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STR izkait Lübede

Kleine

Hikorifhe Schriften Heinrich von ge

Dritter Band.

Stuttgart. Berlag der I. ©. Cotta'ſchen Buchhandlung. 1880.

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Inhalt

Die larolingiſchen Annalen

Die Schenkungen der Rarolinger an die Päpfte

Sagen und Gedichte über die Kreuzzüge . -

Die erfte Theilung Polens

Zwei Lehrer Friedrich Wilhelm's III. in der Philojophie Der alte Staat und die Revolution in Frankreich .

Der Rafadter Geſandtenmord. * Die öfterreichifche Staatsconferen; von 1886

Kleritale Politit im 19. Yahrhundert .

Deutſchlands Rechte auf Elſaß und Lothringen . Rapoleon III.

Die karolingifhen Nnnalen.

v. Sydel, ML. Hiftorife Schriften. II. 1

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fi Die terolingiicen Unnalen.

uns auch intereffante Brieffammlungen einflugreiher Perſonen gerettet, es erfheint in Einharb wenigitens ein Autor von ausgeiprochenem literariihem Talent. Zugleih aber fteigert ſich auch der Eifer der Annaliften. Meiftens bleiben freilich immer noch ihre Aufzeichnungen jehr kurz und ſummariſch, wenige Zeilen fit jeves Jahr: der König unterwarf Aquitanien, der König zog nad Sachſen und nahm Eresburg, und wie die Ans ‚gaben weiter lauten. Langſam aber wachſt ver Umfang der Notizen; fie gehen abſchriftlich aus einem Kloſter in das andere; aus zivei Vorlagen wird wohl eine dritte zufammengefeßt, oder aus eigener Kenntniß irgend ein intereflanter Zufag gemacht. Bier und da findet ein nur für das eigene Kloſter wichtiger Vorgang Erwähnung, überall aber ift das eigentlihe Thema die Aufzeichnung der wichtigſten Ereigniſſe der Landesgeſchichte, der Thronwechſel, Kriege, Eroberungen. Eudlich, gegen Aus- ang des Jahrhunderts, erſcheint ein Annalenwerk, welches zwar in einem erheblichen Theile ſeines Inhalts den Zufantmen- hang mit feinen Vorgängern nicht verleugnet, aber fie alle durch Quantität des Stoffes und Ausführlichleit ber Darftellung weit Kinder ſich zurüdläßt, die größern Lorſcher Annalen, Lau- rissenses maiores, wie fie Pertz in feiner Ausgabe, die Reiche: annalen, wie fie Ranke, die Nönigsannalen, wie fie Gieſebrecht genannt bat. In Folge einer vor 25 Jahren von Ranle ges gebenen Anregung bat fich ſeitdem die hiſtoriſche Kritit vielfach mit ihnen beichäftigt; allmählich iſt eine ganze Literatur über die Frage ihrer Entftehung und Bedeutung erwachien, welche bald die übrigen, Fleinern Annalen in den Kreis ihrer Erörtes rungen gezogen bat, unb auch id) will mir erlauben, hier meine Anfiht vorzulegen.

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6 Die larslingiihen Annalen.

von einer auswärts entitandenen Schrift ſogleich eine Eopie nad Lori gelangt fein kann; wie wir denn puren von mebre facher Benugung unſerer Annalen in andern ſüddeutſchen Klöftern gleih am Anfang des 9. Jahrhunderts, alfo ſehr bald nach ihrer Entftehung finden *). Jurmerhin aber werden bei dem Diangel fonftiger Zeugniffe die von Perh hervorgehobenen Punkte eine getoiffe Vermuthung für Lorſch rechtfertigen und die Bereislaft den Gegnern feiner Anſicht zuſchieben.

Benn num Ranle in der berühmten, 1854 ber Berliner Alademie vorgetragenen Abhandlung zu einem abweichenden Ergebniffe gelangt, jo find es Iediglich innere Gründe, die ihn beitimmen. Sein Augenmerk iſt vor allem ein hiſtoriſches und exit in zweiter Linie ein literarhiſtoriſches; er ſorſcht, wo ſich die beite Etlenntniß der Thaten König Karl's entdeden läßt, und wirft nur im dieſem Sujammenhang einen Blid auf die Entjtebung unjerer Annalen. Er vergleiht die verſchiedenen Nenactionen derfelben; früher ftand der urſprüngliche Tert wegen feiner plumpen Sprache im tiefem Mifkredit, während die fpätere, durch Einhard’s Namen geſchmückte Weberarbeitung ſich allgemeinen Anfehens erfreute; Ranke findet dagegen mit treffendem Scharfblid, daß die letztere bei der Politur der Form nicht felten harakteriftiiche und intereſſante Momente des Zu: balts oder ee bat, gerade ſolche Momente, welche

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8 Die larolingifgen Annalen.

Inge Karl's deshalb verſchweigt, weil er im Auftrage des Königs ſchreibt, aber doch ebenfo möglich, daß er ſchweigt, weil er nach feiner privaten Geſinnung davon nicht reden mag, ober weil er in feiner Eurgen Jahresnotiz feinen Raum dafür bat, ober endlich, ſehr einfach, weil er nichts davon weiß. Und die Maſſe der Mittheilungen, welche wir dem alten Autor verdanken, übertrifft freilich in erheblichen Grade die ber vorausgegangenen Heinen Annalen; aber bei deren Dürftigleit kann dies unmögs lic als bündiger Veweis fir eine offisielle Geſchichtſchreibung, ‚als zwingende Widerlegung jeder andern Entitehungsart gelten; über große Kriegstpaten kann zu allen Zeiten ein Privatmann recht wohl unterrichtet fein, ohne deshalb zu den eingeweihten Regierungsfreijen zu gehören. Wir werden unten dieſe Frage in Bezug auf bie Lorſcher Annalen im Einzelnen prüfen: einftweilen müfjen wir jagen, dab wir uns hinſichtlich offi— cieller Neihsannalen des 8. Jahrhunderts erft einer Möglich feit, nicht aber einer erwieſenen Wirklichkeit gegenüber be finden,

Indeſſen die Bücher haben ihre Schickſale. Ranke's Haupts jag, die Begründung der Geſchichte Karls des Großen auf die alten Lauriſſenſes, erfuhr, 3. B. in Abels Jahrbüchern, viel- face Bemangelung. Aber feine Hindentung auf etwa fattges fundene officielle Abfafjung fand allgemeinen Beifall und wurde der Ausgangspunkt für eine ganz neue Betrachtung der Faro: —— Bait ſyrach ihr feine gaſtimmung

16 Die Iarolingiihen Annalen.

Vorrede zeigen, daß fie ihm nicht geeignet fchienen, das Ans denfen feines großen Woblthäters zu verewigen.“ Es iſt, jeben wir, ſtets berjelbe Hergang. Daß Königsannalen eriftiren, wird vorausgefegt, und nun unterjucht, nicht was Einhard ge- jagt, fondern mas er umter jener Vorausfegung bei feinen Worten eigentlih gemeint habe. Die Königsannalen waren am Hofe vorhanden, Einhard kannte fie natürlich; fie Schienen ihm mer wicht gut genug, Karls Thaten vor der Vergeſſenheit zu bewahren. Es wird die Kühne Wendung genommen, Ein— barb habe um fo unbefangener die vor ihm liegenden Annalen als nicht vorhanden behandeln Können, als er ja höchſt wahr- ſcheinlich ſelbſt einen Teil derjelben abgefaht habe, eine Anficht, bie für die erften Decennien des 9. Jahrhunderts wieder fein äuferes Zeugniß beibringen Tann, ſich lediglich auf einzelne Aehnlichteiten des Stiles ftügt und vielfade Widerſprüche zwi⸗ ſchen der Vita und den Annalen unbeachtet laſſen muß. Es wird weiter hinzugefegt, die Annalen hätten nur die äußern Thaten Karl's beridtet, Einhard aber wäre es auf ein Lebens: bild, auf Perſon und Charakter des Königs angefommen, wor: über bis dahin in ber That niemand gehandelt. Allein ob: wohl Einharb (Vita ec, 6) erklärt, daß es ihm mehr auf ein yerfönlices Bid als anf Kriegsgeſchichte anfomme, jo erhellt doch gleich beftimmt aus den Worten der Vorrede feine Anficht, daß auch die Ariegsgeichichte noch feinen Bearbeiter gefunden habe; er will ſchreiben, fagt ‚er, damit ſowohl das Leben als Sn Thaten bes 4

18 Die karolingijgen Annalen.

von weitfälifchen Patrioten und pragmatiichen Hiftorifern der fegreihe Heldenmuth der Sachſen am Süntel gefeiert worden, fo dab es wirklich als ein ftartes Stüd erſcheinen muß, wenn der alte Annalift von dem einen Tag ſchweigt, bei dem andern ſogar einen fränktihen Triumph berichtet. Umſomehr greifen wir zu den einzigen, uns zu Gebote ftehenden Quellen, zu Ein- hard's Vita und dem ſpätern, aus biefet ſchöpfenden Bearbeiter der Annalen, welde, wie man jagt, jo viel unbefangener der Wahrheit die Ehre geben. Und mas findet ſich hier? Ueber Ronceval berichtet Einhard, daß bei der Rücktehr aus dem ipaniichen Feldzug das Heer in langem Zuge das Gebirge paſſitt habe und dann auf dem Kamme deſſelben die ven Troß beihügende Nachhut plöglih dur die Basfen angegriffen und fat aujgerieben worden ſei; Race zu nehmen fei unmöglich) geweſen, da bei dem Anrüden von Verſtärkungen die Basten, behend und des Gebirges kundig, ſich durch eilige Flucht ges rettet hätten. Alſo ein Scharmügel, ein Arrieregardegeſecht, allerdings mit ſehr bedeutenden Verkuften, aber ohne jeden Einfluß auf den allgemeinen Gang des Krieges. Daß dies num im einem Berichte, welcher die Darftellung des ganzen Feldzugs in fieben Zeilen erledigt, feine Erwähnung findet, wird doch ſchwerlich als Beweis für eine Tendenz bes Erzählers gelten können, mag fpäter die Sage wegen Roland's dort ers folgten er von Nonceval noch jo tragiſch

Zu 22 Die farolingiigen Annalen

willen, und Ebrard erläutert, der ältere Autor habe eine ſolche Angabe vermieden, die an den Bruderzwiſt zwiſchen Karl und arlmann erinnert hätte. Allein der Friede, welchen die Königin vermitteln wollte und wirklich auch zu Stande brachte, war micht eine Berföhnung der beiven Brüder, von denen aus diefer Zeit aud feine Entziweiung gemeldet wird, fondern ein Ab— kommen zwiſchen ben Sangobarben einer⸗ und dem Papite und den Franlentbnigen anbrerfeits, Es ift alſo auch Hier fein Anlaf zu dem Schluffe, daß der ältere Annalift aus irgend einer Tendenz den Zwed ber Reife verſchwiegen habe; aus feinem Schweigen geht nichts weiter hervor, als daf er dene felben wicht gekannt bat. Wir kommen ſtets zu demjelben Erz gebniß: an bie officiöfe Zurüdhaltung eines Hofgelegrten ift bier nicht zu denken. Der Verfaffer it, wie jede Zeile lehrt, ein warmer Verehrer Karl's des Großen; er liebt den glor= reichen Herrn König und haft alle feine Widerſacher; dazu aber war es nicht nötbig, dab er im Auftrage deſſelben feine Jahrbücher ſchrieb.

Wenn alio unfere alten Annalen eine amtliche Reichs- geſchichte fein follten, jo Könnten uns das nicht ihre negativen, fondern stur ihre pofitiven Eigenſchaften verkünden, ihre Mit« theilungen nämlich von fo tief greifender Bedeutung, dab nur ein Organ der Negierung ober ein dem Kötige unmittelbar wahe ftchender Mann in-den Befig folder Kumde hätte gelangen

26 Die karolingijgen Annalen.

bemerkt; die früher Kriege Pippin's gegen die Araber finden gar keine Erwähnung; die Marſchroute Karl's wird nur durch ihren Enppunft Pampeluna bezeichnet; über die Strafe des zweiten Heertheils erfahren wir nicht eine Sylbe. Scheinbar etwas beffer fteht es in diefen Beziehungen bei dem italienischen Feldzug von 773, wo ganz genau berichtet wird, daß Karl in Genf feine Heeresmaſſen theilt, mit einer Schaar perfönlig den Mont Genis überſchreitet, mit einer andern feinen Obeim über den großen Bernhard vorgeben läßt. Anerlennend bemerkt dann Nanke, wie der alte Annalit die Umgehung der Tangos barbiipen Maufen durch eine feitwärts fiber die Berge ents fandte Schaar Mar jtellt, während der jpätere Bearbeiter ſich Ratt deſſen mit einer allgemeinen inhaliloſen Redewendung bes auügt. Leider müfen wir eines andern Umftandes wegen dieſes Gob in fein Gegentheil verkehren. Jene Manfen Tagen am Ausgang des Thales von Sufa, im legten Engpab ver Straße des Mont Cenis. Wenn nun des Königs Oheim den großen Bernhard überjtiegen batte, jo mußte er durch das Thal von Jorea in die piemontefiiche Ebene und damit bem laufen bei Suſa in den Nüden gelangen. Unfer Annalif aber läht dem Oheim nebit feinen Truppen noch vor den laufen ih mit dem Könige vereinigen; er gibt ihm alle Flügel ober Suftihiffe, sau Ban Dun Damen vr Bee Au

» Die farolingiihen Annalen.

au der Geſaudiſchaft bewogen, ben Inhalt der päpftlicen Vers mittlungsanträge, die Veftimmungen des von dem Könige vor: geihlagenen riedensvertrags. Inmerhin aber bleibt troß aller Linden die Tpatfache beftehen, daß der Bericht über diefe Unter dandlung nad Subftang und Farbe fih vor allen anbern Staden unferer Jahrbucher bervorbebt. Der Unterſchied ift jo lagend, dafı W. v. Gieſebrecht an dieſer Stelle die Geburts Matte des gamyen Annaleuwerks zu finden glaubt. Taffilo’ Kotaſtrophe im Jahre 788, Dis zu welchem Jeitpunfte der alte Werſcher Coder die Erpäblung fortfepte, habe dem Könige An- laß gegeden jo führt Giefebreht aus eine Geſchichte jeiner Wogierung unter dem Gefihtsyunkte einer Motivirung der gegen Talite ergrifenen Nahregefn zu mänicen; durch einen völlig Vverch zur Suformatien des Meere mitgeibeilt worden, weil test Tale eine Zrüt bang eingeiperrt wer. Deder bie be Raten Undiätrtihlrit und Gumsuigkeit der Angalız üfer 787, melde tuma der der Graibiung mem Veirrms Zemmingung wer 738 wen Zalkles Nerurtivleng Äecegt Zum Birken ach Kummrtarung züret emitedt Near Gieteadt weiter) Tab au ur den Ädtere Abiteien dur Aemalım dat Ten Mut I Iminiten Dies ze Bam dat penläde Suse anna Nie mt pemamer AU jednb amihree Terieüge wm Aut En =

36 Die larslingifgen Annelem

zu Zaffilo'3 Gunften jprehen, während alle von dem Annaliften angeführten Thatjachen in einer Anklageakte gegen den Her zog figuriren tonnten. Und jo kämen wir vielleicht, trog alle dem und alledem, ſchließlich doch wieder auf die Vermuthung einer hofijchen und officiöfen, wenn nicht officiellen Beidiht- i&reibung zurüd?

3 glaube, dab die Sache viel einfachet liegt. Denk gerade am dieſer Stelle hat uns der Annalift ſelbſt die Quelle feiner gefammten Wiſſenſchaft über Tajiilo mit aller wünfden®: werthen Dffenpeit enthüllt, und fogleih wird man fehen, wie 8 um feine Nähe zum Eöniglicen Rathe ftand, und meshalb alle feine Mitteilungen über Zaffilo ſich wie Artifel einer Anllogealte ausnchmen. Nämlih, gleich nachdem er, wie oben wiederholt, die Entlafjung der baieriſchen Gejandten aus Rom berichtet hat, erzählt er, daß Karl nad Deutihland zurüdge kehrt, zu Worms im großen Freuden mit jeiner Gemahlin Faſtrada zufammengetroffen jei und dann im diefelbe Stabt einen Reichstag berufen habe. Dort meldete der König, heißt es num weiter, jeinen Prieftern und andern Herren alles, mas auf der Reife verrichtet worden war, und als er an den Punkt gelommen war, dab er alles über Taffilo auseinandergefegt hatte, wie es eben geſchehen war, ſo fah derjelbe König vor, daß Boten an Taffilo geſchidt würden mit Befehl, daß er alles Wie Van. Deäa Iad Baal Ele EEE J

40 Die karolingiſchen Annalen.

jene Ermenrich's und Dietrich's erwartet haben: fo viel if fider, daß unſere Quellen ung keinen Anhalt geben, dem großen Herrſcher hiſtoriſchen Sinn zuzuschreiben. Es fcheint Fein un erhebliher Zug in feinem Bilve, den wir hiermit von einer modernen Verputzung befreit haben.

Die karolingiſchen Annalen.

Replik.

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Die tarolingiſchen Annalen

will er mir einräumen, ungefähr alles was ih über bie Lorſcher Annalen eriten Theiles bis 788 jage. Denn was er bierbei kritificend bemerkt, ändert an dem Refultate der Unterſuchung nichts; es find Heine Detailcorrecturen, in denen ſich die un⸗ erläßlide Ueberlegenheit des Recenſenten über den Recenfirten zu manifeftiren bat. Gegen diefes herfömmliche Verhältniß babe ich matürlih nicht einzuwenden, wenn ih aud nad menfhliher Schwäche hier und da glaube, daß der Irrthum auf der Seite des Herrn Recenſenten Liegt: ich gebe alfo auf dieſe Sperialien bier nicht mäher ein, jondern wende mich, Simjſon's Beifpiel folgend, jofort zu feinem Haupteinwande gegen meine zweite Behauptung, gegen den Sat, daß zu Karl's des Großen Zeiten eine amtliche Hofannaliftit nicht eriftirt habe. Eimjon findet, dab ic zwar dem eriten Teile der Annalen eine eingehende lnterfuchung gewidmet und diefem die Eigen- ſchaft böfticher Geſchichtichteibung beftritten habe: nun aber habe Karl der Große nicht bloß bis 788, ſondern bis SI4 gelebt, und da auch über diejen zweiten Abſchnitt feiner Regierung ein Annalenwert vorliege, jo jei es meine Vilicht geweſen, biejes gleichfalls einer eingehenden Kriti zu unterziehen. Bei Diefer Sadlage jpringe die Jucongruenz zwilhen meiner Theis und dem für fie erforderlichen Bemeismaterial in die Augen. Stehe es dor 788 wie es wolle, der jiweite Theil der Annalen, 788

(eder doch 796) bis SIE, erweiſe ſich durch ſeinen 2

——

46 Die tarolingiigen Annalen.

Kirche Bapft Seo IL. Es iſt „angeniheinlih“, daß dieſe Worte nicht zu Lebzeiten Leo's geſchrieben fein können, wie dies auch Gieſebrecht anerlennt; Leo ift aber erit 816, zwei Jahre nad) Kaifer Karl geftorben, und folglich ift auch dieſer Theil der Anmalen erſt nad) Karl's Tod geſchrieben worden. Es ift alſo phyſiſch unmöglid, mit der Eriftenz diefer Annalen die Eriftenz einer amtlichen Hiftoriographie unter Karl's Regierung nach⸗ zuweiſen.

Diefe Thatſache war langſt bemerkt. Gieſebrecht, der eben— falls den amtlichen oder doch höfiſchen Urſprung der Annalen annahm, fand ſich mit ihr ab durch Die Einrede, daß die frag: lichen Worte ein jpäterer Zuſat fein müßten, da fonit bie Gleichzeitigkeit durch bie häufigen Wendungen hoc anno, illo anno, illo tempore feftftehe. Diejer Schluß aber ift offenbar mißlich auf beiven Seiten. Auch ein jpäter ſchreibender Autor tann unter der Ueberſchrift eines Jahres jagen, daß „in biefem Jahre“ dies und jenes geichehen jei, und anbrerjeits it es un: möglid, einen Sap, der in alen Handſchriften vorfommt und der auch in dem Zuſammenhange der Erzählung an jeiner Stelle ſchlechthin unentbehrlich ift, als fpäteres Einſchiebſel aus: zumerzen. Simſon fühlt dies jelbit und nennt die Ausfonde: zung einen bebenklichen Nothbehelf; anftatt aber die unabtoeis- liche Folgerung daraus zu ziehen, beruhigt er fid mit bei Nachſatze: „im allgemeinen“ aber mache der betreffende Abſchnitt der Lauriſſenſes „allerdings „durchaus“ „den Eindrud” der Gleichzeitigfeit. Es ift, wie wir fehen, allerdings und durchaus wieder ber Eindrud, der jubjective Eindrud, der es bei ihm über die trodene biftorifche Thatſache davonträgt.

Ih könnte, dünkt mic, hiermit fliehen, nachdem das

48 Die farolingifgen Unnalen,

fönne nur ein am Hofe Tebender Schreiber jo genau erkundet haben. Ich frage dagegen: melde diefer Einzeleiten hindert die Annahme, daß ber zweite Abſchnitt der Lorſcher Annalen eben fo wie der erfte in Lorſch geſchrieben jeit Lorſch mar eins der reihften und vornehmften Klöfter am Rhein; feine Aebte fanden in ber erſten Reihe der karolingiſchen Großen und waren ohne alle Frage anweſend bei ben Synoden und Eonventen des Reiches. Alle Wege zur hiſtoriſchen Belehrung waren bier geöffnet, und daß auch geſchichtliches Intereſſe dort lebendig war, lehrt uns die Entftehung der Laureshamenſes und Nazatiani. Welde der eben twiederholten Notizen wären einem Lorſcher Abte oder deſſen wißbegierigen Begleitern un— zugänglich geweſen? Die Laureshamenjes Iafjen mande ent: fernter llegende Dinge unbeachtet, baleariſche, venetianifce, dalmatiniiche Händel, die in den größeren Annalen zur Sprade fommen; über Ereigniffe aber, die fie näher intereffiren, ſäch- ſiſche, ſlawiſche, kirchliche Begebenpeiten, wiſſen fie eingehender und unterrichtender zu reden als die ſogenannten Reichsannalen: um ſo weniger finde ich einen erheblichen Grund, den letzteren einen hbfiſchen Urſprung anzuweiſen, wenn die erſteren ohne einen ſolchen ſich fo kenntnißreich zeigen können.

Dan vergleiche z. ®. die beiberfeitigen Berichte über den römifchen Aufſtand gegen Leo IH. Die angeblichen Reichs— annalen berichten in furzen Worten Leo's Blendung und Ber ftümmelung, feine Flucht nad Spoleto, feinen ehrenvollen Empfang in Paderborn, feine Nüdlehr nah Rom. Wie bie letztere trog der fiegreihen Empörung möglich geweſen, wird nicht gejagt. Im folgenden Jahre zieht dann Karl ſelbſt nach Italien, wird mit großem Pompe von den Nömern in die Stadt

52 Die farolingiiben Annclen.

es eben bei Einbard's Erklärung und bei ver aus berielben reiultirenden Folgerung, daß es bei Karl's Lebzeiten eine amt- ice Annaliñik nicht gegeben babe. Und nun bitte ih, Simſon's eigene Wicreibung unierer Annalen zu bören: „im Mittel: runkte ver Daritelung fteht der Herrſcher. Es wird berichtet, we derielbe Ab aufgehalten, we er die Erliden Seite ver: drachte und die Reichetage teriammelte, ferner von un Ge Fantıiduften. melde er abihidte oder emräng, von den Feld⸗ zügen. de in fenem Auftrage umternemmen Surden. Dieie Nachrdren durden den Granit, ja dem gelegentleich noch an were üder Todet?abe von Nirziaem ver is sen Famtlie, Iimmeliriininungen n. in. birjameien. Tee Auigabe er: Feat für Annalen ner zer zum mi cd gemib zit Nuepiez Immer. d noreneNnz Nele chlecht set Der 3 IAaR Teimiten . wizerisse 308 Senriisre Net der Izlelr ve Auen ner Ihe N NeNMAszım ni 8 8 ur Wer et Are zır Neuer nr de Ned Ari m Nm zz er N zer Icon; Rt. Yar wur u om Idas fir Fermmizridie Nur un Vrrıı ann Aflurees moon Zumcmeer ENT. ans ee σ Schlange ax der Gnibritradt ader It Aug Na Sal u see er Tem 2 a cur Net eis er un x Qu Ion en Na ar wicien

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64 Die karolingiſchen Annalen.

offenes Auge für die Auffaflung des Mittelalters bewahren will, wird er gut thun, ſich nit ausſchließlich in mittelalter: liche Studien zu verſenken und damit fein eigenes Urtheil an mittelalterliden Maßftab zu gewöhnen. Simfon hat jehr Recht, wenn er fordert, daß man den perfönlihen Werth Einhard’s oder unſeres Annaliften mit Rüdfiht auf feine Zeit bemefle: vorausgefegt, daß man nicht vergißt, den Werth diefer Zeit nad allgemein geſchichtlichem Maßſtab zu beurtheilen.

Die Schenkungen der Karolinger an die Räpſte

». Eybel, m, biſteriſce Sqhriften Im.

F 68 Die Schentungen der Rarolinger am die Bäpfe

| der damaligen guſammenkunft haben wir Nachrichten verſchiedener Art. Zunachſt die Briefe des Papftes an den König, melde gar nicht die Verhandlungen felbft erzählen, vielfad aber auf das Reſultat derjelden Bezug nehmen. Sodann zivei nahezu wleichjeitige Berichte, und zwar einen fränliſchen, bie von einem Vetter des Königs veranlaßte Fortiegung des Fredegar, und einen römiichen, die Biographie Stepban’s in dem jogenannten Vder Pontificalis, Dieſen allen ftcht gegenüber eine ungefähr ein dalbes Jahrhundert fpiter gemachte Aufzeichnung im der Vograpdie Papit Hadrian's I, die fi ebenfalls in jenem Ui, dak die deiden gleichgeitigen Erzähler im wmeientlihen zu: din nilig abmerihende Durkclung Uichert. Die gleiägeifigen Qmellen, um jofort die Streitivage herz zu Iegeidaen, teilen wer von einem Qeripreden der främfiichen Rkuige. ven alten Wehzhamt Der rimichen Finde geper Die Mebergräfe der Sange- darum zu jhpen; fe Inn mer eine einzige Ermeiterung IE inkl Giuetet, dir Scerdung zen Manzme uud ger Tahuruiteen Dir Ka Juteism Ingeger fühet eine Teenie Keiet am dank melde der Skıniz dem Burke ver trenden Yede, dem dem cerigen Sep rom zung tt: uud Imtrrnalsmn merk Qmeren, Nerem ar Saciss zu verihuiien, am Srtmpe, wehle Harl der Seie zug Jahr inter

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! 74 Die Shentungen der Rarolinger an die Päpfte.

nach feinem Wunſche follte ber Erarchat won Ravenna und follten außerdem die Gerechtſame und Befigthümer des römi« | ſchen Gemeiniveiens wieder herausgegeben werben *). Darauf 1 geht der Papl nad St. Denis, wo er den Winter zubringt, falst Pippin und deſſen Söhne als Könige der Franken und macht eine ſchwere Krankheit durch. Pippin aber verfammelt | feine Großen in Kierſey und beſchließt mit ihnen die Aus | führung deifen, was er früher mit dem Papſte vereinbart bat, BVergebens widerſpricht der aus Dionte Caſſin herübergefommene | Bruder des Königs Karlmann; Pippin bleibt feit, für die j Kirche zu fämpfen, wie er es früher beim Papfte verfproden hatte. Auf Bitten des leptern fendet er dann Boticafter am Afulf „wegen der Friedensverträge und wegen Herſtellung ber Rechte der bl. Kirche des romiſchen Gemeinweiens“ **), und mei: und dreimal bittet er ibn, den Eigentbümern ihr Eigen: Abm wiederzugeben. Als Aiftulf weigert, erfolgt Heeresräftung amd Ausmarfh, Auf halbem Wege jendet Rippin zur Ber: Hütung des Blutvergießens nochmals Boten an Aiftulf; aus demfelben Grumde ſchreibt der Papſt an den Sangobarbentönig, er möge friedfertig der Kirche des römifhen Staats ihr Eigen: thum wiebergeben. Ales iR umfonk; der Kampf begiunt. Wie man ficht, iR die Nebereinftimmeumng mit dem fränfiichen

J = En 76 Die Shenfungen der Rarolinger an die Bäpfle.

| davon etwas in die fürmlide, von Pippin und zugleih nad

dem Zeugniß der papſtlichen Briefe aud von defien Söhnen

beſchworene Vereinbarung der beiden Machthaber gefommen ift.

Papft Stephan felbit, der in feinen fpätern Briefen mehr als

einmal dieje Verhandlungen erwähnt, jagt jehr beftimmt: unter

ſchweren Mühfeligteiten haben wir bie weite Reiſe in das fränliſche

Reid gemacht und dort „alle Angelegenheiten des hl. Petrus

nern Händen empfohlen; ihr aber habt dem hl. Petrus vers

ſprochen, feine Rechte wahrzunehmen und der hl. Kirche Gottes

| Shus zu gewähren“ *); fo feid ihr zum Stamıpfe ausgezogen

| und Gott bat euch Sieg gegeben. Von einer Ucherweilung

des Crarchats an die Kirche im dielem Seitpunkte redet ber Papft

| io wenig wie unfere beiven Hütorifer: wir werben ſeht bald

wahrnehmen, was er im Einme bat, wenn cr fpäter auf eine Schenkung und Schentungsurtunde Bezug nimmt.

Das, wie dirfe Bemerkungen ergeben, tie Vereinbarung

von Borthion Äh auf ein gegenieitiges Schag- und Freud

Kirde entrfnen Güter und Gereßtiame werbizs, im ganz all

gemeiner Falung nfhränfte""), fcrint, jo meit unjere dariti

gen Duellen Anfihlub gemähren, auch der Aumaligen Etellung

der deiden Coetradenten voltz umgemeiee jr den Papfl

Se Rn > = Bi

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80 Die Shenlungen der Rarolinger an die Vapſte

tam er 756 dem Papfte nochmals zu Hülfe, und die Vorgänge des erjten Feldzugs wiederholten ſich, Niederlage und Ein« ſchliehung Aiſtulf's, Friedensgeſuch deſſelben und Friedensab⸗ ſchluß. Der Fortieger des Fredegar bemerlt das Erbieten Aiſtulfs, dem Papſte jede Genugthuung nad dem Spruche der Magnaten und Priefter zu geben; jonft berichtet er nur die verftärkten Gonceffionen, melde Aiſtulf den Franken machen mußte. Stephan's Viograph erwähnt nod, dab ein byzantini⸗ ſcher Gefandter den fraͤuliſchen König aufforderte, Ravenna und bie übrigen Städte und Burgen des Erarhats dem Kaifer zu überliefern, Pippin aber entgegnet, dab er nimmermebr, was er einmal dem hl. Petrus geſchenkt, demielben wieder entreißen werde, So wird der vorige Ftiedensvertrag ermeuert und mir den früber abgetretenen Städten noch Comachio hinzugefügt. Iept berichtet auch der Viograpp, über die Smweifung aller dieſet Städte an den BI. Petrus fe eine Urkunde Aiſtulfs aus: gefertigt worden, bie ſich in dem Archto der römifchen Kircht befinde; fodann habe Vippin's Commifler, der Abt Fulcad, nad dellzogener Ucherlieferung der Etädte die Echlüffel ders jelben und die von Fippin autgeſtellte Schenfungsurfunde am

86 Die Schenkungen der Karolinger am die Bäpfte.

Ausfiht genommen. An Pippin's geneigter Verwendung wird es nicht gefehlt haben; mehrmals dankt ihm der Papit für ‚bie ‚Erhaltung der Liebe und Freundidaft, die er einft dem jeligen Stephan zugefagt. Immer aber war, als Vippin 768 ftarb, das große Geſchaft mod lange nicht beenbigt, und jo ‚bat, nachdem eine unregelmäßige Papſtwahl die romiſche Kirche tief erſchuttert hatte, nach bergeftellter Ordnung der neue Papſt Stephan IV. die fränliſchen Könige Karl und Karlmann in der alten Weile, daß fie die Gerechtſame des hl. Petrus, wie ein beigelegtes Verzeichniß fie aufjähle, zur Anerkennung ru möchten; fo hätten fie es ja feinem Vorgänger ver- Es bedarf nicht erft der Bemerkung, wie alle diefe Bor: tommnifie fih ganz und gar auf dem Boden beivegen, ben wir durch den Fortieger Fredegar's und den Viographen Ste: pban’s III. kennen gelernt haben. Ueberall wird auf die Ber- einbarung von Ponthion Bezug genommen; überall aber handelt es ſich ausfhliehlih um die Reititution nahweisbarer Private _ rechte, und nirgend um die Ucberweilung nen zu erwerbender, bie. Gebietsfragen definitiv feftgeftellt durch die Verträge von 756 und 757; feiner der Päpite venlt daran, Pippin oder Karl an eine angeblich verheißene Herrihaft über halb Italien zu erinnern; ale Geſuche beziehen fih nur auf die römijchen

90 Die Schenkungen der Rarolinger am die Püpfıe

kommt, fondern in der Vita Habriani jelbft ſtets nur von ven ſeltigung die Rede if. Hadrian bittet den König Karl, nicht etwa, ihm Venetien, Benevent und Gorfica zu verſchaffen, jon- dern „was er einft mit feinem Vater Pippin dem hl. Petrus verfprochen, zur Erfüllung zu bringen und die Befreiung ber Kirche zu bewirken, nämlich ohne Blutvergießen bie Nüdgabe alles deſſen, was Defider den Nömern entriffen, ſowohl der Städte als der Gerechtſame, herbeizuführen“. In gleicher Weife erhalten darauf die fränfiihen Gejandten den Auftrag, bei Defider „die friedliche Nüdgabe der bejepten Städte und die Anerkennung ber römiſchen Gerechtſame“ zu begehren. Man fieht, daß mit der Gewährung dieſer Forderungen ſowohl Hadrian als Karl aud die Verheifungen von Ponthion für erfüllt erachtet und anderweitige Verabredungen nicht voraus— geſeht hätten. Karl wiederholt dann bei Defider denfelben An: ‚trag, fogar mit dem Erbieten einer ſtarlen Geldzablung, wenn Defiver nad demjelben verfahre. Als weiterhin die beiden Heere bereits an den Klauſen fid) gegenüber fteben, jenbet nah dem Verichte der Vita Konig Karl in dem Wunſche, die römi- ſchen Gerechtſame auf friebligem Wege zur Auerlennung gu bringen, nochmals an Deſider und erbietet fi zur Zurückfut zung feiner Scharen, wenn jener nur die Näumsmg der bejegten | Muse Sees EBheet SAABAEEN |

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Die Schenkungen Der Karolinger an die Päpfte

einen Zweifel Haben Kann; fo einfach) entwidelt fih ihr Verlauf, fo plan und folgerihtig Ichliefen alle ihre Theile zufammen. Leider ergeben ſich dann aber auf der Stelle fachliche Schwierige keiten aller Art, und da man einmal bie Biographie Hadrian's für eine eben fo gleichzeitige und glaubrürdige Duelle Hielt wie jene Stephan's IIL, fo gerieth man zur Zöfung jener Be— denken auf die Nustunft, der Autor Könnte vielleiht und würde alfo au wohl an der uns beichäftigenben Stelle ganz etwas anderes gemeint haben, als was feine Worte bejagen oder auch in anderer Wendung, feinen Angaben liege ein Mißver⸗ Nandriß des im Wortlaute für uns verlorenen Documentes zu Grunde, deſſen wirklichen Juhalt wir dann aus unfern

werden, deren Argumente allerdings unter einander wieder in underföhnlichem Kader liegen und ſich gegenſeitig aufheben. Die Einen gingen dabei von der Auficht aus, eine jo ges waltige Schenkung jei undenkbar bei Pippin, aber wohl anzu wohnen bei Karl dem Großen, und gelangten biermad zu einer Umdeutung des erften Theilet der Erzählung. Es murbe em drtert, dak der Antor mit dem lateiniiden Worte idem nicht Änmer den beitimmten Bogriif „derielde“ derbinde, jonderm 8 daufig in allgemeinen Cine, eima mie unier „jener“ verwende: wenn er alle melde, Karl babe ensdem civitates geichenft, fo deaudten Bios micht gerade ganz Tiefelfen Städte zu fein, wie

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102 Die Shentungen der Rarolinger an die Vapſte

anderes enthalten, als der Biograph Hadrian’s irrthumlicher weiſe angebe. Es fei in Wahrheit dem Papfte nur eine Pros ving, eben Ravenna und Pentapolis, jonft aber aus allen an⸗ dern dort genannten Provinzen nur bie darin belegenen Patti: monien, Güter und Gerechtfame zugejagt worden. Nun, damit wäre dann in der That die Harmonie zwifhen ber angeblichen Urkunde und den Quellen in aller Vollſtändigkeit und durchaus im Sinne der legten bergeftellt. Rur jchade, dafı der Blograph davon ſchlechterdings nichts willen will. Er will jagen, und fo it er auch im Mittelalter überall, wo fein Bericht citixt wird, verftanden worden, Pippin und Karl hätten zwei Drittel Staliens dem Bl. Petrus geicheatt. Er denkt au feine Unter f&eidung wilden dem Erardat und dem andern Brovinzen, unter melden er jenen ofme irgenb eine bervorbebende Bemer: Bang auffährt. Er lift universum Exarchatum Ravennatium sicut antiguitus erat atque provincias Venetiaram et Histriam, necnen et cunctum ducatum Spoletinum et Beneventanum dem pipklihen Stuble zubilligen Er alio will die gangen Iepatbämer und nicht bloh die darin delegenen Ratrimonien. Sagt man, er habe füch geirtt, die wirkliche Urkunde babe nur tie Fatrimenien bezrihnet, jo And mir frei in der ade einig; dann aber iR ıierhannt nem der großen Schenkung von —— ————

108 Die Shenfungen der Rarolinger an bie Räpfie

fien, nicht aber an eine Schenfung ber ganzen Iniel denken tönnen,

Roch find einige Bemerkungen erforderlich über eine neuer · dings vorgeichlagene Gombination, in welder alle ſcheinbat entgegengejegten Nachrichten ihre Bereinigung finden follen. Fider*) hat die umechten Urkunden Ludwig's des Frommen, Dito$ I. und Heinrid's I. über papſiliche Rechte und Be: figungen einer Kritit unterzogen, welde mit böchft umfajjenver und Scharfficht zu dem Reiultate gelangt, daß biejelben in ihrer jegigen Geitalt nad Abicriften der verlorenen Driginale amgefertigt jeien, daß Dabei die legteren mehrjadge Berftiimme: lungen und Ömterpolationen erlitten, daß jedoch der größere Teil des uns jegt vorliegenden Inhalts ans den Driginalen unverjehrt herübergenommen jei Hierzu redhwet er num, und ywar als einem weſentlichen Beweis ſeines Sapes, folgende Etele des Diploms Ludwigs dei Frommen. Nadidem ber _ Kaifer die Beñanzen des römichen Stadles aujgezãhlt im weientliden neben om rmiiden Dacat, dem Erarchate und der Peatapelis Dejemigen Urtihaften umd Putrimomien, auf welde wir Jadrien L Andpräde erheien jaßen, unter abfolut wilißter Jinzefägung der Iuteln Sicher uad ESarbinin Füpet au jest; „gleihermvde Ackärigen wir Fiermit die Schen-

112 Die Schenkungen der Rarolinger on Die Bäpfte ift doch hiermit höchft unzweideutig gefagt, daß ihmen damals eine einzelne Steuer zur Erwähnung gelangt, wenn das ganze Territorium geſchenlt worden wäre? Wer ein Herzogthum verſchentt, verſchenkt damit auch die dem Landeäheren dort zu: kommenden Stenern: und untgelebrt, wer eine einzelne Steuer in einem Staate einem Dritten zubilligt, bekundet bamit fatt: fam, daß er nicht den ganzen Staat diefem Dritten überliefert. Für die große Schentung von Kierfey bleibt das Ergebuif; immer glei) negatin. Wenn die beſprochene Stelle in Submig’s Diplom unecht it, jo iſt jelbitverftändiich damit überhaupt nichts anzufangen. Wenn fie echt if, beimeift fie gegen die Andjagen der Vita über die Schenkung von Kierjen.. Und jelbit wenn: Äh dur die Angaben des Diplomd die Anficht begründen Tiehe, 8 fei die Schenkung von 774 einige Jahre fpäter durch die beiden Centradenten wirder aufgcheben worden und bamit der Grgenfap zeikden den fpiteren Greigaifen mb den an⸗ gehicen Veridtechungen von 774 erflärt, immer bliche der Ragrante Wivrisrub müde der Bit Habriemi und allen Ansagen der gleichzeitigen Duräen über den Verlauf der Dinge zehien TI mad 774 Me jcakigem Rochribten, bie Briefe der Vürde amd die Verüchte der ähorifer Mimmem treiflich

114 Die Scentungen der Rarolinger an die Bäpfie.

damals die berühmte Urkunde von Kierjey und deren Veſtäti— gung durch Karl entftand ober wenigftens eine Nachricht darüber fortgepflanzt und ein Menſchenalter fpäter in der Vita Hadriani niebergelegt wurde.

Dan könnte etwa noch einwenden, zu Karls Lebzeiten und in den erften Jahren nad) feinem Tode (und in dieſer Zeit iſt ja die Vita Hadriani aufgezeichnet worden) fei die fränkiſche Weltherrſchaft auch in Italien fo feft gegrümdet geweien, dafı nicht wohl ein verftändiger Menih an die Anfertigung oder Vorlage einer Urkunde hätte denfen Eönnen, welche die Herr Ichaft über Jtalien einem andern Gewalthaber verſchaffen jollte. Ich entgegne zunächſt mit ber Frage: wie viel wiſſen wir denn von ber Feftigleit des von Karl dem Großen beherrfchten Reiches, und vollends, wie viel von ber Meinung ber damaligen Sta liener über diefen Zuftand, um mit irgend welder Eicherheit beftimmte Schlüffe auf unfere Kenntniß bauen zu fünnen? Die Geſetze der lebten Lebensjahre des Katjers zeigen äußerſt trau⸗ tige Verhältniffe im Innern, tiefe Erjhöpfung des Volkes durch bie langen Kriege, anarchiſches Treiben des Adels, hierarchiſches Emporjtreben des Klerus; felbft die Sicherung der Grenzen nach außen ift feineswegs zuverläffig. Italien hatte feine bes jonbere Verwaltung unter bem jungen König Pippin, nad deſſen frühem Tode fein unmindiger Sohn Bernhard fuccedirte, Papſt Leo IL, der, dur römischen Aufruhr und einen Cri— minalprozeß bedroht, die Kaiferfrönung vollzogen hatte, ftand zu dem fränkiſchen Monarchen durchaus nicht immer im freund⸗ ſchaftlichen Beziehungen, und dab von Karl's Nachfolger Lud⸗ wig dem Frommen eine wuchtige Energie gegen das Oberhaupt der Kirche zu erwarten wäre, vermuthete kein Menſch in dem

Sagen und Gedichte über die Kreuzzüge.

Reiffenberg, Monuments pour servir & l'histoire des provinces de

Namur ete. 2. Division. Legendes historico-postiques. Bruxelles 1848.

P. Paris la chanson d’Antioche composee au commencement du 22. siöcle par le pelerin Richard ete. Paris 1848.

122 Sagen und Gedichte über die Areuzjäge. Den Ruhm endlich Gottfried's von Bouillon, Boemund’s und

And ihrer Genoffen befang ein Pilger Richard, der jelbft die mitgemacht, und fo wie es ſcheint, der thatfäglichen

Areugfahrt Nichtigkeit feiner Angaben noch fiherer fein mähte als Fürft

Naimund. Seine Arbeit ſchloß, fo viel wie wir wiſſen, mit der Ankunft des chriſtlichen Heeres vor Jerufalem. Die Kämpfe

Es ift fehr wahrſcheinlich, dab man ſchon im 12. Jahr⸗ hundert fih nicht bloß auf diefe Stoffe beichränkte, ſondern in mehr oder minder ausführlichen Poeften ſowodl die Vorgeſchichte der Helden als aud die jpitere Hetrſchaft der Cpriften zu Jerufalem ſchilderte. Indeß fehlt darüber jede pofitive Notig; wir bemerlen nur, daß eingelne Anſchauungen, die fpäter hier über in hunftmäßigen Heldengedichten Eingang fanden, ſchen u ——

PT v 126 Sagen und Gedichte Uber die Kreuzzuge,

großen Schatten über das Land wirft. Unglüdlicheriweile war eben der Admiral Gorbaran von dem perfiihen Sultan abge ſchidt mit 100,000 Türken, um den wiberipenftigen Emir von

werden dieſe Befiept, die Hälfte aufgeriebem, die andere Hälfte in Ketten und Banden unter bie Fürften Ajiens vertheilt. Ein einlicher Priefer wird Meffe leſend an dem Altare erichlagen,

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Sagen und Gedichte über die Rreujzüge. 129

führt die Pilger, gut und wohlbehalten kommen fie eines Mor: gens vor Gonftantinopel an. Indeß nehmen aud) Boemund und Tanered das Kreuz, vor einem Cajtell das fie belagern, ihrer 50,000 Ritter. Sie ſetzen fih zu Schiff und fahren ges tade nach Gonftantinopel. Als die Franken ihre Flotte fich näbern jeben, fürdten fie zuerſt, es möchten Saracenen fein, bald aber erbliden fie die chriſtlichen Feldzeihen, man grüßt und erfennt fi, Alle weinen vor Freude. Der Neife des Kaijers, der naſenloſe Tatin, empfängt fie und jchidt ihnen reichliche Lebensmittel. Der Kaijer aber finnt Tüde, und muthet dem Neffen zu, die Gaftfreunde zu vernichten. Es jolgt eine Scene wie zwiihen Chrimhild und Nüdiger in den Nibelungen. Tatin zuft feine Mannen auf; als die Taujende um ihn geſchaart fieben, erklärt ex dem Kaijer, dunlel vor Zorn, nie werde er ih zu einer folgen Schlechtigleit hergeben; auf des Kaiſers Bitten feien die Franken gefommen (man fiebt, von Peter, als Urheber des Sreuzzugs, ift bier nicht mehr die Nebe), num fole er ihmen nicht das Leben rauben. So verläßt er ven gemölbten Eaal, und meldet den Franken jelbit den ſchändlichen Berratb. Dieje wappnen ſich, der Kaifer hört von dem Thurme ihre Hömer, und fieht die ftattlihen Schaaren ih entmideln, Da beguiemt er ſich voller Schreden zu Unterhandlungen, be Berpflegung und Verſtärkung, dafür leiften ihm die mit Ausnahme Voemund's und Tancred’s, den Vafallene ab fegeln nach act Tagen hinüber zum Angriffe auf

e Eröffnung des Gedichtes ift wie darauf angelegt, ‚Siweifel über den Charakter der Darftellung zu bes

ft iwieder von hohem Intereſſe, die Productivität It M. Yißseifhe Ebriften. It D)

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130. Sagen und Gedichte über die Areuzzüge

der Sage bei einem gleichgeitigen Erzähler zu beobachten, aber man begreift es dod Kaum, wie der gelehrte Herausgeber des Gedichts nad folden Proben noch von geſchichtlicher Glaub: wilrbigfeit und Quellenmäßigkeit hat reden können. Die Sage hat ſich hier mit völliger Freipeit von dem Boden der Wirk: lichkeit abgelöft, nicht ein einziger Berührungspunft iſt hier mehr vorhanden. Gleich das Folgende wird uns etwas nähere Blide in ihre Verfahrungsweife eröffnen.

Die erfte That des Kreugheers gegen feine türfifcpen Gegner war bie Umfchliegung von Nicka, die Beſiegung des Emirs Kid Arslan, oder wie ihn die Chriſten ſammtlich nennen, Soliman, darauf die Einnahme der Stadt. Diefen Dingen widmet denn and das Gedicht eine ausführlide und Iebenvolle Schilderung. Daß die Ehriften in vereinzelten Schaaren vor Nicda angelommen und erft nad mehreren Wochen bort vereint. waren, ſteht ihm nicht an; es ericheint ihm würdiger, in einem großen glängenden Zuge die Franken um bie Stabt umher zu legen. Soliman rädt ifmen entgegen, aber die Chriſten brechen. feine Schaaren, zerhauen die Paliffaden, Rürmen im Nachfegen gegen die Mauer, konnen aber feinem Ihurm einnehmen, dar⸗ auf lagern fie fi. Primersins se lejea Godefrois de Buil- ion, Et aprös lui Tangrds de jouste Buiemont, Estatins Fesnasd qui cuer ot de liom dann nad einer Ayabl Barene li dus de Normandie et Robert le Frison ı. [ is. Nur Reimund vom Tonlouie iR no zuräd, man läßt ihm

182 Sagen und Gedichte über die re uzzlige

und ſcharf, der Kern des Ereigniſſes wird beftimmt ergriffen, lebhaft geſchildert, alles Beiwerk unbedenklich hinweggeworfen. Man bedauert eine gewiſſe Unbepilflichkeit in der äußern Form, die manche Redeweiſe typiſch werden läßt, und dadurch auch den Gedanlenkreis des Dichters einengt: dies iſt aber einmal die Weife der Zeit, und hängt mit den innerſten Momenten der mittelalterliche Bildung zufammen,. Immer aber erſcheint im Vergleich mit den fpäteren Bearbeitungen hier noch die volle Friſche des erften Einpruds; noch erfüllt der Gegenftand den Dichter ganz unbedingt, und läßt weder bewußte Manier noch wuchernde Weitläufigkeit auffommen. Auch diefe Wahrnehmun— gen führen auf möglihft frühe, dem Ereignifje nabeliegende Entftehung unferes Liedes.

Die Vergleihung mit Albert von Wachen beitätigt bier tie oben unfere Anſicht. Albert bat auch bier eine weſentlich verſchiedene Darftellung. Es ift fein Gedanke daran, daß der Zuſammenhang feines Berichtes dem Pilger Nihard, oder ums gekehrt, daß befjen Epos dem Aachener Beiftlichen vorgelegen baben tönnte. Um fo frappanter treten wieder einzelne Stellen bervor, die ſich in mörtliher Hebereinftimmung wie Ueberſetzung

und Original ausnehmen. Das Verhältniß ftellt ſich dieſes

Mal nun fo, daß abgefehen von der faft humoriſtiſchen Epiſode des furchtſamen Grafen von Vlois fait alle Theile des Gedichts

„an verfchiedenen Punften der Albert'ſchen Erzählung wiederholt

werden, jedoch bier als einzelne Fragmente in ganz veränders tem Zufammenhange ftehn, Nur kürzt Albert gewöhnlich ab; es widerſahrt ihm aber wohl, daß er damit den Sinn völlig So eröffnet er die Scone mit der Ankunft der Franlen ‚aber Soliman's Entgegenrüden, fo daß |

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136 Sagen und Gedichte über die Kreugzlige.

Tarſus Torſolt, ſiatt Drontes Ferne u. |. w. Beide lafien die beiden Theile des Heeres vor der Schlaht bei Dorpläum ſich abſichtlich trennen, nachdem fie auf einer Vogenbrüde ein reißendes Waſſer paffirt; beide laſſen nah der Schlacht an einem Samstage des Auguſt einen furchtbaren MWafjermangel eintreten; beide wiſſen von den ritterlihen Thaten bei Artafia und den Natbichlägen bes Biſchofs über die Schladhtörbnung vor Antiochien: alles Dinge, die fih erweislih anders ober gar nicht zugetragen haben, die züm Theil mit den wirklichen Thatfahen in offenem Wiverfprude ſtehn. Charatteriſtiſcher aber noch find die Verſchiedenheiten beider Berite, vor Allem bei den Ereigniſſen in Eilicien. Hier geben beide das Detail des Hergangs zum Theil wieder wörtlich gleichlautend Balz duin zieht mit feiner Schaar vier Tage Kungrig durch das Gebirg, endlich ſehn fie Torſolt vor fih, ſehn chriſtliche Belte vor der Stadt, das ift Taucred's Schaar, die fie zuerit für Tarten hält, dann aber nad) der Erfennung fie freubig empfängt und Speiſe und Geräth mit ihnen tbeilt u. ſ. f. aber ganz abweichend ift die Tendenz der beiden Darftellungen. Albert ſchildert Tamcred mit leuchtenden Farben, tapfer gegen bie Türken und geduldig gegen Balduin, während diejer mach allen Seiten in das Schtoarze gemalt wird, m feine Erfolge einig dem Ruhrie feines Bruders zuptichreiben und diejen fomit darch das une zu —— As Beldum ankommt,

138 Sagen und Gedichte über die Areuzzlige.

In Antiochien berrihte damals ein türfiiher Emir, Bagi Sijan, oder Garfion, wie das Gedicht jeinen Namen verftüm: melt, ein alter Krieggmann, der von bumkeln Anfängen ſich durch fein gutes Schwert den Befig der Stabt errungen hatte. In meiner Jugend, fagt er aud in dem Liede, habe ich dies Land erobert. Daß der Dichter dieſen Umftand kennt, ift charalteriſtiſch: Fein fränfiiher Geſchichtſchreiber der Zeit weiß etwas davon. Er war zu feſtem Widerſtand entjchloſſen, ange Monate hindurch hielt er die Franken vor feinen Mauern anf, Die Emire der Umgegend ftrebten vergeblich, ihm zu entſehen, endlich gab der Sultan Verkjarol dem mächtigen Kerbuga von Mofel Corbaran im Gedichte, den Befehl, mit allen Kräften des Neihs die fremden Eroberer zu vernichten. Als Kerduga in vollem Anzuge war, fiel aber Antiochien durch ben nur die Citadelle wurde durch jeinen Sopn Schams Eddaulet Senjavon bei fränfifchen Erzählen) behauptet. Die Chriſten wurden feitben zteiichen der Burg und dem geialtigen Heere Gorbaram'® eingeiälofien; legteres fand durd bie Burg den Eingang in die Etadt geöffnet, die Chriften hatten fait uns zu beitebn, deſſen Anftrengung dur Dungersnoth und Hoff:

140 Sagen und Bedichte über bie Kreug zuge.

läßt einen andern die heilige Lange, mit welcher der Heiland am Kreuze durchbohrt worden, auffinden. So geitärkt ziehm ſie zu dem Kampfe hinaus, Corbaran beginnt jhon zu jagen, als er ihre ftreitmutbigen Schaaren erblidt, fein Haupthelo, der rothe Löwe (Alp Arslan) zittert wie vier Wochen früher bei den Ehriften Graf Stephan. Indeß kämpfen feine Neden immer noch mit dem Wortheil der Ueberzahl, bis endlich eine Schaar bimmlifcher Kämpfer vom Gebirge her in die Neihen der Sa: racenen einbridt, und den Sieg für bie Chriften entſcheidet Corbaran entflieht, die Burg eröffnet den Ehriften ihre Thore, das Wert des Sieges und der Rache it vollbracht.

Wenn diefe Abichnitte in poetiſcher Beziehung den Haupt: theil des ganzen Geſanges bilden, fo gewähren fie aud den ſicherſten Einblid in das Verfahren des Dichters und bie Ent- ftehung feines Materiald. Durften wir biäher aus der Ver gleihung mit Albert fliehen, dab der Dichter feinen Stoff aus einzelnen gleichzeitigen und ven einander nnabhängigen Liedern entnommen, fo wird diefe Vermuthung jegt zur Ges wißheit, da Richard oder Graindor in den legten Abſchnitten viele Spuren verfhiedener Medactionen jelbft umvermifht ge laffen hat. Schon daß bei der Umlagerung von Antiodien | Nobert von Flandern und Naimund von Tonloufe jweimal in verfchiedenen —— ton AB ——

folle, wenn es ihnen genehm fei, das igte Antiochien errettet werben. Auf bie r ganz andern Darftellung deutet eine frühere ee Geſangs. Da bat BR ihre DEE STE n zuletzt wirft er ſich ſelbſt in Zinnen, als die Chriſten die Stadt ein s Schreden darüber in Ohnmacht. Hier end der Belagerung in Antiochien; es ift ge unmöglich, daß er nachher von eigne Hand zum Sultan kommt, ‚Albert von Aachen, Soliman babe jt anorbnen will, zum führer ten; ber Verlauf ift dann in einigen Schilderung des Gedichts, Dagegen des Sultans und des Emir & mit dem Gedichte überein. Dieje m, in feiter Ueberlieferung umher⸗

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142 Sagen and Gedichte über die Areuzzäge.

getragen, aber in verſchiedenen Liedern in verſchiedenen Zur fammenhang eingeorbnet. Der eine Iegt fie dem Senſadon, der andere dem Soliman in den Mund, der fpätere Rhapſode hält ſich bei der Entwerfung ſeines größeren Ganzen balb an die eine bald an die andere Ueberlieferung, ohne die daraus erwachlenden Widerfprüche zu beachten.

Eben an dieſe Geſandtſchaften Mmüpfen fih weitere Vers chiedenheiten. Ich Melle ſogleich die beiden Lieder, die in Graindors Darſtellung verihmolgen find, neben einander,

Nah der einen Anfiht bat ein Waffenftillftand vor Anz tiodien feinen Beftand gehabt, darauf Garfion feinen Sohn zum Sultan geſchidt, und biejer den Eorbaran zu Hülfe ges jandt. Als deifen großes Heer zuerft Edeſſa fruchtlos belagert dat, und dann von Antiodien nur noch drei Tagereifen ent⸗ fernt if, maden die aus der Stadt einen Ausfall: Boemund nimmt dabei den Sohn eines reihen Türfen gefangen, behan- delt ihn aber fo gut, daß der dankbare Bater ifm bie An näßerung Gorbaran’s verräth und nad zmei Tagen den Chriſten einen Zugang zu der Etadt überlieert.

Rach der zweiten DVerfion wird der Stiuſtand erft lange nad Senjaden’s Entfernung geihlefien; die Türken in ber Stadt find beumrupigt wegen Semjadon’s Schweigen, die Chriften es, man fSlieht auf zwei

144 Sagen und Gedichte über die Kreugzüge.

jenen intereffanten Einzelnheiten. Im Gegentheil bleibt Sen: fabon nad) ihnen ftets in Antiochien, was aud die grabiſchen Quellen betätigen; und der Verräther ſchreitet nicht aus Nei— gung zit Boemund oder dem Chriſtenthum, fondern aus Hab gegen feinen Emir, der ihn beraubt hat, zum Verrathe. Anders aber bei den Geſchichtſchreibern, die von der mündlichen Weber: lieferung der Zeit berüßrt worden find. Albert von Aachen, bemestten wir ſchon, läßt Soliman und Senfadon um Hülje nad Samarkand abgehn, darauf zieht auch bei ihm Eorbaran zuerſt gegen Edeſſa, und ſchon dadurch wird das Unternehmen der Ehriften bekannt; Graf Stephan nimmt wie im Gebichte davon Anlaß, zu erkranlen und das Lager zu meiden, einige Nitter ziehen auf Kundſchaft aus und erbliden den unermeh: lien türliſchen Heereszug, darauf meldet Boemund (fo erzählen Einige, jagt Albert, Andere berichten Underes wir werben es gleich kennen lernen), ex habe den Sohn eines reihen Türken gefangen genommen, und diefer ihm darauf die Ueberlieferung der Stabt verheißen. Es ift ganz ber Zufanmenhang unferer eriten Nedaction, wieder in dem uns ſchon geläufigen Ber: bältniß, daß zuweilen wörtliche Gleichheit die Benugung gleicher Quellen zeigt, und anderweitige Abweihungen die Annahme, Albert habe als Quelle gedient, unmöglich machen.

Dagegen erzählt der Caplan König Balduin’, Fulcher von Ehartres, der fih damals in Edeſſa aufpielt, Senfadon fei nach Perfien geichift worden; indeß fei Ehriftus einem von ihn begnadigten Türken zweimal erſchienen und habe ihm den

Sagen und Gedichte über Die Kreuzziige, 145

it, gleichzeitig mit der Vegebenheit im Driente aufgezeichnet; er ft, wo er als Augenzeuge ſchreibt, ein Höchft gewiſſenhafter und zuberläffiger Verichterftatter; kaum aber hat er fich einige Meilen von dem Schauplage entfernt, jo iſt er ſchon ganz und gar von poetifcher Luft umgeben und erfährt Feine anderen Nachrichten, als die von Richard und Graindor überlieferten Lieder. Wenige Jahre fpäter berichtet der franzbſiſche Bifchof Baldrich, Boemund habe einen Tiefen zum Chriſtenthum be: ehrt, und dadurch zum Verrath beſtimmt; eben bies ift auch die zweite Nachricht, welde Albert von Aachen erhalten hat; endlich weiß der Monch Robert, der Türke habe drei Heilige in den Neien der Chriften Kämpfen geſehn, dies habe ihn jur Gfaubensänderung und zum Verrathe bewogen, Alle dieje Nachrichten erwähnen, dab der Sohn des Türken als Geißel ‚geitellt worden, willen aber nichts von der Gefangennehmung deſſelben. Mit einem Worte, fie bleiben fireng in dem Kreiſe unferer zweiten Nelation.

Es ſcheint mir, daß nach dieſen Grörterungen die den Ereigniſſen gleichzeitige Entftehung diefer Sagen und ihre fefte Abgrenzung gegen einander von keiner Seite nod in Zweifel gezogen werben fann. Wir ftehn auf einem Voden, der die Früchte einer ſchopferiſchen Phantaſie auf das Schnellfte zeitigt. Diefelben Menſchen, melde heute das Ereigniß geſehn und geſchaffen haben, geftalten es morgen nad) religiöjen, ritter- lichen ober patriotifhen Motiven in der freieften Weile, aber in völlig gutem Glauben um. Mitten im zwölften Jahrhun dert, in einer Zeit, welche Schreibefunft und Zeitrechnung Tannte, zu Eunftmäßiger Poefie erſt die Anfangeſchritte that, und eine ganz ehrenwerthe gefchichtliche Literatur ame

» Eybel, fl. hiflorifde Seiten. III.

152 Sagen und Gedichte über die Kreuzzüge.

Gerichte weibet, bis er zu großem Zorne die Herkunſt deſſelben erfährt vor Allem aber die Armee des Königs Tafur, au eines Flandrers, die Schaar ber Bettler und Bagabumden, die jeden von ſich ausftößt, der Gelb befist, das Fleiſch der ge- fallenen Türken verzehrt, von den Nittern wegen ihrer Tapfer keit geachtet, aber jelbit vor den Saracenen wegen ihrer Roh— beit verläugnet wird. Erſt nach der Einnahme von Antiodien, bei dem Kriege des Corbaran treten wie in andre Kreije: das bier benupte Lied weiſt auf nordfranzöſiſchen Urſprung und die Feier Herzog Hugo des Großen hin, und zeigt auch damit feinen befondern Urfprung.

Merfwürbig ift hier noch, daß in dem Gefang von Anz tiodien von ber fpätern Verberrlihung Gottfriev’s von Bouillon als des gottgefegten Anführers des Zuges noch nichts anzu— treffen ift. Gottfried nimmt eine ſehr ftattliche Stellung ein, gibt zweimal dem Grafen von Blois geradezu feine Befehle, zerhaut einige gepangerte Türken mit einem Streihe von oben bis unter, wird einmal als befter Kämpfer des Heeres zu einem entſcheidenden Zweilampfe auserfehn: damit find aber auch feine Vorzüge erihöpft, und gehn, wie man fieht, nicht über das Maaf des Nuhmes hinaus, ber an andern Stellen dem Grafen Nobert, dem Herzog Boemund, dem Biſchof Ads hemar zu Theil wird, Dies ift auffallend genug. Bei Albert von Aachen, der, wie wir willen, vielfach diefelben Lieber bes nugte, bildet die Feldherrnſchaft Gottfrieds als eine: bare That des Herrn, recht eigentlich den D ganzen Erzählung. Als Grainder dem © erneuerte, war jene Anſicht, ‚vor Tyrus, ſchon weit durch bie.

Sagen und Bebiäte über bie Rrempzäge 153

rechtigung hat fie jedoch in keiner Weile, dies zeigt Raimund, Zulcher, der Verjaſſer der Gesta, mit einem Worte die game Reihe der hiſtoriſchen Verichterftatter. Auch im die Porfie des Kreuzzugs it fie alfo, erit im zweiter Hand gebrumgen; bie gleiäheitigen Lieber Haben nichts davon gewußt. Der religidie Drang war zu flarl, als dap ein irdiier Menſch an die Stelle Gpriki in den Mittelpunkt des Gamjen hätte treten Können. Da hiczu offenbar erit Gottfried's Rönigswahl in Jerujalem den Anlaß gegeben hat, jo führt aud dieje Betradtung auf die Kämpfe der Kreugiahrt jelbit ala Entitehmgszeit ber Lieder.

Es ift nicht ohne Interefie, bie almaliche Fortbildung des auf Gotifried's Namen gehäuften Ruhmes noch mit einem Blide zu verfolgen. Den Theilnegmern des Zugs fteht er de, ein feier ſchwerer Degen unter nicht minder braven Genofien und Gleichen. Albert gibt ihm eine göttlide Wiſſion, die ihn dur Wunderzeihen zum Aönig des hl. Grabes und dadurch mittelbar zum Haupte des Feldzuges beftimmt. Immer aber fehlt ned) viel daran, daß der überall widerſttebende thatfäch- fie Etoff nach biejem Bilde völig umgewandelt wäre, und fo ergibt fi bei Albert eine an Widerſprüchen reihe Dars fiellung vom äußert lofem Zujammenhang. Gegen Enbe bes 12. Jahrhunderts verleiht ihr erſt der Erzbiichei Wilfelm von Zyrus Haltbarkeit und Dauer, indem er fie mit den Ansagen

Gottfried it nicht mehr ein Apoftel nad; göttlicher Einfegung ober

Sagen und Gedichte Über die Kreuzzuge. 155

ſchen den beiden Weltreligionen, wie er noch bei Graindor den Stamm für alle die bunten und weltlichen Abenteuer bildet, ift das bürftige Intereffe eines Liebeshandels getreten, der in oberflähliher Skizzirung fih nur an die Neugierde der Hörer wendet. Die Sage ift durch das Mährchen verdrängt worden. Es ift bezeihnend, daß die fpätern Romane, fo unbarmherzig fie die belebenden Ideen des Kreuzzugs behandeln, fih im Ein: zelnen oft lange Seiten hindurch an die trodne Darftellung der Chroniken binden. Umgekehrt läßt fi die ältere Poeſie ihr Necht nicht rauben, das Detail in freier Schöpfung umzu— formen, eben weil fie ven Inhalt ihrer leitenden Gedanken mit dem Ereignifje felbft gemein hat. Bon diefem, Punkte aus wird man leicht die Berechtigung ber ewigen Klagen beurtheilen fönnen: wer einen inhaltsvollen Bericht als Sage behanbele, jerftöre ein Stüd der Gedichte und vaube ihm damit ben Werth der objectiven Wahrheit.

Die exſte Theilung Volens

Sſolowjoff, Der Fall Polens, deutſch von Spörer. Gotha, 1865. Mar Dunder, Die Befigergreifung von Weftpreußen, Zeitſchrift für preußifche Geſchichte. September und October 1872.

Adolf Beer, Die erfte Theilung Polens, 3 Bände. Wien, 1873.

Die exſte Theilung Volens

Sſolowjoff, Der Fall Polens, deutſch von Spörer. Gotha, 1865. Mar Dunder, Die Befigergreifung von Weſtpreußen, Zeitſchrift für preußiſche Geſchichte. September und October 1872.

Adolf Beer, Die erfte Theilung Polens, 3 Bände. Wien, 1873.

zu bejiehen. Im alten beutihen Reiche gab es dreihundert ſouverane Staaten, im alten Polen 200,000. So löfte das Gemeinweien ſich auf, der Landesverrath galt für das foft-

170 Die erfte Theilung Polens.

mitreden würden, und jo wandte ſich Catharina im Frühling 1763 mit fondirenden Anfragen zunächit nach Wien und nad) Berlin, um wenn möglid für ihre diplomatiſche Action gemeins famen Boden und feſten Rückhalt zu gewinnen.

Die Aufnahme, welche ihre Eröffnung an ben beiden Höfen fand, wurde entſcheidend für die mächten Decennien der Geſchichte Polen's und Europa’s. Sie war zugleich höchft charalteriſtiſch für die beiden deutſchen Regierungen.

In Wien war man feit den Abfalle Peter III. von der öfterreichiichen Allianz überhaupt tief verftimmt gegen Ruß: land. Die SKaiferin Maria Therefia hatte dabei eine gewiſſe religiöje Sympathie mit den katholiſchen Polen. Immer aber empfand man eine lebhafte Scheu, den Wünfchen der mächti— gen Catharina offen entgegen zu treten, jo gerne man ſelbſt einen ſachſiſchen Prinzen auf den polniiden Thron geſetzt hätte. Das Ergebnif war, daß man zu feinem beftimmten Entſchluſſe gelangte, jondern eine verdroſſen ausweichende Ant: mort gab.

Ganz anders Friedrich II. Diefer Kräftige und Klare Staatsmann hatte fonftige Fehler, aber niemals den der Un: entihlofjenheit. Er war mit Catharina einverftanden in dem Wunde, daß Polen ſchwach bleibe. Auf der andern Seite verfannte er nicht, daß ein übermäßiges Wachsthum ber Nuffen und eine bleibende Feſtſetzung derſelben in Polen für ihn höochſt bedenllich werden konnte. Dennoch ſchwankte er keinen Augen: blid. Nach den furdtbaren Leiden, Gefahren und Anftrene gungen bes fiebenjährigen Krieges hatte er damals feinen andern Gedanten, als jeinem ſchwer geprüften Staate dauern: den Frieden zu fihern. Dazu bedurfte er einer mächtigen

174 Die erſte Theilung Polend

jest als conjerwative Verehrer der alten Adelsrechte und des liberum veto über den Bruch zwiſchen Nepnin und der Gzare toristys laut aufjauchzten, fih um den Gejandten janmelten, Gelb von ihm nahmen, und nad) feinen Weifungen ebenfalls Gonföberationen bildeten. Unter jeiner Seitung traten endlich alle diefe Heinen Vereinigungen zu einer großen Generalcon- föberation in Nabom zufammen. Da hierauf aud König Stanisfaus mit feinen Obeimen in Hader gerieth und bei feinem ausſchweifenden Leben in Geldnoth war, aus der er feine Rettung als durch ruſſiſche Subſidien ſah, jo trat er ſelbſt der großen Eonföberation Bei, deren vollſtändiger Sieg damit entſchieden war. Die einzelnen Punkte ihres Programms follten jet gejeßliche Form erhalten. Zuerft wurbe unter ein- ftimmigem Jubel das liberum veto hergeftellt. Als dann aber die Difiventenfrage zur Verhandlung kam, trennten ſich die Parteien wieder; bie Patrioten verfagten bier dem Ge— ſandten mit demfelben Fanatismus, wie früher die Gzartoristy's, und eine tiefe Aufregung und Erbitterung verbreitete ſich durch das ganze Land. Man hatte jih eifrig zu Nepnin gebrängt, um den polnischen Staat ruiniren zu helfen. Aber gegen das Gebot der heiligen Kirche den Kehern politifche Rechte zu geben, das brachte Niemand über fein Herz. Der berebtefte Führer des Widerftandes, Biſchof Soltyt von Kratau, kan einmal heimlich zu Nepnin und erflärte fid bereit, im Stillen fir die Diffidenten zu wirken, nur mi Gejandte verftatten,

176 Die erfie Tgeilung Polens.

die Monche riefen in Städten und Dörfern alle Gläubigen zu den Waffen; Tein Diffident ober Jude wurde in bie gemweihte Schaar zugelaffen. Ucherall fiel das latholiſche Volt den Cons föberirten bei; eigentlich ift ganz Polen conföberirt, meldete der preuhiſche Gefandte feinem König. Ueberall ertönten die heftigften Berwünidungen gegen den elenden Stanislaus Poniatowsly, der ſich als Werkzeug für die Sade der Keher habe gebrauchen laſſen; jeine Enttpronung war bei den Conföderirten eine feft beſchloſſene Sache. Der unielige Fürft fand für jeine perfönliche Rettung teinen andern Weg, als immer engeren Anſchluß an Nußland, und bat Nepnin dringend um Rüdberufung und Verſtarkung der ruffiihen Truppen. Sie kamen, im Ganjen etwa 16000 Mann, und ein beillofer Krieg begann in den üblichen Provinzen des Landes, Die größere Hälfte der Rufen wurde durch die Dedung Warſchau's und die Beodadh- tung der wenig zuverläffigen polnifhen Linienregimenter in Anſpruch genommen; e8 waren immer nur Heine Colonnen, welche gegen die Empörung ausgejandt werden fonnten, welche dann in jebem Treffen jiegten, aber zu völliger Unterwerfung und Beruhigung bed Landes nicht ftarf genug waren. Die Mafle der Eonföverirten ſchwankte zwiſchen 8000 und 16000 Reitern, loderen Banden obne Disciplin und inneren Zufammen: bang; die Mamnichaft blieb bei dem Führer, jo lange es dem Kain WER SEI BEE Er eigene Fauft, was

ü it Kampf mit

Die erfie Theilung Polens. 197

Sitte ertöbtenden Anarchie heraus, denn lange vor den Theis lungsplänen von 1770 hatten die Polen felbft ihren Etaat zu Grunde gerichtet. In den Jahren, die wir betrachtet haben, find der Reihe nach alle ihre Parteien mit den fremden Mächten in mohlbezahltem Einverftänbniß geweſen und haben felbft die fremde Einmifhung herbeigerufen. Das Einzige, worin fie einig und eifrig waren, war die Unterbrüdung ber Proteftanten und ber Griehen. Seit anderthalb Jahrhunderten hatten fie ſich unter der Leitung der Jefuiten mit ausſchließlichem kirch- lihem Fanatismus erfült und darüber jedes Pflichtgefühl gegen Nation und Staat eingebüßt. Unter den Völkern Europas, melde durch den Einfluß der römiſchen Hierarchie ihre Lebens- kraft verloren haben, nimmt das polnifche die erfte Stelle ein.

Zwei Fehrerx Friedrich Wilhelms II. in der Shilofophie.

204 Zwei Lehrer Friedrich Wilhelm's IH.

Nr. 1.

J’ai regu les deux exemplaires de la brochure que vous comptes mettre sous les yeux du public, pour refuter les errements de l’auteur de l’histoire philosophique des etablissements des Europeens aux Indes, que vous m’avez adresses par votre lettre d’hier. Comme elle a toute mon approbation, Je vous remercie de l’attention que vous avez de me la communiquer; Et sur ce Je prie Dieu, qu’il vous ait en sa sainte garde.

& Berlin (sign) Federic.

le 3°. Janvier 1773.

Au Ministre du St. Evangile Moulines à Berlin.

Nr. 2.

Je suis fach€ d’apprendre par la lettre que vous venés de ıne faire, qu’une indisposition survenu& vous arrette d’achever l’impression commencee de votre traduction d’Am- mien Marcellin. Le Conseiller privé Muzell prenant soin de votre retablissement, il est à croire qu’en suivant ses Conseils vous ne tarderes pas de recouvrir dans peu votre premiere Sante, et que vos forces vous permettront de con- tinuer le dit ouvrage, que Je recevrai avec plaisir de votre part lorsqu’il sera parfait; En attendant Je prie Dieu qu’il vous ait en sa sainte garde.

ä Berlin (signe): Federic.

le 22°. Janvier 1775. = Au Pasteur frangois Moulines à Berlin.

206 Zwei Lehrer Friedrich Wilhelms II.

aussi signalee. Sur ce Je prie Dieu, qu’Il vous ait en sa sainte garde. Potsdam ce 22 de Juillet (signe): Federic. 1775. Au Pasteur Moulines, & Berlin,

Nr. 5.

Je ne puis qu’applaudir au dessein, que vous M’an- nonces dans vötre lettre du 26, de nous donner une tra- duction d’Herodien. Comme c’est un trös bon auteur du troisieme siecle, il merite bien cette preference; & Je vous souhaite tous les succ&s possibles, pour rendre plus fami- liere cette belle partie de l’histoire Romaine. Sur ce Je. prie Dieu, qu’Il vous ait en sa sainte garde.

Potsdam ce 28 de Septembre (sign&:) Federic.

1775. A l’Academicien Moulines, & Berlin.

Nr. 6.

Herodien &tant deja tres bien traduit par ’Abbe Mon- gault, le Pasteur & Academicien Moulines, & Berlin, fera tres bien, selon la lettre d’hier, de renoncer à une tradu- ction ulterieure de cet auteur, & d’y substituer celle de- quelques autres ouvrages de l’antiquite, qui meritent de nous &tre transmis. Potsdam ce 9 de Janvier 1776.

(signe:) Federic. Au Pasteur & Academicien Moulines, à Berlin.

208 Zwei Lehrer Friedrich Wilhelm's IIL

d’affaires, que le Duc de Bronsuic Lünebourg vient de lui confier, a la Cour de Sa Majeste.

Potsdam ce 18 de Fevrier 1783. (sign&:) Federic. A T’Academicien Moulines, Pasteur francois, & Berlin.

Nr. 10.

Votre traduction des &crivains de l’histoire Auguste obtiendra surement les suffrages de tous ceux, qui savent apprecier de pareils ouvrages et les difficultes, que rencontre leur traduction. Pour Mon particulier. J’applaudis beau- coup aux soins & peines, que vous aves pris, de la rendre claire & fidéle; & Je vous tiendrai compte de l’attention, de M’en avoir adresse un exemplaire; en priant Sur ce Dieu, qu’Il vous ait en sa sainte garde.

Potsdam ce 18 de Mars (signe:) Federic.

1783. A l’Academicien Moulines, ä Berlin.

Nr. 11.

Vous voudrez bien avoir la bonte, si vous pouvez vous absenter de Berlin, de venir Me trouver ici. Je serai bien aise de vous parler & en attendant votre arrivee, Je prie Dieu sur ce, qu'il vous ait en sa sainte & digne garde.

ä Potsdam (signe:) Federic.

le 21 Mars 1783.

A l’Academicien Moulines à Berlin.

Der alte Staat und die Bein in NL

Les origines de la France contemporaine, par H. Taine. Vol. 1. L’ancien regime. Vol. II, 1. La r&volution. Paris, librairie Hachette et Cie. Cinquieme edition. 1878.

Revolution in Frantteich 233

lann wol fagen, welches Haus ihm gefällt, aber erft eine ges wiſſe Erfahrung wird ihm Ichren, weldes Haus es bedarf, ob daſſelbe bequem und dauerhaft iſt, ob es der Witterung wibers ſteht und ben Sitten, Beihäftigungen und Launen des Berop: mens entfpricht. Wir in Frankreich find mit unferen polittichen Bauten nie zufrieden geweſen, in achtzig Jahren Haben wir dreizehn Mal niebergerifien und nen gebaut. Andere Voller haben anders verfahren und ſich gut dabei befunden. Gie baben ein altes, feftes Gebäude bewahrt, erweitert, nad) Bes durfniß umgebaut und verihönert, aber niemals mit einem Schlage, nad) den Regeln der reinen Vernunft, ein iveales Haus zu errichten verſucht. Es ſcheint hienach, daß die plö- liche Erfindung einer völlig neuen, zuglelch zweckmähigen und dauerhaften Verfaſſung ein Unternehmen iſt, welches die Kräfte des menſchlichen Geiſtes überſteigt. Die politiſche und ſociale Form, die fi ein Bolt bleibend geben kann, iſt feine Sache feitter Willkür, ſondern ift beflimmt durch feinen Charakter und feine Vergangenbeit. Sie muß ſich feiner Eigenthämlichteit bis auf ben kleinſten Zug anpaſſen, jonft wirb fie plagen und zer- fallen. Alſo gilt es uns ſelbſt zu erkennen, wenn wir bie ung paſſende Verfaffung enteden wollen. Es gilt, die gewohnte Methode umzufehren, und fi zuerſt ein Bild der Nation zu verichaffen, ehe man die Berfafjung entwirft, Allerdings iſt dies Verfahren ſehr viel ſchwieriger und weitiichtiger als das bisher beliebte, Welche Forſchungen in Vergangenheit und Gegenwart, welche Arbeit auf allen Gebieten des Gedankens und der That, um das Weſen eines großen durd die Jaht ‚hunderte fortlebenden Volkes genau und vollitändig zu ertennen! Aber es ift das einzige Mittel, um nicht zuerſt gehaltloſe Erz

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236 Der alie Stost amd vie

im Urteil: im gemeinen aber ericheint es gerabe auf dem bifterifhen Stantpuntte jelbätvertänblib, daS aus einem jchlims men Zuflanb, wie ihn der erfte Band jjildert, bie daſtern Bilder des zipeiten hervortwachien. Man mühte umgelehrt fidh wırmdern, wenn aus kranler Wurzel ein gefunder Baum entiproffen wäre. Die Männer der Revolution waren doch auf keinem andern Boden und in leiner andern Luft ala denen des alten Staates erwacfen; dort waren ihre Morftelungen entkanden, ihre Leidenjgaiten genährt, ihre Ideale gebildet; dort hatte ihr Weien fein Gepräge, ihr Streben jeine Richtung gewonnen; wenn dert num alle Verhältniffe unnatürlih verihoben, Die politiihe Gefinnung von Grund aus verfälicht, ale Theile des Boltes mit bitterem Hab gegen den Staat und gegen einander erfült waren: teie hätten die Höglinge einer folden Schule dazu kommen Tollen, bei dem endlichen Hereinbrechen der Katar Aroppe fih als Männer gereiiter Erfahrung, praftiicher Weit- heit: und befonmener Energie zu zeigen? Ber bieje einfache Wahrheit einmal erfannt hat, wird fehr gemeigt zu einer mil- den Beurteilung der einzelnen Menihen und Parteien, aller dings aber nicht mehr im der Lage fein, mit furzem Entjchluffe für oder gegen das alte Regime ober die Revolution Bartei zu nehmen. Denn ihm it es dann Mar geworben, dab die Nevokution nicht blos die Zerftörerin, ſondern auch die ihre Abftammung niemals verleugnende Tochter des alten Zuflandes geweſen ift.

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238 Der alte Staat und bie

von ber alten Gerrlihfeit nur ein verhängnißvoller Reit: die Einkünfte und Herrenrechte, die fie einft fitr ihre politiſchen Seiftungen erhalten, begogen fie weiter. in der neuen Unthätig- feit. Seitdem lebten fie fort auf Koften des arbeitenden Volles als verhaßte Schmaroger. Dafür ſammelte fie der König an feinem Hofe, wo fie zur Entſchädigung für die verlorene reis heit mit Ehren, Penfionen und Geſchenken, immer wieder auf Koften des Volkes, überhäuft wurden. So ſchärſte ſich ber Hab des Volles gegen fie mit jever neuen Generation und wurde endlich der Ausgangspunkt und der, weſentliche Inhalt der großen Revolution,

Es find eben dieſe Säge, auf welche auch Taine feine Darı fiellung gründet, Die Privilegien waren einſt der Lohn für politische Arbeit der Häupter und Führer des Volles im den einzelnen Bezirken bes Landes, Der Grundherr lebte damals inmitten feiner Hinterfaflen ; deren Wohl mar fein eignes Inters eſſe; durch natürliche und geihichtlihe Bande war er mit ihnen vereinigt und ihr Eräftiger Vertreter, wo die Staatsgewalt etwa Ungebühr und Willkür gegen die Bevbllerung verſuchen wollte. Durch die bireaukratiihe Verwaltung waren dieje ‚Herren jegt von dem Volke getrenut, und durd die unberech⸗ tigte Fortdaner ihrer Privilegien demſelben entgegengeiegt. Denn weil der Erelmann keine Steuer bezahlte, mußte der Bürger und Bauer den Ausfall dedden. Meil der Edelmann je Jede eh un a een

e n Bee. An

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Revolution in Frantreid. 241

nach Freibeiten ausfhauten, d. 5. daß fie in jener Zeit won | einer weiteren Kräftigung des Königthums bie Veſſerung ihres | Zuſtandes ertvarteten. Erft dann kam es zur Revolution, als | das Königthum in der unfihern Hand Ludwig's XVI. diefer Aufgabe fih verfagte: dann fielen die Privilegien für immer, aber nach zehm Jahren entftand bie monarchiſche Eentralifation aufs Nette, um darauf zum zweiten Male drei Menfchenalter hindurch die Bedürfniſſe und die Stimmungen des Franzöfiichen Volkes zu befriedigen. Es fcheint dad mißlich, eine ſolche In⸗ fütution ohne Weiteres Schwarz in Schwarz zu malen. Man Tann 68 beflagen, baß fie nicht blos Nichts für bie Erpiehung Frankreichs zur politifchen Freiheit gethan, fondern die Freiheit und den Sinn für diefelbe, jo viel an ihr mar, im Volle er— fit Hat. Uber wie ohne fie, in den Verhältniſſen nad ben Religionskriegen und der Fronde, irgend ein pofitives Staatss weſen in Frankreich hätte erftehen follen, darüber äufert ſich auch Tocqueville nicht, Vollends verwunderlich ift es, wenn Taine bei ber Aufzählung der privilegirten Stände, als jener genießenden Mühiggänger, jener einftigen Träger des öffente lichen Dienftes, die jegt auf alle politiſche Leiftung verzichtet haben, wenn er barumter neben Elerus und Abel als dritten ven König nennt, das Haupt jener Staatsverwaltung, die nur zu eifrig alle Arbeit und damit alle Macht im Staate an ſich 309 und alle Andern von der Fürforge für das gemeine Weſen auszuicliegen ſuchte. Hier ift der innere Widerſpruch hands ‚greiflich, Auch wird er nicht erflärt etiva durch den Umſtand, dab Ludwig XV. perfönlih in Trägheit und Schwelgerei mit den ſchlimmſten feiner Hoſſchranzen metteiferte, oder daß fein unglüdliher Nachfolger einen BEDIENEN I

» Subel, ff. biforijde Eariften. IT.

242 Der alte Staat und bie

Arbeitsfraft in der böfiichen Etikette oder auf jeinen Jagben vergeubete, Denn gerade bie Regierung Ludwig XVI. war von ihrem eriten Tage bis zum legten mit dem Beftreben erfüllt, dur die Befeitigung der fenbalen Privilegien ſowohl wie Racht der Krone als die Wohliahrt des Volkes zu heben, und am keiner Etelle tönnte es verlehrier fein, die Krome als zeh- tendes Ehmarogergemäcdhs am Körper des Staates zu betrachten. Hier fomme id auf meine obige Bemerkung zurüd: hätte Taine anftatt oder neben einer Abhandlung über die Geiellihaft des alten Regime eine Geichichte feines legten Monarchen geihrie ben, ganz fiher hätte er einen folden Mikgriff vermieden. Bortreftlich aber ſchildert er nun, wie aus jener glany auf Schritt das Werderben entwidelte: Diefe Bornehmen waren oder Fonit Beamte des Eivilbienftes zu werden, hielt bie große Mehrzahl unter ihrer Würde. Den Kriegädieaft nahmen fie alS Gelogenbeit zum ritterlichem Abenteuer auf fi, für fe jelbt war dabei feine Rede won frenger Zucht; Echulung und Pflege der Truppe überliefen fie niederen Dfficieren unb Sergranien. Büßdfe uud Achte bezogen colofale Renten und wibmeien Sefen Daumen ihre gelante Deretion; Gotteätimit unb Seel · jerge aber war die Sade bürftiger Biarer und hungriger Kinare. Das einzige Feld ihres Eprgeiges umb ihres Sutereifes

Revolution in Frantreid. 24T

Lebensftellung zu gewähren, und jo war Nichts natürlicher,

als daß der Schriftfteller fh den Forderungen anbequemte,

von deren Erfüllung fein literariicher Erfolg ein für alle

Male abhängig war. Wir haben aber vorher die darak | teriftifchen Büge der dort herrſchenden Denkweife Fennen ges lernt. Buerft der Abſcheu gegen alle Gründlichkeit, gegen an haltende und anjtrengende Ausdauer, gegen ernfte Vertiefung und geiftige Sammlung. Denn das Alles wäre ja das Gegen: theil von Ergögung und Zerſtreuung, e8 iäre das Berſinken in die Todſünde der Langweiligkeit geweſen. Wohl wünſchte man zu wiſſen, Vieles und Vielerlei zu willen, aber es raſch und Teiht, in buntem und pridelndem Wedel, in der Duint- eſſenz der interefianteften Pointen und Nejultate zu erfahren. So wurden denn auch die Studien der Schriftiteller beweglich, vieljeitig und oberflählid. Die Mafje der einzelnen Kenntniſſe, über welde z. B. Voltaire verfügte, war ungeheuer in allen Fächern des Wiffens, die Durcharbeitung aber und Verwerthung derſelben durchgängig übereilt, aphoriſtiſch und leihtfinnig. Dazu tam jene Abwendung des damaligen Publicums von jeder indie viduellen Eigenartigleit, feine Tendenz, jede Perjönlichteit in die überall gleiche conventionelle Form zu zwingen, ein Streben, welches für das poetiſche Schaffen und für den biftoriihen Sinn in gleihem Maße ertöbtend war. Für diefe Menſchen war die Welt in ihrer fogenannten großen Welt beſchloſſen; fie hatten kaum mehr eine Vorjtellung davon, dab es außerhalb derjelben ein Dafein völlig anderer Art gebe ober jemals ge: geben habe, oder wenn man fi in irgend einen Falle dieſe verwunderliche Thatſache nicht ganz verbergen konnte, verftand es ſich doch, daß diefelbe unter gebildeten Perfonen überall

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Revolution in Frankreich. 1249

iwiefen. Ihm Kam es, wie bemerkt, überhaupt viel weniger auf | einen belehrenden Inhalt als auf eine reizende Form an; der Gegenftand intereffirte es am fich ſelbſt ſehr wenig, ſondern im Grunde nur als Stoff einer möglicht geiftveichen, zugleich aber möglichft verftändlichen und aufregenden Gonverjation. Da galt es denn fiir jede Erörterung, bei dem Hörer keine Spur eines bereits vorhandenen, durch eigene Arbeit erivorbenen Wiſſens vorauszufegen, troßdem nie trivial zu werben, ſondern in jedem Falle bis zu neuen und überraichenden Wahrheiten vorzubringen. Demnach ftrebte die Sprache und der Stil weder nad Fülle noch nad Tiefe, um fo mehr aber nad) Klar⸗ beit und Bündigkeit. In der Entwidlung ſchritt man regel« recht von Schluß zu Schluß; man bütete fi, irgend ein Mittels glied zu überfpringen. Um eindringlich zu fein, wurde man rhetoriſch; um zu überzeugen, ſuchte man jeden Inhalt auf einige allgemeine, leicht einzuprägende Cäge zuräczubringen. Die gute Gefellihaft freute fi, auf jo angenehme Art in den Bett der vorgefchrittenften Weltanſchauung zu gelangen: bie Literatur aber ließ fih um jo gründlicher von der realen Ers kenniniß hinweg in die Wege inhaltlofer Aöftractionen hinein» drangen.

Daß die jo gepflegte und gelenkte Literaturgfeit dem Ber ginne des 18. Jahrhunderts eine oppofitionelle war, daß fie ſeit der Mitte deſſelben alle Grundlagen des vorhandenen Bus Randes mit dem grimmigften Ungeftiim untergrub, diefer Ums fand erregte bei jenen vornehmen Areifen nicht den geringften Anſtoß. Einmal gab es auch bei ihnen vielfache Unzufrieden heit, Aerger über die eigene Ohnmacht und bie Allmacht der öniglichen Beamten, Auflehnung gegen die unduldſame Driho⸗

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Revolution in Brantreig. 251

Mannichfaltigleit der wirklichen Dinge, Neigung zu rhetoriſch ausgeihmüdten Formeln und Gemeinplägen. Als man daran ging, ben beften Staat zu conftruiven, ließ man ſich von der Naturforihung Die allen Menſchen gemeinfamen Eigenfchaften berichten, den Widermwillen gegen den Schmerz, den Drang zum Wohlbehagen, die Fähigkeit, aus den Sinnesempfindungen Bors fellungen und Schlüfe zu bilen. Diefe Eigenihaften faßte man als den Begriff des Menſchen ſchlechthin zuſammen, und aus dem Wefen diejes abftracten Menſchen leitete man dann, wie die Folgerungen eines mathematifhen Lehrſatzes, die Ges fege der Politik, der Sitte und des Rechtes ab. Da alle Menfhen den gleichen Naturtrieb zur ‚Glüdjeligfeit in ſich tragen, jo muß der Staat ihnen Allen die Wege zur Er— reichung diefes Zieles eröffnen. Da fie Ale von Natur die Fahigleit zu Begriffen und Echlüffen haben, fo werden fie auch die richtigen Mittel zum Zwecke ergreifen, ſobald man ihnen nur die Hände frei läßt und bei einem momentanen Irrthum das Richtige mit einem folgerihtigen Naifonnement verans ſchaulicht. Daß in der Wirklichkeit bei der großen Mehrzahl der Menſchen die Leidenſchaft ſtärker ift al$ Die Vernunft, und die Begierde heitiger wirft als der Gedanke, daran dachten dieſe Verehrer des abftracten Beritandes nit: mit der Thats ſache, daß jeder Menſch die Fähigkeit des logiſchen Schlichens bejigt, ſchien ihnen die Gewißheit gejegt, daß er aud nad) dem Ergebniß des logiſchen Schluffes feine Handlungen einrichten werde. Wenn man fir die Trefflichfeit des von ihnen ent: worfenen Staatsweiens einen Logifh bündigen Beweis liefern tonnte, ſchien ihnen aud die Sicherheit und Dauerhäftigkeit ihres Gebäudes vollfommen verbürgt. Andrerſeits, daß zur

Revolution in Frantreich 253

Krieg auf Leben und Tod gegen die beftehende Kirche war ifmen Allen gemeinfam, ein Krieg nad) dem tiefften. Oegenfage der Principien. Es war ein Irrthum, wenn Tocqueville die Anſicht aufftellte, die Revolution habe die Kirche nur befeindet, fo weit und fo Lange fie zugleich ein feudales Adelsinſtitut geweſen; nachdem fie die bier erworbenen Güter und Privilegien verloren, habe die demolratifirte Geſellſchaft anerkannt, welch ein ftarfes demokratiſches Moment das Chriftenthum jelbit ent halte, und ſich demnach mit vermehrter Wärme den religidſen Gefüplen hingegeben. Hier ift Taine's Darftelung ohne Zweifel richtiget. Die Revolution wußte ſehr wohl, weshalb fie nicht blos bie Güter, ſondern den Sturz der Kirche verlangte; und nicht die Genoffen der Revolution, fondern die durch die Gräuel ber Echredengzeit vermehrten Gegner derſelben Haben den Aufe ſchwung der Kirche in unferem Jahrhundert herbeigeführt, Faßt man die Staatstheorie der Aufklärung etwas näher im das Auge, fo treten befonders zwei charatteriſtiſche Züge hervor, die auf der einen Seite ihre Herkunft aus dem inneriten Kerne bes alten Regime befunden, und auf der andern beit gangen Verlauf der Nevolution in hochſt energifcher Weiſe ber fimmt haben, Das bier entworfene Staatsibeal, weil aus— ſchließlich aus einigen allgemeinen Eigenfhaften aller Menſchen hergeleitet, war ebenfowopl kosmopolitiſch wie egalitär. Wie auf der Bühne jener Zeit der Frangoje und der Barbar, der antife Hellene und der moderne Pariſer diejelbe Sprache, die Sprache des Berfailler Salons, redete, jo lannte auch die po— litiſche Theorie weder Franzofen noch Engländer, weder Katho Ien noch Proteſtanten, weder Gebildete noch Ungebilvete, fondern immer nur den Menichen im Allgemeinen. ie erwog

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256 Der alte Staat und die

Einzelnen gab es hier Keine Stätte, aber aus der Gleichheit Aller wuchs mit damoniſchem Jubel die ungebundene Willkir der Mafjen empor.

Eine Weile noch bewegten ſich auch diefe Lehren nur als willlommenes geiftiges Neizmittel in den Gemüthern wenn nicht der vornehmen, jo dod der gebilbeten und befigenven Stände. Das höhere und bald auch das niedere Bürgertbum erfüllte ih mit ſolchen Anſchauungen. Diefe Claſſen nahmen damals an einzelnen Mdelsprivilegien Antbeil; fie lieferten dem Staate zablreihe und hervorragende Beamte; fie gaben der Nation den größten Theil ihrer berühmten Denker und Dichter; fie trieben Induſtrie und Handel, und vermehrten täglich ihren Neichtpum, tmährend der Mdel ſich durch feine Verſchwendung blonomiſch ruinirte. So waren fie von dem Berwußtfein ihres Werthes erfüllt und fanden ben fortdauernden Vorrang bes Adels unerträglich. Sie hörten demnach mit innerer Erguidung die Lehre von ber Gleichheit aller Menſchen und der Sonverä- nität ber Gefammtheit, Denn den Privilegirten gegenüber ſchien es ihnen ſelbſtverſtändlich, daß fie, die durd ihre Bil- dung unter dem Volle hervorragten, die Führer der herrſchen⸗ den Gefammtbeit, ber bisher Nichtprivilegirten fein würden. Der Staat der Freiheit und Gleichheit würbe ja auch ber Staat der reinen Vernunft fein, und demmach ihnen, den

iftern der vernünftigen Erörterung, die leitende Stellung

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258 Der alte Staat und die

Tugend, Bruderfinn unter allen Bürgern im Staate und unter allen Böltern des Erbballs; das waren die Joeale, melde das Jahr 1789 für die Melt und die Zukunft proclamirte, und deshalb Liebt man in Frankreih, von dem unfterblihen Brin- eipien und den [hören Tagen dieſer eriten Epoche der Revo— lution zu reden. Es wäre auch dies Alles, fagt uns Thiers, zur trefflichiten Wirklichkeit getorben, hätten nicht die böfen Emigranten und die fremden Mächte durch ihren tüdifchen Ans griff die humanſte aller Nevolutionen in Verzweiflung, Nothwehr und Blutvergiefen bineingevrängt. Es wäre Alles gelungen, fagt Zonis Blanc, bätten niht mit NRobespierre's Sturz die boſen Thermidorianer an die Stelle der Tugend und Bruderliebe eine Politil des Laſters und der Selbftfucht geſetzt. Unter hundert Menichen jenfeit der Vogeſen theilen vielleicht acht⸗ sig die eine ober andere dieſer Anfhauungen, und jo ift es begreife lich genug, dab die unbarmderzigen Thatiahen, mit deren Maſſe Taine ihre jhönen Bilder jertrümmtert, bei der Mehrheit jeiner Sandslente mit unwilligem Befremden aufgenommen worden find. Der Contraſt zwiſchen diefer Wirklichkeit und jenen Idealen ift allerbings enorm; von ihönen Tagen der Revo— Intion, oder auch nur von einem einzigen ſchönen Tage ift in Wahrheif nicht zu reden; in derielben Stunde, in welder die abſo⸗ Inte Monardie zuſammenbrach, bebedte eine wie, robe und

260 Der alte Staat und die

den Ereigniffen erwachſenen Documenten im Einzelnen nad, wie jchon vor der Eröffnung des Neichstages der Zuftand an hundert Punkten aus den Fugen ging. Auflauf und Plunde- rung, Ungehorfam gegen die Behörden und Mißhandlung ver— haßter Perſonen war an der Tagesorbnung; die Beamten ber öffentlichen Gewalt waren muthlos und wagten bie ebenfalls murrenden Truppen nit zur Herftellung der Ordnung aufs subieten. Die erften Wochen des Neihstages brachten dann die heißen Verhandlungen über die Vereinigung ber drei Stänbe, den Verſuch des reactionären Staatöftreihs und den Baftille- ſturm. Die Aufregung war von Tag zu Tage gewachſen, die Spannung im ganzen Lande ungebeuer; mit der Parifer Statas ftrophe ſtürzte der alte Staat von einer Grenze zur andern in allen jeinen Theilen zufammten; und nicht bloß die Privilegien und Herrenrechte, jondern au jämmtlide Staatsbehörden vers ſchwanden auf einen Schlag, oder ftellten doch auf die erite Drohung eines bewaffneten Vollshaufens ihre Wirkfamteit ein. Die franzöjiihe Nation hatte thatfählih keine Negierung, feine Gerichte, Teine Polizei, keine Steuern mehr. Dafür batte fie Beitungen, Vereine, Kapenmufifen unb Lumdjuftiz; Sicherheit von Berfon und Eigenthum eriftirte nicht mehr, wohl aber that Jeder was fein Herz begehrte, bis ein Stärkerer das Gegentbeil beliebte und Jenen nieberfchlug. Dieſer anarchiſche Zuſtand

264 Der alte Staat und die

torden, ift äußerft unerheblich, Da man die von ihm urkund⸗ lich nachgewieſenen Thatſachen nicht aus der Welt ſchaffen kann, fo bemerkt man wohl, daß jeine Mittheilungen wahr aber ein= feitig feien, daß er neben der Schilderung der Nevolten und Miſſethaten nicht ſattſam hervorhebe, an wie vielen Orten bie Bürgergarde wader und tüchtig die bilrgerlihe Ordnung aufs recht erhalten habe, Taine wird meit entfernt fein, dieſe lehte Thatjadhe zu beftreiten, wäre fie nicht vorhanden geweſen, fo würde es im 19. Jahrhundert fein Frankreich mehr gegeben baben. Aber er wilrde fragen dürfen, ob eine Verſammlung Lob verdiene, bie als Beherrſcherin eines großen Staates bald ein Drittel, bald die Hälfte deſſelben drei Jahre lang einer blutigen Anarchie ohne alle wirlſamen Gegenmaßregeln Preis gibt; ob man von jhönen Tagen oder von einer humanen Revo: lution reden dürfe, wo in vemjelben kurzen Zeitraum ſechs entſetzliche Jacquerien das Land verwiiten, zahlloſe politiihe Morde firaflos bleiben, militärifhe Meuterei und kirchlicher Hader den Maffen die Waffen zum Bürgerkrieg in die Hand drüden? Man weilt uns auf die reine und iveale Begeiſterung melde damals noch Millionen freipeitspurftiger und patriotiſchet Seelen erfüllt habe; wohl fei es eine ſchöne Zeit zu nennen, too edle Ziele und unendliche Hoffnungen alle Pulje in böbern Schlag verfegt, und ein ganyes Volt mit jugenblih empor ftrebender Beide

268 Der alte Staat und Die Revolution in Franfreid.

fege gegen die Emigranten wird man jtet$ nur Sophismen und niemals Gründe beibringen können. Dies Alles aber trifft nicht die Frage, ob, wie es Taine annimmt, dieſe Verfolgten an politiiher Tugend, an Geiftesbildung und Thattraft eine hervorragende Stellung in der Nation einnahmen. Die Rachbar— völfer ſammtlich, jo viel ich weiß ohne irgend eine Ausnahme, waren in jener Zeit darüber entgegengejegter Anficht. Gewiß, es gab unter den Emigranten zahlreiche Perfonen, welche ſich in den Gegenden, wohin ihre Flucht fie führte, Achtung und Zuneigung gewannen. Die große Waffe aber hat durchgängig in Folge ihres leichtſinnigen Hochmuthes, ihrer innern Bänke reien umb ihrer ſchamloſen Frivolität, ein ebenjo übles An— denlen Hinterlaffen, wie fi hundert Jahre früher bie geflüch- teten Hugenotten durch Eintracht, Ernft und Thätigkeit aller Orten Verehrung und Dankbarkeit ihrer neuen Landsleute er- worben haben.

Der Raſtadter Gefandtenmord.

J. A. Freiherr v. Helfert, Der Raftabter Gefandtenmord. XI und 861 €. Wien 1874, Braumüller,

Der Raftadter Gejandienmort, 273

treter des Reichsſtandes Defterreih, Graf Lehrbach, verlieh darauf Raſtadt am 9. März, um fir bie Verpflegung der öfter: reichiſchen Armee in Sibbeutihland Sorge zu tragen und päter zum Minifter und Civilcommiffar bei derſelben ernannt zu werden. Die andern Mitglieder der deutihen Reichsdepu⸗ tation hielten trogbem in Naftabt weiter aus, teil fie nicht durch Defterreih, ſondern durch den Reichstag dorthin geſandt feien, und nur durch dieſen abberufen werben könnten. Auch die franzoſiſchen Gefandten erklärten, Raſtadt nicht verlaſſen zu wollen, da ihre Negierung troß des neuen Kampfes mit Defterreih jeder Zeit zum Abſchluſſe des Neichsfriedens bereit fei. Dem Wiener Hofe war begreiflicherweiſe die fortdauernde Anweſenheit der republifaniihen Diplomaten äußerft tiber: mwärtig, er ſah in ihnen den Mittelpunkt von allerlei reiche: feindlichen Umttrieben, ſei es bei einzelnen deutſchen Fürften, jei e8 bei ber Bevbllerung bes fübiweftlihen Deutſchland, und als die fiegreihen Truppen des Erzherzogs Carl bis in bie Nähe von Raftadt vorbrangen, ald der Vertreter der kaifers lichen Majeftät, Graf Metternid, von Naftabt abgereift war, erflärten die Organe der öfterreihiihen Negierung wiederholt, daß Naftabt nicht mehr als Sig einer officiellen Unterhand: lung, nit mehr als neutraler Ort amerfannt werde, Es wurde zwar baneben auch ausgeiprochen, daß bie dort anweſen⸗ den Gejandten perſönlich nichts zu befahren hätten, immer aber Fonnte vom öfterreichiichen Standpunkte aus eine ſolche Suficherung fortan nur als ftets widerrufliche freie Courtoifie, nicht aber als notwendige Folge eines völkerrechtlichen Ge ſetzes angejehen werden. Bald genug wurde dies Verhältniß ». Gybel, fl, bitesijche Schriften. II. 18

274 Der Raftabter Gefandtenmord.

auch in thatſächllcher Weile ben Gefandten veranſchaulicht. Die ſzelleriſchen Hufaren, welche den äußerſten Vortrab ber öfterreihiihen Armee bildeten, hielten einzelme deutſche Diplo⸗ maten bei deren Spazierritten vor den Thoren Raſtadts an, und wieſen fie mit rüdjichtslofer Grobheit in die Stadt zurüd, Aus dem kaiferliden Hauptquartier Fam bie Ordre, den Poſten⸗ lauf zwiſchen Naftabt und Selz, der nächſten franzöfiichen Orts haft, zu hemmen und die Eorrefpondenz der franzöfiihen Ge ſandten abzufaſſen. Ein als folder Legitimirter Courier ber franzöfiichen Botihajt wurde von den Huſaren angehalten und mit feinen Briefihaften in das Hauptquartier abgeliefert. Es war genug, um den franzbſiſchen Geſandten bie Luft in Raſtadt drüdend zu machen; fie erklärten am 25. April, nad dreimal vier umb zwanzig Stunden abreifen zu wollen.

Indeſſen Hatte man auch bſterreichiſcher Seits den Beſchluß gefaßt, nicht Länger zugumarten, und am 28. April empfing in Gernsbach der Oberft des Ijefler Hufarenregimentes, Bar: bacjy, beim Mittagsefien einen Befehl, der, wie er den auwe fenden Gäften fagte, der unangenehmſte war, der ihm in Leben zugekommen. Er brad) jojort mit einer Abtheilung feiner Leute auf, und ritt nad; Nothenfels, halbwegs Raftadt, blieb ſelbſt dort, und fieh den Nittmeifter Burlhard weiter nad) Na: ftabt vorgehn. Diefer rüdte mit feinen Hufaren in den Ort ein und ſchiclte der frangöfiihen Geſandtſchaft ein Schreiben

Der Raftadter Gefandtenmord. 275

auch für fih das Thor gefperrt, Auf ihre befremdete Erkuns digung ließ ihnen Burkhard fagen, daß lediglich durch ein Ver: geilen die Wache feine Weifung erhalten habe, trotz der allge meinen Sperre die Geſandtſchaft paffiren zu laſſen; dies ſei nachgeholt, fie lönnten jegt reifen. Es war Abend geworden; fie ließen den Nittmeifter um eine Escorte erfuchen, erhielten aber den Beicheid, daf eine ſolche nicht gegeben werde, fie aber obne jede Beſorgniß bie Fahrt antreten könnten. So zogen fie hinaus, eine Reihe von acht Kutſchen, in ſtürmiſcher Regen— nacht. Aber wenige hundert Schritte vor dem ſogleich wieder geſchloſſenen Thore wurden fie durch einige Männer in ſſzelle⸗ riſcher Hufarenumiform angehalten; die Kutſcher wurden bes » fragt, ob ein Gejandter in dem betreffenden Wagen fei; dann rief ein Neiter zuerft den Minifter Debry an, ımd auf die be jabende Antwort wurde der Gefandte aus dem Wagen gerifien und mit zahlreichen Säbelhiehen niedergeftredt. Dafjelbe Schick- ſal hatten gleich nachher die beiden andern Gejandten Bonnier und Roberjeot. Die beiden legten blieben auf dem Flecke tobt; Debry entkam, indem er ſich tobt flellte, und dann von den Mordern verlafen, durch das Dunkel begünftigt, in das nabe Geholz entwiſchte und am folgenden Morgen nah Raſtadt zurüclkam. Die Tpäter durchſuchten vergeblich nach ihm den Wald und forderten dann den Schulzen von Rheinau auf, wenn er einen verwundeten Franzoſen träfe, denjelben, an deſſen Habhaftwerdung viel gelegen fei, feitzubalten und nad) Muggenftuem zu bringen, in welchem Orte ein Detachement der Seller augenblidlih Quartier genommen hatte. Während des blutigen Vorgangs hatte fih die Zahl der Huſaren bis auf etwa ſechzig vergrößert; fie erflärten den Familien umd ber

Der Rafadter Grfandtenmord, am

ihnen gebracht hatte”). Eine Botſchaft der deutſchen Diplo: maten lieh Barbaczy übrigens nicht vor fih, ſprach aber in einer ſchriftlichen Antwort feinen Schmerz Aber die fchreds liche That aus, welche einige raubflühtige Gemeine unter dem Schutze der Naht begangen hätten. Im gleihem Sinne lautete auch der Bericht des Generals Kospoth an den Erzherzog, welcher darauf fogleih eine kriegsgerichtliche Unterfuhung ers öffnen Lie.

Bleiben wir hier filr’s Erfte ftehn. Der Zufammenhang der eben wiederholten Thatſachen ſcheint nicht den Schatten eines. Zweifels zuzulaſſen, daß die unmittelbaren Werkzeuge der That Seller Hufaren, und zwar unter der Leitung ihrer Ofe

* fielere geweſen find. Gibt man dies zu, To ergeben ſich aller⸗ dings, wie wir fpäter ſehn werden, nicht leicht abzuweiſende Folgerungen, welche den Verdacht der Urheberſchaft in zwinz gender Weife auf die öfterreichifche Seite lenken. Hr. von Hel- fert macht alfo den Verſuch, einer andern Auffaſſung Naum zu ſchaffen. Zunachſt beftreitet er die Glaubwürdigkeit oder das Gewicht einzelner Zeugenausfagen. ES leuchtet nun ein, wie leicht bei einem Ereigniß der hier vorliegenden Art Abs weichungen in den Berichten, Jrrungen über Nebenumftände u. dgl. entiteben fonnten, bei nächtlichem Ueberfall, bei Dunfel, Sturm und Unwetter, bei Mord und Raub, Verwirrung und Aufs ‚der ftärkjten Art: e8 wäre geradezu ein Wunder, wenn der Zeugen ſich frei von jeder Tauſchung als unbe Beobachter eriviele, ja wenn ein und derſelbe Bericht:

5. 238, bezeichnet diefe Angabe als Auge, ohne jedoch eine bringen.

je für diefe Behauptung beigu

273 Der Raftadter Gejandtenmort.

erftatter zu verſchiedenen Zeiten ſich nicht von veränderten Ein: driden beberricht zeigte. Nirgend weniger als bier kann aljo ber anderwärts brauchbare Kanon anwendbar jein, daß wiber: fprechende Zeugniffe ſich gegenfeitig neutralifiren. Unmöglich Tann man bier mit Hm. von Helfert 3. B. Debry's Ausſagen überhaupt geſchichtlichen Werth deshalb abiprehen, weil er ipäter in Paris über einige Umftände anders berichtete als früher in Straßburg*). Dazu kommt, daß die Kritik des Hrn. von Helfert auch jahlih von ſchlimmen Mißgriffen nicht frei iſt. Ein Schiffer Namens Zabern, der am 4. April vor Mainz jtromanfwärt® abgefahren, und dann bei Iffezheim von laiſerlichen Hufaren angehalten und nad Gernsbach gebradjt worden ift, gibt jpäter einige die Szekler ſchwer gravirende Mus: fagen zu Protokoll. Da rügt benn Hr. von Helfert, dafs biejer Mann den Oberſten Barbaczy am 28. April nur mit 16 Hufaren aus Gernsbach abreiten läht, während doch nad Naftadt allein über 50 gelommen feien: als wenn leichte Neiterei auf Bor: poftenbienft nur gefammelt in Einem Orte zu haufen pflegte, und Varbaczy nicht unterwegs Zuzug erhalten haben Könnte, „Bon den Anachronismen,” fährt Hr. von Helfert fort, „am 4. April Szefler Hufaren in Gernsbah und von dem andern Unfinn wollen wir gar nit iprechen“**). Von jonjtigem Un: ſinn ift aber in Wahrheit bei Zabern’s Erzählung nichts zu entveden, und was ben 4. April betrifft, jo fagt er nicht, daß er an biefem Tage in Gernsbach Hufaren gefeben, ſondern daß er an demjelben von Mainz abgefahren jei. Oper wenn

Der KRaſtadter Oeſandtenmord. 279

die Wittwe Noberjeot in Paris ſehr beftimmt erlärt, die Mörs der feien Spefler Huſaren geweſen, fo Hopit Hr. von Helfert an, ob man vielleicht die ganze Ausjage fir ein verfälichtes Macwert des böfen Directoriums halten möchte, da doch Frau Noberjeot felbft unmöglich hätte erzählen können, dab man die Liter ihrer Wagenlaternen ausgeldſcht, denn bekanntlich haben! diefe gar nicht gebrannt, fondern die Neifenden haben fih mit Zadeln leuchten laſſen; aud die Aeußerung will Hrn. von Helz fert verdächtig ſcheinen, daß Frau Noberjeot nad) dem Attentat von Debry unter Thränen umarmt worden fei, da Debry gar nicht jo befreundet mit dem feligen Noberjeot geweſen: wobei denn freilich ein Anderer eine ſolche Nührung und Bewegung unmittelbar nad) der Mordicene aud einem ſonſt gleichgültigen Menſchen gegenüber verwunderlid) finden wird. Ja, felbft daran nimmt Hr. von Helfert Auſtoß, daß Frau Noberjeot jagt, fie ſei bei der ſchliehlichen Abreife durd Huſaren deffelben Negir ments eScortirt worden, de ceux qui nous avaient assassinds le soir; er findet den Ausbrud komiſch und vermuthet vielleicht einen Drudfehler, assaillis 5. B. ftatt assassinds; er hat offen: bar nit daran gedacht, daß assassiner quelqu'un nit bloß heißt: jemand ermorben, jondern auch: auf jemand einen mör« derifchen Anfall machen

Nicht beſſer ſteht es um feine Argumentation, wen er bie Frage beſpricht, ob Dfficiere bei dem Attentate anweſend ger weſen. Dies wird beftimmt behauptet von Mabame Noberjeot und dem Bedienten Laublin nad) eigner Wahrnehmung, von dem Schiffer Zabern nad der Aeufierung eines Lieutenants, von dem Anonymus in der 18. Beilage bes „authentiichen Berichts“, Auf zwei diefer Zeugnifie geht Hr. von Helfert nicht

Der Raſtadter Geſandienmord 281

Ouſaren geivefen, jebenfalls aber unter frember, franzöfiiher Leitung geftanden hätten, Hier ift nun zunachſt zu bemerken, baß aud), wenn bie Thatfadhe richtig wäre, immer die Folgerung hochſt unſicher bliebe. Der gemeine Hufar verftand nicht frans zoͤſiſch: aber auch der Officer nicht? Zudem waren bie Seller feit ſechs Wochen gegen die Franzofen im Felde, hatten mit ihmen gefochten und Gefangene gemacht, und fonnten ſehr wohl unter ſolchen Umftänben das Material zw einer jo kurzen Frage aufgeihnappt haben. Aber bie Thatſache ſelbſt, daß überhaupt franzöfiich geſprochen worden, ift Außerft zweifelhaft. Nachdem der Kutſcher Sigrift bei feiner gerichtlichen Verneh— mung erwähnt hat, daß einige Huſaren deutſch, andere ungariſch geredet, jet er die pofitive Erklärung binzu: ich babe außer “dem bemerkt, daß kein Hufar franzöfih ſprach. Bonnier's Poſtillon Ohmweiler, ein badijches Landestind, berichtet, daß die Huſaren zuerft ihm natürlich in beuticher Sprache befragt hätten, wen er fahre, und dann dem Geſandten zuge rufen hätten: Bonnier, fleig heraus. Aehnlich meldet Roberjeot's Poftillon von feinem deutſchen Geſpräch mit den Huſaren, worauf dann der Minifter auf den ungarifchen Befehl eines Wachtmeiſters niebergemacht tworben ſei. Huch Debry's Poftillen verhandelt mit den Öufaren deutſch und nennt ihnen feinen In⸗ ſaſſen. Unter diefen Umftänden ift nichts wahrſcheinlicher, als Reichlin-Melvegg's Vermuthung, daß bie Hufaren nad) der durch den Poſtillon erhaltenen Aufllärung zu völliger Sicherheit bem Geſandten nur noch feinen Namen zugerufen: Minifter Jean Debry? und auf die bejahende Antwort zugeihlagen hätten. Gerade jene drei Worte fonnten don der Familie für franzöſiſch und im Munde der Hufaren für ſchlechtes franzöfich gehalten

Bw Ü

282 Der Raftabter Befandtenmord.

werden, wie denn ein fpäterer Erzähler auch ausjagt, Die Hu— jaren hätten gefragt: ministe Chang Depitz?

Können wir bei all diejen Einzelnbeiten bie Auffafjung des Hrn. von Helfert uns nicht aneignen, fo müſſen wir noch enifchledener das Schlußergebniß, worin er den Thatbeitand des Attentats zufammenfaft, zuricweiien.

„Es find, fagt er Seite 226, zwei Zeitabſchnitte wohl aus: einander zu halten, wo fowohl Perfonen als Handlung wechſeln: der erfte, ber ſich jehr kurz abipielt, begreift das Gemegel in fi, woran fih nur fünf oder ſechs Angreifende betheiligen; im zweiten bewegt ji eine große Anzahl von Herbeigefommenen auf dem Schauplage, neugierig, was ſich da ereignet habe, theilnehmend oder roh gegen bie Leivenden, im Begriffe, die ihnen in die Hände gerathene Beute nach Eriegerishen Brauche zu behandeln, aber dabei den Weifungen der Vorgefegten ge: horchend. Alles Räthſelhafte des Ereigniffes, alle dabel aufs taudenben Fragen und Zweifel beziehn fich immer nur auf ven erften Theil und Zeitabſchnitt deſſelben.“

Seine Meinung geht aljo dahin, daß der Mord durch fremde Hand veranlaßt und unter fremder Führung durch ein halbes Dupend dazu verführter Hufaren in wenigen Minuten ausgeführt worden, daß danıt, wie man wohl annehmen muß sufälliger Meife, die vor dem Nheinauer Thore aufgeflellte Neiterabtheilung auf den Schauplatz gefonmen, bie Mörber dort noch anputeffen, und bafı alet weite e Böchft

284 Der Raftadter Befandtenimord

dem Hauen auf ben Miniſter Jean Debry habe er gejehen; in ber Zeit jeien aber mehrere Hufaren auch auf feine Chaiſe ger ſprengt, hätten nad) Vonnier gefragt, denſelben niebergemadht, und dann fich auf die Kutſche Roberjeot's geivorfen.

Nah dieſen Ausfagen ift es alfo unwiderſprechlich, daß die ganze Abtheilung der Öufaren, und nicht bloß fünf ober ſechs Mann, bei dem Morde mitgewirkt, und daß überhaupt kein Perſonenwechſel während des ganzen Verlaufes des Ereig- niffes Statt gefunden hat. Es find durchaus dieſelben Neiter, welche zuerſt die Fahrt anbalten, dann die Geſandten ermorden, und bierauf die Wagen fir ihr Eigenthum, für gute Beute erklären. In dem ununterbrochen ablaufenden Ereiguiß einen Abſchnitt machen, den Schluß eines früheren, den Beginn eines neuen Greiguifjes erfpähen zu wollen, iſt ein eitles Bemühen. Es ift die K. K. Truppe, die unter Leitung ihrer Officiere im erften wie im zweiten Theile der Begebenheit agirt. Und, müfjen wir hinzufegen, verbielte es fi anders, wäre wirklich der Mord nur von fünf dazu erfauften Hufaren unter Fühs rung eines Franzoſen ausgeführt worden, es bliebe auch dann das Verhalten der nachher hinzufommenden Schwadron rechts- twibrig und unbegreiflih im höchſten Grade. Nach diefer Vor— ausfegung alfo hätte Nittmeifter Burlhard in vollem aufrich- tigem Ernte den Gefandten jagen lajjen, daß fie ohne jede —— durch einen Zufall,

Der Raſtadter Öejandtenmord. 235

ſtanden von den Officieren der Abtheilung ertvarten, als eifrigfte, ſchleunigſte Verfolgung der Räuber, und ſoweit es der Dienft verftattete, wirffame Unterftügung ber Veraubten? Statt deſſen ſehen wir bie Truppen Tediglich bemüht, fih der Wagen, mit Allem was darinnen ift, zu verfihern. Sie wollen viefelben nicht nad) Raſtadt umkehren Laffen; fie hindern die Angehörigen der Gefandten auszufteigen; Alles müſſe, erflären fie, um bie Stadt herum in das Hauptquartier des Erzherzogs gebracht werben. Zugleich geht eine Patrouille nad Rheinau, tm bei dem dortigen Schulzen die Ablieferung des etwa bei ihm er⸗ ſcheinenden Debry nach Muggenfturm anzubefeplen; die Nennung diefes Ortes zeigt deutlich, daß die Reauifition nicht als ein - Werk fremder Mörder, jondern nur der militärifchen Behörde aufgefaßt werden Kann. Hr. vor Helfert nennt dies Alles: „die den Hufaren in die Hände gefallene Beute nach Eriegeriz ſchem Brauche behandeln“, Wie? um 7 Uhr Abends erflärt = Nittmeifter Burkhard ben Gefandten, daß fie ohne Gefahr reifen konnten: woburd in aller Welt ift denn zwei Stunden fpäter das Gepäd derſelben feindliches Gut und rechtmäßige Beute für Vurkhard's Hufaren geworben? Wird der Neutrale dadurch zum Feinde, dab namenlofe Banbiten ihn auf der Landftrafe angefallen haben? oder joll etwa der Tod der Gejandten ihr Vermögen als herrenlofes und fomit dem kaiſerlichen Militär verfallenes Gut ericheinen laſſen? Auch find es in Wahrbeit nicht bloß einige raubjücdtige Gemeine, wie jpäter Varbaczy ſchreibt, welche die Herausgabe der Wagen an bie rechtmäßigen Eigenthümer weigern, ſondern ganz in demjelben Sinne bans deln aud in Raſtadt ſelbſt deren Vorgeſetzte, tro aller Proteſte der deutihen Diplomaten und der badiihen Landesbehörden.

Pr ES 9—

Der Raſtadter Geſaundtenmord 357

"Urheber anderwärts, und nicht auf öſterreichiſcher Seite zu ſuchen feien, Wer aber hätte denn fonft den abſcheulichen Gedanken ausgehedt?

‚Herr von Helfert ſcheidet aus der Lifte der Verdächtigen die Königin von Neapel, ven Gefandten Debry, das engliſche Minifterium und den General Bonaparte aus, womit wir überall im höchſten Grade einverftanden find, und läßt dann, wie wir wiſſen, dem geneigten Leſer die Wahl zwifchen den Emigranten und dem Parijer Directorium. Prüfen wie nun die beiden Hypotheſen etwas näher nad) ihren Vorausjegungen und Con: fequengen.

Da ein Theil der Schwadron des Nittmeifters Burkhard die handelnden Perfonen für den ganzen Verlauf des blutigen Ereigniffes geliefert hat, und nirgendivo ein pofitives Jeugniß vorliegt, welches die Hufaren als gedungene oder beſtochene Werkzeuge eines fremden Anftifters barftellt, jo enthält ber ber kaunt gewordene Thatbeftand des Ereignijjes ſchlechterdings nur ein einziges Moment, welches auf den Verdacht framzöfiicher Urheberſchaft hinführen könnte, bie Ausſage Debry’s und feiner Angehörigen, dafı bei dem erften Angriff drei oder fünf Fran zoſiſche Worte gefallen feien, Wird dieſe Ausfage aber, wie oben geihehen, auf ihren wahren Werth zurücgeführt, fo ver: liert fie für die Ermittlung ber Urheber alle Bedeutung, und es iſt mithin zu Tagen, daß die nach der franzöſiſchen Seite gerihtete Anklage überall teinen andern Grund bat, als die angeblie Unmöglichkeit, einen öſterreichiſchen Schuldigen zu ermitteln. Es würde aljo auch bier gelten, was id zu Anfang bemerkte: die einftweilige Erfolglofigkeit der Unterfuchung nach der einen Richtung beredtigt für ſich allein noch nicht, ben

288 Der Naftadter Gejandtenmorb,

Verdacht nach der andern zu lenlen und ſchon biemit wären wir befugt, ben franzöfiichen Hypotheſen als willkürlichen Er- findungen den Abſchied zu geben. Indeſſen, thun wir ein Uebriges; jeben wir, wie ber jonftige Verlauf der Begebenheit ſich auf diefem Standpunkte ausnimmt. Sept man voraus, wie e8 Herr von Helfert thut und thun muß, daß die franzöfis ſchen Anftifter ohne Gonnivenz der faiferlihen Behörden die Hufaren zu der Morbthat verführt haben, jo fält jofort bie halsbrecheriſche Keclheit des Streiches auf, bie brennende Gefahr fofortiger Entdedung, welche dann jeden von dem Attentat er bofften Gewinn in einen für die Urheber vernichtenden Schlag verwandeln mußte. Die im Nheinthale Tebenden Emigranten hatten bei dem Einbruch der republitanifchen Divifionen natürs ich fofort die Flucht ergreifen müffen, und als dann Erzherzog Garl die Gegner wieder über den Rhein zurüdwarf, wurden die Emigranten durch Befehl des Hauptquartiers hinter bie Aufftellungslinie des laiſerlichen Heeres gewieſen. Wie alio follten fie, ohne Mitſchuld der öſterreichiſchen Behörden, auf der äußerften Spige des Vortrabs Eaiferliche Hufaren zu einem merhörten Attentat verleiten? wie aus dem Hauptquartiere fo genaue und jo raſche Informationen über die einzelnen Truppenbewegungen und über ben Termin für bie Audweiſung der Gefandten erlangen? Und mochten fie oder die Agenten des Ditectochumd bie Se —— wie ſoll man

Der Raftadter Gejandtenmorh 291

darzuthun. Der Krieg brach aus, weil das Directorium dem Wiener Hofe jede Erwerbung in Jtalien weigerte, ftatt beffen aber Säcularifationen in Deutfhland und den Rülckmarſch der ufühen Truppen aus Deſlerreich begehrte, Niemals aber hatte das Directorium ans dieſen Forderungen und Weigerungen dem franzöfiichen Publicum ein Geheimniß gemacht; der Moni- teur bat feit Ende 1797 fortlaufende Mittheilungen über bie Naftadter Verhandlungen, die, wenn nicht ausführlich noch voll ftändig, doch jene entiheidenden Momente in voller Deutlichteit zu Tage treten lafien. Mit aller Verlegung des Amtsgeheimz nifes hätten die Gefanbten alfo nichts Erhebliches, nichts bes fonders Anftößiges ausplaudern Lönnen, was das Franzöftiche Volk nit ſchon Tängft gewußt hätte.

Man hat dann weiter fih gewundert, warum, wenn die franzöfiihe Regierung unſchuldig an dem Attentat geweſen, bei den Lumeviller Frieden Bonaparte keine Sylbe von einer Ge— nugthuung geredet, jondern in fpätern Jahren, auf St. Helena, vielmehr ſelbſt das Directorium als Urheber genannt hätte. Diefe legte Aeuferung ift uun ohne Weiteres abzulehnen; fie gehört zu ben tendenziöfen Erfindungen, von benen bie Mentois ren don Et. Helena wimmeln; Napoleon hat in der dent Attentate nahe liegenden Zeit dem General Lafahette ben Grafen Lehrbach als Anſtiſter des Mordes bezeichnet, ganz jo wie etwas fpäter Talleyrand gegenüber dem Herrn von Bagern. Wie wenig übrigens auf alle Neuerungen biefer Urt zu geben if,

ben jener Hindeutung Napoleon’s das Geſpräch Cobenzl's Bonaparte in Luneville, wobei biefer den Minifter ‚eigentlichen Sünder erflärte. Das einfache Ver- dieſes, daß Vonaparte, der während der Suneviller

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* Der Seedter Gejandtermerh Berhsmtirugn die jsobiniihen Barteisenoien der ammordeten Geiestten grimmig verfolgte, miät des geringe Iuterefie am em Tode zweier Königdanörter nahen, fait deiien aber in jener damaligen Stellung Beinen lebhafteren Baxih beste, als nach den früldgen Lorbeerea von Marengo den Franzeien möglich bald den erfeimien Frieden zu verihaffen. Die Forberung einer Eühme für das Raſtadter Ereignit konnte im Uehrigen den Jubalt der Bedingungen für frankreich wenig verbefierm, war aber hochn geeignet, Die gamze Unterdandlang zu ver giften und zu werjhleppen. Als Debrn damals die Sache zur Eprade bringen wollte, ſchloß ifm Bonaparte den Mund: in eineni Augenblide, wo man den Frieden anbiete, mäne Als vermieben werden, was gehäifige Erinnerungen wach rufen lonne So zeigt ſich überal das gleich negative Ergebniß. Nicht ein einziger Punkt hält Stich, an den man einen Beweis fir eine framgöfiiche Urbeberigaft des Artentats anzulnüpfen vers jucht Hat. Alles iR bier grundloſe Willfürfihkeit oder boden Iofe Unwahrſcheinlichkeit, und die erbebliiten dieſer Ber airtüngen fteben mit ben geſchichtlichen Ihatfachen in offenem 1. Wenn es wirklich begründet waͤre, was Kr. von Helfert jagt, daf die Ermordung der drei Gefandten der weient« liche Zwed des Üttentat3 geweſen, und nirgend fich ber ges Fingfte Beweis gegen einen öfterreidhiichen Urheber zeigte: immer

Der Raftadter Befandtenmord. 295

Mörder, deſto unbegreiflicher wäre die Beſchützung und Strafe Tofigteit derſelben, deito düfterer der Schatten, welcher dann auf die Regierung fiele. Sie hätte die That nicht befohlen, aber fie privilegivte ohne irgend einen Veweggrund den das Wöller- recht ſchandenden Mord. Unter allen bisher aufgetauhten Hp: pothefen müfjen wir dieſe für bie unzulänglicite erflären.

Was wir hier aus dem Zufammenhange der Begebenheiten erſchloſſen haben, daß der Anfall auf die Gefandten nicht ohne hohere Weifung erfolgt ift, dab alſo ein ordentliches Proceß⸗ verfahren wichtigere Perfonen als obſcure Hufaren compro: mittirt haben würde, dies fünnen mir jept auch mit urkund⸗ lichen Zeugniſſen belegen.

Das Wiener Kriegsarchiv iſt, ähnlich wie das Pariſer, in muftergültiger Weile georbnet und für die hiſtoriſche Forſchung bereit geftellt. Nach Armeen, Kriegsihauplägen und Feldzügen find die Aeten chronologiſch aneinander gereift; von jedem Dos eumente, bis auf den kleinſten Napport einer Unterofficierd- patrouille herab, ift ein kurzes Juhaltsverzeichniß angefertigt, und dieſe Negeften find dann monatweife in großen Protofoll: bänden vereinigt worden. Das erfte der gleich mitzutheilenden Schreiben fand ich nun in den Feldacten der beutfchen Armee vom April 1799; gleich nachher folgte ein eingelegtes, offenbar altes Blatt mit der Notiz, daf die Nummern 118, 135, 188, 140, 145, 156 ber Serie aus den Acten entfernt, und in Bere wahrung zuerſt eines andern Officier® und dann bed Major Egger gegeben worden jeien. Es ergab ſich, daß ein Major diefes Namens in den Armeeliften feit 1815 nicht vorlomme, und jo lag der Schluß nabe, eben diefe Acten feien es, welche auf Veranlaffung des Minifters Cobenzl im Jahre 1804 den

el

Der Kaſtadter Gejandtenmork. 299

an eine freundchaftliche Begegnung gedacht wurde, zeigt feine Anfrage, ob er die badiſche Escorte derfelben als feindliche Truppen zu behandeln habe. Eine Bejegung Naſtadt's war damals offenbar noch wicht in Frage; im Uebrigen wurden auf der Etelle Vorkehrungen getroffen, den aus dem Hauptquartiere erhaltenen Auftrag zu erfüllen, und fort und fort gehen Ber richte und Erlaſſe durch und an alle militärifhen Inſtanzen, Brigade, Divifion, Corpscommando, Hauptquartier. Auf des Erzberzogs Ordre von 25. läßt Barbaczh Naftabt felbft am 28. militärife) befegen, und berichtet an demfelben Tage feinem -Vorgefegten über die nahe Abreiſe der Gejandten, was jene ſofort an ben Erzherzog weiter geben. In der Nacht darauf erfolgt dann bie Kataftrophe. Da dieſe nicht beabſichtigt war, zeigt die Faſſung des vorlehten Negefts („die unglüdlice Be: gebenheit“ u. f. w.) troß ihrer Kürze mit voller Deutlichteit; es erhellt ebenfo aus ber fofortigen Veifügung der von einem badischen Eivildeamten aufgenommenen Ausfagen der Poſtillone, an deren Stelle, wenn der Mord auf Befehl geſchehen wäre, doch ohne Zweifel der Napport des führenden Officiers getreten märe; es wird zwingend beftätigt durd den umgehend erfols genden Befehl des Erzherzogs, der bier um jo frappanter iſt, je deutlicher jeht vorliegt, daß alles Frühere auf feine Anord- feiner Kenntnißnahme vorgekehrt worden iſt.

m hiermit auf jene zweite geführt, nach welcher bei dem Attentate die des Gefandtfehaftsardios die Hauptabficht, und

Der Raftadter Gefandtenmord. 301 Zunachſt wird betont, daß bei dem erſten Angriff bie Hu⸗ faren fein Wort von dem Archive gefagt, defto eifriger aber fih nach den Perfonen der drei Gejandten erkundigt und dann den Morb vollbracht hätten. Auch im weiteren Verlauf hätten fie nach den Acten nicht geforſcht, im Gegentheil einzelne Briefe ſchaften, die ihmen in die Hände gefallen, auf die Strafe oder in den Ganal geworfen. Daraus gehe doc, jagt Hr. von Hel- fert, hervor, daß nicht bie Beſchlagnahme des Archivs, ſondern die Ermordung Debry's und feiner Collegen ihre Aufgabe geweſen.

Die Antwort darauf liegt, ſcheint mir, auf der Hand. Was das Arhiv betraf, jo brauchten bie Hufaren dafiir gar nicht ausdrücklich inftruirt zu fein; es war ganz ausreichend für den Zweck, wenn fie Befehl erhielten, die Wagen mit Allem

“was darinnen fei, in das Hauptquartier zu bringen. Wenn man die Wagen beſaß, hatte man auch das Archiv; mit dem Anhalten der erften Kutſche war dieſer Theil der Aufgabe er: ledigt, und die Szekler konnten ohne Weiteres zu ihrem ferne ren Vorhaben, der perſönlichen Gewaltthat, ſchreiten. Die hier und da geäuferte Bemerkung, die Geſandten hätten ihre toichtigften und geheinften Papiere doch ſchwerlich auf die ums fichere Nachtfahrt mitgenommen, entbebrt zunächft jever Begrüns dung, beim wenn auch Bonnier einmal Zweifel äußerte, ob das öfterreihiiche Militär ihre Unverleglichleit reſpectiren würde, jedenfalls mußten die Gejandten, und mit ihnen ihre deutſchen Eollegen ſich als geſchutzt durch die heiligiten Geſetze des Völfer- rechts betrachten, fo daß fie keinen Anlaf und ſchwerlich auch eine Möglichkeit hatten, einen beſſer geſchützten Ort als ihre Wagen für ihr Arhiv zu ſuchen und zu finden. Indeſſen ift

Bi fi

Der Raſtadier Geſandtenmord. 308

jest fein Zweifel möglich, das ber Leptere über dieſen Punkt durchaus das Nichtige erkannt und ausgeiprochen hat. Die oſterreichiſche Negierung trug fih damals mit fehr beitimmten Entwürfen gegen Baiern. Allerdings war jeit 1795 von dem alten baieriſch⸗belgiſchen Tauſchplane feine Nede mehr geweien, nad) dem völlig ausreichenden Grunde, daß Deiterreich bie bel: giſchen Provinzen nicht mehr beſaß. Dafür hatte Frankreich in Campo Formio ſich einverftanven erklärt, daß der Kaifer in Deutſchland das baierifhe Land bis zum In erwerbe. Aber allerdings, mit diejer franzöfiihen Zuftimmung war für Deftere reich die wirkliche Erlangung der Provinz nod) feineswegs ge: ſichert; es zeigte ſich bald genug, daß Preußen lebhaften Wider: ſpruch erhob, und die Abneigung Baierns gegen eine folde Einbuße verftand ſich won ſelbſt. So ftrebte Thugut auf alle Weiſe, fid die Unterftügung des mächtigen Rußland fir jene Annerion zu verſchaffen, und that deshalb das Mögliche, die baieriſche Negierung bei Kaiſer Paul als preußen: und franr zofenfrenndlich zu verdächtigen. Vollends als im Februar 1799 in Münden Kurfürft Mar Joſeph, der verhaßte Sproß ber Zweibrücler Linie, zur Negierung kam, als er gleich nachher die Unvorfichtigkeit Hatte, den Garen durch die Beihlagnahme der baieriſchen Malteſer⸗Guter perſonlich zu reisen: da vers doppelte Thugut in Petersburg feine Anklagen auf verräthes riſches Einverftändniß zwiſchen Vaiern umd Frankreich, und beantragte bie Verhängung eines militäriihen Sequefters über das ganze baieriihe Sand, So lange Paul’s Zorn über bie Maltejer Streitfrage dauerte, fand Thugut für diefe Bezichti- gungen bereitwilliges Gehör: in der Hauptiache allerdings, für die Klage auf Reihsverratb und heimliches Bündnis mit Franke

Der Rafiedter Geſaudtenmord 305 fandten und die Wegnahme ihrer Papiere von bſterreichiſcher Seite angeordnet war?

Wie aber? wäre dann aud der jhlinmfte Theil des Vor ganges, wäre aud ber dreiſache Mord nad) dem Befehle der oͤſterreichiſchen Regierung erfolgt?

Schon nad den eben entwidelten Boransfegungen, wie mir ſcheint, wird man dies für hochſt unwahrſcheinlich halten müffen. Als gefangene Ausfunftsperjonen lonnten die Gefandten der öfterreihifchen Negierung nüplich werden; die Ermordung derfelben konnte ihr unter allen Umftänden nur ſchaden. Dazu tommt Thugut's vertrauliches Billet an Colloredo gleih nad der erften Runde von der blutigen That; Fein unbefangener Leſer wird die verbrieflihen Worte für die erheuchelte Entrüftung eines Mitſchuldigen halten Können. Aehnliches gilt von Lehr: bach's damaligen Briefen an Thugut und ben Erzherzog: tritt der Unmille über das Attentat bier nicht fo ſcharf wie bei Thugut hervor, jo wird man doch auch am dieſer Stelle vie völlige Ueberrafhung über ven Mord nit verlennen. So tommen wir zu dem Ergebniß, daß die- öfterreichiiche Negier tung die Beſchlagnahme des franzöfifchen Archivs und vielleicht auch vie Verhaftung der Gejandten angeorbnet, daß die Erz morbung aber nicht in ihrem Plane gelegen bat, jondern die Folge irgend eines Mißverftänpniffes ober jonft eines tragiichen Bufalls gewefen it. Mit diefer Vermuthung übereinftimmend haben ſchon jehr bald nad dem Ereiguiffe zuerſt Jomini und fpäter Arnault und andere eine Geſchichte mitgetheilt, des In— halts: der früher in Naftadt thätige bſterreichiſche Geſandte Graf Lehrbach Habe zur Zeit des Mordes in einem Münchener

Gaſthofe gewohnt, und auf die Nachricht von = Attentat v. Spdel, M. bitorife Säriften. IT.

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310 Der Rakadter Weiıntten

qui Ta entraine dan: ces demarches. it faut iui renire ia justice qu'il a bien manseusre Lehr&uch. dest lui. c'est lui!! Sar Varticle que la Russie vouloit furcer par ia vore des armes la Frusse & prendr# fait et cause pur ia era- lition. N. si cela eteit wrai. Lehrösich. hum hum. Is temeignerent des inquiet:

TArchidue d’exporter ies Ministres fraı fu: arrive & tems. Ceux ci avoient sen

i est une hete Ta ant proßte de cola. et ia reyarder? tandisque !oui ce quej J-unlan. su erriv.ient. n’etsit du ı. qui: u riywur (Empire Es A en Erizsuie. Bsnaparte = Eait Srerjeten zur Diele Teminzz: zer zur zuefonmer Zd

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sera amiv- a tem8. par Ere ja mal. ;a ralta de frippom (m laca z iss peaples sont pour Iui. ici en Buriere meme. on n'entend que chanter ses louanges. Lei: hen hem * Frinces A

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312 Dır Bafadter Bejandtemmord.

Hepse Sie mäßer werigfiens 30 bit 40 Wilisem be ehlen um dem Heihe Shaz zu baden Lehrbsd,. Sie waren font den Framjesen gum; ergeben.

Is se plaignirent de Is bitise et de Fesprit dies de pinsieurs de leurs Genirauı Lehrbach ft mentisa dum Ban d’operation d'un Genfral, dent on ma pa eniendre le mo, qui demandeit toajears le double de la force ennemie pour le cumbatire Hoppe. le ceböbre Mack est de möme, Tai vu des plans doperation de ini, o& il jetieit i dreüie et ägzuche des 10 mille bommes sans saveir pourgusi Lehrbach, je le suis bien je Tai fürt ame.

Procis rurbel dest cummersuiuem tem entre Le Csmde die Lehrbuch ei ie Sr. Hoppe le 3 Mei 1792. Deme ia Mei de Sturzer & 10 ivwren

Us ummenceresz pur tzmwärner beuzcuep dinyeeinde sur Terenement ui ent de se pawer 2 Betudt Hapge.. Les frasxeis wat sulsir ce fit pour cumyeser des peweiamatiens et ruzimmer iz pueugbe Leirlach cuasreiiz is muzööre de parler des Samgeis, 3 juris des mesures ges pour ia surets da Umgris et de ia bee ame errite TArchödue & ce supet et din: Ib hehe gleih geichen,

Der Raftadter Gefandtenmord, 313

durchaus nicht ohne Escorde gereift, und wenn die Zeit bei der Nacht aus war, fo ift e8 vom Offizier gefehlt. Der Bar batſchi ift ein Eſel. Ich habe heute einen Durſt den ich nicht loſchen kann (trinkt ein Glah Wein nad dem andern) jo hat mich das Ding angegriffen, wenn man einmal einen fröhlichen Tag bat, jo wird er einem fogleich wieber verbittert. Hoppe. C'est une mauyaise affaire, Sie bringt unferer Nation eine ſchreclliche Schande. Sie fuchten alles hervor um Sie zu be fhönigen. Hoppe. Sie haben vielleicht Piſtolen gezeigt und dann haben die Hußaren recht gehabt allein fie konnten nichts finden. Lehrbach. Daran ift der Albini der ver: fluchte Kerl Schuld, Hätte der Spipbube feine Schuldigleit ge: than, und wäre er fortgegangen, wie man es ihn geheißen hat, jo wäre der Kongreß weggeweßen. Lehrbadh fährt fort: Sie waren alle drei Boßewichte, Königsmoͤrder, die Vorfehung, hohl mich der Teufel, beftraft alle die Kerl; daß die Preußiſche Ge fanden noch da waren! Jakobt wollte fortgehen, mais Goertz s’est conduit comme une yieille femme, Haugwitz ift ein Spigbube, Wie der Officier mir das dide Paquet bradte und ich den Brief las jo hat er mic) angeftarret, denn id war eomme stupefait, ich habe nur geleßen daß bie franzöfiicen Minifter todt geftohen worden wären, es wieder zugemacht und dem dummen Seilern zugeichidt, hohlen Sie fie her und Iejen Sie. Hoppe Tas zuerſt einen Brief des Erzherzogs an den Raifer, worin weiter nichts fand, als daß die verſchiedenen rapporte über dieſe Begebenheit beigelegt wären, er erwarte Seiner Mojeftät Befehle um bie Unterfuhung vornehmen zu können; dann las er einen Bericht des Brigaben-Benerals, deſſen Namen man vergeſſen hat, welcher die Beſihnahme von

Der Raftadter Gejandienmord, 317

pour se disculper de cet assassinat sans jamais en trouver et on ne peut se souvenir de toutes les hötises qu'ils de- biterent à ce sujet. Lehrbach prit pour cette nuit une mesure dont il ne s’est jamai servi, il ordonna à son Do- mestique: Schließe er heute Nacht die Thüre feines Fimmers nicht zu, daß er glei kommen Kann warn ich ihn brauche.

Procös verbal d'une conversation tenue entre le Comte de Lehrbach et le Sr. Hoppe le 4 Mai entre 9 et 10 heures.

On entendit la fin d’une conversation sur la catastrophe de Rastadt. Hoppe. V. E. a bien fait decrire à l’Archi- due ce que Rechberg a mand& ici, eela rendra plus pre- eautioneux ü P’avenir, il saura ä quoi s’'en tenir. Ensuite quelques mots qu’on ne peut comprendre. Ils sont les ga- settes frangoises sei. Is parlerent a differentes reprises de cet evenement en cherchant tous les moyens de le dis- eulper, mais d’une maniere qui prouve bien leur inquietude, se plaignant et de l’Archiduc et de Kospoth et de Bar- batschi que hoppe pretendoit Ötre un tres mauvais sujet, Hoppe, Est-il yrai que l’Archiduc ayoit ordre de faire chasser Alquier, Bacher et Trouyé? Lehrbach on me la die, mais Je n'en ’sais rien » » 2 020. F

Lehrbach. On dit que l’Electeur s’est pronone& trés fortement contre cet exc&s et que l’Electrice a pleure. Hoppe. Il n'est pas etonnant que l’Electriee wit pris une part aussi vive, Elle est la belle fille du Marggrave de Bade, Elle a peut ötre reflechi aux suites que cela pour-

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324 Der Rafodter Gejandienmors.

ville, que des husards embusques derriere les dernieres maisons des faubourgs, et qui avoient pass& par la ville au moment ou les autres avoient pris possession des portes, se jettent dans les cheyaus, teignent les flambenux, pre- viennent les cochers, qu'ils n'ont rien ä eraindre et arrötent les voitures, Ils interrrogent les personnes, qu’y sont, et au nom de chaque Ministre frangais ils sont traines hors de la voiture et massacres impitoyablement. C'est ainsi que Bonnier eut le cou, les deux mains coupees et quil tomba meurtri des coups. Roberjot fut sabr& sous les yeux de sa femme et de son valet de chambre, qu'on tint pour en &tre spectateurs. Jean Debry destine à avoir le möme sort, se sauya par un miracle; assailli de toute part il tomba et se roulant dans le fosse il feignit d’etre mort; Tobseurit6 de Ia nuit et Yavidit6 des Husards, qui pillörent toutes les voitares, le sauwörent. I] passa la nuit dans les bois se glissant le matin & l'aide de quelques bourgeois de la ville dans la maison du Comte de Goertz. Rosen- stiel et les eitoyens Boeccardi, qui suivirent la file des voi- tures estendant le bruit des armes, les cris des malbeureus, se jettent hors des voitures et röviennent en ville a lobs- curit& de ia nuit. Le premier se sauvs chez le Baron d’Edelsheim et fut priv& de zes senz pendant 20 heures; les

330 Der Rofadter Bejandtenmorb.

wo er im Schreden über das erfte Wort vom Morde den weitern Juhalt der Deveiche lange Zeit ungelejen läßt. Ebenfo tie mit Lehtbach's Charakter ſtimmen aber feine hier über: lieferten Reden mit den jonft befannten Thatſachen. Bent man die Daten ber Protofolle mit jenen der darin ermähnten Ereigniffe vergleiät, jo erfennt man fofort, baf; in München zu jener Zeit niemand die betreffende Kunde haben konnte, als wer, wie Lehrbach, in directem Verkehr mit dem Hauptquartier des Erzherzog fand. Am 25. April gab Garl in Stodech den Befehl, dab Barbaczy die frangöfifcen Gefandten aus Ras Habt ausiweilen ſollte; Barbacyy empfing diefe Orbre am 28., und fandte darauf am Rachmitttag eine jeiner Schwabronen nah Raftabt; Lehrbach aber Kicit dies alles in feiner Depefche am 29. Abends in Münden; ja man erfennt aus feinen Aute rufungen, daß die Depeſche den Wortlaut des von Varbacy den Franzojen zuzuienbenden Ausweijungsbefels cathielt. Vom Raftadt Her fonnie bies nicht nor dem 3. Mei in Münden: bes taunt werden; ca if alfo fider, dab die Aufjeihuung des Horders am 29. April eine achte Depeiche aus dem üferreichis iden Huupiguartier wiedergibt. Ebenjo weiß er bereits am 3. Mai, dab der Erzherzog am 1. eine Unterfuhungsommiffion es Generale Epord eingeisgt dat; er ber

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Der Nakadter Gejandienmorb. 331

gelegt wurden, fo ifl es wieder einleuchtend, daß der Horder twirfliche, fonft aller Welt verborgene Nachrichten des Haupt: quartier® an Lehrbad vernommen und wiebergeichrieben hat, Nicht minder ftimmt alles, was in unſern Protofollen Lehrbach über die Minifter Seilern, Goertz und Nechberg äußert, zu den Briefen, welche er damals an Thugut umd den Erzherzog Karl geichrieben, und die erft im neueſter Zeit durch Mendelsſohn und Helfert befannt geworben find, Genug, wir haben allen Grund, feine Aufzeihnungen als die achten Aeußerungen Lehr: badh’s zu betrachten.

Aus denjelben ergibt ih nun zunädft die Pflicht der Ger rechtigkeit, zu conftatiren, daß Lehrbach ſelbſt nit das Ges tingfte mit dem Morde zu thun gehabt hat. Am erften Abend jubelt ex auf bei der, ſichtlich unerwarteten Nachricht, dab Bars baczy die franzöfiichen Geſandten ausweiſen joll. Er freut ſich vom Herzen über diefen, dem franzöſiſchen Hochmuth angetbanen Schimpf; wenn der Dificier, ruft er aus, nur früher anfommt, ehe fie aus freien Stüden abgereift find, Schlechterdings nichts anderes al dieſe Verjagung der Holen Diplomaten durch eine Öufarenpatrouille lieſt er in feiner Depeſche, und ganz ficher fein Wort von einer beabfihtigten weiteren Mißhandlung. Hätte er von einer folden eine Ahnung gehabt, jo wäre es ihm jreilib ein. großes Vergnügen geweſen: denn beiläufig fommt die Heußerung vor, er würde ein ſtattliches Trinfgelb fir den Korporal baram wenden, welcher, wie dem Mainzer | Minister Wbini, fo aub den franzöfiihen Gefandten eine Tracht Prügel aufzählen ließe, Aber unverkennbar zeigen die daß fie nicht die Erinnerung am einen von ihm ere Heilten Befehl, fondern der unbefangene Ausorud eines menſchen⸗

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Der Raftadter Gefandtenmord. 345

bin ich überzeugt, daß es fih hier nur um einen Ausfluß politifhen oder nationalen Fanatismus des einzelnen Mannes gehanbelt hat. Die hochftehenven Perfonen, auf melde an= klagende Vermuthungen gerichtet worden find, Thugut, Pitt, Ludwig XVIIL, Karoline von Neapel, hat man ſämmtlich ohne den Schatten eines Beweiſes verdächtigt, immer nur aus dem Grunde, das fpätere Schweigen der öfterreihiichen Regierung zu erflären. Da fich dieſes aber durch die obigen Thatſachen vollſtändig erläutert, fo ift nirgend mehr ein Anlaß zu ſolchen, wenn unbewiefen hingeftellt, geradezu unerlaubten Bermuthungen vorhanden.

Die öſterreichiſche Staatsconferenz von 1836.

Der Raftadter Geſandtenmord. 345

bin ich überzeugt, daß es fi hier nur um einen Ausfluß politiihen oder nationalen Fanatismus des einzelnen Mannes gehandelt hat. Die hochftehenden Perfonen, auf melde an= klagende Vermuthungen gerichtet worden find, Thugut, Pitt, Ludwig XVIIL, Karoline von Neapel, hat man ſämmilich ohne den Schatten eines Beweiſes verbächtigt, immer nur aus dem Grunde, das fpätere Schweigen der öfterreihiihen Regierung zu erflären. Da ſich dieſes aber durch die obigen Thatſachen volftändig erläutert, fo ift nirgend mehr ein Anlaß zu folden, tvenn unbewieſen hingeftellt, geradezu unerlaubten Vermuthungen vorhanden.

Die öſterreichiſche Staatsconferenz von 1836.

Die öfterreihiice Stantsronferen; von 1886, 355

war über diefen Privatverfehr Metternich's wahrhaft arimmig, fuhr fort, den franzbſiſchen König mit Unheflichteiten zu über: häufen und machte damit Metternic’s Liebften Wunſch zunichte Umgelehrt zeigte in einzelnen Momenten Nikolaus zur Förde: tung feiner türifchen Pläne eine getoiffe Tendenz zur Verftän- digung mit England, worauf denn aber Metternich fhlechter- dings nit einging, die engliſchen Gefandten in Wien fo grob wie möglich behandelte und nur Feufzte, daß Nikolaus zu dieſem Whigminiſterium, zu ber ſchlechteſten aller ſchlechten Regierungen, hinüber neige. Genug, bei allem legitimiſtiſchen Eifer, welchen Nikolaus und Metternich gemein hatten, war doch jedesmal dem Einen nicht genehm, was der Andere that, und Nikolaus fagte wohl: Wenn ih den Metternich ſehe, ſchlage ich als guter Rufle ein Kreuz.

Es mar alfo ſehr begreiflih, daf Metternich in feiner meueften Lage des Wunjces voll war, die Diffonanzen in der großen confervativen Harmonie möglihft zu befeitigen, amd zu diefem Behufe eine perfönliche Zuſammenkunft der drei Mon— archen mit ihren leitenden Miniftern vorichlug. Sowohl in Berlin als in Petersburg wurde ver Antrag genehmigt, und im Sepr tember 1835 fand bie glänzende Verfammlung in Teplig ftatt. Metternich erfreute ſich dort nicht unweſentlicher Erfolge. Nicht bloß fanden feine Erörterungen über die ftreitigen Punkte bei Nikolaus eine volllommen freundliche Aufnahme, fondern es gelang ihm auch, den Abreden über die weitere Behandlung der ſhwebenden Fragen das feinem Sinne entſprechende Gepräge aufjubrüüden. Förmlice Verträge wurden nicht beliebt, gemein: ſame Actionen nicht beichloffen; man begnügte ſich mit einem Austaufd ber Anfichten, welche dann in drei Dentſchriften als

Die öfterreihiiche Staatsconfereng bon 1836. 359

fondern bald direct an einen Eonferenzminifter, bald aud an irgend eine andere Pertrauensperfon zu verweilen und nad deren Berichte zu entfheiden, und ſomit die Competenz der einzelnen Behörden fortwährend ſchwankend und flüffig zu ers halten. So hatte er in feinen legten Jahren manche wichtige Frage dem Erzherzog Ludwig, ſodann aber burdgängig bie Yuftze und die meiſten Finanzſachen ebenjo wie die der innern Verwaltung dem Grafen Kolowrat zugeben laffen, welcher auf diefe Art, abgefehen von Polizei und Armee, factiſch die Stellung eines birigirenden Minifterpräfiventen über alle andern Nefforts chefs gewonnen hatte, DVergegenwärtigt man ſich die Gejammts heit diefer „Staatsmaſchine“, wie man in Deſterreich jagte, fo iſt es Mar, daß der einzige Nagel, welcher die zahlreichen Stüde derjelben zufammenhielt, die Perfon des Kaiſers war, und bei der mit dem Thronwechſel eingetretenen Nichtigleit befjelben Haltlofigkeit, Stodung und Verwirrung an allen Enden ſichtbat werben mußte,

Zunäcft begann die faiferlihe Familie zu grollen, Dem Namen nad) war fie allerdings in dem Negimente durch den Erzherzog Ludwig vertreten. Allein eine feſte und regelmäßige Wirkfamfeit hatte doch auch dieſer nicht; er war weder Mitglied der Confereng noch des Staatsraths; er bearbeitete die Sachen, welche ber Kaiſer, und das hieß damals Metternich, ihm zus ſchrieb. Dabei war er bei aller Geſchäftskenntniß und Uner: müblichkeit ein langſamer Geift und ein energielojer Charakter, wohl zu zähem Wiberftande, jedoch nicht zu activem Vorbringen

| ‚geelgnet, und demnach wie fein verftorbener Bruber ein ftumpfer Eonſervatider und Feind jeder Neuerung. So war es kein Wunder, daß er trop feiner hohen Stellung in der Sache wenig

Die Sfierreichlihe Stantsconferenz von 1896, 301

waltung fortdauernd im Auge, überließ aber bald wieder die Arbeit und die Verantwortlichteit in allen Zweigen dem auf dieſem Gebiete heimifchen Gollegen, von welchem er dann allers dings eine volle Unterordnung unter feine allgemeinen Ge— fihtspunkte erwartete. Eine Weile blieb dies Verhältnißß un- geftört, Kolowrat war rührig, aber nicht fleißig, voll lebendiger Intereſſen, aber nicht fletig, oft empfindlich und reigbar, dann aber wieder unentichloffen und fügſam. Man hat ipn damals oft als den Vertreter des Liberalismus in Deſterreich gepriefen, und ihm dann wieder in jpäterer Seit als völlig farblos und nichtig jede Gefinnung abgeiproden. Beides ift fbertrieben, Kolowrat dachte niht an Parlamente, Prefreiheit ober Vereins recht. Aber er war ein rückhaltloſer Gegner des hierarchiſchen Druces, ein rüftiger Kämpfer für die Befreiung der Arbeit und des Verlehrs, ein umermilblicher Vefdrderer der Verwal: tungsreform. Er hatte alſo die Richtung der Wünſche mit Metternich gemein: und was ihn von biefem unterſchied, war die Offenheit, womit er fie bekannte und dafür wirkte. Daß er in diefer Thätigkeit nicht Tau wurde, daſür forgten die Ber: haͤltniſſe vielleicht tod mehr als fein Temperament. Denn auf Kolowrat lag die oberfte Leitung ber Finanzen, und ber ᷣſterreichiſche Staatshaushalt ergab bamals ein jährliches und folglich anwachſendes Deficit von ungefähr 30 Millionen: ber wen vor ES ee Bene noch gebuldigeren Neformprediger als ein folives und Eräftiges Kolowrat wünſchte alfo dringend zu reformiren; er läge machen können, für welde er Metter: g gehabt Hätte; zu feinem Unglücke damals für eine Forderung, durch die

562 Die öflerreihifhe Stanisconferenz von 1896,

er mit Metternih, und nicht bloß mit biefem, in beftigen Gegenſatz gerieth.

Nach dem Antrage des Hoftammer- Präfiventen ober Fir nanzminifters Eichhoff begehrte er im Staatsrathe, um fofort eine bedeutende Erſparniß zu gewinnen, eine große Reduction des Heerbeitandes, Januar 1836. Der Hofkriegsrath-Präfident, Graf Harbegg, erklärte das fir unmöglih; Graf Clam, jo eben mit Durchgreifenben Verbeſſerungen in allen Theilen des Striegss weſens befchäftigt, erhob einen heftigen Proteft, und Metternich, glei jehr beunruhigt durch die Fortdauer des ſpaniſchen Bür— gerfrieges und eine unerwartete engliihe Flottenrüftung, ſowie dur die ftets wachiende Gährung in Ungarn und eine eben entdedte republifanifch:panflavitiihe Verſchwörung in Galizien, wollte von einer Abruſtung nicht reden hören. Schlechterdings wollte er es nicht geftatten, daß irgend ein inneres Neffort gegenüber der hohen Politik nicht mehr als dienendes Mittel, ſondern als ausſchlaggebende Macht auftreten follte. Eichhoff erhielt als einzigen Beſcheid die Weifung, einen neuen Finanze plan ausjuarbeiten, und jehr bald ging in Wien das Gerlicht umber, daß er in kurzer Frijt troß Kolowrat's Unterſtützung jein Umt werde aufgeben müſſen. Gleichzeitig jtellte eine andere politiſch principielle Frage das Verbältni ber beiden leitenden, Minifter auf eine zweite, mod ſchärfere Probe,

Die öfterreihijhe Stuatseonfereng vom 1836. 568

überliefern. Schon Franz I. war zu günftigen Verheißungen diefer Art an den Pater-General beftinmt worden, jedoch hatten bisher die Minifter, Metternich ebenſo wie Kolomwrat, die Aus— führung derjelben ftet3 zu hintertreiben gewußt. Jetzt regte ein bejonderer Umftand die Sache von Neuem an. Im Jahre 1835 war ein jehr reiher Gapitalift in Verona gejtorben, und hatte fein ganzes Eolofjales Vermögen den öſterreichiſchen Jeſuiten unter der Bedingung vermacht, daß fie vor Oftern 1836 im ganzen Kaiſerſtaate zugelaffen wären. Auf dieſen Anlaß rührten ſich alle Freunde des Ordens in Wien mit glühendem Eifer; der Präfident der Hoffanzlei (Miniiterium des Innern), Graf Mittrowsty, beantragte die Genehmigung, und im Etaatsrathe erfolgte eine äußerft lebhafte Debatte. Kolowrat, feiner Vers gangenheit getreu, ſtimmte mit feitem Nachdruck gegen den Orden, erlebte aber zu feiner großen Ueberraſchung, daß ber früher ſtets gleich gefinnte Metternich jept Partei für bie Je fuiten ergriff, und die Zulaſſung durchſehte, weil, wie er fagte, bie bisherigen Lenker bes Schulweſens in Deſterreich, bie Pia- riften, völig verfommen feien, und mithin die Uebertragung der Gelehrtenſchulen an die Jeſuiten eine entſchiedene Verbeffe: zung des Zuftanbes in fi ſchließe. Daß dies nicht ber eigent Lich, beftimmende Grund für ihn war, wird ſich kaum bezwei— - feln laſſen; für ein Weltfind, wie er es war, hätte der Ger danke nahe genug gelegen, bie Schulen durch weltliche Kräfte ohne alle Ordenshülfe auf guten Fuß zu bringen. Auch feine Nevolutionsiheu reicht zur Erklärung nicht aus, einer Erwägung eiwa, daß es immer räthlicher ſei, Die Jugend dur Jeſuiten als durch Demokraten erziehen zu Taffen: benn dazu war zur Zeit rang L, wo er Jefuitengegner war, ebenio viel Grund .

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Die o ſterreichiſche Staatsconfereng vom 1886, 365

eines ſegensteichen Erjolges fiher. Schon im Jahre 1838 hatte Metternich, angeregt durch die Entwidlung des deutſchen Zollvereins, bei Kaiſer Franz die allgemeine Vertauſchung des bisherigen Prohibitivfpftems gegen mäßige Schutzzölle beantragt, war aber bei der ftarren Unbeweglichleit des alten Kaifers nicht durchgedrungen. Zept griff Kolowrat einen einzelnen Punkt heraus, und ſchlug im Staatsrathe die Herabſetzung des Zolles, welcher jede Einfuhr fremden Zuckers binderte, auf eine Steuer von 10%, des Werthes vor. Auch hier erhob ſich Widerſpruch, indeffen der Minifter wies in umtiberkeglier Weife nad, wie das bisherige Geſetz zum offenbaren Schaden der Staatslaſſe und des Publicums lediglich ein geivinnreiches Moncpol der einheimifhen Zuderfabrilanten conftituire, und jegte nad) langen Verhandlungen endlich feine Anfiht durch. Die entſprechende taiſerliche Verfügung wurde gegeichnet, und Kolowrat ging darauf Anfang Juli zur Erholung auf feine bohmiſchen Güter, um von dort im Auguſt ſich nad Prag zu begeben, wo an— fangs September die feierlihe Krönung Kaiſer Beam zum König von Böhmen ftattfinden ſollte.

Während feiner Abweſenheit aber waren die Gegner ges ſchaftig. Kaum war die Verordnung über die Zuderzölle in ben deutſchen Kronlanben publicirt worben, jo erhoben fid die gekränften Fabritanten mit twildem Lärmen. Sie jammerten über ihren vollftändigen Nuin, und da aud Metternich ab: weſend war, brachten fie ihre zornigen Klagen an den Erzherzog Ludwig. Ein großer Theil des Adels, zahlreiche höhere Offie ciere, alle Freunde der Jeſuiten unterftügten fie auf das Leb: baftefte, und die Erjherzöge waren der Meinung, es fei ein guter Anlaf, am einmal den hochmüthigen Minifterm zu zeigen,

Die öfterreipifge Staatsconfereng von 1896, 567

Erregung, dab Malgan im erften Augenblid meinte, bei rich— tiger Benugung derjelben könnte Kolowrat feinen Gegnern jede beliebige Friedensbedingung auferlegen. Der Graf aber ſaß Ratt deſſen unthätig in feinem böhmiſchen Schmollwinlel, und in der Bevölkerung verrauchte das Intereſſe an der Kabinets- krifis bald genug. Metternich that das Seine, den Vorgang als höchſt unerheblich erſcheinen zu laſſen. „IA will Ihnen, fagte er dem preußiſchen Gefandten, die reine Wahrheit ents büllen. Herr von Kolowrat leidet viel am Unterleib. Zwei Mal jährlih, meiſt um die Nachtgleihe, hat er feine Anfälle, ſo aud in diefem Jahre, Dann ift auch fein geiftiger Yuftand sehr affieirt, und jo denkt er jeht, ex bedürfe einer Reiſe nach Dtalien. Ich hoffe, dab er fein letztes Verſprechen erfüllt, und im November herfommt. Freilich weiß ich nicht, ob er Wort halten wird; ich wilde fehr großen Werth darauf legen, damit das Publicum nicht mehr an einen Streit zwiihen uns glaube, Was über die Zuderzöle erzählt wird, ift eitel Fabel; Kolowrat hatte der Verordnung des Erzherzogs Ludwig vor ihrem Er— laſſe jeine volle Zuftimmung gegeben, Sollte er übrigens wirt Lich abgehen, jo würde ſich bier nichts ändern, ja e8 würde niemand feine Abweſenheit bemerken.“ Maltzan berichtete dieſe Aeußerungen feinem Hofe, mit der jehr beftimmten Verſiche- rung, daß dieſelben der Wirklichteit feineswegs entiprädhen. Bor Allem war es nit vihtig, daß feine Aenderungen in dem bisherigen Zuftande beabfichtigt würden. Vielmehr benugte Metternich die Abweſenheit feines Collegen raſch und gründlich, um demjelben für alle Zukunft die Nothwendigleit der gebüb- venden Unterordnung Mar zu machen. Er follte wieder auf feine urſprungliche Sphäre, das Präfidium in ber

Die öfterreihifhe Stantsconfereny von 1858. 569

weigerte Kolowrat ſich ganz entſchieden, in bie Staatsrath:

fection des Innern mit der angegebenen Beſchränkung einzu:

treten, und man am überein, daß er ftatt deſſen Mitglied der Staatsconferenz, jedoch ausihlieflih für bie Finanpfragen, | bleiben folle. Endlich bewirtte, wie es ſcheint, Metternich, daß i außer dem Erzherzog Ludwig auch der präfumtive Thronfolger Franz Karl, ein warmer Freund des Fürften, zum ordentlichen Mitgliede der Staatsconferenz auserjehen wurde,

Hiernah wurde am 6. December abgeſchloſſen. Es wurde jest als Vertreter bes Kaifers Erzherzog Ludwig umd in deſſen Abrejenheit Fürft Metternih Präfident der Staatsconferenz; neben ihnen waren orbentlihe Mitglieder Erzherzog Franz Karl und, fir die Finanzen, Graf Kolowrat. Der Präfident erhielt das Recht, nicht bloß wie bisher eine Section des Staatsraths, fondern mehrere oder alle, und außerdem auch die Präfidenten der Hofftellen zu den Sigungen binzuzuziehen. Eine Aenderung in der Gompeten; und dem weitläufigen Inſtanzenzug innere halb ber Gentralbehörben fand nicht fait; die einzige Neuerung auf biefem Gebiete beftand in der Möglichkeit, zu den Sitzungen der Gonferenz eine größere Zahl verſchiedener Beamten, und insbejonbere die Präfibenten ber ‚Hofftellen zu berufen. Ebenior wenig trat in bem Verhältniß der Conferenz zu dem Kaiſer eine Aenderung ein; der Kaiſer leiftete nach wie vor feine Unterſchriften; von der officiellen Einjegung einer Regentſchaft war bier feine Rede. In der That, für eine ſtärlere Einheit der öfterreihifchen Staatsgewalt hatte man in den Beſchlüſſen des 6, December jehr wenig gejorgt. Es handelte ſich eben bei ihnen nicht um die Schaffung eines entſcheidenden ſouve-

ränen Willens, fondern lediglich um eine neue Negulirung der v Sudel, fi. Yillerilhe Schriften. Ul. 24

Die öfterreihiihe Stantsconferenz von 1886. 371

Verwidlung der ungariſchen Angelegenheiten, wieder ein feſteres Einvernehmen mit dem Grafen herzuſtellen. Es gab auch jpäter gelegentlich einzelne Differenzen, die aber ohne dauernde Folgen blieben. Seit-vem Jahre 1840 aber beftimmte die Lage Eu- ropas, und insbejondere bie Enttoidfung der preußiſchen Vers bältniffe, den Fürften immer mehr, die von Kolowrat ver- tretenen Gedanken einer abminiftrativen Neform jelbit wieder aufzunehmen: da hatte er denn fein Intereſſe mehr, dem Grafen die allmahliche Herftellung feines Einfluffes auf dem Gefammtgebiete der innern Politit zu wehren, Allein beide Staatömänner mußten jet erleben, daß ihre fämmtlihen Pläne an der abjoluten Neuerungsjurdt bes angebliden Stroh: mannes, des Erzberzogs Ludwig, ſcheiterten, und Defterreichs altes Negime fih in immer, troftloferer Dürre fortichleppte, bis dann der Sturm von 1848 hereinbrach, jene Vorausjage des ruſſiſchen Kaiſers volftändig erfüllte und die ganze Staates eonferenz und ihre rivalifirenden Häupter hinwegfegte.

Als bald nachher Metternich in London dem ebenfalls erilirten Guizot begegnete, äußerte er einmal gegen den fran- zoſiſchen Unglüdsgenoffen: Ich kann mit Befriedigung fagen, daß der Jrrthum niemals meinen Geiſt berührt hat. Guizot antwortete: Ich bin glüdlicer, mein Fürſt; ich babe es oft eingejehen, daß ich mich getäufcht hatte.

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Klerikale Volitik im 19. Zahrhundert.

In den legten Jahren haben wir über die moderne Kirchen— politit eine Fülle von lehrreichen und überraſchenden Aufſchlüſſen erhalten, für Deutſchland durch die arhivalifhen Forſchungen von Mejer, Schulte, Friedberg, Nippold, Sicherer, für die außerdeutſchen Lande durch die hiftoriichen Werke von Baum» garten, Reuchlin, Ruth, Rogge, Theiner, d'Hauſſonville, ſowie dur eine Neihe ſchätzbarer monographiſcher Arbeiten. Doch ſcheint das meifte bisher nur dem Kreife der Fachgelehrten be— Kannt geworben zu fein; ich bin alfo gerne dem Wunfche vieler Zuhörer gefolgt, eine überfichtlihe Bufammenftellung jener Er- gebniffe in den nachſtehenden im Jahre 1874 gehaltenen Bor: trägen dem Drude zu übergeben.

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Kieritale Bolitit im 19, Jahrhundert, 377

Mit lebhaften Eifer weist dagegen die Hleritale Partei diefe ganze Dartellung zurüd. Wenn man fie hört, fo enthält der Anſpruch des Staates, Geſetze über Kirchliche Rechtsverhält- niffe zu erlajfen, eine rechtswidrige und töbtlihe Gefahr für die fatholifche Religion. Ihr Kampf gegen die neuen preufis ſchen Gefege fei alſo ein Kampf für bie Freiheit des perſhn⸗ lihen Gewiſſens, für bie zur Frömmigkeit eines Jeden unent⸗ bebrliche Celbftändigkeit der Kirche. Sie wollen, fagen fie, Freipeit für fih, Freiheit für die Kiche, Freiheit fr le, Was fie befteeiten, fei die moderne, heidniſche Allgewalt des Staates. Demnach fordern fie Einſchränkung der Staatsbe- fitgniffe auf allen Seiten, Verminderung der Steuern und des ‚Heeres, Abſchaffuug der Gefundpeitspoligei und ber Schulpflege, Wegfall jeber Staatsauffiht über die Kirche. Sie wollen feine Beſchränlung der individuellen Freipeitsrechte durch den Staat zugeben, und begehren allgemeines Wahlrecht, vollftänbige Ent: feffelung der Prefje und der Vereine, Lehrfreiheit für Jeden und Bernichtung des ftaatlihen Schulzwangs. So berühren fie ih im der Beftreitung der Staatsmacht mit den weiteſt gehenden rabicalen Parteien. Wird ihnen nun eingewandt, daß fie nur deshalb die Einzelnen dem Staate entziehen wollen, um fie der ſtirchengewalt zu überliefern, werden jie daran er: innert, daß bie Päpfte im Mittelalter alle geiftige Freiheit mit Feuer und Schwert unterbrüct und von Königen und Völtern die unbedingtefte Unterwerfung gefordert haben, jo verſichern fie, es jei höchſt gehäſſig, Anihauungen, die vor einem halben Yahrtaufend vorgefommen und in den damaligen Verhältniſſen guten Grund gebabt, jegt unter völlig veränderten Zuſtänden gegen fie in das Feld zu führen. Kein Menſch in der Kirche

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Kleritale Bolitit im 19. Jahrhunderi. 379

Eben bier, um dies ein file alle Male zu betonen, liegt für uns aud ber Unterjhied zwiſchen den beiden Bezeichnungen Katholiſch und Klerikal. Katholiſch ift ein Jeder, der fiber Gott und göttliche Dinge ſich zu den von der katholifchen Kirche verfündeten Lehren befennt. Klerilal dagegen nennen wir den: jenigen, der für die geiftlichen Beamten Herrſcherrechte über die Dinge diefer Welt, über Staat, Schule und Wiſſenſchaft begehrt. Offenbar können klerikale Beitrebungen innerhalb jeder Con—⸗ feffion erſcheinen, die überhaupt geiftliche Behörben beſiht, und in der That find Beifpiele hierarchiſchen Ehrgeijes bei Calvi— niften, Zutheranern und Griechen wie bei den rbmiſchen Katho- lifen vorgelommen. Jedoch liegt es in ber Natur der Sache, daß die Elerifale Tendenz in biefem Sinne in leiner andern Kirche Leiter entfteht und Fräftiger gedeiht, als in der römiſch⸗ tatholiſchen. Auf dem Boden der proteftantiihen Kirchen wird fie ftets ohne Ausfiht auf bleibende Erfolge fein. Denn bie Reformation hat von Anfang an die Grundſätze des Priefters thums jedes Chriſtenmenſchen, der freien Forſchung in ber Schrift und ber gottgebotenen Pflicht des Gehorſams gegen bie weltliche Obrigteit in ihr Bekenntniß aufgenommen, und mit biefem Allem ift der Anſpruch einer priefterlihen Hierarchie auf lehrende Untrüglihleit und äußere Herrſchermacht unver⸗ traglich. Die griechiſche Kirche gibt zwar den Prieftern gegen über den Laien dieſelbe Stellung wie bie römiſche, erkennt aber bie Rechte der weltlichen Obrigkeit unummwunden tie die protejtantiihe an. Dagegen hat die römische Kirche ſeit dem 6. Jahrhundert mit oft unterbrohenem, immer aber wachſendem Erfolge begonnen, aus der unbebingten Herrſchaft ihres Merus über ben Glauben und das Gewiſſen des Volkes

F so Nleritale Balitil im 19. Jahrhundert

ven Aniprud auf Beherrigung aud der äußeren Redtever- haltniſſe und ber gejummten Geiftesbildung abzuleiten. Sie verfünbet, daf zwar die Laien dem König, der König aber den Brieftern zu geborden habe. Und da eine Macht, melde bie ganze änfere Welt unterwerfen will, dazu im ſich felbit ges fölsfiener Einheit bedarf, je führte jene Lehre ganz folgerichtig ins Innern der Kirche zu fortgehender Steigerung der monardie Äsen Gemalt des Papſtes Wie bekannt wurde im 11. Jahr⸗ Sundert das Biel erreicht; der römilche Rapft wurde der Herr eines Weltreihes, meldes alle europäiichen Staaten umiahte, und die Naifer und Konige ebenie mie die Mönde und Bauern als feine Untertanen behandeln konnte. Während mehr ald 200 Jahren gelang es ben Fäpfen, Dieie Serridherkelfung fing: wid gegen alle Widerfaßier zu Dehaupten Damm aber erdeb Ab Opreftien auf allen Exiten. Die römifde Linde Eüte wiele Millionen ihrer Anhänger ein; fie verlor die Serrichaft über die Staxtägemalten umd die Senkung des geiftigen Sebent, Behr man Füdte, am Exie des 18 Jahthanderte ihiem ob mit ter mittelalteriäen Größe des Parktfems für immer zeräßer zu km.

br, wie fo oft in mraiälißen Diazm, die Zeit ber

Klerilale Rolitit im 19. Jahrhundert 381

nach Frankreich geihleppt und der Kirchenſtaat zur franzbſiſchen Provinz gemadt.

Eben dieje Verfolgung war nun der Beginn der nenen Erhebung. Sie ſtählte bei Prieftern und Bekennern den Muth des Gewiſſens und den Eifer der Pflicht. In der ſtürmiſchen, von Umtälzungen und Kriegsnoth erfüllten Seit ging für Millionen Menſchen das materielle Wohlleben zu Grunde; alle irbifchen Verhaltniſſe ſchwankten; überall richtete fich ver Blick nah Oben, und fuchte, wo die menihlihe Kraft verjagte, Stutze und Troft bei Gott. Diefe Erneuerung des religiöfen Sinnes zeigte ſich aller Orten, ohne Unterjbied der Nationen und des Glaubensbelenntniſſes. Mehrere Umftände trafen zus fammen, um fie vor Allem für das Papftthum fruchtbar zu machen. Diefem war früher oft die Selbftändigkeit der eins zelnen Landeslirchen äuferft unbequent geweſen: jeht waren die Einrichtungen derſelben in halb Europa durd die Revolution zertrummert. Die Biihöfe Hammerten fi in ihrer Bedrängniß an das Oberhaupt der Gefammtliche, weil fie nur in deren Einheit Rettung vor völligen Ververben ſahen. Gerade in Frankreich, friiher dem Boden der ftoljeften Landeskirche, rief jegt der Angriff der Nevolution die Schule des modernen Ultramontanismus in das Leben; die damaligen Schriften von de Maiftre und Bonald enthalten in der Theorie bereits Alles, was der Vatican unferer Zeit in der Praris aufzuerlegen ſucht. Damals erſchienen dieſe Forderungen wie harmlofe Träume: teien, gegenüber der Weltmacht Napoleon's, welcher den Papft gefangen, die Kirche in Banden hielt. Das natürliche Rechts— gefühl der Menſchen nahm einftweilen unbedingt Partei, nicht für die Urheber, fondern für die Opfer der Unterdrückung;

Klerifale Politit im 19. Jahrhundert. 388

keine Bedrückung und Enttäufhung irren, Dabei war es charalteriſtiſch, daß er den drängenden forderungen des ges waltigen Herrſchers, feufzenb zwar und widerſttebend, jedoch immer nachgab, foweit es fih um Fragen ber Kirchenverfaflung handelte, daß er dann erft zum offenen Bruce ſchritt, als der Kaifer feine gierige Hand nach den Provinzen des Kirchen⸗ ftaates und der Stabt Nom ausftredte. Bei aller Frömmigkeit war Pius weder eifriger Theologe noch gelehrter Jurift; er war deshalb in technischen Fragen unjiher und vor feinen Nathgebern abhängig, dafür aber von höchfter Gewiffenhaftig: keit, jo daß ein Serupel über jeine Pflicht ihn bis zu Lörper« licher Krankheit, ja bis zu geiftiger Störung peinigen Eonnte, bis er die fihere Anfhauung gewonnen hatte, und dann feft und freudig und muthig war, Eine durchaus lindliche Natur, mit allen Schwächen und Stärken, mit aller Liebenswürdigleit und Unvollfommenheit, die wir in dem inhaltreihen Worte zufammen fallen.

Im Bewußtſein feiner Unerfahrenheit machte er gleich nad feiner Erwählung 1799 "ven weltllugften und geſchäfts— tundigiten feiner Carbinäle, Conjalvi, zu feinem Staatsfecretär, und bewahrte ihm fein Leben lang ein unbebingtes Vertrauen, Conſalvi verdiente eine ſolche Auszeihnung. Er war höchſt unterrichtet, gewandt und ausfunftsreih, als Diplomat zäbe und gefehmeibig, aggreffiv und vorfichtig, äußerlich demüthig umd innerlich jelbfibewußt, wie man das oft bei fatholijchen Brieftern findet, ſtets zu Nachgiebigkeit im Kleinen bereit, im Kerne der Fragen aber noch umerfhütterliher als fein Ge: bieter, der Papſt. Gerade dieje Eigenihaften Conſalvi's waren unfhägbar in den erſten Jahren des Bontificats. Damals,

Slerilale Politik im 19. Jahr hunderi. 391

Vertrag im October 1817 beftätigte. Der Papft beeilte ſich, das Eoncordat im November öffentlich befannt zu machen, und den frommen König mit Lob zu überhäufen, Allein man follte bald enttäufht werden. Wir bemerkten den ftillen Rechberg ſchen Vorbehalt: es ift unter allen Umftänden ſelbſtverſtändlich, daß das lanoniſche Recht in Baiern nur jo weit Geltung hat, als es nit mit den Staatägejegen in Widerſpruch fteht. Fa, im Mebereifer, ihre Wunſche zu fihern, hatte die Curie, was ihr jelten paſſirt, einen großen Fehler gegen das eigene Princip gemacht; fie batte einen Artikel bes Eoncordates proponixt: dieſer Vertrag foll in Baiern als Staatsgejeg verkündet werben. Mit inniger Freude hatte Rechberg barauf zugegriffen: das bieß ja anerkennen, daß die Staatsgefehgebung für kirchliche Dinge competent jei, daß das Eoncordat erjt durch die Staats gejegebung wirkiam werde. Man war eben beſchäftigt, eine neue Berfaffungsurfunde für Baiern ausjuarbeiten. In dieſer ſprach man nun die ftaatlihe Garantie allgemeiner Neligions« freiheit und die gleihmäßige Neipectirung der latholiſchen und der proteftantiichen Kirche aus, man publicirte als Beilage der Verfafjung ein fogenanntes Neligionsebict, welches die Ober: aufficht des Königs über die Aufern Nechtsverhältnifie der Kirche feftftellte, das Placetum regium und die Appellation vom Mißbrauch lirchlicher Amtsgewalt aufrecht bielt, and mit der Erklärung ſchloß, dafı die übrigen innern Verhältniſſe der tatholiſchen Kirche durch das beiliegend publicirte Concordat, bie der proteſtantiſchen durch die beiliegende königliche Decla— ration geregelt würden, Mit andern Worten, das Concordat gilt fortan als Staatsgeſetz, und folglih, wie jedes andere Staatsgeſet in dem Sinne und Umfang, wie fi das aus ben

Kleritale Politit im 19. Jahrhundert, 395

meinte jogar, der König folle die Visthümer auf eigne Hand einrichten und gut botiren, der Papit werde es zuletzt mit Dank anerkennen mäffen), jo gingen fie doch an jede Verhand⸗ lung mit der Eurie wur in dem Gefühle tiefften Miftrauens, und wollten von Anfang an fein Concordat, jondern nur eine Eircumferiptionsbulle. Anderer Meinung waren bie geheimen Rathe Nicolovius (Proteftant) und Schmedding (Katbolil), in gewiſſer Hinficht der geiftlihe Miniſter Altenftein und vor Allem der preußiihe Gejandte in Rom, der berühmte Hiftoriker Niebuhr. Eie hatten durchaus nicht den Gedanken, ihren Staat der römischen Kirche unterzuordnen. Aber fie waren lebhaft von jenem Gefühle erfüllt, daß alle conjervativen Mächte ſich gegen den Dämon der Nevolution enge verbinden mitten, daß die legitimen Könige den einft von Revolution und Empire bebrängten Papft zu ehren und zu ſtützen hätten, daß ein mächtiger Staat die lirchlichen Dinge mit Uneigennützigkeit und Großherzigleit behandeln müßte. Keiner von ihnen hatte ben minbeften Argwohn, daß der Papft feine Gewalt gelegentlich au einmal wieder gegen die Autorität des Königthums ver- wenden könnte, Niebuhr, ein lebhafter und. Teivenichaftlicer Mann, ſchimpfte über die Engherzigleit und Veſchränktheit der hannoverſchen und würtembergiſchen Geſandten, melde dem Papſte gegenüber wie verfappte Jacobiner und Kirchenfeinde aufträten, Den bateriihen Gejandten aber, der unaufhörlich ganz gegen feine Inſtructionen der römiſchen Eurie Conceffionen machte, nannte er einen hoͤchſt ehrwürdigen Greis. Hätte es nur von ihm abgehangen, jo würde ſchon damals die Curie für Preußen den größten Theil ihrer Wünſche durchgeſetzt haben. Allein nach fünfjährigen Ueberlegungen und Schwan

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J ſtlexitale Bolitit im 1%. Jahrhundert, 897

fejtgeftellt waren. Die lepteren unterwarſen ber Genehmigung des Staates den Empfang jedes päpftlihen Schreibens, die Bekanntmachung jedes Eoncilienihluffes, das Zufammentreten weier oder mehrerer Biihdfe zu lirchlichen Verathungen, die Gründung eines Mofters oder einer kirchlichen Gemeinde. Die Einrichtungen der Priefterfeminarien wurden vom Etaate ge prüft und beauffichtigt; jeder direete oder inbirecte Augeifi auf andere vom Gtaate anerlannte Glaubensbefenntniffe war dem Kanzelredner unterfagt. Jede Ueberſchreitung diefer Vorſchriften zog Unterſuchung und Ahndung wegen Mißbrauchs ber Kirden: gewalt nad ſich. Was die Ernennung der Pfarrer betraf, fo behielt fid ber Staat die Bejtätigung ber definitiv anzuftellenden Oberpfarrer vor; bie große Maſſe aber ber jogenaunten Euc- curſalpfarret und Vicare wurden allein von bem Biſchofe bes auftragt, wie fie denn auch im jedem Augenblick von dieſem verfept ober abgefegt werden lonnten. Die preußiſche Geſetz⸗ gebung griff hier regulivend ein; fie beftimmte, daß nach Ana- Togie ver weltlichen Oberbehörden ver Biſchof bei Dienftvergehn eines ſolchen Pfarrers eine Difeiplinarftrafe bis zu 20 Thalern oder vier Wochen Gefängniß verhängen fönne, und daß andrers feits dem Pfarrer gegen eine ungerechtjertigte Abjehung durch den Biſchof die Berufung an den Eultusminifter offen ſtehe. In den rechtsrheiniſchen und altländifhen Provinzen wurde die Anftellung der Pfarrer, wo die Regierung das Patronat: recht beſaß, von dieſer vollzogen, wo bafielbe in der Hand einer geiftlichen Behörde oder eines Grumdbejigers lag, von ihr genehmigt. Wie nad) franzöfühen, war aud nad preußiſchem Net der Verkehr der geiftlihen Behörden mit Nom ber Er— Taubnif der Staalsgewalt unterworfen. Das ftaatlihe Auf-

Meritale Politit im 19, Jahrhundert. 399

Grund des beftependen Rechtes fortzubeziehen, und ſprach mehr als einmal dem Könige ihre Genugthuung über fein beivundernss werthes Verfahren aus. Ja fie ſelbſt richtete ihr eigenes Ver— halten in preußlihen Kirchenſachen nad preußiſchem Nechte; fie ließ 3. B. ihre Correſpondenz mit den Biſchöfen, ganz wie es das preußtihe Geſetz vorſchrieb, faft zwanzig Jahre Lang ausſchließlich durch die Hand des preußiſchen Minifteriums geht. Kein Menſch in Preußen konnte damals ſich träumen laſſen, dab der lirchliche Nechtszuftand unferes Staates in Rom nicht anerkannt ſei, oder gar, daß dort die Auſlehnung gegen benfelben für eine religiöfe Gewiſſenspflicht gehalten werde.

Jedenfalls hat auf biefe Weiſe die latholiſche Kirche in Preußen ſechjehn Jahre lang beftanden, ohne daß während diefer Zeit auch nur der Verſuch eines Protejtes erſchienen wäre, Das innere Leben ver Kirche, ihre Glaubensfäge, ihr Gottesdienft, ihre Seeljorge blieben völlig unberührt von jedem Staatseinfluß: aber ihre äußern Rechtsverhältniſſe haben exi- flirt ganz und gar „nad Mafgabe des Staatsgeſetes“. Die einzelnen Einrichtungen, durch welche der Staat jeine Kirchen- bopeitsrechte ausübte, trugen begreiflier Weiſe das Gepräge der damaligen Zeit, der abjolut monardjifchen und Bureau kratiſchen Verfaſſung, und deshalb wird heute niemand daran denten, fie in den alten Formen ohne Weiteres wiederherzu⸗ ſtellen. Genug aber, bureaukratiſch oder parlamentariſch, nie: mand beitritt damals den Grundſatz, daß der Staat die Nechts- verhaltniſſe der in feinen Landen befindlichen Kirchen zu regeln And zu beauſſichtigen habe. So war «8 1820, fo war es auch 1840 and 1850, als das bisherige Syftem von der preußiſchen Negierung verlaffen wurde. Alle ſodann eintretenden Aende:

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Sleritale Bolitit im 19, Jahrhundert, 401

‚öfirte Provinz reden können; ſpäter war bei ven Anftellungen das Verhältniß des böhern Schulbefuhs entideidend, two bis anf den heutigen Tag die proteftantifhe Bevollerung einen ungleich Höher Procentfag an Schülern und folglih an Tünf- tigen Beamten als bie latholiſche liefert. Im Allgemeinen dauerte bei der Regierung jene Grunbfiimmung fort, jeden pofitiven Olauben, alfo aud) den Fatholiichen, als einen Schutz⸗ wall für confervative Gefinnung zu betrachten. Als in Echles fien einmal einige katholiſche Pfarrer deutſche Mefjen zu leſen begannen, und der Fürſtbiſchof Schimonski gegen fie einſchritt, erließ auf ber Stelle au das Minifterium eine donnernbe Verfügung gegen die Neuerer und bedrohte fie ald Demagogen und Nevolutionsmänner mit ben härteften Strafen. Der Cölner Erzbiſchoſ, Graf Spiegel, ein gebilbeter Weltmann, ver erfüllt von ächter Frömmigkeit, aber ohne eine fanatifche Aber war, fand während feiner ganzen Verwaltung mit der Staatsgewalt im beiten Einvernehmen.

Es bedarf nah allem Angeführten nicht exit der Ber mertung, daß man in Nom dieſen Zuftand zwar thatſächlich anerlannte und mitmachte, innerlich aber nicht mit zufriedenen Bliden betrachtete. Mochten die Milionen deutiher Katholiken jet wieder ungeftörten, glänzenden Gottesdienſt, mochten fie rehtgläubige und wohlunterrichtete Seelforger haben: dies hätte ausgereicht, wenn das Herifale Programm nichts als Freiheit des Glaubens begehrte. Ihm aber kam es auf andere reis beiten an, auf die Freiheiten, welche Confalvi 1803 und 1817 von Baiern und Hannover gefordert hatte, die Freiheit, die Nichttatholilen zu verjagen ober zu beſtrafen, die Freiheit,

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Rlerifale Politit im 19. Jahrhundert. 407

Liberalismus , der auf individuelle Selbftändigfeit arbeitet, wird e8 immer ſchwerer als den übrigen Parteien, fich zu die eipliniren und zu züigeln, obgleich ohne dieſe Fähigkeit für ihn jo wenig tie für irgend jemand fonft im politiichen Kampfe ſich etwas Bleibendes erreichen Täht. Damals in Frankreich bildete ſich auf ber Stelle eine radicale Partei, die es für liberale Pflicht hielt, aud den Liberalen Miniftern Oppofition zu machen, der fein liberaler Gefegentwurf liberal genug war, deren Preſſe von Schmahungen gegen bie Königliche Familie und von Lobeserhebung der großen Nevolution, der Republil und der Schredenszeit widerhallte. Die Herifale Partei jah diefem umvernänftigen Treiben mit tiefer Schabenfreude zu; fie ſah, wie die Stellung ber liberalen Minifter durch die libes ralen Heißiporne untergraben, große Mafjen der Bevölkerung ängftlid, der Konig immer ftärker abgeftoßen wurde. Als dann endlich ein vevolutionärer Fanatifer den Meffen des Königs, den Herzog von Berry, ermordete, war ihre Stunde gelommen. Durd ganz Europa ging der Ruf, dab Ludwig XVIIL die unheilvolle Bahn des Liberalismus verlaffen müfle, und im December 1821 zogen die Merikalen unter der einfichtigen Leitung des Herrn von Villele aufs neue triumphirend in den Veſih der Staatsgewalt ein. Sie hatten wieder die Mehrheit in ber Sammer; der Aönig, ber fie auch jept nicht Liebte, war alt und frank und ſchwach; die thatjächliche Herrſchaft lag ber reits in ber Hand ihres frommen Anbängers, des Grafen Earl von Artoiß, Draußen zeigten ihnen, als ben Feinden bes ſchlimmen Liberalismus, die Höfe von Wien, Berlin und Peters burg die lebhafteſte Zuneigung. Rirgend fahen fie noch ein Sinderniß gegen die vollftändige Verwirklichung ihres Bros

Rlerifale Politit im 19. Yahrhundert. 409

Nitterthum. Die Nation entwöhnte ſich vom Denlen und Lernen; fie entwöhnte ſich bald auch von Thätigkeit und er- werbendem Schaffen. ever Epanier hielt fi als Mitglied des frömmften und tapferſien Volkes für einen gebornen Evel: mann, und arbeitete nur fo viel als er mußte, um nicht zu verhungern. Aderbau und Handwerk ftanden in tiefer Ver— achtung; jeder ftrebte, Solbat ober Geiftliher zu werben, Hunderttaufende lebten von den Bettelfuppen der 30,000 Möfter, Alles Gewerbe Eaftiliens lag in der Hand von 160,000 Fremden; alle Gold» und Silbermafjen Amerika's rannen jpurlos durd das Land hindurch in die Caſſe der fleißigen und producirenden Nahbarn. So ging in einem Jahrhundert die Vevöllerung von zehn auf ſechs, die Staatseinnahme von 280 auf 38 Mil: lionen herunter. Die höhern Stände ſanken burd das träge Schmarogerleben in tiefe Entfittlihung; bei dem Wolfe blieb die volle Leldenſchaftlichleit des von Feiner Bildung berübrten Naturmenſchen. In der That, das Syſtem hatte ſich bewährt: «8 gibt kein anderes, weldes das Volk fo fiher zu devotem Gehorfam erzieht. Aber durch die Zerrüttung aller Bildung war der Staat ruinirt und die Bolksgefittung auf der Stufe bes Wilden zurüdgehalten.

Ueber diefe Zuftände ergoß fi nun 1808 die napoleonifche Eroberung. König Ferdinand VII. wurde hinterliftig gefangen, Ropoleons Bruber Joſeph auf den Thron geieht, das ganze Sand mit franzöflihen Heeresmaſſen überſchwemmt. Aber auf der Stelle erfolgte dagegen ein furchtbarer Ausbruch. National: ſtolz und kirchlicher Eifer riefen mit gleihem Ungeftüm das Volk zum Freiheitslampfe.

‚Hier war Anfangs kein Unterſchied der Parteien, der

aleritate Rolitit im 19 Jahrhundert.

Rleritale Politit im 19, Jahrhundert, 411

Klerus, der zwei Jahre früher die Voltsfouveränität hatte ver- finden helfen, beeilte fih, dem Könige jalbungsvolle Begeifter rung entgegen zu tragen und die Nusrottung ber Liberalen, den Sturz der Verfaſſung zu begebren.

Diefer König Ferdinand war nun einer ber nichtswilrdig⸗ ften Menihen, der jemals einen Thron verumehrt hat. Es wurde ihm nur wohl in niedriger Liederlichleit und völlig ger meiner Geſellſchaft; feine Zechgenoſſen waren feine Sataien, Rammerdiener und Kuppler, bie Leute des Vorzimmers, der camera, die Camarilla. Dabei war er ſchlau und feig, hatte fi) einft gegen feinen ſchwachen und gutmithigen Vater empört, und war vor der rauhen Macht Napoleons gekrochen; er war binterhaltig und tüdiih, und zugleih graufam wie alle ver= dorbenen Wollüftlinge. Ein wirklich religiöſes Gemüth, eine reine und hriftliche Gefinnung hätte fich mit Abfchen von dem Gebanfen abwenden müſſen, einen Menſchen dieſes Schlages von den Schranlen jeder Verfaſſung zu befreien und Spaniens ganzes Geſchick feiner laſterhaften Willlür anheim zu geben, Aber von einer ſolchen Stimmung war die klerikale Partei weit entfernt, Wenn ber König ihr die alte Macht wieder gab, fo mochte er jonft wirthſchaften wie er wollte. Und Fer: dinand war allerdings, im Sinne äußerer Kirchlichteit, erftaunz lich fromm. Er hörte täglich die Mefje, küßte andächtig die Hand feines VBeichtvaters, und fticte höchſt eigenhändig koſibare Getwänder für wunderthätige Marienbilver. So fam das Bünd— niß zwiſchen ihm und dem Klerus ohne Schtwierigfeit zu Stande. Noch ehe er in Madrid eingezogen,» verfügte er am 12, Mai die Aufebung der Verfaffung; dann folgte am 9. Juni ein töniglier Erlaß zum Preife der Jeſuiten und am 21. Juli

Kleritale Politit im 19 Jahrhundert. 418

Königreich Sardinien, aljo dem. größten Theil von Jialien. Allerdings nirgendwo in dieſen Ländern war eine jo brutale Nieberträgtigkeit am Ruder wie unter dem ſpaniſchen Ferdir nand. Aber in Portugal, Modena, Sardinien wurbe gleich | nad dem Abzug der Franzofen ber ganze alte Zuftand, und mit ihm die jede andere Negung erbrüdende Allgewalt bes Klerus hergeftellt. Man fah wieder gewaltige Kirchengüter, zahlreiche öfter, jeſuitiſche Lenkung der Negierung und des Unterrihts. In Portugal wie in Spanien ließ die Ausftattung der Kirchen der Regierung Fein Gelb zur Löhnung der Soldaten übrig. Mit Neapel brachte Eonfalvi 1818 ein Concordat zu | Stande, weldes dem Könige bas Recht der Ernennung ber | Bifchöfe ließ, dafür aber bie Ernannten völlig unabhängig von der Krone, völlig unterthan unter den Papft ftellte, und alle Schulen des Sandes unbedingt der geiftlichen Hand übertwies. Die Folge war diefelbe wie in Nom und Epanien, eine tiefe Unbildung und Unwiſſenheit des Volles. Nod 40 Jahre fpäter zählte man unter 3000 Gemeinden 1100 ohne Schulen, und 900 mit Schulmeiſtern, die ſelbſt nicht leſen noch ſchreiben Tonnten. Es war alſo bei ſolchen Verhaltniſſen kein Wunder, daß es 1820 zuerſt in dem am ärgiten mißhandelten Spanien, und dann wie im Lauffeuer nad deffen Vorgang in Portugal, Neapel, gewaltſamer Empörung kam. Bei ber

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414 Kierilale Bolitit im 19. Jahrhundert

im Stalien ſchlug Defterreih, welches dort unter feinen Ums ftänden irgend welche Revolution dulden wollte, ſchon 1821 bie neuen xonftitutionellen Einritungen mit Waffengemwalt zu Voden. In Epanien aber erhigte der Kampf fih immer mehr; 1822 war es dahin gelommen, daS die rabicale Partei den Konig beinahe gefangen hielt, die Juquiñition wieder aufhob, Kirchen: und Kloſtergut einzog, während der meuteriiche Röbel in vielen Stadten Priefter und Mönche mafjacrirte. Dagegen fammelte im Norden der Erzbiichof nen Tarragona janatifirie Banernbaufen als fogenannte Glaubensarmeer, melde an hun⸗ dald aber von dem tapiern General Mina mit trafen Sälägen fämer dedrangt murbe.

So mar es fehr bugreiflich, daS die franzöfiichen Merilalen

Qete der Fefllandes ans Hab gegen den Cheraliund und die Revolution fe unterflügten, da Gmgland nur in fölaffer Weile müeriptah, jo bielt fe mur em einziger Umfianb meh eine Welke zurät, Ne Wedenllißleit Zres eignen Führer: amd

416 Nerıtale Politit im iu. Jahrhundert.

duldet die Juden wieder in das Gbette eingeiperrt umd unter volgelade Amficht der Anguiition geitelt. So eifrig Tarhe- VB Hd die damalige Niterreibiide Negierung bielt, io wenig vo protenantode ader Sreialändige Negungen aufkommen lieh, alte Yapit ıbr dennoch eine ofen Teinvielige Ge —RX dm Katier mit jeden Enflus auf Die Krchlichen Un der Hand geben moüse In Maprin wirkte der WLAN Wariast nd me ce mie eier Enmialvs

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Kleritale Bolitit im 19. Jahrhundert, 417

Menſch, feinen Anhängern jede Empörung verbot, ſchritten bie Kleritalen dennoch 1827 zu einem bewaffneten Nufftande gegen Ferdinand, wurden aber niedergeworfen, un ſeitdem ihre Ueber— muth, wenn and fürs Erfte noch ohne weſentliche Aenderung des Syſtemes, ohne irgend einen Eingriff in die kirchlichen Verhältniffe, erheblich gedämpft. Ebenfo draſtiſche Vorgänge erlebte gleichzeitig Portugal, In dem Meinen Sande hatte Spaniens Beifpiel zuerft 1820 eine Militärrevolte zu liberalen Sieden veranlaßt. Der alte, willensſchwache aber ganz vers Nändige und wohlwollende König Johann VI. hatte jeit 1808 in Brafilien tefidirt, auf die Nachricht aber von der Liffaboner Revolution die Regierung Braſiliens feinem älteften Sohne Don Pedro übertragen, und war mit feiner übrigen Familie nah Portugal zurüdgeeilt. AS die Franzofen 1823 ihren Siegeslauf in Spanien begannen, febte ſich des Königs zweiter Sohn Don Miguel, der von jefnitiihem Fanatismus erfüllt war, ſonſt aber Feine andere Bildung bejaß, als er fie von ben Lalaien feines Vaters und den Stierjägern ber brafilianifhen Pampas gelernt hatte, an die Spitze einiger Negimenter und erhob ven Ruf des abjoluten Königthums. Der Vater war äuerft jehr ärgerlich, ließ es ich aber ſchließlich gefallen und die Verfammlung der Cortes ging ganz gelaflen ohne einen Verſuch des Widerftandes auseinander. Der alte König war, hi Asse der Meinung, feine Macht in mäßigem Sinne

or dem Gifte der Freimaurerei zu er kräftigen

Rlerikale Politit im 19. Jahrhundert, 421

Ich will nicht, fagte er, mic) geduldig wie Ludwig XVI. auf das Blutgerüft ſchleppen laſſen, ih will zu Pferde fteigen und die Nevolution bekämpfen. Der ruſſiſche und preußiſche Ge ſandte warnten; Wellington aber lobte und billigte, er meinte, nur dur die Macht der Kirche laſſe fih die Macht der Nevo- Tution befiegen, eine Auffaffung, wie bei ihm um fo verwunder⸗ licher war, als der in Frankreich fo überlegitimiftiihe Klerus bamals in Irland eine ſtarle demokratiſche, halb revolutionäre Agitation unterhielt, um den Katholiken in Großbritannien die Wählbarkeit zum Parlamente zu verfchaffen. Es zeigte ſich wieder, daß der Merifalen Partei jede Art von Politit genehm it, wenn fie irgendwie ben Zwecken der Hierarchie dient. Polignae hielt übrigens feine Pläne längere Zeit tief verborgen und mar auch felbft Monate lang zu keinem Entſchluſſe zu bringen. Außer dent Dauphin und den Miniftern war Damals nur noch Einer im Geheinmiß der Entwürfe, der päpftliche Nuntius Sambrushini, der mit höchſtem Eifer ben Kbnig vor— warts drängte. In Rom herrſchte feit Februar 1829 Pins VIIL (Gaftiglione), von Natur eine gutmilthige freundliche Seele, aber ohne alle Kenntniß der Welt und ber Politik, ein frommer und eifriger Sefuitenzögling, der nad feiner perjönlichen Natur eigentlich friebliebend war, aber aus befter Meberzeugung es für das Wert der Höhften Menfchenliebe und reinften Recht⸗ ſchaffenheit hielt, die heilige Sache der Kirche mit allen Mitteln, auch den allerhevenklichften, zu fördern. Seine erſte That war eine donnernde Encyclifa gegen alle Keger, Freidenker und Toleranzmänner; dann lam ein Ediet für den Kirchenftaat, worin allen Eintohnern bei Strafe ber großen Ercommunis eation befohlen wurde, allmonatlich jeden Fall oder Verdacht

Kleritafe Politik im 19. Jahrhundert 423

man meinte jehr bejtimmte Ausſichten in Belgien und am Rheine zu haben; in Spanien wäre dann der Sieg des Don Earlos, in Portugal die Herrſchaft Don Miguel's geſichert gewejen; Nom, in deſſen Händen die leitenden Fäden aller diefer Regierungen zufammengelaufen wären, hätte dann nad) allen Seiten feine herrſchenden Gebote über Europa gelegt. Fragen wir im Rückblick auf die bisher beobachtete Ent- wicllung nod einmal: was war e8, um das es ſich bei den Hexifalen Beſtrebungen handelte: Neligionsfreipeit oder Welt- macht? Schwerlic wird die Antwort zweifelhaft fein. Es war nicht die Sorge um bie katholiſche Neligion, welde bie jpani- ſchen Klerilalen zum Kampfe gegen bie Verfaſſung von 1812 aufſtachelte, die Berfaffung, welde jedes andere Belenntnif als das katholiſche in Spanien verbot. Es war nicht Sorge um die Religion, welche in Spanien den Bruder gegen ben Bruder aufftellen wollte, in Portugal den Sohn zur Empörung gegen den Vater, den Oheim zum Eidbruch gegen die Nichte trieb, welde in Frankreich die fatholifhen Minifter befeindete, den jrommen König zum Staatsſtreich drängte, und in Jtalien 90 Procent der Bevölkerung ohne bie dürſtigſte Elementar: fenntuiß ließ. Nirgendivo war bort die Freiheit in Frage, zu Gott dem Herrn auf fatholiihe Weife zu beten: um mas es fid) handelte, war die Macht des Klerus, und allein die Macht. Aber jo glänzend im Juli 1830 feine Ausfichten ftanden, damals war diefen Hoffnungen eine jähe Unterbrechung be» ftimmt. Ein plötzlicher Donnerſchlag zerriß das weltumſpannende Gewebe. Auf die Ordonnanzen antwortete Frankreich mit ber Julirevolution. An die Stelle des andächtigen König Karl trat der durchaus rationaliftiiche und bürgerliche Ludwig Phi—

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1.

Nachdem das braufende Unwetter der Julirevolution und ihrer Ausläufer abgerauſcht war, finden wir fehr bald die tlerikale Thätigkeit in alter Weile am Werke, die erlittenen Verluſte wieder gut zu machen, die zerflörten Ganäle herzu⸗ Rellen, allmählich von den früheren Pofitionen wieder Befik zunehmen. Ende 1830 folgte auf Pius VIII. Papft Gregor XVL, ein Camalbulenjermönd aus dem Venetianijchen, ein gelehrter Theologe und Drientalift, voll von Selbitbewußtfein und Thätigleitsbrang, im privaten Verkehr, trob der Häßlichleit feiner wulftigen Lippen und feinem Fiſtelgeſchwür an der Nafen- frige, vergnüglih und leutfelig, bei einem Glafe Wein ftets zu gemüthlihen Spähen aufgelegt aber jeit 30 Jahren war er unermüdliher Vorlämpfer der päpftlihen Machtvolllommen⸗ heit und Unfehlbarkeit geweſen, und feſt entſchloſſen, dieſelbe in feinem Pontificate trog aller QTüden der argen Welt zur allfeitigen Geltung zu bringen. In diefem Sinne verfuhr feine Verwaltung nad Innen wie nah Außen. Im Kixchenftaate weigerte er jede weltliche Neform, wie nadhbrüdlid ihn auch die fünf Großmächte dazu ermaßnten, um bei dem leidenden und gährenden Bolfe einige Beruhigung hervorzubringen. In Frankreich faßte allmählich der größere Theil des Episcopates

Kleritale Bolitit im 19, Jahrhundert 429

Kindererziehung vdrliege. AS man ihm an fein Verſprechen erinnerte, fagte er, daß er gemäß bem Breve und ber In— ſtruetion handele, wo er fie übereinftimmend finde, aber gemäß dem Vreve allein, wo fie von einander abwihen. Es war eine Interpretation des gegebenen Wortes, ganz von demfelben Schlage, wie vorher Spiegel’s Interpretation des päpftlichen Breve's, jo daß ber ganze Handel ein volllommen würdiges Seitenftüd zu der baieriſchen Schachpartie zwiſchen Rechberg und Gonfaloi bildete, freilich mit dem weſentlichen Unterfchiebe, daf 1818 die Curie, 1897 aber die preußiſche Regierung der geprellte Theil war. Das Lüttiher Journal klatſchte öffent: lichen Beifall, der ehrwürdige Erzbiſchof habe bie Regierung getäufcht und in ihren eigenen Neten gefangen. Der Minifter NRochow machte einen Verfuch, den Prälaten freundlicher zu ftimmen; Brofte aber erklärte rund heraus, daß er die be: ftehende Gejeggebung in kirchlichen Dingen überhaupt nicht weiter amerfenne, da der Staat in feiner Weile ein Recht habe, in Eirhlihen Dingen mitzureben. Darauf wurbe er auf gejerbert, das durch ein gebrochenes Verſprechen erſchlichene Amt niederzulegen, und als er dies weigerte, verhaftet und nach der Feſtung Minden abgeführt. Aus ähnlichen Gründen erlitt ſein Poſener College Dunin ein ähnliches Schidſal.

In der Hauptſache hatte die Regierung zweifellos Recht. Kein Staat der Welt kann es dulden, daß ein Unterthan den beftehenden, unbeftrittenen Gejegen plöglih den Gehorſam auf küimdigt. Aber entfeglih viel wurde durch das ftumpfe Unge schied der Ausführung verdorben. Bor allem zürnten auch die Liberalen über die Freiheitsberaubung ohne vorausgegangenes Hares Gefeh, ohne nachfolgendes richterliches Verfahren. Man

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Klerifole Bolitit im 19. Jahrhuudert. 431

der Krone bei Bifhofswahlen, und fuhr fort, im einzelnen Falle die eifrigit Merikalen Candidaten zu beginftigen und ſelbſt zu empfehlen. Wenn es in Preußen freilich nicht wohl an ging, die Kegerei wie in Spanien und Rom mit Tod oder Gefangniß zu beftrafen, fo wurden doch die Biſchöfe bei der Verfolgung der fogenannten Deutichkatholifen 1844 mit allen Mitteln der polizeilichen Chicane unterftitgt. Am Veſten ſchien es natüurlich, das Entſtehen jeder Ketzerei im voraus zu vers bitten, und deshalb wurde die Schule vollftändig den Kirchen: bebörben unterworfen, Durch Minifterialverfigung wurde jetzt feſtgeſtellt, daß jeder Pfarrer der geborene Echulpfleger feines Bezirkes fein, daß die Gymnaſien nad den Gonfeffionen ger fondert und an jebem nur Lehrer der einen Confeffion ange ftellt werden follten, In dem Cultusminifterium wurde für die katholiſchen Kirhen- und Schulſachen eine bejondere katho— liſche Abtheilung gebildet, deren Näthe den Auftrag hatten, bie Rechte des Staates gegenüber den Kirchenbehörden wahrzus nehmen, die aber bald genug ſich lediglich als Vertreter ber firhlien Intereſſen innerhalb der Staatsregierung geritten. So erreichte die römiſche Kirche hier ohne eigne Anftrengung alles, was fie in dem katholifchen Baiern und Defterreich bisher vergeblich angeitrebt hatte, Die Erziehung der Jugend und des Mens lag volftändig in ihrer Hand; bier wuchs die Genera: tion auf, bie feit 1873 auf Commando der Pfarrer in geſchloſſe— nen Gliedern zur Wahlurne zieht.

In dieſer Lage der Dinge wurde bie Curie wie ganz Europa durch das Ereigniß überreicht, weldes der Aus: gangspunkt für die heutigen Zuſtände werden follte, die Barifer Februarrevolution von 1848 und die daraus ent:

Klerifale Politit im 19. Jahrhunnert. 433

Kämpfen der Nepublik ftieg das Praſidium Louis Napoleon’s bervor, Der Prinz wünſchte das Kaiſerthum zu erneuern und dafür die Unterſtützung der ftarfen Heritalen Partei in Frank reich. Um fie zu gewinnen, ftürzte er durch ein franzdfiiches Armeecorps Die Nepublit in Nom, und unter dem Schuge der franzdſiſchen Bajonette konnte Pins wieder als abjoluter Herr fer in den Batican einziehn. In Franlreich felbft fuhr das Kaifertum fort, ſich den kirchlichen Aniprüden gefällig zu zeigen, wie es Louis Philippe niemals gethan. Die läſtigen Geſetze des erften Napoleon kamen nicht mehr zur Anwendung, der Einfluß des Alerus wuchs mit jedem Jahre.

Noch reihere Früchte aber trug die Revolution dem kleri— falen Spfteme in Deutjchland und Deterreih. Das abfolute Königthum Hatte es in Preußen zu Stande gebradt, alle liberalen Elemente ebenfo gegen feine Kirchenpolitit wie gegen feine weltlihe Verwaltung in Harniſch zu bringen. Nachdem es 183% die beiben Erzbiſchöfe ohne Geſetz noch Gericht ihrer perjönlichen Freiheit beraubt, Hatte es ſeit 1840 ber herr ſchenden Orthodoxie beider Kirchen feinen ftarken Arm geliehen, um Philoſophen und Kritiker, Lichtfreunde und Deutſchkatholilen nieder zu halten, Alle gefinnungstüchtigen Liberalen waren damals überzeugt, der individuellen Freiheit einen unermeßlichen Dienjt zu leiten, wenn fie jeve Einwirlung des Staates auf die lirchlichen Verhältnifie befeitigten, So becretirte das Franls furter Parlament und nad feinem Beifpiel der preußiſche Landtag in den Grundrehten der Deutſchen und der Preußen, nicht bloß die Freiheit des perſönlichen Neligionsbetenntnifies, fondern ben berüßmten Sag: die beftehenden Kirchen verwalten ihre Innern Angelegenheiten felbftändig. Cie ven gar nicht

v. Spbet, M, diftorifhe Schriften. IL.

Rleritale Politit im 19. Jahrhundert, 435

fönnen, müſſen die Anhänger der freiheit nit bloß freien Geiftes, fondern auch fie milſſen als Macht organifirt jein; fie mifen ebenfalls vereinigt, in geordneter Difeiplin, unter feſter Führung kämpfen, und es gibt hiefür auf der Welt feine andere Führung als die einer zugleich nationalen und liberalen Staatögewalt. Kein einzelner Menſch ift jtar genug, ber ers drüdenden Wucht der Prieſterherrſchaft zu widerſtehn; dazu reicht nicht® Anderes aus, als die Gefammtkraft eines patrio⸗ tiſchen Volles, die von einer kräftigen und einfichtigen Staats» gewalt gelenkt wird. Niemals ift eine politiihe Partei in einen verberblichern Irrthum geratben, als bie liberale 1848 und 1850, in ihrem Wahne, die religiöfe Freiheit zu erlangen durch die Selbftändigkeit der papſtlichen Weltmacht, durch die Ab- jegung des Staates auf kirchlichen Gebiet. Wer dabei im innerftien Herzen froßlodte, waren Pius IX. und Friedrich Wilgelm IV. Jetzt mar ober ſchien doch in Preußen Ver— faſſungsgeſetz, was bisher nur freiwillige Vergünftigung ber Staatsbehörben geweien, Wohl hatte die Volfsvertretung in ihrer Mehrheit es für unzweifelhaft gehalten, daß die ſelb⸗ ſtändige Kirchenverwaltung deshalb noch nicht auf Souveränität Anſpruch machen tönnte, fondern daß fie ſich innerhalb ver Schranken dev allgemeinen Stantögejege zu bewegen hätte, wie z. B die ebenfalls garantirte Selbitändigfeit der bürgerlichen Gemeinde, wie die Freiheit der Wiſſenſchaft und ihrer Lehre, Aber die Perſon, auf die es hier ankam, der König, war vbllig bereit, den Biſchbſen die meitefte Ausfegung zu geſtatten. Der Staat ließ alle Nechte über die Kirche fallen, die er von 1815 bis 1840 widerſpruchslos gehandhabt hatte. Er erflärte jegt bie Leitung ber Vollsſchule durch den Klerus und bie

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Kleritale Bolitit im 19. Jahrhundert. 487

ftand der Kirche ſelbſt, jo ift es allerdings unmöglich, dem alffeitigen Gehorfam und Zufammenfhliehen bei jedem Winte der geiſtlichen Obern die Anerkennung zw verjagen. Aber dies Ergebniß ift theuer bezahlt; es ift erfauft mit der Vefeitigung jeder Rechtsform und Nechtsficherheit der untergebenen gegens über der vorgejehten Behörde, wie dies noch neuerlih das völig jormlofe, dem Kirchenrecht ſchlechthin widerſprechende Verfahren der Biſchbfe gegen altlatholiſche Pfrundenbeſiter ge: zeigt hat. Ebenſo deutlich erſcheint das Abſterben wiſſenſchaft- licher Bildung in der theologiſchen Literatur, und bie heutigen Parteilämpfe werden in zahlreihen Fällen mit gemeiner Ger teiffenlofigkeit in der Anwendung der ſchlechteſten Mittel ge führt. Durch die gepriejene Selbſtandigkeit der Kirche Haben die Vermögensintereffen der Piarrgemeinden ſchwerlich gewonnen. Die Abhörung der Rechnungen, meift von einigen jünger Geiſtlichen beforgt, verſchleppte ſich oft Jahre lang; bie Anlage der Gapitalien, nicht mehr von fachverftänbigen Vehörben bes auffchtigt, hat in manden Fällen ſchwere Verlufte verurſacht; eine vom Gewöhnlihen ſtark abweichende Verwaltungsweiſe war es jebenfalls, wenn die Vrandverſicherung der Kirchen einer Didcefe nach der Höhe ber Tantieme vergeben wurde, welche die betreffenden Geſellſchaften der biſchoflichen Cafe dafür " zahlten. Was den fittlichen und geiftigen Zuſtand der feit

. Ebenjo würde es Staunen erregen, ten wollte, die große Maſſe des Volles, j ‚fei in ber Tepten Zeit fleifiger, Tpat-

Klerifale Politit im 19, Jahrhundert 439

ift: denn Bildung allein iſt die Leiter des Emporfteigens und die Quelle des Neihthums. Auch die Leitungen der Fatholis ſchen Gymnaſien find in der Nheinprovinz, mit wenigen rühm-⸗ lichen Ausnahmen, traurig zurüldgegangen. Ich fonnte es 1874 mit amtlicher Sicherheit, nach zwölfjähriger Erfahrung aus: ſprechen, daß von den dorther uns gelieferten Studenten ein Viertel nicht grammatifch richtiges Deutſch ſchreiben, und viel- leicht drei Viertel einen leiten griehiihen ober Lateiniihen Schriftſteller nicht ohne Mühe leſen konnten. Sagt man zu viel, wenn man die Meinung ausfprit, daß wir zmar noch nit in ſpaniſchen Zuſtanden leben, daß aber das klerilale Syſtem Alles gethan hat, um uns auf jolde Wege zu bringen?

Die fo leicht gewonnene und fo energiſch wirkende Gelb- ftändigfeit der preußiſchen Kirche war nun in Rom ſehr gerne geſehn; wir bemerkten, wie Cardinal Antonelli die Aufführung Preußens belobte. Aber der Heritalen Partei land ein tveis terer Triumph bevor, ber alle Verbienjte Preußens in Schatten ſtellte.

Ich habe angeführt, wie wenig man in Rom mit dem oſſerteichiſchen Hofe, trot feiner katholijchen Rechtgläubigkeit, zufrieden war, Langſt galt in Deſterreich ver Satz, daß der Kaifer das Land durch zwei Armeen zufammenbalte, die Weifir öde und die Schwarzröde, bie Soldaten und bie Geiftlihen. Darin Tag, daß ber Klerus das Bolt beherrichte umd dies war ſehr angenehm in Rom —, aber auch, daß er dem Kaiſer Ordre pariren mußte und dies erſchien verdrießlich und allmählich unerträglich, Im Folge der Revolution von 1848 kam nun au in Defterreih der alte Wahrſpruch zu Ehren, daß nur die Kirche den Thron vor dem ummälzenden Dämon

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Rleritalt Politit im 19. Jahrhundert. 441

dieſem Sinne benutzte 1853 Cardinal Rauſcher ein Wundfieber des Kaiſers nach dem Mordverſuch Libeny’3, um bei dem kranken Monarchen den Verzicht auf die Beherrſchung des Merus durch die Krone zu erwirlen. Dies führte dann zu dem. Eoncorbate von 1855, dem maffioften Erfolge der Herifalen Partei in unferem Jahrhundert, Darin wurde ohne irgend eine Bes ihränfung bie vollftändige Herrſchaft des kanoniſchen Nechtes in Defterreih amerkannt, eben des Nechtes, nad) welchem der Papſt jeden ihm ungehorfamen Monarchen abzufegen, jedes ihm bedenllich erſcheinende Landesgeieg aufzuheben befugt ift. Die Biihöfe erhielten unbebingte Strafgewalt über ven Pfartklerus, unbeichränkte Genfur über Bücher und Zeitungen, umfafende Aufficht über alle Zweige des Umterrichtsweiens. Das gejammte Kirchenvermögen, im Werthe von 200 Millionen Gulen, bis— her als Eigentum der Gemeinden unter ftaatlicher Verwaltung wurde den Viſchofen zur Verfügung geftellt. Auch bier, ſehen wir, firebte man nicht blof nach Religionsfreiheit und unge: ftörtem Gottesbienft; auch bier handelte «8 fih nicht weniger um Neihthum und Macht. In materieller wie in geiftiger Beziehung war Alles geihehen, um die Kirche zu erhöhen und den Staat unter das milde Jod derjelben zu beugen.

Nach ſolchen Fortſchritten in Frankreich, Deutihland, Deſterreich, bei ſtarken klerilalen Negungen in Spanien, bei raſchem Wachsthum der Tatholifchen Visthümer und Alöfter in England und Nordamerika begreift es fih, dab man in Nom allmählich die Zeit gelommen erachtete, um mit bem vollen Umfang der Anfprüce, mit der offenen Ernenerung aller mittels alterlichen Herrſcherrechte herborzutreten. Verdrießlich und be: drohlich unterbrach allerdings für den Augenblick dieſen Sieges⸗

Klerifale Bolitit im 19. Jahrhundert. 445

geweien, daran ift ein Zweifel gar nicht möglich. Die romiſche Eurie hat vor 800 Jahren umfere Berfplitterung bewirkt; fie bat eben auf Deutſchlands Spaltung ihre Weltmacht gegründet, um ſeitdem in Deutſchland wie überall die Bildung großer Staatsgewalten zu hindern und die Auflöfung der Nation in Heine Staaten zu fördern, nad ber alten Negel: theile und herrſche. Hienach gefiel ihr die deutſche Bundesacte von 1815 wohl. Wäre aber eine Umgeftaltung verjelben einmal nicht zu vermeiden, jo gehörten dann alle Sympathien Noms nicht Preufen, fonbern Defterreih, dem katholiſchen Kaifer, dem Schöpfer des Concordats von 1855, mit deſſen Herrlichkeit fich doch alle preußifhen Verdienſte um die Kirde entfernt nicht mefjen fonnten. Sehr beftimmt hatten aud in Wien Gebanken diefer Art bei ber Bewilligung des Eoncordates mitgewirkt. Daſſelbe follte in ganz Deutſchland die Hlerifale Partei um Oeſterteich fhaaren, etwa wie einft der Zollverein die materi« ellen Intereſſen an Preußen gefettet hatte. Die damalige of⸗ fieißfe Prefje in Wien gab diefer Hoffnung laut und unbefangen Worte. „Im Eoncorbate, hieß es, ſpricht der Kaifer, und fo werben bie Markgrafen [von Brandenburg] wohl: oder übel: wollend folgen müſſen.“ Ober: „Der Haifer bat die Bahn vorgezeichnet, in welche früher over ſpäter die Meinen, Mitt eren und ein gewiſſer Großer werden einfenfen mäffen.“ In der That war fortan jeder Heritale Einfluß in den deutſchen Staaten ein Bundesgenoffe und Agent der großbeutihen Politik, der öfterreichiichen Spige, und umgefehrt alle öfterreihiih ges finnten Regierungen nahmen mehr oder weniger klerilale Fürs bung an. Die damaligen Minifter in Stuttgart, Karlarube, Darmftadt waren entidiedene Gegner Preußens, ſie Ale bes

aleritale Bolitit im 19. Jahrhundert 445

Htalien gewann bie venetianiichen Lande, Preußen ſchaarte Norddeutjchland um fich, die deutſche Nation wurde von Defler- reichs Obervormundſchaft befreit. .

Und noch mehr. Es war nicht genug, daß Preufen dem öfterreichiichen Nebenbubler trotz feines Herikalen Anhangs aus Deutſchland binansihlug: die Niederlage von Aöniggräg bes wirkte außerdem einen tiefen Umſchwung in Defterreich ſelbſt, und es fam 1867 bort zu einer Verfaſſung, welche durch bie Gewährung von Olaubensfreipeit, Preßfreiheit und Lehrfreiheit vom Goncorbate völlig abwich und auf deren Grundlage dann Gefege folgten, welche die Eivilehe einführten, bie Schule unter Staatsauffiht ſtellten, und, ſchreclich zu jagen, ſelbſt Kegern erlaubten, Schulen zu errichten und Lehrer zu werben. Papit Pius befann ih nit lange; obgleih er unter den damaligen Verhältnifien wenig Ausfiht auf augenblidlichen Erfolg hatte, erklärte er in feierliher Allocution die neue Verfafjung file abſcheulich, die neuen Gefege auf alle Zeiten fir null und nichtig und befahl allen katholiſchen Defterreihern, dieſelben weder zu billigen nod auszuführen. Die 1864 verfünbeten Grunbjäge erhielten bier eine praktiſche Anwendung größten Styles. Der Papft flellte fi als: höhere Behörde über die gejeggebenden Gewalten, über Kaiſer und Volfsvertretung der oſterreichiſchen Monarchie, caſſirte die dortige Verfaffung, bes drohte die Befolgung derſelben mit allen kirchlichen Strafen, und wies ſammtliche Bischöfe des Neiches an, in biefem Sinne zu wirken. Und man will uns noch einreven, die Anſprüche Roms auf Herrſchaft über alle Staaten ſeien harmloſe Kanzleis phrafen! Und während der Papft die Preffreipeit, Lehrfreifeit und Glaubensfreiheit für verrucht erflärt, nennen fi unſere

Kleritale Politik im 19. Jahrhundert. 447

Preußens zeigte, war die klerikale Partei eifrig an jeiner, Seite, ohme daß jemals die päpitliche Eurie ein Wort der Mißbilligung gegen biefe feinbjeligen Umtriebe gehabt hätte. Unſere Een: trumsmänner haben wohl gefragt, was denn die Urſache ges weſen, dab fie noch Anfang 1871 von dem Kaiſer mit aller Huld empfangen worben, daß dann 1872 der Staat den Kampf gegen fie eröffnet habe, was in aller Welt denn unterbejfen vorgefallen jei, um eine jolde Sinnesänderung herbeizuführen? Hit diefe Vermunderung in der That bei ihnen ernftlid ges meint? iſt es wirklich nur ein Fehler überflugen Scharifinns, das Allereinfachſte und Offenkundigite nicht zu. jehen? Eine dur ganz Europa verzweigte, ſtreng bisciplinirte, den päpft- lichen Befehlen unbedingt unterwürfige Bartei bietet ſechs Jahre lang alle Mittel auf, um Preußens Erhebung und Deutid: lands Einheit zu hindern. Unmittelbar nad) Deutſchlands Sieg conftituiren ſich dann die deutichen Genoſſen dieſer Partei als varlamentarifhe Fraction, um bier, wie ihre Aufrufe offen jagen, die Intereſſen des Papftes wahrzunehmen, deſſelben Papftes, deffen Diener und Werkzeuge aller Orten gegen die deutſche Sache mit leidenſchaftlicher Erbitterung unter den Waffen ftehen. Mahrhaftig, über Höflichkeit und Menſchenver- fand geht body die Zumuthung hinaus, gegen dieſen Zuſammen- Hang die Augen verſchließen, und in der Bildung der Centrum partei etwas Anderes finden zu follen, als die Erklärung, daß der alte Meritale Kriegsſtand gegen Deutſchlands Einheit fort danere. Es mochte politiih Hug geivefen fein, vor ber Be: fiegung der franzöfiichen Armee von der Herilalen Feindfeligleit möglicft wenig Notiz zu mehmen; mad der Ueberwältigung Frantreichs aber war es dringende Staatspflicht, den. innern

leritale Politit im 19. Jahrhundert. 449

Vereinsrecht, Unabhängigkeit des einzelnen Menſchen vom Staate, Auflöfung und Herfplitterung der Staatsgewalt. Dann ges braucht fie alle Künfte des Nadicalismus und Socialisntus, bis ber Sieg erfochten iſt und der Staat jerbroden oder zer— knirſcht ihr zu Fühen liegt. So weit gebiehen, wird plötlich die Advocatin ber Menſchenrechte wieber zum fefteften Horte ber Autorität, und bie Eurzfichtigen Freiheitsmänner, bie ihr bis dahin im Kampfe gegen das Königthum geholfen, mögen nach- denen, was fie bei dem Tauſche der Herrſchaft gewonnen haben,

Fragt man nad den Mitteln, womit die Partei die erfien Schritte zu ihrem Ziele thut, fo treten fie uns gleich deutlich bei den römischen Verhandlungen mit Baiern, Hannover, Defters reich, wie in ben Erörterungen ber franzöjichen Kammern und Hirtenbriefe und in den Zuftänden Spaniens und Ftaliens während der Reftaurationgzeit entgegen: eine mehr als milis tärifhe Disciplin der Geiftlichkeit mit unbedingter Allmacht des Vorgefegten und unbebingter Rechtloſigleit des Untergebenen, Erziehung der Jugend zu blinder Verehrung der kirchlichen Macht und allmäpliher Ablöjung von Staat und Vaterland, Unhäufung eines möglichtt großen Kirchenvermögens zu freier Verfügung ber Bijgöfe ohne jeden Nechtsfhug für das Ins tereffe der Gemeinden. Ausnahmslos und einförmig kehren dieje Haupt: und Earbinalpunkte aller Orten wieder. Wo der Staat bie Partei darin gewähren Täft ober gar unterflät, ift fie binnen eines Menfhenalters die Herrin des Bodens. Es iſt bamit von felbft ausgefproden, an melden Stellen der BViderftand einfehen muß, wenn er Ausfiht auf Erfolg ges winnen fol, Der Staat muß geordnete Selbftändigkeit und fihern Rechtsſchutz dort berftellen, wo das in

v. Eybel, M. Hiftorifäe Schriften, IL

Klerifale Bolitit im 19. Jahrhundert. 451

viel mehr als Eine Million, Sie ift fehr zufrieden, wenn fie die officielle Unterftügung des Staates gewinnen kann, aber im Notbfall bedarf fie derſelben Heute in Deutſchland nicht mehr, um Schüler zu gewinnen, bie Priefter in Zucht zu halten, Vermögen zu jammeln; fie kann das Alles, wenn der Staat nur nicht pofitiv auf diefen Gebieten eingreift. Jeland und Nordamerika liefern täglich die Belege zu der Wahrheit, daß die Trennung der Kirche vom Staat nichts ift als bequemeres Negiment für den Augenblid, langjames Erftarfen der lerikas len Macht, und fihere Unterwerfung des Staats in der Zulunft.

Ein weiterer Punkt, der nicht minder einleuchtend aus allen Vorkommniſſen der Iegten ſechzig Jahre erhellt,“ ift die völlige Nutzloſigleit und Nichtigkeit diplomatiſcher Verhand⸗ Tungen und Vereinbarungen mit dem klerilalen Syſtem. Der erfte Grundfag deffelben it, niemals eine Berechtigung des Staates ausdrücklich anzuerkennen, fondern höchſtens ſchweigend geihehen zu laſſen, was man nit hindern Tann. Jede, dem tlerilalen Intereſſe ungünftige Einräumung gilt durchaus als widerruflich in jedem Augenblick nad dem Ermeffen der Curie. Umgelehrt wird jeve Mafregel der Staatögefeggebung, welche den Herifalen Wünfchen-entfpriät, fofort als wohlerworbenes, für den Staat unantaftbares Necht betrachtet. Es iſt ein leuchtend, dab mit ſolchen Gegnern Verträge nicht zu ſchließen find. Der Staat hat hier feine andere Möglichkeit zu bleiben- der Ordnung zu gelangen, als mit reiflicher Erwägung aus: eigner Kraft das Erforberlie vorzufehren, allerdings jede Bes rührung des innern religiöfen Lebens zu meiden, aber für die äußern Nehtsverhältniffe die Macht feiner Geſetzgebung un— erjchütterlih zur Geltung zu bringen, Wem es unbequem ers

Klerifale Politit im 19. Jahrhundert. 458

hochgeſchatzt wird, Tugenden treffliher Art, nur daß fie nicht immer unter ber Leitung mäßigender Klugheit ftehen, und nit felten in Nechthaberei und Zerfplitterung der Kräfte ausarten. Es kommt dazu, daß bei einem Kampfe zwifhen Staat und Kirche die Herifale Partei, wie wir fahen, überall radifale Mienen annimmt, und nun ift eine gewiſſe Art von Preis finnigfeit, welche Oppofition gegen die Negierung für gleiche bedeutend mit Liberalismus hält, no intmer weit werbreitet, und wird ftugig bei jedem Vorfchlage, bie Befugniſſe der Regie- tung zu ftärfen, gegenüber der klerikalen Oppofition, die doch immer daS Verdienſt hat, Oppoſition zu fein. Co bemerften wir, tie 1818 und 1829 in Franfreich die Nabilalen ven ultramontanen Beſtrebungen in die Hände arbeiteten, und erſt vor wenigen Jahren, 1870, haben wir in Brüſſel dafielbe Schauſpiel vor Augen gehabt, wie der breizehmjährige Beftand des liberalen Syſtems durch die innere Spaltung der Partei, durch die Zwiettacht zwiſchen Minifteriellen und Nabilalen vers nichtet, und eine Herifale Regierung zur Behertſchung des Staates geführt wurde, Es würde auch in Deutſchland nicht anders gehen, wenn ber Liberalen Partei die nöthige Einficht und Selbftbeherrihung fehlen jollte, wenn fie fih in ihrem Innern fpaltete ober mit der Staatsregierung überwürfe: das ſichere Ergebniß wäre, nit eine parlamentariſche Entwidlung im rabifalen Sinne, ſondern ber Umſchwung zu Gunften eines conjervativ.Elerifalen Negimentes, zu welchem, wie wir willen, die Tories der evangeliihen Kirche ebenfo freudig ihren Bei— trag liefern twilrden wie die Eatholifh-Hlerikalen Kreiſe. Oft genug find die Fälle vorgefommen, wo Radikale und Klerikale gemeinfam einer Staatöregierung zu Leibe gegangen finb: aber

Deutfhlands Rechte auf Eſſaß und Jothringen.

Auf Anlaß eines kürzlich erſchienenen Pamphlets.

1871.

Deutihlands Rechte auf Elfak und Lothringen. 459

Natur der Dinge, denn Lothringen iſt eine duch und durch frangöfiihe Provinz, und der Elſaß hat eine Benölferung, die zwar einen deutſchen Jargon redet, aber aus altgalliſchem Blute jtammt. Der deutſche Anfpruc auf bieje Länder ift nichts als eine böstillige Erfindung bes Herrn dv. Bismard, wieberholt dur einen Schwarm gewiffenlofer deutiher Scris benten, um dadurch die Sübbeutihen gegen Frankreich aufzu: veigen, gegen ben Hüter des Prager Friedens, gegen den Be: ichüßer der ſülddeutſchen Freiheit wor der Habgier des preußi— ſchen Dejpotismus.

Schon aus dieſer Furzen Ueberſicht wird für jeden Kun: digen der Charakter unferer Aufgabe beutlih. Welcher Schiller in Franfeeih und Deutſchland wäre jo unwiſſend, um nicht einen Autor auszulachen, der ihm von dem Tod Turenne's im dreißigjährigen Kriege und von der Abtretung Straßburgs dur den weſtfaliſchen Frieben erzählte? und welcher Gelehrte winde ſich Herbeilafjen wollen, Herrn Michiels heute noch zu beweiſen, dafı Lothringen durch acht Jahrfunberte hindurch, ohne Widerſpruch von irgend einer Seite, integrirender Be— ſtandtheil des deutſchen Reiches war? Wie mit dieſen Punkten ſteht es aber mit jedem andern ſeiner Beweisführung. Ueberall iſt ſie im flagranteſten Widerſpruche zu den Thatſachen, und zu den ſicherſten Ergebniſſen nicht bloß der deutſchen, ſondern auch der franzoſiſchen Forſchung. Eben durch dieſe gänzliche Abweſenheit der Wahrheit wird das Buch für uns intereſſant, Herr Michiels ſchreibt die Geſchichte der Vergangenheit mit derjelben Methode, wie die Bulletins des Herrn Gambetta bie Geſchichte des jegigen Krieges. Wir dürfen uns die Genug: thuung verftatten, bieje Thatſache Schritt auf Schritt bei jedem

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Deutjhlands Kechte auf Eljaf und Lothringen. 461

Funten, welcher die Mine entzündet, fonbern auf die Thätige keit, welche fie geladen hat, fommt es mir an. Und bier be» lehren mich die Stimmen fat aller einflufreihen Männer in Frankreich, bie Neben der Fuhrer aller Parteien, die Manifefte der twichtigiten Organe der Preſſe; wetteifernd haben fie ſeit Sahren feinen Zweifel darüber gelaffen, daß fie Alle in einem beißen Gefühle übereinftinmten, welches den Krieg unter allen Umftänben unvermeivlih machen mußte. Sie Alle behaupteten für Frankreih das Neht und die Pflicht der Einmifhung in die inneren Fragen der deutfhen Verfafjung. Und man muß es fagen, nicht die laiſerliche Regierung, fondern bie öffentliche Meinung hatte die Initiative dieſer Anmaßung ergriffen. Von allen Seiten her wurde jener das unthätige Gefchehenlafjen von 1866 als eine Sfinde an Frankreichs heiligften Intereſſen vorgeworfen, und bie Vollendung der deutſchen Einheit, bie Verbindung unferer Siübftaaten mit dem norbbeutichen Bunde als nothwendiger Kriegsfall bezeichnet. So gedrängt und ge: begt und in ihrem Preſtige bedroht, ſchlug die kaiſerliche Re— gierung endlich los, um auf deutſchen Schlahtfeldern ſich die Achtung des franzbſiſchen Volles wieder zu erobern, noch ehe die gefürchtete Neunion der Südſtaaten eingetreten war, mit einer Mebereilung, äuferft heilfam für uns, und nur erllärlich durch ihre gepreßte innere Lage, Wir twußten, bei jenem Treiben der franzöfif—hen Preſſe und Tribüne, auf alle Fälle, was uns bevorftand. Der Krieg war gewiß, bei dem Ans ſpruche des franzbſiſchen Volles, unfere Bundesverfaflung zu regeln; unb der Kriegsftand wird für uns auch ferner beftehen bleiben, fo lange der Heinfte Reſt einer ſolchen Stimmung in Frankreich Tebendig ift. Es ift fir Deutſchland während des

Deutihlands Rechte auf Eljah und Rothringen 468

zu erfireben, fondern um überhaupt feinen Primat in Europa zu dulden. Was es forbert, iſt eine einfache Sache, leid beredhtigung ber Nationen. Es will fir die Zukunft fein po: litiſches Syſtem in unferem Welttpeil, wie wir es während des Tegten Jahrzehnts erlebt haben, wo eine Nation „erften Ranges” den Spaniern umter vier Throncanbibaten drei ver bieten, den Nömern den Eintritt in das italienifche Neich"verz mehren, den Sübdeutihen die Verbindung mit ihren nord: deutichen Stammesgenoffen unterfagen konnte. Deuiſchland begehrt, daß dem Einen Recht jei, was dem Andern billig ift. Es ift derfelbe Punkt, um den ſich auch unſere hiftorifche Vetrachtung bewegen wird. Durd) drei lange Jahrhunderte hindurch hat Franfreih, von der innern Zwietracht Deutfche lands Vortheil ziehend, obme jemals durch die geringite Ber leibigung oder Bedrohung deuticher Seite herausgefordert zu werden, deutſche Territorien ſich annectirt, ohne den Schatten eines Rechtstitels, gegen ben Willen der unterworfenen Ein: wohner, lediglich durch die brutale Gewalt des Schtwertes. Das erſcheint jept unfern Nachbarn als eine [ängft derjährte Sache, an die zu erinnern ein Zeichen unfittliher Habgier der Deuts ſchen if. Nachdem fie im legten Juli uns unter frivolem Vorwand ben Krieg erflärt, und damit bie beftehenden Ver: 1 träge jelbft zerriffen haben, foll es jegt ein Verbrechen gegen das Völkerrecht fein, wenn Deutſchland fih nicht weiter an diefe Verträge, die Denkmäler unferer Beraubung, bindet, und einen Theil des entriffenen Gutes zur Sicherung feiner Örenzen zurücknimmt. Die Anftvengung, mit welcher Frankreich bis zum letzten Augenblid für die Integrität feines Bodens ge kämpft hat, flößt aud feinem Gegner hohe Adtung ein. Uns

Deutjhands Rechte auf Elfak und Lothringen 467

Lothringen fih in der That vom Neiche getrennt hat, Um es darzuthun, geht Herr Michiels nicht auf bie Einzelnheiten der lothringiſchen Geſchichte ein, die ifm allerdings in ihrem ganzen Verlaufe das Gegentheil dargethan hätten. Er greift zu einem andern Mittel; er beruft ſich auf die Autorität eines Gelehrten, der in lothringiſchen Angelegenheiten ohne Zweifel trefflich unterrichtet war, des Verfaſſers der histoire &celesiastique et eivile de la Lorraine, bes Benebictiners Dom Calmet. Wie weit wird er bamit gelangen?

Herr Michiels drudt zunächft eine längere Stelle aus dieſer histoire ab, in welder Dom Galmet auseinanderjegt, daß die lothringiſchen Herzoge oft einen ſchweren Stand in der Bewah— rung ihrer Hobeitsrechte über ihre Barone und Prälaten ges habt, weil diefe ſich in zahlreichen Fällen Privilegien von den Candidaten deutſcher Kaiferfrone erwirlt hätten, wodurch bie Herrſchaft der Herzöge beeinträchtigt worden ſei. Oder wenn der Kaiſer fie nicht begünſtigen wollte, wandten fie ſich auch wohl an den benachbarten König von Frankreich. Für jeden Leſer von gewöhnlicher Logik enthält offenbar bie Stelle den Beweis, daß Lothringen zum deutſchen Reiche gehörte, denn im entgegengefegten Falle hätte ja für den deutſchen Thronbewerber die Unterftügung der lothringiſchen Magnaten nicht den min: deiten Werth gehabt. Aber Here Michiels Hat feine Logik für fi. Inden er Dom Calmet lobt und preist, zieht er aus deffen Worten fofort den Schluß: la Lorraine ne faisait done pas partie intögrante de l’empire d’Allemagne, ne ui 6tait me&me pas associGe d’aucune maniere. Er tonnte mit gleicher Bünpigfeit erflären: Louis VIL befreite durch feine Privilegien mehrere Communen von Ile de France und Champagne von

Deutſchlands Rehte auf Elfah und Lothringen 471

tiefften Entträftung des deutſchen Haifertfums, der grünblichten gerrüttung ber beutjchen Einheit. Eben damals, zehn Jahre nad der Erhebung des franzöftichen Prinzen in Lothringen, ſprach ein franzöfiiher König, Earl VIL, das früher umerhörte Wort aus, dab Frankreich feine Grenzen bis zum Rheine aus dehnen müſſe, und fandte zur Vollftredung dieſer Abſicht die wilden Banden der Armagnaken in den Eljaf. Damals wur- den fie durd die Eljafier, Schwaben und Schweizer zurüdger tiefen: aber die Gefinnung blieb vorhanden, um bei der erften günftigen Gelegenheit wieder aufgenommen zu erben. Meil damals die Eroberumgsluft der Franzoſen durch deutſche Ger biete gereizt wurbe, daraus zieht Herr Michiels die Folgerung, daß Lothringen rechtlich nicht zum deutſchen Reiche gehört habe, Eine andere Lehre redet aus diefen Vorgängen für die deutfche Nation. Kaum hatte ſich franzöfiiher Einfluß in Lothringen eingeniftet, fo erwachte in Paris der Gedanke der „natürlichen Grenzen”, die Begierde nach dem Linken Nheinufer. Wer kann ans den Gedanken verübeln, daß wir biefe offenſive Leidenſchaft erſt dann wieder mit der Wurzel ausrotten, wenn wir feſte Stellung auf Lothringens Boden zurückgewinnen?

Zu der politiſchen Auflöfung mußte in Deutſchland ber religiöfe Ziwiefpalt hinzutreten, um ben Franzoſen ben erften Schritt in der Ausführung ihrer Eroberungspläne zu ermöge lichen. Raifer Karl V. hatte die deutſchen Proteftanten befiegt, und bebroßte durch feine ſpaniſche Verwaltung ſowohl die Neligionsfreibeit als die Nationalität des deutſchen Volles. Dagegen erhob fih 1652 Ehurfürft Morig von Sachſen, und bat, beforgt wegen der Uebermacht des Kaiſers, König Heinrich IL von Frankreih um Unterftügung. Diefen Anlaß benugte der

Deutihlands Rechte auf Elſaß und Soihringen 473

dem berühmten Feldherrn, dem Churfürften Morig von Sachſen, dem Markgrafen Georg Friedrih von Brandenburg, dem Herr 30g von Meflenburg, dem Sandgrafen von Heffen, aus dem Churfurſten von Brandenburg, dem Vorfahren König Wilhelms, aus dem Pfalzgrafen bei Nhein, dem Herzog von Zweibrüden und verfchiedenen anderen Herren, kurz den Ahnen aller ber

deutſchen Fürften, melde heute Frankreich verwüſten. Sie.

tlagten über den Dejpotismus des Kalſers und erbaten franzd: ſiſche Hülfe. Ein Bundniß wurde zwiſchen dem Könige und den Mißvergnügten abgeſchloſſen: ein Artilel bejagte, daf der König follte se rendre maitre des quatre villes imperiales qui ne sont pas de la langue germanique, savoir Cambray, Metz, Toul et Verdun. Um den König noch beffer zu verführen, ftellten ihm die Fürften fogar die Erwerbung der Kaiferkrone in Ausſicht.

Dies ift denn in der That eine Erpojition bes Dramas, wie fie ehrenvoller file Frankreich nicht gedacht werben Fan, Ein beinahe vollzähliger deuticher Reichstag fammelt fi um König Heinrich, erfleht feine rettende Hülfe, und überweiſt ihm dafür als geringen Dank die vier Städte, Und das gefühllofe Deutſchland will heute darüber Alage führen?

Leider haben nun alle diefe ſchönen Dinge niemals eriftirt als in der Phantafie des Herrn Miciels, Welde Begriffe muß er don ber Geiftesbeichaffenheit feiner Leſet haben, daß er ihnen ſolche handgreiflihe Erfindungen vorzuführen wagt? An der Verſchworung des Ehurfürten Morig nahmen über: haupt nur vier andere deutſche Fürften Antheil, und weder der Ehurfürft von der Malz noch der Ahnherr König Wilhelm's befanden ſich darumter. Bei der großen und bisher fiegreichen

Deutſchlands Rechte auf Elfah und Lotgringen 475

ſolches Verhältniß freilich undenkbar: Herr Michiels felbft aber _ Hat ung darüber belehrt, daß damals das deutſche Neich fein | einpeitliher Staat, fondern ein Agglomerat von Königreihen | und Fürftenthämern war. So verivaltete der König von Ungem das Reichslehn Defterreich, der Mönig von Spanien das Reichs-

lehn Mailand, der König von Dänemark das Reichslchn Kofftein.

Co tar es auch früher in Frankreich geſchehen, als ber König

von England im 12, Jahrhundert die Normandie, im 14. Guyenne beſaß, ohne daß dieſe Landſchaften deshalb aufgehört hatten, franzöfiiche Provinzen zu fein. Die Beſtimmung bes Vertrags hatte alſo in jener Zeit ihre wöllig praktiiche Bedeu: tung, and wern wir Deutſche allerding® Grund haben, dem Ehurfürften Morit es zu verüibeln, daß er ſich überhaupt mit einem jo unzuverläſſigen Bundesgenoſſen einlieh, fo wird offen:

bar dadurch die Ungzuverläffigkeit des franzbſiſchen Königs in feiner Weiſe gerechtfertigt oder entſchuldigt.

Der Vertrag an ſich war, wie wir jehen, gegen das Recht. Jedenfalls band ſich der König nicht einen Augenblick an die Verheißungen deſſelben. Die Worte Mangen anfangs ſchon genug. Heinrich exlieh ein Manifeit, in welchem er fih als Veſchützer der deutſchen Fteiheit hinftellte, und jede eigennützige Abficht weit von ſich hinweg wies, „entreprenant la dite guerre pour la libert, non pour son profit particulier.“ Die eins zelnen Neihsftände, falls fie nicht ihre Waffen für den Kaiſer erhoben, Eonnten ſich hiernach gar nicht im Kriegsſtande mit Frankreich betrachten, und fo verkündete es auch ber franzbſiſche Felbferr, der Connetable Montmorench, den Meher Bürgern, indem er ihre Genehmigung zu friedlichem Durchmarſche durch die Stadt begehrte. Die große Mafie der Bürger wiberftrebte;

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Deutjhlands Rechte auf Elfak und Lothringen 477

Tofen Verfud gegen Straßburg und Elſaß. Ueber ven lehtern ſchweigt Herr Michiels cbenfo gründlich wie über Heinrich's Verfprechen die Rechte des deutſchen Reichs zu adten; ber An⸗ griff auf Lothringen, ber feinen andern Anlab als bie fran: ‚zöliihe Habſucht Hatte, erſcheint ihm als die natürlichfte Sache von ber Welt, Mit größter Genugthuung berichtet ſchließlich Herr Miciels, wie nach der Bejegung von Verdun der Cardinal von Lothringen eine Bürgerverfammlung beruft, dieſer bie Gnade des Königs rühmt und ihr bie Frage vorlegt, ob fie nicht ihre Municipalverfaffung abſchaffen und dem Biſchof die weltliche Herrſchaft überlafen wollen. Natürlich erfolgt kein verneinendes Votum, und Herr Michiels feiert ce grand paete, cette revolution accomplie sans efort et avec laide du suffrage universel. Ein Plebifeit im Jahre 1552! Mit dem erften Augenblick der franzöſiſchen Herrſchaft ein glänzender Wet der Bolfsfouveränetäl! Ganz diefelbe Methode der fublimften Demolratie, wie 1793 in Belgien ober 1859 in Nizza. Einerlei ob ber Dirigent ein Garbinal von Lothringen, ober ber Bürger Danton ober Herr Pietri ift, die weſentlichen Züge find ftets diejelben:; franzöfiihe Bataillone als Mittel der Aufklärung, Verluſt der politiiben und nationalen Selbftändigkeit als Ergebniß.

‚Herr Michiels findet in unferer Verurtheilung dieſer Er eigniffe, wie wir ſehen, ein Symptom der ſchrecklichſten mau- vaise foi de !’Allemagne. Nach feiner Meinung ift nur bie Verbrehtheit des deutſchen Geiftes im Stande, eine jo gehäffige Auffaſſung natürlicher und Ioyaler Vorgänge zu Stande zu bringen. Aber auch dieſe Behauptung einer nationalen Ver— ſchiedenheit in dem Urtheil entipringt wieder aus einer willfürs

[m 482 Dexutſchlande Rechte auf Elfag und Lothringen.

iſt, unter deſſen Zweden bei Ludwig XIV. die Ausrottung des Proteftantismus in erfter Linie ftand. In Deutihland ehrt man wie in Frankreich den tuchtigen Sinn und das militäriſche Genie Turenne's, aber wir müßten uns ſelbſt veradten, wen wir vergefjen twollten, daß er feine Erfolge hauptfädhli zum Schaden unferes Reiches gehabt, daß er es geweien, der ums das Elſaß entriffen hat. Wenn Frantreih mit Recht bem Helden feiert, welcher mit ſcharfem Schwerte den großen Hur- fürften von Brandenburg aus dem Elſaß binausdrängte, jo fann es fih nicht wundern, wenn beute ein anderer marquis de Brandebourg mit ftärferem Arme das Werk des Ahnherrn wieder aufnimmt und die deutſche Provinz zu Deutſchland zurüdbringt.

Sehen wir nun etwas näher zu, auf melde Art fi Frantreich im 17. Jahrhundert des Elſaſſes bemächtigt bat.

Wie bekannt erhielt Frankreih 1648 durd den Frieden von Münfter alle Befigungen und Rechte, die bisher dem Hanfe Defterreih im Eljaß als Reichslehen zugeftanden, zu vollem fouveränen Befige. Ebenſo befannt ift es auch, daß wenige Jahre fpäter Ludwig XIV. aus den Beftimmungen des Ber trags neue Anſprüche ableitete und diefe mitten im Friedens Rande mit offener Gewalt verwirklichte. Daraus entiprangen unendliche Grörterungen und Unterhandlungen, neue Kriege und neue Friedensfhlüffe, und, wie ſich verfteht, eine ganze " en beiden Nationen, betreffend

Deutjhlands Rechte auf Eljag und Lothringen. 488

genommen hätte, da ja von deren Inhalt das hiſtoriſche Urs theil über die Eroberungen Ludwig's XIV. ganz ausſchließlich abhängen muß. Allein ein ftarker Geift, wie jener des Herrn Michiels, bedarf folder verftaubter und weitſchichtiger Mate: rialien nit. Er Lieft die Artikel des Miünfterer Vertrags; er fieht dort nicht den Schatten einer Schwierigkeit; er entbedit jofort ihren wahren Sinn, an welchen vor ihm Kein deutſcher und fein franzöfiiher Autor gedacht hat, und jo iſt e# ihm eine Kleinigkeit, fiegreich zu dem Ergebniffe vorzubringen, daß nichts gerechter, nichts redlicher, nichts nothivendiger geweſen ift, als das Verfahren Ludwig's XIV., des Minifters Louvois, der Neunionslammern. Das ganze Elſaß, erklärt er, war durch die feierlihften Beſtimmungen des Münfterer Vertrags dem Könige abgetreten zu voller Souveränetät. Die einzige Veſchränkung lag in einer jener kindiſchen und fpihfinbigen Unterjheidungen, in benen die Deutſchen Meifter find, Es gab im Elſaß außer Strafburg noch zehn Reichsſtädte, welche wie das übrige Land, nad der Meinung des Herrn Miciels, am Franfreid abgetreten waren. Man ließ num, immer nad der Meinung des Herrn Michiels, durch Artikel 87 des Münfterer Vertrags, dem Kaifer Ferdinand „vie eitle und wirkungsloſe Genugthuung, die Huldigung der zehn Städte zu empfangen, die ſonſt in allen Stüden dem König von Frankreich geboren jollten; Mazarin hatte der Eitelkeit des dummen Fürften dies Spielzeug bewilligt,“ Indeſſen, jagt er, auch dies ergab bald mangenehme Folgen. Die Städte benugten dieſes ſchwache Band, um gegen die legitime Herrichaft des Königs zu intri⸗ guiren umd zu meutern. Es war aljo böchit natürlih, daß Ludwig endlich durchgriff und Ordnung ſchaffte. Alles, was

Ban _

Deutſchlands Rechte auf Elfak und Lothringen. 499

übrigen erſcheint ihm als einzige Rechtfertigung Ludwig's die Thatſache, daß man Straßburg als freie Reichsſtadt nicht mitten im Herzen bes franzöfiichen Elſaß ertragen konnte, que les limites de la Basse-Alsace et du pays Messin étaient mal definies, entamées, ench&vetrees: cela ne pouvait s'ap- peler une frontiere. Ich will ihm bier nit mwiberfprechen: dafür wird e8 ihm nicht befremben, wenn man heute in Deutfch- land findet, que les limites du Bade et du Palatinat &taient mal definies et entamees; cela ne pouvait s’appeler une frontiere.

Deuifhlands Rechte auf Elfak und Lothringen 505

erledigt. Was kann der größte Chauviniſt in Frankreich fi Veſſeres wünſchen? Diefer Friedrich, obgleich er, wie Herr Michiels Magt, zur germaniſchen Synagoge gehörte, hatte doch ein fo richtiges Urtheil faft wie ein geborener Ftanzoſe. Ein ganz anderer Mann, nit wahr, als heute fein unwürdiger Nachfolger, ver durch umd durch deutſche Kaijer Wilhelm? Das Quidsprosguo, das hier Heren Michiels paſſirt, ift dann allerdings noch viel erbaulicher als alle feine früheren Schniger. Es ift aber auch unleldlich: ſelbſt Friedrich IL, trotz aller feiner franzoſiſchen Bildung, bleibt doch Immer nod fo weit deutſch, daß er zumeilen andere Dinge jagt, oder doch zu fagen ſcheint, als er denkt, ja daß er hier und da jogar ſich der Neveform ber Jronie bedient, welche zu verſtehen einem ſo biedern Charakter wie Herrn Michiels nimmermehr zuzu⸗ mutpen ift. Höchftens mag den Füeften hier ein wenig ent⸗ ſchuldigen, daf er im Jahre 1788 erft ein junger Menſch von kaum 25 "Jahren war, und bei feiner Abhandlung noch nicht am eine ferne Zukunft dachte, in der jo ſchlimme Mißverſtänd— niſſe, wie die des Herrn Michiels, möglich werben Könnten. Und immer ift es mir felbft bei Herrn Michtels zweifelhaft, ob ſein Irrthum möglich geblieben wäre, hätte er nicht bie unbefiegbare Gewohnbeit, in jedem feiner Bücher ftets nur eine oder eine halbe Seite zu leſen, und fih um den Bufammenz bang der von ihm bemußten Werke nicht zu kümmern. In der That, jedes Mißverſtändniß ift unmöglih, menn man die Abhandlung Friedrichs vollitändig überblidt. Er ſchrieb un— mittelbar nad dem Abſchluß des Friedens, durch welchen der fünftige Gemahl Maria Thereſia's Toscana erhalten, und das für Lothringen an Franlreich zur Verfügung geſtellt, Ftanl-

Deutjhlands Kechte auf Eljak und Lothringen 50T

cour,,.conduire, à Tabri de d&hors respeetables, ses desseins à une heureuse issue.

‚Herr Miciels felbft it dod etwas verwundert, daß Fried⸗ eich bier ganz Velgien als eine Vagatelle behandelt, daß er den Franzojen fogar die Unredlichkeit als Mittel der Erober rung felbft anräth. Aber er kommt nur zu dem Schluffe, daß diefe Unredlichteit einmal im feinem deutſchen Charakter Liege, und bier einzig die, Stärke feines Wunſches befunde, das linle Rheinufer in franzöfifhen Händen zu ſehen. Was würde er gejagt haben, wenn er einige Blätter weiter gelefen, und dort Friedrichs ausdrüdliches Votum gerade über unjere Frage, über Elſaß und Lothringen, fennen gelernt hätte?

Friedrich erzählt dort, wie Philipp von Macevonien alle mahlich die Unterwerfung von ganz Griechenland vorbereitet, und zu diefem Zwede ſich zunächft in den Beſit der Thermo» pylen und dann der Landſchaft Phocis gejeht habe. „Die frangoͤſiſche Geſchichte,“ bemerkt er darauf, „liefert uns ein ger naues Gegenbild zu diefen Ereigniffen des Alterthums. Dan verfteht, daß ich von der Erwerbung des Elfafjes und Straf burgs veben will. Diefe Bezirke waren einft bie Thermopylen, das Bollwerk des deutſchen Reichs. Lothringen, vor Kurzem eben erſt einverleibt, entipriht durch feine Lage der Provinz Phocis. Eine jolde Art des Eroberns, jo ahnlich dem Ver— fahren Philipp's, deutet Mar auf die Gleichheit der weiteren Entwürfe, Philipp blieb nicht in den Thermopvlen ſtehen; er ging weiter. Es erinnert das auch an ben König Pyrrhus, der keinen geringern Ehrgeiz hatte, als feine Hertſchaft über der ganzen Erdkreis zu erftreden.“ Der König führt dann aus, daß alles darauf anfomme, fih gegen Frankreich beijer

Deutihlands Reäte auf Elfah und Lotfringem HILL

Negel durch die Ausnahme bekräftigt wird, jo nahmen fie von jenem Gebote der Uneigennügigkeit ein einziges Bolt aus, nämlich fi ſelbſt, und annectirten demnach mit dem beiten Gewiſſen von der Welt zuerft die deutſchen Befigungen und ‚Hobeitsrehte im Elfaß, und dann Savoyen und Nizza, und dann Belgien und Lüttich, und dann alle die Bagatellen des Rheinlandes, bis endlich Napoleon erſchien, und zu den Bagas tellen halb Europa hinzunahm. Um fo mehr aber bleibt nah franzoſiſcher Auffafjung anderwärts die allgemeine Megel bes ftehen: fremdes Land zu erobern ift unerlaubt, und nun gar franzöfifche Groberungen zu rebindiciren, das ift, wie uns heute Herr Midiels erklärt“), une extravagance, une sottise et - une indignite,

Im übrigen, wie ſich verftcht, beſchäſtigt fih Here Michiels nicht mit den Eljafjer Annerionen der Revolntiongzeit. Die Thatſache ift ihm unbelannt geblieben, und mußte ihm un: belannt bleiben, nachdem er einmal der Ueberzeugung lebte, das ganze Elſaß jei ſchon 1648 an Frankreich überlafien worden. Auch iſt es gewiß, fr die Kraft der franzöfiigen Vefigtitel nimmt es ſich viel ftattliher aus, wenn man kurzweg jagt, Lothringen fei jeit 318 und Elſaß feit 222 Jahren franzöſiſche Provinz, als wenn man bie wirkliche Thatſache erzählt, daß die franzöfiihen Uebergriffe jeit 1552 ſchrittweiſe, 1648, 1681, 1737 vorgebrungen, und 1791, ober. genauer erft mit dem Luneviller Frieden 1801 zum Abichluffe gefommen find. Un— aufhorlich wiederholt alſo Herr Miciels jene 318 und 222 Jahre, und betont die lange, unvordenlliche Verjährung, melde

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Deutihlands Rechte auf Elfah und Lothringen 518

Verträge von 1815, und feit jenem Tage die Scharfe des Schwertes.

‚Herr Michiels appellirt nun Freilich auch an jene Verträge von 1815 jelbit, um uns bie Gehäffigkeit der Zurückforderung von Eljaß und Lothringen anſchaulich zu machen. Ich bedauere es fagen zu müſſen, er beweiſt aufs neue wie zu 1552 und 1648, daß es ihm ein Leichtes ift, über Verhandlungen und Verträge zu berichten, ohne einen Blid in die betreffenden Ur— tunden und Bücher geworfen zu haben. Hätte er ſich dieſer allerdings nicht immer mihelofen Arbeit unterzogen, jo würde er weder von 1814 noch von 1815 die breite Behauptung gewagt Haben, daß damals fein Menſch daran gedacht oder davon geredet hätte, dem befiegten Frankreich Lothringen oder Elſaß abzunehmen, „En a-t-on soufle mot?* fragt er. „Un seul orateur, dans le eongres des puissances europ6ennes, a-t-il revendiqu6 les malheureux territoires?*, . Nein. „On ne lui reprocha pas (& la France) d’avoir vol& T’Alsace et la Lorraine, on ne lui en contesta pas la lögitime possession.“

Nun, hienach ift es gewiß, dab ihm bie Geſchichte diejer Verträge ein unbelanntes Land ift. Denn im entgegengejehten Falle würde er willen, daf bie Verhandlungen zwiſchen den alliirten Mächten, welche 1814 zu dem erften Pariſer Frieden führten, bis heute überhaupt unbelaunt find, daß ſich aljo ein Jeder lächerlich macht, welder über deren Inhalt pofis tive Behauptungen Liefert”). Zudem, was würde für unfere

°) Auch Thiers, hist, du consulat ete. Vol, XVII, weiß nur, mas er aus den franzdfiihen Berichten lernen konnte, und dieſe geben natürlicher Weife feine Austunft über die Erwägungen unter den Alliixten ſelbſt.

So jdhrieb ich 1871. Yet wiſſen twir, daß Stein und Dardenberg ber

reits 1814 die Herausgabe des Etſaſſes gefordert Haben. v. Spbel, M. bMorifhe Ehriften. TIL

Deutjhlands Kechte auf @lfak und Lothringen. 515

die legitime Herrſchaft der Bourbonen wärbe in Frankreich völlig unpopulär und deshalb ohne Feitigfeit und Dauer fein, wenn fie mit einer Gebietsabtretung beginnen müffe. Um alfo Europa vor weiteren Umwälzungen zu bewahren, begehrte Caſtlereagh die Integrität des damaligen franzoſiſchen Gebietes, Es ift derfelbe Spruch, wie man ſieht, der auch heute jo oft wiederholt wird: eine franzoſiſche Regierung, welche beim Friedensſchluſſe eine Scholle opferte, würde damit in Frankreich unmöglich, und join nächſter Zeit ein neuer renolutionärer Ausbruch ſicher fein. Die Weisheit dieſer Ehlußfolgerung ift nun durch bie Erfahrung von 1815 nicht eben in glängenber Weiſe beftätigt worden: bamals hat man zur Beſchwichtigung der revolutionären Leidenſchaft Frankreich Elſaß und Lothringen selaffen, und ſchon fünf Jahre nachher war das Sand mit vevolutionären Verfchtwörungen erfüllt, und nod zehn Jahre meiter die Dynastie Bourbon durch einen revolutionären Aus: bruch des größten Stiles geftürzt. Sollte es ſich hienach nicht gerade empfehlen, einmal den entgegengefehten Weg einzuſchlagen, und nicht in der Pflege des franzdfiichen Stoljes, ſondern in der Stärkung ber deutſchen Grenze die nöthige Bürgichaft filr die Ruhe Europas zu ſuchen?

Auch unter den Staatsmännern von 1815 war im Grunde diefe Meinung bie vorherrihende, und nimmermehr hätte es Lord Eaftlereagh davon getragen, wäre ihm nicht aus himmel» weit verfchiebenen Beweggründen ein Bundesgenoffe von ent: ſcheidender Macht zur Seite getreten. Es war Kaifer Alexander von Rußland, auf melden in dieſer Richtung ein doppelter Einfluß wirkte, Einmal hatten ihn die Damen Krudener und LeayMarnefia mit ſchwärmeriſch⸗religidſen Gedanlen erfüllt

Deutſchlands Rechte auf Elfaß und Lothringen. 517

Alerander’3 Neffe eine beſſere Einfiht in die Wahrheit der Ver: bältniffe als der Oheim. Er bat die Unzuverläffigteit des einft begünftigten Frankreich in blutigen Proben kennen gelernt; cr weiß e3, daß es beffer ift, der Freund eines ftarfen und ſelb⸗ fändigen, als der Lenker eines abhängigen und abgeneigten Deutihland zu fein.

Deutfhands Kechte auf Eljah und Lothringen 521

frangöfifchen Autor von den natürlichen Grenzen reden; ſicher ift, daß in Deutſchland keine Seele mehr an die Nevindication des Elfa dachte.

Wodurch iſt dieſer Zuſtand tiefen Friedens und aufrich- tiger Annäherung in fein verhängnißvolles Gegentheil vers wandelt worden?

Wir haben es ſchon gefagt, durch die Anmaßung Frank: reiche, ung die Neform unferer Bundesverfaffung zu verbieten, durd eine Anmaßung, deren erfte Andeutung für Deutſchland eine Beleidigung, deren thatjählihe Verwirklichung der gered: tefte Kriegsfall fein mußte,

Man wird 68 Herrn Tpiers und Favre und Miciels ohne weiteres zugeben, daß e8 für Frantreichs Macht und Ehrgeiz eine Annehmlichteit war, ein zerfplittertes und ſchwaches Deutſch⸗ land zur Seite zu haben. Man müßte, ſchrieb General Bona- parte 1797 dem Directorium, das heilige römifche Reich eigens für uns erfinden, wenn es nicht ſchon eriflirte. Da nun Frank: reich fih auch an feiner Pprenden- und Alpengrenze ber gleichen Gunft des Glüces erfreute, da der ſpaniſche Nachbar noch ihwäder, und der italienifche noch zerriffener als der deutſche war, fo lebte fi das franzöfiihe Voll allmählich in die Vor: ftellung ein, dies jei Die normale Ordnung Europa's, ein ein heitliches und ftarfes Frankreich, umgeben von einer Elientel ohnmädhtiger und abhängiger Mleinftaaten. Es ift rührend zu jehen, mit welcher Begeifterung feine Wortführer die Vorzüge und den hohen Merth der kleinen Staaten zu ſchildern wiſſen, ſtets unter der ſtillſchweigenden Worausfepung, (das ift felbft- redend), daß das große frankreich als Negulator und Director unter ihnen fiehe. So ignorirten fie vollftändig, daß es in

Deutfhlands Rechte auf Elfap und Lothringen 525

die Epochen der Weltgeſchichte werden gewöhnlich auf diefer Erde nicht mit Milch und Roſenwaſſer, fondern mit Feuer und Blut eröffnet. Was uns bei dem ſcharſſinnigen Autor in Er« ſtaunen fegt, ift nur der eine Umſtand, daß bei ihm der hiſto— riſche Prozeß mit England, Spanien, frankreich abbricht, und nun plögli, was für diefe Völker recht und nothivendig war, für Deutfäland, und wohl aud für Jtalien, zum Verbrechen wird. Die Hohenzollern haben in Deutſchland genau daſſelbe gethan, was bie franzdſiſchen Könige in Frankreich; fie haben „employ& tantöt la force, tantöt la ruse* pendant „leurs efforts prodigieux* pour eonstituer un grand peuple. Hier aber fieht Herr Miciels fein hiſtoriſches Gejeg, ſondern „un boa constrietor*, „un tat qui ronge les &tats voisins comme une löpre et un cancer“; „luleöre grandit toujours“; „la bite immonde se röveille, elle a une faim terrible.* Soweit wir fehen, beſteht ber hauptſächliche Unterſchied poiſchen beiden Vorgängen darin, daß bie franzbſiſchen Könige 300 Jahre lang deutſches Gut ſich angeeignet, die Hohenzollern niemals franpd- ſiſchen Provinzen nachgetrachtet haben, Für Herrn Michiels liegt bie Sache einfacher. Die franzöſiſchen Monarchen haben für Frankreichs europätichen Primat gearbeitet; Die Hohenzollern und die beutiche Einheit find diefem Primate hinderlich. Alſo gebührt jenen Ehre und Ruhm, dieſen der Krebs und ber Ausſatz.

Auf dieſem Standpunkte iſt ihm denn auch die Entſtehung bes Krieges von 1870 überraſchend Mar. Daß Frankreich bei dem Prager Frieden intervenirt, ift ihm ſelbſtverſtändlich, daß es die Vereinigung der Sübftaaten mit Preußen nit dulden tonnte, bedarf gar feiner Erörterung. Herr von Bismard aber

Deuifchlauds Rechte auf Elijah und Lothringen. 327

auferlegen, und uns mit einem @renzitreifen von Bajel bis Luremburg von‘ fünf Meilen Breite begnügen, Es ift ehr leicht, über die Wildheit und Raubſucht dev modernen Vandalen in das Blaue hinein zu declamiren; es wird fehr ſchwer fein, in aller Geſchichte aus entiprechenden DVerhältniffen ein zweites Veifpiel gleicher Selbftbeichränkung nachzumeifen.

Indem wir burd den Friedensvertrag Frankreich auf jeine Einwohnerzahl von 1859, vor feinen italieniſchen Eroberungen, zurücbringen, kann nur ein Fanatiker ober ein Thor behaupten, daß wir damit feine Eriftenz, ober aud) nur feine Stellung als Großmacht zertörten. Was Deutihland in Frankreich für immer zu vernichten wünſcht, it jener Schwindel der Selbit: überhebung, welche nicht die eigene Größe und Unabhängigteit, jondern die Schwäche und Zeriplitterung aller Anderen file den normalen Zuftand hält und der eigenen Nation eine privilegirte Stellung hoch über dem Range jedes anderen Volles beilegt. Erit dann glauben wir uns und Europa vor den bisherigen Erjchütterungen gefichert zu haben. Und wahrhaftig, Frank: reichs wahres Gedeihen wird nicht leiden, ſondern genejen, es wird an politiiher Geſundheit, militärifcher Araft und Gedie- genheit der Cultur nur gewinnen, wenn e$ nicht mehr nad einer großen Vormundſchaft über die Völler, jondern nad brierlichem Verkehr mit feines Gleichen ftrebt. Nur deshalb haben wir die Unerträglickeit des früheren Zujtandes betont, weil uns ber Beginn dieier befferen Zukunft am Herzen liegt.

Deutjälands Rehte auf Eljak und Lothringen 529

daß das Volk des Elſaſſes zwar einen deutſchen Jargon rede, aber feiner Abſtammung nad fo wenig germaniſch ſel, wie etwa bie in Deutichland lebenden Juden beiläufig gelagt, wenn Herr Michiels hienach die Juden noch heute für Ans länder in ihren jehigen Wohnfigen bält, jo hätte er allen Grund gehabt, für Frankreichs nationale Unabhängigteit bie größte Gefahr nicht in der preußiſchen Invafion, fondern in der republilaniſchen Regierung der ‚Herren Eremieur und Jules Simon zu jehen. Doc, im Ernfte, für welchen Stammes hält er die Eljafjer? Es find nad ihm die Nachkommen der alten Gallier, die ja befanntlid vor 1000 Jahren das ganze linke Rheinufer bewohnten, und noch aus bem 4. Jahrhundert unferer Zeitrechnung bringt er ein Zeugniß bei, daß ſelbſt in Trier damals die gebildeten Claſſen lateiniſch, die Maſſe des Volkes aber gallifch geſprochen habe. In der Tpat, das Zeugniß it ſcharfſinnig gewählt, gerade aus den letzten Jahren vor ber großen Wölferwanberung, welche die Alamannen nad dem Elſaß geführt hat. Daß dieſe, einmal hier eingedrungen, in den Wirren bundertjähriger Kämpfe die alte Bevölkerung ver: nichtet und das Land vollftändig germanifirt haben, daran bat bis auf Herm Miciels die hiſtoriſche Wiſſenſchaft niemals ges zweifelt. Der größte Gelehrte, ven Elſaß im 15. Jahrhundert hervorgebracht hat, Wimpfeling, weiſt mit patriotifher Ent rüftung jeden franzoſiſchen Anfprucd auf den Elſaß zurid; er fragt, ganz richtig ben entſcheidenden Punkt betonend, wie viele Ortsnamen romaniſcher oder galifcher Ableitung im Elſaß zu finden jeien, und aud heute dürfen wir vor jeder ſonſtigen Discuffion erft abwarten, welche Antwort Herr Michiels auf

dieſe Frage zu geben weiß. Jedenfalls ift jo viel daß dS vdel. n dierſa · Sähriften, I,

Im

Deutfhlands Rechte auf Elſaß und Lothringen 533

mern 8 dort eine Majoriät und Minorität gäbe, von dem Villen einiger taufend, vielleicht eines einzigen Menſchen. Für die Entſcheidung diefer Fragen gibt e8 nur ein berufenes Tris bunal, die gefeplihe Vertretung der nationalen Geſammtheit, alfo auf deutſcher Seite Kaifer und Reichstag, auf franzöſiſcher die Nationalverfammlung. Hier redet die Stimme des ganzen Volles, und wo dieſe geſprochen, müffen die Wünfche der Eine zelnen ſchweigen.

Wir haben gejehen, daß Frankreich im Elſaß und Lothe ringen entweber nach diefem Grundſatze verfahren, ober einfach nad dem Rechte des Stärferen zugegriffen hat. Die Meper im Jahre 1552, die zehn Stäbte 1676, bie-reunirten Stände 1680, die Straßburger 1681, die Lothringer bis 1737, die im Eljaß begüterten Fürften 1790, fie alle haben geklagt, pro: teftirt, langen Widerſtand geleiftet. Frankreich hat feine Nüd- fiht darauf genommen. Der Pater Bougeant und bie Natio⸗ nalverfammlung von 1789 haben um die Wette die Elſaſſer | belehrt, daß fie ihre Wunſche dem Wohle Gefammtdeutichlands zum Opfer bringen müßten. Fallait-il, fragt der Pater, pour conserver aux villes et aux seigneurs de l’Alsace leur su- jetion sous l’Empire, exposer Empire meme à perir, et continuer A verser des fleuves de sang dans toutes les provinces de l’Allemagne? N’tait-ce pas une de ces eirconstances fächeuses ot la raison et l’&quit& veulent... qu'on abandonne une partie pour sauver le tout? Es ift genau biejelde Frage, welche 1871 der Verfammlung zu Bors deaug vorgelegt wurde, Wer fie verneinte, würbe die franjö- file Ermerbung des Elfaffes ihres einzigen Nedstitels bes rauben; wer fie bejaht, Tann die beutiche Rückerwerbung nicht

Aapoleon IIL

Napoleon IM. 641

engliſcher und amerilaniſcher Umgebung heranwuchs; daß er mithin bie ganze Summe feines geiftigen Wiſſens und Khnnens fünf andern Eulturvdllern, nur nicht dem franzöſiſchen, vers dankte. Noch im Jahre 1855 ſchrieb Königin Victoria nad) ihrem Beſuche in Paris über ihn: „er liebt Deutſchland und feine alten Erinnerungen an daſſelbe ſehr, und es iſt viel Deutfhes und fehr wenig in der That nichts Franzd- füches in feinem Charakter.“ Gewiß hing er jeit dem erften Tage jeines Bewußtfeins mit allen Fajern der Seele an Franl⸗ rei, nur nicht nad) dem naturwüchſigen Zuge des Heimath- finnes und ber Baterlandsliebe, jonderr weil der Thron bes Oheims, dem er mit fataliftifcher Selbſtgewißheit nachſtrebte, eben auf franzöfiihem Boden geftanden hatte und nur dort und auf feinem andern wieder aufgeridhtet werben konnte. Wie den Dpeim war aud ihm Frantreich nicht Zweck, fondern Mittel; wie bei dem Oheim gingen auch bei ihm von Anfang an bie politifchen Entwürfe weit über Frankreichs Grenzen und Frankreichs Zutereffen hinaus, was denn allerbings eine eit lang der frangöficen Ruhmesliebe ſchmeichelte, bald gemug aber ihn auf den Weg der vernichtenben Kataftrophen führte.

Die Erbſchaft des Obeims war fein Verhängniß. Seine Mutter Hortenfe, eine lebhafte, begabte und ehrgeijige Frau, die mit glühender Begeifterung das Andenken des großen Kais ſers pflegte, entzündete bei dem Sohne ſchon im erſten Knaben⸗ alter diejelbe Verehrung und erfüllte feine junge Seele mit dem Einen Gedanken, dab er umd fein Bruder vor allen an: dern Menfchen berufen feien, die angeftanmte Glorie des Haufes Bonaparte wieder berzuftellen. Karl Ludwig, wie damals biefer jüngere Sohn genannt wurbe, nahm ſich übrigens gar nicht

Napoleon IN. 548 *

blieb ganz freumdlich, Todte fie unbefangen jhmwagend vom Schloſſe hinweg in den Park, bis er an einer einfamen Stelle, vor jeder Beobachtung ſicher, plöglih auf fie zufprang, mit beiden Händen ihren Arm padte und heifer vor Wuth fie aus ſchrie: „Wiberrufe, was du gejagt haft, wiberrufe, oder ich jerbredhe bir den Arm!“ So ſcharf, ſagte fir, hätte er zuge- griffen, daß fie acht Tage lang den Arm nicht hätte frei bes toegen können.

Wir fehen ſchon bei dem Kinde die völlig tragiſche Com: plication, die fait an Hamlet's Schidjal erinnert. In die Seele des Knaben pflanzt bie angebetete Mutter einen dämo— niſchen Ehrgeiz, der allmählich wachſend fein ganzes Innere ausfüllt und ihm über jeves andere Sittengebot hinweghebt. Sie legt eine Aufgabe auf ihm als ererbtes Recht, als heiligen Beruf, die feine Kräfte überfteigt, ber natürlichen Richtung feines Innern widerfpricht und damit feine fittlihe Natur aus allen Fugen treibt. |

Die Julirevolution von 1830 rief dem jungen Bonaparte zum erften Male in das öffentliche Leben. Hortenſe hatte gleich auf bie erfte Nachricht nach Paris eilen wollen; das wurde durd die raſche Thronbeiteigung Louis Philippe's ver- hindert. Nun aber hatten bie parifer Demokraten Verbindungen. mit den Unzufriedenen aller Länder und gaben für Jtalien, da in Neapel, Toscana, Piemont alles ruhig blieb, der gäh: renden Benölferung des Kirchenſtaates, Modena's und Parma's das Zeichen zur Erhebung. Der Aufftand, auf bie Refte ber Garbonaria und einen Theil der gebildeten Vürgerſchaften be ſchrantt, war getragen durch den grimmigen Zorn gegen bie elende prieſterliche Verwaltung, prodamirte ben Sturz ber

Napoleon I.

ohne die vafhe Entfchlofienheit des Staatsmannes. Er las, grübelte, ſchriftſtellerte, ſpann Entwürfe aus Entwürfen, baute feine Pläne zu wohlgerundeten Spftemen zufanmen, obne jedoch praftiihe Handhaben zu ibrer Verwirklichung zu finden. Auf's neue bemerken wir den tragifchen Widerſpruch zwiſchen feiner Natur und der Lebensaufgabe, bie er in blindem Glauben auf fich genommen. Niemand konnte dem gewaltigen Soldaten: faifer mähnlicer fein, als der talentvolle, aber ganz nad innen gefehrte, in. Meditation verfunkene, ftets im Handeln unfidere Jüngling, Erſt als ver Unterofficer Fialin, der fpätere Graf, Perfiguy ſich ihm anſchloß, ſchritt er nad) deſſen Rathſchlagen 1836 zu den Strafburger Aufſtandsverſuch; er hatte Muth genug, ih mit wenigen Begleitern in bie Kaſernen der königlichen Truppen zu wagen; als er aber den Soldaten gegenüberftand, fehlte ihm die feifche Kraft, die Menfhen mit ich fortzureifien, und das Vefehlswort eines energifhen Ober: sten machte ihn zum Gefangenen. Er wurde dann nah Amerika eriliet, eilte aber bei dem Tode feiner Mutter wieder in die Schweiz und ging bald darauf nad) England hinüber, Hier führte "er eim etwas obſcures Leben, zuweilen in der guten tonboner Geſellſchaft, meift aber im Verkehre mit politiſchen Flüchtlingen und fonftigen Abenteurern, die auf gutes Glüd ſich um den zähen und unerfchütterlihen Prätendenten fammel: ten. Trotz des ftrafburger Mißlingens fuhr er fort an feinen Stern zu glauben; Tag und Naht fan er auf ein neues Unternehmen und veröffentlichte 1839 ald Vorbereitung des: ielben fein politiihes Programm: Les ldées Napol&oniennes. Das Buch ift merlwürdig in mehr als einer Beziehung. Im teientlichen beruht der Inhalt deſſelben auf der EUR

» Sudel, fl hiflorifde Säriften, IN.

Napoleon HI. 553

riftifch find. „In den inneren Verhältniffen,“ erläuterte Per— figny dem 'preußifchen General, „fteht es bei uns völlig anders als in Deutſchlande alle ibealen Begriffe, alles Anfehen von Recht und Gefeg ift bei uns durch eine fünfzigjährige Revolu— tionszeit pulverifirt; es gilt nur die materielle Macht. Machtig aber ift nur, wer organifirt ift; organifirt ift bei uns nur die Armee und das Proletariat. Die Armee haben wir durch den Namen Napoleon, das Proletariat werden wir haben durch reichliche Beihäftigung und Emährung. So kam uns die Herrſchaft nicht fehlen.” Ueber Frankreichs Stellung in Eu— ropa bemerkte er Folgendes: „Wir wilfen, daß Napoleon I. profperirt hat, fo Tange er ſich auf Frankreichs natürlichen Beruf, die Hegemonie über den ftanmverwandten romaniſchen Süden, beſchränkt hat. Er ift zu Grunde gegangen durd das twiberfinnige Streben, Deutſchland im den Bereich feiner Herr haft zu ziehen. Dadurch Hat er jugleih den Brud) mit ige land verewigt, und mun wiffen wir, daß Frankreich in einem Kampfe zugleih gegen England und Deutſchland zivar Siege erringen, aber nicht auf die Dauer triumphiren Tann. Das ift ihm, dem größten Feldherrn aller Zeiten, nicht gelungen, und wir haben keinen foldhen Feldherrn mehr, Wie winiden für eine lange Zufunft zu bauen und toiffen uns zu beſchränken. Unfer Intereffe und unfer Ehrgeiz gebt nach Süden: wir fünnen nicht Tänger dulden, daß Deſterreich über ganz Jtalien gebietet. Euch aber fteht Defterreich in Deutfchland ebenfo im Wege, wie und in Italien: alfo weiten unfere Intereffen uns ſchnurſtrads auf eine Alianz gegen den gemeinfamen Feind.“

Auf die Frage, was dann werden folle, wenn Deſterreich gedemüthigt fei, Tautete die Antwort: „Wir winicen bleibende

4

Napoleon II.

nad allgemeinen boctrinären Borausfegungen als nad genauer Kenntniß der wirklichen Berhältniffe: immerhin iſt es das Suftem, welches Louis Napoleon ein Jahrzehnt mit unabs laſſiger Gonfequenz befolgt hat.

Preußen lehnte die franzöfiche Aufforderung höflich aber tategoriſch ab. In der That, es war ein ftartes Stüd, König Friedrich Wilhelm IV. ſolche Zumuthungen zu fiellen, der binbigfte Beweis filr bie theoretiiche Sicherheit, mit welcher Louis Napoleon an die ummiderftehliche Anziehungstrait des Spftems glaubte. Jeder im wirklichen Sinne des Mortes praftiihe Staatsmann hätte ihm jagen können, dab damals, ein Jahr nad Dlmüg, der König den Gedanken der deutichen Einheit, der Preußen auf revolutionäre Wege gedrängt, ders abjheute, und Defterreih, das ibn freilich mit rauher Hand davon hinweggeriſſen, verehrte. Defterreichiicherfeits hat man 1859 verfichert, Perfignp, von Preuhen zurüchgewieſen, habe jofort bei Herrn von Prokeſch, damals öſterreichiſchem Ge— ſaudten in Berlin, über ein Wien-Pariſer Bündniß auf Preußens Koſten fonbirt, aber gleichen Mikerfolg wie bei König Friedrich Wilhelm erlebt, Unmöglih wäre die Sache nicht; Napoleon I. pflegte es als höchſte Regel der Politik zu bezeichnen, immer zwei Sehnen am Bogen zu haben; eine zuverläffige Auskunft liegt jedoch Bis jegt darüber nicht vor,

Indeffen vollführte am 2. December 1851 der Prinz dem Staatsſtreich. Als am 4. fih bewaffneter Widerftand regte, brach in ihm der Tiger hervor. Die Truppen hatten Drbre, bei der Leifeften Negung mit vernichtender Energie vorzugehen; binnen wenigen Stunden twurben viele Tauſend Menden, Kämpfer und Zuſchauer, Männer und Weiber, Greife und

Napoleon II.

Napoleon ftetd twieber zu ber Wahrnehmung, dab das fran- zſiſche Volk Teiver immer noch nicht reif zur Freiheit ſei. Veſſere Ergebniffe hatte er bei dem zweiten Theile feines Pro: gramms, der bemofratifchen Verwaltung zum Velten ber großen Maſſe. Was ter Louis Ppilippe lets an den in ben Kanımern hadernden Local: und Vorſeneinflüſſen geiceitert war, führte der faiferlihe Abfolutismus mit glänzenden. Er- folge durdhz die Eröffnung des Freihandels, den Ausbau des Eiſenbahnſyſtems, die Herftellung der Vicinalftrapen in ganz Franfreih. Diefe drei Errungenſchaften allein würden bin- reichen, einer jeden Regierung ein großes geſchichtliches An: denen zu erihaffen; dazu kommt eine lange Reihe Heinerer, immer aber höchſt bedeutender und wohlthätiger Schöpfungen, der Umbau fait aller Großftäbte des Landes, die colofjale Ber: mehrung der Sparlaſſen, die Urbarmachung der großen Haiden zwiſchen Ocean und Gironde, die Wiederbewaldung zahlreicher Verghänge der Provence, die erfolgreihe Hebung der ein: heimifchen Pferdezucht u. ſ. w. Auch fönnte man nicht fagen, daß über den materiellen Intereſſen die Pflege der geiſtigen Bildung vernachläſſigt worden wäre. Die großen Publica tionen der parijer Afabemie gingen ihren Gang, bie Negierung veranlafte die Herausgabe der Correfpondenz Napoleon's T., unterftügte eine lange Neibe gelehrter Unterfuchungen und fandte eine ganze Anzahl voiffenfhaftliher Erpeditionen in den Drient, Die Archive wurden gepflegt und im liberaler Weiſe äugänglih gemadt, die Drganifation der trefflichen Ecole des Chartes erweitert, Der alte Ruhm der franzöfiihen Natur wiſſenſchaften foll nach der Meinung deutſcher Fachgenoſſen ftart heruntergegangen fein; auf bem Gebiete der hiſtoriſchen Disc:

Napoleon HI, 578

hatte jedoch Deſterreich bald nachher mit Modena, Toscana, Neapel Specialverträge geſchloſſen, welche ihm bie wichtigſten Befugniſſe in jenen Territorien einräumten, mithin bie Sou⸗ verainetät jener Staaten ftark beihränften und die Suprematie Oefterreih® über die ganze Halbinfel feitftellten. Napoleon, wie ex den Bölfern gegenüber feine Bormadtsgelüfte hinter der Ber freiung Italiens verftedte, nahm jegt für bie diplomatiſche Action dieſe Specialverträge zum Vorwand der Befreiung Italiens, Ohne ver Lombardei in irgend einer Weiſe zu erwähnen, bes gehrte er gerade im Namen des alten Vollerrechts die Auf— hebung jener Berträge, Die rechtliche Erörterung war ſehr wohl zu wiverlegen; gerade wenn bie italienischen Staaten uns abhängig waren, durften fie mit Defterreich beliebige Bundes: verträge ſchliehen; immer aber befundete Napoleon bier lediglich eine andere Nuffaffung des beſtehenden Völferrechts, Feineswegs aber die Abſicht, dafelbe durch eine Friegerifhe Revolution zu ftürgen. Immer Fonnte er hoffen, damit bem Gegner die fors inelle Verantwortung des Bruches zuzuſchieben.

Er dachte deshalb nicht glei Ioszufhlagen. Im Gegen: theil, die frangöfiichen Nüftungen waren nod nicht weit ge: diehen, während Defterreih in unrubiger Haft eine Divifion nad ber andern über bie Alpen an die farbinifche Grenze ſandte, feine ſchmalen Geldmittel erihöpfte, vielleicht bei der Fort führung des biplomatiihen Schachipiels ih immer mehr in's Unrecht brachte und damit dem Gegner bie Ausficht auf neue Altanzen eröffnete, Zwar hatten die erften derartigen Verſuche Napoleon's geringen Erfolg. Freundliche Andeutungen, welche er damals nad Berlin gelangen ließ, auf norddeutſche Enverbungen vermittelft einer franzöfiichen Allianz, fanden dort taube Obren,

Rapoleon II, 579

leicht —— Allein neue Wendungen ſtanden bevor.

Dan kann ſehr klug, ſehr liftig fein, und dennoch oder eben deshalb Wahrheiten überjehen, welde für weniger ſchlaue Menſchen handgreiflih find. Napoleon hatte feine Zivede nach verſchiedenartigen Motiven gewählt und mit verſchiedenartigen Mitteln verfolgt, und dabei nicht wahrgenommen, in welchen Grade Eines das Andere ausfhloß. Er trug eine Neugeital- tung Europa’s im Einne, der reinen Vernunft und Humanitat entſprechend, durch Befreiung der unterbrüdten Nationalitäten auf gefunde Feſtigkeit der Zukunſt beredinet: zugleich aber follte das Syſtem in einer Mahterhöhung Frankreichs und der Napo- leoniven gipfeln, welche mit den neuen Grundfägen überall nichts zu ſchaffen Hatte, ja nach ihnen fojlecpterdings Imerreid- bar war. In dem einen Sinne hatte er fein Bedenken ge: tragen, in ganz $talien die Nevolution zu entfefleln und fie durch feinen Vetter weithin im Driente vorbereiten zu laffen: in dem andern war er bemüht, das Wohlwollen der Grohe mächte zu bewahren oder zu gewinnen, bie bei aller augen: blicklichen Interefjenpolitit doch im innerſten Herzen conferbativ waren oder wenigftens bei jedem Dritten confervative Gefinnung forderten, So hatten feine Siege in kurzer Friſt ihm Wider: ſpruch und Miftrauen auf allen Seiten erwedt. Die franz: zoͤſiſchen Staatsmänner jever Farbe erflärten feine Politik für mißlich oder verderblich. Walewsti hatte dringend aber ver— geblich gebeten, in der legten Thronrede bie Achtung vor ven beftehenden Verträgen anszufprechen *), in dem darauf folgenden

*) Being Reut 9. Webruar.

Napoleon IH. 533

Fürften verjage, in Europa das Unterfte zu oberft lehre. Durch fein etwas ängftlihes Minifterium zurüdgehalten, ſchritt er langſam in feinen Maßregeln vorwärts, lief; aber doch bereits Ende Mai eine erfte Anfrage noch London hinübergehen, ob man nicht verbunden gegen bie Fortſetzung des Kampfes eins | ſchreiten wolle, England fand, daß der Berfuch verfrüht fein | toürde, Der Prinz:Negent wartete mehrere Wochen, mobiltfirte zuerſt drei Armeecorps, dann fein ganzes Heer und richtete am 24. Juni, dem Tage der Schlaht von Solferino, eine bes ftimmte Aufforderung an Rußland und England zu einer ges meinjfamen Vermittlung. Specielle Vorſchlage über den Inhalt des ben Parteien aufzuerlegenben Friedens waren hier nicht | gemacht, fondern nur im allgemeinen ber Wunſch angeveutet, I den Zerritorialbeftand nadh”den Verträgen von 1815 aufrecht | zu erhalten, zugleid aber aud) die Bereitwilligleit ausgeſprochen, die Bevölkerung Italiens durch Liberale Reformen damit aus— zuföhnen. Wenige Tage fpäter ftellte Preußen den Antrag am Bunde, das Bundesheer mobil zu machen, und unter preußiſche Führung zu ftellen. Napoleon erhielt aus London und Peters: burg ſogleich Kenntniß von dem Berliner Bermittlungsantrag *), und fomit von Preußens Anfiht, dab eine Aenderung des territorialen Beſihſtandes in Stalien nicht wünſchenswerth fei. Fir ihn war dies nach feinem Manifeit und feinen Siegen ſchlechthin unannehmbar. Kam es dann aber zum Sriege mit | Preußen und Deutihlanb, jo war Frankreich am Nheine dem Angriffe von 400,000 Mann ausgejept, dern es für den Yugens blid am Oberrhein nicht die Hälfte entgegenftellen Eonnte. Zum

*) Pourtales, 50. Juli, Mittheilung von Walewan.

ſchaft im Savoven nicht rühren folltet). Er deutete in Paris“ dem“ Birften Metternich an, nach feiner Meinung würde Neapel

ein Fühler, der) napoleonifchen"Abenteuerpatitif; Preußen gab‘ eine ausweichende Antwort; Deiterteich hatte an ven bisherigen Proben napoleoniſcher Tpätigkeit in Italien genug und ſchickte eine trockene Ablehnung des Congreſſes nach Paris. Um fo weniger zÖgerte‘ Cavour, ſtets durch England ermuthigt, Feine Organiſationen der Vollendung entgegengufuhren, und endlich

auch die. offerte Exhebung gegen Rapoleon's lehtes officielles

Programm nicht zu ſcheuen, indem das italieniſche Parlament durch die berühmte Tagesordnung: vom 27. Mai 1861: Rom jelbſt als bie Fünftige Hauptftabt des Königreichs: Italien bes zeichnete, Damit war der‘ innere Widerſpruch, welcher das taiſerliche Syftem zur Unfruchtbarkeit verurtbeilte, vor 'aller Welt: Augen blofgelegt. Den weltbeherrſchenden Pius. und die .emporfizebende Nation’ Htaliens am einen und denſelben Wagen napoleoniicer Cäfarenherrlihleit zw fpannen, das ging numseinmal nicht an; ſo jchwantte die katſerliche Staatskunft unaufhorlich von einer Seite) zur andern, und in jährlich wach⸗ jendem Maße wurde die Unentſchloſſenheit ihr charalteriſtiſcher Zug. Bald drängten Thouvenel —— a

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Rapoleon III. 595

(dem Angriffe auf Rom und Benedig) kommen zu fehen, und ſuche alfo zu mäßigen und inne zu halten.” *)

Es war nicht möglich, die felbft geſchaffene Lage genauer zu bezeichnen. Aber ein Kar denkender Staatsmann mit feft erfannten Bielen war e8 wahrlich nicht, der dieſe Worte ſprach.

*) Pourtales, 10, December 1860.

Napoleon IE. ‚599

ſtrationen entſchieden ablehnend. Bald aber kam Mehreres zur jammern, ihn vorwärts zu treiben. In England twetteiferten Minifter, Lords und Commoners in der Bffentlihen Verur- theilung der ruſſiſchen Willkürherrſchaft, und nicht unwahrſchein- lich iſt die Vermuthung, es habe dabei der, Wunſch mitgewirkt, Napoleon auf biejelbe Bahn nachzuloden, und damit ein im London gefürctetes Bündniß zwiſchen Rußland und Frankreich zu hindern, Am 8. Februar ſchloß Preußen einen Vertrag mit Rufland über ftrengere gemeinfame Handhabung der Grenz⸗ polizei, um eine Ausdehnung des Aufftandes in preußiſch Polen zu verpüten: In der Meinung, diefem Gegner bequemer beis tommen zu. lonnen, dachte Napoleon feinen polniichen Gefühlen gegen Preußen Freien Lauf zu laſſen, und beantragte bei ber engliihen Regierung eine gemeinfame Vorftellung in Berlin Aber) die jegt vdlkerrechllich gewordene Frage. Davon aber wollte England nichts willen, hielt an der antiruffiihen Rich⸗ tung feſt, und fandte eine Fräftige Anklagedepeſche nach Peters: burg. Hierauf erflärte fih Napoleon zu gemeinfamer und mög: Lichft energiſcher Thätigfeit bereit, und fand. dabei zu geoher Ueberraſchung Europas auch den Beifall Oeſterreichs, ber dritten der polniſchen Theilungsmächte ſelbſt. Nicht als ob die Wiener ‚Hofburg den demofratifchen Kaiſer damals mehr geliebt hätte, als im Veginn des italieniſchen Kriegs; im Gegeutheil, auf dem Grunde bes Herzens lag unverändert der alte Haß, und als das letzte Ziel aller. Politit erſchien in Defterreih die Wiedereroberung der Lombardei, Einftweilen aber war man weit von dem thätigen Beginn eines ſolchen Unternehmens entfernt, und hatte für den Augenblid mehr als einen Grund, ſich Na: poleon gefällig zu (zeigen. Zunachſt fand Graf Nehberg, in

Kapafeon UM. ‚601

jeder Ausficht auf Erfolg beraubt, und die diplomatiſche Nieder lage der drei. Mächte fo eclatant wie möglich.‘ In London, wo man Tängft gewohnt war, für Polen immer fhöne Worte und niemals wirlſames Handeln zu Haben, zweite man im Be wußtſein der eignen foliden Stärke zu dieſem Mißgeſchick die Achſeln. "Anders aber im Paris: Napoleon befand ich nicht in einer Stellung, um irgend ein Fehlſchlagen für ungefährlich, halten zi- konnen Dabei hatte er, wie wir miffen, in der That ein’ ernftes Mitgefühl für Polen und ſah ſich durch das

nach dent

Frantreich —— ſich jeht in aller Grazie anſchickte, auf deutſchem Boden Preußen zu unterwerfen nd das fir Frankreich ab ſolut unziläffige Siebenzig:Dilfionen Reich zu grün- den, Eine plotzliche und vollftändige Umtehrung aller politiſchen Beziehungen ergab ſich aus dieſen Verhaltniſſen. Napoleont beichloß mit einer neuen überrafchenden Action’ die erlittene polniſche Schlappe yuzupeden, das eben ſcharf bedrohte Preußen zu ftüßen, das eben erft werbümdete Deſterreich zu zügeln und zu ftrafen, dies Alles Hoffentlich unter dem Beifalle wenn nicht dem Beiſtande Englands und vielleicht ſogar des eben jegt fo ſchwer beleivigten Rußland. Jedem andern Staatsmanne wäre eine ſolche Aufgabe als die Quadratur des Zirlels erſchienen: "der Raifer-aber, fagte einmal Drouin de Lhuys zu dem preußiſchen Ge⸗ jandten, ift’erftaunlich fruchtbat an umfahjenden Gombinationen.

Niemanden kam diefer Wechſel der napoleoniſchen Tendenzen in höherem Maße zu Gute als dem kurz zuvor mit drückender Ungnade behandelten gtalien. Mit dem wieder erttflanmten

Napoleon El. 609

werden*). Anbrerfeits hatte der Kaiſer ein langes und leiden ü ſchaftliches Geſpräch mit dem xuffiihen Botſchafter, Baron Budberg, und erjchredte ihm durch bie bevenkliche Richtung und die ausfhweifende Kühnheit feiner Ergiehungen. Rußland und Defterreich fein gleich ſehr über ihr wahres Intereſſe verblen- det; jenes, daß es Polen, dieſes, daß es Venetien nicht freis gebe Dabei ſei Galizien bereits völlig unterwühlt, feinem Aufftande werde Ungams Erhebung, diefem die Nevolution in Venetien und die Einmiſchung Italiens nachfolgen. Budberg hatte den Einbrud, als werde Napoleon in kurzem den Krieg gegen Defterreich erllären). Aehnlich faßte Golg bie herr- ſchende Stimmung auf, allerdings unter Vorbehalt täglich möge licher Aenderungen bei dem wechſelnden Einfluß der Parteien, von denen die eine, Fould und Rouher, Nefignation und Frieden predige, die andere, Fleury und Morny, das Scheitern des Con- | greſſes nad) dem Miflingen der polniihen Campagne als eine große Gefahr für Napoleons innere Stellung anfepe. Napoleon, | fagte Golg, 1859 von Preußen ud Deutfehland bedroht, durch die polnifhe Frage den Ruſſen entfremdet, bei diefer von Eng: land und Defterreih im Stiche gelafjen, jeßt durch dieſelben Mächte in feinem Eongrehplan gefreugt, erblide überall die Keime einer herandropenden Coalition und trachte deshalb eifrig nad einem neuen Allianzſyſtem. Miflinge auch dieſes, jo fei ein extremer Entihluß, der Ausbruch eines revolutionären Kriegs sunächft gegen Deſterreich zu befahren. Fortdauernd zeige ſich der heftigſte Haß gegen Deſterreich, ein beflifjenes Entgegen:

*) Boly 29. November. **) Goly 4. December. v. Sybet, M. bifterifhe Saufien TIL. 39

Rapolcon III. 611

Sitzungen übrigens, wenn bie Beſchlüſſe Dauer haben follten, aud England nicht ausgeigloffen werben dürfte. In Paris fand man, daß biefe Faſſung des Vorſchlags demfelben aller- dings den Neiz der Neuheit und des Außerorbentlichen nehme, erfannte aber dankbar an, daß Preußen nit wie mande Andere bei jedem franzbſiſchen Antrag Schwierigteiten made, fondern biefelben aus dem Wege zu räumen fude. Beftimmter und raſcher nahm Bismard zu Defterreich feine Stellung. Nach feiner Huffaffung kam für einen gläidlichen Ausgang des dani- ſchen Handels viel mehr auf ein günftiges Verhalten der Groß- mächte ald auf den Lärmen der beutjchen Heitungsjchreiber, Kammerrebner und Volksverfammlungen ar. Die Großmädte aber hatten ſich 1852 für das Londoner Protofoll verpflichtet, und eine birecte Verlepung deſſelben konnte alfo den Wider: ftand ihrer Aller hervorrufen. Ex beftimmte demnach ben König, troß alles Zornes der deutſchen Patrioten, bie in Lonr don feftgefegte Thronfolge und ſomit bie Regierung Epriftian IX. anzuerfennen. Defterreich, welches einft gegen Preufien zu der Entftehung des Londoner Protofolls eifrig mitgewirkt hatte, athmete auf, als es dieſe Erklärung vernahm, und daß fie im Widerſpruch gegen die populäre Strömung erfolgte, war bei Kaifer Franz Jofeph, der damals mit feinem Reichsrath jehr unzufrieden und ſtets wegen demotratiſcher Bewegungen fehr bejorgt war, nur ein Grund mehr, den preußiſchen Stanbpunkt fih anzueignen. Um fo bereittoilliger war er dann mit Bißr marels zweiten Cage einverftanden. Danemart ——

Napoleon I, 613

grenze ftrebe; für England ergäbe ein Streit mit Deutichland eine ziemlich harmloſe Zerftreuung zur See, für Frankreich aber den unglüdliciten und gewagteſten aller Kriege, Einen Augenblid ſchien eine gewiſſe Gereiztbeit gegen Deutſchland in Paris Hervorzutreten, als die deutſchen Truppen die jütiihe Grenze überſchritten; bald aber ftellte fih die Stimmung wieder ber, und als man deutſcher Seits bereitwillig auf die Bes rathung ber Streitfahe durch eine Gonfereng der Mächte in London einging, war es wieber Napoleon, welcher Preußen dur eine inhaltſchwere und höchſt vertrauliche Mittheilung überrafchte. Drouin de Lhuhs gab am 4, April dem Grafen Goltz folgende Erflärung. In England denke man auf der Eonferenz die Jntegeität der däniſchen Monarchie aufs Neue feftzuitellen, und dann den ftreitenden Mächten zu überlaſſen, fih auf diefer unantaftbaren Grundlage fiber die künftige Stellung der Herzogs thümer zu verfländigen. Ihm aber erfheine bies feit den lehten Ereigniffen unannehmbar für Deutfhland, und Frankreich ſei bereit, fich biefem Programm, einer wahren Verhöhnung der Thatfachen, zu widerfeen. Der durch den Londoner Tractat geihaffene Zuſtand ſei zweifellos unhaltbar; aud der von ben deutſchen Großmächten angeregte Gebante einer Perſonalunion Dänemarks umd ber Herzogthümer werde auf keiner Seite dauernd befriedigen. Beſſer für alle Theile jei die vollftändige Abtrennung Holfteins und Südſchleswigs; jedoch müſſe dann Frankreich, den Grundſatzen ſeines eignen Staatsrechtes getreu, daS Begehren ftellen, daß bie Bevölterung barüber geörk werde. Man verlange nicht gerade ein Plebiscit, zufrieden mit bem Votum irgenb einer es bei Griechenland, Rumänien, den joniſchen

Napoleon Ul. 615

So trug Napoleon aufs Neue der preußiſchen Negierung Anneriond und Vergrößerungsgebanten entgegen, um, wie er es ausgebrüdt hatte, große Dinge gemeinfam mit ihr in Europa durchgufegen, ober, tie wir e8 beftimmter bezeichnen Können, um Preußens Waffen gegen Defterreich zur Vefrelung Venetiens zu verwenden. Er ftand mit biefen Gedanken in Paris felbft wieder völlig einfam: die Üffentliche Meinung begehrte dort lebhaft die Unterftügung Dänemarks gegen die deutſche Naub: fuchtz die Mehrzahl der dortigen Staatsmänner verabſcheute eine Vergrößerung Preußens ohne entfprehenden Landgewinn Frankreichs; die hohe Finanz in ihrer Friedensliebe war aufer ſich, daß Frankreich die engliſche Aufforderung, den Deutſchen jede kriegeriſche Bewegung lategoriſch zu verbieten, ſo troden abgelehnt habe; ja der Faiferlihe Minifter Drouin de Lhuys felbft teilte im Grunde des Herzens diefe Stimmungen, und zeigte fi bei den weiteren Beſprechungen jo wiverhaarig und deutſchfeindlich, daß über feinen Kopf hinüber Graf Gol die Unterhandlung direct mit dem Kaiſer weiterfüßrte. Zu einem beftimmten Abſchluß über die ſchleswig ſche Sade lam man jedoch nicht, da Preußen zwar feine hohe Zufriedenheit über Napoleon's Tendenzen im Allgemeinen ausſprach, aber ganz entſchieden die Tpeilungslinie heiter nad) Norden verlegen wollte, was dem Kaifer bei der Geſinnung der Franzoſen zu bedenllich erſchien. „Das Weſentliche,“ ſagte er endlich, „ift die Anerkennung des Nationalitätsprineips und die Befragung ber Bevölferung; über die Feſiſtellung der Grenze im Einzelnen

Napoleon II. 617

welches, von einem endgültigen Abſchluß weit entfernt, im Gegentheil die Keime zu immer größeren Verwiclungen enthielt.

Denn daß der öfterreihiichepreußiihe Gemeinbefig ver Herzogthumer auf die Dauer nicht durchführbar, daß er nichts als ein Furzbemeffenes Proviforium ſei, Tag für. alle Welt ebenfo deutlich auf der Hand, wie die geographiſche Thatſache, daß Schleswig-Holftein innerhalb der preußiſchen und’ außer: halb der öfterreihiigen Mahtiphäre lag. Eben um ben Con— fequenzen dieſes Verhältniſſes vorzubeugen, hatte Deſterreich urſprunglich nicht über die Rerfonalunion hinausgehen, bie Herzogthümer alfo unter der Herrſchaft des Dänenkönigs bes faffen wollen, und in diefem Zufammenhange auch dem Prinzen von Auguftenburg jede Berechtigung energiſch abgeſprochen. Jetzt aber fing man in Wien an, um das Einniften der preußie fen Macht in den Herzogthümern zu hindern, den Prinzen mit günſtigeren Augen zu betrachten, und je deutlicher Preußen feine Annerionsbegehren herbortreten ließ, deſto ſchärfern Widers ſpruch gegen jeden Gedanlen dieſer Art einzulegen. Dazu lam die fortdauernde Gährung im deutſchen Volke: die Erhaltung der biöherigen Bunbesverfaffung wurde immer unmwahrfchein- licher, während die Anfichten über die künftige Geftalt des Vaterlandes in buntem Wirrjal durcheinander wirbelten. Ganz von ſelbſt ſchienen die deutſchen Dinge dem Beobachter in den Zuilerien feinem alten Spfteme entgegen zu reifen; ſchon im April 1864 hatte Goly einmal bemerlt, Napoleon ziehe bie Annerion der Öerzogthäimer durch Preußen jeder andern Löfung deshalb vor, weil er durch biejelbe Preußen unwiderruflich von Defterreih und den Mittelſtaaten zu trennen und damit

Napoleon Ul. 619

öffentligen Meinung feines ganzen Volles getrogt; er durfte es nicht wagen, nach fo kurzer Frift ein jo bedenlliches Erperi- ment zum dritten Mal zu wiederholen. Dazu kam aber noch eine große militärische Verlegenheit durch den ſchlinmen Vers lauf des mericanifhen Unternehmens, Wohl Hatte man dort die einheimifhen Gegner in zahlreichen Treffen geſchlagen, weite Provinzen befegt, ben Erzherzog Mar von Deſterreich als Kaifer ausgerufen. Aber die Republifaner waren nicht unterworfen und hielten ben Kampf in allen Grenzſtrichen aufrecht. Und was die Hauptfade war, England weigerte hartnädig jede thätige Intervention im dem amerilaniſchen Bürgerkrieg. File ſich allein aber wagte Napoleon bier nicht vorzugehen, begnügte fi, ſchweren Herzens auf das Glüd der Sübftaaten zu hoffen, warf Truppen auf Truppen, Millionen auf Milionen nad Merico, ſchwächte die frangöfiichen Gabres, leerte die franzoſiſchen Arfenale und ſah dennod Ende 1864 den herandropenden Sieg der Union, und in deſſen Folge die Vertreibung der franzöfifchen Armee aus Merico in naher Zur kunft vor Augen. Er mußte dringend wünſchen, ven Eindruck einer ſolchen Nieberlage durch einen großen Erfolg in Europa twieder auszuldſchen, war aber dur jene Lähmung feiner Heeresmacht zu deffen Erreichung ausſchließlich auf diplomatiſche Sombinationen angewiefen. Eben für diefes Spiel dünkte ihm Freundſchaft mit dem emporftrebenden Preußen Die wichtigſte und befte Karte zu fein. Wenn es ihm gelang, fie für fich zu gewinnen, wenn fih Preußen zum Bündniſſe mit Italien ber ftimmen ließ, fo fonnte die Befreiung Venetiens im glücklichen Falle ohne jede, im ſchlimmern mit einer geringen franzoſiſchen Nachhulfe erfolgen. Der preußiich:öfterreihiihe Ztwiit über bie

Napoleon DI. 621

täufchung nicht zu unterbrüden und lieh am 29. Auguft durch ein Gircular feines Minifters eine herbe Kritil des Vertrages veröffentlichen. Indeſſen zeigte fih bald genug, daß au) das Gafteiner Werl von einer definitiven Loſung weit entfernt war; im Dctober ſprach Graf Bismard den Kaifer jelbft in Biarrig und fand deſſen Stimmung wieder Preußen völlig zus gewandt. Napoleon drüdte mehrmals jein Bedauern über das Circular von 29. Auguft aus, verfiherte Preußen feiner un— veränderten Fteundſchaft, erhob keinerlei Zumuthung für die Zukunft, welde den preußiſchen Staatsmann in Verlegenheit hätte ſetzen konnen, erflärte fih vielmehr bereit, aus Ereigs niſſen, die fid) ungefucht darböten, gemeinigaftlig mit Preußen Vortheil zu ziehen. Da nun Oeſterreich fortfuhr, in Holftein die Gegner Preußens auf alle Weiſe zu fördern, jo erneuerte Bismard feit Januar 1866 feine Beſchwerden in Wien mit immer wachſender Energie, und jeht trat auch Napoleon der praktiſchen Ausgeſtaltung feiner Mläne näher. Er bezeichnete dem Grafen Golf die Befreiung Venetien als ein weſentliches HZiel der franzöfiichen Politil; es wurde bem Grafen bald ge: mug deutlich, daß hier das Hauptmotiv für Frankreichs Sins wendung zu Preußen liege. Er ſelbſt, bemerkte Napoleon, würde heute wie früher der preußiſchen Negierung Schleswig- ‚Holftein ohne jede Compenfation für Frankreich gönnen, unter der einzigen Bebingung, dab nad einem Votum ber Bevolle- rung die nörblicen, daniſch bevölferten Bezirke an Dänemark zurüdgegeben twirben. ber die öffentlihe Meinung Frant- reichs nöthige ihm, bei einer Vergröherung Preußens auf ein Aequivalent irgend welder Art Bedacht zu nehmen. In vers ſchiedenen Geſprächen mit dem Botſchafter erörterte er bie hie

Nepoleon UL

dingungen mit Gramont ab, und ftellte am 11. in Frankfurt beim Bunbestage die Anträge, welche die Lunte in das Pulverfaß warfen. Der Krieg war erklärt.

Napoleon jah ih am Ziele feiner Wünfche: die Befreiung Venetiens war geſichert für alle Fälle. Sein weentliches Ju tereffe an dem großen Trauerjpiele war befriebigt: num mochten: die deutſchen Nachbarn ih in einem Feldzuge nach dem andern ihr beſtes Blut abzapfen, bis es ihm gefallen würde, als herr- ſchender Negulator zwijchen die Zanlenden zu treten und die Zukunft Deutihlands nad) franzoͤſiſchem Sinne zu ordnen. Er fühlte ſich feiner Sache fo fiher, dak er nad) einigen vorberei- tenden Artikeln jeiner officiöfen Preſſe am 11. Juni duch einen offenen Vrief an feinen Minifter bereits fein Programm der Belt vertündigte. Es Tautete: Ueberlaſſung Venetiens an Jta— lien, Erhaltung Defterreihs in feiner großen deutſchen Poſition amit die Eiferfucht der beiden rivalifirenden Mächte forttvirke), befiere Abrundung bes preußiſchen Gebietes im Often (Preußen folte außer Schlefien die Nheinprovinz verlieren, und dafür die Herzogtbümer und vielleicht Hannover oder Kurheſſen er- halten), feftere Organifation der Übrigen deutſchen Staaten (nad) der Entfernung Preußens vom Rheine ein neuer gegen Frank reich wehrlojer Nheinbund). Gelangte Frankreich zu dieſen Sielen, jo war die Einverleibung bes linken Rheinufers und Belgiens nur noch eine Frage ber eigenen Convenienz. Deutſch⸗ land wäre dann tiefer ald jemals zerriffen und zerfpalten, Ita—⸗ lien durch eine neue Wohlthat in unerträglich driüdender Weile dem frangöffchen Herriher verpflichtet und zugleich durch Nom in feiner Einheit fortdauernd bedroht geivefen. Napoleon hätte eine Stellung gewoniten, jener bes etſten Conſuls von 1803

Napoleon IL. 038°

fähr das gerade Gegentheil des herrlichen Programms vom 11. Juni feftftellte, Und damit die Ironie des Geſchides wolle ftändig würde, Tagen dem Prager Frieden genau die Principien zu Grunde, die er einft, um Preußen ſicher in den Krieg für Venetien zu Toden, am 8. Mai dem Grafen Goltz ald Frank: _ reichs Wüůnſche vorgefpiegelt hatte. Der Sihlag war gerſchmet ternd, und wenn jemals eine Kataſtrophe, war dieſe gerecht und wohlverdient. Denn mas Preußen jetzt gethan, wer hatte eifriger als Napoleon, nicht erſt damals, ſondern 1851, 1859, 1864, dazu gerathen unb amgettieben? Wie nad dem italies niſchen Kriege, Hatte er nur geerntet, was er felbft gefäct Hatte, Nach Kräften hatte er hier wie dort die nationalen Strömungen entjeffeln helfen, er am wenigſten konnte ſich wundern, daß fie alle Dämme durchbrachen. Aber auch beſchweren konnte er ſich nicht, wenn bie Fluth jegt die Gegenftände feiner eigenen Wünfche hinmwegfpülte. Wenn das triumppirende Preußen jede Lands abtretung an Frankreich ablehnte, hatte der Erfinder der Wiener Abreden vom 9. Juni einen Titel, tiber Undankbarteit zu Hagen? In feinem dynaſtiſchen Fanatismus hatte er alle Künſte der Lift und des Betruges für erlaubt gehalten: jegt war er verftrict in den eignen Schlingen; von wem durfte er dienſt⸗ willige Zugeftändnifie verlangen?

Et war feitdem ein gebrodener Mante, durch Krankheit vor der Heit gealtert, unfi her in ſich ſelbſt; Niemand weiß es, wie viel von den Handlungen feiner Tehten Jahre feinem eigenen Willen, wie viel ben Drängen feiner wechſelnden Natbgeber zuzuſchreiben ift. ebenfalls je ftärker die Erſchütterung, deſto krampfhafter Hammerte er ſich an die lange gehegten Wünfde am. Nachdem es micht gelungen war, als gebietender Schiede—

Napoleon Ul.

mit Holland, erlebte aber, ſobald dieſes belannt wurde, die lebhafte Oppofition des Norddeutſchen Reichstags und den Eins ſpruch der preußiſchen Regierung. Wieder war man nicht in | der Lage, einen Krieg führen zu können, da die franzöſiſchen

Soldaten noch feine Hinterlaber hatten und von ber furdte

baren Ueberlegenheit der Zündnadel gründlich überzeugt waren;

mit nirfhendem Zorne begnügte man jih, mad) ebereinkunt

der fünf Großmächte, mit dem Abzug der preußiſchen Garnifon

aus Luremburg und ber Neutralifation des Heinen Landes. | Aber ein concentrieter Haß blieb in dem Herzen bes Kaiſers | zurüd. „Herr von Vismard bat mich dupirt!“ rief er mit bligenden Augen; „ein Kaiſer der Franzoſen darf ſich nicht dupiren laſſen.“ Trotzdem aber möchte ich nicht behaupten, daß er den Meberzeugungen feiner früheren Jahre völlig untreu geworden, daß er den Krieg mit Preußen jemals gewünſcht, jemals mit einem anberen Gefühle als dem einer gewiſſen Bes Elemmung an denfelben gedacht hätte. Gleich nach der ſchließ— lien Vereinbarung über Luremburg hörte ich ihn äußern: „Es ift ein Glück, dab man ein ehrenhaftes Abkommen gefunden: bat; Hätten wir brechen müfjen, ver Krieg wäre furchtbar ges | worden.“ Aber allerbings bie Kraft des Entſchluſſes, einen | ſolchen Krieg zu vermeiden, war durch die neuefte Erbitterung weſentlich verringert. Und num wuchs ihm von allen Seiten her die Wahrnehmung entgegen, daß wegen ber inneren Zus fände Frankreichs der Krieg mit Preußen unvermeidlich ſei. So weit feine Correſpondenz aus diefen legten Jahren befannt geworden, mit Rouher, Mouftier, Drouyn de Lhuys, iſt fie von dem unabjehbaren Eindruck erfüllt, welchen Preußens plößs licher Aufſchwung im Lande gemacht. „Alle Bopofltienäbläfferti

Napoteon El. 637

werfen mußte. Co traf fie denn Schritt auf Schritt ihre einleitenden Maßregeln. Eine neue Heeresorganifation wurde begonnen, mit unendlicher Thätigleit das fehlende Kriegemas terial in Fülle ergänzt, in Kurzer Frift anderthalb Millionen Chaſſepots angefertigt, nur daß nad Niel's Tob fein durch Höfihe Einflüſſe beförderter Nachfolger Leboeuf entſchieden nicht die Fähigkeit befah, Ordnung und Zufammenhang in bie folofe fale Verwaltung des Kriegs: Departements zu bringen, Eben fo ftrebte man auf dem biplomatiichen Felde, feine Vorleh- rungen zu treffen. Fruchtlos blieb ein Verſuch zu einer An— näherung an Rußland; Kaifer Alexander war feft in feiner guten Gefinnung für Preußen, und daß bei feinem Befuche in Paris 1867 ein Pole einen Mordanfall auf ihn machte und die Bevölkerung bie Iebhafteite Theilnahme für den Thäter zur Schau trug, war nicht geeignet, des Kaifer® Zuneigung zu Frankreich zu erhöhen. Ein anderer Alürter, auf welden Napoleon wegen der perfönlicen Gefinnung König Victor Emar nuel's rechnete, war Italien. Freilich warf der Kaiſer im Herbſt 1867 bei einem neuen Freiſcharenzuge Garibaldi’s auf's Neue eine Befapung nad) Nom und rief dadurch in einen großen Theile der Nation und des Minifterinms wieder die flärkite Erbitterung gegen Frankreich hervor, Wie es heißt, hatte man indeſſen bafür ein befonderes Auslunftsmittel in Bereitfhait: die Königin Iſabella, welche mit der Kaiferin Eugenie in glühen- der Verehrung ber Kirche wetteiferte, ſoll einverftanden geweſen fein, die franzöfiihe Schuptruppe in Rom durch eine ſpaniſche abzulöfen, fo daß ohne Gefährdung des Papſies Frantreich von jener dornenvollen Pofition hätte zurüdtreten Lönnen. Wenn N ſich dies in Wahrheit jo verhielt, ſo war einer |

Napoleon UI. 643

er einft ein foldes Verfahren des Oheims als Urſache ber endlichen Niederlage getadelt hatte. Es war, nad feinen eigenen früheren Worten, der Anfang des Endes. Verblendet über die Stärke des Gegners fandte er feine Turcos an ben Rhein: Deutſchlands gefunde und gefammelte Kraft flug ihn und fein ſtolzes Gebäude zu Scherben.

Drudfehler.

Seite 5, Zeile 3 v. o. ftatt: 746, lied: 741.

169,

190, 302, 806, 384, 688,

6 v. o. ftatt: hatte der polnifchen Machthaber, lies:

polnifchen Machthaber hatte. 12 v. o. ftatt: Behandlung, lied: Verhandlung. 21 v. o. ftatt: fragte. . wieder, ließ: fragt... . weiter. 7 v. u. flatt: derfelben, ließ: beffelben. 2 v. o. ftatt: 1802, lie: 1801. + v. u. ftatt: Convulfionen, ließ: Eonceffionen.

der

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