ilililliiii;i;ii!i!:i;i;ii;!;':!a:^^ _ ^4/7 K^' ^*^W)JNrA ^"^"^^ HARVARD UNIVERSITY LIBRARY MUSEUM OF COMPARATIVE ZOOLOGY Jenaische Zeitschrift fiir NATURWISSENSCHAFT herausgegeben von der medicinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena. Achtzehnter Band Neue Folg-e, Elfter Band. Mit 24 Tafeln. Jena, Verlag von Gustav Fischer 1885. ,\ ^ .^ Inhalt. Seite P. Geddes, Entwickelung und Aufgabe der Morpbologie . . 1 Kusi, Ueber fossile liadiolarien aus Schichten des Jura . . 40 0. S e el i g e r , Die Entwicklungsgeschichte der socialen Ascidien, mit 8 Tafeln A. Walter, Palpus maxillaris Lepidopterorum . . • • • 1-1 0. Her twig, Welchen Einfluss iibt die Schwerkraft auf die Theilung der Zellen? mit 1 Tafel 1^^ E. Haeckel, Ursprung und Entwickelung der thierischen Ge- , . . 206 webe 0. Her twig, I)as Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies '^^^ W. Kiikenthal, Ueber die lymphoiden Zellen der Anneliden, mit 2 Tafeln 319 A. Walter, Ceylons Echinoderraen 365 J. Thallwitz, Ueber die Entwickelung der mannlichen Keim- zellen bei den Hydroideen, mit 3 Tafeln 385 A. Walter, Auceus (Prauiza) Torpedinis. n. sp. aus Ceylon, mit 1 Tafel 445 W. K. Brooks, Ueber ein neues Gesetz der Variation . . 452 M. Scheit, Beantwortung der Frage nach dem Luftgehalt des wasserleitendeu Holzes 463 H. Ayers, Beitrage zur Anatomic und Physiologie der Di- pnoer, mit 3 Tafeln 479 0. Seeliger, Die Entwicklungsgeschichte der socialen Ascidien (Fortsetzung) 528 C. Frommann, Ueber Veranderungen der Membranen der Epidermiszellen und der Haare von Pelargonium zonale, mit 2 Tafeln 597 D. Brauns, Fernere Bemerkungen iiber den japanischen Norz 666 E. Montgomery, Ueber das Protoplasma einiger „Elementar- organismen", mit 1 Tafel 677 G. Euschhaupt, Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der monocystiden Gregarinen aus dem Testiculus des Lumbricus agricoia, rait 1 Tafel 713 A. Walter, Beitrage zur Morphologie der Schmetterlinge, mit 2 Tafeln >j^^ G. Leubuscher, Studien iiber Resorption seitens des Darm- K&Zld,l6S .•, 5%n$% W. Marshall, Beraerkungen iiber die Coelenteratennatur der Spongien ggg A. Gruber, Berichtiguug zu: „Ueber nordamerikanische Papi- lioniden- u, Nymphaliden - Raupen" 881 Entwickelung und Aufgabe der Morphologie. Von Patrick Geddes in Edinburgh. Morphologie. Die Wissenschaft der Morphologie hat sich nur langsara ent- wickelt, und in ihrem Fortschritt haufige Veranderungen der Rich- tung sowohl als auch Erweiterung des Gebietes erfahren; anstatt mit einer Definition zu beginnen und sogleich zu einer Auseinander- setzung ihres gegenwartigen Zustandes zu schreiten, ist es nothig, einen kurzen historischen tJberblick ihrer Entwickelung zu geben. Obgleich dieser wegen des beschrankten Raumes nothwendig un- vollstandig ist , kann er doch dazu dienen, den gegenwartigen Zu- stand dieser Wissenschaft verstandlicher zu machen, und die Schatzung ihres Gebietes und ihrer Ziele zu erweitern. §. 1. Historisclier Uberbliek. Wenn wir absehen von den schwankenden Ahnlichkeiten, wie solche in den popularen Klassificationen der Pflanzen, nach ihrer Grosse, in Krauter, Straucher und Baume, oder der Landthiere, nach ihrer Lebensweise, in laufende und kriechende Geschopfe, ausgedriickt sind, beginnt die Geschichte der Moi-phologie mit Aristoteles, dessen Weite des Begriffes und Tiefe der Einsicht in die Biologie erst in der letzten Halfte unseres Jahrhunderts recht gewurdigt worden sind. Von alien Naturforschern vor Darwin hat man ihm als Begrunder der Physiologic und der Morphologie die vollstaudigste Vertrautheit mit der Natur beigemessen. Begriin- der der vergleichenden Anatomic und der Taxonomie, stellte er acht grosse Klassen auf (denen gewisse Unterabtheilungen beige- fiigtsind), namlich: 1) Lebendig gebarende Vierfussler, 2) Vogel, Bd. XVIII. N. F, XI. 1 2 Patrick Gedrles, 3) Eier legende Vierfussler und Apoda, 4) Fische, 5) Malakia, 6) Malakostraka , 7) Entoma, 8) Ostrakodermata; wobei er die ersten vier Gruppen als Enaima von den vier ubrigen oder Anaima unterschied. In diesen zwei Abtheilungen erkennen wir, trotz des iibermassigen Gewichtes, welches, besonders aus etymologischen Griinden {sv- und avai/iiog, mit und ohue Blut), auf die physio- logische Bedeutung ihrer Namen gelegt worden ist, die Vertebrata und luvertebrata Lamarcks. Die aclit Gruppen sind identisch mit den Saugethieren, Vogeln, Reptilien, Fischen, Cephalopoden , Cru- staceen, den iibrigen Gliedertbiereu und Testaceen der heutigen Zoologie. Weit entfernt , Fledermiiuse als Vogel , oder Cetaceen als Fische anzusehen (ein Fehler, welcher ihm oft vorgeworfen wird) erkannte er die wahre Verwandschaft beider, und stellte die Cetaceen als ein specielles ysvog neben die lebendig gebaren- den Vierfussler, mehr wegen des Mangels der Beine, als nach ihrer Lebensweise im Wasser. Seine Methode ist nicht nur inductiv, und seine Gruppen na- tiirlich, d. h. gegriindet auf die Zusammenfassung bekannter Merk- male, sondern er deutet solche Verallgemeinerungen , wie die der Correlation der Organe, und der Entwickelung aus einer allge- meineren zu einer speciellen Form, an, welche lange nachher von Cuvier und von Baer festgestellt wurden. Bei der Vergleichung, welche er zwischen den Schuppen der Fische und den Federn der Vogel , oder zwischen den Flossen der Fische und den Beinen der Vierfussler anstellt, ist schon der Begriff der Homologie im Ent- stehen. Nach den Werken seines Schiilers Nicolaos von Damascus, welcher die Blatter als unvollkommen entwickelte Friichte ansah, scheint Aristoteles auch die Idee von der Metamorphose der Pflanzen geahnt zu haben. Kurz, wir j&uden eine Kenntniss der Struktur und eine ziemliche Freiheit von den durch physiologische Ahnlichkeiten herbeigefiihrten Irrthiimern, eine Freiheit, von wel- cher seine Nachfolger, wie Theophrastus und Plinius nur geringe Spuren zeigen, und welche die modernen Forscher nur langsam wieder erlangt haben. In der That finden wir wenig Bedeutendes bis zum dreizehnten Jahrhundert, wo das Erscheinen der Werke des Aristoteles einen neuen Anstoss zum Studium der orga- nischen Natur gab. Von den Werken dieser Periode ist das von Albertus Magnus das bei weitem wichtigste, doch sind alle nur erneuerte Palim- pseste des Aristoteles, welche das Wiedererscheinen wissenschaft- licher Methode und wissenschaftlichen Erfolges uuter der rein Entwickeluiig und Aufgabe der Morphologic. 3 theologischeii und scholastischen Literatur der Zeit, und das Wiedererwaclien des Interesses und der Sympathie fur die Natur, welche so lange unter denselben Einfliissen verborgen gehalten worden waren, bezeichnen. Die ungewissen Untersuchungen der Arzte und Apotheker, der Alchymisten und Hexen hauften inzwisclien bedeutende Kenntnisse von Pflanzen an, die nach der Erfindung der Buchdruckerkunst gesammelt und erweitert wurden, sowohl in den beschreibendeu und gut illustrirten Werken von Gesner und seinen Nachfolgern Fuchs, Lobel und anderen, als auch durch die Errichtung von botanischen Garten und wissenscbaft- lichen Academien. Darauf erschien, wie Sachs es ausdriickt, „ini scharfsten Gegensatz zu der naiven Empirie der deutschen Vater der Botanik, ihr Italienischer Zeitgenosse Caesalpin, als Denker der Pflanzenwelt." Beide machten systematische Anstrengungen : die Deutschen, iudem sie unbestimmt natiirliche Affinitaten in blossen Ahnlichkeiten der Beschaffenheit suchten ; die Italiener, in- dem sie mit nicht geringem Erfolg eine verstandige Basis der Klassification anstrebten. Monographien von Pflanzen- und Thiergruppen erschienen haufig, von denen die von Bel on tiber Vogel, und die Rondelets iiber Fische unter den I'riihesten sind. In der ersteren derselben (1555) finden wir eine Vergleichung der Skelette der Vogel und Menschen in gleicher Stellung, und so genau als moglich Knochen fiir Knochen, — eine Idee, welche trotz der gleichzeitigeu von Vesalius eingefiihrten Renaissance der menschlichen Anatomic fiir Jahrhunderte verschwand und nicht gewiirdigt wurde, ausser von dem Chirurg Ambroise Pare. Palissy, wie Leonardo vor ihm, er- kannte die wahre Natur der Fossilien, und solche Blitze morpho- logischer Einsicht leuchteten von Zeit zu Zeit wahrend des sieb- zehnteu Jahrhunderts auf. So erkannte Joachim Jung „den Unterschied zwischen VVurzel und Stengel, zwischen Blattern und blattartigen Sprossen, und den tJbergang von gewohnlicheu Bliit- tern zu den folia floris"; und Harvey bahnte die Verallgemeine- rungen der modernen Embryologie durch seine Untersuchungen iiber Entwickelung , und durch seine Theorie der Epigenesis an. Die Encyclopadische Periode, von der Gesner der wichtigste Vertreter ist, setzte sich fort durch Aldrovandus, Joustou und andere im 17. Jahrhundert; aber miichtig unterstiitzt von der Ba- conischen Bewegung, welche damals alle wissenschaftlichen Geister griindlich beeinflusste, entwickelte sie sich schnell zu einer Pe- riode von rein system atischer Richtung. Den bei weitem wich- 1 •'' 4 PatrickGeddes, tigsten Antheil an diesem Fortschritt nahm John Ray, dessen classificirende Arbeiten sowolil fiir Pflauzen als Tiere von erstaun- lichem Erfolg begleitet waren. Er zuerst verbannte definitiv die fabelhafteu Uugeheuer und Wunder, von denen die Encyclopadisten glaubig die Tradition aus den mittelalterlichen Zeiten iiberliefert batten; und wie sein Vorganger Morison klassificirte er in wirk- lich modernem Geiste nach anatomischen Merkmalen. Besonders bei den Pflanzen unterschied er viele natiirlicbe Gruppen, fiir welche seine eigenen Ausdrucke zum Theil noch leben, z, B. Di- cotyledones und Monocotyledones , Umbelliferae und Leguminosae. Als wahrer Vorlaufer Linnes brachte er den Begrifi der Species in die Naturgeschichte, der nachber so streng werden sollte, und reformirte die Aufstellung der Definitionen und die Terminologie. Von deu vielen Werken, welche auf Rays systematische und mo- nographische Arbeiten folgten, obgleich oft von grosser Bedeutung wie die von Tournefort und Rivinus, Reaumur und Klein, kann doch keine genaunt werden, bis wir zu denen ihres grossen Nach- folgers Linne kommen. Seine ausserordeutliche Gewalt in logischer Methode und unvergleichlicher Klarheit des Denkens und des Aus- driickens befahigte ihn, alle Werke seiner Vorganger zu reformiren und zu einem festen und bestimmten „Systema Naturae" zu reor- ganisiren. Er, das wirkliche Genie der Ordnung, schuf die mo- derne Taxonomie, nicht nur durch die Einfiihrung der binomischen Nomenclatur und die Erneuerung der beschreibenden Terminologie und Methode, sondern auch durch die Unterordnung der „Species", welche von nun an klar definirt ward, unter die auf einander fol- genden hoheren Kategorien des Genus, der Ordnung und der Klasse, indem er so die analytischen und synthetischen Tendenzen seiner Vorganger vereinigte. Obgleich die Eintheilung der Pflanzen nach der Zahl ihrer wesentlichen Organe (welche nicht nur das Studium der Botanik, sondern auch die Keuntniss der Flora des Erdballes iiberaus forderte, und wodurch er popular wurde) hochst ktinst- lich ist, so muss doch daran erinnert werden, dass diese Kunst- lichkeit in alien Classificationen mehr oder minder zu finden ist, und dass Linne nicht nur ihren vorlaufigen Character klar er- kannte, sondern auch die schon vorhandenen Grundsteine des naturlichen Systemes sammelte, mit welchen Jussieu bald nachher zu arbeiten beganu. Auch seine Classification der Thiere war meist naturlich, und obgleich er im ganzeu unglticklicherweise seine Autoritat an- wandte, urn ,jeue traurige philosophische und wissenschaftliche Entwickelung und Aufgabe der Morphologie. 5 VerwirruDg" aufrecht zu erhalten, welche die letzten Encyclopa- disteii der Gesnersclieu Sclmle vou den Alchymisten geerbt batten, namlich den Begriff der drei Naturreiche, so bemerkte er wenig- stens eine Zeit lang die wesentliche und fundamentale Einbeit der Tbiere und Pflanzen, und vereinigte sie im Gegensatz zu der nicbt lebenden Welt als „Organisata." Einige Kritiken — oft wieder- bolt und vollig begriindet — mlissen in Erinnerung gebracbt wer- den, namlicb, dass Linne nocb weit mebr ein scbolastiscber Natu- ralist als ein raoderner Forscber war; dass seine Werke wenig mebr reprasentiren als die vollige Vollendung der alten Epoebe, und in den Handen fanatiscber Nacbfolger oft dazu dienten, den Anfang einer neueren zu verzogern, und dass seine tibertriebene systematiscbe und bescbreibende Genauigkeit, verbunden mit re- lativer Nacblassigkeit gegen fundamentale Kennzeicben, eine bis auf unsere Zeit andauernde Tendenz scbuf, zufrieden zu bleiben mit blosser Metbode und Nomenclatur, anstatt eine vollstandige morpbologiscbe Kenntniss zu erstreben. Wabrend das kiinstlicbe System auf der Hobe seines Rubmes und seiner Ntitzlicbkeit stand, ordnete Bernard de Jussieu seinen Garten nacb den Principien des fragmentarischen natiirlicben Sy- stemes Linnes. Seine Ideen wurden ausgearbeitet von seinem Nefifen und Nacbfolger Antoine de Jussieu, der zum ersten Mai Diagnosen natiirlicber Ordnungen veroffentlicbte, wodurcb er dem System seinen modernen Character gab. Seine fernere Ausar- beitung und endlicbe Vollendung verdankt man hauptsacblicb den Arbeiten von Pyramus de Candolle und Robert Brown, Der erstere ricbtete sein eigenes langes Leben und das seines Sobnes auf die Aufstellung eines neuen „Systema naturae", des colossalen „Prodro- mus systematis naturalis" (20 Bande 1818—1873), in welcbem 80 000 Species bescbrieben und geordnet sind. Browns scbarfer Geist setzte ibn in den Stand, solcbe Complicationen der Struktur zu entbiillen wie die Bliitben der Coniferen und Cycadeen, Orcbi- deen und Proteaceen, wodurcb er die Moglicbkeit zeigte, die sy- stematiscbe Stellung selbst der bocbst modificirten Typen der Flora zu bestimmen. Beide waren so nicbt bloss Systematiker, sondern ecbte Morpbologen der modernen Scbule: De Candolle, indem er die Tbeorie der Symmetric der Pflanzen auf Grund seiner vergleicbenden Anatomic aufstellte, und mit grosserem Erfolg als bisber zwiscben fundamentaler Einbeit der Struktur und blosser oberflacblicher Abnlicbkeit der pbysiologiscben Anpassung unter- scbied; Robert Brown (Humboldts „facile princeps Botanicorum"), 6 Patrick Geddes, indem er dieselbeu Ideen mit iiocli scharferer Einsicht ausfiihrte und indem er viele denkwiirdige anatomische Uiitersuchimgen machte, so z. B. iiber die Struktur des Eichens imd des Samens. Durch seine Darlegung der Verwandtschaften der Gymnospermen kam er in der That den Entdeckungen Hofmeisters beinahe zuvor, welcher unter Browns modernen Nachfolgern durch seine Erkla- rung des tiefen kryptogamischen Geheimnisses der phanerogamischen Reproduktion hervorragt. Mit den Arbeiten des Bernard und Antoine de Jussieu be- gann auch ein bedeutender paralleler Fortschritt in der Zoologie, in so fern ein Werk iiber die Klassification der Saugethiere, wel- ches Cuvier, Geoffrey und St. Hilaire bald nach Beginn ihrer wis- senschaftlichen Laufbahn lieferten, seineu herrschenden Impuls von der „ Genera" des Antoine erhielt. Cuvier war nicht nur ein exakter Beobachter und unermiidlich in mouographischen Arbeiten, sondern auch ■ — wie bekannt — der grosste vergleichende Ana- tom aller Zeiten. Seine Werke entsprechen in der Zoologie denen der gauzen botanischen Periode von Jussieu bis Brown, und fassen die Resultate aller Fortschritte zusammen. Obgleich ihm in man- cher Hinsicht Haller und Hunter, welche (allerdings hauptsachlich zu physiologischen Zwecken) dieselben Theile in verschiedenen Organismen vergleichen , und noch entschiedener Vicq d'Azyr (der einzige wirkliche Anatom des 18. Jahrhunderts) vorausgehen, so erofinet er dennoch das Zeitalter anatomischer Untersuchung, ver- bunden mit exacter Vergieichung und klarer Verallgemeinerung. Das „Regne animal" und die Theorie der Typen (Vertebrata, Mol- lusca, Articulata, Radiata) sind die Resultate dieser Vereinigung der Analysis und Synthesis. Obgleich Cuvier selbst, erbittert durch die Verirrungen der Naturphilosophie, allein die Wichtigkeit des eingehenden Empirismus behauptete, richtete er doch die Ta- xonomie auf einer neuen Basis wieder auf, sodass das System nicht langer ein Gegenstand oberflachlicher Beschreibung und Nomen- clatur blieb, sondern zu einer vollstandigen Darstellung der Ahn- lichkeiten und Verschiedenheiten der Struktur sich gestaltete. So wurde Cuvier mehr noch als Linn6 der Griinder einer grossen Schule, deren Namen und Arbeiten unverganglich sind. In Deutsch- land haben Bojauus , Meckel , von Siebold und der beriihmte Jo- hannes Miiller mit seinen vielen noch lebenden Schiilern sein Werk wiirdig fortgesetzt. In Frankreich sind eine Reihe beriihmter Ana- tomen, namentlich De Quatrefages, Milne Edwards und Lacaze- EntwickeluDg und Aufgabe der Morphologie. 7 Duthiers seine geistigen Erben, wiihrend er in England nament- licli diircli Owen vertreten ist. Der von Bichat gegebene Anstoss auf dem Gebiete der Histo- logie soil spater erortert werden; das Entstehen der Embryologie jedoch mag bier kurz erwahnt werden, da durch sie die empfind- lichste Lticke im Lebrgebaude Cuviers ausgefiillt wurde. Hier war es besonders C. E. von Baer, welcber die Typen Cuviers un- abhangig auf Grundlage der Entwickelungs-Gescbicbte feststellte, und so zum ersten Male die Embryologie als den Priifstein ana- tomischer Classification verwandte; dann aber auch, indem er sein beriihmtes Gesetz der Dift'erenzirung von einer allgemeinen zu einer speciellen Form aufstellte. Wir wollen jetzt zu Linne zuriickkehren, dessen mehr specu- lative Scbriften, obgleicb durcb pbantastische Hypotbesen verwirrt, den Begritf der Metamorphose der Bliitbe entbalten („Principium florum et foliorum idem est" etc.). Um dieselbe Zeit und ganz unabhangig stellte der beriibmte Embryologe C. F. Wolff dieselbe Theorie mit grosserer Klarheit auf, indem er zum ersten Mai die Pflanze auf eine Anhangsel tragende Axe zuriickfiihrte und an- deutete, dass die vegetativeu Blatter zu Knospenblattcben oder zu Blutbentheilen durch Verminderung der vegetativen Kraft um- gewandelt werden. Dreissig Jahre spater wurde dieselbe Ansicbt nochmals unabhangig von Goethe in seiner jetzt wohlbekannten Schrift (Versuch, die Metamorphose der Pflanzen zu erklaren, Gotha 1790) entwickelt. In dieser vorztiglichen Arbeit wird die Lehre von der ursprtiuglichen Einheit der Bliiten und Blattertheile deutlich behauptet und unterstiitzt durch Beweisgriinde aus der Anatomie, Entwickelungsgeschichte und Teratologic. Alle Organe einer Pflanze sind so Modificationen eines fundamentalen Organes, namlich des Blattes, und alle Pflanzen mtissen in derselben Weise als Modificationen eines ursprunglicheu Typus, der Urpflanze an- gesehen werden. Auf den Streit fiber den Werth und die Wichtigkeit dieses Versuches, und auf Goethes morphologische Werke im allgemeinen kann hier kaum eingegangen werden. Dass Goethe, und zwar klarer als irgeud einer seiner Vorganger oder Zeitgenossen die fundamentale Idee aller Morphologie, namlich die Einheit, welche den maunigfachen Varietaten organischer Formen zu Grunde liegt, erkannte und behauptete, und dass er diese Idee zur Erklarung der wichtigsten, complicirtesten und verschiedensten thierischen und pflanzlichen Strukturen systematisch verwandte, ist unstreitig. 8 Patrick Geddes, Die Schwierigkeiten entstehen, wenn wir die Wichtigkeit seiner Werke in der Kette des Fortsclirittes zu wiirdigen versuchen, und wenn wir fragen , ob , wie einige Historiker meinen , seine „Ur- pflanze" nur ein ideales Urbild sei, das als Fruclit die unzahligen metaphysischen Abstractionen der Naturphilosophie hervorbrachte, und seine Landsleute zu ihrem Schaden in alle die tJbertreibungen dieses Systemes fiihrte; oder ob, wie Haeckel behauptet, sie eine concrete Stammform darstellt, mit welclier er die Ansicht der modernen „E volution is ten" ahnte. Es ist unzweifelhaft, dass ihm Schelling viel verdankte in Be- zug auf den Grund, auf welchem er seiu pliilosophisches System errichtete, und dass er im grossen und ganzen dieselben Ideen theilte. Aber es muss daran erinnert werden, dass Goethe noch 40 Jahre nach der Veroffentlichung dieses Aufsatzes lebte und schuf, dass er vertraut mit der ganzen wissenschaftlichen Bewe- gung und den Entwickelungs - Theorien von Geoffroy St. Hilaire aufs warmste zugethan war. Deshalb dart es uns nicht wundern, dass seine Schriften alle diese Interpretationen zulassen. Aber auch seine anderen morphologischen Arbeiten diirfen nicht ver- gessen werden. Unabhangig von Vicq d'Azyr entdeckte er den menschlichen Zwischenkiefer ; unabhangig von Oken behauptete er die Wirbeltheorie des Schadels, und lange vor Savigny erkannte er, dass die Kiefer der Insecten die Gliedmassen des Kopfes sind. Im Jahre 1813 gab A. P. de Candolle seine „Th6orie 61emen- taire de Botanique", die er zu seiner klassischen „Organographie vegetale" (1827) entwickelte, heraus. Obgleich er zuerst rait Goethes Schrift nicht bekannt war und die Homologie der Blatter- und Bluthentheile nicht deutlich einsah, stellte er seine Symmetrie- theorie auf, welche alle Bluthen auf „symmetrische" Gruppen von Anhangseln einer Axe zuruckfuhrt, und ihre verschiedenen Formen durch Cohasion und Adhasion, durch zuriickgehaltene oder iiber- massige Entwickelung erklilrte. Der nachste grosse Fortschritt war die Untersuchung von Schimper und Braun iiber Phyllotaxis — die spirale Stellung der Blatter- und Bliithentheile — deren wesentliche Einheit dadurch klarer festgestellt wurde. Der Ausdruck „Morphologie" wurde zuerst eingefuhrt von Goethe im Jahre 1817; in einem spateren Aufsatz (Zur Natur- wissenschaft iiberhaupt, besonders zur Morphologic) verwendete er ihn, um die Lehre der Einheit des Typus in verschiedenen orga- nischen Formen zu bezeichnen. Hierfiir war von Linn6 und fruher von Goethe selbst der Ausdruck „Metamorphose" verwendet; dieser Entwickelung und Aufgabe der Morphologie. 9 ist aber unzulassig, weil er eine Verwechseluug rait den Meta- morphosen der Insecten in sich schliesst. Der Name wurde in der Botanik niclit eher gebrauchlich, bis er gelaufig wurde durcb Auguste St. Hilaire, in seiner vortrefflichcn Morpbologie vegetale (1841); und in der Zoologie, bis De Blainville (welcher auch zuerst den Ausdruck „Typus" anwendete) die ausseren Fornien der Thiere unter dem Naraen „Morphologie" bebandelte. — Obgleich die Naturphilosophie Scbellings und ihre zahllosen Modificationen durch seine Nacbfolger, ihre mystischen Theorien von Polarisation und dergleichen, ibr Apparat von Voraussetzung und Abstraction, von Hypothese und Metapher, nicht bier beban- delt werden konnen, so diirfen wir doch ibr zweifelloses Verdienst nicbt vergessen, das sie nicht nur unziiblige Geister zu dera eifri- gen Studium der Naturwissenschaft reizten , sondern auch durch ihre unaufhorlicbe Behauptung der Einheit der Natur, und durch ihre freie Benutzung der Platonischen Urbilder, einen gewaltigeu Anstoss zur Wissenschaft der vergleichenden Anatomie gaben, so- wie den Anspruch philosophischer Syn these gegen bios analytischen Empirismus energisch vertheidigten. Unter den zahlreichen Au- hangern dieser Schule finden wir verschiedene Typen, theologische, nietaphysische, mystische, poetische und wissenschaftliche ; aber ibr wichtigster Vertreter ist Lorenz Oken, welcher in sich zugleich die besten und die schlechtesten Eigenschaften dieser Schule ver- einigte und unter dessen unzahligen pseudomorphologischen Trau- men bisweilen Andeutungen grosster Fruchtbarkeit vorkommen, wie z. B. die selbststandige Behauptung der Wirbeltheorie des Schadels, der Infusorien (Zellen) etc. Obgleich Lamarck an dieser Bewegung Theil hatte, so ver- dient sein grosses Werk, indem es mehr aetiologisch als morpho- logisch ist, bier doch kaum besprochen zu werden. Der bei wei- tem beriihmteste Anatom der transcendentalen Schule ist Geoflfroy St. Hilaire. Da er verhaltnissmassig frei war von den Uebertrei- bungen Oken's, und eine tiefe morphologische Einsicht, kaum ge- ringer als die Goethe's, mit grosserer Kenntniss der Thatsachen, und viel weiterem Einfluss und Rubra in der wissenschaftlichen Welt in sich vereinigte, hatte er einen bedeutend grosseren Ein- fluss auf den Fortschritt der ^Yissenschaft. Er beschaftigte sich zuerst, wie Cuvier, mit anatoraischen Einzelheiten , aber von der Ansicht Buffon's, der Einheit des Organisationsplanes und von den Entwickelungstheorien Laraarck's stark beeinflusst, wendete er sich zu einer neuen Richtung und kam wieder zu der Idee der seria- 10 PatrickGeddes, len Homologie, deren uuabhangigen Ursprung wir schou so oft erwahnt haben, Sein grosstes Werk, die Philosophie Anatomiquc (1818 — 1823) enthalt seine wichtigsten Doctrinen, Diese sind 1) Die Theorie der Einheit der orgauischeu Formbildung (mit der von Goethe identisch), 2) die Lelire der Analoga, nach welcher die- selben Theile, nur in Form und Entwickelungsstufe diflferirend, bei alien Thieren vorkommen sollen; 3) das „principe des con- nexions", nach welchem ahnliche Theile iiberall in ahnlichen rela- tiven Stellungen vorkommen, und 4) das „principe du balancement des organes", auf welches er das studium der Teratologie begriin- dete und nach dem die hohe Entwickelung eines Organes mit der Verminderung eines anderen zusammenhangt. Der Fortschritt in der morphologischen Theorie ist hier leicht zu erkennen. Un- gliicklicherweise jedoch gerieth er, indem er oft triigerischen Ho- mologien zu eifrig folgte, in den Transcendentalismus der Natur- philosophie, und scheint die Typentheorie Cuvier's und die Ent- deckungen Baer's gar nicht gewtirdigt zu haben. Ernstlich ver- theidigte er Buflbn's und Bonnet's vorausgehende Ansicht von der Einheit des Bauplanes in der Natur, und der Streit erreichte seine Hohe im Jahre 1830, als er die Einheit der Struktur bei den Cephalopoden und Wirbelthieren gegen Cuvier vor der Academic des Sciences behauptete. — Hinsichtlich der Thatsache war Geof- froy natiirlich ganz widerlegt. Die Typen-Theorie wurde von nun an vollig augenommen, und die Naturphilosophie erhielt ihren Todesstoss, wahrend eine „zweite empirische Periode" exakter ana- tomischer und embryologischer Untersuchungen sie ftir immer zu ersetzen schien. So war die allgemeine Ansicht, nur eiuige, wie der alte Goethe (dessen letzte literarische Arbeit eine meister- hafte Kritik des Streites war) erkannten , dass die ganz umge- kehrte Anschauung die tiefere und die wesentlichere war, dass eine wirkliche „wissenschaftliche Revolution" im Anzug war, und dass die Herrschaft homologischer und synthetischer Studien iiber beschreibende und analytische hinfort gesichert war. Der unver- sohnliche Streit zwischen den zwei Anfiihrern fiihrte nothwendiger- weise zu einer Vereinigung ihrer Nachfolger. Theorien verglei- chender Anatomic wurdeu von jetzt an einer strengen anatomi- schen und embryologischen Priifung unterworfen, wahrend Anato- mic und Embryologie ein homologes Ziel zu verfolgen anfingen. Diese Vereinigung der fcsten Thatsache und der strengen Methode Cuvier's rait dem verallgemeinernden Geist und philosophischen Ziel Geoffroys finden ein schones Beispiel in den Werken Owen's; Entwickelung und Aufgabe der Morphologie. 11 kurz, die sogeDannte Cuviersche Schule ist iu Wirklichkeit von da an auch die des Geottroy. Die fernere Entwickelung des Begriffes der Homologie wird hier spater erlautert werden, aber die Ausdehnung und Schnellig- keit des spateren Fortschrittes der Erkenntniss der pflanzlichen und thierischen Struktur macht einen historischen Ueberblick bis zum Erscheinen des „Origin of Species" (1859) unmoglich. Kein fernerer qualitativer Fortschritt war jedoch moglich, weil, wie Sachs am besten gezeigt hat, die Morphologie nothwendiger Weise unter dem Linneschen Dogma der Constanz der Arten, dieselben zwei unvereinbaren und unversohnlichen Gedanken-Richtungen enthielt, die wir in Caesalpinus und den fruheren deutschen Botanikern erkannten; namlich auf einer Seite den Mangel einer strengen, wissenschaftlichen Klassification und auf der anderen die unbe- stimmte Empfindung einer natiirlichen Verwandtschaft. In der That, eine strenge Klassification von Formen, die als constant an- genommen werden, schliesst jede natiirliche Verwandtschaft aus. Die Typen-Theorie, die Theorie der Einheit des organischen Bau- planes und desgleichen, sind in der That auf zweierlei Weise er- klarbar; sie konnen entweder als Ausdriicke eines schopferischen Planes, oder als reine platonische und archetypische Ideen ange- sehen werden. Beide Ansichten sind je nach dem durch theolo- gische und metaphysische Griinde haltbar, aber es kann nicht ge- leugnet werden, dass von dieser Einheit des Typus keine wissen- schaftliche Erklarung (d. h. in Bezug auf die Phanomene der na- tiirlichen Welt) existirt oder vielmehr existiren kann. Die noth- wendige Erklarung wurde von Darwin gegeben. Die Urpflauze von Goethe, die Typen von Cuvier und dergleichen warden mit einem Male verstandlich als schematische Darstellungen urspriing- licher Organismen, welche in verschiedenen und verandernden Um- gebungen in die grosse Menge existirender Formen differencirt worden sind. Alle die Rathsel der Struktur wurden gelost, „cha- rakteristische" und „abweichende", „fortschreitende" und „ruckge- bildete", „synthetische" und „isolirte", „dauernde" und „prophe- tische" Typen verwirren nicht mehr das Verstandniss. Die Pha- nomene der individuellen Entwickelung werden durch die Stamraes- geschichte erklart; die Entwickeluugs-Geschichte zerfiillt in Onto- genie und Phylogenie, indem die letztere in niihere Beziehung zur Palaeontologie tritt; die Klassification strebt nach der Reconstruk- tion des Stammbaumes. Alle diese Ergebnisse wurden deutlich entwickelt in dem bedeutendsten Werk dieser ncuen Periode, der 12 Patrick Geddes, „Generellen Morphologie" von Haeckel (1866); und die werthvollen gleiclizeitigeu „Principles of Biology" von Herbert Spencer lenk- ten besondere Aufmerksamkeit auf das Verhaltniss der Morpho- logie zur Physiologie. Der gegenwartige Zustand dieser Wissen- schaft ist leicht zu verstehen, wenn wir bedenken, dass die Na- turforscher, gleich den Organismen, welche sie untersucheu, jedem Entwickeluugsstadium entsprechen. In jeder Zeitschrift oder Reihe von Monographien ist eine Arbeit auf der Linn6'schen Stufe, eine andere auf der Cuvier'schen , eine dritte auf der Geoflfroy'schen, eine vierte auf der Darwin'schen , und unter diesen kommen zahlreiche „Zwischentypen" vor. Eine unuberlegte und iibermas- sige Arbeitstheilung, wegen unvollkommener allgemeiner Erkeunt- niss und Unaufmerksamkeit auf diese und jene Principien, schliesst stets einen grossen Verlust von Leben und Arbeit ein. Mit die- ser intellectuellen Anarchie hangt natiirlich eine materielle Anar- chie zusammen. Museen z. B. reprasentiren gewohnlich die Ueber- bleibsel der friiheren Perioden der wissenschaftlichen Kultur. Im ganzen jedoch, und besonders unter den Zoologen, streben die Uu- tersucbungen mebr und mehr die Ideale der „Generellen Morpho- logie" vollig zu realisiren ; eine Periode vereinter Arbeit der Mor- phologen und der Physiologen beginnt^). §. 2. Resultate. Obgieich das vorangebende nur ein schwacher Umriss der Entstebung und des Fortscbrittes der Morphologie ist, so kann dennocb keine dementsprecbende Skizze ibrer Resultate bier er- wartet werden. Eine Bescbreibung der gelauterten Anwendungen der Lebre der Metamorphose der Pflanzen, eine Untersucbung iiber die Morpbologie der Kryptogamen, oder ein Bericbt iiber so scbone Homologien, wie die der Artbropoden, oder der Ecbinodermen sind unmoglicb; nocb weniger konnen wir die bedeutenden Ver- einfacbungen des ausserst complicirten Problems der Struktur der Vertebraten erortern durch die neuen Tbeorien des Schadels von Gegenbaur und Parker, oder durcb solcbe geistreiche Entdeckun- gen wie die der Segmentalorgane , oder der Entstebung und Ho- mologien der spinalen und cerebralen Nerven. Ueber diese orga- nologischen Begriffe muss der Leser die Werke von Huxley, Ge- ^) Fiir Bibliographie vide Carus, Geschiclite der Zoologie; Sachs, Geschichte d. Botaiuk; Cuvier, Hist. d. Sci; Ds. G. St. Hilaire, Hist. Nat. Gen.; Masters in Med.-Chir. Eeview 1858 etc. Entwickelung und Aufgabe der Morpliologie. 13 genbaur, Haeckel, Balfour, Parker, Naegeli, Eichler, Asa Gray und anderen zu Rathe ziehen, und mit Hilfe der verschiedenen Jahres- berichte die laufende wissenschaftliche Literatur studiren. In solchen Werken muss man auch die unzahligen Versuclie iiber taxonomisclie Synthese suchen, welche der organologisclie Fort- schritt immer erregt. Embryologische Verallgemeinerungen , wie die Haeckel'sche Gastraea-Theorie, Lankester's wetteifernde Planula- theorie, oder die geistvolle Coelomtheorie von Hertwig sind neuer- dings griindlich in Balfour's Embryologie critisirt worden, Dieser Artikel wird sich beschranken einige Hauptprobleme kurz zu er- ortern, indem wir von der Zellenlehre und dem Problem organi- scher Individualitat ausgehen, welche besondere Bedeutung sowohl in sich als auch als illustrirende Beispiele besitzen, und welche in neuester Zeit nicht kurz zusammengefasst worden sind. §. 3. Histologie. Zellen-Lehre. Obgleich die Anwendung des einfachen Mikroscopes auf die Untersuchung der feineren Anatomie der Pflanzen und Thiere von dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts ausgegangen war, so leitet doch die moderue Histologie ihre wirkliche Entstehung erst von Bichats „Anatomie G6n6rale" (1801) ab, welche den Orga- nismus in eine Reihe von einfachen Geweben mit bestimmter Struktur zerlegt. Dieser ueue Anstoss und die fortschreitende Ver- besserung der optischen Hilfsmittel fiihrten zu zahlreichen energi- schen Untersuchungen, und „Fibrae" und „Globuli", „Laminae" und „Nuclei" wurden beschrieben, und sogar „Zellen" von Mirbel im Jahre 1806. Im Jahre 1835 entdeckte Johannes Miiller Zellen im Notochord gleich denen der Pflanzen. Die Zellen und Zellkerne der Epidermis und anderer thierischen Gewebe wurden bald nach- gewiesen, und der Kern in Pflanzenzellen von Robert Brown entdeckt. Im Jahre 1838 fuhrte Sell lei den alle pflanzlichen Ge- webe auf die zellige Struktur zuriick, und entdeckte, dass der Keim eine einzelne, kernhaltige Zelle ist; und im Jahre 1839 dehnte Schwann kiihn diesen Begritf der pflanzlichen Struktur und Entwickelung auf die Thierwelt aus, und stellte so die „ZelIen- theorie" fest. Schwann verstand unter der Zelle wesentlich ein Blilschen mit einem Kern und fliissigen Inhalt, welches in einer intracel- lularen Substanz entstand; aber diese Ansicht wurde bald auf- gegeben. Dujardin hatte entdeckt, dass die Korper der Foraminiferen 14 Patrick Geddes, aus kleberiger, granuloser, coiitractiler „Sarcode" bestanden, und unabhangig von ibm hatte von Mohl auf gleidie Weise den In- halt der Pflanzenzelle als Protoplasma beschrieben. Dieses wurde von Max Schultze 18G1 mit der Sarcode Dujardin's identifi- cirt, and er bewies, dass diese lebendc Substanz, im Gegensatz zu der Membran, der wesentliche Bestandtheil der Zelle sei; fortan ist der neuere Name Protoplasma geblieben, und Schultze's verbesserte Definition der Zelle als eine einzige kernhaltige Proto- plasmamasse wurde allgemein angenommen. Schon im Jahre 1824 batten Prevost und Dumas „die Segmentations-Theile" des Eics entdeckt, und diese wurden natiirlicb sogleich nach der Veroffentlichung des Sch wan nschen Werkes mit Zellen iden- tificirt. Im Jahre 1846 bewies Kolliker, dass alle Gewebe aus diesen Segmentationsmassen entstehen , und dass die Vermehrung der Thier- und Pflanzenzellen durch eine Fortsetzung desselben Processes stattfindet, namlich durch die Quertheilung, welche schon bei Protozoen beobachtet worden war. Nachdem diese Thatsachen festgestellt waren, wurden fur eine Zeit lang die Beobachtungen der Histologen von der Struktur der Zelle selbst abgewendet, und auf die Art und Weise ihrer Entstehung und ferneren Ditferencirung und Aggregation in Ge- webe und Organe concentrirt. Die microscopiscbe Struktur und Histogenesis der Pflanzen und wenigstens der hoheren Thiere sind mit immer grosserer und fortschreitender Genauigkeit erforscht worden. Pflanzliche und thierische Gewebe werden einfach classificirt sowohl nach ihren ausgewachsenen Formen als auch nach den Keimschichten, aus denen sie cntstanden sind. Diese Untersuchungen der pflanzlichen und thierischen Struktur, abgesehen von den speciellen Verallge- meinerungen des Botanikers und des Zoologen, haben viele Ergeb- nisse fiir die allgemeine Histologic geliefert. Die Verbesserung der Technik hat in den letzten Jahren viel fiir den Fortschritt in der Wissenschaft beigetragen. Man ist von dem Studium des Zellen-Aggregates zu dem der Zelle selbst zuriickgekehrt, und die Lehre von Zellstruktur darf wieder als die Hauptfrage der Histo- logic hingestellt werden. Der Process der Quertheilung wird neuer- dings viel erlautert. Eine Beschreibuug der Einzelheiten ist an diescr Stelle nicht gut moglich. Das Ergebniss aber lasst eine weit- gehende Uebereinstimmung festzustelleu selbst in Fallen die so verschiedenartig sind als die Pollenkorner in einer Bluthenknospe, die Epidermis einei- Kaulquappe, oder die Zellen einer Geschwulst Entwickelung unci Aufgabe der Morpliologie. 15 — eiii Ergebniss, welches die morphologische Vollstandigkeit der Zelleiitheorie ungemein erhoht. Aiidere Processe der Zellenver- mehrung sind auch nicht ohne morphologisches Interesse. Die Knospung, wie sie von der Bier-Hefe bekannt ist, kommt auch in andereu niederen einfachen Organismen vor, und darf wahrschein- lich mit der Formation der polaren Blaschen im Thier-Ei iden- tificirt werden, als eine Modification von Quertheilung. Schlei- den glaubte dass alle neuen Zelleu innerhalb anderer Zellen ent- stehen, und dieser Process, welcher ,.Freie Zell-Bildung" genannt wird , kaun wirklich in mehreren pfianzlichen und thierischen Ge- weben beobachtet werden. Das Protoplasma sammelt sich um neue Zellkerne herum, und die neuen Zellen entstehen in der That fast wie Schwann seinerseits angenommen hatte. Es ist jedoch bewieseu worden, dass diese Nuclei aus der Theilung des urspriing- lichen Nucleus entstehen , so dass dieser Process auch bios als eine Modification der allgeraeinen Quertheilung erscheint. Auch die Copulation (d. h. die Verschmelzung von zwei gleichartigen Zellen), welche sich bei Algen , Pilzen , und Protozoen beobachten liisst, wird als die unditferencirte Art jener Fertilisation betrach- tet, welche bei den hoheren Pflanzen und Thieren vorkommt, bei der die zwei gleichen Massen zu Eizelle und Antherozoid, oder zu Ovum und Spermatozoon difierencirt werden. Eine unbestimmte Zahl von amoeboiden Zellen fliessen bisweileu in eine einzige Masse zusammen, eine Erscheinung, welche von einigen als vielfache Co- pulation angeseheu wird , aber welche mit grosserer Wahrschein- lichkeit als eine fast mechanische Verschmelzung von erschopften Zellen betrachtet werden kann. Aus diesem Process konnte viel- leicht die eigentliche Copulation und die Fertilisation selbst ent- stehen. In gleicher Weise verschmelzen die amoeboiden Zellen bei hoheren Thieren, und so scheint diese Formation der „Plas- modien" eine tief gegriindete Beschatfeuheit der amoeboiden Zelle zu sein. Der Process der Verjiingung (welcher bei vielen der niedersten Pflanzen und Thieren z. B. Protococcus und Amoeba vorkommt, bei denen das Protoplasma von einer encystirten Ruhe- Stufe zu einer nackten und beweglichen iibergeht), hat viele Analoga nicht nur bei den Protisten , sondern auch selbst in den Geweben der hoheren Thiere. So konnen wir die Stadien, welche die niedersten Organismen mehr oder weniger zeigen, niimlich die encystirte, bewimperte, amoeboide und ijlasmodiale, als die funda- mentalen Formen eines Lebenskreises betrachten, welchen nur die ausserst niederen Organismen vollstandig zeigen, aber welcher nie- 16 Patrick Geddes, mals bei den anderen Thieren ganz verloren geht. Die hochsten Pflanzen und Thiere konnen daher als Aggregate von mehr oder weniger dififerencirten und verschieden angeordneten , encystirten, amoeboiden und bewimperten Zellen angesehen werden, indem ihre Entwickelung und folgenden Veranderungen, seien es norniale oder pathologische, mehr oder weniger bestimrate Stadien des ursprung- lichen Lebenskreises darstellen. Die Untersuchung der genaueren Art und Weise der Zellthei- lung, besonders durch Botaiiiker, hat in der letzten Zeit ein merk- wiirdiges Licht auf die Struktur des ausgewachsenen Organismus geworfen. In unseren Tagen wie in denen von Bichat und Schwann sind die Untersuchungen des Histologen, wenn sie ein hoheres Ziel als die blosse Vermehrung der beschreibenden Einzelheiten ver- folgen , von der hochsten morphologischen Bedeutung , und fuh- ren zu der Darlegung einer Einheit in der organischen Struktur, welche tiefer ist als die, welche wir Linn6 oder Cuvier, Goethe Oder Geoff roy, zu verdanken haben. §. 4. Individualitat. Wahrscheinlich findet man, dass ilber keinen Gegenstand in dem ganzen Gebiete der Biologie weitgehender discutirt worden ist als iiber die organische Individualitat. Die Geschichte dieses Streites ist interessant , nicht nur well sie uns zu festen Erfolgen fiihrt, sonderu auch weil sie dient, vielleicht besser als irgend ein anderer Fall, die langsame Befreiung der Naturwissenschaft von dem Eiufluss des Scholasticismus zu zeigen. Indem man von der otfenbaren Einheit und Untheilbarkeit des Menschen und der an- deren hoheren Thiere ausging, und eine solche Definition annahm wie die von Mirbel (doch eine hochst unwissenschaftliche) „Tout etre organist, complet dans ses parties, distinct et separ6 des autres etres, est un individu", wurde es unzahlige Male versucht, denselben Begriff anderswo in der Natur zu finden, oder vielmehr, ihn alien anderen Wesen, Pflanzen und Thieren, aufzudrucken. Die Ergebnisse der verschiedenen Forscher waren natiirlich ausserst widerstreitend. Es schieu leicht und natiirlich, einen Baum oder eine Pflanze iiberhaupt als gleichgeltend mit einem Thier als Indi- viduum betrachtet zu identificiren , aber sogleich erhoben sich Schwierigkeiten. Viele scheiubar einzelne Pflanzen konnen von einer gemeinschaftlichen Wurzel entstehen , oder man kann eine einzelne Pflanze in Aste, Zweige, Sprosse, Knospen, oder sogar Blatter zerlegen, uiid alle diese Theile konnen oft abgesondert Entwickelung und Aufgabo der Morphologie, 17 existiren. Diese sind wicder in Gewebe uiid Zellen theilbar, die Zellen in Protoplasma und Nucleus, diese endlich in Protoplasma- Molecule, und diese in Atome. So geht die Frage ganz iiber das organische Gebiet der Naturwissenschaft heraus, und tritft den alten Streit uber die letzte Theilbarkeit des Stoiies. Kurz, wie Hack el zeigt, kann kaum ein Theil der Pflanze genannt werden, der nicht von Eincm fiir das Individuum gehalten worden ist. Es ist daher nothig kurz einige Hauptwerke iiber den Gegenstand anzufiihren , und diese konnen wir passend in zeitlicher Folge vornehmen. Wiihrend Cassini nahezu mit Mirbel darin iibereinstimmte, dass er jede einzelne Pflanze a Is ein Individuum anzusehen ver- suchte, ist die weiteste Auslegung des Begrities des Individuums die von Gallesio (1816), welcher das ganze Produkt eines Samen- kornes als ein Individuum anzusehen vorschlug, gleichviel ob dieses sich zu einer einachsigen Pflanze entwickelt, oder zusammenhiiu- gend sich ausdehnt wie eine Banyane , oder sich ungeschlecht- lich durch naturliche oder kiinstliche Mittel vermehrt, wie die Trauer-Weide oder wie Anacharis Canadensis. Von diesen beiden gibt es nach dieser Autfassung nur ein einziges Individuum in Europa, gliicklicherweise nicht in Zusammeuhang. Die alteste und zugleich am haufigsten behauptete Ansicht betrachtet die Knospe oder den Spross mit einer einzigen Axe und Blattanhiingseln als das Pflanzenindividuum , also den Baum als eine Kolonie, gleich einem verastelten Korallenstock. Diese Anschauung, welche oft Aristoteles (wie es scheint ohne Grund), zugeschrieben wird, kommt bestimmt in den Werken von Hippocrates und Theophrastus vor; der letztere sagt „Die Knospe witchst auf dem Baum wie eine Pflanze im Boden." Das Apho- risma von Linne „Gemraae totidem herbae" ist wohlbekannt, und in dieser Ansicht stimmten C. F. Wolff und Humboldt uber- ein, wiihrend Erasmus Darwin sie durch Thatsachen der Ana- tomie und Entwickelung unterstiitzte. Der bedeutendste Verthei- diger der Knospentheorie in der ersten Halfte dieses Jahrhunderts war Du Petit Thouars, welcher zwar (wie gewohnlich) von einem „Principe unique d'existence" ausging, aber seine Theorie mit zahl- reichen (weim auch zum grossen Theil unrichtigen) Beobachtungen iiber die Structur und das Wachsthum des Stengels unterstiitzte. Fiir ihn ist der Baum eine Colonic von Phyten, deren jedes eine Knospe mit ihrem achsenstandigen Blatt und einem Teil von dem Stengel und der Wurzel ist. Abgesehen von vielen geringeren Bd. XVIII. N. F. XI. o 18 Patrick Geddes, Forschern kommen wir zu dem Hauptwerk von Alexander Braun (1853), in welchem, wie Sachs gesagt hat, die unzuliissige Ver- eiuigung der Naturphilosophie mit inductiver Morphologie das Ausserste erreichte. Braun kritisirt jedoch alle vorhergeheuden Theorien, er gesteht die Schwierigkeit zu, irgend eiue zu bewei- sen, weil die Pflanze physiologisch betrachtet vielraehr ein Divi- duum als ein Individuum sei. Er schlug als Compromiss vor, Oder vielmelir als eine theilweise Losung des Knotens, die An- nahme des Sprosslings als morphologisches Individuum ; einem Thier vergleichbar , besonders, weil der Sprossling (ungleich der Zelle und dem Blatt) alle die vortretenden Merkmale der Species enthalt. Darwin und Spencer nehmen im allgemeinen die Knospe oder den Sprossling als das auf jeden Fall bestimmteste Individuum. Die Theorie der Metamorphose fiihrte natiirlich Goethe, Oken und andere dazu, das Blatt als das Individuum anzusehen, wahrend Johannes Mliller, Steenstrup und andere aus verschiedenen physiologischeu Griinden dieselbe Ansicht annahmen. Gaudichaud brachte eiue Theorie vor, welche zwischen dieser Ansicht und der von Du Petit Thouars liegt, und nach welcher die Pflanze aus Individuen gebaut wird, von denen jedes aus einem Blatt mit seinem darunter liegenden Zwischenstiick besteht, wel- ches als Blattgrund angesehen wurde. Diese Theorie wurde von Edward Forbes und anderen vertheidigt, wahrend die schein- bar umgekehrte Ansicht, welche das Blatt bios fiir eine iiusser- liche Ausdehnung des Stengelsegmentes halt, von Hochstetter vorgeschlagen wurde. Mehrere Versuche, die verschiedenen Gewebe (z. B. die Gefass- biindel) als die constituirenden Individuen anzusehen, konnen iiber- gangen werden; jene jedoch, welche mit der Zellentheorie zusam- menhangen , sind von grosserer Wichtigkeit. Schwann hatte sich fiir die Zelle eutschieden, und hielt die Pflanze fiir eine Zel- lenkolonie, in der die einzelnen Elemente mit den Bienen eines Schwarmes verglichen wurden, eine Ansicht, mit welcher Schlei- den, Virchow und andere Begriinder der Zellenlehre im we- sentlichen iibereinstimmten. Aber obgleich die Struktur und die Functionen der Pflanze fundamental und ausschliesslich cellular sind, ist es unmoglich zu verkennen, dass (ausser in den niedrig- sten Organismon) die Zellen grosseren Aggregaten untergeord- net und diflerenzirt, und in Wirklichkeit fast wie die Steine eines Gebaudes sind ; und daher die spateren Theorien, welche wir schon erwahnt haben. Von den Versuchen das Individuum in dem Zell- Entwickelung und Aufgabe der Morphologie, 19 kern oder in den Protoplasmakornchen zu finden, ist es natiirlich unnothig, weiter zu sprechen. So weit die Theorien von absoluter Individualitat. Die Ent- wickelung des Begriffes der relativen Individualitat wird von F i s c h vorziiglich erlautert, von den mehr oder weniger unbestimmten Andeutungen in den Schriften von Goethe, Roeper und dem alte- ren De Candolle aus, bis zu seiner klaren Darstellung von Al- phonse de Candolle und von Schleiden, welche beide die Zelle, den Sprossling, und die vielachsige Pflanze fiir drei auf einander folgende und untergeordnete Kategorieen halten. Auch Nageli erkannte nicht nur die Nothwendigkeit , eine solche Reihe (Zelle, Organ, Knospe, blatttragende Axe, vielachsige Pflanze) aufzustellen, sondern auch den Unterschied zwischen morphologischer und phy- siologischer Individualitat, welcher nachher von Haeckel bestimmter dargelegt wurde. Abgesehen von den Schwierigkeiten , welche sogar bei den Protozoen sich erheben, finden wir, dass ein ahnlicher Streit (aus- fuhrlich in Haeckel's Kalkschwammen besprochen) iiber die Indi- vidualitat der Schwamme stattgefunden hat. Wiihrend die friihe- ren Beobachter zufrieden waren, jede Schwammmasse als ein Indi- viduum anzuseheu, in welcher Anschauung Lieberkiihn und andere Monographen im wesentlichen ubereinstimmten, fiihrte die Anwen- dung des Microscopes zu der von James Clark angedeuteten und noch von Saville Kent eifrig behaupteten Ansicht, namlich dass der Schwamra ein Staat von amoeboiden oder Infusorien-Indivi- duen ist. Carter sah die einzelnen flaschenformigen Sacke als die wahren Individuen an, wahrend Oscar Schmidt das Individuum durch den Besitz einer einzigen Ausstromungsoffnung definirte und die Schwamme in einzelstehende und gesellschaftliche unterschied. Spiiter jedoch nannte er die Schwamme „Zoa impersonalia." Fiir die hoheren Thiere ist das Problem , obgleich vielleicht noch schwieriger, nicht so hervorragend. Wie Haeckel bemerkt, nehmen die friiheren Erorterungen und sogar der verhaltnissmas- sig spate Versuch von Johannes Miiller einen fast bios psycholo- gischen oder wenigstens physiologischen Gesichtspunkt an, und die morphologische Ansicht der Frage erschien erst, als die Unter- suchuug vieler niederen Formen (z. B. der Cestoden und Sipho- nophoren) die Schwierigkeiten aufgedeckt hatte, mit denen die Botaniker so lange bekannt gewesen. Mit dem raschen Fort- schritt der Embryologie erhoben sich auch neue Probleme, und im Jahre 1842 fiihrte Steenstrup den Begriti des „Generations- 20 Patrick Geddes, wechsels" ein, als eine Entstehung von verschiedenen Individuen a u f z w e i W e g e n , die fiir ihn wesentlich gleichartig waren, namlich die geschlechtliche von befruchteten Weibchen, und die uugeschlecht- liche von nicht befruchteten „Ammen". Diese Ansicht wurde von Edward Forbes und vielen anderen Naturforschern angenom- men, aber von Carpenter und von Huxley scharf verurtheilt. In Leuckart's ausgezeicbneter Abbandlung iiber den Polymor- phismus (1853) wurden die Sipbonophoren als Colonien analysirt, und ihre verschiedenen Organe als morphologisch equivalent be- wiesen, wahrend Steenstrup's Generationswechsel auf einen Fall von Polymorphismus in der Entwickelung zuriickgefiihrt wurde. Leuckart unterschied ferner theilweise zwischen Individuen ver- schiedener Ordnung und auch zwischen morphologischer und phy- siologischer Individualitat. Im Jahre 1852 schlug Huxley die Auffassung vor, welche er noch jetzt im wesentlichen behauptet. Ausgehend von der un- zweifelhaften Homologie zwischen der eitragenden Ausstiilpuug der Hydra und einem frei schwimmenden Medusoid, weist er nach, dass die Bezeichnung, welche dem letzteren gegeben wird, logisch auch der ersteren gehoren muss. Er vermeidet die Verwechslung zwischen dem Organ und dem Individuum , indem er das thieri- sche Individuum (wie Gallesio das pflanzliche) als das ganze Pro- duct eines einzigeu befruchteten Eies definirt ; so nennt er den Schwarm von Aphiden oder von freien Medusen, welche nach dieser Ansicht zu einem Individuum gehoren, „Zooiden". In dem Systeme der thierischen Morphologic von Carus (1853) wurde eine andere Theorie vorgebracht; doch nachher scheint das Problem in Vergessenheit gerathen zu sein, bis 1865, wo es der Gegenstand einer in die Lange gezogenen und fruchtbaren Erorte- rung in den Principles of Biology wurde. Spencer nahm als die morphologische Einheit die Zelle an, welche er als ein Aggre- gat der niedersten Ordnung und selbst aus physiologischen Ein- heiten zusammengesetzt definirte ; er bemerkte , dass diese ent- weder einzeln existiren konnen, oder allmahlig Verbiudungen bilden zu Aggregaten zweiter Ordnung, wie die niederen Algen, deren Individualitat mehr oder weuiger bestimmt ist. Die Vereinigung solcher secundaren Aggregate oder zusam- mengesetzten Einheiten zu Individuen einer noch hoheren Ordnung wird durch solche tJbergangsstufen wie die hoheren Algen oder die Lebermoose verfolgt, von deren Thallus die Axen und An- haiigsel der Monocotyledonen und Dicotyledonen sinnreich abge- Entwickelung und Aufgabe der Morpliologie. 21 leitet werden. Der Sprossling einer Phanerogame ist daher ein Aggregat dritter Ordnung ; verastelt wird er zum Aggregat vierter uud holierer Ordnung, und ondlicli als eiu „Baum erreicht er einen Grad der Zusammengesetztheit, welcher zu hoch complicirt ist als dass er uoch definirt werden konnte." Bei den Thieren befolgte er dieselbe Methode. Die Protozoen sind Aggregate erster Ord- nung. Diese zeigen gleich den Pflanzen unbestimmte tlbergangs- stufen, z. B. Radiolarien, Foraminiferen, Schwamme, zu bestimmten zusaniniengesetzten Einheiten wie die Hydra. Solche secundiire Aggregate vermehren sich durch Knospung zu bestandigen Aggre- gaten dritter Ordnung, welche alle Grade der Integration dar- stellen bis zu dem der Siphonophoren , wo die Individualitaten der Polypen in der des Aggregates fast verloren gehen. Die samnitlichen segmeutirten Articulaten werden zuniichst als mehr Oder weniger integrirte Aggregate dritter Ordnung betrachtet ; die niedereu Anneliden sind die weniger entwickelten Formen, wah- rend die Arthropodeu die am hochsten integrirten und entwickel- ten sind. Die Molluskeu und Wirbelthiere werden als Aggregate zweiter Ordnung angesehen. Im Jahre 1866 erschien die letzte classische morphologische Arbeit, die „Generelle Morpliologie" von Haeckel. Hier wird die reine Morpliologie in zwei untergeordnete Wissensdiaften einge- theilt: die erste Strukturlehre oder Tektologie, welche den Orga- nismus als aus organischen Individuen verschiedener Ordnung zu- sanimengesetzt betrachtet; die zweite im wesentlichen stereo- metrisch, Promorphologie. Auf die Tektologie, oder die Lehre der organischen Individualitat ist ein grosser Theil des Werkes verwendet. Er verwirft die Lehre der absoluten Individualitat als ein metaphysisches Dogma, und geht von der Ansicht von Schleiden, DeCandolle, und Nageli, von mehreren auf einander folgenden Kategorien relativer Individualitat aus; er uuterscheidet deutlicher als vorher zwischen dem physiologischen Individuum (oder Bion) , welches durch Bestimmtheit und Selbst- standigkeit der Function characterisirt wird, und dem morpholo- gischen Individuum (oder Morphon), welches in gleicher Weise durch Bestimmtheit der Form characterisirt wird. Von dem letz- teren stellte er sechs Kategorien folgendermassen auf: I. Plastiden (Cytoden und Zellen) oder Eleraentarorganis- men. II. Organe (Zellenstocke oder Zellfusionen) , einfache oder ho- 22 Patrick Geddes, moplastische Organe (Gewebe), zusammengesetzte oder hetero- plastische Organe, Organsysteme, Organapparate. III. Antimeren (Gegenstucke oder homotype Theile) : Strahlen der Strahlthiere, „Halfteii der bilateral-symmetrischen Thiere". IV. Met am er e n (Folgestiicke oder homodyname Theile): „Sten- gelglieder" der Phanerogamen , „Segmente", Ringe oder Zo- niten der Gliederthiere und Wirbelthiere etc. V. Personen (Prosopen): Sprosse oder Gemmae der Pflanzen und Coelenteraten etc. „Individuen" im engsten Sinne bei den hoheren Thieren. VI, Gormen (Stocke oder Colonieen): Baume, Straucher etc., zusammengesetzte Pflanzen, Salpenketten, Polypenstocke etc. — In seiner spatereu Monographie iiber die Kalkschwamme, und in einem Schlussaufsatz andert H a e c k e 1 diese Kategorien etwas dadurch, dass er eine Kategorie des grossten Umfangs, namlich das Idorgan , an die Stelle der drei einzelaen Ordnungen der Or- gane, der Antimeren und der Metameren einschiebt. Das Idorgan (natiirlich deutlich von dem physiologischen Organ oder Biorgan unterschieden) wird als eine morphologische Einheit, aus zwei oder mehr Plastiden bestehend, ohne dass sie die positive Charakter- Eigenschaft der Person oder des Stockes besitzt, definirt. Die Idorgane werden ferner in Homoplasten oder Homoorgane und Allo- plasten oder Alloorgane unterschieden; die erste Gruppe umfasst Plastidaggregate und Plastidverschmelzungen , die letztere Ido- meren, Antimeren und Metameren. Die friihere Deiinition des Namens An timer, welcher so- wohl jeden einzelnen Strahl eines Strahlthieres als auch die rechte und linke Halfte eines bilateral symmetrischen Thieres bezeichnete, wird verbessert, indem jeder Strahl ein Paramer und seine symmetrischen Halften die Antimeren genannt werden. So hat eine gewohnliche Meduse 4 Parameren und 8 Antimeren, und ein Seestern 5 und 10. Der Begrifl der Person wird weit- gehend abgeandert, nicht nur indem Haeckel die Vergleichung des Thieres mit dem pflanzlichen Sprosse zuriickzieht, und indem er die Antimeren und Metameren als nothwendige Bestandtheile auslasst, sondern auch indem er die embryonale Form aller Meta- zoen , die Gastrula , und ihre hypothetische Urvertreterin die Gastraea, als die einfachste und alteste Form der Person annimmt. Die verschiedenen morphologischen Grade, welche die Person er- reichen kann, werden in 3 Reihen classificirt: Entwickelung und Aufgabe der Morphologie. 23 (1.) MonaxialeO uugegliederte Personen, d. h. einachsige und ungetheilte, ohne Autimereu und ohne Metameren z. B. Schwiinime odor die niedersten Hydroiden, Gastrula etc. (2.) Stauraxiale uugegliederte Personen, mit xlntimeren aber ohne Metameren, z. B, Koralle, Meduse, Turbellarie, Trematode, Bryozoon etc. (3.) Stauraxiale gegliederte Personen, mit Antimeren und mit Metameren, z. B. Anneliden, Arthropoden, Vertebraten. Die Colonien der Protozoen sind bios Idorgane. Wahre Gormen, aus verbundenen Personen bestehend, konnen nur bei Schwammen, Hydroiden, Siphonophoren, Corallen, Bryozoen, Tunicaten, Echino- dermen vorkommen. Die scheinbaren 5 Parameren der letzteren werden als 5 hoch diiferenzirte, gegliederte Personen eines stark- centralisirteu (fiinfstraliligen) Stockes, gleich einer Wurmkolonie angesehen. Diese Gormen lassen sich weiter nach dem morpho- logischen Grad ihrer constituirenden Personen eintheilen. Ge- wohnlich sind sie durcli Knospung aus einer einzelnen Person entstanden, bei Schwammen und Korallen bisweilen auch durch die Verschmelzung mehrerer, urspriinglich getrennter Personen oder Gormen. Die Lehre von den verschiedenen auf einander folgenden sub- ordinirten Ordnungen der Individualitat wird von Haeckel nicht nur durch historische Kritik der Theorie abgeleitet, sondern auch in Ubereinstimmung mit den wirklichen Thatsachen der Entwicke- lung und Abstammung gebracht, indem verschiedene Gruppen auf ihre bestimmten Kategorien zuriickgefiihrt werden. Das ubrige Problem der Tektologie, namlich die Beziehung der morphologi- schen zu der physiologischen Individualitat, wird endlich aus- ftihrlich erortert. Drei Kategorien von physiologischer Individua- litat werden vorgeschlageu (1.) „das virtuelle Bion oder vollstan- standige physiologische Individuum" d. h. jede vollstandig ent- wickelte organische Form, welche den hochsten Grad morpholo- gischer Individulitat erreicht hat, der fiir sie, als den Vertreter der Species, characteristisch ist; (2.) das „virtuelle Bion oder potentielle physiologische Indi- viduum", — jede unvollkommen entwickelte Form der letzteren, von dem Ei an auf warts; (3.) das „partielle Bion oder scheinbare physiologische Indivi- duum", — jeder Theil des actuellen oder virtuellen Bion, welcher ^) Fiir Erklarung dieser Ausdriicke vide §. 5 , Promorphologie. 24 Patrick Geddes, eine temporare Selbstandigkeit besitzt, ohne jedoch seine Species zu reproduciren. Diese letzte Kategorie hat jedoch geriugere Be- deutimg 1). Die Haeckel'sche Theorie in ihrer friiheren Form war von Gegenbaur und anderen Morphologen angeuommen worden ; in ihrer spateren Form auch von Jager, welch er jedoch die Kategorie des Idorgaues verwirft, aus dem Grunde, weil jeder naturliche Korper, der chemische Veranderungen durch seine Umgebung er- leidet, mehr oder weniger in concentrische Schichten diii'erenzirt wird. Dieser Gegenstand, besonders was Thiere betrifft, wurde neuerdings in einem grossen Werk von Perrier erortert. Indem er von der Zelle oder Plastide ausging, nannte er eine bestandige Kolonie eine „Meride"; diese bleiben entweder einzeln wie bei Sa- gitta und Rotifer, oder vermehren sich durch Knospung zu hohe- ren Aggregaten, die er Zoiden nennt. Solche Zoideu konneu irre- gulare, strahlige oder lineare Aggregate sein, von denen beson- ders die zwei ersten Klassen als „Demen" bezeichnet werdeu. Das Organ — das Morgan von Haeckel — wird ausgeschlossen, weil die Gewebe und Organe durch Arbeitstheilung in den anatomischen Elementen der Meriden entstehen; sie haben nur eine secundare Individualitat , „welche aufmerksam unterschieden werden sollte von der Individualitat derjenigen Theile, deren direkte Gruppirung den Organism us gebildet hat, und welche von einander getrennt noch leben oder gelebt haben". Perrier deutet feruer an, dass undiiierenzirte Kolonien festsitzend sind, wie die Schwamme und Korallen; wahrend ein frei beweglicher Zustand mit der Concen- tration und Integration der Kolonie zu einem Individuum hoherer Ordnung verbunden wird. So weit die Theorien des Gegenstandes ; eine ausfiihrliche Kritik ist uumoglich; man muss jedoch eine synthetische und ver- kntipfende Anschauung suchen. Ausgehend von der Zelle als der morphologischen Einheit finden wir, dass diese homogene Aggre- gate in einigen Protozoen, und in der fruheren Entwickelung des Eies bildet ; aber Integration zu einem Ganzen sowohl als Ag- gregation zu einer Masse ist rait dem Begriff der Individualitat wesentlich verbunden , die friiheste secundare Einheit ist daher die Gastrula oder Meride. Diese Stufe wird permanent von einer ^) Ueber Kritik dieser Theorie vide Fisch: „Aufzalilung und Kritik verschie^Tener Ansichten iiber das pflanzliche Individuum" Seite 11. Rostock 1880. Entwickelung und Aufgabe der Morphologie. 25 verastelten Hydra oder von eineni eiiifachen Schwanim oder von einer Planarie vertroten. Indessen diese socundiiren Einhoiteu konuen audi ihrerseits Aggregate bilden, entweder irreguliire wie bei den nieisten Scliwiinnnen, oder uubestimmt verastelte, wie bei den Hydroiden und Actinozoen , oder lineare, z. B. in soldien Pla- narien wie Catenula. Indem soldie Aggregate, Kolonien oder „Demen" nur in einigen Fallen zu einer bestinimten Einheit inte- grirt sind, wird eine Individualitat dritter Ordnung nur selten er- reidit, z. B, bei den verastelten Aggregaten von den Siphonopho- ren unter den Hydrozoen, oder von Renilla oder Pennatula unter den Actinozoen , bei den linearen Aggregaten von den hoheren Wurniern oder in einer noch vollkommneren Weise von Artbro- poden und Vertebraten. Aggregate einer nodi hoheren Ordnung komraen nur selten vor. Solche hohere Aggregate von tertiareii Eiuheiten werden nach der Haeckel'sdien Ansicht in dem Ediiiioderm integrirt, welches in dieser besonderen Weise eine vollkonmiene Indivi- dualitat vierter Ordnung erreicht. Eine Kette von Salpen zeigt eine Approximation zu demselben Rang, welcher noch vollstiindi- ger von einer strahlenforinigen Gruppe von Botryllen, rings um eine centrale Cloake heruni, erreicht wird; die ganze Kolonie einer sol- chen Ascidie vertritt das ludividuuni iunfter Ordnung in seiner anfiinglichen und unintegrirten Stufe. Alle diese Uebergangsstu- fen sind natiirlich leicht verstandlich, und, wie Spencer bewiesen hat, unvernicidlich nach der Descendenz-Lehre. Die Gewebc und Organe aus dieser Reihe auszuschliesseu ist eine nothwendige Folge. Ectoderm und Entoderm kounen nicht alleiu existi- ren; sowohl sie selbst als auch die Organe, zu welchen sie sich diiferenziren , entstehen, nach Jiiger, aus der coucentrischen La- mination, Oder nach Perrier, aus dem Polymorphismus der Glieder der Kolonie, welche beide mit organischem und socialem Leben verbundeu werden. Die Kategorie des Antimeres wird aus- gelassen , weil sie wesentlich ein promorphologischer Begriff ist ; denn ein Medusoid oder ein Seestern, obgleich von weit verschie- denen Ordnungen der Individualitat, konnen in gleicher Weise in Antimeren getheilt werden. Der Ausdruck iMetainer ist passend, um die secuudaren Einheiten eines linearen tertiiiren Individuums zu bezeichnen ; es ist jedoch uuwahrscheinlich, dass der Ausdruck „Person" bleiben wird , nicht nur wegen seiner untrennbaroii psy- chologischen Folgerungen, sondern audi weil der Name etwas uu- bestimmt fur Aggregate zweiter und dritter Ordnung gebraucht 26 Patrick Geddes, worden ist. Die Namen Colonie, Kormus oder Demus konnen ohue Uuterschied auf Aggregate primarer, secundarer, tertiarer, quar- tiiirer Orduuug angewendet werden, welclie zu eineni Ganzen nicht integrirt sind, und welche nicht die vollstandige Individualitat der uachst-hoheren Ordnung erreichen. Der Ausdruck „Zooid" ist auch unpassend, da er den Begritt" von iudividualisirten Organen einscMiesst, und da er zusammenhangt mit der Ansicht, dass die medusoiden Gonophoren eines Hydrozoon aus den homologeu Go- naden der Hydra sich entwickeln, wahrend in der That die letz- tere eine riickgebildete Form des ersteren ist. tJbergehend zu der pflanzlichen Welt finden wir, wie vorher, dass die Zelle die Ein- heit erster Ordnung ist, und dass Aggregate, welche fast jede Stufe in der allmahligen Entwickelung einer secundaren Einheit vertreten, in viel grosserer Zahl als bei den Thieren vorhanden sind. Eine vollkommene Einheit zweiter Ordnung kann kaum dem Thallus zugestanden werden, welcher nach der Meinung von Spen- cer zu tertiaren Aggregaten, namlich den hoheren Pflanzen zu- sammengesetzt und integrirt wird. Die embryologische Methode ist jedoch, wie bei den Thieren, vorzuziehen, indem sie grundlose Hypothesen vermeidet, und zu directen Ergebnissen fuhrt. Eine solche secundare Einheit wird von dem Keim der hoheren Pflan- zen klar dargestellt, in welchem das Zellenaggregat sogieich in Theile difterenzirt und zu einem Ganzen integrirt wird. Ein sol- cher Keim besitzt eine Axe mit Anhangseln wie die ausgewach- sene Pflauze. Aber die letzteren sind als Organe bios laterale Ausbreitungen der concentrischen Schichten, in welche der pflanz- liche Embryo, wie der thierische, difterenzirt wird ; sie entsprechen keiner bestimmteu Eutwickelungsstufe und sind zu getrenntem Le- ben nicht fahig, und so keineswegs zu dem Namen Individuum berechtigt. Der Keim, die Knospe, der Sprossling oder die ein- achsigc Pflanze gehoren daher alle zu der zweiten Ordnung der Individualitat, wie die Hydra, welcher sie gleichen. Wie die nie- dereu Coelenteraten bilden sie grossere Aggregate dadurch aus, dass sie auf ihrer niederen Stufe der Integration sich verastein. Aber solche Kolonien lassen sich kaum als Individuen dritter, viel weniger einer hoheren Ordnung, ansehen, am weuigsten wenn man die Einheit der Behandlung der Pflanzen und Thiere nicht auf- gibt, ohue welche cine philosophische Biologic verschwindet. In- dividualitat zweiter Ordnung wird in der vollkommensten Weise von der Bliithe erreicht, welche die am hochsten diflerenzirte und intcgrirte Form einer Axe mit Anhangseln ist, Ein solcher ein- Entwickelung und Aufgabe der Morphologie. 27 facher Bliithenstand wie eiiie Traube oder Dolde ist eiue Auuiilie- niijg zu einer Einheit dritter Ordimiig; diese letztcre dart" oiiiem Compositeu-Blutheukopfe zugestauden werden, wahrend oin zusam- niengesetzter Bliithenstand derselben auf dem Wege zu einer uoch hoheren Stufe ist. Wenn nun hochst wahrscheinlich eine Nonienclatur notliwen- dig ist, urn eine klare Vorstellung zu gcwinnen, lasst sie sich leicht nach dieser Ansicht aufstellen. Wenn wir ausgehen von der Einheit der ersten Ordnung, der Plastide oder Monade, und jedes unditierenzirte Aggregat als einen Demus bezeichnen, tiuden wir zunachst einen Monaden-Demus, welcher zu einer secundiiren Einheit oder Dyade sich integrirt. Diese Dyade steigt durch den Dyaden- Demus zur Triade auf. In gieicher Weise bildet sich die Triade zu Triaden-Denien, und diese ditierenziren sich zu Tetraden. Die Bo- tryllus-Kolonie , mit welcher die Entwickelung der zusammenge- setzten Individualitiit schliesst , ist ein Tetraden-Demus. Die ein- zeln lebendeEorm, ob monade, dyade, triade oder tetrade, ver- langt auch einen unterscheidendeu Namen, wofiir Person wahr- scheinlich als der passendste bleiben wird, well diese Anwen- dung mit den unvermeidlichen physiologischen und psychologischen Eolgerungen harmonirt. Das genealogische Individuum von Galle- sio und Huxley, welches sich fiir alle Kategorien anwenden lasst, diirfeu wir, mit Haeckel, das Ovum-Produkt oder den Ovum-Cyklus neunen; und die ganze Reihe der Formen, welche nothwendig sind, die Species zu vertreten , nennen wir Species-Cyklus ( — obgleich dieser mit dem ersteren zusammentrifft, ausser in den Fallen, wo die Geschlechter getrennt sind oder Polymorphismus vorkomnit — ). Fiir einen so eigenthiimlichen Fall wie Diplozoon paradoxum, in vvel- chem zwei getrennte Formen derselben Art sich fest vereinigen, und noch mehr fiir eine solche heterogene ludividualitat als die der Flechten, in welcher eine zusaumiengesetzte Einheit aus der Vereinigung von zwei ganz verschiedenen Formen — Pilzen und Algen — entsteht, werden vielleicht noch fernere Kategorien und Ausdriicke erforderlich werden ' ). §. 5 Promorphologie. Wie der Physiolog immer versucht, die Philnoniene der Func- tion nach mechanischeu, physischen und chcniischen Gesetzen zu ^) Yide Haeckel, Gen. Morph. I; Kalkscliwamme I; und Jena. Zeitsclirift X; Sachs, Geschichte d. Botanik; I'isch, Aufzalikmg und Kritik; Perrier, Les Colonies Animales, 1882. 28 Patrick Geddes, erkliiren, so ist der Morpholog geneigt, zu fragen , ob organische sowohl als niineralisclic Fornien iiicht durch eiu eiiifaches uiathe- luatisclies Gesetz ihre Erklaruug finden kouuen. Und wie der Krystallograph cine ideale, mathematische Form aus einem unvoll- komraenen oder zerbroclieuen Krystall construirt, so hat audi der Morpholog oft versucht, die complicirten gekriimniten Oberfliicheu der orgauischen Wesen auf einen bestimmten mathematischen Aus- druck zuruckzufiihren '). Cauoii Moseley (Phil. Trans. 1838) hat durch Messung uiid mathematische Analyse bewiesen, dass die gekrummte Oberflache irgend einer kreiselformigen oder discoiden Schuecke betrachtet werdeu kann als entstauden durch die Dre- hung einer Kurve, um die Axe derselben, welche immer ihre Aus- dehnung nach dem Gesetz der logarithmischen Spirale variirte. Fiir Goodsir erschien diese logarithmische Spirale, jetzt auf seinem Grabstein gemeisselt, als ein fuudamentaler Ausdruck organischer Kriimmung und die Dammerung einer neuen Epoche in der Natur- wissenschaft, namlich die der mathematischen Untersuchung orga- nischer Formen. Seine sorgfaltigen Messungen von Organen, und sogar von Zellen , schienen bald das Dreieck , bald das Tetraeder als die fundamentale Form zu ergeben. Aber solche scheinbare Ergebnisse, welche der Naturphilosophie ahnlicher waren , als der echten Mathematik, konnten nur dazu dienen, fernere Nachforschung und Theiluahme abzuschrecken. So finden wir, dass sogar die besten Lehrbiicher liber Botanik und Zoologie diesen Gegenstand verlasseu und sich begnugen, die einfachen geometrischen Grund- formen der Krystalle den vielfach gekriimmten und complicirten Linien und Flachen der Organismen gegeniiber zu stellen. Es sind aber andere Betrachtungen, welche zu einem mathe- matischen Begritf der organischen Form fiihren, die namlich der Symmetric und der Regelmassigkeit. Diese sind jedoch im allge- meinen nur wenig behandelt worden, indem die Botaniker seit Schleiden sich begnugen, die Organismen in drei Gruppen zu thei- len, (1) absolut irreguliire, (2) reguliire und strahlenformige, (3) bilateral-symmetrische oder zygomorphische. Die letzteren lassen sich in zwei Halften nur durch eine einzige Ebene zerlegen, die *) Die Wissenschaften der organischen und mineralischen Form werden so (wie Haeckel audeutet) durchaus analog werden. Wie die Promorphologie die Krystallographie der organischen Form entwickelt, so wird die Mineralogie im Studium solcher Erscheinungen wie die des Pseudomorphismus oder der Mineral -Entwickelung der organi- sirten Morphologie parallel. Entwickelung- und Aufgabe der Morphologie. 29 zweiten durch zwei oder mehr Ebenen, die ersteii gar iiiclit. Bur- meister und uoch mehr Bronn fiihrten die fundamentale Verbes- serung eiu, die matbematischen Formen nicht nach ihreu Ober- fljichen, sonderu nach ihren Axen und Poleu zu definireu, und Haeckel hat den Gegenstand ausgearbeitet mit einer Ausfiihrlich- keit der Einzelheiten und der Nomenclatur, welche ungliicklicher- weise ihr Studiura und ihre Annahme gehindert zu haben scheint. Wir wolleu die hauptsachlichsten Ergebuisse nach Haeckel, mit geringen Modificationen nach Jager (Lehrb. d. Zool. I. 283) bier kurz darstellen. Grundriss des promorphologisehen Systems von Haeckel. A. Aiiaxonia. Axenlose Formen und daher mit absolut irregu- larer Grundform, z. B. Amoeben und viele Schwiimme. B. Axoiiia. Formen mit bestimmten Axen. I. Homaxonia. Alle Axen gleich. (a) Kugeln, mit einer unbestimmten Anzahl gleicher Axen durch den Mittelpunkt der Kugel z. B. Sphaerozoum, Volvox. (b) Endopbaerische Polyeder, mit einer bestimmten Anzahl gleicher Axen. Diese Formen finden sich nicht selten in der Natur realisirt, z. B. bei vielen Radiolarien, Pol- lenkoruern, und sie lassen sich weiter nach der Zahl und der Regelmiissigkeit der Flachen clas- sificieren. II. Protaxonia. Alle Theile nehmen gegen eine Hauptaxe eine bestimmte Lage ein. (1) Monaxonia, mit nicht mehr als einer bestimmten Axe. Hierher gehoren (a) die gleichpoligen z. B. Sphaeroid (Coccodiscus) , oder Cylinder (Pyro- soma), (b) die ungleichpoligen z. B. Kegel (Co- nulina), oder Ei (Ovulina). (2) Stauraxouia, in denen ueben der Hauptaxe eine bestimmte Zahl secundarer, auf der ersten senk- rechter Axen zu unterscheiden siud, und deren stereometrische Grundform eine Pyramide ist. Auch hier kann man unterscheiden (a) die Gleichpoligen, Stauraxonia homopola, in denen die stereometrische Grundform eine Doppelpyramide ist. 30 Patrick Geddes, (b) Die uugleichpoligen, Stauraxonia heteropola, in denen die stereometrische Grundform die einfache Pyramide ist, und in denen wir einen basalen, gewohnlich oralen Pol unterscheiden, und einen apicalen, aboralen oder analen Pol. Die Basen konnen entweder regulare oder irregulare Polygoue bilden, und so natiirlich entsteht eine weitere Classification in Homo- stauren und Heterostauren. Die einfachere Formengruppe, die Homostauren, konnen ent- weder mit gerader oder ungerader Seitenanzahl vorkommen, und so haben wir bei den Homostauren geradzahlseitige und ungerad- zahlseitige, einfache oder doppelte Pyramiden. In denen mit gera- der Seitenzahl, z. B. Medusen, sind die perradialen und interradia- len Axen gleichpolig ; wahrend in denen mit ungerader Seitenzahl, z. B. den Echinodermen , jede Kreuzaxe zur Halfte aus einem Perradius, zur Halfte aus einem Interradius besteht. Zu der Gruppe der regularen doppelten Pyramiden gehort z. B. das zwolfseitige Pollenkorn der Passiflora mit der stereometrischen Grundform des hexagonalen Systemes, dem Hexagonal-Dodecaeder. Als Beispiele von den regularen Pyramiden mit gerader Seitenzahl (Heteropola homostaura) finden wir Alcyonium mit 8 Seiten, Geryonia mit G, und Aurelia mit 4; wahrend diejenigen mit ungerader Seitenzahl durch die fiinfseitigen Ophiuren und Primeln, oder die dreiseitigen Liliaceen und Juncaceen reprasentirt werden. In der hochsten und am meisten difierencirten Gruppe, den Heterostauren, ist das basale Polygon nicht mehr regular, sondern amphithect {af.iq>i d-rf/,Tog\ d. h. zweischneidig. Ein solches Poly- gon hat eine gerade Seitenanzahl, und lasst sich symmetrisch halbiren durch jede von zwei auf einander senkrechten Ebenen, welche das ganze Polygon in vier congruente Polygone zerlegen. Die langere Axe konnen wir lateral nennen, die kiirzere sagittal oder dorso-ventral, und diese zwei mit der Hauptaxe zusammen entsprechen immer den drei Dimensionen des Raumes. Ctenopho- ren sind Beispiele der achtseitigen, einige Madreporen der sechs- seitigen, und Cruciferen, einige Medusen, und Cestoden der vier- seitigen, amphithecten Pyramide. In diesen Grundformen sind die dorso-ventralen und late- ralen Axen gleichpolig, und wie in den vorhergehenden Monaxo- nien und Stauraxonien wird das Centrum des Korpers von einer Linie bestimmt, sie werden desshalb Centraxonia genannt, wah- Entwickelung iind Aufgabe dei- Morphologie, 31 rend die Horaaxonia, welche von einem Mittelpunkt bcstimmt werden, Centrostigma genannt werden. Hiervon verschieden sind die complicirtesten Formen , in welchen die Pole wenigstens der dorsoveutraleu Axe ungleich sind, und in welchen der Korper nicht in Beziehung auf eine Linie, sonderu q,uf eine mediane Ebene bestimmt wird. Diese werden darum Centrepipeda oder Zeugiten genannt. Ihre Grundform ist eiu Polygon mit gerader Seitenzahl , welches sich nur in zwei symmetrische Halften durch die eine mediane Ebene zerlegen lasst. Indem diese Grundform in der That die Halite einer amphithecten Pyramide mit der dop- pelten Seitenanzahl ist, wird sie folgerichtig eine halbe amphi- thecte Pyramide genannt. Die ganze amphithecte Pyramide lasst sich am besten vor- stellen durch die Verdoppelung dieser Grundform, wie in einem Spiegel. Man findet zwei Formen von halben amphithecten Pyrami- deu, von Haeckel Amphipleura und Zygopleura genannt; die ersteren umfassen die „bilateral-symmetrischen" oder irreguliiren radiiiren Formen friiherer Forscher, z, B. Spataugus, Viola, Orchis ; die Zygopleura umfassen die im engsten Sinn bilateral-symme- trischen P'ormen, in welchen nicht mehr als zwei radiale Ebenen, und diese auf einander senkrecht, vorhanden sind; ihre stereo- metrische Grundform ist eine halb-rhombische Pyramide, und sie werden von Haeckel weiter uach der Zahl der Antimeren in Tetrapleura und Dipleura getheilt. Die Promorphologie hat so gezeigt, dass das herrschende Dogma des fundamentalen Unterschieds zwischen organischen und raineralischen Formen falsch ist, und dass eine Krystallographie der organischen Formen moglich ist; die Form der Zelle oder des Zellen aggregates unterscheidet sich von dem Kry stall bloss durch den mehr oder weniger fiiissigen oder weichen Aggregat- zustand, sowie durch ihre erblichen Eigenschaften ; und ihre griis- sere Anpassung an die Umgebung, Die Classification in bilate- rale und radiale Formen, welche gewohnlich an der Stelle ge- nauer promorphologischer Begritfe steht, muss aufgegeben werden, indem sie wesentlich verschiedene Formen verwechselt , oder we- nigstens die Naraen miissen streng beschrankt werden, z. B. der Name radial auf regulare und doppelte Pyramiden, und bilateral auf die Centrepipeda, und zwar vielleicht auf die dipleuren For- men. Ebenso miissen die topographischeu und relativen Ausdriicke vorn und hinten, oben und unten, horizontal und vertical, durch Ausdriicke, welche wir oben auf die Axen und Pole anwendeten — 32 Patrick Geddes, naralich oral und oboral, dorsal und ventral, sagittal und lateral, rechts und links, ersetzt werden. §. 6. Natur der morpliologisehen Veranderungen. Naclidem die hauptsaclilichen Formeu der organischeu Struk- tur analysirt und classificirt worden sind, und ihre Individuali- tixtsstufe bestimmt, erhebt sich zuuachst die Frage, durch welche morphologische Veranderungen diese Formen entstanden sind, und in was fiir Kategorieen diese Arten der Dilferenzirung sich grup- piren lassen. Beim ersten Anblick scheiuen die Arten der Ent- stebung unzahlbar, doch in der That sind es nur wenige. Goethe hat sie etwas unbestimmt fiir die Bliithe als aufsteigende und absteigende Metamorphose, Ausdehnung und Zusammenziehung der Organe u. s. w. verallgemeinert ; aber eine sorgfaltige Aufziihlung zu geben, scheint zuerst Auguste de St. Hi la ire versucht zu haben, welcher Missbildungen , Zusammenwachsungen , Uebermass Oder „d6doubIement" , Metamorphose und Umstelluug der Organe erkannte. Spatere Forscher haben den Gegenstand in verschie- denen Weisen behandelt ; z. B. Asa Gray zahlte als Modificationen der Bliithe auf: Verwachsung, Zusammenwachsung, Unregelmassig- keit, Verkiimmerung , Nonalternation oder Anteposition , Vermeh- rung, Enation, abnormes Wachsthum der Axe, und andere mor- phologische Modificationen bei der Befruchtung. Diese sind often- bar zu zahlreich, wie am besten durch eine einzige Vergleichung rait der Ansicht eines Zoologischen Morphologen gezeigt werden kann. So erkennt Huxley in seiner Classification der Verte- braten nur drei Processe der Modificationen an, nicht nur in der Entwickelung der Equiden, soudern auch in der individuellen Ent- wickelung der Thiere im Allgemeinen , namlich (1.) Uebermass in der Entwickelung von einigen Theilen ira Verhaltniss zu anderen, (2.) theilweise oder vollige Unterdriickung einiger Theile, (3.) Ver- wachsung von urspriiuglich distincten Theilen. Es ist wahrschein- lich, dass dieses dreifache Gesetz der Entwickelung alle bekannten Falle der Veranderung einschliesst , sogar in der Bliithe; z. B. Chorisis und Peloria konnen als besondere Formen von iibermas- sigem Wachsthum angesehen werden ; Umstellung ist wahrschein- lich in alien P'allen nur scheinbar und in Wirklichkeit durch Ad- haesion oder Verwachsung erklarbar ^). — ^) Vide de St. Hilaire. Morphologie ; Asa Gray, Manual of Botany Seite 179 (1858); Huxley, Proceedings of the Zoological Society Seite 619. London, 1880. Entwickelung uud Aufgabe der Morphologie. 33 §. 7. Natur der morphologischen Ahnlichkeit. — Kategorien der Homologie. Alle die Schritte anzudeuten , wodurch der Begriif der mor- phologischen von dem der physiologischen Ahnlichkeit unterschieden worden ist, hiesse die ganze Geschichte der Morphologie behan- deln. Es muss hier genugen, die Tenninologie des Gegenstandes zu erlautern, welche, wie immer in solchem Fall, nicht nur als ein Anzeiger, sondern auch als ein Mittel des Fortschrittes gedient hat. Die Ausdrticke Homologie und Analogie wurden allmiihlich darauf beschrankt, die zwei erwahnten distincten Ahnlichkeiten zu bezeichnen , und sie wurden endlich festgestellt und klar defi- nirt von Owen ira Jahre 1843, indem er sagte, dass „dieselben Organe an verschiedenen Thieren unter jeder Veranderung der Form und Function homolog sind , z. B. die Vorderbeine des Draco volans und die Flugel der Vogel; und dass ein Theil oder Organ an einem Thier, welches dieselbe Funktion wie ein anderer Theil oder ein anderes Organ an einem anderen Thier hat, sein Ana- logon ist, z. B, die Flughaut des Draco und die Fliigel der Vogel." Ferner unterschied er drei Arten der Homologie: 1) specielle Ho- mologie, „welche schon vorher definirt wurde, namlich die Corre- spondenz eines Theiles oder Organes in Bezug auf seine relative Stellung und Verwandschaft rait einem Theil oder Organ in einem anderen Thier, z, B. des Basilar Process des menschlichen Occipital- Knochens rait dem Basi-Occipitale der Fische, diese Homologie zeigt, dass die Thiere nach einem gemeinschaftlichen Typus ge- baut sind. 2) Generelle Homologie ist das hohere Verhaltniss, in welchem ein Theil oder eine Reihe von Theilen zu dem fundamen- talen oder allgemeinen Typus steht , wie der vorerwahnte mensch- liche Knochen und das Centrum des letzten kranialen Wirbels; die Bestimmung dieser Homologie verlangt eine Erkenntniss des Typus, nach dem die betrachtete Gruppe aufgebaut ist. 3) Se- riale Homologie ist das vertretende oder repetirende Verhaltniss der Segmente desselben Skeletes ; z. B. das Basi - Sphenoid uud und Basi-Occipitale sind Homotypen ; diese Homologie wird nach- gewiesen, nachdem die generellen und speciellen Homologien be- stimmt worden sind." Diese Ausdrticke wurden nun zwar von den Naturforschern angenommen, aber das Kriterium der Analogie und Homologie fing an, fur Agassiz und andere Embryologen eine Beziehung sowohl zur Entwickelungsgeschichte als zur vergleichen- den Anatomic zu haben. Das ideale Urbild wurde auch immer Bd. XVUI. N. F. XI. 3 34 PatrickGeddes, weniger erwahnt. Absehend von den Erorterungen von Agassiz und Bronn, komraen wir zuniichst zu Haeckel, welcher den letz- teren kritisirt und seine Forschungen zum Theil angenommen hat. Haeckel stellte die seriale unter die generelle Homologie, und stellte Kategorien der Homologie auf, v^relche theilweise denen der Individualitat entsprechen: 1) Homotypie, — der Antimeren, und daher von der Homotypie von Owen abweichend; 2) Homodyna- mie, — der Metaraeren; 3) Homonomie der auf Queraxen liegen- den Theile. Ferner hat er specielle Homologie in Bezug auf die Identitat der embryonischen Entstehung bestimmt. Dieses letzte Verhaltniss wurde im Jahre 1870 von Ray Lankester betont, welcher Homologie in die zwei Kategorien Homogenie und Homo- plasie eintheilt. Durch die erstere, Homogenie, bezeichnete er die durch gemeinschaftliche Abstammung bedingte Ahnlichkeit. Durch die zweite, Homoplasie, bezeichnete er eine Ahnlichkeit der Stel- lung und Struktur, welche spater Theilen eigen wird, die im em- bryoualen Zustand verschieden sind. So ist das Vorderbein eines Siiugethieres mit dem eines Vogels homogen, aber die rechte und linke Herzkammer beider sind nur homoplastisch , indem sie von einander unabhangig seit der Abzweigung der zwei Gruppen von einer einherzkammerigen Stammform in Folge der Ahnlichkeit der physiologischen Bediirfnisse entstanden sind. Mivart schlug vor, Homologie als einen allgemeinen Ausdruck zu behalten und stellte zwei Unterabtheilungen , Homogenie und Homoplasie auf; er ar- beitete die Analyse mit der grossten Ausfiihrlichkeit aus, indem er zuerst 25 und spater 15 Arten der Ahnlichkeit unterschied: 1) Theile nur in Funktion gleich, z. B. Beine der Eidechse und des Hummers; 2) Theile gleich sowohl in Funktion als auch in relativer Stellung, z. B. Fliigel der Fledermaus und des Vogels; 3) Theile gemeinschaftlicher Abstammung, z. B. Vorderbein des Pferdes und des Rhinoceros; 4) Theile ahnlicher embryoualer Entstehung, was auch ihre ursprtinglichen Verhaltnisse in der Stammesgeschichte sein mogen, z. B. Occipital-Knochen von Pan- ther und Barsch; 5) Theile ungleicher embryonischer Entstehung, was auch ihre Verhaltnisse in der Stammesgeschichte sein mogen, z. B. Beine der Dipteren; 6) 7) 8) 9) 10) lateral, vertical, serial, antero-posterior, radial homologe Theile; 11) untergeordnete se- riale Homologa, z. B. Glieder der Antennen; 12) 13) seciindare und tertiiire untergeordnete seriale Homologien; 14) 15) specielle und generelle Homologien in Owens Sinne. In seiner Monographic der Kalkschwamme schlug Haeckel vor, die wirkliche phylogene- Entwiekelung und Aufgabe der Morphologie. 35 tische Homologie im Gegensatz zur Homomorphie, welcher die ge- nealogische Basis fehlt, Homophylie zu nennen. Zuletzt hat Jhe- ring eine Wiederholung der Ansicht von Lankester veroftentlicht. In dieser Erorterung wie in der der Individualitat ist es ofifenbar, dass wir es mit zahlreichen Eintheilungen zu thun haben, in denen sich logische Principieu durchkreuzen. Obgleich dieselben ohne Zweifel dem complicirten Gewebe der Verhaltnisse in der Natur entspreclien , verlangeu sie doch eine logische Auflosung. So mussen wir die Analogie functioneller Thatigkeit bei Seite setzen, sowie die damit verbundene Gleichformigkeit der ausse- ren Gestalt oder geometrischen Gruudform, z. B. bei Fischen und Cetaceen, Hydrozoen und Bryozoen, und anderen minietischeu Or- ganismen; und doch ziehen diese, wie uuser historischer Uber- blick zeigte, zuerst die Aufmerksamkeit auf sich. Aber in der That fallen diese homoplastischen oder homomorphischen Formeu, wie Haeckel gezeigt hat, ebenso gut in das Gebiet des Pro- morphologen, wie isomorphische Krystalle in das Gebiet seines anorganischen Kollegeu, des Krystallographen. Hier sollten auch „radiale", „verticale", „laterale" Homologien, „Homotypie der An- timeren", und alle Fragen der Symmetrie behandelt werden, wo- fiir die Haeckel'sche Nomenclatur , homaxon , homopolisch u. s. w. besonders vorzuziehen ist. Auf dem Gebiete der Tektologie oder Morphologie im gewohn- lichen Sinne konnen wir zunachst untersuchen , ob zwei Organismen von derselben Kategorie der Individualitat, d. h. homokategorisch sind; und in diese seriale Homologie wiirde als eine Unterab- theilnng kommen z. B. die Ahnlichkeit zwischen den Einheiten Oder den Theilen der Einheiten eines linearen ,Dyaden-Demus'. Ge- mass einem dritten Standpunkt , dem des Embryologen , verfolgen wir die Entwiekelung jedes multicellularen Organismus 1) von den Keimschichten und Systemen, in welche die secundare Einheit (sei es Gastrula oder Pflanzenkeim) sich differencirt; 2) von einem Monaden - Demus oder von einer Einheit niederer Ordnung der Individualitat. Die Theile oder Einheiten, welche in ontogene- tischer Untersuchung der Reihe nach als homodermisch , homo- systemisch, homodemisch erkannt worden sind, lassen sich dann passend, nach den Ausdrucken phylogenetischer Theorie, „speciell- homologisch", „homogenisch", „homophyletisch", „homogenetisch" bezel chnen. Diese drei Hauptklassen der morphologischen Corre- spondenz — promorphologisch, tektologisch und embryologisch — mogen oder mogen nicht zusammenfallen. Aber die vollkommenste 3* 36 PatrickGeddes, Homologie, in welcher alle Arten der Alinlichkeit sich vereinigen, und voD welcher sie sich differenciren, ergiebt die Zelleulehre und ihre wichtigste Consequenz, dass das Ei uberall eine einfache Zelle ist; Agassiz hat sie nicht mit Unrecht die „grosste Ent- deckung in der modernen Biologie" genannt ^ ). §, 8. Taxonomisohe Ergebnisse. Der Fortschritt und die Modification der Klassificationen, welche jedem morphologischen Fortschritt folgt, sind schon oben erwahnt worden. Die Taxonomie steht niemals ganz auf gleicher Stufe mit der morphologischen Erkenntniss. Dass sie viel Ver- besserung in der Gegenwart verlangt, ist unstreitig. Obgleich das Dogma der Constanz der Arten nicht mehr behauptet wird, so dauern doch seine Erfolge fort, und vielleicht die Mehrzahl der Gruppen braucht noch monographisch ausgearbeitet zu werden in dem verallgemeinernden Geist, mit dem Haeckel die Kalkschwamme behandelt hat, oder Carpenter, Parker und Brady die Foramini- feren. Die Vereinigung der Protophyten und Protozoen in den Protisten (eine Verallgemeinerung, welche weitere Untersuchungen bestiindig befestigen) schliesst das endliche Verlassen der mittel- alterlichen Erdichtung von den drei Reichen der Natur ein; die Erneuerung der „Organisata" von Linn6. Auch physiologische Vorurtheile sind noch nicht ganz ausgeschlossen , so z. B. die fort- wahrenden Versuche, Animalia und Vegetabilia durch physiolo- gische Merkmale (welche, selbst wenn sie in sich giiltig waren, unanwendbar sein wiirden) zu trennen. Eine strenge morpho- logische Richtschnur muss bei der Construktion der Classifica- tionen und der Stammbaume angewendet werden. Organismen sind „hoher" und „niedriger" nicht nach den Stufen ihrer Ent- wickelung in Schonheit oder Verstand, sondern (wie Huxley am deutlichsten gezeigt hat) nach ihrem Grade der morphologischen Dilierencirung durch tJbermass, Uuterdriickung oder Verwachsung. So muss die oberste Stellung des Menschen in der Klassification aufgegeben werden, weil die Primates nur eine der weniger spe- cialisirten, d. h. der niederen Ordnungen der Saugethiere sind, und die Saugethiere selbst im grossen Ganzen bestimmt weniger specialisirt als die Vogel , oder vielleicht sogar die hoheren Repti- ^) Fiir Bibliographie vide Ray Rankester. Annals and Magazine of Natural History 1870. Eatwickeluag imd Aufgabe der Morpliologie. 37 lien. Die morphologische Bedeutung der Pflanzenwelt siukt, wenn sie uach eineni solcheu Richtmass gemesseu wird. Die Cormo- phyten sind alle iiicbts mehr als eine Axe mit Anhangseln und als solche vergleichbar nicht mit der ganzen tliierischen Reihe, sondern nur mit jener Gruppe, welche homomorphisch oder viel- mehr isomorphisch ist, iudem sie auch auf eiue Axe mit Anhang- seln sich zuriickfiiliren lasst. Eine solche Gruppe linden wir in den Hydromedusen vor, aus denen wir im Geist alle die speciellen Dilierencirungen der pflanzlichen Welt uns ausbilden kounen, indem ein einziges Genus wie Clava oder Tubularia einen Ausgangspunkt fiir zahllose „natiirliche Ordnungen" liefert. §. 9. Verhaltniss der Morphologie zur Physiologie. Obgleich die reine Morphologie bloss die Gesetze der Struc- tur untersucht und die Begriffe des Lebens, der Umgebung und der Funktion streng entfernt , ist es doch wahr , dass ihre Unter- suchungen, wenn sie immer von physiologischen Betrachtuugen ferngehalten werden, unvollkommen und ihre Resultate unerklarbar, wenn nicht fast trtigerisch sein werden. Und so tief auch Jemand durch oberflachliche und Anpassungs-Merkmale hindurch zu einem permanenten und fundamentalen morphologischen Typus vordringt, so ist diese Form selbst nur eine friihere Anpassung und zeigt die verschwindenden Spuren einer noch friiheren Anpassung. Da- gegen die oberflachlichst angepassteu Eigenschaften, wenn sie auf zahlreiche, abweichende Nachkommen iibertragen werden, konnen eine hohe morphologische Wichtigkeit erreichen. Ein Organismus morphologisch betrachtet ist bloss statisch und wird, wie ein Wirbel oder Strudel nur dann recht verstandlich , wenn er in seinen dynamischen Verhaltnissen betrachtet wird. Und, obgleich die Darlegung der Einheit der Structur in der organischen Welt an sich ein grosses Ergebniss ist, so wird doch hierdurch das Verlangen nach einer tieferen Erklarung der Form in Bezug auf die Funktion und Umgebung nur um so dringender gemacht. Wir kounen ein Beispiel aus der Botanik geben. So erklart Airy schon die Erscheinungen der Phyllotaxis als Anpassungen an das Leben der Knospe. Oder in dem Fall einer gewohnlichen Bluthe, z. B. der Taubnessel, werden alle Eiuzelheiteu der Form von dem Sy- stematiker mit gleicher Ausfiihrlichkeit beschrieben, ein Verfahren, welches abgesehen von specifischer Identification keinen weiteren Werth hat. Aber diese Einzelheiten erhalten eine andere Behand- lung von den zwei verschiedenen Standpunkten des Morphologen 38 PatrickGeddes, und des Physiologen. Der letztere, fiir welchen die Form nur so weit wichtig ist, als sie die Funktionen erklart, zeigt wie der zahe, bleibende Kelch ein Schutz gegen verschiedene Gefahren ist, wie die Blumeukrone als Lockmittel fiir die befruchtenden Bienen dient , welclie in ihrer Unterlippe eine Landungsstelle, und in je- dem seitlichen Nebeulappen eine Stiitze finden, walireud die Ober- lippe zugleich den Pollen gegen Regeu schiltzt und die Kriimmung der Staubgefasse verursacht. Und ferner diese Kriimmung der Staubgefasse mit ihrer Zwei-Machtigkeit und Mittel-Lage, und das Vorhandensein von zwei langs aufgehangten Staubbeuteln sind alles Anpassungen, um mit Hilfe des liaarigen Ruckens einer Biene die ahnlich gestellte Narbe einer anderen Bliithe zu treffen u. s. w. Der Morpholog dagegen analysirt den Kelch in seine fiinf ihn bil- denden Blatter, fiihrt die Blumenkrone auf einen regelmassigen fiinftheiligen Typus zuruck, bestimmt die Stellung der vier Staub- gefasse und behauptet den Verlust eines weiter zuriickgelegenen fiinften , findet , dass der Fruchtknoten urspriingiich zweiblattrig ist u. s. w. In dieser Weise erreicht er eine schematische Vor- stellung nicht von einem architypischen Urbild, sondern von einer wirklichen Stammform. Aber diese Grundform selbst regt eine neue Reihe von Betrachtungeu, sowohl morphologische als physiologische an; es kommt nun die Entstehung einer urspriinglichen Bliithe aus einem farnahnlichen Cryptogam in Betracht, dessen Laubblat- ter, Hiillen der sporen-tragenden Blatter, Micro- und Macro-spo- rangiophoreu in aufsteigender Folge diflerencirt wurden; dessen Microsporen, jedeufalls durch die Vermittlung eines sporen-fres- senden Insectes, auf dera Makrosporangium anstatt auf dem Bo- den gekeimt hatten ; und an welchem durch die gleichzeitige Ent- wickelung der Bliitheufarben , welche schon bei den Thallophyten auftreten, diese bedeutende Veranderung (offenbar vortheilhaft, indem sie die Fertilisation sicherer und sparsamer macht), bis zur Constanz befestigt wurde. So hat der Morpholog, obgleich er Betrachtungeu der Teleologie und Funktion von seinen ana- tomischen Untersuchungen ausschliesst , doch ein physiologisches Ideal, und kommt friiher oder spater zu einer neuen Reihe von Fragen, nilmlich denen nach der gegenseitigen Abhangigkeit der Struktur und der Funktion. Milne Edwards' Gesetz der physio- logischen Arbeitstheilung, Dohrn's Grundsatz des Funktionswech- sels, die Theorien von Claude Bernard, Spencer und Haeckel, solche experimentelle Untersuchungen wie die Sempers, in welchen Thiere speciellen Modificationen ihrer Umgebung unterworfen werden und Entwickelung und Aufgabe der Morphologie. 39 dergl., sind alle Beitrage zu dieser neuesten und hochst entwickel- ten Abtheilung der Morphologie. Solche Ideen werdeu sogar iu dem Studium der cellularen Morphologie angewendet. So hat Spencer das Verhaltniss der Zellformen zu ihren Umgebungen be- wiesen und James hat geistvoll das Entstehen der Zelltheiluug durch das schnelle Zunehmen der Masse im Verhaltniss zur Oberflache, welches das Wachsthum eines festen Korpers herbeifuhrt, und die verhaltnissmassig grossere Schwierigkeit der Ernahrung erklart ; und der Verfasser hat versucht, die Formen von freien und ver- einigten Zellen als die Dilierencirungen eines (protomyxoiden) Cy- clus zu erklaren, in welchem die Veranderungen der Funktions- thatigkeit mit der Annahme passeuder Formen verbunden worden sind, indem die ganze Reihe der Veranderungen auf den veran- derten Eigenschaften des Protoplasmas unter den Variationen der Kraftlieferung von der Umgebung abhangt. Rauber, His und au- dere haben sogar versucht, embryologische Phanomene nach den Gesetzen des einfachsten Zellenmechanismus zu erklaren, aber bis jetzt sind solche Theorien etwas unvollkommen ^). §. 10. Orientirung und Abtheilungen der Morphologie. Die Stellung der Morphologie in der Klassification der Wissen- schaften und die passendste Eintheilung lasseu sich nicht in die- sem beschriinkten Raum erortern. Ueber die letztere Frage wird besonders gestritten. Die Ansicht, welche wir angenommen haben, welche unter Morphologie die ganze statische Anschauung der or- ganischen Welt einschliesst, ist die von Haeckel, Spencer, Huxley und den meisten heutigen zoologischen Morphologen, aber die Botaniker brauchen den Ausdruck oft noch in seinem frtiheren und engeren Sinne^). ^) Herbert, Spencer, Principles of Biology 1866. Haeckel, Generelle Morphologie 1866. Claude Bernard, Phenomenes de la vie etc. 1870. Semper, Thierisches Leben (1880). James, Edin. Med. Journal. (1883). Geddes, Zoolog. Anzeiger (1883). Rauber, Morph. Jabrb. YI; 1880. Haeckel, Kalkschwamme 1872; I, Seite 481. ^) Haeckel, Generelle Morphologie I. Einleitung; 1866. Comte, Philos. Positive. Ill (1851—1854). Spencer, Principles of Biology I ; Gegenbaur, Vergleichende Anatomie, 1874. Asa Gray, Manual of Botany 1872. Ueber fossile Radiolarien aus SchJchten des Jura. (Vorlaufige Mitteilung.) Von Dr. Rdst in Freiburg i. B. Wahrend die Kenntnis der lebenden Radiolarien durch die Bearbeitung des Challenger-Materials in den letzten Jahren eine ausserordentliche Bereicherung erfaliren hat, ist sie in Betreft" der fossilen Radiolarien nur in Bezug auf die Arten aus dem Tertiar als erheblich, in Bezug auf die Arten aus der Kreide und dem Jura als sehr durftig zu bezeichnen. Durch einige zufallige Funde von Radiolarien in jurassischen Gesteinen angeregt, verwendete ich meine Thatigkeit seit einigen Jahren auf die mikroskopische Durchforschung derjenigen Juraschichten , welche durch starkeren Kieselsaure-Gehalt das Vorhandensein von Radiolarien-Resten er- warten liessen. Diese Untersuchungen ergaben einen ungeahnten Reichtum mancher Jura-Gesteine an Radiolarien, und es konnten nach Hinweglassung vieler nicht recht deutlicher Formen 234 Arten bestiramt werden, von denen nur sehr wenige mit den tertiaren und lebenden Arten iibereinstimmen. Dagegen kommt diese ju- rassische Radiolarien-Fauna iiberein mit der von von Dunikowsky im Lias des Schaafberges in Tyrol entdeckten, und noch mehr mit den von Pantanelli im Jaspis von Toscana aufgefundenen Formen. Die systematische Beschreibung, sowie die Abbildungen dieser 234 Jura-Radiolarien werden die Palaeontographica bringen. Diese vorlaufige Mitteilung diirfte deshalb von Interesse sein, well Dr. Riist, Ueber fossile Radiolarien aus Schichten des Jura. 41 sie iibersichtlich die Radiolarien-Gattungeu uud Familieii des Jura- Meeres vorfuhrt, welche als die Vorgauger der tertiiireu uiid le- benden Arten gelten konueu. Bei der Einorduuug der aufgefundenen Arteu wurde Haeckel's Prodromus Systematis Radiolarium von 1881 mit der Modification von 1883 zu Grunde gelegt. Derselbe erwies sich als sehr braucli- bar, da mit alleiniger Ausnahme von zwei Gattungeu alle iibrigcu 75 sich eiureihen liessen. Es kann dies wohl als Beweis dieneu, dass zur Bestimniung der fossilen Radiolarien, die als einzigen Aubaltspunkt nur die Schalen habeu, dieser Entwurf nicht uur von hohem Werte, sondern geradezu unentbelirlicb ist. Zu ganz besonderem Dauke hat raich Herr Professor Haeckel durch die giitige tJbernahrae der Coutrole obiger Einordnung verpflichtet. Tabelle I. Ordo Subordo Familia I. Ordo. I. S. 0. Acanthometra 1. u. 2. Acantharia: 0 11. >S. 0. iVcanthophracta 3. u. 4. 11. Ordo. 111. Collodaria: 1 5. Thulassicollidu Spumellaria: 103 6. CoUozoidu 7. ThalassoBphaerida 8. Sphaerozoida: 1 IV. Sphaerellaria: 102 9. Sphaerida: 51 10. Collosphaerida 11. Pylouida 12. Zygartida 13. Lithelida 14. Uiscoida: 51 III. Ordo. V. Pleetellaria 15. Cyatidiua Nassellaria: 130 16. Plectoida 17. Stephanida VI. Cyrtellaria 18. Spyroida 19. Botryoida: 2 20. Cyrtida: 128 IV. Ordo. Vll. Phaeocystia: 1 21. Phaeodinida Phaeodaria: I 22. Cannorhaphida: 2 23. Aulacanthida VIll. Phaeogromia 24. u. 25. IX. Phaeosphaeria 26.- — 30. X. Phaeoconchia 31. u. 32. 42 Dr. Riist, Tabelle II. tJbersicht der Sphariden. Sphaerida Liosphaeria Stylosphacria Staurosphaeria Cubospliaeria Astrosphaeria 50 30 5 10 1 4 Moiiosphaeria 31 Ethmosphaerida 20 Xiphostylida 3 Staurostylida 3 Hexastylida 1 Heliosphaerida 4 Dyosphaeria 13 Carposphaerida 6 Sphaerostylida 2 Staurolonchida 5 Hexalonchida Diplosphaerida Triosphaeria 2 Tliecosphaerida 2 Amphistylida Stauracontida Hexacontida Lychnosphaerida Tetraspliaeria Crouiyosphaerida Cromyobtylida Staurocroinyida Hexacromyida Cromyommida Polysphaeria Caryosphaerida Caryostylida Staurocaryida Hexacaryida Arachnosphaeridi Spongosphaeria 4 Pleginosphaerida 2 Spongostylida Staurodorida 2 Hexadorida Rhizosphaerida Tabelle III. Ubersicht der Disciden. Discida* 1 a Tribus lb TriDus 1 c Tribus 51 10 12 29 1. Phacodiscida 1 Sethodiscida Heliodiscida 1 2. Coccodiscida 6 Lithocyclida 1 Staurocyclida 2 Astracturida 3 3. Porodiscida Trematodiscida Stylodictyida Euchitonida 38 9 8 21 4. Spougodiscida 6 Spongophacida Spongotrochida 1 Spongobrachida 5 Tabelle IV . Ubersicht der Cyrtiden. Cyrtida 128 I. Tribus 64 II. Tribus 9 III. Tribus 3 IV. Tribus 52 V. Tribus VI. Tribus Monocyrtida 24 Archicorida 10 Archipilida 7 Archiphormida Archicapsida 7 Archiperida Archiphatnid: Dyocyrtida 13 Sethocorida 4 Sethopilida Sethophormida Sethocapsida 9 Sethoperida Sethophatnid Triocyrtida 22 Theocorida 12 Tbeopilida 1 Theophormida Theocapsida 9 Theoperida Theophatnida Tetracyrtida 19 Artocorida 11 Artopilida 1 Artophormida Artocapsida 7 Artoperida Artophatnida Stichocyitida 50 Stichocorida 27 Stichopilida Stichophormida 3 Stichocapsida 20 Stichoperida Stichophatnid TJeber fossile Eadiolarien aus Schichteii des Jura. Tabelle V. Verteiluiig im Jura. 43 Sphaerida Discoida Cyrtida Lias Dogger 76 5 24 Aiten 2 A. 20 Arteu 2 A. 32 Arten 1 A. Malm uiid Tithou 174 36 A. 37 A. 101 A. Kreide Neocom. 3 A. 0 5 A. Aus den vorstehenden kleineu Tabellen diirfte sich die Ver- teilung der Gattungen und Arten im System am ubersichtlichsten ergeben, und erfordern dieselben nur wenige kurze Bemerkungen. In Tabelle I nehmen die im Jura beobachteten Radiolarieu nahezu die Mitte des Systems eiu. Wie nach der chemischen Zusanuuen- setzung der Acantharien-Skelete anzunehmen war, fehlen Vertreter dieser Ordnung. Von den Collodarien erscheinen zuerst und in geringer Zahl die gegabelten Hautuadeln der Spliiirozoen, dagegen in sebr grosser Menge und weiter Verbreitung die drei-, vier- und sechsstrahligeu soliden Kieselkorperclien , welche die Centralkap- seln der Sphiirozoen umlagern. Unter den Spharellarien sind nur die Sphariden und Disciden vertreten. Auliallend ist das voll- standige Fehlen aller Plectellarien. Einige wenige Gebilde, die anfanglich als Mesocena und Lithocircus gedeutet waren, wurden bei genauerer Untersuchung als Cyrtiden - Bruchstiicke erkanut. Unter den Cyrtellarien fehlen die Spyroida ganz. Von den Bo- tryoida wurden nur zwei Arten beobachtet. Die Cyrtiden treten dagegen mit 123 Arten auf. Von Phaeodarien wurden nur zwei Dictyocha-Formen und diese auch nur in geringer Individuen-Zahl beobachtet. Aus Tabelle II ist ersichtlich , dass unter den Sphariden der jurassischen Fauna vorzugsweise die einfacheren Formen entwickelt waren. Vierschalige Sphariden fehlen ganz. Von den dreischa- ligen erscheinen nur zwei, von den vielschaligen nicht eine Form. Auch die Spongospharien sind wenig entwickelt und arm an In- dividuen, wahrend Mono- und Dyospharien in sehr grosser Menge von Individuen auftreten. Die Tabelle III der Disciden zeigt eine reichere Entwickluug von Arten, da nur die beiden Tribus der Sethodiscideu und Spongo- phaciden nicht vertreten sind. Die Tabelle IV der Cyrtiden ist besonders dadurch von In- teresse, dass sie beweist, wie die jurassische Fauna der hohen 44 Dr. Riist, Ueber fossilc lladiolarien aus Schichten des Jura. Ausbildung, des Schmuckes uud der Bewatfnung entbehrt, welche schou die tertiare und uoch mehr die lebeude Radiolarien-Fauna auszeichuet. So fehlen bei den geschlossenen Fornieu die Tri- und Multiradiata ganz. Bei den ofltenen erscheinen nur drei Arten der Muldiradiata unter den Stichocyrtiden, derjenigen Subiamilie, welche die zahlreichsten Vertreter im Jura aufzuweisen hat. Be- nierkenswert ist bei manchen dieser Stichocyrtiden die grosse Zahl der Binge, die bis zu 28 geht. Es wird hiemit ihre niedere Or- ganisation gekennzeichnet , da ja stets die Vielzahl gleichwertiger Korperteile ein Merkmal niederer Entwicklung ist. Die Tabelle V ist an sich verstandlich. Man sieht, dass das Tithon weitaus am reichsten ist, und hier sind es vorziiglich die Aptychos- Schichten, welche am meisten Radiolarien euthalten. Die Armut des Dogger hat vielleicht ihren Grund in der Gering- fiigigkeit des untersuchten Materials. Von der Kreide ist das Neocom hier mit einbezogen, da in demselben manche Arten aus den Aptychus-Schichten sich wieder fanden. (Vergl. Dr. Riist: „Ueber das Vorkommen von Radiolarien- Resten in kryptokrystallinischen Quarzen aus dem Jura und in Koprolithen aus dem Lias" ; in den Verhandlungen der Versamm- lung Deutscher Naturlbrscher uud Aerzte in Freiburg i. B. 1883). Die Entwicklungsgeschichte der socialen Ascidien. Von Dr. Oswald Seeliger. Hierzu Tafel I— VIII. Die vorliegende Abhandlmig bildet die Ergiinzung zu einer friiheren Arbeit (No. 52)*), in welcher die Knospenentwickluiig und Eibildung von Clavelina dargestellt wurde. Ueber die embryonale Entwicklungsgeschichte konnte ich damals zu keinen sicheren Resultaten gelangen und hielt die ziemlich unzusamraen- hangenden Beobachtungen zuruck, bis ein mehrwochentlicher Auf- enthalt in der zool. Station zu Triest im Sommer des vorigen Jahres mir Gelegenheit hot, die Untersuchung zum Abschluss zu bringen. Ich erfulle nur eine angenehme Pflicht, wenn ich dem Direktor der zool. Station Herrn Prof. Glaus fur die Bcreitwilligkeit, mit der er mir einen Arbeitsplatz zur Verfiigung stellte, und Herrn Dr. Graeffe, dem Tnspektor der Station, fur die liebenswiirdige Hilfeleistung bei der Beschaffung des Materials an dieser Stelle meinen besten Dank ausdriicke. Vieles liess sich an dem nicht recht durchsichtigen lebenden Materiale nicht feststellen und musste nachtraglich an konservir- tem Materiale an Schnitten untersucht werden. Unter den man- nigfachcn Konservirungsraethoden, die ich anwandte und von denen ich bereits die eine und andere friiher mitgetheilt habe, scheint mir die einfache Behandlung mit absolutem Alkohol und sofort darauffolgender Fiirbung mit Pikrokarmin die vortheilhafteste zu sein. Die Schnitte wurden durchwegs mit freier Hand angefertigt, *) Die den Autoren beigefiigten Zahlen beziehen sich auf das im Anhange gegebene Literaturverzeichniss. 46 Dr. Oswald Seeliger, und zwar bediente ich mich der Methode, die Hatschek ein- geliend in der Einleitung zu seiner Entwicklungsgeschichte des Amphioxus (No. 19) beschrieben hat, so dass ich hier nicht mehr darauf zuriickzukommen brauche. — Vom Mjirz bis in den Juli hinein ist der untere Theil des Peribranchialraumes der ausgewachsenen Clavelinen mit Embryo- nen aller Entwickluugsstadien angefiillt. Die meisten sind unter einander durch ihre Follikel zu kleineren oder grosseren Ballen verklebt, in denen sich fast stets nur Embryonen von sehr nahe- stehender Ausbildungsstufe finden. Es durften somit die einzelnen Ballen den aufeinanderfolgenden Eiablagen entsprechen. So wie die Fortpflanzungszeit der Art im Vergleiche zu an- deren Ascidien eine ausserordentlich lange ist, scheint auch jedes Individuum wahrend einer verhaltnissmassig langen Zeit seines Lcbcns fortpflanzungsfahig zu sein. Nicht nur, dass man im Pe- rithorakalraum neben bereits frei gewordenen geschwanzten Larven und kleinen bereits an den Trabekeln des Mutterthieres festsitzen- den Clavelinen noch unbefruchtete Eier findet, so ist ausserdem noch der Eierstock in voller Thatigkeit begritfen, und es bildeu sich immer neue Geschlechtszellen. So erscheint die Fertilitat hier geradezu erstaunlich gross; und wenn man bedenkt, dass weiterhin Knospenbildung eintritt, so muss hier, wenn irgendwo, die Erhaltung der Art gesichert sein. Die enorme Produktion von Geschlechtsstoffen scheint aber auch die Lebensfahigkeit des Organismus zerstort zu haben, der dann vollkommen erschopft abstirbt. So findet man denn gegen Ende des Sommers, nachdem die Zeit der Geschlechtsreife vor- iiber ist, keine grossen Thiere mehr, und die Art scheint ver- schwunden zu sein ^). Wohl aber muss man bei sorgfaltigem Untersuchen von Schalen der Miessmuschel , von Steinen u. s. w. junge noch solitare For- men finden, wie mir dies im Juni oftmals gegliickt ist. Diese arbeiten im Verborgenen an der Erhaltung der Art, indem sie verzweigte Stolonen treiben , an welchen sich die Knospen bildeu, welche wiederum Geschlechtsstoffe produziren, wahrend solche der aus Eiern entstandenen Generation fehlteu. Ich glaube, dass aus den im Herbste entstandenen Knospen bereits im nachsten Friih- jahre geschlechtsreife Thiere geworden sind, die im Sommer sterben 1) Naeh miindlicher Mittheilung des Herrn Dr. Graffe. Ich selbst hatte leider nie Gelegenheit im Herbste mich an einem Orte aufzuhalten, an dem sich Clavelinen finden. Die Entwickluugsgescliichte der socialen Aaoidien. 47 mussen. 1st das richtig, so lauft der Entwicklungscyklus in einem Jahre ab. — Die vorliegende Abhandlung theilt sich in zwei Abschnitte. In dom ersten werden die Beobachtuugen mitgetheilt iind nur einige Schlussfolgerungen daran gekniipft, zu denen die gewonnenen That- sachen unmittelbar fuhren ; in dem zweiten sollen Fragen allge- meineren Inhaltes behandelt werden, die aber doch niit den Re- sultaten des ersten Theiles in innerem und nothwendigem Zusam- menhange stehen. Der Entwicklungsgang der Ascidien lasst drei ausserlich scharf niarkirte Perioden erkennen. Erstlich die Embryonalentwicklung bis zur Sprengung des Follikels durch den Embryo, zweitens das freischwimmende Larven Stadium bis zur Festheftung, drittens endlich die riickschreitende Metamorphose der festgesetzten Larve. Die beiden letzten Abschnitte des Entwicklungslebens kounen zusammen als Postembryonalentwicklung dem ersten entgegenge- stellt werden. Doch will ich gleich hier erwiihnen, dass auf die Organologie die Eintheilung in drei Perioden nicht scharfe Anwendung finden kanu, weil in der Entwickluugszeit der einzeluen Organe eine bedeutende Variabilitiit zu erkennen ist, so dass man Embryonen finden kann, die bereits Organe entwickelt zeigen , die im allgemeinen noch im freischwimmenden Stadium fehlen. I. Die Embryonalentwicklung. Erste Entwicklungsperiode. Die Furchung. Ich beginne die Darstellung der Entwicklung von Clavelina mit der Beschreibung der Furchung, weil es mir nicht gelang, die Bildung von Polzellen und den Vorgang der Befruchtung zu be- obachten. Ich kann auch gar nicht glauben, dass iiberhaupt Rich- tuugskorperchen ausgestossen werden, weil sie sich sonst zwischen dem Blastoderm und dem Follikel miissten nachweisen lassen. Freilich erschweren die Tastazellen die Beobachtung ausseror- dentlich. Die Furchung verliiuft nun keineswegs so regelmiissig, wie man es allgemein anzunehmen geneigt ist, und es ist ausserst 48 Dr. Oswald Seeliger, interessant zu beobachteii, wie hier die Furchuiig und die Bildung der beiden primaren Keimblatter in Einen Prozess zusamraen- gezogen sind. Durch eine kreisformige Einschniirung theilt sich das Ei in zwei Furchungskugeln {A und B, Fig. 1) von gleicher Grosse. In vielen Fallen schien es mir, dass die Einschniirung an dem einen Pole rascher vorschreite als an dem andern, doch konnte ich mich nicht iiberzeugen , dass dadurch eine bestimmte Korperregion des alteren Embryos gekennzeichnet wiirde. Wenn ich nun gleich vorausschicke , dass die beidon ersten Furchungszellen das Mate- rial zum Aufbau je einer der bilateralsymmctrischen Korperhalften liefern, so ergiebt sich, dass an dem ersten Stadium der Furchung eine Orientirung ttber vorn und hinten des Embryo nicht moglich wurde und sich ebensowenig die spatere Riicken- oder Bauchseite feststellen liess. Die zweite auf der ersten senkrecht stehende Furchungsebene zerlegt den Keim in vier Zellen, in zwei grossere {A^ und B^) und zwei kleinere (J.^ und B^ , Fig. 2). Dadurch erscheint die Anlage in der Richtung der ersten Axe polar ditferenzirt , und ich will hier gleich erwahnen — was sich weiterhin aus der Ver- gleichuug der Abbildungen ergeben wird — , dass die kleinen Zellen den vorderen, die grosseren den hinteren Korpertheil zu bilden bestimmt sind. Figur 3 stellt das vierzellige Stadium von der linken Seite gesehen dar. Die Figuren 5, 6, 7, 10 auf Tafel I und Fig. 13 auf Tafel II sind in derselben Stellung gezeichnet , so dass durch ihre Vergleichung der Furchungsprozess leicht verstandlich wer- den muss. Von jetzt ab theilen sich die Zellen nicht mehr gleichzeitig, vielmehr tritt die dritte Furche, zu den beiden ersten senkrecht gestellt, zuerst an den beiden kleineren Zellen auf, wahrend die beiden grosseren zwar ein wenig in die Liinge gezogen, noch aber ohne Andeutuiig einer Einschniirung zu sehen sind (Fig. 4). Die Theilung schreitet am vorderen Pole vor, wahrend sie am hinteren Korpeninde unter ganz ahnlicher Bildung von hellen biscuitformi- gen Kernfiguren nachfolgt (Fig. 5 und 6). Wahrend aber die zwei vorderen und kleineren Zellen in vier gleich grosse Theile sich furchen, zerfallen die hinteren und gros- seren in ungleiche Stiicke und zwar in der Art, dass je das klei- nere die Dimensionen der vier vordc^ren Furchungskugeln hat. Der Die Entwicklungsgoscliichto dor social en Ascidion. 49 Zellhaufen setzt sich also aus Zellen von zweierlei Grosse zusam- men, aus (5 kleineren and zwei grossereii. 1st nun die Achttheilung voll(3ndet, so gewinnen die Zellen die Lagebeziehung zu einander, die in Fig. 7 wiedergegeben ist. Durdi die Pfeile werden die aus Einer Embryonalzelle stanmien- den Produktc vcrbunden und lassen sicli also leicbt auf Fig. 3 und Fig. 1 zuriickfiihren. In Fig. 8 ist dieses Stadium von der Seite der grossen Zellen aiis geseben , in Fig. 9 von vorn aus betracbtet gezeicbnet. Die strenge bilaterale Symmetrie ist nicbt zu verkenn(!n. Daduicb nemlicb, dass die ZeUm verscbiedeiie Grosse besitzen, ist es miig- lich, schon im Stadium von acbt Furchungskugeln nocb die dritte Korperaxe zu fixiren und dureb alle folgenden Entwickelungs- stadien festzuhalten. Es diiferenzirt sich jetzt eine Riicken- und Bauchseite, und zwar wird letztere durcb die Lage der beiden grossen Zellen (a^ und h^) bestimmt, die das bintere Ende der Baucbflacbe einneb- men. Die dritte Furchungsebene bat ausserdem noch eine erbobte Bedeutung dadurcb , dass durcb sie die Zellen, welcbe die beiden Keimblatter bilden sollen, zur Sonderung gelangen. Auf dem vier- zelligen Stadium vereinigt eine jede Furcbungskugel nocb die Bilduiigssubstanz beider Keimblatter; auf der acbtzelligen Eut- wicklungsstufe finden sicb vier ventral gelegene Zellen — zwei grossei-e bintere und zwei kleinere vordere — , die das iiussere, ektodermale Keimblatt bilden und vier gleich grosse dorsale Zellen, die, soweit sicb dies mit Sicberheit beobacbten liisst , ausscblicss- licb in die Bildung des Entoblastes und der Cborda aufzugeben scbeinen. Doch muss icb bervorbeben, dass icb zwischcn den einzel- nen Furcbungskugeln keine Strukturverscbiedenbeiten wabrnebmen konnte, welcbe die Zellen scbon auf diesem Furcbungsstadium als zu verscbiedenen Blattern geborend gekeniizeicbnet batten. Vielmebr beruht die oben ausgesprocbene Ansicbt auf der Biiobacbtung des kontinuirlicben Entwicklungsganges vom acbt- zum KJzelligen Sta- dium, in welcbem die Elemente bcreits einen differenten Bau erken- nen und deutlicb das Keimblatt bestimmen lassen, zu welcbem sie gchoren. Icb will nun nochmals das bisber Gesagte zusammenfassend, bervorbeben, dass sicb die bilateral-symmetriscben Korperbillften des Tbieres bis auf das erste Furcbungsstadium zuriickverfolgen lassen, wiibi-end Vorn und Hinten erst im Viererstadium zu erken- nen sind, Baucb und Riicken endlicb am acbtzelligen Furcbungs- Bd. XVIII. N. F. XI. 4 50 Dr. Oswald Seeliger, haufeii zugleich mit den beidon primiiieii Koimblattern ziir Diffe- renzirung gelaiigen. Das sechzohnzollige Stadium wird nun niclit durch gleich- zeitige Theilung der acht Zellen erreicht, sondern es furchen sich die Zellen paarweise nach einander, in dei" Weise, dass nie die bilaterale Symmetrie gestort wird. Zuerst theilen sich die vor- deren, kleineren ventralen Zellen (a, und h^, Fig. 10); dann sehr bald die vorderen dorsalen (wj und /:?^). Bei der Betrachtung vom Rticken (Fig. 12) sieht man dieselben eben in Theilung be- griften , wahrend die hinteren noch ungefurcht erscheinen. In Fig. 11 ist das unmittelbar vorhergehende lOer Stadium von der dorsalen Seite gezeichnet. Die vier hinteren Zellen — zwei ekto- dermale ventrale und zwei cntodermale dorsale — thcnlen sich last gleichzeitig , so dass auf das zwolfzellige Furchungsstadium (Fig. 12) sehr bald das sechzehnzellige folgt , das Fig. 13 auf Tafel II von links betrachtet wiedergiebt. Zweite Entwickiungsperiode. Die Gastrulation. Sobald sechzehn Furchungskugeln gebildet sind, beginnen die- selben sich ein wenig gegeneinander zu verschieben und abzu- flachen, so dass zwei aufeinander gepresste ZelUagen entstehen, von denen sich jede aus acht Zellen zusammensetzt. Gleichzeitig treten Verschiedenheiten im Plasma der Zellen auf, die die Auffassung der beiden Schichten als primare Keimbliitter rechtfertigen. Die acht dorsalen Zellen sind gelblich gefarbt und besitzen einen kleineren Kern , die acht ventralen sind durch ihre hellere Farbung leicht kenntlich. Erstere stellen den Entoblast, letztere den Ektoblast dar. Obwohl ich die Herkunft einer jeden der sechzehn Zellen feststellen konnte, war es niir doch nicht moglich, Strukturver- schiedenheiten zwischen den einzelnen Zellen schon in friiheren Furchungsstadien zu erkennen und mit der spiiter erfolgenden Keimbliitterbildung in Zusammenhang zu bringen. In Fig. 14 ist das eben besprochene Stadium von der ento- dermalen, in Fig. 15 von der ventralen Seite gezeichnet, so dass eine Orientirung iiber das erste Auftreten der beiden Blatter leicht moglich sein wird. Wenn in Fig. 13 die Zellen ganz besonders durch ihre Kugelform im Vergleiche zu den folgenden Stadien sich Die Entwicklungsgeschichte der socialou Ascidien, 51 auszeichnen , so muss ich bemerkcn , dass dies kunstlich hcrvor- gcTufen ist, indem die Furchungszellen die Eigentliiimlichkeit haben, selbst bei schwachem Drucke unter dem Deckglaschen sehr bald ihre Formeii allseitig abzuruiidoii. Die nun folgenden Zelltheilungen habe ich nicht vollkommcn genau verfolgt. Fiir's Erste bietet ohnebin nur die dorsale Eiito- blastseite Interesse, weil die Mutterzellen eincs neuen Organes als solchc kenntlich werden. In Fig. 16 ist das folgende Stadium von 14 Entodermzdlcn abgebildot, und es sind durch Pfeile die Zellen gleichei' Ilerkunft mit einander verbunden. Es wird also die Zu- riickfulirung auf die in Fig. 14 wiedergegebenen Verhitltnisse ohne Weiteres durch Vergleichung der beiden Abbildungen moglich sein. Die beiden hintersten entodermalen Zellen , die aus dieser neuen Theilung hervorgegangen sind und je einer Kdrperhalfte angehoren , bilden weiterhin die Chorda , die sich aus zwei Zell- streifen zusammensetzt {ch Fig. 16). In der folgenden Entwicklungsperiode kommt durch einen Prozess, der zwischen Invagination und Urawachsung die Mitte halt, die Gastrula zur voUkommenen Ausbildung, freilich nicht ohne dass gleichzeitig in ihr die Anlage eines Organes, der Chorda, deutlich erkennbar ware. In Fig. 17 ist ein weiteres Gastrulastadium im optischen Quer- schnitt gezeichnet, damit die bilaterale Symmetric anschaulich gemacht werde. Der Embryo beginnt nun sich starker zu krttm- men, so dass die vorhin noch konvex erscheinende Riickenflache konkav geworden ist (Fig. 18). Auch hier scheint wie bei Am- phioxus der Entoblast das aktive Element zu sein , und man er- kennt deutlich di(! Gestaltveranderungen der Entodermzellen, welche die Kriimmung bedingen. Gleichzeitig vermehren sich die Zellen und namentlich die Ektodermzellen, die immer flacher werden und iiach dem Riicken zu vorwachsen. Der Gegensatz zwischen Vorn und Hinten des Embryo pragt sich immer mehr aus (Fig. 19), was leicht am optischen Liingsschnitt kenntlich wird. Durch die Kriimmung der beiden Keimblatter und das Vor- wachsen des Ektoderms gewinnt der Blastoporus , der urspriing- lich die gauze Riickenflache einuimmt, eiue bestimmte herzformige Gestalt, die bei der Riickenansicht des Embryo zu sehen ist (Fig. 20). Am hinteren Ende des Gastrulamundes sind die bei- den obersten Entodermzellen einander genahert zu sehen ; es sind das die beiden hinteren Polzellen der Chorda. Ich will nun gleich hier bemerken, dass es mir bei der unvollkommencn Durchsichtig- 52 Dr. Oswald Seeligor, keit des lebenden Objektes iiicht geluugcu ist, die folgenden Zell- theiluDgen geiiau zu verfolgen. In Folge dessen bin ich auch nicht in der Lage, mit Sicherheit anzugeben, ob die beiden Chorda- streifcn jederseits nur aus der hinteren Polzelle hervorgehen, oder ob mit dem Schliessen des Blastoporus noch neue Entodermzellen, von den beiden Seiten lier gegen die dorsale Mittellinie sich vor- schiebeud, zu Chordazellen werden. So weit meine Beobachtungen reichen, bin ich geneigt, letz- tere Annahme fur die richtige zu halten, und ich habe sie auch im Folgenden bei der Vergleichung mit der Chordaentstehung des Amphioxus festgehalten. Ueber den allmahligen Verschluss des Blastoporus will ich mich kurz fassen. Wurde doch erst vor Kurzeni diese Frage von Metschnikoff (Nr. 42) eingehender erortert und ich kann seine Beobachtungen tiber das ungleichraassige Vorwachsen der verschie- denen Riinder des Gastrulamundes nur bestjitigen. Der Verschluss des Gastrulamundes erfolgt von vorn nach hinten zu und gleichzeitig wachsen die seitlichen Rander vor. In der letzteren Richtung iiberwiegt die Wachsthumsgeschwindigkeit, so dass auf spateren Stadien der Blastoporus verhiiltnissmassig mehr in die Lange gezogen erscheint (Fig. 24). Es ruhrt dies daher, well der hintere Rand desselben fiir's Erste sich nicht nach vorn zu schliesst, somit also der Verschluss nur von der vorde- ren Seite aus erfolgt, wahreud in der Richtung der Queraxe beide seitlichen Rander vorwachsen. Zur besseren Veranschaulichung des allmiihligen Verschlusses des Gastrulamundes habe ich in Fig. 23 noch zwei spatere Schliessungsstadien eingezeichnet , die mit hl^, und &?2n bezeichnet sind. Auch beim Amphioxus hat Hatschek die Beobachtung gemacht, dass der Vorderrand des Gastrulamundes sich nach hinten zu schliesst, wahrend die hintere Lippe uuverandert bleibt. Bei Cla- velina kann ich nur darin die Ursache des ahnlichen Verhaltens erblicken, dass im hinteren Blastoporusrande die erste Andeutung des Nervenrohres auftritt (Fig. 23). Das Wachsthum des hinter dem Gastrulamunde gelegenen Ektodermfeldes iiussert sich niim- lich in der Bildung einer median verlaufenden seichten Rinne, die nach vorn in den Blastoporus iibergeht. Zur besseren Veranschaulichung der Bildung der Gastrula habe ich noch einige Figuren gezeichnet, die den Embryo im optischen Quer- und Langsschnitt zeigen. In Fig. 21 zeigt sich ein Quer- schnitt, der eine bereits ansehnliche Gastrulahohle mit noch wei- Die Eutwicklungsgeschiclite der socialen Ascidien. 53 tern Blastoporus aufweist. Der streng bilaterale Bau des Embryo ist ersichtlich. lu Fig, 22 ist der optisclie Schuitt durch eiueu etwas altereu Embryo bei seitlichor Ausicht abgebildet. Die Orieu- tirung ist dieselbe wie in Fig. 19. Der Blastoporus erscheint ver- engt; die Gastrulahohle ist ebenfalls enger geworden uud erstreckt sich nach voru hiu. Der Gegensatz zwischen dem vordereu uud liintereu Korpereude ist noch viel merklicher geworden als in dem in Fig. 19 dargestellten Stadium. Die hinterste dorsale Entoderm- zelle (ch) ist die eine der beiden Polzellen der Chorda. — Figur 25 auf Taf. Ill zeigt einen etwas alteren Embryo als der iu Fig. 24 gezeichnete im optischen Durchschnitt vom hinte- ren Korpereude aus gesehen. Im vorderen Theile erscheinen die beiden Keimblatter bereits vollkommen gescblossen uud die Gastrula- hohle als ein schlitzformiger Spaltraum. Die Ektodermzellen sind dorsal, vor dem Blastoporus am hochsten, fast cylinderformig; die seitlich gelegenen erscheinen stark abgeflacht. — Ueber den dorsalen Entodermzellen ist der scharfe Kontour des hintersteu Korperendes eiugezeichuet, der die rinnenformige Einstiilpung des hinter dem Blastoporus gelegenen Abschnittes kenntlich macht. Dritte Entwicklungsperiode. Die Bildung der Chorda, des Nervenrohres und des Mesoderms. Der hintere Korperabschnitt beginnt in die Lange zu wach- sen; so erhalt der Embryo eine birnformige Gestalt (Fig. 29 u. 31). Ueberhaupt betreifen die nachsteu Entwicklungsvorgange fast aus- schliesslich den hinteren Korpertheil und zwar vorwiegend den Rucken, an welchem Chorda und Nervenrohr zur Ausbildung ge- langen, wiihrend an der Bauchseite in dieser und der folgenden Entwicklungsperiode kein neues Organ auftritt. Es wird angezeigter sein, von nun an nicht mehr die einzel- nen auf einander folgenden Stadien einfach zu beschreiben, son- dern die verschiedeuen Organe nacheinander in ihrer Entwickluug zu verfolgen. Die Chorda. Ich beginne mit dem zuerst auftretenden Organe: der Chorda. Bereits oben habe ich erwahut, dass die beiden hintersten 54 Dr. Oswald Sct'liger, dorsalen Entodermzellen zuerst als Chordazellen zu eikennen sind (Fig. 20). Mit der VereDgung des Gastrulaiuuudcs erscheinen zu beideu Seiteu desselbuu immer mehr die Chorda bildeude Zellen. In Fig. 23 finden sich jederseits zwei, in Fig. 24 bereils jederseits vier Chordazellen, die nach vorn und ventralwarts in die den Darai bildeuden Entodermzellen iibergehen. Wenn der Blastoporus zu einer feinen Oeflfnung geworden ist, so sind die vor ihm gelegenen Zellen der beiden Chordastreifeu dorsal bereits aneinandergeriickt (Taf. Ill, Fig. 26) und stellen die aus zwei Zellreihen bestehende Chorda dar. Auch hinter und neben dem Blastoporus liegen noch die beiden vorhin als Polzel- len der Chorda bezeichneten Elemeute (Fig. 27), die nach ganz- lichem Schwunde des Urmundes (Fig. 28) die hinteren Schluss- stiicke der Chorda bilden. Es hangt somit die Bildung der Chorda eng mit der Art und Weise des Verschlusses des Blastoporus zusammen, und das Stutz- organ entwickelt sich aus deu beiden Chordastreifeu ahnlich wie bei Amphioxus von vorn nach hinten zu. Dass bei der Ansicht vom Biicken zuerst die hiutersten Zellen der beiden Chordastrei- feu sichtbar werden hangt wieder mit der Form des Blastoporus zusammen. Urspriinglich gehen die Chordazellen auf dem optischen Langs- schnitt nach vorn zu kontinuirlich in die darmbildenden Entoderm- zellen iiber (Fig. 26). Bald aber beginuen sie sich von diesen deutlich abzusetzen (Fig. 27) und das Darmblatt fangt an, am vordereu Ende der Chorda ventralwarts uuter dieser fort zu wach- sen (Fig. 28) , so dass endlich die Chorda zu einem vollkommen isolirteu Gcbilde geworden ist, dass sich aus zwei Zellreihen zu- sammeusetzt (Fig. 29 u. 30; 87 und 89). Anfanglich erscheint die Chorda so ziemlich gerade gestreckt (Fig. 27) ; spiiter, wenn die Nervenrinne iiber ihr in Bildung be- gritfen ist, kriimmt sie sich konkav gegen den Biicken (Fig. 28 und 29). Sobald die Nervenrohrbildung im Bereiche der Chorda ihren Abschluss gefunden hat, wird diese auch wieder zu einem gerad gestreckten Doppelzellstrang (Fig. 31). Uebrigens beginnen auf diesem und schon auf dem vorhergcheuden Stadium die Chorda- zellen sich gegoneinander zu verschieben, in der Tendenz, sich zu einem einfachen Zellstrang umzubilden. Die Eiitwickluogfegcsohiilitc der socialen Ascidien. 55 Das Nervenrohr. Ini vorhcrgchendcu Abschuitte habc icli bcreits erwiihiieu miisseii , class die liiuterc Lippe des Blastoporus nicht uacli vuru zu vorwiiclist, wcil au ihr die Bildung der Primitivriime sicli ciii- leitet (Fig. 26). Nach vorn zu geht die Rinue in den Blastoporus iiber. Mit dcm Verschlusse desselbeu riickt die Bildung des Ner- venrohres in der dorsalen Medianlinie nach vorn zu immer mehr vor (Fig. 28 u. 29) , so dass im hintereu Korpertheile bereits ein vollstandig geschlosseues Rohr vorhanden ist, wahrend im Vor- dertheile nocli cine weite muldenformige Vertiefung der entspre- cbenden Ektodermpartie zu erkeunen ist. Der Bereich des Riickens des Embryo , der sich an der Bildung des Centralnervensystems betheiligt, ist in Fig. 30 gut zu sehen. Fig. 31 zeigt auf einem scbarf eingestellten optischen Schnitte im Bereiche der Chorda das Nervenrohr bereits vollstandig gebildet. Fine oberflachliche Orientirung iiber den Verlauf der Ent- wicklung der Primitivrinne ist schon an optischen Querschnitten moglich. Fig. 43 stellt einige optische Durchschnitte durch den Ruckentheil eines etwas alteren Embryo als der in Fig. 31 abge- bildete dar. A zeigt in der Nahe des hinteren Korperendes das Nervenrohr bereits allseitig geschlossen. B stamnit aus der vor- deren Korperregion und zeigt das Ceutralnervensystem als eine gegen den Riicken koukav gekriimmte Platte, die aber von der ektodermalen Korperschicht vollstandig bedeckt ist. C eudlich stellt einen optischen Schnitt durch den vordersten Korpertheil dar, auf welchem die Primitivrinne in der That noch eine mulden- formige Einstiilpung der ausseren Korperschicht ist. D stammt aus der vordereu Region eines etwas alteren Embryo und zeigt die Umbilduug der Nervenplatte zu einem Rohr. Ein genaueres Eingehen auf die Entstehung des Nervenrohres aus der dorsalen Ektodermfurche fordert die Anfertigung von Querschnitten, an denen gleichzeitig die Bildung des niittleren Keimblattes studirt werden kann. Die auf diese Weise gevvonne- nen Bilder zeigen eine bedeutende Aehnlichkeit mit den von Ko- walewsky und Hatschek iiber die Entwickluug des Nervensystems bei Amphioxus verofteiitlichten Befunden. In bcddeu Fallen riickt der dorsale median gelegeue Zellstreif des Ektodcrms als Medu- larplatte in die Tiefe und die Hautschicht schliesst sich iiber ihm, bevor noch die Umbildung der Zellplatte zu einem Rohre erfolgt ist. Fiihrt man durch den Ruckentheil der mittleren Korperregion 56 Dr. Oswald Seeliger, eines Embryo, dler ungefahr die Ausbilduiig des iu Fig. 28 abge- bildeteu hat, ciuen Querschnitt, so sielit mau, dass es drei Zellen sind, welclie als Medullarplatte in die Tiefe geriickt sind (Fig. 84). Die dariiber liegende ektodermale Leibeswand ist uoch nicht ge- schlossen. Der Verschluss ist vollkommen vor sich gegangen am Hinter- eiide eines nur wenig alteren Embryo, und ein Querschnitt zeigt die Medullarplatte als ein nach dem Riicken offenes Halbrohr, iiber welchem die iiussere Leibessdiicht kontinuirlich hinweglauft (Fig. 89). Das Bild zeigt, dass die Krummung der Medullarplatte durch eine durch Zelltheilung hervorgerufene Flachenvergrosserung bedingt ist, und zwar ist es die ventrale Zellreihe, welche sich zuerst theilt. Ein Querschnitt endlich durch das Hinterende eines Embryo auf dem in Fig. 31 abgebildeten Stadium, lasst das Cen- traluervensystem als vollkommen geschlossenes Rohr erkennen (Fig. 86). VVie bereits erwiihnt, finden wir dieselben Vorgange bei der Nervenrohrbildung im vorderen Korpertheile alterer Em- bryonen wie in der hintercn Leibesregion jiingerer Stadien. Auf einem Querschnitt durch den Vordertheil eines in Fig. 31 abgebildeten Stadiums zeigt sich iihnlich wie in Fig. 84 die Me- dullarplatte bei noch ofienem Riicken schwach gekrtimmt (Fig. 81). Die ektodermale Korperschicht beginnt aber von bciden Seiten her die Medullarplatte zu liberwachsen. Querschnitte endlich durch den Vorderkorper noch alterer Embryonen (Fig. 85) zeigen auch da bereits das Nervenrohr ausgebildet und dariiber die Hautschicht verwachsen. Interessant ist es, dass die Verwachsungsstelle noch cine Zeit lang als solche zu erkennen ist. In Fig. 79 ist ein Querschnitt durch den vorderen Korper- theil eines Embryo abgebildet, der in der Ausbildung zwischen den beiden in 35 und 37 abgebildeten Stadien steht. Abnormer Weise ist hier das Nervenrohr noch nicht fertig gebildet und stellt sich noch aus drei grossen Zellen zusammengesetzt dar. In Fig. 82 und 83 sind zwei Querschnitte abgebildet, welche das Nervenrohr bereits geschlossen, aber nur aus vier Zellreihen zusammengesetzt erkennen lassen. — Wahrend dieser Entwicklungsperiode bleibt das Nervenrohr stets an seinem vordersten Ende offen und kommunizirt mit der Aussenwelt. Das Mesoderm. Ich kann die Darstellung meiner Beobachtungen iiber die Bil- Die Entwicklungsgeschichte der socialen Ascidieu. 57 dung des niittluren Kuimblattes iiiclit bcf^iuiieu, ohiic ciuige wcnigc Wortc iibei- die wichtigsteii tViilioicii Aibdtcii voruuszuschickcn, iu- welclicn iiuf die Eutstehung des Mesoderms Rucksiclit geiiomiiieu wurde. Kupffei- (No. 40) war der erste, der iiber die Herkuiift der zwischeii Darnitruktus und ausserer Leibcsschicht gelegeuen Zellen genauere Mittheiluiigeii machte. Nach ihm besteht das Blastoderm — bei Ascidia caniua — uiimittelbar vor der Eiiistul- pung aus eiiier mehrschichtigen Zelleiimasse mit sehr kleiiter Fur- chungshohle. Somit liegen iiacli der Einstiilpuiig zwischeii den beiden primiireii Keimbliitteru bereits Zellen, die im weiteren Ent- wicklungsverlaufe an dem Aufbaue von bestimmteu Organen sich mit betheiligeij (p. 130). Weiterhin beschreibt Kupffer, dass die ursprilugliche Darmwandung friihzeitig mehrschichtig wilrde (p. 136), und dass aus der aussersten Schicht des Darmsackes die die Leibesliohle ausfullendeu Zellen eutstilndeu, welche das Mate- rial fur Herz und Blutelemente lieferten (p. 142). Darnach wiirde sich das Mesoderm zum Theil aus gewissen Furchungskugeln direkt ableiten lassen, zum Theil aus dem inneren Keimblatt ent- springen. — Kowalewsky hat in seiner zweiten Arbeit die Mesoderm- furche schiirfer behandelt (No. 30), und Metschuikoff hat sich ihm nach einigeu Koutroversen *) in den wesentlichsten Punkteu augeschlosseii. Nach diesen Beobachtuugeu ist das Mesoderm ent- toblastischen Urspruiiges und besteht aus zwei symmetrisch ge- legenen Zellstreifen, die im Vordertheile des Larvenkorpers mehr- schichtig, im Schwanztheile nur einschichtig und drei Zellen breit sind. Die vorderen Mesodermzellen losen sich bald aus ihrem Zusammenhange , runden sich ab und werden zu Blutkorperchen ; die hinteren, im Schwanz gelegenen bilden sich zu quergestreiften Muskelzellen aus. Van Beneden (No. 2) hat neuerdings das erste Auftreten des Mesoderms auf paarige Ausstiilpungen des Entoderms zuriick- zufiihren versucht, um so die Ascidien den von den Briidern Hert- wig als Coelomaten vereinigten Thierstammen beifugen zu kon- nen. Leider hat van Beneden es bisher unterlasseu, uus mit einer ausfiihrlichen , mit iiberzeugenden Abbildungen versehenen Publikation zu beschenken. ') Eine Zeit lang glaubte Metschnikoff an cine Spaltuut des Keimstreifens in Nerven- und Muskelanlage. 58 Br. Oswald Seeliger, Meiiie eigeuen Beobachtungeii bestiitigeu im Wesentlichen die Angubcii Kuwalevskys unci van Benudens iiber den paari- gen, cntodermalen Ursprung des mittleren Keimblattes. Das Auf- ticten des Mesoderms hiingt eng mit der Bilduug der Chorda uud des Nervenrolires zusammen. lu Fig. 25 zeigt der uptische Querschnitt das iunere Keim- blatt liontinuirlich gesclilossen. Sobald nun in der Medianebene die Nervenriune sicli bildet, werden die darunter liegenden oben als CLiordazellen bezeichueten Entodermzellen aus dem Zusanimen- liange der iibrigen beiderseits herausgerissen und vcntralwiirts vor- geschoben. So erscheint also die Chorda auf dem Querschnitt (Fig. 89) von beiden Seiten und ventral von eineni einschichtigen Kranz von Entodermzellen eingeschlossen , der nur dorsal offeu ist. Diese otiene Stelle aber wird durch die Medullarplatte uud spiiter durch das Nervenrohr geschlossen. Die beiden die Chorda seitlich begrenzenden cntodermalen Zellstreifen werden zum Meso- derm und liefern im hintereu Korperabschnitt die Schwanzmusku- latur, im vorderen die freien Mesodermzellen, In Fig. 28 und 29 ist zu erkennen, wie im vorderen Abschnitt der Chorda das den Darm bildende Entoderm ventral von der Chorda nach hiuten und von den beiden Seiten gegen die Mitte zu wachsen beginnt, bis es zu einem allseitig geschlosseneu Sacke geworden ist, der sich nach hintcn zu in einen aus zwei Zell- reiheu bestehenden Zipfel auszieht (Fig. 31 und 32 d). Auf diese Weise sind die beiden die Chorda seitlich begren- zenden Zellstreifen im vorderen Abschnitte aus dem direkten Zu- sammenhange mit dem ventralen Theile des Entoderms, der sich hier inzwischen — wie bereits erwahnt — zu eiuer Zellblase ge- schlossen hat, losgelost worden. Gleichzeitig haben sie sich durch Theilung rasch vermehrt, so dass man auf dem Querschnitte durch die vordere Korperregion eines Embryo, der ein wenig weiter ent- wickelt ist als der in Fig. 31 abgebildete, ein Bild erhiilt, das in Fig. 87 gezeichnet ist. Im hiuteren Korperabschnitte besteht das Entoderm nur aus zwei Zellreihen, die ventral von der Chorda verlaufen, vvahrend die beiden seitlichen, aus je drei Zellreihen bestehenden Streifen zur Muskulatur werden und stets einschichtig bleiben (Fig. 86). Wahrend wir in Bezug auf das Nervenrohr gefunden haben, dass die Bildung hinten beginnt und nach vorn zu vorschreitet, so dass also im Vordertheile alterer Embryonen die Verhiiltnisse zu beobachten sind, die im Hinterende jiingerer Entwicklungs- Die Entwicklungsgeschichte der socialen Ascidien. 59 stadieii angetrutien vviiidc, zoigt sicli in Bczug auf die Eiitvvick- liiiig lies mittlorcu KoimblattCH geradc das Uiiigckidutc , mid cs lassvi! die Quersehiiitte duix'li das Scliwaii; ^- V, n V. -4.4. ;i x, j- i,- + 4- ) Korperregion eines Em- ^ Optischer Uuerschnitt durch die hinterste i . . f bryo im Alter des in ^ " " " " "''" ( Fig. 30 abgebildeten Sta- C „ „ „ „ vordere \ j diums. D „ „ „ „ mittlere Korperregion eines etwas alteren Embryo. Fig. 4 4. Aelterer Embryo von links gesehen. Auftreten des Enddarmes, Bildung der Kiemenspalten. (Vergr. 145. Zeiss C II). Fig. 4 5. Hoher entwickelter Embryo von links gesehen (Zeiss C I. Vergr. 120). Fig. 4 6. Ein Theil des Schwanzes nach dem lebenden Objekte bei 270facher Vergrosseruug (Zeiss EI) gezeichnet. Auftreten der Vakuolen in der Chorda. Fig. 4 7. Ein Embryo unmittelbar vor Sprengung seines Fol- likels von der rechten Seite aus gesehen. (Vergr. 120. Zeiss C 1). 116 Dr. Oswald Seeliger, Tafel V. Alle Figuren sind mit Ausnahine der ersten nach Praparaten gezeichnet. Die Abbildungen 53 — 55 beziehen sich auf freischwimmeude Larveu von Perophora Listeri, alle andern auf Clavelina lepadiformis. Fig. 4 8. Freiscli-wimiiieiide Larve von rechts gesehen. Der aussere Cellulosemantel ist nicht eingezeichnet. Der Schwanz ist in der Abbildung weggelassen, dagegen in der folgenden Figvir bei glei- cher Vergrosserung wiedergegeben , so dass man durch Kombination dieser beiden Bilder leicht eine Vorstellung des ganzen Tbieres ge- winnen kann. Die mesodermalen Langsmuskelzlige treten in der Ke- gion des Eaemenkorbes auf, die Zahl der Kiemenspalten hat sich ver- mehrt. Im Leben erscheint der Darmtraktus gelblich braun gefarbt. Die Larve schwimmt nach Art der Kaulquappen. Das Herz pulsirt und die freien Mesodermzellen sind in Bewegung begrifFen. Fig. 4 9. Der Larvenschwanz seitlich gesehen, nach Prapara- ten gezeichnet. Durch senkrechte Striche ist die Abbildung in fiinf Theile getheilt, um die iibereinander liegenden Zellschichten klar zu legen. Das Theilstiick rechts (^) zeigt bei hoher Einstellung die Schwanzmuskulatur und den Verlauf der ausseren Fibrillen. Die Muskelzellen sind spindelformig, ineinander gekeilt und besitzen einen grossen, in Karmin sich intensiv farbenden Kern. Im Theilstiick B. ist ein Schwanztheil bei tieferer Einstellung gezeichnet. Dorsal verlaufen die Muskelzellen, ventral die Entoderm- zellen, in der Mitte die Chorda. Die Yakuolenbildung hat die hochste Ausdehnung erreicht, die Zellsubstanz ist auf diinne Scheiben redu- zirt, die zur Langsrichtung der Chorda senkrecht stehen und im op- tischen Querschnitt als halbmondformige Gebilde erscheinen, deren Mitte der Kern einnimmt. In C ist ein vorhergehendes Stadium der Chordaentwicklung gezeichnet. In D sind die Vakuolen noch runde Gebilde , die noch nicht die ganze Breite des Chordastranges einnehmen und ihr Auftreten zwi- schen zwei Zellen erkennen lassen. In E ist das erste Auftreten der Yakuolen zwischen je zwei Zellen gezeichnet. — Der hinterste Theil der Figur zeigt den flos- senformigen Anhang des Cellulosemantels des Schwanzes mit seiner charakteristischen Streifung. Fig. 5 0. Die Schwanzmuskel bei starker Vergrosserung (Zeiss F. I). Die Abbildung ist durch einen Strich in zwei Theile getheilt, um den Verlauf der Fibrillen klar zu machen. Die rechte Halfte Die Entwicklungsgeschichte dor socialen Ascidien. 117 zeigt bei hoher Einstellung den Fibrillenverlauf an der ausseren Flache der Miiskelzellen, die linke bei tiefer Einstellung des Tubus die Fi- brillen, die der Chorda anliegen. Fig. 5 1 zeigt einen Schwanztheil von der Seite der entoderma- leu Zellen (r/) aus gesehen bei 230facher Yergrosserung (Zeiss D. II), Der Cellulosemantel (/) erscheint in dieser Eichtung sehr dlinn. Die linke Halfte der Figur zeigt bei lioher Einstellung die rechte und linke Muskelzellenreihe , die die Entodermzellen des Schwanzes be- grenzen. Diese letzteren sind nicbt eingezeichnet. Die rechte Halfte der Figur zeigt bei tiefer Einstellung des Tubus die Chorda — auf einer Entwicklungsstufe zwischen den beiden in B und C auf Fig. 49 abgebildeten Stadien — von den beiden mittleren Muskelzellreihen begrenzt. Fig. 5 2. Ein Querschnitt durch die mittlere Region des Lar- venschwanzes bei 405facher Yergrosserung (Zeiss F. I). Durch das eigenthiimliche Wachsthum des Cellulosemantels in dorsoventraler Eichtung ist der Schwanz seitlich komprimirt und zu einem mach- tigen Euderorgan umgebildet, das durch die beiden lateralen Muskel- zlige in Bewegung gesetzt wird. Das Ektoderm (a) ist zu einem Plattenepithel geworden und erscheint in der Abbildung in Folge der Behaudlvmg mit Eeagentien von den darunter liegenden Schich- ten betrachtlicher entfernt. Fig. 5 3. Schwanzende der Larve von Perophora Listeri in der- selben Yergrosserung gezeichnet wie Fig. 49, Fig. 5 4, Schwanzstiick ventral gesehen bei 405facher Yergros- serung und hoher Einstellung, Darunter ist die Chorda bei tieferer Tubuseinstellung eingezeichnet, Zum Yergleich dient die Abbildung 51 von Clavelina. Fig. 5 5, Optischer Langsschnitt durch einen Theil des Larven- schwanzes von Perophora. Die Zellsubstanz der urspriinglichen Chordazellen ist an die Wand gedrangt und umgibt dort die Kerne. Nur selten erscheint ein Nucleus mit wenigem Zellplasma in der Mitte des Axenstranges (Zeiss F. I Yergr. 405). Tafel VI. AUe Figuren sind nach Praparaten gezeichnet. Fig, 5 6. Eine Larve unraittelbar nach der Festsetzung, die mit den Haftpapillen (// />) erfolgt, Der Larvenschwanz begiunt sich spiralig einzuroUen und aus dem Cellulosemantel herauszuziehen (Yergr. 120 Zeiss C. I). 118 Dr. Oswald Seeliger, Fig. 5 7. Larve am Tage nach der Festheftung. Der Schwauz ist vollstandig eingezogen. (Vergr. 120. Zeiss C. I). Fig. 5 8. Querschnitt durch den Schlund dieser Larye. (Ver- grosserung 405). Fig. 5 9. Querschnitt durch die Herzregion einer freischwim- menden Larye. (Yergr. 270. Zeiss E. I). Fig. 6 0. Querschnitt durch den hinteren Korpertheil einer Larye yom zweiten Tage nach der Festsetzung. (Vergr. 175). Fig. 6 1. Querschnitt durch die Region der Flimmergrube einer freischwimmenden Larye. (Vergr. 405). Fig. 6 2. Ein weiter hinten gefiihrter Querschnitt derselben Schnittserie. (Vergr. 405). Fig. 6 3. Querschnitt durch die Sinnesblase einer freischwim- menden Larye. (Vergr. 490. Zeiss. E. III). Fig. 6 4. Querschnitt durch die Haftpapillen einer festgesetz- ten Larye. (Vergr. 405). Fig. 6 5. Querschnitt durch den Kiemenkorb einer alteren fest- gesetzten Larye. (Vergr. 405). Fig. 6 6. Zellen der Kiemenspalte aus einem Langsschnitt. (Vergl. 405). Fig. 6 7. Langsschnitt durch die yordere Korperregion einer freischwimmenden Larye. (Vergr. 175.) Fig. 6 8. Querschnitt durch die Region des Flimmerbogens einer alteren festgesetzten Larye. (Vergr. 270. Zeiss E. I). Fig. 6 9. Flimmergrube und Ganglion einer festgesetzten Larye. (Vergr. 270). Tafel VII. Die drei ersten Figuren sind nach dem lebenden Objekte gezeichnet, die andern nach Praparaten. Fig. 7 0. Larye yom funften Tage nach der Festsetzung. Alle Gewebe sind glashell und yoUkommen durchsichtig , nur der Darm- traktus durch gelblich-braune Farbuug getriibt. (Vergr. 145. Zeiss C. II). Fig. 7 1. Larye yom 23ten Tage nach der Festsetzung boi 38- facher Vergrosserung gezeichnet. Fig. 7 2. Ganglion und Flimmergrube einer festgesetzten Larye yom funften Tage. (Vergr. 270). Fig. 7 3. Querschnitt durch den Endostyl einer alteren festge- setzten Larye. (Vergr. 405). Die Entwicklungsgeschichte der socialeu Ascidien, 119 Fig. 7 4. Querschnitt durch den Eudostyl einer Larve vom 25sten Tage nach der Festsetzung. (Vergr. 270). Fig. 7 5. Querschnitt durch den Endostyl einer jungen Ketten- form von Salpa democratica-mucronata. (Vergr. 270). Fig. 7 6. Querschnitt durch die vordere Korperregion einer eben festgesetzten Larve. (Yergr. 175). Fig. 7 7. Ein folgender Querschnitt durch dasselbe Thier. (Vergr. 175). Fig. 7 8. Ein Stiick des Enddarmes mit der ihn umspinnenden Driise. (Vergr. 120). Tafel VIII. Sammtliche Figuren stellen Querschnitte dar , die nach der im Eingange erwSliiiten Methode angefertigt worden sind. Die Vergrosserung betragt, wo nieht anders angegeben ist, 270 (Zeiss E. I). Fig. 7 9. Querschnitt durch den vorderen Korpertheil eines Embryo, der etwas alter ist als der in Fig. 35 abgebildete. Fig. 8 0. Querschnitt durch den Vordertheil des in Fig. 39 abgebildeten Embryo. Der Schwanz ist mitgetroffen. Der Schnitt ist, um ihn mit Fig. 39 in Uebereinstimmung zu bringen, so orien- tirt, dass er von der vorderen Seite aus gesehen erscheint. Fig. 8 1. Querschnitt durch den Vordertheil eines etwas alte- ren Embryo, als der in Fig. 31 abgebildete. Fig. 8 2. Querschnitt durch die vordere Region eines Embryo von ungefahr der in Fig. 35 abgebildeten Ausbildung, Fig. 8 3. Ein vorhergehender Schnitt durch dasselbe Thier. Fig. 8 4. Querschnitt durch den Riickentheil eines etwas alte- ren Embryo als der in Fig. 28 abgebildete. Fig. 8 5. Querschnitt durch den Vordertheil eines Embryo von ungefahr der in Fig. 35 abgebildeten Ausbildung. Fig. 8 6. Querschnitt durch die hintere Korperregion eines Em- bryo von nahezu der in Fig. 31 gezeichneten Entwicklung. Der Schnitt ist nicht vollkommen senkrecht zur Chorda gefuhrt, daher erscheinen mehrere Zellen auf dem Querschnitte getroffen. Fig. 8 7. Querschnitt durch die Region des vordersten Chorda- endes eines etwas jiingeren als in Fig. 33 abgebildeten Entwicklungs- stadiums. Fig. 8 8. Langsschnitt durch das Schwanzorgan eines in Fig. 34 abgebildeten Embryo. Fig. 8 9. Querschnitt durch den Hinterleib eines etwas jiinge- ren Embryo als der in Fig. 29 abgebildete. Die ventralen Ento- 120 Dr. Oswald Seeliger, Die Eutwicklungsgeschi elite u. s. w. dermzellen erscheinen auf dem Quersclinitte als mehrschichtige Lage, obwohl in Wirklichkeit unter der Chorda nur eine einfache ento- dermale Zellschicht verlauft. Diese Entodermzellen und die Chorda- zellen sind sehr hock und verhaltnissmassig schmal, stehen aber in ihren Langsrichtungen nicht zu einander parallel , so dass es mir nicht gelang, auf einem Querschnitt beide Zelllagen in ihrer ganzen Hohe zu treffen. Ich habe daher vorgezogen, die Abbildung zu ge- ben, auf welcher die ventralen Entodermzellen nur in halber Hohe durchschnitten sind. Fig. 9 0. Querschnitt durch die Region der Flimmergrube einer jungen festgesetzten Larve. Bildung des Ganglions. (Vergr. 405. Zeiss F. I). Fig. 9 1. Schnitt durch einen Embryo im Alter des in Fig. 42 abgebildeten, parallel zum Endostyl gefiihrt. Entstehung des Herzens. (Vergr. 230. Zeiss D. II). Fig. 9 2. Ein folgender Schnitt derselben Serie. (Vergr. 230). Fig. 9 3. Querschnitt durch die Sinnosblase eines ganz ausge- bildeten Embryo (Fig. 47) zur Demonstration des Verhaltnisses von Flimmergrube und Sinnesblase. (Vergr. 175. Zeiss D. I). Fig. 9 4. Das Sinnesorgan — Auge — desselben Schnittes star- ker vergrossert. (Vergr. 270). Fig. 9 5. Querschnitt durch die vorderste Korperregion eines gleich alten Embryo. Die Einmiinduug der Flimmergrube in die Ingestionsoffnung ist auf dem Schnitte getrofifen und die Flimmergrube fast in ihrer ganzen Lange durchschnitten. (Vergr. 175. Zeiss D.I). Fig. 9 6. Schnitt durch einen jungen Embryo (ungefahr im Alter des in Fig. 42 abgebildeten) parallel zur Langsrichtung des Endostyls. Das Ektoderm hat sich auf der linken Seite, in der Re- gion der Sinnesblase zum sog. Kloakalblaschen eingestiilpt, das den Peribranchialraum bildet. (Vergr. 175). Fig. 9 7. Schnitt durch einen alteren Embryo. Fortschritt in der Bildung des Peribranchialraumes. (Vergr. 175). Fig. 9 8. Querschnitt durch einen ausgebildeten Embryo (un- gefahr im Stadium, das in Fig. 45 abgebildet ist) zur Demonstration der Bildung der ersten Kiemenspalten. (Vergr. 175). Palpus maxillaris Lepidopterorum. Von Dr. Alfred Walter, Assistent am zoolog. Institut zu Jena. Einleitung. Bei dem hohen Interesse, das die Classe der Insecten von jeher, sowohl bei Zoologen von Fach, als auch namentlich bei zoo- logiscli sicli belustigenden Dilettanten gefunden, ist mit der Zeit die entomologische Literatur zu uniibersehbarem Umfang ange- waclisen, oline dass indess fiir weitere Arbeiten sich die Grenzen zu eng gezogen batten. Triigt auch der bei weitem grosste Theil des auf diesem Gebiete geleisteten rein systematischen Character, so hat ein jeder Jahrgang auch Abhandlungen morphologischen uud embryologischen Inhalts gebracht. Lieferte doch namentlich die Insectenembryologie einen Stoi!, zu dem in einer uoch nicht weit zuriickliegenden Periode fast jeder Zoologe einen Beitrag zu liefern sich verpflichtet fuhlte (siehe Dohrn: zoolog. Stationen). In der Morphologic wurden, seit Fabricius namentlich aber Savigny den Anstoss gegeben, die Mundtheile der Insecten der Gegen- stand mannigfacher Betrachtungen. Die diesbeziiglichen Arbeiten gestalteten sich bisher meist entweder zum Vergleich der Ver- haltnisse an den grosseren Insectenabtheilungen , im Werthe von Ordnungen, so z, B. Savignys diese alle umfassende Untersu- chung, Oder Gerstfelds Behandlung der Mundtheile saugeuder Insecten etc. ; oder aber es wurde der feinere Bau des Muudappa- rates an einer oder einigen fiir eine Gruppe typischen Arten ge- priift, so namentlich in letzter Zeit der Schuabel der Rhynchoten an einigen Wasserwanzen von Otto Geise, oder die Struktur des Schmetterlingsriissels von Burgess an Danais Archippus etc. 122 Dr. Alfred Walter, Die trotz der auffallend grossen Uebereinstimmung in alien wesentlichen Theilen der Insectenorganisation iiberaus grosse Fiillc geringfugiger , sich scheinbar an keinerlei Kegel bindender Ver- schiedenheiten, die an jedera Insectenorgan sich bemerklich macht, scheiut der Grund gewesen zu sein, wesshalb bislang noch nicht der Versuch gemacht wurde, eine Vergleichung einzelner Details an der characteristischen Mundbildung der Insecten innerhalb einer Ordnung consequent durchzufiihren, d. h. diese an moglichst grossem Material, der erreichbar grossesten Zahl von Gattungen, Arten und Individuen vergleichend zu priifen und die auch hier- bei sich schliesslich doch ergebendeu Analogien als verwerthbare Satze festzustellen. Jedenfalls konnte ich in der Literatur noch fiir keiuen Theil aus dem Mundapparate der Lepidopteren , die allein uns hier direkt interessiren , eine streng durchgehende Be- trachtung finden, etwa derjenigen vergleichbar, die Speyer in Okens Isis 1838 und 1839 fiir die Fiihler gegeben. Als einziger derartiger Versuch sind die Breiteubach'schen Arbeiten iiber die Saftbohrer des Schmetterlingsriissels zu verzeichnen, die indess leider auch auf eine verhaltnissmassig nur geringe Artenzahl sich beschraukt haben, jedenfalls noch weiter zu fiihren sind. Sonst finden wir hochstens fiir die grosseren Abtheilungen der Schmetter- linge und da auch nur die augenfalligsten Verschiedenheiten der Mundbildung ungefahr bestimmt und systematisch ausgenutzt. Der Wunsch, eine Vergleichung im oben erwahnten Sinne zu versuchen , ward daher in mir rege, als im verflossenen Sommer beim Herstellen von Demonstrationspraparaten der Schmetterlings- mundtheile die Detailverschiedenheiten derselben mir entgegen- traten , als ich dabei bemerken musste , dass es nicht gleich ist, welche Art man zum Darlegen aller Verhaltnisse wahlt. Leider war der Schluss des Sommers (Ende Augusts) herangeriickt als der Entschluss sich festigte, und in den Herbstmonaten die Zeit mir zu beschrankt, urn noch die Beschaffung eines Materials zu gestatten , das gleich fiir den Anfang dem Wunsche entsprochen hatte, namentlich Vertreter einiger, selbst grosster Hauptabthei- lungen, Schwiirmer und Spinner, waren kaum mehr zu erhalten. Dennoch glaube ich jetzt da der gesammte Vorrath zu Praparaten verwandt, bis zum Anbruch der nachsten Schmetterlingssaison aber noch Monate verstreichen miissen, einige daraus schon resul- tirende feste Punkte hinstellcn zu diirfen. Kaun nun der Werth derselben auch nur ein geringer, in manchem vielleicht nicht einmal gesicherter sein, so schafft mir Palpus raaxillaris Lepidopterorum. 123 ihre Veroffentlichung doch in einer Hinsicht holie Genugthuung; dariii uamlich, dass sie mich in den Stand setzt zum ersten Male nieinem hocliverehrten Lehrer, Prof. Haeckel, an offentlicher Stelle meinen tiefgefiihltesten Dank zu sagen, nicht sowolil und allein fur die Ermuthigung zu diesem Erstlingsversuch , als na- mentlich fiir das Wohlwollen, das er in Lehre und anderweitiger Unterstutzung mir in meiner Studienzeit stets erwiesen , fiir den tiefen Einfluss, den er auf mein gauzes Sein geiibt. — Der erste Punkt, an dem bei Betrachtung verschiedener Riissel meine Aufmerksamkeit liaften blieb , war der Palpus maxillaris, ein beim grossten Theil der Schmetterlinge weit reducirtes Organ, das in ganzen grossen Abtheilungen entschieden physiologisch fast Oder ganz bedeutungslos , trotzdem , oder vielleicht gerade dess- halb aber morphologisch von hoheni Interesse ist. Indem die in der ganzen grossen Insectenklasse in dieser Art einzig dastehende Umbildung des ersten Maxillenpaares zum allbekanuteu Saug-Roll- riissel stets die Aufmerksamkeit ganz auf sich zog, wurden die iibrigen zuriickgehenden Theile des Mundapparates und unter ihnen nicht zum wenigsten der Maxillartaster, als wiederum meist ge- ringfiigigstes jener, gar stiefmiitterlich bedacht. tjberblicken wir die vornehmlichsten Stellen der zool. Literatur, die ihm gewidmet sind, so stellt sich ihre Zahl, noch mehr die Correktheit der An- gaben als ausserst gering heraus. — Zum ersten Male findet das Gebilde Erwahnung in „Chr. Fabricii" „Systema entomologiae" (Flensburg und Leipzig 1775) in folgender Diagnose des Genus Tinea p. 655 : „P a 1 p i q u a t o r inaequales antici porrecti cylindrici, postici breviores, Antennae setaceae." Nur diesem Geschlechte Tinea, zu welchem Fabricius indess Vertreter sammtlicher jetzt gultiger Familien der Microlepidopteren, sowohl viele Pyralidinen sp. Crambiden und Galleriden, als auch Torticinen, echte Tineinen und Micropteryginen vereint hat, werden an jenem Orte 2 Palpen- paare zugeschrieben, alien iibrigen Gross- und Kleinschmetterlingen bloss ein paar Lippcntaster. Fabricius soil sich laut Savigny, Latreille anschliessen , den ich selbst nicht auf den Punkt hin zu priifen vermochte, aus denselben Arten sein Qenus Crambites' constituirend. In Gegensatz zu jenen 2 Forschern tritt 1816 Sa- vigny in seiner wohlbekannten „Theorie des Organes do la bouche des animaux invertebres et articules", der reichsten Fundgrube fiir unsern Gegenstand. Allen Lepidopteren werden nun 2 Tasterpaare zugesprochen. Die Zahl der in Savigny 's Werk namhaft gemachten Genera 124 Dr. Alfred Walter, uiid Species scheint mir aber wohl fiir jeiie strikte Behauptung noch zu gering. Ich glaube dagegen sicher, dass die Reduktioii des Riisseltasters schon bei mancher Art bis zu vollkommencm Schwunde fortgescliritteii ist. Durch alle Stufen der Riickbildung koiinte ich ihn sclion verfolgen, bis hinab zu einem Gebilde, dessen Bestimmung erst bei fast SOOfacher Vergrosserung gelingt. Bei Lycaena endlich habe ich bisher gar Dichts als Maxillartaster deut- bares entdecken konnen. Unfraglich unrichtig siiid aber Savignys anschliessende An- gabeu iiber die Gliederzahl des Tasters. Sie lauten: „Les palpes maxillares sont composes tantot de deux tantot de trois articles. lis sont de deux articles tres courts dans les Papillons les Hespe- ries, les Phalenes, les Noctuelles , les Pyrales, les Pterophores , un peu longs dans les Sesies et les Zygenes; de trois articles et tres apparens dans les Botys , les Galleries , les Crambies , les Alucites etc." In Wahrheit nun ist das Gebilde bei den Tag- faltcrn (Papillons), den Hesperiden, dem bei weitem grossten Theil der Spanner (Phalenes) den Pterophoriden nur eingliederig , bei Crambus, Botys 4gliederig ; bei andern Kleinfaltern , Mieropteryx endlich steigt die Zahl bis auf 6, was im speciellen Theil der Untersuchung gezeigt werden soil. Fiir die meisten Noctuiuen und fiir Zygaena stimmt Savignys Angabe mit meinen Befun- den, ebenso was er uber die Formverhaltnisse der Glieder und die Beschuppung des Riissels sagt. Gerstfeld wiederholt in seiner trefflichen Magisterdissertation iiber die Mundtheile der saugenden Insekten in Bezug auf den Maxillartaster der Lepidop- teren genau Savigny, ohne wesentliches hinzuzufiigen. Er wie- derlegt dann noch gleich Newport Newmanns Behauptung , dass der Taster bei Sphinx fehle, wo er in der That gar nicht einraal schwer nachzuweisen ist. Newmann selbst konnte ich nicht einsehen. — In Burmeister s „Handbuch der Entomologie" Bd. I p. 67 heisst es iiber das Object unserer Betrachtung bloss : „da wo der obere Faden des Untcrkiefers vora Stiel entspringt, sitzt an diesem ein kleiner 2gliedriger Taster." Etwas praciser ist das 'Verhalten p. 64 bei der allgemeinen Besprechung der Insekten- palpen ausgedriickt, wo dem Kiefertaster der Schmetterlinge, wohl nach Savigny 2, oder fur seltene Falle 3 Glieder zugestanden werden. Wich tiger ist dagegen hier der vorhergehende Satz, in welchem Burmeister fiir die Gliederzahl der Lippen- wie Kiefer- taster iibcrhaupt trotz ihrer vielfachcn Abanderung, ein gewisses Zablenverhiiltniss innerhalb der einzelnen Insektenordnungen gel- Palpus maxillaris Lopidopterorum. 125 tend machen will. 1st nun ein solches in der Lepidopterenord- nung audi nicht vorhanden , so soil es fiir die kleinercn Abthei- lungen derselben nachgewiesen werden. — Ratzeburg nennt in seinen „Foi'stinsekten" II. Bd. „die Falter" zuerst den ein- glicderigen Taster, sclireibt aber diese freilich selir haufige , viel- leicht wirklich iiberhaupt zahlreichste Form alien Lepidopteren zu, niit Ausnahme uur einiger Nachtfalter und zwar der Pyraliden, dercn Taster als Sgliedrig deutlich angegeben wird. — Wider- sprechend Savignys, Gerstfelds und Burmeisters An- siclit von der allgemeinen Verbreitung des Riisseltasters bei sammt- lichen Schmetterlingen spricbt Glaus in seinem Handbuch der Zoologie denselben der ganzen Subordo der Tagfalter schlechthin ab, obgleich derselbe dem allergrossten Theil derselben, jedenfalls alien von mir bisher untersuditen , mit Ausnahme von Lycaena zukommt, freilich bei der stets sehr geringen Grosse und der meist liegenden eng an die Riisselbasis geschmiegteu Stellung oft sehr schwer, erst bei Druck des Prilparates unter dem Dedi:glase zur Ansdiauung gebradit werden kann. tJbrigens finden wir den Kiefertaster von Glaus in vielen andern Gruppen namentlich bei den Gattungen der Kleinfalter unter den Gattungsmerkmalen beriicksichtigt , dabei auch mehr- fach Mehrgliedrigkeit angefiihrt; allein hier wie andererorten nur hie und da, ohne konsequente Durchfuhrung. Die notizenhafteu Bemerkungen in anderen Haudbiichern der Zoologie konnen fuglidi unberiicksichtigt bleiben, sowie es unmog- lich ist solche fiir Einzelfiille (Zeller etc.) aus der massenhaften systematischen Litteratur auszulesen. Beriicksichtigung verdient dagegen hier Speyers tiberaus lesenswerther Artikel: „Zur Genealogie der Schmetterlinge." Dort allein sehen wir dem Riisseltaster werthvolle Bedeutsamkeit bei- gelegt, indem der Autor den mehrgliedrigen Taster der Zeller'- schen Tineina plicipalpia, der Micropteryginen unter die an niedere Insekten speciell Neuroptern aus der Gruppe der Phryganiden anklingenden Merkmale aufnimmt. Indes wird des Organ's bei den iibrigen zur Sprache kommenden Gattungen leider nicht Erwah- nung gethan *). ^) Gleich nach Abschluss meiner TJntersuchung erhielt icli durcli. die Giite Prof. Haeckel's eine bereits im Herbste durch vorlau- fige Mittheilung im zool. Anzeiger annoncirte Arbeit von Paul Kir bach: „Ueber die Mundwerkzeuge der Schmetterlinge." Die Histologie des Mundapparates hauptsachlich behandelnd, hat der Autor 126 Dr. Alfred Walter, In den nachfolgenden Zeilen soil nun ein Vergleich des Maxil- lartasters der Schmetterlinge in moglichster Ausdehnung begon- nen, das heisst an dem bis jetzt mir zu Gebote stehenden Material von Arten durchgefiihrt werden, urn spater vielleicht weitere Aus- dehnung zu erhalten ; und zwar soil dabei etwa folgender Weg ein- geschlagen werden. — Zuvorderst will ich die bisher untersuchten Arten auffiibren, bei jeder den Tasterbefund genau angebend, nebst etwa damit in Zusammenhang tretenden andern Bildungen der Mundtheile. An die augenblickliche systematische Eintheilung binde ich mich dabei nur insoweit als ich die Gattungen und Arten in den Grenzen der allgemein gultigen Hauptgruppen in den Subordines der Kleinschmetterliuge, Spanner, Eulen, Spinner, Schwarmer und Tagfalter hinstelle, wahrend die Reihenfolge aller, sowohl Gruppen als Arten, nach dem Reduktionsgrade des an ihnen zu betrach- tenden Theiles sich richten soil. An dieseu Theil der Arbeit reihe ich in kurzer Fassung die aus dem Vergleich der direkten Untersuchung sich ergebenden Satze , daran eine allgemeine Betrachtung , die in jenem ihre Be- griindung findet. Leider konnte ich nicht dem Vorsatze nur lebend in Alkohol iibertragene Exemplare zu untersuchen streng treu bleiben, sondern musste einige zwar wenige auch schon beim ersten Beginn unum- ganglich nothwendige und aus erorterten Griinden frisch nicht meinem speciellen Untersuchungsobjekte natiirlich nur beiliiufige Be- achtung schenken konnen , dasselbe scheinbar rorwiegend nach den sparlichen Literaturangaben friiherer Autoren beriicksichtigt. Daher eben werden wiederum die Maxillarpalpen der Eulen und Tagfalter als gleichwerthig d. h. beide als winzig und zweigliedrig angegebene , die Maxillarpalpen mit scbuppentragendem Riissel versehener Kleinfalter, oflfenbar nach S a vi g n y , als Sgliedrig beschrieben und endlich Angaben Berges iiber das Yorkommen von 5- oder 6gliedrigen Maxillartastern in Zweifel gezogen, ein Zweifel den ich indes bereits sicher zu be- seitigen vermocht. Als irrthiimlich muss ich endlich noch einen Satz der Arbeit bezeichnen , demzufolge bei unvollkommen ausgebildetem, sagen wir ricbtiger bei riickgebildetem Kiissel auch dessen Taster stets geschwunden sein soil. Zwar habe ich noch nicht viele riissel- lose Formen untersucht, liabe aber bei Spinnern rait kaum mehr nachweisbarem Riisselrudiment stets auch seinen Taster und zwar starker als bei vielen langriisseligen Grossfaltern so den meisten Tag- faltern etc. gefunden. Bei riissellosen Spannern so den fliigellosen Weibchen einer Hibernia-Art hat er genau die gleiche Starke , wie beim riisselfuhrendeu Mannchen oder verwandten Formen. Palpus maxillavis Lepidopterorum. 127 mehr zugangliche Arten als Sammliingsexemplare nacli iiblicher Erweichung uber iiassem Sande in Nutzniessung ziehen. Zur Betrachtung des Tasters scheinen dieselben ubrigens in vielen Fallen ziemlich ausreichend , wenigstens fanden sich bei Vergleich frischer und getrockueter derselben Art oft kaura wesent- licbe Unterschiede. Gliederzahl und Hauptform derselben mussen sich selbstredend beim vorwiegend chitinosen Gebilde erhalten und konnen Veranderungen sich bloss auf Schrumpfung, auf Faltuug und Kerbung der Umrisse beziehen , die daher bei getrockneten keine Beriicksichtigung finden. Dazu soil Angabe durch feine Schrift des Namens jeden Vorwurf fernhalten. — Die Klarlegung des Tasters geschah durch Praparation mittelst Praparirnadeln, nach vorherigem Auslosen der Augeu, Die gewonnenen Praparate wurden nach Durchtrankung mit Nelkenol oder Creosot in Kanadabalsara eingeschlossen. Zum Stu- dium dieute mir mein Zeiss'sches Mikroskop und zwar dessen Linsensysteme A, D, und F beim Ocular 3. also. 75, 320 und 750fache Vergrosserungen. Beim Bestimmeu der Arten uuterstiitzte mich wesentlich die durch Artenzahl und vorzugliche Exemplare hervorragende Samm- lung des hiesigen Institutes, (stammend vom Hofrath Martini in Weimar). Specielle Untersuchung des Palpus maxillaris an 101 Schmetterlingsarten. Fur die Maxillartaster aller Schmetterlinge mit funktionsfahi- gem Riissel (die Detailverhaltnisse und Besonderheiten rlisselloser zu schildern behalte ich mir bis auf weiteres noch vor) gilt nur etwa folgendes gemeinsame: SeitSavigny haben wir im spiralig gerollten oder fadenformig vorhangenden Theil des Schmetterlings- mundes die Lade des ersten Maxillenpaares zu sehen. In ziemlich rechtem Winkel geht sie von Gerstfelds Maxillenkorper ab, den Cardo und Stipes zusammensetzen , ersterer als geringer An- hang des grosseren 2. Theiles, meist so vollkommen mit demselbeu vcrschmolzen, dass es schwer hiilt die Grenzlinie nachzuweisen, die bisweilen durch besondere dem Cardo angehorige Muskelbiindel an- gegeben wird, oft ist die Unterscheidung absolut unmoglich. 128 Dr. Alfred Walter, Die kaum gesonderte Schuppe des Stipes nun tragt den Pal- pus maxillaris in wechselnder Entfernung von der Riisselansatz- stelle, bald dessen Basis eng angeschmiegt (Macroglossa) bald von ihr ziemlich weit abgeriickt. Zu seiner Bewegung treten wie an alle Anhiinge des Kopfes 2 Muskelbiindel, die wie schon Bur- meister angibt dem Stipes vollkommen eigen sind, diesen in schritger Richtung durchsetzen. Dicht an einander geschmiegt sind sie ungefiihr in der Mitte ihres Verlaufes bauchig angeschwol- len , nach den Enden bin verjiingt. Deutlich lassen sie sich an durcbsichtigen Riisseln (namentlicb schon bei Xylophasia (Hadena) Lithoxylia, Leucania etc.) die Riisseltrachee in spitzera Winkel kreu- zend, bis in die untere innere Ecke des Stipes verfolgen, an dessen Wand sie dort, neben den in den Rollriissel aufsteigenden Mus- keln ihren Ursprung nehmen , von welchen sie indes gleich im spitzen Winkel sich abzweigen. Einen an den Taster gehenden Nerv vermochte ich an Total- bildern nicht nachzuweisen , obgleich seine Existenz kaum zu be- zweifeln ist und werden Schnitte gefarbter Praparate vielleicht dariiber Auskunft geben. Nur bei sehr entwickeltem mehrglied- rigen Taster, sehr deutlich bei Tinea Pellionella ist ein durch das ganze hinziehender, feine Seitenzweige abgebender Tracheenstamm zu sehen, der seinen Ursprung im Stipes von der in den Russel aufsteigenden Trachee nimmt. I. Legion der Lepidoptera: Microlepidoptera. Die Microlepidoptera fasse ich hier als eine Legion zusam- men, da die Zahl der untersuchten Arten dieser grossen Gruppe zu gering ist um eine Trennung in die einzelnen Subordines nothig zu machen, obgleich diese gewiss den Subordines der Macrolepi- dopteren an Umfang und Begranzung gleichwerthig sind. — 1) Micropteryx Purpurella. Da ich leider nicht im Stande war mir im Herbst Alkohol- material von irgend einer Art dieses interessanten Microlepidoptera- Genus zu beschaffen, musste ich um dasselbe nicht vollig bei Seite zu lassen schon zu trockenen Sammlungsexemplaren greifen, die ich nebst einigen anderen Schmetterlingen aus der bekannten Hand- lung von E. Heyne in Leipzig bezog. Die Untersuchuug der erst vollig erweichten Exemplare ergab bedeutende Abweichungen Palpus maxillaris Lepidopterorum. 129 in der Mundbilduiig gegeniiber alien ubrigen von mir untersuchten Schmetterliugsarten. Der sonst iui allgemeinen mehr oder weniger rudimentare Maxillaitaster ist hier noch machtig entwickelt, ja an Grosse der bcdeutendste aller Mundtheile. Aus 6 Gliedern zusammengesetzt ist er seiner bedeutenden Lange wcgen in 3 Kniebiegungen um- gelegt. Sein Basalglied weicht leicht nach aussen , um dann das 2. und 3. nach innen ab , das 4. leicht nach aussen aufsteigen zu lassen, worauf das 5. und 6. nach vorne unten umbiegen und auf diese Weise endlich die Spitze des ganzen Tasters von oben her iiber den Kiissel weg nach vorne sieht, gerade entgegengesetzt dera auch hier wie bei den allermeisten Schmetterlingen 3gliedr. Labialtaster. Sehr moglich scheint mir Berges Angabe, der zu Folge das 5. und 6. Glied gegen die anderen gleich einer Messer- klinge eingeschlagen werden konnten. Was die Lange anlangt so nimnit unter den 6 Gliedern des Maxillartasters das 4. die erste Stelle ein , an Starke das niichst jenem auch langste Basalglied. Es folgen dann das 3., 2., 6., wahrend das 5. gegen alle an Lange bedeutend zuruckbleibt , eigentlich nur ein starkes Gelenkstuck zwischen dem 4. und 6. bildet. Das 2., 3., 4. und namentlich das 5. Glied tragen Schuppen und einige laugere Haarborsten, wahrend das Basalglied voll- kommen nackt scheint und endlich das freie Endglied statt ihrer dicht mit kurzeu starken Haarspitzen bedeckt ist. Dieses Glied weicht durch seine Bildung von dem entsprechenden des Tasters aller nachfolgeuden Arten mit Ausnahme von Tinea, die durchaus mit Micropteryx iibereinstimmt, dariu ab, dass es in 2 zapfenartige Verlangerungen sich gabelud direkt auslauft. Jedes dieser von den Harchen des eigentlichen Gliedes frei, besitzt an seiner Spitzo 3 kleine Spitzchen, die erst bei starker Vergrosserung sichtbar den feinen Anhangen zu gieicheu scheinen, welche das Endglied des Maxillartasters bei Schmetterlingsraupen an seiner Spitze nur in grosserer Zahl tragt. — Der Riissel, dessen Anwesenheit bei den Micropteryginen schon Zeller constatirt hat, den Speyer aber an trocknen Exemplareu schwer nachweisbar angiebt, ist bei unserer Art, wenngleich auch verbal tnissmassig klein, doch ziemlich leicht sichtbar, ist nur in der nattirlichen Lage der Mundtheile von seinen grossen Tastern iiberragt und verdeckt. Seine ziemlich geringe Lange gestattet nur anderthalb Windungen der Spitzenhalfte. Abweichend vom Verhalten bei mit 4gliedr. Taster versehenen Microlepidopteren Bd. XVIII. N. F. XI. q 130 Dr. Alfred Walter, ist bei Micropt. purpurella der Riissel auch an seiner Basis nicht mit Schuppen bedeckt, jedenfalls sind an den trocknen Exem- plaren keine vorhanden, dafiir aber reichliche, der ganzen Ober- flache eigne kurze Harchen (ausser den Versclilusshaaren jedes Riissels). Gegen die Spitze zu endlich finden sich ziemlich zahl- reich Anhangspapillen, von denen ich am schlechten Material aber nicbt entscbeiden kann, ob sie den ausseren Breitenbach'scben Saftbobrern oder, wie es eher scbeint, den Kircbbacb'schen Tast- papilleu der Innenseite, oder beiden zuzuzablen seien. Die wie stets am Kopfe hinaufgescblagenen Labialpalpen divergiren, den Maxillentastern Raum gebend, ziemlicb stark nacb auswarts. Sie tragen reichlicb lange Haar-Scbuppen . nebst wenigen ecbten Haaren und sparlichen Scbuppen. 3) Tinea Pellionella. In der Gattung Tinea finde icb das 5 gliedrige Stadium des Palpus vertreten. Bei T. Pellionella ist, von der Basis gezablt, das 4. Glied das bei weitem langste. Die 4 anderen sind an Lange untereinander nabezu gleich , das basale nocb am kiirzesten und die 3 ersten etwas starker als das 4. und 5. In der Stellung, d. h. Biegungsweise scbeint das Gebilde mit dem bei Micropteryx gescbilderten Verbalten ziemlicb genau iibereinzustimmen. Auch sonst finde icb grosse Uebereinstimmung , so namentlicb in der Gabelung an der Spitze, die bei T. Misella besonders auffallend ist. Der Taster ist stets dicht bedeckt mit kurzen breiten Scbup- pen , die mit eiuzelnen starken Borsten abwechseln, genau wie am Taster von Culex-Arten. Am Basalgliede, dem Schuppen fehlen, ist eine fiir dieses Glied bei den raeisten Micros charakteristische Gruppe von 3—4 solchen Borsten vorhanden. — Bei Tinea Grauella, Spretella und Misella finde ich im We- sentlichen genau das gleiche Verbalten, unterlasse aber die De- tailbeschreibung , well jene Arten mir nur in schlechten, meist trocknen Exemplaren zuganglich waren. 3) Nemophora Swaminerdainmella. Bei einem im Vergleich zu den 2 vorhergehenden Genera schon ziemlich langen und leidlich wohlentwickelten Rtissel be- halt bier der Maxillartastcr, obgleich in seiner Gliederzahl urn eiu weiteres reducirt, noch bedeutende Machtigkeit, iibertriift noch be- deutend die Labialpalpen und diirfte im ausgestreckten Zustande reichlicb | der Russellange gleich kommen. Unter seinen 4 Glie- Palpus maxillaris Lepidopterorum. 131 dern ist das Endglied unverhaltnissmassig lang, langer als die 3 weitereu zusammengenommen , wo durch sie eine 2 malige Kuie- biegung des ganzen Gebildes bedingt wird, wahre;id sonst der gewolinlichen Form des 4 gliedr. Palpus bios eine Biegung zu- kommt. Nachst dem Endglied ist das ihm angrenzeude 3. das langste, wahrend das basale und das 2. unter sich ziemlich gleich sind. Ausser dem basalen tragen sammtlicbe Glieder reichen Be- satz an Haarschuppen. Wie auch bei alien naclifolgenden Klein- faltern mit 4gliedrigem Maxillartaster ist hier der Riissel in seinem unteren Theil etwa ^ — 4 mit Schuppen bedeckt, wie es fUr die folgenden Genera Crambus und Botys etc, schon Saviguy und Gerstfeldt angeben , nur ist irrthiimlich , dass sie den durch bescliuppten Riissel ausgezeichneten Arten eineu 3 gliedrigen Taster zuschreiben. Beim wirklich 3 gliedrigen kommt Beschuppung, so viel icli bisher gesehen, nicht vor. 4) Crambus Tristellus. Z. Ausser dieser Art untersuchte ich noch 3 andere desselben Genus, die sich, weil arg verflogen, nicht sicher bestimmen liessen ; die Artangabe ist hier indess durchaus gleichgiiltig , da auch in Betreff der Mundtheile resp. des Maxillartasters sich die vollste Uebereinstimmung zwischen den Arten der sehr gut charakteri- sirten Gattung bemerklich macht. Der ziemlich starke Maxillar- palpus ergiebt sich hier nicht, wieSavigny, Gerstfeld etc. an- geben, als 3, sondern 4 gliedriges Gebilde. In einer fiir alle noch nachfolgenden Formen des 4 gliedrigen Maxillartasters iiberhaupt charakteristischen Biegung schlagt er sich nach oben und legt sich uber die Msselbasis , wohl durch die starken Labialpalpen am Aufragen verhindert. Das 4. oder freie Endglied ist bei weitem das langste. Dann folgt als noch ziemlich ansehnliches das 3., wahrend die zwei untersten unter sich ungefahr gleich, sehr kurz sind. Das Basalglied tragt hochstens einige Borsten, die folgenden und besonders die 2 obersten sehr reichliche lange Haarschuppen, die als langer Btischel vom Endgliede vorragen. 5) Hydrocainpa Potamogata (Nymj)hula Potamogalis). Der 4 gliedr. wohl entwickelte Maxillartaster dieser Art ahnelt sehr dem einiger Botyden. Das vorletzte (3.) Glied derselben ist das langste, ohne indess sehr bedeutend gegen die iibrigen , na- mentlich das 2. abzustechen. Das kurze, aber breiteste bauchige 9 ■'■ 132 Dr. Alfred Walter, Basalglied tragt an seiner gewolbten Innenseite eine Gruppe star- ker Haarborsteu. Den iibrigen Gliedern sitzen schmale Haar- schuppeu auf, die am Endglied am langsten, weit vorragen. Feine Schuppen bedecken das unterste Drittel des Riissels. 6) Pionea Foi*ficalis (Botys Forf.). Am 4gliedr. Riisseltaster iibertrifft das 2. Glied die tibrigen bedeutend, am nachsten kommt ihm dann das Endglied, Alle Glieder bis aufs basale tragen starke lange Schuppen. 7) Eurycreon (Botys) Verticalis. Bei dieser Art, die ich in grosser Individuenzahl untersuchen konnte, sind die vier Glieder des kraftigen Maxillartasters miter einauder ziemlich gleich. Das basale und darauf folgende 2. um ein geringes den 2 oberen tiberlegen. Das Basalglied ist wie ge- ■wohnlich an seiner Innenseite mit starken Borsten versehen, die 2 folgenden tragen in dicbten Biischeln sehr lange Haarschuppen, das kegelformige zugespitzte Endglied dagegen lange, aber auch breite Schuppen. Solche bedecken auch dicht den untersten Theil des Bussels. 8) Eurycreon (Botys) Cinctalis. Im Staudinger - Wocke'schen Lepidopteren - Catalog finde ich diesen Klein schmetterling als Varietat der vorigen Art unterge- ordnet. Die Mundtheileuntersuchung ergiebt indess Verschieden- heiten, die hier wohl mit mehr Recht die Selbstandigkeit der Art vertreten lassen, als die meisten sonst bei der Speciesunterscheidung innerhalb einer Schmetterlingsgattung tiblichen, namentlich da sich bei Euryc. Verticalis die Constanz dieser Charaktere bis auf die allerfeinsten Details erstreckt und mir nie der geringste Be- ginn einer Variabilitat oder tJbergange zu Cinctalis begegnete. Bei Letzterer stimmen die Einzelheiten der Mundtheilbildung weit mehr mit der folgenden Art, als mit der vorhergehenden. Den 4gliedr. Maxillartaster anlangend ist hier im Gegensatz zu Verticalis gerade das Basalglied im Langsdurchmesser das aller- geringste, dagegen das bei jenem, kiirzeste, vorletzte (3.) Glied, hier um ein sehr bedeuteudes langer als alle iibrigen, vollig wie bei Botys punicealis gestaltet und wie bei jener stark quer ge- runzelt. Das nachst diesem liingste Endglied ist weniger regel- massig kegelformig, sondern zur Spitze mehr gewolbt als beim Palpus maxillaris Lepidopterorum. 133 vorigeii. Das ganze Gebilde ist trotz der geringereu Grosse des Thieres miichtiger , dementsprechend die Borsten des Basalgliedes bedeuteud starker. Die 2 mittleren Glieder tragen statt der Haarschuppen bei Verticalis hier selir breite liurze Schuppen, ge- rade wie bei B. Punicealis, auch sind dieselben, wie dort am langen 3. Gliede sehr sparsam, dagegen am 2. in dichtem Busche angebracht. In entsprechender Weise weicht die Beschuppmig der Riisselbasis von der bei Eur. Vertic. darin ab, dass sie hier durch kurze breite, dort durch sehr lange Schuppen gebildet ist, die bei Vert, auch iiber eine weit grossere Strecke reichen. Auch ausser den Abweichungen in der Bildung des Maxillarpalpus und der mit ihm in Correlation stehenden Russelschuppen finden sich uoch Verschiedenheiten an den Mundtheilen. So ist die Form der den Verschluss beider Riisselhalften vermittelnden Haken eine andere, bei Ciuctalis viel schwacher. Die Glieder der Labialpalpen sind bei Cinctalis schmiiler und weit Aveniger stark beschuppt. Ihre Haarschuppen kiirzer und weniger regelmassig als bei Ver- ticalis. Nimmt man endlich noch dazu, dass auch die Form- und Grossenverhaltnisse der Fliigel in beiden Arten abweichen, so bleibt als tJbereinstimmung kaum mehr als Fiihlerform und Ahn- lichkeit der Farbung und Zeichnung. 9) Botys (Pyrausta) Puiiicealis. In alien Stiicken stimmt der Tasterbefund dieser Art mit dem Verhalten der vorigen Art iiberein, nur sind die Schuppen, na- mentlich die langeren des Tasterendgliedes und die der Riissel- basis hier dunkel gefarbt und sind alle Theile aber genau den Grossenunterschieden der beiderlei Thiere entsprechend bei dieser Art geringer. 10) Tortrix Oorylana (Phoxoptheryx Luudana). An trocknen Exemplaren untersucht. Der Maxillartaster ergab sich hier als 3 gliedrig. Das Basal- glied in alien Dimensiouen als starkstes; von seiner Innenflache ragt eine Gruppe starker Borsten ab. An den 2 weiteren Gliedern finden sich bloss einige feine Haarchen. Schuppen fehlen dem ganzen Gebilde durchaus. Der Riissel besitzt nicht mehr wie bei den Kleinfaltcrn mit 4gliedr. Taster an seinem Basaltheil Schup- penbekleidung , wie denn solche auch bei der nachfolgenden Art, 134 Dr. Alfred Walter, sowie bei mehreren, die ich untersucht, aber nicht zu bestimmen vermocht, und somit wohl wahrscheinlich iiberall fehlen, wo 3 Gliedrigkeit fiir den Maxillartaster gilt. 11) Carpocapsa Pomonella. Am 3 gliedr. Eiisseltaster ist das freie Eudglied das bei weitem langste, dazu von sehr spitz auslaufender Kegelform mit kurzen Borstenspitzchen dicht bedeckt. Das kaum halb so lange Mittelglied tragt ausser den etwas langeren Borstchen noch an seiner Aussenseite einige breite Schuppen, das Basalgiied endlich, wie meist an der Innenseite, starke Borsten zu einer Gruppe ver- eint. Der Rtissel ist schuppenlos, seine Saftbohrer unverhaltniss- massig stark und reicheu von der Spitze abwarts noch bis iiber die Halfte der Riissellange, was eine weitere tJbereinstimmung zur vorigen Art giebt. 12) Adela Viridella. Auch dieses ausgezeichnete Genus vermochte ich leider nur an trocknen Exemplaren einer Art zu untersuchen, wo dazu liber die Kegel starke Schrumpfung storte. Es scheint inir nach diesen der Maxillartaster nur 2 gliedrig zu sein ; das basale Glied un- gemein lang und stark, mit einer Haargruppe ausgestattet , das Endglied bedeutend schwacher. Auffallend ist hier, dass, trotz- dem nur 2 gliedr. Taster, die Russelbasis machtig beschuppt ist, freilich in durchaus anderer Weise, als bei den mit 4 gliedr. Taster versehenen Crambus, Botys etc. Breite starke Schuppen liegen dem Riissel an und zwischen diesen erheben sich in grosser Zahl feine Haarschuppen, deren jede dem ganzen Riissel an Lange nahe kommt. Weit uberragen sie diesen bei seiner Einrollung und geben schon bei Betrachtung des Thieres mit blossem Auge dem Vordertheil des Kopfes ein buschiges Aussehen^' 1) Nachtriiglich habe ich neuerdings durch E. Heyne in Leipzig mit anderen Micros, die rair aus genannter Handlung jetzt in grosse- rer Zahl lebend zugehen, auch ein lebendes Exemplar von Adela er- halten und alles am trocknen gefundene so bestatigen konnen , nur fand ich ausserdem das kleine Endglied des 2 gliedr. Tasters mit einer Gruppe echter Schuppen besetzt, die ich am trocknen nicht gefunden, wo sie ofFenbar bei der Behaudlung des Prtiparates verloren gegangen waren. Palpus maxillaris Lepidopterorum. 135 13) Hyponomeuta Eyonymellus. Am 2gliedr. Palpus maxillaris setzt sich das sehr starke, durchaus cylindrische Basalglied nur wenig vom Stipes ab. Einige lange Borsteu seiner Inuenseite iiberragen noch die Spitze des viel geringeren, namentlich sclimaleren Endgliedes. 14) Hyponomeuta Mallinelliis. Zeigt im Verhalten der Mundtheile voile Ubereinstimmung mit der vorigen Art. Die Abgliederung des Basalgliedes ist hier vielleicht noch weniger ausgepragt, so dass dasselbe einer blossen Emergenz der Stipesschuppe ahnlich sieht. Als selbstandiges Glied kennzeichnet es die wohl bei alien Kleinschmetterlingen dem Ba- salglied zukommeude Borstengruppe an der Innenseite. Der Riissel ist in beiden Arten durchaus unbeschuppt. 15) Aciptilia (Pterophorus) Peiitadactyla. Der Maxillartaster dieser wie der folgenden in die Gruppc der Pterophoriden , der Federgeistchen , gehorigen Art ist nicht, wieSavigny angiebt, zwei-, sondern bloss eingliedrig. Der diinn beginnende Stiel des keulenformigen Gebildes giiedert sich ent- schieden nicht vom verdickten Ende ab, was deutlich durch die folgende Art bestatigt wird, sowie durch die der Verdickung an- sitzende auf ein basales Glied deutende Borstengruppe. 16) Miinaesoptilus (Pterophorus) Ptei'odactylus. Es wiederholt sich hier der Form nach der obere Theil vom Maxillartaster der vorigen Art und erhalt sitzend ohne den diinnen Stiel jenes genau die Form einer Spitzkugel. 3 sehr starke lange Borsten zeichnen die dem Riissel zugewaudte Innenseite aus, wah- rend das iibrige Gebilde mit kleinen Borstchen besetzt ist. Der Russel ist von sehr bedeutender Lange, langer als bei sammtlichen bisher betrachteten Arten, vielmals gerollt. 17) ArgyrestMa Nitidella. Der eingliedrige Maxillartaster dieser zierlichen kleinen Form hat ungcfahr etwas ruudliche Ei-Form. Das freie Ende stumpfer verbreitert, die Spitze dem Stipes eingelenkt. Das freie Ende tragt meist 1 Schuppe und einige Haare. 136 Dr. Alfred Walter, 18) Hypeiia Rostralis. Fiihre ich noch hier an, da sie von den meisten Entomologen und scheinbar mit Recht zu den Kleinfalteru gestellt wird, wah- rend sie sich freilich im Staudinger-Wocke'schen Catalog unter die Spanner eingereiht findet. Der Tasterbefund lasst freilich letzteres Verfahren gerechtfertigt erscheinen. Wie bei vielen Spannern ist der eingliedr. Maxillartaster von etwas unregel- massiger, der Ei-Form noch am meisten annahernder Gestalt, dazu etwas schrag gestellt, so dass die Spitze dem Riissel zuneigt. Endlich finden sich mehrere echte Schuppeu nebst etlichen Haaren von seinen Seiten und der Spitze entspringend. Der Riissel ist sehr entwickelt, in vielwindiger Spirale aufgerollt. II. Legion: Die Macrolepidoptera. I. Subordo der Macrolepidoptera. Noctuina (Eulen). Nach Entwickeluug, speciell der Gliederzahl, des Maxillartasters hat in dieser Subordo das Genus Acronycta einzuleiten. 19) Acronycta Rumicis. Der gut entwickelte Maxillartaster setzt sich aus drei deut- lich getrennten, gelenkig verbundenen Gliedern zusammen. Dem 3. Oder freien Endglied sitzt endlich noch eine cylindrische Pa- pille auf, die ich als letztes Rudiment eines 4 Gliedes auffasse und insofern fiir interessant halte, als sie an Imagines der Schmet- terlinge direkt den Reduktionsvorgang des Riisseltasters uns vor die Augen fuhrt, was die nachsten Arteu zeigen sollen. Von den 3 wirklichen Gliedern des Tasters ist das mittlere ungemein mach- tig, bauchig aufgetrieben bis zu unregelmassiger Kugelform. Von seiner ganzen Oberflache entspringen dicht gedrangt sehr lange Schuppen oder richtiger Haarschuppen , die weit das Endglied mit seinem Anhang iiberragen, dasselbe vollkommen zwischen sich einschliessen. Letzteres selbst ist abgestumpft-kegelformig und tragt an der Spitze die erwiihnte Papille, die sich ziemlich scharf von ihr absetzt. 30) Acronycta Psi. An dem verhaltnissmilssig schwacheren Maxillartaster ist das Mittelglied weniger aufgetrieben und rund als bei der vorigen Art. Palpus maxillaris Lepidopterorum. 137 Das Eudglied besitzt statt der stumpf-kegelformigen eine mehr flaschenformige Gestalt mit aufgeblaseuer Basis. Die bei der vo- rigen Art noch ziemlich deutlich von diesem abgesetzte Papille ist in der Reduktion soweit fortgeschritten, dass hier das Endglied des Tasters direkt in ein winziges Gebilde auslauft, welches sich mit den Tastpapillen ? oder der primitivsten Form der Breiten- bach'schen Saftbohrer identificirt. Bei starker Vergrosserung liisst sich an ihm eine vorragende, aber nicht scharfe Spitze und ein breiterer niedrigerer Sockel wie bei jenen Gebilden imterscheiden. An seiner Basis besitzt die Tasterspitze eine runde Offnung, die in eine ziemlich tiefe Grube oder Canal zu ftihren scheint. Ueber die Bedeutung derselben vermag ich mir nach dem einzigen Pra- parat dieser Art keine Vorstellung zu bilden. (Auf ihrem Boden scheint ein abgerundeter Zapfeu sichtbar), 31) Xylophasia (Had en a) Lithoxylia. Ich wahle hier den Gattungsnamen Xyloph., abweichend von Staudinger, der diese mit Hadena vereint hat, well mir andere Arten der letzteren noch nicht zur Hand waren, und ich daher nicht zu entscheiden vermag, ob sich die Zusammengehorigkeit auch in der Bildung der Mundtheile ausspricht. Von unserer Art ist eine weitere Stufe der Tasterreduktion erreicht. Die Endpa- pille ist ganzlich verschwunden , ein kleiner Ausschnitt an dem freien Ende des letzten Gliedes scheint aber noch die Stelle an- zudeuten, wo urspriinglich jenes Gebilde sich gefunden. Desgleichen spricht sich die Riickbildung darin aus, dass das 3. Tasterglied nicht mehr durch ein Gelenk vom mittleren abgegliedert erscheint, sondern bloss durch eine tiefgehende Ausbuchtung, die eine Art Hals oder Stiel des Endgliedes entstehen und dieses als direkten Fortsatz des Mittelgliedes erscheinen liisst. Letzteres ist bei Weitem das starkste von regelmassig ovaler Form und Trager reichlicher langer Haarschuppen , die sich iudess nicht eiuzig auf dieses beschranken, sondern auch dem falschen Endgliede auf- sitzeu. Eine weitere letzte tJbergangsstufe vom 3 zum 2gliedr. Taster bietet: 33) Pliotedes (Apamea) Captiunciiliis. Der Maxillartaster dieses Zwerges in dem Eulengeschlccht erweist sich ebenfalls als aus 3 Gliedern zusammengesetzt, deren letztes aber nur noch von geringer Machtigkeit dem Mittelgliede als abgestunipft kegelformiges Gebilde aufsitzt, sich aber kaum 138 Dr. Alfred Walter, deutlich von ihm abgrenzt. Das Mittelglied ist kuglig aufgetrieben, seitlich mit langen Schuppen besetzt, die das nackte 3. Glied iiberragen. In einen kurzen Stiel sich verdiinnend, setzt es sich endlich an das kleine cylindrische und unbescbuppte Basalglied. 33) Neuronia Popularis. Hier finde ich noch bei einera Exemplare, dem 2. Gliede des Maxillartasters eine Papille, ahnlich wie bei Acronycta Ruraicis am 3., aufsitzen , wahrend die iibrigen untersuchten Exemplare die einfache, fiir die Hauptmasse der Eulen typische Form des 2 gliedr. Tasters zeigen. Das Endglied gleicht vollkommen dem Mittel- stiicke des 3 gliedrigen , ist hier speciell von rundlicher Form, das stumpfere Ende nacli aussen gerichtet. Zahlreiche Haarsclmppen iiberragen es als Btiscliel urn das doppelte seiner Lange. Wie schon beim 3 gliedr. Taster der vorliergebenden Euleoarten biegt das 2. Glied winkelig vom schwacben Basalgliede ab. Jenes richtet sich von seiner Ursprungsstelle gegen die Riisselbasis di- vergirend, wahrend das 2. Glied sich dieser zuwendet, sich iiber dieselbe, oder an sie legt. 24) Neuronia Cespitis. Der Maxillartaster stimmt ziemlich genau mit dem vorigen iiberein. Von seinen 2 Gliedern ist das basale ein wenig langer als bei der vorigen Art, die Biegung der Glieder gegen einander geringer und das Endglied hier an seinem freien Ende ganz leicht eingezogen. 35) Triphaena Pronuba. Das Endglied des 2 gliedrigen Maxillartasters ist von unregel- massig eiformiger Gestalt; das freie Ende verschmalert. Lange Haarschuppen ragen ringsum weit von ihm ab, wahrend das schmalere Basalglied, wie bei sammtlichen Eulen, vollkommen so- wohl der Schuppen als Haare, Borsten etc. entbehrt. Tief keilt es sich in die Squama des Stipes ein. 36) Plusia Gramma. Besitzt einen wohlentwickelten 2 gliedrigen Maxillartaster, dessen Basalglied starker ist als am Taster der meisten Eulen; nur am Aussenrande gewolbt. Nur wenig iibertrifft das Endglied jenes an Grosse. Seine Gestalt ist unregelmassig ei- bis birnfor- mig, am freien Rande ein wenig gekerbt. Lange Haarschuppen sitzen seiner ganzen Oberflache an. Palpus maxillaris Lepidopterorum. 139 37) Pliisia clirysitis. Stimrat beziiglich des 2 giiedrigen Maxillartasters genau mit der vorigen iiberein. Auch die ubrigen Mundtheile, nameutlich der Russel in seiner feineren Bildung, den Verschlusshakeu, Saft- bohrern etc. sind in beiden Arten absolut gleich. 38) Lcucania Pallens. Haufigkeit des Schmetterlings , wie Durchsichtigkeit der ein- zelnen Theile, die sich dazu besonders leicht auseinander legen lassen, maclien diese Art zur Untersuchung der Mundtheile vor- ziiglicli geeignet. Der typische 2gliedrige Eulentaster setzt sich zusammen aus wohlentwickeltem Basal und ihm mit dem ver- schmalerten Ende aufsitzendem kurz-birnformigem Endgliede, wel- ches reichliche lange Schuppen tragt. 39) Grortyna Oclu'acea. Am 2 giiedrigen Maxillartaster besitzt das bedeutend grossere Endglied die Form eines schief gestellten unregelmassigen Ovals, am freien Ende einen stumpfen Winkel ergebend. Lange Schup- pen sitzen seiner ganzen Oberflache auf. Das Basalglied ist, wie bei den meisten Eulen, weit geringer und cylindrisch. 30) Mamestra Trifolii (Chenopodii). Das Endglied des 2 giiedrigen Maxillartasters zeigt ziemlich regelmiissig rundliche Form und reichlichen Besatz langer Schup- pen. Das Basalglied cylindrisch und nackt. 31) Heliothis Dipsacea. Der 2 gliedrige Taster ergiebt ein kurzes cylindrisches Basal- glied und ein starkes Endglied. Durch starke Einkerbung der leicht absteigenden Endlinie erhalt letzteres unregelmassige Herz- form. Es tragt eine ziemlich geringe Zahl langer Schuppen. 33) Xaiithia Sulphiirago. Ist die einzige mir bisher begegnete Eule, an deren 2gliedr. Maxillartaster das Basalglied gegen das Endglied iiberwiegt. Wenig scharf setzt von ihm sich das ebenfalls starke Endglied ab, an seinem freien breiten Ende leicht eingezogen oder gelappt und mit langen Schuppen in nicht grosser Zahl besetzt. 140 Dr. Alfred Walter, 33) Acontliia Luctuosa. Das Basalglied cles 2 gliedrigen Tasters kommt hier an Mach- tigkeit dem Endgliede ziemlich genau gleicli. Letzteres, von fast runder Gestalt, tragt sparliche Haarschuppen. 34) Euclidia Grlyphica. Diese fuhrt uns zu einigen Eulen mit nur noch eingliedrigem Maxillartaster. Hier besteht es aus eiuem Gebilde, das in seiner Form einige Ahnlichkeit mit dem mancher Tagfalter, Vanessa- Arten, besitzt, einen vollkommenen haar- oder schuppenlosen Cy- linder reprasentirt, mit schiefer Endflache. 35) Agrophila (Emilia) Siilphuralis. Der eingliedrige Taster stellt ein rundliches Gebilde dar, das an seiner Basis sich zu einem ganz kurzen Stiel verdiinnt. Reich- lich sitzen ihm sehr breite kurze Scliuppen auf, und tragt so das Gebilde im Gegensatz zu der Euclydia ganz den Character des Eulentasters. — Gesondert schliesse ich hier 2 unter den Eulen stehende, in der Bildung der Mundtheile jedoch vom Eulen typus sehr weit abweichende Arten an. 36) Scoliopteryx (Calpe) Libatrix. Breitenbach's Abbildung von der Riisselspitze unserer Art fiihrt die Eigeuthiimlichkeit seiner Bildung vor Augen, dargestellt namentlich in den eigen gestalteten und gewaltig starken An- hangen, den Saftbohrern etc., die direkte Anklange nach Br. nur bei einigen tropischen frtichteaubohrenden Motten finden sollen. Der Maxillartaster ist entsprechend dem ungemein hochentwickelten Kollriissel bloss eingliedrig und liegend der Riisselbasis ange- schmiegt. Beginnend mit stielartig verdiinnter Basis, schwillt er bald stark an zu einem breiten Ende mit horizontaler Endflache, von der einige lange schmale Schuppen ihren Ursprung nehmen. 37) Episema (xlaucina (Trimacula). Ausgezeichnet als Vertreterin der Schmetterlinge mit ganz reducirtem Sauger auch aus der Subordo der Noctuinen. Das Riisselrudiment besteht aus 2hautigen Seckigen Lappen, deren spitzes Ende dichtgedrangt eine grosse Zahl von Saftbohrern pri- mitivcr Art bedecken. Am basalen Ende sitzen einige machtige Palpus maxillaris Lepidoptcrorum. 141 Borsteu und der Traclieenstamm erstreckt sich vielfach gewunden durch die Gebilde. Der eingliedrige Maxillartaster ist in der Squama ziemlich tief eingesenkt, an der Basis von ihr umwallt. Es ist ein annaliernd cylindrisches, an der Basis etwas verdunntes Gebilde, das freie Ende durch starke Hockervorragungeu uneben, mit einigen langen Haarborsten bestanden. II. Subordo der Macrolepidoptera. Bomlbyces (Spinner). Wie bereits in der Einleitung erwahnt wurde, ist es mir im Herbst nicbt raoglich geworden , eine grossere Zahl von Reprasen- tanten dieser hochinteressauten Unterordnung der Lepidopteren zu beschaffen. Zu den wenigen Arten , die ich als Alkoholmate- rial untersuchen konnte, nahm ich einige als getrockuete und er- weichte hinzu. Immerhin geniigten alle zusammen nicht, um rait voller Sicherheit iiber die rudimentaren Organe der typischen Bombyces zu ganz sicheren Schliissen zu fiihren. Vertreter der Psychiden fiihre ich gar nicht an, da zu ihrer Untersuchung trocknes Material sich ungeniigend erwies und ich frisches noch nicht besass. Nach den wenigen Abbildungen in Hoffmann etc. scheinen sie riicksichtlich der Mundbildung aber sich entschieden den Bombyces anzuschliessen. Entschieden gilt solches fiir die Hepioliden, die ich gleich vorigen zuvorderst ausser Acht lassen will, da ihre Untersuchung sich ebenfalls einzig auf trockne Exem- plare beschrankt hat. Bei der ungemein grossen Haufigkeit, mit der mehrere Vertreter der letzten Gattung im Mai und Juni in der hiesigen Gegend auftreten, finde ich dann sicher geeignete Gelegenheit, die Mundtheile dieses interessanten und im System immer streitigen Genus zum Gegenstand einer speciellen eingehen- den Betrachtung zu machen. Von den wenigen Spinnerarten, die aber auch, well nur in geringster Individuenzahl vorliegend, nur mit einigem Vorbehalt besprochen werden konnen, sollen voran einige Arten mit mehr oder weniger entwickeltem, jedenfalls noch deutlich nachweisbarem Sanger stehen, die durch 2 gliedr. Maxillar- taster an die Noctuinen Anklange bieten. An sie mogen sich einige der echten Bombycinen mit bis zum Schwund reducirtem Sauger anschliessen. 142 Dr. Alfred Walter, 38) Spilosoma Menthastri. Bei diesem ja sclion im gesammten Habitus lebhaft an manclie Euleii erinuerodeu Spinner pragt sich diese Alinlichkeit auch im 2gliedrigen Maxillartaster aus. Ein kurzes Basalglied desselben tragt ein starkes Endglied, das in seiner Form am meisten mit dem einzigen Tastergliede von Episema tibereinstimmt. Die freie Eudflache ist hier nur weit starker gebucbtet und gezackt, be- sitzt namentlich eine mittlere sehr tiefe Einkerbung. Der dem Rtissel abgewandten Ecke sitzt ein grosserer Busch langer schmaler Schuppen an, wahrend die ihm zugewandte oder anliegende bloss 2 — 3 kleinere solche Gebilde tragt. Der Riissel ist, ob zwar kurz, so doch vollkommen entwickelt und aufgerollt. 39) Pterostoma Palpina. Nur nach 2 trocknen Exemplaren. Der Maxillartaster ergab sicb an ihnen als 2gliedrig. Das Basalglied sehr stark, aber nur wenig gegen die Stipesschuppe abgesetzt. Das Endglied, ahnlich wie bei der vorigen Art, von ungefahr cylindrischer Ge- stalt mit schief abfallender Endflache, die dazu eine tiefe Ein- senkung besitzt. Eine etwas grossere Zahl von Haarschuppen sitzen ihm auf, als beim vorigen. Am Riissel fallen die sehr starken Saftbohrer auf, die in grosser Zahl sich gegen die Spitze zusammendrangen. 40) Phalaena Bucephala. Diese ebenfalls nur trocken untersuchte Species ahnelt in Bezug auf die Tasterbildung wesentlich den 2 vorigen, namentlich mit Spilosoma stimmt dieselbe fast vollkommen iiberein. Das Endglied ist genau wie beim Taster jener Art beschaifen, das Basalglied noch etwas kleiner, kaum mehr als solches in Anspruch zu nehmen. 41) Notodonta Ciczae, Der hier nur eingliedrige Maxillartaster besitzt Ei- bis Birn- form und entbehrt jeglicher Haar- oder Schuppengebilde. Der kurze Riissel tragt starke Saftbohrer mit mehreren Zahnkranzen (Breitenb. Arge galathea). Die Riisseltrachee bildet einige starke Schlingen in ihrem Verlauf. Palpus maxillaris Lepidopterorum. 143 43) Porthesia Auriflua. Besitzt einen eingliedrigen niedrigen Taster mit ziemlich reich- lichem Schuppeiibesatz. 43) Bomlbyx (Gastropacha) Medicaginis (Trifolii var.). Bei vollkommenem Mangel eines wirklichen Saugriissels fiudeu wir hier die jenem entsprechenden Laden der ersten Maxillen, we- uigstens ihre Basen weit auseinandergertickt zu beiden Seiten der Mundoffnung oder der Unterlippenspitze. Eine entschiedene Ahn- lichkeit der selir kleinen Lade, nebst ihrem Taster mit den ent- sprechenden bei alien Schmetterlingsraupen uns begegnenden Bil- dungen ist unverkennbar und jedenfalls grosser als mit einem Schmetterlings-Rollriissel. Zu letzterem stimmen nur einige auch dieser Lade ansitzende typische Riisselpapillen. Allein auch An- hange solcher Art kommen der Maxillarlade der Raupen gleich- falls schon zu; freilich in einer bei Bombyx nicht gegebenen Gestalt. Bei alien Raupen scheinen sie identisch mit den bei vielen Tagfaltern vorkommenden Saftbohrern ohne Randleisten und Zahne Breitenbachs. Jedenfalls nehme ich keinen Anstand, auf Grund volliger Gleichartigkeit des Habitus diese Gebilde beim Schmetterling und der Raupe (wo sie bloss grosser und starker chitinos sind) fiir das gleiche zu erklaren^). ^) Durchaus irrthiimlich scheint mir Grabers Deutung der Maxil- laranhauge der Raupen. In seinen „Insekten" will jener Autor die angezogenen Gebilde als rudimentare iuuere und aussere Kieferlade gedeutet wissen und in der That erscheint nach der von ihm gege- benen Abbildung solcbes nicht uurichtig. In Wahrheit aber setzt sich die Raupenmaxille derart zusaramen , dass wir am Kopfe zuvorderst ein sehr starkes Angelglied, cardo, darauf einen ihm entsprechenden Stipes deutlich unterscheiden konnen, von welchem dann nach innen eine kurze starke Lade entspringt, nach aussen aber der kraftige vom Stipes ab noch 2 gliedrige Maxillartaster. Die freie Endflache der Maxillarlade triigt die erwahnten saftbohrerformigen Anhange, stets 2 in dieser Form, zwischen ihnen ein eigenthiimlich geformtes spitzes Chitingebilde und endlich etwa 3 machtig starke Borsten. Der Taster- spitze dagegen sitzt eine kleine Gruppe ganz kleiner Chitinspitzchen auf, welche unzweifelhaft der Tastfunktion dienen, den von Ley dig an der Spitze des Palpus einer Maikaferlarve abgebildeten Tastpapilleu entsprechend. 144 Dr. Alfred Walter, Ausser einigen Papillen sitzen cler Maxillarlade imseres Spin- ners noch einige starke Borsten an. Auch darin Uebereinstim- mung mit der Raupenraaxille. Wie bei Raupen sind auch bier Lade und Taster der Maxille von fast gleicher Lange, nur ist es bier umgekebrt wie dort die Lade, die docb um ein geringes den Taster iiberragt. Nur undeutlicb scbeint letzterer sich in 2 Glie- der zu trennen. Nabe dem freien Ende des Tasters finde icb (sebr deutlicb an einem Priiparate von einem $ dieser Art) eine Bildung, wie icb sie schon beim Taster von Acronycta Psi er- wabnte. Eine bier z. B. weite, runde Oeffnung lasst einen tief eingesunkenen, am Ende rund gewolbten Cylinder erkennen. Zum Ergriiudeu feinster Details geniigen meine uugefarbten Praparate nicbt und bleibt mir daber das Wesen dieses wobl irgend ein Sinnesorgan vorstelleuden Gebildes zweifelbaft. Die Mundbildung des $ weicbt bier in Bezug auf Papillen und Borstenzabl von dem des S um ein geringes ab. 44) Grastropaclia Qiiercifolia. In der Form stimmt der Taster z. T. nabe mit dem von Medicag. uberein, indem ein z. T. derbes Endglied sicb uuregel- massig kegelformig zuspitzt und mit breiter Basis einem wulsti- gen Basalgliede aufsitzt. Abweicbend ist bloss der Besatz des Endgliedes mit langen, den Riisselstummel iiberragenden Haar- scbuppen. 45) Bombyx (Gastropacha) Quercus S. Durcb etwas grossere Lange abnelt bei dieser Art die Maxil- lenlade etwas mebr den rudimentaren Riisseln. In grosserer Zabl finden daran sicb die Papillen an der Spitze dicbt zu einer Gruppe zusammengedrangt. Der macbtige Taster erinnert dagegen mebr nocb als beim vorigen an den Raupentaster , namentlicb durcb kleine Cbitinspitzcbcn an seinem freien Ende. Durcb ein deut- licbes Gelenk setzt sicb das Endglied von einem starken sockel- artigen, breiten Basalgliede? ab. 46) Saturiiia Pyri. Saturnia, die stets unter die vollig riissellosen Spinner ge- stellt wird, zeigt im Rudiment desselben indess direktere Annabe- ruug an den typiscben Saugrussel als die ecbten Bombyces. Scbon nabern sicb die Maxillenladen bier gegen den Mund convergirend mit ibren freien Endeu fast bis zur Beriibrung iiber der Mund- Palpus maxillaris Lepidopterorum. 145 oflfbung, wiihrend ihre Basen freilich nocli weit auseinander ste- hen. Die Lade ersclieint als hiiutiger rimdlicher Lappeii, dessea Rand sich in mehrere Zipfel theilt, die, jeder mit einer starken Papille Oder Borste endend, sich nach innen einscblagen. Der eingliedrige Maxillartaster ist bier durchaus dem eutsprechendeu Gebilde rtisseltragender Schmetterlinge gleich, erhebt sich nicht wie bei den Bombyx-Arten zu fast gleicher Machtigkeit mit der Lade ; sondern bleibt vielmehr an Grosse weit hinter jener zuriick. Seine Gestalt ist ungefahr cylindrisch bis oval, das etwas breitere leicht gewolbte freie Eude mit einigeu Borsten ausgestattet. III. Subordo der Macrolepidoptera Zygaenidae. Die Zygaenen fiihre ich erst bier auf, da sie zwischen Noc- tuinen und Bombyces keinen Platz finden, der bier eingehal- tenen Reibenfolge nacb, der Tastermacbtigkeit entsprecbend vor die ersteren niebt treten lionuten, und ibre Stellung unter den Macrolepidopteren trotz nacbfolgenden Anklangen an die Micros es scbwer macbt, ibnen alles beriicksicbtigend den recbten Platz anzuweisen. 47) Zygaena PMlipendulae {i). Die vielfacb im System bin und ber gescbobene, bald den Tagfaltern, bald den Scbwarmern, jetzt meist den Spinnern an- gereibte Gruppe der Zygaenidae scbliesst sicb in der Bildung des Maxillartasters , wie iiberbaupt der Mundtbeile am meisten an Kleinscbmetterlinge an. Wie bei den meisten Kleinscbmetterlingen tragt des bier 2gliedrigen sebr starken Maxillartasters Basalglied an der Wolbung seiner Innenseite eine Gruppe (oder Reibe) star- rer Borsten. Ausser diesen sitzen jenem Gliede oben noch einige wenige Haarscbuppen an. Die Basis des Gliedes ist gedrungeu, worauf dasselbe sicb gegen das Endglied etwas verjiingt. Letz- teres ist an Lange dem Basalglied ungefabr gleicb, von lang ova- ler Form und tragt bloss einige Haarscbuppen. Sein etwas ver- scbmalertes freies Ende ist ein wenig eingekerbt. 48) Zygaena Onobrychis (Carniolica). Das Basalglied des aucb bier 2gliedrigen Maxillartasters ist bei dieser Art rundlicb augescbwollen gleicb dem unteren Tbeil des gleicben Gebildes in der vorigen Art. Die Verscbmaleruug Bd. XVni. N. F, XI. 10 146 Dr. Alfred Walter, des Gliedes zu einem Stiel des Endgliedes fehlt aber hier. Die lunenseite tragt in gleicher Weise eine Gruppe von Borsten mit ihren Spitzen der Riisselbasis zugekehrt, die andere Seite einige nach oben sicb ricbtende Haarscbuppen. In grosserer Zabl eiuen ziemlicb starken Buscbel bildend, sitzen dagegen solcbe dera Eudgliede auf. Dieses erbalt durcb eine ziemlicb tiefe Einkerbung eine gelappte, oder verzogene Herzform. 49) Zygaena Acliillaea. Fiir das Basalglied des 2gliedrigen Tasters gilt das gleicbe wie bei den vorigeu Arten. Eine Borstengruppe zeicbnet seine gewolbte Innenseite aus. Die Aussenseite fallt senkrecht ab uud ist nackt. Das freie Endglied ist in seinem basalen Tbeil bau- chig aufgetrieben , um dann zu eiuer kurzen Spitze sicb zu ver- jiingen. Von seinen Seiten geben reicblicbe Haarscbuppen ab; wie bei den andern Arten an der Spitze zusammenscblagend. Vergleicben wir noch einige Punkte aus der Mundbildung der Zygaenen mit der der Kleinscbmetterlinge, so stellt sicb eine frap- pante Uebereinstimmung speciell zum Genus Adela beraus, die wahrscbeinlicb zu anderen Generibus, namentlicb wo iibnlicbe Le- bensweise vorliegt, uocb grosser sein wird. Icb vergleicbe aus der geringen uutersuchten Gattuugszabl dieses, nur um auf die An- klange andere aufmerksam zu macben. Der Bau der Biissel von Adela und Zygenae ist in alien Einzelnbeiteu vollig gleicb, wenn wir von dem Scbuppenbesatz seiner Basis bei Adela abseben, der in dieser Weise wobl iiberhaupt einzig dastebt. Der Haarver- scbluss der Rtisselbiilften ist derselbe. Bei beiden bedecken den Russel ganz gleicbe feinste Haarspitzcben. Beider Gattuugen Riisselbalften scbliessen mit ziemlicb breiter, leicbt abgerundeter Spitze ab. Die Papillen und Borstenanbange des Riissels sind bei beiden unbedeutend, in gleicb geringer Zabl, gleicber Anord- nung und von gleicber Bildung. Desgleichen zeigt sicb Aebnlicbkeit an den Lippentasteni, deren Basalglied bei beiden Genera das langste ist (bei Zygenae freilicb bedeutend die anderen iibertrifift) und vollig iibereinstim- mend ist deren Bekleidung, bestebend in scbmalen Scbuppen, die von ungemein langen, feinen Haarscbuppen oder Haaren weit iiberragt werden. Dazu beraugezogen endlicb die scbon erwabnte Analogic des Maxillartasters, der bei beiden 2gliedrig ist und bei beiden an der Innenseite des woblentwickelten Basalgliedes die den meisten Kleinfaltern eigentbumlicbe Borstengruppe tragt, so Palpus maxillavis Lopidoptororurn. 147 ergiebt sich in der Mundbildimg der Zygaenen ein Auklingen an die Kleinfalter, von den hier aufgefiihrten speciell an Adela, das wohl zu beacliten sein diirfte (Die Form des Maxillartasters ist freilich recht verschieden , bei Adela das Basalglied wold doppelt so stark als das Endglied, bei Zygaena demselben ziemlich gleich. IV. Subordo der Macrolepidoptera : Geometrae. 50) Abraxas Adustata. Unter den 20 bisher von mir untersuchten Spannerarten ist diese die eiuzige, deren Maxillartaster sich deutlich und sicher als 2gliedrig herausstellt. Ein unbedeutendes, namentlich schmales cylindrisches Basal- glied tragt ein bedeutend starkeres Endglied von uuregelmassiger, ungefalir eiformiger Gestalt; das freie Ende verschmiilert, an der Basis aufgetrieben. Schuppen und lange Borsten fehlen dem Ta- ster ganz, nur ganz kurze Borstenspitzcben sind vorhanden. An diese Art mit entschieden 2gliedrigem Taster schliesse icli einige an, bei denen mir, obgleicli nur undeutlicli, doch in der Einlenkestelle in der Squama sich noch ein winziges Gebilde als verkummertes Basalglied abzugliedern scheint, daran die Formen mit gestieltem, aber sicher eingliedrigem Taster. Bei diesen na- mentlich, aber auch iiberhaupt unter den Spannern ergiebt sich entsprechend der ja fiir den grossten Theil geltenden Ueberein- stimmung im Gesammthabitus auch eine weitgehende Gleichfor- migkeit in der Mundbildung, die wohl das Einhalten eiuer be- stimmten ab- oder aufsteigenden Reihenfolge gleichgiiltig und un- moglich macht. 51) Cidaria Bilineata. Ein vollkommen ovales mit ganz feinen kurzen Borstchen bo- decktes Tasterglied, sitzt auf kurzem schmalem Stielchen, das sich in der Tasterschuppe noch abzugliedern scheint, ohne indess ein deutlich selbstandiges Glied reprasentiren zu konnen. Auch hierin findet die jetzt iibliche Entfernung dieser Art von Orto- litha Bipunctaria und Mensuraria Berechtigung , mit denen sie friiher im Genus Larentia dicht zusammenstand. 53) Cidaria Fhictiiata. Der Stieltheil des ziemlich starken, ovalen, etwas zugespitz- 10* 148 Dr. Alfred Walter, ten, mit nur einzelneu gauz kurzen, aber starken Borstenspitzen versehenen Tastergliedes ist Doch kiirzer als bei der vorigeu Art, seine Abgrenzung in der Tasterscbuppe nocb undeutlicber geworden. 53) Cidaria Alcliemillata. Die Form des Tastergliedes ist die gleiche wie bei der vo- rigen Art. Ein Stieltheil ist kaum mehr ausgebildet, wo aber das Tasterglied der Squama eingefiigt ist, lasst sicb seine Basis bildend ein abgegrenztes Plattchen unterscheiden , das wobl als Stieltbeil, resp. der Rest eines Basalgliedes des Tasters sich in Anspruch nebmen lasst. 54) Cidaria Ferrugata. Bei der vollkommensten tJbereinstimmung des einzigen Taster- gliedes mit dem der vorigen Arten ist bier eine Vermittelung zwiscben ibm und der Scbuppe kaum raebr wabrnebmbar , der Taster dem eingliedrig sitzenden der meisten Spanner ziemlicb gleicb. 55) Eupithecia Trisigiiaria. Der eingliedrige ovale Taster ziebt sicb an der Seite der Basis in einen deutlicben Stiel aus, der vom Gliede aber nicbt abgesetzt sicb in die Scbuppe einlenkt. Feine Harcben sind auf ibm zerstreut, und abnelt das Gebilde sebr dem Taster der klei- neren Cidarien , zu denen ja aucb sonst diese Gattung direkteste Verwandtscbaft zu besitzen scbeint. 56) Cheimatol)ia Brumata cJ. Finer sockelartigen Erbebung der Scbuppe, durcb leicbte Ein- kerbung an der Basis begranzt, sitzt der eingliedrige Taster auf. Die freie Endflacbe des sonst eiformigen Gebildes ist gekerbt, tragt namentlicb einen tiefen Einscbnitt oder eine Grube von kurzen Borstcben umstandeu. Einige sebr breite Scbuppen entspringen an den Seiten des Tasters iiber seinem Ende zusammenneigend. 57) Cabera Pusaria. Der nur eingliedrige Maxillartaster sitzt einem boben Sockel auf, der aber von der Scbuppe durcbaus nicbt absetzt, nur eine Erbabenbeit derselben darstellt. Das Tasterglied besitzt auf seiner ziemlicb breiten Endflacbe 2 Eiukerbungen unweit der beiden Ecken, Palpus maxillaris Lepidoptcrorura. 149 die eiuuii mittlercii Theil isoliren. Von der deni Taster abge- waiidten Seite entspringen einige Schuppeu mit ihren Spitzeu deni Riissel zustrebend. 58) Gfeometra Vernaria. Auf ganz niederer der Stipesschuppe zugehoriger Erhebuiig lenkt sich der eingliedrige Taster ein. Die fast horizontale Endflache des sonst unregelmiissig rund- lichen Gebildes ist stark gezackt oder gezahnt. Schuppen oder Haargebilde fehlen ihm vollstandig. 59) Fidoiiia Clatlirata. Auf sehr niederer Sockelerhebung der Schuppe ruht der ein- gliedrige Taster. Bei ganzlichem Mangel von Schuppen und Haaren zeigen sich bloss Faltungen auf seiner Oberflache, wahrend die freie Endflache in zahlreiche niedere Hockerchen ausgeht. 60) Fidonia Atoinaria. Wie bei der vorigen sitzt einem ganz niedrigen Sockel der eingliedrige Maxillartaster auf. Statt der zackigen Unebenheiten auf der Endflache des Tasters von Clathr. finden wir hier an der- selben eine starke mittlere Einkerbung, die dem Gebilde eine un- gefahre Herzform verleiht. Einige feine Borstchen sitzen an der Spitze. 61) Timaudra Aiuataria. Der eingliedrige Maxillartaster besitzt regelmassige rundliche etwas zusammengedriickte Gestalt und sitzt der Schuppe durch eine ganz niedere Gelenkverschmalerung auf. Sein freies Ende richtet sich gegen den Riissel, noch, mehr einige Schuppen die ihren Ursprung an der dem Russel abgewandten Seite des Tasters nehmen. 63) Lareiitia Ligiiata. (Cidaria Lign.) Fur diesc Art wahle ich Heinemann folgend, den Genus- namen Larentia, well sie in der Bildung des Maxillartasters von den typischen Cidarien abweicht, mit denen das neue System sic vereint hat. Vollkommen ist der bei den Cidarien noch stets ent- deckbare Rest eines basalen Tastergliedes hier geschwunden. Der 150 Dr. Alfred Walter, eingliedrigc Taster sitzt ungestielt mit breiter Basis der Stipes- schuppc an. Jede Spur von Borstenbildung odcr Schuppen fehlt ihni; nur cinige Falten sind auf seiner Oberfliiche sichtbar. 63) Ypsii)etes (Cidaria) Dilutata. Audi diese im Staudinger- Wocke'schen Catalog, von Roseler etc. unter das Genus Cidaria gestellte Art weicht in der Tasterbildung von den oben aufgefiihrten Cidarien ab. Wie bei der vorigen Art ist auch dieser Maxillartaster eingliedrig durch- aus sitzend, d. h. direkt ohne Stiel an der Squama angebracht. Vermehrt wird die Verschiedenheit durcb reichen Besatz langer Schuppen, die den 4 Cidaria-Arten ganz oder bis auf 1 oder 2 kleine Schiippchen fehlen. Die Form ist etwa eiformig, das zu- gespitzte oder richtiger schmale 2spitzige freie Ende dem Rtissel zugeneigt. Erwahneuswerth ist eine hochst auffallige Abnormitat der Tasterbildung, die ich an einem Exemplare dieses Spanners gefunden. Das sonst hochst unbedeutende Gebilde hat hier eine ziemlich bedcutende Grosse erlangt, indem sich das freie Ende in eine lange diinne Spitze ausgezogen hat. Die langen seitlich am Taster entspringenden Schuppen , die jenen in der Kegel um mehr als seine Lange iiberragen, erreichen nicht vollig die Spitze des Fortsatzes. Auffallig wird dieser noch durch mehrere seit- liche Stacheln und endlich eine kleine spitze Papille an seiuem freien Ende. 64) Lygris Prunata. Der Maxillartaster dieses, erinnert am meisten an den der Larentia (Cidaria) Lignata. Nur durch eine starke Gelenkver- schmalerung, keinen Stiel, verbindet sich das einzige Glied rait der Schuppe. "Wie bei erwahnter Art ist die Form eine annahernd cylindrische. Abweichend von ihr sind aber einige, 2 — 3, Schup- pen an der vom Rtissel abgewandten Seite vorhandeu, auch schei- nen einige kleine Borsteuspitzchen die Endflache uneben zu machen. 65) Hil)ernia sp. S* Der eingliedrige tonnenformige Maxillartaster sitzt direkt der Stipesschuppe auf. Die vollkommen glatte Oberflilche entbehrt jeden Besatzes an Schuppen oder Borstenbilduugen. 66) Hibernia sp. $. Es ist dieses Genus das einzige mit weitgehendem Geschlechts- Palpus maxillaris Lepidopteronira. 151 dimorphismus, das ich bisher frisch zu untersuchen GelegcDheit hatte. Das vollig fliigellose Geschopf mit rudimentarem Sauger ergab indess in Bezug auf den Taster vollkommene tJbereinstimmung mit dem fliegenden schonen Milnnchen. (Der gleichen Art gehort es wohl nicht an.) Jede Halfte des Riisselrudiments erscheint in Form eines etwa rechtwinkligen Dreiecks, dessen Basis die Riissel- rinne bildet, dessen nach aussen gcrichtete Spitze etwas abgerundet ist. Beide hautigen dicht mit feinen Borstchen bedeckten Lappcn legen sich aber dicht aneinander. Die Innenseite ist als Riisselrinne ausgehohlt und mit den fiir diese so charakteristischen regelmiissig parallel geordneten Chitin- leisten ausgestattet, auch der Rand der Rinne mit den zusammen- haltenden Klammerhaaren versehen. Die Aussenseite dagegen ent- behrt noch vollig der Chitinleisten und Flatten. Ihre zahlreichen liegenden Haare scheinen mir aber das Material anzugeben, aus dem jene sich beim normalen Riissel entwickeln. An der Spitze finden wir auch einige, zwar nur kleine, Riisselpapillen. Der Schuppe des Stipes nun sitzt direkt der eingliedrige Maxillartaster auf, hier als einer anderen Art wie das vorher angefiihrte S, etwas starker denn bei jenem und an seinem freien Ende ein weuig mehr verschmalert. Auch sitzen ihra einige Schuppen auf. 67) Ortholitlia Ceryinata. Ein eingiiedriger Maxillartaster lenkt sich sitzend direkt der Schuppe ein. Seine Cylinderform wird unregelmassig durch eine schiefe unebene Endflache. Feine kurze Borstchen besetzen das Gebilde, dessen Form der vieler Tagfalter sich zu uahern beginut. 68) Ortholitha Mensuraria (Limitata). Stimmt in der Gestalt des Maxillartasters vollkommen mit der vorhergchenden Art iiberein, nur scheint die Endflache noch starker uneben durch zahnartige Hockerung. 69) Ortholitlia Bipuiictaria. Der ebenfalls dem cntsprechcnden Gebilde beider ebengenann- tcn Artcn im wesentlichen gleiche Taster ist hier um ein geringes langer und schlanker. Die Endflache ist scheinbar etwas gruben- artig eingesunken. Sonst weichen in der Mundbildung auch noch 152 Dr. Alfred Walter, die Labialpalpeii ein wenig ab, durch stiirkere buschige Beschup- puug und ein verhaltnissmassig kiirzeres Endglied. 70) Anaitis Plagiata. Der eingliedrige sitzeude Maxillartaster bcsitzt eine lauglich ovale Form, die Basis ein wenig breiter als das freie Ende. Dicht bedecken ilin feine Haarchen und an der Spitze sitzen einige schmale Schuppen. 71) 3Imoa Eupliorbiata. In der langlichen sich zuspitzenden Form jibnelt der einglied- rige Taster dem des vorigen, die dem Riissel zugewandte Seite ist in der Mitte ein wenig ausgebaucbt. Aucb ibu bekleiden feine Borstchen, die an der Spitze starker werden und zu einer Grappe sicb zusammendraugen. Unweit derselben zeigt sich an der Innen- seite des sehr stark cbitinosen und dadurch dunkelbraunen Ge- bildes eine Verdunnung der Wand in einer kleinen runden Grube, Diese aucb bei einigen anderen Spannern und aucb Schmetterlingen anderer Gruppen am Maxillartaster auftretende Erscheinung wird wahrscheinlicb in die Kategorie der zweifelbaften Insektensiunes- organe zu stellen sein. Die ausserst geringe Grosse (der Taster selbst ist ja bloss ein geringer Bruchtbeil eines Millimeters) ver- hindert indes eine genauere Untersuchung. 72) Scoria Dealbata. Diese bloss an trocknen Exemplaren untersuchtc Art stelle ich bier an den Schluss der Geometrae well ihr eingliedriger Taster in der Form am meisten dem mancher Tagfalter (nameutlich Vanessa) ahnelt. Stumpf-keulenformig entspringt der Taster mit etwas ver- schmalerter Basis um gleicb zur vollen Starke anzuscbwellen 2 — 3 schmale Schuppen finden sicb an der Aussenseite des Gebildes. V. Subordo der Macrolepidoptera. Sphinges Sehwarmer. Von Schwarmern standen mir bei der bisherigen Untersuchung nur einige wenige Alkoholexemplare zu Gebote, da ja aus dieser in Europa ohnehin formenarmsten Abtheilung der Herbst nur ein- zelne bringt und diese nur schwer erlaugbar sind. Indes gehoren die 6 nachfolgendeu Arten, den 5 der wichtigsten Genera an und Palpus maxillaris Lepidopterorum. 153 glaube ich in Folge der weitgehenden Einformigkeit sammtlicher Sphingideu aus dieser geringen Zahl mit fast raehr Sicherheit auf das Verhalten sammtlicher schliessen zu diirfec, als in den 3 ubri- gen Subordines, aus deren jeder ich (mit Ausuahme der Bombyces) durchschnittlich 20 Arten vorlaufig auffuhre. Wahrend ich in alien diesbeziiglichen Angaben den Sphinges einen 2gliedrigen Maxillar- taster zugeschrieben finde, ein solcher auch mehrfach, bei Sa- vigny, Burmeister (Handbuch der Entomologie), in Huxleys Anatomie der wirbellosen Thiere und in Graber's Insekten, ab- gebildet ist, muss ich denselben wenigstens nach Untersuchung von 6 Arten entschieden fiir ein bloss eingliedriges Gebilde erklaren. 78) Acherontia Atropos. Der eingliedrige Maxillartaster des Todtenkopfes ahnelt unter den noch folgenden bisher von mir untersuchten Schwarmern am meisten dem der Macroglossa stellatarum. Er stellt ein schma- les langes Gtbilde dar, das tief in eine Kerbe des Stipes einge- fiigt ist. Sein freies Ende ist verbreitet, an seiner ausseren Ecke etwas ausgezogen, so dass das Gebilde sich etwa mit einem Schaft- stiefel entferiit vergleichen liesse. Vollkommen jeden Anhanges entbehrend, schmiegt er sich eng an den kurzen, ungemeinen derben Riissel. 74) SpMnx Ligiistri. Am Maxillarpalpus dieses haufigen und typischen Schwarmers haben wir nicht wie es die Abbildung im Huxley zeigt ein langes stielartiges Basalglied von einem kleinen ovalen Endglied zu unter- scheiden, sondern der Stiel ist bloss eine basale Verschmalerung des einen einzigen Tastergliedes , ohne die geringste Andeutung einer Abgliederung. Mit solcher entspringt jenes vom Maxillarkorper dicht an der Ptiisselbasis um bald in, stumplem Winkel sich vom Riissel abzuwenden und gleichzeitig stark anzuschwellen. Die ganze Oberflache des verdickten freien Endtheiles ist dicht mit ungemein feinen langen Haarschuppen besetzt, die einen unregel- massig starken Busch um ihn bilden. 7.j) Deilephila (ralii. Wie sich die Gattung Deilephila in Lange und Bildung des liiissels etc. zwischen die Genera Sphinx und Smerinthus stellt, und dadurch iiberhaupt ins Centrum der gesammten Subordo, so lasst auch der Palpus maxillaris eine vollkommene Mittelstufe zwi- 154 Dr. Alfred Walter, sclien den in den iibrigen Gattungen typischen Formen deutlich erkennen. In der sicli nach aussen biegenden Stellung des Ge- bildes kommt dasselbe dem von Sphinx Liguslri nahe, doch ist die Biegung weit weniger stark, erscheint nicht als ein Abstreben des Gebildes vom Riissel, sondern es legt sich vielmehr in die leichte Einschnurung der Riisselbasis an der Aussenseite und erhalt dadurch die Kriimmung. Auch die Form ahnelt der von Ligustri, niihert sich aber zugleich durch weit geringere Verschmalerung des stielartigen Basaltheiles der mehr gleichmassigen Form bei Acherontia und Macroglossa. Indem der Stiel nicht tief in den Stipes eindringt, ergiebt sich endlich eine Insertionsweise des Ge- bildes wie sie sich bei Smerinthus findet. Langerc Anhange, Schup- pen und Haare, fehlen. 76) Smerinthus Popiili scliiiitt. Ueber die Vertheilung der verschiedenen Dotterbestand- theile in der ungetheilten Eizelle. Bekanntlich sind die Eier im Thierreich von einer ausser- ordentlich verschiedenen Grosse und Beschatfenheit. Bei cinigen Arten so klein, dass sie kaum noch mit unbewalfnetem Auge als Punctchen erkannt werden , erreichen sie Ijei andern Arten einen im Vergleich zu ersteren riesig zu nennenden Umfang wie in der Classe der Vogel und Reptilieu. Gleichwohl haben wir es hier wie dort nur mit einem einfachen Elementartheil , nur mit einer einfachen einkernigen Zelle zu thun. Die verschiedene Grosse und Beschaiienheit der Eier aber hangt davon ab, dass in das Proto- plasma der Zelle, hier mehr, dort minder, in mannichfach wech- selnder Beschaffenheit Reservestotie abgelagert werden, welclie die Bestimmung haben, allmahlich wiihrend der embryonalen Thei- lungsprozesse zur Eruahrung der Embryonalzellen aufgebraucht zu werden. Die beiden nach Aussehen und Bestimmung verschie- denen Eibestandtheile hat man als Bilduugsdotter und Nahrungs- dotter unterschieden, wobei man unter ersterem das active Zellen- plasma versteht. Je kleiner die Eier sind, umsomehr bestehen sie fast durchweg aus Bilduugsdotter, wie z. B. die Eier der Echi- nodermen ; je mehr sie an Grosse zunehmen , umsomehr wiichst in gleichem Maasse der Reichthum des Nahrungsdotters , der aus Eiweiss-plattchen , -schoilen, und -kiigelchen, aus Fett-kornchen 1 84 Dr. Oscar Hertwig, uud -Tropfen zusammengesetzt ist. In der Vertheilung dieses Materiales liisst sich eine gewisse gesetznuissige Erschoinung uiclit vcrkeimen. Weim die Eier klein uud iiur mit Spureu von Nali- rungsdotter versehen sind, so ist derselbe meist gleichmassig im Eiinhalt vertlicilt. In Folge dessen fallt der Scliwerpunkt — wir wollen uns hier uur mit solchen Eieru beschaftigen, die, wie es ja fast durchweg der Fall ist, Kugelgestalt haben — mit dem Centrum der Kugel zusammen. Im Wasser wird ein solches Ei alle moglicheu Lagen einuehmen konnen, da in Bezug auf die Schwerkraft sich alle seine Axen gleichartig verhalten. Das Ei ist homaxon. Als Beispiel verweise ich auf die Eier der meisten Echino- dermen. An ihnen wtisste ich, nachdem die Richtungskoi*per her- vorgeknospt und von der Oberflache abgefallen sind (Figur 4) niclit wie es moglich ware, an irgend einem Merkmal eine Eiaxe vor den iibrigen besonders zu kennzeichnen. Eine besondere Eiaxe wird nun um so deutlicher unterscheid- bar, je mehr der Dotterreichthum wiichst, da sich jetzt gewohn- lich auch in einem entsprechenden Maasse eine Ungleichheit in der Materialvertheilung ausbildet. Wir seheu, wie an der Oberflache einer Eihalfte sich die eigent- lich active protoplasmatische Substanz relativ frei von Nahruugs- kornchen erhalt, wahrend in der entgegengesetzten Eihalfte der Nahrungsdotter immer massenhafter angehiiuft wird. Dies kann so weit gehen, dass, wenn die Dotterkorner und Schollen eine ansehnliche Grosse erreichen und dicht aneinander gepresst sind, die protoplasmatische Substanz zwischen ihnen nur noch in Form feinerer Scheidewande oder auf dem Durchschnitt in Form eines zarten Netzwerks bestehen bleibt (Fig. 1 — 3). Somit sind jetzt an der Eikugel in Folge der verschiedenartigen Vertheiluug der beiden Dottersubstanzen zwei ungleichmassig entwickelte und leicht er- kennbare Pole entstanden, 1) der formative oder animale Pol (AJ, an welchem sich der Bildungsdotter in mehr oder minder reichem Maasse ansammelt, und 2} der durch seinen Dotterreichthum aus- gezeichnete vegetative Pol (V). Aus der urspriinglich homaxonen ist jetzt eine monaxone Eiform entstanden. Bei dieser hat sich gleich- zeitig auch der Schwerpunkt veritndert. Denn wenn man Eier, welche die eben beschriebene Beschatfenheit in ausgepragter Weise zeigen, in Flilssigkeiten briugt und auf ihre Gleichgewichtslage uutersucht, ist stets der animale Pol nach obcu gerichtet; die Eiaxe nimmt eine lothrechte Stellung ein, der Schwerpunkt ist ein Welchen Einfluss iibt die Schwerkraft auf die Theilung der Zellen ? 1 85 excentrischer, indem er aus dem Ceutruni auf der Eiaxc mehr oder minder nach dem vegetativeii Pole zu verschobeii wordeii ist. Wir konneu daraus schliesseu , dass im allgemeiuen dem Bildimgsdot- ter ein geringeres specifisches Gewicht zukommt als dem Nah- rungsdotter. Nirgends tritt wohl diese Thatsache auffalliger her- vor, als bei deu Eiern der Vogel, bei deuen der Bildungsdotter in Form einer Scheibe dem Nahrungsdotter aufliegt. Man mag ein Huhnerei dreben und wenden, wie man will, es wird die Keim- scheibe stets und sofort in aller kiirzester Zeit die hocbste Stelle der Kugel einnehmen. In manchen Thierstammen, wie z. B. bei den Mollusken, kann man bei Vergleichung verschiedener Arten verfolgen, wie sich all- mahlich der Gegensatz zwischen animalem und vegetativem Pole immer scharfer auspragt. Bei den relativ kleinen Eiern der Tellerschuecken (Fig. 15) ist, wie wir der Arbeit von Rabl entnehmen, eine deutliche polare Ditierenzirung ausgepragt, indem der animale Pol und die animale Halfte des Keimes von kleinen, der vegetative Pol und die vege- tative Halfte von groben Dotterkornchen eingenommen werden. Im auffallenden Lichte erscheint daher der animale Pol weisslich, der vegetative gelb. Eine scharfe Grenze zwiscben beiden existirt jedoch nicht; vielmehr gehen sie uumerklich und contiuuirlich in einander iiber. Bei den Heteropoden und Pteropoden markirt sich der Gegen- satz zwischen animalem und vegetativem Eipol schon scharfer, so naraentlich bei Cymbulia (Fig. 1 u. 2). Hier sammelt sich an erste- rem eine Scheibe von fast ganz homogenem Protoplasma an , in welchem der grosse Furchungskern eingebettet ist. Der Gegen- satz wird um so auffallender, als der vegetative Haupttheil des Eies aus besonders grossen Dotterkornern zusammengesetzt ist. Die Endstufe des Sonderungsprocesses wird dann bei den Cephalopoden erreicht, deren voluminoser gewordene Eier dem meroblastischen Typus angehoren. Hier hat sich am jiussersteu Pole eine Scheibe von Bildungsdotter (wie bei Cymbulia) abge- soudert; wahrend aber bei letzterer noch das ganze relativ kleine Ei sich theilt, bleibt der P'urchungsprocess bei den Cephalopoden bloss auf den Bildungsdotter beschriiukt , der dotterhaltige Haupt- theil des Eies aber bleibt ungetheilt, well die Kriifte des spiirlich vorhandenen activen Protoplasma gleichsam nicht ausreichen, urn das allzu massenhaft angesammelte passive Dottermaterial zu be- waltigen und in kleiuere Stucke zu zerlegen. 186 Dr. Oscar Hertwig, Im Stamme der Wirbelthiere bildeii die Eier der Amphibien ausser denjeiiigeu der Cyclostonien und Ganoiden eiiien tjbergaiig zu deu meroblastischcn Eiern der Fisclie, Reptilien uud Vogel. Audi ist hier in ahiilicher Weise wie bei den Molluskeu demon- strirbai", dass sich allmahlich bei einigen Arten am animaleu Pole Protoplasma reichlicher ansammelt, und dass sich dieses bei anderen Arten zu einer Keimsclieibe absondert, an welcher sich alleiu der Furchungsprocess abspielt. Bei P'ischen, Reptilien und Vogeln entwickelt sich iiberall eine deutlich gesonderte Keimscheibe ; bei deu Amphibien aber macht sich am auimalen , durch seine Pigmentirung characterisirteu Pole eine reichlichere Protoplasma- ansamnilung , welche nuin erwarten sollte, nicht sofort bemerkbar. Auf mikroskopischen Durchschnitten scheinen die Dotterplattchen in der ganzen Eimasse gleichmassig vertheilt zu sein ; nur sind sie, wie W i 1 1 1 ) bemerkt, am dunklen Eipol von der geringsten Grosse. Gleichwohl weisen verschiedene andere Umstande darauf hin, dass die animale Eihalfte der Amphibien die protoplasmareichere ist und insofern der Keimscheibe meroblastischer Eier, wie z. B. des Hiihnereies entspricht. Man darf dies schliessen 1) aus dem eigenthiimlichen Verlauf des Furchungsprocesses, der rascher erfol- genden Theilung der animaleu Zellen, und 2) aus dem verschiede- nen specifischen Gewicht der dunklen und der hellen Hemisphare. Die erstere ist, wie aus Versuchen von Roux uud Born (loco cit.) hervorgeht, schou vor der Befruchtung die leichtere. Unbefruchtete Froscheier, wenn sie in Wasser gebracht werden, drehen sich, bis dass die Eiaxe lothrecht steht. „Nur geschieht diese Drehung viel langsamer als bei den befruchteteu. Wiihrend diese verlagert nur wenige Minuten brauchen, um den dunklen Pol nach oben zu richteu, dauert es, bis alle unbefruchteten Eier in einer Schale mit Wasser sich vollkommen gedreht haben, oft 5 — 6 Stunden." Ferner hat Roux gefunden, dass „auch Frosch- eier, welche noch nicht in den Uterus iibergetreten waren, und noch der Gallerthiille entbehrten, ja selbst noch ganz unfertige Eier des Eierstocks von erst der halben Grosse der Norm die Drehung zeigten, sobald sie in eine Fliissigkeit von geeignet hohem specifischcm Gewichte, um darin schwimmen zu konnen, gebracht wurdcu. Durch Kochen abgetodtete Eier verlieren diese Eigen- schaft nicht. Wenn solche aus der Gallerthiille, sofern solche schon vorhanden, ausgelost und iu eine als Vehiculum vervvendete *) Will, iJber die Entstohimg des Dolters uud dor Epithelzelleu bei den Amphibien uud Insecten. Zoologischer Auzeiger 1884 Nr. 167. Welclien Einfluss iibt die Schwei'kraft auf die Theilung der Zcllen ? 187 Miscbuug von Wasserglas mid Wasser gelegt wiirden, drchten sie sicli niit dem schwarzen Polo iiach oben iind kehrteii nach jeder kiinstlichen Umwendiiiig in ilire alte Lage rasch /uriick." VVenn wir aus einem geringeren specifischen Gewiclit auf oinc rciclilichere Protoplasmaansammlung am animalon Pole der Aniphibieneier schliesseu, werden wir wobl kaura einen Fehlschluss tbun, da wir in zabh'eicben Fallen direct sehen konnen, wie das eine durch das andere bedingt wird. Der Vertheilung des Dottermaterials in den Eizellen ist scbon oftmals nach verscbiedencn Richtungen bin Beachtung gescbenkt worden. So bat Balfour^) vor kurzem dieselbe ziir Classifica- tion der Eier benutzt, indem er 3 Typen unterscbeidet, einen alecitbalen, telolecitbalen und centrolecitbalen. Alecitbal nenut er Eier mit geringer gleicbmassig vertbeilter Menge von Nabrungs- dotter und aequaler Furcbung, telolecitbal sind Eier mit polarer Differenzirung in Folge der Ansammlung der Dotterkorner am ve- getativen Pol , beim centrolecitbalen Typus endlicb ist das Dotter- material, wie wir es sebr baufig bei den Artbropoden beobacbten, im Centrum angesammelt und von einer mebr oder minder dicken Scbicbt feinkornigen Protoplasmas, dem Keimblastem Weismanns, riugsum gleicbmassig eingebiillt. Scbon vor Jabren bat Jager'^), woraufRauber aufmerksam macbt, die Dottervertbeilung mit der Scbwerkraft in Beziebung gebracbt. Er meint, dass unter dem Einfluss der Erd-Scbwere eine Sortirung der Keimprotoplasmabestandtbeile in leichtere und scbwerere stattfinde, und nennt diesen Process die geocentriscbe Differenzirung der Eier, die unterscbeidbar werdende Eiaxe aber nennt er die geocentriscbe. J a g e r vergleicbt das Keimprotoplasma, welcbem er einen boben Wassergebalt zuscbreibt, einer Fliissigkeit, in welcber sicb bei rubigem Steben die darin suspendirten Tbeile genau in der Ordnung ibres specifiscben Gewicbts geocentriscb differenziren. Den geocentriscben Differenzirungsprocess betrachtet er als einen sebr bedeutungsvollen und er misst ibm einen so weitgebenden Einfluss auf alle Entwicklungsvorgange zu, dass er zu dem Scbluss konimt: die Befrucbtung ist weder die einzige, nocb die allgemeinste Entwicklungsursacbe , sondern die geocen- triscbe Differenzirung des Dotters durcb die Erdscbwere ist nicbt ^) Balfour, Haudbuch dor vcrj^leicheuden Embryologie. lid. I 1880. 2) G. Jjiger, Zoologische Briefe. XVII. Brief pag. 384 — 391. Dr. Oscar Hertwig, bloss ebenso nothig, sondern sie ist auch die allgemeinste Ent- wicklungsursache, die in manchen Fallen (Parthenogenesis) vollig ausreicht, aber in der Mehrzahl der Falle durch die Wirkung der Befruchtung unterstiitzt werden muss". Jager ist zu der tJber- zeugung gelangt, dass die Schwerkraft der Zeit nach und auch dem Rang nach die erste morphogenetische Kraft bei der Onto- genese ist. Dieser Anschauung, sowie iiberhaupt dem Versuch Jagers, die Entstehung telolecithaler Eier einzig und allein aus dem Einfluss der Schwerkraft zu erklaren, bin ich nicht in der Lage beizu- stimmen. Wie eine Priifung aller Thatsachen lehrt, kann es sich hier nicht bloss um eine einfache mechanische Erscheinung han- deln , um eine Sortirung verschieden schwerer Theile nach ihrem specifischen Gewicht etwa nach der Weise wie eine Mischung von Wasser und Oel sich in zwei Lagen sondert. Wenn auch selbstver- standlich von vornherein zugegeben werden muss, dass die Eisub- stanzen von verschiedenem Gewichte unausgesetzt der Einwirkung der Schwerkraft unterworfen sind, so braucht deswegen eine Sor- tirung nach dem Gewicht doch nicht stattzufinden , solange noch andere Krafte in der Eizelle wirksam sind und die Auordnung der Theile bestimmen. Solche Krafte aber sind in jeder Zelle vorhanden. Nicht nur ist das Protoplasma eine mit complicirten Kraften ausgestattete organisirte Substanz , sondern es finden auch zwischcn ihr und dem Kern VVechselbeziehungen statt, durch welche die Dotterkorner verhindert werden konnen, eine ihrer Schwere entsprechende Lage einzunehmen. Durch Thatsachen lasst sich dieses beweisen. Eine Keim- scheibe tritt erst an den reifen und befruchteten Eiern der Fische auf, an den Ovarialeiern , obwohl diese dasselbe Protoplasma und dasselbe Dottermaterial enthalten, fehlt sie, indem die Theile noch scheinbar gleichmassig im Ei vertheilt sind. Warum hat hier die Schwerkraft, welcher das Ei im Ovarium doch ebenso gut un- terworfen ist, nicht auch eine Sortirung des verschieden schweren Materials zu Stande gebrachtV Warum verweilt bei den unreifeu Eiern der Thiere das Keimblaschen , obwohl es, aus flussigeren Theilen bestehend, specifisch leichter ist, in der Mitte des Dot- ters und steigt erst bei Beginn der Eireife an die Oberflache em- por? Warum sammelt sich bei den dotterreichen Eiern der Ar- thropoden der Bildungsdotter nicht als Scheibe an der Oberflache an, sondern umhiillt ringsum den central gelegenen DotterV Solche Beispiele, die sich leicht vermehren lassen, sind Finger- Welchen Eiufluss iibt die Schwerkraft auf die Theilung der Zellen ? 189 zeige, dass ausser der Schwere uoch andere, sogar wirkuiigsvollere, in den Eisubstanzen selbst gelegene Krafte die Anordnung der Theile bestimraen. Wir sind hier sogar in der Lage, zwei in der Eizelle sich abspielende Entwicklungsprocesse anzufiihren, durch welche ganz otienbar die Entstebung telolecithaler Eier, wenu nicht aus- scbliesslich bedingt, so doch wenigstens in hohem Grade gefor- dert wird, icb nieine 1) die Bildung der Richtungskorper und 2) den Befruchtungsact. 1) Bei dem Process, welcben ich in einer andern Arbeit ') als die Reifung des Eies bezeicbnet babe, riickt das Keimblascbcni aus seiner centraleu Lage heraus und nacb der Oberflacbe des Eies empor und zwar wandert es nacb dem aniraalen Pole, wenn ein solcher scbon vorher ausgepragt war; ist dies aber nicbt der Fall, so wird diejenige Stelle der Eioberflache, zu welcher der Kern emporsteigt , zum animalen Pole umgebildet. Wiibrend der Wanderung lost sicb das Keimblascben auf und lasst aus einem kleinen Theil seines Inhalts, aus seinen activen Kernbestandtbcilen die Riclitungsspindel eutsteben, welche einen in Theilung begrifle- nen Kern vorstellt. Wie nun schon im Allgemeinen der Kern einen Mittelpunkt fiir Protoplasmaansammlungen abgibt, so gilt dies noch viel mehr fiir den sich theilenden Kern; denn seine beiden Pole, die Spindelenden , verbalten sich wie 2 Attractions- centren, urn welche sich das Protoplasma aus der Umgebung an- hauft. Die Richtungsspindel komrat daher auch bei Eiern mit groberen Dotterkorneru alsbald in eine Menge von homogenem Protoplasma zu liegen, welches um die beiden Spindelenden radiiir zu zwei Strahlenfiguren angeordnet ist und aus dem Bereich des Kerns die Dotterconcremente gleichsam herausgedrangt hat. Mit dem Kern resp. mit der Spiudel gerath nun diese Protoplasma- ansammlung an die Eioberflache, an den animalen Pol, an welchem bald durch einen Kuospungsprocess die beiden Richtungskorperchen Oder Richtungszellen hervorsprossen. Namentlich bei den Eiern der Mollusken lasst sich gut ver- folgen, wie auf diese Weise erst wiibrend der Eireife eine Proto- plasmaansammlung am animalen Pole entsteht (Fig. 15, Fig. 1 u. 2). In anderen Thierstammen wird bei Uutersuchung der Reifeerschei- nungen an nahrungsdotterhaltigen Eiern in Zukunft noch beson- ders darauf zu achten sein, in wie weit die Bildung eines animalen Poles durch das Emporsteigen des Kerns und das Hervorknospen der Richtungskorper beeinflusst wird. ^) 0. Hertwig, Beitriige zur Bildung, licfruchtuug und Tlieiluiig des thierischen Eies. Morphol, Jahrbuch. Bd. I. 1875. 1 90 Dr. Oscar Hertwig, 2) Als einen zweiten Factor, welcher auf eine scharfere Son- deruug des Bildungs- und Nahrungsdotters hinwirkt, fuhrte ich den Befruchtimgsact an. Sowie namlich der Samenfaden in das Ei eingedrungen ist und der Spermakern sich mit dem Eik^rn verbunden hat, wird der aiis der Verschmelzung neu entstandene Furchungskeru zu einem in Wirksamkeit tretenden Kraftcentrum in der Zelle, um welches sich in radiarer Richtung die Plasma- theilchen gesetzmassig anordnen. Es entsteht voriibergehend eine Sonnenfigur, deren Centrum der Kern ist. In kleinen alecithalen Eiern — um die Balfour'sche Nomen- clatur zu gebrauchen — aussert sich die vom central gelegenen Kern ausgehende Kraftwirkung in der gesammten Eisubstanz in dem Maasse, dass alle Plasmatheilchen vom Centrum bis zur Ku- geloberflache radiiir gerichtet werden. In Folge dessen miissen auch die passiven Dotterkornchen im Plasma sich zu radiaren Reihen zusammendrangen. (Fig. 4.) Bei den grosseren telolecithalen Eiern wird vom befruchteten Kern nur das in seiner Umgebung gelegene Dottermaterial beein- flusst. Da nun der Kern sich stets in der Nahe des animal en protoplasmareichern Poles befindet, bewirkt er hier, wenn er durch die Befruchtung in Wirksamkeit tritt, dass in seiner Um- gebung sich das Protoplasma noch mehr concentrirt, und dass die Dotterkorner aus der animalen Eihalfte zurtickweichen. So nimmt, wie ein Vergleich von Fig. 1 u. 2 lehrt, bei Cymbulia die Menge des Bildungsdotters nach der Befruchtung zu und zeigt gleichzeitig auch eine veranderte scheibenformige Anordnung. Desgleichen ist es von den Eiern vieler Knochenfische bekannt, dass erst in Folge der Befruchtung eine deutlich wahrnehmbare Keimscheibe sich bildet und scharfer vom Nahrungsdotter absetzt. Dadurch dass der Befruchtungsvorgang , wie die angefiihrten Beispiele beweisen, auf die reichlichere Ansammlung des Bildungs- dotters am animalen Pol einwirkt, wird er gleichzeitig auch den Unterschied im specifischen Gewicht zwischen animaler und vege- tativer Eihalfte steigern. So erklare ich es mir, dass, wie allge- mein augegeben wird, die befruchteten Froscheier sich energischer und rascher drehen als die unbefruchteten ^). So beantworte ich ^) Roux brachto die Froscheier mit ihrer Hiille in eine Fliissig- keit von geeignet hohem specifischem Gewicht , um sie schwimmend zu erhalten. Er wollte erkennen, ob der TJmstand, dass die befruch- teten Eier sich in ein bis fiinf Minuten innerhalb der Gallerthiille um- drehen, wahrend die unbefruchteten Eier ebeuso vieler Stunden dazu "Welchen Einfluss iibt die Schwerkraft auf die Tlieilung der Zellen ? 191 zugleich eine Frage, welche Roseubach^) in der schlesischeii Gesellschaft fur vaterlaudische Cultur aufwarf bei Gelegenheit einer Discussion, welclie sich an den Vortrag von Born ankniipfte. „Da sich die Froscheier — iiusserte Rosen bach — vor der Be- fruchtung, wenn auch viel langsamer als nach der Befruchtung drehen, so kann an den geschilderten Vorgangen nicht die Schwer- kraft den alleinigen Antheil haben, sondern es miissen in Folge der Befruchtung noch andere Vorgauge eintreten, welche jene schnellere Drehung des Eies bewirken. Es kann dies entweder dadurch geschehen, dass Fliissigkeit durch die Gallerthiille in das Ei tritt, was wohl nicht wahrscheinlich ist, oder es muss das eintretende Spermatozoon gewisse vitale Vorgange in dem Eie hervorrufen, welche uns noch unbekannt sind." Dass letztere Alternative die richtige ist und welcher Art die durch die Befruchtung hervorgerufenen vitalen Vorgange sind, glaube ich hier klar gezeigt zu haben. n. Al)sclmitt. Ueber die Lage des befruchteten Kerns im thierischen Ei. Die Lage des befruchteten Kerns ist im thierischen Ei, wie mir scheint, eine streng gesetzmassige und wird hauptsachlich durch zwei Factoren bestimmt, 1) durch die aussere Form, welche das Eimaterial angenommen hat und 2) durch die Art und Weise, wie Bilduugsdotter und Nahrungsdotter in der Zelle vertheilt sind. Fassen wir zunachst die kugelig geformten Eier in das Auge. Bei Eiern des alecithalen Typus, welche, wie es bei den Echi- nodermen der Fall ist, weniger und gleichmassig vertheilten Dot- ter besitzen, stellt sich der Kern nach der Befruchtung genau in benothigen, in Verschiedenheiten des unbefruchteten und des befruch- teten Eies beruhe. Es zeigte sich, dass jetzt befruchtete und unbe- fruchtete Eier sich beide innerhalb weniger Secunden drehten und fest einstellten. Es schien, dass die befruchteten Eier dabei noch ein wenig rascher, im Mittel etwa in sechs, die unbefruchteten im Mittel in zehn Secunden ihre feste Einstellung nach grosster Entfernung von der Gleichgewichtslage erreichten. ^) Verhandluugen der medic. Section der schlesischen Gesellschaft fUr vaterlaudische Cultur. Sitzung vom 4. April 1884 pag. 12. 192 Dr. Oscar Hertwig, das Centrum der Zelle und wird hier zum Mittelpunkt einer strah- ligen Anordnung des Protoplasma , welche sich bis an die Ober- flaclie des Eies ausdehnt. Im telolecithaleu Typus dagegen nimmt der Kern niemals eine centrale Lage ein. Je mehr sich eine Son- deruug in eine protoplasmareichere und in eine dotterreichere Ei- halfte vollzieht, um so mehr giebt der Kern seine ursprungliche centrale Stellung auf und wandert uach dera animalen Pole empor, also in entgegeugesetzter Richtung vom Schwerpunkte, welcher an der Eiaxe nach ab warts steigt. So findet man beim Froschei, wo die Sonderung noch weniger ausgesprochen ist, den Furchungskern stets oberbalb der Aequato- rialebene, bei reifen Molluskeneiern wie bei Cymbulia liegt er ganz in der liomogenen Protoplasmaansammlung des animalen Poles, bei meroblastisclieu Eiern hat man ihn in der Substanz der Keim- scheibe, also gleichsam in der Rindenschicht der stark vergrosser- ten Eizelle aufzusuchen. Hier ist er in das Centrum der Scheibe wie bei den Eiern der Echinodermen in das Centrum der Kugel eingebettet. Entsprechenden Verhaltnissen begegnen wir bei oval geform- ten Eiern. Ist in ihnen der Nahrungsdotter gleichmiissig vertheilt, so wird die Lage des Kerns durch den Mittelpunkt der die bei- den Pole verbindenden Langsaxe bestimmt, wofur ich als Beispiel die Eier der Nematoden anfiihre. Dieses Lageverhaltniss erfahrt auch daun keine Aenderung, wenn der Dotter sich im Centrum ansammelt und nach aussen von einer gleichmassigen Rindenschicht homogeneu Protoplasraas umhiillt wird. Auch dann bleibt der Kern im Centrum, im Nahrungsdotter, liegen, wahrscheinlich, well keine Stelle der Rindenschicht vor der anderen durch eine reich- lichere Ansammlung von Protoplasma bevorzugt ist. Die Folge ist: Eintretende Kerntheilung ohne anschliessende Zelltheilung. Dagegen wird sofort ein Lagewechsel des Kerns hervorgerufen, sowie sich der Dotter an einem Pole des ovalen Korpers concen- trirt. Als Beispiel diene das Ei eines Anneliden , der Fabricia, welches in Haekels Gastraeatheorie ^ ) beschrieben und abgebildet ist. Hier sehen wir den Kern auf der Langsaxe des Eies nach dem protoplasmareicheren Pole verschoben. Daher wird spater die Furchung eine inaequale, in eine kleinere protoplasmatische und in eine grossere dotterreichere Zelle. 1) Haeckel, die Gastrula u. die Eifurchung der Thiere. Je- naische Zeitschrift fiir Naturwissenschaft. Bd. IX. Welcheu Eiiifluss iibt die Schwcrkraft auf die Theilung der Zellen ? 193 In derartigen und iihulichen Befuuden offenl)art sich uns nun ohiie Zweifel ein gesetzmiissiges Wecliselverhaltniss zwischeu Kern und Protoplasma. Dasselbe glaube ich in wenigen Worten richtig zu bezeichnen, wenn icli sage: Der Kern, von welchem auf das Protoplasma Kraftvvirkungen ausgeheu, wie die strahlenformige Anordnung der Plasmatheilchen urn ihn lehrt, sucht stets die Mitte seiner Wirkungssphare einzunehmen. ni. Albsclmitt. Ueber das Gesetz, diirch welches der Verlauf der ersten Furchiingsebenen bestimmt wird. Die im ersten und zweiten Abschnitt dargestellten Verhalt- nisse geben uns eine Grundlage ab fur das Verstandniss und die Beurtlieilung der Zelltheilungen, Dieselben beginnen mit Veriinde- rungen des Kerns. Wiihrend dieser urspriinglich ein einheitliches Kraftcentrum mit gesetzmassig bestimmter Lage vorstellt, bildeu sich einige Zeit vor Beginn der Eitheilung zwei getrennte und einander entgegengesetzte Kraftcentra an ihm aus. Es geht der Kern zuerst in eine ovale, dann spindelige Gestalt iiber, wobei die Kraftcentra, um welche sich die Plasmatheilchen in 2 Strah- lenfiguren anordnen, wie Eiseufeilspahne um die Spitzen eines Magneten, an die Pole des ovalen und die Spitzen des spindeligen Korpers zu liegen kommen. Eine Linie, welche die beiden Kraftcentra verbindet, wollen wir als die Kernaxe bezeichnen. Sie ist wichtig, da durch sie auch die Lage der Theilungsebene bestimmt wird. Denn letztere muss erstere immer senkrecht und rechtwinklig schneiden. Es ist daher a priori richtiger, anstatt nach der Ursache fiir die Rich- tung der Theilungsebene nach der Ursache, von welcher die Stellung der Kernaxe abhangt, zu forschen, da diese die andere bedingt, Fiir die Stellung der Kernaxe finde ich denselben Factor Ausschlag gebend, von welchem wir im 2ten Abschnitt schon die Lage des Furchungskerns beherrscht gesehen haben, namlich die Form und das Massenverhaltniss des im Ei gleichmassig oder ungleichmassig vertheilten Protoplasma. Ich formulire gleich den Satz, welchen ich durch Beispiele noch weiter zu erharten haben werde, in folgender Weise: Bd. XVIII. N. ¥. XI. 13 194 Dr. Oscar Hertwig, An dem Furchungskern bilden sich die zwei vor jeder Theilung auf t reteiiden Kraftcentra in der Richtung der grossten Protoplasmaansammlungen der Zelle. Zur Veranschaulichuug und zum Beweis dieses Satzes wiisste icli kein besseres Beispiel anzufiiliren, als die hochst interessanten Erscheinungen, welche Auerbacbi) an den Eiern zweier Nema- toden, der Ascaris nigrovenosa und des Strongylus auricularis beobachtet hat. Das Nematodenei hat eine ovale Gestalt, so dass zwei Pole an ihm zu unterscheiden sind, welche bei der Befruchtung eine entgegengesetzte Rolle spielen. An dem einen Pole namlich, wel- cher der Keimstatte des Eischlauches zugewendet ist, bilden sich die Richtungskorper und entsteht der Eikern , an dem anderen, nach dem Uterus - Ausgang zu gelegenen Pol dagegen findet die Befruchtung und das Eindringen eines Spermatozoon statt, hier erscheint der Spermakern. Beide Kerne wandern dann unter gleichmassiger Grossenzu- nahme und in gerader Richtung, welche mit der Eiaxe zusammen- fallt, auf einander zu, treffen sich in der Mitte der Eiaxe, nach- dem sie zu zwei ziemlich ansehnlichen Blaschen angewachsen sind, legen sich fest zusammen und platten sich an den Beriihrungs- flachen ab. Die abgeplattete Beruhrungsflache fallt aufanglich mit der Queraxe des Eies zusammen. Aber uur voriibergehend. Es erfolgt jetzt ein ausserordentlich interessantes Phanomen. „Das Kernpaar fangt an — ich beschreibe hier mit Auer- bachs eignen Worten — sich zu drehen, und zwar um eine Achse, welche, die Beruhrungsflache halbirend, auf der Langsachse des Eies senkrecht und im comprimirten Ei auch auf dem Objectglase immer senkrecht steht. Die anfanglich quer liegende Beruhrungs- flache bildet successive einen immer kleineren Winkel mit der Langsaxe des Eies. Nach ungefahr 12 Minuten betragt dieser Winkel 45 Grad und nach einem etwa ebenso grossen Intervall befindet sich die Beriihrungsstatte in der Langsaxe des Eies. Damit hat diese rotatorische Bewegung, welche eine ganz con- stante Erscheinung ist, ihr Ende erreicht. Die Richtung, in wel- cher die Drehung unter dem Mikroskope erfolgt, ist verschieden, bald im Sinne eines Uhrzeigers, bald im entgegengesetzten". ^) L. Auerbach, Organologische Studien. Zweites Heft. Zur Characteristik u. Lebensgeschichte der Zellkerne. Breslau 1874. "Welchen Einfluss iibt die Schwerkraft auf die Theilung dcr Zelleu ? 195 Gleich nach vollendeter Drehung strecken sich die conjugirten Kerne in der Weise, dass die Kernaxe in der Abplattungs- und Verschmelzungsflache liegt. Dabei erscheinen mit zimehniender Deutlichkeit an den Polen der Kernaxe, welche die Attractions- centren sind, zwei Strahlenfiguren im Protoplasma. Wenn danu spater die Theilung erfolgt, so schneidet die Theiluugsebene rechtwinklig die Kernaxe, welche zugleich in der Richtung der Eiaxe liegt. Was hat die Rotationsbewegung des Kernpaares zu bedeuten? Fiir dieselbe bietet sich nach meiner Meinung nur in folgeuder Weise eine befriedigende und erschopfende Erklarung. Von der Substanz der conjugirten Kerne ist je die Halfte fiir einen Tochter- kern bestimmt, was nach den schonen Untersuchungen van Bene- d e n's ^ ) sich sogar bis in Einzelheiten verfolgen last. Dies ist nur moglich, wenn das Kernpaar halbirt wird durch eine Ebene, welche ihre Beriihrungsflache rechtwinklig schneidet. Folglich niussen sich an zwei opponirten Puucten der letzteren die Attractionscentren entwickeln. Nun tritit urspriinglich die Beriihrungsflache des miinn- lichen mit derjenigen des weiblichen Kerns in einer Querebene des Eies zusammen, da beide von den Eipolen aus in gerader Rich- tung sich entgegen gewandert sind. Folglich miissteu auch die Attractionscentren des sich theilenden Kerns in die Querebene zu liegen kommen und hieraus wiirde sich wieder ergeben, dass auch die erste Theiluugsebene das Ei der Liinge nach halbiren niusste. Es wiirde bei dieser Stellung der Kernaxe die Durchfurchung mit der grossten Arbeit verbunden sein, da in unraittelbarer Nahe der Attractionscentren nur die kleinsten Protoplasraamengen gele- gen, dagegen die an den Polen befindlichen Hauptmassen der Wir- kungsphare des Kerns mehr entriickt waren. Ein derartiges fiir die Theilung denkbar ungtinstiges Verhalt- niss wird nun dadurch abgeandert, dass nach unserer Theorie dem Protoplasma und Kern, indem sie wechselseitig auf einander eiuwirken, die Fahigkeit zukommt, ihr Lageverhiiltniss zu regu- liren. Die durch den Befruchtungsverlauf bedingte Ausgangsstel- lung des copulirten Kernpaares, welche eine fiir die Theilung durch- aus unzweckmassige ist, iindert sich, sowie sich an ihm die 2 At- traction scentra ausbilden. Dieselben werden durch Rotation so eingestellt, dass sie in der Richtung der grossten Protoplasma- ^) Van Beneden, Kccherches sur la maturation de I'oeffecon- dation et division cellulaire. 1883. 13* 196 Dr. Oscar Hertwig, ansammlungen zu liegen kommen, wodurch die Kernaxe mit der Eiaxe zusaminenfallt. Daher die Notliweudiglieit des vou Auer- bach cntdeckten interessanten Rotationsphanomens. Durch das- selbe gerath die grosste Ausammluiig des Protoplasma iu die Nahe der beiden Wirkungsspharen des Kerns, wahrend sich in der Ge- gend der Theilungsebene die geringste Menge desselben befindet. Bei ungleichartiger Vertheiluug des Protoplasma und Nah- rungsdotters im ovalen Eikorper, wie ich ihn oben von Fabricia beschrieben habe, ist die Kernspindel excentrisch gelagert und dem protoplasmatischen Pole genahert. In Folge dessen entstehen zwei ungleich grosse Theilproducte. Sehen wir nun, ob dieses Princip auch in anderen Fallen den Ausschlag giebt, indem wir die Eier mit aqualer, mit inaqualer und partieller Furcbuug der Reihe nach untersuchen. In kugligen Eiern mit gleichmassig vertheiltem Dottermate- rial und central gelagertem Kern verhalten sich alle Durchmesser gleichwerthig und wiirde sich daher die Kernaxe auch iu jeden beliebigen Durchmesser einstellen konnen. Doch muss ich hier die neue Moglichkeit noch zugeben, dass die Austrittsstelle der Richtungskorper die Bildung der ersten Theilungsebene beein- flusst. Bei den Echiuiden ist dies schwer festzustellen , da die Richtungskorper schon im Ovarium gebildet und bald ganz abge- stossen werden. Jedenfalls aber tritt nach vollzogener Zweithei- lung eine Beschrankung in den moglichen Kernstellungen ein. Weil jetzt die Theihmgsproducte Halbkugeln sind und als solche kiirzere und langere Durchmesser besitzen, kann die Kernaxe uur in einen der letzteren zu liegen kommen. Niemals sehen wir, dass sich der Kern mit seiner Axe senkrecht zu der planen Flache der Halbkugel streckt, und dass die zweite Theilungs- ebene der ersten parallel verliiuft. Ein solches Furchungsschema findet sich nirgends realisirt. Stets lagert die Kernachse horizon- tal zur Grundflache der Halbkugel in einem der vielen hier mog- lichen Langsdurchmesser. Die zweite Theilungsebene muss daher mit Nothwendigkeit die erste rechtwinkelig schneiden. Die Thei- lungsstiicke miissen Quadranten sein. In den vier Quadranten endlich ist den Kernen nur eine ein- zige mogliche Stellung in der Richtung des einzigen Langsdurch- messers der Zelle gerade so wie in den ovalen Eiern der Nema- toden angewiesen. Die im dritten Cyclus gebildeten Theilungs- ebeiien niiisseu daher rechtwinklig die zwei zuerst entstandenen schneiden. Welchen Einfluss iibt die Schwerkraft ai;f die Theilung derZellen? 197 So erfolgen nacli uuserem Princip die einzelnen Theilungs- stadien mit ihreu verschiedeuen so regelmassig zu einander auge- ordneten Ebenen aus einer inneren Nothweiidigkeit ohne Zuhiilfe- nahme von aussen einwirkender Krafte. Auch die Eier mit inaqualer und partieller Furcliung setzen jetzt keine Schwierigkeiten einer Erkliirung entgegen. Bei den inaqualen Eiern hat sich, wie oben gezeigt wurde, die active pro- toplasmatisdie Substanz, welche zugleich die specifiscli leichtere ist, am animalen und oberen Pole sei es in Form einer Halbkugel Oder einer Scheibe angesamraelt und liat dadurch auch den Kern gezwungen, seine centrale mit einer excentrischen Lage zu ver- tauschen. Zwischen Kern und protoplasmatischer Sclieibe findet dem Massenverhaltniss entsprechend eine starkere Wechselbezie- hung statt als zwischen ihm und der im Dotter spiirlicher ver- theilten Plasmasubstanz. Die Stellung des Kerns, wenn er sich zur Theilung anschickt, wird daher durch die horizontal ausge- breitete Plasmascheibe bedingt. Die Kernaxe wird also jetzt nicht mehr wie bei den Eiern der Echinodermen jeden beliebigen Durch- messer der Eikugel einnehmen konnen, sondern sich dem animalen Pole genahert horizontal stellen. In der Horizontalebene selbst aber kann sie, wenn die Protoplasmaansammlung einer kreisrunden Scheibe eutspricht, nach einem der vielen moglichen Lilngsdurch- messer orientirt sein. Die erste Theilungsebene kann jetzt einzig und allein eine verticale, vom animalen nach dem vegetativen Pole gerichtete sein, wobei sie mit der geocentrischen Axe zu- sammenfallt. Durch den ersten Theilungsact erhalten wir zwei Halbkugeln, die aber aus einem protoplasmareicheren und einem protoplasma- armeren Quadrauten zusammengesetzt sind. Dadurch ist die Kem- achse in ihrer Stellung wieder fest bestimmt. Sie muss mit der Langsaxe des protoplasmatischen Quadranten , mit welchem bei der Zelltheilung die starkere Wechselbeziehung stattfindet, zusam- menfallen, also wieder horizontal liegen. Die zweite Furchungs- ebene muss lothrecht stehen und die erste rechtwinkelig schneiden. Dadurch entstehen 4 durch verticale Theilungsebenen getrennte Furchungsstiicke. In einem Quadranten eines aqual sich furchcnden Eies fiillt die Axe des Kernes, wie wir friiher gesehen haben, mit der Liings- axe des Quadranten bei der Theilung zusammen. Hieraus sowic aus dem Umstand, dass bei inaqualen Eiern die 4 Quadranten zwei UDgleichwerthige Pole besitzen, cinen protoplasmatischen leichtercn, 198 Dr. Oscar Hertwie » ) nach oben gerichteten uud einen vegetativen, schwereren, nach ab- wartsgekehrten , ergiht sich wieder eine genaue Orientirung der Kernaxe, sie ist der lothrechten parallel, der Kern liegt aber nicht wie bei iiqiialen Eiern im Mittelpunkt des Quadranten, sondern ist dera aiiimalen Pole wegen seiner reicheren Protoplasmaansamm- lung geniihert; die dritte Theilungsebene wird eine horizontale, fallt aber nicht mit dem Aequator der Eikugel zusammen, sondern ist nach dem animalen Pol mehr oder minder verschobeu. So ent- steht ein protoplasmareicheres aber kleineres und ein protoplasraa- armeres aber grosseres Theilproduct. Auf die Verhaltnisse der partiellen Furchung naher einzu- gehen diirfte iiberflussig sein, da sie sich in der eben entwickelten Weise gleichfalls erklaren lassen , wie denn die partielle Furchung audi nur eine weitere durch grossere Dotteransammlung und Son- derung veranlasste Modification der inaqualen Furchung vorstellt. Zum Schlusse dieses Abschnittes noch einige Worte iiber die Orientirung der Furchungsebenen im Raume, welche sich nach dem Vorausgeschickten jetzt von selbst ergibt. Wahrend bei den alecithalen Eiern die Furchungsebenen im Raume die verschieden- sten Lagen einnehmen konnen, wie mein Versuch mit den Seeigel- eiern gelehrt hat, gewinnen sie im telolecithalen Typus mit der Entstehuug einer geocentrischen Axe eine genaue Orientirung in der Weise, dass die 2 ersten Furchen vertical verlaufen, die dritte Furche horizontal. Die Einstellung in der lothrechten und horizon- talen wird um so genauer sein mussen, je mehr sich der Gegensatz zwischen animalem leichterem und vegetativem schwererem Pole ausgepragt hat. Diese gesetzmassige Orientirung der Furchungs- ebenen , welche man einer directen Wirkung der Schwerkraft auf die Zelltheilung zugeschrieben hat, erklart sich jetzt in einfachster Weise daraus , dass im telolecithalen Typus die active Protoplasma- substanz am animalen Pole scheibenformig in horizontaler Rich- tung ausgebreitet ist und dass schon hierdurch die Stellung der Furchungsspindel und der ersten und der folgenden Theilungs- ebenen regulirt ist. Welchen Einfluss iibt die Schwerkraft auf die Theilung der Zellen ? 199 IV. Albsclinitt. Erklarung der von Pfltiger beobachteten abnormen Furchungs - Erscheinungen. Jetzt setzen auch die von Pfluger beobachteten abnormen Furchungserscheinungen einer Erklarung keine Schwierigkeiten mehr entgegen. Wenn die Froscheier in Zwangslage gebracht und so verhindert werden, im Ganzen zu rotiron, ura die ihrem Schwerpunct ent- sprcchende Lage einzunehmen, dann werden sich, wie auch Rauber an Forelleneiern direct gesehen hat, im Inneren der Kugel Umlage- rungen der verschiedenen Substanztheile von geringerer und gros- serer specifischer Schwere vollziehen, damit wieder eine neue Gleichgewichtslage herbeigefiihrt werde. Der Kern mit der sich um ihn ansammelnden protoplasmatischen Substanz wird wegen seiner geringeren specifischen Schwere immer bestrebt sein nach der hochsten Stelle des Eies hinaufzuriicken in ahnlicher Weise, wie am Hiihnerei die Keimscheibe sich stets nach oben higert. B 0 r n hat diesen Vorgang an Froscheiern, die sich in Zwangs- lage befanden, direct beobachtet und constatirt, dass der Kern bei Eiern , die im Theilungsstadium stehend geschnitten wurden, meist unter der hochsten Stelle des Eies liegt. Doch weiche ich in der Erklarung insofern von ihm ab, als er fiir die Veranderun- gen nur den Kern wegen seiner geringeren specifischen Schwere verantwortlich macht, wahrend nach meiner Meinung auch das Protoplasma dabei eine Rolle spielt und zwar in der Weise, dass zwischen ihm und dem Kern Wechselwirkungen stattfinden. Zum Beleg meiner Ansicht weise ich noch einmal darauf hin , dass an protoplasmatischen alecithalen Eiern der befruchtete Kern weit entfernt davon eine oberflilchliche Lage einzunehmen, sogar nach dem Centrum der Zelle hinwandert und sich hier einstellt. Bei dieser Erklarung konnte es auffallend erscheinen , dass sich die unter abnorme Bedingungen gebrachten Froscheier iiusser- lich so wenig verandern. Warum findet, kann man fragen, nicht auch eine andere Anordnung der pigmentirten Rindenschicht in der Weise statt, dass sie nach aufwilrts steigt? Auch hier muss ich auf den schon friiher einmal erorterten Punkt aufmerksam machen , dass es sich in den Erscheinungen, weiche Gegenstand dieses Aufsatzes bilden, nicht bloss um ein- fache mechanische Verhaltnisse , um eine Anordnung verschieden 200 Dr. Oskar Hertwig, schwerer Theile nach ihrem specifischen Gewicht handelt, sondern dass hierbei audi andere auf die Organisation einwirkende Factoren zu beriicksichtigen sind. Wie ich schon in den vorhergehendeu Capiteln den einen Punkt betont habe, dass zwar die Keimscheibe und iiberhaupt die animale Halfte aller telolecithalen Eier der specifischen Schwere folgend sich nach oben richte, dass aber die Sonderung einer protoplasmareicheren leichteren von einer dotter- reicheren schwereren Schicht von der Bildung der Richtungskorper und vom Befruchtungsact beeinflusst werden, so muss ich auch hier wieder darauf hinweisen, dass bei den in Zwangslage gebrach- ten Eiern die Umlagerung der Substanzen von verscliiedenem spe- cifischem Gewicht unter dem Einfluss der Befruchtung und der Zelltheilung vor sich geht. Nach dem Befruchtungsact und wahrend der Theilung ist eben der Kern ein Kraftcentrum , welches umordneiid auf die Plasmatheile der weiteren und ferneren Uragebung einwirkt. Die Plasmasubstanzen sind daher zwischen den Dotterplattchen in Be- wegung begriffen. Dies wird es begunstigen, dass Kern und be- nachbartes Protoplasma auch eine ihrer specifischen Schwere ent- sprechende Stellung dem Dotter gegeniiber einnehmen , wahrend entferntere Partieeii des Eimateriales ihre ursprungliche Anord- nung mit grosserer Zahigkeit beibehalten, Organische Processe so complicirter Natur bediirfen, um sich abspielen zu konnen, eines gewissen Zeitmaasses. Pfl tiger hat bei seinen Versuchen festgestellt , dass die Zeit, wahrend welcher die Schwere in einer bestimmten Richtung auf den Zellinhalt ein- wirkt, auf das Endresultat von wesentlichster Bedeutung ist. Die Schwere wirkt nicht uur in den Momenten, wo sich die Zellthei- lungen vollziehen, sondern sie beeinflusst continuirlich die Organi- sation, so dass die schliessliche Richtung der Zelltheilung aus der Summe aller Wirkungeu resultirt, welche die Schwere in einer Reihe von Stunden auf den Zellinhalt ausgeiibt hat. Pfliiger fuhrt zum Beweis folgendes Beispiel an: Wenn man einige Minuten vor Eintritt der zweiten Furchung das Ei verlagert, so dass die Furchungsaxe jetzt irgeud einen Winkel mit der Richtung der Schwerkraft macht, so tritt die zweite Furchung genau so ein, als ob das Ei keine Veranderung seiner Lage erfahren hatte. Dann kann die Ebene der 2. Furchung jeden beliebigen Winkel mit der Richtung der Schwerkraft machen. „Hieraus folgt, dass die Arbeit, welche die Schwere in der Zeit von 2 Stunden im Ei verrichtet hat, nicht mehr beseitigt werden kann, dadurch, dass man dieselbe Welchen Einfluss iibt die Schwerkraft auf die Theilung der Zellen? 201 Kraft nach Ablauf der 2 Stunden im anderen Sinne auf kurze Zeit wirken lasst." Nach unserer Erklarung kann in der kurzeu Zeit Kern und Protoplasma keine den veranderten Verhaltnissen entsprechende neue Stellung gewinnen. In derselben Weise erklart sich auch der Versuch von R o u x. Wenn man befruchtete Froscheier in einen langsam rotirenden Centrifugalapparat bringt, wodurch der Schwerpunkt derselben standig verlagert wird, so bildet sich die erste Furchungsebene wie bei normal sich entwickelnden Eiern. Bei wechselnder Ein- wirkung der Schwere konnen die verschiedenen Eisubstanzen keine neue Anordiiung eingehen, daher behalten sie die urspriingliche bei und entwickeln sich dementsprechend. Wird dagegen der Centrifugalapparat so rasch rotirt, dass die Schwerkraft durch die Centrifugalkraft aufgehoben und ubercompensirt wird, dann stellen sich wieRoux und Rauber iibereinstimmend gezeigt haben, die Eier mit dem vegetativen Pol centrifugal ein , d. h. bei continuirlicher Eiuwirkung der Centrifugalkraft haben die Ei- substanzen Zeit sich wahrend der Entwicklung ihrer specifischen Schwere gemass, der Dotter centrifugal, Protoplasma und Kern centripetal umzulagern. Zum Beweis fiir die Richtigheit seiner Theorie , dass die Schwerkraft einen richtenden Einfluss auf die Theilungsebene aus- iibe, fiihrt Pfl tiger auch aus dem botanischen Gebiete Beobach- tungen von Leitgeb^) und Sadebeck =^) uber die Entwicklung von Marsilia an. Wurden die Sporen derselben in eine Lage ge- bracht, dass ihre Langsaxe mit der Horizontalen zusammenfiel, so zeigte sich eine Einwirkung der Schwerkraft ganz deutlich in der Weise, dass die erste Scheidewand oder die Basalwand unter alien Umstanden horizontal war, also auf der Richtung der Schwer- kraft senkrecht stand. Dann entwickelte sich die Wurzel stets aus der Erdwarts gekehrten Halfte. Auf eine Erklarung dieser Erscheinung kann ich, da mir eigene Erfahrungen fehlen , nicht eingehen. Auf jeden Fall aber konnen wir aus den Angaben der Botaniker schliessen, dass wir es hier nur mit einem speciellen Fall indirecter Einwirkung der 0 Leitgeb, Zur Embryologie der Parne. Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu Wien. Mathemat. naturw. Classe. Bd. LXXVII 1878. ^) Sadebeck, Handbuch der Botanik, herausgegeben von Schenk 1881 pag. 210. Die Originalabhandlung stammt aus dem Jahre 1879. '202 Dr. Oscar Hertwig, Schwerkraft, iiicht mit einem allgemeinen Gesetz, demzufolge die Schwerkraft auf die Zelltheilung einwirkt, zu thun haben. So bemerkt Leitgeb, dass auch bei Aufhebung der Schwerkraft die Sporen von Marsilia sich theilen und dass dann horizontal fixirte Sporen bei langsamer Rotation um eine horizontal Axe ihren Cotyledo nach verschiedenen Richtungen orientirt zeigen , gerade so wie in den von Roux an Froscheiern angestellten Versuchen. Nicht zu vergessen ist endlich die Stellung, welche Leitgeb selbst zu der uns hier beschaftigenden Parage in der ein Jahr spater erschienenen Arbeit ^) iiber Entwicklung der Fame einninimt. Einerseits opponirt er gegeu zu weit gezogene Folgerungen Sadebecks hinsichtlich der Rolle, welche die Schwerkraft bei der Entwicklung der Fame spielen solle; andererseits sucht er durch genaues Studium der Polypodiaceen, einer Familie der Fame, den empirischen Beweis zu fiihreu, „dass die Anlage der Or- gane araEmbryo der Pol y podiaceen nur durch seine Lage im Prothallium und Archegon bestimmt werde und von der Schwerkraft durchaus unabhangig se i." „Wenn namlich das Prothallium mit seiner Langsaxe vertical steht, so liegen die beiden Theilungshalften des Embryo iilber einauder, bei horizontaler Prothalliumlage aber nel)en einander." ,X>iQ mitgetheiltenBeobachtungen" heisst es weiter im Schluss- passus der Abhandlung von Leitgeb", zeigen un wider leg- lich, dass eine Beeinflus sung der Organ anlage am Embryo durch die Schwerkraft nicht stattfindet Auch Sporenaussaaten , welche bei langsamer Rotation um eine horizontale Axe und in gleicher Weise bei rascher Rotation ge- zogen wurden und die es bis zur Embryobildung gebracht batten, ergaben keine anderen Resultate; in alien Fallen war die Lage der Orgaue gegen einander und in Bezug auf das Prothallium (und Archegon) durchaus normal." ^) Leitgeb, Studien iiber Entwicklung der Fame. Sitzungs- berichte der k. Akad. der Wissens. zu Wien. (Mathemat. naturw, Classe Ed. LXXX 1879. Welchen Einfluss iibt die Schwerkraft auf die Theilung der Zellen ? 203 V. Albschiiitt. Zusammenfassung der Resultate. Wenn wir jetzt zum Schluss das zusammengestellte Beobach- tungsmaterial vergleichend uberblicken, dann mussen wir die Frage, welche fur uns den Ausgangspunkt gebildet hat, welchen Einfluss iibt die Schwerkraft auf die Theilung der Zellen aus, in einem entgegengesetzten Sinne beantworten , als es von Pfl tiger und Rauber geschehen ist. ^ An sich iibt die Schwerkraft keinen directen Einfluss auf die Theilung der Zellen aus. Ebenso wenig beherrscht sie nach einem allgemeineren noch unbekanuten Gesetz die Organisation. Die erste Theilungsebene kaun bei den aqualen Eiern der Echiniden die verschiedensten Stellungen zu einer loth- rechten Axe zeigen; daher nimnit die Entwicklung der Frosch- eier, wie Roux gezeigt hat, ungehindert auch dann ihren Fort- gang , wenn die localisirte Wirkung der Schwere durch die lang- same Umdrehung der Eier aufgehoben wird, Bei gleichmassiger Beschaffenheit der Zellsubstanz sucht der Kern eine centrale Lage einzunehmen ; setzt sich dagegen die Zelle aus einer dotterreicheren und einer protoplasmareicheren Partie zusammen, so andert der Kern insofern seine Stellung als er niehr in das Bereich der protoplasmareicheren Partie riickt. Die Richtung und Stellung der Theilungsebenen hangt in erster Linie von der Organisation der Zel- len selbst ab; sie wird direct bestimmt durch die Axe des sich zur Theilung anschickenden Kerns Die Lage der Kernaxe aber steht wieder in einem Abhangigkeitsverhaltniss zur Form undDifferen- zirung des ihn umhiillenden protoplasm a tischeu K 0 r p e r s. So kanu in einer Protoplasmakugel , wenn sie sich zur Thei- lung anschickt, die Axe des central gelagerten Kerns in der Rich- tung eines jeden Radius zu liegeu komraen, in einem eiformigen Protoplasmakorper dagegen nur in den langsten Durchmesser. In einer kreisrunden Protoplasmascheibe liegt die Kernaxe parallel zur Oberflache derselben in einem beliebigen Durchmesser des Kreises, in einer ovalen Scheibe dagegen wieder nur im langsten Durchmesser. Aus diesen in der Organisation der Zelle selbst gegebenen Factoren allein lasst sich die Richtung und gesetzmassige Auf- 204 Dr. Oscar Hertwig, einanderfolge der ersten Furchungsebenen bei sich theilenden Eiern bestimmeii. In vielen Fallen iibt. hierbei die Schwere einen indirecten Ein- fluss auf die Orientirung der Furchungsebenen im Raum aus, namlich iiberall da, wo sich in einer Zelle Substanzen von ver- schiedener specifischer Schwere von einander gesondert uud in einer schwereren und leichteren Schicht iiber einander angeordnet haben. Bei vielen Eiern wird eine derartige Anordnung bei der Reife, in Folge der Bildung der Richtungskorper und in Folge des Befruchtungsprocesses, herbeigefuhrt. Das Ei erhalt dann eine be- stiramte Axe mit animalem und vegetativem Pole, eine Axe, welche durch die Schwere lothrecht gerichtet werden muss. Dadurch aber muss audi die erste Furchungsebeue nothwendiger Weise lothrecht stehen. Denn bei den geocentrisch differenzirten Eiern ist die leichtere protoplasmatische Substanz als Halbkugel oder Scheibe am animalen Pole der Eiaxe angehauft und liegt horizontal ausgebreitet der Dotterhalfte auf. In der horizontalen Keimscheibe aber muss nach dem oben formulirten Gesetz auch die Kernaxe sich horizontal einstellen, die Furchungsebene daher eine verticale werden. In alien diesen Fallen wirkt die Schwerkraft nur inso- fern und gleichsam indirect ein, als bei Eiern mit animalem und vegetativem Pole die Eiaxe unter ihrem Einfluss lothrecht ge- richtet wird. Earner findet bei polar differenzirten Eiern, wenn sie in eine von der Norm abweicheude Zwangslage gebracht werden, unter dem Einlluss der Schwere, sowie unter dem Einfluss der bei der Befruchtung und Zelltheilung sich abspielenden inneren Vorgange, eine theilweiseUmlagerung der Substanzen von verschicdener Schwere und Dignitat statt. Welchen Einfluss iibt die Schwerkraft auf die Theilung der Zellen ? 205 Tafelerklarung. Fig. 1. Ei von Cymbulia Peronii vor der Bildung des zwei- ten Richtungskorpers mit Spindel. Copie aus F o 1. Etudes sur le de- veloppement des Mollusques. Paris 1875. Taf. YIII. Fig. 1. Fig. 2. Ei von Cymbulia Peronii mit befruchtetem Eikern. Copie nach Fol. 1. c. Taf. VIII. Fig. 3. Fig. 3, Ei von Cymbulia Peronii vor der Zweitheilung. Copie nach Fol. 1. c. Fig. 5. Fig. 4. Ei eines Seeigels mit befruchtetem Kern. Fig. 5. Ei eines Seeigels auf dem Stadium vor der Zwei- theilung. Fig. 6. Ei von Fabricia. Copie nach Haeckel. Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. Taf. XXIV. Fig. 92. Jenaische Zeitschrift Bd. IX. 1875. Fig. 7. Ei von Fabricia. Zweigetheilt nach Haeckel. 1. c. Taf. XXIV. Fig. 93. Fig. 8 — 11. Eier von Ascaris nigrovenosa im Moment der Be- fruchtung. Copie nach Auerbach. Organologische Studien. 2tes Heft. Fig. 12. Centrolecithales Ei, Schema. Fig. 13. Centrolecithales Ei mit Keimblastem. Fig. 14. Ei der Tellerschnecke in Zweitheilung. Nach Rabl. Entwicklung der Tellerschnecke. Taf. XXXII. Fig. 2. Morphol. Jahrbuch. Bd. V. Fig. 15. Ei der Tellerschnecke in Bildung des zweiten Rich- tungskorpers begriffen. Nach Rabl 1. c. Taf. XXXII. Fig. 1. Fig. 16. Seeigeleier in Furchung. Fig. 17. Aequales Ei vor der Viertheilung. Fig. 18. Ei mit aqualer Furchung in Zweitheilung. Fig. 19. Meroblastisches Ei in Zweitheilung. Fig. 20. Ei mit inaqualer Furchung in Zweitheilung. Fig. 21. Ei mit inaqualer Furchung vor der Achttheilung. Anmerkung. Die Figuren 1, 2, 3, 14 und 15 sollen als Schemata dienen und sind daher mit den entsprechenden Kernmodi- fikationen versehen worden. Unsprung und Entwickelung der thierischen Gewebe. Ein histogenetischer Beitrag zur Gastraea-Theorie. Von £rust Uaeckel. I. Phylogenetische und tectogenetische Theorien. Die vergleicheiide Entwickelungsgeschichte der Thiere hat sich wiihrend des letzten Decemiiums zu so holier Bedeutung emporge- schwungen, dass sie jetzt bereits als eiiier der wichtigsten Theile der wisseiischaftlichen Zoologie erschtint. Dieser erfreuliche Auf- schwung ist einerseits ihrem quantitativen Wachsthum zu verdan- keii, andrei'seits ihrer qualitativen Vervollkommnung. In erster Beziehung ist vor Allem fruchtbar und bedeutuugsvoll geworden die Ausdehnung der ontogenetischen Forschuug auf alle Gebiete des Thierreichs und ganz besonders auf die verschiedenen Abthei- lungen der niederen Thiere; ihre griindliche und vielseitige Er- forschung hat uns zu einor Reihe von wichtigen Erkenntnissen gefiihrt, zu welcheii wir durch die Beschrankung auf die Keimes- geschichte der hoheren, friiher fast ausschliesslich uutersuchten Thiere niemals gelangt waren. Als lehrreiches Beispiel braucht bloss der Amphiuxus genannt zu werden ; dieses niederste Wirbel- thier hat uns durch die Aufdeckung seiner palingenetischen Kei- mung mit eineni Schatze von neuen Wahrheiten beschenkt, welche fiir die Einsicht in die Staramesgeschichte der Wirbelthiere und somit auch unsres eigenen Geschlechts von hochster Bedeutung sind; iiimraermehr hiitten wir den Weg zu diesen Wahrheiten ge- funden, wenn wir uns in hergebrachter Weise auf die Untersuchung der cenogenetischen, stark modificirten Keimesgeschichte des Hiihn- chens beschrankt hatten, — das alteste und beliebteste, fiir viele Embryologen leider auch heute noch das wichtigste Object onto- genetischer Beobachtuug. Ernst Haeckel, Urspr. u. Entwickel. d. thier. Gewebe. 2(*T Ein anderer Fortschritt unserer Wissenschaft wurde dadurch herbeigeftihrt, dass nebcn der alteren, urspriiuglich fast alleiii die Embryologen beschaftigeiiden Ontogenie der Org an e allmahlich audi diejenige der Gewebe in den Vordergrund trat. Mit dem gelieferten Nachweise, dass das Thier-Ei uberall eine einfache Zelle und die Furchung desselben eine Form der Zellspaltung (— bald Theilung, bald Knospung — ) sei, erlangte naturgemass die Frage vom Ursprung der Gewebe aus diesen „Furchungszellen" die Bedeutung eines fundamentalen Problems. Nicht allein die Frage nach den „Primitiv-Organen", sondern auch diejenige nach den „Primitiv-Geweben", sowie nach dera Verhaltniss beider zu einander, ferner die Entstehung der verschiedenen Gewebe aus letzteren, wurde daher besonders in den letzten Jaliren discutirt. Wahrend so das quantitative Wachsthum der vergleichenden Entwicklungsgeschichte durch die Ausdehnung der ontogenetischen Beobachtungen machtig gefordert wurde, geschah gleichzeitig ein noch bedeutenderer Fortschritt durch die qualitative Vervoll- kommnung ihrer Forschungs -Methoden. Durch die Ausbildung des Mikrotoms und die Anwendung einer raffinirten Tinctions- Technik, durch die Vervollkommnung der mikroskopischen Hilfs- mittel und die Erfindung einer Anzahl anderer technischer Prae- parationsarten wurde es moglich, in viele dunkle und schwer zugangliche, friiher gauz unbekannte Verhaltnisse einzudringen; insbesondere wurde durch Herstellung successiver Schnitt-Serien eine Vollstandigkeit der ontogenetischen Beobachtung erreicht, die friiher fiir unmoglich gait ^ ). Wichtiger jedoch als diese bewunderungswiirdigen Fortschritte der empirischen Untersuchungs-Methoden, ist nach unserer Ueber- zeugung fur die Entwickelungsgeschichte die Ausbildung ihrer philosophischen Methode gewordeu, die Aufstellung bestimmter Theorien, welche in dem Chaos zahlloser und vcrwickelter Ein- zel-Beobachtungen das einheitliche bestimmende Gesetz zu ent- decken suchen, und welche nach Erkenntniss der wahren Ursachen fiir die mannigfaltigen durch empirische Beobachtung ermittelten ^) Bei aller Anerkennung der Fortschritte, welche wir den „Schnitt-Seri en" verdanken, mochten wir es doch fiir uothwen- dig erklfiren, dass der Anfertigung derselben eine voUstandige, ver- gleichend-anatomische Kenntniss des ganzen betreffenden Thieres vorausgehe; bei sehr vielen ( — besonders jiingeren — ) Em- bryotomen der neueren Zeit ist dies bekanntlich nicht der Fallj daher so viele Widerspriiche und Missverstandnisse, 208 Ernst Haeckel, Thatsachen stiebeii. Die verschiedenen Versuche, welche nach dieser Richtuiig hiu wahrend der letzten beiden Decennien unter- nommen wurden , lasseii sich sammtlich in zwei entgegengesetzte Hauptgruppen bringen , welche wir kurz als die phylogenetische und die tectogenetische bezeichnen wollen. Die phylogenetische Methode verzichtet darauf, die ontogenetischen Phaenomeiie aus sich selbst zu erklaren , sondern glaubt deren causale Erklarung ganz oder doch grosstentheils iu phylogenetischen Processen zu finden; d. h. sie nimmt einen direk- ten Causal-Nexus an zwischen den Keimungsvorgangen am Embryo und entsprechenden historischen Processen in der Ahnenreihe der betreffenden Thierarten. Ihren pracisesten Ausdruck findet diese Vorstellungsweise in unserem biogenetischen Grundgesetze : ein Theil der ontogenetischen Processe ist danach palingenetisch und beruht auf Vererbung von einer Reihe verschiedenartiger Vorfah- ren; der andere Theil hingegen ist cenogenetisch und durch An- passuug an besondere Bedingungen der embryonalen Entwickelung verursacht. Gleichviel, wie man diese Vorstellung sonst noch for- rauliren mag, so bleibt ihr wesentlicher Grundgedanke der ursach- liche Zusamraenhang zwischen Keimes- und Stammes-Entwickelung ; sie ruht auf dem Fundamente der Descendenz-Theorie'). Die tektogenetische Methode nimmt im Princip einen vollig entgegengesetzten Standpunkt ein , indem sie die ontogene- tischen Erscheinungen aus sich selbst erklaren will, unabhangig von alien phylogenetischen Processen '^). Sie leugnet jeden direk- ten Causal -Nexus zwischen Keimes- und Stammesgeschichte , und steht zur Descendenz-Theorie entweder in oii'enem Widerspruch, oder sie macht mindestens von ihr keinerlei Gebrauch. Die Pha- nomene der Vererbung und Anpassung werden von ihr entweder als unlosbare Rathsel betrachtet, oder doch nicht als Ursachen der Keimungsverhaltnisse zugelassen; mithin ist auch die Unterschei- dung der Palingenie und Cenogenie fiir sie ohne alle Bedeutung; ^) Phylogenetische Methodeu sindalle diejenigen, welche zwischen Keimes- uud Stammes-Entwickelung einen directen , durch Vererbung bedingten Zusammenhang annehmen. Vgl. die treffliche Rede von Eduard Strasbuegee: „Ueber die Bedeutung phylogenetischer Methoden fiir die Erforschung lebender Weseu". Jena. Zeitschr. 1874, Bd. VIII, p. 56—80. 2) Tektogenetische Methoden, im principiellen Gegensatze zu den phylogenetischen, nenuen wir alle diejenigen Methoden in der Entwickelungsgeschichte, welche die Ontogenie ,,aus sich selbst", — ohne jede causale Beziehung zur Phylogeuie — erklaren wollen. Ursprung und Entwickeliing der thierischen Gewebe. 209 beide Begriffe sind leere Worte, Statt dessen sucht die tekto- genetische Theorie die Uisachen der embryologischen Vorgange entweder in grob-mechanischen Veranderungen des Keimes selbst (z. B, ungleichen Spamiungs - Verhaltnissen elastischer Flatten und Rohren) oder in eineni „grossen unbekannteu inneren Entwicke- lungsgesetz", mit auderen Worten in einer „on togenet ischen Lebenskraf t". Der vollstandige Widerspruch, der zwischen den beiden ent- gegengesetzten Entwickeluugs-Theorien , der phylogenetischen und der tektogenetischen besteht, und der von Jahr zu Jahr unver- sohnlicher liervortrat, hat im Laufe der letzten beiden Decennien zu einer Reihe von lebhaften Kampfen gefiihrt. Jedenfalls haben diese das Gute gehabt, die priucipiellen Standpunkte auf beiden Seiten wesentlich zu klaren und inmier einleuclitender die ent- scheidende Alternative zwischen beiden in den Vordergrund zu stellen. So ist denn gegenwartig jeder Embryologe, der sich nicht bloss niit descriptiver Ontogenie begntigt, sondern die wahren Ur- sachen der von ihm beobachteten Keimungs-Vorgange zu erkennen strebt, zunachst zur Entscheidung der principiellen Vorfrage ge- nothigt: „Sind diese ontogenetischen Processe phylogenetisch oder tektogenetisch zu erklaren? Haben sie eine causale, durch Ver- erbung bedingte Beziehung zu entsprechenden Vorgangen in der Stanimesgeschichte, oder besitzen sie diese nicht? Die phylogenetisch e Methode in der „vergleichenden Entwickelungsgeschichte" konnte naturlich erst wirksam angewen- det werden, nachdem Darwin 1859 durch seine Reform der De- scendenz-Theorie die Biologic zum wahren Verstandniss des Ent- wickelungs-Begritfes selbst gefuhrt hatte. Iiidessen hat bekanntlich schon die altere Natur-Philosophie zu Anfang des Jahrhunderts einen directen Causal - Nexus zwischen Ontogenie und Phylogenie angenommen — freilich in einer Formulirung, die wenig befriedi- gen konnte. Immerhin wurde von den Hauptern jener Schule die- ser Causal-Nexus mehr oder weniger bestimmt auerkannt. Nach- dem Darwin im XIII. Capitel des „Origin of Species" denselben aufs Neue zur Geltung gebracht, hat vor Allen Fritz Muller in seiner beriihmten Schrift „Fur Darwin" (1864) jenen Gedanken praktisch verwerthet und an dem lehrreichen Beispiel der Ctusta- ceen einleuchtend gezeigt, welche wichtigen phylogenetischen Schliisse sich aus der Vergleichung der ontogenetischen Thatsachen ziehen lassen , und wie die letzteren umgekehrt wieder in den ersteren ihre Erklarung finden. In meiner „Generellen Morphologic" wurde Bd. XVUI. N. F. XI. 14 210 Ernst Haeckcl, sodanu 1866 der erste Versuch unternommen , Ontogenie und Phylogenie als zwei coordinirte und gleichberechtigte Haupt- zweige der organischen Eiitwickelungsgeschichte neben einander zu stellen und iliren engen Causal-Nexus durch die von mir auf- gestellten Gesetze der Vererbung und Anpassung naher zu erlau- tern. Die Unterscheidung der Pal in genie und Cenogenie fuhrte mich weiter zu einer scbarferen Fassung nieines „biogene- tischen Grundgcsetzes". Dasselbe ist naher erlautert im zweiten Hefte der „Studien zur Gastraea-Theorie", deren allgemeinste Grundsatze bereits vor 12 Jahren, im ersten Bande meiner „Mono- grapliie der Kalkschwamme" erschienen ^). Die Anschauungen, welche ich daselbst liber „die Keimblatter-Theorie und den Stamm- baum des Thierreichs" aufstellte (1. c. p. 464), entwickelte ich weiter in einer Reihe von Abhandlungen , welche in den Jahren 1873 — 1877 in der Jenaischen Zeitschrift fur Naturwissenschaft veroffentlicht wurden^) und welche sodann gesammelt 1877 in den „Studien zur Gastraea-Theorie" erschienen. Eine kurze Zusam- menfassung dieser ausfiihrlichen Erorterungen in gedrangterer und mehr allgemein-verstandlicher Form gab ich im ersten und ach- ten Vortrage meiner Anthropogenie (I. Aufl. 1874; III. Aufl. 1877). Die hier niedergelegten Anschauungen iiber die Homologie der Keimblatter, die phylogenetische Classification des Thierreichs, das Verhaltniss der Palingenie zur Cenogenie, die verschiedenen Hauptformen der Eifurchung und Gastrulabildung u. s. w. fanden zwar anfangs wenig Beifall und enthielten naturlich — wie alle solche weitgreifenden Generalisationen — viele Irrthiimer im Ein- zelnen; allein im Grossen und Ganzen gewannen sie doch mehr und mehr Anerkennung, und ich darf heute — nach vielen und lebhaften Kiimpfen — wohl mit Genugthuung darauf hinweisen, dass die wichtigsten Principien der vergleichenden Entwickelungs- geschichte in der von mir behaupteten Richtung jetzt von der grossen Mehrzahl der betreffenden Forscher weiter verfolgt wer- den, und dass vor Allem die phylogenetische Bedeutung der onto- genetischen Thatsachen fast allgemein anerkannt wird. Eine sehr dankenswerthe Unterstiitzung und Bestatigung er- hielt meine Gastraea-Theorie durch den englisch^n Zoologen E. 1) E. Haeckel, Philosophie der Kalkschwamme, 1872 (I. Baud der MoDographie der Calcispongien , p. 450—484); „das biogene- tische Grundgesetz" p. 471. ^) Jenaische Zeitschrift fiir Naturwissenschaft Bd. VII, p. 555 — 560; Bd. VIII, p. 1 — 55; Bd. IX, p. 402 508; Bd. XI, p. 1—98. Ursprung und Entwickelung dcr thierischen Gewebe. 21 1 Kay-Lankester , der gleichzeitig und unabhangig von mir sich mit denselbeu Problenien beschaftigte und nur wenig spiiter (1873) die ersten Grundziige seiner phylogenetischen Theorie verofifent- lichte^); 1877 gab derselbe eine ausfuhrliche Anwendung dersel- ben auf die Classification des Thierreichs ^). Die wichtigste Liicke und das schwierigste Problem, welches ich in meiner Gastraea-Theorie und in den daran gekuupften Er- orterungen noch ofl'en gelassen hatte, betraf die Entwickelung der Leibeshohle und des mittleren Keimblattes; diese wurde in der erwiinschtesten Weise ausgefiillt durcli dieCoelomtheorie der Briider Oscar und Richard Hertwig, welche das vierte Heft ihrer interessanten „Studien zur Blattertheorie" bildet^). Nachdem dieselben schon vorher in ihren Untersuchungen iiber die Entwicklung der Actinien, der Chaetognathen, der Ctenophoren und der Insecten eine Reihe von wichtigen Beitragen zur verglei- chenden Entwickelungsgeschichte geliefert batten, gelang es ihnen in der „Ceolomtheorie", durch umfassende vergleichende Uuter- suchung der Ontogenie einerseits, durch gedankenreiche logische Beziehung derselben auf die Phylogenie andererseits eine Anzahl der dunkelsten noch offenen Fragen gliicklich zu beantworten ; sie lieferten daniit den Beweis, wie fruchtbar das biogenetische Grund- gesetz als heuristisches Princip sich auch bei Losung der schwie- rigsten Entwickelungsprobleme bewahrt. Einen weiteren Beweis dafiir geben die Untersuchungen von Oscar Hertwig iiber „die Entwickelung des mittleren Keimblattes der Wirbelthiere" *), Mit Bezug auf die principielleu Hauptprobleme der verglei- chenden Entwickelungsgeschichte gelangten die Gebriider Hert- wig in ihrer Coelomtheorie bedeutend weiter, als der verdienst- volle englische, der Wissenschaft durch allzufriihen Tod entrissene Naturforscher Francis Balfour, welcher 1879 in seinem „Hand- buch der vergleichenden Embryologie" den ersten Versuch unter- nahm, die bunte Masse der umfangreichen, in den letzten Decen- nien machtig gewachsenen embryologischeu Litteratur iibersichtlich zusammenzustellen und vom phylogenetischen Gesichtspunkte aus ^) Ray-Lankestee, On the primitive cell-layers of the embryo. Ann. and Mag. N. Hist. 1873. Vol. XI, p. 321—338. ■'^) E.at-Lankp:ster, Notes on embryology and classification. Quart. I. micr. so. Vol. XVII. 1877. ^) OscAK und Richard HERT\^^rG^, Die Coelomtheorie, Versuch einer Erklarung des mittleren Keimblattes. Jena, 1881. ^) Jenaische Zeitschrift fiir Naturw. 1882, XV, p. 286. 14* 212 Ernst Haeekel, zu beleuchten. So grosse Anerkeiinung auch dieser schwierige erste Versuch als soldier verdient, so ist doch iiicht zu leugueo, dass die kritische „Vergl eichung" in demselben im Ganzen sehr maiigelhaft ausfiillt. Das liegt einerseits daran, dass Bal- four viel zu wenig die palingenetischen und cenogenetischen Pro- cesse auseinander hielt, andererseits daran, dass er viel zu sehr die Resultate der vergleichenden Anatomic aus den Augen liess. Dieses letztere Verfahren werden ihm allerdings gerade diejenigen Embryologen zum besondern Verdienste anrechneii, die (wie z. B. Gotte) iiberhaupt die vergleichende Anatomie vom Aufbau der Phylogenie ausschliessen wollen, und die Ontogenie allein als mass- gebend betrachten. Ich babe meine entgegengesetzte Ausicht in der Schrift iiber „Ziele und Wege der heutigen Entwickelungs- geschichte" (1875) ausfuhrlich begriindet, und bin auch heute noch der Ueberzeugung, dass wir nur durch das Zusammenwirken der vergleichenden Anatomie und Ontogenie zu einer naturge- massen Behandlung der Phylogenie gelangen werden. Das grund- legende Lehrbuch der vergleichenden Anatomie von Ge- GENBAUR, die erste vollstandige Anwendung der phylogenetischen Methode auf diese Wissenschaft, zeigt uns, wie viele wichtige Probleme der Phylogenie nur mit Hiilfe jener morphologischen Disciplin zu losen sind, und zwar besonders solche, in denen uns die Ontogenie (in Folge cenogenetischer Veranderungen) keine Oder nur mangelhafte Auskunft giebt. Vergleicht man Hertwig's Coelomtheorie mit den entsprechenden Abschnitten in Balfour's vergleichender Embryologie, so erkennt man deuthch das Ueber- gewicht der ersteren, dadurch bedingt, dass sie nicht bloss die Ontogenie, soudern in gleichera Maasse auch die vergleichende Anatomie fiir ihre phylogenetische Beurtheilung der Entwickelungs- Processe zu Rathe ziehen. Die tektogenetische Theorie, welche die Berechtigung der phylogenetischen Theorie bestreitet und die ontogenetischen Phaenomene aus sich selbst, ohne Beziehung zur Phylogenie, erklaren will, hat ihren bedeutendsten und energischsten Yertreter in WiLHELM His gefunden. Dieser Anatom ging, wie so viele Andere vor ihm, zunachst ausschhesshch von der Keimesge- schichte des Hiihnchens aus, demselben schwierigen und gefahr- lichen Object, welches seit Beginn der embryologischen Forschun- gen das beliebteste, weil anscheinend bequemste Paradigma war, und welches doch — vermoge seiner starkeu cenogenetischen Ab- TJrsprung und Entwickehing cler thiorischen Gewebe. 213 anderungen — unter alien Wirbelthieren mit am wenigsten geeig- net ist, zu eiiier klaren Erkenntiiiss der massgebenden paliiigene- tischen Vorgaugc zu gelangen. Indem His die Keimscheibe des bebriiteten Hiihnereies auf das Genaueste — mit Hiilfe von Mass- stab und fjineal — untersuchte und dereu Veranderungen wo- moglich in mathematische Formeln zu bringen suchte, gelangte er zu der Ueberzeugung , dass die ganze individuelle Eutwickelung des ThierkiJrpers durch verhitltnissmassig sehr einfache mecha- nische Momente bedingt werde (Spannungen von elastischen Plat- ten in Folge wechselnder Wachsthumsgrossen gewisser Theile, Faltungen derselben in Folge von mechanischen Widerstiinden u. s. w.). Diese „mechanischen Krafte" stehen unter der Herrschaft „eines verhaltnissmassig einfachen Wachsthumsgesetzes, welches das einzig Wesentliche bei der Eutwickelung ist". Indem His die am Vogelei gewonnenen Anschauungen obne Weiteres auf die anderen Wirbelthiere iibertragt, stellt er den Satz auf, dass die ganze Mechanik der Embryogestaltung auf ein einfaches Pro- blem zuriickzufiihren ist, auf das „Problem von den Formverande- rungen einer ungleich sich ausdehnenden elastischen Platte". Die- sen Grundsatz suchte er mit einem grossen Aufwande von mathe- matisch-physikalischeu Formeln naher zu begriinden in seinen um- fangreichen „Untersuchungen iiber die erste Anlage des Wirbel- thierleibes" (1868). In mehr popularer Form erlauterte er jenes Princip in der Schrift iiber „Unsere Korperform" (1875). Fiir sei- nen principiellen Standpunkt ist aber besonders bezeichnend die Rede „uber die Bedeutung der Entwickelungsgeschichte fiir die Auffassung der organischen Natur" (1870). Die tektologischen Theorien, die His in diesen Schriften ent- wickelt, zerfallen in zwei verschiedene Gruppen, welche in keinem inneren Zusammenhange stehen, nnd die wir kurz als die „Para- blastentheorie" und die „Sartricaltheorie" bezeichnen wollen. Beide werden zunachst fiir die Wirbelthiergruppe geltend gemacht, im Princip aber auf das ganze Thierreich ausgedehnt. Die „Para- blastentheorie", die wir in ihrem heutigen Gewande im nixchsten Abschnitte uiiher betrachten wollen, lauft im Grunde auf eine „Symbiose der Wirbelthiere" hinaus. Die Sartricaltheorie hinge- gen behandelt jenes grosse unbekannte „Wachsthumsgesetz", wel- ches das einzig Wesentliche bei der embryonalen Eutwickelung sein soil. Ueber die eigentliche Natur desselben ( rfahren wir lei- der gar nichts; dagegen wird es an mehreren Beispielen drastisch 214 Ernst Haeckel, erlautert, welche ich als die „Briefcouverttheorie", die „Honenlap- pentheorie" u. s. w. im 24sten Vortrage raeiner „Aiitliropogenie" vom phylogenetischen Standpunkte aus beleuchtet habe (III. Aufl. 1877, p. 53, 655). Eine ausfuhrlichere Kritik derselben habe ich 1875 in raeiner Schrift uber „Ziele und Wege der heutigen Entwicke- lungsgeschichte" gegeben^). Die Aufnahme, welche die tektogenetischen Theorien von His unter den Embryologen fan den, war von Anfang an sehr verschie- den. Viele bewunderten darin den Beginn einer neuen Aera der Entwickelungsgeschichte, die jetzt als „exacte Naturwissenschaft" mechanisch erklart und mathematisch begriindet werde. Vor Allen waren davon viele Physiologen entziickt, um so mehr als His selbst mit besonderera Nachdruck den „physiologi- schen" Character seiner „raechanischen" Entwickelungs-Theorie hervorhob ^ ). Da die Mehrzahl der heutigen Physiologen mit der vergleichenden Entwickelungsgeschichte unbekannt ist, er- scheint jener Beifall sehr begreiflich; leider miissen wir nur hin- zufiigen, dass er auf einem grossen Irrthum beruht. Denn alle jene „mechanischen" Erklarungs - Versuche von His, sammt den schonen dazu verwendeteu mathematischen Formeln, passen auf ^) Sartricaltheorie oder „ontogenetische Schneider- theorie" wird der ganze Complex ,,rnech(tiHscher'' Entwickelungs- theorien von His schon seit langerer Zeit in morphologischen Krei- sen deshalb genannt, well „in seiner Yorstellung die bildende Mutter Natur weiter nichts als eine geschickte Kleidermacherin ist. Durch. verschiedenartiges Zuschneiden der Keimblatter, Kriimmen und Falten , Zerren und Spalten derselben gelingt es der genialen Schneiderin ( — Snrtrix naUira — ) leicht, alle die mannichfal- tigen Formen der Thierarten durch Entwickehiiig zu Stande zu brin- gen". (Anthropogenie, III. Aufl. 1877, p. 655). 2) Da His ( — der Leipziger An a torn! — ) auch noch in seiner neuesten beziiglichen Schrift („Parablast", 1882, I.e. p. 89) die phy- siologische Tendenz seiner „mecbanischen Entwickelungstbeorie" betont und sie den „inorpbologiscben Gesichtspunkten" der bisheri- gen Embryologie gegeniiberstellt, mochten wir uns doch den Hinweis erlauben, dass eine wirkliche, exact-physiologische (d. h. cbemiscb- physikalische) Erklarung der morphologischen Entwicklungsphanomene bisher von ihm so wenig als von irgend einem anderen Embryologen gegeben worden. Es ist aber sehr charakteristisch fiir His, dass er die menschliche Anatomie , d. b. eine rein morphologische Wissenscbaft, seit langerZeit an einer der grossten deutschen Uni- versitaten vertritt und sich dabei bestandig bemiibt, sie als Magd in den Dienst der Pbysiologie zu stellen, abnlich wie im Mittel- alter die Philosophie als Magd der Theologie fungirte. Ursprung und Entwickcluug der thierischon Gewebe. 215 die raorphologischen Processe, welche sie exact erklaren sol- len, „wie die Faust aufs Auge". Beide decken sich im besten Falle nur ausserlich, wahrend im inneren Wesen der grosste Gegen- satz besteht. Nach meiner eigenen Ueberzeugung ist die tektogenetische Theorie von His — und zwar ebensowohl die Parablasten-Theorie als die Sartrical-Theorie — von Anfang bis zu Ende ein ein- ziges grosses Labyrinth von Irrwegen und sowohl der principielle Standpunkt von His, als sammtliche daraus abgeleitete Folgerungen sind vollig false h und naturwidrig. Ich habe diesem unversohulichen Gegensatze von Anfang an den entschie- densten Ausdruck gegeben, in der Biologic der Kalkschwararae (1872), in den Studien zur Gastraa-Theorie (1873), in der Anthro- pogenie (1874) und namentlich in den „Zielen und Wegen der heutigen Entwickelungsgeschicchte" (1875; Jen. Zeitschr. Bd. X, Supplem.). Ich kann heute nur noch hinzufugen, dass meine bis- herigen Erfahrungen jene feste Ueberzeugung lediglicb bestatigt haben. Uebrigens waren mehrere unserer ersten Morphologen — ich nenne nur Gegenbaue und Max Schultze — von Anfang an derselben Ansicht, und gegenwartig ist es wohl die grosse Mehrzahl. Vielleicht das Meiste zur Anerkennung und Verbreitung der tektogenetischen Theorien von His hat Kolliker beigetragen, der diese „genialen Conception en" von Anfang an bewunderte und ihnen in der zweiten Auflage seiner weitverbreiteten „Ent- wickelungsgeschichte des Meuschen und der hoheren Thiere" (1876) an verschiedenen Stellen eine ausfuhrliche Besprechung widmete. Er stimmt „im Wesentlichen mit His iiberein und weicht offen- bar niehr nur in der Auffassung der Einzelvorgange ab, als in den Grundanschauungen" (1876, 1. c. p. 397). Die Sartrical- Theorie Oder der Versuch von His, die ganze Ontogenie auf rein mechanische Verhaltnisse zu begriinden, verdient nach Kol- liker „nicht bloss desshalb alle Beach tung, weil sie der erste Versuch ist, die Formbildung im Sinne der neueren Naturforschung logisch zu begriinden, sondern weil sie auch unstreitig viel Wahres an sich tragt" (p. 28). „Da eine mathematische Begriindung das Endziel der Wissenschaft ist, verdient schon aus diesem Grunde der Versuch von His alle Be- achtung" (p. 394). Die Parablasten-Theorie begrusst Kol- KiKER als eine „neue Bahn der Entwickelungsgeschichte — , die, wenn sie als richtig sich ergabe, nicht nur die Bildung der Keim- 216 Ernst Haeckel, blatter aufklaren, sondern auch der ganzen Embryologie eine neue Grundlage geben wiirde" (p. 24). Da ich die Parablasten-Theorie und ihre neuesten Wandlungen nachstehend ausfiihrlicher besprechen werde, will ich hier nur liber die Sartrical-Theorie von His noch einige Worte sagen. Entkleiden wir diese wuuderbare „geniale Conception" des mathe- matisch-physikalischen Aufputzes, der zu ihrem wahren Wesen in keiner Weise passt, so lasst sich der iibrig bleibende Kern wohl hinlanglich in folgenden Satzen characterisiren : 1) Das universale „Wachsthums-Gesetz" von His, wel- ches als „einzig wesentliche Ursache" alle embryonale Entwicke- lung bedingen soil, istnichts Anderes als eine „Ontogenetische Lebenskraft" {natura sartrix); es gleicht in dieser Beziehung dem „grossen unbekannten Entwickelungsgesetz" von Kolliker, welches eine phylogenetische Lebenskraft reprasentirt. 2) Da iiber die eigentliche Natur dieser beiden „grossen Unbekann- ten" nichts weiter gesagt wird, als dass sie „mechanische Prin- cipien" sind, ihre Zuruckfiihrung auf bekannte Naturkrafte aber in keiner Weise geschieht, so tragen dieselben Nichts zur wah- ren Erklariing der organischen Entwickelung bei. 3) Eine causale Beziehung zwischen den beiden „grossen Unbekannten" ist vollig ausgeschlossen ; sowohl His als Kolliker sind entschiedene Geg- ner der phylogenetischen Methode und perhorresciren das „bio- genetische Grundgesetz". In dieser Beziehung denkt der erstere klarer und consequenter als der letztere. Als entschiede- ner Gegner der Descendenz - Theorie verwirft His die Phylogenie iiberhaupt, und verurtheilt ihre Anwendung auf die Outogenie als einen „weiten Umweg", dessen die ontogenetischen Thatsachen („als unmittelbare Folgen physiologischer Entwickelungs - Princi- pien) zu ihrer Erklarung gar nicht bediirfen" ^). Man kann in der That His nur Dank wissen, dass er selbst hier und an andern Orten seinen Gegensatz zu unserer phylo- genetischen Auffassung der ontogenetischen Phanomene so scharf formulirt und zu einer entscheidenden Wahl zwischen den beiden moglichen Erklarungsweisen der letzteren gedrangt hat. Auf der einen Seite steht unsere ganze heutige Entwickelungslehre mit ^) In gleichem Sinne legt auch Kolliker (im Vorwort zu seiner „Entwicklungsgeschichte" 1879, p. VII) „das Hau p tg e wi ch t dar- auf, dass die Entwicklung aller Einzelwesen aus sich zu begrei- fen und gesetzmassig abzuleiten ist", mit Ausschluss der Stammes- geschichte. Ursprung und Entwickoluug der thierischeu Gewebe. 217 dem biogenetisch en Grundgesetz und Allem was dazu ge- hort: Causal -Nexus zwischen Ontogenie und Phylogenie, Unter- scheidung von Palingenie und Cenogenie, Wechselwirkung der Vererbung und Anpassung. Auf der andern Seite steht die „me- chanische" Sartrical-Theorie von His und Alles was dazu gehort ( — unter volligem Ausschluss der Phylogenie! — ), als: Hollenlappen-, Briefcouvert-, Gummischlauch-Theorie etc. Ueberblicken wir die gesammte ontogenetische Litteratur der Gegenwart, so glauben wir wohl nicht in der Annahme irre zu gehen, dass die grosse Majoritat der Naturforscher ihre Wahl zwischen jenen beiden entgegengesetzten Wegen bereits getroffen hat, und zwar zu Gunsten des ersteren. Sind doch selbst viele Freunde von His's Sartrical-Theorie, welche anfanglich dieselbe mit Jubel begriissten und sich durch die mathematischen Formeln ihres ausseren Gewandes blenden liessen, spater an ihr ganzlich irre geworden und haben sie zuletzt stillschweigend aufgegeben. Um so mehr mussten wir erstaunen, als in neuester Zeit von meh- reren Seiten her der Versuch gemacht wurde, die interessante Leiche der Natura sartrix aufs Neue zu galvanisiren und einige Zuckungen, welche hierbei die Parablasten-Theorie zeigte, fiir werth voile Symptome wirklicher Lebens-Reste auszugeben. Sehen wir nun etwas niiher zu, wie es sich mit dieser Aufer- stehung verhalt , und ob wirklich jene „genialen Conceptionen der ganzen Enibryologie eine neue Grundlage geben". II. Archiblast und Parablast. In einer ausfiihrlichen Abhandlung iiber „Archiblast und Para- blast" hat im vorigen Jahre Waldeyer ^) die Frage vom Ursprung der Gewebe aus den Keimblattern eingehend besprochen und dabei den Versuch gemacht, die scharfen, hierbei hervorgetretenen Gegensatze zu vermitteln. Wir konnen diesen Versuch nicht fiir gelungen halten und halten iiberhaupt jeden derartigen Vermitte- lungs- Versuch fiir aussichtslos; aus dem einfachen Grunde, weil es sich hierbei um tiefgreifende Gegensatze in der allgemeinen Auffassung der wichtigsten Entwickelungs-Principien handelt. Ent- weder — Oder! — Entweder sind alle Gewebe des Thierkorpers archiblastisch, d. h. ihre Zelleu sind sammtlich Abkommlinge ^) Arch, fiir mikrosk. Anat. 1883, Bd. 22, p. 1—77, 218 Ernst Haeckel, der bcifruchteten Eizelle, — oder dies gilt nur fiir einen Theil derselben , wahrend der andere Theil ganz unabhaDgig davon aus fremden, in den Keim eingewanderten Zellen hervorgegangen ist: der Nebenkeim von His oder der Parablast. Die wichtigsten Principien der „Parablasten-Theorie" lassen sich in folgenden fiinf Satzen zusammenfassen : 1) Der Wirbel- thier-Keim besteht aus zwei vollig verscbiedenen und von einander unabhangigen Theilen, dem Hauptkeim (Archihlastus) und dem Nebenkeim (ParaUastus). 2) Der Archiblast allein entsteht aus dem Bildungsdotter der befruchteten Eizelle, und alle Zellen, welche denselben zusammensetzen , sind Abkommlinge der Fur- chungszellen. 3) Der Parablast hingegen entsteht aus dem weissen Nahrungsdotter, vollig unabhaugig vom Archiblasten, und alle Zellen , welche denselben zusammensetzen , sincl Abkommlinge von Follikel-Zellen der Membrana granulosa, welche aus dem miit- terlichen Korper in den Dotter des Eies eingedrungen sind. 4. Der Archiblast (ein Erbtheil von beiden Eltern) eutwickelt das ge- sammte Nervengewebe, das Gewebe der quergestreiften und der glatten Muskeln , sowie dasjenige der echten Epithelien und der Driisen. 5) Der Para bl^ast hingegen ( — „eine rein miitterliche Mitgift" — ) entwickelt keiues der erstgenannten Gewebe, sondern ausschliesslich die sammtlichen Gewebe des Blutsystems (Blut- zellen, Endothel der Gefasse) und die sammtlichen Bindesubstauzeu. In einem Punkte mtissen wir zunachst His unsere voile An- erkennung zoUen, darin namlich, dass er mit heroischer Energie und mit der grossteu Consequenz alle Folgeruugen aus den eben angefuhrten Hauptpunkten seiner Parablasten - Theorie von An- fang an bis heute durchgefiihrt hat und mit unersclmtterlicher Festigkeit sie auch heute noch vertheidigt. Keinen Zweifel dar- iiber liisst sein letzter, 1882 erschienener „Ruckblick" auf die- selbe^), in welchem er seine theoretischen Betrachtungen , „zu- nachst fiir die Wirbelthiere , nochmals in aller Schiirfe", in folgendem Satze zusammeufasst : „die Wandungen der primitiven Gefasse, das Blut und die Anlagen sammtlicher Bindesubstau- zeu des Korpers stammen aus einem eigenen, von friih ab raura- lich geschiedenen Keim, dem Nebenkeim oder Parablast. Sie treten secundar in den Korper des Embryo ein und durch- wachsen successive die offeu stehenden Liicken desselben, theil- weise dieselbeu erfiillend, theils sie wandstaudig bekleidend. Eine ^) WiLHELM His, Die Lehro vom Bindesubstanzkeim (Parablast). Riickblick nebst kritischer Besprecbung einiger neuerer entwicklungs- gesohichtlicher Arbeiten. Arch, fiir Anat. u. Physiol. 1882, p. 62. Ursprung und Entwickelung der thierischen Gewebe. 219 scharfe Trennung zwischen parablastischuu uiid archiblasti- schen Geweben besteht sonach in genetischer Hinsicbt ebenso- wohl als in histologi sober und pbysiologi sober". Der durobgreifende Gegensatz zwiscben den beiden, von ein- ander vollig unabbangigen Keimtbeilen, den His bier nocbmals in aller Sobiirfe aufstellt, betritit also 1.: die vollig versobiedene Herkunft beider; 2.: ibre vollig versobiedenen bistologisoben Pro- duote; und 3.: ibre vollig versobiedenen pbysiologisoben Eigen- sobaften. Das Hauptgewicht wird dabei aber auf den ganz ver- sobiedenen Ursprung beider gelegt, wie aus folgenden Worten bervorgeht : „die Zellen der Granulosa sind nicbts Anderes, als die innerste Sobiobt von Bindcgewebs-Zellen , welobe die aus Spindel- gewebe gebildete Follikelwand iibersobritten baben. Aus den Gra- nulosa-Zellen gebt nun aber der gesammte Nebendotter, also aucb der Nebenkeim bervor. Wir baben sonaob in der Tbat zwei Gewebsfamilien, von weloben jede seit der Zeit der ersten Entstebung in gesobios sener Reibenfolge si oh fortgepflanzt bat, jeweilen mit der anderen Familie zu gemeinsamen Bau sicb vereinigend, nie- mals aber dem Cbaracter untreu werdend, den sic einmal erbalten. Es ist dies, wie man siebt, eine Complioatiou auf einem Gebiete, auf welobem die neueren Arbeiten iiber die Entstebung organisoben Lebens sie am wenigsten batte erwarten lassen". Scbon vor zebn Jabren (im 24. Vortrage meiner „Antbropo- genie") babe iob auf die ontogenetisoben Tbatsaoben biugewiesen, welobe mit der Parablasten-Tbeorie unvereinbar sind. Selbstver- standliob kann ja nur dann ein solcber Antagonismus beider Keimbestandtbeile existiren, wenn von Anfang an eine vollstiin- dige und deutlicbe Sonderung des arcbiblastisoben Bildungsdotters und des parablastisoben Nabrungsdotters ausgepragt ist; also bei „meroblastiscben" Eiern. Dabiu geboren unter den Wirbeltbieren die discoblastisoben Eier der Selaobier, Teleostier, Reptilien und Vogel. Hier ware wenigstens die Moglicbkeit gegeben, dass wirk- liob Granulosa-Zellen in den Nabrungsdotter einwanderten und als selbststandige Grundlagen des Parablasten siob ganz unabbangig von den Furobungszellen des Bildungsdotters weiter entwiokelten. Diese Mogliobkeit feblt aber bei den boioblastisoben Eiern der Aoranier , Cyclostomen , Ganoiden , Ampbibien und Silugetbiere, wo die Furcbung zwar eine inaequale, aber docb eine totale ist, und wo alle spateren Gewebs-Elemente naobweisliob von diesen 220 Ernst Haeckel, Furchungszellen abstammeu ; gleichviel ob ein wirklicher „Dotter- sack" sich eiue zeitlang weiter erhalt oder nicht. Die sogenann- ten „Dotterzellen" des letztereu sind ja eciite Entoblastzellen und gauz verschiedeu vou deu parablastischen „Dotterkugelu", welche His in den meroblastischen Eiem von Granulosa-Zellen ableitet. Die stiirksten Argumeute gegen die Parablasten-Theorie lie- fert uuter deu Wirbelthieren der palingenetische Amphioxus, des- sen ausserordentliche Bedeutuug, als letzter iiberlebender Rest der alten Acrauier-Gruppe, auch hier sich bewahrt. Zwar ist die Eifurcliung des Amphioxus nicht, wie ich fruher nach den bahn- brecheudeu Untersuchungen von Kowalewsky (1866) annahm, vollstandig aequal (oder primordial) , sondern bereits ein wenig inaequal, wie die genaueren Beobachtungeu von Hatschek (1882) ergeben habeu. Indessen die Amphigastrula, die daraus hervor- geht, steht der reinen Archigastrula noch ganz nahe, und — was das Wichtigste ist — die Bias tula des Amphioxus ist eine Hohlkugel, deren Wand, das Blastoderm, eine einzige ein- t'ache Epithel-Schicht bildet; durch Invagination derselben entsteht eine Gastrula, die lediglich aus zwei einfachen Epithei-Schichten besteht, den beiden primaeren Keirablat- tern. Diese gehen unmittelbar und vollstandig in den Amphioxus- Korper tiber, ohne dass es irgendwo zur Bildung eines Dottersackes oder eines andern Korpertheiles kame, an welchen sich auch uur der entfernte Verdacht einer parablastischen Einwanderung von Granulosa-Zellen knupfeu konnte; ohnehiu ist diese ja durch die beson deren Verhaltnisse, unter deneu sich die Gastrula des Am- phioxus entwickelt, vollig ausgeschlossen. Und dennoch besitzt der Amphioxus alle die angeblich „parablastischen" Gewebe, wie alle iibrigen Wirbelthiere : Blutgefasse und Blut, Bindegewebe verschiedeuer Form. Alle diese Gewebe entstehen hier gleich alien iibrigen einzig und allein aus Zellen, welche directe Ab- kommlinge jener beiden einfachen Epithelblatter der Gastrula sind^). Ganz dasselbe, was so unzweideutig durch die archi- ^) Ich war daher vollkommen berechtigt, schon vor 10 Jahren in der Anthropogenie zu sagen: „I)ie Gastrula des Amphi- oxus wirft fiir sich allein schon die ganze kiinstliche Parablasten-Theorie von His iiber den Haufen. Denn diese Gastrula lehrt uus, dass alle verschiedenen Organe und Gewebe des ausgebildeten Wirbelthieres urspriinglich sich einzig und aUein aus den beiden primaren Keimblattern entwickelt haben. Der aus- gebiidete Amphioxus besitzt ein differenzirtes Gefasssystem und ein XTrsprung und Entwickelung der thierischen Gewebe. 221 blastisclie Gastrula des Amphioxus bewieseii wild, das gilt auch von der starker modificirten und niehr „cenogenetischen" Gastrula der amphiblastiscben Cyclostomeu, Gauoiden und Amphibien. Deuu auch hier unterliegt es gar keinem Zweifel , dass sammtliche Zellen, welche den Korper der Blastula und nachher der Gastrula zusammensetzen , echte Furchungszellen, d. h. Abkomm- linge der einfachen Eizelle sind. Von eingewanderten Granulosa- Zellen, die sich selbststandig zu parablastischen „Dotterzellen" entwickeln und den ersteren gegeniiberstellen, kann hier gar keine Rede sein. Wie ich bereits in der Gastraea-Theorie betonte, und wie auch neuerdings Waldeyer (p. 36) mit Kecht hervorhebt, ist diese Thatsache von grosstem Gewichte; und es bleibt geradezu unbegreiflich , wie His — trotz langjahriger Beschaftigung mit diesem Gegenstande — dieselbe einfach ignorirt und ohne Wei- teres die echten kernhaltigen „Dotterzellen'' der Amphibien und der anderen amphiblastischeu Wirbelthiere mit den kernlosen „Dotterkugeln" der Vogel und der anderen discoblastischen Verte- braten identilicirt ; die ersteren sind echte „Furchuugszelleu" und eutstehen erst in Folge der Furchung; die letzteren sind blosse geformte Dottertheile und bestehen vor wie nach der Furchung. Mit vollem Nachdruck schliesst sich auch Waldeyer dieser Auf- fassung an, indem er hervorhebt, dass „man niemals eine Amphi- bien-Dotterzelle und deren Abkommlinge mit einer Dotterkugei vom Vogel, Knochenfisch etc. vergleichen kann." Wie ich in diesem principiell wesentlicheu Punkte mich mit Waldeyer in Ubereinstimmung befinde, so auch in Bezug auf das ganze Verbal tniss des Bilduugsdotters zum Nahrungsdot- ter, und in Bezug auf die Einheit der zusammenhangenden Reihe, welche alle verschiedenen Eier je nach dem verschiedeuen Gehalte an Nahrungsdotter darstellen. „Es besteht kein p rincipieller Uuterschied zwischen holoblasti- schen und meroblas tischen Eiern, sondern uur eine gr aduelle Verschiedenheit, je nach der Quantitat des an der Bildung des Eies participirenden Nah- rungsdotter s" (I. c. p. 36 — 45). Wie ich schou in der An- im ganzen Korper ausgebreitetes Geriiste von Geweben der Binde- substanz, so gut wie alle anderen Wirbelthiere, und doch ist ein Nebenkeim, aus dem diese Gewebe im Gegensatze zu den ubrigen hervorgehen soUen, hier iiberhaupt gar nicht vorhanden !" (,1^^^, 1. c. p. 629). 222 Ernst Haeckel, thropogenie hervorhob ^) und ausfiihrlicher in meinen vergleichen- den Untersuchungen iiber die Eifurcliuug begrtindete ^), ist ja „der Nahruugsdotter ein secundares cenogenetisches Product, wel- ches den primaeren paling en etischen Eutwicklungsgang des Keimes zwar vielfach abandern und verdecken, aber dessen mor- pliologische Bedeutung nicht im Mindesten abschwacheu kann". (Gastraea-Theorie p. 76). Fiinf principielle Punkte von grosser Bedeutung sind hierbei vor allem festzuhalten : 1. Das Ei bleibt in alien Fallen eine einfache Zelle, gleichviel ob dasselbe eine kaum merkliche Menge von Nahruugsdotter aufgenommen hat (Amphioxus) oder eine mas- sige Quantitat (Cjclostomen, Amphibien) oder eine colossale Masse (Reptilien , Vogel) ; dass in alien diesen Fallen das Ei wirklich eine einfache Plastide oder ein selbstandiger „Elementar-Orga- nismus", ein einziges „Individuum erster Orduung" bleibt, ergiebt sich einl'ach erstens aus seiner Entstehungsgeschichte , zweitens aus seinem Verhalten beim Furchungs-Processe selbst; denn alle Kerne der Furchungszellen sind ja Abkommlinge des Eikernes. Bei Thieren mit sehr grossem Nahruugsdotter kann dieser direct durch Aufnahme von Follikelzellen, Leucocyten oder andern Zellen des miitterlichen Korpers wachsen; aber diese „gefressenen" Zellen verlieren damit ihre Selbstandigkeit und dienen bloss als P r o V i a n t fiir die Eizelle. 2. Der Nahruugsdotter ist nicht eine aussere Zugabe zur Eizelle (im Gegensatze zum Bildungsdotter), son- dern wird stets in das Inner e desselben aufgenommen; gleich- viel ob das Protoplasma mehr gleichmassig den Dotter einschliesst (bei den periblastischen Eiern der Gliederthiere) oder einseitig sich grosstentheils um das peripherisch gelegeue Keimblaschen anhauft (bei den discoblastischen Eiern der Vogel etc.). Mit Recht hebt auch Waldeyer dies besonders hervor: „da die Ablagerung des Dotters in das Innere des urspriinglichen Ei-Protoplasma geschieht, so wird letzteres zugleich auch allseitig nach der Peri- pherie verschoben, und es wird immer um den Dotter eine diinne Protoplasma r in de gelagert bleiben, welche AUes einschliesst und in den ruudlichen oder linsenformigen Keim ubergeht. Ge- 1) An thropogenie , 1874, p. 137 — 166; VIII. Vortrag : Die Ei- furchung und die Keimblatterbildung. ^) Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere. Jena, Zeitschr. 1875; Bd. IX, p. 402. Gastraea-Theorie, II; p. 61, Taf. II— VIU. Ursprung und Entwickelung der thierischeu Gewebe. 223 nau so ist es ja aucli bei der Fettzellenbildung." (1. c. p. 12.) Schon vor 18 Jahren ist dieselbe Auffassung des Nahrungsdotters — nach miserer tJberzeuguug die allein richtige — von Gegen- BAUR ganz klar begriindet worden i). Auch die grosse gelbe Dot- terkugel des Hiihner-Eies bleibt bis zur Befruchtimg und Furchung eine einfache Zelle, indem von der excentrischen Hauptmasse des discoidalen „Bildungsdotters" eine diinne protoplasmatische „Dotterrinde" ausgeht, welche die ganze colossale Proviant-Kugel einschliesst ; die aussere Oberflache der (unbefruchteten) gelben Dotterkugel des Huhns ist die aussere Oberflache einer kolossal ausgedehnten kugeligen Zelle, vollkommen vergleichbar einer sehr grossen Fettzelle. 3. Die Furchung bet r if ft in alien Fallen das ganze Ei; strenggenommen sind alle Eier holoblastisch. Wie Waldeyer mit Recht hervorhebt und Gotte speciell fur die Wirbelthiere nachwies, wie ich selbst bereits in der Gastraea- Theorie zeigte, ist eine scharfe Grenze zwischen der inaequalen und discoidalen Furchung iiberhaupt nicht zu Ziehen; nur die grossere Quantitat des Nahrungsdotters unterscheidet die letztere von der ersteren. In alien Fallen kommt, — wie bei jeder an- deren Zelltheilung — als wirklich activer Bestandtheil des Eies allein das Protoplasma und der Kern in Betracht, wilhrend der Nahrungsdotter, als aufgenommener Proviant-Vorrath , sich voll- kommen passiv verhalt. Bei der inaequalen Furchung lasst sich meistens unmittelbar darthun, dass die grossen vegetativen oder entoblastischen , durch den ansehnlichen Nahrungsdotter aufge- blahten Furchungszellen ebenso gut ihren Kern besitzen und ebenso gut echte Zellen sind, als die kleinen aniraalen oder exo- blastischen Furchungszellen (ohne Nahrungsdotter). Besonders lehrreich sind in dieser Beziehung jene Eier (vieler niederen Wir- bellosen) , bei welchen bereits die beiden ersten Furchungszellen von sehr verschiedener Grosse sind und schon die erste Theilung die Eizelle in eine kleine animale Segmentelle (die Mutterzelle des Exoblast) und eine grosse vegetative Segmentelle (die Mutter- zelle des Entoblast) zerlegt. Die erstere theilt sich viel rascher und ofter, die letztere weit langsamer und seltener. Wird diese letztere durch weitere Aufnahme von viel Nahrungsdotter noch grosser und trager, so wird ihre Theilung sehr bedeutend ver- 1) Gegenbaue, "Wirbelthier - Eier mit partieller Dottertheilung. Arch. f. Anat. u. Phys. 1866. 224 Ernst Hae eke 1, zogert, und die inaequale Furchung geht in die discoidale iiber. Es lasst sich dalier mit Sicherheit annehmen, ( — ■ was oft nur schwer durch directe Beobachtung zu beweiseu sein diirfte — ) dass auch bei der discoidalen Furchung die ganze trage und schwer- fallige vegetative Halfte dem Furchungs-Processe unterliegt und durch fortgesetzte Kerntheilung ( — wenn auch spat und lang- sam — ) eutoblastische Furchungszellen bildet: echte „Dotter- zellen". Waldeyer bezeichnet diese verspatete oder oft lange Zeit nach vollendeter Furchung des Exoblast noch fortdauernde Zelltheilung im Entoblast als „secundare Furchung" im Gegen- satze zur primaren ; ich komme hierauf gleich zuruck. 4. Je mehr die Masse des Nahrungsdotters und damit der Gegensatz zwischen exoblastischen und entoblastischen Furchungs- zellen zunimmt, desto mehr verliert die Zellspaltung, welche wir Ei furchung neunen, den Character der Ze 11 the i lung; desto mehr wird sie zur Zellknospung^). Strenggenommen wurde eigentlich nur die aequale (regulare oder primordiale) Furchung als „Theilung der Eizelle" anzusehen sein, alle anderen Formen derselben als „Knospung." Indessen wird es wohl prak- tischer erscheinen, nur jene Furchungs-Formen als Gemmation zu bezeichnen, in welchen von Anfang an die beiden ersten Fur- chungszellen einen deutlichen Gegensatz zeigen und die beiden Pole der Ei-Axe characterisiren ; in diesem Falle erscheint die grosse vegetative (dotterreiche) Zelle am unteren Pole der Ei-Axe (oder die „Mutterzelle des Entoblast") als die miitterliche Zelle, aus der durch Knospung am entgegengesetzten oberen Pole eine kleine animale (dotterarme) Zelle entsteht (die „Mutterzelle des Exoblast"). Sehr auffallig und deutlich ist diese Erscheinung bei jener inaequalen Furchung vieler Wirbellosen (Wiirmer, Mollusken etc.), wo die erste Furchungs-Ebene ( — senkrecht zur Ei-Axe — ) eine grossere vegetative von einer kleineren animalen Zelle trennt, und letztere als „Knospe" der ersteren angesehen werden kann. Da aber zwischen dieser inaequalen und der discoidalen Furchung 1) Zelltheilung und Z e 1 1 k n o s p u n g , als die beiden Haupt- formen der „Zel 1 s p a Itun g" sind begrifflich in derselben Weise auseinander zu halten, wie Theilung und Knospung des vielzelligen Organism us, d. h. die Producte dor Theilung sind coordinirt, von gleichem Alter und Formwerthe (Geschwister) ; hingegen die Producte der Knospung sind subordinirt, von ungleichem Alter und Formwerthe (Mutter und Tochter). Gen. Morphol. Bd. II, p. 38, 44. Ursprung und Entwickelung der thierischen Gewebe. 225 alle Zwischenstufen existiren, und da die letztere phylogenetisch aus der ersteren entstauden ist, so dart" mau aunehmen, dass auch von den discoblastisclien Eiern (der Vogel, Reptilien, Fische, Ce- phalopoden) dasselbe gilt. Gleichviel ob die Eifurchung in diesem Sinne als Zellkuospuug oder (bei den archiblastischen Eiern) als Zelltheilung aufgefasst wird, in alien Fallen bleibt sie ein Spal- tungs-Process , welclier die ganze Eizelle, niclit bloss den „Bil- dungsdotter" derselben betriti't. 5. Der Dottersack der Thiere ist ein Bestand- theil des Embryokorpers und zwar ein Auhang des Urdarms; in gleiclier Weise wie der Nahrungsdotter ein Be- standtlieil der Eizelle ist. Diese Auffassung — schon in der Gastraea-Theorie begriindet — stelit in principiellem Gegensatze zu der alteren, auch jetzt noch von vielen Embryologeu festge- haltenen Anschauung, wonach Dottersack und Embryo als unab- hangige Theile einander gegeuiiber gestellt werden. Viele Miss- verstandnisse und noch jetzt fortdauernde Streitigkeiten iiber den Ursprung der Gewebe wiirden sofort verschwinden , wenn man jene irrthiimliche Anschauung fallen Hesse. Fine grosse Rolle spielt dieselbe insbesondere noch bei den discoblastischen Eiern der Vogel ; hier betrachten Viele das Labium prostomii oder den Lippenwulst des Urmundes (Keimwulst von Kolliker, Randwulst von Gotte) als die scharfe Grenze zwischen dem Keim und dem Dotter; der erstere soil erst spater den letzteren umwachsen und so den „Dottersack" bilden. Diese „Umwachsung" ist nach meiner Auffassung nur die nothwendige Folge der Invagination, mit welcher die Bildung der Discogastrula beginnt. Die Masse des Dotters ist aber von Anfang an ein Bestandtheil der vege- tativen Korperhalfte, welche den Urdarm bildet ; alle Zellen, welche friiher oder spater aus diesem Theil hervorgehen, (gleichviel ob durch primare oder secundare Furchung) sind nach ihrem Ur- sprung Entoderm-Zellen. In alien angefUhrteu Hauptpunkten stimmt Waldeyer voll- kommen mit meiner bereits in der Gastraea-Theorie ausfiihrlicher begrundeten Auffassung vollstandig iiberein und stelit sich ebenso entschieden der Parablasten-Theorie von His gegeniiber. Gleich mir leitet er alle Zellen, welche den Thierkeim zusammen- setzen und die Gewebe auf bauen , ohne Ausnahme von F u r - chungszellen ab und betrachtet sie alle als Descendenten der einfachen Eizelle. Die beiden primaren Keimblatter sind auch fiir ihn die einzige Quelle der Gewebe- Bildung. Auch den mei- Bd. XVIII. N. F. XI. 15 226 Ernst Haeckel, steu einzelnen Argumeuten, die Waldeyer in den ersten funf Ab- schnitten seiner Abhandlung fur diese Auffassung und gegen His geltend macht, kann man im Wesentlichen beipflichten. Umsomehr muss man erstaunen, in den beiden letzten Abschuitten derselben (VI. und VII.) die vorher griindlich widerlegte Parablasten- Theorie nicht allein aufs Neue vvieder aufgenoramen, sondern auch in gleicher Weise zur Classification der Gewebe verwendet zu sehen (p. 61); und am Schlusse endlich (p. 77) zu horen, dass „wir in dieser von His begriindeten Lehre sicherlich einen bedeutendenFortschritt der allgemeinen Em- bryologie und Anatomie erblicken diirfen." Dieser auffalleude Widerspruch lasst sicli nur dadurch erkla- ren, dass Waldeyer unter „Parablasten" in den ersten fiinf Ab- schuitten seiner Abhandlung dasselbe, in den letzten beiden aber ganz etvvas anderes versteht, als His; und so ist es auch in der That. DerParablast von Waldeyer ist eiuTheil sei- nes Archiblasten, namlich die Summe aller derjenigen Fur- chungszellen , welche die parablastischen Gewebe liefern: Blut- und Bindegewebe; diesen stellt er gegeniiber den „eigent- lichen" Archiblasten, welcher Epithel-, Muskel- und Nervengewebe liefert. Aber alle Zellen des letzteren ebenso wohl wie des erste- ren leitet er von Furchungszellen ab, und findet schliesslich den einzigen wesentlichen Unterschied beider Gewebs-Gruppen darin, dass die a r c h i b 1 a s t i s c h e u durch p r i m a r e , die para- blastischen durch secundare Furchung entstehen. Wie weit diese Auffassung berechtigt ist, werden wir nachher sehen. Hier wollen wir nur constatiren, dass der Parablast von Wald- eyer seinen Nam en nicht vermoge seines Ursprungs, sondern nur beziiglich seiner histologischeu Producte verdient, dass er somit identisch ist mit dem besonderen „Bindege webs-Blatt", wel- ches zuerst Kauber-1877 als Desmo blast unterschieden hatte ^). In dem brennenden Hauptpuukte, der schliesslich der ganzen Parablasten-Theorie ihren eigenthiimlichen „b e s t e c h e n d e n" (p. 8) Character giebt, namlich in der dualistischen Lehre von dem selb- standigen Ursprung des „Parablasten", ist Waldeyer ein ebenso entschiedener Gegner von His, als wir selbst. Wir fiirchten da- her auch sehr, dass es „verloreue Liebesmuhe" ist, wenu Wald- eyer die bittere Wahrheit, dass jene „bestechende" Theorie von ^) Raubee, tJber den Ursprung des Bluts und der Bindesub- stanzen. Sitzungsber. Naturf.-Ges. Leipzig 1877, p. 27. Ursprung und Entwickelung der thierischen Gewebe. 227 Anfang bis zu Ende ein grosser Irrthum ist, durch die liebens- wiirdigsten Wendungen His gegeniiber zu versussen sucht. Ander- seits hoffen wir, dass dadurcli sich His nicht irre macheu lassen, sondern wie bisher mit der lobliclisten Energie und Consequenz seine unverfalschte Parablasten-Theorie aufrecht erhalten wird, die bei Lichte betrachtet nichts Anderes ist, als eine Theorie von eigenthumlicher „Symbiose der Wirbelthiere." III. Die Symbiose der Wirbelthiere. Der lebhafte Beifall, den die Parablasten-Theorie sowohl als die Sartrical-Theorie von His gleich anfanglich bei vielen Em- bryologen fand, der reiche Aufwand von mathematisch-verbramter Schein-Gelehrsamkeit, welchen er zu ihrem „exakten" Aufputz ver- wendete, ferner die Masse von Schriften, welche dieselben seit nunmehr 16 Jabren hervorgerufen baben, werden ihnen ver- muthlicb eine bleibende Stelle in der ontogenetiscben Litteratur- Geschicbte bewahren. "Wie das vorige Jabrhundert sich bis zum Ende lebhaft mit den seltsamen Praeformations - Theorien von Hallee, Bonnet, Leibnitz u. s. w. beschaftigte , trotzdem Cas- par Friedrich Wolff bereits 1759 den einzig wahren Weg der Epigenesis klar gezeigt hatte, so scheint auch unser Jabrhundert sich fortdauernd mit den noch seltsameren tectologischen Theorien von His beschaftigen zu wollen, trotzdem die diametral entgegenste- henden Grundsatze von Darwins' Descendenz-Theorie von Jahr zu Jahr auch unter den Embryologen immer allgemeinere Aner- kennung gewinnen. Die Erinnerung an diese historische Parallele ist bier viel- leicht nicht iiberfliissig. Denken wir nur daran, dass Wolff in seiner „Theoria generationis"- nicht allein durch naturgemasse philosophische Reflexionen den Grund zu der wahren, auch heute noch allein giiltigen Theorie der individuellen Entwicklung legte, sondern dass er auch diese Theorie durch eine bewunderungs- wiirdige Reihe der besten Beobachtungen stiitzte. Er ent- deckte zuerst die blattformige Anlage des Embryo, die anfangs einfach, dann aber aus mehrcren Schichten zusammengesetzt ist; er zeigte, wie diese blattfoimigen Schichten ( — die spateren Keim- blatter — ) zu Rohren verwachsen; und wie ein Organsystem nach dem andern entsteht; er betrachtete kleine mikroskopische Blas- 15* 228 Ernst Haeckel, chen (die spateren Zellen) als die eigentlichen Elementartheile, aus denen sich jene Schichten aufbauten. Alle diese erstaunlichen Entdeckungen, diirch welche die wis- senschaftliche Ontogenie eigentlich erst begriiudet wurde, und in denen die wichtigsten Anschauungen der spateren Coryphaen von Baer bis Schwann theilweise schnn prophetisch anticipirt wurden, verotfentlichte Wolff bereits 1759. Und dennoch blieben sie iiber ein halbes Jahrhundert fast wirkungslos und wurden beinahe ver- gessen ; aus dem einfachen Grunde, weil die herrschenden Autori- taten sie als unbequeme Neuerungen verwaifen und es vorzogen, die unterhaltende Discussion der hergebrachten Praeformations-The- orien fortzusetzen. Die fundamentale Frage, ob die praforrairten Keime sammtlicber Menschenkinder im Spermarium des Staram- vaters Adam oder im Ovarium der Urmutter Eva eingeschach- telt gewesen seien, wurde allgemein fiir viel wichtiger und be- deutungsvoller gehalten, als die Theorie der Epigenesis von Wolff, dessen grundlegende empirische Beobachtungen von keinem ein- zigen „exacten Physiologen" nachuntersucht , vielmehr einfach bei Seite gesclioben wurden. Die angesehenste unter jenen Autoritaten und der einfluss- reichste Gegner der Epigenesis-Theorie war bekanntlich Albrecht von Haller, jener „exacte Physiologe", der in seinen beriihmten Elementa Physiologiae den Machtspruch that: „Nulla est epi- genesis. Nulla in corpore animali pars ante aliam facta est, et omnes simul creatae existunt.'"' Sein vielbeliebter, von Goethe bereits so treifend beantworteter Wahlspruch: „In's Innere der Natur dringt kein erschaifener Geist — Gliickselig wem sie nur die aussere Schale weist — " kann heute als eine bewunderungs- wiirdige Anticipation der Berliner ^^Ignorahimus-PhilosopJiie" von Du-Bois-Reymond angesehen werden. — Wir mochten glauben, dass eine gewisse Wahlverwandtschaft His antreibt, neuerdings jene Naturbetrachtung Haller's zu vertheidigen. Hat doch auch der letztere seine vielbewunderte Praeformations-Tbeorie nach „exact- pliysiologischer Methode" mathem atisch begriindet, indem er die Zahl der Menschenkinder berechnete, welche Gott am sechsten Tage seines Schopfungswerkes auf einmal geschaffen und im Ova- rium der Mutter Eva eingeschachtelt hatte. Indem er das Alter der Erde auf 6000 Jahre und die Summe der gleichzeitig leben- den Menschen auf 1000 Millionen anschlagt, taxirt er jene Zahl auf 200 000 Millionen. Diese grossartige matheraatische Leistung TJrsprung uud Entwickelung der thierisclien Gewebe. 229 steht auf gleiclier Werth-Stufe mit den matliematischen Forraeln, welche His neuerdings in die Enibryologie eingefiihrt hat^). Sehen wir von einem weiteren Eingehen auf diese „exacten" Berechnungen der „mechanisclieu" Sartrical-Theorie von His aber hier ab, uud betrachten wir lieber naher den werthvollen „ p h y - siologischen" Kern, der seiner Parablasten - Theorie ein so liohes Interesse verleiht. Wie schon vorher beraerkt , ist dieser eigentliche Kern nichts Geringeres , als eine vollstandige Sym- biose der Wirbelthiere. Jedes Wirbelthier, vom Amphioxus und Cyclostomen an bis hinauf zum Affen und Menschen, ist nach His ein Doppelwesen , zusammengesetzt aus zwei verscbiedenen Thieren, dem Archiblasten und Parablasten ; beide vollig selbstan- dig und unabhangig von einander, beide „scharf getrennt sowohl in genetischer Hinsicht, als in histologischer und physiologischer" (His, 1882, 1. c. p. 88). Wie nach der bahnb rechenden Entdeckung von de Bary jede Flechte aus zwei vol- lig verscbiedenen Pflanzen zusammengesetzt ist, aus einem Pilz und einer Alge, so ist nach His jedes Wirbelthier zusammengesetzt aus zwei vollig ver- scbiedenen Thieren, aus einem Archiblasten und einem Parablasten. Was diese Symbiose, fiir welche in den letzten Jahren so zahlreiche und interessante Beispiele aus dem Ge- biete der niedern Thiere und Pflanzen bekannt geworden sind, gegen- wartig fiir eine Bedeutung gewonnen hat, ist am Besten aus dem zusammenfassenden Vortrage von Oscar Hertwig zu ersehen ^). Eine ungeahnte Ausdehnung wiirde dieselbe jedoch erlangen, wenn wirklich die Parablasten-Theorie von His begriindet ware ; diese letztere wtirde dann nicht nur, wie Kolliker riihrat, „der ganzen Embryologie eine neue Grundlage geben", sondern zugleich der ganzen Biologie der Wirbelthiere, ja der ganzen Anthropo- logic. Jener Dualismus der menschlichen Natur, dessen Rathsel seit Jahrtausenden so zahlreiche Denker und Dich- ter beschiiftigt hat, wiirde dann in der einfachsten Weise sich „mechanisch" und ontogenetisch erklaren lassen, indem die eine Halfte auf Rechnung des Archiblastea , die andere auf Rechnung des Parablasten gesetzt wiirde^). ^) Vergl. den 11. Vortrag meinor Anthropogenie. (Goethe, pag. 32.) ^) OscAK Hertwig, Die Symbiose oder das Genossenschaftsleben im Thierreich. Jena, 1883. ^) Hrs wiirde dann nicht nur der eigentliche Entdecker der Symbiose sein , sondern zugleich in ein naheres Verhaltuiss zu 230 Ernst Haeckel, Hofientlich werden jene beriihrnten Coryphaen der „Deutscheii Gesellschaft fur Anthropologie", welche in ihreu alljahrlich wieder- kehreiideu Standreden gegen die Descendenz-Theorie und die dar- aus folgeiide „Aiitliropogenie" so viel eigentbilmlichen Scharfsinn und so griindliche zoologische Sachkeuntniss verrathen , von dem hier gegebenen Hinweis Nutzen ziebeu, und von nun an die „ex- acte" Parablasten-Theorie von His benutzen, um das wabre Wesen und die Entstebung der dualistiscben Menscben - Natur durcb die Symbiose von Arcbiblast und Parablast „mecbaniscb" zu erklaren. Priifen wir jedoch noch etwas naber, wie sicb die von His entdeckte Symbiose derWirbeltbiere zu den tibrigen, jetzt allgemein anerkannten Formen der Symbiose verbalt. De Bary definirt dieselbe als „das gesetzmiissige Zusammeulebeu von un- gleicbartigen Organisnien, welcbe verscbiedeuen Arteu, meist sogar verscbiedenen Abtbeilungen des Thier- und Pflanzenreicbs ange- horen." Hertwig bestimmt sie naber in folgendem Satze: „Un- gleicbartige Organismen sind bier unter einander so innig ver- bunden, dass sie einen einzigen Organismus auszumacben scbei- nen, und fur einen solcben aucb bis in die jungste Zeit gebalten worden sind." Dieser Satz wiirde ganz gut auf den Wirbeltbier- Begriff von His passen, nicbt jedocb unbedenldicb der folgende Zusatz von Hertwig : „Von vornberein muss betont werden, dass der Anschein eines einbeitlicben Organismus iiberbaupt nur dann in uns erweckt werden kann, wenn entweder beide Arten der zu- sammenlebenden Gescbopfe oder nur die eine von ibnen sebr ein- fach gebaut ist." Das letztere lasst sicb weder vom Arcbiblasten noch vom Parablasten bebaupten. Ausserdem erbebt sicb eine nocb grossere Scbwierigkeit , wenn wir die u r s p r ii n g 1 i c h e Selbststandigkeit der beiden Symbionten in Betracbt zieben. In alien woblbekannten und anerkannten Fallen von Symbiose bandelt es sicb um das innige Verwacbsen und Zusammenleben Goethe treten , der jenem Dualismus schon vor einem Jahrhundert so schonen Ausdruck in den Worten des Faust gegeben hat: „Zwei Seelen w^ohnen, ach, in meiner Brust, Die eine will sicb von der andern treunen ; Die eine halt, in derber Liebeslust, Sich an die Welt mit klammenden Organen ( — der Arcbiblast! — ) Die audere hebt gewaltsam sicb vom Dust Zu den Gefilden hoher Abneu". ( — der Parablast! — ) Ursprung und Entwickelung der thierischen Gewebe. 231 vou zwei Organismen , die urspriinglich als selbststandige Arten lebten, und zeitweise aiich iiocli jetzt unabhangig von einauder leben konnen. Einzellige Algeu und Pilze sind vollig selbststandige Organismen, die sich unabhangig erhalten und fortpflanzen, nur unter gewissen Verhaltnissen treten dieselben als Symbionten in das innige Wechselverbaltniss oder den beiden Theilen uiitzliclien Mutualismus, aus welchem die Flechte entsteht. Ebenso konnen auch die Radiolarien und die Zooxanthellen vollig selbststandig leben und sich fortpflanzen, ohne dass sie nothwendig durch Sym- biose verbunden sind. Wenden wir diese unleugbare Thatsache auf die Doppelnatur der Wirbelthiere an, so wird wohl weder deren Entdecker, His, noch irgend ein anderer Naturforscher be- haupteu, dass Archiblast und Parablast, wie sie heutzutage im Vertebrateu-Korper als Symbionten vereinigt sind, urspriinglich als solche selbststandig batten leben und sich fortpflanzen konnen. Was der ungliickliche nackte Parablast, der bloss aus Blut und Bindegewebe, Knochen und Knorpel besteht, in dieser „schlechte- sten aller Welten" hatte thun sollen, ist schlechterdings nicht ein- zusehen ; hochstens konnte man ihn als das verkorperte Symbol der Verganglichkeit betrachten, welches in der bildenden Kunst des Mittel alters bis auf die Gegenwart als „Gerippe" eine so traurige RoUe spielt. Hingegen wiirde die unabhaugige Existenz eines Archiblasten , mit Epidermis, Medullarrohr, Darmrohr und Gonaden, allenfalls denkbar sein. Es bleibt also fiir His nur die eine Ausflucht tibrig, dass in friihereu Perioden der Erdgeschichte einfache ( — und zur Zeit noch vollig unbekannte — ) Organismen aus zwei ganzlich ver- schiedenen Klassen gelebt batten , die secundar zur Bildung der ersten Wirbelthiere zusammengetreten seien. Diese Hypothese liesse sich phylogenetisch so formuliren , dass die eigentlichen Vorfahrer der Wirbelthiere reine Archiblasten waren, deren Korper weder Blut noch Bindegewebe enthielt, sondern bloss aus Epithelien, Nerven- und Muskel-Gewebe bestand (ahnlich den Chaetognathen). In diese wanderten dann Parablasten ein, deren Organismus ausschliesslich aus Bindegewebe (und Blut?) bestand, hingegen weder Epithelien noch Muskeln, noch Nerven besass. Solche Thiere, deren g an zer Korper bloss aus Bindegewebe besteht, sind jedoch bisher der Zoo- logie unbekannt geblieben^). ^) Allerdiugs konnte man hiergegen einwenden, dass solche „reine Bindegewebsthiere" {Connectivaria) mit Meteor-Stei- 232 Ernst Haeckel, IV. Die Coelom-Theorie und die Parablasten-Theorie. Durch vergleichende Untersuchungeu iiber die Ontogenie von Thieren verscbiedeuer Typen, durch kritische Sichtung des um- fangreichen , dariiber vorliegenden Materials , und durch phyloge- uetische Beurtheilung desselben wurden die Gebriider Oscar und KicHARD Hertwig 1881 zu ihrer Coelom-Theorie gefiihrt. Eiue Vergleichung derselben mit meiner 9 Jahre fruher aufgestellten Gastraea-Theorie ergiebt am besten die Bedeutung der vveitreichen- den Fortschritte , welche wahrend dieses Decenniums in der ver- gleicheudeu Outogenie durch die Bemiihungen zahlreicher treff- licher Forscher und durch die Anwendung der phylogenetischen Methode herbeigefiihrt wurden. Da die sammtlichen Satze der Coelom-Theorie, ebenso wie diejenigen der Gastraea-Theorie auf dem Boden der Descendenz- Lehre erwachsen sind und die wahre Erklarung der ontogeneti- schen Thatsachen in phylogenetischen Ursachen suchen, so stehen sie selbstverstandlich schon aus diesen principiellen Grunde in schroffstem Gegensatze zur Parablasten-Theorie von His, welche von einer derartigen Erklarung Nichts wissen will. Wir konnen es daher nur als ein merkwiirdiges Missverstandniss betrachten, dass His 1882 in seiner Abhandlung iiber „die Lehre vom Binde- substanzkeim (Parablast)" in Hertwig's Coelom-Theorie „eine er- freuliche, von unerwarteter Seite herkommende Wendung zum Besseren findet" und sich bemiiht zu zeigen , „dass sich diese Forscher mit ihm in einer ganzen Keihe von Gesichtspunkten be- gegnen." Oscar Hertwig hat bereits 1883 in seiner trefflichen Abhandlung iiber „Die Entvvicklung des mittleren Keimblattes der Wirbelthiere" darauf geantwortet und jenes Missverstandniss auf- geklart, indem er zeigt, dass die von His betonte tJbereinstim- mung rein ilusscrlich ist: „Die zwei von His und uns aufgestellten Kategorien enthalten verschiedene Gewebe; unsere geneti- scheu Erklarungs-Principien haben auch nicht das Geriugste mit einander gemein; in den sich anschliessen- n e n von anderen Weltkorpern auf die Erde herabgefallen und in Vertebral-Archiblasten „eingewandert" seien. Ahnliche Hypothesen (von Dr. Hahn u. A.) haben bekanntlicli nicM allein bei vielen Lai en, sondern auch bei ,,t'xacteu" Physiologen grosseu Beifall gefunden. Wir unsrerseits bedauern sehr, wegen unseres „beschrankten morpliologi- sclien Standpunktes" diesen Beifall nicht theilen zu konnen. Ursprimg luid Entwickelung der thierisclien Gewebe. 233 deu allgemeinen Fragen uber das Wesen der histologischen Diffe- renzirung und uber die Art, wie zwischen histologischer und em- bryonaler Entwicklung eine gesetzliche Beziehung vorhanden ist, nehmen wir einen verschiedenen Standpunkt eiu; endlich sind auch in ausserlicher Beziehung die Mesenchym- und die Parablast- Theorie verschieden, insofern diese sich allein auf die Wirbelthiere bezieht, jene fiir das ganze Thierreich eiu gesetzmassiges Verhalt- niss festzustellen sucbt; und insofern, wie His selbst hervorhebt, sowohl unsere empiriscben als tbeoretischen Ausgangspunkte vollig andere gewesen sind." Der principielle Gegensatz zwischen der phylogenetischen Coelom-Theorie von Hertwig und der tectogenetischen Parablasten- Theorie von His tritt klar und unverraittelt hervor, sobald man von der angefiihrten ausserlichen Ahnlichkeit eines einzelnen Ge- sichtspunktes absiebt und statt dessen die allgemeinen Haupt- satze b eider Theorien einander gegeniiber stellt. Als solche moch- ten wir vor alien die folgenden vier Satze ansehen: 1) Die allgemeine Homologie der beiden primaren Keimblatter bei sammtlichen Metazoen, welche ich zuerst 1872 aufgestellt habe^), sehen die Gebruder Hertwig mit mir als die erste Grundlage der vergleichende Ontogenie der Thiere an, und leiten demnach mit mir samratliche Zellen und Ge- webe derselben ausschliesslich von ihnen ab. Schon hier- durch stellen sie sich in unversohnlichen Gegensatz zu His, der nur den Archiblasten aus den beiden primaren Keimblattern ab- leitet, den Parablasten hingegen aus den eingewanderten Granu- losa-Zellen. 2. Das Mesoderm oder das mittlere Keimblatt lassen so- wohl Hertwig als His aus zwei verschiedenen Quellen hervor- ^) Waldetee schreibt in seiner oben besprochenen Abhandlung iiber „Archiblast und Parablast" (1883, p. 73) die Unterscheidung der primaren und secundiiren Keimblatter Gotte zu , indem er sagt: „GoTTE hat mit Kecht zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass man streng zwischen dem Mesoblasten und den beiden zuerst auftreten- den Keimblattern unterscheiden miisse." Indessen ist der betreffende, von ihm citirte Aufsatz Gotte's („Beitrage zur Entwicklungsgesshichte der Wirbelthiere") vom Marz 1873 datirt und in der That ein Jahr spater erschienen, als meine ilonographie der Kalkschwamme , in welcher ich (1872) zuerst diese Homologie der beiden primaren Keim- blatter bei sammtlichen Metazoen aufgestellt und ihren principiellen Unterschied von dem secundiiren Mesoderm betont hatte. (7ergl. meine „Philosophie der Kalkschwamme", Bd. I, p. 464 — 471.) ^34 Ernst Haeckel, gehen; allein das „tertium comparationis" beider Theorien ist nur ilire rein ausserliclie tJbereinstimmuiig, dass eben jene Quelle zwei- fach verschieden ist. Hertwig zeigt, dass bei der grossen Mehrzahl der Tbiere (bei den Wirbelthieren, Tunicaten, Gliederthieren, Echino- dermen und den meisten Wurmern) das Mesoderm sich aus einem Mesoblasteu und einem Mesencbym zusammensetzt; der Meso- blast entsteht aus den beiden Coelomsacken, die sich als paarige Seitentaschen vom Urdarm abschniiren und deren beide epitheliale Wande (das parietale und das viscerale Blatt) demnach ento- blastischen Ursprungs sind; das Mesencbym hingegen ist nicht epithelial und entsteht durch Auswanderung einzelner Zellen aus den epithelialen Blattern, welche in eine zwischen den letzteren ausgeschiedene Intercellular-Substanz hineingerathen und in der- selben als zerstreute Ernahrungs- und Fortbildungscentren liegen bleiben. Nach His hingegen sind die beiden Mesoderra-Quellen ganz auderen Ursprungs und Umfangs; sein Mesoblast ( — die „Nebenplatte oder Muskelplatte" — ) entsteht allein aus den pri- maren Keimblattern (der obere oder parietale aus dem Exoblast, der untere oder viscerale aus dem Entoblast), wahrend sein Para- blast ganz unabhangig von den ersteren ist, ein fremder Organis- mus, der als Symbion zwischen die Theile des Archiblasten von aussen hineinwiichst. 3, Die histologische Potenz der beiden Mesoderm-Be- standtheile ist ebenfalls bei Hertwig und His ganz verschieden; bei dem ersteren konnen die verschiedensten Gewebe sowohl aus den vier secundaren Keimblattern als aus den Zellen des Mesen- chyms hervorgehen; nach dem letzteren entstehen die Epithelien, Nerven- und Muskelgewebe ausschliesslich aus dem Archiblast, hingegen die Blut- und Bindegewebe ebenso exclusiv aus dem Parablast. 4. Die echte Leibeshohle oder das Coelom, deren Entwicklung mit derjenigen des Mesoderms im engsten Zusammen- hang steht, und als der eigentliche Mittelpunkt der widersprechend- sten Behauptungen mit Kecht der Coelom - Theorie ihren Namen verleiht, nimmt ebenfalls in beiden Theorien eine vollig verschie- dene Stellung ein. Nach Hertwig ist das Coelom bei alien Wirbelthieren, ebenso wie bei alien Tunicaten, Gliederthieren, Echinodermen und hoheren Wurmern, ein echtes Enterocoel, also entstanden durch Ausstiilpung von ein paar lateralen Taschen aus dem Urdarm, die sich spater vollig von ihm abschniirten; mithiu ist ihr Epithel — das Coelom-Epithel — ein directer TJrsprung und Entwickelung der thierischen Gewebe. 2B5 Abkommling des Darm-Epithels oder Entoblasts. Nach His liin- gegeii ist das Coelom der Wirbelthiere ein parablastischer Spalt- raum, ebenso wie die Hohlraume der Gelenke, Schleimbeutel, Blut- gefasse , Lymphraume u. s. w. ; uud ist gleich diesen ausgekleidet von Endothel, also von eiuer epithel-ahulichen Membran, deren Zelien keine echten (archiblastischen) Epithelien, sonderu abge- plattete (parablastische) Bindegewebszellen ohne Zwischeusubstanz sind. Um die Bebauptung, dass das Coelom mit solchem „Endo- tbel" und nicht rait „Epitbel" ausgekleidet sei, zu rechtfertigen, stellt His eine neue Hypothese auf, die hochst cbaracteristisch fiir seine vielgepriesene exacte Forscbungs - Methode ist; nacb dieser merkwiirdigen Hypotbese der „parablastiscben Inva- sion" durcbbrecben einwandernde Biudegewebs-Zellen des Para- blasten massenbaft die Muskelwande der Darmwand und Leibes- wand, um sicb zwiscben beiden auszubreiten und als serose Haute die Leibesboble auszukleiden. Und leicbten Herzens fiigt His hinzu, dass diese „Bildungsweise seroser Flacben recbt leicbt ver- staudlicb und aucb leicbt durcb die Beobacbtung zu controlliren" sei. Bekanntlicb spricbt dafiir nicbt eine einzige zuver- lassige Beobacbtung und die rein aus der Luft gegriffene Hypotbese ist an sicb vollig unwabrscbeinlicb. Mit Recbt fragt daher Oscar Hertwig am Scblusse seiner Abbandlung iiber das mittlere Keimblatt der Wirbeltbiere (p. 127), ob diese luftige Hypotbese eine Probe fiir „die wirklicb exacte, nicbt auf blosse Scbein-Eindriicke binarbeitende Forsclmng" sei, fiir welcbe His nur allzusebr die mit Maassstab und Zirkel bewaifuete Embryologie allein zu balten geneigt ist? Wie man siebt, bestebt zwiscben der Coelom - Tbeorie von Hertwig und der Parablasten-Theorie von His in keinem einzigeu wesentlicbeu Punkte eine wirklicbe innere tJbereinstimmung ; viel- mebr steben sicb beide in alien principiellen Fragen ebenso schrolf gegeniiber, wie meine Gastraea-Tbeorie und His' Sartrical-Tbeorie. Ebensowenig bestebt aber eine innere tJbereinstimmung zwiscben den Ursacben, welcbe beide annebmeu. Indem die Gebruder Hertwig am Scblusse ibrer Coelom-Tbeorie ibre Ansicbten „Uber die Erscbeinuugen und Ursacben der tbieriscben Formbilduug" darlegen, gelangen sie zu dem Ergebniss, dass alle verscbie- denartigen ontogenetiscben Processe sicb in zwei Haupt- gruppen zusammenfassen lassen: „Alle tbieriscben Formen sind 1) durcb Lageverschiebung und 2) durcb bistologiscbe Ditferen- zirung von Zelien entstanden" (p. 123); betreffend die Lagever- 236 Ernst Haeckel, schiebung, so sind vor Allem „Ausstulpung und Faltenbildung wiclitig, als der Ausdruck fur ein uiigleichmassiges Wachsthum epithelialer Lamellou"; und darauf fugen sie hiuzu (p. 125): „Die hier ausgesprocheneu Gesichtspunkte, welche auch His in seinen „Briefen an einen befreundeten Naturforscher" eutwickelt hat, be- diirfen keines naheren Commentars, so selbstverstandlich er- scheinen sie." Diesen letzteren Satz von Hertwig greift nun His trium- phirend heraus und folgert daraus (p. 89) irrthiimlich einen tJber- gang der Gebrtider Hertwig von ihrem phylogenetischen zu seinem tektogenetischen Standpunkte: „Ich freue mich selir dieser Ausse- rung; denn noch ist es nicht so lange her, seitdem der gefeierte Lehrer der Gebriider Hertwig gemeint hatte, derartige Vorstel- lungen seien „nur einer humoristischen Beleuchtung, keiner ernst- haften Widerlegung fiihig" (Kalkschwarame I, p. 462). Dieser Satz von His zeigt nur aufs Neue, dass ihm fiir die verschiedenen Standpunkte Anderer alles Verstandniss abgeht, und dass er sich nur an die aussere Schale der Erscheinung halt. Was Hertwig's dort mit Recht als selbstverstandlich erklaren, ist die Zu- riickfiihrung der ontogenetischen Faltenbildung auf ungleich- miissiges Wachsthum epithelialer Lamellen ; als die wahre Ursache dieser ontogenetischen Erscheinungen aber betrachten sie ver- wickelte phylogenetische Processe; His hingegen, der die letzteren leugnet, erblickt darin die unmittelbare Folge von ein- fachen mechanischen Ursachen, Elasticitat, Spannung u. s. w. V. Leptogastrula und Pachygastrula. Primare und secundare Eifurchung. Wie oben bereits gezeigt wurde, ist der falsche „Parablast" von Waldeyer (1883, 1. c.) identisch rait dem „Desmoblast" von Rauber (1877, 1. c.) und etwas ganz anderes, als der echte Para- blast von His (1868, 1. c). Beide Begriffe decken sich nur ausser- lich, hinsichtlich des Gewebe-Materials (Blut- und Bindegewebe), welches aus einem besonderen Theile des Keims hervorgeht. Dieser Theil — der echte Parablast — ist uach His ein vollig selbstandiger Organismus, der mit dem andern Keimtheile, dem Archiblasteu , keinerlei primaren Zusammenhang hat, aus ganz anderer Quelle entsteht, und erst secundar, durch Symbiose, mit ihm in Verbinduug tritt. Nach Waldeyer hingegen stammen TJrsprung und Entwickelung der thierischen Gewebe. 237 sammtliche Zellen des Keims, ebensowolil der gauze Parablast wie der ganze Archiblast, ausschliesslich von Zellen der beiden pri- maren Keimblatter ab, wie ich in der Gastraa-Theorie 1872 ziierst behauptet habe; d. h. mit anderen Worten, der Parablast ist nur ein Theil des Archiblasten. Dieser Theil soil sich von dem anderen Theil genetisch nur dadurch unterscheiden, dass er durch secundiire, der letztere hingegen durch primare Eifur- chung entsteht. Waldeyee fasst das Wesentliche dieser An- schauung in folgenden Worten zusammen (1. c. p. 47): „Die Fur- chung sammtlicher Eier derjenigen Thiere, bei denen iiberhaupt eine Blut- und Bindesubstanz vorkommt, lauft nicht in gleich- mitssiger "VVeise bis zu Ende ab, sondern man muss eine primare und secundare Furchung unterscheiden. Die erstere zerlegt das Ei, soweit es iiberhaupt furchungsfahig ist, in eine Anzahl Zellen, welche reif zur Gewebebildung sind. Diese bilden dann die pri- maren Keimblatter. Ein Rest von unreifen Furchungszellen (bei den holoblastischen Eiern) oder von Ei-Protoplasma, welches noch nicht in Zell-Form iibergefuhrt wurde (bei den meroblastischen), bleibt iibrig. Weder diese unreifen Zellen, noch das nicht zu Zellen umgeformte Protoplasma treten fiir jetzt in den Bestand der Keimblatter ein. An diesem Material vollzieht sich vielmehr erst spater eine weitere Zellbildung, die „secundare Furchung." Die Kerne aller dieser, durch secundare Furchung neugebildeten Elemente stammen in letzter Instanz vom Furchungskern ab. Das so (secundar) gewonnene Zellen - Material wandert zwischen die primaren Keimblatter ein und wird zur Blut- und Bindesubstanz." Diese Unterscheidung der primaren und secundaren Furchung, die man im Princip billigen konnte, besitzt in Wirk- lichkeit nicht entfernt die Bedeutung, welche ihr Waldeyer zu- schreibt; denn sie gilt nur fiir die sogenannten meroblastischen Eier (im engeren Sinne) und fiir einen kleinen Theil der holobla- stischen, namlich fiir diejenigen, welche durch die stiirkere Volums- Zunahme des Nahrungsdotters den tjbergang zu den ersteren bilden; eine scharfe Grenze zwischen beiden ist ja ohnehin nicht zu Ziehen. Hingegen giebt es keine secundare Furchung bei einer sehr grossen Anzahl von niederen Thieren, bei denen Waldeyer eine solche annimmt. Die Frage, welche hier zunachst zu beantworten ist, lautet: „Wann ist die primare Furchung abgelaufen"? Ich beantworte diese Frage in tJbereinstimmung mit Waldp:yer dahin : „Sobald die beiden primaren Keimblatter gebildet 238 Ernst Haeckel, sind," Die darauf folgeude „secundare Furchung" soil nun be- tretfen den iibrig gebliebenen „Rest von unreifen Furchungszellen" (oder von Ei-Protoplasma, welches nocli nicht in Zellform iiber- gefuhrt wurde). Einen solchen „tibrig bleibenden Rest von unreifen Furchungszellen", welche „fur jetzt in den inte- grirenden Bestand der Keimblatter nicht eintreten, vielmehr erst spater eine weitere Zellenbildung, die „secundare Furchung" bewirken", nimmt Waldeyee nun fiir sammtliche Thiere an, „bei denen tiberhaupt eine Blut- und Bindesubstanz vorkommt," Diese Annahme ist aber ganz irrthiimlich, indem sehr zahlreiche derartige Thiere keine Spur eines solchen Restes von unreifen Furchungszellen besitzen, vielmehr nach Ausbildung der Gastrula mit den beiden primaren Keimblattern sammtliche Furchungszellen vollstandig darin aufgegangen sind. Da nun Waldeyee aus jener irrthiimlichen Annahme weitreichende allgemeine Schliisse zieht, wird es nothig sein, sie hier im Einzelnen zu widerlegen. Um voile Klarheit in dieser etwas verwickelten Frage zu schaffen, wird es gut sein, zunachst rein anatomisch ( — ganz abgesehen von der Modalitiit der Eifurchung — ) zwei ver- schiedene Hauptforraen der Gastrula zu unterscheiden, welche nicht mit den friiher unterschiedenen Arten derselben zu- sammenfallen ' ). Ich will diese beiden Hauptformen der Kiirze halber als Leptogastrula und Fachygastrula bezeichnen, Unter Leptogastrula verstehe ich alle diejenigen Gastrula -Formen, deren beide primare Keimblatter ganz einfache ein- schichtige Epithelien sind, und deren Korper nach abge- laufener Furchung k e i n e r 1 e i andere Elemente enthalt, weder Reste von unreifen Furchungszellen, noch Reste von ungefurchtem Eiprotoplasma. Hiugegen fasse ich unter dem Begriffe Fachy- gastrula alle diejenigen Gastrula-Formen zusammen, welche je- nem Begriffe nicht eutsprechen, bei denen also entweder a, eines der beiden primaren Keimblatter ( — oder beide, gewohnlich nur das gastrale — ) schon wahrend der Gastrulation nicht einschichtig bleibt, sondern mehrschichtig wird; oder h, ein Rest von unreifen Furchungszellen neben oder zwischen den beiden primaren Keim- blattern iibrig bleibt; oder c, nach abgelaufener Furchung ein kleinerer oder grosserer Rest von unverbrauchtem Ei-Protoplasma und Nahrungsdotter iibrig bleibt (Meroblastische Eier). ^) tJber die Hauptformen der Gastrula vergl. Gastraea- Theorie p. 65 ff. und Anthropogenic, VIII. Vortrag. Ursprung und Entwickelung der thierischen Gewebe. 239 A. Die Leptogastrula umfasst, mit Riicksicht auf meine friihere Eintheilung, 1) sammtliche Archigastrulae, durch primor- diale oder aequale Furchung entstanden; und 2) einen grossen Theil der Amphigastrulae , durch inaequale Furchung entstanden. Es gehort hierher also der grosste Theil der holoblastischen Eier ( — aber nicht alle ! — ). Nach Waldeyer wiirden zu dieser Ka- tegorie alle Eier zu rechnen sein, bei denen nur primare, keine secundare Furchung stattfindet. Besonders hervorzuheben ist noch , dass die verschiedene Grosse der Furchungszellen , die bei raanchen Formen der Leptogastrula (namentlich im Entoblast) sehr betrachtlich wird, von keiner Bedeutung fiir ihren Be griff ist, dieser vielmehr allein bestimmt wird durch dieEinschichtig- keit der beiden epithelialen primaren Keimblatter, und den vol- ligen Mangel jeglicher Furchungsreste, seien es un- reife, spater erst sich theilende Furchungszellen, oder Dotter- reste u. s. w. B. Die Pachygastrula umfasst 1) sammtliche Gastrula- Formen der meroblastischen Eier {Merogastrula) , gleichviel ob dieselben durch discoidale Furchung (Discogastrula) oder durch superficiale Furchung {Perigastrula) entstanden sind, 2) aber auch einen grossen Theil der Amphigastrulae (durch inaequale Furchung entstanden) ; namlich jene Amphigastrula-Formen, bei denen schon wahrend der Gastrulation eines oder beide primare Keimblatter ihren einfachen einschichtigen Character verlieren. Wahrend diese letzteren sich einerseits unmittelbar durch zahlreiche tJbergangs- formen an die Merogastrula der meroblastischen Eier anschliessen, so anderseits durch viele Zwischenstufen an die ArcJiigastrula der archiblastischen Eier mit regularer totaler Furchung; diese letz- tere halte ich phylogenetisch fiir die alteste Form und fiir den gemeinsamen Ausgangspunkt aller anderen Formen (vergl. meine Anthropogenie, III. Aufl. p. 150, 194, Taf. II, III). Nach Wal- deyer wiirden alle Eier , welche eine secundare Furchung erleiden, zur Kategorie der Pachygastrula gehoren. Gehen wir nun in rascher Uebersicht die ganze Reihe der Metazoen durch, um uns zu iiberzeugen, ob wirklich, Waldeyer's Ansicht entsprechend, bei alien Thieren, „bei denen iiberhaupt eine Blut- und Bindesubstanz vorkommt", eine secundare Furchung, d. h. eine Pachygastrula existirt (1. c. p. 47). Hier treffen wir nun zunachst bei ihm die auffallende Behauptung, „dass die para- blastischen Gewebe, nnd besonders die Bindesubstauzen , erst im Vertebraten-Stamme ihre voile Ausbildung erreichen; den niede- 240 Ernst Haockel, ren Formen der Coelenteraten fehlt dagegen noch jede Bindesubstanz, und es ist sogar fraglich, ob man bei ihnen iiberhaupt von parablastisclien Bildungen reden darf ' (1. c. p. 73). Hierauf ist zu erwidern, dass bei der Hauptmasse der Coelente- raten, — nur eine geringe Zahl al tester Formen ausgenommen — echte Bindesubstanz (in sehr mannichfaltigen Modificationen) bei weitem den grossten Theil des Korpers bildet^), so bei alien Korallen , den acraspedeu Medusen , den Ctenophoren u. s. w. 2). Wie besonders Richard Hertwig gezeigt hat, spielt gerade in diesem Stamme — trotzdem Blutgefasse vollig fehlen — das Mesenchym (oder der unechte Parablast von Waldeyer) die grosste Rolle und erzeugt z. B. bei den Ctenopho- ren eine Menge der verschiedensten Bildungen; isolirte Mesenchym- Zellen wandern massenhaft (theils erst nach vollendeter Gastru- lation, theils schon wahreud derselbeu) aus den beiden primaren Keimblattern aus, treten in die mesodermale, zwischen beiden ab- geschiedene Gallerte ein und geben zahlreichen verschiedenen For- men der Bindesubstanz (Gallertgewebe , Schleimgewebe, Faserge- webe, Netzgewebe etc.) den Ursprung. Die Gastrula scheint bei der Mehrzahl der Coelenteraten eine Pachygastrula (— und zwar meistens eine massig modificirte Amphigastrula — ) zu sein ; daneben kommt jedoch auch vielfach eine echte Lepto gastrula vor; so bei vieleu Spongien, Hydropolypen, Medusen etc. In dem vielgestaltigen Stamme der Wiirmer tritt meistens die Eutwicklung der Bindesubstanz viel weniger auffallig hervor als bei den Coelenteraten. Dagegen treffen wir hier zum ersten Male die Haemal-Gewebe, unter welcher Bezeichnung wir kurz die characteristischen histologischen Elemente des Blutgefass-Sy- stems (Lymphzellen , Blutzellen, bindegewebige und musculose Wand der Lymph- und Blutgefasse, sowie endotheliale Ausklei- dung derselben) zusammenfassen wollen. Nur die coelomlosen Scoleciden (Platoden, Bryozoen, Rotatorien) und ein kleiner Theil der Coelelmiuthen entbehren noch des Haemal-Gewebes, gleich sammtlichen Coelenteraten, besitzen aber zum Theil eine sehr entwickelte Bindesubstanz. Die Gastrula scheint auch hier (alle Wiirmer tibersichtlich zusammengenommen) meistens eine mehr oder minder modificirte Amphigastrula zu sein; sie fallt 1) KoLLiKEK, Die Bindesubstanz der Coelenteraten. Icones histo- logicae II. Abtheil. 1866. 2) Richard Heetwig, Ueber den Bau der Ctenophoren. Jena 1880. tJrsprung und Entwickelung der thierischen Gewebe, 241 theils unter den Begrifif der Pachygastrula, theils der Leptogastrula ; durch eine typische primordiale Leptogastrula ist z. B. Sagitta ausgezeichnet. Die Mollusken zeigen die Entwickelung des Counectiv-Ge- webes ( — worunter wir alle verschiedenen Formen der Bindesub- stanz verstehen — ) in reicblicher und niannigfaltiger Ausbildung, und ebenso besitzen alle ein entwickeltes Haemal -System. Die Mesenchymbildung, welche die Quelle von beiden ist, spielt bei diesen Pseudocoeliern wiederum die grosste Rolle und geht von den beiden bilateralen „Urzellen des Mesenchyms" an der Ur- mundlippe aus, deren hohe Bedeutung durch die trefiflichen Arbei- ten von Carl Rabl nachgewiesen wordeu ist ' ). Dennoch besitzen viele Mollusken (z. B, Unio, Limnaeus) eine reiue Leptogastrula; bei der Mehrzahl scheint eine Pachygastrula vorzukommen (mei- stens als modificirte Amphigastrula, bei den Cephalopoden als Discogastrula). Je grosser der Nahrungs-Dotter wird, desto friiher treten jene Mesenchym-Urzellen aus dem Entoderm aus. Die Echin Oder men widerlegen die Behauptung von Wal- DEYER am klarsten; denu in diesem Thierstamm spielt wiederum das Connectiv die grosste Rolle; das eigenthtimliche Skelet-Ge- webe dieser Thiere mit seiner characteristischen Gitterstructur, welches wir kurz Clathral-Gewebe nennen wollen, und wel- ches eines ihrer wichtigsten Organ-Systeme aufbaut, ist nur eine eigenthiimliche Verkalkungsform der Bindesubstanz. Ebenso ist auch das Haemal - System hier allgemein entwickelt. Und den- noch besitzen viele Echinodermen eine reine Leptogastrula; bei vielen anderen geht dieselbe in die Pachygastrula iiber, indem schon wahrend der Gastrulation Mesenchym-Zellen aus dem ein- fachen Epithelial- Verbande der beiden primaren Keimblatter aus- scheiden und in die homogene, zwischen beiden abgesonderte Gal- lertmasse eintreten („Secret-Gewebe" von Heusen). Man vergleiche hieruber besonders die ausgezeichneten neuesten Abbildungen von Selenka, die nebst denjenigen von Rabl mit Bezug auf Genauig- keit der Beobachtung und Naturtreue der kiinstlerischen Darstel- lung vielleicht alle bisherigen Gastrulations-Tafeln iibertreften ^). Bei den Gliederthieren ist Connectiv- und Haemal-Ge- ^) Gael Kabl, Entwickeluugsgeschichte der Siisswasser-Pulrao- naten, der Tellerschuecke und der Malermuschel, Jeuaische Zeitschr. f. Nat. 1875 — 1877 Bd. VII — X. '■^) Emil Selenka, Studien zur Eutwickelungsgeschichte. I[. Heft: Die Keimblatter der Echinodermen. 1883. Bd. XVIII. N. F. XI. j Q S42 Ernst Haeckel, webe meistens schwach entwickelt (in Correlation zu der starken Ausbildung der stellvertretenden Cuticular-Skelete). Dennoch tritt hier meistens friihzeitig Mesenchymbildung auf. Bei der grossen Mehrzahl liefern die mesoblastischeu Eier eine stark niodificirte Pachygastrula; aber dennoch hat sich in einzelnen Gruppen (so- wohl bei Crustaceen als auch bei Tracheaten) die Leptogastrula erhalten. Die Tunicaten zeichnen sich vor alien anderen Thierstam- men dadurch aus, dass Mesenchym-Zellen an der ausseren Ober- flache des Exoblasten aus dessen Epithel-Verband austreten und mit der abgesonderten Cellulose - Cuticula zusammen jene merk- wiirdige aussere Tunica bilden, die histologisch betrachtet un- zweifelhaft ein Connectiv darstellt; ein exodermales „Exenchym", dessen verschiedene Modificationen diejenigen der gewohnlichen, mesenchymatosen Bindesubstanz wiederholen. Ausserdem besitzen die Tunicaten auch ein entwickeltes Haemal-Gewebe. Und trotz- dem finden wir bei vielen Ascidien und anderen Tunicaten eine reine Leptogastrula, ohne Spur von secundarer Furchung, wahrend bei vielen anderen eine Pachygastrula mehr oder minder friihzei- tig erscheint. Die Wirbelthiere endlich, welche hier natiirlich besonders ins Gewicht fallen, gehoren gleich den Echinodermen ( — und in besonderem Gegensatze zu den Gliederthieren — ) zu denjenigen Thierstammen, bei denen das Connectiv als skeletbildende Substanz die grosste Rolle spielt und bei denen ausserdem noch das Hae- mal-Gewebe besonders entwickelt ist, Hier stossen wir nun zu- nachst auf die entscheidende Thatsache, dass die Acranier trotz- dem eine Leptogastrula besitzen. Nach den ausgezeichneten Un- tersuchungen von Hatschek*), welche die Entdeckungen von A. KowALEvsKY in erwiinschtester Weise erganzen, kann es nicht mehr zweifelhaft sein, dass Amphioxus eine reine Lepto- gastrulabesitzt; ihr Korper besteht nach vollendeter Furchung einzig und allein aus den beiden primaren Keimblattern, und jedes derselben bildet eine einzige, ganz einfache Epithelschicht. Von iibrig gebliebenen Furchungsresten (unreifen Furchungszellen oder Dotterzellen) ist nicht die geringste Spur vorhanden. Die Mesen- chym-Zellen, welche Blut- und Bindegewebe erzeugen, treten erst viel spater auf, nachdem bereits die beiden lateralen Coelom- ^) Hatschek, Entwicklung des Amphioxus. Arb. Zoolog. Insti- tut. Wien 1881. Tom. IV. TJrsprung und Entwickelung der thierischen Gewebe. 243 Taschen aus dem Urdarm hervorgewachsen sind. Der pal in - genetische Amphioxus zeigt also auch hier wiederum auf das Deutlichste die Urquelle, von welcher wir die cenogene- t i s c h e Keimform der Craniota abzuleiten haben ; alle diese iibri- gen Wirbelthiere zeigen eine mehr oder minder modificirte Pachy- gastrula, und es ist von liohem Interesse, dass selbst heute noch die verschiedenen Formen derselben eine zusammenhangende phylogenetische Reihe darstellen : einerseits die wenig modificirte Amphigastrula der Cyclostomen und Ganoiden, anderseits die star- ker modificirte der Amphibien, welche zu der meroblastischen Disco- gastrula der Reptilien und der aus ihnen hervorgegangenen Vogel hinuberfiilirt. Die analoge Discogastrula der Teleostier ist aus der Amphigastrula der Ganoiden hervorgegangen. Die eigenthum- liche Amphigastrula der Saugethiere bereitet zur Zeit noch die grossten Schwierigkeiten, indem die interessanten Untersuchungen von Ed. van Beneden, Rauber, Kupffer, Selenka u. A. in wichtigen Punkten sich widersprechen. Indessen stimmen sie doch fast Alle darin iiberein, dass auch bei den Saugethieren eine echte Gastrula vorhanden sei. Jedenfalls ist dieselbe stark cenogene- tisch modificirt; ich leite sie ( — wie ich schon 1877 bemerkte — ) phylogenetisch von einer Discogastrula alterer Mammalien-Ahnen ( — vielleicht der gemeinsamen Stammform der Amnioten ? — ) ab, deren machtiger Nahrungsdotter riickgebildet wurde, seitdem die Ernahrung des Embryo durch die miitterlichen Blutgefasse in seine physiologische Function eintrat. Nach meiner Ueberzeugung waren die alteren Vorfahren der Saugethiere ovipare Amnioten mit gros- sem Nahrungsdotter. Die vorstehende Uebersicht iiber die Gastrulation der ver- schiedenen Thierstamme ( — fiir welche die einzelnen Belege leicht in den zahlreichen ontogenetischen Monographien des letzten De- cenniums zu finden sind — ) zeigt, dass der weitreichende, oben angefiihrte Satz, in welchem Waldeter das Wesentliche seiner Anschauung zusammenfasst, vollig unhaltbar ist. In sammtlichen Stammen des Thierreichs finden sich nahe verwandte Formen, von denen die einen eine Leptogastrula (ohne secundare Furchung) und die anderen eine Pachygastrula (mit secundarer Furchung) bilden ; und dennoch entwickeln die erstern dieselben Bindegewebe (und zum grossten Theile auch Blutgewebe) , wie die letzteren. Der besondere, nach Bildung der beiden primaren Keimblatter „ubrig gebliebenen Rest von unreifen Furchungszellen" , aus wel- chen diese „parablastischen Gewebe" ausschliesslich hervorgehen 16* 244 Ernst Haeckel, sollen, findet sich nur bei den letztereu, nicht bei den ersteren. Zugleich geht aber daraus klar hervor, dass der „Desmoblast", den Waldeyer „Parablast" nennt, nicht der Parablast von Ilia ist, sondern unter den Begritf des „Mescnchyms" im wei- teren Sinne fallt. Auffallender Weise geht Waldeyer (1. c. p. 51) iiber diesen wichtigsten Punkt fliichtig hinweg und bemiiht sich nur auf einer Seite ganz kurz, die Unterschiede seiner „in manchen Punk- ten mit der Lehre Hertwig's ubereinstimmenden Auffassung" her- vorzuhebeu, wahrend er funfzig Seiteu dem vergeblichen Versuche widmet, seine Uebereinstiramung mit His „in der Hauptsache" nachzuweisen. Seine entscheidenden Worte lauten: „Darin liegt eben der Hauptunterschied meiner Auffassung von der der Briider Hertwig, dass meine Parablast-Zellen von Elementen abstammen, welche noch zum Furchungs-Material gehoren, wahrend ihre Me- senchym -Zellen schon Bestandtheile der Keimblatter waren oder doch von solchen herrtihren". Wir haben soeben gezeigt, dass jene Auffassung fiir die Wirbelthiere ebenso wenig als fiir irgend einen anderen Stamm des Thierreichs berechtigt ist, dass vielraehr uberall Mesenchym-Zellen ebensowohl aus dem bereits gebildeten Epithel-Verbande der fertigen Keimblatter austreten, als sie in gewissen Abtheiluugen aus „unreifen Furchungszellen" direct ent- stehen konnen. Ein weiterer Differenz-Punkt betrifft die histologischen Pro- ducte des Mesenchyms. Die Gebrtider Hertwig lassen daraus nicht allein Bindegewebe und Blut entstehen, sondern Muskel-, Nerven- und andere Gewebe; sie betrachten die Mesenchym-Zellen als indiifereute Bildungszellen , die durch Anpassung an ver- schiedene Functionen — nach dem Princip der Arbeits - Theilung der Zellen oder der Gewebs-Ditferenzirung — sich ebenso zu verschiedenen Special-Geweben entwickeln konnen, wie die Bildungs- zellen der primaren Keimblatter. Waldeyer hingegen theilt die Ansicht von His, dass sein „Parablast" — Raubers „Desmo- blast" — ausschliesslich Blut- und Bindegewebe entstehen lasse. Dass die phylogenetisch motivirte und durch zahlreiche sorgfaltige Beobachtungen begriindete Ansicht von Hertwig auch hier im Recht ist, scheint mir nicht mehr zweifelhaft angesichts der zahl- reichen zustimmenden Angaben, welche die vergleichend-ontogene- tischen Untersuchuugen der letzten Jahre bei den Medusen, Cteno- phoren , Wiirmern , Mollusken , Echinodermen u. s. w. zu Tage gefordert haben. Ursprung und Entwickelung der thierischen Gewebe. 245 VI. Die Primitiv-Organe der Thiere. Die Entwicklungs-Probleme, welche in den vorhergehenden Abschnitten erortert warden , haben iiaturgemass mehr und mehr zu einer der wichtigsten Frageii der allgemeinen Entwicklungs- geschichte der Thiere hingefiihrt, zur Frage nach der Bedeutung und Entstehung der Primitiv-Organe der Thiere, und so sehen wir denn auch in den neuesten bezuglichen Schriften von Hertwig, Kolliker, Waldeyer, His u. s. w. diese Frage mehr Oder minder eingehend erortert. Die vielen und auffallenden Widerspruche, welche hierbei zu Tage treten, und welche zum Theil die wichtigsten Principien beruhren , veranlassen uns, auch hier darauf zuriickzukoramen und den Versuch zu einer Kliirung derselben zu unternehmen. Nach unserer Ansicht muss es sich dabei vor allem um die Entscheidung der Frage handeln, was man eigentlich unter einem Primitiv-Organ versteht? Der Be griff des Primitiv-Organs wird von den ge- nannten und anderen Autoren abwechselnd bald in histologischem, bald in morphologischem, bald in physiologischem Sinne gebraucht; und viele Unklarheiten und Missverstandnisse sind dadurch ent- standen, dass man diese verschiedenen Seiten der Frage nicht gehorig aus einander gehalten hat. Viel wichtiger aber, und nach meiner Ansicht vor allem Anderen zu entscheiden, ist die Frage, ob man den BegriflF des Primitiv-Organs in rein ontogene- tischem Sinne gebraucht, wie Kolliker und His, oder ob man demselben zugleich eine causale phylogenetische Be- deutung beimisst, wie Hertwig und ich. Die Entscheidung dieser Frage ergiebt sich sofort, wenn man die Beziehung der beiden entgegengesetzten Standpunkte zur Descendenz-Theorie und vor Allem zum biogenetischen Grundgesetz in Betracht zieht. Alle Biologen, welche das Priraitiv-Organ in rein on- togenetischem Sinne auffassen , und von einer phylogene- tischen Bedeutung desselben Nichts wissen wollen, sind entweder entschiedene Gegner der Descendenz-Theorie als solcher (wie His), Oder sie fassen dieselbe in einem Sinne auf, welcher ihrer Widerlegung gleich kommt (wie Kolliker). Von His babe ich schon 1875 in meiner Schrift iiber „Ziele und Wege der heutigen Entwicklungsgeschichte" und wciterhin im 24. Vortrage meiner Anthropogenic gezeigt, dass seine tectogenetische Auffassung der 246 Ernst Haeckel, Keimungs - Processe der Descendenz - Theorie auf das Schroffste gegeniiber steht und eine Vermittlung zwischen beiden undenkbar ist. Nicht anders steht es aber im Grande mit Kolliker, ob- gloich es iiach einzelnen widersprechenden Aeusserungen des- selben scheinen konnte, als ob er wenigstens ein bedingter An- hanger derselben ware. Urn diese principiellen Gegensatze in der Beurtheilung der Entwicklungsgeschichte richtig zu wurdigen, darf man sich nicht durch die unmotivirten Lobspriiche blenden lassen, welche K5l- LiKER und His gelegenthch Darwin spenden ; es sind das ausser- liche Concessionen an die machtig fortschreitende Ausbreitung und Vertiefung des Darvvinisraus, welche dieser weder wiinscht noch bedarf ). Die sammtlichen Schriften der genannten Natur- forscher beweisen, dass ihnen das innere Verstandniss dessel- ben fremd gebheben ist; am deutlichsteu geht dies daraus hervor, dass sie den Causal -Nexus zwischen Ontogenie und Phylogenie nirgends verwerthen. Statt die zahlreichen und werthvollen Ur- sachen, welche die phylogenetische Theorie — und vor Allem das biogenetische Grundgesetz — zur mechanischenErkla- rung der ontogenetischen Thatsachen darbietet, anzuerkennen und anzuwenden, schliessen sie dieselben vollig aus, und ver- suchen sich statt dessen in pseudomechanischen Erkla- rungen, welche mit jeder Descendeuz-Theorie unvereinbar sind. Was nun zunachst KOlliker's Entwicklungs-Theorie betrifft, so bin ich in meinen friiheren Schriften fliichtig dariiber hinweg- gegangen , und habe den Kampf gegen dieselbe absichtlich ver- mieden. Da jedoch Kolliker neuerdings (1882, 1. c. p. 43, 44) seinen principiellen Gegeusatz gegen den Darwinismus scharfer for- mulirt und seit zwei Jahren uberdies fiir zweckmassig erachtet, meine Beitrage zur Entwicklungsgeschichte — das Product viel- jahriger angestrengter Arbeiten — uberhaupt aus der Littera- ^) Viele von diesen Lobeserhebungen auf Darwin sind reich- lich gewiirzt mit Seitenhieben auf mich und auf andere Anhanger des Darwinismus, denen „Uebertreibung uud Entstellung" desselben vorgeworfen wird. Es ware doch sehr erwiiuscht, wenn endlich einer dieser Gegner eiumal naher erorterte, worin dieser sogenannte „Hyper- Darwinismus" eigentlich besteht? Entweder giebt es eine Phylogenie oder es giebt keine! Entweder eutwickelt sich die orgauische Welt phylogenetisch oder nicht! Zwischen dieser Alter- native giebt es keine ehrliche Vermittlung! IJrsprung und Entwickelung der thierischen Gewebe. 247 tur zu eliminiren ^), liegt fiir mich kein Grund mehr vor, jenen fundamentalen Gegensatz schweigend zu iibergehen ; vielraehr halte ich es im Interesse der Sache fiir geboten, uunmehr die Unver- einbarkeit beider Standpunkte auch meinerseits anzuerkennen. KoLLiKER behauptet zwar, selbst ein Anhanger der Descendenz- Theorie zu sein; er versteht darunter aber ganz etwas Anderes, als der heutige Transformismus, und als Darwin, zu dem er sich selbst in ausgesprochenen Gegensatz stellt. Die ganz eigenthiimliche „polyph y letische" Descen- denz-Theorie von Kolliker ist zuerst 1864 in seiuem Auf- satze „uber die DARWiN'sche Schopfungs-Theorie" 2) aufgestellt und sodann sehr ausfuhrlich in seinen „Schlussbemerkungen zur Anatomisch-systematischen Beschreibung der Alcyonarien" (I. Pen- natuliden) dargelegt wordeu ^). Die sorgfaltige Lecture dieser beiden Schriften — und besonders der zusammenfassenden ersteren — ist alien Naturforschern sehr zu enipfehlen, welche sich fiir die hier erorterten Probleme interessiren. Der Kern derselben lasst sich kurz etwa in folgenden Satzen zusammenfassen : 1. Die organischen Arten oder Species sind nicht durch allmahliche Ura- bildung aus gemeinsamen Stammformen hervorgegangen , sondern durch sprungweise Entwicklung. 2. Die Ursachen dieser Entwicklung liegen nicht in der Wechselwirkung der Anpassung und Vererbung, sondern in einem unbekannten grossen all- gemeinen Entwicklungsgesetze. 3. Unter dem Einflusse dieses unbekannten Entwicklungsgesetzes „bringen die Ge- schopfe aus von ihnen gezeugten Keimen andere ab- weichende hervor" ( — „Theorie der heterogenen Zeugung" — ). ^) In seineu beiden neuesten Schriften liber Eutwicklungsge- schichte, in der Wiirzburger Festschrift iiber „die Entwicklung der Keimbliitter des Kaninchens" (1882) und in der Abhandluag iiber „die erabryonalen Keimblatter und die Gewebe" (1884) ignorirt Kol- liker meine ausfiihrlichen, darauf beziiglichen Arbeiten absichtlich Tollstandig, trotzdem die sonstige betreffeude Litteratur eingehend beriicksichtigt wird. Weder main Name, noch irgend eine meiner Schriften wird darin genaunt, obwohl die in beiden Abhandlungen behandelten allgemeinen Probleme grosstentheils von mir zuerst (vor 12 Jahren) forraulirt, und in meiner „Gastraea-Theorie" und ,, Anthropogenie" zuerst vom phylogenetischen Standpunkte aus beleuchtet worden sind. 2) Zeitschr. fUr wiss. Zool. XIV, p. 175. 3) Abhandl. der Senkenberg. Gesellsch. Bd. VII, VIII, p. 384— 453. Frankfurt a. M. 1872. 248 Ernst Haeckel, 4. Die morphologische Aehnlichkeit der Organe, welche die ver- gleichende Anatomie bei Thieren einer naturlichen Haupt- gruppe (z. B. Wirbelthieren) als Homologie bezeichnet, liefert keine Beweise fur eine gemeinsame Abstamraung derselben. 5. Die morphologische Uebereinstimmung in der Anlage der Or- gane, welche dievergleichende Ontogenie bei alien Gliedern einer solcheu Hauptgruppe (z. B. Wirbelthieren) nachweist und welche im „biogenetischen Grundgesetze" ihre causale Erklarung findet, liefert keine Beweise fur eine gemeinsame Abstammung derselben ; „die Phylogenie wirft in keinerlei Weise ein bestimmtes Licht auf die Ontogenie" (und umgekehrt!). 6. Aus den That- sachen der Vererbung und Anpassung „ergiebt sich nicht die geringste Einsicht in die Gesetze der Entwicklung". Schon aus diesen wenigen Satzen ergiebt sich, dass Kolliker die ganze Entwicklung der organischen Welt vollig anders auf- fasst, als wir. Als weiterer Beleg dafiir sei nur noch angefuhrt, dass nach seiner Ansicht „Darwin im vollsten Sinne des Wortes Teleolog ist" und dass der Hauptfehler des Darwinismus seine vollendete Teleologie ist. Nach der Ansicht vieler Anderer, zu denen auch ich gehore, ist umgekehrt Kolliker's Entwicklungs- Theorie die nackte Teleologie und es bleibt ein Hauptverdienst Darwin's, durch seine mechanische Selection s-Theorie die landlaufige Teleologie griindlichst vernichtet zu haben. Indessen ist der Hauptpunkt, um den es sich hier handelt, nicht die Selec- tions-Theorie ( — welche KOlliker fiir verfehlt halt — ), sondern die brennende Frage, ob es einen directen ursach- lichen Zus am men hang z wise hen Ontogenie und Phy- logenie giebt? Nach Kolliker ist ein solcher, durch die Wechselwirkung der Vererbung und Anpassung bedingter Causal- Nexus zwischen der embryonalen Entwicklung des Individuums und der Stammes - Entwicklung seiner Vorfahren absolut nicht vorhanden, wahrend er nach meiner Ueberzeugung die allerhochste Bedeutung besitzt. Um Kolliker's Ansicht iiber diesen wichtigsten Punkt klar zu verstehen , ist vor Allem auf die merkwiirdige Erorterung zu verweisen, die er in der 11. Auflage seiner „Entwicklungsgeschichte des Menschen" (1876, p. 390—399) meinem biogenetischen Grundgesetze, und im Gegensatze dazu der mathemati- s c h e n B e g r ii n d u n g der Ontogenie durch His widmet. W^ahrend er mit His „im Wesentlichen iibereinstimmt und oifenbar mehr nur in der Auffassung der Einzelvorgange abweicht" (p. 397), Ursprung und Entwickelang der thierischeii Gewebe. 249 behauptet er gleichzeitig , dass die „Darwin-Haeckerschen Lehren sicherlich nicht durch Thatsachen bestatigt siud", und durch seine „ Lehren von einer sprungweisenEntwicklung aus inneren Ursachen" widerlegt werden; eudlich fuhrt er „als letztes und gewichtigstes Argument nun noch das in's Feld, dass nach seiner Meinung die Darwin-Haeckel'- sche Phylogenie der Walirheit nicht entspricht" (p. 393). Vor diesem „letzten und gewichtigsten Argument" muss ich allerdings leider die Waffen strecken ; denn wenn unsere Phylo- genie nicht richtig ist, dann „entspricht sie auch nicht der Wahr- heit", Jedenfalls ist sie vollig unvereinbar mit der entgegenge- setzten Theorie Kolliker's von der „sprungweisen Entwickelung aus inneren unbekannten Ursachen"^). An irgend eine „Vermittelung" zwischen meiner phylogenetischen Entwickelungs- Theorie und der tectogenetischen von Kolliker ist eben so wenig zu denken, als an eiiie Vermittelung zwischen der ersteren und der „mathematischen" Sartrical - Theorie von His. Freilich scheint mir auch eine Vermittelung zwischen dieser letzteren und der „heterogenen Saltuar- Theorie" vollig ausgeschlossen. Ich kann zwischen beiden nur das Gemeinsame finden, dass sie auf jede Erklarung der Ontogenie durch phylogenetische Processe Verzicht leisten. Viele und grosse Naturforscher haben seit Jahrhunderten ihre Vorstellung von einer stetigen und zusammenhangenden Entwicke- lung der Natur in dem Satze ausgedruckt: „Natura non facit saltus". Kolliker bestreitet dessen Giiltigkeit und stellt ihm gegeniiber fiir die ganze Entwickelung der organischen Wesen das umgekehrte Princip auf: ,,Natura ubique facit saltus"-. Und was das Wichtigste ist, diese „s p r u n g w e i s e E n t w i c k e 1 u n g" ( — nach unserer Ansicht eine „contradictio in adjecto" — ) geschieht nach 1) Da der sprungweise Gang der Entwickelung, im Gegen- satz zum continuirlichen , von Kollikek selbst als das Hauptmoinent seiner tectogenetischen Theorie angesehen wird, so bezeichnen sie einige Morphologen neuerdiugs kurz als die ,,phy logen e t i s che Sprung- The 0 ri e" {77/eor/n salluaris). Ich muss leider gestehen, dass ich trotz wiederholten und aufraerksamen Lesens aller Abhand- luugen, welche Kollikek seit 20 Jahren iiber seine „Saltuar-Theorie'* veroffentlicht hat, ausser Stande bin, ihren Gedankengaug zu ver- stehen. Es geht mir in dieser Beziehung ebenso, wie Kollikee mit meinem biogenetischen Grundgesetz. 250 Ernst Haeckel, „einem unbekannten grossen Entwickelungsgesetz". Der beruhmte Wiirzburger Histologe nimmt also Dabwin gegenuber eine ahn- liche Stellung ein, wie vor 54 Jahren Cuvier gegentiber Geoffroy St. Hilaire; seine „Sa]tuar-Theorie" steht auf demselben Boden wie die Katastrophen-Theorie Cuvier's, die in L. Agassiz ihren letzten Vertreter gefunden zu haben schien. Gleichviel iibrigens, wie man die Stellung der Saltuar-Theorie und der Sartrical - Theorie zur Phylogenie beurtheilt, jedenfalls machen die Urheber jener tectogenetischen Theorien nur in sel- tenen Fallen einen ernstlichen Versuch, dieselben durchgreifend fur die Ontogenie als Erklarungs - Princip zu verwerthen. Die einzigen derartigen Versuche von Kolliker und His haben mei- nes Wissens keinen nachhaltigen Erfolg gehabt, trotz ihres hohen philosophisclien Interesses. Vergeblich hat Kolliker als Beweise fiir seine „heterogene Sprung-Theorie" den Generationswechsel, die Metamorphose, die Formverschiedenheit beider Geschlechter , den Polymorphismus der coloniebildenden lusecten angefuhrt (1864 1. c. p. 183); alle diese Thatsachen fiihren uns nicht zur Erklarung der Ontogenie, sondern konnen selbst nur mit Hiilfe der Phylo- genie erkliirt werden. Vergeblich hat His zum Beweise seiner „exacten Schneider-Theorie" die rudimentaren Organe auf Hollen- lappcn, die 4 Wirbelthier-Beine auf die 4 Ecken eines Brief-Cou- verts, die Form des Medulhirrohrs auf einen gebogenen und ge- knickten Gummischlauch zuriickgefiihrt u. s. w.; alle diese „genialen Conceptionen" haben absolut Nichts zur Erklarung der Ontogenie beigetragen, und mit jedcr Phylogenie sind sie ohnehin unvertrag- lich. Natiirlich ist auch in sammtlichen ontogenetischen Arbeiten von His und Kolliker bei keinem einzigen Organ der ernstliche Versuch einer phylogenetischen Erklarung gemacht, insbesondere nicht bei den vielumstrittenen Primitiv-Organen. Grade die Streitigkeiten iiber diese fundamentalen Primi- tiv-Organe zeigen aber auf das Schlagendste , wie die Onto- genie der Phylogenie gar nicht mehr entbehren kann, sobald sie vergleichend eine grossere Summe von ahnlichen Entwicke- lungs- Vorgiingen bei verschiedenen Thieren zusammenfasst und sich nicht auf die monographische Ontogenie eines einzelnen Thie- res beschrankt : Die vergleichende Ontogenie wirdvon selbst zur Phylogenie; denn sie ist gezwungen, die palin- genetischen Erscheinungen von den cenogenetischen zu unterscheiden ; die ersteren, die auf der Abstammung von gemein- samen Vorfahren beruhen, sind durch Vererbung von diesen tfrsprung und Eutwickelung der thierischen Gewebe. 251 auf die verschiedenen stammverwandten Nachkommen iibertragen (z, B. bei den Wirbelthieren die Chorda, die Kiemenbogeii, Urnie- ren u. s. w.); die cenogenetischen Veranderungen hingegen, welche als „Stomngen oder Fiilschungen" den urspriinglichen, palingene- tischen Entwickelungsgang mehr oder weniger modificiren, beruhen auf der Anpassung an verschiedene aussere Bedingungen der Entwickelung (z. B. Nahrungsdotter, Amnion, Allantois etc.) ^). Indem wir jetzt zu einer naheren Bestimmung der Primitiv- Organe iibergehen, wollen wir zunachst die Frage zu beantworten versuchen, ob es ein gemeinsames altestes Primitiv-Or- gan fur sammtlicheMetazoen giebt — also fur sammtliche Thiere, nach Ausschluss der Protozoen. Wir miissen hierbei bis auf die ausserste Grenze dieser beiden Reiche zuriickgehen, also phylogenetisch aufgefasst, bis zu jenem Stadium, in welchem zu- erst der einfachste Metazoen-Organismus sich aus den Protozoen hervorbildete. Als eine solche Grenzform beider Zustande be- trachte ich die Blastaea^), deren einstige Existenz durch die heutige Keimform der Bias tula (oder BlastospJiaera) bewiesen wird: eine einfache Hohlkugel (mit structurloser Gallerte oder Fliissigkeit erfullt), deren Wand von einer einzigen Schicht gleich- artiger Zellen gebildet wird; diese Zellenschicht ist ein Flimmer- Epithel einfachster Art und wird bei den entsprechendcn Keim- formen als Keimhaut oder Blastoderma bezeichnet. Dieses „Urkeimblatt" oder Blastoderm ist das alteste ge- m ein same Primitiv-Organ a Her Metazoen^). Histo- 1) Der Ausdruck „Falschung" zur Bezeichnung der ceno- genetischen AbauderuDgen , welche durch embryonale Anpassung in den urspriinglichen und erblichen, palingeuetischeu Entwickelungs- gang eingefiihrt werden , hat zu vielen seltsamen und bedaueriichen Missverstandnissen Veranlassung gegeben. Es ware daher zweck- massiger, den BegrifF jener „Falschung", den ich Fkitz Muller's bahnbrechender Schrift „Fiir Darwin" entnommen hatte, durch „ cen o- genetische Storung" zu ersetzen. 2) Die Blastaea hatte ich anfanglich als Planaea bezeichnet, um dadurch Anschluss an die friiher herrschende Bezeichnung meiner Blustula als P/(u/i//a zu erhalten (Anthropogenic I. Aufl. 1874, p. 391). Da jedoch der ontogenetische Begriff der Blastiila sehr bald allgemei- nen Eingang fand , habe ich bald darauf die entsprechende phylo- genetische Form mit dem Namen lilustaea belegt (Anthropogenie, III. Aufl. 1877, p. 426); Jenaische Zeitschrift fiir Naturwisseuschaft 1875, Bd. IX, p. 493. 3) TJeber den Begriff des „Urkeimblattes" vergl. meine Mono- 252 Ernst Haeckel, graphisch betrachtet ist das Blastoderm ein einfaches Epithel, histogenetisch das gemeinsame Urgewebe, aus welchem alle ande- ren thierischen Gewebe direct oder indirect abzuleiten sind. Aber auch ill morphologischem Sinne ist das Blastoderm das erste und einfachste Primitiv-Organ, insofern es alleiu den ganzen individuel- len Korper zusammensetzt; und zugleicb in physiologischem Sinne, insofern die gleichartigen Zellen desselben alle Functionen des in- dividuellen Metazoen-Korpers gieichzeitig voUziehen. Wenn wir demnach als das einfachste Primitiv-Organ sammt- licher Metazoen das Blastoderm hinstellen , so haben wir dabei zunachst diejenige reinste Form der Blastula im Auge, welche aus der primordialen, d. h. der vollkommen regularen und aqualen Ei- furchung hervorgcht, die Archiblastula oder primare Blasto- sphaera^). Hier sind alle Zellen, welche die einfache Epithel- Schicht der regularen Hohlkugel zusammensetzen, noch vollkommen gleich. Aus dieser pahngenetischen , urspriinglichen und reinen Form lassen sich aber alle anderen cenogenetischen Formen der- selben durch Arbeits-Theilung der Blastoderm - Zellen , und insbe- sondere durch allmahlige (phylogenetische) Zunahme des Nahrungs- dotters ableitcn , wie ich in meinem Aufsatze iiber „die Gastrula und die Eifurchung der Thiere" hinreichend nachgewiesen zu haben glaube. Die „Blastula oder Blastosphaera" , als die ontogenetische (durch Vererbung conservirte) Wiederholung der urspriinglichen, phylogenetischen Blastaea, darf nicht verwechselt werden mit der ahnlichen Keimform, welche die altere Embryologie als Keim- blase oder Vesicula Uastodermica bezeichnete. Diese Bezeichnung wurde zuerst 1837 von Coste auf die eigenthiimliche kugelige Keimblase der Saugethiere angewendet, welche schon vor mehr als 200 Jahren (1677) von Regner de Graaf entdeckt, aber erst von Baer (1827) der Vergessenheit entrissen und von Bischoff graphie der Medusen , II, 2 (1881), p. 140: Geuerelle Histologie der Medusen. 1) Ueber die Archiblastula und ihre hohe phylogenetische Bedeutung vergl. raeiue Authropogeuie, III. Aufl., 1877, p. 157, 195, 424; Fig. 171 und Taf. II, Fig. 4. Die Existenz dieser vollkommen regularen Blastula und der regularen Furchung, aus der sie hervor- gcht, wird neuerdings von Waldeyee bezweifelt (1883, 1. c. p. 41). Sie ist aber durch zahlreiche und sorgfaltige Beobachtuugeu, auch aus iieuester Zeit, vollkommen sicher gestellt : bei Polypen, Medusen, Sagitta und anderen Wurmern, einzeluen Echinodermen u. s. w. Ursprung und Entwiokelung der thierischen Gewebe. 253 (1842) genauer beschrieben wurde. Als man spater ahnliche „Keimblasen'' (— Hohlkugeln mit einschichtiger Epithel-Waud — ) bei vielen niederen Thieren entdeckte, glaubte man sie zunachst mit jeuer „Keimblase der Saugethiere" ohne weiteres identificiren zu konnen. Hieraus entwickelte sich danu die wichtige, zuerst von Baer (1828) mit prophetischem Genius formulirte Vorstellung, dass „die einfache Blasenform die gemeinschaftliche Gruudform ist, aus der sich alle Thiere nicht nur der Idee nach, sondern historisch entwickeln". Sein beruhmter Satz: „Beim ersteu Auf- treten sind vielleicht alle Thiere gleich und nur hohle Kugeln" — erscheint in der That als eine kuhne Anticipation unserer Blastaea- Hypothese. Man darf jedoch nicht ubersehen, dass diese prophe- tische Generalisation jener irrthumlichen Auffassung der Sauge- thier-Keimblasc entsprang. Das wahre Verstandniss der letzteren wurde uns erst moglich, nachdeni Eduard Van Beneden 1875 die Gastrulation der Saugethiere entdeckt hatte^). Daraus ergab sich unzweifelhaft, dass „die sogenannte Keimblase der Sauge- thiere und die echte Keimhautblase des Amphioxus und vieler Wirbellosen ganzlich verschiedene Keirazustande sind". Die letz- tere, meine Blastula, geht der Gastrulation voraus; die erstere, meine Gastrocystis ^ folgt ihr nach. In meinem Aufsatz liber die „Gastrulation der Saugethiere" (1877) habe ich diesen wesentlichen Unterschied austuhrlich erortert'^). Auffallender Weise hat Kolliker auch nach den Entdeckungen von Kauber und Van Beneden die friihere irrthiimliche Vcrglei- chung der wahren Blastula und der Saugethier- (ras^roc^/s^is noch beibehalten und weiter gefuhrt. In seinen „Allgemeinen Betrach- tungen uber die Keimblatter und die Primitiv-Organe" 3) sagt er daruber (p. 383): „Bei den Saugethieren entsteht nach der ^) Gleichzeitig mit E. Van Beneden (1875) hat bekanntlich auch Raubek, der sich um unser Verstanduiss der Gastrulatiou der Wir- bellhiere so grosse Verdienste erworbeu hat, die schwierige Keim- blatter-BilduDg der Saugethiere untersucht , ist aber theilweise zu audereu liesultatea gekommeu , ebenso wie auch spater Kxjpffee uud Selenka, Welche Deutung hier die richtige ist, lasst sich zur Zeit "wohl kaum sicher entscheiden. Alle aber stimmeu darin uberein, dass die „Keimblase" der Saugethiere und die Blastula des Amphioxus und der Wirbellosen zwei ganzlich verschiedene Keimformeu sind. 2) Jen. Zeitschr. f. Naturw. 18'/7, Bd. XI , p. 78 — 86. Vergl. ferner die III. Aufl. meiner Anthropogenie (1877), p. 157, 170 — 175, 234, 426, 744 (Note 61). 3) KoLLiKEE, Entwicklungsgeschichte, II. Aufl. 1876, p. 377—399. 254 Ernst Haeckel, Furchung sofort eine doppelblattrige Keimblase. Will man diese Keimblase mit den HAECKEL'schen Typen vergleichen, so kann man sie nur eine Blastula nennen; dagegen fehlt hier, ebenso wie beim Huhnchen, eine invaginirte Blastula oder eine Gastrula ganz". Unniittelbar vorher sagt Kolliker von den Vogeln: „Somit ist hier weder eine Discoblastula, noch eine Discogastrula vorhanden, und ist, wie ich schon anderswo angedeutet habe, die einzige Grundform, die mit den Zustiinden niederer Thiere ver- glichen werden konnte, die Blase, die spater entsteht, nachdem das Ectoderma und Entoderma den Dotter umwachsen haben", Ich muss diese Vergleichung fiir ganz unzulassig halten. Die echte Blastula geht der Gastrula voraus. Uebrigens diirfte Kolliker mit seiner Ansicht heutzutage ziemlich isolirt dastehen , nachdem in den letzten Jahren durch eine Reihe von ausgezeichneten Untersuchungen (Ed. Van Beneden, Rauber, KuPFFER, Selenka, Gotte, Scott, Hatschek u. a.) die Existeuz der Gastrula und ihre Entstehung durch Invagination der Blastula bei alien Wirbelthier-Klassen nachgewiesen worden ist. Die echte Archiblastula vieler niederer Thiere (z. B. Gastro- physema, Monoxenia, Limnaeus, Sagitta) ^) und die nahe verwandte und nur wenig verschiedene Amphiblastula vieler amphiblastischen Thiere (z.B. Echinus, Ophioglypha, Synapta, Amphioxus)^) zeigen uns noch heute das reine Urbild des primordialen Metazoon, und lassen keinen Zweifel iibrig, dass das Blastoderma das ge- meinsame alteste Primitivorgan der Metozoen ist, und das einfache Epithelium somit das alteste Gewebe der Thiere. Das Verstand- niss dieser wichtigen Thatsache vvird uns sehr erleichtert durch den Umstand, dass auch heute noch verschiedene einfachste Me- tozoen existireu, deren vollig entwickelter Korper permanent eine wesentlich gleiche Form darstellt: einerseits mehrere Volvoci- n e n {Synura etc), andererseits die Catallacteu (Magosphaera) - Gallertkugeln, deren Oberfliiche von einer einzigen einfachen Zel- 1 ) Ueber die Archiblastula, bei der samtliche Epithelzellen des einfachen Blastoderms gleichartig sind, vergl. meine ,,Gastraea- theorie" (p. 81, Taf. Vni, Fig. 116, 117); Anthropogenic, III. Aufl., rig. 171); ferner 0. Heetwig, Sagitta. 2) TJeber die Amphiblastula, bei der bereits der spatere Unterschied der kleineren animalen und der grosseren vegetatiyen Zellen (besonders an beiden Polen der Axe) mehr oder weniger angedeutet ist, vergl. Selenka, die Keimblatter der Ecliinodermen (Fig. 16, 44, 61, 79) und Hatschek, Amphioxus, Fig. 19, 20). Ursprung und Eutwickelung der thierischen Gewebe. 255 lenschicht eingeschlossen wird. Diese merkwurdigen Flagellaten werden zwar gewohnlich noch zu den Protisten gerechnet (von vielen Zoologen zu der Protozoa, von vielen Botanikern zu der Protophyta); sie stelien aber vollkommen auf der Grenze zwi- schen den Protisten und Histioten, und zeigen uns aufs Deutlichste den Weg, auf welchem die letzteren aus den ersteren hervorgegangen sind '). Aus dem Blastoderm der Blastula, dem einheitlichen „Pri- mitivorgan ersten Ranges", gehen zunachst bei den Metazoen d i e beiden primaren Keimblatter (BlastopJiylla) hervor, die wir jeneni gegeniiber als zwei „Primitivorgaue zweiten Ranges" anzu- sehen haben. Die neuerdings so weit ausgedehnten, vergleichen- den Untersuchungen iiber den ontogenetischen Ursprung derselben haben mit fast vollkomniener Sicherheit den vor sieben Jahren von mir aufgestellten Satz bestatigt, dass sie urspriinglich uberall durch Invagination der Blastula entstanden sind; und dass vereinzelte Ausnahmen, die scheinbar noch jetzt von diesem Gesetze existiren , entweder durch cenogenetische Modification zu erklaren oder auf Beobachtungsfehler zuruckzufiihren sind ^). Ebenso ist durch jene Untersuchungen mein Versuch gerechtfer- tigt worden, alle verschiedenen Formen der Gastrula auf eine ein- zige urspriingliche zuruckzufuhren , auf die palingenetische Archi- gastrula. Daraus ergiebt sich dann ferner unmittelbar die allge- meine Homologie der beiden primaren Keimblattter ^) Wenn ich unter dem BegrifFe Histiota die echten vielzel- ligen und gewebebildenden Thiere und Pflanzen zusammeufasse, und beide vereinigt den einzelligen und niclit gewebebilden- den Protista gegeniiberstelle, so will ich durch diese Zweitheilung der organischen Welt meiner schon friiher begriindeten Ansicht Aus- druck geben , dass vom morphologischen sowohl als vom rein histo- logischen Gesichtspunkte aus der Unterschied zwischen Pro- tisten und Histioten viel grosser ist, als der Unter- schied zwischen Pflanzen und Thiere n. *) Eine unbefangene Vergleichung der zahlreichen vortrefflichen Untersuchungen iiber G a s trulat ion , welche uns das letzte Decen- nium geliefert hat , lasst kaum mehr einen Zweifel iibrig , dass die- selbe wirklich uberall urspriinglich auf einer Invagination der Blastula beruht. Wir legen hierauf desshalb so grosses Gewicht, weil sie uns die gesetzmassige Einheit fiir diesen wichtigen und unendlich mannichfaltig modificirten Process darthut, gleichviel, ob man diese im Sinne des biogenetischen Grundgesetzes als Argu- ment fiir den monophyletischen Ursprung der Metazoen verwerthet oder nicht. 256 Ernst TTaeckel, bei sammtlichen Metozoen, eine nothwendige Folge ihrer gemeinsamen Abstaramung von der Gastraea — und umgekehrt auch ein Beweis fiir diese letztere! — Jene wichtige Homologie ist jctzt so allgemein anerkannt, ebenso wohl von den Anban- gern, als von den Gegnern der Gastraeatbeorie, dass wir dariiber kein Wort mehr zu verlieren braucben. Wird dieselbe docb mit grosser Bestimmtheit sogar von Kolliker vertreten, obgleicb der- selbe gleicbzeitig zu zeigen sucht, dass die Keiinblatter bei ver- scbiedenen Tbieren aiif ganz verscbiedene Weise entstehen i). Wenn wir demuach, in Uebereinstimmung mit fast alien Zoo- logen der Gegenwart, die beiden primaren Keimblatter als bomo- loge Primitivorgane sammtlicber Metazoen — und demgemass die Gastrula als g em ein same Kei inform derselben — betracb- ten, so miissen wir unsererseits docb das Hauptgewicbt dieser Auffassung darauf legen, dass diese Homologie nicbt bloss onto- genetiscbe, sondern zugleicb pbylogenetiscbe Bedeutung bat. Gleicb- viel ob man alle Metazoen in monopbyletischem Sinne von einer einzigen gemeinsamen Gastraea, oder nacb der polypbyletiscben Hypothese von verscbiedenen, abnlichen aber unabbangig entstan- denen Gastraeaformen abstammen lasst, in jedem Falle bleiben die beiden primaren Keimblatter pbylogenetiscbe Primitiv- organe, und die anerkannte Thatsacbe, dass sie aiicb onto- genetiscb als solcbe auftreten, erklart sicb einfacb durcb Ver- erbung, als eine notbwendige Folge des biogenetiscben Grund- gesetzes. Von diesem pbylogenetiscben Gesicbtspunkte aus ist nun die vielumstrittene Frage, ob die primaren Keimblatter „Primitivorgane in morpbologischem , pbysiologiscbem oder bistologiscbem Sinne" sind, mit voller Klarbeit zu entscbeiden, und zwar in jedem Sinne zu bejaben. Ohne Weiteres ist das klar bei der reinen palingenetiscben Leptogastrula. Da Avir aber die cenogenetiscbe, raebr oder weniger modificirte Fachygastrula stets auf die ersterc zuriickfiihren, und sie durcb (phylogenetisches) Wachsthum des Nabrungsdotters von derselben ableiten , so gilt jene einbeitlicbe positive Auffassung von der Gastrula sammtlicber Metazoen. In ^) In seinen „Allgemeinen Betrachtungen" iiber die Primitiv- Organe (^ 29 der „Entwickelungsgeschichte", II. Auli. 1876, p. 37 7 bis 399) stehen die Ausichten Kolllklk's iiber die „von ihm urgirte Homologie der Keimblatter" in scbneidendem Widerspruch zu der unmittelbar vorhergehenden Behauptung, dass „bei den Saugetbieren und Vogeln von einer Gastrula nicbt die Rede sein kann". Urspruug unci Entwickelung der thierisclieu Gewebe. 257 alien Fiilleu ist ja diese ontogeiietische Gastrula nur das stetig wiederholte, durch Vererbuiig iibertrageue, durcli Anpassung bald mehr bald minder raodificirte Abbild der phylogenetischen Gastraea, der gemeinsamen Staunnform aller Metazoen. Morphologische Pri mitivo rgan e sind die beiden pri- maren Keimblatter iiberall insofern, als sie bei der Gastraea iiber- haupt die einzigen Organe vvaren, aus denen der ganze Korper dieser Stammform bestand, und als sie bei der Gastrula dem ent- sprechend die einzigen Organe sind, welche diese Keimform zu- sammensetzen; der Exoblast (-- oder das Ectoderm im fruheren Sinne — ) bildet die iiussere oder dermale, der Entoblast ( — oder das friibere Entoderm ~) die innere oder gastrale Zellscliicht des beclierformigen Korpers. In den Physemarien i), den Orthonecti- den, den einfacbsten Formen der Spongien (Archolynthus) und der Hydropolypen besitzen wir nocb jetzt lebende Reprasentanten sol- dier eiufachster Metozoen, deren Korper entweder nur aus diesen beiden Primitivorganen besteht oder doch nur wenig modificirt ist. Phy siologische Primiti vo rgane sind die beiden pri- miiren Keimblatter bei der Gastraea unzweifelhaft ebenfalls ge- wesen, wie sie es bei den eben genannten einfacbsten Formen der Coelenteraten noch heute sind: der Ektoblast das animale oder sensomotorische Primitivorgan der Bewegung und Empfindung,. der Entoblast das vegetative oder trophische Organ der Ernah- rung und des Stoffwechsels; das letztere bildet zusammen mit dem von ihm umschlossenen Hohlraum den Urdarm, das erstere das Urtegmeut oder die Urdecke (Protegmentum). Den Ur- darm habe icb zucrst 1872 als das wahre alteste Primitivorgan des Thierkorpers uuterschieden und Progaster genannt, seine Oeffnung Urmund oder Pro stoma ^). 3 Jabre spater hat Ray- Lankaster^), welcher uiiabhangig von meiner Gastraeatheorie zu ahnlichen Folgerungen gekommen war, den Urdarm als Archen- ^) Die Phy semarien {Hnliitkiiseina, Gasfrop/ii/sema), welche ich in den Studien zur Gastreatheorie (p. 171 — 226) als „Gastraaden der Gegenwart" beschrieben habe, warden neuerdings hiiufig mit ahnlichen echten Rhizopoden verwechselt (z. B. in der yortreff- lichen Darstellung der ,,Foraminiferen von Mauritius" in M o e b i u s : „Meeresfauna der Insel Mauritius", 1880). Die Aehnlichkeit zwischen beiden Formen ist rein ausserlich und beweist ebenso wenig ihre Identitat, als die vollstaudige aussere Aehnlichkeit vieler Cae- mentskelete von liohrenwlirmern und Phryganidenlarven etc. =^) Biologie der Kalkschwamme, 1872, p. 468. ^) Quarterly Journ. of microsc. sc. 1875, Vol. XV, p. 163. Bd. XVIII. N. F. XI. 17 258 Ernst Haeckel, teron und den Urmund als Blastoporus bezeichnet, Diese spatere Bezeichnnng wird gegenwitrtig meiner friihereii von vielen Embryo- logen vorgezogen, vielleicht desshalb, vveil sie Nichts tiber die ur- spriingliche physiologische Bedeutung dieses Primitivorgans pra- judicirt; ich muss jedoch meiner alteren Bezeichnnng eben dess- halb den Vorzug geben, weil ich an der phylogenetischen Vorstel- lung festhalte, dass der Urdarm (Proyaster) wirklich die ver- dauende Cavitat der altesten Metozoen in physiologischem, wie in morphologischem Sinne war, und ihre Oeffnung, der Urmund (Prostoma) wirklich als Mundoffnung fungirte. So ist es ja heute noch bei vielen palingenetischen Gastrulalarven niederer Thiere der Fall, welche sich frei lebend im Wasser entwickeln. Aber auch bei vielen cenogenetischen Gastrulaformen , die sich inner- halb der Eihiillen entwickeln und durch den Nahrungsdotter er- uiihren , bleibt jene urspriingliche Function des Urmundes beste- hen; selbst bei den discoblastischen Eiern der Vogel und Repti- lien, wo der colossale Nahrungsdotter die flache Ausbreitung der „Keims cheibe" [odev Discogastrula) bedingt, fungirt deren ver- dickter Lippenrand (oder der „Keimwulst") als wirklicher, Nah- rung aus dem Dotter aufnehmender Urmund'). Histologische Primitivorgane endlich sind die beiden primaren Keimbliitter ganz allgemein insofern, als sie allein das primare Gewebe des Thierkorpers herstellen, das einfache Epithelium (der Exoblast das primare Dermalepithel, der Entoblast das primare Gastralepithel); und als alle anderen Ge- webe des Thierkorpers als secundiire aus den ersteren direct oder indirect hervorgegangen sind, und zwar ebensowohl in phylogene- tischem als in ontogenetischem Sinne. Dagegen sind die zwei primaren Keimblatter nicht „histologische Primitivorgane" hin- sichtlich ihrer histogenetischen Potenz — nicht also in dem Sinne ( — in welchem sie noch heute bei vielen Histologen gelten — ), dass bestimmte verschiedene Gewebe aus ihnen her- vorgehen. Vielmehr lasst sich aus den heutigen Resultaten der 1) Waldeyer schreibt die Unterscheidung der TJrdarmhohle (meiner Prngasler , Kay-Lankestee's Jrchenleron) irrthiimlich Balfour zu (1883, 1. c. p. 64), OfFenbar ist er durch die Darstellung Balfour's selbst irre geleitet worden, der in seiner vergieichenden Embryologie sowohl diese, wie nianche andere Ergebnisse meiner Gastraeatheorie verwerthet, ohne dieselbe als Quelle anzugeben. Vergl. meinen Auf- satz liber „Urdarm und Urmund, Primitivorgane", in Jena. Zeitschr. 1877, Bd. XI, p. 86—92. TJrsprung und Entwickelung der thierisclieii Gewebe, 259 vergleicheiiden Ontogenie mit vollkommener Sicherheit der Schluss Ziehen, dass aus jedem der beiden primaren Blatter, aus dem Exoblast ebciisowohl als aus dem Entoblast, die verschiedensten Gewebe hervorgeheii konneii: Epithelien, Nerveii, Muskeln, Binde- gewebe u. s. w. Die einzelnen Stamme und Klassen des Thier- reichs zeigen darin betriichtliche Verschiedenheiten. Das Blastoderm der Blastula und die beiden ( — durch Invagination daraus entstandenen — ) Blastophylle oder „pri- maren Keimbliitter" der Gastrula sind die einzigen wahren „Pri- mitiv-Orgaue" der Metazoen, die wir als solche anerkennen konnen. Alle anderen embryonalen Bildungen, — vor alien das mittlere Keimblatt oder der Mesoblast — verdienen nicht mehr den Namen von Primitiv-Organen. Alle friiheren Versuche, auch noch die drei oder vier secundaren Keim blatter, die aus den beiden primaren hervorgehen, als Primitiv-Organe zu deuten, von Baer und Remak bis auf die Gegenwart fortgesetzt, sind als vergebliche Beniiihungen anzusehen. Einen solchen vergeblichen Versuch habe ich selbst gemacht, als ich vor zehn Jahren in der Gastraea-Theoria und Anthropogenie es unternahm, die Theorie von den vier secun- daren, zuerst von Baer unterschiedenen Keimblattern auf s Neue zu stiitzen, Ich gebe alle diese Bemiihungen jetzt vollig verloren, seit- dem durch die glanzenden Entdeckungen der vergleichenden Onto- genie im letzten Decennium nachgewiesen worden ist, dass jene secundaren Keimblatter in den verschiedenen Thierstammeu eine vollig verschiedene Bedeutung haben, und dass das Mesoderm nach Inhalt und Umfang dcs Begriffs, mit Bezug auf seinen Ursprung sowohl als seine Produkte, die mannigfaltigsten Verschiedenheiten zeigt. Die iiberzeugenden Beweise dafiir enthalt Hertwig's Coe- lom-Theorie, der ich mich gauz besonders in diesem Punkte vollstandig anschliesse. VII. Classification der Gewebe. In meinem Aufsatze iiber die „histologische Bedeutung der Gastraa-Theorie" ^) (Studien p. 227) hatte ich 1877 den Nachweis zu fiihren versucht, dass das Epithelium allein daspri- mare Gewebe sei, und dass alle anderen Gewebe als secundiire ^) Nachtriige zur Gastraa-Theorie. Jena 1877, Jena. Zeitschr. Vol. XI, p. 55. 17* 260 Ernst Haeckel, zu betrachten seien, direct oder indirect aiis dcm ersteren hervor- fTPgangen. Dieser Satz, der in seinen Consequenzen fiir die ver- gleichende Histologic vielleicht die Bedeutung eines massgebenden (iruiidsatzcs beansprucben kann , ergiebt sich ganz einfach als ein notbwendiger Folgescbluss aus der Gastraa-Theorie. Denn da nach dieser alle Gewebe der Metazoeu direct oder indirect aus den beiden priniaren Keimblattcrn enstanden sind, und da die letzteren bei der reinen, palingenetiscben Form der Gastrula, bei unserer „Lt'ptogastrula", einfache Epitbelien sind, so muss nothwendig das Epithelium das einzige prinuire Gewebe sein, und zwar ebenso wohl in phylogenetischem als in ontogenetischem Sinne. In der dritten Auflage meiner Anthropogenic hatte ich (p. 657 — 666) diesen Satz weiter ausgefiihrt und insbesondere ge- zeigt, wie derselbe mit der Parablasten-Theorie von His unverein- bar ist. In ncuester Zeit hat Kolliker in seiner Abhandluog uber „die embryonalen Keimblatter und die Gewebe'' ^) eine Anzahl von allgemeinen Siitzen aufgestellt, denen er mit Recht eine weit- tragende Bedeutung fiir die allgemeine Histologic und die ver- gleichende Ontogenie zuschreibt, Je mehr ich diesen Siitzen im Allgemeinen beistimme, desto mehr glaube ich hier daran erinnern zu diirfen, dass ich dieselben bereits sieben Jahre friiher in dem angefiihrten Aufsatze zum grossten Theile bcgriindet habe. Allerdings ist dies aus Kolliker's Abhandlung nicht zu er- sehen , da er in derselben keine einzige meiner beziiglichen Arbeiten auch nur erwahnt. Obgleich er seine Abhandlung mit einer historischen Uebersicht iiber die Fortschritte der Keim- blatter-Theorie beginnt und die beziigliche Litteratur sonst ein- gehend beriicksichtigt, wird weder die Gastraa-Theorie noch die Anthropogenie genannt; wahrscheinlich desshalb, weil Kolliker es fiir das „Zweckmassigste" halt, „nur die Thatsachen sprechen und die Gastraa-Theorie ganz ausser dem Spiele zu lassen" 2). Um so eingehender bespricht derselbe auch hier wieder die Para- blasten-Theorie von Hls, die als „die wichtigste unter den ganz neuen Gesichtspunkten und iiberraschenden Hypothesen" der neueren Ontogenie zu bezeichnen sei (1. c. p. 181). Der Leser dieser interessanten Abhandlung wird demnach erwarten, dass M Kolliker iu: Zeitschr. fiir wissensch. Zool. 1884. Bd. XL, p. 179. 2) Kolliker, Entwicklungsgeschichte, II. Aufl. 1876, p. 383. UrsprUDg und Eutwickeluug- der thierischeu Gewebe. 261 K5LLIKER nunmehr sich jener „geuialen Conception" anschliesst und „den wichtigsteu Fortschritt der neuereu Embryologie seit Remak" adoptirt; er wird aber in dieser Eiwartung getauscht und statt dessen duich eine eingehende Widerlegung derselben iiberrascht, und zwar mit denselbeu Griinden, welchc ich seit zehn Jahren energisch dagegen geltend gemacht habe^). Natiirlich kann es mir nur sebr erfreulich sein, dass eine so bcwahrte und beriihrnte histologische Autoritat wie Kollikee sich jetzt entschieden zu den Grundsatzen bekeuut, die ich seit einem Decennium lebhaft vertrete, und vor denen er noch vor nicbt langer Zeit „warnen zu sollen glaubte". Indessen mochte ich doch darauf aufmcrksam niachen, dass die von mir 1877 aufge- stellten und von ihm 1884 adoptirten Grundsiitze liber Ursprung und Ableitung der Gewebe iiisofern eine verschiedene Tragweite haben , als ich dieselben sowohl im phylogenetischen als im onto- genetischen Sinne verstehe, Kolliker hingegen bloss in letztereui. Bei jedem Versuche einer weiteren Classification der thieri- scheu Gewebe ist zunachst der principielle Standpunkt festzu- stellen , aus welchem man dieselbe unternehnien will. Mit vollem Recht hat Rauber in seiner neuesten Arbeit tiber „Die histo- logischen Systeme" die Nothwendigkeit hervorgehoben , sich vor Allem iiber das histologische Eintheilungs-Princip klar zu werden ^). Hierbei ist in erster Linie entscheidend, ob man die Entwicke- lungsgeschichte der Gewebe als massgebend betrachtet oder nicht. Im letzteren Falle kann man entweder rein histographisch verfahren und die Gewebe nach ihren anatomischen Merkmalen 1) Da KbLLiKEE, meine Arbeiten iiber diesen Gegenstand vdllig mit Stillschweigen iibergeht, muss ich den Leser bitten, die „Haupt- punkte", in denen er am Schlusse der citirten Abhandlung (p. 211) seine Auschauung zusammeufasst, sorgfaltig zu vergleichen mit meinen vorher angeflihrten Arbeiteu , iusbesondere mit dem 24. Vortrag der Anthropogenie und den „Nacbtragen zur Gastriia-Theorie". 2) Eatibeb, Ueber die Entwicklung der Gewebe des Saugethier- korpers und die histologischen Systeme, Sitzungsber. der naturforsch. Gesellsch. zu Leipzig. 1883. Bd. X, p. 13. Eaxtbee theilt die thierischeu Gewebe ein : A) nach dem genetischen Standpuukte im Gewebe 1. des ausseren, 2. des iuneren, 3. des mittlerea Keim- blattes und 4. des Desmalblattes; — B) nach der Function in 1. arterhaltende oder Germinal-Gewebe (Ovarium uud Hoden), 2. indi- viduelle oder Personal-Gewebe (alle iibrigen); — C) nach der Form uud Lagerung in: 1. Cellulares- Gewebe (EpitheUen etc.), 2. Gewebe mit Intercellular-Substanz (Blut- und Bindegewebe), 3. Plasmodial- Gewebe (Quorgestreifte Muskeln). 262 Ernst Haeckel, eintheilen , oder die physiologischen Eigenschaften der Ge- webe in den Vordergrund stellen und ihre Funktionen als mass- gebend ansehen. Im ersteren Falle, wenn man die Entwicklung der Gewerbe als wichtigstes Eintheilungs-Princip ansieht, kann man entweder bloss ontogenetiscli die Entstehung der Ge- webe im Keim als Grundlage des Systems ansehen, oder zugleich phylogenetisch ihre historische Entwicklung ins Auge fassen, durch welche die vorhergehende ja erst ursachlich bedingt ist. Die meisten Versuche, zu einem histologischen System zu gelangen, halten allerdings keinen dieser vier moglichen Standpunkte als exclusives Princip fest, sondern lassen sich zugleich raehr oder minder auch von anderen beeinflussen. Naturlich konnen wir in dem engen Rahmen dieses Aufsatzes nicht alle verschiedenen der- artigen Versuche kritisch vergleichen, sondern wollen hier bloss untersuchen, wie sich ein System der thierischen Gewebe von jedem dieser vier Principien aus bei dem gegenwartigen Ent- wicklungszustand unserer Kenntniss von den Geweben des ganzen Thierreichs gestalten wird. A. Histographisches System der Gewebe. Ein solches System, welches vom rein anatomischen Gesichtspunkte bloss die Formverhiiltnisse der Gewebe, die Form, Struktur und Verbindungsweise der sie zusammensetzenden Zellen in's Auge fasst, ist anerkanntermassen nicht durchfiihrbar. Man konnte z. B. zu- nachst an die Unterscheidung folgender Hauptgruppen denken: 1. Epithelien oder Schichtgewebe : Zellen ohne Zwischen- substanz, in Schichten geordnet; 2. Fibrosen oder Faserge- webe: Zellen ohne Zwischensubstanz, in Fasern oder Strange ge- ordnet (Nervenfasern, Muskelfasern) ; 3. Connective oder Binde- gewebe: Zellen mit Zwischensubstanz, meistens in Netze geordnet. Eine allgemeine, auch nur oberflachliche Uebersicht der Gewebe im ganzen Thierreich ergiebt sofort, dass jeder derartige Versuch rein kiinstlich ist und zu der unnatiirlichsten Trennung nahe verwandter Gewebe fiihrt. Epithelien gehen ohne scharfe Grenze sowohl in Fasergewebe als in Connective uber. Es giebt echte Muskel- bliitter, welche aus eiuer einfachen Schicht neben einander ge- gelagerter spindelformiger Muskelzellen bestehen und ganz das Aussehen eines Epithels besitzen. Es giebt echte Nerven-Netze mit sternformigen, durch Auslaufer verbundenen und in Zwischen- substanz eingebetteten Zellen, welche von gewissen Bindegewebs- Arten ausserlich gar nicht zu unterscheiden sind. In der That Ursprung uud Eutwickelung der thierischen Gewebe. 263 ist ein solches, rein histographisches System der Gewebe niclit durchzufiihren. B. Physiologisches System der Gewebe: die Functio- nen der gewebebildenden Zellen, ihre chemische und physikalische Beschaffenheit, vor allem aber ihre specifische, durch Arbeits- theilung erworbene Lebensthatigkeit bestimmt die histologische Classification, Dieser physiologische Gesichtspunkt ist im All- gemeinen fiir die grosse Mehrzahl der Histologen auch heute noch massgebend obwohl er selten (oder nie) in voller Strenge logisch durchgeftdirt wird. Bei einer consequenten Durchftihrung desselben niit Piucksicht auf das ganze Thierreich wurde man etwa folgende acht Hauptgiuppen unterscheiden konnen: 1. Germinal-Gewebe, {Tela sexualis) gebildet durch die Gonoblasten oder Sexualzel- len, die „Keimzellen" beider Geschlechter (Ei und Sperma), mit deren Copulation die individuelle Entwicklung beginnt. 2. Decken- Gewebe {Tela tegmentalis), zusammengesetzt aus Chrotoplasten oder Deckzellen, welche ausschliesslich oder vorwiegend die Function einer Schutzdecke fiir den Organismus ausuben, also die Epi- dermis der ausseren Oberflache sammt alien Epidermis-Anhangen (Haaren, Federn, Schuppen der Wirbelthiere u. s. w.) und Cuticular- Bildungen (Chitin-Panzer der Gliederthiere) ; ferner die Epithelien, welche iniiere Hohlen auskleiden : echte Epithelien des Darmrohres, Coelom-Epithelien der Leibeshohle, Endothelien der Synovialhohlen etc. 3. Stiitzgewebe (Tela fulcralis) zusammengesetzt aus S k e - letoblasten oder Skeletzelleu , welche innere oder aussere Ske- lete Oder Stiitzgewebe bilden : Chorda , Knorpel , Knochen , Zahn- gewebe der Wirbelthiere, Clathral-Gewebe oder kalkiges Gitter- skelet der Echinodermen, Kalk-Skelet der Korallen; aussere Haut- skelete vieler Wirbellosen. 4. Fiillgewebe {Tela maltharis), gebildet durch Malthoblasten oder Fiillzellen, welche die Liicken zwischen andeien Geweben ausfiillen und als weiche Unter- lagen derselben dienen : gewohnliches weiches Bindegewebe, elasti- sches Gewebe, Fettgewebe, Blasengewebe vieler Wirbellosen, Schleim- gewebe, Gallertgewebe etc. 5. Driisengewebe {Tela glandulosa) zusammengesetzt aus Adenoblasten oder Driisenzellen, deren Function entweder ausschliesslich oder doch vorwiegend die Secretion oder Excretion ist: alle gewohnlichen Driisenzellen im engeren Sinne, aber auch viele Epithel-Zelleu der Integumente (Schleimzellen, Becherzellen etc.). 6. Blutgewebe {Tela haemalis) gebildet aus Lymphoblasten oder Nah rzellen, welche die wichtigsten Functionen der Ernahrung und des Stoffwechsels be- 264 Ernst Haeckel, sorgen : die Haemoblasten oder specifischen Blutzellen und Lyraph- zellen, die Gewebe der Milz und anderer Blutgefass-Drusen etc.; aber auch viele Adcnoblasten und Chrotoblasten. 7. Muskel- gewebe {Tela muscularis) zusammengeimtzt aus Myoblasten oder Muskelzcllen : die Zellen des glatteii und qucrgestreiften Muskel- gewebes, aber auch „contractile Bindegewebszellen" vieler niederer Thiere, die von ersteren nicht scharf zu trennen sind; nur die „exclusive Function der Contractilitat" ist fur sie characteristisch. 8. Nervengewebe {Tela nervea)^ zusammengesetzt aus N e u r o - bias ten oder Nervenzell en: die Zellen des Nervengewebes (mit Ausscliluss der „Psychoblasten"): Ganglienzellen , Nerven- fasern , periphere Sinneszellen , specifische Sinneszellen (Tast-, Scbmeck-, Riech-Zellen, Horzellen, Sehzellen der Retina u. s. w. ^). — Die eingehendere Betrachtung dieser acht „physiologischen" Gewebsgruppen wird leicht zu der Ueberzeugung fuhren , dass auch eine solche Eintheilung der Gewebe nach ihren Functionen kiinstlich und nicht streng durchfiihrbar ist; aus dem einfachen Grunde, weil viele Zellen verschiedene Functionen gleichzeitig leisten, wie z. B. die Zellen der Epidermis als Deckzellen den Schutz der Oberflache, als Driisenzellen die Ausscheidung von Stoffen, als Sinneszellen die Tastempfindung verniitteln. Desshalb ist donn auch von den meisten Histologen die verschiedene Function der Gewebe zu ihrer Eintheilung zwar vorwiegend, aber keines- wegs ausschliesslich benutzt worden; vielmehr hat man gewohn- lich ausserdem das genetische Princip zu Hiilfe gezogeu, C, On togenetisches System der Gewebe: Die Ent- stehung der Gewebe aus den Keimblattern des Embryo bedingt ihre Classification. Dieser ontogenetische Gesichtspunkt ist in neue- rer Zeit um so starker hervorgetreten und hat umsomehr den phy- ■ siologischen verdrangt, je mehr die vergieichende Keimblatterlehre ^) Als eine besondere neunte Gruppe konnten hier die Psycho- bias ten oder Seeleuzellen angeschlossen warden, welche nach der Ansicht einigtr ,,exacter und beriihmter Physiologen" der Gegenwart ihre Functionen (insbesondere das Bewusstsein) auch dann noch m injinilum fortsctzen. wenn die Zellen selbst (im Nervencentrum ge- legen) liingst vernielitet sind; um Verwechselungen mit den „Seelen- Zellen" in meiner Anthropogenic ( — nicht verschieden von den Keuroblasten der achten Gruppe — ) zu vermeiden, konnte man diese Psychoblasten vielleicht besser „Unsterblichkeits-Zellen" nen- nen; oder auch „Iguoranz-Zellen", zu Ehren der beriihmten Berliner ,,Ig/iorabim//f<-P//i/osop/iic", durch die sie neuerdings zu solchem hohen Ansehen gelangt sind. TJrsprung iind Entwickelung der thierischen Gewebe. 265 sich ausgebildet und die Gastraea-Theorie Boden gewonnen hat. In Folge dessen sind ja audi grade die Gegensatze, die wir ira Vorhergehenden besprochen habeii, immer schiirfer hervorgetreten, und haben umsomehr zur Entscheidung der Frage gedrangt, ob denn wirklich der Antheil der Keimblatter an der Gewebe-Bildung ausschliesslich, oder tbeilweise, oder gar uicht fiir die systema- tische Eintheilung der Gewebe massgebend sein soil? Nach un- serer tJberzeugung lasst sich schon jctzt, dank den grossen Fort- schritten der vergleichenden Ontogenie, diese wichtige Frage fiir das ganze Thierreich ( — nach Ausschluss natiirlich der Pro- tisten! — ) in folgenden sechs Satzen beantworten : 1. Bei saramt- lichen echten Thieren (Metazoen) ist das Epithelium das ein- zige prim are Gewebe; alle anderen sind als secundare Gewebe daraus direct oder indirect horvorgegangen. 2. Das Epithelium tritt iiberall zuniichst als ein einfaches Bl astoderm auf, in der Keimform der Blastula. 3. Durch Invagination der Blastula ent- steht die Gastrula, welche sich aus zwei verschiedenen Epithelien zusammensetzt: aus dera Dermal-Epithel des Exoblast und dem Gastral-Epithel des Entoblast. 4. Alle anderen Gewebe, die wir dem Epithel als „a p o t h e 1 i a 1 e" oder secundare gegen- tiberstellen, entstehen entweder aus dem Exoblast oder aus dem Entoblast. Diese Entstehung ist aber in den verschiedenen Haupt- gruppen des Thierreichs so verschiedeu, dass fiir die weitere Eintheilung der Gewebe die Ontogenie keine allge- mein giiltige Handhabe bietet. 5. Insbesondere besitzt das mittlere Keimblatt oder der Meso blast ( — das friihere Mesoderm — ) keinerlei allgemeine Bedeutung als „histologi- sches Primitiv-Organ", zeigt vielmehr in den verschiedenen Thier- gruppen sehr grosse Verschiedenheiteu, 6. Die secundiiren oder apothelialen Gewebe konnen im Allgeraeinen, mit Bezug auf ihreu verschiedenen Ursprung aus den epithelialen , in drei ver- schiedene ontogenetische Gruppen gebracht werden: a. ptycho- blastische Gewel)e, durch Faltenbildung aus Epithel-Blattern entstanden (z. B. Driisen-Gewebe) ; b. schizoblastische Ge- webe, durch Abspaltung von Epithel-Blattern entstanden (z. B. Muskel-Platten j ; c. mesenchym-Gewebe, durch Austritt ein- zelner Zellen aus Epithel-Blattern und Eiulagerung derselben in ausgeschiedene Zwischensubstanz entstanden (Blut- und Binde- gewebe.) D. Phylogenetisches System der Gewebe: Diehistori- sche Entwicklung der Gewebe aus den Keimblattern der Metazoen- 266 Ernst Haeckel, Stammform ( — Gastraea — ) bedingt ihre Classification. Dieses phylogenetische System ist nach imserer personlichen tjber- zeiigung hier bei deu Geweben, ebenso wie bei den verschiedenen Formen derOrgane und der Thierarten, das einzig nattirliche System. Nach dem bigenetiscben Grundgesetze muss es aber mit dem ontogenetischeu System im Wesentlichen zusammenfallen ; denu die iudividuelle Entwicklung der Gewebe aus den beiden Keimblattern der Gastrula ist ja kein unabhangiger, durch grobe „Mechanik" entstandener Process, son dem eine durch Verer- b u n g bedingte Wiederholung der ^entsprechenden histogeuetischen Processe, durch welche bei einer laugen Reihe verschiedenartiger Vorfahren allmahlig die Entstehung der secundaren Gewebe aus den primaren Keimblattern der Gastraea bewirkt wurde; man konnte diese letzteren geradezu als die „Stammblatter" bezeichnen. Wie diese allmahlige phylogenetische Entstehung der Gewebe Schritt fiir Schritt stattgefunden hat, lehrt uns noch heutzutage die vergleichende Histogenie der uiederen Metazoen, die schon aus diesem Grunde eine hervorragende Bedeutung be- sitzt. Vor Allen haben uns hier die Acalephen — Hydra, die Polypen, Korallen, Medusen , Ctenophoren — den Weg gezeigt, auf welchen die apothelialen secundaren Gewebe ( — Nerven , Muskeln, Connective — ) allmiihlich und auf sehr verschiedene Weise aus den epithelialen primaren Keimblattern hervorgegangen sind. Ver- sucht man auf dieser Grundlage — unter gleichmassiger Beriick- sichtigung der vergleichenden Anatomic und Ontogenie — eine phylogenetische Classification der Gewebe durchzufiihren, so erhalt man dieselben Kategorien, wie beim ontogenetischeu System. VIII. Die Gewebe der Wirbelthiere. Histologic und Ontogenie haben sich, ebenso wie Anatomic und Physiologic, zuerst im Dienste der Medicin entwickelt, und unser menschlicher Organismus war das erste Object, aus dessen Studium die genannten Naturwissenschaften hervorwuchsen. Viele unzerstorbare Merkmale dieses anthropologischen Ursprungs haften denselben auch heute noch an und sind die erste Quelle vieler und verhangnissvoller Irrthiimer geworden. Beruht ja doch auch heute noch der grosste Theil unserer Nomenclatur und Begriflfsbildung in diesen biologischen Disciplinen auf den Anschauungen, welche ur- Ursprung und Entwickelung der thierischen Gewebe. 267 sprunglich durch die Erforschung des menschlichen Korpers ge- woDnen wurden. Die Einfubrung und Anwendung der vergleichenden Methode bezeichnet in alien angefiibrten Wissenscbaften einen Fortscbritt von grosster Tragweite und den Beginn einer neuen und denkenden, mebr oder weniger pbilosopbiscben Forscbungs- weise. Denn durcb die Vergleicbung der boberen mit den nie- deren, der voUkommneren mit den unvollkommneren Zustanden entdecken wir erst den Weg, auf welcbem die ersteren aus deu letzteren sicb entwickelt haben. Die vergieicbende Metbode , ricb- tig angevvendet , ist daber immer zugleicb eiue genetiscbe Metbode. Welcbe unscbatzbaren Frucbte dieselbe fur die Anatomie des Men- scben getragen bat, ergiebt der glanzende beutige Zustand der vergleicbenden Anatomie. In abnlicber Weise berubt nun aucb fiir die Histologic und fur die Ontogenie des Menscben — sicber eine der wicbtigsten Grundlagen der wissenscbaftlicben Medicin — der grosste Fort- scbritt darauf, dass ibr Studium vergleicbend auf die iibrigen Wirbeltbiere und weiterbin auf das gesammte Tbierreicb ausge- debnt wird. Immerbin stosst aber die vergieicbende Metbode bier nocb vielfacb auf Hindernisse und Missverstandnisse, zu deren Be- seitigung wir vielleicbt durcb die nacbfolgenden Scbluss-Betracb- tungen etwas beitragen kounen. Das wicbtigste Princip, welcbes wir bierbei in den Vorder- grund jeder autbropologiscben Betracbtung gestellt seben mocbten, ist der monopby letiscbe Ursprung der Wirbeltbiere. Denn wenn alle Vertebraten — vom Arapbioxus und Cyclostoraen bis zum Affen und Menscben hinauf — wirklicb Abkommlinge eines und desselben Tbierstammes sind, so ergeben sicb daraus selbstverstandlicb zablreicbe, bocbst wicbtige Folgerungen. Es wird dann z. B. fernerbin nicbt gestattet sein, eine ganz ver- scbiedenen Bedeutung der Keimblatter und einen ganz verscbie- denen Ursprung der Gewebe bei niederen und bei boberen Wirbel- tbieren anzunebmen, wie beutzutage nocb einzelne Histologen und Embryologen tbun. Wir baben daber bier zunacbst die Vorfrage zu erledigen, wie weit die Hypotbese von dem gemeinscbaftlicben Ursprung aller Wirbeltbiere tbatsacblicb begriindet ist? Die grosse Mebrzabl der beutigen Zoologen diirfte wobl un- bedenklicb gleicb uns selbst diese Frage in positivem Sinue fiir erledigt erkliiren ; denn die empiriscben Ergebnisse der Palaeonto- logie, der vergleicbenden Anatomie und Ontogenie legen uberein- 268 Ernst Haeckel, stimmend Zeugniss ab fiir die phylogenetische Einheit des Verte- braten-Stammes. Ein eiitschiedener Widerspruch dagegen wird in neuester Zeit nur noch von sehr wenigen Naturforschern fest- gehalten, und unter diesen steht in erster Linie Kolliker. In seiuen beiden niehrerwahnten letzten Arbeiten, wie schon friiher in seiner Entwicklungsgeschichte, driickt er wiederholt seine tJber- zeuguDg aiis, dass dieselben Orgaue bei verschiedenen Wirbeltliieren ganz verscliiedenen Ursprungs seien; wahrend er die Existenz der Amphioxus-Gastrula nicht bestreiten kann und die Coelom- Tlieorie fiir die niederen Wirbelthiere anerkennt, behauptet er gleichzeitig, dass „von eiuer tjbertragung dieser Theorien auf die lioheren Wirbelthiere keine Rede sein kann." Die Chorda und den Mesoblasten lasst er bei den niederen Wirbelthieren aus dem Entoblast, bei den hoheren aus dem Exoblast hervorgehen u. s. w. Dieser Hypothesevom polyphyletischen Urspruug der Wirbelthiere — im Gegensatze zu unserm monophyle- tischen — hat Kolliker neuerlich besonders in seiner Festschrift „Uber die Keimblatter des Kaniuchens" (1882) bestimmteren Aus- druck gegebeu. Er sieht „gar keine Nothigung eine ubereinstim- niende Entvvicklung der zwei primitiven Keimblatter, eine iiberall identische Eutstehung des Mesoblast, der Chorda u, s. w. nach- zuvveisen; vielmehr erscheint es verstandlich , ja als Forderung der Hypothese, dass verschiedene, mehr oder weniger abweichende Eutwickluugsformen vorkommen" (p. 47). Nach Kolliker's Mei- nung ist z. B. „der Keim der Saugethiere von alien bisjetzt be- kannten Embryonalformen verschieden und in keiner Weise der Gastraea-Theorie auzupassen". Als specielles Beispiel fiir die ganzlich verschiedenen onto- genetischen Principien, nach denen sich der Wirbelthier-Organis- mus entwickelt , fiihrt Kolliker sodann die „Beitrage zur Ent- wicklungsgeschichte der Petromyzonteu" von Scott ^) an, deren Keimblatter „ganz abweichende Verhaltnisse darbieten" sollen (p. 47, Anm.). Eine aufmerksame Lecture dieser Abhandlung ergiebt das Gegentheil von dem, was Kolliker behauptet. Scott bemiiht sich keineswegs zu zeigen, dass die Ontogenie der Cyclostomen eine ganz abweichende und von derjenigen der iibri- gen Wirbelthiere principiell verschieden ist, sondern vielmehr um- gekehrt, dass sie in allem Wesentlichen identisch ist, trotz der eigenthiimlichen Dilierenzen, welche sie in vielen NebendiDgen zeigt ; ») Morpholog. Jahrbuch, 1882, M. VII, p. 101. TJrsprung und Eniwickelung der thierisclien Gewebe. 269 Scott erlautert audi sehr gut die Ursachen dieser cenogenetischen „ganz abweichenden Verhitltnisse", welche die wesentliche Iden- titat der palingenetischen Processe in keiner Weise beeintrachtigen. Da KoLLiKER dor vergleiclienden Anatomie und Ontogenie jede Beweiskraft fur die Phylogenie abspricht, und nur „That- sachen" als „exacte Beweismittel" auerkennt, wird es gestattet sein, hier eineu fluchtigen Seitenblick auf die Palaeon tologie der Wirbelthiere zu werfen ; denn diese Wissenschaft ist die eiuzige, welche unmittelbar einleuclitcude thatsachliche Beweise fur die Stammesgeschichte der Thiere liefert. Gliicklicherweise hat sie gerade fur die Wirbelthiere die Haupt-Momente der Phylo- genesis mit Lapidarschrift verzeichnet. Da die alteren, eines festen und versteinerungsfahigen Skelets entbehrenden Vertebrateu (Acranier und Cyclostomen) keine fossilen Reste hinterlassen konn- ten, treten zuerst die Fische auf, und zwar zuerst im Silur und Devon Selachier und Ganoiden, erst viel spater Teleostier ; in der Steinkohle folgen die Amphibien , die altesten unter den penta- dactylen und lungenathmenden Vertebraten. Darauf folgen ira permischen System die ersten Amnioten, die Reptilien; spater in Trias und Jura die Vogel und Saugethiere; von den letzteren treten wieder zuerst die niederen Marsupialien , spater die hohe- ren Placentalien auf u. s. w. Alle palaeontologischen Thatsachen, welche das successive Auftreten der grosseren und kleineren Verte- braten-Gruppen betreflen, entsprechen voUkommen den phylogene- tischen Vorstellungen, welche man sich iiber ihre Stammverwandt- schaft auf Grund der vergleichenden Anatomie und Ontogenie bilden kann; sie sind ebenso viele Beweise fiir den monophy- letischen Stammbaum der Wirbelthiere. Die Grund- ziige dieses letzteren habe ich zuerst 1866 im zweiten Bande der generellen Morphologie entworfen (p. CXVI— CLX) und ausfuhr- licher begriindet in der natiirlichen Schopfungsgeschichte (Vll. Aufl. p. 518—616) uud in der Anthropogenie (III. Aufl. p. 325—520). In den letzterwahnten Schriften habe ich bereits die Grunde erortert, welche bei jeder einzelnen Descendenz-Hypothese fiir den monophyletischen oder polyphyletischen Ursprung einer jeden Orga- nismen-Gruppe geltend gemacht werden konnen. (Schopfungsgesch. p. 373, Anthropogenie p. 597.) Je einfacher uud niedriger die Gruppe organisirt ist, desto eher ist ein vielstammiger Ursprung nioglich; je voUkommener und hoher ditferenzirt die Gruppe ist, desto mehr wird ein einstammiger Ursprung wahrscheinlich. Die Formen-Gruppen der Thier- und Pflanzenklassen verhalten sich 270 Ernst Haeckel, in dieser Beziehung ganz analog wie die Formen-Gruppen der menschlichen Sprachen; fiir die erste Entstehung der niederen Anfange ist eine polyphyletische Hypothese ebenso wahrscheinlicli, als sie fiir die weitere Entwicklung der differenzirten hoheren Sprachen unwahrscheinlich ist. Ich habe diese, in vielfacher Be- ziehung lehrreiche Analogie zwischen den Entwicklungs-Verhalt- nissen der thierischen Formen - Gruppen und der menschlichen Sprach-Gruppen in den angefiihrten Schriften schon fruher welter ausgefiihrt. Kein vergleichender Sprachforscher, welcher das reiche Forraen-Gebiet der arischen Sprachen vollstandig iibersieht, halt einen polyphyletischen Ursprung derselben fiir moglich; sondern alle leiten die verschiedenen Zweige dieses Stammes ( — deutsche und slavische, griechische und lateinische, iranische und indische Sprachen — ) von einer einzigen gemeinsamen Ursprache ab. Aus denselben Griinden sind aber auch jetzt schon fast alle Zoologen, welche das reiche Formen-Gebiet der Wirbelthier-Gruppe griind- lich kennen , dariiber einig , dass alle verschiedenen Klassen der- selben (— von den Acraniern und Cyclostomeu bis zu den Vogeln und Saugethieren — ) von einer einzigen gemeinsamen Stamm- form abzuleiten sind. Amphioxus, als der einzige lebende Vertreter der Acra- nier, steht unter alien uns bekannten Wirbelthieren dieser Stamm- form am nachsten ; so falsch es einerseits sein wiirde , ihn selbst mit dieser Stammform zu identificiren , so unrichtig ist es ander- seits, seine hohe Bedeutung als des einzigen Vertreters jener aus- gestorbenen Stammgruppe zu unterschatzen. Zwar ist von ver- schiedenen Seiten der Versuch gemacht worden, diese ausserordent- liche Bedeutung zu leugnen; bald sollte der Amphioxus gar kein Wirbelthier sein , bald ein degenerirter Abkommling der Fische. Die sorgfaltigen „Studieu iiber Entwicklung des Amphioxus" von Hatschek (1881 1. c), welche die epochemachende Entdeckung von KowALEwsKY bestatigeu und erganzen , haben jene Versuche widerlegt, und die massgebeude Stellung des Amphioxus an der Wurzel des Vertebraten-Stammbaumes fest begriindet. Vor Allem ist nunmehr festgestellt, dass die Keimesgeschichte des Amphioxus in allem Wesentlichen einen palingen etischen Character tragt und nur in untergeordneten Beziehungen cenogenetisch modificirt ist. In Bezug auf die Gastrulation, die Bildung der Chorda, der beiden Coelom-Taschen sowie die weitere Verwendung der vier secundarcu Keimblatter ist die Ontogenie des Amphioxus das ty- pische Paradigma fiir die iibrigeu Wirbelthiere, bei welchen durch Urspning und Entwickelung der tlderischen Gewebe. 271 cenogenetische Complicationen, insbesondere durch Ausbildung des Nahruugsdotters und verschiedener Eihiillen, der urspriingliche palingenetische Keimungs-Process raehr oder weniger „gefalscht" — Oder besser: „gestort" erscheint ^). Nach wie vor bleibt es demnach meine feste tjberzeugung, dass Johannes Muller mit vollem Rechte Amphioxus als den einfachen Urtypus der Wirbelthiere betrachtete, und dass alle Natur- forscher, welche sich mit diesem Stamme beschaftigen ( — insbe- sondere die sogenannten „Antliropologen" — ) vor alien Dingen die vergleichende Anatomie und Ontogenie des Am- phioxus und der Selachier griindlich studiren sollten ; diese sind die wahren Urquellen sowohl fiir die Erkenntniss der Wirbel- thiere im Allgemeinen, als fiir diejenige des Menschen im Be- sonderen. Das gilt namentlich auch von den Anfangen und Grund- lagen der Korperbildung, von der Entstehung der Keimblatter und ihrer Verwendung zur Gewebe-Bildung. Wie viel gefahrlicher Irr- thum und unnutzer Streit ware uns auf diesem wichtigen Gebiete erspart geblieben, wenn die Mehrzahl der Beobachter von jenen palingenetischen niederen Wirbelthieren ausgegangen ware, statt von den viel schwierigeren, stark cenogenetischen Vogeln und Sauge- thieren ! Wenn man dieser Auffassung zustimmt und wenn man fiir die gesammte Naturgeschichte der Wirbelthiere die monophyle- tische Descendenz-Hypothese als massgebende Richtschnur — oder raindestens als heuristisches Princip — anerkennt, so ergeben sich schon bei demjetzigen unvollkommenenZustande ihrer vergleichenden Ontogenie eine Anzahl von sicheren und wichtigen Schliissen, welche fiir die meisten vorher beriihrten Fragen, insbesondere fiir das Problem vom Ursprung der Gewebe, entscheidend sind. Man wird es danii nicht mehr fiir moglich halten, dass Chorda und Meso- blast bei den Fischen und Amphibien aus dem Entoblast, bei Vogeln und Saugethieren aus dem Exoblast entstehen; oder dass Central-Nervensystem und Blutgefasssystem sich bei den ersteren nach ganz anderen Principien entwickeln , als bei den letzteren. ^) Dass Amphioxus und die parasitischen Cyclostomen in Folge ihrer eigenthiimlichen Lebensweise vielfach degenerirt sind, habe ich schon friiher betont; um so wichtiger ist es, dass trotzdem der palingenetische Character ihrer Keimung im Wesentlichen erhalten bleibt. Die Ansicht, dass Amphioxus ( — als „verlorener Sohn der Wirbelthiere" — ) durch Degeneration aus Fischen entstanden sei, findet in seiner palingenetischen Keimesgeschichte keine Spur von Begriindung. 272 Ernst Haeckel, Man wird vielmehr einheitliche Principien fur die Entwicklung der Gewebe und Organe bei alien Wirbelthieren aufsuchen; und dafiir mochten wir schliesslich folgende zwanzig Thesen aufstellen : 1) Bei alien Wirbelthieren ist das alteste Primitiv-Organ ein einfaches Epithel, das Blastoderm oder „Urkeimblatt" (palin- genetisch nur in der Blastula des Amphioxus conservirt, bei alien Cranioten mehr oder weniger cenogenetiscli modificirt). 2) Aus diesem Primitiv-Organ ersten Ranges sind durch In- vagination zunachst zwei Primitiv-Organe zweiten Ranges entstan- den, die beiden Blastophylle oder primaren Keimblatter der Gastrula (palingenetisch nur in der Leptogastrula des Amphioxus conservirt, bei den Cyclostomen, Ganoiden, Amphibien schwacher, bei den Selachiern und Teleostiern, Reptilien und Vogeln starker, bei den Saugethieren am starksten durch Cenogenie abgeandert). 3) Die beiden primaren Keimblatter sind ursprunglich ein- fache Epi the lien und sind somit allein als das primare Ge- webe zu betrachten; alle anderen Gewebe sind secundiir aus ihnen hervorgegangen, apothelial. 4) Der Exo blast (oder Epiblast), das animale Blastophyll, liefert bei alien Wirbelthieren die Epidermis nebst alien Anhangs- gebilden (Drusen , Haaren u. s. w.) und das Nerven-System (mit den wichtigsten Theilen der Sinnes-Organe). 5) Der Entoblast (oder Hypoblast), das vegetative Blasto- phyll, liefert alle tibrigen Organe und Gewebe, und zwar entste- hen aus dem unpaaren Mitteltheil der Darm („Gastral-Entoblast" Oder „Darmdrusenblatt") und die aus seiner dorsalen Mittellinie sich abschnurende Chorda („Chordal-Entoblast") , aus den beiden lateralen Divertikeln oder Coelom-Taschen der Mesoblast, welcher alle tibrigen Organe liefert. 6) Der Mesoblast (oder das Mittelblatt), das echte „mitt- lere Keimblatt", ist demnach bei alien Wirbelthieren ein secunda- res Product des primaren Entoblast und wird uberall in gleicher Weise dadurch gebildet, dass aus letzterem die paarigen Coe- lom-Taschen (Sacculi coelomares) seitlich hervorwachsen und sich von ihm abschnuren. Indem rechte und linke Coelom-Tasche in der dorsalen Mittellinie getrennt bleiben (durch das Mesente- rium), in der ventralen Mittellinie hingegen sich vereinigen, ent- steht die einfache Leibeshohle (Coeloma). 7) Durch das Coelom werden demnach die beiden Mittel- blatter getrennt, welche nur durch das Mesenterium zusammen- hangen: der parietale Mesoblast (oder das Hautfaserblatt, Lamina inodermalis) und der viscerale Mesoblast (oder das TJrsprung und Entwickelung der thierischen Gewebe. 273 Darmfaserblatt , Lamina inogastralis) ; ersteres liefert die Haupt- masse der Leibes-Muskulatur, letzteres die Hauptmasse der Darm- muskulatur. 8) Die vier secundaren Keimblatter der Wirbelthiere (oder die vier „B] astoplatten") verhalten sich demnach zu den zwei primaren dergestalt, dass der Exoblast bloss das Haut- sinnesblatt liefert, hingegen der Entoblast die drei iibrigen Blatter. 9) Das Mesenchym der Wirbelthiere, welches grosstentheils zur Bildung von Blut- und Bindegewebe verwendet wird , kann aus jedem der vier secundaren Keimblatter hervorgehen, entsteht vorwiegend jedoch aus deni Mesoblasten. 10) Am entwickelten Wirbelthier-Korper konnen histologisch die beiden epithelialen Grenzblatter (Methoria) — iiusseres Exoderm und inneres Entoderm — und das dazwischen gelegene Massenblatt oder Mesoderm unterschieden werden. 11) Das Exoderm oder das aussere Grenzblatt (Methorium parietale) besteht nur aus einem Theile des Exoblasten, aus der Epidermis und ihren Anhiingen. 12) Das Entoderm oder das innere Grenzblatt (Methorium viscerale) besteht nur aus einem kleinen Theile des Entoblasten — Epithel des Mesodaeum und aller seiner driisigen Anhange — und aus zwei Abtheilungen des Exoblasten: Epithel des Stomo- daeum und des Proctodaeum. 13) Das Mesoderm ist der gemeinschaftliche Complex aller iibrigen Theile und besteht aus verschiedenartigen Geweben, welche direct oder indirect von den beiden primaren Keirablattern ab- stammen: vom Exoblasten das Nervensystem und die wichtig- sten Theile der Sinnes-Organe, vom Entoblasten die Chorda, die Producte der beiden Coelom-Taschen und dasMesenchym-Gewebe. 14) Die verschiedenen Gewebe der entwickelten Wirbelthiere konnen mit gleichzeitiger Riicksicht auf ihren Ursprung und ihre Functionen in folgende fiinf Gewebs-Gruppen gebracht werden : Epithel-, Nerven-, Muskel-, Blut-, Binde-Gewebe. 15) Das Epithel -Gewebe der Wirbelthiere zerfallt in vier wesentlich verschiedene Gruppen: A. Exepithel oder Chro- tal- Epithel („Exoblastisches Epithel"): Epidermis nebst drii- sigen und appendicularen Producten, Epithel der Mundhohle und Afterhohle, Ependyma, Sinnes-Epithel der Sinnes-Organe (Retina, Pigmentosa, akustisches Labyrinth-Epithel , Geruchs-Epithel der Nase u. s. w. (sammtlich Producte des primaren Exoblasten), B. Endepithel oder Gastral-Epithel („Endoblastisches Epi- Bd. XVIII, N. F. XI. J 8 274 Ernst Haeckel, thel"): Gastrodermis oder Epithel des Darms und der Darmdrii- sen, nach Ausschluss der Mund- und Afterhohle etc. (sammtlich Producte des primaren Entoblasten). C. Mesepithel oder Coe- lom-Epithel oder „raesoblastisches Epithel" (ein Theil des „Endothel"): Coelom - Epithel (Pleuroperitoneal- und Pericardial- Epithel), Sexual-Epithel vom Ovarium und Spermariura (Ei und Sperma), Nieren-Epithel (sammtlich Producte der mesoblastischen Coelomtaschen - Epithelien). D. Desmepithel oder Desmal- Epithel (ein Theil des „Endothel"): Epithel der Blut- und Lymph- gefasse, der Gelenkhohlen und Schleimbeutel , der serosen Sacke, der Osteoblasten , Odontoblasten u. s. w. (sammtlich secundare Epithelial -Producte des Mesenchym). 16) Das Nervengewebe der Wirbelthiere ist entweder ganz oder grosstentheils exoblastischen Ursprungs und kann herkomra- licher Weise eingetheilt werden in Nervenzellen und Nervenfasern ; die letzteren zerfalleu wieder in marklose und markhaltige Ner- venfasern, die ersteren in Ganglienzellen und Sinneszellen. Zwar wird jetzt gewohnlich angenommen, dass das ganze Nervensystem der Wirbelthiere aus dem Exoblasten entsteht; indessen ist es sehr moglich, dass ein Theil desselben (z. B. manche sympathische Ganglien- und Fasernetze) aus entoblastischen Mesenchym-Zellen hervorgegangen ist, wie bei vielen Wirbellosen geschieht. Ferner ist es wahrscheinlich, dass nur die sensiblen Nerven-Wurzeln des Cerebrospinal-Sy stems (gleich den Central-Organen) vom Exoblasten abstammen, hingegen die motorischen Wurzeln (gleich den Muskeln) vom Mesoblasten. 17) Das Muskel-Gewebe der Wirbelthiere ist entweder ganz oder grosstentheils entoblastischen Ursprungs und zwar aus dem Mesoblasten hervorgegangen: Der grosste Theil der querge- streiften Muskulatur aus dem parietal en Coelom-Blatt, der grosste Theil der glatten Muskulatur aus dem visceralen Coelom-Blatt; doch ist es sehr moglich, dass ein Theil derselben (z. B. die glat- ten Muskeln des Corium und der Blutgefasse) aus Mesenchym- Zellen hervorgeht, wie bei vielen Wirbellosen geschieht. 1 8) Das Connectiv-Gewebe der Wirbelthiere ist grossten- theils aus Mesenchym hervorgegangen, und zwar aus Mesenchym- Zellen , welche entweder vom Exoblasten oder vom Entoblasten ursprunglich abstammen ; der grosste Theil wahrscheinlich von dem aus letzterera entstandenen Mesoblasten. Da augenblicklich iiber den Ursprung der Bindesubstanzen bei den Wirbelthieren noch die grossten Widerspriiche herrschen, so ist diese schwierige Frage zur Zeit nicht zu entscheiden; sicher ist nur, dass ihre Entwicke- Ursprung und Eutwickelung der thierischen Gewebe. 275 lung uicht iu einem nothwendigen und unmittelbaren Causal-Nexus zu derjenigen des Haemalgewebes steht. Wahrscheinlich konnen echte Bindegewebe jedeizeit local dadurch entstehen, dass einzelne Zellen („Mesenchym-Zellen") aus Epithelien austreten und als „Wan- derzellen" in der gleichzeitig ausgeschiedenen Zwischen - Substanz welter wachsen. Ein Connectiv von rein epithelialem Ursprung ist die Chorda. Die verschiedenen Formen des Connectivs: Knor- pel-, Knochen-, Dentin-, Fett-, Fiill-, Schleimgewebe u. s. w. gehen einerseits vielfach ineinander iiber und stehen anderseits vielfach mit Epithelien (Osteoblasten , Synovial-Epithelien u. s. w.) in un- mittelbarem genetischen Zusammenhang. 19) Das Haemalgewebeder Wirbelthiere (Blutzellen, Lymph- zellen , Eiterzellen , indilferente Wanderzellen u. s. w.) ist gleich dem Connectiv wesentlich aus Mesenchym-Zellen entstanden ; diese stammen wahrscheinlich grosstentheils aus dem visceralen Meso- blast (Oder dem „Gefassblatt"). Der Umstand, dass beim Embryo der hoheren Wirbelthiere die Entwickelung der Blutgefasse und des Blutes von der Urmundgegend (oder dem „Keimwulste") aus- geht und ontogenetisch von der ventralen gegen die dorsale Mit- tellinie hinwachst („von der Peripherie der Keimscheibe gegen die Axe") , erklart sich einfach daraus , dass bei den Wirbelthieren das phylogenetische Entwickelungs-Centrum des Blutgefasssystems die beiden medianen Darmgefasse sind; die Aorta auf der dorsa- len, die Centralvene mit ihrer localen Erweiterung, dem Herzen, auf der ventralen Mittellinie des Darmrohrs. 20) Die weitere Entwickelung der Gewebe aus den angefuhr- ten Primitiv-Organen und ihr Zerfall in zahlreiche und verschie- denartige Local-Gewebe geschieht bei den Wirbelthieren (ebenso wie bei den Wirbellosen) nach dem Princip der histologischen Differenzirung. Dieser ontogenetische Process, wie er gegen- wartig in kurzer Frist am Embryo ablauft, ist durch eine lange Vererbungs-Reihe von den Vorfahren iibertragen worden, von welchen derselbe durch Anpassung an verschiedene Functionen (phylogenetische Arbeitstheilung und Arbeitswechsel der Zellen) wahrend langer Zeitraume langsam erworben wurde. Die onto- genetische „Diflferenzirung der Gewebe" ist also nur dadurch zu verstehen und zu erklaren, dass wir in ihr eine Recapitulation der phylogenetischen Arbeitstheilung der Zell-Gruppen er- blicken: die Histologie liefert somit eine neue Bestatigung fiir das biogenetische Grundgesetz. Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies, eine Theorie der Vererbung. Von Dr. Oscar Hertwig. Als ich vor zehn Jahren an den Eiern der Echinodermen beobachtet hatte, dass bei der Befruchtung ein Samenfaden in das Ei eindringt und dass der Eopf desselben im Eiprotoplasma zu einem kleinen Kern wird, welcher allein dem Eikern entgegen wandert und mit ihm copulirt, drangte sich mir naturgemass die Frage auf: was ist das Wesentliche beim Befruchtungsvorgang- und welcher Stofi ist bei der Befruchtung der wirksame? In meiner Habilitationsschrift „zur Kenntniss der Bildung, Befruch- tung und Theilung des thierischen Eies ^)" versuchte ich hierauf eine Antwort zu geben, indem ich in einer These die Theorie auf- stellte: „Die Befruchtung beruht auf der Verschmel- zung von geschlechtlich diff erenzir ten Zellkernen." Dieser Satz schliesst zweierlei Behauptungen in sich ein, 1. dass die Kernsubstanz und nicht das Protoplasma der befruch- tende Stoff ist, und 2. dass die Kernsubstanz als ein geformter, organisirter Bestandtheil zur Wirkung kommt, dass mithin die Befruchtung ein morphologischer Vorgang ist , welcher der Beob- achtung direct zuganglich ist. Da nun mit der Befruchtung die tJbertragung der Eigenschaften des Vaters auf das aus dem Ei entstehende Thier nothwendig verkniipft ist, lasst sich aus der aufgestellten Theorie noch die weitere, nahe liegende Folgerung Ziehen, dass die Kernsubstanzen zugleich die Trager der Eigen- schaften sind, welche von den Eltern auf ihre Nachkomraen ver- erbt werden 2). So schliesst die Befruchtungstheorie in der von mir gegebenen Fassung, wenn sie weiter durchgefiihrt wird, auch noch eine Vererbungstheorie in sich ein. ^) OscAE Heetwig, Beitrage zur Kenntniss der Bildung, Be- fruchtung und Theilung des thierischen Eies. Morpholog. Jahrbuch. Bd. 1. 1875. =^) Wie nahe es liegt, den Befruchtungsstoff zugleich auch als Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies u. s. w. 277 Meine Ansicht, an welcher ich nach wie vor festhalte, hat Anfangs auf manchen Widerstand gestossen, und nur vereinzelte Stimmen sind laut geworden, welche ihr beipflichteten oder unab- hangig von ihr Ahnliches vortrugen, wie eine kurze historische Darstellung ergibt. Zunachst ist hier daran zu erinnern, dass Haeckel schon im Jahre 1866 in seiner generellen Morphologie 0 aus Grunden, die bei dem ungeniigenden Beobachtungsmaterial der damaligen Zeit sehr unbestimmter Natur sein mussten , den Satz ausgespro- chen hat: „der innere Kern babe die Vererbung der erblichen Charactere, das aussere Plasma dagegen die Anpassung, die Ac- comodation oder Adaptation an die Verhaltnisse der Aussenwelt zu besorgen." „Fiir diese Autfassung", meinte Haeckel „durfte namentlich die bedeutende Rolle sprechen, welche der Kern allgemein bei der Fortpflanzung der Zellen spielt. Fast immer geht der Theilung des Plasma die Theilung des Zellenkerns vorher, und die beiden so entstandenen Kerne wirken nun als selbstandige Attractions- centra, um welche sich die Substanz des Plasma sammelt. Das Plasma dagegen ist von grosserer Bedeutung fur die Ernahrung der Zelle. Ihm scheint bei der Zellenvermehrung eine mehr pas- sive Rolle zugetheilt zu sein und seine Hauptaufgabe scheint in der Zuflihrung des Nahrungs - Materials zum Kerne und in der Vermittelung des Verkehrs der Zelle mit der Aussenwelt zu lie- gen. Wenn wir demgemass das Plasma vorzugsweise als den nutri- tiven, den Nucleus dagegen vorzugsweise als den reproductiven Bestandtheii der Zelle ansehen konnen und wenn wir dazu den im funften Buche nachgewiesenen Zusammenhang einerseits zwi- schen der Ernahrung und Anpassung, andererseits zwischen der Fortpflanzung und Erblichkeit in Erwagung Ziehen, so werden wir mit Recht den Kern der Zelle als das hauptsachliche Organ der den Vererbungsstoff aufzufassen , geht daraus hervor , dass Kebee, welcher im Jahre 1853 das Eindringen der Samenfaden in das Ei auf Grund falscher Beobachtungen gelehrt hat, damals schon den Ausspruch that : „die Ahnlichkeit der Kinder mit den Eltern muss vorzugsweise , weuD nicht ausschliesslich , materiell erklart werden, well in dem kindlichen Organismus nachweislich eine innige Ver- mischung der von beiden Eltern herstammenden Zellkerne stattge- fimden hat." Ein kurzes Eeferat vou Kebee's Arbeit „tJber den Ein- tritt der Samenzellen in das Ei" siehe in meiner Habilitationsschrift. ') E. Haeckel, Generelle Morphologie der Organismen. Bd. I Seite 288. 278 Oscar Hertwig, Vererbung, das Plasma als das hauptsachliche Organ der Anpas- sung betrachten konnen," Eine nahere Begrundung und Ausarbeitung konnte diese Hy- pothese zu einer Zeit, wo die Kenntniss vom Wesen des Zellkerns noch eine sehr oberflachliche war, nicht finden, auch schlug Haeckel spater selbst einen Weg ein, der ihn von seiner Hypothese ab- fiihrte, indem er den Kern in der Eizelle sich auflosen und diese auf ein Monerulastadium zuriicksinken Hess, in dem Moment, wo der Kern als Vererbungsorgan seine Rolle bei der Fortpflanzung batte betbatigen miissen. Neuerdings hat Sachs ^ ) eine der meinigen ahnlicbe Ansicht in seinem Lehrbuch der Pflanzenphysiologie geaussert in folgen- den kurzen auf Seite 943 und 945 entbaltenen Satzen: „Die neuesten Untersuchungen von Schmitz, Strasbueger, Zacharias u. A. fiihren zu dem Resultat, dass der Befruchtungsstoff in der Kernsubstanz , dem Nuclein der mannlichen Zelle, zu suchen sei" und spater: „Was durch die Zoospermien in die Eizelle hinein- getragen wird, ist das Nuclein; denn man darf glauben, dass die einzige Bedeutung der nicht aus Nuclein bestehenden Cilien eben nur die von Bewegungsorganen ist." Endlich heisst es an einer dritten Stelle: „Als Hypothese kann man einstweilen die Annahme festhalten, dass das Nuclein der beiden Geschlechtszellen nicht von gleicher Beschaffenheit sei und dass das Nuclein der mannlichen Zelle also doch etwas an- deres in die Eizelle hineintragt, als was dieselbe schon besitzt. In dieser unvollkommenen Form mussen wir einstweilen das hier kurz behandelte Problem liegen lassen," Einen von dem meinigen mehr oder minder abweichenden Staudpunkt hinsichtlich der Aufgabe, welche die verschiedenen Substanzen der Zelle bei der Befruchtung erfullen, haben Stras- burger, van Beneden, Hensen u. a. eingenommen. Strasburger 2) beobachtete bei den Schwarmsporen von Ace- tabularia und in anderen ahnlichen Fallen, dass „die vorderen, farblosen Stellen und die andern sich entsprechenden Theile der Korper mit einander verschmelzen." Er erweiterte daher in seiner Schrift uber Befruchtung und Zelltheilung die von mir ausge- sprochene Ansicht: die Befruchtung beruhe allgemein auf der Copulation zweier Kerne, indem er noch hinzufugte, dass „eine ^) J. Sachs, Yorlesungen iiber Pflanzenphysiologie, pag. 943, 945. '-*) E. Steasbukgeb , tJber Befruchtung und Zelltheilung. 1878. Seite 75—77. Das Problem der BefrucMung und der Isotropie des Eies u. s. w. 279 Copulation auch zwischen den iibrigen gleichwerthigen Bestand- theilen der Spermatozoen und des Eies vor sich gehe." Nach Strasburger's Befruchtungstheorie , welche er fiir das ganze or- ganische Reich aufstellt, siud es „die gleichwerthigen Theile beider Zellen, die sich bei der Befruchtung vereinigen." In einer spateren Schrift hat Strasburger ^ ) seine Ansichten ein wenig modificirt, insofern er jetzt der Thatsache mehr Rech- nung tragt, dass bei den Spermatozoen der Cryptogamen und der Thiere die Reduction des Zellplasma sehr weit geht und der Kern schliesslich fast allein nur iibrig bleibt. Zwar halt er auch fiir diese Falle seine oben referirte Befruchtungstheorie, weil sie so klare Stiitzen bei vielen Algen finde, noch aufrecht, aber er legt „der Reduction des Protoplasma und der Verstarkung des Zell- kerns, wie sie bei den Spermatozoen der Cryptogamen und der Thiere erfolgt sei, eine tiefere Bedeutung bei." Er lasst die Kerne in Beziehung zur Bildung der Eiweissstoffe stehen. Da nur auf letzteren die Existenz der Organismen basire, so findet er es be- greiflich, dass „es auf die Starkung des Zellkerns bei der Befruch- tung vornehmlich ankommen konne." Ebenso wenig wie Strasburger kann sich van Beneden ^) entschliessen , das Nuclein als die allein befruchtende Substanz anzuerkennen, obwohl er demselben die Hauptrolle zuertheilt. „I1 est certain", heisst es an einer Stelle seines kiirzlich iiber Ascaris megalocephala erschienenen Buches, „que le zoosperme apporte dans le vitellus non seulement un noyau, mais aussi du protoplasme. Rien n'autorise a affirmer que le role du protoplasme spermatique est secondaire dans la fecondation; mais j'ai signale quelques faits qui permettent de douter de I'importance de I'apport protoplasmique." An einer zweiten Stelle sagt v. Beneden: „La fecondation implique essentiellement une substitution, c'est a dire, le rempla- cement d'une partie de la vesicule germinative par des 616raents nucleaires provenant du zoosperme, et p^ut-etre aussi d'une por- tion du protoplasme ovulaire par du protoplasme spermatique." Hensen 3) endlich legt zwar ebenfalls auf die Kernverschmel- zung das Hauptgewicht , meint aber, dass jedenfalls neben der ') Ed. Stkasbctkger, tJber den Bau und das Wachsthum der Zell- haute. 1882, pag. 250 — 252. 2) E. TAN Beneden, Recherches sur la maturation de I'oeuf, la fecondation et la division cellulaire. 1883, pag. 397 — 404. 3) Heemann, Handbuch der Physiologie Bd. VI. Hensen, Phy- siologie der Zeugung pag. 127. 280 Oscar Hertwig, Kernmasse des Zoosperras auch protoplasmatische Substanz in das Ei eingehe, was zu vernaclilassigen kein Grund vorliege." Auch noch in anderen Beziehungen herrschen bedeutsame Meinungsverschiedenheiten. Wie ich spater noch im Einzelnen zei- gen werde , wird dartiber gestritten , ob die befruchtende Sub- stanz nur in organisirtem oder auch in gelostem Zustand zur Wirkung komnie , ob die Befruchtung ein rein physiologischer Oder zugleich auch ein morphologischer Vorgang sei. Ferner ist die Frage, welche Rolle die Kernsubstanz bei der Vererbung spiele, kaum ernstlich beriihrt worden. Es erscheint mir daher bei dem Zuwachs, welchen unsere Kenntniss von der Zelle und dem Kern im letzten Jahrzehnt er- fahren hat, als eine zeitgemasse und lohnende Aufgabe, das Pro- blem der Befruchtung und Vererbung einer eingehenden kritischen Erorterung zu unterwerfen. Hierbei will ich die Griinde ausein- andersetzen , welche mich jetzt mehr wie fruher an der vor 10 Jahren aufgestellten Befruchtungstheorie festhalten lassen; zugleich werde ich auch die Theorie nach den verschiedenen Kichtungen hin noch weiter auszubauen versuchen. Das vorliegende Problem gliedert sich in drei Theile, welche in drei Capiteln besprochen werden sollen. Im ersten Capitel ist der Nachweis zu fiihren, dass die Kern- substanz allein der Befruchtungsstoif ist, welcher die Entwicklung anregt. Im zweiten Capitel werde ich die verschiedenen und zahl- reichen Griinde zusammenstellen, welche sich dafiir geltend machen lassen, dass der befruchtende Stoff oder die Kernsubstanz zugleich auch der Trager der Eigenschaften ist, welche von den Eltern auf ihre Nachkommen vererbt werden. Im dritten Capitel wird sodann auf Grund der im ersten und zweiten Abschnitt gewonne- nen Erfahrungen auf das Verhaltniss einzugehen sein , in welchem Protoplasma und Kern der Zelle zu einander stehen. Erstes Capitel. Die Keriisul>staiiz ist der Befruchtungsstoff. Es soil der Satz bewiesen werden, dass: „die Kernsubstanz der Befruchtungsstoff ist, welcher die Entwicklungsprocesse erregt." Hierfiir spricht meiner Meinung nach: 1. der ganze Verlauf Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies u. s. w. 281 des Befruchtungsprocesses selbst, 2. die Modification, welche der Vorgang bei solchen Eiern erleidet , die vor beendeter Reife, das heisst, vor oder wahrend der Bildung der Richtungskorper, be- fruchtet werden, 3. die Thatsache, dass haufig die embryonale Entwicklung sich in iliren Anfangsstadien nur in einer Verviel- faltigung des Kerns aussert. 1. Was den ersten Punct anbetrifft, so ist gleich hervorzu- heben, dass sich die Befruchtung uberall ira Thierreich in wesent- lich derselben Weise vollzieht. Ein Samenfaden dringt in die Oberflache des Dotters ein, hier bildet sich sein Kopf in ein kugeliges Kernchen uni, das allmahlich durch Aufnahme von Kernsaft etwas anschwillt und sich vom contraction Faden ablost. Wie nun friiher der Samen- faden das Ei aufgesucht hat, so wandert jetzt der Spermakern in gerader Richtung dem Eikern entgegen, welcher sich gleich- falls, wenn auch viel langsamer, in Bewegung setzt. Beide Kerne, durch den Dotter einander entgegen strebend , treifen sich nach einiger Zeit, legen sich fest zusammen, platten sich mit den Beriih- rungsflachen gegenseitig ab und verschmelzen nach einiger Zeit zu dem Keimkern. Die unmittelbare Folge hiervon ist gewohnlich der sofortige Eintritt der embryonalen Theilung. Auch diese beginnt wieder mit Veranderungen des Keimkerns, an welche sich dann erst in zweiter Linie Veranderungen des Protoplasma anschliessen. Eine Analyse dieses Vorganges lehrt auf das Unzweideutigste, dass das Eindringen einesSamenfadens in das Ei an sich zur Befruchtung noch nicht geniigt, sondern gleichsam nur die Einleitung oder der erste Schritt zu derselben ist. Die Verschmelzung der Substanz eines Spermatozoon mit der Eirinde ist nicht im Stande, auch nur irgend einen Entwicklungs- process anzuregen ; stets ist fiir das Zustandekommen der Befruch- tung eine Reihe von Erscheinungen unerlasslich , welche sich im Innern des Dotters zwischen dem nucleinhaltigen Theil oder dem Kopf des Samenfadens und dem Eikern vollziehen, Unterbleibt die Kernverschmelzung aus irgend einer storenden Ursache, so unterbleibt nothwendiger Weise auch die Eifurchung. Lehrreich ist hierfur eine Beobachtung, welche uns Auer- BACH *) in seinen organologischen Studien mittheilt. Bei Ascaris nigrovenosa konnte er einmal beobachten, „dass die beiden Kerne 1) Leop. Auekbach, Organologisohe Studien. Heft II, pag. 217. 282 Oscar Hertwig, einander verfehlten. Sie drangen, von seitlich verschobenen An- fangspunkten ausgehend, gegen die Mittelgegend des Eies vor, zogen aber hier bei einander voriiber, ohne sich zu beriihren, und jeder derselben drang bis weit hinein in die entgegengesetzte Ei- halfte vor. Bald darauf starben die beiden Kerne ab, indem sie zackig und scharf contourirt wurden, womit die Weiterentwicklung des Eies definitiv sistirt war". Das Eine ist also tiber alien Zweifel erhaben — worin mir iibrigens auch alle Forscher, welclie den Vorgang geuauer verfolgt haben, zustimmen werden — dass die Kernsubstanz ein Befruch- tungsstoff ist. Nur fragt sich jetzt, ob ausser ihr auch noch dem Protoplasma eine solche Bedeutung zuzuerkennen ist. Hier liegt nun der Sachverhalt so, dass, wenn das Sperma- tozoon in das Ei eingedrungen ist, wir von der Geissel, welche wohl schliesslich mit dem Dotter verschmilzt, auch nicht irgend- welche wahrnehmbare Einwirkung auf die Eutwicklung der Eizelle ausgehen sehen. Wenn wir uns bei unseron Deutungen allein an das Wahrnehmbare halten wollen, so konnen wir mit Recht nur das Eine sagen , dass die Geissel ein Bewegungsorgan ist und die Aufgabe hat, den Spermakern mit dem Ei in Beriihrung zu bringen. Die Annahme dagegen, dass die Geissel zugleich auch ein Befruchtungsstoff ist, wurde vollstandig aus der Luft gegriffen sein. Noch mehr offenbart sich die befruchtende Wirkung des Kerns in den Fallen, wo die Samenfaden in die Eizellen vor Abschluss ihrer vollstandigen Reife eiudringen, wie bei den Nematoden , Hi- rudineen, den Mollusken und anderen. Am Klarsten zeigen dies wohl die Nematoden, uber welche die schoneu Untersuchungen von vanBeneden 1) uud Nussbaum 2)handelu. Hier bleiben die grossen Samenkorper, welche die Gestalt einer Spitzkugel haben, langere Zeit nach ihrem Eindriiigen ganz unveriiudert in ihrer urspriing- lichen Gestalt in der Eirinde liegen. Trotz ihres Eindringens kann der embryonale Entwicklungsprocess noch nicht beginnen, well der Eikern, mit dem der Spermakern verschmelzen muss, noch nicht gebildet ist. Dies geschieht erst nach dem Hervorknospen der Richtungskorper; alsdann gcht auch der eingedrungene Samen- korper als solcher zu Grunde, der Spermakern setzt sich in Be- ^) E, VAN Beneden, Eecherches sur la maturation de I'oeuf, la fecondation etc. 1883, 2) MoEiTz Ntjssbaxjm, tiber die Yeranderungen der Geschlechts- producte bis zur Eifurchung. Archiv fiir mikroskopische Anaiomie 1 884. Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies u. s. w. 283 wegung, die Kernverschmelzung erfolgt, die embryonale Entwick- lung beginnt. Mit Recht unterscheidet daher van Beneden ^) das Ein- dringen des Samenfadens als eiiien besonderen Act von der eigent- lichen Befruchtung; er findet diesen Act in mancher Hinsicht ver- gleichbar der Einfiihrung des Saniens in die Geschlechtsorgane eines Weibchens und er wendet demgemass, um die Einfiihrung des mannlichen Elements in den Korper des Eies zu bezeichnen, das Wort „Copulation der Geschlechtsproducte" an. Es copuliren also zwei vollstandige Zellen mit einander, aber nur die Kerntheile befruchten, indem sie den Entwicklungsprocess anregen. Hierfiir sprechen drittens noch die Erscheinungen, welche wir bei den Eiern vieler Arthropoden beobachten. Im ersten Abschnitt der embryonalen Entwicklung theilt sich allein der Keimkern suc- cessive in eine grosse Zahl von Tochterkernen, wahrend der Dotter relativ unveriindert und ungetheilt bleibt. Die Befruchtung hat hier zunachst nichts anderes bevvirkt als eine Vermehrung der Kernsubstanz und eine Individualisirung oder Zerlegung derselben in zahlreiche Centren. Es lassen sich noch andere Gesichtspuncte fiir die These, welche wir an die Spitze des ersten Capitels gestellt haben, gel- tend machen; dieselben finden aber besser ihre Besprechung im folgenden zweiten Abschnitt. Zweites Capitel. Die befruchtende Substanz ist zugleich auch Trager der Eigenschaften, welche von den Eltern aiif ilire Nach- kommen vererbt werden. lira die vorstehende Behauptung naher zu begriinden , gehen wir am besten von dem auf Erfahrung beruhenden Satz aus: Alle auf geschlechtlichem Weg erzeugten Organismen ahneln im Allgemeinen beidenEltern gleich viel, in- dem sie von Beiden Eigenschaften geerbt haben. Wir diirfen, wie es von Seiten Nageli's^) geschehen ist, aus dieser Thatsache schliessen, dass die Kinder von Vater und Mutter gleiche Mengen wirksamer 1) E. V. Benivden loco cit. pag. 138—39. ^) C. v. Nageli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstam- mungslehre. 1884, pag. 109. 284 Oscar Hjertwig, Theilchen empfangen, welche Trager der vererbten Eigenschaften sind. „Spermatozoon uud Ei muss man sich", um mit Pfluger^) zu reden, „nothwendiger VVeise als zwei im Wesentlichen gleich- artige, eiiie neue Einheit zeugende Potenzen denken." Wir wollen jetzt sehen , wie sich zu dieser theoretischen Annahme einer Aequivalenz der wirksamen Keim- stoffe die Thatsachen stellen. Nur bei den allerniedrigsten Organismen gleichen sich die beiderlei Geschlechtszellen , wie die scliwarmendeu Gameten von Acetabularia, indem sie in ilirer Gestalt und in ihrer Grosse iiber- einstimmen. Sie liefern die Falle, auf welche Strasbueger seine Befruchtungstheorie , dass sich Kern mit Kern, Protoplasma mit Protoplasma vereinige, gegriiudet hat. Von diesen wenigen Fallen abgesehen, lehrt uns ein Uberblick iiber das Organismenreich, dass die copulirenden Geschlechtszellen einander ausserordentlich ungleichwerthig an Grosse, Gestalt und chemischer Zusammeusetzuug sein konnen und dass im Allgemei- nen diese Ungleichwerthigkeit von den niederen zu den hohereu Organismen zunimmt. Es werden schliesslich die Samenfaden von einer ganz ausserordentlichen Kleinheit im Verhaltniss zu den grossen Eiern, so dass sie in besonders extremen Fallen kaum den hun- dert Millionsten Theil der letzteren oder sogar noch viel weuiger ausmachen. Wir sehen somit, dass zwei an Masse ganz verschiedene Ele- mente die gleiche Vererbungspotenz besitzen. Es fragt sich, wie ist diese Thatsache mit dem Satz, der den Ausgangspunct unserer Erorterung bildet, in Einklang zu bringen. Hier konnen zwei Hypothesen aufgestellt werden. (Siehe auch Nageli loco cit.) Entweder miissen wir aunehmen, dass der maun- liche Keimstofi in demselbeu Maasse, als er an Quantitat geringer ist, eine grossere Wirksamkeit als der weibliche Keimstofi" hat , oder wir miissen zu der zwei ten Hypothese greifen, dass die Geschlechts- zellen aus verschiedenen Stoflfeu besteheu, von welchen die einen in Bezug auf die Vererbung wirksam, die anderen unwirksam sind, und dass die bedeutende Grossenzunahme der Eier auf An- sammlung unwirksamer Theile beruht. Die erste Alternative konnen wir gleich fallen lassen , da sie Unterschiede in der Wirksamkeit gleichwerthiger Substanzen vor- ^) Pfluger, Untersuchungen iiber Bastardirung der anuren Ba- trachier und die Principien der Zeugung pag. 663. Das Problem der Befruchtung und der Isotropie dea Eies u. s. w. 285 aussetzt, wie sie im organischen Leben sonst nicht vorkommeu, und so werden wir denn die zweite Annahme Dither zu priifen und zu dem Zwecke mit einer Analyse der Geschlechtsproducte zu be- ginuen haben. Eier und Samentaden bestehen in der That aus verschiedenen morphologischeu und chemischeu Theilen. Beiden gemeinsam sind Kernstoff und Protoplasnia ; dazu gesellen sich beim Ei noch eine Summe in das Protoplasma eingelagerter Stoffe, die als Kornchen, Kiigelchen, Plattchen oder Schollen erkennbar entweder aus Fett oder Eiweiss oder eineni Gemenge beider bestehen. Auf der Anwesen- heit letzterer beruht hauptsachlich die bedeutende Grossenzunahme der Eizelle. tJber sie wird eine Meinungsverschiedenheit nicht existiren und man wird allgemein zugeben, dass sie zu den un- wirksamen Keimstolfen zu rechnen sind, welche erbliche Eigen- schaften nicht ubertragen konnen. Das Vorkommen solcher Dotterbestandtheile in dem Ei, ihr Fehlen in dem Spermatozoon erklart sich daraus, dass sich im Organismenreich die mannhchen und die weiblichen Geschlechts- zellen von gleichen Ausgangspunkten aus nach verschiedenen K,ich- tungen hin entwickelt haben. Die Eizellen haben ihre Beweglich- keit eingebiisst und an Grosse zugenommen, indem sich in ihrem Protoplasma Reservestotfe , die spater beim Eiutritt der Entwick- lungsprocesse aufgebraucht werden sollen, abgelagert haben. Die Spermazellen dagegen sind, um den Copulationsact zu ermoglichen, beweglich und klein, weil frei von alien Reservestoffen, geblieben. Die einen sind umgebildet in Anpassung an die Ernahrung des nach der Befruchtung sich entwickelnden Embryo, die anderen im Interesse der zu vollziehenden Befruchtung. Wenn wir nun aber auch von dem Nahrmaterial ganz ab- sehen, so sind Ei- und Samenzelle noch immer nicht gleichwerthig hinsichtlich der Menge ihrer iibrigen Bestandtheile. Denn schou die protoplasmatische Substanz einer grossen Eizelle betragt nach Abzug aller Dottereinschliisse ausserordentlich viel mehr als die Gesammtsubstanz eines Spermatozoon. Nageli ^) unterscheidet daher zwei verschiedene Arten von Protoplasma, eine Art, welche in gleichen Mengen in der Ei- und in der Samenzelle vorhanden ist und die erblichen Eigenschaften iibertragt, und eine zweite Art, welche im Ei in grossen Mengen angehauft ist und in wel- cher sich vorzugsweise die Erniihrungsprocesse abspielen. Die ^) C. v. Nageli loco cit. pag. 20 — 30. 286 Oscar Hertwig, erstere bezeichnet er als Idioplasma , die zweite als Ernah- rungsplasma. Die Nothwendigkeit , diese beiden Substaiizen zu unterscheideu, begrundet Nageli iii folgender Weise: „Idioplasma und gewohnliches Plasma" — sagt er — „habe ich als verschieden angegeben, well mir dies der einfachste und natlirlichste Weg scheint, um die ungleichen Beziehungen der Plasmasubstanzen zu den erblichen Anlagen zu begreifen, wie sie bei der geschlechtlichen Fortpflanzuug deutlich werdeu. An die befruchtete und entwicklungsfahige Eizelle hat die Mutter hundert- oder tausendmal mehr Plasmasubstanzen, in denselben aber keinen grosseren Antbeil an erblichen Eigenschaften geliefert als der Vater. Wenn das unbefruchtete Ei ganz aus Idioplasma bestande, so wiirde man nicht begreifen, warum es nicht entsprechend seiner Masse in dem Kinde wirksam ware, warum dieses nicht immer in ganz iiberwiegendem Grade der Mutter ahnlich wiirde. Besteht die specifische Eigenthiimlichkeit des Idioplasma in der Anordnung und Beschaifenheit der Micelle, so lasst sich eine gieich grosse Erb- schaftsiibertragung nur denken, wenn in den bei der Befruchtung sich vereinigenden Substanzen gleichviel Idioplasma enthalten ist, und der uberwiegende Erbschaftsantheil, der bald von der Mutter, bald vom Vater herstammen soil, muss dadurCh erklart werden, dass bald in der unbefruchteten Eizelle, bald in den mit derselben gich vereinigenden Spermatozoiden eine grossere Menge von Idio- plasma sich befindet. Bestehen die Spermatozoiden bloss aus Idio- plasma, so enthalten die nicht befruchteten Eizellen bis auf 999 Promille nicht idioplasmatisches Stereoplasma." Idioplasma und gewohnliches Plasma sind fur Nageli nur aus theoretischen Speculationen gewonnene Begriidfe. Er lasst es dahin gestellt, ob dieselben sich auf bestimmte mit dem Mikroskop uuter- scheidbare Substanzen anwenden lassen. Ich werde gieich zeigen, dass dies der Fall ist, und zwar, dass die Kerne der Sexual- producte den Anforderungen, welche die NlGELi'sche Hypothese stellt, vollkommen geniigen. Die kleine Verdickung, welche als Kopf des Samenfadens be- zeichnet wird, besteht, worin jetzt wohl alle Forscher einer Mei- nuug sind, aus einer zieralich consistenten Substanz, welche nicht nur die characteristischen Kernreactionen darbietet, sondern auch, wie Flemming neuerdings bewiesen hat, sich aus dem Kern der Samenmutterzelle ableitet. Desglcichen sind alle reifen Eier mit einem Kern versehen, welcher von dem Kern des unreifen Eies oder dem Keimblaschen Bas Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies xi. s. w. 287 verschieden und von einer sehr geringen Grosse ist. Dass ein sol- cher stets vorhanden ist und dass von der Eizelle iiberhaupt nie- mals ein kernloser Zastand durchlaufen wird, habe ich ^) an den Eiern von Nephelis , Asteracanthion und anderen Objecten zu be- weisen gesucht, nachdem ich dafur schon vorher in meiner Habili- tationsschrift : Uber die Bildung, Befruchtung und Theilung des thierischen Eies, eingetreten war. Trotzdem die Eier im Thierreich an Volum so ausserordent- lich variiren und an Reichthura des Protoplasnia und des Dotters im hochsten Maasse schwanken, erscheint der Eikern doch iiberall von ziemlich gleicher Grosse und hat bei einem mit unbewaff- netem Auge kaum sichtbaren Ei nur wenig geringere Durchmesser, als zum Beispiel in einem reifen Froschei, in welchem er von mir an feinen Durchschnitten bei sorgfaltiger Durchmusterung mit star- ken Vergrosserungen als winziges Biaschen entdeckt worden ist 2). Im Vergleich zum kernhaltigen Theil des Spermatozoon ist zwar der Eikern etwas grosser, enthalt aber trotzdem wohl nicht viel mehr feste Kernsubstanz, weil seine Masse durch einen grosseren Gehalt an Kernsaft eine geringere Consistenz darbietet. Es wird dies durch Erscheinungen bewiesen, die sich bei der Befruchtung selbst abspielen. Bei den meisten thierischen Eiern namlich wachst nach dem Eindringen des Samenfadens der urspriinglich kleine Spermakern, wahrend er zu dem weiblichen Kern hinwandert, zu derselben Grosse wie dieser an , wahrscheinlich durch Aufnahme von Kern- saft, so dass schliesslich beide vor ihrer Verschmelzung einander vollstandig gleichwerthig sind. Das beobachten wir bei Wurmern (Nematoden , Hirudineen , Chaetognathen) bei alien Mollusken und bei Wirbelthieren (Saugethieren und Amphibien). In seltneren Fallen sind die beiden geschlechtlich differenzirten Kerne, wenn sie sich unter einander verbinden, verschieden gross, wie bei den Eiern der Seeigel; doch besteht hier augenscheinlich der kleinere Spermakern, wenn wir aus seinem Verhalten gegen Osmiumsaure und Farbstoffe Schliisse ziehen diirfen, aus einer dich- teren Substanz, so dass wir trotz der Grossenverschiedenheit eine Aequivalenz der festen, wirksamen Bestandtheile annehmen durfen. ^) Oscar Hertwig, Beitrage zur Kenntniss der Bildung, Befruch- tung und Theilung des thierischen Eies. Theil II. Morphol. Jahr- buch Bd. III. 1877. Theil III. Morphol. Jahrbuch Bd. IV. 1878. 2) OscAE Heetwig, Beitrage etc. Morph. Jahrb. Bd. III. 1877. 288 Oscar Her twig, Auch habe ich schon in einer friiheren Arbeit ^) an Beispielen be- weisen konnen , dass die verschiedene Grosse des Sperraakerns we- sentlich bedingt wird durch den Zeitpunkt, in welchem die Be- fruchtung erfolgt, ob sie vor oder wiihrend der Entwicklung der Richtungskorper der Eizelle geschieht, oder erst nachdem diese bereits gebildet sind. Bei Asteracanthion habe ich sogar auf experimentellem Wege durch Veranderung des Zeitpunctes der Befruchtung die Grosse des Spermakerns direct beeinflussen konnen. Weun das Sperma- tozoon in den Dotter eindringt, ehe Richtungskorper und Eikern schon vorhanden sind, so muss der Spermakern bis zum Eintritt der Verschmelzung langere Zeit im Dotter verweilen und schwillt mittlerweile zu derselben Grosse wie der Eikern an. Wenn letz- terer dagegen nach Abschniirung der Richtungskorper schon vor der Befruchtung seine endgiiltige Beschaffenheit erlangt hat, so ver- weilt der Spermakern als selbstandiger Korper nur kurze Zeit im Dotter, da er gleich nach seinem Eindringen schon die Verschmel- zung eingeht. Er bleibt dann klein, wahrscheinlich weil er sich in diesem Falle nicht in demselben Maasse wie sonst mit Kern- saft hat durchtranken konnen. Noch mehr als die angefuhrten Thatsachen sprechen fiir die Aequivalenz von Ei- und Spermakern die Beobach tun- gen, welche in diesem Jahre van Beneden^) (iber den Befruch- tungsvorgang von Ascaris megalocephala veroffentlicht hat. Durch sorgfaltigste Untersuchung hat der belgische Forscher zeigen kon- nen , dass die beiden gleich grossen Kerne , wenn sie sich nach ihrer Aneinanderlagerung zur Spindel umbilden, regelmassig vier Schleifen hervorgehen lassen, von welchen zwei von dem Chro- matin des Eikerns, die zwei andern vom Chromatin des Sperma- kerns abstammen. Bei der Furchung spalten sich die vier Schlei- fen und vertheilen sich in gesetzmassiger Weise so, dass jede Tochterzelle zwei miinnliche und zwei weibliche Schleifentheile er- halt. Nach diesen wichtigen Beobachtungen liefern also Ei- und Spermakern nicht allein gleiche Substanzmengen dem Furchungs- kern, sondern vertheilen sich auch noch weiter gleichmassig auf die Abkommlinge desselben. Desgleichen ist auch ein besonderes Gewicht auf das von mir entdeckte und- seitdem vielfaltig bestatigte Gesetz zu legen , dass 1) OscAE Hertwig, Beitrage zur Bildung, Befruchtung etc. Theillll. Morph. Jahrb. Bd. IV. 1878 pag. 171. 2) E. V. Beneden, Eecherches sur la maturation de I'oeuf, la fecondation etc. 1883 pag. 382. Das Problem der Befruclitung iind der Isotropie des Eies u. s. w. 289 die normale Befruchtung, welche eine regelmas- sige Entwicklung anregt, stets nur durch ein ein- ziges Spermatozoon ausgefiihrt wird. Ich glaube, den Nanien Gesetz hier anwenden zu diirfen. Denn die Beobachtungen , nach denen im Innern des Eies bald nach Vornahme der Befruchtung stets nur zwei Kerne in Verschmel- zung geschen werden, sind ausserordentlich zahlreiche, sie sind von den verschiedensten P'orschern, wie Auerbach, BOtschli, Selenka, v. Beneden, Flemming etc. in iibereinstimmender Weise gemacht worden und erstrecken sich fast iiber alle Abtheilungen des Thierreichs. Desgleichen wird fiir die phanerogamen Pflanzen angegeben, dass nur ein Pollenschlauch befruchte. In alien mir bekannten Fallen, in denen man mehrere Sperma- kerne mit dem Eikern wirklich hat verschmelzen sehen, war das Ei nicht mehr vollkommen lebenskraftig. AUerdings wird von manchen Forschern auch die Befruch- tung durch mehrere Samenfaden fiir normal gehalten. Schneider ^) gibt solches sogar fiir die viel untersuchten Eier der Echinodermen an, ist aber alsbald von Nussbaum 2), v. Bene- den'^j und Eberth*) mit Entschiedenheit berichtigt worden. Andere Forscher, wie Bambeke •'"), Kupffer^) etc. lassen in die dotterreichen Eier der Amphibien und Cyclostomen mehrere Samenfaden eindringen. Aber selbst wenn wir dies zugeben , ist damit noch keine Ausnahme von der Kegel geschaffen. Denn das Eindringen des Spermatozoon in das Ei ist, wie schon oben gesagt, gleichsam nur die Einleitung zum Befruchtungsact , vollzogen ist derselbe erst nach eingetretener Kernverschmelzung. Fiir die Am- phibien und Cyclostomen miisste daher erst noch der Nachweis gefiihrt werden, dass sich mit dem Eikern nun auch wirklich mehrere Spermakerne verbinden. Das ist aber nicht geschehen, dagegen ist fiir das Froschei sogar die Verschmelzung zweier 1) A. Schneider, Das Ei und seine Befruchtung. Breslau 1883. Derselbe, Uber Befruchtung. Zoologischer Anzeiger 1880. pag. 252. 2) M. Nussbaum. tJber die Veranderungen der Geschlechtspro- ducte. loco cit. ^) E. v. Beneden loc. cit. pag. 407. ^) C. J. Eberth, Die Befruchtung des thierischen Eies. Eort- schritte der Medicin Nr. 14. •'') Bambeke, Eecherches sur I'embryologie des Batraciens 1876. ^) KuppFER, tJber active Betheiligung des Dotters am Befruch- tungsacte bei Bufo variabilis und yulgaris. Miinchen 1882. 4. Math, phys. CI. Bd. XVIII. N. F. XI. 19 ^90 Oscar Hertwig, Kerne von mir nachgewiesen worden^). Zu demselben Resultat ist neuerdings auch Born 2) bei Untersuchung des Froscheies ge- langt, Alle Thatsachen sprechen somit dafiir, dass normal nur ein Spermatozoon befruchtet; es liegt kein Grund vor, die Moglichkeit einer Befruchtung durch mehrere Samenfaden anzunehmen, wie es Hensen 3) in seiiiem Artikel iiber die Physiologie der Zeugung auf Grund der vorliegenden Literatur noch glaubte thun zu miis- seu. Auch nach dieser Richtung ergibt sich eine Aequivalenz der von miitterlicher und vaterlicher Seite gelieferten Bestandtheile, indem sich stets eine mannliche mit einer weiblichen Zelle zur Hervorbringung einer neuen Individualitat verbindet. Bis jetzt ist unsere Argumentation allein von der Aequivalenz der mannlichen und weiblichen Anlagen ausgegangen. Es lassen sich aber auch direct Griinde dagegen vorbringen, dass der con- tractile Faden des Spermatozoon eine Vererbungspotenz besitze. Derselbe besteht namlich nicht aus einfachem Protoplasma, wie der protoplasmatische Korper des Eies, sondern ist ein Plasma- product, er ist, wie die Muskelfibrille, ein zu einem bestimmten Arbeitszweck angepasstes und umgewandeltes Plasma. Von einer Substanz aber, welche Anlagen der Eltern auf das Kind iiber- tragen soil, werden wir annehmen miissen, dass sie sich noch in einem ursprunglichen , histologisch undifferenzirten Zustand be- findet. Von diesem Gesichtspunct aus betrachtet kann der con- tractile Faden des Spermatozoon, wie auch Sachs jetzt annimmt, nur die einzige Bedeutung eines Bewegungsorgans haben, welches die Aufgabe hat, den allein befruchtenden Kernstoff mit der Ei- zelle in Beriihrung zu bringen. Durch die vorausgegangenen Erorterungen glaube ich zum Wenigsten sehr wahrscheinlich gemacht zu haben, dass das Nuc- lein dieSubstanz ist, welchenicht allein befruchtet, sondern auch die Eigen schaften vererbt und als sol- che dem Idioplasma Nageli's entspricht. Nageli und ich sind also auf ganz verschiedenen Wegen zu demselben Ziel gelangt. Wahrend jener durch theoretische Er- wagungen allein geleitet den Begriff Idioplasma geschaffen hat, ^) Oscar Heetwig, Beitrage zur Bildung, Befruclitung etc. Morph, Jahrb. Bd. III. 1877. 2) Born, Uber die inneren Vorgange bei der Bastardbefruchtung der Froscheier. Breslauer arztliche Zeitschrift. ISTr. 16. 1884. ^) Hensen, Handbuch der Physiologie Bd. VI. Artikel: Zeugung. Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies u. s. w. 291 und daher audi vom Idioplasma, welchem er eine netzformige Structur zuschreibt, nicht aussagen kann, wo es im Ei und im Saraenfaden zu suchen ist, bin ich von Beobachtungsthatsachen ausgegangen. Wir haben theoretische Erwagungen an sie anknii- pfend geseheu, dass Alles dass, was Nageli zur Characteristik des Idioplasma gebraucht, fiir die Kernsubstanz zutrifft. In ihr haben wir einen vom Erniihrungsplasma unterscheidbaren Eiweiss- korper kennen gelernt, der in kleinen aber etwa aequivalenten Mengen im Ei und Samenfaden vorhanden ist und bei der Be- fruchtung sich zu einer gemischten Anlage verbindet. Von der mannlichen und weiblichen Kernsubstanz lehrt uns die Beobachtung ausser ihrer Aequivalenz noch eine weitere sehr wichtige Eigenschaft, auf welche Nageli aus theoretischen Griinden gleichfalls gefiihrt worden ist; ich meine die Eigenschaft, dass sich das Nuclein vor, wahrend und nach der Befruch- tung in einem organisirten Zustand befindet. Bereits in meinen Abhandlungen liber die Bildung, Befruch- tung und Theilung des thierischen Eies habe ich den Nachweis zu fiihren gesucht, dass die Befruchtung nicht nur ein chemisch physicalischer Vor gang, wie die Physio- logen meist anzunehmen pflegten, sondern gleich- zeitig auch ein morphologischer Vorgan g ist, inso- fern ein geformter Kerntheil des Spermatozoon in das Ei eingefiihrt wird, um sich mit einem geform- ten Kerntheil des letzteren zu verbinden. Da die Frage eine allgemeinere Tragweite hat, zur Zeit aber noch nicht als nach alien Richtungen geklart betrachtet warden kann, woUeu wir hier auf dieselbe ausfiihrlicher eingehen. Zwei entgegengcsetzte Ansichten stehen sich auf diesem Ge- biete gegeniiber, eine Ansicht, welche zuerst auf Grund von Be- obachtungen von mir scharf formulirt worden ist und nach wel- cher die Befruchtungsstotfe als morphologische Theile, das heisst, im organisirten Zustand wirken sollen, und eine zvveite Ansicht, nach welcher eine Auflosung und eine Neu-Organisation der Be- fruchtungsstoffe stattfinden soil. Theoretische Griinde sowohl als auch Beobachtungen sind fiir jede dieser Ansichten von verschiedenen Seiten in das Feld ge- fiihrt worden. Gehen wir zuerst auf die theoretischen Erwagungen ein, welche PFLtJGEE, Hensen und Nageli angestellt haben. Pfluger hat sich vor einem Jahre gegen die Erhaltung der 19* 292 Oscar Hertwig, Kernsubstanz als solcher ausgesprochen. In seinen Uiitersuchungen liber Bastardiruiig der anuren Batrachier bezeichoet er die Zeugung als „einen physiologischen Vorgang, bei dem es sich urn die speci- fischen Wirkungen der Molecule und Atome auf einander handelt, welche unabhangig von dem Aggregatzustaude sind, also einem allgemeinen raorpbologischeu Gesetz iiicht unterthan sein miissen. Man werde fiir die Zeugung vielleicht iiiemals eine anatomische Definition finden, well es principiell keine geben konne." Pfluger setzt veraus, dass „wenigstens in gewissen Perioden flussiger Aggregatzustand der zeugenden Stoffe, weder Zellsubstanz noch Kern , sondern werdender Urstoff vorhanden sei"'. Der neue Kern sei mit einem Worte kein morphologisches Derivat des alten Kerns; die organisirte Substanz des juiigen Kerns leite sich direct von nicht organisirter, das heisst, geloster Materie ab, krystallisire gleichsam aus ihr heraus. Die freie Zellbildung halt Pfluger fiir eine philosophische Nothwendigkeit. Anders urtheilen Hensen und Nageli. Ersterer^) bezeichnet meine Auffassung der Befruchtung als eine gliickliche. „Sie vertiefe unsere Kenntniss von dem Befruch- tungsvorgang, indem sie zu den bisher nur in Betracht gezogenen chemischen und physicalischen Momenten noch hinzufuge das fiir die Lebenserscheinungen (und die Vererbung) so bedeutsame mor- phologische Moment, dass namlich die Materie in bestimmter For- m u n g mitwirke". Er fiigt hinzu , dass damit auch alle neueren Erfahrungen iiber die wichtige Rolle, welche der Kern bei der Zelltheilung spiele, sogleich fiir die Befruchtungslehre zur Geltung kommen. Von anderen Voraussetzungen ausgehend, wird Nageli^) in seinem neuesten Werk „di(i mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre", zu einem gleichen Ergebniss gefiihrt. Es er- scheint ihm als „eine physiologische Unmoglichkeit, dass eine Be- fruchtung durch eindringende geloste Stofifo erfolgen konne. Solche konnen nur zur Eruahrung dienen, aber nicht Eigenschaften iiber- tragen. Zwischen den Vorgangen bei der Befruchtung und der Einiihrung bestehe ein grosser Unterschied. Bei letzterer sei es eben vollkommen gleichgiiltig , woher das Eiweiss, durch welches das Kind wachst, stamme, ob von der Mutter, von der Amme, von ^) Hensen, Handbuch der Physiologie. Bd. VI. Artikel : Zeugung pag. 126. 2) C. V. Nageli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstam- mungslehre. 1884 pag. 109 — 111 und 215—220. Das Problem der Befruclitung und der Isotropic des Eies u. s. w. 293 der Kuhmilch etc., wiewohl diese Nahrungsmittel wegen ihrer Mi- schung mehr oder weniger zutritglich sein koiinen. Diese Stoffe werden eben in gelostem, also unorganisirtem Zustand dem Organis- mus einverleibt. Das Asparagin- oder Peptonmolecul, selbst das Eiweissmoleciil des mannlichen Befrucbtungsstoffes, babe nichts voraus vor jedem anderen Asparagin, Pepton oder Eiweissmoleciil, sowenig als das Thonmoleciil von einer zerbrocbenen griechischen Vase irgend etwas mehr ware als das Tbonmolecul von einem ganz gewobnlicben Backstein." Die Vererbung specifisclier Eigenschaften bei der gescblecht- lichen Fortpflanzung lasst nacb Nageli nur die eine Erkliirung zu, dass die Anlagen bloss durch feste (unlosliche) , nicbt durch geloste Stoiie iibertragen werden. Nageli nennt diese Stoflfe, ver- moge der eigenartigen und complicirten Anordnung fester Theil- cheu oder Micellen, das Idioplasma und lasst in dasselbe unter dem Einfluss der bereits vorbandenen, festen Theilcben sich die neu eintretenden gelosten Substanzen einordnen. Nur eigenthiim- liche Gruppen von Micellen konnen sicb nach seiner Ansicht als Anlagen bewiibren und die plastiscben Bildungen bervorbringen, in welche sich die Anlagen entfalten. An einer anderen Stelle ^ ) heisst es : „Wenn die Anordnung der Micellen die specifischen Eigenscbaften des Idioplasma begrun- det, so muss das letztere eine zieralicb feste Substanz dar- stellen, in welcher die Micellen durch die in dem lebenden Orga- nismus wirksamen Krafte keine Verschiebung erfahren und in welcher der feste Zusammenhang bei der Vermehrung durch Ein- lagerung neuer Micellen die bestimmte Anordnung zu sichern ver- mag. Nun ist aber das gewohnliche Plasma ein Gemenge von fliissigem und festem Plasma, wobei die Micellverbande der unlos- lichen Modification, wie dies fiir das stromende Plasma nicht an- ders angenommen werden kann, sich mit grosser Leichtigkeit gegen- seitig verschieben." Die auf theoretischem Gebiet bestehende Meinungsdiflferenz liber das Wesen der Befruchtung lasst sich durch Beobachtung entscheiden, wenn meine Ansicht von der Bedeutung der Kern- substanzen die richtige ist. Zwar schweben auch bier noch Strei- tigkeiten daruber, ob die Befruchtung durch geloste oder durch geformte, organisirte Kernstoffe zu Stande komme; doch hat bier ganz oflfenbar die letztere Meinung von Jahr zu Jahr mehr an Boden gewonnen. 1) Nageli loco cit. pag. 27. 294 Oscar Hertwig, Als ich die Befruchtung (lurch geformte Kerntheile in nieiner Uiitersuchung iiber Toxopneustes lividus beschrieb , fand meine Lehre zunachst Widerspruch durch van Beneden, Strasburger uud FoL, welche zum Theil an andereu Objocten den Befruch- tungsvorgang untersucht batten. Van Beneden ^ ) konnte bei Eiern von Saugethieren nie ein Spermatozoon in den Dotter eindringen sehen, dagegen haufig beobachten, dass deren mehrere mit ihrem Kopfe fest der Dotter- oberflacbe aufsassen. „Die Befruchtung" schloss er, „bestehe daher wesentlich in der Vermischung der Spermasubstanz mit der oberflachlichen Schicht der Dotterkugel." In letzterer soil sich dann wenigstens theilweise auf Kosten der aufgelosten Sperma- substanz ein mannlicher Vorkern entwickeln, withrend gieichzeitig im Centrum des Eies aus Bestandtheileu desselbeu ein weiblicher Vorkern gebildet werde. Strasbuger^), welcher bei seiner Auffassung der Befruch- *) Ed. van Beneden, La maturation de I'oeuf, la fecondation et les premieres phases du developpement embryonnaire des mammiferes etc. Bulletins de I'academie royale de Belgique 2me ser. t. XL 1875. pag. 11. Von dieser Arbeit bemerkt van Beneden in seinem Werk (Recherches sur la maturation de i'oeuf, la fecondation et la division cellulaire pag. 53), dass sie vor meiner Habilitationsschrift erschienea sei. Er erklart daher: En etablissaut que les deux elements nucleaires different entre eux par leurs caracteres aussi bien que par leur ori- giue et par leur lieu de formation, en exprimant I'idee que le pro- nucleus central est un element ovulaire, I'autre un derive des zoos- permes, j'ai doune, et cela avant que le travail de 0. Hertwig ait paru, rintrepretation universellement admise aujourd'hui de la signi- fication des pronucleus. Demgegeniiber muss ich hervoi'heben , dass der Thatbestand ein anderer ist. Van Beneden''s Schrift ist erschienen in der Decembernummer der Bulletins 1875. Meine Arbeit ist bereits gedruckt am 25. October 1875 der medicinischen Facultat zu Jena behufs meiner Habilitation eingereicht vporden. Sie ist sowohl als selbstiindige Schrift im Buch- handel erschienen als auch im morphologischen Jahrbuch, Jahrgang 1875. Die Versendung der Freiexemplare fand in den nachsten Tagen nach meiner Habilitation Anfang November statt. Ich fiige noch hinzu, dass meine Habilitationsschrift mehrfach als in dem Jahre 1876 erschienen citirt wird , weil der erste Band des morphologischen Jahrbuchs auf dem Titelblatt falschlicher Weise die Jahreszahl 1876 anstatt 1875 tragt. 2) Strasburger, 1. tjber Zellbildung und Zelltheilung 2. Auflage 1876 pag. 305—314. 2. tJber Befruchtung, und Zelltheilung 1878 pag. 75—78. Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies u. s. w. 295 tuDg vom Studiura der Coniferen ausgegangen ist, findet bei diesen, dass der Inhalt des Pollenschlauches jedeiifalls in geloster Form in das Ei eindringe, weil er die Cellulosemembran zu passiren habe, und er stellt in Folge dessen den Satz auf, „da.ss es sich bei der Befruchtung nicht urn die Kerne der Sperinatozoiden als morphologische Eiemente, sondern um die Substanz dieser Kerne als physiologisches Element handle." „Bei der Kiefer und der Fichte gehe die Befruchtung unmoglich anders als durch Diffusion vor sich." „Auch bei dem Eikern, wo er erhalten bleibe, handele es sich nicht um das morphologische Element, sondern nur um des- sen Substanz, Daher konne man auch dort, wo die Kernsubstanz sich nicht im Eiplasma vertheile, von einem kernlosen Zustande des Eies vom morphologischen Standpunkte aus sprechen." FoL ^) welcher zwar das Eindringen des Spermatozoon in das Ei am Genauesten verfolgt hat, bestreitet, dass der Kopf desselben aus dem Kern der Samenmutterzelle gebildet werde; das Sper- matozoon entwickele sich vielmehr aus Protoplasma nach Aus- schluss der Kernsubstanz. Auch verandere sein Korper nach dem Eindringen in den Dotter seine Gestalt und wachse durch Auf- nahme von Eiprotoplasma. „Le pronucleus male" — erklart Fol, — „qui a tous les caracteres d'un veritable noyau, est done forme par Falliance de deux protoplasmes qui n'ont subi aucun melange avec la substance de noyaux preformes. Le pronucleus male ne descend a aucun titre, pas meme en partie, d'un noyau plus ancien ; il est de formation nouvelle." Zu den am meisten von den meinigen abweichenden Ergeb- nissen ist vor einigen Jahren Anton Schneider ^) durch Unter- suchung von Asteracanthion und Hirudineen gelangt. Er bestrei- tet iiberhaupt die Existenz eines Samenkerns ; er lasst viele Sper- matozoen in den Dotter dringen, sich auflosen und spurlos ver- schwinden. Die Kerne, die man in der Eizelle beobachte, sollen abstammen von der Substanz des Keimblaschens , welches sich auflose und im Dotter vertheile. Demgegeniiber habe ich jeder Zeit an meiner urspriinglichen Auffassung und „einfacheren Erklarung" des Befruchtungsvorganges *) Fol, Kecherches sur la fecondation et le commencement de I'henogenie chez divers animaux. 1879 pag. 260. ''^) A. Schneider, 1. tJber Befruchtung. Zoologischer Anzeiger 1880 pag. 252. 2. tJber Befruchtung der thierischen Eier. Zoologischer Anzeiger 1880 pag. 426. 296 Oscar Hertwig, festgehalteu , dass „das Spermatozoon als solches in den Dottcr eindringt und dass sein Kern hier eine oft betrachtliche Vergrosse- rung durch Imbibition mit Kernsaft bis zur Copulation mit dem Eikern erfahren kann," Zur Motivirung dieses Standpunktes lenkte ich in meiner zweiten Abhandlung iiber Bildung und Befruchtung des Eies die Aufmerksamkeit ^) auf folgende Griinde : 1 . „Bei Coniferen kano wohl die Moglichkeit nicht ausge- sclilossen werden, dass die feine Membran an der Spitze des Pollenschlauchs vor dem "Obertritt seines Inlialts in das Ei zum Theil aufgelost wird." 2. „Bei Hirudineen, Saugethieren etc. ist die Dotterhaut kein Hinderniss fiir das Eindringen der Spermatozoen, da sie in grosser Anzahl innerhalb derselben beobachtet worden sind. Hier konnen sie also direct in das membranlose Eiplasma sich einsenken." 3. „Eine grossere Zuuahme des Spermakerns innerhalb des Dotters vor der Copulation mit dem Eikern hat haufig durch directe Beobachtung nachgewiesen werden konnen. Es sprechen daher Grossendiff'erenzen zwischen dem Spermakern und dem Kor- per des Spermatozoon nicht gegen ihre Identitat." 4. „Bei Toxopneustes livid us verstreichen zwischen der Vor- nahme der kiinstlichen Befruchtung und dem Auftreten des Sperma- kerns nur wenige Minuten. Esmuss alssehrunwahrschein- lich bezeichnet werden, dass sich in diesem kurzen Zeitraum die Sperm asubstanz auflosen, mit dem Ei- plasma vermischen und sich gleich da r auf wieder zu einem kleinen Kern ansammeln soil. Jedenfalls lasst sich die Bedeutung dieses Vorgangs nicht verstehen, da das End- ziel desselben in einfacherer Weise auf directem Wege erreicht werden kann." Es ist mir erfreulich zu constatiren, dass fiir diese Ansicht von Jahr zu Jahr eine grossere Surame von Beobachtungsmaterial angesammelt worden ist, und dass vor alien Dingen jetzt auch Strasburger und van Beneden fiir sie eingetreten sind. Ich stelle hier nur kurz die Beobachtungen von Selenka, Flemming, Strasburger, Nussbaum, van Beneden und Eberth zusammen. ^) Oscar Hertwig, Beitriige zur Kenntniss der Bildung, Befruch- tung etc. II. Abhandl. Morph. Jahrbuch. Bd. Ill pag. 74 — 75. Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies u. s. w. 297 Nach Selenka ^) dringt das Spermatozoonkopfchen in deu Eiern der Echiiiiden bis in das Centrum vor, urageben von einer Dotterstrahlung. Dabei beginnt der Hals des Spermatozoonkopf- chens anzuschvvcllen und an Grosse stetig zu zu nehmen , bis er ungefahr den Dritteldurchmesser des Eikerns erreicht hat und mit ihm verschmilzt. Sehr werthvoll sind die Angaben von Flemming ^) iiber die Entsteliung der Samenfaden. Indeni er dieselbe bei Salamandra maculata verfolgte, konnte er auf das unzweifelhafteste feststellen, was schon von anderen Forschern auf Grund minder eingehender Untersuchungen behauptet worden war, dass der Kopf des Sper- matozoon aus dem Kern der Spermatocyte hervorgeht, dass es aber nicht der ganze Kern , sondern die tingirbare Substanz des- selben ist, welche zum Samenfadenkopf wird. Somit bevvies er die Unhaltbarkeit der Meinung Fol's, nach welcher sich das ganze Spermatozoon aus Protoplasnm entwickehi solle. In einer darauf folgenden Arbeit bestatigte Flemming ^) in vollera Maasse die Richtigkeit meiner Darstellung des Befruch- tungsvorganges. Da sich die Spermatozoenkopfe in Essigcarmin sehr intensiv farben, so benutzte er dieses Mittel urn zu zeigen, dass der Spermatozoenkopf als solcher in den Dotter des Eies ein- dringt und hier zunachst seine Gestalt fast unverandert beibehiilt, dass er sich dann zum Spermakern, der mit dem Eikern ver- schmilzt, umwandelt. „Derselbe zeigt sich", erklart Flemming „nach seiner Masse und nach der Starke seiner Farbung so durch- aus dem Samenfadenkopf entsprechend, dass an seiner Entstehung aus diesem nicht zu zweifeln ist." Er stellt daher ebenfalls fiir die Befruchtung den Satz auf: „Es vereinigt sich im Furchungs- kern das Chromatin eines mannlichen und eines weiblichen Kern- gebildes." Zu ahnlichen Anschauungen iiber den Befruchtungsvorgang bei Pflanzen ist neuerdings auch Strasbueger*) gelangt. Aus- 1) E. Selenka, Zoologische Studien. I. Befruchtung des Eies von Toxopneustes variegatus. 1878. ^) W. Flemming, Beitrage zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebeuserscheinungen. Theil II. 1880. Arch., f. mikrosk. Anatomie. Bd. XVIII. pag. 240. 3) W. Elemming, Beitrage zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebeuserscheinungen. Theil III. 1881. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. XX pag. 13—35. *) Ed, Strasbukgee, tJber den Bau und das Wachsthum der Zellhiiute. 1882 pag. 252. 298 Oscar Her twig, gehend von der Thatsache, dass freie Kernbildung sonst nirgends mehr im Pflaiizenreich gegeben ist, uimmt er auch fiir die Be- fruchtungsvorgange an, dass es auf dieErhaltung der Kern- substanzals solche ankomme. Fiir copulirende Spirogyren habe er friiher die Angabe gemacht, dass der Zellkern wabrend des Befruchtungsvorgangs scbwindc. Indessen sei jetzt dieser sto- rende Fall aus der Befruchtungslehre geschwunden , da es sich bei AnAvendung richtiger Tinctionsmethoden , wie Schmitz zuerst fand , erkennen lasse , dass der Zellkern factisch erhalten bleibe, ja dass die Kerne beider Zellen copuliren. Van Beneden') und Nussbaum^) handeln iiber die Be- frucbtungsvorgange bei Nematoden. Sie lehren, dass die Sperma- tozoen acbte Zellen sind, die aus Spermatocyten entstehen und einen als Kern zu deutenden, in Carmin farbbaren Theil besitzen. Nor- maler Weise dringt nur ein solcbes Spermatozoon in ein Ei ein, wobei es ini Dotter noch langere Zeit seine Gestalt vollkommen bei- behalt. Spater verbindet sich der farbbare Theil oder der Sperma- kern , ohne sich zuvor aufgelost zu haben , und nachdem er eine betrachtliche Grossenzunahme erfahren hat, mit dem Eikern. Endlich hat in neuester Zeit wieder Eberth ^) den Befruch- tungsvorgang am Echinidenei untersucht und dabei die ganz irr- thumlicben Angaben Schneider's zuriickgewiesen, indem er eben- falls constatiren konnte, dass der Kopf des Spermatozoon sich nie- mals auflost, sondcrn etwas aufquillt und zum Spermakern wird. Nach alien diesen sorgfaltigen Untersuchungen konnen wir es als ein gesichertes Ergebniss betrachten: 1) dass der Kopf des Samenfadens direct vom Nuc- lei n der Spermatocyte abstammt, 2) dass er bei der Befruchtung direct in den Sper- makern ubergeht. Bei meiner Befruchtungs- und Vererbungstheorie kommt es nun aber nicht nur darauf an, den continuirlichen Zusammenhang des Spermakerns mit vorausgegangenen Kerngenerationen der Bil- dungszellen nachgewiesen zu haben, nicht minder nothwendig ist es, dass auch der Eikern keine Neubildung ist. Der ^) Ed. v. Beneden, Kecherclies sur la maturation de I'oeuf, la fecondation et la division cellulaire. 1883. ^) M. NussBATTM, tJber die Veranderungen der Geschlechtspro- ducte bis zur Eifurchimg. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. XXIII. 3) Eberth, Die Befruchtung des thierischen Eies. Eortschritte der Medicin. No. 14. Das Problem der Befruchtung unci der Isotropie des Eies u. s. w. 299 sichere Nachweis dieses Verhaltnisses ist mit grosseren Schwie- rigkeiten verkuiipft. Vor zehn Jahren noch herrschte fast allgemein die Annahme, dass die Eizelle in ihrer Entwicklung voriibergehend kernlos sei. Derselben trat ich in nieiner Habilitationsschrift entgegen, in wel- cher ich die These aufstellte: „die Eizelle durchlauft in ihrer Entwicklung kein Mo ner ens tadium." Ich wies nach, wie man Keimblaschen und Eikern friiher vielfaltig ver- wechselt und letzteren an grossen Eiern iibersehen und sie daher fiir kernlos erkliirt habe , ich suchte darzuthun , dass der Eikern direct vom Keimfleck des Keimbliischens abstamme. Dieser letz- tere Theil meiner Ansicht war ein irrthiimlicher. BUtschli's 0 Untersuchungen ergaben , dass die Bildung der Richtungskorper zwischen die Riickbildung des Keimblaschens und das Auftreten des Eikerns fallt. Diesen Process hatte ich bei den Echinidcn, weil er sich schon im Ovarium vollzieht und nicht leicht zu be- obachten ist, anfanglich iibersehen, entdeckte*^) ihn aber bald darauf gleichzeitig mit Fol '•*), so dass ich selbst meine altere irr- thiimliche Beobachtung und Angabe berichtigen konnte. Die Abstam mung des Eikerns vom Keimblaschen ergab sich jetzt als ein weit complicir terer und als ein in seinem Detail schwerer zu verfolgender Vor- gang. Wie ich an den Eiern von Asteracanthion, Nephelis und Pteropoden klarzulegen suchte*), fallt das Keimblaschen einer Metamorphose anheim, bei welcher sich einzelne Theile auflosen, d e s 0 r g a n i s i r t werden und sich im Eiplasma vertheilen (Kern- membran, Kernsaft), wilhrend ein Theil der farbbaren Substanz Oder des Nucleins, welcher vorzugsweise im Keimfleck enthalten ist, sich zur Richtungsspindel umbildet. Die Richtungsspindel macht dann bei der Hervorknospung der Richtungskorper, welche ich nach wie vor fiir rudimentare Zellen erklare, zweimal einen 1) BiJTSCHLi, Studien iiber die ersten Entwioklmigsvorgange'der Eizelle, die Zelltheilung etc. 1876. ^) OscAE Hektwig, Weitere Beitriige zur Kenntniss der Bildung, Befruchtung und Theilung des thierischen Eies. Morph. Jahrbuch Bd. Ill 1877. Vorlauf. Mittbeil. ^) Fol, Sur les phenomenes intimes de la fecondation. Comptes rendus 1877. '^) Oscar Heetwig , Beitriige zur Kenntniss der Bildung etc. Theil II und III. Morph. Jahrbuch. Bd. lU 1877 und Bd. IV. 1878. 300 Oscar Her twig, Kerntheilungsprocess durch. Bei der letzteii Kerntheilung entsteht aiis einem der Theilungsproducte der Eikern. Somit ist in der Eizelle die Continuitat der Kerngeneration en niemals unterbrochen. Es finden Kernumbildungen, aber keine Kernneubildungen statt. „Omnis nucleus e nucleo", wie spater Flemming den Ausspruch Virchow's „Omnis cellula e cellula" nachahmend, sich ausgcdriickt hat. Es wird gut sein, wenn wir uns bei dieser Gelegenheit iiber die Begriffe „Kernauflosung" und „Kernumbildu ng" verstandigen. Von einer Kernauflosung wiirde ich nur dann sprechen, wenn samratliche organisirten festen Theile , wie Membran , Kerngeriist und Nucleolen entweder verfliissigt oder in kleine Partikeln ge- trennt und im Protoplasma diffus vertlieilt wiirden, ohne noch weiterhin Beziehung untereinander zu unterhalten, so dass sie, vielleicht audi chemisch veriindert, nicht wieder sich zu einem Kern vereinigeu kounen. Solchen Auflosungsprocessen unterliegen bei der Reifung des Eies gewisse Kernbesiandtheile, so z. B. die Kernmembran , zum Theil auch, wenigstens bei den multinucleo- laren Keimblaschen, die Nucleinsubstanzen und das achromatische Kerngeriist. Als Umbildung des Kerns wiirde ich es dagegen bezeichnen, wenn derselbe zvvar seine alte Form verliert, einzelne Theile aber eine neue gesetzmassige Anordnung annehmen. So haben wir es, um ein Beispiel anzufiihren , mit Umbildungsprocessen zu thun, wenn der Kern bei der Theilung seine Blaschenform verliert, die Nucleolen in kleine zu einer neuen Structur vereinte Kornchen zer- fallen , die Nucleinkorner sich zu Faden und Schlingen anordnen, aus denen schliesslich wieder blaschenformige Kerne hervorgehen. Hicr bleibt trotz grosser Umwandlungen das Kernmaterial im Sta- dium der Ruhe wie im Stadium der Thatigkeit organisirt. In diesem Sinne gehen nun auch am Keimblaschen, wenn das Ei reift, neben einer wirklichen Auflosung Umbildungsprocesse vor sich. Bei Asteracanthion glaube ich dieselben am genauesten ver- folgt zu haben und halte ich an meiner Darstellung trotz des Widerspruchs von v. Beneden *) auch jetzt noch fest. Hier sieht man den Nucleolus (wie auch sonst bei der Einleitung zur Kerntheilung) in kleine Kornchen zorfallen, die — ob zum Theil *) Ed. van Beneden, Recherches sur la maturation de I'oeuf et la fecondation etc. 1883. Das Problem der Befruchtung unci der Isotropie des Eies u. s. w. 301 Oder sammtlich, bleibe dahingestellt — eine unbedeutende Lagever- anderung nach dem Orte zu erfahren, wo wir bald eine charakteri- stische Kernspindel deutlich erkennbar macheii koniien. Ahnliches beobachtete ich bei Pteropoden und bei Nephelis. Im tJbrigeii stehe ich mit dieser Auffassung nicht mehr iso- lirt da. FoL^) erkennt an, dass Theile des Keimblaschens in die Bil- dung des Eikerns mit eingeheu. (Le pronucleus femelle est un alliage d'une tres-petite quantite de substance deiivee de la vesicule ger- minative avec une grande quantite de protoplasnae cellulaire.j In seineni Buch iiber Bau und Wachsthum der Zellhaute spriclit Steasbukger^) den Satz aus, dass eine freie Kernbildung (mit scheinbarer Ausnahme der Kerne der Pollenscblauche) sonst nirgends mehr im Pflanzeureiche gegebeu ist. Er deutet darauf hin, dass uns die Vorgange bei der Zelltheilung lehren, wie ein Kern auch in einzelne Elemente zerfallen kann, die durch Plasma- massen getrennt sind und sich spater vvieder sammeln. Auf das unzweideutigste zeigt ferner van Beneden^) die Abstammung der Richtungsspindel vom Keimblaschen durch Unter- suchung der Nematodeneier. „Die chromatische Substanz des Keimblaschens" sagt er, „welche direct vom Keimfleck abstammt, geht uber in die Chromatinkorperchen der Richtungsspindel (der sogenannten figure ypsiliforme)." Nachdem ich in der soeben gegebenen historischen Darstellung zugleich schon meine Ansichten kurz skizzirt babe, will ich zum Schluss das Ergebniss noch kurz in folgenden Satzen zusammen- fassen. Die miitterliche und die vaterliche Organisation wird beim Zeugungsact auf das Kind durch Substan- zen ubertragen, welche selbst organisirt sind, das heisst, welche eine sehr complicirte Molecularstruc- tur im Sinne Nageli's besitzen. In der Entwicklung einer Organismenkette finden keine Urzeugungen statt, nirgends wird sie durch desorganisirte Zu- stande unte rb rochen, aus welchen wie durch einen ^) FoL, Recherches sur la fecondation etc. pag. 252. ^) Ed. Stbasburgek, tJber den Bau und das Wachsthum der Zell- haute 1882, pag. 250 — 52. ^) Ed. v. Beneden, Recherches sur la maturation de I'oeuf, la fecondation etc. 1883. 302 Oscar Hertwig, Act der Urzeugung erst wieder Organisationen ent- stehen mussten. In der Aufeinanderfolge der Indi- viduen vollziehen sich nur, in ihrem innersten Wesen uns freilich unverstandliche Wandlungen der Orga- nisation, wobei in gesetzm assigem Rythmus Krafte ent- faltet und neue Spannkrafte gesammelt werden. Als die Anlagen von complicirter molecularer Structur, welche die miitterlichen und vaterlichen Eigenschaf- ten ubertragen, konnen wir die Kerne betrachten, welche in den Geschlech tsproducten sich als die ein- zigen einander aquivalenten Theile ergeben, an wel- chen wir bei dem Befruchtungsact allein ausserordent- lich bedeutsame Vorgange beobachten und von denen wir allein den Nachweis fiihren konnen, dass von ihnen der An s toss zur Entwicklung ausgeht. W ah rend der Entwicklung und Reifung der Geschlechtspro- ducte sowie bei der Copulation derselben erfah- ren die m an n lichen und die weiblichen Kernsub- stanzen, wie eingehende Beobachtung lehrt, nie- mals eine Auflosung, sondern nur Umbildungen in ihrer Form, indera Eikern und Spermakern, der eine vom Keimblaschen, der andere vom Kern der Samen- mutterzelle abstammen. Zu Gunsten dieser Befruchtungs- und Vererbungstheorie lassen sich noch zwei weitere Argumente anfuhren , erstens die Rolle, welche die Kerne bei der Entstehung von Mehrfachbildungen zu spielen scheinen, und zweitens die sogenannte Isotropie des Eies. a. Bedeutung der Polyspermie fiir die Befruch- tungs- und Vererbungstheorie. Wahrend normaler Weise die Befruchtung nur durch ein ein- ziges Spermatozoon erfolgt, konnen untcr besonderen Verhiiltnissen ihrer mehrere in das Ei eindringen und sich, wie ich i) undFoL^) ') OscAE Hertwig, Beitrage zur Bildung, Befruchtung etc. Mor- phol. Jahrbuch Bd. I 1875 pag. 383 und 384. Desgl. Morphol. Jahr- buch Bd. IV 1878, pag. 170—172. ^) EoL, Eeclierches sur la fecondation etc. p. 197 — 203, p. 260 und vorlaufige Mittheil. desselben. Das Problem der Befruchtung unci der Isotropie des Eies u. s. w. 303 gefunden habcn, zii ebenso vielen Spermakerneii mit Strahlenfiguren eutwickelii. Wir wollen derartige anormale Vorgiinge mit eiuem kurzen Ausdruck als Mehrbefruchtuiig oder Polyspermie bezeich- nen. Dieselbe tritt nach unseren Erfahrungen iiur dann ein, wenn die Eier durch iiussere Schadlichkeiteii mehr oder minder in ihrer Lebensenergie eine Einbusse erfahren baben. Sie wird danu weiter auch die Ursache modificirter uud anomaler Entwicklungsvorgauge, in welche wir freilich bis jetzt nur theilweise einen Eiublick ge- woiinen haben. Am genauesten hat sie Fol verfolgt und sich hierbei das Verdienst erworben, eine wichtige und interessante Hy- pothese liber die Entstehung der Doppel- uud Mehrfachmissbil- dungen aufgestellt zu haben. Er hat es im hochsten Grade wahr- scheiulich gemacht, dass diese Missbildungen durch eine anomale Befruchtung durch zwei, drei oder mehr Spermatozoen veranlasst werden. Fiir unseren vorliegenden Zweck wird es genugen, wenn wir den Entwicklungsprocess, wie er sich beim Eindringen zweier Samen- faden gestaltet, niiher verfolgen. In diesem Falle entstehen nach der Befruchtung in der Rinde des Dotters zwei Spermakerne. Dieselben setzen sich, je von einer Strahlung umgeben, nach dem Eikern zu in Bewegung, legen sich ihm an und theilen sich in seine Substanz. Anstatt einer ein- fachen Spiudel entwickelu sich jetzt zwei Spindehi, anstatt einer Doppelstrahlung eine Vierstrahlung. Zur Zeit, wo normale Eier sich in zwei Zellen theilen , zerfallen die doppel befruchteten so- gleich in vier Stiicke, zur Zeit der Viertheilung sind sie schon acht getheilt uud so weiter. Von der Richtigkeit dieser Angaben , welche wir Fol ver- danken , habe ich mich durch nachtragliche Untersuchung der- selben Objecte iiberzeugen konnen. Das weitere Schicksal der durch zwei Samenfaden befruchteten Eier hat Fol nicht direct weiter verfolgen konnen, aber er hat wenigstens geschen, dass in Zuchten mit zahlreichen, pathologisch veranderten Eiern sich einzelne Blastulae gebildet batten mit ver- grosserter Furchuugshohle und viel zahlreicheren Zellen als ge- wohnlich, und dass dann Larven entstanden, welche anstatt einer, zwei, drei und mehrere Gastrulaeinstiilpungeu darboten. Gesetzt nun, die Zwei- und Mehrfachbildungeu entstehen, so wie ich glaube, durch das Eindringen einer entsprechendeu An- zahl von Samenfaden , so ware dies ein wichtiger Beweis dafiir, dass die Kernsubstanz vorzugsweise die Organisation bestimmt 304 Oscar Hertwig, und wenn ich so sagen darf, den Krafteplan fiir die weitere Ent- wicklung in sich birgt. In dem oben gewahlten Beispiel wiirde der Anstoss zurEnt- stehung der Doppelmissbildung speciellvon denzwei Spermakernen ausgehen, welche sich in dieSubstanz desEikerns theilen, so dass jetzt anstatt eines nor- malen Keimkerns zwei Keimcentra vorhanden sind; diese umgeben sich mit Dotter und reprasentiren die Anlagen zweier Individualitaten in einer gemeinsamen Eihtille. Zugleich wiirden diese Verhaltnisse darauf hinweisen, dass dem Protoplasma des Eies nicht, wie manche Forscher wollen, eine feste Organisation in der Weise gegeben ist , dass aus einem bestimmten Theil ein bestimmtes Organ des zukiinftigen Thieres hervorgeht. Viehnehr wiirde die schon oben angefuhrte Anschauung Nageli's gestiitzt werden , wonach dem Protoplasma im Gegensatz zur Kernsubstanz eine grossere Gleichartigkeit seiner Micellargruppen und somit auch ein niedrigerer Grad der Organi- sation zukommt. Indessen beriihre ich hier Verhaltnisse, auf welche ich genauer im folgenden Abschnitt zuriickkommen werde. b. Bedeutung der Isotropie des Eies fiir die Be- fruchtungs- und Vererbungstheorie. Einen weiteren Hinweis darauf, dass die Kernsubstanz die Eigenschaften der Erzeuger tibertrage und insofern auf die Orga- nisation bestimraend einwirke, finde ich in der von PflUger e n t - deckten Thatsache der Isotropie des Eies. Darunter versteht PflOger i) die Erscheinung, dass die Dot- tertheilchen im Ei nicht von Anfang an in der Weise gesetz- massig augeordnet sind , dass auf dieseu oder jenen Theil die einzelnen Organe zuriickzufiihren seien. Er schliesst dies aus seinen Versuchen mit Eiern, die sich in Zwangslagen befinden. Wenn man namlich Froscheier mit ihrer primaren die beiden Pole verbindenden Axe horizontal legt, so fallt die erste Meridian- ebene zwar stets mit der lothrechten zusammen, sie kann aber 1) E. Pfluger, Ueber den Einfluss der Schwerkraft auf die Theilung der Zellen. Archiv f. d. ges. Physiologic. Bd. XXXI, 1883. pag. 313. Derselbe, Ueber den Einfluss der Schwerkraft auf die Theilung der Zellen und auf die Entwicklung des Embryo. Abhandl. II. Arch, f. d. ges. Physiologie. Bd. XXXIL 1883. pag. 56—69. Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies u. s. w. 305 mit der Eiaxe jeden beliebigen Winkel machen. Zum Beispiel sah Pfluger ofters, dass die erste Furchungsebene das Ei in eiue schwarze und eine weisse Hemisphare theilte. Hierdurch werdeu nun aber auch die weiteren Entwicklungs- vorgange beeinflusst, da die Medianebene des Embryo auch bei Eiern, deren primarer Axe man jede willkiirlich gewahlte Richtung gegeben hat, stets mit dem vertical stehenden primaren Furchungs- meridian zusammenfallt. Die Organe konnen sich daher an ver- schiedeuen Puukten der Dotteroberfliiche anlegen. So hat Pfluger durch seine Experimente vom Urmund der Gastrula bewiesen, dass er ihn auf der weissen Hemisphare entstehen lassen kann, wo er will, je nachdem er das Ei vor der Befruchtung gegen die Richtung der Schwerkraft lagert. Diese Augaben haben durch Born eine Bestatigung gefunden. Auf Gruud derartiger Beobachtungen theilt Pfluger „der Eisubstanz eine meridiale Polarisation zu." Er stellt sich „auf jeder Meridianhiilfte eines Eies in der Richtung dieser Linie po- larisirte" fiir alle Halften gleichwertige Moleciilreihen vor. „Die Schwere allein" schreibt er „bestimmt vermoge der Richtung der Eiaxe, welche dieser Moleciilreihen die herrschende wird. Es ist diejenige, welcher allein im Ei die ausgezeichnete Eigenschaft zu- kommt, in einem verticaleu primaren Meridian zu liegen". „Diese allein wirkt organisirend und verbraucht allmahlich alles Niihrmaterial fiir ihre Wachsthumstendenz." Die Vorstelluug, welche PflUger aus der Isotropie des Eies gewinnt, gebe ich in extenso mit seinen eigenen Worten wieder. „Es dunkt mir sehr wahrscheinlich , dass das eigentliche Nahr- material und das Wasser fast das ganze Gewicht des Eies aus- machen , wahrend die Summe aller jener in meridialer Richtung polarisirten Molecule, welche den eigentlichen Keimstoff darstellen, ein Gewicht hat, das von einerlei Ordnung ist mit dem Gewicht der festen Theile zweier Spermatozoen." „Ich wiirde mir also denken, dass das befruchtete Ei gar keine wesentliche Beziehung zu der spateren Organisation des Thieres besitzt, so wenig als die Schneeflocke in einer wesentlichen Beziehung zu der Grosse und Gestalt der Lawine steht, die unter Umstanden aus ihr sich entwickelt. Dass aus dem Keime immer dasselbe entsteht, kommt daher, dass er immer unter dieselben iiusseren Bedingungen ge- bracht ist. Gewisse durch die Schwerkraft bevorzugte Moleciil- reihen Ziehen vermoge der Zahl und des Ortes der ihuen zukom- menden Affinitaten oder Anziehungskrafte die ihnen benachbarten Bd. xvin. N. F. XI. 20 306 Oscar Hertwig, Molecule allmahlich an, sodass die Organisation sich ausbreitet in jedem Momente ebenso nothwendig als wie die Lawine beim Fallen wachst." „Wie ein Krystallstaubchen, das in ein mit gesattigter Losung gefiilltes Gefass fallt, zu einem grossen regelmassigen Korper sicli heranbildet , well die bereits geordneten Theilchen die aus der Losung angezogenen Molecule ebenfalls wieder ordnen und in den festen Aggregatzustand iiberfiihren, so wachst der winzige Keim, eine vielleicht selbst mit dem Mikroskop nicht sichtbare, organi- sirte Moleculgruppe des Eies in dem Ei zum normalen Organis- mus aus. Freilich sind hier wie dort die ordnenden Krafte sehr verschieden." Pfluger nimmt also im Ei eine nur ausserordentlich kleine Menge wirklicb wirksamer Substanz an , lasst dieselbe aber nicht morphologisch nachweisbar sein , sondern bezeichnet sie als „eine Summe von in meridialer Richtuug polarisirten Moleciilen , welche ein Gewicht habeu, das von einerlei Ordnung ist mit dem Gewicht der festen Theile zweier Spermatozoen". Die von Pfluger nur hypothetisch vorausgesetzte Substanz ist nun aber mit unseren Hiilfsmitteln zu erkennen; sie ist die Kernsubstanz. Wie ich schon in einem vorausgegangeneu Aufsatz durchzu- fiihren gesucht habe , verandert der befruchtete Kern bei den in Zwangslage befindlichen Eiern seine Lage und veraulasst hier- durch alle jene abnormen Theilungserscheinungen, welche Pfluger unter der Wirkung der Schwerkraft zu Staude kommen lasst. An die Kernsubstanz also sind die Krafte ge- bunden, durch welche die Organisation des Thieres bestimmt wird. Ob sich bei der Theilung die Kerne mit diesem oder jenem Theil der Dottersubstanz umgeben, ist uach den von PFLtJGER entdeckten That- sachen der Isotropie nicht von Bedeutung. Es er- scheint gleichgiiltig, ob bei der ersten Theilung der eine Kern sich mit der sogenannten animalen, der andere mit der vegetativen Dot- tersubstanz umhiillt oder ob beide Kerne sich in vegetative und animale Dottersubstanz in dieser oder jener Weise theilen. Jedesmal entsteht ein gleichgestalteter Embryo. Mit auderen Worten: Der Dotter ist nicht so organisirt, dass aus einerbe- stimmten Portion desselben ein bestimmtes Organ h e r V 0 r g e h e n m li s s t e. Mit diesem Ergebuiss treten wir in Gegeusatz zu einer An- Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies u. s. w. 307 schammg, die in den letzten 20 Jahren sich bei den embryologi- schen Forschern immer mehr festzusetzeu begonnen hat. Wir finden dieselbe am besteu ausgesprochen durch His in seinen Briefen an einen befreundeten Naturforscher i). Derselbe stellt in seinera zweiten Brief das Princip der organbilden- den Keimbezirke auf. Er rath uns, den Saugethierkorper durch eine complicirte Reihe von Vorgangen auf seine elementare Form zuruckzufiihren, dadurch dass wir in Gedanken die einzelnen Organe ventralwarts aufschlitzen und flach ausbreiten. Wir wiirden als Endergebniss zwei Flatten erhalten, welche langs einer als Axe zu bezeichnenden Linie zusammenhangen wiirden. Habe man die Flachleguug des Korpers der Art vorgeuommen , fahrt His fort, so sei es klar, „dass einestheils jeder Punkt im Embryonal- bezirk der Keimscheibe einem spateren Organ oder Organtheil entsprechen miisse, und dass anderntheils jedes aus der Keim- scheibe hervorgehende Organ in irgend einem raumlich bestimm- baren Bezirk der flachen Scheibe seine vorgebildete Anlage habe. Wenn wir die Anlage eines Theiles in einer bestimmten Periode entstehen lassen, so ist dies genauer zu pracisiren: Das Material zur Anlage ist schon in der ebenen Keimscheibe vorhanden, aber morphologisch nicht abgegliedert, und somit als solches nicht ohne Weiteres erkennbar. Auf dem Wege riicklaufiger Verfolgung werden wir dahin kommen, auch in der Periode unvollkommener oder mangelnder morphologischer Gliederung den Ort raumlich zu be- stimmen, ja wenn wir consequent sein wollen, haben wir diese Bestimmung auch auf das eben befruchtete und selbst auf das unbefruchtete Ei auszudehnen. Das Princip, wonach die Keim- scheibe die Organanlagen in flacher Ausbreitung vorgebildet eut- halt, und umgekehrt, ein jeder Keimscheibenpunkt in einem spate- ren Organ sich wiederfindet , nenne ich das Princip der organ- bildeuden Keimbezirke". Wie sehr derartige Anschauungen schon in Fleisch und Blut iibergegaugen sind, zeigt uns nichts klarer als die Stellung, welche BoEN 2) der von PflOger entdeckteu Isotropie des Eies gegen- iiber einuimmt. „Das Wunderbare ist", schreibt er in seiner letzten Mittheilung 1) His, Unsere Korperform und das physiologisclie Problem ihrer Entstehung, 1874. pag. 18 — 19. ^) G. BoEN, Ueber den Einfluss der Schwere auf das Eroschei. Breslauer iirztliche Zeitschrift. Nr. 8. 1884. Separatabdr. pag. 12. 20* 308 Oscar Hertwig, liber den Einfluss der Schwere auf das Froschei, „dass trotz der erheblichen Storungen in der Vertheilung des Eimaterials , die durch die Verlagerung der Eier herbeigefiihrt wird, sich doch schliesslich normale Quabben, die sich in nichts von den gewohn- lichen unterscheiden, entwickeln. Auch die Willkiir, mit der man nach der PFLUGER'schen Kegel die Richtung der Medianebene andern kann, macht das Problem der Entwicklung durchaus nicht leichter verstandlich , denn die Sicherheit in der Vererbung nicht bloss der grossen Familiencharactere sondern der kleinsten Eigen- thiimlichkeiten der Art, ja des Individuum, hat immer dazu ge- ftihrt, eine moglichst friihzeitige, specielle, ortlich teste Austheilung des Eimaterials je nach seiuen zukiinftigen Bestimmungen auzu- nehmen. — Die oben angefuhrten Erfahrungen erscheinen einer solchen Annahme nicht gunstig ; es bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten, zu zeigen, wie man trotzdem dem Grundproblem der Entwicklung naher kommen kann." Wenn die Lehre, wie sie von His in obigen Satzeu entwickelt wird, sich allgemeinere Geltung verschaffte, so wUrdeu wir uns ohne Zweifel um einen grossen Schritt wieder der alten Evolutions- theorie genahert haben. Einzelne Forscher stellen sich sogar ganz auf den Boden derselben, so Lowe^) in seinem Werk: „Zur Entwicklungsge- schichte des Nervensystems der Saugethiere und des Menschen". In demselben zieht er gegen die Epigenese zu Felde als ein ent- schiedener Anhanger der Evolutionstheorie. „Das Centralnerven- system", heisst es an einer Stelle, „beweist auf das Glanzendste die Richtigkeit der Evolutionstheorie alien anderen Entwicklungs- theorien gegenuber". Denn „das Gehirn und das gesammte Ner- vensystem", von 3 mm langen Kaninchenembryonen, „ist in nuce nur ein, allerdings auf die einfachste Form reducirter, aber doch vollstandiger Abklatsch des erwachsenen Zustandes". „Es muss das Gehirn irgend einer Chimara oder eines Petromyzon in nuce sammtliche wichtigeren Theile des Menschenhirns in sich bergen". Derartige Auffassungen nun sind endgiiltig widerlegt durch die Isotropic des Eies, durch die Thatsache, dass man durch kunstliche Eingriffe an den verschiedensten Stellen der Dotter- oberflache ein Organ zur Entwicklung bringen und mit Willkiir ') L. Lowe, Beitrage zur Anatomie und zur Entwicklungsge- schichte des Nervensystems der Saugethiere und des Menschen. Ber- lin 1880. Das Problem der Befruchtuag und der Isotropic des Eies u. s. w. 309 die RichtuDg der Medianebene des zukunftigen Embryo andern kann. Auch spricht dagegen die Ueberlegung, dass sich die Or- ganisation des Dotters wahrend der Entwicklung mit jedem Augen- blick verandert. Im unbefruchteten Hiihnerei sind die von His sogenannteu organbildenden Bezirke der Keimscheibe kernlos und insofern sind sie etwas ganz anderes und gar nicht zu vergleichen mit den kernhaltigen Zellen, die nach dem Furchungsprocess an ihrer Stelle sich vorfinden. Im Vergleich zur Keimscheibe des unbe- fruchteten Eies hat die spater vorhandene Zellenscheibe sehr be- deutende chemische Substanzveriinderungen und Substanzumlage- rungen durch den Kernbildungsprocess und die Vertheilung der Kerne erfahren. Das hat man friiher viel zu sehr unberiicksich- tigt gelassen aus dem einfachen Grunde, weil man fiir Alles und Jedes nur das Protoplasma verantwortlich machte, sich aber um den Zellenkern dabei nicht kiimmerte. Drittes Kapitel. Ueber das Verhaitniss, iii welchem Kerns ubstanz iind Proto- plasma zu einander stehen. Unter dem Einfluss der Protoplasmatheorie von MaxSchultze hatte man sich Jahrzehnte lang daran gewohnt, als die eigent- Hche Lebenssubstanz das Protoplasma zu betrachten, da man an diesem allein eine Reihe der wichtigsten Lebensvorgange beob- achtet hatte. Dem Kern dagegen hatte man eine nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt und sich mit der morphologischen De- finition desselben als eines Blaschens begniigt, von welchem man nicht anzugeben wusste, wozu es in der Zelle iiberhaupt da sei. Dieser Zustand iinderte sich, als man die Rolle der Kerne bei der Befruchtung und die complicirten Erscheinuugen bei der Thei- lung kennen lernte; man verschloss sich daher jetzt weniger als friiher der Meinuug, dass dem Kern eine wichtige Aufgabe im Zellenleben zufallen miisse. Welche Art dieselbe sei, habe ich in den vorhergehenden zwei Capiteln durch Begriindung einer Befruchtungs- und Vererbungstheorie im Einzelnen festzustellen versucht. Zur besseren Abrundung unseres Themas wird es jetzt noch 310 Oscar Hertwig, nothig sein, das Verhaltniss, in welchera Kernsubstanz und Pro- toplasma zii eiuander steheu, kurz zu beriihren. Das Protoplasma vermittelt den Verkebr mit der Aussenwelt, indem sich in ihra die Ernahrungsprocesse abspielen und es zur Gewebebildung in Beziehung steht; der Kern dagegen erscbeint als das Organ der Fortpflanzung und Vererbung; das Nuclein ist eine Substanz, welcbe die Eigenscbaften der Eltern auf die Kinder ubertragt und wahrend der Entwicklung selbst von Zelle auf Zelle iibertragen wird, Gemjiss ibrer verscbiedenen Aufgabe werden wir beiden Sub- stanzen, wie dies Nageli fiir sein Idioplasma und Ernahrungs- plasma durchzufiibren versucbt bat, einen verscbiedenen Grad innerer Organisation zuscbreiben miissen. Wenn wir uns bierbei auf den Boden der Nageli'scben Micellarbypothese stellen, kon- nen wir annebmen , dass sicb die Micellen im Protoplasma in einem lockereren, in der Kernsubstanz in einem festeren Verbande befinden, dass ersteres weniger, letztere mebr organisirt ist. Fol- gende Tbatsacben lassen sicb zu Gunsten dieser Annabme ver- wertben. Auf einen lockeren Micellarverband konnen wir aus der Er- scheinung der Protoplasmastromung scbliessen , bei welcber ja notbwendiger Weise die kleinsten Tbeilcben oder Micellen sicb in den verscbiedensten Ricbtungen und scbeinbar regellos aneinander vorbei scbieben miissen. Auf eine stabilere Anordnung der Mi- cellen in der Kernsubstanz dagegen scheinen uns die Bewegungs- erscheinungen binzuweisen, welcbe bei der Kerntbeilung sowohl im Tbierreicb als im Pflanzenreicb in ausserordentlicb gesetzmas- siger Weise imraer wiederkebren : die Anordnung der Substanz in Fiiden, die aus kleinen aneinander gereibten Microsomen bestehen, die Scbleifen- und Spindelbildung, die Halbirung der Faden ihrer Lange nach und die Art ibrer Vertbeilung auf die Tocbterkerne. Wir scbliessen uns bier einer von Roux^) aufgestellten Hy- pothese an, dass die Kerntbeilung eine so complicirte ist, weil die Substanz sebr verscbiedenartige Qualitaten in sicb vereinigt. Nacb ibm sind „die Kerntbeilungsfiguren Mecbanismen, welcbe es ermoglicben, den Kern nicbt bloss seiner Masse, sondern aucb der Masse und Bescbaffenbeit seiner einzelneu Qualitaten nacb zu tbeilen". „Der wesentlicbe Kerntbeilungsvorgang ist die Thei- lung der Mutterkorner; alle iibrigen Vorgange haben den Zweck, ^) W. Roxjx, tJber die Bedeutung der Kern theilungsfiguren. 1883. Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies u. s. w. 311 von den durch diese Theiluiig entstandenen Tochterkoriiern dessel- ben Mutterkornes immer je eines in das Centrum der einen, das andere in das Centrum der anderen Tochterzelle sicher iiberzu- fuhren". Aus dem Umstand, dass fiir die Kerntheilung so com- plicirte Einrichtungen zur qualitativen Theilung getroffen sind, welche fiir den Zellenleib fehlen, schliesst Roux wohl niit Recht riickwiirts, „dass der Zellenleib in viel hoherem Maasse durch Wiederholung gleich beschaflfener Theile gebildet vvird als der Kern", und er folgert daraus, „dass fiir die Entwickelung des Em- bryo, sowie vielleicht audi fiir das Regenerations vermogen der niederen Thiere der Kern wichtiger ist als der Zellenleib, eine Folgerung, welche in vollkommener Uebereinstimmung mit den neueren Ergebnissen iiber den Vorgang der Befruchtung steht". Auch Strasburger 1) findet, dass „die Roux'sche Hypo- these auf den ersten Blick viel Wahrscheinlichkeit habe. Denn sicher sei es auffiillig, dass sich der Zellenleib in so einfacher Weise halbire, wiihrend der Kern so complicirte Theilungsvor- gange durchmache. Es liege somit nahe, in den Zellenkern zahl- reiche zu halbirende Qualitaten zu verlegen und ihn zum Tniger der specifischen Eigenschaften des Organismus zu machen". Bei der Annahme einer festeren Organisation der Kernsub- stanzen erscheinen die embryonalen Processe, welche sich zunachst an die Befruchtung anschliessen , in einem ganz neuen Licht. Als das wesentlichste und wichtigste bei denselben betrachte ich die Vermehrung, Individualisirung und gesetzmassige Vertheilung der Kernsubstanz. Wahrend dieselbe in der eben befruchteten Eizelle im Keim- kern nur in ausserordentlich geringer Quantitat vorhanden ist, hat sie oft schon nach wenigen Stunden eine Zunahme um das hundertfache und mehr erfahren. Am auffiilligsten ist dies in solchen Fallen, wo, wie bei vielen Eiern der Arthropoden, die Zelltheilung Anfangs unterbleibt und die Kernvermehrung das einzige ist, was am Beginn der Embryonalentwicklung iiberhaupt stattfindet. Die Zunahme der Kernsubstanz kann nur auf Kosten des Protoplasma geschehen, da die Eizelle als ein in sich abgeschlos- sener Organismus von Aussen nur Wiirme, Licht und Sauerstoff ') Ed. Steasbtjiiger, Die Controversen der indirecten Kernthei- lung. Bonn 1884 pag. 57. 312 Oscar Hertwig, bezieht. Die Zunahine erfolgt, wenn wir die Hypothese vom Bau der Zellsubstanzen weiter ausfiihren, wahrscheiiilich so, dass die ill loserem Zusammeuhaug befiiidlichcn Micellgruppen des Proto- plasma, indem sie vielleicht audi chemische Umanderungen er- leiden, in die festere Micellarstructur des Kerns vor und wahreiid seiner Theilung eingefiigt werden. Urn sich eine Vorstellung davon zu machen, wie viel Ei-ma- terial wiihrend der Entwicklung in Kernsubstanz ubergefuhrt wird, vergleiche man die ungetheilte Eizelle mit der aus der Eihaut ausschliipfendeu Larve eines Echinoderms. Dort betragt die Kern- substanz kaum einen Tausendsten Theil des Eies und bei selir dotterreichen Eiern sogar nur einen geringen Bruchtheil eines Mil- lionstel Theils. Hier hat sie auf Kosten des Protoplasraa so zu- genommen, dass sie schatzungsweise ein Drittel oder ein Viertel der Gesammtmasse der Larve ausmacht. Im Vergleich zu dieser rait complicirten Kernstructuren ein- hergehenden Vermehrung der Kernsubstanz erscheint die embryo- nale Zerlegung des Dotters in Theilstiicke als ein ungleich gro- berer und minder bedeutungsvoller Process. Ich benutze hier die Gelegenheit, um eine Meinuug zu be- leuchten und zu widerlegen, welche kurzlich von Brass i) in seineu biologischen Studien leichthin aufgestellt worden ist. Brass bezeichnet die farbbare Substanz des Kerns oder das Chromatin als secundar in die Zelle eingelagertes, fiir das Leben derselben unter Unistiinden nicht absolut nothwendiges Nahrungsmaterial; er nennt es einen Stoff, der dazu diene, von dem Zellorganismus unter alien Unistiinden verbraucht zu werden, der geradezu ein Reservestoff sei zur Unterstutzung der Funktionen des Kernes wahrend einer Zeit, wo dieser nicht in der Lage ist, selbst von aussen neues Nahrungsmaterial aufzunehmen. Das Chromatin verhalte sich zur Zelle ahnlich, wie sich der Darminhalt und der Chylus bei eineni Wirbelthiere zum Organismus des letztern ver- halte; es diene zum Lebensunterhalt, sei aber kein lebender ac- tiver Theil! Das farblose Plasma iibe alle Functionen der Zelle aus". Ich frage, wie vertriigt sich diese neue auftauchende Meinung ^) A, Brass, Die Organisation der thierischen Zelle. Halle 1884. Heft II pag. 137 etc. Derselbe, Die chromatische Substanz in der thierischen Zelle. Zoologischer Anzeiger 1883 pag. 681. Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies u. s. w. 313 mit der eben besprochenen Thatsache, dass das urspriiuglich nur in Spurei] vorhandenc Chromatin wilhrend der Embryonalentwick- lung, wo keine Nahrung von aussen aufgenommen wird, so ausser- ordentlich zunimmt, mit der Thatsache, dass bei der Befruchtung sich zwei Chromatinsubstanzeu vereinigenV Aber fiir Brass ist seine Meinuug schon mehr als eine wis- senschaftliche Hypothese, selbst mehr als eine Theorie, es handelt sich fiir ihn schon um eine Thatsache, welche einem Jeden, der sehen will, „das Mikroskop taglich und stiindlich lehrt.'' Ich kann an dieser Stelle nicht ausfiihi-lich die Beobachtungen erortern, welche Brass als Argumente aufiihrt, nur einer Beob- achtung will ich erwahnen, um an ihr zu zeigen, wie Brass bei der Beurtheilung mikroskopischer Bilder verfahrt. Derselbe beschreibt, dass an den grossen Keimblaschen von Eizellen an bestimmten Stellen derselben oder iiber die gesammte Oberflache eigenthiimliche Fortsatze zerstreut liegen , welche sich auf Schnitten von conservirtem Material als vielgestal- tige kurze Pseudopodien darstellen, welche aber an lebenden Ker- nen in fortwahrend wechselnden Gestalten auftreten; „diesc Pseudo- podien haben nun den Zweck, aus dem umliegenden Nahrplasma entweder auf osmotischem Wege chromatische Substanz aufzu- nehmen oder direct auf mechanischem Wege solch' vorgebildete zu umfliessen." Nach meinen Erfahrungen sind unveranderte Keimblaschen fast stets mit glatter Kugeloberflache versehen. Die von Brass beschriebenen Pseudopodien sind Auszackungen und Faltungen, die durch Schrumpfung in Folge der Einwirkung erhartender Rea- gentien hervorgerufen und einem Jeden, der Schnitte durch er- hartete Eizellen angefertigt hat, bekannt sind. Es ware doch zu vvunschen, dass Theorieen, „welche", wie Fraisse^) sich ausdriickt, „so ziemhch alle unsere bisherigen An- schauungen iiber die Zelle, das Protoplasma etc. in's Schvvanken bringen," auf etwas besseren Beobachtungen beruhten, zumal wo ihr Urheber vorgiebt, auch in der Untersuchungsmethodik reformi- rend aufzutreten. Wir kehren nach dieser Abschweifung zu unserem Thema zuruck! — ^) Fraisse, Brass und die Epithelregeneration. Zoologiacher Anzeiger 1883. pag. 683. 314 Oscar Hertwig, Die Substanzen von lockerer und festerer micellarer Organi- sation miissen in der lebenden Zelle, da dieselbe ein Elementar- organismus ist, selbstverstandlicher Weise in eine Wechselwirkung zu einander treten. Dieselbe offenbart sicli uns am meisten bei den Vorgangen der Befruchtung, der Strahlenbildung, der Kern- und der Zelltheilung, wahrend zu anderen Zeiten der Kern schein- bar als passiver Theil im Protoplasma zu ruhen scheint. Bei der niiheren Feststellung der Wechselwirkung aber, welclie zwischeu Protoplasma und Kern stattfindet, gehen die Ansichten der For- scher wieder weit auseinander. Einige Forscher, an den Anschauungen der Max Schultze'- schen Protoplasmatheorie festhaltend, wollen fiir alle Lebensvor- gange und namentlich fiir alle Bewegungsersclieinungen in der Zelle nur das Protoplasma verantwortlich machen. So sollen bei der Befruchtung Ei- und Sperniakern durch Bevvegungserschei- nungen des Protoplasma bis zur gegenseitigen Beriihrung auf ein- ander zugeschoben werden. So soil auch fiir die Kerntheilung das Protoplasma ebenso wie fiir die Zelltheilung das Maassgebende und Leitende sein. In ihm sollen die Attractionscentren bei der Theilung auftreten und nicht an den Enden des gestreckten Kerns. Andere Forscher dagegen sehen neben dem Protoplasma auch in den Kernsubstanzen active Theile, welche sich namentlich bei der Befruchtung und Theilung bethatigen und hierbei sogar auf das Protoplasma einen bestimmenden Einfluss gewinnen. Wenn wir auf die Deutung der Einzelerscheinungen naher eingehen, so scheinen rair die Befruchtungsvorgange am wenigsten Schwierigkeiten zu bereiten, Es ist hier die Frage zu entscheiden, ob Sperniakern und Eikern gleichsami als passive Theile nur ver- moge zweckmassiger Bewegungen des Protoplasma bis zur Ver- einigung auf einander zugeschoben werden, oder ob sie sich auf- suchen vernioge fernwirkender Krafte, die in ihrer eigenen Sub- stauz ruhen und sich in einer wechselseitigen Anziehung aussern. Im ersteren Falle ist die Zweckmassigkeit der Protoplasma- beweguugen, welche die Kerne in gerader Richtung zusammen- fiihren, an sich schwer zu verstehen. Auch lassen sich wohl fol- gende Beobachtungen dagegen geltend machen. Bei Eiern, die vor der Bildung der Richtungskorper befruch- tet werden, bleibt der Spermakern in der Oberflache des Dotters bewegungslos liegen, bis zu dem Moment, in welchem der Eikern entstauden ist. Da nun das Protoplasma das niimliche geblieben ist, so erscheint es unbegreiflich , warum es nicht vou Anfang an Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies u. s. w. 315 den Spermakcrn fortbewegt hat. Lassen wir dagegen vom Kern ausgeheude Krafte auf einander einwirken, so ist es selbstver- standlich, dass der Spermakern so lange nicht in Action treten kann, als sich nicht der ihm entsprechende Eikern entwickelt hat. Die anfangliche Ruhe und das darauf folgende Inkrafttreten des Spermakerns erkhirt sich daraus, dass in Folge der bei der Eireife stattfindenden Veranderungen der weibliche Kern iiberhaupt erst befruchtungsfahig geworden ist. Ferner bereiten die Verhaltnisse der Polyspermie Schwierig- keiteu , vvenn wir den Anstoss zur Bewegung in das Protoplasma verlegen. Denn warum werden dann durch dasselbe nicht die mehrfach eingedrungenen Spermakerne auch unter einander zu- sammeugefiihrt ? Nehmen wir dagegen einen geschlechtlichen Gegensatz zwischen den Kernen an, dann ist es nicht mehr auf- fallig, warum die Spermakerne sich gegenseitig meiden, dagegen den Eikern aufsuchen. Einen Bevveis dafiir, dass der Kern als die hoher organisirte Sabstanz ein eigenes Kraftcentrum in der Zelle darstellt, sehe ich auch in dem Auftreten der Protoplasmastrahlung. Wenn wir wahr- nehmen, dass Protoplasmatheilchen sich um einen gegebenen Mit- telpunkt in radiaren Bahnen anordnen, dass die radiare Anordnung zuerst nur in nachster Nahe des festen Mittelpunktes beginnt und von da sich auf immer grossere Entfernung ausdehnt, indem an die bereits radiar gerichteten Plasmatheilchen sich immer neue in radiarer Richtung ansetzen, so werden wir nach einer im Centrum der Strahlung gelegenen Substanz suchen, welche als Attractions- centrum wirkt und die Strahlenerscheinung verursacht. Proto- plasma kann dieselbe nicht sein, da doch die anziehende von der angezogenen Substanz verschieden sein muss. Man miisste also annehmen, dass im Protoplasma, abgesehen vom Kern, noch eine besondere Substanz vorhanden sei, welche unter bestimmten Be- dingungen als Attractionscentrum wirke. Diese Annahme wiirde indessen vollstandig in der Luft schweben. Viel naher liegt es, die Ursache I'iir die Strahlenbildung in der Spermasubstanz zu suchen, da unmittelbar nach geschehener Befruchtung sich um den Samenfadenkopf eine Strahlung bildet und sich mit ihm nach dem Eikern zu bewegt. Man hat zwar dagegen eingewandt, dass die fiirbbare Sperma- substanz, wieFlemming am genauesten beschrieben hat i), nicht ^) Flemming, Beitrage zur Keuntuiss der Zelle und ihrer Lebens- erscheinuDgen. Theil III. Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. XX. 316 Oscar Hertwig, genau das Centrum der Strahlung einnehme, sondern etwas ausser- halb derselben an der dem Eikern abgewandten Seite liege, dass die Straiiluug daher dem Spermakern vorauswandere und ihn gleichsam als passiven Theil nach sich ziehe. An der Richtigkeit der Beobachtungen, von welchen ich mich selbst iiberzeugt habe, ist nicht zu zweifeln. Doch scheint rair der Sachverbalt, soweit ihn mein Bruder und ich neuerdings haben feststellen konnen, ein noch complicirterer zu sein. Der Kopf der Samenfaden setzt sich niimlich aus 2 verschiede- nen Substanzen zusammen, welche ich als Nuclein und Paranuclein unterscheide. Ersteres bildet bei den Seeigeln die Spitze des Kopfes, letzteres den von Selenka^) sogenannten Hals. Das eine tingirt sich in Farbstoffen stark, das letztere nicht. Sowohl Flemming'^), als auch mein Bruder und ich haben nun ofters beobachtet, dass der Kopf des Samenfadens bald nach seinem Eindringen in den Dotter eine Drehung erfahrt, so dass das sogenanute Halsende dem Centrum des Eies zugekehrt wird. An diesem bildet sich die Strahlung, wahrend die aus Nuclein bestehende Spitze excen- trisch zu ihr liegt, Ich habe wiederholt den Eindruck gewonnen, wenn es mir auch nicht gegliickt ist, klare Bilder zu erhalten, als ob das Paranuclein als feines Stabchen bis in das Centrum der Strahlung hiueinreiche. Wenn dies richtig ist, dann wiirde das Paranuclein , welches sich wegen seiner geringen Menge und da es nicht tingirbar ist, im Dotter der Beobachtung leicht ent- zieht, das Attractionsceutrum sein. Ausser der Spermastrahlung gibt es noch andere Strahlen- bildungen, welche bei der Kerntheilung entstehen und nach meiner, auch schon friiher geausserten Meinung ebenfalls durch Krafte, die vom Kern ausgehen, hervorgerufen werden. Die Strahlungen bilden sich an den zwei Polen der Kernspindel oder der achro- matischen Figur Flemming's. Sie konnen daher nicht zur farb- 1) E. Selenka, Befruchtung des Eies von Toxopneustes variega- tus. Leipzig 1878. ''^) Elemming bemerkt hieriiber : „Auffallend ist es, dass der Kopf keineswegs immer mit seiner Spitze, d. i. dem Vorderende, nach dem Centrum des Eies gekehrt liegen bleibt, haufig liegt er schrag, und oft sogar umgedreht, so dass sein stumpfes Ende nach der Eimitte sieht, wie ein solcher Fall gerade in Fig. 1 Taf. I gezeichnet wurde" (W. Elemming, Beitrage zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebens- erscheinungen. Theil III. Archiv fiir mikroskop. Anat. Band XX pag. 17). Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies u. s. w. 317 baren Kernsubstanz (ChromatiM oder Nuclein), welche ausserhalb ibres Bereiches liegt, in ursachlicher Beziehuiig stehen. Dagegen findet sich an den Enden der Spindel eine geringe Quantitat wenig tingirbarer, aber vom Protoplasma unterscheidbarer Substanz an- gehauft (die Polarsubstanz oder das Polkorperchen). Diese be- steht meinen Beobachtungen nacli aus Paranucleiu, iiber welches ich an anderer Stelle ausfiihrlicher zu handeln denke. Es wiirden also, wenn unsere Anschauung richtig ist, die bei der Befruchtung und Zelltheilung auftretenden Strahlungen des Protoplasma eine gemeinsame Ursache in der Auwesenheit ein und derselben Substanz haben. Wenn ich die Krafte, welche die Kern- und Zelltheilung be- herrschen, in den Kern selbst verlege, will ich hierbei eine Mit- wirkung des Protoplasma durchaus nicht ausgeschlossen haben, im Gegentheil glaube ich, dass ein sehr complicirtes Wechselverhalt- niss vorliegt. Um die Vorstellung, welche ich mir hieruber ge- bildet habe , klar zu machen , finde ich sehr geeignet , den Ver- gleich des sich theilenden Kerns mit einem Magneten, der in Eisenfeilspahne getaucht ist. Ich wiirde auf diesen schon ofters gebrauchten Vergleich hier nicht zuriickkommen , wenn ich nicht glaubte, ihm eine neue Seite abgewinnen zu konnen. Wie der Magnet aus regelmassig angeordneten Theilchen zu- sammengesetzt ist, unter deren Einfluss auch die gewohnlichen Eisenfeilspahne polarisirt werden, ebenso zeigt unserer Hypothese nach der Kern einen festeren Micellarverband , welcher bei der Zelltheilung eine umlagernde Wirkung auf die nur locker grup- pirten Micellen des Protoplasma ausiibt. Wie der Magnet in sei- ner Stellung durch beuachbarte Eisenmengen beeinflusst wird, in- dem er durch solche aus seiner Richtung bekanntlich abgelenkt werden kann, so wird auch die Lage des sich theilenden Kerns, wie ich in einem friiheren Heft dieser Studien^) glaube be- wiesen zu haben, durch die Massenvertheilung des Protoplasma bestimmt, indem seine beiden Attractionscentren stets in die Ptich- tung der grossten Massenansammlung des Protoplasma zu liegen kommen. Ich brauche wohl nicht hinzu zu fugen, dass, wenn ich mich des angefuhrten Vergleichs bediene, ich nicht damit gesagt haben 1) Oscar Heetwig, Welchen Eiufluss libt die Schwerkraft auf die Theilung der Zellen ? Jena, Gustav Fischer. 1884, 318 Oscar Hertwig, Das Problem der Befruchtung u. s. w. will, dass wir es in beiden Fallen mit den gleichen physikalischen Kriiften zu tliun haben miissen. Aber ich glaube, dass der Ver- gleich am besten zur Veranschaulichung dessen beitragt, wie ich mil- das Wechselverhaltniss zwischen Kern und Protoplasma vor- stelle. Mogen uus weitere Untersuchungen daruber in Zukunft noch sicliereren Aufschluss bringen. Jena, Anfang October 1884. Ueber die lymphoiden Zellen der Anneliden. Von mWy Kiikenthal, Dr. phil. Hierzu Tafel X und XI. Vorliegende Arbeit entstand bei Gelegenheit der Untersuchung eines Tubificiden. Die merkwiirdigen Erscheinungen , welche der Inhalt der Leibesfliissigkcit zeigte, erregten mein Interesse in hohem Grade, und bestimmten mich zu einer eingehenderen Untersuchung, zumal die cinschlagige Literatur uur wenige, meist nicht sehr eingeliende Beobacbtungen aufweist. Fiir die anregenden Rath- schlage, welche mir von Herrn Professor Haeckel und Herrn Dr. JiCKELi, unter deren Leitung diese Arbeit ausgefiihrt wurde, zu Theil wurden , bin ich genannten Herren zu grossem Danke verpflichtet, Herrn Dr. Jickeli besonders noch fiir die freundliche Hilfe, mit der er mich bei dem technischen Theil meiner Unter- suchung unterstiitzte. Da nur eine Wurnispecies als Material zur Verwendung kam, so kann diese Arbeit noch nicht als eine abge- schlossene angesehen werden. Wenn ich aber trotzdem den Titel so allgemein gegeben habe, so ist dies deshalb geschehen, weil ich durch vergleichend litterarische Studien zu der Ueberzeugung gekommen bin, dass die Verhaltnisse bei andern Anneliden im Wesentlichen dieselben sein werden, und weil es meine Absicht ist, in einer spateren, sich an diese anschliessenden Arbeit diese Verhaltnisse fiir die Haupttypen der Anneliden des Naheren fest- zustellen. Als Material zur Untersuchung hatte ich, wie schon oben er- wahnt, einen Tubifex gewahlt, dessen wesentliche Kennzeichen mit 320 Willy Kiikenthal, dem von Clapar^ide * ) beschriebenen Tubifex Bonneti Clap, tiber- eiiistimmtcn. Von vorn herein liessen sich zwei Gesichtspunkte aufstellen , nach welchen die Arbeit in Angriff genommen werden konnte, einnial gait es die lymphoiden Zellen an sich zu studiren, (laim abcr waren die Beziehungen dieser Zellen ziini gesannnten Wurmkorper aufzusuchen, so dass also die gesammte Untersuchung in diese zwei Theile zerfallt. Die Methoden, deren ich niich dabei bedicnte, waren folgende. Da es mir zunachst darauf aiikam, den Inhalt der Leibesfliissigkeit naher zu studiren, ohne auf die Be- ziehungen dessclben zu andern Organsystemen zu achten, so zer- schnitt ich den Wurm in mehrere Theile und liess die schwach- gelbliche Fliissigkeit auf den Objecttrager tropfen. Bei Beobach- tung der Lebenserscheinungen wurde diese Pliissigkeit cntweder direct unter das Microscop gebracht, oder abcr mit einer soge- nannten physiologischen Flussigkeit, in diesem Falle einhalbpro- centiger Chlornatriumlosung , versetzt, und in beiden Fallen bei einer Temperatur von 16 — 18 Grad E. untersucht. Alle Versuche, eine Fiirbung der lebenden Zellen herbeizufiihren, zu welchem Zwecke ich mich sehr verdiinnter Hainatoxylinlosung bediente, scheiterten ganzlich, indem die Zellen sofort abstarben, und es blieb bei Anwendung von Kernfarbeniitteln nichts weiter tibrig als die lymphoiden Zellen vorher zu todten. Als bestes Todtungs- mittel, welches von Flemming^) ebenfalls zu diesen Zwecken ver- wandt wurde, empfiehlt sich ein Gemisch von Ueberosmiumsiiure, Essigsaure und Chromsaure (0,10 Procent Ueberosmiumsaure, 0,10 Procent Essigsaure und 0,25 Procent Chromsaure), welches keine benierkbaren Structurveranderungen bewirkte. Auch verdutinter Alkohol liess sich mit Vortheil verwenden, da man bei seiner An- wendung das stundenlauge Auswaschen der Ueberosmiumsaure mit destilirtem Wasser vermied. Reine einhalbprocentige Ueberosmium- saure wurde ebenfalls zur Todtung benutzt, sie farbte aber schon nach kurzer Zeit auf Kosten der Durchsichtigkeit den kornigen Inhalt schwarz. Als Kernfiirbungsuiittel wandte ich die Mehrzahl der gebrauchlichsten Losungen an und fand , dass die besten und sichersten Farbungen mit Pikrocarniin und dem Hamatoxylin von BoHMER erzielt wurden , alle andern, Boraxcarmin, Alauncarmin, Beale'sches Carmin , Methylgriin , Safranin , Fuchsin erwiesen sich *) Eecherches anatomiques sur les Oligochetes par Ed. Claparede. 1862. p. 14. ^) Flemming, Zellsubstauz , Kern uud Zelltheilung. 1882. Ueber die lymphoideu Zelleu der Anneliden. 321 zu diesem Zwecke als weniger brauchbar. Die Behandlung der lymphoiden Zellen mit diesen Reagentien geschah auf dem Object- trager unter dem Deckgliischen ; ein VVegschwenimen wurde durch eiu dazwischen gelegtes Haar vermieden. Die so gefarbten Pra- parate wuiden ausgewaschen und dann entweder sogleich zur Untersuchuiig beiiutzt, oder erst in Alkohol gehartet, dann in Nelkenol und endlich in Cauadabalsam eingeschlossen. Die Untersuchungen der lymphoideu Zelleu in ihren Beziehungen zu dem gesammten Wurmorganismus konnte ich zum grossen Theile am lebenden Thiere selbst anstellen, da dessen glashelle Cuticula, zumal bei jungeren Thieren, einen ausgezeichneten Ucber- blick der verschiedenen Organe gestattet. Nur bei genauerem Eingeheu auf histologische Verhiiltnisse war die Anfertigung von Schnitten nothig. Die Beobaclitung des lebenden Thieres geschah im Wasser bei einem sehr geringen Drucke des Deckglaschens, so dass nur die sonst sehr lebhaften Bewegungen des Wurmes etwas gehemmt wurden, eine Storung der inneren Organisationsverhalt- nisse aber nicht eintreten konnte. Um Schnitte anzufertigen, wurde der Wurm zunachst mit dem schon erwahnten Gemisch von Ueber- osmiumsaure, Chromsaure und Essigsaure oder auch mit einpro- centiger Chromsaure getodtet, wobei ein langeres Auswaschen mit destillirtem Wasser nothig war, und danach gefarbt. Boraxcarmin und Alauncarmin gaben hier die besten Resultate. Zum Harten bediente ich mich verschiedener Alkoholgrade, zur daraul" folgen- deu Einbettung des Paraffins unter Anvvendung der Chloroform- methode. Gehen wir nun zur Untersuchung selbst iiber. Schon eine schwache Vergrosserung der aus dem zerschnittenen Wurm her- ausgetropften Flussigkeit lasst erkennen, dass man es nicht mit einer homogenen Flussigkeit zu thun hat, sondern dass eine Menge verschiedener fester Elemente darin enthalten sind, von denen ziemlich grosse, rundliche Zellen zuerst ins Auge fallen. Dies sind die lymphoiden Zellen , der Gegenstand unserer Untersuchung. Ausserdem sind in der Flussigkeit noch kleine, gelblichbraune Kornchen suspendirt und neben diesen auch noch grossere, stark- lichtbrechende Kugeln, die sich durch ihre leichte Loslichkeit in Aether als aus Fett bestehend erweisen. Bei genauerer Betrach- tung der lymphoiden Zellen lassen sich leicht zwei Arten derselben unterscheiden, solche, welche ein mehr oder minder fein granulirtes Protoplasma zeigen, und solche, deren Protoplasma auch noch lid. XVIII. N. F. XI. 2 I 322 Willy Kukenthal, helle starklichtbrechende Kornchen enthalt. Diese Kornchen sind farblos, einige Zellen enthalten aber neben diesen farblosen Korn- chen auch noch grossere, gelblichbraune, von der Art, wie sie isolirt in der Leibesfliissigkeit herumschwimmen , und bei anderen verschwinden die kleinen farblosen Kornchen vollstandig, um den gelbbraunen Platz zu machen. Zwischen den gekornten und den ungekornten Zellen ist auch noch ein oft nicht unbetrachtlicher Grossenuntorschied vorhanden, indem die letzteren kleiner als die ersteren sind. Irgend welche Andeutung einer Membran ist bei beiden Arten nicht zu bemerken. Wenn man nun die Fliissigkeit einige Zeit unter dem Deck- glas hat stehen lassen, und man beobachtet sie dann wieder, so bietet sie einen ganz veranderten Anblick dar. Wiihrend die Zellen vorher eine meist runde Form zeigten, haben sie jetzt eine andere Gestalt angenommen; in der Mehrzahl sind sie eiformig geworden, oder zeigen breite hyaline Fortsatze. Es ist also jetzt die den Leukocyten eigenthuniliche Bcwegung bei ihnen einge- treten. Diese Bewegung lasst sich ziemlich leicht direct beob- achten. Wir sehen an einer solchen Zelle im Allgemeinen einen mehr gekornten und einen hyalinen Theil, der erstere von dem letzteren umgeben. Der hyaline Theil streckt nun langsam breite lappige Fortsatze aus, welche heranwachsen , bald die Grosse des gekornten Theiles erreicht haben und diesen allmahlig nachziehen, so dass nicht nur eine Formverauderung, sondern auch eine Fort- bewegung stattfindet. Mitunter lasst sich auch beobachten, dass das Protoplasma nicht langsam kriechende Lobopodien ausstreckt, sondern geradezu ausfliesst. Man sieht dann zunachst eine blasen- formige Ausstiilpung entstehen , und in diese ergiesst sich das iibrige hyaline Protoplasma mit grosser Scbnelligkeit, so dass in ein paar Secunden eiue ansehnliche Plasmakugel entstanden ist. Diese nimmt dann wieder die iibrige gekornte Masse langsam auf. Wir konnen daher annehmen , dass eine solche lymphoide Zelle aus einer ausseren sehr diinntiiissigen und einer inneren zaheren Schicht besteht, und ferner, dass die active Bewegung vom hya- linen Theile des Protoplasmas ausgeht, der gekornte dagegen nur passiv nachgezogen wird. Nach einiger Zeit nimmt die Energie dieser Bewegung ab, dieselbe verlangsamt sich und die lymphoiden Zellen sterben ab. Dieselben Erscheinungen wie in der Leibes- flussigkeit zeigen die Zellen in einhalbprocentiger Kochsalzlosung. Ueber die lymphoiden Zelleu der Anueliden. 323 Schon melirmals war es mir aufgefallen , class mitunter zwei lymphoide Zelleu fest miteinander verbunden und nur durch einen Streifen hyalinen Protoplasmas getrciiut waren ; ich hielt dies an- fanglich nur fur eiu zufalliges Zusammeiikleben zweier Zellen; als sich aber die Beobachtungen hauften und mir zeigten, dass sich alle Stadien von einer einfachen Zelle bis zu zwei nur noch lose zusammenhangenden auffiuden licssen, konnten diese nur als Thei- lungszustande aufgefasst werden. Die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt richtend, gelang es mir unschwer, eine ganze Anzahl solcher Theilungen zu verfolgen. Ein grosser Zellenfortsatz nahm einen Theil der Kornchen auf und nun erfolgten zwei diametral ent- gegengesetzte Bewegungen , wobei sicli das verbindende hyaline Protoplasma bis zu Fadendiinne auszog. Endlich erfolgte die Trennung, die Fortsatze wurden eingezogen und die lymphoide Zelle hatte sich in zwei getlieilt. Es ware nun von hochstem luteresse gewesen , bei diesen Theilungsvorgaugen das Verhalten des Zellkerns, falls einer vorhanden war, zu constatiren. Leider konnte ich aber auf diese Weise, durch directe Beobachtung, nicht zum Ziele kommen, da ein Zellkern meist zu fehlen schien und nur in sehr wenigen Fallen als eiu rundliches, feingranulirtes Blaschen gesehen werden konnte. Da auch die Kernfarbungsver- suche an lebenden Zellen fehlschlugen , so blieb nur iibrig , an Praparaten, welche auf die bereits erwahnte Weise hergestellt wurden, die verschiedenen Stadien aufzusuchen und zu verbinden. Das Erste, was an diesen Praparaten mit vollster Sicherheit constatirt werden konnte, war das regelmassige Vorhandenseiu eines Zellkerns, sowohl in den kornchenhaltigeu wie in den korn- chenfreien lymphoiden Zelleu. Dieser Zellkern ist verhaltniss- massig gross und meist von rundlicher Form, selten ist sein Rand unregelmassig gezackt. Ein Kernkorperchen konnte fast stets ge- sehen werden. Was seine sonstige Structur anbetrifft, so liess sich, zumal bei den mit Hamatoxylin gefarbten Praparaten, eine duuklere Substanz von einer helleren, weniger gefarbten deutlich unterscheideii. Erstere, das mehr Farbstoff aufnehmende Chroma- tin, scheint das Achromatin in Fadenform zu durchziehen; man sicht sehr oft die optischen Querschnitte dieser Faden als dunkle Scheiben, die vielfach dem Bande angelagert sind. Dann und wauu lasst sich auch ein langerer Chromatinstreifen verfolgen ^). '} S. Fig. 4 erf. 21* 324 Willy Kiikenthal, Kommcn wir nun auf die Frage nach dem Verhalten des Zellkerns bei der Theilung zuriick. Zunachst lasst sich an ciner zicnilich grossen Anzahl von Theilungsstadien constatiren, dass einer jedeu Zellentheilung eine Theilung des Kerns vorausgeht. Diese Kerntheilung lasst sich in den verschiedeiisten Stadien be- obachten, von denen wir als erstes jene Veranderung des Zellkerns betrachten diirfen , bei der sich an ihni eine blasenformige Aus- stiilpiing bildet. In diesem Zustand konnte kein Kernkorperchen beobachtet werden, die Kernsubstanz erschien vielmehr als cine durchaus homogene Masse. Hat diese Blase die Grosse des libri- gen Kerns eireicht, so entsteht zwischen beiden eine feine Scheide- wand. Mit der Bildung dieser Scheidewand treten zugleich auch wieder zwei Kernkorperchen auf. Durch die Abschniirung beider Theile komnit es endlich zur vollstandigeii Trennung. Nun wan- dern die beiden Kerne immer mehr auseinander, um sie her con- centrirt sich die Zellmasse dergestalt, dass die Kornchen sich um beide Kerne heruralagern , die Mitte aber von hyalinem Proto- plasma eingenommen wird. Dies ist die Trennungsstelle. Ent- weder schniiren sich nun beide Zellen ab oder sie bewegen sich in diametral entgegengesetzter Richtung auseinander, wobei sich das hyaline Protoplasnia zu einem Streifen auszieht ; endlich reisst dieser und die Theilung ist fertig^). Es geht aus diesen Beobachtungen unzweifelhaft hervor, dass wir es mit einer sogenannten directen Zelltheilung zu thun haben, der eine directe Kerntheilung vorausgeht; niemals war auch nur eine Andeutung von einer Kernfigur, diesem Characteristicum der Karyokinese oder indirecten Zelltheilung zu sehen, Es ist also somit ein ueuer Beitrag flir das Vorkommen der directen Kern- theilung gegeben, und Flemming's Behauptung, dass bei Leuko- cyten die directe Kerntheilung fast sicher steht, erhalt durch diese Beobachtungen einen neuen Beweis. Ausser dieser einfachen Zweitheilung zeigt sich aber am Kern noch eine Reihe von Erscheinungen, aus welcher hervorgeht, dass auch noch eine Art Viertheilung der Kerne stattfindet und zwar ebenfalls durch Hervorsprossung und Abschniirung. Als erstes Stadium konnen wir ein Hervortreiben von vier halbkugeligen, nicht immer gleichgrossen Blasen annehmen. Diese schniiren sich allmahlig von einandcr ab ; diese Abschniirung erfolgt jedoch merk- wtirdiger Weise so, dass je zwei der so gebildeten Tochterkerne ') S. Fig. la—g. Ucber die lymphoiden Zellen der Anneliden. 325 noch mit einander zusammenhangen. Auch hier fehlt wilhrcnd der Knospung vor dor Abschiiiiiiuig jede Aiideutung eines Kcni- korperchens, auch hier tritt dieses nach der Abschniirung uiid zwar in der Vierzahl wieder auf, so dass also eine Betheiligung dieses Korpers an den Vorgangen der Kerntheilung sehr wahr- scheinlich ist. Ein anderes Stadium zeigt uns, wie die beiden Doppelkerne auseinanderriicken, in einem noch weiteren sehen wir dann dasselbe Bild , wie bei Theilung der Zellen mit einfacher Kerntheilung; die beiden Zellenhiilften werden eingeschniirt und Ziehen sich auseinander, wobei eine deutliche Streifung des hya- linen Protoplasmastranges, welcher noch beide Zellen verbindet, wahrzunehmen ist. Endlich reissen beide Zellenhalften aus einan- der und wir haben zwei Tochterzellen mit je zwei Kerneu '). Es ist hochst wahrscheinlich, dass diese Tochterzellen sich unmittelbar darauf wieder theilen und so dem Vorgange des Zellkerus folgen; sonst wiirden zweikernige Zelleustadien viel haufiger sein , als sie es in Wirklichkeit sind. Wir konnen diese Theilungsvorgange daher als eine Art beschleunigter Zelltheilung auffassen. Diese Viertheilung erfolgt nun nach gewissen Gesetzen, in welche sich sammtliche beobachtete Erscheinungen einreihen las- sen^). Entweder theilt sich der Kern nach zwei senkrecht auf- einanderstehenden sich durchkreuzenden Ebenen in vier Portionen, welche sammtlich sichtbar sind oder nur eine dieser Theilungs- ebenen geht durch den Kern hindurch, wahrend die beiden so entstandenen Halften wieder getheilt werden, wobei wir je nach der Lage dieser Ebenen zwei Bilder erhalten. Entweder stehen die vier deutlich sichtbaren Portionen in Kreuzform gegeniiber, alsdann liegt die Haupttheilungsebene parallel der Beobachtuugs- flache, Oder wir haben nur drei Tochterkerne , indem sich zwei gegenseitig decken, Endhch konnen auch noch die vier neuen Kerne nach den Ecken eines Tetraeders vertheilt liegen. In diese Schemata lassen sich, wie schon gesagt, sammtliche Viertheilungs- erscheinungeu des Zellkerns unserer lymphoiden Zellen einreihen. Nachdem ich nun so die Eigenschaften der lymphoiden Zellen als Einzelindividuen untersucht hatte, wandte ich mich der Auf- gabe zu, ihre Beziehuugen zu deni gesammten Organismus, das heisst, ihr Entstehen, ihre Fuuctionen, ihre Umanderungen und 1) S. Fig. 2a— (L 2) S. Fig. 3« — rf. 326 Willy Kukenthal, ihr zu Gruiide gehen uaher zu studireu. Wie uber die lymphoiden Zi'llcn dcr Aunelideu uberhaupt, so linden sich auch iiber diesen Piinkt in der Litteratur nur wenige uud sehr zerstreute Angaben, welclie in dem letzten Theile dieser Arbeit angefiihrt werden sollen. Diese Angaben bestatigen, wie icli in der Fulge zeigen werde, meine gewonnenen Resultate fast ausnahmslos oder sind wenigstens damit in Einklang zu bringen. Ohne auf die Beschreibung der einzelnen Organsysteme naher einzugehen, will ich nur einen kurzen Ueberblick von dem geben, was man zunachst bei einer massigen Vergrosserung des lebenden Wurmes sieht, und zwar will ich dazu eine etwa im vierzehnten Oder fiinfzehnten Segment gelegene Stelle wahlen ^). Die belle Leibeswand , welche einen prachtigen Einblick in das Innere des Wurmes gestattet, besteht aus einer vollkommen homogenen Cuti- cula, unter welcher eine Schicbt von ziemlich niedrigen Epidermis- zellen , die Epithelschicht, liegt. Es folgt hierauf die Muskel- schicht, bestehend aus einer iiusseren, dlinneren Lage von Quer- muskelfasern und einer inneren dickeren Schicht von Langsmuskel- fibrillen; diese sind vielfach noch iiberkleidet von einer Schicht bindegewebiger Zellen. In der Mitte zieht sicli der Darm hin, zusammengesetzt aus eineni inneren, flimmernden, einschichtigen Cylinderepithel und einer ausseren Muskelschicht; zwischen beiden Ziehen sich vielfach feine Blutgefasse hin. Dem Darme liegt das Riickengefass auf, beide, Darm und Riickengefass, sind uberkleidet von einer Schicht von grosseu mit gelbbraunen Kornern versehenen Zellen, welche friiher als Leberzellen angesprochen wurden, fur welche ich jedoch, aus spater zu erorterndeu Griinden, den Namen „Chloragogenzellen" wahlen will. Dem Riickengefass entgegenge- setzt, jedoch ganzlich vom Darme getrennt, verlauft das Bauchgefiiss, verschiedentlich Aeste an die Leibeswand abgebend, welche meist in einer den Langsmuskelfasern parallelen Richtung sich hinziehen. Zum Theil wird das Bauchgefass umwunden von dem mittleren Theil der Segmentalorgane , langen Schleifencanalen , und beide, das Bauchgefass wie die Schleifencanale sind wieder umgeben von grossen bindegewebigen Zellen, welche durch ihr starkes Licht- brechungsvermogen einen Gehalt an Fett vermuthen lassen; diese sind es, mit welchen wir uns zunachst zu beschiiftigen haben. Was die Verbreitung dieser Zellen im Korper des Wurmes 1) S. Fig. 9. Ueber die lymphoideu Zelleu der Anueliden. 327 anbetrifft, so lasst sich zunachst constatiren, dass sie in den ersten Segmeuten nicht zu finden sind. Erst vom fiinften oder seclisten Segment an treten sie, dann allerdings urn so starker auf, urn mehr und niehr abnehniend und lileiner werdend, in den hinteren Segnienten wieder zu verschwinden. Dies steht in Uebereinstim- mung mit dem Resorptionsgeschaft , welches erst in dem hinteren Theile des Korpers stattfindet. Es ist ubrigens keine fortlaufende Kettc von solchen Zelleu, sondern sie brechen mitunter ganz plotz- lich ab, urn dann im nachsteu Segment von neuem aufzutreten. Die Frage, ob sie dem Bauchgefiisse, ob den Schleifenkanalen aufsitzen, liisst sich sehr schwer entscheiden. Bald scheinen sie mehr dem Verlaufe des Schleifenkauales zu folgen, bald sieht man sie unzweifelhaft direct dem Bauchgefass aufsitzen, jedenfalls stehen aber die dem Schleifencaual etwas folgenden Zellen in engstem Zusammenhange mit den das Bauchgefass umgebenden Zellen. Die Form der einzelnen Zellen ist eine langlichrunde, durch An- einanderlagerung werden sie vielfach etwas abgeplattet. Der In- halt ist im Allgemeinen homogeu, stark lichtbrechend , mitunter auch fein granulirt. Dass die Zellen ihr Lichtbrechungsvermogen Fetttropfen verdanken, davon kann man sich leicht uberzeugen. Uebt man niindich einen leichten Druck auf das Deckglaschen aus, so treten aus diesen Zellen eine Menge grosserer und kleine- rer kugelrunder Tropfchen heraus, die schon durch ihre optischen Eigenschaften ihre Natur verrathen. Eine Schwiirzung bei An- wendung von Ueberosmiumsaure, wie eine leichte Loslichkeit in Aether machen es nicht mehr zweifelhaft, dass wir es hier mit Fett zu thun haben. Ein Kern ist stets vorhanden und schon meist ohne Anwendung von Kernfarbemitteln als blasses, langliches Blaschen mit einem Kernkorperchen zu sehen. Zu der Entdeckung, dass diese Bindegewebszellen, als welche wir sie auffassen miissen, lymphoide Zelleu liefern, kam ich durch anhaltende Beobachtung einer solchen Zelle, welche ziemlich frei in die Leibesfliissigkeit hineiuragte ; es ist dieselbe, welche in Fig. 5 mit a bezeichnet ist. Diese Zelle war von cylindrischer Form, feingranulirt und mit einem deutlichen Zellkern versehen. Nach einiger Zeit bemerkte ich, wie von einer Seite her eine Einkerbung erfolgte, diese ging tiefer und tiefer und trennte endlich die Zelle in zwei Theile, einen grosseren, noch fest am Bauchgefass sitzen- den, und einen kleineren, der lose mit der festsitzenden Zelle zu- sammenhing. Leider war wahrend dieser Abschnurung der Zell- kern unsichtbar geworden, und erst als die Trennung eine voll- 328 Willy Kiikenthal, kommone war, zeigten sicli wiedcr zwei Kerne von gleicher Grosse, der einc der iioch festsitzenden , dcr andere der abgeschniirten Zelle angehorend. Letztere zeigte nun durcbaus den Typus einer lyniphoiden feingranulirten Zelle, und wenu ich audi bei dieser das Lostiennen und Herumscbwimmen nicbt mebr beobacbten konnte, so gelang mir dies bei einigen audern ganz voUkommen. Gewohnlich stiess an eine solche abgeschniirte, nur lose mit der Mutterzelle zusammenhangende Zelle eine andere lyniphoide Zelle Oder audi ein Complex von solcben , von der beftig stromenden LeibesfliJssigkeit getrieben, an, und riss sie niit sicb fort. Die abgerissene Zelle flottirte nun, von andern lympboiden Zcllen nidit mebr unterscbeidbar, in der Leibesliiissigkeit berum. Dnrch diese directen Beobacbtungen glaube idi uacbgewieseu zu baben, dass ein Tbeil der lympboiden Zellen von diesen das Baucbgefass uni- gebenden Bindegewebszellen abstammt. Scbon vorber hatte icb bereits erwahut, dass diese binde- gewebigen Zellen nur einen Tbeil der lympboiden Zellen liefern, ein anderer Tbeil nimmt seineu Ursprung aus Zellen der Leibes- wand, und zwar gelangte idi zu dieser Thatsacbe dureb das Stu- dium der innersten Scbicbt derselben, den Liingsmuskelfasern. Bei eingebender Betrachtung dieser Scbicbt und bei guustiger Lage vermag man mitunter Stellen wabrzunehmen, an welcben die Muskelziige auseinander gewicben sind, um eine mit Leibesfliissig- keit erftillte Liingsfurcbe zu bilden, Konstant lasst sicb ein solcber offener Canal an der dem Riickengefasse gegenuberliegenden Leibes- wand bemerken ; unter giinstigen Umstandeii sieht man aber aucb, wie zu beiden Seiten sicb diese Furcben binzieben. Sie scheinen im fiinften Segmente zu beginnen und zieben sich in gerader Linie bis in die binteren Segmente bin. Bei beftigen Contractionen des Wurmes lasst es sicb leicbt beobacbten, wie die oberen Rander dieser Canale mitunter zusammentreten , so dass also zeitweilig vollstandig gescblossene Robren entsteben , wo vorber olfene, ibrer ganzen Lauge nacb mit der Leibesboble communicirende Rinnen sicb befanden. In diesen Zwiscbenraumen liegen nun in langen Ziigen kleine, bellglanzende Zellen, bald mebr vereinzelt, bald dicbtgedningt zu- sammen und zwar betinden sicb diese Zellen auf dem Boden der Rinne, was man leicbt dadurch erkennt, dass sie bei beftigen Con- tractionen von den oberen Riindern derselben uberdeckt werden. Was ibre Gestalt aubetrifft, so kann man zwei Arten unterschei- XJeber die lymphoiden Zclleu der Anneliden. 329 den. Die einen sind rundliche, scharfcontourirte, gliinzende Kor- percheu mit homogenem Inhalt und einem grossen, aber meist undeutlichen Zellkeni, die andern zeigen mehr zackige Formen, siiid etwas granulirt, ihr Zellkeni ist oft deutlich sichtbar. Wen- det man eiii Kenifarbungsmittel an, wozu ich micli des Pikrocar- mins bediente, so sieht man den Kern als einen rundlichen, mit- unter auch etwas eckigen Korper, in ihm fudenformig vertheilt das starker gefarbte Chronuitin. Meist lasst sich auch ein Kern- korperchen untersclieiden. Ausscr durcli ihre Granulirung unter- scheidet sich die eine Art auch noch durch ihre Grosse von der andern. Nach Untersuchung einer Reihe von Individuen verschie- denen Alters in Bezug auf diesen Punkt gelangt man zu dera Resultate, dass beide Zellarten bei jungen wic bei alten Thieren vorkommen , und zwar finden sich die runden Zellen in den vor- deren Segmenten , die gezackten in den hinteren. Zugleich wird man aber, die Caniile von vorn nach hinten verfolgeud, bemerken, dass beide Zellarten ganz allmiihlig in einander iibergehen. Wenn man bei alteren Thieren, deren Durchsichtigkeit sich allerdiugs etwas verringert, die gezackten Zellen liingere Zeit beobachtet, so wird man finden , dass sie ihre starre Form durchaus nicht be- wahren, sondern dass sie, wenn auch laugsam, so doch ganz deut- lich amoboide Bewegungen vollfiihren. Ja, noch mehr! verfolgt man den Canal noch ein Stiick welter nach hinten, so sieht man, wie diese Zellen, die hier bereits eine ziemlich ansehnliche Grosse besitzen, von der Leibeswand losgerissen , in dem Canale bin und her fluctuireni); einige haben sich an die Wandungen des Cana- les festgesetzt, wo sie amoboide Bewegungen vollfiihren, andere aber gelangen gelegentlich in die Leibeshohle und siud hier von den andern lymphoiden Zellen nicht mehr zu unterscheiden. Es ist hiermit nachgewiesen, dass diese in den Muskelzwischenraumen liegenden Zellenzuge sich ebenfalls an der Bildung der lymphoiden Zellen betheiligen , zugleich verdient aber noch der Punkt vollste Aufmerksamkeit, dass diese Canale, in denen die lymphoiden Zellen entstehen, zu Lymphspaltraumen werden und Lymphbahnen dar- stellen, welche allerdings von dem grossten aller Lymphriiume, der Leibeshohle, noch wenig geschieden sind, die vielleicht jedoch eine sehr wichtige phylogenetische Bedeutung als erstes Auftreten eines Lymphgefasssystems besitzen. 1) S. Fig. 8ff, b, c. 330 Willy Kiikenthal, Wie schon bei der Beschreibung des Bauchgefasses bemerkt war, geheu von diescm seitliche Acste in die Leibeswand binein, um parallel den Muskelzugen zii verlaufen. Es lasst sicb nun unschwer feststellcn, dass diese Bauchgefassaste am Grunde der ebcn bescbriebenen Caniile liegen. Wo sie fehlen, was aber nur auf ganz kurze Entfernungen bin geschiebt, da vverden audi die Zellen undeutlicber und gehen mebr in einander liber. Einmal auf dicse Erscbeinung aufmerksam geworden, iiberzeugte icb mich unschwer, dass die Zellen der Gefasswand direct aufsitzen. Nicht so leicbt gelang mir dies bei dem in der Riickenlinie liegenden Zellenstrang, und lange Zeit suchte icb vergeblicb, bis mir ein giinstiger Zufall das Profil eines solchen Canales lieferte. Das Bild war tiberraschend , denn auf das Deutlicbste sab ich, wie audi bier die Zellen einem allerdings sehr feinen blassen Gefasse aufsasscn, welches icb, nachdem ich es einmal gesehen, nocb ofter constatiren konnte^). Es bleibt auch bier kein Zweifel, dass die Zellen einem Bkitgefasse aufsitzen, welches, wie man sicb iiber- zeugen kann , ebenfalls vom Baucbgefasse berriihrt. Es diirfte deshalb die Behauptung wobl gerecbtfertigt sein, dass die Bildungsstatte der lymphoidcn Zellen an dem Baucbge- fass und den davon ausgebenden Gefassschlingen zu suchen ist, Diese Beziebung der lympboiden Zellen zu einem Theile des Ge- fasssystems scheint demnacb in einem wichtigen Zusammenbange rait ibren Functionen zu steben, und diese Functionen naher ken- nen zu lernen war daber die nachste Aufgabe, welche ich mir stellen musste. Wenn man beim lebenden Wurme die bin und her fluctuiren- den lympboiden Zellen niiber betrachtet, so kann man sie jetzt eber nacb ibrer Abstammung unterscbeiden. Die grosseren , mit meist rundlichen Formen, nur selten mit zackigen Fortsatzen, sind Abkommlinge der bindegewebigen Zellen, welche Baucbgefiiss und Segmentalorgan umkleiden und sind durcb Abscbniirung entstan- den. Die kleineren mit stacbeligen Fortsatzen versehenen, granu- lirten lympboiden Zellen stammen dagegen aus der Leibeswand, wo sie sicb von ihrem Untergrunde abgelost baben. Mitunter sieht man Theilungsstadien und auch die Theilung geht ziemlich rascb vor sich, so dass sie unschwer zu beobacbten ist. Ausser diesen fluctuirenden Zellen mit ibren characteristiscben Fortsatzen, 1) S. Fig. 8fl. Ueber die lymphoiden Zellen der Annelideu. 331 welche ihnen das Bild einer von ihrer Unterlage losgerissenen, in der Fliissigkeit herumtreibenden Amobe verleihen, sieht man eine ganze Anzahl, welche an der Leibeswand festsitzen, rund- liche Formen annehinen und langsame amoboide Bewegungen voll- fiihren. Dies wurde bereits fiir die vorhin beschriebenen Lymph- kanale ervvahnt. Die von Muskelstreifen gebildeten SeitenwJinde derselben sind da, wo die Zellen sich bereits von ihrer Unterlage losgerissen haben und amoboid geworden sind, oft dicht besetzt mit diesen Zellen, welche sich an ihnen ausbreiten. Dies ist aber nur ein vereinzelter Fall, man sieht sie namlich an den verschie- densten Stellen, der Leibeswand bald nur lose anhangend, bald vollstandig ausgebreitet daraufliegend. In den raeisten Fallen wird man bemerken, dass an den Stellen, wo solche lymphoide Zellen liegen, die Langsmuskelschicht etwas auseinandergewichen ist und ersterc in den dadurch entstandeneu Spaltrauni eindringen. Dieses Bild lasst sich an Querschnitten ganz gut fixiren , beson- ders schon sieht man es aber an Tangentialschnitten durch die Leibeswand ^). Mitunter verandern dabei die Zellen ihre Form ganz auffallig, indem sie sich in die Lange ziehen und Fortsatze von Fadendiinne zwischen die einzelnen Muskellamellen strecken. Wahrend es mir nicht gelang, das directe Eintreten solcher lymphoidcr Zellen in die Spalten der Muskelziige mit voller Sicher- heit zu beobachten, gluckte es mir einige Male, das Austreten und Zuriickgehen in die Leibeshohle auf das Deutlichste zu sehen. Die betreffende Zelle hob sich, eine nmdliche Form annehmend, langsam aus der Spalte wieder heraus, bis sie endlich, als ziem- lich homogene Zelle von rundlicher Form, von der in der Leibes- hohle heftig stromenden Fliissigkeit abgerissen und mit fortge- fiihrt wurde ^). Ich bemerke dazu ausdriicklich, dass diese Zellen kaura noch Spuren von Granulation zeigten, wahrend die zwischen den Muskelfasern liegenden stets stark granulirt waren. Es ist daher hochst wahrscheinlich, dass die Zellen zwischen die Gewebe eindringen, etwas von ihrem Inhalte abgeben und dann wieder in die Leibeshohle gelangen. Wenn sie nun diese Function erfiillt haben, wenn sie die in ihnen aufgespeicherten Nahrungsstofife an die Gewebe abgegeben haben , so miissen sie nun entweder als nutzlos zu Grunde gehen, oder aber sie miissen neue Functionen erfuUen. Die Losung dieser Frage glaube ich gefunden zu haben, 1) S. Fig. Sc. 2) S. Fig. b-f. 332 Willy KUkenthal, indeni ich behaupte und beweisen will, dass aus diesen lymphoiden Zellcn, die den Darm und das Riickengefass bedeckenden soge- nannten „Leberzellen" entstehen, deren Ursprung bis jetzt noch nicht bekannt gewesen ist. Dem nachsten Theile meiner Arbeit vorgreifend, will ich zugleich bemerken, dass diese „Leberzellen" mit einer secretorischen Thatigkeit in den Darm durchaus nichts zu thun haben und werde daher, dem Vorschlage CLAPAEfeDE's ^) folgend, den ihnen von Morren*) gegebenen Namen der Chlora- gogenzellen annehmen. Zunachst etwas uber die Verbreitung der Chloragogenzellen im Wurmkorper. Ganz ausnahmslos lasst es sich zuforderst con- statiren, dass dieselben in den ersten vier Segmenten fehlen und erst mit dem funften beginnen. Dicht aneinander gelagert uber- ziehen sie von diesem Segment an Darmtractus und Riickengefass, urn in den hinteren Segmenten minder zahlreich autzutreten und endlich gonz zu verschwinden. Das Bild, welches wir bei einer Betrachtung der Chloragogenzellen am lebenden Wurme erhalten, giebt leicht zu Tauschungen Anlass. Man sieht dicht aneinander- gedningte halbkugelige Zellen , erfiillt von einer grosseren oder geringcren Anzahl von gelblichbraunen , stark lichtbrechenden Kornchen. Erst ein Querschnitt zeigt uns, dass dieses Bild nur die rundlichen freien Enden der Chloragogenzellen darbietet; die Zellen selbst sind lang und schmal und stehen radienformig um den Darm und das Riickengefass herum. Am Deutlichsten sieht man dies an einem Querschnitte, der durch die vorderen Seg- mente gelegt ist. Hier ist ihre Gestalt eine keilformige zu nennen ^). In den hinteren Segmenten nehmen sie an Zahl ab, werden rund- licher und auch kleiner. Der Grossenuntcrschied der vorderen Chloragogenzellen von den hinteren ist meist ein ganz betriicht- licher, indem erstere die zwei- und dreifache Grosse der letzteren erreichen. Dies scheitit in einem sehr engen Zusammenhange mit der verschiedenen Menge der gelblichbraunen Kornchen zu stehen, welche den Inhalt bilden. Es ist namlich eine leicht zu beob- achtende Thatsache, dass die vorderen Chloragogenzellen bedeu- 1) E. Clapakede, Kistologische Untersuchungen iiber den Regen- wuriii. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 19 p. 615. ^) C. MoEREN, Descriptio structurae anatoraicae et expositio Hi- storiae naturalis Lumbrici vulgaris sive terrestris. 1826. p. 135 und 142. 3) S. Fig. 10. Ueber die lymphoideu Zellen der Anneliden. 333 tend mehr von diesen Kornchen enthalten wie die hinteren, welche letzteren mitunter nur einige wenige besitzen. Bei diesen Zellen nun, welche nur wenig soldier Kornchen enthalten, die also noch zieralich durchsichtig sind , liisst sich zuweilen ein Zellkern con- statiren. Dass alle Chloragogenzellen einen Kern besitzen, sieht man auf Schnitten, nach Anwendung von Kernfiirbungsmitteln. Im Inneren des Kernes, der etwa Grosse und Form des Kerns der lymphoiden Zellen besitzt, ist fast stets ein Kernkorperchen vorhanden. Neben den gclbbraunen Kornchen treten hie und da auch farblose auf, wie wir sie schon bei lymphojden Zellen ge- sehen haben; sie lassen sich aber von ersteren leicht durch ihre Loslichkeit in Aether unterscheiden. Die braunen Korner ver- anderu sich dabei durchaus nicht , so dass sie nicht aus Fett zu bestehen scheinen. Auch gegen andere Chemikalien sind sie sehr resistent, weder Siiuren noch Sodalosung (2 "/(,) greift sie an. Auch aus Albuminaten scheinen sie nicht zu bestehen , da sie, mit Zuckerliisung und concentrirter Schwefelsaure behandelt, ihro Farbe durchaus nicht verandern, wahrend die anderen im Wurm enthaltenen Eiweisskorper sich schon rosenroth fiirben. Jedenfalls scheinen es also keine Stoffe zu sein, welche irgend wclchen be- kannten Niihrstoffen an die Seite zu stellen wiiren, und man wird wohl nicht fehlgehen, wenn man diese Kornchen als Excretions- producte ansieht. Ihre Form ist eine rundlich polygonale, bei sehr starker Vergrosserung zeigen sie eine doppelte Contour, die man anfanglich auf Brechungserscheinungen zuriickzufiihren ge- neigt ist. Behandelt man indessen die Kornchen mit einer Losung von Jod in Jodkalium, so erhalt man einen dunklen braunen Kern, umgeben von einer farblosen Hiille. Wenn man sie als Excretions- producte ansieht, so denkt man dabei naturlich zuerst an Excre- tionsproducte des Darmes. Damit lasst sich aber die Thatsache nicht in Einklang bringen , dass auch dem Ruckengefass Chlora- gogenzellen aufsitzen, die demselben sogar weiter nach hinten folgen als dem Darm. Betrachten wir uns die Stelle, wo die Chloragogenzellen vom Darme verschwunden sind, dem Riicken- gefass aber noch ein Stiick weit folgen , etwas naher. Ausser diesen kleinen runden Zellen, die ziemlich zerstreut auf dem Ge- fiisse sitzen, sehen wir auch die characteristischen braunen Korn- chen, aber hier nicht im Inneren der Zellen, sondern der Gefass- wandung direct aufsitzend, entweder vereinzelt oder auch zu kleinen Gruppen zusammengeballt ^). Andererseits sehen wir auch ^) S. Fig. iiz». 334 Willy Kiikenthal, Chloragogenzellen , welche iiur wenige, mitunter noch gar keine (lieser Korncben aufgenommen haben. Diese Zellen zeigen einen boniogenen , selten etwas granulirten Inhalt und einen mit Kern- korpercben versebenen Kern. Die Aebnlicbkeit dieser Cbloragogen- zellen mit lympboiden Zellen ist ganz auffallig; am meisten ahneln sie denjenigen , welche sich aus den Zwischenraumen der Langs- muskelscbicht wieder berausbegeben und ibre Function also be- reits erfullt baben. Solcbe Zellen, welcbe in der Leibesfliissig- keit viel umberscbwimmen, lassen sicb zumal am binteren Korper- ende vielfacb beobachten. Durch die Bewegungen der Fliissigkeit bin- und bergetrieben , stossen sie mitunter an das Riickengefass an, auf welchem sie hingleiten, um von Neuem abgerissen und von der Stromung hinweggefiibrt zu werden. Beobacbtet man nun eine solcbe lympboide Zelle anbaltend, so siebt man mitunter, wie sie sich nicht mebr von der Gefasswand, an welcber sie an- klebt, loszureissen vermag, obwohl sie von der heftig fluctuirenden Leibesflussigkeit hin und her gerissen wird. Ihre Basis verbrei- tert sich allmahlig, und befinden sicb an der Anheftungsstelle der Gefasswand aufiiegende Korncben, so werden dieselben umschlos- sen und in die Zelle aufgenommen. Es ist iibrigens durchaus nicht immer der Fall, dass die lympboiden Zellen sicb nur da festsetzen, wo sich derartige Korncben befinden, ebenso haufig kleben sie an korncbenfreien Stellen der Gel'asswand fest^). Das Resultat dieser directen Beobachtungen ist also dies , dass ein Theil der lympboiden Zellen sich durch Anheftung an das Riicken- gefass und Aufnahme der diesem aufsitzenden Korncben in Chlora- gogenzellen verwandelt. Diese lympboiden Zellen gehorten in alien ziemlich zahlreicb zur Beobacbtung gelangenden Fallen jener homogenen, runden Art an, wie sie aus den Muskelzwischenraumen heraustritt, niemals konnte das Ankleben jener Zellen beobacbtet werden, welche bei deutlicher Granulirung die schon beschriebenen stachelformigen Ausliiufer zeigten. Am besten eignen sich zur Feststellung dieser Tbatsachen diejenigen Individuen, welche be- reits eine gewisse Grosse erreicht baben , ohne indessen schon gescblechtsreif zu sein. So viel ist also bis jetzt gewonnen: Die dem Riickengefass aufsitzenden Chloragogenzellen stammen von lympboiden Zellen her, ihr brauukorniger Inhalt vom Riickengefass. Wie schon erwahnt, ist aber ausser dem Riickengefass auch 1) S. Fig. 1 1 a und b. TJeber die lymphoiden Zellen der Anneliden. 335 noch der ganze vordere Darmtheil bis zum vierten Segmente hiii mit diesen Zelleu bedeckt. Dass diese einen aiidern Urspruiig habeii sollten, ist sebr unvvahrscheinlidi, es ist vielmehr anzu- iiebmeu, dass sie mit ;dem Ruckengefass in irgend welcher Be- ziebung stehen. Diese Beziehung ist nun sebr einfacber Natiir. Der ganze vordere Darmtbeil wird nanilicb von feinen, vom Ruckengefass ausgehenden Blutgetassen unisponnen und die Cblo- ragogenzellen sitzen daber nicbt dem Darm auf, sondern diesen Gefassen. Diese den Darm spiralig umwindenden Gefasse sind bereits bei einer Anzabl von Oligocbaeten und unter diesen aucb bei unserm Tubifex bescbrieben worden , wie ja aucb die Tbat- sacbe, dass die Cbloragogenzellen nicbt dem Darme, sondern eben diesen Gefassen aufsitzen, scbon bekannt ist. An Querscbnitten lassen sicb diese Verbiiltnisse recht gut feststellen ^ ). Also aucb diese scbeinbar dem Darme aufsitzenden Cbloragogenzellen steben im engsten Zusammenbange mit dem Riickengefass und seinen Verzweigungen, so dass sicb jetzt ganz allgemein bebaupten lasst, dass alle Cbloragogenzellen dem Ruckengefasse und seinen Aesten aufsitzen. Mit voller Bestimmtbeit liisst sicb ferner eine Ver- scbiedenbeit des Riickengefasses vom Baucbgefasse coustatiren; dem Baucbgefasse sitzen farblose, bomogene oder feingranulirte Zellen auf, das Ruckengefass wird umkleidet von ganzlicb davon verscbiedenen Zellen mit braunkornigem Inbalte. Die altere Be- zeicbnung der Cbloragogenzellen als „Leberzellen" ist also un- stattbaft, wenigstens in dem Sinne, als ob dieselben ein Secret in den Darm absonderten. Von irgend welcber Secernirung in den Darm kann scbon deshalb keine Rede sein, weil diese Zellen mit dem Darm, wie vorbin nacbgewiesen wurde, in gar keiner Beziebung steben. Es liesse sicb nur eine Parallele mit der Leber zieben, insofern als in beiden Fallen Stoffe zu Grunde geben, welcbe aus den Blutgefassen ausgescbieden werden; in dem einen Falle sind es die verbraucbten Blutkorpercben , in dem andern die gelbbraunen Korncben, von denen wir nur annebmen konuen, dass sie vom Ruckengefasse ausgescbieden werden. Zu der An- nabme, dass die Cloragogenzellen eine excretoriscbe Function aus- iiben, dass also die braunen Korncben als unbraucbbare Stofife aus dem Korper entfernt werden, notbigen uns verscbiedene Er- scbeinungen. Scbon bei der Beobacbtung der Bilduns von Cbloragogen- ^O'-'O'' ') S. Fig. 10 gsch. B36 Willy Kukenthal, zellen war es mir aufgefallen, dass sich solche Zellen, welche be- reits einige Kornchen aufgenonimen batten , wieder abrissen imd von neuem fluctuirten, doch kann dies nur als ein Uebergangs- stadium von lymphoiden Zellen zu Cbloragogenzellen aufgefasst werden. Anders niit den Cbloragogenzellen, welcbe, ganzbcb mit Kornchen gefiillt, von Zeit zu Zeit zwischen den lympboiden Zellen in der Leibesflussigkeit herumtreibend gefunden werden; mitunter ist sogar das Protoplasma der Zelle geschwunden , und es bleibt nur ein traubiges Conglomerat einzelner Korner ubrig^). Man kann sich leicht durch directe Beobachtung von dem Loslosen dieser Zellen von den Gefasswandungen uberzeugen; und zwar geschieht dies in den vorderen Segmenten. Betrachtet man eine solche abgeloste Zelle mit starker Vergrosserung, so sieht man zwischen den braunen Kornern eine Menge kleiner schwarzer Con- cremente^). Je starker in einer solchen Zelle die Concremente auftreten , desto mehr nimmt die Zabl der braunen Kornchen ab und man kann bisweilen in den ersten Segmenten solche Cblora- gogenzellen sehen, deren Inhalt fast ganz aus dieser schwarzlichen, feinkornigen Masse besteht. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass der braunkornige Inhalt allmahlig in diesen Detritus zerfallt. Eine andere Beobachtung scheint damit in innigem Zusammen- bange zu stehen. Mitunter sieht man namlich das Innere der Segmentalorgane vollstandig ausgefiillt von ebenderselben schwarz- lich kornigen Masse. Nichts liegt also niiher als anzunehraen, dass die Flimmertrichter die Reste der abgelosten und zertallenen alten Cbloragogenzellen aufnehmen und durch die Segmentalorgane nach Aussen befordern. Wenn ich nun auch die Thatsache betonen muss, dass es mir weder gelungen ist, das Eintreten dieser Reste in den Flimmertrichter, nocb das Austreten in das umgebende Wasser direct zu sehen, so ist dies doch bei der Schwierigkeit, diese Beobachtungen anzustellen, kein Grund, diese Annahme fiir irrthiimlich zu erklaren. Die Segmentalorgane fungiren also wahr- scheinlich als Excretionsorgane, indem sie den unbrauchbaren In- halt der zerfallenen Cbloragogenzellen nach Aussen befordern. Damit ist die Reihe der Veranderungen, welche die lymphoi- den Zellen zu durchlaufen baben, geschlossen, und es dtirfte nicht unangebracht seiu, die Resultate dieser Arbeit in wenig Worten zusammenzufassen. 1) S. Fig. 12 b. 2) S. Fig. 12 «. Ueber die lymphoiden Zellen der Anneliden. 337 Der erste Theil der Untersu cluing, die Betrachtung der lym- phoiden Zellen an sich , ergab folgendes : 1. Die lymphoiden Zellen konnen unterschieden werden als gekornte und iingekornte. 2. Beide Arten siud durchgangig mit einem Zellkern ver- sehen. 3. Die Bewegung der Zellen unterscheidet sich durch nichts von der Bewegung von Amoben, es ist eine active Bewegung des hyalinen Exoplasmas, dem das gekornte Entoplasma passiv folgt. 4. Es erfolgt eine Vermehrung dieser Zellen durch Theilung, und dieser Theilung geht eine directe Kerntheilung voraus, das lieisst, der Zellkern theilt sich durch Abschnurung in zwei, ohne Kerntheilungsfiguren zu bilden. 5. Ausser dieser einfachen Zelltheilung existirt noch eine beschleunigte, indem der Kern sich durch Abschnurung in vier Theile theilt, von denen jedoch je zwei zusammenbleiben, so dass also der Viertheilung des Kerns zuniichst nur eine Zweitheilung der Zelle entspricht; sehr wahrscheinlich theilt sich aber eine solche zweikernige Tochterzelle in kurzer Zeit wieder. Die Beziehungen der lymphoiden Zellen zum Gesammtorga- nismus lassen sich folgendermassen zusammeufassen: 1. Die lymphoiden Zellen entstehen im vorderen Theile des Korpers aus Zellen , welche dem Bauchgefiisse und dessen Ver- zweigungen aufsitzen; es lassen sich dabei zwei Arten der Ent- stehung constatiren. Entweder schniiren sich die lymphoiden Zellen von den grossen, bindegewebigen, das Bauchgefass um- gebenden Zellen ab, oder sie entstehen durch Loslosen von Zellen der Leibeswand. Diese letzteren sitzen Bauchgefiissasten auf, welche in Zwischenraumen der Langsmuskelschicht liegen, und diese werden durch Ablosen und Fluctuiren der in ihnen liegenden Zellen zu Lymphspaltraumen. 2. Man findet vielfach lymphoide Zellen in Spalten der Mus- kellamellen eingelagert; durch Heraustreten werden sie zu voll- kommen runden Korpern, wobei ihr vorher granulirter Inhalt homogen geworden ist. 3. Auch dem Riickengefass und dem von diesem ausgehen- den Darmgefassnetz sitzen Zellen auf, die sich aber durch ihren braunkornigen Inhalt von den Zellen des Bauchgefasses unter- scheiden. Dies sind die fruher als „Leberzellen" bezeichneten Chloragogenzellen. Bd. XVIII. N. F. XI, 22 388 Willy Kiikenthal, 4. Die Chloragogeuzellen entstehen aus lymphoiden Zellen und zwar durch das Ankleben der rundeii, homogeuen Art der- selben an die Gefasswand; diese werden zu Chloragogeuzellen durch Aufnahme von gelbbraunen Kornchen, welche sich auf der Oberflache der Riickengefasswand befinden. 5. Mit solchen Kornchen vollstiindig erfiillte Chloragogen- zellen losen sich los, schwimmen in der Leibesflhssigkeit umher, und ihr Inhalt zerfallt in einen schwarzlichen Detritus. Dieselbe Masse findet sich bisweilen in grosser Menge in den Segmental- organen und wird von diesen vvahrscheinlich nach Aussen be- fordert. Auf Grund dieser Resultate dtirfte der Versuch nicht allzu gewagt erscheinen, den rauthmasslichen Kreislauf eiiies solchen Lymphkorperchens zu beschreiben. Wir haben zunachst gesehen, dass die lymphoiden Zellen auf zweierlei Wegen entstehen. Ent- vveder schniiren die grossen, um das Bauchgefass herumsitzenden Zellen kleinere ab, die dann von der Leibesfliissigkeit mit fortge- rissen werden, oder es nehmen in der Leibeswand liegende kleine rundliche Zellen allmiihlig amoboide Beweguiig an, reissen sich von der Unterlage los und fluctuiren zunachst in ihrer Bildungs- statte, den Muskelzwischenraumen , welche dadurch zu Lymph- spaltraumen werden. Erst spiiter vermischen sie sich mit der ersten Art in der Fliissigkeit der Leibeshohle. In dieser herum- treibend, kommt das amoboide Stadium der lymphoiden Zellen zur hochsten Entwickelung, nicht nur was ihr Bewegungsvermogen anbetrifft, sondern auch in Bezug auf ihre Fahigkeit, sich durch Theilung zu vermehreu. Um nun ihre Functionen zu erfiillen, setzt sich die Zelle an irgend einer Stelle der Korperwand fest, lagert derselben auf oder sucht in die Spalten der Langsnuiskel- schicht einzudringen. Auch die Wandungen der Lymphspaltniume sind theilweise mit solchen sich festsetzenden Zellen bedeckt. Nachdem der Zelle dieses Eindringen gelungen, verweilt sie langere Zeit darin, um spater als ganzhch homogen wieder herauszu- kriechen. Alsdann nimmt sie eine runde Gestalt an, wird von der stromenden Leibesfliissigkeit wieder mit fortgerissen und klebt, wenn sie auf ihren Wauderungen an den hinteren Theil des Riicken- gefasses gelangt ist, diesem an, um durch Aufnahme brauner, vom Rtickengefass stammender Kornchen zu einer Chloragogenzelle zu werden. Als solche wiichst sie durch vermehrte Aufnahme dieser Kornchen heraii , wird in Folge dessen von andern Chloragogen- Ueber die lymphoiden Zellun der Anueliden. 339 zellen zusammengepresst und erhalt alliiiahlig eine keiltormige Gestalt. Vermag sie nun keine weiteren Kornchen aufzunehmen, so lost sie sich von der Gefiisswand ab, schwimmt eine Zeit lang wieder in der Leibesfliissigkeit uniher und zerfallt endlich, wobei ihr Inhalt, die braunen Kornchen, sich zu eineni schwiirzlichen Detritus uniwandeln, der von den Flimmertrichtern aufgenomnien und durch die Segmentalorgane nach Aussen betordert wird. Es ergeben sich hieraus eine Reihe der innigsten Beziehungen zwischen dcm Blutgefasssysteni und der Leibesfliissigkeit mit ihren lymphoiden Zellen. Die Thatsache, dass diese Zellen ihren Ursprung voin Baucligefasse nehmen , niacht die Anuahme sehr wahrscheinlich, dass sie von deniselben Stoffe erhalten, welchen sie weiter im Korper zu verbreiten haben. Vor alleni diirften es, wie bei hoheren Thieren, Proteinstoffe und Kohlenhydrate sein, welche auf diese Weise transportirt werden. Eine ganz entgegengesetzte Function hat das Riickengefass iibernomnien ; es werden hier Stoffe abgeschieden, welche fur den Organismus nicht mehr brauch- bar sind, und als Trager dieser Stoffe fungiren wieder die lym- phoiden Zellen, nachdem sie den ersten Theil ihrer Aufgabe er- fiillt haben. Das eine iibernimmt es, die zum Aufbau des Korpers nothigen Materialien herbeizuschaffen , das andere, unbrauchbare abzuscheiden ; der Vergleich zwischen Arterie und Vene ist daher wohl gerechtfertigt. Das Blutgefasssystem ist es also zunachst, welches die Nahrungsstoff'e aus dem Darme aufnimmt, von dieseu geht dann ein Theil in die lymphoiden Zellen iiber. Die That- sache, dass nur im vorderen Theile des Korpers die Abgabe dieser Stoffe aus den Blutgefassen erfolgt, harmonirt sehr gut mit der An- uahme, dass im hinteren Theile des Korpers die Respiration statt- findet. Dieser Korpertheil wird von dem Thiere fortwahrend stark im Wasser bewegt und selbst, wenn sich das Thier im Schlamme vergraben hat, ragt dieses Korperende unter heftigen Bewegungen in das Wasser herein. Es werden sich, wenn einmal diese Vorgange in alien ihren Einzelheiten gepruft und als Thatsachen anerkannt sind, eine Menge der interessantesten Beziehungen zu den analogen Organ- systemen anderer Thiergruppen ergeben; dies wurde aber weit iiber das Ziel dieser Arbeit hinausgehen, und ich werde mich im folgenden Abschnitte begniigen miissen , auf die entsprechenden Verhaltnisse bei andern Anneliden , so weit dieselben bis jetzt studirt sind, hinzuweisen. 22* 340 Willy Kukenthal, Es wird sich, wie ich hier gleich vorausschicken will, heraus- stellen, dass die von mir beim Tubifex aufgefuudenen Verhalt- nisse, mit den bis jetzt bei andern Anneliden, besonders Oligo- chaeten, bekannten Thatsachen, die sich freilich nur als in den ver- schiedensteu Werken zerstreute Beobachtungen auffinden lassen, in jeder Weise harmoniren. Wenn nicht alle uber diesen Puukt gemachten Beobachtungen in Voiiiegendem eingetragen siud, so moge man dies mit der ungeheuer angewachsenen Annelideuliteratur entschuldigen, welche es sehr schwierig raacht, alle derartigen vereinzelten Bemerkungen zu sammeln. Die lymphoiden Zellen der Anneliden sind schon lange be- kannt imd bei einzelnen Arten beschrieben warden. So erwahnt bereits Gruithuisen i), dass einige Naiden in dem Raume zwi- schen der muskulosen Haut und dem Darmkanale Chyluskorper- chen enthalten, die er mit dem Fettkorper der Insecten vergleicht. Eine eingehendereBetrachtung liefert jedoch erst Whaeton Jones 2) in seiner Arbeit iiber die Blutkorperchen in ihren verschiedenen Entwickelungsphasen bei verschiedenen Thierklassen. Jones kann als der erste gelten, welcher die amoboide Bewegung bei lymphoi- den Zellen beobachtet und beschrieben hat. Blut und Leibes- flussigkeit der Anneliden vermag Jones noch nicht zu trennen; er spricht nur von „blood-corpuscles", unter welchen Begriff er die lymphoiden Zellen einfasst. In seinen Beobachtungen, die er am Regenwurm und am niedicinischen Blutegel angestellt hat, kommt er zu dem Schlusse, dass man zwischen gekornten Zellen und ungekornten unterscheiden muss. Wahrend er fiir die letzteren einen Zellkern aufgefunden hat, ist ihm dies bei den gekornten Zellen nicht gelungen, er halt sie deshalb fiir kernlos. Quatre- FAGES^) trennt bereits bei Annehden ein Blutgefasssystem und eine Fliissigkeit der Leibeshohle, in der eiformige, oft unregel- ^) Gkxjithuisex , Ueber die Nais diaphana und Nais diastropha. Nova acta. Bd. 14. 1828. p. 412. ^) Whakton Jones, The blood-corpuscle considered in its diffe- rent Phases of development in the Animal Series. Philos. transact. Royal. Soc. of London 1846. vol. 136. p. 64 u. 94. 95. ^) QuATEEFAGEs , Etudes sur les types inferieurs de I'embranche- ment des Anneles. Annal. des Scienc. I. XIV. 1850. Ueber die lymphoiden Zellen der Anneliden. 341 massige Korperchen herumschwimmeri. Den Zellkern derselben hat er aiifgefunden. Soust bietet die Arbeit von Quatrefages nur allgemeine Betrachtungen uber diese Verhiiltnisse, die spater berucksicbtigt werden sollen. Erst durch Williams ^) erhalten wir eine umfangreiche Abhandlung iiber diesen Gegenstand. An der Hand einer langen Reihe von Untersuchungen versucht er nachzuweisen , dass in der Thierreihe eine Steigerung vom Ein- fachen zum Zusammengesetzten nicht nur in der Leibesfliissigkeit, sondern auch in den festen Elementen derselben vorhanden ist. Er geht sngar soweit, auf Grand dieser vorgeblichen Verschieden- heiten eine Art Stammbaum zu zeichnen, den er betitelt „Diagram illustrative of the Classification of the Invertebrated Animals on the basis of the Fluids". Es braucht wohl kaum bemerkt zu wer- den, dass von einer fortschreitenden Entwickeluug in diesem Sinne nicht die Rede sein kann. Wir werden gleich sehen, dass die hochst entwickelten Thiere im Wesentlichen dieselben lymphoiden Zellen besitzen, wie die niederen. Die nahere Beschreibung der lymphoiden Zellen der Anne- liden iraponirt mehr durch die Fiille der Beobachtungen in den verschiedenen Gattungen, als durch das tiefere Eindringen in die- sen Gegenstand. Die Bewegungserscheinungen der lymphoiden Zellen fiihrt Williams auf CoaguUren der stark fibrinhaltigen Flussigkeit beim Zerreissen der Zellwand zuriick. „This appea- rance has deceived some observers into the supposition, that such cells are ciUated, epithelial selfmotive bodies. They are not so." Unter diesen Beobachtern ist Weiaeton Sokes jedenfalls mit ein- begriffen. Auch die Kernverhaltiiisse dieser Zellen sind von Wil- liams nicht klar erkannt worden, wozu allerdings der ganzliche Mangel an irgend welchen Kernfarbungsversuchen beigetragen haben mag. Bald hat er bei einigen Zellen einen Kern eutdeckt, bald beschreibt er dieselben als kernlos. Interessant sind seine Beobachtungen, dass kurze Zeit nach dem Ausschliipfen des jungen Thieres aus dem Ei, noch vor Entwickeluug irgend welcher An- hange, die Leibesflussigkeit noch keine lymphoiden Zellen enthalt, dagegen das Blut und das Blutgefasssystem schon vor Entstehung dieser Zellen vorhanden ist. Bei alten Thieren zeigt es sich, dass die lymphoiden Zellen allmahlig verschwinden, an deren Stelle die Geschlechtsproducte treten. 1) Williams, On the Blood-proper and Chylaqueous Fluid of In- vertebrate Animals. Phil. Transact. R. Soc. of London. V. 142. 1862 342 Willy Kukenthal, Eine ganze Reilie von Autoren, welche der lymphoiden Zelleii wohl Erwahimiig thuen, jedoch niclits wesentlich Neues bringen, konnen wir bei Seite lassen und uns den von Ranvier^) geniach- ten und in seinem „Lehrbuch der Histologie" niedergelegten Be- obachtungen zuwenden. Die Untersuchungen dieses Forschers er- strecken sich zvvar fast ausschliesslich auf die lymphoiden Zellen hoherer Thiere, es ist aber interessant zu sehen, me dieselben in alien wesentliclien Eigenschaften mit den beim Tubifex vorliegen- den Zellen iibereinstimmen. Ranvier beschreibt zunachst die Be- wegung der lymphoiden Zellen sehr eingehend und schhesst dar- aus, dass sie keine Umhiillungsmembran besitzen; dann constatirt er an einer Reihe gefaibter Priiparate eine Vermehrung des Kerns durch Sprossung und darauffolgende Abschnurung und im engsten Zusammenhange damit eine Theilung der Zelle. Diese Theilung ist ihm spiiter auch direct zu beobachten gelungen. Anstatt zweier Kerne konnen sich nach ihm durch Sprossung drei, vier, ja eine noch grossere Anzahl bilden, ein Vorgang, der mit der von mir beschriebenen Viertheilung des Kernes zum Theil identisch zu sein scheint. Die Theilung selbst beschreibt er folgendermassen : „Wenn eine Lymphzelle zwei Kerne besitzt und unter dera Auge des Beobachters anioboide Erscheinungen zeigt, scheint jeder der Kerne die Bewegung eines bestimmten Theiles der Protoplasma- masse zu beherrschen. Diese Masse hat die Neigung, sich durch eine Art Ausziehung in zwei Theile zu theilen; die ausgezogene Mittelpartie verdiinnt sich allmahlig, reisst schliesslich durch und an Stelle einer Lymphzelle existiren deren zwei." Diese Beschrei- bung wurde nach meiuen Beobachtungen geuau auf die Theilungs- erscheinungen der lymphoiden Zellen unseres Tubifex passen. Die Erscheinung, dass bei Versuchen, die Zellen in lebendem Zustande zu farben, dieselben absterben, ist auch Ranvier aufgefallen; nach ihm fallt das Sichtbarwerden des Kerns durch Fiirbung mit dem Tode der Zelle zusammen. Das Verdienst, diese Art der Thei- lung bei lymphoiden Zellen zuerst aufgefunden zu haben, geblihrt daher Ranvier, Die Arbeiten Flemming's ^) bestiitigen diese Theilungsvorgange. Von Interesse ist es, dass Fr. E. Schulze^) ^) L. Kanvieb's „Technisches Lehrbuch der Histologie", iiber- setzt vou Nicati und Wyss. 1877. p. 145 u. f, 2) W. Fli,mmi>-g, ZellsubstaDZ, Keru und Zelltheilung. 1882. p. 343 u. f. 3) Fb. E. .Schijlze, Rhizopodenstudien V. Arch. f. micr. Anat. 1875. lid. 11. p. 583. Ueber die lymphoiden Zellen der Anuelideu. 343 fast denselben Vorgang derartiger Kerntheilung niit nachfolgender Tlicilung des Korpers bei einer Amobe, der Amoeba polypodia, beobachtet hat. Die directe Zerschniirung von Kernen ist Flemming bei amo- boideii Leukocyten fast niclit inchr zvveifelhaft. Diese Beobach- tungen, welche an Frosclieu iind der Larve von Siredon piscifor- mis angestellt wurden, erhalten durch die in dieser Arbeit be- schriebenen Theilungsvorgiinge von lymphoiden Zellen eines Anne- liden eine neiie Stiitze. Es ist damit zugleich wieder ein Beitrag zur Feststellung des Vorkoniniens von directer Zelltheilung nach vorausgegangener directer Kerntheilung gegeben; iind ferner lasst sich weiter behaupten, dass die bei Anneliden vorkommenden lymphoiden Zellen keinen wesentlichen Unterschied von denen hoherer Thiere ergeben. Wir kommen nun zu der Frage, was iiber die Entstehung der lymphoiden Zellen bis jetzt bekannt ist. Zunachst einiges iiber die bindegewebigen Zellen selbst, die Mutterzellen der Lymph- korper. Dieselben sind zwar in den meisten Arbeiten erwahnt worden, etwas Naheres aber iiber den Zusammenhang mit dem Gefiisssystem erfahren wir erst durch Leydig'), der bei Phreo- ryctes constatirt, dass an den vom Bauchgefass ausgehenden Ge- fiissschlingen die Matrix der Intima sich continuirlich in Binde- gewebe fortsetzt; er beschieibt dann noch ein streifiges Bindege- webe zvvischen den Schenkeln der Schlingen, welches dieselben Kerne wie die Matrix besitzt. Beim Regenwurm erwahnt Glapa- R^DE 2) in die Leibeshohle hineinragende Zellwucherungen, welche sich um Gefassschlingen herum gebildet haben. Auch die ver- schiedenen Schlingen der Schleifenkanale sind durch derartiges Bindegewebe miteinander verbunden. Von spateren Beobachtern ist noch Nasse^) zu erwahnen, welcher zugesteht, dass die sog. Driisenzellen der Schleifencanale, also ebenfalls bindegewebige Zellen , dem Bauchgefasse bei Tubifex so dicht anliegen , dass es schwer zu entscheiden ist, ob dieselben nicht fest mit dem Ge- fasse verwachsen sind. ') Fk. Leydig, Utber Plireoryctes Menkeanus Hofm. nebst Be- merkungen iiber den Bau anderer Anueliden. Arch, f. rnikr. Anat. Bd. 1. 1865. p. 279, 280. •'*) 1. c. p. 580. 2) D. Nasse, Beitrage zur Anatomie der Tubificiden. Diss. Bonn 1882. p. 11. 344 Willy Kiikenthal, Die von mir als Lymphspaltraume angesprochenen Muskel- zwischenraume scheinen mit den von Claparede ^) angefiihrten „sillons" identisch zu sein. Er beschreibt dieselben als niehr oder weuiger breite Zvvischenraume, vvelche die Langsmuskelschicht in sechs Bander trennen. Indess hat Ratzel ^) nachgewiesen, dass bei verschiedenen Oligocliaeten die Zahl derselben sich verringert, Bei Stylodrilus Heringianus beschreibt und zeichnet Clapa- rede in diesen Zwischenraumen kleine Korper, die er als „pedi- celles et fixes a la parvi du corps" characterisirt. Er hat auch bereits ein Oscilliren derselben in der Leibesfliissigkeit gesehen. Ratzel halt die von CLAPARi:DE als gestielt beschriebene Form dieser Korper, die er als „Markblaschen" bezeichnet, fiir etwas zufalliges. Von anderen Autoren hat Leydig ^) diese Zvvischen- raume bei Phreoryctes erwahnt, er vergleicht dieselben mit den Einkerbungen im Muskelsystem der Arthropoden. Auch bei Tubi- fcx sind sie mit den kleinen von Claparede bei Stylodrilus be- schriebenen Korpern bereits gesehen worden und zwar von Nasse *), der sich mit einer kurzen Notiz dariiber begnugt. Dass diese Muskelzwischenriiume bei hoheren Thieren als Lymphgefasse fungiren, ist eine festgestellte Thatsache. So sagt z. B. E. Klein ^) in seiner Arbeit „Lymphoitic System of Skin and Mucuos Membranes", „Just as is the case with the fat-tissue, so also here, the ultimate lymphatic radicles are lymphspaces between the individual muscle-fibres. Each muscle-fibre of a handle is surrounded by a lymphspace." Von sicheren directen Beobachtungen iiber die Entstehung der lymphoiden Zellen liegt bis jetzt, soweit mir die dies- beziigliche Litteratur zuganglich war, nichts vor, nur Leydig^) erwahnt bei Lumbriculus: „Die Leibeshohle (Lymphraum) er- scheint bei Lumbriculus mit Zellen ausgekleidet, welche mit den in diesem Raume fluctuirenden Lymphkugelchen fast gleiches *) Clapakede, Eecherches auatomiques sur les Oligochetes. 1862. p. 7 und 8. 2) Ratzel, Histologische Untersuchungen an uiederen Thieren. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 19. 1869. p. 257. 3) 1. c. p. 262. 4) 1. c. p. 8. ^) E. Klein, On the lymphatic system of the skin and mucuos membranes. Q,uart. Journ. of Microsc. He. 1881. p. 406. 6) 1. c. p. 281. Ueber die lymphoiden Zelleu der Anueliden. 345 Aussehen haben, audi meine icli beobachtet zu haben, dass die letzteren hier wirklich durch Sprossung an den auskleidenden Zellen und nachherige Ablosung entstehen." Eine etwas duukle Andeutung liber die mogliche Entstehung der lymphoiden Zellen aus den Chloragogenzellen giebt Claparede ^) in seinen histo- logischen Untersuchungen uber den Regenwurm. „Das Chlora- gogen im weiteren Sinne des Worts zeigt eine unniittelbare Be- ziehung zu den Blutgefassen , denn wir diirfen nicht vergessen, dass selbst am Darme ein iiberaus reiches Gefassnetz unter dem- selben liegt. Ich halte es demnach fur wahrscheinlich, dass sich die Chloragogenzellen gewisse Elemente vora Blute aneignen und dieselben in die Perivisceralflussigkeit iiberfiihren." Etwas bestimm- ter druckt sich Ray Lankester 2) daruber aus. Nachdem er von der Beziehung zwischen der Menge der lymphoiden Zellen und der Chloragogenzellen gesprochen hat, eine Beziehung, welche ich bei Tubifex durchaus nicht habe auffindeu konnen, gelangt er zu folgender Behauptung: „It seems not at all improbable that this yellow grandular tissue may have but little to do with the secre- tion of digestive juices, or, at any rate, may have an adolitional and most important connexion with the production of the corpus- cles of the perivisceral fluid, and may serve that fluid in organic relation with the liquid of the closed vascular system of the intestine and the contents of the digestive tract." Lankester stutzt sich dabei auf die Beobachtung, dass, wenn wenig lym- phoide Zellen vorhandeu waren, das Riickengefass stark mit Chlo- ragogenzellen besetzt war, und dass umgekehrt bei Mangel an Chloragogenzellen sich in der Leibeshohle eine Menge lymphoider Zellen befanden. Wie schoii erwahnt, ist es mir bei Tubifex nicht gelungen, eine derartige Beziehung nachzuweisen, und auch Mac- intosh^), in seinen Untersuchungen tiber denselben Wurm, con- statirt, dass er nichts gesehen habe, was diese Behauptung Lan- kester's unterstutzen konne. Spiitere Autoren, so Timm^) in seinen Untersuchungen uber Phreoryctes und Nais, haben diese ganzlich unbewiesene Behaup- 1) I. c. p. 615. ^) R. Lankestek, a Coutribution to the knowledge of the lower Annelids. Transact. Linn. Soc. London, vol. XXVI. 1870. p. 637, 3) M'Intosh, On some points in the structure of Tubifex. Trans- act. Roy. Soc. Edinb. v. XXVI. p. 257. ^) R. TiMM, Beobachtuugen an Phreoryctes Meukeanus HofFm. und Nais, Arbeiten aus dem zool.-zootom. Inst. z. Wiirzburg. 1883. p. 123. 346 Wniy Kukeuthal, tiing Lankester's fiir richtig hingenommen. Die Loslosung der Chloragogenzollen von den Gefassvvandungen ist wobl mehrfach beobachtet worden, ich glaiibe aber in meiner Arbeit nachgewiesen zu haben, dass diese losgelosten Chloragogenzellen eine ganz andere Function besitzen, wie die lymphoiden Zellen, und daher mit diesen nicbt mehr zusammengestellt werden dtirfen. Eiu Punkt verdient dabei noch Erwahnung, dass sich namlich mit- unter auch lynipboide Zellen, die sich an das Riickengeiass be- reits angesetzt haben, wieder loslosen, nachdem sie einige der characteristischen brauneu Kornchen aufgenommen haben, dass dieses aber nicht niehr functionirende lynipboide Zellen , sondern nur Zwischenstadien zu Chloragogenzellen sind, glaube ich eben- falls gezeigt zu haben. Wahrend iiber die Bildung der lymphoiden Zellen bis jetzt also noch keine sicheren Beobachtungen vorlagen, ist den Chlora- gogenzellen eine bedeutend grossere Aufnierksamkeit geschenkt worden, Ganz allgemein hielt man diesen Zellenbelag des Darmes, der eine briiunliche oder grunliche Farbe zeigt, fiir eine Leber; so z. B. d'Udekem^) in seiner Naturgeschichte des Tubifex „0n doit considerer les deux especes de glandules dont nous venons de parler comme representant le foie des animaux superieurs; il est du moins tres-probable, que leur role physiologique est de secreter un liquide servant a la digestion." Der Erste, welcher die Func- tion dieser Zellen als Leber bezweifelte, war Leydig^), der bei Lumbriculus variegatus ihre Zusammengehorigkeit zum Riicken- gefasse auffindet. Er bescbreibt sie als contractile blind endigende Aussackungen des Ruckengefasses und fahrt dann fort: „in deren Adventitia liegen scharf contourirte Korperchen, und daher sind sie theilweise auch ganz dunkel gefarbt," An einer andern Stelle ^) stellt er die Leber der Hirudineen auf eine Stufe mit dem Fett- korper der Arthropoden. Spiiter*) verallgemeinert er seine Beob- achtungen und kommt zu dem Schlusse, dass die sog. Leberzellen nicht bios den Darmkanal, sondern auch das Riickengeftiss und ^) J. d'Udekem, Histoire naturelle du Tubifex des ruisseaux. -Mem. cour. de I'Ac. de Belgique, L XXVt, 1855. p. 16. ^) Fk. Lexdtg, Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere. 1857. p. 436. 3) Letdig, Lehrb. der Histolojj;ie. p. ;366. *) Fr. Letdig, Vom Bau des thierischen Korpers. 1864. Bd. I. p. 33. TJeber die lymphoiden Zelleu der Aunelideu. 347 iiber dieses weit hinaiis die feineren Getasse begleiten. Diese Zellen gehoren seiner Ansicht iiach zum zellig-blasigen Bindege- webe und uehmeii nur durch ilire Fiilluiig niit brauner Korner- masse eiuen besouderen Character an. Von hohem Interesse ist seine Schlussbemerkung: „Damit ist indessen uoch keineswegs ausgeschlossen, dass die Zellen physiologisch nicht am Eude doch durch ihre secretorische Thatigkeit die „Leber" ersetzen. Im Falle die Chemie nachzuweisen im Stande sein wird, dass der brauu- kornige Stoff dieser Zellen mit dem Inhalt unbezweifelbarer Leber- zellen ubereinstimmt, so wtirde sich vielleicht eine Aussicht er- offnen, gerade ihre innige Beziehung zu den Blutgefassen einiger- massen zu begreifen. Vorderhand aber sind sie als Bindesubstanz- zellen aufzufassen und ihr Inhalt nicht als Galle, sondern als Pigment." Leydig scheint hier bereits die Function dieser Zellen, Excretionsstoflfe aus dem Riickengefasse aufzuuehmen, geahnt zu haben. Ganzlich unabhangig von Leydig ist Claparede ^) zu einem ahnlichen Resultate gekommen. In seinen schonen Untersuchungen iiber die Oligochaeten constatirt er zuniichst, dass die Chlora- gogenzellen nicht allein dem Darmkanal, sondern audi dem Riicken- getass aufsitzen. (Dies ist iibrigens bereits von Hoffmeistee in seiner Arbeit „de vermibus quibusdami ad genus Lumbricorum pertinentibus" angegeben worden). Er schliesst daraus auf sehr innige Beziehungen dieser Zellen zum Ruckengefass und endet seine Bemerkungen „il est done tres-improbable, que ces cellules versent de la bile dans la cavite de I'intestin. II est beaucoup plus vraisemblable, qu'elles d^versent leur contenu dans la cavite p6riviscerale." Auch in seinen Untersuchungen iiber den Regen- wurm spricht er sich in iihnlicher Weise aus 2). Ein neuer Fortschritt zur niiheren Erkenntniss dieser Ver- haltnisse war das Auffinden eines vom Riickengefasse ausgehenden Darmgetassnetzes, das, wie Timm ^) mit Recht bemerkt, fur Oligo- chaeten typisch zu sein scheint. So erwahnt Leydig*), der auch hier als der erste Beobachter gelten kann, folgendes: „Ich sehe z. B. den Darm von Haemopis sehr ' reich an Gefassen , und an Chaetogaster habe ich die Art der Verbreitung niiher ins Auge ^) 1. c. p. 11. '^) 1. c. p. 614. ^) TmM 1, c. p. 124. *) Leydig, Lehrb. der Hi«tologie, p. 344. 348 Willy Kukenthal, gefasst. Hier gehen vom Riickengefass zahlreiche Gefasse ab, welche, in der Tunica propria des Nahruiigsrohres, den Magen und Darm reifartig umstricken und, indem sie sich durch seitliche Aeste untereinaiider verbinden, entstehen strickleiterahnliche Ma- schen. Auf der Bauchseite sammeln sich die Ringgefasse zu eineni medianen Langsstamm , der weiter hinten vom Darm weggehend, in das Stammgefass des Bauches einmiindet." Vejdovsky*) zeigt das Vorhandensein eines Darmgefassnetzes bei Rhynchelmis limo- sella. Bei Beschreibung der Dero obtusa erwahnt Perriee^) diese Thatsaehe „les cellules hepatiques semblent parfois disposees en bandes paralleles, ce qui est du a un systeme de vaisseaux qu'elles recourcent en partie." Fiir Ocnerodrilus erwahnt Eisen ^) derartige Darmgefilsse; fiir unsern Tubifex wird es zuerst von Mac Intosh*) beschrieben als ein System von anastomosirenden longitudinalen und circularen Blutgefassen, welche zwischen zwei Oder drei in jedem Segment sich um den Darm herumwindenden grosseren Gefassen verlaufen. Ausser diesem vom Riickengefass stammenden Gefiissnetz existirt noch ein vom Bauchgefass ab- gehendes, welches Mac Intosh vom siebenten Segment des Wur- mes zeichnet. Es mag hier erwahnt werden, dass auch bei Hirudo ahnliche Verhaltnisse von Lankester ^) aufgefunden sind. Mit der Feststellung der Thatsaehe, dass diese „Leberzellen" nicht dem Darme, sondern dem Riickengefasse und den den Darm umspinnenden Aesten desselben aufsitzen , konnte natiirlich von einer secretorisclien Thiitigkeit derselben in den Darm keine wei- tere Rede sein. Aber schon ehe diese Verhaltnisse festgestellt waren, finden sich Beobachter, welche die secretorische Bedeutuug dieser Zellen fiir den Darm bezweifeln. Es ist hier zunachst Gruithuisen ") zu nenneu mit seiner Behauptung, dass der Mast- darm aussen mit Driischen besetzt sei, welche das bildeten, was bei hoheren Thieren die Chylusdriisen seien, indem auch diese 1) Vejdowsky, Anatomische Studieu an Rynclielmis limosella. Zeitschr. f. w. Zool. Bd. 27. 1876. p. 342. 2) Perrtek, Histoire naturelle du Dero obtusa. Arch, de zool. exp. et generale. I, I. 1872. p. 75. •^) G. EisEN, On the anatomy of Ocnerodrilus. Upsala 1878. p. 6. *) M'Intosh, On some points in the structure of Tubifex. 1. c p. 263. •'') R. Lankester, On the connective and vasifactive tissues of the Medicinal Leech. Quart. Journ. of Micr. 8c. XXL 1881. p. 307. 6) L c. p. 413. Ueber die lymphoidea Zellen der Auneliden. 349 den Chylus unmittelbar in den Raum zwischen der muskulosen Haut und dem Darmkanale ergossen. Audi Buchholz^) halt sie fiir Drusen, welche bei der Aufnahme und Verarbeitung der in dem Darmkanal befindliclien Substanzen eine wesentliche Rolle spielen, und begriindet diese Ansicht mit dem Hinweis darauf, dass alle Substanzen erst durch diese Zellscbicht hindurchgehen miissen, ehe sie in die Leibesfliissigkeit gelangen konnen. Den braunen Inhalt der Chloragogenzellen halt Buchholz fiir eine Modification des durch den Darm aufgenommenen Chlorophylls. Wahrend diese Forsclier nun die secretorische Bedeutung dieser Chloragogenzellen fiir den Darm laugnen, andererseits ihnen aber eine solche fiir die Leibesfliissigkeit zuschreiben, ist in neue- ren Arbeiten die Ansicht aufgestellt worden , diese „Leberzellen" mochten vielleicht eine excretorische Bedeutung besitzen. Vor allem sind hier die Untersuchungen Timms ^) an Phreoryctes und Nais zu erwahnen. Timm hat bemerkt, dass bei beiden Wiirmern Chloragogenzellen losgeliist und in der Leibesflussigkeit herum- geschwemmt werden, und beruft sich dabei auf eine mir leider nicht zuganglich gewesene Arbeit von Tauber^), der das Losliisen der Chloragogenzellen ebenfalls gesehen hat. Eine andere Be- obachtung Timms, dass in den Segmentalorganen von Phreoryctes ein ahnlicher braunkorniger Inhalt auftrat, vvie ihn die Chloragogen- zellen besitzen, iuhrte ihn zu der Vermuthung, dass der Inhalt der Chloragogenzellen durch die Segmentalorgane nach Aussen befordert werde. Dies stimmt mit den von mir gemachten und in dieser Arbeit niedergelegten Beobachtungen vollstilndig iiberein. Es ist natiirlich, dass bei einer so unvollkommenen Kenntniss dieser Verhiiltnisse auch die Beziehungen der beiden Circulations- systeme, des Blutgefasssystemes und der Leibesflussigkeit, wie deren Funktionen, bis jetzt nicht siclier erkannt sind. So reprasentirt nach Quatrefages ^) die Leibesfliissigkeit „le sangveineux, la lymphe et le chyle, mel6s a la serosite de la ^) Buchholz, Beitriige zur Auatomie der Gattung Euchytraeus, nebst Angabe der um Konigsberg vorkommenden Arten derselben. Scbriften der phys.-ok. Ges. z. Konigsberg. 1862. p. 16. 2) 1. c. p. 122 u. 123. ^) Tatjbee, Uutersogelser over Naideriies kjonslose Forraering. Naturhistorik Tidsskrift. 3 R. 9 Bd. 1874. p. 11. *) QuATKEFAGES , Memoire sur la cavite generale du corps des Invertebres. Ann. d. scienc. nat. I. XIV. p. 314. 350 Willy Kiikenthal, couche periton6ale." Williams') constatirt zunachst, dass diese zvvei den Thierkorper aufbauenden Organsysteme iu constantem uiid directem Verhaltiiis stelien. Das Blutgefasssystem existirt uach ihm nicht im Beginii der Thierreihe, es eiitsteht erst aus der Leibesfliissigkeit, dessen hochste Entwickelungsstufe es darstellt. Er fiihrt in seiner Arbeit einen hochst interessanten Ausspruch von Agassiz 2) an, welcher behauptet, dass das Blut der Anne- liden einfacher getarbter Chylus ist. Die Behalter dieses Chylus sind an verschiedenen Stelien des Korpers wahre Lymphherzen. Aehuliche Ansichten vertritt Perkier 3); „Si V on remarque que la parol interne de I'intestin est couverte de cils vibratiles qui d6terminent, outre la inarche du bol alimentaire, un courant d'eau constant; si Ton se rappele en outre la richesse vasculaire de ces parvis intestinales , on ne pent s'enjpecher de se demauder si le tube digestife ne jone pas un role important dans la respiration. Le reseau que nous avons decrit pourrait encore etre considere comme remplagant jusqu'a un certain point les chyliferes des animaux superieurs et, par consequent, il serait simplement alors un appareil d'absorption". Dieser Ansicht, dass es also das Blutgefasssystem selbst ist, welches den Chylus aus deni Darmrohre aufnimmt, und nicht die Leibesfliissigkeit diese Funktion zu erfiillen hat , muss ich mich meinen Beobachtungen zu Folge anschliessen ; eine weitere Aus- fuhrung derselben wiirde indessen den Rahmen dieser Arbeit iiber- schreiten. Nach diesem Ueberblick iiber das in der Litteratur vorhan- dene Material glaube ich behaupten zu konnen, dass die von mir bei Tubifex aufgelundeneu Verhiiltnisse sich im Wesentlichen bei anderii Anneliden und speciell Oligochaeten wiederholen. Einer ferncren Arbeit soil es indessen vorbehalten sein, diese speciellen Verhaltnisse des Nahern zu verfolgen. 1) Williams, 1. c. p. 596. 2) SiLLiMANS Amerikaii Journal for July 1850. ^) Pekrieu, Hist. uat. du Dero obtusa 1. c. p. 78. Ueber die lymphoiden Zellen der Anneliden. 351 Anhaiig-. Eine Bestatigiing der am Tubifex gemachten Beobachtungen fand sich bei der niiheren Untersuchung zweier andereu Oligo- chaeten, und zwar bei Limnodrilus Udekemianus Clap, und dem Lumbricus terrestris. Wiihrend der letztere, seiner Undurchsichtig- keit wegen nur das Studium der Leibesflussigkeit gestattete , bin ich im Stando, die bei Tubifex Bonneti beobachteten Erscbeinungen Punkt fiir Punkt bei dem sehr iihnlicben Limnodrilus bestatigen zu konnen. Was zunachst die lymphoiden Zellen an sich betriftt, so liessen sich an einer Reihe von Praparaten dieselben Be- wegungserscheinungen , dieselben Theilungsvorgange nachweisen, nur tritt bier neben der Zwei- und Viertheilung des Kernes mit- unter ein drei- , fiinf- und sechstheiliges Stadium auf. Ebenso verhalt es sich mit dem zweiten Theile der Arbeit. Alle beim Tubifex geschilderten Vorgange wiederholen sich auf das Genaueste beim Limnodrilus , so dass ein naheres Eingehen auf dieselben unnothig erscheint. Die lymphoiden Zellen vom Lumbricus sind etwas grosser, zeigen aber dieselben Erscbeinungen, und lassen ausser einem Zweitheilungsstadium des Kernes, ebenfalls die Vier- theilung, seltener aueh drei, fiinf und sechstheilige Stadien er- kennen. 352 Willy Kukenthal, Litter aturnachweis. Ok. Buchholz, Beitrage zur Anatomie der Gattung Enchytraeus, nebst Angabe der um Konigsberg vork. Arten derselben. Schriften der phys.-ok. Gesellsch. in Konigsberg 1862. E. ClapaeJide, Kecherches anatomiques sur les Annelidas, Turbellaries, Opalines et Gregariues observes dans les Hebrides. 1861. — — Recherches anatomiques sur les Oligochetes. 1862. — — Glanures zootomiques parmi les Annelides. 1864. — — Les Annelides Chetopodes du Golfe de Naples. 1868. — — Histologische TJntersuchungen iiber den Regenwurm. Zeit- schrift f. wissensch. Zoologie, Bd. 19. 1869. G. EisEN, On the Anatomy of Ocnerodrilus. Upsala 1878. W. Flemming, Zellsubstanz, Kern und Zelltheilung. 1882. P. Gruithuisen, Ueber die Nais diaphana und Nais diastropha mit dem Nerven- und Blutsystem derselben. Nova Acta. A. C. L. C. Tom. XIV. 1828. W. C. M'Intosh, On some points in the structure of Tubifex. Trans- act. Eoy. Soc. of Edinb. vol. XXVI. 1871. — — On the circulatory system of Magelona. Journ. of Anat. and Physiol, vol. XIII. Wh. Jones, The blood-corpuscle considered in its different phases of development in the animal series. Phil. Transact. Roy. Soc. of London, vol. 136. 1846. E. Klein , On the lymphatic system of the skin and mucuos mem- branes. Quarterly Journal of microsc. 8c. 1881. Ray Lankester, A contribution to the know-ledge of the lower Anne- lids. Transact. Linn. Roc. London, vol. XXVI. 1870. — — On the connective and vasifactive tissues of the Medicinal Leech. Quart. Journ. of micr. Sc. vol. XX. 1880. Ueber die lymplioiden Zellen der Anneliden. 353 Fe. Leydiq, Lekrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere, 1857. — — Vom Bau des thierischen Korpers. Handb. d. vergl. Anatomie. 1864. — — Ueber Phreoryctes Menkeanus Hofm. nebst Bemerkungen iiber den Bau anderer Anneliden. Archiv f. microsc. Anat. Bd, I. 1865. D. Nasse, Beitrage zur Anatomie der Tubificiden. Diss. Bonn 1882. E. Perkier, Histoire naturelle du Dero obtusa. Arch, de zool. exp. et g^n^rale. Tome I. 1872. A. DE QuATREFAGES, ^fetudes sur les types inferieurs de I'embranche- ment des Anneles. Ann. des Scienc. nat. Trois. Serie I. XIV. 1850. L. Ranviee, Technisches Lehrbuch der Histologie (1872), iibersetzt von Nicati uud Wyss. 1877. Fb. Eatzel, Histologische Untersuchungen an niederen Thieren. Zeit- schr. f. wissensch. Zool. Bd. XIX. 1869. E. TiMM, Beobachtaugen an Phreoryct. Menkeanus Hoffm. und Nais, Ein Beitrag zur Kenntniss der Fauna TJnterfrankens. Arbeiten aus d. zool.-zoot. Instit. z. Wiirzburg. 1883. J. d'Udekem, Histoire naturelle du Tubifex des ruisseaux. Mem. cou- ronnes et mem. des sav. etr. de I'Acad. Roy. de Belgique. Tome XXVI. 1854. Th. Wn-LiAMS, On the blood-proper and chylaqueais fluid of Inverte- brate Animals. Phil. Trans. Roy. Sec. London 1852. Vejdowsky, Anatomische Studien an Rhynchelmis limosella Hoffm. Zeitschr. f- wissensch. Zool. Bd. 27. 1876. Bd. xvm. N. F. XI. 23 354 Willy Kukenthal, Erklarung der Abbilduugen. Tafel Xt.^ Fig. 1. a — g Theilungsvorgange einer lymphoiden Zelle. Fig. 2. a — d Viertheilung des Kerns bei Zweitheilung der Zelle, Fig. 3. a — d Die vier Haupttypen der Kernviertheilung. Fig. 4. a ungekornte lymphoide Zelle, b gekornte lymphoide Zelle, c n. d zwei Zellkerne solcher Zellen. Fig. 5. a, b, c drei Stadien der Ablosung der bindegewebigen Zelle «, welche zu einer lymphoiden Zelle wird, bg das Bauchgefass. Fig. 6. a, b, c, d vier Ablosungsstadien einer solchen Zelle, in d vollstandige Trennung. Fig. 7. a ein Theil der Leibeswand im Profil mit eingedrungenen lymphoiden Zellen, b — f das Austreten einer solchen Zelle aus der Muskelschicht. F i g. 8. a ein Lymphspaltraum im Profil, c Cuticula, e Epidermiszellen, m Muskelschicht, g feines Blutgefass, Iz diesem aufsitzende Zellen, die zu lymphoiden Zellen werden, b ein Lymphspaltraum mit fluctuirenden amoboiden Zellen, c ein solcher Lymphspaltraum im Tangentialschnitt mit Kern- farbung, Iz noch nicht ausgebildete lymphoide Zellen mit grossem Kern, Iz^ in einen Muskelzwischenraum eingedrungene lymphoide Zelle. Ueber die lyraphoiden Zellen der Anueliden. 355 Tafel S^ Fig. 9. Das fiinfzehnte Segment des Wurmes. c Cuticula, e Epidermis, m Muskelschicht, Is-pr Lymphspaltraum, ga Gefassast, rg Ruckengefass, d Darm, ehl Chloragogenzellen, bgz bindegewebige Zellen, hg Bauchgefass, sgo Segmentalorgan. Fig. 10. Querschnitt durch den Wurm. c Cuticula, e Epidermis, qm Quermuskelschicht, Im Langsmuskelschicht, Iz lymphoide Zellen, rg Riickengefass, chl Chloragogenzellen, gsch Gefassschicht des Darmes, dw Darmwand, hg Bauchgefass und Bauohgefassanastomosen. Fig. 11. Ein Theil des Riickengefasses a mit lymphoiden Zellen, welche im BegrifFe sind, sich anzusetzen, h mit festsitzenden lymphoiden Zellen, die durch Auf- nahme der braunen Kornchen zu Chloragogenzellen werden. Fig. 12. a Abgeloste Chloragogenzelle , welche bereits den schwarz- lichen Detritus enthalt, b abgeloste Chloragogenzelle, deren Protoplasma verschwun- den ist, so dass nur ein traubiges Aggregat von braunen Kornchen iibrig bleibt. 23 356 Willy Kukenthal, n. TheU. Die lymphoiden Zellen der Polychaeten. Mein jetziger Aufenthalt an der zoologischen Station zu Neapel hat mich in den Stand gesetzt, die bei den Oligochaeten aufge- fundenen Verhaltnisse auch bei Polychaeten des Naheren fest- zustellen. Die Methoden der Uutersuchung sind im Wesentlichen die gleichen geblieben. Von Farbungsmitteln erwies sich das Mayer- sche Carmin, eine Abanderung des Grenacherschen, nicht nur fiir die Kernfarbung der lymphoiden Zellen, sondern auch fiir Schnitte durch den Wurmkorper als ganz vorziiglich, Eine streng systematische Durchfiihrung der Untersuchung nach den verschiedenen Familien konnte schon aus dem Grunde nicht erreicht werden, well viele Arten zur Zeit meiner Arbeit sich in geschlechtsreifen Stadien befanden, wodurch ein fast giinzlicher Mangel an lymphoiden Zellen bedingt wird. Es ist deshalb das Material bearbeitet worden, wie es sich mir gerade darbot, und zwar habe ich die lymphoiden Zellen von folgenden Arten unter- sucht. Von den Terebellen: Terebella Meckelii Clap, und Polymnia ncsidensis; von den Aphroditeen: Hermione hystrix Clap, und eine Sthcjnelais; von den Lycorideen: Nereis cultrifera Clap. Nereis peritonealis und andere Stadien von Nereis Dumerilii Aud, et Edw,; von Ericgraphiden Myxicola infundibulum Grube; von Ari- cieen Aricia foetida Clap. Was zunachst die Gestalt und Grosse der lymphoiden Zellen der angefuhrten Formen betrifft, so ist dieselbe im Wesentlichen die gleiche, bei alien finden sich die bei Oligochaeten beschriebenen 2 Formen vor, grossere gekornte und kleinere mit homogeuerem Protoplasma. Die gewohnlich kugelformige Gestalt der letzteren Form, wandelt sich bei den Terebellen wie bei Nereis Dumerilii in eine spindelformige urn, wahrend sie bei Nereis peritonealis Die lymphoiden Zelleu der Polychaeten. 357 mehr scheibenformig wird. Ueber die Art der amoboiden Be- wegung, die sich bei alien vorfindet, liegt eine directe Beobachtung bei Aricia foetida vor, die unzweifelhaft das Vorhandensein eines leichtfliissigen agilen Exoplasraas und eines passiv fortbewegten Entoplasnias constatirt. Das Exoplasma, welches das Entoplasma vollstandig einhullt, bildet an irgend einer Stelle einen lappigen Fortsatz, in welchen dann das Entoplasma passiv nachgezogen wird ; diese Beobachtung liess sich an den lymphoiden Zellen von Aricia foetida deshalb ohne grosse Schwierigkeit machen, weil das feingekurnte Entoplasma sich ziemlich deutlich vom hyalinen Exoplasma unterscheidet. Gestaltveranderung und Fortbewegung fallt also auch hier zusammen. Die Theilung der lymphoiden Zellen erfolgt in derselben Weise wie bei den Oligochaeten. Zunachst unterscheidet man einen vorausgeriickten mehr hyalinen Theil, also einen lappigen Fort- satz des Exoplasmas, von einem mehr gekornten. Jetzt theilt sich der Kern durch Abschniirung in zwei, jeder umhullt von kornigem Entoplasma. Der eine von beiden wandert nun in den Fortsatz hinein, die Zelle zieht sich in die Lange, es erfolgt eine Ver- jiingung der mittleren Partie, endlich reisst diese und die Zelle ist getheilt. Urn die Theilungsvorgange des Kernes genauer studiren zu konnen, wurden wie bei Oligochaeten eine Reihe von gefarbten Praparaten hergestellt, indem die lymphoiden Zellen, nachdem sie etwas erwarmt waren (bis 35o Gels.), urn die Theilungsfahigkeit zu steigern, niit dem von Ranviee empfohlenen Alkohol oder der schon erwahnten Mischung von Ueberosmium-Essig- und Chrom- saure getodtet wurden, um dann meist mit dem oben erwahnten Mayerschen Carmin gefarbt zu werden. Das Ausziehen der iiber- schiissigen Farbe mit angesauertem 90^ Alkohol geschieht am besten unter dem Microscop, um die Farbungsintensitat der Kerne zu reguliren. Bei gelungenen Praparaten sieht man zunachst, dass wie bei Oligochaeten, so auch hier die Kerntheilung eine directe ist, nirgends findet sich auch nur eine Andeutung karyokinetischer Figuren. Ausser dieser einfachen Kerntheilung durch Abschnii- rung lasst sich auch uoch jeue andere Art constatiren, welche die bei Oligochaeten beschriebene „beschleunigte Zelltheilung" bedingt. Wir sehen namlich auch mehrkernige Stadien, moist vierkernige (Fig 1 a und 6), die aus wiederholter Zweitheilung des Kerns entstehen. Dreikernige Stadien eutstehen , wenn nur eine Kern- 358 Willy Kiikenthal, hitlfte sich wieder theilt (Fig. 1 c), ausserdem lassen sich, wenn auch seltener, funfkernige Zellen beobachten (Fig. 1 d). Das Resultat dieses Theils meiner Arbeit ist also eiiie voll- standige Bestatigung der bei Oligochaeten gefundenen Thatsachen. Was nun den zweiten Theil meiner Aufgabe, zunachst also die Frage nach dem Ursprung der l3anphoiden Zellen betrifft, so war die Losung derselben mit einigen Schwierigkeiten verkniipf"^, da es sich wie bei Oligochaeten darum handelte, ein Object zu erhalteu, welches vermoge seiner Durchsichtigkeit einen genaueren Einblick in seinen Organismus gestattet. Endlich fand ich ein solches in einer Nereide, die in den letzten Windungen von Pa- guriden bewohnter Gasteropodeuschalen lebt, Eine genauere Be- stimmung dieser Form ergab die grosste Aehnlichkeit mit einem von CLAPARiiDE beschriebcneu Stadium von Nereis Dumerilii. Zunachst will ich einige allgemeine Bemerkungen iiber den Bau dieses Thieres voraufschicken. Die Grosse ist sehr verschieden, sie schwankt von einem halben bis zu 9 Centimetern. Die klein- sten Individuen besitzen noch keine entwickelten Geschlechts- producte und sind daher zur Untersuchung am besten geeignet. Ueber die Vertheilung der Geschlechter lasst sich im Allgemeinen sagen, dass die kleineren Thiere mannlichen, die grosseren weib- lichen Geschlechts sind. Das Blutgefiisssystem ist das typische. Das vom hinteren Theil des Korpers kommende Blut des Riicken- gefasses stromt durch Seiteuaste, deren sich in jedem Segmente einer findet, in die als Kiemen fungirenden Ruder hinein , wo es regenerirt wird , und als solches durch ein anderes Gefass zum Bauchgefassstamm geleitet wird. Dieses Gefass nun, welches das regenerirte Blut wieder zuruckfuhrt, fiihrt an dem Dissepiment entlang, wo es einen Ast zum Segmentalorgane absendet. Mit diesem Gefassast werden wir uns naher zu beschaftigen haben. Sehen wir uns unter dem Microscop ein junges Individuum an, das durch Wachsfiisschen vor dem Drucke des Deckglases geschiitzt ist, so konnen wir mitunter zu beiden Seiten des Korpers in jedem Segmente einen kleinen Zellenhaufen beobachten ; bei starker Ver- grosserung erscheint dieser Zellenhaufen an seiner Peripherie, be- stehend aus lymphoiden Zellen der angegebenen spiudelformigen Gestalt, wiihreiid der mittlere Theil von weniger differenzirten mehr rundlichen, oder etwas gezackten Zellen gebildet wird. Dieser Zellcomplex sitzt, wie man sich sowohl durch starke Vergrosserung wie durch Schnittserien iiberzeugen kann, an dem erwahnten zum Die lymphoiden ZcUun der Polychaeteu. 359 Segmentalorgane fiihrenden Getasse und zwar geradc da, wo dasselbe in den grosseren zum Bauchgefassstamme fiihrenden Ast einmiindet. Mehrstundige Beobachtungen am lebenden Thier zeig- ten rair auf das Unzweifelhafteste, dass die peripherischen Zellen sich loslosen und als fertige lymphoide Zellen in der Leibes- fliissigkeit umherschvvimmen, so dass also das Organ, welchem die lymphoiden Zellen ihren Ursprung verdanken, gefunden ist. (Fig. 2). Es kam mir nun darauf an, diese bei Nereis Dumerilii con- statirten Verhaltnisse auch bei anderu Polychaeten nachzuweisen. Zunachst gelang niir dies bei Polymnia nebulosa, von der ich der Gate des Herrn Dr. Eduard Meyee sehr schone Priiparate ver- danke. Hier fand sich genau dasselbe Bild, Die Zellenhaufen sitzen ganz regelmassig und leicht zu sehen an dem Blutgefasse der Segmentalorgane und finden sich selbst in den hinteren Seg- nienten noch da, wo letztere bereits fehlen. Dieselben Beobach- tungen machte ich dann bei Polymnia nesidensis und bei der von CLAPARfeDE angefuhrten Nereis peritonealis. Bei letzterer gelang es mir, den Vorgang der Bildung der lymphoiden Zellen genauer zu erforschen. Wahrend bei alien vorher beobachteten Zellbil- dungen die lymphoiden Zellen gleich von Anfang an ihre uatiir- liche Grosse besassen und nnr noch in der Gestalt sich differen- zirten, ahnelte in diesem Falle die Bildung der lymphoiden Zellen mehr der bei Oligochaeten beschriebenen, indem von grossen Mutter- zellen sich kleinerc loslosten. Bei Beginn der Beobachtung sah ich einen traubigen Komplex von Zellen das Gefass des Segmen- talorganes, zum Theil auch das von dem Ruder kommende grossere Kiemengefass umgeben (siehe Fig. 3). Eine dieser Zellen zeigte eine kugelformige Hervorsprossung, (siehe Fig. 3 a), die ich bei starker Vergrosserung niiher beobachtete. Bald sah ich , wie diese Kugel sich etwas einschniirte und endlich in zvvei theilte, wahrend das Ganze zugleich sich von der grossen Zelle abtrennte; endlich schwannnen beide neugebildeten Zellen davon, um, wie die iibrigen lymphoiden Zellen , eine etwas abgeplattete Form anzunehmen und in der Leibesfliissigkeit zu fluctuiren. Wahrend diese Ab- losung vor sich ging, bereitete sich schon eine neue vor, indem am Rande der Zelle zwei Punkte sichtbar wurden, die sich schnell vergrosserten ; zugleich zeigte sich der ziemlich grosse Zellkern, der vorher kaura zu sehen war, viel deutlicher, Um die beiden Punkte sammelte sich starker granulirtes Protoplasma, das sich mehr und mehr von dem ubrigen Theile der grossen Zelle abhob (Fig. 3 d und e), hierauf traten die beiden neugebildeten Zellen 360 Willy Kiikenthal, aus dem Umfang der Mutterzelle heraus (/") und losten sich eud- lich von ihr ab (g, h^ i). Der ganze Yorgang dauerte etwas weniger als drei Stunden. Der Zellkern schien sich wahrend- dessen zu einer dritten Theiluug vorzubereiten , wenigstens sah man, wie er anfing sich einzuschniiren (/", g, h, i) , die Beobachtung konnte indessen rait Sicherheit nicht fortgefiihrt werden, da der Wurm anfing matt zu werden. Von irgend einer karyokinetischen Figur wahrend der Kerntheiliing war nichts zu sehen, auch bei Kernfarbungen war nie etwas davon wahrzunehmen , es weisen vielmehr sammtliche beobachteten Momente auf eine directe Keru- theilung durch Abschniirung hin. — Ausser diesen in lebenden Thieren gesehenen Zellenhaufen vermochte ich dieselben noch in derselben Lage zu erkennen an Schuittserien von Aricia foetida, Hesione sicula, Terebella Meckelii, Staurocephalus rubrovittatus. (Sammtliche Namen nach Claparede). Was wir also iiber den Ursprung der lyraphoiden Zellen con- statiren konnen ist folgendes: Die lymphoiden Zellen der Poly- chaeten stammen von Mutterzellen ab, welche die zu den Seg- mentalorgauen geheuden Blutgefiisse umgeben. Dasselbe ist, wie dargethan, auch bei den Oligochaeten der Fall. Diese Blutgefasse sind ferner mit frischem regenerirtem Blute gefiillt ; das constante Vorkommen der betreffenden Zellen an diesen Punkten ist also, kaum anders wie bei Oligochaeten, dahin zu erklaren, dass vom Blutgefasse Stotfe an die lymphoiden Zellen abgegeben werden, die von denselben im Korper weiter transportirt werden. Dafiir spricht auch das haufige Vorkommen der lymphoiden Zellen in den Muskelzwischenriiumen. Den weiteren Lebenslauf der lymphoiden Zellen zu erforschen, wie mir dies bei den Oligochaeten gelungen war, schien mir schon aus dem Grunde nicht zu gelingen, well ich die fiir OHgochaeten characteristischen Chloragogenzellen bei Polychaeten lange Zeit nicht wiederfand. Erst bei der Untersuchung junger Stadieu von Nereis Dumerilii sah ich Zellen, welche mich an die Chloragogen- zellen der Oligochaeten erinnerten. Das Riickengeiass und die davon in die eiuzelnen Segmente gehenden Aeste waren namlich bedeckt mit Zellen , die einen braunkornigen Inhalt fuhren , und zwar liess sich dieser Zelleubelag bis in die vorderen Segmente hin verfolgen (Fig. 4). Die Aehnlichkeit dieser braunen Korner mit denen der Chloragogenzellen der Oligochaeten war unver- keunbar. Herr Dr. Johannes Feenzel, der zu gleicher Zeit mit Die lymphoiden Zellcn der Polychaeten. 361 rair an der zoologischen Station zu Neapel mit Untersuchung der Mitteldarmdruse der Mollusken beschaftigt war, hatte die grosse Freundlichkeit , den Inhalt der Zellen einer eingehenderen micro- chemischen Untersuchung zu uuterziehen. Er kommt dabei zu folgenden Resultaten : „Die Zellen enthalten braune Korper, welche mit denjenigen in den von Barfurth als „Leberzellen" bezeichneten Zellen der Mitteldarmdruse sowohl im Bau, wie auch im niicro- chemischen Verhalten eine grosse Uebereinstimmuug aufweisen. Sie sind entweder miissig stark braungefarbte Kugeln, welche mehrere (circa 3 — 6) stark lichtbrechende mid meist intensiv braun gefarbte kugelige Grauula enthalten, oder sie sind kleiner, ebenso gefarbt ohne diese Granula und nur mit einigen punkt- formigen Einschliissen versehen. Wahrscheinlich findet von den letzteren zur erstereu ein Uebergang statt, gerade wie es bei den Mollusken nach meinen demnachst zu verotientlichenden Unter- suchungen der Fall ist. Sammtliche angewandten Reagentien riefen an diesen Kugeln resp. den Granulis ganz ahnliche Erscheinungen hervor, wie an den entsprechenden Gebilden der Mollusken. 1) Bei Anwendung von concentrirter Schwefelsaure , welche unter dem Deckglase seitlich einfloss , wurde die braune Farbe in eine schmutziggrune verwandelt, welche allmalig verschwand, worauf eine langsame Losung der Korper stattfand. 2) Essigsaure wirkt nur langsam , es findet kauni eine Grun- fiirbung, sondern nur eine allmalige Verblassung statt. 3) Ammoniak bewirkt zunachst keine Veranderuug, bei lange- rer Eiuwirkung verblassen jedoch Korper wie Granula ein wenig, ohne sich zu losen. 4) Kalilauge verhalt sich den Granulis gegeniiber wie Am- moniak. 5) Ueberosmiumsiiure ruft keine Braunung der Korper oder Granula hervor (also kein Fett). Am meisteu characteristisch ist die Grunfarbung durch Siiu- ren, so wie die Widerstaudsfahigkeit gegen Alkalien." Herrn Dr. Frenzel sage ich fiir diese Mittheilungen meinen besten Dank. Es ist nach diesen Untersuchungen kaum etwas anderes anzu- nehmen, als dass diese Korner Excretstoffe sind , wobei allerdings uicht ausgeschlossen ist, dass sie vielleicht noch eine andere Be- deutuug besitzen. Fcrner ersieht man, dass diese brauiien Korner, wenn nicht dieselben, so doch ganz ahnliche sind, wie sie in den Chloragogenzellen der Oligochaeten vorkommen; die Lage ist bei 362 Willy Kuken thai, beiden dieselbe, namlich das Riickengefass und seine Verzweigungen, und es ist daher erlaubt, auch diese Zellen der Polycbaeten „Chlora- gogenzellen" zu nennen. Ihr Vorkommen scheint indessen ein viel beschriinkteres zu sein, wie bei Oligochaeten. Nur in den jiingeren Stadien, wahrend der Bildung der lymphoiden Zellen lassen sie sich nachweisen; sobald die die ganze Leibeshohle ausfiillenden Gescblechtsproducte erscheinen, nehraen mit den lymphoiden Zellen auch die Chloragogenzellen ab , wahrend dieses bei Oligochaeten nur bei den ersteren der Fall ist. Die Production von Geschlechtsstoffen scheint daher bei Poly- cbaeten an die ernahrende Blutfliissigkeit grossere Anforderungen zu stellen als bei Oligochaeten, indem die secretorischen Func- tionen des Blutgefasssystemes nicht sowohl fiir die lymphoiden Zellen als auch fur die Chloragogenzellen aufhoren und nur zur Bildung der Geschlechtsstoffe in Anspruch genommen werden. Wie schon CLAPARi^DE ^) festgestellt und wie Cosmovici^) es des weiteren ausgefiihrt hatte, entstehen auch die Gescblechts- producte an Blutgefassen , und zwar fand ich bei jungen Thieren die Mutterzellen stets an den von den Kiemen ftihrenden Gefass- asten , die zum Bauchgefassstamm ftihren. Gescblechtsproducte und lymphoide Zellen baben also einen Ursprung; vielleicht, dass sich spater noch innigere Beziehungen zwischen beiden ergeben werden. Wahrend sich nun bei Oligochaeten ein vollstandiger Ueber- gang von lymphoiden Zellen in Chloragogenzellen beobachten liess, indem nicht nur ein Ankleben der ersteren an das Riickengefass, sondern auch eine allmalige Aufnabme der braunen Kornchen constatirt wurde, ist mir dies bei Polycbaeten nicht in demselben Masse gelungen, woran zum Theil die Seltenheit des geeigneten Ma- terials Schuld sein mag. Ein Stadium scheint indessen darauf hinzu- fubren. An einem besonders giinstigen Object vermochte ich nam- lich das Ankleben von lymphoiden Zellen an das Riickengefass sehr deutlich zu beobachten; letzteres erschien ganz mit spindel- forniigen Zellen besetzt, wahrend die Chloragogenzellen noch fehlten, und es ist daher wabrscheinlich, dass sich eine Umwandlung der ersteren in die letzteren vollzieht (siehe Fig. 5). *) ClapakJide. „Les Annelides ch^topodes du Golfe de Naples". 2) L. C. CosMovici. „Glandes genitales et orgaues segmentaires des Anndlides Polychetes" in Archives de Zoologie experimentale et generale. Tome VIII. 1879—1880. Die lymphoiden Zellen der Polychaeten. 363 Was wir bis jetzt zur Naturgeschichte der lymphoiden Zellen der Polychaeten gewonnen haben, ist folgendes: Die lymphoiden Zellen der Polychaeten verhalten sich in alien wesentlichen Punkten ebenso wie die der Oligochaeten. In beiden Fallen sitzen die Mutterzellen an den mit frischem Blute gefiillten Gefassen der Segmentalorgane. Sie losen sich von denselben los, werden zu lymphoiden Zellen, in- dem sie ihre Functionen als Trager von Nahrungsstoffen erfullen und werden dann wahrscheinlich, wie bei Oligochaeten, zu Tragern der Excretionsstotfe , iudem sie sich als Chloragogenzellen an das Ruckengefass und dessen Verzweigungen ansetzen. Abgeschlossen im Juli 1884 in der zool. Station zu Neapel. 364 Willy Kiikenthal, Die lymphoid. Zellen d. Polychaeten. Erklarung der Abbildungen. Fig. 1. Kerntheilungsstadien von lymphoiden Zellen, sammtlich von Sthenelais. Fig. 2. Schematisches Bild von zwei Segmenten der Nereis Dumerilii. b Bauchgefass, r Riickengefass, bz Bauchgefassast, rz Eiickengefassast, sz Segmentalorgangefass, d Dissepiment, miz Mutterzellen der lymphoiden Zellen, so Segmentalorgane. Fig. 3. Ein Zellenhaufen an dem Gefass, welches zu dem Segmental- organe fiihrt, von Nereis peritonealis Clap. bz Bauchgefassast, sz Segmentalorgangefass, inlz Mutterzellen der lymphoiden Zellen, a — / Wahrend circa 3 Stunden beobachtete Ablosuug von lymphoiden Zellen in einzelnen Stadien. Fig. 4. Eine Segmeuthalfte von Nereis Dumerilii, /■ Eiickengefiiss, chlz Chloragogenzellen, rz B.iickengefassast, sz Segmentalorgangefass, d Dissepiment, bz Bauchgefassast, vbz Verzweigung desselben in dem Ruder, vrz Verzweigungen des Rlickengefassastes in dem Ruder. mlz Mutterzellen der lymphoiden Zellen. Fig. 5. Ein Theil des Riickengefasses von Nereis Dumerilii, besetzt mit lymphoiden Zellen. Ceylons Echinodermen. Von Dr. Alfred Walter, Assistenten am zool. Instit. zu Jena. Durchmustern wir die gesammte systematische Echinodermen- literatur, namentlich die in den letzten Decennien entstandenen registrirenden Cataloge der grossesten zoologischen Sammlungen, des britisch Museum (von Gray), des Mus. of comparat. Zool. etc., (Agassiz und Lymann), des Jardin de Plantes zu Paris (Edm. Peerier) etc., so muss uns bald auffallen, dass fiir eine ungeraein grosse Zahl von Echinoderm-Arten unter der dem Aufenthalte resp. Fundorte zugewiesenen Rubrik sich einerseits die Inseln des austral- malayischen Archipels angegeben finden, andererseits Zan- zibar, Mozambique und das rothe Meer, wohingegen Punkte aus den weiten zwiscben jenen beiden Regionen gelegenen Gewitssern, dem eigentlichen indiscben Ocean, kaum eine Rolle spielen, Vorder- indiens Ktiste nur ausserst selten , namentlich aber Ceylon bis 1882 kaum tiberhaupt citirt wird. Einen Beitrag zu der von Prof. F. J. Bell 1882 begonnenen Fullung dieser Liicke sollen die nachfolgenden Zeilen zu liefern suchen. Das Material dazu stellte eine Collection theils getrocknetef , theils in Alkohol conservirter Echinodermen, die mein hochverehrter Lehrer Prof. Dr. E. Haeckel im Winter |^ an Ceylons Kiisten zusammengebracht. — Indem Prof. Haeckel die Bestimmung derselben mir iibergab, bat er mich zu neuem Danke verpflichtet, den ich meinem verehrten Lehrer ohnehin in weitgehendstem Masse schulde. Dank zu sagen habe ich hier auch noch Prof. Dr. E. v. Martens in Berlin, der mit grosster Liebenswiirdigkeit mir einige Fragen beantwortet, selbst einige Asteriden mit Exemplaren des berliner Museums verglichen hat. 366 Alfred Walter, Da die grosse Variabilitat in den feineren Artkennzeichen ein genaues Bestimmen vieler Echinodermen ausserst schwierig macht, wofern uns nicht mehrere Beschreibungen derselben von verschie- denen Oertlichkeiten vorliegen, so glaube ich aiich bei den nach- folgenden Arteu, obzwar sich keiiie neue darunter findet, doch dnige Nota liber goringfugige Piinkte beifiigen zu durfen, die icb in der vorhandeuen Literatur nicht genau ausgefuhrt finde, die vielleicht zum Theil der Lokalitiit Eigenlieit sind. Ziideni betone icli bei einigen Arten kurz die hauptsiichlich- lichsten in den bestcn Beschreibungen schon hervorgehobenen Merkmale, urn dadurch raeine Bestimmung zu belegen und eine Controlle moglich zu machen. Im folgenden will ich nun zuvorderst die von Prof. Haeckel um Ceylon gesammelten Echinodermen vorfiihren, Darauf soil eine Angabe aller auf ceylonische Echinodermenfunde sich be- ziehenden Stellen der Literatur folgen und mit Berucksichtigung dieser endlich eine Zusammenstellung aller bisher von jener Insel bekannt gewordenen Arten. I. Asterida. 1) LinMa sp. Eine schone Linkia, die durch 5 Spiritusexemplare und ein getrocknetes vertreten ist, vermag ich der Species nach nicht sicher zu bestimmen und ist leider auch das liebenswurdige Be- miihen Prof. E. v. Martens', in der reichen berliner Saramlung ein iibereinstimmendes Stiick zu finden, vergeblich gewesen. Am meisten soil nach Prof. E. v. Martens' Angabe ihm Linkia tuber- culata gleichen, aber durch einzelne vorragende Hocker unter- schieden sein. In der That stimmt auch die Beschreibung in Muller und Troschel's Syst. d. Asteriden bis auf die Angabe der Hocker und nur 3er Reihen von Furchenpapillen, die bei unsrer Art jedenfalls zahlreicher sind. Ich will demnach zunachst auf die Speciesangabe verzichten, aber statt dessen eine genaue Beschreibung der ilusseren Verhiiltnisse liefern. — Die Ausmasse der Alkoholexemplare ergaben: Nr. 1. Lange eines Armes 80|mm. Scheibendurchmesser 26 mm. No. 2 und 3. Armlange 73 mm, Schbdurchm. 26 mm. No. 4. Arml. 67, Scheibendurchm. 25 mm. No. 5. Armlange 46, Schbdm. 22| mm. Die gleichmassig mit feinen Granulis bedeckten erhabenen Skeletplatten ordnen sich an den Seiten der Arme zu 2 sehr regelmassigen Reihen, deren ein- Ceylons Echinodermen. 367 zelne Flatten die der Oberseite uni ein geringes an Grosse uber- treflfen. Die Riickenplatten richten sich in ihrer Anordnung iiach einer etwas grosseren, genau centralen Platte der Sclieibenober- fliiche, die den After uni ein geringes aus dem Centrum drangt. Auf diese Centralplatte laiift nun aus jedeni Arme eine mittlere Plattenreihe zu, zu deren Seiten dann die nachfolgenden an der Basis der Arme in Dreizahl vorhandenen, in den Arm,\vinkeln ent- sprechend zusammenstossenden Reihen hinziehen. Doch nur ganz an der Basis der Arme lassen sich regelmassige Reihen erkennen und ihre Zahl sich feststellen, im weiteren Verlauf schwindet die Regelmassigkeit ganz, und nur die Tendenz zur Reihenordnung ist unverkennbar. Von der Armbasis zur Spitze nimmt die Grosse der Flatten stetig gleichmassig ab. Die die Flatten bedeckenden Granula bedingen das Aussehen polygonaler Felderung, sind auf der ganzen Riickseite gleich gross, auf den grosseren Flatten der 2 Seitenreihen dagegen etwas feiner, am grobsten auf der ein- fachen Reihe der Ambulakralseite , indem sie hier allmahlig in die Furchenpapillen ubergehen, deren man daher mehrere Reihen zahlen kann, ohne eine feste Grenze gegen die Granula zu finden. Die jederseitig innerste Reihe der Furchenpapillen legt sich iiber die Rinne, sie uberdachend, und zwar sind die Fapillen dieser Reihen stets zu je 3, seiten 4, zusammengeordnet, d. h. je 3 einer Flatte entsprechend. In den Armwinkeln wird neben der einzigen granulirten Flattenreihe der Ambulakralseite noch Raum zum An- satz einer 2. Reihe gelassen, die jedoch nur einige Millimeter weit reicht. Die zwischen den erhabenen Flatten liegenden, also die Forenfelder ausfiillendeu Granula sind bedeutend feiner, als die der Flatten. Interessant wird dieser Seestern durch die An- ordnungsweise der Rtlckenporen, die hier eine nach beiden Seiten hin vollkommen vermittelnde Zwischenstufe zwischen den Genera Ophidiaster und Scytaster liefert, in welche Muller und Te. die alte Gattung Linkia danach zerfallten, ob bei der ersteren (Ophid.) die Poren zu dicht besetzten Porenfeldern vereint oder als ein- zelne Poren zwischen die Flatten geordnet sind. Hier bei unsrer ceylonischen Form finde ich die Vermittelung beider Zustande darin, dass die Poren hier als Kreisperipherien vorhanden sind, deren Kreisflitche porenlos bleibt, so dass die Poren stets an die Basen der Flatten sich anlegen und ihre Zahl in jedem Felde eine verhaltnissmassig geringe bleibt. Die Vermittelung geht noch weiter darin, dass einmal an den Armbasen, wo wir die ausge- dehntesten Forenringe haben , bisweilen einzelne Poren in diese 368 Alfred Walter, hineinriicken , doch nie so weit iind in so grosser Zahl, dass ein Porenfeld wie bei den typischen Ophidiastres entstunde. Andrer- seits beschrankeii die unregelmiissig sich bedeutend vermehrenden Flatten, gegen die Armspitze, derart die den Poren zugewiesenen Raume, dass diese hier nur zu 3—4 zwischen eingestreut werden, gleich dem Verhalten bei Scytaster. 3) Luidia inaciilata. M. et Tr. 1st unter den ceylonischen Echinodermen in 2 prachtigen ge- trockneten Exemplaren vorhanden. Die Bestimmung der Art ist durch Prof. E. v. Martens' freundlichen Vergleich mit den Origi- nalexemplaren im berliner Museum zvveifellos gesichert. Die Aus- masse unserer 2 Exemplare ergaben: fur einen Arm bei No. 1 215 mm. Liinge, fiir den Scheibendurchmesser 47 mm. No. 2: Armlange = 2i'0 mm., Scheibendurchmesser 50 mm. Eine ge- ringe Abweichung von der Originalbeschreibung bei M. et Tr. finde ich in der hier grosseren Zahl der in eine Querreihe fallenden Rtickenpaxillen. Zudem flndet bei M. et Tr. eine sehr regelmas- sige und auffallende dunkle Sternzeichnung der Scheibe keine Er- wahnung, obgleich sie auch an den Exemplaren des berliner Mu- seums vorhanden sein soil. Beide Exemplare sind siebenarmig. 3) Astropecteii armatus. M. et Tr. (= hysthrix und polyacauthus M. et Tr.) Ein getrocknetes Exemplar aus Ceylon ergiebt als Grossen- verhaltnisse: Armlange 89 mm., Scheibendurchmesser ohne die Randplatten 27, mit denselben 31 mm. Die Breite der Arme an der Basis: oben 18, unten 21 mm. Vollkommen stimmt dies Exemplar zu M. et Troschel's typischem Astropect. armatus von Java, nicht zur var. hystrix, die schon im System der Asteriden von Ceylon angefiihrt wird. Die einzige Abweichung von jener Beschreibung des A strop, armatus besteht bei unserm Exemplar, neben grosserer Zahl der Arm-Randplatten , hier 50 jederseits, darin, dass die 2 mittleren Glieder der Armwinkel, deren jedes ein kleines kegelformiges Stachelchen tragt, von den weiteren, den Arm in seiner ganzen Lange einfassenden, mit gleichgestalte- ten, nur etvvas kleineren Stachelchen besetzten Seitenplatten durch nur 2 stachellose Platten getrennt werden, deren es nach M. et Tr. 3 — 4 geben sollte. Indes scheint dies Verhalten, wie alle ahnlichen Merkmale, ungemein wechselnd. So finde ich eine Briicke schon an einer Seite eines Armes des gleichen Thieres, wo 3 Ceylons Echinodermen. 369 stachellose Felder sich finden. Nocli deutlicher ergiebt sich jeiies von M. et Tr. betonte Merkmal, „dic 2., 3. und 4. Armplatte tnigt nie einen Stacbel", als absolut unsicher an einem chinesischen Exemplar der hiesigen Sammlung. Dieses zeigt an 2 Armen jeder- seits nur je eine stacbellose Platte; an 2 anderen Armen nur noch an einer Seite eine solche, so dass in den Armwinkeln 4 Stacbeln stehen, gegen 2 des ceyloner und dem von M. et Tr. beschriebenen Exemplar. Im letzten Armwinkel endlich stehen 5 soldier, indem dort keine stachellose Platte sich findet, die vorletzte Armplatte, die vor dem Beginn der Winkelbiegung, aber 2 tnigt. Im Gegensatz zur wechselnden Zahl der Winkelstacheln scheint mir dagegen ihre Stellungsweise und ihr Verhaltniss zu denen der eigentlichen Armplatten ein durchaus constantes zu sein. Die Stacbeln der im Armwinkel stehenden Platten sind namlich auf dem oberen Ende dieser angebracht. Ihre Basis also ruht auf der Oberfliiche des Scheibenrandes, wahrend die Stacheln der Armplatten seitlich an diesen angebracht sind. Dazu sind die Winkelstacheln starker als die der Arme. Auf der Scheibe nehmen die am Rande ziemlich gleichen Paxillen zura Centrum hin rasch an Grosse ab, bis sie, im Centrum punktformig geworden, nur noch wenige Granula tragen. Die Granula der oberen Rand- platten sind sowohl an den Armen, wie der Scheibe grosser, als die der Riickenpaxillen. 11. Ophiuridae. 4) OpMocoina erinaceus. M. et Tr. 5) Ophiocoma scolopendrina. Agass. Stets begegnen uns in der Literatur diese beiden Arten neben einander von gleichem Fundorte aufgefiihrt und fast bei jedem sie beschreibenden Autor finden wir die Variabilitat beider, ein vollkommenes Ineinanderiibergehen beider Arten betont. Ob- gleich unter den ceylonischen Echinodermen jede durch nur ein Alkoholexemplar vertreten ist, so treten doch auch schon an die- sen die Uebergange in auffallendster Weise entgegen. Ein Ver- gleich dieser 2 mit alien vorliegenden Beschreibungen litsst kaum ein sicher typisches Merkmal jeder Species zusprechen. Am con- stantesten scheint mir nach Vergleich einiger Exemplai'e von ande- ren Lokalitaten, noch der von Lymann als Kennzeichen hinge- stellte Mangel der Granulation auf den Interbrachialraumen der Bd. xvin. N. F. XI. 24 370 Alfred Walter, Scheibenunterseite bei erinaceus und das Vorhandensein solcher bei scolopendrina. Doch auch fiir dieseii Unterschied bietet das ceylonische Exemplar von scolopendr. den Beginn einer Verniitte- lung, indem hier die Granulation nicht wie sonst den ganzen Raum bis zum Mundschilde mit Ausnahme nur eines feinen Strei- fens an den Genitalspalten oinnimrat, sondern sie hier von einem breiten granulalosen Bande rings umgeben, also vom Mundschilde getrennt wird, sie deinnach von oben her nur mit einem tiefen Bogen auf die Unterseite hiniibergreift. Bei erinac. fehlt die Gra- nulation, Lymann's Diagnose entsprechend, auf der Unterseite ganz, die der Riickseite hort mit scharfer Griinze plotzlich auf. Nur einige flache Schiippchen sind auf der Unterseite erkennbar. — Alle iibrigen zum Theil recht auffalligen Unterschiede in der Form der Flatten, der Anordnung, Farbung und Form der Arm- stacheln etc. scheinen absolut inconstant und bedeutungslos, da jeder einzelne sich bei dem einen Autor fiir die eine, bei einem anderen fiir die andere Species verzeichnet findet, und will ich daher auf die Verhaltnisse der mir vorliegenden Exemplare nicht weiter eingehen, da ja namentlich schon v. Martens in seinen „Ophiuren des indischen Oceans" die Fliissigkeit dieser Unter- schiede ausdriicklich betont hat. Als Ausmasse fand ich fiir die Oph. scolopendrina von Ceylon: Liinge eines Armes 155 mm., Scheibendurchmesser 22 mm. Die Op. erinaceus liess sich wegen zu starker Kriimmung der Arme nicht genau messen. 6) Ophiocoma liiieolata. M. et Tr. (= Oph. pica.) 2 Exemplare in Alkohol, deren grosseres folgende Masse er- giebt: Lange eines Armes an der Unterseite, also den in die Scheibe eingeschalteten Theil mitgerechnet, 53 mm., auf der Ober- seite, also vom Scheibenrande ab gemessen, 47 mm., Scheiben- durchmesser 17 mm. Beide einander vollkommen gleichenden Exemplare stimmen durchaus zu M. et Troschel's Beschreibung ihrer lineolata, sowie der von Lymann gegebcnen, welcher zuerst diese Art mit der Ophioc. pica M. et Tr. vereinen konnte. Die Bestimmung wird in diesem Fall durch die sehr charakteri- stische Zeichnung erleichtert. Beim ersten Hinblick springen in die Augen die angegebenen 2 gelben Flecke an jeder Armbasis, die bei genauer Betrachtung sich als nur in der Mitte gelb er- geben, wiihrend die umsiiumende Reihe vom Granula weiss ist. Ebenso auffallend ist die zierliche belle Streifung der Scheiben- Ceylons Echinodcrmen. 371 oberseite auf dunklem Grunde. Eine gewisse Regelmassigkeit liisst sich an den centrifugal verlaufenden Linien darin erkenncn, dass stets 2 — 3 auf die Mitte eines Armruckens zulaufen, je eine jederscits von diesen sicli aber 7AI den erwalinten gelben Flecken heranbegcben und, diese uniziebend, deren hellen Rand liefern. Die gleicbfalls von M. et Tr. angefiihrten gelben Flecke an jedem Mundscbild sind, wenigstens bei diesen 2 Exemplaren, nicht aufs eigentliche Mundscbild beschrankt, sondern ist bier etwa 2/g, und zwar der adorale Theil jedes der kleinen Seiten- niundscbildclion weiss, von dem aus die belle Farbung dann in das niittlerc Mundscbild jederseits eingreift, so dass dessen niitt- lere dunkle Partie in ibrer Mitte von den weissen Feldcben ein- gescbniirt wird. — Die gelblicbe Ringelung der Arme niinnit von der Basis nacb der Spitze zu, docb wiirde es zu weit fubren, die Bildung der Ringe ira Verlauf des Armes genau zu verfolgen. Die Zabl der Stacbeln einer Reihe auf den Seitenfeldern der Arme sinkt von der Scbeibe zur Armspitze bin. Ganz an der Basis der Arme kann ich 6 Stacbeln in einer Reibe zablen, bald statt dessen 5, dann auf eine weite Strecke 4 und endlicb an der dtin- nen Spitze stets nur 3 an einem Gliede. Obne dass, wie bei Opbiocoma scolopendr. und andern Gliedern der Gattung, eine regelmassige Alternation zwiscben mebr und weniger ziibligen Reiben sicb einstellte, tritt bier nur selten und obne irgend regel- massigen Abstand einmal eine Reibe mit weniger Stacbeln zwi- scben den anderen auf und gestattet dann der entsprecbenden Riickenplatte, sicb mebr in die Breite auszudebnen. — Auf der Oberseite der Arme ist die erste Platte an der Basis viereckig mit convexem Aboralrande. An den weiteren und boberen Ober- arraplatten ziebt sicb der convexe Aboralrand oft in 2 Seitenwinkel aus, so dass die Platten ziendicb gleicbmassig bexagonal werden. Die Platten der Unterseite sind durchweg langlicb viereckig, eben- falls am Aboralrande convex. Der Grossenunterscbied der Stacbeln ist unbedeutend, die der Oberseite sicb niibernden Reiben sind etwas grosser und starker. 7) OpMocoma brevipes. Peters. 1 defektes Alkobolexemplar mit einem Scbeibendurcbmesser von 16 mm. Die von Peters in seinen : Opliiuren von Mozambique, gegebene kurze Originalbescbreibung stimmt genau zu unserem Exemplar, namentbcb auch die im Gegensatz zu den anderen Arten der Gattung gegeu die Unterseite der Arme zunebmende Liinge 24* 372 Alfred Walter, der Stacheln. Was die Zahl dieser in eiiier Reihe anlaiigt, so finde ich hier an den ersten Gliedern der Armbasis 4, dann an 2 — 5 Gliedern je 5 Stacheln in einer Reihe, worauf die Reihen 4, dann Sstachelig werden. Die Farbung, die Petees als griinlich weiss Oder gelblichweiss, mit braunlicher oder griinlicher Marmo- rirung auf der Scheibe, mit vervvischten dunklen Querbiindern aiif den Arnien angiebt, lost sich bei genauer Betrachtung in eine zierliche regelmassige Zeichnung auf. Die dunkle Marmorirung der Scheibenruckseite besteht aus einer Anzahl grosserer Pignient- anhaufungen, kleinen Chromatophoren, der Amphibienhaut ahnlich, von denen aus feine Linien nach alien Richtungen auf der Scheibe sich vertheilen, sich immer wieder verjisteln und allenthalben sich verbinden, so eine ungefahre Netzzeichnung bildend. Auf den im allgemeinen querovalen Riickenschildern, deren adoraler Rand sich bisweilen zu einer winkligeu Polygonseite gestaltet, die endlich an der Armspitze eckig werden, ist die dunkle Zeichnung nur auf den 2 ersten Basalgliedern unregelmassig, auf eine weitere Strecke etwas verwaschen, um dann scharf ausgepragt und ausserst regel- massig sich zu gestalten. Bedingt wird sie durch eine senkrecht jedes Mittelschild halbirende feine Linie, deren Enden Gabeliiste abgeben, die in einer Strecke des Armes rings um die Platte greifend sich vereinigen. Weiter gegen die Spitze lost sich die Umrandung von der Mittellinie, die dann in 2 Punkte sich auf- lost und endlich ganz an der Spitze verschwindet, um nur den Randsaum iibrig zu lassen. Eine nicht sehr auffallige dunkle Querringelung der Arme wird endlich dadurch bedingt, dass von Strecke zu Strecke an einem Gliede die beiden Seitenschildchen dunkel gefarbt sind. Auf der Unterseite der Arme wird die Zeich- nung bloss durch Punkte bedingt und bleiben an der Armbasis zwischen den punktirten Platten stets auch einige vollig weiss. Der Form nach sind die Platten auf dieser Seite viereckig, hoher als breit, der adorale Rand concav, der aborale convex und die Seitenrander gebuchtet. Die Stacheln sind in der untersten Reihe meist ganz farblos, wilhrend die der mittleren durch einen schwar- zen Strich oder durch Punktirung gezeichnet werden. 8) Opliiothrix punctoliinlbata. v. Martens. Einige Armfragmente eines Ophiothr. aus Ceylon sind ganz ohne Frage zu dieser Art gehorig. Die auffallende Punktirung an den Schildergriinzen der Arme lasst kaum einen Zweifel. Die Mittelschilder des Armriickens besitzen regelmassige Trapezform, Ceylons Echinodermen. 373 die daiin meist in ein Sechseck iibergeht, dessen Breite die Hohe uiii etwa das Doppelte iibertritft. Die kurze Trapezseite resp. die kiirzeste Sechseckseite ist adoral gewandt und ziemlich gerade, bis- weilen fast immerklich convex, wiihrend die breite aborale Basal- linie in der Mitte seicht eingeschnitten ist. An vielen Flatten ist eine feine, von dieseiu Einschnitt ausgehende und so die Platte senkrecht halbirende Nahtlinie sichtbar. Die cliarakteristischen Punkte stehen nun in iolgender Anordnung. 2 finden sich regel- massig an der adoralen kurzen Seite, nahe an den unteren Ecken der Mittelplatte. Ebenso konstant liegen mit ihnen in einer Linie, und daher bei fliichtiger Betrachtung scheiubar ebenfalls deni Mit- telschilde angehorig erscheinend, 2 weitere Punkte, jederseits einer, auf den Ecken der das Mittelschild begriinzenden kleiuen Seiten- riickenschilder. Von Strecke zu Strecke kommeu dann noch 2 Punkte in den oberen Ecken des Mittelschildes hinzu. Letzteres Verhalten findet sich an den die dunkle Ringelstreifung der Arme bedingenden dunkelblauvioletten Feldern, die, wie schon v. Mar- tens angiebt, regelinassig auf je 3 oder selten 4 ganz helle grau- blauliche Felder folgen. Von den, stets 4, Punkten dieser dunklen und etwas schmaleren Felder verwischen sich die 2 adoralen, fliessen in der Mitte fast zusammen und bedingen dadurch eineu dunklen Rand am Unterrande des Feldes. Auch das aboralwarts vorhergehende helle Feld besitzt meist noch 4 Punkte. Die dunkle Ringeluug geht rings um den Arm, auch die Unterseite quer- streifend. Hier finden wir die Mittelplatten so hoch wie breit, am Adoralrande convex, am aboralen meist leicht concav ausge- schweift, ohne senkrechte Halbirungslinie. Die tiefste Stelle der aboralen Linie nimmt an den hellen Feldern ein grosser dunkler Punkt ein, der auf den dunklen Feldern zu einem halbmondfor- migen dunklen Querband wird. Ein eben solches nur weniger machtiges findet sich am adoral dem dunklen Felde vorhergehen- den, meist auch schon halbblauen Felde, und bisweilen auch ebenso auf dem aboral folgenden. So weit mir die Literatur bekannt geworden, ist die von Prof. Dr. E. v. Martens 1870 gegebene Originalbeschreibung bisher auch iiberhaupt die einzige, die von dieser Art existirt. Erwahnt finde ich den Ophiotrix punctolimbata nur noch in P. Studer's: Uebersicht uber die Ophiur., die wahrend der Reise S. M. S. Gazelle um die Erde 1874—76 gesammelt wur- den, Berlin 1883, und zwar von Timor, Atapupu. Anmerkungs- weise vergleichend angefiihrt ist sie endlich in Ciiii. Fr. Lutken, Ophiuridarum nov. et minus cognit. descript. nonnullae p. 18 bei Beschreibuug seiner neuen Ophiotrix galatea. 374 Alfred Walter, III. Echinoida. a) regularia. 9) Diaclema setosum. Gkay. 2 Alkoholexemplare , die in alien Stucken mit den voiiiegeu- deu Besclireibuugen, sowie mit Exemplaren der hiesigen Samndung ubereinstimmen. 10) Echinometra oblonga. Blainv. Ein Exemplar einer kleinen Echinometra scheint mir eutschieden zu dieser Art gehorig. Der Langsdurchmesser betragt 34 mm. ; der Breitendurchmesser 26 mm. ; das Muudfeld ist 16 mm. weit ; der langste Stachel 1^ mm. lang. Von alien Beschreibungen der weitverbreiteten Echinom. lucuutur, sowie von den mir zum Vergleich vorliegenden Exemplaren dieser, auch ihrer kurzstache- ligen Form, vveicht unser Exemplar immer noch durch die Kiirze der Stacheln ab und namentlich auch dadurch, dass kein Stachel zugespitzt endigt, sondern alle am Ende abgestumpft, einige selbst abgerundet sind. Alle Stacheln zeigen die Tendenz zu leichter Abflachung, bis namentlich die in der Umgebung des Mundfeldes vollkommen flach werden. Fiir oblonga stimmt auch die von Agass. bei dieser angegebenen Form der Stacheln, die in der Mitte verdickt sind , zu. Die Farbe der Stacheln ist ein ganz lichtes Violet, die Enden etvvas dunkler und rothlich. Die oblonge Schalenform gleicht vollig der einer Echinom. oblonga von den Sandwich-Inseln aus der hiesigen Sammlung. Mit eben dieser stimmt auch die Form des Mundfeldes, die bei beiden von Agass. Angabeu abweicht, kaum etwas langlich, jedenfalls nicht elliptisch ist. Da ich eben nur ein mit Stacheln bedecktes Exemplar vor mir habe, wage ich trotz der angefiihrten Merkzeichen immerhin nicht mit absoluter. Bestimmtheit zu behaupten , dass es nicht doch eine abweichende Form der hochst variablen lucuntur ist. Hochst zweifelhaft scheint mir uberhaupt die specifische Trennung beider Arten. 11) Stomopneustes variolaris. Agass. Eine grosse Zahl ceylonischer Exemplare bestatigt vollkommen Agassiz's Angabe, dass Stomopn. variolaris wohl die vvenigst variable Echinidenspecies sei, indem etwa 30 Alkoholexemplare Ceylons Echinodermen. 375 nebst 15 getrockneten und zahlreichen trockiien Schalenfrag- meiiten uud Stacheln iu alien Stiicken die grosste Uebereinstim- mung zeigen. Nur 2 kleine Exemplare weichen ein wenig ab, in- dem die Tendenz zum Oblongworden, die dieser Art eigen ist und ihre nahe Stelluug zur Gattuug Echinonietra bedingt hat, liier bis zu vollkommen ovaler Form , durch Vorspringen eines Ambu- lakrums, gesteigert ist. Beide Exemplare sind freilich etwas mon- stros, da ihre Schale einige tiefe Einsenkungen wie Fingereindriicke besitzt. Die Peripherie der Schale ist iiberhaupt bei alien kleinen Stiicken mehr oval, bei grossen ziemlich kreisrund. Die Ausmasse er- geben fur das am meisten unregelnuissige: Langster Durchmesser 73 mm. Breite 65^ mm. Hohe an der einen Seite des Periprokts 44, an der andern 41| mm. Periprokt 11 mm. Mundfeld 18 mm. Das grosste regelmassige Exemplar ergab : Durchmesser 99. Hohe 57 mm. Periprokt 15|. Mundfeld 23| mm. Langster Stachel 71| mm. 13) Toxopneustes (Boletia) pileolus. Agass. 9 Exemplare inAlkohol, 5 getrocknete, nebst einigen trocknen Schalenfragmenten. Im Gegensatz zu Agassiz's Angabe von der grossen Variabili- tiit dieser Art, stimmen die 14 aus Ceylon stammenden Exemplare in einer unter den Echiniden seltenen Weise mit einander iiberein, Bowohl in Bezug auf ihre Gestalt, d. h. die Ausmassproportionen, wie im Stachelkleid, der regelmassigen Tuberkel und Porenanord- nung, den tiefen Zahnausschnitten des Mundfoldes, Form der Ma- dreporenplatte , iiberhaupt des Afterpoles etc, Auch mit einem Exemplar von den Sunda-Inseln der hiesigen Sammlung finde ich in all jenen Stiicken vollste Uebereinstimmung. Das einzige in- constante, von Agass. als Merkmal aufgefiihrte, ist die Tuberkel- stellung auf den Platten des Genitalringes, die hier bei alien Exemplaren eine verschiedene ist. Die 2 grossten Exemplare der ceylonischen Collection ergeben als Durchmesser 112 und 114 mm. Die Hohe ist in Folge der Stachelbedeckung nicht festzustellen, Bei einem kleineren Exemplar linde ich den Durchmesser 96 mm. Die Hohe 94| mm. ; 40^ mm. bis zum eingesunkenen Rande des Muudfeldes. Apikalpolfeld 15^; Mundfeld 35|; Lange eines Mund- feldeinschnittes 5 mm. 13) Hipi)onoe variegata. A. Agass. 15 getrocknete Exempl., 5 in Alkohol, nebst zahlreichen trock- nen Schalenfragmenten. 376 Alfred Walter, Im Gegensatz zu den beiden vorhergehendeii Arten fiuden sich unter den 20 Exeniplaren der Hipponoe kaum 2 einaiider vollig gleiclie. Nanientlich fiillt an trocktien stachellosen Schalen die Variabilitat der Form auf, budingt durch die wechselnden Aus- Hiassproportionen , sowie ini Wechsel der Peripherie von einem regelmiissigen Pentagon bis zu voller Kreisform. Es niogen hier tabellarisch die Ausniasse einer Reihe von Exeniplaien folgen, (wobei ich flir die Polfelder Agassiz's Bezeichnungsweise einhalte.) No. Durch- Hohe Grosster Aktinal- Muudoffii. Abaktiual- Anal- messer Umfaug. System System System inm nmi mm mm mm mm mm 1 116 74 372 25 7 17' 9 2 109 61 — 28 — 14 7 3 108 62 337 221 — 161 — 4 100 68 — 25 — 14 61 5 99^ 63| — ■ 23 13 151 8 6 7 97" 97 57^ 70| 3081 24 — 131 71 8 94 61 300 25 8 6i 9 93 61 — 23 — 14 7 10 93 57| 3081 24 — 131 n 11 92i 631 — 23 — 151 8 12 88i 56 — 201 — 13 61 13 86" 52 273 21" — 131 7 14 86 52 272 23f — 13 8 15 79 47 275 22 — 12 6 Variabel erscheint das Genital - Afterfeld , nicht nur in seinen Grossenverhaltnissen , sondern auch in der Gestalt. Nach Agass. soil dieses Feld bei Hipp. var. im Gegensatz zur ameri- kanischen H. esculenta mehr rundlich sein, in Folge einer geringen Entwickelung der Genitalplatten. An den ceylonischen Exemplaren der variegata findet sich aber beiderlei Verhalten vertreten. Bald, aber in den selteneron Fallen, ist das Genital- Afterfeld ziemlich voll- kommen abgerundet und dann von geringem Durchmesser; bald aber, und zvvar in der Mehrzahl der Falle, sind die Genitalplatten auch hier scharf ausgeschnitten fiinfeckig und dadurch das ganze P'eld von pentagonaler Gestalt und grosserem Durchmesser. Weeh- selnd sind ferner die Umrisse der Occllatplatten , deren 2 stets das Analfeld erreichcn, drei von ihm abgei'iickt sind. Die Gestalt der zwei angrenzenden ist ein liingliches Viereck, dessen freier Hand entweder einen tiofen eckigen Ausschnitt fiihrt, oder aber in der Mitte cine Zackenspitze tragt und dann dreizackig erscheint. Ceylons Echiuodermen. 377 die drei abgeriickteii vverdeii durdi die Einengung pentagonal, am freien Aussenrande siiid abur audi sie oft droizackig. Stets sind grossere geknopfte Tuberkeln auf den Flatten des Genitalringes vorhanden, ihre Zahl aber stets variabel. Auch die Madreporen- platte besitzt nieist ^, wenigstens aber 1 grossen Tuberkel, der die Einkerbung ihres Basalrandes und daniit ihre ungefahre Herzform bedingt. Nur die voni Afterfeld abgeriickten Ocellarplatten be- sitzen raeist keiuen, oder hochstens einen grosseren Tuberkel. Feine Tuberkelclien sind tiber alle Flatten des Ringes in Mehrzahl ver- theilt und stellen sicli bei einzelnen Exemplaren zu kleinen Gruppen in den freien Ecken der Ocellarplatten vereint. Bedeutend unter- scheiden sich die sammtlichen ceyloner Exemplare der Hippon. varieg. von einigen der hiesigen Sammlung aus dem rotlien Meere. Die Form der ersteren ist auch bei den niedrigsten Exemplaren imraer vielmehr konisch, weuiger zusammengedriickt. Werden die ceyloner flach, so nimmt damit zugleich die pentagouale Form ab, der Umfang wird mehr kreisformig, wohingegen die stark com- primirten Exemplare des roth. Meeres durch bauchige Ambulakral- felder mehr fiinfeckig sind als irgend ein Exemplar aus Ceylon. Ferner sind an denen des roth. Meeres die Forenreihen weit regel- nijissiger, bilden alle, drei fast genau vertikale Linien, die iiusserste auch hier am regelmassigsten. Ein Ausdrangen einzelner Foren- paare der mittleren und inneren Reihe ist hier ausserst selten, und riicken dieselben nie weit ab, wahrend fast bei sammtlichen ceylonischen die Zahl der ausgeriickten Forenpaare sehr bedeutend ist und diese bis in die Mitte zwischen je 2 Reihen zu liegen kommen, also dass oft der Anschein eiues vierreihigen Ambula- krums gegeben wird. Endlich sind die Oefifnungen der Ocellar- platten bei der H. des roth. Meeres kreisrund, bei den ceylonischen entschieden liinglichrund. b. Irregularia. 14) Maretia alta. AgaskS. 3 Exemplare in Alkohol. Die Ausmasse ergaben: No. 1. Lange der flachen Unterseite 29 — 30 mm. derseiben bis zum Gipfel des anal^n Flastron (Nabel) 27 mm.; Grosseste Lange vom vorderen Rande bis zum oberen hinteren 32| mm. Grosste Breite 25 nmi. Hohe 16 mm. No. 2, mit Stacheln: Lange der Unterseite 3l| mm.; bis zum Nabel 29. Grosste Lange 34 mm. Grosste Breite 27. Hohe 151. No. 3, 378 Alfred Walter, mit Stacheln: Uiiterseite 38, bis zur Nabelspitze 35. Grosste Lange 41. Grosste Breite 31^. Grosste Hohe 16^ mm. Die 3 Exemplare stimmen mit Agassiz's Beschreibuiig dieser Art bis auf die etwas bedeutendere Grosse und die Farbuiig, welche liier eine dunkelrothlich-violete ist, auf der Untereite beller durch zalil- reiche grossere helle Stacheln. Urn den Mund erzeugen die dunk- k'li Pedicillarien und Fiisschen einen dunklen Ring. Etwas weicht audi nocb, wohl iiur in Folge der bedeutenderen Grosse der cey- loner Exemplare, die Zahl der noch nicht obliterirten Porenpaare in der vorderen Porenzone des lateralen Ambulakrums ab, die hier zu 5—6 Paaren vorhanden sind, gegen 3 — 4 bei den von Agass. beschriebenen Individuen. Bei einem stachellosen Exemplare stehen im vorderen Absclmitt des hinteren lateralen Interambulakrums auf der einen Seite 5, auf der anderen 6 sehr starke Tuberkeln, und zwar so, dass eine untere Reihe dicht an der Peripherie der Schale aus 4 solchen zusanimengesetzt ist. Dicht iiber dieser stehen zu ihr parallel auf der einen Seite 2, auf der andern in gleichem Abstand 1 ebensolcher, das erste Tuberkel beider Reihen diclit am Ambulakrum. Jedes Tuberkel steht in einer tiefen Grube, sodass seine Spitze von einem breiten Ring umgeben nur wenig iiber die Schalenoberflache vorragt. Jede Spitze ist abgeflacht, etwas eingesunken und in der Mitte mit einem spitzen Knopfchen versehen. Diesen Tuberkeln nun sitzt je ein Stachel auf, der durch Lange und Kriimmung sich von den iibrigen der Oberseite abhebt, nicht aber durch hellere Farbung wie die langeren Stacheln der Uuterseite. Das Afterfeld, in querer Ebene am aboralen Pole der Langsaxe gelegen, ist zu einer tiefen Grube eingesunken, die lange diinkle Stacheln am Rande dicht umstehen. Auch die Aftermem- bran, an deren oberem Rand sich der After befindet, besitzt einige, freilich nur kleine zarte Stacheln. IV. Holothuroida. a. Apodes. 15) Cliirodot.a diibia. C. Semper, 1 Exemplar in Alkohol. 18 kurzstielige Tentackeln , deren jedes Handchen von 22 Tentackelchen gebildet wird. Obgleich die Zahl der Tentackel- fiedern nicht genau zu Sempers Ch. diibia stimmt, welche deren nur 18 — 20 haben soil, so scheint mir das vorliegende Exemplar Ceylons Ecliinodermen. 379 doch entschieden dieser Art zugehorig, da ausser ihr iiur noch fur Ch. variabilis 18 Tent, angegebeii werden, unser Stuck aber von jener, wenn auch die Fiedcrzahl stimmt, in mehrfacher Hin- sicht entschieden abweicht. Variabilis soil z. B. nach Semper ihre Tentackelfiedern nicht zusamraenschlagen kounen, was hier geschehen ist und fiir dubia spricht, wie bei letzterer nach Sempee, sind auch bei unserera Exemplar die Fiedern etwas in die Teu- tackelscheide retrahirt. Endlich scheint mir am sichersten aus- schlaggebend die Form der klcinea Kalkraderchen, die in kleinen Haufchen, jedes aus einer sehr grossen Zahl der (iebilde zusammen- gesetzt, iiber die gauze Oberflache des Thieres zerstreut sind. Sie stimmen nur rait den von Semper aus seiner dubia abgebil- deten, mit diesen aber genau bis ins feinste Detail iiberein. Auch die zweite Form von Kalkkorpern, die unregelmassig hantelformigen, sind denen von Sempers dubia gleich, an beiden verdickten Enden zackig. Freilich scheinen diese letzteren wenig typisch zu sein. b. Eupodia. IC) Miilleria sp. Fine grosse Holothurie, deren 5 Kalk-Afterzahne die Zuge- horigkeit zum Genus Miilleria ausser Zweifel setzen, vermag ich auf die Species bin leider nicht zu bestimmen, da das Exemplar arg contrahirt ist und zwischen anderen Naturalien auf der Reise arg gelitten hat. Stellen wir nun nach Betrachtung der von Prof, Haeckel auf Ceylon gesammelten Echinodermen , die Stellen der Literatur zusammen, an denen unsjene Insel als Fundortsangabe fiir Echino- dermen begegnet, so ist als iilteste zu verzeichnen: Muller und Troschels „System der Asteriden" Braunschweig 1842, wo Astro- pec ten hystrix und zwar ein Exemplar aus dem Museum des Jardin de Plantes zu Paris als ceylonisch bezeichnet ist. Bestii- tigt wird die Angabe durch Edm, Perrier in seiner: Revision de la Collection de stellerides du museum etc. (siehe No. 22 Literatur- nachweis), welcher zugleich den Astrop. hystrix mit polyacanthus und armatus von Mull, et Tr. identificirt. In Theodor Lymanns: Ophiuridae and Astrophytidae, im: Illustraited Catalogue of Museum of comp. Zoology at Harward College 1865 finde ich dann bei Ophiocnemis marmorata MUll. et Tr. Ceylon unter den Fundorten aufgefiihrt. 380 Alfred Walter, Ferner stiess ich in der: Revision of Echini (No. 1) von A. Agasstz, freilich nur bei 2 der 210 von jenem Autor aufgefuhrten Arten auf die Angabe Ceylon und auch bei diesen zweien nur in dem Abschnitt: Littoral Lists, unter der Rubrik: Indian Ocean to Philippine Islands, ohne dass indes bei der AufzJihlung der Fund- orte in dem Abschnitt iiber Synonyniie, noch auch bei Beschreibung der einzelnen Arten im systematischen Theil dieser Fundort noch- nials citirt ware. Die beiden Arten sind: Salmacis sulcata Agass. und Phyllacan thus imperial is. Alle bisher angezogenen Angaben beziehen sich aber eben nur auf einzelne Arten und sind nach oft nur zu zweifelhaften Etiketten der Museen gegeben. Erst 1882 erschien eine Aufzahlung einer ganzen Reihe ceylonischer Echinodermarten , das Register einer auf Ceylon von Dr. Ondaatje, Colonial Surgeon in Ceylon, gemach- ten Sammlung, die Prof. F. J. Bell bestimmt und in den Annales and Magazin of Natural History Fifth. Series Vol. X p. 218 — 225 veroffentlicht hat. Ich ftihre hier die 18 Arten in der von Prof. Bell gewahlten Reihenfolge auf. 1) Diadema setosum, 2) Echinometra lucuntur, 3) Salmacis bicolor, 4) Echinoneus cyclostomus, 5) Echinodiscus biforis, 6) Fromia milleporella, 7) Scytaster variolatus, 8) Scytaster Novae-Caledoniae, 9) Astropecten sp., 10) Ophiocoma erinaceus, 11) Ophiocoma scolopendrina, 12) Ophiocoma brevipes, 13) Ophiocoma pica, 14) Ophiothrix nereidina? 15) Ophiomastix annulosa, 16) Ophiactis Savignyi, 17) Astrophyton elavatum, 18) Antedon sp. Vergleichen wir nun diese Enumeratio , sowie die wenigen iilteren Angaben mit unserer Aufzahlung, so ergeben sich in der Sammlung Prof. Haeckels 9 bisher von Ceylon nicht verzeichnete Arten, wenn ich Astropecten armatus nicht hinzuziehe, der freilich nur in seiner Varietat hystrix M. et Tr. von dorther bekannt ge- Ceylons Echinodermen. 381 worden war und weiin ich zugleich die Liiikia sp. weglasse, (die mogiicher Weise mit Bells Scytaster Novae-Caledoniae zusammen- falleii diirfte.) — Stelle ich nun zum Sclilusse noch sammtliche uns jetzt als Ceylons Kiisten bevolkernde bekannt gewordene Arten systematisch zusammen, so erhalten wir als jenes Eilandes Echinodermen-Fauna folgende Liste. I. Asterida. 1) Linkia sp. ? 2) Scytaster variolatus, 3) Scytaster Novae-Caledoniae, 4) Fromia milleporella, 5) Luidia maculata, 6) Astropecten armatus et var. hystrix, 7) Astropecten sp. II. Ophiuridae. 8) Ophiocnemis marmorata, 9) Ophiocoma erinaceus, 10) Ophiocoma scolopendrina, 11) Ophiocoma pica (lineolata), 12) Ophiocoma brevipes, 13) Ophiomastix annulosa, 14) Ophiactis Savignyi, 15) Ophiothrix nereidina? 16) Ophiothrix punctolimbata, 17) Astrophyton clavatum. III. Crinoida. 18) Antedon sp. IV. Echinoida. a. Regularia. 19) Phyllacanthus impcrialis, 20) Diadema setosum, 21) Echinometra lucuntur, 22) Echinometra oblonga, 23) Stomopneustes variolaris, 24) Salmacis sulcata, J82 Alfred Walter, 25) Salmacis bicolor, 26) Toxopneustes pileolus, 27) Hipponoe variegata. b. Irregular! a. 28) Echinodiscus biforis, 29) Echinoneus cyclostomus, 30) Maretia alta. V. Holothuroida. a. A p 0 d e s. 31) Chirodota dubia. b. Eupodia. 32) Mulleria sp. Ceylons Echinodermen. 383 Benutzte Literatur. 1) Agassiz, a., Illustrated. Catalogue of the Museum of Compa- rative Zoology at Harward College No. VII Revision of Echini. Cambridge 1872 — 74. 2) Agassiz, Louis, Monographies D'Echinodermes vivans et fossils. Neuchatel 1838. 3) Bell, Prof. F. Jeffrey M.A., Echinoderm-Fauna of the Island of Ceylon, together with some Observations on Heteractinism. in : The Annales and Magazin of Natural-History. V. Series Vol. X. 1882. 4) Beonn, Classen und Ordnungen. 5) Geay, Dr. John E., Genera distinguishable in Echinus; in d. Proceedings of the zoological Society 1835. p. 57 — 59. 6) Geay, Dr. J. E., An Arrangement of the Families of Echinida, with Descriptions of some New Genera and Species. Proceed, of the zool. Society 1855. p. 35 — 39. 7) Geay, Dr. J. E., Synopsis of the Species of Starfish in the British Museum. London 1867. 8) Handbiicher der Zoologie von Claus, Teoschel, Caeus und Geestackee etc. 9) Ljungmann, Ophiuroidea viventia hue usque cognita. Holmiae 1867. 10) LuDwiG, HxJBEET, Beitrage zur Anat. des Ophiuren. III. Heft der morpholog. Studien an Echinodermen. Zeitschr. fiir wissensch. Zool. Bd. XXI 3. 4. 1 1) LuDwiG, K., Das Mundskelet der Asteriden und Ophiuren etc. 12) LtJTKEN, Dr. Che. Fe. , Ophiuridarum novarum vel minus cognitarum descriptiones uonnullae. Kjoebenhavn. 13) LtJ'XKEN, Che. Fe. , Additamenta ad historiam Ophiurid. I und II Afdeling in: Det kongelige Danske Videnskabernes selskabs Skrifter. Bd. V. Kjobenhavn 1861 (Jahrgang 58 u. 59). 14) LtJTKEN, Che. Fe., Additamenta ad hist. Ophiur. beskrivende og kritiske. Bidrag til Kundskab om Slangestjerue. 384 Alfred Walter, Ceylons Echinodermen. 15) Lyman, Theodor, Illustrated Catalogue of the Museum of Comp. Zool. at Harward College. No. 1. Ophiuridae and Astrophy- tidae. Cambridge 1865. No. VI. Supplement to the Ophiur. and Astroph. Cambr. 1871. 16) Ltmann, Th. , Zoolog. Results of the Hassler Expedition II Ophiur. and Astrophytidae, including those dredged by the late Dr. William Stimpson. Cambridge 1875. 17) Ltmann, Th., Ophiuridae and Astroph. of the Challenger Exped. Part. I. 18) Ltmann, Th., Ophiuridae and Astroph. new and old. Bulle- tin of the Museum of Comp. Zool. at Harward. College, Cambridge, Mass. Vol. Ill No. 10. 19) V. Maetens, Dr. E. , Ostasiatische Echinodermen, in Wieg- mann's Archiv fiir Naturgeschichte. 1865, Bd. XXXI. 1866. Bd. XXXn. 1867. Bd. XXXIIL 20) V. Maetens, Dr. E. , Die Ophiuriden des indischen Oceans, Archiv fiir Naturgesch. 1870. Bd. XXXVI, p. 244—262. 21) MtJLLEE, J. und Teoschel, System der Asteriden. Braun- schweig 1842. 22) Peeeiee, M. Edmond, Eevision de la Collection des stellerides du museum d'histoire naturelle des Paris in : Archives de Zoologie experimentale et generale. Tome IV p. 265 — 450. Paris 1875 und Tome V p. 1 — 104 u. p. 209—304. Paris 1876. 23) Petees , Dr. W. , Ueber neue Ophiuren von Mozambique. Wiegmann's Archiv f. Naturgesch. Berlin 1852. p. 82—86. Bd. XXVIIL 24) Selenka, Anat. und Systemat. der Holothurien. Zeitschr. f. wissensch. Zool. 1867. p. 290—372. 25) Sempee, C. , Reisen im Archipel der Philippinen. II. Theil wissenschaftl. Eesultate. I. Bd. Holothurien, Leipzig 1868. 26) Sluitee, Holothurien von Java, 27) Studee, Th. , Uebersicht iiber die Ophiuriden, welche wah- rend der Reise S, M. S. Gazelle um die Erde 1874 — 76 gesammelt wurden. Berlin 1883, 28) Teoschel, Einige neue Seeigel. Verhandl, des nat. -hist, Vereins fiir preuss. Rheiuland und Westphaleu, 1869. p. 96. 29) Vtguiee, Anatomie Comparee des squelette des stellerides. Archiv de Zool. Experimental. Tome VII, Paris 1873. p. 33 — 260. 30) KossMANN, R. , Zool. Ergebnisse einer Reise in d. Kiistenge- biete d. roth. Meeres. Die Echinodermen von H. Ludwig. Leipzig 1880 (erst nachtriiglich eingesehen). Ueber die Entwicklung der mannlichen Keim zellen bei den Hydroideen. Von Johannes Thall^itz, cand. rer. nat. Hierzu Tafel XII— XIV. Die Nachrichten, welche bis jetzt uber die histologische Ent- wicklung der mannlichen Geschlechtsprodukte bei den Hydroideen vorliegen, sind zienilich sparlich und vielfach eiuander wider- sprechend. Selbst die Frage, in welchem der beiden Keimblatter die Geschlechtszellen der Hydromedusen urspriinglich zur DifiFe- renzirung gelangten, ob sie von Ektoderm- oder Entodermelemen- ten herzuleiten seien, war bis in die neueste Zeit noch unentschie- den. Weismann's umfassende Untersuchungen *) haben inzwiscben Licht hieriiber verbreitet. Es gelang diesem Forscher, die Ab- stammung der Sexualzellen beider Geschlecbter vom Ektoderm her endgiltig nachzuweisen , und zwar auch fur jene Falle, in denen dieselben in Entoderm zur Dififerenzirung gelangen und zahlreichen friiheren Beobachtern eine entodermale Herkunft vor- getauscht batten. Die Histogenese der mannlichen Keirazellen in ihren einzelnen Phasen zu verfolgen, befand sich iudessen ausser- halb der Gesichtspunkte , von welchen die in Weismann's Werke niedergelegten Arbeiten ausgingen und konnte in demselben nur geringe Berucksichtigung finden. Die altesten Angaben tiber Spermaentwicklung hei Hydroideen haben wir von Kleinenberg,^) Korotneff ^) und Bergii *) mit ^) Weismann : EntstehuDg der Sexualzellen bei den H)*droraedusen etc., Jena 1883. *) Kleinenbeeg: Hydra. ^) Koeotneff: Versuch einer vergleich. Anatomie der Ciilente- raten. Moskau 1880. S. 46. (russ.). ^) Bergh: Nogle Bidrag tit de athecate Hydroiders Histologie etc. Kjobenhavn 1877 — 78 citirt bei Koeotneff. Bd. XVIII. N. F. XI. or, 386 Johannes Thallwltz, Bezug auf die Gattung Hydra erhalten. Nach Kleinenberg gehen die Kerne der Hodenzellen zu Grunde, und an Stelle derselben treten einige stark lichtbrechende, kugelige oder ovale Korperclien auf. Ob diese durcli Umwandlung aus den Kernen hervorgehen, oder Neubildungen sind, lasst er unentschieden. Die Zelle ver- wandelt sich hierauf in eine zarte, wasserhelle Kugel, aus welcher sich direct das Spermatozoid bildet. Nach den beiden anderen Autoren aber soil bei der Samen- bildung der Kern der Spermamutterzelle erhalten bleiben, die Spermatozoenkopfenden sollen sich ganz unabhangig von den Sper- matoblastkernen entwickeln. Korotneff berichtet, dass bei der starken Vermehrung der interstitiellen Zellen an der Stelle, wo das samenbildende Organ entstehen soil, die diesen Zellen zuge- horigen Kerne sich aus hellen Blascheu in compacte Korper von grobkorniger Consistenz verwandeln. Nucleoli sind in letzterem Falle schon nicht mehr zu unterscheiden. Weiter beginnen im Zell- kern die Anzeichen einer gleichzeitigen Theiluug in mehrere (3 — 4) Theile. Hierauf erscheint in jeder der kleineren Zellen ein Sper- matozoid, was dadurch kenntlich wird, dass in der Zelle, in der Nahe des Kerns (im Gegensatz zu der Beschreibung Kleinen- berg's), ein hellleuch tender Punkt auftritt, aus welchem ziemlich rasch ein langlicher Korper wird. Solcher Korper konnen in einer Zelle zu gleicher Zeit 2 auftreten. Weiter bildet die Zelle einen Plasm aauswuchs, welcher zum Schwanz des sich entwickelnden Spermatozoids wird, Aehnlich sollen die Schilderungen Bergh's lauten. Es ist zu bemerken, dass diese Angaben aus einer Zeit da- tiren, zu der die Meinung einer freien Kopfchenbildung im Plasma der Mutterzelle sich noch einer allgemeinern Verbreitung erfreute.^) Soviel ich ferner aus den Schilderungen ersehe, wurden die be- treflfenden Beobachtungen am frischen Gewebe angestellt, welches allein einen tiefern Einblick in die Entwicklungsverhaltnisse der Keimzellen nicht gestattet. ^) Uebrigens scheint Beegh spater an seiner diesbeziiglichen Be- obachtung selbst wieder unsicher geworden zu sein. Ich schliesse dies aus einer Anmerkung, die ich in einer spatern Arbeit dieses Forschers : „Studien iiber die erste Entwicklung des Eies von Gono- thyraea Loveni", Morpholog. Jahrbuch, Bd. V. S. 43, finde. Es heisst dort: „Aber wissen wir wirklich dieses mit Sicherheit, dass die Sub- stanz des Spermakerns vom Protoplasma geliefert wird ? Keineswegs !" Ueber die Eutwicklung d. miinul. Keimzellen u. s. w. 387 Zu anderer Auifassung ist Feaipont ^ bei der Untersuchung von Campanularia angulata gelangt. Seine Ausfiihrungen stutzen sich gleichfalls auf Beobachtungen am lebenden Thier. Er lasst den Inhalt des Hodengewebes durch rapide Vermehrung der Spermamutterzellen, deren Zahl anfangs eine geringe ist, und die in den jiingeren Gonophoreu rundliche, deutliche Kerne mit con- stanten Kernkorperchen besitzen , allmalig in eine grosse Anzahl kleiner, kugelicher Korperclien iibergehen, bis sich endlich in den altereu Hoden das Hodengewebe in eine kolossale Zahl kleiner, sehr lichtbrecheuder Korperchen umgebildet hat. In dieser Zeit werden die Spermatozoen gebildet. Von letzteren sagt er: L' interpretation que nons croyons devoir donner a nos observations est celle-ci: chaque corps de spermatozoide est constitue par un petit noyau ou fragment de noyau entoure d'un peu de proto- plasme. Le reste du protoplasme de I'ancienne cellule sperma- tique constitue la queue." Neuerdings bemiihte sich de Varenne^) die Spermatogenese der Hydroideen bei den Arten Campanularia flexuosa, Campanu- laria angulata, Antennularia antennina und Podocoryne carnea naher zu verfolgen. Von dem durch Weismann bereits wider- legten Irrthum de Varenne's, die Keimzellen fiir alle die genann- ten Arten aus Entodermzellen des Conosarcs hervorgehen zu lassen, kann ich hier absehen und will an dieser Stelle nur seine Nachrichten iiber die Entwicklung der Spermatoblasten und die Bildung der Spermatozoen berucksichtigen. Im Uebrigen werde ich auf die Arbeit de Varenne's ofter zuruckkommen miissen, da sie sich zum Theil auf Arten erstreckt, welche auch mir als Untersuchungsobjecte dienten. — Seine cellules meres primaires begrenzen urspriinglich einerseits die Leibeshohle ^) und sind auf der andern Seite in Contact mit der Stutzlamelle ^). Sie ahneln ^) Eecherches sur I'organisation histologique et le developpement de la Campanularia angulata. Archives de Zoologie exp^rimentale et generale de Henri do Lacaze-Duthiers. Tome huitieme. 1879 et 1880. ^) Recherches sur les polypes hydraires par Andrd de Varenne. Paris. 1882. p. 67 § 4. Developpement des spermatozoides. ^) Bereits Weismann zeigte , dass dies in Wahrheit niemals der Fall ist. *) op. cit. p. 57 § 1. Origine des spermatozoides de la Cam- panularia flexuosa. § 2. p. 62. Gonothyraea Loveni, Origine des spermatozoides. § 3 p. 64. Podocoryne carnea. Origine des sper- matozoides. 25* 388 Johannes Thallwitz, anfangs durchaus jungen Eiern, nur dass sie von solchen an Grosse etwas tibertroflfen werden. Dieselben Zellen findet er auch im Entoderm der jungen Gonophoren, doch soil sich spiiter die untere Lage der gewohnlichen Entodermzellen durch Dildung einer neuen stiitzlamellenartigen Membran von der Hodenmasse abgrenzen, so- dass letztere scheinbar in's Ektoderm zu liegen kommt Seine weitere Darstellung leidet an einigen Widerspriichen. Wenige Seiten spater (p. 67, § 4) sagt er: „nous savons encore que ces cellules meres primaires renferment plusieurs noyaux", was aller- dings bei der grossen Aehnlichkeit mit jungen Eiern nicht wohl der Fall sein konnte. Diese „plusieurs noyaux" scheinen ihm den Anlass zur Bildung eben so vieler Tochterspermatoblasten (cellules meres secondaires) zu geben, die sich ihrerseits gleicherweise mehr- fach theilen, um schliesslich eine Hodenmasse von betrachtlichem Volumen zu bilden. Zu gewisser Zeit besteht diese Hodenmasse aus einer enormen Zahl von Spermatoblasten (cellules meres), welche mehrere Kerne besitzen. Er beschreibt deutliche amoboide Bewegungen und ausserdem eine eigenthiimliche oscillatorische Bewegung dieser Spermatoblasten. Als Quelle derselbeu beobach- tete er einen oder mehrere kurze und sehr feine Faden , welche Undulationsbewegungen ausftihrten und zwar viel langsamer als die Bewegungen des Fadens reifer Spermatozoon. Bei sehr jungen Spermatoblasten konnte er diese Faden noch nicht bemerken, da- gegen traf er amoboide Bewegung auf fast alien Stadien. Die Kerne der Spermatoblasten sollen in der Folge ihr Volumen nicht verandern und scheinen ihm in directem Zusammenhange mit den Faden der Spermamutterzelle zu stehen. Er glaubt, dass sie den Kopf des Spermatozoons bilden werden, und dass sich der Schwanz desselben auf Kosten des Protoplasma's entwickelt, wel- ches diesen Kern umgiebt. Auf jene Unveranderlichkeit der Sper- matoblastkerne legt er besondern Nachdruck: „Le fait qui me parait interessant et sur lequel j'insiste est que, dans toute la duree du developpement des spermatozoides , en prenant la cellule mere des son d^but, le ncyau n' a pas chang6; le protoplasma qui 1' entourait a, au contraire, continuellement diminue a m6sure que la queue du spermatozoide s'allongeait , et dans le spermatozoide bien milr il ne reste plus que le noyau qui forme la tete et le filament caudal, qui provient du proto- plasma qui entourait ce noyau dans la cellule mere". Den Besitz mehrerer Kerne betont er fiir die Spermatoblasten gleichfalls und lasst aus diesen mehrkernigen Zellen mehrere Spermatozoen her- Ueber die Entwickluug d. maunl. Keimzelleu u. s. w. 389 vorgehen: „La cellule mere renferme cependant plusieurs noyaux et chaque filament aboutit a un de ces noyaux: chaque cellule mere secondaire forme done plusieurs spermatozoides". Seltsamer- weise hat er in seinen Figuren^) den Spermatoblasten nur einen Faden und einen Kern beigegeben, ja er bemerkt dazu, dass es in der That schwierig sei, deren mehrere zu beobachten. Von Widerspriichen sind seine Angaben, wie gesagt, nicht ganz frei. Weismann, 2) obwohl derselbe sein Augenmerk fast ausschliess- lich auf den Ursprung der Geschlechtsproducte, nicht aber auf ihre histologische Entwicklung gerichtet hatte, war doch ira Stande, auch einiges iiber die letztere zu berichten. Er giebt im Wesent- lichen an, dass es sich bei der Samenbildung der Hydroideen um Theilungs- und Veranderungsvorgange der Spermatoblasten han- delt. Die Einzelheiten der Samenbildung wurden indessen nicht genauer verfolgt, er schildert nur kurz, dass die Saraenbildner bei ihrer Vermehrung kleiuer und kleiner werden, und dass die klein- sten derselben sich schliesslich zu den Samenfaden umbilden. Meine eigenen Untersuchungen, welche den Zweck hatten, die Einzelheiten der Spermatogenese bei dieser Gruppe im Genaueren kennen zu lernen , erstrecken sich auf die Arten: Campanularia flexuosa , Opercularella lacerata , Pennaria Cavolinii , Clava squa- mata, Tubularia mesembryantheraum und Podocoryne carnea. Das Material, welches mir zur Verfugung stand, war meist in Alkohol, zum Theil auch in Chromsaure und chromsauern Salzen conser- virt. Als Methoden der Untersuchung dienten einerseits die Schnitt- methode, andererseits wurde der Hodeninhalt der Gonophoren verschiedenen Alters isolirt und fein zerzupft, um die Beschaffen- heit einzeluer isolirter Keimzellen und ihrer Kerne zu studiren. Auch mit Zertriimmerung und Zerzupfung von Schnitten half ich mir, wenn es gait, Zellen zu isoliren. Von Farbungsmitteln wurden angewendet: Boraxkarmin, Pikrokarmin, Methylgrun, Hamatoxilin und Safranin, letztere beiden erhielten den Vorzug. Was die Be- obachtung anbelangt, so wurde dieselbe, wenn es gait, feinere Verhaltnisse zu studiren, bei bestem Licht im Dunkelkasten aus- gefiihrt. Ausser den obcn genannten Arten, welche ich einer ganz speciellen, moglichst auf alle Einzelheiten gerichteten Untersuchung unterwarf, priifte ich noch eine andere Anzahl von Formen nach Praparaten, welche mir von Herrn Geh. HofrathProf. Dr. ') PI. XXX. ■) op. cit. 390 Johauues Thallwitz, W e i s m a n n giitigst zur Verfiigung gestellt wurden. Die Prtifung dieser Formen geschah hauptsachlich nur mit Riicksicht auf die Frage, ob ich berechtigt sei , einen der Hauptsache nach einheit- lichen Verlauf der Spermatogenese fiir alle Hydioideen anzunehraeu, Oder ob sich etwa innerhalb dieser Gruppe wesentliche Verschie- denheiten nachweisen liessen. Hier sind zu nennen: Sertularella polyzonias, Plumularia echinulata, Plumularia halecioides, Gono- thyraea Loveni, Cladocoryue floccosa, Eudendrium capillare und Hy- dractinia echinata. Bei einzelnen dieser Formen ergab sich von selbst noch die Nothwendigkeit einer etwas eingehenderen Be- trachtung. Ich beginne mit: Campanularia flexuosa. Um zunachst die Frage nach der Herkuuft der mannlichen Geschlechtszelleu zu beriihren, welche nicht in den Gonophoren selbst ihren Ursprung nehmen, so stehen sich die Angaben von DE Varenne und Weismann schrotf gegeniiber. Nach erstcrem ^) eutstehen dieselben im E n t o d e r m des Stammes, bevor noch Gono- phoren auftreten, nach letzterem^) hingegen entstehen sie im Ektoderra des Blastostyls und der letzten Zvveige, von welchen die Gonangien eutspriugen. Dort diflferenziren sie sich aus jungen Ekto dermzellen. Meine Befunde lassen mich die Ausfiihrungen Weismann's durchaus bestatigen. Auch ich faud die primaren Spermatoblasten im Ektoderm der letzten, gonangientragenden Zweige, sowie im Ektoderm des Blastostyls, niemals aber konnte ich ahnliehe Zellen im Entoderm bemerken, das letztere war vielmehr iiberall eiu- schichtig. Tafel XII Fig. 1 zeigt einen solchen Zweig, Fig. 2 das ein wenig weiter oben an ihm entspringende Gonangium in seinem untern Theile dargestellt. Man sieht auf beiden Figuren die pri- maren Spermatoblasten {Jc2) im Ektoderm liegen, scharf durch die Stiitzlamelle vom Entoderm geschieden. Sie zeichnen sich durch ihre bedeutendere Grosse und die Grosse ihrer Kerne vor den ubrigen Ektodermzellen aus. Ihr Zellkorper ist sehr proto- plasmareich und stark tingirbar, ihre Form verrath theilweise schon, dass sie sich in amoboider Bewegung befinden (besonders in Fig. 2), und zwar scheinen sie nicht nur auf der Stiitzlamelle, sondern selbst zwischen und mitten durch die andern Zellen des *) Polypes hydraires, p. 57 § 1. 2) op. cit. p. 147. "Ueber die Entwickluug d. maunl. Keimzellen u. s. w. 391 Ektoderms hinzukriechen , wie dies auch von Weismann geschil- dert wurde. Die Kerne sind lundlich oder mehr oder minder oval und enthalten ein ziemlich grosses, wolilgefarbtes Kernkorper- chen. Gemessen wurde die auf Fig. 1 zu oberst dargestellte Keim- zelle: der Langsdurchmesser der Zelle betragt 0,0152, ihr Quer- durchmesser 0,0076 mm., der Durchmesser des Kernes betragt etwa 0,0060, der des Kernkorperchens 0,0030 mm., die iibrigen sind zum Theil etwas kleiner, zum Theil aber auch grosser ^). Der autfallende Protoplasmareichthum , welchen die Keimzellen zeigen, so lange sie noch nicht in die Gonophoren eingewandert sind, dtirfte ihnen jedenfalls bei der rasclien Folge der Vermeh- rung zu Statten kommen, der sie nach jener Einwanderung in den Gonophoren unterworfen sind, um zur Bildung der Hodenmasse Anlass zu geben. In der That nimmt in den jiingsten Gonophoren die Menge der Keimzellen sehr bald erheblich zu, wahrend dort die Zellen im Verhaltniss zur Grosse des Kerns einen weniger um- fangreichen protoplasmatischen ;Zellkorper besitzen. Ueberhaupt biisst das Protoplasma der Keimzellen immer mehr an Volumen ein, je weiter die Vermehrung derselben vorwarts schreitet, so dass man auf den spatern Entwicklungsstadien nur noch einen spar- lichen Protoplasmaleib zu erkennen vermag. Auf Fig. 2 ist oben ein junges Gonophor mit bereits ziemlich betrachtlicher Hoden- masse sichtbar (6r). Die Bildung der jungen Gonophoren wurde schon von Weismann naher beschrieben. In seltenen Fallen be- merkte derselbe an der Spitze der jungen Knospe eine glockenkern- artige Anhaufung von Ektodermzellen, die jedoch fiir die weitere Bildung ganz bedeutungslos erscheint. Ein wirklicher Glockenkern im Sinne junger medusoider Knospen ist nicht vorhanden, eben- sowenig kommt es zur Anlage einer Entodermlamelle. Die Gono- phoren stellen hier also einfache, aus Ektoderm und Entoderm bestehende Sporophoren vor, deren Bildung auf eine Ausstiilpung der Wand des Blastostyls zuruckzufuhren ist. ^) Bereits friihzeitig lagern sich in das Ektoderm der sich empor- stulpenden Knospe die jungen Spermatoblasten , welche bestimmt *) Bei alien folgenden Massangaben werde ich bestrebt sein, mittlere Grossenraasse anzugeben. Absolute Masse lassen sich nicht aiifiihren , doch gelten die genannten Masse fast imraer fur die bei weitem grossere Mehrzahl der Zellen resp. Kerne des gemessenen Stadiums. 2) Bei weiblichen Gonophoren kommt es dagegen zur Bildung einer Entodermlamelle. Siehe Weismann: op. cit. 392 Johannes ThaUwitz, sind, die Hodenanlage zu bilden (Taf. XII Fig. djG). Bei dem weiteren Wachsthum des Gonophors vermehren sich die Sperraa- toblasten bedeutend und stellen bald ein Spermarium dar, welches anf dem Langsschnitt von hufeisenformiger Gestalt erscheint (Taf. XII, Fig. 3 Glr u. G21). Die ursprunglichen Ektodermzellen der friiheren Knospe ordnen sich spater in zwei Lageii, deren eine die Hiille des Gonophors und damit zugleich den Epitheliiberzug des Hodens bildet (ecO, wiihrend die andere sich liber sammtliche Gonophoren des Gonangiums als gemeinschaftliche Gonophoren- hulle {ect") hinzieht. De Varenne lasst die von ihm beschriebenen entodermalen Keirazellen auch in das Entoderm des jungen Gonophors ein- riicken ^) wo sich erst spater die Hodenmasse gegen eine unter- liegende, zum Theil neugebildete Lage entodermaler Geisselzellen abgrenzen soil. Ich kann nur sagen , dass ich weder im Ento- derm des Blastostyls noch im Entoderm von Gonophorenknospen jemals Gebilde gesehen habe , die man fiir Keimzellen halten konnte, letztere liegen vielmehr von vornherein im Ektoderm und bleiben daselbst, wie dies von Weismann vollkommen richtig dar- gestellt wurde. In Gonangien , welche bereits reifere Spermarien enthalten, sind die Gonophoren dem Alter nach derart angeordnet, dass die jiingsten an der Basis, die altesten an der Spitze des Gonangiums dem Blastostyle aufsitzen (Taf. XII Fig. 3), allerdings befinden sich hierbei immer mehrere nahe bei einander stehende Gonophoren in nahezu gleichen Entwicklungszustanden. Im Vergleiche der Auf- einanderfolge der einzelnen Phasen bei der Entwicklung der Keim- zellen ist hier jener Anordnung halber ein Irrthum unmoglich, ich habe deshalb auch aus praktischen Griinden Campanularia an die Spitze meiner Betrachtungen gestellt, obwohl ich die Untersuch- ungen selbst bei tubulariden Formen zuerst aufgenommen hatte. Wie schon erwahnt, nimmt bei der Bildung der Gonophoren die urspriingliche Grosse der Keimzellen infolge ihrer starken Ver- ') op. cit. p. 59. „Un peu plus haut, a la base du Gonangium, on voit un diverticalum forme par I'eudoderme, I'ectoderme et, entre les deux, la lamelle iutermediaire; I'endoderme du diverticulum estoccupepar les cellules di ff er e n ci e e s et la lamelle inter- mediaire passe pardessus et les separe uettemeut de I'ectoderme. Ces cellules meres des spermatozoides sout encore eu contact immediat avec la cavite gastro-vasculaire du diverticulum, qu' elles contribueut a delimiter". In der That bildet er sie auch dort ab. Ueber die Entwicklung d, mannl. Keimzellen u. s. w. 393 mehrung etwas ab, und zwar ist es zuerst der Zellkorper, welcher an Protoplasmareichthum einbusst , allmalig jedoch , je machtiger sich die Masse des Hodens mit dem Wachsthum der Gonophoren entwickelt, erscheinen auch die Kerne der Spermatoblasten kleiner, ohne aber zunachst das Aussehen zu verlieren, das sie bisher characterisirte. Der Kern selbst ist hell und nimmt wenig oder gar keinen Farbstoff an, wahrend er ein grosses und stark tingir- bares Kernkorperchen besitzt, ein Kcrngeriist ist selten schwacb, racist gar nicht wahrnehmbar. Solche Keimzellen, dem Inhalt der Gonophoren a2l u. Glr der Figur 3 entsprechend, sind auf Fig. 4 a u. h abgebildet. Ihrer Form nach zu schliessen, sind sie auf diesen Stadien lebhaft amoboid, sie strecken oft einen Oder mehrere langere Fortsatze aus. Das Protoplasma derselben ist wie das der jiingsten Spermatoblasten noch recht wohl farb- bar. Die Kerne der kleinern (6) messen ca. 0,0038 mm. Bald aber, nachdem die Keimzellen durch ihre rapide Vermehrung das voluminose Hodengewebe gebildet und dabei allmalig an Grosse abgenommen haben, tritt mit ihrer weitern Entwicklung eine chemische Veranderung in der Substanz der Kerne ein. Dieselbe langt darin zur Anschauung, dass der Kern weit grossere Anziehung auf Farbstofife auszuuben beginnt als bisher. Wahrend vorher das dunkel gefarbte Kernkorperchen sich gegen die iibrige, hellere Substanz des Kerns scharf absetzte, ubt jetzt der ganze Kern eine starke und ziemlich gleichmassige Anziehung auf die Farbstofflosung aus, sodass besonders bei Hamatoxilinfarbung der Kern in diesem Zustand meist intensiv dunkel gefarbt erscheint. Dass es sich dabei nicht um zufallige Farbungsunterschiede han- delt, hat schon Weismann fiir die Gatt. Corydendrium hervorge- hoben. Auf dem Schnitt durch ein Gonangium von Campanularia, welches diese verschiedenen Entwicklungsphasen der Spermatoblas- ten in seinen aufeinanderfolgenden Gonophoren enthalt, fallen die Unterschiede in der Kernfarbung sofort auf (vergl. Fig. 3 (r Ir u. G 2r) und treten besonders bei Anwendung von Hamatoxilin- oder Safraninfarbung schon hervor. Andererseits kann man auch beiderlei Kernzustande in einem einzigen Hoden bei einander finden (Fig. 3 G^l u. Fig. 4c). Man sieht anfangs im Kern, na- mentlich an der Membran, Farbstoflfklumpchen auftreten, die an Zahl und Ausdehung gewinnen, bis der ganze Kern ziemlich gleich- massig den FarbstoflF aufnimmt und ein homogenes Aussehen er- halt. Genauer beobachtet wurden die Einzelheiten dieser Um- bildung bei Tubularia, deren Kerne sich hierfiir gunstiger zeigten ; 394 Johannes Thallwitz, sie werdcn doit eiugehcnder geschildert werden. Hochst wahr- scheinlich tiitt niit der cheniischen Umwandlung eine geringe Ver- dichtung der Kernsubstanz ein ; die Masse dieser Kerne schwanken iiDgefahr zwischeii 0,0038 u. 0,0030 Mm., und zwar sind es ge- wohnlich die kleinern, welche am intensivsteii gefarbt erscheinen. Selbst bei starken Vergrosserungen zeigt sich der Kern in diesem Zustande vollig homogen und lasst keinerlei Struktur mehr er- kenuen. Das Protoplasma der Spermatoblasten , welches im Ver- laufe der Vermehrung derselben mehr und mehr an Volumen ab- genommen hat und jetzt nur noch als sparlicher Saum oder Anhaug zu erkennen ist, verliert nunmehr im Gegensatz zum Kern seinebisherige Tinktionsfahigkeit (Fig. 4(^) und farbt sich schwach, spater gar nicht mehr. Es tritt also auch hier eine Um- wandlung ein, vielleicht steht dieselbe mit der Veranderung der Kernsubstanz in engerem Zusammenhang. Die Gonophoren G2r u. G 41 auf Fig. 3 enthalten Spermatoblasten, deren Kerne bereits sammtlich in jenes Stadium hochgradigcr Tinktionsfahigkeit ein- getreten sind. Nur die Keimzellen sind es, welche diese Umwand- lungen erleiden , die Zellen des Entoderms und der ubrigen Ge- webe werden nicht davon beriihrt. Sobald die Spermatoblasten in das letzterwahnte Entwick- lungsstadiam eingetreten sind, findet keine Vermehrung der Keim- zellen mehr statt zu Gunsten der weitern Volumenzunahme der Hodenniasse, wie dies im Wesentlichen bisher der Fall war, viel- mehr ist die weitere Vermehrung sofort mit einem bedeuten deren Grossenverlust der Spermatoblasten ver- kuiipft und leitet die Spermabildung ein. Hie und da trifft man unter den dunkeln Spermatoblastkernen einige, welche sonderbare Bilder zeigen (Taf. XII Fig. 5 &), Bilder, die wohl auf Reagentienwirkung und dadurch verursachte Zusam- menballung der farbbaren Substanz zuriickzufiihren sein diirften. Ich erwahne sie hier nur, well es ahnliche Verhaltnisse vielleicht gewesen sind, welche altere Autoren der Spermatogenese zur An- nahme einer intranuclearen Entstehung der Spermatozoen fiihrten. In der That zeigen die oft eigenthumlich der Kernmembran an- liegeuden Ballen zuweilen eine gewisse Aehnlichkeit mit jugend- lichen Kopfchen der Spermatozoen. Man kann indessen alle mog- lichen Uebergange zu den gleichmassig dunkeln Kernen finden. Eine hellere Partie, die manchmal im Innern des dunkel gefarbten Kerns sichtbar ist (Fig. 5 a), ist wohl gleichfalls auf Reagentieu- tJeber die Eutwicklung d. miinnl. Keimzellen u. s. w. 395 wirkung *) zuriickzufuhreii. Auch erscheinen auf manchen, ge- wohulich iilteren Hodeii die Spermatoblastkerne zuweilen eigen- thumlich einseitig gefarbt dadurch, dass sich die farbbare Substanz des Kerns ein wenig von der Kernmerabran zuriickgezogen hat (Fig. 6 b). Die fernere Vermehrung der Keimzellen fiihrt, wie schon er- wahnt, zur Bildung der Spermatozoen und ist mit einer erheb- lichen Grossenabnahme verbunden. Die aus dieser Vermehrung resultirenden kleineren Spermatoblasten sind in den Gonophoren G 3r und G- bl Taf. XII Fig. 3 dargestellt, desgleichen bei starkerer Vergrosserung auf Fig. 4e derselben Tafel. Die Kerne derselben messen nur noch etwa 0,0015 Mm., die Gestalt des Kernes ist vorerst noch vollkommen rund, und das Protoplasma umgiebt ihn als zarter, ungefarbter, fast wasserklarer Saum. Auch hier iibt der Kern eine starke und gleichmassige Anziehung auf die Farb- stofflosungen aus. Die grosseren Spermatoblasten und ihre klei- neren Abkommlinge kann man zuweilen in einem Hoden bei ein- ander finden (Fig. 5 a), sofern man denselben auf einem Stadium antrifit, in welchem der Uebergang der Keimzellen von einer Ent- wicklungsphase in die andere noch nicht beendet ist. Es kommt vor, dass der Hoden am Rande weiter in der Entwicklung fort- geschritten ist als in der Tiefe. Auf solchen Gonophoren, deren Spermarium zugleich verschiedene Entwicklungsphasen der Keim- zellen in sich birgt, lassen sich haufig Bilder constatiren, welche auf Zelltheilungs- und Kerntheilungsvorgange der Spermatoblasten hinweisen. Im grossen Ganzen scheint bei Campanularia, wie ich gesehen habe und wie ein Blick auf das Gonangium Taf. XII Fig. 3 lehrt, die Entwicklung des Hodeninhaltes eines Gonophors ziemlich gleichmassig vorwarts zu schreiten, sodass wir in einem Sperma- rium die Spermatoblasten meist alle auf ein und derselben Ent- wicklungsphase antreffen. Allerdings sind auch Uebergangsstadien aufzufinden. Die reifen Spermatozoen treffen wir in den obersten Gono- phoren des ausgebildeten Gonangiums (Fig. 3 (r 4 r und G 6 I), Die Kerne der kleinen Spermatoblasten verlieren ihre rundliche Gestalt und strecken sich in die Lange, um die schlanken Sperraa- tozoenkopfchen zu bilden. Letztere sind von geringer Grosse und erscheinen stabformig oder besser biskuitformig mit leichter, aber ^) Behandlung mit verdiinnter Salzsaure nach Hamatoxilinfarbung. 396 Johannes Thallwitz, wohl bemerkbarer Einschniirung in der Mitte (Taf. XII Fig. 4/"). Sie farben sich sehr intensiv und siud stark lichtbrechend. Die Lange der Kopfchen betragt ca. 0,0030 Mm., wahrend ihre Breite eine ganz geririge ist. Auf Schnitten durch reife Sperraarien sieht man neben den gestreckten, biskuitformigen Kopfclien auch Gruppen kleiner, rundlicher Kerne von sehr geringem Durchmesser (Fig. 4/"), die ich fiir die Querschnitte (seien es optische, seien es wirkliche) von senkrecht zur Schnittflache angeordneten Kopfchen ansprechen muss. Andererseits erscheinen auch manche Kopfchen von birn- formiger oder zapfenformiger Gestalt, doch wird diese Tauschung durch den Blick auf die Schraglage des Kopfchens bewirkt. Dass die Kopfchen der reifen Hoden alle die oben angegebene Form besitzen, kann man am Besten an Praparaten seheu, die man in Nelkenol macerirt, fein zerzupft und isolirt hat. Verursacht man durch leisen Druck auf das Deckglaschen eine Lagenveranderung der isolirten Kopfchen, so bemerkt man immer ihre characteri- stische Gestalt, sobald sie sich dem Auge in der Horizontallage prasentiren, wahrend man sie bei weiterer Wendung in scheinbar zapfenformige und ruudliche Formen ubergehen sieht. Diese Ver- haltnisse zu kennen ist nothig, um vor Tauschungen in Bezug auf das Urtheil iiber die Umbildung der letzten Spermatoblasten zu den Kopfchen bewahrt zu bleiben. Wenn man zwei Sperma- rien , deren Inhalt den Stadien e und f der Fig. 4 Taf. XII ent- spricht, mit einander vergleicht, so konnte man meinen, dass die oben erwahnten, sehr kleinen, scheinbar runden Kerne, welche oft gruppenweise auf Stadium f angetroffen werden, als Theilungs- producte aus den Kernen und Spermatoblasten des vorhergehen- den Stadiums (e) hervorgegangen seien , und dass sie erst die Kopfchen zu bilden batten. Erhoht wird diese Tauschung noch dadurch, dass die Kopfchen, namentlich bei schwacherer Vergrosse- rung, durch ihre gracile Form einen viel zierlicheren Anblick ge- vvahren, als die rundlichen compacteren Kerne der letzten Sper- matoblasten {e und f). Ich glaube indessen mit Sicherheit eine abermalige Theilung der Spermatoblasten, wie sie die Gonophoren Gbl und G3r der Figur 3 enthalten und wie sie grosser auf Fig. 4e abgebildet sind, ausschliessen zu konnen und bin vielmehr zu der Ueberzeugung gekommen, dass sie es sind, deren Kerne durch Veranderung ihrer Form die Kopfchen der Spermatozoen zu liefern haben, wahrend das Protoplasma des kleinen Zellchens sich in den Schwanzfaden des Spermatozoons auszieht. Auf 6 nebeneiuanderliegenden reifenden Gonophoren ein und desselben Ueber die Entwickliiug tl. miiuul. Keimzelleu u. s. w. 397 Praparates lassen sich alle Uebergange von der ruiulen Kernform der kleinen Spermatoblasten bis zur vollkommen ausgebildeten schlanken Biskuitforin des Kopfchens recht wohl verfolgen. In dem Spermariura des unteren Gonophors dieses Praparates be- merkt man nur Kerne, wie sie Fig. 4e zeigt, der folgende Hoden enthalt gleichfalls zum bei weitem grossten Theile solche Kerne, dabei aber auch andere, die sich bereits etwas in die Lange ge- streckt haben. Je mehr sich die Kerne strecken, desto graciler erscheinen sie. In den Spermarien der nachsten Gonophoren werden die gestreckten Kerne zahh-eicher und erscheinen vorherr- schend schlanker, bis endlich der Hoden der letzten, der Decken- platte des Gonangiums zunachststehenden Gonophoren, fast nur gestreckte und biskuitformig geschniirte Kerne — die nunmehrigen Kopfchen — zeigt. Nur eine geringe Anzahl zapfenformiger bis rundlicher und dann sehr kleincr Kerne ist hier noch zu sehen, Formen, die jedoch, wie erwahnt, mit anderer Lagerungsweise der gestreckten Kopfchen in Verbindung zu bringen sind. Die Bilder g und h der Fig. 4, welche Hoden dieses Praparates entnommen sind, werden diese Uebergange anschaulich machen. Keine ein- zige Erscheinung aber konnte ich auffinden , welche fur eine er- neute Theilung der kleinen Spermatoblasten (Fig. 3 Gbl u. G3r und Fig. 4e) sprache, und wenu bei schwiicherer Vergrosserung die Hoden der letzten Stadien scheinbar mit kleineren Kernen er- fiillt sind (wie ich dies auf Fig. 3 darstellen musste), so beruht diese Tauschung eben auf der gracilen Form der Spermatozoen- kopfchen. Dass vielleicht bei der Streckung noch eine geringe Verdichtung des Kerns mit im Spiele ist, mag durchaus nicht ausgeschlossen sein, die sehr intensive Farbung der Kopfchen wurde eher dafur sprechen, eine abermalige Theilung jedoch muss ich nach dem Gesagten ausschliessen. Das Protoplasma ist auf den letzten Entwicklungsstadien der Keimzellen fast wasserklar und nicht mehr farbbar. Der zarte Protoplasmasaum, welcher die Kerne der kleinen Spermatoblasten anfangs noch allseitig umgiebt, bevor sie sich in die Liinge aus- dehnen (Fig. 4e), verschmalert sich bei der Streckung des Kerns um denselben und erscheint mehr und mehr als einseitiger An- hang, der sich spater im Laufe der weitern Streckung jedenfalls zum Schwanzfaden auszieht. Diese Meinung stiitzt sich auf Bilder, wie ich sie auf Taf. XII Fig. 8& wiedergegeben habe. Runde, sowie etwas gestreckte Kerne mit einseitigem Protoplasmaanhang triflft man haufig auf Schnitten oder noch besser auf Zupfpraparaten 398 Johannes Thallwitz, reifender Hoden. Weniger schwierig erkennbar sind solche For- men, wenn das Protoplasma, wie dies ausnahmsweise vorkommt, noch etwas Farbstoff angenommen hat. Solche ausnahmsweise, wenn auch schwache Farbung des Protoplasma's unterstiitzt auch die Erkennung der Schwanzfaden , welche von den vollendeten Kopfchen ausgehen. Andern falls muss das characteristische, aller- dings chwache Lichtbrechungsvermogen des Protoplasmas auf die- sen Stadien als Fiihrer dienen. Die Schwanze der reifen Sperma- tozoen sind nicht gerade leicht uud nur mit starkeren Systemen wahrzunehmen. Die Bewegung des Schwanzes, welche seine Er- kennung beim lebenden Sperma so wesentlich unterstiitzt, kommt ja leider bei conservirten Thieren in Wegfall. Durch die ver- schiedenen Manipulationen, welche bis zur Isolirung der kleinen Spermatozoen vorgenommen werden miissen , nehmen die zarten Schwanzanhange naturlich ausserordentlich leicht Schaden; so kommt es, dass die meisten Kopfchen auf den Praparaten der Schwanze beraubt erscheinen oder doch nur kurze Schwanzstumme zeigen, und dass es nur selten gelingt, die Schwanze eine grossere Strecke weit zu verfolgen. In gunstigen Fallen indessen ist der Schwanz doch noch recht wohl eine langere Strecke weit nachzu- weisen, und wenn man ihn einmal erkannt hat, verliert man ihn nicht so leicht wieder aus dem Auge. Da, wo er sich an das Kopfchen ansetzt, erscheint der Schwanz am starksten, obwohl von einem eigentlichen Halstheil keine Rede sein kann (Fig. Sa). Seine Lange iibertritit die des Kopfchens jedenfalls um ein Mehr- faches, allerdings blieb mir der Faden wohl nirgends in seiner ganzen Lange erhalten. Was die Vermehrung der Spermatoblasten anbelangt, so ge- schieht dieselbe auf alien Stadien, auf denen iiberhaupt eine solche stattfindet, auf dem Wege der Zelltheilung verbunden mit indirecter Kerntheilung. Mehrkernige Spermatoblasten wer- den in der Kegel nicht gebildet, doch tritft man zuweilen zwei-, selten auch dreikernige Zellen in Hoden, die wohl als unvollstan- dig durchgefuhrte Zelltheilungen aufzufassen sind. Solche Zellen sind aber nur Ausnahmen, in der Kegel reprasentirt jede Keim- zelle eine einkernige Zelle. Kernfiguren, welche auf in- directe Kerntheilung hinweisen, konnte ich in ziemlich grosser Anzahl constatiren. Dieselben sind allerdings keineswegs gut er- halten und waren fiir das Studium der Kernfiguren selbst nicht gerade geeignet; auf dieses Studium kam es mir hier indessen weniger an, mein Hauptziel war vielmehr, mit Sicherheit nachzu- TJeber die Entwicklung d. mannl. Keimzellen u. s. w. 399 weiseD, wo uberall Theilung stattfiiitiet und auf welcheni Wege dieselbe vor sicli geht. Dass der Erhaltungszustand der Kern- ligureu hier zu wunschen ubrig liisst, ist schon bei der Kleinheit der Objecte uicht zu verwundern, andererseits kamen Conservi- rungsfliissigkeiteii ziir Anvvenduiig, welche gern zur ktinstlichen Conglutinirung der Kerntiguren fuhreii. Schiidlich in dieser Hin- sicht wirkt besonders auch der Alkohol ' ). Die Figureii , auf welche ich mich berufe, sind jedoch, wie aus den Zeicbnungen zu crsehen ist, mit Bestiramtheit als Kernfiguren in Anspruch zu nehmen und lassen keine andere Deutung zu. Schon in den Sper- niarien der jungsten Gonophoren, wie sie auf G21 und Glr der Fig. 3 Taf. XII dargestellt sind, treften wir gar nicht selten Kern- theilungszustiinde an. Eine solche Kernfigur aus einem diesbe- ziiglichen Hoden wurde auf Taf. XII Fig. Qa abgebiklet, sie ent- spricht offenbar dem sog. Stadium der Tochterfiguren, deren Fiiden hier nur durch Reagentienwirkung verklunipt sind'-'). Uebrigens lassen sich bei Anwendung von Immersion und sehr guter Be- leuchtung noch recht wohl dunklere und hellere Partieen an den sonst scheinbar homogen aussehenden Figuren unterscheiden. Einen ahnlicheii Kern babe ich auf derselben Figur unter dem Buch- staben b aus einem Hoden abgebildet, welcher dem Stadium G'dl der Fig. 3 entspricht, danebcn befindet sich eine zweikernige Zelle (cj aus demselben Stadium, wie solche ausnahmsweise an- zutreffen sind. Eine andere Kernfigur, welche zweifellos der Phase der Aequatorialplatte (e) entspricht, ist gleichfalls einem Sperma- rium dieses Entwicklungszustandes entiiommen. Auch hier unter- scheidet man bei Anwendung von Immersion abwechselnd diniklere und hellere Partieen der scheinbar homogenen Platte. Die letzte Kernfigur endlich, welche auf diesem Bilde dargestellt ist (f), repriisentirt eine Phase, bei welcher die Bestandtheile der Aequa- 1) Soust ist ja der Alkohol ein sehr vortreffliches Aufbewah- rungs- uud Hartungsmittel , nur eignet er sich gerade fiir die reine Erhaltung d i e ser Verhaltuisse, namentlich bei kleineru Kenieii, uicht so gut. Meiue Hydroidstdcke aber wurdeu urspriiuglich nicht fiir die Zwecke vou Kerntheilungsstudien conservirt. 2) Flemming weist ofter darauf hiu, dass bei kleinon Kernen Tochterfigaren , Sterne uud Aequatorialplatten aussevordentlich loicht durch die IJeagentien verschrumpft uud zu homogenen klumpigen Masson geballt werden. Siehe Flemming, Beitriige zur Kenutnisa der Zelle uud ihrer Lebenserscheinuugen, Archiv fiir mikroscop. Anatomie, Band 18, pag. 174, 18 1, 186, 216 etc. 400 Johannes Thallwitz, torialplatte bereits auseinander gevvichen sind, um die Tochter- figuren zu bilden ^). Manchmal fiudet man auch Kerne, welche scheinbar mit viel(3n Kernkorperchen erfiillt sind (d). Icli niochte diese Kerne gleichfalls mit der Vorbereitung auf die Kerntheilung in Beziehung bringen und glaube , dass es sich hier nicht um eigentliche Kernkorperchen , sondern um optische Durchschnitte von Faden, eventuell um kleine verbackene Fadenschleifen handelt, welche bei der Kleinheit des Objectes nur den Anblick von Kern- korperchen vortauschen. Auf manchen dieser scheinbar nuilti- nucleolaren Kerne konnte ich in der That erkennbare Faden und Fadenknauel constatiren. Aehnliche Kerne finden sich iibrigens hie und da in Spermarien verschiedeuer Entwicklungsstadien, auch zuweilen auf Hoden des Stadiums G-Al der Fig. 3 Taf. XII. Hier erscheint alsdann die farbbare Substanz nicht mehr gleichmiissig durch den Kern vertheilt, sondern parthieenvveise kniiuelformig verschlungen. Der Kern verliert bei dieser Anordnung natiirlich sein homogenes Aussehen 2). Namentlich finden sich solche Kern- formen auf diesem Stadium in Spermarien, welche zweierlei Sper- matoblasten in sich bergen, d. h. deren Spermatoblasten zum Theil bereits infolge von Theilung in die nachstfolgende Entwicklungs- phase eingetreten sind. Auch auf solchen Hoden ist die indirecte Kerntheilung noch anderweitig nachzuweisen (Fig. 7 6). Die Bilder der Fig. 7 Taf. XII sind diesem Stadium entnommen. Wir sehen unter d etliche jener Kerne dargestellt, welche ziemlich deutlich Kniiuel erkennen lassen. Andere Bilder (c) geben den Eindruck wieder, wie man ihn von solchen Kernen erhillt, sobald sie Kniiuel oder Fadenbeschaifenheit ihrer fiirbbaren Substanz nicht mehr wahr- nehmen lassen. Die auf Fig. 6 und 7 der Taf. XII abgebildeten Kernfiguren sind keineswegs die einzigen, welche ich bei Durch- musterung der verschiedenen Spermarien gesehen, vielmehr sind dieselben auf meinen zahlreichen Priiparaten in grosserer Anzahl zu finden. Jedenfalls scheinen mir Kernfiguren in geniigender 1) Vergl. Flemming, Beitrage zur Kenntniss der Zelle etc., Arohiv fur mikrosc. Auatomie, Taf. 8, Fig. 25. ^) Fiin soldier Yerlust der llomogenitiit dunkler Kerue, welclier mit der Vorbereitung zur ueuen Theiluug in Zusanimenhang stelit, wurde auch von Van Beneden und Julin bei den Spermatogonien von Ascaris megalocephala beobachtet. Eine erneute Yolumenzunahme, wie sie dort stattfindet, konnte ich hier allerdings nicht feststellen. Edouard van Beneden und Charles Julin, La Spermatog^uese chez I'Ascaride mogalocephale. Ueber die Entwicklung d. miiunl. Keimzellen u. s. w. 401 Zahl vorhanden zu sein, uni die Annahme eines andern Kernthei- lungsMiodus als den der sog. indirecten Kenitheilung bei der Ver- mehrung der Sperniatoblasteii hier uberfliissig zu maclieu. Ich werde bei deii Schlussbetrachtuiigeii dieser Arbeit wieder darauf zuriickkonmien. Am iiaufigsten uiid zugleich auffallendsten sind die Bilder, wie sie auf Fig. Qa und h zur Darstellung gelangten. In gUnstigen Fallen trifft man deren mehrere auf einem einzigen Schnitte. Cierade diese Figuren werden durch die Reagentien niclit leiclit so weit entstellt werden konnen , dass sie etwa als Kernfiguren niclit mehr zu diagnosticiren wtlren , dies mag viel- leiclit audi die Ursadie ihrer Haufigkeit sein. Von anderen Pha- sen konnte idi eben nur soldie Bilder zur Beurtlieilung heran- ziehen, die sicli nocli mit Sicherheit als Kernfiguren erkennen liessen. Die indirect e Kerntheil ung wurde fiir alle (j 0 11 0 jj h 0 r e n n a c h g e w i e s e n , auf d e n e n e i n e V c r m e h - rung der Sp erniatoblasten iiberhaupt stattfindet. Den Spermatoblasten kommt, ihrer Form nach zu schliessen, eine aindboide Bewegliclikeit zu. Dieselbe erlaubte den jungsten Spermamutterzellen, von ihrer Keimstatte, dem Ektoderm der go- nangientragenden Zweige und des Blastostyls, nach den Gono- phorenknospen hinzuwandern und wird auch in den Gonophoren selbst beibehalten. De Varenne beschreibt dieselbe nach Beob- achtungen am lebenden Gewebe fiir die Spermatoblasten aller Stadien ' ). Auf Schnitten durch die iiltesten Spermarien bemerken wir eine radiiire, ziemlich regelmilssige Streiiung. Dieselbe benilit auf feiiien FortsiUzen, welche von der Stutzlamelle her ausstrahlen und so den Inhalt des Hodens in pyramidale Gruppen abtheilen. Letztere stehen mit ihrer iSpitze der Stiitzlamelle auf und sind mit ihrer Basis nach der Peripherie des Gonophors gerichtet. Diese Erscheinung wurde bereits von Weismann^) beschrieben. Der Beginn einer Strahlung der Stutzlamelle madit sich schon auf friihern Stadien bemerkbar. Jedes Spermarium functionirt nur einnial. Die Entleerung der Samenelemente wurde von Fraipont geschildert ^). Ein klei- ') De Vaeenne, op. cit. p. 71: „Les mouveraeuts araciboides du pvoloplasma, qui cntoure le uojau, se sont coiitiuues meme jusqu'au moment, on il u'en restait qu'une faible couche. I! diange sans cease de forme." ^) Weismann, op. cit. p. 148. ^) Pkaipont, Kecherchea sur I'organiaatiou etc. Archives de Bd. XVHI. N. F. XI. 26 402 Johannes Thallwitz, ner Druck verursacht den Riss der Hiille des Hodens. Zur selben Zeit, wo dieser Riss stattfindet, zerreisst die Cuticula der obern Aussenseite des Gonangiums und offiiet sich zu einem Munde, welcher den Geschlechtsstoffen den Durchgang frei macht'). Zur Zeit des Zerreissens der Hodenwandung wird sein Inhalt mit einer gewissen Kraft nach aussen geschleudert. Unmittelbar darauf be- ginnen die Sperniatozoen im Contact mit dem Seewasser mit gros- ser Lebhaftigkeit nach alien Seiten liin vorzudringen. Der Schwanz des Spermatozoons ist nach Fraipont's Angaben sehr diinn und sehr lang, er misst bis zehn und zwolf Mai die Lange des Kopf- chens. Was den Bau der Gonophoren anbetrifft, so zieht ausser der speciellen epithelialeu Ektodernihiilie des Spermariums (Taf. XII Fig. 3 ect') noch iiber sammtliche Gonophoren des Gonangiums eine gemeinsame, gleichfalls ektodermale Gonophorenhiille hin (ect"). An diesem zarten Epitheliiberzug, welcher von Gonophor zu Gono- phor ubergreift, lasst sich die ausserordentliche Lange einzelner Epithelzellen oft recht schiJu beobachten. So sind auf Fig. 9 Taf. XII zwei Gonophoren mit einem Theile ihrer peripherischen Partieen abgebildet (es sind die Gonophoren Glr und G2r der Fig. 3 derselb. Tafel) , zwischen denen auf dem Schnitt eine ein- zige, lange Epithelzelle die Briicke schlagt. Ich erwahne diesen Fall bier, weil es mir bei der Untersuchung anderer Formen zu- weilen vorkam, dass ich statt eines Epithels streckenweise nur eine scheinbar cuticulare Membran verfolgen konnte, und doch handelte es sich in solchen Fallen um eine Strecke Epithels, dessen Kerne auf dem Schnitt nicht getroffen wurden. Solch' zarte und sich dabei weithin erstreckende Fortsiitze von Epithel- zellen konnen einem iibrigens unter Umstiinden leicht entgehen, und daran mogen wohl auch die Behauptungen Jilterer Autoren Schuld tragen, welche bei Hydroiden Keimzellen an der Begren- zung der Leibcshohle theilnehmen liessen. Werfen wir noch einmal einen kurzen Riickbhck auf die Ent- wicklung der mannlichen Keimzellen bei Campanularia! Die pri- miiren Spermatoblasten vermehren sich nach Ankunft in den Go- nophoren betrachtlich , doch ist diese Vermehrung anfangs nur mit allmaliger Grossenabnahme der Keimzellen verbunden. Sie Zoologie experimentale et gen^rale de Henri de L acaze-D u thi ers. Tome huitieme. 1879 et 1880. ^) Demuach muss auch die Deckeuplatte zerreisseu. Ueber die Entwicklung d. mannl. Keimzellen u. s. w. 403 geschieht Hand in Hand mit dem gleichzoitigen Wachstlium des Gonophors und veranlasst die Bildung einer volinninosen Hoden- uiasse. Mit der Verniehrung der Keimzellen vermindert sich fort- gesetzt das Volunien ihres Protoplasmakorpers. Spater, nachdem sich in den Kernen und alsbald audi im Protoplasnia der Sperma- niutterzellen eine chemisclie Uniwandlung vollzogen hat, nelmien sie, sobald sie sich weiter vermehren, sogleich betrachtlich an Grosse ab und gebeu kleinen Spermatoblasten den Ursprung, welclic bestimmt sind, durch ihre Umbildung die Sperniatozoen zu liefeni. Das Kopfchen des Sperniatozoons entstanimt dem Kern, der Schwanzfaden dem Protoplasma der kleinen Sanien- bildner. Die Verniehrung der Keimzellen geschieht in den Sper- marien der verschiedensten Eutwicklungsstadien auf dem Wege der Zelltheilung, verbunden mit indirecter Kerntheilung. OperculareUa lacerata. Ueber die Entstehung der mannlichen Geschlechtszellen bei OperculareUa liegen bisher luir Nachrichten von Weismann') vor. Meine Befunde weichen nicht von den Angaben dieses For- schers ab. Hatte bei Campanularia flexuosa De Varenne die mannlichen Keimzellen irrtliiimlicher Weise vom Entoderm des Stockes her in die Gonophoren einwandern lassen, so liegt bei OperculareUa die Keimstatte der mannlichen Sexualzellen in der That im Entoderm und zwar theils in 4eni unteren Theile der kurzen Hydranthenstiele, von weichen die Gonangien entspringen, theils in dem Ast oder Stamm, dem der Hydranth aufsitzt. Taf. XH Fig. 10 stellt ein Stiick der Seitenwand eines Zweiges unterhalb eines jungen Gonangiums im Laugsschnitt dar. Die Keimzellen (kz) erblickt man in der Tiefe des Entoderms, sie begrenzen nicht die Leibeshohle, sondern sind durch die epithelialen Ento- dermzellen von derselben getrennt^). Was die Herkunft der- Keimzellen betrifft, so differenziren sie sich wahrscheinlich aus Zellelementen, die vom Ektodcrm her eingewandert sind ^). Ihrer Form nach zu schliessen , die sich zuvveilen in spitze Fortsjitze auszieht, sind die primiiren Spermatoblasten amoboid und vvandern ^) Weismann, op. cit. p. 150. 2) Die Liicke zwischen Entoderm und Stiitzlamelle auf dem 8chnitt ist kiinstlich. •^) Vergl. Wkismann op. cit. Oi)ercularella lacerata p. 1.52 und allgemeiner Theil p. 236 u. folg. 26* 404 Johannes Thallwitz, augenscheinlich im Zweige aufwarts. Wie die Form, so ist auch die Grosse dieser Zellen nicht immer ganz die gleiche, Der Kern i) derselben niisst ungefahr 0,0060, sein Kernkorperchen 0,0028 Mm., der Protoplasmaleib eiiier dieser Zellen zeigte die Lange von 0,0114 und eine Breite von 0,0076 Mm. Die primaren Keimzellen sind Zellen specifischen Characters, ihr Protoplasma ist lubhatter tingirbar, der ziemlich grosse, wohl contourirte Kern besitzt ein glanzendes, gegen die iibrige Kernsubstanz scharf ab- gesetztes Kernkorperchen. Die jungen Gouangien zeigen das Entoderm ihrer Seitenwande bereits von eingewanderten Spermatoblasten erfullt, noch ehe es zur Bildung eines Gonophors gekommen ist (Taf. XII Fig, 11). Die Einwanderung der Keimzellen geschieht von dem Hydranthenstiele her, von welchem das Gonangium entspringt. Die Entodermkuppe am oberen Ende des Gonangiums, welche zur Bildung der Decken- platte {Dp) Veranlassung giebt, bleibt immer frei von Keimzellen. Die die Entoderm wand des jungen Gonangiums erfiillenden Sper- matoblasten haben im Wesentlichen noch ihre geschilderten Eigen- schaften beibehalteu, nur haben sie in Folge von Vermehrung schon ein wenig an Grosse eingebiisst. Ihre Kerne messen noch circa 0,0046 — 0,0053 Mm., wahrend das Mass der ganzen Zelle ungefahr 0,0076 Mm. betragt. Die Zahl der Keimzellen im Entodermschlauch des Gonangiums nimmt rasch zu, indem immer neue Schaaren jener vom Stiel her in das Gonangium einwandern. In jedem Go- nangium bildet sich nur ein einziges Gouophor. Bau und Bildung desselben sind von Welsmann naher beschrieben worden. Die Seitenwand des Entodermschlauches schwillt sehr bald bedeutend an , und das Lumen verengt sich. Das Gonophor bildet sich als blindsackartige Ausstiilpung des Blastostyls unterhalb der sich gleichfalls anlegenden Deckenplatte , und nun brechen die Keim- zellen durch die Stutzlamelle hindurch und lagern sich in's Ektoderm. Dort umgeben sie massenweise zusammengehauft als Spermarium den Spadix. Letzterer gabelt sich spater. Weis- MANN stellt auf seiner Tafel XXIV Fig. 3 ein junges Gonan- gium dar, in welchem die Hauptmasse der Spermatoblasten be- reits die Stutzlamelle des Spadix durchsetzt und das Spermarium ^) Am wenigsten difFeriren auf ein und demselbeu Stadium die Grossenmasse der Kerne, auf die ich deshalb bei dem Urtheil iiber (irossendifferenzen des Spermatoblasten in den vevschiedenen Stadien ihrer Entwicklung am meisten Kiicksicht uehme. Dies gilt fiir alle von mir untersuchten Formen. Ueber die Entwicklung d. mannl. Keimzellen u. s. w. 405 des Gonophors gebildet hat, wahrend mehrere Nachzugler iioch im Entoderm des Blastostyls oder iiii Spadix liegeii. Audi ich fand die Keimzellen im Ektoderm der juiigen Goiiophoren wieder. Dieselben haben sich dort ihrem Aussehen nach uoch nicht weiter verandert, ebenso ist die Grosse der Zel- len noch im Gaiizen dieselbe geblieben , allenfalls hat der proto- plasmatische Zellkorper bei der weitern Vermehrung im Verhalt- iiiss zum Kern an Grosse abgenommen; die Kerngrosse indessen ist die alteM- Im Hoden behalteu die Keimzellen ihre amoboide Beweglichkeit noch bei, wie aus ihrer Form leicht zu ersehen ist. Das Protoplasma, welches noch wohl tingirbar ist, zeigt bei den verschiedenen Zellen eine verschiedene Gestaltung und entsendet oft einen oder mehrere spitze Fortsatze (Taf. XII Fig. 12 a). Bei dem weitern, rapiden Wachsthum des Gonophors und mit ihm des Hodens biissen die Spermatoblasten nach und nach an Grosse ein, ihre Kerne messen schliesslich nur noch ca. 0,0038 Mm. (Fig. 12&). Der Protoplasmaleib hat im Verhiiltniss zur Kern- grosse bedeutend abgenommen und zeigt sich spater nur noch als schmaler Saum. Auch bei den mannhchen Keimzellen von Oper- cularella vollzieht sich nunmehr eine chemische Umwandlung der Kernsubstanz, welche durch die starke Farbstoffannahme des Kerns zum Ausdruck kommt (Fig. 12 c u. d) , sodass der Kern allmalig ein gleichmassig homogenes Aussehen erlangt. Wie bei Campa- nularia finden sich bier nicht selten auf alterem Hoden Kerne die- ses Stadiums, deren farbbare Substanz sich einseitig von der Mem- bran zuriickgezogen hat. In andern Fallen kommt es vor, dass der ganze Kern eine sichelformige Gestaltung annimmt. Moglich, dass solchc Formen (siehe 12 d) mit (^iner gleichzeitigen Verdich- tung der Kernsubstanz in Beziehung stehen. Das Mass der dun- kel gewordenen Kerne betragt etwa 0,0030 0,0038 Mm. Hand in Hand mit der chemischen Veranderung der Spermatoblastkerne geht eine solche des Protoplasma's, welch letzteres, im Gegensatz ^) Dass sich die Spermatoblasten bald nach ihrem Eintritt in's Ektoderm lebhaft vermehren, um das Volumen des Spermariums mchr und mehr zu vergrnssern , unterliegt keinem Zweifel und lassl sich, abgesehen von der Zunahme der Hodenmasse, auch durch das Auffin- den von Theiluugszustanden nachweisen. Wenu also die Spermato- blasten dabei zunachst nicht wesentlich an (irosse uinbiissen, so ist dies natiirlich nur dadurch zu erklaren, dass die bei der Vermehrung resultirenden Tochterzellen bald wieder die urspriingliche Grosse ihrer Mutterzelle erreichen. 406 Johannes Thallwitz, zu friiher, nur noch eiiie schwache und bald gar keine Aiiziehung mehr auf die Farbstofflosungen ausubt. Von nun ab verkleinern sich die Kcinizellcn bei fernerer Ver- mchrung sofort erheblich, wahrend dies bisher nur nach und nach geschah. Ihre Vermehrung zu Gunstcn der Volumzunahme des Hodens ist beendet, dieselbe fiihrt nunmehr direct zur Sperma- bildung. Die Kerne der bei der erneuten Vermehrung resultiren- den Spermatoblasten (Fig. 12 e) messen nur noch 0,0015 Mm.; das helle, meist wasserklare und spiirliche Protoplasma erscheint ent- weder als mehr oder minder schmaler Saum um die Kerne oder macht sich gar schon als einseitiges Anhangsel des Kerns bemerk- bar. Die grosseren Keimzellen und ihre kleinen Abkommlinge sind hier gleichfalls zuweilen in einem Spermarium bei einander zu treffen (Fig. \2f). Was die Bildung der Kopfchen aus den Kernen der kleinen Spermatoblasten anbelangt, so lassen sich auch hier bei aufmerk- samer Beobachtung und Vergleichung Uebergangsphasen recht wohl constatiren (Fig. 12 i). Die anfangs runden Kerne sind auf jiltern Hoden zum Theil schon in die Lange gestreckt, ohne aber zuniichst noch irgend eine Einschniirung zu zeigen. Das sparliche Protoplasma erscheint alsdann fast immer schon einseitig ange- lagert. Je mehr sich die Kerne gestrekt haben, desto graciler ist ihre Form, bei den schlankeren unter ihnen bemerkt man auch bald eine leichte mittlerc Einschniirung, und das Protoplasma er- scheint auf der einen Seite fadenformig ausgezogen. Die reifen Kopfchen ahneln durchaus denen von Campanularia. Wie bei jener Gattung ist ihre Form biskuitformig und dabei sehr zierlich (Fig. \2g), in der Grosse stimmen sie gleichfalls mit den Kopf- chen der genannten Gattung uberein. Sie zeigen bei starker Farb- barkeit ein ziemlich hohes Lichtbrechungsvermogen. Ganz kleine runde Kerne, die man hie und da oft gruppenweise in reifen Ho- den erblickt, sind auf den Anblick senkrecht zur Schnittflache stehender Kopfchen zuriickzufiihren, andere erscheinen infolge ihrer Schriiglage zapfen- oder birnformig. Die Schwanze der Spermatozoen sind audi hier schwer sicht- bar, da sie sich nur in vereinzelten Fallen schwach tingiren, manchmal aber sind sie doch noch deutlich eine grossere Strecke weit zu verfolgen (Fig. 12 h). Ihr Lichtbrechungsvermogen ist be- deutend schwJicher als das der Kopfchen; an Lange iibertretfen sie letzteres jedenfalls um ein Mehrfaches. Zuweilen gelingt es, die Faden biindelweise zur Anschauuug zu bringen. Ueber die Entwicklung; (I. rniinnl. Keimzellen ix. s. w. 407 Die Theiluiigsvorgango der Spci'matoblasten beruhen auf Zoll- thoilung, veibundcMi mit indirectcr Keriitheilung. Mehrker- iiige Sperniatoblasten vverdeii in dcr Regel iiicht gcbildet, seltcii tritft man zweikernige Spernianiutterzelleu iiii Hodcn an, vielniclir erscheinen sie als selbststandige Zellen individualisirt und bidialten wic bei Campanularia ihre amoboide Bewoglichkeit wohl dui-ch alle Entwicklungsphasen bei. Figuren, welehe auf indirecte Kcrn- theilung hinweiscn , liessen sich auch hier in geniigender Menge auffinden , und zwar aus den verschiedcnsten Entwicklungsstadien der Sperniarien. Abgesehcn von schcinbar multinucleolaren Keni- zustanden , die gleichfalls hier zuweilen angetroflien werden und jedenfalls auch mit der indirecten Kerntheilung in Bezieiiung zu bringen sind, finden sich Bilder, welehe zweifellos als Kernfiguren zu deuten sind , wenngleich sie ihre urspriingliche Fadenstruktur durch Verklumpung grosstentheils eingebiisst haben. Wie ausser- ordentlich leicht dies bei kleinen Kernen geschieht, ist bereits er- waimt worden, Unter den Kernbildern, welehe die charakteristische Vertheilung und Anorcinung der fiirbbaren Substanz mit Sicherheit als Figuren der indirecten Kerntheilung erkennen lasst, betinden sich sowohl solche, die eine aquatoriale Anorduung der farbbaien Substanz zeigen (Aequatorialplatte), als auch solche, deren Ciiro- inatiu bereits zur Bildung der Polfiguren auseinandei'geriickt ist (Fig. 12 c). Da die betr. Figuren denen von Campanularia ent- sprechen, so brauche ich nur auf jene zu vervveisen (Taf. XII Fig. 6). Die indirecte Kerntheilung wui'de auch bei Opercularella auf alien Entwicklungsstadien gefunden, auf denen uberhaupt eine Ver- mehi'ung der Sperniatoblasten stattfindet. Die Deckenplatte des Gonangiunis ist mit der Vergrosserung des Gonophors und der Hodenniasse einem immer stiirkern Druck ausgesetzt. Je voluminoser sicli Gonophor und floden entfalten, desto mehr zusammengedriingt und desto diinner erscheinen die Bestandtheile der Deckenplatte, sodass man auf iiltern Gonangien ihre Gewebe meist nicht mehr deutlich auseinandcr halten kann. Schliefslich , nach voliigem Ablauf der Spermatogenese und damit verbundener Reife des Hodens wird die Di^ckenplatte durch die empordrangende Hotlenmasse gesprengt, und das Spermarium tritt theilweise aus dem Gonangiuni heraus. Nun diirfen nur noch die gleichfalls sehr diinn gewoidenc^n Hiillen des Gonophors an ii'gend einer Stelle reissen, und der Entleerung des Sperma's steht nichts mehr im Wege. Das Gonangiuni bildet kein zweites Gonophin- weiter, es functionirt nur einmal und degenerirt dann. 408 Johannes Thallwitz, Peimaria Cavolinii. Periiiariii Cavolinii wurde in Bezug auf die Architektonili sei- nes Stockes, den Bau seiner Gonoplioreu und den Ursprung der Geschlechtszellen gleichfalls von Weismann ' ) genauer uutersucht und besclirieben. Er fand , dass miinnliche wie weibliche Keini- zellen aus Elementen des Glockenkerns hervorgeiien und mithin wie dieser ektodermalen Ursprungs sind. Weismann unter- suchte speciell die Entstehung und den Bau der weiblichen Go- nophoren, fiigt aber seinen Scliilderungen zugleich hinzu, dass die Entwicklungsgeschichte der mannlichen Gonophoren der Haupt- sache nach mit der der weiblichen zusammenfalle. In der That ist die Uebereinstimmuug eine grosse und er- streckt sich selbst auf das Aussehen der primaren Keimzellen, so- dass man liingere Zeit hindurch nach dem blossen Anblick des Schuittes nicht angeben konute, ob man ein mannliches oder ein weibliches Gonophor vor sich habe. Die Gonophoren der dioci- scheu Stocke hesitzen einen medusoiden Bau, und nach Kolliker's^) Angaben sind die mannlichen sogar mit Augenflecken versehen. Eine eigentliche Glockenhohle ist kaum noch vorhanden , dennoch solleu die altesten Gonophoren sich vom Stocke loslosen und schwache Schwimmbewegungen ausfuhren. Nach Weismann zer- fallen die Hydrauthen des Stockes in Haupthydranthen (= die grosseren Endhydranthen des Stammes und der Seiteniiste) und Seitenhydranthen , uur die letzteren bringen Gonophoren hervor. Diese entspringen vom Kopfchen des Hydranthen innerhalb des Kreises der aboralen Tentakeln zu zwei bis vier, so aber, dass die- selben nicht gleichalterig sind, sondern eines in der Kegel bedeu- tend weiter entwickelt ist als die andern. Man tindet im grossen Gauzen die altesten Gonophoren an denjenigen Seitenhydranthen, welche der Ursprungsstelle des Zweiges am nachsten stehen, wiih- rend an den entfernteren (und jiingern) Hydranthen noch weniger entwickelte Gonophoren hervorsprossen. Die erste Anlage des mannlichen Gonophors besteht in einer sackformigen Ausstiilpung, an der sich beide Keiniblatter sowie die zwischenliegende Stiitzlamelle betheiligen. Friihzeitig schon macht sich an der Spitze dieser Ausstiilpung eine W^ucherung des Ektoderms geltend, von welcher aus der Anstoss zur Bildung eines 1) Weismann op. cit. i). 122. ^) Zeitschrift fiir wissenschaflliche Zoologie Bd. IV, 1853 p. 303. TJeber die Entwicklung (\. mannl. Keimzellen u. s. w. 409 Glockenkerns gegebeii wird. Die Zellen des Glockeiikorns driiiigen bei ihrer fortgesetzten Verraehrung das iinteiiiegeude Kntoderin vor sich her (Taf. XII Fig. 13), sodass sich letzteres gegen die Hoh- lung des Sackes mchr und melir einbiegt und zur Bildung der Entodermlamelle (entl), sowie durch die spatere Verwachsung in den Interradien zur Entstehung der anfangs uoch mit weitem Lu- men versehenen Radiarkanale Veranlassung giebt. Ini Glockcii- kern tritt secundiir eine Glockenhohle auf, welche spiiter durch den empordringenden Spadix zum Theil wieder verdriingt werden kann. Der Glockenkern enthalt die Urkeimzellen , seine bisher noch gleichartigen Zellen ditierenziren sich bei der weitern Ent- wicklung in die specifischen Keimzellen und die Epithelzellen des Hodens und der Subumbrella. Die Zellen des Glockenkerns zei- gen einen polygonalen und ziemlich wohl tingirbaren protoplasnia- tischen Zellkorper, der hellere Kern derselben besitzt eiii stark sich farbendes , deutlich hervortretendes Kernkorperchen. Die Scheidung dieser Zellen in Keimzellen und Epithelzellen macht sich zuerst zu jener Zeit bemerkbar, in welcher von der unterlie- genden Entodermkuppe her der Spadix sich einporzuwolben be- ginnt (Taf. XIII Fig. 15). Die der Entodermlamelle und den Ra- diiirkanalen zunachst liegenden Zellen des Glockenkerns platten sich nun ab, um das kiinftige Subumbrellarepithel {e])^) zu liefern. Auch die ubrigen Zellen des Glockenkerns zeigen bereits einen zweifach verschiedenen Habitus. W ah rend eine grossere Anzahl von ihnen ihren bisherigen indift'erenten Character noch beibehal- ten hat, machen sich die eigentlichen Keimzellen schon durch starkere Farbstoifanziehung ihres plasmareichen Zellkorpers be- merkbar {k0 Fig. 15) und zwar sind dies besonders die in der Tiefe des Glockenkerns liegenden Zellen. Die Kerne der Keim- zellen erscheinen meist scharfer umschrieben als die der ubrigen Zellen und behalten die Eigenschaft der pragnanteren Kernfurbung auch in der Folge bei. Diese primiiren Spermatoblasten ahneln in ihreni Aussehen durchaus den jungen weiblichen Keimzellen derselben Art. Von dem ubrigen noch indifferenten Theil des Glockenkerns liefern spater die der Peripherie zunachst liegenden Zellen den Epitheliiberzug des Hodens, wahrend die innere Partie der Glocken- kernzellen vollends in die Bildung der primaren Spermatoblasten eingeht. Das Subumbrellarepithel ging aus dem obern Blatt des Glockenkerns hervor, der Hoden und sein Epithel entstammen dem untern Blatt. Auf einem weitern Entwicklungsstadium ist 410 Johannes Thallwitz, diesc Differenzirung der Zellen dcs urspriinglichen Glockenkerns b(3reits volleiidet, uud das juuge Sperniaiium mit seinem Epithel- iibcrzug gebildet. Der Spadix ragt in der Mitte des Spermariuins weit empor, iiberliaupt zeigt uus das junge Gouophor uach Bc- endigung jener Prozesse schon im Wesentlichen alle Charactere sciuGS niedusoiden Baues, und eiu Qucrsclinitt durch dieses Sta- dium (Taf. XIII Fig. 16) erinnert durchaus an den Querschnitt einer ccliten Meduse. Ein dicker Mantel von Spermatoblasten , deren wolilgefarbter Zellkorper auf dera Sclmitt polygonal erscheint, und deren Kern sich nocli durch den Besitz eines einzigen, scharf lier- vortretenden Kernkorperchens auszeichnet , umhlillt den Spadix (Ho). Die Keimzellen besitzen etwa eine Grosse von 0,0076 Mm., ihre Kerne messen ca. 0,0060 Mm. Es waren die Keimzellen von vornherein nicht viel grosser, doch zeigte ihr Zellkorper anfangs mehr Protaplasmareichthum. Die friilizeitig voluminose Anlage des Hodeus bedingt eine starke Reduktion der Glockenhohle, welcbe so sclimal ist , dass sie auf Schnitten oft scheinbar ver- schwindet, uud der zarte Epitheltiberzug des Manubriums (Hoden- epithel Hep) fast unmittelbar dem Epithel der Subumbrella {sbu) anliegt (Fig. 16). Auffallend ist die quadratische Gestalt, welche bei jungen Gonoplioren das Manubrium in seiner Totalitat auf dem Querschnitt zeigt. Bei dem weiteru bedeutenden Wachsthum des Gonophors ver- grossert sich audi die Masse des Hodens durch Vermehrung der Spermatoblasten. Trotz dieser lebhaften Vermehrung nehmen die Spermatoblasten nur ganz allmalig an Grosse ab, vor allem aber biissen sie zunachst an Protoplasmareichthum ein. Auf Schnitten durch altere Gonophoren, auf welchen das Spermarium betrachtlich herangewachsen ist , sind die Keimzellen etwas kleiner gewor- den, haben sich aber sonst noch nicht weiter verandert. Spater in- dessen gehen bei Pennaria die Kerne der Spermatoblasten gleichfalls jenc chemische Veranderung ihrer Substanz ein, welche sich in bedeutend erhohter Anziehung der Farbstofflosung geltend macht. Man sieht die Farbstoffkliimpchen zuerst an der Membran auftre- ten, die Kerne erhalten dadurch ein eigenthiimlich grob granulir- tes Aussehen, welches gleichfalls haufig an multinucleolare Zu- stande erinnert und mit solchen nicht verwechselt werden darf (Tafel XIII Fig. 17). Die Farbstoffkltimpchen gewinnen mehr und mehr an Ausdehnung, zuletzt erscheinen die Kerne ganz gieich- massig mit P'arbstotf erfiillt und gewahren auch bei starkster Ver- grosserung ein en homogenen Anblick (Taf. XIII Fig. 18). Umge- Ueber die Entwicklung d. miinnl. Keimzellen u. s. w. 411 kelirt verliert jetzt die nur uoch diiune Protoplasmalage der Keim- zellen ihre bisherige Tinktioiisfaliigkeit und erscheiut fast gar nicht mehr gefilrbt. Aiif Fig. 18 « wurde ein Stiick eines solcheu Goiiopliors dargestellt, desseii Spermatoblasteii die erwahnteii Uni- wandluugen eiugegangeu siud, reclits davou sind einige dieser Keim- zellen bei starkerer Vergrosserung abgebildet (18&). Nach Vollendimg des Hodenwachsthums ist die weitere Thei- lung der Spermatoljlasten sofoit mit einer erliebliclieu Verkleine- rung der Abkommlinge verbundeu und bezeiclinet den eigentliclien Beginn der Spermabildung. Es scheint, dass die Keimzellen eines erwachseneu Hodens sich beinalie zu gleicher Zeit auf diese Thei- lung vorbereiten, und dass der ganze Hoden die Theilungsprocessc seiner reifenden Keimzellen sehr rasch hinter einander zum Ab- scbluss bringt. Man findet namlich entweder Spermarien, deren Inhalt nacb deni letztgeschilderten Stadium (Fig. 18) entspricbt, Oder man findet solche, deren Keimzellen bereits sammtlich in die niichstfolgende Entwicklungsphase eingetreten sind und kleineu Samenbildnern den Ursprung gegeben haben (Taf, XIII Fig. 19), fast nie aber trifft man beiderlei Zellformen in einem Hoden Ijeisam- men, wie soldies bei den vorlier beschriebenen Arten nidit allzu selten der Fall war. Kernfiguren, welche auf indirecte Theilung der Spermatobla- sten hinweisen, finden sich auch bei Pennaria; zwei von diesen, eine Pol- und eine Aequatorialfigur habe ich auf Taf. XII Fig. 14 abgebildet, von der Darstellung der iibrigen konnte ich absehen, da sie einen ganz ahnlichen Anblick gewahren^). Die Theilung der Spermatoblasten ist also auch bei Pennaria rait i n d i r e c t c; r Kern theilung verbunden. Anscheinend multinucleolare Kernzustande finden sich verein- zelt bei Keimzellen fr"uherer Stadien, sie werden auch mit indirec- ter Theilung in Beziehung zu bringen sein. Zweikernige Sperma- toblasten giebt es ausnahmsweise auf verschiedenen Stadien , in der Kegel aber ist jede Keimzelle eine selbstandige Zelle mit einem Kern. Die Keimzellen des erwachsenen Hodens geben also bei ihrer Theilung kleinen Spermatoblasten den Ursi)rin]g (Taf. XIII Fig. 19 und 20 a), deren Kern nur noch eine Grosse von etwa 0,0015 Mm. besitzt, gleichfalls eine starke Anziehung auf Farbstoffe iiussert ') Beziiglich der Erhaltuiig dieser Figureii gilt das bei den vorigen Arten Gesagte. 412 Johannes Thallwitz, unci ganz homogen erscheint. Dieser Kern ist von einem zarten, liellen Protoplasmasaum umgeben. Es versteht sich audi hier, dass jene gleichmassig gefarbten Kerne der gTossern Mutterzellen ihre Homogenitiit vor der erneuten Theiluug verlieren, da sie bei derselben die characteristisclie Substanzanordnung indirecter Thei- lungsphaseu zeigeu. Ganz reife Gonoplioren habe ich niclit vor mir geliabt, es ist nicht unwahrscheinlich , dass die Geschlechts- stoffe ilire voile Reife erst nach Loslosung der medusoiden Ge- schlechtsperson erreiclien. In der That ist eine solche Loslosung von Geschlechtspersonen bei Pennaria beobachtet worden '), aller- dings oline Feststellung des Gesclilechtes , doch diirfte sie am er- sten wohl, wenu sie nicht beiden Geschlechtern eigenthumlich sein sollte , den niit AugenHecken versehenen Mannchen zukommen. Der Mangel ganz ausgereifter Gonophoren an mannlichen Stocken wiirde dafiir sprechen. Die geschilderteu kleinen Speraiatoblasten theilen sich jeden- falls nicht weiter, sondern gehen selbst in die Bildung der Sper- niatozoen ein, wie dies bei den erstbeschriebenen Arten der Fall war. Die Beobachtung widerspricht dieser Meinung nicht. Auf den altesten Gonophoren, die ich findeu konnte, und deren luhalt ich zerzupfte, traf ich nicht selten Kerne, die sich ein wenig ge- streckt hatten. Ihr Protoplasmasaum liess zuweilen bereits eine Art Schwanzfortsatz erkennen (Taf. XIII Fig. 20 & u. c). Die defi- nitive Gestalt des Kopfchens konnte ich jedoch nicht sicherstel- len , vielleicht aber entsprechen die kleinen birnformigen Kerne (20 c), welche ich hie und da traf, schon den fertigen Kopfcheu. Die Entleerung des Sperma's diirfte nach Dehiscenz des Ho- denepithels durcli den Glockenmund erfolgen. Die Stiitzlanielle , welche in den Polypen manchmal eine be- triichtliche Dicke erreicht, ist in den Gonophoren ausserordent- lich dtinn. Clara sqiiamata. Die Gonophoren von Clava squamata scheinen, wenn man sie auf reiferen Stadien fluchtig betrachtet, einfache, doppelwandige Sporophoren zu sein, deren Medusenahnlichkeit fast vollstaiidig ge- schwunden ist. Dennoch liisst sich an sehr gut erhalteuen Exem- plarcii ihr medusoider Bau auch im Alter noch nachweisen, und ganz unzweifelhaften Aufschluss iiber denselben giebt die Entwick- ^) Weismann, op. cit. Ueber die Entwicklung d. maunl. Keimzelleu u. s. w. 413 lungsgeschichte des Gonophors. Diese sowohl als die Herkiinft der Geschlechtszellen wurde schon vou Weismann') eingeheiider studirt. Nacli dessen Schilderuiig entstammen die mamiliclien Sexualzellen den Zellen dos Glockenkerns '^) uiid sind wie dieser ektodermaleu Urspmngs. Meine Uiitersuchungeu lassen mich diese Angabe bestatigen. Ad der Spitze der juiigeii Gonophorenknospe raaclit sich friili- zeitig eiue Einwiiclierung des Ektoderms gegeu das Entoderm bin geltend, welche ziir Bildung des Glockenkerns fiibrt (Taf. XIII Fig. 21 GlJc). In diesem ist gleichfalls sebr friih eine Glockenh(>hle bemerkbar (Glh). Durch das Vordringen des Glockenkerns kommt es zur Entstehung der ihn umgebenden Entodernilamelle {entJ), die hier indess keine Radiaikanale mebr anlegt, sondern sebr bald eine einschicbtige Zellenlage darstellt. Wie gegen das iiussere Ektoderm, so ist sie aucb gegen den Glockenkern bin durch eine feine hyaline Stiitzlamelle (st) abgegrenzt. Der Glockenkern, wel- cher anfangs seinen Zusammenbang mit dem Ektoderm nocb be- wahrt hatte (Fig. 21), wird allmalig von der Entodennlamelle vollig umwachsen, und zwar gescbiebt tlies fast zu gleicber Zeit mit der Erbebung des Spadix von der unterliegenden Entoderm- kuppe her (Fig. 22). Nun scheiden sich die nocb indifferenten Ur- keimzellen des Glockenkerns in Epithelzellen und eigentliche Keim- zellen (7cz), und zwar liefert das obere Blatt des Glockenkerns ein Epitbel, welches dem Subumbrellarepithel einer Meduse entspricht (sbu), wahrend das Spermarium (Ho) mit seinem Epitbeliiberzug {Hep) aus dem untern Blatt hervorgeht (Fig. 22). Wir sehen, dass bei den Gonophoren von Clava nocb zahlreiche Anklange an den Bau einer Meduse vorhanden sind. Die Epithelzellen nehmen eine flachere Form an und pflegeu weniger plasmareicb zu sein als die Keimzellen des juugen Ho- dens. Diese sind specifiscben Characters, far])en sich wohl, er- scheinen besser contourirt und besitzen Kerne mit einfachem, meist scharf hervortretendem Kernk()rpercben. Mit dem Wachsthum des Gonophors vergrossert sich auch das Volumen der Hodenmasse bedeutend (Taf. XIII Fig. 23), trotz ihrer regen Vermebrung aber nehmen die Spermatoblasten nur langsam an Grosse ab, und zwar auch bier zunachst auf Kosten ^) op. cit. p. 21. '■') Anders yerhalten sich die weiblichen Geschlechtszelleu der- selben Art. Siehe Weismann op. cit. p. 23. 414 Johannes Thallwitz, des protoplasmatischen Zellkorpers, doch zeigen spater auch die Kerne eine etwas geringere Grosse. Ihreu Character auderu die Keim/elleu in dieser Zeit nicht weseiitlicli, abgeseheii davon, dass man zuweilen Kernzustande bei ilinen findet, welche auf Theilung hinweisen. Der Epitheliiberzug des Hodens und jeues andere Epithel, welches der Epithelausldeidung der Subumbrella entspricht, schlies- sen dicht aneinander an und sind bei weiterm Wachsthum des Gonnphors nicht mehr in ihrem ganzen Verlaufe auseiuanderzu- halten. Am deuthchsten bemerkt man ihre ursprungliche Zwei- heit an der Spitze des Gonophors, wo sich das Hodenepithel gegen den Spadix hin einsenkt, und wo zwischen beiden Epithelien ein Rest der Glockenhohle bemerkbar ist (Taf. XIII Fig. 23 u. 24 Glh). Sobald das Gouophor herangewachsen ist, geht die Substanz der Spermatobhistkerne jene chemische Umwandlung ein, welche sich in ziemlich starker und gleichmassiger Anziehung der Farb- stoffe») geltend macht (Taf. XIII Fig. 24 u. Fig. 25 a). Ein Un- terschied von Nucleolen, hellerer Kern substanz etc. sowie sonstige Strukturverhaltnisse sind im Kern nicht mehr wahrzunehmen. Um- gekehrt verliert der Protoplasniakorper der Keirazelle die Fahig- keit, Farbstoffe anzunehmen und erscheint ganz hell. Derselbe hat mit der Vermehrung der Spermatoblasten an Umfang betracht- lich eingebiisst und stellt sich hier nur noch als ungefarbter spar- licher Saum oder Anhang dar, ist aber immerhin noch wohl nach- weisbar, wenn es auch bei schwacherer Vergrosseruug erscheint, als ware der Hoden lediglich von dunkelu Kernen erfiillt. Gegen- seitige Abgreuzung der Zellen ist gleichfalls noch erkennbar. Ver- dichtung der Kerusuljstanz diirfte bei der erwahnten chemischen Umwandlung in geringem Maasse mit in's Spiel kommen. Bevor oder wiihrend der Kern in diese Umwandlung eintritt, gewiihrt er ein eigenthiimliches grobgranulirtes Aussehen (Fig. 25&). Der FarbstoH" erfiillt ihn allmalig mehr und mehr und lasst ihn schliess- lich vollig homogen erscheinen. Von der folgendeu Theilung, welche die Spermabildung ein- leitet, und bei welcher die Abkommlinge der Spermatoblasten sich betrachtlich verkleinern, wird immer eine grossere Partie von Keimzelleu fast zu gleicher Zeit ergritten, ja im ganzen Sper- marium selbst miissen diese Processe in ziemlich kurzer Zeit hin- ') Eine hellere mittlerc Partie, die man hie nnd da bei solchen Kernen bemerkt, ist jedenfalls auf Keagentienwirkung zuriickzufiihren. Ueber die Entwicklung d. mannl. Keimzellen u. s. w. 415 tereinander sich abspielen, da mau die Spermatoblasten eines Ho- dens haufig alle auf eiii und derselbeii Entwicklungsphase antriift. Zuvveilen aber gehen auch die Keimzellen scbichtenweise die Thei- lung ein, man findet nilmlicb Spermarien, deren peripheriscbe Par- tieen bereits aus kleinen Spermatoblasten bestehen, walirend wei- ter nach innen noch die grosseren Spermamutterzellen liegen (Taf. XIII Fig. 26). Der aussere Mantel hat also bereits die Theilungs- processe durchlaufen , wahrend die innere Lage noch nicht von denselben erfasst worden ist. Uebrigens sind diese Schichten hier keineswegs scharf gegen einander abgesetzt. Auf den reiferen Gonophoren endlich sehen wir das Sperma- rium ganz mit jenen kleinen Zellchen erfiillt, wie wir sie schon bei den vorigen Arten angetroifen haben (Fig. 27 a u. c), Der ungefilrbte, haufig einseitig gelagerte, feine Protoplasmasaum be- ginnt sich bald in die Lange zu ziehen (Taf. XIII Fig. 28 a). Es sind diese kleinen Spermatoblasten bestimmt die Spermatozoen zu liefern. Sie stehen, wie dies schon Weismann schilderte, ketten- formig miteinander in Zusammenhang (Taf. XIII Fig. 27 h). Um das Kopfchen des Spermatozoons zu bilden, streckt sich der ursprung- lich runde Kern der kleinen Keimzelle und nimmt birnformige Ge- stalt an, seiu dickeres Ende bildet den obern Theil des Kopf- chens, wahrend der feine Faden von einem ausserst zarten Proto- plasmasaum am entgegengesetzten Pole ausgeht. Das Protoplasma der letzten StatUen farbt sich nicht mit, und der Faden ist des- halb ziemlich schwer wahrzunehmen , doch konnte ich ihu zuwei- len eine laugere Strecke weit verfolgen (Fig. 28&). Uebrigens bildet Weismann * ) die Spermatozoen von Clava nach lebenden Exemplareu ab; auch aus seinen Bildern ersieht man, dass der Schwanz gegeniiber dem Kopfchen eine ansehnliche Lange aufvveist. Die Kerntheilung der Spermatoblasten geht, wie bei den bis- her betrachteten Formen, auf dem Wege der indirecten Kern- theilung vor sich, man trilft sovvohl Aequatorial- als Polfiguren an, von denen ich einige auf Taf. XIV Fig, 29 & abgebildet habe. Diese Figuren sind theils jiingern , theils altern Stadien entnom- men. Abgesehen von dem vereinzelten Vorkommen zweikerniger Spermatoblasten, stellen die Keimzellen auf alien Stadien selb- standige Kiuzelzellen mit Kern und zugehorigem Protoplasniakor- per dar. Eigenthumlich ist das von Weismann zuerst beobachtete Vor- 1) op. cit. Taf. V, Fig. 12 C. 416 Johannes Thallwitz, komnien von Nesselzellen \m Hoden vou Clava (Taf. XIII Fig. 24w^), iiber deren Herkunft ich leider nicht vollig in's Reine kom- men konnte, da sie auf Schnitten durch gehartete jiiugere Gono- phoren ziemlich selteii unverletzt bleibeo , uiid Zupfpraparate in dieser Beziehung nichts lehren konnen. Vielleicht sind es eine Anzahl von Ektodermzellen des urspriinglichen Glockenkerns, welche bei der Anlage des jungen Hodens nicht niit in die Bildung von Keimzellen eingehen, sondern ein Stroma liefern, in welchem jene Nesselkapseln zur Entwicklung komnien. Ein solches Stroma ist allerdings nadiweisbar, indem man im Hoden zuweilen Zellen be- merkt, die einen andern Habitus als die Keimzellen zeigen und blassere, weniger markirte Kerne besitzen. Die Moglichkeit, dass die Nesselzellen von der ausseren Ektodermhiille her in den Ho- den gelangen, ist indess nicht auszuschliessen , doch wiirden sie in diesem Falle erst die Entodermlamelle passiren miissen, was mir nicht gerade allzu wahrscheinlich erscheint. Eine Einwande- rung derselben in den Glockenkern, so lange dieser noch nicht vom Entoderm umschlossen wird , ist gleichfalls nicht anzuneh- men , da die Nesselzellen im Hoden eine Zeit lang an Zahl zu- nehmen, differenzirte Nesselzellen aber wohl schwerlich die Fahig- keit der Vermehrung noch besitzen. Somit gewinnt es an Wahr- scheinlichkeit, dass die Bildung von Nesselkapseln von Zellen jenes Stroma's ausgehen wird, welches den Hoden durchsetzt und jedenfalls wie der ganze Glockenkern ektodermaler Abstammung ist. Die Erhebung des Spadix, welcher in der Mitte des Gono- l)hors aufsteigt , ist manchmal verschieden hoch. Selten wird er bei mehr einseitiger Entwicklung der Hodenmasse etwas seitwarts gedrangt. Eine Verastelung desselben kommt nicht vor. Die Entleerung der Spermatozoon diirfte bei Clava nach Zer- reissen der am ausgebildeten Gonophor stellenweise sehr diinu gewordenen Gonophorenwand erfolgen, Ttibularia mesembryantliemum. Bei Tubularia mesembryanthemum sprossen die medusoiden Gonophoren an der Basis des aboralen Tentakelkreises vom Hy- dranthenkopfchen und zwar an besondern Gonophorentragern, hohlen und verastelten Stielen, hervor. Weismann^) untersuchte auch diese Art auf die Genese der Keimzellen und berichtet, dass beiderlei Geschlechtszellen aus dem ektodermalen Glocken- 1) op. cit. p. 127. Ueber die Entwicklung d. mannl. Keimzellen u. s. w. 417 keru hervorgehen. Ich fand bei meinen Untersuchungen mann- licher Gouophorenknospen die Angaben des genannten Forschers vollkorameii zutreffend. Der Glockenkern giebt durch seiii Vordringen Veranlassung zur Bildung einer Entoderralamelle (Taf. XIII Fig. 30 u. 31 entl) diese beginnt den Glockenkern mehr und mehr zu umwachsen, doch uni- schliesst sie ihu nicbt vollig wie bei Clava. Urspriinglicb war der Glockenkern vollkommen solid, bald aber ist in ihm eine secun- dar durch Auseinanderweichen der Zelleu entstehende Hohluug zu bemerken (Fig. 'dlGlh). Sobald der Spadix sich gegen den Glockenkern erhebt, kommt es zur primaren Hodenanlage dadurch, dass eine Dilierenzirung der Urkeimzellen des Glockenkerns in eigentliche Keimzellen und Epithelzellen beginnt. Beiderlei Zelleu zeichnen sich schon durch ihr verschiedenes Verhalten zur Farb- stofflosung aus. Die Keimzellen tingiren sich im Allgemeineu lebhafter, als die blassern Epithelzellen, ihre Kerne erscheinen scharfer umschrieben als die jener. ^) Auf Querschnitten sieht man, dass es immer der innere, dem Spadix zunachst liegende Mantel ist, dessen Zellen die erwahnte Beschatfenheit zeigen (Fig. 32Z>). Zwischen den kunftigen Keimzellen konnen anfangs ein- zelne Zellen noch indiiferenten Characters liegen (^). Die der Entodermlamelle zunachst liegenden Zellen des Glockenkerns plat- ten sich spater ab und fuhren zur Bildung des Subumbrellar- epithels. In gleicher Weise bildet die folgende Zellenlage an der Peripherie der Hodenanlage ein zweites Epithel, welches das Keim- lager des jungen Spermariums iiberzieht. Die Kerne der Sper- matoblasten besitzen auch hier anfangs ein grosseres gegeniiber der hellern Kernsubstanz wohl hervortretendes Kernkorperchen. Gonophor und Hoden wachsen allmahlig bedeutend heran, die Keimzellen aber nehmen trotz ihrer rapiden Vermehruug nur sehr wenig an Grosse ab und treten vorlaufig in keine neue Ent- wicklungsphase ein (Taf. XIII Fig. 33). Zwischen Hodenepithel {Hep) und Subumbrella {sbu) lassen sich zuweilen Rudimeute einer Glockenhohle {Glh) erkenuen, Meist aber wird dieselbe vollig durch das voluminose Spermarium ausgefiiilt. ^) Auch hier haudelt es sich iiberall nicht urn zufallige Fiir- bungsverschiedeulieiteu , deim auf Scliuitteu auderer Oouophoren des gleichon Stadiums treten immer wieder die iihnlichen Bilder auf, zu- dem erblickt mau solche Unterschiede , gleichviel ob mau Karrain- oder Hamatoxiliufarbung anwendet, sie miissen also in der chemischeu BeschafFeulieil der Zellen begriindet sain. Kd. xvm. N. F. XI. 27 418 Johannes Thallwitz, Sobald der Hoden herangewachsen, machen die Spermatoblast- kerne eine Umvvandlung durch, welche sich durch erhohte uud ziemlich gleichraassige P'arbstoffauziehung bekuudet. Diese Um- wandlung konnte hier iu ihren Details verfolgt werdeii, sie geht aus vom Kerngeriist. Wahrend auf friiheren Stadien ein Kern- gerust nieist gar nicht oder doch uur schwach nachweisbar war, wird dasselbe nunmehr chromatiureicber uud zeigt sich deutlich gefarbt. Man sieht bei starker Vergrosserung (Zeiss -^ homogene Imuiersion, Abbe'scher Beleucbtuugsapparat) meist vier farbbare Strange vom Nucleolus nach der Kerunicmbrau bin verlaufeu (Taf. XIV Fig. 41a und h). Die Strange farben sich allmahlig immer starker ; je chromatiureicber und je starker sie erscheinen , desto mehr biisst das Kernkorperchen an Deutlichkeit ein (vergl. a, h und c). Es scheint demnach, dass dieses sein Chromatin all- mahlig an das Geriist abgiebt. Nun zieht sich das Geriist nach und nach an die Membran zuriick (e, /", g), so dass der Kern im Innern hell bleibt (g). An der Membran, jedenfalls im Zusammen- hang mit dem sich dort ausbreitenden Kerngeriist, sieht man einige Chromatinballen erscheinen {g, h). Diese uehmen an Um- fang zu und erscheinen mehr und mehr homogen {h, i), der Kern nimmt den Farbstoft' nun immer lebhafter auf und zeigt sich schliesslich immer gleichmilssiger gefarbt, bis er sich auch den starksten Vergrosscruugeu vollig homogen repriisentirt (i bis l). Sobald diese Verhaltnisse nicht deutlich wahniehmbar sind , so hitufig unter Wasserimmersiou und namentlich bei schwacherer Vergrosserung, erscheint der Kern wahrend dieses Umwandlungs- processes grob granulirt (m u. n) oder von scheinbar multinucleo- liirem Ausselien, wie dies auf den Figuren 34, 38, 39 und 40 dargestellt werdeu musste. In dieser VVeise erscbienen auch der- artige Kerne bei den bisher beschriebenen Arten , wo diese Ver- hiiltnisse der Beobachtung nicht so gunstig waren, und wurden dort so abgebildet. Es kann indessen wobl kein Zweifel herrschen, dass dort dieselben Processe obwalten. Eine ganz ahnliche Um- wandlung der Kernsubstanz wurde von van Beneden et Julin') bei den Spermatogonien von Ascaris megalocephala geschildert, es scheint, dass wir es hier mit einem allgemeiner verbreiteten gesetzmiissigen Processe zu thun haben. Eine Reduction der Kerne, wie sie dort geschildert, sowie eine nachtragliche Grossen- ) La spermatog^nese chez I'Ascaride m^galocephale, p. 12. Ueber die Entwicklung d. miinnL Keimzellen u. s. w. 419 zunahme ^ ) dcr Zelle nacli V(!rlust dor Homogeiiitat dcs Kcriuis kaiin ich an mcineii Objccteii allerdings nicht constatircn. Das geriiige Protoplasma der Keimzelle zeigt nach Uniwand- lung des Kerns gar keine Tinktioiisfahigkeit mehr. Zumeist schon an dieser Umwandlung , sowie an den weitcrn Entvvicklungsvorgangen der Spermatoblasten betheiligt sich iibrigcns bei Tubularia nicht der ganze Hoden gleichzeitig , sondern es gehen die Keimzellen mehr oder minder regelmassig schichten- oder zonenweise in diese Vorgange ein. Diese Zonen erscheineu, namentlich wenn man die Schnitte bei schwacherer Vergrosserung betrachtet, manchmal sogar ziemlich scharf gegeneinander abge- grenzt (Taf. XIV Fig. 34 u. ff.)- Immer ist es ein ausserer, der Peripherie des Hodens zunachst liegender Giirtel, welcher in der Entwicklung voranschreitet und welcher zuerst in die Sperma- bildung eingeht , die Zellen dieser Zone werden fast zu gleicher Zeit oder doch rasch hintereinander von der folgenden Vermeh- rung erfasst, einer Vermehrung, aus der vorerst die Bildung kleiner Spermatoblasten resultirt (Fig. 35 ks"). Von Theilungszustanden sind bei Tubularia gleichfalls haupt- sachlich Pol- und Aequatorialfiguren nachzuweisen. Ich erwahnte schon, dass gerade diese Phasen durch die auffallende Gruppiruug der farbbaren Substanz am leichtesten als Kernbilder erkennbar sind, wahrend andere bei der Kleinheit der Kerne nicht immer mehr mit Sicherheit als Kerntheilungsfiguren zu diagnosticiren sind. Da es mir indessen hauptsachlich darauf ankam, das allge- meinere Vorkommen der indirecten Theilung im Hoden iibeihaupt festzustellen , so konnte ich jene fuglich unberiicksichtigt lassen. Ich habe keine Belege dafiir erhalten konnen, dass die kleinen Spermatoblasten, wie sie auf Taf. XIV Fig. 35 hz" abgebildet sind, sich etwa noch weiter vermehrten, ich glaube vielmehr, dass sie direct an der Bildung der Spermatozoen theilnehmen. Allerdings konnte ein Schnitt, wie er auf Taf. XIV Fig. 37 dai'gestellt ist, > die gegentheilige Ansicht erwecken. Man sieht hier eine iiussere Lage kleiner Zellchen mit intensiv gefarbtem und schon stark lichtbrechendem Kern {kz'"), deren ungefarbter Protoplasmasaum haufig als einseitiger Anhang erscheint, dazwischen aber schieben sich noch Reste jener kleinen Spermatoblasten {kz") ein , wie sie die vorige Figur zeigte, und welche Abkommlinge der grossern Spermatoblasten {kz') sind, wie solche noch der dem Spadix auf- ^) op. cit. p. 16. 27* 420 JohannesThallwitz, liegenden tiefern Zone des abgebildeten Schnittes angehoreu. Allein man muss im Auge behalten, dass sich die Kerne der mit hz" bezeichneten kleinsten Zellchen bedeutend intensiver farben als die Kerne der sich zwischen sie einschiebenden mit kz" bezeich- neten Spermatoblasten (siehe aiich Taf. XIV Fig. 42 h und c), dass also die Moglichkeit vorliegt, es seien letztere aus ersteren durch Veranderung bezugl. Verdichtung der Kerne hervorgegangen. In der That bestehen hier solche Verdichtungsvorgange, wie sie auch anderwarts bei derUmbildung des Kerns beobachtet worden sind. 1) Ich fand mehrfach Priiparate, welche alle Uebergangs- formen zwischen beiderlei Kernzustiinden zeigten, und zwar nahm die I n t e n s i t Ji t der F a r b u n g und des L i c h t b r e c h u n g s- vermogens mit der Klein heit der Kerne allmalig zu, so dass man ersieht, es geht die Grossenabnahme des Kerns Hand in Hand mit der Veranderung seiner Substanz ; die Sperma- toblastkerne werden diesmal kleiner, ohne eine neue Theilung ein- zugehen. Fiir eine weitere Theilung finden sich keinerlei Beweise. Die geschilderte Veranderung und Grossenabnahme des Sperma- toblastkernes hiingt zusammcn mit der Kopfchenbildung. Auf Taf. XIV Fig. 37 hat noch nicht der ganze aussere Mantel diese Umbildung^) erlitten, auf Fig. 36 ist dieselbe vollendet und be- feits der Anfang zur Spermatozoenbildung gemacht. Die kleinen, anfanglich noch rundlichen, intensiv gefarbten und stark licht- brechcnden Kerne zeigen bald einen sparlichen, einseitigen, proto- plasmatischen Anhang, der sich in einen diinneren, hiiufig eine Strecke weit verfolgbaren Faden auszieht (Fig. 42 c und d). Die iiltesten Spermatozoen , welche ich finden konnte, besassen birn- formige Kopfchen mit zai'tem Protoplasmasaum an der Unterseite und mehr oder minder langem Schwanzfaden , der auch hier un- gefiirbt bleibt und deshalb nicht immer leicht erkennbar ist. Sein Lichtbrechungsvermogen ist im Gegensatz zu dem des Kopf- chens ein schwaches und gleicht dem Lichtbrechungsvermogen des Protoplasmas, wie es die Spermatoblasten der letzten Stadien zeigen. Auf feinen Schnitten eischeint es zuweilen , als ob die Spermatozoen in mehr oder minder regelmassigen Ziigen radiiir nach der Glockenwand zu gerichtet vvaren (Fig. 36). ') z. B. NussBAUM : Ueber die Veranderungen der Geschlechts- producte etc. p. 160. '') Uebergjinge in mehr oder miudcr grosser Zahl lassen sich iibrigens auf alien solchen Priiparateu ermitteln. Ueber die Entwicklung d. mannl. Keimzelleu u. s. w. 421 Trotzdem Tubularia sessile Gonophorcn erzeugt , konnte ich doch niemals solche finden, dereii Hodeninhalt etwa voUstandig ausgereift ware, immer bestanden die tieferen, dera Spadix zunachst liegeiiden Partiecn noch aus grosseren Keimzellen, und von diesen waren wiederum die am Griinde des Spadix liegenden Zellen in Bezug auf ihre Entwicklungsphase am weitesten zurtick. Der peripherische Mantel der reifen Spermatozoen diirfte jedcnfalls frtiher durch den Glockenmund entleert werdeu, als die unter- liegenden Keimzellen selbst in der Spermabildung eingegangen sind. Hieniiit stimmt die Beobachtung Weismann's, ^) dass im Innern der Glocke, wenn das Sperma theilweise schon durch den Glockenmund entleert ist, freier Raum bleibt, in welchem man dann Massen von Spermatozoen umherwimmeln sieht. Eine alin- liche partieenweise und wiederholte Eutleerung des Sperma's wurde auch von Kleinenberg bei Hydra angetroflfen. Was die Entwicklung der Gonophoren von Tubularia niesem- bryanthemum betrifft , so bringt die Entodermlamelle ein Lumen von Radiiirkanalen iiberhaupt nicht mehr zur Anlage. Gauz aus- nahmsweise indessen babe ich junge mannliche Gonophoren ge- funden, bei denen eine solche Anlage sich noch nachweisen liess, ja ein weibliches Gonophor ist mir vorgekommen , bei welchem selbst auf einer fortgeschrittneren Entwicklungsstufe die Lumina der Radiarkanale deutlich vorhanden waren, Es erscheint mir dieser in seltenen Fallen vorkommende individuelle Riickschlag auf die einstige Medusenform interessant genug, um ihn hier zu erwahnen. Obwohl die Entwicklung des Hodeninhalts bei Tubularia im Allgemeinen zonenweise vorwarts schreitet, so geschieht dies doch nicht immer ganz regelmassig, sondern man trifft auch zuweilen mitten unter den Spermatoblasten friiherer Entwicklungsstadien vereinzelte Gruppen spaterer Stadien inselformig eingelagert. Schnitte, welche dies zeigen, sind auf Fig. 38 und 39 der Taf. XIV abgebildet. Allerdings diirfte dann wohl die Weiterentwicklung der benachbarten alteren Spermatoblasten nicht lange mehr auf sich warten lassen. Fig. 40 zeigt uns ein Gonophor, dessen Hoden zugleich drei verschiedene Entwicklungsstadien in aufeinander folgenden Zonen aufweist. Derartige Bilder sind auf altern Gono- phoren durchaus nicht selten anzutreffen. Blasse, anders als die Keimzellen geartete Zellen findet man 1) op. cit. p. 128. 422 Johannes Thallwitz, hie und da, allerdings spiirlich, in reiferen Hoden , sie scheinen cine Art Stroma darzustelleu. Podocoryne carnea. Podocoryne carnea ist eine von denjenigen Tubularien, deren Polypencolonien sich ablosende, freischwiniinende Medusen her- vorbringen. Ich war deslialb niclit im Stande, bei diescr Art die Entwicklung der Keimzellen durcli alle Stadien hindiirch zu ver- folgen, sondern konnte diesen Vorgangen nur soweit nachgchen, als dieselben ablaufen, wahrend die junge Medusc sich noch nicht voni Blastostyl losgelost hat. Mcin besonderes Augennierk habe ich daruni bci dieser Gattung auf die erste Bildung des Hodens, sowie auf die Genese der Keimzellen gerichtet, iiber welch' letz- tere bisher die total von einander abweichenden Angaben von DE Varenne und Weismann vorlagen. Nach ersterem entstehen die primaren Spermamutterzellen aus En tod ermzell en des Blastostyls, nach letzterem aus dem Kktodermiiberzug des Manubriums der jungen Meduse. Die priniiiren Spermamutterzellen , welche de Varenne beschreibt, sullen durchaus jungen Eizellen derselben Art ahneln. Seine Ab- bildungen stimnien damit iiberein. Sowohl im Entoderm des Blastostyls als in dem der jungen Medusenknospen , welche de Varenne auf verschiedenen Stadien der Entwicklung dargestcllt hat, sieht man diese eizellenartigen Gebilde liegen. Spater soil die Hodenmasse das Entoderm des Manubriums einnehmen und anfangs sogar in Contact mit der Leibeshohle stehen, doch findet sehr bald, nach seiner Bcschreibung, eine Reconstitution des epi- thelialen Entoderms statt, das sich nun durch eine stutzlamellen- artige Membran gegen die Hodenmasse absetzt. Zu gleicher Zeit sollen die eigentliche Stutzlamelle und das Ektoderm des Manu- briums sehr diinn werden und als einfache Membran iiber den Hoden weglaufen. Weiin man diese Phanomene nicht von Anfang an verfolgt hat, sagt de Varenne, konnte man jetzt glauben, dass das Spermarium im Ektoderm des Manubriums hege, und dass die mannlichen Geschlechtsproducte ektodermalen Ursprungs seien. Ganz anders, wie gesagt, lauten die Schilderungen Weismann's. Derselbe verlegt die Entstehung der mannlichen Geschlechtszellen in eine viel spatere Zeit und an einen ganz andern Ort, naralich das Ektoderm des emporwachsenden Manubriums der Knospe. Die jiingston Knospen, welche ich bei meiner eigenen Unter- suchung antraf, reprasentiren sackformige Ausstulpungen des Ueber die Entwicklung d. raannl. Keimzellen u. s. w. 423 Blastostyls, noch ohne jede Anlage des Glockciikcnis, die sich aber bald in ciner Wucherang des Ektoderms an der Spitze der Knospe gelteiid niacbt (Tafel XIV Fig. 43 W), Das Entoderm dieser Knospen ist ebenso wie das des Blastostyls durchaus ei n s chichtig, von Gebilden, wie sie de Varenne beschriebcu imd dargcstellt hat, ist nirgends etwas darin zu sehen. Auf ein wenig weiter entwickelten Knospen (Fig. 44) hat sich der Glocken- kern (Crlk) bereits gebildet, die Glockenhohle (Glh) ist als secun- diir in ihni entstehende Spalte angelegt (urspriinglich ist der Glockenkern solid). Auch hier ist das Entoderm der Knospe ii her all ein schich tig, interstitielle Zellelemente des Ento- derms, die etwa von diesem her in den Glockenkern einwandern kiinnten, sind nirgends bemerkbar. Jene Zellen, welche de Va- renne fiir dieses Stadium in der unter dem Glockenkern befiud- lichen Entodermlage {entk) abgebildet hat, ' ) sind mir auf keinem einzigen Schnitt zu Gesicht gekomnien. Die strenge Einschichtig- keit des Entoderms gilt auch noch fiir das folgende Stadium (Fig. 45). Die Knospe ist gewachsen , und die Glockenhohle luit sich bcdcutend erweitert, schon beginnt sich die kiinftige Sub- umbrella anzulegen {shu). An der Spitze der Knospe , wo sich spater die Ocellarbulben bilden werden, zeigt sich eine ektoder- male Wucherung. Der Ektodermiiberzug des spatern Manubriums,, welches wir bereits durch eine leichte Erhebung angedeutct sehen, ist gleichfalls noch vollkommen einschichtig (ec^'j; derselbe be- zeichnet die kiinftige Keimstiitte. Nochmals hebe ich hervor, dass nicht nur das uuterliegende Entoderm des sich empor wolbenden Spadix, in welchem auch hier de Varenne seine eizellenahnlichen Spermamutterzellen ab- bildet^), noch ganzund gar einschichti g ist, sondern ebenso auch die tibrige Entodermauskleidung der Knospe. Wenn Zellen vom Entoderm her nach der spatern Keimstiitte gelangen sollten, so miissten sie in der That auf diesem und den vorhergehenden Stadien zu treffen sein =^), da solche Zellen aber auf Serien feiuster Schnitte durch diese Stadien niemals angetroft'en werden, so ist eine en to der male Herkunft der mimn lichen Keimzel- ^) Und welche seiner Figur nach deutlich erkennbar sein miissteu (Taf. XXXVII Fig. 3 und 4). ''') op. cit. Taf. XXXVII Fig. 6. ^) So verhiilt es sich denn auch bei der nahe verwandten Hy- dractinia echinata, dercn Keimzellen aus dem Entoderm her in den Glockenkern wandern. Siehe Weismann : op. cit. p. 79. 424 Johaunes Thallwitz, leu 111 i t S i c h e r h e i t au s z u s c h 1 i e s s e n. Ich bemerke, dass icli cutscheiduncleu Werth hier auf tScliiiittserien gelegt habe, wc'Ichc durcli eiii uiid dieselbe Knospe angefertigt worden waren, sodass also von eiuem Ueberseheii priniarer Keinizelleii oder auch uur voii Zellen, die man als solche verdachtigen konnte, keine Rede sein kann. Sobald der Spadix etwa bis zur Halfte seiner kiinftigen Hohe eniporgewachsen ist, maclit sich die erste Anlage des Hodens be- mcrkbar. Von den Ektodermzellen des Manubriums treten einige grosser und protoplasmarcicher hervor (Taf. XIV Fig. 46 /c^), sie zeichnen sich ferner vor den benachbarten Zellen durch eine diffe- reute Beschaifenheit ihrer Kerne aus , welche nicht uur grosser slnd, sonderu auch scharfer contourirt erscheinen als die Kerne der Nachbarzellen. Ihr Kernkorperchen ist gleichfalls ziemlich gross, stark tingirbar und vvohl gegen die hellere Kernsubstanz abgesetzt. Dies s i n d die p r i m a r e n mii n n 1 i c h e n K e i m- z ell en. Sie stehen anfangs noch in Reih und Glied mit den lib ri gen Zellen des Ektodermiiberzuges am Manubrium und begrenzen wie diese die Glockenhohle. Es scheint mir dies Verhaltniss gleichfalls beachtenswerth zu sein. Witren die Keimzellen vom Entoderm her eingewandert , so wtirden sie schvverlich in Reih und Glied mit den Ektodermzellen des Ma- nubriums stehen und an der Begrenzung der Glockenhohle theil- nelimen, sondern jedenfalls in der Tiefe des Ektoderms verharren, durch dessen iiberliegende Epithelzellen ohne Weiteres geschiitzt. So aber muss es erst nachtriiglich noch zur Bildung eines schutzen- den Hodenepithels kommen. Zwischen den Keimzellen konnen sich anfangs noch indifferente Zellen des Ektodermiiberzuges be- tinden. In diesem Stadium ist derselbe also, obwohl er bereits die primaren Keimzellen enthalt, noch einschichtig. In der Nacli- barschaft der Keimstiitte erhalten seine Zellen einen epithelialen Character {epz). Schon auf diesem Stadium zuweilen bemerkt man, wie die benachbarten Epithelzellen anfangen , die Keimstiitte zu iiber- wachsen, um das kunftige Hodenepithel zu bilden (Fig. AQ Uep). Die Bildung eines Schutzepithels fiir das Keimlager tindet dem- nach friihzeitig statt, und zwar geht sie aus von den der Keim- stiitte benachbarten Epithelzellen. Dieser Bildungsmodus des Hodenepithels diirfte fiir alle Medusen in Anspruch zu nehmen sein, deren Keimstatte ihre urspriingliche Lage am Ektoderm des Manubriums bewahrt hat. Eine Umbildung schon ditferenzirter Ueber die Entwickluug d. nuiunl. Keimzellen u, s. w. 425 Spcrniatoblastcn an dor Peripherie des Hodens zu eiiieni schiitzen- (len Epithel darf man wohl fur alle Falle ausschliessen. Das Entoderm des Spadix ist zur Zeit der fruhesten Hoden- anlage allerdings niciit mehr durcliweg einschichtig, vielmehr maelit sich an seinem distalen Ende eine Wucherung der Zellen (W) bemerkbar. Gerade am proximalen Ende aber , wo der Hoden sich bildet, ist das unterliegende Entoderm noch einschichtig, und Zellen, die etwa Keimzellen ithneln und in's Ektoderm auswandern konnten, sind in der Nahe der primaren Bildungs- statte des Hodens durchaus nicht zu bemerken. Wie sclion Weismann mit Recht betont hat, hangt die entodermale Zell- wiicherung am distalen Ende des Spadix auf diesen und den niichst- folgenden Stadien offenbar mit dem raschen Wachsthum des Spa- dix zusammen. Bald wird die Hodenaulage durch Vermehrung der primaren Spermatoblasten mehrschichtig (Taf. XIV Fig. 41 Ho) und zeigt sich nun voUig vom Epithel (Hep) iiberwachsen. Die Keimzellen iindern bis zur Loslosung der Meduse ihren urspriinglichen Charac- ter nicht wesentlich , ihre weitere Entwicklung durchlaufen sie spiiter, und die Reifung der Spermaelemente wird jedenfalls erst langerc Zeit nach dei- Losung eintreten. Bei den iilteru zur Los- losung fast reifen Knospen (laf. XIV Fig. 48) liegt iler Hoden in Gestalt vier interradialer Wiilste am Manubrium, reicht aber nicht bis zum distalen Ende desselben. In den Radien setzt sich das Hodenepithel in das einschichtige Ektodermepithel des Manu- briums fort {ep0). Wie wir gesehen haben, muss ich mich nach meinen Befunden den Angaben Weismann's vollkommen anschliessen. Auch ich faud , dass die primaren mannlichen Keimzellen bei Podocoryne sich aus Ektodermzellen des jungen Manubriums diti'erenziren, dass sie fortwiihrend ihre ektodermale Lage beibehalten, und dass auch eine etwaige Einwanderung vom Entoderm her nicht statt hat. Wie de Varenne zu seinen Irrthiimern gelangte, ist mir nicht recht ei-klarbar, vielleicht hat derselbe junge weibliche Knos- pen vor sich gehabt. ^ ) Seine Schilderungen aber von der ento- ^) Die weiblichen Keimzellen von Podocoryne difFerenziren sich allerdings im Entoderm und wandern spjiter in's Ektoderm des sich emporwolbenden Manubriums aus. Da hierin die Angaben de Va- REKNEs von deuen Weismann's ubenfalls abweicheu, so uuterwarf ich auch weibliche Knospen einer niiheren Priifuug und gelangte aber- mals zu einer Bestatigung der WiasMANN'schen Eesultate. 426 Johannes Thallwitz, dermalen Lage des iilteren Hodens, von der Reconstitution des uiiterliegenden Entoderms etc., wie er sie entsprechend iibrigens auch fiir Campanularia flexuosa entwirft, muss ich in's Bereich der Phantasie verweisen. An die bisher besprocheneu Arten schliesse ich jene an, welche ich auf Uebereinstimmung in Bezug auf den allgemeinen Gang der Spermatogenese priifte, ohne sie jedoch nochmals einer spe- ciellen auf die Details dieser Vorgange gerichteten Untersuchung zu unterwerfen. Sertularclla polyzonias. Die mannlichen Geschlechtszellen, welche auf ihre Genese von Weismann untersucht wurden, diflferenziren sich ini Entoderm des Stammes und der Aeste. Weismann hob auch zuerst hervor, dass im Gonangiiim ein eigentliches Gonophor im Sinne einer morphologischen Individualitiit hier nicht existirt, sondern dass der Blastostyl selbst die Geschlechtsprodukte enthalt und zur Reife bringt. Oft liegen drei solcher Pseudogonophoren auf ver- schiedeuen P^ntwicklungsstadien in einem Gonangium, junge Go- nangien zeigen deren erst eines. Das unterste jener Gonophoren enthalt Spermatoblasten , welche hinsichtlich ihrer Gestalt und Grosse, sowie der Beschaffenheit ihrer Kerne und des Zellkorpers durchaus an die jiingern Spermatoblasten der iibrigen Campanu- larien erinnern. Aehnliche Keimzellen wie im jungen Hoden findet man im Entoderm des Stammes wieder, nur dass sie gewohnlich jene hier noch an Grosse iibertrejffen. Die Gestalt der erwahnten Zellen deutet auf amoboide Beweglichkeit hin. Die Spermatoblasten vermehren sich lebhaft auf dem Wege der Zweitheilung, verbunden mit indirecter Kerntheilung. Spiiter im reifern Hoden machen sie gleichfalls die bekannte Um- wandlung durcli, welche durch erhohte Farbstoifannahme der Kerne zum Ausdruck kommt, wahrend das Protoplasma seine Tinktions- fahigkeit verliert. Vorher gewinnen sie auch hier durch die leb- haftere Farbstoffannahme bei schwacherer Vergrosserung ein gra- nulirtes Aussehen und tingiren sich allmiilig immer dunkler und gleichmiissiger. Die Spermatozoen im reifern Hoden sind, wie dies auch von Weismann angegeben wurde, nesterweise gruppirt und in eine Art Stroma eingebettet, um dessen kugelige Maschen- raume die Kopfchen sich ordnen. Die letzteren sind stabformige Gebilde, deren Protoplasmafaden auf dem Praparat sehr schwer zur Anschauung zu bringen ist. Kernfiguren (sehr haufig fand ich Ueber die Entwicklung d. mannl. Keimzellen u, s. "w. 427 hier Aequatorialplatten) finden sich nicht nur zahlreich im Hodeii selbst, sondern ich erblickte solche audi bei den noch im Ento- derm des Stammes belindlichen Spermatoblasten , ein Zeicben, (lass die prim are n Keimzellen sich bereits vermeh- 1- e n k 0 n n e n , e h e s i e in die S p e r m a r i e n g e 1 a n g e n. Der Hoden bleibt hier dauernd im Entoderm des Blastostyls, die Spermatoblasten durchlaufen dort ihre Entwicklungsstadien, ohne dass sie ins Ektoderm iibertreten. Wenn die Keimzellen das Ziel ihrer Wanderung erreicht haben und das Spermarium im Blastostyl sich gebildet hat, grenzt es sich allerdings spater gegen die untere, die Leibeshohle des Blastostyls unischliessende Lage von endodermalen Geisselzellen ab, indem zvvischeu dieser und der Hodenmasse eiue feine hyaline Membran abgeschieden wird, eiue Art secundilrer Stiitzlamelle. Obwohl der Hoden jetzt anscheinend zwischen Ektoderm und Entoderm zu liegen kommt, so liegt er doch eigentlich niemals ganz ausserhalb des Entoderms, indem zwischen den einzelnen Pseudogonophoren des Blastostyls, sie gegeuseitig abgrenzend, eine Entoderndage von geringer Milch- tigkeit erhalten bleibt. Das Ektoderm bildet hier gewohnlich eine einspringende Falte. Sodann sind auch endodermale Zellen an der Peripherie des Hodens bemerkbar, ja es scheint, dass der junge Hoden auch noch von Entodermzellen durchsetzt wird, denn man sieht zuweilen zwischen den Spermatoblasten kleinere, oft lang gestreckte Zellen mit ziemlich blassen Kernen, kurz Zelh^i von anderem Habitus, als ihn die amoboiden Keimzellen mit ihren hier noch grosseren und lebhafter markirten Kernen zeigen. Von diesen entodermalen Zellen geht jedenfalls die Bildung des maschi- gen Stromas aus, worin spater die Spermatozoon eingebettet liegen. Dasselbe beginnt sich schon auszubilden, noch ehe die Keimzellen ihre Entwicklungsphasen durchlaufen und Spermatozoen den Ur- sprung gegeben haben, so im mittleren, mit den dunkelkernigen Spermatoblasten angefiillten Hoden eines Schnittes, dessen Blasto- styl 3 Pseudogonophoren verschiedenen Alters enthielt. Plumularia echiiiulata. Plumularia echinulata erzeugt in ihren Gonangien sessile Go- nophoren. Die miinnlichen Keimzellen ditferenziren sich im Ento- derm. Die Genese derselben, sowie die Entstehung der Gonan- gien und Gonophoren ist von Weismann ^ naher erforscht und ') "Weismann, op, cit. p. 177. 428 Johannes Thallwitz, geschildert worden. Die primaren Hodenanlagen liegen in den obersten Stammgliedern , im AUgemeinen dem Alter nach ange- ordnet, die jiingereii vveiter oben, die iilteren weiter uiiten. Ueber ibnen entsteht die sog. Ektoderndvuppe , welcbc den Anfang der Gonangienbildung bezeichnet. Die Keimzellen sind plasmareiche, lebhafter tingirbare Zellen specifisclien Characters, ibr wohlcon- tourirter Kern zeigt ein deutlich bervortretendes K(>rnkorperchen; der ausseren Form nach zu scbbessen, sind sie zu dieser Zeit lebbaft amoboid. Trntzdem sie sich scbon im Conosarc stetig ver- mehren, nebmen sie vorerst nidit an Grosse ab. Wiihrend der Bildung des Gonangiums wandern die Keimzellen mit in dasselbe ein und sammeln sich an einer Stelle des Gonangiums wieder an, an der sich nun bald das Gonophor bildet. Scbon im Beginn der Gonopborenbilduiig wandern die Spermatoblasten ins Ektoderm aus (vergl. Weismann). In den jungen Gonophoren behalten die Keimzellen ihre amoboide Bevveglichkeit bei , sie haben ibr Aus- scben und namentlich das ihrer Kerne noch nicbt wesentlich ver- iindert, doch biissen sie bei der weiteren Vermchrung nach und nach an Grosse ein. Zu gewisser Zeit treten die Spermatoblasten in jenes Stadium ein, auf wclcbem ibre Kerne den Farl)stoflf be- gierig aufnehmen. Sodann gcben sie in rascher Vermehrung, von welcber der ganze Hodeninhalt melir oder minder gleicbmassig ergriffen vvird, kleinen Spermatoblasten den Ursprung, vvelche schliesslich die Spermatozoenbildung veranlassen. Die Kopfchen scbeinen bier eine mebr rundhcbe Form beizubehalten, wenigstens konnte ich langgestreckte oder biskuitformig gescbniirte auf den durchmusterten Praparaten nicht zu Gesicht bekoramen. Verscbiedenen Stadien nach zu urtbeilen, die mir auf Prapa- raten von P 1 u m u 1 a r i a h a 1 e c i o i d e s zu Gebote standen, schliesst sich diese Art in Bezug auf die Entwicklung der nuinnlichen Keimzellen eng an die vorige an. Groiiothyraea LoTciii. Gonotbyraea producirt in ihren Gonangien keine frei werden- den Medusen, sondern sog. Meconidien, d. h. festsitzende Medu- sen , in denen sich die Geschlechtsstoffe entwickeln. Audi sie wurde von Weismann') auf die Herkunft der Keimzellen unter- sucht. Er gelangte beziiglicb der mannlicben Geschlechtszellen zu dem Resultate, dass dieselben im Conosarc des Stockes, und 1) Weismann, op. cit. p. 137. TJeber die Entwicklung d. mannl. Keimzellen u. s. w. 429 zwar im Entoderm sich differenziren , spater aber in den ekto- (lermalen Glockenkern einwandcrn. Die Keimzone Hegt ini Ento- derm des Zweiges unterhalb der Knospungsstelle eines Gonangiums, aber die Keimzellen entstelien auch hier jedenfalls aus eingewan- derten Ektodermelementen, Die histologische Entwicklung des Samens wurde von Weismann nicht niiher erforscht. Ich fand, dass die primaren Spermatoblasten , so lange sic noch im Entoderm der Zweige und des Dlastostyls junger Gonan- gien liegen, ungetalir denselben Anblick darbieten, wie die jiing- sten, noch im Conosarc befindlichen Keimzellen der von mir ge- nauer iintersuchten Campaniilarien. Sie sind plasmareich mit wohl contourirtem Kern und einfacliem Kernkcirperchen. Ihre Beschaffen- heit deutet darauf bin , dass sie amoboid beweglich sind und im Stocke aufwarts wandern. Eine Vermehrung der Keimzellen muss bereits im Conosarc stattfinden, im Entoderm des Blastostyls er- scheinen dieselben schon ein wenig kleiner. Auch in der jungen Gonophorenanlage befinden sich die Spermatoblasten vorerst noch im Entoderm, dann aber wandern sie, wie dies von Weismann eingehender geschildert wurde, in den Glockenkern ein. In den Hoden der Gonophoren jiingerer Gonangien, oder in den jiingsten Hoden alterer Gonangien zeigen die Keimzellen noch dasselbe Aussehen und dieselbe Kernbeschaffenheit , wie im Entoderm des Blastostyls. Amoboid bleiben sie auch noch im Hoden. Betrach- ten und vergleichen wir weiter herangewachsene Gonophoren, so zeigt sich, dass das Spermarium an Volumen zunimmt, wiihrend die Keimzellen trotz starker Vermehrung nur ganz allmiilig (mu wenig an Grosse einbiissen. Ihre Beschaffenheit iindert sich dabei nicht wesentlich. Auf alteren Hoden aber uben die Spermato- blastkerne auch hier jene starkere Anziehung auf Earhstoffe aus, wie wir dies bei anderen Formen kennen gelernt haben. Kern- figuren, welche auf indirecte Theilung hinweisen, sind in verschie- denen Gonophoren zu finden. In den Gonophoren, welche dem distalen Ende des Blastostyls naher stehen , bemerken wir den Hodeninhalt aus kleinen Spermatoblasten mit dunkeln Kernen und farblosem Protoplasma bestehend. An die Spitze des Gonangiums geruckte Meconidien kamen mir auf den Schnitten nicht zu Ge- sicht, und ich habe daher auch ganz reife Spermatozo(;n nicht erblickt. Dieselben wurden jedoch von Bergh') abgobildet und ^) Beegh, Studieu iiber die erste Entwicklung des Eies von Gonothyraea Loveni. Morphol. Jahrbuch, Bd. V, 1879, Tafel IV, Fig. 22. 430 Johannes Thallwitz, besteheu aus eineni Filament mit biskuitformig geschniirten Kopf- chen, ahnlich deiien der von mir eingehentler geschilderten Canipa- nularien. Auf den alteren Gonophoren von Gonothyraea ist eine feine Strahlung ini Hoden sichtbar, welche, wie bei Campanularia, von der Stiitzlamelle ausgeht. Mit ausnabmsweise zwittrigen Stocken bat uns Weismann be- kanut gemacht. Cladocorjnie floccosa. Die mannlicben Gescblechtszellen dieser Coryuide entstehen, wie Weismann berichtet, aus einera ektodermalen Glockenkern. Auf den jiingern Gonophoren zeigen die Spermatoblasten Kerne rait einem deutlicb gegen die hellere Kernsubstanz abgesetzten Kernkorperchen. Spater, wenn Gonophor und Hoden berange- wacbsen sind, erscheinen auch bier die Kerne der Keimzellen leb- baft dunkel gefarbt, wiibrend das Protoplasma von da ab die Fiibigkeit verliert, Farbstoff'e anzunebmen. Diese Spermatoblasten geben nun kleineren Zellen den Ursprung, welche ibrerseits in die Bildung von Spermatozoen eingeben. Beiderlei Keimzellen, die grosseren und ibre kleineren Abkommlinge, kann man zuweilen in einem Gonophor bei einander trelfen. Verdicbtungsvorgange scheinen auch bier, wie fast immer, in geringem Maasse bei der Kopfchenbildung mit ins Spiel zu kommen , wenigstens sind die Kerne der der Peripherie des Spermariums naber liegenden Zell- chen fast immer ein klein wenig kleiner und intensiver gefarbt, ohne dass sich aber liierin eine schiirfere Grenze zu den unter- liegenden Partieen des fast reifen Hodens bemerken Hesse. In dem der Peripherie geniiherten Tbeile der reifern Hodenmasse geht schon die Umbildung der Kerne in die zapfen- oder birnfor- niigen Kopfchen vor sich, deren einseitigen Protoplasmasaum man hie und da fadenformig ausgezogen sieht. Eudeiidrium capillare. Die Gonophoren von Eudendrium sprossen am Ende von be- sonderen Blastostylen hervor. In jedem Gonophor bilden sich nach einander drei bis vier in Abstanden hintereinander gelegene Hoden, die alle, mit Ausnabme des an der Spitze stehenden ersten Hodens, vom Entodermscblauch durchsetzt werden. Dieser ist durch die Stiitzlamelle gegen die Spermarien abgegrcnzt. Die Losung der Frage nach der Entstehung der miinnlichen Keim- zellen wurdc von Weismann bei einer anderen Art, Eudendrium Ueber die Entwicklung d. mannl. Keimzellen u. s. w. 431 racemosum, in Angriff genommen. Ich beschranke mich hier auf (lessen Darstellung zu verweisen ^). Die Durchsicht der Praparate von Eudendrium capillare lehrte mich, dass die Spermatoblasten dieser Art eine ganz ahnliche lii- stologische Entwicklung, wie die der iibrigen bisher besprochenen Hydroideen durchlaufen. Die Keimzollen der jungeren Hoden zeigen einen wohlgefarbteu Protoplasmakorper mit hellerem Kern und ziemlich grossem, scharf hervortretendem Kernkorperchen, Spiiter treten die Spermatoblasten in ein Stadium ein, in welchem sich die Kerne ziemlich gleichmassig dunkel fiirben, und ein Unter- schied zwischen Kernkorperchen und hellerer Kernsubstanz nicht mehr nachzuweisen ist. Das Protoplasma bleibt nun ungetarbt. Zuweilen findet man in einem Hoden beiderlei Kernzustande neben einander, wenn der Hoden im Begriff war, von einem Stadium in das andere uberzugehen, desgleichen Kerne von marmorirteni Aus- sehen , welche den Uebergang vermitteln. Man sieht dabei auch, dass mit der chemischen Umwandlung der Kernsubstanz eine ge- ringe Verdichtung Hand in Hand geht, die dunkeln Kerne er- scheinen ein klein wenig kleiner, als die hellen (letztere messen auf solchen Hoden 0,0038, erstere 0,0030 Mm.). Auf weiter entwickelten Hoden, nachdem die Spermatoblast- kerne jene Veranderung durchgemacht haben, bemerkt man neben den dunkeln Kernen zuweilen auch noch scheinbar multinucleolare Zustande derselben. Dieser Verlust der Homogenitat der Kerne diirfte ahnlich wie bei Campanularia mit der erneuten Theilung, welche die Spermabildung einleitet, in Zusammeuliang stehen, und die scheinbaren Nucleolen diirften verbackenen Fadenbildungen entsprechen. In der That bemerkt man oft gestreckte und ge- bogene Gebilde darunter, und sodann findet man hier hiiufig Kern- theilungsfiguren, namentlich jene auffallenden Pol- und Aequato- rialfiguren. Bei der weiteren lebhaften Vermehrung der Sperma- toblasten resultiren kleinere Keimzellen mit kleincn dunkeln Ker- nen, welche spater die Spermatozoen liefern, indem sich ihr Kern zu dem Kopfchen, der Protoplasmasaum dagegen zum fadenfor- migen Schwanzfortsatz ausbildet. Besonders sind es die am in- tensivsten gefarbten kleincn Kerne auf reiferen Spermarien, die sich bereits ein wenig gestreckt und geschniirt haben und bei denen ein fadenformiger Schwanzfortsatz wahrzunehmen ist. ^) "Weismann, op. cit. p. 107. 432 Johannes Thallwitz, Hydraetinia ecMnata. Hydractinia echinata wurde gleichfalls von Weismann auf die Entstehungder Sexualzellen eingehend untersucht und beschriebeii *). Obwohl dieselbe medusoide Gonophoren erzeugt, deren Bildung durch einen ektodermalen Glockeiikern verraittelt wird, so stellt doch hier, wie der geiiannte Forscher nachgevviesen hat, weder im weiblichen noch im manulichen Geschlecht der Glockenkern die Geschlechts- anlage dar, beiderlei Geschlechtszellen difFerenziren sich vielmehr im Entoderm des Blastostyls und wandern erst nachtraglich in die Knospe und deren Glockenkern ein. So lange die Keimzellen noch im Entoderm des Blastostyls und der Knospe liegen, zeigen sie einen wohl tingirbaren Protoplasmakorper , ihr Kern besitzt anfangs ein grosseres, deutlich hervortretendes Kernkorperchen. Einige wenige von ihnen aber besitzen Kerne, welche an jene an- scheinend multinucleoliiren Kernzustande erinnern, und man darf wohl annehmen, dass die Keimzellen bereits im Entoderm in Ver- mehrung begriffen sind. In der That liesse schon die Menge der- selben darauf schliessen. In jungen Hoden, in denen die Sperma- toblasten ins Ektoderm ubergetreten sind, nehmen die Keimzellen trotz ihrer lebhaften Vermehrung vorerst nicht an Grosse ab, bei der weiteren Entwicklung und Volumenvergrosserung des Sperma- riums aber biissen sie nach und nach, doch ganz allmalig, etwas an Grosse ein. Ihre sonstige Beschaffenheit verandern sie indess vorliiufig nicht weiter, abgesehen davon, dass man hie und da im Hoden Kernzustande antrifft, welche an Theilung erinnern. Von Kernfiguren sind es auch hier Pol- und Aequatorialfiguren, welche man als am augenfalligsten am meisten findet. Spater machen die Kerne der Spermatoblasten eine Umwandlung ihrer Substanz durch, welche sie lebhaft dunkel tingirt erscheinen lasst. Auch auf solchen Spermarien lassen sich Anzeichen von Theilung auf- finden. Diesmal nimmt der ganze Hodeninhalt ziemlich gleich- massig an der ferneren Vermehrung Theil, die mit betrachthcher Verkleinerung der Spermatoblasten verkniipft ist. Dieselben stellen nunmehr kleine Zellchen mit hellem, ungefarbtem Protoplasma und dunklem Kern vor. Die Theilung muss sehr rasch hinter einander ablaufen, denn man triJBft selten Hoden, welche noch beiderlei Spermatoblasten enthalten. Die kleinen Keimzellchen bilden sich spater zu den Spermatozoen um, man sieht auf reiferen Gono- 1) op. cit. p. 73. Ueber die Entwicklung d. mannl. Keimzellen u. s. w. 433 phoren schon einen Schwanzfortsatz von ihrem Protoplasma aus- gehen. Ganz reife Hoden init Spermatozoeninhalt habe icli nicht erblickt, vielleicht wird das Sperma alsbald nach der Reife ent- leert. Schlussbetrachlung. Die Darstellungen, welche ich in vorliegender Arbeit iiber die Spermatogenese der Hydroideen gegeben habe, weicben von den Schilderungen anderer Autoren in einigen wesentlichen Punkten ab. Im Gegensatz zu Korotnefp und Bergh faud ich, dass die Kopfchen der Spermatozoen aus den Kernen der ehemaligen Sper- matoblasten hervorgehen , nicht aber unabhangig von jenen ent- stehen. Die friiher verbreitete Meinung, dass der Spermakern voni Protoplasma geliefert wiirde , ist wohl jetzt allgemein aufgegeben, diesbeziigliche Angaben haben sich bisher immer als nicht ganz stichhaltig erwiesen. Freie Kopfchenbildung im Plasma der Mut- terzelle ist bei der Spermatogenese noch nirgends mit voller Sicherheit beobachtet worden^). Die Kerne der Spermato- blasten betheiligen sich denn auch bei den Hydroi- deen an der Bildung der Spermatozoenkopfenden. Vielfach in Widerspruch befinden sich meine Angaben mit der neuerdings erschienenen, hier mehrfach erwahnten Abhandlung von DE Varenne. Derselbe legt, wie bereits in der Einleitung dargethan wurde, besonderes Gewicht auf die Angabe, dass die Kerne der Keimzellen sich wahrend der Entwicklung dieser nicht weiter veranderten. „Dans toute la duree du developpement des spermatozoides , en prenant la cellule mere des son d6but, le noyau n'a pas change." Aus meiner Darstellung wird zur Geniige hervorgehen, dass diese Behauptung keineswegs zu- treffend ist, Der Kern erleidet vielmehr mannigfache Veran- derungen, ehe er in die Bildung des Kopfchens eingeht, Veran- derungen, die zum Theil schon durch die Vermehrung der Sper- matoblasten gegeben sind oder auf der Umbildung des Kernes der zuletzt resultirenden kleinen Samenbildner zum Kopfchen des Spermatozoons beruhen, Aber auch in Bezug auf seine Substanz *) So hat NussBAUM neuerdings den Beobachtuugen Metschni- koff's und Grobben's beim Flusskrebs eine audere Deutuug zu gebcu versucht, darnach wurdeu auch hier die Kerue der Spermamutter- zelleu an der Kopfchenbildung theiluehmen. Nussbaum, Ueber die Yeranderung der Geschlechtsproducte bis zur Eifurchung, p. 205. Bd. XVIII. N. F. XI. 28 434 Johannes Thallwitz, erleidet, wie ich zeigte, der Kern Veninderungen und Umbildungen. Nach DE Varenne sollen die Kerne der Spermamutterzellen im Verlauf der Keimzellenentwicklung sogar ihr Volumen nicht andern, indessen sind die Kopfclien der Spermatozoen sehr klein zu neu- nen im Vergleich zu den Kernen der jiingeren Spermatoblasten (vergl. Taf. XII, Fig. 4, 12 etc.). Sodann schildert jener die Spermamutterzellen der Hydroideen als mehrkernige Gebilde. Dem kann ich wiederum nicht beistimmen. Die Spermato- blasten besitzen von Anfang an den Character individualisirter einkeruiger Zellen und behalteu deuselben bei ihrer Vermeh- rung im Hoden bei. Diese Zellen zeigen bei manchen Formen eine grosse Selbststandigkeit, die sie anfangs nicht selten zur Aus- fiihrung von Wanderungen befahigt (Taf. XII Fig. 1, 2 etc.). Auch spater in den Spermarien zeigen sie vielfach noch selbststandige Beweglichkeit (Fig. 4 a u. 6 etc.), wahrend sie bei andern Formen dieselbe wenigstens auf den alteren Stadien annehmen diirften. Mehrkernige (und dann bei weitem am haufigsten nur zweikernige) Spermatoblasten kommen bei den Hydroideen nur ganz ausnahms- weise vor und sind wohl als aus irgend welcher Ursache nicht vollig durchgefiihrte Theilungsvorgiinge aufzufassen. In dem oft citirteu Werke beschreibt allerdings auch Weismann bei der Gat- tung Corydendrium mehrkernige Spermatoblasten. Jeder Sperma- toblast soli schliesslich zu einer grossen , pyramidenformigen, viele Kerne enthaltenden Riesenzelle heranvvachsen. Weismann hat jedoch spater auch hier Zellgrenzen gesehen, und ich konnte solche gleichfalls auf meinen Priiparaten von Corydendrium be- merken, wenngleich dieselben hier schwieriger wahrzunehmen sind, als bei vielen andern Formen ^). Jede mannliche Keimzelle ist eine einzelne Zelle mit gesondertem Protoplasraakorper und Kern (vergl. z. B. Taf. XII Fig. 4). Die Aehnlichkeit der primaren miinnlichen Keimzellen mit jugendlichen weiblichen Keimzellen, wie sie bei den Hydroideen haufig sehr auffallt (Pennaria, Tubu- laria etc.), scheint im Thierreich weit verbreitet zu sein und gilt ja auch nach den Berichten La Valette St. George's ^) und auderer fiir die hoheren Metazoen. ^) Die Absicht, Corydendrium parasiticum in den Kreis meiner specielleren Untersuchungeu zu zieheu , musste ich wieder aufgebeu, da die Stocke, welche mir vorlagen , fast alle die gleicheu Eutwick- hmgsstadien zeigteu. Corydendrium hat niimlicli die Eigenthiimlich- keit, dass die Gouophoren eines Stockes sich sammtlich auf uahezu derselben Entwif.klungsstufe befinden. ^) Archiv fiir mikroskop. Anatomic. Bd. XV, p. 308. Ueber die Entwicklung d. mjinnl. Keimzellen u. s. w. 435 Der Verlauf der Spermatogenese ist bei sammtlichen von mir untersuchten Hydroideen etwa folgendcr: „Die primaren Spermatoblasteii, welche sich aus den Urkeim- zellen diflferenzirt haben und sich gewohnlich von Anfang an durch characteristisches Verhalten gegen die Reagentien, sowie durch Plasmareichthum und scharfe Kerncontouren auszeichnen, vermeh- ren sich eine Zeit lang, ohne erheblich an Grosse abzunehmen i). Wenn aber bei ihrer bedeutenden Vermehrung eine Grossenab- nahme eintritt, geschieht sie vorerst nur ganz allmalig, so lange die Vermehrung der Keimzellen den Zweck hat, das Volumen des Spennariums zu vergrossern , d. h. so lange der Hoden wachst. Der Protoplasraareichthum der Keimzellen geht dabei verloren. Der Protoplasmakorper verringert sich im Verhaltniss zur Grosse des Kerns immer mehr, so dass es auf entwickelten Hoden zu- vveilen den Anschein hat, als sei derselbe fast nur mit Kernen prall gefiillt. Immer aber ist noch ein sparlicher Protoplasma- korper der Keimzelle nachzuweisen, wie sich auch die Umgrenzung der Zelle constatiren lasst (Zellen mit zwei Kernen siud, wie er- wahnt, seltene Ausnahmen). Spater machen die Spermatoblasten eine Umwandlung ihrer Substanz durch, welche darin zum Aus- druck kommt, dass der Kern lebhafte Anziehung auf die Farb- stoflfe auszuiiben beginnt, sodass ein Kernkorperchen, welches sonst gegen die iibrige hellere Substanz des Kernes wohl abgesetzt er- schien, nicht mehr unterscheidbar ist, sondern der ganze Kern den Farbstoff begierig aufnimmt und vollig homogen erscheint. Eine geringe Verdichtung desselben dtirfte hierbei mit in Betracht kommen. Dieser Umwandlungsprozess geht aus vom Kerngeriist, das sich vorher nach der Membran zuriickzieht. Er wurde in seinen Einzelheiten bei Tubularia geschildert (p. 418 u. Taf. XIV, Fig. 41). In anderen Fallen, wo derselbe weniger gut erkennbar ist, zeigen die Kerne vor der Umwandlung ein grobgranulirtes Aussehen, indem man namentlich an der Membran des Kernes Chroraatinkliimpchen auftreten sieht, die an Ausdehnung gewinnen, bis sich schliesslich der ganze Kern gleichmassig farbt. Zu gleicher Zeit verandert sich das Protoplasma der Keimzelle und verliert seine bisherige Tinktionsfahigkeit. Moglich, dass beiderlei Um- ^) Es miissen also in dieser Zeit die bei der Theilung resulti- renden Tochterzellen bald wieder die Grosse ihrer Mutterzellen er- reichen, wie seiches ja auch anderweitig der Fall ist. (Siehe Flem- MTNG, Zellsubstanz, Kern und Zelltheilung , p. 241 u. 242. 28* 436 Johannes Thallwitz, wandlungsprozesse in causalem Zusammenhange stehen, und dass Substanz vom Protoplasma her an den Kern abgegeben wird, die dort gewisse cheniische Umsetzungen erleidet, wie solches auch anderwarts schon fiir das Wachsthuni der Kerne und Kerngeriiste in Anspruch genommen worden^). Jene Eigenschaften von Protoplasma und Kern characterisiren auch die aus der weiteren Vermehrung hervorgehenden kleineren Spermatoblasten. Bei dieser Vermehrung, von welcher entweder der ganze Hoden oder doch grossere Partieen der Keimzellen, sei es gieichzeitig, sei es sehr rasch hintereinander, erfasst werden, und welche die Einleitung zur Spermaproduction biklet, verkleinern sich die Keimzellen im Gegensatz zu friiher erheblich ''). Die aus diesen Theilungen resultirenden kleinen Samenbildner liefern die Spermatozoen durch Unibilduug ihrer Kerne zu Kopfchen und Streckung ihres vorerst sich mehr einseitig lagernden Protoplas- mas zu Schwanzfaden. Die Spermatozoenkopfchen besitzen ge- wohnlich ein starkes Lichtbrechungsvermogsn , welches sich Hand in Hand mit der Umbildung der kleinen Spermatoblastkerne zu Kopfchen starker zu erkennen giebt. Die Kerntheilung der Keimzellen verlauft iiberall auf dem Wege der sog. indirecten Theilung; dieselbe konnte fiir alle Ent- wicklungsphasen constatirt werden , bei denen iiberhaupt Thei- lung zu erwarten ist (s. Campanularia etc.) und wurde bei alien von mir darauf untersuchten Gattungen und Arten angetroffen," Obwohl ich bei der Beurtheilung bezuglich des Vorkommens indirecter Theilung nur solche Bilder beriicksichtigt habe, welche zweifellos als Kernfiguren zu deuten sind (Taf. XH Fig. 6, 14 etc. etc.), so habe ich doch bei manchen Arten gesehen, dass die indirecte Theilung hiiufig genug vorkoninit, um die Annahme eines anderen Theilungsmodus vollkommen iiberfliissig erscheinen zu lassen. Ich habe aber guten Grund, anzunehmen, dass Theilungszustiinde noch haufiger zu constatireu sein wiirden, wenn nicht die Kleinheit der 1) Flemming, Zellsubstanz, Kern und Zelltheilung, p. 241, letzter Abschnitt. 2) Die Grossenabnahnie der Keimzellen wahrend des Wachsthums der Hodenmasse , ehe dieselben die geschilderte Umbildung eingehen, kann , wie z. B. die Vergleichung der Masse bei Campanularia er- giebt, imraerhiu zieralich betrachtlich sein; doch ist sie keine pldtz- liche, souderu eine allmalige, wahrend spater, sobald die Einleitung zur Spermaproduction beginnt , die Keimzellen sich plotzlich auf- fallend verkleinern. Ueber die Entwicklung d. raiinnl. Keimzellen u. s. w. 437 Kerne eine Diagnose vielfach unsicher machte. Von anscheinend multinucleolaren Kernzustiinden , die auf manchen Hoden hochst wahrscheinlich auch zur Kerntheilung in Beziehung zu bringen sind, will ich deshalb hier gleichfalls absehen; auch ohne ihre Berucksichtigung ist das allgenieine Vorkommen indirecter Thei- lungen sicher gestellt. Die Keimzellen konnen sich bereits auf diesem Wege vermehreu, ehe sie iiberhaupt noch in die Geschlechts- personen eingetreten sind. Fiir die Annahme noch eines anderen Kerntheilungsmodus bei der Vermehrung der Spermatoblasten als der indirecten Kerntheilung, wie wir sie sonst kennen, fehlen hier directe Beweise. Bilder, welche an die von La Valette und anderen geschilderte maulbeerformige Kerntheilung erinnerten, habe ich in keinem einzigen Falle gesehen, Dagegen sind mir zuweilen langgestreckte und dabei seitlich geschnurte Kerne zu Gesicht ge- kommen, ohne dass dieselben irgend eine substantielle Anordnung zeigten, welche an das Bild einer Kernfigur gemahnt hatte. Wie Flemming 1) hervorgehoben, sind solche Kerne aber noch keines- wegs fiir die Annahme directer Kernzerschniirung beweisend. So lange die Verfolgung des Theilungsvorganges bei Kernformen, welche als Vorkommnisse von anderweitiger Theilung zu deuten versucht wurden, immer nur ein negatives Resultat ergiebt, er- scheint auch die Annahme gerechtfertigt , die indirecte Theilung, wie sie ihrem Verlaufe nach bisher bekannt geworden, als bestan- digen und einzigen Theilungsmodus bei der Spermatogenese iiber- haupt zu betrachten, denn sie ist es, welche bis jetzt mit Sicher- heit iiberall nachgewiesen wurde, wo die Vorgtinge der Spermato- genese genauer verfolgt werden konnten. Maulbeerformige Kerne habe ich bei den Hydroideen nie finden konnen. Die Gestalt der Spermatozoenkopfchen ist bei den verschie- denen von mir untersuchten Formen nicht ganz die gleiche. Die Samenfaden der einen Hydroideen besitzen ziemlich langgestreckte stabformige (Sertularella) oder seitlich eingeschniirte (Campanu- laria etc. Taf. XII Fig. 4) Kopfchen, bei anderen erscheinen die- selben gedrungener und sind mehr birnformig gestaltet (Clava, Tubularia etc. Taf. XIII Fig. 28 6 und Taf. XIV Fig. 42 d). In der Form der Sperniatozoen finden sich indessen auch bei anderen einander nahestehenden Thiergruppen mancherlei Variationen. Die- selbe wird wohl immer von den specielleren Geschlechtsverhalt- nissen der betreffenden Gattung oder Art, der Beschatfenheit der ^) Flemming, Zellsubstanz , Kern- und Zelltheilung. 438 Johannes Thallwitz, Eier oder Eihiillen etc. etc. mit abhiingig sein, wenn wir auch freilich nicht ini Stande sind, fur bestimmte Forrnen bestimmte Bedingungen anzugeben. Die Hodenmasse ist bei Hydroideeu, vvelche sessile Gonopho- ren hervorbringeii , ausserordentlich voluminos. Wir sahen, dass es bei niedusoiden Gonophoren zu einer oft vollstandigen Aus- fiilluiig und Verdrangung der Glockenhohle durch das machtig entwickelte Sperniarium konimt. Die Zahl der Spermatozoeii, welche ein Goiiophor liefert, ist demnach eine sehr grosse. Auch diese ist ja abhaugig von den Befruchtungsverhaltnissen des Thie- res, und die grosse Menge des Spermas braucht uns bei den fest- sitzenden Formen nicht Wunder zu nehmen. Die Sperniatozoen derselben werden in das unigebende Seewasser entleert und dtirf- ten dort in grosser Zahl zu Grunde gehen, ohne ihrem eigent- lichen Zwecke dienstbai' zu werden. Die allermeisten Hydroid- stocke sind diocisch, niannliche und weibliche Geschlechtsindivi- duen halten sich also keineswegs in unmittelbarer Nahe auf. Die Schwierigkeiten, welche sich deni Zusammentreffen der Sperniato- zoen und Eier in den Weg stellen, werden durch die riesige Zahl der ersteren compensirt. Die Spermatozoen und schon die kleioen Spermatoblasten des reiferen Hodens zeigen fast inimer eine bestimmte Anordnung und liegen entweder zu Ketten oder doch sonst in raehr oder minder regelmassigen Ziigen oder Gruppen geordnet. An der Peripherie reift der Hoden gewohnlich am friihesten (Tubularia — vergl. Taf. XIV Fig. 35 u. f. — Clava etc.) ^). Die Kopfchen schei- nen haufig der Peripherie zugewendet zu sein , bei Sertularella jedoch sind dieselben um Maschen eines Stromas gruppirt. Ein solches Stroma, sei es je nach Bau und Lage des Hodens ekto- dermaler oder entodermaler Natur, erscheint vielfach verbreitet, wenn auch nicht uberall so machtig entwickelt, wie bei Sertula- rella. In manchen Fallen kommt eine den reiferen Hoden durch- setzende Strahlung der Stiitzlamelle zur Ausbildung, welche die Samenzellen in Gruppen abtheilt (Campanularia etc.) oder eine solche Gruppenbildung wird durch tiefe Einsenkung des Epithels erreicht (Corydendrium). Die Anwesenheit von Nesselzelleu im Hoden von Clava wurde 1) Fbaipont war bei Campularia angulata zu einer gegentheiligen Ausicht gelangt, doch zeigt die Durchmusterung von Schnitten die Richtigkeit meiuer Angaben. Ueber die Entwicklung d. maunl. Keimzellen u. s. w. 439 von Weismann zuerst beobachtet, er vennuthct darin cine Schutz- einrichtung gegen einen diese Art speciell bedrohcnden Parasiten. Das Experiment, welches er anstellte, spricht fiir diese Ver- muthung. Die UntersuchuDgen , deren Resultate ich in dieser Arbeit niedergelegt habe, mussten sich allerdings meistens auf Hydroid- formen beschranken, welche keine freischwimmenden Medusen her- vorbringen , allein sie erstrecken sich auf Arten der verschieden- sten Gattungen und Familien, und da alle, von geringen Unter- schieden abgesehen, im grossen Ganzen in Bezug auf den allge- meinen Verlauf der Spermatogenese ubereinstimmen, wie different auch zeitliche und ortliche Eutstehung der Geschlechtsprodukte, sowie Anlage und Bau der Gonaden bei den einzeluen Formen sein niogen, so darf ich wohl annehmen, dass sich erhebliche Ab- weichungen bei den freie Medusen erzeugenden Hydroideen nicht finden werden, und dass auch dort die niannlichen Keimzellen Entwicklungs- und Umbildungsphasen durchlaufen werden, welche sich mit denen der gonophorentragenden Hydroidformen paralleli- siren lassen, Weitere Untersuchungen werden dies lehren. Zum Schlusse dieser Arbeit, welche auf dem zoologischen Institut der Universitat Freiburg ausgefiihrt wurde, sei es mir gestattet, meinen hochverehrten Lehrern, Herrn Geh. Hofrath Prof. Dr. Weismann und Herrn Prof. Dr. Grubek fiir die Liebens- wurdigkeit, mit welcher sic mir jederzeit ihren Rath, sowie auch die Hilfsmittel des Instituts zur Verfiigung gestellt haben, meinen tief empfundenen Dank auszusprechen. Freiburg im Breisgau, Juli 1884. 440 Johannes Thallwitz, Tafelerklarung. ect= Ektoderm, e///=Entoderm, enll= Entodermlamelle, st = Stiitzlamelle, ps = Perisarc, Bezeichnungen: sp = Spadis, Glk = Glockenkern, 67// = Glockeiihohle, abii = Subumbrella, Ho = Hoden, Hep = Hodenepithel, G = Gonophor, Az = Keimzellen, epz = Epithelzellen, B = Blastostyl. Tafel XII. Carapanularia flexuosa. Fig. 1. Uuurschnitt durch ein Stammglied unterhalb eines jungen Gonangiums. Im Ektoderm liegen die primaren Keimzellen {/(z). Vergr. 460. Fig. 2. Das oberhalb dieses Stammgliedes liegende junge Go- nangium in seinem unteren Theilc dargestellt. Frimare Keimzellen {/fz) im Ektoderm des Blastostyls. Vergr. 460. Fig. 3. Langsschnitt durch ein alteres Gonangium, Hoden fast aller Stadien, unten die jiingsten, oben die altesten, enthaltend. JG = junges Gonophor, ec/' = specielle Gonophorenhiille, ect" = ge- meinsame Gonophorenhiille. Vergr. 150. Fig. 4. Spermatoblastzellen aus Hoden verschiedener Entwick- lungsstufen bei starker Vergrosserung dargestellt und Umwandlung der Kerne zu Kopfchen (g, /i, /). Vergr. 1000. Fig. 5. a Grdssere und kleinere Spermatoblasten eincs in der Weiterentwicklung begriffenen Hodens. b Durch Reagentien entstellte iSpermatoblasten eines alteren Hodens. Vergr. 930. Fig. 6. Kernfiguron und zweikernige Zellcn, erstere durch Al- koholwirkung geballt. a, b, e u. f Vergr. 1000, c u. d schwacher. Fig. 7. a Zweikernige Spermatoblasten alterer Hoden. b Kern- figuren aus einem alteren Hoden. Vergr. 1000. d Fadenknauel im Ueber die Entwicklung d. mannl. Keimzellen u. s. w. 441 Kern. Vergr. 1360. c Ebensolchc Kerno, dercn Kuiiuel uicht mthr mit Sicherheit als Bolchu erkennbar sind. Vergr. 1000. Fig. 8. a Spermatozoen. b Spormatoblasten, der Umwandluug zu Spermatozoen nahe. Vergr. 1000. Fig. 9. Peripherische Theile zweier Gonophoren, um die Liinge einzelner Zellen des gemeinsamen Gonophoreiiepithels (ect") zu zoigen. Opercularella lacerata. Fig. 10. Langsschnitt durch ein Stammglied, aut der einen Seite dargestellt. Keimzellen {kz) im Entoderm. Vergr. 450. Fig. 11. Juuges Gonangium, noch ohne Gonophor. Keimzellen {kz) im Entoderm. Vergr. 305. Fig, 1 2. Keimzellen verschiedener Entwicklungsstadien und reite Spermatozoen i^g, h). Vergr. 1000. Pennaria Cavolinii. Fig. 13. Junge Gonophorenknospe. Zellen des Glokenkernes noch indifferent. Vergr. 305. Fig. 14. Kernfiguren. Vergr. 1000. Tafel XIII. Pennaria Cavolinii. Fig. 15. Junge Knospe, Glockenhohle nicht mit getroffen. Die Elemente des Glockeukerns differeuziren sich in Epithelzellen {epz) und primare Keimzellen {kz). Vergr. 305. Fig. 16. Querschuitt durch eine weiter entwickelte Knospe. Der Hoden {Ho) hat sich gebildet. Vergr. 305. Fig. 17. Stiick eines erwachsenen Gonophors. In den Kernen der Keimzellen treten Chromatinballen auf. Vergr. 460. Fig. 18. a Stiick eines erwachsenen Gonophors. Die Keim- zellen haben eiue chemische Umwandlung erfahren , ihre Kerne (nur diese eingetragen) ziehen den Farbstoff lebhaft und gleichmaseig an. Vergr. 460. b Einzelne dieser Zellen stark vergrossert, Kerne gleich- massig dunkel, Protoplasmasaum farblos. Vergr. 1000. Fig. 19. Stiick eiues erwachsenen Gonophors. Hoden mit klei- uen Sperraatoblasten erfiillt (nur die Kerne eingetragen). Vergr. 460. Fig. 2 0. a Kleine Spermatoblasten eines alteren Hodens (siehe Fig. 19). b Spermatoblasten in die Spermabildung eingehend. c Sperma. Vergr. 1000. 442 Johannes Thallwitz, Clava squamata. Fig. 2 1. Junge Gonophorenknospe im Langsschnitt. Vergr. 305. Fig. 2 2. Junge Knospe. Die Zellen des Glockenkerns diffe- renziren sich in Keimzellen (kz) und Epithelzellen , welch letztere Subumbrellarepithel (sbu) und Hodenepithel (Hep) liefern. Vergr. 305. Fig. 2 3. Gonophor mit wohl entwickeltem Hoden ; Keimzellen haben schon an Grosse abgenommen. Vergr. 450. Fig. 24. Gonophor mit Hoden, dessen Spermatoblasten bereits eine chemische Umwandlung erfahren haben und dunkelgefarbte Kerne zeigen (nur diese eingetragen). An der Spitze senkt sich das Hoden- epithel gegen den Spadix ein. Vergr. 450. Fig. 2 5. a Spermatoblasten eines alteren Hodens, wie er dem Stadium der vorigen Figur enlspricht. /> Spermatoblasten des unmit- telbar vorhergehenden Stadiums , sie sind im BegriiF, die chemische Umwandlung einzugehen. Vergr. 930. Fig. 2 6. Stiick eines Hodens, dessen Spermatoblasten am Rande bereits kleineren Abkommlingen den Ursprung gegeben haben. Vergr. 450. Fig. 2 7. a Stiick eines alterea Hodens. Vergr. 460. h Kleine Spermatoblasten in kettenformigem Zusammenhang. c Kleine Sperma- toblasten. Vergr. 930. F i g. 2 8. a Die kleinen Spermatoblastkerne beginnen sich zu strecken und birnfdrmige Gestalt anzunehmen. Protoplasma zieht sich in die Lange. Z* Spermatozocn von Clava. Vergr. 1000. Fig. 2 9. a Knauel und anscheiuend multinucleolare Kerne. 6 Kerniiguren. Vergr. 1000. Tubularia meserabryanthemum. Fig. 3 0. Junge Knospe, Glockenkern noch solid. Vergr. 200. Fig. 3 1. Junge Knospe. Im Glockenkern tritt eine Glocken- hbhle auf (auf dem Schnitt nicht voUig gctroffen, sondern durch- scheinend). Vergr. 305. Fig. 3 2. Querschnitt einer jungen Knospe. Zellen des Glocken- kerns scheiden sich in Epithelzellen {cpz) und Keimzellen (^v), zwischen letzteren noch indifferente Glockenkernzellen (z). Vergr. 305. Fig. 3 3. Weiter entwickeltes Gonophor im Langsschnitt (Spadix nicht in der ganzen Lange getroffen). Hoden und sein Epithel haben sich gebildet. Zwischen Hodenepithel und Subumbrellarepithel sieht man Reste der Gloekenhohle. Vergr, 200. Ueber die Entwicklung d. mannl. Keimzellen n. s. w. 443 Tafel XIV. Tubularia ra esembry anthemu m. Fig. 3 4. Die Keirazellen gehen eine chemische Umwandlung ein. Dieselbe hat in der inneron Zone des Schnittes begonnen, die Kerne erscheinen dort grobgranulirt {kz) , in den ausseren Lagen ist sie voUendet, und die Kerne tingiren sich gleichmassig lebhaft (A's'). Vergr. 450. Fig. 3 5. Stiick eines Hodens. In der tieferen , dem Spadix naher liegenden Zone bemorkt man die grdsseren Spermatoblasten {/fz') mit den dunklen Kernen, in der iiussern Zone kleinere Keimzellen (kz"). Vergr. 450. Fig. 3 6. Stiick eines Hodens. Die innere Lage enthalt gleicli- falls noch grossere Spermatoblasten (kz), der iiussere Mantel bereits nahezu reife Spermatozoen (kz"). Fig. 3 7. Stiick eines Hodens, Keimzellen von dreierlei Grosse enthaltend {kz , kz", kz") , die kleinsten {kz") intensiv gefarbt und stark lichtbrechend. Fig. 3 8. Stiick eines Hodens mit dreierlei Keimzellen. Die innere Lage ist im BegrifF, ihre chemische Umwandlung zu vollenden, wiihrend die aussere bereits kleinen Spermatoblasten den Ursprung gegeben hat. Fig. 3 9. Stiick eines Hodens mit dreierlei Spermatoblasten. Der aussere Mantel der grosseren dunkelkernigen Spermatoblasten ist im BegrifF, in die nachstfolgende Entwicklungsphase einzugehen und kleineren Keimzellen den Ursprung zu geben , welche man schon gruppeuweise unter ihnen bemerkt {kz"). Fig. 4 0. Hoden mit dreierlei Spermatoblasten, welche zonal aufeinander folgen, die jungsten der Peripherie zunachst. Fig. 4 1. Umwandlung der Spermatoblastkerne. Zeiss -j'^ homo- gene Immersion. Fig. 4 2. Spermatoblasten reifender Hoden {a, b, r) und Sper- matozoen (d). Vergr. 690. Podocoryne came a. Fig. 43. Sehr junge Gonophorenknospe, aus Ektoderm und Ento- derm bestehend. Letzteres iiberall einschichtig. An der Spitze des Ektoderms eine Wucherung (fV) , welche den Anfang der Glocken- kernbildung bezeichnet. Vergr. 450. 444 Joh, Thallwitz, TJeb. d. Entwiokl. d. mannl. Keimzellen u. s. w. Fig. 4 4. Junge Knospe. Glockenkern und Glockenhohle haben sich gebildet. Entoderm iiberall einschichtig. Vergr. 450. Fig. 4 5. Etwas altere Knospe. Subumbrella beginnt sich. an- zulegen. Entoderm der ganzen Knospe einschichtig. Vergr. 450. Fig. 46. Manubrium einer Knospe. Am Ektodermiiberzug des- selben treten einige Zellen durch differente Beschaffenheit vor den ijbrigen hervor (Az), die kiinftigen Keimzellen. Die benachbarten Epithelzellen des vorerst noch einschichtigen Ektodermiiberzuges fangen schon an , die Keimstatte zu iiberwachsen {Hep). IV = Wucherung am distalen Ende des Spadix. Vergr. 460. Fig. 4 7. Knospe mit Hodenanlage (Ho) am proximalen Theile des Manubriums (Schnitt nicht genau interradial), welche vom Hoden- epithel {Hep) iiberzogen wird. Oc = Ocellarbulben. B = Ring- gefass. ms = Muskeln. v = Velum. Vergr. 460. Fig. 4 8. Etwas altere Knospe im Querschnitt, zur Halfte dar- gestellt. Hodenwiilste in den Interradien des Manubriums. / = Ten- takeln (eingestiilpt). /■ = Badiargefiiss. Vergr. 450. Frommann'scbe Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena. Anceus (Praniza) Torpedinis. n. sp. aus Ceylon. Von Dr. Alfred Walter, Assistent am zool. Institut zu Jena. Hierzu Tafel XV. Beim Bestimmen einiger von Prof. Haeckel aus Ceylon mit- gebrachter Selachier fand ich in den Spritzlochern eines Torpedo mehrere Exemplare eines Anceus (naturlich nur in der Jugend-. Praniza-Form). In Anbetracht des Fundortes und Wirthsthieres musste zur Feststellung der Art in erster Linie der von R. Kossmann im rothen Meere an Rhinobates halavi entdeckte Anceus Rliinobatis Kossm. beriicksichtigt werden. Dank der Liebensvviirdigkeit Prof. Kossmann's, der mir sein Werk: „Zoologische Ergebnisse einer Reise in die Klistengebiete des rothen Meeres" zuzusenden die Giite hatte, bin ich in den Stand gesetzt, einen genauen Vergleich mit der Beschreibung und den Abbildungen jener Form und den Exemplaren der mir vorliegenden durchzufuhren, wobei sich trotz grosser Aehnlichkeit immerhin eine Reihe von Verschiedenheiten herausstellte, die zur Begriindung einer neuen Art zu berechtigen scheinen, zumal ja liberhaupt die Species der Anceidae sich stets nur durch geringfiigige Verschiedenheiten trennen lassen, — Bei der Benennung folge ich deni in dieser Gruppe hiiufigen Gebrauch, den Speciesnamen vom Wirthsthiere zu entnehmen (man denke an: Anceus Rhinobatis, Cotti bubali, Surmuleti, Scombri). — Mit Anceus Rhinobatis Kossm., dem in der That unter alien bekaimten Formen unsere neue am nachsten steht, stimmt sie vor allem in der Zahl der freien Segmente iiberein. Wie bei jenem 446 Alfred Walter, ist das erste, das zweite Kieferfusspaar tragende Pereionsegment, durchaus selbstandig vom Kopfe abgegliedert und ebenso das siebente von unteii und oben erkennbar, Wie bei jener Form, be- sitzen das vierte und sechste Segment je drei Chitinstiicke unter der Intersegmentalhaut, nur ist das Mittelstiick derselben am vier- ten Segment nicht so vollkommen gerundet, sondern seine hintere Grenzlinie durch grossere Hohe des Ganzen nabezu gerade gewor- den. An dem gleichen Stiicke des sechsten Segmentes sind die mittleren Auszackungen bedeutend geringer, als bei Anceus Rhin., kaum kenntlich , und bei zwei Exemplaren geschwunden , so dass bei diesen sich eine seichte Bogenlinie findet. Die ovalen Sei- tenstiicke, welche den Pereiopoden die Einlenkestelle liefern, sind an meinem Thiere audi fur's vorletzte Pereiopoden- paar noch erhalten und stark entwickelt, wodurch Ein- kerbungen der Seiteuumrisse bedingt werden, die bei Betrachtung mit blossem Auge den Eindruck noch ziemlich vollkommener Seg- mentirung hervorrufen. Eine mittlere Chitinplatte ist an diesem Segmente nicht mehr nachweisbar. Weitere Unterschiede finden sich in den Anhangen der ver- schiedenen Gliedmassen (Antennen , der Mundtheile und des Tel- son), in der Form des Kopfschildes und in der Grosse des Thieres. Die Zahl und Form der Glieder an Schaft und Geissel der Antennen ist der bei Anceus Rhinob. gleich. Allein obgleich ich, nach der Grosse und Form der Facettenaugen , welche die ganze Kopfseite bedecken, zu urtheilen, nur m an n lie he Individuen vor mir habe, so ist doch die Behaarung der Schaftglieder beider Antennen nur ausserstschwach, bloss an stark gefarbten Exemplaren bei sehr starker Vergrosserung erkennbar und keineswegs sehr dicht. Auch lasst sie sich dann auf dieGlieder der Geissel verfolgen. Zudem besitzt jedes Schaftglied der vorderen Antenne an oder nahe seinem oberen Gelenke, neben einer oder zwei einfa- chen, noch eine bis vier starkeFiederborsten, die an der hinteren Antenne ebenfalls den drei Schaftglie- dern zukommen, hier am zweiten Gliede besonders stark sind. Die Geissel der vorderen Antenne endet mit einer sehr Ian- gen und vier bis fiinf kiirzeren Borsten. Jedes ihrer Glie- der besitzt dann an seinem oberen Ende einen un- dichten Kranz von einfachen Borsten, die an Lange stets das folgende Glied iibertreffen. Diese, wie die Fie- Anceus (Prauiza) Torpediuis. n. sp. aus Ceylou. 447 derborsten des Schaftes, sind fur Anceus Rhinobatis weder beschrie- beii noch abgebildet, demnach wohl fur meine Form charakteri- stisch. (Spence Bate ^ zeichnet sie an Praniza coeruleata, die in- des sonst hier gar nicht in Frage komrat). Die an den drei letzten Geisselgliedern der hinteren Antenne des Anceus Rliin. abgebildeten Riecbfaden, welche, wenn man Spence Bate vergleicht, wohl alien Arten zuzukommen scheinen, sind auch hier vorhanden , sitzen bei meiner Form aber nicht, wie Kossmann's Abbildunng an A, Rhin. zeigt, am zweiten und dritten Gliede von dessen oberem Ende abgeriickt, sondern gerade auf dem oberen Ge- lenkrande derselben. Das Endglied der Geissel triigt ausser dem Riechfaden und einer sehr langen feinen Borste, die auch Anc. Rhin. zukommt, noch zweibis drei kiirzere Borsten. Fine solche kommt auch dem zweiten und dritten Geissel- gliede z u. — Unter den Mundtheilen weichen die beiden Maxillenpaare von denen der bisher beschriebenen Formen ab. Die erste Maxille kann nicht wie die gleiche des Anc. Rhin. nach Kossmann mit einer Messerklinge verglichen werden , sondern nur etwa mit einem schwach gekriimmten und etwas zugespitzten Hohlmeissel. Mir scheint es nach ihrer Form nicht unwahrschein- lich, dass der scharfe Rand des freien Endes zum Eingraben in's Gewebe des Wirthes, die tiefe Hohlrinne zum Leiten der Nahr- fiiissigkeit dienen konnte. Die zweite Maxille, die bei Anc. Rhin. sich von demselben Organ des Anceus maxillaris. (deren Abbildung bei Doiirn''^) durch geringere Zahl und weiteres Auseinander- stehen der Zahne unterscheiden soil, besitzt bei meiner Form gerade eine grossere Zahl, 9, gegen 7 bei Anc. max. Unter ihnen sind nur die zwei oder drei letzten weit von den anderen und von einander abgeriickt, die oberen ungefahr so dicht ge- driingt, wie die der Mandibeln, ganz so dicht wie bei Anc. maxill., nach Dohrn's Zeichnung freilich auch hier nicht. Einer der obersten Zahne, der vierteoderfunfte, iststetszwei- zackig oder richtiger eckig. An den Mandibeln ziihle ich ^) On Praniza and Anceus and their Affinity to each, other. By C. Spence Bate, F. L. S. etc. in: The Annals and Magazin of Natural History. Third Series Yol. II 1858. 2) Untersuch. iiber Bau u. Entwicklung der Arthropoden. 4. Entwickl. u. Organisation von Praniza (Anceus) maxillaris. Zeit- schrift fiir wissenschaftl. Zoologie. Bd. XX. Leipzig 1870. p. .05 — 80. 448 Alfred Walter, nur neun Zaline, wahreiid Doiirn an der des Anc. maxill. elf abbildet. Audi am ersten Maxillarfuss finden sich einige Abweichun- gen. Die Aiisicht Kossmann's, dass von den drei Endiisten desselben der von Dohrn als Taster gedeutete mit einem der beiden ande- ren eine Zange bildet und daher wohl jene Deutung ausschliesst, muss ich durchaus tlieilen. Zugleich wird indes hier der Apparat noch weiter hochgradig complicirt. Der tasterartige Ast der Zange erreicht namlich selbst lange nicht die Spitze des anderen, sondern es setzt sich von ihm erst einefeineEnd- klaue ab, die gegen jenen trifft. Allein auch diese kommt noch nicht an's Ende des gegenstehendeu Astes heran. Wahrscheiulich zu ganz genauem Fassen stellt daher jener zweite Ast fiir sich schon ein feinstes Zangchen dar, indem sich an seiner Innenseite ebenfalls eine ganz feine Klaue ein- lenkt, die mit ihrer Spitze genau auf den Haken die- ses Zangenastes trifft. Mit der von Kossmann an Anc. Rhin, abgebildeten einen Borste eben dieses Astes ist sie keines- wegs zu verwechseln , da sie sich an der Innenseite, also an der Schneide, einlenkt und genau eine ebensolche Klaue darstellt, wie das Ende des tasterartigen Astes, welcher sie meist im geschlos- senen Zustande des ganzen verdeckt. Der Borstenbesatz jenes letzteren (tasterartigen) Endastes weicht ebenfalls bei meiner Form von der bei A. Rhin. und maxill. ab. Sechs Borsten entspringen hier in einer zusam- menhangenden Gruppe, ohne dass wie dort tiefcr nach unten noch einige folgten, und alle erscheinen stets hakenformig gekriimmt. Der Aussenrand dieses Astes ist dazu, wie bei Anc. max., fein behaart oder wenigstens gesagt. — Der weiter unten am Maxillarfuss I. entspringende Anhang, den Koss- mann wohl mit Recht als Taster ansieht (die Deutung des drit- ten Endastes bleibt dann allerdings schweben), weicht ebenfalls in seiner Form von dem des Anc. Rhin. ab, indem er, am freien Ende leicht keulenformig angeschwollen mehr dem gleichen Theile bei Anc. maxill. ahnelt. Andererseits aber stimmt er mit dem des Anc. Rhin. im Besitz einer Borste iiber- ein, die hier an Lange dem ganzen Gebilde nahezu gleichkommt und geisselformig geschwungen wenig starr erscheint. Auch das kleine Anhangsel an der Basis unseres Gebildes ist vorhanden, doch ist es verhiiltnissmassig 1 anger als bei Anc. max. und starker als bei Anc. Rhin. und endet mit einem rundlichen Knopfe, nicht hakenformig, wie bei Anceus (Praniza) Torpcdinis n. sp. aus Ceylon. 449 Anc. Rhin. Zu bemerkeu ist aber namentlich, dass bei mei- ner Form dieses letztere kleine Gebilde j edenfalls nicht, wie Kossmann und Dohrn es an ihrcii Formen abbilden, direkt vom Basaleude des langeu Anhanges entspringt, sondern erst dicht unter diesem von einer gesonderten Gelenkplatte, der auch jener Anhaug mit verbreiterter Basis aufsitzt. An den Pereiopoden , die bei Anc. Rhin. genau mit Dohrn's Abbildung einer dieser Extremitaten von Anc. max. ubereinstim- men sollen, finde ich einige Abweichungen im Borstenbesatze, die indes vielleicht bloss in geringer Beachtung derselben seitens der Autoren begriindet sind. Wahrend in den bisher vorliegenden Abbildungen nur Haare, einfache Borsten oder Dome und Fieder- borsten gezeichnet sind, finden sich an den Pereiopoden meiner Form ausser diesen noch: einseitig gefiederte; bloss an der aus- sersten Spitze und dann bald einseitig, bald beiderseitig gefiederte ; aussenseitig gefiederte — und innenseitig gezahnte; und endlich bloss einseitig gezahnte Borsten und Dome. — Fine regelmassige Abstufung dieser Formen bietet der Dorn dar, welcher am Beginn (d. h. dem der Spitze resp. Endklaue zugewandten Ende) des vor- letzten Gliedes eines jeden Pereiopods (mit Ausnahme des zweiten Maxillarfusses) innenseitig angebracht ist. Am ersten Pereiopoden- paare (das auf das zweite Maxillarfusspaar folgt), ist derselbe bei- derseitig gefiedert, nur nehmen an der Innenseite die Fiederhaarc nach der Basis des Dorns hin an Lange ab, so allmahlig zu fei- ner Zahnelung hinfiihrend. Am zweiten Paare findet sich der Dorn mit Fiederung bloss an der Spitze der Aussenseite, wahrend die Innenseite fein gezahnelt oder gesagt ist. An den drei fol- gendeu Paaren endlich ist der Dorn nur innenseitig gezahnt, an der Aussenseite vollig glatt. An der Basis der Endklaue jedes Pereiopods sitzen hier stets nur 2 Borsten gegen 4 bei Anc. max. (nach Dohrn). Kossmann's Ansicht, dass die von Dohrn zwischen dem vor- letzten und letzten Gliede gezeichnete und an sammtlichen Pereio- poden deutliche kleine Scheibe (resp. ein nicht geschlossener Chi- tinring) ein Saugnapf sei, mag ich nicht wohl beipflichten. Mir scheint dieselbe zum Mechanismus des Gelenkes zu gehoren, wel- ches fiir das klauentragende Endglied einer grossen Ausgiebigkeit bedarf. Der zweite Maxillarfuss besitzt daher diesen Ring an der Einlenkestelle der an ihm machtig starken und beweglichen Klaue an's Endglied. Ba. XVIII. N. F. XI. 29 450 Alfred Walter, Die Pleopoden stimmen mit denen anderer Formen iiberein. Wahrend aber nach Dohrn's Abbildung das Telson des Anc. max. auf seiner Rtickseite vollig borstenlos ist, bei Anc. Rhin. nacli KossMANN sich hier zwei Borsten finden, sind bei meiner Form deren vier vorhanden. Von diesen steheu zwei in der hinteren Halfte des Telson, weit auseinander dem Rande dessel- ben nahe, wohingegen die zwei anderen in der obercn Halfte nahe zusammengeriickt, zu beiden Seiten der Mittellangslinie angebracht sind. Am Kopfe weichen endlich von der Zeichnung Kossmann's des Anc. Rhin. die sehr stark vorspringenden Ecken der Stirnplatte, zwischen den An tennenbasen und dem Auge ab. Die Lange meiner grossten Exemplare betragt 6 mm, die der kleinsten immer noch iiber 5 mm, gegeu 4,5 der grossten von Anc. Rhin., die Kossmann gefunden. Die Farbung ist im Pereion , namentlich in dessen hinterem Theile intensiv kastanienbraun , vom durchschimmernden Inhalte der Leberschlauche herruhrend. Zum Schluss seien noch einige Worte iiber die Befestigungs- weise unserer Thiere am Wirthe gestattet. — Wie erwahnt, fand ich sammtliche Exemplare in den Spritzlochern eines Torpedo aus Ceylon, wahrend ich die Nasen- und Kienienspalten vergeblich danach durchsucht habe. Alle hingeu vollig frei im Raume der Spritzlocher , bloss mit dem Mundkegel in der Schleimhaut be- festigt. Und zwar scheint es mir nach Exemplaren, die ich mit kleinen Gewebsstiicken herauspraparirte, dass in der Ruhe einzig die gezahnten Mundtheile, vor allem die Mandibelu zum Festhal- ten verwandt werden, wahrend die mit Klauen bewahrten Beine viellcicht nur in Momenten in Nutzniessung gezogen werden, wo ein besonders starkes Anklammern noththut, beim Aufsuchen einer neuen Ansatzstelle u. s. w. Selbst das zweite Maxillarfusspaar scheint nicht direkt beim Anhaften betheiligt, da ich seine End- klaue meist umgeschlagen mit der Wolbung des Ruckens gegen die Schleimhaut des Spritzloches gestemmt fand. Freilich liegt ja hier eine Loslosung im Tode und die Moglichkeit einer da- durch bedingten nicht mehr ganz naturlichen Stellung nahe. Jena, 13. Oktober 1884. Anceus (Praniza) Torpedinis. n. sp. aus Ceylon. 451 Tafelerklarung. Fig. 1. (I Vordere Antenne i ., t> . , > • j > ihren Borstenbesatz zeigend. 0 Hintere Antenne | Fig. 2. Spitze der Maxille I. a Schrag auf die Hohlflache der Rinne. h Von der Seite gesehen. Vergr. 325. Fig. 3, Spitze der Maxille II. Verg. 325. z Ihr zweizackiger Zahn. Fig. 4. Spitze des Maxilliped. 1. Vergr. 325. Fig. 5. Erstes Maxillipedenpaar in natiirlicher Stellung von der Un- terseite gesehen. bgl Basalglied der Maxillipeden. a Grosser unterer Anhang (Taster?). g/j Gelenkplatte fiir letzteren und fur ein kleines Anhang- sel, das hier nicht sichtbar ist. Vergr. 75. Fig. 6. Untere Auhange des Maxilliped. I. Vergr. 325. a Grosser Anhang (Taster?). gib Geisselborste des Auhangs a. b Kleines Anhangsel. g;p Gelenkplatte fur beide unteren Auhange. Fig. 7. Telson mit seinen 4 Borsten. g Grenze der geraden Telsonmuskelbiindcl , durch welche die Lage des oberen Borstenpaares deutlich gemacht werden soil. 29 Ueber ein neues Gesetz der Variation. Von W. K. Brooks, John Hopkin's Universitat in Baltimore. Dr. Dosing hat in seiner interessanten und sehr gedanken- reichen Schrift ^ ) iiber die Gesetze , welche das Geschlecht regu- liren (Diese Zeitschrift XVI und XVII), viele Beweise daftir ge- geben , dass bei Menschen , Tieren und Pflanzen giinstige aussere Verhaltnisse ein Anwachsen in der Zahl der Geburten von weib- lichen Kindern verursachen, wahrend ungunstige aussere Verhalt- nisse ein Zunehmen der mannlichen Geburten bewirken. Sein Beweis scheint darzuthun, dass wir sein Resultat als eine wissenschaftliche Verallgemeinerung acceptieren miissen , und Jeder wird den sehr grossen Wert derselben anerkennen. Ich mochte indessen einige wenige Worte hinsichtlich ihrer Bedeutung sagen , denn ich glaube , dass sie nur ein Teil einer noch weiteren Verallgemeinerung ist und dass ihr eigentlicher Sinn nur erkannt werden kann, wenn sie als ein Teil eines noch funda- mentaleren Naturgesetzes angesehen wird. Wenn eine Species, welche unter gunstigen Bedingungen lebt, fahig ist zu prosperieren und sich zu vermehren mittelst der wenigen Mannchen oder, wie bei solchen Tieren und Pflanzen, die sich parthenogenetisch oder asexuell fortpflanzen, selbst ganz ohne Mannchen , so fragt es sich , warum die Mannchen niitzlich sein konnen, wenn die ausseren Umstande ungiinstig werden. Ich glaube, dass wir in diesem Umstand, der in DOsing's Schrift so wohl dargestellt ist, die durch natiirliche Zuchtwahl entwickelte Anpassung haben, dass eine Variation dann hervor- gebracht wird, wenn sie niitzlich ist. ^) Die RegulieruDg des Geschlechtsverhaltnisses bei der Vermeh- rung der Menschen , Tiere und PJlanzen von Dr. Karl Dusing. Mit einer Vorrede von W, Preter. Jena, Fischer 1884. Ueber ein ueues Gesetz der Variation. 453 Ich habe mittelst einer andern Beweisart zu zeigcn vorsucht, dass die beiden Geschlechtselemente bei alien hoheren Pflaiizen und den meisten Metazoen durch Arbeitsteiluug besondere Functionen erhalten haben : dass die mannliche Zelle die Variation verursacht, wiihrend das Ei die erblichen Charactere der Species ubertragt. Meine Griinde fur diesen Schluss, die vollstandig in einem Werk „Heredity" (Baltimore 1883) aufgestellt sind, lauten kurz wie folgt: 1. Die Homologie zwischen dem Ei und der mannlichen Zelle bietet keinen Grund zu glauben , dass ihre Funktionen jetzt dic- selben sind, denn die Homologie zeigt nur, dass sie in frttherer Zeit einmal die gleichen gewesen sind. 2. Die Moglichkeit der Parthenogenesis zeigt, dass das Ei alle Grundeigenschaften der Species iibertragen kann. 3. Das Studium der wechselseitigen Kreuzungen zeigt, dass das Ei und die mannliche Zelle nicht denselben Einfluss haben, und es giebt viele Griinde auzunehmen , dass das Ei die bereits befestigten Eigenschaften , die mannliche Zelle aber die neueren Modificatiouen ubertragt. 4. Wenn ein weiblicher Bastard gekreuzt wird mit einem Mannchen von den reinen Formen der Eltern, so sind die Kinder weniger variabel als jene, welche von einem reinen Weibchen ge- boren wurden, das mit einem mannlichen Bastard gekreuzt wurde. 5. Organismen , welche aus befruchteten Eiern oder Samen hervorgingen, sind viel mehr variabel als jene, welche ungeschlecht- lich producirt wurden , und die parthenogenetischen Bienen sind die am wenigsten variablen domesticierteu Tiere. 6. Eine Variation, welche zuorst in einem Mannchen er- scheint, hat viel mehr Wahrscheinlichkeit erblich zu werden als eine solche, welche zuerst in einem Weibchen erscheint. 7. Organe, welche auf die miinulichen Individuen beschrankt sind, Oder welche bei den Mannchen eine wichtigere Funktion haben als bei den Weibchen, sind viel mehr variabel als Organe, welche auf die Weibchen beschriiukt sind, oder Organe, welche bei den Weibchen eine grossere funktionelle Wichtigkeit haben als bei den Mannchen. 8. Durch das ganzo Tierreich hindurch finden wir mit wenigen Ausnahmen, dass iiberall, wo die Geschlechter getrennt und von einander verschieden sind, die Mannchen von verwandten Arten mehr von einander verschieden sind als die Weibchen und dass das erwachsene Mannchen von dem Jungen mehr verschieden ist als das Weibchen. 454 W. K. Brooks, 9. Wir finden auch, dass die Mannchen variabler sind als die Weibchen und dass das Mannchen in der Entwickelung neuer Arten vorangeht und das Weibchen folgt. Dies kann nicht auf geschlechtliche Auswahl zuiiickgefiihrt werden , denn es bewahrt sich in ausgedehntem Masse bei den domesticierten Tauben , die von dem Ziichter gepaart und nicht wie die Hiihner wegen einer Geschlechtseigenthiimlichkeit ausgewahlt werden. Ich glaube, dass durch diese Thatsachen und durch viele andere, vvelche in dem oben erwahnten Buche wiedergegeben sind, gezeigt ist, dass es die Funktion des Eies ist, die Eigenschaften der Spe- cies zu iibertragen und das festzuhalten, was in der Vergangen- heit erworben wurde; dass die Vereinigung der beiden Sexual- elemente entwickelt wurde, weil dadurch fur Variabilitat gesorgt ist ; und dass das mannliche Element nach und nach durch Arbeits- teilung die besondere Function erlangte, Variabilitat hervorzurufen und den Aenderungen der Lebensbedingungen entgegenzukommen. Nun ist es klar, dass, solange die Lebensbedingungen giinstig bleiben, Variation nicht notig ist, dass aber immer , wenn ein un- gunstiger Wechsel stattfindet, Variation notwendig wird, so dass die Harmonie zwischen Organismus und Umgebung wiederherge- stellt wird. Wenn meine Ansicht richtig ist, so haben wir in DtJSiNG's Resultaten ein Beispiel der Wirkung einer der grossten und schonsten und weitreichenden aller Anpassungen, welche jemals in der Natur entdeckt worden sind, eine Anpassung, mittelst welcher jeder Organismus ungeandert bleibt, so lange als keine Aenderung notig ist, wiihrend er zu variieren beginnt, sobald Varia" tion und Rassenmodification niitzlich sind. Der Ueberschuss von mannlichen Geburten bei gefangenen Raubvogeln und fleischfressenden Saugetieren und bei uncivilisirten Menschenrassen , die plotzlich in Beriihrung rait der Civilisation gebracht wurden, welche das Erzeugnis von tausend Jahren in Europa gewesen ist, muss angesehen werden als die letzte An- strengung der Natur, eine Aenderung hervorzubringen, welche sie fur ihre Umgebung passend macht. Es ist wahr, dass Dusing selbst eine andere Erkliirung giebt und sagt, dass der Ueberschuss an raiinnlichen Geburten uuter ungunstigen Bedingungen den Nutzen hat, einer starken Inzucht vorzubeugen. Dies ist ohne Zweifel richtig, aber ich glaube, es ist bloss ein Teil der Wahrheit. Ueber ein ueues Gesetz der Variation. 455 Er sagt, dass Inzucht abnehmende Fruchtbarkeit , kleinc Ge- stalt uud einen allgenieiiieii Verlust an Lebensfahigkeit und Kraft verursacht und dass der Nutzen der Kreuzung darin besteht, dies zu verhiiten. Er zeigt, dass die schlimmen Wirkungen am gross- ten sind, wenn die iiussern Verhiiltnisse ungunstig siud, und dass eine sehr giinstige Unigebung sie vollstandig wiederaufheben kann. Eine Kreuzung ist dalier am notigsten und wichtigsten, wenn die Lebensbedingungen am wenigsten gtinstig sind, und sie ist am wenigsten wichtig, wenn diese am giinstigsten sind, und in einer sehr giinstigen Umgebung kann ein Organismus sich in einer un- begrenzten Zahl von Generationen ungeschlechtlich oder partheno- genetisch vermehren, obgleich Mannchen und befruchtete Eier er- scheinen, sobald die Zeit der Prosperitat zu Ende geht. Dies ist alles richtig ; aber wir miissen uns erinnern , dass eine schadliche Eigenschaft nicht durch natiirliche Zuchtwahl ent- wickelt werden kann und dass die schadlichen Wirkungen der Inzucht nicht urspriinglich sein konnen. Die Eigenschaft, welche geziichtet wurde, ist die Niitzlichkeit der Kreuzung, und die schad- lichen Wirkungen der Inzucht sind secundar. Warum soil nun eine Kreuzung in ungunstiger Umgebung nutzhcher sein als in einer giinstigen? Nur deshalb, well Kreuzung Variabilitat giebt und weil Varia- tion nicht vorteilhaft ist, wenn jeder andere Umstand gtinstig ist, wahrend sie niitzlich ist, wenn die andern Umstiinde ungunstig sind. Wenn zwei Arten oder Varietaten unter denselben ungiinstigen Lebensbedingungen stehen und wenn die gekreuzten Nachkommen starker und fruchtbarer bei der einen, bei der andern aber die Kinder von nah verwandten Eltern fruchtbarer sind, so wird die Befestigung einer erblichen gunstigen Variation bei der ersten Art viel wahrscheinlicher sein als bei der zweiten, und die Wahr- scheinlichkeit spricht dafiir, dass die erstere schliesslich die zweite vertilgen wird. Wenn die Lebensbedingungen indessen gtinstig sind und keine Variation notig ist, so werden die Kreuzungsproducte keinen Nutzen haben und nicht ausgewahlt werden. Auch ist es von Nutzen fiir die Species, dass alle Individuen stark und fruchtbar sind, wenn nicht ein besonderer Grund vor- liegt, warum sie schwach und unfruchtbar sein sollen. Wenn die Lebensbedingungen gtinstig sind, so liegt kein solcher Grund vor, und alle sind gleich fruchtbar; wenn aber die Bedingungen ungunstig werden, ist Variation notig ; und es ist daher der Species als Ganzem 456 W. K. Brooks, niitzlich, dass diese Individiien, wclche die meiste Wahrscheinlich- keit haben zu variiren — die Kreuzungsproducte — am gesunde- sten und fruchtbarsten sind und jene, bei denen am weiiigsteu Variation erwartet werden kann , am wenigsten fruclitbar sind. Hieraus finden wir, dass, wenu die Lebensbedingungen sehr giinstig sind, die Kinder nahverwandter Eltern oder jene, welche nur einen Erzeuger liaben, oder die ungeschlechtlich Erzeugten ebenso stark und fruchtbar sind, als jene von Nveit verschiedenen Eltern; und wir finden dalier die Mannchen sparlich oder sie fehlen sogar. Wenn die Lebensbedingungen ungunstig sind, so werden Blutsverwandtschaften unfruchtbar, ein Ueberschuss von Mannchen wird producirt, und die Kinder einer Kreuzung sind besonders fruchtbar. Variation wird also gerade dann am wahrscheinlichsten sein, wenn sie am notwendigsten ist. Baltimore, 21. September 1884. Bemerkungeii zu vorstehendem Aulsatze von C. Diisiiig. Prof. Brooks hat in seinem ausserordentlich interessanten Werke „Heredity" eine Theorie aufgestellt, welche namentlich darauf hinauslauft, die Entstehung der Variation zu erklaren. Darwin hatte sicherlich nur deshalb angenommen, die Variationen seien zufallig, weil er noch keine Ursache derselben kannte. Wie jede andere Naturerscheinung, so muss aber auch die Variation eine Ursache haben. Diese Ursache ist nun von Brooks aufge- funden worden. Er sagt namhch, dass veranderte iiussere Um- stande Variation zur Folge haben. Und zwar ist dies eine niitz- liche Eigenschaft der Organismen , da nur diejenigen , welche unter veranderten Umstanden nicht dieselben bleiben, sondern sich ebenfalls andern, sich an die neuen'Verhaltnisse anpassen und weiter existieren konnen. Er beweist diesen Satz durch eine grosse Zahl von Thatsachen, die in seiner Schrift mitgeteilt sind. In bezug auf die Variation verhalten sich nun die beiden Geschlechter nicht gleicli, sondern es ist besonders das mannliche Geschlecht, welches zur Variation neigt. Auf die Nachkommen Ueber ein neues Gesetz der Variation. 457 vererbt danii besonders das Miinnchen diese Variationeii , wie iiberliaupt alle neii crworbenen Eigenschaften, wabrond dio Giuiul- cliaractere der Art von dem Weibcben vererbt werden. Alles dieses wird durcb eine so grosse Zabl von Thatsaclien gestiitzt, dass an der Ricbtigkeit dieser Siitze kein Zweii'el mehr gebegt werden kann. Wenn es die Miinncben sind, welche variiren, so sind sie es aucb, welcbe neue Eigenschaften zuerst annebmen, bei der Ent- wickelung neuer Arten also vorangehen, wabrend das Weibcben folgt. Die Eigentiiralicbkeiten der Species sind daber beim Miinn- cben am scharfsten ausgepragt, wabrend das Weibcben sowobl dem Jungen wie aucb den verwandten Arten weit abnlicber siebt. Indessen scheint es mir, als ob Brooks in der Annabme, dass das Weibcben iiberbaupt gar nicbt variire, zu weit gegangen ware. Wenn es aucb nicbt unmoglicb ist, so scbeint es docb ausser- ordentbcb unwabrscbeinlicb zu sein, dass die Gescblecbtscharactere des Weibcbens, z. B. die Milcbdriisen der Saugetiere, zuerst beim miinnlicben Gescblecbt aufgetreten seien. Wenn die Weibcben gar nicbt variirten, so batte aucb die weitere Ausbildung der Milcbdriisen zuerst bei den Miinncben stattfinden miissen, bei denen sie spiiter erst wieder reduciert worden wiiren. Weit ein- i'acber ist es, bei der bisber allgemein giiltigen Ansicbt zu bleiben, dass das Weibcben ebenfalls variirt — allerdings in weit geringe- rem Masse, als das Miinncben. Der beste Beweis fiir die Variabilitiit des weiblicben Gescblecbtes zeigt sicb bei der partbenogenetiscben Fortpflanzung. Bei den Dapb- niden z. B. baben die partbenogenetiscben Weibcben neue Eigen- scbaften erworben, welcbe sie von den Gescblecbtsweibchen unter- scbeiden ; sie sind z. B. nicbt mebr befrucbtungsfiibig. Diese Eigenscbaft konnen sie erst spiiter erlangt baben, als sic l)ereits ungescblecbtlicb producierte Jungfern weibcben waren, an einen miinnlicben Ursprung kann nicbt gedacbt werden. Es ist dies ein sicberer Beweis , dass aucb die ungescblecbtlicb producierten Weibcben variiren. Obgleicb Brooks in seinem Werke auf die Moglicbkeit eines miinnlicben Ursprunges der weiblicben Gescblecbtscbaractere bin- ge wiesen hat ^), so scbeint er docb seine Meinung scbon bericbtigt zu baben , da er in dem oben stehenden Aufsatze unter 6) zugiebt, dass aucb das Weibcben variiren kann, wenn aucb seine Variation ini allgemeinen nicbt so stark ist, als die des Miinnchens. — 1) Heredity, p. 240. 458 W. K. Brooks, Lange nachdem Brooks seine Schrift veroffentlicht hatte, erhielt er Kenntnis von meiner Theorie uber die Regulierung des Geschlechtsverhiiltnisses und fand in derselbcni eine neue Bestati- gung seiner Theorie. Und mit Recht, denn beide Theorien er- giinzen und stiitzen sich gegenseitig. Im zweiten Teile meiner Theorie (vvelcher streng vom ersten zu sondern ist, wie ich nicht genug hervorheben kann) war durch eine mehr als geniigend grosse Zahl von Thatsachen bewiesen worden, dass unter giinstigen iiusseren Verhaltnissen niehr Weib- chen, unter ungunstigen mehr Miinnchen erzeugt werden. Und zwar ist dies eine durch natiirhche Zuchtwahl erworbene niitzliche Eigenschaft. Denn unter ungunstigen Umstanden ist es fur die Fortexistenz besser, wenn weniger Nachkommen produciert werden, nur etwa so viel, als unter solchen Verhaltnissen leben und ge- deihen konnen. Wenn die Umstiinde sich also verschlimmern und mehr Mannchen produciert werden, so verringert sich die Ver- mehrung, da sie besonders von der Zahl der Weibchen abhiingt. Ein zweiter Grund liegt darin, dass die Mannchen im allgemeinen weniger Nahrung, namentlich zu ihrer Geschlechtsthatigkeit be- diirfen, als die Weibchen und daher bei verminderter Nahrung ein Mannchen weit eher existieren und seine Funktionen verrichten kann , als ein Weibchen. Ein dritter Grund liegt darin , dass unter ungunstigen Umstanden Inzucht ausserordentlich schadlich und es die Aufgabe der Mannchen ist, solche zu vernieiden. Je mehr Mannchen unter ungunstigen Umstanden vorhanden sind, desto mehr Kreuzung findet statt, desto kriiftigere Individuen werden erzeugt, die den erschwerten Kampf ums Dasein aushalten konnen 2). Aus der Theorie von Brooks folgt nun ein neuer Grund, warum es niitzlich ist, unter ungunstigen Verhaltnissen mehr Mannchen zu producieren. Nach Brooks ist unter ungunstigen UmstJinden Variabilitiit niitzlich, well nur mit ihrer Hiilfe eine Anpassung an die neuen Verhaltnisse stattfinden , also eine neue Art entstehen kann. Wenn nun unter solchen Umstanden mehr Mannchen produciert werden, die, wie Brooks nachgewiesen hat, mehr variiren, als die Weibchen, so wird die Variation um so 2) Alles dieses ist hier uur kurz augedeulet. Die geuaiierc Aus- einandersetzuug, sowie der Beweis durch Thatsachen fiudet sich in meiuem Buche: Ueber die Itegulierung des (Jeschlechtsverhaltuisaes etc. p. 121. Ueber ein neues Gesetz der Variation. 459 starker soin. Ferner auch deshalb, well, wie in meinem Buche ausfuhrlich erortert ist, bei einer grosseren Zahl von Maiiuchen die Kreuzung starker ist, und eine Kreuzung, wie Brooks durch Thatsachen beweist, die Variation vergrossert. Es hat also eine Mehrproduction von Mannchen eine verstarkte Variation zur Folge. Die Variation ist aber nothwendig bei der Entstehung einer neuen Art und dalier, weil die Variation niitzlich, auch die Mehrproduction von Mannchen unter ungiinstigen Umstanden niitzlich. — Diese Schliisse sind unzweifelhaft rich tig, und es bestatigen sich dem- nach beide Theorien gegenseitig. Die Consequenzen gehen indessen noch weiter. Unter ungiin- stigen Umstanden werden mehr Mannchen erzeugt. Da diese stark variiren, so sind die Individuen im allgemeinen einander unahn- licher, als wenn mehr Weibchen produciert worden waren. Bereits friiheri) habe ich darauf hingewiesen, dass Inzucht nicht etwa nur in der Mischung verwandter, sondern auch ahnlicher Tiere besteht und dass Verwandtschaft nur deswegen in betracht kommt, weil mit ihr im allgemeinen Aehnlichkeit der Eigenschaften verbunden ist. Dies wird bewiesen durch die Thatsache, dass nach einer starken Kreuzung Verwandten-Inzucht lange unschadlich ist. Die Kreu- zungsproducte variiren stark, sind also einander sehr unahnlich und konnen ohne Schaden mit einander gepaart werden, selbst wenn sie nahe verwandt sind. Je unahnlicher die Individuen ein- ander sind, desto mehr Kreuzung wird unter sonst gleichen Um- standen stattfinden. Je mehr Mannchen also vorhanden sind, desto starker wird die Kreuzung sein und zwar nicht bios deswegen, weil die Starke der Kreuzung besonders von der Zahl der Mann- chen abhangt, sondern auch deshalb, weil gerade die Mannchen am meisten variiren, also einander weit unahnlicher sind, als die Weibchen. Dass nun unter ungunstigen Verhaltnissen die Kreu- zung und daniit auch die Production von Mannchen nutzlich ist, wurde bereits erwahnt. Wir haben also einen neuen Grund ge- funden, warum die Production der beiden Geschlechter den ausse- ren Verhaltnissen gemass reguliert wird. — Wie bei der Aufstellung einer jeden Theorie zuerst eine Menge Einwurfe auftauchen, so lassen sich auch gegen die von Brooks einige Bedenken erheben. Wenn die Mutter nur die Charactere der Species vererbt, so miissten bei der parthenogenetischen Fortpflanzung immer nur die- 1) DtJsiNG, Kegulierung des Geschlechtsverhaltnisses , p. 242. 460 W. K. Brooks, selben Tiere wie die Mutter erzeugt werden. Dies aber ist nicht der Fall. Im Ueberfluss werden immer nur Jungfern-Weibchen geboren d. h. solche, welche ohne Mannchen wieder Junge producieren. Sobald aber Mangel eintritt, hort diese starke Vermehrung auf, es werden nicht mehr Jungfernweibchen , sondern befruchtungs- filhige Weibchen und Mannchen geboren, die also nicht die Eigen- schaften der Mutter besitzen. — Indessen konnte man doch darauf hinweisen , dass es sich hier nicht urn eine Variation und auch nicht um das Auftreten von neu erworbenen Eigenschaften handelt, sondern dass auch die Eigenschaften dieser Geschlechtsgeneration zu den Grundcharacteren der Species geboren. Die Jungfern- weibchen vererben nicht nur ihre eigenen Eigenschaften, sondern auch die Tendenz unter Umstanden — namlich im Falle eines Mangels — Tiere mit den Eigenschaften der Geschlechtsgeneration zu producieren. Die Eigenschaften, wodurch sich die Menschen von einander unterscheiden , sind Variationen oder Eigenschaften, die erst kurz vorher erworben wurden. Diese — es sind die, worauf man am meisten achtet — muss der Mann vererben, es muss also das Kind in seinen Eigentiimlichkeiten dem Vater gleichen — oder wenigstens durchschnittlich dem Vater mehr, als der Mutter. Im allgemeinen ist dies ischwer zu untersuchen, aber es giebt doch Fiille, die uns Aufschluss geben konnen. Ein Christ mit hellen Haaren und blauen Augen ist mit einer Jiidin verheiratet; aber die zwei Kinder tragen jiidischen Typus. Wenn nun die Eigen- schaften der Juden nicht zu den Grundcharacteren der Species gehoren, so geht hieraus hervor, dass im Gegensatze zu der Theorie von Brooks auch neu erworbene Eigentiimlichkeiten von der Mut- ter vererbt werden konnen. Ist die Mutter Negerin , der Vater ein Weisser, so werden stets Mulatten erzeugt. Wenn also die Theorie von Brooks richtig ist, so miissen auch die Eigenschaften, welche den Neger vom Weissen, den Juden vom Christen unter- scheiden, zu den seit sehr langer Zeit erworbenen Eigenschaften gerechnet, als Grundeigenschaften einer besonderen Rasse ange- sehen werden und daher von der Mutter vererbt werden konnen. Wie man sieht, lassen sich auch gewichtigere Bedenken gegen die Theorie nicht unschwer beseitigen. — Worauf hier besonderes Gewicht gelegt werden sollte, ist die Uebereinstimmung der Theorie von Brooks und derjenigen von mir. Beide vollstiindig unabhiingig von einander aufgestellten Theoiien erhohen hierdurch gegenseitig das Vertrauen , das wir Ueber ein neues Gesetz der Variation. 461 zu ihnen haben diirfen, ohne dass aber die eine Theorie gefahrdet wird, falls sich die aiidere als ganz oder teilweise unrichtig er- geben sollte, was bei dem augenblicklichen Stand der Thatsachen selbst eine unparteiische Beurteilung fur fast uumoglich halten muss. — In meinem Buche iiber die Regulierung des Geschlechtsver- hiiltnisses hatte ich auch die wenigen Thatsachen angefuhrt, welche der Theorie zu widersprecheu scbienen, um auf diese Weise eine vollstiindig unparteiische Beurteilung zu ernioglichen. Eins der wichtigsten Bedenken war folgendes. Bei Gelegenheit ^ ) der Auf- zahlung der Thatsachen , welche bcweisen , dass das weibliche Genitalsystem empfindlicher ist gegen Schwankungen in der Er- njihrung, wurde cine Bemerkung Darwins 2) angefuhrt, welche diesem zu widersprechen schien. Sie lautet: „Pflanzen im Zu- stande der Cultur oder unter veranderten Lebensbedingungen wer- den haufig steril, und die miinnlichen Organe werden viel haufiger affiziert , als die weiblichen , obschon zuweilen die Ictzteren allein affiziert werden." Schon in meinem Buche habe ich darauf hin- gewieseu, dass es sich hier ohne Zweifel nicht um die Ausbildung der mannlichen Elemente, sondern nur um die Contabescenz der Antheren handelt, auf welche Darwin an einer anderen Stelle naher eingeht^). Wenn das weibliche Genitalsystem so empfind- lich reagiert auf eine Verminderung der Ernahrung, so tritt in dieser Anderung vor allem die Tendenz hervor, die Production von Eiern, also die Reproduction zu vermindern. Bei der Conta- bescenz aber sind die mannlichen Geschlechtsproducte ausgebildet, sie werden nur nicht ausgestreut. Durch die Theorie von Brooks erkliirt sich dies sehr einfach und leicht. Es handelt sich hier um eine Variation , und diese tritt beim mannlichen Geschlecht haufiger auf, als beim weiblichen, weil eben das miinnliche starker variirt, als das weibliche. Dass es sich nun wirklich um eine Variation handelt und nicht um eine vorubergehende Reaction des Genitalsystems, geht daraus hervor, dass diese Eigentumlichkeit erblich ist, sie wird niimlich durch Senker, Ableger und dergl, und vielleicht auch durch Samen fortgepflanzt. Wenn dagegen ') DiJsiNG, Regulierung des Geschlechtsverhaltnisses, p. 137. 2) Darwik, Die verschiedenen Bliitenformeu au Pllauzeu der nam- lichen Art. Uebers. v. Carus, p. 245. 3) Darwin, Das Variiren der Tiere und Pflanzen im Zustandc der Domestication. Ubersetzt von Carus. p. 163. 462 W. K. Brooks, Ueber ein neues Gesetz der Variation. flas weibliche Genitalsystem gegen eine Verminderung der Ernah- rung reagiert, so wird die Ausbildung der Geschlecbtsproducte vermindert und dies wird nicht vererbt, sondern das Genitalsystem der Nachkommen ist wieder abhaugig von den Ernabrungsbe- dingungen, Aus alien diesen Umstanden geht hervor, dass es sich bei der Contabescenz nur um eine Variation handelt; und eine solche zeigt sich beim Mannchen haufiger, als beim Weibchen. — Die Schwierigkeit, welche sich friiher meiner Theorie zu bieten schieu, ist hiermit geschwunden. Beantwortung der Frage nach dem Luftgehalt des wasserleitenden Holzes. Von Dr. }Ia\ Schi'it. 1. Zurtickweisung der Annahme von Luftblasen in den Wasserleitungsorganen der Pflanzen. Die Frage uach dem Luftgehalt der Wasserleitungsorgane ist fur eine Theorie der Wasserleitung im Holze von der allergrossteu Bedeutung, auf ihre Bejahung stiitzen sich sammtliche neuere iiber die Wasserbewegung im Holze aufgestellte Theorieeu. Bereits in meiner vorlaufigen Mittheilung ^) zog ich aus den mitgetheilten Erorterungen und Versuchen den Schluss, dass die wasser- leitenden Orgaue entweder Wasser oder Wasser- dampf, uicht aber Luft fiihren. Es lag urspriinglicli in meiner Absicht, genannte Frage dem- nachst in einer ausfiihrlicheu Arbeit iiber die Wasserleitung im Holze zu beantworteu, und zwar gestiitzt auf ausfiihrlicbe Beobach- tungeu und Untersucliungeu ; eine erst kiirzlich erschieneue Arbeit von Elpving^) veranlasst mich jedoch, dies schon jetzt zu thun. Genannter Autor behalt in seiner Arbeit noch die Jamin'sche Kette als wasserhaltend bei mit der Ansicht, dass dieselbe nur die Langenbewegung einer Wassersaule als ein Ganzes hindere, wiihrend den einzelnen Wassertheilen inuerhalb derselben vollstiin- dig freies Spiel gelassen sei, indem sie fortgeschatit und durch andere ersetzt werden konnten. 1) Bot. Z. 1884. No. 12. p. 182. 2) Uebcr il. Transpirationsstrom i. d. PH. Abdr. aus „Acta So- cietatis Scientiarum Fennicae", Tom. XIV. Helsingfors 1884. 464 Dr. Max Scheit, Mein oben mitgetheiltes Untersuchungsergebniss fertigt Elf- viNG kurz mit den Worten ab: „Dieser theoretisch abgeleiteten Behauptimg gegeuiiber ge- niigt es, auf die Thatsache hiuzuweisen, dass jedes Stiick Holz eine Menge Blasen enthalt, die auch uach langerem Liegeu in Wasser nicht verschwinden uud folglich niclit uur Wasserdampf, sondern auch Luft enthalten." Aus einer noch zu besprechenden Beobachtung schliesst dann Elfving: „Die Luftblasen entstehen also dann, wenn der Wasser- verbrauch grosser ist als die Wasserzufuhr." Um die auf Luftgehalt des trachealen Systems beziiglichen Angaben geniigend erklaren zu konnen, fragen wir zunachst: „Wie kann iiberhaupt Luft in die Tracheen der un verle tzten, lebenden Pflanze gelangen?" Nur zwei Moglichkeiten sind vorhanden : Entweder dringt die Luft von aussen durch die Spaltoffnungen und Lenticellen in die Intercellular raume ein und von da durch Diffusion in die Lumina der Gefasse und Tracheideu, oder die Luft wird im absorbirten Zustande durch die Wurzeln aufgenommen und gelangt mit dem Transpirationswasser in die Wasserleitungsorgane, in deren Inuern sie dann frei wird und sich in Blasenform ansammelt. Was zunachst die erste Moglichkeit anbelangt, so ist dagegen anzufuhren, dass eine einfache Communication der Spaltoffnungen mit den Gefassen nicht besteht, wie v. Hohnel^) uachgewiesen hat, ebensowenig eine solche mit den Intercellularen , die zvvar nach Russow^) auch im Holze nicht ganz fehlen, wie Sank) ^) jedoch bemerkt, gar zu selten vorkommen, um ihnen irgend welche physiologische Bedeutung beizulegen. Nur fur das Markstrahl- und Holzparenchym-Gewebe konnen die Intercellularen in Betracht kommen, insofern sie durch die Rinde bis zu den Lenticellen welter verlaufend den Gasaustausch zwischen diesen lebensthatigen Geweben mit der Luft vermitteln. Ebensowenig wie die anatomischen Verhaltnisse fiir eine Dif- fusion der Luft durch die Membran der Wasserleitungselemeute, sprechen auch die Versuche fiir eine solche, wie aus einem Ex- ^) Beitvtige zur Kenntniss der Luft- u. Saftbewegung i. d. Pll. Berlin 1879. 2) Zur Kenntniss des Holzes etc. Bot. Centralbl. Bd, XIIL No. 1—5. 3) B. Centralbl. Bd. XX. No. 1. Beantwortung der Frage nach dem Luftgehalt u. s. w. 465 perinient von Nageli iind Schwendener ^ hervorgelit, bei wel- cheni selbst eiu luelirere Wocben wirkender Druck von 2250 mm Hg keine Luft durch Tannenbolz zu presseu vermocbte. Beobacb- tiingen Bohm's, v. Hoiinel's, Wiesner's, sowie die von mir selbst augestellteu imd iu meiuer vorlaufigen Mittheilung 2) naber be- schriebenen fiibreu zu demselben Resultate, und „ein vollstandiger Abscbluss erscheint, um mit Sciiwendener ^) zu reden, fiir ein Wasserreservoir naturgemass, wahrend er dies fiir die Durchliiftung nicht ware." Liisst sicb durcb Coniferenholz wirklich Luft pressen, was nur bei lufttrockenem Holze oder bei Zweigabscbnitten mit trockeneu Scbnittflacbeu mogiicb ist, daun gebt sie durcb die Intercellula- ren, wie Russow nacbgewiesen bat^, indem er zugleicb beson- dcrs auf das durcb den Druck veranlasste Hervorsprlihen der Luft binwies, weicbes mit Sicberheit darauf scbliessen lasse, dass die durchgetriebene Luft aus freien, nicht von einer permeablen Membran verscblossenen Hoblraumen entweicbe. Bei den SACHs'scben Untersuchungen ^), sowie v. Hohnel's *') bleibt es nacb Russow (1. c. p. 102) ganz unsicber, ob die unter Druck entweicbende Luft aus den Tracbeen oder Intercellularen konimt, es sei aucb bierdurcb nicbt bewiesen, dass bei sebr star- ker Verdunnung der Gefassluft Luft von aussen ditfundiren kaun, wie V. Hohnel (1. c.) anzunebmeu geneigt ist. Aucb Sachs') spricbt sicb dabin aus, dass die Beobacbtung eber gegeu die Ditbision von der Rinde her, sowie gegen die Aufnabme der Luft durcb die Wurzel im absorbirten Zustande zu sprecben scbeine, bei genauerer Ueberlegung der obwaltenden Verbaltnisse miisste man eber vermutben, dass die Hoblraume des Holzes einer un- verletzten Pflanze eigentlicb geradezu luftleer sein konnten. Die oben erwabnten Versucbe berecbtigen jeden- falls zu dem Scblusse, dass, so lange dieMembranen feucbt sind, wie es unter normalen Verbaltnissen der Fall bei der lebenden Pflanze ist, keine Luft diffun- diren kann, denn es liisst sicb beweisen, dass selbst 1) „Das Mikroskop." §. 358. ^) 1. c. p. 179 u. f. 3) „Die Schutzscheiden etc." Berlin 1882. kgl. Ak. d. W. 4) 1. c. p. 103. 5) Arb. d. hot. Inst. i. Wurzburg Bd. II. H. 2. p. 324. fi) B. Z. 1879. p. 21. ') „Porositat d. Holzes" p. 324. Bd. xvm. N. F. XI. 30 466 Dr. Max Scheit, bei wochenlangem Eiii wirken einesDruckes von einer Grosse, wie er von aussen auf die geschlossene Pflanze nicht einwirkt, keine Luftdiffusion erfolgt. Wie steht es nun mit der zweiten Moglichkeit fur den Luft- eintritt? Sachs (I.e.) lasst die Moglichkeit often, dass das Im- bibitionswasser ein wenig Luft mitnimmt, und dass diese dann in die Hohlraume ditiundirt. Fiir uns als Gegner der „Iinbibitions- theorie" fallt diese Moglichkeit fort. Th. Haktig ' ) lasst die Moglichkeit zu, dass eine wechselnde Abscheidung und Wiederaufnahnie der Holzluft in den Ilolzsaft stattfinde, wodurch eine Druck- oder Saugkraft bedingt werde, welche die Bewegung des Holzsaftes hervorriefe. Durch das phy- sikalische Experiment glaubt unser Autor die Absonderung der Luft aus dem lufthaltigeii Bodenwasser bei dessen Fortbewegung in capillaren Raunien bestatigt zu haben, er vergisst jedoch, dass in der Icbenden Pflanze das Wasser erst protoplasmareiche Zelleu passiren muss, ehe es in die durch Membranen verschlossenen Capillaren eiudringt, wahrend der Versuch mit unten geoffneten Capillaren augestellt wurde. Uns scheint es unwahrscheinlich, dass das Bodenwasser die noch im Wachsthum begriti'eneu wasser- aufnehmenden Wurzelzellen durchdringt, ohne dass die in ihneu geloste Luft fiir den Lebensprocess Verwendung gefunden hatte. Seheu wir zu, ob diese Vermuthung durch die mikroskopische Beobachtung bestatigt wird. Treviranus"^) glaubt an Holzlangsschnitten unter Wasser die allmahliche Coutraktion von Luftblasen in den unverletzten Ge- fassen durch das eindringende Wasser, welches die vorher die Ge- fasse erfiillende Luft absorbire, beobachtet zu haben. Ebenso giebt Hopmeister^) an, bei Untersuchung nicht zu diinner Langsschnitte unter Oel in sehr vielen engeren und weite- ren Gefassen langgezogene Luftblasen gesehen zu haben. Th. Hartig "* ) fiihrt an , dafs man sich vom Luftgehalt der Holzfaser uberzeugen konne, wenn man aus lebendem Holze tan- gentiale Langsschnitte unter Wasser fertigt und solche noch im Wasser in den Oeltropfen der Objektplatteu unter das Mikroskop bringt. 1) Bot. Z. 1861 u. 63, 2) Physiologic, §. 70. p. 117. 3) Verhandl. d. kgl. s. G. d. W. z. Leipzig Bd. 9. 1857. H. II IIL 4) Bot. Z. 1863. ;^o. 41. Betintwortung der Frage uach dem Lut'tgehult u. s. w. 467 BoHM ') sagt: „Werden zu irgend einer Jahreszcit iiicht zu zarte Laugsschnitte durch das fimgirende Holz von Acer, Aes- cuius, S a 1 i X , S y r i n g a , T i 1 i a etc. bei massiger Vergrosserung in einem Tropfen gewohnlichen oder mit Kohlensaure gesattigten Wassers beobachtet, so sieht man, dass die Luftblasen in den Tracheen sich ausserordentlich stark contrahiren, zuni Beweise, dass dieselben vor dem Einlegen der Praparate in Wasser eine sehr geringe Tension besassen." Sachs ^) sclireibt: „An diinnen Langsschnitten , wenn sie in Wasser uuter das Mikroskop gebracht werden, sind die Holzzellen oft mit umfangreichen Luftblasen erfiillt, deren Entfernung nur schwer gelingt." Elfving ") endlich beobaclitete das Entstehen von Blase.n an den leicht zu isolirenden Fibrovasalstrangen von PI ant ago ma- jor in Glycerin. „Letzteres zielit Wasser aus den Gefassen heraus, und man kann mit dem Mikroskop direct sehen, wie an Stellen, wo vorher nur Fliissigkeit vorhanden war, plotzlich eine Blase entsteht und sich schnell vergrossert. Wenn das Wasser luft- haltig ist, so muss die Luft in den eben gebildeten Raum diftun- diren, weil das Wasser bei dem verminderten Druck uicht so viel Luft wie frliher zu absorbiren vermag. Die Luftblasen entstehen also dann, wenn der Wasserverbrauch grosser ist als die Wasser- zufuhr." Ist aber hiermit der Beweis geliefert, dass die beobachteten Blasen Luftblasen waren V Keineswegs, es konnen ebensogut Wasser- dampfblasen gewesen sein, da kein Beweis fiir den Luftgehalt des Gefassinhaltes vorhanden ist. Die zweifelhaften Blasen miissen also behufs ihrer naheren Rekognoscirung auf ihr weiteres Ver- halten gepriift werden. Sehen wir z. B. einmal zu, wie sich in Glycerin eingeschlos- sene Luftblasen gegen Wasser verhalten. Wir haben einen dunnen radialeu Langsschnitt durch luft- trockenes Birkenholz in Glycerin unter das Mikroskop gebracht. Die Gefasse und Holzfasern enthalten eine Menge Blasen, erstere haben sich nur theilweise mit Glycerin gefiillt, ebenso die ange- schnittenen Holzfasern, wahrend die unverletzt und geschlossen gebliebenen gar kein Glycerin enthalten, sondern einen abge- 1) Bot. Z. 188L No. 49 u. 50. 2) Poros. d. H. p. 317. 3) 1. c. p. 15. 30' 468 Dr. Max Scheit, schlossenen dunklen Raum darstellen. Geben wir jetzt auf der einen Seite zum Objekt Wasser, wahrend wir mittelst eiiies Strei- fens Fliesspapier auf der andern Glycerin entfernen, so sehen wir, wie sich die in den Gefassen eingeschlossenen Blasen verschieben, aus den Gefassmiindungen und den beim Schneiden in der Gefass- wandung entstandenen Oelltnungen austreten, sich abrunden, mit anderen ausgetretenen Blasen verschmelzen , obne jedoch zu ver- schwinden, wahrend die in den geschlossenen Holzfasern befind- lichen Blasen ziemlich rasch durch eindringendes Wasser vollstiin- dig ausgefiillt und zum Verschwinden gebracht werden. Wir nehmen jetzt das von Elfving benutzte Object in Unter- suchung, und zwar zunachst ein isolirtes Blattbiindel, welches langere Zeit an der Luft gelegen hat. In Wasser unter das Mi- kroskop gebracht, hellt sich allmahlich das undurchsichtige Objekt auf, aus den Enden des Bundels stromen eine Menge kleiner Blas- chen, die sich bald zu einer grosseren Blase vereinigen, welche sich stundenlang unverandert halt, falls man unter dem Deck- glaschen das Wasser nicht ausgehen lasst. Es zeigt sich also, dass Luftblasen sich lauge Zeit in Wasser unverandert halten, vorausgesetzt, dass das sie umgebende Wasser mit Luft gesattigt war; die im mitgetheilten Versuch austretenden Blasen ruhrten von der beim Austrocknen des Bundels in die Gefasse einge- drungenen Luft her, welche zum Theil von dem durch die Gefass- wandung hindurch in die Gefasse eingedrungenen Wasser ver- drangt worden war. Wie in dem Birkenholzschnitt lassen auch in dem zuletzt beobachteten Objekt einige Blasen Contraktion beim Wasserzutritt erkennen; es geschieht dies aber wiederum nur in den geschlos- senen Elementen, namlich einestheils in den gefassartigen Trachei- den, in welche beim Austrocknen des Bundels wegen der Imper- meabilitat der Wandung fur Luft solche nicht hatte eindringen konnen, anderntheils in den Zellen der Schutzscheide. Wiederholen wir jetzt den Elfving 'schen Versuch selbst, in- dem wir ein soeben aus dem Blatt isolirtes, nicht zu dickes Biindel in Glycerin unter dem Mikroskope beobachten. An ver- schiedenen Stellen der Gefasse entstehen rasch Blasen, die eine Jamin'sche Kette bilden, ersetzen wir, wie bei der zuerst mitge- theilten Beobachtung, das Glycerin durch Wasser, so verschwinden die Blasen ebenso schnell, als sie gekommen sind. Derselbe Vor- gang wiederholt sich in den das Biindel umgebenden Schutz- scheidenzellen, die Blasen verschwinden wie in den geschlossenen Beantwortung der Fragc nach dem Luftgehalt u. s. w. 469 Elemeuten der beiden vorher betrachteten Objekte; Luftblasen bleiben nuu, wio wir gesehen, in Wasser lange Zcit uuverandert, folglich konuen die sich contrahirenden Blasen keiiic Luftblasen sein, sondern Wasserdampf blasen , deren Vorhandeusein zugleicli beweist, dass im Inhalt der Wasscrleitungselenicnte keine Luft aufgelost ist. Wir diirfen daher nicht sagen „Luftblasen", sondern Wasserdampfblasen entstehen dann, wenn der Was- serverbrauch grosser ist als die Wasserzufuhr, so- bald die Wasserleitungselemente vor dem Eintritt der Aussenluft gescliiitzt sind. Man konnte einwenden, Wasserdampfblasen im Innern geoff- neter Gefasse miissten im Entstehen sofort durch den an den Ge- fassenden aiif das sie umgebende Wasser wirkendeu Luftdruck condensirt werden. Dies wird jedoch durch das Zustaudekommen einer jAMiN'schen Kette verhindert, welche bekanntlich dem Druck einen grossen Widerstand entgegensetzt. Bemerkt sei noch, dass das verwendete Wasser keineswegs luftarm war, so dass es vielleicht die vorhandenen Blasen hiitte absorbiren konnen, sondern es hatte mehrere Tage in einem flachen Gefjiss mit der Luft in Beruhruug gestauden und sich mit solcher sattigen konnen. Die zuletzt mitgetheilte Beobachtung lehrt zugleich, dass Wasser leicht die Schliesshiiute zu durchdringen vermag, wiihrend Glycerin selbst bei 1 Atmospharendruck nicht durch die Gefass- wandung hindurch in die wasserdampferfiillten Raume gelangen kann. Beriicksichtigt man die bekannte fiir mikroskopische Dauer- praparate oft so storend werdende Eigenschaft des Glycerins, Luftblasen flir lange Zeit festzuhalteu , so stellt sich dieses als eines der geeignetsten Priifungsmittel fiir den Luftgehalt der ein- zelnen Pfianzentheile heraus, will man z. B. wissen, ob zu irgend einer Zeit im wasserleiteuden Holze W^asser enthalten ist oder Luft Oder Wasserdampf, so braucht man uur mit einer Doppel- scheere, wie sie Volkens i) bei seinen Versuchen anwandte, ein Zweigstiick unter gefarbtem Glycerin abzuschneiden ; lasst sich auch weniger deutlich der Wassergehalt nachweisen, so vermag man doch sicher zu entscheideu, ob Luft die Wasserleitungsele- mente erfiillt oder nicht. An den ebenfalls unter Glycerin ange- fertigten mikroskopischen Schnitten vermochte ich auf diese Weise in den Wasserleitungsorganen nie Luft nachzuweisen , nur in den 1) Diss. Berlin 1881. 470 Dr. Max Scheit, Interccllularen des Markstrahl- und Holzparenchymgewebes gelang dies. Im Spatsommer zeigten sich sammtliche durch den Sclinitt geotineten Holzelemente mit gefarbtem Glyceriu iujicirt, nur au eiu- zclneii englumigeii Holzfasern Hess sich eine Coutraktion von Bla- sen verfolgen, die meist stossweise von den Schnittenden her er- folgte und unzweideutig auf die Gegenwart von Wasserdampf innerhalb der sich mit Glycerin fiillenden Elemente hinwies, wah- rend die geschlossen gebliebeueu Fasern und Tracheiden nicht mit Glycerin injicirt wurden, wohl aber mit Wasser. Es empfielt sich daher, derartige Untersuchungen unter Anwendung von Glycerin sowohl als auch von Wasser zugleich anzustellen. Interessant ist es, zu beobachten, wie an den Tiipfeln der geschlosseuen Elemente bei Anwendung von Wasser allmahlich sich Wassertropfchen an- sammeln, die schnell sich vergrossern und mit einander ver- schmelzen, bis die Tracheide vollstandig mit Wasser gefiillt ist. Ich unterlasse es, auf die zahlreichen mikroskopischen Beobach- tungen, die ich in dieser Hinsicht angestellt habe, naher einzu- gehen, das Mitgetheilte wird geniigen, zu beweisen: 1) dass die in mikroskopischen Schnitten auftre- tendeu Blasen nur daun Luftblaseu sein konnen, wenn bei Herstellung des Schnittes der Zutritt der ausseren Luft nicht verhindert worden war; 2) dass auch mit dem Transpirationswasser keine Luft in die von ihm eingenommenen Holzelemente gelaugt. Es sei noch erwahnt, dass die von Malpighi, Niamentyd, Wolff, Thummig, Hales fur den Luftgehalt der Gefasse beige- brachten Beweise schon von Reichel fiir ungentigend befunden wurden ^). 2. Folge des OefFnens wasserdampferfiillter Holz- elemente in verschiedenen Medien. Nachdem wir uachgewiesen haben, dass unter Umstanden Wasserdampf die Hohlraume des Holzes der unverletzten Pflanze erfiillen kann , nie aber Luft , ist es ein Leichtes , eine Reihe be- kannter Erscheinungen und Versuchsresultate, die man zum Theil bisher als Belege fiir den Luftgehalt des Holzes anfiihrte, auf ihre wahre Ursache zurtickzufiihren. 1) Sachs, Gesch. d. Bot. p. 524. Beantwortung der Frage uach dem Luftgehalt u. s. w. 471 Geheu wir zunaclist auf die Erscheinung des negativen Druckes ein. Durchschueidet man wasserdampferfullte Gefasse uutcr Hg Oder einer gefarbteu Fliissigkeit, so werdeii sie niit ausserordont- licher Geschwiudigkeit auf weite Streckeu hiii injicirt, wie aus den in meiner vorlaufigeu Mittheilung mitgetheilten Versuchen crsicht- lich ist 0- Die von Gotta ^) gemachte Beobachtung, dass gefarbte Flus- sigkeit in die von ihr umspiilten Zweige bei ein und derselben Holz- art zuweilen den ganzen Holzcylinder, bisweilen nur den ausseren, ein andermal gerade den inneren, oder gar nur eiuzelne gefarbte Punkte, Oder nur eine Seite gefiirbt zeigte, erklart sich dahin, dass eben nur in die Elemente Fliissigkeit eindringen konnte, die gerade nicht durch eingedrungene Luft verstopft waren, sondern die entweder niit Wasser erfUllt von der Pflanze entnomnien, oder durch Abschneiden unter Fliissigiieit vor Beriihrung mit Luft ge- schiitzt wurden. Nach den verschiedensten Seiten bin niachen sich die Folgen des Anschneidens wasserdampferfiillter Hoblraume ini Holze be- merkbar. Durchschueidet man z. B. einen krautigen Stengel zu der Zeit, zu welcher wenig oder kein fliissiges Wasser im Holze vorhanden ist, so wird der aus Schleimgangen oder Milcbsaftge- fassen in Folge der jetzt zur Geltung kommenden Gewebespannung hervorgepresste Schleim und Milchsaft durch den Luftdruck in die leeren oder wasserdampferftillten Gefasse und Tracheiden ge- presst, und diese oft auf weite Strecken bin damit injicirt, eine Erscheinung, die manche Forscher verleitete, einen Zusammen- hang zwischen Gefassen und Milchsaftgangen anzunehmen. Eine derartige Verstopfung der Wasserleitungsorgaue durch Schleim ist, wie bereits v. Hohnel^) nachgewiesen hat, eine der haufigsten Ursachen des Welkens abgeschnittener, in Wasser ge- stellter Sprosse, aber schon der blosse Eintritt von Luft in die Gefasse genugt, um eine Verstopfung fiir Wasser zu bilden, wie auch Sachs*) vermuthet. Lufttrockenes Splintholz von Coniferen lasst bekanutlich kein Wasser unter Druck filtriren, in diesem Falle, wie in dem vorher 1) Bot. Z. 1884 No. 13. p. 195 u. f. 2) „Naturbetrachtungen liber d. Bewegung u. Funktion des Saftes Gew. etc," Weimar 1804. 3) Bot. Z. 1879. 4) Yorl. IX. p. 292. 472 Dr. Max Scheit, mitgetheilteu, haben wir es nur mit einer Verstopfung der Was- scrleitungsrohren zu tlmii iind iiicht mit einer Veranderung der todten Holzwandung in Bezug auf Leitungsfahigkeit fur Wasser. Wenn es Dufour ^) in seinen ktiustlicheu Druckversuchen in einer beschrankten Anzahl von Fallen nicht gelang, Wasser durch eingekerbte oder geknickte Zweige zu pressen, so ist dies dem Umstande zuzuschreiben, dass vorher Luft in die Versuchsobjekte eiugedrungen war und die Luniina des Holzes verstopft hatte fiir nachherige Wasserfiltration , wie ich an der Hand von Gegenver- suchen bewiesen zu haben glaube^), sowie durch Hinweis auf den Umstand, dass durch die von Dufour angewendeten Manipula- tionen eine Unterbrechung der Communication innerhalb der Lu- mina der Wasserleitungsorgane nicht moglich ist; die an der lebeuden, transpirirenden Pflanze bleibenden Versuchszweige blieben nicht deshalb frisch, weil der Transpirationsverlust durch Imbibi- tionswasser innerhalb der verholzten Membran ersetzt werden konnte, sonderu weil der Luftzutritt verhindert war, die Luft konnte nur an den Einkerbuugsstellen soweit eindringen, als geotfuete Elemente vorhauden waren, von den Schnitten blieben aber eine Menge Tracheiden unberiihrt, so dass zwischen beiden Kerben seitlich vermittelst Tracheiden dem Transpiratiouswasser der Weg durch die Schliessmembrauen often blieb ; iiberwiegen zwischen den beiden Schnitten Gefasse oder langere Tracheiden uud sind diese geolhiet, dann kann natiirlich auch in diesem Falle Welkeu der am Baume belassenen Versuchszweige eintreten , wie es in Wirk- lichkeit bei einer Anzahl der von Dufour untersuchten Pflanzen der Fall war. Es bleiben uns noch eine Reihe von Erscheinungen zu be- trachten iibrig, die scheiubar fiir den Luftgehalt des Holzes sprechen, in Wahrheit aber auf Eintritt von Luft beim An- schneiden und Oeftnen mit Wasserdampf erfiillter Raume, oder auf anderen noch zu besprechenden Ursachen beruhen. Eine der bekanutesten Erscheinungen ist die, dass unter Wasser gehaltene Holzstucke aus den Hirnschnitten haufig Luft- blasen austreten lassen, eine Erscheinung, die noch aulfallender wird, wenn man, wie es bereits Hales 3) that, das betretfende Holzstiick mit einer Drahtzange driickt, oder noch besser, wenn ») Vorl. Mitthl. aus „Arb. d. bot. Inst. i. Wiirzb. III. H. 1." 2) Bot. Z. 1884. No. 13. p. 196 u. f. 3) Trevikanus, Physiol. § 70. p. 117. Beantwortuug der Frage nach dem Luftgehalt u. s. w. 473 man es in warmes Wasser bringt oder unter Wasser dem Evacua- tionsraura der Luftpumpe anvertraiit. Zunitchst muss bemerkt werdeu, dass nur solclies Holz unter diesen Verhaltnissen Luft austreten liisst, welches langere Zeit mit der Luft in Beriihrung gewesen und nicbt mit Wasser erfullt war; Zweige, die unter Wasser abgeschnitten werden, lassen erst bei Behandluug mit der Luftpumpe Luft austreten. Beim Abscbneiden von Zweigen unter mit Luft gesattigtem Wasser verraocbte icb in keinem Falle Luftaustritt zu bemerken. Da wir oben gesehen, dass in der gescblossenen Pfiauze die Was- serleitungsorgane keine Luft ftihren, so muss die audi an den Schnittflachen gegen Lufteintritt von aussen geschiitzter Holz- stiicke unter der Luftpumpe austreteude Luft aus den Intercellu- laren kommen, sowie aus dem umgebenden Wasser, von welchem sie absorbirt wurde. Eine weitere Moglichkeit fiir den Ursprung der austretenden Luftblasen giebt uns Sachs ^ ) an die Hand : „Lasst man wasser- armes Holz oder sonstige imbibitionsfabige Korper in lufthaltigem Wasser liegen, so bemerkt man sofort, dass bei der Einsauguug des Wassers an der Oberflache des Korpers reichlich feinste Luft- blasen abgescbieden werden, offenbar, weil das in die Haute ein- dringende Wasser die in ihm aufgeloste Luft abgiebt." Nord- LINGER-), welcher wahrscheinlich luftarmes Wasser zu seinen Versuchen anwandte, beobacbtete dagegeu fast keinen Luftaustritt aus den Schnittflachen kleinfingerlanger, ini Dezember abgeschnit- tener und in Wasser gelegter Weidenzweigstiicke, dagegen be- merkte er , dass die Zweigstiicke in einer Stunde 10 {} ihres Ge- wichtes an Wasser aufnahmen , ein Umstand , der auf Wasser- dampfgehalt innerhalb geschlossener Tracheiden deutet. Beim Luftaustritt aus trocknem oder wasserarmem Holze ist ausser den erwahnten Ursachen auch dem Umstande Rech- nung zu tragen, dass beim Eintauchen solchen Holzes in Wasser die vor Allem an den porosen Schnittflachen haftende verdichtete Luftschicht sich in Blasengestalt loslost wie von der Oberflache irgend eines anderen in Wasser tauchenden Kor- pers. Als Belege fiir das im Vorigen iiber den Ursprung der unter 1) Poros. d. H. p. 324. 2) Forstbotanik p. 85. 474 Dr. Max Scheit, Umstanden aus dem Holze austreteuden Luft Gesagte mogen fol- gende Versuche gelteu. Von Betula alba, Acer platanoides, Syringa per- sica wurden am 17./1X. 12'' m. Zweigstiicke unter heissem Wasser abgeschnitten ; nur an der Rinde und dem Mark, sowie den Len- ticellen bei B e t u 1 a traten feine Luftblaschen aus, ferner bei A m - pelopsis auch aus dem Holze, an Grosse sich jedoch nicht von den aus den Rindenintercellularen austreteuden Blasclien unter- scheidend. Betula alba am 16./IX. 12''- m. unter Wasser von der Tem- peratur der Luft durchschnitten , zeigte keinen Luftaustritt , ein Abschnitt des Versuchszweiges darauf in Wasser von 51 ^ C. ge- worfen, lies nach einiger Zeit an beiden Schnittflacheu feine Luft- blaschen austreten, die zum Theil aus dem beim Scbneiden ein- gedrungenen Wasser stammen mochten, der Luftaustritt dauerte kaum 1 Minute. Ein zweites in Luft abgeschnittenes , dann aber wie das vo- rige behandeltes Stiick liess sofort Luft in grosserer Menge und in grosseren Blasen austreten. Im Allgemeinen erfolgte der Luft- austritt um so andauernder, je langer die Versuchsstiicke vorher in Luft verweilt batten. Aus der Beobachtung, dass frisches Holz, welches man im Sommer aus dem Stamme oder Aste eines in Transpiration be- griffeuen Baumes herausschneidet und dann in Wasser wirft, schwimmt, lasst sich keineswegs der Luftgehalt der trachealen Elemente innerhalb der unverletzten Pflanze erschliessen , wie mehrere Forscher glaubten; das Schwimmen wird vielmehr durch die an den Schnittflacheu in die leeren Lumina eingedrungene Luft bediugt, denu verhindert man den Eintritt der ausseren Luft dadurch, dass man die Zweigstiicke unter Wasser abschneidet, so sinken sie entweder sofort oder nach kurzer Zeit unter, ohne dass Luftblasen an den Schiiittflachen zum Vorschein kamen, wahrend Zweigstucke, welche bereits langere Zeit in Luft verweilt haben, nicht untersinken, wie aus folgenden Versuchen ersichtlich ist. Populus tremula. Am 12./VIIL 12''- m. wurde ein 1cm. dickes Zweigstiick unter Wasser abgeschnitten, es sank sofort unter; ein zweites in Luft abgeschnittenes und sofort in Wasser geworfenes Stiick sank erst nach einiger Zeit, ein drittes, welches 5 Minuten dem Luftzutritt ausgesetzt gewesen war, schwamm im Wasser, um erst am nachsten Tage zu sinken. Weitere Versuche ergaben, dass ein nochmaliges Durchschneiden der in Luft ab- Beantwortung cler Frage uaoh dcm Luftgehalt n. s. w. 475 geschnitteneu unci in Wasser schwimmenden Objekte ein raschcs Sinkeu derselben veraulasste, eine Erscheinuug, welcbe auf das Vorhandeuseiu abgeschlossener leerer Tracheiden binweist, in welcbe vor dem zweiten Durcbscbneiden wegen der an den in Luft bergestellten Scbnittfliicben eingedrungenen Luft kein Wasser batte eindringen konnen. Salix caprea. Zweigstiicke sanken, unter Wasser abge- scbuitteu, sowobl am 18./VI. als am 14./VIIL, jedocb erst nacb Entfernung des Markes. Pinus silvestris. Am 15.1 VIIL 3^'' P- ht- wurde nacb ein era vorausgegaugenen Regen ein Zweigstiick unter Wasser ab- gescbnitten, es sank jedocb erst, nacbdem die Kinde entfernt worden war. Ein in Luft abgescbnittenes Stiick eines im Absterbeu begriflfenen Zweiges scbwamm trotz der Entrindung im Wasser, um erst zwei Tage spater zu sinken. Eigentbumlicb verbielt sicb Betula alba: Ein am 12. VIIL unter Wasser abgescbnittenes Zweigstiick sank nicbt unter, sondern scbwamm, obne Luft austreten zu lassen. Aucb trotz wiederbol- ten Spaltens unter Wasser und zweitagigen Verweilens darin sank das Objekt nicbt, einzelne kleinere aus den jiingsten Jabresringen stammende, mit scbarfem Messer abgescbnittene Spancben sanken aber zu Boden. Aucb ein nacb andauerndem Regen am 14. | VIIL 9*^ a. m. unter Wasser erst gescbaltes und dann durcbscbnittenes Zweigstiick scbwamm trotz der Entfernung des Markes , ebeuso ein 2 mm. dicker Querscbnitt. Dasselbe Verbalten wurde nocb am 9.|XL 12''- m. festgestellt , als bereits das Laub abgefallen war, docb zeigte sicb ein Uuterscbied insofern, als die Holzstucke im Wasser schwebten und zwar wocbenlang. Ebenso verbielten sicb Cory- lus Avellana, Alnus glutinosa nacb dem Laubabfall, als sicb bereits ibr Holzkorper wieder mit Wasser gefiillt batte, wie ein Abscbneiden einiger Zweige unter Metylgriin zeigte, auf wel- cbes keine Injektion erfolgte. Aucb bereits am 18. VI. 12'' m. sanken bei bewolktem Himmel und durcbnasstem Boden, sowie feucbter Luft unter Wasser ab- gescbnittene Zweigstiicke von Betula, Corylus, Alnus und Carpinus betulus nicbt, sie schwebten im Wasser, wiibrend 8 andere Holzarten zu gleicber Zeit unter deuselben Verbaltuissen untersanken. Auf das specifiscbe Gewicbt der Holzmembran liisst sicb das eigentbiimlicbe Verbalten der genannten Holzarten nicbt zuriickfubren , denn es ist bei alien grosser als das des Wassers, 476 Dr. Max Scheit, namlich 1,4, wie icli als Durchschnitt vou 3 auf verschiedene Art angestellten Bestimmungeu ermittelte; der Luftzutritt war in den Versuchen ausgeschlossen gewesen, es liegt daher die Ver- muthung nahe, dass der Luftgehalt eines stark entwickelten Inter- cellularsystems das Sinken verhindert. Da Intercellularen nun besonders dem Markstrahlgevvebe im Holzkorper zukommen, so riclitete ich mein Augenmerk auf das quantitative Vorkommen der genannten Gewebeart bei den genannten Objekten. In der That zeigen die letzteren ein machtig entwickeltes Markstrahlgewebe , und Nordlinger^) fiihrt Erie, Hasel und Hainbuche unter den Holzarteu an, die bei uns die breitesten und hochsten Markstrahlen besitzen, er giebt an, dass bei ihnen die Markstrahlen handhoch sind. Bei der Birke sind die Mark- strahlen nach gen. Autor weniger hoch (0,5 mm.) und schnial, dafiir aber sind sie zahlreich, und wie ich constatiren konnte, mit grossen Intercellulargaugen versehen , wie sich am besten an trocknen Schnitten unter Glycerin mikroskopisch nachweisen lasst. Wenden wir uns nun zur Betrachtung der so oft als Sttitze fiir die Annahme des Luftgehaltes des Holzes augefuhrten Blu- tuugserscheinungen, wie sie an abgeschnittenen , erwarmten Zweig- stiicken auftreten. Sie miissen nach den mitgetheilten Untersuchungen ebenfalls als eine Folge der von aussen in die angeschnittenen , nur zum Theil mit Wasser gefiillten, trachealen Elemente eingedrungenen Luft sein, so dass diese kiinstlich durch Luftexpansion hervor- gerufene Wasserfiltration fiir die geschlossene Pflanze bedeutungs- los ist. Die nach Beobachtung von Sachs 2) bei der Erhitzung frischen Holzes aus dem Querschnitt mit Heftigkeit herausspruhenden Gasblasen, die zugleich einen Theil des im Holze enthaltenen Wassers mit hinausschleudern, stammen entweder aus dem in den Hohlraumen des Holzes enthaltenen Wasser, von welchem sie je- doch erst bei der Beriihrung mit der Aussenluft absorbirt wurden, Oder es sind Wasserdampfblasen , wie sie sich bei der Erhitzung von Wasser bilden. Was das Auftreten von Luftblasen aus den Schnittflachen thranender Wurzelstocke anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, dass sie erst nach langerer Dauer des Saftausflusses auftreten. 1) „Technische Eigensch. d. H." p. 8. 511 u. ff. 2) Vorl. XVI. p. 320. Beantwortung der Frage nach dem Luftgehalt u. s. w. 477 Ihr Erscheinen deutet, wie aus den Versuchen Hofmeister's i), Detmers-') und anderer Forscher hervorgeht, auf beginnende Zer- setzung an der Schnittfliiche bin, wie auch Pfeffiok ■^) vermuthet. Die Absclieidung von Gasblaseu aus tbriinenden Wurzelstocken und Pf lanzentbei len, sowie die Ver- wechselung von Wasserdampfblasen mit Luftblasen ausgenommen, lassen sicb also, wie wir geseben ba- beu, sammtlicbe auf Luftgehalt beziiglichen Beob- acbtungen durcb den Eintritt der Aussenluft beim Anscbneiden und Oeffnen wasserdampferfullter, fiir Luft wahrend ihres Gescbl ossenseins impermeabler Elemente erklaren; die mitgetbeil ten Versuche be- statigen die durch Beobacbtung und Versucb festge- stellte Tbatsacbe, dass iunerbalb der Wasserleitungs- organe der gescblossenen Pflanze keine Luftblasen vorkommen. Welches im Besonderen die Zeit ist, zu welcher Wasserdampf an Stelle des fliissigen Wassers in den Wasserleitungsorganen vorkommt, soil an eiuem anderen Orte untersucht werden, einst- weilen sei nur darauf hiugewieseu, dass fur diese Zeit die Wasser- bewegung eine andere sein muss als zu der Zeit, in welcher fliis- siges Wasser die Wasserleitungselemente erfiillt. Ich hoffe dem- nachst den Nachweis liefern zu konneu, dass sicb einestheils zur Zeit der Neubildung von Organen und organischer Substanz ein mit anorganiscben Nilhrstoffen beladener Strom fliissigen Wassers ausscbliesslicb im Lumen der trachealen Elemente mit Hiilfe des Wurzeldruckes und der Capillaritat bewegt, wovon der erstere sicb als treibende, die letztere als halteude Kraft erweisen wird; wahrend auderutheils nach dem Aufhoren der Wurzelthatigkeit und der Neubildung, sowie unter gewissen Umstanden, eine Was- serbewegung auf dem Wege der Destination stattfindet. N a c h t r a g-. In einer mir erst nach Beendiguug der vorliegenden Arbeit zu Gesicht gekommenen Abhandlung „Zur Theorie der Wasserbe- wegung in den Pflanzen"'*), welche ibre Besprechung demnacbst 1) Flora 1862 p. 108. 2) Verhandl. d. kiinigl. sachs. G. d. W. z. Leipzig 1877. p. 447. 3) Physiologie, Bd. I. p. 368. *) Sep.-Abdr. aus Pringsheim's Jb. fiir wissenschli. Bot. Bd. XV. H. 4. 1884. p. 628. 478 Dr. Max Scheit, Beantwortung der Frage u. s. w. finden soil, erklart Godlewski die in meiuer vorl. Mittlieilung iibev „Die Wasserbewegung im Holze" ^ entlialteue Beweisfiihiung fiir die Behauptung, dass in den Tracheiden und Gefassen keine Luft vorhauden sei, als fiir vollstandig verfehlt. In wieweit diese Behauptung begriindet ist, wird durcli die vorangegangene Er- weiterung meiuer Beweisfiihrung ersichtlich sein, in welcher auch die in den von Godlewski ,,zur Belehrung tiber den Luftgehalt" angefiihrten Arbeiten entbalteuen Angaben iiber den Luftgehalt des Holzes aucli ohne besondere Besprechung ihre Erklarung fiu- den vverden. Aus den von Bchim^), sowie von Faivre und Dupre-'^) au- gestellten Untersuchungen iiber die Zusammensetzuug der in den Versuchsobjekten enthaltenen Gase sind keineswegs Schliisse auf den Luftgehalt resp. Gasgehalt der trachealen Elemente zu machen, da bei diesen Versuchen einestheils die von aussen in die ange- schuittenen und geoftneten Gefasse eingedrungeue Luft mit zur Untersuchung koramt, falls die Elemente nicht mit Fliissigkeit er- fiillt waren, anderntheils die aus den Intercellularen und ange- schnittenen lebensthatigen Zellen ausstromendeu Gase. Hochst sonderbar nimmt sich die Bemerkuug Godlewski's aus: „Es ist gauz eigenthiimlich, dass, nachdem man so lauge Zeit hindurch die Tracheiden und Gefasse lauter Luft enthalten liess, man jetzt behaupten will, dass in diesen Elementen iiberhaupt gar keine Luft vorhanden ist", bietet doch die Geschichte der verschiedensten Wisseuschaften Beispiele genug, dass Ansichten, welche lange fiir wohlbegriindet hingenommen worden waren, durch besser begriindete verdrangt wurden ! Ausserdem steht meine als „eigenthumlich" hingestellte Be- hauptung ja keineswegs unvermittelt da, ist doch bereits von Sachs, wie in vorliegender Arbeit gezeigt wurde, fiir moglich ge- halteu worden, dass die Wasserleitungselemente unter Umstiinden luftleer sein konnten. Ausserdem sind die Ansichten iiber den Inhalt der Gefasse noch gar nicht so lange Zeit iibereiustimmend, wie Godlewski auzuuehmen scheint, der geschichtliche Ueber- blick, den Faivre und Dupre (1. c.) iiber dieselben anstellen, giebt dariiber Belehrung. 1) Bot. Zeituug 1884, No. 12, 13. 2) Landwirthschaftl. Vcrsuchsstationen, Bd. XXI, p. 373. 2) Ann. di3s sciences nat. 1866. p. 361. Beitrage zur Anatomie und Physiologie der Dipnoer. Von Ho^vard Ayers. Hierzu Tafel XVI — XVIII. Einleitung. Die Lehrbticher der Zoologie beschreiben zwci Unterordnun- gen der Ordnung Dipnoi. Die erste umfasst eine Gattung mit zwei Arteii : Ceratodus (Agassiz) Forsteri Kretft. und miolepis Gunther, die zweite, zwei Gattungen mit je einer Art : Lepido- siren paradoxa (Natterer) und Protopterus (Pihinocryptis, Peters) annectens , (Owen). Obgieich ich es an Bemiihungen nicht feli- len liess, ein Exemplar des Lepidosiren paradoxa aiifzutreiben, d. h. ein Exemplar, welches von authentischer Quelle als solches bezeichnet ware, so konnte doch keins aufgefuuden werden. Wir sind nicht zu der Annahme berechtigt, dass andere Exemplare je gesehen sind, als die zwei, welche Natterer ent- deckt hat. Nach einem sorgfaltigen Studium des Protopterus und einer Vergleichung des letzteren mit den Beschreibungen des Le- pidosiren , die Hyrtl , Bischoff , Peters und Natterer geben, scheint mir der Schluss unvermeidlich, dass die beiden Tiere keine spezifischen Unterscheidungsmerkmale besitzen. Hochstens sind sie Variationen derselben Species, Diese Ansicht wird unterstiitzt durch folgende Erwagungen: 1. Die Variationen zwischen den einzelnen Exemplaren des Protopterus annectens sind gewichtiger als die Merkmale, nach den en man gewohnlich Lepidosiren von Protopterus unterscheidet, 480 Howard Ayers, und diese Variationen fassen noch dazii dieselben Charakteristica in sich. 2. Die specifischen Characteristica fehlen haufig, wie aus der ersten Erwagimg folgt. 3. Das geringe Material, welches den Auatomen zur Ver- fiigung stand, deren Berichte den Beschreibungen der Lehrbiicher zu Grunde liegen. 4. Der gegenwartige ganzliche (?) Mangel an Lepidosiren in den Museen und der verhaltnissmassig grosse Reichtum an Protopterus. Nach der Besclireibung von Peters (30) nennt Claus (8) als ein unterscheidendes Merkmal : das Vorhandensein 3 ausserer kiemenahnlicher Auhange. In einer Reihe von Exemplaren des Protopterus annectens vom weissen Nil fehlten die kiemenahnlichen Anhange, die Glaus a. a. 0. erwahnt und Wiedersheim (35) p. 626 abbildet. Nach GtJNTHER (12) p. 553 besitzen die jungen Exem- plare des Polypterus, Ceratodus und anderer Gauoiden solche ausser- liche Kiemen. Sie sind bei Protopterus als tjberrest des Lar- vensstadiums zu betrachten und wltrden also nur bei jungen Thieren vorkommen. Nach dem Rechte der Prioritat muss der Name Lepidosiren beibehalten werden, und so werde ich denn unter der Bezeichnung Lepidosiren paradoxa stets beide Arten der Dipneumona zusammen- fassen. Der Beschreibung werden nur die Exemplare aus Afrika zu Grunde liegen ; das Material zu den Monopneumona beschrankte sich auf zwei Exemplare des Ceratodus Forsteri. Die sichtbaren Liicken in der Behandlung einiger Telle der Anatomie der Organe und die ganzliche Nichtberiicksichtigung an- derer Telle haben ihren Grund in dem Wunsche, die Wieder- holung bereits festgestellter Thatsachen zu vermeiden, soweit es, ohne die Deutlichkeit zu verletzen, geschehen konnte. Was den Mangel an Zusammenhang angeht bei der Behandlung der Lym- phoidkorper und Gewebe, so muss beriicksichtigt werden, dass die Natur des Gegenstandes vorlaufig eine einheitlichere Beschreibung schwierig macht. Ich hoffe , bald eine bessere Darstellung einer Anzahl von Grganeu, ihrer Verhaltnisse unter einander und zum Ernahrungssystem geben zu konnen, die bis jetzt keine systema- tische Durcharbeitung erfahren haben. Die Untersuchungen , die die Grundlage dieser Aljhandlung bilden, wurden im Laboratorium des Instituts fiir vergleichende Anatomie an der Universitat Freiburg ausgefuhrt, und ich bin dem Director desselben, Herrn Professor Wiedersheim, sehr Beitrage ziir Anatomie und Physiologie der Dipnocr. 481 zu Dank verpflichtet fiir seiii tVeuudlicbes Entgegeukommeii , dcssen ich bci lueiiier Arbeit bedurfte, sowie fiir die Giite, die er inir bei diescn imd andoreu Studieu bewiesen hat. Ausserdem liabe icli Dank zu sagen deni Horrn Oberstudieurat Dr. von Krauss in Stuttgart und Herru Prof. Eduard van Bene den, die niich freundliclist mit Material unterstiitzt haben. Von ersterein erhielt ich cin wertvolles, gut erhaltenes und vollstaudiges Exemplar des Ceratodus wie auch ein schones Exemplar des Lepidosiren aus dem weissen Nil, von letzterem die vollstaudigen Eingeweide eiues juugen weiblichen Ceratodus. 1. Balfodk, F. M 2. >> »» 3. Literatur. A Monograph on the Development of the Elasmobranch Fishes. London 1878. Comparative Embryology. Vol. II. 1881. On the Head Kidney in Adult Teleosteans and Ganoids Q,. J. M. Sci. Vol. 22. 1882. 4. „ „ The Urogenital Organs of the Vertebrata Journ. of Anat. and Phys. Vol. X. 1876. 5. Billroth, Th. , Beitr. zur vergl. Histologic der Milz. Vir- chows Archiv, Bd, XX u. XXIII, auch Zeitschr. f. wiss. Zool, Bd. XI. 6. BrscHOFf, Th,, Lepidosiren paradoxa. Leipzig 1840. 7. Bridge, T. "W., Fori abdominales of the Vertebrata. Journ. Anat. and Phys. Vol. XIV. 1879. 8. Glaus, C, Grundziige d. Zoologie II. 4. Auflage. 1882. 9. EcKER u. WiEDERSHEiM, Anatoiaie d. Froisches. Braunschweig 1864—82. 10. Edingee, L., Ueber die Schleimhaut des Fischdarmes, Ar- chiv f. mikr. Anat. Bd. XIII. 1877. 11. Gegenbaur, C, Vergl. Anatomie. Leipzig 1879. 12. GiJNTHEE, A., Ceratodus. Phil. Trans. Roy. Soc. Vol. 161. 1871. 13. Hoffmann, C. K,, Amphibia. Bronn's Klassen u. Orduungen. 1873—78. 14. Huxley, Th. H,, Ceratodus Forsteri. Trans. Linn. Soc. Lond. Vol. XVIII. Bd. XVllI. N. F. XL 32 482 Howard Ayers, 15. Hyetl, J., Lepidosiren paradoxa. Abhandlungen der bohm. GeseU d. Wiss. 1845. 16. ,, ,, Beitrage zur Anat. von Heterotis Ehrenbergii. Denkschr. d. k. Acad. d. Wiss. z. Wieii. Bd. VIII. 17. „ „ Ueber d. Zusammenhang d. Geschlechts- u. Harn- Averkzeuge bei den Ganoiden. Denkschr. d. Wien. Akad. Vm. 1854. 18. Dr. von Klein, Beitrage zur Anatomie d. Lepidosiren au- nectens. Jahresber. d. Vereines f. Xaturkunde in Wiirtt. Vol. XX. 1864. 19. Langeehans, p., TJntersuch. liber Petromyzon Planeri. Be- richt d. jSTaturforsch. Gesell. Freiburg. Vt. 1876. 20. Leydig, Fr., Anatomisch-Histologische Uutersuch. lib. Fische u. Keptilien. Berlin 1853. 21. ,, „ Zur Anatom. u. Histol. d. Chimaera monstrosa. Miill. Arch f. Anat. 1851. 22. „ „ Lehrbuch der Histologie. Frankfurt 1857. 23. Loos, P. A., Ueb. d. Eiweissdriisen im Eileiter der Amphi- bien u Vdgel. Leipzig 1881. 24. MiscHEK-RuscH, F. , Statist u. Biolog. Beitr. zur Kenntniss V. d. Lehre d. Eheinlachses. Schweiz. internat Fischerei-Ausstell. 1880. 25. „ „ „ Ueber das Leben des Eheinlachses im Siisswasser. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1881. 26. Metschmkoff , E. , TTeber die intracellulare Verdauung bei Toelenteraten. Zool. Anzg, IIL 1880. 27. MvLLER, W., Ueb. den feineren Bau d. Milz. Leipzig 1865. 28. Natterer, J., Lepidosiren paradoxa. Annalen des Wiener Museums. II. 1837. 29. Owen , E. , Description of Lepidosiren annectens. Trans. Linn. Soc. Vol. XVII. 30. Peters, Lepidosiren. Miill. Arch. f. Anat. 1 845. 31. ScHNEiDEE, A., Beitr. zur vergl. Anat. u. Entwick. d. Wir- belthiere. Berlin 1879. 32. Sempee, C, Das Urogenitalsystem d. Plagiostomen u. s. w. Arbeit, aus d. zool.-zoot Inst. Wiirzburg. Bd. II. 1875. 33. Spexgel, J. W., Das Urogenitalsystem d. Amphibien. Eben