gedanken aufkommen lassen, dass die Muskeln und die elektrischen Organe verwandte Bildun- gen seien. Stellen wir uns beide vom morphologischen Gosichtspunct aus einander gegenüber, so findet die Substanz eines primitiven Fleisehtheilchens sein Aequivalent in jenen Gallertportionen, welche von den kleinsten Abtheilungen der Säulen umschlossen werden und der ganzen Säule entsprechen die ebenfalls sechsseitig begrenzten Ag- gregate der sarcous Clements. « Hieraus und aus dem Zusammenhange geht hervor, dass Lkydig aus dem anscheinenden Verhalten der Bündel von Forficula auf die Arthropodenmuskeln im Allgemeinen schliessl. weshalb die Stelle um so wichtiger ist und eine weitere Besprechung wohl verdient. Er giebt einen Holzschnitt bei mit der Unterschrift : Stück eines sogenannten Muskelprimitb bündeis von Forficula . um die Aehnlichkeit in der Anordnung des Inhaltes mit dem elektrischen Or- gan der Fische zu zeigen. Der längste Durchmesser der Sechsecke, welcher in der Querrichtung des Primitiv bündeis verläuft, ist ungefähr dreimal so lang als der kleinste der Längsrichtung des Primilivbündels entsprechende Durchmesser. Etwa fünf Längsreihen solcher Sechseekr würden der Figur nach den quergestreiften Inhalt des Bündels aus- machen. Ohne nun darüber rechten zu wollen, inwiefern man dem Muskel- gewebe Verwandtschaft mit den elektrischen Organen zuschreiben kann, will ich meine Beobachtungen geben und zugleich das von Lkydig Gesehene zu deuten versuchen. Ich überzeugte mich, dass der Bau der Muskelprimilbbündel von Forficula minor im Allgemeinen mit dem der Übrigen von mir unter- suchten Arthropodenmuskeln übereinstimmt. Die Fleischtheilchen ha- ben eine Länge von (),002f>,lnu, zeigen also nichts Ungewöhnliches. Nur gelingt es nicht, \on einer Seite quer Über das Primilivblindel weg bis zum andern Conlour eine Querreihe zu verfolgen. Das Bündel wird nämlich der Länge nach von vier bis fünf dunkeln Linien durchzogen; die nichts weiter als schärfer ausgeprägte Zwischenräume zwischen zwei nebeneinander liegenden Fibrillen sind. Da aber nicht alle Trennungslinien so charf markirl sind, sondern dieselben nur hin und wieder deutlich lier\ nrlrelen, so geben sie dem ganzen- Bündel das An- sehen . als wäre es aus der Verschmelzung breiterer Elemenlartheile Anatomische Untersuchungen im Heimln' des Muskel- und Nervengewebes. ;jl entstanden, als die fibriliären (1\ linder sin % Kalilauge für andere Muskeln ein Mittel entdeckt hat, eine Grenze zwischen Sehne und Primitivbündel sichtbar zu machen, so muss ich dies für Arlhropodenmuskeln in Abrede stellen, und zwar auf Grund aller Ansichten , die mir solche Primilivbündel darboten, welche an den bekannten Chitinfortsätzen im Innern der Schenkel vermittelst langer Sehnen inseriren. So bleibt denn, wie Frey sich einmal ausdrückt , das Unbequeme , welches jene Continuilät der contractilen Substanz und des Bindegewebes hat, bestehen. Jedoch, muss ich hinzufügen, scheint mir diese Continuität gerade am natür- lichsten, d. h. der grossen Anzahl von Erscheinungen in der Natur ganz analog, in denen wirkenden Kräften keine festen Grenzen zu ziehen sind und die Formen stelig ineinander übergehen. Wie viel unbeque- mer ist manchem Forscher nicht der conlinuirliche Uebergang der Ner- venfasern in die Muskelprimitivbündel '! Innerhalb verschiedener Primilivbündel bemerkte ich einen feinen Canal , wie es mir schien, central gelegen, etwa noch einmal so breit wie ein Fleischlheilchen, an dem ich deutlich zwei Gonlouren unter- schied. Die Figur, welche Leydig in seiner Histologie p. 1 .14 von einem Primitivbündel der Formica rufa giebt, und die nichts weniger als ein treues Abbild der Wirklichkeit ist, scheint wieder der Entstellung durch weniger gute Objective zugeschrieben werden zu müssen. Andere Primitivbündel zeigten in ihrer Mitte nur dunklere, etwas in's Bräun- liche spielende Färbung , wiederum andere centrale Streifen. Im In- nern des so mann ichfach verschiedene Bilder hervorrufenden Stranges glaube ich an einigen Primitivbündeln rundliche Körnchen gesehen zu haben doch wäre es möglich, dass die Querstreifen und Längslinien zwischen den darüber gelegenen Fleischlheilchen sowie das Bild des Canals in ihrer Gesammtheit diese Erscheinung hervorgerufen hätten, und ich würde auf die Anwesenheit einer Körnchenreihe nur aus dem analogen Verhalten der Schenkelmuskeln schliessen können. Bei diesen beobachtet man nämlich innerhalb der Primitivbündel, und zwar central gelegen, eine Reihe von Körnchen, die so hintereinander gela- gert sind, dass die zwischen ihnen befindlichen Inlerslilien ihnen seihst an Länge gleichkommen. Die Gontouren dieses centralen Theils, dessen Breite: wieder derjenigen von zwei Fleischlheilchen gleichkommt , sind dagegen weit weniger deutlich als in den Bündeln der Kopfmuskeln, Anatomische Untersuchungen im Bereiche dos Muskel- und Nervengewebes. 33 so dass die letztern zusammen mit den Schenkelmuskeln erst ein voll- kommnes Bild der Primitivbünde] dieses Thieres geben. Garabiden. Culosoma sycophanta. Hartnack'sches Immersionssystem. Die Untersuchung der Primitivbündel dieses Käfers war für mich insofern von grossem Interesse, als ich an ihnen die zwei Arten von Kernen, die ich gleich im Anfange dieser Untersuchungen vorläufig un- terschieden habe, in einer Deutlichkeit, die keinen Zweifel an der rich- tigen Deutung des Gesehenen zuliess, zu gleicher Zeit an denselben Bündeln beobachten konnte. Unmittelbar unter dem Sarcolemm fand ich Kerne, die an beiden Seiten ziemlich spitz ausliefen , so dass man ihre Form füglich spindelförmig nennen kann ; dagegen im Innern der Primitivbündel einen centralen Canal, der mit rundlichen hintereinan- der gelagerten Körnchen erfüllt war. Wenn schon früher bei ähnlichen Ansichten der Gedanke in mir auftauchte, dass beide verschiedenen Localitäten angehörende Arten von Kernen eine verschiedene Bolle in den Bündeln spielen, so wurde ich durch die auffallende Formdifferenz in dieser Meinung in hohem Grade bestärkt. Deshalb wage ich es, hier die Vermuthung auszusprechen , dass der Inhalt der im Innern d e r P r i in itivbündel gelegenen Stränge mit den Reihen rundlicher Körnchen diejenige Masse ist, welche den Stoff zum Aufbau des contractilen Inhalts liefert, dass dagegen die krümelige Substanz mit den spindelförmi- gen Kernen der Rest desjenigen Stoffes ist, aus wel- chem sich das Sarcolemm gebildet hat. Malacodermata. Tclephorus fuscus. Immersionssystem von Merz. Von den Fleischlheilchen, die ich nicht genauer gemessen, habe ich nur notirt , dass sie quadratisch erscheinen und bedeutend breiter als bei den Spinnen sind. Innerhalb der Primitivbündel unterscheidet man einen centralen mit granulärer Masse angefüllten Strang. Es scheint, als wären die sehr kleinen punetartigen Körnchen, die sich in dem Canale belinden, in bestimmten Entfernungen zu Gruppen con- densirt, welche untereinander ungefähr dieselbe Entfernung bewahren wie die Fleischtheilchen. Cetoniden. Cetonia aurala. An einer Muskelfaser dieses Thieres machte ich eine Beobachtung, die mir für die Entscheidung der Frage, ob Scheibchenbildung oder fibrillärer Bau anzunehmen sei , von Bedeutung scheint. An der Stelle nämlich, wo dieselbe abgerissen war, wurde sie fast in ihrem ganzen 34 Dr- Schönn, Umfange von zwei feinen Tracheenzweigen etwa in derselben Weise gespannt, wie ein Netz von dem Reifen auseinander gehalten wird, so dass die beiden von einem Tracheenaste ausgehenden Tracheenzweige, welche fast dicht zusammenschlössen, dem Reifen entsprechen würden. So bot das Primitivbündel an der abgerissenen Stelle eine elliptisch erscheinende Oeffnung dar, in welche man hineinsehen konnte. Die genaue Untersuchung ergab , dass nur ein dünnwandiger Cylinder quergestreifter Masse das Sarcolemm unmittelbar auskleidete, und dass der ganze innere Raum nicht' mit quergestreifter Substanz angefüllt ist. Von Scheibchen kann also in diesem Falle sowie überhaupt da nicht die Rede sein, wo im Innern der Ründel verlaufende Canäle wahrgenom- men werden. Somit blieben schon allein nach diesem Kriterium nur noch die Wirbelthiere für die BowMAN'sche Ansicht übrig. Dann wäre man aber genöthigt, von den für den grossen Formenkreis der Arthro- poden geltenden Bildungsgesetzen anzunehmen , dass sie für die Wir- belthiere nicht mehr Geltung hatten, ein Gedanke, der für die heutigen Anatomen wohl nicht vereinbar ist mit der Theorie vom genealogischen Zusammenhange aller Organismen, einer Theorie , die wenigstens in- nerhalb der Wissenschaft als die allein mögliche, allein vernünftige an- erkannt ist. Wenn man demnach wird annehmen müssen, dass die Bildungs- gesetze in beiden Kreisen dieselben sind, so fragt es sich nur, wo man eher erwarten kann , Aufschlüsse über dieselben zu erhalten, bei Ar- thropoden oder Wirbelthieren. Da man nun allgemein zugiebt, dass Arthropoden tieferstehende Organismen als Wirbelthiere sind, und sich dies auch am Muskelgewebe in dem Bau der Primitivbündel, die un- verkennbar einen embryonalen Charakter bewahren , bekundet , so kann wohl kein Zweifel darüber sein, dass die Bündel der Arthropoden günstigere Objecte für das Studium sind als diejenigen der Wirbelthiere, und dass noch dazu bei einer einseitigen Untersuchung der Säuger die richtige Einsicht in die Verhältnisse nicht möglich war. Hydrocanthariden. Dijtiscus mavginalis. Die Fleischtheilchen haben eine Länge von 0,004 mm. Die Körn- chen innerhalb der contractilen Masse sind kugelig aber vielfach auch breiter als lang, so dass sie sich der Blutkörperchenform nähern. Nach längerer Einwirkung sehr verdünnter Essigsäure zeigten sich unmittel- bar unter dem Sarcolemm die Kernchenreihen, zwei bis fünf an Zahl, in grosser Klarheit; einige mit dicht hintereinander liegenden , andere mit weitläufiger angeordneten Kernen. Die letztern, angefüllt mit fein- Anatomische Untersuchungen im Bereiche des Muskel- und Nervengewebes. 35 körniger Masse, variirten in ihrer Länge von 0,013 — 0,038""", wah- rend ihre Breite 0,0026— 0,0039 mm betrag. Phalaeniden. Pamphilus nephele. Die Fleischtheilchen der Schenkelmuskeln sind verhältnissmässig gross, 0,0052 mm lang und von geringerer Breite; ich fand dieselben in den Primitivbündeln der Flugmuskeln weit kürzer, nur 0,0036 mm lang. Sphingiden. Smerinthus populi. Die Fleischtheilchen wieder verhältnissmässig gross. Zuckerwasser als Zusatzflüssigkeit benutzt, liess keine Kernchenreihen hervortreten, doch zeigten sich dieselben nach Anwendung von Essigsäure. Chlor- wasserstoffsäure von 0, 1 % rief auch hier wieder die deutlichsten Bil- der von den Kernbildungen hervor. In Primitivbündeln aus der Tibia waren die Kerne sehr langgestreckt, spindelförmig und in der Nähe der Ansatzstellen durch Commissuren verbunden; an den von der Sehne mehr entfernten Stellen vermochte ich keine die Kerne verbindenden Fäden wahrzunehmen. Die untersuchten Primitivbündel zeigten eine bis zwei Beihen solcher Kerne mit Kernkörperehen. Tabaniden. Tabanus solstitialis. An diesem Thiere untersuchte ich Schenkel-, Thorax- und Flug— muskeln, ohne jedoch ein besonderes Augenmerk darauf zu richten, ob mehr central verlaufende Körnchenreihen und unmittelbar unter dem Sarcolemm hinziehende Kernreihen zu gleicher Zeit an einem und dem- selben Primitivbündel auftreten. Da ich jedoch an einem so nahe ste- henden Thiere wie Musca vomitoria (siehe II. Abschnitt) beide Gebilde nebeneinander beobachtete, zweifle ich nicht, dass ein Gleiches bei Tabanus solstitialis stattfindet.' Die Schenkelmuskeln zeigten grosse Fleischtheilchen mit deutlichem centralem Fleck, und im Innern verlief ein mehr homogener Canal, an- gefüllt mit grossen, kugeligen , in einer Reihe dicht hintereinander lie- genden Körnchen. Die Fibrillen der gelben Thoraxmuskeln bestehen aus 0,0024 mm langen Fleischtheilchen, während die letztern in den Flugmuskeln 0,0049 m,n messen, also hier die doppelte Länge haben. Von den dicht hintereinander gelagerten Körnchen im Innern desselben Primitivbündels kommen sechs auf eine Länge von 0,052 mm des Stranges, während das einzelne Körnchen eine Breite von 0,0065 mm hat. Solche Körnchen, welche von quergestreifter Substanz eingeschlos- sen waren , liessen nur einen dunkeln centralen Theil wahrnehmen, doch zeigte mir der Zufall einige fast isolirt, indem ein Primitivbündel 36 Dr- Schönn, sich so gespalten hatte, dass die Körnchen an der einen Seite vollkom- men frei dalagen , während sie nur an der andern Seite noch im Zu- sammenhange mit dem Primitivbündel waren. Diese Hessen dann auch im Innern eine grosse Anzahl von Kernkörperchen sehen. — In einem Primitivbündel aus der Coxa sah ich drei Reihen von perlenschnurartig aneinander gereihten Kernen , die von der Insertionsstelle ab ziemlich parallel nebeneinander verliefen , bis zwei Reihen aufhörten , so dass sich nur die dritte bis zum abgerissenen Ende des Primitivbündels fortsetzte. An einem andern Bündel konnte ich auf eine grosse Strecke einen mehr centralen körnigen Theil verfolgen, dessen Contouren in solchen Entfernungen kleine Einbuchtungen zeigten , dass ich nicht daran zweifeln kann, dass dies eine mit der Kernbildung in Zusammen- hang stehende Erscheinung ist. Gewissheit über die Richtigkeit der Erklärung verschaffte mir ein anderes Bündel , an dem die Körnchen- reihe nach dem Sehnenende hin in einen absatzweise eingeschnürten Strang überging, dessen Contouren in der Nähe der Ansatzstelle gerad- linig wurden. Libelluliden. Cordulia metallica. Die Primitivbündel der Schenkelmuskeln lassen sich verhältniss- mässig leicht isoliren, auch haben dieselben einen beträchtlichen Durch- messer, indem sie in der Breite 0,091 mm messen. Vergleicht man dies mit der Angabe für Formica rufa, so sieht man, dass die Durchmesser innerhalb weiter Grenzen schwanken. Reihen zusammenhängender Körnchen beobachtete ich nicht, sondern nur unter dem Sarcolemm be- findliche Kerne, deren Länge 0,026 mm betrug, während sie in der Breite 0,0032 bis 0,0065mm maassen, und die also von langgestreckter Form waren. Acrididen. Acridium. Bei der Schwierigkeit, die Arten dieses Genus zu bestimmen, und da das untersuchte Thier noch in den ersten Häutungsstadien stand, kann ich die Art nicht angeben. Die Muskelfasern dieser Schrecke setzten der Untersuchung in mancher Hinsicht bedeutende Schwierig- keiten entgegen. An dem Muskelgewebe, das zu Tage tritt, wenn man die Tibia vom Femur trennt, und an dem ich häutig keine deutlichen Primilivbündel unterscheiden konnte, sah icb eine ausserordentlich grosse Menge von länglichen Kernen mit Kernkörperehen : darunter schimmerte quergestreifte Masse durch. In andern Fallen , wo ich an den Ghilinfortsätzen im Innern der Schenkel haftende Primitivbündel als solche deutlich erkennen konnte , zeigten sieh dicht unter dem Sar- Anatomische Untersuchungen im Bereiche des Muskel- und Nervengewebes. 37 Oolemm reihenweis angeordnete Kerne von ziemlich bedeutender Grösse mit Kernkörperchen im Innern. Die Fleischtheilchen waren sehr klein. Kruster: Copepoden. Cyclops quadricornis. Die Primitivbtindel dieses Thierchens haben einen sehr geringen Durchmesser, indem ihre Breite zwischen 0,004 und 0,013 mln schwankt. Dagegen haben die Fleischtheilchen dieses mikroskopischen Krusters bedeutendere Dimensionen als die grösserer Formen derselben Thier- classe. Die Länge beträgt 0,0026 mm. Daphniden . Daphn ia . Dies Geschlecht mikroskopischer Kruster eignet sich wegen der Durchsichtigkeit der Schalen sehr gut dazu , die Muskeln im thätigen Zustande zu beobachten. Während dieselben, sobald sie contrahirt sind, nur sehr feine Querlinien zwischen den Fleischtheilchen zeigen und zwanzig der letztern in gerader Linie liegend 0,01 3mm messen, werden die Querlinien , wenn der Muskel ausgedehnt ist, fast eben so breit wie die Fleischtheilchen lang sind, indem dann schon zwölf hin- tereinander liegende Fleischtheilchen dieselbe Länge haben. Wie man aus der Grössenangabe für den Zustand der Contraction schliessen kann, haben die Fleischtheilchen nur eine Länge von 0,0006 mm ; die von Cyclops sind also viermal so lang. Hätte ich nicht beide Thierchen le- bend, wenn auch im Absterben untersucht , so würde mir eine so auf- fallende Differenz Misstrauen in die Methode der Untersuchung einge- tlösst haben, und ich würde in dem einen Falle ein Aufquellen durch Reagentien als möglich mit in Betracht gezogen haben, wovon aber hier nicht die Rede sein kann. Mollusken. Heliceen. Clausilia bidens. Musculus columellaris. Immersionssystem von Hartnack. Den Musculus columellaris dieses kleinen Thierchens verschafft man sich am besten, wenn man das Gehäuse vorsichtig entzweibricht, so tlass man das Thier von demselben getrennt erhält. In der Nähe des Mantelrandes bleibt dann ein Stückchen der Spindel vermittelst des Musculus columellaris noch mit dem Thiere verbunden. Dann erfasst man das Spindelstück mit einer sehr feinen Pinzette , zieht es mit dem daran haftenden Muskel an, so dass derselbe sich spannt und dann ab- geschnitten werden kann. Nachdem ich ihn mit sehr verdünnter Es- 38 Dr. Scliönu, sigsäure kurze Zeit behandelt hatte, ergab die Untersuchung Folgendes. Der Muskel , etwa so breit wie ein mittelstarkes Primitivbündel von Rana esculenta, war mit zahlreichen gelben, das Licht stark brechen- den, also mit schwarzem Rande versehenen Bläschen bedeckt, die Fett- tröpfchen vollkommen ähnlich sahen. Da dieselben sich in Essigsäure unlöslich erwiesen, konnten es keine Kalkconcretionen sein. Der Mus- kel (ich spreche nicht etwa von Elementartheilen desselben , sondern meine den ganzen Muskel) zeigte fast gar keine Längsstreif ung, welche Zusammensetzung aus einzelnen Fasern nachgewiesen hätte , wenn gleich eine solche wohl möglich ist. Da ich also durchaus nicht mit Sicherheit Muskelfasern unterscheiden konnte, so vermag ich auch über das Yerhältniss der Hülle zum Inhalte nichts mitzutheilen. Allein sehr interessant war es mir, nach sorgfältigster Correction des Systems und oft veränderter Einstellung Fleischtheilchen zu beobachten. Soviel mir bekannt, hat kein Anatom derselben bis jetzt gedacht, indem man nur von den Schlundkopfmuskeln der Gastropoden sagt, dass sie ein Ansehen hätten , durch das man an Querstreifung erinnert werde. Es gehört allerdings eine grössere Uebung dazu und vollkommnes Vertraut- sein mit der Erscheinung der Fleischtheilchen, um sie mit Sicherheit zu erkennen. Was nämlich wie Querstreifung aussieht , rührt oft nicht von einer Differenzirung in Fleischtheilchen , sondern davon her, dass der Muskelinhalt erstarrt und brüchig wird , und von der andern Seite ruft die Anordnung in Fleischtheilchen oft Bilder hervor, die wenig Aelmlichkeit mit Querstreifung haben ; denn, während sie sich an eini- gen Stellen nur als schwarze Pünctchen markiren, treten sie an andern als hellere , scheinbar viereckige Gebilde mit dunkler centraler Stelle auf. Dabei lässt sich aber nur eine geringe Anzahl zu gleicher Zeit und zwar der Länge nach angeordnet wahrnehmen. Somit glaube ich be- rechtigt zu sein, den Musculus cohunellaris als zu denjenigen Muskeln gehörig zu betrachten , deren contractiler Inhalt in Fleischtheilchen dif- ferenzirt ist. HeUx lapiciäa. Musculus cohunellaris. Der Musculus eolumellaris von Helix. lapicida ist insofern lohnender für die Untersuchung wie der \on Glausilia bidcns, als man die Fasern, aus denen sich derselbe zusammensetzt, deutlich unterscheiden kann. Sic haben einen Durchmesser von 0,0039 bis 0,0005 mi", und sind so lang, dass man sie nicht von einem Ende bis zum andern verfolgen kann, indem sie so ineinander gewirkt sind, dass sie nur auf eine kurze Strecke verfolgt werden können. Eine oberflächliche Betrachtung Hess alle Fasern vollkommen homogen erscheinen. Dagegen ergab die Un- Anatomische Untersuchungen im Bereiche des Muskel- und Nervengewebes. :v.) tersuehung mit System Nr. 10 combinirt mil den verschiedensten Hart- nack'schen und Schiek'schen Ocularen Folgendes. Einige Muskelfaser d zeigten einen centralen Ganal mit deutlichen Contouren, in «lern perlenschnurförmig aneinander gereihte Körnchen sichtbar waren; dieser Ganal war umschlossen von homogener Sub- sianz. In andern Muskelfasern bot dieser Ganal nicht so deutliche Con- touren dar, und in demselben fehlten dieKornchen. Hieraus schloss ich, dass auch der den Ganal umgebende Theil eine Veränderung habe erfahren müssen, und da ich früher bei Gldusilia bidens Fleisehtheilchen gefunden, so unterwarf ich die betreffenden Muskelfasern der sorgfal- tigsten Untersuchung unter steter Gorrection des Systems. So beob- achtete ich denn auch an einigen Stellen vier bis fünf feine dunkle Querstreifen, die etwa über zwei Drittel der Faser hinzogen , und bei veränderter Einstellung die Fleisehtheilchen selbst mit dunkelm Mittel— puncto. Für diejenigen , die etwa diese Untersuchungen wiederholen sollten, bemerkt1 ich, dass ich eben nicht etwa Ansichten beschrieben, die ich oft gehabt und die wahrscheinlich ein Gerinnungsprocess in einzelnen Muskelfasern hervorruft, wo dieselben dann abwechselnd helle und dunkle von einem Contour zum andern verlaufende Binden, häufig auch keilförmige Gebilde zeigen , sondern dass es sich hier um Zeichnungen handelt, die weit schwieriger aufzufinden sind als z. B. die Längslinien der Surirella gemma. Limaceen: Limax maximus. Harlnack'sches Immersionssystem. Ich habe die Schlundkopfmuskeln dieses Thieres einer sorgfältigen, auf das Erkennen der Fleisehtheilchen gerichteten Untersuchung unter- worfen, und bin zu folgenden Resultaten gekommen. Die dem unbe- waffneten Auge röthlich erscheinenden Muskelfasern sind sehr schmal, 0,004 bis 0,0065mni breit. Sie bestehen aus einer homogenen Scheide, in deren Innern man der Länge nach angeordnete Fleisehtheilchen wahrnimmt, jedoch konnte ich meisl nur eine Längsreihe erkennen. Diese Fleisehtheilchen boten häufig nur den Anblick von dunkeln Punc- ten dar. doch gelang es mir an einer Faser durch die sorgfältigste Gor- rection des Objectivs y stems und genaues Einstellen diese Gebilde als hellere Fleisehtheilchen mit centralen dunkeln l'uneten zu erkennen, wie ich sie auch sonst beschrieben habe. lleliceen. Ileli.r arbustorum. Muskelfasern aus dem Schlundkopfe zu isoliren , ist bei dem äus- serst geringen Durchmesser derselben unmöglich, so dass ich über die Länge derselben nichts Bestimmtes angeben kann. Ihr Durchmesser 40 Dr. Schön n, betrogt im Durchschnitte 0, 0 ! 29 mm und ich vermuthe nur, dass sie im Verhaltniss zu ihrer Breite sehr lang sind. Mit Sicherheit konnte ich eine Faser nur auf eine Strecke von 0,2mm verfolgen, wonach sie sich dem Blicke entzog. In Betreff der elementaren Zusammensetzung habe ich mich an den Schlundkopfmuskeln durch eine genaue Untersuchung davon überzeugt, dass ein wesentlicher Unterschied im Bau der Muskelfasern dieses Thieres, also wohl der Gastropoden überhaupt, und der Primitivbündel anderer Thierclassen nicht zugegeben werden kann. Die äussere homogene Hülle, also das Sarcolemm ist verhältnissmässig stärker als bei Arthropoden und Wir* belthieren, da der Streifen jederseits, welcher von den beiden durch das Sarcolemm und den contractilen Inhalt gebildeten Contouren eingeschlos- sen ist, wohl den achten Theil der Breite der ganzen Faser einnimmt. Un- mittelbar unter dem Sarcolemm befinden sich sehr langgestreckte Kerne, von denen die grössten eine Länge von 0,01 I6mm besitzen, während sie an der breitesten Stelle nur 0,0039 mm messen. Ob dieselben in ähnlicher Weise wie bei Arthropoden in Längsreihen angeordnet sind, muss ich unentschieden lassen, da ich höchstens drei als sicher zu einer und derselben Muskelfaser gehörig erkennen konnte. Der Zwi- schenraum zwischen zwei hintereinander liegenden Kernen pflegte ihre eigene Länge um das Doppelte und Dreifache zu übertreffen. Nur einmal sah ich zwei Kerne dicht nebeneinander und nur sehr wenig hintereinander liegen. In Betreff des contractilen Inhalts bieten die verschiedenen Muskelfasern die verschiedensten Ansichten dar. Fleisch- theilchen überhaupt, jedes einzelne mit deutlichen Contouren und schwarzem Flecke, sah ich in den meisten Fasern, aber die Menge der- selben variirte beträchtlich. Während in einigen Fasern in der Mitte eines deutlichen Canals nur eine Reihe von solchen der Länge nach hintereinander gelegen verlief, und der Canal nicht ganz von denselben erfüllt war, so zeigten andere von einem Contour zum andern drei bis vier Fleischtheilchen , aber diese lagen fast niemals in derselben Höhe (bei welcher Ausdrucksweise ich mir die Faser vertical denke) , so dass von eigentlicher Querstreifung keine Rede sein kann. Dagegen gelang es in den meisten Fällen, wenigstens zehn der Länge nach in gerader Linie gelegene Fleischtheilchen zu unterscheiden. Da die Theilchen nicht so gedrängt liegen, wie ich es bei Arthropoden und Wirbelthieren gefunden, so zeigen sie auch keine quadratische Ober- fläche, sondern fünfeckige oder sechseckige Formen. Obwohl sie an Grösse mit denjenigen der Arthropoden ziemlich übereinstimmen, in- dem ihr Durchmesser 0,0026 mm und darüber misst, so fallen sie doch weit weniger in die Augen , weil sie keine ausgedehntere zusammen— Anatomische Untersuchungen im Bereiche des Muskel- und Nervengewebes. 4 1 hängende Fläche im Gesichtsfelde einnehmen, so dass man nur stets denjenigen kleinen Streiten contractiler Substanz , auf den man gerade eingestellt hat, deutlich sieht und dort Fleischtheilchen erkennen kann, während alle übrigen Fasern homogen erscheinen, oder höchstens Hülle und Canal zeigen. II. Ueber die Endigungsweise der motorischen Nerven in den Muskelfasern. G e s c h i c h 1 1 i c he Einleitung. Selten ist wohl eine Frage, wenn dieselbe in hinreichend bestimm- ter Weise überhaupt aufgeworfen worden , in der modernen Wissen- schaft so lange streitig geblieben, wie die nach der Endigungsweise der motorischen Nerven. Diese auffallende Thatsache muss einen Grund haben, und dieser ist kein anderer als der, dass die Frage so lange un- entschieden bleiben musste , bis in den letzten Jahren unsere stärksten Systeme , insbesondere die Immersionssysleme , construirt wurden. Denn sie zeigten, dass es sich hier um so zarte und schwierig zu beur- theilende Structurverhältnisse handle , dass frühere Untersuchungen mit schwächern Objectiven die Sache nicht zur Entscheidung bringen konnten. Somit haben denn die ersten Untersuchungen über Nerven- endigungen von Valentin (1836), Emmert (1836), E. Blrdach (1837), Gerber, Glnther als solche gar keinen Werth, und zeigen nur, welche Ansichten sich die genannten Forscher a priori gebildet hatten. In Er- mangelung positiver, durch die Beobachtung verschaffter Gewissheit hält es denn auch C. G. Carls in seinem »System der Physiologie« für gut, im Allgemeinen alle möglichen Endigungsweisen zu erwägen , um sich dann für diejenige zu entscheiden, die in sein Schema der Nerven- leitung am besten passte. Die Nervenfasern können, so meint er, ent- weder mit stumpfem, geschlossenem Ende aufhören , wie das Blind- endchen eines absondernden Gefässes otier einer Lymphader, oder frei geöffnet wie ein durch Dehiscenz geöffneter Canal ( z. B. der Darm), oder sie hören überhaupt nicht eigentlich auf, sondern biegen sich nur schiin genartig um , laufen also auf irgend eine W^eise dahin zurück, woher sie kommen. Die erste von Carus als möglich hingestellte En- digungsweise wurde bis zur Mitte der dreissiger Jahre wohl allgemein angenommen; später glaubten die Physiologen, unter ihnen Carls, der Forderung des Hinströmens zu den peripherischen Gebilden und des Zurückströmens zu den centralen werde zweckmässiger durch schiin- genartige Umbiegungen genügt, so dass beide Strömungen sich in 42 ^r> Sch&nn, einer Faser darstellten, die nach centrifugalem Laufe einen centripe- talen annehme, und entschieden sich für ein solches Verhalten. Die dritte Möglichkeit, dass die Nervenfaser wie abgeschnitten aufhöre, ist mit Recht wohl niemals in Betracht gezogen worden. Aber wer sieht nicht, dass für diejenigen Forscher, die ein eigentliches Auf- hören der Nervenfaser negirten und somit auf dem richtigen Wege wa- ren, auch noch der Fall zu erwägen blieb, wo die Nervenfaser in ein peripherisches Gebilde übergeht. Hätte man sich bei dem Beispiele, das Carus für den zweiten Fall anführt, den Darm eben nicht als ein- fach geöffneten Canal vorgestellt, sondern daran gedacht , dass seine Wandungen continuirlich in die allgemeine Körperoberfläche übergehen, und ihn in dieser Beziehung als Beispiel betrachtet, so wäre das wahre Sachverhältniss in Betreff der Endigungsweise der motorischen Nerven doch wenigstens als möglich erkannt worden. So aber blieb es der Neuzeit und vor andern Kühne vorbehalten, das Verhalten der Ner- venfasern den Primitivbündeln gegenüber in seinen Grundzüeen richtig aufzufassen. Die Continuität der Nervenfasern und der Muskel- primitivbündel ist von Kühne, Margö, Edelmann erkannt worden, allein die Frage, welche Elementarl heile des Nervengewebes in die Muskelprimitivbündel übergehen und wie sich die Formelemente der Ner venprim i ti vf a s ern an den Vor- schmelzungsstellen zu den Elementen der Muskelprimi- tiv bündel verhalten, muss ich nach meinen Unt ersuchun - gen anders beantworten, als es b i s j e t z t geschehen. Ehe ich die Resultate meiner Beobachtungen gebe, will ich jedoch die Ergebnisse der Untersuchungen von Kühne , Kölliker und Edel- mann, deren hierauf bezügliche Arbeiten mir zugänglich waren, in Kürze mittheilen, während ich den Aufsalz von W. Krause ( Ueber die Endigung der Muskelnerven. Mit Tafel VI und VII in Henle's und Pfeufer's Zeitschrift für rationelle Medicin. Dritte Reihe. VIII. Band. 1863. p. 136) , sowie die Abhandlung von Thkodor Makgö (Ueber die Endigung der Nerven in der quergestreiften Muskelsubstanz. Mit 2 Tafeln. Pesth 1862) nur aus kurzen Inhaltsangaben in der Engel- MANNSchen Abhandlung kenne, auf die ich um so eher verweisen kann, als sie dort eingehend besprochen werden. Kühne beschäftigt sich in seiner Schrift »Ueber die peripherischen Endorgane der motorischen Nerven. Leipzig 1862« hauptsächlich mit dem M. sartorius, gastroenemius und M. cutaneus pectoris des Frosches und den Muskeln von Ihdrophilus. War er bei der Durchmusterung der Muskelprimitivbündel an eine für die Untersuchung günstig gelegene Nerveneintrittsstelle gelangt, so sah er einen Nerv vermittelst einer un- Anatomische Untersuchungen im Bereiche des Muskel- und Nervengewebes. 43 bestimmten Anzahl von Aesten festhaften. Sowohl an der Nervenfaser wie auch an den Aesten derselben, die er in ihrer Gesammtheit mit dem Ausdrucke »Nervenendbusch« bezeichnet, unterschied er deutlich die Schwann'sche Scheide . in der er bis zu den feinsten Aesten die etwas trübe und dunkel aussehenden Kerne erkannte; ebenso das Ner- veninark bis zum Herantritt an das Sarcolennu. Dann aber nahm er ein plötzliches Abbrechen der vom Marke herrührenden Contouren wahr. Hier durchbohren nach ihm die den Endbusch bildenden Fasern das Sarcolemm. Der sich etwas verbreiternde Axencylinder tritt klar und deutlich hervor, um meist nach zwei entgegengesetzten Richtungen hin nach einer Theilung an der Biegungsstelle zwischen dem contrae- tilen Inhalte und dem Sarcolemm zu enden. Diese blassen, intramus- culären Fäden sind mit Kernen besetzt, die kleiner und stärker granulirt erscheinen, als die sogenannten Muskelkerne und an einem Ende zuge- spitzt sind , und enden selbst gemeiniglich sehr scharf zugespitzt. » Neben diesen längeren Fortsätzen der in einem Nervenendbusch ent- haltenen Nervenfasern giebt es ausserdem noch äusserst kurze blasse Fäden, welche dann in der Regel mit einem einzigen an ihrem Ende aufsitzenden knospenähnlichen Körperchen aufhören. « Ueber den Bau dieser » Nervenendknospen« erfahren wir weiter von ihm : »Jede der- selben zeigt eine oder mehrere Einschnürungen , und an ihrem spitzen Ende einen kurzen büschelförmigen Ansatz , womit sie endet. In der Axe jeder Knospe aber verläuft ein feiner, heller, geschlängelter Faden, welcher durch eine Abspaltung aus dem Axencylinder entsteht, und der demnach einen, wenn auch sehr kurzen Stengel der Knospe bildet. An dem entgegengesetzten Ende geht dieser feine Faden in ein kleines, meist birnförmiges Körperchen über , das die Spitze der Knospe aus- füllt, und fast immer mit kleinen deutlichen Kügelchen erfüllt erscheint, welche sehr verschieden sind von dem feinkörnigen dunkeln Inhalt der übrigen Knospe. « Zu einer derjenigen von Kühne ganz entgegengesetzten Stellung gelangte Kölliker durch seine Untersuchungen (Zeitschrift für wissen- schaftliche Zoologie von Siebold und KöLLiKEn. Bd. XII. ) , als deren Resultat er ausspricht, »dass die ganze blasse End Veräste- lung aussen auf den Muskelfasern, d. h. dem Sarcolemm, ihre Lage hat.« Zuvörderst sei es ihm nämlich nie gelungen, irgend- wo ein Eindringen einer dunkelrandigen Faser zu sehen, und dann habe er sich mit Bestimmtheit davon überzeugt, »dass viele blasse Endfasern aussen auf den Muskelfasern liegen. « Diese blassen End- fasern sind nun nach Kölliker Verlängerungen der Hüllen und des In- haltes der dunkelrandigen Nervenröhren. Die zarte , gleichartige 44 Di"» Sdiöun, (Schwann'sche) Scheide der letztern, die also nicht in das Sarcoleinm der Muskelfasern übergeht, umhüllt eine blasse Fortsetzung des Ner- veninhaltes (des Nervenmarkes und des Axencylinders) und beide zu- sammen setzen die Endfasern zusammen. Kölliker glaubt nun, dass dieser blasse Nerveninhalt wohl vor Allem eine Verlängerung des Axencylinders sei , und da er an demselben zuweilen leichte Varicosi- täten und einen schwachen Glanz wahrgenommen, scheine es ihm, dass hie und da auch noch eine dünne Lage von Mark in die blassen End- fasern eintrete. In Kühne's Nervenendknospen erkennt er nur Zellen- kerne, die in allen Beziehungen mit den Kernen der Scheide der dun- kelrandigen Nervenröhren übereinstimmen. Eine Arbeit, die nach ihren Hauptresultaten der KüHNE'schen wie- derum weit näher steht, ist die von Engelmann: Untersuchungen über den Zusammenhang von Nerv und Muskelfaser. Mit i Kupfertafeln. Leipzig 1 863. Letzterer beschränkte sich nicht auf die Untersuchung der Muskeln des Frosches, sondern zog Thiere der verschiedenen Wir- belthierclassen in den Bereich seiner Beobachtungen. Auch an Insecten und Spinnen wurden Nervenendigungen von ihm untersucht. Als all- gemein gültiges Gesetz für Arthropoden und Wirbelthiere stellt er den Satz auf: »Der Nerv durchbohrt das Sarcolemm, setzt sich mit Verlust von Mark und Neurilemm zwischen Sarcolemm und quergestreifter Substanz fort und geht endlich ununterbrochen in die letztere über. « In allen Fällen betrachtet Engelmann nach ausdrücklicher Angabc den intramusculären Theil der Nerven als eine directe Fortsetzung des Axencylinders. Da ich nun gerade in diesem Puncte durch meine Un- tersuchungen zu andern Besultaten gekommen bin , indem ich nämlich der Ansicht bin, dass alles dasjenige, was Engelmann als intramuscu- lären Theil des Nerven, also als Axencylinder ansieht, mehr als die- ser ist, und dass Engelmann den wirklichen Axencylinder überhaupt nicht gesehen, wenigstens nicht beschrie- be n od e r ab g e b il-d et h a t, so will ich für die verschiedenen Thier- classen kurz diejenigen Stellen wiedergeben , aus denen mehr oder minder klar hervorgeht, welche Gebilde er für den modilicirten Axen- cylinder hält. Muskel und Nerv zeigen nach ihm bei den Fischen folgende Verhältnisse. Verfolge man eine Endfaser, welche an eine Muskelfaser herantritt, nach ihrem Ende zu, so sehe man, wie die Markscheide ganz allmählich verschwinde , das Neurilemm sei nicht mehr zu unterscheiden und man erkenne als Fortsetzung nur noch einen dünnen Streifen einer äusserst feinkörnigen Masse , die sich in der quergestreiften Substanz ohne Grenze verliere. Wo das Nervenmark mit deutlicherer Grenze aufhöre, könne man sich überzeugen, dass hier Anatomische Untersuchungen im Bereiche uVs Muskel- und Nervengewebes. 45 der Nerv herabsteige, das Sarcolemm durchbohre und sich innerhalb der Muskolfaser als kurzer, blasser Streifen fortsetze, um dann ohne Grenze in die Muskelsubstanz überzugehen. Ein hiervon abweichendes Verhalten zeigen nach Engelmann die Nerven der Amphibien. Die Endaste treten an das Sarcolemm he- ran und, während ihr Markgehalt verschwindet, setzen sie sich als blasse Fasern fort. Diese letztem, an denen nach Engelmann eine Fort- setzung des Neurilemms nicht zu unterscheiden ist, während sie mit zarten Kernen besetzt sind, und die er für identisch mit Köllikers blassen Endfasern erklärt, sollen nun unter dem Sarcolemm, zwischen diesem und der quergestreiften Substanz hinziehen. Eine scharfe Grenze zieht Engelmann zwischen den Fischen und Amphibien einerseits und den Reptilien, Vögeln und Säugern andrer- seits. Das Gemeinsame in der Nervenendigungsweise bei Thieren der zuletztgenannten Classen besteht darin, dass sich der Axencylinder (nach Engelmann) der Nervenfaser zwischen Sarcolemm und Neurilemm zu einer rundlichen Platte, der sogenannten Endplatte, verbreitert. Hören wir nun, was Engelmann in Betreff derselben mittheilt. — Bei den Reptilien tritt je eine dunkelrandige Endfaser an jede Muskelfaser heran, durchbohrt das Sarcolemm mit Verlust von Neuri- lemm und Mark und der Axencylinder verbreitert sich zu einer rund- lichen Platte von äusserst zart granulirter Masse, welche zwischen Sar- colemm und quergestreifter Substanz liegt und in die letztere über- geht. Bei den Vögeln besitzt die Markscheide des Nerven bis dicht an das Sarcolemm deutlich doppelte Umrisse. Nachdem der Nerv nun das Sarcolemm durchbohrt hat, breitet er sich flächenartig aus, geht in eine Nervenendplatte über, die, wenn sie ansehnlichere Dickendimensionen besitzt, durch Hervorwölbung des Sarcolemms einen Nervenhöcker bildet. Wie bei den Reptilien besteht die Nervenendplatte aus einer zart granulirt erscheinenden Masse, welche die directe Fortsetzung und Verbreiterung des Axency linders der herantretenden Nervenfaser ist. In Betreff der Säugethiere bemerkt Engelmann, dass die Nerven- endapparate fast vollständig denen der Vögel gleichen, im Allgemeinen nur etwas stärker entwickelt sind. Die Endplatten besässen nämlich in fast allen Fällen eine ansehnliche Höhe und einen starken Dicken- durchmesser, so dass man an den Muskelfasern der Säugethiere die ausgebildetsten Nervenhöcker antreffe. — Sowohl die Grösse der End- platten, als auch die Zahl der in dieselben eingelagerten Kerne schwanke innerhalb jeder der drei genannten Thierclassen in hohem Grade ; in 46 Dr. Scliöiin, allen Fallen glichen aber die in der Endplatte eingebetteten Kerne ge- nau den Kernen des extramusculären Nerven. Untersuchung, Saperda carcharias. Die Muskelprimitivbündel dieses Käfers lassen sich leicht isoliren und bieten so mit sehr verdünnter Essigsäure behandelt ein bequemes Object, Nervenendigungen zu studiren. Ich habe sowohl Schenkel- muskeln als solche aus dem Kopfe untersucht und kann die letztern besonders empfehlen, da sich die Primitivbündel derselben leichter und in bedeutenderer Länge isoliren lassen. Meine Untersuchungen an diesem Thiere, sowie an allen folgenden lassen mich auf die Seite derjenigen Forscher treten, welche ein Ein- treten der Nervenfaser in das Primitivbündel annehmen. Ich habe mich vorläufig dieses Ausdrucks bedient, weil er von Kühne gebraucht worden , der das Verdienst hat , dies Verhältniss von Nerv- und Mus- kelfaser entdeckt zu haben; muss jedoch sagen, dass ich nach meinen Beobachtungen nur von einem Verschmelzen von Nervenfaser und Primitivbündel sprechen kann. Fig. IX auf Tafel II der KüHNE'schen Schrift giebt ein gutes Bild auch für die Nervenendigungen von Saperda carcharias ab. Das Neurilemm der Nervenfaser setzt sich unmittelbar in das Sarcolemm des Primitivbündels fort. An dieser Verschmelzungs- stelle finden sich wohl stets an der Innenseite des Neurilemms grosse Kerne , gerade so wie an der Innenseite des Sarcolemms auch vorkom- men. Der vom Neurilemm eingeschlossene Inhalt geht wiederum con- tinuirlich in den vom Sarcolemm eingeschlossenen Muskelinhalt über. Den Axencylinder l) , welchen ich sonst oft in Form eines feinen, glän- zenden, häufig sich etwas schlängelnden Fadens innerhalb der blassen Endfasern (der Axencylinder Kühne's und Engelmann's] wahrgenom- men, habe ich an diesem Thiere nicht beobachtet. Nachdem das Verhältniss von Neurilemm und Sarcolemm erörtert worden, müssen wir jetzt das Verhalten der unmittelbar unter den genannten Gebilden befindlichen Kerne berücksichtigen. Kühne be- hauptet, der Axencylinder (die blasse Endfaser) verliere sich zuletzt in ') Ich will von vornherein bemerken, dass ich ein Gebilde für den Axen- cylinder halte, welches von Kühne und Engelmann nicht beschrieben worden, und das also durchaus nicht dasjenige ist, welches Kühne und Engelmann mit diesem Namen bezeichnen, da die Letztern die blassen Endfasern als Axencylinder an- sprechen, ich dagegen als Axencylinder umhüllt von einer feinen Markschicht und dem Neurilemm. Anatomische Untersuchungen im Bereiche erveugewebe. Günstig für die Untersuchung fand ich besonders den optischen Nerv von Helix pomatia, da derselbe von hinreichender Stärke ist und deutlich Neurilemm und Nerveninhalt geschieden zeigt. Schneidet man einer Helix pomatia die Spitze eines obern Fühlers etwas unterhalb des Auges ab und legt den Nerv, der zum Auge führt, durch Aufschlitzen des Fühlers bloss , so dass er an dem einen Ende ganz frei auf dem Objectträger liegt, so wird man finden, dass die neutralen Richtungen durch Längsrichtung und Querdurchmesser bestimmt werden. Als ich den Nerv unter -+- 15° orientirte, zeigten einige Stellen desselben, die durch das Deckgläschen etwas platt gedrückt und dadurch äusserst dünn geworden waren, keine Spur von Doppelbrechung. Während ich darauf den Nerv um seine Längsrichtung als Axe drehte, so dass nun das Licht an den erwähnten Stellen einen grössern Weg zu durchlaufen hatte, leuchteten diese hell auf. Somit war die Längsrichtung als Rich- tung der optischen Axe der Nervensubstanz festgestellt. Um nun den Charakter der Doppelbrechung zu erkennen, schaltete ich ein Gyps- 5"^ Dr. Scliönii, blättchen von Roth II. Ordnung, mit seiner Axe ebenfalls unter -f- 5,5° orientirt, ein. So bei gekreuzten Polarisationsebenen der Nikol'schen Prismen und parallelem Verlaufe der Axen erniedrigte die Nervensub- stanz das Roth II. Ordnung des Gypsgrundes zu einer Farbe II. Ord- nung zwischen Orange und Gelb Dagegen stieg das Roth II. Ordnung zu Indigoblau III. Ordnung, als die optische Axe der Nervensubstanz und die Axe des verzögernden Blättchens mit einander einen rechten Winkel bildeten. Hieraus ergiebt sich der negative Charakter der Doppelbrechung für die N er ven Substanz der Mollusken. Das Neurilemm zeigte nach Einschaltung des Gypsblättchens die entgegengesetzten Farben, Rlau , wenn der Nerveninhalt gelb erschien, und Gelb, wenn die Nervensubstanz den rothen Gypsgrund blau färbte. Während aber bei parallelen Axen die bläuliche Färbung des Neuri- lemms auf dem rothen Grunde wenig auffällig war, holten sich dage- gen bei gekreuzten Axenrichtungen des Gypsblättchens und des Neuri- lemms die zarten gelben Contouren der Nervenscheide deutlich von dem rothen Grunde ab. Nehmen wir an, dass die optische Axe des Neurilemms, deren Lage ich nicht zu bestimmen vermochte, durch die Längsrichtung gegeben sei , wie es ja bei so vielen organischen Gebil- den der Fall ist , so würde man das Neurilemm nach seinem Verhalten gegen das Gypsblättchen für einen positiven Körper halten müssen. Cutieuln. Epithel. Bindegewebe. Ehe ich die Erscheinungen beschreibe, welche Cuticula , Epithel, Muskel- und Bindegewebe dort hervorrufen, wo diese Gebilde so mit- einander verbunden erscheinen , dass man die optischen Eigenschaften der Elemontarbestandtheile zu gleicher Zeit übersehen und vergleichen kann, will ich vorweg einiges über die optische Axe der Cuticula be- merken. Bei der homogenen, structurlosen Beschaffenheit und der nach allen Seiten unterschiedslosen Lagerung der einzelnen Schichten derselben auf der Oberfläche anderer Gebilde wüFde nur der Perpen- dikel auf der unter der Cuticula liegenden Schicht eine ausgezeichnete Richtung sein. Da nun die Cuticula das Licht doppell bricht, so möchte man vielleicht vermuthon , dass die optische Axe durch diesen Perpen- dikel bestimmt werde. Allein dies scheint nicht der Fall zu sein: viel- mehr glaube ich, dass die Spannungsverhältnisse der Cuticula und somit die Richtung der optischen Axe von der Form und Struclur der darunter Liegenden Schicht abhängen. So erkannte ich zum Beispiel, dass die optische Axe der Cuticula unter den Zahnen der Radula von Linmaeus slagnalis durch die Längsrichtung der letztern bestimmt wird. Denn während die Cuticula bei senkrechten Polarisationsebenen der Uatersuchung der Gewebe der Mollusken in polarisirtem Lichte. r><) Nikol'schen Prismen ;m einigen Stellen Weiss mit etwas Grün, an an- dern Stellen Gelb zeigte, so stiegen diese Farben auf Orang egelb und Orangeroth, sobald ich den Objectträger um eine Axe dichte, die der Längsrichtung der Radula entsprach. Durch die Einschaltung eines verzögernden Blättchens stellte sich darauf dw Charakter der Doppel- brechung als positiv heraus. Betrachten wir jetzt die oben genannten Gewebe im Zusammen- hange. — Stellt man einen feinen Längsschnitt aus der in Alkohol er- härteten Schlundkopfwandung von Limnaeus stagnalis her, so unter- scheidet man von aussen nach innen , d. h. von der Leibeshöhle zur Mundhöhle, zuerst eine Bindegewebsschicht , darauf die Muskelschicht des Schlundkopfes ; auf diese Muskelschicht folgt ein Epithel , dessen Cylinderzellen weit grösser als diejenigen der äussern Haut sind , und gegen die Mundhöhle begrenzt sich die Wandung des Schlundkopfs durch eine stark entwickelte Cuticula. Die Anwendung polarisirten Lichtes ergiebt nun, dass die genann- ten Gebilde alle das Licht doppelt brechen. Da nun nach Einschaltung eines Gypsblättchens Cuticula , Muskelschicht und diejenigen Binde- gewebsfasern , welche denselben Verlauf wie die Muskelfasern haben, wenn die Längsrichtung der Muskelfasern der Ave des Gypsblättchens parallel verläuft , die Farbe zu gleicher Zeit erhöhen , so ist damit für die als positiv erkannte Cuticula nachgewiesen, dass tue optische Axe derselben auch in diesem Falle durch eine darunter befindliche Schicht bestimmt wird und zwar durch die Längsrichtung der Schlundkopf- wandung. In Betreff des Bindegewebes würde andererseits der positive Charakter nachgewiesen sein , wenn man annimmt, dass die optische Axe durch die Längsrichtung gegeben ist, was allerdings sehr wahr- scheinlich ist. Macht man die gleiche Annahme für die Epithelzellen, welche mit ihrer Längsrichtung senkrecht auf den Muskelfasern stehen und nach Einschaltung eines Gypsblättchens die Farbe erniedrigen, wenn die Muskelfasern dieselbe erhöhen und umgekehrt, so würden auch diese als positive Gebilde anzusehen sein. Embryonale üebihle. Das polarisirte Licht ist ein Mittel, gewisse Gebilde schon beim ersten Auftreten während der Entwicklung eines Organismus gewahr zu werden , in einem Stadium , wo sich dieselben in gewöhnlichem Lichte der Wahrnehmung durchaus noch entziehen, da sie sich von den sie umgebenden Organen nicht unterscheiden , oder wenigstens noch keine scharf abgegrenzten Umrisse darbieten. So muss sich die Bil- dung des Gehäuses der Mollusken von der ersten unbedeutendsten 60 Dr. Seliönn, Untersuchung der Gewebe der Mollusken in polarisirtem Lichte. Kalkablagerang an verfolgen lassen. Ich habe das Auftreten der rudi- mentären Schale bei Limax agrestis allerdings nicht vom ersten Ent- stehen derselben an beobachtet, weil ich zu der Zeit, da die Embryonen sich in dem entsprechenden Stadium ihrer Ausbildung befanden, keine Gelegenheit hatte , polarisirtes Licht anzuwenden. Allein das Bild der im gewöhnlichen Lichte kaum sichtbaren Schale war so leuchtend und prächtig gefärbt, zeigte so scharfe Umrisse, dass ich überzeugt bin, die Schale müsse auch im ersten Entstehen deutlich wahrgenommen wer- den können. Somit würde das polarisirte Licht den Beobachter befähi- gen, au dem Embryo Seiten zu bestimmen, zu einer Zeit, wo er zwar nicht mehr kuglig ist , aber in gewöhnlichem Lichte die Gegend des Schildes nicht als solche erkannt werden kann; hat man aber erst einen Ausgangspunct, so ist schon viel für die Orientirung gewonnen. — Ge- ringere Vortheile gewährt das polarisirte Licht in Betreff der Badula. Auch sie ist doppelbrechend und hebt sich bei gekreuzten Polarisations- ebenen der Nikol'schen Prismen in mattem Lichte von dem schwarzen Grunde ab. Jedoch bricht sie das Licht nur schwach doppelt, so dass die erste Anlage derselben sich wohl schwerlich sichtbar macht. — Anders verhält es sich wieder mit den Gehörbläschen , die sogleich als solche erkannt werden müssen, sobald nur wenigstens ein Otolith in denselben enthalten ist. Die Nerven der weiblichen Geschlechtsorgane des Kaninchens. E i n e ;i q a t o m i s c h c LI n t e r s u c h u n g von F. Prankenhäuser. (Iliczu Tafel II. und III.) Geschieh tli c lies. Vor etwa 2 Jahren begann ich Versuche mit elektrischer Reizung der Uterinnerven beim Kaninchen in dein Glauben , dass dazu die uns bekannten anatomischen Daten über die Uterinnerven des Weibes und die Untersuchungen von Kii.ian über die Nerven der Gebärmutter des Kaninchens als Basis dienen könnten, bei näherem Studium der Quellen aber und bei fortgesetzten Versuchen kam ich zu der Ein- sicht, dass die anatomische Grundlage selbst da, wo nur die gröbein Verhältnisse in Betracht kamen, doch oft unsicher war, indem sich na- mentlich die neuesten Forschungen vielfach widersprachen, oder indem bücken blieben, die bei den physiologischen Versuchen störend em- pfunden wurden. Ich beschloss deshalb zunächst durch eine selbst- ständige anatomische Untersuchung des Uterinnervensystems mir ein Urtheil über die verschiedenen divergirenden Angaben zu verschallen, oder mir selbst eine sichere Basis für meine physiologischen Versuche zu gewinnen. Wenn ich nun auch noch nicht das mir vorgesteckte Ziel erreicht und die Nerven bis in die Schleimhaut der Gebärmutter verfolgt habe, so sind mir doch ihre Wege bis in die Geschlechtsorgane, ihre Verbindungen untereinander und die Formen, unter denen sie auftreten, dabei bekannt geworden, und da diese Puncle gerade für die physiologischen Versuche die wichtigsten sind, über dieselben aber Weniges bekannt ist, so wird dadurch schon die zeitige Veröffentli- chung dieser Arbeit gerechtfertigt sein. Ein weiterer Grund dafür liegt darin , dass gerade in letzterer Zeil verschiedene physiologische Arbei- 62 Fi Frankenhäuser, ten bekannt wurden, die widersprechende Resultate ergaben und deren Widersprüche ohne eine genaue Kenntniss der anatomischen Verhält- nisse nicht wohl beurtheilt werden können ; endlich werden voraus- sichtlich noch vielfache Untersuchungen gemacht werden müssen, wenn die wichtigsten Fragen der Physiologie der Schwangerschaft und der Geburt gelöst werden sollen, und dazu ist die genaue Bekanntschaft mit der Anatomie des Geschlechtsnervensystems eines so zugänglichen Ver- suchsthieres, wie das Kaninchen ist, am wünschenswerthesten. Die einschlägliche Literatur über das üterinnervensystem des Menschen habe ich vorher sorgfältig durchmustert, da die analogen Verhältnisse desselben für uns wichtig sind, wenn wir aus Versuchen. die an Kaninchen angestellt wurden , Schlüsse für die Physiologie des Menschen ziehen wollen , und eine kurze kritische Besprechung dieser Arbeiten wird deshalb zweckmässig sein. Wenn wir von den ältesten Arbeiten des Vesale , Eustach , de Graaf, Haller, Hunter u. s. w. absehen, finden wir als erste bedeu- tendere die Tab. nervorum uteri von Tiedemann , die 1 822 erschienen sind und noch jetzt immer wieder in deutschen geburtshülfliclien Lehr- büchern abgedruckt werden. Sie stellen im Ganzen richtig den Ur- sprung der Uterinnerven aus drei Quellen dar, aus dem PL spermaticus, aus dem PL hypogastricus , oder wie er bei Tiedemann heisst, PL uter. communis, und aus dem 3. und i. Kreuzbeinnerven. Sie sind aber dadurch unrichtig oder mangelhaft, dass eine grosse Menge von Nerven mit wegpräparirt sind, z. B. auf der Aorta, wodurch der Zusammenhang des PL solaris mit dem Ganglion mesent. verloren geht, dass an der Gebärmutter nur die subperitonealen Zweige sichtbar sind, dass die Verbindung der Uterinnerven mit dem Nervensystem des Mastdarms gar nicht sichtbar ist und dass endlich die Kreuzbeinnerven nur als kleine, in eine ganglionäre Masse eintretende Nerven dargestellt werden, von denen es zweifelhaft bleibt, ob sie wirklich an die Gebärmutter gehen. Im folgenden Jahre 1823 erschien eine Arbeit von Lobstein: De nervi sympathetici humani fabrica, usuetmorbis, die insofern einen Bück- schritt darbietet, als in ihr die Sacralnerven für die Gebärmutter ge- leugnet werden. Nun kommen für längere Zeit keine neuen Untersuchungen , man hielt, zumal in Deutschland, wohin sich auch die späteren Arbeiten wenig verbreiteten, die Sache durch Tiedemann's Arbeil in ihren gröbe- ren Zügen für abgethan, stritt nur darüber, ob die Sacralnerven sich vorzüglich an den Muttermund und den Hals, die Tlex. hypogastric. an den Körper begeben, ob überhaupt Nerven in den Hals oder in das Muskelgewebe der Gebärmutter eintreten, und als endlich 1851 eine Die Nerven der weiblichen Geschlechtsorgane des Kaninchens. 63 neue Arbeit von Robert Lee erschien ') , die zuerst einen grossem Reichthum an Nerven für die Gebärmutter behauptet, so erweckte gerade dieser Umstand seiner Arbeil eine Menge Gegner, welche die dargestellten Nerven für Bindegewebe erklärten , eine Behauptung, die noch jetzt vielfach wiederholt wird, die, wie mir scheint, ihren Grund aber vorzüglich nur in dem Festhalten an Tiedemann's Arbeit und in dem Mangel neuer deutscher Untersuchungen hat. Denn seit 1822 bis heute ist, soviel mir bekannt, keine neue Darstellung des Ulcrin- nervensx Steins in Deutsehland publicirt worden. Für ein so wichtiges Organ ist das fast unbegreiflich ! — Mehr haben die Engländer diesem Gegenstande Fleiss zugewandt; die LEE'sche Arbeit, deren Tafeln aller- dings ihren Gegenstand nicht so klar darstellen wie tue Tafeln Tiede- mann's, was ihrem Eingang wohl ebenfalls hinderlich war, giebt ausser dem grössern Nervenreichthum als neu ein grosses Ganglion an jeder Seite des Gebärmulterhalses, auf welches grosses Gewicht gelegt wird. Die Kreuzbeinnerven sind etwas stiefmütterlich behandelt, überdies nicht in ihrer Lage gezeichnet und deshalb unklar. — Auch das fol- gende Jahr veröffentlichte Lee eine Arbeit , die seine ersten Angaben wesentlich bestätigte. — 1845 erschien eine Arbeit von Clav, die ich nicht gesehen habe, die aber nichts Neues zu enthalten scheint, da sie nirgends citirt wird. In demselben Jahre wurde aber auch noch eine Arbeit von Sxow-Beck veröffentlicht 2), die sich wesentlich dadurch von der LEE'schen unterscheidet, dass sie die grossen Halsganglien der Gebärmutter, welche Lee so bestimmt beschrieb, leugnet und nur meh- rere kleine zulässt. Uebereinstimmend aber mit Lee stellen die Tafeln einen ungemeinen Reichthum von Nerven in der Gebärmutter dar, einen noch grössern, als ihn Lee für dieselbe behauptete. Die Zeichnungen sind zwar etwas klarer, aber die Nerven ebenfalls nicht in ihrer Si- tuation dargestellt. In dieser Arbeit wird nun aber auch wieder be- hauptet, dass die Kreuzbeinnerven nicht zur Gebärmutter, son- dern nur zur Blase und Scheide gingen, eine Behauptung, von der uns Snow-Becks eigene Abbildungen nicht überzeugen , die jedoch auch in der folgenden Arbeit, in Longet's 1819 erschienener »Anatomie und Physiologie des Nervensystems« auftritt, in welcher ebenfalls die Gebärmutternerven besprochen und ihr Ursprung aus den Kreuzbein- ästen geleugnet wird. Wie sich aus dem Werke ;'j ergiebt, muss Longet eigene Untersuchungen über diesen Gegenstand vorgenommen haben, i) Philosoph. Transact, 1841. XVIII. und 1X42. XI. 2) Philosoph. Transact, 1845. XVI. ;') Uehersetz. Heins, zweiter Band. p. .73. 64 E> FrankenMuser, denn er sagt, dass er niemals Nerven , die unmittelbar von den Kreuz- beinästen zur Gebärmutter verlaufen sollten, gefunden habe. Ich weiss aber dennoch nicht, ob dies Suchen ein ernstes war, jedenfalls hat die ganze Darstellung der Nerven der Gebärmutter, wie sie Longet giebt, mehr nur referirenden Charakter und ist uns deshalb von weniger Wichtigkeit. Als ein ähnliches Werk will ich gleich hier die »Neurolo- gie descript. et iconographie du Systeme nerveux« von Hirschfeld und Leveille betrachten, die erst 1 853 in Paris erschien und auf Tafel 12 die Gebärmutternerven behandelt. Die Darstellung ist zwar eine selbst- ständige und hat das Gute, dass der Zusammenhang der Gebärmutterner- ven, Mastdarmnerven und Blasennerven uns deutlicher vor die Augen tritt; sie stellt auch Zweige dar, die von dem 3. und 4. Kreuzbeinnerven zu den Plexus des Mastdarms treten und das untere Ende der Scheide und der Blase fast ganz bedecken; aber wie die Nerven zur Gebärmutter selbst treten, wie sie sich in ihr verzweigen etc. , das wird nicht deut- lich; das Präparat ist viel zu wenig ausgearbeitet, und die bildliche Darstellung wirklich zu einseitig, als dass sie uns ein klares Bild geben könnte. Zu Untersuchungen geben diese Tafeln übrigens gar keine Anhaltepuncte , ebensowenig wie die Arbeit von Jobert »Recherche® sur la disposition des nerfs de TUtenis«1), in welcher hauptsächlich der Verlauf der Nerven im Cervicaltheil besprochen wird. Endlich verlangt noch die Arbeit von Franz Kilian, über das Nervensystem der Gebärmutter, eine weitere Betrachtung, da sie die letzte grössere ist , und überdies das Kaninchen speciell berück- sichtigt, welches Thier dem Verfasser ebenfalls zu physiologischen Versuchen diente. Diese Arbeit Kilian's erschien 1851 im 10. Bande der Zeitschrift für rat. Medicin und führt die Ueberschrift »die Nerven des Uterus«. In fast allen, auch den neuesten Lehrbüchern über Histo- logie (im spec. der Gebärmutter) wird diese Arbeit als eine sehr sorg- fältige und zuverlässige bezeichnet und ihre Angaben werden durchaus als richtig hingestellt. Leider kann ich diese Meinung nicht ganz thei- len und muss nicht nur den Untersuchungen Kilian's über die feinere Structur der Uterusnerven vielfach widersprechen, sondern ihn auch wegen der gröberen histologischen Verhältnisse ziemlich grober Irr- thümer zeihen. In dem Capitel . Ursprung der Uterinnerven, p. i(> referirt er zu- nächst über die ältesten Ansichten von Galen und Vesale. kommt dann auf die Arbeiten \on Willis, von Longet und Snow-Beck und sagt dann p. 50, »Eine Entscheidung für oder wider die Lehre vom doppel- ') Memoires de l'Academie des sciences. Tome S. Die Nerven der weiblichen Geschlechtsorgane des Kaninchens. 65 ten Ursprung der Uterinfasern lässt sich anatomisch nur durch die Mi- kroskopie gewinnen. « Was er darunter versteht, geht aus den nächsten Zeilen ziemlich deutlich hervor, er glaubte nämlich damals, dass ein anatomischer Unterschied zwischen sympathischen Nerven und Rü- ekenmarksnerven bestehe, gab aber zu, dass seine auf diese Annahme basirten Untersuchungen kein Resultat ergeben hätten. Hätte er aber den sympathischen Hauptstamm nur einmal genau untersucht, so würde er schon in diesem genug breite Fasern gefunden und deshalb die Fortsetzung seiner Untersuchungen nach dieser Richtung hin auf- gegeben haben. Einen andern und einfacheren Weg die Frage zu ent- scheiden , nämlich einfach durch Verfolgen des ganzen Verlaufs der Rückenmarks- und der sympathischen Zweige wählte er nicht : ja es scheinen selbst die Angaben , die er über den Verlauf der Nerven in den Hörnern macht, ganz oberllächlicher Natur. Er sagt darüber p. 53, » die Uterinfasern sammeln sich an der unteren Cervicalpartie und stei- gen sodann von hier aus in einem gemeinschaftlichen Stamme immer nur einige Linien vom Hörne entfernt ganz parallel mit diesem bis an das Tubarende desselben und auf diesem Wege schickt dieser Haupt- stamm in verschieden grossen Zwischenräumen quere Aeste zum Hörne selbst hinüber, die wiederum mit Querästen der Gefässe . die vom Hauptgefässe her an den Uterus ziehen , das Mesometrium durchsetzen. Je mehr sich dieser Nervenstamm dem oberen tubaren Ende des Hornes nähert, um so schwächer ist er durch die vielen Theilungen geworden, um so schwächer sind die Queräste, um so weniger entwickelt sind die Primitivfasern des Hauptstainmes und der Queräste. « Wie wir später sehen werden, ist von alledem fast nichts richtig und es bleibt mir fast unerklärlich , wie er zu dieser Reschreibung gekommen ist. Wie mir scheint, hat er nur den Endverlauf der Nerven im Mesometrium und wahrscheinlich nur an neugebornen Thieren untersucht. Dafür spre- chen erstens seine eignen Worte, denn er sagt selbst p. 56: »Ich über- ging die mittleren Strecken des Verlaufs und suchte erst ziemlich in der Nähe des Uterus zwischen dem Lig. latis die Faserstämmchen wie- der auf, wo sie unzweideutig an kein anderes Organ mehr laufen als an den Uterus, u Dann spricht zweitens dafür der Umstand, dass er die Ganglien, die in den in der Nähe der Kreuzbeinnerven liegenden Aesten massenhaft vorkommen , und dort fast nicht zu übersehen sind , ganz läugnet. Wahrscheinlich hat er die Strecke des Uterinnervenverlaufs, welche den zwei unteren Dritteln der Scheide entspricht, gar nicht un- tersucht. Das ist eigentlich das Hauptsächlichste, was er über den Ur- sprung der Uterinnerven sagt und es bleibt demnach auch nach diesen Untersuchungen eine offene Frage, ob vom Kreuzbein aus direct Nerven Baud II. 1. 5 ßß F. Krankenhäuser, zur Gebärmutter gehen , oder ob die fraglichen Stämme ihre Zweige nicht nach anderen Organen , z. B. der Blase , dem Ureter etc. schicken. Dennoch finden wir fast in allen neueren deutschen Lehrbüchern der Geburtshülfe die Angabe , dass die Uterinnerven aus dem sympathi- schen Nervensystem und aus den Kreuzbeinnerven abstammen, wie ich schon erwähnte wahrscheinlich eine Folge der Darstellung in den Tie- nEMANN'schen Tafeln, obgleich gerade diese Frage von demselben nur scheinbar gelöst ist. Neuere anatomische Untersuchungen sind aber bisher nicht über diesen Gegenstand erschienen. Erst in einer Arbeit, die ich im ersten Bande dieser Zeilschrift 1864 veröffentlichte: »Die Bewegungsnerven der Gebärmutter«, gab ich zur Erklärung der dort beschriebenen physiologischen Versuche eine kurze Darstellung des Uterinnerven- systems in seinen gröbsten Umrissen und versprach die schon damals zum Theil fertige und hier folgende Arbeit. Kurz nach Veröffentlichung jener ersten Arbeit jedoch wurde mir schon eine Dissertation aus Bres- lau von Dr. Körner durch Professor Heidenhain zugesendet , welche Ganglien in dem zur Gebärmutter gehenden Nervengeflecht beschrieb. Auch ich hatte diese Ganglien gefunden, gestehe aber gern zu, dass die Dissertation von Dr. Körner, die mir ganz unbekannt geblieben war, die Entdeckung früher veröffentlichte als ich und überdies mit viel mehr Details. Ganz kurze Zeit später erschien endlich noch eine Arbeit von Kehrer »Beiträge zur vergleichenden und experimen- tellen Gel) urts künde«, die ebenfalls diese Ganglien beschreibt. Diese Ganglien , die überdies fast überall auftreten , wo sympathische Fasern sich finden , werden demnach jetzt kaum noch bezweifelt wer- den, wie es von Franz Kilian geschah. Neben Untersuchungen über die Ganglien des Uterinnervensystems, die eigentlich hier weniger in Betracht kamen, enthalten aber, und das ist mir hier das Wichtigste, die letzterwähnten Arbeiten von Körner und Kehrer auch noch Angaben über den Verlauf der Uterinnerven beim Kaninchen, mehreren andern Säugethieren, sowie bei dem Men- schen. Ueberdies finden sich in beiden Abhandlungen Abbildungen, die jedoch beide wohl keinen Anspruch auf grosse Genauigkeit machen. Die KüRNER'sche Arbeit hat den Nervenverlauf am wenigsten genau an- gegeben, denn zunächst ist das wichtige Ganglion mesent. post., wel- ches ganz constant vorkommt, ganz übersehen, ebenso wie das Ganglion welches sich zu beiden Seiten des Mastdarms findet und die Verbin- dung zwischen den Kreuzbeinnerven und den sympathischen Nerven vermittelt. Dann sind die Zweige nicht erwähnt, welche direct vom Sympathicus in die breiten Mutterbänder einstrahlen , ferner nicht die Die Nerven der weiblichen Geschlechtsorgane des Kaninchens. (17 Geflechte, die dem Mastdarm anliegen, und endlich sind auch die aus dem i. Kreuzbeinloch zur Gebärmutter tretenden Nerven gar nicht be- rücksichtigt. (Jeberhaupt kann man sich nach der Beschreibung kein rechtes Bild über den Nervenverlauf machen , was wohl darin seinen Grund hat, dass es gar nicht die Absicht des Verfassers war, eine de- taillirte Beschreibung zu geben, die physiologischen Versuche waren ihm die Hauptsache. Kehrer's Darstellung des Uterinnervensystems des Kaninchens , die er p. 3 ziemlich kurz giebt, ist im Ganzen richti- ger, er kennt das Ganglion mesent. , dagegen nicht die Ganglien seit- lich der Scheide, die die Verbindung mit den Kreuzbeinnerven dar- stellen , er nennt als Kreuzbeinnerven nur die aus dem zweiten und dritten Loch hervortretenden und kennt den Verlauf derselben nach der Gebärmutter nicht näher. Auf p. 6 sagt er dies ganz deutlich: »Ob und welche Fasern von den einzelnen Gangliengruppen der Genital- geflechte zu dem Bückenmark oder den Grenzsträngen des Sympäthieus hinziehen oder im Genitalsyslem sich verbreiten, bleibt weiteren mi- kroskopischen Versuchen vorbehalten. « Das ist ungefähr alles Haupt- sächliche, was ich in der Literatur über diesen Gegenstand vorgefun- den habe. Eine durchgehends ausführliche anatomische Behandlung fehlt ganz sowohl bei Kilian, wie bei Körner und Kehrer ; die Verbrei- tung der einzelnen Nervenbahnen in den breiten Mutterbändern ist nirgends angegeben und es bleibt darnach die Frage anatomisch noch ganz offen, ob Bückenmarksnerven überhaupt direct zur Gebär- mutter gehen. Auch die zur Scheide tretenden Nerven bedürfen noch einer genaueren Untersuchung, da sie bisher, durchaus nicht entspre- chend der Wichtigkeit des von ihnen versorgten Organes, sehr mangel- haft untersucht worden sind. Endlich sind noch eine ganze Anzahl Fra- gen über die histologischen Verhältnisse der berührten Nervenparthieen einer erneuten Durchforschung bedürftig ; zumal der vielfach ventilirte Punct, ob die Kreuzbeinnerven zum Cervicaltheil, die sympathischen Nerven zum Körper der Gebärmutter gehen. Beschreibung der Nerven. Ehe ich zur speciellen Beschreibung der Uterinnerven übergehen kann , muss ich jedoch nothw endigerweise Einiges über die äussere Gestalt, die Lage, die Texturverhältnisse der Geschlechtsorgane beim Kaninchen vorausschicken, was zum Theil nur dazu dienen soll, die nachfolgende Besprechung klarer zu machen , zum Theil erwähnt wer- den muss, weil es mir neu und wichtig für eine Einsicht in die Func- tionen der besprochenen Organe erscheint. Die nachfolgende Bcschrei- b'8 F. Krankenhäuser, ]>ung werde ich überdies immer mit Rücksicht auf vorzunehmende Yivisectionen geben und denke mir deshalb das Thier auf dem Rücken liegend und mit dem Kopf nach links, in welcher Lage die Rezeiehnun- gen auch mehr den bei Menschen gebrauchlichen entsprechen. Oeffnet man die Rauchhöhle des Kaninchens, so tritt uns die nicht selten ausserordentlich ausgedehnte Rlase entgegen, die selbst bis hinauf zu den Rippen reichen kann und desshalb leicht beim Einschnei- den verletzt wird. Sie ist in diesem ausgedehnten Zustande ohnedies ausserordentlich dünnwandig und sieht nach ihrem Inhalte gelb aus. Ist die Rlase durch Druck entleert, so schrumpft sie bis auf einen etwa 8/4 Zoll langen Anhang der vordem Scheidewand zusammen. Die Ge- barmutter und Scheide kommen uns aber erst dann vollständig zu Ge- sicht , wenn wir alle Darmschlingen auf eine Seite . ich will sagen auf die linke des Thieres , gelegt haben. Rreitet man dann den Mastdarm noch in einem Rogen nach links aus, wie das Fig. 1 zeigt, so kann man die zu den Gesehlechtstheilen gehenden Gefässe und Nerven am deut- lichsten übersehen. Wir sehen dann, dass die Gebarmutter zweihörnig ist (Taf. II, Fig. 2), dass die Hörner zwar nur auf eine ganz kurze Strecke, etwa y4 Zoll lang aneinander lagern, aber getrennt in die Scheide münden, die durch die zwei Scheidentheile hier etwas aufge- trieben ist (Fig. 2, C). Die Hörner sind bei einem erwachsenen, nicht trächtigen Thiere gewöhnlich 2 % Par. Zoll lang und setzen sich zu bei- den Seiten in die mit ihren Schlängelungen etwa 3 Zoll langen Tuben fort. Letztere unterscheiden sich von den Hörnern durch eine dunklere Farbe und dadurch, dass sie auffallend dünner sind als die Hörner- sie gehen nach beiden Seiten bis zu den Eierstöcken, die unterhalb der Nieren durch das Peritoneum befestigt sind. Die Scheide beginnt ober- halb des Reckens, geht durch dasselbe hindurch und erstreckt sich noch etwa 3/4 Zoll unterhalb der Schamfuge desselben. Sie liegt auf dem Mastdarme auf, mit welchem sie oberhalb des Reckens durch das Peri- toneum (was bei Fig. 2, D eine Tasche bildet und dadurch den Douglas1- schen Raum erzeugt) vereinigt wird; unterhalb des Peritoneums wird sie dagegen mit dem Mastdärme nur durch eine Rindogewebshülle ver- einigt, die beide Organe auch mit der Umgebung in Verbindung setzt. Die Grenze des Peritoneums ist der obere Symphvsenrand (Fig. 2, E). Durch die erwähnte Rindegewebsverbindung bekommt Mastdarm und Scheide im Recken und unterhalb desselben das Aussehen eines einfachen Schlauches (Fig. 2, G). Am untern Finde dieses Schlau- ches sieht man aber deutlich die doppelten Oeffnungen, Fig. 2, // den Scheideneingang und / die Afteröffnung. Neben I ist die Mast- darmtasche K mit der Mastdarmdrüse L sichtbar. Will man diese Die Nerven der weiblielien Geschlechtsorgane des Kaninchens. (19 Verhältnisse im Ganzen übersehen, so reichl dazu eine Eröffnung der Bauchhöhle nicht aus, sondern man muss noch das Bocken in der Symphyse trennen und zwar kann diese Trennung auch am lebenden Thiere ohne allen Blutverlust vorgenommen werden. Um dies zu er- reichen, verlängert man den Hauptschnitt nach unten Über die Sym- physe hinweg, dann etwas nach rechts ausweichend um die eine Seite der äusseren Geschlechtstheile herum, schiebt dann einen kleinen Klotz unter das Kreuzbein des aufgebundenen Thieres, spannt dadurch die Schenkel und trennt mit einem Messer oder mit einer Knochenscheere, deren eine Branche man unter die Schamfuge führt, die gespannte Symphyse. Eine Verletzung des Venengeflechtes M der Scheide (Fig. II, HI), welches gerade unter der Symphyse liegt, kann mit eini- ger Vorsicht vermieden werden. Das weitere Auseinanderklaffen der Symphyse wird nun noch durch die Schenkel der Clitoris gehemmt, von welchen man den einen durchschneiden muss, wie es in Fig. II. N geschehen. Jetzt kann man das rechte Seitenbein 0 vollständig in der Kreuzbeinfuge luxiren und nach aussen biegen, wobei nur noch wenige Bindegew ebsbündel zu trennen sind ; oder will man noch einen besseren Blick in die Tiefe des Beckens gewinnen, so kann man auch noch einen Theil des horizontalen Schambeinastes und aufsteigenden Sitzbeinastes nebst ihren Weichtheilen mit der Knochenscheere ent- fernen, was ebenfalls ohne jede Blutung geschehen kann. Man über- sieht jetzt die eine Seite (nach Fig II die rechte) der Geschlechtstheile in ihrer ganzen Länge. Die Blase P geht unmittelbar in die Scheide über, an der Seite der Scheide wird die Bartholinische Drüse Q sicht- bar, und die Muskeln, Gefässe und Nerven des Beckens liegen zu Tage, wenn das Object ein günstiges ist, d. h. wenn das Thier nicht fett ist und nicht, wie das freilich sehr häufig der Fall , sich Blasenwürmer in dieser Gegend finden. Die breiten Mutterbänder werden zum Theil von den zwei Platten des Peritoneums gebildet , welche die Scheide und die Hörner auf ihrer vorderen und hinteren Fläche überziehen. Sie setzen sich aber beim Kaninchen nicht in der Mitte der Seitentheile der Hörner und der Scheide an, sondern näher ihrer Vorderfläche, wie das in Fig. XIII von der Scheide dargestellt ist. Bei diesem Verhalten geht die die vordere Seite der Scheide und der Hörner überkleidende Peritonealplatte glatt in die breiten Mutlerbänder über, während die hintere Platte an den Seiten der Scheide eine Einbiegung macht und an der Seite der vorderen Scheidenfläche angekommen, erst in die breiten Mutterbänder übergeht; dadurch wird letztere zugleich fester mit der Scheide verbunden, während die erstere sehr verschiebbar über dieselbe wegläuft. Zwischen diesen 70 F. Frnnkeiihiuiser, beiden Platten nun findet sieh noch eine doppelte Muskelschichte, von denen die eine der vorderen , die andere der hinteren Peritonealplatte anhaftet. Beide Muskelplatten werden voneinander durch die eintre- tenden Gefässe und Nerven getrennt, und nur durch ein lockeres, die Gefassspalten durchgreifendes Bindegewebe aneinander geheftet. Beide Platten zeigen eine ganz verschiedene Anordnung ihrer Muskelfasern, die noch nicht beschrieben ist, und beide gehen in die oberflächlichste Längsfaserschichte der Hörner über, deren Fortsetzung sie eigentlich sind. Die vordere Muskelplatte ist (Taf. II) Fig. IX, die hintere in Fig. X dargestellt. Die erstere zeigt einen Centralmuskelknoten , der auf der vorderen Flache der Scheide liegt und sich nach unten zur Blase er- streckt, seitlich aber eine Menge fast horizontal verlaufender Fasern aufnimmt; die hintere zeigt zwei Muskelknoten zu beiden Seiten der Scheide, in die mehr oder weniger senkrechte Fasern eintreten. Beide Platten nehmen nun die obere Parthie der breiten Mutterbänder ein und sind je nach dem Alter der Thiere verschieden entwickelt. Bei jungen Thieren kaum sichtbar, werden sie bei alten so deutlich wie in den ge- zeichneten Tafeln. In diesen Platten beginnt bei jeder Wehe die erste Zusammenziehung und zwischen ihnen treten die Nerven in die Hörner. Von den Muskeln der Becken gegend will ich nur die er- wähnen, die zur Orientirung wichtig sind. Neben der Mittellinie des Kreuzbeins, vom ersten Kreuzbeinwirbel beginnend, läuft ein schmaler Längemuskel (Fig. II, R) nach unten zu dem ersten und zweiten Schwanzbein wirbel, seine unterste Portion Rl hat einen Sehnenstreifen, so dass es oft scheint, als ob hier ein neuer Muskel anfinge. Dieser Muskel ist der Depressor caudae, der sich an den gleichnamigen der an- deren Seite anlegt. Nach aussen von ihm liegt ein anderer Muskel mit ganz verschiedener Faserrichtung , den ich Abductor sacro-coccygeus (Fig. II, S) nennen will. Es beginnt derselbe an der Spina ischii S1 und dem Knochenrand oberhalb derselben und setzt sich mit diver- girenden Fasern an den Seitenrand des Kreuzbeins vom zweiten Kreuz- beinwirbel an nach abwärts bis an die zwei obersten Schwanzbein- wirbel. Zwischen dem Sacro-coccygeus und dem Depressor caudae bleibt eine Rinne, in der die zu den Geschlechtstheilen ziehenden Kreuz- beinnerven austreten und die desshalb für uns sehr wichtig ist. Ober- halb des Sacro-coccygeus, von den Flügelfortsätzen des Kreuzbeins entspringt der Pyriformis 'Fig. II, 7'), der um die Spina herumgeht und sich mit dem Obturator vereinigt. Zwischen beiden zuletzt ge- nannten Muskeln bleibt eine Spalte, in der Gefässe nnd Nerven nach dem Foramen ischiadicum austreten. Endlich kommt von der Spina Die Nerven dor weiblichen Geschlechtsorgane dos Kaninchens. 71 ischii der Goccygeus U, der an den Schwanzbeinwirbeln endet und nicht selten doppelt auftritt. Die Ge fasse der Geschlechts th eile, deren Verlauf man bei Ausführung von Vivisectionen genau kennen muss, entspringen aus mehreren Quellen. Die Arteria spermatica entspringt aus der Aorta und zwar rechts regelmässig höher als links. Die Venae sper- maticae entspringen etwas tiefer als die Arterien aus der Vena cava ; beide gehen unterhall) des Bauchfells über den Psoas zu den Eier- stöcken und zu den Tuben. An der Grenze der letzteren biegen sie um , nachdem sie mit den Uteringefassen anastomosirt haben (Fig. 1, C, D). — Die Arteria uterina (Fig. I, E) entspringt gleichzeitig mit der Arteria hypogastrica (Fig. I, F) aus der Iliaca, geht unter dem Ureter weg zwischen den Blattern der breiten Mutterbänder in die Höhe, giebt erst eine Arteria vesicalis (Fig. VI, B) dann eine Arteria vaginalis superior (Fig. VI, C) ab und spaltet sich dann in zwei Haupt- gefässe (Fig. VI, />. E), die, mit convexen Bögen gegen die Hörner, nach aussen und nach innen laufen und eine grosse Anzahl Aeste von der convexen Seite gegen die Hörner senden. — Die Vena uterina (Fig. II, W\ Fig. VI, E) entspringt ebenfalls aus der V. iliaca, liegt an- fangs auf der Arterie und schickt eine Vena vesicalis und Vena vagi- nalis superior über die Arieria, tritt aber dann hinter dieselbe und ver- ästelt sich ganz wie die Arterie. Die inneren Bögen der Arteria und Vena der rechten und linken breiten Mutterbänder anastomosiren mit- einander durch weite Gefässe (Fig. VI, F). Die Arteria hypogastrica (Fig. II, W) bildet einen convexen Bogen, indem sie sich anfangs nach innen, gegen den Depressor caudae und dann wieder nach aussen in die Spalte zwischen Piriformis und Sacro-coccygeus wendet , wo sie durch das Foramen ischiadicum geht. Wahrend ihres Verlaufs im Becken giebt sie zunächst einen uns hier nicht näher interessirenden Ast zu den Kreuzbeinmuskeln ab , dann aber, vor ihrem Austritt durch die Spalte zwischen Sacro-coccygeus und Piriformis einen Ast, welcher den Mastdarm umgreift und an die Scheide verläuft , und mit der gleichnamigen der anderen Seite anastomosirt; sie mag Arteria vaginalis media heissen (Fig. II, X). Zugleich mit ihr verläuft eine starke Vene Z nach derselben Gegend, die aus der Vena hypogastrica Y entspringt und auf der vorderen Fläche der Scheide mit der gleichnamigen der anderen Seite und mit Aesten der Pudenda F einen venösen Plexus bildet, der sehr viel Blut enthält und sich auf der vorderen Fläche der Scheide, da wo dieselbe unter der Symphyse liegt, ausdehnt. Die Arteria und Vena vaginalis me- dia e müssen, wenn die Kreuzbeinnerven gereizt werden sollen, unter- 72 F. Krankenhäuser, buntlen werden , da sie sonst stark bluten ; zumal ist eine Verletzung der Vena vaginalis media sehr misslich, da sie aus dem venösen Plexus sofort eine grosse Menge Blut ergiesst, wodurch eine Isolirung der un- ter ihr verlaufenden Nerven unmöglich gemacht wird. — Endlich wird die unterste Parthie der Geschlechtsorgane und die äusseren Ge- schlecht stheile von den Aesten der Puden da versorgt. In Fig. II sind nur die Venen gezeichnet, die sich zur Vena dorsalis clitoridis vereinigen. Die Nerven der Geschlechtsorgane treten in drei verschie- denen Bahnen zu denselben und stammen theils aus sympathischen Geflechten , theils aus dem Bückenmark. Auf Fig. I ist der Ursprung aus den sympathischen Geflechten dargestellt, und zwar ist der Aus- gangspunct oder der Centralpunct ein Ganglion a von ziemlich beträcht- licher Grösse, welches auf der Aorta A zwischen die Blätter des Mast- darmmesometriums H eingeschaltet und regelmässig über der Abgangs- stelle der Arter. mesent. liegt. Wir wollen das Ganglion desshalb auch Ganglion mesentericum nennen. Nur selten zeigt dasselbe Abnormitäten und mir ist unter etwa 150 untersuchten Kaninchen nur einmal der Fall vorgekommen, dass es in zwei Ganglien getheilt war. Es ist etwa ■i Linien lang, 1 */8 Linien breit, % Linien dick und besitzt zahlreiche Gefässe, auf der Aorta herunter aber sendet es ansehnliche Faserzüge, die wir bald näher beschreiben müssen. Zieht man das Mesenterium an, so kann man das Ganglion von der Aorta etwas abziehen und dem Auge sichtbarer machen. So ist es in Fig. 1 dargestellt. Man sieht dann, wie dasselbe nach allen Seiten zahlreiche Nervenfasern aussendet oder empfängt. Während dasselbe nach oben durch einige Fäden (Fig. 1, 66) mit dem Plex. solaris und nach der Seite durch feine Fä- den, welche die Aorta umgreifen, mit dem Grenzstrang zusammenhängt, sendet es nach vorn und oben ziemlich zahlreiche Nervenbündel c längs der Vena mesenterica / hinauf, die recht ansehnlich sind, uns aber hier nicht weiter beschäftigen, da sie zu dem Darme gehen. Nach vorn und un- ten sendet es weiter in die Platten des Mesenteriums ein Geflecht dünner Nervenzüge c/, die sich an der Art. mesent. inf. A' zu zwei Stämmchen e vereinigen und mit der Arterie weiter ziehen. Nach rechts und links gehen ferner dünne Nerven laden f aus dem Ganglion nach der rechten und linken Art. spermatica, die noch genauer beschrieben werden sol- len. Nach unten endlich gehen aus dem Ganglion die ansehnlichsten Nervenbündel gg g hervor, umgreifen den Ursprung der Arteria me- senterica, ziehen auf der Aorta herunter g g h. So wird das Ganglion der Centralpunct für eine ganze Anzahl wichtiger Nervenbahnen. Die zuletzt erwähnten nach unten ziehenden Nervenzüge g g g ordnen sich, Die Nerven der weiblichen Geschlechtsorgane des Kaninchens. 73 nachdem sie sich unterhalb der Artend mesenteriea vereinigt, in zwei parallel nebeneinander laufende Züge // h , die aber oft so nahe an- einander liegen, dass sie als ein Strang erscheinen und nur durch Ver- schieben der Platten des Mesoinetriuins sich auseinander ziehen lassen. Sie bilden den Hauptstamm der Nerven , die aus dem sympathischen Nervensysteme 7.11 Mastdarm und Geschlechtsorganen ihren Weg neh- men. Von diesem Strange gehen nun zunächst links und rechts Fasern ab, die wieder eine kurze Strecke nach oben zurücklaufen, zwei kleine Ganglien 1 bilden und dann in zwei dünnen Stämmchen nach den Art. spermaticis laufen, um mit den schon oben erwähnten Fasern des Ganglion den Plex. spermaticus zu bilden. I . Sympathische Nerven. A. Der Plexus aorticus (Plex. uterin. communis, bei Tiedemann schlecht präparirt). Der auf der A ort a weiter herunterlaufende Hauptstamm empfängt aber auch noch feine Verstärkungszweige aus den Grenzstrangganglien, die auf der rechten Seite zwischen Aorta und Vena cava zu ihm treten , auf der linken Seite auf der Aorta herum- laufen. Sie liegen den Gefässen ausserordentlich genau an und werden desshalb leicht übersehen. Nicht selten treten zwei solche Fäden aus verschiedenen Grenzstrangganglien erst zusammen, bilden ein kleines Ganglion und gehen dann erst zu dem auf der Aorta herunterlaufenden Hauptstamm. Der Hauptstamm selbst ist etwa 2 Zoll lang. Die zwei Züge desselben verbinden sich an verschiedenen Stellen nur durch sehr feine Fäden, oder gar nur an ihrem Ende, ehe sie sich ganz von- einander trennen, durch Querfäden, in denen sich gewöhnlich ein klei- nes Ganglion findet. Die zwei Züge lassen sich desshalb auch leicht trennen , so dass man den linken und den rechten Zug einzeln reizen kann. Die Nerven sind nur von dem Peritoneum bedeckt. Etwa % Zoll unterhalb der Bifurcation der Aorta ist das Ende des Hauptstammes, dort bildet er eine Bifurcation C, wobei der linke Zug des Hauptstammes zum linken Schenkel m und der rechte Zug zum rechten Schenkel m wird. Diese Schenkel der Bifurcation werden die Plex. hypogastrici genannt. Vom Hauptstamm wird l/4 Zoll nach seinem Ursprung in das Mesometrium ein Nervenpaar n geschickt, welches immer in gleicher Entfernung von der Art. mesent. und in einem ähnlichen Bogen wie die Arterie und der sie begleitende Nervenzug e das Mesenterium durchzieht. Es spaltet sich dann dieser Nerv wieder und geht in zwei Zügen 0 und o1 mit den beiden Platten des Mesenteriums in den rech- ten Schenkel der Nervenbifurcation und in zwei Zügen p und p1 in den linken Plex. hypogastricus. Ganz in gleicher Weise enden die früher 7] F. Krankenhäuser, erwähnten Nerven e e nach neuer Spaltung mit zwei Zügen jederseits g g, aber sie inseriren sich nicht mehr in den Plex. hypogastricus, son- dern in das später zu erwähnende Ganglion uterinum. Von den beiden im Mesenterium parallel laufenden Nervenzügen e und n, zwischen denen vielfache Verbindungen durch zarte Nervenfäden r r stattfinden, zweigen sich eine grosse Anzahl Nerven ab , die mit den Arterien zu dem Dickdarm treten, die aber auf Fig. I nicht gezeichnet wurden, weil sie so zart sind , dass sie dem blossen Auge nicht sichtbar werden. Endlich geht vom Hauptstamme noch ein Nervenzug s in einem kleinen Bogen durch das Mesometrium und setzt sich in der Bifurcation wieder an den Hauptstamm an. Die Plexus hypogastrici umgreifen nun den Mastdarm und gehen an der Seite desselben theils in ein Ganglion, Ganglion uterinum, über (Fig. II, b und Fig. III, b) , durch welches vielfache Verbindungen mit anderen Nervenbahnen vermittelt werden, theils geben sie direct Zweige an die breiten Mutterbänder und an die Scheide ab. Am besten sieht man diese Verhältnisse an Fig. III. Es spaltet sich an der Seite des Mastdarms der Plex. hypogastricus in zwei Arme. Der eine ist ganz kurz, etwa eine Linie lang, und geht in das Ganglion uterinum, stellt also eigentlich nur eine Verbindung mit demselben her, der andere stärkere Zweig c geht um die Scheide herum und spaltet sich am vor- deren Bande derselben bei i in mehrere Zweige. Der beträchtlichste derselben schlägt sich in der hinteren Platte des Mesometriums hinter dem Ureter weg , nach innen und oben an die obere Parlhie der Scheide, indem er Fäden an die vordere und hintere Wand derselben giebt. Sein Weg wird bezeichnet durch eine kleine Arterie, welche von der Art. vag. sup. (Fig. III, o) ab an den Seitenwänden der Vagina rechts und links in die Höhe steigt e. Auf dem Wege dahin liegen in den Nerven mehrere kleine Ganglien. In Fig. VI ist er in g dargestellt. Ein anderer aus der Spaltung hervorgegangener Zweig I ig. III. f) geht etwas mehr nach aussen an den Ureter und t heilt sich dort in einen aufsteigenden und einen absteigenden Zweig. Ein dritter Zweig g geht zu einem Ganglion /?, welches am vorderen Bande der Scheitle liegt und mit einem zweiten Ganglion Ä', was zwischen Scheide und Mastdarm liegt, in Verbindung steht. Von den genannten Ganglien gehen dann wieder eine ganze Anzahl Fasern für die Geschlechtstheile aus. Alle die genannten Nervenzüge liegen in der hinteren Platte des Mesometriums, verzweigen sich hinter den Gefässen desselben , sowie hinter dem Ureter. Sie werden desshalb , wenn man das ausgebreitete Mesome- trium von vornen betrachtet, leicht übersehen, Helen aber, wenn man es umwendet, deutlich hervor: am besten sieht man sie bei mageren, Die Nerven der weiblichen Geschlechtsorgane des Kaninchens. 75 trächtigen Thieren. Verschieden von den später zu erwähnenden Sa- cralnerven verlaufen sie nur eine kurze Strecke im Mesometrium und mehr am innern Rande desselben , von wo sie rasch auf die Seheide übertreten, oder sie liegen von Anfang an der Seheide unmittelbar auf. In ihrem weiteren Verlaufe muss man sie nach innen von der Art. vag. sup. auf der Scheide selbst zu den Hörnern verfolgen. Auch der zweite aus dem Plex. hypogastricus entspringende Hauptzweig liegt dem Mastdärme unmittelbar auf und geht zudem Ganglion uterinum. Von diesem Ganglion geht zunächst ein dünner Verbindungszweig zu dem schon erwähnten Ganglion (Fig. 111, /,) , welches zwischen Mast- darm und Vagina liegt , dann gehen nach unten geflechtartige oder bandartige Zweige / und m , die dem Mastdarm seitlich genau anliegen und an ihm heruntersteigen als Verbindungszweige zu den Kreuzbein- nerven. Endlich treten in das Ganglion zwei Nervenfäden ein, die Endäste des auf Fig. I mit e bezeichneten Nerven. Das Ganglion uterinum selbst ist etwa 1 Linie lang und hat eine halbmondförmige, nach vornen gekrümmte Gestalt. Mitunter liegt das- selbe unmittelbar am Ende des Plex. hypogastricus , ohne durch einen Verbindungszweig von ihm entfernt zu sein, immer nimmt es dieselbe Stelle ein und fehlt, wie ich mich in mehr als hundert Fällen überzeugt habe, nie. In Fig. XII ist dasselbe vergrössert dargestellt. — Von dem Verbindungsstrange, der von dem Ganglion zu den aus dem drit- ten und vierten Kreuzbeinloch kommenden Nerven verläuft, gehen ebenfalls wiederum sowohl nach vornen wie nach hinten Fäden zu dem Mastdarme ab, die auf Fig. II zum Theil dargestellt sind. Gewöhnlich wird der Verbindungsstrang mit dem Namen Plexus haemorrhoidalis bezeichnet (Fig. II, c und Fig. III, /). B. Plexus spermaticus. Wie schon erwähnt, ging von dem Ganglion mesent. ein Faden nach links und rechts zu der Art. spermat. in gleicher Richtung gingen ein Paar Fäden aus dem Plex. aorticus. Diese drei Stämmchen verlaufen von da mit der Art. spermat. oder mit feinen Zweigen derselben zum Ovarium, zu der Tuba und zu dem Ge- bärmutterhorn. In Fig. VIII ist der Verlauf der Nervi spermatici dar- gestellt. Die Verbindungsäste zwischen Art. spermat. und Art. uter. sind aber etwas stärker ausgefallen, als sie in Wahrheit sind. Wir se- hen hier zunächst ein Nervenstämmchen a, welches zwischen Art. sper- mat. und Vene in die Höhe läuft , aber an drei verschiedenen Stellen Zweige rf, e, f quer durch das Mesometrium längs verbindenden Arte- rien nach dem Gefässbereich der Art. uter. sendet, wo sie sich mit den nach innen von der Art. uter. aufsteigenden und mit ihr sich verzwei- genden Nervenstämmen vereinigen. Vor dem Abgang eines jeden die- 76 F. Fraiikenliäuser, ser Verbindungszweige findet sich in dem Nervenstämmchen a stets ein kleines Ganglion g h i. — Unmittelbar auf der Arterie verlauft ein zweites Stammchen 6, von welchem gewöhnlich drei Fäden, die die Arterie in einem flachen Bogen verlassen , abtreten und zum Ovarium verlaufen. Ein drittes Stämmchen , was gewöhnlich unmittelbar aus dem Ganglion mesent. kommt, geht mit einem dünnen, sich von der Art. spermat. abzweigenden Arterienaste zu dem Ende der Tuba. II. Kreuzbein nerven. Die Kreuzbeinnerven der Geschlechtsorgane waren bisher noch am wenigsten bekannt und bieten wegen ihrer tiefen Lage , w egen des Fettreichthums dieser Gegend und der häufig eingelagerten Blasenwür- mer der Untersuchung grössere Schwierigkeiten. Erst durch Unter- suchung einer grösseren Anzahl Objecte gelingt es, einen Ueberblick über ihren Ursprung und ihren Verlauf zu gew innen. Durch die sorgfältigsten und zahlreichsten Untersuchungen habe ich mich nun bestimmt überzeugt, dass zu den Geschlechtsorganen nur aus dem dritten, vierten und fünften Kreuzbeinnerven Zweige abgehen, und dass dieselben sich direct zu den erwähnten Organen und nicht etwa nur nach der Blase begeben. Auf Fig. IV habe ich die Ursprünge der Kreuzbeinnerven selbst sorgfältig dargestellt; auf Fig. II, III und IV den weiteren Verlauf derselben. Eine genaue Beschreibung ihres Austritts ist und um so nöthiger, je tiefer die Nerven liegen, je schwerer sie zugänglich und je schwieriger ihr Verlauf zu verfolgen ist. Während der erste Kreuzbeinnerv (Fig. II, d) in der Spalte zwischen M. piriformis und M. sacro-coccygeus, der zweite e in einer Spalte des M. sacro-coccygeus selbst austritt und beide sich von da durch das Fo- ramen ischiadicum aus der Beckenhöhle heraus begeben, geht der grössere Theil des dritten Kreuzbei nn erven /", den ich Nerv, uterin. sacralis nennen will, aus der Furche zwischen Sacro- coccygeus und Depressor cäudae hervor, in der er oft sehr versteckt liegt, umgreift den Mastdarm, zieht sich unter der Arteria und Vena vaginalis media in die Höhe und spaltet sich unter denselben in mehrere Zweige, von denen drei durch ihre Stärke sich auszeichnen. Der un- terste derselben (Fig. VI, h) geht zur Blase, die zwei oberen i k stei- gen an der Seite des Mastdarms und der Scheide in die Höhe, gehen vor dem Ureter, der Art. vesicalis und der Art. vaginalis sup. hinweg in die breiten Mutterbänder, vereinigen sich dort wieder, bilden Gang- lien m m und gehen mit den Uteringefässen zu den Hörnern. Neben diesen drei Hauptstämmen gehen noch eine ganze Anzahl dünnerer Die Nerven der weiblichen Geschlechtsorgane des Kaniucheus. 77 untereinander und mit den Nerven h i I; eine Unzahl Anastomosen, in denen sich immer kleine und grosse Ganglien (/ d eingesprengt finden. Es entsteht durch diese vielfachen Verbindungen ein ganzes Netzwerk von Nerven, welches in seinen einzelnen Maschen eine ziemliche Gleieh- Zweige e e ebenfalls von dem erwähnten Kreuzbeinnerven / ab, bilden förmigkeit zeigt , wie ich mich durch zahlreiche Untersuchungen über- zeugt habe. Diese Gangliengeflechte , die ich schon lange kannte und in einer frühern Arbeit auch schon erwähnte, wurden von Körner schon genauer beschrieben , aber ihr Zusammenhang mit den Kreuzbeinner- ven gar nicht nachgewiesen oder erwähnt. Alle die jetzt erwähnten Xervenzüge des Nerv., uterin. sacralis liegen auf dem Plex. haemorrhoi- dalis , dem Verbindungsslrange (Fig. VI, o), welcher vom Ganglion uter. a zu dem dritten und vierten Kreuzbeinnerven geht. Der Verlauf dieser Nerven in der vorderen Platte des Mesometriums ist in Fig. VI, l m n dargestellt und dadurch die Art, wie sie sich an den Gefässen verzweigen, klar. In Fig. VII ist dann noch ihr Endverlauf an den Ge- fässen und ihr Eintritt in die Gebärmutterhörner gezeichnet. Dadurch ergiebt sich die Grundlosigkeit jener so oft wiederholten Behauptung, die auch noch in dem neuesten Lehrbuch der Anatomie von Langer auf- gestellt wird, wonach die Kreuzbeinnerven vorzüglich an die Scheide, die sympathischen Nerven aber an die Gebärmutter gehen sollten, sowie die Unrichtigkeit der frühern Behauptung, dass die Kreuzbein- nerven an den Scheidentheil, die sympathischen an die Gebärmutter gehen sollten. Der dritte Kreuzbeinnerv, wird durch den Nerv b (Fig. VI) des Plex. haemorrhoidalis mit dem Ganglion uter. verbun- den. Ausserdem giebt er einen starken Zweig zur Blase (Fig. III, s). Der nach aussen zu den Muskeln tretende Theil des dritten Kreuzbein- nerven c interessirt uns hier nicht weiter. Aus demselben Loch geht endlich noch ein Zweig (Fig. VI, o, Fig. II, g und Fig. III, m) zu dem Nerv, pudendus, den wir später erwähnen werden. Aus dem vierten Kreuzbeinloch steigt ebenfalls tief in der Furche zwischen Sacro-coccygeus und Depressor caudae ein Nerv (Fig. II, h und Fig. VI, p) in die Höhe, welcher bis an das dritte Kreuz- beinloch läuft , in dasselbe einen kurzen , dünnen Verbindungszweig q sendet, dann umbiegt, auf der Höhe der Umbiegung sich durch den Plex. haemorrhoidalis mit dem Ganglion uter. in Verbindung setzt und dann in der Furche zwischen Mastdarm und Scheide wieder abwärts steigt. Auf seinem Wege nach abwärts theilt er sich in eine ganze An- zahl Zweige r r r, die sich theils in die untere Parthie der Scheide, theils in den Mastdarm begeben und eine ganze Anzahl Ganglien ein- gestreut enthalten ; ich will ihn Nerv, recto-vaginalis nennen. Aus dem 78 F. Krankenhäuser, vierten Loche tritt noch ein zweiter Ursprungsnerv des Nerv, pudendus (Fig. IV, e). Endlich sind noch zwei Nerven zu beschreiben, der Nerv, clitori- dis und der Nerv. pud. externus. Der Nerv, clitoridis entspringt mit drei Wurzeln aus dem Plex. ischiadicus, aus dem dritten und aus dem vierten Kreuzbeinloch. Die aus dem Plex. ischiadicus kommende Wur- zel (Fig. II, i) zieht um den M. coccygeus herum, an der Seite des Mastdarms und der Scheide in die Höhe , vereinigt sich am vorderen Rande der Scheide mit den beiden anderen h und k worauf der Stamm als Nerv, clitoridis zwischen die Schenkel der Clitoris tritt. Von der aus dem ischiadischen Geflecht kommenden Wurzel desselben zweigt sich in der Höhe des Coccygeus noch ein Ast ab (Fig. II, o), welcher unter h und k weg zur Scheide und zwar gegen den Venenplexus lauft, wo er Anastomosen mit dem Nerv, recto-vaginalis (Fig. II, h) eingeht. Er mag Nerv, vaginalis inferior heissen. — Der Nerv, pudendus entspringt ebenfalls aus dem ischiadischen Geflecht, geht durch die Incisura ischiad. min., nachdem er sich in verschiedene Aeste gespalten hat, theils zu den Bartholinischen Drüsen (Fig. II, p), theils in die äus- sern Geschlechtstheile. So wären sämmtliche Nerven , die mit den Geschlechtstheilen in Verbindung treten , nicht bloss in ihrem Ursprung, sondern auch in ihrem weiteren Verlauf bis in die Geschlechtstheile beschrieben und es wird nun leichter sein , bei physiologischen Versuchen die Nerven aufzufinden und genauer anzugeben , welche der Reizung unter- worfen werden. Man wird dann nicht mehr von der Reizung der Sacralaste der Geschlechtsorgane reden, sondern man wird angeben, ob die Nerven des dritten oder vierten Kreuzbeinlochs und welche der- selben gereizt wurden. In einem andern Artikel, der zum Theil schon beendet, gedenke ich dann auch die Nerven der menschlichen Gebär- mutter in gleicher Weise nebst den histologischen Details zu behandeln und werde dann zeigen können, wie fast durchweg die Nerven beim Menschen denen des Kaninchens ähnlich sind. Auch die mikroskopischen Verhältnisse aller besagten Nerven- parthieen sind von mir untersucht worden, doch will ich, nur Einiges noch hier vorweg erwähnen. Entgegen den gewöhnlichen Angaben, zumal der Kilian's , fand ich in dem Plex. aorticus nicht bloss sympa- thische Fasern , sondern ungemein zahlreiche doppeltcontourirte, wie sie in Fig. V varicös geworden, dargestellt sind. Doppelt contourirte Nervenfasern finden sich ferner entgegen den Angaben aller Lehrbücher der Anatomie, auch der neusten1), in dem Nerv, spermat., ein Stämm- 1) z. B. Luschka. II. Bd. p. 332. Die Nerven der weiblichen Geschlechtsorgane des Kaninchens. 79 chen desselben ist in Fit;. XI dargestellt. Endlich sind doppeltcon- tourirte Nervenfasern auch in den Hörnern der Gebärmutter zu verfolgen und zwar treten dieselben unter der äussere Längsfaserschicht in die- selben ein, kurz sie linden sieh Überall neben sympathischen Fasern. Ganglienzellen linden sieh einzeln und in Masse zusammengehäuft in allen Gebännutternerven , zumal aber am Abgang oder am Eintritt von Zweigen. Nicht selten entsteht dadurch eine sternförmige Anord- nung, wenn eine ganze Anzahl Fasern von einer Gangliengruppe weg- läuft; mitunter stellen die Ganglien aber auch nur eine leichte An- schwellung eines Nervenstammes dar und selbst diese wird vermisst, wenn die Ganglien nur linear eingeschaltet sind, wie das zumal im Plex. haemorrhoidalis der Fall ist. Die Ganglien werden leicht ohne alle Reagentien gesehen , ja sogar ohne sie am besten ; nur inuss man ganz frische Präparate wählen; sie werden sofort unsichtbar, sobald das Präparat etwas trüb ist. Auch die Nerven werden am besten ohne Reagentien mit Eiweiss untersucht. Dies nur einstweilen zur Mit- theilung. Erklärung der Abbildungen. Tafel II. Fig. I. A. Aorta. ß Vena cava. C. Arteria spermatica dextra. D. Vena spermatica dextra. E. Arteria uterina. F. » hypogastrica. G. » vaginalis media. H. Mastdarmmesenterium. /. Vena mesenterica und haemorrhoidalis. K. Arteria mesenterica. L. Mastdarm. a. Ganglion mesentericum inferius, Centralganglienknoten. b. Aeste desselben nach dem Plexus solaris. c. Aufwärtssteigende Aeste desselhen nach den Därmen. d. Aus dem Ganglion abwärts an die Arteria mesenterica steigende Ge- flechte, welche sich zu zwei ee vereinigen, die parallel dem untern Rande der Arieria mesenterica verlauten und sich in das rechte und linke Ganglion uterin um t endigen. f. Aus dem Ganglion mesenter. zur Art. spermat. dext. gehendes Ner- venstämmchen. gg g. Die am unteren Ende des Ganglion mesenter. abgehenden und den Ursprung der Art. mesenter. umgreifenden Nervengeflechte, die sich bei &0 F, FrankenMuser, h. zu einem Doppelzug, dem Plexus aorticus vereinigen. %. laden zum Plexus spermaticus aus dem Plexus aorticus. k. Verbindungsfäden zwischen Plexus aorticus und Grenzslrangganglien. I. Ende des Plexus aorticus und Theilung desselben in m m. die zwei Schenkel des Plexus hypogastricus. Flg. 1. n n. Ein aus dem Plexus aorticus hervortretender und bogenförmig im Me- senterium verlaufender doppelter Nervenstamm, welcher sich vor seinem Ende in zwei Schenkel o o1 und p pl spaltet, die sich in den Plexus hypogastricus einsenken. q q. Endaste der Nerven ee, die sich in das Ganglion uterinum t einsenken. r r. Verbindungszweige zwischen dei) Nerven n und e. s. Ein vom Plexus aorticus abtretender und hei der Rifurcation wieder eintretender \er\ . t. Ganglion ulcrinum dextrum, an der Seite des Mastdarms liegend. Fig. II. A B. Hörner der Gebärmutter, die hei C sich aneinander legen. D. Scheide. Verbindung derselben durch eine Peritonealfalte mit dem Mastdarm, wodurch die Excavatio recto-uterina gebildet wird. E. Die Stelle der Scheide, wo der Peritoneal Überzug endet. F. Vena pudenda. G. Mastdarm und Seheide durch Bindegewebe so vereinigt . dass sie wie e i n Rohr aussehen. //. Scheideneingang. /. After. K. Aftertasche, L. Afterdrüse. M. Venenplexus auf der vorderen Scheidenwand. N N. Schenkel der Clitoris. AP. Clitoris. 0. Seitwärts gebogenes rechtes Seitenbein, dessen Os ileum entfernt ist. ]>. Blase, zum Theil verdeckt durch das ausgedehnte breite Mutterband. Q. Rechte Bartholinische Druse. H Musculus depressor caudae. S. » spinosus sacro-coccygeus. T. » pyriformis. U. » coecygeus. V. » atlractor recti. W. Arteria hypogastrica. W1. » uterina dextra, abgeshenitten X. » vaginalis media. Y. Vena hypogastrica. Z. » vaginalis media. a a. Plexus hypogastricus. b. Ganglion uteri QU m dexlrum. c. Plexus haemorrhoidaiis. d. Erster Kreuzbeinner\ , Austritt durch die Incis. ischiad. mag. e. Zweiter » » » » » » f. Ast des dritten Kreuzbeinnerven , der durch das vordere Blatt der breiten Mutterbänder zu den Hörnern geht. Nerv, uterinus sacralis und einige Aeste zur blase schickt. Die Nerven der weiblichen Geschlechtsorgane des Kaninchens. 81 Fig. II. g. Ast aus dein dritten kreuzbeinloch, eine Wurzel des Nerv, clitoridis. h. Starker Nervenstamm aus dem vierten Kreuzbeinloch, der zu Scheide und Mastdarm geht, Nerv, recto-vaginalis. i. Wurzel des Nerv, clitoridis aus dem Plexus ischiadicus. k. » » » » » » vierten Kreuzbeinloch. /. Nervus clitoridis dexter. m. » » sinister. o. » vaginalis inferior aus der ischiadischen Wurzel des Nervus clitoridis. p. Endzweige des Nervus pudendus in die Barlholinische Druse. Fig. III. Seilenansicht des von den Tuben und der Bauch wand gelösten linken Hor- nes; linke Seite der Scheide und des Mastdarms. — Man sieht die hintere Flache des linken Mesonietrium. A. Ausgedehntes linkes Hörn. B. Zurückgebogenes, zum grössten Theil durch Mastdarm und Mesen- terium verdecktes rechtes Hörn. C. Scheide. D. Mastdarm. E. Mesenterium desselben. F. Mesonietrium des linken Hornes, hintere Fläche. G. Hintere Muskelplatte des Mesometriums des ersten Hornes. H. Ureter. /. Blase durch das Mesonietrium grösstentheils verdeckt. K. Arteria und Vena uterina. a a. Plexus hypogastricus. b. Ganglion uterinum. c. Fortsetzung des Plexus hypogastricus, der die Vagina umgreift und in die breiten Mutterbänder weiter zieht. c1. Theilung des Nerven. d d. Arteria und Vena vaginalis superior. e. Zweige derselben, die an der Seite der Scheide in die Hohe laufen und mit der Arteria und Vena uterina anastomosiren. f. Zum Ureter gehender Nerv. g. Zweig zu dem am Rande der Scheide liegenden Ganglion h. i. Ein Hauptzweig, der mit der Art. vaginalis superior an dem Rande der Scheide in die Höhe läuft. k. Ganglion , zwischen Scheide und Mastdarm gelegen , das nach vorn mit dem erwähnten Ganglion h , nach hinten mit dem Ganglion uterinum zusammenhängt. I. Plexus haemorrhoidalis. m. Nervus uterinus sacralis. m1. Zweig desselben zur Blase. f*. Wurzel des Nervus clitoridis aus dem dritten Kreuzbeinloch. o. Nervus vaginalis. p. Wurzel des Nervus clitoridis aus dem vierten Kreuzbeinloch. q. Abgeschnittene Wurzel des Nervus clitoridis aus dem ischiadischen Geflecht, r. Nervus vaginalis inferior. Fig. IV. Plexus sacralis und Plexus ischiadicus, frei präparirt. Band II. 1. R 82 F. Krankenhäuser, Fig. IV. a. Nerv aus r;/<»ii das in die Kapsel lünein- 1) C. Gegenbaur, Bemerkungen über die Randkorper der Medusen. Müllers Archiv 1856 p. 234; Taf. IX, Fig. 3—5. Vnatomie von Glossöcodon eurybia. 115 hangt. Dieses innere Bläschen enthält die Otolithen, einen grösseren Hanptotolithen ',,„„'" von sphärischer Gestall und 2 kleinere Neben- otolithen j die demselben anliegen, so dass diese Gehörsteine ganz dasselbe Aussehen haben, wie die des unpaaren Gehörorgans \<>n \fonocelis unter den Turbellarien.o Aehnlich beschreibt endlich auch Fritz Müller die Randbläseben von Liriope catharinensis (1. c. p. 31 i; Täf. XI. Fig. 9—11): »Die rundlichen Blasen haben etwa 0,0:}""" Durchmesser und zeigen eine doppelte Contour; am oberen Rande entfernl sich die innere von dw äusseren, eine Art breiten kurzen Stiel bildend, anf dem eine gelbliche Kugel von 0, 02 mm Durchmesser aufsitzt. Diese, dem Stiel gegenüber leicht ausgehöhlt, umfasst hier eine kleinere, stark lichtbrechende Kugel. Häufiger bietet sich das Randbläschen dein Auge so dar, dass man die grössere Kugel als Halb- mond der kleineren sich anschliessend sieht, seltener so , dass sie als concentrische Hülle derselben erscheint.« Fritz Müller theilt die Auf- fassung von Agässiz und erklärt die Randbläschen der craspedoten Medusen «als A uge, die kugelige Concretion als Linse, die grössere Kugel, in welche diese eingebettet ist, als Sehnerven«. Wie man sieht, stimmen die 3 genannten Forscher in der anato- mischen Beschreibung der Randbläschen der Geryoniden überein. während sie in der physiologischen Deutung derselben weit auseinander gehen. Doch sind sowohl diesen drei, als auch allen anderen Beobach- tern . die noch die Handbläschen von Geryoniden untersucht haben, mehrere höchst wesentliche anatomische Verhältnisse im Innern der Randbläschen entgangen . welche mir für ihre Deutung als Sinnes- organe von dem grössten Gewicht zu sein scheinen. Ich fand diese merkwürdigen Eigentümlichkeiten der feineren Structur zuerst an den verhältnissmässig sehr grossen Randbläschen von Garmarina hastata auf. bei welchen ich dieselben unten ausführlich beschreiben werde. Erst nachher konnte ich das Wesentliche derselben auch in den viel kleineren Randbläschen von Glossöcodon eurybia wiederfinden, obwohl die geringe Grösse und vollkommene Durchsichtigkeit der Theile hier die F>kenntniss sein- erschwert. Die bezüglichen Slructur- verhältnisse, die bei den 4 radialen und den 4 interradialen Rand- bläschen ganz gleich sind1), bestehen kurz in Folgendem (Fig. 22 ein Randbtäschen, halb von aussen, halb von der Seite, Fig. 23 ein Rand- bläschen, halb von aussen, halb von oben gesehen). t' Bei Liriope sculigera giebt Mc Crady (1. c. p. 208) an, dass die radialen und die interradialen Randbläschen verschieden seien , die ersteren doppelt, die letz- teren einfach. An der Basis jedes Radialtentakels befände sich danach »a double S* Mi; lernst Haeckel, Innen an der Basis des Randbläschens, wo dasselbe dem Ganglion f) des Nervenringes aufsitzt, befindet sieh ein flaches, wahrscheinlich mit dein letzteren in unmittelbarem Zusammenhange stehendes Polster (\v) von länglich runder Form , zusammengesetzt ans rundlichen und spindelförmigen sehr blassen und zarten Zellen. Ich halte dasselbe für eine im Innern des Bläschens gelegene und unmittelbar mit dem ausserhalb darunter liegenden Nervenknoten verbundene Anhäufung von Nervenzellen und bezeichne sie als Basalganglion (w). Auf beiden Seiten, rechts und links, (wenn man das Randbläschen en face, von innen oder von aussen betrachtet) verlängert sich das länglich- runde oder spindelförmige Nervenpolster in einen sehr platten , zarten und blassen, aber ziemlich breiten und deutlich obwohl sehr fein) längsstreitigen bandförmigen Strang, den ich für den Sinnesnerven halte (nj. Die beiden einander gegenüberstehenden Sinnesnerven laufen wie 2 halbkreisförmig gekrümmte Bügel, gleich den beiden Hälften eines Meridiankreises , an den beiden Seiten jedes Bandbläs- chens, seiner Innenwand eng anliegend, empor, um sich an dem oberen, der Basis entgegengesetzten Pole wieder in eigenthümlicher Weise zu vereinigen (n„). Hier nämlich scheinen sich die feinen Fäserchen. welche die beiden Nervenbügel zusammensetzen, zu durchkreuzen und zu einem Strange zu verflechten, der alsbald in das kugelige, die Otolithenconeretion umschliessende Körperchen eintritt, welches er mit der Bläschenwand verbindet und als dessen Stiel er erscheint. Dieses gewöhnlich kugelige, bisweilen auch unregelmässig rundliche Körperchen Fig. 49 — 51), welches von Gegenbaur als »Umhüllung der Concretion«, \on Leückart als dz weites, kleines, inneres Bläschen«, von Fritz Müller als »Sehnerv« bezeichnet ist, halte ich für einen zweiten inneren Nervenknoten, welchen ich kurzweg das S i n n e s g a n g 1 i o n s nennen will. Es zeigt sich dasselbe nämlich bei starker Yergrösserung als eine kugelige, seltener unregelmässig runde Kapsel von 0,04 mm Durchmesser, welche in einer zwar zarten, aber doppelt contourirten membranösen Umhüllung eine aus dichtgedrängten kleinen Zellen zu- sammengesetzte Masse umschliesst. Diese Ganglienzellen sind sehr zart und blass, aber nach Zusatz von Essiesäure nebst ihrem Kern capsule, consisling of two cysts, one above tlie other, and connected by an inter- mediate tubulär?) thread apparently a continuation of the membrane of the eysts.« Ich glaube diese auffallende Angabe einfach dadurch erklären zu können, dass ich das unlere der beiden radialen über einander liegenden Bläschen für das (junge) Randbläschen halte, das obere dagegen für das Rudiment des radialen Nebententakels, und das die beiden Bläschen verbindende »intermediate tubulär thread- für die centripetale Mantelspange. \natomie von Glossocodon ßurybia. I 17 deutlich zu erkennen. Mitten in diesen Zellenhaufen ist der sogenannte »Otolith« oder die »Linse« eingebettet, welche durch ihr starkes Licht- brechungsvermögen am meisten von allen Inhaltstheilen des Bläschens in die Augen springt. Rings am dieselbe scheinen sich zwischen den umlagernden Zellen die Enden der gekreuzten Nervenfasern auszu- breiten. Bei jüngeren Individuen , nicht selten auch bei erwachsenen (Fig. 19 — 51) sind statt einer einzigen solchen Goncretion mehrere bei- sammen vorhanden, und die Entwicklungsgeschichte zeigt, dass bei den Larven dies die Regel ist und dass die grossen durch Verschmelzung mehrerer kleinerer entstehen (vergl. Fig. 44 — 48). Die Form dieser Goncretionen ist bei Glossocodon ziemlich unregelmässig rundlich, oft fasl hockerig. Gewöhnlich ist eine grössere birnförmige Goncretion vorhanden, welche an einer Seite oder Ecke eine kleine Höhlung zeigt, in der meistens ein zweites kleineres Körnchen oder Steinchen liegt. Nicht selten umfasst dieses dann noch ein drittes. Bisweilen sind 2 grössere und daneben noch mehrere kleinere Goncretionen vorhanden. Dann ist die rundliche Form des Sinnesganglion (s) auch sehr un regel- mässig, fast zweilappig eingeschnürt (Fig. 49 — 51). Die Goncretionen sind sehr stark lichtbrechend , undeutlich concentrisch geschichtet und bestehen aus einer organischen , mit phosphorsaurem Kalk (?) verbun- denen Grundlage. Was tue Deutung der Randkörperchen nach Feststellung dieses complicirteren Baues anlangt, so wird zunächst ihre allgemein gültige Stellung als Sinnesorgane dadurch nur befestigt. Was aber die speciellere Feststellung der Sinnesqualität betrifft, so scheint mir diese dadurch nach keiner Richtung hin bestimmter bezeichnet zu werden. Im Gegentheil glaube ich, dass damit nur die wesentliche Differenz die- ser Randbläschen von anderen ähnlichen Sinnesorganen niederer Thiere, z. B. von den meist zunächst damit verglichenen Gehörbläschen der Würmer und Mollusken, noch mehr bestätigt und ausdrücklich hervor- gehoben wird. Da das concentrisch geschichtete Concrement, welches gewöhnlich als Otolith gedeutet wird, ganz in der zelligen, von mir als Sinnesganglion gedeuteten Blase eingeschlossen ist, und ausserdem die Nervenfasern rings um dasselbe innerhalb jener Zellenmasse auszu- strahlen scheinen, so springt die auffallende Verschiedenheit dieses Or- gans von den mit frei beweglichen Otolilhen versehenen Gehörbläschen anderer niederer Thiere sofort in die Augen. Weder die morphologi- schen noch die physikalischen Verhältnisse jenes Apparates lassen eine directe Vergleichung mit diesen letzteren zu. Noch weniger freilich als die von den meisten Autoren angenommene Deutung der Bandbläs- chen unserer Medusen als Gehörorgane kann die von Agassiz und Fritz HS Ernst Hiieekel, Müller vertretene Ansicht befriedigen, dass dieselben Augen seien. Abgesehen von dem völligen Mangel jeden Pigmentes, der allerdings auch bei unzweifelhaften Augen einiger niederer Thiere bisweilen vor- kommt, ist jedenfalls die Deutung der Concretion als »Linse« ganz un- haltbar. Bei Glossocodon eurybia wenigstens hat dieses Goncrement kei- neswegs eine regelmässig abgerundete , sondern eine ziemlich unre- gelmässige, bei den verschiedenen Individuen sehr \erscliiedene Form. Bald ist es kugelig, bald ellipsoid, bald uneben und höckerig, sehr häufig birnförmig oder fast kegelförmig. Meistens ist an der einen und zwar gewöhnlich an der der Eintrittsstelle des Nerven zugewendeten) Seite eine zweite, viel kleinere, unregelmässige Concretion mit der grösseren verbunden , und zwar gewöhnlich gleichsam in ein Grübehen auf der letzteren Oberflache halb versenkt. Anderemale ist dies Grübchen al- lein leer vorhanden. Bisweilen finden sieh neben der grossen Concre- tion auch 2 — 3, selten noch mehrere, kleinere, welche ebenfalls der Oberfläche der grösseren anliegen. Solche hat auch Leickart bei Li- riopc ligurma gesehen und als »Nebenotolithen« beschrieben. Endlich ist noch die Lage der Concretion wechselnd, bald ganz im Innern des Sinnesganglion eingeschlossen, bald an einer Stelle der Innenflache sei- ner Wand anliegend, gewöhnlich der unteren Wand, welche der Ein- trittsstelle der Nerven entgegengesetzt ist. Alle diese Verhältnisse sind mit der Deutung der Concretion als »Linse« und des sie umschliessen- den Sinnesganglion als »Sehnerv« durchaus unvereinbar. Auch die Lage der Bandbläschen gerade hinter den Mantelspangen, welche m* von aussen her verdecken (Fig. 40) würde zu ihrer Auffassung als Augen schlecht passen. Die Deutung der Sinnesorgane niederer Thiere gehört ohne Zwei- fel zu den schwierigsten Objecten der % ergleichenden Physiologie und ist der grössten Unsicherheit unterworfen. Wir sind gewohnt, die von den Wirbelthieren gewonnenen Anschauungen ohne Weiteres auch auf die wirbellosen Thiere der verschiedenen Kreise zu übertragen und bei diesen analoge Sinnesempfindungen anzunehmen, als wir selbst be- sitzen. Und doch ist es viel wahrscheinlicher . dass hier wesentlich andere Sinnesempfindungen zu Stande kommen. \on deren eigent- licher Qualität wir uns keine bestimmte Vorstellung machen können; wie es z. B. sehr wahrscheinlich ist, dass die Empfindung der Licht- und Sehallwellen, für welche bei den höheren Thieren verschiedene Organe differenzirt sind, bei den niederen an ein und dasselbe Sinnes- organ, natürlich in unvollkommener Ausbildung, gebunden vorkom- men. Als ein solches »gemischtes Sinnesorgan«, über dessen eigent- liche Function wir uns natürlich vorläufig jeder bestimmteren Ver- Anatomie von Glossocodou eurybia. 1 |<) muthung enthalten müssen , möchte ich auch die Randkörper eines grossen Theiles der .Medusen, und namentlich die sogenannten »Rand- bläschen« bei den Geryoniden, Trachynemiden etc. betrachtel wissen. Dass ein ähnlicher Hau der Randbläseben, wie ich ihn hier von den Geryoniden beschrieben , auch bei anderen craspedoten Medusen ver- breitel ist, zeigen mir Beobachtungen an einzelnen Repräsentanten an- derer Familien , wie namentlich an mehreren bei Nizza beobachteten Trachynemiden, Aeginiden und Eucopiden. Doch scheint bei diesen meistens A^v Ner\ . welcher die Wand des Randbläschens durchbohrt, als ein einfacher ungetheilter Strang, gewöhnlich als ein kurzer Grün- der, in das kugelige oder eiförmige, mit wenigen Zellen erfüllte Sinnes- ganglion einzutreten, welches die Goncretion umschliesst. So linde ich es z. B. sehr deutlich bei Rhopalonema umbüicatum Calyptra umbi- licata), wo das eiförmige Sinnesganglion frei in die Mitte des geräumi- gen Randbläschens vorragl und auf dem die Bläschenwand von unten her durchbohrenden Sinnesnerven wie auf einem Stiele aufsitzt. Die Goncretion ist in dem oberen, dn Nerveneintrittsstelle entgegengesetz- ten Ende des Ganglion wandständig eingeschlossen. Aehnlich bildet auch V. Mensen gelegentlich in seinen ausgezeichneten Studien über das Gehörorgan der Decapoden die Randbläschen einer nicht näher be- stimmten Eucope ab1) und bemerkt dazu: »Hier fand sich in den zahl- reichen Otolithen Säcken an dw centralen Seite eine verdickte Stelle, als verdickte Epithelschicht zu deuten. Von hier aus sah man sehr feine Haare nach einem Steine zu strahlen, der in der Mitte des Sackes lag. Der Siein war aber in einer inneren Blase, die er nicht ganz ausfüllte, und an die eine Seile dieser Blase gingen auch wieder Ilaare heran. Die Häärchen waren sehr blass und wenig lichtbrechend.« Wenn ich die Abbildung (I. c. Fig. 24 Bj mit jenen oben erwähnten Bildern der Randbläschen mehrerer von mir in Nizza beobachteten Eucopiden (na- mentlich Phialidium viridicans und ferrugineum) und Trachynemiden Rhopalonema velatum und umbüicatum) vergleiche, so linde ich zwischen beiden die grösste Aehnlichkeit und zweifle nicht . dass die von Densen als »Häärchen« aufgefassten feinen blassen Linien die Fasern des Sin- nesnerven sind und die beiden äussersten »Häärchen« die Gontouren des Nerven, der wie ein Stiel das die Goncretion umschliessende Sin- nesganglion (die »innere Blase«) trägt. Die Theilung des in das Handbläsehen eingetretenen Sinnesnerven in 2 an entgegengesetzten Seiten des Bandbläschens aufsteigende und I Zeitschr. für wissenschaftl. Zool. XIII. 1863. p. 355, Anm. 12() Brust Haeckel, Anatomie von Glossodon eurybia. sich oben vor den) Eintritt in das Sinnesganglion wieder vereinigende Aeste, oder, wenn man lieber will, die Existenz eines der Innenwand des llandbläschens anliegenden Nervenringfes, gebildet aus i halbkreis- förmigen Nervenbügeln , die von entgegengesetzten Seiten des Basal- ganglion unten ausgehen und oben sieh mit ihren Fasern durch— kreuzen, — diese höchst merkwürdige Bildung scheint den Geryoniden eigenthilmlich zu sein, und ist von mir bei keiner andern Meduse wie- der gesehen worden. Dass die Sinnesorgane im Allgemeinen mehr als andere Körper— t heile einer weitgehenden Differenzirang und Abänderung durch An- passung unterworfen sind, und auch bei sonst nächstverwandten Thie- len bedeutende Modificationen erleiden können, ist eine wichtige und weitverbreitete Erscheinung. Unsere Geryoniden liefern davon ein iieues auffallendes Beispiel. Wie im IX. und X. Abschnitt dieser Un- tersuchungen gezeigt werden wird, ist die Familie der Aeginiden mit derjenigen der Geryoniden durch unmittelbare genealogische Verwandt- schaft auf das Engste verbunden : Cunina rhododaetyla en tsteht a 1 s Knospe auf d e r 0 b e r f 1 ä c h e d e r Z u n g e in de r M a g e n h ö h 1 e von Carmarina hastata. Diese beiden anscheinend so sehr verschiede- nen Medusen gehören demnach als verschiedene Generationen dem For- menkreise einer einzigen Species an. Ihre Uebereinstimmüng im inne- ren Baue ist weit grösser, als es die sein- verschiedene äussere Körper- form errathen lässf. Mehr aber als alle anderen Körpertheile sind bei beiden Medusenformen die Sinnesbläschen in Zahl, Lagerung. Grösse, Form und feinerem Bau verschieden. Kleinere M i 1 1 h e i In n g* e . n. lieber den Itrustgürtel und die Brustflosse der Fische. Von C. Gegenbaur. Der Brustgurte] der Fische ist seil langem ein Gegenstand der mannichfaltig- sten Auffassungen gewesen, woraus die Grösse der Schwierigkeit, die verschiedenen ihn zusammensetzenden Theile zu verstehen, hervorgeht. Seihst Cuvieb, dessen Erklärungen der Skelettheile des Brustgürtels der Fische bis auf einige Modifikationen am meisten Hoden gewannen, hall seine eigene Auf- lassung nicht so ganz ausser jedem Zweifel und behandelt daher die Brustflosse der Fische nicht mit den Vorderextremitäten dw übrigen Wirbelthiere , sondern in einem gesonderten Abschnitte. Nach Cüvier sind die beiden Stücke , welche bei den Teleostiern den grossen die Flosse tragenden Schulterknochen an den Schädel befestigen^ Scapulare und Suprascapulare; welch letzteres mehrfache Schenkel be- sitzen kann und auch zuweilen in mehrere kleinere Stücke gelheilt ist. Der grosse ventralwärts mit dem der andern Seite zusammenstossende Knochen wurde von Cüvier als Humerus aufgefasst, von Gouan, Meckel und Agassiz aber für die Cla- usula erklärt. Stannius hat sich der GouAN'schen Auffassung angeschlossen. Auch Mettenheimer vertritt das in seiner ausgezeichneten Dissertation : De membro piscium pectorali. Berolini 1847. An diese Clavicula sind nach hinten i bis 'i eng miteinander verbundene Knochen befestig) , von denen der oben» von Cüvier als Radius, von Owen als Ulna, der un- tere dem entsprechend als Ulna oder Radius bezeichnet ward. Ein drittes zuwei- len zwischen beide sich einschiebendes Stück sollte einem Humerus aequivalenl, sein. Die an die beiden Vorderarmstücke sich schliessende Reihe kleinerer Kno- chenstücke hat man dem Carpus , den darauffolgenden Abschnitt dem Metacarpus verglichen, an dem den Phalangen entsprechende Strahlenreihen sässen. Die ge- sammte Brustgliedmasse der Knochenfische enthält somit die Vorderextremität der übrigen Wirbelthiere. Aber der brachiale Abschnitt ist verkümmert, in den Schultergürtel eingeschoben, und die Hand bildet unter Vermehrung ihrer Finger- zahl das llauptstück des Gliedes. Es schliessl sich so die Brustflosse der Fische an die embryonalen Zustände anderer Wirbelthiere an , bei denen die Hand der erst- erscheihende Abschnitt der gesammten Vorderextremität ist. Es ist das das nicht geringe Verdienst Brtich's in diesen Deutungen wohlbegründete Veränderungen vor- genommen zu haben, durch welche die Theile in viel naturgemässcren Verhält- nissen erkannt werden. ] 22 C. Gegetibaur, Untersuchungen des Schultergürtels der Reptilien und Amphibien haben mich dahin geführt, den gesammten Schultergürtel der Fische sammt der daran befestig- ten Extremität einer in mehreren Puncten mit der BnucH'sehen übereinkommen- den Erklärungsweise zu unterstellen. Die Art der Entwickelimg der einzelnen Theile, sowie eine genauere Prüfung der gegenseitigen Beziehungen ergaben von den bisherigen Auffassungen wesentlich abweichende Resultate, die, bis zu einer späteren ausführlicheren Veröffentlichung, hier eine kurze Mittheilung finden sollen. Die Verbindungsstücke der sogenannten Clavicula mit dem Schädel , welche man als Scapula u. s. w. bezeichnet hat, sind in keiner Weise der Scapula der übrigen Wirbelthiere homolog. Sie tragen nichts zur Bildung eines Schultergelen- kes bei ; ,sie stehen ausser Zusammenhang mit einem Coracoideum ' denn das OwE.N'sche Coracoid kann nur als Clavicula betrachtet werden ) ; sie gehen nicht aus einer knorpeligen Anlage hervor. Scapula und Coracoid sind nur Theile eines und desselben primitiven Skeletstückes bei allen übrigen Wirbelthieren , und sind überall knorpelig angelegt. Dagegen besitzen die bei den Fischen (Teleostierm unter diesen Benennungen bestehenden Knochen niemals einen genetischen Zu- sammenhang. Wo der Schultergürlel vom Schädel abgelöst ist (Aale, Notacan- thini), fehlen jene verbindenden Knochenstücke ganz oder theihveise, während sonst doch die Scapula auch ohne Beziehung zum Schädel überall vorhanden ist. Es be- steht daher nach meiner Ansicht gar kein Grund, jene Verbindungsstücke mit dem Schädel der Scapula homolog zu erachten. Sie sind als ein knöchernes Suspenso- rium des Schultergürtels anzusehen, dessen Bezeichnung Bkuch mit vollem Rechte als Supraclaviculare umgeändert hat. Es ist das also ein meist aus mehreren Stücken bestehender Abschnitt, welcher, den Knochenfischen eigen , ohne Homolo- gie bei den übrigen Wirbelthieren ist. Der von dem Suspensorium getragene Knochen , Cuviek's Humerus, Gouan's Clavicula, kann nicht gut als Coracoid gedeutet werden, da er, wie bereits er- wähnt, nie mit einer Scapula vereinigt ist. Er ist auch niemals knorpelig. Das ihn, häufig gleichgestellte Skeletstück der Knorpelfische sehe ich als ein ganz anderes an. Es tritt ersteres , wie die Entwickelimg lehrt, sehr frühe als ein dünnes, an beiden Enden spitz verlaufendes und schwach gekrümmtes Stäbchen auf, dessen mannich- faltige Seulpturdifferenzen erst später sich ausprägen. Bringt man mit der Erwä- gung dieser Tliatsachen noch die Lagerung des Knochens in Zusammenhang, so schwinden che Zweifel an der Richtigkeit der von Gouan, Meckel und Agassi/, ge- gebenen Erklärung, und man wird den Knochen für die Clavicula halten müssen. Hinter der Clavicula und an sie angefügt liegen 2 oder 3 aus einer gemein- samen knorpeligen Anlage hervorgehende Stücke, an welche der sogenannte Car- pus der Fische eingelenkt ist. Die Anlage entspricht der knorpeligen Anlage der einheitlichen Schulterknochen der übrigen Wirbelthiere, aus welcher ein dorsales Stück, die Scapula, und ein ventrales, das Coracoid, hervorgeht. Von Bruch sind die beim Lachse (wie bei den meisten Physostomen) vorhandenen drei Stücke als Angulare scapulac, Coracoideum und Acromion unterschieden worden. So sehr es zu billigen ist in diesen Theilen Elemente des Schultergürtels zu erkennen, so we- nigvermag ich das als Acromion bezeichnete vordere Stück diesem homolog zu hal- len. Ich sehe vielmehr das vordere als Coracoideum an, denn es ist der am meisten vonlralwärts gerückte dem der andern Seite genäherte Abschnitt des knorpelig präformirten Theils des Schultergürtels. Die Verbindung dieses Stückes mit der Clavicula auf einer grösseren Strecke hin ist nichts Befremdendes, sobald man Ueber den ßnistgürtel und diu Brusttlosse der Fische. 123 weiss, dass unter den Amphibien bei den Fröschen eine ganz ähnliche Anlagerung an das Coracoid statt hat , und auch bei den Eidechsen nicht bloss das Acromion der Glavicula eine Verbindungsstelle bietet. Dieser Hinweis mag hier genügen. Ausführlicheres soll später mitgethedl werden. Wenn der Umstand bedenklich ist, dass die hinter der Clavicula gelagerten Skeletstücke des Schultergürtels zuweilen auf drei sieh erheben , indess doch nur Scapula und Coracoid aus dein einen knorpeligen Schulterstücke hervorgingen, so ist dagegen zu erinnern, dass das Co- racoid selbst wieder durch mehrfache Ossifikationskerne einzelne Stücke dar- stellen kann. Ks ist hier an das Epicoracoid der Eidechsen zudenken, sowie an die Verkalkungen der zwischen Scapula und Coracoid längere Zeit persisti- renden Knorpelmassen bei den ungeschwänzten Amphibien. Dadurch will ich je- doch nur darauf hinweisen , dass auch bei anderen Wirbelthieren aus dem Schul- terknorpel mehr als 2 Knochenstucke entstehen. Das dritte bei den Physostomen vorkommende Stiick, Bruch's Coracoid, braucht desshalb noch nicht ein mit einem der Schulterknochen anderer Wirbelthiere homologes Stück zu sein , viel- mehr glaube ich die Ansicht vertreten zu können, dass es eine unter den Fischen ihre Entstehung, aber auch ihren Abschluss findende Bildung ist. Diese Uebereinstimmung des Schultergürtels der Teleostier mit dem der übri- gen Wirbelthiere wird noch einleuchtender, sobald man auf die geänderten Grösse- verhältnisse Rücksicht nimmt. Stellen wir uns die Clavicula eines Reptils in ähn- licher Weise zu einem ansehnlichen Knochen entfaltet vor, wie es die Clavicula der Fische in der That ist, so wird Scapula und Coracoid in wesentlich denselben Verhält- nissen sich finden, wie wir es bei den Teleostiern sehen. Bei den Ganoiden ist das Verhalten ein ähnliches. Da aber die Verbindung des Schultergürtels mit der Wir- belsäule, resp. dem Schädel, durch besondere Tragestücke zu Stande kommt, hat die Scapula der Knochentische in demselben Maasse diesen Theil ihrer Bedeutung verloren, sie ist kein dorsales Verbindungsstück. Demgemäss sind ihre Volums- verhältnisse reducirt. Scapula und Coracoid werden ansehnlichere Theile, wo sie allein den Brustgür- tel zusammensetzen. Das ist bei den Chimären, bei Lepidosiren und hei den Sela- chiern der Fall. Der die Brusttlossen tragende Knorpelbogen, der auch ventral- wärts mit dem der anderen Seite verschmolzen sein kann, ist nicht der Clavicula der Teleostier, sondern nur dem hinter der Clavicula gelagerten primären Knorpel- stück zu vergleichen. Während sich bei den Teleostiern 2 (oder 3) besondere Kno- chen aus ihm entwickeln, bleibt es hei Seiachiern u. s. w. undifferenzirt , und tritt nur in die Rolle der Clavicula , insofern es einen bogenförmigen Tragapparat der Brusttlosse bildet. Die veränderte Gestalt muss auch hier als vom veränderten functionellen Werthe abhängig erkannt werden. Da sich vom Schultergürtel der Knochentische nur die Clavicula mit dem Schädel verbindet, ist es verständlich, dass der Schultergürtel der Selachier, Chimären und des Lepidosiren nicht mit dem Schädel verbunden ist, sobald wir uns klar gemacht haben , dass jener Schul- tergürtelknorpel etwas ganz anderes ist als die Clavicula der Knochenfische. Er entspricht den hinter der Clavicula der Knochenfische gelegenen aus Knorpel sich entw ickelnden 2 (oder 3) Knochen, somit der Scapula und dem Coracoid der übrigen Wirbelthiere. Die Vergleichung des Schultergürtels der Ganoiden (sowohl der Ho- lostei als der Chondrostei ) mit dem der Knochenfische einerseits, sowie anderer- seits mit jenem der Selachier und Chimären liefert werthvolle Ergebnisse für meine oben gegebenen Erklärungen. Es besteht nämlich bei den Ganoiden der knorpe- 124 C. Gegenbaur, Ueber den Brustgürtel und die Brustflosse der Fische. lige Brustgürtel der Selachier und Chimären in Verbindung mrl dci' knöchernen Clavicula, und zwar hei einigen in einer Ausdehnung nach oben wie nach abwärts, dass er für sieh allein den Gürtel fast zum Abschlüsse bringt. Bei Accipenser ist noch ein echtes Suprascapulare vorhanden ; bei Spatularia und den Holostei fehlt das und es ist nur ein Supraclaviculare da. Auch bei den Haien findet sich ein Suprascapulare. Während der grosse Schulterknorpel (\vv Störe die Ausdehnung wie die Textur mit dem Schultergürtel der Selachier gemein hat, besitz! er die Fortsatzbildung und Verbindung mit der Clavicula ganz mich dem Typus der Te- leostier, insbesondere der Physostomi , und verbindet so die Selachier mit den Knochenfischen. Auch der Schultergürtel der Chimären liisst sich seihst in seinen Einzelheiten mit jenem Knorpel der Störe in überraschenden Einklang bringen. Die Homologie des Schulterknorpels der Ganoiden mit jenem <\cv Chimären und Sela- . liier, wie milden hinter der Clavicula gelegenen Knochen der Physostomen liegt klar zu Tage. Will man daher in den der Clavicula angefügten Skelettbeilen nume- rus, Radius und t Ina erkennen, so muss man noth wendig den Schulterknorpel der Ganoiden, Selachier und Chimären gleichfalls als ein Aeqmvalent des llumerus, Radius und der Ijlna ansehen. Ich brauche nicht auseinander zu setzen, wohin «■ine solche Deutung führen wurde, abgesehen davon , dass sie in ihren Voraus- setzungen nicht begründet ist. Ebenso erheben sich aber auch durch jene Ver- gleichung Bedenken gegen das BmjCH'sche Acromion. Es würde bei Selachiern und Chimären der Schultergürtel durch das Acromion median vereinig! sein, was allen Beziehungen dieses Theiles entschieden zuwiderläuft. Während ich bisher die Deutung <\r\- Skeletstücke des Brustgürtels aus (\on Beziehungen, welche diese Theile unter sich besitzen, abgeleitet habe, fragt es sich weiter , inwiefern meine Aufstellung durch die Beziehungen gerechtfertigt ist, welche der Brustgürtel zu der Brust'losse selbst besitzt Es artieuliren mit. den hinter der Clavicula gelegenen , der Seapula und dem Coracoid homologen Stücken bei den Knochenfischen 3 bis 5, selten weniger, gesonderte aus Knorpel hervorgehende Knochen , deren mannichfaltige Verhältnisse hier nicht näher be- rührt werden können. .Man bezeichnet sie allgemein als Carpus. Die darauf fol- genden Stücke sind strahlig angeordnete, in distaler Richtung meist diehotomiseh getbeilte Skeletgebilde , die man dem Metacarpus und den Phalangen verglichen hat. Die Hand der Ejschc wird demnach eine vielfingrige sein , an der auch die einzelnen hintereinander gereihten Glieder ausserordentlich vermehrt sind. Ich kann mit dieser Anschauung, die wohl nur durch allzu hohe Werth- schätzung der am sogenannten Carpus vorhandenen Querreihung «1er stücke ent- standen ist, nicht einverstanden sein. Wenn die hinter der Clavicula liegenden Knochen Seapula und Coracoid sind, so kann deren weiter nach hinten sich an sie anschliessender Knochen nur der llumerus sein, ist es aber eine aus mehreren Stucken bestehende Reihe, so wird die ganze Reihe einem humeralen Abschnitte entsprechen, es weiden ebenso viele Ilumeri vorhanden sein, als einzelne Knochen. Man ist gewohnt , in jeder Vorderextrem ität nur einen llumerus zu wissen, weil eben alle übrigen Wirbellhiere nur einen einzigen aufweisen . daher erscheint es befremdend, wenn d^w Fischen eine grossere Anzahl zukommen soll, und doch lie- gen einmal die Thalsachen nicht anders, und diese allein müssen maassgebend sein. Die Brustflosse der Fische isi daher nicht sowohl als eine vielfingrige Hand als eine \ielarmige Extremität aufzufassen. Die an den humeralen Abschnitt ange- fügten »Strahlen« der Brustflosse, die dem Metacarpus und den Phalangen ent- i . Gegenbaur, Ein eigeiithüralicher Befund «hi der Eustaeh'scheu Klappe. 125 sprechen sollen , halte ich dagegen mit Bruch, so weit Dichl einzelne gewöhnlich dazu gerechnete Theile aus Knorpel hervorgehen, für dem typischen Wirbelthier- skelete fremde, mir den Fischen zukommende Bildungen , analog (\i'\i »Hornfaden« der Chimären- und Selachierflossen. Sie sind, bis auf die Stachelstrahlen ander Dorsal- und Ventralfläche i\cv Flosse glcichmässig \orliaiideno Gebilde, von denen immer ein Paar sich entspricht. Die knorpeligen »Strahlen« der Brustflosse der Selachier und Chimären sind dagegen typische Skelettheile , die mit den Strahlen der Brustflosse der Knochenfische nichts gemein haben. Beim störe werden einige Reihen der auf den knorpeligen humeralen Abschnitt folgenden Flossenknorpel von (\i'i\ knöchernen Strahlen überlagert, und dadurch wird die Verschiedenheit dieser Gebilde auf's Deutlichste dargelegt. Auch bei ^\cn übrigen Ganoiden leiden diese Theile nicht gänzlich. Es ist daher hier ein ganz analoges Verhalten gegeben wie bei Knochenfischen, wo Bruch beim Lachse und beim Karpfen an dem sogenannten Carpalabschnilt noch eine Reihe "\on knorpeligen Stückchen auffand. Welchen Tbeilen des Arm- und llandskelets die knorpeligen an den humeralen Abschnitt an- gefügten auch vielen Teleosliern zukommenden Gebilde der Selachier, Chimären und Store entsprechen, scheint mir noch nicht nachweisbar zusein. Die ausserordent- liche Vermehrung dov Zahl der aneinander gereihten und aufeinander folgenden Skeletstücke weist aufeigenthümliche, von den übrigen Wirbelthieren abweichende Zustände hin, wie sie in der Vermehrung des Numerus sich bereits aussprachen. Die Zurückführung auf Arm und Hand der übrigen Wirbelthiere kann aber nur so gedacht werden , dass ein grosser Theil des complicirten Flossenskelets verloren geht (wie solche Rückbildungen selbst unter den Fischen sich bis zum Extreme vor- finden), und nur ein Theil mit einem Humerusstücke fortbestehen bleibt. Üb es möglich ist, diese Reduction auf die bei den anderen Wirbelthieien bestehenden Skeletverhältnisse aus dem tbatsächhehen Befunde unmittelbar herzustellen, ist, nach meiner Ansicht vorläufig nicht abzusehen. Immerhin dürfte einiges schon durch die Erkenntniss gewonnen sein, dass der Stützapparat der Brustflosse der Fische dem homologen Gebilde der anderen Wirbelthiere sich nicht so fremdartig gegenüberstellt, als nach der bisher herrschenden Ansicht es den Anschein hatte. Ein eigenthiiiiiUcher itefuml an der Eustachischen Klappe. Von C. Gegenbaur. Grössere Reste der Eustach'schen Klappe im rechten Vorhofe des Herzens Er- wachsener gehören bekanntlich zu den häutigen Befunden. Bald ist es ein schma- lerer oder breiterer Saum, der die Einmündungssteile der unteren Hohlvenc bis zum Limbus f'ossae ovalis hin umgiebt, bald ist es eine ansehnlichere Lamelle, die auch die Breite eines halben Zolles nicht gar selten erreicht. Bei breiterer Be- schaffenheit ist die klappe meist durchbrochen, und weist grössere oder kleinere Fenster auf. Von ganz ausserordentlicher Ausdehnung hat sie einmal Barkow ge- troffen, wo ihre grösste Breite, wie nach der Abbildung zu messen, % P. Zoll be- trug. (Anatom. Abhandlungen. Breslau 1854. p. 28. Anmerk. Tat'. IL Fig. 2, a.) 126 < • Gegenbaur, Eigenthümlicher Befund an der Eustaeh'schen Klappe. Diesem singufören Falle kann ich eines von mir beobachteten anreihen , <\vv sich jedoch vom BARKOw'schen nicht unbedeutend unterscheidet. Bei einem nach der RETzius'schen Methode praparirten Herzen eines Erwachsenen fand ich näm- lich an der Stelle, von der die Valvula Eustachi] entspringt, einen 2 P. Linien breiten Sauin, der an zwei Orten etwas niedriger war und um die Einmündungssteile der V. cava inferior herum nach innen zum Isthmus Vieussenii zog, um dort allmäh- lich auszulaufen. Es wurden so zwei Dritttheile des Umkreises der Qeffnung der V. cava inferior umzogen. Vom freien Rande des Saumes entsprangen feine Fädchen, an einer Stelle 3 dicht aneinander, an einer andern 8, dazwischen noch vereinzelte andere. Diese Fädchen verbanden sich theils untereinander, theils liefen sie in ein Maschennetz aus, welches durch andere Fädchen an den Isthmus Vieussenii sich itefestigtc. Durch das Netz fühlten ;i weiter. Maschen, die übrigen waren alle viel enger, nur wenige von mehr als einer Linie Durchmesser. Ein Fädchen lief noch weiter und war am Tuberculum Loweri inserirt. Beim ersten Besehen dieses Zu- standes durch die Oeffnung der Hohlvene kam mir der Gedanke, dass hier etwas Fremdes vorliegen möchte. Die genauere Untersuchung, namentlich die Beachtung des Umstandes , dass der ganze untere Theil dieses Maschenwerkes nur mit dem Hände der Eustach'schen Klappe in Zusammenhang war, führte mich dahin , die embryonale Klappe selbst an dieser Bildung betheiligt anzunehmen Der Uebergang der Fädchen in den Klappenrand war zudem ein ganz conti- nuirlicher und hier und da zog sich der Klappenrand noch spitz in ein Fädchen aus. Ich habe einige dieser Fädchen , sowie auch einige Stückohen des in einer Ebene zum Isthmus Vieussenii ausgespannten Netzes der mikroskopischen Unter- suchung unterworfen und in ihnen zweifelloses Sehnengewebe gefunden, welches die ganze Bildung zusammenzusetzen schien. Blutgefässe nachzuweisen ist nih- il icht gelungen. Es kann die ganze Bildung bis auf den zweifellos als Klappenrest erscheinenden Hautsaumals ein pathologisches Product betrachtet werden, und dafür möchte die Verbindung mit der oberen Vorhofswand sprechen mittels eines scheinbar ab- errirenden Fädchens. Es liegt aber auch dieses Sehnenfädchen in gleicher Ebene mit den übrigen, und eine Vergleichung der Lagerung dieser Ebene mit jener in fötalem Zustande der Klappe zeigt, dass eine grosse Uebercinstimniung in beiden Fällen herrscht. Es nimmt das Sehnennetzwerk genau die stelle ein , welche die der Grössenzunahme des Herzens entsprechend sich vergrössernde Eustach sehe Klappe einnehmen würde. Daher möchte ich die ganze Bildung als aus der Eustach'schen Klappe hervorgegangen ansehen. Indem die Klappe mit dem Wachs- thum des Herzens noch gleichmässig fortschreitend sich vergrösserte , trat die Durchfcnsterung ein und die Membran schwand allmählich bis auf den schmalen Ursprungssaum und das davon ausgehende Netzwerk von Sehnenfäden , das sich in der Form an die Verhältnisse anschliesst, wie sie von Bin <;n für die Klappe des eirunden Loches beschrieben wurden. Bemerkt sei noch, dass das eirunde Loch bis auf eine schmale etwa 1% Linien lange Spalte geschlossen war. Ueber das Individuum , dem das Herz angehörte, kann ich nichts Näheres angeben. \, Geuther, Kleinere Mittheilungen. 1 27 Kleinere üitlheiliiiigen von A. Geuther. I. Ueber die Zersetzung des Braunsteins bei'm Glühen. Es findet sich allgemein die Angabe, dass der Braunstein durch Glühen nur so lange Sauerstoff zu verlieren im Stande sei , bis er sich in braunes Manganoxyd- oxydul verwandelt habe. Es mag das immer der Fall sein, wenn man ihn in grös- seren Gelassen und in grösserer Menge der Einwirkung des Feuers aussetzt, anders verhält sich die Sache aber, wenn Braunsteinstückchen in einem Flintenlaut', der in einem Röhrenofen mit Schornstein liegt , bis zur starken Hellrothgluth erhitzt werden. Dabei verliert er mehr Sauerstoff, indem er eine grüne Farbe annimmt und in Oxydul übergeht. Es geschieht das, obwohl eine stete Atmosphäre von rei- nem Saucrstoffgas ihn umgiebt. Die Beobachtung von Berthier , dass Braun- stein, im Kohlentiegel einer schwachen Weissgluth ausgesetzt , zu Alanganoxydul werde, kann durch die reducirende Wirkung des Kohlenoxydgases erklärt werden. II. Die Verwandlung des fleischfarbenen gefällten Schwefel- mangans in grünes Sc h wefel man gan geht nicht allein, wie Berzelius ge- funden hat , beim Glühen in einer Retorte vor sich, sondern auch , wenn man die das gefällte Schwefelmangan enthaltende Flüssigkeit einer niedrigeren Temperatur aussetzt, wenn man sie gefrieren lässt. III. Eine allgemein anwendbare Methode der Schwefel- bestimmung bei organischen Körpern. Es ist bekannt, wie die gewöhnliche Methode der Schwefelbestimmungen bei organischen Körpern Schwierigkeiten in zweierlei Hinsicht darbietet. Einmal in- sofern, als nicht alle Substanzen eine innige Mengung mit dem Gemische von koh- lensaurem Natron und Salpeter vertragen, wie z. B. Flüssigkeiten oder zähe Körper, dann aber, zum andern, tritt leicht an einzelnen Stellen , vorzüglich bei sehr koh- lenstoffreichen Verbindungen, eine Reduction des schwefelsauren Kalis zuSchwefel- kalium ein, da man, um ein schussartiges Herausschleudern aus dem Rohr zu ver- meiden, nurwenig Salpeter überhaupt dem kohlensauren Natron zusetzen kann. Sucht man dieses Schwefelkalium durch Schmelzen des ganzen Röhreninhalts wieder zu oxydiren, so wird eine grosse Menge von Kieselsäure aus dem Glas aufgenommen, welche beim Lösen der Masse schon, und später beim Uebersäuern lästig wird. Ich habe mich schon längere Zeit folgender Abänderung dieser Methode mit dem besten Erfolge bedient. Es wird ein an beiden Enden offenes Rohr von etwa 2 Fuss Länge und von etwas geringerem Durchmesser, als der von Verbrennungs- ^ röhren ist , zu etwa 8 Zoll ::=:{ fc» = B ' — ' E— B^1 (a — b) mit einem Gemenge e d e b (t von 10 Th. trocknerSoda und \ Th. Salpeter gefüllt und das Gemenge mit 2 Asbestpfropfen festgehalten , sodann wird vom leeren Ende e aus die Substanz in einem Röhrchen oder Glasschiffchen, 12S y> Geuther, Kleinere Mittheilungen. während das Rohr in horizontaler Lage festgehalten wird, eingeführt und dem As- best hei h bis auf etwa 5 Zoll Entfernung genähert, es wird sodann ein neuer As- bestpfropfen c eingeschoben bis nahe an das Schiffchen, dann eine abermalige etwa 3 Zoll lange Lage des Verbrennungsgemiseb.es nebst dem Asbestpfropfen bei d ; zuletzt wird der Kork mit dem Zuleitungsrohrehen e eingesteckt. So vorbereitet wird das Rohr in einen Verbrennungsofen gelegt und nun , nachdem das Gemisch von a — b und von c — d zum schwachen Glühen erhitzt worden ist, anfanglich im Luftstrono, später im Sauerstoffstrom , verbrannt. Dabei istnöthig, dass man die leere oder auch mit Asbest erfüllte Stelle des Rohrs (von der Substanz bis b so stark wie möglich glüht und die Substanz nicht zu rasch erwärmt An jener Stelle lagert sich die Hauptmenge der Kohle ab , welche später im Sauerstoffstroni leicht verschwindet, und es gelangen nur ovydirte Kohlen- und Schwefelverbindungen zum Salzgemenge. Letzteres sintert nur zusammen, schmilzt aber nicht (so stark darf nicht erhitzt werden) und löst sich durch gelindes Aufklopfendes Rohrs leicht von demselben los. Ist die Verbrennung etwas zu rasch gegangen und bei b etwas Schwefelkalium gebildet worden, was nicht durch den Sauerstoff wieder oxydirt wurde, so bringt man diese gelbliche Portion für sich in einen Platintiegel , über- streut sie mit etwas Salpeter und erhitzt, bis sie vollkommen oxydirt ist. Dir Familie «Irr Uussel<|iialleii (iWeilusae Geryonidae). Nun Ernst Haeckel. Fortsetzung*). V. .Hrtaninr|tlios(> von filossocorioii eiirybia (Liriope eurybia). (Hierzu Taf. IV.) Die Fortpflanzung*- und Entwickelungsvorhällnisse der Geryoni- den waren vor weniger als 10 Jahren noch völlig unbekannt. Man hielt sie für einfacher als diejenigen der meisten andern Medusenl'ainilien. Doch lernte man, nachdem zuerst Leickart 1856 an seiner Genjmid exigua [Liriope ligurina) die Existenz eines Larvenzustandes nachge- bt iesen hatte, die Metamorphose der Larven einer vierzähligen Gervonide genau kennen durch die treffliche Darstellung, welche Fritz Müller 1859 von den »Formwandelungen der LinOpe catharmensis bis S kleine. Unregelmässige, dunkle, stark lichtbrechende Körperchen auf (Fig. 'i(i) , welche erst seeundar zu einer einzigen oder ■2 grösseren otolithischen Concretionen verschmelzen (Fig. 48). Gleich- zeitig sammelt sich eine grossere Menge von Flüssigkeit zwischen dem Sinnesganglion und der umschliessenden blase an, und an der Wand der letzteren werden die beiden bügeiförmigen Sinnesnerven sichtbar, welche von dem Anheftungspuncte des Sinnesganglion zu der gegen- überstehenden Bläschenbasis am Knorpelring] verlaufen Fig. i7 und 48). Gewöhnlich erst nach der vollständigen Ausbildung des ersten gegen- ständigen Paares dov interradialen Randbläschen erscheint das damit alternirende zweite Paar derselben, welches sich ebenso an der Anhef- tungsstelle des jüngeren Paares der interradialen Tentakeln entwickelt. Die' weiteren Veränderungen , welche die Larve in dieser vierten Periode während der Entwickelung der 4 ersten Sinnesbläschen auf- weist, bestehen vorzüglich in der Entwickelung des Magens und in der stärkeren Ausdehnung der Schirmhöhle. Letztere nimmt eine halbkugelige oder noch flacher gewölbte Form an und ihre Höhe beträgt ungefähr die Hälfte der ganzen Schinnhöhe. In ihrem Grunde er- scheint der Magen als eine flache , breite , abgestutzt kegelförmige Hervorragung , gleich einem niedorn Trichter mit abgeschnittener Spitze. Er entwickelt sicli durch röhrenförmige Verlängerung des wul- stig verdickten runden Mundsaums, der nun auch häufig schon eine deutlich viereckige Form zeigt oder in contrahirtem Zustande selbst in 'i kreuzweise stehende" Lappen (Falten) ausgezogen erscheint. Im Grunde der ganz niedrigen, Ilachen Magenhöhle (die sich jetzt ganz gleich derjenigen der Aequoriden und namentlich der Aeginiden ver- hält) ist um diese Zeil fast regelmässig eine sehr stark lichtbrechende. fettglänzende Kugel zu bemerken, welche in einer weniger glänzenden. concentrischen Kugel (von dreimal so grossem Durchmesser) einge- schlossen ist. Ein gleiches Gebilde habe ich constant im Magengrunde jüngerer Individuen von Rhopalonerna umbüieatum [Calyptra umbilicata] beobachtet. 138 Ernst .Haei-kcl, Mit der Ausdehnung der Schirmhöhle ist auch ein rasches Wachs- thum des Velurns, sowie des anliegenden Knorpelringes am Schirm- rande verbunden. DieOeffnung des Veluins, welclie den Eingang in die Schirmhöhle bildet, erweitert sich bedeutend (Fig. 36). Endlich wird auch in diesem vierten Abschnitt der Entwickelung die Anlage des Nervensystems zum ersten Male deutlich sichtbar, dessen eigentliche Diff'erenzirung allerdings vielleicht schon in eine frühere Zeil fällt , aber wegen der ausserordentlichen Feinheit dieses Gebildes sehr schwer zu constatiren ist. Auch jetzt noch wahrend der Entwickelung der i ersten Randbläschen erscheint das Nervenccntrum nur als ein äusserst blasser und zarter, feinstreifiger, schmaler Ring oberhall) des Knorpelringes am Schirmrande, zwischen diesem und dem Cirkelcanal. Leichter und deutlicher sind die i kurzen , blassen Ner- venfäden zu verfolgen , welche von dem Nervenringe aus zu der Basis der I radialen Nebententakeln verlaufen und sich um so mehr verlän- gern, je weiter jetzt die letzteren von ihrer anfänglichen Anheftungs- slelle am Schirmrande sich entfernen und an der Aussenlläche des Schirmmantels emporsteigen. Es entstehen so in letzterer die 4 centri- petalen Spangen , welche oben beschrieben sind , theils verursacht durch die Ausdehnung der SchirmÖrTnung und das Wachsthum des Schirmrandes, theils dadurch, dass die Tentakeln, indem sie sich von dem Schirmrande entfernen, die für sie bestimmte Portion von Nessel- zellen, Muskelfasern und Nervenfasern in Form eines schmalen Stran- ges, eben jener centripetalen Spange (h), mit heraufnehmen. Die Larve von Glossocodon im vierten Stadium der Entwickelung hat die grösste Aehnlichkeit mit denjenigen Medusen, welche von Esch- scholtz als Eurybia exiguu (1. e. p. 118) und von Gegenbaur als Eury- biopsis anisostyla (1. c. p. 247) beschrieben worden sind. Namentlich letztere ist ohne Zweifel als die Larve von Liriope mucronata anzusehen. Die Larven lieben es in diesem Stadium , sich häufig in eigentüm- licher Weise zusammenzuziehen , w ie dies schon von Fritz Miller bei seiner Liriope catharinensis beschrieben ist. »Das Yelum wird fast bis zu völligem Verschlusse contrahirt und gleichzeitig die die Radiär- gefässe begleitenden Muskeln , wodurch die Schirmhöhle eine vier- lappige Gestalt annimmt; die Tentakeln werden durch diese Contrac- tionen nach innen geschlagen und schnellen dann plötzlich wieder nach aussen.« Diese plötzlichen zuckenden Bewegungen habe ich sowohl an den radialen Nebententakeln als an den interradialen nicht selten mehrere Male hintereinander wahrgenommen, wenn ich das bewe- gungslose , starre Thierchen plötzlich aus seinem Ruhezustande auf- störte. Sie stehen in eigentümlichem Gontraste zu den langsamen, Metamorphose von Glossocodon eurybia. 139 pendelartigen Bewegungen und Krümmungen, deren diese starren, so- liden Tentakeln ebenfalls fähig sind. Die fünfte Periode der Formwandelung von Glossocodon eurybia (Fig. 37) ist ausgezeichnet durch das paarweise Erschei- nender i radialen Haupttentakelü (t), welche späterhin, heim erwachsenen Thiere, von allen 12 Tentakeln allein übrig bleiben. Die Larven, bei denen man sie zuerst hervorsprossen sieht, haben einen Durchmesser von 2. 2 7s bis3mm. Das erste Paar erscheint unterhalb des alteren gegenständigen Paares der radialen Nebententakeln, das zweite, mit dem ersten alternirende , unterhalb des jüngeren Paares der letzteren. Bisweilen treten alle i fast gleichzeitig auf, andere Male aber auch das zweite Paar viel später, nachdem das erste schon eine beträchtliche Länge erreicht bat. Die radialen Haupttentakeln erschei- nen zuerst unmittelbar über dem Knorpel- und Nervenringe als kurze, dicke, kegelförmige Höckerchen (Fig. 38t), welche eine hohle Aus- stülpung des Cirkelcanals nach äussern darstellen. Die Höhlung des letzteren setzt sich unmittelbar in das Lumen des Tentakels fort, wie die Nesselwulste des letzteren mit dem Nesselepithel des Schirmrandes in genetischen) Zusammenhange stehen. Die radialen Haupttentakeln liegen nicht in derselben Meridianebene mit den entsprechenden, über ihnen befindlichen Nebenlentakeln. Ihr Ursprung liegt nämlich con- stant schräg neben den centripetalen Spangen, welche von den ein- springenden Winkeln des Schirmrandes zu der Basis der letzteren hinauflaufen. Ebenso liegt er später schief neben dem radialen Rand- bläschen , das sich an dieser Stelle entwickelt. Betrachtet man den Schirm von aussen oder von unten, so liegt die Ausstülpung des Haupt- tentakels aus dem Ringgefäss stets rechts von der zugehörigen Spange und vom Randbläschen. Die radialen Haupttentakeln wachsen ziemlich rasch, so dass sie häufig schon vor dem Auftreten der radialen Rand- bläschen die interradialen, und in ausgedehntein Zustande selbst den Schirmdurchmesser, an Länge übertreffen. Das jüngere Paar bleibt oft lange Zeit bedeutend kürzer als das ältere (Fig. 37). Während sich die radialen Haupttentakeln so ausbilden, beginnen die interradialen , deren Nesselpolster an Zahl zunehmen, in gleicher Weise an der Aussenfläche des Mantels emporzusteigen, wie es vorhin von den radialen Nebententakeln besehrieben wurde. Sie bleiben also nur noch durch eine centripetale Mantelspange mit dem Schirmrande in Verbindung. Zugleich wächst auch der Magen beträchtlich durch Verlängerung seiner Wände und geht aus der flachen Kegelform in die Gestalt einer gleichweiten cylindrischen oder fast vierseitig prismatisch abgeflachten Röhre über, welche in der Schirmhöhle bisweilen ungefähr 140 Ernst lliicckcl. bis zum Niveau des Velum herabhängend gefunden wird. Ferner wer- den an dein wulstig verdickten Mundsaume des Magens erst I, dann 8, zuletzt 16 Paare von warzigen Nesselzellengrüppen sichtbar (Fig. 17). Endlich erscheint um diese Zeil oft schon im Grunde der Magenhöhle die erste Anlage des Zungenkegels als ein spitzes, conisches oder eiför- miges Zäpfchen (Fig. i 2z). Die Canäle des Gaslrovascularapparates werden relativ schmäler, indem die Subumbrella zwisehien den Radial- canälen schneller als diese selbst wuchst. In dem sechsten Entw ickelungsstadiu in gelangt die pro- gressive Metamorphose von Gbssocodun eurybia zum Abschluss, indem nun auch noch die i r a d i a 1 e n S i n n e s b 1 ä s ch e n erscheinen und indem aus einer Verlängerung des Zungenkegels der Magenstiel her- vorgeht. Es ist diese Verwandelung schon an Larven von 3 bis 31/3min Durchmesser bemerkbar. Die I radialen Sinnesbläschen (bij ent- wickeln sich meistens ebenso paarweise, wie die interradialen, links neben den radialen Haupttentakeln und gerade unterhalb der radialen Nebententakeln, in einer Meridianebene mit diesen, und am unteren Ende der cenlripelalen Mantelspange, welche letztere mit dem Schirin- rande verbindet. Das erste Paar der Randbläschen erscheint an der Basis des älteren, das zweite an der des jüngeren Paares. Der Vorgang der Enlwickelung ist ganz derselbe, wie bei den interradialen Rand- bläschen (b i). Der Magen stiel oder Schirmstiel (p) entsteht nun dadurch, dass der Zungenkegel (z), welcher bisher als ein ganz freier Kegel vom Grunde der Magenhöhle in dieselbe hineinragte, allmählich den Magen- grund ganz ausfüllt, und indem er sich in einen unten conisch zuge- spitzten Cylinder auszieht, ringsum mit dem basalen Theile der Magen- wand dergestalt verwächst, dass nur die \ Löcher frei bleiben, durch welche die i Radialcanäle in die Magenhöhle münden (Fig. 42). Diese Löcher ziehen sich dann beim weiteren Wachsthume des cylindrischen Zungenkegels zu i Röhren aus, welche in der Oberfläche des letzteren liegen und aus dem Magen zur Subumbrella aufsteigen. Indem hierbei gleichzeitig der mit dem Zungenkegel verwachsene Magen von dem Grunde der Schirmhöhle abgehoben und schliesslich aus dieser hinaus- geschoben wird, bildet sich der jüngere, aus dein Grunde der Schinn- höhle immer weiter nachwachsende Theil des Zungenkegels , in dessen Oberfläche die i aufsteigenden Radialcanäle liegen, zum späteren Ma- genstiele aus. Der cylindrische Rasallheil des jungen Magenstieles er- schein! hei seinem raschen Wachsthume anfänglich oft dünner , als der bisweilen fast kolbenförmig angeschwollene, conisch zugespitzte, freie Theil . der als Zungenkegel in die Magenhöhlc hineinragt (Fig. 43). Metamorphose von Glossooodon eurybia. 141 Späterhin jedoch wird dieses Verhältniss umgekehrt , so dass der cy- lindrische Magenstiel an seiner Basis im Grunde der Sehirmhühle weit dicker, als am unteren freien Theile erscheint. Die weiteren Veränderungen, welche in der sechsten Periode noch zu bemerken sind , erscheinen von mehr untergeordneter Art und be- ziehen sich hauptsächlich auf beträchtliche Verlängerung der radialen Haupttentakeln, sowie auf die ansehnliche Abflachung des Schirmkör— pers, verbunden mit Erweiterung der Schirmhöhle. Hauptsächlich ist es das überwiegende Wachsthum des Schirmrandes, wo- durch diese Veränderungen bewirkt werden. Dasselbe bewirkt auch die Verlängerung der Hadialcanäle, welche jetzt relativ schmäler er- scheinen, sowie die weitere Verlängerung der 8 centripetalen Mantel- spangen, welche \on den 8 einspringenden Winkeln des Schirmrandes aus in der äusseren Mantelfläche zu der Basis der 4 interradialen und der i radialen Nebententakeln hinaufsteigen. Dadurch werden die 8 letzteren immer weiter an der Aussenflache des Schirmmantels herauf- gedrängt, so dass sie zuletzt oft fast auf halber Höhe des Schirmes aus- sen aufsitzen. Die radialen Haupttentakeln dagegen entfernen sich nicht weiter vom Schirmrande. Die radialen Nebententakeln gehen be- reits ihrem Untergänge entgegen , indem sie ihre Nesselknöpfchen ver- lieren. Auch die interradialen , welche mit der Ausbildung von 8 bis 10 Nesselpolslern ihre höchste Höhe der Entwickelung und eine Länge von etwa 2mm erreicht haben, wachsen nun nicht mehr. Glossocodon eufybia erscheint jetzt auf der Höhe seiner morpholo- gischen Ausbildung angelangt. Das Thierchen (meist von ungefähr i mm Durchmesser) besitzt I 2, Tentakeln in 3 Kreisen, 8 Sinnesbläschen und alle anderen Theile, welche sich am erwachsenen Thiere vorfinden. mit einziger Ausnahme der Geschlechtsorgane. Auch diese beginnen in seltenen Ausnahmsfällen schon sich zu entwickeln. Derartige ge- schlecht sreife Individuen mit allen 12 Tentakeln habe ich 2 oder 3 Mal beobachtet. Als ich das erste von diesen fand , war ich versucht, dasselbe für eine besondere Gattung und Art derGeryoniden- familie zu halten, Ins ich mich späterhin von der grossen Va ria b i- lilät der Entwickelung in dieser Familie überzeugte. Diese ge- stattet sehr beträchtliche Variationen in der Aufeinanderfolge und der Zeit des Erscheinens der einzelnen Theile ; so dass sich im Einzelnen viele und bedeutende Abweichungen von dem hier gegebenen die Re- gel darstellenden Schema nachweisen lassen. Die weiteren Veränderungen, welche nun noch die im sechsten Stadium der Entwickelung angelangte Larve durchläuft, bestehen nicht allein in der Entwickelung der Geschlechtsorgane, sondern auch in 142 Ernst Haeckol. einer regressiven Metamorphose der Tentakeln, nach welcher man noch zwei weitere Entwickelungssladien unterscheiden kann. Die siebente Periode der Verwandelung würde durch das Verschwinden der 4 radialen Nebententakeln charakterisirt sein, welche zuerst von allen 12 Tentakeln abfallen, wie sie auch zuerst erschienen sind. Schon in den vorhergehenden Perioden hatten dieselben ein ver- kümmertes Aussehen angenommen, waren schlaff und welk geworden und hatten ihren Nesselknopf verloren. Jetzt fallen dieselben an ihrer Basis ab und zwar entweder alle 4 gleichzeitig oder ein Paar nach dem andern, wahrscheinlich zuerst das ältere, zuerst erschienene Paar und erst nach ihm das jüngere, damit alternirende Paar. Ebenso würde der achte Abschnitt des Larvenlebens durch den Wegfall der 4 i n terrad ialen Ten takel n bezeichnet sein. Diese scheinen in der Regel alle 4 zusammen gleichzeitig abzu- fallen ; seltener beobachtete ich erwachsene Individuen , an denen nur noch die Rudimente von 2 gegenständigen interradialen Tentakeln (wahrscheinlich des jüngeren Paares) vorhanden waren, während die beiden anderen, mit ihnen alternirenden (vermuthlich das ältere Paar) schon abgefallen waren. Auch bei den interradialen Tentakeln schei- nen, wie bei den radialen Nebententakeln, dem völligen Verschwinden derselben mehrfache Veränderungen vorherzugehen, welche eine all- mähliche Rückbildung bezeichnen. Die Tentakeln werden schlaff, fal- tig, welk, verlieren ihren eigenthümlichen starren und vollen Habitus, und werden nicht mehr so steif aufrecht getragen. Namentlich biegl sich die erschlaffte Spitze zuerst um, wie denn überhaupt diese regres- sive Metamorphose von der Spitze der interradialen Tentakeln beginnt und allmählich nach der Rasis zu fortschreitet. Die abgewelkte Spitze scheint oft stückweise abzufallen, wie die abnehmende Zahl der Nessel- polster lehrt. Endlich hat die Rückbildung auch ihre Basis ergriffen : diese fällt ebenfalls ab, und es besitzt nun das erwachsene Individuum nur noch die 4 bleibenden radialen Haupttentakeln. Die Ent Wickelung der Geschlechtsorgane beginnt in Aov Regeierst, wenn die 8 Larvententakeln abgestreift sind. In seltenen Fällen, wie schon bemerkt , erscheinen dieselben bereits im sechsten Stadium, wenn noch alle 12 Tentakeln gleichzeitig vorhanden 'sind. Viel häufiger ist der Fall, dass dieselben bereits in der siebenten Periode sich zu entwickeln beginnen, wenn zwar die 4 radialen Nebententiikeln abgefallen, die 4 interradialen Tentakeln aber noch vorhanden sind. Doch ist auch dies immer nur als eine, wenn auch nicht seltene , Aus- nahme zu betrachten, als Regel dagegen, dass die Geschlechtsreife erst nach dem Abfalle aller 8 Larvententakeln eintritt. Die Entwickelune Anatomie von Carmarim hastata. 143 der Genitalien geschieh! bei beiden Geschlechtern in gleicher Weise und beginnt damit, dass die \ linearen, gleich breiten Radialcanäle in der Mitte ihres Verlaufes an der Subumbrella sich ein wenig erweitern oder vielmehr in der Fläche der Letzteren ausdehnen. Diese anfangs schnuiI lanzettförmige Verbreiterung wird allmählich breiter und breiler. dehnt sich auch entlang des Kadialcanals aus und wird so zu- letzt zu der ovalen, blattförmigen Tasche-, welche das fertige Genital- organ darstellt. An der unteren, der Schirmhöhle zugekehrten Flüche der tasehenfönnigen Ausbuchtungen entwickeln sich beim Miinnchen die Samenzellen, beim Weibchen die Eier. VI. Anatomie von Carmarina hastata (Geryania hastata). (Hierzu Taf. XI des ersten Bandes und Taf. V und VI dieses Bandes.) 1. Körperform. Schirm 'Mantel) und Schirmstiel ( Ma ge n s t i e 1) . Die erwachsene Cttnnarinu liaslata, welche in Fig. I, 2 und :\ in natürlicher Grösse dargestellt ist, gehört zu den grössten und ansehn- lichsten craspedoten Medusen , indem der Durchmesser ihres dach gewölbten Schirmes 50 bis 60 mm, die Höhe desselben 30 bis 40 m™ und die Länge (les Schirmstieles oder Magenstieles sogar 60 bis 90nnn er- reicht. Der gross te Theil des hutpilzförmigen Thieres ist farblos, was- serklar und durchsichtig; nur die Genitalien unterscheiden sich durch ihr opakes, matt weissliches Aussehen , das in manchen Fällen , jedoch nicht conslant und in verschiedenem Grade, auch das gesammteGaslro- vascularsystem zeigt. Einige Zeil nach dem Tode nimmt diese weiss- liche oder gelbliche Trübung zu , so dass dann der Cirkelcanal sow ie die radialen und centripefalen Canäle sehr deutlich hervortreten. Bei den meisten erwachsenen 'f liieren dieser Art, die ich beobachtete, wa- ren bestimmte Körpertheile röthlich gefärbt, namentlich die reichlich mit Nesselzellen und mit Muskelfasern versehenen Organe, wie Mund. Magen, die 6 Muskelbänder am Magenstiel, der Nesselsaum am Schirm- rand, die radialen Tentakeln und in geringerem Grade bisweilen auch das Velum. Die intensivste Färbung zeigten Magen, Nesselsaum und Tentakeln. Die Intensität der Färbung war sehr verschieden ; meist matt rosenrolh, bisweilen kaum bemerkbar. Ein einzelnes Indi\iduum zeichnete sich durch fast lebhaft purpurrothe Färbung aus; andere, sonst nicht verschiedene, waren aber auch fast farblos, so dass diese 144 törnsl Haeekelj oft sehr auffallende Färbung für den Speciescharakter von keinem Ge- wicht ist. Die- Form des Schirmes oder der ümbrella (Fig. 1 und 2) ist bald fast halbkugelig, bald aber Macher gewölbt, so dass die Höhe des Schirmes bald fast 2/8 , bald kaum '/., des Durchmessers beträgt. Die Dicke des 'Gallertmantels (lj beträgt bald %, bald fast die Hälfte der Schirmhöhe. Wechsel dter Manteldicke, der Schirmhöhe' und Schirm- wölbung scheinen in unmittelbarem Zusammenhange zu stehen und /um Theil von der aufgenommenen Nahrungsmenge abzuhängen. Zwei sein- wohlgenährte Individuen mit sehr dickem Gallertmantel und hoch- gewölbtem Schinne, welche ich 5 Tage lang in reinem Seewasser ohne alle Nahrung hielt, hallen während dieser Zeil bedeutend an Mantel- dicke und Schirmwölbung eingebüsst und erschienen viel flacher und dünner. Nach dem Schirmrande zu nimmt die Dicke des Gallertman- tels allmählich und gleichmässig ab (Fig. 1 und •>). Im Znslande der stärksten ContractioU, bei den heftigsten Schwimmbewegungen nimmt die eigentliche Wölbung des Schirmgipfels nur wenig zu, da vorzugs- weise die unteren und minieren Theile der (docke, oft last cylindrisch, zusammengezogen werden. Fig. 1 stellt ein Thier in diesem Momente dar, bei welchem der im höchsten Grade conlrahirle Schirm sich eben wieder zu dilaliren beginnt und das erschlaffende Velum durch den mächtigen Stoss des ausgetriebenen Wassers nach unten vorgetrieben wird. Ans der Mitte der l'nlerllache des Schirmes entspringt mit breil kegelförmiger Basis der dicke, solide, cylindrische Schirmstiel oder Magen" stiel (Pedunculus, Fig. 1 und 2 p); welcher 60 bis (.)0nmi lang, also eben so lang oder um die Hälfte länger als der Schirmdurch- messer ist und sich sehr allmählich gegen den Magen bin kegelförmig verdünnt (Fig. (.)(.)|»). In der Mitte beträgt seine Dicke gewöhnlich l\ bis 8""". Wenn die in seiner Oberfläche aufsteigenden 6 Radial- canäle sehr prall gelullt sind, erscheint er oft auf dem Querschnitt last sechseckig. Der bauin /wischen diesen <> Canälon wird von (> halb so breiten oder eben so breiten Muskelbändern eingenommen. Abgesehen von diesem Ueberzuge der Oberfläche besteht der Magenstiel aus der- selben hyalinen , vollkommen homogenen Gallertsubstanz wie der Schirmmantel selbst, dessen Fortsetzung er ist. Die schmalen \eiiislel- ten , unten im letzten Abschnitt näher zu beschreibenden Fasern, welche bei Glossocodon diese Gallerte durchziehen, scheinen bei Car- marina noch weit zahlreicher und mehr verästelt zu sein (Fig. 88 1 f). Auf Querschnitten des Magenstiels quillt die Gallertmasse oft halbkuge- lig oder last kugelig vor (Fig. b I). Anatomie von CarmHriiia hastata. 145 Die Gallertmasse des Magenstiels setzt sich beiCar- marina ebenso wie beiGfos— socodon, unmittelbar nach seinem Eintritt in den Ma- gen, in die Z n n ge (»der den Zungenkegel (Fig. 2, 4 und ö /. ) fort , der hier im Verhüll niss noch stärker ent- wickelt ist als bei Glossocodon . Die Gestall d< s Zungenkegels ist bei Carmarina mehr ge- streckt cylindrisch und erst nach dein fein zugespitzten linieren Ende zu allmählich kegelförmig verdünnt (Fig. Ki- "• Schema eines radialen Vortical- ,",,..'.,,. ., , Schnittes durch eine erwachsene geschlechtsreife 4 z) . Doch ist bisweilen auch , . ,. ' Carmarma hastata, rechts durch einen Radial- die Basis ein ziemlieh dicker cana] in seiner gahzen Länge [inks (hlI.(.h deD Kegel (Fig. 5 z), während Seitenflügel eines Genitalblattes in einer inter- andere Male der Magenstiel radialen Ebene gieführt. b. Randhläschen. sehr plötzlich in den \ iel c. Ringgefäss. g. Geschlechtsproducte. h. Man- i.. r/ ii telspange. k. Magen. 1. Gallertmantel, p. Ma- dunneren Zungenkegel zu- sammengezogen erscheint. Bisweilen ist die unlere feine Spitze spindelförmig ange- schwollen (Fig. •">). Die Gallertsubstanz des Kegels ist überzogen von einem einschichtigen Epithel, das ans polygonalen kernhaltigen Zellen von zweierlei Art zusammengesetzt ist (Fig. 6). Diese sind in der Weise auf G Paare alternirender bandförmiger Längsstreifen vertheilt, dass 6 breitere Streifen , die aus kürzeren und breiteren Zellen bestehen, abwechseln mit 6 schmäleren Streifen, die ans längeren und schmale- ren Zellen zusai engesetzt sind. Die \i alternirenden Bänder laufen in langgezogenen Spirallinien um die Axe des Kegels (Fig. (i). Unter dem Epithel befindet sich eine sehr dünne Lage von longitudinalen Muskelbändern. Vermöge seiner Gontractilität kann der Zungenkegel weit ans dem Munde bervorgestFeckt werden (Fig. 5), während er auch vollständig in die Magenhöhle zurückgezogen werden kann. Im letzteren Falle wird er mehrfach knieförmig oder wellenförmig gebogen und zu- sammengelegt (Fig. 4). Bei dem ruhenden , bewegungslos im Wasser schwebenden Thiere ist dann oft keim1 Spur von dem Zungenkegel wahrzunehmen (Fig. I) ; sobald alter das Thier gereizt und in lebhafte Band II. 2. 1 0 genstiel, r. Radialcanal. r I. Umbrales, rs. sub- umbrales Epithel des Etaclialcanals. u k. Knor- pelring \ Velum. z. Zunge. 146 Ernst Hiieckcl, Bewegung versetzt wird, oder wenn ein anderes vorbeischwimmendes Thier in die Nähe des Mundes kommt, streckt es den Zungenkegel weit aus der Mundöffnung hervor und bewegt ihn wie tastend hin und her (Fig. 2). In einer gewissen Lebensperiode fungirt der Zungenkegel als Knospenstock (Fig. 75), worüber unten der VIII. Abschnitt zu ver- gleichen ist. 2. Gastrovaseularsystem. Mund, Magen, Ernährungscanäle und Geschlechtsorgane. Der Magen (k) erscheint von dem unteren Ende des Magenstieles deutlich abgesetzt, theils durch seine trübere opake Beschaffenheit und das oft runzelig gefaltete Aussehen seiner Wände , theils durch seine spindelförmig oder glockenförmig erweiterte Gestalt. Doch ist die letztere sehr wechselnd, bald mehr kegelförmig oder cylindrisch, bald mehr sechsseitig-pyramidal oder prismatisch abgeflacht. Ebenso wech- selnd ist auch das Verhalten des Magens zum Munde und die Gestalt des letzteren. Der Mund (o) bildet bald bloss die trichterartig erwei- terte und mit einem verdickten Saum umgebene Ausmündung der Ma- genhöhle , welche stärker gefaltet und gerunzelt ist als die eigentliche Magenwand (Fig. 5) ; bald ist die Mundhöhle als eine besondere trich- terförmige Cavität durch eine enge Einschnürung von der darüber ge- legenen kugeligen oder spindelförmigen Magenhöhle getrennt (Fig. 1 , 2 und 4). Die Wände sowohl der Mund- als Magenhöhle sind äusserst contractu und können sich ebenso bei Aufnahme grosser Nahrungskör- per enorm ausdehnen , oft um das Mehrfache ihrer ursprünglichen Durchmesser, als sie, im entgegengesetzten Falle, auf einen sehr kleinen unansehnlichen Körper sich zusammenziehen können. Die Wände be- stehen aus einer sehr entwickelten äusseren longitudinalen und inneren eircularen Muskelfaserschicht. Bei der geringen Durchsichtigkeit und der bedeutenden Dicke der Wände ist der Verlauf der Muskelfasern auf Flächenansichten schwer zu verfolgen, während sich auf Querschnitten (Fig. 73) die innere dicke Ringfaserlage (k c) von 0,005 mm scharf von der äusseren dünnen Längsfaserlage (kl) von 0,002mm absetzt. Am leichtesten lassen sich einzelne Bündel von Längsmuskeln isoliren. Der meist in zahlreiche grössere und kleinere Falten gelegte Mundtrich- ter ist von einem verdickten röthlichen Nesselsaum (Fig. i o' und 5 o') umgeben, der aus sehr zahlreichen warzenförmig vorspringenden Nes- selpolslern zusammengesetzt ist (Fig. 89). Jedes halbkugelige Polster enthält eine Gruppe von radial gestellten Nesselzellen. Da die Con- tractions- und Faltungsznslände des Mundes noch mehr als die des Anatomie von Oarmarina hastata 147 Fig. 89. Ein rund- lich zusammenge- zogenes Stückchen dos Mundsati ms von Carmarlna hastata mit der marginalen Reihe von Nessel- knöpfen. Magens wechseln, so ist auch die Form der Mnnd- ötl'nung sehr Variabel und kann auch hier, wie dies bereits bei Glossocodon nachgewiesen wurde, nicht zur systematischen Charakteristik benutzt werden. Bald erscheint die Mundöffnung sehr weit, kreisrund und fast glatt, bald einfach sechseckig, bald stern- förmig in 0 oder seihst in 12 Falten gelegt, bald scheinbar in (> lange Lappen getheilt (Fig. 74) , die aber bei näherer Betrachtung sich ebenfalls als ein- fache Duplicaturen ergeben. Der scheinbar tief sechstheilige Mundsaum kann plötzlich wieder zu einer ganzrandigen kreisrunden Oeffnung verstrei- chen. Vom Mundrande aus ziehen zum Magengrunde 6 bandförmige Drüsenblätter, bestehend aus zahlreichen büschelförmigen Gruppen grosser einzelliger Drüsen (Fig. 73 d), deren dunkelkörniger Inhalt oft sehr deutlich sich absetzt von den helleren und blasseren Zellen des geschichteten Cylinderepithels (Fig. 73 k i), das die innere Magenfläche auskleidet. Diese G Magendrüsen scheinen sich ähnlich, wie die 4 Drü- senblätter im Magen von Glossocodon zu verhalten, sind jedoch hier noch schwieriger zu untersuchen. Die sechs Ba dialcanäle (r) entspringen im Grunde des Magen- schlauches, unmittelbar über der Slric- tur, durch welche der Magen sich mehr oder weniger deutlich vom Magensliele absetzt, und umgeben so den Ursprung des Zungenkegels (Fig. 4). Die 6 kreis- runden oder länglich runden , durch einen Schliessmuskel völlig gegen die Magenhöhle abschliessbaren Ursprungs- öflhungen der Canäle sind bisweilen in geöffnetem Zustande sehr deutlich sicht- bar (Fig. 4 i). Auf dem Querschnitte des Magenstiels (Fig. 4 Und 5) erscheinen die durchschnittenen Gefässe (q) meist als querelliptische Löcher (Fig. 88 q); Fig. 88. Horizontaler Quer- schnitt durch den Magenstiel von wenn sie durch reichliche Nahrung prall Carmarlna hastata. a p. Radialnerv, gefüllt und ausgedehnt sind, auch wohl 1- Gallertsubstanz des Schirmstiels. kreisrund : anderseits ist das Lumen, wenn sie entleert und zusammengezogen sind, oft kaum wahrnehmbar; die Canäle erscheinen dann als platte Bänder. 1 f Fasern in der Gallertsubstanz. m. Längsmuskela. p e. Epithel des Magenstiels, r 1. Umbrales, rs. sub- umbrales Epithel der aufsteigenden Radialcanäle. 10* 148 Ernst Haeckel, Dann tritt auch in der Mittellinie der Aussenfläche jedes Canals sehr deutlich die rinnonförmige Einziehung hervor , in deren Grunde der absteigende Theil des Radialnerven verläuft (Fig. 4 a"). Die kleinen, oft dichotom gelheilten Querfalten, welche von dieser Längsrinne aus- gehen, bergen vielleicht Seilenäste des Nerven, die zu den Muskeln gehen. Nach unten setzen sich die 6 Längsfalten der äusseren Canal- wände auch auf die Magenoberfläche fort, sind hier ebenso mit gespal- tenen Querästchen besetzt und enthalten vielleicht die Fortsetzung der 6 Radialnerven zu Magen und Mund (Fig. 4). Von ihrem Ursprünge am Magengrunde an bleiben die Radialcanäle in ihrem ganzen Verlaufe bis zum Girkelcanale fast gleichbreit, mit Ausnahme der tasehenförmi- gen Erweiterungen bei geschlechtsreifen Thieren. Von den 6 ebenso breiten oder nur halb so breiten röthlichen Muskelbändern (m) , durch welche sie längs ihres Verlaufs auf dem Magenstiele getrennt werden, setzen sie sich durch weissliche opake Färbung meist scharf ab , auch durch den Mangel der feinen Langsslreifung, welche erstere oft schon dem unbewaffneten Auge zeigen (Fig. 1 und 2). Rei schwacher Vergröße- rung markiren sie sich ausserdem durch das fein netzförmige Aussehen, das die dickwandigen grossen Zellen ihres Epithels hervorbringen (Fig. 5 r). Auch hier ist es, wie bei Glossocodon, nur das subumbrale, nach aussen gelegene Epithel der Radialcanäle (Fig. 88 r s) , welches aus diesen hohen derbwandigen Cylinderzellen besteht, während das umbrale , der Gallertsubstanz zugekehrte Epithel (Fig. 88 r 1) nur aus zarten , (lachen Pflasterzellen besteht. Im Grunde der Höhlung des Schirmes angelangt , biegen sich die 6 Radialcanäle auf dessen Unter- fläche (Subumbrella) um, und erweitern sich nun alsbald zu den flachen taschenförniigen Geschlechtsorganen. Die 6 Geschlechtsorgane oder G e n i t a 1 b 1 ä 1 1 e r (g) der erwachsenen Carmarina hastata zeigen eine Form, welche für diese Art sehr charak- teristisch ist (Fig. 1 bis 3 g). Während nämlich bei jüngeren Indivi- duen, deren Genitalien sich eben erst entwickeln, jedes Genitalblalt die Form eines langgezogenen gleichschenkligen Dreiecks hat, dessen Höhe die Rreite seiner nach innen gelichteten Rasis um das Doppelte über- trifft und dessen Spitze bis nahe an den Girkelcanal reicht, ziehen sich späterhin die beiden Ecken der Rasis in Aügelformige, dreieckige, seit- liche Anhange aus; zugleich wächst die Milte der Basis mehr nach in- nen hinein ; die beiden Seilenränder oder Schenkel des Dreiecks aber treten in der Mille ein wenig bauchig erweitert vor, und die nach aus- sen gerichtete Dreiecksspitze rundet sich ab. So erhält jedes Blatt eine charakteristische Spiess- oder Spontonform, nach der ich dieser Species ihren Namen gegeben habe und welche dieselbe leicht von den ver- Anatomie von GalrniarinJi hastata. 149 wandton Carmariniden (auch abgesehen von dem Zungenkegel) unter- scheiden lässt (Fig. I bis 3 g). Der Abstand zwischen beiden einander zugewandten Spitzen je zweier benachbarter Genitalblätter ist bei vollkommen geschlechtsroifon Thioren ungefähr ebenso gross als der Abstand der beiden Seitenspitzen jedes einzelnen Genitalblattes. Die Spitze erreicht den Cirkeleanal nicht ganz , wenigstens in der Regel. Die Form und Grösse der Genitalblätter ist bei beiden Geschlechtern nicht verschieden, doch kann man dieselben schon mit blossem Auge oft dadurch unterscheiden , dass die Hoden des Männchens (Fig. 2 g') feiner und gleichmässiger punetirt und dadurch stärker weisslich ge- trübt erscheinen, als die gröber körnigen, im Ganzen helleren und durchsichtigeren Ovarien des Weibchens (Fig. \ und 3 g"). Ihrer Ent- stellung nach sind die Genitalblätter nichts anderes als sehr flache seit- liche Ausstülpungen der Radialcanäle, mit deren Lumen ihre niedrige taschenförmige Höhlung auch beständig in offener Communication bleibt. Die Geschlechtsproducte , sowohl die Samenzellen des Männ- chens als die Eier des Weibchens, entwickeln sich nur aus dem Epithel der unteren, subumbralen, der Schirmhöhle zugekehrten Wand dieser Taschen und gelangen , nachdem sie die circularen Muskelfasern der Subumbrella auseinander gedrängt, unmittelbar nach aussen. Das Ber- sten des dünnen Epithelialüberznges der Subumbrella, welche durch die grossen reifen Eier zu einer äusserst zarten Platte ausgedehnt wird, und der Austritt aus deren Spalt sind bisweilen direct zu beobachten. In allen diesen Beziehungen verhalten sich die Genitalien der Carma- rina nicht wesentlich von denen des Glossocodon verschieden. So bilden namentlich auch hier die reifen Eier halbkugelige Vorsprünge über die Oberfläche der Subumbrella nach innen (Fig. 71 g) und auch hier sind die Eier meistens dergestalt gruppirt, dass in bestimmten Abständen vertheilte grössere Eier von Gruppen kleinerer hofartig umgeben sind, und dass zwischen diesen rundlich polygonalen Eierhaufen wandungs- lose Hohlräume übrig bleiben, die mit dem in der Mitte durch das Ge- nitalblatt offen hindurch tretenden Radialcanal bleibend in freier Com- munication stehen und von ihm aus Nahrungssaft zugeführt erhalten. Die sehr kleinen kugelrunden Samenzellen, deren jede ein einziges stecknadelförmiges Zoosperm zu entwickeln scheint, haben 0,006 bis 0,008'nm Durchmesser. Die Eier sind sehr grosse, kugelige oder po- lyedrisch abgeplattete Klumpen von 0,1 bis 0,15, bisweilen selbst von 0,2mm Durchmesser. Aus ihrem dunkeln, körnigen Dotter-Protoplasma (Fig. 7! g d) tritt der grosse, helle, kugelige Kern oder das Keimbläs- chen (von 0,04 bis 0,00 mm). oft deutlich doppelt contourirt, sehr scharf hervor. In dem sehr grossen Nucleolus desselben (Keimfleck) (von 150 Ernst Hacckel, 0.01 bis 0,OI5,nm) ist constant ein ansehnlicher Keimpunct (Nueleoli- nus, Punctum germinativum (von 0,001 bis 0,003 mm) nachzuweisen. Eine den Dotter umschliessende Membran fehlt mindestens den jünge- ren Eiern vollständig und ist auch an den älteren höchstens als eine sehr zarte Haut , vielleicht nur eine feslere Rindenschicht des Dotters vorhanden. Der Cirkelcanal (c) , welcher die durch die Mitte der Genital- blätter hindurchgetretenen 6 Radialcanäle aufnimmt, ist bei der er- wachsenen Carmarina ungefähr so breit, oft aber auch kaum halb so breit als das Yelum , und wie dieses, im Yerhältniss zu dem grossen Schirm , weit schmäler als bei Glossocodon. Meist ist er von gleicher Breite mit den Radialcanälen (Fig. 1 und 3). Wie bei diesen, ist sein Lumen je nach dem verschiedenen Füllungszustande mit Nahrung sehr verschieden, bald bandförmig eng, dünn und hoch, bald fast cylindrisch ausgedehnt. Datier erscheint er auf Querschnitten bald sehr dünn und schmal, bald mehr oval oder fast kreisrund (Fig. 71 c . Auch hier be- sitzen die beiden Canalwände ganz verschiedenes Epithel (Fig. 63, 6 4 und 71), indem das umbrale (innere) aus flachen zarten Pflasterzellen (c 1), dagegen das subumbrale (äussere, der Gallertsubstanz abgewen- dete) aus hohen dickwandigen Cylinclerzellen besteht (es). Nach unten grenzt der Cirkelcanal an den Knorpelring und den Nervenring. Nach oben sendet er die centripetalen blindgeendigten Fortsätze aus, welche für die Gattungen Carmarina und G&ryonia so charakteristisch sind. Die erwachsene geschlechtsreife Carmarina hastata besitzt zwi- schen je zwei Radialcanälen sieben blinde C en t ripetalcanäle, so dass deren im Ganzen 42 vorhanden sind. Demnach münden in den Cirkelcanal, wenn man noch die 6 Axencanäle der Tentakeln und die 6 offenen, vom Magen kommenden Radialcanäle dazuzählt, nicht we- niger als 54 Gefässe ein (Fig. I und 3). Die 42 Centripetalcanäle ent- wickeln sich nicht alle gleichzeitig; vielmehr treten zuerst nur 6 auf, je einer in der Mitte zwischen 2 Radialcanälen ( Fig. 57 j ; dann treten 12 andere auf, in der Mitte zwischen letzteren und jenen ersteren (Fig. 58 und o9 ; zuletzt endlich treten in der Mitte zwischen den nun vorhandenen 24 Gefässen gleichzeitig ebenso viele andere auf. Diese letz- ten 2 4 Centripetalcanäle erreichen nur ungefähr die Hälfte oder i Drittel der 18 ersten, so dass also zwischen je i Radialcanälen sich 3 längere und 4 kürzere blinde Centripetalcanäle vorfinden. Die längeren reichen mit ihren Spitzen bis zwischen die seitlichen Spitzen der Genitalblätter hinein. Die blinden Enden sind meistens stumpf, seltener zugespitzt (Fig. I und 3 ej. Anatomie von Garmarina hastata. 151 3. Skelet. Knorpel dos Schirmrandes und der Mantelspangen. Der Ringeanal bildet bei Carmarina, ebenso wie bei Glossocodon, nicht den Schi nn ra n d selbst. Vielmehr findet sich unter demselben noch ein eigener, dicker, wulstiger Reif, welcher die eigentliche Grenze zwischen Schirmrand und Velum bezeichnet. Es ist dies ein sehr ent- wickelter Knorpelring (uk), der von einem Nesselepithel überzogen ist und ein stützendes Skelet für das ganze Thier bildet, wie dies schon bei Glossocodon bemerkt wurde. Zwischen ihm und dem unteren Rande des Cirkelcanals liegt der Nervenring (a). Ausserdem stehen auch die Sinnesbliischen , die centripetalen Mantelspangen und die Tentakeln durch ihre Lage und Insertion zu dem Schirmrande und dessen ver- schiedenen ringförmigen Organen in der engsten Reziehung. Es er- scheint mir deshalb dieser Theil des Medusenkörpers von besonderer Wichtigkeit und ich sehe mich um so mehr veranlasst , hier auf dessen anatomische Verhältnisse genauer einzugehen, als dieselben bisher trotz ihrer hohen Redeutung ganz vernachlässigt worden sind und als sich in- folge dessen theils nur ganz unvollständige, theils sehr unrichtige An- gaben über die hier beisammenliegenden Theile vorfinden. Der einzige Forscher, der dem wichtigen Raue des Schirmrandes bei den Geryoniden bisher einige Aufmerksamkeil geschenkt hat, ist Fritz Müller, der auch allein den vortheilhaften Gedanken gehabt hat, durch Querschnitlsdarstellungen die Lagerungs- und Verbindungsverhältnisse der hier beisammenliegenden Theile aufzuklären. Doch sind die beiden Querschnitte des Mantelrandes , die er von seiner Liriope catharinensis giebt (1. c. Fig. 24 und 25), ganz schematisch gehalten, wie er auch selbst angiebt. Wahrscheinlich sind dieselben nur aus Flächenbildern abslrahirt. Schwerlich sind sie durch directe Anschauung gewonnen, da die Lagerung der verschiedenen Theile des Schirmrandes nicht der Na- tur entspricht und daher auch ihre Deutung irrig ausgefallen ist. Uebri- gens ist auch jene Geryonidenart so klein, dass es wohl sehr schwer sein würde, vom Manlelrande derselben befriedigende Querschnitte anzu- fertigen. Querschnitte können hier aber allein zum Ziele führen. Ein vorzügliches Object zur Anfertigung derselben bot mir nun meine grosse Carmarinu hastata und zahlreiche, sehr klare und demonstrative Schnitte, welche ich durch ihren verhältnissmässig dicken Mantelsaum an verschiedenen Stellen anfertigen konnte, haben mir die ziemlich schwierigen anatomischen Verhältnisse desselben so weit klar gelegt, dass ich die folgenden Angaben mit voller Sicherheit vertreten zu kön- 152 Ernst Haeckel, nen glaube. (Vergl. Fig. 63, 64 und 71 nebst deren Erklärung.) Al- lerdings habe ich nur in Salzlösungen aufbewahrte Thiere zu den Schnitten benutzt, da ich am lebenden Thiere dergleichen zu versuchen versäumt hatte ; indess waren die wesentlichen Verhältnisse an den gut conservirten Thieren doch vollkommen klar und sicher zu erkennen und zahlreiche von dem lebenden Thiere entnommene Flächenansichten kamen mir dabei wesentlich erläuternd und bestätigend zu Hülfe. (Vergl. Fig. 63 bis 66.) Der eigentliche Mantelsaum des Schirmrandes von Carmarina hastata , d. h. der untere zugeschärfte , freie Rand der Gallertscheibe oder der homogenen gallertigen Mantelsubstanz (e), erscheint schon für das blosse Auge nach unten ringsum abgeschlossen und namentlich von dem Velum abgegrenzt durch einen dicken, wulstigen, kreisförmi- gen Reifen oder Ring, der sich durch seine undurchsichtige Reschafi'en- heit und meistens auch durch röthliche Färbung von dem weniger opaken und weisslichen darüberliegenden Cirkelcanal unterscheidet (Fig. 1 bis 3 u, Fig. 63 bis 66 u k). Dieser dicke, wulstige Ring hat von allen Theilen des Mantelsaums die bedeutendste Dicke, Consistenz und Festigkeit und bildet eigentlich die feste Grundlage, das Skelet des Schirmrandes, welches vermöge seiner Resistenz und Elastici- tät demselben auch bei der stärksten Contraction des Velum seine Kreisform wahrt. Von früheren Reobachtern ist dieser wulstige, kreis- runde Saum des Schirmrandes hier, wie bei anderen Medusen, als der Nervenring betrachtet worden. Er enthält aber keine nervösen Ele- mente, sondern besteht wesentlich aus einem cylindrischen oder halb- cylindrischen Knorpel ringe (uk), umhüllt von einer Epithelial— Schicht , deren cylindrische Zellen namentlich an der äusseren Seite zahlreiche Nesselkapseln entwickeln (u e). Ich habe daher oben den ganzen Ringwulst als Nesselsaum (u) bezeichnet. Doch ist dieser Name besser auf den schmalen Ringstreifen von Nesselepithel zu beschrän- ken, der den Knorpelring überzieht. Die membranlosen Zellen (Fig. 70 u k,) des Knorpelringes sind kleiner und mehr rundlich als die Knor- pelzellen in den marginalen Mantelspangen und namentlich als die sehr grossen Knorpelzellen der embryonalen Larvententakeln. Dagegen ist ihre Intercellularsubstanz (Fig. 70 u k„) , die Knnrpelgrundsubslanz, reichlicher entwickelt, als die der letzteren (Fig. 70). Die Cylindei- epithelzellen (Fig. 63 bis 66 u e), welche den Knorpelring in einer ein- fachen Lage überziehen, entwickeln Nesselkapseln hauptsächlich an der nach aussen gekehrten, weniger an der unteren Seite des Ringknorpels, während sie nach innen flacher werden und in das Epithel der unteren Fläche des Velum (v e) übergehen. Anatomie von Carmarina hastata. 153 Die relative Lagerung der dem Ringknorpel zunächst anliegenden und ihn von oben her bedeckenden Theile ist nun der Art (Fig. 63, 6 i und 71), dass die obere Flüche des Knorpelrings (während die untere convexe frei nach unten und aussen sieht) nach innen anstössl an die Basis des Velum (v), nach aussen an den Mantelrand, d. h. den un- tersten verdünnten Rand der Schinngallerte (1) und in der Mitte zwi- schen diesen beiden an den unteren Rand des Cirkelcanals (c). Der Nervenring (a) liegt unmittelbar nach innen und unten von dem letz- teren. Auf Querschnitten durch den Mantelrand zwischen 2 Tentakeln (Fig. 71 ) erscheint daher der Nervenring (a) als das Centrum, um welches sich die anderen Theile anlagern ; und zwar liegt dann die Ba- sis (der angewachsene Aussenrand) des Velum (v) an der inneren, der untere Rand des Cirkelcanals (c) an der oberen, der untere Rand des Gallertmantels (1) an den äusseren und die obere ebene Fläche des Ringknorpels an der unteren Fläche des Nervenrings. So an allen Stellen des Mantelrandes zwischen den Tentakeln und den Randbläs- chen. Wird dagegen der Querschnitt durch die Rasis eines Tentakels oder noch besser durch die Insertion eines Randbläschens geführt, so wird das Lagerungsverhältniss etwas geändert (Fig. 63 und 64). Das Randbläschen (b) ist nämlich in dem unteren Rande der Schirmgallerte eingeschlossen, wird hier nach aussen von der centripetalen Manlel- spange (h), nach innen von dem unteren Rande des Cirkelcanals (c) begrenzt, und drängt den letzteren hier so nach innen, dass derselbe sich vom Ringnerven entfernt, und dass die obere Seite des Nerven, der hier zu einem Ganglion (f) anschwillt, unmittelbar unter dem Randbläschen liegt. Als Resultat dieser anatomischen Untersuchung des Sehirm- randes ergiebt sich also, dass derselbe nicht, wie bisher angenommen wurde , bloss aus dem unteren Rande des Cirkelcanals und einem Zellen- oder Nervenringe gebildet wird , sondern dass in die Zusam- mensetzung desselben nicht weniger als ß verschiedene ringförmige Theile eingehen, nämlich: I. der Knorpel ring i'uk), 2. der mit Nesselzellen versehene Epithelüberzug desselben oder der Nessel- ring (u e) , 3 . der N e r v e n r i n g (a) , 4. der G e f ä s s r i n g oder Cir- kelcanal (c) ; nach innen stösst an diese Theile 5. der äussere ringför- mige Rand des Velum (v) , nach aussen und oben endlich 6. der un- tere ringförmige, verdünnte Rand der Gallertscheibe (1) oder der Mantelran d. Ebenso wenig als der Schirmrand haben bisher die ma rgi nalen centripetalen Mantelspangen, welche bei den Geryoniden vom Schirmrande zur Basis der Larvententakeln in der Aussenfläche des 154 Krnst Haeckel, Mantels emporsteigen, eine genügende Beachtung gefunden. Und doch verdienen sie diese wegen ihrer Beziehung zu jenen embryonalen Ten- takeln in hohem Grade. Der Einzige, der diese wichtigen Gebilde er- wähnt, ist Fritz Müller. Der Beschreibung des Schirmrandes von Li- riope caiharincnsis fügt er hinzu: »Mit aller Wahrscheinlichkeit ist er als Nervenring zu deuten ; dafür spricht ausser den Randbläschen tragen- den Anschwellungen , dass sich von jeder dieser Anschwellungen ein zarter, aber scharf begrenzter Strang nach oben verfolgen lässt , 4 zur Basis der Tentakeln , 4 zu Puncten , an denen das jüngere Thier dem erwachsenen meist vollständig fehlende Tentakeln getragen hat« (1. c. p. 214). In der Abbildung (Fig. 24), wo dieser Strang irrig an die in- nere Seite des Randbläschens und des Mantelsaums verlegt wird , ist derselbe als »Tentakelnerv'?« bezeichnet. Die Gebilde, welche ich »marginale oder centripctale Mantelspan- gen« (h) nenne, sind in der gleichen Anzahl wie die Randbläschen vorhanden, bei Garmarina also 12. Sie verlaufen in der Aussenfläehc des Mantelsaums oder des unteren Randes des Gallertmantels und stei- gen hier von der Basis der 12 Randbläschen in radialer ( centripelaler) Richtung empor zu der Basis der 6 interradialen Tentakeln (y) und zu der Basis der 6 radialen Nebententakeln (s t). Die radialen Mantel- spangen sind von den interradialen nicht wesentlich verschieden. Beim erwachsenen Thiere sind beide fast von gleicher Länge , während bei der Larve die älteren radialen Spangen an Länge die erst später sich verlängernden interradialen Spangen bedeutend übertreffen. Die Man- telspangen eignen sich bei Carmarm« hastata wegen der beträchtlichen Grösse dieses Thiers besonders für eine nähere Untersuchung , wobei wieder Querschnitte durch den Mantelrand von besonderem Werthe sind (Fig. 63 und 64). Jede centripetale Mantelspange ist wesentlich eine Fortsetzung oder ein Ausläufer des Schirmrandes, in welche alle Theile desselben, mit Ausnahme des Gastrovascularcanales, eingehen. Es ist also in jeder Spange ein Knorpelstreif, ein Muskelbeleg, ein Ner- venstrang und ein Epithelialsaum mit Nesselzellen zu unterscheiden (Fig. 63 bis 65). Die feste und formgebende Grundlage, das Skelel jeder Spange, liefert, wie im Schirmrande selbst, der Medusenknorpel. Allerdings bildet derselbe nur einen schmalen Streifen , aus einer ein- zigen Reihe schmaler, langgestreckter Knorpelzellen bestehend (Fig. 63 h k und 64 h k). Indessen reicht die Festigkeit ihrer derben Grund-» subslanz oder der Knorpelkapseln doch hin, um der Mantelspange auch bei den verschiedensten Contractionszuständen des Schirmes ihre cha- rakteristische Form zu wahren. Diese ist bei Carmdrina hastata in der Weise hornförmig oder verkehrt S-förmig gekrümmt, dass die untere Anatomie von Cannariiia liastata. 155 Ilälfto eine starke Convcxität nach aussen , die obere eine eben so starke Vorwölbung nach innen ( in die Mantelgallerte hinein ) zeigt (Fig. I und i h). Die Spange ist von unten nach oben allmählich ver- dünnt, so dass sie an der Basis, wo sie vom Mantelrand ausgehl, am dicksten ist. Dem entsprechend nehmen die Knorpelzellen von unten nach oben allmählich an Dicke ab, an Länge aber gleichzeitig zu; die untersten sind daher fast münzenförmig abgeflacht, die mittleren Cylin- der von gleicher hänge und Dicke, die oberen langgestreckte Cylinder, welche oben convex, unten coneav sind. Wie bei den interradialen Tentakeln und bei den radialen Nebententakeln ist das Knorpelskelet zunächst umhüllt von einem continuirlichen Muskelrohre (hm), dessen quergestreifte Fasern sämmtlich longitudinal verlaufen. An der inneren Seite, wo die Mantelspange der äusseren Fläche des unteren Schirm- randes angewachsen ist, folgt nun unmittelbar das sehr dünne, gross- zellige Plattenepithel des Ectoderm. An der äusseren Seite des Span- genmuskels (h m) dagegen liegt der zarte, blasse Nervenstrang an (hn), welcher von dem Ganglion des Ringnerven zur Basis des Larvententa- kels emporsteigt. Dieser endlich ist überlagert von demselben Cylin- derepithel, das den Knorpelring umkleidet, und das, wie dort , zahl- reiche Nesselzellen entwickelt (h e). Die Mantelspange ist also ihrem Baue nach wesentlich als ein Ausläufer des Schirmrandes zu betrachten und diese Auffassung wird durch die E ntwickelungsgeschichte vollkommen gerecht- fertigt. Die Mantelspangen entstehen dadurch, dass die Larvententa- keln, sowohl die interradialen als die radialen Nebententakeln , welche ursprünglich unmittelbar aus dem Mantelrande hervorkeimen und die- sem aufsitzen , sich späterhin von demselben entfernen und , durch Wachsthum des gallertigen Mantelrandes , eine Strecke weit an dessen Aussenfläche hinaufsteigen. Dabei nehmen sie von den benachbarten, für sie brauchbaren Theilen ein Stück mit fort, ziehen gewissermaassen einen Zipfel des Schirmrandes nach sich , der so zu der centripetalen Spange sich verlängert. So entsteht auch der einspringende Winkel an der Basis der Spange , welcher durch eine Einziehung des Schirm- randes bedingt ist. So lange die Larvententakeln exisliren, ist die we- sentliche Function der Mantelspangen darin zu suchen , dass sie den centripetalen Nerven von dem Xervenring zur Tentakelbasis hinüber- führen. Der Nerv bleibt auch späterhin, nach dem Abfall der Larven- tentakeln, noch bestehen, und strahlt wahrscheinlich seine Fäden über die Manteloberfläche aus. 156 Ernst Haeckcl, 4. Muskelsystem. Tentakeln, V e lu m und Subumbrella. Carmarina hastata besitzt als erwachsenes und geschlechtsreifes Thiernur 6 radiale Tentakeln (Haupltentakeln), indem die 6 interradia- len Tentakeln und die 6 radialen Nebententakeln , welche die Larve auszeichnen, noch vor dem Eintritt der Geschlechtsreife (wie bei Glos- socodon curybia) verloren gehen. Diese letzteren werden daher unten in der Entwickelungsgeschichte beschrieben werden. Die 6 radialen Haupttentakeln , welche uns hier allein beschäftigen , sind aussen am Schirmrande, schräg gegenüber der Einmündungssteile der 6 Badial- canäle in den Girkelcanal, befestigt, entspringen jedoch (ebenfalls wie bei Glossocodon) nicht von dieser Einmündungsstelle selbst, sondern neben derselben, auf der rechten Seite (bei der Betrachtung des Schinn- randes von aussen oder von unten) . Oft sind sie um mehr als das Dop- pelte ihrer eigenen Breite von jener Einmündung entfernt. Die Inser- tion der Tentakeln am Schirmrande ist ferner oberhalb des Knorpel - rings, so dass der Canal , den das Binggefäss in jeden Tentakel hinein sendet, und der diesen bis zu seinem blinden Ende durchläuft, die ganze Dicke des Gallertmantels oberhalb des Knorpelringes durch- brechen muss (Fig. 98). Die Tentakeln der erwachsenen Carmarina sind im Verhältniss zur beträchtlichen Grösse des Thieres sehr dünn ( verhältnissmässig viel dünner als bei Glossocodon] , aber zugleich sehr lang. Wenn sie in voll- kommen erschlafftem Zustande von dem Mantelrande des bewegungslos im Wasser schwebenden Thieres herabhängen (Fig. I ) , erreicht ihre Länge oft über 1 , selbst bis 2 Fuss , so dass sie die Länge des Magen- stiels bisweilen um .mehr als das Vierfache übertreffen. Jeder Tentakel erscheint dann wie eine zierliche Perlenschnur, da die sehr zahlreichen ringförmigen , röthlichen Nesselwülste , welche in gleichen Abständen den Tentakel besetzen, durch 3- bis 4mal so lange, dünnere, farblose, nesselfreie Internodien voneinander getrennt sind. Doch bedarf es nur einer geringen Beizung, z. B. einer leisen Berührung der Tentakeln oder des Schirmes mit der Nadel, um die Tentakeln zur Verkürzung zu bewegen, wobei sich die Perlenschnüre in der zierlichsten Weise lang- sam aufrollen, indem die einzelnen Perlen durch Contraclion der Inter- nodien genähert werden. Bei heftigerer Reizung, z. B. beim Abschnei- den eines Tentakels , gerathen die Fäden in sehr lebhafte Bewegung, und während das erregte Thier mit zusammengezogenem Schirme kräf- tige Schwimmstösse ausführt, bewegen sich die langen, feinen Fäden, Anatomie \<>u Cftrmarina hastata. 157 wie ein Knäuel von vielen verschlungenen Anneliden, im buntesten Spiel wild durcheinander und gewähren mitunter ein höchst anziehen- des Schauspiel. Namentlich verschlingen sich mehrere Tentakeln dann oft zu dicken Knoten, welche wahrhaft unentwirrbar erscheinen (Fig. 2). Wie ein Convolut zahlreiche!' dünner Würmer kriechen und schlängeln sich die verschiedenen Fäden durcheinander, bis dann plötzlich wieder die Lösung des scheinbar unauflöslichen Knotens eintritt und die ein- zelnen Fäden frei sich durch das Wasser schlängeln. Auch die abge- rissenen Stücke der Fäden zeigen noch grosse Beweglichkeit und krie- chen wie Würmer umher. Bisweilen sind auch die ruhig herabhän- genden Fäden in Knoten verschlungen und hängen dann in zierlichen Bogen zusammen, wie das in Fig. 1 von 3 Tentakeln dargestellt ist. Die radialen Haupttentakeln von Carmarina hastata zeichnen sich durch eine überraschende CompliGation ihrer Slructur aus , die wahr- scheinlich bei allen Geryoniden in gleicher Weise wiederkehrt, die aber bis jetzt den Beobachtern völlig entgangen ist. Schon bei der äusser- lichen Betrachtung der Tentakeln bei schwacher Vergrösserung gewahrt man eine Anzahl von abwechselnd helleren und dunkleren Längsslrei- fen , die namentlich an den durchsichtigen nessclfreien Internodien sehr deutlich hervortreten. Versucht man nun, durch Anfertigung von Querschnitten sich genauer über die Anordnung und Bedeutung dieser longiludinalen Bänderung zu unterrichten, so wird man auf gut gelun- genen Querschnitten durch ein äusserst zierliches Bild überrascht, wel- ches in Fig. 60 bei schwacher Vergrösserung (70) dargestellt ist, während Fig. Gl einen radialen Ausschnitt desselben bei stärkerer Vergrösserung (300) zeigt. Während es noch ziemlich leicht gelingt, leidliche Quer- schnitte zu gewinnen, so ist dagegen die Anfertigung von hinreichend dünnen Längsschnitten mit sehr grossen Hindernissen verbunden, und auch wenn diese ziemlich gelungen sind, so ist dennoch die Deutung des eigenthümlichen Baues, der nur aus der Vergleichung der durch longitudinale und transversale Schnitte erhaltenen Bilder sich feststel- len lässt, mit ausserordentlichen Schwierigkeiten verknüpft. Obwohl ich wochenlang diese Tentakeln auf Längs- und Querschnitten und mit Hülfe verschiedener Beagentien untersucht habe, und obwohl ich über die wesentlichen Eigentümlichkeiten ihrer Structur jetzt klar zu sein glaube , so muss ich dennoch auf eine bestimmte Deutung derselben verzichten. Es ist dies hauptsächlich dadurch bedingt, dass die mus- cnlösen Elementartheile der wurmförmig sich zusammenziehenden Tentakeln ganz andere sind, als diejenigen, welche die anderen Muskeln des Körpers zusammensetzen. Auf gelungenen Querschnitten durch einen radialen ] 58 Ernst Haeclecl, Haupttentakel, die eine kreisrunde Scheibe darstellen (Fig. 60 und 6 1 ) gewahrt man von innen nach aussen folgende 4 Schichten : •1. ein inneres, die Centralhöhle des Tentakels begrenzendes Cylinder- epithel (te); 2. einen aus hellen, concentrischen, kreisrunden Streifen zusammengesetzten Hing (t c) ; 3. eine dicke Mittelschicht, welche aus ungefähr 60 Paaren von abwechselnd hellen und dunkeln radialen Streifen zusammengesetzt ist (t 1 und t m) ; 4. ein äusseres, zahlreiche Nesselzellen enthaltendes Gylinderepithel (tu). Das genauere Verhallen dieser 4 concentrischen Lagen ist folgendes : I . das innere Gylin- derepithel (t e) von 0,03mm Dicke besteht aus einer einzigen Lage von hohen , schmalen , cylindrischen Zellen mit Kern , welche wahr- scheinlich Flimmercilien tragen und das Lumen des hohlen Tentakels unmittelbar umgeben. 2. Die zweite concentrische Lage (tc), der ganz durchsichtige , glashelle , fast structurlose Ring , welcher im Mittel 0, 03 mm breit ist und das Canalepithel als ebenso dickwandiger Hohl— cylinder uinfasst, zeigt sich bei sorgfaltiger Untersuchung aus kleineren concentrischen, hyalinen, kreisrunden Ringen von 0,0 I mm Rreite zusammengesetzt. 3. Die dritte, sehr mächtige, ringförmige ra- dialgestreifte Schicht (tlundtm), die ungefähr 4- bis Gmal so breit, als jede der beiden ersten ist (im Mittel 0,1 bis 0,!5mra breit), erscheint zusammengesetzt aus ungefähr 60 hellen, hyalinen Radial- streifen und ebenso vielen damit alternirenden dunkleren , scharf da- von abgesetzten Streifen. Die Zahl dieser abwechselnden radialen Streifenpaare ist in verschiedenen Lebensaltern verschieden und nimmt mit dem Aller zu. Rei erwachsenen Thieren finden sich deren meistens zwischen 50 und 60 , selten bis gegen 70 Paare vor. Die glasartig durchsichtigen, hellen Streifen (tl) , welche aus derselben Substanz wie die concentrischen Ringe der zweiten Lage (t c) bestehen , erschei- nen meist ganz structurlos, oder nur sehr undeutlich und zart gewür- felt oder gepflastert, wie aus sehr kleinen , rundlich-polygonalen Kör- perchen zusammengesetzt. Die meisten hellen Radialstreifen sind linear, gleich breit vom inneren bis zum äusseren Ende. Das letztere ist convex abgerundet, während sich das innere Ende kaum von der gleichartigen hyalinen Substanz der zweiten Lage abgrenzt. Einige helle Radialstreifen sind bisweilen nach aussen hin gabelig getheilt, indem gewöhnlich nicht alle dunklen Streifen durch die ganze Dicke der dritten Schicht von aussen nach innen durchgehen, sondern einige meistens nur eine gewisse Strecke weit von aussen nach innen hinein- ragen (Fig. 60 und Ol). Diese dunklen Radialstreifen (1 in sind nicht gleichbreit linear wie die hellen mit ihnen alternirenden Streifen, sondern von aussen nach innen allmählich verschmälert, s<> dass sie in- Anatomie von Carraarina hastata. 159 nen in eine stumpfe Spitze auslaufen, während sie aussen mit breiterer Basis in die unterste Schicht der vierten Lage unmerklich übergehen. Jeder dunkle Etadiaistreifen ist zusammengesetzt aus i unregelmässigen nebeneinander verlaufenden Reihen von glänzenden , runden oder länglichrunden, bisweilen auch durch gegenseitigen Druck etwas poly- gonal abgeplatteten Körperoben von 0,003 bis 0,01 "nn Durchmesser, welche durch eine scheinbar feinkörnige dunkle Zwischenmasse, be- stehend aus kleineren und grösseren dunklen Körnchen, getrennt sind. Sowohl diese Zwischenmasse, als die beiden Reihen glänzender Kör- perchen sind chemisch verschieden von der hyalinen Substanz der hel- len Radialstreifen. Jede der beiden Reihen glänzender Körperchen bil- det häufig einen ziemlich regelmässigen Saum um den Rand des ihr anliegenden hellen Radialstreifens und umsäumt auch noch das äussere, oft nach aussen vorquellende Ende des letzteren , indem sie in die nächste Reihe des benachbarten dunklen Streifens übergeht , welche den entgegengesetzten Rand des hellen hyalinen Streifens säumt. An dem inneren Ende des dunklen Radialstreifens sind die glänzenden Körperchen meist kleiner und durch zahlreichere dunkle Körperchen feineren Kalibers getrennt. In der radialen Mittellinie jedes dunklen Radialstreifens nehmen die kleineren dunkleren Körperchen nach aus- sen hin eine breitere Zone ein und gehen endlich unmerklich über in die feinkörnige dunkle Substanz , welche auch in der tiefsten Lage der vierten und äussersten Schicht des Querschnitts sich findet. 4. Diese vierte concentrische Lage endlich wird gebildet durch das äussere G \ 1 inderepithel (tu) des Tentakels , welches in den nesselfreien Internodien ungefähr so hoch wie das innere Epithel (0,03 mm stark), in den damit alternirenden Nesselwülsten aber 2- bis 3mal so stark (0,06 bis 0,08lum hoch) und aus mehreren, mindestens 3 verschiedenen Schichten zusammengesetzt ist (Fig. 91 A). Die innerste Lage, welche ich die Schicht der Büschelzellen nenne, wird aus sehr dünnen, fast fadenförmigen Cylinderzellen zusammengesetzt , welche büschel- weis auf dem convexen Aussenrand der hyalinen Radialstreifen sitzen und oft mehrfach verbogen , bisweilen fast wellenförmig geschlängelt erscheinen. Jedes Büschel (Fig. Ol R) besteht aus etwa 5 bis 10 dünn cylindrischen, in der Mitte einen länglichen Kern enthaltenden Zellen (Fig. 91 C) , welche eine central stehende kegelförmige dicke Zelle (Fig. 91 D) umfassen. Die nach aussen gekehrte Rasis der Kegelzelle scheint vertieft zu sein zur Aufnahme des unteren oder inneren dünnen Endes einer ähnlichen Kegelzelle der zweiten oder mittleren Epithel- schicht. Diese mittlere Lage nenne ich Schicht der Flaschen- zellen, weil sie grossentheils aus sehr eigenlhümlichen , einer lang- 160 Ernst Haeckel, halsigen Weinflasche ähnlichen Zel- len besteht (Fig. 91 E). Der lange, oft am Ende knopfförniig verdickte Hals der letzteren liegt in der drit- ten oder nesselnden Epithelschicht und füllt die Zwischenräume zwi- schen deren Nesselzellen aus, wäh- rend der dickere cylindrische Fla- schenkörper , welcher den Zellen- kern einschlicsst , zwischen den dicken kernhaltigen Kegelzellen (Fig. 91 E) der zweiten Schicht Fig. 91. Epithelzellen aus einem liegt. Die nach aussen gekehrte Ba- Nesselvvulst der radialen Haupttentakeln sjs cler letztgenannten Kegelzellen, welche etwas grösser als die der untersten Schicht sind, scheint ver- tieft zu sein zur Aufnahme des in- von Carmarina hastuta des Epithels in seiner ganzen Dicke, aus 3 Schichten bestehend : I. Schicht der Büsehelzellen. II. Schicht der Flaschen- zellen. III. Schicht der Nesselzellen, neren convexen Endes der Nessel- Aus i Nesselzellen der obersten Schicht zellen (Fig. 68), welche zusammen ist der Nesselschlauch, aus einer zu- ulU den Halsen d(?r Fiaschenzenen gleich der Nesselladen hervorgetreten. ,. , . T ° V,.. .'- ., , „ -j, , ..... die dritte äusserte Lage des äusse- B. Eine Kegelzelle der ersten, tielsten ° Schicht, von Büschelzellen umgeben. ren Tentakelepithels, die Schicht C. Eine Gruppe von Büschelzellen der der Nesselzellen bilden. Die ersten Schicht. D. Eine Kegelzelle der unter den Nesselzellen gelegenen ersten Schicht. E. Zwei Kegelzellen und Kegelzellen zweiter und erster Ord- zwei Flaschenzellen der zweiten , mitt- ,. . x, . , . , „ , . .. nung dienen vielleicht, indem sie leren Schicht. ° von innen nach aussen nachrücken, zum Ersatz der Nesselzellen , welche durch Sprengung der Nesselkap- seln verloren gehen. Lässt man auf einen derartig zusammengesetzten Querschnitt eines radialen Tentakels verschiedene chemische Reagentien, z. B. verdünnte Säuren, einwirken , so scheint derselbe für die oberflächliche Betrach- tung nur aus zweierlei verschiedenen Substanzen zu bestehen, nämlich aus den epithelialen Bildungen [innerem und äusserem Epithel), welche durch die Säuren getrübt weiden, und aus der hyalinen structurlosen Substanz (zweite Lage und helle Radialstreifen der dritten Lage . welche zwischen den beiden Epithelschichten Hegt und durch Säuren nicht getrübt wird. Die dunklen Radialstreifen der dritten Schicht se- hen wie Fortsätze aus, welche das äussere Epithel in die hyaline mitt- lere Substanz hineinschickt. Namentlich hat das Bild, welches gute, genau senkrecht zur Tentakelaxe geführte und dünne Querschnitte ge- Anatomie von Carraarina hastata. 1G1 ben, auffallende Aehnlichkeit mit demjenigen, welches gewisse drüsige Apparate auf Flächenschnitten mancher Schleimhäute liefern. Die dunk- len Radialstreifen sehen wie schlauchförmige Drüsen aus , die von dem äusseren Epithel nach innen eingestülpt sind. Die beiden Reihen glän- zender Körperchen (t m) gleichen dem Epithel einer längsdurehsehnit- tenen Schlauchdrüse (Fig. Gl). Die Längsschnitte der radialen, Haupttentakeln sind, wie schon bemerkt, in genügend dünnen und durchsichtigen Schichten nur sehr schwierig und unvollkommen auszuführen, und dennoch ist ihr genaues Studium unerlässlich, um über die Bedeutung der oben beschriebenen merkwürdigen Querschnittsbilder eine richtige Ansicht zu erhalten. Die blosse Betrachtung der Tentakeln von aussen erläutert so gut wie nichts , da das dicke und undurchsichtige äussere Epithel die innere Struclur verdeckt. Im Allgemeinen liefern die besten Auf- schlüsse die tangentialen Längsschnitte, und namentlich diejenigen, welche ungefähr durch die Mitte der dritten (radial gestreiften) Schicht oder noch näher der Aussenfläche derselben geführt werden. Auf sol- chen tangentialen Längsschnitten durch die radial gestreifte Schicht (Fig. 62t) erblickt man weiter nichts, als eine Anzahl von regel- mässig alternirenden dunkleren und helleren parallelen Längsstreifen. Die hellen Streifen sind fast alle von der gleichen Breite (im Mittel 0,01 mm) ; dagegen die mit ihnen abwechselnden dunklen Längsstreifen von verschiedener Breite : ist der Tangentialschnitt durch die Mitte der dritten Schicht gegangen, so sind sie eben so breit, als die hellen Strei- fen ; ist der Schnitt durch den äusseren Band der dritten Schicht ge- gangen, so sind sie doppelt so breit; ist er durch den innern Band ge- gangen, so sind sie nur halb so breit als die hellen Streifen. Bei ge- nauerer Untersuchung zeigen sich die hellen Longitudinalslreifen entweder ganz structurlos und hyalin, oder sie lassen nur eine äusserst zarte und blasse longiludinale Streifung erkennen ; sie sind der Länge nach spaltbar und es gelingt beim sorgfältigen Zerzupfen , sie in äus- serst blasse und zarte, sehr lange und schmale Fasern zu zerlegen. Diese sind durchaus homogen und lassen auch nach Behandlung mit Säuren etc. keine Kerne entdecken. Dagegen gelingt es ziemlich leicht, die dunklen Längsstreifen, welche im Ganzen betrachtet eine sehr un- regelmässige und feine longitudinale Streifung zeigen und von zahl- reichen länglichrunden Kernen durchsetzt sind , in ihre Bestandteile zu zerlegen. Beim sorgfältigen Zerzupfen mit Nadeln zeigt es sich, dass sie ganz vorwiegend, fast ausschliesslich aus parallel verlaufenden und eng verbundenen sehr langen Strängen bestehen und jeder dieser letz- teren ist wiederum aus langen und starken spindelförmigen Fasern zu- Band II. 2. < 1 1G2 Ernst Hueckel, sammengesetzt. Diese Fasern sind im Mittel 0,1 mm lang, nach beiden fein zugespitzten Enden hin allmählich verdünnt und in der Mitte bis zu einer Dicke von 0,003 bis 0,008mm angeschwollen. Jede Faser ent- spricht einer sehr verlängerten spindelförmigen Zelle und umschliesst in der Mitte einen ellipsoidischen oder ovalen Kern von 0,005 bis 0,01 2mm Länge und 0,002 bis 0,006,nm Breite. Häufig bildet der dicke Kern an einer Seite der Zelle eine bauchige Vorwölbung. Im Uebrigen ist die Substanz dieser spindelförmigen , kernhaltigen Faserzellen durchaus homogen, und lässt keine Spur von einer Querstreifung erkennen. Sie bricht das Licht in ähnlicher Weise wie die dunkeln glänzenden Nessel- kapseln, wesshalb auch auf Querschnitten ihr Durchschnitt sehr leicht mit Spitzenansichten der letzteren verwechselt werden kann. Viel schwächer lichtbrechend ist die Substanz der blassen kernlosen Fasern, die sich auch in ihrem Verhalten gegen chemische Reagentien wesent- lich von den dunkeln kernhaltigen Fasern unterscheidet. Auch diese blassen Fasern sind durchaus homogen; niemals erscheinen sie quer- gestreift, wie etwa die Muskeln des Velum, der Subumbrella oder der knorpeligen Larvententakeln. Eine eigenthümliche Querstreifung tritt an denselben nach Maceration in verdünnter Salpetersäure allerdings auf. Es ziehen dann sehr feine und gedrängte , aber unregelmässige Querlinien über die ganze Breite der aus den blassen Fasern zusam- mengesetzten hellen Längsstreifen hinweg (Fig. G2 rechts). Isolirt man aber die einzelnen Fasern durch Zerzupfen , so zeigt sich , dass diese Querslreifung nicht bedingt ist durch eine Differenzirung der Substanz, wie bei den echten quergestreiften Muskeln , sondern vielmehr durch eine eigenthümliche Schrumpfung der blassen Fasern , an deren Ober- fläche sich viele übereinanderliegende ringförmige Rinnen bilden, die durch scharfe vorspringende Rille getrennt sind (Fig. 6Ü rechts unten). Die dunkeln kernhaltigen Fasern werden durch verdünnte Salpeter- säure nicht in dieser Weise verändert, dagegen durch verdünnte Essig- säure werden sie körnig getrübt, während die Substanz der hyalinen Längsstreifen ganz hell bleibt. Die spindelförmigen Zellen werden der Länge nach zu langen Bändern vereinigt durch ein Minimum einer fein- körnigen Kittsubstanz. Radiale Längsschnitte der Tentakeln, welche durch die Längs- axe derselben gehen, werden nur seilen durch einen glücklichen Zu- fall in einiger Vollkommenheit erhallen. Meistens fallen die so versuchten Schnitte der Langsaxe parallel oder schief gegen sie gerichtet. Die besten radialen Längsschnitte, welche ich erhielt, zeigten alle stets dasselbe Bild, nämlich eine Zusammensetzung aus den i folgenden Schichten: 1. Zuinnerst, unmittelbar das Lumen des Tenlakelcanals uinschlies- Anatomie von Cafmarinft hastata, 163 send, limliH sich ein Cylinderepithel von 0,03 m,n Mächtigkeit, ganz gleich der entsprechenden ersten Schicht des Querschnitts (t e). 2. Die zweite Schicht bildet eine hyaline gallertähnliche Substanz von 0,03mm Breite, welche zahlreiche feine, senkrecht (radial) zur Tenlakelaxe ge- richtete Querstreifen zeigt; letztere sind nichts anderes, als die Grenzen der Übereinander liegenden concentrischen Hinge der zweiten Schicht des Querschnitts (t c) ; ferner Jiisst sich an denselben oft auch eine äus- serst zarte Zeichnung wahrnehmen, als ob jeder Querstreif aus einer Reihe nebeneinander liegender rundlich-polygonaler Körperchen be- stünde; dies sind die Querschnitte der einzelnen langen hyalinen Fa- sern, die die concentrischen Ringe zusammensetzen. 3. Die mächtigste, dritte Schicht, von 0,1 bis 0,lomm Rreite, lässt sich an etwas dickeren radialen Längsschnitten in mehrere übereinander liegende longitudinal- radialgestellte, abwechselnd dunklere und hellere Blätter zerlegen. Je- des dunkle Blatt zeigt sich ausschliesslich zusammengesetzt aus zahl- reichen parallel verlaufenden, sehr langen bandförmigen oder cylindri- schen Strängen von 0,003 bis 0,000 mui mittlerer Breite. Jeder Strang lässt sieh isoliren und ziemlich leicht zerlegen in eine Anzahl der oben beschriebenen kernhaltigen spindelförmigen Faserzellen. Hat man diese Schicht von der Schnittflache des radialen Längsschnittes entfernt, so gelangt man auf die hyaline, durchsichtige, entweder ganz homogene oder fein längsstreifige Lage, welche sich beim Zerzupfen in blasse kernhaltige Fasern (t 1) zerlegen lässt. Unter dieser kommt wieder eine Lage von dunkeln kernhaltigen Längsfasern u. s. w. i. Endlich die äusserste und vierte Schicht wird gebildet durch das äussere Tentakel- epithel (tu), dessen innerer Grenzcontour geradlinig, der äussere regel- mässig und tief wellenförmig gebogen ist. Die Wellenthäler entsprechen den nesselfreien Internodien, die Wellenberge den ringförmigen Nessel- wülsten des Tentakels. An letzteren zeigt das Epithel dieselbe Zusam- mensetzung aus 3 Schichten wie auf dem Querschnitt. Hält man nun die so gewonnenen Bilder der Querschnitte und der tangentialen und radialen Längsschnitte zusammen, so ergiebt sich für den Bau der radialen Haupttentakeln folgendes Resultat. Jeder Ten- takel besteht aus 3 concentrisch sich umschliessenden Hohlc\ lindern, einem inneren und äusseren Epilhelialcylinder und einem dazwischen befindlichen, zum grossen Theile musculösen Cylinder von sehr zusam- mengesetzter Strnclur. Es besteht der letztere aus einem inneren con- centrisch geschichteten und einem äusseren radial geschichteten Theile. Der innere concentrisch geschichtete Theil (die zweite Lage unserer Querschnitte und radialen Längsschnitte) besteht aus einer einzigen Substanz, angeordnet in Form theil s sieh einschliessender, theils über- w * 1 64 Ernst Haeckcl, einander gelagerter Ringe. Jeder Ring ist zusammengesetzt aus vielen unregelmässigen, sehr langen und schmalen kernlosen Fasern von c\- lindrischer oder spindelförmiger Gestalt. Alle verlaufen in transver- salen Ebenen, die senkrecht zur Tentakelaxe stehen. Der äussere radial geschichtete Thoil des mittleren Tentakelcylin- ders (die dritte Lage unserer Querschnitte und radialen Längsschnitte) bietet der genaueren Untersuchung die grössten Schwierigkeiten. Er ist zusammengesetzt aus einer grossen Anzahl (meistens 120) radial gestellter dünner Blätter, die durch die ganze Länge des Tentakels von seiner Wurzel bis zu seiner Spitze ununterbrochen hindurchlaufen. Diese radialen Blätter sind von zweierlei Art, hellere, mehr homogene, kernlose, und dunklere , mehr differenzirte, kernreiche. Helle und dunkle Blätter sind stets in gleicher Anzahl vorhanden und wechseln regelmässig miteinander ab. Beide sind in der Mitte der Schicht von ungefähr gleicher Dicke. Die hellen Blätter sind überall von gleicher Dicke (0,01 mm) ; die dunklen Blätter sind von aussen nach innen keil- förmig zugeschärft. Die hellen Blätter bestehen aus zahlreichen innig verbundenen, parallel verlaufenden, longitudinalen Fasern, welche sich in längere oder kürzere, unregelmässige, spindelförmige, kernlose, hyaline Fasern auflösen lassen, ganz gleich denjenigen, welche die con- centrischen Ringe der zweiten Schicht zusammensetzen. Die dunklen Blätter, welche scharf von den hellen geschieden sind , bestehen eben- falls aus zahlreichen innig verbundenen und parallel nebeneinander verlaufenden longitudinalen Fasern. Diese sind aber mit zahlreichen Kernen besetzt und zeigen sich zusammengesetzt aus zahlreichen der Länge nach aneinander gelegten , gestreckt spindelförmigen , glatten Faserzellen, deren jede einen ellipsoidcn Kern in der Mitte umschliesst. Jedes dunkle Radialblatt besteht eigentlich aus zwei besonderen in die- ser Weise zusammengesetzten Blättern, welche durch ein wenig fein- körnige Zwischensubstanz getrennt sind, wie aus dem Querschnitte (Fig. 60 und 61) hervorgeht. So viel lässt sich also thatsächlich über den merkwürdigen und complicirten Bau der radialen Haupttentakeln feststellen. Eine bestimmte Deutung aller Elementartheile vermag ich aber nicht zu geben ; nament- lich gilt dies von den hellen, schwach lichtbrechenden, kernlosen Fa- sern, welche als Kingfasern die zweite, concentrisch gestreifte Schicht (t c) und als Längsfasern die hellen Radialblätter der dritten , radial gestreiften Schicht (t 1) zusammensetzen, sowie von den dunkeln, stark lichtbrechenden, kernhaltigen Fasern, welche die dunkeln Radialblätter (t m) derselben bilden. Jedenfalls ist wenigstens das eine dieser Ele- mente musculöser Natur, vielleicht auch das andere, wenn dies nicht Anatomie von Oarmarina hastata. -J65 vielleicht zur Gewebsgruppe der Bindesubstanzen gehört. Ob aber die dunkeln Fasern Muskeln und die hellen Fasern Bindegewebe sind, oder ol> (Ins Umgekehrte der Fall isl , oder ol> beide Faserarten Muskelfasern von verschiedenem Bau und Werth sind, darüber inuss vorlaufig das Urtheil desshalb ganz ungewiss bleiben, weil beide Faserarien, sowohl die hellen kernlosen, als die dunkeln kernhaltigen Fasern ausschliess- lich in den radialen Haupttentakeln der Gcryoniden vorkommen, wah- rend sie im übrigen Körper fehlen. Die motorischen Elemente des übrigen Körpers, namentlich des Velum , der Subumbrella und der Knorpeltentakeln der Larven, bestehen aus quergestreiften Muskelfasern, welche weder zu den hellen noch zu den dunkeln Fasern der Haupt- tentakeln irgend eine bestimmte Beziehung erkennen lassen. Allerdings ist auch ein grosser Theil der Magenwände (Fig. 73) aus glatten Mus- kelfasern zusammengesetzt. Allein die Aehnlichkeit derselben mit den hellen kernlosen Strängen der Tentakeln scheint bloss eine oberfläch- liche zu sein, da sie nicht, wie die letzteren, beim Zerzupfen in die oben beschriebenen spindelförmigen Fasern , sondern in Bündel von äusserst schmalen und langen Fibrillen zerfallen. Erwägt man die ausserordentliche Gontractilität der radialen Haupt- tentakeln, und namentlich den Umstand, dass dieselben sich nicht allein sehr bedeutend verkürzen , sondern auch stark der Quere nach ring- förmig einschnüren können , so erscheint es natürlicher, die contrac- tilen Elemente in den blassen kernlosen Fasern zu suchen. Es würde dann eine starke innere Bingmuskelfaserschieht (t c) vorhanden sein, während im entgegengesetzten Falle, wenn nur die dunkeln kernhalti- gen Fasern contractiler Natur wären, Bingmuskeln ganz fehlen würden. Die longifudinalen Muskelzüge würden in beiden Fällen gleich ent- wickelt erscheinen, da die Summe aller hellen und aller dunkeln Ba- dialblätter der dritten Schicht ungefähr gleich sein wird. Vergleicht man die beiderlei Fasern mit den glatten , nicht quergestreiften Muskeln anderer Thiere , so finden sich den hellen kernlosen Fasern ähnliche Muskelbänder vielfach bei Mollusken , während die dunkeln kernhaltigen Fasern den contractilen Spindelzellen der glatten Muskeln von Wirbelthieren sehr ähnlich sehen. Zur Vergleichung der beiderlei Fasern mit den glatten Muskelelementen anderer Coelenteraten fehlt es jetzt noch an genügenden Anhaltspuncten. Es sind sowohl kernlose als kernhaltige homogene Fasern als Muskelzellen bei verschiedenen Coe- lenteraten beschrieben worden. Offenbar steht der eigenthümliche Bau und die Zusammensetzung der radialen Haupttentakeln aus diesen glatten Muskelzellen in ursäch- lichem Zusammenhang mit ihrer eigentümlichen Bewegungsweise. 166 Ernst Haeckel, Ihre wurmförmigen Contraetionen erfolgen nicht so plötzlich und mo- mentan, halten aber auch länger an , wie bei den quergestreiften Mus- keln des Veluin, der Subumbrella und der Larvententakeln. Bei die- sen letzteren verläuft die Contraction gewöhnlich momentan in einer energischen Zuckung, auf welche sofort die Erschlaffung folgt, während bei jenen ersteren die Zusammenziehung in der Regel in keiner hefti- gen Zuckung , sondern allmählicher erfolgt und längere Zeit andauert. Die beiderlei contractilen Elemente unterscheiden sich durch ihre Wir- kung in ähnlicher Weise , wie die glatten und quergestreiften Muskeln der Wirbelthiere. Die quergestreiften Muskeln der Carmarina bilden einen sehr dünnen, nur aus Längsfasern zusammengesetzten schlauchförmi- gen Ueberzug über die cylindrischen Knorpelskelete der interradialen Tentakeln (Fig. 61 y m) und der radialen Nebententakeln (Fig. 65 s m) der Larve, sowie über die Knorpelstäbe der 12 centripetalen Mantelspan- gen (h), welche am Schirmrande zu jenen hinführen (h m). Ausserdem setzen sie beim erwachsenen Thiere die L o com otionsorgane zu- sammen, von denen die Subumbrella das schwächere , das Velum das stärkere ist. Das Velum (v) oder die Randmembran der erwachsenen Car- marina ist im erschlafften Zustande 5 bis 8mm breit, im stark contra- hirten noch nicht ein Drittel so breit. Seine Dicke beträgt 0,04 mra. Das Velum besteht in seiner ganzen Ausdehnung aus 4 übereinander- liegenden Schichten (Fig. 63, 64 und 71 v). Die der Schirmhöhle zu- gewandte obere Fläche ist von einem massig dicken Cylinderepithel (v s) überzogen, dessen fast kubische kernhaltige Zellen 0,01 8 mm hoch sind. Unter diesem Ueberzuge folgt die sehr entwickelte Ringmuskel- schicht (v c), deren Mächtigkeit 0,007 mm beträgt. Unter diesen circular verlaufenden Fasern liegen die etwas schwächeren Radialmuskeln (vr), die eine Lage von 0,005 mm Dicke zusammensetzen. Die untere Fläche dieser Radialmuskclschicht endlich ist von einem Pflasterepithel (v e) überzogen, dessen breite kernhaltige Zellen kaum halb so hoch, als die des oberen Epithellagers sind, nur etwa 0,009mm hoch. Die verschiedenen Schichten des Velum setzen sich nur theilweis auf die Subumbrella fort (Fig. 63, 64 und 71 ). Das untere Epithel des Velum (v'e) geht aussen in das dickere Epithel des Knorpelrings über (u e). Das obere Epithel des Velum (v s) setzt sich continuhiieh in das flachere Epithel der Subumbrella (e s) fort, dessen blasse kern- haltige Pflasterzellen sehr niedrig sind. Ebenso setzt sich die obere, aus den Circularfasern bestehende Muskelschicht des Velum (v c) un- mittelbar in die schwächere Ringsmuskellage der Subumbrella nn si Anatomie von farmarina hastata. 167 fort, deren coneentrische Paserringe gegen den Grund der Schirmhöhle hin immer dünner und schwächer weiden und an der Basis des Ma- genslieles sieh ganz verlieren. In den Zwischenräumen zwischen den ftadialcanälen liegen die Cirkelfasera der Subumbrella zum grossen Theil unmittelbar auf der Gallertsubstanz des Mantels, nach unten ge- gen den Rand hin auf dem subiunbralen Epithel des Cirkelcanals (c s). An der Innenfläche der Radialcanäle dagegen und in deren nächster Umgebung finden sich unter den circularen auch theilweis noch einzelne Züge von longitudinal oder vielmehr radial verlaufenden Muskelfasern der Subumbrella , welche man als partielle Fortsetzungen der Radial- muskelschicht des Velum ansehen kann. Von solchen Radialmus- keln der Subumbrella lassen sich 18 einzelne Ränder deutlich un- terscheiden. Es verlaufen 6 schmale unpaare Radialmuskeln in der Mittellinie der Radialcanäle zw ischen ihrem subumbralen Epithel und der Ringmuskelschicht. Sie verlieren sich an der Basis des Magenstiels, während die von ihnen begleiteten Radialnerven (a r) sich in der Mit- tellinie der Aussen fläche der Radialcanäle bis zum Magen fortsetzen (Fig. 88). Die 12 paarigen Radialmuskeln der Subumbrella sind etwas breitere Ränder, welche unmittelbar an den beiden Seitenwänden eines jeden Radialeanals wie längsstreifige Säume desselben verlaufen und namentlich bei jüngeren Thieren, deren Radialcanäle sich noch nicht zu den Genitaltaschen ausgebuchtet haben, sehr deutlich hervortreten. Im Grunde der Schirmhöhle, wo die Radialcanäle auf den Magenstiel um- biegen und sich dabei so sehr nähern , dass nur noch Zwischenräume von ihrer eigenen Breite zwischen ihnen übrig bleiben , werden die letzteren vollständig von den Muskeln ausgefüllt, indem je 2 convergi- rende benachbarte Radialmuskeln ( der rechte Muskelsaum von einem jeden Radialcanal und der linke Muskelsaum von dem rechts daneben gelegenen Canal) zusammentreten zur Bildung eines einzigen starken Muskelstreifen, der nun als Längsmuskelband (Fig. 4 und 5 m) bis zum Magengrunde herabsteigt und dort in die longitudinale Muskelschicht des Magens sich fortsetzt. 5. Nervensystem. Das Nervensystem lässt sich bei der grossen Garmarjna hastata mit noch grösserer Sicherheit nachweisen als bei dem kleinen Ghsso- codon eurybia. Die Nervenstränge sind hier grösser, deutlicher und leichter von den Nachbartheilen zu isoliren, als bei dem letzteren, na- mentlich bei Larven mittleren Alters ; von besonderer Wichtigkeit aber ist es , dass es mir hier gelang, unzweifelhaft nervöse Elementartheile 168 Ernst Hiieckel, Fig. 92. Nervenfa- sern und Ganglien- zellen von Carma- rinahastata, aus dem Nervenring an der Austrittsstelle aus einem radialen Gan- glion entnommen. mit vollkommener Sicherheit in den Nervensträngen nachzuweisen (Fig. 92). Ueber die Ganglienzellen und die mit ihnen in Verbindung stehenden Nerven- fasern werde ich unten in dem Abschnitt, der von den Geweben handelt, besonders berichten. Hier will ich bloss die anatomische Verbreitung des Ner- vensystems in dem Körper der Carmarina so dar- stellen, wie ich mich nach vielen mühsamen Präpa- rationsversuchen endlich von ihr sicher überzeugt zu haben glaube. Ich bemerke dabei , dass mir die oben schon, bei Beschreibung des Mantelrandes er- örterten Querschnitte die grösslen Dienste leisteten. Bei Larven mittleren Alters kann man auch auf Flächenansichten die Nervenstränge und ihre Gan- glien ziemlich leicht erkennen ( z. B. Fig. 56 , GS und 66). Bei älteren Thieren dagegen ist es ohne Querschnitte des Mantelrandes, namentlich an den Stellen, wo die Bandbläschen auf- sitzen und die Tentakelnerven abgehen, kaum möglich, zu einer klaren Anschauung des Nervenrings und der von ihm abgehenden Nerven- stränge zu gelangen. Der Nervenring (a) am Schirmrande von Carmarina hastata liegt so verborgen zwischen Cirkelcanal, Knorpelring und Velum , dass es nur selten und mit Mühe bei der Betrachtung von blossen Flächen- ansichten des erwachsenen Thieres gelingt , sich von seiner Anwesen- heit bestimmt zu überzeugen. Viel leichter und sicherer gelingt dies durch das Studium von Querschnitten des Schirmrandes. Hier erscheint der Bingnerv als ein cvlindrischer, auf dem Querschnitt kreisrunder, oder von oben nach unten etwas abgeplatteter Strang (Fig. 71 a), des- sen Durchmesser nur etwa % bis % von dem des Knorpelrings beträgt. Wie schon bei Beschreibung des Schirmrandes erwähnt, liegt der Bing- nerv unmittelbar auf der oberen Fläche des Knorpelringes, so dass er in verticaler Bichtung den Knorpelring von dem unteren Bande des Cirkelcanales trennt. Ebenso ist er in horizontaler Bichtung zwischen Aussenrand des Velum und unteren Band des Gallertmantels ein- geschaltet. Nirgends liegt also der Cirkelnerv frei an der Oberfläche, und diese versteckte Lage erklärt zur Genüge, warum er bisher über- sehen wurde. Oben wird derselbe vom Binggefäss , unten vom Bing- knorpel, aussen vom Gallertmantel und innen vom Velum verdeckt. Auf Querschnitten erscheint er vollkommen als Grerizmarke für diese 4 verschiedenen ringförmigen Theile, zwischen welche er eingeschaltet ist. An den Abgangsstcllen der Tentakeln wird er ausserdem noch an Anatomie von Oanaarinh hastata. 169 der Süsseren Seite von diesen Letzteren und von den centripetalen Mantelspangen, an der oberen von den Randbläschen bedeckt (Fig. 63 und 64). Der Nferveriring von Ga/rmarinä ist in \ 2 Ganglien (f) ange- schwollen, welche unmittelbar unter der Basis i\w IS Randbläschen liegen, und auf denen diese, wie auf einem Polster, aufsitzen (Fig. 03 bis 06). Die Ganglien erscheinen als ziemlich (inregelmässige rund- liche Knoten oder flache rundliche Hügel, die 6 radialen etwas stärker gewölbt und umfangreicher als die 6 interradialen. Unten und theil- weise auch seitlich sind dieselben von dem oberen Theile des Ring- knorpels umschlossen und verdeckt, der bei Larven mittleren Alters hier eine spindelförmige Anschwellung bildet (Fig. 60). Von jedem der 12 Nervenknoten geht nach oben ein starker Nerv ab, welcher sofort durch das Basalganglion (w) in das Innere der Sinnesbläschen (b) hineintritt und hier in die beiden gegenständigen Sinnesnerven sich theill, die an der Innenfläche desselben verlaufen (n'). Ausserdem schickt jedes der I 2 Ringganglien einen Spangennerven (h n) ab, wel- cher nach aussen und oben zur Basis der 12 knorpeligen Larvententa- keln verläuft. Jeder radiale Knoten giebt ausserdem noch einen Nerven ab, der das entsprechende Badialgefäss begleitet, und einen zweiten, welcher den zugehörigen radialen Haupttentakel versorgt. Die 6 stärksten Nervenstränge des Schirmes nächst dem Ring- nerven sind die Radial nerven (a r) , welche als platte, breit lineare Bänder, begleitet von den 6 unpaaren radialen Muskelbändern der Sub- umbrella, in der Mittellinie der unteren (der Schirmhöhle zugekehr- ten) Wand der Badialcanäle verlaufen (Fig. 72 a r) , so dass sie hier nur von dem dünnen Ringmuskelbelege (m s) und dem zarten Epithel der Subumbrella bedeckt sind. Sie lassen sich längs des Verlaufs der Radialcanäle bis zum Magen herab verfolgen, wo ihr weiteres Verhalten wiegen der Undurchsichtigkeit dieses Theils nur mit grosser Unsicher- heit verfolgt werden kann. Auch über die Oberfläche des Magen hin- weg scheinen sie noch als 6 getrennte Fäden zu verlaufen und dort in die oben bezeichneten Furchen (Fig. i a") eingeschlossen zu sein. Vielleicht bilden sie um den Mund einen zweiten Ring. Am leichtesten zu beobachten und zu isoliren ist derjenige Abschnitt der Radialnerven, der in Begleitung des Badialmuskels in der Mitte der ö Genitalblätter verläuft (Fig. 1 bis 3 a r und Fig. 63 a r). Weit schwieriger als die 6 Radialneryen sind die 12 Spangen- nerven (linj zu verfolgen, welche von den 12 Ganglien aus zu der Rasis der 6 interradialen (y) und zu der Basis der 6 radialen Neben- tentakeln (s t) verlaufen (Fig. 63). Diese sind viel schmäler und an 170 Ernst Haeckel, Fasern ärmer als die Radialnerven und ausserdem bei ihrem blassen, zarten Aussehen auf Flächenansichten der Spangen schwer wahrzuneh- men. Auf Querschnitten dagegen überzeugt man sich leichter von ihrer Anwesenheit. Sie liegen unmittelbar unter dem mit Nesselzellen ver- sehenen Epithel der Mantelspangen, zwischen diesem (he) und zwi- schen dem Muskelrohre fh m), welches die Knorpelspange umgiebt. So lange die Larvententakeln noch vorhanden sind, scheint sich der grösste Theil der Spangennerven in die letzteren fortzusetzen. Spaterhin, nach dem Abfallen derselben, strahlen ihre Fäden von dem Ende der Mantel- spange über die Manteloberfläche aus. Die radialen Spangennerven sind schwächer als die interradialen. Von den Ganglien des Nervenringes , entweder bloss von den 6 radialen oder von allen 12, gehen höchst wahrscheinlich auch Fäden in das Velum hinein. Doch ist es mir ebenso wenig bei diesen gelun- gen, mich durch unmittelbare Beobachtung sicher von ihrem Verlaufe zu überzeugen, als bei den 6 Nervenfäden , welche von den 6 radialen Ganglien aus zu den 6 radialen Haupttentakeln zu gehen scheinen. Sehr leicht und sicher lassen sich dagegen die Sinnesnerven innerhalb der 1 2 Sinnesbläschen verfolgen , welche sogleich bei diesen beschrie- ben werden sollen. 6. Sinnesbläschen (Randbläschen). Die Sinnesbläschen oder Randbläschen (b) der Carmarina hastata gehören zu den grössten , die bei craspedoten Medusen vorkommen. Sie eignen sich wegen dieser beträchtlichen Grösse ganz besonders für eine genauere Untersuchung, zumal eine mit vollkommener Durchsich- tigkeit verbundene scharfe Abgrenzung der einzelnen Bestandtheile den feineren Bau dieser interessanten und wichtigen Organe hier besser, als vielleicht bei den meisten anderen craspedoten Medusen zu erken- nen erlaubt. (Vergl. Fig. 7, 8, 63 b r, 64 b i und 66 b i. ) Bei dieser Art entdeckte ich zuerst die beiden halbkreisförmig gebogenen Sinnes- nerven (n')? wTelche von einem an der Basis des Randbläschens gelege- nen Ganglion (w) ausgehen, an entgegengesetzten Seiten des Bläschens emporsteigen und oben sich mit ihren Nervenfasern durchflechten, während sie in ein mit Zellen gefülltes und ein Goncrement (x) um- schliessendes kugeliges Sinnesganglion (s) eintreten. Erst nachdem ich diesen eomplicirten Nervenapparat im Inneren der Randbläschefl von CuvHturinu erkannt hatte, fand ich denselben nachher auch bei dem kleineren Glossocodon eurybia wieder, bei welchem seine wesentlichen Eigenthümlichkeiten oben bereits kurz beschrieben worden sind. Anatomie von Cannarina hastata. 171 Ebendaselbst sind auch die Angaben der früheren Beobachter über die Randbläschen der Geryoniden-Medusen miteinander vergliche^ und gezeigt worden, dass wir diese Körper zwar mit voller Hestimmtheil als eigentümliche Sinneswerkzeuge, aber mit Sicherheit weder als Ge- hör- noch als Gesichtsorgane Itczeichnen dürfen. Es scheint daher vor- läufig am sichersten, den neutralen Namen »Sinnesbläschen « für die- selben beizubehalten. Die 6 radialen und die 6 interradialen Randbläschen von Carma- rimt hastata sind von gleicher Grösse und Structur. Sie liegen nicht frei an der Aussenseite des Schirmrandes , wie man bisher annahm, sondern, wie die Querschnitte (Fig. 63 und 64) auf das Deutlichste zei- gen , eingeschlossen in den unteren Randlheil der hyalinen Mantel- gallerte, an der inneren Seite der Basis der 12 cenlripetalen Mantel- spangen, welche an ihrer Aussenseite in der Aussenflache des Gallert- mantels emporsteigen. Ihre Innenseite berührt den unteren Rand und den untersten Theil der umbralen Wand des Cirkelcanals. Ihre Unter- seite oder Basis ruht auf einem Ganglion (f) des Nervenringes (a), welches in dem inneren oberen Rande des Ringknorpels (u k) theil— weis eingesenkt liegt. Jedes Sinnesbläschen stellt eine durchsichtige Kugel von 0,2 mm Durchmesser dar , deren umhüllende homogene Membran (b) ziemlich derb und resistent , doppelt contourirt und an der Innenfläche von einer einzigen sehr dünnen Schicht Pflasterepithel ausgekleidet ist. Die grossen, hellen, sehr platten, polygonalen Zellen desselben, die einen flachen , länglich runden Kern umschliessen , treten namentlich bei jüngeren Thieren sehr deutlich hervor, während sie bei älteren oft schwer zu erkennen sind. An der innern Seite der Basis des Rand- bläschens, wo dasselbe auf dem Knoten (f) des Nervenringes wie auf einem flachen Hügel aufsitzt, erhebt sich ein flaches, rundliches, wahr- scheinlich unmittelbar mit letzterem in Zusammenhang stehendes Pol- ster (w), das Basalganglion , welches aus rundlichen und spindel- förmigen Zellen mit Kern zusammengesetzt erscheint. Die beiden ent- gegengesetzten Enden desselben, rechtes und linkes, laufen in die bei- den Sinnesnerven (n') aus, welche bei dieser Art so scharf von den Nachbartheilen abgegrenzt , so gross und so deutlich aus feinen, parallel nebeneinander gelagerten Fasern zusammengesetzt sind, dass wohl jeder Zweifel an ihrer nervösen Natur schwinden muss. Man braucht nur vorsichtig und mit Vermeidung jeden Druckes die Rand- bläschen aus dem Rande auszuschneiden und unter dem Mikroskope nach verschiedenen Seiten zu rollen , um sich auf das Sicherste von 172 Ernst Haeckel, dem nachstehend beschriebenen Verhalten der beiden Nerven zu über- zeugen. Die beiden Sinnesnerven sind halbkreisförmig gebogene Stränge, welche einander gegenüber an der Innenwand des Randbläs- chens dergestalt emporsteigen, dass beide zusammen einen vollständi- gen Ring oder Meridian bilden, und an dem oberen, freien, der basalen Anheftung entgegengesetzten Pole des Bläschens sich wieder berühren und durchkreuzen. Die Ebene dieses Meridianringes steht senkrecht auf der Ebene des Velum und zugleich senkrecht auf einem in der letz- teren liegenden Radius , den man von der Basis des Randbläschens zu dem idealen Centrum des Velumkreises zieht. Es ist demnach die Con- vexität der beiden halbkreisförmigen Nervenbügel den beiden benach- barten Randbläschen zugewendet, so dass man bei der Ansicht der Randbläschen von aussen nur den schmalen Rand der bandförmig platt gedrückten beiden Stränge zu sehen bekommt. Der letztere Umstand dürfte wohl hauptsächlich Schuld daran sein, dass die beiden ansehn- lichen Nervenbügel den bisherigen Reobachtern völlig entgangen sind, zumal die Dicke der bandförmigen Bügel eine sehr geringe ist, so dass sie sich bei der Profilansicht (Fig. 66) nur wie eine starke Verdickung der Bläschen wand ausnehmen (vergl. auch Fig. 8). Die beträchtliche Breite (0,0imm) der Nervenbügel wird man erst gewahr , wenn man das Bläschen rollt , so dass man erstere von verschiedenen Seiten sieht (Fig. 8 halb von aussen , halb von oben , Fig. 7 halb von aussen , halb von der Seite). Am deutlichsten aber tritt jeder Sinnesnerv auf verti- calen Radialschnitten des Mantelrandes hervor, wobei man das Rand- bläschen von der dem benachbarten Bläschen zugewandten Seite und den Nerven somit in seiner ganzen Breite als einen gleich breiten Strang zu sehen bekömmt, der scheinbar senkrecht von dem basalen unteren zu dem freien oberen Pole des Bläschens emporsteigt (Fig. 63 und 6i n' j. Die Nerven des ganz unveränderten aus dem lebenden Thiere herausgeschnittenen Randbläschens (Fig. 7) erscheinen zwar sehr blass und zart, wasserhell und farblos, lassen jedoch sowohl die seitlichen Grenzlinien als auch eine feine fibrilläre Längsstreifung deutlich er- kennen. Letztere tritt sehr scharf hervor nach Rehandlung der Rläs- chen mit verschiedenen die Nervensubstanz trübenden Reagentien, z. R. verdünnten Mineralsäuren und Sublimat (Fig. 8). Es werden dann auch zahlreiche feine, stäbchenförmige Kerne sichtbar, welche die parallelen Längsstreifen stellenweise unterbrechen und der Nervenring zeigt nun ein Aussehen, welches keine andere Deutung als eine Zusam- mensetzung aus feinen, parallel nebeneinander verlaufenden und stel- lenweise mit kleinen Kernen besetzten Fasern zulässt. Eingeschaltet«1 Anatomie von Carmarina hastata. 173 Ganglienzeilen sind während des Verlaufes der Nervenfasern an der Bläschenwand nicht zu erkennen. An dem freier] , d. li. an dem nacli ölten gewendeten und dem Basalganglion entgegengesetzten Pole des Randbläschens angelangt, bie- gen sich die beiden gegenständigen Nervenbügel, noch ehe sie sich be- rühren, wieder ein wenig nach unten um und gehen dann, indem sie sich mit ihren pinselförmig ausstrahlenden Fasern kreuzen und durch- tlechlen, in eine eigenthümliche Art von Chiasma ein. Diese Durch- kreuzung geschieht, während die beiden Nervenbügel in das Sinnes- ganglion eintreten, welches mittelst der umgebogenen und gekreuzten Nervenstränge, wie durch einen kurzen, dicken Stiel, an der oberen Wölbung des Randbläschens befestigt ist. Das Sinnesganglion (s) ist eine weiche , helle Kugel, deren Durchmesser (0,1 mm) halb so gross, als der des Randbläschens ist, und die von einer doppelt contourirten , aber sehr zarten und zerreis- baren hellen, homogenen Membran umschlossen wird. Den Inhalt die- ser membranösen Kapsel bilden dicht aneinander gedrängte , gleich grosse und durch gegenseitigen Druck polygonal abgeplattete Zellen, welche an dem frischen Randbläschen oft kaum zu erkennen sind oder nur als ganz helle, homogene Körperchen erscheinen (Fig. 7). Nach Zusatz von Sublimat oder von verdünnten Säuren treten aber sofort die Grenzen und die Kerne der einzelnen Zellen sehr scharf und deutlich hervor (Fig. 8). Bald in der Mitte des Sinnesganglion, bald mehr excentrisch, bald der membranösen Wand desselben anliegend, ist darin das G oncrement (x) eingeschlossen, welches gewöhnlich als »Otolith« bezeichnet wird. Meistenteils scheint dasselbe wandständig in dem unteren freien Theile des Sinnesganglion zu liegen, welcher der oberen Eintrittsstelle des Nerven entgegengesetzt ist. In der Regel ist diese Concretion bei Carmarina eine ansehnliche Kugel, deren Durch- messer (0,05 min) die Hälfte von dem des Sinnesganglion und 4/4 von dem des Randbläschens beträgt. Seltener ist die Form derselben unregel- mässig rundlich oder höckerig. Bisweilen findet sich , der Oberfläche derselben aufsitzend, oder in eine kleine Vertiefung derselben flach eingesenkt, noch eine zweite kleinere Concretion (»Nebenotolith«). Der Otolith ist verkalkt, stark lichtbrechend, dunkel glänzend und zeigt deutlich seine Zusammensetzung aus zahlreichen concentrischen Schich- ten. Diese bleibt auch an der organischen Substanz noch sichtbar, welche zurückbleibt, wenn man durch verdünnte Säuren die Kalksalze entfernt. Der Kalk scheint an Phosphorsäure gebunden zu sein und löst sich in Säuren ohne Entwickelung von Gasbläschen. Dasjenige Structurverhällniss , welches an den Randbläschen am 174 Ernst Unedel, schwierigsten festzustellen ist und dessen Erkenntniss doch von dem grössten Interesse wäre , ist die Endigungsweise der in das Sinnes- ganglion eingetretenen Nervenfasern. Die beiden Sinnesnerven kreuzen und durchflechten sich, während sie von oben her in das Sinnesganglion eintreten und scheinen dann ihre gekreuzten Fasern in der Weise zwi- schen den Zellen des Kapselinhaltes pinselförmig auszustrahlen , dass die obere Hälfte des Concrementes von einem kegelförmigen, nach un- ten offenen Fasermantel umgeben ist (Fig. 7). Vielleicht stehen die En- den der Nervenfasern mit den Zellen in Zusammenhang. Doch habe ich mir darüber keine Gewissheit verschaffen können. Andere Male hatte es mehr den Anschein, als ob die Nervenfasern nach ihrem Ein- tritt in das Sinnesganglion zunächst rings um einen abgestutzten Kegel sich ausbreiteten , dessen breite Basis den oberen Pol des kugeligen Concrementes umfasst. Bisweilen schien das ganze Concrement von einer Faserhülle umgeben zu sein. Es ist aber bei der Zartheit der nervösen Gebilde sehr schwer, diese Verhältnisse festzustellen, um so mehr, da jeder Druck und jede Zerrung bei der Beobachtung vermieden werden muss und eine mechanische Präparation, z. B. Freilegung und Ausschälung des Sinnesganglion aus dem Bandbliischen, gar nicht aus- zuführen ist. Sowohl die Zellen des Sinnesganglion, als die Fasern der Nervenbügel sind so äusserst weich , zart und verletzbar, dass der lei- seste Druck genügt, ihre Structur unkenntlich zu machen. VII. Metamorphose von Carmarina hastata ((«ervonia hastata). (Hierzu Taf. V). Die Entwickelungsgeschichte und die Formenwandlungen der Gar- mariniden oder sechszähligen Geryoniden waren bisher nicht bekannt. Larven der Carmarina hastata von sehr verschiedenen Entwicklungs- stufen , welche ich in Nizza gleichzeitig mit den erwachsenen Thieren fischte, gaben mir Gelegenheit , den Verwandlungsgang dieser Art im Zusammenhange darzustellen. Die Metamorphose von Carmarina hastata folgt im Grossen und Ganzen denselben Gesetzen, wie die oben be- schriebene Verwandelung des Glossocodon eurybia. Nur ist natürlich überall der Unterschied durchgreifend, dass bei dem letzteren alle Or- gane in Vierzahl oder im Multiplum von Vier sich entw iekeln , wah- rend bei Carmarina alle Organe in Sechszahl oder im Multiplum von Sechs auftreten. Doch finden sieh auch ausserdem noch mancherlei Metamorphose von Carmaiinä hastata. 175 Abweichungen, namentlich im feineren Baue der LarvenöFgane, vor, die immerhin eine gesonderte Betrachtung dieser Entwicklung recht- fertigen. Die Herkunft der Larven blieb mir bei Carmarina leider ebenso wie bei Glossocodon unbekannt, da sie sämmtlich von der Oberfläche1 des Meers weggefangen wurden. Versuche aus befruchteten Eiern Larven zu ziehen , schlugen auch hier fehl. Ich bedaure dies um so mehr, als die im nächsten Abschnitt zu beschreibende Knospenbildung in der Magenhöhle der G&rmarina ganzlich verschiedenen Medusen den Ursprung giebt und die Fortpflanzungsweise dieser Art mit einem Ge- nerationswechsel der merkwürdigsten Art verknüpft sein lässt. Zunächst ist im Allgemeinen von unseren Larven zu bemerken, dass bei Carmarina nicht das ungleichzeitige Auftreten der alterniren- den homotypischen Theile eines und desselben Kreises zu beobachten ist, welches bei Glossocodon, so sehr die Regel ist, dass wir danach jedes Stadium der Larvenentwickelung des letzteren in zwei untergeordnete Abschnitte eintheilen konnten. In jedem der drei Tentakelkreise von Glossocodon, sowie in den beiden Kreisen von Sinnesbläschen (radialem und interradialem Kreise) erscheinen regelmässig zuerst nur zwei ge- genüberstehende homotypische Theile, denen dann das zweite damit alternirende Paar erst später nachfolgt. Dieses ungleichzeitige Auf- treten lässt sich an den Tentakeln oft noch längere Zeit hindurch an der ungleichen Länge der alternirenden Paare wahrnehmen. Nur aus- nahmsweise treten hier alle 4 homotypischen Organe gleichzeitig auf. Bei den Larven von Carmarina dagegen scheint das gleichzeitige Er- scheinen aller homotypischen Theile eines jeden Kreises die vorherr- schende Regel zu sein. Wenigstens habe ich keine Larven beobachtet, bei denen nur 3 (oder nur 2 oder 4) homotypische Tentakeln oder Randbläschen entwickelt gewesen wären und die anderen noch gefehlt hätten. Nicht einmal geringe Unterschiede in der Länge gegenständiger oder alternirender Tentakeln, oder merkbare Differenzen in der Grösse correspondirender radialer oder interradialer Randbläschen eines und desselben Kreises, welche eine ungleichzeitige Entwicklung derselben verrathen hätten, Hessen sich jemals mit Bestimmtheit nachweisen. Es scheinen also stets alle sechs homotypischen Theile eines jeden Krei- ses gleichzeitig hervorzusprossen. Die zeitliche Aufeinanderfolge in der Entwickelung der verschie- denen Organe ist bei Carmarina hastata fast dieselbe wie bei Glossoco- don eurybia, so dass also die verschiedenen Anhänge des Schirms und die Sinnesbläschen auch hier die gleiche Reihenfolge des Erscheinens einhalten, nämlich: 1. die radialen Nebentenlakeln ; 2. die interradia- 176 Ernst Hueckel, len Tentakeln; 3. die interradialen Randbläschen; \. die radialen Haupttentakeln; 5. die radialen Randbläschen. Ebenso verschwinden von den beiden nur der Larve zukommenden Tcnlakelkreisen zuerst die radialen Nebententakeln und dann die interradialen Tentakeln. Es Hessen sich also auch hier die oben bei Glossoeodon unterschiedenen acht Perioden der Metamorphose nachweisen. Da wir bei jener Liriopide bereits dieselben ausführlich geschildert haben , so möge hier von der Garmarinide eine kurze Charakteristik der einzelnen Stadien genügen, mit besonderer Erwähnung der Abweichungen, welche der Entwicker lungsgang der Carmarina gegenüber dem der Liriope zeigt. Die jüngste von mir beobachtete Larvenform der Carmarina hastata ist in Fig. 54 dargestellt. Es entspricht dieselbe nicht dem ersten, son- dern dem zweiten Entwickelungsstadium , das ich von Glossoeodon beobachtet habe , indem der kugelige Körper bereits mit dem ersten Kreise der Anhange, mit den 6 radialen Nebententakeln besetzt ist. Es maass diese kugelige Larve, die mir nur in einem einzigen Individuum zu Gesicht kam, ungefähr I mm im Durchmesser. Der grösste Theil des Körpers besteht aus einer durchaus homogenen und structurlosen Gal- lertmasse. An der einen Seile befindet sich eine kleine napfförmige Aushöhlung, die erste Anlage der Schirmhöhle , ausgekleidet mit einein trübkörnigen, grosszelligen Epithel. Der Höhlenrand ist wulstig ver- dickt, dunkel und setzt sich als kreisrunder breiter Ring in eine hori- zontal vorspringende Membran fort, welche zeitweise (im Zustande höchster Contraction) ganz geschlossen, zeitweise von einer weiten kreisrunden, centralen Oeffnung, wie ein Diaphragma , durchbrochen erscheint. Es ist dies das gut entwickelte Velum , welches in dieser Periode die Stelle des Mundes vertritt, sowie die gesammte Schirmhöhle anstatt des noch fehlenden Gastrovascularsystemes zu funetioniren scheint. Das dunkle, körnige, aus dickwandigen Cylinderzellen be- stehende Epithel der Schirmhöhle ist das einzige Ernährungsorgan. Der verdickte Rand des Velum , in welchem schon die erste Anlage des Knorpelringes sich erkennen lässt, ist besetzt mit 6 gleichweit von- einander entfernten , noch sehr kurzen , dicken , cylindrischen Tenta- keln, die vollkommen den radialen Nebentenlakeln der Larven von Glossoeodon entsprechen. Die nächstälteren Larven der Carmarina , welche mir zur Beob- achtung kamen , entsprachen der dritten Entwickelungspcriode des Glossoeodon. Eine solche ist in Fig. 55 halb von oben, halb von aussen dargestellt. Zu den G radialen Nebententakeln treten jetzt noch 6 in- terradiale hinzu, die mit denselben alterniren. Die Form des Schirmes beträgt etwa % einer Kugellläche von 2 1"m Durchmesser, welche unten Metamorphose von Garmarina hastata. 177 durch die Ebene des Velum , von etwa l'/j™ Durchmesser, abge- schnitten ist. Die Schinnhöhle findet sich sehr bedeutend erweitert, so dass die Gallertmasse des Schirms beträchtlich reducirt ist. Die Schirm- höhle übt nicht mehr die Function einer verdauenden Cavität und das sehr ausgedehnte, mit weiter Oeffnung versehene Velum nicht mehr die Function des Mundsaumes. Vielmehr ist die Anlage des Gastrovas- cularsystems bereits vorhanden in Form von 6 ziemlich schmalen, flach bandförmigen Canälen , welche von dem Mittelpuncte der unteren Schirmflache ( Subumbrella) ausgehend, in derselben radial nach dem Rande zu verlaufen und sich hier in einem schmalen Ringgefäss ver- einen. Den centralen Vereinigungspunct der (3 Radialcanäle bildet eine ganz flache, in die Ebene der Subumbrella eingesenkte Magentasche, welche sich durch eine sechseckige, von einem verdickten Lippenwulst umgebene Mundöffnung in die Schirmhöhle öffnet. Rei geöffnetem Munde springen die 6 Ecken desselben scharf ein gegen den Abgang der Radialcanäle. Sowohl die radialen als das circulare Gefäss sind noch sehr schmal, nur ungefähr so breit als die interradialen Tentakeln, de- ren Auftreten diese dritte Periode charakterisirt. Unmittelbar unter dem unteren Rande des Ringgefässes, wo zugleich der untere Rand des Gallertmantels an den äusseren Rand des Velum grenzt , markirt sich jetzt schärfer der dunkle , glänzende Streif, der schon bei der ersten Larve (Fig. 54) als erste Anlage des Knorpelringes erkennbar ist. Die 1 2 Tentakeln , welche die Larve in diesem und im nächstfol- genden vierten Stadium besitzt, sind dergestalt vertheilt, dass die 6 interradialen jüngeren unmittelbar dem äusseren Rande des Knorpel- ringes aufsitzen , während die 6 mit ihnen alternirenden radialen Ne- bententakeln bereits vom Rande an die Aussenfläche des Schirmes hi- naufgestiegen sind , und mit dem Knorpelringe nur noch durch eine centripetale Manlelspange zusammenhängen. Die 6 radialen Neben- tentakeln haben oft schon in diesem Stadium den höchsten Grad ihrer Entwickelung erreicht und erscheinen als ansehnlich dicke Gylinder, doppelt so stark als die interradialen , hinter denen sie allerdings an Länge bald bedeutend zurückbleiben. Die 12 Larvententakeln der Carmarina fehlen wie bei Glossocodon dem erwachsenen Thiere völlig und sind also wesentlich als vorüber- gehende Larvenorgane zu betrachten. Sie sind in Rau und Verrichtung völlig verschieden von den erst später auftretenden radialen Haupt- tentakeln, die dem geschlechtsreifen Thiere allein übrig geblieben sind. Während die letzteren hohle, wurmförmig bewegliche Gylinder sind, die den oben ausführlich geschilderten, eigentümlichen und compli- cirten Rau zeigen , sind dagegen die radialen Nebententakeln (s t) und Band II. 2. 4 2 178 Ernst Haeckel, die ebenso gebauten interradialen Tentakeln (y) der Larven von Car- marina starre, solide Cylinder, die völlig von jenen in der Structur und in den Bewegungserscheinungen abweichen (Fig. 64 und 65). Sie beste- hen wesentlich aus einem cylindrischen Knorpelstreifen, welcher von einem Schlauche quergestreifter longitudinaler Muskelfasern umschlos- sen und über diesem aussen von einem Epitheliallager umhüllt ist. Der Medusenknorpel , welcher die formgebende Grundlage und die Hauptmasse der 12 Larvententakeln bildet, besteht an den radialen Nebententakeln der Carmärina aus einer einzigen Reihe sehr dickwan- diger, kurz cylindrischer Knorpelzellen, die wie die Münzen einer Geld- rolle übereinander liegen (Fig. 65 s'k). Ihre Zahl beträgt bei den läng- sten und höchst entwickelten Tentakeln höchstens 10 bis 15. Dagegen sind die Knorpelzellen der interradialen Tentakeln weit zahlreicher und grösser, aber auch viel dünnwandiger und liegen nicht in einer , son- dern in mehreren Reihen neben- und hintereinander (Fig. 64 y k). Sie sind durch gegenseitigen Druck polygonal abgeplattet. Auf Quer- schnitten durch einen ganz entwickelten interradialen Tentakel würde man an der Basis etwa 6 bis 10, in der Mitte 3 bis 6, im äusseren Ende 2 bis 4 Zellen nebeneinander finden. Der Muskelschlauch, welcher den Knorpelcylinder unmittelbar umschliesst, besteht nur aus einer einzi- gen , sehr dünnen Lage von quergestreiften Muskelfasern , die regel- mässig und sehr dicht nebeneinander gelagert , der Länge nach ver- laufen. Circulare oder radiale Muskeln fehlen gänzlich. Zwischen dem Muskelschlauch und dem Knorpelcylinder, streckenweis auch zwischen Zellen des letzteren , verläuft an den interradialen Tentakeln ein dün- ner Nerv, die Fortsetzung des Spangennerven (Fig. 64 yn). Er er- scheint als ein dünner , blasser, feinfaseriger, mit einzelnen spindel- förmigen (Ganglien?) Zellen durchsetzter Strang, der an die einzelnen Nesselpolster Aeste abgiebt. Der Epithelialüberzug , der das Muskel- rohr sehr locker anliegend umschliesst, so dass er bei starker Verkür- zung der Tentakeln sich in circulare Falten legt (Fig. 64 y e und 65 s e)r besteht aus einer einfachen Lage ziemlich grosser, flach gewölbter Zel- len, welche an bestimmten Stellen Nesselkapseln entwickeln. An den radialen Nebententakeln sind die sämmtlichen Nesselzellen in einen einzigen grossen , kugeligen Knopf radial dergestalt zusammengestellt, dass ihre verlängerten Axen sich im Centrum der Kugel treffen würden. Der Durchmesser des Knopfs ist fast doppelt so gross als derjenige des darunter befindlichen äusseren Tentakelendes. Der Nesselknopf trägt einen kurzen und sehr dünnen peitschenförmigen Anhang, aus kleinen, hellen , polyedrischen Zellen zusammengesetzt. An den interradialen Tentakeln sind die Nesselzellen auf eine Anzahl coneav-convexer kreis- Metamorphose von Carmarina hastata. 179 runder Polster vertheilt , welche mit ihrer concaven Flüche höchstens ein Drittel von der Oberfläche des eylindrischen Muskelschlauchs um- fassen. Die Nesselzellen sind in diesen Polstern derart radial zusam- mengestellt, dass ihre verlängerten Axen sich in der Cylinderaxe schneiden würden. Die Polster sitzen sänimtlich an der linieren oder inneren, subumbralen (gewöhnlich am aufwärtsgeschlagenen Ten- takel nach aussen gekehrten) Seite des Tentakels in der Art in einer Reihe hintereinander, dass sie durch ungefähr ebenso breite Zwischen- räume voneinander getrennt sind. Die Zahl der Nessehvarzen nimmt mit dem Alter der Larve zu. Im Zustande der höchsten Entwicklung besitzt jeder interradiale Tentakel von Carmarina bis zu 1 2 Nessel- polster hintereinander (Fig. 58 und 59). «. Sowohl die interradialen als die radialen Nebententakeln ent- wickeln sich sämmllich vom Schirmrande aus , mit dem sie auch spä- terhin, wenn sie an der Aussenfläche des Schirmes in die Höhe gerückt sind, durch die centripetalen oder marginalen Mantelspangen (h) noch in continuirlicher Verbindung bleiben. Es setzen sich daher auch sämmtliche Gewebsschichten des Mantelrandes auf die Mantelspangen und von da auf den Schirm fort, und die Mantelspange gleicht in ihrem Baue , wie bereits oben gezeigt wurde , wesentlich einem Larventen- takel. Der dünne , cylindrische , aus einer einzigen Zellenreihe beste- hende Knorpelstreif, welcher die Grundlage der Mantelspange bildet, geht vom Knorpelring des Mantelrandes aus und verbindet denselben continuirlich mit dem knorpeligen Cylinder der Larvententakeln. Der cylindrische Muskelbeleg der letzteren setzt sich ebenso continuirlich als unmittelbare Umhüllung auf die Knorpelspange und von deren Ba- sis auf den Aussenrand des Yelum fort. Der radiale Nerv, welchen die Mantelspange vom Randganglion zur Basis des Tentakels führt, setzt sich unmittelbar auf letzteren fort, und endlich das Nesselzellen führende Epithel des Tentakels hängt durch den ebenso gebauten Epithelialüber- zug der Spange continuirlich mit dem gleichen Ueberzuge des Ring- knorpels zusammen. Die Zahl der Nesselpolster an den interradialen Tentakeln steigt noch während der dritten Entwickelungsperiode, in der sie zuerst auf- treten , von einem bis zu 3 bis 4. In dem darauf folgenden Stadium steigt sie auf 5 bis 6 und die Länge der Tentakeln kommt nun ungefähr dem Schirmradius gleich (Fig. 56). In dieser vierten Periode tre- ten die ersten Sinnesbläschen auf und zwar die 6 interradialen Bläschen (Fig. 66 und 64 b i). Sie erscheinen zuerst als helfe halb- kugelige Wülste , welche mittelst eines kleinen , dunkeln, feinkörnigen Knotens auf einer stark spindelförmig verdickten Stelle des Knorpel- 12* 180 Ernst Haeckel, rings aufsitzen; dieser Knoten (Fig. 66 f) ist die Anlage des Rand- ganglion ; denn auch das Nervensystem, welches vielleicht schon früher angelegt ist , tritt nun deutlich erkennbar hervor. Der Nervenring (Fig. 66 a) wird als sehr feiner, blasser, längsfaseriger Streif hinter dem oberen Rande des Ringknorpels sichtbar, ebenso der Radialnerv an der unteren Wand des Radialcanales. In den homogenen glashellen Sinneskörperchen wird bald eine Differenz zwischen einer äusseren Hülle (b) und einem eingeschlossenen hellen, kleineren Körperchen (s) sichtbar, dem Sinnesganglion ; und im letzteren tritt bald die dunklere Concretion deutlich hervor. Das Bläschen dehnt sich kugelig aus und hebt sich mehr und mehr von dem darunter liegenden Knoten (f) ab. Die weiteren Veränderungen der Larve in diesem vierten Sta- dium sind wenig bedeutend. Die Schirmhöhle flacht sich fast halbku- gelig ab . indem der Mantelrand beträchtlich wächst. Der Durchmes- ser des Schirms erreicht nun un- gefähr 3 mm. Der Magen erhebt sich ein wenig über die Fläche der Subumbrella, als kurzer, von ei- nem wulstigen Lippenrand umge- bener Cylinder. In letzterem wer- den gegen 50 kleine Nesselwar- zen bemerkbar. Die folgende fünfte Periode Fig. 97. Schema eines radialen Ver- ticalschnittes durch eine Larve von Car- marina hastata ( aus der vierten Entwi- ckelungsperiode), rechts durch einen ra- dialen Nebententakel , links durch einen inlerradialen Knorpeltentakel geführt, b. Randbläschen, c. Ringcanal. h. Man- telspange, k. Magen. 1. Gallertmantel. r, Radialcanal. s t. Radialer Nebenten- takel, u k. Knorpelring. v. Velum. y. In- terradialer Tentakel. der Entwickelung Fi! 57 ) ist charakterisirt durch das Auftreten der 6 bleibenden radialen Haupttentakeln (t). Dieselben er- scheinen zuerst als ganz kleine, runde Warzen an der Aussenfläche des Schirmes , welche w ie kurze taschenförmige Ausstülpungen des Ring- gefässes nach aussen oberhalb des Knorpelringes hervorragen. Sie tre- ten hier (von aussen oder unten betrachtet) rechts neben der Basis der benachbarten marginalen Mantelspange hervor, welche von dem Schirm- rand zu dem darüber gelegenen radialen Nebententakel emporsteigt. Die radialen Haupttentakeln unterscheiden sich also nicht allein im Bau unddenBewegungserscheinungen, sondern auch in derEntwickelungs- weise wesentlich von den radialen Nebententakeln (s t) und den inter- radialen Tentakeln (y) . Die beiden letzteren sind von Anfang an solide Fortsätze oder Ausläufer des Schirmrandes , dessen verschiedene Ele- mente (Knorpel, Muskeln, Nerv, Nesselepithel) in ihre Zusammensetzung Metamorphose von Carmarina liastata. 18] eingehen. Die radialen Haupttentakeln dagegen zeigen sich von Anbe- ginn an als hohle, blindsackförmige Ausstülpungen des Cirkelcanales, dessen Epithel sich in ihren Axencanal fortsetzt (Fig. 98 t). Während nun die radialen Haupttentakeln rasch wachsen, beginnt auch das Gastrovascularsystem in der fünften Periode sich weiter zu entwickeln. Der Magenschlauch, welcher bisher als ganz flache Tasche in die Mitte der Subumbrella eingesenkt lag , verlängert sich zu einem dickwandigen Cylinder, der bis zur halben Höhe der Schirmhöhle herabhängt und an der erweiterten Mundöffnung oft in 6 Falten gelegt, fast sechslappig erscheint. Im Grunde des Magensackes verlängert sich die Gallertsubstanz des Mantels in ein frei vorragendes conisches Zäpf- chen, die Anlage des Zungenkegels. Die ersten Centripetalcanäle treten als zungenförmige Blindsäcke in der Mitte zwischen je 2 Radialcanälen deutlicher hervor, nachdem sie schon in der vierten Periode durch Vor- wölbung des Cirkelcanals über der Basis der interradialen Tentakeln angelegt worden waren. In der sechsten Periode bringt das Erscheinen der 6 radia- len Randbläschen die progressive Entwickelung der Carmarina zum Abschluss (Fig. 58). Dieselben bilden sich in gleicher Weise wie die interradialen und erscheinen zuerst als helle, halbkugelige Knöpf- chen an der Basis der radialen Mantelspangen , links neben der Ab- gangsstelle der radialen Haupttentakeln. Die letzteren haben durch ra- sches Wachsthum schon eine ansehnliche Länge erreicht, welche den Schirmdurchmesser übertrifft, der jetzt ungefähr 8 nnn Durchmesser be- trägt. Der Schirm wird flacher gewölbt, indem namentlich der Schirm- rand stark nach aussen wächst und die Schirmhöhle sich auf Kosten der Gallertsubstanz des Mantels ausdehnt. Dadurch werden auch die Man- telspangen länger ausgezogen , während die \ 2 knorpeligen Larven- tentakeln an der Aussenfläche des Schirmes in die Höhe steigen. Von den letzteren gehen die radialen Nebententakeln nun schon ihrem Ende entgegen, indem sie ihren Nesselknopf verlieren und als schlaffe Fäden herabhängen. Auch das Wachsthum der interradialen Tentakeln, welche jetzt 10 bis 12 Nesselpolster an der subumbralen Seite tragen, schliesst jetzt ab. Das Gastrovascularsystem zeigt seine weitere Ausbildung in der sechsten Periode einmal durch die Ausbildung neuer Centripetalcanäle und sodann namentlich durch das Heranwachsen des Magenstieles. Neben jedem Centripetalcanäle erster Ordnung (Fig. 98 e) (der einer interradialen Mantelspange entspricht ) tritt rechts und links , in der Mitte zwischen ihm und dem benachbarten Cirkelcanale, ein neuer kürzerer Blindsack als Ausstülpung des Cirkelcanals nach oben hin auf, 182 Ernst Haeckel, so dass jetzt die Larve im Ganzen schon 18 blinde Centripetalcanäle besitzt. Der Magenstiel entsteht dadurch, dass der Zuneenkesel (Fig. 98 z) , der schon in der vorigen Periode als ein kurzer conischer Zapfen von der Mitte des Schirm- höhlengrundes aus in die Magen- Fig. 98. Schema eines radialen Ver- , .., , , . , . . ..,■?■...,. T n hohle hineingewachsen war, sich ticalschnittes durch eine Larve von Car- ° marina hastata (aus der sechsten Ent- nun beträchtlich verlängert und wickelungsperiode) , rechts durch einen ringsum mit der Magenwand ver- radialen hohlen Haupttentakel , links wächst, so dass bloss die 6 Radial- durch einen interradialen Knorpeltenta- cangle offen bleiben> Während kel geführt, b. Randbläschen, c. Ring- ,. , . . ,. „ . . . . . , ,, , , diese vorher gemeinsam in die canal. e. Centnpetalcanal. h. Mantel- ° spange. k. Magen. 1. Gallertmantel. flache Magentasche mündeten, lau- r. Radialcanal. t. Radialer Haupttenta- fen sie nun getrennt an der Ober- kel. uk. Knorpelring. v. Velum. y. in- fläche des Magenstiels herab, um terradialer Tentakel, z. Zunge. erst an dessen Ende in die eigent- liche Magenhöhle zieh zu öffnen. Diese erscheint an der in Fig. 58 ab- gebildeten Larve nur als eine sehr kleine, flache Glocke, deren Mund- saum in 6 Zipfel ausgezogen ist und in deren Höhlung die kurze freie Spitze des Zungenkegels verborgen liegt. Carmarina hastata ist jetzt, am Ende der sechsten Periode, bei einem Schirmdurchmesser von 8mm, mit verschiedenartigen Anhängen weit reicher ausgestattet als das erwachsene geschlechtsreife Thier, in- dem sie nicht weniger als 3 verschiedene Kreise von je 6 Tentakeln trägt. Die weiteren Veränderungen, welche das Thier nun noch zu durchlaufen hat, bestehen einestheils in der Ausbildung der Genitalien und der noch fehlenden Centripetalcanäle dritter Ordnung ; andern- theils in einer Reduction der Tentakelanhänge , von denen zuerst die 6 radialen Nebententakeln und dann auch die 6 interradialen Tentakeln abfallen, so dass schliesslich nur die 6 hohlen radialen Haupttentakeln übrig bleiben. Man könnte demgemäss noch 2 Stadien der Verwande- lung unterscheiden. Das siebente Stadium , durch den Wegfall der radialen Nebententakeln (s t) charakterisirt , ist in Fig. 59 dargestellt. Die radialen Haupttentakeln sind bei diesen Larven , deren Schirmdurch- messer 1 2 mm beträgt, schon bedeutend länger geworden. Die inter- radialen Tentakeln treten dagegen sehr zurück, werden schlaff und welken ab. Oft löst sich auch ihre freie Spitze mit den oberen Nessel- knöpfen schon stückweis ab. Der Magenstiel verlängert sich bedeutend, Metamorphose von Carmarina hastata. 183 ebenso auch seine untere feine Spitze, welche als Zungenkegel aus der Magenhöhle vortritt. Die Cenlripetalcanäle dritter Ordnung fehlen noch, so dass zwischen 2 radialen immer noch nur 3 centripetale sichtbar sind. Bisweilen fangen schon in diesem Stadium, bei einem Schirm- durchmesser von 10 — 15mm, die Geschlechtsorgane als seitliche Aus- stülpungen der Radialcanäle sich zu entwickeln an. Der achte Abschnitt des Larvenlebens endlich wird durch das Verschwinden der interradialen Tentakeln und durch die Entwicklung der noch fehlenden Cenlripetalcanäle dritter Ordnung be- zeichnet. Von den letzteren sprossen je i in dem Zwischenraum zwi- schen je 2 Radialeanälen aus dem Cirkelcanale hervor. Sie erreichen aber nur die Hälfte oder höchstens % von der Länge der Centripetal- canäle erster und zweiter Ordnung , mit denen sie alterniren. Der Schirmrand des Thieres wächst nun noch bedeutend. Dabei nimmt die Wölbung des Schirmes und die Dicke seines Gallertmantels verhält- nissmässig ab. Der Magenstiel oder die 6 radialen Haupttentakeln, welche jetzt allein noch von allen 18 Randanhängen übrig sind, nehmen an Länge noch beträchtlich zu . ebenso auch der Zungenkegel und der Magensack, in welchem der letztere verborgen ist. Die Entwickelung der Geschlechtsorgane, mit welcher das Thier seine volle Reife erlangen sollte, tritt dennoch bei Carmarina, ebenso wie bei Glossocodon, oft schon lange vor dem Abschlüsse des Wachsthums ein. Schon kleine Carmarinen von \ 5 — 20 mm Schirm- durchmesser zeigen die beginnenden Ausbuchtungen an den Seiten- rändern der in der Subumbrella verlaufenden Radialcanäle, welche sich zu den flachen Seitentaschen erweitern, aus deren subumbralem Epithel sich die Geschlechtsproducte entwickeln. Ausnahmsweise treten dieselben schon im siebenten Stadium auf, wenn die interradialen Ten- takeln noch vorhanden und erst 18 Cenlripetalcanäle ausgebildet sind. Sehr selten dagegen (und ich habe dies nur einmal gesehen), begegnet man Carmarinen, welche noch alle I 8 Tentakeln tragen und dennoch schon die beginnende Ausbuchtung der Radialcanäle zu den Genital- blättern erkennen lassen. Die für Carmarina hastata charakteristische Spiessform nehmen die Genitalblätter erst späterhin, bei ganz erwach- senen Thieren, an, während sie bei jüngeren noch als gleichschenklige Dreiecke mit schmaler Rasis erscheinen, deren Ecken sich erst später allmählich flügeiförmig ausziehen und verbreitern. 184 Ernst Haeckel, VIII. Hnospenbilduug in der Magenhöhle an der Zunge) von Carmarina bastata. (Hierzu Taf. VII Fig. 74—77.) Wenn die Erkenntniss der thierisehen Fortpflanzungsverhältnisse durch die Fülle überraschender Entdeckungen , welche die Arbeiten der letzten Decennien bei den niederen Thieren zu Tage gefördert ha- ben, einer der interessantesten Zweige der Zoologie geworden ist , so gilt dies ganz besonders mit Bezug auf die umfangreiche Abtheilung der Coelenteraten und namentlich die Classe der Hydromedusen. Fast alle denkbaren Möglichkeiten der geschlechtlichen und ungeschlechtli- chen Fortpflanzung, des Generationswechsels und des Polymorphismus scheinen in dieser merkwürdigen Thierclasse erschöpft zu sein ; und dennoch liefert fast jede genauere Untersuchung einer einzelnen klei- neren Gruppe oder selbst einer einzigen Species und ihres Formenkrei- ses neue überraschende und seltsame Entdeckungen. Auch die ein- gehende Untersuchung der sechszähligen Geryoniden sollte in dieser Beziehung nicht ohne Erfolg sein. Während Carmarina hastafa Geschlechtsproducte entwickelt, aus denen wahrscheinlich die sechszähligen Larven hervorgehen, deren Metamorphose im vorigen Abschnitte dargestellt wurde , erzeugt das- selbe Thier gleichzeitig auf ungeschlechtlichem Wege achtzählige Knos- pen, die zu einer ganz verschiedenen Medusenform sich entwickeln. Sowohl die gänzliche Verschiedenheit dieser achtzähligen Medusenknos- pen von dem sechsstrahligen Mutterthiere und dessen Larven, als auch das Hervorknospen derselben in zahlreichen Gesellschaften aus dem Zungenkegel — innerhalb der Magenhöhle des Mutterthieres, — lassen diese neue Form des Generationswechsels als eine der seltsamsten Gom- plicationen auf diesem an abenteuerlichen Verwickelungen so reichen Gebiete erscheinen. Schon vor mehr als 20 Jahren wäre dieser merkwürdige Vorgang beinahe von einem Beobachter, der sich um die Entwickelungsgeschichte der niederen Thiere die grössten Verdienste erworben hat, von August Krohn, entdeckt worden. Bei Mittheilung seiner »Bemerkungen über den Bau und die Fortpflanzung der Eleutheria '), welche in geschlechts- reifem Zustande Knospen treibt, bemerkt Krohn (I. c. p. 168. Anmer- kung): »Während meines Aufenthaltes in Messina, im Jahre 1843, kam 1) Archiv für Naturgeschichte, 1861. XXVII, I. p. 168. Knospenbildung in der Magenhöhle (an der Zunge) von Carmarina hastata. 185 mir ein weibliches Exemplar von Geryonia proboscidalis zu Gesicht, dessen wie bei Liriope frei in die Magenhöhle hinabreichendes Stiel- ende mit Sprösslinijen von ungleicher EntWickelung dicht besetzt er- schien. Die minder entwickelten nahmen den oberen, die weiter vor- geschrittenen den unteren Theil desselben ein. An jenen Hessen sich bloss Schirm und Stiel unterscheiden , diese hatten nicht nur schon die sechs Fangfaden oder Tentakeln, sondern auch die Randkürper ent- wickelt. Alle diese Sprösslinge sassen mit dem Scheitelpuncte ihres Schirmes dem Stielende des Mutterthieres fest auf. So befremdend es auch sein mag, Knospen innerhalb eines Organs hervorkeimen zu se- hen, das zugleich zur Aufnahme und Verdauung der Nahrung bestimmt ist, so darf doch nicht übersehen werden, dass dieselbe Erscheinung bereits an einer andern Meduse beobachtet ist. Es ist die Aegineta prolifera von Gegenbaur. Dieser wichtigen, aber nicht weiter verfolgten Beobachtung des verdienstvollen Krohn schliesst sich eine ähnliche, ebenfalls ganz verein- zelte Beobachtung von Fritz Müller an, welche in demselben Bande *) des Archivs f. N. mitgetheilt ist und die ich wegen ihrer Wichtigkeit eben- falls wörtlich anführe. Sie betrifft Liriope catharinensis. Er sagt (1. c. p: 51): »Zu Anfang dieses Jahres (1 8G0) fing ich eine Liriope catharinensis, der ein langer blassgelblicher Zapfen aus dem Munde hervorhing. Bei näherer Untersuchung ergab sich derselbe als eine aus dichtgedrängten Quallenknospen bestehende Aehre, deren Ende die LJriope verschluckt hatte (Fig. 30). Der frei vorhängende Theil hatte 1 ,75 mm Länge und die grössten Quallenknospen fast 0,5 mm Durchmesser. Sie waren fast halbkugelig und die gewölbte Fläche sass mit kurzem Stiele an der ge- meinsamen Axe fest. Am freien Rande erhoben sich acht halbkugelige Randbläschen mit kugliger Concretion ; etwa in der Mitte zwischen Rand und Scheitel sprossten abwechselnd mit den Randbläschen acht kurze plumpe Tentakel hervor. Auf der freien ebenen oder flach ge- wölbten Fläche der Knospe zeigte sich ein grosser ganzrandiger Mund, der in einen flach ausgebreiteten Magen führte. Alle diese Eigenthüm- lichkeiten stimmen mit der achtstrahligen Form von Cunina Köüikeri, während nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit irgend einer an- dern der im Laufe von 4 Jahren hier von mir beobachteten Quallen besteht.« Obwohl die letztere Bemerkung wahrscheinlich vollkommen rich- tig ist, so wird sich doch durch Vergleichung mit den folgenden Mit- 1) Archiv für Naturgeschichte, 1861. XXVII, 1. p. 51. 186 Ernst Haeckel, theilungen fast mit Gewissheit ergeben, dass diese aus Quallenknospen bestehende Aehre nicht von der Liriope verschluckt war, sondern dass sie als ein Product derselben, durch Knospenbildung im Magen selbst entstanden, aufzufassen sei, wie es bei jener von Krohn beobachteten Geryonia der Fall war. Diese Vermuthung ist auch bereits von Leuckart ausgesprochen, der in seinem Jahresbericht für 1861 den von Krohn und den von Fritz Müller beobachteten Fall neben einander stellt und bemerkt, dass der letztere sich »aller Wahrscheinlichkeit nach« durch den ersteren erkläre. *) Sowohl Krohn's als Fritz Müllers Beobachtung war mir unbekannt, als ich im März und April 1864 bei Nizza zahlreiche Exemplare von Carmarina hasiata untersuchte und die Fortsetzung des Magenstiels in die Magenhöhle hinein beobachtete , welche ich oben als Zungenkegel oder Zunge beschrieben habe (Fig. 4, 5 z). Bei zwei von diesen Thie- ren fand ich in dem Mageninhalte, gemischt mit Crustaceen, Sagitten und anderen kleinen pelagischen Organismen , welche die Carmarinen gefressen hatten, einen etwa 5 — 8 rara langen und 2 — 3 '"'" dicken, trüben, blassgelblichen cylindrischen Zapfen, welcher einem Haufen von Fisch- eiern glich und aus kleinen runden Körnern von ungleicher Grösse (die grössten von 1 mm) zusammengesetzt war. Unter das Mikroskop ge- bracht, gab sich dieser Körnerzapfen als eine aus zahlreichen (über 50) kleinen Quallenknospen zusammengesetzte Aehre zu erkennen. Die kleinen Medusen waren mit ihrer Schirmwölbung (dem Aboralpol) an einer centralen cylindrischen Axe befestigt. Die ältesten Knospen (von 1 mm Durchmesser) zeigten einen flach scheibenförmigen dicken Schirm, dessen der Anheftungsstelle entgegengesetzte Unterfläche in der Mitte in einen kurzen cylindrischen Magen mit runder platter Mundöffnung verlängert war. In der Peripherie der Scheibe zeigten sich 8 kurze Tentakeln und in der Mitte zwischen diesen, an 8 vorspringenden Lap- pen des Schirmrandes, 8 Bandbläschen. Da ich bei den beiden Carmarinen, in deren Magen ich diese Qual- lenähren beobachtete, dieselben scheinbar vollkommen frei in der Ma- genhöhlung gefunden hatte und da beide (gleichzeitig gefangene) In- dividuen auch ausserdem dieselben Nahrungsbestandtheile, die gleichen Arten von Copepoden, Sagitten und Würmerlarven im Magen enthielten, so zweifelte ich nicht, dass auch jene seltsamen Medusenähren , deren Ursprung ich auf keine der mir bekannten Medusenarten zurückzufüh- ren vermochte, von den beiden Carmarinen mit der anderen Beute zu- 4) Archiv für Naturgeschichte, 4864. XXX, 2. p. 465. Knospenbildung in der Magenhöhle («m der Zunge) von Carmarina hastata. 187 fällig verschluckt worden seien. An einen genetischen Zusammenhang der achtslrahligen Knospen mit den sechszähligen Geryoniden konnte ich um so weniger denken , als ich damals schon die Metamorphose der sechszähligen Larven von Carmarina beobachtet hatte. Erst als mir nach meiner Rückkehr von Nizza die von Krohx und Fritz Müller beobachteten beiden Fälle bekannt geworden waren, dachte ich daran, dass wohl auch jene beiden scheinbar verschluckten Aehren möglicher- weise in gleicher Art von der Carmarina abstammen könnten. Ich un- tersuchte sorgfältig alle aus Nizza mitgebrachten und in Salzlösung sehr wohl conservirten Exemplare der letzteren und war nicht wenig überrascht und erfreut, im Magen von mehreren geschlechtsreifen Thie- ren, sowohl von Männchen, als von Weibchen noch vollkommen wohl- erhaltene Knospenähren anzutreffen (Fig. 74, 75). Die Anzahl der conservirten geschlechtsreifen Exemplare, die ich nachträglich untersuchen konnte, betrug 23. Von diesen besassen nicht weniger als 9 einen verstümmelten und theilweise in Reproduction be- griffenen Magen 4) . Von den 1 4 übrigen geschlechtsreifen Carmarinen zeigten die 2 grössten Exemplare , mit einem Schirmdurchmesser von 50 — 60 mm, in ihren Magen keine Spur von Knospenbildung , eben so wenig auch 5 jüngere Individuen, deren Schirmdurchmesser nur zwi- schen 1 5 und 25 mm betrug, und bei denen eben erst die Bildung der Genitalblätter als seitlicher Ausbuchtungen der Radialcanäle begann. Die 7 übrigen Exemplare , mit einem Durchmesser von 30 — 40 mra, zeigten sämmtlich in ihrem Magen eine Knospenähre, und zwar gehör- ten die knospentragenden Mägen beiden Geschlechtern an, indem 4 von jenen 7 Thieren weiblich, die 3 andern männlich wa- ren. Das eine Weibchen trug 2 Knospenähren im Magen , was ich für eine zufällige Abnormität, bedingt vielleicht durch ursprüngliche Spal- tung des Zungenkegels, halte. Larven und jüngere Individuen von Carmarina, bei denen noch keine Entwickelung der Genitalien bemerk- bar war, zeigten auch keine Spur von Knospen im Magen. Bei allen 1) Dieser ausserordentlich häufige Verlust des Magens, welcher den Carma- rinen nichts zu schaden und sehr rasch ersetzt zu werden scheint, erklärt sich, wie ich glaube, dadurch, dass der lange Magenstiel, welcher von den schwim- menden sowohl, als von den ruhig im Wasser schwebenden Thieren wie ein Pen- del langsam hin und her bewegt wird, die Fische wie ein Köder anlockt, und oft von diesen abgebissen wird. Auch reisst wahrscheinlich der verhältnissmässig dünne Magenstiel leicht ab, wenn die Carmarina, wie es bisweilen geschehen mag, ein ihr an Kraft überlegenes Thier mit dem Magen erfasst und verschluckt hat, welches noch innerhalb desselben heftige Bewegungen auszuführen vermag. 188 Ernst Haeckcl, 7 knospentragenden Individuen enthielten die Genitalblätter zwar voll- kommen reife Geschlechtsproducte, zeigten aber doch nur einen mittle- ren Grad der Entwicklung, indem sie schmale gleichsehenkelige Drei- ecke darstellten , noch ohne die flügeiförmige Ausbreitung der Basis, welche sie bei ganz erwachsenen Thieren annehmen (Fig. 1). Die Knospenähren (Fig. 75) waren im Mittel etwa 4 — 8 mm lang, und I — 2, höchstens 3 mm breit. Sie erfüllten bald nur den mitt- leren Axenraum , bald den grössten Theil der Höhlung des stark zu- sammengezogenen Magens (Fig. 74). Sie lösten sich sehr leicht, schon bei leiser Berührung , von dem Grunde des der Länge nach aufge- schnittenen Magens ab , so dass sie frei in demselben zu liegen schie- nen. Die cylindrische Form der Aehre wurde durch die an der Ober- fläche in ungleicher Vertheilung vorspringenden grösseren Knospen etwas unregelmässig. Zwischen den grösseren und mittleren Knospen sassen überall sehr zahlreiche kleinere und kleinste vertheilt, so jedoch, dass die letzteren mehr an dem oberen, die ersteren mehr an dem unte- ren Theile angehäuft waren. Im allgemeinen Habitus glichen die jün- geren , kleineren Aehren der von Fritz Müller abgebildeten Knospen- ähre. An 2 der grössten Aehren habe ich die Knospen gezählt. Ich vertheilte die Knospen nach ihrer Grösse in 3 Glassen: Grosse, deren Schirmdurchmesser 0,8 — 1 mm betrug, mittlere, mit einem Durchmes- ser zwischen 0,5 und 0,8 '""' und kleine, mit einem Durchmesser von 0,1 — 0,5 mm. Die kleinsten Knospen, unter 0,1 mm wurden gar nicht mitgezählt. Die eine jener beiden Aehren, von einem Männchen pro- ducirt, trug nicht weniger als 85 Knospen, nämlich II grosse, 21 mitt- lere und 53 kleine. Die andere , von einem Weibchen erzeugte Aehre trug 71 Knospen, nämlich 7 grosse, 18 mittlere und 46 kleine. Bei der in Fig. 75 abgebildeten Aehre, die ebenfalls zu den grössten ge- hörte, mag die Zahl der Knospen gleichfalls gegen hundert betragen, die kleinsten gar nicht einmal eingerechnet. Die kleineren Aehren mochten ungefähr zwischen 20 und 50 Knospen tragen. Auch hier sind die kleinsten, unter 0,1 mm Durchmesser, nicht mit gerechnet. Sämmt- liche Knospen sassen so dichtgedrängt neben und durch einander, dass die Oberfläche der gemeinsamen Zapfenaxe zwischen ihnen fast nir- gends sichtbar war. Bei der genaueren Untersuchung zeigte sich, dass die gemeinsame Axe der Aehre, an welche sämmtliche Medusenknospen mit der Mitte ihrer aboralen Schirmfläche angeheftet waren, nichts anderes, als die Zunge oder der Zunge nkegel (Fig. 2, 4, 5 z) sei, so dass also dieses seltsame Gebilde, welches späterhin nur als Tastorgan und vielleicht zugleich als Geschmacksorgan benutzt zu werden scheint, in einem ge- Knospenbildung in der Magenhöhlc (an der Zunge) von Carmarina hastata. 1 SO wissen Lebensalter der Carmarina, zur Zeit der mittleren Geschlechts- reife (?), als Knospen stock fungirt. DieStructur der Zunge schien mir, soviel ich an den in Salzlösung conservirten Thieren erkennen konnte, nicht verschieden zu sein von derjenigen des ganz erwachsenen Thie- res. Namentlich erschien mir die Zunge auch jetzt als ein durchaus homogener und solider Gallertzapfen, der als unmittelbare Fortsetzung des soliden Magenstiels keine Höhlung enthielt. Schon die erste oberflächliche Betrachtung der Knospen, noch mehr aber die genauere Untersuchung ihres Baues führte zu den überra- schendsten Resultaten. Es war mir dabei sehr werthvoll, dass ich einen der ersten Medusenkenner, meinen Freund Gegenbaur als Zeugen her- beiholen und sich von diesen paradoxen Verhältnissen mit eigenen Augen überzeugen lassen konnte. Zunächst ist hervorzuheben , dass sämmtliche Knospen ohne Ausnahme aus acht gleichen Theilen zusammengesetzt waren, während alle Carmarinen , die ich im erwachsenen Zustande beobachtete, und ebenso alle im VII. Ab- schnitte geschilderten Larven derselben, ohne eine einzige Ausnah- me, aus sechs gleichen Abschnitten bestanden. Die äussere Körperform, der innere Bau, die Bildung der Anhänge des Körpers u. s. w. sind dabei so durchgreifend, sowohl von den entsprechenden Verhält- nissen der erwachsenen Carmarina, als auch von denen ihrer sechs- zähligen Larven verschieden , dass man an einen genetischen Zusam- menhang der beiderlei Formen nimmermehr denken würde, wenn man sie nicht eben in continuirlichem materiellem Zusammenhange erblickte. Die Entwickelung der Knospen aus der Oberfläche der Zunge liess sich mit befriedigender Sicherheit durch alle Stadien hindurch verfolgen , trotzdem die Knospen durch die Aufbewahrung in Salzlö- sung sehr undurchsichtig geworden und dabei so brüchig und weich waren , dass sie selbst bei sehr schonenden Präparationsversuchen so- gleich in Stücke zerfielen. Nach möglichst sorgfältiger Untersuchung und Vergleichung einiger hundert Knospen glaube ich die folgende Darstellung verbürgen zu können (Fig. 9i A — E, 95, 76, 77, 75). Die erste Anlage der Knospe zeigt sich auf der glatten Ober- fläche der Zunge als eine kleine kreisrunde Scheibe von ungefähr 0,05 — 0,08 mi" Durchmesser, welche nichts Anderes als eine locale Wucherung des Zungenepithels ist. Während dieselbe anfänglich aus ganz gleichartigen Zellen besteht, tritt alsbald eine Differenzirung der- selben in zwei verschiedene Blätterschichten ein (Fig. 94 A), eine äussere hellere, welche der Zungenoberfläche unmittelbar anliegt (ec), und eine innere dunklere, welche anfänglich nur als ein sehr 190 Ernst Haeckel, Fig. 94. A. Anlage einer Zungenknospe von Carmarina hastata, in 2 Blätter differenzirt : ec Ectoderm, enEntoderm. Schematischer Me- ridianschnitt. B.Junge Zungenknospe von Car- marina hastata, mit der geöffneten Anlage der Magenhöhle (k). ec Ectoderm, en Entoderm. Schematischer Meridianschnitt. C. Junge Zun- genknospe von Carmarina hastata, bei der das Magenrohr (k) sich zu verlängern beginnt, ec Ectoderm, en Entoderm. Schematischer Meri- dianschnitt. D. Zungenknospe von Carmarina hastata, mit verlängertem Magenrohr (k) und Verdickung des Entoderins (en) am Mundsau- me, wo sich das Ectoderm (ec) verdünnt ab- setzt. Schematischer Meridianschnitt. E. Zun- genknospe von Carmarina hastata, bei welcher sich der Schirm von dem Magenrohr (k) abzu- setzen und in dem Schirm der Gallertmantel / abzuscheiden beginnt, ec Ectoderm, en Ento- derm. Schematischer Meridianschnitt. F. Ael- tere Zungenknospe von Carmarina hastata , bei welcher der Grund der Magenhöhle (k) sich in die 8 Radialtaschen (r) auszustülpen be- ginnt. 1 Gallertsubstanz des Mantels, ec Ecto- derm, en Entoderm. Schematischer Meridian- schnitt. kleines rundes Scheibchen in der Mitte der erstem sichtbar ist (en). Dieses dunklere centrale Scheibchen wird nicht allein an der dem Zun- genkegel zugekehrten Flache, sondern auch an seinen Seitenwänden ringsum von der äusseren helleren Schicht umschlossen. Beide Zellen- schichten sind ungefähr von gleicher Dicke. Die dunklere innere Schicht (en) ist das Entoderm und liefert weiter Nichts, als das Epi- thel des gesammtenGastrovascularapparates, welches die innere Ober- fläche des Mundes, des Magens und alle damit im Zusammenhange ste- henden Canäle und Hohlräume auskleidet. Die hellere äussere Schicht, welche zwischen der ersteren und der Zunge liegt, bildet als Ecto- derm den Schirm der Meduse und alle übrigen Theile ihres Körpers, mit Ausnahme des Gastrovascularepithels. Die nächste Veränderung der Knospe besteht darin , dass in dem bisher soliden Körper, und zwar in der inneren dunklen Zellenschicht, dem Entoderm, eine Höhlung entsteht, die erste Anlage der Magen- höhle (Fig. 94 B.). Der Durchmesser dieser kugeligen Höhle (k) ist anfänglich nur so gross, als die Dicke eines der beiden Epilhelbliillcr. Auch hier, wie bei den jüngsten beobachteten Larven von Glossocodon, kann ich aus eigener Anschauung nicht mit Sicherheit sagen , ob die Knospenbildung in der Magenhöhle (an der Zun*!«1) von Carmarina liastata. 191 Höhlung sich als eine geschlossene excentrische entwickelt und erst nachher nach aussen durchbricht, oder ob sie sich von aussen her als kleines Grübchen in der Oberfläche der soliden Scheibe aushöhlt. Die Knospe (Fig. 94 B) im Meridianschnitt stellt jetzt ein plancon- vexes kreisrundes, ringsum abgeflachtes Polster dar, dessen Höhe (Dicke) etwa 2/a von dem äquatorialen Durchmesser beträgt, welcher letztere ungefähr 0,1 ""n misst. Die ebene oder etwas vertiefte Fläche bleibt mit der Oberfläche der Zunge verbunden. Die äussere convexe Fläche zeigt in der Mitte eine kleine Oeffnung, den Mund, der in die bloss von dem Entoderm eingeschlossene enge kugelige Magenhöhle hinein- führt. Der die Mundöflnung umgebende äusserste Theil der polster- förmigen Knospe fängt nun an stärker zu wachsen, und verlängert sich in eine cylindrische Röhre, deren Länge bald dem äquatorialen Quer- durchmesser des Polsters gleich kommt und ihn dann übertrifft. An- fangs ist der äusserste, die Mundöflnung umgebende Rand dieses Ma- genrohrs verdünnt oder selbst zugeschärft (Fig. 94 C) ; bald jedoch wird er wieder dicker, so dass die Magenwand in ihrer ganzen Länge gleich dick oder selbst am Mundrande etwas wulstig verdickt erscheint ( Fig. 9 i D, E ) . Doch betrifft diese gleichmässige Dicke nicht die bei- den Blätter, welche die Magenwand zusammensetzen. Am Ursprünge des Magenrohrs, wo dasselbe von dem Polster (der Schirmanlage) ab- geht, sind beide Blätter allerdings noch gleich dick. Gegen den Mund hin nimmt jedoch die Dicke des dunkleren, die Magenhöhle auskleiden- den Entoderms beständig zu, während die Dicke des helleren, die Ma- genoberfläche bedeckenden Ectoderms entsprechend abnimmt, so dass das letztere aussen am Mundrande scharf zugespitzt endet (Fig. 94 D, E. F). Die beiden Blätter gehen also hier nicht in einander über ; viel- mehr ist ihre Trennung hier so scharf, wie in ihrer ganzen Berührungs- flache, und stets durch eine feine aber scharfe Linie auf Durchschnitts- ansichten deutlich ausgezeichnet (Fig. 94 D). Das cylindrische Magenrohr, welches anfänglich ohne äussere Ab- grenzung in das nunmehr kugelförmig angeschwollene Polster des eigentlichen Knospenkörpers übergeht (Fig. 94 D), setzt sich nun von letzterem auch äusserlich scharf dadurch ab (Fig. 94 E), dass rings um die Abgangsbasis des cylindrischen Magenrohres sich der äussere Band des scheibenförmigen Polsters in Gestalt einer dicken Bing falte nach aussen erhebt. So entsteht eine ringförmige, nach aussen oflene, halbcylindrische Binne rings um die Basis des Magenrohrs , welche die erste Anlage der Schirmhöhle ist. Der dicke scheibenförmige Schirmkörper setzt sich so auch äusserlich scharf von dem Magency- 192 Ernst Haeckel, linder ab, dessen Querdurchmesser jetzt nur noch y3, höchstens die Hälfte von dem des ersteren beträgt. Diese grössere Ausdehnung des scheibenförmigen Schirms in die Breite, kommt nicht durch die zunehmende Verdickung beider zelligen Blätter zu Stande , sondern theilweis dadurch, dass der innere erwei- terte Grund der Magenhöhle sich ringsum zu einer flachen kreisrunden Tasche ausdehnt, theilweis dadurch, dass zwischen den beiden Blättern die Ablagerung der Gallertsubstanz des Mantels beginnt (Fig. 94 El). Dieselbe erscheint zuerst nur als ein sehr heller Streif zwi- schen den beiden Blättern, der sich von der oberen Wölbung des schei- benförmigen Schirms kappenartig nach seinem Rande hinüberzieht und dort scharf abgeschnitten endet , ohne sich zwischen die beiden Blätter des Magenrohrs fortzusetzen. Die nächste Veränderung des Embryo besteht nun darin (Fig. 94 F), dass der flache Grund der Magenhöhle sich seitlich ausdehnt und an 8 gleichweit von einander entfernten Puncten seiner Peripherie in 8 kurze blinde Ausstülpungen in radialer Richtung sich auszieht. Dies sind die ersten Anlagen der Radialcanäle (Fig. 94 F r) , und zwi- schen ihnen lagert sich eine mächtigere Masse von Gallertsubstanz ab (1), indem die beiden Lamellen des gefaltelen äusseren Blattes weiter von einander weichen. Die Ablagerung der Gallertsubstanz (1) nimmt nun noch beträcht- lich zu , so dass die beiden Blätter noch weiter von einander weichen und der Schirm sich verdickt, während gleichzeitig das lange Magen- rohr fk) sich verkürzt (Fig. 77, 78, 95). Die Magentaschen (r) dehnen sich bis zum Schirmrande hin aus, wo sie sich durch einen engen R i n g c a n a 1 ( c ) verbinden . Unter- halb des letzleren wird die Anlage des Ringknorpels (uk) sicht- bar. Der gesammte Schirmrand verlängert sich nach unten in Ge- Fig. 95. Schematischer Meridian- stall von 8 halbkreis- oder rund- schnitt durch eine der grössten und al- bogenförmigen Lappen , an de- testen Zungenknospen von Carmarina ha- ren gpitze je ein kleines Knöpfchen statu, von \ mm Durchmesser, b Rand- , , • , u , ■ .... , , . _ „. , hervorsprosst, das sich bald zum blaschen nebst Ganglion, c. Ringcanal. r ec. Ectoderm (Epithel der Schirmoberflä- Ganglion mit dem RandbläS- che). en. Entoderm. k. Magen. I. Gal- chen (b) differenzirt. Die Zwi- lertmantel. r. Radialcanal. 1 1. Tentakel, schenräume zwischen den Lappen t w. Tentakelwurzel, v. Velum. Vergrös- werden von einer dünnen Haut. seruns : 50. , ^ ,r , , , f..1u , dem velum (v) ausgefüllt, wel- Knospeubildung in der Mageuhöhle (an der Eunge) von Carmarina hastata. 193 ehes nach unten und innen noch über den Schirmrand vorwüchst. Nun erheben sich auch deutlich von der Mitte des dicken Seitenrandes des scheibenförmigen Schirms die 8 Tentakeln (t t) deren conische Wur- zel (tw) schon über der Mittellinie der oberen Wand jedes Radialcanals sichtbar wurde. Der freie Theil jedes Tentakels erscheint anfangs nur als ein dickes und kurzes conisches Warzchen mit stumpfer Spitze, in der Mitte des Einschnitts zwischen je 2 Randlappen. Sie wach- sen nach dem Hervortreten rasch, werden länger, schlanker conisch und durchsichtiger, und lassen bald eine hellere fein quergestreifte Ave erkennen, welche aus einer einzigen Reihe sehr flacher mün- zenförmiger Zellen besteht. Diese ist überzogen von einer dünnen dunkleren Schicht (von Längsmuskeln) und über der letzteren liegt wieder als Ueberzug ein aus grösseren und helleren Zellen gebilde- tes dickes Epithel. In den Zellen sowohl dieses Epithels, als desjeni- gen des Schirmrandes , werden kleine kugelige, stark lichtbrechende Körperchen sichtbar, in denen sich die ersten Anlagen von kleinen ku- gelrunden Nesselkapseln erkennen lassen. Sie sind unregelmässig über die Oberfläche der Tentakeln zerstreut. Während diese Veränderungen in dem Körper der achtstrahligen Knospen immer deutlicher hervortreten, erreicht ihr Schirm einen Durchmesser von I """. Ris zu diesem Stadium der Entwickelung habe ich sie, am Zungenkegel der Carmarina festsitzend (Fig. 75) verfolgen können. Sie lösen sich nun von demselben ab und treten aus dem Magen des sechsstrahligen Stammthieres hervor, um ausserhalb dessel- ben ihre Entwickelung weiter fortzusetzen. Eine der ältesten von der Zunge abgelösten Knospen ist in Fig. 76 im Profil, in Fig. 77 von unten dargestellt. Der dicke scheibenförmige Gallertschirm ist nur wenig ge- wölbt, im Ganzen fast linsenförmig. Von der Mitte seines Randes hän- gen die 8 Randlappen herab, zwischen denen der obere Theil des Ve- lum ausgespannt ist, während der untere Theil nach innen vorspringt und die kleine enge Schirmhöhle von unten her grossentheils zudeckt. Aus dieser tritt das lange und dicke cylindrische Magenrohr (k) her- vor. An der Spitze jedes Randlappens sitzt ein kurzgestieltes Sinnes- bläschen aussen frei auf. Aus der Tiefe des Einschnittes zwischen je zwei Lappen entspringt ein kurzer, plumper, solider conischer Ten- takel , in die Schirmgallerte eingesenkt mittelst einer conischen hellen Wurzel , die auf der oberen Fläche des zugehörigen breiten Radial- canals aufliegt. Jedes der 8 unter sich gleichen Körpersegmente ent- hält also einen Radialcanal , einen Tentakel , zwei halbe Randlappen und zwei halbe Sinnesbläschen. In Form und Rau sind diese ältesten achtstrahligen Knospen so Band II. 2. 13 194 Ernst Haeckel, sehr von Carmarina hastata verschieden, dass es selbst angesichts des continuirlichen materiellen Zusammenhanges Beider schwer hält, sich von ihrer Zusammengehörigkeit zu überzeugen. Es giebt nur eine Quallenfamilie, welche die Grundzüge des Baues mit den Knospen der Carmarina theilt, und dies sind die Aeginiden. In Gesellschaft der Carmarina hastata, und zwar als constante Begleiterin dersel- ben, habe ich bei Nizza eine Aeginide in zahlreichen Exemplaren ge- fischt, welche ich als Cunina rhododactyla beschrieben habe1), und deren jüngste beobachtete Individuen (von 3 mm) so sehr mit den ältesten beobachteten Knospen der Carmarina (von I min) überein- stimmen, dass ich an der Identität beider Formen nicht mehr zweifeln kann, so paradox diese Behauptung auch klingen mag. Ich lasse da- her im nächsten Abschnitt die genaue Anatomie dieser Meduse folgen und werde dann in einem besonderen Abschnitt durch eingehende Vergleichung beider Formen die innige Verwandtschaft der Geryoniden und Aeginiden begründen. 1) Diese Zeitschrift I, 1864, p. 335. (Schluss folgt im nächsten Hefte.) Erklärung der Abbildungen. Die Bedeutung der Buchstaben ist in allen Figuren dieselbe. a Nervenring am Schinnrand, zwischen Knorpelring und Gefässring. a p Radialnerven während ihres Verlaufs am Magenstiel (in der Mitte der äusse- ren Wand der Radialcanäle). a r Radialnerven während ihres Verlaufs an der Subumbrella ( in der Mitte der Genitalblätter) . b Sinnesbläschen oder Randbläschen. b e Epithel der Innenwand der Randbläschen. b i Interradiale Randbläschen. b r Radiale Randbläschen. c Gefässring am Schirmrand (Cirkelcanal). c c Lumen des Gefässringes. c 1 Umbrales (der Gallertsubstanz zugekehrtes; Epithel des Gefässringes. c s Subumbrales (der Subumbrella zugekehrtes! Epithel des Gefässringes. d Drüsenblätter in der Magenwand. d' Mittelrinne der Drüsenblätter. d" Einzelne Drüsen aus einem Drüsenblatt. e Centripetalcanäle (Blindgefässe). e c Ectoderm. Die Familie der Rüsselqnallen. 195 e 1 Epithel der äusseren Schirmoberfläche (des Gallertmantels). e n Entoderm. e s Epithel der Schirmhöhle oder der Subumbrella. f Ganglienknoten des Ringnerven, unmittelbar unter dem Randbläschen. g Genitalblätter. g' Hoden. g" Eierstöcke. h Marginale Mantelspange (centripetale Spange des Schirmrandes). h e Epithel der Mantelspangen (zum Theil mit Nesselzellen). h k Knorpelskelet der Mantelspangen. Ii in Muskeln (longitudinale Muskelfasern) der Mantelspangen. h n Nerv der Mantelspange. i Ursprung der Radialcanäle aus dem Grunde der Magenhöhle. k Magen. k' Innenfläche des Magens, umgestülpt. 1 Gallertsubstanz des Mantels und des Schirmstiels. 1 f Dichotom verzweigte Fasern in der Gallertsubstanz. m Muskelbänder in der Aussenfläche des Magenstiels zwischen denRadialcanälen. m s Circulare Muskelfasern der Subumbrella. n Nerven im Randbläschen. n' Sinnesnerven (2 gegenständige Bügel) an der Innenwand des Randbläschens. n" Kreuzung (Chiasma) und Durchflechtung der beiden Sinnesnerven am freien Pole des Randbläschens, beim Eintritt in das Sinnesganglion. n'" Ausstrahlung der gekreuzten Sinnesnerven innerhalb des Sinnesganglion, rings um das Concrement. o Mund. o' Nesselknöpfe am verdickten Saum des Mundes. p Magenstiel (Schirmstiel). p e Epithel des Magenstiels. q Querschnitt der Radialcanäle. r Radialcanäle, in der Oberfläche des Magens aufsteigend. r 1 Umbrales (der Gallertsubstanz zugekehrtes) Epithel der Radialcanäle. r s Subumbrales (der Subumbrella zugekehrtes) Epithel der Radialcanäle. s Sinnesganglion (mit Zellen erfüllte Kapsel im Innern des Randbläschens). s e Epithel der radialen Nebententakeln (s t). s f Geisselanhang der radialen Nebententakeln. s k Knorpelskelet der radialen Nebententakeln. s k' (Membranlose) Knorpelzellen derselben. s k" lntercellularsubstanz des Knorpels derselben. s m Muskeln (aus Longitudinalfasern zusammengesetzter Muskelcylinder) der ra- dialen Nebententakeln. s t Radiale Nebententakeln (primäre Larvententakeln). s u Nesselknopf der radialen Nebententakeln. t Radiale Haupttentakeln. t c Helle circulare Fasern der radialen Haupttentakeln. t e Inneres, das Centralrohr auskleidendes Epithel der radialen Haupttentakeln. t 1 Helle (kernlose) longitudinale Fasern der radialen Haupttentakeln. t m Dunkle longitudinale Fasern der radialen Haupttentakeln ( spindelförmige, kernhaltige, stark lichtbrechende Zellen). 13* 196 Ernst Haeckel, t t Radiale Tentakeln der Cunina. t u Aeusseres mehrschichtiges Epithel der radialen Haupttentakeln. t w Tentakelwurzeln der Cunina. t x Dunkle Wülste an der Tentakelbasis der Cunina. u Aeusserster Schirmrand ( Mantelsaum ) , bestehend aus dem Knorpelring und dem den letzteren überziehenden, theilweis mit Nesselzellen durch- setzten Epithel (Nesselsaum). u e Epithel des Schirmrandes , den Ringknorpel überziehend und theilweis mit Nesselzellen durchsetzt (Nesselsaum) . u k Knorpelskelet (Ringknorpel) des Schirmrandes. u k' (Membranlose) Zellen des Ringknorpels. u k" Intercellularsubstanz des Ringknorpels. u t Ringförmige Nesselwülste der radialen Haupttentakeln. v Velum oder Randmembran. v' Freier Innenrand des Velum. v c Circulare Muskeln des Velum. v e Unteres (flaches) Epithel des Velum. v r Radiale Muskeln des Velum. v s Oberes (hohes) Epithel des Velum. w Basalganglion des Randbläschens (Zellenpolster an der Innenfläche seiner Ba- sis, unmittelbar über dem Ganglion (f ) des Nervenringes). x Concentrisch geschichtete, kalkhaltige Concretionen (Otolithen? ) , einge- schlossen im Sinnesganglion der Randbläschen. y Interradiale Tentakeln (secundäre Larvententakeln). y e Epithel der interradialen Tentakeln. y k Knorpelskelet der interradialen Tentakeln. y k' Knorpelzellen. y k" Intercellularsubstanz des Knorpels. y m Muskeln (aus Longitudinalfasern zusammengesetzter Muskelcylinder) der in- terradialen Tentakeln. y n Nerv (?) der interradialen Tentakeln. y u Nesselpolster der interradialen Tentakeln. z Zungenkegel (Zunge). Tafel IV. Glossocodon eurybia (Liriope eurybia). (Bau und Metamorphose der Larve. ) Fig. 26 — 28. Jüngste beobachtete Larve, in der ersten Periode, ohne alle Anhänge. An dem kugeligen Gallertschirm von 0,3 mm Durchmesser ist bloss die kleine peripherische Schirmhöhle zu bemerken, deren Oeffnung durch das Velum (v) verschlossen ist. Die kleinen Körnchen auf der Oberfläche des Gallertschirmes sind die vorstpringenden Kerne des Epithels. Vergrösse- rung 60. Fig. 26. Die Larve von unten, mit vollkommen contrahirtem Velum. Fig. 27. Dieselbe Larve, von unten, mit erschlafftem Velum, in dessen Mitte der Eingang in die Schirmhöhle sichtbar ist. Fig. 28. Dieselbe Larve, mit erschlafftem Velum, von der Seite. Fig. 29 — 30. Larve in der zweiten Periode, mit erschlafftem Velum, in dessen Um- Die Familie der Rüsselquallen. 197 kreise der Knorpelring sichtbar wird, und die 4 radialen Nebententakeln (s t) paarweis hervorgesprosst sind. Das altere Paar unterscheidet sieh durch bedeutendere Grösse von dem jüngeren. Vergrösserung 60. Fig. 29. Die Larve, von unten. Fig. 30. Dieselbe Larve, von der Seite. Fig. 31 — 34. Larve in der dritten Periode. Der zweite Kreis der Tentakeln, die 4 interradialen Tentakeln (y) sind hervorgesprosst. Fig. 31. Larve im Anfang der dritten Periode, von unten gesehen. Es sind erst 2 gegenständige interradiale Tentakeln erschienen. Vergrösserung 60. Fig. 32. Larve in der dritten Periode, halb von unten, halb von der Seite gesehen. Von den 4 interradialen Tentakeln besitzen die beiden gegenständigen jüngeren (kürzeren) erst 2, die beiden älteren 3 Nesselpolster. Im Um- kreise des geöffneten Velum (v) ist der Knorpelring angelegt. Die Aussen- fläche des Gallertschirms zeigt ihr Epithel. Vergrösserung 100. Fig. 33. Larve in der dritten Periode, etwas weiter entwickelt, halb von unten, halb von der Seite gesehen. Die interradialen Tentakeln sind schon mehr- mals länger als die radialen Nebententakeln, die beiden gegenständigen jüngeren mit 3, die beiden älteren (längeren) mit 5 Nesselpolstern. Im Umkreise des geöffneten Velum (v) ist der Knorpelring (u) jetzt sehr deut- lich. Vergrösserung 100. Fig. 34. Larve in der dritten Periode, aus demselben Stadium wie Fig. 33, von der Seite (im Profil) gesehen. Die radialen Nebententakeln sind schon weiter vom Schirmrand entfernt und an der Aussenfläche des Schirmes hinauf- gerückt. Vergrösserung 60. Fig. 35. Larve in der vierten Periode, von der Seite und etwas von unten gesehen. An der Basis der interradialen Tentakeln, welche länger als der Schirm- durchmesser sind, haben sich die interradialen Randbläschen entwickelt. Die beiden älteren interradialen Tentakeln zeigen 8 , die beiden jüngeren nur 5 — 6 Nesselpolster. Im Grunde der bedeutend erweiterten Schirmhöhle ist die erste flach trichterförmige Anlage der Magenhöhle sichtbar, deren Mundöffnung aufgesperrt ist. In der Oberfläche des Schirms sind die Zellenkerne ihres Epithels als feine Puncte sichtbar. Vergrösserung 60. Fig. 36. Larve in der vierten Periode, von oben gesehen, etwas weiter entwickelt, die interradialen sind gleich den radialen Nebententakeln vom Schirm- rande entfernt und an der Aussenfläche des Schirmes emporgestiegen. Das Gastrovascularsystem tritt mit seinen sehr breiten Canälen und ihrem grosszelligen Subumbralepithel sehr deutlich hervor. Die vollkommen contrahirte Mundöffnung ist durch sternförmige Falten bezeichnet. Das Velum ist erschlafft. Vergrösserung 50. Fig. 37. Larve in der fünften Periode, von unten gesehen. Die radialen Hauptten- takeln sind erschienen , die beiden gegenständigen älteren durch bedeu- tendere Länge vor den mit ihnen alternirenden jüngeren ausgezeichnet. Die radialen Nebententakeln, weit an der Aussenfläche des Schirmes heraufgerückt und in Rückbildung begriffen , haben ihren Nesselknopf verloren. Das Velum ist sehr stark contrahirt. Zwischen Knorpelring und dem breiten Cirkelcanal ist als schmaler heller Streif der Nervenring sicht- bar. Die Canäle des Gastrovascularsystems sind strotzend gefüllt. Der viereckige Mund ist geöffnet. Vergrösserung 50. 198 l'r»st Haeekel, Fig. 38. Ein Ausschnitt aus dem Schirmrande einer Larve in der fünften Periode, von aussen betrachtet. Der radiale Haupttentakel (t) ist eben erst als Ausstülpung aus , wo die Spore nach einer Seite einen Ket- tenfaden, nach der entgegengesetzten einen algenartigen Faden aus- sendet. Rei grösserer Anzahl der Arme sind diese oft sehr weit aus- einandergerückt. c. Keimung auf Syrwpus Simplex. Die gleichzeitig mit voriger Aussaat ausgestreuten Sporen Hessen, wie die auf Glycerin, nach 24 Stunden deutliches Aufquellen beobach- ten. Die ersten Keimungserscheinungen, denen im Glycerin im Ganzen ähnlich, gingen noch weit langsamer vor sich. Die Keimlinge zeigten sich in grösserer Anzahl erst am zehnten Tage nach der Aussaat und erlangten bis zum IT. Tage alle Eigenthümlichkeiten des Favuspilzes. Die Keimlinge sind durchschnittlich etwas dünner als die in Gly- cerin, noch weniger bandförmig flach, sondern oft stielrund, stets von vorn herein knorrig gebogen ; schon am zehnten Tage zeigen die Zweige stark lichtbrechende Enden ; sowohl an den Enden als seitlich schnü- ren sie meist kugelige, sehr glänzende Zellen ab (Fig. 24). Risweilen sind die Fäden dicker; übrigens aber von ganz gleicher Reschaf- fenheit. Selten findet man schwache Andeutungen von Pinselarmen, in diesem Fall haben sie ähnliche Gestalt wie die im Glycerin ent- standenen. Risweilen vergrossern die Sporen, anstatt zu keimen, ihren Um- fang sehr bedeutend, nehmen eine grünliche Farbe an und sind zuletzt mit Körnchen erfüllt. Diese Sporen, welche auch im Glycerin hie und 16* 244 ^r°f' kn,st Hallier, da vorkommen und welche stets in Haufen beisammen liegen, scheinen nur dazu bestimmt, jene Körnchen als Schwärmer zu entlassen. Schon am 22. Feb. waren Fadenenden wie Fig. 25 a. b., bald in längeren, bald in kürzeren Ketten , bald ganz unregelmässig Conidien (Sporen) abschnürend, keine Seltenheit. Am Ende der ersten März- woche liessen sich die Keimlinge vom Favuspilz durchaus nicht unter- scheiden. d. Keimung in Rindsblut. Am 14. Feb. gesäet, waren am 15. die Sporen stark aufgequollen und einzelne trieben schon kurze Keimschläuche. Am 16. sah man deren in ziemlich grosser Anzahl unter den nämlichen Erscheinungen wie bei Aussaat b und c. Auch hier bildeten sich schon am I 7. grosse Sporenhaufen mit einer Luftblase, durch eine ähnliche Membran wie im Eiweiss gegen das Blut abgegrenzt. Die Keimschläuche schiessen wie dort strahlenförmig von dieser Grenze aus in das Blut hinein. Auf Fettklümpchen, die im Blute schwammen, bildete sich hie und da rasch ein weisser Filz, von dem aus oft die grossen, nicht in diese Formen- reihe gehörigen, Kugelfrüchte in die Luft hinaus ragten. Die Keim- schläuche hatten schon eine beträchtliche Länge. Keimen die Sporen ganz frei im Blute, so entwickeln sich ihre Schläuche weit langsamer; die Spore quillt dabei sehr stark auf und ihr Schlauch wird knorrig, kurzästig. Am 23. Feb. waren solche dicke, knorrige Keimlinge in grosser Anzahl vorhanden. Die stark anschwel- lende Spore bildet im Innern einen, selten mehrere, grosse, kugelige Vacuolen aus; meist sind auch die Keimschläuche gleich anfangs mit dergleichen versehen ; bisweilen sind Spore und Schläuche, deren sehr oft 2 — 3 zugleich hervorbrechen, mit Körnchen erfüllt (Fig. 27, a — e). Die Körnchen bilden sich zu ähnlichen unregelmässigen Zellen um, wie wir sie oben beschrieben haben. Soweit ich es verfolgen konnte , bis zum Gerinnen des Blutes, sind die Keimlinge in ihrer Sporenbildung dem Favuspilz sehr ähnlich. e. Keimung im Speichel. Die Erscheinungen sind anfangs ähnlieh wie im Blute. Die Kei- mung ging gleich anfangs etwas rascher vor sich. Schon am IT. Feb., am achten Tage nach der Aussaat, begann die Sporenbildung. Dieselbe war am lehrreichsten für das Studium der allmählichen Umwandelung der Pinselsporen in die sogenannten Conidien des Favuspilzes. Hie und da bildeten sich allerdings Pinsel aus mit äusserst zarten, längli- chen , kleinen Sporen ; häufiger jedoch erschienen unregelmässige, sparrige Aeste, bald den Pinselarmen so ähnlich , dass über ihren Ur- sprung kein Zweifel obwalten konnte, bald völlig den knorrigen Zweigen Die Natur des Favuspilzes und sein Verhältniss zu Penicillium glaucum Auct. 245 des Favuspilzes gleichend. Tags darauf war die Sporenabschnürung vollkommen ausgebildet. Die Sporen quellen stark auf und treiben ziemlich dicke Fäden. Diese bilden an den Astenden regelmässig ver- ästelte Pinsel mit deutlich entwickelten Gliedern, an deren Enden sich lange Reihen von Sporenketten abschnüren (Fig. 28 a). Diese Sporen sind länglich, oben und unten fast bogenförmig zugespitzt, blass, weit wenigerstark lichtbrechend als die gewöhnlichen, weit kleiner, mit einfacher Grenzlinie und punetförmigem Centrnm. Diese Sporen brin- gen bei ihrer Keimung äusserst zarte Fäden hervor (Fig. 28 b — f), welche bisweilen degenerirte Pinsel zur Ausbildung bringen (Fig. 28 d), weit häufiger jedoch nur hie und da kugelige Conidien abschnüren Fig. 28 e', e"). Sehr häufig anastomosiren diese Fäden (Fig. 28 e, f). Diese Bildungen sind offenbar eine Mittelform zwischen den Gebil- den des Favuspilzes und der bloss algenartigen Vegetation , welche häufig bei Uebermaass von Wasser eintritt. An den vollkommenen Pinseln bilden sich zuweilen, wenn auch selten, die Sporen in norma- ler Gestalt und Grösse aus. Einzelne kräftiger sich entwickelnde Keim- linge aus den länglichen Sporen nähern sich in ihrer Entwickelung dem Favuspilz. 3. Keimungsversuche mit dem Favuspilz in verschiedenen Medien. A. Keimung auf festen Substanzen. a. Keimung auf Aepfeln. Am 17. Januar i 86i auf Apfelscheiben ausgesäete Borken quollen binnen 24 Stunden stark auf und wurden so weich, dass man mit der Lanzette leicht kleine Theilchen davonnehmen konnte. In der Nähe derselben sah man auf den Apfelzellen nur schwache punetförmige Zeichnung , noch keine schwärmenden Körperchen. Natürlich traten die Elemente des Favuspilzes sehr deutlich hervor, nämlich kürzere oder längere, verzweigte Zellenfäden und rundliche oder längliche Co- nidien von stark lichlbrechender Beschaffenheit, die letzten in der Re- gel mit feinen Körnern angefüllt, die ersten meist mit einem grossen, glänzenden, kugeligen Körper versehen. Am -19. zeigten sich auf den Fruchtzellen, besonders auf zusam- mengefallenen, feinkörnige, meist gelbliche Massen, wie sie häufig bei der Zersetzung der pflanzlichen Zellen sich bilden. Zahlreiche Schwär- mer sah man umherreisen ; die Conidien waren blasser geworden. Einzelne der runden Conidien besassen ausser den feinen Körnern einen grösseren glänzenden Kern. Manche erschienen entleert. Zwischen den, theils ruhenden, theils reisenden Schwärmkörpern liegen kleine Zellen von verschiedenem Durchmesser mit unregelmässiger Bewegung, 3 — 5- eckig oder mit verschiedenartigen Aussackungen versehen. Oft sind die 246 Prof. Ernst Hallier, Conidien, wie durch eine schleimige Materie verbunden , zu grösseren Haufen zusammengeballt. Anfangs von der Grösse der Pinselsporen des Penicillium oder wenig grösser, quellen sie allmählich um den 3 — 6fa- chen Durchmesser auf. Die Schwärmer strecken sich oft sehr in die Länge und scheinen bisweilen feine Fäden hervorzubringen. Fig. 29 vergegenwärtigt diese Quellungs- oder Keimungsformen. Am 23. begannen einzelne Conidien zu keimen und entsandten kurze Fäden aus den Haufen. Diese verlängerten und verästelten sich sehr rasch. Einzelne unter ihnen wurden schlauchförmig , ohne Glie- derung, im Innern mit Körnern angefüllt, oft unregelmässig aufgetrie- ben und in längliche oder birnförmige Blasen sich endigend. Biswei- len scheinen auch diese Fäden zellig abgelheilt zu sein, aber dann sind die Querwände sehr entfernt von einander. Eine andere und weit häu- figere Form der Keimfäden zeigte genau die Gestalt sehr kräftig vege- tirender Penicilliumfäden. Sie waren bandförmig flach, unregelmässig verästelt, breit, langgliederig; die Glieder zeigen grosse, bald rund- liche, bald längliche Yacuolen, in welchen ein stark glänzender, run- der Körper sich in lebhafter, unruhig kreisender Bewegung befindet. Niemals verlässt dieser Schwärmer die Grenze der Vacuoie. Bisweilen findet man mehrere kleinere Körper innerhalb einer Vacuoie und dann sind mitunter auch diese in Bewegung. Oft sieht man nach einiger Zeit die Bewegung der Schwärmer aufhören; dann liegen sie still in der Vacuoie und beginnen die Bewegung nicht wieder. Diese Körper scheinen im innigsten Zusammenhang zu stehen mit gewissen Ent- wickelungsformen des Penicillium (Fig. 30). Oft sieht man auch die Vacuolen leer. Der Keimlinge sind oft mehrere mit einander verwach- sen (Fig. 30). Die beiden Fadenarten sind nicht wesentlich verschieden, sondern Formen eines und desselben Pilzes, denn oft zeigen ungegliederte, mit Körnern erfüllte Fäden an den Astenden Gliederung und Vacuolen. An sehr saftreichen Stellen entwickeln sich dünne, spitze, unfrucht- bare Zweige ohne Vacuolen. Auch hier traten zahlreiche Bildungen auf, die zu andern Entwickelungsformen des Pilzes gehören. Am 26. Jan. hatten viele Conidien (Sporen) die Fig. 31 angege- bene Gestalt und Grösse erlangt. Im Innern einer solchen Spore mit doppeltem Umriss sah man ausser einem grösseren , centralen Körper zahlreiche Körnchen, welche sich in lebhafter Bewegung befanden. Die Aehnliohkeit mit keimenden Penicilliumsporen (vergl. Fig. 19) ist unverkennbar. Häufig findet man stark aufgequollene Conidien ge- platzt und ihres körnigen Inhalts berauht. Die Natur des Favuspilzcs und sein Verliiiltuiss zu Penicilliura glaueum Auct. 247 Am 27. trat sehr starke Pinselbildung in gewöhnlicher Form ein. Da alle bisherigen Arbeiter über Störung durch eingedrungene Schim- melsporen klagen, so bracli ich, obgleich ziemlich fest überzeugt, dass dergleichen nicht stattgefunden haben konnte, doch die Untersuchung ab und begann sie auf's Neue bei noch sorgfältiger überwachtem Luft- abschluss. Am 1 I. Feb. 1861 säete ich Favusborken auf Aepfel und begann ihre Untersuchung schon nach 4 Stunden. Die Conidien waren schon ziemlich stark aufgequollen. Unter den grösseren Haufen derselben findet man fast immer ein sehr feines Fadengeflecht, welches vielleicht aus Schwärmkörperchen hervorgeht. Bei zu grosser Feuchtigkeit entstehen nach 2 — 3 Tagen seltsame Missbildungen aus gekeimten Conidien ; so waren von einem Favus- haar, welches ich am 5. Feb. auf eine Apfelscheibe gelegt hatte, die Fig. 32 abgebildeten Pilzpflänzchen ausgegangen. Die Schwärmer treten sehr bald in grosser Anzahl auf. Grosse Gittersporen und einzelne sich vielfach theilende Zellen liess ich ausser Acht, da sie nur vereinzelt vorzukommen scheinen. Schon am 17. begannen einzelne Conidien zu keimen; aber erst vom 20. ab fand ich Keimlinge in grösserer Anzahl in allen Stadien. Fast immer quellen dabei die Conidien (Sporen) stark auf; sie bilden entweder einen glänzenden Centralkörper aus oder nicht; im letzten Falle sind sowohl sie als der junge Keimschlauch mit körniger Masse erfüllt. Sehr oft vereinigen sich zwei oder mehrere Sporen vor oder nach der Keimung (Fig. 33 a — o). Nach kurzer Zeit theilt der meist schlanke Faden sich durch Querwände in Zellen ab (Fig. 33 n, o). Bei Gelegenheit dieser Keimung beobachtete ich am 17., leider nur dies eine Mal, einen höchst merkwürdigen Vorgang. Aus einer nur schwach aufgequollenen Spore mit glänzendem Kern war ein zarter, kurzer Faden hervorgetrieben. Der kugelige, glänzende Kern (Fig. 34 a) bewegte sich infolge der Einwirkung des Wassers nach einigen Minuten durch plötzlichen Bück in die Lage bei b Fig. 34. Kaum eine Secunde später spritzte der Kern in Form feiner Körnchen aus dem dem Faden entgegengesetzten Sporenende hervor (Fig. 34 c), so dass die Körnchen strahlenförmig umhergeschleudert wurden. Wenige Secun- den nach diesem Vorgang erschien die Spore mit neuem , grösserem Kern versehen (Fig. 34 d); sie war nun deutlich vom Keimschlauch abgegrenzt, welcher zwei vorher nicht sichtbare Querwände gebildet hatte. Sehr oft scheinen die Conidien nicht zu keimen, sondern statt dessen ihren körnigen Inhalt als Schwärmer zu entlassen. In diesem 248 Prof. Ernst Hallier, Falle werden ihre Umrisse immer zarter, bis zuletzt ihre Membran zer- reisst oder sich auflöst (Fig. 35). Nach etwa ii Tagen bis 3 Wochen bildeten sich in diesem Falle wie bei mehreren anderen Aussaaten in ganz regelmässiger Weise kräftige Pinsel mit kurzen Ketten kugelrun- der Sporen. Kräftig vegetirende Aeste verbanden sich, wie das bei Penicillium so oft vorkommt, häufig durch kurze seitliche Aussackungen (Fig. 36 a). Bisweilen krümmt sich ein Zweig so stark rückwärts, dass seine Spitze weiter unten mit ihm selbst oder mit dem Hauptast verwächst, welcher ihn ausgesendet hatte. Die Zellenfäden färben sich durch Jodwasser gelbbraun; dabei bleiben die Vacuolen ganz hell, ebenso die glänzenden Körper verschiedenster Grösse. Die Pinselspo- ren erscheinen blassgelb, doppelt umschrieben und wie vor dvv Ein- wirkung des Reagens stark lichtbrechend. Auf einer sehr stark benetzten Apfelscheibe entstanden die durch Fig. 37 a — 1 dargestellten Missbildungen. Es quollen nämlich die Co- nidien des Favuspilzes schlauchförmig auf und bildeten ähnliche, schlauchartig aufgetriebene, mit Körnern erfüllte Fäden, wie sie bei zu starker Ernährung aus der Keimung der Penicilüumsporen hervor- gehen. b. Keimung auf Citronenscheiben. Auf Citronenscheiben ging auch hier die Beobachtung rascher und sicherer von Statten. Schon nach 21 Stunden trieben manche der Co- nidien Keimschläuche. Die Schläuche verwandeln sich schon am dritten Tage in stark verzweigte Penicilliumfäden mit kräftiger, normaler Pin- selbildung. Einzelne Schläuche degeneriren und bringen, häufiger als beim Apfel, weil die Citrone saftreicher ist, schlauchartig aufgetriebene Fäden hervor. Sie haben meist eine andere Gestalt wie dort, wie Fig. 38 a — h es zeigt. B. Verhalten der Pilze auf den Favusborken in Flüssigkeiten. a. In reinem Wasser. In reinem Wasser liegende Borken quellen zunächst stark auf und alle Pilzelemente werden deutlicher und glänzender. Nach wenigen Stunden beginnt das Schwärmen der kleinen Körper, welche, wie schon unter andern Verhältnissen beobachtet wurde, bisweilen äusserst dünne Fäden zu bilden scheinen. Derartige Fäden sieht man bisweilen freir bisweilen an Epidermiszellen oder anderen Körpern haftend (Fig. 39 a — c). Oft entwickeln sie sich sehr rasch in grosser Anzahl, so dass sie spinnewebenartig die Zellen überziehen. Solche Fäden gehen zum Theil gewiss aus den Conidien hervor, die fast niemals zu norma- ler Keimung gelangen. Die Fadenenden des Favuspilzes verlängern sich jedoch nicht selten im Wasser; in diesem Falle sind ihre Verlan- Die Natur des Favuspilzes und sein Verhältniss zu Penicilliam glaucum Auct. 249 gerungen und neuen Zweige weil dünner, in der Regel plötzlich sich verjüngend dem alten Faden aufgesetzt [Fig. iO a, b). Kommen die Conidien endlieh zur Keimung, so entwickeln sie niemals kräftige, pin- selbildende Fäden, sondern ihre Keimlinge sind dünn und fein, knor- rig gebogen ; sie bilden hie und da seitlich oder häufiger an den Enden kleine knotige Anschwellungen (Conidien), offenbar degenerirte Pin- selsporen, oder, was dasselbe ist, degenerirte Favuspilzconidicn ( Fig. 41). Diese Bildungen erinnern an die Keimlinge des Penicülium in Glycerin, nur sind die Fäden dünner und unfruchtbarer. Ob die dege- nerirten Sporen zur Keimung gelangen, konnte ich nicht beobachten. Bisweilen, aber weit seltener, bildeten sich kürzere, dickere, sehr knorrige Fäden mit einzelnen grösseren Conidien. Bei der Untersu- chung der Favusborken in reinem Wasser sah man zuweilen und dann stets in grosser Menge, ausserordentlich feine Ketten von der Dicke der allerdünnsten Fäden und der Schwärmkörperchen , zusammengesetzt aus winzigen ovalen Körpern, bald sehr kurz, bald von erstaunlicher Länge (Fig. 42). b. Auf Rindsblut. Die Schwärmkörperchen zeigen ähnliche Quelllingserscheinungen wie auf den übrigen Substanzen. Sie strecken sich; ihr Lumen er- scheint nun spaltenförmig wie eine schwarze Linie ; oft schwellen sie ziemlieh gleichmässig an. Man findet zuletzt Zellen der allerverschie- densten Grösse und Gestalt aus ihnen hervorgegangen bis zum Durch- messer stark aufgequollener Conidien und in so grossen Massen, dass sie sich berühren , an einander abplatten und zusammenkleben , so dass sie oft eine förmliche Haut darstellen. Die Keimung der Conidien wurde durch das Gerinnen des Blutes nach etwa 1 4 Tagen gestört. c. Auf Syrupus simpkx. Die kleinen Schwärmer verhalten sich genau wie bei der Aussaat des Penicillin m auf das nämliche Substrat. Bald sieht man zahlreiche, feine, oft unregelmässig anschwellende Fäden, ähnlich den Missbildun- gen, welche im Wasser entstehen (Fig. 32). Sie scheinen stets aus Conidien hervorzugehen und sind mit feinen Körnern angefüllt. Meh- rere Tage nach der Aussaat erblickt man zahlreiche Haufen stark auf- gequollener, kreisrunder oder etwas länglicher Zellen (Conidien) mit doppeller Umgrenzung, welche ihren Inhall als Schwärmsporen ent- lassen. Die Keimung geht anfänglich ziemlich langsam vor sich, dann aber nach einigen Tagen plötzlich sehr rasch. Die Keimlinge bestehen in langen, weitläufig verzweigten Fäden, an den Zweigenden knotig an- 250 Prof. Ernst Hallier, geschwollen. Stets sind sie sehr dünn ; niemals sah ich deutliche Pin- selbildung, selten ganz schwache Andeutungen von Kettenbildung. Die Länge dieser Fäden ist oft ausserordentlich ; stets sind sie sehr durchsichtig und enthalten nur hie und da ein grösseres , glänzendes Korn. Ihre Entwickelungsform ist also eine fast nur vegetative, denn ob die kleinen knotigen Anschwellungen zu keimfähigen Conidien wer- den, ist sehr fraglich (Fig. 43). d. Auf Glycerin. Die Keimung der Conidien geht schon nach wenigen Tagen vor sich. Die Keimlinge zeigen meist grosse Aehnlichkeit mit dem Favus- pilz; sie treiben knorrig gebogene, kurze Seitenäste. Die meisten Keimlinge (Fig. 44 a, b) sind aber von der Breite der stärksten Peni- cilliumfäden, indessen haben sie mit ihnen sonst keine Aehnlichkeit. Ihre Wandungen sind äusserst zart: ihr Lumen ist hell, •vollkommen durchsichtig; nur hie und da erblickt man einzelne Körner. Verwach- sungen der Keimlinge (Fig. 44 b) kommen häufig vor. Leider führte ich die Beobachtung nicht bis zur Sporenbildung fort. Höchst interessante Missbildungen gehen aus den in Glycerin ent- stehenden Keimlingen hervor, wenn man auf die Favusborken vorher sehr vorsichtig kaustisches Kali hat einwirken lassen. Es sind dieje- nigen, die ich durch Figur 5 — 15 in einer kleinen Auswahl wieder- gegeben habe. Sie zeigt die ausserordentliche Mannichfaltigkeit der entstandenen Zellenformen. Fast niemals theilt sich bei diesen Bildun- gen der Faden durch Querwände in Zellen ab, fast nie zeigt er irgend einen erkennbaren Zelleninhalt, sondern es bilden sich meist weite Schläuche, welche die wunderlichsten Aussackungen treiben (Fig. I 5 . bisweilen aber auch sich ganz regelmässig perlschnurartig einschnüren (Fig. 14). Immer sind die deutlich doppelte Umrisse zeigenden Wan- dungen zart und meist von nahezu gleichen Brechungsvermögen wie das Glycerin. Diese Beobachtungen sind deshalb von so hohem Interesse , weil sie zeigen, dass keineswegs allein die Materie des Mediums es ist, son- dern gewiss weit mehr noch der Abschluss der Luft, welcher den Pilz zwingt, seine Vegetationsweise zu ändern: denn derartige Bildungen entstanden auch an den zur Aufbewahrung vorbereiteten Präparaten, besonders wenn vor der Präparation Kali angewendet war. Gewiss ist auch bei der Formenbildung des Favuspilzes die geringere Verbindung mit der äusseren Luft eine der Hauptbedingungen. Ich kann nicht unterlassen, hier ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die solchergestalt entstandenen Bildungen manchen der wunder- Die Natur des Favuspilzes und sein Vciliiiliniss zu PeniciUium glaucum Amt. 251 liehen Formen sehr ähnlich sind, welche Kqebner als dein Pilz der Sy- cosis angehörend abbildet l). i. Versuch, die Keimung des PeniciUium auf der menschlichen Haut zu bewirken. Zur Ausführung dieses Experimentes berechtigte der Erfolg der drei ersten Lösungen der gestellten Aufgabe vollkommen, beider ist das Experiment selbst bis jetzt erfolglos geblieben. Wenn ich nun trotzdem überzeugt bin, dass dieses Misslingen der Impfungen auch nicht den geringsten Einwand gegen das Endresultat meiner Arbeit stützen kann, so bin ich darüber Rechenschaft schuldig und die kann nur geschehen durch eine kurze Skizze des Versuches selbst. Am 15. Jan. I 861 hatte ich den Favuspilz auf die Beugefläche mei- nes linken Unterarmes zu übertragen gesucht. Tags darauf zeigte sich auf den Epidermoidalzellen abgelöster Schuppen jene oft erwähnte punetirte Zeichnung , welche durch Kali weit deutlicher hervortrat. Schwärmende Körper waren nicht bemerk- lich. Am 17. zeigten sich diese in grosser Anzahl : übrigens war das Bild das nämliche. Am 19. sah man grosse Haufen aufgequollener Go- nidien. Am 21. lagen an manchen Stellen Haufen derselben, die eine andere Gestalt angenommen hatten, ohne zu keimen. Sie zeigten dop- pelte Begrenzung und körnigen Inhalt , wie ganz Aehnliches bei der- Keimung auf dem Apfel beobachtet war. Die Körnchen waren . wie dort, innerhalb der Zellen , in zitternder und bohrender Bewegung. Meist war ein grösserer, glänzender Körper deutlich wahrnehmbar. Nachdem etwa fünf Stunden lang auf diese Sporen Speichel eingewirkt hatte , waren dieselben fast sämmtlich geplatzt und , sowohl innerhalb als ausserhalb der Zellen, die Schwärmer regungslos. Das nun sehr rasch entstehende, einem Herpes circinatus täuschend ähnliche Exanthem ging leider eben so schnell wieder zu Grunde , so dass die Untersuchung eine höchst unvollständige bleiben musste. Am 27. Jan. 1865 versuchte ich die Aussaat des PeniciUium auf fast der nämlichen Stelle meines linken Unterarms. Die Aussaat wurde mit nicht geringerer Sorgfalt betrieben wie die Impfung des Favus im vorigen Jahr. Nachdem die Haut durch Reiben mit einem Läppchen aufgelockert war, trug ich die mit Speichel angerührten Pilzsporen auf die betreffende Stelle und verband sie mittelst durch Heftpflaster be- ^) H. Koebner, Ueber Sycosis und ihre Beziehungen zur Mycosis tonsurans. Archiv für pathologische Anatomie und physiologische und klinische Medicin, von R. Vircuow. ßd. 22. Berl. 1861, p. 372 ff. 252 Prof. Ernst Hallier, festigten Leinens. Noch am 8. Feb. waren die Pinselsporen unver- ändert. Um die Ursache des Misslingens wo möglich zu erkennen, nahm ich an derselben Stelle eine zweite Aussaat am 10. Feb. vor, trug je- doch die Sporen nicht mit Speichel, sondern in Syrupus simplex auf die betreffende Stelle. Ausserdem wurde eine Aussaat auf dem Unter- schenkel des rechten Beines vorgenommen und eine sorgfältige Ueber- tragung der Favusborken auf die Beugeüäche des rechten Unterarms. Am 20. zeigten die Schuppen der Penicilliumaussaat an Arm und Bein körnige Zeichnung, zahlreiche unveränderte Pinselsporen , unter ihnen aber sehr viele, die stark aufgequollen waren und bisweilen kei- menden Gonidien des Favuspilzes äusserst ähnlich. Schwärmkörper- chen zeigten sich in beiden Fällen. Die Schuppen der mit Favusborken behafteten Stelle zeigten eben- falls körnige Zeichnung, aber keine Spur von Keimung der Conidien. Makroskopisch war an allen drei Stellen eine schwache Böthung be- merklich, welche etwa I i Tage anhielt; während desselben Zeitrau- mes fand eine zarte Abschuppung der Epidermis statt, die sich schon gegen Ende der zweiten Woche gänzlich verlor. Es gehört also offen- bar zur Uebertragung des Favus auf Gesunde eine gewisse Empfäng- lichkeit der Haut, zu deren Vorbedingungen vielleicht die Intensität der Ausdünstung gehört, deren aber gewiss manche sich der Beobachtung noch lange entziehen werden. Zum Schluss sei es mir vergönnt, die Besultate vorliegender Un- tersuchungen kurz zusammenzufassen. i . Der Pilz des Favus ist keine besondere Art, sondern eine Form des Penicillium crustaceum Fries. Der Name Achorion Sckönleini ist daher aus der Systematik der Pilze zu streichen und der Favuspilz etwa mit dem Beinamen: Favusform der Art Penicillium crustaceum Fries einzureihen. 2. Der Favuspilz nimmt , wenn auch selten , eine der gewöhnli- chen Form der Sporenbildung bei Penicillium fast gleiche an (Fig. 17). ■i. Die sogenannten Conidien des Favuspilzes sind degenerirten Pinsclsporen von Penicillium gleich. i. Der Favuspilz, auf feste, feuchte Substanzen übertragen Obst) *), 1) Selbstverständlich müssen sie die Verbindung mit der Luft gestatten. Die Natur des Favuspilzes und sein Verhiiltniss zu Penicillium glaucum Auct. 253 erzeugt aus den keimenden Conidien die gewöhnliche Form des Peni- cillium mit sporenabschnürenden Pinseln. 5. Die Sporen des Penicittium crustaceum Fries erzeugen in ver- schiedenen Flüssigkeiten Keimlinge, welche stets mehr oder weniger von der gewöhnlichen Form abweichen. Diese Umbildungen stellen verschiedene Reihen dar, von denen die hier genauer studirte als die Favusreihe bezeichnet werden mag. Ihre Eigenthümlichkeiten beste- hen hauptsächlich in Folgendem : Die Fäden sind in Zellen abgetheilt mit grösseren oder kleineren Körnern. Die letzten Zellen schnüren sich als Sporen (Conidien) in kürzeren oder längeren Ketten ab , welche an regelmässigen Pinseln oder durch alle Zwischenstufen an knorrig gebogenen , unregelmässig angeordneten Zweigen entstehen. Beispielsweise sei erwähnt, dass eine andere Umbildungsweise sich unterscheidet durch gänzlichen Mangel der Zellenbildung, unregel- mässige Auftreibung der mit Körnchen (Schwärmern) erfüllten Fäden. Diese Reihe scheint nie Sporen auszubilden. Zur Favusreihe gehören beispielsweise die Keimlinge in Glycerin mit einzelnen oder wenigen Pinselarmen, deren Sporen klein und läng- lich sind (Fig. 22, 23), die Keimlinge in Syrupus simplex mit ganz un- regelmässiger Pinselbiklung , so dass dieselbe meist der Abschnürung beim Favuspilz vollkommen gleicht (Fig. 24). Als Hauptursache der Umbildung muss neben der chemischen Zusammensetzung der Flüssig- keit der geringere oder grössere Abschluss des Pilzes von der atmo- sphärischen Luft angesehen werden. 6. Der Favuspilz erzeugt in Flüssigkeiten, sobald er ganz unter- getaucht wird, durch Keimung der Conidien Formen , welche, je nach der Natur der Flüssigkeit, in seine Entwickelungsreihe gehören. 7. Auf schwimmenden Körpern erzeugen sich in jeder Flüssigkeit, welche überhaupt die Keimung zulässt , sowohl aus den Penicillium- sporen als aus den Favusconidien' Pilze, welche der gewöhnlichen Form des Penicillium crustaceum Fries gänzlich oder fast ganz gleichen. 8. Zur Uebertragung des Favuspilzes auf den menschlichen Kör- per gehört eine gewisse Empfänglichkeit der Haut, ohne welche die sorgfältigsten Ansteckungsversuche misslingen. 254 Prof. Ernst Haitier, Erklärung der Abbildungen. Taf. VII. Alle Figuren sind bei etwa öOOfacher Linearvergrösserung '), nämlich mit Sy- stem F., Ocular 2 meines Instrumentes von K. Zeiss in Jena mit Hülfe des Zeich- nenprisma's entworfen. Fig. 1. Drei Epithelialzellen von einer Favusborke mit punctirter Zeichnung. Fig. 2. Schwärmkörperchen der Favusborken (Vergr. 1500). Fig. 3. Umbildungsform der Conidien des Favuspilzes, wie es scheint, lediglich bestimmt zur Entsendung der schon in ihrem Innern sich bewegenden Schwärmer. Fig. 4 — 16. Seltsame Umbildungen der Conidien des Favuspilzes in Glycerin, ent- standen bei vollkommenem Luftabschluss und nach vorhergegangener schwacher Einwirkung von Kali. Fig. 17. Degenerirter Pinsel an einem Favuspilz. Fig. 18. Keimlinge des Penicillium crustaceum Fries auf Brod. a. Keimling mit zwei Keimfäden. b. Keimling, dessen erste Fadenzelle durch eine seitliche Aussackung mit einer benachbarten, schon gekeimten Spore sich verbindet. c. Keimling, dessen Spore in Theilung begriffen, d. Keimling mit doppelter Spore, durch Theilung oder Verwachsung ent- standen. e. Dergleichen mit dreifacher Spore. f. Keimling, wo am entgegengesetzten Ende der Spore ein zweiter Keim- schlauch hervorbricht. Fig. 19. Umbildungen der Pinselsporen, ähnlich denen der Conidien in Fig. 3. Fig. 20. Quellungs- und Keimungserscheinungen der Schwärmkörper des Peni- cillium. Fig. 21 — 23. Keimlinge desselben Pilzes, in Glycerin ausgebildet. Fig. 24. 25. Keimlinge desselben in Syrupus simplex. Fig. 26. Keimling desselben in Glycerin. Fig. 27. Keimlinge desselben in Rindsblut. a. c. und d. zeigen die 2 — 3fache Schlauchbildung. b. Die Vereinigung zweier Sporen. d. Die Bildung einer oder mehrerer Vacuolen in der Spore vor und während der Keimung. Fig. 28. Keimlinge desselben in Speichel. a. Endzweig des ausgewachsenen Pilzes mit wenigen, regelmässigen Pinsel- armen, welche je eine lange Kette kleiner , länglicher, mit einem punct- förmigen Centrum versehener Sporen ausbilden. b. c. Ganz junge Keimlinge. d. Sehr dünner Faden mit unregelmässigen, kaum noch kenntlichen Pinsel- armen. 1) Mit alleiniger Ausnahme von Fig. -2, wo Ocular 4 angewendet wurde. Die Natur des Favuspilzes und sein Yerlifiltuiss zu Penicillinen glancnm Auct. 255 e. f. Anastomosirende Fäden, welche Iiie und da [e'e") den Conidien äh- nelnde Knötchen ausbilden. Fig. 29. Quellende und keimende Schwärmer der Favusborken auf Aepfeln. Fig. 30. Stück eines Pilzfadens, entstanden aus Conidien des Favuspilzes, welche auf Aepfeln keimten. In grossen Vacuolen erblickt man je einen glänzen- den Körper in kreisender Bewegung. Fig. 31. Umbildung mancher Conidien auf dem Apfel. Vergl. Fig. 3 und 19. Fig. 32. Keimlinge, an einem Favushaar entstanden, welches auf einer Apfel- scheibe lag. Taf. VIII. Fig. 33. Keimende Conidien auf dem Apfel. Fig. 34. Seltsamer Vorgang in einem solchen Keimling. Fig. 35. Conidien, welche auf dem Apfel Schwärmer ausbilden und entlassen. Fig^. 36. Ast eines Keimlings des Favuspilzes auf dem Apfel, bei a sich mit einem Nachbarast durch eine Aussackung verbindend. Fig. 37. Missbildungen der Keimlinge desselben Pilzes auf dem Apfel. Fig. 38. Analoge Missbildungen desselben auf Citronenscheiben Fig. 39. Im Wasser keimende Schwärmer, a. b. Freie Keimlinge, c. Keimling, auf einer Zelle entstanden. Fig. 40. Aeste des Favuspilzes, welche im Wasser fortvegetirten. Fig. 41. Feine Pilzpflänzchen, aus der Keimung der Favusconidien im Wasser hervorgegangen. Fig. 42. Bildung feiner Ketten auf den Favusborken im Wasser. Fig. 43. Pilzkeimling auf einer Favusborke in Syrupus Simplex. Fig. 44. Keimlinge der Favusconidien in Glycerin. Ist Ai'tzammoiiink ein Itnzmilh'l für motorische Froschnerven ! Eine Mittheilung aus dem physiologischen Laboratorio zu Jena. Von Ernst Abeking, stinl. med. ;iu Berlin, I ';i schon seit längerer Zeil die Frage, <>!> Ammoniak den motorischen Froschnerven reize oder nicht, eine streitige ist, und da die Entschei- dung dieser Frage sowohl von chemischer als physiologischer Seite von nichl geringem Interesse ist, unterzog ich mich auf Wunsch des Herrn Prof. s. Bezold der nachfolgenden Untersuchung. Es sei mir erlaub! erst die Resultate zu berichten, welche von Fachmännern über diesen Puncl erziel! worden sind. A. v. Humboldt 4j sprich! sich darüber folgendermaassen aus: -Wenn man den n. cruralis eines recht erregbaren Froschschen- kels mehrere Linien weil herausprSparin und dessen Ende in ein mit der alkalischen Auflösung8) gefülltes Uhrglas legt, so entstehen oft nach einigen Secunden, bisweilen aber ers! nach zwei Minuten heftige Mus kelbewegungen 8) . Dieselben zeigen sich sehen zuers! in der Lende, sondern in zahllosen Füllen verkündigen sie sich durch ein Zittern der Zehen. Lende, Kniegelenk und Waden bleiben ruhig und unbeweg- lich, aber die unteren Phalangen fangen an sich con\ ulsh isch zu krüm- men. Die Schwimmhau! zieht sich bald zusammen, bald dehnt sie sich aus. Nach und nach sieht man die Bewegungen durch den //. neus, popliteus und ischiadicus in die Waden-, Kniekehlen- und Schen- kelmuskeln sich aufsteigend fortpflanzen. o 1 Versuche über gereizte Muskel- und Nervenfaser. II ß 2) Wie viel prooentig? Bei welcher Temperatur? i Weil Amiiiuiiiiikii;wii|iii' die Muskel reizten ' Rrnsl Peking, Ist letzfunmoniak ein Reizmittel für motorische Froscluicrven i 2."»/ "Il;ii das Organ, welches mit der alkalischen Flüssigkeit benetzt wird, einen hohen Grad der Reizempfänglichkeit, so sind seine Bewe- gungen starker als alle , welche man durch Metalle hervorlocken kann Dasselbe Alkali, welches auf ein Organ so Itew Linderungsvs llrdig heftig wirkt, bringl in einem andern nicht einmal ein schwaches Zil- ien! hervor, hie Ursache dieser Erscheinung ist natürlich zuerst, in ({vi Reizempfänglichkeit zu suchen.« Alle erwähnten Erscheinungen hat A. \. Humboldt nicht nur beim Gewächsalkali1), sondern auch heim Mineralalkali8) und Ammoniak beobachtet, sie mochten kohlensauer oder rein angewandt werden. Den \. UuMBOLDT'schen Resultaten widersprechend sind die von Eckhard8) : »Was das kaustische Ammoniak anlangt, so ist es mir Ins jetzt nicht gelungen, damit Zuckungen zu erhalten; freilich eine That- sache, Von der man den Grund nicht leicht einsieht und welche auch den Angaben A. \. Humbold't's widerspricht u. s. w . Kühne*) sagt: »Es ist nun gewiss im höchsten Grade auffallend, dass- ein Körper (Ammoniak ) , der, wie.gezeigtj so heftig erregend auf das Muskelgewebe selbst wirkt, an keinör Stelle des Nerven, in kei- nem Goncentrationszustande denselben so zu verändern vermag, dass Zuckungen in den davon versorgten .Muskeln entstehen. Heide Autoren sahen also nie eine Muskelzuckung eintreten, her- vorgebracht durch ammoniakalische Reizung der zu den .Muskeln (uh- renden Nerven, wenn erstere selbst vollständig gegen Ammoniakdäm- |>le ahueschlossen waren. FUNKE und ScHEISKE dagegen behaupten un- ter völligem Abschluss der Muskeln gegen Ammoniak. Zuckungen, so- gar Tetanus durch Reizung des Nerven durch die erwähnte Substanz gesehen zu haben, (deichsam zwischen beiden Parteien steht Hakless, der sich darüber folgendermaassen ausdrückt 5) : »Ich hatte am 22. März r858 die Thatsache entdeckt, dass Ammoniäkdämpfe den motorischen nackten Nervenstamm in kürzester Frist, ja dünne Nerven mit Blitzes- geschwindigkeit tödten, ohne dass dabei eine Zuckung in dem zügehö- rigen Muskel auftritt, und dass die Tödtutig genau so weil reicht , als der Ammoniakdampf den Nerv berühren kann Seite :{()S: »der Tödtune eehl ein Reizstadium voraus, in welchem sehe erregbare mo- 1 i Gewächsalkali — Kali. ■i Mineralalkali = Natron. 3) Zeitschrift für rat. Md., neue Folge, Bd. 1, 30*. 4 MyologiSche i rrtersuebungen isfiü, s. 13. 5) Sitzungsbericht Knorpelhöhlen als eine zusammenhängende, sehr dünne, feinkörnige Schicht aus und läuft ausserdem durch die Mitte Ave der Zelle als ein dicker cylindrischer Schleimstrang, der sich nach beiden Enden conisch verdickt und in der Mitte, wo er am dünnsten ist, einen rund- lichen Zellenkern einschliesst. Die Summe dieser in der Ave der hin- tereinander liegenden scheibenförmigen Knorpelzellen verlaufenden Anatomie von Cunina rhododactyla. 273 Protoplasmastränge stellt einen dunklen Streiten dar, der die gesammte Tentakelaxo durchzieht, leicht mit einein Centralcanal verwechselt werden könnte, und in derThat als solcher in den meisten Beschreibungen von Aeginiden figurirt. Der Muskelschlauch, der den Knorpelstab der Ten- takeln überzieht, ist sehr dünn ; dicker ist die dritte und äusserste Ge- websschicht, das Epithel, welches aus einer einzigen Lage von sehr kleinen polygonalen kernhaltigen Zellen besteht, die an zahlreichen ganz unregelmässig zerstreuten Stellen kleine kugelrunde Nesselkapseln in sich entwickeln. Diese Nesselkapseln sind ganz gleich denen der Mantelspangen und zeichnen sich durch eine dicke , sehr stark licht- brechende , dunkelglänzende Wand aus. Nach der Spitze zu sind sie stärker gehäuft. Hier ist auch die rosenrothe Färbung der Tentakeln intensiver, als am Grunde. 4. Muskelsystem. Das hauptsächlichste Bewegungsorgan der Cunina ist das sehr starke und breite Yelum (vj. Dasselbe ist von eben so wechselnder Breite und eben so ausserordentlicher Dehnbarkeit und Contractilität, als die untere musculöse Magenwand. Bald erscheint es breiter , bald schmäler als letztere. Da sein Innenrand eine kreisrunde Oeffnung bildet , während sein Aussenrand überall mit dem Mantelsaume des Schirmrandes verwachsen ist und allen Einschnitten desselben folgt, so muss es natürlich an verschiedenen Stellen eine sehr wechselnde Breite besitzen. Am schmälsten ist es gegenüber der am meisten vorspringenden Mitte der Kragenlappen . am breitesten gegenüber der Tentakelinsertion. Das Velum besteht aus einer oberen stärkeren Lage von circularen und einer unteren dünneren Schicht von radialen Muskel- fasern. Bei überwiegender Contraction der letzteren und Erschlaffung der ersteren wird das Velum verschmälert und an den gelappten Man- telsaum herangezogen, dessen Einbuchtungen es folgt, so dass seine Ebene wellenförmig gebogen wird. Bei starker Contraction der Bing- muskeln dagegen wird der Mantelsaum ganz nach innen gezogen und das Velum in einer einzigen Horizontalebene ausgebreitet. Das Epi- thel der oberen Velumfläche besteht aus grösseren , höheren Zellen als das der unteren. Die Subumbrella ist bei Cunina sehr beschränkt entwickelt, da die grosse Magenscheibe sammt ihren breiten Badialtaschen den bei weitem grössten Theil der unteren Schirmfläche einnimmt. Man kann daher eigentlich als Subumbrella nur die sehr schwache und dünne Schicht von unterbrochenen Bingmuskeln , sowie eine Anzahl von zer- 274 Ernst Haeckel, streuten, wenig entwickelten radialen Muskelbändern bezeichnen, welche die untere Flache des Gallertmantels zwischen je zwei radialen Magen- taschen und an den Randlappen bekleiden. Die Muskeln, welche ausser dem Velum und der Subumbrella sich noch vorfinden, sind bereits erwähnt. Es sind dies der cylindrische aus Längsfasern gebildete Muskelschlauch . welcher die knorpeligen Tentakelstämme überzieht , der ähnliche Muskelschlauch, welcher die marginalen Mantelspangen umhüllt, vor allem aber die sehr stark ent- wickelten radialen und circularen Muskeln der unteren Wand des Ma- gens und seiner Radialtaschen. Besonderer Erwähnung werth sind die ausserordentlich verschie- denen Formen, welche Gumnarhododactyla bei verschiedenen Contrac- tionszuständen des Velum. der Subumbrella und der Spangenmuskeln annehmen kann. Man glaubt oft ganz verschiedene Thiere vor sich zu haben. Sehr häufig wird der Rand der Mantellappen stark nach innen gezogen, so dass die Spangen radial von aussen nach innen zu den nach innen vorspringenden Randbläschen zu laufen scheinen (Fig. 78 links, 80 rechts). Ausserdem wird häufig dann noch der Lappenrand nach oben und zugleich wieder nach aussen) eingeschlagen, so dass nun die Spangen einen rücklaufenden Bogen machen und der untere das Randbläschen stützende schmale Spangentheil in der That oberhalb des oberen , in den abgerundeten Kolben auslaufenden Spangentheils liegt (Fig. 78 rechts, 80 links, 79). Andere Male zieht sich das Thier vollkommen kugelig zusammen, so dass die Ränder der Kragenlappen sich decken und die Randbläschen sich beinahe in einem unteren Mittel— puncle berühren. 5. Nervensystem. Die Nerven sind bei Citnina weit unsicherer und schwieriger, als bei Carmwina nachzuweisen. Am deutlichsten und leichtesten kann man sie auch hier wieder (wie bei der letzteren an den Sinnesbläs- ii.cn erkennen. Durch die Axe jedes cylindrischen Randbläschens (Fig. 85) geht ein sehr heller und blasser cylindrischer Strang, etwa y4 so hreit, als das Bläschen selbst (n). Oben berührt er die Concre- tion, unten setzt er sich fort durch die Axe des conischen Ganglien- hügels f . Auch bei anderen Aeginiden finde ich diesen blassen c\lin- diischen Axenstrang ebenso wieder. Ich halte ihn für den Sinnes- n er ven. Weit schwieriger ist es, sich von der Existenz des Ringnerven zu überzeugen, den ich auch hier, wie bei den Geryoniden, in einem hellen blassen fein längsgestreiften Strange zu finden glaube, der Anatomie von Ctuiina rhododactyla. 275 zwischen Ringgefäss und Knorpelring, in einer Furche des letzteren liegt (Fig. 82 a. 8 5 •;)). Nach innen grenzt er nahe an die Insertion des Veluin. Ihn zu isoliren ist mir nicht gelungen. Aul' Flächenansichlen (Fig. 84) verbirgt sich der Ringnerv leicht hinter dein Gelasse oder dem Knorpelringe. Was Fritz Müller bei Ouniwa. Köllikeri als Ring- nerv beschreibt, halte ich für den Knorpelring. Ausserdem glaubt der letztere dem Nervensystem auch noch »ein paar ansehnliche, ziemlich undurchsichtige Wülste an der Rasis jedes Tentakels, die scharf con- tourirte Zellen enthalten«, zurechnen zu müssen. Diese »Wülste« finden sich auch bei unserer Cimina rhododttrtijhi vor (Fig. 78 — 80, Fig. 81 tx). Es sind zwei dicke coneav-convexe rundliche Polster, welche in dem Einschnitte zwischen je zwei Rand- lappen sitzen und den Tentakelslamm an seinem Uebergange in die Wurzel von beiden Seiten her umfassen. Die beiden Polster sind dun- kel glänzende dünnhäutige, scheinbar geschlossene Binsen, prall an- gefüllt mit dichtgedrängten, kugeligen sehr stnrk lichtbrechenden Zellen. Den Eindruck von Nervenzellen machen letztere nicht. Was sie aber sonst sein mögen, vermag ich auch nicht zu sagen. Vielleicht gehören sie zum Knorpelringe. Für Gan glienknot en halteich die hügelförmigen , flach coni- schen Polster, auf deren Höhe die Randbläschen, wie auf einem kurzen dicken Stiele flach aufsitzen. (Fig. 84, 85 f). Es sind ihrer so viele als Randbläschen vorhanden. Mit ihrer breiten flachen Rasis ruhen sie unmittelbar auf dem Nervenringe, th eil weise auch auf dem Knorpel- ringe und dem unteren dünnen Ende der marginalen Mantelspange. Der Inhalt besteht aus sehr hellen und blassen kugeligen Zellen, ähnlich denen im Randbläschen selbst, aber kleiner. Durch dieAxe des kegel- förmigen Gnnglienhügels geht der Sinnesnerv, welcher von dem Nerven- ringe sich abzweigt, Dns sehr verdünnte untere Ende der mnrginalen Mantelspange scheint sich noch über die äussere Fläche des Ganglion bis zur Rasis des Randbläschens selbst fortzusetzen (Fig. 81). Wahr- scheinlich dient der in der Spange liegende Muskel auch zur Bewegung (zum Aufrichten und Niederlegen?) des Randbläschens. DerEpithelinl- überzug der Nervenknoten besteht aus sehr kleinen kernhaltigen poly- gonalen Zellen. Jede derselben scheint ein sehr langes und feines, starres Borstenhaar zu tragen, welches ungefähr ebensolang oder länger, als das Randbläschen selbst ist (Fig. 85). An der Rasis ist jede Rorste ein wenig verdickt, am freien Ende läuft sie in eine kaum sichtbare feine Spitze aus. Da die starren Fadenborsten nach allen Seiten von der Oberfläche des Ganglion ausstrahlen , bilden sie zusammen ein kegelförmiges , nach aussen offenes Wimperbüschel , in dessen Axe das 276 fonsi Haeckel. Bandbläschen sitzt. Aehnliche starre Wimperborsten auf den Hügeln, welche die äandblüschen tragen , sind von Gegenbaur bei Aeyincta sol rnaris , von Keferstein und Ehlers bei Aegineta Corona beschrieben worden. Ich halte sie für Tastborsten. Vielleicht stehen sie unmit- telbar mit Nervenenden in Zusammenhang. Aehnliche Tastborsten, welche frei in das Wasser vorragen, finde ich auch bei anderen Medusen wieder. Bei Rhopalonema umbilicatum (Cahjptra umbüicata) sitzen drei Kränze von solchen langen Tastborsten unmittelbar über einander gürtelförmig an der knopfartig verdickten Spitze der starren interradialen Tentakeln , welche aus einem von Epi- thel überzogenen Knorpelstabe bestehen. Jeder Kranz besteht aus 20 bis 30 sehr langen und feinen Borsten von 0,1 mm Länge. Die Borsten der drei Gürtel alterniren mit einander. Sie stehen von der Mitte der kolbig angeschwollenen Tentakelspitze in einer Horizontalebene ab, rechtwinklig zur Tentakelaxe. Die Tentakelspitze kann aber in der Weise nabeiförmig eingezogen werden , dass die Borstenkränze an das äusserste Ende des Tentakels selbst zu liegen kommen und hier einen nach aussen divergirenden conischen Büschel bilden. 6. Sinnesbläschen (Randbläschen). Die Zahl derBandbläschen steigt, wie schon früher bemerkt wurde, bei Cunina rhododactyla von acht auf fünfzig bis hundert. Bei den jüng- sten beobachteten Individuen, von 3mm Durchmesser (Fig. 78) sind nur 8 Bläschen an der Spitze der 8 Bandlappen vorhanden, welche mit den 8 Tentakeln alterniren. Späterhin wächst diese Zahl , indem neue Bandbläschen in unbestimmter Beihenfolge neben den alten entstehen. Individuen mit 1 0 Tentakeln tragen in der Begel auf jedem Lappen 2 — 3 Bandbläschen , ältere mit I 2 Tentakeln 4 — 0 Bläschen. Das Maximum der Bläschenzahl auf einem Lappen scheint Acht zu sein. Bei einem der grössten beobachteten Individuen, von I I mm Durchmes- ser , mit 1 5 Bandlappen , zeigten sich die 89 Bandbläschen in nach- stehender Beihenfolge auf den Lappenkranz vertheilt: 5, 6, 7, 8, 5, 6, 4, 5, 6, 8, 4, 6, 7, 4, 8. Die Entfernung der Bandbläschen von ein- ander ist daher auch an verschiedenen Stellen eine ungleiche. Die Bandbläschen sitzen frei auf den oben beschriebenen conischen Ganglienknoten auf, welche zwischen der unteren Fläche der Velum- Insertion und dem unteren verdünnten Ende der marginalen Mantel- spangen von dem Knorpelringe j(u k) und dem Nervenringe (a) sich erheben (Fig. 82, 84). Die Form der Bandbläschen ist cylindrisch, an» freien Ende abgerundet und in der Mitte mehr oder weniger ring- Verwandtschaft und Generationswechsel zwischen den Geryoniden und Aeginiden. 277 förmig eingeschnürt Fig.. 85). Ihre Länge beträgt 0,05 mm und ist 9 — 3mal so gross, als die Breite. Die Wand des Randbläschens wird von einem Epithel gebildet , das aus sehr flachen Pflasterzellen besteht. Den Inhalt bilden dichtgedrängte wasserhelle polyedrische Zellen. In der Axe des Randbläschens verläuft der dünne blasse cylindrische Strang, der bereits oben als Sinnesnerv beschrieben worden ist und y3 — y4 so breit, als das Bläschen selbst ist. Das äussere Ende, oft die ganze äussere Hälfte des Bläschens, nimmt ein Krystall ein, bis zu des- sen Peripherie der Nerv zu verfolgen ist. Seltener sind statt eines Krvstalls zwei hintereinander liegende vorhanden, und mehrere Male wurde eine Reihe von drei Krystallen beobachtet, von denen der oberste der grösste war. Die Kry stalle scheinen ihrer Form nach dem rhom- bischen Kristallsysteme anzugehören. Da übrigens sonst die sogenann- ten Otolithen in den Randbläschen der Craspedoten stets nicht krystal- linische Concremente, und nur in denen der Acraspeden Krystalle sind, so bietet in dieser Reziehung unsere Cuninu eine sehr bemerkenswerthe Ausnahme dar. X. Verwandtschaft und Generationswechsel zwischen den Geryoniden und Aeginiden. Eine unbefangene Vergleichung der ältesten beobachteten Knospen von Carmarina hastata mit den jüngsten Individuen der Cunina rho- dodactyla lässt keinen Zweifel übrig , dass letztere in der That nichts Anderes ist, als ein weiter entwickelter Zustand der Ersteren. Die ältesten, am weitesten entwickelten Knospen der Zunge von Carmarina hastata, mit einem Schirmdurchmesser von 1 mm; besitzen einen aus acht gleichen homotypischen Abschnitten zusammengesetzten Körper (Fig. 76 im Profil, Fig. 77 von unten). Der Rand des scheibenförmigen Körpers ist in acht rundliche Lappen gespalten , deren Spitze ein frei auf kurzem Stiele vorragendes Sinnesbläschen trägt. Der Zwischen- raum zwischen den Lappen wird von dem oberen Theile des Velum ausgefüllt. Entlang des Randes der Lappen verläuft, auf einen dünnen Knorpelring gestützt, ein zusammenhängendes enges Ringgefäss, wel- ches in der Tiefe der acht Randeinschnitte mit acht breiten flachen ta- schenförmigen Radialgefässen zusammenhängt, die von der Peripherie des centralen flachen und weiten Magens ausstrahlen. In dem Grunde 278 Ernst Haeckel, jedes Randeinsehnittes, zwischen der Basis je zweier benachbarte? Lappen, ist ein solider c\ lindrischer Tentakel befestigt, weichermittelst einer kegelförmigen knorpeligen Wurzel in die Scheibensubstanz ein- gesenkt und auf der oberen Flache der entsprechenden radialen Magen- tasche in deren Mittellinie angewachsen ist. Der Tentakel selbst besteht aus einer soliden cylindrischen Axe, aus einer einzigen Zellenreihe ge- bildet, und überzogen von einem dünnen Muskelschlauche , über wel- chem ein Nesselepithel liegt. Alles, was ich hiermit von den charakteristischen und wesentlichen Structurverhältnissen der ältesten, auf dem Zungenkegel der Car- marina aufsitzenden Knospen (Fig. 76, 77) ausgesagt habe , gilt wörtlich ganz ebenso von den jüngsten, frei im Meere gefisch- ten Individuen der Cunina rh odndactyla , von Smm Durch- messer (Fig. 78). Es ist in der That nicht eine einzige wesentliche Organisationsdifferenz zwischen Beiden vorhanden. Die einzigen Unterschiede, welche die Zungenknospe der Carma- rina (Fig. 77) und die jüngste freie Form der Cunina (Fig. 78) zeigen, sind folgende. Der Gallertschirm der Zungenknospe von Carmarina ist eine dicke, ziemlich flach gewölbte Scheibe von I mm Durchmesser, derjenige der Cunina eine meist stärker gewölbte, oft fast halbkuge- lige Scheibe von 3mm Durchmesser. Die Tentakeln der Carmarina- Knospe sind plumper, dicker und kürzer, als die längeren und schlan- keren der Cunina. Dagegen ist das cylindrische Mundrohr oder Magen- rohr der ersteren im Verhältniss weit länger, als der sehr kurze, kaum über den flachen Magen vorragende Mundrand der letzteren. Ausser- dem sind natürlich alleTheile derCarmar/'/ia-Knospe in entsprechendem Verhältniss kleiner, die Gallertsubstanz des Mantels weniger entwickelt, als bei der Cunina. Es bedarf keines weiteren Beweises, dass diese Differenzen sämmt- licji ganz unwesentliche sind, die sich beim fortschreitenden Wachsthum der Knospen von I zu 3 """ganz allmählich verwischen werden. Der zunächst am meisten auffallende Unterschied, nämlich das lange Magen- rohr der Carmaritxa- Knospe gegenüber dem kurzen Mundrand der Cunina, macht in der That nicht die geringste Schwierigkeit, da wir bereits von einer anderen Cunhut wissen,, dass das reife Thier gar kein vorspringendes Magenrohr, der Embryo desselben dagegen ein aussei- ordentlich langes und dünnes cylindrisches Magenrohr besitzt. Es ist dies die Cunina oelonuria Mr. Crady . welche in erwachsenem Zustande unserer Cunina rhododactyla sehr ähnlich ist, dagegen als Embryo oder Larve noch ein weit längeres Magenrohr zeigt. Ich kann daher nicht mehr das geringste Bedenken tragen, die pelagisch gefischte Cunina Verwandtschaft und Generationswechsel zwischen den Geryoniden und Aeginiden. 279 rhododactyla mit den achtstrahligen Knospen, welche auf der Zungen- oberfläche der geschlechtsreifen Carmarina kastata hervorsprossen, für identisch zu erklären. Ich kann um so weniger an dieser Identität zwei- feln, als die Cunina rhododactyla im Golfe von Nizza stets nur in der unmittelbaren Gesellschaft und Umgebung der Carmarina hastata zu finden war. Beide Medusen-Arten erschienen während meines sieben- wöchentlichen Aufenthalts an jener Küste nur an drei oder vier Tagen, an diesen aber in grossen Schwärmen. Doch waren die Carmarinen weit spärlicher vorhanden, als die Guninen, welche sie in allen ver- schiedenen Entwickelungsstadien massenhaft begleiteten. Die Cunina rhododactyla, eine frei schwimmende und Geschlechts- organe entwickelnde achtstrahlige Meduse aus der Aeginiden -Familie, wird also auf ungeschlechtlichem Wege, und zwar durch Knospung an der Zungenoberfläche in der Magenhöhle, von der Carmarina hastata erzeugt, einer scheinbar weit davon entfernten und ganz verschiedenen sechsstrahligen Meduse aus der Geryoniden -Familie, einer Meduse, welche ebenfalls frei umherschwimmt und Geschlechtsorgane producirt, und welche sich ausserdem durch eine complicirte Metamorphose aus einer sechsstrahligen Larve entwickelt, die sowohl der erwachsenen Carmarina, als der Cunina sehr unähnlich ist! Diese Thatsache, welche ich nicht mehr bezweifeln kann, ist in der That so fremdartig und wunderbar, entspricht so wenig allen bekannten Verhältnissen der heterogenen Fortpflanzung, dass ich es Niemand ver- argen will, wenn er vorläufig meinen Angaben kein Vertrauen schenkt. Ich würde selbst daran zweifeln , wenn ich nicht die leiblichen That- .sachen unmittelbar vor Augen sähe. Wir sind durch die vielen treff- liehen Untersuchungen, welche in den letzten Decennien über die Natur- geschichte derllydromedusen angestellt worden sind, mit einerausser- ordentlichen Mannichfaltigkeit der merkwürdigsten Fortpflanzungsver- hältnisse in dieser interessanten Thierclasse bekannt geworden. Alle denkbaren Formen der geschlechtlichen und ungeschlechtlichen Fort- pflanzung, des Generalionswechsels und des Polymorphismus, scheinen hier realisirt zu sein. Medusoide und polypoide Formen haben sich in der mannichfaltigsten Weise combinirt gezeigt. Hier aber liegt eine Thatsache vor, die sich keiner irgend bekannten Form des Generations- wechsels anzuschliessen und eine ganz neue Form der Fortpflanzung zu begründen scheint. Leider bin ich nun nicht im Stande, aus dem vorliegenden Mate- riale weitere Aufschlüsse über den ferneren Verlauf dieser höchst merk- würdigen Zeugungsform zu gewinnen , und eine der vielen und wich- tigen Fragen zu beantworten, die sich angesichts dieser wunderbaren Band II. 3. 19 280 Ernst Haeckel, Thatsache unwillkürlich aufdrangen. Auf welche Weise schlägt die acht- strahlige (und zuletzt sechzehnstrahlige) Cunina wieder in die Form der sechsstrahligen Carmarina zurück? Wo kommen die sechsstrahligen Lar- ven der letzteren her ? Was wird aus den Geschlechtsproducten der beiden anscheinend so weit verschiedenen Medusen? Zeugen auch die Cuninen ungeschlechtlich? Als die verhältnissmässig einfachste Lösung des Räth- sels würde noch diejenige erscheinen , dass sowohl aus der geschlecht- lichen als aus der ungeschlechtlichen Zeugung der Carmarina hastata dieselbe Cunina rhododactyla hervorgeht, und dass sowohl aus der ge- schlechtlichen , wie aus der ungeschlechtlichen Zeugung der letzteren wieder die Cmrmarina entspringt. Oder pflanzt sich die Cunina nur als Cunina fort, während die Carmarina gleichzeitig auf geschlecht- ichem Wege ihres Gleichen, auf ungeschlechtlichem aber Cunina producirt? Auf diese und viele andere Fragen werden erst künftige Unter- suchungen Antwort geben. Immerhin bin ich schon jetzt durch eine möglichst genaue vergleichende anatomische Untersuchung beider Me- dusen in den Stand gesetzt, wenigstens von einer Seite her diese merk- würdigen Verhältnisse etwas aufklären zu können und sie weniger wunderbar erscheinen zu lassen, als dies im ersten Augenblicke der Fall ist. Es hat sich nämlich aus einer sorgfältigen Vergleichung des anatomischen Baues der Geryonide und der aus ihr hervorknospenden Äegmide ergeben , dass die beiden Medusen - Familien , denen sie angehören, weit näher verwandt sind, als dies allgemein angenom- men wird. Da es bei einem so ausserordentlichen und von den gewohnten Vorgängen so abweichenden Verhältnisse, wie das vorliegende, jeden- falls gerathen ist, in der Erklärungsweise die grösste Vorsicht anzu- wenden , und alle , auch die entferntesten Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, so mögen zuvor ein paar Worte über die Frage eingefügt wer- den, ob wir es nicht möglicherweise hier mit einem Parasitismus zu thun haben ? Dieses Verhältniss ist unter den Medusen überhaupt äusserst selten. Durch Krohn haben wir die merkwürdige Mnestra parasites kennen gelernt *) , eine kleine Meduse aus unbestimmter Fa- milie, welche stets an derselben Körperstelle eines Weichthieres, und zwar der Phyllirrhoe bucephalum, äusserlich angesaugt gefunden wird. Viel wichtiger für unseren Fall ist der seltsame Parasitismus, der neuer- dings von einer Aeyin ide durch die trefflichen Untersuchungen Mc. Crady's 1) Archiv für Naturgeschichte 1853, XIX, t, p. 278. Verwandtschaft and Generationswechsel zwischen den Geryoniden undAeginiden. 281 bekannt geworden ist1). In der Mantelhöhle einer Oceaniden- Meduse ,ms drin Unten von Charleston, der Turritopsis nutricola, linden sich in Menge und in verschiedenen Entwickelungszuständen die Larven einer frei schwimmenden Aeginide vor, der Cunina oct&iiaria Mc.Crady. Die jüngsten Qimmernden Larven bilden einen kleinen keulenförmigen Körper, der mittelst des dünn auslaufenden Stieles in der Mantelhöhle der Turritopsis befestigt ist. Das andere dickere Ende treibt zwei schlanke und biegsame Tentakeln, die sieh bald verdoppeln. Bisweilen treibt die Larve jetzt schon Knospen von ihresgleichen. Dann bekommt sie ein sehr dünnes und langes rüsselförmiges Magenrohr. Zwischen den vier Tentakeln sprossen vier andere hervor, und gleichzeitig mit diesen , und mit allen acht Tentakeln altcrnirend zeigen sich an einer Ringfalte, die sich von der Mitte des Körpers abhebt (der Anlage des Schirmrandes) acht Randbläschen. Die kleinen Larven halten sich in der Mantelhöhle der Turritopsis an den Wänden derselben unddesMagen- siiels fest mittelst der vier primären, nach den) Aboralpol hinauf ge- krümmten Tentakeln, während das sehr lange rüsselförmige Magenrohr der Schmarotzer durch die Mundüffnung ihres Wohnthieres in dessen Magenhöhle hinein gestreckt wird und hier Nahrung aufnimmt. Gewiss ist diese schon an sich höchst auffallende Form des Parasitismus um so merkwürdiger, als hier eine Meduse in einer Meduse schmarotzt, und der erste und natürlichste Gedanke, den auch Mc. CRADYin seiner ersten ausführlichen Darstellung desselben hatte und festhielt, ist der, dass jene, gewissen Hydroidpolypen sehr ähnlichenLarven nicht die Schma- rotzer, sondern die Nachkommen der Oceanide sind. Erst später, als Mc. Chady die völlige Umwandlung der mit langem Magenrohr versehe- nen schmarotzenden Larven in die freischwimmende, desselben ent- behrende Cunina octonaria nachgewiesen hatte, liess er jene erste An- nahme fallen und entschied sich für den Parasitismus der Larven. In der That scheint mir auch jetzt noch diese Deutung die wahrschein- lichste, wenngleich andrerseits, bei Erwägung der sogleich darzulegen- den Verhältnisse, doch der Gedanke nicht ganz ausgeschlossen werden darf, dass Mc. Cradv's erste Deutung die richtigere war und dass die Cunina octonaria wirklich die Brut der Turritopsis nutricola ist. Höchst wahrscheinlich hat jedoch dieses merkwürdige Verhältniss mit demjenigen, welches uns hier vorliegt, nur eine oberflächliche und äusserliche Aehnlichkeit, obgleich die Cunina octonaria durch ihre ganze Form und Structur, durch die acht Randlappen und Tentakeln, wie i) Proceedings of the Elliott Society of Charleston. (South-Carolina). Vol. I, 4859, p. 55 — 90, p. 209—212. 19* 282 Efns* Haeckel, durch die Bildung der Randbläschen und ihrer Spangen, der jüngsten achtstrahligen Form unserer Cunina rhododactyla sehr nahe steht. Dass aber bei derletzteren kein Parasitismus stattfindet, scheint mir schon aus der oben gegebenen Darstellung des Knospungsprocesses auf der Ober- flache des Zungenkegels zur Genüge erwiesen zu sein. Die Zunge der Carmarina hastata ist ein selbstständiges Organ , welches auch bei den nicht knospentreibenden Thieren völlig entwickelt ist (Fig. 4, 5). Die Entwicklung der Knospen aus ihrer Oberfläche lässt sich vom ersten Anfange an Schritt für Schritt verfolgen (Fig. 75, Fig. 94 A — F). Die Knospen sind mit einem grossen Theile ihrer Aboralflüche fest der Oberflüche des Zungenkegels verbunden und nur durch Continuitüts- trennung davon ablösbar. Wie mit diesen und den übrigen oben ge- schilderten Verhältnissen die Annahme eines Parasitismus der Cunina- Embryonen sich vereinbaren lassen sollte, vermag ich nicht einzusehen. Es bleibt also in derThat nichts Anderes übrig, als die Gewissheit, dass die sechsslrahlige Carmarina und die achtstrahlige Cunina durch wirkliche Blutsverwandtschaft aufs nüchste verbunden sind und einer und derselben »Species« angehören, d. h. einem Formenkreise, dessen Glieder nachweisbar durch die engste Blutsverwandtschaft zusammen- hängen. Nun sind aber die Geryoniden. zu denen die Carmarina und die Aeginiden, zu denen ihre Knospe, die Cunina gehört, bisher als völlig ver- schiedene Medusen -Familien allgemein behandelt worden. Nach den übereinstimmenden Ansichten sümmllicher neuerer Naturforscher, welche die Medusen untersucht haben, sind die Aeginiden von allen übrigen craspedoten Medusen in weit höherem Grade verschieden, als es je zwei andere Familien dieserOrdnung unter sich sind. Namentlich wird als Hauptkriterium stets angeführt, dass bei den Aeginiden bloss »blinde taschenförmige Fortsätze« von dem Magen ausgehen und dass ein Ringgefäss fehlt, während bei allen übrigen Craspedoten » radiale Canäle« vom Magen ausgehen, die am Bande durch ein Ringgefäss ver- bunden sind. Gegenbaur, der von den neueren Autoren die Aeginiden noch am nächsten mit den anderen Craspedoten verbindet und sie am Ende derselben als eine besondere Familie auf die Geryoniden folgen lässt, sagt von den Aeginiden: »Unstreitig ist dies wohl die am wenig- sten gekannte und von den bis jetzt von den Medusen gebräuchlichen Vorstellungen die grössten Abweichungen darbietende Gruppe, die sich aber eben dadurch um so mehr gegen andere Familien hin abschliesst, und bei nur geringen verwandtschaftlichen Beziehungen von allen übrigen die grösste Einheit und Abrundung bietet«. Viel weiter gehen Verwandtschaft und Generationswechsel zwischen den Geryoniden und Aeginiden. 283 in der Trennung der Aeginiden von den übrigen niederen Medusen zwei andere neuere Bearbeiter derselben, Fritz Müller und Agassiz. Fritz Müller, der treffliche Forseher, der bisher allein eine genaue anatomische und embryologische Darstellung einer Aeginide [der Cunina Küllikeri) gegeben hat1), glaubt gerade auf deren Ergebnisse hin die Aeginiden ganz von den Graspedoten oder Cryptocarpen abtrennen zu müssen2). Ertheilt die ganze Classe der Hydromeäus&n in i Ordnungen: I., Siphonophoren : 2., Hydroiden (Graspedoten nach Ausschluss der Aeginiden) ; 3., Acalephen (Acraspeden nach Ausschluss der Charyb- deiden) ; i., Aeginoiden (Aeginiden und Charybdeiden) . Diese Aende- rung wird auch von Lelckart gebilligt. Agassiz andrerseits nimmt in seinem grossen Medusenwerke die Aeginiden sogar ganz zu den höheren Medusen (Phanerocarpen oder Acraspeden) hinüber. Er trennt diese Hauptabtheilung (Ordnung der Discophorae) gänzlich von den Hydroiden ab und theilt sie in drei Unter- ordnungen : I ., Rhizoslomeen; 2., Semaeostomeen (Aurcliden, Stheno- niden, Cyaneiden. Pelagiden) ; 3., Haplostomeen (Aeginiden, Brandti- den , Charybdeiden , Marsupialiden und Lucernariden) . Wegen der weiten blinden radialen Mogentaschen und des Mangels eines Cirkel- canals glaubt Agassiz die Aeginiden unmittelbar mit den Ephyren, den Jugendformen der Aureliden , zusammenstellen zu können (1. c. p. 3). Gegenüber dieser Auffassung glaube ich durch die obengegebene möglichst sorgfältige anatomische Analyse der Cunina rhododaetyla und der Geryoniden dargethan zu haben, dass diese beiden Medusenformen im inneren Baue und zwar in den wesentlichsten Beziehungen desselben, ja sogar in der feineren histologischen Structur auf das nächste verwandt sind, und wenn wir einen weiteren vergleichenden Blick auf die ana- tomischen Verwandtschaftsverhältnisse der Geryoniden , einerseits zu den Aeginiden , andrerseits zu den übrigen Craspedoten werfen, dürfte sich leicht herausstellen , dass die ersteren zwischen den beiden letz- teren in der Mitte stehen , ja sogar, dass die Geryoniden (namentlich im Larvenzuslande) noch näher den Aeginiden , als den übrigen Cras- pedoten verwandt sind. Da Fritz Müller die entgegengesetzte Ansicht am eingehendsten begründet und zugleich auf eine sehr sorgfältige anatomische Analyse einer Aeginide gestützt hat, so werde ich alle einzelnen von ihm angebrachten Argumente mit meinen Untersuchungs- resultaten vergleichen. 1) Archiv für Naturgeschichte. XXVII , \. 1861. p. 42, Taf. IV. 2) Ibid. [). 303 (üeber die systematische Stellung der Charybdeiden). 284 Ernst Haeekel, Die Scheibe der Hydroidmedusen oder Cryptocarpen (Craspedo- ten) — sagt Fritz Müller (1. c. p. 306) »ist stets ganzrandig, und wie bei den Acalephen glatt oder etwa mit schwach vorspringenden , von der Mitte des Rückens ausgehenden Leisten versehen. — Dagegen ist die Scheibe der Ciininu und ihrer Verwandten häufig, wo nicht immer, am Rande gekerbt, und wie bei den Charybdeiden . von mehr weniger tiefen, mehr weniger weit auf die Rückenfläche sich fortsetzenden Fur- chen durchzogen«. Das Letztere ist vollkommen richtig. Allein ganz dieselben Einschnitte des Scheibenrandes , welche sich auch als seichte centripetale Furchen eine Strecke weit auf der Aussenfläche des Schirmes hinaufziehen, finde ich auch bei den Geryoniden; nur dass sie hier nicht so tief und weit gehend sind , wie bei den Aeginiden ; desshalb springen auch die dadurch entstehenden Lappen des Randes weniger auffallend vor, als bei den letzteren. Die Zahl der Randeinschnitte ent- spricht der Zahl der unmittelbar über denselben sitzenden Randbläschen und der marginalen Mantelspangen, die von ihnen ausgehen. Selbst an erwachsenen geschlechtsreifen Thieren von Carmarina (Fig. 1,2) und noch mehr von Glossocodon (Fig. 13 — 15) tritt diese Kerbung des Randes durch 1 2 oder 8 Einschnitte noch deutlich hervor. Weit auf- fallender erscheint dieselbe oft an den Larven beider Arten (Fig. 55 — 59, 65; Fig. 36 — 38, 40, 41). Es ist also in der That bei den Geryo- niden der Schirmrand ebenso (nur weniger tief) wie bei den Aeginiden (Fig. 78 — 80) eingeschnitten und dem entsprechend auch das Velum bei beiden Familien an den Stellen, welche den radialen Einschnitten entsprechen, breiter als an den dazwischenliegenden. »Die Cryptocarpen« — sagt Fritz Müller weiter, »haben stets Slrahlgefässe undRingcanal. und zwar erstere, ausser bei sehr grosser Menge, in fester Zahl. Rei den Aeginiden dagegen hat der Magen breite Seitentaschen in oft schwankender Zahl , nie Strahlgefasse oder Ring- canal«. Diese Differenz wird allgemein als die durchgreifendste und namentlich der Mangel des Ringcanals von allen Autoren als der wesentlichste Charakter der Aeginiden angesehen. Dass diese Re- hauptung irrig ist, habe ich oben bei der Anatomie der Cuninu rhodo- dactyla bestimmt nachgewiesen. Diese Aeginide, und ebenso die Cunina albescens, die ich ebenfalls hierauf untersuchte, haben einen vollkomm- nen Ringeanal am Schinnrande, so gut, wie alle anderen Craspedolen, nur dass er verhältnissmässig viel enger ist. Sowohl auf Querschnitten lässt sich sein Lumen (Fig. 81, 82c) als auf Flächenansichten sein cha- rakteristisches Epithel (Fig. 84 es) ebenso leicht als bestimmt nach- weisen. Ebenso sind auch die so sehr hervorgehobenen »blinden Seitentaschen des Magens« der Aeginiden , die als etwas ganz Verwandtschaft und Generationswechsel zwischen den Ge*ryoniden und Aogiuiden. 285 Besonderes angesehen zu werden pflegen, ganz gewöhnliche, nur etwas breite und Ilaehe Radialeanäle, die innen in den Magen, aussen in das Ringgefäss einmünden. Ganz ebenso breit und flach findet man auch die taschenähnlichen Radialeanäle von jugendlichen Geryoniden-Larven (Fig. 36 — 38, 56 — 58) wo, besonders bei sehr jungen Glossocodon, die Interstitiell zwischen den breiten Radialeanälenfl schmäler sind als diese selbst. Hiermit ist also die Hauptscheidewand zwischen den Aeginiden und den anderen Craspedoten gefallen. »Die Tentakeln der C ryp tocarpen«, fährt Fritz Müller fort, »sind von sehr wechselndem Bau , nehmen aber doch stets die unmit- telbare Nähe des Ringgefässes ein. — Bei den Aeginiden dagegen sind die Tentakeln , nie die Zahl der Magentaschen überschreitend , stets rückenständig, oft sehr fern vom Rande entspringend; ausserdem sind sie bald durch eine eigentümliche Starrheit, bald wieder durch eine, bei anderen Medusen gar nicht bemerkte Beweglichkeit ausgezeichnet«. Auch dieser Unterschied ist nicht durchgreifend. Vielmehr stimmen auch in dieser Beziehung die Larven derGeryoniden ganz auffallend mit den Aeginiden überein. Sowohl bei den älteren Larven von Cavmarina (Fig. 56 — 58) als von Glossocodon (Fig. 36 — 5-0) entspringen die inter- radialen sowohl als die radialen soliden Tentakeln auf der Rückenfläche der Scheibe, fern vom Rande, mit dem sie nur durch die marginalen Mantelspangen verbunden sind. Ferner haben sie ganz denselben »star- ren« Habitus und denselben eigentümlichen Bau wie die Tentakeln der Cunina: ein Knorpelcylinder, aus einer Reihe grosser Zellen gebildet, und überzogen von einem Schlauche von Längsmuskeln , über welchem das nesselnde Epithel liegt. »In der Rildung der Geschlechtstheile endlich«, sagt zuletzt Fritz Müller, »schliessen sich die Hydroidquallen den Acalephen oder Phanerocarpen an; denn obschon von ungemeinem Formenreichthume, nehmen sie doch stets die äussere Wand des Gastrovascularsystems ein und entleeren ihre Producte nach aussen. Die Geschlechtsstoffe der Cunina dagegen bilden sich im Innern der Seitentaschen, und zwar in den seitlichen Winkeln derselben, von wo ihre Bildungsstätte hufeisen- förmig von einer Tasche zur andern sich hinüberzieht«. Auch diese Differenz kann ich nur bis zu einem gewissen Grade gelten lassen und kann sie ausserdem nicht für wesentlich hallen. Gerade durch die eigenthümliche Bildung der Geschlechtsorgane scheinen mir die Geryo- niden näher mit den Aeginiden, als mit allen anderen Medusen ver- wandt zu sein. Bei Beiden sind die Radialeanäle zu blattför- migen Taschen erweitert und bei Beiden ist es das Epithel der unteren (subumbralen) Wand der blattförmigen Canaltaschen , aus 28G F'rnst Haeckcl. welchem sich unmittelbar die beiderlei Geschlechtsproducte entwickeln. Der einzige, und, wie mir scheint, nicht wesentliche Unterschied be- steht darin , dass bei den Geryoniden sich diese taschenförmigen Er- weiterungen nur während der Geschlechtsreife entwickeln . dann aber auf dem gross ten Theile ihrer unteren Fläche (die radiale Mittellinie ausgenommen) Samenzeilen und Eier produciren, während dieselben bei den Aeginiden zu allen Zeiten gefunden werden und nur auf einem kleinen Theile ihrer unteren Fläche (namentlich anderUmbiegungsstelle einer Tasche in die andere) Geschlechtsproducte entwickeln. Auch bei den Geryoniden sind es, wie bei den Aeginiden, nur die seitlichen Theile der unteren (subumbralen) Fläche der blattförmigen Radial- canäle, welche Eier und Samenzellen liefern , während das Epithel der radialen Mittellinie derselben unverändert bleibt. Ob die Geschlechts- producte direct nach aussen . oder erst in die Höhlung des Gastrovas- cularsystems und dann durch den Mund nach aussen entleert werden, scheint mir gleichgültig zu sein und ich glaube, dass z. B. bei den Ge- ryoniden beide Arten der Ausführung der Genitalproducte neben ein- ander vorkommen. Es bleibt also von allen Differenzen zwischen den Aeginiden und den übrigen Craspedoten, auf Grund deren Fritz Müller beide trennen will, nur noch eine einzige übrig, die verschiedene Beschaffenheit der Randbläschen, welche bei den Craspedoten, »wenn vorhanden, stets rundlich und sitzend«, bei den Aeginiden dagegen »meist gestielt« sind. Diese Verschiedenheit ist nunallerdings gerade zwischen den Geryoniden und Aeginiden vorhanden, und sie ist sogar, wie die von mir gegebene Darstellung ihres feineren Baues lehrt , bedeutender als man glaubte. Die Randbläschen der Geryoniden finde ich in der Gallertsubstanz des Mantelrandes eingeschlossen, diejenigen der Cunina frei auf einem Vor— Sprunge der Randlappen sitzend. Die Differenz ihres feineren Baues springt bei der Vergleichung der oben gegebenen genauen Darstellung der Randbläschen von Oarmarina (Fig. 7, 8) und von Cunina (Fig. 84. 85) klar vor Augen. Doch glaube ich , dass auch diese Structurditle- renzen grösser scheinen, als sie sind. In beiden Fällen liegt der so- genannte Otolith (k) unbeweglich eingebettet in eine solide Zellenmasse welche von einer Membran kapselartig eingeschlossen ist und welche ich als Sinnesganglion (s) bezeichnet habe. In beiden Fällen tritt der Sinnesnerv (n) von einem hügelförmigen Ganglion (f) aus, welches das Randbläschen trägt, in die Zellenmasse jenes Sinnesganglion hinein und läuft durch sie hindurch zum Otolithen. Der Hauptunterschied beschränkt sich also erstens darauf, dass bei Carmarma zwei sich kreu- zende , bei Cunina ein einfacher Sinnesnerv vorhanden ist , und zwei- Verwandtschaft und Generationswechsel zwischen den GeryonideD undAeglniden. 287 tens darauf, dass bei den innerlich eingeschlossenen Randbläschen der Geryoniden das Sinnesganglion noch von einer in einer grossen Blase enthaltenen wässerigen Flüssigkeit umspült wird, während dasselbe bei den äusserlich gelegenen Randbläschen der Cunina ohne weitere Hülle, als die dünne Membran , frei in das Seewasser hineinragt und hier noch von den Borsten umstellt ist, die von dem Ganglion (f) aus- strahlen ^Fig. 85). Ausserdem aber ist sicher gerade die Structur von so äusserlich gelegenen Sinnesorganen , die sich der Verschiedenheit der äusseren Verhältnisse in so hohem Maasse anpassen können und müssen, für die wahre Erkenntniss der inneren Verwandtschaft nur von sehr unter- geordnetem Werthe. Wohl keine anderen Körpertheile bieten bei nächstverwandten Thieren so bedeutende Differenzen dar}, wie es bei den Sinnesorganen der Fall ist, und es ist auch in der That praktisch längst annerkannt, dass diese Organe für die Systematik nur von unter- geordnetem Werthe sind. Da dieselben die Erkenntniss der Aussen- welt vermitteln , so werden sie von dieser selbst auf das vielfachste beeinflusst und durch die Anpassung an jene geht ihr erblicher Cha- rakter früher und vollständiger verloren , als es bei anderen Körper- theilen der Fall ist. Wie verschieden ist z. B. das Auge bei beiden Generationen der Salpen gebildet! Die craspedoten Medusen selbst liefern das beste Beispiel, wie ausserordentlich verschieden bei sonst sehr nahe verwandten Thieren die Sinnesorgane sich gestalten können. An derselben Stelle, wo bei den Einen ein einfacher Pigmentfleck, bei den Anderen ein solcher mit lichtbrechendem Medium liegt, finden wir bei einer anderen Reihe theils bläschenförmige, mit Flüssigkeit erfüllte, theils solide Körper, welche in eine Zellenmasse eingehüllt eine Con- cretion oder einen Krystall enthalten , zu welchen ein besonderer Nerv tritt. Mit Rücksicht hierauf glaube ich der Differenz, welche sich zwischen den Sinnesbläschen der Geryoniden und Aeginiden findet, nur eine untergeordnete Bedeutung zuschreiben zu müssen. Abgesehen aber von dieser Verschiedenheit der Sinnesbläschen, ist wohl durch die oben gegebene vergleichende Anatomie der Car- marma und der Cunina die ausserordentlich nahe anatomische Ver- wandtschaft der bisher für sehr verschieden gehaltenen beiden Medusen- Familien in klares Licht gestellt worden. Ein vergleichender Blick auf die schematischen Körperdurchschnitte Fig. 95 — 99 lehrt das besser, als jede weitläufige Deduction. Zwei Puncte aber scheinen mir noch eine besondere Berücksichtigung zu verdienen. Es ist dies erstens die Bildung der marginalen Mantelspangen, welche bei der Carma- rina , wie bei der Cunina wesentlich denselben Bau besitzen , und Ernst Haeckel, Fig. 99. Fig. 98. Fig. 95 — 99. Schematische radiale Verüealschnitte. Fig. 95. Zungenknospe von Carmarina hastata. Fig. 96. Ausgebildete geschlechtsreife Cunina rhododactyla. Fig. 97. Larve von Carmarina aus der vierten Periode. Fig. 9S. Larve yon Car- marina aus der sechsten Periode. Fig. 99. Ausgebildete geschlechtsreife Carmarina hastata. b Randbläschen, c Ringcanal. e Centripetalcanal. g Geschlechtspro- ducte. h Marginale Mantelspangen, k Magen. I- Gallertmantel, o Mund, p Magen- stiel, r Radialcanal. rl Umbrales, rs subumbrales Epithel des Radiaicanals. st Radialer Knorpeltentakel, t Hohler radialer Haupttentakel. 1 1 Radialer Knorpei- tcntakel. t w Wurzel desselben, uk Ringknorpel, v. Velum. y Interradialer Knorpeltentakel. z Zunge. Sämmtliche Schnitte sind aus zwei verschiedenen Hälften zusammengesetzt. Die linke Hälfte jeder Figur stellt einen Yertiealschnitt dar, welcher durch eine inte rr ad i ale, die rechte Hälfte einen solchen , wel- cher durch eine radiale Meridianebene geführt ist. Verwandtschaft und Generationswechsel zwischen den Geryoniden undAeginiden. 289 welche meines Wissens bei anderen Medusen -Familien nicht vorkom- men. Ganz besonders wichtig aber ist zweitens die besondere Be- ziehung, welche die Cutnina zu der Larve der Carmarina. hat. Ver- gleicht liion den Durchschnitt der Larve (Fig. 97) mit demjenigen der erwachsenen Carmarina (Fig. 99) einerseits, mit demjenigen der Cunina (Fig. 96) andrerseits, so ist ohne weiteres klar, dass die Larve ■weit mehr Uebereinstimmung mit der letzteren , als mit der ersteren besitzt. Der für die erwachsene Geryonide so charakteristische Magen- stiel (p) mit seiner zungenförmigen Verlängerung in die tief glocken- förmige Magenhöhle und mit den sechs in seiner Oberfläche getrennt aufsteigenden Radialcanälen fehlt der Larve noch völlig. Vielmehr führt hier, ganz wie bei Cunina, der einfache weite Mund sogleich in eine flache niedrige taschenförmige Magenhöhle , von deren Umkreis unmit- telbar die flachen taschenförmigen Radialcanäle ausstrahlen, um an der flachen Unterseite des Schirmes zum Rande zu laufen und sich dort durch das Cirkelgefäss zu verbinden. Die Larve der Carmarina besitzt nur solide, starre Knorpeltentakeln (Fig. 65 st), ganz gleich ge- baut denen der Cunina (Fig. 83), zusammengesetzt aus einem Knorpel- cylinder, der von einem Längsmuskelschlauche und darüber von einem einfachen einschichtigen Epithel überzogen ist. Die erwachsene Car- marina dagegen, die Imago, hat nur knorpellose, sehr contractile, hohle Tentakeln, die in gröberen wie im feineren Baue gänzlich von jenen ersten verschieden und aus einer inneren Ring- und äusseren compli- cirten Längslaserschicht zusammengesetzt , darüber von einem mehr- schichtigen Epithel überzogen sind (Fig. 60 — 62). Diese hohlen Ten- takeln entspringen aus dem Cirkelcanal am Schirmrande (Fig. 98 t), während die Knorpeltentakeln der Larve, gleich denen der Cunina, aus der Rückenfläche des Schirmes entspringen. In allen diesen wichtigen Beziehungen steht ohne Zweifel die Larve der Carmarina weit näher der Cunina. als der erwachsenen Imago, in welche sie sich allmählich verwandelt. Fände man diese drei Formen nebeneinander im Meere, ohne von ihren Beziehungen etwas zu wissen, so würde man zweifelsohne im Systeme die Cunina und die Larve der Carmarina, etwa als zwei Gattungen einer Familie , zusammenstellen, während man die erwachsene Carmarina als eine weit davon verschie- dene Gattung sicher in eine andere Familie stellen würde1). \) Ich schrieb diese willkürliche Voraussetzung nieder, ohne daran zu den- ken, dass dieser Fall in Wirklichkeit längst eingetreten ist. Eschscholtz hat in seinem trefflichen »System der Acalcphen« die Eurybia, welche weiter nichts, als eineGeiyoniden-Larve ist, unmittelbar neben Cunina in die Familie der Aequoriden 290 Ernst Haeckel, Diese Erwägung der nahen verwandtschaftlichen Beziehungen zwi- schen den embryonalen Formen der Geryoniden und den erwach- senen Aeginiden führt uns zu den wichtigsten Betrachtungen über die allgemeine Stellung der letzteren Familie, die auch für unseren spe- ciellen Fall hier von besonderem Interesse sind. Zuvor jedoch ist es nöthig, ausser den bereits erörterten Grundzügen des anatomischen Baues der Aeginiden auch die sämmtlichen bekannten Entwickelungs- Verhältnisse dieser merkwürdigen Familie in Betracht zu ziehen. Was man davon bisher wusste, ist ausserordentlich wenig. Dieses Wenige aber ist dennoch von der höchsten Wichtigkeit. Ich werde desshalb alles bisher Bekannte hier kurz zusammenfassen. Die erste und lange Zeit einzige, auf die Entwicklung der Aegi- niden bezügliche Beobachtung wurde 1851 von Johannes Müller ver- öffentlicht1). Er beobachtete den bewimperten Jugendzustand -der zweiarmigen Aeginopsis mediterranen (Campanetta mediterranen Agassiz-) , welcher sich von dem halbkugeligen erwachsenen Thiere, ausser durch das Wimperkleid, auch noch durch länger gestreckte, fast cylindrische Körperform und durch viel geringere Länge der beiden Tentakeln unter- scheidet. Johannes Müller macht am Schlüsse seiner Mittheilung folgende Bemerkung: »Da die jüngsten Exemplare Wimperbewegung auf der Oberfläche des Körpers besitzen , so scheinen sie dem Embryonenzu- stande noch nahe zustehen. Der Umstand aber, dass sie in diesem Zustande in der Form und namentlich in den Armen von der späteren Medusenform wenig abweichen, scheint darauf hinzudeuten, dass diese Galtung von Medusen dem Generationswechsel vielleicht nicht unter- worfen sein könne«. Diese vorsichtige Bemerkung Johannes Müllers wurde von den folgenden Autoren nicht mit derselben Vorsicht aufgenommen und ver werthet. Vielmehr gründete man auf diese eine , und noch dazu unvollständige Beobachtung den Schluss, dass alle Aeginiden sich nur auf homogenem Wege fortpflanzten und entweder durch geschlechtliche oder ungeschlechtliche Zeugimg stets nur Ihresgleichen producirten. Ausserdem zog man daraus weiter den ebenfalls irrigen Schluss, dass das Wimperkleid jugendlicher Medusen für ihre Abkunft aus Eiern be- weisend sei, obwohl doch zu dieser Annahme gar kein Grund vorlag, und nicht einmal von den bewimperten Embryonen der Aeginopsis [die dritte der Cryptocärpen) gestellt, während er die Geryoniden als eine eigene Familie (die erste der Cryptocärpen) ansah. 1) Müller's Archiv, 1851, p. 272, Taf. XI. Verwandtschaft und Generationswechsel zwischen den Geryoniden und Aeginiden. 29 1 medüerranea selbst ihre Abkunft ans Eiern ermittelt, sondern bloss vermuthet war, Eine /.weile wichtige Beobachtung in diesem Gebiete wurde von Kölliker 1853 mitgetheilt1] . Dieser Forscher beschreibt unter dem Na- men Stenogaste)' complanatus eine kleine Aeginide von 1 '"Durchmesser, mit 16 Tentakeln und 16 Sinnesbläschen (wahrscheinlich eine Cunina). Diese kleine Meduse wurde von ihm in Messina nur einmal , und zwar in der Leibeshöhle von Eurystoma rufyiginosum gefunden. Unter letz- lerem Namen besehreibt Kölliker eine andere Aeginide von 5 — 6'" Durchmesser, welche vermuthlich unserer Cunina rhßdodactyla nahe steht, und welche eine halbkugelige Scheibe mit 10 Handlappen , 10 Tentakeln und je 6 — »"> Durchmesser , von unten gesehen. Der Mund (o) ist massig geöffnet, das Velum (v) schlaff, breit. Die Lappen des Schirm- randes sind stark nach innen eingezogen und auf der rechten Hälfte völlig eingerollt. Zwei Tentakeln sind ganz nach innen geschlagen. Vergrös- serung 20. 322 Erklärung von Tat'. IX. Fig. 79. Eine ältere Cunina, mit 10 Körpersegmenten, von 6mm Durchmesser, von der Seite gesehen. Die hier dargestellte Haltung nahen dieThiere gewöhn- lich, wenn sie ruhig im Wasser schweben. Der Rand der Mantellappen ist nach innen und oben eingeschlagen. Vergrösserung 10. Fig.SOA. Die Hälfte einer älteren Cunina, mit 1 0 Körpci segmenten, von 7 m"1 Durch- messer, von unten gesehen. Vier Tentakeln sind ganz nach innen ge- schlagen , zwei nach aussen gestreckt. Die beiden rechten Lappen des Schirmrandes sind etwas eingezogen, die drei linken vollkommen eingerollt. Der Mund (o) ist weit geöffnet, dasVelum massig breit. Vergrösserung 12. Fig. 80 B. Die Hälfte einer völlig erwachsenen Cunina, mit 16 Körpersetmienten, von 11 mm Durchmesser, von unten gesehen. Drei Tentakeln sind ganz nach innen geschlagen, die vier anderen in verschiedenen Krümmungs- zuständen dargestellt. Der Mund (o) ist viel weiter geöffnet, als in der vorigen Figur und das Velum (v) sehr stark zusammengezogen und schmal. Die 4 rechten Lappen des Schirmrandes sind eingezogen, die 4 linken vollkommen eingerollt. Vergrösserung 8. Fig. 81. Radialer Verticalschnitt durch den unteren peripherischen Theil des Cu- wma-körpers. Der Schnitt ist unmittelbar neben einem Tentakel (tt) ge- führt, so dass die Insertion der Wurzel (tw) desselben auf der oberen Wand (r 1) der radialen Magentasche (r) in ihrer ganzen Länge sichtbar ist. Ausserdem sieht man den an den Tentakel angrenzenden und hinter demselben liegenden Randlappen, dessen Rand nach innen und oben ein- gerollt ist und den Durchschnitt des Ringgefässes (cc) zeigt. Vergrös- serung 30. Fig. 82. Radialer Verticalschnitt durch den eingezogenen Schirmrand der Cunina. Der Nervenring (a) grenzt nach innen an die Insertion des Velum (v), nach oben an dasRinggefäss (cc), nach aussen an den Ringknorpel (uk), nach unten an das Ganglion, welches das Randbläschen (b) trägt. Ver- grösserung 60. Fig. 83. Ein Stück von dem äusseren Theile eines Tentakels der Cunina. In der Axe des Knorpelcylinders verlaufen die centralen Protoplasmastränge der Knorpelzellen, welche den Kern derselben umschliessen. Die dünne Längs- muskelschicht (sm) ist von einem Epithel (se) überzogen, dessen Zellen kugelige glänzende Nesselkapseln entwickeln. Vergrösserung 150. Fig. 84. Ein Stück von dem eingerollten Schirmrande der Cunina, von innen und unten her betrachtet. Das Randbläschen (b) ist ganz nach innen gezo- gen, so dass es der unteren Fläche des Velum (v) fest aufliegt. Die dick- wandigen polyedrischen Zellen , welche das äussere (subumbrale) Epithel des Gefässringes (es) bilden, treten so sehr hervor, dass man die darüber liegenden Schichten (Gallertmantel und umbralcs, inneres Epithel des Rmgcanals) gar nicht bemerkt. Zwischen Knorpelring (uk) und Gefäss- ring tritt der Nervenring (a) deutlich hervor. Vergrösserung 200. Fig. 85. Ein Simiesbläschen (Randbläschen) der Cunina rhododaetyla , in welchem der Sinnesnerv (u) sehr deutlich hervortritt. Von dem auf dem Nerven- ring (a) aufsitzenden Ganglion (f) strahlt ein Büschel von sehr langen und feinen, starren Borsten aus, welche das Sinnesbläschen umgeben. Ver- grösserung 600. Die Epidemie von Meningitis cerebro - spinalis im Eisenaeher Kreis. Von Dr. Ludw. Pfeiffer, Grossherzoglichem Militairassistenzarzte. JLlie ersten Erkrankungen traten ganz vereinzelt Ende November 1864 in verschiedenen Gegenden des Eisenaeher Kreises auf. Die Krank- heitserscheinungen waren in den meisten Fällen so hervorstechend und von den bisher beobachteten Krankheitsbildern so verschieden , dass schon im Anfang der Epidemie von verschiedenen Aerzten des Eise- naeher Kreises dieser neuen Krankheit besondere Aufmerksamkeit ge- schenkt wurde, ehe noch in der Literatur die Meningitis cerebro- spi- nalis epidemica eingehender gewürdigt wurde. Es fielen die ersten Erkrankungen um so mehr auf, als sie meist so rasch letal verliefen, dass ärztliche Hilfe zu spät erschien. — Angesprochen wurde die Krank- heit anfangs als ein Petechialtyphus wegen der fast nie fehlenden Pe- techien, mit Localisation im verlängerten Mark und lag diese Annahme um so näher, als besonders im Eisenaeher Oberland neben den wohl ausgesprochenen Meningitiserkrankungen (mit ausgebildeter Nacken- steifheit, Convulsionen) , bei denen sich die bestehenden Krankheits- symptome ziemlich zwanglos aus einer reinen Entzündung der Menin- gen des Hirns und Rückenmarkes erklären Hessen, leichtere und schwere Typhusfälle ohne Hirnerscheinungen verliefen. Es zeigt auch die daselbst beobachtete Epidemie ein eigentümliches Verhalten, der- art dass einzelne Krankheitsbilder der Meningitis cerebro - spinalis 324 Ludw. Pfeiffer, epidemica gewissermaassen einen typhusähnlichen Charakter und Ver- lauf annahmen, wenn auch nicht behauptet werden kann, dass Ueber- gänge beider Krankheiten in einander wirklich stattgefunden haben. Aufgenommen in diese Uebersicht sind aus dieser Epidemie nur die- jenigen Erkrankungen , bei denen ausgesprochene Cerebralerschei- nungen mit Nackensteifigkeit beobachtet wurden. Getrübt wurde ferner die Reinheit der Beobachtungen durch das gleichzeitige Auftreten von Scharlach mit Diphtheritis daselbst. Während in einem Dorfe fast aus- schliesslich Meningitiserkrankungen vorlagen , herrschte in einem , % Stunde davon entfernten Orte Scharlach mit diphtheritischer Geschwürs- bildung in allen Fallen auf der Rachen- und Nasenschleimhaut, was bei zahlreich beobachteten Scharlachepidemieen daselbst noch nicht beobach- tet worden war. Die meisten Erkrankungen fallen im Eisenacher Oberland auf die Monate December 186 5 bis Februar 1863 und sind von da ab die Er- krankungen seltener geworden. In der Umgegend Eisenachs traten um die Zeit nur vereinzelte Fälle auf, die meisten und am tödtlichsten ver- laufenden kommen auf die Monate Februar und März. Von Mitte März an wurden hier die Erkrankungen seltener, während zugleich die Krankheit von ihrem ursprünglichen Typus mannichfach abwich und im Ganzen einen weniger bösartigen Verlauf nahm. Von Anfang April an nur noch vereinzelte Fälle , doch kann jetzt die Epidemie noch nicht als gänzlich erloschen betrachtet werden , da immer noch leichtere und schwerere Fälle besonders in Eisenach selbst neu zur Beobachtung kommen. Betreffs derKrankheitsgenese lässt sich wenig Bestimmtes angeben. Die Epidemie herrschte in grösseren und kleineren, reicheren und är- meren Dörfern mit gleicher Intensität, gleichgültig, ob dieselben im freien Thal oder mitten bei waldigen Bergen gelegen waren. In Eisenach war die ärmere Bevölkerung nicht gerade vorzugsweise befallen und erkrankten vom Mililair nur zwei und ganz leicht. Eine miasmische Infection lässt sich nur in so fern annehmen, als öfter zwei und drei Glieder einer Familie davon befallen wurden. Von anderenEpidemieen herrschten gleichzeitig Typhen, Scharlach mit Diphtheritis besonders in dem ärmeren Eisenacher Oberland. In Eisenach und Umgegend kamen nur ganz vereinzelt Typhoide und rapid verlaufende Typhen vor, neben wenigen Scharlachfällen. Reine diphtheritische Halsentzündungen waren dagegen häufig , besonders im Militairlazareth. Gleichzeitig mit diesen diphtheritisehen Halsentzündungen waren zwei leichtere Gehirnentzün- dungen im Militairlazareth in Behandlung und drei Fälle von Parotitis. In der Privatpraxis sind von letzterer ebenfalls einige Fälle beobachten Die Epidemie von Meningitis cerebro-spinalis im Eisenacher Kreis. 325 jedoch ohne metastatische Hodenentzündung. Diphtheritis combinirle sich in einem Fall mit Meningitis, indem ein Kind in der Reconvalosccnz von letzterer eine diphtherische Entzündung der Schleimhaut des Ra- chens und der Scheide bekam. Parotidenbildung in Verbindung mit Meningitis ist von Herrn Dr. Köhler drei .Mal in Brunnhardshausen be- obachtet worden, jedesmal mit tödtlichem Ausgang. Das Material erstreckt sich auf I 80 in ärztlicher Beobachtung ge- wesene Kranke uml wurde mir dasselbe durch die Güte der Eisenacher Aerzte und einiger Aerzte des Eisenacher Oberlandes zur Verfügung gestellt. Ich spreche den Herren Dr. Dr. Matthes, Taschner, Wislicenus und Witthauer in Eisenach, Herrn Dr. Köhler in üermbach, Herrn Dr. Heuschkel in Kaltennordheim und Herrn Dr. Göring in Kreuzburg meinen Dank dafür aus. Das Material dürfte für der Eisenacher Kreis ein ziemlich vollständiges sein. Es fehlen genauere Angaben über circa 8 — \i derartige Erkrankungen in Berka a. W. und Umgebung und über 12 — 15 in Wenigenlupnitz. Beobachtet sind in: Kaltennordheim 9 (starben I ) . Kaltenwestheim 10 - (3). Kallensundheim 3 - (1). Erbenhausen 6 - (I). Oberkatz M - (1). Unterkatz 6 - (3). Helmershausen 2 - (1). Schafhausen 1 3 - (3) _ Kleinlengsfeld I Klings 7 - 2) Mittelsdorf 3. Empfershausen I . Aschenhausen 1 . Wohlmuthhausen 2 - (!)■. Friedeishausen 5 - (1). Berka a. W. ? In der Umgegend von Tiefenort und Lengsfeld sind derartige Er- krankungen nicht vorgekommen. Ebenso scheinen sie gefehlt zuhaben in Vacha und Geisa , doch sind in dem benachbarten Herzogthum Mei- ningen solche beobachtet worden. Auf diese 1 80 Erkrankungen kommt leider nur I Section , dabei der hiesigen Landbevölkerung eine Einwilligung dazu nicht zu erhalten ist. Wegen der oft unterbrochenen Beobachtungen fehlen ebenfalls Temperalurmessungen. E i s e n a c h 21 (starben 5) Grosslupnitz 19- - (?) Wenigenlupnitz li - (') Hölzelsroda 10 - (4). Unkerode 6 - (') Wolfsburg 3. Etlerwinden* 1 , Förtha I. Farnroda \ - (■") Kreuz bürg i. Zelle 2. Scherbde 10 - (6) Deubachshof i. Brunnhardshi jusen (Dermbach) 13 - («) Rosa (S.Meining en) 1 ; _ (8). 326 Ludw. Pfeiffer, Vorboten sind in der Mehrzahl der Erkrankungen nicht angegeben ; charakteristisch ist für die schwereren Fälle das fast ausnahmslose, ganz plötzliche Eintreten der Krankheitssymptome. Da wo Vorboten vorhanden (allgemeine Mattigkeit, Schwere der Glieder, Kopfschmerzen und benommenes Sensorium , Schmerzen in einzelnen Extremitäten), dauerten dieselben höchstens 3 Tage. Charakteristisch für 9/10 der Erkrankungen war ein intensiver Schüttelfrost von % — 3stündiger Dauer. Gegen Ende desselben fast regelmässig Erbrechen gallig gefärbter Schleimmassen mit starkem Stirn- und Nackenkopfschmerzen , theilweiser oder vollständiger Be- sinnungslosigkeit undConvulsionen verschiedener Intensität, besonders der Muskeln im Gesicht und an den obern Extremitäten mit stark ge- röthetem, heissem Gesicht, starren glänzenden Augen und allgemein erhöhter Körpertemperatur. Im weiteren Verlauf der Krankheit gingen die einzelnen Krank- heitserscheinungen mannichfach auseinander und modificirte sich das Krankheitsbild ebenfalls beträchtlich im Verlaufe der Epidemie. Die zuerst von der Epidemie Befallenen waren im Ganzen die am schwer- sten Ergriffenen, mit äusserst acutem Verlauf der Krankheit und vor- herrschenden clonischen und tonischen Convulsionen. Im weiteren Verlauf der Epidemie kamen meist langsamer und weniger tödtlich verlaufende, mehr erethische Formen zurBeobachtung, neben denen und besonders gegen Ende der Epidemie abortive Erkrankungen in geringer Anzahl verliefen. 1. Acute Form. Besonders im Anfang der Epidemie, und sind die davon Befallenen fast ohne Ausnahme in wenigen Stunden oder Tagen gestorben. Auf den Schüttelfrost mit intensivem Erbrechen folgten heftige Kopfschmer- zen und Convulsionen, die paroxysmenweise sich steigerten. Diese Paroxysmen wurden zuweilen eingeleitet durch wiederholtes Erbrechen, wurden hervorgerufen durch äussere Beize (Licht, Geräusch) und folg- ten sich je nach der Intensität der Erkrankung verschieden rasch. In den schwersten Fällen dauerten die Pausen nur wenige Minuten , die Paroxysmen traten am stärksten und häufigsten immer gegen Abend auf. In den Pausen vollständige Bewusstlosigkeit mit tiefer Erschöpfung, leichteren Zuckungen oder letaniseher Steifheit des Rumpfes und ein- zelner oder aller Extremitäten und des Nackens, mit stierem glanzlosem Auge und erweiterter Pupille , fadenförmigem, theils beschleunigtem, theils verlangsamtem Puls, sterlorösem Athem und theilweis kühler Die Epidemie von Meningitis cerebrospinalis im Eisenacher Kreis. 327 Haut. Die Paroxysmen wurden eingeleitet durch leichte Zuckungen, automatische Bewegungen, starker werdenden Kopfschmerz mit Rö- thung des Gesichts, bis auf der Höhe des Anfalls der Patient unter lau- tem Schreien abwechselnd in tetanischer Streckung mit ausgebogenem Rücken lag, bald die Extremitäten und der Rumpf in äusserster Beugung und Verkrümmung sich befanden , mit enormer Gesichtsverzerrung, blutigem Speichel vor dem Mund. Der Tod erfolgt meist in einem sol- chen Anfall unter tetanischer Streckung. In allen Fällen zeigte sich nach kurzem Bestehen der Krankheit ein masernartiges Exanthem von rosenrother bis schwarzblauer Färbung, meist über den ganzen Körper und die Extremitäten verbreitet. Es gehören hierher die Mehrzahl der der Epidemie Erlegenen und würde sich die Mortalität noch ungünstiger gestalten, wenn nicht im weiteren Verlauf die Epidemie einen gutarti- geren Charakter angenommen hätte. Viele der acuten Fälle haben noch nach langedauernder Reconvalescenz durch Erschöpfung zum Tode ge- führt unter Erscheinung von fortbestehendem Hirndruck. 2. Subacute Form. Umfasst mehr als die Hälfte sämmtlicher Erkrankungen. Auch für diese Form ist der sich anfallsweise steigernde Kopfschmerz mit mehr oder weniger heftigen Convulsionen charakteristisch , neben welchen Zeichen noch mit wenig Ausnahmen tetanische Steifheit des Nackens beobachtet wurde. Vorboten sind hier häufiger beobachtet als bei der acuten Form. Die Paroxismen stellten sich seltner ein, nur ein- bis dreimal täglich , selten öfter und am stärksten immer gegen Abend, eingeleitet in den ersten Tagen meist durch Erbrechen. Der Kopfschmerz hatte gewöhnlich seinen Sitz in der Stirn oder im Nacken, in einzelnen Fällen verbunden mit Schmerzen zwischen den Schultern , in der Lendengegend , in einzelnen Extremitäten oder mit Schmerzen, die gürtelförmig um den Thorax sich herumzogen. Auch bei activen und passiven Bewegungsversuchen Schmerz in diesen Theilen, der durch Druck auf die Dornfortsätze sich zu steigern schien, begleitet von tetanischer Contraction der betreffenden Muskeln, Unbe- weglichkeit und starkem Rückwärtsgebogensein des Nackens, verein- zelt von Lähmungserscheinungen einer oder mehrerer Extremitäten auch während der paroxysmenfreien Zeit. Die Intensität und Verbreitung, der Convulsionen hielt meist gleichen Schritt mit der Intensität der Kopfschmerzen. In den leichteren Fällen nur angedeutet durch leichten Strabismus, leichte Gesichtsverziehungen, Knirschen mit den Zähnen , Zucken der Finger , erreichten sie bei Band II. 3. 22 328 Ludw. Pfeiffer, schwereren Fällen fast die Höhe wie bei der acuten Form. In den Pausen leichte fibrilläre Zuckungen, öfteres Zusammenfahren im Schlaf. Das Sensorium in verschiedenem Grade benommen, in leichteren Fällen fast frei , in schwereren vollständiges Coma , welches bei un- günstigem Verlauf bis zu Ende anhielt. Dementsprechend in leichteren Fällen sehr gesteigerte Empfindlichkeit gegen äussere Reize, durch welche ein Paroxysmus hervorgerufen werden konnte , in schwereren Fällen vollständige Unempfindlichkeit dagegen. Das Fieber war in allen Fällen von ganz unregelmässigem Verlauf. Nach I — 3stündigem Schüttelfrost meist starke Hitze besonders des Kopfes mit Beschleunigung des vorher verlangsamten Pulses. Eine constante stärkere Temperaturerhöhung erst vom 2. — 4. Tag an mit un- deutlichen Remissionen , je nach dem Eintritt der Paroxismen. Zumal die Haut des Gesichtes dann stark geröthet, heiss und schwitzend, das Auge glänzend, bewegungslos mit verengerter oder erweiterter Pupille. Der Puls, der in den Pausen kaum verändert war, theilweis langsamer als im normalen Zustand , dann voller und frequenter bei enorm be- schleunigter Respiration. Auf dieses Stadium der Exaltation mit paroxysmen weis auftretendem Erbrechen, stärkeren Kopfschmerzen, Delirien, Bewusstlosigkeit und Convulsionen bei Steifheit des Nackens folgte nach 1 — 3 — 5 Tagen eine Periode des Collaps mit seltneren Exacerbationen des Fiebers , der Kopfschmerzen, Convulsionen und mit mehr oder weniger ausgespro- chenem Coma zwischen je zwei Exacerbationen. Je seltener diese Exa- cerbationen und je freier Patient in den Pausen, desto günstiger stellte sich die Prognose. Die Genesung erfolgte unter seltener und schwächer werdenden Anfallen im Laufe von 2 — 3 Wochen, zögerte sich aber auch unter neuen Rückfallen monatelang hinaus. Bei diesen protrahirten Fällen glich die Reconvalescenz auffallend der nach schwerer Typhuserkran- kung; die Abmagerung meist eine erschreckliche, mit EntWickelung grösserer Decubitusflächen, Unvermögen Koth und Urin zu halten, und einem immer befangenen Sensorium. Der Tod trat ein entweder beim Uebergang des ersten Stadiums in das zweite meist in einem Paroxysmus oder, was häufiger war, im zweiten Stadium unter stärkerem Coma und Hirndruckerscheinungen. Tetanische Zustände in ganz ausgesprochener Weise kamen man- nichfach vor. Am häufigsten wurde noch neben tetanischer Steifheit des Nackens eine solche der ganzen Wirbelsäule, meist zugleich mit Tiismus beobachtet (Krankengeschichte 5). Tetanische Steifheit und Verkrümm mg einer Körperhälfte mit starker Pronation des einen Vor- Die Epidemie von Meningitis cerebrospinalis im Eisenacher Kreis. 329 derarmes in der Brünnhardshäuser Epidemie ; es sind die tetanischen Zustände überhaupt stiirker hervorgetreten in den Erkrankungen im Eisenacher Oberland, die auch durchschnittlich einen ungünstigeren Verlauf hatten. Automatische Bewegungen, Traumwandeln mit Delirien, kamen vereinzelt vor. Auffallend war, dass die meisten Kranken fortwährend die Hände an den Genitalien oder in der Nase hatten. Der Urin enthielt nie Eiweiss, im Anfang ganz ohne Sediment und hell, später roth mit rothen Sedimenten. Ilarnretention wurde nur in der Epidemie des Oberlandes beobachtet, die das öftere Katheterisiren nöthig machte. Häufiger ging derselbe unwillkürlich ab. Stuhlgang retardirt während des ganzen Verlaufs der Krankheil. Appetit fehlte gänzlich. Zunge dick weiss oder gelb belegt, zu- weilen glänzend roth , wie gefirnisst. In einem Fall rechtsseitiger Be- leg mit nach links gerichteter Uvula und Schwerhörigkeit, besonders (?) auf dem rechten Ohr. Die Haut meist feucht, stärker schwitzend in denParoxysmen, be- sonders im Gesicht, zuweilen vereinzelt an einer Extremität. In man- chen Fällen starkes Jucken und Brennen in verschiedenen Hautparthieen. Ein Exanthem wurde nicht so constant beobachtet wie in der ersten Form. Boseola, merkwürdigerweise in einzelnen Fällen mit ge- ringer Milzvergrösserung, in den ersten fünf Tagen beobachtet. Pe- techien fehlten in einiger Ausdehnung meist. Dagegen Herpes fast constant 3 — 8 Tage an den Lippen , an einem Knie, im Munde, an beiden Ohren. In einem Fall wiederholte sich eine Herpeseruption gegen den 8. Tag über den ganzen behaarten Kopf. — Herpes trat vor- zugsweise bei den in Eisenach und Umgegend beobachteten Fällen auf, während im Oberland Boseola und Petechien vorzugsweise vor- kamen. Nasenbluten ganz vereinzelt bei mit Boseola Behafteten beobachtet. In einem Fall kam in der Genesung ein hartnäckiger Erguss in das eine Kniegelenk vor (Krankengeschichte 7). Die Dauer der Erkrankung bei dieser zweiten Form war im Mittel 2 — i Wochen , bei einzelnen hat sich die Beconvalescenz monatelang hinausgezogen und erfolgte noch der Tod nach 10 und 12 Wochen unter erneuerten Exacerbationen in zunehmender Erschöpfung. Die Heilung war in der Mehrzahl der Fälle eine vollständige. Von ungünstigen Ausgängen kamen zur Beobachtung : 22* 330 Ludw. Pfeiffer, Absolute Taubheit . . . . . bei 9. Schwerhörigkeit . . . . . - 5. Erschwerte Sprache ..... - 1 . Strabismus . . . . . . . - 3. Absolute Blindheit ..... I . Unvollkommene Lähmung der untern Extremitäten -8 — 10. Lähmungsartige Erscheinungen der Beine , eines Armes , des Schlingapparates sind fast ausnahmslos im Verlauf der Beconvalescenz geschwunden. Die Prognose konnte bei dieser Form im Allgemeinen günstiger gestellt werden. Auffallend war, dass meist innerhalb des 5. — 10. Tages eine Besserung beobachtet wurde. Die Prognose auf dauernde Besserung vor Ablauf dieser Frist war daher in fast allen Fällen ver- früht, da dem Nachlass der Kopfschmerzen, der paroxysmenweis ge- steigerten Convulsionen meist stärkere Exacerbationen nachfolgten, die den Kranken oft schwerer ergriffen als zuvor. Da wo nach kurzer Bes- serung ein starker Paroxysmus mit Brechen , starkem Kopfschmerz und starken Convulsionen eintrat, war die Prognose meist ungünstig oder die Beconvalescenz doch eine langwierige und oft unterbrochene. — Die Fälle mit Parotidenbildung verliefen alle tödtlich. Ein Fall mit einem I D ' grossen Decubitus führte zur Genesung. Die Behandlung bestand zuvörderst in allgemeinen diätetischen Verordnungen, gehöriger Ventilation, Beinlichkeit, kühler Temperatur und Lagerung des Kranken in einem dunkeln Baum, mit dem Kopf auf einem Hecksei- oder Strohkissen. Durchgängig wurde der beste Erfolg von energischer Antiphlogose (Eisblase auf den Kopf, Blutegel an Schläfe und proc. mastoid.) gesehen und ist dieselbe wohl bei allen Kranken in Anwendung gewesen. Sichere therapeutische Erfolge von innerer Medication können nur wenige berichtet werden. In der Eisenacher Epidemie wurden nach einander gereicht Säuren im Anfang der Krankheit (durch die Petechien indicirt) , im Verlauf Galomel und andere Laxantien, Opium, Chinin, Chloroform ohne sichtbaren Erfolg. Nur Iodkali in grossen Dosen hatte glänzenden Erfolg in solchen Fällen, in denen die Beconvalescenz sich fieberlos sehr in die Länge zu ziehen schien undTod durch zunehmende Erschöpfung und Ilirndruckerscheinungen einzutreten drohte. Kalte Uebergiessungen im warmen Vollbad hatten nicht die günstige Wirkung fortgesetzter Eisumschläge. Herr Dr. Heuschkel in Kaltennordheim sah sicheren Erfolg von Magnesia mit Flores Zinci gegen die epileptischen Zufälle, verwendete ebenfalls mit Erfolg Acid. sulph. mit oder ohne Die Epidemie von Meningitis cerebrospinalis im Eisenaeher Kreis. 331 Chinin gegen die Schüttelfröste im Beginn. Herr Dr. Köhler in Derm- bach machte betreffs der Therapie folgende Erfahrungen : 1 . Säuren in den ersten Fällen versucht und durch die Petechien namentlich an die Hand gegeben , leisteten ebenso wenig wie Chlor etwas ersichtliches. 2. Flores Zinci mit Calomel, besonders bei den Kindern, hat in den schweren Fällen den Tod nicht verhindert; ob in den leichteren genützt? 3. Chinin schien etwas zu nützen, doch waren die Resultate nicht entscheidend. i. Subcutane Injectionen von Morph, acet. beseitigten in einigen Fällen die heftige Starre vorübergehend und schafften den Kranken sichtlich Erleichterung. Im Ganzen verlief die Epidemie bei jeder Behandlungsweise, auch bei homöopathischer mit gleicher Mortalität. 3 . Abortivformen. Zeigten ganz das Bild von leichterer Hirnhyperämie und verliefen in 2 — 5 Tagen. Kamen meist nur gegen Ende der Epidemie vor. Constantes Symptom war im Anfange ein leichter Frost mit Erbrechen nach 2 — 6 Stunden starker Kopfschmerz bei benommenem Sensorium, leichte Verzerrungen des Gesichtes und Zucken der Finger bei geröthe- tem Gesicht, vollem, selten vermehrten Puls, erhöhter Temperatur und starkem Durst. Nach wenigen Exacerbationen gewöhnlich sprungför- miger Uebergang zu vollständiger Genesung. Nackensteifigkeit nur ganz vereinzelt beobachtet. (Krankengeschichte Nr. I I und I 2.) Neben diesen wohl charakterisirten Erkrankungen kamen noch einzelne ganz abweichende vor, die mit dem Charakter einer Neural- gie, reiner Spinalirritation, doch wohl als unter demEinfluss des Genius epidemicus stehend betrachtet werden müssen. (Krankengeschichte Nr. 13.) Die Krankengeschichte Nr. 14 betrifft einen Fall des Eisenaeher Oberlandes , der wie einige andere daselbst verlaufene einen typhus- ähnlichen Charakter hatte, aber ebensowohl hier mitgerechnet wer- den kann. Section. Betraf einen Fall der zweiten Form, der nach kurzem Exaltations- stadium und rasch eintretendem Coma unter Erscheinungen von Hirndruck am 13. Tage gestorben war. Hartnäckige Obstruction ist verzeichnet. 332 Lndw. Pfeiffer, Kellner, Carl, 10 Jahr, aus Eisenach. 24 Stunden nachdem Tode. Massige Todtenstarre. An den Extremitäten einzelne, linsen- grosse, circumscripte, subcutane Blutextra va säte. Beim Oeffnen des Schädels zeigt sich , dass die Pia der Convexität stark verdickt, getrübt und injicirt ist. Nach dem Hinterhauptsbein zu beiden Seiten des Sinus longitudinalis ziemlich feste, blutreiche Adhäsionen. Sinus long, stark mit dunkelrothem Blut gefüllt, die Ge- fässe überhaupt stark entwickelt. Zwischen Pia und Arachnoidea eine beträchtliche Menge trüber Flüssigkeit. Die Arachnoidea stark getrübt, fast adhärirend, die Gyri auffallend verstrichen. Das Exsudat ist an einzelnen Stellen entschieden eitrig , am stärksten nach der Medulla zu vorhanden. Auch die Pia und Arachnoidea an der Basis cranii sammt- artig gelockert , rosenroth und erstreckt sich diese Böthung noch tief in den Bückenmarkscanal, aus welchem viel trübes Serum ausfliesst. Corticalis weich, dunkler, an einzelnen Stellen fast schwarz. Die Ven- trikel durch trübes Serum stark ausgedehnt. Die weisse Gehirnsub- stanz auffallend feucht und weich. Die abgehenden Nerven leicht zer- reisslich. Lungen ohne besondere Veränderung. Bronchialschleimhaut gerö- thet mit fast eitrigem Exsudat belegt. Herz und Nieren normal. Milz nicht vergrössert und nicht erweicht. Leber nicht vergrössert, etwas stark fettglänzend. Im Darm unterhalb der Klappe eine Gruppe theilweis vernarbender aschgrauer Geschwüre, ausserdem eine zahlreiche Menge grösserer und kleinerer frischer Geschwüre, die zum Theil auf lebhaft entzündeter Umgebung stehen. Die Bänder derselben stark und unregelmässig ge- wulstet, nach innen scharf abfallend. Der Boden grau belegt mit ein- zelnen vorragenden Follikeln. Verschiedene, zerstreute, mehr verwa- schene Entzündungen um einzelne geschwellte Follikel herum. Darminhalt gelb und breiig. Magen frei , Schleimhaut desselben wenig gerothet. Die Epidemie von Meningitis cerebro-spinalis im Eisenacher Kreis. 333 Krankengeschichten. I. Acute Formen. 1. Thal, Carl, 6 Jahr, aus Grosslupnitz , Zwillingsbruder von Nr. 10. Soll früher an epileptischen Krämpfen gelitten haben. Patient soll schon einige Tage über Frösteln geklagt haben. Am S. Februar 1865 ging Pat. Abends zu Bett ohne besondere Klagen. Nachts 1 Uhr plötzlich heftiger Schüttelfrost und Brechen, nach einer Stunde brennende Hitze. Pat. war sofort sprachlos , sehr aufgeregt. Gegen 6 Uhr Morgens Krämpfe der oberen Extremitäten sofort mit tonischem Krampf der Rückenmuskeln und stark ausgebogenem Rücken. Klonischer Krampf der Kau- muskeln mit blutigem Speichel vor dem Mund , röchelndem Athem. 12 Stunden nach Anfang des Schüttelfrostes Tod in einem solchen Krampfanfall. Petechien über den ganzen Körper und Extremitäten. 2. Rexerodt, Mädchen, J/2Jahr, aus Wenigenlupnitz. Erkrankteam 6. Januar 1865 früh unter heftigen Fiebererscheinungen, abnormer Empfindlichkeit gegen Berührung, Aufschreien. Rasch eintretender Sopor mit öfterm Aufseufzen. Gegen Abend stärkeres Fieber, stärkere Röthung des Gesichtes, Convulsionen. Pe- techien, die in Zeit von 2 Stunden Gesicht, Rumpf und Extremitäten einnehmen und bei dem nach 12 Stunden eintretenden Tod ganz schwarzbraun waren. 3. Zerbst, Knabe, 5'/2 Jahr alt, aus Wenigenlupnitz. Am 10. Ja- nuar Abends S Uhr Schmerzen im rechten Oberschenkel, Frösteln, Erbrechen. Um 2 Uhr früh starkes Fieber, Zucken mit den Armen und Beinen, Zähneknirschen. Um 11 Uhr früh am 11. Jan. helles grelles Schreien, Verdrehen der Augen, völliges Rasen, dann plötzliches Strecken des Körpers und Tod. Petechien über den gan- zen Körper. 4. N. N., Mädchen, 3 Jahr, aus Grosslupnitz. Am 25. Januar früh ein Schüttelfrost, rasch darauf Hitze und Kopfschmerz. Nachmittags leichte Zuckungen, gegen Abend etwas mehr Ruhe. Am 26. Jan. früh erneuerter Kopf- schmerz, Fieber und fast ununterbrochen Convulsionen bis zum Abend. Dann un- unterbrochen Coma mit Nackensteifheit , hohlem Rücken , steifen Beinen bis zum 31. Jan., von da an neue Convulsionen, Fieberexacerbationen, Petechien und Tod am 12. Februar 1865. 5. Hübschmann, Carl, 13 Jahr, aus Grosslupnitz. War früher gesund. Am 27. Febr. 1865 Frieren, Kopfschmerz, Schmerz in der rechten Seite, starkes Brechen. Am 8. Febr. starke klonische Krämpfe, Gesichtsverzerrung, Auf- springen, Schaum vor dem Mund. Die Nacht war ruhiger , leichte Delirien im Schlaf. 10. Februar Herpes labialis. 13. Februar leichter Trismus , Nacken- und Rückensteifigkeit, starke Nackenschmerzen. Herpes an beiden Ohren , Incon- tinentia urinae. 20. Februar wiederholtes Brechen mit etwas Blut , Röcheln und Aechzen, Coma. Schmerz besonders in den Beinen. Schwerhörig. 8. März. Es sind immer wieder Abends leichtere und stärkere Paroxismen aufgetreten , die Macken- und Rückensteifigkeit besteht noch mit starken , Abends sich steigernden Schmerzen im Nacken, Rücken, Armen und Beinen. Gebor wieder frei, Pupillen reagiren normal, Sensorium frei, hat Appetit und isst zuweilen. 15. März. Eine 334 Ludw. Pfeiffer, vorübergehende Besserung von zwei Tagen dagewesen, dann wieder Fieberexacer- bationen mit Schmerz besonders in den Beinen, im Scrotum. Puls in den Pausen kaum verändert. 18. März. Die Schmerzanfälle mit vermehrter Steifigkeit der ganzen Wirbelsäule, stärker geröthetem , schwitzendem Gesicht, kommen immer noch fast allabendlich und halten bis gegen Morgen an , dann Schlaf. Das Gesicht faltenlos, Mund beim Sprechen nur wenig verändert, Augen schwer beweglich. Patient giebt richtige Antworten. Die Schmerzen haben ihren früheren Sitz wieder aufgesucht, sind besonders im Nacken vorhanden. 23. März. St. id. 29. April. In der letzten Zeit sollen die Exacerbationen immer seltener und weniger schmerzhaft geworden sein. Kopfschmerz noch vorhanden, etwas Schwindel und Schwerbesinn- lichkeit. Appetit und Stuhlgang fast normal. 1 4. Mai. Geht an Krücken in der Sonne spazieren. Untere Extremitäten schwer beweglich, sonst ohne Beschwerden. 6. Frank, Frau, 40 Jahr, aus Grosslupnitz. Klagte schon meh- rere Tage über Frost und Schwere in den Beinen, bis am 5. März ein heftiger Schüt- telfrost eintrat, der sich am 6. März Abends wiederholte mit Gefühl von Angst, Be- klemmung und mit starkem Kopfschmerz. In der Nacht stärkeres Fieber, leichte Delirien. Am 7. März Morgens mehrmaliges Erbrechen von gelblichem Schleim. Die Hauttemperatur erhöht, Puls HO, voll und gespannt, stierer glanzloser Blick mit erweiterter Pupille, leichte Zuckungen der Finger, schwer besinnlich. Zunge rein, Stuhlverhaltung. Im Laufe des Tages entschiedene Besserung. 8. März. In der Nacht wiederholtes Erbrechen, stärkerer Kopfschmerz und Fieberexacerba- tion, das bis zum 9. März noch 5 — 6mal wiederkehrte. Gegen Abend des 9. März Coma , Bronchialrasseln , fibrilläre Zuckungen , Flockenlesen , verengerte Pupille, Nackensteifheit und Tod in langer Agonie. II. Subacute Formen. Der 5. und 6. Fall bilden Uebergangsformen und lässt sich eine genaue Grenze wohl überhaupt nicht einhalten. 7. Stöber, Carl, 18 Jahr, aus Hötzelsroda. Erkrankte am i, März ganz plötzlich mit einem heftigen Schüttelfrost, brach die Nacht über einige Mal, Kopfschmerz , Delirien und starke Unruhe. Am 2. März Morgens starkes Fieber, Puls 130, Urin dunkel und ohne Eiweiss. Pupillen eng, reagiren wenig. Gesicht stark geröthet, verzerrt. Benommenes Sensorium. Leichte Zuckungen der Arme, Am 3. März Nachts starke Unruhe, ist aus dem Bett aufgesprungen , förmliches Rasen mit lautem Brüllen. Gegen Morgen tiefer Sopor. Am 4. März Nackensteif- heit und Herpes labialis. Bis zum 8. März ist kein so starker Anfall wieder dage- wesen, als am 3. Patient hat viel geschlafen, Schmerzen im rechten Bein, Kopf- schmerz geringer. Puls 120. Herpes im Mund. Starke Schwellung des rechten Knies durch wässrigenErguss. Am 10. März ist Patient ausser Bett, wenig dumpfer Kopfschmerz. Bedeutender Erguss im rechten Kniegelenk mit erhöhter Temperatur desselben. Am 5. Mai 1865 war bei entsprechender Behandlung der Hydarthros fast verschwunden. Patient klagt nur noch über Mattigkeit und über Schmerzen im Kreuz und rechten Hüftgelenk. Verrichtet leichtere Knechtsarbeiten. 8. Rupert, Mädchen , 2 Jahr. Am 21. Februar auffallende Unruhe des Kindes, öfteres Aufschreien im Schlaf mit Zusammenfahren, leichten Convulsionen, Lichtscheu und Brechen. Am 23. März comatöser Zustand mit leichten Zuckungen Die Epidemie von Meningitis cerebrospinalis ,im Eisenacher Kreis. 335 im Schlaf und Aufseufzen , fortwährendes Erbrechen , Nackensteifigkeit, Roseola- flecken. 1. März. Immer noch unstillbares Erbrechen und Stuhlverhaltung, Kopf- schmerz und Krampferscheinungen haben nachgelassen. 8. März. Sensorium freier, Brechen seltener und hat sich das Kind wieder etwas erholt. 15. März. Wieder- holtes Erbrechen mit neuen Fieber- und Schmerzexacerbationen, starke Prostration der Kräfte. 20. April. Ist nach wiederholten Anfällen an Erschöpfung zu Grunde gegangen. 9. Reichenbach, Malvine, 21 Jahr, aus Wenigenlupnitz. Ein dem vorigen ganz analoger Fall, nur von viel längerer Dauer. Am 14. Januar 1865 er- krankt, waren nach wiederholten Rückfällen am 15. März endlich die Exacerbationer* seltener und milder; geworden. Da stellte sich wiederholtes Erbrechen und neue jeden Nachmittag sich zur selben Zeit wiederholende Exacerbationen des Kopf- schmerzes ein , die mit wenigen Veränderungen bis zum 5. Mai noch bestehen. Anfangs Juni wird geringe Besserung berichtet. 10. Thal , Heinrich , 6 Jahr. Zwillingsbruder von Nr. 1 . Soll früher an Epilepsie gelitten haben und schwerhörig gewesen sein. Am 13. Februar Abends plötzlich ein Schüttelfrost, nach einer Stunde geröthetes Gesicht, heisse Haut, glän- zendes Auge, starker Kopfschmerz und Erbrechen. Am andern Morgen unerwar- tet clonische Krämpfe bei Bewusstlosigkeit, Delirien, Flockenlesen, beschleunigter Respiration. Am 15. Februar Coma, aus dem Patient kaum zu wecken, öfteres Aufschreien, Lichtscheu und Nackensteifheit. Am 17. Febr. Petechien über den ganzen Körper, comatöser Zustand wie vorher. Eine Anschwellung an der Pars oeeipit. sinist. , aus der sich guter Eiter entleert. Nasenbluten, Patient bohrt mit den Fingern immer in der Nase herum. Bis zum 21. Febr. haben die Kopfschmerzen stetig abgenommen, der Abscess ist geheilt. Coma nicht mehr so tief, nur noch selten Zähneknirschen beobachtet. Der Urin, der früher unwillkürlich entleert wurde, geht nicht mehr ins Bett. Scheint taub zusein. Am 8. Febr. stärkere Schmerzen im Rücken, der steif und ausgebogen ist, bei stark flectirten Beinen. Am 15. März sind Hals und Rücken wieder frei, Patient ist fieberfrei und fast ganz, wohl. Fängt an zu sprechen, ist aber bis jetzt, 5. Mai, noch absolut taub. (Bei einem andern Kind von 6 Jahren, wo Taubheit zurückblieb, wird auch früher Schwerhörigkeit angesehen.) III. Abortivformen. II. Schmidt, Mädchen, 2% Jahr, aus Grosslupnitz. Dauer der Krankheit vom 27. Febr. bis 3. März 1865. Am 27. vages Unwohlsein, gegen Abend starkes Fieber mit heissem Kopf, Kopfschmerz, Unruhe, Schreien des Kindes, Bre- chen. Am 28. war das Kind ganz munter, spielte wie gewöhnlich. Gegen Abend eine erneuerte Congestionirung des Kopfes , die sich noch einmal schwächer am 3. März wiederholt hat. — Am 15. März bekam das Kind, welches sich bis dahin wohl befunden hatte,, eine Diphteritis, welche beim Erlöschen der Meningitisepidemie im Dorfe sioh ein- stellte. Die Diphteritis befiel Mandeln und Vaginalschleimhaut, ging mit remitti- rendem Kopfschmerz und Fieber wie währnd der ersten Erkrankung einher , be- gleitet von starken Hals- und Rückenschmerzen und Schmerzen in den Extremrtä- ten. Rasch genesen. 336 Ludw. Pfeiffer, 12. Schnitzer, Dorothea, 14 Jahr. Erkrankte am 1 7. Febr. mit plötzlichem starkem Fieberfrost. Rasch darauf Hitze, starker Kopfsehmerz, Brechen. Gegen Nachmittag traten Nackenschmerzen ein mit leichten Convulsionen , Verziehen des Gesichtes, Lichtscheu, Aufgeregtsein, raschem Puls, erhöhter Körpertemperatur. Am 19. Februar war Patient ruhiger geworden, wacht nur noch wegen starker Kopfschmerzen öfter aus dem Schlafe auf. Am 19. Febr. ausser Bett und ohne Be- schwerden ausser Mattigkeit. IV. Anomale Formen. 13. Reichenbach, Carl, 1 8 Jahr, aus Wenigenlurmitz. Bruder der in 9 Gedachten. Erkrankte Anfang März an einem heftigen Stirn- und Augen- schmerz, der sich rasch auf beide Stirnhöhlen localisirte und durch Brechen ein- geleitet wurde. Das Gesicht verzerrt, die Augenlider fest geschlossen, die Augen äusserst empfindlich gegen Licht, Pupille abwechselnd verengt und erweitert, sonst das Auge ohne Veränderung. Diese Schmerzen dauerten nur kurze Zeit ( % — % Stunde), dann war Patient fast ohne Beschwerden, kehrten jedoch unter denselben Erscheinungen wie bei Meningitis epidemica wieder, mit Brechen, geröthetem heissem Kopf, Fiebererscheinungen. Im Verlaufe verhielten sie sich ebenso wie die Paroxismen bei Meningitis epidemica, waren aber von Convulsionen nicht be- gleitet. In den Pausen befindet sich Patient sonst wohl, ist jedoch gegen Licht sehr empfindlich und sehr abgemattet. Vitale Functionen sonst normal. Gegen- wärtig soll der Zustand in beträchtlich milderem Grade noch bestehen (5. Mai). li. Joh. Bittorf III., 27 Jahr alt, aus Klings. (Dr. Köhler.) Es wa- ren in Klings gleichzeitig 11 Fälle von Typhoid in Behandlung. Patient erkrankte unter typhösen Erscheinungen ohne Petechien. Am 17. Tage stellten sich Schmer- zen im Kopf und Nacken ein mit Steifheit des Nackens und Rückens. Am 18. Tage heftige plötzliche Brustbeklemmung, der ein heftiger Hustenanfall und Entleerung von 4 Pfd. hellrothen, sehr faserstoffreichen Blutes in einzelnen mit Luft und Schleim gemischten Ballen folgte, worauf der Tod durch Verblutung eintrat. Statistik: Von den 1 80 in Beobachtung Gewesenen waren männlichen Geschlechts: 99, davon starben 31. weiblichen Geschlechts: 81, - - 22. Es waren unter 1 Jahr alt 10, davon starben 6. - - im Alter von 1 — 1 0 Jahren 117, - - 36. ----- 10—20 - 33, - - 5. _____ 20—30 - 11, - 3. - über 30 Jahre alt 9, 3. 180. 53. Die Epidemie von Meningitis eerebro-spiiulis im Eisenacher Kreis. 337 Es starben innerhalb von 24 Stunden 18. - - - - 2 — 4 Tagen 13. - - - - 4 — 8 - 9. - - - - 8 — 14 - 7. - - - nach 1 4 Tagen 6. 5:}. Mortalität circa 33 Procent, die nur im Säuglingsalter erheblich 'rösser ist. Zusatz über die Verbreitung der Meningitis cerebro-spinalis in Thüringen. Von C. Gerhardt. JJa in Leipzig und Halle je eine kleine , wie vorstehende Arbeit des Hrn. Dr. Pfeiffer zeigt, im Eisenacher Kreise eine ausgedehnte Epidemie der genannten Krankheiten vorkam, lag es nahe für den zwischen- liegenden Landstrich Nachrichten über das Auftreten dieses Leidens zu sammeln. Vielfache Nachrichten, die ich in diesem Betreffe von den benachbarten Herren Collegen erhielt, haben ergeben, dass ein grosser Theü dieses Landstriches völlig verschont blieb, ein anderer nur ganz sporadisch betroffen wurde.? So haben die Städte Gotha, Roda, Rudolstadt, Eisenberg, Blanken- hain , Gera , Waltershausen keinen Fall aufzuweisen gehabt , auch die nähere Umgebung scheint frei geblieben zu sein. Einzelne Fälle dagegen, die eben nur im Hinblick auf das gleich- zeitige Herrschen jener benachbarten grösseren Epidemieen als Meningi- tis cerebro-spinalis epidemica bezeichnet werden können , werden mitgetheilt aus : Weida , Ohrdruff, der Gegend von Pösneck, Kahla, Weimar und Jena. Von diesen mitgetheilten Fällen will ich die nachstehenden hervor- heben. Herr Dr. Walbaum in Weida berichtet über einen Mühl- knappen , der am 1 1 . März den Tag durch noch arbeitete und gegen Abend an Kopfschmerz, heftigem Durst bei geringer Erhöhung der Tem- peratur und des Pulses erkrankte. Um Mitternacht trat starke Unruhe ein, gegen Morgen völlige Bewusstlosigkeit, Verlangsamung des Pulses, Pupillenstarre, Trismus, Gonlractur der Extremitäten ; bereits um Mit- tag, also etwa nach 18 Stunden, der Tod. Die Section ergab unter der Arachnoidea und zwar nur an der unteren Fläche der Brücke , der Kleinhirnschenkel, der Pyramiden und Oliven und nur eines kleinen Theiles der Grosshirnschenkel graugelb rahmigen Eiters, Hyperaemie Zusatz über die Verbreitung der Meningitis cerebrospinalis in Thüringen. 339 in der Umgebung. Von Tuberkeln oder Knochenerkrankungen nirgends eine Spur. — Gleichzeitig kamen inWeida viele und etwas eigenthüm- lich verlaufende Typhuserkrankungen vor. Herr Dr. Thomas von Ohrdruff sah ein Mädchen von drei Jahren Ende April nach 4% Tagen der Meningitis erliegen. Die Section ergab reichliches, eitrig fibrinöses Exsudat auf der convexen Hirnoberfläche; ferner starb daselbst ein dreijähriges Madchen Anfang Mai in Zeit von 24 Stunden. Auch hier zeigte die Section Exsudat, jedoch nur in spär- licher Menge, an der convexen Hirnoberfläche. Gleichfalls zu Ende April gelangten ein Knabe von 4 Jahren und ein Mädchen von 7 Jahren nach mehrwöchentlicher Erkrankung , welche das Bild der Meningitis basi- laris darbot, zur Heilung. Kurz nachher erkrankte die ältere 16jährige Schwester dieser beiden letztgenannten Kranken und starb nach 8 Tagen. Die Section ergab wiederum eitrig fibrinösesExsudat ohne Spur von Tuberkeln an der convexen Hirnoberfläche, jedoch nebenbei Mor- bus Brightii. Aus Weimar berichtet Herr Dr. v. Conta über die in 1 2 Tagen günstig verlaufene Erkrankung eines 13jährigen Knaben, welche jedoch Schwerbeweglichkeit des einen Armes zurückliess. In Zeutsch beiKahla kam ein tödtlicherFall vor (Dr. Schubert). In Langendembach und in Oelsnitz beobachtete Herr Dr. Weisser zwei Heilungsfälle, von welchen der erstere von mehreren Aerzlen mitbeobachtet, und in glei- cher Weise gedeutet wurde. Neuerdings beobachtete Hr. Dr. Weisser zwei weitere Fälle bei einem 16y2jährigen Manne in Pösnek und einem 20jährigen in Detten bei Sonneberg, welche beide bei einer sehr sorg- fältigen symptomatischen Behandlung (Morphium, Atropin, Chloroform, Digitalis, Eis, später Kali iodat) einen günstigen Ausgang machten. Hier in Jena kamen drei Heilungsfälle vor; ein Swöchentliches Kind und eine erwachsene Frau in der Praxis der Herren Gollegen Schillbach und Siebert, und ein 13 jähriger Knabe ausNaura in der medicinischen Klinik. Letzterer bot sehr ausgesprochenen Opistothonus und häufige Zitterkrämpfe am Nacken und den unteren Extremitäten dar. Der Puls war nie sehr frequent, die Temperatur jedoch erreichte und über- schritt mehrmals 32 ° und machte nach einer einmaligen starken Dose Kalomel am 8. Tage eine Remission von mehr als 1 °, sonst gewöhnlich Morgenremissionen von % — 3/4°, ging endlich am 14. Tage durch Sinken um 2 ° in 12 Stunden in rapide und definitive Defervescenz ein. Gleichzeitig scheinen hier mehrere Abortivfälle der gleichen Krankheit vorgekommen zu sein. Die Eingangs erwähnten grösseren Epidemieen waren demnach durch eine sehr lichte Kette vereinzelter Fälle ver- bunden. Nackweisuug einer Vergiftung durch Conium. Von E. Reichardt. JDei dem nicht häufigen Vorkommen von derartigen Vergiftungen, we- nigstens nicht für gerichtliche oder chemische Untersuchungen , wird vielleicht die Veröffentlichung eines derartigen Falles bei Thieren nicht ohne Interesse sein, noch dazu, da hierbei sowohl die Methode von Stas, wie die neuere von v. Uslar Anwendung fanden. In einem grösseren Gute waren fünf junge aber kräftige Schweine so rasch gestorben, dass man eine Vergiftung argwöhnte und von dem umgebenden Personal, dem allerdings leider eine genauere medicinische Kennlniss abging, keine anderweitige Ursache gedacht werden konnte. Aus diesem Grunde wurden zwei noch vollständig gefüllte Magen , ein Herz und eine Lunge möglichst schnell zur chemischen Untersuchung eingesendet. Die nunmehr zur Besichtigung dieser Theile herbeigezogene Me- dieinalperson gab an , dass durchaus keine besonders auffälligen Er- scheinungen daran ersichtlich seien , welche etwa auf ein bestimmtes acutes Mineralgift Schlussfolgerungen gestatteten, die abnormen Ge- staltungen, Entzündungen u. s. w., könnten ebensogut von plötzlich verlaufenden Krankheiten, wie namentlich auch von Pflanzengiften herrühren ; jedoch sei das Material für eine genauere Erörterung der Todesursache auf diesem Wege zu karg. Demnach blieb die chemische Untersuchung allein übrig. Die Prüfungen auf Metallgifle, auf Phosphor u. s. w. ergaben die Bestätigung des Ausspruches des Medicinalbeamten, es war nichts der- artiges vorhanden. Nachweisuiig einer Vergiftung durch Couium. 341 Demfolgend wurde eine grössere Menge des Mageninhaltes nebst fleischigen Theilen noch dein Verfahren von Stas mit Weinsäure und Alkohol digerirt, das Filtrat verdunstet und wie bekannt weiter be- handelt. Das Lästige bei diesem Verfahren ist die angeordnete Ver- dunstung der Flüssigkeiten über Schwefelsäure oder im luftverdünnten Räume, wodurch eine lange Zeit in Anspruch genommen wird, ohne, wie es mir scheint, eine grössere Genauigkeit zu erzielen. Als Resultat wurde die Abwesenheit aller anderen organischen Rasen erwiesen , mit Ausnahme von Goniin, welches deutlich in seinen Reactionen hervor- trat. Um nun aber mit grösserer Sicherheit den Nachweis zu bieten und mehr reines Material zu erhalten, wurde sofort die ganze Masse der Organe wie des Inhaltes nachUsLAR's Verfahren behandelt, welches ich für andere Fälle mit wenigen Abänderungen sofort empfehlen möchte und in sehr kurzer Zeit die genauesten Resultate verspricht. Nach Uslar und J. Erdmaxn1) wurden die etwas zerschnittenen Organe wie Mageninhalt mit Wasser zu einem dünnen Rrei angerührt, mit Chlorwasserstoffsäure schwach aber deutlich angesäuert und einige Stunden im Wasserbade in einer offenen Schale erwärmt, hierauf die Flüssigkeit durch ein leinenes Tuch geschieden, der Rückstand mehr- mals mit salzsaurem Wasser nachgewaschen und das Durchgelaufene gleichfalls im Wasserbade verdunstet. Uslar und Erdmann lassen den salzsauren Auszug unmittelbar mit wenig überschüssigem Ammoniak versetzen und so die Alkaloide in Freiheit bringen ; da diese Untersuchung direct auf flüchtige Alkaloide ausging, so wurde die Neutralisation vor dem Eindunsten unterlassen, indem die entweichenden Dämpfe stets diese, wenn auch schwerer flüch- tigen Stoffe theilweise mit entfernen. Palm2) empfiehlt dieselbe Abänderung bei flüchtigen Alkaloiden und wendet, um eine nachtheilige Einwirkung der Salzsäure bei der Concentration zu umgehen, Phosphorsäure an , welche geringere Wir- kung auf diese flüchtigen Alkaloide ausüben soll. Diesen Nachtheil der Salzsäure und den dadurch veranlassten Uebergang zu Phosphorsäure kann ich nicht bestätigen; bei sehr zahlreichen Prüfungen dieser Säuren in ihrer Einwirkung auf Alkaloide, und namentlich flüchtige, habe ich eine so zerstörende Wirkung der Salzsäure auf sie nie bemerken können. Rei dieser Scheidung wurde demgemäss die von Uslar und Erd- 1) Aunal. der Chem. und Pharm. Bd. CXX. S. 121. 2) Pharmac. Zeitschrift für Rassland , 1862. S. 4. Chemisches Centralhlatt. 1862. S. 470. 342 E> Reichardt, mann empfohlene Salzsäure beibehalten und direct der saure Auszug bis fast zur Trockne verdunstet, darauf mit sehr concentrirter Kalilö- sung deutlich alkalisirt und weiter behandelt. Uslar und Palm gebrauchen hierbei Ammoniak , die Abänderung mit Kali geschah , um eine grössere Menge von Ammoniak zu ver- meiden und die stärkere Wirkung des*Kali zu benutzen. Wendet man eine sehr concentrirte Lösung von Kali in Wasser an , so wird gleich- zeitig dadurch der Abdampfrückstand nur wenig vermehrt und kann der nun folgende Zusatz von Amylalkohol sofort geschehen. Uslar und Erdmann lassen die ammoniakalische Flüssigkeit gänzlich eintrocknen; bei flüchtigen Alkaloiden dürfte dies nicht rathsam erscheinen oder ohne erheblichen Verlust ausführbar sein , wesshalb hier unmittelbar die dicke breiige Masse, durch Zumischen der Kalilauge erhalten, an- gewendet wurde. Man schüttelt hierauf mit der 3 — lOfachen Menge heissen Amyl- alkohols, welcher sich fast augenblicklich wieder scheidet und abgeho- ben werden kann, wiederholt diese Operation noch ein oder zwei Mal und hat jetzt die Alkaloide in dem Amylalkohol gelöst. Hierzu eignet sich allerdings der Trockenrückstand am besten, da sich mit diesem das Fuselöl gar nicht verbindet, bei breiförmigen Mas- sen dagegen leicht ein stark fuselhaltiges Gemisch entsteht, welches sich gar nicht trennen will. Je breiförmiger der Rückstand, umso mehrmuss man heissen Amylalkohol anwenden, dann geht aber die Scheidung eben so rasch und vollständig. Man schüttelt in solchem Falle die Masse in meh- reren Theilen mit Fuselöl und benutzt das letztere immer wieder von Neuem. Das Alkaloid löst sich im Fuselöl vollständig auf, kann jedoch bei flüchtigen Alkaloiden auch durch Destillation gewonnen werden. Einen grossen Theil des mit Amylalkohol versetzten Breies , im Gemisch und mit dem aufschwimmenden Fuselöl unterwarf ich der Destillation. Sehr leicht gehen Wasser und Fuselöl über, das aufschwimmende Fuselöl enthält alles flüchtige Alkaloid und so kann bei dieser Behandlung gar kein Zweifel über das flüchtige Alkaloid mehr obwalten. Nach Uslar und Erdmann wird hierauf der die Alkaloide enthal- tende Amylalkohol mit wenig salzsaurem Wasser geschüttelt, welches sich sehr gut wieder scheidet und das Alkaloid dem Fuselöl vollstän- dig entzieht. Sollte diese saure Lösung dunkel gefärbt sein, so schüt- telt man sie noch ein oder mehrere Male mit neuem Amylalkohol , um Fette und sonstige Verunreinigungen vollständig zu entfernen. Palm wendet auch hierbei Phosphorsäure an. Nachweisung einer Vergiftung durch Conium. 343 An die Säure tritt momentan das Alkaloid vollständig und man kann entweder mit dieser sauren Flüssigkeit, nachdem sie durch Saugen oder sonst vom aufschwimmenden Fuselöl getrennt und durch Erwär- men von dem darin gelösten befreit ist, die Reactionen der Alkaloide unmittelbar ausführen oder das Alkaloid noch weiter isoliren. Zu letzterem Zwecke fügt man wieder Kali bis zum starken Vor- walten zu und schüttelt entweder wiederum mit reinem Fuselöl oder auch mit Aether, um darin das wieder freigewordene Alkaloid zu lösen, nach dem Verdunsten des Lösungsmittels hinterbleibt die organische Base regelmässig ganz rein. Wegen der leichteren Flüchtigkeit empfiehlt sich bei den darin leicht löslichen Alkaloiden besonders der Aether. Das Coniin scheidet sich bei langsamen Verdunsten des Aethers in öligen Tropfen aus , selbst in sehr kleiner Menge noch bemerkbar, be- sonders wenn man einige Tropfen Wasser vorher zugefügt hat. Ist Ammoniak vorhanden, so verdunstet dasselbe bei sehr schwachem Er- wärmen oder unter der Luftpumpe sehr leicht und das flüchtige Alkaloid kann dann durch die stark -alkalische Reaclion , durch die Nebel mit Salzsäure sehr genau constatirt werden, selbst bei sehr kleinen Spuren. In ganz kurzer Zeit, namentlich bei Anwendung von Wärme, geht übri- gens das freie Coniin (auch Nicotin) in einen braunen harzähnlichen Körper über, welcher dunkel gefärbtauf dem Uhrschälchen oder der Porzellanschale zu erkennen ist und alkalische Reaction, wie Geruch schwach oder gar nicht mehr, letzteren jedoch wieder bei Erwärmen, erkennen lässt. Die entscheidendsten Reactionen der beiden hier zunächst in Be- tracht zu ziehenden Alkaloide — Coniin und Nicotin — liegen einmal in der Destillirbarkeit derselben, wesshalb ich schon oben angab, dass man einen Theil des mit Kali und Amylalkohol vermischten Rück- standes destilliren sollte , wobei mit dem Fuselöl und darin gelöst das Alkaloid übergeht, und ferner in dem intensiven , charakteristischen Geruch. Nicotin und Coniin gleichen sich übrigens , besonders bei kleinen Mengen, sehr im Geruch, nur besitzt das Nicotin stets den Nebengeruch nach Tabakstheer — Pfeifensmirgel — , Coniin denjenigen nach frischem Extract und nach Mäusekoth, zugleich stark betäubend. Es wird jedoch bei Vergleich mit den Alkaloiden durchaus unschwer sein, beide Stoffe völlig genau zu unterscheiden und haben es bei dem beschriebenen Falle ungetäuscht selbst Laien wiederholt bestimmt fest- gestellt. Die weiteren Reactionen auf nassem Wege sind für Nicotin und Coniin ziemlich gleich , so dass eine bestimmte Unterscheidung darauf Band I. 3. 23 344 E. Reichardt, Nacliweisung einer Vergiftung durch Coniuni. nicht basirt werden kann, sie sind jedoch jedenfalls beweisend für die Anwesenheit dieser Alkaloide überhaupt. Es mögen folgende hervor- gehoben werden : Gerbsäure giebt noch bei sehr starker Verdünnung einen gelb- lichweissen , voluminösen Niederschlag. Iod wasser färbt erst die Flüssigkeit gelb, trübt bei mehr Zusatz und giebt endlich nach längerem Stehen einen braunen Niederschlag. Platinchlorid giebt einen gelben Niederschlag, ebenso Gold- chlorid. Phosphormolybdänsäure giebt bei starker Verdünnung we- nigstens eine gelbliche Trübung, in Ammoniak mit hellblauer Farbe löslich. Als giltigsten Beweis kann man wiederholt das erhaltene Alkaloid mit Säure binden , und durch neuen Zusatz von Kali oder Natron bis zum Vorwalten den charakteristischen Geruch hervorrufen. Unter den jetzt üblichen Methoden der Nach Weisung der Alkaloide ergiebt sicher die Anwendung des Amylalkohols die raschesten und ge- nauesten Resultate. lieber Zoster facialis. Von C. Gerhardt. JJie alte Krankheitsgruppe Herpes, welche ausser dem Zoster den Herpes febrilis, phlyetaenodes, progenitalis, circinatus, iris und tonsurans umfasst, ist in voller Auflösung begriffen. Die Hautausschlage, welche auf gemeinsamer gerötheter geschwollener Basis Bläschengruppen bilden, stellen genetisch betrachtet so himmelweit verschiedene Dinge vor, dass man sie unmöglich als Arten einer Gattung betrachten kann. Der Herpes iris fällt grösstentheils der Syphilis anheim , tonsurans circinatus und eine Art der Acne mentagra stellen eine und dieselbe Krankheit dar, eine wohlcharakterisirte Dermatomycose. Sie würden nach Bären- sprung den Rest der Gattung Herpes bilden. Den Herpes Zoster hat Bärensprung mit weit grösserer Präcision als einer seiner Vorgänger auf eine Krankheit jener Nervenfasern zurückgeführt , die der Ernährung der Haut vorstehen und von den Ganglien aus den hinteren Wurzeln sich beimengen. Er verlegte den krankheitserzeugenclen Reiz an die Stelle dieser Ganglien, und erklärte die begleitenden Schmerzen , wel- che ausserdem als Neuralgie vorausgehen und nachfolgen können , als gleichzeitige Reizung der sensiblen Wurzeln. Für den Zoster des Ge- sichtes trat das Ganglion Gasseri an die Stelle der Intervertebral- ganglien. Es wurde ausserdem wahrscheinlich, dass auch Reizung einzelner Quintus-Zweige beschränktere Zosterformen erzeugen. Ge- legentlich wurde erwähnt , dass vielleicht mancher Herpes facialis als ein solcher Zoster zu deuten sein möchte. Dieser Gedanke hat viel Ansprechendes. Eine einfache Analyse der Bedingungen , unter wel- chen der Herpes facialis vorkommt , wird uns zu einer ähnlichen An- 23* 346 C. Gerhardt, schauung , aber nicht für einzelne , sondern für alle Falle von Herpes facialis führen. Die Thatsache muss Jedem auffallen , dass diese Hydroa febrilis, wie man sie auch nannte, unter den stark fieberhaften Krankheiten mit hoher Temperatur Einzelnen mit ganz bedeutender Häufigkeit etwa in einem Dritttheil der Fälle, Andern sehr selten zukommt. Zu den Ersteren gehören Lungenentzündungen, Wechselfieber, Meningitis ce- rebro-spinalis epidemica, Rachenentzündungen und Ephemera ; zu der zweiten Kategorie unsere beiden Typhen, Masern und Scharlach, Pleu- ritis u. a. Niemand wird glauben , dass die ersteren Krankheiten an sich , etwa in der Art wie Variola Hautpusteln , dieses Symptom er- zeugen. Die Versuche , einen näheren Zusammenhang zwischen dem Sitze der Lungenentzündung und dem Sitze dieses sog. Herpes im Ge- sichte zu finden, geben alle ein negatives Resultat. Die Ephemera ist durch gar keine bestimmte Krankheit charakterisirt, ausser durch den Fieberverlauf, sie kann gewiss durch die allerverschiedensten Ursachen erzeugt sein, und bringt doch, wie Delioux mit Recht hervorhob, sehr häufig diesen Ausschlag. Er ist, sein einer Name sagt dies mit Recht, ein Fiebersymptom, aber er ist, wie wir jetzt schon hervorheben wollen, als solches nicht an die absolute Höhe des Fiebers gebunden , die er- reicht wird, — die Typhen müsstenihn sonst eben so häufig bringen, — sondern an die Art des fieberhaften Krankheitsbeginnes, an den Anfang des Fieberverlaufes. Die Gruppe der Krankheiten, welche häufig diese Ausschlagsform bringen , zeichnen sich aus durch die Häufigkeit des initialen Frostes, oder doch durch rasches, in wenigen Stunden sehr beträchtliches Ansteigen der Körperwärme, so dass 32° ganz oder nahezu am ersten Tage erreicht werden. Bietet Jemand gewisse andere der Entstehung der Hydroa febrilis günstige Bedingungen, über die wir uns auch noch eine annähernde Vorstellung verschaffen werden , so entsteht einen bis 5 Tage im Mittel und weitaus am häufigsten 3 Tage nach dem initialen Froste der Ausschlag. Geht dem gewöhnlichen Zoster eine Neuralgie voraus, so dauert sie gleichfalls im Mittel 3 Tage. Es verfliesst also für beide Krankheiten von dem muthmasslichen Moment des krankheitserzeugenden Reizes bis zur Entstellung der vesiculösen Dermatitis die gleiche Zeit. Kommt im Typhus ein Herpes vor, und es ist dies gerade nicht unerhört selten, so wird , wie ich glaube, ein anomaler Gang der Körpertemperatur, ein Ansteigen von normal auf mindestens 31 '/o0 binnen wenigen Stunden vorausgegangen sein. Bei einem Typhusrecidiv mit Herpes konnte ich dies genau beobachten. Was kann es nun sein, wodurch ein solcher Fieberfrost in dem beschränkten Bereiche zwischen Kinn , Ohr und Augenbrauen Ueber Zoster facialis. 347 einen Hautausschlag erzeugt? Die Wirkung des Fiebers auf alle Nerven, auf alle Gefässe der verschiedenen Regionen des Körpers ist, soweit wir wissen, gleich. Es sind keine speeifischen Verschiedenheiten ihres Verhaltens nachzuweisen. Waruni entsteht dieser Herpes bei Niemandem am Stamme oder an den Extremitäten ? Bleiben wir dabei, dass Nerven- reizung auch hier, wie beim Zoster die Ursache des Hautausschlages sei , dann müssen wir untersuchen , auf welche Weise gerade diese kleinen Trigeminusäste , die diese Hautprovinzen versorgen , eine Reizung bei rascher Fieberentstehung erfahren können. Man könnte in dieser Beziehung zuerst an die kleinen Ganglien- massen denken, die gerade diesen Nervenästen eingelagert sind, an das Ganglion oticum supra- und infra-maxillare. Allein diese Ganglien scheinen mehr zu den benachbarten Sinnesorganen in Beziehung zu stehen, für die Bahn des Infraorbitalnerven, in dessen Bereich der Zoster facialis auch vorkommt, würde ein solches Ganglion nicht zu nennen sein, und es liesse sich nicht einsehen, warum gerade diese Ganglien zum Unterschiede von so viel andrer Gangliensubstanz im Körper durch einen bestimmten Fieberverlauf eine Reizung erfahren sollten. Wahrscheinlicher scheint es, dass der Verlauf dieser Nerven- äste in engen Knochencanälen , in welchen sie je mit einer kleinen Ar- terie zusammenliegen, diejenige besondere Bedingung darstellt, ver- möge deren sie allein unter allen Nerven des Körpers durch einen brüsken Fieberanfall in eigentümliche Reizung versetzt werden , als deren Product die vesiculöse Dermatitis zu betrachten ist. Diese klei- nen Arterien erfahren wie die übrigen im Beginne des Fieberanfalles eine beträchtliche Verengerung, der alsbald im Hitzestadium eine Er- weiterung folgt. Bei dieser beträchtlichen Aenderung ihres Raumver- hältnisses können sie je nach der Weite des betreffenden Knochencanales und der sonstigen Ausfüllungsmasse desselben die sie begleitenden Trigeminusäste und sympathischen Fasern drücken oder sonst me- chanisch reizen. Nur rasches Ansteigen des Fiebers hat diese Reizung zur Folge, aber nicht bei allen Leuten, und nicht in jedem dieser Kno- chencanäle; es kommen hier individuelle Verhältnisse der Bauart der- selben mit ins Spiel. Drei Tage, nachdem die Reizung eingetreten ist, oder etwas früher oder später erscheint der Zoster. Rasch auf einander folgende Fieberanfälle bewirken eine Accommodation der räumlichen Ver- hältnisse. Nur der erste oder einer der ersten Intermittensanfälle be- wirkt demnach Zoster. Auch wo viele Pneumonieen rasch auf einander folgen, wird der Hautausschlag selten. So hatte einer meiner Kranken in 3 Jahren 8 Mal Pneumonie , dabei jedoch nur einmal Zoster facialis. Betrachten wir uns dieses Verhalten für einzelne Krankheiten genau. 34S C. Gerhardt, Für die Pneumonie liegen die Angaben von Dräsche , Geissler und Smoler vor, wonach dieselben in -50 %> 43% und 32% der Fälle vor- kommen. Der Ausbruch erfolgt in % der Fälle zwischen dem 2. und 4. Tag, in der Hälfte derselben am 3. Tag. Also genau zu der Zeit, in der es die Analogie mit dem gewöhnlichen Zoster verlangt. Durch Geissler ist namentlich die prognostisch günstigere Bedeutung dieses Zoster facialis sehr bestimmt hervorgehoben worden. Ebenso durch Metzger und Dräsche. Nach Ersterem beträgt das Mortalitätsverhält- niss mit Zoster 9, das aller Fälle von Pneumonie 20%. Es fragt sich, ob auch dieses eigenthümliche prognostische Yerhältniss aus der An- schauungsweise über die Entstehung des Zoster facialis, die wir hier dargelegt haben, begründet werden könne. Zunächst wird der Zoster ein Zeichen sein für den regulären Beginn der Pneumonie , für den Eintritt derselben in einem zuvor nicht erkrankten Körper. Sodann wird er beweisen, dass stärkere Blutwallungen Fieberanfälle und Be- laxationen der Arterienwandungen, die eine räumliche Accommodation in den erwähnten Knochencanälen zur Folge haben würden, noch nicht vorausgegangen waren. Auch für die Kinderpneumonieen giebt Ziemssen an, dass der Herpes etwa in der Hälfte der Fälle auftrete und gewöhn- lich zwischen zweitem und viertem Tag zum Vorschein komme. Für die Intermittens finden sich genaue Angaben in einer Tübinger Disser- tation von Stephan Baur. Danach tritt der Zoster in 20 % der Inter- mittens auf, am häufigsten zur Zeit des zweiten bis dritten Fieber- anfalles. Am eigenthümlichsten scheint es mir bisjetzt, dass derBlatter- process , trotz seines regelmässig mit Frösten eingeleiteten Beginnes, doch verhältnissmässi« selten Zoster erzeug. Eine uenauere Betrachtun" zeigt jedoch, dass auch hier das Maximum der Temperatur bei den meisten Formen des Fieberbeginnes erst nach anderthalb bis drei Tagen erreicht wird. Freilich schon oft am ersten Tage 3 1 */2 °. Dass der Zoster bei Blatterkranken vorkomme, darüber besieht kein Zweifel. Unter 25 Fällen der letzten hiesigen Epidemie wurde er einmal gesehen. In einem Leipziger Berichte von Leo wird gleichfalls unter einer grösseren Anzahl von Kranken einmal Zoster erwähnt. Für die übrigen acuten Exantheme begreift sich die schon van Bärensprung hervorgehobene Sel- tenheit des Zoster sehr leicht bei genauerer Kenntniss des Fieberein- trittes. Sehr oft wird man beobachten, dass plötzliche Fröste im Ver- lauf der verschiedenartigsten Krankheilen von Zoster gefolgt sind. So ist mir aus Tübingen ein Fall lebhaft in Erinnerung, in welchem der Durchbruch eines Pleuraexsudates in die Lunge sich durch einen Schüttelfrost markirte und alsbald ein doppelseitiger, sehr ausgebreiteter Zoster folgte. In manchen Fällen von Angina, Pneumonie, Ephemera Ueber Zoster facialis. 349 und dergl., in welchen der Gesichtsausschlag halbseitig zum Vorschein kommt, erfahrt man bei genauerer Nachfrage, dass demselben Schmer- zen der betreffenden Gesichtsseite vorausgingen , eine nach dessen Abheilen zurückbleibende Trigeminusneuralgie kann ich mich jedoch nicht erinnern beobachtet zu haben. Die Ausbreitung dieses Ausschlags auf einen Theil der Mund- und Rachenhöhle , bald doppelt, bald halb- seitig , bedarf als bekannte Thatsache keiner besonderen Erwähnung. Dagegen müssen jene Fülle noch aufgeführt werden, welche nach Hebra ziemlich häufig Zoster facialis ohne Fieber aufweisen. Mir sind sie ziemlich selten vorgekommen , und ich bedaure, für keinen derselben mit dem Thermometer untersucht zu haben, ob die Kranken wirklich fieberlos waren. Für manche mögen anderweitig begründete Kopf- congestionen bei günstigen Verhältnissen der betreffenden Knochen- canäle die Erklärung abgeben. Einmal sah ich eine Krankenwärterin, die sich darüber beklagte , dass die Zeit ihrer Periode jedesmal durch einen ausgebreiteten Zoster am Ohr gekennzeichnet war. Ich habe sie oft mit demselben herumgehen und arbeiten sehen. Also hier wäre an die der Periode so oft vorausgehenden Kopfcongestionen als Ursache des Ausschlages zu denken. Man sieht bisweilen bei der Anwendung starker constanter Ströme dem Zoster facialis sehr ähnliche Hautaus- schläge entstehen. Diese Erfahrung war einladend, den experimentellen Beweis für die Richtigkeit der hier dargelegten Anschauung über den Zoster facialis anzutreten. Vergleichende Versuche zeigten jedoch, dass leichter mit dem unterbrochenen als dem constanten Strom ein solcher Hautausschlag erzeugt werden könne. Von 5 Personen , deren Nervus mentalis an seinem Austritte aus dem Unterkiefercanal stark ge- reizt worden war, bekam eine zweimal eine vesiculöse, eine dagegen eine stark prominirende, Urticaria-ähnliche Dermatitis am Kinn. Hier- nach zweifle ich noch weniger, dass das, wras man gewöhnlich Herpes facialis nennt, ein Zoster sei, hervorgerufen durch den Reiz, den innerhalb der Knochencanäle des Gesichtes rasch sich erweiternde Arterien auf die begleitenden Nerven- stämme ausüben, indem siedieselben gegen eine harte Unterlage andrängen. Zur Therapie durch den constauten Strom. Von Dr. M. Seidel. oeit fast zwei Jahren wird der constante Strom auf unserer Abthei- lung in Anwendung gebracht und zwar eine Kohlen- Zinkbatterie von 24 Elementen von Stöhrer in Dresden , die zum Versenken der Cylinder in die Schwefelsäure eingerichtet, sich ebenso durch ihre Haltbarkeit, als durch die Bequemlichkeit der Application auszeichnet. Die Resultate, die durch die Anwendung des Stromes bei den verschie- densten Erkrankungen gewonnen wurden, waren, wenn auch im gros- sen Ganzen keine so eciatanten , als sie von manchen Seiten berichtet wurden, doch in einzelnen Fallen recht befriedigende. In diese Kate- gorie gehören die zwei folgenden Fälle, die ich in Kürze mittheilen will. Der erste betraf einen Diabetes insipidus. Louise M., 29 Jahr, Dienstmädchen aus E. hatte als Kind Scharlach gehabt und häufig an Augenentzündungen gelitten, im 26. Jahre eine schwere Entbindung durchgemacht und war 1861 syphilitisch inficirt auswärts zweimal ohne Erfolg an ihrer Syphilis behandelt worden, da sie die verabreichten Medicamente sehr schlecht vertragen hatte. Am 1 0. April 1 862 aufgenommen, war sie mit zahlreichen Condylomen an den Genitalien und unter der Mamma, mit Psoriasis und Rachengeschwüren behaftet, und wurde einer Schwitz- und Quecksilberkur (Calomel gr.jj. pro die) unterzogen. Die syphilitischen Eruptionen gingen dabei rasch zu- rück. Sehr massige Stomatitis. Am 19. Mai, nachdem einige Tage leichte Diarrhoe bestanden hatte, bekam P. Symptome einer Peritonitis : nach leichtem Frieren heftige Schmerzen im Unterleibe, besonders in der Blasengegend, Auftreibung desUnterleibes, Brechneigung, sehr schmerz- hafte Urinentleerung, retardirten Stuhl. Am 22. Mai war bereits ein Zur Therapie durch den constanten Strom. 351 Exsudat in ziemlicher Ausdehnung nachweisbar, und ein schwaches peritoneales Reihegeräusch unterhalb des Nabels zu hören. Die sponta- nen Schmerzen nahmen unter Anwendung von Opium und Kataplasmen ab, bei Druck bestanden dieselben fort. Am 23. Mai trat die Menstrua- tion und damit zugleich eine Steigerung sämmtlicher Beschwerden einr besonders derllarnbeschwerden — Harnträufeln und dabei unvollstän- dige Entleerung der Blase, so dass der Katheter täglich eingeführt wer- den musste. Dieselben dauerten bis zum 4. Juni. Die Menstruation hatte am 30. Mai aufgehört. Vom 4. Juni ab Abnahme des Exsudates und der Beschwerden. 5. Juli Menstruation ohne Störung. Am 17. Juli konnte die Kranke entlassen werden. Am 20. December wurde sie wieder aufgenommen. Kurz nach ihrem Austritte hatte sie sich ganz wohl gefühlt, sie konnte einen schweren Dienst, wo sie viel waschen und scheuern musste, ganz gut verrichten. Mitte October bekam sie ohne ihr bekannte Veranlassung Schmerzen in den Gliedern und im Leibe, besonders 1. in der hypogastrischen Gegend, Appetitmangel, Uebelkeit, retardirten Stuhl, unruhigen Schlaf, später einige Male Er- brechen. Ihre Ernährung nahm dabei nicht ab, doch fühlte sie sich matt, die Menstruation blieb regelmässig, wurde aber wässrig. In der letzten Zeit, wann, weiss sie nicht genau anzugeben, hatte sie immer viel Durst und Hess viel Urin , ohne dass der Appetit dabei gesteigert war. Die Untersuchung der Kranken ergab ausser leichtem Schmerz bei stärkerem Druck in der 1. Unterbauchgegend und in der 1. Lenden— gegend , etwas vergrössertem , nach r. liegendem und wenig beweg- lichem Uterus nichts Abnormes. Die Urinmenge war dagegen beträcht- lich gesteigert, derselbe war sehr blassgelb, von leichtem spec. Gewicht, hielt weder Zucker noch Eiweiss. Dabei wurden grosse Quantitäten auf einmal entleert, so z. B. wurden eines Tages, nachdem die Kranke den Urin völlig entleert hatte, nach % Stunde, noch ehe P. das Bedürf- niss der Urinentleerung hatte, mit dem Katheter 800 CG., sp. G. 1001 entleert. Die Urinmenge betrug im December im Durchschnitt 6000 CC., das sp. G. 1005 — 1006. Im Januar steigerte sich die Menge beträchtlich , war immer über 8000 CC., die höchste Ziffer 10,200, das sp. G. sank auf 1004 — 1003. Der Durst trat bei der Kranken nicht in den Vordergrund, sie trank zwar viel (3 — 4000 CC. Wasser und mehr; die bei den Mahlzeiten zuge- führte Flüssigkeitsmenge war im Durchschnitt mindestens ebenso gross), doch hatte sie nicht das für die Zuckerdiabetiker oft so lästige Ge- fühl des fortwährenden Trockenseins im Munde. Der Appetit war nicht gesteigert, die Ernährung hielt sich auf derselben Höhe ca. 160 Pfd. 352 M. Seidel, Jm Februar schwankte die Urinmenge zwischen 7200 — 9000 CC, erreichte nur noch zweimal 10,000, das spec. G. 1003 — 1005. Im März zwischen 6000 — 7500, sp. G. 1004. Fortgesetzte Harnanalysen wurden nicht gemacht, doch mehrfache Harnstoffbestimmungen in diesen 3 Monaten, die Herr Prof. Reichardt die Güte hatte auszuführen. Im Januar betrug derselbe aus 8 Bestimmungen für die aus den 8 Tagen berechneten Durchschnittsmenge des Urins von 9663 CC, sp. G. 100'i, 0,67 %; im Februar aus 1 I Bestimmungen für die Durchschnitts- zahl 9282 CC., spec. G. 1003,5, 0,63 %: im März aus 5, für 6680 CC. sp. G. 100 5,8, 0,69 %*. Im März und April betrug die tägliche Harnmenge als Durchschnitts- zahl sämmtlicher Tagesquantitäten 6853 CC. sp. G. 1 004. Im Mai und Juni 6513, sp. G. 1003; Juli 6790, sp. G. 1003: Aug. 61 48, sp. G. 1004; Sept. 4895, sp.G. 1006. — Die Kranke hatte im Ganzen wenig Beschwerden, zeitweise Schmerzen im Kreuz und in der Lenden- und Nierengegend, baldr. bald 1. stärker; der Appetit war zeitweise gestört, meist gut, der Stuhl retardirt. Sie war nie bettlägerig und konnte fast immer leichte Arbeiten im Hause verrichten helfen. Das Körpergewicht sank jedoch allmählich bis zum 16. September auf I 45% Pfd. herab. Sie wurde am 21. September auf einige Zeit beurlaubt, trat am 24. November wieder in die Anstalt ein. Ihre leichten Beschwerden waren die gleichen, die Urinmenge dieselbe, das Körpergewicht war auf 1 40% Pfd. ge- sunken. Vom 25. November bis 8. December betrug die Durchschnitts- qualität des Urins aus sämmtlichen Tagesbeslimmungen 5957 CC, sp. G. 1006. Patientin war immer nur symptomatisch mit indifferenten Mitteln behandelt und möglichst gut genährt worden. Vom 8. December an wurde der constante Strom täglich in beiden Nierengegenden in der Weise in Anwendung gebracht, dass die eine Elektrode neben der Wirbelsäule aufgesetzt, die andere unter dem Hypochondrium möglichst tief eingedrückt wurde. Es wurde ein starker Strom genommen, der 1) Eine vollständigere Analyse von 22. Jan. bei 10000 CG. sp. G. 1002 ergab feste Bestand theile 0,760 % anorganische ,, 0,160 % Wasser 99,240 %. Harnstoff 0,600 °/0 Harnsäure 0.14 % riios[)horsäure 0,021 %. Chlornatriuni 0,170 % Zur Therapie durch den constaiitcn Strom. 353 der Kranken öfters brennende Schmerzen im Kreuze verursachte, die jedoch nie lange nach der Application anhielten. Beide Seiten wurden abwechselnd 5 Minuten elektrisirt. Am 16. December sank die Urin- menge auf 4600 CG. , eine Zahl, die sie in der letzten Zeit stets über- schritten hatte. Bis zu Ende des Monats sank sie auf 2300 CG., das spec. Gew. stieg auf 1012. Die Durchschnittszahl der Urinmenge vom 9. bis 3 1 . December betrug noch 4 174, sp. Gew. I 011. Der Urin wurde dunkler, enthielt auch jetzt weder Eiwciss noch Zucker. Im Januar war bereits die höchste Ziffer der Urinmenge 2400 GG., die niedrigste '1800 CC., das niedrigste spec. Gew. 101! , das höchste 1018; die Durchschnittsmenge sämmtlicher Tagesquantitäten 1904 GG., spec. G. 4 013,5. Die subjectiven Beschwerden der Kranken verloren sich dabei nicht ganz, das Körpergewicht stieg vom 9. December an gleichmässig bis zum 20. Januar auf 149 Pfd. Am 26. Januar 1864 wurde P. be- urlaubt. Bis zum Mai 1865, wo ich dieselbe zu sehen Gelegenheit hatte , befand sie sich wohl und kräftig , und war eine bemerkliche Steigerung der Urinmenge nicht wieder aufgetreten. Bei einer Krankheit , von der wir, abgesehen von den klinischen Lücken, pathologisch-anatomisch so gut wie nichts wissen, wie bei dem Diabetes insipidus , sind wir auch mit der Therapie auf das Experiment angewiesen. Dass nicht der vermehrte Durst, sondern die an sich ge- steigerte Thätigkeit der Nieren der Ausgangspunct der Krankheit sein möge, ist durch die Experimente von Griesixger, (s. Dissertation von Th. Neuffer 1856) wenigstens wahrscheinlich gemacht. Gröbere ana- tomische Störungen fanden sich in dem Falle von Neuffer bei der See- tion nicht und sind auch meines Wissens sonst nicht beobachtet worden. Man muss die Möglichkeit einer gestörten Innervation der Nieren in das Bereich der Erwägung ziehen , ähnlich wie beim Diabetes mellitus eine solche der Leber berücksichtigt worden ist, wenn auch im Ganzen der Becursan das Nervensystem nicht gerade zu den Puncten zählt, durch die viel aufgeklärt wird. Von diesem Gesichlspuncle aus wurde der constante Strom in Anwendung gezogen. Die vorstehenden Zahlen beweisen, wie verhältnissmässig rasch die Urinmenge, die nach ziem- lich raschem Ansteigen undFallen, dann Monate lang auf einer massigen Höhe gestanden hatte, abnahm. Zugleich mit der Abnahme stieg das langsam, doch gleichmässig in der letzten Zeit gesunkene Körpergewicht. Weit entfernt nun, die Anwendung des constanten Stromes als Badical- mittel gegen Diabetes insipidus zu preisen oder aus diesem Falle vor- eilige Schlüsse auf das Wesen der Krankheit selbst zu ziehen, halte ich die Mittheilung desselben für gerechtfertigt, damit bei dem seltenen Vorkommen der Krankheit diese Behandlungsweise anderwärts versucht 354 M. Seidel, werden möge. Im Interesse der Kranken will ich wünschen, dass die- selben sich besser bewähren möge als die Faradisation des Nervus vagus bei Diabetes mellitus, die wir hier mehrfach nicht nur mit keinem günstigen Erfolg, sondern einmal sogar mit Steigerung der Urin- und Zuekermenge versucht haben. Der 2. Fall betraf eine Trigeminusneuralgie. Wilhelm St., 58 J., Bauer ausOttstädt a. Berg, bekam am 16. März 1863, nachdem er stark erhitzt beim Holzhauen sich zum Frühstück niedergesetzt hatte, plötzlich heftige Schmerzen in der 1. Gesichtshälfte. Ausser den Kinderkrankheiten und einem 3 Wochen lang dauernden Ik- terus im 30. Jahre war P. nie krank gewesen, hatte nie an Syphilis, Intermittens gelitten, für Bleiintoxication war kein Anhalt. Die Schmerz- anfälle häuften sich rasch, so dass er bereits im Juni Tag und Nacht hef- tige Anfälle, bis 30 den Tag, hatte. Dieselben wurden damals auf der Abtheilung des Hrn. Geh. Hofrath Ried mit Dampfbädern in einigen Wochen geheilt und blieben bis Neujahr 1865 ganz weg. Um diese Zeit traten dieselben wieder auf und kamen bis September 1861 alle 8 — I i Tage in massiger Intensität, von da ab aber wie früher taglich mehrmals und mit grosser Heftigkeit. Er kam dann in die Poliklinik und wurde mit Meglinschen Pillen behandelt, die die Anfälle etwas sel- tener machten. Die Anfälle wurden hervorgerufen durch Sprechen und Kauen. P. hatte sich bereits 5 Zähne herausziehen lassen ohne Erfolg. Dieselben nahmen ihren Anfang angeblich an der Austrittsstelle desN. infraorbitalis, P. rieb sich in den Anfällen das Gesicht so stark, dass mehrere Stellen des Gesichts excoriirt waren. Im Anfalle selbst stöhnt der Kranke laut, verzieht die r. Gesichtshälfte schmerzhaft, während die 1. fast glatt bleibt, das 1. Auge thränt, die Pupillen sind gleich, die Uvula und die Gaumbögen stehen gerade , die Zunge ist gleich belegt, die Kaumuskeln sind 1. etwas stärker gespannt, die Sensibilität des Gesichtes gleich. Druck auf der Austrittsstelle des N. infraorbitalis und des subcutaneus malae sind schmerzhaft, doch ruft derselbe nicht jedes Mal einen Anfall hervor, dagegen ruft selbst leiser Druck auf den Ram. horizont. des 1. Unterkiefers nahe dem aufsteigenden Aste stets einen heftigen Anfall hervor. Man fühlt daselbst an dem zahnlosen Unter- kiefer eine kurze sehr scharfe Knochenleisle vorspringen. Die übrige Untersuchung ergab ausser massigen Atherom keine beträchtlichen Ver- änderungen. Es wurden zunächst subcutane Injectionen versucht mit Morphium und später Atropin. Morphium hatte wenig Einfluss, Atro- pin , als es in sehr grossen Dosen , gr. %„, injicirt wurde, so dass Ver— giftungserscheinungen auftraten und zwar Schwindel, Trockenheit im Halse, Schwäche und Zittern in den Beinen , leichte Lichtscheu ohne Zur Therapie durch den eonstaiiten Strom. 3.">5 beträchtliche Pupülenerweiterung, minderte sowohl die Zahl, als auch die Intensität der Anfülle, sodass P. nieinte, die Anfalle hätten »centner- weise« abgenommen. Da er seit langer Zeit zum ersten Male wieder einige Nächte schlafen konnte, auch im Stande war leichte Speisen zu kauen , so nahm er die Intovieationserscheinungen sehr gern in Kauf, und hätte sich am liebsten täglich Injectionen machen lassen. Die Anfälle blieben aber nur selten und waren schwach, so lange die unangenehmen Atropinerschcinungen dauerten und kehrten alsbald in früherer Heftig- keit zurück, so dass P. sich fürchtete, etwas zu schlucken. Ammonium valerianicum 3j pro die, Atropin in kleineren Dosen injicirt, Extr. Belladonnae in einer Pille in eine Wundegelegt, die an der Schmerzstelle am Unterkiefer durch Kreuzschnitt angebracht worden war, blieben ohne jede Spur von Erfolg. Am 2. Februar wurde der constante Strom äusserlich im Gesicht applicirt ; die Anfälle waren in der Nacht nicht seltener, wenn auch etwas weniger intensiv. Am 3. Februar wurde der Strom in der Weise angewendet, dass die positive Elektrode am Foramen mentale 1., die negativeauf die jetzt noch wunde Schmerzstelle am Unterkiefer aufgesetzt wurde, bei starkem Strom. Sofort erfolgte ein heftiger Anfall, während dessen der Strom noch einige Zeit in Wir- kung gelassen wurde, bis der heftige Schmerz des P. zwang, die Elek- trode zu entfernen. Am anderen Tage waren die Anfälle seltener, kürzer; am i. Februar gleiche Application mit sofort sehr heftigem Anfalle. Am 5. Februar bereits keinen Anfall den ganzen Tag, nur leichten Schmerz beim Kauen. Bis zum 10. Februar wurde der Strom nicht wieder angewandt, es erfolgte in der ganzen Zeit kein Anfall. An diesem Tage wurde der Strom in gleicher Weise applicirt und rief kei- nen Anfall, sondern nur leichtes Brennen hervor. Am 12. Februar wurde P. auf seinen Wunsch entlassen, da sich bis dahin kein Anfall wieder gezeigt hatte. Man erfuhr zunächst von dem Kranken nichts. Mitte Juli kam derselbe jedoch wieder in die Anstalt, an die chirur- gische Abtheilung gewiesen. Die neuralgischen Anfälle waren über 2 Monate vollständig ausgeblieben und dann ohne bekannte Veranlassung erst in geringer Zahl und Heftigkeit , allmählich häufiger und stärker aufgetreten, so dass sein Zustand dem bei seiner Aufnahme auf unsere Abtheilung völlig glich. — War nun auch der Erfolg der Anwendung des Stromes kein dau- ernder in diesem Falle, so ist es immerhin als ein therapeutisch glück- liches Besultat zu bezeichnen , wenn es gelingt, einen Kranken von einem so qualvollen Zustande auf Monate zu befreien. Zur Casitistik der Eiitozoen. IV. Nachtrag zu >>Eelj inocoeeen«. Von Dr. M. Seidel. JJer im I. Bande dieser Zeitschrift im 3. Hefte pag. 289 ff. mitge- theilte erste Fall von Echinococcus, Müller, 1 Jahr alt, der des Allers des Kranken wegen besonderes Interesse bot . ist seitdem zur Section gekommen, und da dieselbe die Diagnose nicht bestätigte, halte ich es für meine Pflicht , den weiteren Verlauf und das Resultat der Autopsie mitzutheilen. Der kleine Patient befand sich seit seiner letzten Vorstellung in der Poliklinik völlig wohl bis Anfang September 1864. Am 2. September erkrankte er Nachts plötzlich mit starker Hitze, Durst und Erbrechen, schlief wenig, griff oft nach dem Kopfe, klagte nie über Schmerz. Von einem auswärtigen Arzte verordnete Medicamente blieben ohne Erfolg, unter andauerndem Fieber und Erbrechen starb das Kind im Verlaufe von etwas mehr als 2 Tagen. Die Section wurde von den Eltern selbst lebhaft gewünscht und von Herrn Hofrath Gerhardt, der durch die Güte des auswärtigen Arztes davon benachrichtigt war, am 5. September Nachmittags gemacht. Das Resultat derselben war der Hauptsache nach folgendes : Leicht ikterische Färbung der Haut, Conjunctiva nicht gelb gefärbt, keine Todtenstarre , starke Senkungshyperämie, auf der 1. Seite des Abdomens starke Venennetze. Leib im Ganzen stark auf- getrieben, Umfang 3 Querfinger oberhalb des Nabels 62 % CM., Mus- culatur blassbraunroth , reichliches subcutanes Fettgewebe. Im Peri- Zur Casuistik der Eutozoen. o57 tonealsack findet sich eine geringe Quantität blutiger dunkelgelber Flüs- sigkeit. Von dem 1. Hypochondrium ragt eine grosse Gesehwulst \or. Dieselbe ist theils durch ältere festere, theils durch frische gelbe lockere Auflagerungen mit der Bauchwand, entsprechend derb und locker, verwachsen. Durch dieselbe ist der Magen stark nach r. gedrängt und so gedreht, dass iicv Fundus desselben nach vorn steht. Das Colon descendens und Sigma Romanum liegen in der Mittellinie. Die Milz ist an ihrer inneren Fläche fest mit der Geschwulst verwachsen und bis an das Darmbein herabgedrängt. Mit der Leber, die etwas hinaufge- drängt ist, ist die Geschwulst durch frische lose fasersloffige Adhäsionen in grosser Ausdehnung an der unteren Fläche derselben verklebt, hängt aber nur an einer etwa thalergrossen Stelle fest mit dem linken Leber- lappen zusammen. Die Geschwulst scheinbar ausgegangen vom Lig. gastro-lienale, liegt völlig im Netz und hydropische Theile desselben hängen franzenartig am unteren Ende der Geschwulst an. Die ganze Geschwulst hat die Grösse eines Mannskopfes und besteht aus einer Menge grosser und kleiner Blasen , deren grössle über hühnereigross, deren kleinste erbsengross sind. Als die Geschwulst in die Höhe ge- hoben wurde, sah man, dass eine der grösseren Blasen nach der Bauch- höhle perforirt war, und durch ein rundes Loch mit dem Peritonealsack communicirte , durch das man einen Finger bequem einführen konnte. Einige der grössten Blasen haben eine schmutzige grau-schwärzliche Färbung und entleeren eine missfarbige lehmwasserähnliche Flüssig- keit. Eine solche war auch die in den Peritonealsack perforirte. Nach unten und oben von den grösseren Hohlräumen liegen die kleineren, von denen einige ein milchiges Aussehen haben , andere ein wasser- helles , besonders die ganz kleinen. Aus diesen entleert sich eine milchige klebrige , eiweissähnliche oder auch ganz durchsichtige Flüs- sigkeit. Die grossen Cysten sind mit ziemlich dicken , bis y4" dicken Wänden versehen, die Innenfläche mit Pseudomembranen ausgekleidet, die kleineren haben eine sehr dünne Wand und lassen sich aus der Membran, die vom Netz stammt, ausschälen. An der r. Seite der Ge- schwulst liegt ein Paquet verkalkten Lymphdrüsen ähnliche Massen, deren einige mit dem Messer angeschlagen einen klingenden Ton geben und nicht geschnitten werden können, andere einen käsigen Inhalt haben. In einer derselben findet sich ein Bündel dünner blonder Haare. Um diese verkalkten und käsigen Parthien der Geschwulst herum sitzen zahlreiche sehr kleine hyaline Blasen auf. Von den übri- gen Organen ist nichts Besonderes zu bemerken. Das Gewebe der Leber war an den Stellen der Verwachsung am 1. Lappen etwas ver- dünnt und blasser gefärbt, das gesammte Peritoneum etwas verdickt, 358 M. Seidel, die Lymphdrüsen im Mesenterium einfach geschwollen , ebenso einige Plaques und solitäre Follikel im Darm. Die mikroskopische Untersuchung der Geschwulst, von der einTheil mitgenommen wurde, und die Hr. Professor W. Müller die Güte hatte vorzunehmen , ergab Folgendes : Der Inhalt einer kirschengrossen , blonde kurze Haare und eine weiche, gelbliche Fettmasse enthaltenden Cyste erwies sich gebildet von grossen Pflasterepithelien, zum Theil in körnigem Zerfall, zahlrei- chen Fettkugeln und spiessigen, in Aether löslichen Fettkrystallen neben einzelnen wohl ausgebildeten Fettzellen. Die Mehrzahl der übrigen Cysten zeigte sich ausgefüllt von einer stark gefalteten Bindegewebs- membran , deren Oberfläche von einem mehrschichtigen Pflasterepithel bekleidet wird. Nach aussen folgt auf die Bindegewebsmembran ein sehr •entwickeltes Fettpolster, das den Hauptinhalt ausmacht , bestehend aus grossen, homogenen Fettzellen mit excentrischemKern, welche von spär- lichen Bindegewebsbündelchen durchzogen werden. Die harten beim Daraufschlagen klingenden Parthien, die sich in dem Stroma der Cys- ten hie und da vorfanden, bestehen aus echtem Knochengewebe mit strahligen Knochenkörperchen. Diagnose: Dermoidcyste. Die Diagnose hatte zwischen Cystenbildung und Echinococcen ge- schwankt, und man glaubte die erstere ausschliessen zu können, be- sonders wegen des Sitzes der Geschwulst, die mit Sicherheit in die Milz oder das Mesenterium und zwar mit grösserer Wahrscheinlichkeit in das letztere zu verlegen war, Cystenbildungen von solchen Grössen aber daselbst zu den grössten Seltenheilen gehören. Die Section hat nun gerade eine solche nachgewiesen und ich glaube , der Irrthum in der Diagnose ist zu verzeihen, da ausser durch eine Explorativpunction, zu der man zudem nicht in jedem Falle gelangt, eine sichere Unter- scheidung beider Zustände unmöglich ist. Das Hauplbedenken gegen das Vorhandensein von Echinococcen war das Alter des Kindes und in Bezug darauf glaube ich nach dem Ausgange dieses Falles, dass man bis weitere gegentheilige Beobachtungen bekannt werden, für die ersten Lebensjahre die Echinococcenbildung für ebenso selten halten muss, als Cysten im Mesenterium, da ich unter einer grossen Casuistik nur den einen Fall von Finsen finde, der ins erste Lebensjahr des Pa- tienten zurückdatirte und somit bis jetzt die Echinococcenerkrankung im frühesten Lebensalter repräsentirt. Da aber Kinder wenigstens nach dem ersten Lebensjahre der Einwanderung von Echinococcenkeimen min- destens ebenso ausgesetzt sind, als Erwachsene, so bleibt es eine ebenso interessante, als schwierig zu beantwortende Frage, warum das Vorkom- men dieser Paresiten bis ins dritte Lebensjahr beinahe unbekannt ist. Zur Casuißtik der Kntozoon. 359 Ich möchte auch kaum glauben, dass die Erklärung , die Leuckart dafür (Menschliche Parasiten pag. 382) giebt, eine vollständig genü- gende sei, welcher ineint, dass man den Grund dafür theils in der Seltenheit der Echinococcen überhaupt, theils in dem langsamen Wacbs- thum derselben suchen müsse, das \ ielleicht erst nach Jahren auffallende Krankheitserscheinungen zu Tage treten lässl. Denn wäre dieses letzte Moment allein die Ursache der Exception, deren sieh Kinder in den ersten Lebensjahren an Echinococcen zu erfreuen scheinen, so müssten bei der Menge der Kinderseelionen , die jährlich gemacht werden, die zufälligen Befunde von Echinococcen, die noch klein, im Leben keine Symptome machten, häutiger sein. Den früher mitgetheilten Fällen von Echinococcen kann ich einen weiteren interessanten Fall hinzufügen , der auf der Abtheilung des Herrn Geh. Hofralh Ried verlief, durch dessen Güte ich mehrfach Ge- legenheit hatte, die betreffende Kranke zu untersuchen und der mir auch mit gewohnter Freundlichkeit die betreffenden Notizen überliess. Louise J., 21 Jahr, ausM., Dienstmädchen, War ausser Masern nicht krank, nach leichten chlorotischen Beschwerden erst im 19. Jahre men- struirt, fast immer unregelmässig, in den letzten fünf Monaten gar nicht. Vor zwei Jahren litt sie an einem Bandwurm, der ihr in Dresden voll- ständig abgetrieben wurde. Etwa vor zwei Jahren bemerkte P. zuerst eine ziemlich gleichmässige Erweiterung ihrer r. Brusthälfte , die trotz vielfach gebrauchter Mittel gleichmässig langsam und in der letzten Zeit rasch zunahm , und ihr mit Ausnahme erschwerten Athems keine Beschwerden verursachte. Nur in den letzten Wochen hatte sie vor- übergehend Schmerzen in der r. Seite. Ihre Ernährung hatte nicht im Geringsten gelitten. Durch die Dyspnoe , die sich bei einigermassen starken Anstrengungen einstellte, war sie in ihren gewohnten Ge- schäften behindert. Die Untersuchung ergab im Wesentlichen Folgen- des: Gute Ernährung, starkes Fettpolster, gut gebauten Thorax. Die untere Thoraxapertur ist auf beiden Seiten, etwas stärker r., erweitert, das Epigastrium stark vorgewölbt durch eine dasselbe ausfüllende Ge- schwulst, die nach unten sich scharf abgrenzt durch eine quer über den Leib etwas oberhalb des Nabels verlaufende tiefe Hautfurche. Die Ge- schwulst macht im r. Epigastrium eine stärkere , wenn auch wenig kuglig prominirende Verwölbung, ist sonst ganz gleichmässig, ohne kleinere Vorragungen , schallt vollständig leer , gehört offenbar der Leber an, deren Dämpfung nach 1. sich von der Milzdämpfung nicht abgrenzen lässt, bei starkem Anschlagen bietet dieselbe leichtes Er- zittern, Schwirren ist an derselben nicht zu hören. Dieselbe hat das Diaphragma nach oben gedrängt, so dass dasselbe r. in der Paraslernal- Band II. 3. 24 360 M. Seidel, linie am oberen Rande der 5. Rippe steht. Die obere Dämpfungsgrenze der Leber verlauft ausserdem nicht gerade , sondern macht bereits in der Papillarlinie, stärker in der Axillarlinie einen nach oben convexen Bogen; auch neben der Wirbelsäure steht die untere Lungengrenze auf beiden Seiten höher als normal, das Herz ist etwas nach oben gedrängt und scheint mehr horizontal gelagert, der Spitzenstoss ist in der Papillar- linie, die Dämpfung beginnt auf dem 3. R.K. und reicht von dem 1. Sternalrand bis zum Spitzenstoss. Bei der Inspiration steigt die Leber und die ihr angehörige Geschwulst sehr wenig herab, was man am unteren Rande der Leber, den man in der r. Hälfte derselben , ent- sprechend der tiefen Hautfurche fühlen kann , deutlich zu controliren im Stande ist. Die übrigen Organe bieten nichts Besonderes. Obgleich die Erweiterung der r. Seite gegenüber der 1. für das Auge eine be- deutende ist, besonders am r. Hypoehondrium und in der Axillargegend, so ist die Maassdifferenz doch eine' sehr geringe. Der Umfang des Tho- rax über die höchsten Vorragungen der Geschwulst betrug r. 4iy8 1. 431/s CM. und es bietet die Cyrtometercurve die Differerenz auch deutlicher als man dem Maasse nach erwarten sollte. Die vitale Ca- pacität betrug nach mehreren Versuchen 2500 GC, die Körpergrösse war unter mittel. Die Diagnose bot in diesem Falle keine Schwierig- keiten, es handelte sich offenbar um eine Echinococcengeschwulst von beträchtlicher Grösse in der Leber. Am I 0. November wurde vom Hrn. Geh. Hofrath Ried auf der gröss- ten Hervorragung der Geschwulst unter dem Sternum die Function mit einem feinen Troicart gemacht. Dabei entleerten sich 800 CG. einer wasserhellen Flüssigkeit, von 1007 sp. G. Dieselbe schmeckte stark sauer, enthielt kein Ei weiss, keinen Gallenfarbstoff, dagegen Zucker und Bernsteinsäure. Unter dem Mikroskop fanden sich in einem feinkörnigen weissen Sediment , das sich rasch in ziemlicher Menge absetzte, Chole- stearinkrystalle und eine ganze Menge vonEchinococcenköpfchen, theils in geschlossenen , theils in geplatzten Brutkapseln. Die Circumferenz des Thorax nahm nach der Punclion 3 CM. ab. DiePercussionsverhältnisse änderten sich wenig. DiePunction wurde sehr gut vertragen, es traten nur leichtes Fieber und stärkere Schweisse auf und am 13. November eine leichte Pleuritis der r. Seite, mit geringem Exsudate, das rasch resorbirt wurde. Am 28. November zweite Punction mit dünnem Troi- cart, etwas nach r. von der ersten Stichstelle. Es entleeren sich lang- sam 750 CC. einer trüben gelblichen Flüssigkeit, von sp.G. 1 009 ; dieselbe enthielt stark Eiweiss , keinen Zucker, keine Bernsteinsäure, keinen Gallenfarbstoff. In dem dicken weissen Sediment, das sich absetzte, fanden sich trotz vielfachen Suchens keine Echinococcenköpfchen , da- Zur Casuistik der Entozoen. 36 1 gegen zahlreiche schlanke Häkchen, Pigmenthaufen und viele Körnchen- zellen, sehr viele Cholestearinkrystalle. — Der Thoraxumfang nahm nun etwas mehr als 'i GM. ab. Während der Punction wurde beobachtet, dass die Canüle des Troicart nach I. in grösster Nähe anstioss, nach r. dagegen nicht, so dass man schliessen konnte, dass der geöffnete Sack sich hauptsächlich nach r. ausdehnen müsse. Auch diese Function wurde sehr gut vertragen, nur hatte die Kranke häufig starke Schweisse. Am 7. Februar wurde, da die Anschwellung wieder bedeutend zuge- nommen hatte, die dritte Punction mit einem stärkeren Troicart, Nr. II. des Troicartquadruple, zwischen den beiden früheren Einstichen ge- macht. Es entleerten sich jedoch erst, nachdem mit einer durch die Canüle geführten Sonde ein Hinderniss für das Ausströmen der Flüssig- keil zurückgehalten wurde, 1250CC. sehr trübe, grünlichgelbe Flüssig- keit von 10 IS sp. G., die sehr viel Eiweiss , deutlichen GallenfarbstofT, keinen Zucker enthielt. Unter dem Mikroskop fanden sich wieder viele Echinococcenköpfchen , theils einzelne, theils in Colonien zusammen, viele freie Häkchen; die Echinococcen schienen sämmtlich abgestorben zu sein, sie hatten eine gelbe Färbung* angenommen, waren stark gra- nulirt, die Häkchen sehr undeutlich, die kapseiförmige Hülle des Vorder- kopfes grösstentheils gefaltet. In einzelnen konnte man deutlich sehen, dass die Häkchen unregelmässig in derselben herumlagen. Auch einige kleine Häute hatten sich bei der Punction entleert. — Ueber die Tiefe des Sackes bekam man durch einen unangenehmen Zwischenfall, der jedoch rasch beseitigt wurde, Aufschluss. Es glitt nämlich die silberne Sonde , die zum Zurückhalten der den Ausfluss hemmenden Membran benützt wurde, in die Höhle hinab. Man fühlte deutlich, dass das obere Ende der Sonde sich noch in der Canüle des Troicart befand, um aber das Heraustreten derselben aus ihr zu verhüten , wurde die Canüle bis an die Platte eingeschoben, sodann sondirt, um die Entfernung zu messen, dieselbe betrug i%", die in den Echinococcensack gefallene Sonde ist 6%" lang, die ganze Tiefe betrug somit 8". Ein paar Ver- suche, die Sonde mit feinen Zangen zufassen, blieben erfolglos, da diese in der Canüle nicht geöffnet werden konnten , um das obere Ende der Sonde (Knopfsonde, oben mit Hohlsonde) zu fassen. Man legte die Kranke mit grosser Sorgfalt an den r. Bettrand und legte sie soweit nach vorn über, bis die Sonde aus der Canüle heraus fiel. Nach dieser dritten Punction fieberte die Kranke stärker, hatte am 8. Februar früh einen starken Frost, und von da ab bis zuletzt fort- während sehr hohe Abendtemperaturen 31,8° — 32,2°, mit grossen Re- missionen des Morgens im Durchschnitt auf etwa 30,6°, Schmerzen beim Athmen im r. Hypochondrium , sehr starke Schweisse, am 10. Februar 24* 362 M. Seidel, wieder leichten Frost und seit 11. Febr. auchKurzathmigkeit, ohne dass irgendwo local eine andere Erkrankung, als die der Leber nachgewie- sen werden konnte. Am I 4. Februar bemerkte man, dass an der oberen Lebergrenze vorn tympanitischer Schall auftrat, der sich unmittelbar nach unten in den tympanitischen Schall der Därme, nach oben in den hellen vollen Lungcnschall fortsetzte, so dass die Leber nur noch in der Axil- larlinie percutirt werden konnte. Bis zum 17. Febr. unter andauernden Fiebererscheinungen, bei verhältnissmässig gutem Allgemeinbefinden, rückte der tympanische Schall in der Lebergegend bis an die vierte Rippe hinauf, war dabei auffallend voll. Am 18. Febr. früh schrie die Kranke plötzlich einige Male lautauf, warf sich in grösster Angst undDyspnoe im Bett herum, wurde rasch blau im Gesicht und nach wenigen Minuten be- wusstlos, das Athmen langgezogen und unrcgelmässig, der Puls klein, der Stuhl unwillkürlich entleert. Nach einigen Minuten trat trotz aller Mittel, die angewandt wurden, die Respiration wieder einzuleiten, der Tod ein. Als ich die Kranke unmittelbar nach dem Tode sah, bot sie das Bild einer Erstickten, und da sich bei der Untersuchung der Brust Mo- tallklang bei der Percussion von der ersten Bippe an bis weit herab zur Lebergrenze, und deutliche Succussion sich zeigten, so lag die Ver- muthung nahe, dass in dem Echinococcensacke in den letzten Tagen eine spontane Gasentwickelung stattgefunden habe, der Sack nach der Pleura perforirt, die vorher schon in ihrer Function beeinträchtigten Lungen plötzlich noch im höchsten Grade comprimirt, und so das rasche Ende herbeigeführt worden sei. Die Section sollte nun allerdings diese Vermuthung nicht bestätigen. Dieselbe 24 Stunden post mortem vor- genommen, ergab im Wesentlichen Folgendes: Gute Ernährung, reich- liches Fettgewebe, braune dicke Musculalur , geringe Todtenstarre, starke Senkungshyperaemie, stark cyanotische Färbung des Gesichts. Nach der Eröffnung der Brust- und Bauchhöhle zeigt sich das Dia- phragma stark nach oben gedrängt , seine Kuppel steht r. am oberen Bande des dritten Rk. , ebenso das Herz , etwas nach oben gedrängt, mehr horizontal gelagert und in grösserer Ausdehnung als gewöhnlich von Lunge unbedeckt, Pleurasäcke völlig leer, beide Lungen klein, vollkommen lufthaltig, blass, nur der r. untere Lappen etwas blutrei- cher, Herz von gewöhnlicher Grösse, im r. Herzen sehr grosse speck- häutige Gerinnsel , an der Mitralis einige frische Unebenheiten. In der Aorta einzelne atheromatöse Trübungen, sonst die Klappen normal, Ilerzfleisch gut gefärbt. Im 1. Pleurasäcke fand sich nach Herausnahme des Herzens ein etwas abgeplatteter, 18 CM. langer, derber, oben finger- breiter , nach unten zur Dicke eines Gänsekiels sich verjüngender, da- selbst dichotomisch getheilter Thrombus. Derselbe zeigt sich 8 C. vor Zur Casuistik der Entozoen, 363 seinem dicksten 2 GM. breiten Ende vollständig geknickt, so dass sein dickes Ende ganz nahe seinein dünnen zu liegen kommt, ist sehr fest und dorl» anzufühlen, zeigt den gewöhnlichen geschichteten Bau älterer Thromben und ist in seiner Mitte grau gefärbt, mit einem chocoladeahn- lichen Brei gefüllt. Ueber denselben mehr weiter unten. Das Dia- phragma ist durch die enorm vergrösserte Leber sehr stark ausgedehnt, verdünnt, blass, seine Länge vom Rippenursprunge neben demSternum bis zur Kuppel erscheint bedeutend länger als normal. Die Leber selbst ist in beiden Lappen vergrössert, weitaus am stärksten im r., sie ist nur sehr unbedeutend an einigen kleinen Stellen mit dem Diaphragma und in der Umgebung der Stichwunde mit der Bauchwand verklebt, an der auch das Netz leicht adhaerent ist. Der ganze r. Lappen ist ein- genommen von einer grossen fluetuirenden Flüssigkeit und Luft haltenden Geschwulst, in der sich mit Leichtigkeit grosswelliges Plätschern erzeugen lässt. — Das Gewicht der ganzen Leber beträgt \ 6 Pfd. Der ganze r. Lappen zeigt sich mit Ausnahme eines etwas über 2" breiten und I %" dicken Bestes, der zwischen Gallenblase und Lig. teres liegt, in einen grossen Hohlraum verwandelt. Derselbe enthält ausser den Gasen , die bei vorgehaltenem Licht mit bläulicher Flamme brannten, fast 2000 CG. einer stinkenden trüben, flockigen, gelbgrünen Flüssigkeit und auf dem Boden eine ganze Anzahl bis gänseeigrosser, gallertiger, gelber, ziem- lich dickwandiger und kleiner weisser dünnwandiger Hydatidensäcke. Die Substanz des r. Leberlappens ist mit Ausnahme des oben erwähnten Stückes meist auf \ — 2"' verdünnt und zwar zeigte sich unter dem Mikroskop, dass die verdünnte Substanz fast nur aus Bindegewebe mit einzelnen eingestreuten verfetteten Leberzellen bestand. Am Peritoneal- überzuge des Sackes zeigten sich ausserdem eine sehr grosse Menge gries- bis haferkorngrosse bläschcnarlige Erhebungen, die ein kleines Tröpfchen Flüssigkeit enthielten und unter dem Mikroskop nur aus Bindegewebe bestanden. Die Innenfläche des Sackes ist mit einer fi- brösen derben unebenen Membran ausgekleidet , die sich zum Thcil nur mit Mühe in grösseren Fetzen von dem Beste der Lebersubstanz abziehen lässt. Der 1. Leberlappen ist fast so gross als sonst ein rechter, 25 GM. lang , 1 2 GM. breit und 8 GM. dick. Das Gewebe desselben vollständig normal. Beide Nieren etwas vergrössert, ohne Veränderung. An der r. Tuba eine hühnereigrossc, an der linken einige kleinere, einfache, seröse Cysten. Keine Echinococcen sonst im Körper. Bei der Untersuchung der Lebervenen nun zeigt sich, dass der nach dem r. Lappen führende Hauptast sich sehr bald rasch verengt, in einzelnen Venen kleineren Galibers desselben stecken noch ältere graurothe Gerinnsel. Der 1. Ilauptast der Lebervene ist bedeutend 364 M. Seidel, ZnrCasiiistik der Kntozoen. weiter als gewöhnlich. Die Untersuchung der Flüssigkeit ergab die- selben Bestandteile, wie bei der letzten Function, ausserdem schwache Reaction auf Schwefelwasserstoff. Es bietet dieser Fall ein besonderes Interesse durch die Art seines plötzlichen Endes. Der Vorgang war jedenfalls der gewesen, dass in dem so zu sagen blind endenden Hauptaste der r. Lebervene, begün- stigt durch die Fingere ruhige Lage der Kranken und durch den Druck der schweren Echinococcencyste sich ein Thrombus gebildet hatte , der plötzlich gelöst in die Fulmonalarterie fuhr und diese vollständig ver- legte. Dass der Embolus aus der Lebervene stammte, machen die in den feineren Aesten derselben gefundenen Thromben wahrscheinlich, dass er bei der Herausnahme des Herzens in den Pleurasack gefallen war, war sicher, und in einer anderen Localität als im r. Herzen oder in der Fulmonalarterie kann er kaum gesessen haben. Der directe ana- tomische Nachweis wurde bei der raschen Herausnahme des Herzens allerdings nicht geliefert, und man sollte es sich eigentlich zur Regel machen, bei plötzlichem Tode die Pulmonalarterie vor der Herausnahme des Herzens zu öffnen; da nur zu leicht auch ein grosser Embolus unbemerkt aus derselben herausfallen und unbemerkt bleiben kann. Vielleicht verdankt mancher »Nervenschlag« seine Existenz diesem ein- fachen Vorgange. Embolien auf andere Weise, so dassEchincoccen der Leiter direct in die Cava platzten, sind mehrfacWbekannt geworden1). Unser Fall zeigt die Möglichkeit eines plötzlichen Todes durch Embolie auf einem andern, gewöhnlicheren Wege, und ist ein neuer Beleg dafür, wie die Thrombose und Embolie in einer Reihe von Krankheiten eine Rolle spielen kann, bei denen man nicht gewohnt ist, an diese Vor- gänge zu denken. Bei derUntersuchung der Kranken zeigte sich, dass auch bei tiefer Inspiration der untere Leberrand sich nur sehr wenig bewegte , ein Symptom, aus dem man auf Verwachsung der Leber mit der vorderen Rauchwand hatte schliessen können. DieSeclion zeigte nur einige sehr kleine Verwachsungen derselben mit dem Diaphragma und mit der Bauchwand in der Umgebung der Einstichsstelle, von denen die letztere möglicherweise erst nach der Function entstanden ist. Der Grund der geringen Verschiebung war hier offenbar der, dass das stark ausge- dehnte und verdünnte Diaphragma, das auch an der Leiche auffallend blass aussah, nicht Kraft genug besass, das schwere Organ herabzudrängen. 1) S. z. 15. Frerichs Klinik der Leberkrankheiten. II. B. S. 232. Zur vergleichenden Anatomie des Herzens. Von C. Gegenbaur. 1. Ueber den Baibus arteriosus der Fische. JJurch Joh. Müller's Untersuchungen1) sind die Structurverhältnisse des Herzens der Fische namentlich mit Bezug auf die im Bulbus arte- riosus vorhandenen Klappvorrichtungen in umfassender Weise be- kannt geworden. Auch die noch von Tiedemann vertretene Ansicht, dass der Bulbus arteriosus sowohl bei Knorpel- als bei Knochenfischen ein gleichartig contractiles Gebilde sei , wurde von J. Müller umge- staltet, indem er nachwies, dass die Wandungen dieses Bulbus bei den Teleosliern aus anderen Gewebstheilen sich zusammensetzen, als bei den Selachiern, Chimären und Ganoiden, und dass damit auch eine andere Verrichtung verbunden sei. Diese Verschiedenheiten sind begleitet von verschiedenem Verhalten der Klappen. »Bei denjenigen Fischen , bei denen mehrere Beihen Klappen innerhalb des musculösen Arterienstiels stehen, hat der Muskelbeleg des Stiels offenbar ganz die Bedeutung eines accessorischen Herzens oder einer verlängerten Kammer. Indem es sich zusammenzieht, entleert es sein Blut in die eigentliche Arterie, wie der herzartige Bulbus eines Froschherzens es thut. Die Klappen werden sich darauf durch den Druck des Blutes von der Arterie her ausbreiten. Die obersten reichen mit ihren Bändern gerade bis dahin, wo der Muskelbeleg der Arterie aufhört, über ihnen wird die Arterie voll bleiben , der musculöse Arterienstiel aber wird zur Zeit der Pause 1) Heber den Bau und die Grenzen der Ganoiden. Abhandl. der Berliner Akademie der Wissenschaften. 1845. 366 C. Gegenbaw, des Herzschlags dem Druck des Blutes von den Arterien entzogen sein. Bei den Knochenfischen ist es gerade umgekehrt. Hier liegen die Klap- pen zwischen Herzkammer und Bulbus der Arterie. Indem sich die Kammer zusammenzieht, wird der Bulbus und die Arterie erweitert«. Diese Verschiedenheit des Baues und der Verrichtung des Bulbus arteriosus bildete von da an eine wichtige Grundlage für die Systema- tik der Fische. Cyclostomen und Teleostier scheiden sich durch den Mangel des Muskelbelegs und der Klappenreihen im Arterienstiel von den Ganoiden , Chimaeren und Selachiern , sowie die Dipno'i mit den Letzteren den Muskelbeleg, aber nicht die vielfachen Klappen gemein- sam haben. Ueber das Verhalten der Klappen im Arterienstiele sind Einzeln- heiten besonders bezüglich der Anzahl sowie der Anordnung bekannt geworden. Sowohl in der oben citirten Abhandhing Müller's, und einer über die Zahlen Verhältnisse sich erstreckenden Mittheilung1), als auch in einzelnen späteren Beschreibungen von Ganoiden und Selachiern finden sich die Belege dazu. Auf die Verschiedenheit der Klappen wurde nur in gelegentlichen Bemerkungen hingewiesen. Müller sagt, dass die Klappen der obersten Beihe gewöhnlich grösser seien, erwähntauch der häufigen Verbindung der dahinter gelegenen Klappen mittels sehniger Längsfäden , die sich von einer Klappe zur nächstfolgenden ziehen. Diese Eigenthümlich- keiten sind auch von älteren Anatomen bereits beachtet worden. Man nahm aber daraus keinen Anlass zu einer genaueren Unterscheidung und betrachtete die Querreihen von Klappen desArtcrienstiels derSela- chier und Ganoiden als gleichartige, die Klappen selbst als Semilunar- klappen bezeichnend. Eine auf Selachier und Ganoiden ausgedehnte Untersuchung er- gab zunächst nicht unansehnliche Differenzen zwischen der vordersten Querreihe und den darauffolgenden und eröffnete für die Beurtheilung des Arterienstiels neue Gesiehtspunete. Da es mir hier zunächst um die Begründung der letzteren zu thun ist, kann ich von der ausführlichen Mittheilung der Untersuchung absehen, und werde nur von einigen Se- lachiern genauere Schilderungen des Bulbus arteriosus geben. Im Arterienstiele von Acanthias werden drei Klappenreihen an- gegeben. Ich finde deren vier, wovon die Klappen der zweiten Quer- reihe nur wenig entwickeil sind. Jede dieser Querreihen setzt sich (bei A. vulgaris) wieder aus drei einzelnen Klappen zusammen. Die vor- derste Querreihe, welche am Ende des Bulbus angebracht ist, zeigt 1) Archiv für Anat. und Physiologie. 1848. S. 483. Zur vergleichendes Anatomie dos Herzens. 367 die grössten Klappen, halbmondförmige Taschenventile , welche dicht an einander sitzen. An der Mitte des freien Randes jeder Klappe ist eine kleine Verdickung bemerkbar, von wo aus eine sieh verbreiternde Verdickuni; in der Substanz der Klappe bis gegen deren Ursprung hin- zieht. Die Seitentheile der Klappe werden so aus einer dünneren Mem- bran gebildet, als der mittlere Theil. Diese vordere Querreihe ist durch einen weiten Absland von den drei hinteren Querreihen geschieden. Der Zwischenraum ist fast doppelt so gross als die von den drei hinteren Querreihen eingenommene Fläche. Es ist dieser Raum ausgezeichnet durch drei von den vorderen Klappen aus nach hinten ziehende Längs- wülste, die sich gegen die erste hintere Querreihe zu verlieren. Dicht an den vorderen Klappen sind diese Wülste am stärksten , so dass sie sich unmittelbar in die Klappen selbst fortzusetzen scheinen , und sich als von den Klappen ausgehende Verdickungen der Innenwand des Bulbus arteriosus darstellen. Die drei hinteren Querreihen der Klappen sind von den vorderen einmal dadurch verschieden , dass die Klappen einer Querreihe einen Z wichen räum zwischen sich lassen , der bald so breit wie die Klappe selbst, bald wenig schmäler ist. Eine zweite Eigentümlichkeit betrifft die Grösse und Formverhältnisse der Klappen. Wie schon aus dem Vorhandensein eines freien Zwischenraums innerhalb der Querreihen hervorgeht, sind diese Klappen kleiner, schmäler und weniger tief als die vorderen. Nur die Klappen der hintersten Reihe sind halbmondför- mige Taschen. Die der vordersten sind unansehnliche Quer- leisten, von denen einige Längsfasern nach aufwärts zur Bulbuswand treten, einige andere nach abwärts. Zuweilen sind nur zwei dünne Leisten entwickelt, oder auch nur eine, oder eine der Leisten springt weiter vor als die anderen und ist von obenher etwas vertieft, und da- mit etwas mehr taschenförmig als die andern. In der zweiten (resp. dritten) Querreihe sind die Klappen gleichfalls noch leistenartige, an der Basis zuweilen sogar sehr verdickte Vorsprünge, die keine Ta- schen bilden. Kurze Fädeben gehen aufwärts bis nahe an die vorher- gehende Reihe, nur einzelne Fädchen erstrecken sich auch abwärts, um sich an den freien Rand der Klappen der letzten Querreihe seitwärts festzusetzen. Wirkliche halbmondförmige Taschenklappen zeigt die dritte Querreihe nur hin und wieder. Sie werden erst in der vierten Reihe zur Regel, wo nur durch die viel geringere Grösse, dann durch die vom freien Klapprand ausgehenden Sehnenfäden Unterschiede von den Klappen der Vorderreihe gegeben sind. Aus halbmondförmigen Klappen werden daher beiAcanthias nur zwei Querrreihen zusammen- gesetzt. Die drei hinteren Querreihen zeigen sich als zusammengehe- 368 C. Gegenbaur, rige Bildungen, nicht blos der Lage , sondern dem ganzen Baue nach, namentlich durch die Beziehungen zu Sehnenfaden. Wenn auch zwi- schen der zweiten und vierten Reihe bedeutende Unterschiede bestehen, da in der einen unansehnliche Leisten, in der anderen wirkliche Taschen- ventile vorkommen, so werden diese Differenzen durch die dazwischen liegende dritte Querreihe ausgeglichen. Hier finden sich die Ueber- gangsformen von den Leisten zu den halbmondförmigen Klappen vor. Aehnliche Verhältnisse bietet der Bulbus arteriosus von Hetero- dontus (IL Philippi). Drei Querreihen besitzen je drei Klappen. Die der Vorderreihe sind wie bei Acanthias , da sie aber von den beiden anderen Reihen unmittelbar gefolgt sind, so fehlt die bei Acanthias be- schriebene von den vorderen Klappen ausgehende Verdickung der Bulbus wand. Die unmittelbare Folge der Klappenreihen entspricht einer geringeren Länge des Bulbus. Die zweite und dritte Reihe ist von der ersten durch ähnliche Verhältnisse wie bei Acanthias verschieden. Von den drei Klappen der zweiten Reihe finde ich eine als ein kleines Knöt- chen, eine andere als kurze Querleiste, die dritte als eine Querleiste mit einer mittleren Verdickung des freien Randes. Die Abstände der Klappen dieser Reihe sind nicht unbeträchtlich. In einem der Zwischenräume ragt ein Höckerchen als Andeutung einer vierten Klappe vor. Sehnen- fäden erstrecken sich sowohl aufwärts als abwärts. Von den ersteren erreichen einige die vorderste Klappenreihe, treten jedoch nicht zum freien Rande der Klappen , sondern gelangen nur an deren Ursprung. Die dritte Reihe besitzt ausgebildete Taschenklappen. Sie stehen aber an Grösse gegen die der vordersten Reihe zurück. Der freie Rand dieser Klappen ist unregelmässig ausgebuchtet, und theils von ihm, theils von der Innenfläche entspringen feine Sehnenfäden, die entweder zu den vorhergehenden Klappen oder zur Wand des Bulbus treten. Der Stelle entsprechend, an der in der zweiten Klappreihe ein Höckerchen an- gebracht war, findet sich in der dritten ein dreilappiger Vorsprung fast von der Breite einer Klappe, und von der Oberfläche dieses Vorsprunges treten Fädchen zur Bulbuswand. Indem diese Vorsprünge genau in der Querreihe liegen, und sich ebenso verhalten wie die rudimentären Klappen der zweiten und dritten Reihe bei Acanthias, müssen sie in gleicher Weise beurtheilt werden. Der durch jene rudimentären Klappengebilde dargestellte Zustand findet sich in noch ausgeprägterer Weise in allen Klappen der hinteren Querreihen bei den Notidaniden. Ich will das Verhalten bei Hexanchus näher vorführen. Der Bulbus besitzt in Gestalt und Grösse viele Aehn- lichkeil mit dein von Acanthias. Von den vier Querreihen der Klappen findet sich eine dicht am oberen Ende des Bulbus. Drei Querreihen Zur vergleichenden Anatomie1 des Herzens. 369 sind am unteren vorhanden. Die erstere besitzt drei halbmondförmige Taschenklappen ohne Zwischenräume. Hinter jeder Klappe zieht sich eine Verdickung der Innenwand des Bulbus nach hinten, jedoch nicht so deutlich ausgesprochen als bei Acanthias. Der zwischen der vorderen und der zweiten Klappreihe liegende Abstand ist grösser als der von allen drei hinteren Klappreihen eingenommene Raum. Die Klappen der hinteren Reihe sind von den bisher bekannten Klappen des Arterien Stieles der Selachier sämmtlich verschieden. In jeder Reihe liegen drei grössere und ein kleinerer Vorsprang, der durch ein, mit breiter Basis an der Bulbus- wand sitzendes, mit abgerundetem Rande ins Lumen des Bulbus vor- springendes Läppchen gebildet wird. Das abgerundete, schmälere oder breitere Ende ist schräg nach aufwärts gerichtet. Die untere oderlnnen- lläche dieser Läppchen ist glatt, ohne alle Sculptur; die obere gegen die Bidbuswand sehende Fläche wird an letztere mittels vieler feiner Fädchen befestigt. Die Klappen der vordersten Reihe dieses ganzen Apparates sind die kleinsten, die der hintersten die grössten. Demge- mäss sind auch die Abstände der Klappen der Vorderreihe von einander grösser als die der Hinterreihe. Aber auch da sind die Intervalle immer noch fast so breit als die Breite der Klappenbasis. In jeder Querreihe findet sich ausser den drei grösseren Klappen noch eine kleine von gleicher Beschaffenheit. Ich will diese neue Form von Klappen als Zungenklappen von den Taschenklappen unterscheiden. Wie auch ihr Bau von letzteren verschieden erscheint , so ist doch ihre Leistung eine ähnliche. Eine von oben her sich rückstauende Blutsäule drückt jede Klapplamelle nach abwärts, bringt sie aus der schrägen Stellung in die horizontale, und lässt sie damit ins Innere des Bulbus vorspringen, und bei gleichzeitiger Verengerung des Lumens, infolge der Con- traction der Bulbuswand, jenes Lumen verschliessen. Dem aufwärts strömenden Blute werden sie kein Hinderniss bieten , indem dasselbe sie gegen die Bulbuswand drückt. Ein nach abwärts Schlagen der Zungen wird durch die auf ihrer Oberfläche befestigten Sehnenfäden verhindert. Jede dieser nach oben gerichteten Zungen ist leicht in die horizontale Lage zu bringen. Lässt der Zug nach, so schnellt die Zunge wieder in ihre frühere Stellung zurück. Ich hielt daher die feinen von der Oberfläche entspringenden Fädchen für elastische Gebilde , bis die mikroskopische Untersuchung mich belehrte, dass in ihnen nur sehniges Gewebe sich vorfindet. Der Sitz der Elasticität scheint demnach an der Befestigungsstelle der Sehnenfäden zu suchen zu sein. So sehr diese Zungenklappen sich von den Semilunarklappen am Vorderende des Bulbus unterscheiden, so sind sie doch weniger ver- 370 C Gegeibaar, schieden von den Klappen derllinterreihen bei den vorerwähnten (und anderen) Selachiern. Sowohl dadurch, dass von ihnen Sehnenfäden zurBulbuswand treten, stimmen sie mit jenen überein, wie auch selbst durch ihre Gestalt. Sowohl bei Acanthias als bei Heterodontus habe ich erwähnt, dass einzelne Klappen blosse Querleisten sind , abgerun- dete, mit gerader Basis befestigte Läppchen. Es bestanden aber bei diesen auch Uebergangsformen zu Taschenklappen und dadurch werden auch die reinen Zungenklappen von Hexanchus jenen näher gerückt1) . Dem an drei näher betrachteten Beispielen Nachgewiesenen schliesst sich das theils schon bekannte, theils von mir erst bei anderen Selachiern und bei GanoTden genauer Ermittelte an. Wenn auch die hinteren Klappenreihen von der vordersten bei jenen nicht so sehr ab- weichen, als bei Acanthias, Heterodontus und Hexanchus (und Heptan- chus) so zeigen sie doch gleichfalls häufig Zungenklappen, und, selbst bei ausgebildeter Taschenform, durch die Verbindung mit Sehnenfäden, durch geringere Grösse und wechselnde Anzahl, endlich durch den Mangel des Abschlusses der Querreihen eine Summe von Eigen- tümlichkeiten , die sie von den Klappen der Vorderreihe unterschei- den lasst. Die Klappen der hinteren Reihen sind in auch ihrem functionellen Werthe von den vordem verschieden. Aus der Lageurng und aus dem Baue und Volum dieser Gebilde war das schon zu crschliessen. Die Vorderklappen, grösser und unmittelbar an einander schliessend, haben den aus dem musculösen Abschnitt des Arterienstiels ausgetriebenen Blutstrom am Rücktritte zu verhindern. Sie' sitzen an der Grenze des Muskelbelegs; ihre vorderen Anheftestellen gehen sogar darüber hin- aus. Sie werden erst nach vollendeter Systole des Bulbus sich füllen und denAbschluss bewirken, und dieser Abschluss wird daher insofern unabhängig von der Contraction des Bulbus zu Stande kommen. An- ders verhält es sich mit den Klappen der Hinterreihen. Die anato- mische Untersuchung derselben hat gezeigt, dass sie eine viel gerin- gere Grösse besitzen , dass in ihren Querreihen leere Zwischenräume vorhanden sind. Ein Verschluss des Bulbus wird durch sie erst unter i) Ich bemerke hier ausdrücklich, dass die von mir als Zungeuklappen beschriebene Form nicht eine blosse Modifikation der Taschenklappen isl , und nicht etwa durch zipfelförmige Ausdehnung des mittleren Theiles des freien Klappenrandes zu Stande kommt, wie solche Modifikationen von Taschenklappen bei Amphibien vorkommen. [Descxipt and illustratedCatalogue of the physiological series of Comp. Anatomy. London -1834. Vol. II. PL 23.) Zur vergleichenden Anatomie des Herzens. 371 gleichzeitiger Verengerung des Lumens des Bulbus, also bei der Systole desselben, möglich werden. Sie setzen daher eine eon- tractile Wand des Rohres voraus, in welchem sie angebracht sind. Ihre Thütigkeit läuft mit jener des Bulbus, indess die vordem Klappen nach der Bulbussystole wirksam werden. Es dürfen somit auch vom physiologischen Standpuncte die verschiedenen Klappenreihen im Bulbus arteriosus der Selachier und Gano'i'den nicht zusammengewor- fen werden. Man könnte hier den Einwurf machen, dass diese Aufstellung einer functionellen Verschiedenheit der Klappen desshalb unsicher sei, weil genaue Beobachtungen über die Action des Bulbus arteriosus dev Selachier und Gano'i'den noch nicht vorliegen. Iliogegen habe ich nur eines zu bemerken: Entweder contrahirt sich der Arterienstiel, indem die Kammcrsystole sich auf ihn fortpflanzt in dem Maasse, dass die Klappen (der Hinterreihe) einen Abschluss gegen die Kammer bilden können, und dann ist ihre Wirksamkeit von derBuIbuswand abhängig, oder die Bulbussystole ist keine so vollständige, dass die Klappen einen Verschluss bewirken könnten, und dann kommt ihnen eine ganz unter- geordnete Bedeutung zu. In beiden Fällen — einen dritten giebt es nicht — ist die Function der hinleren Klappen von jener der vorderen sehr verschieden, gleichviel, oberstere unmittelbar an die vorderen sich anschliessen oder durch einen Zwischenraum von ihnen getrennt sind. Eine Vergleichung dieser sehr verschiedenartigen Einrichtungen mit jener bei den Teleostiern ist meines Wissens bis jetzt noch nicht versucht worden. Man hat sich damit begnügt, eine Verschiedenheit nachgewiesen zuhaben, und wo eine vergleichende Darstellung gegeben werden soll, da findet man nur Beschreibungen: »die Knochenfische besitzen einen Bulbus arteriosus ohne quergestreifte Musculatur, in der Regel mit nur zwei Klappen , der Arterienstiel der Selachier und Gano'i'den besitzt einen quergestreiften Muskelbeleg und mehrfache Klappenreihen«. Wie verhalt sich nun der Bulbus der Selachier und Gano'i'den zu jenem der Knochenfische? Die Würdigung des Klappenapparates in beiderlei Abtheilungen ist geeignet einer Beantwortung dieser Frage den Weg zu bahnen. Da man die Gesammtheit der Querreihen von Klappen bei Gano'i'den und Selachiern nicht der in der Regel einfachen Reihe von zwei Klappen (ich sehe von den seltenen Ausnahmen ab) bei den Teleostiern gleich setzen kann, wird es sich zunächst darum han- deln, welche Klappenreihe im mehrreihigen Bulbus jener einfachen der Teleostier verglichen werden kann. Mann wird hier nur die Wahl haben, zwischen der hintersten und der vordersten Reihe. Die hin- 372 Q« Gegenbaur, terste (unterste) Reihe stimmt mit jener der Teleostier durch die Loge an der Kamniergrenze überein , die vorderste dagegen durch die voll- kommenere Bildung ihrer Klappen. Nur die vordem Klappen der Selachier und Ganoiden sind anatomisch und physiologisch den Klappen am Arterienstiel der Knochenfische gleich. Sie sind die constanteslen in der Anzahl und am wenigsten Formveränderungen unterworfen bei den Selachiern, auch bei denGanoiden die grössten, wenn auch hier ihre Zahl häufiger wechselnd ist1). Die Verschiedenheit in der Zahl ist gerade deshalb belangreich , weil sich dadurch das Untergeordnete der Zahl ausspricht. Auch bei den Teleosliern findet sich eine Vermehrung der Klappen ; bei Xiphias stehen nach Jon. Müller vier Klappen, zwei grös- sere zwischen zwei kleineren (Nebenklappen) , in einer Querreihe. So steht von dieser Seite her nichts im Wege, die drei Klappen in der Vorderreihe bei den Selachiern mit den zwei einzigen Klappen der Teleostier zu vergleichen , und die hinteren Querreihen als den Sela- chiern, Chimären und Ganoiden zukommende Bildungen anzusehen. Diese Hinterreihen sind die variabelsten, sowohl in der Zahl und An- ordnung der in ihnen verw endeten Klappen , als auch im Baue der Klappen selbst. Wir haben gesehen, dass eine von den Semilunarklap- pensehr abweichende Art, von mir als Zungenklappen bezeichnet, vor- kommen kann. Sie bildet bei den Notidaniden die einzige Klappen- form der Hinterreihen. In der Vorderreihe finden sich niemals solche Gebilde vor. Auch da, wo die Hinterreihen Taschenklappen besitzen, sind diese denen der Vorderreihe nie ganz gleich. Sie sind entweder durch die bereits erwähnten Sehnenfäden ausgezeichnet, oder durch eine Verlängerung des freien Randes , wodurch sie den Zungenklappen von Hexanchus ähnlicher werden, als den Semilunarklappen der Vorder- reihe. Durch Inbetrachlnahme aller dieser Umstände wird man nur die vorderste Klappenreihe den Klappen am Ostium arteriös um der Knochenfische vergleichen können. Man geräth dadurch in die Notwendigkeit den vor jenen Klappen gelegenen Bulbus arteriosus der Knochenfische für etwas anderes an- zusehen, als das hinter jenen Klappen befindliche musculöse Rohr der Ganoiden und Selachier. Das mag sehr fremdartig klingen, da man gewohnt ist, da wie dort einen Bulbus arteriosus zu sehen. Der objec- tiven Prüfung stellt es sich anders dar. Man hat in dem einen Falle 1) Ueber das scheinbar abweichende Verhalten der vordem Klappen von Polypterus werde ich später ausführlichere Mittheilung machen. Das rein ana- tomische dieses Verhaltens ist bei Joh. Müller (Bau und Grenzen der Ganoiden) zu ersehen. Zur \nj'lni linnlru An, limine (Uli lln/.i l|| ,'t j.\ • in von dum Ventrikel uuNguhondoN kürzeren odoi lüngeros Hohl voi loh Mi Ji en Wandung dieselbe Muauulatur wie in dor Herzkammer Meli 1 1 1 1 1 1 . i uuorgi ilroiflo Muskelfasern, Dil i Hohl sohlii issl um lllil Ulli I mclll' ll.lllillinl nihil IUI "i II llirlllilll lln gl I, Hl) || l\ l,l|l|irll ,ih llinl. i ilu ■ in KläUpOn Liegen l.liiiiin m>ii .nulluni li.uir und .in dorom Wortho, in Quer odoi in Lüngsroihon angeordnet, dii gi i ti llilicnll.ii lir dOH Hin ' uIiimii Knlui luiH nil üdoi nui ,inl ihn null ii ii A li.i linill ili iIImu Ihm In .ml. I :,unul nnoil uilpll lt 1 . 1 1 1 ... i c I nm hon Lim n den ganzen Abschnill bis zur \niih ['reihe dor Klappen als zur Kommei gi Imi ig i i :.. In nun .hm Alt i i i u h.il < l.r, .< Imn l K I > ll \ , I ll .1 1 1 H I r ili'l /AllM,l|l pOni i-llicii von llillillllll Ki'IIIH'li /ll Innrii I] liciliil; ;c /in \i U'gll || ||| nÜ0(l /'vn.iluinii inisi'< abgeht. Es kann also nicht die ganze Einrichtung sondern nur der von der äusseren Gircumferenz des Ostium entspringende Theil der Klappe mit der Vogel klappe verglichen werden. Da besteht denn allerdings auch durch die Ausbreitung von Muskelfasern in der Klappe einige Aehnlicbkeit. Durch die am vorderen Ende der Klappe vom Septum her eintretenden Muskelbünde] wird diese Aehnlicbkeit gehoben. Aber dadurch, dass mehrere (2) Fleischbalken vom Karamerseptum nach aufwärts in die Klappe eintreten, wird der ganzen' Einrichtung wieder viel Fremdes zugebracht. Diese Verbindung der Klappen mit dem Kammerseptum hat bei den Vögeln durchaus nichts ähnliches, und da- mit ist auch der einzig vergleichbare Theil wieder in die Ferne gerückt. Hieraus ergiebt sich , dass die Klappenvorrichtung des Schnabelthier- herzens jener des Vogelherzens bei weitem nicht so nahe steht als man bisher annahm, und dass hier keineswegs ein Uebergangs- stadium vom Vogelherzen zu dem der Säugethiere vor- liegt1). Auch die Beachtung der Einzelheiten im Verhalten der Klappe bei Ornithorhynchus lehrt nur Abweichungen und Verschiedenheiten von der Klappe des Vogelherzens kennen. Während bei dieser die Musculatur von der lateralen Wand der Kammer her eintritt, wodurch die Klappe als eine von dieser Wand gelieferte Bildung erschien , so kommt bei Ornithorhynchus die Musculatur der Klappe vom Septum her. Von zwei Fleischbalken aus breitet sie sich sogar aufwärts stei- gend in der Klappe aus, ohne deren äusseren Ursprung an der Gircum- ferenz des Ostium zu erreichen, und zeigt somit hier gerade das ent- gegengesetzte Verhalten im Vergleiche zur Vogelklappe. Die Beziehungen von Muskelb^lken zur Klappe (die bei den übri- gen Säugethieren aus der Klappenmembran sich zurückziehen und nur als Papillarmuskeln mit Sehnensaiten zur Klappenmembran treten) leh- ren also, dass dieser Zustand des Säugethierherzens zwar nicht aus dem der Vögel abzuleiten ist , aber doch einem anderen , diesem nahe stehenden, durch eine musculöse Klappe gleichfalls ausgezeichneten Herzen verglichen werden kann , nämlich dem Herzen der Crocodile. Auch dadurch dass hier eine an das Septum der Kammer befestigte Klappe besteht , bietet sich für die Vergleichung ein viel sicherer An- haltepunct dar. 1) Owen sagt 1. c. : »The strueture of the valve there offers an interestin« transitional State between that of the Mamma! and that of the Bird«, und Meckel 1. c. äusserte: »Similitudo quaedam cum avium valvula venosa dextra et propter carnositatem et propter figuram nimium praetervidenda est«. Kleinere M i it h eil u ngen. leber mechanische Vagus-Reizung heim Menschen. Von Prof. Joh. Czermak in Jena. Mit einem Hohschnitt. 4. Suche ich auf der rechten Seite meines Halses die pulsirende Carotis auf, wo sie unter dem oberen Rande des M. sternocleidomastoideus hervortritt , und übe ich etwas oberhalb dieser Stelle auf die Arterie selbst oder auf die Theile, welche sie nach hinten und aussen umgeben, einen massigen Druck mit dem Finger aus, so bleibt dasHerz länger als vorher in Diastole stehen, die Pulsfrequenz nimmt ums Doppelte und darüber ab, und die einzelnen Pulsationen werden sehr merk- lich kräftiger und grösser als früher. Es dauert jedoch nicht lange, so stellt sich nach aufgehobenem, ja selbst bei fortgesetztem Drucke — die frühere Pulsfrequenz und -Grosse wieder her und der Versuch kann alsbald mit demselben Erfolge von Neuem angestellt werden. Der beigedruckte Holzschnitt giebt drei vollkommenübereinstimmende Puls- curven meiner linken Art. radialis, welche ich vermittelst des MAREY'schen Sphyg- mographen während des beschriebenen Druckversuches erhielt. M m Uebor mcduuiisclie Vagus-Reizung beim Menselum. U85 Die Sternchen an jeder Curve geben den Moment an , in welchem mit dem Drucke auf die Carotis begonnen wurde. Man erkennt deutlich, dass der in der Pause zwischen zwei auf einanderlolgenden Pulsen plötzlich erfolgende Druck be- reits eine merkliche, wenn auch geringe Verlängeruug dieser Pause bewirkt, dass aber immer noch ein — meist auch schon kräftigerer — Pulsschlag erfolgt, ehe der längste Stillstand des Herzens in Diastole eintritt. Der auf diese längste Pause folgende Pulsschlag ist auch der grösste; von diesem Pulse an — dem zweiten nach Beginn des Druckes — nehmen die Pulse an Giösse, und die die- selben trennenden Pausen an. Länge allmählich wieder ab — obschon der Druck fortdauert. Das Abfallen der Pulscurve in toto zeigt Verminderung der mittleren Blutspannung an. 2. Zugleich mit dem Eintritt der Hemmung des Herzschlages halte ich un- willkürlich, d. h. ohne es gerade zu wollen, jedoch auch ohne meinen Willens- einfluss hierauf einzubüssen , die Athembewegungen in inspiratione entweder ganz an, oder ich verlängere und vertiefe die Einathmung auffallend lange Zeit hindurch. Dabei habe ich eine imThoraxinnern und zwar scheinbar im Hilus der Lungen localisirte, eigenthümlich beklemmende Empfindung, welche mir ein tiefes Auf- athmen zum Bedürfniss macht. Diese Empfindung, welche mitunter, besonders nach öfterer Wiederholung des Druckversuches, recht lange, bis zu einer halben Stunde und mehr, andauert, verschwindet am raschesten , wenn ich wiederholt und längere Zeit hindurch die Tiefe und Frequenz der Athemzüge steigere, was unter diesen Umständen mit grös- serer Leichtigkeit als sonst von Statten zu gehen scheint. 3. Endlich nehme ich bei Anstellung des Druckversuches — zumal wenn die Carotis dabei stärker comprimirt wird, eine eigenthümliche Spannung in der rech- ten Gesichtshälfte , vor Allem i m rechten Auge wahr , welche dann von leichtem Funkensehen , schwachen Verdunkelungen des Sehfeldes und von leisen An- wandlungen von Schwindel und Ohnmacht begleitet wird. Eine Veränderung der Pupillenweite in meinem rechten Auge konnte dabei weder ich selbst noch Andere constatiren. Alle die eben erwähnten Erscheinungen sind wohl auf die Störungen im Kreislauf, infolge der Compression der rechten Carotis zurückzuführen — (wobei es jedoch auffallend ist, dass die Pupillenweite unverändert bleibt); dagegen er- kläre ich die übrigen Erscheinungen (sub!.und2.) hinsichtlich des Herzschlages und der Athembewegungen mit aller Bestimmtheit für die Folgen einer mechani- schen Reizung des Nervus Vagus durch Druck oder Zerrung. Die theils ob- jectiv theils subjectiv wahrnehmbaren Veränderungen in den genannten Functionen, zusammengehalten mit dem Orte wo, und mit der Art wie der Fingerdruck aus- geübt wird, lassen meiner Ansicht nach nicht die geringsten Zweifel über die Richtigkeit meiner Erklärung aufkommen. Der beschriebene Druckversuch , welcher die an Thieren gewonnenen Er- fahrungen über Vagusreizung für den Menschen glänzend bestätigt, gelingt jedoch leider nur auf der rechten , nicht auch auf der linken Seite meines Hal- ses, und habe ich bisher auch noch Niemanden gefunden, bei dem der Versuch überhaupt gelingen wollte. Es scheint mir, dass zum Gelingen des Versuchs be- sondere, vielleicht nicht ganz normale Verhältnisse der Lagerung und Verbin- 386 Job. Czermak, Ueber mechanische Vagus-Reizung beim Menschen. düng (Fixirung durch strafferes Bindegewebe?) des Vagus erforderlich sind, sodass er sich der mechanischen Reizung nicht entziehen kann. Ich darf in dieser Beziehung schliesslich die Angabe zu machen nicht unter- lassen , dass in der Gegend auf der rechten Seite meines Halses, wo ich den Druck ausüben muss, um die beschriebenen Erscheinungen hervorzurufen, eine kleine härtliche Stelle (vielleicht eine vergrösserte Lymphdrüse) zu fühlen ist, welche linkerseits fehlt. Jena , 11. Juli 1863. liitersiichuiigeu über einbasische Koiiieiistoft'säiiren s I. leber die Essigsäure. Von A. G-euther. I. Abhandlung. Bereits vor 2 Jahren habe ich über die hier folgende. Untersuchung in den «Nachrichten der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen 1863, p. 28 1 « kurze Mittheilung gemacht. Ich habe damals, weil es dem Raum und Zweck jener Blätter nicht entsprach, die ana- lytischen Belege weggelassen und nur die Resultate angeführt. Es war meine Absicht, erst ausführlicher zu berichten, wenn die Untersuchung bis zu einem gewissen Grade von Vollständigkeit durchgeführt sein würde. Das ist der Hauptsache nach nun der Fall, obwohl noch man- cherlei Fragen zu beantworten übrig geblieben sind. Ich habe aber auch noch geglaubt, die Veröffentlichung nicht weiter hinausschieben zu dürfen, als erst jüngst von Wanklyn, dem meine erste Mittheilung ganz unbekannt geblieben sein muss, Angaben gemacht worden sind. welche mit den meinen nicht übereinstimmen. Davon später. Wenn man von der Ansicht ausgeht, dass die richtigste Gruppirungs- weise der Elemente in der Essigsäure durch die Formel : €H2.€021 HO j HO veranschaulicht wird und demnach die folgenden Formeln die richtigen für die nächsten Abkömmlinge jener sind: Band II. 4. 26 388 A. Geuther, der Sauerstoffsalze : € H2, €02 \ H 0 ) MO der Wasserstoffsalze : € H2, £02 \ H 0 ) HO W1) des Amid's : €H2 €02 \ m H3N des Chlorür's: €H2, €02 } H€l desAldehyd's €H4,€02 /€H4\ des Aceton's : (^ ^2 J € O2 so entsteht die Frage , ob das in den Salzen noch vorhandene I Mgt. Wasser nicht auch durch Metalloxyde ersetzt werden könne? Würden die Versuche eine verneinende Antwort ergeben, so würden die sauren Kohlenstoffverbindungen naturgemass in 2 Gruppen zer- fallen, in solche, welche durch Basen vertretbares und unver- tretbares Wasser enthielten und solche, welche durch Basen ver- tretbares Wasser allein enthielten. Zujenerwürde die Essigsäure, ihre Homologen und wohl die meisten derübrieen sauren Kohlenstoffverbin- düngen gehören , zu dieser ausser der Oxalsäure auch die Kohlensäure und einige ans dem Kohlenoxyd hervorgehende Säuren (Krokonsäure etc.) . Diese Letzteren würden es sein, welche den Kohlenstoff eng mit den übrigen säurebildenden Elementen verknüpften. Ich glaubte mit Hülfe des Natriums ein entscheidendes Besultat zu erhallen und Hess dieses Metall zunächst auf schmelzendes essigsaures Natron einwirken. Diese Verbindung wird in der That unter Gasent- wickelung zersetzt, allein es entstehen dabei zugleich mancherlei Neben- producte, sodass es unmöglich schien, mit diesem Salze zu einem reinen und entscheidenden Resultat zu gelangen. Deshalb habe ich ein bei ge- wöhnlicher Temperatur flüssiges Salz der Essigsäure, nämlich das Aethylensalz derselben oder wie es gewöhnlich genannt wird, denEssig- äther , zu den Versuchen benutzt. Derselbe war auf die gewöhnliche Weise dargestellt und wiederholten Rectificationen unterworfen worden, so dass er genau den für ihn angegebenen Siedepunct 74 ° zeigte. Es wurden nun in einer tubulirten Retorte , deren Hals aufrecht ge- stellt und mit einem Kühlapparat verbunden war, auf denselben Na- triumstückchen geworfen und ein Strom trocknen Wasserstoffgases dauernd darüber geleitet. Diese überzogen sich sogleich unter Wasser- stoffgasentwickelung mit einem weissen voluminösen Salze, das sich in dem Maasse, als sie sich auflösten , vermehrte und allmählich den 1) W = einsuurige Wasserstoffbasis, z. B. : NH3; €2H4 etc. Untersuchung«) über einbasische Kohlenstoffsäuren, 3S9 Essigäther in einen dicken Brei verwandelte. Nach und nach war eine bräunliche Färbung des Aethers eingetreten; überall, wo das Natrium darin sichtbar wurde , erschien seine Oberfläche nicht blank , sondern immer mit dem im Essigäther unlöslichen Salz überzogen. Nachdem eine beträchtliche Menge des festen Producles entstanden und das Na- trium verschwunden war, wurde zur Untersuchung des ersteren der Essigäther aus dem Wasserbade so völlig als möglich abdestillirt, der bräunliche Retortenrückstand mit wasserfreiem Aether, worin der Farb- stoff allein löslich war. gewaschen, abfiltrirt, das weisse Salz rasch aus- gepresst und über Schwefelsäure im leeren Räume getrocknet. Die Analyse zeigte, dass es wasserfreies essigsaures Natron war: 0,942 grm. gaben nach dem Glühen 0,6005 grm. geschmol- zenes weisses kohlensaures Natron, was entspr. 0,35123 grm. = 37,3 Proc. 0,223 grm. lieferten bei der Verbrennung 0,1815 grm. Kohlen- säure, entspr. 0,0495 grm. = 22,2 Proc. Kohlenstoff, und 0,0655 grm. Wasser, entspr. 0,007278 grm. = 3,3 Proc. Wasserstoff. Der bei dem Natron gebliebene Kohlenstoffgehalt berechnet sich zu 7,2 Proc, so dass also in Summa 29,4 Proc. Kohlenstoff in dem Salze ent- halten gefunden wurden. Das essigsaure Natron verlangt: 37,8 Proc. Natron, 29,3 Proc. Kohlenstoff und 3,7 Proc. Wasserstoff. Das braungefärbte ätherische Filtrat wurde nun im Wasserbade vom Aether und Essigäther befreit. Es blieb wenig eines braun gefärb- ten Oels zurück. Um davon mehr zu erhalten, wurde der vom essig- sauren Natron abdestillirle Essigäther zum zweiten Male auf die näm- liche Weise der Einwirkung des Natriums unterworfen. Anfangs fand wiederum über die ganze Oberfläche des Natriums die Bildung des weissen unlöslichen Salzes (unter allmählicher Bräunung der Flüssig- keit j statt, später jedoch hörte dieselbe auf, das Metall wurde blank und löste sich so unter Wasserstoffentwiekelung vollkommen im Essigäther. Als dieser Zeitpunct eingetreten war, wurde der noch unveränderte Essigäther wiederum abdestillirt und von Neuem der Einwirkung des Natriums unterworfen. Jetzt löste sich dasselbe darin, sogleich blank bleibend, vollkommen auf unter allmählicher Bräunung der Flüssigkeit1). In dem Maasse, als das Natrium verschwindet, verdickt sich die Flüssig- keit, verlangsamt sich die Einwirkung, so dass man durch gelindes Er- 1) Dieser so gereinigte Essigäther, der allein als vollkommen rein betrachtet weiden kann, besitzt den corr. Siedepunct 72°, 68. 26* 390 A.jGeutlier, wärmen dieselbe befördern muss. Wenn die verbrauchte Menge des Natriums 12 Proc. vom Gewicht des angewandten Essigäthers beträgt, ist sie so langsam geworden, dass man gut thut, mit dem weiteren Zu- geben von Natrium aufzuhören, man lässt nun im Wasserstoffstrom erkalten. Der ganze Retorteninhalt erstarrt zu einer festen Krystall- masse; durch gelindes Erwärmen, zuerst im Wasserbade , wird sie wieder flüssig und kann nun von gewöhnlich ungelöst bleibenden ge- ringen Krusten essigsauren Natrons durch den Tubulus der Retorte in ein oder mehrere wohlgetrocknete und mit gutschliessenden Kork- stöpseln versehene Kochflaschen ausgegossen werden. Reim Erkalten er- starrt alles wieder zu einer strahlig kristallinischen Masse, die durch wiederholtes Auskochen mit wasserfreien Aelher fast völlig vom Farb- stoff, der in Lösung geht, befreit werden kann. Es wird abfiltrirt, die weisse Krystallmasse rasch ausgepresst und über Schwefelsäure ge- trocknet. Aus dem ätherischen Filtrat, das gut verschlossen aufbewahrt werden muss, scheidet sich nach längerem Stehen noch mehr von der Verbindung ab, mit der ebenso verfahren wird. Da die entstandene Verbindung durch Wasser äusserst leicht verändert wird, so muss diese Waschungsoperation möglichst rasch ausgeführt werden. Da aber die Feuchtigkeit der atmosphärischen Luft vollkommen auszuschliessen unmöglich ist, so ist auch das so erhaltene Product stets mit dem durch Wasser entstehenden Zersetzungsproduct , dem kohlensauren Natron nämlich, sowie mit dem von seiner Rereitung her ihm beigemengten essigsauren Natron, in geringer Menge verunreinigt. Die durch die Ana- lyse dieses unmittelbaren Productes erhaltenen Werthe müssen also nothwendig im Sinne dieser Verunreinigungen, hauptsachlich des essig- sauren Natrons, gedeutet werden. Die Analyse des über Schwefel- säure im luftleeren Raum getrockneten , noch durch etwas Farbstoff gelblich gefärbten Salzes ergab: 26,4 Proc. Natron, 4L 8 Proc. Kohlen- stoff und 5,5 Proc. Wasserstoff". Ein weisseres Salz einer zweiten Dar- stellung: 24,2 Proc. Natron, 40,0 Proc. Kohlenstoff und 5,5 Proc. Was- serstoff. Die reine Verbindung würde demnach, da das hier verunrei- nigende essigsaure Natron mehr Natron (37,8 Proc.) und weniger Kohlen- stoff (29,3 Proc.) und Wasserstoff (3,TProc.) enthält, einen noch höheren Kohlenstoff- und Wasserstoffgehalt und einen niedrigeren Nalrongehalt ergeben haben. Die oben erwähnte Eigenschaft der Verbindung, in Aelher etwas löslich und die Eigenschaft des essigsauren Natrons, darin unlöslich zu sein, wurde nun benutzt beide zu trennen. Das durch Auskochen mit Aetlier nach dem Erkalten im Filtrat als weisse verfilzte Nadeln sich abscheidende Product wurde rasch abfiltrirt, ausgepresst und im leeren Untersuchungen Aber einbasische Kohlenstoffsäuren. 391 Raum über Schwefelsäure getrocknet, sein Natrongehalt betrug: 19,3 Proc, während derjenige des vom Aether ungelöst gebliebenen Rück- standes sieh auf 32,6 Proc. erhöht halte. Die geringe Löslichkeit der Verbindung in reinem Aether aber gestattet in kurzer Zeil nicht wohl eine grössere Menge der Verbindung zu reinigen, was leichter auf fol- gende Weise geschieht: Man kocht das Salz längere Zeit mit einem Gemisch von etwa 6 Theilen Aether und 1 Th. absolutem Alkohol , so dass nur wenig Aether dabei verdunstet, filtrirt in einen wohlgetrock- neten Stöpselcylinder durch vorher getrocknete Trichter und Filter und fügt nun etwa ein gleiches Volum wasserfreien Aethers zu. Die Flüssigkeit trübt sich schwach , nach einiger Zeit sammelt sich das Trübende in Form von Flocken , die man durch abermalige rasche Fil- tration in einen zweiten Stöpselcylinder beseitigt. Nach und nach be- ginnt die Bildung schöner langer, meist concentrisch gruppirter Nadeln der reinen Verbindung. Sie wird rasch abfiltrirt, mit reinem Aether mehrmals kalt gewaschen, rasch ausgepresst und über Schwefelsäure im leeren Raum getrocknet. 0,5239 grm. dieses Producles lieferten nach dem Glühen 0,1965 grm. kohlensaures Natron, entspr. 0,1 1493 grm. = 21,9 Proc. Natron. 0,1942 grm. desselben gaben 0,1088 grm. Wasser, entspr. 0,01209 = 6,2 Proc. Wasserstoff und 0,2987 grm. Kohlensäure, entspr. 0,08147 grm. Kohlenstoff, der bei dem Natron als Kohlensäure gebliebene Koh- lenstoff berechnet sich zu 0,008246 grm., so dass im Ganzen 0,089716 grm. Kohlenstoff = 46,2 Proc. gefunden wurden. Die Formel, welch e sich aus diesen Resultaten für die Verbindung ableitet, ist: €6H903, NaO ber. gef. €6 = 47,4 46,2 U9 = 5,9 6.2 Or' = 26,3 — NaO = 20,4 21,9 100,0 Die Abweichung der gefundenen Mengen der Restandtheile von den berechneten erklärt sich durch den Einfluss der Feuchtigkeit auf die Verbindung, welche sie in doppeltkohlensaures Natron, Aceton und Alkohol, wie wir weiter unten sehen werden, zerlegt. Alle Cmsetzungs- producte der Verbindung bestätigen diese Formel. Rei der Einwirkung von Natrium auf Essigäther treten also 2 Mgt. des Letzteren mit 2 Mgt. des Ersteren in Wechselwirkung , es trennt sich davon I Met. Alkohol und kommt als Aethernatron und Wasserstoff 392 A. Geuther, zum Vorschein, entfernbar durch Waschen mit Aelher und in den zu- sammenbleibenden Rest tritt für IMgt. Wasserstoff' I Mgt. Natrium ein: €H2,€02 \ HO , ,G2H4|HO i HO€2H4 ( /NaO + i MO€2H4 J I + €H2€02 €2H4 lNa0 Das somit neben dem Natronsalz entstehende Aethernatron musste in der ätherischen Lösung enthalten sein und konnte durch Zersetzung mit Wasser als Natron und Alkohol erhalten, und so nachgewiesen wer- den. Zu dem Ende wurde die von der noch nachträglich entstandenen Krystallisation des Natronsalzes durch Filtration getrennte ätherische Flüssigkeit im Wasserbade vom Aether resp. geringen Mengen Essig- äther befreit und die zurückbleibende in der Kälte feste Salzmasse , die keinen Geruch nach Essigäther mehr zeigte, mit Wasser übergössen und destillirt. Das Destillat bestand aus Wasser, viel Alkohol und verhält- nissmässig wenig Aceton. Es wurde zunächst durch mehrfache Destil- lationen aus dem Wasserbade vom grössten Theil des Wassers befreit, sodann mehrmals mit Chlorcalcium destillirt und später für sich mit eingesenktem Thermometer fractionirt. Das zwischen 50° und 60° Leber- gegangene gab bei der Analyse folgende Zahlen : 0,31 83 grm. Substanz lieferten 0.6986 grm. Kohlensäure, entspr. 0,19053 grm. = 59,9 Proc. Kohlenstoff und 0,3073 grm. Wasser. entspr. 0,0341 4 grm. = 10.7 Proc. Wasserstoff. Es entsprechen diese Zahlen einem mit etwas Alkohol verunrei- nigten Aceton. Aceton. Alkohol. ber. gef. ber. €3 = 62,07 59,9 €2 = 52.2 UG = 10,35 10,7 Mß = 13,0 O2 = 27,58 — O2 = 34,8 100,00 I00.0 Der Alkohol tritt hier als Zersetzungsproduct des Aethernatrons sowohl, als der andern Natronverbindung, welche nothwendig ihrer Löslichkeit in Aether halber dem Aethernatron beigemengt sein musste. auf, das Aceton kann allein der Letzteren angehören. Die braune wäss- rige Lösung reagirt stark alkalisch, enthält ausser freiem Natron kohlen- saures und essigsaures Salz, nebenbei noch wenig eines durch Schütteln mit Aether ausziehbaren Oels und wenig einer Natronver- bindung, die auf Zusatz von Säure unter Trübung zersetzt wird. Diese Untersuchungen über einbasische Kohlenstoffsäuren. 393 Trübung entsteht durch einen mittelst Aether ebenfalls ausziehbaren ölförmigcn Körper. Beide Oele bleiben nach dein Verdunsten desAethers braun und dick zurück, sie scheinen Neben Vorgängen , vielleicht einer Mitwirkung des Sauerstoffs der Luft, ihre Entstehung zu verdanken. Die .Menge derselben ist verhällnissmässig sehr gering. Ich habe sie .nicht weiter untersucht. Die im Aether schwerlösliche , oben ihrer Zusammensetzung nach bestimmte Natronverbindung, die ich früher Di-methylencarbon-äther- natron genannt habe, ist, wie mich der weitere Verlauf der Unter- suchung gelehrt hat, nichts anderes, als das Natron salz einer neuen Saure, die ich Aethylen ■ di ■ methylencarbonsäure nenne, indem ich das Kohlenoxyd als »Carbon« (= €02) , die Amei- sensäure als » C a r b o n s ä u r e « ( = \ " ^ ) , die Essigsäure als »M e- t h vlenca rbon säure« ( _- ^ " > ^ ^ }**;:), die Propionsäure als »Aeth vlenca rbon säure« ( = ' „„) u. s f. bezeichne, J i HO' sowie den Methylalkohol als »Methylen alkohol« ( = "::), den rl u4 , ii r\ Aethylalkohol als »Aethylenalkohol« (= tt uX) u- s- w- Im Sprach- gebrauch der Radicaltheorie würde unsere Säure Aethyl-di-essigsäure oder Aethyl-di-acetsäure zu benennen sein, die Liebhaber der Substi- tution können sie als eine Essigsäure betrachten, in der ein Wasserstoff durch Aethyl, ein anderer durch Acetyl (= €2xx302) substituirt ist. Ehe ich zur Betrachtung der Säure selbst und ihrer Darstellungs- weise aus dem Natronsalz übergehe, will ich noch der Zersetzung näher gedenken, welche das Letztere durch Wasser erleidet. Es wurden 20 Grm. des unmittelbar erhaltenen , mit Aether bis zur völligen Weisse gewaschenen, aber nicht weiter gereinigten, voll- kommen getrockneten Salzes in einem Kolben mit Wasser übergössen und der Destillation bei guter Kühlung unterworfen. Ausser einem flüch- tigen, im Kühler langstreifig fliessenden Product und Wasser trat noch Kohlensäure (beim Kochen) in beträchtlicher Menge auf , die durch Kalkwasser nachgewiesen wurde. Das wässrisie Destillat wurde erst für sich wiederholt aus dem Wasserbade und dann über Chlorcalcium destillirt. Seine Menge betrug 10 grm. Durch wiederholte Fractionen wurde es in ein bis 60° und ein bei 78° übergehendes Product zerlegt. Das Letztere war noch etwas wasserhaltender Alkohol, wie die Ana- 394 A. Geuther, lyse zeigte, das andere aber Aceton, wie seine Eigenschaften und die folgende Analyse lehrt. Beide Körper waren etwa in gleicher Menge entstanden. 0,194 grm. der von 57° — 59° überdestillirten Portion gaben 0,436 grm. Kohlensäure, entspr. 0,1 189 grm. = 61,3 Proc. Kohlen- stoff und 0,!83 grm Wasser, entspr. 0,02033 grm. = 10,5 Proc». Wasserstoff. ber. gef. €3 = 62,07 61,3 MG = 10,35 10,5 O2 = 27,58 — 100,00 Dieses Aceton gab, mit einer alkoholischen Lösung von saurem schwefligsaurem Ammoniak zusammengebracht, die für das Aceton cha- rakteristischen Krystalle , mit Ammoniak allein eine in Wasser leicht lösliche , unkrystallinische Substanz vom Geruch des Acetonammo- niaks und seiner Eigenschaft Silberlösung zu reduciren. Die im Kölbchen nach der Destillation zurückbleibende wässrige Lösung reagirte stark alkalisch, sie wurde im Wasserbade zur völligen Trockne gebracht und mit abs. Alkohol ausgekocht. Es blieben unge- löst 6, i3 grm. weisses Salz , das nichts anderes als kohlensaures Natron war, das in Lösung gegangene Salz, 2, 5 grm. betragend* wurde zur Entfernung; einer geringen Menee von Farbstoff mit etwas Alkohol behandelt und dann, völlig weiss, analysirt. Es verlor nach dem Trock- nen über Schwefelsäure, selbst beim Erhitzen auf I 30 ° nicht mehr an Gewicht. 0,375 grm. hinterliessen nach dem Glühen 0,243 grm. weisses geschmolzenes kohlensaures Natron, entsp. 0,14213 grm. = 37,9 Proc. Natron. 0,389 grm. lieferten beim Verbrennen 0,3185 grm. Kohlen- säure, entspr. 0,08686 grm. = 22,3 Proc. Kohlenstoff, wozu noch die bei dem gebildeten kohlensauren Natron gebliebene sich auf 7,3 Proc. berechnende Menge Kohlenstoff kommt, also in Summa 29,6 Proc. Kohlenstoff und 0, I 28 grm. Wasser entsp. 0,0 I 'r22 grm. = 3,7 Proc. Wasserstoff. Essigsaures Natron verlangt: 37,8Proc. Natron, 29,3 Proc. Koh- lenstoff und 3,7 Proc. Wasserstoff. Werden die 2,5 grm. essigsaures Natron als eine, die angewand- ten 20 Grm. der Natronverbindung verunreinigende Beimengung be- trachtet, wie es wohl als sicher anzunehmen ist, so würden die allei- nigen Zersetzungsproducte des Natronsalzes beim Kochen mit Wasser Untersuchungen über einbasische Kohlenstoffisäuren. 395 also sein: I. Aceton. 2. Alkohol, 3. neutral, kohlensaures Natron und i. freie Kohlensäure. Das Natronsalz kann unter Aufnahme von Wasser alle diese Pro- duete liefern , wie die folgende Gleichung zeigt : 2 €H2, CO2 £° + 6 fl0 = , , L «** ra0:l t*»[*^g]+:«* Die aus 20 — 2,5 grm. = 17,5 grm. des Natronsalzes nach dieser Gleichung sich berechnenden Mengen sind: von Alkohol -+- Aceton neutr. kohlens. Natron 12 grm. und 0, 1 grm. Erhalten wurden: 10 ,, ,, 6,13 , , ein Resultat , das vollkommen beweisend ist. Aus diesem Verhalten des Natronsalzes erklärt sich nun vollkom- men, wie früher bei der Zersetzung des erhaltenen Aethernatrons mit Wasser hat Aceton auftreten können , es stammte diess , sowie die beim Natron bemerkte Kohlensäure eben von etwas beigemengtem Salze her. Aber auch schon bei gewöhnlicher Temperatur erleidet eine Lösung des Natronsalzes , wenngleich langsamer dieselbe Zersetzung. Wird eine solche im möglichst concentrirten Zustande unter die Luftpumpe über Schwefelsäure gebracht, so geht die Verdunstung des Wassers nur langsam von statten. Nach längerer Zeit erst bleibt eine kristallinische trockene Masse übrig , die nichts weiter als kohlensaures Natron ist, ohne jede Spur unveränderten Salzes. Unter diesen Umständen be- greift es sich, wie nothwendigerweise im Sinne dieser Zersetzung die ge- fundenen analyt. Resultate des Natronsalzes von den berechneten abwei- chen mussten , so wie es der Fall war , da die Feuchtigkeit der Luft während der Reinigung, des Trocknens und Wagens das Salz verändert. Die Aethylen - di - methylencarbonsäure ( Aethyl - di - acetsäure ) erhält man im freien Zustande aus dem unmittelbar erhaltenen, mit Aether gewaschenen , sonst aber nicht weiter gereinigten Natronsalz auf verschiedene Weise je in mehr oder grösserer Menge und mit ver- schiedenen anderen Verbindungen zusammen : I . Durch R e h a n d 1 u n g des N a t r o n s a 1 z e s mit Chlor- wass erst off gas. Leitet man trocknes Chlorwasserstoffgas über die in einer mit ab- 396 A. Geuther, vvärts gebogener Spitze versehenen Röhre befindliehe Natron Verbin- dung, so erwärmt sich dieselbe unter vollständiger Absorption des Gases und es entsteht eine Flüssigkeit, welche durch gelinde Wärme im Salz- säurestrom vom gebildeten Chlornatrium abdestillirt wird. Das Destil- lat, welches zur Entfernung der absorbirten Chlorwasserstoffsäure mit wenig Wasser gewaschen und über Chlorcalcium getrocknet wird, be- steht nun aus 3 Substanzen, die leicht durch fractionirte Destillation zu trennen sind, nämlich aus Essigäther, aus unserer Säure und aus einer in geringer Menge vorhandenen weit über 200 ° destillirenden krystal- linisch erstarrenden andern Säure. Ist der Essigäther zwischen 60° und 80° übergegangen, so steigt das Thermometer rasch auf 160° und von da an langsamer bis 170°; hat es den Stand 200° erreicht, so ist nahezu Alles von unserer Säure übergegangen und der braune Rück- stand besteht hauptsächlich aus der anderen festen Säure nebst etwas Farbstoff. Durch wiederholte Rectificationen kann dieselbe vollkom- men farblos, rein und vom constanten Siedepunct I80°,8 (corr. er- halten werden. 0,23325 grm. derselben lieferten bei der Verbrennung 0.47375 grm. Kohlensäure, entspr. 0,129204 grm. = 55,4 Proc. Kohlenstoff und 0,16175 grm. Wasser, entspr. 0,017972 grm. = 7,7 Proc. Was- serstoff. Demnach kommt ihr die Formel: €G H10 0G zu. . ber. gef. €6 = 55, \ 55,4 nu> = 7,7 "•" 0° = 36,9 — 100,0 Die Zersetzung der Natronverbindung durch die Chlorwasserstoff- säure ist vollständig, so dass nur Kochsalz mit ganz wenig Farbstoff übrig bleibt. 0,322 grm. der 24,2 Proc. Natron enthaltenden Verbin- dung Hessen 0,1505 Chlornatrium zurück, was 24,8 Proc. Natron ent- spricht. 2. Durch Rehandlung des Natronsalzes in wässriger Lösung mit Essigsäure. Man fügt zu der unmittelbar bereiteten Lösung des Natronsalzes mit möglichst wenig Wasser in einem Stöpselcylinder die berechnete Menge von Eisessig und schüttelt darauf mehrmals mit gewöhnlichem Aether die Flüssigkeit durch und hebt den Aether ab. Nachdem der Aether im Wasserbade abdestillirt worden ist, bleibt die Säure mit wenig Essigsäure als Flüssigkeit übrig. Durch Rectilication wird sie gereinigt. Untersuchungen über einbasische KohleustoffsÄnreu. 397 Es seheint diess die beste Methode zu ihrer Darstellung zu sein, denn aus 6 grm. des Natronsalzes wurden 3 grm. Siiure ohne eigentlich an- dere Nebenprodukte erhalten , eine Menge , wie sie bei keiner andern Bereitungsweise erhalten worden ist. 3. Durch Erhitzung des Natronsalzes für sich im K o h 1 e n s ä u r e s l r o in . Wenn man das Natronsalz in einem Rohr mit ausgezogener, nach abwärts gerichteter Spitze in einem Luftbad allmählich bis auf 1 80° erwärmt, während ein ganz langsamer Strom trockner Kohlensäure darüber geleitet wird, so destillirt eine farblose Flüssigkeit (bis 30Proc. der angewandten Salzmenge) ab, die hauptsächlich aus der Säure, etwas Essigäther und Alkohol besteht. Es scheint, als wenn die Menge der Säure abhängig sei von der Anwendung einer nicht zu grossen Menge des Natronsalzes, von der langsamen Steigerung der Temperatur über 100° und von der Langsamkeit und Trockenheit des Kohlensäurestromes. Bei etwa 10 grm. der angewandten Substanz wird das beste Resultat erzielt werden. Durch einfache Rectifieation des Destillates wird die Säure rein erhalten. 0,2556 der zwischen 175° und 177° (uncorr.) übergegangenen Portion lieferten 0,5214 grm. Kohlensäure, entspr. 0,4 422 grm. = 55,6 Proc. Kohlenstoff und 0,1831 grm. Wasser, entspr. 0,020344 grm. = 7,9 Proc. Wasserstoff. Die Formel: €GH,0OG verlangt: 55,4 Proc. Kohlenstoff und 7,7 Proc. Wasserstoff. Der gleichzeitig mit entstandene Essigäther wurde nach mehrmali- ger Rectifieation zur Entfernung des Alkohols mit Kochsalzlösung ge- waschen, über Chlorcalcium rectificirt und das von 72 — 74° Ueber- destillirende analysirt. 0,258 grm. desselben lieferten bei der Verbrennung 0,512 grm. Kohlensäure, entspr. 0, 13964 grm. =54, 1 Proc. Kohlenstoff und 0,21 25 grm. Wasser, entspr. 0,0230 grm. = 9,2 Proc. Wasserstoff. Der Essigäther verlangt: 54,5 Proc. Kohlenstoff und 9,1 Proc. Wasserstoff. Bei dieser Behandlung des Natronsalzes ist die dabei übergeleitete Kohlensäure ohneEinfluss, denn die Menge des Destillats plus der Menge des Rückstandes im Rohr ist gleich der angewandten Salzmenge. So wurden in einem Falle 8, -5 5 grm. Natronsalz angewandt, das Destillat wog 2.01 grm., der Rückstand im Rohr 6,32 grm., in einem andern Falle wurden verwandt 9 grm. Natronsalz, das Destillat betrug 3 grm., der Rückstand 6 grm. 398 A. Geuther, Dieser Rückstand im Rohr, der ein hellbraunes zusammengesin- tertes Aussehen angenommen hat, besteht nun aus kohlensaurem Natron, aus dem unverändert gebliebenen, dem Salze von Anfang an beigemeng- ten essigsauren Natron, braunen harzartigen Substanzen von saurer Natur und dem Natronsalz einer festen, krystallisirbaren gegen 260° überdestillirbaren Säure , der nämlichen , die bei der Einwirkung des Chlorwasserstoffgases auf das Natronsalz mit entstanden ist. Von diesen Producten soll später die Rede sein. Die Aethylen-di-methylencärbonsäure ist also eine voll- kommen farblose Flüssigkeit, die den corr. Siedepunct 180°, 8 besitzt, von dumpfem obstartigem Geruch, der, wenn er verdünnt ist, an Erd- beeren erinnert. Ihr spec. Gewicht beträgt bei + 5°: 1,03. Im voll- kommen trocknen Zustand ist sie ohne Reaclion auf Lackmus, sie dun- stet davon einfach ab, jede Menge von Wasser aber, die dazu gebracht wird, verursacht eine starke Röthung. Diess letztere Verhalten habe ich früher von einer Zersetzung der Säure abgeleitet, da die im vor- hergehenden erwähnten Eigenschaften mehr für eine Aetherart spra- chen und der Verbindung, dieser Ansicht folgend, den Namen Di-methy- len-carbonsäure-Aether (Di-acetsäure-Aether) gegeben, ich habe indess bei der fortgesetzten Untersuchung gefunden , dass sie wirklich eine Säure ist, da sie sich mit Rasen einfach unter Wasseraustritt vereinigt. Das charakteristischste Verhalten, welches diese Säure oder die Lösung ihrer Salze zeigt , ist das zu einer neutralen Eisenchloridlösung. Die- selbe wird dadurch prächtig dunkelviolettroth (d u n k e 1 k i r s c h- roth) gefärbt und zeigt diese Färbung noch bei starker Verdünnung. Beim Kochen mit Wasser wird sie scheinbar nicht verändert, sie destil- lirt mit den Wasserdämpfen leicht über und erscheint wieder als Oel. Wird sie dagegen mit starken Säuren in wässriger Lösung erwärmt, wie z. B. mit Salzsäure oder mit starken Rasen, z. R. Natronlauge oder Barythydrat, so löst sie sich rascher auf und zersetzt sich, wie es vom Natronsalz angegeben. Im ersteren Falle tritt dann eine reichliche Koh- lensäureentwickelung ein , die auch beim nachherigen Erkalten fort- dauert. Das nämliche geschieht, wenn man eine concentrirte Lösung ihres Natronsalzes mit concentrirter Salzsäure im Ueberechuss versetzt. Ausser der Kohlensäure %\ erden dann auch offenbarAlkohol und Aceton ge- bildet. Anders als das Verhalten des Natronsalzes ist das des weiterunten beschriebenen Kupfersalzes, beim Kochen desselben mit Wasser trennt sie sich einfach vom Kupferoxyd, sienimmtandessen Stelle I MgL Wasser auf und destillirt mit den Wasserdämpfen über. Ihr Kupfersalz verhält sieh also ähnlich, wie kohlensaures Kupferoxyd, das auch mit Wasser cjekoeht die Säure, freilich im wasserfreien Zustande, verliert. Wird Untersuchungen über einbasische Kohlenstoffsäuren. 399 sie aber mit Wasser im verschlossenen Rohr auf 150° erhitzt, so zer- setzt sie sich vollkommen, es entstellt Kohlensäure, die starken Druck im Innern des Rohres bedingt und jedenfalls Aceton und Alkohol nach der Gleichung : ^2 j|4 MO i HO Der Aethylen- di - methylencarbonsaure Baryt (Aethyl-di -acetsaurer Baryt) wird erhalten, wenn man zu der Säure vorsichtig Barytwasser fügt, bis sie gelöst und neutrale Reaction eingetreten ist. Die Flüssigkeit unter der Luftpumpe über Schwefelsäure rasch zur Trockne verdunstet hinter- lässt das Barytsalz als eine amorphe farblose, ganz durchsichtige Masse, die beim nachherigen Auflösen in Wasser sich unter Zurücklassung klei- ner Mengen kohlensauren Baryts wieder löst. Die filtrirte Lösung wieder so rasch eingedunstet hinterläßt beim abermaligen Lösen in Wasser wieder kohlensauren Baryt. Es zersetzt sich also eine Lösung des Baryt- salzes., wie eine Lösung des Natronsalzes, schon bei gewöhnlicher Tem- peratur. Rascher geschieht dies hier, wie dort, beim Kochen der Lösung, es trübt sich dann die Flüssigkeit bald unter Abscheidung von kohlen- saurem Baryt. Das Aethylen ■ di ■ methylencarbonsaure Kupferoxyd (Aethyl-di-acetsaures Kupferoxyd, ist ein durch seine Unlöslichkeit in Wasser und seine kristallinische Beschaffenheit charakteristisches Salz der Säure. Es entsteht im reinen Zustande , wenn man die eben bereitete Lösung des Barytsalzes mit einer ganz neutralen Lösung von essigsaurem Kupferoxyd so lange ver- mischt, als die Flüssigkeit keine, oder nur eine schwachgrüne Färbung zeigt. Ein Ueberschuss von essigsaurem Kupferoxyd ist der Löslichkeit des Salzes darin halber zu vermeiden. Es ist blassgrün, von deutlich kristallinischem Aussehen, und so lange es mit der Flüssigkeit in Be- rührung ist, atlasglänzend, unter dem Mikroskop zeigt es sich aus lauter langen, häufig concentrisch gruppirten Nadeln bestehend. Man erhält es als einen sonst gleich gearteten nur etwas blasser aussehenden Niederschlag, wenn man eine Lösung des ursprünglich erhaltenen Natron- salzes sogleich nach ihrer Bereitung mit essigsaurem Kupferoxyd ver- mischt, bis die Färbung der Flüssigkeit grünlich erscheint. So bereitet ist es nicht ganz rein , sondern enthält etwas kohlensaures Kupferoxyd beigemengt. Die Anwesenheit des Letzteren in geringer Menge ist , wie 400 A. Genther, die Analysen zeigen, auch bei dem aus dem Barytsalz bereiteten nicht sanz zu umsehen , da auch hier ein etwas eerineerer Kohlenstoffaehalt gefunden wurde. Das Salz ist im Wasser unlöslich, wasserfrei und explodirt beim stärkeren Erhitzen. Der Kupfergehalt kann deshalb nicht durch unmittelbares Glühen bestimmt werden. I. 0,188 grm. der aus dem Natronsalz dargestellten, über Schwefelsäure getrockneten Verbindung lieferten 0,052 grm. Kupfer- oxyd = 27,7 Proc. 0,254 grm. ebendieser Verbindung gaben 0.3715 grm. Kohlen- säure, entspr. 0,101318 grm. = 39,9 Proc. Kohlenstoff und 0,125 grm. Wasser, entspr. 0,01389 grm. = 5,5 Proc. Wasserstoff. II. 0,1555 grm. der aus der Säure mit Hilfe des Barytsalzes dargestellten Verbindung über Schwefelsäure getrocknet lieferten 0,03825 grm. Kupferoxyd =24,6 Proc. 0, 1 86 grm. derselben Verbindung gaben 0,290 grm. Kohlensäure, entspr. 0,07909 grm. = 42,5Proe. Kohlenstoff und 0,097 grm. Was- ser, entspr. 0,01078 grm. = 5,8 Proc. Wasserstoff. ber. eef. I. 11. €6 = 14,8 39,9 i:\.i W = 5.6 5,5 5,8 o5 = 24,9 — — GuO = 24,7 27,7 24j€ IdO.O Das trockne Kupfersalz ist sehr voluminös und leicht, es kann nur kurze Zeit auf I 00° ohne Gewichtsverlust erhitzt werden, bei fortge- setztem langsamen Erhitzen über 100° hinaus erleidet es dauernd Ge- wichtsabnahme, ohne sein Aussehen wesentlich zu verändern, gegen 170° ist es etwa 65 Proc. leichter und mehr «eibgrün seworden und von etwas geschmolzenem Aussehen. Wird es im Böhrchen rascher er- hitzt, so schmilzt es vollkommen, aber alsbald beginnt eine Zersetzung, die sich durch die Sublimation von weissen wollig ve rfilz t e n nadeiförmigen Kry stallen bemerkbar macht. Ich habe dieses Sublimat bis jetzt aus Mangel an Material noch nicht näher untersuchen können. Wird das Kupfersalz mit einer verdünnten wässrigen Säure übergössen, so wird es ölig, indem sich die Säure abscheidet und einen Theil des Salzes durch Umhüllung vor dem weiteren Zersetzen schützt. Beim Erwärmen löst sich alles auf. Bemerkenswerth ist das Verhalten des Kupfersalzes beim Kochen mitWasser: es wird allmählich dunkler während mit den Wasserdampfen Untersuchungen ober einbasische Kohlenstoffsäuren. 401 ein ölförmiger Körper übergeht, der sich in einer grösseren Menge wäss- rigen Destillates wieder löst, Durch wiederholte Destillationen (immer so lange, als noch Oeltropfen erscheinen) wird es vom Wasser befreit, überChlorcalcium getrocknet und rectificirt. Es besitzt der Hauptsache nach den Siedepunct der Saure 180° und zeigt die charakteristische Reaction mit Eisenchlorid. Der von I 70 °— 1 80 ° übergegangene Theil wurde analysirt, 0.206 grm. desselben lieferten 0,3855 grm. Kohlensäure, entspr. 0,105136 grm. = 51,0 Proc. Kohlenstoff und 0,4445 grm. Wasser, entspr. 0,016056 grm. = 7,8 Proc. Wasserstoff. Da die Formel: €GH10O10 aber verlangt: 55,4 Proc. Kohlenstoff und 7,7 Proc. Wasserstoff, so glaubte ich, die Substanz sei noch mit einer kohlenstoffärmeren zweiten verunreinigt und unterwarf sie aber- mals der Destillation, wieder das von 170°— 180° Uebergehende zur Analyse verwendend. Das Resultat indess blieb das nämliche, es wur- den 51,0 Kohlenstoff und 7,9 Proc. Wasserstoff gefunden. Welche Reimengung diese Abweichung der analyt. Resultate von den berechneten verursacht , kann ich nicht sagen , da mir nur wenig Material zu Gebote stand. Dass die erhaltene Substanz aber hauptsäch- lich unsere Säure ist, geht daraus hervor, dass sie sich gegen Rarytwas- ser vollkommen wie sie verhält und dass die Lösung des Rarytsalzes mit essigsaurem Kupferoxyd dasselbe Kupfersalz der Form u. s. w. und auch dem Kupfergehalt nach lieferte. Es gaben nämlich: 0,0567 grm. desselben 0,0140 grm. = 24,7 Proc, Kupferoxyd, wie es die Formel verlangt. Wenngleich darnach das Kupfersalz beim Kochen mit Wasser sich in Säure und Kupferoxyd zersetzt, so geschieht das doch nicht so, dass alle Säure des Salzes wieder erhalten werden kann; ein grösserer Theil zerfällt dabei wie sonst in Kohlensäure , Alkohol und Aceton, weshalb es unpraktisch ist, die Säure auf diese Weise darzustellen. Fügt man bei der Darstellung des Kupfersalzes etwas mehr essig- saures Kupferoxyd zu als zur Umsetzung nöthig ist, so erhält man ein schön maigrünes Filtrat, das vielleicht eine Doppelverbindung des Aethy- len-di-methylencarbonsauren mit dem essigsauren Kupferoxyd enthält, da sich ersteres in letzterem reichlich löst, Wird dieses Filtrat auf dem Wasserbade erwärmt, so scheidet sich eine grosse Menge kohlensau- res Kupferoxyd aus, indem flüchtige Substanzen entstehen. Es findet hierbei also leichter als bei reinem Kupfersalz die Zersetzung der Säure, dem Natronsalz analog, statt. Die übrigen Met all oxydsalze der Aethylen-di-methylen- carbonsäure scheinen bis auf das Silbersalz, welches sich beimVer- 402 A, Geuther, mischen der Natronsalzlösung mit salpetersaurem Silberoxyd als ein weisser Niederschlag, der sich bald unter Schwärzung, auch bei Aus- schluss des Lichtes zersetztabseheidet, in Wasserlöslich zu sein, da sie auf entsprechende Weise als Niederschläge nicht erhalten werden. Man sieht, dass in Bezug auf die Löslichkeit ihrer Salze unsere Säure der Essig- säure gleicht, die ebenfalls mit Silberoxyd und Kupferoxyd schwerlös- liche, sonst aber leichtlösliche Salze bildet. Das Aethylen • di ■ methylencarbonsaure Aethylen (Aethyl-di-acetsaures Aethyl, ist leicht zu erhalten durch Wechselzersetzung desNalronsalzes mit Iod- wasserstoff-Aethylen (Iodäthyl). Man setzt die beiden Substanzen, im Verhältniss ihrer Mischungsgewichte, im verschlossenen Rohr einer all- mählich steigenden Temperatur, zuletzt 100° — 170°, während zweier Tage aus. Die erst lockere Natron Verbindung zergeht allmählich, es bildet sich viel Flüssigkeit, während das feste Salz pulverförmiger wird. Der Röhreninhalt wird nun mit Wasser geschüttelt, wodurch das feste Iodnatrium gelöst wird, während sich der olförmige Inhalt auf die Ober- fläche der Salzlösung begiebt. Nachdem man die Flüssigkeit entfernt hat, bringt man das Oel in eine Retorte, die man im Wasserbade er- wärmt. Etwa vorhandenes überschüssiges Iodwasserstoff-Aethylen, als auch gebildetes essigsaures Aethylen wird dabei der Hauptsache nach verflüchtigt. Zur Entfernung des Farbstoffes wird dann der bräunliche Retorteninhalt mit eingesenktem Thermometer der Destillation entweder sogleich für sich unterworfen, oder erst mit Wasserdämpfen einmal über- destillirt, und nach dem Entwässern rectificirt. Das bei 195° — 196° Uebergehende ist die reine Verbindung. I. 0,2048 grm. der sogleich für sich destillirten Verbindung lie- ferten 0,4573 grm. Kohlensäure, entspr. 0,12478 grm. = 60,9 Proc. Kohlenstoff und 0,168 grm. Wasser, entspr. 0,01867 grm. = 9,1 Proc. Wasserstoff. IL 0,2314 grm. der erst mit Wasser überdestillirten und dann rectificirten Verbindung lieferten 0,5594 grm. Kohlensäure, entspr. 0,15256 grm. = 60,7 Proc. Kohlenstoff und 0,2050 grm. Wässei entspr. 0,02278 grm. = 9.0 Proc. Wasserstoff. Die Verbindung besitzt demnach die Formel: €H2, €02 €H2, €02 €2 W ( HO ( HO. €2H4 Untersuchungen über einbasische Kohlenstoffsäuren. 403 ber. eef. I. II. es = 60,7 00,9 60,7 H14 = 8,9 9,1 9,0 O6 = 30,4 — — 100,0 Der Hergang verläuft also nach folgender einlacher Gleichung: €H2,€02| H0 €H2,€02 -+• €2H4. HI = &# (NaO Das reine Aethylcnsalz ist farblos, riecht eigenthümlich dumpf- ätherisch, besitzt den corr. Siedepunct 198° und bei -f- 12° das spec. Gew. = 0,998. Sie ist etwas in Wasser löslich, in kaltem mehr als im warmen, weshalb sich ihre wässrige Lösung schon beim Erwarmen mit der Hand zu trüben beginnt, sie reagirt nicht auf Pflanzenfarben, weder für sich, noch mit Wasser. Barythydrat zersetzt sie in der Kälte langsam unter Bildung von kohlensaurem Baryt. Ein Tropfen einer verdünnten Eisenchloridlösung zu zwei Tropfen des Aethylensalzes in Wasser gelöst, bewirkt nach einiger Zeit eine blaue Färbung, wesent- lich \on der dunkelkirschrothen der übrigen Salze verschieden. Das Aethylen ■ di ■ methylencarbonsaure Methylen (Aethyl - di - acetsaures Methyl) entsteht auf ganz analoge Weise wie dasAethjlensalz unter Anwendung von Iodw assersloff-Methylen (Iodmeth\l). Die Verbindung ist farblos und von etwas ätherischem Geruch, sie siedet bei 186,°S corr. und hat das spec. Gewicht = -1,009 bei -j- 6°. Mit Eisenchloridlösung in der nämlichen Weise, wie das Aethylensalz behandelt, bewirkt das Methylen- salz ebenfalls eine blaue Färbung der Flüssigkeit, aber ganz rasch und so prächtig , wie Kupferoxyd-Ammoniak. 0,252 grm. lieferten bei der Verbrennung: 0,5398grm. Kohlen- säure, entspr. 0,1472 grm. = 58,4 Proc. Kohlenstoff' und 0,1934 grm. Wasser, entsp. 0,02149 grm. = 8.5 Proc. Wasserstoff'. Die Formel ist demnach : €H2, €02 | UQ €H2. €02 l €2 H4 I ^' ^^ Band II. 4. 27 404 A. Genther, ber. gef. €7 = 58,4 58,4 H12 = 8,3 8,5 O6 = 33,3 — 100,0 Die Zusammensetzung der beiden eben betrachteten Aetherarten unserer Säure, die neben etwas der entsprechenden essigsauren Aether- arten und Iodnatrium die alleinigen aus dem Natronsalz entstehenden Umsetzungsproducte sind, können rückwärts als ein Beweis für die Richtigkeit der Zusammensetzung der Natronverbindung gelten. Einwirkung des Ammoniaks auf das Aethylen - di - methylensaure Aethylen. Uebergiesst man das Aethylensalz der Aethylen-di-methylencarbon- säure in einem mit Glasstöpsel verschliessbaren Cylinder mit dem vier- fachen Volum ziemlich concentrirten Ammoniaks und schüttelt häufig durch, so geht dasselbe allmählich (nach Verlauf von 8 Tagen) zur Hälfte in Lösung, während die andere Hälfte sich in eine schön krystallisirte, in Wasser unlösliche Verbindung verwandelt. 5 grm. des AetlrUen- salzes gaben 2'/2 grm. solcher Krystalle. In dem überschüssigen wäss- rigen Ammoniak ist ausser Alkohol nur eine Substanz gelöst, welche nach dem allmählichen Verdunsten über Schwefelsäure als langstrah- ligkrystallisirende weisse, in Wasser leichtlösliche Masse zurückbleibt. Die in Wasser unlöslichen Krystalle besitzen einen an- genehmen, süsslichen, an Pfeffermünzöl erinnernden Geruch. Sie lösen sich leicht in Alkohol und Aether , nach deren Verdunsten sie wieder unverändert zum Vorschein kommen, schmelzen bei 59°, 5 zu einem farblosen Oel, das bei etwa 53°, manchmal aber auch erst bei niedri- gerer Temperatur wieder kristallinisch erstarrt. Sie sind klinorhom- bische Tafeln, enthalten Stickstoff und besitzen die Zusammensetzung €8H15N04, wie die folgenden Analysen beweisen. I. Unmittelbar erhaltene Krystalle. 0,2599 grm. lieferten 0,5808 grm. Kohlensäure, entspr. 0,1584 grm. = 00,9 Proc. Kohlenstoff und 0,2244 grm. Wasser, entspr. 0,02493 grm. = 9,(5 Proc. Wasserstoff. II. Krystalle von einer anderen Darstellung, die schon geschmol- zen waren. 0,2411 grm. lieferten 0,536 grm. Kohlensäure, entspr. 0,14018 grm. = 00,0 Proc. Kohlenstoff und 0,209 grm. Wasser, entspr. 0,02322 grm. =9,6 Proc. Wasserstoff1. Untersuchungen ober einbasische Kohlenstoffsäuren. 405 III. Aus Alkohol umkrystallisirte Substanz. 0,220 1 grm. lieferten 0,510 grm. Kohlensaure, entspr. 0,13909 grm. = 60,8 Proc. Kohlenstoff und 0,202 grm. Wasser, entspr. 0.022; ! yrni. = 9,8 Proc. Wasserstoff. 0,2748 grni. derselben Substanz gaben 21 CG. Stickgas bei 13" und 7 i8ram Barometerstand, was 0,02501 grm. = 9,1 Proc. Stick- stoff entspricht. ber. aef. I. II. III. €s = 61,1 60,9 60,6 60,8 glB = 9,6 9,6 9,6 9,8 N = 8,9 — — 9,1 04 = 20,4 — — — 100,0 Es kann diese Verbindung betrachtet werden entweder als Aethy- len-di-methylenc a rbon - A e th y 1 e n a m m o n i a k ( Aethylamid €H2,€02 | der Aethvl-di-acetsäure) = €ö2, CO2 \ S3N, €2H4 €2H4 I oder als Di-Aethylen-di-methylencarbon-Am moniak (Amid €H2, CO2 GH2 €02 I einer Di-äthyl-di-acetsäure) = ' 4 \ H N £2 H4 1 Welche von den beiden Auffassungen die richtige ist, müssen erst weitere Versuche entscheiden, nur soviel kann ich einstweilen anführen, dass die Verbindung in feuchter Luft sich allmählich unter Entbindung einer flüchtigen Base, wahrscheinlich Ammoniak, zersetzt. Das andere Zersetzungsproduct scheint das ursprüngliche Aethylensalz wieder zu sein. Desgleichen wird die Verbindung, wenn sie mit Wasser im ver- schlossenen Bohr längere Zeit auf 100° erhitzt wird, in ein nicht wieder krystallisirendes Oel verwandelt, während das Wasser eine alkalische Beaction zeigt. Wird ein Krystall der Verbindung auf befeuchtetes rothes Lackmuspapier gelegt, so bläut er dasselbe. Die in Wasser lösliche krystallisi rbare Verbindung ist in reinem Zustande geruchlos (nur wenn sie etwas gefärbt ist, zeigt sie einen eigenthümlichen an gebrannte Cichorien erinnernden Geruch), löst sich leicht in Alkohol und Aether und krystallisirt daraus unver- ändert, sie schmilzt bei 90° und sublimirt allmählich schon bei 100° in Form langer verfilzter Nadeln. Die Analyse führt zur Formel : €eHu ^04. 27* 406 A. Geuther, 0,22995 grm. lieferten 0, 4638 grm. Kohlensäure, entspr. 0,1265 grm. = 55,1 Proc. Kohlenstoff und 0, 1745 grm. Wasser, entspr. 0,01933 grm. = 8,4 Proc. Wasserstoff. 0,225 grm. gaben 23,5 CC. Stickgas hei 24° und 759 ,nm Baro- meterstand, was 0,02089 grm. = 11.7 Proc. Stickstoff entspricht. ber. gef. €6 = 55,8 55,1 H11 = 8,5 8,4 N = 10,9 II, 7 04 = 24,8 — 400,0 Die Abweichung der gefundenen von den berechneten Werthen deutet noch auf eine geringe Verunreinigung unserer Substanz durch einen kohlenstoffärmeren und stickstoffreicheren Körper hin , von wel- cher sie, ihrer leichten Löslichkeit halber, wohl schwer zu reinigen sein wird. Eine andere Formel, als die ihr gegebene lässt sich nicht auf- stellen. Diese Verbindung kann betrachtet werden als Aethylen-di- m e t h y 1 e n c a r b o n - A m m o n i a k (Amid der Aethyl-di-acetsäure) = €H2, €02 | = €H2, €02 \ H3N €2H4 I Um diess festzustellen werden weitere Untersuchungen noch nöthigsein. Die Verwandlung des Aethylen-di-methylencarbonsauren Aethylen durch Ammoniak in diese beiden stickstoffhaltigen Verbindungen, die sich ihrer Zusammensetzung nach nur durch die Gruppe €2H4 unter- scheiden, lässt sich durch folgende Gleichung veranschaulichen: m2, €02 I m ^H2, €02 I €H2, €02 \ 2 H3N €H2. €ü2 [ Ö3N, €2H4 + 2 HO €2H4 ] «0 4, H €2|i4 j ***' €0" HO €2 H4 fl* «*' €°2 M3N + HO €2H4 ) HOt ü €*H4 ) )M0 Die anderen Zersetzungsproducte sind, wie man sieht. Alkohol und Wasser. In welchem Zusammenhange diese beiden stickstoffhaltigen Ver- bindungen unter sich stehen, so wie namentlich die Frage, ob die eine in die andere verwandelt werden kann, kann erst durch weitere Ver- suche entschieden werden. Dater-suchungen über einbasische KohlenstoffsÄuren. 407 Vorkommen der Aethylen-di-methylencarbonsäure im Organismus. Herr Prof. Gerhardt bemerkte, als er den Harn eines Diabetikers seiner Klinik untersuchte , dass derselbe auf Zusatz von Eisenchlorid eine-eigenthümliche dunkelbraunrothe, ins violettoder dunkelkirschrothe hich hinüberziehende Färbung gab, die wesentlich von der rein braun- rothen der Essigsäure abwich. Als mir dieselbe gezeigt wurde, fiel mir die grosse Aehnlichkeit derselben mit der Färbung auf, welche Eisen- chlorid mit den durch Einwirkung von Natrium auf Essigäther entstan- denen Producten hervorbringt. Es war vorläufig ein Zusammenhang zwischen beiden Beobachtungen nicht zu ersehen. Auf Veranlassung von Herrn Prof. Gerhardt untersuchte hierauf mein damaliger Assistent Herr Dr. Alsberg dieses Diabetikers Harn, welcher ebensowohl, als der Athem des Kranken einen eigenthümlich geistigen, an frisches Brod er- innernden Geruch besass , vorzüglich auch um die von Petters und Kallich l) gemachten Angaben über das Vorkommen von Aceton in sol- chem Harne zu prüfen, event. zu bestätigen. Seine Angaben darüber lauten: »Der zur Untersuchung übergebene Harn war hellgelb gefärbt, reagirte schwach sauer und besass einen eigenthümlichen, an frisches Brod erinnernden Geruch. Zur Gewinnung des diesen Geruch bedin- genden Körpers wurde von crc. 45 Liter des Harnes das Flüchtigere ab- destillirt, und zwar jedesmal von der in 24 Stunden gelassenen Menge. Da das erhaltene Destillat alkalisch (von Ammoniak) reagirte, so wurde es mit Schwefelsäure übersättigt und wiederholt so lange rectificirt, als noch ölig fliessende Streifen sich zeigten. Die so erhaltene Flüssigkeit roch ziemlich stark nach frischem Brode, zugleich aber auch ätherisch. Sie wurde mit cencentrirter Chlorcalciumlösung versetzt, um zu sehen, ob diese etwas abscheiden würde , was indessen nicht der Fall war, worauf sie aus dem Wasserbade destillirt und dasUebergegangene wie- derholt der gleichen Behandlung unterworfen wurde. Die rückständige Chlorcalciumlösung besass in hohem Grade den Geruch nach frischem Brode und zugleich den nach Fuselöl. Sie wurde über freiem Feuer destillirt und das Destillat mit Aether geschüttelt, welcher nach dein Ver- dunsten neben Wasser wenige Tröpfehen einer fuselig riechenden Flüssigkeit hinterliess«. »Die aus dem Wasserbade übergegangene Flüssigkeit, von der nur wenige Gramme erhalten wurden, war leicht beweglich und roch an- genehm ätherisch, ähnlich dem Ameisensäureäther und dem Aceton. Um Aufsehluss darüber zu erhalten, ob sie eine zusammengesetzte Aelher- 1) Prager Vier'eljahrsschrift 1855. 40S ither, Hfl ,ii ■ 1 1 1 r l< ein Thoil mil Wa sei und Kalkhydral hindere Zeit Im • i chloi onen Mohre auf 120° erhitz! ohne dass indessen ein Kalksalz . i,i tanden wlin I war also k< ine Aethernrt vorhanden. I)i< Haupt- incngc wurde nun mitgoschmolzonom Chlorcalcium entwäsf orl und der IVactionirton Destillation unterworfen, wobei sich zeigte, dass etwas Chlorcalcium gelöst war. Der grössere Theil siedete bei Ö8°,ö, gegen (Ins Ende der Destillation stieg da i bi rmometer Ins auf 80°. i) i 19 ' - "i in. der bei (58°, Ö siedenden Substanz lieferten bei der Verbrennung 0 »275 grm Kohlensäure, entspr. 0, l 1386 grm. = 60, 1 [>roc Kohlenstoff und 0,22925' grm, Wasser, entspr. 0,02541 grm. 10 .(, hoc W;i; < i i < » 1 ! . Nachdem die Substanz mit Clilorcalcium nochmals lungere Zeit zusammengestanden halle, siedele sie boi einer erneuten Rectißcation i , , ituntheils boi •'• 7' " ■" und diese Portion lieferte l»'-' wiedergegebeneMisohungsverhältniss ihrer Bestandteile und die Analyse ihrer Salze das durch die Formel : <:Nllsos ausgedrückte Mischungsgewichl derselben ergeben. I. Analyse der aus Wasser wiederholt krystallisirten Saure. 0,2445 grm, gaben 0,449 grra. Kohlensäure, entspr. 0,12245 i Wiener modictn, fresse, 1868, Nr. 88, 410 A. Geuther, gram. = 57, 1 Proc. Kohlenstoff und 0,0965 grm. Wasser, entspr. 0,010722 grm. = 5,0 Proc. Wasserstoff. II. Analyse der destillirten reinen Saure. 0,19825 grm. gaben 0,416 grm. Kohlensäure, entspr. 0,1 1346 grm. = 57,2 Proc. und 0,088 grm. Wasser, entspr. 0,009778 grm. = 4,9 Proc. Wasserstoff. III. Analyse der sublimirten Saure. 0,24055 grm. gaben 0,4945 grm. Kohlensäure, entspr. 0,134864 grm. = 56, 1 Proc. Kohlenstoff und 0,1055 grm. Wasser, entspr. 0,01 1722 grm. = 4,9 Proc. Wasserstoff. ber. cef. I. II. III. €8 = 57,1 57, 1 57,2 56,1 H8 = 4,8 5,0 4,9 4,9 O8 = 38, 1 — — — 100,0 Ich gebe dieser Säure, da ich bis jetzt nichts sicher über ihre Con- stitution anzugeben vermag, vorläufig den Namen: Dehydracet- säure, in Erwägung nämlich, dass das Mischungsgewichtsverhältniss ihrer Bestandteile verglichen mit dem in der Essigsäure gleich ist diesem weniger Wasser. €2H202 = £2H404 — 2 HO. Die Dehy dracetsäure krystallisirt aus heisser wässriger Lösung oder beim Sublimiren innadel- oder tafelförmigen, dem rhombischen Sy- stem angehörenden Krystallcn. Sie schmilzt bei 1 08°, 5 — \ 09° und beginnt bei dieser Temperatur schon sich zu verflüchtigen, ihre Dämpfe kratzen. Ihr Siedepunct liegt bei 269°, 6 corr. In kaltem Wasser ist sie wenig löslich, etwa 1000 Th. Wasser von 6° lösen I Th. Säure, in heissem Wasser löst sie sich dagegen reichlich. Ebenfalls schwerlöslich ist sie in kaltem Alkohol, heisser dagegen löst sie in beträchtlicherer Menge als Wasser. InAetherlöst sie sich leicht. Ihre Lösungen reagiren sauer. Zur Bestimmung ihres Mischungsgewichtes wurde das Barytsalz benutzt. Die Säure löst sich in Barytwasser leicht auf, sorgt man dafür, dass kein Ueberschuss von letzterem da ist, sondern die Flüssigkeit neu- tral oder eben noch sauer reagirt, so erhält man nach dem Verdunsten über Schwefelsäure rhombische Tafeln des reinen Barytsalzes. Kocht man die Flüssigkeit aber, so tritt langsame Zersetzung unter Bräunung und Abscheidung von kohlensaurem Baryt ein. 0,6165 grm. dieses über Schwefelsäure getrockneten BarUsalzes verloren beim Erhitzen bis auf 100° nur 2,5 Milligramm, beim Erhitzen bis 150" dagegen noch 0,0425 grm. Wasser, was in Summa 7,3 Proc. Untersuchungen über einbasische Kohlenstoffsäuren. 4 1 | entspricht. Diese Menge Salz wurde darnach wieder in Wasser gelöst und mit schwefelsaurem Natron im Ueberschuss versetzt, des erhaltene schwefelsaure Baryt wog: 0, 281 15 grm., was 0, 18462 grm. = 30,0 Proc. Baryt entspricht. 0,2789 des über Schwefelsäure getrockneten Barytsalzes gaben 0,3628 grm. Kohlensäure, beim Barjt blieben 0,0240 grm., also in Summa 0,3868 grm. Kohlensäure, entspr. 0,10549 grm. = 37,8 Proc. Kohlenstoff und 0, 08825 grm. Wasser, entspr. Q, 00980.jp grm. = 3 g Proc. Wasserstoff. Demnach hat das Barytsalz die Zusammensetzung: €8H707, BaO -+■ 2 HO; es verliert sein Krvstallw asser erst beim Erhitzen bis 130°. ber. fief. €8 = 37,8 37,8 H9 = 3,6 3,5 0° = 28,4 — BaO = 30,2 30,0 100,0 Das deh ydracetsa ure Natron wird erhalten, wenn man eine siedende Lösung von kohlensaurem Natron mit der Säure neutralisirt und die Flüssigkeit über Schwefelsäure verdunsten lässt. Es sind lange, im Wasser leicht lösliche Nadeln, welchen die Formel €8H707, NaO -+- 4 HO zukommt. 1,21 83 grm. desselben verloren beim Erhitzen auf 150° 0,193 grm. Wasser = 15,8 Proc. Die Formel verlangt: 15,9. Der dehydracetsaure Kalk entsteht beim Neutralisiren der Säure mit Kalkh\drat (einen Ueberschuss des letzteren entfernt man nach dein Filtriren dureh Kohlensäure) . Aus der Lösung scheiden sich beim Verdunsten über Schwefelsäure dicke rhombische Säulen aus. Die Zusammensetzung des bei 150° getrockneten Salzes ist: €8H707, CaO. 0,2665 grm. desselben wurden mit oxalsaurem Ammoniak ge- fällt und sonach dem Filtriren und Glühen über dem Gebläse erhalten 0,0399 grm. = 15,0 Proc. Kalk, genauso viel, als die Formel verlangt, Eine Lösung des de hydracet sauren Baryts giebt: mit es sigsaure m Zinkoxyd einen kristallinischen , aus rhombischen Säulen bestehenden weissen, in siedendem Wasser schwer löslichen Niederschlag, mit essigsaurem Kupferoxyd einen grünen Niederschlag, der sich beim Kochen in hellviolette Krystalle, zu Büscheln ver- einigte Nadeln verwandelt, mit salpetersaurem Silberoxyd, wenn die Lösungen 412 A. Geutlier. nicht sehr verdünnt sind, nach kurzer Zeit lange weisse feder- artige Krystalle. mit essigsaurem Bleioxyd keinen Niederschlag, mit Eisenchlorid keine besondere Färbung. Bei der Darstellungsweise der Dehydracetsäure ist erwähnt wor- den, dass mit ihr zwei harzartige Producte aus der alkalischen Lösung durch Säuren abgeschieden werden, von denen das eine in Aether unlöslich ist und beim Ausziehen der Säure durch dieses Lösungsmittel zurückbleibt, das andere aber sich mit in Aether löst und beim Umkrystallisiren der Säure mit Wasser zurückbleibt. Das in Aether unlösliche Pro du et wurde abfiltrirt , bei ge- wöhnlicher Temperatur trocknen gelassen und dann mit Aether wieder- holt ausgekocht, sodann in Natronlauge gelöst und aus der filtrirten Lösung durch Salzsäure wieder abgeschieden, wieder abfiltrirt und aus- gewaschen. Nach dem Trocknen über Schwefelsäure im leeren Raum verlor es nichts weiter an Gewicht als es darnach auf 100° erhitzt wurde. Es lieferte bei der Analyse 59,2 Proc. Kohlenstoff und 4,9 Proc. Wasserstoff, ist also bei gleichem Wasserstoffgehalt kohlen st off rei- cher als die Dehydracetsäure. Das in Aether lösliche Product wurde zur Entfernung von noch vielleicht vorhandener Dehydracetsäure mehrmals mit grösseren Mengen Wassers längere Zeit gekocht, hierauf in Barytwasser gelöst, der Uebersehuss davon durch Kohlensäure entfernt, und eingedunstet. Die braune amorphe Salzmasse wurde wieder mit Wasser übergössen, jetzt fand nur theilweise Lösung statt. Es wurde nun mit Salzsäure aus dem im Wasser wieder Gelösten, sowie aus dem unlöslich Gebliebe- nen je das saure harzartige Product abgeschieden , ausgewaschen und getrocknet, zuletzt bei 100°, wobei Schmelzung stattfand. Das Harz aus dem löslichen Barytsalze enthielt 64,5 Proc. Kohlen- stoff und 5,6 Proc. Wasserstoff, das aus dem unlöslichen Barytsalze: 66,0 Proc. Kohlenstoff und 5,5 Proc. Wasserstoff. Beide unterscheiden sich ihrer Zusammensetzung nach in gleicher Weise von Dehydracetsäure sowohl, als dem im Aether unlöslichen Harz, sie sind beide nämlich kohlenstoff- und wassersto ff reicher als jene. Die Zersetzungsproducte des Di-methylencarbonsauren Natrons beim Erhitzen auf 1 80° sind also: 1. Alkohol, 2. Essigäther, 3. Di- -methylencarbonsäure, h. Dehydracetsäure, 5. zwei harzartige Säuren l ntersnchrtngen ilber einbasische KolilenstoffsÄuren. 413 und 6. Kohlensaure. Da das Mischungsgewicht der harzigen Säuren noch nicht bestimmt ist, so lässt sich für diese Zersetzung noch keine Gleichung aufstellen. Es ist hier der Ort einer Beobachtung FehlixgV) über die Einwir- kung von Kalium auf den Bernsteinsäure-Aether und der dabei erhal- tenen Verbindung zu gedenken . von der es jetzt möglich ist nach Ana- logie der aus dem Essigäther hervorgehenden Verbindungen, eine Er- klärung zu geben. Als Fehling die Einwirkung des Kaliums auf den Bernsteinsäure-Aether hatte vollenden lassen und die beim Erkalten steif und zäh gewordene Masse mit Wasser umsetzte und rasch bis zum Sieden erhitzte, schied sich auf der in der Wärme klaren gelben Flüssig- keit eine ölartige hellgelbe Schicht ab; beim Erkalten gestand die Flüs- sigkeit zu einer breiartigen, gelben, kristallinischen Masse. Durch Fil- tration wurde letztere von der Flüssigkeit, die bernsteinsaures Kali enthielt, getrennt und durch ümknstallisiren aus Alkohol gereinigt. So wurden fast weisse Nadeln von schönem Atlasglanz erhalten, die sich leicht in Aether, weniger leicht in Alkohol und fast nicht in Wasser lösten. Durch Erhitzen mit Alkalien lieferten sie Alkohol und bernstein- saures Salz. Ihre Analyse führte zur empirischen Formel: €3fl403. Wird das Mischungsgewicht dieser Substanz viermal grösser, also zu €12I4lG012 angenommen, so erscheint dieselbe, falls sie als ein Aether aufzufassen ist, als Di-bernsteinsäure-Aether (Di-acetylendicarbonsau- .,.,'■ €2H2, €204, ü202 res Aethylen) = €2{}2 £2Q^ ^^^ ^^ oder> falls^ sie als eine Säure aufzufassen ist, als Di-Aethylen-di-bernsteinsäure (Di-Aethylen- di-acetvlendicarbonsäure) = €2H2,€204| Hoo2 €2M2,€204 ) H2Os 2 ea h4 Im letzteren Falle würde sie in dem nämlichen Verhältniss zur zwei- basischen Bernsteinsäure stehen , wie unsere Aethylen- di-methylen- carbonsäure zur einbasischen Essigsäure. Zum Schlüsse dieser Abhandlung bleibt mir nur noch übrig zweier Publicationen zu gedenken , welche in neuester Zeit über die Einwir- kung von Natrium auf Aetherarten erschienen sind. Es sind diess ■1) Annal. d. Chem. u. Pharm. Bd. 49. p. 192. 414 Ai Genther, 1. die schon oben erwähnte: »Ueber die Wirkung des Natriums auf Valeriansäure-Aether etc. und die Darstellung des säurebildenden Radicals Valeryk; von .!. Alfred Wanklyn in »The Journal of the Che- mical Society of London. N. S. Vol. II. p. 371« und 2. eine mir nach Abfassung des Vorhergehenden erst zugekom- mene: «Notizen aus Untersuchungen über die Synthese von Aethern (Synthese von Buttersäure- und Capronsäure-Aether aus Essigäther) ; von E. Frankland und B. J. Duppa, in »Annalen der Chemie und Phar- macie, Bd. 135. p. 517 (Augustheft 1865)«. Was zunächst die Publication des Herrn Wanklyn, welche ein Jahr später als die meinige erfolgte, betrifft, so ist darin auch vom Essigäther und der Einwirkung des Natriums auf denselben die Rede, freilich nur äusserst kurz. Es beschränkt sich alles auf folgenden Ver- such: »Ich schloss eine Quantität Natrium mit Essigäther, welcher sehr sorgfältig auf Alkohol und Wasser geprüft worden war, in ein Bohr ein und wog dieses. Dann erhitzte ich die Bohre einige Zeit auf 130 °, bis der flüssige Inhalt in den festen Zustand über- gegangen war. Nachdem die Bohre geöffnet war und so das entstandene Gas weggehen konnte , wurde sie wieder gewogen. Der Verlust betrug 0,5 Proc. vom Essigäther. Da nun keine erhebliche Gasmenge bei dieser Beaction des Natriums auf Essigäther entwickelt worden ist, so kann Natrium nicht auf Essigäther in der durch folgende Gleichung aus- gedrückten Weise reagiren : 9 C2H30| _ ,CsH,0) 0 . C9H.( * C2H3 | u + m°~ -* Na S u + C2H5r Es würde mir nicht eingefallen sein, einen so simplen Versuch, der zu gar keinem Verständniss der Beaction führt, nachdem ich längst er- schöpfend über dieselbe berichtet hatte, zu erwähnen, wenn derselbe nicht, gleichwie der folgende mit Valeriansäure-Aether, einen Einblick gestattete, wie die Basis für die Speculationen des Herrn Wanklyn be- schallen ist. Herr Wanklyn hat »eine Quantität Natrium mit Essigäther« eingeschlossen, also eine beliebige Menge und nichtein bestimmtes Ver- hältniss von beiden, man erfährt nicht einmal ob Natrium, ob Essigäther im Ueberschuss war! Sodann war es Essigäther, »der sein- sorgfältig auf Alkohol und Wasser geprüft worden war«. Wie aber geschah diese Prüfung? Nichts davon ist angeführt. Es ist das aber durchaus keine so einfache Sache, da02 - * CSH,J U + C5H,OJ auf G grin. Valeriansäureäther 1,06 grm. Natrium überhaupt und auch im kaustischen Zustande verlangt, er aber 4,08 Proc. im Letzteren ge- funden, so hält er das für genügende Uebereinstimmung ; was kümmert's ihn. wo die noch fehlenden 4 7 Proc. Natrium geblieben sind! Was soll man zu solcher Art der Untersuchung sagen ! Bei der wirklich gewaltigen Anhäufung des thatsächlichen Materials in der Che- mie ist es eine Pflicht jedes wahren Forschers gegen sich selbst sowohl, als gegen die Wissenschaft derartig oberflächliches und leichtfertiges Arbeiten zu kennzeichnen, damit die ungenauen und deshalb unbrauch- baren Resultate nicht als ein, das Gedächtniss beschwerender und den Fortschritt der Wissenschaft hemmender Ballast mit fortgeschleppt werden. Auf meine Veranlassung und unter meinen Augen hat Herr Greiner die Einwirkung des Natriums auf Valeriansäureäther zu studiren be- gonnen. Ich theile im Folgenden über den Verlauf der Reaction und die entstehenden Producte vorläufig so viel mit, als ihm bis jetzt be- kannt geworden ist. In kurzer Zeit wird Herr Greiner die Untersuchung beendigt haben und dann ausführlicher berichten. Bei der Einwirkung von Natrium auf Valeriansäureäther, einerlei, ob derselbe für sich oder mit dem gleichen Volum gewöhnlichen Aethers verdünnt, der Einwir- kung dieses Metalls ausgesetzt wird, entwickelt sich nur sehr wenig Wasserstoff, das Metall löst sich , blank bleibend. Nach einiger Zeit, hauptsächlich, wenn gewöhnlicher Aether von Anfang an zugesetzt war, scheidet sich ein vollkommen weisses kristallinisches Salz aus. Nach und nach vermindert sich unter Gelbwerden der Flüssigkeit die Ein- wirkung des Natrium's. Hat sie ihrEnde erreicht, und ist alles Natrium verschwunden , so wird der Aether aus dem Wasserbade abdestillirt. Beim Versetzen des Rückstandes mit Wasser scheidet sich ein öliges Producta!), während da s Natronsalz einer festen, schön kry stallisirenden Säure in Lösung geht. Aus dieser wird erstere durch Essigsäure abgeschieden und durch Schütteln mit Aether, worin sie sich leicht löst, ausgezogen. Nach dem Verdunsten des Aethers bleibt sie krystallisirt zurück. Durch Umkrystallisiren aus Alkohol wird sie in grossen farblosen Krystallen erhalten. Von der Bildung dieser Säure, die ein Hauptproduct der Reaction mitist, hat Herr Wanklyn nichts bemerkt. Wird das ölförmig abgeschiedene Product der Destillation unter- 418 A. Geutlier, worfen , so erhalt man wenig eines bei etwa 100° siedenden Körpers (vielleicht Yaleraldehyd , darauf geht unveränderter Yaleriansäureäther über und zuletzt die Hauptmenge eines zwischen 240 und 260° sieden- den Körpers. Es ist das der Siedepunct des von Alsberg1) dargestellten Amyläthervaleral's, welches 73, 8 Proc. Kohlenstoff und 13,1 Proc. Was- serstoff' verlangt. Es wird die weitere Untersuchung dieses Productes festzustellen haben, ob, wie es scheint, dasselbe mit dem Amyläther- valeral identisch ist. Das mag vorläufig genügen. Was nun die Publica tion der Herren Frankland und Duppa anlangt, so kann ich in der That mein Erstaunen in zweierlei Hinsicht nicht unterdrücken, einmal nämlich darüber, dass diese beiden Herren eng- lischen Chemiker um die Publikationen in Deutschland sich so wenig kümmern, dass sie erst das Erscheinen des »Jahresberichtes«, dessen 'I . Hälfte gewöhnlich dreiviertel Jahr nach Ablauf des Jahres in Deutsch- land (wie viel später aber wohl in England'?) ausgegeben wird, abwar- ten, um sich über das im Jahr vorher bei uns Gearbeitete zu unterrichten. Bei solcher Art der Information kann es sich allerdings ereignen , dass eine Arbeit in Deutschland zwei Jahre publicirt sein kann, ohne dass die Herren in England etwas davon wissen. Wenngleich es nun völlig von ihrem Belieben abhängt, wie rasch oder wie langsam sie sich mit den in Deutschland publicirten wissenschaftlichen Untersuchungen be- kannt machen wollen , so hängt es jedoch durchaus nicht von ihrem Belieben ab, wie sehr oder wie wenig sie die früher publicirten Arbeiten bei ihren eigenen berücksichtigen wollen. Zum zweiten nämlich war ich erstaunt über die, ich kann nicht anders sagen, höchst kindliche Art, wie die Herren Frankland und Duppa \ erfahren, wenn sie die Ent- deckungmachen, dass ein Anderer schon vor zwei Jahren das unter- sucht hat und fortuntersucht, womit sie sich zu beschäftigen angefangen haben: mit einer kurzen Anmerkung glauben sie das vor ihnen Ge- schehene abthun und in den Genuas der Entdeckung gelangen zu können. Es gilt in Deutschland nicht für anständig. Untersuchungen zu be- ginnen oder fortzusetzen, von denen man erfährt, dass sie von einem Anderen früher unternommen worden sind und von ihm fortgeführt werden. . In England scheint das freilich anders zu sein. Wenn auch Herrn Duppa diese Art deutschen wissenschaftlichen Auslandes unbe- kannt gewesen ist, so war doch bei Herrn Frankland eine Kenntniss davon vorauszusetzen. Was nun die Arbeit dieser Chemiker selbst anlangt, so haben sie zu ihren Versuchen das unmittelbare Product der Einwirkung des Na- v Diese Zeitschrift Bd. I. p. 156. Untersuchungen über einbasische KoblenstofTsfiiiren. 410 triums auf Essigälher, von dem ich oben gezeigt habe, is dahin unsichtbare und. wie ich meinte ganz in die Zunge eingebohrte spitze Ende des fremden Körpers ans der Tiefe des rechten Sinus glosso-epigl. hervor, wo es gänzlich versteckt ge- legen liaüe. Jetat l'asste ich das eben frei gewordene längere spitze Ende der Nadel und suchte dieselbe durch kräftiges Ziehen in derltich- tung ihrer Längsachse nach links aus der Zunge herauszubringen. Doch auch jetzt machte sich ein so bedeutender Widerstand gellend, dass die Nadel kein Haarbreit von der Stelle rückte und in i\v\- durch- bohrten einige Millimeter langen Strecke der Zungenwurzel wie fest- gewachsen erschien. Ich machte nun eine etwa y.jSlündige Pause im Operiren und liess die Pal. ein (das kaltes Wasser trinken , theils um der Pal. nach dein mehrere Minuten lang ohne Unterbrechung fortgesetzten Offenhaltet] des Mundes etwas Ruhe und Erholung zu gönnen, theils um die Sinns glosso-epigl. von den geringen Blutspuren zu säubern, welche, ans dem gezerrten Sticheana] Stammend, sich daselbst angesammelt halten. Als ich darauf den Spiegel wieder einführte, war zu meinerUeber- raschung gar nichts mehr von der Nadel zu sehen; wenigstens suchte ich sie vergebens an ihrem früheren Orte an der Zungenwurzel, welche sie in der Tiefe des Sinus glosso-epigl. quer durchspiesst halte, und schon fürchtete ich, sie sei — so unwahrscheinlich es mir bei dem enor- men Widerstände sein mussle, welchen sie meinen Extractionsversucheu entgegengesetzt hatte — durch die Schlingbewegungen beim Trinken aus ihrer so überaus festen Verbindung mit der Zunge ganz herausge- löst und unvermerkt mit dem Wasser verschluckt worden. Diese Befürchtung war jedoch unbegründet, denn ich fand die Nadel endlich wieder — allerdings in einer völlig veränderten Stellung. Sie war nämlich durch die Schlingbewegungen wenn auch nicht ganz frei gemacht, so doch so weil gelockert, vorgeschoben und umgelagert worden, dass sie nun aufgerichtet aus der Tiefe des rechten Sinus glosso- epigl. gegen den Arcus palalo-glossus hervorragte und nur noch mit ihrem äussersten stumpfen Ende im Stichcanal derZungenwurzel steckte. Nunmehr war es natürlich das Werk eines Augenblickes die Nadel zu hissen und mit einem leichten Zuge gänzlich zu entfernen. Es war diese Nadel wie die genauere Besichtigung zeigte eine grobe Schnei- der-Nähnadel, 32,4 Mm. lang, 0,S Mm. dick, aber sehr spitz und von schwarzer Farbe. Eingebacken in einer Semmel war also die Nadel von der Patientin verschluckt worden, dabei war die; scharfe Spitze der Nadel in den 428 ''oh. Ozermak, Uebor Entfernung fremder Körper aus dem Schlünde etc. linken Sinus glosso-epigl. gerathen, hatte sich daselbst in die Zungen- wurzel eingestochen und diese in querer Richtung durchbohrt, so dass sie im rechten Sinus glosso-epigl. wieder zum Vorschein kam. In dieser Richtung rückte die Nadel weiter, bis von ihr nichts mehr zu sehen war als ein kleines Stückchen von dem dicken Oehrende im linken Sinus glosso-epigl., während sich das lange spitze Ende in der Tiefe des rech- ten Sinus glosso-epigl. vollständig versteckte und ein kleiner Theil des Mittelslückes in der querdurchbohrten Zungenwurzel festgehalten wurde. In dieser Lage und Fixirung ist die Nadel am 3. Tage nach dem Unfall von mir angetroffen worden. Durch die beschriebenen Manipulationen gelockert, wanderte die Nadel während der Schlingbewegungen beim Trinken des Glases Wasser durch den quergerichteten Stichcanal der Zungenwurzel vollends hindurch und stellte sich dann aufrecht, so dass sich ihre Spitze gegen den Arcus palalo-glossus richtete, während das Oehrende noch in der Ausmündungsöffnung des Stichcanals im rechten Sinus glosso-epigl. steckte. In dieser Stellung wurde die Nadel schliess- lich erfasst und entfernt. Jena, den 18. Oct. 1865. ßroncckraiiklicit. Von C. Gerhardt. Am 29. Juni 1863 sah ich einen Mann von so gleichmässig inten- siver Mahagonifarbe der Haut, dass er schon auf der Strasse Aufsehen erregte. Sein Besuch, der bald folgte, ergab, dass er seit \l/2 Jahren erst an Gesicht und Händen diese Hautverfärbung bemerkte, aber schon seit Jahren matt war und nicht lange stehen konnte. Vor einem Jahre war ein leichter Rheumatismus vieler Gelenke grösstenteils im Herum- gehen überstanden worden , kurz nachher ein starker Anfall von Er- brechen und Diarrhöe. Von da an Steigerung der braunen Färbung, dunkler Streif an den Lippen, zunehmende Mattigkeit. Von jetzt an alle 3 — 8 Wochen ein mehrtägiger Anfall von Dyspnoe , Polyurie , Appetit- losigkeit mit gesteigerter Entkräftung. Die physikalische Untersuchung ergab an den Brustorganen keine Veränderungen, am Unterleib nur starke Pulsation der Aorta und eine harte schmerzhafte Stelle links neben der Aorta oberhalb des Nabels. Die Nierengegend beiderseits war schmerzhaft bei Druck. Mein Vorschlag sich in der Klinik vorstellen zu lassen , veranlasste schleunige Abreise von hier. Dagegen erhielt ich von dem behandelnden Arzte Hrn. Dr. Koellein in Waltershausen nachstehende Notizen, sowie die Gelegenheit am 27. December die Sec- tion der Brust- und Unterleibshöhle vorzunehmen , deren höchst ein- faches Ergebniss ich den Mittheilungen des Herrn Dr. Koellein an- schliesse. Der Kranke, welcher kürzlich an Morbus Addisonü starb, ist dreissig Jahre alt geworden , Vater zweier kräftiger Kinder; seine Eltern sind vollkommen gesund. Im 6. Lebensjahre soll er an Knochenscropheln 430 0. Gerhardt, der Finger gelitten haben ; im 8. Jahr zog er sich durch einen Sturz auf dem Hinterkopf eine schwere Schädel Verletzung zu, welche über 5 Mo- nate zu ihrer Heilung bedurfte und mit Abslossung einiger Knochen- fragmente endete; im 10. Jahr überstand er einen Typhus mit zögernder Gonvalesccnz. Von dieser Zeit ab befand sich P. wohl , bis ihn vor 5 Jahren eine lastige, langandauernde Steifigkeit und Schwerbeweglich- keit der Gelenke, namentlich der Hüft-, Knie- und Fussgelenke betraf. Dieselbe verlor sich allmählich wieder von selbst. Vor 2 '/„Jahren traten, nachdem längere Zeit Mattigkeit, Gemüthsverstimmung, Appetitlosigkeit vorausgegangen waren, nach einer grösseren Körperanstrengung plötz- lich hellgelbe Diarrhöen mit wässrigem Erbrechen ein , durch welche der Kranke erst jetzt an das Bett gefesselt wurde. Die schon länger aufgefallene Bräune des Gesichts und der Hände, welche man als Folge des Sonnenbrandes aufgefasst hatte, steigerte sich in- und extensiv und nahm allmählich die ganze Kürperoberfläche ein. Das Erbrechen verlor sich bald, länger quälten die Diarrhöen, die zuletzt in einen hellgelben, geformten, Uionartigen Stuhl übergingen. Dabei war Bespiralion. Puls und Hauttemperatur vollkommen normal. Die Körperschwäche stei- gerte sich indess immer mehr, das Körpergewicht nahm auffallend ab (in 14 Tagen um F2 Pfd.), der Appetit fehlte gänzlich, dagegen war aiihaltender , an Somnolenz streifender Schlaf vorhanden. lieber Schmerz wurde nicht geklagt, mit Ausnahme des Gefühls eines dumpfen Druckes im Rücken, der Nierengegend entsprechend, welches nament- lich beim Aufslehen aus sitzender Stellung gewahrt wurde. Letztere Bewegung war überhaupt mit grosser Anstrengung und mit dem Gefühl der Steifheit »im Kreuze« verbunden. Adduction und Abduction der Oberschenkel waren vollständig unbehindert. Zeitweilig traten spon- tane drückende Schmerzen ein, welche vom Epigast. nach der Wirbel- säule hin ausstrahlten. Der Kopf war nicht eingenommen , der Blick blieb frei und ruhig, dieSinnesfunctionen intact. Diehervorragendsten Erscheinungen bestanden in maasslosem Durste, trockener Haut , ein- gesunkenem nirgends schmerzhaftem Leib, sehr lästiger Pulsat. abdom. am deutlichsten in der Nabelgegend fühl- und sichtbar, excessher Polyurie, der Harn war wasserfarbig, ohne Eiweiss, ohne Zucker, nir- gends Ocdem; zeitweise trat heftige Dyspnoe ein , ohne irgendwelche nachweisbare Störung am Herzen oder der Lunge. Auffällig war die eigenthümliche Färbung der Albuginca , welche man allenfalls perl- farben nennen konnte. » Unter Anwendung von Boborantien erholte sich der Kranke, wenn- gleich sehr langsam : die Kräfte nahmen zu, die Broncefarbe blieb. Im Monat April d. J. trat ein leichtes Becidiv ein: die Erschei- Brouoekriutklieilt. 431 nungen waren im Ganzen dieselben, wie die oben geschilderten, mit Ausnahme des Darmkalarrhes und der Polyurie. Wiederholt wurden indess im Urin gricsigc Massen bemerkt. An den Augenlidrändern — zwischen Gilien und Meibomsohen Drüsen entwickelte sich eine intensiv braune Färbung, ebenso auch an dem Lippensaume, da wo sieh das aussen» Integument mit der Schleimhaut verbindet; die Mundschleim- haut selbst zeigte hie und da linsen- bis groschengrosse schwärzliche Flecken; Etwa ein Zoll links vom Nabel konnte jetzt ein apfelgrosser Tumor durch Percussion und Palpalion nachgewiesen werden ; derselbe War nicht schmerzhaft. Der Kranke fühlte sich von nun an verhältnissmässig wohl : seine kürperkräfle nahmen zu, die Gesichtsfarbe wurde frischer, elf zeigte lebhaften Appetit. Am 5. October trat indess ein neuer Intestinal-* katarrh ein mit grosser Hinfälligkeit, Pulsus abdominalis, viel Schlaf, trockener Haut, wenig Appetit; der bisher sparsame Urin steigerte sich bald quantitativ; er war strohgelb und zeigte am Boden des Gefässes einen griesigen Niederschlag. Dieser Anfall ging rasch vorüber. Am 16. Deceinber indess traten ohne alle nachweisbare Ursache plötzlich einige rasch aufeinanderfol- gende wässrigeDejcctionen ein, in denen sich hie und da einzelne Blul- pünetchen zeigten ; gleichzeitig öfteres Erbrechen von gelblichem Schleim. Der Leib war immer eingezogen, hochgradige Puls, abdom., nament- lich links vom Nabel, hier ein Tumor deutlich nachweisbar, leichter Schmerz beim Druck an dieser Stelle. Der Durst war heftig, der Appe- tit fehlte gänzlich, ausserordentliche Prostration und Theilnahmlosigkeit. Am 17. machte sich eine eigenthümlicheUnbewreglichkeit undSchmerz- haftigkeit beider Schultergelenke geltend : die Arme w7urden gestreckt am Körper gehalten, die geringste Abduction des Oberarmes machte den Kranken vor Schmerz laut aufschreien. Auch die Berührung der Schultergelenke war höchst schmerzhaft. Bölhe , Anschwellung oder sonstige Abnormitäten waren hier durchaus nicht zu bemerken. Der Stuhl wurde normal , der Urin sparsam, der Durst immer grösser, er- giebige SchwTeisse stellten sich ein, die Hinfälligkeit und Kraftabnahme wurde immer bedeutender, es traten leichte Delirien , grosse Unruhe, Neigung zum Fortgehen, trockne Zunge, Schluchzen und am 2ö.Docbr. der Tod ein. Section: Beide Lungen frei, massig retrahirt, in den Pleurasäcken eine geringe Menge blutigen Serums, die unteren Lappen blutreich, links auf der Pleura pulmonalis einige liusengrosse graue Knötchen mit schwarzen Säumen , mehrere derselben stehen zusammengehäuft über einer eingezogenen Stelle der Lungenspitze , in der Nähe der rechten 432 C. Gerhardt, Lungenspitze ein nussgrosser pneumonischer Hecrcl , von ödematösem Gewebe umgeben. Herzbeutel enthält eine Spur von Serum , Herz schlaff, von gewöhnlicher Grösse, Musculatur blass, Klappen ohne Ver- änderung, enthält meist flüssiges Blut, wenig lockeren Cruor. Leber von gewöhnlicher Grösse, gleichmässig braunroth , etwas blass, in der Gallenblase viel dünne hellgelbe Galle. Milz etwas klein, schlaff, blass. Die Mesenterialdrüsen von gewöhnlicher Grösse, einige in der Nähe des unteren Endes des Ileum's in der Mitte schwarzgrau pigmentirt, ent- sprechend einigen stark pigmentirten PEYEit'schen Plaques. Magen und Pancreas ohne wesentliche Veränderung. Die linke Nebenniere als nussgrosse rundlich höckerige Geschwulst an dem oberen Theile der Nicrenkapsel und dem umgebenden verdickten Bindegewebe fest ad- hürent, so dass sie nach dem Abziehen der Capsula propria an dieser hängt und von innen her gelbe Knoten durchscheinen. Die Nebenniere hat ihre Form vollständig eingebüsst, ist in einen harten knolligen, kugelig-eiförmigen Tumor umgewandelt und besteht auf dem Schnitte aus einem sehnig glänzenden, knorpelharlen, etwas durchscheinenden, unter dem Messer knirschenden Gewebe , in dessen mittlerem Theil 3 — 5 gelbe, käsige, leicht zerbröckelnde Knoten eingelagert sind, die die Grösse eines Kirschkernes zum Theil erreichen. Die rechte Neben- niere ist gleichfalls an die Niere angelöthet, etwa taubeneigross , von gleicher Beschaffenheit wie die linke , nur dass hier einer der gelben käsigen in der Mitte gelagerten Knoten die Grösse einer kleinen Kirsche erreicht. Beide Nieren von gewöhnlicher Grösse, ohne erhebliche Ver- änderungen. Die mikroskopische Untersuchung zeigte in der harten Masse sehr derbes Bindegewebe mit zahlreichen eingestreuten Fettkörn- chen und einzelnen schlauchartigen Canälen , in den gelben Knoten noch reichlichere Fettkörnchen und viele kleine geschrumpfte Zellen und Kerne. Unser Fall gehört mit jenem von Kussmaul1) und Stark2), sowie der Mehrzahl der englischen Fälle in die gleiche Kategorie ; die Erkran- kung der Nebenniere war die einzige wesentliche Veränderung in der Leiche, der Tod erfolgte bei noch ziemlich gutem Stande der Ernährung, die Nebennieren waren theils fibrös, theils käsig entartet, auch hier möchte weniger eigentliche Tuberculose als chronische Entzündung des Organes anzunehmen sein , miliare Tuberkeln waren nirgends in der Leiche aufzufinden. Der Verlauf war ein langer, der Anfang dürfte schon 1) Würzburger mcdic. Zeitschrift Bd. IV. p. 66 ff 2) Diese Zeitschrift Bd. I. p. 479 ff. Broncekrankheit. 433 durch die vor 5 Jahren bestandenen rheumatoiden Schmerzen reprä- senlirt gewesen sein, aufweiche in sehr treffender Weise in der schönen Arbeit vonEüw. Hirzel1) hingewiesen wird, sicher gehört dieser Krank- heit der Brechdurchfall schon an, der vor 2 % Jahren eintrat. DieAetio- logie ist gerade so sehr null wie in den früher bekannt gewordenen Füllen ; von den Symptomen müssen einige hervorgehoben werden. Die Haut- färbung war eine sehr gleichmässig braune ; von der Fleckung, die in den meisten Fällen Addison's, auch in jenem Griesixger's erwähnt wird, war kaum eine Spur zu bemerken, nur war auch hier an den dem Tageslichte exponirtesten Stellen die Verfärbung zuerst aufgetreten. Auch an der Mundschleimhaut waren wenige Flecken , deutlich ein schwärzlicher Saum längs der Lippen. Auf einen ähnlichen sehrschmalen, aber sehr scharfen schwärzlichen Saum längs des Conjunctivalrandes machte mich Hr. Dr. Koellein noch bei derSection aufmerksam. Einen Umstand will ich noch erwähnen , dass nämlich der Kranke sehr be- stimmt behauptete, er habe für ikterisch gegolten im Beginne und es seien bei dem damaligen Brechdurchfälle die Stühle entfärbt gewesen, gerade so wie Dr. Sack über den Beginn des KissMAUL'schen Falles be- richtet. Die Färbung war eine sehr gleichmässige , ohne Spur von Fleckung. Die zeitweise Polyurie dürfte als besondere Erscheinung hervor- gehoben werden , leider fehlen Maassangaben darüber. Sie steht wohl im Zusammenhange mit directer Nierenreizung durch den benachbar- ten Entzündungsprocess, etwa so wie die Polyurie bei Nephropyelitis, oder sie steht ähnlich wie dies für den zeitweisen Magendarmkatarrh anzunehmen ist, im Zusammenhange mit den Nervenfunctionen der Nebenniere. Hervorheben möchte ich schliesslich noch, dass die Nebenniere und zwar die kleinere linke neben der stark pulsirenden Aorta , erst von mir als härtere Stelle , später deutlich als Geschwulst gefühlt wer- den konnte. Wie in vielen Fällen von Broncekrankheit trat auch hier nach Eisen- behandlung vorübergehend Abnahme der grossen Mattigkeit ein, schliess- lich aber unerwartet bei noch guter Ernährung der Tod. 1) Beitrag zur Casuistik der Addison'schen Krankheit. Zürich 1860. Zur Diagnose der Haeiiiatoceie retroutoriiia. Von Dr. Paul Kämpffe, Assistenten der geburtshülflichen Klinik zu Jena. Mil G Holzschnitten. Die Literatur über die Haematocele retro- uterina (Haematoma retro-uterinum) ist in der kürzen Zeit, seitdem die Aufmerksamkeit der Gynäkologen durch französische Forscher auf diese Affection ge- lenkt wurde, zu einem so bedeutenden Umfange bereits angewachsen und sind namentlich in den letztverflossenen Jahren von deutschen Forschern so werthvolle Beiträge zur Kenntniss dieser Krankheit ge- liefert und eine so grosse Zahl unzweifelhaft conslatirter Fälle derselben mitgetheilt worden, dass es von vornherein wenig belangreich erschei- nen könnte, die Zahl der letzteren durch einige neue zu vermehren, noch dazu durch solche, in denen weder die Function noch die Section den fraglichen Inhalt des Tumors direct zur Anschauung gebracht hat. Aber in Erwägung dessen, dass für den praktischen Arzt gerade der Umstand von der grössten Bedeutung ist , ob und wie die in Rode stehende Affection ohne Autopsie der Diagnose zugänglich gewacht werden könne, glaube ich es wagen zu dürfen, 2 Fälle, die in der hie- sigen gynäkologischen Klinik beobachtet wurden und welche gerade in dieser Beziehung besonderes Interesse boten, öffentlich mitzutheilen. Fall 1. Frau Fauline Gerber war als Kind gesund, wurde mit 19 Jahren menstruirt. Menstruation kehrte regelmässig alle \ Wochen ohne Be- schwerden wieder. Patientin giebtan, ein Nervenfieber Überstanden zu haben, sonst erinnert sie sich nicht, je krank gewesen zu sein. Mit Zur Diagnose der Haematocele retrouterina. 435 26 Jahren verheirathete sich Frau G. und machte in den darauf folgen- den 8— 1 0 Jahren 5 normale Schwangerschaften, Geburten und Wochen- betten durch. Anfang Mai 1862 kam Frau G. zuerst in poliklinische Be- handlung. Sie ist 3(> Jahre all, von mittlerer Statur und massig guter Ernährung. Sie klagt über heftige Leibschmerzen , öfteres Erbrechen und hat nach der Journal-Notiz in geringer Weise gefiebert. Die Regel war ihrer Angabe nach 8 Wochen ausgeblieben. Es wurde eineEmuls. semin. Papav. mit Aqua Lauroc. und warme Umschlage über den Leib verordnet. Mitte Mai stellt sich Patientin wiederum vor, und zwar in der Anstalt. Sie klagte über öfteres Erbrechen und andere gastrische Beschwerden und berichtete , dass sie vor 1 0 Wochen die Regel zum letzten Mal gehabt habe. Die Untersuchung ergab einen etwas ver- größerten, vollkommen frei beweglichen, etwas nach vorn übergeneig- ten Uterus. Die bei schlaffen, ziemlich dünnen Bauchdecken und schlaffer, weiter Scheide völlig unbehinderte Untersuchung ergab nichts, was auf irgendeine Anomalie der Beckenorgane zu deuten ge- wesen wäre, so dass die Vergrösserung des Uterus nur auf eine seit etwa 10 Wochen bestehende Schwangerschaft gedeutet werden konnte. Da auch die geringen gastrischen Beschwerden, welche noch vorhanden waren, auf die Existenz einer Schwangerschaft bezogen werden konn- ten und die gesammte Untersuchung der Frau nichts Abnormes ergab, so wurde dieselbe mit einigen diätetischen Anweisungen vorläufig aus der Behandlung entlassen. Am 16. Juni, also 4 Wochen später, meldete sich Patientin wieder und gab an , dass sie bis vor 1 4 Tagen sich ganz wohl gefühlt habe, dass dann mit heftigen , ziehenden Schmerzen im Leibe Blutung aus den Genitalien eingetreten sei , dass dieselbe sich bedeutend gesteigert habe, dass grosse Klumpen aus den Genitalien abgegangen seien, dass Schmerz und Blutung zwar nachgelassen haben, die Blutung aber mit mehrtägigen Unterbrechungen sich mehrmals wiederholt habe und dass an Stelle jener heftigen Schmerzen nach und nach sich steigernd ein schmerzhafter Drang zum Stuhl , schmerzhaftes , häufiges Drängen zum Urin und ziehende Schmerzen in den Leistengegenden , namentlich rechts, aufgetreten seien. Ueber die während der Blutung abgegange- nen Klumpen fehlen nähere Angaben. Patientin fühlt sich sehr matt, zeigt eine bleiche, gelbliche Hautfarbe. Puls ist klein, 96 in der Minute, Temperatur nicht erhöht. Durch die vordere Bauchwand in der Mittel- linie, etwas nach links abweichend, 3 Zoll hoch über der Symphyse ist der Fundus uteri deutlich durchzufühlen. Vaginal- Portion steht hoch, der vordem Beckenwand eng angedrückt. Der Uterus ist kleiner als bei der vorigen Untersuchung , wenn auch etwas grösser als normal. Band II. 4. 29 436 Paul Kämpfte, Nach den Seiten und nach abwärts ist derselbe völlig frei beweglich, die Bewegung und Druck sind schmerzlos. Oberhalb und hinter dem Uterus nach rechts hin bis an die Spina ant. sup. sich erstreckend ist ein rundlicher, von unregelmässig gewölbter Oberfläche begrenzter Körper durch die Bauchdecken hindurch zu fühlen. Derselbe ist nicht beweglich, fühlt sich ziemlich fest elastisch an, ist gegen Druck schmerz- haft. Das hintere Scheidengewölbe ist stark nach vorn und ab- wärts gedrängt durch einen gleiche Consistenz bietenden, eben- falls unbeweglichen, etwas schmerzhaften Tumor, welcher mit dem von den Bauchdecken her fühlbaren, hinler dem Uterus gelegenen Tumor in unmittelbarem Zusammenhange steht. Nach links hin be- grenzt sich die Geschwulstmasse mit weit niedriger liegender, oberer Grenze innerhalb des kleinen Beckens. Vom Bectum aus ist der Tumor nach vorn und nach den Seiten hin in seinem unteren Abschnitte genau zu begrenzen. Er prominirt in dasselbe mit glatter, unebener Fläche, ist auch von hier aus nicht beweglich und gegen Druck an einer kleinen Stolle sehr schmerzhaft. Die hintere Wand des Bectum liegt, soweit man tasten kann, dem Kreuzbeine an. Die Oberfläche seiner Schleim- haut bietet nichts Abnormes. Die untenstehende Abbildung veran- schaulicht den Befund der Palpation in einem schematischen Median- schnitt: Fig. 1. a Harnblase, b Uterus, c Tumor, c' der ausserhalb der Medianlinie nach rechts hin sich erstreckende Theil des Tumor. Sonach war es höchst wahrscheinlich , dass die Frau G. vor 1 i Tagen nach 10 — 1 ^wöchentlicher Schwangerschaftsdauer abortirt hatte und dass etwa von dieser Zeit an der hinter dem Uterus gelegene Tumor Zur Diagnose der Haematoeele retrouterina. 437 sich entwickelte. Sicher war. dass i Wochen früher der Uterus etwas grösser als jetzt und von dem jetzt hinter ihm gelegenen Tumor, wel- cher ihn nach vorn und oben drängt, keine Spur vorhanden war. Nach dem Befunde mussten die Möglichkeiten nebeneinander ge- stellt werden, dass man ein peritonitiscb.es Exsudat oder einen Eier- stockstumor oder ('ine von der hinlern Heckenwand ausgehende Neu- bildung oder endlich eine Haematoeele vor sich habe. Für die Annahme einer Peritonitis, welche zu der Grösse und dem schnellen Waehslhum des Tumor im Verhältniss gestanden hätte , fehlte aus der Anamnese jeder Anhalt. Gegen die Annahme eines schnell bis zu dieser Grösse gediehenen Eierstoeksturoors sprach die unregelmässige Gestalt der Ge- schwulst, sowie die Unbeweglichkeit derselben bei Abwesenheit von Einkleminungserscheinungen. (Schnell wachsende Eierstockstumoren weichen im Beginne ihrer Entwicklung von der Kugelform nicht sehr wesentlich ab und üben ziemlich nach allen Bichtungcn gleichen Druck.) Gegen eine von der hintern Beckenwand ausgegangene Neubildung sprach der Umstand, dass die Geschwulst, so weit man tasten konnte, vor dem Rectum gelegen war, dasselbe zwar seillich umgreifend, aber nirgends hinter dasselbe sich erstreckend. Gegen die Annahme einer Haematoeele sprach eigentlich nur die Seltenheit dieses pathologischen Vorganges und die von manchen Seiten behauptete Unmöglichkeit seiner Diagnose ohne Autopsie des Inhaltes , während die ziemlich schnelle Eni Wickelung der Geschwulst ohne erhebliche peritonische Erschei- nungen, ihre scharfe Begrenzung gegen den Peritonialraum hin, ihre Form und ihre Consistenz die Annahme einer Haematoeele sehr nahe legten. Die anämischen Erscheinungen durften für die Diagnose der Haematoeele nicht verwerthet werden , da eine nicht unbedeutende äussere Blutung während der Entwicklung der Geschwulst stattge- funden halte. Vom weiteren Verlaufe musste die Sicherung der Diagnose erwartet werden. Patientin wurde in die gynäkologische Klinik aufgenommen. Es wurde ruhige Lage angeordnet, gut nährende, leicht verdauliche Kost gewährt, durch Klystiere für täglichen Stuhlgang gesorgt und Tinctura ferri pomati gegeben. In den ersten 8 Tagen nahm der Tumor nachweisbar an Grösse zu, so dass derselbe sowohl an der Bauch wand etwas höher hinauf reichte als auch das hintere Scheidengewölbe liefer herab und den Uterus höher hinauf drängte. Dabei bestand keine Spur von Fieber, spontane Schmer- zen fehlten bei ruhiger Lage gänzlich und die Schmerzhaftigkeit des Tumor gegen Druck nahm nicht zu, vielmehr war dauernd erhebliche Empfindlichkeit gegen Druck nur an der vorhin genannten, vomBectum 29* 438 Paul Kämpfe, aus zugänglichen Stelle nachweisbar. Der Puls blieb klein und frequent und das anämische Aussehen der Person unverändert. Die Blutung aus den Genitalien , welche beim Eintritt der Person in unbedeutendem Grade vorhanden war, verlor sich am ersten Tage. In der 2. Woche wurde ein Wachsthum des Tumor nicht wahrgenommen, das Allgemein- befinden blieb unverändert. Von der 3. Woche an nahm der Tumor sichtlich an Grösse ab und wurde gleichzeitig fester, der Uterus rückte mit seiner Vaginalportion der Mitte des Beckens wieder näher, während die Prominenz des hinteren Scheidengewölbes sich verminderte. Das Allgemeinbefinden besserte sich. Das Gleiche wurde in den folgenden Wochen beobachtet. Und als Patientin am 24. Juli auf ihren Wunsch entlassen wurde, war der Uterus, welcher sich inzwischen fast auf seine normale Grösse verkleinert hatte, fast vollständig in das kleine Becken hinabgerückt, so dass der stark nach vorn liegende Fundus die Höhe der Symphyse nur noch \ Finger breit überragte. Der hinter ihm ge- legene Tumor übertraf ihn noch an Grösse, war aber bedeutend kleiner und fester geworden , zeigte auch einige Beweglichkeit und war vom Rectum her gegen Druck noch empfindlich. Am 26. November stellt sich die Kranke wiederum vor mit aller- hand anämischen Erscheinungen, namentlich auch Oedem an den Unter- schenkeln. Sie giebt an, dass Blutung mehrmals ziemlich reichlich in unregelmässigen Intervallen und in letzter Zeit lange anhaltend wieder- gekehrt sei. Gegenwärtig ist Blutung nicht vorhanden. Die Unter- suchung ergiebt normal grossen, stark antevertirten Uterus. Die etwas vergrösserte Vaginalportion , ganz hinten und hoch in der Kreuzbein- höhlung, ist in ihrer Beweglichkeit, obgleich die Scheide sehr schlaft' ist, sehr beschränkt, während der Fundus uteri von der Scheide und Bauch- wand her frei beweglich ist. Die ganzen Beckeneingeweide können bei schlaffer Bauchwand und weiter Scheide mit Bequemlichkeit palpirt werden. Es ergiebt sich, dass hinter dem Uterus, dicht über dem Scheidengewölbe, am Boden des DouGLAs'schen Raumes ein etwa einen Zoll im Durchmesser haltender, rundlicher, gegen Druck etwas schmerz- hafter Körper unbeweglich gelegen ist. Derselbe ist auch vom Rectum aus zu fühlen. Links vom Uterus ist das linke Ovarium an seiner nor- malen Stelle , von normaler Grösse und Form , sowie in normaler Re- weglichkeit zu erkennen. Rechts zwischen Uterus und Reckenwand ist ein entsprechender Körper durchaus nicht aufzufinden. Das Resultat der Palpation ist auf nebenstehender Zeichnung wie- derum im Medianschnitt veranschaulicht. Zur Diagnose der Raeriiatocele rctrouterina. Fig. 2. 439 In der Folgezeit sind die menstruellen Blutungen regelmässiger wiedergekehrt, meist sehr reichlich, ohne weitere Beschwerden als dio durch die fortdauernde Anämie bedingten , welche denn auch wieder- holt die Patientin in klinische Beobachtungen gebracht haben. Die wiederholte Untersuchung ergab im Befunde der Beckenorgane keine anderen Veränderungen , als dass der Uterus auch an seiner Insertion am Scheidengewölbe freier beweglich wurde und dass die Unbeweg- lichkeit des kleinen, im DouGLAs'schen Baum gelegenen Körpers sich verminderte. Doch hat derselbe vollkommen freie Beweglichkeit nicht erlangt und die Empfindlichkeit seiner Umgebung gegen Druck ist eine wechselnde gewesen. Dauernd war bei allen folgenden Untersuchungen der Befund , dass der linke Eierstock an seiner normalen Stelle in nor- maler Beschaffenheit, der rechte dagegen an seiner normalen Stelle nie aufgefunden wurde. Die letzte Untersuchung, am 2. September 1864, ergab den Uterus frei beweglich, wenig anteflectirt , fast in normaler Stellung. Linker Eierstock an der normalen Stelle deutlich zu palpiren, seitlich unterhalb der Linea arcuata, klein, beweglich, fast empfindungslos. Bechts zwi- schen Uterus und Beckenwand kein entsprechender Körper, rechts dicht neben dem Uterus und etwas hinter demselben ist sowohl vom Scheiden- gewölbe als vom Bectum aus ein resistenter, gegen Druck empfindlicher, rundlich begrenzter Körper zu fühlen. In der Medianebene ist der DouGLAs'sche Baum frei. Becapituliren wir kurz die für die Diagnose wichtigen Momente des eben beschriebenen Falles: Die 36jährige Patientin hatte in ziemlich 440 Paul Kämpfte, regelmässiger Reihenfolge 5 normale Schwangerschaften, Geburten und Wochenbetten durchgemacht, war seitdem wieder regelmässig men- struirt gewesen, bis bei gleichzeitig auftretender Brechneigung und ziehenden Schmerzen im Unterleibe die Regel von neuem ausblieb. Die 1 0 Wochen nach der letzten Regel vorgenommene Untersuchung ergab durchaus keine palpable Anomalie im Becken und eine Beschaffenheit des Uterus, welche zehnwöchentlicher normaler Schwangerschaft ent- sprach. Die 14 Tage darauf eingetretene profuse Uterinblutung war nicht beobachtet worden. Die weitere I 4 Tage darnach vorgenommene Untersuchung, welche den Uterus kleiner erwies, die nachfolgende Be- obachtung, welche das Nichtbestehen einer Schwangerschaft constatirte, Hessen die Blutung nicht anders als auf einen erfolgten Abortus deuten. Mit der den Abortus begleitenden und über 1 4 Tage darnach an- haltenden Blutung entwickelten sich die Beschwerden , welche die Pa- tientin von neuem zur Beobachtung brachten. Die Beschwerden rührten ohne Zweifel von dem Tumor her, welcher sich inzwischen hinter dem Uterus entwickelt hatte. Von den Möglichkeiten, die für Deutung dieses Tumor bei der ersten Untersuchung in Betracht kommen mussten, sind die einer vom Becken ausgehenden Neubildung, sowie die eines schnell entwickelten Ovarientumor durch den eben geschilderten weitern Ver- lauf des Falles vollständig von der Hand gewiesen worden. Ich glaube des specielleren Nachweises dafür mich enthalten zu dürfen. Neben der von vornherein grössten Wahrscheinlichkeit einer llaematocele bleibt also nur die Möglichkeit noch zu erwägen, ob der fragliche Tumor seinem ganzen Verlaufe nach als peritonitisches oder etwa parametri- tisches Exsudat gedeutet werden kann. Es ist dabei zu bemerken, dass es sich um die völlige Ausschliessung entzündlicher Processe natürlich gar nicht handeln kann. Ein bedeutender intraperitonealer oder extra- peritonealer Bluterguss wird nothwendig entzündliche Processe theils als Bedingung seiner Entstehung voraussetzen, theils dieselben not- wendigerweise zur Folge haben. Schon die Abgrenzung eines grossen Extravasates zur Form eines bestimmten Tumor kann nicht wohl anders als durch gleichzeitige Exsudations Vorgänge bedingt gedacht werden. Es fragt sich nur, ob die ganze Geschwulstmasse als Exsudat aufgefasst werden kann. Es kommen nicht selten perimetritische und parametri- tische Exsudationen zur Beobachtung, welche als mehr oder minder bestimmte Tumoren sich dem tastenden Finger darbieten, aber eine wie in unserm Falle nach allen Seiten scharf mit gerundeten Conlouicn sich abgrenzende Geschwulst stellen dieselben nicht dar, und bei so bedeutender Ausdehnung schnell sich entwickelnder entzündlicher Ex- sudate wird, wenn auch die spontanen Schmerzen gering sein mögen, Zur Diagnose der Hapinntocelo retronterina, 441 das nächst umgebende Gewebe doch stets eine erhebliche Empfindlich- keit zeigen , so lange das Exsudat im Zunehmen begriffen ist. Dieses gewiss charakteristische Symptom fehlte in unserem Falle. Und als minder entscheidend darf es wohl nicht angesehen werden , dass nicht die geringste fieberhafte Erregung weder bei der Aufnahme der Pa- tientin vorhanden war, noch während der ganzen Beobachtungszeit auftrat, während doch zu jeder Zeit und ganz besonders im Puerperium perimetritische oder parametritische Exsudationsprocesse von weit ge- ringerer Mächtigkeit von überaus heftiger fieberhafter Reaction be- gleitet zu sein pflegen. Sonach wäre also nach Ausschluss anderer von vornherein nahe- liegender Vermuthungen die Diagnose der Haematocele festgestellt, und wir haben einen der seltneren Fälle vor uns , wo dieselbe im unmittel- baren Gefolge eines Abortus sich entwickelte. Als Kern, wenn ich so sagen darf, der Haematocele erwies sich durch die Beobachtung wäh- rend der Resorption des Ergusses das rechte Ovarium. Möglicherweise war dasselbe der Ausgangspunct derselben gewesen. Nachdem der Tumor auf ein kleines im DouGLAs'schen Raum gelegenes Residuum sich reducirt hatte, wurde das linke Ovarium neben dem Uterus an seiner normalen Stelle, in normaler Beweglichkeit, von normaler Gestalt und unempfindlich gegen Druck wiederholt nachgewiesen, während die entsprechende Stelle rechts leer war. Bei gleichem Befunde reducirte sich der im DouGLAs'schen Raum gelegene Rest der Geschwulst, welcher empfindlich gegen Druck blieb , fast bis auf die Grösse eines normalen Eierstockes, und bei der letzten Untersuchung, länger als 2 Jahre nach Ablauf der Erkrankung, war dieser früher im DouGLAs'schen Raum ge- legene Körper von der hintern Seite des Uterus an dessen rechte Seile gerückt, wo die Palpation desselben durch immer noch bestehende Empfindlichkeit etwas behindert wurde. Dieser Körper kann nicht wohl anders gedeutet werden, als dass er das rechte Ovarium sei, an welchem chronisch entzündliche Processe noch fortbestehen. Es ergiebt sich auch nachträglich grosse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die auf der Höhe der Geschwulstentwickelung am Boden des DouGLAs'schen Raumes durch Empfindlichkeit sich auszeichnende Stelle eben dasselbe rechte Ovarium gewesen sei , und es wird eben dadurch die Vermu- thung nahe gelegt, dass im rechten Ovarium um die Zeit des Abortus bestehende entzündliche Vorgänge die der Haematocele zu Grunde liegende Hämorrhagie veranlasst haben. 442 Paul Kämpfe, Fall 2. Pauline Stahl, 33 Jahr alt, aus Lindenkreuz, hat im 20. Lebens- jahre zuerst menstruirt und seitdem die Regel bis zur ersten Schwanger- schaft, die im 29. Jahre eintrat, regelmässig gehabt. Die Geburt wurde in hiesiger Klinik wegen Wehenschwäche mit der Zange vollendet und die zum Theil adhärente Placenta künstlich gelöst. Im Puerperium trat eine Parametritis auf, von der die Wöchnerin vollständig genas. Anfang März 1863 kommt S. wieder wegen bevorstehender Ge- burt in die Klinik, nachdem sie 8 Wochen lang vorher in der medicini- schen Abtheilung an Syphilis seeund. behandelt worden war. Die Symptome der Syphilis lagen noch vor und die Person berichtet, dass sie bereits seit 3 Wochen keine Kindesbewegungen mehr wahrgenom- men habe. Am 22. März wurde sie von einem todtfaulen Kinde leicht entbunden , doch mangelhafte Rückbildung des Uterus und heftig auf- tretende Blutung protrahirten die Reconvalescenz. Nach Entlassung aus der Anstalt soll wiederum 14 Tage lang blutiger Ausfluss stattge- funden haben, dann soll bereits nach 4 Tagen die Regel wiedergekehrt sein , die von jetzt an regelmässig alle 4 Wochen ohne Schmerz und Störung des Allgemeinbefindens sich einstellte. Am 9. Januar 1864 trat S. wieder in die Anstalt ein und zwar mit der Aussage, dass die zur gewöhnlichen Zeit der Regel eingetretene Blutung bereits 10 Tage dauere, dass nach dem 2. Tag Sehmerzhaflig- keit in der linken Unterleibsgegend aufgetreten sei , die sich allmählich mit der Dauer der Blutung gesteigert habe. Dabei habe sie Frostanfälle gehabt, Appetitlosigkeit sei eingetreten und Stuhlbeschwerden, die bald in Diarrhöe, bald in Verstopfung bestanden hätten. Gleichzeitig habe sie Husten ohne Auswurf bekommen. Die Untersuchung der Brust- organe ergiebt nur die Symptome einer massigen Bronchitis. Druck in der Magengegend und unterhalb des rechten Rippenbogens ist schmerz- haft. Der Unterleib giebt überall tympanitischen Percussionsschall, Druck in beide Unterbauchgegenden, besonders links, erregt lebhafte Schmerzen. Der Uterus steht ziemlich in der Mittellinie, wenig nach rechts abweichend, ist antevertirl, wenig grösser als normal, beweg- lieh, kaum empfindlich gegen Druck. Dagegen ist das hintere Scheiden- gewölbe , vorzüglich nach links hin, gegen Druck lebhaft empfindlich und fühlt sich resistenter als die seitlichen Parthien an. Druck von aussen hinter den Uterus nach der Kreuzbeinhöhlung zu erregt gleich- falls heftige Schmerzen. Der Ausfluss ist gegenwärtig gering, blutig gefärbt. Vom Rectum aus ist jeder Druck nach vorn und oben ebenfalls Zur Diagnose der Haematöcele retrouterina. 443 sehr schmerzhaft, es ist aber auch von hier aus nur bedeutende Re- sistenz, keine abgrenzbare lliirie nachweisbar. Die Temperatur ist wenig erhöht, Puls voll, zählt 80 Schläge. In den nächsten Tagen verschwindet bei ruhiger Lage der blutige Auslluss vollständig, es besteht nur noch geringe schleimige Abson- derung. Geringe Fiebererscheinung mit abendlichen Acerbationen dauern noch einige Tage fort, der Appetit bessert sich. Die Resistenz im hintern Scheidengewölbe nach links hin wird bedeutender, das ganze Gewölbe wird mehr herabgedrängt und ist schon bei massigem Drucke schmerzhaft. Bei combinirter äusserer und innerer Unter- suchung fühlt man dort zwischen den Fingern eine vielleicht zolldicke, ziemlich feste Schicht, die lebhaft bei jeder Berührung schmerzt. Der Uterus hat seine frühere Stellung vollständig beibehalten. Im Laufe des Januar trat im örtlichen Befunde eine wesentliche Veränderung nicht ein. Der Uterus und der hinter ihm gelegene Tumor blieben unverändert und die Schmerzhaftigkeit gegen Druck , wenn auch etwas vermindert, verbot doch eine tiefe Palpation der Becken- organe. Das subjeclive Belinden besserte sich wesentlich, Sluhlver- stopfung dauerte fort und mussten die Entleerungen durch Klystiere befördert werden. Gegen Ende Januar traten wieder heftige Schmer- zen auf, namentlich in der rechten Seite, und am 30. Jan. wiederum Blutung. Während die Blutung von Tag zu Tag zunahm , wurde vom i. Febr. an auch eine erhebliche Vergrösserung des Tumor wahrge- nommen , welcher besonders nach rechts hin sowohl das Scheidenge- wölbe stark nach abwärts drängte, als auch durch die Bauchwand fühl- bar hinter dem Uterus emporstieg. Der Uterus wurde mehr und mehr gegen die vordere Becken- und Bauchwand gedrängt, so dass die Vagi- nalportion dicht an die vordere Beckenwand zu stehen kam und der Fundus uteri etwa 2" hoch über dein Rande der Symphyse der vordem Bauchwand anlag. Derselbe ist dabei von der Mittellinie etwas nach links abgewichen und vor dem dahinter gelegenen Tumor ziemlich frei beweglich. Seine Bewegungen sind fast schmerzlos. Durch die hintere Vaginalwand und deutlicher noch durch die vordere Wand des Rectum ist die aus knolligen Erhabenheiten zusammengesetzte Oberfläche des Tumor bei der Untersuchung zu erkennen, während die von aussen tastende Hand seine obere Grenze, ebenfalls durch kuglige Hervor- ragungen bezeichnet, in der Höhe des Nabels wahrnimmt. Das Ergeb- niss der Palpation ist durch die umstehende Zeichnung veranschaulicht. 441 Paul Kiimpffe, Fig. 3. (Die seitliche Abweichung des Uterus ist in der Profilzeichnung wiedergegeben.) natürlich nicht Fieberhafte Erscheinungen fehlten seit länger als Mitte Januar voll- ständig. Temperatur stieg nie über die normale Höhe, Puls wurde frequent und klein und die Kranke bot überhaupt das Bild hochgradiger Anämie. Unter den unausgesetzt angewandten Eisumschlägen vermin- derte sich die äussere Blutung und stand vom 4 0. Febr. an vollständig. Vom 1 3. Febr. an wurde auch eine Vergrösserung des hinter dem Uterus gelegenen Tumor nicht mehr beobachtet und fing derselbe viel- mehr nach wenigen Tagen an deutlich kleiner und fester zu werden. Die Verkleinerung ging auffallend schnell von Statten. Mit derselben rückte der Uterus seiner normalen Stellung näher, überschritt sogar die Mitte des Beckens, so dass, als der Tumor sich auf den DouGLAs'schen Baum beschränkte , die Vaginalportion nach hinten gezogen und der Uterus dadurch stark antevertirt wurde. Bei kräftiger Kost und Eisen- gebrauch erholte sich die Kranke ziemlich schnell, so dass ihr schon am i'i. Febr. das Bett zu verlassen erlaubt werden konnte. Mattigkeit und massige , ziehende Schmerzen in den Lendengegenden waren die ein- zigen Beschwerden. Am 27. Febr. wurde eine genaue Untersuchung vorgenommen: der Uterus ist noch ziemlich stark antevertirt, nach hinten in der Höhe des Scheidengewölbcs etwas fixirt, übrigens frei beweglich, seine Höhle misst 3% Zoll. Als Besiduum des Tumor liegt an seiner hintern Seite über dem Scheidengewölbe eine vom Rectum aus, vom Scheidengewölbe aus und von der Bauchwand her deutlich fühlbare, seinen rechten und linken Band überragende, nach beiden Zur Diagnose der Haematocele retrouteriua. 445 Seiten keulenförmige höekrige Masse • Im Profilschnitt Fig. 4 ist diese Masse mit c bezeichnet. Fig. 5 veranschaulicht das Resultat der Pal- Fie. 4. Pis pation durch eine Ansicht in der Richtung der Axe des Reckeneinganges. Durch tue umlaufende Linie soll der Reckeneingang dargestellt sein. Das in der Mitte durchschnittene Organ ist der Uterus. Die beiden rechts und links gelegenen Massen haben einen Dicken- durchmesser von über I", sind mit dem Uterus fest verbunden, an den Recken- wänden, wie es scheint, nirgend adhärent. Am 28. Febr. trat die Regel wieder ein, mit sehr starker Blutung und Steigerung der Schmerzen. Es wurden bei horizon- taler Lage die Eisüberschläge wieder gemacht und Liquor ferri ses- quichl. gereicht. Die Blutung dauerte bis zum 8. März ziemlich stark fort. Ein Wachsthum der Tumoren fand nicht statt, dagegen war die Schmerzhaftigkeit derselben gegen Druck während der ganzen Zeit erhöht. Die Eisumschläge wurden noch bis zum 1 1 . März fortgesetzt. Nach dieser Zeit verlor sich schnell die Schmerzhaftigkeit und vom I i. März an wurde wieder gleichmässig fortschreitende Verkleinerung der beiden Tumoren beobachtet , welche auch bald nicht mehr als eine zusammenhängende Masse, sondern als zwei rechts und links neben und hinter dem Uterus gelegene, etwa wallnussgrosse Körper erkannt werden konnten. Bei wie früher fortgesetzter roborirender Therapie 446 P'™! Kiimpffe, schwanden die anämischen Erscheinungen fast vollständig. Dann und wann auftretende ziehende Schmerzen in den Lendengegenden sind die einzigen Beschwerden. Am 30. März trat die Blutung von neuem ein. Blutung, etwas geringer als früher, dauerte diesmal nur 5 Tage. Keine Vergrcsserung der Tumoren während derselben. Die nächste Men- struation trat am i. Mai ein, dauerte wiederum 5 Tage und war von krankhaften Vorgängen nicht begleitet. Die letzte, am 21. Mai vorgenommene Untersuchung zeigt den Uterus in der Mitte des Beckens, frei beweglich, wenig anteflectirt, seine Höhle misst 3" 2'". Bechts und links neben dem Uterus die beiden Eierstöcke deutlich zu palpiren , kaum grösser als normal , der rechte frei beweglich, schmerzlos gegen Druck, der linke dem Uterus kürzer angeheftet, gegen denselben nicht Fie;. 6. ° ° ° beweglich, gegen Druck etwas schmerzhaft. ,_„__ Der DouGLAs'sche Bäum völlig frei. Schmerz- haftigkeit gegen Druck zeigt auch die rechte hintere Bauchwand über dem M. psoas hin- weg nach dem Verlaufe der Von. spermat. dext. Die nebenstehende Figur 6 veran- schaulicht das Palpationsresultat in gleicher Weise wie in Fig. 5. Die Kranke wurde am 6. Juni entlassen, hat sich nach dieser Zeit nicht wieder vorgestellt. Dieser 2. Fall betrifft eine Person, deren Genitalien bereits wieder- holt der Schauplatz pathologischer Vorgänge gewesen waren. Mit dem 20. J. zuerst menstruirt, hatte der Uterus am Ende der ersten Schwan- gerschaft weder zur Expulsion des Kindes noch der Placenta hinrei- chende Energie entwickelt und auch im darauffolgenden Wochenbett durch mangelhafte Bückbildung zu profusen Hämorrhagieen Veranlas- sung gegeben. Die 2. Schwangerschaft wurde durch Syphilis unter- brochen und das darauffolgende Wochenbett war durch parametritische Processe gestört gewesen. Als die Person 9 Monate später wieder zur Beobachtung kam, bestand eine auf den DouGLAs'schen Baum be- schränkte Peritonitis, während gleichzeitig die menstruale Blutung sich auffallend in die Länge zog. Nachdem die durch diese Peritonitis be- dingten Störungen des Allgemeinbefindens vollständig geschwanden waren, während ein geringes Exsudat im DouGLAs'schen Baum unver- ändert gelegen blieb, trat in der nächsten Mcnstrualperiode ziemlich schnell zu bedeutender Grösse sich entwickelnd die in Rede stehende Geschwulst im DouGLAs'schen Räume auf; während die sehr viel ge- ringere entzündliche Exsudation in der frühern Mcnstrualperiode von Zur Diagnose der Haematocele retronterina. -1 17 deutlichen Fiebererscheinungen begleitet war, zeigte sich jetzt nicht die geringste Spur derselben. Dagegen war das Wachsthum der Geschwulst von derEntwickelung hochgradiger anämischerErscheinungen begleitet. Gerade dieser Gegensatz in den Symptomen, welche die in 2 auf- einander folgenden Menstrualperioden auftretenden pathologischen Ver- änderungen begleiteten, lebhafte Fieberbewegung das eine Mal, wah- rend Entwicklung eines auf kleinem Raum begrenzten Exsudates, keine Spur von Fieberbewegung das andere Mal, während ein Tumor von mindestens zwanzigfachem Volumen sich in wenigen Tagen/ ent- wickelte unter Auftreten anämischer Erscheinungen, mussten diesen letzten Tumor als Haematocele mit Bestimmtheit erkennen lassen. Eine Bestätigung dieser Diagnose musste aus dem weiteren Verlaufe ent- nommen werden. Während das kleine peritonitische Exsudat von einer Menstrualperiode bis zur andern keine Veränderung gezeigt hatte, ausser dass die Empfindlichkeit sich verminderte, reducirte der mehr als faust- grosse, durch Haematocele bedingte Tumor bis zur folgenden Menstrual- periode sich auf weniger als die Hälfte seines früheren Volumens und machte auch ferner in seiner Verkleinerung schnelle Fortschritte. Ueber den Entstehungsheerd dieser Haematocele gab der Verlauf keinen be- stimmten Aufschluss, namentlich ist über etwaige Betheiligung der Ovarien nichts ersichtlich gewesen. Eingebettet in dem Blutergüsse waren beide Ovarien, denn die rechts und links hinter dem Uterus über dem Scheidengewölbe gelegenen keulenförmigen Massen, welche bei ihrer allmählichen Verkleinerung und bei allmählichem Schwinden der sie verbindenden Parthie der Geschwulst immer mehr seitliche Lager- ung zum Uterus annahmen, sind ohne Zweifel die Ovarien. Auch war die einige Wochen vor Beginn der Haematocele beobachtete Perimetritis entschieden auf die linke Ovarialgegend vorwiegend ausgedehnt und später nach völligem Schwinden der Geschwulst blieb das linke Ova- rium kurz und fest dem Uterus angeheftet und gegen Druck empfind- lich, während das rechte frei wurde. Aber auch in der rechten Beckenseite wurde eine nicht unbedeu- tende rückbleibende Anomalie nachgewiesen, die Empfindlichkeit längs des Verlaufes der rechten Vasa spermatica. Nehmen wir dazu , dass während der schnellen. Entwicklung des Tumor im Anfang Februar derselbe gegen das Scheidengewölbe hin rechts stärker prominirte und dass der gegen die vordere Bauchwand gedrängte Uterus zugleich von der Mittellinie nach links abwich, so spricht das mehr für rechts- seitigen Ursprung der die Haematocele bedingenden Hämorrhagie. 448 Paul Kämpfle, Als ich im Eingang dieser Abhandlung die Veröffentlichung dieser Falle motivirte, hob ich bereits hervor, dass das diagnostische Interesse an denselben allein das mich dabei bestimmende war. Es ist ausser allem Zweifel, dass die Diagnose einer Haematocele in vielen Füllen grossen Schwierigkeiten unterliegt. Und wenn diesen Schwierigkeilen gegenüber manche Autoren den Satz aufgestellt haben, dass die Ent- leerung durch die Punction die einzig entsprechende Therapie der Hae- matocele sei und wenn dagegen andere gerade als Diagnostiker im hohen Ansehen stehende Gynäkologen die Ansicht aussprechen, dass nur die Entleerung des Inhaltes (oder die Section) die Diagnose der Haematocele sichern könne, so findet sich dem gegenüber der Praktiker in einer sehr traurigen Situation, da er weiss, dass gegen viele im Becken gelegene Tumoren die Punction nicht die entsprechende The- rapie ist. — Die Möglichkeit, eine Haematocele zu diagnosliciren , ist zunächst sehr verschieden gross darnach , wie viel Kenntniss wir über den Verlauf der jedesmal vorliegenden Erkrankung, wie viel Kenntniss wir überhaupt von dem früheren Zustande der Genitalien der Frau haben. Es giebt vielleicht wenige krankhafte Processe der weiblichen Beckenorgane/ in denen auf Grund einmaliger Untersuchung die Mög- lichkeit der Diagnose so gering wäre, in denen die Anamnese, so weit dieselbe aus den Erzählungen der Patientin hervorgehen kann, weniger Anhalt böte, in denen also die Beobachtung eines Stückes Verlauf allein erst zu einem richtigen Urtheile führen kann. Eine entwickelte Haematocele, wie sie z. B. in unseren beiden' Fällen vorlag, lässt der einmaligen Untersuchung Zweifel offen, ob man es mit einer vom Becken ausgehenden Neubildung, Carcinom, Sarcom, Fibroid, oder ob man es mit Fibroiden der hintern Wand des Uterus zu thun habe. Die Verwechselung mit einem Ovarientumor kann ich nach Form und Oberflächenbeschaffenheit der von mir beobachteten Tumoren beiderlei Art für sehr nahe liegend nicht halten und ebenso wenig habe ich je ein altes oder frisches pcritonitisches Exsudat beo- bachtet, welches mit den im Vorhergehenden geschilderten Tumoren namentlich in Bezug auf die nach allen Seiten scharfe Umgrenzung be- deutende Aehnlichkeit gezeigt hätte. Dagegen Fibroide des Uterus, welche im Becken unbeweglich sind und den Uterus aus seiner Lage gedrängt haben, oder Tumoren des Beckens von gleichen Eigenschaften, wenn sie eine massig elastische Consislenz darbieten, geben zu Ver- wechselung Gelegenheit. Bedenken wir, dass bei den letztgenannten Affectionen anämische Zustände durchaus keine Seltenheit und auch acutes Auftreten beängstigender anämischer Symptome ziemlich häufig sind, fieberhafte Erkrankung dagegen bei allen dreien nur ganz acci- Zur Diniiiios*' Wiederbelebuns srbeintodt ffeborner Kinder. 455 DasM. HALL'sche Verfahren, welches sich für die Wiederbelebung im Wasser Verunglückter seit fast einem Decennium so vortrefflich bewährt hat und zu diesem Zweck auch auf dem Continent jetzt immer* allge- meiner eingeführt wird, theilt nicht den wesentlichen Nachtheil des Luft- einblasens, der Druck im Thorax wechselt dabei in demselben Sinne wie bei der spontanen Respiration ; auch der Nachtheil, die Gleichmässigkeit des Luftwechsels betreffend, fällt vollständig weg, weil die eigene Elasticität des Thorax für jede Inspiration das Maass- gebende ist. Das einzige Bedenken, welches gegen die Wirksamkeit des HALi'schen Verfahrens zur Wiederbelebung Neugeborner a priori gehegt werden konnte und wie von mir selbst so auch wohl von Andern gehegt worden ist, dass nämlich die gegenüber dem Thorax des Erwach- senen sehr viel geringere Elasticität des Thorax des Neugebornen, wel- cher ohnehin bis dahin bei luftleeren Lungen im Gleichgewicht stand, zu wenig ausgiebige Excursionen gestatten würde beim Nachlass des die Exspiration nachahmenden Druckes, ist durch die Resultate Spie- gelberg's und namentlich durch das Resultat, welches Seydel an einem Todtgebornen erzielte, bedeutend abgeschwächt worden. Das Marshall HALL'sche Verfahren entspricht der ad 2 aufgestellten Indication besser als das Luftcinblasen und die Innervation der Nervi phrenici. Ad 3. Ist der Gaswechsel auf der Lungenoberfläche in Gang ge- setzt, so kommt es vor Allem darauf an, seine Resultate der M e d u 1 1 a o b 1 o n g a t a zu Gute kommen zu lassen, also die erlahmende Circulation sowohl in den Lungen als auch im Aortensystem zu beschleunigen. Die Herzlhätigkeit in kräftigeren Gang zu bringen, können wir nur mittelbar wirken. Vermehrte Blut- zufuhr zum Herzen beschleunigt seine Contraction. Wenn wir dem scheintodt Neugebornen Luft in die Lungen blasen , sehen wir die ge- sunkene Herzthäligkeit sogleich kräftiger und frequenter werden. Ge- rade weil wir diese Wirkung momentan eintreten sehen, glaube ich sie wesentlich davon ableiten zu müssen, dass die in die Lungen getrie- bene Luft Blut zum Herzen drängt. Das zweite, das dritte Luftein- blasen lässt diese Wirkung schon minder deutlich hervortreten , weil da die Quantität des zum Herzen gedrängten Blutes wegen der bereits bestehenden Luftfüllung der Lungen eine geringere ist. (Diese Beob- achtung kann natürlich nur solchen Fällen tiefen Scheintodes entnommen sein , wo die Wirkung des ersten Lufteinblasens auf die Herzthätigkeit eine vorübergehende war; kam die Circulation dauernd in leb- hafteren Gang, so erfolgen auch bald spontane Inspirationen, die spon- tanen Athembewegungen heben ihrerseits wieder die Circulation und 456 B. S. Schnitze, man wird sich ferneren Lufteinblasens enthalten.) ') Dauernd den Blulzufluss zum Herzen zu vermehren vermag Erhöhung der Spannungs- differenz zwischen dem arteriellen und venösen Canalsystem. Diese Spannungsdifferenz vermögen wir bei der bestehenden Ventilvorrich- tung des Herzens und bei überhaupt noch bestehender Hcrzaction am wirksamsten zu erhöhen durch rhythmisch wechselnde Steigerung und Verminderung des Druckes im gesammten Thorax. Ausführlicherer De- duction darüber darf ich mich hier wohl enthalten , wenn ich einfach an dieThatsache erinnere, dass schon die ruhige Respiration die normale Girculation nachweisbar in genanntem Sinne beeinflusst, dass verstärkte Thoraxbewegungen einen Einfluss auf die Stromspannung gewinnen, welche den der einzelnen Herzsystole bedeutend übertreffen kann und wenn ich ferner in Erwägung stelle, dass wir es bei tiefem Scheintod mit bedeutend gesunkener Herzthätigkeit zu thun haben, deren Einfluss auf die Differenz der Stromspannung im Gefässsysteme so gering ist, dass die Ausgleichung dieser Differenz und damit völliger Stillstand des Blutes in Aussicht steht. In Betreff des Nähern darüber kann ich nur auf die Lehrbücher der Physiologie verweisen und vor Allem auf die classische Arbeit Ludwig's : Beiträge zur Kenntniss des Einflusses der Respirationsbewegungen auf den Blutlauf im Aortensysteme. Müllcr's Archiv. 1847. S. 242. Jede Art künstlicher Respiration , welche eine der spontanen Re- spiration ähnliche Druckschwankung im Thorax setzt, wird also für alle Fälle tiefen Scheintodes den wesentlichen Vortheil bieten, dass sie gleichzeitig dieser ad 3 aufgestellten Indication entspricht, dass sie eine Hebung der erlahmenden Girculation setzt. Die Möglichkeit und die Notwendigkeit, gleichzeitig mit der Einleitung des Luftwechsels in den Lungen die Circulationsgeschwindigkeit, überhaupt die Druckdiffe- renz des arteriellen und venösen Blutes zu erhöhen, ist bei Abwägung des Werthes der verschiedenen Wiederbelebungsmethoden bisher gar nicht in Rechnung gezogen worden. Das Lufteinblasen mit nachfolgend l) Ich glaube die nachtheiligen Einflüsse des neben den spontanen Athemhe- wegungen fortgesetzten Lufteinblasens zu häutig wahrgenommen zu haben , als dass icli Olsuausen beistimmen könnte, welcher räth, die künstliche Respiration (mittelst Einblasen) fortzusetzen, bis eine regelmässige Athemthäligkeit sich zeigt und etwa vier spontane Inspirationen in der Minute erfolgen. Das Liegenbleiben des Katheters beeinträchtigt natürlich bedeutend den Effect der spontanen Inspi- ration, und wenn, wie bei genanntem Verfahren gar nicht zu vermeiden ist, der Versuch einer spontanen Inspiration, der den Druck im Thorax mindert, mit dem Einblasen, welches den Druck im Thorax steigert, zum I heil zusammenfällt, so müssen ganz perverse Druckschwankungen im Thorax zustande kommen, welche Girculation und Respiration nur benaehllieiligen können. Ueber die beste Methode der Wiederbelebung scheintodt gebomer Kinder. 457 nachgeahmter Exspiration erhöht einseitig und dauernd den Druck im Thorax. Ein Wechsel des Druckes im Thorax, ganz analog dem durch spontane Athmung erzeugten, wird gesetzt durch die Innervation des Zwerchfells mit nachfolgender Exspiration durch Druck der Hand. Wenn man, wie Pernice, die Exspiration nur durch Rückkehr des ge- reizten Muskels in seine Lage und durch die Elasticität der Lungen zu Stande kommen lasst, so wird durch die Inspiration und durch die Exspiration der Druck im Thorax vermindert. Die Reizung der Phrenici wäre übrigens bei tiefem Scheintod, bei bedeutend gesunkener Gir- culationsenorgie dem Lufteinblasen weit vorzuziehen, wenn nicht die oben genannten Redenken beständen. Die Anwendung des Marshall IlALL'schen Verfahrens setzt eine häufigere, regelmässigem und gleich- massigere Druckschwankung. Der Einwirkung dieser regelmässigen Druckschwankung auf die Circulation verdankt das M. HALL'sche Verfahren meines Erachtens zum grossen Theil seine Erfolge. Die Druckschwankungen bei Anwendung dieses Verfahrens auf Neugeborne können freilich aus den oben angedeuteten Gründen denen nicht gleich- kommen , welche bei Erwachsenen zu erzielen sind, doch zeigen die Erfahrungen Spiegelberg's und Seydel's. dass dieselben zur Einleitung regelmässiger Respiration, resp. Circulation ausreichend waren. Die angeführte Beobachtung Seydel's betraf einen »kräftig entwickelten Knaben«, die von Spiegelberg mitgetheilten Reobachtungen betreffen zwei »mittelgrosse Mädchen«, einen Knaben von »über 6 Pfd. Rad.« und einen anderen von 53 Ctm. Länge, also lauter mittelgrosse und recht grosse Kinder ; dazu äussert Spiegelberg p. I 55, dass wenn auch an- fangs das Quantum der eintretenden Luft nur ein geringes sei, es zu- nächst doch für den beabsichtigten Zweck genüge, und Seydel sagt, dass die Methode weniger schnell wirkend sei, als die Hüter'scIio. In Erwägung nun, dass viele scheintodt geborne Kinder unter dem Entwicklungsgrad der hier in Reobachtung gewesenen sich befinden, namentlich aber in Erwägung, dass bei tiefem Scheintod, wo die Herz- contractionen ganz selten sind, gerade auf schnelle Hebung der Cir- culation und Einleitung ausgiebiger Respiration, ich möchte sagen, Alles ankommt, kann ich mein Redenken wegen der geringen Elasticität des Thorax Neugeborner nicht ganz fallen lassen. Wenn ich nun auch die von Thamhayn und von Spiegelberg gegen das SiLVESTER'sche Verfahren, welches namentlich durch Muskelzug Hebung der Rippen und somit eine bedeutende Inspirationserweilerung des Thorax setzt, angeführten Gründe, die ich hier nicht wiederholen will, anerkenne; so halte ich es doch für die Sicherheit und Schnelligkeit der Wirkung namentlich bei Neugebornen für wesentlich, ausser der Elasticität des Thorax noch 458 B. S. Schnitze, andere Factoren in Wirksamkeit zu setzen, welche sicherer und aus- giebiger den Thorax erweitern und verengern. Das geschieht bei mei- ner unten zu beschreibenden Methode der künstlichen Respiration, welche ich seit einer Reihe von Jahren bei Neugebornen ausschliesslich anwendete, einer Methode, der ich auch für Wiederbelebung durch Submersion Asphyctischer vor der M. HALL'schen den Vorzug geben würde, wenn sie bei Erwachsenen manuell ausführbar wäre. Ad i. Die durch intrauterine Athembewegungen aspirirten Flüs- sigkeiten sind als Athemhinderniss für scheintodte Neugeborne schon von Röderer, Paul Scheel und Anderen anerkannt und gewürdigt wor- den. l) Das auf Hüter's neue Empfehlung viel geübte Verfahren Scheel's, durch einen in die Trachea eingeführten Katheter die aspirirten Sub- stanzen auszusaugen, bevor die Luft eingeblasen wird, ist durchaus rationell. Nachgeahmte kräftige Exspiration fördert die fraglichen Sub- stanzen nicht minder zu Tage und macht die Respirationsfläche frei. Wo auf schleunige Erfüllung der Indicationen, wie beim Scheintod der Neugebornen, viel ankommt, verdient das Verfahren den Vorzug, wel- ches ohne besondern Zeitaufwand die eine Indication gleichzeitig mit anderen sicher nicht minder wichtigen erfüllt. Sonach wäre also die durch den Scheintod Neuge- borner gegebene Indication etwa dahin zusammenzu- fassen, dass es Haupterford erniss ist, durch rhythmisch wechselnde möglichst umfangreiche Erweiterung und Verengerung des Thorax mittelst directer Einwirkung auf seine Wandungen gleichzeitig den Luftwechsel in den Lungen einzuleiten und die Druckdifferenz zwi- schen arterieller und venöser Blut bahn wieder herzu- 1) Weder in dem sehr reichhaltigen historischen Theil der HiTER'schen Arheit, noch bei Thamhayn (Panum), noch bei Pagenstecher (über das Lufteinblasen zur Rettung scheintodter Neugeborner , 1856) finde ich den von allen alteren Vor- schlägen weitaus vorzüglichsten Paul Scheel's genannt. Da Scheel's Inaugural- dissertation : De liquoreamnii asperae arteriae foetuum humanorum. 1798. Hafniae, der Mehrzahl der Leser nicht zugänglich sein wird, setze ich die auf pag. 60 ent- haltene Stelle hieher : Faucibus tali modo purgatis, venimus ad asperam arteriam ipsam ; cujus eva- cuationem optime siphone peragi posse puto, cum cujus orificio canalis longus llexilis (e. g. catheter cl. Pickelii e resina clastica factus) diametro asperae arteriae aptus, in asperam arteriam immiüendus, conjungitur, ut ejus ope liquidum asperae arteriae attractum evacuemus. Quo facto, eodem modo aerem atmosphaericum in pulmoncs detruderc possumus, absque periculo etiam per oesophagum ca na lern intestinorum aere expandendi. Ueber die beste Methode der Wiederbelebung Scheintod! gebornw Kinder. 459 stellen, damit durch letzteren Umstand die gesunkene Ci reu l a ti o n sg e s chwi nd i g k e i t auf di ejen ig e Höhe erhoben werde, wcl che er forderlich ist, um dem Gasaustausch des Blutes in den Lungen hinreichenden Umfang zu geben und seine Resultate mögli ch st bald dem verlängerten Marke zuzuführen. Die künstliche Respiration hat gleichzeitig die Aufgabe zu erfüllen, die aspirirten Flüssigkeiten zu entleeren. Es ist daher mit einer kräftigen Exspiration zu beginnen. In leichteren Fällen von Scheintod genügt es und gelingt es, ohne Einwirkung auf Circulation und Blutmischung , durch Steige- rung der Reize mittelst schroffen Temperaturwechsels etc. erregend auf das verlängerte Mark zu wirken. Lösen Hautreize aber nicht als- bald Inspirationen aus, so darf man es nicht verschieben, zur künst- lichen Respiration zu schreiten, weil anderenfalls die Erregbarkeit der Medulla von Minute zu Minute sinkt, um so schneller, je lebhafter etwa inzwischen die Circulation in Gang kam. Sobald, auch bei tiefer Asphyxie, eintretende Athembewegungen von der wiedererwachenden Erregbarkeit der Medulla Zeugniss geben, erweisen sich ebenfalls Haut- reize sehr vortheilhaft und in allen Fällen geben erst sie den Respira- tionsbewegungen die nöthige Energie. Aus dem Vorhergehenden ist ersichtlich, dass besser als alle vor- dem empfohlenen Methoden der künstlichen Respiration , speciell als das Lufteinblasen und die Innervation des Zwerchfells, das M. HALL'sche Verfahren den bei tiefem Scheintod Neugeborner gegebenen, ad 2, 3 und 4 erörterten Indicationen entspricht. Schneller und daher in allen Fällen tiefen Scheintodes sicherer führt zu gleichen Resultaten ein Ver- fahren, welches von mir seit einer Reihe von Jahren geübt worden ist, anfänglich in Fällen, in welchen andere Wiederbelebungsmethoden, namentlich künstliche Respiration mittelst Lufteinblasen ohne Erfolg blieben , und dann , nachdem ich die Wirkungsweise und die Erfolge meines Verfahrens näher kennen gelernt hatte, seit jetzt etwa 8 Jahren in allen Fällen tiefen Scheintodes von vornherein. Das Verfahren ist das folgende. Sobald sich herausstellt, dass das geborne Kind tief asphyktisch ist, dass also seine Haut leichenblass, seine Musculatur schlaff und seine Herzcontractionen selten und schwach sind, wird seine Nabelschnur unterbunden und durchschnitten. Das Kind wird nun an den Schul- tern derart gefasst, dass jederseits der Daumen an der Vorderfläche des Thorax, der Zeigefinger von der Rückenseite her in die Achselhöhle, 460 B. S. Schultze, die andern drei Finger jeder Hand quer über den Rücken angelegt werden. Der schlaff herabhangende Kopf findet an den Ulnarrändern beider Hohl- hände eine Stütze. Der Geburtshelfer, welcher mit etwas gespreizten Beinen und wenig vornübergebeugtem Oberkörper Stellung genommen hat, hält das schlaff herabhangende Kind in der beschriebenen Weise angefasst vor sich her, die Arme abwärts streckend. Ohne Aufenthalt schwingt er nun mit gestreckten Armen das Kind aus dieser hangenden Stellung aufwärts. Sind die Arme des Geburtshelfers bis zu einem Winkel von etwa 45° über die Horizontale erhoben, so halten sie an, sosachte, dass der Körper des Kindes nicht etwa vornüber geschleudert wird, sondern langsam vornübersinkt und durch das Gewicht seines Beckenendes den Bauch stark comprimirt; das ganze Gewicht des Kindes ruht in diesem Moment auf den am Thorax liegenden Daumen des Geburtshelfers. Dadurch erfolgt eine bedeutende Compression der Eingeweide des Thorax von Seiten sowohl des Zwerchfelles als auch der gesammten Brust- wandung. Als Resultat dieser passiven Exspirationsbewegung treten oft schon jetzt die aspirirten Flüssigkeiten reichlich vor die Athem- öffnungen. Nachdem das Uebersinken des Kindes langsam aber voll- ständig erfolgt ist, bewegt der Geburtshelfer seine Arme wieder ab- wärts , zwischen die in gespreizter Stellung stehenden Beine hinab. Der Kindeskörper wird dadurch mit einigem Schwung gestreckt; der Thorax, von jedem Drucke frei, wird vermöge seiner Elasticität sich er- weitern, namentlich aber wird, weil das Kind an den Oberextremitäten hängt und dadurch die Sternalenden der Rippen fixirt sind, das Körper- gewicht des Kindes mit einem nicht unerheblichen Schwünge zur He- bung der Rippen verwendet; auch das Zwerchfell weicht nach unten durch den Schwung, den der Inhalt der Bauchhöhle erfährt. Somit erfolgt rein mechanisch eine umfangreiche Inspiration. Nach einer Pause von wenigen Secunden wird nun das Kind wieder zu der vo- rigen Stellung nach aufwärts geschwungen, und während es langsam übersinkend mit seinem ganzen Gewicht auf die der vorderen Thorax- wand anliegenden Daumen drückt, erfolgt, meist mit hörbarem Laut, die mechanische Exspiration. Jetzt quellen stets die etwa aspirirten Flüssigkeiten reichlich aus Mund und Nase hervor, meist auch das Me- conium aus dem After. Dieses Ab- und Aufwärlsschwingen wird drei bis sechsmal hinter- einander ausgeführt und dann das Kind in ein 28 bis 30" R. warmes Bad gelegt vom Geburtshelfer selbst, welcher den Griff, mit dem er das Kind ursprünglich erfasste, noch beibehält. Treten etwa schon jelzt regelmässige, wenn auch nur ganz seichte spontane Respirationen auf, so wird das Schwingen zunächst nicht fortgesetzt; abwechselndes Ueber die beste Methode der Wiederbelebung sclieiutodt geborner Kinder. 46 1 flüchtiges Eintauchen des Kindes in kaltes, womöglich eiskaltes Wasser, und dazwischen Verweilen im warmen Bade, situl dann das beste Mittel, den Respirationen die erforderliche Tiefe zu geben. Macht aber das Kind gar keine, oder nur seltene schnappende Athembewegungen, so ist die Erregbarkeit der Medulla noch nicht ausreichend wiederher- gestellt, um von Steigerung der Reize einen Erfolg zu erwarten, die Respiration mittelst Schwingen ist zunächst zu wiederholen. Nach drei bis sechs Schwingungen folge stets zuerst das warme Rad, damit bei der sehr geringen Wärmeproduclion keine dauernde Abkühlung des Kindes stattfinde; sobald bei frequenterer Herzaction oberflächliche Respirationen sich spontan wiederholen — flüchtiges Eintauchen des Kindes bis an den Hals in das eiskalte Wasser, und danach, je nach dem Erfolge, warmes Rad oder neues Schwingen des Kindes. Die ersten spontanen Respirationen des Kindes pflegen einzutreten während des Schwingens, die Inspirationen während des Abwärts- schwingens, während des Uebersinkens in erhobener Stellung die Ex- spiration, letztere deutlich zu unterscheiden von dem mechanisch ver- anlassten Tone beim Durchstreichen der Luft durch die Glottis an dem demselben sich anschliessenden wimmernden Nachklang. Der normale Umfang wird den bereits spontan sich wiederholenden In- und Ex- spirationen gegeben durch das Eintauchen des Kindes in eiskaltes Wasser. Das bis dahin noch schlaffe bleiche Kind röthet sich lebhaft und zieht beim flüchtigen Eintauchen die Extremitäten kräftig in Beuge- stellung , das kaum hörbare Wimmern wandelt sich plötzlich in lautes Geschrei. Die Indicationen für das Schwingen und für das Eintauchen sind scharf zu trennen ; die künstliche Respiration giebt die Bedingungen für Wiedergewinnung der Erregbarkeit der Medulla . die Einwir- kung der Kälte auf die Haut giebt einen bedeutenden Reiz für die Me- dulla; in dem Stadium, wo das Eine heilsam ist, kann das Andere nachtheilig wirken, direct oder doch durch nutzlosen Zeitverlust. Ich glaube die Indicationen im Vorausgehenden gekennzeichnet zu haben. Ich sollte nun vielleicht Fälle referiren, um die Erfolge des erörter- ten Verfahrens zu belegen, aber ich denke, es wird kein Zweifel be- stehen, dass der Scheintod, den ich beobachtet und den ich wie oben beschrieben behandelt habe, genau derselbe ist, der von den Geburls- helfern täglich beobachtet wird und dessen Symptome hinreichend be- kannt sind. Ich muss noch berichten , dass» die Zahl der Fälle von Scheintod, welche ich in den letzten Jahren auf die genannte Methode behandelt habe, sehr gross ist, und dass viele Fälle darunter sind, in welchen die llerzcontraction fast erloschen war. In einer Reihe von 462 B. S. Bchultze, . Füllen führte das Verfahren zum Ziel, wo andere Methoden sich bereits als erfolglos erwiesen hatten, jetzt wende ich dasselbe bei reif gebornen Kindern ausschliesslich an. Bronchitiden, Atelektasen oder überhaupt spätere Beeinträchtigung der einmal in Gang gebrachten Respiration habe ich bei reifen Neugebornen, welche nach meiner Methode wieder- belebt waren, nie beobachtet, obgleich mehrere Fälle darunter waren, wo erst nach einer vollen Stunde die Respiration in Gang kam. Ich halte aber auch nie die Wiederbelebung für vollendet, bevor lautes Geschrei erfolgt. Auch Trismus oder irgend welche andere Erkran- kungen, welche mit der ziemlich kräftigen Handtirung des Kindes in nähere oder entferntere Beziehung zu setzen wären, kamen bei den wiederbelebten Kindern nicht zur Beobachtung. Im Stich gelassen hat mich die Methode bei nicht reifen Kindern. Die Section ergab, dass hier trotz lange fortgesetztem Schwingen wenig oder gar keine Luft in die Lungen gedrungen war. Die Methode grün- det zwar durchaus nicht, wie die M. HALL'sche, die Nothwendigkeit der Inspiration ganz auf die Elasticität der Thoraxwand, der Zug mittelst der Clavicula am Sternum, mittelst des Sternum und mittelst der Brust- muskeln an den Rippen wirken zur Hebung der Thoraxwand wesent- lich mit und der Tangentialzug der Baucheingeweide am Zwerchfell strebt den Thorax nach unten zu erweitern ; aber ein sehr weicher Thorax wird all die hierdurch gesetzten Formveränderungen erleiden können, ohne an Inhalt zu gewinnen, besonders dann, wenn dazu die Trachealknorpel noch sehr weich sind, so dass eine gewisse Kraft er- forderlich ist, die aneinanderliegenden Wandungen der Luftwege von einander zu entfernen. In diesen wenigen Fällen kann allein Luftein- blasen eine erfolgreiche Wiederbelebung einleiten. Reife Kinder, bei denen die Methode erfolglos angewendet worden, habe ich zweimal zu seciren Gelegenheit gehabt. Das Eine hatte einen bedeutenden Bluterguss an der convexen Oberfläche der Hemisphären, es hatte eine Anzahl spontaner, wenn auch sehr dürftig erscheinender Inspirationen gemacht, und mag ich desshalb die vollständige Luft- füllung der Lungen für die Methode nicht sprechen lassen. Der andere Fall ist folgender: 1864. Journal Nr. 97. 40jährige C. S., zum zweiten Mal schwan- ger, am 29. October aufgenommen (entlassen am 12. November). Leibesumfang 95 Ctm. Uterus descendirend. Kind in erster Schädel- lage, lebend. Wenig Fruchtwasser. Diagonalconjugata 4 Zoll. Erste Wehen am 30. früh. Eröffnung sehr langsam. Am 31. früh Blasen- sprung bei engem Muttermunde. Krampfwehen. In der Nacht auf den I . November entwickelt sich Tetanus uteri. Temperatur steigt Morgens lieber die beste Methode der Wiederbelebung scheiutodt geborner Kinder. 4G3 auf 31° R. Herztöne des Kindes froquent, aber Abgang von Mcconium. Wendung auf Fuss und Extraction des Kindes. Kopf nicht ohne Kraft mittelst Prager Handgriff zu Tage gefördert. Das Kind, 51 Clm. langes Mädchen, ist bleich, schlaff, zeigt keinen Puls in der Nabelschnur, ganz seltenen schwachen Herzschlag, macht eine schnappende Athembewe- gung. Künstliche Respiration mittelst Schwingen. Herzaction wurde anfangs frecpienter, Athembewegung wiederholt sich nicht, nach etwa 10 Minuten ist Herzaction erloschen. Ausser dem Schwingen war kei- nerlei künstliche Respiration an dem Kinde versucht worden. Aus dem Refund der 6 Stunden nach der Geburt gemachten Section führe ich an : Nach Eröffnung des Thorax zeigt sich der hellrosarothe Rand der rechten Lunge bis zur Mittellinie reichend, der gleich gefärbte Rand der linken Lunge liegt weiter zurück. Die Thymus bedeckt von obenher den Herzbeutel zur Hälfte. Die Lungen in Verbindung mit Herz, Thy- mus, Kehlkopf und Thyreoidea schwimmen vollständig auf dem Wasser. Die Lungen zeigen nirgend eine Spur von Emphysem, sie zeigen auch nicht jenes gleichmässig hellrothe Aussehen aufgeblasener Lungen und auch nirgend grössere atelectatische Stellen, durchweg zeigt ihre Ober- fläche jene marmorirte Vertheilung helleren und dunkleren Roths, wie sie für Lungen, welche geathmet haben, als charakteristisch angeführt wird. Die Schleimhaut des Kehlkopfs, der Trachea und der Rronchien, soweit dieselben mit der Scheere verfolgt werden, zeigt einen dünnen Releg gelbgrünen Meconiums. Auch jede einzelne Lunge, auch die ein- zelnen Lappen schwimmen (während Herz, Kehlkopf, Thymus, Thyre- oidea untersinken). Die Lungen fühlen sich locker, knisternd an, auf dem durchschnittenen Gewebe quillt überall blutiger Schaum. Auch in kleine Stücke zerschnitten, schwimmen die einzelnen Stücke der Lungen und verlieren selbst durch starkes Drücken unter Wasser ihren Luft- gehalt nicht. Als Todesursache ergab sich beiderseits eine Trennung des Knorpels , welcher die Schuppe des Hinterhauptbeines mit dem Gelenktheil desselben verbindet ; sowohl unters Periost, wie auch unter die Dura mater waren ziemlich breite, 2 Linien hohe Extravasate er- folgt. Die Halswirbelbögen und Körper mit ihrem Randapparat sind intact. Die Diastase der Hinterhauptschuppe von den Gelenktheilen ist ohne Zweifel bei der Extraction des Kopfes durch Druck gegen die Symphyse zu Stande gekommen. Der Schädel war auffallend rund und fest, nicht ungewöhnlich gross. Ich wünschte mehr Sectionsbefunde mittheilen zu können, aber — so trivial es klingt, kann ich nicht umhin, es auszusprechen — es fällt der Methode zur Last, dass ich nicht in die Lage kam, noch ein Kind nach vergeblicher Anwendung derselben seciren zu können. 464 B. S. Schnitze, Zum Schluss fasse ich kurz die therapeutischen Regeln, die mir die wichtigsten scheinen, zusammen. Jedes scheintodte Kind werde sofort abgenabelt. Ist der Scheintod nicht tief, sieht das Kind noch roth oder blauroth aus und hangen die Gliedmassen nicht schlaff herab, so ist Eintauchen in möglichst kaltes Wasser und danach Verweilen in war- mem Bade, wechselnd angewendet, das beste Mittel, das Kind zu nor- malem Athmen zu bringen. Es giebt einen Grad des Scheintodes, bei welchem die Erregbar- keit der Medulla so tief gesunken ist, dass wir durch gesteigerte Reize keine Athembewegung auslösen können. Dieser Grad charakterisirt sich durch Leichenblässe der Haut, durch Schlaffheit der gesammten Musculatur, durch Fehlen oder grosse Kleinheit des Nabelschnurpulses, durch Seltenheit und Schwache des Herzschlages. Sind Respirationsbewegungen vorhanden, so sind dieselben krampf- haft, schnappend. Sollte die Diagnose zweifelhaft sein, so giebt der Nichterfolg des ersten Eintauchens in kaltes Wasser volle Sicherheit. Geschieht in solchem Falle gar nichts, wird das Kind als Leiche bei Seite gelegt, so stirbt es meist bald; in seltenen Fällen kann der Zu- stand ziemlich lange derselbe bleiben und es besteht sogar die Möglich- keit, dass das Kind durch zufällige Einwirkungen später anfängt zu athmen und zu schreien. Werden in solchen Fällen Hautreize angewendet in steigender In- tensität, heisses Bad etc., so wird dadurch die Circulation beschleunigt, die Verarmung des Blutes an Sauerstoff, die Ueberladung mit Kohlen- säure vermehrt und das Kind stirbt schneller. Dureh künstliche Respiration sind wir im Stande, in diesen Fällen die Reflexerregbarkeit der Medulla zu steigern; der Reiz, welcher Athmung auslösen könnte, ist in übermässiger Stärke im Blut dieser Kinder vorhanden. Künstliche Respiration ist daher das einzige durch diesen tiefen Scheintod indicirte Mittel. Wo noch eine Spur von Herz thä tigkeit wahrzunehmen ist, bietet künstliche Respiration Aussicht auf Erfolg. Allen bis dahin in der Literatur empfohlenen Methoden der künstlichen Respiration steht die Marshall IlALL'sche weit voran. Kräftiger und sicherer wirkt die von mir geübte künstliche Respi- rätion durch Schwingen des Kindes. Sie theill alle Vortheile der M. IlALiAschen Methode, auch den, dass es zu ihrer Ausführung keiner Apparate und Vorkehrungen bedarf. Ucbcr die beste Methode der Wiederbelebung seheintodt geborner Kinder. 465 Nur bei unreifen seheintodt gebornen Kindern ist es nützlich und nothwendig, vor dein Schwingen oder vor Anwendung der Hall'- schen Methode Luft in die Lungen zu blasen. Sind durch das Schwingen oder durch Anwendung der llAu/schen Methode regelmässige, aber oberflächliche Athembewegungen zu Stande gekommen, so ist es erforderlich, durch wiederholtes flüchtiges Eintauchen in eiskaltes Wasser der Athmung den nöthigen Umfang zu geben. Gegen die Atelectasen, Bronchitiden und andere Respirationsstö- rungen, an denen viele seheintodt geborne Kinder später noch zu Grunde gehen, giebt es kein besseres Mittel, als dafür zu sorgen, dass von vornherein die Athembewegungen die gehörige Kraft und Tiefe ge- winnen. Man wiederhole das flüchtige Eintauchen in kaltes Wasser so oft, bis lautes Geschrei erfolgt. Jena, im Januar 1866. Zur Keiuitniss der Moiiosulfacctsäure (Thiodiglycolsäure). Von Dr. Ernst Schulze. Die in einer früheren Abhandlung1) ausgesprochene Möglichkeit, die bei der Einwirkung von alkoholischem Schwefelammonium auf Monochloressigsäure entstehende, als Monosulfacetsäure bezeich- nete Säure als Thiodiglycolsäure, d. h. als eine Diglycolsäure, in welcher innerhalb des Radicals 2 Atome Sauerstoff durch Schwefel ersetzt sind, zu betrachten, veranlasste mich eine Reihe von Versuchen anzustellen, deren Resultate im Folgenden mitgetheilt werden. Die Diglycolsäure ist nach den Untersuchungen von Heintz2) be- sonders charakterisirt durch die Producte, welche aus dem sauren Ammoniaksalz derselben beim Erhitzen entstehen, das Diglycolimid und die Diglycolaminsäure, sowie durch ihr Verhalten , beim Er- hitzen mit Iodwasserstoffsäure in Essigsäure , beim Erhitzen mit rauchender Salzsäure in Glycolsäure verwandelt zu werden. Ich habe die Monosulfacetsäure (Thiodiglycolsäure) nun analogen Einwirkungen ausgesetzt und entsprechende Producte erhalten. Wenn man das wasserfreie saure Ammoniaksalz der Säure in einer kloinen Retorte erhitzt, so schmilzt es zuerst, geräth dann ins Kochen und es destillirt ammoniakalisch reagirendes Wasser über. Erhält man es bei einer Temperatur von 180 — 200° so lange, bis kein Wasser mehr übergeht, und entfernt dann das Feuer, so erstarrt der stark braun ge- färbte Rückstand strahlig krystallinisch. Aus seiner Lösung in heissem Wasser scheiden sich beim Erkalten nadeiförmige Krystalle einer in Wasser schwer löslichen Verbindung aus, welche die Zusammensetzung erec line €4 t nach der Formel H7NS2Oli 1. II. € = '19, 5 — 32,2 H = 4,9 — 4,7 N = 9,5 — 9,4 S = 21,6 21,7 21,5 0 = — — 32,2 100,0 Die Salze der Thiodiglycolaminsäure enthalten 1 Aequivalent Basis. Die Darstellung des Barytsalzes ist schon angegeben worden. Lost man das durch Ausfallen mit Alkohol gereinigte Salz in Wasser und lässt die Lösung über Schwefelsäure verdunsten , so erhält man aus weissen , seidenglänzenden Nädelchen zusammengesetzte Krystall- gruppen. Beim sehr raschen Eindunsten trocknet die Lösung oft zu einer gummiartigen Masse ein , welche mit Wasser befeuchtet nach einiger Zeit kristallinisch wird. In Wasser ist das Salz sehr leicht lös- lich. Die wässerige Lösung wird beim Kochen unter Ammoniakent- wickelung, doch nur äusserst langsam, zersetzt. Die Analyse des durch zweimaliges Ausfällen mit Alkohol gereinig- ten, lufttrocknen Salzes gab folgende Besultale. 0,1895 grm. gaben 0,4 97 grm. BaO, SO3, entsprechend 14,3% S. 0,210 grm. gaben 0,0911 grm. Platin. 0,1895 grm. verloren beim Trocknen bei 110° 0,00575 grm. an Ge- wicht und gaben 0,0745 grm. BaO, SO3, entsprechend 4,0% HO und 33,9% BaO. gefunden berechnet nach der Formel €4HGNBaS206 + HO € = — 21,3 H = — 2,6 N = 6,1 6,2 BaO = 33,9 33,9 S = 14,3 14,2 O = — 17,8 HO = 4,0 4,0 100,0 Das Kalk salz, welches durch Neutral isiren der Säure mit Kalk- wasser und Eindunsten der Lösung über Schwefelsäure erhalten wurde, krystallisirt aus der syrupdicken Lösung in kleinen, concentrisch ver- Zur Kenntniss der Monosulfacetsünre, 471 einigten Nadeln. Die Lösung desselben trocknet, wie die des Baryt- salzes, beim raschen Eindunsten oft zu einer gummiartigen Masse ein, welche nach dem Befeuchten mit Wasser kristallinisch wird. Schichtet man die massig concentrirte Lösung des Salzes mit Alkohol, so scheidet es sich an den Wänden des Gefässes in kleinen , aus Nadeln bestehen- den Krystallgruppen ans. 0,188 grm. des lufttrockenen Salzes verloren bei M0° getrocknet 0,009! grm. an Gewicht und gaben 0,03015 grm. CaO, ent- sprechend 5,0 HO und 16,0% CaO. gefunden berechnet nach der Formel €4H6NCaS206 CaO = 16,0 15,8 % HO = 5,0 5,1 - Die Lösung des Barytsalzes ward durch essigsaures Blei- und essig- saures Kupferoxyd nicht gefallt. Fügt man salpetersaures Silberoxyd zu derselben , filtrirt den entstehenden geringen Niederschlag ab und überlässt das Filtrat eine Zeit lang der Ruhe, so scheiden sich aus dem- selben Krystalle von t h i o d i g 1 y c o 1 a m i n s a u r e m Silberoxyd ab. Es sind büschelförmig vereinigte Nadeln oder kleine glanzende Prismen. Sie lassen sich aus heissem Wasser umkrystallisiren. Sie schwärzen sich am Licht und werden beim Erhitzen über 120° unter Verkohlung zersetzt. 0,1665 grm. des bei 100° getrockneten Salzes hinterliessen beim Glühen 0,0703 grm. metallisches Silber, entsprechend 45,4% AgO. Die Formel €4H7NAgS206 verlangt 45,3% AgO. Die grosse Analogie, welche die im Vorstehenden beschriebenen Verbindungen, sowohl was ihre Bildungsweise als ihr chemisches Ver- halten betrifft, mit den von Heintz aus dem sauren diglycolsauren Am- moniak erhaltenen Producten, dem Diglycolimid und der Di- glycolaminsäure zeigen, scheint zu fordern, dass man die Säure, von welcher sie sich ableiten, nicht als Monosulfacelsäure, son- dern als Thiodiglycolsäure, d. h. als eine Diglycolsäure, in welcher innerhalb des Radicals % Atome Sauerstoff durch Schwefel ersetzt sind, auffasst. Man kann einer solchen die typische Formel ni u4 r\i c2 \ „2(0* geben; oder, wenn man die Glycolsäure durch €H2 CO2 1 H2 O2 die Formel rr^fO2 4202 I H2 O2 ' cue Diglycolsäure durch die 472 Ernst Schulze, €H2€02 |u202 G02€02il202 Formel „ bezeichnet, so kann man ihr die Formel €H2€02 „,n2 €02€02H202J ** U €H2€02 ] 2n2 €S2€02fl202 tt U . .. ; beilegen. €H2€02 fa2ft2 €S2€02H202J ** U Durch eine solche Auffassungsweise würde vielleicht am besten die grosse Festigkeit, mit welcher der Schwefel in der Säure gebunden ist, zu erklären sein. Man kann dieselbe durch Kochen mit überschüs- sigem Bleioxyd oder Silberoxyd nicht in eine schwefelfreie Verbindung verwandeln. Ebenso wenig gelingt dies durch Erhitzen der Salze mit Wasser im zugeschmolzenen Rohr. Blei-, Kupfer- und Silbersalz lassen sich in dieser Weise auf 1 00° erhitzen, ohne sich zu verändern. Erst bei 150° erfolgt Zersetzung, die aber dann eine tief eingreifende ist. Das trockene Silbersalz lässt sich bis ungefähr 1 40°, das trockene Blei- salz bis 200° erhitzen, ohne sich zu verändern. Die grosse Beständig- keit der Alkalisalze geht aus dem oben ausführlich angegebenen Ver- halten des sauren Ammoniaksalzes, in höherer Temperatur amidartige Verbindungen zu liefern , genügend hervor. Durch diese grosse Be- ständigkeit unterscheidet die Säure sich scharf von den durch Carius und Schacht dargestellten schwefelhaltigen Säuren, der Monosulfo- glycolsäure und der Monosulfomilchsäure. Mit einer solchen Auffassungsweise würde endlich auch die von J. Wislicenus1) beobachtete Bildung des Thiodiglycolsäure- A e t h e r s aus ä t h y 1 s u 1 f o g 1 y c o 1 s a u r e m K a 1 i und M o n o c h 1 o r- essi gsäure-A e t her am besten übereinstimmen. Man könnte die- selbe durch die Formel: €H2€02 \ti-02 €H2G02}H202 €S2€02K2S2JH202, (€2H*)2 + GGl2€02j H2 O2, (€2H4)2 €H2€02 V 22 €SH:02H202 H U = 2 kfcl -+- „- n^9 ausdrucken. €H-€0 u2n2 £2J44 €S2€02H202, '£2ti")2j H U ' [^ H Die einzige Schwierigkeit, welche sich einer solchen Auffassungs- weise der Säure entgegenstellt, ist ihr Verhallen beim Erhitzen mit Salzsäure. Wie sich die Di gl y colsäu re nach den Untersuchimucn von Heintz durch Erhitzen mit rauchender Salzsäure im zugeschmol- zenen Rohr auf 120—130° in 2 Atome Glycolsäure zerlegen lässt, I Zeitschrift f. Chemie, Bd. I. Heft 19 u. 20. S. 6-21. Zur kViiiituiss der Monosulfacctsfture. 473 so müsste eine Thiodiglyeol säure bei gleicher Behandlung 2 Atome einer Glycolsäure geben, in welcher 2 Atome Sauerstoff durch Schwefel ersetzt sind. <:142€02 \ 1|2 €H2€02 [ u2n2 mUSSle Zerfallen m 2 (sS^O^O'J H202> €S2€02H202JH U Eine solche Zersetzung der Säure konnte aber nicht beobachtet werden. Als dieselbe mit rauchender Salzsäure im zugeschmolzenen Rohr auf 150°, dann auf 180° erhitzt wurde, erfolgte keine Einwir- kung; nach dem Verdunsten der Salzsäure blieb die Säure unverändert zurück. Ein solches Verhalten derselben stimmt entschieden besser mit der früheren Auffassungsweise überein, wonach ihr mit der Formel €H2€021 H202 £Q2 rr\2 n2 r»2 emo der Chloressigsäure analoge Constitution gegeben wurde. Dagegen gelingt es, die Thiodiglycolsäure durch Erhitzen mit über- schüssiger Iodwasserstoffsäure von 125° Siedepunct im zugeschmolze- nen Rohr zu Essigsäure zu reduciren. Die Einwirkung begann bei 130° und war erst nach längerem Erhitzen auf 150° vollendet. Der Inhalt des Rohrs hatte sich von ausgeschiedenem Iod stark gebräunt; es halte sich Schwefel abgeschieden und beim Oeffnen des Rohrs trat der Geruch nach Schwefelwasserstoff auf. Der Inhalt des Rohrs wurde, nachdem der ausgeschiedene Schwefel durch Filtration entfernt war, der Destillation unterworfen. Es ging eine braun gefärbte, saure Flüssigkeit über, während eine noch dunkler gefärbte in der Retorte zurückblieb. Das Destillat wurde zur Entfer- nung des freien Iods mit etwas Quecksilber geschüttelt, dann mit kohlensaurem Natron neutralisirt; hierauf mit Weinsäure stark ange- säuert und wieder der Destillation unterworfen. Das so erhaltene saure Destillat lieferte nach der Neutralisation mit kohlensaurem Natron beim Eindunsten ein Natronsalz , welches die Eigenschaften des essigsauren Natrons besass. Die Lösung desselben gab mit Eisenchlorid eine tief rothe Färbung, mit Schwefelsäure und Alkohol den Geruch des Essig- äthers. Mit etwas Schwefelsäure destillirt lieferte das Salz ein saures Destillat, welches wie Essigsäure roch und heiss mit kohlensaurem Silberoxyd gesättigt, beim Erkalten die charakteristischen nadei- förmigen Krystalle des essigsauren Silberoxyds lieferte. 0,245 grm. derselben hinterliessen beim Glühen 0,159 grm. metal- lisches Silber, entsprechend 64,9% Ag. Die Formel €2H3Ag04 verlangt 64,7% Ag. 474 ^r"st Schulze, Die bei der ersten Destillation des Rohrinhalts in der Retorte zu- rückbleibende braune Flüssigkeit enthielt neben viel freiem Iod noch etwas unveränderte Thiodiglycolsäure. Die Reduction der Thiodiglycolsäure durch Iodwasserstoffsäure er- folgt also nach der Gleichung: €4HbS208 + 4 hj — g (€2H404) -+- 2 HS + i i. Der Schwefelwasserstoff zersetzt sich dann mit dem freien Iod in Iod- wasserstoffsäure und Schwefel. Diese Reduction der Säure kann wohl kaum als beweiskräftig für die eine oder andere Auffassungsweise derselben betrachtet werden, denn auch die Iodessigsäure wird bekanntlich durch Erhitzen mit Iod- wasserstoffsäure in Essigsäure verwandelt. Es kann also bei einer mit der Chloressigsäure gleiche Constitution besitzenden Säure ebenso gut diese Reduction stattfinden, als bei einer Thiodiglycolsäure. Es möge noch mit einigen Worten der Ansichten gedacht werden, welche J. Wislicemjs l) über die Thiodiglycolsäure ausgesprochen hat. Derselbe giebt dem Aether dieser Säure , welchen er bei der Einwir- kung von alkohol. Natriumsulfhydrat auf Monochloressigsäure- Aether erhalten hat und welchen er »Sulfidiglycolsäure-Aether« nennt, die Formel S cn2 cu2 CO CO €2HS C2IP O { CO CO } o eine Formel, nach welcher der Sulfidiglycolsäure-Aether zum Mono- CI12 ^ sulfiglycolsäure- Aether I = L(\ ) I in demselben Verhältniss 1"äW stehen soll, wie Mercaptan = ,,9,,- >S zu Schwefeläthvl = 1 €2Hsi J C2IPC2rR Ich muss nach meinen Erfahrungen bezweifeln, dass durch eine solche Formel die Constitution der Thiodiglycolsäure richtig aus- gedrückt wird. Wenn man der Monosulfoglycolsäure eine Formel beilegt, in wel- cher der Schwefel ausserhalb des R a d i c a 1 s sich befindet, sie also U2\ S2 ableitet vom Typus Schwefelwasserstoff H- Wasser = „2 ^2 , so muss 1) a. o. a. 0. Zur Keimtniss der Moiinsulfacotsiuirc. 475 man der von mir dargestellten Säure nolhwendig eine Formel geben, in welcher der Schwefel im Etadical sich hefindet, sie also ableiten vom H2 \ Typus Wasser = u> 0*. Das fordern die früher beschriebenen Amid- verbindungen der Säure; das fordert auch die grosse Festigkeit, mit welcher der Schwefel in derselben gebunden erscheint. Der obige, von J. Wislicenus ausgesprochene Vergleich, wonach der Sulfidiglycolsäure-Aether zum Monosulfoglycolsäure-Aether in dem- selben Yerhältniss stehen soll, wie Schwefeläthyl zu Mercaptan (also wie Aether zum Alkohol), ist schwer versländlich. Zum Schluss mögen noch einige charakteristische Salze der Thio- diglycolsäure (Monosulfacetsäure) angeführt werden , die nach Be- endigung der ersten Abhandlung erhalten wurden. Ein wasserhaltiges Barytsalz wurde zufällig erhalten, als die beim Eindampfen der Lösung ausgeschiedenen feinkrystallinischen Krusten des früher beschriebenen wasserfreien Salzes längere Zeit unter der Mutterlauge stehen blieben. Die ganze Menge derselben ver- wandelte sich nämlich nach und nach in durchsichtige, prismatische Krystalle eines wasserhaltigen Salzes. Dieselben sind luftbeständig, verwittern aber über Schwefelsäure. In siedendes Wasser geworfen, werden sie weiss und undurchsichtig , indem sie in das wasser- freie Salz verwandelt werden. Sie haben die Zusammensetzung €4H4Ba2S208 + 10 HO. (berechnet 24,0% HO und 40,8% BaO ; gefunden 24,0% HO und 41,0% BaO.) Ein wasserhaltiges Kupferoxydsalz erhält man beim Ver- mischen massig concentrirter Lösungen von thiodiglycolsaurem Am- moniak und schwefelsaurem Kupferoxyd als bläulich weissen , aus nadeiförmigen Krystallen zusammengesetzten Niederschlag. Derselbe enthält 2 Aequivalent Wasser (gefunden 8,0%, berechnet 7,8% HO). Erhitzt man den Niederschlag in der Lösung, aus der er sich aus- geschieden hat, so wird er in kleine körnige blaue Krystalle des wasser- freien Salzes verwandelt. Man erhält letztere sogleich , wenn man heisse Lösungen von thiodiglycolsaurem Ammoniak und schwefelsaurem Kupferoxyd vermischt. Das saure Ammoniaksalz der Säure krystallisirt nicht, wie früher angegeben wurde, in prismatischen, sondern in oetaedrischen Kry- stallen , die aber häufig prismatisch verzerrt sind. Laboratorium zu Jena, im December 1865. Ein Fall von Gastritis phlegmonosa. Von Dr. H. Asverus in Vei ricres (C'anton Neueliätel) . Die nachstellende Beobachtung würde ihrer Unvollständigkeit wegen dev Veröflentlichung wohl kaum werth erscheinen, wenn die Gastritis phlegmonosa nicht eine so äusserst seltene Krankheit und das über Pa- thogenese wie Krankheitsbild herrschende Dunkel nicht so dicht wäre, dass jeder vorkommende Pal) von grösstem Interesse ist. Ausserdem trifft fast sammtliche hierher gehörige Beobachtungen mehr weniger derselbe Vorwurf der Un Vollständigkeit , indem eine der hervorste- chendsten Eigentümlichkeiten der Krankheit eben die ist, dass sie sich sehr häutig der Beobachtung entzieht, namentlich was ihre ersten Anfänge betrifft. Am (>. October 1865 wurde ich von den Verwandten des im Alter von 25 Jahren am i. October Abends verstorbenen M. in E. aufgefor- dert, mich nach diesem mehr als 3 Stunden von meinem Domicil ent- fernten Orte zu begeben, um die hierorts nur sehr ausnahmsweise ge- stattete Section vorzunehmen, »weil die Familie wünsche, das in der Gegend herrschende Gerücht, M. habe seinem Leben durch Gift ein Ende gemacht, durch Constatirung der Todesursache seitens eines pa- tentirten Arztes zu entkräften«. Es wurde mir gleichzeitig und später bei der Section mitgetheilt, dass der junge Mann bis zur Heuernte des Jahres, welche im Wohnort desselben in diesem Jahre auf Ende Juni gefallen war, vollkommen wohl und ein ruhiger gesetzter Mensch gewesen sei. Seitdem habe er sich jedoch von seiner gewohnten Lebensordnung zu entfeinen be- gonnen: er sei mehr ausser Hause gewesen, habe mehr als früher ge- trunken, ohne gerade ein Säufer zu werden, sei ziemlich unruhig ge- wesen und habe angefangen, den Appetit zu verlieren, habe aber nicht Ein Fall von Gastritis phlegmonosa, 477 geklagt. Die Verwandten schrieben diesen Appetitmangel teilweise einer während des Heumachens auf ihn eingewirkt habenden Schäd- lichkeit (Ueberanstrengung und Erkältung), theilweise der veränderten Lebensweise zu, die sie sich wiederum aus der Unzufriedenheit mit seinen Verhältnissen erklärten. M. halle nämlich einem Mädchen die Ehe versprochen-, sich aber einer anderen zugewandt und die bevorstehende Hochzeit mit der ersteren war ihm eine keineswegs angenehme Aussieht. Im Verlauf des Sommers und gegen den Herbst hin bestanden die angeführten Symptome fort, ohne dass d^v Kranke ärztliche Hülfe nach- suchte oder auch nur \ iel klagte, doeli halle er mehrmals ausgesprochen, dass er Schmerz in der Herzgrube empfinde. Seinen Verwandten fiel auf, dass er gleichzeitig stärker wurde, manchmal im Gesicht sehr gc- dunsen war, so dass, wie sein Binder sieh ausdrückte, »namentlich Lider und Hacken zeitweilig, aber nur auf kurze Zeit, wahre Beulen dargestellt hätten, die bald weiss, bald rolh oder livid gewesen seien. so dass sie ihn oft damit geneckt, aber auch zuweilen gefürchtet hätten, er könne ein Erysipel bekommen«. Die Erscheinungen, namentlich der Magenschmerz und Appetit- mangel, nahmen langsam zu, es gesellte sieh Uebelkeit hinzu und so fand sieh M. am 3. Oetober Morgens veranlasst, ein von einer Nach- barin erhaltenes salinisches Abführmittel (nach des Bruders Angabe Glaubersalz) in einer Dose von mehreren Unzen zu sich zu nehmen, welches auch tüchtige Wirkung lhaf, aber dem Kranken keine Er- le ich le r un g ve r s ch a ff te . Ohne sich danach sonst unwohler zu fühlen, wurde M. am Abend desselben Tages von heftigem, nicht zu bezwingenden Schluchzen er- griffen und ein gerade vorbeikommender, in der Nähe wohnender »Arz1 zweiter Gasse«, den man um Bath frug, verordnete Aether, von dem der Kranke jedoch nur sehr wenig nahm. Dieser »Arzt« fand M. bei vollem Bewusslsein, obschon etwas aufgeregt, die Begio cpigastrica etwas aufgetrieben und sehr schmerzhaft; der Puls etwa '.)<). Nach der Angabe des Bruders hat M. am gleichen Abend und noch während der Nacht mehrmals unter heftigem Würgen »etwas Schleim und Galle« er- brochen. Am 4. Oetober Morgens dauerte das Schluchzen noch fort und auch das Erbrechen wiederholte sich in gleicher Weise wie am Abend vor- her. Man rief nun den Vater des erwähnten »Arztes«, einen in der Ge- gend beim Landvolk sehr beliebten Empiriker, um Hülfe an, welcher erklärte, für den Augenblick ausser Stande zu sein, den Kranken zu besuchen, und einen »antispasmodisehen« Trank schickte. 478 Dr. H. Asverus, Am Nachmittag besuchte er den Kranken und fand seiner eigenen Angabe nach, dass der Trank insofern gute Wirkung gethan habe, als das Schluchzen gehoben oder doch bis auf einzelne schwächere und von einander ziemlich entfernte Stösse beseitigt war. Das Erbrechen hatte sich nicht wiederholt, doch waren noch mehrere diarrhöisehe Stuhlgänge erfolgt und der Kranke erklärte, als er im Beisein des Em- pirikers wieder einmal wie den ganzen Tag über vom Bett ohne fremde Hülfe aufgestanden, in der Stube herumgegangen und dann einige Zeit im Alkoven gewesen war, auf Befragen, er habe zwar soeben kei- nen Stuhlgang erzielt, es sei ihm aber zu Muthe, als werde derselbe bald kommen. Der Kranke war bei voller Besinnung, ruhig, ohne Angstgefühl; der Puls war klein, aber nicht beschleunigt; der Leib etwas aufgetrieben, nicht sehr schmerzhaft. Der Empiriker hatte den Kranken dann gegen Abend verlassen, ohne etwas Weiteres zu ver- ordnen, und der Bruder erzählt den weiteren Verlauf wie folgt: Der Kranke sei den ganzen Abend vollständig bei sich gewesen, sei von Zeit zu Zeit allein vom Bett aufgestanden und eine Weile im Zimmer herumgegangen; dies sei gegen 10 Uhr Abends wieder einmal ge- schehen, wobei M. noch ganz ruhig mit den Seinigen gesprochen habe; darauf habe er sich wieder niedergelegt, wobei er mit dem Hinterkopf leicht auf die Bettstelle aufgeschlagen sei; als man ihm daher bemerk- lich gemacht habe, er liege wohl nicht gut, habe er sich zurecht gelegt, im Bett ausgestreckt und sei todt gewesen. Dieser auffallend rasche tödtliche Ausgang einer anscheinend un- bedeutenden Krankheil, sowie die von M. in Bezug auf seine für den nächsten Sonnlag (8. October) festgesetzte Hochzeit gethaneAeusserung, dass es mit ihm vor diesem Tage ein Ende nehmen werde, hatten das Gerede hervorgerufen, er habe Gift genommen, obgleich er eine selbst- mörderische Absicht nicht ausgesprochen hatte, und ich übernahm es auf Wunsch der Familie, im Beisein des Dr. Morkl in Fleurier, die WTahrheit durch die Leichenöffnung festzustellen. Bei der am 7. October Morgens I I Uhr vorgenommenen Section fanden wir Folgendes: Körper mit sehr starkem Fettpolster, namentlich in den Bauchdecken; das Unlerhaulzcllgewebe überall stark durch- feuchtet; Gesicht stark gedunsen, zum Theil von der schon ziemlich weit vorgeschrittenen Fäulniss ; violette Todtenflecke am ganzen Kör- per; Leichenstarre noch sehr stark. In beiden Pleurahöhlen, besonders links, etwas klares gelbliches Serum. Auch im Pericardium linden sich etwa 3 Unzen davon. Sonst nichts Abnormes in der Thoraxhöhle, die serösen Häute namentlich nicht injicirt, blass, ohne Adhärenzen. r/ui Fall \nii Gastritis phlegmonosa. 479 Bei der Eröffnung der Bauchhöhle fliesst trübgelbliches, mit spar- samen weissgelblichen Flocken gemischtes Serum aus, welches siel» noch in beträchtlicher Menge zwischen den Unterleibsorganen findet; keine Verklebungen, doch finden sich auf 'den zu obersl gelegenen Darmschlingen und dem Netze einzelne oder Gruppen von den weiss- gelblichen Flocken leicht aufgeklebt. Der Dann bietet nichts Beson- deres, Serosa hie und da ganz leicht injicirt; Parietalblatt des Perito- neum ganz normal. — Der Magen erscheint schon beim An- greifen von a us sen stark verdickt , die Serosa ist blass, sonst nicht verändert und nicht verletzt. Der Magen wird an Gardia und Pylorus doppelt unterbunden und zwischen den Ligaturen abgeschnitt o. Bei der Eröffnung findet sich eine geringe Menge trüber grauröthlicher, schleimig-dicklicher Flüssigkeit. Die Verdickung der Magenwand erscheint nun sehr deutlich: sie erstreckt sich von der Gardia bis zum Pylorus äusserst gleichmässig über den g a n z e n M a g e n , nur d a s s sie vomPylorus, wo sie sich auf 1 73 Centimetor beläuft, nach der Cardia hin ganz all- mählich um V3 Centimeter abnimmt. Die Verdickung kommt ganz auf Rechnung der Submucosa, von der sich die Muscu- laris deutlich absetzt, ohne die geringste Verdickung oder sonstige mikroskopische Veränderung zu zeigen. Ebenso wenig sind Serosa und Mucosa in ihrem Durchmesser verändert. Letztere ist sehr morsch (was bei der vorgeschrittenen Fäulniss nicht auffällt) und nur an einer etwa guldengrossen Stelle der grossen Curvatur gegen den Pylorus hin leicht injicirt; nirgends Substanzverluste der Mucosa. Die verdickte Submucosa ist von gleichförmig weissgelblichem Ansehen und entlässt bei Druck auf die Schnittfläche reichlich eine gelbliche milchige Flüssigkeit, welche schon beim Durchschneiden in geringer Menge die Messerklinge be- netzt. — Die übrigen Bauchorgane zeigen nichts Besonderes: Leber ziemlich gross und blass; Milz gross, Ueberzug faltig, Parenchym morsch, die Corpora Malpighii sehr deutlich, Nieren gesund. Die Section der Schädelhöhle unterblieb. Dem mitgetheilten Krankheitsverlaufe wie dem Resultat der Sec- tion nach schlössen wir eine Vergiftung aus und stellten der Familie ein Zeugniss aus des Inhalts, dass M. an Gastritis phlegmonosa ge- storben sei. Die mikroskopische Untersuchung, die wegen der vorgeschrittenen Fäulniss leider nicht sehr vollständig sein konnte, ergab, dass das gelbliche Infiltrat der Submucosa des Magens allerdings Eiter sei, der die Maschen dieser Schicht weit auseinander drängte; 480 Dr. II. Asvcrus, das Bindegowebe selbst erschien nicht wesentlich verändert, namentlich konnte die Beobachtung von Luys in dem gleich zu erwähnenden Cornil- B.A:Y«MJi>'sdbe!n Falle, der die Elemente des Bindegewebes leicht gelblich gefärbt und auch geschwollen (tomenteuxj fand, hier nicht constatirt werden. Die Muscularis nahm an der Eiterbildung keinen Antheil, nur drängten sich hie und da Eiterkörperchen einzeln oder in kleineren Gruppen zwischen die der Subnmcosa zunächst gelegenen Elemente derselben herein. Das Neueste, was mir von Arbeiten über die Gastritis phlegmonosa zugänglich gewesen ist, ist ausser dem von Tüngel (Virchow's Archiv. XXXIII. 2) veröffentlichten, mit dem unsrigen hinsichtlich des Sections- befundes, namentlich soweit er den Magen selbst betrifft, vielfach über- einstimmenden Falle ') ein der Societe anatomique in Paris vorgetra- gener Bericht von Malrice Baynaud über Infiltration purulente des parois de l'estomac (Gaz. hebd. 1861. 9. u. ff.). Derselbe geht von einem gleichfalls sehr analogen Falle Cornil's aus, in welchem B. selbst den anatomischen Befund sehr sorgfältig conslatirte, und schliesst sich nach Zusammenstellung und Erörterung von 21 Fällen französischer, deut- scher und englischer Beobachter im Wesentlichen der Ansicht Dittrich's an, dass die von ihm als drille Kategorie 2) bezeichneten Fälle, in denen der Eiter eine mehr weniger allgemeine Infiltration der ganzen Submu- cosa des Magens (nappe de pus) erzeugt, als affectiones totius sub- stantiae, als locale Manifestation einer Allgemeinerkrankung zu be- trachten seien. Er verwirft die Namen phlegmon diffus und erysipele avec suppuration, weil sie eine bestimmte, zur Zeit noch nicht zu recht- fertigende Anschauungsweise des morbiden Processes ausdrücken, und bezeichnet ihn einfach als Infiltration purulente de l'estomac; er hatte jedenfalls, ohne zu viel zu präjudiciren, die eigenthümliche Localisirung des Processes etwas genauer bestimmen und ihn als Eiterinfiltration der Submucosa des Magens bezeichnen können, denn in der That ist es diese Schicht, welche in allen hierher gehörigen genauer beschrie- benen Fällen als Sitz der Eiterbildimg erscheint. Was unseren Fall betrifft, so glaube ich die Richtigkeit der oben lnilcclheilten Beobachtungen über den Krankheitsverlauf annehmen zu dürfen, da sie von allen Beobachtern unabhängig gemacht und sehr übereinstimmend angegeben wurde, überdies hauptsächlich auch nur 1) Auch in diesem Fall war Verdacht auf Vergiftung entstanden. 2) Die erste Kategorie bilden die intramueösen Abscesse (Ventriculus pustu- losus, Abscessus inlraföllicularis, Magenaphten von John North), die zweite Kate- gorie die circum Scripten submueösen Abscesse. Ein Fall um Gastritis phlegmonosa. lsl leicht wahrnehmbare Erscheinungen betroffen. Dieselben bestätigen im Wesentlichen R. 's Angaben l), der darauf aufmerksam macht, dass die Mehrzahl der Fälle auf Männer im mittleren Lebensalter und häufig auf Trinker treffe und in der Thal traten auch in unserem Fall die ersten Krankheitserscheinungen seit einer grösseren Hinneigung zum Trünke seitens des Kranken auf. Der Verlauf des Falles ist dadurch eigentümlich, dass den mar- kigeren Krankheitserscheinungen lange Zeit (über 3 Monate) leichte, aber deutliche gastrische Symptome vorausgingen; ferner dass die Ter- minalerscheinungen weit weniger heftig waren, als in sämmtliclien genauer bekannten Fallen: fast stets waren heftige Delirien und grosse Angst im letzten Stadium der Krankheit vorhanden, während in un- serem Falle zwar auch eine gewisse Aufregung und Unruhe bemerkbar waren, aber doch nicht zu auffallender Höhe stiegen. — Eigenlhümlich sind unserem Falle auch noch die am Gesicht (Lidern und Wangen) bemerkten Anschwellungen : ihrer Vergänglichkeit wie der gänzlichen Abwesenheit anderweitiger Symptome wegen sind sie entschieden nicht als Erysipele, sondern wohl eher als Oedeme zu betrachten und damit stimmt auch der Sectionsbefund , der zwar keine sie veranlassende Localkrankheit, wohl aber verschiedene Symptome von hydraulischer Blutbeschaffenheit (Durchfeuchtung des Unterhautbiudcgewebes, wäs- serige Ergüsse in den serösen Höhlen) erkennen liess. Der anatomische Befund stimmt mit den Fällen von R.'s dritter Kategorie, der auch der TüNGEi/sche Fall zugehört, nicht blos hinsichtlich der Veränderungen am Magen, sondern auch insofern, als sich auch hier Ergüsse in den benachbarten serösen Cavitälen vorfanden ; doch war die von uns im Pericard und den Pleurahöhlen gefundene Flüssigkeit keine eitrige und auch das peritoneale Exsudat enthielt, dem Grade der Trübung nach zu schliessen. sehr wenig geformte Elemente. Die Betheiligung der übri- gen Schichten der Magenwandung (ausser der Submucosa) war in un- serem Falle vielleicht geringer als in irgend einem der bisher berich- teten Fälle, denn ausser der kleinen sehr leicht injicirten Stelle der Mucosa war schlechterdings an ihnen allen nichts Abnormes zu finden. Was schliesslich die Frage betrifft, ob der Befund am Magen ur- sprünglich localen Charakters oder aber als Localisirung eines dyscra- sischen Processes, einer »tendance generale de reconomie de faire du pus« zu betrachten sei, so dürfte dieselbe auch durch unsern Fall kaum zur Entscheidung gelangen. Allerdings ist bei der fast vollkommenen 1) Henoch (citiit von R.) giebt an, dass die Krankheit bei Puerperalfieber ver- bältnissmässig häufig sei. 482 Ör. H. Asverus, ein Fall von Gastritis phlegmonosa. Integrität der Schleimhaut in unserem Falle gegen die Auffassung des- selben als localer Manifestation einer purulenten Diathese der Einwand nicht geltend zu machen, dessen Berechtigung R. für seinen oder Cor- wins Fall selbst prüft, ob nämlich nicht vielleicht das vorgefundene Schleimhautgeschwür der Ausgangspunct der Krankheit sei, ähnlich wie Civiale Abscesse der Harnblase von Reizung der innern Wandung durch Harnsteine, Gubler seinen Fall von Abscess der Gallenblasenwand von Gallensteinen ableite. Dagegen könnte man wohl das mehrmonat- liche isolirte Bestehen von anfangs leichten, allmählich an Intensität zunehmenden gastrischen Symptomen dahin deuten, dass der Process ursprünglich rein local gewesen sei und die serösen Exsudate in den benachbarten Höhlen dürften kaum als Beweis einer Allgemeinerkran- kung aufzuführen sein, denn solche Exsudate sind ja bei chronischen Eiterungsprocessen, z. B. bei Bcckenabscessen im Peritonealsack, häufig zu finden, und der Zeitpunct des Auftretens des Eiters in der Magen- submueosa ist in unserem Falle durchaus nicht zu bestimmen und viel- leicht weit zuriiekzudatiren, da es scheint, als ob eine Eiterinfiltration der Submucosa des Magens ohne sehr auffallende direct auf dieselbe bezügliche Erscheinungen bestehen könne. Für mehrere, vielleicht für die meisten Fälle von Gastritis phleg- monosa ist gewiss die Berechtigung der DiTTRiCH-RAYNAUD'schen An- schauung nicht zu bestreiten, doch ist keineswegs abzusehen, warum die Phlegmone des Magens immer eine affectio totius substantiae sein und nicht manchmal auch einfach localen Charakter haben sollte, eben so gut wie wir anderweitige Eiterungsprocesse, z. R. Zellgewebsab- scesse etc. bald aus örtlichen, bald aus allgemeinen Ursachen hervor- gehen sehen. Wenn wir also auch dem häufigen Zusammentreffen der Eiterinfiltration der Magensubmucosa mit anderweitigen auf eine Blut- entmischung gedeuteten Erscheinungen (Erysipelas, eitrige pleurale, pericardiale und peritoneale Exsudate) insoferne Rechnung tragen, als wir für diese Fälle die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit einer dyscrasischen Ursache zugeben , so scheint doch in Fällen wie der unsrige, wo deutlich gastrische Symptome den Anfang der Krankheit bezeichnen, die begleitenden Exsudationen nicht eitrig, auch sonst kei- nerlei Erscheinungen von Dyscrasie erweislich sind, auch eine andere Auffassung möglich und jedenfalls verfrüht, alle Fälle von Eiterinfiltra- tion der Submucosa des Magens in eine und dieselbe pathogenetische Kategorie zu bringen. Kleinere M i t i h e i 1 u n g e n. Heber die Constitution eiuiger aus dem Oxalsäureäther eutstehenden Ver- bindungen. Von A. G e u t h e r. Frankland1) hat vor einiger Zeit durch die Einwirkung von Zinkäthyl auf Oxalsäure-Aether und nachherigem Zusatz von Wasser die Aetherverbindung einer Säure erhalten, welche die Zusammensetzung der Leucinsäure besitzt. Er hat dieselbe auch Leucinsäure genannt, ohne jedoch die Identität beider nachgewiesen zu haben. Er hat dann weiter in Gemeinschaft mit Duppa gefunden"-), dass die nämliche Verbindung entsteht, wenn man an Stelle des Zinkäthyls bei der Reaction ein Gemenge von Iodäthyl und amalgamirtem Zink anwendet, also so zu sagen das Zinkäthyl erst bei der Reaction entstehen lässt. Bei Anwendung von Iod- methyl und Oxalsäure-Aether erhielten sie den Aether einer von der vorigen um 2 GH2 abweichenden Säure, die sie »Dimetlioxalsäure« nannten. Wandten sie da- gegen ein Gemisch von oxalsaurem Methyläther und Iodäthyl an , so entstand der Methyläther der zuerst erhaltenen Säure3), während dagegen bei der Anwendung von oxalsaurem Aethyläther und einem Gemische von Iodäthyl und Iodmethyl die Aethylätherart einer Säure entstand, welche nur €M2 weniger, als die s. g. Leucin- säure, und €HS mehr als die Dimetlioxalsäure enthielt, die »Aethomethoxalsäure« nämlich. Dieselben beiden Chemiker haben nun in neuester Zeit die Einwirkung des Phosphorchlorürs auf die Aether dieser 3 Säuren untersucht4) und dabei die Aether von 3 neuen Säuren erhalten, welche durch Austritt von je 2 Mgt. Wasser aus jenen entstehen und demnach die Zusammensetzung der »Aethylcrotonsäure«, der »Methyl acrylsäure« und der »Methylcrotonsäure« besitzen. Sie halten dafür, dass diese Säuren wirklich das sind , was die von ihnen für sie gewählten Namen ausdrücken. Bei dieser Gelegenheit haben sie auch ein Synonym für die von ihnen früher nur Leucinsäure benannte Säure eingeführt : »Diäthoxal säure«. Die genannten Chemiker sind der Ansicht, dass die Diäthoxalsäure (Leucin- säure), die Aethomethoxalsäure und die Dimetlioxalsäure substituirte Oxalsäuren 1) Annal. d. Chem. u. Pharm. Bd. 126. p. 109. 2) ebend. Bd. 133. p. 80. 3) ebend. Bd. 135. p. 25. 4) ebend. Bd. 136. p. 1. Band II. 4. 32 484 A. Geuther, sind, in der Art, dass für 1 Mgt. Sauerstoff (O = 16) zwei Alkoholradicale einge- treten seien Sie betrachten diese Säuren als »Säuren der Milchsäure- Reihe« und geben ihnen folgende Formeln : Oxalsäure. Milchsäure. Diäth- Aethonieth- Dimeth- oxalsäure. Oxalsäure. Oxalsäure. e OB €B3 OB e OB Wenn man nun aber der Milchsäure (Oxypropionsäure) die obige Formel bei- legt, wie Frankland und Duppa es thun, so müssen die wirklich homologen Säuren von dieser, nämlich die Glycolsäure (Oxyessigsäure), die Oxybuttersäure und die Leucinsäure (Oxyvaleriansäure) doch nothwendigerweise (wenigstens nach Art der Glieder aller übrigen homologen Reihen) die folgenden Formeln erhalten : Glycolsäure. Milchsäure. Oxybuttersäure. Leucinsäure. (b (b (b r« B €B3 €*B5 G3B7 €2 ob €2 { ob €2 Job €2 ob o o o o 10B lOB (OB loB Es kann demnach die Diäthoxalsäure oder s. g. Leucinsäure , wenn ihr die obige von Frankland und Duppa beigelegte Formel wirklich zukommen sollte, nicht identisch sein mit der wahren Leucinsäure , wie denn auch Frankland und Duppa den Beweis der Identität beider, obwohl sie den Namen Leucinsäure für die Diäthoxalsäure noch in ihrer letzten Publication beibehalten haben, schul- dig geblieben sind1). Das ist der erste dunkle Punct in ihrer Betrachtungsweise. Die von ihnen für die Diäthoxalsäure gebrauchte Formel würde dieselbe viel- mehr als eine von der Oxybuttersäure abgeleitete Säure, als eine Aethyloxybutter- säure darstellen, sowie die Aethomethoxalsäure und die Dimethoxalsäure als Ab- kömmlinge der Milchsäure, nämlich als eine Aethylmilchsäure und eine Methyl- milchsäure zu betrachten sein würden. Da nun aber die Aethomethoxalsäure mit der von Wurtz2) dargestellten Aethylmilchsäure nur metamer und nicht identisch ist, weil der Aether der Aethylmilchsäure bei 156°, 5, der Aether der Aetho- methoxalsäure aber bei 16 5°, 5 siedet, so müsste neben den gewöhnlichen Aether- säuren der Milchsäure -Reihe noch eine andere Reihe metamerer Verbindungen existiren, zu der eben die von Frankland und Dippa dargestellten Säuren gehören würden. Gesetzt, dem wäre so, wie käme es aber dann, dass die Diäthoxalsäure, das hiesse ein Abkömmling der Oxybuttersäure, und die Aethomethoxalsäure, das hiesse ein Abkömmling der Milchsäure, bei der Behandlung mit Phosphor- 1) Wenn Frankland so fortfährt, wie er es schon bei anderer Gelegenheit ge- than hat (vergl. diese Zeitschrift, Bd. II. p. 4I9\ und die gleichen Namen bloss meta meren Verbindungen beilegt, so wird eine babylonische Sprachverwirrung in unserer Nomenclatur nothwendige Folge sein. Dass solche Art der Benennung wissenschaftlich ungerechtfertigt und verwerflich ist, braucht wohl nur einfach ausgesprochen zu wrerden. 2) Annal. d. Chem. u. Pharm. Bd. 118. p. 326. Ucber die Constitution einiger ans den Oxafa&nroRtRer entgtefeenden \ t*rl)iinliinu chJorür Säuren erzeugten, welche als Abkömmlinge der Grotonsäure aufzu- fassen wären, während dagegen die Dimclhoxalsäure, das liiesse auch ein A 1 > - kömmling der .Milchsäure, bei gleicher Behandlung einen Abkömmling der Acrylsäure bildete? Es ist das der zweite dunkle Punct in dieser Betrachtungs- weise. Frankland und Duppa führen keinerlei Beweise an, dass die von ihnen »Aethylcrotonsäure«, »Methylcrotonsäure« und »Methacrylsäure« genannten Säuren auch wirklich diese Säuren sind, denn damit, dass beim Erhitzen mit Kalihydrat die erstere Buttersäure und Essigsäure, die zweite Propionsäure und Essigsäure, und die dritte Propionsäure und wie wahrscheinlich Ameisensäure liefert, ist kein Beweis geführt. Man weiss wohl, dass die Grotonsäure unter gleichen Umständen Essigsäure allein , die Acrylsäure dagegen Essigsäure und Ameisensäure liefert, man weiss aber noch nicht, wie sich die wirkliche Aethyl- oder Methyl-croton- säure, wie sich die wirkliche Methylacrylsäure dabei verhält. Die obigen Zer- setzungsproduete stellen nur eine mögliche Art ihrer Zersetzung dar, eine an- dere z. B. könnte die sein, dass die wirkliche Aethylcrotonsäure nur Essigsäure (3 Mgte), die wirkliche Methylcrotonsäure dagegen Essigsäure (2 Mgte) und Amei- sensäure (1 Mgt.), und die wirkliche Methylacrylsäure ebenso Essigsäure (i Mgt.) und Ameisensäure (2 Mgte) bildete. Dass die weiteren Speculationen von Frank- land und Duppa , welche auf diesem noch so unsichern Fundament fussen , min- destens ebenso unsicher sein müssen, leuchtet ein. Eine, wie mir scheint, viel wahrscheinlichere Auffassungsweise der von Frankland und Duppa dargestellten Säuren und ihrer Abkömmlinge erhellt aus folgender Betrachtung. Man weiss durch die Versuche von Fr. Schulze1), dass die Oxalsäure durch einen Reductionsprocess in Glycolsäure verwandelt werden kann. Findet nun gleichzeitig ein äthylirender oder methylirender Hergang statt, so lässl sich denken , dass dabei äthylirte oder methylirte Glycolsäuren entstehen können. Die Einwirkung des Zinkäthyls resp. des Iodäthyls und Zinks auf den Oxalsäureäther kann ohne Zweifel als ein solcher äthylirender Reductionsprocess aufgefasst und das daraus hervorgehende Product, der s. g. Diäthoxalsäureäther (Leucinsäureäther) , als der Aether einer Aethylglycolsäure und zwar als D i ä t h y 1 - glycolsäure-Aether betrachtet werden. Diäthoxalsäure = Diäthylglycolsäure €GH,S0G = €2tt2(€2tts)s06 €H2, €02 €02, €02, Ä20 (€2M* (G2M4 Die Dimethoxalsäure wird dann zu Dimethy lgly colsäure (€1H8Oe = €2tt2 (€tts)20G) , die Aethomethoxalsäure zu Aet hy 1 m e thylglycolsäure (€sHtoOG = €2tt2 (G2HS) (€tt3) 06). Nach dieser Auffassungsweise würde die Diäth- oxalsäure nichts anderes sein als die correspondirende Verbindung der von Fischer und mir2) dargestellten Diäthylglyoxylsäure (Aetherglyoxylsäure). Welche Constitution aber bei dieser Auffassungsweise den durch Phosphor- 1) Chem. Gentralbl. f. 1862. p. 609 u. 753. 2) Diese Zeitschrift, Bd. I. p. 54. 32* 486 A. Geuther, Ueber die Constitution einiger aus d. Oxalsaureiither eutst. Verbindungen. chlorür entstehenden Säuren zukommen müsse, ergiebt sich aus folgender Be- trachtung. Die Einwirkung des Phosphorchlorürs beruht auf einer Entziehung von Wasser, und zwar gehen von i Mgt. Saure, bei Annahme der einfachen Formeln, 2 Mgte. Wasser fort. Dieses Wasser kann nur die Glycolsäuregruppe liefern und dabei nach folgender Gleichung : €2M' Oe - 2 MO = G2M20* in eine Säure übergehen , welche ihrer Zusammensetzung nach als das niedrigste Glied in der Oelsaure-Reihe betrachtet werden könnte Die s. g. Aethylcrotonsäure würde, im Sprachgebrauch der Radicaltheorie, die Dia th yl säure, die s. g. Me- thylcrotonsäure, die Aethy lme th y lsäure, und die s. g. Methacrylsäure die D i m e t h y 1 säure von eben dieser Säure sein. Säure aus Glycolsäure = G2M2 0' = G2 M" O1 Aethylcrotonsäure = e'.ff'O* = G2 (G2M5)2 O1 Methylcrotonsäure = G5M8 O1 = G2 (G2 M5; (GM3) 0* Methacrylsäure = G'M,; Os = G2 (GM3,2 O1 Nach der von mir angewandten Betrachtungsweise würde ihre Constitution durch die folgenden Formeln ausgedrückt werden : Säure aus S. g. Aelhyl- S. g. Methyl- S. g. Melh- Glycolsäure. crotonsäure. crotonsäure. acrylsäure. O2 | MO €S0MH0 €20MM0 €20MH0 G2M4 } GM2 \ GM2 } MO g2m4Jmo e»»*'jÄO e& uo DieZersetzungsproducte mit Kalihydrat würden auf folgende Weise entstehen. Die Gruppe G2 02 bildet unter Aufnahme von Wasserstoff GO2 und GM2, der letztere Kohlenwasserstoff tritt im Moment seines Entstehens mit dem einen G2M4 resp. GM2 zusammen, G3MG resp. G2M4 bildend, also die in der Buttersäure und Propion- säure enthaltenen Kohlenwasserstoffgruppen, welche nun mit dem GO2 und dem Wasser eben diese Säure bilden, während das andere GZM4 resp. GM2 durch Sauerstoffaufnahme in Essigsäure resp. Ameisensäure übergeht. €S °S I MO 1 «O G2M4 \ + 4 MO = G3M°, GO2 TT) + GsM*04 + M2 C2H« J MO j MO G20 GM G2M* I MO ■ MO . „ 1 MO , Gß t„, + 4 MO = G2M\ GO2 [ ™ + G2M104 + M2 e2o2iMO Gft* } + 4 MO = e2M', GO2 } ^X + GM20J + M' GM2 MO MO T "* "" ' / **0 Dabei wird mit Frankland und Duppa die Voraussetzung gemacht , dass die wirkliche Buttersäure und Propionsäure neben Essigsäure und Ameisensäure hier auftreten (was aus der Analyse eines Silber- oder Barytsalzes noch nicht folgt), und nicht etwa mit diesen nur metamere Säuren, in welchen sich die Kohlenwasserstoll- gruppen noch nicht zu einem einheitlichen Kohlenwasserstoff verschmolzen halten. Es mag vorläufig die Mittheilung dieser Ansicht genügen, Versuche, welche im Gange sind, werden bald darüber entscheiden. Jena, d. U. Decbr. 1865. Ueber die Incubationszeil der Pocken. 1S7 lieber die Incubationszeit der Pocken. Voll Dr. Helmke, Assistenzarzt der medieinischen Poliklinik in Jena. So umfangreich die Literatur über die Pocken ist, so übereinstimmend die Ansichten sind über das Wesen und über den Verlauf des Exanthems, ebenso ver- schieden sind die Ansichten über die Incubationszeit desselben. Indem früher bei Angabe der gewonnenen Zahlen über die Incubationszeit öfters das Prodromalstadium mit eingeschlossen war, in andern Fällen nur die Zeit vom Tage der Infection bis zum Schüttelfrost gerechnet wurde, so kam es, dass dadurch ganz bedeutende Differenzen zwischen 5 und 23 Tagen entstanden. Erst in neuerer Zeit haben die Beobachtungen von Barensprung und Stark viel dazu beigetragen, der Ansicht, dass den Pocken eine Incubationszeit von 11 — 14 Tagen zukomme, mehr und mehr Geltung und Anhänger zu verschaffen. Als Grund davon hebt Ziemssen1) mit Recht hervor, dass diese Beobachtungen genaue und umfas- sende Detailbeobachtungen seien , nur solche seien verlässlich und von Werth. Dem wird Jeder vollkommen beipflichten. Auch meine Zahlen sind aus genau geführten Detailbeobachtungen zusammen- gestellt. Unsere Epidemie, welche im December 1864 beginnend zu Ende März 1865 fast erloschen war, bestand aus 44 Fällen, die zu etwa drei Viertheilen auf der Klinik von Hofrath Gerhardt verliefen; das letzte Viertheil umfasst die Fälle zum grössten Theil, welche in der Stadt, und zwar in dem Hause meiner Eltern von mir beobachtet wurden. Es ist einleuchtend, dass unter so günstigen Verhältnissen, wie sie sich mir zur Beobachtung boten, ein befriedigenderes Resultat erzielt wer- den musste als im Spital, wo die Kranken der verschiedenen Abtheilungen in einem Hause beisammcnliegend dem Contagium stetig ausgesetzt waren, von denen man nicht einmal mit annähernder Wahrscheinlichkeit sagen konnte, wie viel Tage vor Ausbruch des Exanthems der einzelne Kranke inficirt worden sei. Von sämmt- lichen auf der Pockenabtheilung verlaufenen Fällen waren ziemlich zwei Drittel aus eben diesem Grunde für den Nachweis der Incubationszeit völlig werthlos und nicht zu gebrauchen. Nur einige wenige von aussen auf die Abtheilung aufgenommene Pockenkranke boten sichere Anhaltspuncte dar, nämlich Fall I. 2. 3. 4 und 18; die andern Fälle, die ich in unserm Hause zum Theil in ihrem ganzen Verlaufe beob- achten konnte, zum Theil, da sie mit uns in directe oder indirecte Berührung ge- kommen waren, ausserhalb des Hauses genau verfolgte, nämlich Fall 6—17 inclus., machen mit den ersteren Anspruch auf den Namen einer »Detailbeobachtung«, wie sie Ziemssen geführt wissen will. Sie dienen nur dazu, die Ansicht zu bekräftigen, welche Barensprung und Stark aufgestellt haben, sie sind neue sichere Belege dafür. Es ergiebt sich folgende Uebersicht : 1. Traugott H., 23 J., stud. med., Variolois, besuchte am 29. X. Mittags einen an Variolois Erkrankten. Schüttelfrost am 11. XI. Vormittags 10 Uhr (13 T.), Exanthem 14. XI. (16 T.). 1) Greifswalder medicin. Beiträge, Bd. III. Heft 2. 1865. 488 Ili'lmko, (Jeher die [ncnbationszeil der Pocken. 2. Caroline W., 58 J. , Nähterin , Variola vera, inficirt von Variolois vor 18 bis 14 Tagen. Exanthem 27. XI. (15—17 T.). 3. Heinrich R. , 60,1., Scb losserme ister , Variola vera, inficirt von dem in seinem Hause wohnenden Fall 2 am 1. XII. Schüttelfrost am 14. XII. (13 T.), ungenaue Angabe über den Tag der Eruption. 4. Charlotte V., 50 J., Variolois, inficirt von Fall 2 am 1. XII. Schüttelfrost 15. XII. (14 T.), Exanthem 17. XII. (16 T.). 5. Amalie 1\, 28 J., Dienstmagd, Variola vera, war an Pneumonie seit 26. XII. 1864 im Krankenhause behandelt worden, wahrend die Pocken daselbst schon waren, wurde am 6. I. 65. entlassen, obgleich sie sich nicht recht wohl fühlte, be- kam Schüttelfrost am 12. I , Exanthem 15. I. Incubationszeit also unsicher. 6. Louise!'., 21.1., Dicnslmagd, Variolois, inficirt von ihrer Schwester, Fall 5 am 28 XII. 64., Schüttelfrost 8. I. 65. (11 T.), Exanthem 11. I. (14 T.). 7. Laura IL, 20 J., Variolois, inficirt 4. I. durch Fall 9, welcher an diesem Tage auf der Pockenabtheilung -gewesen war, seihst aber verschont blieb. Schüt- telfrost 16. 1. (12 T .), Exanthem 18. 1. (14 T.). 8. Ida H. , 17 J., Variolois, inficirt durch Fall 9 am 11. IL, welcher den Fall 10 am genannten Tage besuchte und gleich darauf nach Hause zurückkehrte* Schüttelfrost 24. IL (13 T.), Exanthem 26. IL (15 T.). 9. Adalbert IL, 26 ,L, Variolois, inficirt auf der Pockenabtheilung am 10. L, Schüttelfrost 23. I. (13 T.), Exanthem 25. 1. (15 T.). 10. Louis W., 20 J., stud. jur., Variolois, besuchte mich, Fall 9, am 26. L, Schüttelfrost 9. IL (14 T.), Exanthem 11. IL (16 T.). 11. Marianne IL, 47 ,L, Variola vera, inficirt am 25. IL Schüttelfrost 1 1 . III. (14 T), Exanthem 14. HL (17 T.). 12. Clara Seh., 4 3 J., Variola vera, inficirt am 19. III. von Fall 11. Schüttel- frost 2. IV. (14 T.), Exanthem 5. IV. (17 T.). 13. Agnes Scb., 18J., Variolois, inficirt am 29. III. von Fall 1t. Schüttelfrost 12. IV. (13 T.), Exanthem 15. IV. (16 T.). 14. Emma L., 35 J., Variolois, Wärterin bei Fall 11 vom 11. III. an. Schüt- telfrost 23. III. (12 T.), Exanthem 25. III. (14 T.). 15. Charlotte A., 28 J., Variolois, früher bei Fall 11 in Diensten, war am 21. III. daselbst zur Aushülfe in der Küche. Schüttelfrost 3. IV. (13 T.), Exanthem 5. IV. (15 T.). 16. Johanne IL, 46 ,L, Wäscherin, Variolois, wusch am 3. IV. im Hause von Fall 11. Schüttelfrost 15. IV. (12 T.), Exai.them 18. IV. (15 T.). 17. Christiane Z., 54 ,L, Wäscherin, Variola haemorrhagica, hatte eine gleiche Beschäftigung im Hause von Fall 11 am 3. IV. Schüttelfrost in der Nacht vom 14. bis 15. IV. (11 T.), Exanthem 16 IV. (13 T.), -f- 22. IV. 18. Felix G., 20 .1. , Musikus, Variolois, inficirt auswärts von Variolois am 3. III. Schüttelfrost 14. HL (11 T.), Exanthem 17. 111. (14 T.). Im Allgemeinen ergiebt sich hieraus folgendes : Die Incubationszeit dauerte nicht unter 11, nicht über 14 Tage, also 11 — 14 Tage. Hakenspuung gab an 11 — 13 Tage, Stark 8 — 14 Tage. Meine Zahlen be- grenzen die Incubationszeit mehr als die des letztgenannten Beobachters und schliessen sich enger an die von Bxkenspkung an, wenn auch noch mit einer sehr kleinen Differenz. Man kann bis jetzt nach diesen genauen Beobachtungen wohl mit Sicherheit annehmen, dass die Incuhationszeit der Pocken in der Regel eine Kiu Condylom in der Trachea. 489 Dauer von 11 — 14 Tagen in Anspruch nimmt; denn die Incubationszcit von 8 Tagen betraf bei Stark nur einen einzigen Fall, welcher wohl als Ausnahme von der Regel zu betrachten sein dürfte. Nach Ausschluss dieses einzigen Falles stimmen sämmt- licbe Zahlen aller drei Beobachter überein. Zur besseren Uebersicht diene folgende Tabelle: Dauer von 11 T. in 3 Fällen (Fall 6. 17. 18.) - 12 T. - 4 - (Fall 2. 7. 14. 16.) - 13 T. - 6 - (Fall 1. 3. 8. 9. 13. 15.) _ u t. - 4 - (Fall 4. 10. 11. 12.) nicht genau zu bestimmen war die Zeit in Fall 5. Das Prodromalstadium dauerte 2 Tage in 10 Fällen, 3 - - 7 - unbestimmt in Fall 3. Eiu Condylom in der Trachea. Von Dr. M. Seidel. Condylome im Larynx sind, seitdem Gerhardt zuerst dieselben laryngosko- pisch nachgewiesen hatte, von allen Beobachtern bald häufiger , bald seltener ge- sehen worden. Man findet dieselben häufiger zugleich mit verbreiteter Gondylom- bildung, als ohne dieselbe an den verschiedensten Stellen des Kehlkopfes. Bald erscheinen sie als grössere dunkler gefärbte Excrescenzen, besonders an den Thei- len , wo man sie von ihrer oberen Fläche sieht, z. B. auf den Stimmbändern, bald als flache, meist weisslich gefärbte Verdickungen der Schleimhaut , besonders an den Theilen, wo man sie häufig nur von der Fläche sieht, z. B. der hinteren Wand. Im Verlaufe dieses Jahres nun hatte ich Gelegenheit, lange Zeit auch ein Condylom in der Trachea zu beobachten , in welchem Organe das Vorkommen eines solchen wohl zu den Seltenheiten gehören dürfte. Carl Matthes , 24 J., Webergeselle, wurde Ende Januar 1865 aufgenommen. Er hatte 3 Wochen nach einem Anfang September ausgeübten verdächtigen Coitus einen Schanker bekommen, und während er sich in Schmuz und Elend herumtrieb, einen eiternden Bubo in der rechten Leiste. Bei seiner Aufnahme hatte er noch den Schanker, ein schlecht aussehendes, tiefes Geschwür, hinter derGlans; die Haut des ganzen Körpers war mit Rupia und Ulcerationen bedeckt, es bestanden zahlreiche Condylome am Präputium, Scrotum, After und im Rachen. Noch ehe der Schanker geheilt war und der körperlich sehr herabgekommene Kranke einer Cur unterzogen werden konnte, bildeten sich am weichen Gaumen und der hinteren Rachenwand sehr zahlreiche kleine punetförmige Geschwürchen, offenbar in den Follikeln, zwischen denen die Schleimhaut sich wulstete , und die sich rasch über den ganzen weichen Gaumen und die hintere Rachenwand aus- breiteten, eine seltene Hartnäckigkeit zeigten und später auch auf die vordere Fläche der Epiglottis bis zur Zungenwurzel herab fortschritten. 490 M. Seidel, Ein Condylom in der Trachea. Bei diesem Kranken war nach einiger Uebung desselben das Laryngoskopien sehr leicht , man sah fast jedesmal die Bil'ureation der Trachea, und erzeigte sich in jeder Beziehung geschickt. Am 3. März bemerkte ich an der hinteren Wand unterhalb der Stimmbänder eine kleine Hervorragung, die ich zunächst bei schlechter Beleuchtung für ein Schleimpartikelchen hielt, das sich daselbst fest- gesetzt hatte, und desshalb dem Kranken zu husten befahl. Es verschwand jedoch nicht, und als ich genauer einstellte, zeigte es sich als eine Excrescenz, die in der Höhe des vierten Tracheairinges , fast in der Mitte der hinteren Wand , ein klein wenig nach rechts sass. Dieselbe hatte die Grösse einer halben Erbse, war von blassrother Farbe und nicht ganz glatter Oberfläche. Bei Sonnenlicht hob sich die- selbe noch deutlicher von der Umgebung ab und die Farbe erschien etwas heller, die umgebende Schleimhaut blasser. Am Larynx fand sich die Schleimhaut der hinteren Wand etwas verdickt, die Stimmbänder im hinteren Drittel stark ge- röthet — Die Syphilis zeigte bei diesem Kranken eine seltene Hartnäckigkeit, so dass mehrere selbst energische Curen ohne bleibenden Erfolg waren. Dem ent- sprechend verhielt sich auch die Excrescenz in der Trachea. Sie war in ganz gleicher Weise, ohne jede Aenderung der Grösse, bis in den Mai hinein zu sehen, von da ab wurde zunächst die Farbe derselben eine mehr und mehr blassere, fast weissliche. Von da an machte sich ein sehr langsames Kleinerwerden der Ge- schwulst bemerklich , während die Farbe eine weissliche blieb. Die Abnahme er- folgte so, dass die Höhe zuerst, dann auch die Circumferenz sich verringerte. Erst Mitte September war dieselbe so flach und klein geworden, dass man sie leicht übersehen konnte, und noch jetzt ist die Stelle des Sitzes durch eine blassere Färbung und eine ganz geringe nur angedeutete Vorragung über die umgebende Schleimhaut kenntlich. Man kann wohl kaum zweifeln, dass diese beschriebene Excrescenz in der Trachea ein Condylom war. Ausser dem Aussehen dieses kleinen Tumor spricht dafür das Auftreten bei einem syphilitischen Individuum, das zugleich an zahl- reichen andern Stellen mit Condylomen behaftet war, endlich aber besonders das Verschwinden desselben ohne Anwendung localer Mittel. Ein gleiches Verhalten würde wohl keine andere Geschwulst gezeigt haben, die hier in Betracht kommen könnte. 7h/' J Tat.ll -/ C I^aci-co-Jc- Tu/:fu. T-ruiTtÄin/ietttre i^tlrl 32. /;,/ A- ft. m i t& j he ///// \ ,, Tm, ■ V. /;„,,./ // Tafi 1/ m 0/ y* o J ^J /m Im <>- // m ;/>• II r lf P ■■ /!.„„/ // Tai ' >V Tm ■ I II , t. //v/.-v •// /, /;;•■ / BOUNO MAR 1975 3 2044 106 263 320